Handbuch der preussischen Geschichte: Das 17. und 18. Jahrhundert und grosse Themen der Geschichte Preussens [Band 1] 9783110140910

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Handbuch der preussischen Geschichte: Das 17. und 18. Jahrhundert und grosse Themen der Geschichte Preussens [Band 1]
 9783110140910

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
A. Einführung in das Gesamtwerk
Bibliographie
§ 1 Vorwissenschaftliche Historiographien
§ 2 Verwissenschaftlichung im Historismus
§ 3 Staats-Strukturgeschichte und historische Staatswissenschaft
§ 4 Pluralismen zur Zeit des Kaiserreichs
§ 5 Krisen und Konjunkturen der Zwischenkriegszeit
§ 6 Instrumentalisierung – Internationalisierung – Modernisierung. Historiographie zur preußischen Geschichte seit 1945
B. Epochen der preußischen Geschichte
Bibliographie
§ 1 Brandenburg-Preußen um 1600: Struktur – Dynastie – Konfession
§ 2 Die Krise des 17. Jahrhunderts in Brandenburg-Preußen
§ 3 Der Staat des Großen Kurfürsten
§ 4 Europa und die Politik Brandenburg-Preußens 1648 –1688
§ 5 Preußen und die Königskrone
§ 6 Friedrich Wilhelm I. und die politischen Strukturen Brandenburg-Preußens (bis 1740)
§ 7 Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen bis 1740
§ 8 Kolonisation, Land und Herrschaftspraxis im preußischen Absolutismus
§ 9 Preußen und Europa unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts
§ 10 Preußen und die europäische Mächtepolitik vom Siebenjährigen Krieg bis zum Fürstenbund
§ 11 Zur Praxis des „aufgeklärten Absolutismus“ in Brandenburg-Preußen
§ 12 Preußen in der Zeit der Revolutionen
§ 13 1797 – 1806. Strukturwandel und Vorreformen
§ 14 Im Sturm der Politik
C. Große Themen der preußischen Geschichte
I. Preußen und Westeuropa
Bibliographie
§ 1 Die Anfänge der Beziehungen Brandenburgs und Preußens zu Westeuropa
§ 2 Die Zeit des Großen Kurfürsten
§ 3 Brandenburg-Preußen und Westeuropa von 1688 bis 1740
§ 4 Preußen und Westeuropa in friderizianischer Zeit
§ 5 Preußen, Franzçsische Revolution und napoleonische Zeit
§ 6 Preußen und Westeuropa von 1815 bis 1850
§ 7 Preußen und Westeuropa zwischen Revolution und Julikrise
§ 8 Schlußbemerkung
II. Brandenburg-Preußen und das Alte Reich ca. 1650–1806
Bibliographie
§ 1 Das Thema „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ als Problem der Forschung. Historiographische Scheidung und strukturelle Verzahnung
§ 2 Der Kurfürst von Brandenburg und der Westfälische Friede
§ 3 Kurfürst Friedrich Wilhelm als Reichspolitiker
§ 4 Das Alte Reich, das Königreich Preußen und die Kriege um 1700
§ 5 Die Krise des Reichsverfassungssystems um 1720
§ 6 Friedrich II. und die Etablierung Preußens als Subsystem des Alten Reiches
§ 7 Das Ende vom Alten Reich und vom Alten Preußen
III. Berlin als brandenburgisch-preußische Residenz und Hauptstadt Preußens und des Reiches
Bibliographie
§ 1 Vorbemerkung
§ 2 Vorstufen und Herausbildung der Residenz Berlin/Cölln bis zum Ausgang des Mittelalters
§ 3 Herrschaftszentrum der hohenzollernschen Renaissancefürsten
§ 4 Hauptstadt und barocke Residenzlandschaft im absolutistisch regierten Brandenburg-Preußen
§ 5 Das klassische Berlin in einer verdichteten Residenzlandschaft
§ 6 Die Hauptstadt Preußens in der konstitutionellen Monarchie
§ 7 Preußische und Deutsche Hauptstadt im Kaiserreich
§ 8 Hauptstadt des Freistaates Preußen in der ersten deutschen Republik
§ 9 Reichshauptstadt im Nationalsozialismus
§ 10 Epilog
IV. Minoritäten in Preußen: Die Hugenotten als Beispiel
Bibliographie
§ 1 Zur Vorgeschichte in Frankreich
§ 2 Das Edikt von Potsdam
§ 3 Die Französischen Kolonien in Brandenburg-Preußen (1685–1809)
§ 4 Die Hugenotten in der Wirtschaft Brandenburg-Preußens
§ 5 Die Hugenotten im kulturellen Leben ihres Aufnahmelandes
§ 6 Identität und Akkulturation
Backmatter

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HANDBUCH DER PREUSSISCHEN GESCHICHTE Band I



HISTORISCHE KOMMISSION ZU BERLIN

HANDBUCH DER PREUSSISCHEN GESCHICHTE Band I

Walter de Gruyter · Berlin · New York

HANDBUCH DER PREUSSISCHEN GESCHICHTE Herausgegeben von

Wolfgang Neugebauer unter Mitarbeit von Frank Kleinehagenbrock

Band I Das 17. und 18. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens Mit Beiträgen von Ursula Fuhrich-Grubert · Frank Kleinehagenbrock Ilja Mieck · Wolfgang Neugebauer · Wolfgang Ribbe

Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-014091-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Rudolf Hübler, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Inhalt Wolfgang Neugebauer Der erste Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . XIII

A. Einfîhrung in das Gesamtwerk Preußen in der Historiographie. Epochen und Forschungsprobleme der Preußischen Geschichte Von Wolfgang Neugebauer Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

§ 1 Vorwissenschaftliche Historiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

I. Traditionen der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 II. Dynastische Mythen und frîhe Staatsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

§ 2 Verwissenschaftlichung im Historismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 § 3 Staats-Strukturgeschichte und historische Staatswissenschaft . . . . . . . . 38

I. Strukturgeschichtliche Anfnge der preußischen Historiographie . . . . . . . 38 II. Der Schmoller-Komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Otto Hintze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

§ 4 Pluralismen zur Zeit des Kaiserreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 § 5 Krisen und Konjunkturen der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . 60 § 6 Instrumentalisierung – Internationalisierung – Modernisierung. Historiographie zur preußischen Geschichte seit 1945 . . . . . . . . . . . . . 75

I. Untergang und „Abrechnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Bundesrepublik und historiographische Westintegration . . . . . . . . . . . . . 79 III. Preußen als Forschungsthema in der DDR und in Polen . . . . . . . . . . . . 99

VI

Inhalt

B. Epochen der preußischen Geschichte Brandenburg-Preußen in der Frîhen Neuzeit. Politik und Staatsbildung im 17. und 18. Jahrhundert Von Wolfgang Neugebauer Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

§1

Brandenburg-Preußen um 1600: Struktur – Dynastie – Konfession 121

§2

Die Krise des 17. Jahrhunderts in Brandenburg-Preußen . . . . . . . . . 145

§3

Der Staat des Großen Kurfîrsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

§4

Europa und die Politik Brandenburg-Preußens 1648 – 1688 . . . . . . 210

§5

Preußen und die Kçnigskrone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

§6

Friedrich Wilhelm I. und die politischen Strukturen BrandenburgPreußens (bis 1740) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

§7

Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen bis 1740 . . . . . . . . . . 285

§8

Kolonisation, Land und Herrschaftspraxis im preußischen Absolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

§9

Preußen und Europa unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

§ 10 Preußen und die europische Mchtepolitik vom Siebenjhrigen Krieg bis zum Fîrstenbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 § 11 Zur Praxis des „aufgeklrten Absolutismus“ in Brandenburg-Preußen 345 § 12 Preußen in der Zeit der Revolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 § 13 1797 – 1806. Strukturwandel und Vorreformen . . . . . . . . . . . . . . . . 385 § 14 Im Sturm der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

Inhalt

VII

C. Große Themen der preußischen Geschichte I. Preußen und Westeuropa Von Ilja Mieck Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411

§ 1 Die Anfnge der Beziehungen Brandenburgs und Preußens zu Westeuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 I.

Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zwang der Geographie: Mittellage und Zersplitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein methodisches Problem: „Deutschland“ vor 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prmissen der brandenburgpreußischen Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grundstrukturen des Wirtschaftsund Kulturtransfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Frîhe Kontakte zu Westeuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Brîckenschlge im Sptmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Brandenburg, Preußen und Westeuropa im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Kurfîrstentum Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Herzogtum Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

449

449 453 460 464 465 465

469 469 478 § 2 Die Zeit des Großen Kurfîrsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 I. Brandenburg und Westeuropa bis zum Frieden von Oliva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 1. Das niederlndische Vorbild: Kommerz und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 2. Politische Fîhlungnahme zu Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 II. Handelsbeziehungen und Reisekontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 1. Warenaustausch und Handelsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 2. Die Errichtung franzçsischer Konsulate im Ostseeraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 3. Franzçsische Handelsvertrge mit anderen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 4. Brandenburg und die „Compagnie du Nord“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 5. Reisen nach Westeuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 III. Mit den Niederlanden gegen Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 IV. An der Seite Frankreichs (1679 – 1685) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 1. Politik und Wirtschaft: Enttuschungen und Subsidien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 2. Kooperation und Konkurrenz im kolonialen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

VIII

Inhalt

3.

Beginnende Neuorientierung (West- und Mitteleuropa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das Edikt von Potsdam – eine europische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konfession und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der erneute Kurswechsel Brandenburgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ein Transfer besonderer Art: Die Hugenotten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Festigung des neuen Kurses (1685 – 1688) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

523 524 524 525 528 534

§ 3 Brandenburg-Preußen und Westeuropa von 1688 bis 1740 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 I. Die Einheit der Epoche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Brandenburg-Preußen und die neue Westeuropa-Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die neue Parole: „London und Amsterdam“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Pflzische Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kçnigswîrde und Spanischer Erbfolgekrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Liquidierung der Kolonialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Friedrich Wilhelm und Westeuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Niederlande: Fîrstliches Reiseziel und Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frankreich und Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Projekt der preußischenglischen Doppelheirat und der Streit um Jîlich-Berg (bis 1733) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Fiasko der WesteuropaPolitik Friedrich Wilhelms I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Preußisch-westeuropische Kontakte anderer Art (Kultur, Handel, „Peuplierung“, Gewerbe) . . . . . . . . .

536 537

538 541 547 554 557 559 561 564 566

567 § 4 Preußen und Westeuropa in friderizianischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . 576 I. „Westliche“ Prgungen des Kronprinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 II. Der westeuropische Faktor in der Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 1. Die Allianz mit Frankreich: „Travailler pour le roi de Prusse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 2. Von 1748 bis zum Umschwung der Bîndnisse (1756) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 3. Preußen und Westeuropa im „Neuen System“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 III. Preußen und die Geisteswelt: Der frankophile Kçnig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 1. Aufklrung, Literatur und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 2. Bildende Kînste, Architektur und Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 IV. Andere Einflîsse und Wirtschaftsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 1. Staatsverwaltung und Regierungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613

Inhalt

2. 3. 4. 5. 6.

Das Heerwesen: Ein Transfer in Ost-West-Richtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturelle Kontakte mit Großbritannien und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Westeuropische Impulse im Gewerbebereich . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Kontakte zu Westeuropa (Niederlande und Spanien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preußisch-westeuropische Handelsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . .

IX 616 618 626 629 631

§ 5 Preußen, Franzçsische Revolution und napoleonische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 I.

II. III.

IV. V. VI.

Grundstrukturen der Westpolitik unter Friedrich Wilhelm II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Erbe Friedrichs im westeuropischen Bîndnissystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preußen und die ersten vier Koalitionskriege (1792 – 1807) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Preußens Ausstieg aus der Ersten Koalition (1795) . . . . . . . . . . . . 2. Friedrich Wilhelm III. und die zunehmende Isolierung Preußens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Krieg gegen England und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die preußisch-westeuropischen Beziehungen auf dem Tiefpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die neue Konstellation: An der Seite Englands gegen Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brîckenschlge anderer Art: Modernisierung und Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

644 647 659 660 664 668 672 679 680

§ 6 Preußen und Westeuropa von 1815 bis 1850 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 I.

Grundzîge der preußisch-westeuropischen Beziehungen vom Wiener Kongreß bis zum Ende der Revolution (1814 – 1850) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Preußen und die westeuropischen Mchte bei den Verhandlungen in Paris und Wien 1814/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preußen als Besatzungsmacht, die Anfnge der Botschafterkonferenzen und der Kongreßdiplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die zwanziger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Julirevolution, Belgien und der Rhein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vormrz und Revolutionszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Westeuropas Hilfe bei der Industrialisierung Preußens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwerbung von Westeuropern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preußische Westeuropa-Reisende von 1814 bis 1845 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Preußisch-westeuropische Handels- und Kulturbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beziehungen im Geld- und Warenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Westeuropa und der Deutsche Zollverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

696 696 702 707 710 720 725 726 729 733 733 740

X

Inhalt

3.

Preußisch-westeuropischer Kulturtransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751

§ 7 Preußen und Westeuropa zwischen Revolution und Julikrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762 I.

Politische Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Persigny-Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Krimkrieg und Neuenburg-Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zunehmende Distanzierung Preußens von den politischen Traditionen Westeuropas seit 1857 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regierungswechsel und antiwestliche Tendenzen . . . . . . . . . . . b) Die Krçnung Wilhelms I. (1861) und Westeuropa . . . . . . . . . c) Verfassungskonflikt, Abdankungsdebatte und die Berufung Bismarcks: Der konservative Ruck und die Abkehr von den politischen Traditionen Westeuropas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Festigung der antiwestlichen Tendenzen seit September 1862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bismarcks Westeuropapolitik (1863 – 1870) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Ende preußischer Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beziehungen anderer Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kultureller Austausch, Freund- und Feindbilder . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preußen und die Weltausstellungen vor 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirtschaftsfragen: Kapitalverflechtung, Zollverein, Preußisch-franzçsischer Handelsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verkehrsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

762 763 765

772 772 775

778 790 795 809 812 812 820

831 839 § 8 Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847

II. Brandenburg-Preußen und das Alte Reich ca. 1650 – 1806 Von Frank Kleinehagenbrock Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854

§ 1 Das Thema „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ als Problem der Forschung. Historiographische Scheidung und strukturelle Verzahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869 § 2 Der Kurfîrst von Brandenburg und der Westflische Friede . . . . . . . 897 § 3 Kurfîrst Friedrich Wilhelm als Reichspolitiker . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 § 4 Das Alte Reich, das Kçnigreich Preußen und die Kriege um 1700 . . 908 § 5 Die Krise des Reichsverfassungssystems um 1720 . . . . . . . . . . . . . . . 915

Inhalt

XI

§ 6 Friedrich II. und die Etablierung Preußens als Subsystem des Alten Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 918 § 7 Das Ende vom Alten Reich und vom Alten Preußen . . . . . . . . . . . . . 927

III. Berlin als brandenburgisch-preußische Residenz und Hauptstadt Preußens und des Reiches Von Wolfgang Ribbe Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

933

§1

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944

§2

Vorstufen und Herausbildung der Residenz Berlin/Cçlln bis zum Ausgang des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 948

§3

Herrschaftszentrum der hohenzollernschen Renaissancefîrsten . . . 964

§4

Hauptstadt und barocke Residenzlandschaft im absolutistisch regierten Brandenburg-Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980

§5

Das klassische Berlin in einer verdichteten Residenzlandschaft . . . 1015

§6

Die Hauptstadt Preußens in der konstitutionellen Monarchie . . . . 1033

§7

Preußische und Deutsche Hauptstadt im Kaiserreich . . . . . . . . . . . 1049

§8

Hauptstadt des Freistaates Preußen in der ersten deutschen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073

§9

Reichshauptstadt im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1086

§ 10 Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1117

IV. Minoritten in Preußen: Die Hugenotten als Beispiel Von Ursula Fuhrich-Grubert Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1125

§ 1 Zur Vorgeschichte in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1149 § 2 Das Edikt von Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1160

XII

Inhalt

§ 3 Die Franzçsischen Kolonien in Brandenburg-Preußen (1685 – 1809) 1167 § 4 Die Hugenotten in der Wirtschaft Brandenburg-Preußens . . . . . . . 1179 § 5 Die Hugenotten im kulturellen Leben ihres Aufnahmelandes . . . . . 1189 § 6 Identitt und Akkulturation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1209 Anhang. Aufbau der Verwaltung der Franzçsischen Kolonie(n) und Kirche(n) sowie des „franzçsischen“ Justizwesens in BrandenburgPreußen um 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1223 Zusammenstellung der Schulen, Erziehungsanstalten und allgemeinen karitativen Einrichtungen der Berliner Franzçsischen Kirche (chronologisch) 1224

Register (Paul William, Frank Kleinehagenbrock) Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1225 Ortsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1245 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1261

Der erste Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte Wolfgang Neugebauer Am Anfang von Handbuchprojekten stehen bisweilen Illusionen, ohne die diese Werke wohl gar nicht zustande kommen wîrden. So auch in diesem Fall: Im Umfeld des „Preußenjahres“ 1981 kam in der Historischen Kommission zu Berlin die Idee auf, ein Handbuch zur preußischen Geschichte, und zwar eines in einem Bande, vorzulegen. Mit einer Konzeption, die Otto Bîsch vorgeschlagen hatte, sollte es in wenigen Jahren entstehen. Damals schien es so, als wîrde, angestoßen durch çffentliches Interesse und mediale Verwertung, die preußische Geschichte îberhaupt von der Wissenschaft wieder intensiver betrieben werden. Freilich: Der Ertrag des „Preußenjahres“ selbst blieb, wie sehr bald festgestellt wurde, in wissenschaftlicher Hinsicht recht begrenzt,1 und nachhaltige Effekte etwa zur Strkung der universitren und außeruniversitren Forschungspotentiale hat es auf dem Felde preußischer Studien denn doch nicht gegeben.2 Das schloß in der Folgezeit einzelne Leistungen auf diesem Arbeits1

2

Vgl. den vorzîglichen Forschungsbericht von Hellmut Seier, Region, Modernisierung und Deutschlandpolitik. Die „Preußenwelle“ in landesgeschichtlicher Sicht, in: Hessisches Jahrbuch fîr Landesgeschichte, 33 (1983), S. 347–401, bes. S. 347, S. 353, S. 356 ff., S. 362 („Die Summe ist nicht berauschend“); vgl. zum Hintergrund Edgar Wolfrum, Die Preußen-Renaissance: Geschichtspolitik im deutsch-deutschen Konflikt, in: Martin Sabrow (Hg.), Verwaltete Vergangenheit. Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR (= Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur im 20. Jahrhundert, Bd. 1), Leipzig 1997, S. 145–166, hier S. 145 f.; rasches Abebben des Interesses nach 1981: Frank-Lothar Kroll, Sehnsîchte nach Preußen? Preußenbild und Preußendiskurs nach 1945, in: Ders., Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates, Paderborn u. a. 2001, S. 241–251, hier S. 246 (zu 1981), S. 249; Barbara Vogel, Literaturbericht. Das alte Preußen in der modernen Geschichtswissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft, 11 (1985), S. 377–396, hier S. 377 (nichts Neues durch die „Preußenrenaissance“); ebda. zu den Studien von Mittenzwei, Schissler und Vetter; und schließlich drastisch Klaus Zernack, Preußen – Polen – Rußland. Betrachtungen am Ende des „Preußenjahres“, in: Jahrbuch fîr die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 31 (1982), S. 106–125, hier S. 117 („in Ost und West doch ein in diesem Umfang unerwartetes Ausmaß an Konventionalitt“ und „borussischer Traditionalitt“). Aus der um 1977/1980 rasch angeschobenen wissenschaftlichen Aktivitt vgl. Otto Bîsch (Hg.), Das Preußenbild in der Geschichte. Protokoll eines Symposions (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 50. Forschungen zur Preußischen Geschichte), Berlin/New York 1981, dazu treffend-kritisch H. Seier, Re-

XIV

Wolfgang Neugebauer

gebiet gewiß nicht aus. Aber die Lage insgesamt war dadurch bestimmt, daß das Handbuch der Preußischen Geschichte gerade in einer Zeit geschrieben wurde, in der die der Arbeit zugrunde liegenden Forschungskapazitten ab- und nicht aufgebaut worden sind. ˜ber Grînde und bisweilen gut versteckte Hintergrînde ist hier noch nicht zu handeln. Aber das steht doch fest: Die Beseitigung der einschlgigen Lehrstîhle und derjenigen Professuren, die sich ganz oder teilweise preußischen Themen gewidmet hatten, traf auf erstaunlich wenig Widerstand aus diesem Forschungsfelde selbst. Die Arbeit am Handbuch der Preußischen Geschichte wurde also unter gnzlich anderen Bedingungen geleistet, als etwa die großen, vergleichbaren Projekte im deutschen Sîden,3 von den opulenten, beneidenswerten Verhltnissen im benachbarten Ausland, z. B. in Polen oder in §sterreich, ganz zu schweigen. Sehr bald wurde in der Arbeit am Handbuch der Preußischen Geschichte deutlich, daß – auch – bei diesem Kompendium die ursprînglichen Raumvorgaben gesprengt werden mußten. Die Erweiterung des Werkes auf insgesamt drei Bnde vernderte freilich die Gesamtanlage nicht: Neben chronologische Abschnitte, die die politische und die Staatsentwicklung der Hauptepochen darbieten sollten, wurden „große Themen“ der preußischen Geschichte gestellt. Gewisse, wenn auch begrenzte ˜berschneidungen waren damit unvermeidlich. Es stellte sich freilich heraus, daß gerade darin auch durchaus Vorteile liegen kçnnen, werden doch so zentrale Fragen der historischen Genese Preußens aus

3

gion … (s. Anm. 1), S. 367 („Streng genommen wird îber das ,Preußenbild in der Geschichte‘ sehr wenig gesagt“, mehr îber die damalige Sicht im Westen); sowohl historiographische Dokumentation als auch eine Zusammenstellung mit dem Ziel, einen Behelf zum ˜berblick in systematischer Hinsicht îber wesentliche Entwicklungsfelder preußischer Geschichte zu liefern, die von O. Bîsch initiierte Publikation: Otto Bîsch / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648–1947. Eine Anthologie, 3 Bde. (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 52/1–3), Berlin/New York 1981, darin als Hilfsmittel zu dieser Zeit: Wolfgang Neugebauer, Auswahlbibliographie zur preußischen Geschichte, a. a. O., Bd. 3, S. 1677–1764, mit den wichtigsten Produkten des Jahres 1980/81; noch immer anregend: Rudolf von Thadden, Fragen an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates, Mînchen 1981, etwa S. 10 ff.; aus der damaligen Produktion sei ferner exemplarisch genannt: Hans-Jîrgen Puhle / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft, Bd. 6), Gçttingen 1980, besonders die Beitrge von Horst Mçller, Rudolf von Thadden, Barbara Vogel, Hans-Peter Ullmann; mit sehr guter Einleitung: Dirk Blasius (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 111. Geschichte), Kçnigstein/Ts. 1980, bes. S. 9–46, zur neueren Debatte S. 13 ff. – im îbrigen eine interessant zusammengestellte Anthologie. Mit vergleichenden Blicken auf deutsche und außerdeutsch-europische Handbuchwerke: Wolfgang Neugebauer, Forschung und Synthese. Das Handbuch der bayerischen Geschichte im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, in: Zeitschrift fîr bayerische Landesgeschichte, 70 (2007), Heft 1, S. 11–32.

Der erste Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte

XV

zum Teil recht verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Im vorliegenden Band bestand damit die Gelegenheit, etwa auf Themenfeldern der Wirtschafts-, zumal der Agrargeschichte oder auch der militrischen Strukturen im Alten Preußen ergnzende Akzente aus neueren Forschungsertrgen zu setzen. Als mit dem îberraschenden Tode Otto Bîschs im Mrz 1994 der neue Herausgeber von der Historischen Kommission und ihrem damaligen Vorsitzenden Wolfram Fischer beauftragt wurde, den Versuch zu unternehmen, dieses Projekt fortzufîhren und abzuschließen, waren also wesentliche konzeptionelle Entscheidungen zur Struktur und zum Autorenstamm des Handbuchs der Preußischen Geschichte schon festgelegt. Die Spielrume zur weiteren Gestaltung dieses Vorhabens waren zudem dadurch begrenzt, daß im Jahre 1992 als erster Teil des Gesamtwerkes der zweite, mittlere Band erschienen war,4 der die bis dahin erarbeiteten Manuskripte zum Druck brachte. Immerhin waren thematische Erweiterungen mçglich, so vor allem wesentliche Ergnzungen zum europischen Umfeld Preußens in Frîher Neuzeit und Moderne. Aber wie bereits angedeutet: Die Arbeit am dritten und jetzt vorgelegten ersten Band stand insofern unter sehr schwierigen Vorzeichen, als die personellen und sachlichen Grundlagen dieses Forschungsfeldes mehr und mehr wegbrachen, also auch Alternativen in den meisten Themenfeldern nicht mehr existierten. Das Handbuch der Preußischen Geschichte, nicht untypisch fîr Vorhaben dieser Grçßenordnung in einem Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahrzehnten erschienen,5 kçnnte fast als ein Handbuch gelten, das zur Unzeit geschrieben wurde. Das alles besttigt, daß das Handbuch der Preußischen Geschichte unter gnzlich anderen Bedingungen entstehen mußte, als die bekannten – und fîr das preußische Handbuch vorbildhaften6 – Werke zur europischen Geschichte 4 5

6

Otto Bîsch (Hg.), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin/New York 1992, mit Beitrgen von Ilja Mieck, Wolfgang Neugebauer, Hagen Schulze, Wilhelm Treue und Klaus Zernack. Das Handbuch der Europischen Geschichte basierte auf einem „Konzept … aus den frîhen fînfziger Jahren“, der letzte erschienene Band aus den spten 1980ern; vgl. das „Vorwort des Verlages“, in: Theodor Schieder (Hg.), Handbuch der Europischen Geschichte, Bd. 2, Stuttgart 1987, S. VII; vgl. als weiteres Beispiel noch Anm. 7, und außerdem die vergleichenden Passagen bei W. Neugebauer, Forschung … (s. Anm. 3), S. 23–30 (mit Lit.). In den Diskussionen der frîhen 1980er Jahren spielte vor allem der dem 17. und 18. Jahrhundert gewidmete Band des in Anm. 5 genannten Werkes als Vorbild eine große Rolle, nicht zuletzt wegen des berîhmten Beitrages von Gerhard Oestreich: Fritz Wagner (Hg.), Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklrung (= Handbuch der Europischen Geschichte, Bd. 4), Stuttgart 1968, darin Gerhard Oestreich, Das Reich – Habsburgische Monarchie – Brandenburg-Preußen von 1648 bis 1803, S. 378–475; freilich wurden in den Bnden dieses Werkes die epochenîbergreifenden Artikel (hier: Fritz Wagner, Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufkl-

XVI

Wolfgang Neugebauer

oder (um ein deutsches Exempel zu benennen) der „Spindler“, der auf einer ungemein reichen und in bayerischer Staatskontinuitt allseits gepflegten (Landes-) Geschichtswissenschaft aufbauen konnte. Dieses Werk kann aus historischer und wissenschaftlicher Sicht als ein typologisches Gegenbeispiel zum preußischen Pendant gelten. Der Verlust der politischen Kontinuitt Preußens seit 1932/1947 korrespondierte mit dem Wegbrechen historiographischer Fundamente. ˜ber Jahrzehnte war die wissenschaftliche Arbeit auf die Bundesrepublik, auf die DDR und – nicht zu vergessen – auf Polen7 verteilt; hinzu traten bisweilen Forschungsbeitrge aus transatlantischen Historiographien. Aber die endogenen Fundamente von Forschung und Lehre, damit auch der Rekrutierung von qualifiziertem, fîr große Forschungsthemen kompetentem Nachwuchs schwanden. Mit um so grçßerem Dank ist die Mitarbeit auch solcher Autoren zu begrîßen, die hier die Summe jahrzehntelanger Forschungen gezogen und sich der mîhsamen Arbeit unterzogen haben, die – bisweilen monographienstark – weitgespannten Themenfelder aus detaillierter Sachkenntnis und mit zum Teil dezidierten Standpunkten zu bearbeiten. Dieses Handbuch ist von Anfang an so konzipiert worden, daß mit einem Grundkonsens methodologischer Homogenitt doch recht unterschiedliche Bewertungen verbunden werden konnten, Positionen, die von jedem Autor allein verantwortet werden. In dem nun vorliegenden ersten Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte werden vor allem westeuropische und reichsgeschichtliche Akzente gesetzt. In den Bnden II und III waren die Verzahnungen Preußens mit der çstlichen, vor allem mit den polnischen Nachbarn und mit Rußland dargetan worden,8 unter fruchtbarer Anwendung spezifisch ostmitteleuropischer Forschungspotentiale und Fragestellungen. Hier hat Ilja Mieck nun sehr engagiert

7

8

rung. Die Einheit der Epoche, S. 1–163) mit Staaten- beziehungsweise Regionenkapiteln verschiedener Autoren kombiniert, whrend beim Handbuch der Preußischen Geschichte Sachmaterien mit (europisch-) beziehungsgeschichtlichen Beitrgen verbunden werden, die in der Regel epochenîbergreifend angelegt sind. – Die Beziehungen Brandenburg-Preußens zu den Habsburgern beziehungsweise zum Heiligen Rçmischen Reich deutscher Nation sind teils im Epochenkapitel selbst, teils in dem Beitrag von Frank Kleinehagenbrock behandelt worden, so daß eine gesonderte Darstellung des Verhltnisses Brandenburg-Preußens zum katholischen Sîden nicht sinnvoll erschien. Nach intensiver internationaler Diskussion und langfristiger Vorbereitung liegt vor: Bogdan Wachowiak (Hg.), Dzieje Brandenburgii-Prus na progu czasûw nowoz˙ytnych (1500–1701), Poznan´ 2001, zur Zeit seit 1618: S. 315 ff.; das Gesamtwerk ist auf vier Bnde angelegt; englischsprachige Ertrge verzeichnet bei Christopher Clark, Iron Kingdom. The Rise and Downfall of Prussia, 1600–1947, London 2006 (auch dt. 2007). Vorzîglich Klaus Zernack, Polen in der Geschichte Preußens, in: O. Bîsch (Hg.), Handbuch … (s. Anm. 4), Bd. 2, S. 377–448; sodann Martin Schulze Wessel, Die Epochen der russisch-preußischen Beziehungen, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. 3, Berlin/New York 2001, S. 713–787.

Der erste Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte

XVII

den westeuropischen Kontrapunkt gesetzt und – weit zurîckgreifend in vormoderne Epochen – sowohl franzçsische, als auch niederlndische und englische beziehungsweise großbritannische Einflîsse auf Brandenburg und Preußen akzentuiert. Er hat die diplomatisch-mchtepolitischen Konstellationen referiert, unter Einschluß von Fremd- und Feindbildern, vielleicht auch westeuropischer Normen. Die kînftige Forschung wird diese Probleme weiter diskutieren und auch die Frage, ob nicht gerade das Phnomen Preußen nur sehr bedingt solchen westlichen Normen entsprach und entsprechen konnte, lag doch z. B. gerade die namensgebende Staats-Region vor 1867/71 in ostmitteleuropischen Rumen und außerhalb der deutschen Grenzen. Preußen in seiner spezifisch mittel- und ostmitteleuropischen Fundierung entzog sich in seinen besten Zeiten nicht nur der nationalen (oder gar nationalistischen) Simplifikation, sondern zugleich der einfachen Zuordnung zum westeuropischen Entwicklungstyp. Dies ist lngst nicht mehr nur eine Erkenntnis derjenigen Ostmitteleuropahistoriographie,9 die sich preußischen Themen geçffnet hat und 9

Zu nennen sind hier vor allen Dingen die Beitrge von Klaus Zernack, vgl. seine Sammlungen: Preußen – Deutschland – Polen. Aufstze zur Geschichte der deutschpolnischen Beziehungen, hg. von Wolfram Fischer und Michael G. Mîller (= Historische Forschungen, Bd. 44), (1. Aufl.) Berlin 1991, darin insbesondere die Studie von Klaus Zernack, Preußen als Problem der osteuropischen Geschichte, S. 87–104, bes. S. 92 ff.; Ders., Nordosteuropa. Skizzen und Beitrge zu einer Geschichte der Ostseelnder, Lîneburg 1993, darin programmatisch: Von Stolbowo nach Nystad …, S. 105–131, bes. S. 122 ff.; methodisch: Ders., Das Jahrtausend deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte als geschichtswissenschaftliches Problemfeld und Forschungsaufgabe, in: Wolfgang H. Fritze / Klaus Zernack (Hg.), Grundfragen der geschichtlichen Beziehungen zwischen Deutschen, Polaben und Polen. Referate und Diskussionsbeitrge aus zwei wissenschaftlichen Tagungen (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 18. Publikationen zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, Bd. 1), Berlin 1976, S. 3–46, bes. S. 18–24, S. 39 ff.; und das von Klaus Zernack herausgegebene Fragment von Werner Conze, Ostmitteleuropa. Von der Sptantike bis zum 18. Jahrhundert, Mînchen (1992), bes. S. 182–188 u. ç.; als Klassiker der polnischen Historiographie vgl. Oskar Halecki, Grenzraum des Abendlandes. Eine Geschichte Ostmitteleuropas, (dt.:) Salzburg (1956), S. 252–259; Matthias Weber (Hg.), Preußen und Ostmitteleuropa. Geschehensgeschichte und Verstehensgeschichte (= Schriften des Bundesinstituts fîr Kultur und Geschichte der Deutschen im çstlichen Europa, Bd. 21), Mînchen 2003, im einleitenden Beitrag von Matthias Weber, Preußen und Ostmitteleuropa, S. 11–32, bes. S. 17 ff.; Ders. (Hg.), Deutschlands Osten – Polens Westen. Vergleichende Studien zur geschichtlichen Landeskunde (= Mitteleuropa – Osteuropa, Bd. 2), Frankfurt am Main 2001, bes. die Beitrge des 1. Teils zu „kulturelle(n) und historische(n) Wechselwirkungen“. Hinzuweisen ist auf die außerordentlich fruchtbare germanistische Produktion von Klaus Garber, soeben seine Studie: Schwellenzeit. Das untergegangene alte Kçnigsberg um 1800, in: Brbel Holtz / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Kennen Sie Preußen – wirklich? Das Zentrum „Preußen-Berlin“ stellt sich vor. Im Auftrage der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2009, S. 31–58 (Lit.); vgl. Anm. 10.

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Wolfgang Neugebauer

erkennt, daß diese ihrerseits spezifische Probleme und Erkenntnisse zugleich nutzbar machen, wenn auf die ungemein starken ostmitteleuropischen Verankerungen der preußischen Geschichte, und das nicht nur in der Frîhen Neuzeit, hingewiesen wird.10 Das Handbuch der Preußischen Geschichte mag gerade diese preußisch-europische und zugleich durchaus auch aktuelle Diskussion inspirieren. Die îbernationale Prgung Preußens in seiner weit gespannten Lage vom Niederrhein bis an die Grenzen der baltischen Landesstaaten und mit seiner altgewachsenen, ja traditionalen und vormodern multiethnischen Struktur11 macht dieses historische Phnomen in heutiger Zeit unerwartet aktuell. In seiner Offenheit entzieht es sich nationalistischer Vereinnahmung und zugleich der Unterordnung unter ex post gesetzte Normen. Die Rolle der Minoritten wird im vorliegenden Bande am Beispiel der Hugenotten dokumentiert, gleichsam stellvertretend fîr andere Minderheiten, die von der Forschung in den letzten Jahrzehnten breit diskutiert worden sind. Der Beitrag von Ursula Fuhrich-Grubert fîgt sich auch in seinem exemplarischen Charakter glîcklich in den spezifisch-westeuropischen Schwerpunkt dieses Handbuchteiles ein. Zugleich bietet er ein Beispiel fîr die ethnischpluralen Traditionen des preußischen Staates und seiner Regionen, geprgt von westlichen und von çstlichen Bevçlkerungselementen gleichermaßen – man denke fîr das 19. und 20. Jahrhundert nur an die Polen im Ruhrgebiet.12 10 Fallstudie: Wolfgang Neugebauer, Zwischen Preußen und Rußland. Rußland, Ostpreußen und die Stnde im Siebenjhrigen Krieg, in: Eckhart Hellmuth / Immo Meenken / Michael Trauth (Hg.), Zeitenwende? Preußen um 1800, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999 (2000), S. 43–76; vgl. Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Stnden zum Konstitutionalismus (= Quellen und Studien zur Geschichte des çstlichen Europa, hg. vom Verband der Osteuropahistoriker, Bd. 36), Stuttgart 1992; zum spteren 19. Jahrhundert vgl. zunchst die Beobachtungen bei Wolfgang Neugebauer, Funktion und Deutung des „Kaiserpalais“. Zur Residenzstruktur Preußens in der Zeit Wilhelms I., in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge, 18 (2008), S. 67–95, hier S. 91. 11 Vgl. die Studien „zur Bevçlkerungs-, Sprachen- und Siedlungsgeschichte“ vor allem Ostpreußens bei Kurt Forstreuter, Wirkungen des Preußenlandes. Vierzig Beitrge (= Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 33), (Kçln/Berlin 1981), S. 270–382, bes.: Die Anfnge der Sprachstatistik in Preußen und ihre Ergebnisse zur Litauerfrage, S. 312–333, vgl. noch S. 361 ff.; Jîrgen Hensel, Sprachen, in: Wolfgang Scharfe (Hg.), Administrativ-Statistischer Atlas vom Preußischen Staate … Neudruck mit einer Einfîhrung und Erluterungstexten zu den 22 Atlaskarten (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin. Reihe: „Kartenwerk zur Preußischen Geschichte“, Lfg. 3), Berlin 1990, S. 151–163 (Lit.); Leszek Belzyt, Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815–1914. Die preußische Sprachenstatistik in Bearbeitung und Kommentar (= Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, Bd. 3), Marburg 1998, S. 16–36. 12 Z. B. Wolfgang Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Otto Bîsch (Hg.), Handbuch … (s. Anm. 4), Bd. 2, S. 605–798, hier

Der erste Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte

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Westeuropisches und Ostmitteleuropisches lagen in Preußen und seinen Regionen stets im Gemenge. Der chronologische Schwerpunkt des ersten Bandes liegt in den Jahrhunderten der Frîhen Neuzeit, auf den spezifischen Phnomenen in der Epoche vor- oder frîhmoderner Staatsbildung unter den Vorzeichen von gespaltenen Loyalitten und der Konkurrenz der Konfessionen. Die Lage der çstlichen Staatsregionen in beziehungsweise in der Nachbarschaft der krisengeschîttelten und doch reformbereiten polnischen Adelsrepublik zeigt manche Parallelen zur – von der lteren Forschung drastisch unterschtzten – Rolle des Heiligen Rçmischen Reichs deutscher Nation fîr Brandenburg(-Preußen) und seine mittleren und westlichen Teile vor 1806. Der frîhneuzeitliche Schwerpunkt dieses Bandes kommt neben dem chronologischen Teil aus der Feder des Herausgebers und dem, neueren Forschungsakzenten verpflichteten Abschnitt von Frank Kleinehagenbrock zur Stellung Brandenburg-Preußens zum Alten Reichs ferner in den entsprechenden Partien der Beitrge von Ilja Mieck und Wolfgang Ribbe zum Ausdruck. Letzterer bringt einen umfnglichen Abschnitt, der die spezifische Residenzenstruktur Preußens am Beispiel des Zentralraums Berlin thematisieren soll, ein Forschungsschwerpunkt, der in den letzten Jahren in Monographien und Tagungsbnden zu neuen Ertrgen gefîhrt hat.13 Wolfgang Ribbe ist besonders zu danken, daß er seinen Beitrag von der Frîhzeit bis in die Epoche des Nationalsozialismus gefîhrt hat. Das Thema „Preußen und der Nationalsozialismus“ generell, dem sich zu Beginn der Handbucharbeit

S. 744 f., mit weiterer Lit.; Hans-Ulrich Wehler, Die Polen im Ruhrgebiet bis 1918, zuerst 1961, wieder in Ders. (Hg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 10. Geschichte), (4. Aufl.) Kçln (1973), S. 437–455, S. 550–562. 13 Vgl. mit weiterer Lit. Wolfgang Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation. Das Berliner Schloß und seine historischen Funktionen vom 15.–20. Jahrhundert (= Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, Heft 1), Potsdam 1999; Helmut Engel / Jçrg Haspel / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtswerkstatt Spree-Insel. Historische Topographie – Stadtarchologie – Stadtentwicklung (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Potsdam (1998), darin Wolfgang Neugebauer, Die Berliner Spree-Insel im preußischen Residenzengefîge. Das 18. Jahrhundert, S. 99–114; Wolfgang Ribbe (Hg.), Schloß und Schloßbezirk in der Mitte Berlins. Das Zentrum der Stadt als politischer und gesellschaftlicher Ort (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin (2005), vor allem die Beitrge von Winfried Schich, Guido Hinterkeuser, Wolfgang Neugebauer, Horst Mçller und Martin Kohlrausch; vgl. noch Hans Wilderotter, Alltag der Macht. Berlin Wilhelmstraße, (Berlin 1998), bes. S. 153 ff.; vgl. auch informativ Dorothea Zçbl, Das periphere Zentrum. Ort und Entwicklung der Bundes- und Reichsbehçrden im GroßBerliner Stadtraum 1866/67–1914 (= Brandenburgische Historische Studien, Bd. 10), Potsdam (2001), S. 146–174.

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Manfred Schlenke annehmen wollte,14 ist – trotz gelegentlicher medialer Verwertung – nach wie vor ein Desiderat der Quellenforschung. Otto Bîsch wollte es îbernehmen, dem Gesamtwerk eine Einleitung voranzustellen. Schon in den Diskussionen der Autorenkonferenzen der achtziger Jahre wurde deutlich, daß dieser Handbuchteil historiographisch angelegt werden sollte. Dieser Aufgabe hatte sich nun der neue Herausgeber zu unterziehen. Dabei war an dem strikt wissenschaftsgeschichtlich-historiographischen Auftrag festzuhalten. Auch die Wissenschaftsgeschichte des Preußenthemas ist noch nicht geschrieben, und sie wird auch nicht so geschrieben werden kçnnen, daß – wie es ja immer gerne geschieht – aus der Distanz von Jahrzehnten oder Jahrhunderten solche Aussagen in spitzer Auswahl kompiliert werden, die aus der Sicht der heutigen Leser Kuriosittswert besitzen. Das Thema Preußen15 bedarf intensiverer Forschungen, und erst die Ertrge langwieriger Aktenstudien erklren manches, was sonst ganz unverstndlich bleiben muß. Der Abschnitt îber „Preußen in der Historiographie“ kann also nur einen ersten Abriß bieten und nur an ganz wenigen Stellen auch Fundamente neuer archivalischer Forschungen erkennbar werden lassen. Der Typus des Handbuchbeitrages erzwang dabei die Konzentration auf die Prsentation des Forschungsstandes. Die populre, außerwissenschaftliche, polemische oder affirmative Preußensicht blieb dabei also ausgeschlossen. Wie groß die Differenz der Wahrnehmung Preußens in der literarischen Welt einerseits, und etwa bei den preußischen „Untertanen“ andererseits gewesen ist, konnte an anderer Stelle gezeigt werden. Es hat lange, es hat Jahrhunderte gedauert, bis sich bei den spteren „Preußen“ der Bezug auf den Gesamtstaat bewußtseinsprgend îber andere, ltere, etwa Regionalidentitten schob,16 Identitten, fîr die die Gemeinsamkeiten mit benachbarten europischen Regionen außerhalb des „Staates“ wichtiger waren als die zunchst ja nur postulierte Zugehçrigkeit zu einem Gesamtstaat, der jetzt „Preußen“ hieß. Bekanntlich sprach noch das Titelblatt der preußischen Gesetzsammlung 14 Vgl. noch Manfred Schlenke, Nationalsozialismus und Preußen/Preußentum. Bericht îber ein Forschungsprojekt, in: O. Bîsch (Hg.), Das Preußenbild … (s. Anm. 2), S. 247–264, bes. S. 254 ff. 15 Vgl. z. B. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (= Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge, Beiheft 8), Berlin 2006 – mit den dort gegebenen Belegen und Verweisen. 16 Dazu Wolfgang Neugebauer, Zur Geschichte des preußischen Untertanen – besonders im 18. Jahrhundert, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge, 13 (2003), S. 141–161; vgl. noch Ders., Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hg.), Staatliche Vereinigung: Fçrdernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte. Tagung der Vereinigung fîr Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13.3.–15.3.1995 (= Beihefte zu „Der Staat“, Heft 12), Berlin 1998, S. 49–87, hier S. 68 ff.

Der erste Band des Handbuchs der Preußischen Geschichte

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bis zum Jahre 1806 im vormodernen Plural von den „Kçniglichen Preußischen Staaten“. Die Selbst- und die Fremdwahrnehmung Preußens, zumal in zunehmend politisch aufgeladenen Populr-Stereotypen, bleibt jenseits vorliegender Einzelstudien ein fruchtbares Ttigkeitsfeld kînftiger kulturwissenschaftlicher Forschung. Dabei ist freilich mehr als bislang îblich zu unterscheiden, was an Wahrnehmungen nur vermutet, aus heutiger Sicht also doch eher unterstellt wird, und was tatschlich und quellensicher als Wahrnehmung bei Menschen vergangener, untergegangener Kulturen nachgewiesen werden kann. Auch fîr solche Fragestellungen bieten die îberlieferten Quellenmassen der preußischen Archive reiches Material. So mag dieses Handbuch zugleich Bilanz und Neubeginn historischer Forschungen auf preußischem Felde markieren, ein Arbeitsgebiet, daß erstaunliches Interesse auch außerhalb deutscher Grenzen und jenseits unseres Kontinents findet.17 Um so mehr ist der Autorin und den Autoren dieses Bandes zu danken, daß sie es mit ihrem Einsatz – und trotz mancher Widrigkeiten! – ermçglicht haben, diese Arbeit abzuschließen. Das Handbuch der Preußischen Geschichte ist also kein Torso geblieben, es konnte unter Anpassung an das heute Machbare abgeschlossen werden. Als eine sprechende Kuriositt mag es empfunden werden, daß die Hlfte dieses ersten Bandes im Freistaat Bayern geschrieben worden ist. Nachdem die Forschungsstelle der Historischen Kommission zu Berlin vor mehr als zehn Jahren geschlossen wurde, war es ein glîcklicher Umstand, daß nun die Infrastruktur des Lehrstuhls fîr Neuere Geschichte an der Julius-Maximilians-Universitt Wîrzburg zur Verfîgung stand, um diesen Band in wissenschaftlicher wie in technischer Hinsicht zu ermçglichen. Mein Assistent, Herr Dr. Frank Kleinehagenbrock, hat nach dem Ausfall anderer Autoren einen bedeutenden Beitrag selbst verfaßt, und er hat zudem wichtige redaktionelle Arbeit îbernommen. Seinem Anteil am Zustandekommen dieses Bandes und damit zum Abschluß des Handbuchprojektes insgesamt ist auf dem Titelblatt Rechnung getragen worden. Frau Ramona Endres hat – einmal mehr – oft Unmçgliches ermçglicht und ohne erkennbare Erschçpfungserscheinungen bis zum Schluße durchgehalten. Herr Paul William unterstîtzte die Registerarbeiten in bewhrter Weise. An redaktionellen Arbeiten und dem Lesen der Korrekturen waren Herr David Amthor, Herr Alexander Bagus, Herr Sebastian Hartstang, Frau Anna Henig, Herr Florian Raab, Frau Julia Raffler, Herr Mike Sopp, Herr Michael Storch und nicht zuletzt Frau Anna Zander beteiligt. Ihnen allen, die diese Last neben vielem Sonstigen gestemmt haben, sei herzlich gedankt. Auch nachdem die Zitierweise18 – wie schon beim Band III (2001) – vereinfacht worden war, ging das, was von dem Lehrstuhl fîr das Handbuchprojekt geleistet werden mußte, bis hart an das Limit des Zu17 Wie Anm. 7. 18 Zur Zitierweise vgl. Bd. III dieses Handbuches, im Vorwort S. 11.

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mutbaren. Die Stiftung Seehandlung hat die Bnde I und III finanziell unterstîtzt. Ihr und dem Verlag Walter de Gruyter ist besonders zu danken. Der Verlag hat auch in Zeiten, in denen dem Handbuch von wissenschaftlicher Seite Gefahren drohten, das Projekt nicht nur unterstîtzt, sondern entscheidend gestîtzt. Und so zeigen die Quellen, daß das Haus Walter de Gruyter – mit seinen Vorgngerverlagen ja selbst ein Stîck preußischer Kultur- und Wissenschaftsgeschichte – an diesem Werk weit strker beteiligt ist, als dies erwartet werden durfte. Es war Otto Hintze, der im Jahre 1900 dem Wunsch nach einem Handbuch der Preußischen Geschichte Ausdruck gegeben hat.19 Es hat mehr als hundert Jahre gedauert, bis dieses Ziel erreicht werden konnte, unter Bedingungen, die hier geschildert worden sind. Vielleicht kommen ja fîr preußische Forschungen auch wieder einmal bessere Zeiten. Erreicht wurde das Mçgliche. Wir haben uns bemîht.

19 Otto Hintze in seiner berîhmten Rezension der „Preußischen Geschichte“ des Kçnigsberger Ordinarius Hans Prutz, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 13 (1900), S. 276–280, hier S. 276.

A. Einfîhrung in das Gesamtwerk

Preußen in der Historiographie Epochen und Forschungsprobleme der Preußischen Geschichte Von Wolfgang Neugebauer Bibliographie Bibliographische Hilfsmittel: Eine Bibliographie zur preußischen Geschichte existiert nicht. Zum Stand der frîhen 1980er Jahre: Wolfgang Neugebauer, Auswahlbibliographie zur preußischen Geschichte, in: Otto Bîsch / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648 – 1947. Eine Anthologie, 3 (= VerçffHistKommBerlin, 52/3), Berlin/New York 1981, S. 1677 – 1764, bes. S. 1693 – 1702; (Gerd Heinrich), Brandenburg-Preußen, in: Dahlmann-Waitz. Quellenkunde der deutschen Geschichte. Bibliographie der Quellen und der Literatur zur deutschen Geschichte, Lfg. 56, Stuttgart 101987, vgl. ferner in Bd. 7, Stuttgart 1992, Abschnitt 314/ 315; Karl Kletke, Die Quellenschriftsteller zur Geschichte des Preußischen Staats, nach ihrem Inhalt und Werth dargestellt, Berlin 1858 (noch nicht ersetzt); Ders., Urkunden-Repertorium fîr die Geschichte des Preußischen Staats, Berlin 1861; vgl. ergnzend Carl Kletke, Literatur îber das Finanzwesen des Preußischen Staats (= Literatur îber das Finanzwesen des Deutschen Reichs und der deutschen Bundesstaaten, 2), Berlin 31876; Heinrich Jilek / Herbert Rister / Hellmuth Weiss (Bearb.), Bîcherkunde Ostdeutschlands und des Deutschtums in Ostmitteleuropa (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 8), Kçln/Graz 1963; fîr die polnische Forschung: Bogdan Wachowiak (Red.), Dzieje Brandenburgii i Prus w historiografii, Warzawa/Poznan´ 1989; als Handbuch: Ders., Dzieje Brandenburgii-Prus na progu czasûw nowoz˙ytnych (1500 – 1701) (= Historia Prus, 1), Poznan´ 2001; Hans-Joachim Schreckenbach (Bearb.), Bibliographie zur Geschichte der Mark Brandenburg, 1 (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 8), Weimar 1970; Tl. 5, bearb. von Helmut Schçnfeld / Hans-Joachim Schreckenbach (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 20), Weimar 1986; Ernst Wermke, Bibliographie der Geschichte von Ost- und Westpreußen bis 1929, bearb. im Auftrag der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung. ND der Ausgabe 1933 mit ergnzendem Nachtrag, Aalen 1962; zu Epochen und Personen s. noch: Horst Dewitz, Auswahlbibliographie, in: Ingrid Mittenzwei / Karl-Heinz Noack (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte vor 1789 (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut fîr Geschichte, Studienbibliothek DDR – Geschichtswissenschaft, 2), Berlin 1983, S. 341 – 350; und Horst Dewitz, Auswahlbibliographie, in: Gustav Seeber / Karl-Heinz Noack (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789 (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut fîr Geschichte. Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, 3), Berlin 1983, S. 317 – 353; Gabriele Jochums (Bearb.), Friedrich Wilhelm I. Schrifttum von 1688 bis 2005 (=

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Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 6), Berlin 2005; Herzeleide Henning / Eckart Henning (Bearb.), Bibliographie Friedrich der Grosse 1786 – 1986. Das Schrifttum des deutschen Sprachraums und der ˜bersetzungen aus Fremdsprachen, Berlin/New York 1988; Karl Erich Born (Hg.), Bismarck-Bibliographie. Quellen und Literatur zur Geschichte Bismarcks und seiner Zeit, bearb. v. Willy Hertel, Kçln/Berlin 1966; umfangreiche und gut ausgewhlte bibliographische Angaben bei Hans-Christof Kraus, Kultur, Bildung und Wissenschaft im 19. Jahrhundert (= Enzyklopdie deutscher Geschichte, 82), Mînchen 2008; Frank-Lothar Kroll, Kultur, Bildung und Wissenschaft im 20. Jahrhundert (= Enzyklopdie deutscher Geschichte, 65), Mînchen 2003. Ausgewhlte Gesamtdarstellungen (in chronologischer Folge): (Caspar Abel), Preußische und Brandenburgische Staats-Historie, Leipzig/Stendal (1)1710; Carl Friedrich Pauli, Allgemeine preußische Staats-Geschichte samt aller dazu gehçrigen Kçnigreichs. Churfîrstenthums, Herzogthîmer, Fîrstenthîmer, Graf- und Herrschaften aus bewhrten Schriftstellern und Urkunden bis auf gegenwrtige Regierung, 8 Bde., Halle 1760 – 1769; Ludwig von Baczko, Geschichte Preußens, 6 Bde., Kçnigsberg 1792 – 1800 (mit kritischen Akzenten aus altpreußischer Perspektive); Leopold Ranke, Neun Bîcher Preußischer Geschichte, 3 Bde., Berlin 1847/48; Leopold von Ranke, Zwçlf Bîcher Preußischer Geschichte (= Gesamt-Ausgabe der Deutschen Akademie. Leopold von Ranke’s Werke), 1 – 3, Mînchen 1930; Johann Gustav Droysen, Geschichte der Preußischen Politik, 14 Bde. in 5 Teilen, Leipzig 1855 – 1886; vgl. Horst Walter Blanke (Hg.), Johann Gustav Droysen. Historik. Supplement: Droysen-Bibliographie, Stuttgart/Bad Cannstatt 2008, S. 51, S. 84; Wilhelm Fix, Die Territorialgeschichte des preußischen Staates im Anschluß an zwçlf historische Karten, Berlin 31884 (Hilfsmittel); Hans Prutz, Preußische Geschichte, 4 Bde., Stuttgart 1900 – 1902; vgl. dazu die Rez. von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 13 (1900), S. 276 – 289, 14 (1901), S. 322 – 325, 16 (1903), S. 304 – 306, vgl. auch 27 (1914), S. 617; Max Maurenbrecher, Die Hohenzollern-Legende. Kulturbilder aus der preußischen Geschichte vom 12. bis zum 20. Jahrhundert, 2 Bde., Berlin (Verlag Buchhandlung Vorwrts) (1906) (Auftragswerk der SPD: S. V f.); Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk. Fînfhundert Jahre vaterlndischer Geschichte, Berlin 1915; Max Braubach, Der Aufstieg Brandenburg-Preußens, Freiburg im Breisgau 1933, dazu die Rez. von Carl Hinrichs, in: ForschBrandPrG 48 (1936), S. 420 – 426; (Richard Dietrich [Hg.]), Preußen. Epochen und Probleme seiner Geschichte, Berlin 1964; Ders., Kleine Geschichte Preußens, Berlin 1966; Gerhard Oestreich, Das Reich – Habsburgische Monarchie – Brandenburg-Preußen von 1648 bis 1803, in: Fritz Wagner (Hg.), Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklrung (= Handbuch der europischen Geschichte, 4), Stuttgart 1968, S. 378 – 475; Gînter Vogler, Preußen. Von den Anfngen bis zur Reichsgrîndung, Berlin 41975 (marxistisch-leninistischer Leitfaden aus der DDR); Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien (2)1984 (konservativ); Ingrid Mittenzwei, Brandenburg-Preußen 1648 – 1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Text und Bild, Berlin beziehungsweise Kçln 1987 (flexiblere DDR-Position); Stanislaw Salmonowicz, Preußen. Geschichte von Staat und Gesellschaft (= Martin-Opitz-Bibliothek. Schriften, 2), Herne 1995 [Orig.: Prusy. Dzieje pan´stwa i społeczen´stwa, Poznan´ 1987]; Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 1: Anfnge, Landesstaat und monarchische Autokratie, Stuttgart/Berlin/Kçln 1996; 2: Dynastie im skularen Wandel. Von 1740 bis in das 20. Jahrhundert, Stuttgart 2003; Philip G. Dwyer (Hg.), The Rise of Prussia, Harlow 2000; Ders. (Hg.), Modern Prussian History 1830 – 1947. Harlow

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2001; Frank-Lothar Kroll, Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates, Paderborn u. a. 2001; Michel Kerautret, Histoire de la Prusse, Paris 2005; Wolfgang Neugebauer, Die Geschichte Preußens. Von den Anfngen bis 1947, Mînchen/ Zîrich 32007; Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, Mînchen 2007 [Orig.: Iron Kingdom. The Rise and Downfall of Prussia, 1600 – 1947, London u. a. 2006]; Frank-Lothar Kroll, Die Hohenzollern, Mînchen 2008; ergnzend in systematischer Anordnung: Rudolf von Thadden, Fragen an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates, Mînchen 1981; weitere Gesamtdarstellungen in Auswahl verzeichnet bei W. Neugebauer, Auswahlbibliographie (s. unter Bibliographische Hilfsmittel), S. 1687 – 1689. Aufsatzsammlungen und Anthologien mit historiographischen Beitrgen: (Peter Bachmann / Inge Knoth [Hg.]), Preußen. Legende und Wirklichkeit, Berlin 1985; Dirk Blasius (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 111), Kçnigstein im Taunus 1980 (mit guter Einteilung des Herausgebers S. 9 – 46); Rîdiger vom Bruch, Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Bjçrn Hofmeister / Hans-Christoph Lies, Stuttgart 2006; Rîdiger vom Bruch / Rainer A. Mîller (Hg.), Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, Mînchen 22002; Otto Bîsch (Hg.), Das Preußenbild in der Geschichte. Protokoll eines Symposions (= VerçffHistKommBerlin, 50. Forschungen zur Geschichte Preußens), Berlin/New York 1981; Ders. / Michael Erbe (Hg.), Otto Hintze und die moderne Geschichtswissenschaft. Ein Tagungsbericht (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 38), Berlin 1983; O. Bîsch / W. Neugebauer, s. o., 1; Walter Bussmann, Wandel und Kontinuitt in Politik und Geschichte. Ausgewhlte Aufstze zum 60. Geburtstag, hg. v. Werner Pçls, Boppard am Rhein 1973; Lothar Dralle (Hg.), Preußen – Deutschland – Polen im Urteil polnischer Historiker. Eine Anthologie. Mit einem Vorwort von Klaus Zernack, 1 (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 37), Berlin (1983) (mehr nicht ersch.); Johann Gustav Droysen, Abhandlungen. Zur neueren Geschichte, Leipzig 1876; Heinz Duchhardt (Hg.), Nationale Geschichtskulturen – Bilanz, Ausstrahlung, Europabezogenheit. Beitrge des internationalen Symposions in der Akademie der Wissenschaften und Literatur, Mainz, vom 30. September bis 2. Oktober 2004 (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jg. 2006, 4), Mainz/Stuttgart 2006; Max Duncker, Abhandlungen aus der Neueren Geschichte, Leipzig 1887; Michael Erbe (Hg.), Berlinische Lebensbilder. Geisteswissenschaftler (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60), Berlin 1989; Karl Dietrich Erdmann (Hg.), Preußen. Seine Wirkung auf die deutsche Geschichte, Stuttgart 1985; Lothar Gall (Hg.), Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung nach 1945 (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 42), Kçln/ Berlin 1971; Dietrich Gerhard, Gesammelte Aufstze (= Verçffentlichungen des Max-Planck-Instituts fîr Geschichte, 54), Gçttingen 1977; Hans Hallmann (Hg.), Revision des Bismarckbildes. Die Diskussion der deutschen Fachhistoriker 1945 – 1955 (= Wege der Forschung, 285), Darmstadt 1972; Notker Hammerstein (Hg.), Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Stuttgart 1988; Fritz Hartung, Staatsbildende Krfte der Neuzeit. Gesammelte Aufstze, Berlin (1961); Reimer Hansen / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persçnlichkeiten und Institutionen (= VerçffHistKommBerlin, 82), Berlin/New York 1992; Carl Hinrichs, Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hg. v. Gerhard Oestreich (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-In-

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stitut der Freien Universitt Berlin, 10), Berlin 1964; Otto Hintze, Historische und Politische Aufstze, 4 Bde., Berlin 1908; Ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, hg. v. Gerhard Oestreich, 2., erw. Aufl., Gçttingen 1964; Hans Hîrter / Hans Woller (Hg.), Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte fîr Zeitgeschichte, 90), Mînchen 2005; Bernhart Jhnig (Hg.), 75 Jahre Historische Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung. Forschungsrîckblick und Forschungswînsche (= Tagungsberichte der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 13), Lîneburg 1999; Ders. / Jîrgen Kloosterhuis, Preußens erstes Provinzialarchiv. Zur Erinnerung an die Grîndung des Staatsarchivs Kçnigsberg vor 200 Jahren. … (= Tagungsberichte der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 20), Marburg 2006; Jîrgen Kloosterhuis (Hg.), Archivarbeit fîr Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlaß der 400. Wiederkehr der Begrîndung seiner archivischen Tradition (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Arbeitsberichte, 2), Berlin 2000; Wolfgang Kîttler / Jçrn Rîsen / Ernst Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs, 5 Bde., Frankfurt am Main 1993 – 1999; Christiane Liermann / Gustavo Corni / Frank-Lothar Kroll (Hg.), Italien und Preußen. Dialog der Historiographien (= Reihe der Villa Vigoni, 18), Tîbingen 2005; Friedrich Meinecke, Zur Geschichte der Geschichtsschreibung, hg. von Eberhard Kessel (= Friedrich Meinecke, Werke, 7), Mînchen 1968; I. Mittenzwei / K.-H. Noack, s. o., 1; Horst Mçller, Aufklrung und Demokratie. Historische Studien zur politischen Vernunft, hg. v. Andreas Wirsching, Mînchen 2003; Klaus Neitmann (Hg.), Im Dienste von Verwaltung, Archivwissenschaft und brandenburgischer Landesgeschichte. 50 Jahre Brandenburgisches Landeshauptarchiv. Beitrge der Festveranstaltung vom 23. Juni 1999 (= Quellen, Findbîcher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 8), Frankfurt am Main 2000; Wolfgang Neugebauer / Ralf Prçve (Hg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700 – 1918 (= Innovationen, 7), Berlin 1998; Wolfgang Neugebauer (Hg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 8), Berlin (2006); Gerhard Oestreich, Strukturprobleme der frîhen Neuzeit. Ausgewhlte Aufstze, hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980; Jan M. Piskorski (Hg.), Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich (= Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung, 1), Osnabrîck/Poznan´ 2002; Hans Rosenberg, Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studien zur neueren deutschen Sozialund Wirtschaftsgeschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 31), Gçttingen 1978; Hans-Jîrgen Puhle / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Gçttingen 1980; Gustav Schmoller, Charakterbilder, Mînchen/Leipzig 1913; Pierangelo Schiera / Friedrich Tenbruck (Hg.), Gustav Schmoller in seiner Zeit: Die Entstehung der Sozialwissenschaften in Deutschland und Italien (= Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, Beitrge 5), Bologna/Berlin 1989; G. Seeber / K.-H. Noack, s. o., 1; Heinrich von Sybel, Vortrge und Abhandlungen. Mit einer biographischen Einleitung von C. Varrentrapp (= Historische Bibliothek, 3), Mînchen/ Leipzig 1897; Wolfgang Treue / Karlfried Grînder (Hg.), Berlinische Lebensbilder. Wissenschaftspolitik in Berlin. Minister, Beamte, Ratgeber (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60), Berlin 1987; Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 9 Bde., Gçttingen 1971 – 1982; Ders., Preußen

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ist wieder chic … Politik und Polemik in zwanzig Essays (= Edition Suhrkamp, 1152), Frankfurt am Main 1983; Klaus Zernack, Preußen – Deutschland – Polen. Aufstze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, hg. v. Wolfram Fischer und Michael G. Mîller (= Historische Forschungen, 44), Berlin 1991.

§ 1 Vorwissenschaftliche Historiographien I. Traditionen der Regionen Die Regionalitt des spteren preußischen Staates spiegelt sich in den Landestraditionen seiner frîhen Historiographien: In der erst Ordens- und dann der Landeschronistik im spteren Herzogtum Preußen an Weichsel, Pregel und Memel,1 einer Geschichtsschreibung, die sich vom Orden und seinen Traditionen emanzipierte, wird einer dieser bis in die Neuzeit wirkenden Traditionsstrnge erkennbar. Peter von Dusburgs „Chronik des Preußenlandes“2 hatte durchaus eine politische Tendenz, indem er, ganz auf den Orden und nicht auf die Geschichte des Landes fixiert, mit seinen Mitteln den „Heidenkrieg des Ordens“ rechtfertigte.3 In der Chronistik Danzigs, wie sie im 15. Jahrhundert blîhte, sind dann

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Vgl. Hartmut Boockmann, Die Geschichtsschreibung des Deutschen Ordens. Gattungsfragen und „Gebrauchssituationen“, in: Hans Patze (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im spten Mittelalter (= Vortrge und Forschungen, 31), Sigmaringen 1987, S. 447 – 469, hier S. 448; Udo Arnold, Studien zur preußischen Historiographie des 16. Jahrhunderts, Bonn 1967, S. 34, mit Verweis auf Lucas David; und auch Helmut Bauer, Peter von Dusburg und die Geschichtsschreibung des deutschen Ordens im 14. Jahrhundert in Preußen, phil. Diss. Frankfurt am Main 1935, S. 11; und Jçrg Hackmann, Ostpreußen und Westpreußen in deutscher und polnischer Sicht. Landeshistorie als beziehungsgeschichtliches Problem (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 3), Wiesbaden 1996, 27 f., mit der polnischen Literatur. Peter von Dusburg, Chronik des Preußenlandes, îbersetzt und erlutert von Klaus Scholz / Dieter Wojtecki (= Ausgewhlte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, 25), Darmstadt 1984, darin die Einleitung, S. 7 zum Autor, zur Entstehungsgeschichte: S. 1 f., S. 8, Quellenbasis: S. 14 – 16. Hans Patze, Mzene der Landesgeschichtsschreibung im spten Mittelalter, in: Ders. (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein … (s. Anm. 1), S. 331 – 370, hier S. 350 – 356, bes. S. 351; zur Quellenbasis H. Bauer, Dusburg … (s. Anm. 1), S. 19, Tendenzen: S. 19 f., S. 31, S. 49 – 52; zur Kritik vgl. noch Max Toeppen, Geschichte der Preussischen Historiographie von P. von Dusburg bis auf K. Schîtz …, Berlin 1855, S. 4, zu anderen Ordenschroniken: S. 55 – 87; und U. Arnold, Studien … (s. Anm. 1), S. 15 – 18, S. 20 – 26 u. ç., zum Folgenden S. 29 – 31; und Ders., Geschichtsschreibung im Preußenland bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts, in: JbGMitteldtld 19 (1970), S. 74 – 126, hier S. 84, S. 91; Walther Hubatsch, Zur

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sowohl antipolnische als auch ordenskritische Positionen beschrieben worden. Nun trat das Land an die Stelle der Ordensidee. Der „Krakauer Intellektuelle“ Jan Długosz schrieb im Sinne der „humanistischen Rhetorik“ und vor dem Hintergrund eigener politisch-diplomatischer Praxis4 zwar zur polnischen Geschichte, aber doch mit Blick auf den altpreußischen Nachbarn. Unter dem ersten preußischen Herzog Albrecht ist die Geschichtsschreibung durchaus gefçrdert worden.5 Gymnasialprofessoren, landesherrliche und stdtische Amtstrger, insbesondere Stadtschreiber, Ratsangehçrige und Geistliche traten im Herzogtum und im kçniglich-polnischen Preußen whrend des 16. und 17. Jahrhunderts hervor.6 Die hofnahe Chronistik und Landeshistoriographie bemîhte sich im çstlichen Preußen schon seit dem 16. Jahrhundert um Quellenbezug und Traditionskritik.7 So fllt auf, daß der Ordensstaat (auch) in der 4

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altpreußischen Chronistik des 16. Jahrhunderts, in: Archivalische Zeitschrift 50/51 (1955), S. 429 – 462, hier S. 440. Brigitte Kîrbis, Johannes Długosz als Geschichtsschreiber, in: H. Patze (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein … (s. Anm. 1), S. 483 – 496, hier S. 483, S. 486 – 490; H. Boockmann, Geschichtsschreibung … (s. Anm. 1), S. 459; und Udo Arnold, Landesbeschreibungen Preußens, in: Hans-Bernd Harder (Hg.), Landesbeschreibungen Mitteleuropas vom 15. bis 17. Jahrhundert. Vortrge der 2. internationalen Tagung des „Slawenkomitees“ im Herder-Institut Marburg an der Lahn (= Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Fçrderung der Slawischen Studien, 5), Kçln/Wien 1983, S. 79 – 123, hier S. 86 f., S. 93 f., S. 96; vgl. auch Jan DŁugosz, Banderia Prutenorum, hg. v. Karol Gûrski, Warszawa 1958, zum Werk S. 17 – 29. U. Arnold, Studien … (s. Anm. 1), S. 34; Lucad David: Walther Hubatsch, Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Deutschordens-Hochmeister und Herzog in Preußen 1490 – 1568 (= Studien zur Geschichte Preußens, 8), Heidelberg 1960, S. 280. Jerzy Serczyk, Die bîrgerliche Geschichtsschreibung der großen Stdte des kçniglichen Preußen als interne Kommunikation des stdtischen Machtapparats, in: Marian Biskup / Klaus Zernack (Hg.), Schichtung und Entwicklung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. Parallelen, Verknîpfungen, Vergleiche (= VjschrSozialWirtschG, Beihefte, 74), Wiesbaden 1983, S. 192 – 195, hier S. 194; lteres Standardwerk: Franz X. von Wegele, Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus (= Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit, 20), Mînchen/Leipzig 1885, S. 313 – 318, S. 431; zu Lucas David, Caspar Schîtz, zu Hennenberger und Hartknoch zuletzt im ˜berblick: Ernst Opgenoorth, Stationen der Geschichtsschreibung des Preußenlandes von Peter von Dusburg bis zu Hartmut Boockmann, in: Bernhart Jhnig (Hg.), 75 Jahre Historische Kommission fîr Ost- und Westpreußische Landesforschung. Forschungsrîckblick und Forschungswînsche (= Tagungsberichte der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 13), Lîneburg 1999, S. 113 – 137, hier S. 122 f. So J. Hackmann, Ostpreußen … (s. Anm. 1), S. 31 f. mit Anm. 21; M. Toeppen, Historiographie … (s. Anm. 3), S. 134, S. 138, S. 142 u. ç., S. 222 – 262; zum Folgenden Wolfgang Wippermann, Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 24), Berlin 1979, S. 75 – 80, Zitat: S. 75.

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deutschen Geschichtsschreibung in Preußen whrend des 16., 17. und 18. Jahrhunderts „îberwiegend negativ beurteilt worden“ ist (Wippermann). ˜ber Caspar Schîtz und den Thorner Professor Christoph Hartknoch, îber den Danziger Gottfried Lengnich bis hin zum Kçnigsberger Ludwig von Baczko im spten 18. Jahrhundert reicht diejenige historiographische Tradition, die Selbstndigkeit des Landes beziehungsweise die stdtische Autonomie in Polen oder gegenîber den Hohenzollern im Herzogtum beziehungsweise Kçnigreich historiographisch zu belegen. Deshalb gewannen stndische Quellen und Themen seit dem 16. Jahrhundert und bis in die Zeit um 1800, als Landestradition und Aufklrungsdenken die Historiographie inspirierten, im çstlichen Preußen ein besonderes Gewicht.8 In der großen Geschichte Preußens, die Ludwig von Baczko in sechs Bnden vorlegte, zeigt sich ein ganz erstaunliches absolutismuskritisches Potential. Einiges spricht dafîr, daß die ltere brandenburgische Landeshistorie das Niveau derjenigen im spteren West- und Ostpreußen nicht erreichte.9 Studierte 8

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Vgl. schon M(ax) Toeppen, Vorrede, in: Ders. (Hg.), Acten der Stndetage Preussens unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, 1, Leipzig 1878, S. VI; J. Hackmann, Ostpreußen … (s. Anm. 1), S. 35 ff., S. 41 ff., zum Telos Lengnichs: S. 46 (gegen polnische Ansprîche und solche des Heiligen Rçmischen Reichs); die wichtige historiographische Einleitung bei Hartmut Boockmann, Ostpreußen und Westpreußen (= Deutsche Geschichte im Osten Europas), (Berlin 1992), S. 31 ff.; zu Lengnich: WŁodziemierz Zientara, Gottfried Lengnich. Ein Danziger Historiker in der Zeit der Aufklrung, 2 Tle., Torun´ 1995/96, zu seiner Geschichte des kçniglich-polnischen Preußen: 2, S. 5 – 28, S. 27: „Danziger Standpunkt“; und Walther Hubatsch, Die Entwicklung der Landesgeschichte in Altpreußen, in: Georg Droege u. a. (Hg.), Landschaft und Geschichte. Festschrift fîr Franz Petri zu seinem 65. Geburtstag am 22. Februar 1968, Bonn 1970, S. 285 – 298, hier S. 286; positive Sicht Baczkos (der eine neuere Studie verdiente!) bei Max Toeppen, Geschichte Masurens. Ein Beitrag zur preußischen Landes- und Kulturgeschichte. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen dargestellt, Danzig 1870, 2. ND Aalen 1979, S. 409 f.; kritisches Potential: z. B. Ludwig von Baczko, Geschichte Preußens, 6, Kçnigsberg 1800, S. 304, S. 387, S. 391 (Kritik am Militrsystem Friedrich Wilhelms I.), ømterkauf: S. 393 u. ç.; dem negativen Urteil von Erich Maschke, Johannes Voigt als Geschichtsschreiber Altpreußens, in: Altpreußische Forschungen 5 (1928), S. 93 – 135, hier S. 133 f., kann ich mich nicht anschließen. Baczkos großes Werk, gekennzeichnet von vorkritischer Stoffbeherrschung, bleibt als gesamtstaatsdistanzierte Historiographie aus (ost)preußischen Traditionen in hohem Maße bemerkenswert; vgl. auch Theodor Schieder in Anm. 267 (zu Lengnich). Vgl. zur mittelalterlichen Historiographie der Mark Brandenburg Wolfgang Ribbe, Peter Hafftiz als Historiograph. Edition einer Vorrede zum Microchronicon Marchicum, in: Gerd Heinrich / Werner Vogel (Hg.), Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe fîr Johannes Schultze (= VerçffVGBrandenb, 35), Berlin 1971, S. 91 – 114, hier S. 91, zu den Ursachen der historiographischen Rîckstndigkeit, zum Folgenden S. 91 f. (Streben nach der „Gunst des Landesherrn“), mit Verweis auf Jobst, Garcaeus, Entzelt, Leuthinger, Angelus und Hafftiz, S. 92: „sie legten den Grundstein zur neueren Hi-

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Personen, nicht nur Juristen und Theologen, darunter dann natîrlich auch Schulmnner, schrieben hier ohne ein Stimulans, wie es die im Osten 1525 gebrochene Ordenstradition ganz offenbar gewesen ist. In der Mark dominierte das Motiv, die gelehrte und sammelnde Arbeit durch die Gunst der Dynastie fçrdern zu lassen. Die Suche nach dem Wissenschaftsmzen hat eine jahrhundertelange Tradition und die Verbindung von Geschichtsschreibung und politischer Stellungnahme auch. Schon im frîhen 15. Jahrhundert, als die frnkischen Hohenzollern im deutschen Nordosten Fuß zu fassen begannen, hat Engelbert von Wusterwitz nach „theologischen und juristischen Studien“10 eine in Fragmenten îberlieferte chronikalische Arbeit geleistet, in der er – im Sinne einer Festigung des Landfriedens – die landesherrliche Partei gegen diejenige des Adels ergriff.11 Bis in das 18. Jahrhundert hinein dominierte hier die an der Dynastie orientierte Landesgeschichtsschreibung, spter ganz wesentlich getragen von stdtischen Chronisten, Geistlichen, Schulmnnern und Gelehrten aus dem Umfeld der jungen Universitt zu Frankfurt an der Oder.12 Ihre Produkte, z. T. im 16. Jahrhundert gedruckt, besitzen fîr intensivere Studien zur frîhneuzeitlichen Landesgeschichte der Mark Brandenburg noch heute partielle Bedeutung. Da, wo diese Schriften von Wunderzeichen berichten und den annalistischen Ablauf legendenhaft anreichern, bieten sie heute interessantes storiographie der Mark Brandenburg“; F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 435. 10 Felix Priebatsch, Geistiges Leben in der Mark Brandenburg am Ende des Mittelalters, in: ForschBrandPrG 12 (1899), S. 325 – 409, hier S. 387. 11 Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte der Mark Brandenburg, in: SchrrVGBerlin, 61, Berlin 1977, S. 3 – 81, hier S. 16; vgl. insbesondere Ders., Die Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz. ˜berlieferung, Edition und Interpretation einer sptmittelalterlichen Quelle zur Geschichte der Mark Brandenburg (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 12), Berlin 1973, zur Person S. 5 – 11, Beispiel S. 131 (zu 1412); immer noch nicht ersetzt zur frîhen brandenburgischen Historiographie die Sammlung von Adolph Friedrich Riedel, Novus Codex diplomaticus Brandenburgensis … 4. Hauptteil: Sammlung der ˜berreste alter Brandenburgischer Geschichtsschreibung, 1. und einziger, Berlin 1862, darin die „Vorrede“ S. V-XXXI. 12 H(ermann) Pieper, Creusings Mrkische Chronik, in: Brandenburgia 6 (1897/98), S. 241 – 250, hier S. 249 f. (Sabinus, Jobst, Reineccius, Garcaeus); „jîngere Generation“: Leuthinger, Angelus, Hafftiz, sie schrieben „fîr das große Publikum“, vielfach ohne Originalitt; nîtzlich ferner: Werner Heegewaldt, Die Anfnge der berlinischen Historiographie im 18. Jahrhundert, Wiss. Hausarbeit zur ersten Wissenschaftlichen Staatsprîfung fîr das Amt des Studienrates, Berlin 1990, S. 12; vgl. auch Kurt Hucke, Andreas Engel und Nikolaus Leuthinger. Zwei mrkische Chronisten des 16. Jahrhunderts, in: Oberbarnimer Kreiskalender 19 (1930), S. 119 – 123, hier S. 120; Hermann Pieper, Der mrkische Chronist Andreas Engel (Angelus) aus Strausberg, 1 (= Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht der Zweiten Stdtischen Realschule zu Berlin, Ostern 1902), Berlin 1902, S. 1 – 29, hier S. 11 f., S. 17 f., seine Annalen: S. 20, S. 22.

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Material zu einer frîhneuzeitlichen Mentalittsgeschichte, so bei Angelus zum Krisenbewußtsein in der Mark Brandenburg um 1600.13 Einen neuen Aufschwung nahm die (Landes-)Geschichte im Brandenburgischen seit dem frîhen 18. Jahrhundert, im Falle des Professors Johann Christoph Bekmann, dessen große historische Beschreibung der Mark Brandenburg postum 1751/53 und fragmentarisch publiziert worden ist, vom Landesherrn unterstîtzt. Sie war eine Auftragsarbeit des ersten preußischen Kçnigs, und Bekmann erhielt außer dem Archivzugang auch amtliche Hilfe bei der Materialbeschaffung.14 Gleichwohl trat bei ihm das dynastische Motiv gegenîber der Landesgeschichte zurîck. Neben die Tradition der „dynastischgenealogischen Territorialgeschichte“, etwa die große, materialreiche „Geschichte der Churmark Brandenburg“ des Lychener Pfarrers Samuel Buchholtz15 und die (Urkunden-)Sammlungen von Privatgelehrten wie z. B. Philipp Wilhelm Gercken,16 trat, zumal zu Ende des Jahrhunderts, die juristisch-kamera13 Andreas Angelus, Annales Marchiae …, Frankfurt an der Oder 1598, z. B. S. 378, S. 384, S. 399 u. ç.; vgl. den Hafftiz-Text gedruckt bei W. Ribbe, Peter Hafftiz … (s. Anm. 9), S. 110 f. 14 Johann Christoph Bekmann, Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg …, hg. v. Bernhard Ludwig Bekmann, 1. Tl., Berlin 1751, zu den lteren mrkischen Geschichtsschreibern S. 297 – 344; ferner aus der Lit. G. Fredrich (Hg.), J. Chr. Bekmann (1641 – 1717), Beschreibung der Stadt Cîstrin (= Kçnigliches Gymnasium zu Cîstrin. Schuljahr 1913 – 1914. XXXXVI), Cîstrin 1914, S. 28 – 30; Gottfried Wentz, Die Anfnge einer Geschichtsschreibung des Bistums Brandenburg, in: ForschBrandPrG 39 (1927), S. 28 – 50, hier S. 35 – 37, S. 42, mit Lebenslauf und Verweis auf solche Werke Bekmanns, die hier nicht einschlgig sind; W. Ribbe, Quellen … (s. Anm. 11), S. 32 f.; mit weiteren Literaturangaben Reinhold Specht, Zur Historiographie Anhalts im 18. Jahrhundert, in: Sachsen und Anhalt 6 (1930), S. 257 – 305, hier S. 265 – 283, bes. S. 282; schließlich Reinhold Koser, Umschau auf dem Gebiet der brandenburgisch-preußischen Geschichtsforschung, in: ForschBrandPrG 1 (1888), S. 1 – 56, hier S. 3. 15 Gerd Heinrich, Historiographie der Bîrokratie. Studien zu den Anfngen historischlandeskundlicher Forschung in Brandenburg-Preußen (1788 – 1837), in: Ders. / Werner Vogel (Hg.), Brandenburgische Jahrhunderte … (s. Anm. 9), S. 161 – 188, Zitat: S. 182; zum Folgenden Samuel Buchholtz, Versuch einer Geschichte der Churmark Brandenburg von der ersten Erscheinung der deutschen Sennonen an bis auf jezige Zeiten, 6 Tle., Berlin 1765 – 1775, die beiden letzten Bnde auch unter dem Titel: Neueste Preußisch-Brandenburgische Geschichte …, hg. v. Johann Friedrich Heynatz, etwa: 1, Berlin 1775 (zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms I.); in 1 (1765) die interessante „Einleitung in die Geschichte der Churmark Brandenburg. Oder Topographische Beschreibung derselben“, S. 1 – 80; dazu Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 1, Berlin 1961, S. 9 („erste vollstndige brandenburgische Landesgeschichte“); Mangel der Kritik und starkes Gewicht der politischen Geschichte betont bei F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 944. 16 Gottfried Wentz, Philipp Wilhelm Gercken, in: Mitteldeutsche Lebensbilder, 3, Magdeburg 1928, S. 24, S. 45, hier S. 24, Genauigkeit: S. 29, Codex diplomaticus: S. 39 f.; (Johann Friedrich) Danneil, Das Salzwedelsche Urkunden-Archiv, in: All-

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listische Schule einer Historiographie aus dem Sozialnexus der Bîrokratie. Fîr dieses Phnomen, dasjenige der geschichtsschreibenden Beamten, Offiziere und Schulmnner, stehen exemplarisch August Heinrich Borgstede, der Zeitschriftenherausgeber Friedrich Ludwig Joseph Fischbach, Friedrich Wilhelm August Bratring und der gelehrte Schulrektor und Oberkonsistorialrat Anton Friedrich Bîsching.17 Im 19. Jahrhundert erlebte dieser Typus mit Magnus Friedrich von Bassewitz eine spte Blîte. Diese Autoren spielen zu einem guten Teil schon hinîber auf das Gebiet der gesamtstaatlichen Geschichte und Staatsbeschreibung seit der Zeit der Aufklrung. Sie sind jedenfalls kein brandenburgisches Spezialphnomen. In Pommern, wo nach klçsterlicher Annalistik und stdtischer Chronistik mit Johannes Bugenhagen im frîhen 16. Jahrhundert die Landesgeschichte des Gesamtterritoriums aufblîhte, hat in Humanismus und Renaissance der Herzog starken und initiierenden Anteil an der Historiographie genommen. Bugenhagen und Thomas Kantzow hatten Zugang zu gutem Material; Kantzow war selbst in der herzoglichen Kanzlei zu Stettin ttig. In der Mitte des 17. Jahrhunderts hat der Schulmann Johannes Micraelius die Geschichte Pommerns seit den Germanen geschildert, mit wertvollen Nachrichten aus der Epoche des Dreißigjhrigen Krieges.18 Im spten 18. Jahrhundert wird der Verfasser der großen Beschreibung Pommerns, der Konsistorialrat Ludwig Wilhelm Brîggemann, dem gemeines Archiv fîr die Geschichtskunde des Preußischen Staats 14 (1834), S. 132 – 139, hier S. 132; W. Heegewaldt, Anfnge … (s. Anm. 12), S. 30 f.; vgl. auch Georg Gottfried Kîster, zu ihm etwa J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 15), 1, S. 9; und sehr anerkennend F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 715; seltenstes lteres Schrifttum verzeichnet bei Georg Gottfried Kîster, Bibliotheca Historica Brandenburgica …, Breslau 1743, und Nachtrge; dieses Werk ist fîr die Arbeit an lteren Themen zur preußischen Geschichte auch heute noch von großer praktischer Bedeutung. 17 Zusammenfassend G. Heinrich, Historiographie … (s. Anm. 15), S. 163, S. 165 – 167; Nachrichten aus dem Leben des Herrn geheimen Ober-Finanzraths Borgstede, in: Denkwîrdigkeiten und Tagesgeschichte der Mark Brandenburg 3 (1797), S. 113 f. (S. 114: „Mitglied der çkonomischen Gesellschaft in Potsdam“); Wolfgang Neugebauer, Anton Friedrich Bîsching 1724 – 1793, in: JbBrandenbLdG 58 (2007), S. 84 – 101, hier S. 91, S. 98 f.; nîtzlich: Valentin Heinrich Schmidt / Gebhard Mehring (Hg.), Neuestes gelehrtes Berlin, oder literarische Nachrichten von jetztlebenden Berlinischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen, 2 Tle., Berlin 1795, ND Leipzig 1973, etwa S. 60 f., S. 118 u. ç. 18 Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815 bis 1945 (= Mitteldeutsche Forschungen, 113), Kçln/Weimar/Wien 1996, S. 8 – 10; Roderich Schmidt, Die „Pomerania“ als Typ territorialer Geschichtsdarstellung und Landesbeschreibung des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts (BugenhagenKantzow-Lubinus), in: H. B. Harder (Hg.), Landesbeschreibungen … (s. Anm. 4), S. 49 – 71, hier S. 49, S. 56; J(osef) Deutsch, Pommersche Geschichtsschreibung bis zum Dreißigjhrigen Krieg …, in: Pommersche Jahrbîcher 23 (1926), S. 1 – 36, hier S. 20, S. 22 f., Micraelius: S. 34 f.

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Kontext von Historiographie und Bîrokratie zugerechnet,19 wiewohl bei ihm die Landeskunde entschieden dominiert. Im Magdeburgischen hat der Jurist, Kriegs- und Domnenrat Johann Christoph Dreyhaupt20 mit seiner Beschreibung des Saalkreises (1749/50 beziehungsweise 1755) in vorkritischer Zeit ein voluminçses Kompendium geliefert, das auch fîr die neueste Forschung und fîr moderne Fragestellungen ein materialbasiertes Grundlagenwerk zur mitteldeutschen Region des preußischen Staates bleibt. II. Dynastische Mythen und frîhe Staatsgeschichte Um 1700, als die brandenburg-preußische Diplomatie auf die Standeserhebung der Kçnigskrone hinarbeitete, war der Gesamtstaat in historiographischer Hinsicht insofern schlecht gerîstet, als fîr Alter und Wîrde der Dynastie nicht eigentlich kçnigsgleiche Qualitt behauptet werden konnte. Nicht daß die Hohenzollern keine Traditionen besessen htten. Vielleicht besaßen sie sogar zu viele, wie die Dezentralitt ihrer Grablegen zeigen wîrde. Nachdem die – auch von der Hohenzollerndynastie behauptete Rîckfîhrung der Familientradition auf antike Wurzeln oder der Anschluß an das (angeblich) rçmische Haus der Colonna nicht mehr zu halten gewesen war – entstand ein historiographisches Legitimationsdefizit. Nicht die mythenschwangere Vorgeschichte kçniglicher Geschlechter ganz im Osten des Gesamtstaats wurde nun genutzt; vielmehr wurde in Berlin auf eine im Ursprung schwbische, dort im 16. Jahrhundert konstruierte Hauslegende zurîckgegriffen, nach der ein zur Zeit Karls d. Gr. lebender Graf Thassilo als Stammvater aller Hohenzollern zu gelten habe.21 Im spten 16. Jahrhundert scheint diese Tradition am Hofe zu Cçlln an der Spree 19 Vgl. G. Heinrich, Historiographie … (s. Anm. 15), S. 169. 20 Erich Neuss, Johann Christoph von Dreyhaupt, in: Mitteldeutsche Lebensbilder, 5, Magdeburg 1930, S. 103 – 120, bes. S. 110 ff. zum Wert des Werkes; Hanns Freydank, Dreyhaupt, Johann Christoph, in: NDB, 4, Berlin 1959, S. 123 f. 21 Zum gesamten Komplex Wolfgang Neugebauer, Das historische Argument um 1701. Politik und Geschichtspolitik, in: Johannes Kunisch (Hg.), Dreihundert Jahre Preußische Kçnigskrçnung. Eine Tagungsdokumentation (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 6), Berlin (2002), S. 27 – 48 (zu den Grablegen: S. 29); Rudolf Freiherr von Stillfried / Traugott Maercker, Hohenzollerische Forschungen, 1, Berlin 1847, S. 2 – 10, auch zur „politischen Tendenz“ der lteren Hohenzollern-Genealogien; zu den (ost-)preußischen Traditionen und Mythen vgl. immer noch Theodor Schieder, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701 in der politischen Ideengeschichte, zuerst 1935, wieder in: Ders., Begegnungen mit der Geschichte, Gçttingen (1962), S. 183 – 209, hier S. 287 – 294, und S. 198 – 200; vgl. Karin Friedrich, The Other Prussia. Royal Prussia, Poland and Liberty 1569 – 1772, Cambridge 2000, S. 159 – 166. – Die (ost)preußischen Traditionen wurden in der (gesamt)staatlichen Geschichtspolitik um 1700 aber gerade nicht rezipiert und genutzt.

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schon einmal bekannt gewesen,22 aber nicht genutzt, sondern wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Aber bei den frnkischen Hohenzollern hatte der Thassilo-Mythos im 17. Jahrhundert Fuß gefaßt. Der Bayreuther Hof- und Hospitalprediger Johann Wolfgang Rentsch verfaßte, und zwar auf markgrflichen Befehl, ein genealogisch-historisches Geschichtswerk îber „Aufwachsund Abstammung auch Helden-Geschichte und Groß-Thaten“ des Gesamthauses „Brandenburg“23 ; in ihm wurde Thassilo – wenn auch mit Vorsicht – als Ahnherr reklamiert. In Berlin ist dann, nicht zufllig alsbald nach der Krçnung, nmlich im Jahre 1703, in einer prominenten Buchdruckerei und in prchtiger Ausstattung das Werk des schwbischen Professors und wîrttembergischen Rats Johann Ulrich Pregitzer erschienen, mit dem nun auch fîr die brandenburgpreußische Hohenzollerntradition der Thassilomythos amtlich propagiert und fîr das folgende Jahrhundert verankert worden ist. Damit wurde den Hohenzollern die Abstammung aus „Kçniglichem Frnkischen Geblît“ vindiziert und mit Karl d. Gr. verknîpft. Auch der aufgeklrteste Preußenkçnig hat an Thassilos Historizitt fest geglaubt.24 Im Vergleich zu anderen europischen Staaten und Herrschaften ist am brandenburgischen (-preußischen) Hof erst sehr spt, nach der Mitte des 17. Jahrhunderts, die Position eines bestallten Historiographen geschaffen worden.25 Aber Johann Hîbner, Joachim Pastorius oder Martin Schoockius haben, trotz des ihnen gewhrten Archivzuganges, das Erwartete nicht geleistet. Die brandenburgischen Geheimen Rte haben freilich beim Umgang mit hofhistorio22 Vgl. Rainer-Maria Kiel, Die Hauschronik der Grafen von Zollern. Eine Prachthandschrift im Bestand der Kanzleibibliothek Bayreuth. Beschreibung, Geschichte, Wirkung, in: ArchGObFrank 68 (1988), S. 121 – 148, hier S. 123 – 125, S. 134, S. 140 f., Rentsch: S. 144 f., Pregitzer: S. 146 f. 23 Johann Wolfgang Rentsch, Brandenburgischer Ceder-Hain …, Bayreuth 1682, bes. S. 47, S. 269 – 271; vgl. G. G. Kîster, Bibliotheca … (s. Anm. 16), S. 318; positives Urteil bei Karl Kletke, Die Quellenschriftsteller zur Geschichte des preußischen Staats, nach ihrem Inhalt und Werth dargestellt, Berlin 1858, S. 40 – 42. 24 W. Neugebauer, Argument … (s. Anm. 21), S. 41 – 46, Friedrich II.: S. 47; zu Pregitzer jetzt Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Rçmischen Reich (= Historische Studien, 473), Husum 2003, S. 393 – 395; G. G. Kîster, Bibliotheca … (s. Anm. 16), S. 320, zur wîrttembergischen Genealogie S. 909. 25 Dazu meinen, in einem Tagungsband, herausgegeben von Markus Vçlkel, erscheinenden Aufsatz: Staatshistoriographen und Staatshistoriographie in Brandenburg und Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts (betrifft die frîhe Neuzeit); und die ltere, mehr kompilative, aber werthaltige Studie von Ernst Fischer, Die offizielle brandenburgische Geschichtsschreibung zur Zeit Friedrich Wilhelms, des großen Kurfîrsten (1640 – 1688). Nach den Akten des geheimen Staatsarchivs dargestellt, in: ZPreussGLdKde 15 (1878), S. 377 – 430, zu Johann Hîbner als erstem Historiographen: S. 379 – 387; vgl. schon F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 707; zum Vergleich S. Benz, Tradition … (s. Anm. 24), S. 282 f.

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graphischen Produkten auch eine große Unsicherheit und Unerfahrenheit gezeigt, Indiz fîr eine (kultur-)politische Versptungslage Brandenburg-Preußens, die nicht auf dieses Gebiet der „Staats“-Ttigkeit beschrnkt ist.26 Die große historiographische Ausnahme, Samuel von Pufendorf, besttigt diese Regel. Noch in den letzten Monaten des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm berufen, hat Pufendorf die Akten des Archivs in liberaler Weise zur Verfîgung gestellt bekommen.27 Das Werk Pufendorfs, „De rebus gestis Friderici Wilhelmi Magni, electoris brandenburgici“,28 stellt nicht eine Biographie, sondern ein lange Zeit gîltiges Stîck frîhneuzeitlicher Zeitgeschichte dar. Ausschließlich nach den Berliner Akten (nicht nach den ihm bekannten schwedischen) wird die brandenburg-preußische Politik geschildert, und zwar ganz aus der Interessenperspektive des Auftraggebers, unter starker Konzentration auf die auswrtigen Verhltnisse. Die Stnde werden nur insoweit betrachtet, als dies fîr die Außenpolitik relevant gewesen ist. Auch die Handelspolitik wird nur recht marginal beachtet. Mehr die Motive als die Ereignisse selbst interessierten Pufendorf, freilich in weiten europischen Kontexten und ohne einzelne Persçnlichkeiten erkennbar werden zu lassen. Die Quellenbenutzung geschah noch in vorkritischer Weise, ohne etwa den Wert verschiedener Vorlagen zu unterscheiden und zu diskutieren.29 26 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Preußen als Kulturstaat, in: ForschBrandPrG NF 17 (2007), S. 161 – 179. 27 Vgl. W. Neugebauer, Staatshistoriographen … (s. Anm. 25), mit weiterer Lit; nach wie vor bedeutend: Johann Gustav Droysen, Zur Kritik Pufendorfs, zuerst 1864, wieder in: Ders., Abhandlungen zur neueren Geschichte, Leipzig 1876, S. 309 – 386, hier S. 316 – 318; E. Fischer, Geschichtsschreibung … (s. Anm. 25), S. 419 f.; dazu (und zu Forschungsdesideraten) Detlef Dçring, Pufendorf-Studien. Beitrge zur Biographie Samuel Pufendorfs und zu seiner Entwicklung als Historiker und theologischer Schriftsteller (= Historische Forschungen, 49), Berlin 1992, S. 36 f., Quellenbasis: S. 144; Horst Denzer, Pufendorfs Naturrechtslehre und der brandenburgische Staat, in: Hans Thieme (Hg.), Humanismus und Naturrecht in Brandenburg-Preußen. Ein Tagungsbericht (= VerçffHistKommBerlin, 48), Berlin/New York 1979, S. 62 – 75, hier S. 68 – 70; und schließlich Detlef Dçring, Samuel von Pufendorf als Verfasser politischer Gutachten und Streitschriften. Ein Beitrag zur Bibliographie der Werke Pufendorfs, in: ZHF 19 (1992), S. 189 – 232, hier S. 222 – 227; Hans Rçdding, Pufendorf als Historiker und Politiker in den „Commentarii de rebus gestis Friderici Tertii“ (= Historische Studien, 2), Halle an der Saale 1912, S. 6. 28 Berlin 1695; hier benutzt in der bei Rîdiger erschienenen Auflage: 2 Bde. Berlin 1733, z. B. zur Souvernittsfrage: 1, S. 452 ff.; vgl. noch Samuelis de Pufendorf, De rebus gestis Friderici Tertii electoris brandenburgici post primi Borussiae regis commentariorum libri tres … ex autographo auctoris, Berlin 1784 (mit der Praefatio unpag., von E. F. von Hertzberg). 29 Vgl. J. G. Droysen, Zur Kritik … (s. Anm. 27), S. 324 – 326, S. 335 – 339, S. 349 f., S. 371, S. 373, S. 387 f. u. ç.; vgl. F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 515 – 520, S. 522.

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Von dem großen Naturrechtler und Historiker war aber damit eine Leistung vollbracht worden, die freilich von den Zeitgenossen nicht mit Begeisterung aufgenommen worden ist. Wenige Jahre nach dem Erscheinen des Werkes soll angeregt worden sein, daß „die ausgegebenen Exemplare Pufendorfs zurîckgekauft und das ganz Werk aus der Welt geschafft“ werden mçge.30 Die Publikation von Staatsgeheimnissen und vertraulichen Vorgngen der hohen Politik fîhrte zu Beschwerden fremder Hçfe. Eine deutsche ˜bersetzung ist nicht mehr gedruckt worden. Der von Erdmann Uhse publizierte Extrakt kann dafîr nicht gelten.31 Im 17. Jahrhundert haben die amtlichen (Staats-)Historiographen ansonsten auch nicht annhernd Bedeutendes geleistet; seit der Zeit Friedrich Wilhelms I. wurde diese Funktion fîr Jahrzehnte vakant gelassen.32 Der große KirchenHistoriker und Pietist Gottfried Arnold, Verfasser der „Kirchen- und Ketzerhistorie“, erhielt die Wîrde des brandenburgischen Historiographen, um ihn im Thîringischen, in unbequemer theologischer Umgebung, mit wirksamem brandenburgischen Schutz zu versehen; als kurbrandenburgischer Pfarrer hat er keine brandenburg-preußische Historiographenleistungen erbracht. Dies galt mutatis mutandis bis in die Zeiten Niebuhrs. Die neuere Forschung neigt generell dazu, schon die historiographischen Produkte des 18. Jahrhunderts als erstes Stadium wissenschaftlicher Geschichtsbefassung zu verstehen.33 Diejenige Geschichtsschreibung, die sich in vorkritisch-kompilatorischem Zugriff der preußisch-brandenburgischen Gesamtstaatsgeschichte zuwandte, blieb noch einige Zeit hinter diesen Maßstben zurîck. Schon 1710 wurde die erste „Preußische und Brandenburgische Staats30 J. G. Droysen, Zur Kritik … (s. Anm. 27), S. 313, S. 375 f.; Publikation geheimer Instruktionen: H. Rçdding, Pufendorf … (s. Anm. 27), S. 6; zum Folgenden: F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 510 f. 31 (Erdmann Uhse), Friedrich Wilhelms des Grossen / Chur=Fîrstens zu Brandenburg Leben und Thaten, Berlin/Frankfurt (1710), in der unpag. Zuschrift „An den Leser“ der Hinweis auf Pufendorf und die Hochschtzung seines Werkes (Bl. 2 v); vgl. J. G. Droysen, Zur Kritik … (s. Anm. 27), S. 321; H. Rçdding, Pufendorf … (s. Anm. 27), S. 5; wichtig die leider ungedruckte Schrift von Helga Fiechtner, Die §ffnung des Preußischen Geheimen Staatsarchivs fîr die wissenschaftliche Forschung im 19. Jahrhundert, Abschlußarbeit fîr die Staatsprîfung zum Diplomarchivar am Institut fîr Archivwissenschaft in Potsdam 1958 (Masch.), S. 3. 32 Dazu und zum Folgenden Wolfgang Neugebauer, Die preußischen Staatshistoriographen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Ders. (Hg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft- und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 8), Berlin (2006), S. 17 – 60, hier S. 25 – 30, auch u. a. zu Paul von Gundling, Ernst Wilhelm Cuhn, Friedrich Ancillon, Johannes von Mîller und Barthold Georg Niebuhr, worauf hier nur verwiesen werden kann. 33 Exemplarisch: Wolfgang Hardtwig, Die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung zwischen Aufklrung und Historismus, zuerst 1982, wieder in: Ders., Geschichtskultur und Wissenschaft, Mînchen 1990, S. 58 – 91, hier S. 58, S. 80 f., S. 84 f.

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Historie“ von dem Theologen und Osterburger Schulrektor Caspar Abel34 publiziert, chronologisch und nach den „Lndern“ gegliedert, die nach 1700 zum Gesamtstaat gehçrten, eine fleißige Kompilation eines Mannes fernab hçfischer und gelehrter Zentren. Ganz hnlich ist îber das in Halle seit 1760 in acht starken Quartbnden erschienene Werk des Professors Carl Friedrich Pauli geurteilt worden, der nun freilich als Jurist und Geschichtslehrer die spezifische Universitts-Konstellation von Jus und Historie auf das preußische Themenfeld îbertrug.35 Ausgehend von der Entwicklung der Mark Brandenburg und konzentriert auf die politische Geschichte, wird neben dem dynastischen Leitaspekt der preußisch-brandenburgische Regionalismus historiographisch aufgenommen, indem die Geschichte der zum Gesamtstaat gekommenen Gebiete mit geschrieben wird.36 Ein breites Material wurde, und zwar durchaus mit einzelnen interessanten Beobachtungen zusammengetragen, nach Sammlungen wie dem „Theatrum Europaeum“ und den amtlichen Publikanda. Ein reichspatriotischer Unterton verknîpft die preußische Entwicklung mit der des Heiligen Rçmischen Reiches.37 Reinhold Koser hat freilich gut einhundert Jahre spter Pauli bei allem „Sammlerfleiß“ doch „Mangel an Kritik“ vorgeworfen.38 In der Tat hat der Kçnigsberg-Hallenser Gelehrte wohl selbst gesehen, daß gerade fîr die Schilderung der inneren Verhltnisse Preußens zu neuen Einsichten nur durch Zugang zu den „Urkunden“ gelangt werden kçnnte,39 der ihm ja nicht gewhrt worden war. Die großen Darstellungen des 18. Jahrhunderts zur

34 2 Tle., Leipzig/Stendal 11710; eine neue, stark erweiterte Edition: Leipzig/Gardelegen 1735; zum Autor und seinen Publikationen: Johann Georg Meusel, Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen Schriftsteller, 1, Leipzig 1802, S. 6 – 10; Johannes Schultze, Abel, Caspar, in: NDB, 1, Berlin 1953, S. 12 (Literatur); Marga Heyne, Das dichterische Schrifttum der Mark Brandenburg bis 1700. Eine Bîcherkunde (= Brandenburgische Jahrbîcher, 13), Berlin 1939, S. 97; K. Kletke, Quellenschriftsteller … (s. Anm. 23), S. 333; und gute Beobachtungen bei F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 714 f. 35 Carl Friedrich Pauli, Allgemeine preußische Staats=Geschichte samt aller dazu gehçrigen Kçnigsreichs, Churfîrstentums, Herzogthîmer, Fîrstenthîmer, Graf und Herrschaften aus bewhrten Schriftstellern und Urkunden bis auf gegenwrtige Regierung, 8 Bde., Halle 1760 – 1769; zu ihm J. G. Meusel, Lexikon … (s. Anm. 34), 10, S. 297 f.; (?) Lehnerdt, in: Altpreußische Biographie, 2, Lfg. 1 – 3, Kçnigsberg 1942 – 1944, ND Marburg an der Lahn 1969, S. 492; J. Hackmann, Ostpreußen … (s. Anm. 1), S. 51; o. Vf., Pauli, Karl Friedrich, in: ADB, 25, Leipzig 1887, S. 790. 36 C. F. Pauli, Staats-Geschichte … (s. Anm. 35), 1, Vorrede (unpag.), zum Begriff der „Staats“-Geschichte, S. 3, S. 6 f. 37 Z. B. a.a.O., 8, Halle 1769, S. 57, S. 164, S. 176; vgl. S. 43 der Absatz: „Preussen sorget vor das Beste des teutschen Reichs“. 38 R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 2 f. 39 Vgl. C. F. Pauli, Staats-Geschichte … (s. Anm. 35), 8, zur Zeit Friedrich Wilhelms I., hier die unpag. Vorrede.

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brandenburgischen und zur preußischen Geschichte, Buchholtz und Pauli, haben in ihrer Zeit wohl nur „wenig Leser“40 gefunden. Die zeitgençssischen Schriften îber Friedrich Wilhelm I. waren Kompilationen auf der Basis etwa von Zeitungsmaterial, wohl angereichert durch persçnliche Beobachtungen der Autoren.41 Der Zugang zum Archiv war im 18. Jahrhundert nicht vçllig ausgeschlossen, aber doch, wie bei Pufendorf, von amtlicher Stellung oder guten Beziehungen abhngig.42 Hier liegt der spezifische Konnex von Historiographie und Bîrokratie in der Epoche der archivischen Arkanpraxis. Der Verleger und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai z. B. konnte fîr seine Schriften îber Berlin und Potsdam das Archiv benutzen, und zwar dank der Genehmigung des Ministers Ewald Friedrich Graf von Hertzberg.43 Dieser hatte zunchst als „Hilfsarbeiter im Geheimen Kabinettsarchiv“ die Aufgabe, fîr die historischen Arbeiten Friedrichs II. durch Aktenauszîge zuzuarbeiten. In Editionen, Staatsschriften und Akademieabhandlungen war Hertzberg selbst auf geschichtlichem Felde ttig.44 Der Kçnig stand also, trotz der Aufklrungspostulate konsequenten Zweifelns an îberkommenen Traditionen, selbst nicht auf quellenkritischer Basis; er ließ sich zu von ihm benannten Themenkomplexen Berichte erstellen, die ihrerseits auf den Akten der 40 (Adolf Friedrich) Riedel, Jahresbericht fîr 1843, in: Mrkische Forschungen 2 (1843), S. 203 – 209, hier S. 205; zu Buchhol(t)z s. Anm. 15. 41 Vgl. (zu Faßmann) mit Verweis auf weitere Literatur Stephan Skalweit, Friedrich Wilhelm I. und die preußische Historie, in: JbGMitteldtld 6 (1957), S. 107 – 131, hier S. 108 f.; vgl. mit Verweis auf die Schriften Faßmanns Wolfgang Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam. Eine verfassungsgeschichtliche Studie zur fîrstlichen Zentralsphre in der Zeit des Absolutismus, in: JbBrandenbLdG 44 (1993), S. 69 – 115, hier S. 102; vgl. zu Pçllnitz z. B. F. X. v. Wegele, Historiographie … (s. Anm. 6), S. 961 (Literatur). 42 Vgl. z. B. Carl Wilhelm Cosmar, Geschichte des Kçniglich-Preußischen Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs bis 1806. Mit ergnzenden Materialien hg. v. Meta Kohnke (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 32), Kçln/ Weimar/Wien 1993, S. 64 f. (Bekmann, Gercken, Nicolai, Anton Baltasar Kçnig, dazu um 1800 Historiographen: Cuhn, Johannes von Mîller). 43 Grundlegend: Horst Mçller, Aufklrung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 15), Berlin 1974, S. 323 ff., S. 562 ff. (zu Friedrich II.); Horst Mçller, Friedrich Nicolai als Historiker, zuerst 1975, wieder in: Ders., Aufklrung und Demokratie. Historische Studien zur politischen Vernunft, hg. v. Andreas Wirsching, Mînchen 2003, S. 13 – 42, hier S. 14 – 19, kritische Methode: S. 20. 44 Vgl. C. W. Cosmar, Staats- und Kabinettsarchiv … (s. Anm. 42), S. 93 f.; Stephan Skalweit, Hertzberg, v., in: NDB, 8, Berlin 1969, S. 715 – 717, hier S. 716; vgl. oben Anm. 28; angeblich hat Hertzberg auch Pauli Informationen gegeben, vgl. J. G. Droysen, Zur Kritik … (s. Anm. 27), S. 338 (mit einer Stelle, die der Nachprîfung nicht standhlt); bereits gut informiert Peter Florenz Weddigen, Fragmente zu dem Leben des Grafen von Hertzberg, Bremen 1796, S. 32 ff., zu seinen Staatsschriften: S. 40 f., weiter S. 70 – 84.

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Departements und des Archivs fußten.45 So wurde das Material zusammengetragen, das er in seinen historischen Werken, unter vorbildhafter Einwirkung Voltaires, im Sinne „politisch-militrische[r] Ereignisgeschichte“ und einer „breitgefcherten Strukturgeschichte“46 miteinander verband. Verfassung, Finanzverhltnisse, Heer und Religionen werden geschildert unter primrem Interesse an ihrer Bedeutung fîr den Staat und sein Machtpotential. Nach dem Tode des Kçnigs waren es durchaus nicht allein auslndische Autoren wie Mirabeau, die Friedrich d. Gr. und seinen Staat bei aller Bewunderung durchaus kritisch diskutierten.47 Lange bevor die professionelle Fachhistorie des hohen 19. Jahrhunderts auf neuer Quellenbasis das alte Preußen erforschte und durchaus streitig diskutierte, haben historisch-politische Autoren aus der preußischen Amtstrgerschicht des spten 18. und frîhen 19. Jahrhunderts die Fundamente Preußens im Ancien r¤gime literarisch in Frage gestellt.48 45 Von der neuesten Literatur oft ignoriert, und doch nach wie vor materialmßig wichtig: Max Posner, Zur literarischen Thtigkeit Friedrichs des Großen. Erçrterungen und Actenstîcke, in: Miscellaneen zur Geschichte Friedrichs des Großen, hg. auf Veranlassung und Unterstîtzung der Kçniglich Preußischen Archivverwaltung, Berlin 1878, S. 205 – 490, hier z. B. S. 208, S. 210, S. 227 f.; in besonderen Fllen, wie bei den Untersuchungsakten des Jahres 1730, hat der Kçnig diese selbst eingesehen: Jîrgen Kloosterhuis, Katte, Ordre und Kriegsartikel. Aktenanalytische und militrhistorische Aspekte einer „facheusen“ Geschichte, Berlin 2006, S. 24. 46 So Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklrung. Die Vorgeschichte des Historismus, Mînchen 1991, S. 265 ff., mit besonderem Hinweis auf Friedrichs d. Gr. „M¤moires pour servir a l’histoire de la maison de Brandenbourg“, (in: Johann David Erdmann Preuß [Hg.], Oeuvres de Fr¤d¤ric le Grand, 1, Berlin 1846, S. 1 – 246; die historischen Werke in 1 – 7, Berlin 1846 – 1857); vgl. noch Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Kçnigtum der Widersprîche, Frankfurt am Main/ Berlin/Wien 1983, S. 365 – 370, S. 373; aus der lteren Literatur Wilhelm Wiegand, Die Vorreden Friedrichs des Grossen zur Histoire de mon temps, Straßburg 1874, S. 13 ff.; Heinrich Disselnkçtter, Beitrge zur Kritik der Histoire de mon temps Friedrichs des Großen (= Historische Studien, 14), Leipzig 1885, Vorbilder: S. 2; s. jetzt Michael Rohrschneider, Friedrich der Große als Historiograph des Hauses Brandenburg …, in: ForschBrandPrG NF 17 (2007), S. 97 – 121, bes. S. 106 – 110. 47 Z. B. Stephan Skalweit, Frankreich und Friedrich der Große. Der Aufstieg Preußens in der çffentlichen Meinung des „ancien r¤gime“ (= BonnHistForsch, 1), Bonn 1952, S. 177 f., S. 180 – 187; zur zeitgençssischen Literatur vgl. noch immer Reinhold Koser, Geschichte Friedrichs des Großen, 4, 4. und 5. Aufl., Stuttgart/Berlin 1914, S. 119 – 123, S. 126 ff. 48 Vgl. G. Heinrich, Historiographie der Bîrokratie … (s. Anm. 15), S. 167 f., S. 183; vgl. zu den Berliner Friedrich-Schriften gleich nach 1786: W. Neugebauer, Bîsching … (s. Anm. 17), S. 98; zu Adam Mîller vgl. T. Schieder, Friedrich … (s. Anm. 46), S. 485; Frank-Lothar Kroll, Friedrich der Große als Gestalt der europischen Geschichtskultur, in: Brunhilde Wehinger (Hg.), Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europischen Kulturgeschichte, Berlin 2005, S. 185 – 198, hier S. 187 (Adam Mîller); zu Friedrich von Cçlln bleibt grundlegend Johannes Ziekursch,

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§ 2 Verwissenschaftlichung im Historismus Es wre ein Irrtum zu glauben, daß mit Wilhelm von Humboldt und der Berliner Universittsgrîndung des Jahres 1810 das moderne Prinzip von Forschung und Lehre sofort an den Universitten eingezogen wre und die Entwicklung der Disziplinen sogleich bestimmt htte.49 Auch die Verwissenschaftlichung des Preußenthemas erfolgte erst nach und nach, mit mancherlei ˜bergangserscheinungen von der Anekdotenhistoriographie50 zur systematischen Erschließung der ˜berlieferung, zunchst aber noch ohne Zugriff auf die staatlichen Archivbestnde. Zu nennen sind hier Friedrich Fçrster, dem in der øra Karl Albert von Kamptz‘ der Weg in eine Universittsposition versperrt worden war und der u. a. îber Friedrich Wilhelm I. aus Nachlssen wichtiges Material publizierte,51 oder Karl Friedrich Klçden,52 Autodidakt und seit 1824 Leiter der Berliner Gewerbeschule, in deren Programmen er bemerkenswerte Studien zur Wirtschaftsgeschichte des Oderraumes publizierte.53 Adolf Friedrich Riedel, wiewohl spter Staatshistoriograph, hatte seinen Schwerpunkt in der brandenburgischen Landesgeschichte.54 Karl Heinrich Siegfried Rçdenbeck55 und Johann David Erdmann Preuß begannen als private Sammler friderizia49 50 51

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Friedrich von Cçlln und der Tugendbund, in: HistVjschr 12 (1909), S. 38 – 76, hier S. 65 f., S. 69. Vgl. Wolfgang Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Otto Bîsch (Hg.), Handbuch der preußischen Geschichte, 2, Berlin/ New York 1992, S. 605 – 798, hier S. 689 – 696. So R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 36 ff. Ernst Fçrster, Friedrich Christoph Fçrster, in: ADB, 7, Leipzig 1878, S. 185 – 189, hier S. 187 ff.; vgl. Franz Rîhl (Hg.), Briefe und Aktenstîcke zur Geschichte Preußens unter Friedrich Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlaß von F. A. von Stgemann (= Publication des Vereins fîr die Geschichte von Ost- und Westpreußen), Leipzig 1900, S. 244 Anm. 1; und Eckart Jander, Untersuchungen zur Theorie und Praxis der deutschen historischen Biographie im neunzehnten Jahrhundert, phil. Diss. Freiburg im Breisgau 1965, S. 84 f. W(illy) Hoppe, Karl Friedrich Klçden, der Mensch und der mrkische Historiker, (Separatausgabe:) Berlin 1926, S. 5, S. 11 – 15 (scharfe Ablehnung von Schriften Klçdens durch Ranke), S. 19 – 23; (Max) Jhns, Klçden, in: ADB, 16, Leipzig 1882, S. 203 – 208, hier S. 204 – 207, mit Aufzhlung seiner Schriften, S. 208: „Autodidakt“. K(arl) F(riedrich) Klçden, Beitrge zur Geschichte des Oderhandels …, 8 Stîcke, Berlin (1845)-1852. Wolfgang Ribbe, Archivare als brandenburgische Landeshistoriker. Drei Lebensbilder aus drei Generationen, in: JbBrandenbLdG 55 (2004), S. 100 – 121, hier S. 102 – 107; Ders., Quellen … (s. Anm. 11), S. 40 – 42 (mit Kritik am „Codex“); nach wie vor wichtig: F(riedrich) Holtze, Adolf Friedrich Riedel, in: ZPreussGLdKde 9 (1872), S. 629 – 639, bes. S. 630 f., S. 636 zu seiner Sptschrift zum brandenburgischen Staatshaushalt; W. Neugebauer, Staatshistoriographen … (s. Anm. 32), S. 47 (fîr Geschichte der Mark Brandenburg). Materialreich Ernst Graf zu Lippe-Weißenfeld, Rçdenbeck und Preuß, in: Mrkische Forschungen 20 (1887), S. 30 – 39, Rçdenbeck: S. 30 – 33.

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nischen Materials; ersterer blieb historisch produzierender Privatier. Preuß, eigentlich Lehrer am Medizinisch-Chirurgischen Friedrich-Wilhelm-Institut mit dem Titel eines Professors, publizierte seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts zahlreiche, heute als Material noch unverzichtbare Werke zu Friedrich dem Großen und regte jene Werkausgabe an,56 die, wiewohl durchaus nicht zuverlssig, noch heute benutzt wird. Unter den Historikern vom Fach galt Preuß nicht als ihresgleichen. Aus Preuß schçpfte Franz Kugler fîr seine, schon mit nationaleren Untertçnen argumentierende populre Friedrich-Biographie. Die preußischen Staatshistoriographen haben bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts andere als preußische Themen in das Zentrum ihrer Arbeit gerîckt, ohne daß dies irgend Anstoß erregt htte.57 Die erste große professionelle Gesamtdarstellung, die zur preußischen Geschichte im 19. Jahrhundert vorgelegt wurde, kam nicht aus Berlin oder Kçnigsberg, sondern aus Schlesien. Eigentlich in der mittelalterlichen Kaisergeschichte zu Hause, hat der Breslauer Professor und Archivar Gustav Adolf Harald Stenzel (1792 – 1854) auf sich allein gestellt und unter ungînstigen Arbeitsbedingungen, fernab von den Berliner Sammlungen, neben Darstellungen und Editionen zur schlesischen Geschichte auch eine schließlich fînfbndige Darstellung Preußens vorgelegt,58 die als Beispiel fîr historiographischen Vormrzliberalismus gilt.59 Er hat in Breslau ungedrucktes Material benutzen kçnnen, wußte aber, daß er in seinem PreußenWerk noch nicht vçllig Neues bieten konnte. Der liberale Grundzug kommt darin zum Ausdruck, daß Stenzel den deutschen Charakter Preußens schon sehr betont, ein Gesichtspunkt, der in der Geschichtsschreibung damals noch durchaus nicht selbstverstndlich war.

56 Aug(ust) Potthast, Professor J.D.E. Preuß, in: ZPreussGLdKde 6 (1869), S. 200 – 212, Beruf: S. 202, Werke: S. 203 f., S. 206; zu den Oeuvres vgl. oben Anm. 46; vgl. R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 38 f.; vgl. Karl Erich Born, Der Wandel des Friedrich-Bildes in Deutschland whrend des 19. Jahrhunderts, phil. Diss. Kçln 1953, S. 38, S. 68 f. (ohne nationale Teleologie); E. Gf. Lippe-Weißenfeld, Rçdenbeck … (s. Anm. 55), S. 36 f.; F. L. Kroll, Friedrich … (s. Anm. 48), S. 190. 57 Vgl. W. Neugebauer, Staatshistoriographen … (s. Anm. 32), S. 32 – 39. 58 In der bekannten, von Heeren und Ukert hg. Reihe: G(ustav) A(dolf) H(arald) Stenzel, Geschichte des preußischen Staats, 5 Tle. (= Geschichte der europischen Staaten), Hamburg 1830 – 1854, 1 fîhrt bis 1640, 5 reicht bis 1763; zu anderen, mit den Werken von Stenzel und dann Ranke nicht entfernt konkurrierenden frîhen Gesamtdarstellungen (Eberty, von Cosel, Pierson, und der ˜berblick Friedrich Voigts) s. R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 21 59 Zur Person bleibt grundlegend Karl Gustav Wilhelm Stenzel, Gustav Adolf Harald Stenzels Leben, Gotha 1897, zur preußischen Geschichte: S. 180 – 192, folgendes: S. 191 f., und G. A. H. Stenzel, Geschichte … (s. Anm. 58), 1, S. VII f., S. 79; Felix Rachfahl, Gustav Adolf Harald Stenzel, in: ForschBrandPrG 11 (1898), S. 1 – 31, hier S. 23 – 26.

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Insofern fîhrte die defizitre Quellenbasis und ein frîhes nationales beziehungsweise liberales Telos bei Stenzel dazu, daß dieses Werk, mochte es auch nach 1830 zunchst allen Vorlufern îberlegen sein, mit dem Auftreten Leopold von Rankes (1795 – 1886) rasch veraltete. Bekanntlich hat der preußische Themenkomplex bei Ranke durchaus nicht am Anfang seiner wissenschaftlichen Arbeit gestanden. Gerade der Verzicht auf datierte frîhliberale Teleologie60 macht ihn auch nach mehr als einhundertundfînfzig Jahren interessant, manchmal gar aktuell. Jedenfalls hat Ranke – in wissenschaftlicher Beziehung – Stenzels Preußenwerk sofort bei Erscheinen deplaciert. Ranke hatte schon in seinem Essay îber „die großen Mchte“ Preußen seinen Ort im politischen System Europas zugewiesen, nicht gegen §sterreich, sondern in „freie[r] und fest begrîndete[r] Vereinigung dieser beiden Mchte“ zur Wahrnehmung der Interessen „Deutschland[s]“ „gegen das Ausland“.61 Als „deutsch-protestantisch“62 bestimmte Ranke den Staats-Charakter Preußens unter den europischen Mchten, denen er – ganz im Sinne des Historismus – jeweils spezifische Individual-Qualitten zugeschrieben hat. Mit der Ernennung Leopold Rankes zum „Historiographen des Preußischen Staats“, also erst im Jahre 1841,63 wurde amtlicherseits der Versuch unternommen, seine europischen Energien auch auf preußische Themenfelder zu lenken. Fîr Ranke war Preußen denn auch – in spezifisch vornationaler und vorrevolutionrer Weise – zu allererst eine europische Macht.64 Ranke erlitt das Gelehrtenschicksal, daß das breite Publikum zum Zeitpunkt des Erscheinens eines Werkes, hier der „Neun Bîcher Preußischer Geschichte“,65 gerade 1847/ 60 Statt anderer Stephan Skalweit, Das Problem von Recht und Macht und das historiographische Bild Friedrichs des Großen, zuerst 1951, wieder in: Ders., Gestalten und Probleme der frîhen Neuzeit. Ausgewhlte Aufstze (= Historische Forschungen, 32), Berlin 1987, S. 155 – 172, hier S. 157 f. 61 Leopold (von) Ranke, Die großen Mchte, zuerst 1833, wieder in: Ders., Abhandlungen und Versuche, 1. Sammlung (= Smmtliche Werke, 24), Leipzig 21877, S. 1 – 40, hier S. 26; aus der Literatur Siegfried Baur, Versuch îber die Historik des jungen Ranke (= Historische Forschungen, 62), Berlin 1998, S. 125 ff., S. 156. 62 L. v. Ranke, Mchte … (s. Anm. 61), S. 28. 63 Mit Nachweisen W. Neugebauer, Staatshistoriographen … (s. Anm. 32), S. 42 – 46. 64 Leopold von Ranke, Genesis des Preußischen Staates. Vier Bîcher Preußischer Geschichte, Leipzig 1874, S. X; vgl. dazu Otto Diether, Leopold von Ranke als Politiker. Historisch-psychologische Studie îber das Verhltnis des reinen Historikers zur praktischen Politik, Leipzig 1911, S. 312, S. 315 f.; und Hans-Christof Kraus, Ranke als Zeitgenosse. Seine Arbeiten zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV., in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 14 (2001), S. 38 – 50, hier S. 45; Justus Hashagen, Rankes Hinwendung zu Preußen, in: ForschBrandPrG 48 (1936), S. 391 – 395, hier S. 394. 65 Leopold Ranke, Neun Bîcher Preußischer Geschichte, 1 – 3, Berlin 1847 – 1848, mit der interessanten Bemerkung zur Zeit Friedrich Wilhelms I.: „In Bezug auf die innere

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48 nicht durch die Tatsache beeindruckt war, daß erstmals aus preußischen und westeuropischen Archivalien fîr eine, wenn auch in der Epoche Friedrichs d. Gr. den Schwerpunkt setzende, Gesamtdarstellung geschçpft wurde und – dank der Historiographenstellung – auch geschçpft werden konnte.66 Vielmehr mißfiel dem breiten Publikum der politische Standpunkt, also die Zeitgeistdistanz zum liberal-nationalen Zeitgeschmack. Die positive Sicht vom Landadel, dessen staatsbildende Rolle Ranke fîr das 15. und 16. Jahrhundert beschrieb, das „fîrstlich-stndische Regiment“, von dem Ranke – 1847 – spricht, schon dies machte Rankes Werk, zumal zum Zeitpunkt des Erscheinens, vordergrîndig unmodern und nicht beliebt.67 „An einer im nationalen Sinne politischen Geschichtsschreibung oder gar an der Verherrlichung des preußischdeutschen Machtstaates hinderten ihn die auf Universalitt angelegten religiçsen Bindungen seines Denkens.“68 Nach der kîhlen Aufnahme der „Neun Bîcher“ im gebildeten Publikum69 hat Ranke bekanntlich preußische Themen lange Zeit ruhen lassen, vielleicht sogar gemieden. Erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat sich Ranke, wohl auch unter dem Einfluß des Hofes, der preußischen Geschichte wieder zugewandt, nicht nur mit der auf zwçlf Bîcher erweiterten preußischen Geschichte,70 in Nuancierungen zum Thema nach fînfundzwanzig Jahren.71

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Verwaltung habe ich kînftigen Forschern noch eine reiche Ernte îbrig gelassen“ (1, S. VIII, in der „Vorrede“). L. Ranke, Neun Bîcher … (s. Anm. 65), 1, S. VIII, S. X-XII, zur Archivbasis; S. Skalweit, Problem … (s. Anm. 60), S. 93 f.; R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 6 f.; pariser Quellenfund: Hans F. Helmolt, Leopold von Rankes Leben und Wirken. Nach den Quellen dargestellt, Leipzig 1921, S. 90, S. 96; J. Hashagen, Hinwendung … (s. Anm. 64), S. 392; O. Diether, Ranke … (s. Anm. 64), S. 309 f. L. Ranke, Neun Bîcher … (s. Anm. 65), S. 24 – 26, zum 15. und 16. Jahrhundert; vgl. weiteres bei Georg Kîntzel, Einleitung des Herausgebers, in: Leopold von Ranke, Zwçlf Bîcher preußischer Geschichte, 1 (= Gesamt-Ausgabe der deutschen Akademie), Mînchen 1930, S. V-CLII, hier S. XXI f. So allgemein zu Ranke Helmut Berding, Leopold von Ranke, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 1, Gçttingen (1971), S. 7 – 24, hier S. 19 f.; vgl. auch sehr gut Stephan Skalweit, Ranke und Bismarck, in: HZ 176 (1953), S. 277 – 290, hier S. 282 f. Zur kîhlen Aufnahme und negativen Rezensionen 1847/48, denen schon 1849 positivere Stimmen folgten, s. Siegfried Baur, Die Freirume der Historie. Anmerkungen zu Aufstieg und Fall der Historisch-politischen Zeitschrift Rankes, in: Ulrich Muhlack (Hg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, 5), Berlin 2003, S. 61 – 85, hier S. 79 – 83; H. F. Helmolt, Rankes Leben … (s. Anm. 66), S. 159, S. 192 Anm. 167; K. E. Born, Wandel … (s. Anm. 56), S. 73 f.; und wichtig G. Kîntzel, Einleitung … (s. Anm. 67), S. VII f., S. LXXXII f. Vgl. Anm. 67; Leopold von Ranke, Zwçlf Bîcher preußischer Geschichte, 3 Bde. (= Smmtliche Werke, 25 – 29), Leipzig 1874.

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Seine Forschungen zum Fîrstenbund, zu den Revolutionskriegen und zu Hardenberg, îber Person und Umfeld Friedrich Wilhelms IV., verweisen auf Rankes Preußenschwerpunkt nach 1870, in der vorletzten Phase seiner Produktion.72 Das, was Ranke den liberalen Zeitgenossen entfremdete, macht ihn noch heute geradezu lesenswert, die Distanz zu lauten Aktualisierungen im fortschrittsnaiv-nationalteleologischen Sinne, wie sie das Werk von Rankes Berliner Antipoden (seit 1859) Johann Gustav Droysen kennzeichnen.73 Der dreizehn Jahre jîngere Droysen ist aufgewachsen in der Luft der Befreiungskriege, einer nationaleren und tendenziell liberaleren Umgebung. Aus ihr erwuchs jene Sicht vom spezifisch deutschen Beruf, der deutschen Mission „Preußens“, und zwar schon seit dem Mittelalter, die in Droysens „Geschichte der preußischen Politik“ und îberhaupt in der kleindeutsch-nationalen Schule propagiert wurde.74 Schon in seiner Kieler Zeit hat der gebîrtige Pommer Droysen (1808 – 1884), eigentlich in der griechischen Geschichte zu Hause, den Weg zu seinem preußischen Schwerpunkt beschritten, in Vorlesungen îber die Freiheitskriege, seiner York-Biographie bis hin zu den ersten Bnden seines Preußenwerks, die noch in seiner Jenenser Zeit erschienen.75 Es kann nach den Befunden der neuesten Forschung kein Zweifel sein, daß Droysen den Topos vom deutschen 71 Zu den Unterschieden zwischen den neun und den zwçlf Bîchern vgl. G. Kîntzel, Einleitung … (s. Anm. 67), S. LXXII-LXXIV; Kîntzel auch zu Tendenzen Rankes, z. B. XLII f. (˜bergehen der brandenburg-franzçsischen Bîndnisse 1665/1667); „Beugung der Quellenaussage“ zum Testament von 1752: S. LXIX. 72 Zusammenfassend J. Hashagen, Rankes Wendung … (s. Anm. 64), S. 393; O. Diether, Ranke … (s. Anm. 64), S. 582 – 595. 73 Zum gespannten Verhltnis Rankes zu Droysen vgl. statt anderer Gunter Berg, Leopold von Ranke als akademischer Lehrer. Studien zu seinen Vorlesungen und seinem Geschichtsdenken (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 9), Gçttingen 1968, S. 43 – 45. 74 Wolfgang Hardtwig, Von Preußens Aufgabe in Deutschland zu Deutschlands Aufgabe in der Welt. Liberalismus und borussianisches Geschichtsbild zwischen Revolution und Imperialismus, in: HZ 231 (1980), S. 265 – 324, hier S. 265 f., S. 270, S. 273 ff., S. 285 ff.; K. E. Born, Wandel … (s. Anm. 56), S. 101 f.; Werner Conze, Das Kaiserreich von 1871 als gegenwrtige Vergangenheit im Generationswandel der deutschen Geschichtsschreibung, zuerst 1979, wieder in: Ders., Gesellschaft – Staat – Nation. Gesammelte Aufstze, hg. v. Ulrich Engelhardt / Reinhart Koselleck / Wolfgang Schieder (= Industrielle Welt, 52), Stuttgart 1992, S. 44 – 65, hier S. 47 f.; und Friedrich Jaeger / Jçrn Rîsen, Geschichte des Historismus. Eine Einfîhrung, Mînchen 1992, S. 86 – 88. 75 Zu diesen Werken alles weitere bei Wilfried Nippel, Johann Gustav Droysen. Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik, (Mînchen) 2008, S. 7 f., S. 12, S. 47, S. 54, York: S. 177 – 186; Max Duncker, Johann Gustav Droysen, in: PreußJbb 54 (1884), S. 134 – 167, bes. S. 149 – 156, zur Kieler Zeit; zum noch in Kiel begonnenen „York“ s. Robert Southard, Droysen and The Prussian School of History, Lexington 1995, S. 207 – 211.

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Beruf Preußens lange vor seiner Rîckberufung nach Berlin geprgt hatte.76 Die Plne zu seiner „Geschichte der preußischen Politik“ entstanden, wie Felix Gilbert77 argumentiert hat, vielleicht schon 1840/47, ein Werk, dessen erster Band 1855 herausgekommen ist. Auf die außen-politischen Entwicklungen ist Droysens Darstellung konzentriert, wenn auch nicht beschrnkt.78 Das Telos einer vierhundertjhrigen Geschichte dieses „Staates“, der die „geschichtliche Notwendigkeit“ verkçrpert habe, dem „nationalen Leben“ Ausdruck zu geben und der darin seinen „Beruf“ erfîlle, bestimmt die Perspektive.79 Die Rîckprojektion dieser Kategorien bis in vormoderne Jahrhunderte hat Kritik und Spott in Masse provoziert, doch sollte – mit Koselleck – bedacht werden, daß die nationalteleologische Deutung durch Droysen zur Zeit ihrer Entstehung „alles andere als eine Vergçtterung des preußischen Staates“ gewesen ist, sondern als ein politischer Appell angesichts einer politischen Praxis des preußischen Staats wirken sollte, der noch im 19. Jahrhundert jahrzehntelang gerade dieser deutschen Mission gerade nicht nachkam.80 ˜ber die Einseitigkeit und – fîr die 76 W. Nippel, Droysen … (s. Anm. 75), S. 54 (zu 1843 in Kiel). 77 Felix Gilbert, Johann Gustav Droysen und die preußisch-deutsche Frage (= HZ, Beiheft 20), Mînchen/Berlin 1931, S. 50, S. 125 ff.; mit kîrzerem Vorlauf (1850) rechnet W. Nippel, Droysen … (s. Anm. 75), S. 216 ff.; zu den frîhen, auf jîngere Epochen bezogene Planungen; Stephan Paetrow, Die Produktivitt der Provinz. Zur Entstehung von Droysens Historik und Preußischer Politik, in: Lutz Niethammer (Hg.), Philosophische Fakultt. Historisches Institut. Droysen-Vorlesungen … (= Jenaer Universittsreden, 18), Jena 2005, S. 201 – 227, hier S. 220 – 223, S. 225. 78 Johann Gustav Droysen, Geschichte der Preußischen Politik, 1. Teil: Die Grîndung, Berlin 1855, mit dem berîhmten Vorwort S. III-VI; mit (veralteten) Passagen zur mittelalterlichen Kolonisation, zu den brandenburgischen Verwaltungs-, Stdte- und Stndeverhltnissen: S. 30 – 97; Angaben zu den vierzehn bis 1886 erschienen, z. T. in verschiedenen Auflagen vorgelegten Bnden bei Horst Walter Blanke (Hg.), Johann Gustav Droysen. Historik, Supplement: Droysen-Bibliographie, Stuttgart/Bad Cannstatt, S. 51, S. 56, S. 59 – 84. 79 J. G. Droysen, Geschichte … (s. Anm. 78), 1, Leipzig 21868, S. 3 f. („Die Aufgabe“); vgl. weiter F. Gilbert, Droysen … (s. Anm. 77), S. 127 – 129; Jçrn Rîsen, Johann Gustav Droysen, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 1, Gçttingen 1971, S. 7 – 23, hier S. 11; Gînter Birtsch, Die Nation als sittliche Idee. Der Nationalstaatsbegriff in Geschichtsschreibung und politischer Gedankenwelt Johann Gustav Droysens (= Kçlner Historische Abhandlungen, 10), Kçln/Graz 1964, S. 242 – 245; R. Southard, Droysen … (s. Anm. 75), S. 207 f.; schon Friedrich Meinecke, Weltbîrgertum und Nationalstaat, hg. v. Hans Herzfeld (= Friedrich Meinecke. Werke, 5), Mînchen 1962, S. 391. 80 Wichtig Reinhart Koselleck, Zur Rezeption der preußischen Reformen in der Historiographie. Droysen, Treitschke, Mehring, in: Ders. / Heinrich Lutz / Jçrn Rîsen (Hg.), Formen der Geschichtsschreibung (= Beitrge zur Historik, 4), Mînchen 1982, S. 245 – 265, hier S. 250, S. 252 (Zitat); S. Paetrow, Produktivitt … (s. Anm. 77), S. 224 f.; zum Torso des letzten, bis zur Westminsterkonvention fîhrenden Bandes das Vorwort von G. Droysen zu J. G. Droysen, Geschichte … (s. Anm. 78), 5 Tle., 4, Leipzig 1886, S. V f.

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behandelte Zeit, also bis 1756: – îber die Unangemessenheit der Droysenschen Interpretation besteht heute kein Zweifel. Auch hatte er seinem materialgewichtigen Werk ausschließlich deutsche und vornehmlich preußische Archivalien zugrunde gelegt. Leopold von Ranke hatte schon die ersten Teile der Droysenschen Darstellung scharf abgelehnt.81 Auch in den Reichsgrîndungsjahren im engeren Sinne hat Droysen, so einflußreich er zu Zeiten war, nie allein dieses Forschungsfeld beherrscht. Droysens politischer Historismus82 ist schon von einflußreichen Zeitgenossen deutlich kritisiert und gerade von Schîlern Droysens selbst relativiert und sehr bald – in intensiver Quellenerschließung – falsifiziert worden. Bernhard Erdmannsdçrffer und dann auch Reinhold Koser sind hier zu nennen.83 Fîr die frîhen brandenburgischen Hohenzollern des 15. Jahrhunderts hat alsbald Erich Brandenburg die Behauptung Droysens, Friedrich I. habe schon eine „deutsch-nationale Politik“ betrieben, zurîckgewiesen.84

81 G. Berg, Ranke … (s. Anm. 73), S. 44; G. Kîntzel, Einleitung … (s. Anm. 67), S. CVI Anm. 1; vgl. auch kritisch Alfred Dove, Johann Gustav Droysen, zuerst 1878, hier nach dem Druck in Ders., Ausgewhlte Schriftchen vornehmlich historischen Inhalts, Leipzig 1898, S. 369 – 383, hier S. 378 f.; vgl. schon Ders., Johann Gustav Droysen: Geschichte der preußischen Politik, in: ZPreussGLdKde 6 (1869), S. 125 – 133, hier S. 131 – 133, zum 15. Jahrhundert und zur Behandlung der Reformation. 82 J. Rîsen, Droysen … (s. Anm. 79), S. 8; vgl. auch W. Nippel, Droysen … (s. Anm. 75), S. 322 f., S. 330 (Forderung der Parteilichkeit); zur politischen Wandlung Droysens in seinen letzten beiden Jahrzehnten („radikale Abkehr vom politischen Liberalismus“) s. Utz Haltern, Geschichte und Bîrgertum. Droysen – Sybel – Treitschke, in: HZ 259 (1994), S. 59 – 107, hier S. 71. 83 Otto Hintze, Johann Gustav Droysen, zuerst 1904, wieder in: Ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, 2., erw. Aufl., hg. v. Gerhard Oestreich, Gçttingen (1964), S. 453 – 499, hier S. 485, S. 488 f., der bei Droysen fîr die Zeit nach 1688 eine Reduktion auf die Außenpolitik konstatiert; die Verwaltung werde nur „gestreift“; zu B. Erdmannsdçrffer z. B. Eberhard Gothein, Bernhard Erdmannsdçrffer. Ein Gedenkblatt, in: PreussJbb 104 (1901), S. 15 – 22, hier S. 15 f., S. 18, zum Buch îber Waldeck, das „bereits eine Revision der Droysen’schen Auffassung“ gebracht habe: S. 17; Dietrich Schfer, Bernhard Erdmannsdçrffer, in: HZ 87 (1901), S. 56 – 66, hier S. 61; plastisch Friedrich Meinecke, Erlebtes, in: Ders., Autobiographische Schriften, hg. v. Eberhard Kessel (= Friedrich Meinecke, Werke, 8), Stuttgart 1969, S. 71; Beispiel: Bernhard Erdmannsdçrffer, Deutsche Geschichte vom Westflischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen 1648 – 1740, 1, Berlin 1892, S. 681 Anm. 1, S. 728. 84 Erich Brandenburg, Kçnig Sigmund und Kurfîrst Friedrich I. von Brandenburg. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Reiches im fînfzehnten Jahrhundert, Berlin 1891, S. 2, S. 13 f., S. 21, S. 27, S. 79, S. 3: gegen A. F. Riedel; G. Kîntzel, Einleitung … (s. Anm. 67), S. CXIII.

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Droysen hat weniger durch sein – so er selbst 1866 – „langweilige[s] opus“85 als dadurch fortgewirkt, daß er weitere (Quellen-)forschungen anregte und organisierte. Es hat ja bis in die 1880er Jahre gedauert, bis an der Berliner Universitt Dissertationen zur preußischen Geschichte îblich wurden,86 ein Material, das wie die analoge Produktion anderer, preußischer und außerpreußischer Universitten, fîr die heutige Arbeit nach wie vor unverzichtbar ist. Droysen hat durch den Widerspruch, den er provozierte, durchaus anregende Impulse fîr die weitere Forschung gegeben. Vor allen Dingen hat er aber dadurch die Entwicklung dieses Themenfeldes gefçrdert, daß er, kurz nach seiner Berufung an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universitt, die schließlich auf 23 Bnde anwachsende Edition der „Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg“ begrînden konnte, die seit 1864 erschien und trotz der in der Anfangszeit noch nicht voll entwickelten Editionstechnik auch heute noch zu den „großen Akteneditionen“ (Repgen) zum 17. Jahrhundert gezhlt wird.87 Nicht nur durch das nationalteleologische Motiv des Droysenschen „Borussianismus“, unterlegt mit einem axiomatischen Fortschrittsbegriff, war seine preußische Politikgeschichte in hohem Maße „datiert“; mit dem Fortschreiten der editorischen Materialerschließung veraltete das darstellende Materialkompendium Droysens um so mehr und um so rascher. So hat letztendlich Droysen als prominenter Vertreter der im eigentlichen Wortsinne „borussischen“ Schule durch editionsstrategische Weichenstellungen und – damit zusammenhngend – durch seine Schîler zur raschen ˜berwindung seiner polithistoriographischen Prmissen selbst beigetragen. Diese waren freilich nicht nur auf dem Arbeitsgebiet der preußischen Geschichte im engeren Sinne um und nach 1870/71 verbreitet, sondern auch bei prominenten Vertretern der damaligen Zeitgeschichte, die deutsche Geschichte erforschten und 85 Droysen an Duncker, 25. Mrz 1866, in: Rudolf Hîbner, Johann Gustav Droysen. Briefwechsel (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, 26), 2, Berlin/Leipzig 1929, S. 867. 86 Max Lenz, Das historische Seminar, in: Ders., Geschichte der Kçniglichen Friedrich Wilhelms-Universitt zu Berlin, 3, Halle an der Saale 1910, S. 247 – 260, hier S. 260. 87 Konrad Repgen, Akteneditionen zur deutschen Geschichte des spten 16. und des 17. Jahrhunderts. Leistungen und Aufgaben, in: Lothar Gall / Rudolf Schieffer (Hg.), Quelleneditionen und kein Ende? Symposium der Monumente Germaniae Historica und der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Mînchen 22./23. Mai 1998 (= HZ, Beiheft NF, 28), Mînchen 1999, S. 37 – 79, hier S. 47 f.; ˜bersicht bei Winfried Becker (Bearb.), Dreißigjhriger Krieg und Zeitalter Ludwigs XIV. (1618 – 1715) (= Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart, 2), Darmstadt 1995, S. 33 f., S. 90; vgl. noch R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 14, S. 33; R. Haym, Das Leben Max Dunckers, Berlin 1891, S. 430 f., zur (Vor-)Geschichte der Urkunden und Aktenstîcke – diese Titel auch zum Folgenden.

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schrieben, dabei freilich Preußen im 19. Jahrhundert entschieden in den Mittelpunkt rîckten und perspektivisch privilegierten. Heinrich von Sybel (1817 – 1895), nach dem Urteil von Hellmut Seier nicht auf eine Stufe mit Ranke oder Jacob Burckhardt zu stellen,88 hat in den Jahrzehnten der Reichsgrîndungszeit publizistisch und wissenschaftspolitisch großen Einfluß ausgeîbt und gehçrt zur Fîhrungsgruppe der „kleindeutsch-preußischen“ Historiker des spteren 19. Jahrhunderts. Geboren 1817 in Dîsseldorf, war er aus „großbîrgerlich-aristokratischem Milieu“ (Dotterweich) hervorgegangen. Im Unterschied zu seinem Lehrer Ranke stellte Sybel schon frîh die Forderung auf, Geschichtswissenschaft mîsse eine entschieden kmpferische Disziplin sein; „cum ira et studio“ wolle er sie betreiben.89 Sein Weg hat ihn îber Marburg und Mînchen nach Bonn und schließlich nach Berlin gefîhrt. Noch in Mînchen hat er 1859 die „Historische Zeitschrift“ begrîndet. Gegen „Feudalismus, Ultramontanismus und Radikalismus“90 hat der Rheinpreuße frîh Stellung bezogen. Die Revolutionserfahrung der Jahre 1848/ 49 gab ihm den Impuls, die Geschichte der Revolutionszeit im ausgehenden 18. Jahrhundert zu erforschen und zu beschreiben, um der herrschenden Verherrlichung der „Ideen von 1789“ entgegenzutreten. Rund dreißig Jahre hat er an diesem seit 1853 erscheinenden fînfbndigen Werk gearbeitet.91 Von Ranke hat Sybel die Interdependenz von Innen- und Außenpolitik gelernt. Er schilderte europische Politik bis 1801 aus „antiçsterreichischen“ und propreußischnationalen Standpunkten heraus,92 auch z. B. bei der Beurteilung der Teilungen Polens. Aus dem Verfall des alten Staates leitete Sybel die Notwendigkeit politischer Reformen ab, eine ausgesprochene Mahnung an die „Reaktion“ der 1850er Jahre. Die sozialgeschichtlichen Faktoren hat er auf breiter Quellenbasis 88 Helmut Seier, Heinrich von Sybel, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 2, Gçttingen 1971, S. 24 – 36, hier S. 24; folgendes: Volker Dotterweich, Heinrich von Sybel. Geschichtswissenschaft in politischer Absicht (1817 – 1861) (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, 16), Gçttingen 1978, S. 187, ferner S. 19 – 25, S. 54; vgl. ferner Helmut Seier, Die Staatsidee Heinrich von Sybels in den Wandlungen der Reichsgrîndungszeit 1862/71 (= Historische Studien, 383), Lîbeck/Hamburg 1961, S. 9 ff.; schließlich Walter Bussmann, Heinrich von Sybel (1817 – 1895), in: Bonner Gelehrte. Beitrge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Geschichtswissenschaften, Bonn 1968, S. 93 – 103, hier S. 93 f. 89 Z. B. H. Seier, Staatsidee … (s. Anm. 88), S. 10; V. Dotterweich, Sybel … (s. Anm. 88), S. 42 f. 90 So W. Bussmann, Sybel … (s. Anm. 88), S. 94; ebenso H. Seier, Sybel … (s. Anm. 88), S. 26. 91 Erich Marcks, Heinrich von Sybel, zuerst 1895, wieder in: Ders., Mnner und Zeiten. Aufstze und Reden zur neueren Geschichte, 1, Leipzig 1911, S. 255 – 274, hier S. 258; V. Dotterweich, Sybel … (s. Anm. 88), S. 214. 92 V. Dotterweich, Sybel … (s. Anm. 88), S. 199, S. 208 – 213; U. Haltern, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 84 f.

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in die Betrachtung einbezogen. Die „Revolutionszeit“ gilt als Sybels bedeutendstes Werk. Der „antifeudale“ und antilegitimistische Standpunkt kennzeichnete Sybel auch dann, wenn er den Weg Preußens vor und nach 1866 betrachte.93 In seinem Alterswerk îber „Die Begrîndung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I.“, das seit 1889 in sieben Bnden erschien,94 wollte Sybel beweisen, „daß das preußisch-deutsche Einigungswerk […] dem gemßigt liberalen Staatsideal des Konstitutionalismus entsprach“. So wurde Bismarck, dem Sybel im Verfassungskonflikt oppositionell gegenîber gestanden hatte, letztlich zum „Vollstrecker des liberalen Erbes“.95 Sybels Werk, die erste Gesamtdarstellung zur Vorgeschichte der Reichsgrîndung, stîtzte sich auf die preußischen Staatsakten, und ganz offen hat er sich zu seinen „preußischen und nationalliberalen ˜berzeugungen“ bekannt, die ihn dabei geleitet haben.96 Hinzu kam ein quasi offiziçser Charakter der Darstellung, nicht nur durch die Genehmigung Bismarcks, die preußischen Staatsakten zu benutzten, sondern auch dadurch, daß, als ihm nach dem Sturz Bismarcks diese archivalische Basis nicht mehr zur Verfîgung stand, Sybel von Bismarck Informationen erbat und erhielt, mit denen eine Einflußnahme etwa bei der Darstellung der Emser Vorgnge des Jahres 1870 verbunden war.97 Dies hatte freilich zur Folge, daß Sybels Werk 93 Z. B. Heinrich von Sybel, Das neue Deutschland und Frankreich, in: Ders., Vortrge und Aufstze, Berlin 1874, S. 277 – 302, hier S. 297. 94 Heinrich von Sybel, Die Begrîndung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., 1 – 5, Vornehmlich nach den preußischen Staatsacten, 1 – 7, 1. (beziehungsweise 5.) Aufl. Mînchen/Leipzig 1889 – 1895, vgl. 1, S. XII. 95 So Elisabeth Fehrenbach, Die Reichsgrîndung in der deutschen Geschichtsschreibung, in: Theodor Schieder / Ernst Deuerlein (Hg.), Reichsgrîndung 1870/71. Tatsachen, Kontoversen, Interpretationen, Stuttgart 1970, S. 259 – 290, Zitat: S. 263. 96 Vorwort zur 1. Aufl. bei H. v. Sybel, Begrîndung … (s. Anm. 94), 1, S. XI (in der 4., rev. Aufl.); zur kleindeutschen Teleologie z. B. S. 22 f. (freilich in Distanz zu Positionen Droysens!). 97 Vgl. schon Conrad Varrentrapp, Biographische Einleitung, in: Heinrich von Sybel, Vortrge und Abhandlungen (= Historische Bibliothek, 3), Mînchen/Leipzig 1897, S. 1 – 156, hier S. 148 f.; und E. Marcks, Sybel … (s. Anm. 91), S. 271 – 273; wichtig R(udolf) Morsey, Geschichtsschreibung und amtliche Zensur, in: HZ 184 (1957), S. 555 – 572, hier S. 561, S. 567 – 572; und zentral nach neuen Quellen Werner Pçls, Bismarck und Sybels „Begrîndung des deutschen Reiches durch Wilhelm I.“, zuerst 1976, wieder in: Ders., Studien zur Bismarckzeit. Aufsatzsammlung zum 60. Geburtstag, hg. v. Gînther Grînthal / Klaus Erich Pollmann, Hildesheim/Zîrich/ New York 1986, S. 120 – 141, hier S. 121 f., S. 125 f., S. 129 ff. und passim, S. 136: „in einzelnen Passagen des Buches stammt der Text beinahe wçrtlich von Bismarck“; Wolfgang J. Mommsen, Objektivitt und Parteilichkeit im historiographischen Werk Sybels und Treitschkes, in: Reinhart Koselleck / Wolfgang J. Mommsen / Jçrn Rîsen (Hg.), Objektivitt und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft (= Beitrge zur Historik, 1), Mînchen 1977, S. 134 – 158, hier S. 145.

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bald nach 1900 als veraltet galt.98 Die europischen und die gesellschaftlichen Faktoren kamen beim spten Sybel entschieden zu kurz. Mit Sybels Tod 1895 und mit demjenigen Heinrich von Treitschkes im Folgejahr trat die borussische Schule der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung ab, letztere die „nationalliberale[n] Realisten kleindeutscher Observanz“.99 Wie Sybel hat auch Heinrich von Treitschke (1834 – 1896) das Rankesche Objektivittspostulat nicht nur verletzt, sondern rundweg abgelehnt. Aus heutiger Sicht mag Treitschke als typischer Vertreter der deutschen Historiographie der Reichsgrîndungszeit erscheinen, der „die gesamte deutsche Geschichte nach dem preußisch-protestantischen und çsterreichisch-katholischen Gegensatz“100 ordnete, mit entschiedener Parteinahme des gebîrtigen Sachsen fîr die preußische Option. Mit ganzen 28 Jahren hatte Treitschke im Jahre 1862 den Essay îber „Das deutsche Ordensland Preußen“ verfaßt, in dem er die Rolle Preußens fîr die deutsche Einheitsbewegung aus mittelalterlichen Wurzeln ableiten wollte.101 Das preußische Telos in seiner seit 1879 erscheinenden fînfbndigen „Deutschen Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“ ist oft beschrieben und schon von Zeitgenossen heftig kritisiert worden.102 Der Weg zur Reichsgrîndung war fîr Treitschke, der freilich den mittelstaatlichen Kulturpotentialen durchaus Gerechtigkeit zuteil werden ließ, grundstzlich identisch mit der Politik des preußischen Staates. Dies schloß Kritik, etwa an den Karlsbader Beschlîssen und an der Beteiligung Preußens daran, nicht aus, sondern ein. Gerade das hat dem spteren Staatshistoriographen allerhçchsten Ortes massive 98 Helmut Seier, Bismarck und die Anfnge des Kaiserreichs im Urteil der deutschen Historiographie vor 1914, in: Johannes Kunisch (Hg.), Bismarck und seine Zeit (= ForschBrandPrG NF, 1), Berlin 1992, S. 359 – 395, hier S. 370 f., S. 375 f., S. 391. 99 W. J. Mommsen, Objektivitt … (s. Anm. 97), S. 134, zum Folgenden S. 136, S. 148; vgl. gegen Mommsen Jens Nordalm, Der gegngelte Held. „Heroenkult“ im 19. Jahrhundert am Beispiel Thomas Carlyles und Heinrich von Treitschkes, in: HZ 276 (2003), S. 647 – 675, hier S. 675. 100 So R. Koselleck, Rezeption … (s. Anm. 80), S. 257. 101 Heinrich von Treitschke, Das deutsche Ordensland Preußen, zuerst 1962, in: Ders., Historische und politische Aufstze, 2, Leipzig 61903, S. 1 – 76, hier S. 74; Dieter Hertz-Eichenrode, Heinrich von Teitschke und das deutsch-polnische Verhltnis. Einige Bemerkungen, ausgehend vom Aufsatz „Das deutsche Ordensland Preußen“ (1862), in: JbMitteldtld 41 (1993), S. 45 – 89, bes. S. 46 f., S. 51; J. Hackmann, Ostpreußen … (s. Anm. 1), S. 105. 102 Vgl. z. B. Ulrich Langer, Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Dîsseldorf 1998, S. 358, S. 360; vgl. schon Gustav Schmoller, Gedchtnisrede auf Heinrich von Sybel und Heinrich von Treitschke (gehalten in der Leibnizsitzung der Akademie der Wissenschaften in Berlin am 2. Juli 1896), in: ForschBrandPrG 9 (1896), S. 357 – 394, hier S. 377 f., S. 383; E. Fehrenbach, Reichsgrîndung … (s. Anm. 95), S. 263; Walter Bussmann, Treitschke. Sein Weltund Geschichtsbild (= GçttBausteineGWiss, 3/4), Gçttingen/Zîrich 21981, S. 113 – 115, S. 234 f.

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Verstimmungen eingetragen, vor allem wegen der Kritik an den Hohenzollern der 1840er Jahre.103 Das, was in spterer Zeit bisweilen einsinnig als Preußenapologetik galt, wurde also im Preußen der wilhelminischen Zeit sehr viel differenzierter wahrgenommen. Auch darf nicht îbersehen werden, daß Treitschke ein umfangreiches archivalisches Material (erstmals) genutzt und verarbeitet hat. Treitschke, noch nicht preußischer Beamter, hat noch im Frîhjahr 1870 die Genehmigung durch Otto von Bismarck erhalten, die Akten des Geheimen Staatsarchivs zu benutzen.104 Die Wiener Akten, d. h. die çsterreichischen Gesandtenberichte der Zeit nach 1815, blieben Treitschke verschlossen, dessen antiçsterreichische „Gehssigkeit“ dort Anstoß erregte. Gleichwohl bleibt das bis zu den „Vorboten“ der Revolution von 1848 fîhrende Werk eine hochparteiische Forscherleistung, die durch die in es eingegangenen Quellenmassen seinen Wert fîr den kritischen Nutzer noch nicht verloren hat, wenn er auch etwa die Geschichte des Deutschen Bundes dezidiert und offen „nur vom preußischen Standpunkt aus betrachtet“105 hat. Die wissenschaftlichen Reaktionen auf diese, durchaus nicht mehr engpolitikhistorische, sondern durchaus auch kultur- und wirtschaftsgeschichtlich ausgreifenden und im Publikum weit verbreiteten Werke waren alles andere als einheitlich und positiv. Seine „Deutsche Geschichte“ trug Treitschke – nach den Feststellungen von Walter Bußmann – „viel Feindschaft ein“.106

103 Nach den Akten des Zivilkabinetts: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA, Rep. 89, Nr. 19814; vgl. zu den betreffenden Passagen U. Langer, Treitschke … (s. Anm. 102), S. 370 f. 104 Hans Goldschmidt, Treitschke, Bismarck und die „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“, in: PreussJbb 237 (1934), S. 226 – 249, hier S. 228, S. 237; W. J. Mommsen, Objektivitt … (s. Anm. 97), S. 146, S. 157 (abgewogen); vgl. H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 3, Leipzig 71913, S. V; „Vorboten“: 5, S. 702 – 742; vgl. damit Andreas Biefang, Der Streit um Treitschkes „Deutsche Geschichte“ 1882/85. Zur Spaltung des Nationalliberalismus und der Etablierung eines nationalkonservativen Geschichtsbildes, in: HZ 262 (1996), S. 391 – 422, hier S. 394 f.; Wien: Ludwig Bittner, Einleitung. Die geschichtliche Entwicklung des archivalischen Besitzstandes und der Einrichtung des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, in: Ders. (Hg.), Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs aufgebaut auf der Geschichte des Archivs und seiner Bestnde, 1, Wien 1936, S. 7*-202*, hier S. 186 f.*. 105 H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte … (s. Anm. 104), 3, 7. Aufl., S. VI. 106 W. Bussmann, Treitschke … (s. Anm. 102), S. 236; U. Langer, Treitschke … (s. Anm. 102), S. 301, S. 361 – 371; und treffend W. J. Mommsen, Objektivitt … (s. Anm. 97), S. 146; A. Biefang, Streit … (s. Anm. 104), S. 397 – 404, 409 f. (wenig positive Reaktionen): Beispiel Hermann Baumgarten, Treitschkes Deutsche Geschichte, Straßburg 31883, S. V, S. IX, Wiener Archive: S. 3 ff., propreußische Parteilichkeit: S. 6, S. 8.

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Mit dem Tod Sybels und Treitschkes zur Mitte der neunziger Jahre „verblaßte die Autoritt der kleindeutsch-borussischen Schule“,107 die gleichermaßen getragen war von Archivbasis und politischer Teleologie der Reichsgrîndungskmpfe. Freilich: Die Parteilichkeit war in den Jahrzehnten um 1870/71 nicht allein das Signum einer historiographischen Fraktion. Sehen wir hier von populren und bloß publizistischen Stereotypen ab, wie sie im katholischen Sîddeutschland wohl erst im spten Vormrz aufgekommen sind.108 Der Kampf gegen die „Kleindeutschen Geschichtsbaumeister“,109 wie er von dem großdeutschen Welfen Onno Klopp,110 seit 1866 von §sterreich, von Wien aus gefîhrt worden ist, war nicht weniger prsentistisch unterlegt als die Historiographie der kleindeutschen „Borussen“. Fîr Klopp verkçrperte das Habsburgerreich des 16. und 17. Jahrhunderts schlechterdings das politisch-historische Ideal, whrend er Preußen und zumal Friedrich d. Gr. in einen Gegensatz, auch einen stetigen Interessengegensatz zu Deutschland stellte. Hier wurde dem nationalteleologischen Zugang, der bei aller perspektivischen Verzerrung gewichtige Impulse fîr die Forschung – und damit ja letztlich fîr die Selbstîberwindung prsentistischer Prmissen – gesetzt hatte, eine nicht weniger aktualistische Negativteleologie entgegenstellt, die aber wissenschaftlich wesentlich weniger fruchtbar wurde. Der „Friderizianismus“ auch nach Friedrich II. sei, so Klopp, schlechterdings „Streben nach Eroberung“ ohne (moralische) Grenzen, 107 H. Seier, Bismarck … (s. Anm. 98), S. 365, auch S. 375: mit Sybels Reichsgrîndungswerk ging die „kleindeutsche Parteihistorie“ zuende. 108 Wichtige Beobachtungen bei Max Spindler, Die Regierungszeit Ludwigs I. (1825 – 1848), in: Bayerische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert 1800 – 1970, 1. Teilband (= Handbuch der bayerischen Geschichte, 4), Mînchen 1978, S. 89 – 223, hier S. 160, S. 195 f., S. 199 (u. a.: Gçrres); vgl. Walter Bussmann, Vom Hl. Rçmischen Reich deutscher Nation zur Grîndung des Deutschen Reiches, in: Ders. (Hg.), Europa von der Franzçsischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts (= Handbuch der europischen Geschichte, 5), Stuttgart 1981, S. 404 – 615, hier S. 591 (zum sîddeutschen Preußen-Stereotyp: Zentralismus und Militrherrschaft). 109 Onno Klopp, Kleindeutsche Geschichtsbaumeister, Freiburg im Breisgau 1863, schon im Vorwort S. III ff. zu Sybels politischen Unfreundlichkeiten. 110 Georg Schnath, Klopp, Onno, in: NDB, 12, Berlin 1980, S. 115 f., auch zur Konversion zum Katholizismus (1873); Lorenz Matzinger, Onno Klopp (1822 – 1903). Leben und Werk (= Abhandlungen und Vortrge zur Geschichte Ostfrieslands, 72), Aurich 1993, S. 37, folgendes: S. 85 – 88; zum Folgenden ferner Karl-Heinz Noack, Das Bild Friedrichs II. im bîrgerlich-junkerlichen Geschichtsdenken whrend des Kampfes um die Reichseinigung, in: Horst Bastel / Ernst Engelberg (Hg.), Die großpreußisch-militrische Reichsgrîndung 1871. Voraussetzungen und Folgen, 1 (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften des Zentralinstituts fîr Geschichte, Reihe I: Allgemeine und deutsche Geschichte, 36/A), Berlin 1971, S. 202 – 232, hier S. 225; Wiard v. Klopp, Onno Klopp. Leben und Wirken, hg. v. Franz Schnabel, Mînchen 1950, S. 88 ff.

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sei stete Aggression und Tuschung mit immer zerstçrerischer Tendenz.111 Preußens Mission konnte somit keine nationale sein; an Preußen sei vielmehr – 1814 – die „Herstellung des Kaiserthums“ gescheitert.112 Die Politik Friedrichs sei rechtsverachtend und „verrtherisch“113 gewesen; der „Fridericianismus“ wirkte im 19. Jahrhundert fort. „Der militrische Absolutismus“ aber mache nach wie vor „das Wesen des Staats der Hohenzollern“ aus. Anders als noch ein Halbjahrhundert zuvor differenzierten sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts polare Positionen und Interpretationen zur preußischen Geschichte heraus. Dies gilt fîr den mitteleuropischen Raum, aber es gilt auch fîr Westeuropa. Die kritisch-moralisierende Sicht Macaulays auf Friedrich II. und das alte Preußen îberhaupt114 war das whiggistische Pendant zur borussischen Parteihistorie in Deutschland. Macaulay stand – auf dem Material von Johann David Erdmann Preuß aufbauend – Thomas Carlyle gegenîber, der in England eine geradezu (gçttliche) Geschichts-Mission Friedrichs d. Gr. propagierte.115 Die negative Sicht der franzçsischen Historiographie auf das Preußen des 18. Jahrhunderts ist erst ein Reflex auf die Niederlage von 1871.116 111 Onno Klopp, Der Kçnig Friedrich II. von Preußen und seine Politik, Schaffhausen 2 1867, S. 541, S. 548, S. 551. 112 O. Klopp, Kçnig … (s. Anm. 111), S. 550. 113 O. Klopp, Geschichtsbaumeister … (s. Anm. 109), S. 58; das Folgende: Ders., Kçnig … (s. Anm. 111), S. 552. 114 Siehe jetzt Hans-Christof Kraus, Politische Historie – Macaulay und einige seiner deutschen Zeitgenossen, in: Ulrich Muhlack (Hg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 31 – 48, zur englischen Literatur S. 33 Anm. 5, hier S. 34 f. mit Hinweis auf die Abwehr Hussers, S. 42; Lord Macaulay, Essays, hg. v. Egon Friedell, darin S. 157 – 249, vgl. zur Zeit vor 1740 kritisch S. 162 f.; Thomas Babington Macaulay, Frederic the Great, zuerst 1842, wieder in: Ders., Critical and Historical Essays, 2, London/New York 1907, ND 1951, S. 119 – 186; vgl. dazu ferner Manfred Schlenke, Das absolutistische Preußen in der englischen Geschichtsschreibung von 1945 bis 1955. Ein Literaturbericht, in: AKG 39 (1957), S. 112 – 129, hier S. 127; S. Skalweit, Problem … (s. Anm. 60), S. 163 f.; zur Rîckverlagerung politischer Kriterien des 19. Jahrhunderts in die Geschichte am Beispiel Macaulays: Otto Krauske, Macaulay und Carlyle, in: HZ 102 (1908), S. 31 – 56, hier S. 38 f., S. 42 f., Preußen: S. 43. 115 Zu Preuß s. o. bei Anm. 56; zu Carlyle vgl. jîngst J. Nordalm, Held … (s. Anm. 99), S. 657; O. Krauske, Macaulay … (s. Anm. 114), S. 43 f., S. 53 (auch zur Differenz zu Ranke); R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 39, zur Quellenbasis; Thomas A. Fischer, Thomas Carlyle. Eine Geschichte seines Lebens. Mit Benutzung der neuesten Quellen sowie handschriftlicher und mîndlicher Mitteilungen, Leipzig 21903, S. 117; deutsche Ausgabe: Thomas Carlyle, Geschichte Friedrichs des Zweiten genannt der Große, hg. v. Georg Dittrich, 6 Bde., Meersburg 1928, das Nachwort: 6, S. 486 – 495. 116 S. Skalweit, Problem … (s. Anm. 60), S. 164 f. (de Broglie), positiv zu Lavisse: S. 165.

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Die politische Geschichte der nachreichsgrîndungszeitlichen Periode ging dann auf Distanz zur lauten Teleologie. Dies galt – auf einer niederen Ebene – auch fîr Versuche, nun aus dem Osten, etwa von der Universitt Kçnigsberg aus die „provinzielle Legende“ spezifisch altpreußischer Wurzeln in die Gesamtstaatsgeschichte zu implementieren. Diesen Vorwurf hat Otto Hintze dem Kçnigsberger Ordinarius Hans Prutz gemacht, der seit dem Jahre 1900 eine „Preußische Geschichte“ in vier Bnden erscheinen ließ.117 Dagegen hat gleich bei Erscheinen der Berliner Gelehrte Einspruch erhoben und eine – schon um 1900 als veraltet wahrgenommene – Dominanz der Politikgeschichte konstatiert, die modernere Forschungsrichtungen ignoriere. Hintzes Einsprîche haben freilich nicht verhindern kçnnen, daß die teleologische Interpretation einer durchgehenden Traditionslinie vom Ordensstaat bis zur klassischen preußischen Staatsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts in der (polnischen und z. T. der) deutschen Historiographie bisweilen wiederkehrte, wie z. B. bei Walther Hubatsch nach 1945.118 Um 1900 wuchs also auch unter denjenigen Historikern, die politische Prozesse in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellten, die Distanz zu Erklrungsanstzen der kleindeutsch-borussischen Parteihistoriographie. Dies fîhrte zunchst zu einer partiellen Verstrkung rankischer Traditionen. Ob freilich der Terminus einer „Rankerenaissance“ fîr diese Strçmung in der (deutschen) Historiographie um 1900 zutreffend ist und wer dazu gezhlt werden kann, ist in der neuesten Forschung umstritten.119 Gerade der Bismarck-Biograph und 117 Hans Prutz, Preußische Geschichte, 4 Bde., Stuttgart 1900 – 1902, mit dem bemerkenswerten ˜berblick zu den „Hauptrichtungen der preußischen Geschichte“ (1, S. 1 – 22) und – ganz modern! – den „Legenden in der preußischen Geschichte“ (S. 23 – 37); dazu die Rez. von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 13 (1900), S. 276 – 280, bes. S. 277 und S. 279 f.; zu 3: ForschBrandPrG 14 (1901), S. 322 – 325; vgl. auch Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 27 (1914), S. 617; zu Prutz vgl. z. B. noch J. Hackmann, Ostpreußen und Westpreußen … (s. Anm. 1), S. 121. 118 Klassisch: Walther Hubatsch, Kreuzritterstaat und Hohenzollernmonarchie. Zur Frage der Fortdauer des deutschen Ordens in Preußen, in: (Werner Conze [Hg.]), Deutschland und Europa. Historische Studien zur Vçlker- und Staatenordnung des Abendlandes. (Festschrift fîr Hans Rothfels), Dîsseldorf (1951), S. 179 – 199, hier S. 186 – 188, S. 199 (1701: Anknîpfung an den Ordensstaat) – statt anderer Publikationen Hubatschs zu dieser (sehr zweifelhaften) These; vgl. dazu H. Boockmann, Ostpreußen … (s. Anm. 8), S. 60; gegen Hubatsch (und Schieder): Gerhard Oestreich, Fundamente preußischer Geistesgeschichte, zuerst 1970, wieder in: Ders., Strukturprobleme der frîhen Neuzeit. Ausgewhlte Aufstze, hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 275 – 297, hier S. 281 f. 119 Jens Nordalm, Historismus und moderne Welt. Erich Marcks (1861 – 1938) in der deutschen Geschichtswissenschaft (= Historische Forschungen, 76), Berlin 2003, S. 124 – 131 (auch zur Kritik an der Begriffsprgung Srbiks); vgl. (schon vorher umstritten) Hans-Heinz Krill, Die Rankerenaissance. Max Lenz und Erich Marcks. Ein Beitrag zum historisch-politischen Denken in Deutschland 1880 – 1935 (= Verçff-

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Verfasser einer noch heute nicht ersetzten Biographie Wilhelms I., Erich Marcks (1861 – 1938)120 hat freilich auch modernere wissenschaftliche Strçmungen rezipiert, lßt sich also auf die Tradition Rankes allein nicht reduzieren. Zudem haben die sogenannten Neorankianer, etwa der frîhe Bismarck-Biograph Max Lenz (1850 – 1932), sich doch strker an der Nation orientiert als Leopold von Ranke aus seiner vormrzlichen Fundamentierung.121 Wenn Erich Marcks von „Wilhelm I.“, nicht von „Wilhelm dem Großen“ sprach, lag schon darin eine vorsichtige Distanzierung von der amtlichen Stilisierung dieses altpreußischen Monarchen durch seinen reichsdeutschen Enkel. Das alles verweist auf wissenschaftliche Autonomien und Differenzierungen, die erst die innovativen Entwicklungen erklren und erkennen lassen und die quer liegen zu beliebten Pauschalisierungen îber ltere historiographische Epochen. Eine zentrale Bedingung fîr die Entwicklung des Forschungsgebietes der preußischen Historie bestand natîrlich im Zugang zu den (staatlichen) Archiven. In den 1830er Jahren hatte es ja zu den spezifischen Arbeitsbedingungen etwa von Johann David Erdmann Preuß oder denjenigen seines Freundes Rçdenbeck gehçrt, aus ihren privaten Sammlungen zu schçpfen,122 in einer Zeit, in der wichtiges archivalisches beziehungsweise autographisches Material in den Handel gelangt und privat zu erwerben war. Noch lange galten auch fîr wissenschaftliche Benutzer der staatlichen Archive starke Restriktionen und Unkalkulierbarkeiten.123 Selbst der 1842 auf Empfehlung Rankes zum

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HistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 3), Berlin 1962, bes. S. 82 ff.; vgl. noch F. Jaeger / J. Rîsen, Historismus … (s. Anm. 74), S. 92 ff.; vgl. zuletzt Ulrich Muhlack, „Rankerenaissance“ und „historiographische Modernitt“. Die Wiederentdeckung des Historikers Erich Marcks, in: HZ 279 (2004), S. 677 – 688, hier bes. S. 678 f., zu Nordalms Kritik an dem Begriff: S. 680 f. Vgl. von ihm exemplarisch: Kaiser Wilhelm I., hg. v. Karl Pagel, Berlin 1943, darin S. 373 – 388: „Zur Geschichte des Werkes“; E. Fehrenbach, Reichsgrîndung … (s. Anm. 95), S. 271 f. (zu Erich Marcks und Max Lenz); Arnold Oskar Meyer, Erich Marcks, in: ForschBrandPrG 51 (1939), S. 168 – 172, hier S. 169 (Ranke als Vorbild), S. 172 f. (nicht „Wilhelm der Große“!), zum Bismarck-Fragment: S. 174 f.; und Karl Sthlin, Erich Marcks zum Gedchtnis, in: HZ 160 (1939), S. 496 – 533, hier S. 505. Vgl. U. Muhlack, Rankerenaissance … (s. Anm. 119), S. 682, S. 685 f.; gegen Krill: J. Nordalm, Historismus … (s. Anm. 119), S. 9, S. 127 – 130, S. 178, S. 181 f., auch gegen die Parallelisierung von Erich Marcks und Max Lenz; dazu ferner Christoph Cornelissen, Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert (= Schriften des Bundesarchivs, 58), Dîsseldorf 2001, S. 49 f.; zu Max Lenz schließlich noch Rîdiger vom Bruch, Max Lenz, in: NDB, 14, Berlin 1985, S. 231 f.; E. Fehrenbach, Reichsgrîndung … (s. Anm. 95), S. 269 f., und H. Seier, Bismarck … (s. Anm. 98), S. 378 – 382. R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 6. Alles Nhere bei (Louis) Gollmert, Die Preußischen Archive …, in: Archiv fîr Landeskunde der Preußischen Monarchie 4 (1856), S. 113 – 163, hier S. 124 f.; Johanna Weiser, Geschichte der preußischen Archivverwaltung und ihrer Leiter. Von den Anfngen unter Staatskanzler von Hardenberg bis zur Auflçsung im Jahre 1945 (= Ver-

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Direktor der Kçniglichen Bibliothek ernannte Georg Heinrich Pertz hat zunchst einige Schwierigkeiten zu îberwinden gehabt, um fîr seine kompilatorischen Werke îber den Freiherrn vom Stein und îber Gneisenau derartige Probleme zu îberwinden. Er mußte zusagen, aus den ihm seit 1848 zugnglichen Archivbestnden „nichts Unpassendes“ zu publizieren.124 Erst in der frîhen Bismarck-Zeit125 begann die Blîte des Geheimen Staatsarchivs und der Staatsarchive im preußischen Staate insgesamt als wissenschaftliche Institutionen und unter Historikern als Direktoren. Von 1867 bis 1874 war es der nationalliberale Historiker Max Duncker (1811 – 1886),126 unter dem das Geheime Staatsarchiv nach Umzug in das „Lagerhaus“ in der Berliner Klosterstraße und durch die Vereinigung mit den wichtigsten Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts die Voraussetzungen schuf,127 die schließlich unter Dunckers Nachfolger, nmlich Heinrich von Sybel, das Archiv zu einer wissenschafts-

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çffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, 7), Kçln/Weimar/Wien 2000, S. 25 – 28, S. 41, auch zu den prominenten Benutzern der Mitte des 19. Jahrhunderts; Paul Kehr, Ein Jahrhundert preußischer Archivverwaltung …, in: Archivalische Zeitschrift 3. Folge, 2, 35 (1925), S. 3 – 21, hier S. 8 f. Aus der Literatur besonders Hans-Christof Kraus, Quelleneditor und Monumentalbiograph. Georg Heinrich Pertz und seine Forschungen zur preußischen Zeitgeschichte, in: Jîrgen Kloosterhuis (Hg.), Archivarbeit fîr Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlaß der 400. Wiederkehr der Begrîndung seiner archivischen Tradition (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsbericht, 2), Berlin 2000, S. 319 – 347, hier S. 323 – 338 (Stein); H. Fiechtner, §ffnung … (s. Anm. 31), S. 21 (Zitat). Zum Ergreifen Bismarcks vgl. Gerhard Zimmermann, Hardenbergs Versuch einer Reform der preußischen Archivverwaltung und deren weitere Entwicklung bis 1933, in: Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 1966, Kçln/Berlin 1967, S. 69 – 87, hier S. 81. Max Duncker hat neben seinen althistorischen Hauptwerken auch materialreiche Einzelstudien zur preußischen Geschichte vorgelegt, vgl. seine Sammlungen: Aus der Zeit Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms III. Abhandlungen zur preußischen Geschichte, Leipzig 1876; und Ders., Abhandlungen aus der Neueren Geschichte, Leipzig 1887 (unpag.: Vorwort Heinrich von Treitschkes); zu Duncker als Staatshistoriograph Nheres bei W. Neugebauer, Die preußischen Staatshistoriographen … (s. Anm. 32), S. 50 f. Zur Duncker-Zeit fîr das Geheime Staatsarchiv: Jîrgen Kloosterhuis, Edition – Integration – Legitimation. Politische Implikationen der archivischen Entwicklung in Preußen, 1803 bis 1924, in: W. Neugebauer (Hg.), Das Thema „Preußen“ … (s. Anm. 32), S. 83 – 113, hier S. 95 – 98, auch zur Beziehung Dunckers zum Kronprinzen; J. Weiser, Geschichte … (s. Anm. 123), S. 46, u. a. zu dem Engagement Dunckers fîr Editionen; die Benutzungsbedingungen unter Duncker nur „geringfîgig verbessert“, weiter S. 48, S. 52 – 54; vgl. damit P. Kehr, Jahrhundert … (s. Anm. 123), S. 13, und R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 16; starke Betonung der archivischen Ttigkeit Dunckers bei R. Haym, Duncker … (s. Anm. 87), S. 423 f., der Sybels Ttigkeit in die Kontinuitt der Amtszeit Dunckers rîcken will.

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strategischen Zentralstelle machten. Der Direktor des Geheimen Staatsarchivs war zugleich den anderen Staatsarchiven in den Provinzen îbergeordnet, und er fungierte als Archivreferent des Staatsministeriums. Ganz im Sinne Bismarcks hat Sybel die wissenschaftliche Archivbenutzung erleichtert und Restriktionen abgebaut, freilich einen Onno Klopp nicht zugelassen. – Vor allen Dingen aber wurde das Archiv selbst zu einem Ort wissenschaftlicher Produktion und Publikation beziehungsweise zu einem Zentrum organisierter und koordinierter Quelleneditionen.128 Sybel hat ja auch den jungen Friedrich Meinecke (1862 – 1954) dazu angeregt, die große Biographie îber den Kriegsminister Hermann von Boyen zu schreiben. Unter Sybel sind bedeutende Historiker wie Meinecke, Max Lehmann oder Reinhold Koser aus dem Archivdienst hervorgegangen.129 – In dieser Zeit ist unter der øgide Sybels mit der Editionsserie der „Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven“ (seit 1878) begonnen worden, wichtiges Material aus staatlichen Bestnden zu publizieren.130 Bis zum Ende der Monarchie sind in dieser Serie neunzig Bnde erschienen. Hermann Heimpel hat in diesem Zusammenhang von der „Großform deutscher Archivausschçpfung“ gesprochen. Als Beispiel sei auf die schließlich auf sieben Bnde angewachsene Edition der Geheimen Rats-Protokolle verwiesen, die Otto Meinardus bis 1919 vorlegte. Duncker hat noch als Archivdirektor zusammen mit Droysen große politikgeschichtliche Editionen ange128 J. Kloosterhuis, Edition … (s. Anm. 127), S. 99 f.; J. Weiser, Geschichte … (s. Anm. 123), S. 47, S. 65 f., zum Folgenden S. 69; Eckart Henning, 50 Jahre Geheimes Staatsarchiv in Berlin/Dahlem – 100 Jahre seit seiner Vereinigung mit dem Ministerialarchiv, in: JbBrandenbLdG 25 (1974), S. 154 – 174, hier S. 158; Bismarck: Abschrift des Immediatberichts vom 28. Okt. 1875, GStAPK, I. HA, Rep. 89, Nr. 19891. 129 Nheres bei Stefan Meineke, Friedrich Meinecke. Persçnlichkeit und politisches Denken bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (= VerçffHistKommBerlin, 90), Berlin/ New York 1995, hier S. 91 – 93, S. 101; Hans-Christof Kraus, Preußen als Lebensthema Friedrich Meineckes – Geschichtsschreibung und politische Reflexion, in: W. Neugebauer (Hg.), Das Thema Preußen … (s. Anm. 32), S. 269 – 304, hier S. 281 f.; P. Kehr, Ein Jahrhundert … (s. Anm. 123), S. 16. 130 Vgl. Reinhold Koser, ˜ber den gegenwrtigen Stand der archivalischen Forschung in Preußen (= Mittheilungen der K. Preußischen Archivverwaltung, 1), Leipzig 1900, S. 7, zu den Publikationen der Akademie: S. 13 f.; zuerst: Max Lehmann (Hg.), Preußen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchives (= PubllPreussStaatsarch, 1), Leipzig 1878, darin der „Prospect“ Sybels S. V-X; zum Streit um Lehmanns Edition z. B. Hermann Heimpel, ˜ber Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland, zuerst 1959, wieder in: Beitrge zur Organisation der historischen Forschung in Deutschland aus Anlaß des 25jhrigen Bestehens der Historischen Kommission zu Berlin am 3. Februar 1984, Berlin/New York 1984, S. 47 – 136, hier S. 73, zur Archivpublikation îberhaupt S. 70 – 73, Zitat: S. 70. Unter Sybel sind 60 Bnde erschienen. Meinardus: Nachweis bei W. Becker (Bearb.), Krieg … (s. Anm. 87), S. 34; K. Wutke, Otto Meinardus. Ein Lebensbild …, in: ZVGSchles 53 (1919), S. 1 – 28, hier S. 11.

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regt, die dann freilich nicht unter der Firma des Archivs, sondern als Editionen der Akademie der Wissenschaften erschienen. Die politische Korrespondenz Friedrichs d. Gr. und die auf drei Bnde angewachsene Staatsschriftenedition sind so entstanden.131 Im Ausland wurde sehr wohl bemerkt, daß im Zuge der Erschließung und der Edition der Quellen es die preußische Geschichtswissenschaft selbst gewesen ist, die die Legende von der universalen Grçße Friedrichs II. korrigierte und sich z. B. den Ergebnissen der çsterreichischen Historiker annherte.132 War mit der Werkausgabe Friedrichs des Großen, die Johann David Erdmann Preuß veranstaltet hatte, ja das „letzte vorwissenschaftliche Stadium der preußischen Historie“133 markiert, so leiteten die seit den 1870er Jahren erscheinenden Akademie- und Archiveditionen ein neues wissenschaftliches Stadium der preußischen Historie ein.

§ 3 Staats-Strukturgeschichte und historische Staatswissenschaft I. Strukturgeschichtliche Anfnge der preußischen Historiographie Auch Vertreter einer politikgeschichtlichen Preußenhistoriographie, wie sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts dominierte, haben sich der Einsicht nicht verschlossen, daß die Erforschung der politischen Geschichte, der Staatenkonflikte und Ereignisverlufe, ein vollstndiges Bild doch nicht bieten kçnne.134 Aber es wre doch eine Verzeichnung der wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung des Preußenthemas, wenn der gepflegten Legende gefolgt wîrde, nach der erst im ausgehenden 19. Jahrhundert, in den Jahren der einsetzenden Staatsintervention auf dem Gebiet der Sozialpolitik, auch die Strukturen in der preußischen Geschichte als Arbeitsgebiet entdeckt worden wren. August Meitzen (1822 – 131 Vgl. mit weiteren Hinweisen Wolfgang Neugebauer, Zum schwierigen Verhltnis von Geschichts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften am Beispiel der Acta Borussica, in: Jîrgen Kocka (Hg.), Die Kçniglich Preußische Akademie der Wissenschaften im Kaiserreich (= Interdisziplinre Arbeitsgruppen, Forschungsberichte, 7), (Berlin 1999), S. 235 – 275, hier S. 238 f.; vgl. Klaus Mîller (Bearb.), Absolutismus und Zeitalter der Franzçsischen Revolution (1715 – 1815) (= Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart, 3), Darmstadt 1982, S. 36, S. 100 f. 132 Vgl. mit Verweis auf die PC Alfred Ritter von Arneth, Aus meinem Leben, 2, Stuttgart 1893, S. 284; undifferenziert und deshalb irrefîhrend Karl-Heinz Noack, Der soziale Aspekt der Hohenzollernlegende bei Gustav Schmoller, in: Horst Barthel u. a. (Hg.), Evolution und Revolution in der Weltgeschichte. Ernst Engelberg zum 65. Geburtstag, 1, Berlin 1976, S. 327 – 343, hier S. 341. 133 Vgl. oben bei Anm. 56; das Zitat (zu J. D. E. Preuß): S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 111. 134 U. Haltern, Geschichte und Bîrgertum … (s. Anm. 82), S. 73 (zu Droysen 1853).

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1910), Verwaltungsmann und Gelehrter,135 hat sich seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit den agrarischen Strukturen in Preußen beschftigt; 1863 legte er seine Edition Schlesischer Dorfurkunden vor. Die Erforschung von Flurkarten als Quelle fîr die Entwicklung von Siedlungsstrukturen seit dem hohen Mittelalter nahm sptere kulturgeschichtliche Methoden vorweg. Georg Friedrich Knapp (1842 – 1926) hat sich dann, auch in Auseinandersetzung mit den Forschungen Meitzens, seit 1874 als Professor fîr Nationalçkonomie und Statistik mit der Agrarsozialgeschichte Preußens und seiner Landschaften im 18. und 19. Jahrhundert befaßt und zahlreiche (Schîler-)Arbeiten dazu angeregt.136 In Vorlesungen hatte er sich schon in den frîhen 1870er Jahren mit den „Arbeiterbewegungen befaßt“; nun forschte er selbst îber die lndliche „Arbeiterfrage“ und deren historische Ursachen. „Die Geschichte der Bauernbefreiung ist die Geschichte der sozialen Frage des 18. Jahrhunderts“,137 so hat Knapp sein Werk eingeleitet, das auch fîr eine sptere Forschung, die seiner zentralen These nicht mehr folgen kann, wichtig blieb und wichtig bleibt. Die frîhen strukturgeschichtlichen Forschungen zur preußischen Geschichte, wie sie in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts in thematischer Breite entgegentreten, waren also durchaus nicht auf die Staats- und Rechtsgeschichte beschrnkt und sie wurden nicht primr von Historikern im engeren 135 Zu den biographischen Einzelheiten vgl. Hartmut Harnisch, August Meitzen und seine Bedeutung fîr die Agrar- und Siedlungsgeschichte, in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte 1975, 1, S. 17 – 119, hier S. 99 – 102 auch zum amtlich angeregten „Bodenwerk“ und zur Begrîndung der „Siedlungsforschung“; vgl. noch Georg Friedrich Knapp, Siedlung und Agrarwesen nach A. Meitzen, in Ders., Grundherrschaft und Rittergut. Vortrge nebst biographischen Beilagen, Leipzig 1897, S. 101 – 120, hier S. 103; vgl. noch das unpag. Vorwort bei August Meitzen, Der Boden und die landwirthschaftlichen Verhltnisse des preußischen Staates nach dem Gebietsumfange von 1866, 1, Berlin 1868, zur Geschichte der landwirtschaftlichen Statistik: S. 1 – 16. 136 Vgl. Hartmut Harnisch, Georg Friedrich Knapp. Agrargeschichtsforschung und sozialpolitisches Engagement im Deutschen Kaiserreich, in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte, 1993, 1, S. 95 – 132, zur Biographie: S. 97 – 102, auch zur Freundschaft mit Gustav Schmoller; Archivforschungen und Unterstîtzung durch Sybel: Georg Friedrich Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den lteren Theilen Preußens, 2. Aufl. mit einem Vorwort von Carl Johannes Fuchs, Mînchen/ Leipzig 1927, S. XIV; vgl. noch Heinrich Kaak, Die Gutsherrschaft. Theoriegeschichtliche Untersuchungen zum Agrarwesen im ostelbischen Raum (= VerçffHistKommBerlin, 79), Berlin/New York 1991, S. 64 – 80, Knapp und der Verein fîr Sozialpolitik: S. 83 – 85. 137 G. F. Knapp, Bauernbefreiung … (s. Anm. 136), 1, S. XIII; zur Kritik an Knapps Thesen außer H. Harnisch, Knapp … (s. Anm. 136), S. 118 ff., bes. S. 123; („lndliche Arbeiterklasse“ durch die Reformen des frîhen 19. Jahrhunderts); Dietrich Saalfeld, Zur Frage des buerlichen Landverlustes im Zusammenhang mit den preußischen Agrarreformen, in: ZAgrargAgrarsoziol 11 (1963), S. 163 – 171, bes. S. 163, S. 170 f. („Die Ansicht Knapps …, daß die Kleinstellenbesitzer zu besitzlosen Landarbeitern geworden sind, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten“.)

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Sinne inauguriert. Der Berliner Schulmann Siegfried Isaacsohn (1845 – 1882) hatte zwar in den spten 1860er Jahren bei Ranke, Droysen und Mommsen studiert, blieb aber trotz seines Hauptwerkes, der „Geschichte des preußischen Beamtenthums“ (3 Bde., 1874 – 1884) stets Gymnasiallehrer im sozial wenig exklusiven Berliner Osten und ausgesprochener Außenseiter in der historischen Zunft.138 Dies gilt auch, wenn auch in abgeschwchtem Maße, fîr diejenigen, aus der Rechtsgeschichte kommenden Autoren, die sich mit der brandenburgpreußischen Rechtsverfassung in mehrbndigen, noch heute benutzten Kompendien beschftigt haben, wie Ernst von Meier (1837 – 1911), Adolf Stçlzel (1831 – 1919) oder Conrad Bornhak (1861 – 1944).139 Um 1886/1890 lag jedenfalls schon ein stattliches Forschungspotential zu politischen und (agrar)sozialen Strukturen Preußens in seiner Geschichte vor, eine kritische Masse, die dann nach Droysen und Ranke einen Paradigmenwechsel in der Beschftigung mit der Geschichte dieses Staates eingeleitet hat.

138 Zu ihm vor allem Daniel S. Nadav, Siegfried Isaacsohn – Historiker des preußischen Beamtentums, in: JbGMitteldtld 37 (1988), S. 59 – 92 (mit Schriftenverzeichnis), hier bes. S. 63 f., S. 67, S. 66: Abkehr von der Dynastie- und Kriegsgeschichte; zu Isaacsohns Band zu den brandenburgischen Stnden im Rahmen der UA: S. 77 f. (mit Ungenauigkeiten); in S(iegfried) Isaacsohn, Geschichte des Preußischen Beamtenthums vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart, 3, Berlin 1884 (ND Aalen 1962), ein biographisches Vorwort des mit ihm befreundeten Harry Bresslau, S. V-VII; Archivzugang: 1, S. VI und 2, S. VII; zu diesem Werk vgl. Hans Rosenberg, Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studien zur neueren deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 31), Gçttingen 1978, S. 266. 139 Zum Ganzen s. Wolfgang Neugebauer, Die Anfnge strukturgeschichtlicher Erforschung der preußischen Historie, in: Ders. / Ralf Prçve (Hg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700 – 1918 (= Innovationen, 7), Berlin 1998, S. 383 – 429, hier S. 417 – 427; W. Neugebauer, Staatshistoriographen … (s. Anm. 32), S. 54 f.; jeweils mit weiterer Literatur zu den Genannten; zu Conrad Bornhak jîngst noch Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900 – 1970 (= Ordnungssysteme, 7), Mînchen 2005, S. 230; zu Bornhaks Werk „Preußische Staats- und Rechtsgeschichte“ (Berlin 1903) die Rezension von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 18 (1905), S. 288 – 306, bes. die Kritik S. 288 f. zur „Geschichte des preußischen Verwaltungsrechts“; schließlich noch zum Historiographen des Kammergerichts, Holtze, Paul Torge, Friedrich Holtze zum Gedchtnis, in: MittVGBerlin 46 (1929), S. 149 – 151, zu seinen Werken S. 150.

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II. Der Schmoller-Komplex Wird die Entwicklung der preußischen Historiographie mit derjenigen Bayerns140 oder §sterreichs verglichen, so wird offenbar, daß die preußischen Forschungen im spteren 19. Jahrhundert durch einen spezifischen Innovationsimpuls geprgt worden sind, der freilich nicht eigentlich aus der professionellen Geschichtswissenschaft im engeren Sinne gekommen ist. Es war Gustav Schmoller, der in der Mitte der achtziger Jahre darauf hinwies, daß der Editionsstand „gerade fîr die Zeit von 1600 – 1800 am wenigsten ausreichend“ wre,141 also frîhe Versuche zu Gesamtdarstellungen der preußischen Verwaltungsgeschichte schon deshalb problematisch seien, weil die erforderlichen Grundlagen noch nicht existierten. Mit der §ffnung der Archive fîr die historischen Wissenschaften und deren professionelle Bearbeitung wurden, nach der Epoche Rankes und Droysens, neue Einsichten in die staatsbildenden Prozesse vor allem in der Neuzeit am preußischen Beispiel mçglich. Gustav (von) Schmoller (1838 – 1917) gilt als Vertreter der jîngeren historischen Schule der Nationalçkonomie und als prominentes Beispiel des Historismus142 außerhalb der eigentlichen Geschichtswissenschaft. Der gebîrtige Schwabe, der mit Eleganz und Intriganz eine Gelehrtenkarriere an den Universitten Halle an der Saale, Straßburg im Elsaß und endlich (seit 1882) in

140 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Forschung und Synthese. Das Handbuch der bayerischen Geschichte im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, in: ZBayerLdG 70 (2007), S. 11 – 32, hier S. 12 f. 141 Die Rezension Schmollers zu Conrad Bornhaks Werk zum preußischen Verwaltungsrecht, in: Jahrbuch fîr Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 10 (1886), S. 570 – 576, wieder in: Ders., Kleine Schriften zur Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, hg. v. Wolfram Fiedler / Rolf Karl, 4 (= Opuscula oeconomica, 1), Leipzig 1886, S. 181 – 187, Zitat: S. 183. 142 Karl-Heinrich Kaufhold, Gustav von Schmoller (1838 – 1917) als Historiker, Wirtschafts- und Sozialpolitiker und Nationalçkonom, in: VjschrSozialWirtschG 75 (1988), S. 217 – 252, hier S. 237, mit hier nicht zu referierenden Einzelheiten, Theoriebezug: S. 238 f., und Werner Plumpe, Gustav Schmoller und der Institutionalismus. Zur Bedeutung der historischen Schule der Nationalçkonomie fîr die moderne Wirtschaftsgeschichtsschreibung, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 25 – 275, hier S. 262 – 265; Rîdiger vom Bruch, Nationalçkonomie zwischen Wissenschaft und çffentlicher Meinung im Spiegel Gustav Schmollers, in: Pierangelo Schiera / Friedrich Tenbruck (Hg.), Gustav Schmoller in seiner Zeit: die Entstehung der Sozialwissenschaften in Deutschland und Italien (= Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, 5), Bologna/Berlin 1989, S. 153 – 180, hier S. 165 f.; Schmoller und die Staatswissenschaften: David F. Lindenfeld, The Practical Imagination. The German Sciences of State in the Nineteenth Century, Chicago/London 1997, S. 233 – 242.

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Berlin betrieb,143 hatte schon seit den sechziger Jahren intensive Archivforschungen am preußischen Beispiel aufgenommen, und zwar als empirische Basis fîr eine sptere nationalçkonomische Systembildung. Insofern wurde Preußen zum Paradigma fîr im Ansatz staatswissenschaftliche und insbesondere nationalçkonomische Forschungen, die im Erkenntnisziel îber das preußische Themenfeld weit hinauswiesen.144 Sein sozialpolitisches Engagement im von ihm mitbegrîndeten „Verein fîr Sozialpolitik“ hatten ihm frîh den Ruf eines „Kathedersozialisten“ eingebracht. Allerdings, so ist mit guten Grînden gefordert worden, sollte „Schmollers wissenschaftliches Programm […] strker, als es in der Literatur vielfach geschieht, von seinem sozialpolitischen Wirkungswillen, also von seiner Etikettierung als ,Kathedersozialist‘ abgegrenzt werden.“145 In der sozialteleologischen These von der jahrhundertealten sozialen Mission der Hohenzollern, bei der Dynastie und Beamtenapparat als neutrale Instanzen den Klassenegoismus zurîckgedrngt htten,146 ging seine wissenschaftliche Ttigkeit nicht auf. In seinen frîhesten Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung und des „Beamtenstands“ unter Friedrich Wilhelm I. hat sich Schmoller mit Droysen auseinandergesetzt und die Notwendigkeit, die politikgeschichtliche Forschung derart zu ergnzen, propagiert. Um 1870 hat der damals in Halle ttige Staatswissenschaftler vor allem die Struktur des preußischen Beamtentums in – fîr die damalige Zeit – bemerkenswerter Weise beleuchtet; er hat dabei etwa das Verhltnis des Adels zum bîrgerlichen Element zum Thema gemacht, auch „Nepotismus“ und – wie man es heute nennen wîrde – Klientelstrukturen im preußischen Staat des 18. Jahrhunderts aufgezeigt,147 ferner die Phnomene des 143 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Die „Schmoller-Connection“. Acta Borussica, wissenschaftlicher Großbetrieb im Kaiserreich und das Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers, in: J. Kloosterhuis (Hg.), Archivarbeit … (s. Anm. 124), S. 261 – 301, hier S. 264 – 270, S. 276 f. zum Aufstieg Schmollers (mit weiterer Literatur). 144 Z. B. Rîdiger vom Bruch, Gustav Schmoller, in: Notker Hammerstein (Hg.), Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Stuttgart 1988, S. 219 – 238, hier S. 231; zum Folgenden (Verein fîr Sozialpolitik) jetzt Erik Grimmer-Solem, The Rise of Historical Economics and Social Reform in Germany 1864 – 1894, Oxford 2003, S. 171 – 207; Carl Brinkmann, Gustav Schmoller und die Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 1937, S. 86 – 101. 145 So R. vom Bruch, Nationalçkonomie … (s. Anm. 142), S. 155. 146 Mit Nachweis der einschlgigen Schmoller-Texte: W. Neugebauer, Schmoller-Connection … (s. Anm. 143), S. 270 f. 147 Zuerst: Gustav Schmoller, Die innere Verwaltung des preußischen Staates unter Friedrich Wilhelm I., in: PreußJbb 25 (1869), S. 575 – 591, 26 (1870), S. 1 – 16, hier bes. S. 577 f. (Ranke und Droysen fîr die „Verwaltungszustnde“ unzureichend), S. 583: Stnde als „Klique privilegirter Personen“, S. 4: Zurîckdrngung der Adelsmacht; sodann Ders., Der preußische Beamtenstand unter Friedrich Wilhelm I., in: PreußJbb 26 (1870), S. 148 – 177, S. 253 – 270, S. 538 – 555, S. 149, S. 162, S. 169 zur neuerschlossenen Aktenbasis; Adel und Bîrgertum: etwa S. 155 f., S. 162 ff.

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„Stellenkaufs“. Daß Beamtentum und Offizierskorps unter diesem Monarchen schon „zu einer Art herrschender Klasse“ geworden waren,148 die im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts degenerierte Erscheinungen aufwies, das waren zu dieser Zeit gewiß beachtenswerte Befunde. In den Quellenforschungen der 1860er Jahre und 1870er Jahre, die zunchst in oft monographienstarken Aufstzen ihren Niederschlag fanden,149 liegt sein eigentliches darstellendes Oeuvre zur preußischen Geschichte begrîndet. Seine lange verfolgte Absicht blieb unausgefîhrt, eine Monographie îber Friedrich Wilhelm I. zu schreiben, fîr dessen Erkenntnis und Verstndnis Schmoller freilich die Bahn gebrochen hat. Die Interessen an der (europischen) Komparatistik, etwa auf dem Felde des von ihm zum großen Thema gemachten „Merkantilismus“, ließen ihn nun eine andere Lçsung fîr die preußischen Forschungsaufgaben suchen. Mit seiner Berufung an die Friedrich-Wilhelms-Universitt zu Berlin im Jahre 1882 intensivierten sich nicht zufllig Schmollers preußische Studien, auch solche zur Handels-, Verkehrs- und Wirtschaftpolitik der frîhen Neuzeit.150 Diese Forschungen und in langjhriger Arbeit angelegten Quellensammlungen boten den Grundstock fîr die Edition der „Acta Borussica“, die, seit 1892 erscheinend, fîr eine moderne Staats-, Struktur- und Wirt148 G. Schmoller, Beamtenstand … (s. Anm. 147), S. 551, folgendes: S. 553. 149 Wichtige Teilsammlungen: Gustav Schmoller, Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, ND Hildesheim/New York 1974, mit dem wichtigen programmatischen Vorwort S. V-X; Ders., Deutsches Stadtwesen in lterer Zeit, Bonn 1922, ND Aalen 1964, S. 231 – 428; und jetzt G. Schmoller, Kleine Schriften … (s. Anm. 141), hier 1, Leipzig 1985, mit den Studien zur preußischen (Verwaltungs- und) Wirtschaftsgeschichte 1680 – 1786, die wegen ihrer Materialfîlle und Aktenbasis von Bedeutung bleiben; vgl. zusammenfassend: Fritz Hartung, Gustav von Schmoller und die preußische Geschichtsschreibung, zuerst 1938, wieder in: Ders., Staatsbildende Krfte der Neuzeit. Gesammelte Aufstze, Berlin (1961), S. 470 – 496, hier S. 477 f., Stdtethema: S. 481 – 483; S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 117 f., zum Folgenden S. 119 f.; und Otto Hintze, Gustav Schmoller. Ein Gedenkblatt, zuerst 1919, wieder in: Ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, hg. v. Gerhard Oestreich, 2., erw. Aufl., Gçttingen 1964, S. 519 – 543, hier S. 535 f.; Merkantilismus: August Skalweit, Gustav von Schmoller und der Merkantilismus, in: Arthur Spiethoff (Hg.), Gustav von Schmoller und die deutsche geschichtliche Volkswirtschaftslehre. Festgabe zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages, 24. Juni 1938, Berlin 1938, S. 303 – 319, hier S. 303 – 305, S. 308. 150 Vgl. Anm. 149; aus der Literatur: Otto Hintze, Gustav von Schmoller, in: DtBiogrJb ˜berleitungsband 2 (1928), S. 124 – 134, hier S. 128 f., mit guten Beobachtungen; S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 118; zum Folgenden Otto Hintze, Gedchtnisrede auf Gustav von Schmoller (= AbhhAkad.Berlin, 1918), Berlin 1918, S. 7 f.

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schaftsgeschichte des Alten Preußen neue und bis heute unverzichtbare Grundlagen schuf.151 Schmoller hatte sich lange Jahre mit dem Gedanken getragen, „eine Verwaltungs-, Finanz- und Wirtschaftsgeschichte […] Preußens îberhaupt im 18. Jahrhundert zu schreiben“, aber er mußte um 1900 „einsehen, daß so umfangreich, wie ich die Vorarbeiten und Archivstudien angelegt hatte, mein ganzes Leben entfernt nicht ausreichen wîrde, um sie zu vollenden. Außer den zerstreut da und dort publizierten liegen noch viel grçßere Vorstudien und Sammlungen unpubliziert, teilweise in noch nicht abgeschlossener Art in meinen Schrnken, und noch ist nur der kleinere Teil dieser Vorarbeiten gethan […] Mein Eintritt in die Akademie fîhrte zu dem großen Unternehmen der Acta Borussica, in denen die archivalischen Vorarbeiten, die ich selbst nicht vollenden kann, einen besseren Abschluß finden.“152 – Im Hintergrund dieses, zunchst mehr an als in der Akademie der Wissenschaften betriebenen wissenschaftlichen Großprojektes, von dem Schmoller rechtzeitig bemerkt hatte, daß es – gleichsam unabsehbar – die Krfte eines einzelnen îbersteigen mußte, stand der große Mann der Wissenschaftspolitik im preußischen Kulturstaat der Kaiserzeit: Friedrich Althoff.153 Diese Konstellation fîhrte dazu, daß die Acta Borussica vorzîglich finanziell ausgestattet wurden und – gut getarnt – zu einem wissenschaftsstrategischen Faktor fîr Geschichts- und Staatswissenschaften in Preußen, Deutschland, ja darîber hinaus geworden sind.154

151 Mit der Literatur: W. Neugebauer, Zum schwierigen Verhltnis … (s. Anm. 131), passim; und Ders., Gustav Schmoller, Otto Hintze und die Arbeit an den Acta Borussica, in: JbBrandenbLdG 48 (1997), S. 152 – 202 (mit Quellenanhang), jeweils mit den werkgeschichtlichen Zusammenhngen, die hier nicht erneut aufzunehmen sind. 152 So G. Schmoller, Umrisse … (s. Anm. 149), S. V (1898); Schmoller ebd. zu seiner Entscheidung, die eigene Kraft auf den „Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre“ (2 Bde., Leipzig 1900/1904, u. ç.) zu konzentrieren. Zur Literatur vgl. oben Anm. 151; Otto Hintze, Gustav Schmoller als Historiker, zuerst 1908, wieder in: Ders., Historische und Politische Aufstze, 4, Berlin o. J., S. 183 – 191, hier S. 190. 153 W. Neugebauer, Zum schwierigen Verhltnis … (s. Anm. 131), S. 259 f.; Hintergrînde: Nicholas W. Balabkins, Not by Theory alone … The Economics of Gustav von Schmoller and Its Legacy to America (= Volkswirtschaftliche Schriften, 382), Berlin 1988, S. 35 f. 154 W. Neugebauer, Schmoller-Connection … (s. Anm. 143), S. 284 – 291, und passim; zur interdisziplinren Stellung und Aufgabe der Edition siehe Gustav Schmoller, in: Nachrichten îber die Acta Borussica. Denkmler der preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. v. der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1908, S. 8: die Acta Borussica seien „in erster Linie fîr die Forscher, fîr die Staats-, Verwaltungs- und Volkswirtschaftslehrer, fîr die Rechts- und Wirtschaftshistoriker bestimmt“. Ebd. zu Darstellungen von Schmoller und Hintze im Rahmen dieses Werkes. Vgl. Anm. 155; ˜berblick îber die Edition: K. Mîller (Bearb.), Absolutismus … (s. Anm. 131), S. 57, S. 79 f.

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Das Editions- und Darstellungswerk der Acta Borussica mit seinen mehr als drei Dutzend Bnden zur Verwaltungsorganisation, Zoll- und Steuerpolitik, zur Mînz- und Getreidehandelspolitik, zur Seiden- und schließlich zur Wollindustrie war also von der Anlage her durchaus nicht (allein) als neue Quellengrundlage fîr die historischen Forschungen am preußischen Fall angelegt. Schmoller ließ in europischen, durchaus nicht allein in preußischen Archiven das Material erheben, das dann beziehungsgeschichtlichen und komparatistischen Zwecken zugute kam.155 Von Anfang an hatte Schmoller ja „vergleichende Studien“156 intendiert; die preußischen Forschungen hatten insofern an sich nur dienenden und exemplarischen Charakter. Aus den Mitarbeitern der Acta gingen denn auch Vertreter der Volkswirtschaftslehre und Historiker hervor, die, wie z. B. Otto Krauske in Gçttingen und Kçnigsberg,157 sich weiterhin der preußischen Historie verpflichtet fîhlten. Die Acta Borussica mit ihrer bis in den Ersten Weltkrieg hinein opulenten finanziellen Basis wurden zum Zentrum eines netzwerkgleichen Wissenschaftskombinates, zu dem ganz wesentlich die von Schmoller noch in seinen Straßburger Tagen zusammen mit Staatswissenschaftlern wie Georg Friedrich Knapp gegrîndeten „Staats- und sozialwissenschaftlichen Forschungen“158 gehçrten. Diese, bis in den Weltkrieg herein erscheinende, interdisziplinr angelegte Reihe wurde bisweilen aus Mitteln der Acta Borussica alimentiert.159 An die Stelle der vom „Verein fîr Geschichte der Mark Brandenburg“ 1841 bis 1887 in unregelmßigen Abstnden herausgegebenen „Mrkischen Forschungen“ und der schon 1883 eingegangenen „Zeitschrift fîr Preußische Geschichte und Landeskunde“ (20 Bde., seit 1864) setzte Schmoller seit 1888 die „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“, die am Ende 155 Mit den Belegen W. Neugebauer, Schmoller, Hintze … (s. Anm. 151), S. 165 ff. 156 G. Schmoller, Umrisse … (s. Anm. 149), S. VI; Gustav Schmoller, Ueber Behçrdenorganisation, Amtswesen und Beamtenthum im Allgemeinen und speciell in Deutschland und Preußen bis zum Jahre 1713, in: Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. v. der Kçniglichen Akademie der Wissenschaften. [Reihe:] Die Behçrdenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, 1, Berlin 1894, S. (1)-(143); zur Komparatistik Schmollers vgl. ferner Gerhard Oestreich, Die Fachhistorie und die Anfnge der sozialgeschichtlichen Forschung in Deutschland, zuerst 1969, wieder in: Ders., Strukturprobleme … (s. Anm. 118), S. 57 – 95, hier S. 73 f.; C. Brinkmann, Schmoller … (s. Anm. 144), S. 107. 157 Mit der Spezialliteratur W. Neugebauer, Schmoller-Connection … (s. Anm. 143), S. 300 f. 158 Z. B. O. Hintze, Gustav von Schmoller … (s. Anm. 150), S. 127; C. Brinkmann, Schmoller … (s. Anm. 144), S. 112. 159 Beispiel: Robert Bergmann, Geschichte der ostpreußischen Stnde und Steuern von 1688 bis 1704 (= StaatsSozialWissForsch, 19, 1. Heft), Leipzig 1901, S. V („Vorbemerkung“); auch die „Jahresberichte der Geschichtswissenschaft“ wurden zeitweise aus Acta-Borussica-Mitteln unterstîtzt.

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des zweiten Weltkrieges zum Erliegen kamen, aber in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts von der Preußischen Historischen Kommission wiederbelebt werden konnten.160 Die „FBPG“ wurden schließlich von den Acta Borussica finanziert und zum wesentlichen Organ der Schmoller-Richtung, und das sowohl im Aufsatz-, als auch in dem noch heute lesenswerten und materialreichen Rezensionsteil, der allerdings bisweilen auch den Charakter eines Kampforgans annehmen konnte. Die Auseinandersetzung zwischen dem Acta-BorussicaMitarbeiter Martin Hass (1883 – 1911) und dem schlesischen Preußen-Kritiker Johannes Ziekursch (s. u.) zeigt dies auf exemplarische Weise.161 Es kennzeichnet die Bedeutung dieser Zeitschrift und zugleich das wissenschaftliche Gewicht des Preußenthemas im ausgehenden 19. Jahrhundert îberhaupt, daß die Verantwortlichen der „Historischen Zeitschrift“ diese Schmollersche Zeitschriftengrîndung als gefhrliche Konkurrenz angesehen und behandelt haben.162 Die Jahre nach 1898, als Otto Hintze die Zeitschrift leitete, markieren ihre große Epoche. Neben den „Forschungen“ gewann seit 1897 fîr zwei Jahrzehnte das von Paul Seidel begrîndete „Hohenzollern-Jahrbuch“ wissenschaftliche Bedeutung.163 Mit seinem Wissenschaftsimperium war Schmoller in der Lage, auf den Arbeitsfeldern der Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte Preußens, vor allem im 17. und 18. Jahrhundert den Forschungen innovative Impulse zu geben, letztlich in der Tat erfolgreich îber die eigentliche preußische Geschichte weit hinaus. Zu den Historikern der politischen Geschichte wie Max Lenz und Hans Delbrîck stand er in einem nicht spannungsfreien Verhltnis, zumal er als Staatswissenschaftler und Volkswirtschaftslehrer Einfluß auch auf die Entwicklung der Geschichtswissenschaft, in Berlin, in Preußen und darîber hinaus genommen hat. Der 1837 in der Zeit Adolf Friedrich Riedels gegrîndete „Verein fîr Geschichte der Mark Brandenburg“ wuchs unter Schmollers Leitung weit îber das Niveau der in diesen Jahrzehnten auch in den preußischen Pro160 Zu den Vorlufern vgl. R. Koser, Umschau … (s. Anm. 14), S. 11; W. Ribbe, Quellen … (s. Anm. 11), S. 54 mit Anm. 203; und vorlufig zum Komplex Gerd Heinrich, Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Rîckblick auf einen Thesaurus, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 5 – 13, hier S. 6 f., auch zur politischen Stellung der Zeitschrift fîr Preußische Geschichte; und (materialreich) Friedrich Holtze, Friedrich Wilhelm Holtze, in: ForschBrandPrG 21 (1908), S. 337 – 371, hier S. 351. 161 W. Neugebauer, Schmoller-Connection … (s. Anm. 143), S. 289 f.; und Wolfgang Neugebauer, Martin Hass (1883 – 1911, in: Herold-Jahrbuch NF 3 (1998), S. 53 – 71, hier S. 66; zu J. Ziekursch vgl. unten Anm. 190. 162 Theodor Schieder, Die deutsche Geschichtswissenschaft im Spiegel der Historischen Zeitschrift, in: HZ 189 (1959), S. 1 – 104, hier S. 18. 163 Arnold Hildebrand, Paul Seidel, in: Der Kunstwanderer 11 (1929), S. 172 – 175, hier S. 174 f.; Ders., Seidel, Paul, Dr. jur., Professor, in: DtBiogrJb 11 (1929), S. 286 – 288, hier S. 286 (Direktor des Hohenzollern-Museums).

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vinzen blîhenden landesgeschichtlichen Vereine hinaus. Als exklusives Gelehrtenkollegium gewann er das Format einer preußischen Historischen Kommission.164 Freilich haben auch andere historische Vereine in den Provinzen und Landschaften Preußens, zumeist ausgestattet mit gut gefîhrten Fachzeitschriften, Bedeutsames zur Allgemeingeschichte des Staates beigetragen.165 Aber im Zentrum des Staates und des Deutschen Reiches regierte die preußische Geschichte îber Jahrzehnte Gustav Schmoller, und der Einfluß seines Netzwerkes blieb nicht auf seinen Forschungskern, die (ltere) StaatsStrukturgeschichte beschrnkt. Der Nachfolger Heinrich von Sybels, Reinhold Koser (1852 – 1914), wurde 1896/99 zum Direktor des Geheimen Staatsarchivs in Berlin und zum (General-)Direktor der preußischen Staatsarchive berufen,166 ein Verbîndeter Schmollers in verschiedener Beziehung, wiewohl Koser in seiner gelehrten Produktion der politischen Geschichte verpflichtet blieb. 164 Vgl. F. Hartung, Schmoller … (s. Anm. 149), S. 492 f.; W. Ribbe, Quellen … (s. Anm. 11), S. 53 f.; und Gerd Heinrich, Brandenburgische Landesgeschichte und preußische Staatsgeschichte. Universitten, Hochschulen, Archive, Historische Gesellschaften und Vereine, in: Reiner Hansen / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persçnlichkeiten und Institutionen (= VerçffHistKommBerlin, 82), Berlin/New York 1992, S. 323 – 363, hier S. 344; ˜bersicht îber die Vereine in Preußen bei R. Koser, Stand … (s. Anm. 130), S. 14 – 19; vgl. noch Klaus Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: W. Neugebauer (Hg.), Das Thema Preußen … (s. Anm. 32), S. 115 – 181, hier S. 126 f., zur Entwicklung des Vereins fîr Geschichte der Mark Brandenburg im 20. Jahrhundert. 165 Beispiele vgl. Koser in Anm. 164; vgl. R. Unterstell, Klio in Pommern … (s. Anm. 18), S. 24, Zsur 1914/18: S. 106 f., S. 137 f., S. 185 ff. (Martin Wehrmann); Wolfang Kessler (Hg.), Zeitschrift des Vereins fîr Geschichte (und Altertum) Schlesiens 1855 – 1943. Schlesische Geschichtsbltter 1909 – 1943. Gesamtinhaltsverzeichnis (= Schlesische Kulturpflege, 1), Hannover 1984, zum Verein S. V f., Zeitschrift: S. VIII f., Colmar Grînhagen um polnische und bçhmische Autoren bemîht: S. XII; Hermann Markgraf, Der Verein fîr Geschichte und Alterthum Schlesiens in den ersten 50 Jahren seines Bestehens, Breslau 1896, S. 15 – 20, S. 28 ff. (Wilhelm Wattenbach), zu C. Grînhagen: S. 30, S. 33, S. 36 – 49; H. Heimpel, Organisationsformen … (s. Anm. 130), S. 130; Hermann Heimpel, Geschichtsvereine einst und jetzt …, Gçttingen 1963, S. 27. 166 J. Kloosterhuis, Edition … (s. Anm. 127), S. 104; J. Weiser, Geschichte … (s. Anm. 123), S. 71, S. 75 und P. Kehr, Ein Jahrhundert … (s. Anm. 123), S. 18, auch zu Hintergrînden bei Kosers Berufung; G(ustav) B(erthold) Volz, Koser, Reinhold, in: HohenzJb 18 (1914), S. 166 – 173, hier S. 166; Eckart Henning, Der erste Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive Reinhold Koser, in: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 1, hg. v. Friedrich Benninghoven / C¤cile Lowenthal-Hensel, Kçln/Wien 1979, S. 259 – 293, hier S. 259, S. 272 f.; und Ludwig Biewer, Reinhold Koser, in: Michael Erbe (Hg.), Berlinische Lebensbilder. Geisteswissenschaftler (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60), Berlin 1989, S. 253 – 268, hier S. 261 f.

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Man hat argumentiert, Reinhold Koser sei „zufrieden mit den Ruhme“ gewesen, „der Geschichtsschreiber Friedrichs des Großen zu sein“.167 Er hat die erste umfngliche, wissenschaftliche Standards erfîllende und die archivalische ˜berlieferung ausschçpfende Gesamtdarstellung Friedrichs des Großen vorgelegt, mehr als eine Biographie, sondern îber das Persçnliche hinaus ein Werk îber den Herrscher und den Staat in der Epoche des „Absolutismus“.168 Der Koser oft nachgesagte nîchterne Realismus dmmte nationale Wertungen zurîck. Sein vierbndiges Werk hat fîr die preußische Geschichte des 18. Jahrhunderts die Tradition Droysens rasch und nachhaltig îberwunden, so daß sie bei insgesamt unaufdringlichen Tendenzen der Entstehungszeit durch ihre quellenfundierte, durchaus kritikfhige Sachlichkeit bis zum heutigen Tage die Grundlage fîr alle spteren Bemîhungen um diesen schwierigen Monarchen gelegt hat. Koser hatte in jungen Jahren nicht zuletzt durch die Mitarbeit an der „Politischen Correspondenz“ eine nie wieder erreichte Quellenkenntnis erworben. Nicht eine Politik mit dem Ziel der nationalen Einheit, sondern – ganz wie §sterreich – eine Dominanz machtpolitischer, auch dynastischer Interessen, d. h. die vornationalen Realitten bestimmten nun das Bild, in das spezifische Strukturdefizite des (preußischen) „Absolutismus“ sehr wohl einbezogen wurden. Eine ganze Serie grundlegender Spezialstudien zur Finanzpolitik, zur preußischen Bevçlkerungsstruktur im 18. Jahrhundert, aber auch zum Verhltnis Preußens gegenîber dem Heiligen Rçmischen Reich hat Koser vorgelegt;169 auch sie sind bis heute unverzichtbar fîr jede weiterfîhrende Beschftigung. – Kosers „Geschichte der brandenburg-preußischen Politik“ blieb ein

167 So sein Nachfolger in der Archivdirektion P. Kehr, Ein Jahrhundert … (s. Anm. 123), S. 19. 168 Die maßgebliche Ausgabe: Reinhold Koser, Geschichte Friedrichs des Großen, 4 Bde., 4. und 5. Aufl., Stuttgart/Berlin 1912 – 1914, Absolutismus: 3, S. 553, mit kritischer Bilanz (insofern unverstndlich das Urteil bei Peter-Michael Hahn, Friedrich der Große und die deutsche Nation. Geschichte als politisches Argument, Stuttgart 2007, S. 73); vgl. dazu W. Nippel, Droysen … (s. Anm. 75), S. 306; zum Folgenden s. Walter Bussmann, Friedrich der Große im Wandel des europischen Urteils, zuerst 1951, wieder in: Ders., Wandel und Kontinuitt in Politik und Geschichte. Ausgewhlte Aufstze zum 60. Geburtstag, hg. v. Werner Pçls, Boppard am Rhein 1973, S. 255 – 288, hier S. 262 f. (gemßigt-nationale Sicht Kosers); Stephan Skalweit, Reinhold Koser, in: Bonner Gelehrte … (s. Anm. 88), S. 272 – 277, hier S. 276; L. Biewer, Koser … (s. Anm. 166), S. 265 f.; Otto Hintze, Reinhold Koser. Ein Nachruf, in: HZ 114 (1915), S. 65 – 87, hier S. 76 f., Bruch mit der „nationalpolitischen, reichspatriotischen Tendenz“ Droysens: S. 79; S. Skalweit, Problem … (s. Anm. 60), S. 166 – jeweils auch zum Folgenden. 169 Vgl. Melle Klinkenborg, Reinhold Koser. Ein Nachruf, in: ForschBrandPrG 28 (1915), S. 285 – 310, hier S. 293, weitere Editionen: S. 294, und die Bibliographie S. 304 – 310.

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Torso, dessen erster Band 1913, ein Jahr vor seinem Tode erschien,170 ein Werk, das thematisch an Droysen anknîpfte, aber auf breiterer Quellenbasis, wie sie nicht zuletzt die wissenschaftlichen Editionen bis dahin geschaffen hatten. So war Koser – nach dem Urteil des ihm nahestehenden Otto Hintze – ein Gelehrter, der vollendete, was vor ihm begonnen worden war, gewiß kein Epigone, selbstndig in der Erhellung wichtiger Einzelfragen, aber doch ein Historiker, „der freilich keine neuen Ziele gewiesen und keine neuen Bahnen gebrochen hat“.171 III. Otto Hintze In ihren besten Zeiten und produktivsten Vertretern war preußische Geschichtsforschung immer sehr viel mehr als die Basis bloßer Preußenhistoriographie. Otto Hintze, dessen Werk vor allem nach 1945 große internationale Aufmerksamkeit gefunden hat, war immer mehr als ein bloßer „Preußenhistoriker“. Am Ende seines von Tragiken îberschatteten Lebens hat er sich die Frage gestellt, ob er nicht entschieden zuviel Energie in die preußischen Quellenforschungen investiert habe. Fîr Hintze war das preußische Exempel deshalb fîr weitergehende Fragestellungen ein besonders geeignetes Studienobjekt, weil „gerade beim preußischen Staat die Bedingtheit der inneren Einrichtungen durch die Aufgaben, die aus der politischen Weltlage entspringen, besonders deutlich und greifbar“ hervortrete. Dennoch wollte Hintze, wie er bei seiner Wahl in die Preußische Akademie der Wissenschaften erklrte, „die preußische Geschichte nicht als mein eigentliches wissenschaftliches Fach bezeichnen, wie sie auch nicht den Gegenstand meines Lehrauftrags an der Universitt bildet; es entsprang mehr einem ußern Anlaß und Anforderungen, denen ich mich nicht entziehen zu dîrfen glaubte, als dem eigentlichen Plan meiner wissenschaftlichen Lebensaufgabe“, wenn er damals die – bis heute – beste Gesamtdarstellung zur preußischen Geschichte auf der Basis jahrzehntelanger Archiverfahrungen schrieb.172 170 Reinhold Koser, Geschichte der brandenburgischen Politik bis zum Westflischen Frieden von 1648 (= Geschichte der brandenburg-preußischen Politik, 1), Stuttgart/ Berlin 21913, etwa im Vorwort S. VII („Hauspolitik“), ebd. zur Diskussion der franzçsischen Historiographie; zu diesem Werk die wichtige Rezension von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 27 (1913), S. 613 – 624, hier S. 617, zum dynastischen Faktor (Verweis auf Lavisse); M. Klinkenborg, Koser … (s. Anm. 169), S. 294 f.; und O. Hintze, Koser … (s. Anm. 168), S. 80 f. 171 Letztes Zitat: O. Hintze, R. Koser … (s. Anm. 168), S. 86 f. 172 Otto Hintze, Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften (1914), in: Ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfas-

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Otto Hintze ist, gleichsam sozialtypologisch betrachtet, ein wissenschaftlicher Aufsteiger, zu erklren aus den bildungsaristokratischen Strukturen preußischer Kulturstaatlichkeit in ihrer klassischen Epoche. Aus der pommerschen Provinz und einer niederen Beamtenfamilie stammend, hat er nach medivistischer Promotion und staatswissenschaftlichem Zweitstudium seinen Weg zu einem Berliner Lehrstuhl im Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers und Friedrich Althoffs gemacht, den er bereits im Alter eines gereiften Studenten kennenlernte.173 Hintze hat, von Hause aus ohne Vermçgen, sich im Dienste der Acta Borussica hochgearbeitet, in deren Reihen er grundlegende Monographien zur preußischen Staatsgeschichte des 18. Jahrhunderts publizierte.174 Freilich hatte Otto Hintze schon frîh ein sehr viel weiteres Lebensprogramm vor Augen, wie er bei seiner Habilitation im Jahre 1895 bekannte, Plne, die eine vergleichende Verfassungsgeschichte der neueren Staatenwelt in den Mittelpunkt stellten.175 Gerade diese Verbindung preußischer Forschungen auf der Grundlage gesicherter historisch-methodischer Schulung mit vergleichenden Fragestellungen erklrt es, daß er seinem eigentlichen Lehrer Gustav Schmoller letztlich îberlegen war.176 Hintze sah schrfer als der historische Nationalçkonom bei seinen preußischen Forschungen die europischen, ja letztlich die weltgeschichtlichen Bedingungen der preußischen Geschichte. Im Grunde war Hintze schon dadurch universeller und er entging der Gefahr einer preußisch-endogenen Verengung bei der Suche nach den Kausalitten in der preußischen Historie.

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sungsgeschichte, 3., erw. Aufl., hg. v. Gerhard Oestreich, Gçttingen (1970), S. 563 – 566, hier S. 564. Mit Nachweis der einschlgigen Literatur und neuerer Archivalienfunde Wolfgang Neugebauer, Die wissenschaftlichen Anfnge Otto Hintzes, in: ZSRG.Germ 115 (1998), S. 540 – 551; und W. Neugebauer, Schmoller, Hintze … (s. Anm. 151), passim; und Wolfgang Neugebauer, Otto Hintze (1861 – 1940), in: Michael Frçhlich (Hg.), Das Kaiserreich. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2001, S. 286 – 298, hier S. 287 – 290; vgl. ferner G. Oestreich, Fachhistorie … (s. Anm. 155), S. 68 – 70, S. 74; und Brigitta Oestreich, Otto Hintze, in: M. Erbe (Hg.), Geisteswissenschaftler … (s. Anm. 166), S. 287 – 309, hier S. 287 – 292. Besonders: Otto Hintze, Einleitende Darstellung der Behçrdenorganisation und allgemeinen Verwaltung Preußens beim Regierungsantritt Friedrichs II. (= Acta Borusscia … die Behçrdenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, 6, 1.), Berlin 1901, zur Typologie von „Territorialstaat“ und „Großstaat“: S. 5 – 7. Nach den Akten Wolfgang Neugebauer, Otto Hintze und seine Konzeption der „Allgemeinen Verfassungsgeschichte der neueren Staaten“, zuerst in: ZHF 20 (1993), erweitert in: Otto Hintze, Allgemeine Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der neueren Staaten. Fragmente, 1, hg. v. Giuseppe Di Costanzo / Michael Erbe / Wolfgang Neugebauer (= Palomar Athenaeum, 17), Neapel 1998, S. 35 – 83, Zitat: S. 39 diese Studie auch zum Folgenden. Vgl. auch S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 120 – 122.

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Schon frîh – und durchaus nicht erst in den 1920er und 1930er Jahren – hat sich Hintze mit den konzeptionellen und theoretischen Angeboten der systematischeren Nachbarwissenschaften beschftigt und so bewirkt, daß die preußischen Forschungen in ihren besten Zeiten von diesen Disziplinen profitierten und in die allgemeine Wissenschaft produktiv ein- und zurîckwirkten. Seine Forschungen zur (Staats)-Struktur Brandenburgs beziehungsweise Preußens seit dem 16. Jahrhundert und bis weit in das 19. Jahrhundert, zum preußischen Adel und zur Landesorganisation von der unteren, kommunalen bis zur Gesamtstaatsebene, die Studien zu Kalvinismus und zum Kirchenregiment in Preußen gehçren auch nach hundert Jahren zur Standardliteratur,177 und das auch da, wo heute andere Lçsungen prferiert werden. – Mit „gemischten Gefîhlen“ hat Hintze, wie er brieflich ußerte, – dann im Vorfeld des Hohenzollernjubilums von 1915 die Aufgabe îbernommen, die große Gesamtdarstellung der brandenburg-preußischen Geschichte zu schreiben, von der er 1914 sprach178 und in die er die Summe seiner Quellenerkenntnisse aus fast drei Jahrzehnten der Forschung einbrachte.179 Es lag in dem allerhçchsten Auftrag und im Ansatz der preußischen Forschungen, daß dabei die Politik, auch die Wirtschaftspolitik und diejenige auf dem Gebiete der sozialen Strukturen im Vordergrund stand, mit einem Schwerpunkt auf den frîhneuzeitlichen Jahrhunderten, whrend nicht eine Reformzsur um 1810, sondern etwa die Einheit der Epoche von 1788 bis 1840 gesehen wurde.180 In dem Werk, dessen Manuskript schon bei Kriegsausbruch 1914 fertig vorlag, wird der deutsche 177 Vgl. Anm. 152; vor allem die postumen Sammlungen: Otto Hintze, Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, hg. v. Gerhard Oestreich, Gçttingen 21967; mit der Einfîhrung von Gerhard Oestreich, Otto Hintze und die Verfassungsgeschichte, S. 7*-31*, bes. S. 16 f.*; vgl. unten Anm. 385; und die dem vorausgehende Ausgabe Otto Hintze, Geist und Epochen der preußischen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, hg. v. Fritz Hartung (= Gesammelte Abhandlungen, 3), Leipzig 1943, mit dem „Vorwort des Herausgebers“ S. 5 – 8. 178 Vgl. oben bei Anm. 172. 179 Zur Vorgeschichte des Werkes vgl. Gînter Vogler, Otto Hintze (1861 bis 1940), in: Berliner Historiker. Die neuere deutsche Geschichte in Forschung und Lehre an der Berliner Universitt (= Beitrge zur Geschichte der Humboldt-Universitt zu Berlin, 13), Berlin 1985, S. 34 – 52, hier S. 41 ff.; Heinrich Otto Meisner, Otto Hintze, Lebenswerk (27. August 1861 – 25. April 1940), in: HZ 164 (1941), S. 66 – 90, hier S. 69 f.; und nach zugeliefertem Material Otto Bîsch, Das Preußenbild in Otto Hintzes „Die Hohenzollern und ihr Werk“, in: Ders. / Michael Erbe (Hg.), Otto Hintze und die moderne Geschichtswissenschaft. Ein Tagungsbericht (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 38), Berlin 1983, S. 25 – 42, hier S. 27, S. 30 – 34. 180 Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk. Fînfhundert Jahre vaterlndischer Geschichte, Berlin 41915, zuletzt: S. 402 – 515; vgl. O. Bîsch, Preußenbild … (s. Anm. 179), S. 34 f.

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Aspekt der brandenburg-preußischen Geschichte etwas zu stark akzentuiert, wiewohl Hintze bei der Herausbildung des „Typus des ostelbischen Junkers“ im 16. Jahrhundert strukturelle Einflîsse Ostmitteleuropas erkannte.181 Die preußische Geschichte war Hintze der historische Beweis dafîr, daß der Parlamentarismus nicht der einzige Entwicklungsweg in der neueren Geschichte sei. Fîr Preußen und fîr Deutschland mit ihrer „gefhrdete[n] Mittellage“ hielt Hintze – nicht erst 1914/15 – den westeuropisch-parlamentarischen Weg der „Regierungsverfassung“ nicht fîr gangbar. „Jedes Volk muß sich vernînftigerweise mit der inneren Struktur seines Staatswesens den ußeren Bedingungen anpassen“, und deshalb sei die „monarchisch-militrische“ Verfassung, „die in der Hauptsache ein Werk der Hohenzollern ist“, eine historische Notwendigkeit.182 Vielleicht wird der dynastische Faktor von Hintze 1915 zu stark betont – dies kann ja nicht erstaunen.183 Wiewohl nach den Mitteilungen von Friedrich Schmidt-Ott es kultusministerielle Eingriffe in Hintzes Werk gegeben hat,184 haben doch auch dezidiert kritische Rezensenten wie der (links-)liberale Johannes Ziekursch testiert, daß Hintzes Darstellung „sich frei von jeder patriotischen Schçnfrberei, politischer Rîcksichtnahme und dynastischer Schmeichelei“ halte [Ziekursch, 1916].185 Hintze habe „nicht bloß jede ußere Schçnfrberei unterlassen, er ist auch von der, wie man wohl sagen darf, borussischen Richtung scharf abgerîckt“. Politisch hatte Hintze schon vor 1914/ 18 den Wandel nicht nur kommen gesehen, sondern eine Wahlrechtsreform in Preußen fîr schlechterdings „unumgnglich“ erklrt.186 181 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 180), S. 83 – 85, S. 91 (zum 15. Jahrhundert), S. 110 (16. Jh.). 182 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 180), S. VI f. 183 Vgl. damit Wolfgang Neugbauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hg.), Staatliche Vereinigung: Fordernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte … (= Beihefte zu „Der Staat“, 12), Berlin 1998, S. 49 – 87. 184 Friedrich Schmidt-Ott, Erlebtes und Erstrebtes 1860 – 1950, Wiesbaden 1952, S. 50; freilich haben Nachforschungen in den Kultusministerialakten dazu keinen nheren Aufschluß erbracht. 185 So in fîr das Jahr des Erscheinens in bemerkenswerter Diktion: (Johannes) Ziekursch, (Rezension zu Otto Hintze), in: HZ 116 (1916), S. 288 – 293, hier S. 289, folgendes Zitat S. 290; S. 291 Kritik an der zu starken Brandenburg-Zentrierung der Darstellung Hintzes; zur Stellungnahme Mehrings vgl. G. Vogler, Hintze … (s. Anm. 179), S. 42 f. 186 Otto Hintze, Die schwedische Verfassung und das Problem der konstitutionellen Regierung, in: ZPol 6 (1913), S. 483 – 497, hier S. 489, zu Preußen; zur Haltung im Ersten Weltkrieg: Jîrgen Kocka, Otto Hintze und Max Weber. Anstze zum Vergleich, in: Wolfgang J. Mommsen / Wolfgang Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen (= Verçffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 21), Gçttingen (1988), S. 403 – 416, hier S. 406.

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Otto Hintzes Lebenswerk zur preußischen Geschichte markiert den Hçhepunkt und vorlufigen Abschluß der klassischen Epoche moderner preußischer Historiographie im frîhen 20. Jahrhundert. Mag auch der „staatliche“ Faktor, den die staatswissenschaftlich inspirierte Forschung in den Mittelpunkt des Interesses rîckte, dabei zu stark akzentuiert und die relative Autonomie gesellschaftlicher und çkonomischer Kausalitten unterschtzt worden sein: Die um Schmollers Wissenschafts-Imperium und insbesondere um die Acta Borussica herum organisierte Forschung gilt zu Recht als bemerkenswerter Impuls „strukturgeschichtlicher“ Forschung, herausgewachsen aus der preußischen Historiographie.187

§ 4 Pluralismen zur Zeit des Kaiserreichs Die Historiographie zur Zeit des Kaiserreichs, die sich mit preußischen Themen beschftigte, war gekennzeichnet durch ein erstaunliches Maß von Pluralismus. In Berlin standen sich die Schmoller-Schule und diejenigen Wissenschaftler gegenîber, die – in mehr oder weniger deutlicher Orientierung an der RankeRezeption – die Fragestellungen und Methoden der politischen Geschichte prferierten.188 Auch diese Gruppe war alles andere als (etwa in politischer Hinsicht) homogen. Das preußische Kultusministerium hat nur sehr selten – man denke an Hintzes „Hohenzollern“ – in die geschichtswissenschaftlichen Produktionen eingegriffen; von einer irgend systematischen Lenkung kann nicht die Rede sein.189 Das Kultusministerium hat vielmehr auch auf geschichtswissenschaftlichem Felde eine universitre Schwerpunktpolitik betrieben. Das heißt, daß nicht zufllig in Berlin Gustav (von) Schmoller und Max Lenz, aber in Breslau der eher linksliberale Johannes Ziekursch (1876 – 1945) Wirkungsmçglichkeiten erhielten.190 Dessen großes Werk zur schlesischen Agrar187 Vgl. in diesem Sinne Theodor Schieder, Otto Hintze und die moderne Geschichtswissenschaft, in: HZ 239 (1984), S. 615 – 620, hier S. 615, der freilich Hintze zugleich als „Ahnherrn der sozialgeschichtlich orientierten Geschichtswissenschaft von heute“ bezeichnet, was fîr die allgemeine Geschichte zutreffen mag, fîr die preußische Historie freilich leider einer strkeren Differenzierung und Relativierung bedîrfte. 188 Vgl. oben in § 2 und § 3, II. 189 Vgl. oben Anm. 184; und Jîrgen Mirow, Das alte Preußen im deutschen Geschichtsbild seit der Reichsgrîndung (= Historische Forschungen, 18), phil. Diss. Hamburg 1980, Berlin 1981, S. 76 (Anm. 121: Eingriffe in die Marwitz-Edition F. Meusels); dazu und zum Folgenden: Wolfgang Neugebauer, Wissenschaftsautonomie und universitre Geschichtswissenschaft im Preußen des 19. Jahrhunderts, erscheint in einem von Rîdiger vom Bruch hg. Tagungsband des Historischen Kollegs in Mînchen. 190 Vgl. oben Anm. 161; Ziekursch: Hans Schleier, Johannes Ziekursch, in: Jahrbuch fîr Geschichte 3 (1969), S. 137 – 196, hier S. 137 f. (Ziekursch gegen „reaktionre Geschichtslegenden“), Studium in Mînchen: S. 139, Schlesische Geschichte: S. 148 ff.,

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geschichte ist – dicht im Material und originell in den Fragestellungen – auch nach fast hundert Jahren unersetzt, heute rezipiert in der deutschen und der polnischen Geschichtswissenschaft. Die kritische Analyse der altpreußischen Strukturen (am schlesischen Beispiel) ließ ihn nach den Ursachen des preußischen Zusammenbruchs von 1806/7 fragen. Darin traf sich Ziekursch mit Max Lehmann (1845 – 1929),191 dessen Schriften zur preußischen Reformzeit, v. a. seine Arbeiten îber den Freiherrn vom Stein, zu langanhaltenden Historikerkontroversen vor und nach 1914/18 Anlaß boten. Dabei ging es zentral um die Frage, in welchem Maße die preußischen Reformen von franzçsischen Vorbildern, also letztlich von der Franzçsischen Revolution abhngig gewesen sind.192 Der (links-)liberale „Preußenfresser“ Max Lehmann (A. Naud¤), bei dem die bisherige Forschung freilich einen massiven Antisemitismus îbersehen hat,193 hatte schon in den spten achtziger Jahren, im zweiten Band seiner Scharnhorst-Biographie,194 eine dezidiert preußenkritische Wende genommen. Fîr ihn war nicht – wie fîr Schmoller – das alte Preußen, dasjenige Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II., der Anfang des modernen Staats. Das „alte Preußen“, ein – schon recht gut gesehen – „Aggregat von Provinzen und Provinzensplittern“,195 wurde fîr Lehmann vielmehr durch strukturelle Mngel geprgt, durch die Einflußlosigkeit des Bîrgertums, die „Vormundschaft […] des Militrs“ u. a. m., womit

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S. 157 f.; besonders: Johannes Ziekusch, Hundert Jahre schlesische Agrargeschichte. Vom Hubertusburger Frieden bis zum Abschluß der Bauernbefreiung (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte, 20), Breslau 1915, Gutswirtschaft und Gîterhandel: S. 9 – 12 u. ç.; Karl-Georg Faber, Johannes Ziekursch, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 3, Gçttingen 1972, S. 109 – 123, bes. S. 111 f., S. 115, S. 119 f. Vgl. H. Schleier, Ziekursch … (s. Anm. 190), S. 150, S. 155, S. 169 u. ç. Aus der Literatur îber Max Lehmann: Waltraut Reichel, Studien zur Wandlung von Max Lehmanns preußisch-deutschem Geschichtsbild (= GçttBausteineGWiss, 34), Gçttingen u. a. 1963, zunchst positive Sicht auf das Preußen F. d. Gr.: S. 22 – 24, S. 101 Anm. 26: gegen Onno Klopp, Umschlag der Position durch Arbeit an der Scharnhorst-Biographie: S. 33 – 40; Gînter Vogler, Max Lehmann, in: Joachim Streisand (Hg.) Die bîrgerliche deutsche Geschichtsschreibung von der Reichseinigung von oben bis zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus (= Studien îber die deutsche Geschichtswissenschaft, 2), Berlin 1965, S. 57 – 95, bes. S. 58 f. (Bruch mit Sybel 1893), Scharnhorst: S. 62 – 68, S. 75 – 79: Stein; und die Autobiographie: Max Lehmann, in: Siegfried Steinberg (Hg.), Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, (1), Leipzig 1925, S. 207 – 232, bes. S. 216 f., S. 220 (Scharnhorst). In der Korrespondenz mit Friedrich Althoff: GStAPK, VI. HA, NL Althoff B Nr. 110, 2 (1890 aus Marburg, gegen Harry Bresslau). Vgl. die Literatur in Anm. 192; Max Lehmann, Scharnhorst, 2, Leipzig 1887, etwa S. 83 ff., und zu den Strafpraktiken im 18. Jh.: S. 100 ff. In dem (auch separat publizierten) Kapitel: „Das alte Preußen“: Max Lehmann, Freiherr vom Stein, 2, Leipzig 1903, S. 11 – 63, Zitat: S. 12, folgendes: S. 28, S. 31, S. 63 (Zitat).

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wichtige Argumente der kritischen Sozialgeschichte seit den 1950er Jahren vorweggenommen worden sind. Fîr Lehmann war denn auch der Zusammenbruch dieses „alten“ Preußen nicht „lediglich […] die Folge eines militrischen Ereignisses“. Lehmanns frîh entwickelte These, daß es franzçsische Einflîsse gewesen sind, die die preußischen Reformen seit 1807, etwa die Stdteordnung, geprgt htten,196 lçste in seiner Zeit eine heftige Historikerkontroverse aus. Besonders Ernst von Meier197 hat gegen die îberspitzten und in „grandioser Einseitigkeit“198 vorgetragenen Thesen mit großem Erfolg Einspruch erhoben, jedenfalls soweit es um den Freiherrn vom Stein ging.199 Auch bei Max Lehmann wirkten politische Antriebe auf die Wissenschaftsproduktion, als er die großen, in der negativ-teleologischen Grundaussage verfehlten, aber als große Gesamtdarstellungen zur preußischen (Struktur-)Geschichte der Sattelepoche um 1800 weiterhin wichtigen Werke schrieb. Fîr Lehmann wurde Stein, so ist spter geurteilt worden, zur „Idealfigur des modernen demokratischen Denkens“.200 Lehmanns Argumentation zielte gegen – so sah er es – autokratische Strukturen des Kaiserreichs. Jedenfalls war es durchaus ein Wissenschaftspolitikum, um 1900 die Epochenbedeutung des Jahres 1806 allzu sehr zu akzentuieren.201 Der Lust an der wissenschaftlichen 196 Etwa: Max Lehmann, Der Ursprung der Stdteordnung von 1808, in: PreußJbb 93 (1898), S. 471 – 514, hier S. 509 f. 197 Zu Ernst von Meier, der in der preußischen Gelehrtenwelt seiner Zeit auch gesellschaftlich eine große Rolle spielte, mit weiterer Literatur Joachim Rîckert, Meier, Ernst von, in: NDB, 16, Berlin 1990, S. 647 – 649. 198 So W. Reichel, Studien … (s. Anm. 192), S. 69, Einzelheiten: S. 69 – 72. 199 So selbst aus marxistischer Sicht Heinrich Scheel, Vorwort des Herausgebers, in: Ders. (Hg.), Das Reformministerium Stein: Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, bearb. v. Doris Schmidt (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften des Instituts fîr Geschichte, Reihe I, 31/A), Berlin 1966, S. VII-XX, hier S. XIV. Zu M. Lehmann: „Der Nachweis Ernst von Meiers, daß Lehmanns These im Hinblick auf Stein der historischen Kritik nicht standhielt, war îberzeugend“; vgl. Paul Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den sîddeutschen Staaten 1800 – 1820 (= Historische Studien, 2), Frankfurt/New York 1990, S. 218 Anm. 27 (mit Verweis auf Koser); vgl. z. B. Ernst von Meier, Franzçsische Einflîsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens im XIX. Jahrhundert, 2: Preußen und die franzçsische Revolution, Leipzig 1908, S. V-VII, zugleich gegen das Bild von der Stagnation des preußischen Staates (!) vor der Reform; Friedrich Thimme, Einleitung, in: Ernst von Meier, Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg, Mînchen/Leipzig 21912, S. XIII-XXXIII, hier S. XXVI; aus den zeitgençssischen Rezensionen nur Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 21 (1908), S. 313 – 326, bes. S. 324. 200 Georg Winter, Das Bild des Freiherrn vom Stein im Jahre 1931. Ein Literaturbericht, in: ForschBrandPrG 44 (1932), S. 385 – 408, hier S. 390. 201 Hans Schleier, Hans Delbrîck. Ein politischer Historiker zwischen Preußenlegende, amtlicher Militrgeschichtsschreibung und historischer Realitt, in: Gustav Seeber (Hg.), Gestalten der Bismarckzeit, (1), Berlin 1978, S. 378 – 403, hier S. 393.

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Provokation auf preußischem Forschungsfelde hat Lehmann jedenfalls nachgegeben, als er in der Mitte der 1890er Jahre eine Kriegsschulddebatte auslçste, die die Ursprînge des Siebenjhrigen Krieges seit 1756 betraf. Lehmann, in jîngeren Jahren Geheimer Staatsarchivar in Berlin, machte rîcksichtslosen Gebrauch von seinem, auch bei anderen Gelegenheiten ge- und vielleicht mißbrauchten exklusiven Quellenzugang, v. a. zu den damals noch unpublizierten „politischen Testamenten“ Friedrichs des Großen.202 Gegen den – so Lehmann – „Friedrich der Orthodoxie“ erhob er den Vorwurf, im Jahre 1756 eine „Offensive“ durchgefîhrt zu haben, und zwar zur „Eroberung von Westpreußen und Sachsen“. Zwei Offensiven, eine preußische und eine çsterreichische, seien 1756 aufeinander getroffen. Lehmann verfolgte – dies sei hier nur angedeutet – freilich nicht nur wissenschaftliche Ziele bei seinem Frontalangriff auf die etablierte Friedrich-Forschung, v. a. aber auf den mit Gustav Schmoller eng verbundenen, zuletzt Marburger Historiker Albert Naud¤.203 Dieser „fast ausschließlich zwischen preußischen Historikern gefîhrte Disput“ (Schieder) fîhrte zu dem von Lehmann bewußt herbeigefîhrten physischen Zusammenbruch Naud¤s und nach weiteren intensiven Quellenforschungen204 zunchst zu dem Befund, daß Lehmanns Deutung der intimen Testamentsaussagen Friedrichs doch recht problematisch sei. Lehmann konnte sich mit seiner These nicht durchsetzten;205 seine Quellenausdeutung erschien unangemessen. – Die Aus202 Max Lehmann, Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjhrigen Krieges, Leipzig 1894, S. VII, S. 85; gute Zusammenfassung bei Rîdiger vom Bruch, Lehmann, Max, Historiker, in: NDB, 14, Berlin (1985), S. 88 – 90, hier S. 89; W. Reichel, Studien … (s. Anm. 192), S. 73 f., S. 76 – 84, S. 172 – 184; und Friedrich Meinecke, Max Lehmann, in: Ders., Preußen und Deutschland im 19. Und 20. Jahrhundert. Historische und politische Aufstze, Mînchen/Berlin 1918, S. 436 – 438, mit Skepsis gegenîber der Position Lehmanns. 203 Vgl. Erich Marcks, Naud¤, Albert, in: ADB, 52, Leipzig 1906, S. 592 – 597, hier S. 596 f.; Horst Naud¤, Naud¤, in: Deutsches Geschlechterbuch 150 (1969), S. 337 – 362, hier S. 352 f.: Gustav Schmoller, Zum Andenken an Albert Naud¤, in: ForschBrandPrG 9 (1896), S. V-XVIII, hier S. XI-XIII; und schließlich T. Schieder, Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 162), S. 38 – 43, S. 52; aus der Kontroversliteratur: Albert Naud¤, Beitrge zur Entstehungsgeschichte des Siebenjhrigen Krieges, 2 Tle., Leipzig 1895/96, zur Frage der Rîstungen etwa 1, S. 30 ff., 2, S. 120 f. 204 Als zentrales Produkt: Gustav Berthold Volz / Georg Kîntzel (Hg.), Preußische und §sterreichische Acten zur Vorgeschichte des Siebenjhrigen Krieges (= PubllPreussStaatsarch, 74), Leipzig 1899, mit der (Lehmann passim diskutierenden) Einleitung S. III-CLXIX, bes. S. XXXVIII; kenntnisreich: Gustav Berthold Volz, Reinhold Koser als Geschichtsschreiber Friedrichs des Großen, in: HohenzJb 18 (1914), S. 166 – 173, hier S. 171 f. – abwgend. 205 Zur Lehmann-Naud¤-Kontroverse und der weiteren Forschungsentwicklung sehr gut Winfried Baumgart, Der Ausbruch des Siebenjhrigen Krieges. Zum gegenwrtigen Forschungsstand, in: Militrgeschichtliche Mitteilungen 11 (1972), S. 157 – 165, hier S. 157 f., zur weiteren Diskussion S. 158.

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einandersetzung îber die Kriegsschuldfrage von 1756 litt damals freilich îberhaupt – was ein Reinhold Koser schon frîh ahnte206 – an einer preußischçsterreichischen Verengung, die den Faktor Rußlands und den weiten (europischen) Kontext dieses Großkonfliktes unterschtzte. Auf der Basis kurz vor dem Ersten Weltkrieg publizierter, aber nicht mehr rezipierter russischer Quelleneditionen haben in den frîhen fînfziger Jahren des 20. Jahrhunderts dann etwa gleichzeitig deutsche und englische Historiker den Nachweis gefîhrt, daß die Ursachen dieses Weltkrieges nicht so sehr im çsterreichisch-preußischen Gegensatz als in der russischen (Vorfeld-)Politik zu suchen sind.207 Damit sind die Streitpunkte der lteren Kontroverse eher aus dem Zentrum der Debatte208 gerîckt, zugunsten einer weiteren, mindestens europischeren Perspektive. In den spten Jahren des 19. Jahrhunderts fochten nur wenige Historiker auf der Seite Max Lehmanns, darunter der Historiker und langjhrige Herausgeber der „Preußischen Jahrbîcher“, Hans Delbrîck.209 Als Angehçriger der „einflußreiche[n] und weitverzweigte[n] Familie der Delbrîcks“210 und Schîler Heinrich von Sybels hatte er sich nach Dienst am liberalkonservativen 206 Reinhold Koser, Neue Verçffentlichungen zur Vorgeschichte des Siebenjhrigen Krieges, in: HZ 77 (1896), S. 1 – 39, hier S. 6; und bes. Ders., Umschau … (s. Anm. 14), S. 15. 207 Mit Nachweis der Titel von Herbert Butterfield und Walther Mediger: W. Baumgart, Ausbruch … (s. Anm. 205), S. 157 f., dort auch zu Braubachs, die diplomatische „Revolution“ von 1756 relativierenden Forschungen; Stephan Skalweit, Preußen als historisches Problem, in: JbGMitteldtld 3 (1954), S. 189 – 210, hier S. 196 f.; aus spezifisch osteuropahistorischer Perspektive hat freilich der Siebenjhrige Krieg keine Epochenbedeutung, so (gegen Johannes Kunisch) Klaus Zernack, Das preußische Kçnigtum und die polnische Republik im europischen Mchtesystem des 18. Jahrhunderts (1701 – 1763), in: JbGMitteldtld 30 (1981), S. 4 – 20, hier S. 14 f.; aus der neuesten Spezialforschung zur lteren Kontroverse bes. Lothar Schilling, Wie revolutionr war die diplomatische Revolution? ˜berlegungen zum Zsurcharakter des Bîndniswechsels von 1756, in: ForschBrandPrG NF 6 (1996), S. 163 – 202, hier S. 164 mit Anm. 6. 208 Zuletzt wurde die reichsgeschichtliche Problematik des Jahres 1756 betont von Johannes Burkhardt, Sachsen-Polen und die ppstliche Diplomatie im Siebenjhrigen Krieg, in: Sachsen und Polen zwischen 1697 und 1765. Beitrge der wissenschaftlichen Konferenz vom 26. bis 28. Juni 1997 in Dresden (= Saxonia, 4/5), (Dresden) 1998, S. 176 – 189, der hervorhebt, daß beim Kriegsausbruch Sachsen der antipreußischen Koalition noch nicht angehçrt habe, bes. S. 178, Annexion Sachsens als preußisches Ziel: S. 188. 209 H. Schleier, Delbrîck … (s. Anm. 201), S. 392 f. (mit falscher historiographischer Einordnung der Debatte im Sinne der lteren Nationalteleologie); die Autobiographie: Max Lehmann … (s. Anm. 192), S. 222 f.; wichtig Anneliese Thimme, Hans Gottlieb Leopold [Debrîck], in: NDB, 3, Berlin 1957, S. 577 f.; Peter Rassow, Hans Delbrîck als Historiker und Politiker, zuerst 1948, wieder in: Ders., Die geschichtliche Einheit des Abendlandes. Reden und Aufstze, Kçln/Graz 1960, S. 428 – 441, hier S. 430 f., auch zu seinen parlamentarischen Funktionen. 210 So treffend H. Schleier, Delbrîck … (s. Anm. 201), S. 379.

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Kronprinzenhof seit den 1870er Jahren der Militrgeschichte zugewandt. Im „Strategiestreit“, in der mit großer Heftigkeit gefîhrten Kontroverse um den Grundcharakter der friderizianischen Kriegsfîhrung, hat Delbrîck, in seiner Karriere gestîtzt von Kreisen des Hofes,211 eine Kontroverse mit der amtlichen Militrgeschichtsschreibung des Großen Generalstabes ausgefochten, und zwar sehr erfolgreich.212 Die akademische Geschichtswissenschaft in Preußen war durchaus pluralistisch fraktioniert, natîrlich auf der Bandbreite des konstitutionellen Grundkonsenses. Das Kultusministerium scheint diesen Pluralismus durchaus gefçrdert zu haben.213 Am Rande der akademischen Hierarchie stand der liberale Martin Philippson, dessen dreibndiges Werk îber den Großen Kurfîrsten noch heute einigen Wert besitzt.214 Jenseits der Konsensgrenze blieben sozialdemokratische beziehungsweise sozialistische Anstze zu einer Preußenhistoriographie im Kaiserreich. Auch diese Beitrge folgten einer – gleichsam negativen – Teleologie, sie hatten hochpolitische Impulse, blieben freilich in der Basis abhngig von einer Forschung, die nun interpretatorisch gewendet wurde. Im Extrem ging es um die ausgesprochene sozialistische Strategie, durch die Zerstçrung der „preußischen Legende“ Preußen selbst zu beseitigen.215 Franz Mehring (1846 – 1919) hat das in seinen Schriften in radikaler und strikt marxistischer Methode betrieben, vor allem in seiner „Lessing-Legende“ und in kleineren Schriften, die den jeweils aktuellen Geschichtsforschungen folgten, ohne ganz auf der Hçhe der Diskussionen zu sein. Er blieb negativ fixiert auf die Historiographie, die er bekmpfte,216 das alles mit einem ausgesprochen 211 Z. B. Charles E. McClelland, Berlin Historians and German Politics, in: Journal of Contemporary History 8 (1973), S. 3 – 33, hier S. 8 Anm. 9. 212 Sven Lange, Hans Delbrîck und der „Strategiestreit“. Kriegsfîhrung und Kriegsgeschichte in der Kontroverse 1879 – 1914 (= Einzelschriften zur Militrgeschichte, 40), Freiburg im Breisgau 1995, S. 84 – 89, S. 98 ff., S. 124; nach Delbrîck habe Friedrich II. die Schlacht gemieden und die eigenen Armee aus strukturellen Grînden geschont. Damit wurde er durch Delbrîck von der Kriegsfîhrung des modernen 19. Jahrhunderts (Moltke) unterschieden; H. Schleier, Delbrîck … (s. Anm. 201), S. 380 – 383, und die Literatur S. 398; und P. Rassow, Delbrîck … (s. Anm. 209), S. 436. 213 Mit archivalischem Material W. Neugebauer, Wissenschaftsautonomie … (s. Anm. 189). 214 Vgl. zu liberalen Außenseitern nach 1871 Hans Schleier, Linksliberale Kritik an der reaktionren Preußenlegende zwischen 1871 und 1933, in: ZGWiss 18 (1970), S. 1047 – 1053, hier S. 1048 f., auch zu M. Lehmann; J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 59 f.; Ernst G. Lowenthal, Juden in Preußen. Biographisches Verzeichnis. Ein reprsentativer Querschnitt, (Berlin 1981), S. 179. 215 So mit Verweis auf Engels und Mehring H. Schleier, Preußenlegende … (s. Anm. 214), S. 1047; vgl. zum ganzen J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 95 f. 216 Franz Mehring, Die Lessing-Legende (= Gesammelte Schriften, 9), Berlin (Ost) 1975, bes. S. 80 – 152; vgl. auch die Passagen in: Ders., Historische Aufstze zur preußisch-

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„praxisbezogene[n] Akzent […], den man als klassenpdagogisch bezeichnen kann“.217 Reinhart Koselleck sprach, bezogen auf Mehrings Darstellung der preußischen Reformzeit, spitz von einem „umgestîlpten Treitschke“.218 Hintze hat gleichwohl mit verhaltenem und souvernem Respekt von Mehrings „Lessinglegende“ geurteilt, in ihr wîrden „auf gute Literaturkenntnis basierte, aber maßlos îbertriebene und tendenziçs zugespitzte Ausfîhrungen îber Friedrich d. Gr.“ geboten,219 und er hat auch die umfassende, quasi parteiamtliche Gesamtdarstellung der preußischen Geschichte zur Kenntnis genommen, die 1906 im Verlag des „Vorwrts“ in zwei stattlichen Bnden erschienen ist. Weniger einseitig als Mehring und flexibler in der Anwendung der Konzeptionen, wie sie der historische Materialismus bot,220 hat Max Maurenbrecher (1876 – 1930) mit seinem Werk îber „Die Hohenzollern-Legende“ gewissermaßen einen Anti-Schmoller vorgelegt, dessen Archiveditionen schon um 1905 die Basis boten, um nun gegen die Ursprungsintentionen der Acta-Borusscia-Schule Antriebe des „Klassenkampfs“ in der preußischen Geschichte im marxistischen Sinne leitmotivisch aufzuzeigen.221 „So schafft die Schmollersche

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deutschen Geschichte, Berlin (21946), S. 31 – 59 („Der brandenburg-preußische Staat“), mit der klassischen Formierung des marxistischen Bildes vom Preußen des 18. Jahrhunderts; ferner die Bnde „Zur preußischen Geschichte“ in der lteren Gesamtausgabe: Franz Mehring, Gesammelte Schriften und Aufstze in Einzelausgaben, 3 und 4, (Berlin 1930). Helga Grebing / Monika Kramme, Franz Mehring, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 5, Gçttingen (1972), S. 73 – 94, hier S. 87, zur „LessingLegende“ S. 75 f.; Josef Schleifstein, Franz Mehring. Sein marxistisches Schaffen (= Schriftenreihe des Instituts fîr deutsche Geschichte an der Karl-Marx-Universitt Leipzig, 5), Berlin 1959, S. 160, S. 164 ff., nach dem (S. 163 – freilich ohne Beleg!) Mehring die (preußischen) Archive verschlossen geblieben seien; R. Koselleck, Rezeption … (s. Anm. 80), S. 259 – 263 zu Mehrings Sicht der Reformzeit (S. 260: „keine neuen Tatsachen“, aber „neue Beurteilungen“, mit Kritik an „Borussophilen“); J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 96 f. R. Koselleck, Rezeption … (s. Anm. 80), S. 260. So: Otto Hintze, Zur Agrarpolitik Friedrichs des Großen, in: ForschBrandPrG 10 (1898), S. 275 – 309, hier S. 291 Anm. 2. Vgl. deshalb das Urteil in der DDR-çffiziçsen Historiographiegeschichte von Heinz Kathe, Die Hohenzollern-Legende, Berlin 1973, S. 94 f. („unzureichende Anwendung der Grundthesen des historischen Materialismus“, u. a. der „Theorie des Klassenkampfes“); zu Maurenbrecher Peter Domann, Sozialdemokratie und Kaisertum unter Wilhelm II. Die Auseinandersetzung der Partei mit dem monarchischen System, seinem gesellschafts- und verfassungspolitischen Voraussetzungen (= Frankfurter Historische Abhandlungen, 3), Wiesbaden 1974, S. 146 – 150; und Gangolf Hîbinger, Max [Maurenbrecher], in: NDB, 16, Berlin 1990, S. 434 f., mit dem Erscheinungsdatum des Werkes: 1905; Rezeption Maurenbrechers bei Otto Hintze, Die Hohenzollern und der Adel, zuerst 1914, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 177), S. 30 – 55, hier S. 30, zum „Junkertum“ in der sozialdemokratischen Geschichtssicht. Max Maurenbrecher, Die Hohenzollern-Legende. Kulturbilder aus der preußischen Geschichte vom 12. bis zum 20. Jahrhundert, 2 Bde., Berlin (1906), S. 3 f. zur „erst(en)

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Schule zum erstenmale Einsicht in die wirtschaftlichen Grînde des Wachsens und Wesens des preußischen Staates; aber sie selbst kann die Rosen nicht pflîcken, die sie gepflanzt hat: sie sucht ja nur die Idee vom sozialen Kçnigtum und diese rîckt durch jede weitere Aktenpublikation in immer nebelhaftere Ferne.“ Otto Hintze hat 1914 die Einseitigkeit Maurenbrechers, insbesondere im Hinblick auf die Rolle der „Junker“, kritisiert und diskutiert. Freilich solle „nicht geleugnet werden, daß nicht jeder Zug in diesem Bilde falsch ist und daß auch wohl ein berechtigter Kern in dieser Auffassung steckt“.222 Und so erweist ein Blick auf Maurenbrecher und Mehring nicht nur ein erstaunlich breites Spektrum in der wissenschaftlichen (und halbwissenschaftlichen) Beschftigung mit der preußischen Geschichte schon vor 1914. Zugleich wird deutlich, daß eine Diskussion auch îber weite politische und weltanschauliche Distanzen damals durchaus nicht ausgeschlossen war.

§ 5 Krisen und Konjunkturen der Zwischenkriegszeit Nach dem Jahre 1918 verlor das Thema „Preußen“ an wissenschaftspolitischem Gewicht und an politischer Unterstîtzung. Gustav Schmoller war 1917 gestorben, und viele von denen, die vor 1914 mit hoffnungsvollen Erstlingsschriften die Generation nach Hintze erkennbar werden ließen, sind seit Langemarck nicht mehr zurîckgekehrt. Krieg und Nachkriegszeit zerstçrten materielle Grundlagen der preußischen Forschungen. Im Hintergrund ist zu beachten, daß die Substanzverluste des Bildungsbîrgertums, zumindest relative Statusverluste wissenschaftsaristokratischer Eliten und die generelle „Not der deutschen Wissenschaft und der geistigen Arbeiter“223 die Arbeits- und Refinanzierungsbedingungen der Forschungen auch auf preußischen Arbeitsfeldern massiv beeintrchtigten. Otto Hintze hat aus seiner Akademieposition heraus – und mit der Unterstîtzung von Max Planck! – darum gerungen, die Acta Borussica îber alle Zusammenbrîche, politische, finanzielle und persçnliche, hinwegzuretten.224 Er Hohenzollernlegende“ im Sinne Sybels, Droysens und Treitschkes und zur neuen „Hohenzollern-Legende“ und der These von der „soziale(n) Ttigkeit der Hohenzollern“, ausdrîcklich gegen Schmoller: S. 14, S. 22; Sicht Friedrich Wilhelms I. als Fçrderer des Neuen und mit Wirkung auf den Kapitalismus: 2, S. 401 ff. 222 O. Hintze, Adel … (s. Anm. 220), S. 30, zu Maurenbrecher. 223 Zum allgemeinen Zeithintergrund bleibt mit beeindruckendem Material wichtig: Georg Schreiber, Die Not der deutschen Wissenschaft und der geistigen Arbeiter. Geschehnisse und Gedanken zur Kulturpolitik des Deutschen Reiches, Leipzig 1923, etwa S. 9 – 11, S. 16 ff., S. 23, zur „Proletarisierung des Gelehrten“ S. 43 – 49 u. ç. 224 Vgl. den aus dem Berliner Akademiearchiv zitierten und nachgewiesenen Bericht Hintzes vom (22.) Dezember 1922 bei Wolfgang Neugebauer, Das Ende der alten Acta Borussica, in: Rîdiger vom Bruch / Eckart Henning (Hg.), Wissenschaftsfçrdernde

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hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Traditionen der preußischen Forschungen nicht abreißen zu lassen, zumal der „praktische Wert“ der Acta Borussica ja auch darin bestehe, „durch Zerstçrung von Illusionen und Parteilegenden die Verstndigung îber unsere Vergangenheit und damit zugleich auch die Einsicht in die Notwendigkeiten der Gegenwart zu befçrdern“ (Dez. 1922). Dies schien u. a. durch den Verlust der personellen Forschungskontinuitt massiv gefhrdet. Nicht mehr auf der alten Basis und ohne die bis 1914/20 reiche Beiproduktion von Monographien und Aufsatzstudien konnten die Acta Borussica, gewissermaßen im Notbetrieb, noch fîr knapp zwei Jahrzehnte fortgefîhrt werden. Der junge Carl Hinrichs hat sich nach der Promotion an den Acta Borussica mit seinen Forschungen zur Wollindustrie die wissenschaftlichen Sporen erworben und so zu seinem Lebensthema, der Epoche Friedrich Wilhelms I. und des Pietismus, gefunden.225 Andere Themenfelder rîckten in den Mittelpunkt der historischen Forschungen in Deutschland, zumal fîr eine jîngere Historikergeneration, die sich mit dem Weimarer Staate zumeist bestenfalls abfand. Andere Themen, solche des 19. Jahrhunderts und der Zeitgeschichte gewannen an Aufmerksamkeit; freilich hatten bei den Verantwortlichen der Acta Borussica oder auch bei denjenigen des Geheimen Staatsarchivs schon vor dem Kriegsausbruch Plne an Gewicht gewonnen, nun auch das (frîhe) 19. Jahrhundert systematischer zu bearbeiten. Schon im Weltkrieg hatte Paul Fridolin Kehr fîr das neue KaiserWilhelm-Institut fîr Deutsche Geschichte die Korrespondenz Wilhelms I. zu einem der Schwerpunktobjekte gemacht, wenngleich die tatschliche Ausbeute, die vor der Wirtschaftskrise noch zur Publikation gelangte, mit fînf von Johannes Schultze herausgegebenen Bnden îberschaubar blieb.226 Gegen die (publizistische) Forderung, wie sie dann seit 1918 laut wurde, die preußische Geschichte mîsse einer Revision unterzogen werden, standen personelle und programmatische Kontinuitten, die Hintze ja auch als wînschenswert beInstitutionen im Deutschland des 20. Jahrhunderts … (= Dahlemer Archivgesprche, 5), Berlin 1999, S. 40 – 56; und Wolfgang Neugebauer, Zur preußischen Geschichtswissenschaft zwischen den Weltkriegen am Beispiel der Acta Borussica, in: JbBrandenbLdG 50 (1999), S. 169 – 196, hier S. 176 f.; beide Aufstze passim zu diesem Paragraphen. 225 Vgl. Anm. 224; zu Hinrichs noch S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 124 f.; Gerhard Oestreich, Gedchtnisrede fîr Carl Hinrichs, in: JbGMitteldtld 11 (1962/1963), S. 1 – 12, hier S. 3 f.; und Ders., Carl Hinrichs, in: HZ 196 (1963), S. 249 – 251, hier S. 249 f.; unten Anm. 262. 226 Mit allen Nachweisen: Wolfgang Neugebauer, Das Kaiser-Wilhelm-Institut fîr Deutsche Geschichte im Zeitalter der Weltkriege, in: HJb 113 (1993), S. 60 – 97, hier S. 79, S. 88 f.; Ders., Die Grîndungskonstellation des Kaiser-Wilhelm-Instituts fîr Deutsche Geschichte und dessen Arbeit bis 1945. Zum Problem historischer „Großforschung“ in Deutschland, in: Bernhard vom Brocke / Hubert Laiko (Hg.), Die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute. Studien zu ihrer Geschichte: Das Harnack-Prinzip, Berlin/New York 1996, S. 445 – 468, hier S. 458 f.

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zeichnet hatte. „Die deutsche Niederlage im Jahre 1918 bedeutet keine Wende in der Geschichte des Friedrichbildes. Die panegyrische wird ebenso wie die polemische Literatur fortgesetzt.“227 Zunchst verlagerten sich also die Themenschwerpunkte; mit der intensiv betriebenen Kriegsschulddebatte zum Ersten Weltkrieg wurde ein Forschungsobjekt zentral, das allenfalls noch Berîhrungszonen mit der preußischen Geschichte besaß.228 Die intensivierte Beschftigung mit der historischen Gestalt Bismarcks229 gewann nicht zufllig nach Versailles an Gewicht. In den Krisen des neuen Staates erreichte der Bezug auf Bismarck und sein Werk geradezu neue teleologische Qualitt.230 Die eben erschlossenen Quellenmassen zur großen europischen Politik und speziell zu Person und Epoche Bismarcks,231 hier vor allem die „Friedrichsruher Ausgabe“, boten und bieten die Basis fîr alle kînftigen Forschungen, auch wenn sich nach einem knappen Jahrhundert die editorische Basis zu erweitern beginnt. In den zwanziger Jahren war es der „deutsche“ Bismarck und der „deutsche“ Freiherr vom Stein, die das Interesse der Forschung fesselten. Die kleindeutsche Lçsung schien der einzige, wenn auch gewaltsame Weg in seiner Zeit, auch fîr einen (konservativen) Liberalen wie Hermann Oncken. Der deutsche Beruf Preußens, nun seit der Zeit der Befreiungskriege, war bei Meinecke, Marcks und Oncken Konsens. Der Bezugspunkt aber war nicht ein preußischer, sondern der Weg zum deutschen Machtstaat.232 Wird von dem noch recht einflußlosen Gegenstimmen aus dem Ausland, etwa der des „großdeutschen“ Grazer Historikers Raimund Friedrich Kaindl 227 So W. Bussmann, Friedrich … (s. Anm. 168), S. 279. 228 Vgl. Wolfgang Jger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914 – 1980 îber den Ausbruch des Ersten Weltkrieges (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 61), Gçttingen 1984, S. 68 – 88. 229 Zum differenzierten wissenschaftlichen Bild Bismarcks vor 1914 (in Absetzung zur „populren“ Publizistik!) vgl. Hans-Gînter Zmarzlik, Das Bismarckbild der Deutschen – gestern und heute, Freiburg (1965), S. 16, mit Verweis auf Erich Marcks, Max Lenz, Hermann Oncken, Hans Delbrîck und Friedrich Meinecke. 230 Mit C. Cornelissen, Gerhard Ritter … (s. Anm. 121), S. 279, auch – beide aus §sterreich – zur „großdeutschen Position“ (Kaindl) und Srbiks „gesamtdeutschen Geschichtsauffassung“; Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mînchen (1980), S. 152 zum Folgenden S. 157. 231 Vgl. Michael Stîrmer, Bismarck-Mythos und Historie (= Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3/1971), (Bonn) 1971, S. 25; und zur archivgeschichtlichen Entwicklung Rudolf Morsey, Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck 1867 – 1890 (= Neue Mînstersche Beitrge zur Geschichtsforschung, 3), Mînster 1957, S. 4 Anm. 13; zur Friedrichsruher Ausgabe siehe C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 507, zur Vorgeschichte siehe S. 510 f. Anm. 110, Anm. 111. 232 B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), S. 69, vgl. auch S. 46 f., Kaindl: S. 69, zur Differenz zwischen den Positionen Kaindls und Srbiks S. 344, Anm. 215.

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abgesehen,233 war es der ja schon vor 1914/18 provokative Johannes Ziekursch, der seit 1927 von der jungen Universitt Kçln aus234 eine „politische Geschichte des neuen deutschen Kaiserreichs“ vorlegte, in der er auf politische und strukturelle Defizite der Bismarckschen Lçsung des Reichsgrîndungsproblems hinwies.235 Nach 1918 wuchs die Einsicht in die mit dem Ausgang der Entscheidung von 1866/71 verbundenen kînftigen Belastungen, die freilich schon ein Erich Brandenburg in seine vergleichsweise nîchterne Betrachtung im Ansatz durchaus einbezogen hatte.236 Diese Sicht wurde von dem um einiges konservativeren Bismarck-Spezialisten Wilhelm Mommsen (1892 – 1966) an prominentem Ort als „wînschenswerte Ergnzung der bisherigen Darstellungen“ durchaus begrîßt, auch weil sie zwar die „Verteilung von Licht und Schatten“ verndere, aber doch einen Bruch mit der bisherigen Historiographie vermeide. Provokativ wirkte freilich Ziekurschs These, daß schon in der Reichsgrîndung der Keim zum Reichsuntergang angelegt gewesen sei. Ziekurschs Behauptung, daß das zweite Reich von Anfang an „dem Geist der Zeit entgegen“ gestanden,237 und daß es quer zum „demokratischen“ Zeitgeist gelegen habe, ja daß 233 Zuletzt: Alexander Pinwinkler, Raimund Friedrich Kaindl (1866 – 1930). Geschichte und Volkskunde im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik, in: Karel Hruza (Hg.), §sterreichische Historiker 1900 – 1945. Lebenslufe und Karrieren in §sterreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftlichen Portraits, Wien/Kçln/Weimar (2008), S. 125 – 154, hier S. 144 f., auch zur programmatischen Differenz zwischen Srbik und Kaindl; vgl. noch J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 146 f.; und B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), S. 70, S. 72; Hauke Focko Fooken, Raimund Friedrich Kaindl als Erforscher der Deutschen in den Karpatenlndern und Reprsentant großdeutscher Geschichtsschreibung (= Hamburger Beitrge zur Geschichte der Deutschen im europischen Osten, 3), Lîneburg 1996, bes. S. 25 – 43. 234 Vgl. Anm. 190; mit interessanten politischen Hintergrînden: Hans-Ulrich Wehler, Zur Lage der Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik 1949 – 1979, in: Ders., Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Gçttingen 1980, S. 13 – 41, S. 299 – 317, hier S. 16, auch zu Ziekursch‘ Geschichte des Kaiserreichs. 235 Johannes Ziekursch, Politische Geschichte des neuen deutschen Kaiserreichs, 1 – 3, Frankfurt am Main 1925 – 1930, hier etwa 1, S. 182. 236 Vgl. dazu die interessante Rezension des ersten Ziekurschen Bandes von Wilhelm Mommsen, in: HZ 134 (1926), S. 578 – 584, hier S. 578 f.; vgl. aber Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 (= HZ, Beiheft 10), Mînchen 1989, S. 210. 237 J. Ziekursch, Politische Geschichte … (s. Anm. 235), 1, S. 3; zum Folgenden W. Mommsen, Rezension … (s. Anm. 236), S. 580 – 582; dagegen hatte E. Brandenburg die Reichsgrîndung eng auf 1848 bezogen, vgl. Erich Brandenburg, Die Reichsgrîndung, 2, 2., verb. Auflage Leipzig (1922), S. 451; vgl. noch H. Schleier, Ziekursch … (s. Anm. 190), S. 137, S. 175 – 179; M. Stîrmer, Bismarck-Mythos … (s. Anm. 231), S. 25, und Werner Conze, Das Kaiserreich von 1871 als gegenwrtige Vergangenheit im Generationswandel der deutschen Geschichtsschreibung, zuerst 1979, wieder in:

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damit das Kaiserreich von Anfang an den „Keim des Untergangs“ (Mommsen) in sich getragen htte, erweckte Aufmerksamkeit und Abwehr zugleich. Vieles, auch der Topos von Bismarcks Reichsgrîndung als einer „Revolution von oben“ wurde schon in der Mitte der zwanziger Jahre in der Geschichtswissenschaft diskutiert. Die Debatte insgesamt und das dominante Bismarck-Bild bestimmten solche Stimmen allerdings nicht, Positionen, denen akademisch Randstndige wie Veit Valentin (1885 – 1947) oder – etwas spter – Eckart Kehr (1902 – 1933) an die Seite gestellt worden sind.238 Die außerakademisch-literarische Geschichtsrevision239 und -instrumentalisierung, die nicht auf einen politischen Flîgel beschrnkt war, hat freilich die wissenschaftliche Entwicklung in produktiver Weise nicht befruchtet. Es dominierte entschieden die Abwehr der professionellen Historiographie gegen die „Historische Belletristik“, die als ein zeittypisches Phnomen des politischen Kampfes um die Staatsform gesehen und prinzipiell abgelehnt worden ist. Damit ging sodann einher ein Protest der akademischen Preußenhistoriographie gegen den Zugriff politischer Parteien auf

Ders., Gesellschaft – Staat – Nation. Gesammelte Aufstze, hg. v. Ulrich Engelhardt / Reinhart Koselleck / Wolfgang Schieder (= Industrielle Welt, 52), (Stuttgart 1992), S. 44 – 65, zu Ziekursch S. 52 f.; zur Gesamtdarstellung des Kaiserreichs aus der Feder von Fritz Hartung S. 52 (ausgewogen, nicht apologetisch). 238 Vgl. H. Schleier, Linksliberale Kritik … (s. Anm. 214), S. 1051 f.; zu Valentins Revolutionsgeschichte vgl. E. Fehrenbach, Reichsgrîndung … (s. Anm. 95), S. 275; Valentins Revolutionsgeschichte als Auftragsarbeit des Reichsinnenministeriums aus dem Jahre 1923: Bernh. Poll, Vom Schicksal der deutschen Heeresakten und der amtlichen Kriegsgeschichtsschreibung, in: Der Archivar 6 (1953), Nr. 2, Sp. 65 – 76, hier Sp. 67 Anm. 3. 239 Zu diesem Komplex von Oswald Spengler bis Emil Ludwig und Werner Hegemann vgl. J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 147, S. 151 – 156 (Jungkonservative); Frank Lothar Kroll, Utopie als Ideologie – Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn (1998), S. 287 (Spengler); Jîrgen Elvert, „Konservative Revolution“ – Nationalsozialismus – Widerstand. Preußenbilder in dreifach gebrochener Perspektive, in: Christiane Liermann / Gustavo Corni / FrankLothar Kroll (Hg.), Italien und Preußen. Dialog der Historiographen, Tîbingen 2005, S. 281 – 302, hier S. 290 – 293, Moeller van den Bruck: S. 288 f.; aus der umfnglichen Literatur zu Spengler sei exemplarisch verwiesen auf Hans-Christof Kraus, Oswald Spengler (1880 – 1936), in: Michael Frçhlich (Hg.), Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2002, S. 233 – 243, hier S. 237 – jeweils mit Nachweis der Titel; Gustav Berthold Volz, Rezension zu Werner Hegemann: Fridericus, in: ForschBrandPrG 39 (1927), S. 154 – 162, bes. S. 154 f. („politische Tendenzschrift“ gegen den „monarchischen Gedanken“), in Anlehnung an die großdeutsche Sicht; zu Hegemanns zentralem Vorwurf gegen Friedrich II., eine antideutsche Politik betrieben zu haben, vgl. Heinz Dieter Kittsteiner, Werner Hegemann als Historiker, in: B. Wehinger, Geist und Macht … (s. Anm. 48), S. 157 – 183, hier S. 170.

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preußische Themen zum Zwecke tagespolitischer Agitation durch prsentistische Reduktionen.240 Dagegen hatte es, und auch das haben die Trger der wissenschaftlichen Traditionen sehr genau beobachtet,241 die historiographische Arbeit zunehmend schwerer, wenn sie sich behaupten wollte. Ihr Einfluß und die Auflagenzahlen ihrer Produktionen gingen – auch angesichts der Verarmung vor allem bildungsbîrgerlicher Kuferschichten242 – immer mehr zurîck, ganz im Unterschied zur historischen Populrliteratur. Erst recht hatten es editorische Großunternehmen schwerer denn je. Nur mit Unterstîtzung der 1927/28 neu gegrîndeten „Historischen Reichskommission“, zunchst geleitet von dem letzten „Historiographen der Brandenburgischen Geschichte“ Friedrich Meinecke,243 ist es gelungen, mit der Edition zur „auswrtigen Politik Preußens 1858 – 1871“ Neuland der Quellenforschung zu erschließen, und zwar aus europischen Archiven.244 240 Vgl. die Schrift des Hintze-Schîlers Heinrich Otto Meisner, Preußisch-deutsche Geschichts- und Staatsauffassung im Wandel der Zeiten, Mînchen/Berlin 1931, S. 4 f., und passim (zuerst: ForschBrandPrG 43 [1930], S. 252 – 289); die Beitrge zu Emil Ludwig, Werner Hegemann und Herbert Eulenberg in: Historische Belletristik. Ein kritischer Literaturbericht, hg. v. der Schriftleitung der Historischen Zeitschrift, Mînchen/Berlin 21929, darin vom Staatsarchivar und Acta-Borussica-Mitarbeiter Ernst Posner die Rezension zu Hegemann, S. 20 – 30, bes. S. 20, S. 23 f. (Reichsfeindschaft und Hochverrat Friedrichs, Schwchung des Deutschtums), aber S. 29: „H.s Verdammungsurteil îber Kçnig Friedrich ist nicht unerwartet gekommen. Es stellt sich, recht betrachtet, als der Gegenstoß gegen Verflschungstendenzen der jîngsten Zeit dar, mit denen die Forschung nichts gemein hat.“ Ebd. zum Mißbrauch der Geschichte durch „die politischen Parteien“, die „Stein zum Demokraten stempeln, Friedrich d. Gr. deutschnationale Politik treiben lassen“, was darauf verweist, daß der Ge- und Mißbrauch der preußischen Geschichte offenbar um 1930 nicht auf eine Seite beschrnkt war; zu E. Posner vgl. W. Neugebauer, Geschichtswissenschaft zwischen den Weltkriegen … (s. Anm. 224), S. 181 f. – Zur publizistischen Diskussion auf damals zeithistorischem Felde vgl. B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), S. 44 (Erich Brandenburg). 241 Außer H. O. Meisner … (wie Anm. 240); etwa W. Mommsen, Rezension … (s. Anm. 236), S. 579. 242 Dies zeigen die Korrespondenzen des KWJ fîr deutsche Geschichte um 1930 mit großer Deutlichkeit, vgl. knapp W. Neugebauer, Grîndungskonstellation … (s. Anm. 226), S. 466 f. 243 Vgl. W. Neugebauer, Staatshistoriographen … (s. Anm. 32), S. 58; letzter preußischer Historiograph war Erich Marcks, ebd. 244 Walter Goetz, Die Historische Reichskommission von 1928, in: Johannes Spçrl (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Festschrift fîr Georg Schreiber. Im Auftrag der Gçrres-Gesellschaft, Mînchen/Freiburg 1953, S. 540 – 548, hier S. 542 – 545, Auflçsung 1935: S. 547; H. Heimpel, Organisationsformen … (s. Anm. 130), S. 97 – 99; Hans Schleier, Die bîrgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik … (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Schriften des Zentralinstituts fîr Geschichte, 40), Berlin 1975, S. 137 f.; und zur Historischen Reichskommission noch

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Damit verlagerten sich – wie schon mit den Bismarck-Forschungen – die Gewichte entschieden in das 19. Jahrhundert,245 und dies gilt auch fîr die wichtigsten Historikerkontroversen. Es war die Deutung des Freiherrn vom Stein,246 die nun erregte. Stein wurde von einer Seite als Vormann der Demokratie, von der anderen, vom Schîler des konservativen Adalbert Wahl, Erich Botzenhart, zum Reprsentanten eines europischen Konservativismus stilisiert. Gerhard Ritter (1888 – 1967), selbst Schîler des Liberalen und Lassalle-Biographen Hermann Oncken, hatte in jahrelanger Quellenarbeit die ja schon nach Max Lehmanns Werk247 kontroverse Thematik in außerordentlich fruchtbarer Weise wieder aufgenommen und zum Stein-Jubilumsjahr 1931248 seine zweibndige Biographie Steins vorgelegt. Dabei stellte er erneut die Frage nach den Ursprîngen der Reformkonzeptionen nach 1806 und fand sie – statt in dem Vorbild der Franzçsischen Revolution – im „ritterlichen Selbstgefîhl des Reichsadligen, in den stndischen Traditionen des alten Reiches“, ergnzt durch englische Vorbilder und Steins westflischen Verwaltungserfahrungen.249

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Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut fîr Geschichte des neuen Deutschlands (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 13), Stuttgart 1966, S. 133 – 141; soeben ergnzend erschienen: Winfried Baumgart (Hg.), Die auswrtige Politik Preußens 1858 – 1871. Diplomatische Aktenstîcke, 2. Abt., 7, aufgrund der Vorarbeiten von Wolfgang Steglich (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 36), Berlin (2008), mit dem Vorwort von Winfried Baumgart S. 5 – 10. Zur Arbeitsteilung mit den „Deutschen Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts“, d. h. mit der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, vgl. (Erich) Marcks, Aufgaben und Ttigkeit der Preußischen Kommission, in: Sitzungsberichte der Kçniglich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1925, S. XXXI-XXXVII, hier S. XXXIV f.; und Hermann Oncken, Aufgaben und Ttigkeit der Preußischen Kommission, in: a.a.O., 1935, S. XLVII-LIII, hier S. LII. Vgl. schon Ernst Posners Bemerkung oben in Anm. 240; zur Stein-Literatur der Weimarer Jahre bis 1931 vgl. B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), S. 141 – 152, S. 372 f. Anm. 115 – 125, zu Friedrich Thimme, Ernst Mîsebeck, Erich Botzenhart u. a. m.; C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 215 Anm. 199. Vgl. oben bei und mit Anm. 199. Zu den Beitrgen von Hans Rothfels, Willy Andreas, Friedrich Meinecke und Fritz Hartung vgl. zusammenfassend B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), S. 148, S. 376 Anm. 172. Gerhard Ritter, Stein. Eine politische Biographie, 2 Bde., Stuttgart/Berlin 1931, hier 2, S. 334 f., mit Betonung der Distanz zum (franzçsischen) Ideal der Volkssouvernitt; vgl. Michael Matthiesen, Gerhard Ritter. Studien zu Leben und Werk bis 1933, 2 (= Deutsche Hochschulschriften, 451), Egelsbach/Kçln/New York (1993), S. 791, S. 793, S. 849, S. 930 ff.; zur Kritik Ritters an Lehmann wichtig Klaus Schwabe, Zur Einfîhrung. Gerhard Ritter – Werk und Person, in: Ders. / Rolf Reichardt (Hg.), Gerhard Ritter. Ein politischer Historiker in seinen Briefen (= Schriften des Bundesarchivs, 33), Boppard am Rhein (1984), S. 1 – 170, hier S. 31 – 33, S. 39 (Verwurzelung im 18. Jahrhundert); Schwabe zur Sicht Ritters, fîr den franzçsischen Einflîsse eine

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Die Forscherleistung Ritters, dessen Resultate freilich im Klima der frîhen 1930er Jahre sehrwohl auch politisch ausgedeutet wurden, war ganz wesentlich auf der Basis neu erschlossener archivalischer Quellen – îber die Vorgnger weit hinausfîhrend – ermçglicht worden. Die Fachhistorie im engeren Sinne hat Ritters Leistung durchaus kritisch gewîrdigt.250 Ritter, der îber die Aufnahme seines Werkes in einer breiteren §ffentlichkeit wenig erfreut war, geriet zudem in eine heftige Kontroverse mit dem an der Technischen Hochschule Karlsruhe lehrenden Franz Schnabel (1887 – 1966), der, gleichfalls 1931, und zwar auf Aufforderung des preußischen Kultusministeriums einen kleinen Abriß îber den Reichsfreiherrn vorgelegt hatte und seinerseits nun Stein fîr die Ideale der Weimarer Republik reklamierte (Faulenbach).251 Er tat dies freilich ohne neue Quellen und „nicht auf der Hçhe der neueren Forschung“.252 Ritters Werk blieb und bleibt gîltig, heute flankiert durch die neuere sozialwissenschaftliche Beitrge kritisch diskutierende Biographie Heinz Duchhardts.253 Gerhard Ritter in Freiburg, Schnabel in Karlsruhe – Hans Rothfels in Kçnigsberg: Die Forschungslandschaft zur preußischen Geschichte wurde dezen250

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untergeordnete Bedeutung besaßen; schließlich C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 210, S. 216. Vgl. M. Matthiesen, Ritter … (s. Anm. 249), 2, S. 1049 – 1105; vgl. Thomas Hertfelder, Franz Schnabel und die deutsche Geschichtswissenschaft, 1 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 60), Gçttingen (1998), S. 384 mit Anm. 280; politische Motive: B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), S. 151 f. T. Hertfelder, Schnabel … (s. Anm. 250), 1, S. 361 f. mit Anm. 378, auch zur Fçrderung durch den Reichsinnenminster, der auch die „Leitlinien der Interpretation“ vorgibt!; vgl. C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 210; verhîllt angedeutet: Franz Schnabel, Freiherr vom Stein, Leipzig/Berlin (1931), Vorwort S. III („ußere Anregung“); Telos: B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), S. 149: Stein als „Antizipator des modernen liberaldemokratischen Freiheitsideals“. So T. Hertfelder, Schnabel … (s. Anm. 250), 1, S. 377 („berechtigter Kern“), zu Angriffen Schnabels auf Friedrich Meinecke: S. 353, zum Ganzen S. 346 – 348, S. 356 – 360 (Aktualisierungen), S. 360 Anm. 173: kein ungedrucktes Material, Konfrontation Schnabel-Ritter: S. 372 – 383; parteiisch: Heinrich Lutz, Einleitung, in: Franz Schnabel, Abhandlungen und Vortrge 1914 – 1965, hg. in Verbindung mit Erich Angermann / Friedrich Hermann Schubert / Eberhard Weis, v. Heinrich Lutz, Freiburg/Basel/Wien 1970, S. X-XXIV, hier S. XVI: Schnabel „gegen das konservativ-autoritre Bild Steins“ von Ritter, die „liberalsoziale“ Interpretation Schnabels; G. Winter, Stein … (s. Anm. 200), S. 386 ff. (abgewogen); C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 218 – 222, S. 224 Anm. 230; Lothar Gall, Franz Schnabel (1887 – 1966), in: ZGORh 116 (1968), S. 427 – 439, hier S. 435; Heinz Duchhardt, „… weil (…) Stein die Sonne war, um welche all die anderen kreisten“. Das Stein-Bild im Wandel der Zeiten (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, 2004, Nr. 2), Mainz/Stuttgart 2004, S. 14 f. Vgl. Anm. 252; hier: Heinz Duchhardt, Stein. Eine Biographie, Mînster 2007, S. 445, S. 449 (gegen Barbara Vogel und Hans-Ulrich Wehler); neue Quellenbasis: S. 3, S. 5 f., („Reform von oben“).

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traler in der Weimarer Zeit, nicht mehr um einen Berliner Kern konzentriert wie in den Jahrzehnten Gustav Schmollers. Die gezielte wissenschaftspolitische Fçrderung der „Grenzlanduniversitt“ Kçnigsberg durch die Kultusverwaltung der Weimarer Demokratie spielt dabei eine erhebliche Rolle.254 Es waren wissenschaftlich produktive Impulse, die Rothfels, Gelehrter aus jîdischer Familie und 1914 Frontoffizier, zunchst der Bismarck-Forschung zuwandte. Aufbauend auf Arbeiten zu Bismarcks Bîndnispolitik und Sozialpolitik und auf der Erkenntnis, daß entgegen der tradierten nationalliberalen Forschung fîr Bismarck das Prinzip des Staates stets vor dem der Nation rangierte, arbeitete Rothfels um 1930 von Kçnigsberg aus heraus, daß Bismarck in Ostmitteleuropa gerade keine irgend deutschtumszentrierte Außenpolitik betrieben htte. Die germanisierende Offensive Bismarcks diesseits der Grenzen hat Rothfels allerdings ganz entschieden unterschtzt und unterbelichtet. Die Schockwirkung seiner Interpretation gegenîber der nationalliberalen Bismarck-Orthodoxie255 basierte auf der Relativierung des Nationalprinzips in Bismarcks Politik an der „autonomen Ostseite des Reiches“, zugleich eine Korrektur an Friedrich Meineckes Thesen in dessen Werk „Weltbîrgertum und Nationalstaat“.256 Gegen Meineckes, zu stark vom westeuropischen Nationalstaatsbegriff bestimmten Ansatz wurde Bismarck in den Forschungen des gewiß persçnlich nationalkonservativen Kçnigsberger Ordinarius seinerseits konser254 Hintergrînde: Wolfgang Neugebauer, Wissenschaftskonkurrenz und politische Mission. Beziehungsgeschichtliche Konstellationen der Kçnigsberger Geisteswissenschaften in der Zeit der Weimarer Republik, in: Bernhart Jhnig / Georg Michels (Hg.), Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Eine europische Region in ihren geschichtlichen Bezîgen. Festschrift fîr Udo Arnold zum 60. Geburtstag … (= Einzelschriften der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 20), Lîneburg 2000, S. 741 – 759. 255 Werner Conze, Hans Rothfels, in: HZ 237 (1983), S. 311 – 360, hier S. 321 – 327; Wolfgang J. Mommsen, German Historiography during the Weimarer Republik and the Emigr¤ Historians, in: Hartmut Lehmann / James J. Sheehan (Hg.), An Interrupted Past. German-speaking Refugee Historians in the United States after 1933 (= Publications of the German Historical Institute Washington, D.C.), Washington 1991, S. 32 – 66, hier S. 50; zum Vortrag Rothfels auf dem Gçttinger Historikertag 1932 zuletzt Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert (= Moderne Zeit, 10), Gçttingen 2005, S. 156 f., vgl. auch S. 146 ff. 256 Hans Rothfels, Bismarck und die Nationalittenfragen des Ostens, in: HZ 147 (1933), S. 89 – 103, hier S. 89 f.; hnlich Hans Rothfels, Ostraum, Preußentum und Reichsgedanke. Historische Abhandlungen, Vortrge und Reden, Leipzig 1935, S. 68, S. 70, S. 83 ff, S. 87 f.; und Hans Rothfels, Bismarck und der Osten. Eine Studie zum Problem des deutschen Nationalstaats, Leipzig 1934, S. 6 f., S. 71 zur Aktualitt des Themas; mit weiteren Angaben zu Quellen und Literatur vgl. Wolfgang Neugebauer, Hans Rothfels und Ostmitteleuropa, in: Johannes Hîrter / Hans Woller (Hg.), Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte fîr Zeitgeschichte, 90), Mînchen 2005, S. 39 – 61, hier S. 44 ff.

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vativer und etatistischer, aber eben weniger national. Die „Revision des Bismarck-Bildes“, „die von den neuerschlossenen Quellen der Friedrichsruher Ausgabe ausgegangen ist“, wird mit dem Namen Rothfels‘, in gewissem Maße auch mit Erich Marcks und Otto Becker verknîpft.257 Freilich hat die Bismarck-Biographie Arnold Oskar Meyers noch 1944 gezeigt, wie stark und lange die lteren Traditionen der Bismarckforschung und -deutung fortlebten. Rothfels hat in Kçnigsberg bis 1934/35 einen Schîlerkreis formiert, der in intensiven Quellenforschungen Grundprobleme der ostpreußischen und ostmitteleuropischen Geschichte, vor allem kulturelle, stndische und korporative Phnomene in den Mittelpunkt der Arbeit rîckte.258 Rothfels‘ letzte deutsche Publikation vor der Emigration galt ja in diesem Sinne der Epoche Friedrich Wilhelms IV. und Theodor von Schçns. Alle diese Forschungen hatten einen (indirekten) Gegenwartsbezug, entnahmen Energie aus den gefhrlichen Lagen Ostdeutschlands und Ostmitteleuropas in der Zwischenkriegszeit, und zwar mit dem Ziel, nach korporativen Lçsungen fîr die spezifischen Nationalittenstrukturen dieses Raumes zu suchen. Damit verbunden waren komparatistische Interessen. Auch derartige Anstze hat die nationalsozialistische Universittspolitik zunichte gemacht. „Aktenpublikationen“ hatten im Dritten Reich ohnehin schlechte Konjunktur. Weltanschauungshistorie schien gelehrte Aktenarbeit und gar editorische Produktion îberflîssig zu machen.259 Die Acta Borussica, die nach 1933 und bis zum Zweiten Weltkrieg ihren Notbetrieb aufrecht erhalten konnten, haben schon entlassenen jîdischen Gelehrten noch fîr einige Zeit Beschftigung bieten kçnnen, gedeckt vom Vorsitzenden der Preußischen Kommission der Akademie der Wissenschaften, und das war der bei den Nationalsozialisten alles andere als wohlgelittene, nmlich liberal-bîrgerliche Hermann Oncken.260 Otto Hintze galt als „jîdisch versippt“ und legte seine Mitgliedschaft in der Akademie im Dezember 1938 nieder. Die (Zwangs-)Versetzung von Carl Hinrichs von Berlin nach Kçnigsberg, von wo aus er im 257 So T. Schieder, Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 162), S. 61 f.; vgl. H.-G. Zmarzlik, Bismarckbild … (s. Anm. 229), S. 22; Arnold Oskar Meyer, Bismarck. Der Mensch und der Staatsmann, Leipzig (1)1944; vgl. unten Anm. 271. 258 Vgl. meine in Anm. 256 zit. Studie; sodann mit allen Einzelnachweisen und unter Auswertung des Nachlasses Rothfels im Bundesarchiv Koblenz: Wolfgang Neugebauer, Hans Rothfels‘ Weg zur vergleichenden Geschichte Ostmitteleuropas, besonders im ˜bergang von frîher Neuzeit zur Moderne, in: Berliner Jahrbuch fîr osteuropische Geschichte, 1996/1: Osteuropische Geschichte in vergleichender Sicht, Berlin 1996, S. 333 – 378. 259 Vgl. die Ausfîhrungen Walter Franks, zitiert bei Hagen Schulze, Walter Frank, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 7, Gçttingen 1980, S. 69 – 81, hier S. 71. 260 W. Neugebauer, Geschichtswissenschaft zwischen den Weltkriegen … (s. Anm. 224), S. 190 – 195; vgl. noch J. Weiser, Geschichte … (s. Anm. 123), S. 123.

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Sommer 1944 noch vor dem Untergang der Ostseemetropole nach Halle an der Saale gehen konnte,261 fîhrte dazu, daß das lange vorbereitete Projekt einer Biographie Friedrich Wilhelms I., auf der Basis intensiver Aktenkenntnis des Acta-Borussica-Mitarbeiters und langjhrigen Staatsarchivars, doch ein Torso blieb.262 Die Instrumentalisierung – auch – der preußischen Geschichte vom Tag von Potsdam bis nach Kolberg ist bekannt und intensiv beschrieben worden.263 Aber der propagandistischen Ausbeutung einer preußischen Geschichte, die im wesentlichen dem Literaturstand der ersten Hlfte oder der Mitte des 19. Jahrhunderts folgte und die realistische Historiographie von Ranke bis Hintze ignorierte,264 begleitete denn nach 1933 keinerlei wissenschaftspolitische Schwerpunktsetzung. Walter Frank, der fîhrende Geschichtsfunktionr des Nationalsozialismus in den dreißiger Jahren, hegte starke Vorbehalte gegen

261 Vgl. oben Anm. 225; G. Oestreich, Carl Hinrichs … (s. Anm. 225), S. 250. 262 Zum Plan „einer großen Biographie Friedrich Wilhelms I.“ schon Carl Hinrichs, Zur Einfîhrung. Momente des Konflikts zwischen Kçnig Friedrich Wilhelm I. von Preußen und Kronprinz Friedrich, in: Ders., Der Kronprinzenprozeß. Friedrich und Katte, Hamburg (1936), S. 5 – 20, hier S. 20; Ders., Friedrich Wilhelm I. Kçnig in Preußen. Eine Biographie. Jugend und Aufstieg, Hamburg (21943), darin bereits das auf sptere Forschungen von Hinrichs verweisende Kapitel: „Die Begegnung mit der Reformbewegung des Pietismus“, S. 559 – 599, S. 707, wo „eine umfassende Monographie îber die Rolle des Pietismus“ angekîndigt wird; zum Friedrich-Wilhelm-Thema ergnzend aus der Nachkriegsproduktion: Carl Hinrichs, Preussen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hg. v. Gerhard Oestreich (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 10), Berlin 1964, S. 91 – 160; zur Monographie îber die Wollindustrie im Rahmen der Acta Borussica als Keimzelle dieser Studien: G. Oestreich, Gedchtnisrede … (s. Anm. 225), S. 4 f., auch zur archivalischen Fundierung; Hinrichs als Nachfolger Meineckes in Berlin: S. 8. 263 Aus der reichen Literatur: Frank-Lothar Kroll, Preußenbild und Preußenforschung im Dritten Reich, in: W. Neugebauer (Hg.), Das Thema Preußen … (s. Anm. 32), S. 305 – 327, hier S. 305, der feststellt, daß das Thema Preußen keinen „prominenten Platz“ im historischen Denken der Nationalsozialisten eingenommen habe, S. 326: „eintauschbare Versatzgrçßen“, S. 327: untergeordnete Stellung in der Geschichtspolitik der Zeit; differenziert auch J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 206 f., Tag von Potsdam: S. 204; Werner Freitag, Nationale Mythen und kirchliches Heil. Der „Tag von Potsdam“, in: WestfForsch 41 (1991), S. 379 – 430, hier S. 389 – 394, S. 396 – 403 u. ç., Medien: S. 389 f.; Manfred Schlenke, Das „preußische Beispiel“ in Propaganda und Politik des Nationalsozialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, Nr. B 27 (1968), (Bonn) 1968, S. 15 – 23, hier S. 20 f., Tag von Potsdam: S. 17 f.; F. L. Kroll, Utopie … (s. Anm. 239), S. 283 – 285, Austauschbarkeit historischer Bezîge: S. 243 f. 264 Vorzîglich: Konrad Barthel, Friedrich der Große in Hitlers Geschichtsbild (= Frankfurter Historische Vortrge, 5), Wiesbaden 1977, S. 6 – 8, andere historische Bezîge als Preußen: S. 15, S. 19, S. 26 f.

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preußische Themen.265 Die Edition zur auswrtigen Politik der Bismarckzeit wurde zwar îbernommen und weitergefîhrt vom „Reichsinstitut fîr Geschichte des neuen Deutschlands“, in dessen Arbeitsprogramm Projekte mit Preußenbezug ansonsten aber eine ausgesprochen marginale Rolle besaßen.266 Die Grînde dafîr lagen tiefer, sie lagen im Prinzipiellen. Wenn Geschichte nicht mehr vom Staat aus, sondern vom „Volk“ her betrachtet werden sollte,267 wenn zudem in der Forschungsliteratur nach 1933 ein z. T. ausgesprochen adelsfeindlicher Zug bemerkbar wurde, wenn den Dynastien im nationalsozialistischen Geschichtsbild im Prinzip ein negatives Testat zuteil wurde, dann ergaben sich themenimmanente Distanzen zu Preußen als einem Forschungsobjekt. Eine nationalsozialistische „Meistererzhlung“ der preußischen Historie hat es nicht gegeben, und Max Braubachs Synthese zum „Aufstieg BrandenburgPreußens 1640 bis 1815“ aus dem Jahre 1933 war dies nun gerade nicht. Sie 265 So jedenfalls J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 188; H. Heiber, Frank … (s. Anm. 244), S. 499. 266 Vgl. oben Anm. 244; und H. Heiber, Frank … (s. Anm. 244), S. 563 – 565, auch zu einem (nicht preußenthematischen) Projekt Erich Botzenharts, der 1931 bis 1937 die erste, noch siebenbndige Stein-Edition besorgte, vgl. Nachweis bei Wolfram Siemann (Bearb.), Restauration, Liberalismus und nationale Bewegung (1815 – 1870). Akten, Urkunden und persçnliche Quellen (= Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart, 4), Darmstadt 1982, S. 108. 267 Mit weiterer Literatur: Wolfgang J. Mommsen, „Gestîrzte Denkmler“? Die „Flle“ Aubin, Conze, Erdmann und Schieder, in: Jîrgen Elvert / Susanne Krauss (Hg.), Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert. Jubilumstagung der Ranke-Gesellschaft in Essen, 2001 (= Historische Mitteilungen im Auftrage der Ranke-Gesellschaft, 46), (Wiesbaden/Stuttgart 2003), S. 96 – 109, hier S. 97 – 99; das Folgende: J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 186, vgl. noch S. 197; und – aus intimer Kenntnis der Materie – Gînther Franz, Das Geschichtsbild des Nationalsozialismus und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Oswald Hauser (Hg.), Geschichte und Geschichtsbewußtsein. 19 Vortrge der Ranke Gesellschaft, Gçttingen/ Zîrich (1981), S. 91 – 111, hier S. 97 f., S. 100; im Schnittbereich zur Volksgeschichte, Geistes- und politischer Geschichte: Theodor Schieder, Deutscher Geist und stndische Freiheit im Weichsellande. Politische Ideen und politisches Schrifttum in Westpreußen von der Lubliner Union bis zu den polnischen Teilungen. (1569 – 1772/93) (= Einzelschriften der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 8), Kçnigsberg i.P. 1940, zu Gottfried Lengnich S. 134 – 172; Schieders Werk hat sehr unterschiedliche Beurteilungen erfahren, als „bahnbrechend“ fîr „die Geschichtsschreibung der beiden Teile Preußens als ein Forschungsobjekt“ Jerzy Serczyk, Die bîrgerliche Geschichtsschreibung der großen Stdte des Kçniglichen Preußen als interne Kommunikation des stdtischen Machtapparats, in: Marian Biskup / Klaus Zernack (Hg.), Schichtung und Entwicklung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert. Parallelen, Verknîpfungen, Vergleiche (= VjschrSozialWirtschG, Beihefte, 74), Wiesbaden 1983, S. 192 – 195, hier S. 192; zu Schieders politischer Position um 1940 abgewogen (und mit Verweis auf die Kontroversliteratur) W. J. Mommsen, „Gestîrzte Denkmler“ … (s. Anm. 267), S. 102 – 104.

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verfiel allerdings der Kritik der Acta-Borussica-Rezensenten in Person des jungen Carl Hinrichs.268 Spielten dabei Aversionen aus preußisch-protestantischem Standpunkt gegen eine (durchaus nicht preußenfeindliche) rheinisch-katholisch unterlegte Zusammenfassung des gewachsenen Forschungsstandes eine Rolle, so haben sich konservative Historiker nach 1933 durchaus nicht gescheut, gegen systemnahe Positionen Stellung zu nehmen. Fritz Hartung, der 1923 als eher konservativer Neuzeithistoriker an die Universitt Berlin berufen worden war und der mitten im Kriege, im Jahre 1942, sich von der Vereinnahmung Friedrich Wilhelms I. fîr den „nationalsozialistischen Staat“ distanzierte,269 hat gleich nach der Machtergreifung in einer aufsehenerregenden Kontroverse die Geschichts-Interpretation Carl Schmitts zurîckgewiesen. Dabei ging es um Genese und Charakter des preußisch-deutschen Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert, ein Thema, das ja mit etwas vernderten Fronten seit den sechziger und siebziger Jahren wiederkehrte.270 268 Max Braubach, Der Aufstieg Brandenburg-Preußens 1640 bis 1815, Freiburg im Breisgau 1933; dazu die kritische Rezension von Carl Hinrichs, in: ForschBrandPrG 48 (1936), S. 420 – 426, S. 421: „Braubachs Preußenfremdheit ist wohl mehr rheinischliberal bedingt“; und die folgende Kontroverse in: ForschBrandPrG 49 (1937), S. 225 – 234, dort S. 229 zum gegen Hinrichs erhobenen Vorwurf, daß „es sich bei meiner Kritik … um die Kritik eines Borussomanen und antiquierten Kleindeutschen an einer modernen ,gesamtdeutschen‘ Auffassung handel(e)“; zum gegen den (rheinischen Katholiken) Braubach erhobenen Vorwurf rheinisch-liberaler Preußenfeindlichkeit vgl. Johannes Spçrl, Max Braubach, in: HistJb 95 (1975), S. 170 – 187, hier S. 175 f. – Nicht in diese Kategorie gehçrt Otto Weber-Krohse, Sieben Preußen als Bahnbrecher des deutschen Gedankens, Berlin 1942; zum Autor Hermann Kownatzki, Weber-Krohse, Otto, in: Altpreußische Biographie, 2, Lfg. 7, Marburg an der Lahn 1967, S. 778. 269 Fritz Hartung, Kçnig Friedrich Wilhelm I., der Begrînder des preußischen Staates (= Preußische Akademie der Wissenschaften. Vortrge und Schriften, 11), Berlin 1942, S. 4: „Auch unsere Zeit hat ein solches Gesamtbild noch nicht geschaffen, obwohl sie den alten Preußengeist Friedrich Wilhelms I., den Gedanken der Hingabe des einzelnen an die Gemeinschaft, wieder zu Ehren gebracht hat und in der autoritren Staatsfîhrung unmittelbar an die Tradition Friedrich Wilhelms anzuknîpfen scheint. Es gibt wohl einige Schriften, die das Werk des Kçnigs gerade unter diesem Gesichtspunkt seiner inneren Verwandtschaft mit dem nationalsozialistischen Staat darstellen. Aber indem sie fast im Stile einer lngst îberlebten hçfischen Historiographie nur die erfreulichen Seiten seines Wirkens behandeln und îber die unleugbaren Schattenseiten scheu hinweghuschen, bleiben sie uns die Hauptsache schuldig, das volle Bild der eigenartigen und knorrigen Persçnlichkeit dieses Kçnigs, der eben nicht bloß ein tîchtiger Drillmeister seiner Soldaten und ein sparsamer Haushalter in Hof und Staat gewesen ist, sondern ein Mensch voll îberschumender Kraft und stîrmischer Leidenschaftlichkeit und damit drîckend und schwer auf der eigenen Familie und dem ganzen Volke gelastet hat.“ 270 Alles weitere in der aus Aktenstudien hervorgegangenen Arbeit von Hans-Christof Kraus, Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? Zur Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Fritz Hartung îber den preußisch-deutschen Konstitutionalismus (1934/35), in: JbGMitteldtld 45 (1999), S. 275 – 310, bes. S. 285, mit der weiteren Literatur; Ausgangspunkt: Carl Schmitt, Staatsgefîge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches.

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Die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik blieb jedenfalls im ganzen am preußischen Forschungsgebiet eigentîmlich desinteressiert. Bismarck hatte, so ist festgestellt worden, als Mythos im Nationalsozialismus „ausgedient“,271 jîngere preußisch-deutsche Exempel schieden als Vorbild aus, aber auch die Friedrich-Literatur aus den Jahren des Dritten Reichs besttigt den Befund. Walter Elzes272 Buch „Friedrich der Große – Geistige Welt, Schicksal, Taten“, zuerst 1936 als kalendertagshistoriographischer Beitrag zum 150. Todestag des Kçnigs vorgelegt, mochte politisch genehm sein, stieß in der Fachwelt aber auf professionelle Abwehr. Denn der Berliner Militrhistoriker konnte mit der These, schon Friedrich habe im Siebenjhrigen Kriege eine „deutsche Einigungsschlacht“ – mit letztlicher Stoßrichtung gegen Frankreich – schlagen wollen, der quellenkritischen Prîfung nicht standhalten.273 Jochen Kleppers Bîcher îber Friedrich Wilhelm I., ohne wissenschaftliche Ambitionen, und doch auf einige Archivarbeit gestîtzt, haben bei ihrem Erscheinen durchaus freundliche Reaktionen in nationalsozialistischen Organen bis hin zum „Vçlkischen Beobachter“ ausgelçst, was zeigt, daß damit durchaus kein sicheres Indiz fîr die Zuordnung von literarischen Produkten in Diktaturen gegeben ist, wie das Ende Jochen Kleppers ja zur Genîge zeigt.274 Auch

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Der Sieg des Bîrgers îber den Soldaten (= Der deutsche Staat der Gegenwart, 6), Hamburg 1934, bes. S. 7 – 36; ferner Dirk Blasius, Carl Schmitt und der „Heereskonflikt“ im Dritten Reich 1934, in: HZ 281 (2005), S. 659 – 682, hier S. 671. So Edgar Wolfrum, Geschichte als Politikum – Geschichtspolitik. Internationale Forschungen zum 19. und 20. Jahrhundert, in: Neue Politische Literatur 41 (1996), S. 376 – 401, hier S. 380; vgl. auch K. Barthel, Friedrich … (s. Anm. 264), S. 32 – 35; zu A. O. Meyer, s. oben Anm. 257, und mit Literatur B(ernd) F(aulenbach), Meyer, Arnold Oskar (1877 – 1944), in: Rîdiger vom Bruch / Rainer A. Mîller (Hg.), Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, Mînchen (2)2002, S. 221 f.: „In der NS-Zeit bemîhte sich M., Bismarcks Leistungen in die Traditionslinie des Dritten Reiches einzuordnen“. Dagegen ist als in dieser Hinsicht unverdchtige Quelle zu vergleichen Heinrich Scheel, Vor den Schranken des Reichskriegsgerichts. Mein Weg in den Widerstand, Berlin 1993, S. 184 f., S. 189 ff., S. 194 f., S. 217 u. ç. Mit der Angabe der NSDAP-Zugehçrigkeit Elzes: Ursula Wolf, Litteris et Patriae. Das Janusgesicht der Historie (= Frankfurter Historische Abhandlungen, 37), Stuttgart 1996, S. 370 f., (S. 368 f. zu Ulrich Crmers Neoborussismus, der freilich ebenso wie Rudolf Craemers Werk: Der Kampf um die Volksordnung. Von der preußischen Sozialpolitik zum deutschen Sozialismus, Hamburg [1933], allenfalls randstndig blieb). Erschienen: Berlin 1936, hier bes. S. 104 – 111; dazu kritisch Gustav Berthold Volz, in: ForschBrandPrG 49 (1937), S. 186 – 191, bes. S. 188 ff.; vgl. zur Sache auch Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus“ in Deutschland, 1, Mînchen 41970, S. 336 f.; dagegen Lob aus dem Umkreis Walter Franks: U. Wolf, Litteris … (s. Anm. 272), S. 371 Anm. 112; vgl. auch F. L. Kroll, Preußenbild … (s. Anm. 263), S. 318 f. (Elze, Werner Frauendienst, Carl Hinrichs 1940). Aus Quellen und Literatur: Jochen Klepper, ˜berwindung. Tagebîcher und Aufzeichnungen aus dem Kriege, Stuttgart 1958, S. 231 – 235: „Die Entstehung und die Grundlagen meiner drei Bîcher îber Friedrich Wilhelm I.“, bes. S. 232 f. (Kontakt zu

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der Friedrich-Essay, den Gerhard Ritter erstmals 1936 publizierte, hatte dieses Schicksal.275 Spter, nach 1945, ist Ritter von George Peabody Gooch deshalb kritisiert worden, weil er die Darstellung in der Tradition Rankes zu positiv habe ausfallen lassen. Eine etwa gar archivgestîtzte Forschungsleistung wie sein Werk îber den Freiherrn vom Stein ist der „Friedrich“ nicht gewesen.276 Fîr Ritter war diese Schrift sehr bewußt ein Stîck Distanzierung von prsentistischen Vereinnahmungen der preußischen Geschichte, und der Rezensent in der Historischen Zeitschrift bilanzierte denn auch im Jahre 1940, Ritters Friedrich halte sich „abseits von nationaler Verherrlichung oder gehssiger Entstellung“. Das Alte Preußen Friedrichs des Großen war fîr Ritter durchaus nicht durch schrankenlose Fîrstenherrschaft bestimmt, die Politik vielmehr durch Rationalitt gemßigt, auch durch Rechtsstaatlichkeit und Toleranz. Noch in der zweiten Auflage von 1942277 hat sich der Freiburger Gelehrte îber den „Militarismus“ geußert, îber den die kleindeutsche Geschichtsschreibung allzu rasch hinweggegangen wre; der Tag von Potsdam wird bei Ritter erwhnt und wenig spter die Distanz der Zeitalter hervorgehoben, die Parallelisierungen (im Sinne der Gegenwart) verbiete. Bekanntlich hat Ritter den Zusammenbruch des Reiches in der Haft, zeitweilig im Konzentrationslager Ravensbrîck, erlebt.278 Der eigentliche

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Carl Hinrichs – der nach dem Kriege von der Arbeit mit Klepper mîndlich berichtet hat); Hans-Christof Kraus, Innere Emigration und preußische Idee. Das Beispiel Jochen Klepper, in: Patrick Bahners / Gerd Roellecke (Hg.), Preußische Stile. Ein Staat als Kunststîck, Stuttgart 2001, S. 447 – 466, S. 554 f., S. 452 ff.: „Kçnigslegende als Kçnigsmystik“; und Gerd Heinrich, Jochen Klepper und die preußische Geschichte, in: ForschBrandPrG NF 4 (1994), S. 237 – 255, bes. S. 240, Aufnahme in der §ffentlichkeit: S. 245. C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 502, zur Entstehung des Buches: S. 269 f., zu Gooch: S. 271. So îbereinstimmend K. Schwabe, Einfîhrung … (s. Anm. 249), S. 39 f.; und C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 272: „Protest“ gegen den Tag von Potsdam; S. Skalweit, Problem … (s. Anm. 60), S. 169; und – durchaus kritisch – die Rezension von Gerhard Oestreich, in: HZ 161 (1940), 3, S. 597 – 600, Zitat: S. 598. Gerhard Ritter, Friedrich der Große. Ein historisches Profil, Leipzig 1942, hier S. 270, und dort ferner: „Staatsraison ist nicht einfach Kampf- und Kriegsrson“, vgl. auch S. 260 f.; vgl. F. L. Kroll, Preußenbild … (s. Anm. 263), S. 320 f.; bei Ritter, a. a. O. S. 10 f.: zum „Tag von Potsdam“, zur Verpflichtung der Tradition, und schließlich: „Und indem wir zugleich den unendlichen Abstand erkennen, der die Aufgaben unserer Zeit von denen der Vergangenheit trennt, werden wir geschîtzt davor, uns voreilig fîr unsere Leistungen und unsere Fehler auf die fernen Ahnen zu berufen“. Deshalb nicht îberzeugend: Volker R. Berghahn, Militarismus. Die Geschichte einer internationalen Debatte, Hamburg u. a. 1986, S. 68. K. Schwabe, Einfîhrung … (s. Anm. 249), S. 10 f.; vgl. C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 364 f.; wichtig: Annelise Thimme, Geprgt von der Geschichte. Eine Außenseiterin, in: Hartmut Lehmann / Otto Gerhard Oexle (Hg.), Erinnerungs-

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Friedrich-Biograph aus der Zeit des Dritten Reiches, Arnold Berney, der nach langjhrigen Vorarbeiten, nicht zuletzt in Archiven Berlins und in Paris, 1934 seine „Entwicklungsgeschichte“ Friedrichs d. Gr. vorlegte,279 in der er die Persçnlichkeitsgenese des Monarchen in den Mittelpunkt stellte, mußte Deutschland verlassen. Das Werk wurde von der NSDAP „indiziert“ (Matthiesen). Berney ist 1943 in Palstina gestorben.280

§ 6 Instrumentalisierung – Internationalisierung – Modernisierung. Historiographie zur preußischen Geschichte seit 1945 I. Untergang und „Abrechnung“ Der Untergang der preußischen Staatlichkeit mit dem letzten Akt im Februar 1947 und die historiographischen Katastrophen, sptestens seit 1933, hngen eng miteinander zusammen. Otto Hintze war im April 1940 im Kriegsberlin verstorben. Historiker, die sich mit preußischen Themen befaßt hatten oder kînftig beschftigen wîrden, waren in die Emigration gezwungen worden. Dies hat die Nachkriegshistoriographie auf diesem Themenfeld îber Jahrzehnte geformt und in ihrem kritischen Profil geschrft. Wenn die westdeutsche Preußenhistoriographie lange Zeit von den Ertrgen der durch Gustav Schmoller und Otto Hintze geprgten Epoche gelebt hat (D. Blasius),281 so hatte dies ganz wesentlich auch Grînde, die sich aus der kriegsbedingten Quellenlage ergaben. Die Archivîberlieferung dieses nun endgîltig, und zwar „in seiner gesamten sozialen, wirtschaftlichen und bevçlkerungsmßigen Struktur“282 untergegangenen Staates war zerrissen. Die militrischen 279

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stîcke. Wege in die Vergangenheit. Rudolf Vierhaus zum 75. Geburtstag gewidmet, Wien/Kçln/Weimar 1997, S. 153 – 223, hier S. 180 f. Arnold Berney, Friedrich der Große. Entwicklungsgeschichte eines Staatsmannes, Tîbingen 1934, zur Entstehungsgeschichte S. V, ferner S. III, S. 4 u. ç.; zum wissenschaftlichen Werdegang, der Habilitationsschrift îber Friedrich I. (bei Gerhard Ritter, Georg von Below u. a.) und dem Friedrich II.-Buch: Heinz Duchhardt, Arnold Berney (1897 – 1943). Das Schicksal eines jîdischen Historikers (= Mînstersche Historische Forschungen, 4), Kçln/Weimar/Wien 1998, bes. S. 43, S. 50 f., S. 59, S. 65, S. 71 – 80; Michael Matthiesen, Verlorene Identitt. Der Historiker Arnold Berney und seine Freiburger Kollegen 1923 – 1938, Gçttingen 1998, S. 38 – 42, S. 47, S. 62, Verdrngung Berneys im Dritten Reich: S. 44. M. Matthiesen, Identitt … (s. Anm. 279), S. 77; Emigration: H. Duchhardt, Berney … (s. Anm. 279), S. 92 – 103; geringe Rezeption Berneys: S. Skalweit, Problem … (s. Anm. 60), S. 168 f. So Dirk Blasius, Einleitung. Preußen in der deutschen Geschichte, in: Ders. (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 111), Kçnigstein im Taunus 1980, S. 9 – 46, hier S. 16. S. Skalweit, Preußen … (s. Anm. 207), hier S. 190.

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Quellen waren, soweit sie zuletzt im Heeresarchiv in Potsdam lagerten, zum allergrçßten Teil im Bombenkrieg vernichtet worden. Die wichtigsten Bestnde der landesherrlichen Kollegien, von Regierung und Verwaltung waren gerettet, aber auslagerungsbedingt nicht oder – in der DDR – nur sehr beschrnkt zugnglich. Die in Berlin-Dahlem liegenden oder nach 1945 dorthin verbrachten Provenienzen erlaubten durchaus Aktenarbeit, freilich nur zu bestimmten Themenfeldern. Die Trennung der ˜berlieferung in den Bestnden zweier deutscher Staaten und nicht zuletzt Polens283 hat die Forschung bis zu Beginn der neunziger Jahre zumindest stark erschwert, teilweise auch verhindert. Darin lag eine historiographische Zsur mit begrîndet. Zunchst war Preußen freilich gar nicht Objekt intensivierter wissenschaftlicher Reflexion, sondern – recht vordergrîndig – Instrument einer „antifaschistische[n] Umerziehung“ (Mittenzwei / Noack). Dabei wurden Stereotypen aus der Zeit vor 1945 in einer „Abrechnungs“-Literatur gleichsam wiederverwendet, die zunchst in Ost und West in aufflliger Parallelisierung der Argumentationsfîhrung Preußen beziehungsweise das „Preußentum“ zum Thema machte,284 etwa in der SBZ das zuerst 1945 in Mexiko erschienene Buch 283 Zu den archiv- und bestandsgeschichtlichen Einzelheiten vgl. Walter Nissen, Das Schicksal der ausgelagerten Bestnde des Preußischen Geheimen Staatsarchivs und des Brandenburgisch-Preußischen Hausarchivs und ihr heutiger Zustand, in: ArchivalZ 45 (1954), S. 139 – 150, hier S. 140 – 142, Heeresarchiv: S. 144, Merseburg: S. 145; B. Poll, Schicksal … (s. Anm. 238), Sp. 73 f.; vgl. damit Uwe Lçbel, Neue Forschungsmçglichkeiten zur preußisch-deutschen Heeresgeschichte. Zur Rîckgabe von Akten des Potsdamer Heeresarchivs durch die Sowjetunion, in: MGM 51 (1992), S. 143 – 149, hier S. 143 f., vgl. S. 146 (wohl nicht alles zurîckgekehrt); zur Rettung ostpreußischer Archivalien: H. Boockmann, Ostpreußen und Westpreußen … (s. Anm. 8), S. 64, S. 67; wichtig: Krystyna Cybulska / Maria Tarnowska, Zasûb wojewûdzkiego archiwum pan´stwowego w Olsztynie. Informator, Olsztyn 1982, S. 19 – 88 (teilweise Verzeichnung der damals im Wojewodschaftsarchiv Olsztyn/Altenstein liegenden Bestnde); CzesŁaw Biernat (Bearb.), Staatsarchiv Danzig – Wegweiser durch die Bestnde bis zum Jahr 1945, (deutsche Ausgabe:) Mînchen 2000, bes. S. 47 – 50; RadosŁaw Gazinski u. a. (Bearb.), Staatsarchiv Stettin – Wegweiser durch die Bestnde bis zum Jahr 1945, Mînchen 2004, zur Bestandsgeschichte S. 29 ff.; Ros´cisŁaw Z˙erelik / Andrze Deren´ (Bearb.), Staatsarchiv Breslau – Wegweiser durch die Bestnde bis zum Jahr 1945, Mînchen 1996, Verluste 1945: S. 32; zu den Berliner Bestnden: Joachim Lehmann, Von Staßfurt und Schçnebeck nach Merseburg. Nachkriegsschicksale eines deutschen Archivs, in: Jîrgen Kloosterhuis (Hg.), Aus der Arbeit des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 1), Berlin 1996, S. 131 – 154, Verluste: S. 131 f. (bes. Hausarchiv), zeitweise Verbringung in die Sowjetunion: S. 135 ff., S. 152, Merseburg: S. 146 – 152; E. Henning, 50 Jahre … (s. Anm. 128), S. 166, S. 169 f. 284 So ausdrîcklich die instruktive Einleitung von Ingrid Mittenzwei / Karl-Heinz Noack, Einleitung. Das absolutistische Preußen in der DDR-Geschichtswissenschaft, in: Dies. (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte vor 1789 (= Studienbibliothek

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îber den „Irrweg einer Nation“ von Alexander Abusch,285 der das „Preußentum“ unter den Leitstzen „Gen Ostland wollen wir reiten“, „Der Staat der Junker“ und – drittens – „Preußen gegen Deutschland“ abhandelte. Wilhelm Rçpke286, nach 1933 in der Emigration und nach 1945 im Umfeld Ludwig Erhards wirkend, berief sich in der westdeutschen Entsprechung dieser Argumentation, wenn er vom „preußische[n] Geschichtsstrom“ sprach, als Gewhrsmnner gleichzeitig auf Onno Klopp und auf Franz Mehring.287 Der Rîckgriff auf die antiborussische (und eher forschungsschwache) Teleologie des 19. Jahrhunderts unter Ignorierung der Forschungssubstanz vergangener Epochen bestimmte das Bild, zunchst noch nicht Debatten. Siegfried August Kaehler hat dann recht bald von konservativerer Basis aus darauf aufmerksam gemacht, daß die nationalsozialistische Konstruktion einer Traditionslinie vom friderizianischen Preußen îber Bismarck zu Hitler nach 1945 nur mit negativer Umkehrung dupliziert werde.288 Friedrich Meineckes Schrift îber „Die deutsche Katastrophe“ reagierte schon 1946 auf diese erste Welle der „Abrechnungsliteratur“, und zwar in durchaus kritischer, aber weiterfîhrender und tieferer Weise. Meinecke faßte seine Reflexionen in eine dichotomische Interpretation der preußischen Entwicklung seit dem frîhen 18. Jahrhundert. „Im preußischen Staate lebten seit Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen zwei Seelen, eine kulturfhige und eine kulturwidrige.“289 Seit der Zeit des zweiten preußischen Kçnigs hatte ein „Militarismus“ das „ganze bîrgerliche Leben“ geprgt, und dies mit sehr langfristigen Wirkungen, habe doch nach den Reformen im frîhen 19. Jahrhundert die „kulturwidrige îber die kulturfhige Seele des preußischen Staates“

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DDR-Geschichtswissenschaft. Forschungswege – Bilanz – Aufgaben, 2), Berlin (1983), S. 11 – 51, hier S. 12 – 16, mit weiterem zeitgençssischen Schrifttum, S. 16 „Miseretheorie“ nach Engels; ebd. zu Niekisch, S. 19: „Geschichtspublizistik“; Peter Meyers, Friedrich II. von Preußen – „Militrischer Despot“ oder „der Große“? Zum Wandel des Friedrich-Bildes in der Historiographie der DDR, in: Alexander Fischer / Gînther Heydemann (Hg.), Geschichtswissenschaft in der DDR, 2 (= GDF, 25/II), Berlin 1990, S. 331 – 366, hier S. 333 (Marx, Engels, Mehring, Abusch, Niekisch). Alexander Abusch, Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verstndnis deutscher Geschichte, (1.–20. Tausend) Berlin 1946, S. 30 – 62; vgl. z. B. P. Meyers, Friedrich II. … (s. Anm. 284), S. 334. Wilhelm Rçpke, Die deutsche Frage, Erlenbach/Zîrich (1945), S. 170 f.; zu ihm mit Literatur Karl Husser, Rçpke, Wilhelm, in: DBE, 8, Mînchen 1998 (2001), S. 356. Vgl. oben bei Anm. 109 – 113, Anm. 217. Siegfried A(ugust) Kaehler, Neuere Geschichtslegenden und ihre Widerlegung, zuerst 1948, wieder in: Ders., Studien zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Aufstze und Vortrge, hg. v. Walter Bussmann, Gçttingen (1961), S. 306 – 335, hier S. 328; und Alexander Fischer, Der Weg zur Gleichschaltung der sowjetzonalen Geschichtswissenschaft 1945 – 1949, in: VjhefteZG 10 (1962), S. 149 – 177, hier S. 168 f. Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, (benutzt in der) 2. Aufl., Wiesbaden 1946, Zitat S. 23 f., mit Hinweis auf das Jahr 1819.

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gesiegt mit, so Meinecke, Kontinuitten bis zum Dritten Reich. Die breite Diskussion von „Militarismus und Hitlerismus“ in der linearen Entwicklung von Friedrich Wilhelm I. îber Roon und Reichswehr bis in das Dritte Reich,290 ließ schon die spter zentrale Frage nach dem preußisch-deutschen Sonderweg in der neueren Geschichte anklingen. Gleichwohl: Der mehr politisch-instrumentale Charakter der Abrechnungsliteratur, (nicht nur) in der kommunistischen Variante mit einer spezifisch antibîrgerlichen Stoßrichtung versehen, hat wenige Jahre spter eine Gegenposition provoziert. Gerhard Ritter hat die Traditionsstrnge zur Vorkriegshistoriographie sehr bewußt gewahrt und restauriert. Auch er diskutierte die Frage nach den Kontinuitten vom Preußen des 18. Jahrhunderts bis zum Nationalsozialismus, kam aber zu einem vçllig anderem, nmlich negativen Resultat.291 Ritter akzentuierte die qualitativen Unterschiede zwischen Preußen und dem Nationalsozialismus, auch zwischen frîher Neuzeit und Moderne. In den Jahren um 1950 hat in Westdeutschland die Geschichtswissenschaft Ritter mehrheitlich beigepflichtet; zu den prominenten Opponenten Ritters gehçrte (mit außenpolitischer Argumentation) Ludwig Dehio (1888 – 1963). Es war eine wertungszentrierte Historiographie,292 die in den fînfziger Jahren aus den politischen Impulsen der unmittelbaren Nachkriegszeit Energien bezog. Walther Hubatsch (1915 – 1984) hat noch in der Mitte der fînfziger Jahre ganz direkt auf diese Debatte rekurriert, in scharfen Wendungen gegen Dehio.293 Hans Joachim Schoeps (1909 – 1980) programmatischer Vortrag îber „Die Ehre Preußens“ versuchte ein axiomatisch gesetztes „wirkliches Preußen“ der Anklageliteratur entgegenzustellen.294 Wie bei dieser war es mehr der ge290 F. Meinecke, Katastrophe … (s. Anm. 289), bes. S. 64 – 78 („Militarismus und Hitlerismus“), ferner S. 154 – 157; zu dieser Schrift H. C. Kraus, Meinecke … (s. Anm. 129), S. 297 f.; W. Schulze, Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 235), S. 50 ff.; Werner Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945. Bedingungen und Ergebnisse, zuerst 1977, wieder in: Ders., Gesellschaft – Staat – Nation … (s. Anm. 237), S. 21 – 43, hier S. 23; zur Kritik aus der SBZ an Meineckes Buch s. H. Fischer, Weg … (s. Anm. 288), S. 166 f. 291 Gerhard Ritter, Europa und die deutsche Frage. Betrachtungen îber die geschichtliche Eigenart des deutschen Staatsdenkens, Mînchen (1948), S. 24, S. 29, vgl. auch S. 32; vgl. auch S. Skalweit, Preußen … (s. Anm. 207), S. 190 – 192 (Vergleich Meinecke – Ritter); zur Anklageliteratur vgl. ferner J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 231 f., Ritter: S. 233 ff., auch zum Widerspruch Ludwig Dehios, S. 255 ff. (Publizistik). 292 Gut gesehen von D. Blasius, Einleitung … (s. Anm. 281), S. 15. 293 Walther Hubatsch, Das Problem der Staatsrson bei Friedrich dem Großen, Gçttingen/Berlin/Frankfurt (1956), S. 27, S. 31, S. 41 Anm. 39; J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 239 – 245; allerdings hat sich Richard Dietrich von dieser Richtung stets abgesetzt und absetzen wollen; Mirow auch zum Folgenden. 294 Hans Joachim Schoeps, Die Ehre Peußens, Stuttgart 1951, wieder in: Ders., ˜b’ immer Treu und Redlichkeit. Preußen in Geschichte und Gegenwart, Dîsseldorf 1978,

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sinnungshistoriographische Impetus als – zu dieser Zeit ohnehin nur sehr punktuell mçgliche – eigene Forschungsbefunde, die die Argumentationen trugen. Schoeps‘ Forschungen zur Zeit Friedrich Wilhelms IV. und zum Kreis um die Brîder Gerlach gaben einen wichtigen Einzelimpuls, nun hinein in die Forschung. Vielleicht haben die primr gesinnungshistoriographischen, die „Ehre“ Preußens und des „Preußentums“ in den Mittelpunkt rîckenden (Kampf)Schriften aller Seiten ungewollt die weitere Entwicklung des Themenfeldes als wissenschaftliches Arbeitsgebiet mehr behindert und belastet. Die Geschichte Preußens entnahm aus dem Ende Preußens zunchst eher fragwîrdige Impulse. II. Bundesrepublik und historiographische Westintegration Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als htten nach 1945 im westlichen Deutschland die historiographischen Kontinuitten îberwogen. Freilich waren die Indizien fîr Diskontinuitten und Brîche in der Tradition der preußenthematischen Historiographie nach 1918 und bis 1945 doch recht erheblich. In der Zeit des Nationalsozialismus waren historiographische Traditionen der preußischen Geschichte gestçrt, ja zerstçrt worden.295 Carl Hinrichs296 konnte nach 1945 seine Karriere fortsetzten. Er tat dies freilich ganz wesentlich auf den Feldern der Reformationsgeschichte und der Historiographie des 19. Jahrhunderts. Gewiß: Die Debatte um die Revision des deutschen Geschichtsbildes im allgemeinen, wie sie nach 1945/49 gefîhrt worden ist, betraf auch Themen der preußischen Geschichte. Aber „die historische Forschung widmete sich dem Thema ,Preußen‘ whrend der 1950er Jahre nur vereinzelt“.297 Die Publikation S. 43 – 83, hier S. 47, zur Zeit Friedrich Wilhelms IV., die ihm vertraut war, S. 60 – 66 mit guten Beobachtungen; zur ersten Auflage die Rezension von Fritz Hartung, in: HZ 174 (1952), S. 597 – 599 (ablehnend), S. 598: mangelnde Quellenbasis und îbersehene „Modernisierung“ (!) im 19. Jahrhundert; Forschungsschwerpunkt des Verfassers: Hans Joachim Schoeps, Das andere Preußen, Stuttgart 11952, bes. Teil 1: „Die konservative Rechtsstaatsidee in Preußen“, S. 9 – 142; zum Verstndnis von Schoeps nîtzlich Frank-Lothar Kroll, Hans-Joachim Schoeps (1909 – 1980), in: Frnkische Lebensbilder 16 (1996), S. 287 – 306, hier S. 298 f., jîdisches Schicksal: S. 280, S. 293 ff.; Ders., Geistesgeschichte in interdisziplinrer Sicht. Der Historiker HansJoachim Schoeps, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Geschichtswissenschaft in Erlangen (= Erlanger Studien zur Geschichte, 6), Erlangen/Jena 2000, S. 315 – 340, hier S. 331 f. 295 Vgl. die Studien in Anm. 224. 296 Vgl. oben Anm. 262; postum und in Zusammenfassung zuvor verstreuter Texte: Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiçs-soziale Reformbewegung, Gçttingen 1971, hier S. XI f. 297 So Frank-Lothar Kroll, Sehnsîchte nach Preußen? Preußenbild und Preußendiskurs nach 1945, in: Ders., Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates, Pader-

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von Manuskripten, die auf lteren, vor 1945 noch mçglichen (Archiv-)Forschungen aufbauten, konnte dies noch eine zeitlang notdîrftig verdecken. Ja, in den historiographischen Kmpfen um und nach 1945, die mit dem Kampftopos der Restauration nur unzureichend erfaßt und beschrieben werden kçnnen, war die Entpreußung der Historie ein dezidiertes wissenschaftspolitisches Programm.298 Thematisch und personell knîpfte die Diskussion um die Deutung Bismarcks an die Debatten unmittelbar vor der nationalsozialistischen Machtergreifung an.299 Die kritisch-liberale Bismarck-Interpretation Erich Eycks stieß auf die konservativere Abwehr sowohl von Hans Rothfels – noch aus der Emigration – und von Franz Schnabel,300 die ihrerseits alsbald Antipoden in einer Auseinandersetzung um das „Bismarckbild“ im Nachkriegsdeutschland geworden sind. Dies wurde zu einer Debatte nicht zuletzt um die Alternativen oder Notwendigkeiten auf dem Wege zum Zweiten Reich. Schon die kritischen Fragen Schnabels wirkten um 1950 als Provokation, ohne daß der Heftigkeit der Diskussion eine Intensivierung der Quellenforschungen gefolgt wre. Rothfels betonte auch nach 1945 die Distanz Bismarcks zu den zerstçrenden Potentialen des Nationalismus, Ritter die friedenspolitische Dimension seiner Diplomatie.301 In methodischer Hinsicht blieb die Debatte freilich in jeder

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born u. a. 2001, S. 241 – 251, hier S. 244, mit Hinweis auf W. Hubatsch als Sonderfall; vgl. auch S. 243. W. Schulze, Geschichtswissenschaft nach 1945 … (s. Anm. 235), S. 211 f., S. 217 – 219, S. 222, mit interessanten, noch nicht ganz ausgeleuchteten geschichtspolitischen Details; Ders., „Das Mainzer Paradoxon“. Die deutsche Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit und die Grîndung des Instituts fîr europische Geschichte, in: Ders. / Corine Defrance, Die Grîndung des Instituts fîr Europische Geschichte Mainz (= VerçffInstEurG, Abt. abendlndische Religionsgeschichte, Abt. Universalgeschichte, 36), Mainz 1992, S. 7 – 53, hier S. 19 – 24 (Mainz als Organisation gegen G. Ritter und die Majoritt im Historikerverband), und sehr deutlich S. 30. Vgl. zur neuen Interpretation von Rothfels oben Anm. 256. Lothar Gall, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung nach 1945 (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 42), Kçln/Berlin (1971), S. 9 – 24, hier S. 14 – 16, zu Schnabels Position ferner S. 16 – 18; Hans Hallmann, Vorwort, in: Ders. (Hg.), Revision des Bismarckbildes. Die Diskussion der deutschen Fachhistoriker 1945 – 1955 (= Wege der Forschung, 285), Darmstadt 1972, S. VII-XVIII, hier S. XV f.; zu Eycks „sptliberaler Generalabrechnung“ s. M. Stîrmer, Bismarck-Mythos … (s. Anm. 231), S. 5 f.; und Walter Bussmann, Wandel und Kontinuitt der Bismarck-Wertung, zuerst 1955, wieder in: Ders., Wandel und Kontinuitt in Politik und Geschichte. Angewhlte Aufstze zum 60. Geburtstag, hg. v. Werner Pçls, Boppard am Rhein (1973), S. 305 – 315, hier S. 313. Nîtzliche Auswahl der Texte in den Anm. 300 genannten Anthologien; aus der Lit.: W. Schulze, Geschichtswissenschaft nach 1945 … (s. Anm. 235), S. 223 – 226; zur Auseinandersetzung zwischen F. Schnabel und G. Ritter; H. U. Wehler, Lage … (s. Anm. 234), S. 19; C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 507 – 509, S. 513, Kritik Ritters an Eyck: S. 514 – 518.

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Hinsicht traditionell. Denn auch die Bismarck-Kritik griff auf ltere Argumente zurîck, die schon zeitgençssischen Auseinandersetzungen entstammten. Darauf hat Walter Bußmann (1914 – 1993) mit Nachdruck hingewiesen,302 dessen Epochenkonzeption schon inhaltlich offener die liberalen und nationalen Krfte, auch diejenigen Sîddeutschlands in realistischer Weise einschloß.303 Der kritisch-sozialwissenschaftliche Kontrapunkt wurde erst zwei Jahrzehnte spter gesetzt. Um 1950 waren es zunchst große Personen, vor allen Dingen Fîhrergestalten der preußisch-deutschen Geschichte, die (nach wie vor) faszinierten, vor allen Dingen die Person Scharnhorsts und der fast gleichzeitig von Eberhard Kessel (geb. 1907) und Rudolf Stadelmann (1902 – 1949) monographisch behandelte Moltke.304 Vorsichtig wurden aus der Kontinuittsdiskussion, die sich an Personenreihen zwischen Luther und Hitler anknîpfen ließ, Fragen nach den mçglichen Spezifika der preußischen (beziehungsweise preußisch-deutschen) Historie abgeleitet. Insoweit gehen in der Tat „Sonderwegsdeutungen“ bis in die 1940er Jahre zurîck.305 Die Frage nach der Rolle des „Militarismus“, seinen historischen Wurzeln und spten Folgen, wurde in den fînfziger Jahren zum Anlaß einer vertieften Diskussion îber die Spezifika der preußischen Entwicklungen. Gerhard Ritter hatte im Kriege begonnen, dieses Thema zu bearbeiten. Als noch die wichtigsten Archive in Berlin und Potsdam erhalten und zugnglich waren, hatte der Freiburger Ordinarius wichtiges, heute z. T. verlorenes Material erhoben. Fîr Ritter handelte es sich bei der Frage des „Militarismus“ um diejenige auch dem „rechten Verhltnis von Staatskunst und Kriegstechnik. Militarismus ist die ˜bersteigerung und ˜berschtzung des Soldatentums, durch die 302 W. Bussmann, Wandel … (s. Anm. 300), S. 305. 303 Walter Bussmann, Das Zeitalter Bismarcks, 3. Aufl. Konstanz o. J., etwa S. 52 ff.; L. Gall, Einleitung … (s. Anm. 300), S. 22; und Gînther Grînthal, Walter Bußmann 14.1.1914 – 20.4.1993, in: HZ 258 (1994), S. 867 – 876, S. 872: „… jenseits von Apologie und Anklage“; Horst Mçller, Walter Bußmann zum Gedenken, in: VjhefteZG 41 (1993), S. 495 – 502, hier S. 499. 304 So S. Skalweit, Preußen … (s. Anm. 207), S. 201 ff.; mit den Nachweisen: Eberhard Kessel, Moltke, Stuttgart 1957, Quellen: S. 765 f. 305 Vgl. Thomas Welskopp, Identitt ex negativo. Der „deutsche Sonderweg“ als Metaerzhlung in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft der siebziger und achtziger Jahre, in: Konrad H. Jarausch / Martin Sabrow (Hg.), Die historische Meistererzhlung. Deutungen der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Gçttingen (2002), S. 109 – 139, S. 112; vgl. mit Hinweis auf Rudolf Stadelmann E. Fehrenbach, Die Reichsgrîndung … (s. Anm. 95), S. 286; zum Folgenden z. B. Hans Herzfeld, Zur neueren Literatur îber das Heeresproblem in der deutschen Geschichte, in: VjhefteZG 4 (1956), S. 361 – 386, hier S. 261 f. (mit Verweis auf Wheeler-Bennett und Gordon Craig); vgl. John W. Wheeler-Bennett, Die Nemesis der Macht. Die deutsche Armee in der Politik 1918 – 1945, Dîsseldorf 1954, S. 13, S. 26 ff. u. ç.

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jenes Verhltnis ungesund wird“. Das Problem war letztlich fîr ihn „ein politisch-historisches, kein soziologisches“. Aufgrund dieser Setzung war fîr Ritter der Militarismus zuallererst ein sptes Phnomen, eines aus der Epoche von Bismarcks Epigonen.306 Von zwei Seiten aus wurde Ritters, bis 1968 auf vier Bnde angewachsenes Werk, in grundstzlicher Weise angefochten. Wenn Ritter schon aus dem Fehlen einer „kmpferischen Gesinnung“ schloß, daß es unter Friedrich Wilhelm I. keinen Militarismus in Preußen gegeben habe, so zeige – nach Ludwig Dehio – dies sehr deutlich eine „Verengung des Begriffs Militarismus“, und dies gelte erst recht fîr die Zeit nach 1740.307 Dehios Kritik blieb aber im Kern politikgeschichtlich basiert, ohne schon die Frage der sozialen Dimension des „Militarismus“ zu stellen. Fîr Dehio gab es eine, aus dem 18. in das 20. Jahrhundert fîhrende Kontinuitt einer „militrischen Staatsraison“ fortgesetzter politischer Offensive und Aggression. Damit war in neuem Gewande die Frage nach den Kontinuitten in und aus der preußischen Geschichte bis hin zum Nationalsozialismus gestellt. Alsbald wurde freilich offenbar, daß die (primr) politikgeschichtliche Dimension in Ritters erstem Bande eine Reduktion des Problems bedeutete. Hans Herzfeld (1892 – 1982) hat diesen Einwand in der Mitte der 1950er Jahre in die Diskussion eingebracht.308 Ritter wîrde, so sein Argument, durch „seine Fragestellung nicht mit gleicher Schrfe und Aufmerksamkeit dem Problem der sozialen Prvalenz militrischer Haltung und militrischen Einflusses in der inneren Geschichte Preußens“ nachgehen. Dabei verwies Herzfeld auf die damals noch ungedruckte Dissertation Otto Bîschs, die – aus Grînden, die im Per306 Zur Entstehung des Werkes: Gerhard Ritter, Staatskunst … (s. Anm. 273), S. 9 f., Abschluß des ersten Bandes bis 1944: S. 11, folgendes: S. 13, S. 23, S. 312, vgl. (letztes Zitat) S. 399; C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 568, S. 571, S. 579, zum Titel S. 581, Kontakte zu Beck und Goerdeler zum Thema: S. 575; vgl. zur Definition schon G. Ritter, Europa … (s. Anm. 291), S. 25, S. 28, S. 575; K. Schwabe / R. Reichardt (Hg.), Ritter Briefe … (s. Anm. 249), S. 361 f. Anm. 1; V. Berghahn, Militarismus … (s. Anm. 277), S. 74; kritisch auch K. Schwabe, Einfîhrung … (s. Anm. 249), S. 128 f.; vgl. schon die aus einem Vortrag auf dem Historikertag 1953 hervorgegangene Schrift: Gerhard Ritter, Das Problem des Militarismus in Deutschland (= Schriftenreihe der Bundeszentrale fîr Heimatdienst, 3), Bonn 31955, S. 3 ff., zur politikgeschichtlichen Fîllung des Begriffs. 307 Ludwig Dehio, Um den deutschen Militarismus. Bemerkungen zu G. Ritters Buch „Staatskunst und Staatsraison [!]. Das Problem des ,Militarismus‘ in Deutschland“, zuerst 1955, wieder in: Volker R. Berghahn (Hg.), Militarismus (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 83), Kçln 1975, S. 218 – 235, Kritik an Ritters MilitarismusDefinition: S. 220, Zitat: S. 224; weiter S. 228 – 232; zu Dehio jetzt Thomas Beckers, Abkehr von Preußen. Ludwig Dehio und die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, (Aichach 2001), S. 57 f., mit weiteren Differenzierungen; K. Schwabe, Einleitung … (s. Anm. 249), S. 132; C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 390 – 392, S. 584 – 586. 308 H. Herzfeld, Zur neueren Literatur … (s. Anm. 305), S. 366 f., Zitat: S. 567.

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sçnlichen lagen – erst Jahre spter verçffentlicht worden ist.309 Herzfeld ging schon recht weit, wenn er Ritters Militarismusbegriff als „fragwîrdig“ bezeichnete.310 Dabei war die Problemstellung, welche sozialen Wirkungen der „Militarismus“ in Preußen gehabt hatte, alles andere als neu. Schon Otto Hintze hatte diese Frage ja gestellt.311 Im zweiten Band von „Staatskunst und Kriegshandwerk“ hat Gerhard Ritter dann auf methodisch sehr viel breiterer Basis die soziale Militarisierung in Preußen und Europa in seine Analyse einbezogen,312 was bisweilen îbersehen worden ist und die marxistische Kritik aus der DDR 309 Otto Bîsch, Militrsystem und Sozialleben im Alten Preußen 1713 – 1807. Die Anfnge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft. Mit einer Einfîhrung von Hans Herzfeld (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 7), Berlin 1962, Verweis auf Rosenberg: S. XII; Bîschs Thesen sind von der Forschung nach 1989 kritisch îberprîft und in zentralen Punkten der Argumentation falsifiziert worden: gegen einen direkten Zusammenhang von gutsherrschaftlicher Agrarverfassung und altpreußischem Militrsystem der Beitrag von Hartmut Harnisch, Preußisches Kantonsystem und lndliche Gesellschaft. Das Beispiel der mittleren Kammerdepartements, in: Bernhard R. Kroener / Ralf Prçve (Hg.), Krieg und Frieden. Militr und Gesellschaft in der Frîhen Neuzeit, Paderborn u. a. 1996, S. 137 – 165, S. 164 f., und zu Bîsch S. 140, S. 146 – 148; Jîrgen Kloosterhuis, Bauern, Bîrger und Soldaten: Grundzîge der Sozialisation des Militrsystems im preußischen Westfalen, 1713 – 1803, in: Ders., Bauern, Bîrger und Soldaten. Quellen zur Sozialisation des Militrsystems im preußischen Westfalen 1713 – 1803 (= Verçffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C, 29), Mînster 1992, S. VII-XXXII, hier S. XI f.; Frank Gçse, Zwischen Garnison und Rittergut. Aspekte der Verknîpfung von Adelsforschung und Militrgeschichte am Beispiel Brandenburg-Preußens, in: Ralf Prçve (Hg.), Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militrgeschichte der Frîhen Neuzeit, Kçln/Weimar/Wien 1997, S. 109 – 142, hier S. 121 – 127; zu Bîsch die Rezension von Horst Stuke, in: HZ 198 (1964), S. 389 – 393, mit dem wichtigen Einwand, daß zum einen bei Bîsch jeder Vergleich fehle, zum Anderen die (wirkungsgeschichtlich angelegte) These, daß hier die „Anfnge“ der sozialen Militarisierung betrachtet wîrden, gnzlich unbewiesen bliebe; S. 390: keine neue Fakten gegenîber der lteren Literatur; Erbe Max Lehmanns bei Bîsch: Wolfram Fischer, Neue Verçffentlichungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, in: BllDtLdG 99 (1963), S. 297 – 315, hier S. 301 f. (bemerkenswert!); Francis L. Carsten, in: The English Historical Review 79 (1964), S. 611: „There is nothing fundamentally new or suprising“ bei Bîsch; dann die strategische Neubewertung Bîschs z. B. bei H. U. Wehler, Lage … (s. Anm. 234), S. 19. 310 H. Herzfeld, Neuere Literatur … (s. Anm. 305), S. 368. 311 Z. B. in seiner Rezension des Werkes von Conrad Bornhak, so Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 18 (1905), S. 289; aus der Literatur: J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 238. 312 G. Ritter, Staatskunst … (s. Anm. 273), 2, Mînchen 31973, (zuerst 1960), S. 117 – 131: „Die Militarisierung des deutschen Bîrgertums“, Kritik am „verschwommenen und viel mißbrauchten Begriff“ des Militarismus: S. 118, aber S. 119: „Militarisierung“ in Preußen des 18. Jahrhunderts; vgl. C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 594, S. 596.

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nicht abmilderte.313 Aber im ganzen wird auch die Weiterentwicklung von Ritters Begriff des Militarismus als Indiz dafîr gewertet werden kçnnen, daß seit den fînfziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Bereitschaft zum historiographischen Realismus gegenîber einer gesinnungshistoriographischen Literatur tendenziell zunahm. Die – langsam wachsende – Bereitschaft zur Rezeption internationaler Beitrge hing damit zusammen. Carl Hinrichs hat gleich bei Erscheinen Gordon Craigs Werk îber „The Politics of the Prussian Army“314 auf die Differenz zu Ritter aufmerksam gemacht. Craig betonte die Modernisierungsdefizite im Politischen, die Rolle der preußischen Armee als Hemmschuh bei der „Demokratisierung“, und er sah darin Kontinuittslinien in Richtung auf das Dritte Reich, auch in einem sozialgeschichtlichen Sinne. Nicht erst nach 1945 wurden auslndische Beitrge zur preußischen Geschichte sehr wohl beachtet. Die Produktion zunchst der europischen Nachbarn, um 1900 vor allem die franzçsischen Forschungen zur lteren preußischen Geschichte aus der Feder von Ernest Lavisse und Albert Waddington, wurde von fachhistorischer Sicht, etwa von Reinhold Koser und Otto Hintze sehr wohl wahrgenommen und – ungeachtet sehr differenter politischer Standpunkte – respektvoll rezipiert.315 Nach 1945 wurde der Dialog durch die kriegspropagandistische Ausnutzung der preußischen Geschichte auf beiden Seiten zunchst gewiß nicht erleichtert,316 aber die englischsprachige Fachdis313 Z. B. Hannelore Lehmann, Zum Wandel des Absolutismusbegriffs in der Historiographie der BRD, in: ZGWiss 22 (1974), S. 5 – 27, hier S. 12; vgl. zur lteren Kritik Ernst Engelsbergs C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 585 f.; V. Berghahn, Militarismus … (s. Anm. 277), S. 76 f. (Engelberg); zum Folgenden J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 246 – 253, mit unglîcklichen Gruppenbildungen (S. 246 f. Anm. 75). 314 Gordon A. Craig, The Politics of the Prussian Army, 1640 – 1945, zuerst 1955, korrigierte Neuauflage: London/Oxford/New York 1964, zur Rolle der Armee in der deutschen (!) Geschichte S. XIII-XX; deutsche Auflage: Gordon A. Craig, Die preußisch-deutsche Armee 1640 – 1945, Staat im Staate, Dîsseldorf 1960; dazu 1956 Carl Hinrichs, Preußen als historisches Problem. Zur heutigen Auffassung Friedrich Wilhelms I., in: Ders., Preußen … (s. Anm. 262), S. 15 – 39, hier zu Craig S. 18 – 21, mit Kritik an Ritter. 315 Vgl. z. B. Gustav Schmoller, Charakterbilder, Mînchen/Leipzig 1913, S. 3 Anm. 1, S. 15 (Lavisse als „franzçsischer Chauvinist“); zu Lavisse lobend das Vortragsreferat von Reinhold Koser, in: MittVGBerlin 4 (1887), S. 5 f.; vgl. S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 122 f.; zu Albert Waddington besonders die Rezension von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 26 (1913), S. 304 – 308, etwa die respektgetragenen øußerungen S. 304 f. 316 Beispiele von alliierter Seite: Robert Ergang, The Potsdam Fîhrer. Frederick William I. Father of Prussian Militarism, New York 1941, 1933 als Preußen-Restauration: S. 5 f.; vgl. S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 129 Anm. 43; S. D. Stirk, The Prussian Spirit. A Survey of German Literature and Politics 1914 – 1940, London

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kussion bot nach 1945 ein sehr viel differenzierteres Bild, als die hufiger beachteten Produkte rein politischer Absicht. Diese Differenzierungen wurden ebenso diskutiert und rezipiert,317 wie die an den Methoden der Annales orientierte Monographie von Henri Brunschwig zum Preußen um 1800 und dem (politischen) Mentalittswandel einige Beachtung, freilich keine Nachfolge fand.318 Wird nach innovativen Impulsen in der wissenschaftlichen Epoche des ersten Nachkriegsjahrzehnts gefragt, so wird wohl nicht in erster Linie auf die letzten aufsatzstarken Studien Fritz Hartungs zur preußischen Verwaltung im 19. Jahrhundert hinzuweisen sein. Hartung hatte aber gleich nach 1945 versucht, in der Akademie der Wissenschaften an die preußischen Traditionen der Hintze-Zeit anzuknîpfen; eine Edition der jîngeren Staatsministerialprotokolle ist schon damals von ihm vorgeschlagen worden.319 Kleinere Beitrge zur Ge(1941), mit interessanten Passagen zur englischen „çffentlichen Meinung“ îber Preußen: S. 13 – 21, zur „Legend of Frederick the Great“ S. 106 – 125, – ein ja bis in jîngste Zeiten immer wieder gerne aufgenommenes Thema, S. 148 – 232 „Prussia and the Third Empire, 1933 – 40“; zu Mnnern der preußischen Reformzeit, „some of them are more in advance than others and few approach the ideal type of Hitler“: Eugene Newton Anderson, Nationalism and the Cultural Crisis in Prussia, 1806 – 1815, New York 1939, S. 6. – Wohl alle diese Autoren besaßen einen Migrationshintergrund. – Zu Francis L. Carsten, Hajo Holborn und dessen Schîler Walter M. Simon siehe summarisch Walther Hubatsch, Preußen als internationales Forschungsproblem, in: GWU 13 (1962), S. 71 – 86, hier S. 75 f.; weiteres (G. P. Gooch) siehe S. Skalweit, Preußen … (s. Anm. 207), S. 193 f. – ohne vordergrîndige Linienfîhrung Friedrichs II. zum Nationalsozialismus, aber zur „Bedenkenlosigkeit seiner Machtpolitik“. 317 Mit Nachweis des britischen Schrifttums nach 1945: Manfred Schlenke, Das absolutistische Preußen in der englischen Geschichtsschreibung von 1945 bis 1955. Ein Literaturbericht, in: ArchKulturG 39 (1957), S. 112 – 129, bes. S. 112 – 122, S. 129; zu Reinhold A. Dorwart positiv S. Skalweit, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 41), S. 150 mit Anm. 44. 318 Zuerst franzçsisch 1947, nicht immer glîckliche deutsche ˜bersetzung: Henri Brunschwig, Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert. Die Krise des preußischen Staates am Ende des 18. Jahrhunderts und die Entstehung der romantischen Mentalitt, dt.: Frankfurt/Berlin/Wien (1976), mit nicht durchweg gelungener Beweisfîhrung (vgl. S. 290 f., Interpretation ohne Nachweise: S. 372 ff., S. 376); vgl. S. Skalweit, Preußen … (s. Anm. 207), S. 198 – 200; D. Blasius, Einleitung … (s. Anm. 281), S. 12 f. 319 Brbel Holtz, Das Thema Preußen in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik der DDR, in: W. Neugebauer (Hg.), Das Thema „Preußen“ … (s. Anm. 32), S. 329 – 354, hier S. 334 (1948), weiteres und spteres S. 341 f.; Peter Th. Walther, Fritz Hartung und die Umgestaltung der historischen Forschung an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in: Martin Sabrow / Peter Th. Walther (Hg.), Historische Forschung und sozialistische Diktatur. Beitrge zur Geschichtswissenschaft der DDR (= Beitrge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung, 13), Leipzig 1995, S. 59 – 73, hier S. 63 f. (1945: Plne zur Weiterfîhrung von Politischer Korrespondenz und Acta Borussica).

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schichte der preußischen Verwaltung, besonders îber das preußische Beamtentum des 19. und 20. Jahrhunderts haben sozialgeschichtliche Dimensionen doch nur vorsichtig einbezogen und Hintzes Niveau letztlich nicht erreicht.320 Selbst den innovativen Forschungen Gerhard Oestreichs zur „Niederlndischen Bewegung“ im Brandenburg-Preußen der Frîhneuzeit stand Hartung skeptisch gegenîber.321 Oestreich entwickelte aus seinen Lipsius-Studien, bei denen der stoizistische Moralbegriff der „Constantia“ und die um 1600 entwickelte Forderung nach Gehorsam als politische Tugend große Bedeutung gewann, sodann jenes Konzept der „Sozialdisziplinierung“, das seit den spten 1960er Jahren in der internationalen Frîhneuzeithistoriographie zu einem Schlîsselthema geworden ist. Oestreich ergnzte damit ltere, institutionengeschichtliche Zugnge zum frîhmodernen Staat durch die Dimension eines politisch-mentalen Verhaltenswandels, durchaus nicht nur im Sinne einseitig gefaßter Untertanendisziplinierung, sondern als geradezu anthropologisch relevante Vernderung, die alle Schichten und Stnde erfaßte und notwendige Voraussetzungen fîr die politische Moderne schuf.322 320 Originaldruck: Fritz Hartung, Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung, 3: Zur Geschichte des Beamtentums im 19. und 20. Jahrhundert (= Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1945/46, Philosophische-historische Klasse Nr. 8), Berlin 1948, mit Verweis auf Schmoller: S. 3; vgl. Fritz Hartung, Staatsbildende Krfte der Neuzeit. Gesammelte Aufstze, Berlin (1961), etwa S. 414 – 430; spte Jahre Hartungs: Werner Schochow, Ein Historiker in der Zeit. Versuch îber Fritz Hartung (1883 – 1967), in: JbGMitteldtld 32 (1983), S. 219 – 250, hier S. 234 – 243; sozialgeschichtliche Dimension betont bei Gerhard Oestreich, Fritz Hartung als Verfassungshistoriker (1883 – 1967), zuerst 1968, wieder in: Ders., Strukturprobleme der Frîhen Neuzeit. Ausgewhlte Aufstze, hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin (1980), S. 34 – 56, hier S. 46; wichtige und weniger gelungene Fallstudien zur preußischen Verwaltungsgeschichte in der von Walther Hubatsch seit 1958 hg. Reihe: Studien zur Geschichte Preußens; vgl. Iselin Gundermann, Walther Hubatsch, in: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 7 (1987), S. 385 – 394, hier S. 388; abgewogen (Hubatsch sehr kenntnisreich, aber zu sehr wertend): D. Blasius, Einleitung … (s. Anm. 281), S. 15; Veraltungstendenz: H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 8), S. 71, dort auch scharf zum Hermann Aubin der Nachkriegszeit. 321 E. Grothe, Zwischen Geschichte … (s. Anm. 139), S. 398 Anm. 428. 322 Die spt publizierte Habilitationsschrift: Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius, hg. v. Nicolette Mout (1547 – 1606) (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 38), Gçttingen 1989, S. 171, S. 182 f., S. 192, und in der Einleitung der Herausgeberin S. 23 f.; G. Oestreich, Fundamente … (s. Anm. 118), S. 283 – 286; Ders., Politischer Neustoizismus und Niederlndische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen, zuerst 1965, wieder in: Ders., Geist und Gestalt des frîhmodernen Staates. Ausgewhlte Aufstze, Berlin (1969), S. 101 – 156, hier S. 113 ff. („Constantia“), S. 139 – 156; und dort Ders., Strukturprobleme des europischen Absolutismus, S. 179 – 197, bes. S. 187 – 195 (Sozialdisziplinierung); Peter Baumgart,

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Es hat gedauert, bis die Anregung Oestreichs, der in den 1930er Jahren mit einer behçrdengeschichtlichen Studie zur brandenburg-preußischen Staatsstruktur im 17. Jahrhundert promoviert wurde, nun die Grenzen des Absolutismus zum Programm erhob und in die Forschungen zu preußischen Themen Eingang fand.323 In den sechziger Jahren waren es zunchst ganz wesentlich Publikationen von Historikern, die nach 1933 in die Emigration gezwungen worden waren, die wesentliche Anstçße gaben und auf die die traditionelleren Richtungen der noch aktiven preußenbezogenen Historiographie im ganzen recht hilflos reagierten. – Die Dissertation Otto Bîschs zur „sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft“ war ja ganz wesentlich von Hans Rosenberg angeregt worden, als dieser gleich nach Begrîndung der Freien Universitt fîr eine kurze, aber sehr einflußreiche Zeit in Berlin gelehrt hatte.324 Von den Meinecke-Schîlern, die nach 1933 in die USA gegangen waren, Hajo Holborn und Felix Gilbert, Dietrich Gerhard und Hans Baron, haben Hans Rothfels und Hans Rosenberg325 (1904 – 1988) auf sehr verschiedene Weise Preußen zu einem ihrer Arbeits- und Argumentationsschwerpunkte gemacht; schon deshalb ist davor zu warnen, die „Refugee Historians“ als eine undifferenzierte Einheit zu betrachten. Der in den dreißiger Jahren îber die Niederlande ins englische Exil gezwungene Francis L. Carsten (1911 – 1998) publizierte 1954 sein Werk îber „The Origins of Prussia“,326 in dem er von strukturellen

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Gerhard Oestreich zum Gedchtnis, in: Neue Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 1 (1979), S. 355 – 360, hier S. 358 f. (Grenzen des Absolutismus); die inzwischen reichhaltige Literatur zum Komplex der „Sozialdisziplinierung“ in der allgemeinen Geschichte kann hier nicht nachgewiesen werden. G. Oestreich, Strukturprobleme … (s. Anm. 322), S. 183; danach Peter Baumgart, Epochen der preußischen Monarchie im 18. Jahrhundert, in: Otto Bîsch (Hg.), Das Preußenbild in der Geschichte. Protokoll eines Symposions (= VerçffHistKommBerlin, 50), Berlin/New York 1981, S. 65 – 96, hier S. 75; Peter Baumgart, Wie absolut war der preußische Absolutismus?, in: Manfred Schlenke (Hg.), Preußen. Beitrge zu einer politischen Kultur (= Preußen. Versuch einer Bilanz, 2), Berlin 1981, S. 89 – 105, hier S. 93; Dissertation: Gerhard Oestreich, Der brandenburg-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfîrsten bis zur Neuordnung im Jahre 1651. Eine behçrdengeschichtliche Studie (= Berliner Studien zur neueren Geschichte, 1), Wîrzburg-Aumîhle 1937, S. 2: aus der Schule Fritz Hartungs. Wie Otto Bîsch in Gesprchen wiederholt geschildert hat; vgl. O. Bîsch, Militrsystem … (s. Anm. 309), S. XII; auch H.-U. Wehler, Lage … (s. Anm. 234), S. 19. Gerhard A. Ritter, Hans Rosenberg 1904 – 1988, in: Geschichte und Gesellschaft 15 (1989), S. 282 – 302, hier S. 292; und die Beitrge von Wolfgang J. Mommsen / Michael H. Kater / Hanna Schissler (zu Rosenberg), in: Hartmut Lehmann / James J. Sheehan (Hg.), An Interrupted Past. German Speaking Refugee Historians in the United States After 1933 (= Publications of the German Historical Institute Washington, D.C.), Washington D.C. u. a. (1991). F(rancis) L(udwig) Carsten, The Origins of Prussia, Oxford 1954, (Neuauflage 1968) [Dt. u. d. T.: Die Entstehung Preußens, Kçln/Berlin 1968], S. 150 f., S. 157 u. ç.; dazu Gerd Heinrich, Forschungen zur Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Literatur-

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Grundlagen seit der hochmittelalterlichen Siedlungsphase ausging, die Stellung der Stdte und die dominante Position des Adels in den wichtigsten Staatsregionen in den Mittelpunkt rîckte, aber doch letztlich die außenpolitischen Konstellationen – besonders den Nordischen Krieg 1655 bis 1660 – fîr den Umschlag der inneren Krfteverhltnisse urschlich machte. Die Stellung der Stnde bis zum „Sieg des Großen Kurfîrsten“ hat Carsten, der immer dazu neigte, die zentral-europischen Stnde im Lichte des englischen Parlamentarismus zu betrachten, besonders interessiert; er ist aber vielleicht doch einem zu konventionellen Konzept von Absolutismus gefolgt.327 Jedenfalls stieß Carsten nicht nur bei traditionelleren deutschen Kollegen, sondern auch bei Hans Rosenberg auf Vorbehalte,328 der mit seinem Buch „Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy. The Prussian Experience 1660 – 1815“329 einen ganz entschieden sozialgeschichtlich-kritischen Impuls setzte. Geboren 1904, promoviert bei Friedrich Meinecke in Berlin, habilitiert – gegen Widerstnde – bei Ziekursch in Kçln, beschftigte er sich schon vor seiner Emigration mit der Frage, wie die Differenz der preußischen und der westeuropischen Entwicklung – zunchst im 19. Jahrhundert – zu erklren sei.330 Seine Kritik, diejenige des schon in jungen Jahren „îberzeugten linksli-

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bericht îber die Jahre 1941 – 1956, in: JbGMitteldtld 9/10 (1961), S. 325 – 409, hier S. 346 – 348; vgl. auch Francis L. Carsten, Princes and Parliaments in Germany. From the Fifteenth to the Eighteenth Century, Oxford 1959, S. 318 – 340. F. L. Carsten, Entstehung … (s. Anm. 326), S. 214 f., S. 218 f., aber S. 201 (Kleve); zur Kritik auch Gerd Heinrich, „Ihre Gesichtspunkte leben fort“. Kontinuitten und Traditionslinien in der lteren Geschichte Brandenburg-Preußens, in: Hans Rothe (Hg.), Die historische Wirkung der çstlichen Regionen des Reiches …, Kçln/Weimar/ Wien 1992, S. 89 – 115, hier S. 111; aus den Rezensionen vgl. Walther Hubatsch, in: HZ 169 (1955), S. 121 – 123, auch zur archivalischen Basis (Kçnigsberger Akten), zur Analyse des Adels S. 123; aus der Literatur: Volker R. Berghahn, Francis Carsten: Politics and History in Two Cultures, in: Ders. / Martin Kitchen (Hg.), Germany in the Age of Total War, London-Totowa/New Jersey (1981), S. 7 – 22, praktische Studien seit den spten 1930er Jahren: S. 9 – 12; zu Rezensionen (Hubatsch) S. 21 Anm. 4, Anm. 6; Volker (R.) Berghahn, Francis L. Carsten, 1911 – 1998, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 504 – 510, S. 505 (aus „gutsituierte(r), jîdische(r) Familie“), Preußenthema: S. 506 f. William W. Hagen, Descent of the „Sonderweg“. Hans Rosenbergs History of OldRegime-Prussia, in: Central European History 24 (1991), S. 24 – 50, hier S. 33 Anm. 19. 1. Aufl.: Cambridge/Mass. 1958, dort S. 229 – 238 das in der spteren Auflage fortgefallene „Postscript“, indem er die Kontinuitten in das Dritte Reich kritisch diskutierte (S. 231); Taschenbuchausgabe: Boston 1966 (danach hier zitiert). Aus der Literatur: Hans-Ulrich Wehler, Vorwort, in: Ders. (Hg.), Sozialgeschichte Heute. Festschrift fîr Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 11), Gçttingen 1974, S. 9 – 21, hier S. 9 f. zur Arbeit îber Rudolf Haym, S. 10 f. zur Dokumentation îber die nationalpolitische Publizistik in der Reichsgrîndungszeit; biographische Details bei Heinrich August Winkler, Ein Erneuerer der Geschichtswissenschaft. Hans Rosenberg 1904 – 1988, in: HZ 248 (1989),

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beralen Demokraten“ (G. A. Ritter), an den preußischen Traditionen betrieb er in entschlossener konzeptioneller Erweiterung des wissenschaftlichen Instrumentariums um sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Dimensionen. So wie er in seinen frîhen Studien îber Rudolf Haym den „Borussismus“ des 19. Jahrhunderts zum sozial- und ideengeschichtlichen Thema gemacht hatte, so wandte er sich in den USA seit den dreißiger Jahren der „preußisch-deutschen Sozialgeschichte“ am Beispiel von Bîrokratie und Landadel zu, Studien, die bereits als Beitrge zur spteren Sonderwegsdiskussion angesehen werden.331 Rosenberg selbst hat geschildert, wie er whrend des Zweiten Weltkrieges den Entschluß faßte, „eine umfassende Sozialgeschichte der vorindustriellen preußisch-deutschen Herrschaftseliten in Angriff zu nehmen“. Dabei „sollten Kontinuitt und Wandel der kollektiven Wesenszîge, Interessen, Mentalitt, funktionale Rollen und Verhaltensweisen dieser strategisch platzierten Sozialgruppen einer kritischen ˜berprîfung unterworfen werden“.332 Fîr Rosenberg handelte es sich um eine gefhrliche historische Konstante, die er analysierte: „die autoritre Herrschaftstrias des ostdeutschen Großgrundbesitzertums, der preußischen Staatsbîrokratie und des von adligem Standesgeist erfîllten Offizierskorps“, dominant bis in die Zeit des Industriekapitalismus und der „Massengesellschaft“. „Diese Trias“ habe „zu guter Letzt doch, sozusagen als Inkarnation historischer Vorbelastungen, zum Ruin der Weimarer Republik entscheidend beigetragen und beim ˜bergang zum nationalsozialistischen Gewaltsystem und seiner Befestigung sich hervorgetan“.333 Freilich ist darauf hingewiesen worden, daß Rosenberg die Jahre 1914 bis 1933 im Detail nie analysiert habe.334 Die – so der Autor selbst – „kmpferischpolemischen Untertçne“ allein kçnnen aber nicht erklren, wieso Rosenbergs Ansatz, die preußische Bîrokratie unter dem Leitaspekt sozialer und politischer Gruppen beziehungsweise Gruppeninteressen zu analysieren und damit Kol-

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S. 529 – 555, hier S. 537 f. (Emigration 1933, zunchst nach London, dann in die USA); erste Fassung der Studie zum Aufstieg der Junker 1943/44: S. 541 Anm. 9, indirekter Bezug zur Sonderwegsthese in den Frîhschriften: S. 534 f.; Gerhard A. Ritter, Hans Rosenberg 1904 – 1988, in: Geschichte und Gesellschaft 15 (1989), S. 282 – 302, Einfluß Meineckes in jungen Jahren: S. 282 f., frîhe Kritik am Bismarckreich: S. 284, hier auch das folgende Zitat; weiter S. 286. H.-U. Wehler, Vorwort … (s. Anm. 330), S. 14 f.; zu den Arbeitsbedingungen der Emigration: Hans Rosenberg, Rîckblick auf ein Historikerleben zwischen zwei Kulturen, in: Ders., Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studien zur deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 31), Gçttingen 1978, S. 11 – 23, hier S. 16 f. H. Rosenberg, Rîckblick … (s. Anm. 331), S. 19, auch zum Folgenden. Ebd. So W. W. Hagen, Descent … (s. Anm. 328), S. 44 f., gleichfalls zu mangelnden Differenzierungen; folgendes Zitat: H. Rosenberg, Rîckblick … (s. Anm. 331), S. 21; vgl. aber unten Anm. 338.

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lektive zum Untersuchungsgegenstand zu machen,335 (zunchst) auf so wenig Resonanz stieß. Rosenberg fragte nach preußisch-deutschen Sonderwegen im europischen Vergleich. Es war eine scharfe Wendung gegen eine Tradition konservativer Gesinnungshistoriographie, zumal einer solchen, die den tradierten Kanon des Wissens nur immer wiederholte, freilich ohne neue Archivmaterialien und ohne neue Fragestellungen, theorieabstinent und ganz wesentlich – bestenfalls – auf der Basis des Forschungsstandes zur Zeit der Acta-Borusscia-Schule.336 In dieser Situation, durchaus nicht auf die sechziger und siebziger Jahre beschrnkt, entfalteten Bîcher wie dasjenige Rosenbergs ihre langfristige Wirkung. Die beste Rezension zum Bîrokratie-Buch Rosenbergs, aus tiefer Kenntnis der Materie geschrieben, konnte Gerhard Oestreich erst 1965 publizieren,337 und in ihr hat er die Parallelisierung der Jahrhunderte ebenso wie die Rîckîbertragung der alles andere als îberzeugenden Kategorie vom „Herrenmenschen“ ins 18. Jahrhundert kritisiert und vor einem neuen „Mythos der ewigen Autokratie“ gewarnt. – Rosenberg hat seine Forschungen und seine Argumentationslinie dann spter in das 19. Jahrhundert hinein fortgefîhrt, er hat sich in einer berîhmten Aufsatzstudie mit Anpassungsstrategien der „Rittergutsbesitzerklasse“ vor allem bis 1918 beschftigt338 und schließlich in Anlehnung an natio335 Z. B. H. Rosenberg, Bureaucracy … (s. Anm. 329), S. VII f., S. 22, S. 173 (2. Hlfte 18. Jh.: „the Prussian bureaucratic nobilitity, in moving against the absolute monarch“); Rezension: Hans Herzfeld / Wilhelm Berges, Bîrokratie, Aristokratie und Autokratie in Preußen. Das Werk von Hans Rosenberg, in: JbGMitteldtld 11 (1962/63), S. 282 – 296, hier S. 288 f. mit Kritik an der Kontinuittsthese bis in das 20. Jahrhundert; zum Bîrokratiebuch G. A. Ritter, Rosenberg … (s. Anm. 325), S. 294 f. (auch zur Rezeption von Otto Hintze, Gustav Schmoller und Max Weber), nach dem das Buch im englischsprachigen Ausland positiv aufgenommen, aber auch in der DDR kaum beachtet worden sei; scharfe Kritik an dem Werk bei W. W. Hagen, Descent … (s. Anm. 328), S. 47 f.; mit kritischen Annotationen auch H. A. Winkler, Rosenberg … (s. Anm. 330), S. 542. 336 Vgl. H. Herzfeld / W. Berges, Bîrokratie … (s. Anm. 335), S. 283. 337 Gerhard Oestreich, Rezension zu Hans Rosenberg, Bureaucracy, in: VjschrSozialWirtschG 52 (1965), S. 276 – 289, bes. S. 277 f.; „Herrenmenschen“: H. Rosenberg, Bureaucracy … (s. Anm. 329), S. 55, S. 142; man vergleiche damit die bei Hans Rosenberg erarbeitete Dissertation von Hubert C. Johnson, Frederick the Great and His Officials, New Haven/London 1975, hier S. 4. 338 Hans Rosenberg, Die Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse, zuerst 1958, wieder in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 10), Kçln (41973), S. 287 – 308, S. 519 – 523, bes. S. 287 f., S. 292, Ausblick in die Zeit nach 1918: S. 304 – 308; zum Folgenden (Werk îber die „Große Depression“) G. A. Ritter, Rosenberg … (s. Anm. 330), S. 298, auch zur Kritik; vgl. noch H.-U. Wehler, Vorwort … (s. Anm. 330), S. 20 („theoretische und empirische Schwierigkeiten, die Rosenberg îbrigens als erster eingerumt htte“); und Gerhard A. Ritter, The New Social History in the Federal Republic of Germany, London 1991, S. 22; zur kritischen Diskussion von Rosenbergs Studien zum 19. Jahr-

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nalçkonomische Theorieangebote den Wandel von Politik und kollektiven Haltungen in der spten Reichsgrîndungszeit untersucht. Nicht zum ersten Mal wurde ja die preußische Geschichte zum politischen Instrument, nun im Sinne einer antiborussischen Negativteleologie, als indirekter Beitrag zur Frage nach Ursachen eines – freilich strittigen339 – deutschen Sonderwegs. In der erregter werdenden politischen Kultur der 1960er Jahre wurden alte historiographische Traditionen angefochten und neue gestiftet, so die ostentative Erhebung Eckart Kehrs zum Referenzautor einer neuen – politisch „emanzipatorischen“ – Sozialgeschichte340 und eines „Primats der Innenpolitik“. Freilich: Die Strukturgeschichte als neuer und sehr fruchtbarer Ansatz war ja lter. In der Sache geht ihre Tradition in die zweite Hlfte des 19. Jahrhunderts zurîck,341 und schon vor der kritisch-liberalen Sozialgeschichte in der KehrRosenbergschen Traditionslinie hatte Werner Conze nicht nur mit diesem Begriff experimentiert,342 sondern auch bereits sehr offen insbesondere soziologische

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hundert die aus der Schule von Jîrgen Kocka hervorgegangene Studie von Hartwin Spenkuch, Das preußische Herrenhaus. Adel und Bîrgertum in der Ersten Kammer des Landtages 1854 – 1918 (= Beitrge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 110), Dîsseldorf 1998, S. 178 f. Kritik an der Sonderwegsthese etwa bei Reinhart Koselleck, Lernen aus der Geschichte Preußens?, in: GWU 35 (1984), S. 822 – 836, hier S. 832 f.; aus der Literatur vgl. ferner Horst Mçller, Einfîhrung, in: Deutscher Sonderweg – Mythos oder Realitt? (= Kolloquien des Instituts fîr Zeitgeschichte), Mînchen/Wien 1982, S. 9 – 15, zur Kritik S. 10 ff.; zur Genese der Diskussion vgl. noch T. Welskopp, Identitt ex negativo … (s. Anm. 305), hier S. 116 ff., auch zum Faktor Preußen in dieser Debatte; vgl. B. Faulenbach, Ideologie … (s. Anm. 230), passim. Eckart Kehr, Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufstze zur preußischdeutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Hans-Ulrich Wehler (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 19), 2., durchges. Aufl., Berlin 1970, darin die Einleitung von Hans-Ulrich Wehler, S. 1 – 29, bes. S. 26, S. 28, auch zur Weber-Rezeption durch Kehr; Konflikt mit Gerhard Ritter: C. Cornelissen, Ritter … (s. Anm. 121), S. 172, S. 212 f., S. 218 ff., auch zur Schîlerschaft Kehrs von Meinecke; zur Strategie der Kehr-Rezeption in den 1960ern sehr deutlich H.-U. Wehler, Lage … (s. Anm. 234), S. 28 f.; und T. Welskopp, Identitt … (s. Anm. 305), S. 119 f.; zu den Grenzen der Forschungsfundamente Kehrs sehr eindeutig Wolfgang J. Mommsen, Die Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus, Dîsseldorf (21972), S. 21 (Kehr mit Ausnahme seines Schlachtflottenbuches „îber Ideologiekritik an der bisherigen Geschichtsschreibung nicht wesentlich hinausgekommen“). Vgl. W. Neugebauer, Strukturgeschichtliche Erforschung … (s. Anm. 139). Besonders: Werner Conze, Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters als Aufgabe von Forschung und Unterricht (= Arbeitsgemeinschaft fîr Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, 66), Kçln/Opladen (1957), S. 19 – 22, S. 26; zum Begriff der Strukturgeschichte in den 1950er Jahren: Werner Conze, Die Grîndung des Arbeitskreises fîr moderne Sozialgeschichte, zuerst 1979, wieder in: Ders., Gesellschaft … (s. Anm. 237), S. 95 – 105, hier S. 96 f.; die Traditionen benannt bei

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Theorieangebote rezipiert. Werner Conze, der selbst îber die Bauernbefreiung arbeitete, hat Reinhart Kosellecks großes Buch îber Verwaltung und soziale Bewegung in Reformzeit und Vormrz inspiriert.343 Auf die Traditionen Otto Hintzes und der Acta-Borussica-Schule einerseits, auf die Anregungen Hans Rosenbergs andererseits hat sich Koselleck berufen, als er das Verhltnis von Beamtenstaat und „entfesselter“ gesellschaftlicher Bewegung untersuchte, einer „Bewegung, die sich langsam ihrer Steuerung entzog“, als die „soziale Frage zur Verfassungsfrage aufrîckte“.344 Die Methode Kosellecks war eine sozialgeschichtliche, auf die Erforschung „îberindividuelle[r] Zusammenhnge“ angelegt; dabei spielten fîr ihn – spterhin Mitherausgeber der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ – die Methoden der Begriffsgeschichte als einer „Variante der Dems., Sozialgeschichte, in: H.-U. Wehler (Hg.), Sozialgeschichte … (s. Anm. 337), S. 19 – 26, hier S. 19; aus der Literatur G. A. Ritter, New Social History … (s. Anm. 338), S. 19; und exemplarisch: Wolfgang Schieder, Sozialgeschichte zwischen Soziologie und Geschichte. Das wissenschaftliche Lebenswerk Werner Conzes, in: Geschichte und Gesellschaft 13 (1987), S. 244 – 266, hier S. 255, Anregungen Otto Brunners: S. 248, Rezeption amerikanischer Soziologie durch Conze: S. 254 f., Abrîcken vom Begriff „Strukturgeschichte“: S. 256; H.-U. Wehler, Lage … (s. Anm. 234), S. 21, mit Bezug auf die franzçsische Annales-Schule; zu den Unterschieden (Conze wollte mit „Strukturgeschichte“ die Ergnzung politischer und Geistesgeschichte, nicht deren Verdrngung) sehr deutlich Reinhart Koselleck, Werner Conze. Tradition und Innovation, in: HZ 245 (1987), S. 529 – 543, hier S. 537. 343 So W. Schieder, Sozialgeschichte … (s. Anm. 342), S. 260, und Willibald Steinmetz, Nachruf auf Reinhart Koselleck (1923 – 2006), in: Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), S. 412 – 432, hier S. 412, S. 415 (Koselleck ab 1956 Assistent bei Conze); Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (= Industrielle Welt, 7), Stuttgart 21975 (zuerst 1967), zum Folgenden: S. 16. 344 R. Koselleck, Preußen … (s. Anm. 343), S. 14, das Folgende: S. 17; zu Kosellecks stark von der Sicht der Verwaltung selbst geprgter Perspektive vgl. die Rezension von Jîrgen Kocka, in: VjschrSozialWirtschG 57 (1970), S. 121 – 125, hier S. 124 und zu Defiziten: nicht untersucht sei die „Bedingtheit des Verwaltungshandelns durch Konjunkturverlauf, çkonomische Krisen etc.“ – ein Einwand, der auch fîr die kînftige Forschung programmatischen Wert besitz. Ebd. zur verzerrenden Verwaltungsperspektive; Jîrgen Kocka, Preußischer Staat und Modernisierung im Vormrz. Marxistisch-leninistische Interpretationen und ihre Probleme, zuerst 1974, wieder in: Barbara Vogel (Hg.), Preußische Reformen 1807 – 1820 (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 96), Kçnigstein im Taunus 1980, S. 49 – 65, hier S. 49 f.; Vorwurf des Etatismus gegen Koselleck in der DDR-Rezension von Helmut Bleiber, in: ZGWiss 19 (1971), S. 112 – 115, hier S. 113 und die Konklusio S. 114: „Es ist offensichtlich – der Staat der westdeutschen Monopolbourgeoisie wußte, was er bei der Neubesetzung des Lehrstuhls fîr neuere Geschichte der Heidelberger Universitt honorierte.“ Zur Kritik vgl. R. Koselleck, Preußen … (s. Anm. 343), (S. 4 f.); zu diesem Werk aus der Literatur ferner Christian Meier, Gedenkrede auf Reinhart Koselleck, in: Neithard Bulst / Willibald Steinmetz (Hg.), Reinhart Koselleck 1923 – 2006. Reden zur Gedenkfeier am 24. Mai 2006 (= Bielefelder Universittsgesprche und Vortrge, 9), Bielefeld 2007, S. 7 – 34, hier S. 16.

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Sozialgeschichte“ zur Analyse îberpersçnlicher Entwicklungen eine ganz wesentliche Rolle. Wenn Koselleck freilich den preußischen Militarismus in die europische Normalitt des 18. und 19. Jahrhunderts stellte,345 so argumentierte er – mutig – außerhalb des Mainstreams seiner Zeit. Die liberal-„kritische“ Sozialgeschichte und historische Sozialwissenschaft hat die preußische Geschichte mit behandelt. Hans-Ulrich Wehlers Buch îber „Das Deutsche Kaiserreich“,346 erstmals 1973 erschienen, stellte „geradezu paradigmatisch“ den Sonderwegsansatz zur Diskussion (Welskopp). Das Kaiserreich von 1871 als „großpreußische Grîndung“,347 – mit Johannes Ziekursch – als gegen den „Zeitgeist“ gestellt interpretiert, wurde zum Objekt einer sozial- und strukturgeschichtlichen Analyse, bei der ein Bismarck nun in seiner Position und Funktion in der „preußischdeutschen Machthierarchie“ untersucht wurde.348 Strittig war dabei, inwieweit nicht – nur mit umgekehrter Argumentation – nun ein teleologischer Antiborussismus fîr die Epoche des Nationalstaats die Rolle Preußens zugleich isolierte und îberhçhte.349 Diese von Hans Rosenberg inspirierten Studien der Historischen Sozialwissenschaft in den 1970er Jahren haben die von Opponenten kritisierten (emanzipationsteleologischen) Einseitigkeiten (Nipperdey) verbunden mit der Fhigkeit, ihre Resultate anschlußfhig zu machen fîr große, skulare Fragestellungen und epochale Grundprobleme, wie etwa dasjenige der Modernisie345 So R. Koselleck, Lernen … (s. Anm. 339), S. 833. 346 Hans-Ulrich Wehler, Das deutsche Kaiserreich 1871 – 1918, benutzt in der 3., durchges. Aufl., Gçttingen 1977, zum Kaiserreich als „Großpreußen“ S. 16; aus der Literatur in Auswahl T. Welskopp, Identitt … (s. Anm. 305), S. 125; aus der Kontroversliteratur Thomas Nipperdey, Wehlers „Kaiserreich“. Eine kritische Auseinandersetzung, zuerst 1975, wieder in: Ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufstze zur neueren Geschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 18), Gçttingen 1976, S. 360 – 389, bes. S. 364 (Vorwurf des „Treitschke redivivus“). Zur Kontinuittsfrage S. 365 – 371, zur Sozialimperialismus-Theorie: S. 373, Kehr-Rezeption: S. 374; weiter S. 379; vgl. noch Gînther Grînthal, Parlamentarismus in Preußen 1848/49 – 1857/58. Preußischer Konstitutionalismus – Parlament und Regierung in der Reaktionsra (= Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Dîsseldorf (1982), S. 11 f. – aus der Schule von Walter Bußmann. 347 Pointiert: Hans-Ulrich Wehler, Preußen ist wieder chic … Der Obrigkeitsstaat im Goldrhmchen, in: Ders., Preußen ist wieder chic … Politik und Polemik in zwanzig Essays, Frankfurt am Main 1993, S. 11 – 18, hier S. 16 (in Polemik gegen Sebastian Haffner). 348 Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus, Mînchen 41976, S. 180 ff., Zitat: S. 180. 349 T. Nipperdey, Kaiserreich … (s. Anm. 346), S. 375, S. 378 f.; vgl. auch die Kritik von W. Conze, Kaiserreich … (s. Anm. 237), S. 60 f., auch zu Wehlers Angriff auf die Studien von Helmut Bçhme; S. 62: Wehler „provozierend einseitig“; BonapartismusDiskussion: M. Stîrmer, Bismarck-Mythos … (s. Anm. 231), S. 7.

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rungsfhigkeit politischer und sozialer Strukturen im 19. Jahrhundert.350 Die von Wehler angestoßene Diskussion um die „Grîndungskonstellation“ des Kaiserreichs, die durch die Strategie gekennzeichnet war, eine çkonomische, ohne eine politische und soziale „Modernisierung“ zu initiieren, fîhrte zur Rezeption sozialwissenschaftlicher Konzeptionen, insbesondere solcher modernisierungstheoretischer Art auch fîr Studien zur preußischen Geschichte im engeren Sinne. Diese Studien351 haben vor allem den anregenden Effekt besessen, Theorien der systematischen Nachbarwissenschaften fîr Probleme der preußischen Historie fruchtbar zu machen,352 wenngleich die darin gebotenen Chancen, die preußische Geschichte – durchaus im Sinne Hintzes – fîr weitgreifende Fragestellungen anschlußfhig zu machen, allenfalls ansatzweise ausgenutzt worden sind. So stand eine Intensivierung der Theoriearbeit (bisweilen zulasten der Empirie aus eigener Quellenforschung) nicht immer in Proportion zu tatschlich neuen Erkenntnissen.353 Die preußischen Reformen wurden insbesondere unter modernisierungstheoretischen Fragestellungen neu untersucht,354 freilich mit dem Nebeneffekt eines eigentîmlichen Neoetatismus. 350 Vgl. noch Michael Stîrmer, Das zerbrochene Haus – Preußen als Problem der Forschung, in: Militrgeschichtliche Mitteilungen 10 (1971), S. 175 – 195, hier S. 181 – 188 („Studien zur Sozialgeschichte“), S. 182 f. zu Rosenberg, S. 183 zu den agrarhistorischen Forschungen von Friedrich Wilhelm Henning: „Was der Arbeit fehlt, ist der abschließende Versuch, die Ergebnisse in einen grçßeren Zusammenhang zu stellen und damit ihre sozialgeschichtliche Bedeutung zu erhellen“; das Folgende: H.-U. Wehler, Kaiserreich … (s. Anm. 346), S. 17, S. 19; und Bernd Faulenbach, „Deutscher Sonderweg“. Zur Geschichte und Problematik einer zentralen Kategorie des deutschen geschichtlichen Bewußtseins, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 33/81 (1981), S. 3 – 21, hier S. 16. 351 Vor allem Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810 – 1820) (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 57), Gçttingen 1983, bes. der Teil: „Reformpolitik und Modernisierung“, S. 19 – 132, zu Konzeption und Theorien etwa S. 25 f., Modernisierungstheorien : S. 28 f., S. 31 u. ç.; dagegen kritisch Elisabeth Fehrenbach, Rezension, in: HZ 239 (1984), S. 698 f.; Hanna Schissler, Preußische Agrargesellschaft im Wandel. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse von 1763 bis 1847 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 33), Gçttingen 1978, darin S. 19 – 49, und S. 204 – 212: „Theoretische Probleme einer Untersuchung von gesellschaftlichem Wandel“, Fragestellungen: S. 47. 352 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Stnden zum Konstitutionalismus (= Quellen und Studien zur Geschichte des çstlichen Europa, 36), Stuttgart 1992, S. 1 – 27, und passim. 353 Vgl. Frank-Michael Kuhlemann, Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794 – 1872 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 96), Gçttingen 1992, bes. S. 11 – 51, S. 355 – 368; dazu die Rezension von Wolfgang Neugebauer, in: ForschBrandPrG NF 4 (1994), S. 273 – 275. 354 Zusammenfassend B. Vogel, Einleitung. Die preußischen Reformen als Gegenstand und Problem der Forschung, in: Dies. (Hg.), Reformen … (s. Anm. 344), S. 1 – 27, hier

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Zugespitzt formuliert ließe sich sagen: Theorieîberhang und Theoriedefizit, bisweilen auch Theorieverweigerung liefen parallel bis in die Neunziger Jahre, und manchmal wurden in westdeutschen Forschungsberichten nicht einmal wichtige englischsprachige Beitrge rezipiert.355 Freilich stagnierte auch die Quellenerschließung, was auf editorischem Felde in der Bundesrepublik ganz wesentlich daran lag, daß die Probleme der archivischen Teilung nach 1945 eine Fortfîhrung der lteren Arbeitstraditionen letztlich unmçglich machten. Immerhin haben Walther Hubatsch und seine Mitarbeiter mit der neuen und erweiterten Ausgabe der Dokumente des Freiherrn vom Stein einen Teil des einschlgigen Archivmaterials erschlossen; kleinere Editionen lieferten Beitrge zur Geschichte Preußens im spten 18. Jahrhundert.356 Freilich htten die im Westen verfîgbaren Archivbestnde, und zwar nicht nur diejenigen der preußischen Westprovinzen, eine intensivere Quellenforschung vor 1989 durchaus ermçglicht. Theorieverweigerung und Archivabstinenz, verbunden mit kalendertagshistoriographischen Fixierungen zu bestimmten Ereignisjahren verstrkten die Gefahr preußenhistorischer Stagnation. Die Anstze der „Gesellschaftsgeschichte“ waren nicht darauf gerichtet, „Handlungen einzelner Akteure“ in den Mittelpunkt des Interesses zu rîcken.357 Die theoriegeleitete Analyse wurde der Erzhlung entgegengesetzt.358 Die Biographie hatte seit den spteren sechziger Jahren fîr einige Zeit schlechte Kon-

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S. 5 f., S. 9: gegen „Unterschtzung des Staates“, S. 17: „bîrokratische Revolution“; vgl. Anm. 352; zu (staatlichen) „Modernisierungsaufgaben“ in den preußischen Reformen zusammenfassend Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1, Mînchen (1987), S. 401 – 405; P. Nolte, Staatsbildung … (s. Anm. 199), S. 25 ff.; B. Vogel, Gewerbefreiheit … (s. Anm. 351), S. 16 f.: Ansatz „von oben“, S. 14: Diskussion von Kosellecks These: Wirtschaftsreform nur bei Verzicht auf Reprsentation, ferner S. 202 – 204, S. 223 f.; Barbara Vogel, Literaturbericht: Das alte Preußen in der modernen Geschichtswissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 377 – 396, Modernisierungstheorien : S. 378 f., kritisch zu Schissler: S. 396. So ohne Hans Rosenberg und die Werke von Peter Paret zu Yorck und Clausewitz zu erwhnen: Walther Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen (= Ertrge der Forschung, 65), 2., unvernderte Aufl., Darmstadt 1989; vgl. die wichtige neue Einordnung Yorcks bei Peter Paret, Yorck and the Era of Prussian Reform 1807 – 1815, Princeton/New Jersey 1966, bes. S. 224 („dritte Gruppe“). Dazu (auch zur Edition von Hubatsch und Ingeburg Charlotte Bussenius zu Neuostpreußen und Sîdpreußen sowie zu den Svarez-Vortrgen) Walther Hubatsch, Preußen als internationales Forschungsproblem, in: GWU 13 (1962), S. 71 – 86, S. 73 f., auch zu Publikationen aus „Randgebieten“, womit die von Hans-Joachim Schoeps edierten Gerlach-Quellen gemeint waren. So B. Vogel, Literaturbericht … (s. Anm. 354), S. 380, auch zum Interpretationsrahmen in der DDR: „bîrgerliche Revolution“. Zur allgemeinen (nicht spezifisch preußenhistoriographischen) Diskussion um 1980 vgl. die Beitrge (etwa von Hans-Ulrich Wehler und Golo Mann) in dem Bande von Jîrgen Kocka / Thomas Nipperdey (Hg.), Theorie und Erzhlung in der Geschichte (= Beitrge zur Historik, 5), Mînchen 1979.

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junktur. Lothar Gall hat das Recht der Strukturgeschichte, zumal auf den Feldern der Wirtschafts- und Sozialgeschichte durchaus nicht bestritten, wohl aber in eine „Synthese […] von Persçnlichkeit und Werk Bismarcks“ integrieren wollen,359 er hat in der Strukturgeschichte neue Gefahren der Vereinseitigung gesehen und dagegen das Recht der biographischen Methode reklamiert.360 In seiner 1980 erschienenen Bismarck-Biographie hat Lothar Gall, anders als seine literarischen Vorgnger auf diesem Felde, auch den Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und auf die Opponenten Bismarcks, etwa auf den organisierten Liberalismus und die Parteien gerichtet.361 Damit hat Gall, wie betont worden ist, durchaus kompatibel mit Rosenberg, Wehler und Helmut Bçhme, einer ˜berhçhung Bismarcks vorgebeugt.362 Gegen diejenigen Interpretationen (seit Ziekursch), die die Reichsgrîndung kritisierten, weil sie „gegen den Geist der Zeit“ durchgesetzt worden sei, hat Gall freilich von einem durchaus liberalen Standpunkt aus Verwahrung eingelegt, zumal die Ordnung von 1871 „recht genau die Wînsche und Erwartungen einer breiten Mehrheit des deutschen Bîrgertums“ erfîllt habe,363 wiewohl er die inneren Spannungen des Reichs und die daraus resultierenden Belastungen thematisierte. Aber anders als Wehler reduzierte Gall das Zweite Reich nicht auf die Formel von einem „Großpreußen“.364 Otto Pflanze nahm ganz ausdrîcklich in seinen Studien zu Person und „Herrschaftstechnik Bismarcks“ Stellung gegen die neueren „Sozi359 Vgl. L. Gall, Einleitung … (s. Anm. 300), S. 23 f., mit Verweis u. a. auf Hans Rosenberg, Hans-Ulrich Wehler und Helmut Bçhme. 360 L. Gall, Einleitung … (s. Anm. 300), S. 10 f. 361 Z. B. Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionr, Frankfurt am Main/Berlin/ Wien 1980, etwa S. 261, S. 578 f., S. 581 ff. 362 Jîrgen Kocka, Bismarck-Biographien, in: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), S. 572 – 581, hier S. 573. 363 L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 361), S. 260; gegen die „Bonapartismus“-Interpretation: S. 182; vgl. damit B. Faulenbach, Sonderweg … (s. Anm. 350), S. 18, der den Gegensatz von Galls Werk zur jîngeren Sozialgeschichte betont; vgl. ferner die vorzîgliche Abhandlung von Hellmut Seier, Region, Modernisierung und Deutschlandpolitik. Die „Preußenwelle“ in landesgeschichtlicher Sicht, in: HessJbLdG 33 (1983), S. 347 – 401, hier S. 388 f., (S. 391 zu Andreas Hillgrubers kurz vorher erschienener Bismarck-Skizze); zum Folgenden kritisch J. Kocka, Bismarck-Biographien … (s. Anm. 362), S. 575 f., Kocka zum Vergleich von Gall, und Fritz Stern, Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichrçder, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1978; Gustav Seeber, Rezension zu Gall, in: ZGWiss 34 (1986), S. 256 – 258, bes. S. 256 f.; Andreas Hillgruber, Zu Lothar Galls Bismarck-Biographie, in: Das historisch-politische Buch 28 (1980), S. 321. 364 Lothar Gall, Bismarcks Preußen, das Reich und Europa, in: HZ 234 (1982), S. 317 – 336, hier S. 325 f., Mediatisierung Preußens: S. 327; vgl. dagegen Hans-Ulrich Wehler, Galls „Bismarck“ – Vorzîge, Grenzen und Rezeption einer Biographie, zuerst 1981, wieder in: Ders., Preußen ist wieder chic … (s. Anm. 347), S. 87 – 98, hier S. 97 Anm. 9.

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alwissenschaften“, zu den Modellen von „Negativer Integration“, „Bonapartismus“ und „Sozialimperialismus“.365 – Die Rîckkehr der großen Person in die wissenschaftliche Diskussion auf preußischen Feldern ist dann fîr die ltere preußische Geschichte durch das wichtige Friedrich-Buch Theodor Schieders angezeigt worden. Es ersetzt in stofflicher Hinsicht die Grundlagenwerke Reinhold Kosers366 nicht, fîgt vielmehr auf der Basis des klassischen (Editions)Materials und durch Rîckgriff auf zeitgençssische Drucke eine Folge eher locker komponierter Essays zusammen, die freilich – und das unterschied Schieder von der Masse der chronisch redundanten Friedrich-Literatur – immer wieder durch frappierende Einsichten und weiterfîhrende Thesen besticht.367 Schieders Bemîhen, Individuum und Strukturen zu vermitteln, ist auch in seinen Beitrgen zur preußischen Geschichte offenbar.368 Eine jîngere Historikergeneration hat dann seit der Mitte der achtziger Jahre mit biographischen 365 Vgl. oben Anm. 348; hier: Otto Pflanze, Bismarcks Herrschaftstechnik als Problem der gegenwrtigen Historiographie, in: HZ 234 (1982), S. 561 – 599, hier S. 562 f. und passim mit der Kontroversliteratur; dagegen schroff Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3, Mînchen (1995), S. 1373, S. 368 vorsichtig distanziert zur Bonapartismus-Konzeption; vgl. T. Welskopp, Identitt … (s. Anm. 305), S. 128; informativ: Hellmut Seier, Bismarck und der „Strom der Zeit“. Drei neue Biographien und ein Tagungsband, in: HZ 256 (1993), S. 689 – 709, hier S. 700 – 704, auch zum dreibndigen Hauptwerk Pflanzes; zuerst Otto Pflanze, Bismarck and the Development of Germany. The Period of Unification, 1815 – 1871, Princeton/New Jersey 1963; aus der deutschen (Neu-)Auflage Ders., Bismarck. Der Reichskanzler, Mînchen 1998, fîr die Zeit ab 1875. 366 Vgl. oben bei Anm. 168. 367 Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Kçnigtum der Widersprîche, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983, etwa zur altpreußischen Hofstruktur S. 16 f.; zum Folgenden etwa S. 73 – 101, zur Kategorie der historischen Grçße die (in Variationen mehrfach gedruckte) Studie S. 473 – 491; vgl. aus den Rezensionen: Volker Sellin beziehungsweise Ingrid Mittenzwei, in: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), S. 93 – 105; vgl. damit – hervorgegangen im Zusammenhang mit Forschungen zum dynastischen Fîrstenstaat und zum dynastischen Faktor in der Mchtepolitik – Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der Kçnig und seine Zeit, (Mînchen 2004); vgl. auch oben Anm. 207; Ders. (Hg.), Der dynastische Fîrstenstaat. Zur Bedeutung der Sukzessionsordnungen fîr die Entstehung des frîhmodernen Staates (= Historische Forschungen, 21), Berlin (1982), darin vom Hg. S. 49 – 80; vgl. noch speziell: Ders., Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Studien zum Verhltnis von Kabinettspolitik und Kriegsfîhrung im Zeitalter des Siebenjhrigen Krieges, Mînchen/Wien 1978, bes. S. 17 ff.; und dazu K. Zernack, Das preußische Kçnigtum … (s. Anm. 207), hier S. 14 f., S. 20 – zur Frage der Zsurqualitt des Siebenjhrigen Krieges. 368 So Lothar Gall, Theodor Schieder 1908 – 1984, in: HZ 241 (1985), S. 1 – 25, hier S. 9, S. 13, S. 20 f. (Friedrichbuch); zum Interesse Schieders an preußischen Themen seit seiner Beschftigung mit der Krçnung von 1701 in der Mitte der 1930er Jahre: Wolfgang J. Mommsen, Vom Beruf des Historikers in einer Zeit beschleunigten Wandels. Theodor Schieders historiographisches Werk, in: VjhefteZG 33 (1985), S. 387 – 405, hier S. 391, S. 402 f.

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Zugngen zur politischen Welt des vornationalen Preußen in der Zeit Friedrich Wilhelms IV. wichtige Resultate zur modernen Konservativismusforschung erbracht (Frank-Lothar Kroll; Hans-Christof Kraus). Erst die Biographik der jîngsten Zeit machte diesen ebenso schwierigen wie faszinierenden Monarchen der geschichtswissenschaftlichen Analyse zugnglich.369 Gerhard Oestreich hat zuletzt in zwei biographischen Skizzen zu brandenburg-preußischen Monarchen seine Programme zu einer erneuerten Frîhneuzeitforschung, insbesondere zu Grundproblemen des frîhmodernen Staates fruchtbar gemacht.370 Die Rezeption von Oestreichs Periodisierungsvorschlgen hat im Zusammenspiel mit der Stndeforschung Impulse gesetzt, die freilich in der Folgezeit nicht entschlossen genug in intensivierter Quellenforschung zu monographischer Vertiefung genutzt worden sind.371 Wichtige Arbeiten zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte um 1800 und in den modernen Epochen verdanken Anregungen der Nationalçkonomie.372 369 Aus der Schule Andreas Hillgrubers, aber auch den Fragestellungen von Hans-Joachim Schoeps verpflichtet: Frank-Lothar Kroll, Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 72), Berlin 1990, bes. S. 3, S. 5 ff., Romantik: S. 29 ff., S. 67 („Einheitlichkeit und Geschlossenheit“ der Verfassungskonzeption), S. 101 ff. u. ç.; Hans-Christof Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach. Politisches Denken und Handeln eines preußischen Altkonservativen (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 53), 2 Bde., Gçttingen 1994, etwa 1, S. 13, S. 15 f., S. 18 f. u. ç., S. 29, S. 165 – 173 und passim; Ders., Altkonservativismus und Kritik der Moderne, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Gçttingen 1994, Gçttingen o. J., S. 59 – 62; zur Sache ferner die vorzîgliche Biographie von David E. Baclay, Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, deutsche Ausgabe, (Berlin 1995), bes. S. 112 – 119, nationale Frage: S. 272 – 286, S. 398 – 406; vgl. Gînther Grînthal oben in Anm. 346; wichtige und quellengesttigte Studien Gînther Grînthals zur preußischen Verfassungs- und Parlamentsgeschichte nach 1848 und bis in die „øra Manteuffel“ jetzt vereinigt in seinem Bande: Verfassung und Verfassungswandel, Ausgewhlte Abhandlungen, hg. v. FrankLothar Kroll u. a. (= Historische Forschungen, 78), Berlin 2003. 370 Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm I. Preußischer Absolutismus, Merkantilismus, Militarismus (= Persçnlichkeit und Geschichte, 96/97), Gçttingen u. a. 1977, etwa S. 71 – 80; Ders., Friedrich Wilhelm, der Große Kurfîrst (= Persçnlichkeit und Geschichte, 65), Gçttingen u. a. 1971, bes. S. 84 ff. (zum europischen Absolutismus); vgl. noch mit anregenden Beobachtungen und geringer Systematik: Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfîrst von Brandenburg, 2 Bde., Gçttingen u. a. 1971 – 1978. 371 Peter Baumgart / Jîrgen Schmdeke (Hg.), Stndetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (= VerçffHistKommBerlin, 55), Berlin/New York 1983, der Band ist G. Oestreich gewidmet; vgl. noch W. Neugebauer, Wandel … (s. Anm. 352), S. 1 – 27. 372 Wesentliche Beitrge von Karl Heinrich Kaufhold, Das Gewerbe in Preußen um 1800 (= Gçttinger Beitrge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 2), Gçttingen 1978, Fragestellung: S. 8 ff.; vgl. auch aus dem Industrialisierungsschwerpunkt, der um 1970

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Hingegen sind Ereignisse, wie das von politischer Seite und ohne neue Forschungssubstanzen fîr 1981 ausgerufene „Preußenjahr“, abgesehen von einigen originellen oder konventionellen ˜berblicken,373 wissenschaftlich ohne Effekt geblieben. Mediale Inszenierungen traten mehr und mehr an die Stelle substanzieller wissenschaftlicher Entdeckungen. Unabhngig davon wurde um 1980 die Erforschung des demokratischen Preußen seit 1919 (Horst Mçller / Hagen Schulze) zu einem innovativen Beitrag zeithistorischer Forschung. Bis in die Zeit der „Wende“ um 1990 blieb zudem die archivische Teilung eine schwere Belastung fîr jede innovative Quellenforschung. Die Wiederbegrîndung der altehrwîrdigen „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ durch die Preußische Historische Kommission mochte als programmatisches Signal verstanden werden. Sie werden heute in Zusammenarbeit mit dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz herausgegeben, das auf diesem Forschungsfelde seine alte Bedeutung zurîckgewonnen hat. III. Preußen als Forschungsthema in der DDR und in Polen Die Geschichtswissenschaft in der DDR konnte bis 1989 unter strategisch gînstigen Bedingungen produzieren. Die wichtigsten Quellenbestnde zur preußischen Geschichte lagen auf ihrem Territorium, und zwar in den Archiven in von Wolfram Fischer an der Historischen Kommission zu Berlin betrieben worden ist: Otto Bîsch, Industrialisierung und Gewerbe im Raum Berlin/Brandenburg 1800 – 1850 … (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 9), Berlin 1971, bes. S. 3 – 11; Theoriediskussion und Empiriereferat: Otto Bîsch, Industrialisierung und Geschichtswissenschaft. Ein Beitrag zur Thematik und Methodologie der historischen Industrialisierungsforschung, Berlin (1969). 373 Ersteres: Rudolf von Thadden, Fragen an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates, Mînchen (1981), Anlaß: S. 9; letzteres: Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien (21984), passim die Betonung von Hof und Dynastie; beste Gesamtdarstellung zuvor: Richard Dietrich, Kleine Geschichte Preußens, Berlin (1966), mit interessanten Blicken auf die frîhe brandenburg-schsische Konkurrenz (S. 26 – 63 u. ç.); Preußen in der Weimarer Republik: vor allem Horst Mçller, Parlamentarismus in Preußen 1919 – 1932 (= Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Dîsseldorf 1985; Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 21977, jeweils mit Nachweis der lteren Literatur (Georg Kotowski, Hans-Peter Ehni, u. a. m.); vgl. noch H. Seier, Region … (s. Anm. 363), S. 351 f., zum essayistischen Ertrag (Haffner): S. 353 ff. „Schnellschîsse“ um 1980, S. 362: „Die Summe ist nicht berauschend“; hnlich B. Vogel, Literaturbericht … (s. Anm. 354), S. 377; und Klaus Zernack, Preußen – Polen – Rußland. Betrachtungen am Ende des „Preußen-Jahres“, in: JbGMitteldtld 31 (1981), S. 106 – 125, hier S. 117 („in Ost und West doch ein in diesem Umfang unerwartetes Ausmaß an Konventionalitt“).

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Merseburg und in Potsdam.374 Die Benutzung dieser Bestnde fîr Historiker aus der alten Bundesrepublik oder gar aus West-Berlin war hingegen problematisch oder gar unmçglich. In der DDR der fînfziger Jahre war die Forschung auf Feldern der preußischen Geschichte auch nach ersten vorsichtigen Distanzierungen von Vorstellungen von einer ewigen deutschen „Misere“ von einer prinzipiell negativen Wertung der Rolle Preußens bestimmt. Nichtmarxistische Historiker, die nach 1949 fîr eine Zeit lang noch quantitativ stark vertreten waren,375 wurden marginalisiert oder eliminiert, zur Flucht gedrngt, bisweilen auch in den Suizid. „Seit den fînfziger Jahren hatte die Abteilung Propaganda und Wissenschaft des ZK der SED jeglicher Autonomie der Forschung und Lehre ein Ende gesetzt.“376 Die Verankerung des Marxismus als verbindlicher Grundlehre bedeutete fîr Themen der preußischen Historie, daß die Vorgaben der „Klassiker“ und diejenigen von Franz Mehring377 fîr lange Zeit quasi kanonische Bedeutung besaßen.378 Mit der „Entstalinisierung“ in den spten fînfziger Jahren ergaben sich Chancen zu einer ersten, noch sehr vorsichtigen Revision bisheriger Dogmen.379 Freilich war es schon in der Frîhzeit der DDR durchaus mçglich, in unbefangener Weise die preußischen Reformen und Fîhrer aus der Zeit der Befreiungskriege zu behandeln, was wohl auch aus der preußisch-russischen Bîndniskonstellation von 1813 zu erklren ist.380

374 Vgl. oben bei Anm. 283; J. Mittenzwei / K.-H.-Noack, Einleitung … (s. Anm. 284), S. 21. 375 Vgl. A. Fischer, Der Weg … (s. Anm. 288), S. 156 – 158; J. Mirow, Das alte Preußen … (s. Anm. 189), S. 297 – 305; W. Schulze, Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 235), S. 186; wichtig: Martin Sabrow, Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949 – 1969 (= Ordnungssysteme, 8), Mînchen 2001, S. 81 – 87. 376 Mit weiteren Details Edgar Wolfrum, Die Preußen-Renaissance: Geschichtspolitik im deutsch-deutschen Konflikt, in: Martin Sabrow (Hg.), Verwaltete Vergangenheit. Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR, Leipzig 1997, S. 145 – 166, hier S. 151. 377 Vgl. oben bei Anm. 216/217. 378 H. Alexander Krauss, Die Rolle Preußens in der DDR-Historiographie. Zur Thematisierung und Interpretation der preußischen Geschichte durch die ostdeutsche Geschichtswissenschaft (= Europische Hochschulschriften, Reihe III, 544), Frankfurt am Main 1993, S. 27 f., S. 31 f. 379 Vgl. Jîrgen Kocka, Zur jîngeren marxistischen Sozialgeschichte. Eine kritische Analyse unter besonderer Berîcksichtigung sozialgeschichtlicher Anstze in der DDR, in: Peter Christian Ludz (Hg.), Soziologie und Sozialgeschichte. Aspekte und Probleme (= Kçlner Zeitschrift fîr Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 16), Opladen 1972, S. 491 – 514, hier S. 498. 380 Vgl. B. Holtz, Thema … (s. Anm. 319), S. 336 f.; E. Wolfrum, Preußen – Renaissance … (s. Anm. 376), S. 160 f.

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Politische Lenkung und Wissenschaftsplanung im Sinne von Schwerpunktbildungen spielten zusammen; frîhe wirtschaftsgeschichtliche Ertrge wie die kritische, aus den Quellen gearbeitete Monographie von Horst Krîger îber die preußischen Manufakturen in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts waren langfristig wertvolle Nebenertrge aus der eigentlich geschichtspolitischaktuellen Arbeit in der Mitte der fînfziger Jahre, gleichsam verbindliche Lehrbîcher fîr den marxistischen Universittsbetrieb zu erstellen.381 Die neuere Forschung hat nun gezeigt, daß – anders als kurzfristige Phasenmodelle aus der DDR und die spekulative Einordnung bestimmter wissenschaftlicher Produkte aus Sicht der Bundesrepublik – die Forschungen zur preußischen Geschichte in der DDR von lngerfristigen Entwicklungen bestimmt worden sind; der „Rat fîr Geschichte“, parteiamtliches Lenkungsorgan seit den spten 1960er Jahren, hat sich ja mit Preußen nie zentral befaßt. Die Institutsgrîndungen der spten fînfziger Jahre, vor allen Dingen dasjenige Jîrgen Kuczynskis an der Akademie der Wissenschaften, haben bei aller offiziellen „Linientreue“ bemerkenswerte und durchaus nicht nur konformistische Resultate erarbeitet, und zwar von den sechziger bis in die achtziger Jahre. Dies war mçglich, weil „geduldete Spielrume“ (Holtz) genutzt werden konnten, die wissenschaftliche „Eigendynamik“ ermçglichten.382 Die 1985/1990 erschienene Bismarck-Biographie Ernst Engelbergs, des langjhrigen Prsidenten des Nationalkomitees der Historiker der DDR,383 381 Horst Krîger, Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen. Die mittleren Provinzen in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts (= Schriftenreihe des Instituts fîr allgemeine Geschichte an der Humboldt-Universitt Berlin, 3), Berlin 1958, S. 9 f.; vgl. B. Holtz, Thema … (s. Anm. 319), S. 317, zu den Studien von Eichholtz S. 342 f., Forschungsplne: S. 344 ff.; Hintergrînde bei M. Sabrow, Diktat … (s. Anm. 375), S. 183 – 201, zur umstrittenen Sicht auf Preußen S. 202; W. Conze, Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 290), S. 28. 382 Hintergrînde in den Aktenforschungen von B. Holtz, Thema … (s. Anm. 319), S. 331, S. 346 f., S. 350; vgl. auch Jan Herman Brinks, Die DDR-Geschichtswissenschaft auf dem Weg zur deutschen Einheit. Luther, Friedrich II. und Bismarck als Paradigmen politischen Wandels (= Campus Forschung, 685), Frankfurt/New York (1992), S. 290, S. 294 – auch zum Folgenden; interessant ferner Jîrgen Kuczynski, „Ein linientreuer Dissident“. Memoiren 1945 – 1989, Berlin/Weimar 1994, S. 91 – 93 (auch zu Gegenstzen in der Gelehrtenschaft der DDR), S. 153 (keine Fçrderung zur Wirtschaftsgeschichte durch die Partei), S. 155, Niedergang in den 1970er Jahren: S. 156 – 159, mit lehrreichen Bezîgen. 383 Vgl. J. Kuczynski wie Anm. 382; Lothar Mertens, Lexikon der DDR-Historiker. Biographien und Bibliographien zu den Geschichtswissenschaftlern der Deutschen Demokratischen Republik, Mînchen 2006, S. 200 f.; vor allem: Ernst Engelberg, Bismarck. Urpreuße und Reichsgrînder, Berlin 1985, bes. S. 759 f. (mit Verweis auf Marx), ebd. „Bonapartismus“; dazu B. Holtz, Thema … (s. Anm. 319), S. 343 f., auch zum Folgenden, mit Verweis auf die Arbeiten von Helmut Bleiber, Hans-Heinrich Mîller u. a. m.; Siegfried Lokatis, Einwirkungen des Verlagssystems auf die Ge-

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wurde mißverstanden, wenn sie allein oder zu sehr auf die politische Lage beim Zeitpunkt ihres Erscheinens bezogen worden ist. Tatschlich geht ihre Entstehung bis in Planungen der mittleren sechziger Jahre zurîck. Schon zu dieser Zeit, seit 1960, traten in der Planung fîr die Akademieforschung preußische Themen in den Vordergrund. Engelberg subsumierte die Bismarck-Interpretation unter die auf Friedrich Engels zurîckgehende Formel von Bismarck als „kçniglich preußischem Revolutionr“.384 Die Debatte um politischen und gesellschaftlichen Wandel im 19. Jahrhundert als „Revolution von oben“ gehçrt in den gleichen Kontext. Der Rîckgriff auf diesen, freilich schon sehr viel lteren Topos385 ermçglichte es schließlich, die preußischen Reformen mit der marxistischen Revolutionstheorie in ˜bereinstimmung zu bringen beziehungsweise zu halten.386 schichtswissenschaftliche Forschung der DDR, in: M. Sabrow / P. Th. Walther (Hg.), Historische Forschung und sozialistische Diktatur … (s. Anm. 319), S. 180 – 192, hier S. 181; Konventionalitt Engelbergs: H. Seier, Bismarck … (s. Anm. 365), S. 691 f., S. 694 – 699, zu beiden Bnden; zum thematischen Kontext Peter Alter, Bismarck in der Geschichtsschreibung der DDR, in: A. Fischer / G. Heydemann (Hg.), Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 284), S. 655 – 669, hier S. 656 – 659, S. 664 – 666; und exemplarisch Christoph Studt, Bismarck und kein Ende … Neue Literatur zur Person und Politik Otto von Bismarcks, in: Francia 19/3 (1992), S. 151 – 164, hier S. 152, organisiertes Medienereignis: S. 151, S. 164. 384 Mit Nachweisen P. Alter, Bismarck … (s. Anm. 383), S. 359; J. H. Brinks, DDRGeschichtswissenschaft … (s. Anm. 382), S. 281 f. 385 Vgl. etwa zum Absolutismus als einer „Revolution von oben“: Otto Hintze, Geist und Epochen der preußischen Geschichte, zuerst 1903, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 177), S. 1 – 29, hier S. 11; und zur Reform nach 1806 bei Heinrich Otto Meisner, Zur neueren Geschichte des preußischen Kabinetts, in: ForschBrandPrG 36 (1924), S. 39 – 66, hier S. 40; zu Engelberg in diesem Sinne vgl. C. Studt, Bismarck … (s. Anm. 383), S. 153; ebd. S. 154 f. zu Engelbergs fîr eine marxistische Arbeit auffllig „verstndnisvolle(n), ja fast liebevolle(n) Annherung an Bismarck“. Ebd. zur „Renaissance des Nationalen“ und zur „weitschweifige(n) und alles in allem Bekanntes aufs neue detailliert darstellende(n) Erzhlung“ in Engelbergs „Bismarck“, aber „kaum neue Erkenntnisse“, und das trotz Archivzugang. 386 Vgl. z. B. Ernst Engelberg, Die preußische Reformzeit in ihren Struktur- und Entwicklungszusammenhngen, zuerst 1976, wieder in: Ders., Theorie, Empirie und Methode in der Geschichtswissenschaft. Gesammelte Aufstze, hg. v. Wolfgang Kîttler / Gustav Seeber, Lizenzausgabe: Vaduz/Liechtenstein 1980, S. 197 – 211, hier S. 199, S. 201 („Beginn der Revolution von oben“); vgl. zur weiteren Diskussion J. Kocka, Preußischer Staat … (s. Anm. 344), S. 54, S. 56 (auch zu Lenins These vom „preußischen Weg“); Gustav Seeber, Preußen seit 1789 in der Geschichtsschreibung der DDR, in: Ders. / Karl-Heinz Noack (Hg.), Preußen von der deutschen Geschichte nach 1789 (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut fîr Geschichte Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, 3), Berlin 1983, S. 11 – 48, hier S. 27; und wiederum mit Bezug auf Friedrich Engels, Ernst Engelberg, Die historische Dimension der preußischen Reformen in der Epoche der sozialen Revolution (1789 – 1871), in: (Heinrich Scheel [Hg.]), Preußische Reformen – Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages des Freiherrn von und zum Stein, Berlin 1982,

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Die planwirtschaftliche Schwerpunktbildung (auch) auf dem Felde der Wissenschaften hatte die Folge, daß bestimmte klassische Themen, wie etwa die staatlichen Strukturen in der frîhen Neuzeit und die eigentliche Außenpolitik bis auf wenige Ausnahmen387 unbearbeitet blieben, andere Felder, wie etwa die fîr die preußische Geschichte der Frîhneuzeit und der Moderne in der Tat besonders wichtige Agrargeschichte aber îber Jahrzehnte mit großer Intensitt und in konzentrierter Aktenforschung gefçrdert worden sind. Die Namen von Hartmut Harnisch und Hans Heinrich Mîller, schließlich derjenige der Historiker-Archivarin Lieselott Enders (gest. 2009) sind hier zu nennen.388 Neben dem Institut fîr Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften war die Universitt Rostock389 ein Zentrum der Agrargeschichte in der DDR. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, daß die Agrargeschichtsschreibung îber lange Zeit auch eine sehr politische Mission zu erfîllen hatte, nmlich die – so nannte man sie: – „Bodenreform“ zu legitimieren,390 d. h. die „Beseitigung“ der Rittergutsbesitzer im Herrschaftsbereich der SBZ. Wieder wurde ein politischer Argumentationskomplex zum Antrieb fîr Forschung, die in ihren wissenschaftlichen Resultaten îber die politische Mission weit hinauswies. Hatte die ltere deutsche Agrargeschichte ihre zentralen Interessengebiete in der „Agrarverfassungsgeschichte“, so traten nun gesellschaftliche Dynamik und Konflikte in den Mittelpunkt der Arbeit. Zu Recht besaß die Agrargeschichte der DDR in ihren quellengestîtzten Schwerpunkten einen guten und sogar internationalen Ruf; ihre Publikationen sind fîr die preußische Geschichte nach wie vor wichtig. In der Aktenforschung waren schon frîh Tendenzen der Ent-

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S. 44 – 53, hier S. 48 f.; und in diesem Band Helmut Bleiber, Zu den inneren Voraussetzungen und zur Bewertung der preußischen Reformen, S. 156 – 159, hier S. 156 (in Auseinandersetzung mit Walter Schmidt und Helmut Bock). So die bei Heinrich Otto Meisner entstandene Studie von Meta Kohnke zum Kabinettsministerium, von der nur ein Extrakt publiziert worden ist: Das preußische Kabinettsministerium. Ein Beitrag zur Geschichte des Staatsapparates im Sptfeudalismus, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 2 (1978), S. 313 – 356, bes. S. 318 ff. Zunchst J. Kocka, Marxistische Sozialgeschichte … (s. Anm. 379), S. 509 Anm. 26; vgl. Wolfgang Neugebauer, Das alte Preußen. Aspekte der neuesten Forschung, in: Historisches Jahrbuch 122 (2002), S. 463 – 482. Herausgegeben von der Universitt Rostock, Sektion Geschichte: Agrarhistorische Forschungen in der DDR 1980 – 1990. Analysen und Berichte zur Agrargeschichtsschreibung des Feudalismus und des Kapitalismus (= Agrargeschichte, 22), Rostock 1990, mit einem Forschungsbericht u. a. von Ilona Buchsteiner und Gerhard Heitz. Wolfram Fischer / Frank Zschaler, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in: Jîrgen Kocka / Renate Mayntz (Hg.), Wissenschaft und Wiedervereinigung. Disziplinen im Umbruch (= Interdisziplinre Arbeitsgruppen. Forschungsberichte, 6), Berlin 1998, S. 361 – 434, hier S. 369, S. 372, „Bodenreform“: S. 394 f.; drastisches Beispiel: Hans Heinrich Mîller, Mrkische Landwirtschaft vor den Agrarreformen von 1807. Entwicklungstendenzen des Ackerbaues in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts (= Verçffentlichungen des Bezirksheimatmuseums Potsdam, 13), Potsdam 1967, S. 5, eine in der wissenschaftlichen Substanz freilich sehr wertvolle Studie.

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dogmatisierung erkennbar, in Publikationen, die sich freilich primr an die Fachçffentlichkeit wandten, wenn etwa fîr das spte 18. Jahrhundert Agrarmodernisierungen auf Adelsgîtern festgestellt wurden,391 die das Klischee von der Stagnation vor dem Eingreifen der großen Reformmnner krftig revidierten. Zugleich wuchs das Bewußtsein, daß die „herrschenden Klassen“ in die Analyse einbezogen werden mußten. Sptestens seit den siebziger Jahren wurde darangegangen, den Adel der mittleren preußischen Provinzen, d. h. der Mark Brandenburg und Pommerns zu analysieren,392 in Quellenforschungen, die îber die Schwelle von 1989/90 hinaus noch in jîngster Zeit zu beeindruckenden Resultaten gefîhrt haben. Jan Peters hat in den neunziger Jahren diese ursprînglich agrar- und adelsgeschichtlichen Studien durch volkskundlich-kulturgeschichtliche Methoden angereichert und in interdisziplinrer Arbeit an der Universitt Potsdam weitergefîhrt.393 Kurz vor dem Untergang der DDR wurde

391 Vgl. W. Neugebauer, Das alte Preußen … (s. Anm. 388), passim; Beispiel: Hans Heinrich Mîller, Der agrarische Fortschritt und die Bauern in Brandenburg vor den Reformen von 1807, zuerst 1964, wieder in: Hartmut Harnisch / Gerhard Heitz (Hg.), Deutsche Agrargeschichte des Sptfeudalismus (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut fîr Geschichte: Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, 6), Berlin 1986, S. 186 – 212, hier S. 191 ff.; vgl. dazu Peter Meyers, Friedrich II. von Preußen … (s. Anm. 284), S. 331 – 366, hier S. 338, S. 361; Barbara Vogel, Das alte Preußen in der Geschichtswissenschaft der DDR. Zum Wandel des Preußenbildes in der DDR, in: a.a.O., S. 425 – 451, hier S. 432, zu Harnisch S. 452 f.; zur relativen Modernitt Preußens im 19. Jahrhundert (lt. H. Bleiber): D. Blasius, Einleitung … (s. Anm. 281), S. 21; Beispiel: Hartmut Harnisch, Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchungen îber das ostelbische Preußen zwischen Sptfeudalismus und bîrgerlich-demokratischer Revolution von 1848/49 unter besonderer Berîcksichtigung der Provinz Brandenburg (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 19), Weimar 1984, S. 52 f., S. 55 und passim. 392 Vgl. Helmut Bleiber, Staat und bîrgerliche Umwlzung in Deutschland. Zum Charakter besonders des preußischen Staates in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts, zuerst 1976, wieder in: G. Seeber / K.-H. Noack (Hg.), Preußen … (s. Anm. 386), S. 82 – 115, hier S. 84; und G. Seeber, Preußen … (s. Anm. 386), S. 32, S. 43; P. Meyers, Friedrich II. … (s. Anm. 391), S. 345. 393 Z. B. Jan Peters, Gutsherrschaftsgeschichte in historisch-anthropologischer Perspektive, in: Ders. (Hg.), Gutsherrschaft als soziales Modell. Vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frîhneuzeitlicher Agrargesellschaften (= HZ, Beihefte, 18), Mînchen 1995, S. 3 – 21, bes.: „Konfliktgemeinschaft“ (S. 16 – 18); die von Jan Peters hg. Reihe: Potsdamer Studien zur Geschichte der lndlichen Gesellschaft, 1 – 4, Kçln/ Weimar/Wien 2001 – 2003; und Ders., Mrkische Lebenswelten. Gesellschaftsgeschichte der Herrschaft Plattenburg-Wilsnack, Prignitz 1500 – 1800 (= Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 53), Berlin 2007, Quellenbasis: S. 777, zum von Saldernschen Besitz; einige der Anstze wieder aufgegriffen bei Heinz Reif (Hg.), Elitenwandel in der Moderne, 1 ff., Berlin 2000 ff.

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mit Blick auf die internationale Absolutismus-Diskussion die Erforschung der Landstnde und des (Manufaktur-)Bîrgertums zum Programm erhoben.394 Jede Bilanzierung der (Archiv-)Forschungen in der DDR muß von diesen, im Westen nur von den Fachspezialisten verfolgten Schwerpunkten ausgehen. Die Reduktion auf grçßere Gesamtdarstellungen und ˜berblicke, die in speziellen Verlagen erschienen und im Sinne offen deklarierter Geschichts-„Propaganda“ fîr eine weitere §ffentlichkeit bestimmt waren, verzerrt ganz entschieden das Bild. Die Fixierung auf mediale Ereignisse hat die Einsicht in die Langfristigkeit der Entwicklung und die relative Autonomie der Forschung unter der sozialistischen Diktatur verstellt. Es geht also tatschlich nicht primr um Akzentverlagerungen der Preußen-Bewertung im Takte von Parteitagsbeschlîssen und im Gleichschritt mit Anpassungsbedîrfnissen an politische Großwetterlagen, wenn etwa um 1980 in der preußischen Geschichte neben „reaktionren“ auch „progressive Elemente“ anerkannt wurden.395 Der „Mangel an rechts- und staatshistorischen Forschungen“396 zur preußischen Geschichte wurde nun offen beklagt. Das Thema Preußen wurde in der spten DDR also breiter erforscht, in ganz offenbar sehr viel strkerer Unabhngigkeit von Vorgaben marxistischer Klassiker und Leitautoren. Neu war um 1980 die zur „Abrechnungsliteratur“ um 1950 im Widerspruch stehende Differenzierung, nach der es nun „keine geradlinige oder gar zwangslufige Entwicklung vom absolutistischen Preußen des 18. Jahrhunderts zur Hitlerdiktatur“ gegeben habe; „das Preußentum [!] kulminierte nicht im deutschen Faschismus“.397 Die Reduktion der Rolle Preußens in der Geschichtswissenschaft (und Geschichtspolitik) der spten DDR im Sinne neuer und aktueller Funktionen eines erweiterten Traditionsverstndnisses des sozialistischen Staates greift zu kurz, auch wenn sie sich auch auf die amtliche Selbstdarstellung der Ge-

394 I. Mittenzwei / K.-H. Noack, Einleitung … (s. Anm. 284), S. 43 f., S. 47 ff., (S. 41 f.: Parteitagsbeschlîsse der SED!). 395 Siehe den Leit-Aufsatz: Horst Bartel / Ingrid Mittenzwei / Walter Schmidt, Preußen und die deutsche Geschichte, zuerst in: Einheit 34 (1979), S. 637 – 646, wieder in: J. Mittenzwei / K.-H. Noack (Hg.), Preußen … (s. Anm. 284), S. 53 – 66, hier S. 53 f., S. 56; J. H. Brinks, DDR-Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 384), S. 264 f., S. 271 f. (Distanzierung von Mehring). 396 G. Seeber, Preußen … (s. Anm. 386), S. 45; zum ganzen Komplex um 1980 auch der aufschlußreiche Beitrag von Helmut Meier / Walter Schmidt, Literaturbericht. Arbeiten zur Geschichte Preußens, in: Jahrbuch fîr Regionalgeschichte 10 (1983), S. 228 – 237, hier S. 228 f. 397 I. Mittenzwei / K.-H. Noack, Einleitung … (s. Anm. 284), S. 15; vgl. auch Ulrich Neuhusser-Wespy, Die SED und die Historie. Die Etablierung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR in den fînfziger und sechziger Jahren, Bonn 1996, S. 25.

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schichtswissenschaft der DDR berufen kann.398 Die Eigendynamik einer sehr viel langfristiger entstandenen Forschung fîhrte zu vorsichtiger Emanzipation, freilich immer auf marxistischer Grundlage. Die zuletzt sprunghaft anwachsende Biographik, außer auf Engelberg sei exemplarisch auf die Friedrich-Biographie Ingrid Mittenzweis und die Arbeiten Karl-Heinz Bçrners verwiesen, fîgt sich in diesen Befund ein.399 Die vergleichsweise dogmatisch-marxistische ˜berblicksdarstellung von Gînter Vogler und Klaus Vetter galt schon sehr bald nach Erscheinen unter Fachleuten der DDR als îberholt: ihr Negativbild vom „Militrdespotismus“ wurde in den achtziger Jahren als Abschluß einer lngst vergangenen historiographischen „Periode“ (Mittenzwei / Noack) deklariert.400 – Wichtiger aber als die Frage, ob das Gesamtbild Preußens positiver gewertet wird oder Friedrich II. in differenzierterem Lichte erschien, ist die Beobachtung, daß seit den sechziger Jahren – vielleicht auch im Schutze der Akademie und unter den sehr spezifischen Bedingungen wirtschaftsgeschichtlicher Forschung am Institut Kuczynskis401 – Wandlungspotentiale der Strukturen im preußi-

398 Zur Erbe-Tradition-Konzeption am preußischen Beispiel siehe (mit bezeichnendem Titel) Klaus Vetter, Preußen und das Preußentum in der deutschen Geschichte (= Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik), Berlin 1985, S. 4 f.; H. A. Krauss, Rolle … (s. Anm. 378), S. 100 f.; I. Mittenzwei / K.-H. Noack, Einleitung … (s. Anm. 284), S. 11 f.; „Eigendynamik“ der Forschung betont bei B. Holtz, Thema … (s. Anm. 319), S. 351 f. 399 H. Duchhardt, Stein-Bild … (s. Anm. 252), S. 22 f., zum Stein-Jubilum 1981, dem freilich eine intensive Editionsarbeit seit den 1950er Jahren voraufgegangen war; vgl. oben Anm. 199; Biographik: H. Meier / W. Schmidt, Literaturbericht … (s. Anm. 396), S. 235 f.; Peter Alter, Bismarck in der Geschichtsschreibung der DDR, in: A. Fischer / G. Heydemann (Hg.), Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 284), S. 655 – 669, hier S. 663 f. (Literatur); H. A. Krauss, Rolle … (s. Anm. 378), S. 121 – 124, auch zu biographischen Sammelwerken. 400 Gînter Vogler / Klaus Vetter, Preußen. Von den Anfngen bis zur Reichsgrîndung, Berlin 41975, passim mit Schlgen gegen bundesrepublikanische Autoren, die im Literaturverzeichnis gar nicht nachgewiesen werden (und wohl nur Teilen der Leser zugnglich waren); I. Mittenzwei / K.-H. Noack, Einleitung … (s. Anm. 284), S. 40 f., mit Benennung kînftiger Forschungsaufgaben; Kritik auch bei H. Meier / W. Schmidt, Literaturbericht … (s. Anm. 396), S. 231 f., die Defizite bei Vogler und Vetter u. a. in der Darstellung „geistig-kultureller Prozesse“ feststellen; zur Genese des Bandes vgl. Klaus Vetter, Preußen und das reaktionre Preußentum in der deutschen Geschichte, in: ZGWiss 18 (1970), S. 529 – 533; mit G. Seeber, Preußen … (s. Anm. 386), S. 39 f.; aus den Rezensionen vgl. Gerhard Oestreich, in: HZ 217 (1973), S. 175 – 177, mit Kritik am Fehlen europischer Perspektiven und Ignorierung englischsprachiger Literatur (S. 175 f.); vgl. dann schon differenzierter und unter Verwendung breiteren und nachgewiesenen Materials: Ingrid Mittenzwei / Erika Herzfeld, Brandenburg-Preußen 1648 bis 1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Wort und Bild, Berlin (beziehungsweise Kçln) 1987. 401 Vgl. Anm. 382 und Anm. 388.

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schen Staat und seinen Regionen erkannt worden sind,402 und schließlich wurde auch dem Staat und seinen Fîhrungsschichten eine „relative Selbstndigkeit“ gegenîber sozialçkonomischen Basisstrukturen konzediert. Dies ließ freilich von bundesrepublikanischer Seite die Kritik zu, daß die konkrete Verknîpfung wirtschaftlicher Verhltnisse mit politischen Entscheidungen von der Forschung in der DDR mehr vorausgesetzt, als empirisch untersucht werde.403 Das wachsende Interesse an Themen der preußischen Geschichte hat in Polen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch – wie Mittenzweis Biographie Friedrichs II. – „viele Bedenken“ hervorgerufen.404 Dabei hat die Historiographie in der DDR sich in der Regel auf diejenigen Regionen Preußens konzentriert, wenn nicht – mit Ausnahmen – gar beschrnkt, die nun zum Staatsgebiet der DDR gehçrten. In der polnischen Historiographie wurde „die Geschichte Preußens fast ausschließlich in ihrem Bezug auf die eigene Geschichte“405 betrachtet. Darin liegt eine Gefahr begrîndet, weitere europische Dimensionen auszublenden. Neben der – ganz in der Kontinuitt zur Neuzeit bis in das Dritte Reich gesehenen – Geschichte des deutschen Ordens waren es Bismarck und natîrlich Friedrich „der Große“, die schon im 19. Jahrhundert, etwa durch Szymon Askenazy, Bearbeitung fanden.406 Nach 1945 hat dann Władysław Konopczyn´ski 402 Zur um einiges starreren Haltung Mittenzweis vgl. J. H. Brinks, DDR-Geschichtswissenschaft … (s. Anm. 382), S. 265 – 274, S. 275: wenig Neues; B. Vogel, DDR … (s. Anm. 391), S. 439 f. – Vielleicht hat auch die bundesrepublikanische Fixierung auf Verçffentlichungen wie diejenigen Mittenzweis den tieferen Blick auf Forschungsentwicklungen in der DDR verstellt. 403 J. Kocka, Marxistische Sozialgeschichte … (s. Anm. 379), S. 499, weiter S. 501; Ders., Preußischer Staat … (s. Anm. 344), S. 50 f., S. 52 zum Verhltnis von preußischem Staat und Industrialisierung, S. 55 („leider meist weggelassene Analyse des Willensbildungsprozesses“). 404 StanisŁaw Salmonowicz, Stand und Bedîrfnisse der Forschungen zur Geschichte des preußischen Staates von 1701 – 1871, in: Polnische Weststudien 5 (1986), S. 119 – 144; zum Folgenden wiederum B. Vogel, DDR … (s. Anm. 391), S. 439; Jîrgen Kmmerer, Friedrich der Große im geteilten Deutschland. Zwei neue Friedrich-Biographien im Vergleich, in: JbGMitteldtld 33 (1984), S. 158 – 173, hier S. 162; nîtzlicher Abriß (nicht speziell zum Preußenkomplex): Andrzej Grabski, Zarys historii historiografii polskiej, Poznan´ 2000, zu Askenazy S. 136, S. 143 f. u. ç. 405 Roland Gehrke, Das „ruberische Monstrum“. Preußen in der polnischen Historiographie des 19. und frîhen 20. Jahrhunderts, in: W. Neugebauer (Hg.), Das Thema Preußen … (s. Anm. 32), S. 205 – 229, hier S. 213 ff.; vgl. jîngst (und mit weiteren Epochendifferenzierungen) Klaus Zernack, Auf dem Weg zu einer Synthese der Geschichte Preußens. ˜ber einige polnische Beitrge nach dem Zweiten Weltkrieg, in: JbBrandenbLdG 59 (2008), S. 194 – 208, hier S. 195, S. 197 („Polonozentrismus“). 406 Vgl. Anm. 404; Klaus Zernack, Preußen als Problem der osteuropischen Geschichte, zuerst 1965, wieder in: Ders., Preußen – Deutschland – Polen. Aufstze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, hg. v. Wolfram Fischer / Michael G. Mîller (= Historische Forschungen, 44), Berlin 1991, S. 87 – 104, hier S. 87; Hanna Labrenz,

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die Polenpolitik Friedrichs II. untersucht.407 Die „Kînstlichkeit“ des preußischen Staates, der nichtdeutsche Charakter seiner Kerngebiete, sein – so Jûzef Feldman – antislavischer Charakter, das alles gehçrt zu den Topoi der polnischen Historiographie.408 Friedrich, den auch Konopczyn´ski freilich „den Großen“ nennt, wird allein als der Zerstçrer polnischer Staatlichkeit gesehen. Seit der Mitte der fînfziger Jahre war die polnische Historiographie wesentlich weniger marxistisch-leninistisch geprgt als die der DDR.409 Außer der preußischen Geschichte des Thorner Rechtshistorikers Stanisław Salmonowicz, die die Ertrge der polnischen Forschungen wohl doch nicht recht zur Geltung kommen lßt,410 wird nun – seit den sechziger Jahren vorbereitet und in DDR und Bundesrepublik mit Fachkollegen diskutiert – von Bogdan Wachowiak ein Handbuch der preußischen Geschichte herausgegeben, dessen bisher vorliegender erster Band bis 1701 fîhrt.411 Wichtig ist die reiche und schon zu handbuchartigen Zusammenfassungen gediehene Literatur zu denjenigen, çstlich der Oder gelegenen Regionen, die frîher zu Preußen gehçrten und deren

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Das Bild Preußens in der polnischen Geschichtsschreibung (= Historische Forschungen, 16), Rheinfelden 1986, S. 90 – 101; zu Feldman S. 103 – 105, auch zur konfessionellen Konnotation. WŁadysŁaw Konopczyn´ski, Fryderyk Wielki a Polska, (= Prace Institutu Zachodniego, 9), Poznan´ 1947, zur Teilungspolitik S. 165 – 183; zu Konopczynski und der Warschauer Historikerschule vgl. Jerzy Centkowski, Hauptrichtungen der polnischen Historiographie im 20. Jahrhundert, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Nationale Geschichtskulturen – Bilanz, Ausstrahlung, Europabezogenheit …, Mainz/Stuttgart 2006, S. 241 – 261, hier S. 244, S. 246, zur nationaldemokratischen Ausrichtung; H. Labrenz, Bild … (s. Anm. 406), S. 134 f.; und anlßlich der (populren) polnischsprachigen FriedrichBiographie von Stanisław Salmonowicz die Rezension von Klaus Zernack, in: JbGMitteldtld 35 (1986), S. 368 – 372, bes. S. 368 f. Jûzef Feldman, Polen und Preußen. Versuch einer Synthese, zuerst 1924, wieder in: Lothar Dralle (Hg.), Preußen – Deutschland – Polen im Urteil polnischer Historiker. Eine Anthologie, 1 (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 37), Berlin 1983, S. 45 – 60, hier S. 49, vgl. S. 52 f.; vgl. R. Gehrke, Monstrum … (s. Anm. 405), S. 216 ff., Ostpreußen als Staats-Zelle: S. 220; vgl. auch Jûzef Feldman, Das polnisch-deutsche Problem in der Geschichte, dt. Ausgabe: Marburg/Lahn 1961 [Original: Problem polsko-niemiecki w dziejach, Katowice 1946], bes. S. 63 f. (Polen und Preußen). Klaus Zernack, Nation – Unabhngigkeit – Weltoffenheit. Zur polnischen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, in: H. Duchhardt (Hg.), Geschichtskulturen … (s. Anm. 407), S. 263 – 278, hier S. 272; auch J. Kocka, Marxistische Sozialgeschichte … (s. Anm. 379), S. 505, S. 512 Anm. 62. StanisŁaw Salmonowicz, Prusy. Dzieje pan´stwa i społeczen´stwa, Poznan´ 1987, nicht sehr glîckliche deutsche ˜bersetzung: Preußen. Geschichte von Staat und Gesellschaft (= Martin-Opitz-Bibliothek, 2), Herne 1995; dazu die Rez. von Wolfgang Neugebauer, in: HZ 265 (1997), S. 421 f. Vf. hat 1987 an einer solchen Diskussion in Berlin teilgenommen; vgl. K. Vetter, Preußen … (s. Anm. 400), S. 530; jetzt: Bogdan Wachowick, Dzieje BrandenburgiiPrus na progu nowoz˙ytnych (1500 – 1701) (= Historia Prus, 1), Poznan´ 2001.

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„Erforschung“ – zumindest zu einem erheblichen Teil – heute „zu einer Domne der polnischen Geschichtswissenschaft geworden ist“.412 „Man kann sagen, daß der politischen Annexion des preußischen Ostens eine historiographische Eroberung durch die polnische Landesgeschichte (Regionalgeschichte der Westgebiete) gefolgt ist.“413 Um so notwendiger ist es heute und kînftig, die Forschungen zur preußischen Geschichte mit denjenigen europischen Nachbarn zusammen in – und sei es streitiger – Kooperation zu betreiben, die mit Teilen Preußens auch historiographische Aufgaben, wenn nicht Traditionen îbernommen haben.

412 Klaus Zernack, Preußens Ende und die ostdeutsche Geschichte (= Vortrge im GeorgEckart-Institut), Braunschweig 1989, S. 5, vgl. auch S. 13; in diesem Sinne auch Udo Arnold, Ostdeutsche Landesforschung im letzten Vierteljahrhundert – das Beispiel Ostund Westpreußen, in: Werner Buchholz / Gînter Mangelsdorf (Hg.), Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte …, Kçln/Weimar/Wien 1995, S. 41 – 62, hier S. 43. 413 So: K. Zernack, Nation … (s. Anm. 409), S. 273; îber die regionale Handbuchliteratur der polnischen Forschung im typologischen Vergleich: Wolfgang Neugebauer, Forschung und Synthese. Das Handbuch der bayerischen Geschichte im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, in: ZBayerLdG 705 (2007), S. 11 – 32, zur Historia Pomorza: S. 31; vgl. noch Withold Jakûbczyk (Red.), Dzieje Wielkopolski, 2: Lata 1793 – 1918, Poznan´ 1973, programmatisch: S. 9 f.

B. Epochen der preußischen Geschichte

Brandenburg-Preußen in der Frîhen Neuzeit Politik und Staatsbildung im 17. und 18. Jahrhundert Von Wolfgang Neugebauer Bibliographie Anmerkung: Zu Bibliographien zur Preußischen Geschichte vgl. oben unter A, zur historiographischen „Einfîhrung in das Gesamtwerk“, bei 1; dort ferner unter 2 die auch fîr die frîhneuzeitlichen Jahrhunderte einschlgigen Gesamtdarstellungen. Ferner sei verwiesen auf die Literaturangaben von Klaus Zernack, Wilhelm Treue und Wolfgang Neugebauer in zweiten Bande, sowie die Bibliographien von Manfred Messerschmidt, Rudolf von Thadden und Martin Schulze Wessel im dritten Bande dieses Handbuches. Zeitschriften (in chronologischer Ordnung): Allgemeines Archiv fîr die Geschichtskunde des Preußischen Staates, 1 – 18, Berlin 1830 – 1835 (hg. von Leopold von Ledebur, fortgesetzt als: Neues Allgemeines Archiv fîr die Geschichtskunde des Preußischen Staates, 3 Bde., Berlin/Posen/Bromberg 1836); Mrkische Forschungen, hg. von dem Vereine fîr Geschichte der Mark Brandenburg, 1 – 20, Berlin 1841 – 1887 (erschienen in unregelmßigen Abstnden); Zeitschrift fîr Preußische Geschichte und Landeskunde, 1 – 20, 1864 – 1883; Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 1 – 55 (1888 – 1944), Neue Folge: 1 ff., (1991 ff.); Hohenzollern-Jahrbuch. Forschungen und Abbildungen zur Geschichte der Hohenzollern in Brandenburg-Preußen, 1 – 20 (1897 – 1916); Altpreußische Forschungen, 1 – 20 (1924 – 1943), auch als Nachdruck: Hamburg 1989; Mitteilungen des Vereins fîr die Geschichte Ost- und Westpreußens, 1 – 19 (1926 – 1944); Jahrbuch fîr brandenburgische Landesgeschichte 1 ff. (1950 ff.); Jahrbuch fîr die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 1 ff. (1952 ff.), (1 als: Jahrbuch fîr Geschichte des deutschen Ostens); Jahrbuch fîr Regionalgeschichte 1 ff. (1965 ff.); Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 1 – 14 (1977 – 1990). Editionen: Christian Otto Mylius (Hg.), Corpus Constitutionum Marchicarum …, 6 Tle., Berlin/Halle (1737 – 1751); (Dass.), Continuatio, Tl. 1 – 4, Berlin/Halle (1744 – 1751); (Dass.), Supplementa …, Berlin/Halle (1751); Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium praecipue Marchicarum …, 12 Bde., Berlin (1753/56)1822, (dazu jeweils Repertorien und Register); Georg Grube (Hg.), Corpus Constitutionum Prutenicarum, Oder Kçnigliche Preußische Reichs-Ordnungen …, 3 Tle., Kçnigsberg 1721; J. J. Scotti (Hg.), Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Herzogthum Cleve und in der Grafschaft Mark îber Gegenstnde der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind …, 5 Tle., Dîsseldorf 1826; Melle Klinkenborg (Hg.), Acta Brandenburgica. Brandenburgische Regierungsakten seit der Begrîndung des Geheimen Rates, 1 – 4, 1. Halbband (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission fîr die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, 3), Berlin 1927 – 1930; Theodor von Moerner (Bearb.),

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Kurbrandenburgs Staatsvertrge von 1601 bis 1700. Nach den Originalen des Kçnigl. Geh. Staatsarchivs, Berlin 1867, ND (Berlin 1965); Bernhard Erdmannsdçrffer u. a. (Hg.), Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte der Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 23 Bde., Berlin 1864 – 1930; Otto Meinardus (Hg.), Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, 7 Bde. (= PubllPreussStaatsarch, 41, 54, 55, 66, 80, 89, 91), Leipzig 1889 – 1919 (auch ND Osnabrîck 1965 – 1976, fîr die Jahre von 1640 bis 1666); Victor Loewe (Hg.), Preußens Staatsvertrge aus der Regierungszeit Kçnig Friedrichs I. (= PubllPreussStaatsarch, 92), Leipzig 1923; Ders. (Hg.), Preußens Staatsvertrge aus der Regierungszeit Kçnig Friedrich Wilhelms I. (= PubllPreussStaatsarch, 87), Leipzig 1913, ND Osnabrîck 1966; Rudolph Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. in seiner Thtigkeit fîr die Landescultur Preußens (= PubllPreussStaatsarch, 2), Leipzig 1878, ND Osnabrîck 1965; Ders., Preußens Kçnige in ihrer Thtigkeit fîr die Landescultur, 2.–4. Tl. (= PubllPreussStaatsarch, 11, 25, 30), Leipzig 1882 – 1887 (dazu die kritische Stellungnahme von Wilhelm Naud¤, in: ForschBrandPrG 15 [1902], S. 1 – 32); Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. von der (Kçniglichen) Akademie der Wissenschaften, bearb. von Gustav Schmoller / Otto Hintze u. a., Berlin (beziehungsweise Hamburg/Berlin), 41 Bde., 1892 – 1982, versch. Reihen (auch Nachdrucke: Frankfurt am Main 1986/87); Wolfgang Neugebauer (Hg.), Schule und Absolutismus in Preußen. Akten zum preußischen Elementarschulwesen bis 1806 (= VerçffHistKommBerlin, 83, Quellenwerke, 8), Berlin/New York 1992; Politische Correspondenz Friedrichs des Großen (hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, bearb. von Reinhold Koser / Albert Naud¤ u. a.), 1 – 47, Berlin (beziehungsweise Leipzig, Oldenburg, Kçln, Weimar, Wien) 1879 – 2003 (noch nicht abgeschlossen); Gustav Berthold Volz (Hg.), Die Werke Friedrichs des Großen. In deutscher ˜bersetzung, 10 Bde., Berlin 1913/14; Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Kçln/Wien 1986; Jîrgen Kloosterhuis (Bearb.), Bauern, Bîrger und Soldaten. Quellen zur Sozialisation des Militrsystems im preußischen Westfalen 1713 – 1803. Regesten (= Verçffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C, 29), Mînster 1992; Ders. (Bearb.), Legendre „lange Kerls“. Quellen zur Regimentskultur der Kçnigsgrenadiere Friedrich Wilhelms I. 1713 – 1740, Berlin 2003; Auswahlausgaben: Wilhelm Altmann (Hg.), Ausgewhlte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Zum Handgebrauch zunchst fîr Historiker, 1, Berlin 21914; Peter Baumgart (Hg.), Erscheinungsformen des preußischen Absolutismus. Verfassung und Verwaltung (= Historische Texte Neuzeit), Germering 1966. Epochenspezifische ˜berblicke (nach dem Datum des Erscheinens): Bernhard Erdmannsdçrffer, Deutsche Geschichte vom Westflischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrich’s des Großen 1648 – 1740, 2 Bde. (= Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen, 3. Abt., 7. Tl.), Berlin 1892/93 (u. ç.); vgl. damit H(ans) von Zwiedineck-Sîdenhorst, Deutsche Geschichte im Zeitraum der Grîndung des preußischen Kçnigtums (= Bibliothek Deutscher Geschichte), 2 Bde., Stuttgart 1890 – 1894; Max Immich, Geschichte des europischen Staatensystems 1660 – 1789 (= Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. II), Mînchen/Berlin 1905, ND Darmstadt 1967; Georg Kîntzel, Die drei großen Hohenzollern, in: Erich Marcks / Karl Alexander von Mîller (Hg.), Meister der Politik. Eine weltgeschichtliche Reihe von Bildnissen, 2, Stuttgart/Berlin 1923, S. 391 – 551 (auch

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separat); Max Braubach, Der Aufstieg Brandenburg-Preußens 1640 – 1815, Freiburg im Breisgau 1933; Fritz Hartung, Neuzeit. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Franzçsischen Revolution 1789 (= Handbuch fîr den Geschichtslehrer, 5, 1. Hlfte), Wien 1937, ND Darmstadt 1965; Gerhard Oestreich, Das Reich – Habsburgische Monarchie – Brandenburg-Preußen von 1648 bis 1803, in: Fritz Wagner (Hg.), Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklrung (= Handbuch der europischen Geschichte, 4), Stuttgart 1968, S. 378 – 475; Gerhard Oestreich, Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 9. Aufl., [Taschenbuchausgabe], 11), Stuttgart 1970 u. ç.; Rudolf Vierhaus, Deutschland im Zeitalter des Absolutismus (1648 – 1763) (= Deutsche Geschichte, 9), Gçttingen 1978; Ders., Staaten und Stnde. Vom Westflischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648 – 1763 (= Propylen Geschichte Deutschlands, 5), Berlin 1984; Michael Erbe, Deutsche Geschichte 1713 – 1790. Dualismus und Aufgeklrter Absolutismus, Stuttgart u. a. 1985; Ingrid Mittenzwei / Erika Herzfeld, Brandenburg-Preußen 1648 bis 1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Text und Bild, Berlin (Ost) 1987, Lizenzausgabe Kçln 1987; Heinz Schilling, Hçfe und Allianzen. Deutschland 1648 – 1763 (= Siedler Deutsche Geschichte), Berlin 1989; Horst Mçller, Fîrstenstaat oder Bîrgernation. Deutschland 1763 – 1815, Berlin 1989, Taschenbuchausgabe Berlin 1998; Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600 – 1715 (= Die Neue Deutsche Geschichte, 5), Mînchen 1991; Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763 – 1848, Oxford 1994; Ernst Opgenoorth (Hg.), Handbuch der Geschichte Ostund Westpreußens. Im Auftrag der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, Teil II/1, Lîneburg (1994), Teil II/2, (= Einzelschriften der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 10), Lîneburg (1996); Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 1: Anfnge, Landesstaat und Monarchische Autokratie bis 1740, Stuttgart/Berlin/Kçln (1996); Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785 (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 4), Paderborn u. a. 1997; Heinz Schilling, Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten. 1250 bis 1750 (= Siedler Geschichte Europas), Berlin 1999; Heinz Duchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus, 3., îberarb. Aufl. (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 11), Mînchen 1998, erw. unter dem Titel: Barock und Aufklrung (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte, 11), Mînchen 2007; Ernst Hinrichs, Fîrsten und Mchte. Zum Problem des europischen Absolutismus, Gçttingen (2000); Wolfgang Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen, 4), Berlin 2001; Heinz Duchhardt, Europa am Vorabend der Moderne 1650 – 1800 (= Handbuch der Geschichte Europas, 6), Stuttgart 2003; Walter Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763 – 1806 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., 12), Stuttgart 2005; Johannes Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung des frîhmodernen Reiches 1648 – 1763 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl., 11), Stuttgart 2006; Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559 – 1660 (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 2), Paderborn u. a. 2007. Biographische Literatur: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., Mînchen (2000) u. ç.; Ernst Daniel Martin Kirchner, Die Churfîrstinnen und Kçniginnen auf dem Throne der Hohenzollern, im

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Wolfgang Neugebauer

Zusammenhange mit ihren Familien- und Zeit-Verhltnissen; aus den Quellen bearbeitet, 3 Tle., Berlin 1866; Friedrich Wilhelm Prinz von Preussen (Hg.), Preußens Kçnige, Gîtersloh/Wien 1971; Peter Mast, Die Hohenzollern in Lebensbildern, Graz/ Wien/Kçln 1988; Georg Schuster / Friedrich Wagner, Jugend und Erziehung der Kurfîrsten von Brandenburg und Kçnige von Preußen, 1 (= Monumenta Germaniae Paedagogica, 34), Berlin 1906; Walther Hubatsch, Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Deutschordens-Hochmeister und Herzog in Preußen 1490 – 1568 (= Studien zur Geschichte Preußens, 8), Heidelberg 1960; Ulrich Stutz, Kurfîrst Johann Sigismund von Brandenburg und das Reformationsrecht (= Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1922 I), (Berlin 1922); Ulrich Kober, Eine Karriere im Krieg. Graf Adam von Schwarzenberg und die kurbrandenburgische Politik von 1619 bis 1641 (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 24), Berlin 2004 (dazu die Rez. von Wolfgang Neugebauer, in: HZ 281 [2005], S. 181 f.); Karl Spannagel, Konrad von Burgsdorff. Ein brandenburgischer Kriegs- und Staatsmann aus der Zeit der Kurfîrsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Hauses Hohenzollern, Reihe III, 5), Berlin 1903; Martin Philippson, Der Große Kurfîrst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 3 Tle., Berlin 1897 – 1903; Albert Waddington, Le Grand Electeur Fr¤d¤ric Guillaume de Brandenbourg. Sa politique ext¤rieure 1640 – 1688, 2 Bde., Paris 1905 – 1908 (dazu die Rezension von Karl Spannagel, in: ForschBrandPrG 19 [1906], S. 589 – 591 – sehr positiv); Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfîrst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Tle., Gçttingen/Frankfurt/ Zîrich 1971 – 1978 (vgl. dazu die Rezension von Richard Dietrich, in: JbGMitteldtld 23 [1974], S. 303 – 307); Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfîrst (= Persçnlichkeit und Geschichte, 65), Gçttingen/Zîrich/Frankfurt 1971; Derek McKay, The Great Elector, Harlow 2001; Max Hein, Otto von Schwerin. Der Oberprsident des Großen Kurfîrsten, Kçnigsberg in Preußen. 1929; Ders., Johann von Hoverbeck. Ein Diplomatenleben aus der Zeit des Großen Kurfîrsten, Kçnigsberg in Preußen 1925; Kurd Wolffgang von Schçning, Des General-Feldmarschalls Hans Adam von Schçning auf Tamsel Leben und Kriegsthaten namentlich sein Zug mit achttausend Brandenburgern gegen die Tîrken. Ein Beitrag zur Erkennung der Zeitverhltnisse in den kurbrandenburgischen und kurschsischen Landen whrend der 2ten Hlfte des 17ten Jahrhunderts, Berlin 1837; Hermann Dalton, Daniel Ernst Jablonski. Eine preußische Hofpredigergestalt in Berlin vor zweihundert Jahren, Berlin 1903; Linda Frey / Marsha Frey, Frederick I. The Man and His Time (= East European Monographs, 166), Boulder/New York 1984, dt. Ausgabe: Friedrich I. Preußens erster Kçnig, (Graz/Wien/Kçln 1984), dazu die Rez. von Wolfgang Neugebauer, in: HZ 244 (1987), S. 437 f.; Franz Horn, Friedrich der Dritte, Kurfîrst von Brandenburg, Erster Kçnig von Preußen, Berlin 1816; Karl Freiherr von Ledebur, Kçnig Friedrich I. von Preußen. Beitrge zur Geschichte seines Hofes sowie der Wissenschaften, Kînste und Staatsverwaltung seiner Zeit, Leipzig 1878; Sophie Charlotte und ihr Schloß. Ein Musenhof des Barock in Brandenburg-Preußen, hg. v. der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlçsser und Grten Berlin-Brandenburg, Mînchen/London/New York (1999); Rolf Thomas Senn, Sophie Charlotte von Preußen, Weimar 2000; K(ohra) Ghayegh-Pisheh, Sophie Charlotte von Preußen. Eine Kçnigin und ihre Zeit, Stuttgart 2000; Gustav Kramer, August Hermann Francke. Ein Lebensbild, 2 Tle., Halle an der Saale 1880 – 1882; Erich Beyreuther, August Hermann Francke und die Anfnge der çkumenischen Bewegung, Leipzig 1957; Ders., August Hermann Francke. Zeuge des lebendigen Gottes, Berlin 21960; Kurd Wolffgang von Schçning, Des General-Feldmarschalls Dubislav Gneomar von

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Natzmer auf Gannewitz Leben und Kriegsthaten …, Berlin 1838; Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Der Alte Dessauer. Fîrst Leopold von Anhalt-Dessau. Eine Studie seines Lebens und Wirkens, Potsdam (1936); K(arl) Linnebach, Kçnig Friedrich Wilhelm I. und Fîrst Leopold I. von Anhalt-Dessau (= Erzieher des Preußischen Heeres, 2), Berlin 21908; Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Der Baumeister des preußischen Staates. Leben und Wirken des Soldatenkçnigs Friedrich Wilhelms I., Jena (1934); Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. Kçnig in Preußen. Eine Biographie. Jugend und Aufstieg, Hamburg (21943); Fritz Hartung, Kçnig Friedrich Wilhelm I., der Begrînder des preußischen Staates (= Preußische Akademie der Wissenschaften. Vortrge und Schriften, 11), Berlin 1942; Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm I. Preußischer Absolutismus, Merkantilismus, Militarismus (= Persçnlichkeit und Geschichte, 96/97), Gçttingen/Zîrich/Frankfurt (1977); Reinhold Koser, Friedrich der Große als Kronprinz, Stuttgart 1886; Ernest Lavisse, Die Jugend Friedrichs des Großen 1712 – 1740. Mit einer Einfîhrung von Gustav Berthold Volz, 6.–10. Tausend, Berlin (1919); J(ohann) D(avid) E(rdmann) Preuss, Friedrich der Große. Eine Lebensgeschichte, 4 Bde., Berlin 1832 – 1834; Reinhold Koser, Geschichte Friedrichs des Großen, 4. und 5. Aufl., 4 Bde., Stuttgart/Berlin 1912 – 1914; Gerhard Ritter, Friedrich der Große. Ein historisches Profil, Heidelberg 31954 (Rezension der 1. Aufl. durch Gerhard Oestreich, in: HZ 161 [1941], S. 597 – 600); Arnold Berney, Friedrich der Große. Entwicklungsgeschichte eines Staatsmannes, Tîbingen 1934; Ingrid Mittenzwei, Friedrich II. von Preußen. Eine Biographie, Berlin (Ost) 21980, Lizenzausgabe Kçln 1980; Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Kçnigtum der Widersprîche, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983 (dazu die Rezension von Volker Sellin, in: Geschichte und Gesellschaft 12 [1986], S. 93 – 105); Karl Otmar von Aretin, Friedrich der Große. Grçße und Grenzen des Preußenkçnigs, Freiburg 1985 u. ç.; Oswald Hauser (Hg.), Friedrich der Große in seiner Zeit (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 8), Kçln/ Wien 1987; Johannes Kunisch (Hg.), Persçnlichkeiten im Umkreis Friedrichs des Großen (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 9), Kçln/ Wien 1988; Ders., Friedrich der Große. Der Kçnig und seine Zeit, Mînchen 2004; (Ruthild Deus [Hg.]), Elisabeth Christine Kçnigin von Preußen. Zum Gedenken, Berlin 1997; Friedrich Wilhelm M. von Hahnke, Elisabeth Christine, Kçnigin von Preußen, Gemahlin Friedrichs des Großen, Berlin 1848; Eva Ziebura, Prinz Heinrich von Preußen. Preußische Kçpfe, Berlin 1999; C(ester) V. Easum, Prinz Heinrich von Preußen. Bruder Friedrichs des Großen, (dt.:) Gçttingen/Berlin/Frankfurt am Main (1958); Wilhelm Moritz Pantenius, Der Prinz von Preußen, August Wilhelm, als Politiker (= Historische Studien, 108), Berlin 1913, ND Vaduz 1965; Friedrich Baron de la Motte Fouqu¤, Lebensbeschreibung des Kçnigl. Preuß. Generals der Infanterie Heinrich August Baron de la Motte Fouqu¤. Verfaßt von seinem Enkel, Berlin 1824, ND Buchholz/Sprçtze 2007; Georg Winter, Hans Joachim von Zieten. Eine Biographie, 2 Bde., Leipzig 1886; A. von Janson, Hans Karl von Winterfeldt, des Großen Kçnigs Generalstabschef, Berlin 1913; Ludwig Mollwo, Hans Carl von Winterfeldt. Ein General Friedrichs des Großen (= HistBibl, 9), Mînchen/Leipzig 1899; Peter Mainka, Karl Abraham von Zedlitz und Leipe (1731 – 1793). Ein schlesischer Adliger in Diensten Friedrichs II. und Friedrich Wilhelms II. von Preußen (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 8), Berlin 1995; Erich Joachim, Johann Friedrich von Domhardt. Ein Beitrag zur Geschichte von Ost- und Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Berlin 1899; Brigitte Meier, Friedrich Wilhelm II. Kçnig von Preußen (1744 – 1797). Ein Leben zwischen Rokoko und Revolution, Regensburg 2007; W. M. Freiherr von Bissing,

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Friedrich Wilhelm II. Kçnig von Preußen. Ein Lebensbild, Berlin 1967; (Christoph Martin Vogtherr / Susanne Evers [Red.]), Friedrich Wilhelm II. und die Kînste. Preußens Weg zum Klassizismus, o.O. 1997; Adolf Stçlzel, Carl Gottlieb Svarez. Ein Zeitbild aus der zweiten Hlfte des achtzehnten Jahrhunderts, Berlin 1885; Rolf Straubel, Carl August von Struensee. Preußische Wirtschafts- und Finanzpolitik im ministeriellen Krftespiel (1786 – 1804/06) (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte), Potsdam 1999; Thomas Stamm-Kuhlmann, Kçnig in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992; Olaf Jessen, „Preußens Napoleon“? Ernst von Rîchel 1754 – 1823. Krieg im Zeitalter der Vernunft, Paderborn 2007; Joh(ann) Gust(av) Droysen, Das Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg, 3 Bde., 2., unvernderte Aufl., Berlin 1851/52; Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen, 1, Stuttgart 1896; Wolfgang von Unger, Blîcher, 1: Von 1742 bis 1811, Berlin 1907; Peter Paret, Yorck and The Era Of Prussian Reform 1807 – 1815, Princeton/New Jersey 1966; Heinz Duchhardt, Stein. Eine Biographie, Mînster 2007. Politische Struktur und Staatsbildung; a) Ausgewhlte Aufsatzsammlungen: Otto Hintze, Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, 2., durchges. Aufl., hg. und eingel. von Gerhard Oestreich (= Gesammelte Abhandlungen, 3), Gçttingen 1967; Gustav Schmoller, Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, ND Hildesheim/ New York 1974; Beitrge zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Festschrift zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag, hg. vom Verein fîr Geschichte der Mark Brandenburg, Leipzig 1908; Reinhold Koser, Zur preußischen und deutschen Geschichte. Aufstze und Vortrge, Stuttgart/Berlin 1921; Carl Hinrichs, Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hg. von Gerhard Oestreich (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin 10), Berlin 1964; Fritz Hartung, Staatsbildende Krfte der Neuzeit. Gesammelte Aufstze, Berlin 1961; (Richard Dietrich [Hg.]), Preußen. Epochen und Probleme seiner Geschichte, Berlin 1964; Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frîhmodernen Staates – Ausgewhlte Aufstze, Berlin 1969; Ders., Strukturprobleme der frîhen Neuzeit. Ausgewhlte Aufstze, hg. von Brigitta Oestreich, Berlin 1980; Eberhard Schmidt, Beitrge zur Geschichte des preußischen Rechtsstaates (= Schriften zur Verfassungsgeschichte, 32), Berlin 1980; Hans Rosenberg, Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studien zur neueren deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 31), Gçttingen 1978; Hans-Jîrgen Puhle / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Gçttingen 1980; Dirk Blasius (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Geschichte, 111), Kçnigstein im Taunus 1980; Barbara Vogel (Hg.), Preußische Reformen 1807 – 1820 (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 96), Kçnigstein im Taunus 1980; Peter Baumgart / Jîrgen Schmdeke (Hg.), Stndetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (= VerçffHistKommBerlin, 55. Forschungen zur preußischen Geschichte), Berlin/New York 1983; F(rancis) L. Carsten, Essays in German History, London/Ronceverte (1985); Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich (= Neue Forschungen zur BrandenburgPreußischen Geschichte, 7), Kçln/Wien 1987; Gerd Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten von Brandenburg

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(1640 – 1688) (= ZHF, 8), Berlin 1990; Wolfgang Neugebauer / Ralf Prçve (Hg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700 – 1918 (= Innovationen, 7), Berlin (1998); Michael Kaiser / Michael Rohrschneider (Hg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640 – 1688) (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 7), Berlin (2005). b) Monographien: øltere, nur noch mit Vorsicht zu benutzende ˜berblicke zum Thema insgesamt: Gustav Schmoller, Preußische Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte, Berlin 1921; Conrad Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte, Berlin 1903, ND Mînchen 1979 (dazu die Rezension von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 18 [1905], S. 288 – 306); Eberhard Schmidt, Rechtsentwicklung in Preußen. Mit einem Nachwort zum unvernderten Neudruck, Darmstadt 1961 (zuerst: Berlin 21929); Emil Wolff, Grundriß der preußisch-deutschen sozialpolitischen und Volkswirtschaftsgeschichte von 1640 bis zur Gegenwart, 3., verm. Aufl., Berlin 1909 (dazu die Rezension von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 12 [1899], S. 603 – 605); Friedrich Giese, Preußische Rechtsgeschichte. ˜bersicht îber die Rechtsentwicklung der Preußischen Monarchie und ihrer Landesteile. Ein Lehrbuch fîr Studierende, Berlin/Leipzig 1920. – Monographien zu zentralen Aspekten der Staatsgeschichte Brandenburg-Preußens in der Frîhen Neuzeit: Siegfried Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtentums vom Ausgang des 15. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart, 3 Bde., Berlin 1874 – 1884, ND Aalen 1962; Conrad Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts. In drei Bnden, Berlin 1884 – 1886; Adolf Stçlzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung, dargestellt im Wirken seiner Landesfîrsten und obersten Justizbeamten, 2 Bde., Berlin 1888 (auch als ND); Ders., Fînfzehn Vertrge aus der Brandenburg-Preußischen Rechts- und Staatsgeschichte, Berlin 1889; Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 4 Tle. (= Beitrge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte, 1, 2, 5, 6), Berlin 1890 – 1904; Ders., 500 Jahre Geschichte des Kammergerichts. Festschrift zur Feier seines Einzuges in das neue Heim am Kleistpark, Berlin 1913; Alexander Horn, Die Verwaltung Ostpreußens seit der Skularisation 1525 – 1875. Beitrge zur deutschen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Kçnigsberg 1890; Georg Conrad, Geschichte der Kçnigsberger Obergerichte. Mit Benutzung amtlicher Quellen (= Publikation des Vereins fîr die Geschichte von Ost- und Westpreußen), Leipzig 1907; Max Br, Die Behçrdenverfassung in Westpreußen seit der Ordenszeit, Danzig 1912, ND: Sonderschriften des Vereins fîr Familienforschung in Ost- und Westpreußen e.V., Nr. 62, Hamburg 1989; Hanns Gringmuth, Die Behçrdenverfassung im Herzogtum Magdeburg. Ihre Entwicklung und Eingliederung in den brandenburgischpreußischen Staat, phil. Diss. Halle-Wittenberg, Halle (Saale) 1934; Ursula Lçffler, Dçrfliche Amtstrger im Staatswerdungsprozeß der Frîhen Neuzeit. Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frîhen Neuzeit, 8), Mînster 2005; Hans Nordsiek, Das preußische Fîrstentum Minden zur Zeit Friedrichs des Großen, Minden 1986; Karl Spannagel, Minden und Ravensberg unter brandenburgisch-preußischer Herrschaft von 1648 bis 1719, Hannover/Leipzig 1894; H(ermann) Tîmpel (Hg.), Minden-Ravensberg unter der Herrschaft der Hohenzollern. Festschrift zur Erinnerung an die dreihundertjhrige Zugehçrigkeit der Grafschaft Ravensberg zum brandenburgisch-preußischen Staate, Bielefeld/Leipzig 1909; E(duard) Schoneweg (Hg.), Minden-Ravensberg. Ein Heimatbuch, Bielefeld/Leipzig 1929; Volker Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark whrend des 17. Jahrhunderts. Argumentationsge-

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Wolfgang Neugebauer

schichtliche und herrschaftstheoretische Zugnge zur politischen Kultur der frîhen Neuzeit (= Frîhneuzeit-Forschungen, 12), Epfendorf/Neckar 2005; Klaus Flink, Kleve im 17. Jahrhundert. Studien und Quellen, 3, mit einem Beitrag von Gerd Heinrich, Kleve 1980; Hans Helfritz, Geschichte der Preußischen Heeresverwaltung, Berlin 1938; F(rancis) L. Carsten, Princes and Parliaments In Germany From the Fifteenth to the Eighteenth Century, Oxford 1959; George Adalbert von Mîlverstedt, Die ltere Verfassung der Landstnde in der Mark Brandenburg vornmlich im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 1858; Francis L. Carsten, Die Entstehung Preußens, dt.: Kçln/Berlin 1968; Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Stnden zum Konstitutionalismus (= Quellen und Studien zur Geschichte des çstlichen Europa, 36), Stuttgart 1992; Ludwig Tîmpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (1609 – 1806) (= UntersDtStaatsRG, 124), Breslau 1915, ND Aalen 1965; Adolph Friedrich Riedel, Der Brandenburgisch-Preußische Staatshaushalt in den beiden letzten Jahrhunderten, Ausfîhrung eines in der Kçnigl. Akademie der Wissenschaften am 6. April 1865 gehaltenen Vortrages, Berlin 1866; Franz Schneider, Geschichte der formellen Staatswirtschaft von Brandenburg-Preußen (= Schriften der Forschungsstelle fîr Staats- und Kommunalwirtschaft e.V. in Wiesbaden, NF), Berlin (1952); Max Hanke / Hermann Degner, Geschichte der amtlichen Kartographie Brandenburg-Preußens bis zum Ausgang der Friderizianischen Zeit (= Geographische Abhandlungen, 3. Reihe, 7), Stuttgart 1935; Wolfgang Scharfe, Abriß der Kartographie Brandenburgs 1771 – 1821 (= VerçffHistKommBerlin, 35), Berlin/New York 1972; Carl Wilhelm Cosmar, Geschichte des Kçniglich-Preußischen Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs bis 1806. Mit ergnzenden Materialien hg. und eingel. von Meta Kohnke (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 32), Kçln/Weimar/Wien 1993; Ulrike Mîller-Weil, Absolutismus und Außenpolitik in Preußen. Ein Beitrag zur Strukturgeschichte des preußischen Absolutismus (= Frankfurter Historische Abhandlungen, 34), Stuttgart 1992; Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiçs-soziale Reformbewegung, Gçttingen (1971); Wolfgang Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preußen (= VerçffHistKommBerlin, 62), Berlin/ New York 1985; Rolf Straubel, Beamte und Personalpolitik im altpreußischen Staat. Soziale Rekrutierung, Karriereverlufe, Entscheidungsprozesse (1763/86 – 1806) (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte), Potsdam 1998; Henning von Bonin, Der Adel in der hçheren Beamtenschaft der preußischen Monarchie, 1794 – 1806. Ein Beitrag zur Sozialstruktur des preußischen Staates vor den Reformen, phil. Diss. Gçttingen (Masch.) 1961; Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (= Industrielle Welt, 7), 2. ber. Aufl., Stuttgart 1975.

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§ 1 Brandenburg-Preußen um 1600: Struktur – Dynastie – Konfession Spteren Beobachtern des 20. Jahrhunderts schien es so, als seien die deutschen Staaten am Ende der monarchischen Zeit lediglich „Zufallsbildungen rein dynastischer Hauspolitik“.1 Natîrlich kann auch eine geschichtswissenschaftliche Betrachtung, die die Anregungen moderner strukturgeschichtlicher Methoden, wie sie seit dem 19. Jahrhundert entwickelt wurden, als produktiv erkennt,2 am Faktor der Dynastie nicht vorîbergehen. Die neuere Forschung hat die Funktion von Dynastien, Dynasten und Hçfen denn auch – und zwar international – wieder, ja geradezu neu entdeckt und widmet sich diesem Gegenstand mit elaborierten Methoden. Im Falle Brandenburg-Preußens war es gewiß zunchst einmal eine dynastische Konstellation, die Preußen zu Brandenburg fîhrte. Freilich kann diese Entwicklung nicht einfach aus derjenigen des brandenburgischen Landesstaats des 16. Jahrhunderts3 abgeleitet werden. Ungeachtet der Tatsache, daß Brandenburg und die brandenburgischen Kurfîrsten zum politischen Trger der weiteren Entwicklung wurden, Brandenburg also Preußen „erbte“ und nicht umgekehrt, darf doch auch nicht der Fehler gemacht werden, die brandenburgpreußische Geschichte um und nach 1600 gleichsam als eine „großbrandenburgische“ zu schreiben. Dies wre ebenso falsch, wie das entgegengesetzte Extrem, das gleichfalls eine lange, gerade in diesem Jahrhundert stark belebte Tradition besitzt, nmlich im Ordensstaat in Preußen die eigentliche Wurzel aller spteren Entwicklungen sehen zu wollen. Scheinbar kann sich diese Sicht auf die Tatsache berufen, daß doch das alte Herzogtum Preußen, das sptere 1

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Siehe die Denkschrift des Staatssekretrs des Inneren Hugo Preuß, 3. Januar 1919, zum Entwurf der Reichsverfassung, in: Karl Wippermann / Friedrich Purlitz (Hg.), Deutscher Geschichtskalender. Sachlich geordnete Zusammenstellung der wichtigsten Vorgnge im In- und Ausland, Leipzig (1919), S. 15 – 31, hier S. 17; dazu Georg Kotowski, Preußen und die Weimarer Republik, in: Richard Dietrich (Hg.), Preußen. Epochen und Probleme seiner Geschichte, Berlin 1964, S. 145 – 169, S. 175 – 177, hier S. 153; Willibald Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, Mînchen 2 1964, S. 57, S. 60 ff.; Detlef Lehnert, Verfassungsdemokratie als Bîrgergenossenschaft. Politisches Denken, §ffentliches Recht und Geschichtsdeutungen bei Hugo Preuß – Beitrge zur demokratischen Institutionenlehre in Deutschland, Baden-Baden 1998, S. 164 ff. Wolfgang Neugebauer, Die Anfnge strukturgeschichtlicher Erforschung der preußischen Historie, in: Ders. / Ralf Prçve (Hg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700 – 1918 (= Innovationen, 7), Berlin 1998, S. 383 – 429. Wolfgang Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 5), Berlin 2001, zum 15. und 16. Jhd. S. 13 – 40.

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Ostpreußen, seit dem 17. Jahrhundert zum Trger von Souvernitt und Krone wurde. Man hat auch den Versuch unternommen, Parallelen von Ordensstaat und preußischem Staat in der Neuzeit aufzuzeigen, etwa die Ordensregeln mit Verwaltungsnormen des preußischen Absolutismus in eine vage Beziehung zu setzen.4 Eine Kausalbeziehung vom Ordensstaat zum System der altpreußischen Monarchie des (17. und) 18. Jahrhunderts ist jedoch nicht nachgewiesen worden, und die Zsur von 1525, die Skularisation des preußischen Ordensstaates steht jeder Kontinuittskonstruktion als starkes Argument entgegen. Und doch mîssen wir einen kurzen Blick auf das Herzogtum Preußen des 16. Jahrhunderts werfen. Das dynastische Moment spielt natîrlich fîr das Zustandekommen der brandenburg-preußischen Lnderunion eine große Rolle, aber wir werden gleich sehen, daß dabei das Gesamthaus der frnkisch-brandenburgischen Hohenzollern ins Auge gefaßt werden muß, will man îber der Kategorie des bloß Zuflligen das Systematische einer Politik nicht îbersehen, die îber die mitteleuropischen Grenzen sehr bewußt hinausgegangen ist. Diese 4

Vgl. generell Wolfgang Neugebauer, Das historische Verhltnis der Mark zu Brandenburg-Preußen. Eine Skizze, in: Lieselott Enders / Klaus Neitmann (Hg.), Brandenburgische Landesgeschichte heute (= Brandenburgische Historische Studien, 4), Potsdam 1999, S. 177 – 196; grundstzlich: O(tto) H(intze), Rezension zu: Hans Prutz: Preußische Geschichte, 1 und 2 …, in: ForschBrandPrG 13 (1900), S. 276 – 280, hier S. 276 f.; vgl. Hans Prutz, Preußische Geschichte, 1: Die Entstehung Brandenburg-Preußens (von den ersten Anfngen bis 1655), Stuttgart 1900, zum Deutschen Orden S. 38 ff., zur lteren mrkischen Geschichte S. 110 ff.; vgl. auch O. Hintze in seiner Rezension ForschBrandPrG 28 (1914), S. 617. Zu Prutz und zu frîhen Varianten dieser Sicht vgl. Jçrg Hackmann, Ostpreußen und Westpreußen in deutscher und polnischer Sicht. Landeshistorie als beziehungsgeschichtliches Problem (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 3), Wiesbaden 1996, S. 102, S. 121; als frîhes Beispiel ließe sich ergnzen: Friedrich Samuel Bock, Einleitung in den Staat von Preußen, die er in besonderen academischen Lehrstunden zum Grunde ausfîhrlicher Erzhlungen leget, Berlin 1749, S. 8 ff., S. 28 ff., zu 1525 – 1701: S. 58 – 84; preußische Traditionen: Walther Hubatsch, Kreuzritterstaat und Hohenzollernmonarchie. Zur Frage der Fortdauer des Deutschen Ordens in Preußen, in: Werner Conze (Hg.), Deutschland und Europa. Historische Studien zur Vçlker- und Staatenordnung des Abendlandes, Dîsseldorf 1951, S. 179 – 199, bes. S. 179, S. 186 f., S. 199; Ders., Deutscher Orden und Preußentum, in: Ders., Eckpfeiler Europas. Probleme des Preußenlandes in geschichtlicher Sicht, Heidelberg 1953, S. 54 – 76, bes. S. 57, S. 60 f., S. 69, S. 76 – mit nicht immer îberzeugenden Parallelisierungen îber die Jahrhunderte hinweg; zu Rothfels vgl. Hartmut Boockmann, Deutsche Geschichte im Osten Europas. Ostpreußen und Westpreußen, Berlin 1992, S. 60; und die Auseinandersetzungen bei Wolfgang Neugebauer, Hans Rothfels Weg zur vergleichenden Geschichte Ostmitteleuropas, besonders im ˜bergang von frîher Neuzeit zur Moderne, in: Berliner Jahrbuch fîr osteuropische Geschichte, Jg. 1996, Tl. 1, (Berlin 1996), S. 333 – 378, hier S. 361 f., mit Belegen; brandenburgische Tradition: vgl. statt anderer Nachweise die Hintze-Stellen oben, und besonders seine Rezension zu Reinhold Koser, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik, 1, Stuttgart/Berlin 1913, in: ForschBrandPrG 27 (1914), S. 613 – 624, hier S. 617, S. 621.

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politische Systematik und ihre dann brandenburg-preußischen Folgen haben Wurzeln, die nun nicht in Brandenburg liegen. Als der Deutsche Ordensstaat in Preußen sich lngst in einer tiefen, ja in der Tat existenziellen Krise befand, wurde als Nachfolger eines Ordens-Hochmeisters aus schsischem Hause der frnkische Hohenzoller Albrecht von Brandenburg-Ansbach 1511 gewhlt, eine, so Hubatsch, sehr religiçse, nicht eigentlich „starke, aber eine lebhafte Persçnlichkeit“, wie man gesagt hat. Fîr diese Nachfolge hatte es eine fçrderliche Rolle gespielt, daß Albrecht mit den Kçnigshusern von Polen und Ungarn verwandt war. Seit dem zweiten Thorner Frieden (1466) war das Ordenspreußen Polen „inkorporiert“ (Boockmann). Auch die Zustimmung der preußischen Stnde wird ausdrîcklich bezeugt.5 Schon um einiges vor dem spektakulren Schritt zur Skularisation des Ordensstaats im Jahre 1525 sind deutliche Verweltlichungstendenzen auszumachen,6 doch brachte hier im Osten die Reformation eine vergleichsweise tiefe Zsur. Albrecht hat Martin Luther 1523 in Wittenberg aufgesucht und hat sich von dem Reformator, der auf die Skularisation des Ordensstaats drngte, beraten lassen. Unterdessen breitete sich die Reformation in den Landschaften von Weichsel, Pregel und Memel auch ohnehin aus, so daß der Akt der Skularisation des Ordensstaats zum weltlichen Herzogtum aus der Sicht des neuen Erbherren eine prventive Funktion besaß.7 Freilich blieb das Herzogtum Preußen nun in den polnischen Staatsverband, jetzt im Lehnsverhltnis eingebunden, was als Element der Kontinuitt nicht îbersehen werden kann, und auch in der ømterstruktur trat kein eigentlicher Bruch ein; aus Komturen wurden Amtshauptleute, und sie, durchweg aus dem Adel des Landes, fîhrten die Administration îber das Jahr 1525 hin fort.8 Fîr 5

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Walther Hubatsch, Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Deutschordens-Hochmeister und Herzog in Preußen 1490 – 1568 (= Studien zur Geschichte Preußens, 8), Heidelberg 1960, S. 14 – 26, S. 282; Paul Tschackert, Herzog Albrecht von Preußen als reformatorische Persçnlichkeit, Halle 1894, S. 8; Reinhard Seyboth, Die Markgraftîmer Ansbach und Kulmbach unter der Regierung Markgraf Friedrichs des ølteren (1486 – 1515) (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 24), Gçttingen 1985, S. 400 f.; H. Boockmann, Ostpreußen … (s. Anm. 4), S. 219; Stephan Dolezel, Das preußisch-polnische Lehnsverhltnis unter Herzog Albrecht von Preußen (1525 – 1568) (= Studien zur Geschichte Preußens, 14), Kçln/Berlin 1967, S. 16. W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 55 ff.; Kurt Forstreuter, Die Hofordnungen der letzten Hochmeister in Preußen, in: Prussia 29 (1931), S. 223 – 231, hier S. 224. W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 111, S. 114, S. 119, S. 121 – 124; Skularisation: S. Dolezel, Lehnsverhltnis … (s. Anm. 5), S. 18 ff.; P. Tschackert, Herzog Albrecht … (s. Anm. 5), S. 13 – 19, S. 21 f., S. 29 ff.; H. Boockmann, Ostpreußen … (s. Anm. 4), S. 222 f., S. 243 f. Lehnshoheit Polens: Stephan Dolezel / Heidrun Dolezel (Bearb.), Die Staatsvertrge des Herzogtums Preußen, 1: Polen und Litauen. Vertrge und Belehnungsurkun-

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die Herrschaftsrealitt der Preußen im 16. Jahrhundert, die in den „Hauptmtern“, eigentlich Kreisen,9 also Herrschaftskontinuitt îber die Zsur der Skularisation erlebten, ist dies ebenso von erheblicher praktischer Bedeutung gewesen. Zudem konnte aus dem Herzogtum in Rechtsauseinandersetzungen an die polnischen Appellationsinstanzen gegangen werden. Vergeblich hat der Herzog im 16. Jahrhundert diesen Rechtszug, der in der Tat hohe politische Risiken fîr ihn bot, zu beseitigen gesucht.10 Das waren sehr praktische Differenzen zur moderneren Souvernitt. Lediglich auf der Ebene der Kçnigsberger Zentrale im alten Ordensschloß am Pregel scheint – soweit die sehr dîrftige Quellenlage ein sicheres Urteil zulßt – ein Neuanfang gemacht worden zu sein. Hatte der Hochmeister mit einem „Beirat“ von „fînf obersten Ordensgebietigern, Großkomtur, Marschall, Oberstspittler, Obersttrappier und Treßler“ regiert, so wurde nun die sogenannte Oberratsstube11 geschaffen, die dann bis in die Zeit des „Absolutismus“, ja mit Vernderungen bis in die Zeit um 1800 bestanden hat. Allerdings waren die Oberrte nicht irgendwelche monarchischen „Beamte“, sondern wurden nach festen Regeln aus den (adligen) Amtstrgern Preußens berufen. Das war, wie es 1542 in den Quellen heißt, die „gantze Regierung“ des Landes. Der Herzog war angewiesen auf seine Einnahmen aus den (Haupt-) ømtern, vom lndlichen Grundzins, aus mancherlei den 1525 – 1657/58 (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 4), Kçln/Berlin 1971, S. 12 – 30, hier S. 20 (Krakauer Friede, 8. 4. 1525), S. 39 – 44: „Belehnungsurkunde“, bes. S. 42 f.; P. Tschackert, Herzog … (s. Anm. 5), S. 23 f.; S. Dolezel, Lehnsverhltnis … (s. Anm. 5), S. 15 f., S. 22 – 24; vgl. damit H. Boockmann, Ostpreußen … (s. Anm. 4), S. 236; ømterkontinuitt: Helmuth Freiwald, Markgraf Albrecht von Ansbach-Kulmbach und seine landstndische Politik als Deutschordens-Hochmeister und Herzog in Preußen whrend der Entscheidungsjahre (= Die Plassenburg, 15), Kulmbach 1961, S. 21, S. 25, (Zustimmung der Stnde: S. 119 ff.); W. Hubatsch, Eckpfeiler … (s. Anm. 4), S. 67 f.; Christian Krollmann, Das Herzogtum Preußen 1525 – 1640, in: Deutsche Staatenbildung und deutsche Kultur im Preußenlande, hg. vom Landeshauptmann der Provinz Ostpreußen, Kçnigsberg 1931, S. 165 – 191, hier S. 166. 9 Otto Hintze, Die Wurzeln der Kreisverfassung in den Lndern des nordçstlichen Deutschland, zuerst 1923, wieder in: Ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hg. von Gerhard Oestreich, mit einer Einleitung von Fritz Hartung, Gçttingen 31970, S. 168 – 215, hier S. 192 f. 10 W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 198. 11 Felix Arndt, Die Oberrte in Preußen 1525 – 1640, phil. Diss. Kçnigsberg, Elbing 1911, S. 2 f. (Ordensorganisation), Entstehung bis 1542: S. 7 – 11, 1542: S. 13 ff.; nîtzlich: Kurtz-gefaßte Historie der Preußischen Regierung, in: Erleutertes Preußen Oder Auserlesene Anmerkungen ueber verschiedene Zur Preußischen … Historie … gehçrende Dinge, 1, Kçnigsberg 1724, S. 81 – 113, bes. S. 81 ff.; Privilegia der Stnde des Hertzogthums Preussen, darauff das Landt fundieret und bis itzo beruhen, Braunsberg 1616, Bl. 53 v. (1542, „gantze Regierung“); W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 192 f.; auch Heinrich Otto Meisner, Staats- und Regierungsformen und Deutschland seit dem 16. Jahrhundert (= Libelli, 199), Darmstadt 21958, S. 229.

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Regalien (Mîhlen, Fischerei, Bernstein), aus den Forsten und den Gerichtsgebîhren.12 Insofern blieb er auf die Unterstîtzung, insbesondere auf die Bewilligung seiner Landstnde angewiesen. Auch fîr sie „stellte das Jahr 1525 … keine entscheidende Zsur dar“.13 Die Entwicklung ihrer Organe erfolgte kontinuierlich, wobei – nach Otto Hintze – „das polnische Vorbild stark eingewirkt hat“.14 øhnlich wie in Kurbrandenburg in der Mitte des 16. Jahrhunderts,15 ist das Verhltnis von Herzog und Stnden nicht von einem konfrontativen „Dualismus“, sondern von Kooperation geprgt gewesen, und diese Konstellation wurde durch den [Samlndischen] Bauernaufstand des Jahres 1525 eher noch verstrkt.16 Auch in Ostpreußen hat das 16. Jahrhundert die Ausprgung gutsherrschaftlicher Strukturen begînstigt, doch blieb hier, wo der Deutsche Ritterorden das Aufkommen eines starken Landesadels lange Zeit zu verhindern gesucht hatte, der fîrstliche Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzflche ungewçhnlich groß, d. h. der meiste Boden Ostpreußens wurde von „Hintersassen des Landesherrn bewirtschaftet“ (Henning). Im groben Durchschnitt und unter Nivellierung sehr bedeutender landschaftlicher Unterschiede kann – nach Zahlen des 17. Jahrhunderts – davon ausgegangen werden, daß im Herzogtum Preußen sich rund zwei Drittel des Bodens im Eigenbesitz des Landesherrn (unter verschiedener Rechtsqualitt) befanden, whrend der Adel und nichtadlige Landbesitzer, ferner Schulzen und Stdte îber das îbrige Drittel verfîgten.17 Allerdings saß der Adel mit sehr kompakten Besitzungen im 12 W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 188 f. 13 Udo Arnold, Stndeherrschaft und Stndekonflikte im Herzogtum Preußen, in: Peter Baumgart / Jîrgen Schmdeke (Hg.), Stndetum und Staatsbildung in BrandenburgPreußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (= VerçffHistKommBerlin, 55. Forschungen zur Preußischen Geschichte), Berlin/New York 1983, S. 80 – 107, hier S. 81; und wiederum W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 186 f. 14 O. Hintze, Kreisverfassung … (s. Anm. 9), S. 193, mit den organisatorischen Details; vgl. die Querschnittsdarstellung unten zum 17. Jahrhundert, § 3. 15 W. Neugebauer, Zentralprovinz … (s. Anm. 3), S. 20 ff. 16 Gînther Franz, Der deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 71965, S. 276 ff., mit der einschlgigen Spezialliteratur S. 276 Anm. 1; H. Boockmann, Ostpreußen … (s. Anm. 4), S. 244. 17 Wilhelm Guddat, Die Entstehung und Entwicklung der privaten Grundherrschaften in den ømtern Brandenburg und Balga (Ostpreußen) (= Wissenschaftliche Beitrge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas, 96), Marburg a. d. Lahn 1975, S. 9 ff., S. 419 – 428; Christof Dipper, Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790 – 1850 (= Kohlhammer-Urban-Taschenbîcher, 298), Stuttgart u. a. 1980, S. 57; FriedrichWilhelm Henning, Dienste und Abgaben der Bauern im 18. Jahrhundert (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 21), Stuttgart 1969, das Zitat S. 8; Robert Bergmann, Geschichte der ostpreußischen Stnde und Steuern von 1688 bis 1704 (= StaatsSocialwissForsch, 19, Heft 1. Der ganzen Reihe 82.), Leipzig 1901, S. 130; Heide Wunder, Aspekte der Gutsherrschaft im Herzogtum und Kçnigreich Preußen im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Das Beispiel Dohna, in: Jan Peters (Hg.),

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westlichen „Oberland“ und mit zahlreichem Kleinbesitz im zentralen Ostpreußen landschaftlich konzentriert und recht massiert, was seine organisatorische Strke gefçrdert hat.18 Im preußisch-litauischen Distrikt haben nur 8,5 Prozent des Landes „adligen Grundherrschaften“ unterstanden. In der Mark Brandenburg des 16. Jahrhunderts war der Adelsbesitz ungleich kompakter vertreten, wenngleich auch dort in regionaler Differenzierung. Man schtzt, daß dort rund drei Fînftel aller Orte in adligem Besitz gewesen sind.19 Schon daraus geht, gleichsam exemplarisch, hervor, daß Brandenburg und (Ost-)Preußen bei mancherlei Parallelen doch auch erheblichen Eigencharakter besessen haben; îber dem Begriff „Ostelbien“ und seinen Erkenntniswert ließe sich deshalb trefflich streiten, er suggeriert eine Einheitlichkeit, die gerade den frîhneuzeitlichen Verhltnissen nicht entspricht. Die Entwicklung partizipativer Strukturen auf landstndischer Basis ist andererseits eine gemeineuropische Erscheinung; allerdings kam es in Ostpreußen mit der „Regimentsnotul“ des Jahres 1542 zu einer Art Landesgrundgesetz, in dem die politische Organisation des Herzogtums kodifiziert worden ist. Diese Regimentsnotul war mit den Stnden fçrmlich vereinbart worden.20 Zu den zentralen Punkten, die die Gutsherrschaftsgesellschaften im europischen Vergleich, Berlin 1997, S. 225 – 250, bes. S. 228 – 232, S. 249; Heide Wunder, Siedlung und Bevçlkerung im Ordensstaat, Herzogtum und Kçnigreich Preußen (13.–18. Jahrhundert), in: Hans Rothe (Hg.), Ostdeutsche Geschichts- und Kulturlandschaften, 2: Ostpreußen (= Studien zum Deutschtum im Osten, 19/II), Kçln/Wien 1987, S. 67 – 98, hier S. 89, zum preußischlitauischen Gebiet. 18 Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Stnden zum Konstitutionalismus (= Quellen und Studien zur Geschichte des çstlichen Mitteleuropa, 36), Stuttgart 1992, S. 43 – 51, mit der dortigen Literatur. 19 Gerd Heinrich, Der Adel in Brandenburg-Preußen, in: Hellmuth Rçssler (Hg.), Deutscher Adel 1555 – 1740. Bîdinger Vortrge 1964 (= Schriften zur Problematik der deutschen Fîhrungsschichten in der Neuzeit, 2), Darmstadt 1965, S. 259 – 314, hier S. 266 f. 20 Druck: Privilegia der Stnde … (s. Anm. 11), Bl. 51r-56v; vgl. die Lit. in Anm. 11; dazu Heinz Immekeppel, Das Herzogtum Preußen von 1603 bis 1618 (= Studien zur Geschichte Preußens, 24), Kçln/Berlin 1975, S. 11; E(rnst) Wichert, Die politischen Stnde Preußens, ihre Bildung und Entwicklung bis zum Ausgange des sechzehnten Jahrhunderts, in: Altpreußische Monatsschrift 5 (1868), S. 213 – 242, S. 419 – 464, hier S. 433; Kurt Breysig, Allgemeine Einleitung. Die Entwicklung des preußischen Stndetums von seinen Anfngen bis zum Regierungsantritt Friedrich Wilhelms, in: Ders. (Hg.), Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Stndische Verhandlungen, 3.: Preußen, 1. (= Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 15), Berlin 1894, S. 1 – 222, hier S. 25; A(lexander) Horn, Die Verwaltung Ostpreußens seit der Scularisation 1552 – 1875. Beitrge zur deutschen Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Kçnigsberg 1890, S. 91 f.; W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 205 f.; aus der polnischen Lit. vgl. Janusz MaŁŁek, Ustawa o rza˛dzie (Regimentsnottel) Prus Ksia˛z˙e˛cych z roku 1542. Studium z dziejûw przemian spo-

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Stnde in den Verhandlungen mit dem Landesherrn anstrebten, gehçrte auch in Preußen die strkere Bindung der buerlichen Hintersassen (Gesindezwang, Schollenbindung, Erbuntertnigkeit).21 Auch in Preußen war der Adel der „Nutznießer der Skularisation“, und die finanzstarken Stnde wurden vom Herzog insbesondere dann gebraucht, wenn fîr außenpolitische Operationen besondere Bewilligungen finanzieller Mittel schlechterdings bençtigt wurden. Insofern hatte der Herzog auch in hochpolitischen Aktionen auf die preußischen Stnde Rîcksicht zu nehmen.22 Vor allem besaßen sie ein fçrmliches Regentschaftsrecht in dem Falle, daß der Herzog nicht im Lande war oder auch nach dessen Tod bis zur Ankunft eines Nachfolgers; bis dahin sollte den Herren Oberrten die „gantze Regierung sampt Landen vnd Leuten befolen sein“.23 Der Versuch des alternden Herzogs, in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts, die Nachfolgeordnung fîr sich zu verndern, fîhrte nach wachsenden Verstimmungen zwischen ihm und den Stnden in religiçsen Fragen (Osiandersche Auseinandersetzung) im Jahre 1566/ 67 zur Intervention der polnischen Krone im Herzogtum Preußen zugunsten der Stnde und zur spektakulren Hinrichtung von drei herzoglichen Rten.24 Fortan war der Einfluß der Stnde auch in der Außenpolitik des Herzogtums bedeutend; sie besaßen das fçrmliche Recht zur Appellation an den polnischen Kçnig.25 Nach dem Tode Albrechts, der einen regierungsunfhigen Sohn hinterließ, haben die adligen Oberrte eine Selbstregierung des Landes praktiziert.

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łecznych i politycznych w lennie Pruskim (= Roczniki towarzystwa naukowego w Toruniu, 12 [1967], Heft 2), Torun´ 1967, S. 115 – 148. Norbert Ommler, Die Landstnde im Herzogtum Preußen 1543 – 1561, phil. Diss. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universitt zu Bonn, Bonn 1967, S. 222 f. C. Krollmann, Herzogtum … (s. Anm. 8), S. 166, S. 172, S. 174 f.; W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 274. Im Druck von 1616, in den Privilegien der Stnde … (s. Anm. 11), Bl. 53v; E. Wichert, Stnde … (s. Anm. 20), S. 434; H. Boockmann, Ostpreußen … (s. Anm. 4), S. 253. Iselin Gundermann, Kurfîrst Joachim II. von Brandenburg und Herzog Albrecht von Preußen, in: Eckart Henning / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Dona Brandenburgica. Festschrift fîr Werner Vogel zum 60. Geburtstag (= JbBrandenbLdg, 41), Berlin 1990, S. 141 – 164, hier S. 160; Helmut Freiwald, Herzog und Stnde, in: Iselin Gundermann (Bearb.), Albrecht von Brandenburg-Ansbach und die Kultur seiner Zeit. Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Bonn 16.–25. August 1968, Dîsseldorf o. J., S. 13 – 18, hier S. 14 – 16; S. Dolezel, Lehnsverhltnis … (s. Anm. 5), S. 153 f., S. 165 – 176; W. Hubatsch, Albrecht … (s. Anm. 5), S. 210 – 217, S. 243. S. Dolezel, Lehnsverhltnis … (s. Anm. 5), S. 183; Jîrgen Petersohn, Fîrstenmacht und Stndetum in Preußen whrend der Regierung Herzog Georg Friedrichs 1578 – 1603 (= Marburger Ostforschungen, 20), Wîrzburg 1963, S. 178 f.; Max Toeppen, Zur Geschichte der stndischen Verhltnisse in Preussen. (Besonders nach den Landtagsacten), in: Historisches Taschenbuch NF 8 (1847), S. 301 – 492, hier S. 487; H. Immekeppel, Herzogtum … (s. Anm. 20), S. 17.

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In diesen Jahren enger Anlehnung der preußischen Stnde an Polen, wobei sie immer bestrebt waren, eine direkte polnische Herrschaft in Preußen zu verhindern und die Eigenrechte des Landes zu wahren,26 tritt ein Typ stndischer Landesautonomie entgegen, in dem nationale Kategorien ganz offenbar von untergeordneter Bedeutung waren. Stnde, hohenzollernscher Herzog und polnische Krone stellten ein Krftedreieck dar, in dem die ostmitteleuropische Libertaskultur stndische Spielrume maximierte und die des Landesherrn drastisch reduzierte. Allerdings darf dieses Verhltnis nicht als ein statisches dargestellt werden. Die Faktoren konnten ihr politisches Gewicht durchaus verndern, und so gewann der Landesherr, nicht der erkrankte Herzog Albrecht Friedrich, wohl aber sein Vormund aus frnkischem Hohenzollernhause, Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, wieder erheblich an Gewicht; im selben Umfang verloren es – auf Zeit – die Stnde.27 Auch spter haben die preußischen Stnde mit dem Instrument direkter Kontakte zu Polen ihre Politik gestîtzt, auch noch im 17. Jahrhundert.28 Die Hohenzollern aus brandenburgischem Hause haben erst vergleichsweise spt Interesse an Preußen und den Vettern im Osten gezeigt beziehungsweise entwickelt. Joachim I. hat sich zu Albrecht auffllig auf Distanz gehalten, sowohl vor 1525 als auch danach; er hat den Schritt der Skularisierung nicht gebilligt. Erst unter Joachim II., d. h. seit 1535 hat sich das Verhltnis Kur26 N. Ommler, Landstnde … (s. Anm. 21), S. 227; J. Petersohn, Fîrstenmacht und Stndetum … (s. Anm. 25), S. 178 f.; zum 16. und 17. Jahrhundert vgl. auch Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm der Große Kurfîrst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 1, Gçttingen/Frankfurt/Zîrich 1971, S. 62. 27 Gînther Schuhmann, Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Eine Bilddokumentation zur Geschichte der Hohenzollern in Franken (= JbHVMittelfrk, 90), Ansbach 1980, S. 94; Max Hein, Preußische Hofordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Altpreußische Forschungen 2 (1925), S. 52 – 68, hier S. 55 f.; Reinhard Seyboth, Markgraf Georg Friedrich d. ø. von Brandenburg-Ansbach (1556 – 1603) als Reichsfîrst, in: ZBayerLdG 53 (1990), S. 659 – 679, hier S. 667; Ders., Georg Friedrich d. ø., Markgraf von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach, Herzog in Preußen (1553 – 1603), in: Frnkische Lebensbilder, 14, Neustadt an der Aisch 1991, S. 84 – 104, hier S. 94 ff.; Jîrgen Petersohn, Staatskunst und Politik des Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach und -Bayreuth 1539 – 1603, in: ZBayerLdG 24 (1961), S. 229 – 276, bes. S. 246 – 252, S. 257 f.; Ders., Fîrstenmacht … (s. Anm. 25), S. 20 – 34, S. 51 ff., S. 74 ff., S. 139, S. 154 u. ç. 28 H. Immekeppel, Herzogtum … (s. Anm. 20), S. 43 ff.; Horst Wischçfer, Die ostpreußischen Stnde im letzten Jahrzehnt vor dem Regierungsantritt des Großen Kurfîrsten (= GçttBausteineGwiss, 29), Gçttingen/Berlin/Frankfurt 1958, S. 76 – 85, S. 137 ff., S 157 ff.; E. Wichert, Die politischen Stnde … (s. Anm. 20), S. 442, S. 449 f.; und Max Toeppen, Die preussischen Landtage whrend der Regentschaft der brandenburgischen Kurfîrsten Joachim Friedrich und Johann Sigismund 1603 – 1619. Nach den Landtagsacten dargestellt. Zweite Abteilung (= Beilage zum Programm des Kçnigl. Gymnasii zu Elbing … 1892), Elbing 1892, S. 50 – 54.

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brandenburgs zum Herzog in Preußen dann verbessert, und der preußische Herzog war ganz wesentlich daran beteiligt, als der brandenburgische Kurfîrst daranging, durch die Heirat einer polnischen Prinzessin die Verbindungen Kurbrandenburgs zu Polen zu intensivieren. Die brandenburgischen Planungen mit Blick auf Polen gingen noch sehr viel weiter, ohne daß ihnen Erfolg beschieden gewesen wre,29 alles dies Ausdruck einer ostmitteleuropischen Perspektive, die die Politik Preußens und Brandenburgs nun in dieselbe Richtung wies. Im Jahre 1563 hat dann Joachim II. die „Mitbelehnung“ mit dem Herzogtum Preußen erreicht, erster Schritt zu einer nicht nur diplomatischen, sondern auch zu einer (lehnsrechtlichen) Verknîpfung beider Landesstaaten, die dann auszubauen war. Wir mîssen die einzelnen Schritte hier nicht im Detail verfolgen, etwa die erneuerte Mitbelehnung im Jahre 1569 und 1589. Welche Bedeutung man diesen Akten in Berlin beimaß, geht daraus hervor, daß anlßlich der Mitbelehnung von 1569 in Berlin-Cçlln ein prchtiges Fest organisiert wurde, bei dem, wie die Quellen festhalten, ostentativ der schwarze Adler gezeigt wurde.30 Nach dem Tode des Franken Georg Friedrich 1603 ging die Fîhrung der Vormundschaft îber den regierungsuntîchtigen Herzog auf die brandenburgischen Kurfîrsten îber, und in eben diesen ersten Jahren des 17. Jahrhunderts haben die preußischen Stnde wieder drastisch an Einfluß gewonnen. „Der Adel als strkster Stand wurde praktisch Herr im Lande, der 29 Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk. Fînfhundert Jahre vaterlndischer Geschichte, Berlin 41915, S. 117, S. 121; Gerd Heinrich, „Mit Harpffen, Paucken, Zimbeln und Schellen“. Martin Luther, die Kirchenreform und die LandeskirchenHerrschaft in der Mark Brandenburg, in den Herzogtîmern Pommerns und in Preußen, in: Hans-Dietrich Loock (Hg.), „Gott kumm mir zu hilf“. Martin Luther in der Zeitenwende. Berliner Forschungen und Beitrge zur Reformationsgeschichte. Hg. im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft fîr Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte und der Historischen Gesellschaft zu Berlin, ggr. 1871, Berlin 1984, S. 27 – 57, hier S. 48; I. Gundermann, Kurfîrst Joachim II. … (s. Anm. 24), S. 156, Heiratsplan: S. 141 – 144; Dies., Kirchenregiment und Verkîndigung im Jahrhundert der Reformation (1517 – 1598), in: Gerd Heinrich (Hg.), Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, S. 146 – 241, hier S. 155; W. Hubatsch, Herzog Albrecht … (s. Anm. 5), S. 230 – 232. 30 H. Immekeppel, Herzogtum … (s. Anm. 20), S. 19 f., S. 22; W. Hubatsch, Herzog Albrecht … (s. Anm. 5), S. 232 f.; 1566 Eventualhuldigung der preußischen Stnde fîr den brandenburgischen Kurfîrsten: S. 182 f.; Hermann von Caemmerer (Hg.), Die Testamente der Kurfîrsten von Brandenburg und der beiden ersten Kçnige von Preußen (= Verçffentlichungen des Vereins fîr Geschichte der Mark Brandenburg), Mînchen/ Berlin 1915, S. 80*; S. Dolezel / H. Dolezel, Vertrge … (s. Anm. 8), S. 73 – 76, und die Texte S. 77 – 88; Fest: I. Gundermann, Kurfîrst Joachim II. … (s. Anm. 24), S. 162; zu den preußischen Huldigungen vgl. aus der polnischen Literatur: Maria Bogucka, Die preußische Huldigung (= Panorama der polnischen Geschichte. Fakten und Mythen), Warszawa 1986, bes. S. 119 – 168; Zygmunt Wojciechowski, Hołd Pruski i inne studia historyczne, Poznan´ 1946, S. 141 – 151.

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Herrschaft verblieben nur noch Nominalrechte“. Es kam, wie Udo Arnold formuliert hat, zum „totalen Tiefpunkt landesherrlicher Gewalt zu Beginn des 17. Jahrhunderts“. Erst der Pendelumschlag unter dem Großen Kurfîrsten machte dieser politischen Wechsellage dann ein Ende, in einer Zeit, in der die polnische Adelsrepublik – dies darf dabei nicht vergessen werden – sich in einer evidenten Schwcheperiode befand.31 Mit dem Tod des letzten frnkisch-hohenzollerischen Herzogs im Jahre 1618 wurde die brandenburg-preußische Personal-Union endgîltig festgestellt. Wir haben mit dieser Betrachtung nun Einblick gewonnen in Landesstruktur und dynastische Konstellation im Herzogtum Preußen bis und um 1600. Mit guten Argumenten hat die frnkische Spezialforschung der letzten Zeit darauf hingewiesen, daß es ganz wesentlich die frnkischen Hohenzollern gewesen sind, die durch ihre weit ausgreifende dynastische Politik diejenige Konstellation herbeigefîhrt haben, die nun innerhalb weniger Jahre Brandenburg, Preußen und Gebiete im Westen Deutschlands – wenn auch ohne territoriale Verbindung – zunchst unter einem Herrscher zusammenbrachte. Sie, die frnkischen Markgrafen, haben die Ostpolitik aufgebaut, die – nach dem Aussterben der lteren frnkischen Linie im Jahre 1603 – von den brandenburgkurfîrstlichen Hohenzollern gleichsam nur îbernommen worden ist. Die frnkischen Hohenzollern haben nicht nur mit dem preußischen Engagement sowohl den engeren sîddeutschen, als auch den Rahmen des Heiligen Rçmischen Reiches îberschritten; frîher hatten sie auch Verbindungen nach Bçhmen, ja nach Ungarn aufgebaut, waren mit den dortigen Kçnigen verwandt, und sie besaßen zeitweilig erhebliche Gebiete in Ungarn, Schlesien und Kroatien.32 Dies ist von der lteren, allzu brandenburg-zentrierten Historiographie nicht angemessen berîcksichtigt worden. Aber ganz abgesehen davon, daß damit exemplarisch die Rolle der Dynastie als ein politischer Faktor, der einzelne 31 U. Arnold, Stndeherrschaft … (s. Anm. 12), S. 99 f., auch sehr îberzeugend zu dem bis dahin existierenden „Krftedreieck Oberlehnsherr-Herzog-Stnde“; ˜bertragung der Vormundschaft auf den brandenburgischen Kurfîrsten: S. Dolezel / H. Dolezel, Vertrge … (s. Anm. 8), S. 107 f., (11. 3. 1605); Belehnung 1611: S. 133 – 136; nîtzlich auch nach wie vor Carl Wilhelm von Lancizolle, Geschichte der Bildung des preußischen Staates, 1. Tl., 1. Abt., Berlin/Stettin 1828, S. 466 – 481. 32 J. Peterson, Staatskunst … (s. Anm. 27), S. 254 ff.; wichtig ferner R. Seyboth, Die Markgraftîmer … (s. Anm. 5), S. 402 – 405; Ders., Die Hohenzollern in Franken und Brandenburg an der Wende der Neuzeit, in: Roderich Schmidt (Hg.), Bayreuth und die Hohenzollern vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Jahrestagung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises fîr Mitteldeutschland 10.–12. Mai 1989 in Bayreuth …, Ebsdorfergrund 1992, S. 9 – 31, hier S. 26 f.; Hans-Jçrg Herold, Markgraf Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach als Reichsfîrst. (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 10), Gçttingen 1973, S. 2.

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Landesstaaten transzendierte, erkennbar wird, ergibt sich daraus auch noch eine andere Perspektive. Gewiß hatten die brandenburgischen Hohenzollern im 15. und 16. Jahrhundert bisweilen îber die Grenze geschaut, aber doch eine im ganzen sehr vorsichtig-friedliche, wenig aktive Politik im Reich und in Europa betrieben.33 Auf die neuen politischen Konjunkturen, die nun sehr bald und in dramatischer Weise die brandenburgische Politik in die Krisen Europas im frîhen 17. Jahrhundert berîhrten, waren eben die brandenburgischen Herren wenig vorbereitet, als sie das politische Erbe der frnkischen Vettern antraten. Zu diesem Erbe zhlte eben nicht nur Preußen, sondern auch die ganz neuartige Territorialpolitik am Niederrhein.34 1598/99 waren die betreffenden Ansprîche auf die brandenburgischen Hohenzollern îbertragen worden. Noch mochte es recht unsicher sein, ob diese Gebiete weit im Osten und weit im Westen auf Dauer wîrden gesichert werden kçnnen, und zudem war um 1600 die schsische Konkurrenz nicht nur nah, sondern auch in mancherlei Hinsicht deutlich îberlegen. Die Heirat des Prinzen Johann Sigismund, als brandenburgischer Kurfîrst 1608 bis 1620 (1699 a. St.), mit der Herzogin Anna von Preußen befestigte nicht allein die brandenburgischen Aussichten nach Osten. Anna war mit den Herzçgen von Jîlich, Kleve und Berg verwandt, die am Niederrhein mit reichem Territorialbesitz ausgestattet waren. Johann Sigismunds Vater (Kurfîrst Joachim Friedrich), verstrkte diese Verbindung, indem er 1603 Annas Schwester, Eleonore von Preußen ehelichte. Freilich stieß Kurbrandenburg im Westen auf gefhrliche Konkurrenzen, die die Politik bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein beschftigen sollten. Pfalz-Neuburg, Zweibrîcken und auch Kursachsen machten ebenfalls Rechte an diesen begehrten Gebieten geltend, die durch den abzusehenden Todfall der Herzçge von Jîlich-Kleve-Berg alsbald vakant wîrden. In Wien gab es Plne, diese Landschaften einer kaiserlichen Verwaltung zu unterstellen. Die Nhe dieser Territorien in unmittelbarer Nachbarschaft zum spanisch-niederlndischen Konfliktraum brachte es mit sich, daß diese Aussichten eine hohe politische Brisanz besaßen, eben eine der europischen Politik und ihres Konfliktpotentials am Rande des großen Krieges.35 33 Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 1: Anfnge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740 (= Urban-Taschenbîcher, 573), Stuttgart u. a. 1996, S. 95 f. und die Lit. S. 234 f. 34 J. Petersohn, Staatskunst … (s. Anm. 27), S. 270, S. 275: Geraer Hausvertrag; Reinhold Koser, Geschichte der brandenburgischen Politik bis zum Westflischen Frieden von 1648, Stuttgart/Berlin 21913, S. 317 f., S. 337 f., folgendes: S. 351 – 353. 35 Aus den ˜berblickswerken zu diesen Schlîsselvorgngen frîher brandenburg-preußischer Geschichte vgl. außer O. Hintze, Die Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 139 ff.; Julius Grossmann u. a., Genealogie des Gesamthauses Hohenzollern. Nach den Quellen bearbeitet und hg., Berlin 1905, S. 28 und S. 117; Richard Dietrich, Kleine

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1609 starb der letzte Herzog von Jîlich-Kleve-Berg. Zu den kurschsischen Ansprîchen kam das Verhalten des Kaisers, dessen Truppen am Niederrhein intervenierten.36 In Kleve, Jîlich und anderen kleineren dazugehçrigen Territorien hat Brandenburg auf zeittypische Weise bereits Besitz ergriffen, und zwar durch rechtssymbolische Handlungen.37 Im Dortmunder Rezeß hatten sich dann Brandenburg und Pfalz-Neuburg in der Sukzessionsfrage verglichen, jedenfalls „biß zur fernen gutlichen oder rechtlichen Austragh“, und zwar zur gemeinsamen Wahrnehmung der Rechte.38 Die Internationalisierung des Konfliktes war damit nicht zu verhindern, da um die strategisch wichtigen Gebiete und nicht zuletzt um die Festung Jîlich, in der sich schon kaiserliche Truppen festgesetzt hatten, die Auseinandersetzung auszubrechen drohte, in die nun auch die konfessionellen Parteiungen verflochten waren. Schließlich ging es um die Rheinlinie, d. h. um die Passage spanischer Truppen zu den Kampfrumen in den Niederlanden. Zunchst hat nur ein gnzlich externes Ereignis, die Ermordung Heinrichs IV. von Frankreich, 1610 etwas zur temporren Reduktion des Sprengpotentials beigetragen. Im Vertrag von Xanten vom 12. November 1614 haben dann die Dortmunder Partner, der Pfalzgraf bei Rhein und der brandenburgische Kurfîrst, es „unternommen/eine Vergleichung interims Weise oder provisionaliter“ vorzunehmen. Die Vermittlung und „Intervention“ Frankreichs und Englands im Vorfeld dieses Schrittes belegt einmal mehr die europische Dimension.39 Unter Vorbehalt spterer „Erçrterung der HauptSach“ sollte es unter dem Titel einer gemeinsamen Verwaltung zu einer Auf-

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Geschichte Preußens, Berlin 1966, S. 22; speziell: Paul Hassel, Die Anfnge der brandenburgischen Politik in den Rheinlanden, in: ZPreuGLdkde 9 (1872), S. 321 – 360, bes. S. 344 – 359; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 305; nîtzlich auch noch Friedrich Meinecke, Das Stralendorffsche Gutachten und der Jîlicher Erbfolgestreit, zuerst phil. Diss. Berlin, Potsdam 1886, wieder in: Ders., Brandenburg – Preußen – Deutschland. Kleine Schriften zur Geschichte und Politik, hg. von Eberhard Kessel (= Friedrich Meinecke, Werke, 9), Stuttgart 1979, S. 3 – 59, hier S. 12 f. Johann Gustav Droysen, Geschichte der Preußischen Politik, 2. Tl., 2. Abt., Leipzig 2 1870, S. 419; R. Dietrich, Preußen … (s. Anm. 35), S. 24. R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 351 ff., Internationalisierung des Konfliktes: S. 355 – 358; (E.) Bammel, Zur Geschichte der Preußischen Verwaltung im Regierungsbezirk Dîsseldorf, in: Festschrift zur Einweihung des neuen Regierungs-Gebudes, Dîsseldorf, 19. Oktober 1911, (Dîsseldorf 1911), S. 5 – 75, hier S. 9. Gottfried Lorenz (Hg.), Quellen zur Vorgeschichte und zu den Anfngen des Dreißigjhrigen Krieges (= Ausgewhlte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, 19), Darmstadt 1991, S. 81 – 85, Nr. 8a, 31. Mai/10. Juni 1609, hier S. 84 f.; Theodor von Moerner, Kurbrandenburgs Staatsvertrge von 1601 bis 1700. Nach den Originalen des Kçnigl. Geh. Staats-Archivs, Berlin 1967, Nachdruck Berlin 1965, S. 63 ff. Vergleich von Xanten: G. Lorenz (Hg.), Quellen … (s. Anm. 38), S. 178 – 185, bes. S. 179 f., S. 184 Nr. 25; T. v. Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 67 – 71; aus der Lit. außer O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 158 – 162; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 356 ff., S. 368; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 66 f.; E. Bammel, Verwaltung … (s. Anm. 37), S. 10.

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teilung des Landes kommen. Die brandenburgische Politik hatte angesichts eines vollstndigen Mangels zureichender militrischer Rîstung aber eine hçchst „klgliche“ (Hintze) Rolle gespielt, so daß es nicht gelang, die ganze Erbschaft zu sichern. Der – letztlich vergebliche – Kampf um den bedeutenden verlorenen Teil sollte noch die preußische Politik unter Friedrich Wilhelm I. bestimmen. Brandenburg îbernahm unter diesen Bedingungen zunchst Kleve, Mark, Ravenstein und Ravensberg, doch befanden sich spanische Truppen, spterhin hollndische im Lande. Das reiche Gebiet, mitten vom Rhein durchflossen, mit starkem lutherischen und kalvinistischen, aber auch einem nicht unbedeutenden katholischen Element, war auch fîr den Handel von großer Bedeutung, weniger durch eigenes Gewerbe.40 Die endgîltige Regelung der territorialen Verhltnisse blieb dem Erbvergleich mit Pfalz-Neuburg vom September 1666 vorbehalten, und dabei ist das Gebiet von Ravenstein gegen eine Kompensationszahlung Pfalz-Neuburg zugesprochen worden.41 Nach innen hatten diese in der Tat dramatischen politischen Konjunkturen bereits Wirkungen gezeitigt, bevor sie eigentlich eingetreten waren. Die Begrîndung des Geheimen Rates als oberstes brandenburgisches politisches Organ ist mit ausdrîcklicher Berufung auf die neuen Aufgaben und Qualitten der Politik geschehen; expressis verbis wurde dabei – an erster Stelle – auf die „Preussische“ und die „Gulische“ Frage angespielt. Ohne die Vorbilder im einzelnen genau zu benennen, wird doch in der Geheimen Ratsordnung davon gesprochen, daß dieses Gremium „nach Exempell anderer wohlbestellten Politien und Regimenten“ seine beratende Funktion wahrnehmen sollte, zumal in diesen „Sachen … uns und unserem churfîrstlichen Hauße so hoch viel gelegen“.42 Neun Personen, Adlige und Bîrgerliche, wurden zu Geheimen Rten berufen; daneben fîhrte der Kurfîrst weiter die Geschfte auch aus seiner Kammer, mit Hilfe seiner „kammersecretarien“. Die geistlichen Sachen gehçrten auch fernerhin vor das Konsistorium. Der Geheime Rat sollte von Anfang an nicht nur die politischen, d. h. die außenpolitischen Materien behandeln, auch „Polizei“- und Kommerziensachen, Kriegs- und Festungsangelegenheiten 40 Ebda.; Curt Jany, Geschichte der Kçniglich Preußischen Armee bis zum Jahre 1807, 1: Von den Anfngen bis 1740, Berlin 1928, S. 63, S. 66; um 1640: E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 67 f. 41 T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 288 – 294; Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm der Große Kurfîrst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2, Gçttingen/Frankfurt/Zîrich 1978, S. 85 – 88; Georg Kîntzel, Die drei großen Hohenzollern, in: Erich Marcks / Karl Alexander von Mîller (Hg.), Meister der Politik. Eine weltgeschichtliche Reihe von Bildnissen (2), Stuttgart/Berlin 21923, S. 391 – 551, hier S. 433. 42 Melle Klinkenborg (Hg.), Acta Brandenburgica. Brandenburgische Regierungsacten seit der Begrîndung des Geheimen Rates, 1: 1604 – 1605 (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission fîr die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, 3), Berlin 1927, Nr. 40, S. 91 – 96, Zitat: S. 91 f.

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gehçrten vor sein Forum, letztere in Kooperation mit dem Obersten. Der Kurfîrst nahm nicht an den Ratssitzungen teil. Im Rat galt das Majorittsprinzip, doch sollten strittige Fragen vor den Monarchen gebracht werden. Dessen Kammer behielt ein starkes Eigengewicht neben dem Geheimen Rat.43 Zudem hat der Rat anfangs eine erhebliche Instabilitt besessen und ist bald in institutionelle Krisen geraten. Immerhin war nunmehr – erstmals – ein „Collegium formatum“ vorhanden.44 Zweimal in der Woche tagte er „auf der Ratsstube“. Auch die Entwicklung eines stndigen diplomatischen Apparates ist um 1600 ganz wesentlich durch die Erwerbungen, zumal diejenigen am Niederrhein gefçrdert worden. Zur Wahrnehmung der Interessen wurde nunmehr ein permanenter Vertreter Kurbrandenburgs bei den Vereinigten Niederlanden berufen; Analoges gilt wegen Preußen in Polen. Es war dann auch kein Zufall, daß gerade seit 1631 ein stndiger diplomatischer Reprsentant in Schweden, seit 1646 auch einer in Paris existierte.45 Die wachsenden außenpolitischen Anforderungen, die Brandenburg-Preußen in die europischen Konfliktherde invol43 M. Klinkenborg (Hg.), Acta Brandenburgica … (s. Anm. 42), 1, S. 95 f., Verfahren: S. 93 f.; Martin Schulz, Geschichte des brandenburgischen Geheimen Ratskollegiums in den Jahren 1604 – 1608 (= HistStud, 276), Berlin 1935, ND Vaduz 1965, S. 15 – 18, und vergleichend S. 6 – 13; dazu Gerhard Oestreich, Der brandenburg-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfîrsten bis zu der Neuordnung im Jahre 1651. Eine behçrdengeschichtliche Studie (= Berliner Studien zur neueren Geschichte, 1), Wîrzburg-Aumîhle 1937, S. 4 ff.; Melle Klinkenborg, Ratsstube und Kanzlei in Brandenburg im 16. Jahrhundert, in: ForschBrandPrG 26 (1913), S. 413 – 428, bes. S. 418 f.; vergleichend: Kurt Dîlfer, Studien zur Organisation des fîrstlichen Regierungssystems in der obersten Zentralsphre im 17. und 18. Jahrhundert, in: Archivar und Historiker. Studien zur Archiv- und Geschichtswissenschaft. Zum 65. Geburtstag von Heinrich Otto Meisner, hg. von der Staatlichen Archivverwaltung im Staatssekretariat fîr Innere Angelegenheiten (= Nr. 7 der Schriftenreihe der Staatlichen Archivverwaltung), Berlin 1956, S. 237 – 253, hier S. 243; Gerhard Oestreich, Das persçnliche Regiment der deutschen Fîrsten am Beginn der Neuzeit, zuerst 1935, wieder in: Ders., Geist und Gestalt des frîhmodernen Staates. Ausgewhlte Aufstze, Berlin 1969, S. 201 – 234, hier S. 227 f. 44 Wichtig: Heinrich Otto Meisner, Die monarchische Regierungsform in Brandenburg-Preußen, in: Richard Dietrich / Gerhard Oestreich (Hg.), Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe fîr Fritz Hartung, Berlin 1958, S. 219 – 245, hier S. 223 ff.; nach wie vor unverzichtbar (auch fîr das prosopographische Material) Carl Wilhelm Cosmar / C. A. L. Klaproth, Der Kçnigl. Preußische und Churfîrst. Brandenburgische Wirklich Geheime Staats-Rath an seinem zweihundertjhrigen Stiftungstage den 5ten Januar 1805 …, Berlin 1805, S. 91, S. 119 f. 45 Otto Krauske, Die Entwicklung der stndigen Diplomatie vom fînfzehnten Jahrhundert bis zu den Beschlîssen von 1815 und 1818 (= StaatsSocialwissForsch, 5, Heft 3, der ganzen Reihe 22), Leipzig 1885, S. 129 f., S. 136 f.; wichtig nach wie vor Else Jagenburg, Die Diplomatie Brandenburgs zur Zeit des Großen Kurfîrsten, phil. Diss. Bonn, Wîrzburg 1936, vor 1640: S. 1 – 3.

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vierten, bewirkten die Weiterentwicklung des Staatsorganismus, und zwar nach außen und nach innen. Gerhard Oestreich hat dann davon gesprochen, daß mit der Begrîndung des Geheimen Rates im Jahre 1604 die „erste offizielle Trennung zwischen Hofund Staatsverwaltung“ eingetreten sei. Nunmehr, so Oestreich, seien Hofbeamte nicht mehr Staatsbeamte gewesen.46 Freilich muß man auch berîcksichtigen, daß damit noch nicht jener moderne Amtstrgertypus etwa generell durchgedrungen wre, der ausschließlich „staatsloyal“ seine „çffentlichen“ Aufgaben wahrgenommen htte. Gerade in den Amtsstellen, die fîr die materielle Seite der landesherrlichen Funktionen zustndig waren, gibt es auffllige Verflechtungen mit Berliner Kaufmannsfamilien, die spezifisch vor-moderne Charakteristika „staatlicher“ Organe vor Augen treten lassen. In der „Amtskammer“, verantwortlich fîr die Verwaltung der fîrstlichen Domnenmter und der industriellen Betriebe (Hammerwerke, Salpetersiedereien) tritt dieser Amtstrgertyp entgegen, auch nachdem dieses Organ seit 1615 festere kollegialische Formen angenommen hatte.47 Die Amtskammer hatte aus den ømtern die Einnahmen der landwirtschaftlichen Produktion zu erheben, etwa diejenigen aus dem Verkauf von Vieh und Wolle, wichtiger Rohstoff in der ressourcenarmen Mark Brandenburg. Hinzu kamen die Dienst-, die Straf- und die Abzugsgelder u.a.m.48 Die „Doppelstellung als Kaufmann und Beamter“ (Papritz/ Rachel/Wallich) ist gerade auf diesem Gebiet des inneren Regiments besonders verbreitet gewesen,49 aber Angehçrige von Berliner Großkaufmannsfamilien 46 G. Oestreich, Geheime Rat … (s. Anm. 43), S. 26. 47 Kurt Breysig, Geschichte der brandenburgischen Finanzen in der Zeit von 1640 bis 1697. Darstellung und Akten, 1: Die Centralstellen der Kammerverwaltung. Die Amtskammer, das Kassenwesen und die Domnen der Kurmark (= Urkunden und Aktenstîcke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1, Tl. 1), Leipzig 1895, S. 153 f., auch zur langen Entwicklung bis zur Ausprgung der Institution; Druck der Amtskammerordnung (von 1615): S. 619 – 628, Nr. 58; dazu Martin Hass, ˜ber die Verwaltung der Amts- und Kammersachen unter Joachim II. und Johann Georg, in: ForschBrandPrG 19 (1906), S. 227 – 239, bes. S. 227 ff. 48 K. Breysig, Geschichte … (s. Anm. 48), S. 226. 49 Hugo Rachel / Johannes Papritz / Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, 1: Bis zum Ende des dreißigjhrigen Krieges (= VerçffVGBrandenb), Berlin 1934, S. 326 ff. (Zitat: S. 327), ferner S. 366 ff.; und grundstzlich Hugo Rachel / Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648 – 1806, neu hg., ergnzt und bibliographisch erweitert von Johannes Schultze / Henry C. Wallich / Gerd Heinrich (= VerçffVGBrandenb), Berlin 1967, S. 104; wichtig fîr die ganze Epoche Eberhard Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Kriege (= Berlinische Bîcher, 1), Berlin 1927, S. 105, S. 108, sowie Herman von Petersdorff, Beitrge zur Wirtschafts-, Steuer- und Heeresgeschichte der Mark Brandenburg im dreißigjhrigen Kriege, in: ForschBrandPrG 2 (1889), S. 1 – 73, hier S. 35.

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finden wir auch unter den Geheimen Sekretren und in den bald entstehenden militrischen Organen. Amtskammerrte wurden im Dienst Teilhaber von Handelshusern. Von eben den großen Berliner Kaufmannsfamilien aber liehen die Kurfîrsten um 1600 in erheblichem Umfange, um ihre finanziellen Probleme zu îberbrîcken. Die Dynasten pflegten mit ihren bîrgerlichen Glubigern îbrigens intensiven persçnlichen Umgang,50 sie gehçrten also ohne Zweifel zur hofnahen Residenzgesellschaft. Ihr Zugang zu einflußreichen ømtern lßt Gewicht und Einfluß im Umfeld des Kurfîrsten erahnen. Noch lange, bis in das 18. Jahrhundert hinein, ist diese Funktions- und Interessenverflechtung nachzuweisen.51 Man wird davon ausgehen kçnnen, daß diese Doppelfunktionen auch fîr die Vermittlung von Informationen große Bedeutung besessen haben. Eine funktionale Parallele ist in der „Doppelstellung“ als fîrstlicher Amtstrger und als Vertreter der Stnde, beides in einer Person, zu erkennen.52 Noch der Große Kurfîrst hat von eigenen Rten und von Generlen Gelder geliehen, er freilich nicht mehr von Berliner Kaufleuten. Die Selbstergnzung etwa des Amtskammerpersonals aus den jeweiligen Amtstrgerfamilien, das „Protektionswesen“ (Breysig) gehçrt zu den vormodernen Charakteristika des brandenburgischen (-preußischen) Organbaus im frîhen und hohen 17. Jahrhundert.53 Fîr die geistliche Instanz, und das heißt fîr das im 16. Jahrhundert begrîndete Konsistorium, gilt – mutatis mutandis – das gleiche. Nur der unmittelbar nach dem Konfessionswechsel des Kurfîrsten zum Kalvinismus fîr kurze Zeit bestehende „Kirchenrat“ konnte als Novitt gelten.54 Es ist nun eine interessante und in der Forschung intensiv behandelte Frage, ob schon unter Kurfîrst Joachim Friedrich (1598 – 1608) der Einfluß des Kalvinismus auf die brandenburg-preußische Geschichte einsetzt. Joachim 50 H. Rachel / J. Papritz / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 1, S. 373. 51 A. a. O., … (s. Anm. 49), 2, S. 13 f., S. 17, Kraut: S. 134 – 184. 52 Spezifisch fîr die brandenburgischen Verhltnisse vgl. Helmuth Croon, Die kurmrkischen Landstnde 1571 – 1616 (= Brandenburgische Stndeakten, 1; Verçffentlichungen der Historischen Kommission fîr die Provinz Brandenburg und die Hauptstadt Berlin, 9,1), Berlin 1938, S. 3. 53 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 102 ff.; L(eopold) Frhr. v. Ledebur, Gallerie bemerkenswerter Personen des von Burgsdorfschen Geschlechts aus dem 16. und 17. Jahrhundert, in: Mrkische Forschungen 14 (1878), S. 87 – 98, hier S. 96; K. Breysig, Geschichte … (s. Anm. 47), S. 179 f. 54 Otto Hintze, Die Epochen des evangelischen Kirchenregiments in Preußen, zuerst 1906, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, hg. von Gerhard Oestreich, Gçttingen 21967, S. 56 – 96, hier S. 77 f.; Bodo Nischan, Prince, People and Confession. The Second Reformation in Brandenburg, Philadelphia (1994), S. 111, S. 121 f.; wichtig nach wie vor Heinrich von Mîhler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der Mark Brandenburg, Weimar 1846, S. 128 ff.; Wolfgang Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preussen (= VHKB, 62), Berlin/New York 1985, S. 73 – 79.

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Friedrich hatte bereits, bevor er in der Mark Brandenburg zur Regierung kam, als „Administrator“ das Erzbistum Magdeburg regiert, und zwar fîr immerhin 30 Jahre. Darin kommt beispielhaft das politische Programm Brandenburgs im 16. Jahrhundert, sich in Richtung der Stiftslande in Mitteldeutschland und zumal an der mittleren Elbe auszudehnen, zum Ausdruck, nur hatte man es hier (noch) nicht mit Erb-, sondern mit geistlichen Wahlgebieten zu tun.55 In der Tat sollte nach 1650/80 die Politik, in den Landschaften an der mittleren Elbe festen Fuß zu fassen, zu dauernden Resultaten fîhren. Um 1600 sind zunchst einmal mancherlei Erfahrungen und geschultes Personal aus dem Magdeburgischen nach Nordosten transferiert und implantiert worden, aber Joachim Friedrich selbst mußte die unmittelbare Herrschaft im Erzstift noch aufgeben; immerhin gelang es ihm, mit seinem Sohn Markgraf Christian Wilhelm das Gebiet fîr drei Jahrzehnte der Dynastie in einem weiteren Sinne zu sichern.56 ˜ber den Magdeburger Hof zu Halle an der Saale hatte Joachim Friedrich bereits in engen Beziehungen zum kurpflzischen Hof gestanden,57 als dieser im Heiligen Rçmischen Reich zum Exponenten einer aktivistischen Politik aus kalvinistischem Impuls zu werden begann. Noch unter Joachim Friedrich hat fîr kurze Zeit Ott-Heinrich von Bylandt, Herr auf Rheydt und Prembt Einfluß auf die junge brandenburg-preußische Politik genommen, ein Mann, dem Otto Hintze in dem Kontext von „Kalvinismus und Staatsrson“ im Brandenburg-Preußen dieser Zeit eine prominente Rolle zugewiesen hat. Rheydt sei geradezu der „Apostel des politischen Kalvinismus und der niederlndisch-franzçsischen Staatsraison im Kampfe gegen das rçmischspanische Prinzip“ gewesen, der „erste moderne Staatsmann in der brandenburgischen Geschichte“.58 Rheydt habe bereits den „Großstaat“ im Auge gehabt. 55 O. Hintze, Die Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 150 f.; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 328; Wolfgang Neugebauer, Die Stnde in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: P. Baumgart (Hg.), Stndetum … (s. Anm. 13), S. 170 – 207, hier S. 171 ff.; nach wie vor mit wichtigem Material Johann Christoph von Dreyhaupt, Pagus Neletici et Nudzici, Oder Ausfîhrliche diplomatisch-historische Beschreibung des … Saal-Creyses, 1, Halle 21755, S. 296 ff. 56 J. Grossmann, u. a., Genealogie … (s. Anm. 35), S. 27. 57 S. Anm. 55; Zur Pfalz vgl. Albrecht P. Luttenberger, Kurfîrsten, Kaiser und Reich. Politische Fîhrung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximilian II. (= VerçffInstEurG, 149. Beitrge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs, 12), Mainz 1994, S. 171, S. 176 ff., u. ç.; vgl. die Rezension des Vf.: ZRG, germ. Abt. Nr. 114 (1997), S. 555. 58 Otto Hintze, Kalvinismus und Staatsrson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, zuerst 1931, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 255 – 312, bes. S. 283 f., zur Person S. 284 ff.; vgl. auch R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 334 f.; dagegen Melle Klinkenborg, Zur Entstehung der Geheimen Ratsordnung vom 13. Dezember 1604, in: ForschBrandPrG 39 (1927), S. 215 – 228, bes. S. 215 ff.; Bestallung vom 1. Januar 1606: M. Klinkenborg (Hg.), Acta … (s. Anm. 42), 2, Berlin 1928, S. 1 – 3, Nr. 691; vgl. 1, S. 149 ff., Nr. 68.

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Gegen die These, daß Ott-Heinrich von Rheydt auch im neubegrîndeten Geheimen Rat eine prominente Rolle gespielt habe, wurden allerdings schon frîh Einwnde erhoben, und Rheydt ist auch schon 1608 – und zwar in den Niederlanden – verstorben. Mag dieser, also sehr teleologisch eingeordnete Staatsmann als Kalvinist auch eine scharfe antihabsburgische Linie verfochten haben, so hat doch der Kurfîrst zusammen mit seinem Kanzler Lçben eine sehr bedchtig-vorsichtige Politik betrieben, und die Anregung zur Grîndung eines Geheimen Rates ging vermutlich auf frnkisch-hohenzollernsche Impulse, nicht aber auf solche aus der Pfalz zurîck.59 Diese sowohl sachlich als auch historiographisch interessanten Vorgnge zeigen bereits auf, daß die Forschung seit langem, ja seit mehr als hundert Jahren intensiv die Frage nach der politischen Bedeutung und der Vorgeschichte des kurfîrstlichen Konfessionswechsels hin zum Kalvinismus diskutiert. Damit wird der Person Kurfîrst Johann Sigismunds, der von 1608 bis 1620 (n. St.) regierte, geradezu eine konstitutive Rolle fîr die preußische Geschichte îberhaupt zugeschrieben. Betrachten wir zunchst Person und Sachverhalt. Kurfîrst Joachim Friedrich, der den Reformierten verschiedentlich entgegengekommen war, hatte seinen Sohn Johann Sigismund zunchst auf die Akademie in Straßburg und dann auf die Heidelberger Universitt geschickt. Dort hatte er noch als Kurprinz Kontakt zum Kalvinismus gewonnen und Beziehungen eben zum Pfalzgrafen bei Rhein aufgenommen; dies ist in der Tat bedeutsam fîr die inneren, religiçsen Wandlungen Johann Sigismunds.60 Diese pflzischen Kontakte traten in der hohen Politik 1605 insofern in eine neue Phase, als der pflzische und der brandenburgische Kurfîrst vertraglich die gemeinsame Vertretung territorialer Ansprîche verabredeten und mit den Niederlanden ein abgestimmtes Vorgehen bei der „Sicherung [der] jîlichschen Lande“ festlegten.61 Zum politischen Instrumentarium der Zeit gehçrte es, dieses politische Bîndnis durch eine Hei-

59 M. Klinkenborg, Zur Entstehung … (s. Anm. 58), S. 216 ff., auch zum Sturz Rheydts 1606; Melle Klinkenborg, Das Stralendorffsche Gutachten und die antikaiserliche Politik Brandenburg-Preußens, in: ForschBrandPrG 41 (1928), S. 229 – 247, hier S. 245; Geh. Rat.: vgl. J. Petersohn, Staatskunst … (s. Anm. 27), S. 239 f., mit weiterer Lit.; vgl. Heinrich Muth, Der pflzische Kalvinismus und die brandenburgische Geheimratsordnung von 1604, in: Zeitschrift fîr die Geschichte des Oberrheins 107 (1959), S. 400 – 467, hier S. 442 f., S. 446. 60 Walter Delius, Der Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfîrsten Johann Sigismund. Eine Berliner Weihnachtsîberraschung am Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Jahrbuch fîr Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 50 (1977), S. 125 – 129, bes. S. 125 f. 61 M. Klinkenborg (Hg.), Acta Brandenburgica … (s. Anm. 42), 1, S. 227 ff., Nr. 123, ferner S. 295 f. (Zitat), Nr. 233, vom 15./25. April 1605; Heirat: S. 225 ff., Nr. 122.

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ratsverbindung beider Huser noch zu stabilisieren, zur nheren „Befreundung unndt Verbîndung beeder Heußer Pfalz p. unndt Brandenburgk p.“.62 Ein puritanischer Asket ist Johann Sigismund aber nicht gewesen. Er liebte durchaus die Genîsse des Lebens, und das mit gesundheitlichen Folgen. Er hatte strkere kînstlerische Neigungen, die wohl bedeutender waren als seine politischen Fhigkeiten. Seine religiçsen Interessen und Aktivitten gingen nicht parallel zu politischem Elan und kraftvollen Perspektiven.63 Neben ihm stand die außerordentlich selbstndige und selbstbewußte Gemahlin, jene Anna von Preußen, immer eine entschiedene Lutheranerin. Sie ist es gewesen, die die Erbansprîche auf die westlichen Gebiete mit in die Ehe und an Kurbrandenburg brachte, und dieser Umstand gab ihr großen Einfluß am Hof und auf die Politik. Denn sie beanspruchte, gegebenenfalls îber die jîlichschen Gebiete allein disponieren zu kçnnen. In erheblichen Spannungen hat sie mit Johann Sigismund gelebt und einen eigenen, ganz unkontrollierten Schriftverkehr etwa mit dem Kaiserhause gefîhrt, als es um nichts anderes als um die jîlichsche Erbfolge ging. Die Konfessionsfrage, die nun offen aufbrach, hat zur Entfremdung des kurfîrstlichen Paares weiter beigetragen.64 Dynastinnen mit eigenem politischen Gewicht und Programm haben neben den mnnlichen Herrschern immer eine gewichtige Rolle zu spielen vermocht. Es konnte also nicht einmal darum gehen, ob nun der ganze Hof zum Kalvinismus îbertreten wîrde, als Johann Sigismund trotz seiner „geistige(n) Schwerflligkeit und Unlust zu den Geschften“,65 auch offen zum neuen Glauben konvertierte. Am Hof blieb in der Herrscherfamilie eine starke Partei lutherisch. Daneben bestand diejenige Fraktion, die schon seit einiger Zeit dem „Kryptokalvinismus“ zuzurechnen war und die nun offen hervortrat. Nicht allein die Frage, welche Motive fîr den kurfîrstlichen Konfessionswechsel 1613 entscheidend waren, steht im Raume, sondern auch diejenige, warum Johann Sigismund erst jetzt zu diesem Entschluß gekommen ist. Neben Rîcksichten, die er als Prinz zu nehmen hatte, standen nach 1608 solche hinsichtlich des Kaiserhauses; auch war nicht abzusehen, welche Folgen sich etwa einstellen wîrden, 62 M. Klinkenborg (Hg.), Acta Brandenburgica … (s. Anm. 42), 1, S. 225; zum Hintergrund etwa O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 148, S. 150, S. 155 f. 63 Th(eodor) Hirsch, Artikel: Johann Sigismund, Kurfîrst von Brandenburg, in: ADB 14 (1881), S. 169 – 175, hier S. 169 f.; Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 4: Von der Reformation bis zum Westflischen Frieden (1535 – 1648), Berlin 1964, S. 175 f.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 157 f., und dessen Rezension in den ForschBrandPrG 27 (1914), S. 622, zu dem Werk von Koser. 64 O. Hintze, ebda., vor allem aber Toni Saring, Kurfîrstin Anna (von Preußen), in: ForschBrandPrG 53 (1941), S. 248 – 295, hier S. 248 – 253, S. 257 ff., S. 264, S. 275 f.; Anton Chroust, Aktenstîcke zur brandenburgischen Geschichte unter Kurfîrst Johann Sigismund, in: ForschBrandPrG 9 (1896), S. 1 – 21, S. 14 f.; T. Hirsch, Johann Sigismund … (s. Anm. 63), S. 172. 65 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 157.

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wenn es darum ging, die Ansprîche auf das Herzogtum Preußen mit seinen starken und dezidiert lutherischen Landstnden durchzusetzen.66 Die Lage wurde im Osten ganz ohne Zweifel um einiges komplizierter und bot fîr polnische Interventionen neuerlichen Anlaß. Der Kurfîrst verfîgte allein îber eine Minderheit im preußischen Adel, zumal unter den „Herren“. Dabei konnten sich die brandenburgischen Hohenzollern bereits im frîhen 17. Jahrhundert insbesondere auf die Dohnas stîtzen, die, zum Kalvinismus îbergetreten, nun freilich im Gegensatz zur lutherischen Umgebung im Lande leben mußten.67 Spter sind dieser Gruppe auch die Dçnhoffs, Hoverbecks, Schwerins und Borckes, die Fincke und Podewils zuzurechnen,68 Namen, die ebenso wie die Truchseß zu Waldburg in engen, zum Teil ministeriellen Beziehungen zur Dynastie stehen sollten in den kommenden Jahrhunderten. Ganz sicher ist es also richtig, daß die Konfessionsfrage weit îber den kirchengeschichtlichen Bereich hinaus Bedeutung hatte. Sie spielte in den politischen, den außenpolitischen und den integrationspolitischen Bereich hinein, als nun Johann Sigismund zusammen mit mehreren Geheimen Rten und einigen Verwandten zu Weihnachten 1613 das Abendmahl nach reformiertem Ritus nahm. Im folgenden Jahre (1614) erschien dann als rechtfertigende Begrîndung die Confessio Sigismundi.69 Freilich stand dem Kurfîrsten nach dem gîltigen Recht des Heiligen Rçmischen Reiches kein Reformationsrecht zu, mit dem er etwa darauf htte dringen kçnnen, daß seine Untertanen dem Konfessionswechsel folgten. Zudem war die organisierte Opposition im Lande, etwa diejenige der gerade in dieser Zeit einflußreichen Stnde, entschlossen und ohne Neigung zu Kompromissen. In Berlin kam es anlßlich der Entfernung von 66 Kryptokalvinismus: O. Hintze, Kalvinismus … (s. Anm. 58), S. 267; Anton Chroust, Abraham von Dohna. Sein Leben und sein Gedicht auf den Reichstag von 1613, Mînchen 1896, S. 105 ff. 67 A. Chroust, Dohna … (s. Anm. 66), S. 30 ff., S. 60 f., S. 102 – 104, S. 107; G. Heinrich, Adel … (s. Anm. 19), S. 287 f.; O. Hintze, Kalvinismus … (s. Anm. 58), S. 274 ff. 68 Walther Hubatsch, Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens, 1, Gçttingen 1968, S. 138; Edith Spiro, Die Gravamina der Ostpreußischen Stnde auf den Huldigungslandtagen des 18. Jahrhunderts, phil. Diss. Breslau 1929, S. 15 Anm. 30; T. Hirsch, Johann Sigismund … (s. Anm. 63), S. 175. 69 Mit weiterer Literatur s. Rudolf von Thadden, Die Fortsetzung des „Reformationswerkes“ in Brandenburg-Preußen, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – das Problem der „Zweiten Reformation“. Wissenschaftliches Symposion des Vereins fîr Reformationsgeschichte 1985 (= Schriften des Vereins fîr Reformationsgeschichte, 195), Gîtersloh 1986, S. 233 – 250, bes. S. 233 – 235; B. Nischan, Prince … (s. Anm. 54), S. 91 ff.; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 369 f.; Manfred Rudersdorf / Anton Schindling, Kurbrandenburg, in: Anton Schindling / Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1650, 2, Mînster 1990, S. 34 – 66, bes. S. 50 f., S. 54 ff.

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Bildschmuck aus dem Dom zum Tumult des Jahres 1615; in verschiedenen Stdten gab es ˜bergriffe auf Kalvinisten.70 Es war mit den Mitteln des Landesstaats um 1600 aussichtslos, gegen diese Widerstnde den Versuch zu unternehmen, die zweite Reformation im Lande allgemein durchzusetzen. Das was der Kurfîrst versuchen konnte, war, die konfessionelle Polemik im Lande zu dmpfen. Man wird also nicht von dem Beginn einer preußischen Toleranzpolitik sprechen dîrfen, die nach 1613 zu beobachten war, zumal der Kurfîrst da, wo er es sich glaubte erlauben zu kçnnen, sehr wohl Druck zum Konfessionswechsel anzusetzen versuchte, etwa auf hohe Amtstrger. Fîr Ratsstellen sind im 17. Jahrhundert stets Reformierte bevorzugt worden.71 Die Hofprediger konnte der Kurfîrst natîrlich selbst bestimmen, und an der Universitt Frankfurt an der Oder gewann gleichfalls die neue Lehre Eingang. Aber generell blieb der Widerstand im Lande dominant; so mußte der Kurfîrst den Stnden 1615 die freie Religionsausîbung nach der Augsburger Konfession zusagen. Auch auf den Dçrfern mit kurfîrstlichem Kirchenpatronat durften reformierte Pfarrer nicht aufgedrngt werden. Wie Rudolf von Thadden resîmierte, hat in Brandenburg eine zweite Reformation nicht stattgefunden. Sie blieb im wesentlichen auf den Hof und dessen unmittelbare Umgebung beschrnkt. Dazu zhlte in einem funktionalen Sinne auch die eben begrîndete Fîrstenschule, das Joachimsthalsche Gymnasium. Außerhalb der Mark hatte der Kurfîrst schon vorher die bestehenden konfessionellen Zustnde garantieren mîssen.72 Der 70 Nach wie vor grundlegend: Ulrich Stutz, Kurfîrst Johann Sigismund von Brandenburg und das Reformationsrecht (= Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1922, II), Berlin 1922, S. 29, S. 31; zusammenfassend A. Schindling / M. Rudersdorf, Kurbrandenburg … (s. Anm. 69), S. 55 ff.; Berliner Tumult: Eberhard Faden, Der Berliner Tumult von 1615, in: JbBrandenbLdG 5 (1954), S. 27 – 45, bes. S. 32 f.; Ders., Berlin … (s. Anm. 49), S. 137 f.; A. Chroust, Aktenstîcke … (s. Anm. 64), S. 11, S. 18 ff. 71 U. Stutz, Johann Sigismund … (s. Anm. 70), S. 32; R. von Thadden, Reformationswerk … (s. Anm. 69), S. 236; folgendes: Bodo Nischan, Kontinuitt und Wandel im Zeitalter des Konfessionalismus. Die zweite Reformation in Brandenburg, in: Jahrbuch fîr Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 58 (1991), S. 87 – 133, bes. S. 123, S. 125 – 132; zu den Arbeiten Nischans ist zu vergleichen: Heinz Schilling, Nochmals „Zweite Reformation“ in Deutschland. Der Fall Brandenburg im mehrperspektivischer Sicht von Konfessionalisierungsforschung, historischer Anthropologie und Kunstgeschichte, in: ZHF 23 (1996), S. 501 – 524, hier S. 504, zur Sache S. 508 – 512; B. Nischan, Prince … (s. Anm. 54), S. 128 ff.; vgl. auch E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 71. 72 R. von Thadden, Reformationswerk … (s. Anm. 69), S. 235 f., S. 240 f., S. 244; wichtige ltere Quellenkompilation: Christian Otto Mylius (Hg.), Corpus Constitutionum Marchicarum …, 6 Tle., Berlin/Halle (1737)-1751, hier (Tl.) 6,1, Sp. 260 (5. Februar 1615); E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 137; U. Stutz, Johann Sigismund … (s. Anm. 70), S. 12, S. 37; wichtig auch H. Croon, Landstnde … (s. Anm. 52), S. 188 ff., S. 193 ff.; zu anderen Regionen des Gesamtstaats vgl. Gerd

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Kalvinismus blieb selbst in der Mark Brandenburg eine „elitre Minderheitenreligion der Dynastie“ (Rudersdorf/Schindling), eine, wie Ulrich Stutz klassisch formulierte, ausgesprochene „Hof- und Beamtenreligion“.73 Freilich hatte der Konfessionswechsel nicht nur einen innen-, sondern auch einen außen- und territorialpolitischen Aspekt, und wer den persçnlichen Wandlungsprozeß Johann Sigismunds seit seinen pflzischen Erlebnissen im Jahre 160474 nicht berîcksichtigte, kçnnte glauben, daß der Kurfîrst versucht habe, durch den Anschluß an den Kalvinismus seine Interessen in den neuen Gebieten wenigstens im Westen zu fçrdern. War der Schritt des Jahres 1613 nicht geeignet, das gerade fîr die niederrheinischen Gebiete so wichtige Verhltnis zu den Niederlanden zu verbessern? Allerdings hat schon 1913 Reinhold Koser zu bedenken gegeben, daß „alles, was wir von der Persçnlichkeit Johann Sigismunds wissen, die Annahme nicht wohl zulasse“, „daß dem einzigen starken Entschlusse seines Lebens kalte Berechnung zugrunde gelegen haben soll. Er war kein politischer Kopf“, vielmehr „weich“ und „unentschieden“.75 Die pflzischen Kontakte, die §ffnung der brandenburgischen Politik zur westlichen Welt im frîhen 17. Jahrhundert – eine solche hatte es freilich auch um 1520 schon gegeben76 –, alles das setzt schon vor 1613 verstrkt ein. Allerdings war der ˜bertritt gerade den territorialpolitischen Interessen nicht îberall nîtzlich; in Preußen, wir hçrten es, wurde die brandenburgische Partei gerade eher geschwcht, und auch im Westen erwuchsen neue politische Kosten.77

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Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 2 1984, S. 71; Hofprediger: Das Standardwerk von Rudolf von Thadden, Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen (= ArbbKG, 32), Berlin 1959, bes. S. 9 ff. M. Rudersdorf / A. Schindling, Kurbrandenburg … (s. Anm. 69), S. 60; U. Stutz, Johann Sigismund … (s. Anm. 70), S. 37; vgl. aber die Thesen von B. Nischan (in Anm. 69 und 71). T. Hirsch, Johann Sigismund … (s. Anm. 63), S. 170; ferner R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 375 f. R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 369 f.; vgl. weiter S. 372 ff., S. 375: Der Konfessionswechsel Johann Sigismunds „erscheint nicht als berechnende Handlung zur Herbeifîhrung oder Sicherung politischen Gewinns, nicht als der erste Schritt auf einer neuen politischen Bahn, sondern als letztes Glied einer allmhlich und im Stillen vorgeschrittenen inneren Entwicklung“; man vgl. Hans-Joachim Beeskow, Der Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfîrsten Johann Sigismund im Jahre 1613, in: Herbergen der Christenheit 1983/84. Jahrbuch fîr deutsche Kirchengeschichte 14 (1983/84), S. 7 – 18, hier S. 9; zu den Motiven vgl. aus der neueren Lit. B. Nischan; Prince … (s. Anm. 54), S. 94 ff. W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 33), 1, S. 79 f. R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 384; M. Rudersdorf / A. Schindling, Kurbrandenburg … (s. Anm. 69), S. 53 f.

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Nach 1613 ist jedenfalls von einer signifikant aktiveren Politik Brandenburgs beziehungsweise Brandenburg-Preußens nicht zu sprechen,78 dies ist der empirische Befund, den wir in der Zeit des großen Krieges besttigt finden werden. Dagegen steht die Stilisierung des Konfessionswechsels in der preußischen Historiographie, zumal in der Phase der nationalteleologischen Interpretation zur Zeit des eigentlichen geschichtswissenschaftlichen Borussismus, d. h. durch Johann Gustav Droysen in seiner „Geschichte der Preußischen Politik“ um 1870. Er hat gegen die Realitten Johann Sigismund zu einem mutigen, politische Gefahren nicht scheuenden Manne werden lassen, er schilderte ihn als einen, der nach innen und außen îberlegen und zielsicher in den Kmpfen gestanden habe. „Johann Sigismund scheute diese Gefahren nicht mehr. Was auch die fromme Indignation seiner Stnde und seiner orthodoxen Nachbarn ihm bereiten mochte, nun ruhigen Gewissens erwartete er, was Gott ihm verhnge. […] Denn dies sein neues Bekenntniß war nicht bloß kirchlicher Natur. Es war eine andere, grçßere, lebensreichere Weltanschauung, fîr die er sich damit entschied. Es war der Entschluß zum Vorwrts, den er damit bekannte; derselbe, in dem die Niederlande sich befreit, sich an die Spitze des fortschreitenden Lebens im Abendlande gestellt hatten; derselbe, in welchem das Haus der Oranier einen Ruhm erworben hatte, vor dem der der stolzen Habsburger erblich, den Ruhm des kîhnsten, uneigennîtzigsten, unermîdlichen Kampfes um die hçchsten sittlichen Gîter, den Ruhm, frei an der Spitze eines freien Volkes zu stehen. Was Johann Sigismund that, war nur ein Anfang; es war ein Saamenkorn, und furchtbare Wetter sollten noch durchlitten werden, ehe sein Frîhling kam.“79 Auf dieser Linie hat Otto Hintze fast im Stile religionssoziologischer Erklrungen den Kalvinismus als die „Brîcke“ bezeichnet, „îber welche die westeuropische Staatsrson ihren Einzug in Brandenburg gehalten hat“,80 so wie unter dem Großen Kurfîrsten der „heroische Hauch des westeuropischen Kalvinismus“ gewirkt habe. Machtpolitik und Kalvinismus gehçrten zusammen. Dagegen hat die ideen- und geistesgeschichtliche Forschung seitdem geltend gemacht, daß die aktivistischen Anstze um 1600/13 weit îberschtzt wîrden und daß die Gleichsetzung von Luthertum und territorial-landesstaatlicher Inaktivitt und des Kalvinismus mit politischer Aktivitt zumal in der preußischen 78 R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 376 (gegen Droysen), weiter S. 391, S. 406, u. ç.; vgl. J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 63), 4, S. 184 f.; vgl. aber die Rezension von Otto Hintze, in: ForschBrandPrG 27 (1914), S. 622. 79 J. G. Droysen, Politik … (s. Anm. 36), 2,2, S. 436. 80 O. Hintze, Kalvinismus … (s. Anm. 58), S. 311, S. 291; vgl. schon 1903 im selben Sinne, Otto Hintze, Geist und Epochen der preußischen Geschichte, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 1 – 29, hier S. 4, S. 7, Großer Kurfîrst: S. 9, folgendes S. 12.

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Geschichte nicht zu halten sei.81 Damit ist aber nicht gesagt, daß westeuropische Einflîsse in der brandenburg-preußischen Geschichte des 17. Jahrhunderts irrelevant gewesen seien. Die spezifische Verbindung von Westlichem und §stlichem in der Geschichte Brandenburg-Preußens kommt insbesondere in der „Niederlndischen Bewegung“ und ihrer Rezeption zum Ausdruck. Der, wie Gerhard Oestreich es formuliert hat, „Geist des niederlndischen Spthumanismus“ ist insbesondere îber den politischen Philosophen Justus Lipsius vermittelt worden, der kurz nach 1600 am Berliner Hofe gelesen worden ist; seine Schriften sind in Brandenburg-Preußen gedruckt worden. Spter trat das Naturrecht eines Hugo Grotius hinzu. Der Disziplinbegriff der oranischen Heeresreform wird in diesen Zusammenhang gestellt. Nachweisbar haben vor allem hohe preußische Amtstrger der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts an der Universitt Leiden studiert und Kontakt zu diesem Gedankengut gehalten. Der Neustoizismus hat vor dem Kalvinismus auf die Fîhrungsschichten im Osten eingewirkt, und in den Jahren 1634 – 1638 hat dann der sptere Große Kurfîrst niederlndische Impulse erfahren; er hat auch Leiden selbst erlebt, wenngleich die Quellen îber diese Einflîsse keinen konkreten Aufschluß geben.82 An der Frankfurter Universitt zeigt der gedruckte Bibliothekskatalog von 1676 eine ungewçhnlich reiche Sammlung der Werke des Justus Lipsius.83 Dies waren langfristige Wirkungen, Wirkungen der europischen Geistesund Bildungsgeschichte, und nur schwer sind sie mit den Quellen sicher zu fassen. Um 1600 setzen diese Strçmungen ein, und sie wirkten eher auf lange Dauer. Um 1613/18 hatten sie Brandenburg-Preußen noch nicht modernisiert. Mit der ˜berlast territorialer Neuerwerbungen, nur durch die Person schwacher

81 Gerhard Oestreich, Calvinismus, Neustoizismus und Preußentum, in: JbGMitteldtld 5 (1956), S. 157 – 181, hier S. 158 f.; Ders., Fundamente preußischer Geistesgeschichte. Religion und Weltanschauung in Brandenburg im 17. Jahrhundert, zuerst 1970, wieder in: Ders., Strukturprobleme der frîhen Neuzeit. Ausgewhlte Aufstze, hg. von Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 275 – 297, hier S. 285; vgl. schon die wichtige Rezension von Dems., in: ForschBrandPrG 48 (1936), S. 210; vgl. damit O. Hintze, Kalvinismus … (s. Anm. 58), S. 260, S. 263, S. 266. 82 G. Oestreich, Calvinismus … (s. Anm. 81), S. 163 – 170, S. 172, S. 176 f.; Ders., Fundamente … (s. Anm. 81), S. 283 – 286; Ders., Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547 – 1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, hg. von Nicolette Mout (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 38), Gçttingen 1989, S. 192 f.; Ders., Politischer Neustoizismus und Niederlndische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen, zuerst 1964, wieder in: Ders., Geist und Gestalt des frîhmodernen Staates – Ausgewhlte Aufstze, Berlin 1969, S. 101 – 156, hier S. 103, S. 113 ff., S. 118, S. 124 und bes. S. 139 – 156. 83 Johann Christoph Becmann, Memoranda Francofurtana Notitia Universitatis …, Frankfurt an der Oder 1676, S. 280 f. (Lipsius), S. 212 (Grotius).

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Monarchen mit dem brandenburgischen Zentrum verbunden und im Innern ungefestigt, trat dieser Staat in die Jahrzehnte der europischen Krisen.

§ 2 Die Krise des 17. Jahrhunderts in Brandenburg-Preußen Schon den Zeitgenossen des frîhen 17. Jahrhunderts trat der enge Bezug von Innen- und Außenpolitik deutlich vor Augen. Die Rîstungen im Angesicht der zunehmend schroffer werdenden konfessionellen Konfrontation im Heiligen Rçmischen Reich und darîber hinaus wirkten auf die Territorialstaaten zurîck. Seit sich 1608 beziehungsweise 1609 evangelische Union und katholische Liga gebildet hatten, standen sich zwei „Militrblçcke unversçhnlich gegenîber“.84 Sofort ergaben sich fîr die brandenburg(-preußische) Politik ernste Probleme, nicht nur deshalb, weil die Rîstung an sich im brandenburgischen Landesstaat ebenso rîckstndig war, wie etwa die Ausprgung der zivilen Institutionen; man denke an die vergleichsweise spte Begrîndung des Geheimen Rates nach dem Vorbild von Territorien, die lngst so weit waren. Wollte Kurbrandenburg der protestantischen Union beitreten, so mußte es außer zu finanziellen Leistungen an dieses Bîndnis auch dazu in der Lage sein, seine Kriegsorganisation zu reformieren, es mußte ein Defensionswerk (nach pflzischem Muster) schaffen, sich jedenfalls dazu verpflichten; politische Rîcksichten, und zwar solche auf Kursachsen, traten hindernd und verlangsamend hinzu. Bevor er 1610 mit zweijhriger Verzçgerung der Union beitrat, hatte der Kurfîrst sich an die Stnde gewandt; diese aber wiesen gerade hinsichtlich der Territorialexpektanzen im Westen entschieden auf den Weg der gîtlichen Einigung.85 Auch sonst haben sie von teuren politischen oder gar gewaltsamen Aktionen abgeraten, haben – ganz im Sinne des lteren Stndepazifismus – dringend empfohlen, Frieden zu halten und die Gesetze des Heiligen Rçmischen Reiches zu beachten, wie sie îbrigens in der Kurmark auch erklrten, an der preußischen Sache gnzlich uninteressiert zu sein. Kriege, das wußten und das fîrchteten sie, waren riskant und auf jeden Fall teuer. Wenn der Kurfîrst gleichwohl die Aktivitt suche, etwa in Preußen, dann solle er das aus seinen 84 Vgl. Heinz Schilling, Aufbruch und Krise. Deutschland 1517 – 1648 (= Siedler Deutsche Geschichte), Berlin 1988, S. 402. 85 H.-J. Herold, Markgraf Joachim Ernst … (s. Anm. 32), S. 73, S. 79, S. 128 – 131; E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 138 f.; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 378 ff.; Fritz Wolff, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westflischen Friedenskongreß. Die Einfîhrung der konfessionellen Stndeverbindungen in die Reichsverfassung (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 2), Mînster 1966, S. 38; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 63), S. 182; H. Croon, Landstnde … (s. Anm. 52), S. 154 f.

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eigenen Geldern finanzieren. Zu Bewilligungen wollten sich adlige und stdtische Landeseliten nicht verstehen.86 Wenn aber îberhaupt Bewilligungen ausgesprochen wurden, so immer nur in sehr begrenzter Hçhe und auf kurze Fristen. Auf keinen Fall sollten sich aus diesen Bewilligungen dauernde Einnahmen fîr den Kurfîrsten ergeben, der 1617 mit zwei Millionen Talern in nach den Maßstben der Zeit ganz erheblicher Verschuldung stand.87 Kurz vor Ausbruch des großen Krieges betrug die Kreditbelastung des Landesherrn fast zehn Jahreseinnahmen aus der Mark. Unter diesen Umstnden nun sollte die Militrverfassung Brandenburgs ganz besonderen Anforderungen ausgesetzt werden. Das, was der Kurfîrst im Bedarfsfalle aufbieten konnte, war auch um 1600 das Lehnsaufgebot der Ritterschaft und das „Fußvolk“ der Stdte. Auch fîr das auf dem Lehnsrecht beruhende Aufgebot waren bisweilen vorherige Verhandlungen erforderlich. „Musterungen“ sollten den Zustand der bewaffneten Potentiale zeigen, auch dessen Ausrîstung. Dabei ist es, wie um 1610 wohl erinnerlich war, dann auch vorgekommen, daß das Resultat nicht eben îberzeugte, d. h., daß „kleine schwache Klepper, oder auch Kutscher, Vçgete, Fischer und dergleichen schlimb und unversucht Lumpengesinde, die ihrer viel wie bei den vorigen Musterungen geschehen, und statt guther starker hengste und versuchter ehrlicher reißiger Knechte mit zur Stelle“88 waren, deren potentieller Kampfwert nur gering sein konnte. Jeder rîstete sich selbst aus, die von Adel konnten Stellvertreter stellen. Landschaftliche Rossdienstverzeichnisse legten die Grundlagen fîr die Durchfîhrung der Aufgebote. In den Stdten waren grundstzlich alle angesessenen Bîrger pflichtig, das Haus wurde als militrische Einheit betrachtet, und die Rîstung gehçrte zum Inventar der Huser. In der Praxis wurde der „Ausschuß“ berufen, d. h. eine Auswahl, etwa der vierte oder jeder zehnte Mann, ganz nach 86 H. Croon, Landstnde … (s. Anm. 52), S. 42, S. 104 f., S. 118, S. 120; Eduard Clausnitzer, Die mrkischen Stnde unter Johann Sigismund, phil. Diss. Leipzig 1895, S. 49 f.; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 328 f.; M. Klinkenborg (Hg.), Acta Brandenburgica … (s. Anm. 42), 1, S. 380 ff., Nr. 339 und 341, u. ç. 87 Kurt Breysig, Der brandenburgische Staatshaushalt in der zweiten Hlfte des siebzehnten Jahrhunderts, in: JbGesetzgebungVerwalt 16 (1892), S. 1 – 42, S. 449 – 526, hier S. 464; H. Croon, Landstnde … (s. Anm. 52), S. 166, S. 197 f.; und wiederum R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 371, S. 377 f. 88 Die Quellenstelle bei Philipp Wilhelm Gercken (Hg.), Diplomataria veteris Marchiae Brandenburgensis, 1, Salzwedel 1765, S. 715 (kurfîrstliches Reskript vom 24. Februar 1610), insgesamt S. 711 – 716; C. von Eickstedt, Beitrge zu einem neueren Landbuch der Marken Brandenburg. Prlaten, Ritter, Stdte, Lehnschulzen oder Rossdienst und Lehnwahr, Magdeburg 1840, S. 99 – 127; ferner C. Jany, Armee … (s. Anm. 49), S. 4 – 9; wichtige Fallstudie: Paul Schwartz, Die Neumark whrend des dreißigjhrigen Krieges, 2 Tle. (= Schriften des Vereins fîr Geschichte der Neumark. Geschichte der Neumark in Einzeldarstellungen), Landsberg a. W. 1899/1902, hier Teil 1, S. 11 – 15.

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Bedarf. Auch fîr die Stdte waren freilich die Verfallserscheinungen in der bisherigen militrischen Ordnung nur allzu deutlich geworden,89 mochte man sich auch der Rîckstndigkeit angesichts der fortgeschrittenen Waffen- und Kriegstechnik in Brandenburg nicht bewußt sein. Rund 4.000 Mann wurden in den Rollen als stdtisches Fußvolk vorgesehen, hinzu kamen genau 1.073 und Dreiviertel Ritterpferde, die – also ganz unterschiedlich – ausgerîstet mit Mann und Waffen zu stellen waren.90 Die Offiziere wurden zu Beginn des Dreißigjhrigen Krieges in Brandenburg von der Ritterschaft ausgewhlt und von ihr auch besoldet.91 Zwar war schon im 15. Jahrhundert dazu geschritten worden, bei Bedarf zustzlich Sçldner in den Dienst zu nehmen, aber dieses Verfahren war mit außerordentlichen Aufwendungen verbunden und nur dann durchzufîhren, wenn die Stnde – ganz entgegen ihrer Neigung – zu Bewilligungen fîr diesen Zweck zu bringen waren. Nach der kurzen Frist, fîr die diese Bewilligung ausgesprochen worden war, mußte die Truppe wieder abgedankt werden. Im großen Kriege konnte freilich dann, wenn auf Zeit, etwa 1635/38, zwei Fußregimenter auf der Basis stndischer Bewilligungen zusammengebracht wurden, der Eindruck entstehen, als handelte es sich um „der Stnde eigene Truppen“.92 Aber der Versuch, im Angesicht der kommenden Dinge, vor 1620, nach dem Vorbild anderer Territorien93 die Landesverteidigung zu reformieren, d. h. systematischer zu gestalten, etwa eine modernere landmilizfçrmige Einrichtung zu schaffen, ist an der dagegen opponierenden Mehrheit der kurmrkischen Stnde gescheitert. Brandenburg blieb insofern ausgerechnet auf militrischem Gebiete hinter den Entwicklungen zurîck,94 und das, obwohl die Bedrohungslage – wie 89 C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 12 – 16; Ders., Die Anfnge der alten Armee, 1 (= Urkundliche Beitrge und Forschungen zur Geschichte des Preußischen Heeres, 1), Berlin 1901, S. 3 ff.; Carl Ganzel, Die Bevçlkerung Perlebergs im 30jhrigen Krieg, in: ForschBrandPrG 50 (1938), S. 311 – 330, bes. S. 312. 90 Curt Jany, Lehndienst und Landfolge unter dem Großen Kurfîrsten, in: ForschBrandPrG 8 (1895), S. 419 – 467, hier S. 420, S. 422 f.; Ders., Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 9 ff. 91 S. Johannes Schultze, Die Prignitz. Aus der Geschichte einer mrkischen Landschaft (= Mitteldeutsche Forschungen, 8), Kçln/Graz 1956, S. 189; ferner C. Jany, Anfnge … (s. Anm. 89), S. 5, folgendes S. 13 und S. 35 ff.; Friedrich Meinecke, Reformplne fîr die brandenburgische Wehrverfassung zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, in: ForschBrandPrG 1 (1888), S. 425 – 450, hier S. 438. 92 Otto Meinardus, Schwarzenberg und die brandenburgische Kriegsfîhrung in den Jahren 1638 – 1640, in: ForschBrandPrG 12 (1899), S. 411 – 463, das Quellenzitat S. 418. 93 Gerhard Oestreich, Zur Heeresverfassung der deutschen Territorien von 1500 bis 1800. Ein Versuch vergleichender Betrachtung, zuerst 1958, wieder in: Ders., Geist … (s. Anm. 82), S. 290 – 310, bes. S. 297 – 302. 94 F. Meinecke, Reformplne … (s. Anm. 91), S. 443 f., S. 448 ff.; C. Jany, Lehndienst … (s. Anm. 90), S. 425 f.; Johannes Schultze, Das mrkische Landesaufgebot, in: Erich Kittel (Hg.), Mrkisches Soldatentum (= Brandenburgische Jahrbîcher, 2), Potsdam/

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sich bald zeigen sollte – gerade fîr die Landschaften an Elbe und Oder besonders eklatant sein sollte. Hingegen ist es im Herzogtum Preußen um 1600 noch rechtzeitig gelungen, die „Landesdefension“ zu reorganisieren. Hier waren die alten kreishnlichen „Hauptmter“ der Rîckhalt der territorialen Verteidigungsorganisation. Whrend in der Mark buerliche Aufgebote – wohl aus Grînden, die in der Ausprgung gutsherrschaftlicher Strukturen zu suchen sind – außer ˜bung kamen, sind im Herzogtum Preußen die frîhen Rekrutierungen immer schon auf sehr viel breiterer sozialer Basis angelegt gewesen. Hier wurde bis in das 17. Jahrhundert ein „Ausschuß“ von Stdten und Dçrfern, diese auf Bauernpferden, berufen, in den polnischen Gegenden in ˜bersetzung „Wibranzen“ genannt, ohne daß eine genaue Festlegung zu Zahl und Zeit îblich gewesen wre. Hinzu traten Dienstpflichtige, die mit dem mrkischen Lehnsaufgebot verglichen worden sind. Das buerliche Element in der (ost)preußischen Wehrverfassung war vor allem auf dem – wie wir schon hçrten – dort besonders massiven landesherrlichen, zumal dem Domnenland zu finden.95 Der Adel spielte auf diesem Felde eine eher untergeordnete Rolle. Wenn auch die Wirkungen nur temporre gewesen sind, so ist doch – auch hier gegen stndische Opposition – ganz im Osten an einem fçrmlichen „Defensionswerke“ gearbeitet worden. Zeughuser wurden geschaffen und Waffen gekauft, die Bestellung der Offiziere wurde verbessert, fîr die Verproviantierung Sorge getragen und auch an militrische Exerzitien dieser bewaffneten „Zivilisten“ wurde gedacht. Es war in der Tat ein Kalvinist, der Burggraf Fabian zu Dohna, ein Mann militrischer Erfahrung in Frankreich, den Niederlanden und auch in Rußland, der die Arbeit an dem Defensionswerk leitete; die Notwendigkeit dazu hatte sich aus dem nahen schwedisch-polnischen Konflikt ergeben, der schon nach 1600 preußisches Gebiet berîhrte. Allerdings stießen diese frîhen militrischen Reformen aus westeuropischen Impulsen im çstlichen Preußen auf die harte Opposition nicht nur der Adelsstnde, sondern auch Polens;96 eine nachhaltige Strkung etwa Brandenburg-Preußens insgesamt ist davon noch nicht ausgegangen. Der Kurfîrst in Berlin-Cçlln verfîgte allein îber eine kleine Trabanten-Truppe, d. h. eine Leibgarde, die îbrigens seit 1615/20 bereits blaue Uniformen getragen hat. Hinzu kamen die zahlenmßig nicht sehr bedeutenden

Berlin 1936, S. 73 – 80, hier S. 76; Ders., Brandenburg … (s. Anm. 63), 4, S. 196 f.; und C. Jany, Anfnge … (s. Anm. 89), S. 6 f. 95 C. Jany, Anfnge … (s. Anm. 89), S. 8 – 12; Ders., Lehndienst … (s. Anm. 90), S. 433 ff., und Ders., Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 23 – 30. 96 H. Immekeppel, Herzogtum … (s. Anm. 20), S. 55 – 57; wichtig: Ullrich Marwitz, Staatsrson und Landesdefension. Untersuchungen zum Kriegswesen des Herzogtums Preußen 1640 – 1655 (= Militrgeschichtliche Studien, 31), Boppard am Rhein 1984, S. 18 f.; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 26 ff.; Hans G. Schmidt, Fabian von Dohna (= HallAbhhNeuerG, 34), Halle a. S. 1897, S. 188 ff.

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Mannschaften in den Festungen Kîstrin, Peitz, Spandau und Driesen.97 Das war nicht viel, schon gar nicht genug fîr die kommenden Krisen. Es ist umstritten, ob es Krisenzeichen, nicht solche im engeren militrischpolitischen Sinne, schon vor dem Kriegsausbruch gegeben hat und ob auch Brandenburg-Preußen dafîr ein Beispiel ist. Schuldendruck und nachlassende Geldwertstabilitt schufen im Brandenburg des frîhen 17. Jahrhunderts bereits sehr ernste Probleme, und gerade seit 1618 fîhrten die Folgen von Mînzverschlechterung, Scheinkonjunktur und çkonomischen Verfallserscheinungen zu stdtischen Unruhen.98 Ob man um 1600 in Brandenburg schon von einer çkonomischen Krise sprechen kann, ist unlngst bestritten worden;99 immerhin ist die Verschuldungslage sowohl vom Kurfîrst als auch beim Adel nicht zu leugnen, und die Konjunktur hatte sich um 1600 deutlich abgeschwcht. Mißernten traten hinzu. Auf dem Lande hat die Armut am Ende des 16. Jahrhunderts, vor allem aber im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts zugenommen. Bettler und vagierende Landsknechte, herrenloses Gesindel aller Art wurden zum Problem.100 Die Krisenstimmung, gefçrdert durch klimatische 97 August Wilhelm Prinz von Preussen, Die Entwicklung der Kommissariats-Behoerden in Brandenburg-Preussen bis zum Regierungs-Antritt Friedrich Wilhelms I., Rechtsund staatswiss. Diss. Straßburg 1908, S. 8; C. Jany, Anfnge … (s. Anm. 89), S. 19, S. 24 – 28, S. 46, S. 80, u. ç. 98 Fritz Redlich, Die deutsche Inflation des frîhen Siebzehnten Jahrhunderts in der zeitgençssischen Literatur: Die Kipper und Wipper (= Forschungen zur internationalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 6), Kçln/Wien 1972, S. 55 – 58, S. 62; H. Rachel / J. Papritz / P. Wallich, Berliner Großkaufleute … (s. Anm. 49), 1, S. 381 f.; Wilhelm Zahn, Die Altmark im dreißigjhrigen Kriege, Halle a. S. 1904, S. 2; E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 148 – 155, S. 292 f. 99 William W. Hagen, Seventeenth-Century Crisis in Brandenburg: The Thirty Years’ War, The Destabilization of Serfdom, and the Rise of Absolutism, in: The American Historical Review 94 (1989), S. 302 – 335, hier S. 313 f. 100 Peter-Michael Hahn, Adel und Landesherrschaft in der Mark Brandenburg im spten Mittelalter und der frîhen Neuzeit, in: JbBrandenbLdG 38 (1987), S. 43 – 57, bes. S. 56, S. 63; wichtig jetzt insbesondere die landesgeschichtlichen Quellenforschungen von Lieselott Endres, Die Uckermark. Geschichte einer kurmrkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (= Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, 28), Weimar 1992, S. 302 – 305; Dies., Produktivkraftentwicklung und Marktverhalten. Die Agrarproduzenten der Uckermark im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte, Jg. 1990, Teil 3, S. 81 – 105, hier S. 81; dies., Entwicklungsetappen der Gutsherrschaft vom Ende des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, untersucht am Beispiel der Uckermark, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 12 (1988), S. 119 – 166, hier S. 159; neuerdings Dies., Die Prignitz. Geschichte einer kurmrkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (= Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 38), Potsdam 2000, S. 369 – 373, u. ç.; Dies., Das Renaissanceschloß Freyenstein und sein Architekt, in: JbBrandenbLdG 43 (1992), S. 56 – 67, bes. S. 64 ff.; Klaus Schwarz, General Hans Georg von Arnim und die Berliner Handelshuser Weiler und Essenbrîcher im Drei-

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Verschlechterungen, lßt sich sogar in geistlichen Texten um 1600 nachweisen, in denen kommende Untergnge prophezeit wurden.101 Objektive Befunde und subjektive Krisen-Stimmungen wirkten also zusammen, Wahrnehmungen, denen Zeittypisches anhaftet. Dabei schien es zunchst so, als wîrden die Lnder des Kurfîrsten-Herzogs von unmittelbaren Einwirkungen der europischen Kriege um 1620 verschont bleiben. Kurfîrst Johann Sigismund hatte, gesundheitlich schwer angeschlagen, Ende 1619 noch bei Lebzeiten abgedankt und die Regierung seinem Sohn Georg Wilhelm îbergeben.102 Dieser neue Kurfîrst hat die alles andere als aktive Politik dieser Jahre, wie sie das gnzlich îberforderte Brandenburg-Preußen trieb, fortgesetzt, jene „kîmmerliche Verlegenheitspolitik“, von der Reinhold Koser gesprochen hat. „Unberîhrt von verwandschaftlichen und von konfessionellen Rîcksichten“ hat Georg Wilhelm zunchst eine Neutralittspolitik zwischen den Parteien durchzuhalten gesucht. Als sich die protestantische Union nach der Niederlage der Bçhmen 1620 in der Schlacht am Weißen Berg auflçste, hatte sich Kurbrandenburg schon seit Jahren nicht mehr aktiv an diesem Bîndnis beteiligt.103 Auf der einen Seite war Georg Wilhelm mit dem neuen bçhmischen Kçnig aus pflzischem Hause verschwgert und 1620 war es – îbrigens auf Initiative der lutherischen Kurfîrstin-Mutter Anna (von) Preußen – auch noch zu einer Heiratsverbindung zwischen dem brandenburgischen Herrscherhaus und der schwedischen Dynastie gekommen. Ausgerechnet die Schwester des Kurfîrsten Georg Wilhelms wurde von Gustav Adolf von Schweden geheiratet, ohne daß darauf der regierende Brandenburger htte Einfluß ausîben kçnnen. Die hçchst selbstndige Politik der Anna von Preußen hatte Georg Wilhelm, der sich 1620 in Kçnigsberg aufhielt, vçllig îberrascht und brachte angesichts der schwedischpolnischen Auseinandersetzung natîrlich Komplikationen im Verhltnis zum ßigjhrigen Kriege, in: JbGMitteldtld 12 (1963), S. 78 – 102, bes. S. 83; Landarmut: schon Fritz Kaphahn, Die wirtschaftlichen Folgen des 30jhrigen Krieges fîr die Altmark. Ein Beitrag zur Geschichte des Zusammenbruchs der deutschen Volkswirtschaft in der ersten Hlfte des 17. Jahrhunderts, phil. Diss. Leipzig 1911, S. 29 f.; M. Klinkenborg (Hg.), Acta Brandenburgica … (s. Anm. 42), 2, S. 180 (1606). 101 Hartmut Lehmann, Frçmmigkeitsgeschichtliche Auswirkungen der „Kleinen Eiszeit“, in: Wolfgang Schieder (Hg.), Volksreligiositt in der modernen Sozialgeschichte (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 11), Gçttingen 1986, S. 31 – 50, mit Verweis auf brandenburgisches Material S. 30 – 37; Andreas Ritner, Altmrkisches GeschichtBuch …, Neue Aufl., in: Georg Gottfried Kîster, Antiquitates Tangermundenses …, Berlin 1729, S. 21. 102 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 163 ff.; H. von Caemmerer, Testamente … (s. Anm. 30), S. 408 – 414; Eduard Clausnitzer, Aus der Regierungszeit des Kurfîrsten Johann Sigismund von Brandenburg. Zur 300jhrigen Wiederkehr seines Regierungsantritts am 18. Juli 1608, in: HohenzJb 11 (1907), S. 170 – 174, hier S. 174. 103 R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 391, S. 394, S. 406; Fritz Schroer, Das Havelland im Dreißigjhrigen Krieg. Ein Beitrag zur Geschichte der Mark Brandenburg, hg. von Gerd Heinrich (= Mitteldeutsche Forschungen, 37), Kçln/Graz 1966, S. 6.

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Kçnig von Polen als Lehnsherrn in Preußen. Allerdings hat die brandenburgpreußische Gemahlin Gustav Adolfs keine politische Rolle gespielt.104 Der Vorgang ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen natîrlich deshalb, weil in ihm schlagend die ungemeine Schwche des zweiten kalvinistischen Kurfîrsten von Brandenburg und nunmehrigen preußischen Herrschers zum Ausdruck kommt. Kçrperlich schon frîh zerrîttet, fehlte ihm auch nahezu jede persçnliche Voraussetzung fîr eine entschiedenere Politik. Entgegen heroisierender Bilddarstellung war Georg Wilhelm seit 1620 zu wohlberittener Feldherrnpose schon physisch gar nicht in der Lage. Zur Fortbewegung, etwa wenn er von Berlin-Cçlln aus rasch in die sichere Festung Peitz entwich, mußte er sich der Snfte bedienen. Der oft kriegsbedingt notwendige Ortswechsel verschlimmerte das Siechtum,105 das alles waren ideale Voraussetzungen fîr das Aufkommen starker, premierministergleicher Amtstrger in dieser Krisen- und Katastrophenzeit. Zum anderen ist der Heiratsfall von 1620 aber auch deshalb signifikant, weil um 1620 erstmals intensivere Kontakte zwischen BrandenburgPreußen und jener Ostseemacht entstanden,106 Kontakte, die dann fîr mehr als ein Jahrhundert in ein konfliktreiches Neben-, ja Gegeneinander von Brandenburg-Preußen und Schweden einmîndeten. In Preußen sollten zuerst die Einwirkungen der schwedischen Ostsee- und Polenpolitik evident werden, aber in der Mark Brandenburg sind schon um 1620 die ersten Zeichen des „teutschen Krieges“ erschienen, der freilich stets ein europischer war. Zunchst handelte es sich dabei um Durchmrsche fremder Truppen, 1620 und wieder 1623. Immer dann, wenn die akute Gefahr behoben schien, wurden die Geworbenen rasch wieder abgedankt, und die Berliner Garnison von gerademal zwei Leibkompanien, d. h. 350 Mann und 152 Pferden, schien den Ratsmnnern der Residenzstadt schon viel zu viel, so daß es im fînften Jahr des Krieges zur Reduktion auf 70 Mann gekommen ist.107 Daß bayerische Truppen in den westlichen Exposituren, in der Grafschaft Mark und in Ravensberg, standen, schien unvermeidlich. Die brandenburgischen Stnde 104 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 45; Gînter Barudio, Gustav Adolf der Große. Eine politische Biographie, Frankfurt am Main 21985, S. 212 f., S. 220 ff.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 163, S. 166; Fritz Arnheim, Gustav Adolfs Gemahlin Maria Eleonora von Brandenburg (geb. 21. November 1599, gest. 28. Mrz 1655). Eine biographische Skizze, 2: Die Jahre der Ehe, in: HohenzJb 8 (1904), S. 175 – 213, hier S. 184. 105 Otto Meinardus, Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rathes aus der Zeit des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, 1 (= PubllPreussStaatsarch, 41), Leipzig 1889 (auch als ND Osnabrîck 1966), hier die Einleitung: S. XIX f. (diese Edition insgesamt 7 Bde.: Leipzig 1889 – 1919); J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 63), 4, S. 202 ff.; G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 79 f. 106 R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 380 ff., S. 388. 107 F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 6 ff., S. 14 f.; E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 143, S. 148, S. 152 ff.

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hielten an der Linie der „unbewaffneten Neutralitt“ (Isaacsohn) auch dann noch fest, als nun in der Mitte der zwanziger Jahre bei vorrîckenden kaiserlichen Truppen die Mark Brandenburg fîr rund eineinhalb Jahrzehnte zum Kriegs- und Besatzungsschauplatz wurde.108 Das war 1626, ein unterschtztes Epochenjahr der brandenburg-preußischen Geschichte, auch derjenigen seiner politischen Strukturen. Betrachten wir zunchst die politische und militrische Ausgangslage. Nach der Niederlage des dnisch-protestantischen Heeres bei Lutter am Barenberge rîckten massive kaiserliche Truppen zunchst in die Altmark ein und errichteten dort ihr Kontributionssystem. Gleichzeitig standen in den nçrdlichen Gebieten der Mark weiterhin dnische Truppen, und in der Neumark Kosaken. Das Herzogtum Preußen wurde Kriegsschauplatz, ebenfalls 1626, als im schwedisch-polnischen Krieg die Truppen Gustav Adolfs die preußische Ostseelinie okkupierten und das Weichselgebiet, ferner die Seebeziehungsweise Festungsorte Pillau und Memel nahmen respektive blockierten und hohe Abgaben erhoben. Bis 1635 blieben die fremden Truppen im Land; die Defension hatte gegen das îberlegene Heer des Feindes eklatant versagt. Erst nach Abschluß des Stuhmsdorfer Vertrages zogen die Schweden im Jahre 1635 aus Preußen ab. Bis dahin hatte der Feind das çstliche Preußen grîndlich ausgeplîndert. Immerhin gelang es das Schlimmste, mit dem man in Brandenburg durchaus gerechnet hatte, zu verhindern, nmlich das Herzogtum Preußen ganz zu verlieren.109 108 R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 396 f., S. 402 ff. (auch zum Folgenden); Siegfried Isaacsohn (Hg.), Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Stndische Verhandlungen, 2: Mark-Brandenburg (= Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 10), Berlin 1880, S. 29 (diese Serie als Edition fortan zit.: UA); zur Zsur von 1626/27 am brandenburgischen Beispiel immer noch unverzichtbar: J. Gebauer, Kurbrandenburg in der Krisis des Jahres 1627 (= HallAbhhNeuerG, 33), Halle 1896, bes. S. 41 ff. 109 Klaus Richard Bçhme, Die schwedische Besetzung des Weichseldeltas 1626 – 1636 (= Beihefte zum Jahrbuch der Albertus-Universitt Kçnigsberg/Pr., 22), Wîrzburg 1963, bes. S. 17 – 43, S. 73 f.; nach wie vor ist fîr die Geschichte Preußens im 17. und 18. Jahrhundert unverzichtbar das quellengestîtzte (insgesamt sechsbndige) Werk von Ludwig von Baczko, Geschichte Preußens, hier: 5, Kçnigsberg 1798, S. 79 f., S. 82; Ernst Opgenoorth, Die Lande Preußen in ihren Beziehungen untereinander und mit anderen Mchten, in: Ders. (Hg.), Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens. Im Auftrag der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, (II/1) (= Einzelschriften der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 10), Lîneburg (1994), S. 13 – 22, hier S. 19; H. Boockmann, Ostpreußen … (s. Anm. 4), S. 283; aus der lteren Lit. bleiben nîtzlich: Hans Prutz, Preußische Geschichte 1, Stuttgart 1900, S. 343; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 433; und die wichtige Einleitung von B(ernhard) Erdmannsdçrffer in dem von ihm hg. Band: Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich

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Die gleichzeitige Verwicklung Preußens und Brandenburgs in die kriegerischen Konjunkturen Europas seit 1626/27 hatte fîr das Kernland der Dynastie die fatale Nebenwirkung, daß die Mark bis auf wenige Reste von den durch stndische Bewilligungsgelder angeworbenen Truppen entblçßt worden ist. Der Kurfîrst verließ das Land, begleitet von einem Teil seiner Rte. Als Georg Wilhelm im Jahre 1630 in die Mark zurîckkehrte, wurde er von 400 Mann eskortiert. Diese Vorgnge zeigen exemplarisch, daß es auch seit 1626 nicht annhernd gelungen war, ein militrisches Potential bereitzustellen, das der Vielfalt der Konfliktzonen entsprach, in die die brandenburg-preußischen Territorien verwickelt worden waren. Die Mark Brandenburg aber lag strategisch, und das heißt, auch sie war in besonderem Maße bedroht. Zum einen wurde sie im Westen durch die Elbe von einer wichtigen Kommunikationslinie durchzogen; zum anderen sollten aus Nordosten, von der Ostseekîste her, in Kîrze die schwedischen Truppen auf dem Wege zur mitteleuropischen Intervention die Mark Brandenburg als Interessenzone betrachten. Zunchst war es Wallensteins Heer, das (anfangs noch in guter Disziplin) die zentralen brandenburgischen Gebiete besetzte und in Quartierbezirke gliederte, also eine eigene, nicht an die brandenburgischen Kreise angelehnte Landesorganisation schuf.110 Der letzte Rest eines Versuches, durch das viel zu kleine, veraltete und schlecht bewaffnete Lehnsaufgebot und verstrkt durch das stdtische Fußvolk, brandenburgischerseits Widerstand zu leisten, ist 1627 klglich gescheitert; die Mannschaft wurde von kaiserlichen Truppen, unter Wallensteins øgide, technisch, taktisch und quantitativ îberlegen, zersprengt beziehungsweise gefangengenommen. Noch standen auch Dnen im Lande.111 Die Lage war verzweifelt, die Mark und ihre politische Fîhrung standen hilf- und schutzlos da. In dieser Situation zwischen den europischen Lagern und Fronten waren um 1630 in der Mark noch hçchstens 800 oder 900 Mann brandenburgischer Truppe vorhanden. In den Jahren zuvor war die Mark Wilhelm von Brandenburg, Politische Verhandlungen, 1 (= Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1), Berlin 1864, S. 3, S. 10 – 12. 110 C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), S. 51 ff.; J. Schultze, Prignitz … (s. Anm. 91), S. 190 – 195; Otto Hintze, Der Ursprung des preußischen Landratsamts in der Mark Brandenburg, zuerst 1915, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 164 – 203, hier S. 180, und Ders., Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 169 f.; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 63), 4, S. 218 Anm. 39; auch fîr die brandenburg-preußische Geschichte sind jetzt wichtig: Josef Pancˇek u. a. (Red.), Documenta Bohemica Bellum Tricennale Illustrantia, 3, Prag 1976, S. 194 f., S. 201 und in 4, Prag 1974, S. 245 (Nr. 601); O. Liebchen, Der Zug der Mansfelder durch die Mark Brandenburg und der Brand von Nauen 1626, in: Brandenburgia 47 (1938), S. 1 – 11, hier S. 2 – 5; W. Zahn, Altmark … (s. Anm. 98), S. 20 – 25. 111 C. Jany, Lehndienst … (s. Anm. 90), S. 430 f.; F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 31 ff., S. 37 f., S. 136 f.

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wiederholt von Verbnden unterschiedlicher Lager durchzogen und heimgesucht worden.112 Die Lasten, auch diejenigen durch die kaiserlichen Truppen, waren fîr das Land schon in der zweiten Hlfte der zwanziger Jahre katastrophal. In dieser Situation blieb dem kalvinistischen Monarchen wenig anderes îbrig, als sich im Jahre 1627 durch eine Konvention auf die kaiserlich-katholische Seite zu stellen. Unter den Geheimen Rten, die auch in der Folgezeit in politische Parteiungen gespalten waren, verloren zunchst diejenigen an Einfluß, die seit dem Ausbruch der bçhmischen Krise konsequent gegen die katholische Liga gestanden hatten. Nach dem Scheitern der Neutralittspolitik und -partei gewann unter den neuen Bedingungen der große Mann der brandenburgpreußischen Politik in dieser Zeit an durchschlagendem Einfluß, der Mann, der in der Außenpolitik strikt kaiserlich orientiert113 war und in der inneren Politik, ja in Bezug auf die politischen Strukturen des Staates, erstaunlich moderne Zîge aufwies, der Graf Adam zu Schwarzenberg. Der Anschluß an den Kaiser hat aber nicht etwa die Folge gehabt, daß Wallensteins Truppen nun die Mark geschont htten. Auch als Bîndnispartner wurde Brandenburg von der kaiserlichen Soldateska brutal ausgeplîndert.114 Mit dem kaiserlich-brandenburgischen Bîndnis war ein Umschwung der inneren Krfteverhltnisse, derjenigen im Geheimen Rat und in den wesentlichen Fîhrungspositionen der brandenburgischen Politik, einhergegangen. Nun, nachdem feststand, daß der Anschluß an den Kaiser keine Erleichterung fîr das 112 Karl Spannagel, Konrad von Burgsdorff. Ein brandenburgischer Staatsmann aus der Zeit des Kurfîrsten Georg Wilhelm und Friedrich Wilhelm (= Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hauses Hohenzollern, 5), Berlin 1903, S. 13 f.; niedrigere Zahlen bei Martin Lezius, „Zweierlei Tuch“ in der Mark, in: Erich Kittel (Hg.), Mrkisches Soldatentum (= Brandenburgische Jahrbîcher, 2), Berlin 1936, S. 130 – 137, hier S. 130; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 413 f., S. 417. 113 Neben der lteren Arbeit von J. W. C. Cosmar, Beitrge zur Untersuchung der gegen den kurbrandenburgischen Geheimen Rath Grafen Adam zu Schwarzenberg erhobenen Beschuldigungen. Zur Berichtigung der Geschichte unserer Kurfîrsten George Wilhelm und Friedrich Wilhelm, Berlin 1828, S. 45 f., S. 53; jetzt insbesondere zur politischen Geschichte dieser Zeit aus intensiven Aktenstudien: Ulrich Kober, Eine Karriere im Krieg. Graf Adam zu Schwarzenberg und die kurbrandenburgische Politik von 1619 bis 1641 (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 24), Berlin 2004, dazu die Rezension von Wolfgang Neugebauer, in: HZ 281 (2005), S. 181 f.; ferner J. Gebauer, Kurbrandenburg … (s. Anm. 108), S. 24 – 115; und G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 9, S. 11 f.; aus der allgemeinen Literatur vgl. Geoffrey Parker, Der Dreißigjhrige Krieg, Darmstadt 21987, S. 192 f.; H. Prutz, Preußen … (s. Anm. 4), 1, S. 341 f. 114 F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 40 – 54; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 63), 4, S. 222 – 225, S. 232; E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 168 – 176; wichtig: Gerhard Oestreich, Kurt Bertram von Pfuel. Leben und Ideenwelt eines brandenburgischen Staatsmannes und Wehrpolitikers, in: ForschBrandPrG 50 (1938), S. 201 – 249, hier S. 207.

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Land gebracht hatte, kam es im Geheimen Rat zu einem neuerlichen Wechsel, als die Krfteverhltnisse im Reich und speziell im brandenburg-pommerschen Nordosten die Lage vernderten. Schon mit dem Restitutionsedikt des Jahres 1629 wurde katholischerseits auch Anspruch auf brandenburgisches Bistumsgebiet, zumal auf dasjenige der Stifter Brandenburg und Havelberg erhoben. Der Kaiser begann Pfrînden im Brandenburgischen selbstndig zu vergeben, markantes Beispiel fîr das Auftreten der kaiserlichen Macht im Heiligen Reich auf dem Hçhepunkt des Einflußes Ferdinands II. Gegen das Restitutionsedikt im Allgemeinen und dessen Anwendung im Brandenburgischen insbesondere hat die brandenburgische Politik massiv Stellung bezogen, auch z. B. auf dem Regensburger Kurfîrstentag des Jahres 1630.115 Die Abkehr vom bisherigen Bîndnis wurde endgîltig unabweisbar, als nun Gustav Adolf in Deutschland intervenierte und 1631 mit vielfach îberlegener Truppenmacht im Erbgebiet Kurfîrst Georg Wilhelms erschien. Eine nur wenige Jahre spter publizierte Darstellung des schwedischen Historiographen Chemnitz hat ganz unverblîmt und offenbar nach guten Quellen geschildert, wie Gustav Adolf 1631 nach Berlin gezogen ist, wie er erst mit dem wieder anwesenden Kurfîrsten in einem kleinen Wald bei Treptow verhandelt hat und wenig spter – aller verwandschaftlicher Beziehungen ungeachtet – von Spandau aus vor die Residenz „Berlin vnd Cçln“ zog, mit Unheil, Blutvergießen und Plînderung drohte und seine Armee „in Schlachtordnung“ aufstellte. Die „Stîcke“ wurden „auf die Residentz (ge-)plantzt“, also offenbar auf das kurfîrstliche Schloß gerichtet. Die Wirkung nicht nur auf den Kurfîrsten, sondern auch auf die „Frawenzimmer“ am brandenburgischen Hofe, die bei den Verhandlungen eine Rolle gespielt haben, war dann durchschlagend. Das Ergebnis war ein Vergleich, in dem Kurbrandenburg dem Schwedenkçnig hinsichtlich der Durchmarschrechte, der Festungen Kîstrin und Spandau und bezîglich brandenburgischer Kontributionszahlungen weit entgegengekommen ist.116 Zuvor hatten schwedische 115 Druck des Restitutionsediktes vom 16. Mrz 1629 bei Michael Caspar Londorp, Der Rçmischen Kayserlichen Majestt Und Deß Heiligen Rçmischen Reichs Geist- und Weltlicher Stnde/Chur- und Fîrsten/Grafen/Herren und Stdte Acta Publica …, 3., Frankfurt am Main 1668, S. 1048 – 1055; Johannes Gebauer, Das evangelische Hochstift Brandenburg und die Restitutionsplne Kaiser Ferdinands II., in: 29. und 30. Jahres-Bericht des Historischen Vereins zu Brandenburg a. d. H., Brandenburg a. d. H. 1898, S. 39 – 51, bes. S. 40 – 44, S. 46, S. 49 – 51; Johannes H. Gebauer, Kurbrandenburg und das Restitutionsedikt von 1629 (= Hallesche Abhandlungen zur Neueren Geschichte, 38), Halle 1899, S. 63; F. Wolff, Corpus … (s. Anm. 85), S. 42; vgl. auch Leopold von Ranke, Geschichte Wallensteins, 6. durchges. Aufl. Leipzig 1910, S. 250 ff.; schließlich die klassische Studie von Fritz Dickmann, Der Westflische Frieden, Mînster 31972, S. 528 zu S. 63; G. Oestreich, Pfuel … (s. Anm. 114), S. 207; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 422 – 428. 116 Bogislaff Philip von Chemnitz, Kçniglichen Schwedischen In Teutschland gefîhrten Krieg Erster Theil …, Stettin 1648, S. 143, S. 170; ausfîhrlicher bei W. Neugebauer,

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Truppen auf eklatante Weise Frankfurt an der Oder genommen, die kaiserlichen Truppen îberwunden und die Stadt grausam ausgeplîndert.117 Die „brandenburgische Kriegsmacht“ war in diesem Jahr auf 1.600 Mann gebracht worden, das Festungspersonal mit eingerechnet, ein Potential, mit dem in der Tat nichts auszurichten war gegen die europische Macht aus dem Norden, die zudem auf das nahe Pommern seine Interessen auszurichten begann. Brandenburg war fîr knapp ein halbes Jahrzehnt im schwedischen Bîndnis und im schwedischen Griff. Vertragsgemß durfte der Kurfîrst nur eine bestimmte Truppenzahl im eigenen Lande werben.118 Mit dem ˜bergang in das schwedische Lager ist um 1630 in Brandenburg – auf Zeit – „die kalvinistischantikaiserliche Partei … zum Siege gelangt“.119 Diese mußte sich nun ihrerseits in den Diskussionen des Geheimen Rats vorhalten lassen, daß Schweden das (doch im Bîndnis befindliche) Land mißhandele und aussauge, so daß îber eine Wiederannherung an den Kaiser 1634 diskutiert worden ist,120 eine Entscheidung, die nach Schwedens Niederlage in der Schlacht bei Nçrdlingen in eben diesem Jahre dann praktisch anstand. Die immer massiver vorgetragenen Ansprîche Schwedens auf Pommern verschrften den Gegensatz zu Brandenburg. Der Beitritt des Kurstaates zum Prager Frieden des Jahres 1635 lag in der Logik dieser Entwicklung.121

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Hohenzollern … (s. Anm. 33), 1, S. 144; T. v. Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 105 – 108; auch dazu F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 52. Felix Plage, Die Einnahme der Stadt Frankfurt an der Oder durch Gustav Adolph, Kçnig von Schweden am 3. April 1631 (= Schriften zur Geschichte der Haupt- und Handelsstadt Frankfurt a. d. Oder, 2), Frankfurt a. d. Oder 1931, S. 23 – 32; G. Parker, Krieg … (s. Anm. 113), S. 204; G. Barudio, Gustav Adolf … (s. Anm. 104), S. 502; Ders., Der Teutsche Krieg 1618 – 1648, Frankfurt am Main 1985, S. 349; und speziell Johannes Kretzschmar, Die Allianzverhandlungen Gustav Adolfs mit Kurbrandenburg im Mai und Juni 1631, in: ForschBrandPrG 17 (1904), S. 341 – 382, bes. S. 341, S. 343, S. 348 – 353, S. 369 f., S. 378 ff., u. ç. J. Kretzschmar, Allianzverhandlungen … (s. Anm. 117), S. 379. G. Oestreich, Pfuel … (s. Anm. 114), S. 206. Geheimes Rats-Protokoll vom 29. Januar/8. Februar 1634, gedruckt bei Georg Irmer, Die Verhandlungen Schwedens und seiner Verbîndeten mit Wallenstein und dem Kaiser von 1631 bis 1634, 3. (= PubllPreussStaatsarch, 76), Leipzig 1891, S. 229 – 239, bes. S. 230 ff. Druck bei (Johann Jacob Schmauss / Christian von Senckenberg), Neue und vollstndigere Sammlung der Reichs-Abschiede … 3, Frankfurt am Main 1747, S. 534 – 548 (20./30. Mai 1635), bes. S. 541 f.; F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 76 f.; s. auch T. v. Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 113 – 121; einschlgig ferner Dieter Albrecht, Die Kriegs- und Friedensziele der deutschen Reichsstnde, in: Konrad Repgen (Hg.), Krieg und Politik 1618 – 1648. Europische Probleme und Perspektiven (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 8), Mînchen 1988, S. 241 – 273, hier S. 247 f.; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 1, S. LXXIII f.; Ders., Schwarzenberg … (s. Anm. 92), S. 412.

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Es ist deutlich, daß Kurbrandenburg beziehungsweise Brandenburg-Preußen zu einer Politik aus eigenem Programm und Kurs nicht in der Lage war. Ausgeplîndert von Freund und Feind, gab es dem jeweils nchsten Drucke nach, und die Wechsel der innerbrandenburgischen Parteiungen und Gruppierungen, die die Regierung und die Politik bestimmten, folgte dem Wechsel der Mchtekonstellation. Damit wird vor 1640 ein Charakteristikum brandenburgpreußischer Politik erkennbar, das in der Zeit des Großen Kurfîrsten erneut entgegentreten wird, nicht aber ein Spezifikum seiner Regierungsfîhrung im europischen Gravitationsfeld der grçßeren Mchte gewesen ist. Auch die Interdependenz von ußerer (Bîndnis-)Konstellation und innerbrandenburgischer Fraktionsdominanz ist vor und nach 1640 gegeben gewesen. Sie war zugleich Resultat struktureller und ressourcenmßiger Defizite des Brandenburg-Preußens, dem alle Voraussetzungen und Mittel fîr einen eigenstndigeren Kurs in derjenigen europischen Politik fehlten, in die es seit 1609/18 latent, und seit 1626 dramatisch gestellt worden war. Mit dem Prager Frieden von 1635 war nun der Wiederanschluß an das kaiserliche und kurschsische Lager vollzogen. Brandenburg wurden seine Ansprîche an Pommern besttigt, und dies war ein wesentliches Motiv fîr den brandenburgischen Schritt in das katholisch-reichische Lager, der aber mit schweren Klauseln verknîpft war. Der Prager Frieden sah ja generell vor, daß das „Volck“ aller beteiligten Reichsstnde in die „Pflicht“ des Kaisers genommen werden sollte, nur die Besatzung von Festungen ausgenommen. Ferner bestimmte der Prager Friedensschluß, daß aus allen beteiligten Truppenkçrpern ein „der Rçmischen Kays. Majest. und deß H. Rçmischen Reichs Kriegs Heer“ gebildet werden solle; dieses stand zu einem Teil unter schsischem, zum anderen Teil unter direkten kaiserlichem Kommando; mit diesem Reichsheer sollte gegen all diejenigen nach 1635 vorgegangen werden, die sich diesem Versuch einer Friedensstiftung durch die katholischreichisch-schsische Partei (ohne die Exzesse einer Restitutionspolitik) widersetzen wîrden. Die brandenburgischen Truppen sind in der Tat zu wesentlichen Teilen schsischem Kommando unterstellt worden;122 allerdings drngten gerade jetzt die Stnde auf weitere Reduktionen. Freilich hat sich Schweden eben in das Prager System nicht einbinden lassen. War Brandenburg bis dahin im wesentlichen – eine Ausnahme ist Frankfurt 1631 – Durchmarsch-, Aufmarsch- und Requisitionsgebiet gewesen, so wurde es nun direkt in die Kmpfte verwickelt und – mehr noch – in der Folge vom Feind besetzt. Allerdings hatten auch Sachsen und Kaiserliche das Gebiet ihres Verbîndeten wie Feindesland behandelt. Die Schlacht bei Witt122 J. J. Schmauss / C. von Senckenberg, Reichs-Abschiede … (s. Anm. 121), 3, S. 544 f.; brandenburgische Umsetzung: O. Meinardus, Schwarzenberg … (s. Anm. 92), S. 412 ff.; Ders., Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. XI; T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 123 f., Nr. 60.

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stock am 24. September 1636 als entscheidender Sieg der Schweden war fîr Brandenburg ein politisches wie militrisches Desaster. Der Kurfîrst flîchtete erst in die Festung Peitz, wo er hilflos und abgeschlossen saß, und 1638 ganz nach Kçnigsberg. Die folgenden fînf Jahre waren die hrteste Zeit fîr Land und Menschen, durchzogen und ausgesogen von den verschiedenen Kriegsparteien und von den brandenburgischen Soldaten auch.123 Wichtiger als die militrischen und politischen Details dieser Jahre ist nun aber das Faktum, daß es der schon erwhnte Graf Schwarzenberg gewesen ist, der nicht nur den Beitritt zum Prager Frieden betrieben hat, sondern der nun auch erneut die politische Fîhrung nach außen und nach innen îbernahm. Es war ganz wesentlich dieser Katholik, der gegen die Mehrheit der Geheimen Rte Brandenburg-Preußen im antischwedischen Lager hielt und der zugleich die konkurrierenden Ansprîche auf Pommern gegen die Ostseemacht verfocht.124 Die Person Schwarzenbergs war immer umstritten, und dabei spielten konfessionelle Aversionen in der preußisch-protestantischen Historiographie keine geringe Rolle. Daß er in zeittypischer Weise in seiner Position auch eigene materielle Interessen im Auge gehabt hat, kann bei den Usancen dieser Zeit ernstlich nicht verwundern; die schroffe Behauptung in der lteren Historiographie, Schwarzenberg habe auf den Untergang des brandenburg-preußischen Staates hingearbeitet, er habe den finanziellen Zusammenbruch herbeifîhren und dann einen „Staatsstreich“ (Bonin) versuchen wollen, geht entschieden zu weit. Hingegen zeigen neuere tschechische Quelleneditionen, daß Schwarzenberg bei aller Entschlossenheit die kaiserliche Koalition zu fçrdern, doch ganz entschieden fîr die Interessen des brandenburgischen Landes und fîr dessen Schonung auch gegenîber Ferdinand II. eingetreten ist.125 Vor 1630 und noch 123 Lothar Hçbelt, Wittstock und die Folgen. Vom Prager Frieden zur Wende des Krieges, in: Museum des Dreißigjhrigen Krieges Wittstock, Dosse, o. O. (1998), S. 58 – 66, bes. S. 63 ff.; K. Spannagel, Burgsdorff … (s. Anm. 112), S. 88; Hof.: E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 208; J. Pancˇek u. a. (Red.), Documenta Bohemica … (s. Anm. 110), 6, S. 139, Nr. 341, Nr. 373, S. 149, u. ç.; P. Schwartz, Die Neumark … (s. Anm. 88), 2, S. 1 – 47, S. 55 ff.; F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 85 – 96. 124 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 1, S. LXX, 2, S. XXXII f.; F. Dickmann, Westflischer Frieden … (s. Anm. 115), S. 108. 125 Zur Person: R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 377, S. 388 f., S. 408 f., S. 460 – 473; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 63), 4, S. 262 – 273; schroff: H. v. Petersdorff, Beitrge … (s. Anm. 49), S. 3; trotz veralteter Elemente ist zu vgl. Burkhard von Bonin, Der kurbrandenburgische Kriegsrat (1630 – 1641), in: ForschBrandPrG 25 (1913), S. 51 – 89, etwa S. 59 Anm. 3, S. 62; vgl. aber J. Pancˇek u. a. (Red.), Documenta Bohemica … (s. Anm. 110), 4, S. 120, Nr. 234, S. 277, Nr. 234; vgl. auch zum historiographischen Hintergrund Otto Meinardus, Die Legende vom Grafen Schwarzenberg, in: PrJbb. 86 (1896), S. 1 – 58, bes. S. 1 – 4, S. 28 f., S. 58; und Ders., Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. XVI; ferner passim die neue Studie von U. Kober, Karriere … (s. Anm. 113) und die dort genannte Rezension des Vf.

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mehr nach 1635 hatte er wesentlichen, ja zuletzt îberragenden Einfluß auf den schwachen Monarchen.126 Schon als einziger Reichsgraf am brandenburgischen Hof kam ihm eine Sonderstellung zu, und auch sptere Flle belegen, daß Reichs-Grafen in hohen Amtstrgerfunktionen Brandenburgs sowohl exponiert als auch isoliert, jedenfalls aber vom Personal aus den einheimischen Adels- und Bîrgerfamilien (resp. bisweilen Funktionsdynastien) mit Distanz betrachtet worden sind. Schwarzenberg stammte wie der Kalvinist Rheydt aus den neubrandenburgischen Westgebieten; von 1638 bis 1641 war er fçrmlich kurfîrstlicher Statthalter in der Mark. „Gegen die reformierten Rte hatte“ der Katholik Schwarzenberg, wie Fritz Dickmann feststellte, „die aktive Teilnahme Brandenburgs am Krieg gegen Schweden und die Aufstellung einer dem Kaiser verpflichteten Feldarmee“ durchzusetzen versucht, das alles immer zugleich zur Wahrung der Ansprîche Brandenburgs auf Pommern.127 In den ersten Jahrzehnten nach dem Konfessionswechsel von 1613 geht die Gleichung von Kalvinismus mit aktivistischer Staatsraison und Luthertum beziehungsweise Katholizismus mit politischer Passivitt nicht auf. Mindestens ebenso wichtig ist nun aber die Beobachtung, daß unter diesem markanten und umstrittenen Mann der außenpolitische Druck auf Brandenburg-Preußen zu signifikanten Vernderungen im Innern des Staates fîhrte. Der mchtepolitische Strukturdruck von außen trieb die innere Staatsbildung voran. Lange vor den Jahrzehnten des Großen Kurfîrsten, die allenfalls als frîhe absolutistische Phase der preußischen Geschichte bezeichnet werden kçnnen, setzen unter Schwarzenberg Entwicklungen ein, die der Kurfîrst Friedrich Wilhelm nach 1640 zunchst gerade nicht aufgegriffen und fortgesetzt hat. Es ist Schwarzenberg gewesen, den man deshalb auch als „Vorarbeiter des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates“ und geradezu als „Gegner des Feudalismus“ dargestellt und vielleicht auch wiederum stilisiert hat.128 Auf jeden Fall haben die brandenburgischen Landstnde, die ebenso wie die Geheimen Rte gegen jede militrische Rîstung und Selbstbehauptung politischer Ansprîche gegenîber Schweden optiert hatten, bereits in dieser Zeit einmal wesentlichen Einfluß verloren. Um 1635 wurden Kriegssteuern, die „Kontributionen“ auch ohne stndische Bewilligung erhoben. Nun wurden auch Truppenwerbungen ohne stndische Genehmigung durchgefîhrt, was die Opposition gegen 126 J. W. C. Cosmar, Beitrge … (s. Anm. 113), S. 355, S. 362 und die Verteidigung Schwarzenbergs, S. 397 – 434, bes. S. 411; O. Meinardus, Legende … (s. Anm. 125), S. 29 f., S. 35. 127 Schon J. W. C. Cosmar, Beitrge … (s. Anm. 113), S. 160; Fritz Hartung, Der preußische Staat und seine westlichen Provinzen, zuerst 1953/54, wieder in: Ders., Staatsbildende Krfte der Neuzeit. Gesammelte Aufstze, Berlin 1961, S. 414 – 430, hier S. 410 f.; F. Dickmann, Frieden … (s. Anm. 115), S. 108; U. Kober, Karriere … (s. Anm. 113), S. 358 ff. 128 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. XXXIII und XXXIX.

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Schwarzenberg nur weiter anstachelte, ein Widerstand, der auch in Aktionen manifest geworden ist. Im Lande dominierte ganz ohne Zweifel eine eher proschwedische Stimmung, und Schwarzenberg selbst war sich dessen sehr bewußt.129 Auf ihn war es zurîckzufîhren, daß Georg Wilhelm die lteren Reverse, nach denen in allen wichtigen Landesangelegenheiten die Stnde vorher zu fragen waren, nicht – wie îblich – konfirmiert hatte. Auch die fîr die sptere stdtische Steuerverfassung konstitutive Abgabe der Akzise und einer „Nahrungssteuer“, also indirekter Verbrauchssteuern, sind schon von Schwarzenberg angedacht, dann aber nicht mehr von ihm eingefîhrt worden.130 Auf der Regierungsebene hat Schwarzenberg nicht mit dem alten Geheimen Rat, in dem er keine zuverlssige Stîtze besaß, regiert, sondern ein neues, sehr stark durch militrische Funktionen geprgtes Organ geschaffen. So wie unter dem Großen Kurfîrsten und seinen Nachfolgern der Geheime Rat auf Dauer wesentlicher Funktionen entkleidet wurde, die dann von einer moderneren Behçrden- und Amtstrgerschicht îbernommen worden sind, so ist schon – wenn auch nur auf Zeit – ein ganz paralleler Vorgang vor 1640 zu beobachten. Schwarzenberg hat die traditionelle Ratsschicht in Berlin-Cçlln beiseite geschoben, zunchst dadurch, daß er die Militrsachen mit dem Kurfîrsten in der Regel allein erledigte, was man als eine „Art Militrkabinettsregierung“ bezeichnet hat.131 Die Geheimen Rte haben gerade die (natîrlich besonders bedeutsamen) Militaria schließlich gar nicht mehr bearbeitet. In den Jahren 1630/ 31 ist ein besonderer Kriegsrat begrîndet worden, der dann mehr und mehr als das eigentliche Regierungsorgan Schwarzenbergs entwickelt worden ist. Mit ihm hat der mchtige Mann die fîhrenden Kçpfe der brandenburg-preußischen Amtseliten (Gçtze, Pfuel, Leuchtmar) verdrngt. Der Kriegsrat hat rasch an Kompetenzen gewonnen, schließlich auch – was sehr bedeutsam ist – die 129 O. Meinardus, Legende … (s. Anm. 125), S. 44 – 46; Ders., Schwarzenberg … (s. Anm. 92), S. 418, S. 446 f.; G. Barudio, Teutscher Krieg … (s. Anm. 117), S. 525; Friedrich Holtze, Geschichte der Mark Brandenburg (= Tîbinger Studien fîr Schwbische und Deutsche Rechtsgeschichte, 3), Tîbingen 1912, S. 75; E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 207, S. 220; UA, 1, S. 397 Anm. 1; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 1, S. XXXV f., 2, S. VIII-XXXIII. 130 J. W. C. Cosmar, Beitrge … (s. Anm. 113), S. 351, S. 355 ff.; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. VII, S. XXVI Anm. 1. 131 B. von Bonin, Kriegsrat … (s. Anm. 125), S. 53; zum Kriegsrat vgl. jetzt die Interpretation bei U. Kober, Karriere … (s. Anm. 113), S. 361 f.; allerdings mag die Intention bei der Neugrîndung noch nicht auf kînftige Entwicklungen ausgegangen sein; das schließt aber nicht aus, daß die Wirkung denn doch auf Tendenzen der zweiten Jahrhunderthlfte verweist. Ganz gewiß gab es unter Georg Wilhelm und Schwarzenberg keinen prinzipiellen Absolutismus. Auch war Schwarzenberg natîrlich kein „Militrdiktator“ (S. 379). Derartige argumentationstaktische Vergrçberungen versperren die tiefere Einsicht in die Spezifika der Entwicklungen vor 1640, die aber fîr das Urteil îber die Verschiebungen nach 1640 erforderlich sind.

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„Kontrolle der Kriegskommissare“ im Lande. Damit hatte er grundstzlich direkten Zugriff auf Funktionstrger vor Ort. Der Kriegsrat hat bis zum Jahre 1641 bestanden, schließlich hatte er auch die Steuer-, d. h. die Kontributionsangelegenheiten an sich gebracht.132 Die Abdrngung der bisherigen Landesorgane, die Akquisition rasch ausgeweiteter Kompetenzen und die anfngliche Konzentration dieser neuen Organe auf die Militrsachen werden wir in der zweiten Hlfte des 17. und dann im 18. Jahrhundert in der preußischen Kommissariats-Verwaltung noch einmal als fîr die preußische Verwaltung charakteristische Erscheinung beobachten. Daß es Anstze zu einer derartigen Entwicklung unter dem alles andere als „absolutistischen“ Kurfîrsten Georg Wilhelm, und zwar unter der øgide Schwarzenbergs gegeben hat, ist fîr das Verhltnis von Persçnlichkeiten und Strukturentwicklung in der brandenburgpreußischen Geschichte ungemein signifikant. Die erste Phase einer Strukturverschiebung hin zum „absolutistischen“ Profil, zu dem durchaus auch die frîhen Kommissariate und die Einfîhrung einer Kontribution seit 1626 zhlen, verweist auf europische Faktoren als Movens der brandenburg-preußischen Geschichte. Unter dem hohen Außendruck seit 1626 und besonders seit 1635 mußte sich die politische Struktur in Brandenburg-Preußen wandeln, um dem Existenzkampf zu genîgen. Daß diese Entwicklung vor dem Großen Kurfîrsten Friedrich Wilhelm einen Vorlauf hatte, zeigt die Bedeutung des mchtepolitischen Strukturdrucks fîr die brandenburg-preußische Entwicklung auf, die in ihrer Wirkung îber singulre Monarchenentscheidungen sehr wohl hinausgehen konnte. Die ersten Anfnge absolutistischer Staatsbildung gehçren in Brandenburg-Preußen in die Zeit seit 1626.133 Unter dem neuen Herrn, dem gerade zwanzig Jahre alten Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, ist Schwarzenberg, wenn auch mit reduzierten Kompetenzen, im Amt geblieben. Bevor er 1641 starb, wurde freilich der Geheime Rat wieder

132 B. von Bonin, Kriegsrat … (s. Anm. 125), S. 56 – 58, S. 62, S. 64 – 66; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 94; das Grîndungsdatum nach G. Oestreich, Pfuel … (s. Anm. 114), S. 210, weiter S. 212, S. 214; Friedrich Wolters, Geschichte der brandenburgischen Finanzen in der Zeit von 1640 – 1697. Darstellung und Akten, 2: Die Zentralverwaltung des Heeres und der Steuern (= Urkunden und Aktenstîcke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, [Tl.] 1, 2), Mînchen/Leipzig 1915, S. 24 – 64; A. W. Prinz von Preussen, Kommissariatsbehçrden … (s. Anm. 97), S. 26 – 29, S. 51; G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 13 ff.; und die wichtige Arbeit von Wilhelm Kalbe, Beitrge zur brandenburgisch-preußischen Geschichte beim Regierungsantritt des Grossen Kurfîrsten, phil. Diss. Gçttingen 1902, S. 3 f., S. 12. 133 Zur Frage der absolutistischen Anfnge unter Schwarzenberg vgl. schon E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 82, zu Schwarzenberg abwgend S. 80 – 89; zu den Steuern seit 1626 vorlufig W. W. Hagen, Crisis … (s. Anm. 99), S. 316.

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restituiert, und der junge Kurfîrst lenkte zunchst in die alten Bahnen zurîck.134 Er hat nicht an die modernen Anstze der Schwarzenberg-Zeit angeknîpft; die alten Amtseliten konnten ihre Macht ebenso wie die Landstnde restaurieren.135 Als Kurfîrst Georg Wilhelm 46 Jahre alt fern im sicheren Kçnigsberg am 1. Dezember 1640 gestorben war, hatte er einen Nachfolger hinterlassen, der zwar einiges erfahren und in (West-)Europa schon gesehen hatte, aber nicht eigentlich vorbereitet die Aufgabe der Regierungsfîhrung îbernahm. In seinem politischen Testament von 1667 hat der Kurfîrst die Situation geschildert, in der er zum Jahreswechsel 1640/41 das schwere Amt antrat. Wenig Informationen habe er von seinem Vater îber den „Staadt“ „hinterlassen“ bekommen. Andernfalls „were mir meine Regirung im anfange nicht so schwer geworden“.136 Die unzureichende Einfîhrung in die Probleme und Verhltnisse Brandenburg-Preußens hat Friedrich Wilhelm offenbar auch Schwarzenberg angelastet, habe dieser doch „alles in solcher Geheimb practiciret und getrieben, daß Ich, da Ich doch bei Meinem Herrn Vater christmilder Gedchtniß gewesen, so wenig als die Rthe darvon einige Wissenschaft erlangen kçnnen … Wre Ich bei Meines Herrn Vatern christmilder Gedchtniß Lebezeiten mit ad consilia, wie Ichs wohl begehret habe, auch von andern gebîhrend ist erinnert worden, gezogen, so wîrde ich schon in vielen Sachen mehre Wissenschaft haben.“ Die Arkanpraxis war, wenn sie nicht durch gezielte Prinzenerziehung durchbrochen wurde, immer eine Belastung fîr den Staat in der Phase dynastischer ˜bergnge. Aufgewachsen im altmrkischen Jagdschlçsschen Letzlingen und dann im festungssicheren Kîstrin, war das Verhltnis Friedrich Wilhelms zum Vater nie ein sonderlich gutes gewesen. Wichtiger erscheinen die pflzischkalvinistischen Einflîsse, vermittelt schon durch die Mutter Elisabeth Charlotte von der Pfalz. ˜ber sie war Friedrich Wilhelm mit Wilhelm I. von Oranien verwandt. Westliche Einflîsse auf den jungen Prinzen sind auch durch seinen Erzieher Johann Friedrich von Kalkum (gen. Leuchtmar) ausgegangen, der aus dem rheinischen Berg stammte; reformierte Prediger haben in Kîstrin den Religionsunterricht erteilt, wie denn îberhaupt die Religiositt fîr Friedrich Wilhelm nie unterschtzt werden darf. Unterrichtet im Lateinischen und im 134 W. Kalbe, Beitrge … (s. Anm. 132), S. 69 ff., S. 75 f.; UA, 1, S. 402; Otto Meinardus, Neue Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten, in: ForschBrandPrG 17 (1904), S. 21 – 67, bes. S. 41 ff., S. 48, S. 63, S. 65; dazu ders., Protokolle … (s. Anm. 105), 1, S. LIX f.; und G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 47. 135 F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 135. 136 Georg Kîntzel / Martin Hass (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern nebst ergnzenden Aktenstîcken, 1, 2., erw. Aufl., Leipzig/Berlin 1919, S. 68; folgendes Zitat: Friedrich Wilhelm an den Kaiser, 17. August 1641, O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 1, S. 335 f., Nr. 387; vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 177.

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Franzçsischen, frîh auch in der polnischen Sprache prpariert, hat er eine solide Grundausstattung erhalten und eine sehr flîssig-geîbte Hand geschrieben. Das Niederlndische hat der junge Prinz „wahrscheinlich erst spter“ (Opgenoorth) gelernt. Bekannt, ja geradezu legendenhaft umrankt ist jene mehrjhrige Bildungsreise Friedrich Wilhelms, die ihn, der bisher die Kriegswirren erst in den tiefen altmrkischen Wldern und dann in der Oderfestung verbringen mußte, nun in die nordwesteuropische Welt der Vereinigten Niederlande fîhrte; in seinem vierzehnten bis achtzehnten Lebensjahr ist er dort gewesen, hat in diesen prgsamen Jugendjahren auch die Universitt Leiden erlebt, er hat in den Niederlanden, so wird gesagt, die modern-disziplinierte Kriegskunst erfahren. Wenngleich die Quellenlage zu einiger Vorsicht Anlaß gibt, unmittelbare Wirkungen niederlndischer Vorbilder auf den spteren Großen Kurfîrsten allzu leicht zu konstruieren, so werden gleichwohl bestimmte Regierungsmaßnahmen nach 1640 in diesen Kontext gestellt, wie die Fçrderung des Handels, der Kanalbau, die Niederlndersiedlung in der Mark oder auch die Kolonialprojekte seiner spten Jahre.137 In der persçnlichen Umgebung Friedrich Wilhelms sind nach 1640 Einflîsse des niederlndischen Neustoizismus durchaus bezeugt.138 Seit 1638 hat er sich dann in Kçnigsberg aufgehalten, hier hat er die Regierung angetreten und ist erst im Frîhjahr 1643 zur Huldigung in die Mark gekommen, ohne daß er dort dauernd seine Residenz eingerichtet htte. Vielmehr ist er nach neuerlichem Aufenthalt in Preußen seit 1646 lange Jahre im Westen, zumal in Kleve gewesen, um von dort aus den westflischen Friedensverhandlungen nher zu sein und dabei die Ansprîche auf Pommern massiv verfechten zu kçnnen.139 In der Mark hat der neue Herr zunchst der 137 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 20 – 25, Niederlande: S. 29 – 43, S. 50; G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 407; (Bernhard) Erdmannsdçrffer, Artikel: v. Calcum …, in: ADB, 3, Leipzig 1876, S. 692 f.; Martin Philippson, Der Große Kurfîrst. Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1, Berlin 1897, S. 7 f.; neben der Biographie von Opgenoorth bleibt wichtig der brillante Abriß von Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfîrst, Gçttingen/Zîrich/Frankfurt 1971, S. 16 – 19; vorsichtig zu den niederlndischen Einflîssen auf den Kurfîrsten: Martin Lackner, Die Kirchenpolitik des Großen Kurfîrsten (= Untersuchungen zur Kirchengeschichte, 8), Witten 1973, S. 65. 138 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 53. 139 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 1, S. 584, S. 618 – 624 (Nr. 701); 1645 in Preußen: 2, S. CVI; K. Spannagel, Burgsdorff … (s. Anm. 112), S. 220; zur brandenburgischen Kongreßdiplomatie (und ihrer Organisation) s. jetzt die bei Heinz Schilling entstandene Studie von Konstantin Winkel, Kurbrandenburg bei den Beratungen der Reichsstnde auf dem Westflischen Friedenskongreß (1645/46). Die Auseinandersetzungen um die Teilnahme der Reichsstnde an den Friedensverhandlungen und um ihren Beratungsmodus, Magisterarbeit Humboldt-Universitt zu Berlin 2009, bes. S. 43 – 54.

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Forderung der Stnde und dem Votum seiner Rte nachgegeben und die schwache Kriegsmacht weiter reduziert. Ohne formellen Abschluß ist es doch zu einem faktischen Waffenstillstand mit Schweden gekommen, dessen Truppen aber weiterhin im Lande standen. Die Zeit der Durchzîge, auch solche von kaiserlichen Truppen, war noch nicht vorîber,140 aber eine strkere Unabhngigkeit zwischen den politischen Lagern schien in der Endphase des großen Krieges immerhin mçglich zu sein und wurde unter Friedrich Wilhelm praktiziert. In der Mitte der vierziger Jahre sah man am Kaiserhof Brandenburg als neutral an, wußte aber sehr wohl von der dortigen Bereitschaft, auch mit den Schweden zu gehen.141 Freilich stand die Frage nach dem Besitz Pommerns, nachdem die dortigen Herzçge 1637 ausgestorben waren, das Land aber unter schwedischer Herrschaft lebte, zwischen den beiden protestantischen Staaten, die nun zu Nachbarn wurden. In den Westflischen Verhandlungen hat Friedrich Wilhelm alles daran gesetzt, wenigstens einen großen Teil Pommerns zu erhalten, vor allem aber Stettin. Fîr die an Schweden fallenden Teile verlangte Friedrich Wilhelm Kompensationen. Dabei forderte er insbesondere die bisherigen Bistîmer Halberstadt, Minden, Hildesheim, Osnabrîck und Bremen, dazu zahlreiche Anwartschaften, u. a. auf das Erzbistum Magdeburg. Gerade das Ziel, die Oder vollstndig unter brandenburgische Kontrolle und damit einen freien Seezugang zu bekommen, hat Friedrich Wilhelm 1648 nicht erreicht. Das hat ihn in der Tat lebenslang umgetrieben und blieb eine Konstante seines praktisch-politischen Denkens.142 Im Ergebnis fielen direkt in Folge des Friedensschlusses Hinterpommern ohne die Odermîndung, ferner die Bistîmer Halberstadt und Minden an Kurbrandenburg. Sodann sollte das bedeutende mittelelbische Magdeburger Erzstiftsgebiet nach dem Tode des regierenden Administrators aus wettinischem Hause an Brandenburg fallen. Die Bedeutung dieses mitteldeutschen Territorialgewinns an der Elblinie hat Friedrich Wilhelm, fixiert auf den Seezugang seiner mittleren Provinzen, nie zureichend ermessen. Fîr den Verlust in Pommern, auf das Kurbrandenburg 140 T. v. Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 128 – 131; vgl. O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. XXIV f., S. LXII-LXXI, und in 5, S. XX-XXXVI; Wolfgang Neugebauer, Brandenburg im absolutistischen Staat. Das 17. und 18. Jahrhundert, in: Ingo Materna / Wolfgang Ribbe (Hg.), Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 291 – 394, hier S. 302 f.; wichtig ferner Rainer Wohlfeil, Kriegsverlauf 1635 bis 1642 – Bevçlkerungsverluste der brandenburgischen Stdte zwischen 1625 und 1652/53 (Der Dreißigjhrige Krieg II) (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, 50), o. O. 1976, (S. 1v). 141 J. Pancˇek, u. a. (Red.), Documenta Bohemica … (s. Anm. 110), hier 7, S. 161, Nr. 473, S. 175 f., Nr. 512, zu 1644/45. 142 F. Dickmann, Frieden … (s. Anm. 115), S. 216 ff., S. 307 – 324, vgl. S. 102, S. 108 ff.; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 3, S. 542 ff., S. 344; Friedrich Richard Brandstetter, Kurbrandenburgische Unionsbestrebungen 1647/48. Ein Beitrag zur Geschichte des Westflischen Friedens, phil. Diss. Leipzig 1898, S. 5 ff.

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gewiß gute Rechtstitel und Ansprîche besaß, gewann er ein nahes und reiches, dazu verkehrsgînstig und strategisch gelegenes Gebiet, dessen dauernder Erwerb seit 1666/80 den kurschsischen Konkurrenten die einzig noch mçgliche mitteldeutsche Entwicklungsrichtung nahm.143 Insofern kçnnen die territorialen Bestimmungen des Westflischen Friedens in ihrer Bedeutung fîr die brandenburg-preußische Geschichte nicht hoch genug geschtzt werden. Waren die hohenzollernschen Gebiete nach dem Territorialerwerb zum Jahrhundertbeginn bereits hinsichtlich der Flche „auf den zweiten Platz im Reiche hinter den Habsburgern vorgerîckt“144 so wurde der Kurfîrst seit 1648 auf ein Gebiet verwiesen, das in ganz besonderem Maße mit dem Heiligen Rçmischen Reich verklammert war. Brandenburg-Preußen wuchs aus dem ostmitteleuropischen Kolonial- nach Altdeutschland hinein. Und noch in einem zweiten Hauptpunkt hatte der Westflische Frieden fîr Brandenburg hohe reichspolitische Bedeutung. Außer der Territorialfrage war die brandenburgische Diplomatie vor allem daran interessiert, die Gleichberechtigung der Reformierten im Reich durchzusetzen – man erinnere sich an die Frage des Reformationsrechts um 1613/14. Tatschlich wurden die Reformierten nun in die Bestimmungen des Religionsfriedens mit einbezogen.145 Insofern zeigt der formelle Abschluß jener Phase brandenburg-preußischer Geschichte, die wir um 1650 ansetzen kçnnen, mancherlei Kontinuitten in der politischen Programmatik îber vordergrîndige Zsuren, wie etwa das Jahr 1640, hinweg. Trotz gnzlich unzureichender Rîstung hatte BrandenburgPreußen am Ende des Großen Krieges eine erstaunliche territoriale Konsolidierung erreicht. øußerlich stand der Staat da mit guten Optionen fîr die kînftige Entwicklung. Die Kompensation der inneren Folgen der Kriege und Krisen aber sollte mehr als ein Jahrhundert in Anspruch nehmen.

143 Gut gesehen bei R. Dietrich, Preußen … (s. Anm. 35), S. 34 f.; K. Spannagel, Burgsdorff … (s. Anm. 112), S. 300 f.; G. Oestreich, Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 38; wichtig auch R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 496 – 502, S. 508; die Quelle z. B. bei Konrad Mîller (Bearb.), Instrumenta Pacis Westphalicae. Die Westflischen Friedensvertrge 1648. Vollstndiger lateinischer Text mit ˜bersetzung der wichtigeren Teile und Regesten (= Quellen zur neueren Geschichte, 12/13), Bern 21966, S. 55 ff., S. 142 ff.; ferner die Quellen bei UA, 4, S. 703 ff., S. 733 ff.; und Sven Lundkvist, Die schwedischen Kriegs- und Friedensziele 1632 – 1648, in: K. Repgen (Hg.), Krieg und Politik … (s. Anm. 121), S. 219 – 240, hier S. 228 ff., S. 238; Wolfgang Neugebauer, Teutscher Krieg und große Politik – Das Ende der Selbstndigkeit Magdeburgs 1631 – 1680, in: Matthias Puhle / Peter Petsch (Hg.), Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805 – 2005, Dçssel 2005, S. 425 – 450, bes. S. 434 – 442. 144 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 60. 145 F. Dickmann, Frieden … (s. Anm. 115), S. 372, S. 376, S. 458, S. 464 f.; U. Stutz, Johann Sigismund … (s. Anm. 70), S. 24 f.; und D. Albrecht, Kriegs- und Friedensziele … (s. Anm. 121), S. 244, S. 253.

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Die Krisenerscheinungen des 17. Jahrhunderts, die Brandenburg in der Gestalt des Dreißigjhrigen Krieges erfaßten, hatten tiefgreifende strukturelle Wandlungsprozesse zur Folge. Das Herzogtum Preußen hatte nach dem Zusammenbruch der Defension in den zwanziger Jahren und nach dem Stuhmsdorfer Vertrag von 1635 zwar Jahre der Ruhe erlebt, und Kçnigsberg blîhte in dieser Zeit geradezu auf, auch kulturell, wie man an der Entwicklung der Universitt in der Zeit des Krieges ablesen kann. Kçnigsbergs Sicherheit in der Distanz zum Kriegsgeschehen machte den Ort attraktiv. An der Weichsel und am Pregel florierten whrend der 30jhrigen Kriegszeit die Kornmrkte in Danzig, in Thorn und wieder in Kçnigsberg.146 Allerdings ist das sîdliche beziehungsweise sîdçstliche Ostpreußen in der zweiten Hlfte der fînfziger Jahre, im ersten Nordischen Kriege dann in Mitleidenschaft gezogen worden. Vor allem der Tatareneinfall von 1656/57 hat dort in Teilen des Landes zu schweren Verwîstungen gefîhrt, besonders im Sîdosten des Herzogtums, wo die Verheerungen nahezu vollstndig gewesen sind. Teile der ˜berlebenden sind verschleppt und weit entfernt von ihrer Heimat quasi als Sklaven verkauft worden. Die mangelnde Bestellung der øcker, Hungersnot und – damit korrespondierend – die Pest, ließen die Sterblichkeit sprunghaft anwachsen.147 Insofern hatte nun auch den intakten Teil des Gesamtstaates ein Schlag getroffen, doch hatte die Mark fîr mehr als eineinhalb Jahrzehnte mit der potentiellen oder der realen Katastrophe zu leben gehabt. Die bisweilen vorgetragenen Argumentationsversuche, nach denen der Dreißigjhrige Krieg doch sehr viel weniger wirkliche Schden, vielmehr eher eine Umschichtung und verstrkte Binnenwanderung (Steinberg) bewirkt habe und die Verlustberichte auf legendenhafte ˜bertreibungen zurîckzufîhren sind,148 lassen sich am 146 Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Kçnigsberg in Preußen, 1 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 10/I), Kçln/Graz 1965, S. 454 ff.; und G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 88; Gînther Franz, Der Dreißigjhrige Krieg und das deutsche Volk (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 7), Stuttgart/New York 4 1979, S. 7. 147 (Karl Heinrich) Hagen, Preußens Schicksale whrend der Schwedenkriege, in: Beitrge zur Kunde Preußens 1 (1818), S. 106 – 153, bes. S. 125 – 133, S. 136 ff., S. 145; (Erdmann Uhse), Friedrich Wilhelms des Grossen/Chur-Fîrstens zu Brandenburg Leben und Thaten, Berlin/Frankfurt 1710, S. 326 ff.; Bruno Schumacher, Geschichte Ost- und Westpreußens, Wîrzburg 61977, S. 172. 148 Dazu vgl. die verschiedenen Arbeiten von Sigfrid Henry Steinberg, Der Dreissigjhrige Krieg: Eine neue Interpretation, zuerst 1947, wieder in: Hans Ulrich Rudolf (Hg.), Der Dreißigjhrige Krieg. Perspektiven und Strukturen (= Wege der Forschung, 451), Darmstadt 1977, S. 51 – 67, hier S. 60 ff., bes. S. 64; vgl. dazu Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1, Mînchen 1987, S. 54 und Anm. 18 S. 560; Georg Schmidt, Der Dreißigjhrige Krieg, Mînchen 1995, S. 8, S. 88 f. mit treffender Diskussion; ebenso Gerhard Schormann, Der Dreißigjhrige Krieg, Gçttingen 1985, S. 112 ff.

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brandenburgischen Exempel schlîssig widerlegen. Richtig und heute unbestritten ist, daß es nicht primr direkte Kriegsfolgen gewesen sind, d. h. die Schlachten, Plînderungen und eigentlichen Morde durch die kmpfende oder streifende Truppe, die zum Bevçlkerungsrîckgang fîhrten. Die starke regionale Mobilitt, d. h. (temporre) Fluchtbewegungen der Landbevçlkerung in die Stdte, bisweilen wohl auch in die Wlder und im Osten Brandenburgs nach Polen, kam hinzu. „Fîr die gesamte Mark wird man … mit einem Verlust von etwa 50 Prozent der Bevçlkerung zu rechnen haben.“149 Unlngst wurden die Verluste in den ungeschîtzteren Landstdten auf bis zu 80 Prozent beziffert; in Berlin wird, wiewohl nicht unmittelbar von Kampfhandlungen berîhrt, von etwa 40 Prozent Bevçlkerungsrîckgang berichtet.150 Das sind wohl eher maximale Zahlen, jedenfalls was das stdtische Element außerhalb der Residenz betrifft, doch dîrfte ein nachhaltiger Verlust von um die 50 Prozent auf jeden Fall gesichert sein. Die Pest, vor allem die der letzten brandenburgischen Kriegsjahre 1638 – 1641, hat in der Mittelmark große Verluste gefordert. Besonders stark waren die Schden in der Prignitz, der Uckermark und auf dem Barnim. Um 1650 waren im Nordosten Brandenburgs nur 10 Prozent aller buerlichen Hofstellen besetzt. Die Landreiterberichte des Jahres 1652 geben einen sehr detaillierten Einblick in die dçrflichen Zustnde; verglichen mit den Daten unmittelbar vor dem Kriegsbeginn im Lande ergibt sich ein gesichertes Bild, das jedenfalls in den Grçßenordnungen keinem Zweifel unterliegen kann. Ebenso ist es belegt, daß kriegsbedingt wîstgefallene Hçfe auf dem Lande erst im 18. Jahrhundert wieder vollstndig besetzt worden sind. Die Landreiterberichte spiegeln aber nicht einmal den maximalen Schadensstand wider, denn bis dahin war in einem Jahrzehnt relativer Ruhe schon eine deutliche Erholung durch eine Rîck- und auch Einwanderung im Lande erfolgt, im Nordwesten îbrigens mit einigem Zuzug aus dem holsteinischen Raum.151 Noch strker als 149 Generell G. Franz, Dreißigjhrige Krieg … (s. Anm. 146), S. 5 und S. 23 f. (Zitat). 150 So jetzt W. W. Hagen, Crisis … (s. Anm. 99), S. 314; anders Peter-Michael Hahn, Stdtewesen, in: Hermann Heckmann (Hg.), Brandenburg. Historische Landeskunde Mitteldeutschlands, Wîrzburg 1988, S. 97 – 119, bes. S. 108; vgl. F. Kaphahn, Wirtschaftliche Folgen … (s. Anm. 100), S. 82; Pest: E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 161, S. 179 f., S. 207 f., S. 231 f. 151 Siehe die instruktive Karte: Bevçlkerungsverluste der brandenburgischen Stdte zwischen 1625 und 1652/53, bearb. von Rainer Wohlfeil, (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Abt. VIII), Berlin/New York 1976; ferner das Beiheft von R. Wohlfeil, Kriegsverlauf … (s. Anm. 140), S. 1 v., 2 r., 3 r.; Lieselott Enders, Bauer und Feudalherr in der Mark Brandenburg vom 13. bis 18. Jahrhundert. Forschungsprobleme und -ergebnisse einer flchendeckenden Untersuchung am Beispiel der Uckermark, in: JWG, Jg. 1991, 2, S. 9 – 20, bes. S. 16; Dies., Uckermark … (s. Anm. 100), S. 384; Beispiel: Erich Kittel, Die Erbhçfe und Gîter des Barnim 1608/ 53. Verzeichnisse der Lehnsleute, Bauern, Kossten und Knechte. Hg. im Auftrage des Vereins fîr Geschichte der Mark Brandenburg, mit Unterstîtzung des Kreises Nie-

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die Mark Brandenburg waren die pommerschen Landschaften verheert worden. Diese Gebiete gehçren zu den am hrtesten betroffenen Regionen, was direkte und mittelbare Kriegsverluste anbetrifft. Vor allem Magdeburg, etwas weniger Kleve und die Grafschaft Mark wiesen gleichfalls erhebliche Schden auf. Aber die quantitativen Verluste stellen gewiß nur die eine Seite derjenigen Kriegs- und Krisenfolgen dar, die ganz wesentlich zu den Bedingungen gezhlt werden mîssen, unter denen der frîhe Absolutismus in Brandenburg-Preußen erwachsen ist. Die regionale Mobilitt, Wanderungs- und Flucht-, d. h. Ausweichreaktionen vor allem der lndlichen Bevçlkerung verweisen auf eine zustzliche, d. h. eine tiefere Dimension. Denn dadurch zerbrachen Bindungen und Loyalitten, die bis zur Zeit des Krieges stabilisierend gewirkt hatten. Diese Aussage gilt selbst dann, wenn die interregionale Mobilitt im Kriege den îberregionalen Zuzug îberwog,152 wiewohl auch dieser nicht unterschtzt werden sollte. Die Entwurzelung, das Herausreißen der Menschen aus den kleinen, lokalgebundenen Welten, das war das eine. Das andere war die lebendige Erfahrung, daß der adlige Herr in existenziellen Situationen keinen Schutz geboten hatte, beziehungsweise hatte bieten kçnnen. Die drastische Schwchung, bisweilen der fçrmliche Zusammenbruch der landadligen Autoritt und damit auch der Sozialdisziplin war eine weitere wesentliche Folge. Auch der adlige Besitzer hat in manchen Landschaften nach 1648 rasch gewechselt, und bîrgerliche Herren ergriffen die Chance, Rittergîter an sich zu bringen. Diese Personen hatten mit der Zeit gute Aussichten, durch Nobilitierung in die lndliche Herrenschicht hineinzuwachsen.153 Zunchst aber hatte der Besitzwechsel auf den Rittergîtern destabilisierende Folgen. War die Herstellung des Rittergutsbesitzers fragil geworden, so gilt dies gleichfalls in auffallendem Maße fîr die im dçrflichen Nexus ganz wesentliche Position des derbarnim und der Landesbauernschaft Kurmark, Bernburg 1937, S. XXX-XXXIV; Johannes Schultze, Die Prignitz und ihre Bevçlkerung nach dem dreißigjhrigen Kriege. Auf Grund des Landesvisitationsprotokolls von 1652 bearbeitet (= Verçffentlichung des Heimatvereins Perleberg), Perleberg 1928, passim, z. B. S. 4 ff.; außerbrandenburgische Gebiete: G. Franz, Dreißigjhrige Krieg … (s. Anm. 146), S. 8, S. 24 f., zu den mittleren Gebieten S. 19 ff.; G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 87 f.; aus der allgemeinen Lit. Miroslav Hroch / Josef Petrnˇ, Das 17. Jahrhundert – Krise der Feudalgesellschaft? (= Historische Perspektiven, 17), Hamburg 1981, S. 94, und Manfred Vasold, Die deutschen Bevçlkerungsverluste whrend des Dreißigjhrigen Krieges, in: ZBayerLdG 56 (1993), S. 147 – 160, hier S. 151, S. 153 ff. 152 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. CXX f.; G. Franz, Dreißigjhrige Krieg … (s. Anm. 146), S. 94 – 99; Hartmut Harnisch, Die Herrschaft Boitzenburg. Untersuchungen zur Entwicklung der sozialçkonomischen Struktur lndlicher Gebiete in der Mark Brandenburg vom 14. bis zum 19. Jahrhundert (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 6), Weimar 1968, S. 110 ff., vgl. auch die inhaltsreiche Rezension von Willy Hoppe, in: ForschBrandPrG 38 (1926), S. 455 f. 153 W. W. Hagen, Crisis … (s. Anm. 99), S. 315; L. Enders, Uckermark … (s. Anm. 100), S. 342 f., S. 372, S. 381 f.

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Pfarrers oder des Oberpfarrers in den geistlichen Inspektionsbezirken. Bis in die sechziger Jahre haben die Geistlichen verschiedener Landschaften ihre drastischen Erfahrungen mit der zerbrochenen Sozialdisziplin und der gnzlich mangelnden Kirchenzucht auf die Langzeitwirkungen des großen Krieges zurîckgefîhrt.154 Zu den mentalittsgeschichtlichen Folgen des Krieges gehçrte nicht zuletzt das, was man als eine Traumatisierung der Bevçlkerung bezeichnen kçnnte. Gewiß hat die Volksmagie schon – oder auch noch – im 16. und frîhen 17. Jahrhundert eine große Rolle gespielt, die deviante Religiositt ist gerade im Hexen- und Hexerwesen dieser Zeit gut zu fassen. Es gibt Indizien, daß diese speziellen Phnomene um 1650 eher abklingen, auch ein Stîck weit entkriminalisiert worden sind.155 Daneben stehen Beobachtungen, daß gerade durch die psychischen Folgen des Krieges, offenbar unter dem Druck und der Notwendigkeit, grausam Erlebtes zu verarbeiten, in religiçser Hinsicht die „Heydnische Sicherheit“156 der Menschen zunahm, wobei das Beiwort „heidnisch“ wohl ernst zu nehmen ist. Denn nicht nur von Gottlosigkeit, sondern auch vom „Mißbrauch der Zauberey und vieler andern Wahrsagereyen“ wird um 1640 in den Quellen berichtet und damit die „gantz niedergelegte Kirchenzucht“ in Verbindung gebracht. In den Chroniken werden blutige Kriegsereignisse in unmittelbarem Konnex mit Wundererscheinungen beschrieben; auf dem Lande blîhten volksmagische Praktiken und in den Stdten Sektenbewegungen. Mit der Auflçsung von Sozialmoral und Kirchenzucht ging ein den Zeitgenossen sehr aufflliges Luxusverhalten einher, das im Widerspruch zur allgemeinen Not stehen mochte und diese Not noch verstrkte.157 Ostentatives 154 W. Neugebauer, Absolutistischer Staat … (s. Anm. 54), S. 240 – 246, und Hugo Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfîrsten. Auf Grund archivalischer Quellen, Berlin 1894, S. 178 – 183; Hermann Werdermann, Pfarrerstand und Pfarramt im Zeitalter der Orthodoxie in der Mark Brandenburg (= Studien zur Geschichte des evangelischen Pfarrerstandes, 1), Berlin 1929, S. 73. 155 Vgl. Lieselott Enders, Weise Frauen – bçse Zauberinnen. Hexenverfolgung in der Prignitz im 16. und 17. Jahrhundert, in: JbBrandenbLdG 49 (1998), S. 19 – 37, die Befunde S. 30 ff.; und Jan Peters, Hexerei vor Ort. Erfahrungen und Deutungen in einer Kleingesellschaft der Prignitz. Saldernherrschaft Plassenburg-Wilsnack (1550 – 1700), in: A. a. O., S. 38 – 74, bes. S. 47, S. 64 – 69. 156 Als illustrative Quelle: Hans Georgens von dem Borne, Politische und Geistliche Berathschlagungen, ˜ber den gegenwrtigen betrîbten und kîmmerlichen Zustand der Chur- und Marck Brandenburg … Zu Franckfurt an der Oder … 1641. …, Neuauflage Berlin 1719, S. 5, folgendes Zitat S. 13, ferner S. 15, S. 20 f., S. 52 f.; Wunderglaube usw.: vgl. W. Neugebauer, Brandenburg … (s. Anm. 140), S. 308 ff.; ferner E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 190. 157 M. Philippson, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), 1, S. 29; Hugo Landwehr, Das Kirchenregiment des Großen Kurfîrsten, in: ForschBrandPrG 2 (1889), S. 600 – 610, hier S. 604 f.; (Hans Georg von dem Borne), Staats-Bedenken eines gottesfîrchtigen und einsichtsvollen Ministers, îber den Verfall der Gottes-Furcht, den îbertriebenen Luxus und das allgemeine moralische Verderben in den brandenburgischen Landen, dem

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Luxus- und Reprsentationsverhalten in den Stdten und auf dem Lande demonstrierte Ansprîche auf Status und Autonomie, es tradierte Standesgrenzen, die doch auch dem Konsum gezogen waren, sie wurden damit tendenziell zur Disposition gestellt. Die Obrigkeiten haben diese Gefahr sehr genau erkannt. Besonders deutlich wurde der Grad, in dem tradierte Ordnungen erschîttert worden waren, in evidenten Erscheinungen buerlicher Widerstndigkeit. Schon um 1630 hatte sich – zunchst passiver – Widerstand geregt, war es zu Akten der Steuerverweigerung unter der brandenburgischen Landbevçlkerung gekommen. Zehn Jahre spter kçnnen wir in bestimmten Landschaften eine buerliche Selbstorganisation zunchst zum Zwecke quasi-militrischer Eigenhilfe erkennen. Bauern schlossen sich zusammen, gaben sich Anfîhrer und waren sehr wohl in der Lage, selbst strkere fremde Militrkontingente erfolgreich anzugreifen und von ihren Gegenden durch Abschreckung fernzuhalten. Die Landbevçlkerung war, angesichts des gnzlichen Versagens der landesfîrstlichen Defension, in erstaunlichem Maße fhig, durch militrische Selbstorganisation die Interessen in die eigene Hand zu nehmen und auch mit feindlichen Offizieren selbstndig in Verhandlungen einzutreten. Bis in die fînfziger Jahre des 17. Jahrhunderts hat in Teilen der Mark Brandenburg eine solche buerliche Selbstorganisation bestanden, die anfangs mit Zustimmung der Ritterschaft den Landfrieden schîtzen wollte, dann aber zunehmend auf Bedenken unter den organisierten Stnden stieß. Denn die Widerstndigkeit konnte sich sehr wohl auch gegen die eigenen Herren wenden, und in der Tat kam es nun dazu, daß die Bauern wie noch eben den Kaiserlichen oder den Schweden nun den stndischen beziehungsweise den kurfîrstlichen Offizianten gegenîbertraten und Ungehorsam îbten, etwa gegen die Forderung von Frondiensten oder auch bei wachsendem kurfîrstlichem Steuerdruck. Von Bauernaufstnden ist in diesem Kontext in den Quellen die Rede, und dagegen ist dann im Jahre 1656 kurfîrstliches Militr eingesetzt worden.158 In diesem weiteren Kontext von Kriegsfolgen ist nun die Politik von Landadel und organisierten Stnden zu sehen, die in den Jahrhunderten zuvor schon verschrfte Bindung der lndlichen Untertanen an Boden und Herrschaft noch weiter zu intensivieren und auch mit rechtlichen Instrumenten zu maximieren. Hinzu kamen demographische und konjunkturelle Belastungen fîr die Churfîrsten Friedrich Wilhelm auf Befehl, nicht lange nach dem Antritt seiner Regierung am 1ten Januar 1641 îbergeben, in: Historisches Portefeuille, Jg. 1, 1 (1782), S. 117 – 127, hier S. 117 – 120, S. 124 f. 158 F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 44; W. Zahn, Altmark … (s. Anm. 98), S. 47, S. 51 – 54; F. Kaphahn, Wirtschaftliche Folgen … (s. Anm. 100), S. 83 f.; Ludwig Gçtze, Urkundliche Geschichte der Stadt Stendal, Stendal 21929, S. 473 f.; J. Schultze, Prignitz … (s. Anm. 91), S. 201 – 204; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 5, S. 145, Nr. 125, und Werner Vogel (Hg.), Prignitz-Kataster 1686 – 1687 (= Mitteldeutsche Forschungen, 82), Kçln/Wien 1985, S. 2; W. W. Hagen, Crisis … (s. Anm. 99), S. 317 f.

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Gutsherrschaften, die zu den direkten Schden aus den Kriegszeiten nun auch noch mit der geringen inneren Nachfrage zu kmpfen hatten, was zur Mitte des 17. Jahrhunderts die Wirtschaften belastete. Dies bedingte eher niedrige Preise fîr Agrarprodukte, und whrend insofern die Ertrge aus den, zum Teil mit hohen Kosten retablierten Gutskomplexen angesichts der Marktlage begrenzt blieben, steigerte die demographische Komponente die Betriebskosten. Denn der Bevçlkerungsrîckgang fîhrte auf dem Lande zum Mangel an Gesinde und wer noch da war, konnte um so mehr an Lohn fordern. Der Adel reagierte zum einen dadurch, daß er wîst liegendes Bauernland zum Gutsareal schlug, zum anderen aber dadurch, daß er auch da, wo bisher kein Gesindezwangdienst îblich gewesen war, nun danach strebte, diese Praxis einzufîhren. Die derart rentabler gemachten Gutswirtschaften konnten, zumal bei gînstiger Verkehrslage, dann in der Tat den Export ihrer Produkte steigern, wenngleich die europische, d. h. vor allem die westeuropische Getreidekonjunktur erst um die Wende zum 18. Jahrhundert wieder nachhaltig angesprungen ist.159 Bei aller Differenzierung der Lehrmeinungen, was den Phasenverlauf bei der Entstehung der Gutsherrschaften im Allgemeinen und in Brandenburg-Preußen im Besonderen anbelangt, so besteht doch Einigkeit darin, daß die europische Marktstruktur, die west-ostmitteleuropische Arbeitsteilung zur Ausprgung der Agrarverfassung ganz wesentlich beigetragen hat. Die brandenburg-preußischen Territorien waren integraler Bestandteil dieser Arbeitsteilung gewesen, bei der der Fernhandel auf dem Wasserweg die wirtschaftliche Entwicklung in West-, zumal Nordwesteuropa dadurch ganz wesentlich unterstîtzte, daß bei abnehmender Eigenversorgung im Westen die Zufuhr an Lebensmitteln aus dem ostmitteleuropischen Raum stattfinden konnte. Die Marktproduktion aber fçrderte den Trend zur Vergrçßerung der Gutsbetriebe und – was die Arbeitskrfte anbetraf – zur Sicherung der Rentabilitt durch den Betrieb mit Frondiensten. Seit 1540/ 72 war es dem Adel unter bestimmten Bedingungen auch erlaubt, Bauern auszukaufen und ihren Boden dem Gutsland zuzuschlagen, d. h. den Eigenbetrieb flchenmßig zu erweitern. Die Ausdehnung der Dienstpflicht, auch etwa auf die Untertanenkinder, lag gleichfalls in dieser Entwicklung begrîndet.160 159 Speziell: F. Kaphahn, Wirtschaftliche Folgen … (s. Anm. 100), S. 86, S. 98; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 4, S. 388 ff., Nr. 346; Niels Steensgaard, The Seventeenth-century Crisis, zuerst 1970, wieder in: Geoffrey Parker / Lesley M. Smith (Hg.), The General Crisis of the Seventeenth Century, London 21985, S. 26 – 56, bes. S. 35 f.; Hartmut Harnisch, Probleme einer Periodisierung und regionalen Typisierung der Gutsherrschaft im mitteleuropischen Raum, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 10 (1986), S. 251 – 274, hier S. 253. 160 Hartmut Harnisch, Die Gutsherrschaft. Forschungsgeschichte, Entwicklungszusammenhnge und Strukturelemente, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 9 (1985), S. 189 – 240, hier S. 223 – 226, S. 233 – 236, mit der These, daß das schon ursprînglich schlechte buerliche Besitzrecht die weitere Entwicklung begînstigt habe; vgl. Ders.,

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Der Dreißigjhrige Krieg und der durch ihn befçrderte Menschenmangel hat nun diese Entwicklung beschleunigt und verschrft; da, wo Bauernstellen kriegsbedingt verlassen worden waren, konnte der Gutsherr daran denken, dieses Land dem Eigenbetrieb zuzuschlagen. Zugleich mußte das Interesse sich verstrken, die verbliebene lndliche Bevçlkerung an das Gutsland zu binden und zugleich die Naturaldienste der Untertanen zu steigern.161 Insofern fielen die geschilderten Auflçsungserscheinungen der lndlichen Sozialdisziplin in Folge des Krieges zusammen mit langfristigen Entwicklungen gutsherrschaftlicher und gutswirtschaftlicher Strukturen in Brandenburg und in anderen Regionen Ostmitteleuropas. Artikuliert wurde dies kurz nach dem eingetretenen Frieden von den brandenburgischen Landstnden, als sie bei den Verhandlungen des Jahres 1652 îber den „Mutwill“ der Untertanen Klage fîhrten. „Sonderlich aber unterstehen sich die Pauern mit denen man bei diesem Kriegeswesen in die Gelegenheit gesehen und sie nicht so strikte zu ihrer Gebîhr in Leistung der vçlligen Dienste und Abstattung der Pachte und Maltern angehalten hat, damit sie die schwere Contributiones und Unpflichten desto besser erleiden mçchten“, sich auch nun im Frieden dieser Abgaben zu entziehen. Deshalb haben die stndischen Deputierten in aller Form „gebeten, daß denen vom Adel noch ferner freistehen mçge, da gnîgsame Ursachen vorhanden, einen mutwilligen, ungehorsamen Pauern zu relegiren, auch nach Die Gutsherrschaft in Brandenburg. Ergebnisse und Probleme, zuerst 1969, wieder in: Ingrid Mittenzwei / Karl-Heinz Noack (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte vor 1789 (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut fîr Geschichte, Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, 2), Berlin 1983, S. 67 – 101, hier S. 68, S. 70 – 74, S. 86; Ders., Probleme … (s. Anm. 159), S. 268; vgl. damit Lieselott Enders, Entwicklungsetappen der Gutsherrschaft vom Ende des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhundert, untersucht am Beispiel der Uckermark, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 12 (1988), S. 119 – 166, hier S. 126 f., S. 131 f., scharf gegen Harnisch: S. 165 mit Anm. 23; nach wie vor einschlgig als lterer westlicher Klassiker Francis L. Carsten, Die Entstehung Preußens, deutsche Ausgabe: Kçln/ Berlin 1968, S. 123, S. 128, S. 130; Wilhelm Abel, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernhrungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Hamburg/Berlin 31978, S. 110, und Friedrich Lîtge, Geschichte der deutschen Agrarverfassung vom frîhen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (= Deutsche Agrargeschichte, 3), Stuttgart 21967, S. 133; aus der neueren internationalen Literatur sei exemplarisch fîr die europischen Zusammenhnge verwiesen auf die Studien von Maria Bogucka, Baltic Commerce and Urban Society, 1500 – 1700. Gdan´sk/Danzig and its Polish Context, Aldeshot 2003, z. B. S. IV/ 14 f. – Zu den speziellen agrarrechtlichen Konsequenzen vgl. als Klassiker Friedrich Grossmann, ˜ber die gutsherrlich-buerlichen Rechtsverhltnisse in der Mark Brandenburg vom 16. bis 18. Jahrhundert (= StaatsSocialwissForsch, 9, Heft 4, der ganzen Reihe 40), Leipzig 1890, S. 11, S. 13 – 16, S. 20 f., S. 27 ff., u. ç. 161 L. Enders, Produktivkraftentwicklung … (s. Anm. 100), S. 82; H. Harnisch, Probleme … (s. Anm. 159), S. 255 f., S. 260 ff.; W. W. Hagen, Crisis … (s. Anm. 99), S. 309 ff.; G. Franz, Dreißigjhriger Krieg … (s. Anm. 146), S. 126.

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billiger Taxa und Landesgebrauch auszukaufen und Pauergîter an sich zu bringen. Wo aber die Leibeigenschaft im Gebrauche, muss dem Adel billig frei verbleiben, mit den Pauergîtern allerdinge nach seinem Gefallen zu gebahren“.162 In der spezifischen politischen Situation hat der Kurfîrst diese Positionen akzeptiert, und so wurde, auf der Basis der Entwicklungen seit dem spteren 15. Jahrhundert nun doch ein entscheidendes Stîck darîber hinausgehend, im Landtagsrezeß von 1653 der entscheidende Passus so formuliert. Danach sollte die „Leibeigenschafft“ da, wo sie „introduciret“ war, bestehen bleiben. Kînftig hatte der Bauer die positive Beweislast zu tragen, daß er nicht leibeigen sei.163 Allerdings hat das Kammergericht nachweislich in steter Rechtssprechung sowohl vor und nach 1650 und auch im 18. Jahrhundert gegen die Versuche von Adligen, die Leibeigenschaft durchzusetzen, einen durchaus wirksamen Rechtsschutz gewhrt.164 Es steht fest, daß der Rechtsbegriff der Leibeigenschaft im brandenburgpreußischen Staat nur landschaftlich, nicht aber generell verbreitet war. Zudem hat er sich in der Praxis nur in einzelnen Fllen bis zu der Schrfe gesteigert, daß Bauern von dem Boden, auf dem sie saßen, weg verkauft worden sind. Insofern ist die Leibeigenschaft in Pommern sehr viel schrfer ausgeprgt gewesen als in Brandenburg, wo darunter im frîhen 18. Jahrhundert eine buerliche Existenz unter bestimmten gewiß belastenden Bedingungen verstanden worden ist. Dazu zhlte ein ungînstiges Besitzrecht, so daß die Bauerngîter und ihre Ausstattung nicht vererbt werden konnten. Leibeigene galten zwar als „freye Leuthe“, hatten aber ihre Kinder, insbesondere wenn sie nicht auf den buerlichen Wirtschaften 162 UA, 10, S. 238 f., und die Verhandlungen S. 272 f. 163 C. O. Mylius (Hg.), Corpus … (s. Anm. 72), 6. Tl., 1. Abt., Sp. 425 – 466, Nr. 118, hier Sp. 438; dazu Francis L. Carsten, Die Entstehung des Junkertums, in: Richard Dietrich (Hg.), Preussen. Epochen und Probleme seiner Geschichte, Berlin 1964, S. 57 – 76, S. 171 – 173, hier S. 73 – 75; Francis L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, Frankfurt am Main 1988, S. 34 f.; Ders., Entstehung … (s. Anm. 160), S. 155 – 157; vgl. F. Grossmann, Rechtsverhltnisse … (s. Anm. 160), S. 68 – 71; Wolfgang Neugebauer, Die Leibeigenschaft in der Mark Brandenburg. Eine Enquete in der Kurmark des Jahres 1718, in: Friedrich beck / Klaus Neitmann (Hg.), Brandenburgische Landesgeschichte und Archivwissenschaft. Festschrift fîr Lieselott Enders zum 70. Geburtstag (= Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 34), Weimar 1997, S. 225 – 241. 164 L. Enders, Uckermark … (s. Anm. 100), S. 336 f., S. 345 f.; H. Croon, Landstnde … (s. Anm. 52), S. 18; L. Enders, Entwicklungsetappen … (s. Anm. 160), S. 124, S. 135 f., S. 160, S. 164; Hartmut Harnisch, Rechtsqualitt des Bauernlandes und Gutsherrschaft. Probleme und Materialien einer vergleichenden und retrospektiven Auswertung von statistischen Massendaten aus dem 18. Jahrhundert und der Zeit der kapitalistischen Agrarreformen fîr die Agrar- und Siedlungsgeschichte, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 3 (1979), S. 311 – 363, hier S. 331 f.; vgl. dazu grundstzlich Michael North, Die Entstehung der Gutswirtschaft im sîdlichen Ostseeraum, in: ZHF 26 (1999), S. 43 – 59, hier S. 50.

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selbst bençtigt wurden, der Herrschaft zu einem bestimmten Lohn zum Dienst auf drei Jahre anzubieten. Wollten die Betreffenden unter eine andere Herrschaft treten, so hatten sie ein – nicht sehr hohes – Loskaufgeld und fîr ihre Habseligkeiten einen „Abschoß“ zu leisten. Die Zahl der Tage, an denen auf dem Herrenland zu dienen war, ist îberdurchschnittlich hoch gewesen – auf Rittergîtern dem des Herrn, auf Domnenmtern auf dem Feldteil des Amtes zu erbringen. Zum Teil mußte im Falle des Wegzuges ein Nachfolger gestellt werden. Leibeigenschaft hieß also in diesen brandenburgischen Gebieten eine „bedingte Schollenpflichtigkeit“ (C. Schmidt), die sich in der Nachbarschaft zu den pommerschen Landschaften zur „unbedingten Schollenpflichtigkeit“ steigern konnte, aber doch von der russischen Form des freien „Handels mit Leibeigenen“ deutlich zu unterscheiden ist.165 Wenn auch in Pommern die Leibeigenschaft besonders deutlich ausgeprgt war und dort schon im frîhen 17. Jahrhundert „ungemessene Frondienste“ verlangt werden konnten, so ist auch hier die Entwicklung in Folge des Dreißigjhrigen Krieges beschleunigt und verschrft worden.166 Abgesehen davon, daß auch in denjenigen brandenburgischen Gebieten, in denen die Leibeigenschaft in vergleichsweise schroffer Form praktiziert worden ist, schon bald, d. h. schon in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts durch auffllige Betonung der „persçnlichen Freiheit“ diese Form der Untertnigkeit in Anstzen unterhçhlt wurde,167 so lag doch in der Konstellation nach 1648/53 schon der Keim ihrer allmhlichen ˜berwindung. Denn wenngleich zunchst das Interesse des Adels, die verbliebenen Hintersassen in strkere Abhngigkeit zu bringen, dominierte und zum Revers-Text von 1653 fîhrte, so bewirkte andererseits eben die demographische Kata165 Vgl. W. Neugebauer, Leibeigenschaft … (s. Anm. 163), bes. S. 238; Komparatistik: Christoph Schmidt, Leibeigenschaft im Ostseeraum. Versuch einer Typologie, Kçln/ Weimar/Wien 1997, S. 131 f., zum „Handel mit Leibeigenen“: S. 134 f. 166 Oskar Eggert, Die Maßnahmen der preußischen Regierung zur Bauernbefreiung in Pommern (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission fîr Pommern, 9), Kçln/ Graz 1965, S. 2, S. 36 f.; Gînther Franz (Hg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes in der Neuzeit (= Ausgewhlte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, 11), Darmstadt 21976, S. 108 f., Nr. 47; vgl. L. Enders, Entwicklungsetappen … (s. Anm. 160), S. 160 f., S. 163, und die bedeutende Studie der Verfasserin: Lieselott Enders, Die Landgemeinde in Brandenburg. Grundzîge ihrer Funktion und Wirkungsweise vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, in: BllDtLdG 129 (1993), S. 195 – 256, hier S. 197; F. Grossmann, Rechtsverhltnisse … (s. Anm. 160), S. 31 f.; Hans Goldschmidt, Die Grundbesitzverteilung in der Mark Brandenburg und in Hinterpommern vom Beginn des dreißigjhrigen Krieges bis zur Gegenwart, Berlin 1910, S. 60 f. 167 So fîr die siebziger und achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts Lieselott Enders, Bauern und Feudalherrschaft der Uckermark im absolutistischen Staat, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 13 (1989), S. 247 – 283, hier S. 269; Dies., Bauern und Feudalherr … (s. Anm. 151), S. 16 f.; Dies., Uckermark … (s. Anm. 100), S. 503, und W. W. Hagen, Crisis … (s. Anm. 99), S. 315.

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strophenlage dieser Zeit, daß „Aufbauwillige“, die wîste Hofstellen îbernahmen, sich dabei vorteilhafte Bedingungen und einen guten Status erhandeln konnten. Mit dem Bevçlkerungsanstieg im 18. Jahrhundert verloren schließlich die Bestimmungen des 17. Jahrhunderts ihren Motivhintergrund. Die Erbuntertnigkeit beziehungsweise ihre verschrfte Form, die Leibeigenschaft, fîgt sich in eine weitere ostmitteleuropische Raumtypologie ein. Der „sîdbaltische Typ“ (Harnisch), gekennzeichnet durch einen hohen Anteil von gutsherrlichem Eigenland, hohe Dienste und schlechtes buerliches (Laß)Recht, reichte bis in die mittleren Provinzen Brandenburg-Preußens hinein.168 Freilich ist gerade die Zuordnung der çstlichen preußischen Gebiete schwierig. In Westpreußen, vor 1772 also dem Preußen kçniglich polnischen Anteils, waren die Bauern in bedeutenden Teilen des Landes in guter Rechtsstellung, ja „vielfach freie Leute“.169 In Ostpreußen herrschte die „Schollenpflichtigkeit“ vor, d. h. die Gutsangehçrigen galten als Zubehçr, sie standen in einem „Untertnigkeitsverhltnis zu ihrem Patrimonialherrn“, der auch hier Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit besaß und diese bis weit in das ausgehende 18. Jahrhundert selbstndig ausîben durfte. Aber abgesehen davon, daß es im Osten mit den Kçlmern und Freien eine auch quantitativ bedeutende Gruppe nichtadliger Landbewohner gab, die die gutsherrschaftlichen Strukturen gleichsam auflockerten und durchbrachen, sind die Landschaften mit Erbuntertnigkeit gerade in Ostpreußen nicht mit dem ganzen Land beziehungsweise der Provinz gleichzusetzen. Sie waren auf Teile der Gebiete beschrnkt, in denen der Adel massiv saß,170 whrend ja in Ostpreußen der Anteil der landwirtschaftlichen 168 Interessanter und gewiß mutiger Versuch: H. Harnisch, Probleme … (s. Anm. 159), S. 272 f. 169 Marie Rumler, Die Bestrebungen zur Befreiung der Privatbauern in Preußen 1797 – 1806, 2, in: ForschBrandPrG 33 (1921), S. 327 – 367, hier S. 340, S. 348; Hans-Jîrgen Bçmelburg, Zwischen polnischer Stndegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat. Vom Kçniglichen Preußen zu Westpreußen (1756 – 1806) (= Schriften des Bundesinstituts fîr ostdeutsche Kultur und Geschichte, 5), Mînchen 1995, S. 409 f. 170 Robert Stein, Die Umwandlung der Agrarverfassung Ostpreußens durch die Reform des neunzehnten Jahrhunderts, 1: Die lndliche Verfassung Ostpreußens am Ende des achtzehnten Jahrhunderts (= Schriften des Kçniglichen Instituts fîr ostdeutsche Wirtschaft an der Universitt Kçnigsberg, 5), Jena 1918, S. 191 ff.; nîtzlich auch M(ax) Toeppen, Historisch-comparative Geographie von Preussen. Nach den Quellen, namentlich auch archivalischen dargestellt, Gotha 1858, S. 389 f.; W. Guddat, Grundherrschaften … (s. Anm. 17), S. 22 – 25; M. Rumler, Bestrebungen … (s. Anm. 169), S. 346 f.; Karl Bçhme, Gutsherrlich-buerliche Verhltnisse in Ostpreußen whrend der Reformzeit von 1770 bis 1830. Gefertigt nach Akten des Gutsarchivs zu Angerapp und Gr.-Steinort (= StaatsSocialwissForsch, 20, Heft 3, der ganzen Reihe 90), Leipzig 1902, S. 53; Friedrich-Wilhelm Henning, Herrschaft und Bauernuntertnigkeit. Beitrge zur Geschichte der Herrschaftsverhltnisse in den lndlichen Bereichen Ostpreußens und des Fîrstentums Paderborn vor 1800 (= Beihefte zum Jahrbuch der Albertus-Universitt Kçnigsberg/Pr., 25), Wîrzburg 1964, S. 97 – 106, und die Karte

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Nutzflche, der dem Landesherrn resp. der Domnenadministration unterstand, mit rund zwei Dritteln dominierte.171 Zwar hat es im çstlichsten Preußen zur Mitte des 18. Jahrhunderts den Versuch gegeben, Untertanen als Leibeigene einzeln und von ihrer Scholle weg zu verkaufen, doch ist dies vom Kçnig, zu dieser Zeit schon Friedrich der Große, und von der Justiz des Landes als unerlaubt gerîgt worden. Gerade diese Praxis htte dem Prinzip der Schollenbindung ja widersprochen.172 Eine eigentliche Leibeigenschaft hat es in Ostpreußen nicht gegeben.173 Ostmitteleuropische Langzeit-Entwicklungen und – in den mittleren Provinzen – die verschrfenden Folgen des Dreißigjhrigen Krieges formten diejenige agrarsoziale Struktur, die in den wichtigsten preußischen Gebieten durch die Gutsherrschaft charakterisiert wird. Freilich haben wir schon bald zum Trend auch Gegentrends erkennen kçnnen,174 und diese haben sich nach 1700 dann rasch verstrkt. Gerade in denjenigen Maßnahmen zum Wiederaufbau, die seit den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts von der landesherrlichen Seite ausgingen, ist freilich ein starkes Element der Dynamik enthalten gewesen, das sich gegen die Entwicklung zu Erbuntertnigkeit oder gar „Leibeigenschaft“ auswirken mußte. Die Siedlungspolitik, d. h. die frîhe Kolonisation zur Kompensation von Kriegs-Schden und zum Ausgleich von Entwicklungsdefiziten war ja nur unter der Bedingung praktikabel, daß man denjenigen, die man ins Land zog, gute, ja besonders gute Konditionen anbot. Dies gilt schon fîr die brandenburgische Niederlnderkolonisation seit 1647/48, die

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S. 108, S. 111; nîtzlich auch der Artikel von Friedrich Wilhelm Henning, Leibeigenschaft, in: Handwçrterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2, Berlin (1978), Sp. 1761 – 1772, hier Sp. 1768 f. R. Bergmann, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 17), S. 130 f. (1688); genauer F. W. Henning, Dienste … (s. Anm. 17), S. 8; Arthur Kern, Beitrge zur Agrargeschichte Ostpreußens, in: ForschBrandPrG 14 (1901), S. 151 – 258, hier S. 173, S. 183; James Leonhard Roth, The East Prussian „Domnenpchter“ in the Eighteenth Century: A Study of Collective Social Mobility, Ph. Diss. Berkeley, University of California 1979, S. 12 f. Vgl. G. Franz (Hg.), Bauernstand in der Neuzeit … (s. Anm. 166), S. 213 f., Nr. 105; dazu Hans Plehn, Zur Geschichte der Agrarverfassung von Ost- und Westpreußen, in: ForschBrandPrG 17 (1904), S. 383 – 466, 18 (1905), S. 61 – 122, hier in 17, S. 436; A. Kern, Beitrge … (s. Anm. 171), S. 163 f.; F.-W. Henning, Herrschaft … (s. Anm. 170), S. 149 f. August Skalweit, Die ostpreußische Domnenverwaltung unter Friedrich Wilhelm I. und das Retablissement Litauens (= StaatsSozialwissForsch, 25, Heft 3, der ganzen Reihe 118.), Leipzig 1906, S. 205; vgl. R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 170), S. 74 ff. Grundstzlich Lieselott Enders, Emanzipation der Agrargesellschaft im 18. Jahrhundert – Trends und Gegentrends in der Mark Brandenburg, in: Jan Peters (Hg.), Konflikt und Kontrolle in Gutsherrschaftsgesellschaften, ˜ber Resistenz- und Herrschaftsverhalten in lndlichen Sozialgebilden der Frîhen Neuzeit, Gçttingen 1995, S. 404 – 433, hier S. 405 ff., S. 408 – 412.

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freilich in einer oft feindlichen Umgebung keine bedeutenden Dauerwirkungen zeigte.175 Es gilt auch fîr die sptere Hugenottensiedlung, ferner fîr die Fçrderung von Wallonen und Pflzern, dann fîr die Ansiedlung von Schweizern. Sofern, etwa die Hugenotten, nicht am Hof, jedenfalls in der Residenz ihr Unterkommen suchten und dort gewiß das Wirtschafts- und Kulturniveau fçrderten, haben sie auf dem Lande, wenn sie sich dort zu halten vermochten, eine Gruppe besonderen Rechts und von gehobenem Sozialstatus heimisch werden lassen, die als – wenn man so will: positiver – Fremdkçrper wirkte.176 In einem weiteren Sinne war auch dies eine indirekte Langzeitfolge politischer Krisenkompensation nach dem großen Kriege.

175 Vgl. den Beitrag von Ursula Fuhrich-Grubert in diesem Bande; hier: Meta Kohnke, Das Edikt von Potsdam. Zu seiner Entstehung, Verbreitung und ˜berlieferung, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 9 (1985), S. 241 – 275, hier S. 241, S. 248; Niederlnder: O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. CXXV f., S. CXXXI; vor allem K. Breysig, Finanzen … (s. Anm. 47), S. 194, S. 248 ff., S. 253 – 260, S. 263 f., u. ç.; (Otto Glaser), Die Niederlnder in der brandenburg-preußischen Kulturarbeit, Berlin 1939, S. 27 ff.; vgl. jetzt den als Produkt eines Ausstellungsprojektes entstandenen Band von Horst Lademacher (Hg.), Onder den Oranje boom. Textband. Dynastie in der Republik. Das Haus Oranien-Nassau als Vermittler niederlndischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert, Mînchen 1999, vor allem die Beitrge von Gerhard Oestreich, Klaus Vetter und bes. Diete M. Oudesluijs, Wirtschaft und Technik in Brandenburg-Preußen, S. 385 – 398, hier S. 388 – 392, S. 396. 176 Gustav Schmoller, Die preußische Einwanderung und lndliche Kolonisation des 17. und 18. Jahrhunderts, zuerst 1886, wieder in: Ders., Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des Preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898, ND Hildesheim/New York 1974, S. 562 – 627, hier S. 582; Margarete Pick, Die franzçsischen Kolonien in der Uckermark (= Arbeiten des Uckermrkischen Museums- und Geschichtsvereins zu Prenzlau, 13), Prenzlau 1935, S. 8 – 13, S. 15, S. 29 ff.; Ed(uard) Muret, Geschichte der Franzçsischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, unter besonderer Berîcksichtigung der Berliner Gemeinde. Aus Veranlassung der Zweihundertjhrigen Jubelfeier am 29. Oktober 1885 …, Berlin 1885, S. 13 – 19, S. 51 ff.; K. Breysig, Finanzen … (s. Anm. 47), S. 361 ff.; M. Kohnke, Edikt … (s. Anm. 175), S. 266 f.; zur Schweizer-Kolonisation bringt einiges Neues die Tîbinger Habilitationsschrift von Matthias Asche, Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewltigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Mînster 2006, zu den nçrdlichen Teilen der Kurmark, etwa S. 461 ff.; (auch zu den Schweizern) nach wie vor auf Grund des schon frîh verwendeten Archivmaterials unverzichtbar Max Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen. Ein Beitrag zu der Geschichte des preußischen Staates und der Colonisation des çstlichen Deutschlands, Leipzig 1874, S. 140 ff.

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§ 3 Der Staat des Großen Kurfîrsten In den Jahren und Jahrzehnten nach dem Dreißigjhrigen Kriege hatten die Trger der Lokalherrschaft, indem sie die Sozialdisziplin und Kirchenzucht restabilisierten, ihre Positionen, Instrumente und Handlungsspielrume ausgebaut. Man kann darin durchaus eine Verstrkung nichtabsolutistischer Verfassungselemente im frîhmodernen Staat erkennen, wie er nun in der Zeit des Großen Kurfîrsten zu entstehen begann. Der Staat des Kurfîrsten aber war zunchst wenig mehr als eine politische Einheit durch Personalunion, d. h. konstituiert durch den gemeinsamen Herrscher, der gleichzeitig im Brandenburgischen Kurfîrst, in Pommern, Preußen, in Kleve Herzog und z. B. in Minden und Halberstadt Fîrst war. In der riskanten und angespannten Lage um 1640 war es zwar zu einem gewissen Ressourcentransfer zwischen Preußen und Brandenburg gekommen; man mag darin erste Anfnge gesamtstaatlicher Wirkungszusammenhnge erkennen. Damals wurden Naturallieferungen und auch Geldmittel aus dem Herzogtum Preußen mit seinen noch intakten Geldquellen auch fîr brandenburgische Bedîrfnisse, nicht zuletzt solche von Hof und frîhem Militr, in die mittleren Gebiete gefîhrt. Preußen war zu diesem Zeitpunkt auch in finanzpolitischer Hinsicht das einzig funktionsfhige Gebiet des Hohenzollern, nur aus ihm konnten Mittel abgezweigt und umgelenkt werden. An Widerstnden aus den Lndern Friedrich Wilhelms hat es gegen diese Maßnahmen nicht gefehlt.177 Die je verschiedenen Landesregierungen und nicht zuletzt die adligen Stnde haben einer gesamtstaatlichen Politik prinzipiell ablehnend gegenîbergestanden. Jedes Land des Herrschers vertrat seine eigenen Interessen. In den Stndeakten der einzelnen Gebiete, die fîr das 17. Jahrhundert in großer Fîlle erhalten sind, finden sich nur sehr wenige Bezîge zu anderen Territorien des Staates – Territorien und Lnder, noch nicht „Provinzen“. Die westliche Exposition, d. h. Kleve, das westflische Mark, Ravensberg und Minden standen in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts auch unter sich noch in keiner nheren Verbindung.178 177 Mit weiteren Nachweisen Wolfgang Neugebauer, Das historische Verhltnis der Mark zu Brandenburg-Preußen. Eine Skizze, in: Lieselott Enders / Klaus Neitmann (Hg.), Brandenburgische Landesgeschichte heute (= Brandenburgische Historische Studien, 4), Potsdam 1999, S. 177 – 196, hier S. 180 ff. und passim; wichtig Max Hein, Leistungen Preußens fîr den Gesamtstaat im ersten Jahrzehnt des Großen Kurfîrsten, in: Altpreußische Forschungen 1 (1924), S. 57 – 80, hier S. 58 – 65; Julius Triebel, Die Finanzverwaltung des Herzogtums Preussen von 1640 – 1646 (= Materialien und Forschungen zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte von Ost- und Westpreußen, 1), Leipzig 1897, S. 1, S. 10, S. 39, S. 71, S. 109, S. 125; U. Marwitz, Staatsrson … (s. Anm. 96), S. 35. 178 Otto Hçtzsch, Stnde und Verwaltung von Cleve und Mark in der Zeit von 1666 bis 1697 (= Urkunden und Aktenstîcke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfîrsten

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Die organisierten Landstnde haben nach 1640 zunchst ihre Position zu festigen vermocht; auch in dieser Hinsicht hat Friedrich Wilhelm anfangs eine eher traditionelle, jedenfalls nicht „absolutistische“ Politik betrieben, ja er hat die Stnde sogar zu Fragen der Außenpolitik gehçrt, was alles darauf hinweist, daß es zumindest damals eine Parallelitt der Interessen von Fîrst und Stnden gegeben hat, wiewohl es um die Frage finanzieller Bewilligungen auch zu Spannungen gekommen ist. Die sptere Warnung Friedrich Wilhelms, ausgesprochen in seinem „politischen Testament“ von 1667, nicht zu viele Landtage zu halten, weil dies die „Autoritet“ des Monarchen untergrabe und „weil Die Stende alzeitt was suchen, so der Herschaft ahn Ihrer hocheitt nachteillig ist“, darf îber die stndische Politik dieses Monarchen gerade in dem ersten Jahrzehnt seiner Herrschaft nicht hinwegtuschen.179 So wie jedes Land im werdenden Gesamtstaat Brandenburg-Preußen seine spezifischen Strukturen, Observanzen und Rechtstraditionen, gerade auch auf religiçsem Gebiete, besaß, so standen auch die Landtage und îberhaupt die landstndischen Institutionen der Territorien unverbunden nebeneinander. Wer waren nun aber diese (organisierten, politischen) Stnde, von denen wir schon wiederholt hçrten? In der Kurmark hatten ursprînglich drei Kurien existiert, zum einen die Prlaten, Grafen und Herren, zum zweiten die ritterschaftliche Kurie und drittens die Stdte. Die beiden ersten wurden auch als die „Oberstnde“ bezeichnet und haben als kaum noch geschiedene Einheit agiert, zumal in Folge der Reformation die Prlaten stark reduziert worden waren. Erhalten blieben immerhin in der stndischen Organisation die Stifter Brandenburg und Havelberg, das Kloster Heiligengrabe in der Prignitz und zwei brandenburgische Komture des Johanniterordens. Im dritten Stand waren nur Immediatstdte mit landstndischen Rechten vertreten, also Stdte, die keinem Mediatherrn, sei es ein Adliger oder ein landesherrliches Domnenamt, unterstanden. Stdte wurden in aller Regel von Ratsmnnern vertreten, die aber nur instruktionsgebunden, nicht aber mit freiem Mandat agierten. Nach Verlesung der kurfîrstlichen Proposition tagten die Kurien getrennt und geheim. Schriftlicher Verkehr war die Regel. Die Abstimmung zwischen den Kurien konnte aber auch mîndlich erfolgen.180 Jeder angesessene Adlige beziehungsweise Besitzer adliger Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 2), Leipzig 1908, S. 352 f. mit Anm. 2; K. Breysig, Finanzen … (s. Anm. 47), S. 1. 179 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 12; Ders., Stnde im Spannungsfeld zwischen Brandenburg-Preußen, Pfalz-Neuburg und den niederlndischen Generalstaaten. Cleve-Mark und Jîlich-Berg im Vergleich, in: P. Baumgart (Hg.), Stndetum … (s. Anm. 13), S. 243 – 262, hier S. 250; W. Kalbe, Beitrge … (s. Anm. 132), S. 71, S. 94; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. LXIII, S. LXVIII f.; S. Isaacsohn, in: UA, 10, S. 35, S. 181 ff., S. 188 ff.; 1667: G. Kîntzel / M. Hass, Testamente … (s. Anm. 136), 1, 2. Aufl., S. 63. 180 H. Croon, Landstnde … (s. Anm. 52), S. 1 – 6; zusammenfassend Peter Baumgart, Zur Geschichte der kurmrkischen Stnde im 17. und 18. Jahrhundert, in: Dietrich

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Gîter war landtagsfhig, doch waren eigentliche Landtage in Brandenburg immer selten, die Abstnde zwischen ihnen betrugen Jahrzehnte. Daß seit der Mitte des 17. Jahrhunderts keine (Plenar-)Landtage mehr berufen wurden, sollte nicht îberwertet werden. Zum einem konnten Ausschîsse an der Spitze der landstndischen Selbstorganisation sehr wohl die Funktion von Landtagen îbernehmen, und bisweilen sind Landtage nur anfangs von allen interessierten Inhabern des Standschaftsrechts besucht worden, whrend sodann der Landtag als Ausschußtag fortgesetzt wurde. Dieses Faktum lßt die Differenz zwischen dem stndischen Leben in seiner großen Zeit bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts und der Zeit der Stnde im Absolutismus als sehr viel geringer erscheinen als man gemeinhin meint. Zudem gewann das stndische Leben in den Kreisen und Landschaften an Bedeutung, hier wurde z. B. der Große Ausschuß gewhlt, der sehr wohl auch zu Steuerbewilligungen berechtigt war; dessen Sitzungen waren auch kostengînstiger und zudem effektiver als große Landtage, bei denen, etwa 1602, angeblich weit mehr als tausend Teilnehmer in Berlin erschienen und sich dort auch unterhalten mußten.181 Um 1600 wurden rund 1.000 „Junker“ in der Kurmark gezhlt, der einflußreichste Stand, d. h. derjenige der Inhaber der nach 1650 krftig gefestigten Herrengewalt im Lande. Deshalb ist es zutreffend, die Stnde schließlich als die „Gesamtheit aller Ortsobrigkeiten“ anzusehen.182 Sie waren es letztlich, die die Organisation der Stnde trugen und denen Hintersassen die Steuern aufzubringen hatten, die bewilligt wurden. Die Organisation der Stnde reichte jedoch viel weiter und Gerhard (Hg.), Stndische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert (= Verçffentlichungen des Max-Planck-Instituts fîr Geschichte, 27, Studies Presented to the International Commission for the History of Representative and Parliamentary Institutions, 37), Gçttingen 21974, S. 131 – 161, hier S. 138 ff. 181 S. Isaacsohn, in: UA, 10, S. 14 – 16, S. 47 ff., S. 174 – 178; Peter-Michael Hahn, Landesstaat und Stndetum im Kurfîrstentum Brandenburg whrend des 16. und 17. Jahrhunderts, in: P. Baumgart (Hg.), Stndetum … (s. Anm. 13), S. 41 – 79, hier S. 71 Anm. 31; Gînter Vogler, Absolutistisches Regiment und stndische Verfassung in Brandenburg-Preußen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Heiner Timmermann (Hg.), Die Bildung des frîhmodernen Staates – Stnde und Konfessionen (= Forum Politik, 6), Saarbrîcken-Scheidt 1989, S. 209 – 232, hier S. 210 f.; aus intensiver Kenntnis des stndischen Archivs und deshalb nach wie vor fîr diese Materie unverzichtbar: G(eorge) A(dalbert) von Mîlverstedt, Die ltere Verfassung der Landstnde in der Mark Brandenburg vornmlich im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 1858, S. 30 – 58; G. Heinrich, Adel … (s. Anm. 19), S. 278 f. (mit anderen Zahlen); vgl. Bernhard Landmesser, Die Stnde der Kurmark Brandenburg unter Joachim II. (1535 – 1571), rechts- und staatswiss. Diss. Kiel, Borna/Leipzig 1929, S. 52 ff. (Ausschîsse); H. Croon, Landstnde … (s. Anm. 52), S. 8 ff.; fîr die Materie grundlegend die Studie des HintzeMitarbeiters Martin Hass, Die kurmrkischen Stnde im letzten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts (= VerçffVGBrandenb), Mînchen/Leipzig 1913, S. 9 f., S. 17 – 44; zum Zsurcharakter von 1653 vgl. P. Baumgart, Kurmrkische Stnde … (s. Anm. 180), S. 143 f. 182 M. Hass, Stnde … (s. Anm. 181), S. 9 (um 1600).

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tiefer als nur zu Kreis- und Landtagen beziehungsweise zu den gewhlten Ausschîssen. Diese standen an der Spitze einer eigenen Landesorganisation, fîr die man den Begriff der Verwaltung vielleicht schon seit dem 16. Jahrhundert wagen darf. Im Stnde-, d. h. im Landschaftshaus, hatte sie ihr Zentrum, hier wurden die diversen Kassen und die Registratur gefîhrt, hier hatte das stndische Kreditsystem seinen Sitz. Von hier aus wurde das stndische Personal im Lande angeleitet, die Kassierer, die Gegenschreiber, die Einnehmer und Exekutoren.183 Mochten die Stnde auch in der Tat kein geregeltes Mitspracherecht in Sachen der Landesgesetzgebung besitzen, so hatten sie doch auch auf diesem Felde Mçglichkeiten der Einflußnahme, so etwa wenn sie um 1650 Vorlagen erarbeiteten, die dann im Geheimen Rat mit den Stnden beraten wurden. Mit dem ersten Jahrzehnt des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm ging gewiß eine Phase stndischen Lebens zuende, die durch einen Bedeutungsgewinn nichtabsolutistischer Faktoren in der brandenburgischen Politik gekennzeichnet war. Der Landtag von 1652/53, der nur anfangs ein eigentlicher Vollandtag gewesen ist und auf dem es zu der zitierten Verschrfung der die „Leibeigenschaft“ betreffenden Bestimmungen kam,184 bildet eine relative Zsur in der politischen Strukturgeschichte Brandenburg-Preußens. Die außenpolitische Lage tritt an dieser Stelle in ihrer innenpolitischen und strukturverndernden Wirkung plastisch vor Augen. Zum einen ging es um die Bemîhung des Kurfîrsten, zur Sicherung seiner hinterpommerschen Neuerwerbung Steuern, d. h. die Kontribution, bewilligt zu bekommen. Zugleich schwang aber bei diesem Petitum um Bewilligungen zum Zwecke militrischer Rîstungen auch die Erinnerung an die Hilflosigkeit im Dreißigjhrigen Kriege mit, da wie der Kurfîrst den Geheimen Rten in Erinnerung rief, „noch unvergessen, in was elendem Zustande diese Lande in annis 1637, 38, 39 und 40 sich befunden, also gar, daß ohn Entsetzen 183 Exemplarisch M. Hass, Stnde … (s. Anm. 181), S. 227 – 297; B. Landmesser, Die Stnde … (s. Anm. 181), S. 67 – 74, S. 238 – 260; wichtige Einblicke ergab die Beschftigung mit der reichen neumrkischen stndischen Archivîberlieferung, vgl. Wolfgang Neugebauer, Die neumrkischen Stnde im Lichte ihrer Ttigkeit, in: Margot Beck / Wolfgang Neugebauer, Neumrkische Stnde (Rep. 23 B) (= Quellen, Findbîcher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 9), Frankfurt am Main u. a. 2000, S. XVII-LXXIX, hier S. XXIV ff., S. XLVIII ff., und passim; vgl. auch Gustav Schmoller, Die Epochen der preußischen Finanzpolitik bis zur Grîndung des deutschen Reiches, zuerst 1877, wieder in: Ders., Umrisse und Untersuchungen … (s. Anm. 176), S. 104 – 246, hier S. 135; vgl. auch S. Isaacsohn, in: UA, 10, S. 11 f.; zur Entwicklung im 17. und 18. Jahrhundert siehe auch die Vortragsnotiz von Melle Klinkenborg in den ForschBrandPrG 27 (1914), Sitzungsberichte S. 11 f.; zu den stndischen Einwirkungsmçglichkeiten der Landstnde vgl. treffend G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 30 f., dessen Gesamtdarstellung aus frîhen Quellenstudien viele Beobachtungen enthlt, die auch heute noch die Forschung vor Regressionen bewahren kçnnen. 184 S. Anm. 162/163; Verlauf: S. Isaacsohn, in: UA, 10, S. 174 – 178.

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und Grauen bald nicht daran zu gedenken stînde“.185 Etwas Militr mîsse auch dann, wenn keine Kmpfe drohten, bereitstehen. Zumal „etwas Reuterei“, so Friedrich Wilhelm aus Kleve im Mrz 1652, „mîßte des Landes eigenen Sicherheit halber beibehalten werden“. Das klang bereits nach dem Prinzip eines kleinen miles perpetuus, d. h. des stehenden Heeres. Die Besttigung der Privilegien und die Ausweitung vor allem im Bereich des lndlichen Sozialrechts und der Privilegien der Stadtmagistrate war der Preis dafîr, daß die Stnde trotz aller Bedenken gegen militrische Rîstungen nun auf sechs Jahre eine Bewilligung aussprachen. Insgesamt wurden 530.000 Taler zugestanden.186 Freilich ist die Entwicklung îber den Rezeß von 1653 in seinen finanziellen, resp. militrpolitischen Teilen rasch hinweggegangen. Die Stnde haben die Bewilligung bald erweitert, und der Kurfîrst ist dann seinerseits îber die zugestandene Grenze hinausgegangen und hat weitere Steuern im Krieg ohne Bewilligung erhoben,187 bisweilen auch mit militrischer Exekutionsgewalt eingetrieben. Dies wîrde „postulante necessitate“ geschehen, so ist den protestierenden Stnden gegenîber argumentiert worden, und wieder wurde daran erinnert, „was in annis 36, 37 und 38 bis 39 aus dringender Noth geschehen mîssen“.188 Allerdings ist es unrichtig, aus diesen in den Zeiten des ersten Nordischen Krieges ergriffenen Zwangsmaßnahmen auf die Ausschaltung der Stnde zu schließen, zumal in den kurfîrstlichen Quellen etwa vom Jahre 1659 wieder von einem „ausgeschriebenen Landtag“ die Rede ist, auf dem Friedrich Wilhelm îbrigens gegenîber den stndischen Beschwerden grundstzlich „so viel immer mçglich, gndigste Verordnung ergehen lassen“ wollte.189 Fîr die politischen Verhltnisse, wie sie sich nun in Brandenburg-Preußen ausbildeten, ist noch wichtiger, daß sich 1662 die brandenburgischen Stnde zu einer zeitlich nicht begrenzten Bewilligung bereitgefunden haben – îbrigens nachdem ihnen „bei der uns gn. gestatteten Audienz gewahr werden mîssen, daß E. Ch. D. sich îber unsre gehors[amste] Proposition in etwas alteriret“ 185 UA, 10, S. 223 ff.; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 4, S. 508 (Zitat), Nr. 414, das Folgende S. 511. 186 UA, 10, S. 274 f.; Wilhelm Altmann (Hg.), Ausgewhlte Urkunden zur Brandenburgisch-Preussischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Zum Handgebrauch zunchst fîr Historiker, 1, Berlin 21914, S. 81 – 111, bes. S. 110, Nr. 36 (1653); Christoph Fîrbringer, Necessitas und libertas. Staatsbildung und Landstnde im 17. Jahrhundert in Brandenburg (= Erlanger historische Studien, 10), Frankfurt am Main/Bern/New York (1985), S. 149 – 166; F. L. Carsten, Entstehung … (s. Anm. 160), S. 155 ff.; Ders., Junker … (s. Anm. 163), S. 34 f.; F. Holtze, Brandenburg … (s. Anm. 129), S. 74 f.; und E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 260. 187 K. Breysig, Staatshaushalt … (s. Anm. 87), S. 452 – 454; UA, 10, S. 303 f. 188 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 5, S. 93, Nr. 75. 189 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 6, S. 3, Nr. 2, Geheimratsprotokoll vom 1./10. Dezember 1659.

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hatten.190 Friedrich Wilhelm hat also in die entscheidenden Verhandlungen dieses Jahres sehr persçnlich und durchaus wirkungsvoll eingegriffen. Fortan wurden, und zwar ausdrîcklich fîr den Unterhalt von Soldaten auch in Friedenszeiten, monatlich 20.000 Taler bewilligt. Und doch hat auch dieser Schritt, der natîrlich dem Kurfîrsten durch stetige Steuereinkînfte eine gute Position verschaffte, die Stnde nicht etwa ausgeschaltet. In den 1660er Jahren haben sie fîr einige Zeit das brandenburgische Mînzwesen, d. h. die Prgung und Geldausgabe in den Hnden gehabt und selbst betrieben.191 Wiederholt haben sie sich in den kommenden Jahrzehnten gegen unbewilligte Steuern verwahrt. Unter Kurfîrst Friedrich III., kurz vor 1700, sind stndische Bewilligungen fçrmlich erfolgt, und zwar solche Summen, die îber den einmal zugestandenen Grundbetrag als Extraordinarium hinausgingen. Hier hat noch Jahrzehnte nach 1653/62 ein Steuerbewilligungsrecht der Stnde existiert, und diese haben auch die Art und Weise der Aufbringung bestimmen und in der Hand behalten kçnnen. Nach 1700 haben kurfîrstliche „Behçrden“ bei den Stnden, d. h. der Landschaft Kredite aufgenommen.192 Wir halten fest: Das Verhltnis von Staat und Stnden war nach 1653 durchaus nicht ein fîr allemal entschieden. Dies gilt nicht nur fîr die mittleren Provinzen. In der Mark Brandenburg und auch in Pommern war von einer Teilnahme von Bauern in der stndischen Partizipationsorganisation keine Rede.193 Aber im Herzogtum Preußen war das Prinzip adelsstndischer Exklusivitt (angereichert allenfalls durch Vertreter der stdtischen Ratsoligarchien) weniger deutlich ausgeprgt. Gewiß waren auch im Herzogtum Preußen die Ritter und die Herren die eigentlich tonangebenden Elemente in der Landes- und Stndeorganisation. Aber in den Kreisen (hier ja Hauptmter genannt) haben nichtadlige Landbesitzer bis zum Ende des 17. Jahrhunderts und dann verstrkt im ausgehenden 18. Jahrhundert durchaus eine Mçglichkeit der Artikulation besessen. Es handelt sich dabei vor allem um die nach dem Kulmischen Recht benannten Kçlmer, die zusammen mit den Freien ein erbliches Besitz- und Nutzungsrecht an ihren Gîtern besaßen. Im çstlichen Preußen gab es also zwischen den Bauern 190 UA, 10, S. 503 (6./16. Januar 1662), Bewilligung: S. 488 – 508; K. Breysig, Staatshaushalt … (s. Anm. 87), S. 455 ff.; F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 293. 191 F(riedrich) Freiherr von Schroetter, Die Berliner Mînzprgung der mrkischen Stnde, in: ForschBrandPrG 31 (1919), S. 401 – 409, hier S. 401 – 404, S. 408; A. W. Prinz von Preußen, Kommissariatsbehçrden … (s. Anm. 97), S. 14; Friedrich Freiherr von Schroetter, Das Mînzwesen Brandenburgs whrend der Geltung des Mînzfußes von Zinna und Leipzig, in: HohenzJb 11 (1907), S. 63 – 74, hier S. 64. 192 UA, 10, S. 485 ff.; 1696: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 23 A, B 60; Karl Freiherr von Ledebur, Kçnig Friedrich I. von Preußen. Beitrge zur Geschichte seines Hofes, sowie der Wissenschaften, Kînste und Staatsverwaltung seiner Zeit, Leipzig 1878, S. 467 f.; Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. Kçnig in Preußen. Eine Biographie. Jugend und Aufstieg, Hamburg 21943, S. 439. 193 Vergleichend M. Hass, Stnde … (s. Anm. 181), S. 8 f.

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und dem Adel eine Schicht mit politischen Berechtigungen, was dem Adel hier einiges von seiner Exklusivitt nahm.194 Nach Zahlen des 18. Jahrhunderts besaß diese Gruppe in Ostpreußen „fast ein Fînftel des gesamten landwirtschaftlich genutzten Bodens“, sie umfaßte mit Familienangehçrigen „rund 12 Prozent der gesamten lndlichen Bevçlkerung“.195 Diese Gruppe also konnte zunchst unangefochten bis in die 1680er Jahre an den Amtstagen teilnehmen und dort stndische Aktivrechte wahrnehmen, indem sie an der Deputiertenwahl zum Landtag mitwirken. Diese „Landboten“ aus den Hauptmtern mußten freilich aus dem Adel genommen werden, doch an der Erteilung der Instruktion waren die Kçlmer, Freien, Schulzen etc. in spezifischer Weise beteiligt. Die ostpreußischen Landtage waren also keine Plenarversammlungen aller Inhaber von Standschaftsrechten, sondern stets Deputiertenlandtage, bestehend aus der Kurie des Herrenstandes und der „Landrte“, zweitens der Kurie von Ritterschaft und (sonstigem) Adel und drittens der Stdte; unter diesen hatten die drei Kçnigsberger Stdte das entscheidende Gewicht.196 Auch im Herzogtum Preußen waren die stndischen Vertreter nicht Inhaber eines freien Mandats; vielmehr kam die Spezifik stndischer Partizipation vormoderner Prgung darin zum Ausdruck, daß die Landboten zumeist an Instruktionen ihres Wahlkçrpers, also ihres Standes beziehungsweise ihres besonderen Hauptamtes gebunden waren. 194 W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 18), S. 40 ff., S. 93 ff.; wichtig August Freiherr von Haxthausen, Die lndliche Verfassung in den Provinzen Ost- und Westpreußen, Abt. 1 und 2 (= Die lndliche Verfassung in den Provinzen der preußischen Monarchie, 1), Kçnigsberg 1839, S. 185 ff., S. 192 – 198, S. 204 f.; R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 170), 1, S. 69, S. 136 ff., S. 155 ff.; A. Kern, Beitrge … (s. Anm. 171), S. 181 ff. 195 Gerhard Czybulka, Die Lage der lndlichen Klassen Ostdeutschlands im 18. Jahrhundert (= Beitrge zum Geschichtsunterricht, 15), Braunschweig 1949, S. 59; Hanna Schissler, Preußische Agrargesellschaft im Wandel. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse von 1763 bis 1847 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 33), Gçttingen 1978, S. 81; stndische Teilhabe: W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 18); Herbert Helbig, Ordenstaat, Herzogtum Preußen und preußische Monarchie, in: R. Dietrich (Hg.), Preußen … (s. Anm. 163), S. 1 – 30, hier S. 22; F. L. Carsten, Entstehung … (s. Anm. 160), S. 168; wichtig Martin Spahn (Hg.), Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 16, Teil 2: Stndische Verhandlungen III (Preussen, 2, Tl. 2), (= Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg 16/II), Berlin 1899, S. 473, S. 527, S. 553, S. 598, S. 959 ff., S. 969, S. 986, S. 1001; R. Bergmann, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 17), S. 38 – 41; und Hugo Rachel, Der Grosse Kurfîrst und die ostpreußischen Stnde 1640 – 1688 (= StaatsSozialwissForsch, 24, Heft 1, der ganzen Reihe 111. Heft), Leipzig 1905 (auch als Nachdruck: Bad Feilnbach 1990), S. 131. 196 Klassisch H. Rachel, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 195), S. 69 – 86, S. 123 – 127, Instruktion: S. 113 – 123; R. Bergmann, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 17), S. 66 – 91; A. Horn, Verwaltung Ostpreußens … (s. Anm. 20), S. 127, S. 136 – 141.

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In der ungewçhnlichen sozialen Breite der altpreußischen Partizipation kann eine auffllige Parallele zu ostmitteleuropischen Verfassungsstrukturen erkannt werden; man denke an die Verhltnisse in Polen oder auch an die Strke des ungarischen Komitatsadels bis in das 19. Jahrhundert hinein.197 Dies sind gewiß Parallelen, die ostpreußischen „Landboten“ und die Struktur des DeputiertenLandtages erinnern zudem an polnische Analogien.198 Auch im 17. Jahrhundert hat der polnische Oberlehnsherr stndische Positionen im Herzogtum Preußen gestîtzt, bisweilen auch mit Intervention gedroht. Geheime Verbindungen zwischen den preußischen Stnden und dem polnischen Reichstag hat es auch noch um 1670 gegeben. Unstrittig besaßen sie dieses Recht bis zum Vertrag von Wehlau beziehungsweise Oliva 1657/60, so wie auch die klevischen Stnde im Westen das Recht zur Hilfe aus dem „Ausland“ besaßen.199 Der Kçnigsberger Schçppenmeister Hieronymus Roth, einer der Trger des nun anbrechenden Gefechtes um die Rechte des Landes, war vom polnischen Kçnig geadelt worden.200 Als der Kurfîrst um 1660 daran ging, das çstliche Preußen unter dem Prtext der „Souvernitt“ aus den ostmitteleuropischen Libertastraditionen wenigstens ein Stîck weit herauszulçsen,201 kam es zu dem spektakulren 197 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Standschaft als Verfassungsproblem. Die historischen Grundlagen stndischer Partizipation in ostmitteleuropischen Regionen. Mit einem Geleitwort von Klaus Zernack, Goldbach 1995, passim; vgl. ferner Wolfgang Neugebauer, Raumtypologie und Stndeverfassung. Betrachtungen zur vergleichenden Verfassungsgeschichte am ostmitteleuropischen Beispiel, in: Joachim Bahlcke, u. a. (Hg.), Stndefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. ˜bernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des çstlichen Mitteleuropa), Leipzig 1996, S. 283 – 310; zu den an frîhere Traditionen anknîpfenden Verhltnissen im spteren 18. Jahrhundert vgl. nach Akten Wolfgang Neugebauer, Zur Geschichte des preußischen Untertanen – besonders im 18. Jahrhundert, in: ForschBrandPrG NF 13 (2003), S. 141 – 161, hier S. 157 ff. 198 Otto Hintze, Staat und Gesellschaft unter dem ersten Kçnig, zuerst 1900, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 313 – 418, hier S. 324 f.; das Folgende: H. Rachel, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 195), S. 16 ff., S. 23 ff., S. 39; materialreich: WŁadysŁaw Czaplin´ski, Polska a Prusy i Brandenburgia za Władysława IV (= Prace Wrocławskiego Towarzystwa Naukowego, Seria A, Nr. 6), Wrocław 1947, S. 81 ff. 199 Eduard Hubrich, Zur Entstehung der preußischen Staatseinheit, in: ForschBrandPrG 20 (1907), S. 347 – 427, hier S. 349; Ludwig von Baczko, Geschichte Preußens, 6, Kçnigsberg 1800, S. 214; Otto Nugel, Der Schçppenmeister Hieronymus Roth, in: ForschBrandPrG 14 (1901), S. 393 – 479, hier S. 404 – 410. 200 O. Nugel, Roth … (s. Anm. 199), S. 402 f. 201 Gut gesehen bei Klaus Zernack, Polen in der Geschichte Preußens, in: Otto Bîsch (Hg.), Handbuch der preussischen Geschichte, 2: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin/New York 1992, S. 377 – 338, hier S. 414; Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740,

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Eklat auf dem „Langen Landtag“ von 1661 bis 1663202 mit der Verhaftung Roths und manch dramatischer Szene. Dabei haben die ostpreußischen Stnde im Kampf um die Landesfreiheiten mit sehr modernen Argumenten gefochten, haben mit naturrechtlichen Theorien, auch mit der Vertragslehre ihrer Zeit gearbeitet und sich auf Hugo Grotius berufen, bemerkenswert fîr das europische Bildungsniveau der ostpreußischen Stndepolitiker in der Zeit des Konfliktes mit dem Kurfîrsten-Herzog.203 Allerdings dîrfen diese Ereignisse ebenso wenig wie die Entfîhrung und Hinrichtung (1672) des Christian Ludwig von Kalckstein, der auf eigene Faust seine guten polnischen Familienverbindungen gegen den hohenzollernschen Landesherrn zu verwenden suchte,204 darîber hinwegtuschen, daß derartige Gewaltmaßnahmen fîr das stndisch-fîrstliche Verhltnis eher untypisch waren, auch in den in dieser Hinsicht besonders sensiblen Außenposten des Gesamtstaates. Zu Recht hebt Ernst in: Wilhelm Brauneder (Hg.), Staatliche Vereinigung: Fçrdernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte. Tagung der Vereinigung fîr Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13.3.–15. 3. 1995 (= Beihefte zu „Der Staat“, 12), Berlin (1998), S. 49 – 87, hier S. 70; S. und H. Dolezel, Staatsvertrge … (s. Anm. 8), S. 182 – 192, bes. S. 186 f., Bromberg: S. 197 – 206; vgl. schon Carl Friedrich Pauli, Allgemeine preußische Staats-Geschichte des dazu gehçrigen Kçnigreichs, Churfîrstenthums und aller Herzogthîmer, Fîrstenthîmer, Graf- und Herrschaften aus bewhrten Schriftstellern und Urkunden bis auf gegenwrtige Regierung, 5, Halle 1764, S. 78 ff.; schließlich T. v. Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 239 – 251. 202 Zur Quellenlage vgl. Janusz MaŁŁek, Eine andersartige Lçsung. Absolutistischer Staatsstreich in Preussen im Jahre 1663, in: Parliaments, Estates and Representation, 10, Nr. 2 (1990), S. 177 – 187, hier S. 178 ff., Verlauf: S. 182 ff.; Ernst Opgenoorth, „Nervus rerum“. Die Auseinandersetzungen mit den Stnden um die Staatsfinanzierung, in: Gerd Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten von Brandenburg (1640 – 1688) (= ZHF, Beiheft 8), Berlin 1990, S. 99 – 111, bes. S. 103 f.; Ders., Herzog Friedrich Wilhelm? Das Herzogtum Preussen unter dem Großen Kurfîrsten, in: Udo Arnold (Hg.), Preußen und Berlin. Beziehungen zwischen Provinz und Hauptstadt (= Schriftenreihe Nordost-Archiv, 22. Tagungsberichte der Historischen Kommission fîr ost- und westpreußische Landesforschung, 2), Lîneburg 1981, S. 83 – 97, hier S. 89 ff.; Ders., Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 27 – 36; wichtig noch F. L. Carsten, Preußen … (s. Anm. 160), S. 172 ff., und H. Rachel, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 195), S. 25 – 36; Emil Richard Mertens, Der Oberprsident Otto von Schwerin auf dem Großen Landtage in Ostpreußen (1661/1662), phil. Diss. Halle/Wittenberg 1914, S. 37 ff., S. 56 – 59, S. 68; L. v. Baczko, Preußen … (s. Anm. 199), 5, S. 311 – 351, mit wichtigem Material. 203 H. Rachel, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 195), S. 13. 204 Josef Paczkowski, Der Große Kurfîrst und Christian Ludwig von Kalckstein, in: ForschBrandPrG 2 (1889), S. 407 – 513, und 3 (1890), S. 419 – 463, hier im 1. Teil, S. 411 – 513, bes. S. 412 ff., S. 453 – 496 (Polen), und passim; George Adalbert von Mîlverstedt (Bearb.), Urkundenbuch zur Geschichte und Genealogie des Geschlechts von Kalckstein. Im Auftrage der Familie bearbeitet, Magdeburg 1906, S. 192 ff.; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 115 ff., und schließlich G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 59.

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Opgenoorth den Kompromißcharakter der Stndepolitik des Kurfîrsten-Herzogs hervor. Bei aller Betonung des fîrstlichen Primats habe auch Friedrich Wilhelm doch grundstzlich die îberkommene politische Ordnung akzeptiert, auch gegenîber den organisierten Stnden. Lediglich in der Außenpolitik habe er den Primat beansprucht, und deshalb ergab sich in Bezug auf Heeresausbau und die dafîr erforderlichen Mittel ein sensibler Bereich. Soweit die Stnde auf diesem Gebiet zum Kompromiß bereit waren, konnten sie Gestaltungsspielrume und politische Teilhabe sehr wohl nutzen.205 Am Ende des langen ostpreußischen Landtages stand der Kompromiß, kodifiziert in der Assekuration vom Mrz und im Abschied vom Mai des Jahres 1663.206 Auch nach diesem Jahre „bestanden die stndischen Rechte wie vorher weiter“ (Rachel), und obwohl in der neuerlichen Kriegslage der siebziger Jahre unbewilligte Steuern ausgeschrieben wurden, haben Landtage noch vierzig Jahre lang nach 1663 stattgefunden. Der „Landkasten“ als Zentrum der stndischen Finanzorganisation hat bis in das frîhe 18. Jahrhundert, bis in die Anfangszeit Friedrich Wilhelms I. bestanden. Wie es scheint, haben die Stnde selbst in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts das Interesse am traditionellen Instrument der Landtage ein Stîck weit verloren, zumal das Bewilligungsrecht seine alte Bedeutung nicht mehr besaß.207 Der brandenburgische Rezeß von 1653, die ostpreußischen Grundgesetze von 1663 und der Rezeß fîr Kleve aus dem Jahre 1660 gehçren typologisch zusammen.208 Seit 1660 unterhielten die Stnde von Kleve-Mark keine eigenen auswrtigen Beziehungen mehr, wie sie sie frîher etwa nach Den Haag oder Wien gepflegt hatten.209 Im Westen, wo es zwar durchaus massivere adlige Besitzungen, aber keine gutsherrschaftliche Bindung der Bauern gab, vielmehr Freie und Eigenbehçrige auf Erbentagen, nicht aber auf den Landtagen erschienen, hat es unter dem Großen Kurfîrsten gleichfalls einen Eklat gegeben. 205 E. Opgenoorth, Herzog … (s. Anm. 202), S. 84 f.; Ders., Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 21. 206 Druck bei L. v. Baczko, Preußen … (s. Anm. 199), 5, S. 489 – 496, der Abschied vom 1. Mai: S. 497 – 503; (Johannes Voigt), Geschichtliche Notizen îber den HerrenStand, die Assecurations-Akte und das Donativ. Fîr den Preussischen Landtag, welcher am 5. September 1840 erçffnet wird, Kçnigsberg 1840, S. 40; E. Opgenoorth, Herzog … (s. Anm. 202), S. 90 f.; das folgende Zitat bei H. Rachel, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 195), S. 39. 207 W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 18), S. 59; L. v. Baczko, Preußen … (s. Anm. 199), 5, S. 429 ff., S. 439 ff., und in 6, S. 179 ff., S. 316 ff.; nach wie vor sehr wertvoll die aus Akten geschçpfte Darstellung von Johannes Voigt, Darstellung der stndischen Verhltnisse Ost-Preußens, vorzîglich der neuesten Zeit, Kçnigsberg 1822, S. 20 ff.; R. Bergmann, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 17), S. 43, S. 92 ff., S. 181 f.; O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 327 f. 208 P. Baumgart, Kurmrkische Stnde … (s. Anm. 180), S. 136. 209 O. Hçtzsch, Stnde und Verwaltung … (s. Anm. 178), S. XIV.

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Das war die Verhaftung eines stndischen Gesandtschaftsmitgliedes, des Herrn von Wilich zu Winnenthal, als dieser gerade von einer Mission an den Kaiserhof zurîckkehren wollte, wo man Beschwerden gegen den Landesherrn und seine Steuern erhoben hatte; dieser Konflikt erfîllte die Jahre 1654/56. Auch hier, wo freilich eine Partei unter den Stnden schon frîh auf Seiten des Hohenzollern stand, hat der Rezeß von 1660/61 maximale stndische Positionen nicht wiederholt, aber das Steuerbewilligungsrecht und die Wahrung des Indigenatsrechts sehr wohl besttigt.210 Mit dieser Ausstattung erreichten sie das 18. Jahrhundert. Unter dem Großen Kurfîrsten ist eine wachsende Bereitschaft der Stnde, den Monarchen sogar zu unterstîtzen, in Kleve und Mark festzustellen, zumal sie sich an Themen der hohen Politik wenig interessiert zeigten. Umgekehrt hat der Kurfîrst zwar immer mehr Entscheidungen nach Berlin (Potsdam) gezogen, aber seinerseits auf die Wahrung stndischer Rechte, auch und gerade des Bewilligungsrechts geachtet. Dies gilt auch fîr seinen Nachfolger nach 1688.211 Weder hat es eine geschlossene Stndeopposition in den verschiedenen Territorien gegeben,212 noch eine Solidaritt zwischen den Oppositionsgruppen mehrerer Landschaften. In Pommern, dessen Stndestrukturen mit denen Brandenburgs starke øhnlichkeiten aufweisen213 und wo wir auf eine besonders dichte Adelslandschaft stoßen, ist es 1654 zu einer Verbesserung stndischer Positionen gekommen. Auseinandersetzungen gab es hier nach 1660 wegen der Stellung der Kalvinisten; im Ganzen war die Linie des Monarchen auf bemerkenswerte Schonung der landschaftlich-stndischen Traditionen einge-

210 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 1, S. 271 – 277; F. L. Carsten, Preußen … (s. Anm. 150), S. 186 – 198; Quelle: Johann Josef Scotti (Hg.), Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Herzogthum Cleve und in der Grafschaft Mark îber Gegenstnde der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind, vom Jahr 1418 bis zum Eintritt der kçniglich preußischen Regierung im Jahre 1816. Im Auftrage des kçniglich preußischen hohen Staats-Ministeriums zusammengetragen, 1, Dîsseldorf 1826, S. 337 (Rezeß vom 14. August 1660 – Indigenat); E. Opgenoorth, Stnde im Spannungsfeld … (s. Anm. 178), S. 247, S. 252 f.; E. Bammel, Dîsseldorf … (s. Anm. 37), S. 10; Ludwig Tîmpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (1609 – 1806) (= Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Alte Folge, 124), Breslau 1915, ND Aalen 1965, S. 39, S. 54; F. Hartung, Westliche Provinzen … (s. Anm. 127), S. 419. 211 O. Hçtzsch, Stnde und Verwaltung … (s. Anm. 178), S. 343, S. 345, S. 350 f. 212 Georg Kîntzel, ˜ber Stndetum und Fîrstentum, vornehmlich Preußens, im 17. Jahrhundert, in: Beitrge zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Festschrift zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag, hg. vom Verein fîr Geschichte der Mark Brandenburg, Leipzig 1908, S. 101 – 152, hier S. 147; P. Baumgart, Kurmrkische Stnde … (s. Anm. 180), S. 135. 213 M. Hass, Stnde … (s. Anm. 181), S. 9.

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stellt.214 Allerdings hatte der Westflische Frieden ausdrîcklich festgesetzt, daß Kurbrandenburg in denjenigen Gebieten, die in Folge des Westflischen Friedens anfielen, die Rechte der Stnde und Untertanen unangetastet lassen mußte.215 In der Tat sind sowohl Halberstadt und Minden als vormalige Fîrstbistîmer und nunmehrige Fîrstentîmer sehr vorsichtig in den brandenburg-preußischen Staatsverband eingefîgt worden, nur, daß die Domkapitel nicht mehr als erster kooperativer Teil der Landesherrschaft, sondern als erster Landstand erhalten blieben. Auch hier war der Konsens das Prinzip staatlicher Integration, wobei der Landesherr seinen Einfluß in der Steuerverwaltung ausbaute, ohne im 17. Jahrhundert die Stnde daraus zu verdrngen. Hier wie auch im Erzstift (und seit 1680 Herzogtum) Magdeburg waren die Germania-sacraTraditionen im 17. und im 18. Jahrhundert dadurch lebendig, daß Prlaten den ersten Landstand bildeten. An Stelle der Landtage hat auch hier eine differenzierte und mit dem Land vernetzte Ausschussorganisation bestanden. Neue Steuern wurden nach Verhandlungen mit den Stnden in den Jahren 1685/86 eingefîhrt, die auch (seit 1692) im Magdeburger Obersteuerdirektorium Sitz und Stimme, ja das Mandat hatten, dort deshalb zu wirken, weil der Kurfîrst auf keinen Fall die Stnde aus den Landes-„Negotien“ ausschließen wollte.216 214 Gerd Heinrich, Stndische Korporation und absolutistische Landesherrschaft in Preußisch-Hinterpommern und Schwedisch-Vorpommern (1637 – 1816), in: P. Baumgart (Hg.), Stndetum … (s. Anm. 13), S. 155 – 169, bes. S. 156 f., S. 159 ff.; Ders., Adel … (s. Anm. 19), S. 294 ff.; Martin Wehrmann, Geschichte von Pommern (= Allgemeine Staatengeschichte, 3. Abt., 5. Werk), 2, Gotha (1)1906, S. 160 f.; Organisationsdetails bei O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 352 f. 215 IPO, Art X, § 16, Art. XI, § 11, bei K. Mîller (Hg.), Instrumenta Pacis … (s. Anm. 143), S. 142 f.; Anton Schindling, Die Anfnge des Immerwhrenden Reichstags zu Regensburg. Stndevertretung und Staatskunst nach dem Westflischen Frieden (= VerçffInstEurG, Abt. Universalgeschichte, 143. Beitrge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs, 11), Mainz 1991, S. 28; Ders., Kurbrandenburg im System des Reiches whrend der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts. Eine Problemskizze, in: Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich (= NFBPG, 7), Kçln/Wien 1987, S. 33 – 46, hier S. 41 f. 216 W. Neugebauer, Magdeburg, Halberstadt, Minden … (s. Anm. 55), S. 171 – 182, und die Materialien S. 191 – 201; Karl Spannagel, Minden und Ravensberg unter brandenburgisch-preußischer Herrschaft von 1648 bis 1719, Hannover-Leipzig 1894, S. 19 ff.; Harald Bielfeld, Geschichte des magdeburgischen Steuerwesens von der Reformationszeit bis ins achtzehnte Jahrhundert. Nebst Aktenstîcken und statistischen Aufstellungen (= StaatsSocialwissForsch, 8, Heft 1, der ganzen Reihe 32.), Leipzig 1888, S. 124 f., S. 136 ff.; Hanns Gringmuth, Die Behçrdenorganisation im Herzogtum Magdeburg. Ihre Entwicklung und Eingliederung in den brandenburgisch-preußischen Staat, phil. Diss. Halle/Wittenberg 1934, S. 23 f., S. 29; F. Wolters, Brandenburgische Finanzen … (s. Anm. 132), S. 184; und mit wichtigen Materialen Wilhelm Anton Klewiz, Steuerverfassung im Herzogthum Magdeburg. Aus çffentlichen Quellen, 2 Bde., Posen 1795, hier 2, S. 28 – 42.

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Gerade der Magdeburger Fall aus den letzten Jahren des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm und dem ersten Jahrzehnt seines Nachfolgers zeigt schlagend, daß von einem grundstzlichen Absolutismus selbst nach vier Jahrzehnten politischer Erfahrung allenfalls mit Einschrnkungen die Rede sein kann. Die eklatanten Konflikte um Wilich, Roth und Kalckstein sind die Ausnahmen, nicht die Regel und schon gar nicht das Ende der Stnde in BrandenburgPreußen gewesen. Die Bedeutung des fîrstlich-stndischen Konsenses im 17. (und 18. Jahrhundert), und zwar îber scheinbare Brîche und laute Vorflle hinweg, beweist, daß das Nichtabsolutistische im Absolutismus auch und gerade in Brandenburg-Preußen nicht unterschtzt werden darf. Andererseits ist es unerlßlich, die politischen Strukturen des preußischen Frîhabsolutismus eingehend ins Auge zu fassen. Die wiederholte Mahnung des Kurfîrsten, daß Brandenburg-Preußen nie wieder in eine Lage kommen dîrfe, wie sie vor 1640 bestanden hatte,217 macht beispielhaft deutlich, daß die innere „Organbildung“ (Schmoller)218 letztlich als Resultat des hohen Außendrucks zu erklren ist, unter dem der Staat seit dem frîhen 17. Jahrhundert stand. Die Entwicklung von politischer Struktur und Verwaltungsorganisation ließe sich durchaus im dualistischen Wechsel von außen- beziehungsweise mchtepolitischen Druck und inneren Vernderungen beschreiben, so wie wir das schon fîr die Jahre des Dreißigjhrigen Krieges, zumal seit 1626 und in der Zeit des Grafen Schwarzenberg geschildert haben.219 In den 1650er Jahren hat der erste Nordische Krieg wesentliche Impulse zur inneren Festigung Brandenburg-Preußens freigesetzt,220 eine Entwicklung, die ebenso in der Entstehung des preußischen Heeres wie im Verfassungsaufbau verfolgt werden kann und muß. Wenn wir soeben festgestellt haben, daß im ganzen 17. Jahrhundert die Territorien Brandenburg-Preußens in stndischer Hinsicht nie eine Einheit geworden, vielmehr ein Verband von traditionsgeprgten politischen Individualitten geblieben sind, so gilt dies zunchst auch noch fîr die Struktur der landesfîrstlichen Herrschaft. Nichts deutete in den ersten Jahren seit dem Regierungsantritt des Großen Kurfîrsten darauf hin, daß sich daran etwas ndern wîrde. So wie Friedrich Wilhelm gegenîber den Landstnden an vor-absolutistische Traditionen (wenn man will: denjenigen der Vor-Schwarzenberg-Zeit) anknîpfte, so auch hinsichtlich der Organisation der eigenen Regierungsfîhrung. Der Kurfîrst Friedrich Wilhelm regierte zunchst ganz wesentlich mit und aus seinem Rat, d. h. dem 1604 begrîndeten und unter Schwarzenberg verfallenen Geheimen Rat. Dies war, wie die Quellen beweisen, auch im Interesse der 217 218 219 220

Wie oben Anm. 185 und Anm. 188. G. Schmoller, Finanzpolitik … (s. Anm. 183), S. 240. Vgl. oben bei Anm. 109 – 136. Schon K. Breysig, Staatshaushalt … (s. Anm. 87), S. 524 f.

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Stnde, die gleich 1641 die „Wiederergnzung des Geheimen Raths“221 verlangten und damit ganz offenbar ihre Interessen in der unmittelbaren Umgebung des Herrschers gut vertreten glaubten. Damit ist zugleich evident, daß die politisch organisierten Stnde sogar auf die Art und Weise, wie der Kurfîrst regierte und wie Entscheidungen in seinem unmittelbaren Umfeld vorbereitet wurden, Einfluß genommen haben. Ganz in ihrem Sinne lautete die Kurfîrstliche Resolution vom 31. Mrz 1641: „Hiernchst wollen Ihre Ch. D., allermaßen Sie allbereit damit einen Anfang gemacht, Ihren geheimbten Rath und andere Collegia mit qualifizierten Personen hinwiederum besetzen, welche Recht und Billigheit, auch des Landes Bestes in schuldige Obacht halten sollen, also dass sich die Stnde weiters zu beschweren nicht Ursach haben werden.“222 Zu den in den Geheimen Rath zurîckberufenen Personen gehçrten Angehçrige des brandenburgischen Adels wie der von Winterfeldt, aber auch der Kanzler von Gçtze, nach dessen Tod diese Stelle îbrigens nicht wieder besetzt worden ist. Daneben bestanden die aus der Phase des Landesstaats bekannten Einrichtungen der Justiz (Kammergericht), das Konsistorium und die Amtskammer fîr die landesherrlichen Domanialeinkînfte. Der Geheime Rat hatte seine Ratsstube im fîrstlichen Schloß. Er war zunchst eine brandenburgische Einrichtung, aber in der Mitte des 17. Jahrhunderts îbernahm er nun auch zunehmend gesamtstaatliche Funktionen, beriet und resolvierte auch zu den Interna außerbrandenburgischer Gebiete des Kurfîrsten. War Friedrich Wilhelm nicht in Berlin-Cçlln, so wurde er von einem Teil seiner Rte begleitet, die die wichtigsten Sachen bearbeiteten, whrend die daheimgebliebenen Kollegen die brandenburgischen Materien besorgten. War Friedrich Wilhelm an der Spree, so wurden alle Vorgnge im Rat bearbeitet, und wenn der Monarch selbst in der Ratssitzung anwesend war, so machte er persçnlich „den Schluß“. Eine feste Geschftsordnung und Verteilung gab es zunchst nicht, und natîrlich war der Monarch an das Votum der Rte nicht eigentlich gebunden.223 Nur in seiner frîhen Regierungszeit hat Friedrich Wilhelm an den Diskussionen selbst aktiv teilgenommen, spter aber hat er den Rat gleichsam als kollektives Informations- und Meinungszentrum benutzt, in dem er – bei wachsendem Gewicht persçnlicher Regierungsfîhrung – seine 221 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. LXIII, und Ders., in 1, S. LXXX ff.; vgl. G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 41. 222 UA, 10, S. 95; das Folgende bei O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 1, S. VIII, und die Quelle S. 64 f., Nr. 63; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 190; R. Koser, Politik … (s. Anm. 34), S. 478; Samuelis de Pufendorf, De rebus gestis Friderici Wilhelmi Magni, electoris brandenburgici, commentariorum libri novendecim, (benutzt in der Ausgabe:) Leipzig/Berlin 1733, hier 1, S. 3. 223 G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 46 ff., S. 50 – 54, zum Verfahren: S. 34 ff. (Zitat); O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 1, in der Einleitung S. LXXXIV f.

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eigene Entscheidung still vorbereitete. Auch bei langen Tagesordnungen war Friedrich Wilhelm anwesend, und er hat eine erhebliche Kenntnis der Details besessen, ohne in diese jedoch permanent einzugreifen, jedenfalls nicht in schriftlich nachweisbarer Form.224 Mit der Geheimen-Rats-Ordnung vom 4. Dezember 1651225 ist erstmals eine Geschftsverteilung im Sinne einer Schaffung von Departements durchgefîhrt worden. Teils nach Sachbetreffen, teils aber nach den Territorien des Gesamtstaates sollte regiert und verwaltet werden. Insgesamt 18 Departements gab es, nur reichte das Personal fîr diese Gliederung nicht aus; sie hat sich in der Praxis denn auch nicht bewhrt. Unabhngig davon sind klevische und preußische Angelegenheiten im Geheimen Rat auch nicht bereits ab 1651 bearbeitet worden. Dies ist erst seit 1654/55 der Fall gewesen.226 Wichtiger ist die Ratsordnung als Quelle fîr die Art der Entscheidungsfindung und fîr den Beratungsgang, und dieser Teil ist auch langfristig von Bedeutung geblieben. Schon die Frage, wer die einlaufenden Schriftstîcke, etwa Fîrstenbriefe, amtliche Berichte oder Bittschriften von Untertanen, erçffnete, d. h. wer davon als erster am Zentrum der politischen Macht Kenntnis erhielt, war natîrlich von sehr erheblicher Bedeutung. Diese (vor-)entscheidende Ttigkeit hat sich Friedrich Wilhelm bezeichnenderweise selbst reserviert. Um also „Unrichtigkeiten“ bei der Bearbeitung zu verhindern, „wollen Wir die einkommende Posten in Unserem Cabinet [!] erçffnen, einem oder andern Unserer Rthe zu Uns fordern und dann einem jeden, was zu seiner Expedition gehçret, einhndigen lassen“. Der jeweilige Referent îbernahm sofort die Bearbeitung und hatte in pleno den Vortrag. Es galt das Kollegialprinzip und der Grundsatz der Entscheidung nach Stimmenmehrheit. Der Kurfîrst behielt sich vor, entweder sofort selbst „oder hernach ingeheimb den Schluß [zu] machen“. War der Monarch im Rat anwesend, so hatte der jeweilige Referent in der Sache „das Directorium im Reden und Schreiben“.227 Zwçlf Geheime Rte hat es zu dieser Zeit gegeben, neun von ihnen htten theoretisch in Berlin arbeiten kçnnen, die anderen drei fungierten damals in besonderen Positionen außerhalb der Residenz. Ansonsten stand nur 224 G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 31 f., auch zum Folgenden; ferner E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 36; vgl. Bernhard Erdmannsdçrffer, Graf Georg Friedrich von Waldeck. Ein preußischer Staatsmann im siebzehnten Jahrhundert, Berlin 1869, S. 75; vgl. Johann Gustav Droysen, Zur Kritik Pufendorfs, zuerst 1864, wieder in: Ders., Abhandlungen. Zur neueren Geschichte, Leipzig 1876, S. 309 – 386, hier S. 326. 225 Druck: O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 4, S. 394 – 398, Nr. 351; dazu G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 107 – 115; K. Breysig, Finanzen … (s. Anm. 47), S. 19; vgl. C. W. Cosmar / C. A. L. Klaproth, Geheimer Staatsrat … (s. Anm. 44), S. 202 f. 226 L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 76 f., S. 79 ff. 227 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 4, S. 394 f.; G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 103 ff.

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noch subalternes Personal, etwa Sekretre, zur Verfîgung – das war der ganze Apparat. Das Kollegialprinzip wurde damit ein Stîck weit rationalisiert, jenes Prinzip, das in der preußischen Regierungs- und Verwaltungsorganisation bis zu den Reformen zumal des Staatskanzlers Hardenberg ganz entscheidend dominierte. Solange jeder Amtstrger beziehungsweise Minister in das Kolloquium eingebunden und dem Majorittsprinzip unterworfen war, solange war es zumindest schwer, gleichsam als Premier eine îberragende Stellung – so wie einst Schwarzenberg – zu erlangen. Der Große Kurfîrst war aber „der erste, und man muß hinzufîgen, der einzige konsequente, Vertreter einer echten Ratsregierung im Hohenzollernstaat“. Zuletzt hat er 1688, zwei Tage vor seinem Tod, an einer Sitzung teilgenommen. Natîrlich hat sich Friedrich Wilhelm, bei aller Betonung der eigenen Entscheidungshoheit, in Anwesenheit hochrangiger Diskutanten auch mancherlei Einflußnahmen ausgesetzt.228 Dies ist wichtig festzuhalten, obwohl 1651 erstmals der Begriff des Kabinetts entgegentritt, der im 18. Jahrhundert dann einen ganz anderen Typus monarchisch-autokratischer Regierungsfîhrung bezeichnet, bei der sich die Kçnige den Einflîssen kollegialischer Einbindung gerade nicht mehr aussetzten. In dem sogenannten politischen Testament von 1667 hat er seinem Nachfolger seine Herrschaftstechnik genau beschrieben: „Im Radt horet fleißig zu“, man mache sich Notizen, nehme nochmals die Protokolle der Sitzungen zur Hand, aber man „concludire“ gerade die wichtigen Sachen dort nicht; „lasset nochmals einen oder den andern geheimen Radt, vndt einen Secretarium zu Euch kommen, vberleget nochmals alle Votta, So da gefîhret worden sein, vndt resolviret darauff“.229 Die Kammer des Fîrsten, nun modern „Kabinett“ genannt, konnte also noch von Geheimen Rten betreten werden. Rats- und Kammerregiment sind hier kombiniert, der Monarch hat sich noch nicht aus dem persçnlichen Kontakt mit einflußreichen und zum Teil auch sozial hochgestellten Amtstrgern gelçst. Zur Herrschaftstechnik gehçrte fîr Friedrich Wilhelm integral die Personalpolitik, die nun auch in die Rekrutierungsmechanismen brandenburg-preußischer Fîhrungsschichten in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts Einblick gewhrt. Besondere Sorgfalt gerade in dieser Hinsicht hat Friedrich Wilhelm gefordert. Die geeigneten Personen fîr Ratspositionen sollten im In- und Ausland gesucht werden, primr unter Angehçrigen der reformierten Konfession. Sehr bewußt wurde darauf geachtet, daß diese ministergleichen Amtstrger in Abhngigkeit vom Monarchen standen. Einen îberragenden Mann, wie es unter dem Vorgnger der Graf Schwarzenberg gewesen war, sollte es auf keinen 228 H. O. Meisner, Monarchische Regierungsform … (s. Anm. 44), S. 226. 229 G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Politische Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 49 f.; vgl. auch die Interpretation bei H. O. Meisner, Monarchische Regierungsform … (s. Anm. 44), S. 227.

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Fall mehr geben. „Nur huttet Euch, das Ihr einen diener alleine, nicht zu gros machet vndt ihme alle autoritet alleine lasset“ – Es sollte „keine favoritten“ geben, diese seien nur zum Schaden des Herren, sie „steigen entlich auch dem herren selbsten vber das haubt“. Zudem kçnnten sich die Familien solcher îberragender Mnner „im lande … leicht einen anhang machen“, was wiederum zum Zusammenschluß von Gegenparteien fîhre, „vndt ist diesses furnehmlich in Preussen woll zu beobachten“.230 Tatschlich war im ersten Jahrzehnt des Kurfîrsten mit dem Militr und Oberkammerherrn von Burgsdorff ein mrkischer Adliger von besonderem Einfluß, neben dem Kanzler von Gçtze (bis Dezember 1650). Burgsdorffs Sturz war ganz wesentlich das Werk der Kurfîrstin, wie îberhaupt die Monarchinnen stets potentielle Rivalinnen allzu mchtiger Minister gewesen sind. In diese Stelle rîckte freilich zunchst mit dem Grafen Waldeck derjenige Mann ein, unter dessen øgide die Ratsordnung von 1651 entstanden ist. Sein Sturz ist gleichfalls von der Kurfîrstin ganz wesentlich mitbetrieben worden. Waldecks Abgang im Jahre 1658 steht aber bereits im Vorzeichen einer außenpolitischen Umorientierung, derjenigen eines sich anbahnenden Anschlusses an den Kaiser, whrend Waldeck – selbst ein kleiner regierender Herr – eine Politik der Distanz zur Hofburg vertreten hatte, also ein „Auslnder“ war mit – ganz wie Schwarzenberg – großen Integrationsproblemen innerhalb der brandenburg-preußischen Eliten. Sein Nachfolger, der Kalvinist Otto von Schwerin, wurde 1658 Oberprsident des Geheimen Rates, d. h. titelmßig erster Minister, doch hat er angesichts immer deutlicherer autokratischer Neigungen des Monarchen einen durchgreifenden, îberragenden politischen Einfluß nicht besessen. Fortan fîhrte ein nachhaltiger außenpolitischer Kurswechsel des Kurfîrsten auch zu einem Wechsel der primren Ratgeber, so etwa – um noch zwei einflußreiche Rte zu erwhnen – im Jahre 1680, beim Anschluß an Frankreich, weg von Franz von Meinders hin zu dem geistesund religionsgeschichtlich ungemein interessanten Paul von Fuchs, ein Mann des modernen Naturrechts, bîrgerlicher Herkunft.231 230 G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Politische Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 48 f. 231 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 182 f., S. 189 f., S. 198 ff.; K. Spannagel, Burgsdorff … (s. Anm. 112), passim, bes. S. 220 f.; zu Waldeck nach wie vor die Monographie von B. Erdmannsdçrffer, Waldeck … (s. Anm. 224), bes. S. 51 – 54; vgl. Gerhard Menk, Georg Friedrich von Waldeck (1620 – 1692) (= Waldecksche Historische Hefte, 3), (Arolsen 1992), S. 21 ff.; Ernst Opgenoorth, „Auslnder“ in Brandenburg-Preussen. Als leitende Beamte und Offiziere 1604 – 1871 (= Beihefte zum Jahrbuch der Albertus-Universitt Kçnigsberg/Pr., 28), Wîrzburg 1967, S. 32 – 38; sehr gut G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 37, S. 40 ff., S. 59 f., S. 80, S. 102; Max Hein, Otto von Schwerin. Der Oberprsident des Großen Kurfîrsten, Kçnigsberg in Preußen 1929, S. 123; F. Von Salpius, Paul von Fuchs, ein brandenburgisch-preußischer Staatsmann vor zweihundert Jahren, Leipzig 1877, S. 128 ff.; Kalvinisten: schon G(ustav) Schmoller, Einleitung. Ueber Behçrdenorganisation, Amtswesen und Beamtenthum im Allgemeinen und speciell in Deutschland und

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Um 1640 hatte der brandenburgische Adel im Rat noch entscheidend dominiert. Nimmt man die 74 Geheimen Rte unter dem Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, so kamen noch 20 aus Brandenburg, aus Preußen 24, aus Pommern neun, aus den anderen Gebieten nur einer, hingegen „20 aus dem Reich und dem Ausland“. Nur ein Achtel war bîrgerlicher Herkunft, ein Anteil, der sich nach 1688 weiter marginalisieren sollte, um nach 1713 dann zunchst auf ein Sechstel anzusteigen.232 Parteiungen, zumal zwischen einheimischem Adel und fremden Elementen, sind an der Tagesordnung gewesen, Rangunterschiede zwischen bîrgerlichen und adligen Rten waren evident.233 Sptestens seit etwa 1660 hatten aber die einheimischen Brandenburger den Zugang zu den eigentlichen Entscheidungsstellen verloren. Auch in diesem Sinne verstrkten sich seit etwa 1660 die gesamtstaatlichen Strukturen. Der Geheime Rat hat bis zum frîhen 19. Jahrhundert bestanden, und auch der Nachfolger des Großen Kurfîrsten, Friedrich III./I., hat noch im Rat regiert. Seine „Vermahnung“ an den Kronprinzen, nie einen Mann zu mchtig im Staate werden zu lassen, hat er freilich selbst nicht beherzigt. „Indehm mir solches leyder selber mit meinem gewesenen Oberpresidenten so gegangen ist“, so hat er seine Mahnung begrîndet und davor gewarnt, einem Minister zu viel Vertrauen zu schenken.234 Er spielte dabei auf seinen vormaligen prinzlichen Informator und zuletzt Oberprsidenten Eberhard Danckelman235 an, der im

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Preußen bis zum Jahre 1713, in: Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. von der Kçniglichen Akademie der Wissenschaften, Reihe: Die Behçrdenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, 1, bearb. von G(ustav) Schmoller und O(tto) Krauske, Berlin 1894, S. 13 – 143, hier S. (130) – diese Edition zitiert: A. B., die Reihe der Behçrdenorganisation: A. B. B., mit Bandangabe; zum Konfessionsmotiv dann auch PeterMichael Hahn, Calvinismus und Staatsbildung: Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert, in: Meinrad Schaab (Hg.), Territorialstaat und Calvinismus (= Verçffentlichungen der Kommission fîr geschichtliche Landeskunde in Baden-Wîrttemberg, Reihe B, 127), Stuttgart 1993, S. 239 – 269, hier S. 254 ff. Auch G. Heinrich, Adel … (s. Anm. 19), S. 299 f.; vgl. G. Oestreich, Geheimer Rat … (s. Anm. 43), S. 16 – 25; abweichende Zahlen bei Dems., Fundamente … (s. Anm. 81), S. 276. Eilhart Eilers, Friedrich von Jena. Ein Beitrag zur politischen Geschichte des großen Kurfîrsten, phil. Diss. Leipzig 1935, S. 94 f.; Gerd Heinrich, Amtstrgerschaft und Geistlichkeit. Zur Problematik der sekundren Fîhrungsschichten in BrandenburgPreußen 1450 – 1786, in: Gînther Franz (Hg.), Beamtentum und Pfarrerstand 1400 – 1800. Bîdinger Vortrge 1967 (= Deutsche Fîhrungsschichten in der Neuzeit, 5), Limburg an der Lahn 1972, S. 179 – 238, hier S. 200 f.; P. M. Hahn, Landesstaat und Stndetum … (s. Anm. 181), S. 65; O. Meinardus, Protokolle … (wie Anm. 105), 5, S. 72 – 76, Nr. 49. G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 86 f. (1698). Johannes Schultze, Eberhard Danckelman, zuerst 1933, wieder in: Ders., Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Ausgewhlte Aufstze. Mit einem Vorwort von Wilhelm Berges (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-

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Vorjahre dieser øußerung, 1698, gestîrzt worden war. Seit 1688 hatte Danckelman die so wichtige Geschftsverteilung in der Hand. Als ein Bîrgerlicher, geboren im damals oranischen Lingen, hat er die fçrmliche Stellung eines Premierministers nicht erstrebt, weil er wußte, daß ihm diese exponierte Position umso mehr Feinde am Hofe schaffen wîrde. Auch so war seine Stellung stark genug, und es ist ihm gelungen, buchstblich sechs Brîder in einflußreichen ømtern zu platzieren. Gestîrzt ist Danckelman zum einen deshalb, weil er die ehrgeizige Statuspolitik seines noch kurfîrstlichen Herrn nicht ausreichend unterstîtzt hat; dann aber ist auch in diesem Falle die gefhrliche Gegnerschaft der Herrscherin, die aus hannoverschem Hause stammende Sophie Charlotte, in politischer Hinsicht tçdlich gewesen. Die Isolation des bîrgerlich geborenen Premiers, der noch etwas von dem nîchternen politischen Stil des Großen Kurfîrsten bis zur Jahrhundertschwelle tradiert hatte, nun aber in feindlich-altadliger Hofumgebung wirkte, war der sozialgeschichtliche Hintergrund seines spektakulren Falles.236 Diese und die daraus resultierende Neigung Friedrichs III., bei formaler Regierungsfîhrung aus den Ratsgremien faktisch einzelnen Premiers Einfluß einzurumen, fîhrte dann zum Aufstieg des Reichsgrafen Kolbe von Wartenberg,237 der als Oberkmmerer, Oberstallmeister, Generaldirektor der Domnen usw. aus den Hofmtern heraus regierte und dabei – ganz ungewçhnlich – von aller Verantwortlichkeit freigestellt worden ist. Er gehçrte nicht dem Geheimen Rat an, was schon auf den verfallenden Einfluß dieses Gremiums ein gewisses Licht wirft. Zu Wartenbergs engerem FîhMeinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 13), Berlin 1964, S. 214 – 230, passim, bes. S. 216, S. 218 ff.; (Anton Balthasar Kçnig), Versuch einer Historischen Schilderung der Hauptvernderungen, der Religion, Sitten, Gewohnheiten, Kînste, Wissenschaften etc. der Residenzstadt Berlin seit den ltesten Zeiten, bis zum Jahre 1786, 3, Berlin 1795, S. 6, S. 51 ff. (auch als Nachdruck); Kurt Breysig, Der Prozess gegen Eberhard Danckelman. Ein Beitrag zur brandenburgischen Verwaltungsgeschichte (= StaatsSozialwissForsch, 8, Heft 4, der ganzen Reihe 35.), Leipzig 1889, S. 21 – 25, S. 29 f., S. 33 – 37; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 21; Linda und Marsha Frey, Frederick I: The Man and His Times (= East European Monographs, 166), New York 1984, S. 74 – 80; Quelle: R(einhold) Koser, Kurfîrstin Sophie Charlotte und Eberhard von Danckelman, in: Mrkische Forschungen 20 (1887), S. 225 – 233, hier S. 225 f. 236 Peter Baumgart, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701, das Reich und die europische Politik, in: O. Hauser (Hg.), Preußen … (s. Anm. 215), S. 65 – 86, hier S. 67 f. (auch zu Danckelmans Sturz). 237 Nîtzlich noch immer (in Ermangelung einer zureichenden Biographie) Franz Horn, Friedrich der Dritte, Kurfîrst von Brandenburg, Erster Kçnig in Preußen, Berlin 1816, S. 225 ff., zur Person S. 114 ff.; A. B. Kçnig, Versuch … (s. Anm. 235), 3, S. 269 – 272; H. O. Meisner, Staats- und Regierungsformen … (s. Anm. 11), S. 237; O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 364 – 368; Carl von Noorden, Europische Geschichte im achtzehnten Jahrhundert, 1. Abt., 2, Dîsseldorf 1874, S. 44 ff.; Arnold Berney, Kçnig Friedrich I. und das Haus Habsburg (1701 – 1707), Mînchen/Berlin 1927, S. 8.

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rungskreis gehçrte bezeichnenderweise der gleichfalls zum reichsunmittelbaren Adel gehçrende Graf Wittgenstein, der das Oberdirektorium îber die Domnen fîhrte. Nicht nur die außenpolitischen Materien waren dem Rat de facto entzogen.238 Freilich hat Friedrich III./I. sein politisches Gewicht auch gegenîber den Premiers durchzusetzen gewußt. Je mehr der Geheime Rat seine alte Zentralstellung einbîßte, um so strker trat ein anderes, ein moderneres Instrumentarium an seine Stelle, das die verschiedenen Lnder des Kurfîrsten-Herzogs strukturell zu verklammern begann. So wie die Stnde der einzelnen Lnder unter dem Monarchen unverbunden nebeneinander gestanden hatten, jedes Territorium mit je spezifischer Tradition, Recht und Organisation, so war die jeweilige Regierungsverfassung in jedem Land verschieden und ohne institutionelle Verbindung mit den anderen Teilen des Gesamtstaates. Auch die Amtskammer, nach einem weit in das 16. Jahrhundert zurîckreichenden Entstehungsprozeß 1615 kollegial verfaßt, war ja eine kurmrkische Einrichtung. In allen grundstzlichen Fragen mußte sie die Entscheidung des Kurfîrsten einholen.239 Als im Jahre 1689 eine gesamtstaatliche Hofkammer installiert wurde, war fîr diesen Bereich landesfîrstlicher Administration eine Oberaufsicht îber den provinzialen Kammern geschaffen worden. Unter dem Hofkammerprsidenten von Knyphausen ist es gelungen, die Einkînfte der Kammerverwaltung um 84 Prozent zu steigern.240 Die Bedeutung dieser Reformen kann nur dann gewîrdigt werden, wenn das Gewicht der landesherrlichen Domneneinkînfte in der Finanzierung des Staatshaushaltes insgesamt berîcksichtigt wird. Um 1688 wird dabei mit einem Drittel am Finanzvolumen gerechnet, um 1800 noch mit 25 Prozent.241 Das waren gewiß bemerkenswerte Anteile an der Staatsfinanzierung aus landesherrlichen Guts- und Grundherrschaften, aber noch wichtiger wurden die steuerfçrmigen Einnahmen und die Organe, die sie erhoben. Der Aufbau der neuen, und wenn man will, moderneren Amtstrgerhierarchie ist auf das engste mit dem Aufkommen des Stehenden Heeres in Brandenburg-Preußen verbunden. Diejenige Staatsstruktur, die nun die Territorien verband, ist nicht aus den traditionalen Rats- und Kammergremien erwachsen, die so wie der Ge238 K. Frhr. von Ledebur, Kçnig Friedrich I. … (s. Anm. 192), S. 441 – 448, S. 450, S. 457; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 96 f.; Walther Koch, Hof und Regierungsverfassung Kçnig Friedrichs I. von Preußen (1697 – 1710) (= UntersDtStaatsRG, Alte Folge, 136), Breslau 1926, ND Aalen 1991, S. 136 ff., S. 170 ff. 239 Martin Hass, ˜ber die Verwaltung der Amts- und Kammersachen unter Joachim II. und Johann Georg, in: ForschBrandPrG 19 (1906), S. 227 – 230, hier S. 227 f.; K. Breysig, Finanzen … (s. Anm. 47), S. 12 – 15, S. 184 f. 240 K. Breysig, Finanzen … (s. Anm. 47), S. 110 ff., S. 118 f., S. 142 f.; Amtskammerinstruktion: S. 412, S. 414 f.; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 109 – 115. 241 Karl Heinrich Kaufhold, Preußische Staatswirtschaft – Konzept und Realitt – 1640 – 1806, in: JWG 2 (1994), S. 33 – 70, hier S. 36 f.

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heime Rat in der ersten Hlfte des 17. Jahrhunderts als territoriale Landesregierungen fungierten und z. T. – wie die ostpreußischen Oberrte – noch aus Zeiten herstammten, bevor die brandenburgischen Herrscher diese Territorien îbernommen hatten. Die vier Oberrte in Kçnigsberg haben noch um 1700 sehr selbstndig regiert, sie standen zwischen Fîrst und Landstnden, wie sie sich auch bisweilen darauf expressis verbis berufen haben, doch nicht nur dem Fîrsten, sondern auch der Landesverfassung gegenîber verpflichtet zu sein.242 Auch in Kleve, wo dann eine besondere Amtskammer geschaffen wurde, hat die Landesregierung eine stark stndische Prgung besessen.243 In Pommern, wo sich wichtige Adelsfamilien rasch mit dem brandenburgischen Herren arrangierten, wurde nach der Besitzergreifung eine neue Regierungsstruktur eingerichtet, die Landesprivilegien wurden aber zugleich konfirmiert. Der Landrentmeister stand hier unter Berliner Obçdienz, wie auch die finanzielle Anbindung an die kurfîrstlichen Organe in Pommern eine enge gewesen ist.244 Freilich haben gerade in Pommern die Stnde bis in das 18. Jahrhundert hinein in der Steuerverwaltung des Landes Einfluß nehmen kçnnen.245 Die Kriegskommissariatshierarchie ist es gewesen, die sich im 17. Jahrhundert gleichsam îber die verschiedenen Landesorganisationen und -strukturen gelegt hat und der Kern der neuen gesamtstaatlichen Verwaltung und Amtstrgerschicht geworden ist. Sie ist ursprînglich aus der Heeresverwaltung hervorgegangen, die Kriegskommissare waren z. B. militrischen Kontingenten als kurfîrstliche Amtstrger beigegeben worden. Daneben tritt der Kommissar 246 als Kreiskommissar entgegen, zustndig fîr die Organisation von Truppendurchmrschen, fîr die Einquartierung und fîr die Versorgung, und dazu zhlte ganz wesentlich die Aufbringung der fîr die militrischen Bedîrfnisse bestimmten

242 Vgl. oben Anm. 11; R. Bergmann, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 17), S. 7 ff.; H. Rachel, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 195), S. 55 f., S. 58. 243 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. XCVI f.; E. Bammel, Dîsseldorf … (s. Anm. 37), S. 12 ff.; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 39; Wolfgang Neugebauer, Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert in vergleichender Sicht, zuerst 1977, erw. in: Otto Bîsch / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648 – 1947. Eine Anthologie, 2 (= VerçffHistKommBerlin, 52/2), Berlin/New York 1981, S. 540 – 597, hier S. 544. 244 F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 174 f.; Martin Wehrmann, Geschichte von Pommern (Bd. 2), Gotha 21921, S. 169 ff., S. 186, S. 204; Gerd heinrich, Staatsdienst und Rittergut. Die Geschichte der Familie von Dewitz in Brandenburg, Mecklenburg und Pommern. Mit einem Vorwort von Fritz-Jîrgen von Dewitz, Bonn 1990, S. 96. 245 G. Heinrich, Dewitz … (s. Anm. 244), S. 113. 246 Kurt Breysig, Die Organisation der brandenburgischen Kommissariate in der Zeit von 1660 bis 1697, in: ForschBrandPrG 5 (1892), S. 135 – 156, hier S. 135 f.; A. W. Prinz von Preußen, Kommissariatsbehçrden … (s. Anm. 97), S. 24 ff.

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Steuer, d. h. die Kontribution.247 Im 17. Jahrhundert und auch noch im frîhen 18. Jahrhundert248 konnten Kommissare durchaus aus den Funktionstrgern der Stnde genommen, beziehungsweise von ihnen vorgeschlagen werden, ein Indiz dafîr, daß in einer lngeren ersten Phase kommissarisches und stndisches Element miteinander in Verbindung stehen konnten. Aber das Wesentliche bestand darin, daß der Kommissar, der vom Landesherrn beauftragt wurde, diese Commissio entweder auf eine bestimmte Zeit, oder aber doch auf Widerruf erhielt. Der Amtsauftrag war umgrenzt, die Vollmacht definiert und widerrufbar und insofern in nuce das Element einer Hierarchie vorhanden, mit dem der Landesherr bis in die einzelne Landschaft beziehungsweise den Kreis hinuntergreifen konnte. Vielleicht war – zumal auf lngere Sicht – das hierarchische Element wichtiger als die bisweilen îberbetonte anti-stndische Qualitt des Kriegs-Kommissars. Indem sie im Kreis die Steueraufbringung oder bei den Regimentern die Einhaltung der dem Landesherrn gegenîber eingegangenen Verpflichtungen (Kapitulation) îberwachten, indem sie auch vom Kurfîrsten eine Besoldung empfingen, war die Entwicklung dahin angelegt, nunmehr ihren Amtsbereich auszuweiten, sie nicht nur fîr die Aufbringung der Kontribution sorgen, sondern sie nun auch die Pflege der Steuerquellen îbernehmen zu lassen. In den Jahren nach 1626/27, als der Krieg Brandenburg-Preußen erreichte, hat die Ausbreitung des Kommissariatsinstituts wesentliche Fortschritte gemacht, also lange vor der Zeit des Großen Kurfîrsten, unter dem dann die Entwicklung fortgesetzt wurde, besonders unter dem Problemdruck des ersten Nordischen Krieges in der zweiten Hlfte der 1650er Jahre. Seitdem gab es permanente Generalkriegskommissare fîr die gesamte Organisation, unter ihnen provinziale (Ober)Kommissare und darunter die Kommissare auf kommunaler, respektive Kreisebene.249 Die Entwicklung in den einzelnen Territorien ist nicht gleichmßig verlaufen, die Kollegialisierung und der Ausbau mit zugeordnetem Personal hat je verschiedene Fortschritte gemacht, und besonders im Herzogtum Preußen haben die Stnde dagegen heftig opponiert. ˜berhaupt fllt auf, daß die kommissarische Organisation in den Außenprovinzen, in denen es ja zu den vergleichsweise hrtesten, wenn auch nur temporren Kon247 K. Breysig, Staatshaushalt … (s. Anm. 87), S. 462, S. 465 f.; H. v. Petersdorff, Beitrge … (s. Anm. 49), S. 37 – 40. 248 W. Neugebauer, Staatliche Einheit … (s. Anm. 201), S. 80 f. 249 Realtypisch: Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte, zuerst 1910, wieder in: Ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hg. von Gerhard Oestreich, mit einer Einleitung von Fritz Hartung, Gçttingen 31970, S. 242 – 274, hier S. 242 – 247; K. Breysig, Organisation … (s. Anm. 246), S. 137 ff., provinziale Entwicklungen: S. 139 – 144; F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 16 ff., S. 49; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 55; J. Schultze, Prignitz … (s. Anm. 91), S. 192 ff., S. 222 f.

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flikten kam, besonders frîh ausgeprgt wurde; dies gilt auch fîr die Tendenz zum kollegialen Ausbau der Kommissariate in Kleve und in Ostpreußen. In der Kurmark hat es ein besonderes Kriegskommissariat nicht gegeben; hier hat das Generalkriegskommissariat direkt das zentrale Land des Gesamtstaates verwaltet.250 Fîr die Kurmark lßt sich denn auch frîher als in anderen Regionen des Staates von einer Provinz sprechen. Umso bemerkenswerter ist das Faktum, daß seit 1669 stets Nichtbrandenburger an der Spitze des Generalkriegskommissariats gestanden haben, zunchst der Bielefelder Franz von Meinders. „Alle fînf Leiter des Generalkriegskommissariats im 17. Jahrhundert hatten studiert, darunter der Begrînder von Platen u. a. an den niederlndischen Universitten Leiden und Groningen.“251 Damit stand die Kurmark direkt unter der gesamtstaatlichen Spitze derjenigen Instanz, die – bei automatischer Durchbrechung des Indigenats – hier und im Gesamtstaat immer mehr Kompetenzen an sich zog (und dem Geheimen Rat entzog). Die Oberkommissare beziehungsweise die „provinzialen Kommissariatsbehçrden“, wie sie auch z. B. in Pommern und der Neumark bestanden, nahmen faktisch die Aufgaben der Finanz- und der Kriegsministerialverwaltung wahr. Bald, schon in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts wurden weite Teile der Polizeiverwaltung und der Handelspolitik zum Aufgabenbereich der Kommissariatshierarchie gezogen. Weit îber das ursprînglich militrische Arbeitsgebiet hinaus, war der Generalkriegskommissar fîr die Wirtschaftspolitik nun auch im zivilen Felde zustndig, was natîrlich zu Kompetenzkonflikten mit anderen Instanzen fîhren mußte; Siedlungs- und Zunftpolitik hat der Generalkriegskommissar gleichfalls reklamiert, der bei wachsendem Umfang militrischer und nichtmilitrischer Materien den Arbeitsstab auszubauen strebte.252 Im frîhen 18. Jahrhundert definierte die „Instruktion vor alle und jede Kriegsund Steuerkommissarien“ vom Mrz 1712 den Aufgabenbereich dieser Amtstrger im Staate, darunter nun auch die Aufsicht îber die Bebauung noch wîster Stellen in den Stdten, das Decken von Dchern mit Ziegeln und nicht mit Stroh oder Schindeln, d. h. die Feuerpolizei; ferner gehçrte zu ihrem Ttig250 F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 106 – 109, S. 200 f., S. 203, vgl. S. 171 ff.; K. Breysig, Organisation … (s. Anm. 246), S. 144 (auch zur Kurmark); A. W. Prinz von Preußen, Kommissariatsbehçrden … (s. Anm. 97), S. 38. 251 F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 96 – 99, S. 105; Zitat: G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 86. 252 F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 87 f., S. 91 – 94; wichtig noch Arthur Strecker, Franz von Meinders. Ein brandenburgisch-preußischer Staatsmann im siebzehnten Jahrhundert (= StaatsSocialwissForsch, 11, Heft 4, der ganzen Reihe 49.), Leipzig 1892, S. 56 f.; F. L. Carsten, Preußen … (s. Anm. 160), S. 209 ff.; A. W. Prinz von Preußen, Kommissariatsbehçrden … (s. Anm. 97), S. 30 – 34; das Folgende: C. O. Mylius, Corpus … (s. Anm. 72), Tl. 3, 1. Abt., Sp. 287 – 296, Nr. 101; 1719: 5, Tl. 4. 1. Abt., Sp. 209 ff., Nr. 24.

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keitsfeld das Brauereiwesen, die Gewerke, Maße und Gewicht, also die Marktpolizei. Daneben standen die ursprînglichen Funktionen der Kriegskommissare bei der Aushebung von Rekruten oder der Einquartierung des Militrs. 1719 wird ihnen aufgegeben auch „die Medicinal Edicte zur Observantz zu bringen“. Der Kriegskommissar war lngst zur wichtigsten zivilen Kameral- und Finanzstelle des preußischen Staates geworden.253 Dies war ein Spezifikum der Staatsbildung Brandenburg-Preußens. Nicht nur die Erhebung der Steuern gehçrte zum Aufgabenfeld der Kommissare, sondern auch dafîr zu sorgen, daß diese Steuern krftig flossen, und deshalb war der Titel eines „Steuerrates“ fîr die Kommissare auf der untersten stdtischen Ebene seit 1685 nur richtig und konsequent. Diese Entwicklung stand in enger Verbindung mit der Einfîhrung der Akzise als wichtigster stdtischer (Verbrauchs-)Steuer. Deren Einfîhrung fîr knapp eineinhalb Jahrhunderte hatte große Bedeutung nicht nur fîr die Finanzpolitik, sondern letztlich fîr die Staatsstruktur per se. In mehreren Anlufen seit 1641 ist ihre Erhebung versucht worden, doch ist dies in der Mark und in Preußen endgîltig erst seit 1680 geschehen, îbrigens vergleichsweise spt, wie ein Blick auf andere Staaten des 17. Jahrhunderts zeigen wîrde.254 In Brandenburg-Preußen wurde die Akzise als stdtische Verbrauchs-, Gewerbe-, Umsatz- und Vermçgenssteuer eingefîhrt; sie wurde an den Stadtmauern eingezogen. Die Steuerkommissare, durchweg bîrgerlicher Herkunft, beaufsichtigten die Akzisebeamten, zumal nachdem diese Steuer nicht mehr in stdtischer Eigenregie, sondern als staatliche Abgabe erhoben wurde. Es versteht sich, daß damit die Stdte ganz wesentlich an kommunaler Autonomie verloren, in der Mark und analog in anderen (mittleren und çstlichen) Provinzen, in denen die Akzise gleichfalls nach und nach Einzug hielt. Die Steuerrte oder Commissarii locorum hatten ganze Stdtekreise mit sechs bis fînfzehn Stdten zu beaufsichtigen.255 Indem die Akzise als stdtische Steuer verbindlich gemacht wurde, wurde die Trennung von Stadt und Land vollendet, die fîr das Alte Preußen ein Charakteristikum war und erhebliche Konsequenzen etwa fîr die Gewerbestruktur besessen hatte. 253 F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 159. 254 Willi A. Boelcke, „Die sanftmîtige Accise“. Zur Bedeutung und Problematik der „indirekten Verbrauchsbesteuerung“ in der Finanzwirtschaft der deutschen Territorialstaaten whrend der frîhen Neuzeit, in: JbGMitteldtld 21 (1972), S. 93 – 139, hier S. 111 – 113; G. Schmoller, Finanzpolitik … (s. Anm. 183), S. 152; F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 159 – 164; Gustav von Schmoller, Das Stdtewesen unter Friedrich Wilhelm I., zuerst 1871 – 1874, wieder in: Ders., Deutsches Stdtewesen in lterer Zeit, Bonn 1922, ND Aalen 1964, S. 231 – 428, hier S. 257 f., S. 320; K. Breysig, Staatshaushalt … (s. Anm. 87), S. 480 – 486. 255 A. W. Prinz von Preussen, Kommissariatsbehçrden … (s. Anm. 97), S. 73 f.; G. Schmoller, Stdtewesen … (s. Anm. 254), S. 259, S. 342, S. 379, S. 382, S. 399 f., S. 403; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 281 ff.

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Zugleich wurden nun aber die Stdte von den Stnden separiert,256 denn die Akzise als eine in Permanenz von den Stdten erhobene Steuer entzog sich fortan der Bewilligung durch die Land- beziehungsweise Ausschußtage. Dies gilt fîr Brandenburg und etwa fîr das Herzogtum Preußen gleichermaßen. Hier bedeutete dies, daß nach der Einfîhrung der Akzise die stdtischen Anteile am Steueraufkommen des Landes nicht mehr an den Landkasten, sondern an die Kriegskammer, d. h. das Kommissariat gezahlt wurden. Die Folge war eben die Separation der Stdte von den îbrigen Stnden.257 Aus der Sicht des Kurfîrsten waren die Zustnde in den Stdten dringend reformbedîrftig. „An Untergang der Stdte, die Rthe, die in Stdten, selber schuldig sein, wegen der îblen Verwaltung, welche weltkundig ist“, so lautete eine eigenhndige Marginalie Friedrich Wilhelms auf einer Eingabe der brandenburgischen Stnde vom Jahre 1666.258 Bis dahin hatte sich die Autonomie der Stdte, zumal diejenige der Rte in den Stdten, sehr wohl behaupten kçnnen und z. T. noch gefestigt. Die Ratsgremien, oligarchisch geprgt, ergnzten sich durch Kooptation, und zwar in der Regel auf Lebenszeit. Auch da, wo im 17. Jahrhundert die Bîrgerschaft noch oder wieder in der stdtischen Politik Einfluß nahm, haben doch die Ratsgremien den Primat besessen.259 In Berlin hat der Landesherr sein dort seit zwei Jahrhunderten ausgeprgtes ˜bergewicht bewahren kçnnen, aber auch hier hat es neben dem vom Kurfîrsten besttigten Rat im 17. Jahrhundert „Verordnete der Gemeine“ gegeben, wenngleich diese nur schwache Befugnisse besaßen. In anderen Stdten hat es bisweilen seitens des Rats die Bitte an den Kurfîrsten gegeben, die Ratswahlen zu besttigen.260 Aber es ist doch unverkennbar, daß sich unter dem Großen Kurfîrsten die Eingriffe in einzelne Stdte verstrkten. Untersuchungskommissionen sind daran gegangen, hier und da das stdtische Schuldenwesen zu 256 F. L. Carsten, Entstehung … (s. Anm. 160), S. 162 f.; Francis L. Carsten, Die deutschen Landstnde und der Aufstieg der Fîrsten, zuerst 1960, wieder in: Heinz Rausch (Hg.), Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung. Die Entwicklung von den mittelalterlichen Korporationen zu den modernen Parlamenten, 2 (= Wege der Forschung, 469), Darmstadt 1974, S. 315 – 340, hier S. 334; und Francis L. Carsten, Die Ursachen des Niedergangs der deutschen Landstnde, in: HZ 192 (1961), S. 273 – 281, bes. S. 277; P.-M. Hahn, Landesstaat … (s. Anm. 181), S. 45 f. 257 H. Rachel, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 195), S. 284 – 296, und R. Bergmann, Ostpreußische Stnde … (s. Anm. 17), S. 5, S. 172; L. von Baczko, Preußen … (s. Anm. 199), 6, S. 405. 258 UA, 10, S. 391 und S. 393 f. (kurfl. Resolution, dat. Kleve, 5. Juli 1666). 259 G. Schmoller, Stdtewesen … (s. Anm. 254), S. 300 – 314; Ilse Barleben, Die Entwicklung der stdtischen Selbstverwaltung im Herzogtum Kleve whrend der Reform Friedrich Wilhelms I., phil. Diss. Bonn 1931, S. 21 – 24; vgl. F. Schrçer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 147 – 151; L. Enders, Uckermark … (s. Anm. 100), S. 368 – 371. 260 E. Faden, Berlin … (s. Anm. 49), S. 41 f., S. 46, S. 50 – 53; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 4, S. 25, Nr. 16 (Brandenburg a. H.).

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untersuchen und dann auch neu zu ordnen; in der Neustadt Brandenburg wurde vom Landesherrn 1685 ein Rathusliches Reglement eingefîhrt, eine Art Stadtordnung, wobei allerdings die – schon bei der Stndepolitik des Monarchen sichtbare – grundstzliche Linie erkennbar wurde, zwar im finanziellen und wirtschaftlichen Bereich einzugreifen, insgesamt jedoch mit „mçglichster Schonung des Hergebrachten“ (Grase) zu verfahren.261 Im spten 17. Jahrhundert ist dann der Einfluß des Landesherrn bisweilen auch auf Stellenbesetzungen in den Stdten intensiviert worden; die Ausdehnung der Befugnisse, die die Commissarii locorum besaßen, gehçrt in diesen Kontext. In Kleve und der Grafschaft Mark hat es zwar gleichfalls Anlufe gegeben, die stdtische Verfassung und ihre Finanzfîhrung in den 1680er Jahren zu îberprîfen und zu reformieren, aber der Kurfîrst ist in hçchst bezeichnender Weise vor allem Widerstand, zumal dem der klevischen Stdte, rasch zurîckgewichen. Die begonnene Revision der stdtischen Rechnungen, die in Berlin durchgefîhrt werden sollte, wurde abgebrochen, und 1687 hat Friedrich Wilhelm dann in auffallend konzilianter Weise entschieden. „Der Ausgang war ein Sieg der Stdte.“262 Auch in die Wirtschaft im Westen mit seiner vergleichsweise entwickelten Eisenindustrie hat der Monarch „nur ganz vereinzelt regulierend eingegriffen“,263 aber eine gînstige Handelskonjunktur und Einwanderungsentwicklung kam diesen Gebieten zugute; der Bergbau wurde im preußischen Westen nur çrtlich betrieben. Whrend in Ravensberg Handel und Gewerbe eine gînstige Entwicklung nahmen, kann dies fîr das westflische Minden nicht behauptet werden – Indiz dafîr, daß wir in dieser Zeit von einer gesamtstaatlichen Wirtschaftsentwicklung nicht ohne weiteres sprechen kçnnen. Wenn man îberhaupt schon fîr die Zeit des Großen Kurfîrsten von einer „Gewer261 Beispiele: F. W. G. Sachse, Geschichte der Stadt Frankfurt an der Oder nebst topographisch-statistischen Bemerkungen îber dieselbe und Beschreibung ihrer vorzîglichsten Merkwîrdigkeiten, Frankfurt an der Oder 1830, S. 96 f.; Emil Schwartz, Das uckermrkische Quartalsgericht, in: Heimatkalender fîr den Kreis Prenzlau, Jg. 11 (1936), S. 101 – 112, Jg. 12 (1937), S. 49 – 63, hier Tl. 1, S. 111; Ernst Grase, Beitrge zur Verwaltungsgeschichte von Alt- und Neustadt Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert, phil. Diss. Kçnigsberg, Brandenburg an der Havel 1911, S. 59 – 66, hier S. 76 f.; Otto Tschirch, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg (Havel). Verfaßt im Auftrage des Oberbîrgermeisters, 2, Brandenburg (Havel) 31941, S. 75, S. 78, S. 81 f., S. 99; Wilhelm Polthier, Geschichte der Stadt Wittstock, Berlin 1933, S. 110 f., S. 145 f.; allgemein O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 293; G. Schmoller, Stdtewesen … (s. Anm. 254), S. 251, S. 264; Otto Vanselow, Zur Geschichte der pommerschen Stdte unter der Regierung Friedrich Wilhelms I., phil. Diss. Heidelberg, Stettin 1903, S. 19. 262 O. Hçtzsch, Stnde und Verwaltung … (s. Anm. 178), S. 168, S. 766 – 773, Zitat S. 772. 263 G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 88 f.; M. Philippson, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), hier 3, Berlin 1903, S. 94.

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bepolitik“ reden will, so konzentrierte sie sich ganz entschieden auf den brandenburgischen Kernraum, Schwerpunkt auch der stdtischen und lndlichen Einwanderung. Seit etwa 1678 wurden „grçßere Unternehmungen in Berlin … angelegt“, darunter insbesondere Wollmanufakturen und Zuckersiedereien, auch eine Tabakfabrik. Es fllt dabei auf, daß Beamte die Trger solcher Unternehmungen waren, whrend sich die Berliner Kaufleute dabei gerade nicht engagierten. Auch die Anfnge gefçrderter Seidenfabriken datieren schon aus der spten Regierungszeit des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm. Allerdings hatte gerade die Textilindustrie erheblich unter auswrtiger Konkurrenz zu leiden. In der Summe fllt der etatistische Zug dieser ersten manufakturmßigen Aufschwungsphase auf, deutlich an den Residenzraum um Berlin gebunden. Die Anfnge der Manufaktur- und Gewerbepolitik lassen bereits die Zentrierung auf die mittleren Gebiete erkennen, die im 18. Jahrhundert noch deutlicher ausgeprgt wurde. Schon im spten 17. Jahrhundert ging die Fçrderung im HavelSpree-Gebiet als Wirtschaftsraum zu Lasten der anderen Territorien des Gesamtstaates (P. M. Hahn).264 Die mittleren Provinzen, bedingt auch Magdeburg, begannen zu einem Wirtschaftsraum zu verschmelzen. Man hat gerade in der Manufakturpolitik des Großen Kurfîrsten auch hollndische Einflîsse und Vorbilder erkennen zu kçnnen geglaubt.265 Gewiß sind westeuropische Impulse, zumal nach dem Potsdamer Edikt von 1685 solche aus Frankreich, vorhanden gewesen, wie zuvor solche aus den Niederlanden. Die Einrichtung von Kommerzienkollegien stellte den Versuch dar, auch institutionell die junge Merkantilpolitik zu unterstîtzen; dabei gab es bezeichnenderweise personelle Verflechtungen mit dem Generalkriegskommissariat. Vor allem die Fçrderung des Handels sollte durch diese Institutionen betrieben werden.266 Die Kolonialprojekte Friedrich Wilhelms sind der wohl 264 G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 88 f.; das Zitat bei H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 109, weiter S. 109 f., S. 112; Werner Martin, Manufakturbauten im Berliner Raum seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert (= Die Bauwerke und Kunstdenkmler von Berlin, Beiheft 18), Berlin 1989, S. 16 – 20; Otto Uhlitz, Die Grîndung Friedrichhagens, in: Der Br von Berlin. Jahrbuch des Vereins fîr die Geschichte Berlins 32 (1983), S. 33 – 66, hier S. 33; Acta Borussica … , Reihe: Die Preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begrîndung durch Friedrich den Großen, 1, Berlin 1892, ND Frankfurt am Main 1986/87, S. 3 – 6; M. Philippson, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137/263), 3, S. 92 f., und P.-M. Hahn, Stdtewesen … (s. Anm. 150), S. 108 f.; vgl. O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 350 f. 265 Hugo Rachel, Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, in: ForschBrandPrG 40 (1927), S. 221 – 266, hier S. 223; zur Niederlnderkolonisation vgl. oben bei Anm. 175. 266 Hugo Rachel, Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frîhkapitalismus (= Berlinische Bîcher, 3), Berlin 1931, S. 107; Ders. / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 192 f.; nach wie vor wichtig O(tto) Meinardus, Beitrge zur Geschichte der Handelspolitik des Großen Kurfîrsten, in: HZ 66 (1891), S. 444 – 495, hier

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prominenteste Ausdruck dieses Strebens, in zeittypischer Weise die materiellen und zugleich die politischen Fundamente des Staates zu erweitern. Damit einher ging der Versuch, diese, vor allem die Guineapolitik, durch den Aufbau einer brandenburgischen Marine abzusichern.267 Die maritime Politik wurde einerseits von Emden, andererseits von Kçnigsberg und Pillau aus betrieben, aber eine nachhaltige Wirkung auf die inneren Strukturen, çkonomischen Potentiale und militrischen Mçglichkeiten ist davon nicht ausgegangen. Hingegen verweist schon das Faktum, daß es die Kriegskommissare gewesen sind, die in Brandenburg-Preußen das Rîckgrat der moderneren ømterhierarchie gebildet haben, auf die weit îber den militrischen Sektor hinausreichende Rolle und Wirkung des Stehenden Heeres fîr die Staatsentwicklung. In den Garnisonen hatte der Kommandant erheblichen Einfluß auf Stadtverwaltung und Wirtschaftsleben. Nach der anfnglichen Reduktion des Militrs, und zwar nach Bitten der Stnde (1641) auf ganze 2.000 Mann,268 hat der Kurfîrst 1644 neu gerîstet, îbrigens unter Diskussion schwedischer Vorbilder; zu einer nachhaltigen Verstrkung ist es damals nur insofern gekommen, als Garnisonen, insbesondere die Mannschaften in den Festungen aufgestockt worden sind. Mehr als 3.000 Mann dîrften die Truppen des jungen Friedrich Wilhelm um 1645/46 nicht gezhlt haben, und geplant waren insgesamt ganze 7.800 Mann, so daß bestritten worden ist, ob man îberhaupt schon von da, von 1644 ab, die Entstehung des Stehenden Heeres in Brandenburg-Preußen datieren sollte. Die Werbungen von 1644 sind aus Geldern, die dem Kurfîrsten aus dem Herzogtum Preußen zustanden, d. h. aus Schatullgeldern, bezahlt worden. Die Anregungen zur ersten Truppen-Werbung, die unter Friedrich Wilhelm durchgefîhrt wurde, ging von dem damaligen Berater, Konrad von Burgsdorff, aus. Noch bestanden in jedem Territorium, wie in der Landes- und Stndeverfassung ja auch, besondere Einrichtungen und Traditionen fîr den Kriegsbeziehungsweise Verteidigungsfall. Erst langsam hat sich darîber das neue Stehende Heer geschoben, als eine gesamtstaatliche Institution; insofern war die S. 445 – 448, S. 476 – 485; H. Rachel, Merkantilismus … (s. Anm. 265), S. 226. Neue Aktenfunde illustrieren jurisdiktionelle Funktionen der Kommerzienkollegien. 267 Nach wie vor dafîr unverzichtbar Richard Schîck, Brandenburg-Preußens KolonialPolitik unter dem Großen Kurfîrsten und seinen Nachfolgern (1647 – 1721) Bd. 1, Leipzig 1889, passim, Groß-Friedrichsburg: S. 165; Ulrich van der Heyden, Rote Adler an Afrikas Kîste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg an der westafrikanischen Kîste, (Berlin 1993), S. 20 – 37; M. Philippson, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 157), 1, S. 438 ff., 2, S. 208 f., 3, S. 219 ff.; O. Glaser, Niederlnder … (s. Anm. 175), S. 37 – 52; siehe ferner Carl Brinkmann, Handel und Gewerbe, in: Ernst Friedel / Robert Mielke (Hg.), Landeskunde der Provinz Brandenburg, 2, Berlin (1910), S. 344 – 390, hier S. 359. 268 B. von Bonin, Kriegsrat … (s. Anm. 125), S. 88; Otto Meinardus, Neue Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten, in: ForschBrandPrG 17 (1904), S. 21 – 67, hier S. 27 f.

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Frage des Dislokationsrechts der Truppe von großer politischer Bedeutung. Um 1618 besaß der damalige Kurfîrst, allein zur persçnlichen Bedeckung des Monarchen und des Schlosses zu Cçlln an der Spree, nur die kleine Trabantengarde. Auf Rîstungen waren jedes Mal Abrîstungen gefolgt, und auch die Verstrkung der 1640er Jahre wurde alsbald durch neuerliche Reduktionen abgelçst. Die Strke der Truppe im Jahre 1653 lag unter derjenigen Brandenburg-Preußens von 1630, so daß deshalb mit einigem Recht diskutiert worden ist, ob îberhaupt das Jahr 1644 als Geburtsjahr der preußischen Armee angesehen werden dîrfe, oder ob nicht erst die Werbungen aus der Mitte der 1650er Jahre, im Vorfeld und im Zusammenhang mit dem ersten Nordischen Krieg, als Terminus a quo anzusehen sind.269 Dieser Streit ist Ausdruck der alles andere als konsequent-linearen Entwicklung des militrischen Potentials, und auch in der Militrverfassung blieben traditionelle Elemente neben dem kleinen Stehenden Heer noch lange erhalten, denn auch in den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts sind das Lehnsaufgebot und (sogar buerliche) Milizen zum Landesschutz in Brandenburg und in Preußen aufgeboten worden.270 Um 1656 waren îber 20.000 Mann geworbener Truppe beisammen, doch fand nach dem Nordischen Krieg eine erneute drastische Reduktion statt; ohne die Garnisonen berechnet man fîr 1667 noch 8.200 Mann. Auch dabei waren stndische Bitten ein Motiv. In den siebziger Jahren ist die brandenburg-preußische Armee auf 45.000 Mann gebracht worden, aber schon 1679 wurde erst auf 27.000, dann 1680 auf 25.000 Mann reduziert. Am Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms waren 29.908 Mann im brandenburg-preußischen Staat unter den Fahnen.271 Auf kriegs- und krisenbedingte Werbungen folgten bei Eintritt des 269 C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 98 – 104; Ders., Lehndienst … , in: ForschBrandPrG 8 (1895), S. 419 – 467, hier S. 444 f.; Gelder: O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. LXXXI f.; Burgsdorff: G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 418; gegen das Datum 1644: Curt Jany, Der Anfang des Stehendes Heeres in Brandenburg, in: ForschBrandPrG 51 (1939), S. 178 – 180, bes. S. 179, gegen Meinardus und Oestreich; vgl. O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 2, S. XCI-XCIX, auch zu den verschiedenen territorialen Defensionen; G. Oestreich, Pfuel … (s. Anm. 114), S. 231; Ders., Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), hier S. 5, S. 35 ff.; F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 70. 270 J. Schultze, Landesaufgebot … (s. Anm. 90), S. 76 ff.; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 6, S. 402 f., Nr. 345, S. 811, Nr. 740; C. Jany, Lehndienst, in: ForschBrandPrG 10 … (s. Anm. 90), S. 5 – 14, S. 20 ff. 271 Zu den Zahlen vor allem C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 194, S. 274, S. 301; Ders., Der Anfang … (s. Anm. 269), S. 180; vgl. auch Ders., Anfnge … (s. Anm. 89), 1, S. 84 – 89; und Ders., Die alte Armee von 1655 bis 1740. (Formation und Strke) (= Urkundliche Beitrge und Forschungen zur Geschichte des Preußischen Heeres, 7), Berlin 1905, hier S. 1; man vergleiche die Zahlen bei F. L. Carsten, Preußen … (s. Anm. 160), S. 217 f., und (nach wie vor zu konsultieren) Gustav Schmoller, Die Entstehung des preußischen Heeres von 1640 bis 1740, zuerst 1877, wieder in: Ders., Umrisse … (s. Anm. 176), S. 246 – 288, hier S. 262, S. 264; Reduktionen 1660/61: M.

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Friedens also stets starke Reduktionen, so 1697 um nicht weniger als zwei Drittel, so daß Max Lehmann – in einiger Zu- und ˜berspitzung – sagen konnte, es habe ein Stehendes Heer erst unter Kçnig Friedrich Wilhelm I. gegeben. Unter ihm, nach 1713 sei erstmals auch in Friedenszeiten das Heer vermehrt worden.272 Das sind die Quantitten und ihre Interpretationen. Mindestens ebenso wichtig sind die strukturellen Wandlungen innerhalb der Truppe, die durch angeworbene Sçldner nun auf Permanenz gestellt worden ist; der Anteil derjenigen Regimenter, die durch Aushebung oder durch Aufgebot gebildet worden sind, trat unter dem Großen Kurfîrsten deutlich zurîck. Die ostpreußischen Wibranzen hatten sich in den spten siebziger Jahren nicht mehr als brauchbar erwiesen, so daß der Landesherr diese Einrichtung eingehen ließ.273 Allerdings bedeutete der Aufbau eines miles perpetuus nicht automatisch die Entstehung einer kurfîrstlichen Armee, d. h. einer, die tatschlich allein unter seiner Obçdienz gestanden htte – sonst htte es ja auch letztlich nicht der Kommissare des Monarchen bei den Regimentern bedurft, von denen wir soeben bei den Anfngen des Kriegskommissariats hçrten. Nicht nur, daß die Obristen traditionell auch gegenîber dem Kurfîrsten eine sehr selbstndige Haltung einnahmen; gleich bei Regierungsantritt haben dreizehn der hçchsten Offiziere eine hçhere Besoldung zu erpressen versucht und gedroht, sie wîrden im Falle der Ablehnung ihrer Forderung zum Kaiser îbergehen. Der Kommandant von Spandau, ein von Rochow, hatte mit der Sprengung der Festung gedroht; wenig spter ist Rochow zu den kaiserlichen Truppen gewechselt. Derartige Phnomene hat es mehr als einmal gegeben, der ˜bertritt eines hohen Offiziers zu einem politischen Rivalen des Landesherrn war durchaus ein Instrument bei Auseinandersetzungen innerhalb der militrischen und Hofgesellschaft, und das auch noch um 1700.274

Philippson, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 157), 2, S. 208 (nach ihm maximal 4.500 Mann prsent). 272 Max Lehmann, Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelms I., zuerst 1891, wieder in: Ders., Historische Aufstze und Reden, Leipzig 1911, S. 135 – 157, S. 355 – 367, hier S. 152; Robert Frhr. von Schrçtter, Die Ergnzung des preußischen Heeres unter dem ersten Kçnige, in: ForschBrandPrG 23 (1910), S. 403 – 467, hier S. 412 (zu 1697). 273 Curt Jany, Die Kantonverfassung Friedrich Wilhelms I., in: ForschBrandPrG 38 (1926), S. 225 – 272, hier S. 225 f.; Ders., Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 315 f., S. 318. 274 F. Schroer, Havelland … (s. Anm. 103), S. 97 f., S. 101 f., S. 104; um 1700: Paul Haake, Generalfeldmarschall Hans Adam von Schçning, in: Studien und Versuche zur neueren Geschichte. Max Lenz gewidmet von Freunden und Schîlern, Berlin 1910, S. 89 – 206, hier S. 132 f., S. 144 ff.; zum ganzen Komplex vgl. Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his Work Force. A study in European economic and social history (= VSWG Beihefte, 48), hier 2, Wiesbaden 1965, S. 154.

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Die Selbstndigkeit der Offiziere hatte sehr konkrete Hintergrînde. Sie waren zunchst ja die Inhaber ihrer Regimenter, Militrunternehmer des Kondottiere-Typs, die mit dem Landesherrn durch „Kapitulationen“, d. h. durch Vertrge, verbunden waren. Dies bot ihnen die Mçglichkeit, mit Verweis auf den Inhalt ebendieser Kapitulationen, Befehle zu verweigern. Der Landesherr, auch nach 1640 in der Rolle eines „Glubigers“ seiner Offiziere, konnte diese nur schwer disziplinieren. Die Regimentsinhaber verfîgten îber die Offizierschargen ihrer Truppe und waren so in der Lage, Klientelnetze zu bilden und zu unterhalten. Die Truppenteile wurden wie lebenslange „Dienstlehen“ angesehen und betrieben; im Rang eines Regimentschefs waren durchaus Vermçgen zu erwerben.275 Die langsame Unterordnung und (partielle) Disziplinierung des Offizierskorps war die Politik des Kurfîrsten, um aus der Armee in seinem Land tatschlich seine Armee zu machen. Noch in der Mitte der 1660er Jahre waren die Obersten bei der Ernennung ihrer Offiziere selbstndig, seit 1673 mußte der Kurfîrst bei Offiziersbestellungen wenigstens informiert werden, auch wenn der Regimentskommandeur sie selbst bestimmte. Unter Friedrich III. ist dann fîr neue Regimenter die Anstellung der Offiziere durch den Monarchen erfolgt, aus Kapitulationen wurden Offizierspatente. Die Durchsetzung des Anciennittsprinzips bei militrischen Befçrderungen reduzierte die Willkîr und Autonomie der intermediren Gewalten in der Armee. Die selbstndige Entlassung der Offiziere durch die Obersten wurde eingeschrnkt. Disziplin gegenîber dem Monarchen wurde betont; die Militrgesetzgebung war dafîr das wesentliche Instrument; die Mçglichkeit, Gouverneursstellen, eintrgliche Amtshauptmannschaften und auch geistliche Pfrînden zu verleihen, bot motivationsstrkende Unterstîtzungen. Das Recht des Kurfîrsten, jedes Regiment nach Belieben zu mustern, war ebenso ein wichtiger Schritt. Aber das vçllig unbeschrnkte monarchische Recht zur Bestellung der Offiziere datiert erst aus der Zeit nach 1713.276 Allerdings wurde die Selb275 Schon sehr gut gesehen bei G. Schmoller, Heer … (s. Anm. 271), S. 261 ff.; vgl. dann auch Peter-Michael Hahn, Aristokratisierung und Professionalisierung. Der Aufstieg der Obristen zu einer militrischen und hçfischen Elite in Brandenburg-Preußen von 1650 – 1725, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 161 – 208, hier S. 172, S. 174 ff., Zitat: S. 176; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 309 – 331; in Ermangelung einer zureichenden neueren Biographie noch immer Wolfgang von Unger, Feldmarschall Derfflinger. Dem Dragoner-Regiment Freiherr von Derfflinger gewidmet (= Sonderabdruck aus dem Militr-Wochenblatt, Beiheft 7 und 8), Berlin 1897, S. 14, S. 120; vgl. noch (George Adalbert von Mîlverstedt), Vom General Christoph v. Kannenberg, in: Einundzwanzigster Jahresbericht des Altmrkischen Vereins fîr vaterlndische Geschichte und Industrie zu Salzwedel. Abteilung fîr Geschichte, 1., Magdeburg 1888, S. 33 – 56, hier S. 43 – 45. 276 G. Schmoller, Heer … (s. Anm. 271), S. 264, S. 266 f.; Robert Freiherr von Schrçtter, Das preußische Offizierskorps unter dem ersten Kçnige von Preußen, in: ForschBrandPrG 26 (1913), S. 429 – 495, 27 (1914), S. 97 – 167, hier im 1. Teil,

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stndigkeit der Inhaber von Kontingenten nur geschwcht, nicht aber gnzlich beseitigt. Die Kompanie war um (und nach 1700) eine Wirtschaftseinheit, zugleich eine Einkommensquelle fîr den Kommandeur, so wie das Regiment fîr den Obersten. „So wurden Regimenter und Kompanien zu Wertobjekten, die auch unter Umstnden kuflich erworben oder weitergegeben werden konnten“ (v. Schrçtter).277 Bei Infanterie und Kavallerie hat schon im 17. Jahrhundert der Adel das ˜bergewicht in den Offizierschargen besessen, bei der Artillerie waren die Offiziersstellen eine Domne der Bîrgerlichen. Unter Friedrich III. haben nichtadlige Offiziere, wohl auch aus Grînden des Ersatzbedarfs, gute Aufstiegs-, d. h. auch Nobilitierungschancen besessen. Unter den 1.030 Offizieren, die im Jahre 1688 gezhlt wurden, betrug der Anteil der Hugenotten mit mindestens 300 ein gutes Viertel; er lag 1707 bei 20 und 1713 noch bei 12 Prozent.278 Damit war wohl auch ein weiteres Instrument vorhanden, das Offizierskorps durch das Element der Immigranten, die ganz von der Gnade der politischen Fîhrung abhingen, zu disziplinieren. Die Missachtung des Indigenatsrechts fîr Offiziersstellen unter Friedrich III./I. gehçrte dazu. Die Armee wurde zu einem wichtigen Element bei der Ausprgung derjenigen politischen Strukturen, die den Weg von der Personal- zur Realunion bis 1700 kennzeichnen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dabei die Entscheidung des Monarchen, zumal Friedrich Wilhelms, die wesentlichen Weichen gestellt hat, d. h. eines Herrschers, von dessen 48 Regierungsjahren 19 Kriegsjahre waren. Stand Brandenburg um 1640 in militrischer Hinsicht weit hinter Bayern oder Hessen zurîck, so war um 1688 seine Feldarmee im Heiligen Reich die strkste nach derjenigen des Kaisers und etwa so groß wie diejenige Dnemarks.279 Daß aber die Verlufe nicht linear gewesen sind, daß starke Traditionsbestnde vorabsolutistischer Elemente sich erstaunlich lange gehalten haben, daß also die Strukturen langer Dauer auch auf dem militrischen Gebiet zu finden sind, das haben wir gesehen – und diese Feststellung gilt nicht nur fîr die Jahre um 1700.

S. 430 f., S. 433 f., und im zweiten Teil, S. 146; vgl. G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 112; Felix Priebatsch, Geschichte des Preußischen Offizierskorps, Breslau 1919, S. 9. 277 R. Frhr. von Schrçtter, Offizierskorps … (s. Anm. 276), Tl. 1, S. 456 ff., S. 466 f., S. 477 – 495, das Zitat S. 494. 278 R. Frhr. von Schrçtter, Offizierskorps … (s. Anm. 276), 2, S. 98 – 100, S. 104, S. 106, S. 133, Frage des Indigenats: S. 106 f.; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 313; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 119. 279 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 336 f.; Kriegsjahre: G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 410.

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§ 4 Europa und die Politik Brandenburg-Preußens 1648 – 1688 Der Westflische Frieden des Jahres 1648280 mit seinen konfessionellen, reichsrechtlichen und territorialen Bestimmungen besaß große Bedeutung fîr die Politik Brandenburgs beziehungsweise Brandenburg-Preußens in den folgenden Jahrzehnten. Wir hatten gesehen, daß die territorialen Kompensationen fîr die nur teilweise realisierten kurbrandenburgischen Ansprîche auf Pommern ein erhebliches Entwicklungspotential fîr die nhere und weitere Zukunft bargen. Vor allem die Aussichten auf die mittelelbischen Stiftstnde Magdeburgs und das alsbald in Besitz genommene nahe Halberstadter Territorium verlegten dem gefhrlich nahen kurschsischen Konkurrenten den Weg nach Nordwesten. ˜ber mehr als ein Jahrhundert war es eine offene Frage gewesen, ob es Kurbrandenburg gelingen wîrde, diese Entwicklungsrichtung des in materieller und sicherlich auch kultureller Hinsicht îberlegenen wettinischen Rivalen zu blockieren. Mit den Bestimmungen des Westflischen Friedens wurde die Frage erkennbar beantwortet, und 1666/1680 hat Kurbrandenburg endgîltig um Magdeburg und Halle an der Saale Fuß gefaßt.281 In Berlin-Cçlln scheint aber um 1650 das Ausmaß der damit eingetretenen diplomatisch-strategischen Vorentscheidungen kaum zutreffend erkannt worden zu sein, und es wîrde sich lohnen, die ein halbes Jahrhundert spter eingetretene schsischpolnische Union mit ihren Belastungen und Chancen fîr die ostmitteleuropischen Konstellationen unter diesen Vorzeichen nher zu interpretieren. Fîr die unmittelbaren politischen Optionen der brandenburg-preußischen Politik im Reich und in Europa nach dem Westflischen Friedensschluß war nicht nur die Frage der Odermîndung und des noch nicht realisierten Teiles der pommerschen Erbschaft von primrer Bedeutung; die Frage, ob doch noch der Seezugang der mittleren Gebiete des Hohenzollernstaates und ganz besonders der Erwerb Stettins realisiert werden kçnne, îberschattete immer wieder die außenpolitischen Kalkulationen in der Zeit des Großen Kurfîrsten. Indem Schweden also einen besonders wertvollen, çkonomisch und strategisch wichtigen Teil Pommerns in den Hnden behielt, konnte es nicht nur – in Restbestnden bis in das 19. Jahrhundert – einen gefhrlichen Brîckenkopf im Nordosten des Heiligen Rçmischen Reiches jederzeit aktivieren und instrumentalisieren. Diese Garantiemacht des Westflischen Friedens, eine Potenz des europischen Mchtesystems fîr rund sieben Jahrzehnte,282 wurde oben280 Vgl. oben Anm. 115, und bei Anm. 141 – 145. 281 W. Neugebauer, Magdeburg, Halberstadt, Minden … (s. Anm. 55), S. 177; Heinz Duchhardt, Altes Reich und europische Staatenwelt (= Enzyklopdie deutscher Geschichte, 4), Mînchen 1990, S. 12; vgl. oben Anm. 143. 282 Heinz Duchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte, 11), Mînchen 1989, S. 86, Mînchen 31998, S. 88; Klaus Zernack, Das

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drein zum unmittelbaren und gefhrlichen Nachbarn der mittleren Territorien Brandenburg-Preußens. Und in der Tat war selbst die unmittelbare Konfrontation zwischen Brandenburg und Schweden mit dem Friedensschluß des Oktobers 1648 noch nicht vçllig beendet. Da waren zum einen die Rîck- und Durchzîge schwedischer Kontingente, die fîr die Mark und fîr Berlin-Cçlln auch in den nchsten Jahren noch eine unmittelbare Bedrohung darstellten. Bis 1650 hatte man die Schweden im Land, und sie waren zum Abzug erst bereit, als sogenannte „Satisfaktionsgelder“ aus dem daniederliegenden Land gezahlt worden waren. Deshalb konnte im westflischen Minden die Besitzergreifung durch Kurbrandenburg gleichfalls erst 1650 geschehen, und aus dem nun kurbrandenburgischen Teil Pommerns zog die Ostseemacht erst 1653 ab.283 Freilich hat Schweden noch sehr viel lnger Einfluß auf die hinterpommerschen Hfen genommen und bei den Hafenabgaben, den Lizentgebîhren, ein Mitspracherecht ausgeîbt.284 Der zweite Brennpunkt des politischen Geschehens blieb um 1650 – aus der Sicht der brandenburgischen Diplomatie – der Niederrhein. Dort haben die Rivalitten mit den katholisch gewordenen Pflzern (Neuburg) auch nach dem Westflischen Frieden angehalten und wenig spter zu einem klglich gescheiterten Versuch des Großen Kurfîrsten gefîhrt, mit Gewalt die niederrheinischen Ansprîche auf das begehrenswerte jîlich-bergische Gebiet durchzusetzen. Aber der Einmarsch des Kurfîrsten fîhrte nicht nur zu einem spektakulren Schritt der Klevischen Landstnde, die sich demonstrativ gegen das Vorgehen ihres Landesherrn aussprachen, sondern auch zu großer Erregung im Heiligen Rçmischen Reich. Die Kmpfe, die am Niederrhein ganz ohne Zweifel durch den brandenburgischen Kurfîrsten vom Zaune gebrochen worden waren, schienen den eben gewonnenen Frieden in Mitteleuropa sogleich aufs neue zu gefhrden. Die militrische Aktion und die sich daraus ergebenden Kampfhandlungen hat Friedrich Wilhelm rasch abbrechen mîssen, und zugleich war diese Offensive des Jahres 1651 fîr ihn eine schwere moralische und diplopreußische Kçnigtum und die polnische Republik im europischen Mchtesystem des 18. Jahrhunderts (1701 – 1763), in JbGMitteldtld 30 (1981), S. 4 – 20, hier S. 8; Walter Platzhoff, Geschichte des europischen Staatensystems 1559 – 1660 (= Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. 2), Mînchen/Berlin 1928, S. 226. 283 B. Erdmannsdçrffer, Waldeck … (s. Anm. 224), S. 113; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 4, S. 296, Nr. 257, 5, S. XXXVI f., S. LII; C. Jany, Anfnge … (s. Anm. 89), S. 96 f. 284 Aus intensiven Quellenforschungen schçpfend, und deshalb von bleibendem Wert: Gustav Schmoller, Studien îber die wirthschaftliche Politik Friedrichs des Großen und Preußens îberhaupt von 1680 – 1786, Erste Serie I-VII. Sonderabdruck aus dem Jahrbuch fîr Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich, 8 (1884), S. 386.

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matische Niederlage. Es war mehr als ein Fehler des noch immer jugendlichtastenden Landesherrn, der seine politischen und militrischen Mçglichkeiten ganz falsch taxiert hatte.285 Sehr deutlich wurde zugleich, daß auch – oder gerade – nach dem Westflischen Frieden Politik nicht ohne Rîcksicht auf das Heilige Rçmische Reich und sein soeben kodifiziertes System getrieben werden konnte. Vor allem durfte die Haltung des Kaisers nicht aus den politischen Kalkulationen herausgelassen werden.286 Die Forschung und die ltere borussische Geschichtsschreibung hat die Bedeutung und Lebenswirklichkeit des Heiligen Rçmischen Reiches nach 1648 im allgemeinen und auch die Bedeutung des Heiligen Reiches fîr die brandenburg-preußische Politik im besonderen lange Zeit unterschtzt; aber die Bedingungen brandenburg-preußischer Politik im 17. und 18. Jahrhundert unterschieden sich noch lange von denjenigen, in denen souverne Staaten in der Zeit des Nationalstaats Macht- oder Realpolitik getrieben haben. Brandenburg und seine Nebengebiete im Heiligen Rçmischen Reich und das Herzogtum Preußen unter polnischer Lehnshoheit standen noch nicht als souverne politische Einheiten anderen gleichberechtigt gegenîber. Brandenburg-Preußen war gleich zweifach in Systeme gestufter Loyalitten eingebunden, die (noch) nicht mit der Kategorie der Souvernitt zu definieren waren. Insofern fîhrt schon das Mißgeschick von 1650/51 auf die Bedeutung von Kaiser und Reich als Bedingungsfaktoren brandenburgischer Politik in der Frîhen Neuzeit. Die Haltung des Kaisers war nicht nur am Niederrhein von großer praktischer Bedeutung fîr die Realisierung der territorialen Aspirationen. Auch dann, wenn es darum ging, die Schweden endlich aus Pommern herauszudrngen, war der Kaiser, war die Reichspolitik im Spiele, bedurfte es also der Rîcksicht auf die Hofburg in Wien, denn nur von dort aus konnte die Belehnung mit den Neuerwerbungen erfolgen. Gewiß war der Kurfîrst von Brandenburg kein „Gefolgsmann“ des Habsburgers,287 und Friedrich Wilhelm hat in den fînfziger Jahren unter der øgide des Geheimen Rates Georg Friedrich von Waldeck gleichsam die „Fîhrung der Reichstagsopposition“ (Kîntzel) îbernommen. Dieses politische Programm 285 B. Erdmannsdçrffer, Waldeck … (s. Anm. 224), S. 26 – 34; G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 40; O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 4, S. XLIII-LVI. 286 Anton Schindling, Der Große Kurfîrst und das Reich, in: G. Heinrich (Hg.), Sonderbares Licht … (s. Anm. 202), S. 59 – 74, hier S. 61. 287 A. Schindling, wie Anm. 286; zu Waldeck B. Erdmannsdçrffer, Waldeck … (s. Anm. 224), S. 152 ff., das Zitat S. 153, ferner S. 178 – 188, S. 255 – 267, S. 293 f., S. 297; T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 183 ff.; G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 48 f.; G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 425; zur Bedeutung der Geschichte des Alten Reiches fîr die preußische Geschichte siehe jetzt umfassend Frank Kleinehagenbrock mit seinem Beitrag in diesem Band.

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fand in der gegen den Kaiser gerichteten „Unionspolitik“ Ausdruck, die nicht zufllig um 1870, in der unmittelbaren Vorphase der deutschen Reichsgrîndung große historiographische Aufmerksamkeit gefunden hat. Schon in der Zeit Waldecks schien ein „deutsche(r) Fîrstenbund unter preußischer (!) Fîhrung“ (Erdmannsdçrffer) angestrebt worden zu sein, und in der Tat hat Waldeck versucht, eine Union der protestantischen Reichsterritorien zusammenzubringen und damit unter brandenburgischer Fîhrung ein Gegengewicht zum Kaiser zu bilden. An Kursachsen und Kurpfalz, Bremen, Verden (Schweden) und Braunschweig, an Hessen und Mecklenburg war da zu denken; sie alle sollten ihre Politik auf dem Reichstag und in den Reichskreisen abstimmen. Aber auch darin, wie schon in der mehr peinlichen Aktion um Jîlich und Berg, kam ein gutes Stîck ˜berschtzung der eigenen Mçglichkeiten und eine Fehleinschtzung des brandenburgischen Gewichts zum Ausdruck. Sicher war auch die Verstimmung in der Umgebung des Kurfîrsten darîber mit im Spiel, daß der Kaiser die klevische Stndeopposition noch unterstîtzte. Der Unionsplan scheitere, nur Vertrge defensiven Charakters mit den braunschweig-lîneburgischen Herzçgen aus welfischem Hause kamen 1654 zustande, ferner eine politische Annherung an Hessen-Kassel. Bemerkenswert an der Unionspolitik seit 1653 ist aber, daß sich die brandenburgische Politik dabei nun konsequent auf die Basis des Westflischen Friedens stellte. Die Episode der Waldeckschen Unionspolitik darf jedenfalls nicht die Tatsache îbersehen lassen, daß der Kurfîrst – und auch seine nchsten Nachfolger – das Heilige Rçmische Reich als wesentliche Bedingung brandenburgischer(-preußischer) Politik respektierten, daß sie sich bei aller temporrer Verstimmung îber Habsburg dann gleichwohl zweimal, 1653 und 1658 bereit gefunden haben, als Kurfîrsten habsburgischen Kandidaten ihre Stimme zu geben. Insofern haben die brandenburgisch-preußischen Hohenzollern auch in einer Zeit, in der sie den Versuch zur Grîndung einer eigenen Partei im Reiche unternahmen, das Haus Habsburg gestîtzt, d. h. gerade in den Jahren, in denen sich die Kaiser nach dem Westflischen Frieden zunchst in einer Schwcheperiode befanden und ihre Rîckkehr ins Reich vorbereiteten.288 Gewiß hat die „hastige Impulsivitt“ des Großen Kurfîrsten289 auch auf die reichspolitischen Konstellationen Auswirkungen gehabt, aber in der Grundlinie ist er – entgegen den Interpretationen, nach denen der Kurfîrst den Bestand des Reiches bewußt gefhrdet htte – zumindest reichsloyal gewesen. Dem ersten Rheinbund unter franzçsischer 288 Adolf Schultz, Die Beziehungen des grossen Kurfîrsten zum Kaiser von der Wahl Leopolds I. bis zum Jahre 1673, phil. Diss. Kiel 1896, S. 7 – 19; Emil Walter, Die Politik der Hohenzollern bei den deutschen Kaiserwahlen. Im Zusammenhange dargestellt, Berlin 1879, S. 164 – 189; A. Schindling, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 286), S. 60 – und zum Folgenden S. 66 f.–S. 73; G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 425. 289 O. Hçtzsch, Stnde und Verwaltung … (s. Anm. 178), S. XVII.

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Fîhrung ist Friedrich Wilhelm erst in dessen letzter Phase, d. h. in der Mitte der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts beigetreten, wiewohl gerade dieses Bîndnis bei allen reichspolitischen Motivationen eine antihabsburgische Spitze besaß.290 Jedenfalls hat sich Kurbrandenburg fortan auf die Grundlage des Friedens von Mînster und Osnabrîck gestellt und nur in der pommerschen Frage eine Modifikation erstrebt. Im Reich hat Brandenburg sich an Assoziationen nur wenig beteiligt. Schon der Vorteil, bei zweiseitigen Vertrgen rascher einen Bîndniswechsel durchfîhren zu kçnnen, sprach gegen die Teilnahme an komplexeren Bîndnissen, was freilich auch zu einer gewissen Sonderstellung Kurbrandenburgs unter den Reichsstnden beigetragen hat.291 Mit den Gebietsgewinnen von beziehungsweise nach 1648 ist, so kann man argumentieren, Brandenburg sogar eher tiefer in das Heilige Rçmische Reich hineingewachsen, nahm es doch nun etwa fîr das Fîrstentum Minden das Stimmrecht im niederrheinisch-westflischen Reichskreis und Fîrstenratsstimmen z. B. fîr Pommern wahr;292 spter, nach 1680, hat es auch fîr Magdeburg eine weitere Stimme auf dem Reichstag und das Mitdirektorium im niederschsischen Kreis besessen. Auf den Kreistagen der Reichskreisorganisation sind etwa Fragen der Verteidigung oder auch solche der Mînzpolitik beraten worden.293 Im oberschsischen Kreis hat einerseits die Rivalitt zu Kursachsen, andererseits diejenige zu Schweden, das wegen Pommern vertreten war, die Funktionsfhigkeit beeintrchtigt und dann um 1700 zum Erliegen gebracht.294 Die Kreise waren aber auch insofern von politischer 290 A. Schindling, Kurbrandenburg im System des Reiches … (s. Anm. 215), S. 38; vgl. Fritz Hartung, Neuzeit. Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Franzçsischen Revolution 1789 (= Handbuch fîr den Geschichtslehrer, 5), Wien 1937, S. 34 ff., und O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 222; Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfîrst, das Reich und die europischen Mchte, in: O. Hauser (Hg.), Preußen, Europa … (s. Anm. 215), S. 19 – 31, bes. S. 23, S. 26; vgl. August Siemsen, Kurbrandenburgs Anteil an den kaiserlichen Wahl-Kapitulationen von 1689 bis 1742 (= Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, 3, Heft 3), Weimar 1909, S. 3. 291 A. Schindling, Kurbrandenburg im System des Reiches … (s. Anm. 290), S. 38. 292 Walter Isaacson, Geschichte des niederrheinisch-westflischen Kreises von 1643 – 1667, phil. Diss. Bonn, Dinslaken 1933, S. 21; Johann Gustav Droysen, Der Staat des Großen Kurfîrsten (= Geschichte der Preußischen Politik, 3. Tl., 3. Abt.), Leipzig 2 1872, S. 472; A. Schindling, Kurfîrst und das Reich … (s. Anm. 286), S. 61 f.; B. Erdmannsdçrffer, Waldeck … (s. Anm. 224), S. 169 ff.; destruktive Haltung Brandenburgs: Rudolf Endres, Franken zwischen den Großmchten 1648 – 1806, in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, 3/I, Mînchen 21979, S. 231 – 248, hier S. 239 Anm. 2. 293 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 5, S. 173 f., Nr. 156, ferner S. 197 f., 7, S. 89, Nr. 154 u. ç. 294 O. Meinardus, Protokolle … , 4, S. 189, 7, S. 237; Winfried Dotzauer, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des alten Reiches und ihr Eigenleben (1500 – 1806),

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Bedeutung, als in ihnen das Prsentationsrecht zu den Assessorenstellen am Reichskammergericht wahrgenommen wurde.295 Wenn auch aus der Kurmark selbst nach den Bestimmungen der Goldenen Bulle von 1356 nicht an Gerichtsinstanzen des Heiligen Reiches appelliert werden konnte,296 war doch Kurbrandenburg fîr seine verschiedenen Gebiete im Heiligen Rçmischen Reich sehr wohl berechtigt, fîr die Stellen am Reichskammergericht bei eintretenden Vakanzen Personal zu benennen, d. h. zu prsentieren, auch îbrigens fîr die Mark Brandenburg selbst. Im oberschsischen, im niederschsischen und im niederrheinisch-westflischen Reichskreis war der Große Kurfîrst also in der Lage, sich dieses Instrumentes zu bedienen, und er hat davon in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts mehrmals Gebrauch gemacht.297 Obwohl im 18. Jahrhundert die Politik der Herrscher dahin ging, die Einflîsse der Reichsgerichtsbarkeit auf den Staat mçglichst abzuschwchen und schließlich zur Mitte des 18. Jahrhunderts ganz zu beseitigen (Appellationsprivilegien 1746/50), hat doch der Appellationsweg aus dem brandenburgischen Lnderverband an die Reichsgerichte, d. h. an Reichskammergericht oder Reichshofrat, durchaus Bedeutung besessen, noch lange auch eine durchaus politische. Es war ja durchaus mçglich, daß ein Untertan den Kurfîrsten etwa in finanziellen Konflikten dort verklagen konnte,298 und ebenso haben Korporationen, auch solche mit stndischer Qualitt, bei Bedarf zu dieser Waffe gegriffen. Die Weiterungen, auch solche politischer Dimensionen im europischen Reichsverband, waren jedenfalls unkalkulierbar genug, um den Kurfîrsten bisweilen in

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Darmstadt 1989, S. 112, S. 119 ff., S. 126, S. 128 – 132; ergnzend wichtig A. Berney, Friedrich I. … (s. Anm. 237), S. 250 – 252; neuerdings zum Thema Thomas Nicklas, Der oberschsische Reichskreis – Konturen eines vergessenen Zirkels, in: JbGMitteldtld 47 (2001), S. 1 – 21, bes. S. 2 ff., S. 19 ff.; Ders., Macht oder Recht. Frîhneuzeitliche Politik im Oberschsischen Reichskreis, Stuttgart 2002, bes. S. 284 ff., und S. 297 – 330, in specie S. 326 – 329. W. Dotzauer, Reichskreise … (s. Anm. 294), S. 126. Kurt Perels, Die allgemeinen Appellationsprivilegien fîr Brandenburg-Preußen (= Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, 3, Heft 1), Weimar 1908, S. 24. Sigrid Jahns, Brandenburg-Preussen im System der Reichskammergerichts-Prsentationen 1648 – 1806, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnung und soziale Krfte im Alten Reich (= VerçffInstEurG, Abt. Universalgeschichte, Beiheft 6. Beitrge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs, [Nr.] 2), Wiesbaden 1980, S. 169 – 202, bes. S. 170, S. 173 – 177, S. 183 – 185, S. 192, jeweils mit der lteren Lit.; vgl. zustzlich Christian Rau, Abhandlung von den Prsentationen des Oberschsischen Kraises zu den Aßeßoratsstellen bey dem Kaiserlichen Reichs-Kammergericht, Regensburg 1782, S. 72 f. Beispiel: O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 6, S. 306, S. 328 f. (ein von Bîlow); zum Ganzen mit weiterer Lit. W. Neugebauer, Magdeburg, Halberstadt, Minden … (s. Anm. 55), S. 183 – 186 und Anm. 108 – 126 auf S. 202 – 204.

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einem sehr frîhen Stadium der Auseinandersetzungen zum Nachgeben wenn nicht zu zwingen, so doch zu bewegen. Das Heilige Rçmische Reich – das kçnnen wir bei starkem Forschungsbedarf fîr den brandenburgischen Faktor doch jetzt schon feststellen – besaß nicht nur Lebenskraft und Lebenswirklichkeit in der Zeit des Großen Kurfîrsten. Es wirkte in den Herrschaftsbereich Friedrich Wilhelms nachdrîcklich hinein und Brandenburg hat im politischen Kampf sehr wohl die Dimension der reichischen Traditionen und Institutionen beachtet und geachtet. Und es kam noch ein weiterer Faktor entscheidend hinzu. So sehr der Kurfîrst im Vorfeld von Mînster und Osnabrîck ganz wesentlich daran beteiligt gewesen war, daß fortan die Reformierten im Reich mit gleichen Rechten wie Katholiken und Lutheraner behandelt wurden, so spielte die Konfessionsfrage auch weiterhin eine nicht zu unterschtzende Rolle in der Reichspolitik Friedrich Wilhelms, ja er nahm, wie Heinz Duchhardt es treffend formuliert hat, die „Rolle des Protektors des Protestantismus im Reich und in Europa“299 wahr. In diesem Punkt durften sich die Herrscher auch mit den brandenburgischen Stnden eins wissen, die ausdrîcklich die kurfîrstliche Politik der „Defendirung der Libertt deß Teutschen Vaterlandes, und conservation der wahren Evangelischen Religion und des gemeinen Bestens“ unterstîtzten.300 Die Stellung Brandenburgs im Heiligen Reich als Protektor des Protestantismus hat sich nach dem ˜bertritt Augusts des Starken zum Katholizismus im Jahre 1697 verstrkt. Wenngleich Kursachsen formell die Fîhrung der Protestanten am Reichstag, d. h. das Directorium des Corpus Evangelicorum, behielt, hat doch Kurbrandenburg nunmehr „die faktische Fîhrung des Corpus Evangelicorum“ in Regensburg îbernommen und fortan aktiver noch gehandhabt.301 Damit wurde eine Entwicklung fortgefîhrt, die in den fînfziger Jahren des 17. Jahrhunderts bereits erkennbar wurde.302 Gleichwohl: Brandenburg war weitab davon, im Sinne des spteren preußisch-çsterreichischen Dualismus etwa schon unter dem Großen Kurfîrsten in einem prinzipiellen Gegensatz zum Kaiser zu stehen. Die perspektivische Rîckîbertragung des deutschen Dualismus in das 17. Jahrhundert ist ein un299 Vgl. oben bei Anm. 142 – 145, zur Rolle des Kalvinismus in den Verhandlungen bis 1648; hier: Heinz Duchhardt, Protestantisches Kaisertum und altes Reich. Die Diskussion îber die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht (= VerçffInstEurG, 87, Abt. Universalgeschichte. Beitrge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, [Nr.] 1), Wiesbaden 1977, S. 227. 300 So am 22. Oktober 1696, Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep. 23 A, Akte B 60. 301 A. Schindling, Kurbrandenburg im System … (s. Anm. 290), S. 38 (mit Lit.); H. von Mîhler, Kirchenverfassung … (s. Anm. 54), S. 193; F. Wolff, Corpus evangelicorum … (s. Anm. 85), S. 95, S. 184 Anm. 15. 302 F. Wolff, Corpus evangelicorum … (s. Anm. 85), S. 185.

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haltbarer Anachronismus.303 Brandenburg war trotz seines Gebietsgewinns auch nach 1648 nicht mehr als eine nordostdeutsche Regionalmacht, im europischen Maßstab „vorerst eine nachgeordnete Potenz“ (Schindling). Noch stand durchaus nicht fest, daß Brandenburg-Preußen etwa Bayern, das noch eben im Dreißigjhrigen Krieg eine wichtige und zu Zeiten entscheidende Rolle gespielt hatte, îberflîgeln wîrde. Die Konkurrenten in Kursachsen und den welfischen Gebieten westlich der Mark Brandenburg waren nach 1648 gleichauf, ja kulturell und materiell in einer um einiges vorteilhafteren Lage.304 Kurbrandenburg zwischen Schweden und dem Kaiser, im Innern durch die Katastrophe der letzten Jahrzehnte grîndlich geschwcht, befand sich in einer alles andere als gînstigen strategischen Position. Wir besitzen eine eigenhndige Niederschrift des jungen Kurfîrsten aus der Schlußphase des Krieges, in der er die Lage grundstzlich reflektierte, und darin kommt sehr viel mehr als nur eine temporre Situationsbeschreibung zum Ausdruck. „Wan man betrachtet Wie meine landen gelegen, auf einer seitten ist die Chrohn Schweden(,) auff der anderen der Kayser, und sitze gleichsahm mitten zwissen Ihnen innen, undt erwahrte, was Sie mitt mir anfangen oder thun Wollen, ob Sie mir das meinige lassen, oder nehmen Wollen, eine parti zu Wehlen ist gefehrlich Wegen der gefahr die hieraus entstehen konte.“305 Der Versuch, durch eine Heiratsverbindung Friedrich Wilhelms mit der schwedischen Kçnigsfamilie die Brisanz der Konstellation etwas zu entschrfen und dabei vielleicht auch die Pommernfrage zu lçsen, war an Widerstnden der anderen Seite nach jahrelangen Bemîhungen gescheitert. Erst danach ist die Ehe Friedrich Wilhelms mit der Oranierin Luise Henriette zustande gekommen, einer Enkelin Wilhelms von Oranien und Urenkelin des Admirals Coligny.306 Darin ist gewiß eine Verstrkung nordwesteuropischer Optionen und Einflîsse der „niederlndischen Bewegung“ auszumachen. Mit Schweden hatte man aber nicht nur als pommerschem Nachbarn und als Mitstand im Heiligen Rçmischen Reich und im oberschsischen Reichskreis zu tun; natîrlicherweise stieß die brandenburg-preußische Politik auf diese Ostseemacht in existenziellen Fragen des Herzogtums Preußen zwischen 303 Richtig H. Duchhardt, Absolutismus … (s. Anm. 282), S. 87 f. (1. Aufl.), und A. Schindling, Kurbrandenburg im System … (s. Anm. 290), S. 45. 304 Vgl. schon F. Hartung, Neuzeit … (s. Anm. 290), S. 32 f., S. 59. 305 UA, 4, S. 553. 306 Toni Saring, Luise Henriette, Kurfîrstin von Brandenburg 1627 – 1667. Die Gemahlin des Großen Kurfîrsten, Gçttingen (1939), S. 19 ff., S. 52 ff.; K. Spannagel, Burgsdorff … (s. Anm. 112), S. 236, S. 238; M. Lackner, Kirchenpolitik … (s. Anm. 137), S. 68 f.; auch O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 184; speziell: Richard Armstedt, Der schwedische Heiratsplan des Grossen Kurfîrsten. Beilage zum Programm des Altstdtischen Gymnasiums zu Kçnigsberg in Preußen Ostern 1896, Kçnigsberg in Preußen (1896), S. 11 ff.

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Weichsel und Memel. Die schwedisch-polnischen Spannungen trieben seit 1654 auf einen gewaltsamen Austrag zu. Bei Konfrontationen in diesem Raum war jederzeit das Herzogtum Preußen als polnisches Lehnsgebiet und angesichts seiner strategischen Lage involviert gewesen und im îbelsten Falle selbst Kampfgebiet geworden. Andererseits war Brandenburg-Preußen im Vorfeld des Konfliktes durchaus ein interessanter potentieller Bîndnispartner, was sich in Verhandlungen des Jahres 1655 in einiger Konzessionsbereitschaft seitens der Schweden zu erkennen gegeben hatte. Schon frîh, d. h. schon Anfang 1655 ist dabei am brandenburgischen Hof der Plan entworfen worden, diese Konstellation dazu zu benutzen, das Herzogtum Preußen aus der nun zwei Jahrhunderte, seit der spten Ordenszeit whrenden Abhngigkeit von Polen herauszulçsen. Es ging um nichts anderes als um die preußische Souvernitt. 307 Um diesem Ziel nher zu kommen, hat sich Brandenburg-Preußen zunchst ins Bîndnis mit Schweden begeben, doch bei zunehmenden militrischen Erfolgen des schwedischen Heeres 1655/56 begann sich bereits das fragile Krfteverhltnis zu ungunsten des brandenburgischen Juniorpartners zu verschieben, so daß zunchst einmal die polnische Lehnsherrschaft îber Preußen nur durch die schwedische abgelçst worden ist. Erst der Sieg des neuen brandenburgischen Heeres im Verband mit dem schwedischen bei Warschau im Juli 1656 ließ das Gewicht, das der Staat des Großen Kurfîrsten gewonnen hatte, nun zur vollen Wirkung kommen. Knapp neuntausend brandenburgische Soldaten hat der Kurfîrst Friedrich Wilhelm vor Warschau selbst gefîhrt, im wesentlichen die Infanterie und die Artillerie wurden von den Brandenburgern, die Kavallerie wurde von den Schweden gestellt. Aber entschieden war der Krieg mit dieser Schlacht noch keineswegs, die strategische Wirkung der Warschauer Schlacht war eher gering. Je mehr sich in Folge des von den Schweden nicht ausgenutzten Sieges bei Warschau deren Lage verschlechterte, und das tat sie noch im Laufe des Jahres 1656, um so wertvoller wurde der brandenburg-preußische Bîndnisgenosse. Das war die Konstellation, in der zunchst (Vertrag von Labiau, 10./ 20. November 1656) Schweden dem Kurfîrsten-Herzog die Souvernitt îber Preußen konzedierte.308 Das schwedisch-brandenburgische Bîndnis ist dadurch 307 B. Erdmannsdçrffer, Waldeck … (s. Anm. 224), S. 306, S. 310 f.; Johannes Kunisch, Kurfîrst Friedrich Wilhelm und die Großen Mchte, in: G. Heinrich (Hg.), Sonderbares Licht … (s. Anm. 202), S. 9 – 32, hier S. 15 f. 308 H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 4), S. 285; Warschau: Johann Gustav Droysen, Die Schlacht von Warschau 1656. Des IV. Bandes der Abhandlungen der philologisch-historischen Classe der Kçnigl. Schsischen Gesellschaft der Wissenschaften No. IV, Leipzig 1863, S. 373 – 388, zu den beteiligten Krften; Kontext: Ekkardt Opitz, §sterreich und Brandenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg 1655 – 1660. Vorbereitung und Durchfîhrung der Feldzîge nach Dnemark und Pommern (= Militrgeschichtliche Studien, 10), Boppard am Rhein 1969, S. 20 – 37; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 26), 1, S. 336 – 341; G. Kîntzel, Hohenzollern … (s.

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freilich nicht stabilisiert worden, zumal sich durch das Eingreifen von Schwedens Feind Dnemark die Lage zu ungunsten Schwedens verschob. Die Technik des raschen Bîndniswechsels, die der Kurfîrst ja beherrschte, fîhrte ihn mit kaiserlicher Vermittlung rasch auf die andere Seite. Im Vertrag von WehlauBromberg309 aus dem Jahre 1657 wurde das Honorar fîr Brandenburgs Wendigkeit beglichen: Polen erkannte die Souvernitt Preußens nun seinerseits an, ein Schritt, der bereits die Lçsung des Jahres 1660 prformierte. Die polnischen Bevollmchtigten sagten die Entlassung aus dem Lehnsverhltnis zu. Die mnnlichen Nachkommen der kurfîrstlichen Hohenzollernlinie sollten fortan das Herzogtum Preußen „iure supremi dominii cum summa atque absoluta potestate“ besitzen, doch sollten im Falle des Aussterbens des kurfîrstlichen Zweiges der Dynastie ltere polnische Rechte wieder aufleben. Ausdrîcklich wurden in diesem Vertragswerk die Rechte der preußischen Landstnde garantiert. Das war zunchst hinsichtlich Preußens das Maximum, das die brandenburgische Diplomatie aus der gînstigen Situation von 1656/57 herauszuholen vermochte. Kleinere territoriale Abrundungen im Osten und Sîden Pommerns, d. h. Lauenburg und Bîlow, sowie als Pfandbesitz Draheim, kamen hinzu. Der Kurfîrst hat noch versucht, auch seine pommerschen Ziele in dieser Zeit gînstiger Konjunkturen zu erreichen. Der Abzug der Schweden, ihr Engagement in Dnemark – das schien die Situation zu sein, auf die man brandenburgischerseits nur gewartet hatte. Also wurde nun das Schwedische Pommern angegriffen.310 Aber die Eroberung Stettins sollte nicht gelingen, und alle weiteren militrischen Leistungen beim Zug nach Holstein, Schleswig und Jîtland haben nichts genutzt, als erstmals die Drohung franzçsischer Intervention zugunsten Schwedens dazu zwang, die pommerschen Eroberungen des jîngsten Feldzuges wieder aufzugeben. Was blieb, das war die Souvernitt îber Preußen, Anm. 41), S. 427; B. Erdmannsdçrffer, Waldeck … (s. Anm. 224), S. 402; Labiau: T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 211 ff.; zum Ganzen in europischen Zusammenhngen nordischer Kriege seit dem 16. Jh. Robert I. Frost, The Nothern Wars. War, State and Society in Northeastern Euorpe, 1558 – 1721, Harlow 2000, S. 169 – 186, auch zur Schlacht von Warschau; Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559 – 1660 (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 2), Paderborn 2007, S. 560 f., mit weiteren Einzelheiten (Vertrag von Kçnigsbergs, 17. Januar 1656), und zur Schlacht von Warschau. 309 Vgl. oben Anm. 201; T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 220 ff., und der Druck bei S. und H. Dolezel, Vertrge … (s. Anm. 8), S. 182 – 192, Zitat S. 186 f., deutsch bei K. F. Pauli, Staatsgeschichte … (s. Anm. 201), 5, S. 78 ff.; die Ratifikation zu Bromberg (6. November 1657) bei Dolezel a.a.O., S. 197 – 206. 310 Feldzug 1959: C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 142; Hermann Klaje, Des Großen Kurfîrsten Stîrme auf Greifswald im Jahre 1659, in: Pommersche Jahrbîcher 10 (1909), S. 75 – 148, bes. S. 109 ff.

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auf der Basis der Vertrge von 1656/57.311 Damit wurden freilich auch die Einschrnkungen, wie wir sie zitierten, mit dem Frieden von Oliva 1660 nicht ausgerumt. Die Souvernitt galt nur fîr direkte mnnliche Nachkommen des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, und im Falle eines Aussterbens fiel das Herzogtum an Polen zurîck. Die Untertanen in Preußen waren entsprechend zu vereidigen, „und beim Thronwechsel mußte polnischerseits festgestellt werden, ob der neue Herrscher denn tatschlich in direkter Linie vom Kurfîrsten Friedrich Wilhelm abstamme“. Das war die juristische Lage bis 1772.312 „Die damit stabilisierte hçchste Herrschaftsgewalt besaß jedoch nicht die Bedeutung einer auch außenpolitischen oder vçlkerrechtlichen ,Souvernitt‘“, so hat Hans Roos den Sachverhalt scharf zusammengefaßt. „Die Republik [Polen] hatte nach wie vor die Befugnis, Heeresfolge zu verlangen, die ihr whrend der Regierungszeit des Kurfîrsten auch regelmßig geleistet wurde. Ferner behielt sie sich das Recht des Heimfalls dieses herzoglichen Preußen an die polnische Krone vor, ein Recht, das durch eine spezielle Huldigung des Herzogs und seiner Stnde vor polnischen Kommissaren bekrftigt werden mußte. Friedrich Wilhelm … legte diesen Huldigungseid, das ,homagium eventuale‘, in der Tat auch 1663 ab, und ebenso sein Nachfolger Friedrich III. (1690). Nach den Vertrgen wurden beide Anteile Preußens“ – also das Herzogtum Preußen (Ostpreußen) und das noch kçniglich polnische, sptere Westpreußen – „als eine vçlkerrechtliche Einheit betrachtet. Insofern ging aus dem Wortlaut der Vertrge keineswegs eindeutig hervor, ob die Lehnshoheit der polnischen Krone formell wirklich aufgelçst worden war oder ob sie nur ihres materiellen Inhalts entleert worden war“. Erst in Folge der ersten Teilung Polens von 1772, d. h. im Vertrag vom 18. September 1773 sind die letzten lehnsrechtlichen Vorbehalte beseitigt und ist „die volle außenpolitische Souvernitt“ hergestellt worden. Jedenfalls haben die brandenburg-preußischen Herrscher noch sehr lange die Souvernitt îber das Herzogtum Preußens als ungesichert angesehen, der Große Kurfîrst nachweisbar noch in den 1670er Jahren,313 wobei wir an dieser Stelle nur die 311 J. Kunisch, Kurfîrst Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 307), S. 16 ff.; G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 51; G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 427 f.; T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 239 – 251, Nr. 129 a., bes. S. 246, S. 250; nîtzlich noch Karl Friese, ˜ber den usseren Gang der Verhandlungen beim Frieden von Oliva, phil. Diss. Kiel 1890, S. 57; zum kçniglich (polnischen) Preußen und den Vorgngen von 1657 vgl. Karin Friedrich, The Other Prussia. Royal Prussia, Poland and Liberty, 1659 – 1772, Cambridge 2000, S. 150 f. 312 H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 4), S. 302; folgendes Hans Roos, Polen von 1668 bis 1795, in: Fritz Wagner (Hg.), Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklrung (= Handbuch der europischen Geschichte, 4), Stuttgart 1968, S. 690 – 752, hier S. 693, 1773: S. 747 (Zitat); Jçrg K. Hoensch, Geschichte Polens, Stuttgart 21990, S. 165. 313 Alexander Koller, Die Vermittlung des Friedens von Vossem (1673) durch den jîlich-bergischen Vizekanzler Stratmann. Pfalz-Neuburg, Frankreich und Brandenburg

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Frage aufwerfen, nicht aber beantworten kçnnen, ob mit dem ja recht rigiden Souvernittsbegriffs Bodins und des 17. Jahrhunderts313a die Vorgnge von 1656/57/60 im vollem Umfang zu fassen sind. Angesichts der alles andere als schon entschiedenen Situation um Preußen haben sich die Herrscher nach außen und nach innen, wenn es irgend ging, pragmatisch verhalten, und so den polnischen Einfluß weiter zu vermindern gesucht. Noch Kçnig Friedrich Wilhelm I. hat sich 1722 in seiner „Instruckcion wie sich mein Successor von der Kron Preussen nach mein toht zu richten hat“ mit intimen Ratschlgen und Weisungen dazu geußert. „Wen(n) mein Successor sich in Preussen wierdt huldigen lassen“, so mîsse er das unbedingt „heimlich“ tun, jedenfalls es so mit den (Außen-) Ministern vorbereiten. Dies mîsse dann „in der geschwindigkeit“ geschehen „das Kein Polnischer Magnat dabey erscheine und die hulidgung so abgehe als wie ich bin gehuldiget worden[,] sondern ist ein Polnischer Magnaht dabey ist eine schlimme consequance das werdet Ihr im archiff finden[,] laßet aufsuchen die huldigung von mein Vatter und grohsvatter da werdet Ihr sehen was das vor eine importance ist und nicht eine ceremonie ist. In Preussen ist auch ein großer adell der gravenstandt der considerabelste ist[,] auf die finckische und Donaische familie mus mein Successor ein wachsahmes auge hahben sonsten sie mit mein Successor mit Regiren werden und die beide fammilien die alte Preussische Polnische Privilegia noch im hertzen hehgen das seit versichert“.314 Insofern blieben, und das war den preußischen Kçnigen auch im ganzen 18. Jahrhundert hindurch bewußt, ostmitteleuropische Faktoren im çstlichen Teil der Monarchie durchaus ein Element der politischen Kultur. Die „Souvernitts“-Lçsung von 1660 war nur in einer sehr spezifischen gesamteuropischen Lage mçglich gewesen, eine, in der das noch kleine Gewicht Brandenburg-Preußens die Waagschale in gînstiger Stunde zu bewegen vermochte. Zur Gunst der Situation gehçrte freilich auch, was in der preußischen Historiographie nicht berîcksichtigt zu werden gepflegt wird, daß Polen, das im 16. Jahrhundert eine große Zeit erlebt hatte und vom Dreißigjhrigen Krieg nicht zentral betroffen worden war, nach 1648 dann allerdings in eine Phase innerer und ußerer Erschîtterungen eintrat;315 nur so scheint der Erfolg des Großen Kurfîrsten um 1660 letztlich erklrt werden zu kçnnen. Nach 1660 trat Politik und Strukturbildung in Brandenburg-Preußen zunchst in eine Phase zwischen dem Frieden von Aachen und der Reichskriegserklrung an Ludwig XIV. (1668 – 1674) (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte, 22), Mînster 1995, S. 82. 313a Helmut Quaritsch, Staat und Souvernitt, 1: Die Grundlagen, Frankfurt am Main 1970, S. 266 ff. 314 G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 102 f. 315 J. K. Hoensch, Polen … (s. Anm. 312), S. 143 ff., S. 151 (Liberum veto); und Oskar Halecki, Geschichte Polens, Frankfurt am Main 1963, S. 135.

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der Konsolidierung ein – man erinnere sich an den Aufbau der Kommissariatshierarchie in Folge des ersten nordischen Krieges bis Oliva. Die Strategie mçglicher Konfliktvermeidung und –begrenzung,316 die Brandenburg-Preußen im Jahrzehnt nach dem Frieden von Oliva prinzipiell verfolgte, schloß allerdings nicht aus, daß Friedrich Wilhelm zunchst mit dem Gedanken gespielt hat, nun seinerseits die polnische Wahlkrone zu erwerben. Friedrich Wilhelm scheint dafîr sogar bereit gewesen zu sein, auf die eben gewonnene „Souvernitt“ îber das Herzogtum Preußen zugunsten Polens wieder zu verzichten – ein Umstand, der fîr die Frage von Bedeutung ist, wie linear die brandenburg-preußische Staatspolitik eigentlich angelegt gewesen sei. Wichtiger als die Frage der Souvernitt im Herzogtum war fîr den Monarchen diejenige des Konfessionswechsels, der allerdings fîr eine aktive dynastische Politik der Hohenzollern in Polen unvermeidlich geworden wre, von politischen Risiken einer solchen brandenburg-preußisch-polnischen ˜berlast-Konstruktion einmal abgesehen.317 Zunchst hat Kurbrandenburg nach 1660 in Distanz zu Frankreich und in enger Anlehnung an die Hofburg gestanden und versucht, das Reich gegen fremde Einwirkungen absichern zu helfen. Der Beitritt Kurbrandenburgs zum Rheinbund, von dem wir im Kontext der Reichspolitik des Kurfîrsten schon hçrten, steht im Zusammenhang mit einer Annherung Brandenburgs an Frankreich. Acht Vertrge sind zwischen 1664 und 1686 von Frankreich und Kurbrandenburg geschlossen worden, numerisches Indiz fîr den politischen Stil – wir dîrfen tatschlich sagen: – des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, der zumal auf dem Felde der Außen- und der Reichspolitik sehr persçnlich fîhrte und selber die wesentlichen Entscheidungen fllte. Zu einer festen Bindung an Frankreich ist es nicht gekommen, schon die Grundlinie franzçsischer Ostexpansion stand einer lngeren und stabileren Beziehung entgegen. An dieser Stelle kommt es auf das Grundmuster bîndnispolitisch „hektischer Kurzatmigkeit“ an, durch die die Politik Friedrich Wilhelms gekennzeichnet ist.318 Auch weiterhin gingen außenpolitische Parteinahmen mit z. T. heftigen Parteikmpfen am brandenburgischen Hof einher. Und ein weiteres Motiv bran316 So E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 82 f. 317 K. Zernack, Polen … (s. Anm. 201), S. 416; Ludwig Petry, Das Verhltnis der schlesischen Piasten zur Reformation und zu den Hohenzollern, zuerst 1976, wieder in: Ders., Dem Osten zugewandt. Gesammelte Aufstze zur schlesischen und ostdeutschen Geschichte. Festgabe zum fînfundsiebzigsten Geburtstag (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte, 22), Sigmaringen 1983, S. 293 – 301, hier S. 298; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 16 f., und 1, S. 57 – auch zum Folgenden. 318 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 73 – 75, S. 79, S. 82; Ders., Kurfîrst und das Reich … (s. Anm. 290), S. 27; ferner noch erhellend G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 435 f.; „hektische Kurzatmigkeit“ des Großen Kurfîrsten: J. Kunisch, Kurfîrst Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 307), S. 22 f.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 223 – 225.

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denburgischer Politik tritt wiederholt entgegen: Gemeint ist die Bedeutung der Subsidien, d. h. der Geldzahlungen durch auswrtige Staaten an Kurbrandenburg, deren Gewicht auch den fremden Mchten nicht verborgen geblieben ist. Die außenpolitische Sprunghaftigkeit und das hohe Maß von bîndnispolitischem Pragmatismus war also wohl nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, daß in den Jahren und Jahrzehnten, in denen der Aufbau von Stehendem Heer und modernerer Administration gerade erst angelaufen war, die Ressourcen fîr eine eigenstndigere und stetigere politische Strategie nicht ausreichten, brandenburg-preußische Mchtepolitik an vorstrategisch-taktische Methoden gebunden blieb. Es waren dies die Jahre und Jahrzehnte, die im Innern durch Strukturaufbau und Krisenkompensation charakterisiert worden sind. Bei den Bîndniswechseln der frîhen 1670er Jahre ist das Subsidienmotiv als ein wesentliches nicht zu îbersehen. Dabei konnte jede Entscheidung im politischen Krftefeld des Ostens Wirkungen im Westen haben und umgekehrt; dies hatten die Jahre bis 1660 bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Zunchst ging es um die Frage, wie sich Brandenburg-Preußen angesichts des bedrohlichen niederlndisch-franzçsischen Konfliktes stellen sollte. Das Defensiv-Bîndnis mit den Vereinigten Niederlanden, das Friedrich Wilhelm am 26. April/6. Mai 1672 abschloß, hatte den Subsidienzahlungen an Kurbrandenburg breiten Raum gewidmet.319 Das Bîndnis hat den Zusammenbruch der Niederlande im Kampf gegen die Franzosen nicht verhindern kçnnen. Auch beim brandenburgisch-franzçsischen Abschluß des Friedens von Vossem im folgenden Jahr spielte das Subsidienmotiv ganz wesentlich hinein, und am kurfîrstlichen Hof kam es 1673 wiederum zu einer „Neuverteilung der Krfte“. Seitens der franzçsischen Verhandlungsfîhrer ist denn auch auf den pikanten Punkt des Geldes mit Nachdruck hingewiesen worden, daß doch der brandenburgische Kurfîrst fîr die Aufrechterhaltung der jungen Armee auf fremde, nun also franzçsische Subsidien angewiesen wre.320 Ebenso hat der Kaiser im Jahre darauf den neuerlichen Wechsel Friedrich Wilhelms in das antifranzçsische Lager – zusammen mit Spanien und den Generalstaaten – mit Geld, genau mit 200.000 Talern honoriert, und dafîr stellte der Kurfîrst mit 16.000 Mann 319 T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 359 ff., Nr. 205, bes. S. 360 f.; vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 225 f.; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 230. 320 T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 373 ff., Nr. 212; J. Kunisch, Kurfîrst Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 307), S. 25; jetzt A. Koller, Vossem … (s. Anm. 313), S. 26, S. 87, weiter zu Subsidien S. 113, Inhalt: S. 133 ff., S. 146 Anm. 3, Zitat S. 146, vgl. auch S. 140; ltere Spezialstudie: Karl Erhard Ross, Die Politik des Grossen Kurfîrsten whrend des Krieges gegen Frankreich 1672 – 75 mit besonderer Berîcksichtigung des Separatfriedens von Vossem vom 6. Juni 1673 und des Zuges nach dem Elsass im Herbst 1674, phil. Diss. Jena 1903, S. 20 – 27.

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einen nicht unerheblichen Teil seiner Truppen zur Verfîgung.321 Auch am Reichstag hat Kurbrandenburg zu dieser Zeit gegen Frankreich Position bezogen. Brandenburg und sehr persçnlich der Kurfîrst selbst haben nun im Westen gegen Frankreich, dessen Truppen die Pfalz verwîsteten, Stellung genommen, der Kurfîrst hat bei dem folgenden – wenn auch nicht sehr glîcklich verlaufenen – Feldzug die Truppen selbst befehligt.322 In dieser angespannten Situation kam es zum (neuerlichen) franzçsisch-schwedischen Bîndnis und zum berîhmten Einfall der benachbarten Schweden mit Truppen in die Mark Brandenburg seit Dezember 1674. Nach einigem Zçgern, wohl um sich der Bîndnispartner zu versichern, ist der Kurfîrst dann mit rund 15.000 Mann aufgebrochen, mit einem Teil, wohl rd. 6.000 Mann, hat Friedrich Wilhelm – wiederum persçnlich kommandierend – das Gefecht von Fehrbellin und Hakenberg gefîhrt, im wesentlichen Kavallerie und zwçlf Geschîtze, mit denen es gelang, die Schweden zum – allerdings sehr wohl geordneten – Rîckzug zu zwingen.323 Vernichtet war der Gegner nicht, aber es war der erste selbstndige Sieg, ein großer Prestigegewinn ganz ohne Zweifel. Nach dem Gefecht bei Fehrbellin taucht die Bezeichnung „Großer Kurfîrst“ in den Quellen auf, und wie es scheint, zuerst in einem Volkslied aus dem Elsaß.324 Was folgte, das war der neuerliche Griff Brandenburgs nach dem schwedischen Teil Pommerns, schon nachdem der Reichstag in Regensburg den Reichskrieg gegen Schweden beschlossen hatte; die Kmpfe um Pommern fîllten die Jahre 1675 bis 1678, auch Stettin und schließlich sogar Rîgen fielen in die Hand der Brandenburger; den Einfall der Schweden von Livland aus nach Preußen hinein und der berîhmte Winterfeldzug vom Anfang 1679 bot 321 C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 223; A. Schindling, Immerwhrender Reichstag … (s. Anm. 215), S. 189. 322 G. Oestreich, Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 74 f. 323 C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 229 – 244, Fehrbellin und Rathenow: S. 240 – 244; Von Witzleben / (Paul) Hassel, Fehrbellin. 18. Juni 1675. Zum 200jhrigen Gedenktage, Berlin 1875, bes. S. 75 ff.; vgl. noch M. Philippson, Kurfîrst … (s. Anm. 137), 2, S. 337, S. 339, S. 341 – 359; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 233 – 236 (auch zum Folgenden); aus der speziellen Lit. noch H. von Gansauge, Veranlassung und Geschichte des Krieges in der Mark Brandenburg im Jahre 1675. Nach Archivalien des Geheimen Staatsarchivs zu Berlin so wie nach anderen Urkunden bearbeitet … , Berlin 1834, S. 26 – 80; Peter Kiehm, Zu den Feldzîgen des brandenburgischen Kurfîrsten Friedrich Wilhelm in Vorpommern 1675 – 1679, in: Jahrbuch fîr Regionalgeschichte 15/II (1988), S. 108 – 115, hier S. 111 ff. 324 Ferdinand Meyer, Ein illustriertes Flugblatt auf die Schlacht bei Fehrbellin, in: Brandenburgia, Jg. 1 (1893), S. 172 – 177, hier S. 172; Carl Hinrichs, Der Große Kurfîrst 1620 – 1688, zuerst 1956, wieder in: Ders., Preussen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hg. von Gerhard Oestreich (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 10), Berlin 1964, S. 227 – 252, hier S. 245 f.; W. von Unger, Defflinger … (s. Anm. 275), S. 70 – 75, S. 77.

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einen neuerlichen Hçhepunkt der Kmpfe, die aus der Sicht der brandenburgischen Politik letztlich um das pommersche Erbe gefîhrt wurden. Auch der Winterfeldzug – mit dem berîhmten Ritt von Kavallerieverbnden îber das tief zugefrorene Kurische Haff – gehçrt zu den geradezu legendenumwobenen Vorgngen aus der Regierungszeit des Monarchen, der den neuerlichen Sieg als sehr persçnlichen Erfolg ansehen durfte.325 Ohne Zweifel war Friedrich Wilhelm ein Mann von großer militrischer Leistungs- und Leitungskraft. Wenn er gleichwohl mit Ausnahme eines kleinen Gebietsstreifens rechts der Oder seine Eroberungen wiederum verlor, so deshalb, weil îber die drohende Vernderung des Krfteverhltnisses im sîdlichen Ostseeraum nicht auf den Schlachtfeldern Brandenburg-Preußens, sondern andernorts entschieden wurde. Auch htte die gnzliche Verdrngung Schwedens aus dem oberschsischen Reichskreis eine Vernderung des 1648 gebundenen Krfteverhltnisses im Heiligen Rçmischen Reich bedeutet. Wie im Vorfeld von Oliva 1660 hatte Frankreich eine Neuordnung der Bîndnisse in die Wege geleitet, sich mit den Niederlanden und Spanien verglichen und verlangte nunmehr von Brandenburg den Verzicht auf die Eroberungen seit 1675. Diese Lçsung vermochte Brandenburg-Preußen bei Strafe gefhrlicher Isolation in Europa nicht zu verhindern, sie wurde kodifiziert im Frieden von St. Germain en Laye zwischen Frankreich, Schweden und Brandenburg vom 29. Juni 1679. Noch im selben Jahre hat Kurbrandenburg – besonders markantes Exempel seiner Flexibilitt in politicis – mit Frankreich ein Subsidienbîndnis geschlossen. Die Erbitterung des Kurfîrsten îber den Akt von St. Germain hat ihn daran nicht gehindert, sie richtete sich primr gegen den Kaiser als bisherigen Verbîndeten, der Brandenburg fallengelassen hatte. 1681 ist eine fçrmliche Allianz auf zehn Jahre kontrahiert worden. Brandenburg wollte sich sogar verpflichten, einem franzçsischen Kandidaten bei der nchsten Kaiserwahl die Stimme zu geben. Die Kurstimme Brandenburgs war durchaus Kapital in der europischen Politik.326 Es kann also gar kein Zweifel daran bestehen, daß der Große Kurfîrst, der sich bei Gelegenheit in der publizistischen Begleitung seiner Aktionen sehr gezielt deutscher Argumente bedient hat,327 in den ent325 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 235 – 238; August Riese, Friedrich Wilhelm’s des Großen Churfîrsten Winterfeldzug in Preußen und Samogitien gegen die Schweden im Jahre 1678/79. Ein Beitrag zur brandenburgischen Kriegsgeschichte, Berlin 1864, S. 75 ff.; T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 407 – 412, Nr. 237, bes. S. 409; J. G. Droysen, Staat … (s. Anm. 292), 3/III, S. 436 – 453. 326 Max Immich, Geschichte des europischen Staatensystems 1660 – 1789 (= Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. II), Mînchen/Berlin 1905, ND Darmstadt 1967, S. 95 f.; P. Kiehm, Feldzîge … (s. Anm. 323), S. 114 f., und G. Oestreich, Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 76 ff. 327 Zur Verfassungsfrage vgl. M. Hein, Schwerin … (s. Anm. 231), S. 398 Anm. 53; vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 197; G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s.

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scheidenden Jahren der franzçsischen Reunionspolitik im Bîndnis mit Frankreich stand,328 was jeder nationalborussischen Interpretation im Sinne der Reichsgrîndungszeit den Boden entzieht. Auch fîr die franzçsische Konstellation der frîhen 1680er Jahre muß freilich die Subsidienbedîrftigkeit Brandenburg-Preußens in Rechnung gestellt werden. Otto Hintze hat schonungslos davon gesprochen, daß der Große Kurfîrst nach 1679 angesichts der alljhrlichen Zahlungen geradezu als „Pensionr Ludwigs XIV.“ anzusehen sei.329 Die Einsicht, daß auch im Bîndnis mit Frankreich – und das in einer Zeit spektakulrer Annexionen (Straßburg i. E.) – die Ziele in Pommern nicht erreicht werden wîrden, hat dann zur ersten Ernîchterung gefîhrt. Aber es darf auch das konfessionelle Moment nicht îbersehen werden. Die auf ihren Hçhepunkt zustrebende Intoleranzpolitik Ludwigs XIV., die Bitten von Hugenottenvertretern, der Kurfîrst mçge doch beim franzçsischen Kçnig in ihrem Interesse intervenieren, gehçrte ebenfalls zu den entscheidungsleitenden Faktoren. Auch in der Reichspolitik waren sie von Bedeutung.330 Der Sieg des Kaisers îber die Osmanen im Jahre 1683 spielte ebenfalls in die Wandlungen der Krftefelder hinein; îberhaupt hatte die kaiserliche Macht im Reiche gute Jahre. Das Edikt von Potsdam vom Jahre 1685 hatte nicht nur eine innenpolitische, immigrationstaktische Bedeutung, es war zugleich Ausdruck einer endgîltigen Abkehr vom franzçsischen Bîndnis, das politisch und territorial in Berlin, Cçlln und Potsdam enttuscht hatte. Schon frîh war Mißtrauen gewachsen.331 Der

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Anm. 137), S. 78; zur politischen Publizistik Kurbrandenburgs seit den spten 1650er Jahren vgl. jetzt Martin Wrede, Der Kaiser, das Reich und der deutsche Norden. Die publizistische Auseinandersetzung mit Schweden im Nordischen und im Hollndischen Krieg, in: Roland G. Asch / Wulf Eckart Voss / Martin Wrede (Hg.), Frieden und Krieg in der Frîhen Neuzeit. Die europische Saatenordnung und die außereuropische Welt, Mînchen 2001, S. 349 – 373, hier S. 353 ff., S. 362 ff. und passim. Wie Anm. 326 und 327; A. Strecker, Meinders … (s. Anm. 252), S. 90 ff.; Melle Klinkenborg, Das Strahlendorffsche Gutachten und die antikaiserliche Politik in Brandenburg-Preußen, in: ForschBrandPrG 41 (1928), S. 229 – 247, hier S. 235; E. Eilers, Friedrich von Jena … (s. Anm. 233), S. 164 – 171; T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 418 ff.; H. Duchhardt, Protestantisches Kaisertum … (s. Anm. 299), S. 223; A. Schindling, Immerwhrender Reichstag … (s. Anm. 215), S. 208, S. 221; scharfe Kritik bei Karl Otmar Freiherr von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 1: Fçderalistische oder hierarchische Ordnung (1648 – 1684), Stuttgart 1993, S. 282 – 285, S. 287 f., auch zur brandenburgischen Haltung gegenîber den Initiativen der frîhen 1680er Jahre zur Reform der Reichskriegsverfassung. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 239, das Folgende S. 242 ff., S. 247 ff. Axel Gotthard, Der „Große Kurfîrst“ und das Kurkolleg, in: ForschBrandPrG NF 6 (1996), S. 1 – 54, hier S. 17; A. Koller, Vossem … (s. Anm. 313), S. 13, S. 31, S. 35 Anm. 111. E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 204 – 209, S. 212, S. 214 f.; M. Kohnke, Edikt von Potsdam … (s. Anm. 175), S. 245, S. 249 f., S. 266; vgl. J. Kunisch, Kurfîrst Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 307), S. 28; M. Immich, Staatensystem … (s. Anm. 326), S. 124.

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Bîndniswechsel des Jahres 1686 – der letzte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm – brachte dann fîr mehr als zwei Jahrzehnte Stetigkeit in die Politik BrandenburgPreußens im Reich und in Europa. Indem damit 1686 eine Phase einsetzt, die schon auf die Krçnungskonstellation von 1700/1701 direkt hinfîhrt, lßt sich mit umso mehr Argumenten die These vertreten, daß der Große Kurfîrst auch diesen Vorgang ganz wesentlich eingeleitet hat, ja einleiten mußte. Denn lange vor 1700 oder vor 1688 war – in der Symbolsprache der Zeit – das brandenburg-preußische Statusdefizit zum neuen Problem geworden, ein Problem europischer Politik.

§ 5 Preußen und die Kçnigskrone Die Regierungszeit des Großen Kurfîrsten Friedrich Wilhelms markiert gewiß eine wesentliche Epoche der brandenburg-preußischen Geschichte, ohne die die weitere Entwicklung bis und nach 1700/1701 nicht erklrt werden kann. Gleichwohl wre es ein Fehler, diese Entwicklung und diejenige im 17. Jahrhundert îberhaupt allzu linear darzustellen. Wir haben bei der Betrachtung der inneren Politik des Großen Kurfîrsten gesehen, daß er nicht etwa nach 1640 sofort und konsequent eine Politik absolutistischer Strukturvernderung von Regierungssystem und Verwaltungsformen betrieben hat, und auch in seiner spteren Regierungszeit, in den 1680er Jahren gibt es auffllige Indizien dafîr, daß er – ungeachtet der in seinem politischem Testament niedergelegten Generalmaximen – eine Politik eher gemßigter Staatsintegration verfolgte.332 Etwa die Art und Weise, wie nach 1680 das Herzogtum Magdeburg unter großer Schonung der dortigen Landstnde in den Gesamtstaat eingefîgt wurde, ist eine auffllige und sprechende Erscheinung, und auch sonst gibt es Exempel, daß manche Amtstrger absolutistischer dachten als der absolutistische KurfîrstenHerzog.333 Bei aller Energie, bei allem Ehrgeiz und Arbeitsamkeit dieses auch durch seine „stattliche Erscheinung“ auf die Zeitgenossen eindruckgebietenden Mannes, der zu Cholerik, Hektik, auch Unbestndigkeit und Jhzorn neigte, hat er doch immer zwischen spontanem Ausbruch und kîhler Berechnung geschwankt.334 Und so sind auch Regierungsmaximen und dynastische Politik von einer eigentîmlichen Mittellage zwischen Modernitt und erstaunlicher Traditionalitt gekennzeichnet. Die Rechte der Stnde hat er nie grundstzlich be332 Vgl. oben bei Anm. 216. 333 E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 341 – 344. 334 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 201; G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 449, und G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 10 f.; Hans Prutz, Aus des Grossen Kurfîrsten letzten Jahren. Zur Geschichte seines Hauses und Hofes, seiner Regierung und Politik, Berlin 1897, S. 157.

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stritten, und so war es sehr richtig, wenn Otto Hintze an diesem Monarchen einen „patrimonialen Zug“ als Charakteristikum heraushob,335 was schon einer strikt modernistischen Betrachtung und gar einer entsprechenden Idealisierung entgegensteht. Nicht das moderne Naturrecht, dessen sich seine stndischen Opponenten bisweilen bedienten, war seine Richtschnur, sondern eine tiefe kalvinistische Religiositt. In seinem eigenhndigen politischen Testament ist denn auch an prominenter Stelle vom gçttlichen Auftrag die Rede, der fîr den Herrscher leitend sein mîsse. In der Außenpolitik wurden diese Ratschlge mit der Stellung Brandenburgs im Heiligen Rçmischen Reich begrîndet und der Schutz der Evangelischen sowie der „Teutschen freiheitt“ dem Nachfolger sehr nachdrîcklich ans Herz gelegt,336 so daß Fritz Hartung mit großer Nîchternheit davon sprechen konnte, in dieser intimen Quelle habe noch der „Geist des kleinstaatlichen deutschen Territorialfîrstentums“ Einfluß gehabt. Außer dem Streben danach, insbesondere im Ostseeraum „gute conditiones fîr Euch vndt Eureren Staadt“ zu erstreben, war es das wesentliche politische Motiv, zu verhindern, daß „Ewere Lande Das theaterum sein wurden, Darauff man die tragedi Spillen“, d. h. Kriege austragen werde, was den Monarchen stets umtrieb. Er hatte ja entsprechende Erfahrungen gemacht. Der patrimoniale Zug in der Politik des Großen Kurfîrsten wird besonders deutlich, wenn auf ein sehr eigentîmlich-traditionelles Motiv in seiner Politik hingewiesen wird, das nicht nur zeitweilig, sondern wiederholt alle die Resultate gefhrdet hat, die auf dem Weg zur relativen Staatseinheit und zu einiger politischer Bedeutung im 17. Jahrhundert erreicht worden waren. Immer dann, wenn in der dynastischen, d. h. der Hauspolitik der Hohenzollern zwischen dem gesamtstaatlichen Zusammenhalt und dem Versorgungsmotiv fîr nachgeborene Prinzen zu entscheiden war, hat Friedrich Wilhelm sehr ernsthaft und in verschiedenen Varianten an Landesteilungen gedacht. Im politischen Testament von 1667 hatte er allein davor gewarnt, die Kurmark und Magdeburg in Teilungsoperationen mit einzubeziehen.337 In der Disposition des Jahres 1664 war die Abtrennung insbesondere des eben gewonnenen Fîrstentums Halberstadt fîr den damals zweitltesten lebenden Sohn des Kurfîrsten vorgesehen worden, und zwar, wie es ausdrîcklich hieß, „mit allen Pertinentien, fîrstlicher Landeshoheit, Lndern und Leuten, Jure Sessionis et Voti auf Reichs- und Kreis335 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 201 f.; und das Vortragsreferat von Otto Hintze zum politischen Testament des Großen Kurfîrsten von 1667 in den ForschBrandPrG 16 (1903), Sitzungsberichte S. 76 – 79. 336 G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 42 – 51, das Folgende: S. 52; Fritz Hartung, Die politischen Testamente der Hohenzollern, zuerst 1913, erweitert in Ders., Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1940, S. 112 – 148, hier S. 117; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 25/41), 1, S. 54 ff., 2, S. 71 ff., S. 343, S. 345. 337 G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 56 f.

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tagen … Gerichten, Lehnschaften, Rechten und Gerechtigkeiten, in specie auch der Lehnherrschaft und Jure Superiorittis“.338 Das ging sehr weit, wenngleich dem Bîndnisrecht noch Einschrnkungen unterliegen sollte. Wiederholt hat der Kurfîrst derartige Dispositionen wechselnden Inhalts niedergelegt, wobei der Grad der Teilung resp. der Selbstndigkeit der zu schaffenden hohenzollernschen Nebenlinien stark differierte. Es fllt aber auf, daß nicht etwa der Grad der vorgesehenen Autonomie abzutrennender Territorien soweit abgenommen htte, daß politische Gefahren ausgeschlossen gewesen wren. Das kurfîrstliche Testament vom 29. Januar beziehungsweise 8. Februar 1680 sah vor, daß mehrere jîngere Prinzen (aus der ersten und zweiten Ehe des Kurfîrsten) nicht nur „Ein- und Auskînfte“ aus dem Fîrstentum Minden, dem Fîrstentum Halberstadt, der Grafschaft Ravensberg und einigen kleineren Herrschaften zugewiesen erhielten. Die Prinzen sollten in ihren Gebieten ihre „Residenz“ nehmen, und es sollte die „Regierung in Ihrem Namen gefîhret“ werden, nur sollte nichts unternommen werden, was dem kurfîrstlichen Hause schade. Diejenigen Hohenzollern, die in Minden und Halberstadt herrschen wîrden, sollten auch das entsprechende Votum auf den Reichstagen fîhren, doch wîrde es vom kurfîrstlichen Gesandten abgegeben werden, auch sollte das Votum immer „conform“ mit dem brandenburgischen sein. Diese Konstruktion war kompliziert, recht unîbersichtlich und gewiß nicht ohne Risiko fîr Entwicklungen der Zukunft, wenn auch der lteste Sohn und Kurfîrst sowohl „die Superioritt als Landesfolge, contribution und derselbigen Ausschreibung, das Recht Bîndnisse zu machen oder Jus foederum, das Recht anderen den Durchzug zu verstatten, die Einquartierung der Soldaten und das Jus praesidii“ behalten sollte.339 War damit auch der Teilungsschnitt weniger tief, als dies bei frîheren Dispositionen der Fall gewesen war, so zeichneten sich die Bestimmungen von 1680/1686 doch dadurch aus, daß grçßere Gebietsteile des Gesamtstaates betroffen waren. Im Widerstreit von dynastischem Versorgungsmotiv und Staatseinheit obsiegte beim Kurfîrsten Friedrich Wilhelm in erstaunlichem Maße die traditionelle Teilungspolitik. Die Quellenlage lßt îber dieses eklatante Faktum, das jeder allzu linearen Interpretation derjenigen Politik, die der Große Kurfîrst trieb, den Boden entzieht, keinen Zweifel zu – 338 H. von Caemmerer (Hg.), Testamente … (s. Anm. 30), der Text S. 199 – 209, das Zitat S. 202. 339 H. von Caemmerer (Hg.), Testamente … (s. Anm. 30), S. 249 – 261, bes. S. 250 ff., und S. 273 mit Anm. A, S. 249 (zu 1686); aus der Lit.: L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 18 – 28; Hans Hallmann, Die letztwillige Verfîgung des Hauses Brandenburg 1415 – 1749, in: ForschBrandPrG 37 (1925), S. 1 – 30, hier S. 19 f., 1680: S. 22; vgl. schon Bernhard Erdmannsdçrffer, Das Testament des grossen Kurfîrsten, in: PreussJbb 18 (1867), S. 429 – 441, hier S. 434 f., S. 437 f.; Hermann Schulze (Hg.), Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fîrstenhuser (Bd. 3), Jena 1883, S. 578 ff.; E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 317 f.

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deutlicher Beleg fîr jene „ltere patrimoniale Staatsauffassung“ dieses Monarchen, von der auch Gerhard Oestreich gesprochen hat.340 Ja, es gibt hinreichende Informationen dazu, daß der Kurfîrst Friedrich Wilhelm in einem heftigen persçnlichen Konflikt mit seinem Nachfolger kurz vor dem Tode ernsthaft mit dem Gedanken umgegangen ist, nun auch das Herzogtum Preußen an den Prinzen Philipp (aus der zweiten Ehe Friedrich Wilhelms) auszutun.341 Dazu ist es nach Versçhnung und dem Tod des Kurfîrsten dann doch nicht gekommen, aber die Gefahren waren nicht unerheblich. Friedrich III., dessen Bild in der Geschichte allzu lange von dem großen Vorgnger und dem bedeutenden Nachfolger sowie davon bestimmt gewesen ist, daß Friedrich der Große ihm çffentlich ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt hat,342 bewies auch darin bemerkenswerte Weitsicht, daß er alles unternommen hat, um die Dispositionen von 1680/86 anzufechten. Mochten die Sicherungen in der Testamtenskonstruktion gegen einen sofortigen Zerfall der Territorien auch betrchtlich scheinen, so war doch die langfristige Dynamik der vorgesehenen Dezentralisierung durch prinzliche Nebenlinien nicht gut zu kalkulieren. Die Politik Friedrichs, die letztlich erst solche Gefahren fîr die Staatseinheit beseitigte, war mehr als nur brandenburgische Hauspolitik, sie war bereits untrennbar mit den europischen Konstellationen verbunden, die seit 1686 Brandenburg-Preußen an die Seite des Kaisers gebracht hatten. Friedrich III. war schon als Kurprinz ein entschiedener Exponent der kaiserlichen Partei bei Hofe gewesen, und die Hofburg hat den neuen Herrn denn auch unterstîtzt, als er darum kmpfte, das Erbe gnzlich ungeteilt zu bewahren.343 Im Ergebnis wurden durch den Erbvergleich des Jahres 1692 die Geschwister des Kurfîrsten 340 G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 97. 341 Hans Prutz, Zur Geschichte des Konfliktes zwischen dem Großen Kurfîrsten und dem Kronprinzen Friedrich, 1687, in: ForschBrandPrG 11 (1898), S. 530 – 540, hier S. 530 – 532, S. 536; Ders., Letzte Jahre … (s. Anm. 334), S. 218; so auch G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 97. 342 (Johann David Erdmann Preuß [Hg.]), Oeuvres de Fr¤d¤ric le Grand, Tom. 1, Berlin 1846, S. 122 ff.; Gustav Berthold Volz (Hg.), Die Werke Friedrichs des Großen. In deutscher ˜bersetzung, 1: Denkwîrdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg, Berlin 1913, hier S. 95 – 119, bes. S. 117 ff.; richtig G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 127 ff., S. 142; Heinz Duchhardt, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701. Ein europisches Modell?, in: Ders. (Hg.), Herrscherweihe und Kçnigskrçnung im frîhneuzeitlichen Europa (= Schriften der Mainzer Philosophischen Fakulttsgesellschaft, 8), Wiesbaden 1983, S. 82 – 95, hier S. 83 f. 343 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 14; und der Versuch einer Neuinterpretation unter besonderer Berîcksichtigung neuer Aktenbefunde zur herrscherlichen Aktivitt Friedrichs III./I. schon seit seiner Kurprinzenzeit bei Wolfgang Neugebauer, Friedrich III./I. (1688 – 1713), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preussens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., Mînchen 2000, S. 113 – 133, S. 324 – 327.

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durch bessere Apanagen abgefunden, woraufhin sie auf ihre Rechte aus dem Testament verzichteten. Die Markgrafschaft Schwedt, die ohne Hoheitsrechte fîr knapp ein Jahrhundert unter einer prinzlichen Nebenlinie bestanden hat, verdankte diesem Kompromiß ihr Entstehen.344 „Seit dieser Zeit ist der Versuch, Nachgeborene mit untergeordneten Hoheitsrechten îber Land und Leute auszustatten, nie wieder gemacht worden.“345 Friedrich III. hat in seiner „Vermahnung“ an den Nachfolger, den spteren Friedrich Wilhelm I., mit großem Nachdruck bestimmt, daß es fortan keinerlei Landesteilungen geben dîrfe; nur die frnkischen Hohenzollerngebiete sollten auch weiterhin separat bleiben.346 Im „Fideicommißstatut“ des Jahres 1710 hat er dem auch in rechtsfester Form Nachdruck gegeben und das Unverußerlichkeitsgebot auch auf die territorialen Neuerwerbungen ausgedehnt. Friedrich Wilhelm I. hat auf dieser Basis 1713 (Edikt vom 13. August) fortgebaut und347 die „Inalienabilitt“ fîr alle Lnder der brandenburgischen Regentenlinie statuiert. Fîr Friedrich III. spielte – er hat es in diesem Kontext 1698 deutlich ausgesprochen – die „grendeur des hauses“348 eine große programmatische Rolle, aber man darf diese Maxime nicht individualpsychologisch verengt interpretieren. Sie war ein politisches Programm, und zwar ein sinnvolles und ein notwendiges. Es hat seine Regierungszeit ganz wesentlich bestimmt. Als Friedrich Wilhelm am 9. Mai 1688 starb, ist Friedrich III. – trotz aller persçnlicher Differenzen mit dem Vater und dem schwierigen Verhltnis zu seiner Stiefmutter – gut vorbereitet zur Regierung gelangt. Geboren 1657 und von frîher Kindheit an kçrperlich geschdigt, war Friedrich freilich nicht von Anfang an zum Regenten Brandenburg-Preußens bestimmt gewesen; vor ihm stand der, soweit wir sehen kçnnen, charakterlich bemerkenswerte Kurprinz 344 H. von Caemmerer (Hg.), Testamente … (s. Anm. 30), S. 4* und der Druck S. 308 f.; E(rnst) Berner, Die Hausverfassung der Hohenzollern, in: HZ 52 (1884), S. 78 – 121, hier S. 90; Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 5: Von 1648 bis zu ihrer Auflçsung und dem Ende ihrer Institutionen, Berlin (1969), S. 57 f.; T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 789 – 792, Nr. 22; unter Ankîndigung einer „grçßeren Untersuchung“: Udo Geiseler, „Daß ich nicht allein der Vater, sondern auch sein Kçnig und Herr sey.“ – Die Beziehungen der Markgrafen von Brandenburg-Schwedt zu den Hohenzollernkçnigen im 18. Jahrhundert, in: Peter Michael Hahn / Hellmut Lorenz (Hg.), Pracht und Herrlichkeit …, Potsdam 1998, S. 45 – 93, hier S. 48 Anm. 16, S. 50 – 52, S. 61 – 63 u. ç. 345 H. Schulze, Hausgesetze … (s. Anm. 339), 3, S. 581. 346 H. von Caemmerer (Hg.), Testamente … (s. Anm. 30), S. 424; G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 79 f.; 1710: H. von Caemmerer a. a. O., S. 436 – 444. 347 H. Schulze, Hausgesetze … (s. Anm. 339), 3, S. 737 ff.; dazu E. Berner, Hausverfassung … (s. Anm. 344), S. 94; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 30 – 36, und H. von Caemmerer (Hg.), Testamente … (s. Anm. 30), S. 5* f. 348 G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 81.

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Karl Emil, der frîh starb, und zwar whrend eines Feldzuges gegen die Franzosen im Jahre 1674. Immerhin hatte Friedrich, was fîr nachgeborene Prinzen des Hauses beziehungsweise solche aus Nebenlinien nicht ungewçhnlich war, zu dieser Zeit schon in Abwesenheit des Kurfîrsten als Statthalter in der Mark amtiert. Bei dieser Gelegenheit hatte er einen Schaupfennig mit seiner persçnlichen Devise prgen lassen, einer, der spter in der Geschichte des Staates, vielleicht auch im Mythos, Berîhmtheit erlangen sollte: Suum cuique. Schon in prinzlichen Tagen zeigte sich sein starkes Interesse am Zeremoniell, an hçfischem Leben, sehr viel weniger freilich an den Dingen des Militrs. Ohne Zweifel war er seiner (zweiten) Gemahlin Sophie Charlotte von Hannover, die er 1684 heiratete, intellektuell unterlegen.349 Man hat daran gezweifelt, daß Friedrich ein eigenes Programm besessen habe, und in der Tat spricht vieles dafîr, die Zsur des Jahres 1688 nicht allzu sehr zu betonen. Dies gilt fîr die Entwicklungen von Staatsorganisation und Militrverfassung ebenso wie fîr Brandenburg-Preußens Stellung in der europischen Politik. Die Anlehnung an den Kaiser, die 1686 die Phase brandenburgischer Bîndniswechsel im Stile bisweilen hektischer Kurzatmigkeit beendet hatte, blieb fîr Jahrzehnte zwar nicht Programm, wohl aber eine vergleichsweise verlßliche350 Konstante brandenburg-preußischer Politik im Reich und in Europa. Auch dem Großen Kurfîrsten hatte ja, wie Heinz Duchhardt formulierte, „der eigentlich große zukunftsweisende Zug“ in der Außenpolitik durchaus gefehlt.351 Das Defensivbîndnis mit dem Kaiser, das am 22. Mrz 1686, und zwar sogleich auf zwanzig Jahre, abgeschlossen worden war, hatte gegenseitige Hilfe festgelegt; „falls eine revolutio generalis der sachen in Europa zu befîchten“ war, sollte Brandenburg zur Stellung von 8.000 Mann eigener Truppen verpflichtet sein, wobei wiederum das schon aus den Jahren und Jahrzehnten zuvor wohlvertraute Subsidienmotiv eingeflochten worden ist. Ein Hindernis, das die Politik zwischen Brandenburg und dem Kaiser zuletzt sehr stark belastet hatte, waren brandenburgische Rechtsansprîche auf schlesische Gebiete, auf Jgerndorf, Liegnitz, Brieg, Wohlau und Beuthen gewesen, Ansprîche, die sich aus verschiedenen Traditionen herleiteten. Natîrlich waren 349 Wichtig E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 319 – 323, auch zur Frage eines „Programms“ Friedrichs; W. Koch, Hof- und Regierungsverfassung … (s. Anm. 238), S. 3 f.; vgl. noch Ferdinand Hirsch, Die Erziehung der ltesten Sçhne des Großen Kurfîrsten, in: ForschBrandPrG 7 (1894), S. 141 – 171, hier S. 161; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 15 f.; die Devise von 1673 bei Christian Heinrich Gîtther, Leben und Thaten Herrn Friedrichs des Ersten, Kçniges in Preußen, Markgrafen zu Brandenburg, des Heil. Rçm. Reiches Erzkmmerers und Churfîrsten ec. Aus bewhrten Urkunden, sonderlich aus Mînzen und Schaustîcken in einer chronologischen Ordnung abgefasset, Breslau 1750, S. 7 f. 350 Vgl. H. Duchhardt, Absolutismus … (s. Anm. 282), S. 87 f. (1. Aufl.). 351 H. Duchhardt, Altes Reich … (s. Anm. 281), S. 78 f.

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damit existenzielle Interessen des Hauses Habsburg in Schlesien als Nebenland der bçhmischen Krone betroffen. Der Kompromiß, der im Vertrag von 1686 selbst gefunden worden war, sah nun vor, daß Brandenburg unter Verzicht auf diese Ansprîche, den Kreis Schwiebus, nçrdlich Schlesiens gelegen, ganz in der Nachbarschaft brandenburgischen Territoriums, erhalten sollte.352 Schwiebus war eine Enklave an brandenburgischem Gebiet und ohne Territorialverbindung zu den habsburgischen Lndern. In einem geheimen Revers hatte sich aber der Kurprinz Friedrich – hinter dem Rîcken des Vaters und in kontrrem Gegensatz zur brandenburgischen Politik ! – verpflichtet, sofort nach seinem Regierungsantritt dieses Gebiet an den Habsburger zurîckzugeben, wofîr wiederum Kompensationen in Aussicht gestellt wurden.353 Friedrich III. hat in der Tat Ende 1694 die Rîckgabe vertraglich in die Wege geleitet, die zu Anfang des Jahres 1695 vollzogen wurde. Dieser politisch und auch hauspolitisch erstaunliche Vorgang gehçrt gleichsam zu den Hintergrînden des brandenburgischen Verhltnisses zum Kaiserhaus im Vorfeld der aktiven Kronpolitik. Denn als leitendes Motiv war fîr den Prinzen Friedrich wohl nicht zentral, daß er selbst zunchst einmal fîr seinen kleinen Verrat mit 10.000 Dukaten motiviert wurde, sondern vielmehr, daß er schon in dieser frîhen Zeit vor dem eigenen Regierungsantritt das Verhltnis zum Hause Habsburg intensivieren wollte, zumal er der kaiserlichen Unterstîtzung bedîrfte, wenn er mit Erfolg die Teilungsdispositionen des Vaters anfechten wollte.354 Im Kontext der Schwiebuser Frage und der brandenburgischen Unterstîtzung fîr die habsburgische Politik im alten Reich (Wahl Josephs I.) ist dann die noch ferne Perspektive auf Ostfriesland gefestigt worden,355 auch dies in Fortsetzung der Politik seines Vaters. Diese Aussichten auf 352 T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 750 – 759, Nr. 15, bes. S. 754 ff., S. 757; Vergleich wegen Schwiebus: S. 759 – 762, vgl. S. 481 – 586, S. 489 f.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 249 f.; C. Hinrichs, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 324), S. 251. 353 T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 750, Nr. 14 (28. Febr. 1686); 1694: S. 798, Nr. 23; M. und L. Frey, Frederick … (s. Anm. 235), S. 41 – 44; H. Schulze, Hausgesetze … (s. Anm. 339), 3, S. 581; H. Prutz, Letzte Jahre … (s. Anm. 334), S. 201; Friedrich-Wilhelm Henning, Rahmenbedingungen und Grundzîge der Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands von 1815 bis 1945, in: Gerd Heinrich / Friedrich-Wilhelm Henning / Kurt G. A. Jeserich (Hg.), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815 – 1945. Organisation – Aufgaben – Leistungen der Verwaltung, Stuttgart/Berlin/Kçln 1992, S. 1 – 83, hier S. 5; Jgerndorfer Ansprîche: E. Opgenoorth, Kurfîrst … (s. Anm. 41), 2, S. 224; A. Siemsen, Kurbrandenburgs Anteil … (s. Anm. 290), S. 7. 354 S. Anm. 353. 355 A. Siemsen, Kurbrandenburgs Anteil … (s. Anm. 290), S. 10 ff.; Johann Gustav Droysen, Friedrich I. Kçnig von Preußen (= Geschichte der Preußischen Politik, 4. Tl., 1), Leipzig 21872, S. 94, S. 99; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 250; Vorgeschichte: Ferdinand Hirsch, Der Große Kurfîrst und Ostfriesland (1681 – 1688)

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Territorialerwerb ganz im Nordwesten – und wieder ohne jede Landbrîcke zum îbrigen Staatsgebiet – ist dann erst nach fînf Jahrzehnten und nach dem Aussterben der dortigen Fîrstendynastie in der Zeit Friedrichs des Großen realisiert worden.356 Zu Beginn der neunziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts war bereits in ersten Anfngen diejenige Politik eingeleitet worden, die nun unmittelbar auf das Hauptziel Friedrichs III./I. abgestellt war: natîrlich die Kronpolitik im eigenen Sinne beziehungsweise nach 1700/01 auf das Streben nach Anerkennung der neuen hierarchischen Qualitt. Wenn man gesagt hat, der Erzieher aus prinzlichen Tagen und nunmehrige Geheime Rat Eberhard Danckelman,357 der der Kronpolitik distanziert-ablehnend gegenîberstand, habe îber das Schwellenjahr 1688 hinaus fîr Kontinuitt in der brandenburg-preußischen Politik gesorgt, so ist dies sicher richtig, zumal er persçnlich, aus dem Nordwesten stammend, entschieden den Niederlanden zuneigte und sich damit in Distanz zu Frankreich hielt; 1689 stand Brandenburg fest im antifranzçsischen Bîndnis und kmpfte am Rhein gegen Ludwig XIV. 358 Die finanziellen Lasten einer dynastischen Standeserhçhung schienen, wenn nicht untragbar, so doch unkalkulierbar. ˜ber die kurzfristigen Kontinuitten der Danckelman-Zeit, getragen gleichsam vom nîchternen Realismus dieses Mannes, gab es aber lnger tragende Kontinuitten, solche von Jahrzehnten, und sie fîhren noch einmal zurîck zum System des Westflischen Friedens im Reich und in Europa. Die Zeremonial-Handbîcher, die das empirische Material politischer Formensprache europischer Hçfe in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts dicht dokumentieren, zeigen auf den ersten Blick zahlreiche Rangkonflikte, in die sich die Diplomaten des Großen Kurfîrsten unablssig verwickelt sahen. Seit der Mitte des Jahrhunderts konnte Kurbrandenburg auf der Basis des im Westflischen Frieden verbîrgten Bîndnisrechts Politik im Reich und in Europa betreiben, und seit 1660 bot die „Souvernitt“, die im Herzogtum Preußen postuliert und fundamentiert worden war, neue Chancen, freilich auch neue Probleme. Denn wenn Friedrich als Herzog in Preußen oder als Kurfîrst im Reich beanspruchte, mit Kçnigen gleich behandelt und ihnen gleichgestellt zu werden, so war es eher eine gefhrliche Niederlage, wenn dies im politischen Alltag nicht gelang. Das „zeremonielle Zeichensystem“ (Stollberg-Rilinger) (= Abhandlungen und Vortrge zur Geschichte Ostfrieslands, 18), Aurich 1914, zu 1688 S. 80 ff. 356 Vgl. unten bei Anm. 711. 357 Vgl. oben Anm. 235. 358 J. Schultze, Danckelman … (s. Anm. 235), S. 221; Johannes Kunisch, Funktion und Ausbau der kurfîrstlich-kçniglichen Residenzen in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus, in: ForschBrandPrG NF 3 (1993), S. 167 – 192, bes. S. 178; 1689: O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 258.

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spiegelt in hochdifferenzierter Form politische Ansprîche wider und auch, ob sie in der europischen Staaten- und Mchtewelt denn akzeptiert wurden, ob also – negativenfalls – in stiller und doch gefhrlicher Weise politische Positionen und Qualitten schon in Friedenszeiten umstritten waren. Insofern war es z. B. ein ernstes Problem, daß es dem Großen Kurfîrsten nur sehr selten gelungen ist, an seinem Hof Gesandte ersten Ranges zu empfangen, und dies wurde vor allem nach 1660 eher die Ausnahme. Im Hintergrund stand, daß brandenburgische Gesandte ihrerseits im zeremonialen Verkehr nach einem „folgenschweren Przedenzfall“ in rangmindernder Weise traktiert wurden. Damit war der Kurfîrst gleichsam ins diplomatische Abseits geraten – eine riskante Belastung brandenburg-preußischer Politik, da damit nichts anderes in Frage stand, als Gleichrangigkeit und souverne Qualitt.359 Seit etwa 1680 setzten dann in der Politik Kurbrandenburgs im Heiligen Rçmischen Reich Bestrebungen ein, mit großem Aufwand den Rang zu betonen; es ging um den „Kampf der Kurfîrsten fîr die kçnigsgleiche Behandlung“ im Heiligen Reich.360 Auch am Reichstag spielten zeremonielle Fragen eine große Rolle, gewissermaßen als Formensprache der Macht. Dies alles sind Entwicklungen, die schon unter dem Großen Kurfîrsten einsetzen, doch hat erst Friedrich III. daraus gewissermaßen die Konsequenz gezogen, auf dem Felde von Status und Reprsentation nun seinerseits in die Offensive zu gehen. Freilich hatte sich um 1690 die Lage noch einmal zugespitzt, hatte die Frage nach dem Rang und seiner Akzeptanz vielleicht gar eine neue Qualitt angenommen. Denn das politische Gewicht, das Brandenburg-Preußen in den Jahrzehnten zuvor durch den staatsbildenden Aufbau vor Verwaltung und Armee gewonnen hatte, schien außenpolitisch dann entwertet zu werden, wenn etwa dem rettendem Eingreifen brandenburgischer Truppen im Kampf um Holland (gegen Frankreich) doch alsbald die diplomatische Degradierung folgte. Gewiß war die Subsidienbedîrftigkeit ein weiterer wesentlicher Faktor, der in den 1690er Jahren die Akzeptanz Brandenburg-Preußens unter den Mchten labilisierte. „Brandenburg, das im Interesse Europas selbstndig in den Krieg eingetreten war, begann diplomatisch von den mchtigeren Verbîndeten îberspielt und zu einer Auxiliarmacht herabgedrîckt zu werden. Seine schlechten Finanzen zwangen es, die Einheitlichkeit seiner Armee, die ihm allein politische Erfolge htte verbîrgen kçnnen, in einzelne Hilfskorps zu zersplittern und gegen Subsidien an 359 So 1996 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 33), 1, S. 185 (nach einer Sammlung von Lînig, s. S. 239); im Detail Barbara Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europischen Publikum, in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 145 – 176, passim, bes. S. 150 – 159, S. 165 – 170, S. 172 f.; Heinz Duchhardt, Anspruch und Architektur: Das Beispiel Berlin, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 31 – 52, hier S. 33; K. O. Frhr. von Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 328), 1, S. 57. 360 A. Gotthard, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 330), S. 25 f.

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verschiedene Mchte zu vermieten“, was etwa einen einheitlichen Oberbefehl îber die verschiedenen brandenburgischen Kontingente ausschloß.361 Obwohl sich die brandenburg-preußischen Truppen im Kampf gegen die Franzosen bis 1697 durchaus bewhrt hatten, wurde Kurbrandenburg bei den Friedensverhandlungen zu Rijswijk362 als selbstndiger Verhandlungspart nicht zugelassen, ein Vorfall der schlagend bewies, daß man auf beides nicht verzichten durfte: auf tatschliche Macht und auf anerkannten Rang, und beides hing zusammen. Obendrein stellte sich dann auch noch sehr die Frage, ob denn wenigstens die brandenburgischen Subsidienansprîche tatschlich wîrden realisiert werden kçnnen. Es kann also gar keine Frage sein – und die neuere Forschung hat darin endgîltig Klarheit geschaffen363 – daß fîr Brandenburg-Preußen in jeder Hinsicht auf dem Felde der Statuspolitik Handlungsbedarf bestand. Zudem waren andere europische Dynastien ihrerseits dabei, ihre Position durch Rangerhçhungen qualitativer Art zu optimieren, was den Druck auf den Hohenzollern noch verstrkte. Man hat von einer „allgemeine(n) ,Monarchisierung’ Europas“ am Ende des 17. Jahrhunderts gesprochen364 und dabei auf die seit 1692 bestehenden Aussichten der welfisch-hannoveranischen Nachbarn abgehoben, in absehbarer Zeit die englische Kçnigskrone zu erlangen. Alsbald, seit 1697, hatte ausgerechnet der kurschsische Konkurrent im protestantischen Deutschland unter Hintanstellung konfessioneller Skrupel die polnische Wahlkrone gewonnen, und dies waren nur die geographisch nchsten, durchaus aber nicht die einzigen Beispiele dafîr, daß Landesherren innerhalb und auch außerhalb des Heiligen Reiches das Ranggefîge in Bewegung brachten. Auch Bayern arbeitete an kçniglichen Wîrden, der Kurfîrst aus wittelsbachischem Hause hat um 1700 auf die spanische Krone gehofft.365 Zudem hatte das Haus Habsburg durch den Erfolg gegen die Osmanen an Einfluß im Reich und in 361 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 17 f. 362 B. Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit … (s. Anm. 359), S. 169 f.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), hier S. 121; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 258. Zum Frieden von Rijswijk aus der neueren Lit. Werner Buchholz, Zwischen Glanz und Ohnmacht. Schweden als Vermittler des Friedens von Rijswijk, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Der Friede von Rijswijk 1697 (= VerçffInstEurG, Abt. Universalgeschichte, Beiheft 47), Mainz 1998, S. 219 – 255, bes. S. 243 ff. 363 Vgl. Anm. 359/360. 364 H. Duchhardt, Kçnigskrçnung … (s. Anm. 342), S. 82, das Folgende S. 82 f.; Carl Hinrichs, Kçnig Friedrich I. von Preußen. Die geistige und politische Bedeutung seiner Regierung, zuerst 1944, wieder in: Ders., Preußen … (s. Anm. 324), S. 253 – 271, hier S. 258 f.; vgl. noch Peter Baumgart, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701, das Reich und die europische Politik, in: O. Hauser (Hg.), Preußen … (s. Anm. 215), S. 65 – 86, hier S. 69 f. 365 Eduard Ichon, Die Verhandlungen îber die Anerkennung der preussischen Kçnigswîrde am Reichstage zu Regensburg (1701), phil. Diss. Heidelberg 1907, S. 32.

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Europa ganz wesentlich gewonnen. Das war die Lage in den neunziger Jahren, das Umfeld, in das sich der aufstrebende brandenburg-preußische Staat gestellt sah. Seit 1692 ist zunchst am Hof des brandenburgischen Kurfîrsten îber den Erwerb der kçniglichen Wîrde nachgedacht worden. Friedrich III. hatte seine Minister aufgefordert, zu den Aussichten einer solchen Politik Stellung zu nehmen, war aber dabei auf erhebliche Reserven gestoßen. Gegen ihren Rat hatte er 1693 erstmals gegenîber der Hofburg in der Sache vorgefîhlt. Die endgîltige Rîckgabe des Kreises Schwiebus steht im Kontext dieser Demarche.366 Erst unter der vernderten innen- und außenpolitischen Konstellation um 1700 gab es jedoch Aussicht auf Erfolg. Im Innern war nach dem Sturz Eberhard von Danckelmans der Graf von Wartenberg gefolgt, der nun zusammen mit dem Geheimen Rat (und spteren Minister) Ilgen ganz wesentlich die Kronpolitik Friedrichs III. zum Erfolg gebracht hat.367 Die außenpolitische Lage um das Jahr 1700 war nun fîr das Haus Habsburg vom Aufbrechen einer Krisenlage bestimmt, die mit der spanischen Erbfolgefrage die traditionellen Interessen dieser Dynastie an dieser sîdwesteuropischen Krone betraf. Angesichts der konkurrierenden Interessen Frankreichs ging es um das europische Mchtegefîge in neuer Gestalt. In dieser Situation mußte die Hofburg an einer stabilen Allianz mit dem brandenburg-preußischen Bundesgenossen besonders interessiert sein. Nach einigem Schwanken darîber, wie die Krone fîr Friedrich III. gleichsam fundiert werden sollte, wurde entschieden, die neue Wîrde auf das „souverne“ Herzogtum Preußen zu stîtzen, wodurch, da es außerhalb des deutschen Reichsverbandes lag, reichsrechtliche Komplikationen minimiert wurden. Aber ebenso, wie schon die herzoglich-preußische „Souvernitt“ in der europischen Umgebung dem Problem der Akzeptanz begegnet war, schienen die nun gar bei einer preußischen Krone zu erwartenden Friktionen um ihre Anerkennung nur dann ausgerumt werden zu kçnnen, wenn zunchst einmal die Zustimmung der Hofburg eingeholt wîrde. Die Verhandlungen, die 1699 in das akute Stadium eintraten, drehten sich insbesondere um die Frage, ob die Mitwirkung des Kaisers eine „Kreation“ der Krone sei oder aber eine „Agnoszierung“, ob also damit gesagt sei, daß letztlich die neue Krone durch den Kaiser (mit) geschaffen worden oder nur von ihm anerkannt worden sei. Die Kompromißformel, daß Friedrich III. „nicht gemeinet“ sei, die Krone ohne kaiser366 Alfred Francis Pribram, §sterreich und Brandenburg 1688 – 1700, Prag/Leipzig 1885, S. 123 – 126; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 120; ferner Horst Carl, „Und das Teutsche Reich selbsten sitzet gantz stille darzu …“, Das Reich und die preußische Kçnigskrçnung, in: Heide Barmeyer (Hg.), Die preußische Kçnigskrçnung und Rangerhçhung in deutscher und europischer Sicht, Frankfurt am Main 2002, S. 43 – 61, bes. S. 49 ff., S. 55 – 58. 367 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 100, S. 120, S. 137; M. und L. Frey, Frederick … (s. Anm. 235), S. 58 ff.

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liche Zustimmung zu îbernehmen, war ein situationsbedingter Erfolg der brandenburgischen Diplomatie im Vorfeld von Spanischem Erbfolgekrieg und Großem Nordischen Krieg.368 Im Krontraktat vom 16. November 1700 wurde das Resultat niedergelegt.369 Unter Verweis auf das Bîndnis von 1686, dessen wesentliche Bestimmungen nur erneuert wurden, gab der Kaiser seine Zustimmung zur Annahme der Wîrde eines „Kçnigs in Preußen“. Damit waren Interpretationen, wonach dieser Titel auch Ansprîche auf den polnischen Teil Preußens einschlçsse, an sich angeschlossen. Ausdrîcklich wurde auf die spanische Sukzessionsfrage Bezug genommen. Brandenburg erneuerte also die Verpflichtung zur Stellung von 8.000 Mann gegen Subsidien. Nur der Verzicht auf finanzielle Forderungen, die in den letzten Jahren fîr Brandenburg-Preußen aus Subsidienvertrgen angefallen waren, konnte als neue Last und eigentlicher Preis fîr die Zustimmung Wiens gerechnet werden. Die sich abzeichnende Bîndniskonstellation hatte zudem die sofortige Anerkennung der preußischen Krone durch England und Holland und auch die der katholischen Reichsstnde zur Folge. Die wichtigsten Staaten haben sich dem bis 1713 angeschlossen, Polen erst 1764 und die Kurie im Jahre 1787.370 Zunchst fielen eigentliche finanzielle Lasten im Innern an. Die Vorbereitung zu den Kçnigsfeierlichkeiten sind lange vor Abschluß des Krontraktats 368 Heinz Duchhardt, Das preußische Kçnigtum von 1701 und der Kaiser, in: Ders. / Manfred Schlenke (Hg.), Festschrift fîr Eberhard Kessel zum 75. Geburtstag, Mînchen 1982, S. 89 – 101, hier S. 94 – 97; Ders., Protestantisches Kaisertum … (s. Anm. 299), S. 242 f.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 137 – 145; Christine Roll, Die preußische Kçnigserhebung im politischen Kalkîl der Wiener Hofburg, in: Johannes Kunisch (Hg.), Dreihundert Jahre Preußische Kçnigskrçnung. Eine Tagungsdokumentation (= ForschBrandPrG, Beiheft 6), Berlin 2002, S. 189 – 227, bes. S. 202, S. 207 ff. (Nordischer Krieg), und Max Plassmann, Der Preis der Krone. Preußische Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg, in: Ebda. S. 229 – 258, bes. S. 232, zum Krontraktat; aus der neueren Produktion ferner der Band von H. Barmeyer (Hg.), Die preußische Rangerhçhung, insbes. den Aufsatz von H. Carl, „Und das Teutsche Reich“ … (s. Anm. 366), S. 43 – 61, bes. S. 49 ff., S. 55 – 58. 369 Druck bei T. von Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 38), S. 810 – 823, Nr. 26 (S. 814: „ … nicht gemeinet“); A. Berney, Friedrich I. … (s. Anm. 237), S. 3 f.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 145 f.; A. F. Pribram, §sterreich und Brandenburg … (s. Anm. 366), S. 161 – 201, bes. S. 195 ff.; Klaus-Ludwig Feckl, Preußen im Spanischen Erbfolgekrieg (= Europische Hochschulschriften, Reihe III., 123), Frankfurt am Main/Bern/Cirencester 1979, S. 32 f., S. 36 f., S. 50; E. Ichon, Verhandlungen … (s. Anm. 365), S. 11; und P. Baumgart, Preußische Kçnigskrçnung … (s. Anm. 364), S. 73 ff., S. 83 ff. 370 C. Hinrichs, Friedrich … (s. Anm. 354), S. 268; Walter Friedensburg, Die rçmische Kurie und die Annahme der preußischen Kçnigswîrde durch Kurfîrst Friedrich III. von Brandenburg (1701), in: HZ 87 (1901), S. 407 – 432, hier S. 427; H. Schulze (Hg.), Hausgesetze … (s. Anm. 339), 3, S. 588; anders: E. F. von Herzberg, Historische Nachricht von dem ehemals von den Ppsten bestrittenen, nunmehr aber anerkannten Preußischen Kçnigstitel, in: BerlinMschr 8 (1786), S. 101 – 110, hier S. 107.

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aufgenommen worden. Von den kurmrkischen Stnden waren vorab 100.000 Taler dazu bewilligt worden; eine weitere, ein mehrfaches betragende Kronsteuer wurde erhoben. In der offiziçsen Darstellung der Krçnungsfeierlichkeiten in Kçnigsberg und in Berlin, verfaßt vom Oberzeremonienmeister von Besser und gedruckt im Schloß zu Cçlln an der Spree im Jahre 1702, wurde der Aufwand genau beschrieben und dabei etwa mitgeteilt, daß bei der Reise des ganzen Hofes samt militrischer Begleitung von Berlin-Cçlln nach Kçnigsberg nicht weniger als 30.000 Vorspannpferde bençtigt worden seien. Bei der Vorbereitung der Feierlichkeiten, bei denen am 17. Januar 1701 der hçchste preußische Orden, der Schwarze-Adler-Orden, gestiftet wurde, hat der Kurfîrst-Kçnig selbst intensiv mitgewirkt. Der Orden, der sehr bewußt in der zeittypischen Form kçniglicher Hoforden gestiftet wurde, nahm die Devise der Prinzenzeit, d. h. das „Suum cuique“ als nun kçniglichen Wahlspruch wieder auf. Auch das gehçrte zur Formen- und Symbolsprache der Zeit, daß am 18. Januar in sehr moderner Weise Selbst-Krçnung und Salbung rumlich getrennt im Kçnigsberger Schloß vollzogen wurden. Die beiden Konsekratoren, die in der Schloßkirche den Salbungsakt vorzunehmen hatten, waren zwei zu diesem Zwecke eigens zu Bischçfen ernannte Theologen, ein Lutheraner und ein Reformierter. Aber der Monarch und Sophie Charlotte betraten die Kirche bereits mit der Krone auf den Huptern, angetan mit kçniglichem Ornat. Skandinavische Vorbilder, solche aus Dnemark und aus dem Schweden des aktiv-aggressiven Karls XII., haben dafîr als Vorbilder gedient, so daß îber die primre Bedeutung der Selbstkrçnung kein Zweifel bestehen konnte.371 Eben deshalb sei der Kçnig bereits mit allen Insignien der Herrschaft zum Altar geschritten „weilen Seine Majestt die dadurch angedeutete Kçnigliche Wîrde / vermittelst der Salbung nicht erst erlangen: sondern nur kund machen und besttigen / oder vielmehr und eintzig und allein von GOTt dem HErrn an371 (Johann von Besser), Preußische Krçnungs-Geschichte/ oder Verlauf der Ceremonien/ Mit welchen Der Allerdurchlauchtigste/ Großmchtigste Fîrst und Herr/ Herr Friderich der Dritte/ Marggraf und Churfîrst zu Brandenburg/ Die Kçnigliche Wîrde Des von Ihm gestifteten Kçnigreichs Preussen angenommen/ Und Sich und Seine Gemahlin/ Die Allerdurchlauchtigste Fîrstin und Frau/ Frau Sophie Charlotte/ Aus dem Churhause Braunschweig/ den 18. Januarii des 1701. Jahres Durch die Salbung als Kçnig und Kçnigin einweihen lassen … , Cçlln an der Spree/ Druckts Ulrich Liebpert/Kçnigl. HofBuchdr. 1702 (benutzt in dieser 1. Aufl.) S. 5 f., Adlerorden: S. 9 f., Selbstkrçnung: S. 20 ff., Prozession und Salbung: S. 25 – 48; C. H. Gîtther, Friedrich der Erste … (s. Anm. 349), S. 128 (1750); aus der Lit. L(ouis) Schneider, Das Buch vom Schwarzen Adler-Orden, Berlin 1870, S. 3, S. 8 – 23; P. Baumgart, Kçnigskrçnung … (s. Anm. 364), S. 75 f., zum 18. Januar: S. 77 f.; Ders., Der deutsche Hof der Barockzeit als politische Institution, in: August Buck u. a. (Hg.), Europische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert, 1 (= Wolfenbîtteler Arbeiten zur Barockforschung, 8), Hamburg 1981, S. 25 – 43, hier S. 32; H. Duchhardt, Kçnigskrçnung … (s. Anm. 342), S. 85 – 90.

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nehmen wollten“. So hat im Jahr darauf der Herr von Besser den spektakulren Aktus interpretiert.372 In derselben Quelle wurde der Bezug zu Herzog Albrecht als erstem weltlichem Herrn Preußens hergestellt. Indem in dieser hofnahen Quelle ausdrîcklich festgestellt wurde, daß Albrecht Preußen „von dem beschwerlichen, ja unanstndlichem Joche der Ordens-Brîder … befreyet“ habe, war jede positive Bezugnahme der neuen preußischen Monarchie zum Ordensstaat vor 1525 definitiv ausgeschlossen.373 Damit war das Problem des Statusdefizits behoben, dasjenige der noch unzureichenden Machtbasis jedoch nicht. Es hat dann auch nicht an spçttischen Kommentierungen, etwa durch den englischen Kçnig gefehlt.374 Die folgenden Jahre standen unter dem Vorzeichen der Doppellast von europischem Kriegsengagement und der Notwendigkeit, die neue Majestt der hçfischen Gesellschaft ad oculos zu demonstrieren, notwendig auch deshalb, weil hinhaltender Widerstand in verdeckter Form durchaus noch eine Weile whrte. Ausgerechnet in Wien hat man nach 1701 in diesem Sinne das Zeremoniell und seine differenzierten Mçglichkeiten noch eine Zeitlang genutzt, indem etwa der Titel „Majestt“ vorenthalten wurde.375 Friedrich I., wie er sich nun nannte, hat gleichwohl in Vertragstreue zur antifranzçsischen Allianz gestanden, was nicht ausschloß, daß unterdessen zwischen Preußen und Frankreich Verhandlungen îber die Anerkennung der Krone gepflogen wurden, die freilich durch Ludwig XIV. erst 1713 erfolgte.376 Das, was den faktischen Status des neuen Kçnigreichs im ersten Jahrzehnt nach der Selbstkrçnung sehr nachhaltig beeintrchtigte, das waren die sich aus der Doppellast von Kronreprsentation und Kriegsbedarf ergebenden finanziellen Probleme, die in Europa mehr und mehr bekannt wurden und auf den Kurswert Friedrichs I. als Alliierten drîckten. Um seine Truppenstrke aufrechterhalten zu kçnnen und damit auch sein politisches Gewicht, mußte Preußen seine Armee gleichsam gegen Subsidien vermieten; die zugesagten Subsidiengelder flossen zudem nur sehr unzuverlssig, und hohe Summen, die Habsburg schuldete, d. h. rund 900.000 Taler, sind tatschlich nie gezahlt worden. Das steigerte eher die Abhngigkeit, in der sich Preußen befand. Im 372 J. von Besser, Krçnungs-Geschichte … (s. Anm. 371), S. 38, dnisches Vorbild: S. 39 Anm.! 373 J. von Besser, Krçnungs-Geschichte … (s. Anm. 371), „Zuschrift“, unpag; wichtig nach wie vor Theodor Schieder, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701 in der politischen Ideengeschichte, zuerst 1935, wieder in: Ders., Begegnungen mit der Geschichte, Gçttingen 1962, S. 183 – 209, S. 287 – 294, hier S. 206 f. 374 C. von Noorden, Europische Geschichte … (s. Anm. 237), hier: 1. Abt., 1, Dîsseldorf 1870, S. 228. 375 A. Berney, Friedrich I. … (s. Anm. 237), S. 42 ff. 376 E. Ichon, Verhandlungen … (s. Anm. 365), S. 48; A. Berney, Friedrich I. … (s. Anm. 237), S. 106 f.

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April des Jahres 1701 betrug die preußische Truppenstrke rund 26.500 Mann. Im Verlaufe des Krieges hat sich die Abhngigkeit Preußens von der Allianz, zumal von England, immer mehr verstrkt, so daß es trotz allem militrischen Engagements im Belgischen und in Oberitalien (Sieg bei Turin, 1706), immer schwieriger wurde, auch eigene politische Interessen, zumal solche territorialer Natur, mit Aussicht auf Erfolg zu vertreten. Marlborough, der englische Feldherr, hat sich des Arguments, die Preußen seien angesichts ihrer finanziellen Abhngigkeit politisch ja nicht mehr handlungsfhig, rîcksichtslos bedient. Im Jahre 1708/9 mußte Preußen weitere gut 8.000 Mann den Niederlanden fîr Geld îberlassen; Drohungen, die preußischen Truppen bei mangelnder Rîcksicht auf preußische Interessen, zurîckzuziehen, konnten die Alliierten getrost ignorieren. Preußen war de facto noch kein gleichberechtigter Partner, und so sind preußische Offiziere zu entscheidenden militrischen Beratungen nicht mehr hinzugezogen worden. Die Zahl der tatschlich gestellten Truppen hat die im Krontraktat festgestellte Quote bei weitem îberschritten;377 fîr ein aktives Engagement im Osten, in den polnisch-schsisch-russisch-schwedischen Auseinandersetzungen standen selbstndige preußische Potentiale nicht mehr zur Verfîgung, obwohl es preußischerseits Plne gab, in den Konjunkturen des Großen Nordischen Krieges nach dem polnischen Preußen, dem spteren Westpreußen als dem fehlenden Verbindungsstîck zwischen den mittleren Provinzen und dem eigentlichen, çstlichen Preußen zu greifen.378 Die Krfte reichten freilich nicht einmal aus, Durchmrsche der nordischen Kriegsparteien durch brandenburg-preußisches Gebiet zu verhindern. Im territorialen Ergebnis des ersten Jahrzehnts politischer Aktivitt des preußischen Kçnigreichs kamen – unter verschiedenen rechtlichen Titeln – bis 1713 Lingen, Moers (auf das man 1712 per Handstreich zugegriffen hatte), Geldern und das Schweizer Neuch’tel (1701) hinzu, Geldern in Folge des Friedens von Utrecht mit Vertrag vom 2. April 1713. Bei den anderen Gebieten standen Erb-Ansprîche im Hintergrund, die sich aus der ersten, der oranischen Ehe des Großen Kurfîrsten herleiteten. Tecklenburg kam durch Kauf dazu.379 In der Summe machten alle 377 A. Berney, Friedrich I. … (s. Anm. 237), S. 13, S. 20, S. 44, dazu die Rezension von G(eorg) Schnath, in: ForschBrandPrG 40 (1927), S. 390; Rîckstnde der von den Verbîndeten zu zahlenden Subsidien: C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 171 ff., ferner S. 179 – 194, S. 300, S. 332 ff., S. 356 ff., S. 389, S. 417 – eine moderne Untersuchung dieses Komplexes auf archivalischer Grundlage ist erwînscht; vgl. auch F. Hartung, Neuzeit … (s. Anm. 290), S. 119. 378 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 237 f., S. 303, S. 373, S. 418; vgl. damit A. Berney, Friedrich I. … (s. Anm. 237), S. 90 ff., S. 104 f.; Erich Hassinger, Brandenburg-Preußen, Rußland und Schweden 1700 – 1713 (= Verçffentlichungen des Osteuropa-Instituts Mînchen, 2), Mînchen 1953, S. 155 ff. 379 C. Hinrichs, Friedrich I. … (s. Anm. 364), S. 271; Ders., Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 300; M. und L. Frey, Frederick … (s. Anm. 235), S. 201; C. von

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diese Gebiete im Westen zusammen mit den seit hundert Jahren angefallenen Territorien von Kleve, der Grafschaft Mark, Minden und Ravensberg, rund 812 Prozent der Gesamtflche des Staates aus,380 doch die wirtschaftliche Bedeutung dieser Landschaften mit Rheinhandel und einiger Leinenproduktion war sicher um einiges grçßer. Die mchtepolitische Konstellation hatte sich fîr Preußen bis 1713 also immerhin insofern gefestigt, als bis zum Frieden von Utrecht die Frage nach der formalen Anerkennung der neuen Krone als im wesentlichen gelçst angesehen werden durfte. Die nur begrenzte Mçglichkeit, den neuen Status zur Geltung zu bringen, resultierte also aus dem geschilderten faktisch geminderten Rang als Auxiliarmacht und dieser wiederum aus der Finanzlage, die ein Resultat extremer Doppellast war. Auch angesichts des Kriegsbedarfs wre es nach Krontraktat und Krçnungsaktus wohl gnzlich ausgeschlossen, ja ein schwerer Fehler gewesen, die Entwicklung des Hofes, der schon in den neunziger Jahren wachsende Finanzanteile absorbiert hatte,381 nun abzubrechen. Der Hof zu BerlinCçlln hatte gerade um und nach 1700 eine politische Demonstrationsfunktion zu erfîllen. Die Baupolitik in der Residenzstadt und in der Residenzlandschaft, fîr die die verfîgbaren Ressourcen des Staates in den mittelmrkischen Residenzenraum gezogen wurden, hatte eine kînstlerische Blîte zur Folge, vor allem eine der Baukunst.382 Der Zusammenhang von Baupolitik, zumal am Schloß zu Berlin, und der politischen Lage nach dem Kronerwerb ist bisweilen offen ausgesprochen worden.383 Der Zeughausbau, Charlottenburg und zahlreiche

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Noorden, Europische Geschichte … (s. Anm. 237), 1, S. 228 f., 2, S. 529 f.; Victor Loewe (Hg.), Preussens Staatsvertrge aus der Regierungszeit Kçnig Friedrich Wilhelms I. (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsvertrgen, 87), Leipzig 1913, ND Osnabrîck 1966, hier S. 1 – 8; jetzt vorzîglich Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785 (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 4), Paderborn u. a. 1997, S. 155; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 273 f.; als ˜berblickskompendium fîr die territorialen Vernderungen nach wie vor nîtzlich Wilhelm Fix, Die Territorialgeschichte des preußischen Staates im Anschluß an zwçlf historische Karten, Berlin 31884, S. 142 ff. (oranische Erbschaft); K. L. Feckl, Spanischer Erbfolgekrieg … (s. Anm. 269), S. 86 – 99. G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 68. C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 156 ff. H. Duchhardt, Anspruch … (s. Anm. 359), S. 36 f., S. 51 f.; J. Kunisch, Residenzen … (s. Anm. 358), S. 177 ff. Vgl. die Quellenmitteilungen bei Wolfgang Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation. Das Berliner Schloß und seine historischen Funktionen vom 15. bis 20. Jahrhundert (= Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, 1), Potsdam 1999, S. 33; Albert Geyer, Geschichte des Schlosses zu Berlin, 2: Vom Kçnigsschloß zum Schloß des Kaisers (1698 – 1918), bearb. von Sepp-Gustav Grçschel. Aus dem Nachlaß hg. mit einer Einfîhrung von Jîrgen Julier, Berlin 21993, S. 111; vgl. 1: Die kurfîrstliche Zeit bis zum Jahre 1698. Mit einer Einfîhrung von Jîrgen Julier, ND der Ausgabe Berlin 1936, S. 65 – 81, zur Zeit des Großen Kurfîrsten;

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Lusthuser der Umgebung gehçren in diesen Zusammenhang. Potsdam wurde in der spten Regierungszeit des Großen Kurfîrsten zur bevorzugt genutzten Nebenresidenz. Auf der Basis einer Entwicklung, die seit etwa 1680 in ein neues Stadium trat, wurde der Hof fîr kurze Zeit auf ein europisches Niveau gebracht. So wie das Zeremoniell in der Politik, so spielte die hçfische Reprsentation,384 der Luxus als Indiz çkonomisch-kultureller Potenzen, die Rolle eines Signalsystems, das von auswrtigen Beobachtern wie ein Meßinstrument abgelesen wurde. Zwischen 1688 und 1697 wurden die Hofkosten verdoppelt.385 Die Baukunst Schlîters und Eosanders386 war „Staatsbaukunst“,387 unverzichtbares Instrument der Politik, versteinerte Macht, Programm und Anspruch. Reprsentative Schloßhçfe, imposante Treppenhuser, die dem Besucher Raum, Proportion, Maß und Hierarchie vor Augen stellten, Zimmerfluchten, durch die dem Audienzsuchenden ein gleichsam physischer Eindruck vom Rang des Monarchen gegeben wurde – auch dies war praktische Politik. Kirchenbau und Akademiegrîndungen sind gleichfalls Instrumente des Residenzausbaus gewe-

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Residenzlandschaft: Wolfgang Neugebauer, Potsdam-Berlin. Zur Behçrdentopographie des preußischen Absolutismus, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militrgeschichte, unter Mitarbeit von Heiger Ostertag, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 273 – 296 (mit der weiteren Lit.). M. und L. Frey, Frederick … (s. Anm. 235), S. 52 f. K. Breysig, Staatshaushalt … (s. Anm. 87), S. 40. Hellmut Lorenz, Tradition oder „Moderne“? ˜berlegungen zur barocken Residenzlandschaft Berlin-Brandenburg, in: ForschBrandPrG 8 (1998), S. 1 – 23, hier S. 6 f.; zu Schlîter jetzt Guido Hinterkeuser, Das Berliner Schloss. Der Umbau durch Andreas Schlîter, Berlin 2003, zum Umbau seit 1698 – 99 im politischen Kontext S. 111 – 115; aus der lteren kunstgeschichtlichen Lit. vgl. Cornelius Gurlitt, Andreas Schlîter, Berlin 1891, S. 47 f. (1694), S. 144 f., und passim; Heinz Ladendorf, Der Bildhauer und Baumeister Andreas Schlîter. Beitrge zu seiner Biographie und zur Berliner Kunstgeschichte seiner Zeit (= Forschungen zur deutschen Kunstgeschichte, 2), Berlin 1935, S. 68 ff.; Helmut Bçrsch-Supan, Die Kunst in Brandenburg-Preußen. Ihre Geschichte von der Renaissance bis zum Biedermeier dargestellt am Kunstbesitz der Berliner Schlçsser (= Verwaltung der Staatlichen Schlçsser und Grten), Berlin 1980, S. 56 ff.; A. Geyer, Schloß … (s. Anm. 383), 2, S. 2 – 6; ferner Hans Mîller, Die kçnigliche Akademie der Kînste zu Berlin 1696 bis 1896, 1.: Von der Begrîndung durch Friedrich III. von Brandenburg bis zur Wiederherstellung durch Friedrich Wilhelm II. von Preussen, Berlin 1896, S. 85. Unlngst erschien der aus der Zusammenarbeit von Historikern und Kunsthistorikern entstandene Tagungsberichtsband: Wolfgang Ribbe (Hg.), Schloß und Schloßbezirk in der Mitte Berlins. Das Zentrum der Stadt als politischer und gesellschaftlicher Ort (= PubllHistKommBerlin), Berlin 2005 (zum 18. Jahrhundert die Beitrge von Guido Hinterkeuser, Wolfgang Neugebauer und Horst Mçller). So schon sehr treffend und mancherlei moderne Neuentdeckungen vorwegnehmend C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 154 f. (1941/43).

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sen;388 die Akademie der Wissenschaften verdankt ganz wesentlich dem Zusammenspiel von Sophie Charlotte und Leibniz ihre Entstehung. Freilich war mit der Universittsgrîndung von Halle an der Saale ein weiteres geistig-kulturelles Zentrum im Staat entstanden, das zu Zeiten in Preußen das ˜bergewicht îber andere geistige Mittelpunkte zu gewinnen schien, jedenfalls nach 1713. Mit Leibniz in Berlin und Thomasius in Halle hatte die Frîhaufklrung in Brandenburg-Preußen Fuß gefaßt. Samuel von Pufendorf wurde als Historiograph an den Hof gezogen und verfaßte auf der Basis des Archivs sein Werk îber den Großen Kurfîrsten. Die Integrationswirkung389 der Kçnigskrone bedîrfte einer eingehenden empirischen Begrîndung resp. ˜berprîfung. Dazu gehçrt auch die Wirkung auf kulturelle Eliten im Staate, aber auch die Ausstrahlungskraft auf die Adelslandschaften in den verschiedenen Teilen der Monarchie ist noch zu klren. Immerhin sind Zweifel daran vorgebracht worden, ob sich der alte, landsssige Adel so ohne weiteres in den Bann eines Hofes schlagen ließ, dessen – so Schieder – Kînstlichkeit im Lande auch einen Isolationseffekt besessen haben kçnnte. Konfessionelle Differenzen zwischen zumeist lutherischem Adel und kalvinistischem Hof sind gewiß in Rechnung zu stellen.390 Dagegen steht die Attraktivitt der Hofgesellschaft als Nachrichten- und Kreditzentrum, als eines, an dem Chancen und Karrieren vergeben wurden. Auch und gerade rund drei Jahrhunderte nach der preußischen Kçnigskrçnung stellen sich noch viele Fragen fîr die kînftige Forschung. 388 Vgl. noch immer das aus intensiver Materialkenntnis entstandene (Jubilums-)Werk von Adolf (von) Harnack, Geschichte der Kçniglich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Im Auftrage der Akademie bearbeitet, 1, 1. Hlfte, Berlin 1900, S. 38 f., S. 48 ff., S. 68 f. (nicht nachweisbar, „daß Friedrich die Akademie bereits im Hinblick auf die Kçnigskrone gegrîndet hat“), u. ç.; H. Mîller, Akademie der Kînste … (s. Anm. 386), S. 1 – 9; G. Oestreich, Fundamente … (s. Anm. 81), S. 291; Eduard Winter, Frîhaufklrung. Der Kampf gegen den Konfessionalismus in Mittelund Osteuropa und die deutsch-slavische Begegnung. Zum 250. Todestag von G. W. Leibniz im November 1966 (= Beitrge zur Geschichte des religiçsen und wissenschaftlichen Denkens, 6), Berlin 1966, S. 75 f.; und zu Halle an der Saale Wolfgang Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: O. Bîsch (Hg.), Handbuch der Preußischen Geschichte … (s. Anm. 201), 2, S. 605 – 798, hier S. 623 ff.; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 344), 5, S. 55 – 61. 389 W. Neugebauer, Integration … (s. Anm. 201), S. 75 ff.; vgl. noch E. Hubrich, Staatseinheit … (s. Anm. 199), S. 353 – 361. 390 Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Kçnigtum der Widersprîche, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983, S. 16 f.; auch Peter-Michael Hahn, Fîrstliche Territorialhoheit und lokale Adelsgewalt. Die herrschaftliche Durchdringung des lndlichen Raumes zwischen Elbe und Aller (1300 – 1700) (= VerçffHistKommBerlin, 72), Berlin/ New York 1989, S. 377 f.; anders P. Baumgart, Der deutsche Hof … (s. Anm. 371), S. 37.

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§ 6 Friedrich Wilhelm I. und die politischen Strukturen Brandenburg-Preußens (bis 1740) Man kann mit gutem Recht darîber streiten, ob das Jahr 1701 oder das Jahr 1713 eine Zsur in der brandenburg-preußischen Geschichte darstellt.391 Denn wenn es auch richtig ist, daß mit dem Erwerb der Krone 1700/1701 zunchst politische Optionen der europischen Mchtepolitik gewahrt beziehungsweise neue Spielrume souverner Entwicklung in langer Frist erçffnet worden sind, so war doch die unmittelbar strukturbildende Wirkung nach innen wohl nur gering. Gewiß, alle Territorien des brandenburgischen Hohenzollern hießen nun kçniglich preußische, und die kurbrandenburgische Amtskammer an der Spree publizierte – um nur dieses Beispiel zu nennen – in großen und kleinen Angelegenheiten ihre Resolutionen als kçniglich preußische Amtskammer der Kurmark. Freilich war die Praxis, gleichsam den ranghçchsten Titel auf alle Territorien der Dynastie zu îbertragen, so neu nun auch nicht. Schon vor dem Jahre 1700 hat es eine gewissermaßen nominelle Klammer zwischen den Gebieten gegeben, indem eben der brandenburgische Name auch außerhalb der Mark, ja sogar außerhalb der Grenzen des Heiligen Rçmischen Reiches Anwendung fand. So wurde z. B. in Kçnigsberg im Jahre 1685 ein „Kurfîrstlich Brandenburgisches Revidirtes Land-Recht / Des Hertzogthumbs Preußen“392 herausgebracht, ein, wenn man so will, amtliches Werk, das nur in Ostpreußen galt und doch den nominellen Bezug zum Gesamtstaat schon im Titel deutlich erkennen lßt. Wenn also mit dem Jahre 1701 fîr die innere, die strukturelle Einheit Brandenburg-Preußens direkt nicht allzu viel Neues erreicht worden ist, so wre bei der Suche nach zsurhaften Daten natîrlich an den Regierungswechsel von 1713 zu denken, an den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. In der Tat hat man von diesem Jahr als dem eines „Systemwechsels des Absolutismus“ in Brandenburg-Preußen gesprochen,393 und damit zugleich neben das Datum von 1700/1701 ein strukturell bedeutendes gestellt.

391 Zur Frage der Periodisierung vgl. Otto Hintze, Geist und Epochen der preußischen Geschichte, zuerst 1903, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 1 – 29, hier S. 13 – 18; Peter Baumgart, Epochen der preußischen Monarchie im 18. Jahrhundert, in: Otto Bîsch (Hg.), Das Preussenbild in der Geschichte. Protokoll eines Symposions (= VerçffHistKommBerlin, 50: Forschungen zur Preußischen Geschichte), Berlin/New York 1981, S. 65 – 96, hier S. 68 ff. 392 W. Neugebauer, Verhltnis … (s. Anm. 4), S. 182 f.; Churfîrstlich Brandenburgisches Revidirtes Land-Recht/ Des Hertzogthumbs Preußen … Kçnigsberg/ Gedruckt bey Friedrich Reusners/ Churfîrstl. und Acad. Buchdruckers Erben 1685, (in Folio), dabei unpag. das Publikationsreskript, datiert Freienwalde, 17./27. August 1685. 393 P. Baumgart, Epochen … (s. Anm. 391), S. 70.

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Friedrich Wilhelm I. kann in seiner strukturformenden, vielleicht sogar strukturbildenden Bedeutung fîr den preußischen Staat und durch die Wirkungen sodann auf die europische Geschichte nicht îberschtzt werden. Wenn Friedrich II., der Große, gleich 1740/41 in der Lage war, die Konjunkturen der europischen Politik aggressiv und offensiv zu nutzen und Preußen auf den Weg zu europischer Bedeutung zu bringen, so lagen die Kausalitten fîr diese Weichenstellungen tiefer, d. h. sie lagen in der Zeit Friedrich Wilhelms I. Dessen Sohn, konnte sofort auf diejenigen Instrumente zugreifen, die ihm im Mai 1740 vererbt worden waren. Damit gewinnt die Zeit Friedrich Wilhelms I. als formative Phase der preußischen Geschichte eine besondere Bedeutung. Wir mîssen uns der Person und der strukturellen Wirkungen dieses Herrschers deshalb intensiv annehmen, eines Mannes, dessen Bedeutung erst von der staatswissenschaftlichen Schule der Historiker und Nationalçkonomen der Acta Borussica richtig erkannt und intensiv erforscht worden ist. Wohl bei keinem anderen der preußischen Monarchen ist es so wichtig und erhellend, die Persçnlichkeitsstruktur mit in die Betrachtung einzubeziehen. Durch die intensiven Quellenforschungen von Carl Hinrichs394 sind wir in der Lage, dazu Zuverlssiges mitteilen zu kçnnen. Politische, kulturelle und religiçse Konstellationen und Erfahrungen haben den jungen Prinzen frîh geprgt, der denn auch schon vor seinem eigentlichen Regierungsantritt im Frîhjahr 1713 in die Geschicke des Staates einzugreifen begann. Insofern ist auch das Jahr 1713 nur ein Datum in einer lngeren, sich îber mehrere Jahre erstreckenden Entwicklung, die schon unter dem prgenden Vorzeichen dieses Monarchen steht. Friedrich Wilhelm I. wurde am 14. August 1688 im Berliner Schloß geboren; ein lterer Bruder war vorher gestorben; auch dieser Monarch war also nicht eigentlich ein Erstgeborener, wie wir es ja auch fîr Friedrich III./I. gesehen haben.395 Die Mutter war jene kulturell und intellektuell bedeutende Sophie Charlotte aus welfischem Hause, die dann z. B. bei der Akademiegrîndung um 1700 auch in die allgemeine Staatsentwicklung eingegriffen hat und die – etwa in Opposition zum Oberprsidenten Eberhard Danckelman396 – auch eigene 394 Vor allem die monumentale Jugendgeschichte: C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192). 395 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 7 f.; zu korrigieren durch E. Berner u. a., Genealogie … (s. Anm. 35), S. 36 f.; nach hannçverschen Quellen siehe Georg Schnath, Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674 – 1714. Im Anschluß an Adolf Kçchers unvollendete „Geschichte von Hannover und Braunschweig 1648 – 1714“ (PubllPreussStaatsarch, 20 und 63) (= VerçffHistKommHannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen, 18), 1, Hildesheim/Leipzig 1938, S. 428. 396 Zum Sturz Danckelmans siehe oben bei Anm. 235/236, Anm. 367; Sophie Charlotte: Otto Krauske, Kçnigin Sophie Charlotte. Geboren 20./30. Oktober 1668. Gestorben 1. Februar 1705, in: HohenzJb 4 (1900), S. 110 – 126, hier S. 110 ff.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 9, S. 11 – 13, S. 19.

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(Haus-)Politik zu treiben wußte, wobei sie mit niemand anderem als mit Leibniz eng kooperierte. Die brandenburg-hannoversche Rivalitt war unter Friedrich I. und dann unter seinem Sohn am Hof an Spree und Havel prsent. Der junge Friedrich Wilhelm ist lngere Zeit, um 1690, in Hannover aufgewachsen,397 dann hat man sich am brandenburgischen Hof um seine Erziehung bemîht. Dies war in der Tat keine ganz leichte Aufgabe. Bestimmte Charakterzîge und Persçnlichkeitsmerkmale, die in seiner spten Kronprinzen- und sodann in seiner Regierungszeit îberindividuell bedeutsam geworden sind, lassen sich benennen.398 Da ist zuerst eine tiefe, zunchst kalvinistische Religiositt, eine die ihn schon frîh geradezu qulerisch erfaßte. Die „Prdestinationsangst“ (Carl Hinrichs), d. h. diejenige, nicht erwhlt zu sein, ist bereits sehr frîh zu erkennen, und sie setzte Energien frei, die auf Staat und Hof zu wirken begannen. Der antihçfische Affekt seiner religiçs unterstîtzten Emotionalitt richtete sich zunchst gegen die intellektuell-freigeistige, wohl auch frivole Umgebung Sophie Charlottes. Das starke Interesse an allem Militrischen, durchaus nicht selbstverstndlich fîr einen Hohenzollern um 1700, gehçrt gleichfalls zu den frîhen Charakteristika. In demonstrativem Kontrast zur Ausgaben- und Reprsentationspolitik des jungen brandenburg-preußischen Hofes hat Friedrich Wilhelm alsbald die Rechenhaftigkeit seiner Lebensfîhrung betont, was wiederum eigenen frîhen militrischen Experimenten zugute gekommen ist. In jungen Jahren in die Arbeit der preußischen Ratsgremien, im Geheimen Rat und im Kriegsrat Friedrichs I. eingefîhrt, hat er in Berlin und sodann in seiner Herrschaft Wusterhausen im zweiten Lebensjahrzehnt Regierungs- und Verwaltungserfahrung auf eigene Faust gesammelt, in der îberschaubaren administrativen Einheit eines kleinen Amtes. Hier hat er unmittelbare Einblicke in die Domnenpraxis gewonnen, hat auf dem Lande das

397 Ebda; G. Schnath, Geschichte Hannovers … (s. Anm. 395), 1, S. 507. 398 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 55 ff., das Zitat S. 57; antihçfische Haltung: S. 58 ff., S. 92 f., Ratsarbeit: S. 96 f.; Wolfgang Neugebauer, Herrschaft, Regierung, Verwaltung in Brandenburg-Preußen um 1700, in: Preussen 2001. Preußen 1701. Eine europische Geschichte. Essays, hg. vom Deutschen Historischen Museum und der Stiftung Preußische Schlçsser und Grten Berlin-Brandenburg … (Berlin 2001), S. 91 – 100, hier S. 97 ff. – nach der gut erhaltenen Archivîberlieferung; zu den Militaria außer C. Hinrichs a. a. O., S. 40 f.; C. Jany; Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 534 f.; Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm I. Preußischer Absolutismus, Merkantilismus, Militarismus (= Persçnlichkeit und Geschichte, 96/97), Gçttingen/Zîrich/Frankfurt 1977, S. 17 ff., S. 25 f.; Karl Heinrich Siegfried Rçdenbeck (Hg.), Beitrge zur Bereicherung und Erluterung der Lebensbeschreibungen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen, Kçnige von Preußen, nebst einem Anhang … 1, Berlin 1836, S. 132 ff., und der Abriß von Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. Kçnig von Preußen, zuerst 1938, wieder in: Ders., Preußen … (s. Anm. 324), S. 40 – 72, hier S. 46 f.

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Wirtschaften gelernt und Anstze eines Regierungsstiles monarchischer Autokratie entwickelt, die er als Kçnig auf den Staat îbertragen hat.399 Das waren die Erfahrungen und frîhen Prgungen in Brandenburg-Preußen, und „ußere“ Erfahrungen traten hinzu. Zuerst sind da zwei hollndische Bildungsreisen zu erwhnen,400 sodann seine unmittelbaren Erfahrungen im Kampf gegen Ludwig XIV. Die Schlachten im Westen (Malplaquet 1709), die Erlebnisse im verbîndeten Heerlager ließen ihm die fragile Stellung des neuen Kçnigreichs im europischen Mchtegefîge plastisch vor Augen treten; es wird berichtet, daß die abflligen Bemerkungen, die der Kronprinz beim Kriegsrat îber die finanziellen Mçglichkeiten Preußens, ein eigenes Heer zu unterhalten, hçren mußte, ganz wesentlich dazu beitrugen, bei dem kînftigen preußischen Kçnig strukturpolitische Entscheidungen reifen zu lassen.401 Und schließlich traten die Erfahrungen zweier Amtszeiten als Statthalter (fîr den abwesenden Kçnig) hinzu, erst 1708 und dann erneut im Jahre 1711. Hilf- und machtlos mußte der Prinz in der Mittelmark zusehen, wie fremde Truppen durch das Land zogen, ohne daß irgendein Widerstand geleistet werden konnte. Damals standen in ganz Preußen von der Memel bis zur Elbe außer Invaliden und etwas Landmiliz nur zwei Infanteriebataillone, eine Dragonerkompanie und etwas Festungsvolk, in der Mark Brandenburg dazu noch zwei Regimenter Kavallerie und wenige kleinere Einheiten, mit denen an Widerstand nicht zu denken war; die preußischen Truppen aus dem Westen zum Schutz des eigenen Landes zurîckzurufen, war angesichts der Subsidienabhngigkeiten in der Tat unmçglich. Die Lektion der Hilflosigkeit, der Ohnmacht, und zwar in einer existenziellen Situation und angesichts mannigfaltiger ˜bergriffe durch schsische und russische Truppen nicht weit von der Residenzstadt hat tief gewirkt. Es ist deshalb kein Zufall, daß Friedrich Wilhelm noch als Prinz in die Staatsgeschfte eingegriffen hat, und deshalb ist es angebracht, die Betrachtung nicht allzu sehr auf das Jahr 1713 als ein singulres Epochendatum zu redu399 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 74, S. 342 – 345, S. 422 ff.; wichtig: Meta Kohnke, Das preußische Kabinettsministerium. Ein Beitrag zur Geschichte des Staatsapparates im Sptfeudalismus, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 2 (1978), S. 313 – 356, hier S. 316 f.; G. Oestreich, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 298), S. 27 ff. 400 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 79 – 85, S. 88, S. 104 – 108. 401 Julius Haeckel, Die Potsdamer Riesengarde (1713 – 1740). 200jhriges Gedenkblatt zur Geschichte des Ersten Garderegiments zu Fuß und der Stadt Potsdam, Potsdam 1913, S. 93 f., Anlage 2; allgemein der Aufsatz von C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 398), S. 42; und dessen Monographie von 1941/43, C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 370, S. 389 – 412, zu den Statthalterschaften: S. 338, S. 341, S. 511 ff., S. 529 – 543; G. Oestreich, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 398), S. 30, S. 41; L. Enders, Uckermark … (s. Anm. 100), S. 448.

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zieren, sondern die Zeit Friedrichs III./I. in der Kontinuitt402 der Entwicklung vor 1688 und nach 1713 zu sehen und dabei die Jahre 1710/11 bis 1713 als eine bereits strukturformende ˜bergangsphase zu erkennen. Auch dies wirft auf das Verhltnis mçglicher personaler Faktoren in ihrer Wirkung auf die preußische Geschichte ein helles Licht, zeigt sich doch dabei eine gewisse Unabhngigkeit personaler Spielrume von der dynastischen Spitzenposition in spezifischen Konstellationen. Dazu gehçrte nun ganz wesentlich, daß noch unter Friedrich I. die Position der Premierminister beseitigt worden ist. Nach dem Sturz Eberhard Danckelmans war der Reichsgraf Kolbe von Wartenberg rasch an dessen Stelle getreten, seit etwa 1702 besaß Wartenberg eine îberragende Position. Unter seiner øgide flossen von den veranschlagten rund vier Millionen Talern an Staatseinkînften etwa die Hlfte in die Militrausgaben, 150.000 Taler wurden fîr die Zivilbesoldungen bençtigt, whrend der Rest, also die (knappe) andere Hlfte fîr den Unterhalt des Hofes bençtigt wurde. Allerdings gingen die veranschlagten Summen nicht in der erwarteten Hçhe ein, und fîr das Fehlende wurden Anleihen aufgenommen. Nach Wartenbergs Sturz beginnt um 1710/11 „eine Zeit der Reformen die unmittelbar zu Friedrich Wilhelm I. hinîberfîhrten, der schon jetzt als Kronprinz ihr mehr oder weniger offener Patron und Antreiber war“ (Carl Hinrichs). Dabei sind ihm die frîh erworbenen administrativen Kenntnisse zugute gekommen, und in der Militrverwaltung der spten Jahre des ersten Kçnigs hat bereits faktisch der Kronprinz dominiert, der auch an Wartenbergs Sturz wesentlich beteiligt war.403 Er hat noch 1712 den weiteren Ausbau des Generalkriegskommissariats zu einer kollegialen Behçrde durchgesetzt und dabei mit dem jîngeren Grumbkow demjenigen Mann zur Bestallung verholfen, auf den er sich whrend seiner ganzen Regierungszeit in wichtigen Fragen von Politik, Militr und Staatsorganisation – wenn auch nicht ohne Vorsicht – gestîtzt hat.404 Schon seit 1705 hat der Kronprinz unmittelbar eingegriffen, als es um die weitere Vereinheitlichung bei den verschiedenen Truppenteilen ging, etwa in Fragen der Uniformierung, bei der Ausstattung mit Waffen und Munition, um auch auf diesem Felde die Freirume der Kompa402 Kontinuitten: s. O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 412. Vgl. auch W. Neugebauer, Friedrich III./I. … (s. Anm. 343), passim. 403 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 90, S. 129, S. 150 – 168, S. 464 – 476, zur Finanzlage 1710 S. 437 f., das Zitat S. 491 f.; zum Sturz Wartenbergs vgl. W. Koch, Hof- und Regierungsverfassung … (s. Anm. 238), S. 125 ff.; O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 368 f. 404 Reinhold August Dorwart, The Administrative Reforms of Frederick William I of Prussia, Westport, Connecticut 21971, S. 138 – 144; A. B. B. (s. Anm. 231), 1, S. 176 ff., S. 184 ff., Nr. 60 und 61; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 520, S. 609 – 617, S. 706, zur Armee S. 287, S. 364; F. Frhr. von Schroetter, Offizierskorps … (s. Anm. 276), 1, S. 442; M. und L. Frey, Frederick III./ I. … (s. Anm. 235), S. 90; auch G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 468.

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nieinhaber zu reduzieren. In der Armee war die tatschliche Position des Kronprinzen in allen sie betreffenden Angelegenheiten bald bekannt, und so haben sich Regimentschefs vor 1713 bei anstehenden Vernderungen beim Kronprinzen rîckversichert, der auch schon bei Befçrderungen wesentlichen Einfluß besessen hat.405 Noch in einer anderen, nach 1713 wichtigen Beziehung sind Weichen in der Kronprinzenzeit Friedrich Wilhelms gestellt worden. Die tiefe Religiositt Friedrich Wilhelms, von der wir sprachen, war keine einer dogmatisch engen Variante kalvinistischer Frçmmigkeit. Gerade von der Lehre der Gnadenwahl hat er sich alsbald gelçst. Das wird zu berîcksichtigen sein, wenn seine noch in Prinzentagen zustande gekommene Beziehung zum halleschen Pietismus verstanden werden soll. Jedenfalls war lngst diejenige konfessionspolitische406 Generallinie aufgegeben worden, die unter dem Großen Kurfîrsten nicht nur in einer prinzipiellen Bevorzugung kalvinistischer Amtstrger, sondern auch in bisweilen kirchenkampfartigen Konfrontationen zwischen orthodoxen Lutheranern und Kalvinisten zum Ausdruck, ja zum Ausbruch gekommen war, diese eine in der Tat „verschwindend kleine … Minoritt“.407 Der Große Kurfîrst hatte diese Gruppe massiv gefçrdert,408 aber auch nach der Aufnahme von „mindestens“ 9.000, vielleicht (îber) 10.000 Hugenotten409 hatte sich an den 405 F. Frhr. von Schroetter, Offizierskorps … (s. Anm. 276), Tl. 1, S. 436 f. 406 Mit weiterer Lit. der Beitrag von Rudolf von Thadden, Die Geschichte der Kirchen und Konfessionen, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.), Handbuch der Preussischen Geschichte, 3: Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens (= HistKommBerlin), Berlin/New York 2001, S. 547 – 711, hier S. 570 ff. 407 P.-M. Hahn, Calvinismus … (s. Anm. 231), S. 250, Amtstrger: S. 254 f.; und schon G. Oestreich, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 137), S. 64 f.; R. von Thadden, Hofprediger … (s. Anm. 72), S. 96 („reformierte Honoratiorenkirche“). 408 Hugo Landwehr, Die kirchlichen Zustnde der Mark unter dem Großen Kurfîrsten, in: ForschBrandPrG 1 (1888), S. 181 – 224, hier S. 199 ff., S. 224; Ders., Kirchenregiment … (s. Anm. 157), S. 606 mit Anm. 2; Ders., Kirchenpolitik … (s. Anm. 154), S. 191 – 215, S. 225, S. 236 – 241; Hans-Joachim Beeskow, Zur Vorgeschichte des Edikts von Potsdam 1685. Bemerkungen zur Kirchenpolitik des brandenburgischen Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, in: JbBrandenbLdG 35 (1984), S. 53 – 62, bes. S. 58 – 61; M. Lackner, Kirchenpolitik … (s. Anm. 137), S. 119 – 142. 409 Stefi Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/ Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus (= EinzelverçffHistKommBerlin, 23. Publikationen zur Geschichte der Industrialisierung), Berlin 1978, S. 29; 20.000 laut Meta Kohnke, Zur Vorgeschichte, Entstehung und Bedeutung des Edikts von Potsdam, in: Hans-Joachim Giersberg (Red.), Das Edikt von Potsdam 1685. Die franzçsische Einwanderung in Brandenburg-Preußen und ihre Auswirkungen auf Kunst, Kultur und Wissenschaft. Ausstellung der Staatlichen Schlçsser und Grten Potsdam-Sanssouci in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Staatsarchiv Merseburg und dem Staatsarchiv Potsdam, Potsdam-Sanssouci 1985, S. 7 – 13, hier S. 10; ebenso Gerd Heinrich, Toleranz als Staatsrson. Ursachen und Wirkungen des Potsdamer Ediktes (1685), in:

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Grçßenverhltnissen wenig gendert. Wichtiger war das Faktum, daß in Brandenburg-Preußen nun das Zentrum der pietistischen Aktivittstheologie und damit einer (zunchst universal ausgerichteten) Reformbewegung des Pietismus heimisch wurde. Mit ihr hat Friedrich Wilhelm I. das Bîndnis geschlossen. Damit war ein wichtiger Schritt hin zur Befestigung des konfessionellen Konsenses getan worden, denn der reformierte Monarch fçrderte hier eine Bewegung, die in der lutherischen Kirche ihre Ursprînge besaß. Freilich, entstanden war diese Bewegung nicht in Preußen. Sie war mit lteren theologischen Wurzeln als eine religiçse, ja mentale Antwort auf die Krisenerlebnisse des Dreißigjhrigen Krieges erwachsen. Die Zeitkritik verband sich mit derjenigen an der orthodox-lutherischen Kirche; gefordert wurde eine neue, eine wirkliche Reformation, die die verderbenbringende Sînde vertilgen solle. Kirche und Schule wurden als Instrumente dieser neuen Reform propagiert. Der Lehrstand – das war die Geistlichkeit – galt als der „Grund des Verderbens“; der Griff nach der Jugend war derjenige Weg, îber den die Zukunft gewonnen werden sollte.410 Vertiefte, verinnerlichte, erlebte Religiositt, aber nicht in frommer Selbstbetrachtung, sondern in praktischer Reformttigkeit in der Welt, d. h. die Praxis pietatis, das waren die Prinzipien und Parolen einer Bewegung, die natîrlich da, wo die lutherische Orthodoxie starke Positionen besaß, auf heftigen Widerstand, ja auf Verfolgung treffen mußte. Es war eine sozialreformerische Strçmung, die ganz wesentlich nun in Preußen Fuß faßte. War der nach Berlin berufene Philipp Jakob Spener eher dem kontemplativen Theologentypus zu-

Wilhelm Treue (Hg.), Geschichte als Aufgabe. Festschrift fîr Otto Bîsch zu seinem 60. Geburtstag, Berlin 1988, S. 29 – 54, hier S. 40 f.; zum Thema zuletzt Manuela Bçhm / Jens Hseler / Robert Violet (Hg.), Hugenotten zwischen Migration und Integration. Neue Forschungen zum Refuge in Berlin und Brandenburg, Berlin 2005, besonders die Studien von Robert Violet, Emilie Coque und Frederic Hartweg. 410 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 560; Ders., Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiçs-soziale Reformbewegung, Gçttingen 1971, S. 9, S. 47, S. 54; Klaus Deppermann, Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (I.), Gçttingen 1961, S. 177; Peter Baumgart, Zinzendorf als Wegbereiter historischen Denkens (= HistStud, 381), Lîbeck/Hamburg 1960, S. 11 f., S. 35 f.; August Hermann Francke, Schrift îber eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts. Der Große Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einleitung hg. von Otto Podczeck (= Abhandlungen der Schsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, 53, Heft 3), Berlin 1962, S. 71, S. 73, S. 76; Peter Menck, Die Erziehung der Jugend zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Nchsten. Begrîndung und Intention der Pdagogik August Hermann Franckes (= Aneignung und Begegnung), Wuppertal/Ratingen/Dîsseldorf 1969, S. 22 f.

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zuordnen,411 so hat August Herrmann Francke412 mit seinen Anstalten im preußisch-magdeburgischen Halle an der Saale nicht als origineller theologischer Kopf, sondern als pdagogisch-çkonomischer Praktiker gewirkt. Aus kleinsten Anfngen seit 1695413 hat Francke aus Spendenmitteln und mit virtuosem wirtschaftlichem Geschick einen Anstaltskomplex geschaffen, dessen Zentrum bald das berîhmte Waisenhaus wurde. Landesherrliche Privilegien sollten diese Anstalten fçrdern. Mancherlei personelle und funktionale Verbindungen koordinierten die Ttigkeit an Universitt und Franckischen Anstalten, die 1698 einige Hundert, 1707 schon îber 1.000 und im Todes-Jahr Franckes 1727 rund 2.300 Zçglinge beiderlei Geschlechts umfaßte.414 Ein ungemein praktischer, utilitaristischer Grundzug415 charakterisierte alle Aktivitten August Herrmann Franckes und des Pietismus hallescher Prgung, der freilich in dem Umfang universalistische Horizonte verlor, wie er sich ins Bîndnis mit dem brandenburg-preußischen Staat begab. An Protektion aus Berlin, zumal aus zukunftsoffenen Hofkreisen hatte es nicht gefehlt, und sie war auch dringend erforderlich gewesen angesichts der nicht eben freundlichen Umgebung im Herzogtum Magdeburg mit seinen lutherisch-orthodoxen Stnden.416 Entscheidend wurde aber nun der Umstand, daß Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1711 fîr den Pietismus gewonnen wurde, und zwar auf eine Weise, die ganz auf seinen Charakter und seine politischen Prferenzen abgestellt war. 411 ølteres Standardwerk: Paul Grînberg, Philipp Jakob Spener Bd. 1, Gçttingen 1893, S. 327 ff. Aus der reichen neueren Lit. vgl. Johannes Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfnge des Pietismus (= BeitrrHistTheol, 42), Tîbingen 21986, zur Praxis S. 226 ff., Theologie: S. 324 ff.; und jîngst: Hoffnung besserer Zeiten. Philipp Jakob Spener (1635 – 1705) und die Geschichte des Pietismus. Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen in Zusammenarbeit mit dem Interdisziplinren Zentrum fîr Pietismusforschung der Martin-Luther-Universitt Halle-Wittenberg vom 29. Mai bis 23. Oktober 2005 (= Kataloge der Franckeschen Stiftung, 15), Halle (2005), darin insbes. Johannes Wallmann, Philipp Jakob Spener, S. 19 – 26, Reformprogramm: S. 23 ff. 412 Gustav Kramer, August Hermann Francke, 2 Bde., Halle an der Saale 1880 – 1882, hier 1, S. 223 – 240, 2, S. 403 – 458; Erich Beyreuther, August Hermann Francke. Zeuge des lebendigen Gottes, Berlin 21960, bes. S. 213. 413 G. Kramer, Francke … (s. Anm. 412), 1, S. 164 – 169; Wolf Oschlies, Die Arbeitsund Berufspdagogik August Hermann Franckes (1663 – 1727). Schule und Leben im Menschenbild des Hauptvertreters des Halleschen Pietismus (= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 6), Witten 1969, S. 16 – 22; K. Deppermann, Pietismus … (s. Anm. 410), S. 76, S. 87 – 90, S. 166; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus … (s. Anm. 410), S. 26 – 28, S. 58, S. 221; Spenden: S. 21; E. Beyreuther, Francke … (s. Anm. 412), S. 183 – 194. 414 G. Kramer, Francke … (s. Anm. 412), 2, S. 10, S. 486. 415 Vgl. auch Adolf (von) Harnack, Das geistige und wissenschaftliche Leben in Brandenburg-Preußen um das Jahr 1700, in: HohenzJb 4 (1900), S. 170 – 191, hier S. 184. 416 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. Hauptabteilung, Rep. 52, Nr. 130, dieses Archiv zit.: GStAPK.

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Die Vertreter des Pietismus am Berliner Hof haben einen hohen Militr, der das Vertrauen des Prinzen besaß, d. h. den General von Natzmer, als einen der ihren vorgeschickt. Natzmer hat sich in einem Gesprch mit dem jungen Herrn, in dem es um die „pietisten“ ging, fîr diese verbîrgt und Bedenken zu zerstreuen gesucht. Alsbald setzten unmittelbare Kontakte zwischen Friedrich Wilhelm und August Hermann Francke ein, die dann zu einer dauernden Verbindung zwischen Potsdam-Berlin und Halle fîhren sollten, die auch nach dem Tode des lteren Francke andauerte und gleichsam zu einer Institution im preußischen Staat geworden ist.417 Die Universitt Halle, damals die modernste in Mitteleuropa, wurde zu der Staatsuniversitt insbesondere fîr die Theologenausbildung in Preußen, gefolgt – mit Abstand – von Kçnigsberg. Die Weichen waren also gleich mehrfach gestellt, als der Regierungswechsel des Februars 1713 Preußens spezifischen Sonderweg unumkehrbar machte. Es ist zuvor geschildert worden, daß die Entfaltung des Hofes vor und erst recht nach 1701 schlechterdings unabdingbar gewesen ist, von dem politisch notwendigen Schritt der Standeserhçhung auf keinen Fall zu trennen. Eine Reduktion des Hofes direkt nach 1701, unter der krisenschwangeren Doppellast von europischen Kriegen und Krondemonstration, htte die politischen Erfolge von Krontraktat und Krçnungsakt wohl auf das Schwerste gefhrdet. Denn Macht, Rang und Magnifizenz mußten demonstriert werden,418 und es wre sehr riskant gewesen, diese Notwendigkeit alsbald zu ignorieren. Ganz 417 Zum Privileg Friedrich Wilhelms I. vgl. C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 559, S. 583 – 596; Ders., Preußentum und Pietismus … (s. Anm. 410), S. 95 – 109; zu einer Scharnierperson von Hofgesellschaft und Hallenser Anstaltszentrum vgl. jetzt Peter Schicketanz, Carl Hildebrand von Canstein. Leben und Denken in Quellendarstellungen (= Hallesche Forschungen, 8), Halle/Tîbingen 2002, hier S. 9; hochinteressante Quellen vorzîglich ediert und erschlossen bei Peter Schicketanz (Hg.), Der Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins mit August Hermann Francke (= Texte zur Geschichte des Pietismus, Abt. 3, 1), Berlin/New York 1972, S. 459 – 463; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 3 (Kabinettsordre an den jîngeren Francke, 20. April 1730, u. a. Stîcke); aus der Lit. noch K. Deppermann, Pietismus … (s. Anm. 410), S. 165 – 169; Otto Hintze, Einleitende Darstellung der Behçrdenorganisation und der allgemeinen Verwaltung in Preußen beim Regierungsantritt Friedrichs II. (= Acta Borussica … Behçrdenorganisation, 6, 1. Hlfte), Berlin 1901 (auch als ND Frankfurt am Main 1986/87), S. 53 f.; Pietismus und Hof in der Zeit Friedrich Wilhelms I.: Bogdan Krieger (Hg.), Sieben Tage am Hofe Friedrich Wilhelm I. Tagebuch des Professors J. A. Freylinghausen îber seinen Aufenthalt in Wusterhausen vom 4.–10. September 1727, Berlin 1900, S. 18 ff., und passim; danach Jochen Klepper (Hg.), Der Soldatenkçnig und die Stillen im Lande. Begegnungen Friedrich Wilhelms I. mit August Hermann Francke, August Gotthold Francke, Johann Anastasius Freylinghausen, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, Berlin/Steglitz 1938, S. 21 – 38, u. ç. 418 Gut gesehen bei M. und L. Frey, Frederick I. … (s. Anm. 235), S. 52 f.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 47 – 51, S. 154 f.

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offen hatte Friedrich III./I. denn auch vom Berliner Schloßbau als einer „Necessitt“ gesprochen. Aber das „Ausbluten und Verçden der Provinzen“ zugunsten der Residenzlandschaft um Berlin,419 d. h. nicht nur der Residenz im engeren Sinne, sondern auch zugunsten des Kranzes von etwa zwei Dutzend Schlçssern und Lusthusern in der nheren und weiteren Umgebung, hatte krisenhafte Folgen, die um 1710 nicht mehr zu îbersehen waren. Friedrich III./ I. hatte die vielen kleinen Residenzorte in der Mittelmark in unaufhçrlicher Reiseunruhe besucht und benutzt; nun, eine Woche nach dem Regierungsantritt des neuen Herrn, wußten Informanten aus Berlin ins Ausland zu berichten, „die kleinen Lustschlçsser sollen verkauft oder verarrendiret werden“, auch, wie man hinzufîgte, um Personalkosten zu sparen. Zugleich ging die Kunde um, daß das in den Nebenresidenzen vorhandene Silber, also Schmuck, Geschirr, Gert und anderes mehr, vermînzt werden solle.420 Der Wechsel des Politikstiles wurde auch daran abgelesen, daß fortan neben Berlin nur noch Wusterhausen, Potsdam, Charlottenburg, Oranienburg und Kçpenick unterhalten werden sollten, wobei eine weitere Reduktion in der Praxis eintrat. Der bisherige Hofstaat wurde drastisch verkleinert – whrend gleichzeitig neue Regimenter aufgestellt wurden –, bestimmte Hofchargen wurden entlassen. Ein verndertes Rangreglement sorgte alsbald in Europa fîr Aufmerksamkeit; an die Stelle des Oberkmmerers rîckte nun – ganz im Sinne der militrischen Prferenzen des neuen Kçnigs – der Generalfeldmarschall. Die Minister blieben, soweit sie die politischen Stîrme um 1710 îberlebt hatten, im Amt. Auf ihre Fachkenntnisse war nicht gut zu verzichten. Das kînstlerische Personal am Hof wurde zum großen 419 Zitat: C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 166; Residenzlandschaft: W. Neugebauer, Potsdam-Berlin … (s. Anm. 383), passim; ferner Wolfgang Neugebauer, Staatsverwaltung, Manufaktur und Garnison. Die polyfunktionale Residenzlandschaft von Berlin-Potsdam-Wusterhausen zur Zeit Friedrich Wilhelms I., in: ForschBrandPrG 7 (1997), S. 233 – 257, bes. S. 234 ff.; zum Kontext vgl. Wolfgang Ribbe, Die Anfnge Charlottenburgs in der Residenzlandschaft um Berlin, in: Ders. (Hg.), Von der Residenz zur City. 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 11 – 38, hier S. 20 ff., S. 24; Gerd Heinrich, Festung, Flîchtlingsstadt und Fîrstenresidenz. Zur Entwicklung und Raumfunktion brandenburgisch-preußischer Neustdte im 17. und 18. Jahrhundert, in: Abhandlungen aus der Pdagogischen Hochschule Berlin, 1: Aus Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften, hg. von Walter Heistermann, Berlin 1974, S. 137 – 177, hier S. 146 ff.; H. Lorenz, Tradition … (s. Anm. 386), S. 2, S. 5 – 8; „Necessitt“: W. Neugebauer, Friedrich III. … (s. Anm. 343), S. 113; siehe auch P. Baumgart, Der deutsche Hof … (s. Anm. 371), S. 27; vgl. Johannes Kunisch, Hofkultur und hçfische Gesellschaft in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus, in: A. Buck, u. a. (Hg.), Europische Hofkultur … (s. Anm. 371), 3, S. 735 – 744, hier S. 737 ff. 420 Otto Krauske, Aus einer geschriebenen Berliner Zeitung vom Jahre 1713, in: SchrrVGBerlin 30, Berlin 1893, S. 97 – 129, hier S. 107; vgl. Carl Hinrichs, Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., zuerst 1956, wieder in: Ders., Preußen … (s. Anm. 324), S. 90 – 137, hier S. 114, S. 120 f.

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Teil abgedankt, die Festkultur drastisch reduziert.421 Die çkonomischen Folgen fîr die Residenzstadt waren wohl dramatisch. Noch 1713 ist das alles nicht nur von den Betroffenen, sondern auch im Ausland mit großer Aufmerksamkeit beobachtet worden. Zeitschriften, wie die (wohl in Leipzig erscheinende) „Europische Fama“, spezialisiert auf die Ausdeutung der Symbolsprache der hçfischen Gesellschaft, wußten sofort dem lesenden Publikum nicht nur von der Reduktion der Residenzlandschaft zu berichten, sondern auch davon, daß „viele unnçthige Bediente abgeschafft“ worden seien, whrend Friedrich Wilhelm „am meisten vor seine Militz“ sorge, die er – auch das wußte dieses Organ bereits – auf 50.000 Mann bringen wolle; und das, obwohl – bisher – „der Kçnigl. Preußische Hoff vor einen der prchtigsten paßiret“ habe, was auch auf kostbare Gebude und kçstliche Sammlungen zugetroffen htte.422 Was er am Hof spare, das wende er unmittelbar an den Ausbau der Armee, „alle andere Divertiments sind ihm ein Greuel, welches die beyden Kçnigl. Garte(n) zu Berlin und Oranienburg schon erfahren: Aus deren ersterem ein Waffen-Platz zum Exerciren der Soldaten, aus dem andern aber ein gemeiner Obst-Garten, gemacht werden mîssen. Wie stark“, rsoniert diese Zeitschrift weiter im Jahr 1714, „sich eigentlich seine Armee belauffe, ist unbekannt, iedoch gibt sie allen Benachbarten eine große Ombrage [Argwohn], und an was Orten diese emploiret werden mçchte, da dçrffte es kurtze Arbeit setzen. Weilen Ihre Majestt gantz anders gesittet, als Dero Vorfahren, und im Regiments-Wesen große Reformen gemacht, so hat es allerhand Redens und Schreibens davon gesetzet“. Von Reformen ist also schon sehr bald auch in der §ffentlichkeit die Rede gewesen, doch hieße es die Mçglichkeiten des Ausbrechens aus der zeittypischen Formensprache politischen Verkehrs grîndlich mißzuverstehen, wollte man sich Preußen nach 1713 als Staat ohne Hof vorstellen. Der diplomatische Verkehr, etwa bei Empfngen von Gesandten, ließ sich ohne politische Komplikationen nicht aus den andernorts îblichen Formen, verbunden mit dem entsprechenden Aufwand hçfischer Ausstattung, herauslçsen. Schon ein Ortswechsel von Berlin nach Charlottenburg mußte bei dem betroffenen Diplomaten die Besorgnis auslçsen, ob damit nicht etwa eine Verkîrzung seines Ranges oder gar der Magnifizens seines Auftraggebers verbunden sein solle oder dies von politischen 421 C. Hinrichs, Regierungsantritt … (s. Anm. 420), S. 101 – 105, S. 107, S. 109 ff., S. 114; G. Oestreich, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 398), S. 44 ff.; Rudolph Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. in seiner Thtigkeit fîr die Landescultur Preussens (= PubllPreussStaatsarch, 2), Leipzig 1878, ND Osnabrîck 1965, S. 24; (A. B. Kçnig), Versuch einer Historischen Schilderung … (s. Anm. 235), hier: 4. Tl., 1, Berlin 1796 (auch als ND Berlin 1991), S. 8 – 10; J. Kunisch, Residenzen … (s. Anm. 358), S. 181, und P. Baumgart, Der deutsche Hof … (s. Anm. 371), S. 30. 422 Interessante zeitgençssische Quelle: Die Europische FAMA, Welche den gegenwrtigen Zustand der vornehmsten Hçfe entdecket, Der 142. Theil, (Leipzig) 1713, S. 798, folgendes Zitat: 157. Tl., (Leipzig) 1714, S. 39.

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Konkurrenten spter einmal so gedeutet werden kçnnte. Erst recht mußte bei einem Besuch auswrtiger Fîrsten gezeigt werden, daß Preußen in der Lage war, bei hçfischen und kulturellen Ausdrucksmitteln mitzuhalten. An die Stelle permanenten trat fallweiser Prunk, dessen Aufwand unter strenger Kontrolle einer rechenhaften Hofçkonomie stand. Friedrich Wilhelm I., der aber durchaus auch eine kînstlerische Ader besaß und sich selbst ja auch malend versuchte, kontrollierte hçchstpersçnlich den Aufwand dieses okkasionellen Prunks. Aufwendiges Silbergert und -geschirr im Berliner Schloß, z. T. angefertigt von sîddeutschen Silberschmieden, wurde zum Staatsschatz gerechnet, es wurde bei Monarchenbesuchen benutzt, war aber im Kriegs- und Krisenfall auch geeignet, kurzerhand in die Mînze geschickt zu werden, wie es denn nach 1740 auch geschehen ist. Man darf in dieser Praxis eine eigentîmliche Rationalisierung des politisch-kulturellen Strukturelementes „Hof“ erkennen, nicht einen radikalen Bruch mit dem Stil der hçfischen Gesellschaft im Europa der Barockkultur. Es handelte sich um eine dringend erforderliche modernisierende Anpassung politisch-kultureller Praktiken an die begrenzten Ressourcen Brandenburg-Preußens. Das ist ein Beispiel fîr die entschlossene Radikalitt Friedrich Wilhelms I., mit der dieser Monarch innenpolitischer Arbeitsaskese aus religiçsem Impuls vorhandene Strukturen nicht vçllig neu schuf oder zerbrach – sondern formte.423 Und diese Beobachtung (beziehungsweise diese Formel) gilt auch in einem sehr viel weiteren Sinne, ja sie kennzeichnet îberhaupt das Verhltnis dieser Herrscherperson zu den politischen (und sozialen) Strukturen BrandenburgPreußens bis 1740. Wenn wir aber die Strukturformung Brandenburg-Preußens in der Zeit von 1713 bis 1740 beschreiben wollen, mîssen wir zunchst betrachten, wie Friedrich Wilhelm I. praktisch regiert hat, mit welchem Apparat, vielleicht auch welchen Techniken. Damit tritt ein Stîck Herrschaftsalltag monarchischer Autokratie ins Blickfeld, der in manchem vergleichbar war etwa mit den Verhltnissen im alten §sterreich,424 in Preußen aber signifikant zugespitzt, ja radikalisiert. Wer sich mit dem preußischen Absolutismus und den Autokraten beschftigt, d. h. mit denjenigen, die Preußen im 18. Jahrhundert geprgt und damit auch allgemeine Geschichte geschrieben haben, der muß sich mit ihrer 423 W. Neugebauer, Staatsverwaltung … (s. Anm. 419), S. 255 ff., und passim; Wolfgang Neugebauer, Hof und politisches System in Brandenburg-Preußen: Das achtzehnte Jahrhundert, in: JbGMitteldtld 46 (2000), S. 139 – 169, hier S. 143 – 151; J. Kunisch, Hofkultur … (s. Anm. 419), S. 740; Friedrich Mielke, Potsdamer Baukunst. Das klassische Potsdam, Frankfurt am Main/Berlin 21991, S. 22; A. B. Kçnig, Versuch … (s. Anm. 235/421), Tl. 4/1, S. 335, Tl. 4/2, S. 106 – 108. 424 Wolfgang Neugebauer, Monarchisches Kabinett und Geheimer Rat. Vergleichende Betrachtungen zur frîhneuzeitlichen Verfassungsgeschichte in §sterreich, Kursachsen und Preußen, in: Der Staat 33 (1994), S. 511 – 535.

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Regierungs- und Herrschaftsweise vertraut machen. Es handelt sich um die Regierung aus dem Kabinett. 425 Auch deshalb war es erforderlich, einen Blick auf die formative Bedeutung der Kronprinzenzeit und auf Wusterhausen zu werfen, weil Friedrich Wilhelm I. dort bereits Techniken erprobt und entwickelt sowie mancherlei Personal herangezogen hatte, das er nun in den Dienst des Gesamtstaates stellte. Dort auf dem Teltow hatte Friedrich Wilhelm zur Fîhrung der Amts-Regierung den îblichen Behçrdenschriftwechsel im Kleinen nachgeahmt, dabei aber an die Stelle îblicher Herrscherreskripte mit Titulatur und kalligraphisch aufwendigen Kurialen eine Form knapper Verfîgungen im Resolutionsstil eingefîhrt, wobei er sich an die monarchischen Handschreiben und Briefe anlehnte. So gingen etwa an den Wusterhausener Amtmann kurze, ganz rasch zu fertigende Dekrete auf kleineren (Quart-) Blttern und unter Verzicht auf jede Verzierung. Dafîr brauchte man keine schwerfllige Kanzlei; das prinzliche Privatsekretariat konnte diese Verfîgungen in kîrzester Zeit anfertigen und dem Herrn vorlegen, der sie vollzog, ohne etwa irgend einen Amtstrger vorher zu befragen oder das Stîck zur Mitunterzeichnung vorzulegen. Der sptere Minister Ehrenreich Bogislav von Creutz taucht in diesem Zusammenhang frîh beim kînftigen Monarchen auf, wiewohl er zunchst als Militrjurist diente. Auch die sptere Praxis, auf schriftliche Berichte durch knappe Resolutionen, durch Marginaldekrete zu entscheiden, ist schon in dieser Probezeit monarchischer Regierungsformen entwickelt worden.426 Nach 1713 ist dann diese „Privatkanzlei“ Friedrich Wilhelms in sein „Kabinett“ umgewandelt worden.427 Die lteste nachweisbare Kabinettsordre, mit der nun jener Typ unpetentiçs-unzeremonialer Handschreiben auch in der gesamtstaatlichen Regierungsweise Eingang fand, stammt aus der Zeit gut einen Monat nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., und zwar vom 1. April 1713.428 Eine Grîndungsurkunde fîr diese Institution, die zunchst bis in die Stein-Hardenbergische Zeit und in neuer 425 Wolfgang Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam. Eine verfassungsgeschichtliche Studie zur fîrstlichen Zentralsphre in der Zeit des Absolutismus, in: Ders., Potsdam-Brandenburg-Preussen. Beitrge der Landesgeschichtlichen Vereinigung fîr die Mark Brandenburg zur Tausendjahrfeier der Stadt Potsdam (= JbBrandenbLdG, 44), Berlin 1993, S. 69 – 115, passim; vgl. oben Anm. 424. 426 Zu Wusterhausen vgl. oben bei Anm. 399; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 74, S. 104, S. 214 f., S. 342 ff. 427 So M. Kohnke, Kabinettsministerium … (s. Anm. 399), S. 316 f.; Carl Hinrichs (Hg.), Der allgegenwrtige Kçnig. Friedrich der Große im Kabinett und auf Inspektionsreisen, nach teils unverçffentlichten Quellen, Berlin 1940, S. 71. 428 Melle Klinkenborg, Die Stellung des Kçniglichen Kabinetts in der preußischen Behçrdenorganisation, in: HohenzJb 19 (1915), S. 47 – 51, bes. S. 49 ff. und das Faksimile S. 50; Max Lehmann, Der Ursprung des preußischen Kabinetts, zuerst 1889, wieder in: Ders., Historische Aufstze und Reden, Leipzig 1911, S. 153 – 157, S. 367 – 369, hier S. 153 ff.

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Form bis 1918 bestanden hat, gab es nicht. Die Regierung aus dem Kabinett ist ein Produkt der Herrschaftspraxis, aber diese ist bereits in der frîhen Zeit dieses Kçnigs nachzuweisen. Die Ausstattung dieser „Institution“, nicht eigentlich einer Behçrde, war in Preußen whrend des 18. Jahrhunderts stets nur rudimentr, was freilich auch Flexibilitt zur Folge hatte. Ein Kabinettssekretr stand ganz am Anfang, wenngleich eine vorsichtige personelle Ausweitung alsbald einsetzte, und ein Mann aus dem Kabinettspersonal konnte den Herrscher, etwa wenn er das Land inspizierend bereiste, jederzeit begleiten. Bisweilen zeigen die Ausfertigungen auf den ersten Blick, daß sie rasch und improvisiert niedergeschrieben worden sind, in großer Eile, und ab und zu ist auch erkennbar, daß mit der autokratischen, aus dem tradierten Beratungsgang der schwerflligen Kollegien gelçsten Form der Entscheidung auch inhaltlich die sehr persçnliche Handschrift dieses Herrschers verbunden war. Anfangs hat Friedrich Wilhelm I. noch neben der Regierung aus seinem Kabinett auch diejenige aus den nun îber hundert Jahre alten Ratsgremien fortgefîhrt, d. h. er hat noch an den Sitzungen jenes altehrwîrdigen Geheimen Rates teilgenommen, der ja kurz nach 1600 geschaffen worden war, als eben Kurbrandenburg anfing, in die grçßeren europischen Zusammenhnge einzutreten. Sehr wohl hat sich Friedrich Wilhelm I. im Rat aber nicht gefîhlt, und dies hatte Grînde struktureller Signifikanz. Denn in diesem Rat sah sich der Monarch seinen hohen Ministern und Amtschefs gegenîber, diese nahmen durchaus nicht nur Weisungen entgegen, sondern sie formulierten auch ihre Positionen; diese waren aber durchaus nicht immer mit derjenigen des Monarchen identisch. Diese Ratssitzungen waren also (noch) nicht rein formale Versammlungen, sondern in ihnen wurde diskutiert. Dabei konnte es passieren, daß ausgerechnet Friedrich Wilhelm I. mit der Forderung konfrontiert wurde, doch die Truppen zu reduzieren und die Mittel anderen Zwecken zuzuwenden.429 Die Steigerung der monarchischen Autokratie zum preußischen Typus der Regierung aus der (relativen) Abgeschiedenheit seines hçchstpersçnlichen Arbeitszimmers, eben seines „Kabinetts“, hatte also zunchst einmal das gesteigerte Distanzbedîrfnis des Autokraten vom hochabsolutistischen Schlage zur Grundlage; eine gewisse Unsicherheit Friedrich Wilhelms I. hinsichtlich seiner Wirkung bei mîndlichen Konfrontationen mag als persçnliches Moment hinzugetreten sein, jedenfalls glaubte er offenbar, in allen Angelegenheiten der 429 Carl Hinrichs, Die preußische Zentralverwaltung in den Anfngen Friedrich Wilhelms I., zuerst 1958, wieder in: Ders., Preußen … (s. Anm. 324), S. 138 – 160, hier S. 148 – 151, S. 157 f.; H. O. Meisner, Die monarchische Regierungsform … (s. Anm. 44), S. 230 ff.; W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 76 ff.; Heinrich Otto Meisner, Zur neueren Geschichte des preußischen Kabinetts, in: ForschBrandPrG 36 (1924), S. 39 – 66, hier S. 39.

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Innen-, Finanz- und der Militrpolitik sich besser allein auf den schriftlichen Verkehr mit seinen Ministern und Prsidenten stîtzen zu sollen; das sicherte Informationen und minimierte doch Versuche zudringlicherer Einflußnahme. Indem sich der Monarch also aus den Sitzungen der ordinren Kollegen zurîckzog, whlte er zunehmend zugleich andere Residenzorte als seine kleine Wohnung im Berliner Schloßkomplex. Potsdam und Wusterhausen traten in jahreszeitlicher Konzentration als Residenzorte hervor, in Anknîpfung an Traditionen, die sich (sptestens) seit der Zeit Kurfîrst Friedrich Wilhelms aufzeigen lassen.430 Die rumliche Distanzierung des hochabsolutistischen Monarchen von seiner Hauptresidenzstadt mit ihren dortigen Kollegien und der Amtstrgergesellschaft ist allerdings im Prinzip kein brandenburg-preußisches Spezifikum, ja man hat in dieser Hinsicht geradezu von einem „Gesetz des Absolutismus“ gesprochen.431 Die gesuchte Ferne des Monarchen von der Hauptstadt ist als solche ja auch etwa in Versailles, mit Schçnbrunn (nach 1740), in Ludwigsburg und anderen Orten zu beobachten,432 allerdings wîrde eine genauere, vergleichende Analyse beweisen, daß in Preußen unter Friedrich Wilhelm und dann unter Friedrich dem Großen dieser Schritt insofern ein sehr viel radikalerer gewesen ist, als hier die rumliche und funktionale Distanzierung des Monarchen von der Landesverwaltung und ihrem Apparat mit zugespitzter Konsequenz erfolgte.433 In Potsdam gab es keine Palais preußischer Minister. Wenn der Kçnig îberhaupt Minister persçnlich empfing, so handelte es sich um diejenigen des Departments der auswrtigen Affren. Auf diesem Felde fîhlte sich Friedrich Wilhelm I. ganz besonders unsicher, hier bedurfte er – zumal angesichts seiner undiplomatischen Impulsivitt – besonders dringend intensiver Begleitung. Wenn er aber nun mit Ministern zusammen traf, dann – und das war herrschaftspraktisch sehr wohl von Bedeutung – nicht in deren Amtsrumen oder in der Geheimen Ratsstube. Nach der ˜bergangszeit der Anfangsjahre wurden sie vom 430 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 78 ff., S. 100 ff.; Ders., Potsdam-Berlin … (s. Anm. 383), S. 278 ff. und die Belege S. 290 ff. 431 C. Hinrichs, Zentralverwaltung … (s. Anm. 429), S. 147. 432 Fritz Wagner, Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklrung. Die Einheit der Epochen, in: Ders. (Hg.), Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklrung (= Handbuch der europischen Geschichte, 4), Stuttgart 1968, S. 1 – 163, hier S. 113; H. Duchhardt, Absolutismus … (s. Anm. 282), S. 51 (1. Aufl.); Hannelore Lehmann, Potsdam-Versailles. Zum Problem der hauptstadtnahen Residenzstadt, in: Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik. Wissenschaftliche Mitteilungen 1988, 3, S. 17 – 26, hier S. 19 f.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 155. 433 S. Anm. 430 und die komparatistischen Passagen bei W. Neugebauer, Monarchisches Kabinett und Geheimer Rat … (s. Anm. 424), S. 515 – 523; Ders., Staatsverwaltung … (s. Anm. 419), S. 252 – 257.

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Kçnig zur Einzelaudienz empfangen und zwar in seinen Zimmern.434 Die Außenminister trugen wohl auch deshalb den – missverstndlichen – Titel von Kabinettsministern, weil sie noch vergleichsweise hufig in das Arbeitszimmer beziehungsweise spter in den Audienzraum vorgelassen wurden. Fîr die Kollegen der inneren oder der Justizdepartments war dies stets die große Ausnahme. Nur jeweils im Juni wurde zwischen dem Kçnig und den Herren vom Finanzund Kameralfach eine große Hauptkonferenz gehalten, in der es um die Grundzîge der Finanzpolitik ging. Diese „Ministerrevue“, wie der leicht spçttische Name dann lautete, ist als Praxis auch von den Nachfolgern Friedrich Wilhelms I. beibehalten worden. Zur Distanz des Kabinetts zu den politischen Zentral- und Provinzialorganen in Berlin trug nicht wenig dazu bei, daß das Kabinettspersonal, das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts formal korrekt den Sekretrstitel trug – sieht man von der ganz frîhen Zeit Friedrich Wilhelms I. einmal ab – nur aus Bîrgerlichen bestand. Der Aufstieg aus dem Konzipientendienst im Kabinett etwa gar in Ministerrnge wurde zunchst selten und nach 1740 gnzlich unîblich.435 Unter den Kabinettssekretren und dem alsbald, besonders nach 1740 hinzukommenden Hilfspersonal u. a. fîr Dechiffrierttigkeiten sei beispielhaft der wohl typischste und gewiß sehr einflußreiche Kabinettssekretr August Friedrich Eichel436 hervorgehoben. Er war 1698 in Berlin geboren worden, und zwar als Sohn eines schlichten Feldwebels, hatte aber in Halle an der Saale studiert, und zwar die Jurisprudenz. Seit 1730 war er als Kabinettssekretr in 434 Hermann Hîffer, Die Kabinettsregierung in Preußen und Johann Wilhelm Lombard. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Staates vornehmlich in den Jahren 1797 bis 1810, Leipzig 1891, S. 47 f.; W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 102; Reinhold Koser, Die Grîndung des Auswrtigen Amtes durch Kçnig Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1728, zuerst 1889, wieder in: Ders., Zur preußischen und deutschen Geschichte, Stuttgart/Berlin 1921, S. 64 – 109, hier S. 103 f.; Ministerrevue: W. Neugebauer, Potsdam-Berlin … (s. Anm. 383), S. 285; Otto Hintze, Der preußische Militr- und Beamtenstaat im 18. Jahrhundert, zuerst 1908, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 419 – 428, hier S. 425. 435 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 79 – 100; Hermann Hîffer, Die Beamten des lteren preußischen Kabinetts von 1713 – 1808, in: ForschBrandPrG 5 (1892), S. 157 – 190, hier S. 159 – 182; C. Hinrichs, Zentralverwaltung … (s. Anm. 429), S. 151 ff.; Stand um 1740: O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 63 ff.; und Hans Rosenberg, Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy. The Prussian Experience 1660 – 1815, Boston 21966, S. 68, S. 149. 436 Johannes Schultze, August Friedrich Eichel, in: Mitteldeutsche Lebensbilder, 5, Magdeburg (1930), S. 86 – 102, bes. S. 86 – 89, S. 93 – 98 und passim; dazu Ders., Die Herkunft August Friedrich Eichels, in: ForschBrandPrG 46 (1934), S. 194 f.; W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 85 – 91; Johann David Erdmann Preuß, Friedrich der Große. Eine Lebensgeschichte, 1, Berlin 1832, S. 350; Reinhold Koser (Bearb.), Preußische Staatsschriften aus der Regierungszeit Kçnig Friedrichs II., 1, Berlin 1877, S. 479 f., S. 570.

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unmittelbarer Umgebung des Kçnigs ttig, und dies fîr knapp drei Jahrzehnte auch unter Friedrich dem Großen. Der Sekretr, dem manche im dienstlichen Schriftwechsel zur Sicherheit das Adelsprdikat beilegten, weil man sich kaum vorstellen konnte, daß ein Mann dieses Einflusses ein Nichtadliger war, besaß wie manche seiner Vorgnger und Nachfolger erheblichen Einfluß. Denn wenn er auch weiterhin eigenhndig nach kurzer mîndlicher Weisung des Kçnigs oder nach einer knappen, marginalen Notiz des Monarchen auf einem Aktenstîck die ausgehenden Kabinettsordern437 oder die internen Register (Minîten) niederschrieb, so besaß er doch aus seinem tglichen Umgang mit dem Monarchen in Potsdam, in Wusterhausen oder – selten – in Berlin auch evident große Chancen zur Einwirkung auf die Entscheidungen. Deshalb war er, der sich etwa Kontaktversuchen auswrtiger Diplomaten strikt entzog, durchaus geachtet, aber nicht beliebt. Aus den Hnden der Kabinettssekretre empfingen die adligen Minister die kçniglichen Bescheide, und manche bedeutsame Aktion wurde durch ein Bîndnis von Minister und Kabinettssekretr erst mçglich gemacht.438 Die Distanz des Kabinetts, sowohl in rumlicher als auch in sozialer und in funktionaler Hinsicht, schuf fîr jedermann, fîr Minister und fîr einfache Untertanen eine Grundkonstellation der Unkalkulierbarkeit. Das hieß freilich auch, daß hohe Amtstrger nie sicher sein konnten, daß nicht einfache Untertanen oder auch kollektive Bauerngemeinden direkt und unter Umgehung der Kollegien im Schloß und anderswo die Sache vor die Monarchen brachten. Aus der Sicht des Kçnigs war die tatschlich praktizierte Zugnglichkeit fîr die Untertanen, sei es in der Residenz oder auf Reisen, ein wichtiges Herrschaftsmittel, erhielt er doch auf diesem Wege Informationen, die ihm auf dem Instanzenweg nicht zugnglich gemacht wurden. Fîr Jahrzehnte war dieses Element monarchischer Unmittelbarkeit ein Signum des altpreußischen Staatsalltags, wie auch die Akten, etwa solche aus einzelnen Bauerndçrfern des 18. Jahrhunderts zeigen. Es ist zu vermuten, daß mancher Mythos spterer Zeiten aus diesen Erfahrungen gespeist worden ist. Man rechnet die Zahl der Kabinettsordern beziehungsweise Kabinettsdekreten, d. h. (in aller Regel439) eigen437 Martin Hass, ˜ber Aktenwesen und den Kanzleistil im alten Preußen, in: ForschBrandPrG 22 (1909), S. 521 – 575, hier S. 534 f.; Heinrich Otto Meisner, Aktenkunde. Ein Handbuch fîr Archivbenutzer mit besonderer Berîcksichtigung Brandenburg-Preußens, Berlin 1935, S. 86 f., S. 131, S. 163; Ders., Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Gçttingen 1969, S. 136, S. 144, S. 150 – 161; Jîrgen Kloosterhuis, Kabinetts-Minîten, in: Klaus Dettmer (Hg.), „Es wchst zusammen, was zusammengehçrt“. Beitrge zum wissenschaftlichen Kolloquium zu Ehren von Jîrgen Wetzel am 25. November 2003 im Landesarchiv Berlin (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, 7), Berlin 2004, S. 25 – 62, bes. S. 28 ff. – zum Geschftsgang; zu den Minîten S. 36 ff. 438 Vgl. allgemein H. Hîffer, Beamten … (s. Anm. 435), S. 157 ff. 439 Zu den gesundheitlich bedingten Ausnahmen unter Friedrich II. vgl. W. Neugebauer, Preußisches Kabinett … (s. Anm. 425), S. 77.

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hndig unterzeichneter und von keinem Minister etwa kontrasignierter Weisungen der preußischen Kçnige im 18. Jahrhundert seit 1713 auf mehrere hunderttausend. Allein die Produktion des preußischen Kabinetts im Jahre 1806, und zwar vom Januar bis zum September, beluft sich nach Aussage der Register auf 5.994 Stîcke.440 Kabinettsorder konnten durchaus auch allgemeinerere Weisungen, solche îber den Einzelfall hinaus und solche mit Gesetzeskraft sein, d. h. „normative Kabinettsordern“, die der Herrscher in kîrzester Frist, innerhalb weniger Stunden fertigen und ins Land gehen lassen konnte. ˜ber die materielle Ausstattung des Kabinetts unter Friedrich Wilhelm I. ist wenig bekannt; immerhin lassen sich seit etwa 1730 – einem Zeitraum, der uns noch einmal begegnen wird – auch Anfnge einer ressortmßigen Gliederung der Zustndigkeiten und Arbeitsgebiete unter dem Kabinettspersonal erkennen, das tglich mehrere Stunden mit dem Monarchen – und zwar seit dem frîhesten Morgen – zu arbeiten hatte, wobei natîrlich auch beratende Funktionen in die Praxis eingeflossen sind. Die Kabinettssekretre, das kçnnen wir sagen, besaßen in Potsdam eigene Huser; schon unter Friedrich Wilhelm I. hatte diese Institution also hier und nicht in Berlin ihren Schwerpunkt. In ihren Husern haben im 18. Jahrhundert die Herren des Kabinetts die eigentliche Schreibarbeit erledigt und dort auch die Akten, sofern sie nicht beim Kçnig im (Stadt)Schloß bençtigt wurden, aufbewahrt. Das Kabinett als Ort war das Schreib- und Arbeitszimmer des preußischen Kçnigs.441 Es versteht sich von selbst, daß in dieser Praxis maximierter Autokratie auch ihre Grenzen lagen. Einen „allgegenwrtigen Kçnig“ hat es im 18. Jahrhundert nie gegeben, auch nicht unter den vergleichsweise îberschaubaren Verhltnissen bis 1740 bei freilich weit verstreutem Staatsgebiet. Die maximale ˜bertragungsgeschwindigkeit von Informationen und zugleich von Personen war abhngig von Wetter und Wegeverhltnissen und von der Qualitt der verfîgbaren Kurierpferde. An geordneter Aktenfîhrung hat es beim Kabinett und in Berlin noch lange gefehlt,442 um so dringender waren Techniken der unbîrokratischen Informationsbeschaffung, wozu auch das Supplikenwesen, eben die Praxis von 440 Zahlen: Walther Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung (= Studien zur Geschichte Preußens, 18), Kçln/Berlin 1973, S. 223; 1806: Gerhard Ritter, Stein. Eine politische Biographie (1), Stuttgart/Berlin 1931, S. 488 Anm. 29. 441 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 83 ff., Ausstattung: S. 100 – 115; vgl. Friedrich Fçrster, Friedrich Wilhelm I. Kçnig von Preussen, 1, Potsdam 1834, S. 193 – 196; Gustav Schmoller, Die innere Verwaltung des preußischen Staates unter Friedrich Wilhelm I., in: PreussJbb 25 (1869), S. 575 – 591, hier S. 589. 442 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Schloß und Staatsverwaltung im Hochbarock/Absolutismus, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Schloß und Schloßbezirk in der Mitte Berlins. Das Zentrum der Stadt als politischer und gesellschaftlicher Ort (= PubllHistKommBerlin), Berlin 2005, S. 75 – 88, hier S. 87, u. ç.

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direkt an den Kçnig gesandten Bittschriften oder auch die Tradition, mit Untertanen direkt den Kontakt zu suchen, gehçrte. Unter Friedrich Wilhelm I. und unter seinem Sohn war es fîr Untertanen auf dem Lande immerhin eine Mçglichkeit, Konflikte im çstlichen Krftegefîge, seien es solche mit der Herrschaft oder etwa mit dem Pfarrer, dadurch zu beeinflussen, daß man den Weg zum Kçnig – schriftlich oder unmittelbar – beschritt. Die Bittschriftenpraxis der Untertanen lßt gewisse Regelhaftigkeiten, ganz offenbar relativ erfolgversprechende, in der Praxis ausgebildete Techniken erkennen, mit denen man den Kontakt zum Monarchen herzustellen verstand, um so – ohne zensierende Kontrolle durch Amtsverkehr oder Ministerwînsche – Informationen an den Kçnig gelangen zu lassen. Die Akten bergen Exempel aus dieser Praxis. Sie bot selbstverstndlich keinerlei rechtliche Gewhr, schon gar nicht Ansprîche, aber es war ein Instrument fîr die vielen kleinen lokalen „Konfliktgemeinschaften“ – eines zum Nutzen von Herrscher und Untertanen.443 Zur potentiellen Unmittelbarkeit autokratischer Herrschaft im Preußen des Hochabsolutismus trug die inspizierende Reisepraxis der beiden großen Kçnige nicht wenig bei. Die Revuereisen Friedrich Wilhelms I. hatten noch „kein planmßiges System“;444 in Ostpreußen ist er 1721, 1722, 1726, 1728, 1731, 1736 und 1739 gewesen, und dies bei wachsenden kçrperlichen Leiden. In der Regel wollte er die Provinzen alle drei Jahre persçnlich bereisen. Unter Friedrich II. ist dann auch diese Praxis weiter entwickelt und, wenn man so will, rationalisiert worden, wobei sich eine bestimmte Reihenfolge der betroffenen Provinzen herausbildete. Die Begleitung des Monarchen war stets eine kleine; ein Mann des Kabinetts, etwa Eichel, war immer beim Kçnig, von îberall aus konnten die Ordern in die Monarchie geschickt werden. An den Orten, an 443 W. Neugebauer, Neuere Deutung … (s. Anm. 243), S. 565 – 578; zur preußischen Supplikenpraxis mit weiterer Lit. W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 102 – 104; Ders., Potsdam-Berlin … (s Anm. 383), S. 285 f.; jetzt fîr das ausgehende 18. Jahrhundert Birgit Rehse, Die Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen. Eine Untersuchung am Beispiel der Kurmark unter Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797) (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 35), Berlin 2008, S. 84 – 94, S. 129 ff. und passim; zur Kategorie der „Erreichbarkeit und Zugnglichkeit als Herrschertugend“ an westlichem Material Illustrationen bei Michael Kaiser, Nhe und Distanz. Beobachtungen zum Verhltnis zwischen den Landstnden von Kleve und Mark und ihrem Landesherrn im 17. Jahrhundert, in: Westflische Forschungen 53 (2003), S. 71 – 108, hier S. 72, vgl. S. 96, S. 101 – in einem weiteren Sinne. 444 Ernst Pfeiffer, Die Revuereisen Friedrichs des Grossen, besonders die Schlesischen nach 1763 und der Zustand Schlesiens von 1763 – 1786 (= HistStud, 44), Berlin 1904, ND Vaduz 1965, S. 18, weiter S. 19 – 39, S. 44 ff. und passim; Ostpreußen: R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 421), S. 142; G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 153; C. Hinrichs, Zentralverwaltung … (s. Anm. 429), S. 157; Ders., Allgegenwrtiger Kçnig … (s. Anm. 427), S. 126, S. 128, S. 131, S. 134 f., S. 138, S. 210 – 233 und passim.

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denen die Pferde, der Vorspann gewechselt zu werden pflegte, konnten sich dann die Supplikanten auf dem Lande versammeln, die dann auch ins Gesprch gezogen wurden. Der Kçnig wohnte bevorzugt bei Kaufleuten, was wiederum der Informationsbeschaffung diente. Das alles waren auch „massenwirksame“ Herrschaftstechniken, im deutlichen Kontrast zur (Selbst-)Isolation anderer Herrscher zu dieser Zeit. Die mentalittsgeschichtlichen Folgen der stilisierten Untertanennhe des Kçnigs, die im Berlin unter Friedrich Wilhelm I. bisweilen als etwas Bedrîckendes empfunden worden zu sein scheint, darf nicht îbersehen werden.445 Das alles war nicht nur Praxis, und schon gar nicht war es Zufall. Bereits Friedrich Wilhelm I. hat in seinem politischen Testament von 1722, in dem er die Grundstze seiner Regierungsfîhrung seinem Sukzessor in eigenhndiger Niederschrift ans Herz legte, zur umfassenden und persçnlichen Herrschaftsfîhrung aufgefordert: „den(n) ein Regente der mit honneur in die weldt Regiren will mus seine affehren alles selber tuhn, also sein die Regenten zur arbeit erkohren und nicht zum flascken faullen weiberlehben“, und er ließ sofort – und sehr bezeichnend fîr die in alles hineinwirkende persçnliche Frçmmigkeit dieses Monarchen – die religiçse Begrîndung folgen. Gott habe den Kçnig „auf den trohn gesetzet nicht zu faullentzen sondern zu arbeitten und seine Lender wohll zu Regieren“.446 Er selbst, so schrieb er bei gleichem Anlaß, habe von seinen „bedinte(n) wenig assistentz geha(b)t“, sei aber „von Ihnen … directe und indirecte conterkarriert worden“. Der „Kçnnig in Preussen“ mîsse einer sein, „der selber alles Regiret und sich nicht durch die Ministr¤s sich leßet bey der Nahse fîhren“. Vor allem Finanzen und Armee mîßten alleinige Sache des Herrschers sein. Dies alles zeigt erneut Distanzen, Distanzen des Kçnigs zu seinen „Bedienten“, als die er – in hçchst typischer Diktion – seine hçchsten Amtstrger ansah. Der preußische Absolutismus ist also – hinsichtlich der unmittelbaren Praxis monarchischer Herrschaft und ihrer Ausîbung – dadurch gekennzeichnet, daß die bedeutenden Monarchen des 18. Jahrhunderts die persçnliche Regierungsfîhrung zu erzwingen suchten. Sie taten dies in einer im europischen Maßstab 445 Norbert Conrads, Politischer Mentalittswandel von oben. Friedrichs II. Weg vom Gewinn Schlesiens zur Gewinnung der Schlesier, in: Peter Baumgart (Hg.), Kontinuitt und Wandel. Schlesien zwischen §sterreich und Preußen. Ergebnisse eines Symposiums in Wîrzburg vom 29. bis 31. Oktober 1987 (= Schlesische Forschungen, 4), Sigmaringen 1990, S. 219 – 236, hier S. 229 ff.; Peter Baumgart, Schlesien als preußische Provinz zwischen Annexion, Reform und Revolution (1741 – 1848), in: G. Heinrich / F.-W. Henning / K. G. A. Jeserich (Hg.), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands … (s. Anm. 353), S. 833 – 872, hier S. 847; A. B. Kçnig, Versuch einer Schilderung … (s. Anm. 235), 4, 1, S. 117. 446 G. Kîntzel / M. Hass, Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 97; folgendes Zitat S. 119, S. 99.

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wenn nicht einzigartigen, so doch seltenen Zuspitzung und Radikalitt. Freilich war der preußische Staat nach 1713 zwar an Flche in Mitteleuropa gewiß bedeutend, aber in allen Provinzen oder Lndern lebten zusammen genau 1.613.587 Einwohner, eine Zahl, die die demographischen Katastrophen der jîngsten Vergangenheit, nmlich die in (Ost-)Preußen widerspiegelt. Im Jahre 1740 wurden – also noch ohne Schlesien – auf demselben Gebiet nun 2.256.500 Zivileinwohner gezhlt,447 was alles die relative ˜berschaubarkeit der Staatsverhltnisse unter Friedrich Wilhelm I. anzeigen mag. Dies muß berîcksichtigt werden, wenn verstanden werden soll, wie die Klammerfunktion von Monarch und Kabinett – mit den ja angezeigten Einschrnkungen – doch immerhin funktionieren konnte, wenngleich nur unter Monarchen von hoher Arbeitskapazitt und dem ausgesprochenen Entschluß, diese Kapazitten auch einzusetzen. Das ging freilich einher mit einem Stil monarchischer Regierungsfîhrung, die sich vom Zeittyp der hçfischen Gesellschaft mit großer Entschlossenheit absetzte. Unter Friedrich Wilhelm I. ist dies geschehen, und unter seiner Regierung wurden diejenigen politischen und administrativen Strukturen herausgebildet, die bis zu den preußischen Reformen im frîhen 19. Jahrhundert in den Grundzîgen unverndert blieben. Sie kennzeichnen die preußischen Staatsstrukturen im Ancien r¤gime und mîssen uns hier daher zunchst beschftigen. Zurecht hat man darauf hingewiesen, daß es das Generalkriegskommissariat war, das die Kontinuitt monarchischer Politik îber die Zeit Friedrichs III./I. hin gewhrleistet hat.448 Die Kriegskommissare hatten sich ja seit den Tagen des Dreißigjhrigen und des Nordischen Krieges als neue Amtstrgerhierarchie entwickelt, und zwar in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts parallel zum Stehenden Heer. Um 1700 hatte dieser Prozeß mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Ziviladministration ausgehend von der Kurmark auch die anderen Lnder des Kurfîrsten-Kçnigs erfaßt, wobei das brandenburgische Vorbild im Sinne von Strukturîbertragungen auch außerhalb der mittleren Kernprovinz nachgewirkt hat.449 Die Instanzen der Kommissare hatten lngst wesentliche Kernmaterien an sich gezogen, die im 17. Jahrhundert noch im Geheimen Rat versammelt und vereinigt waren. Wenn, wie wir sahen, Friedrich Wilhelm I. anfnglich noch im Geheimen Rat erschienen war und Praktiken der Regierung aus dem Rat neben denjenigen aus dem Kabinett fîr eine gewisse Zeit beibehalten hat,450 so hat doch dieses alte kollegiale Zentralorgan des brandenburg447 Otto Behre, Geschichte der Statistik in Brandenburg-Preussen bis zur Grîndung des Kçniglichen Statistischen Bureaus, Berlin 1905, ND Vaduz/Liechtenstein 1979, S. 198. 448 H. Rachel, Merkantilismus … (s. Anm. 265), S. 230. 449 F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 146 – 151; W. Neugebauer, Verhltnis … (s. Anm. 4), S. 189 – 192. 450 Heinrich Otto Meisner, Verfassung, Verwaltung, Regierung in neuerer Zeit (= Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Klasse fîr Phi-

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preußischen Staates alsbald weiter an Bedeutung verloren. Der Schwerpunkt gerade derjenigen Sachmaterien, die fîr den brandenburg-preußischen Militrund Kameralstaat von vitaler Bedeutung waren, verlagerte sich in die speziellen Ressorts, eben die der Kommissariats- und der Kammerverwaltung. Nur noch fîr kurze Zeit im 18. Jahrhundert haben die Chefs dieser Organe noch wichtige Angelegenheiten im Geheimen Rat vorgetragen.451 Der Dualismus von Kommissariats- und Kammeradministration stellte zunchst einen schweren Konstruktionsfehler der preußischen Staatsorganisation dar. Die Kriegskommissariatshierarchie hatte es vor allem mit den steuerfçrmigen Einnahmen zu tun, insbesondere mit der lndlichen Kontribution und der stdtischen Akzise,452 whrend die Kammerverwaltung fîr Domnen und landesherrliche Schatullgîter und die daraus zu ziehenden Einnahmen die Verantwortung trug. Diese Materien waren seit 1713 unter dem Dach des Generalfinanzdirektoriums vereinigt, das an die Stelle der lteren und in der wartenbergschen Zeit neu-, vielleicht auch desorganisierten Hofkammer- beziehungsweise Oberdomnenverwaltung trat. Das Generalfinanzdirektorium wurde zugleich mit der Verwaltung der landesherrlichen Regalien von Post, Forsten, ferner z. B. Berg- und Hîttensachen sowie der Salzadministration betraut. Unter ihm standen ebenso die Amtskammern in den Provinzen wie die kollegial ausgebauten Kommissariate unter dem eben, 1712, neu organisierten Generalkriegskommissariat. Der hohe fiskalische Effizienzdruck, den Friedrich Wilhelm I. – bisweilen mit brachialen Methoden – auf seine Amtstrger auszuîben pflegte, die dadurch gesteigerte Konkurrenz zwischen Kommissariatsverwaltung einerseits sowie Kammer- und Regalverwaltung andererseits453 fîhrte nicht nur zu einer heftigen Rivalitt zwischen den beiden Kameral- und Finanzorganisationen, sondern zu offenen Konflikten. In ihnen kamen auch unterschiedliche Priorittensetzungen der inneren Entwicklung Preußens insofern zum Ausdruck, als das Generalkriegskommissariat eher auf Manufakturfçrderung und merkantilistische Protektionsprinzipien, die Kameralverwaltung des Generalfinanzdirektoriums jedoch auf Agrarfçrderung und eine freihndlerische Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte ausgerichtet war. In diesen Konflikten, in denen also ganz unterschiedliche Programme preußischer Strukturpolitik zum Ausdruck kamen, nahm die Kammeradministration, wie es losophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Jg. 1962, Nr. 1), Berlin 1962, S. 41 Anm. 146; zum Folgenden L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 96 f.; C. Hinrichs, Zentralverwaltung … (s. Anm. 429), S. 148 f.; R. A. Dorwart, Reforms … (s. Anm. 404), S. 39. 451 Vgl. auch O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 369 ff. 452 Vgl. oben bei Anm. 254. 453 O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 371 – 374, zum Generalkriegskommissariat um 1700: S. 375, zum Folgenden S. 377 f.; C. Hinrichs, Zentralverwaltung … (s. Anm. 429), S. 143; A. B. B., 1, S. 363 ff., Nr. 123 (Generalfinanzdirektorium).

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scheint, zudem auf Seiten der Landstnde Partei, wie sie auch die Interessen von Gutsbesitzern und Domnenpchtern fçrderte. Die Konflikte und Reibungen, die bis hin zu Prozessen zwischen beiden Instanzen fîhrten, haben sich îber Jahre hingezogen, in denen der Ausgleich, auch derjenige zwischen den verschiedenen Finanzinteressen nicht gelang und so der çkonomische Effekt des Gesamtstaates eher gefhrdet als gefçrdert wurde.454 Die im 17. Jahrhundert erwachsenen und 1712/13 kollegialisch ausgebauten staatlichen Verwaltungsstrukturen drohten unter dem hohen Effizienzdruck, unter den Friedrich Wilhelm I. seit 1713 den Apparat setzte, disfunktional zu werden. Dies hat Friedrich Wilhelm I., der, wie die Akten beweisen, mit diesen Behçrden permanent und eng zusammenarbeitete, 1722 erkannt, und er hat zur Jahreswende 1722/23 daraus impulsive Konsequenzen gezogen. Gewiß hat sich Friedrich Wilhelm auch dabei beraten lassen, u. a. von dem befreundeten Fîrsten Leopold zu Anhalt-Dessau. Der Chef des Generalkriegskommissariats, ein Proteg¤ Friedrich Wilhelms I., Grumbkow, hatte freilich gegen diejenige Lçsung opponiert, die nun vom Kçnig herbeigefîhrt, man mag auch sagen, herbeigezwungen worden ist.455 In der Abgeschiedenheit eines kleinen Jagdschlosses in der Schorfheide hat Friedrich Wilhelm I. eigenhndig die umfangreiche Instruktion jener Behçrde fast buchstark zu Papier gebracht, die schließlich bis zum Zusammenbruch des alten Preußen die oberste Kameralund Finanzbehçrde sein sollte: das General-, Ober-, Finanz-, Krieges- und Domnendirektorium, kurz das Generaldirektorium genannt. Formaliter wurden beide Kollegien, also Generalkommissariat und Generalfinanzdirektorium, miteinander vereinigt. Die einzelnen Departements der neuen Zentralbehçrde wurden aus beiden Vorgngerkollegien gleichsam zusammengemischt und so der Zwang zu einer rationaleren Kooperation organisiert,456 in diesem, wie man unlngst formuliert hat, „kombinierte(n) Minis454 Hans Haussherr, Verwaltungseinheit und Ressorttrennung. Vom Ende des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Berlin 1953, S. 6 f.; R. A. Dorwart, Reforms … (s. Anm. 404), S. 161 ff., S. 168; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 289; Wilhelm Stolze, Zur Geschichte der Grîndung des Generaldirektoriums, in: ForschBrandPrG 21 (1908), S. 225 – 237, bes. S. 226 ff., S. 230 f., und A. B. B., 3, S. 401 Anm. 1. 455 A. B. B., 3, S. 535 f.; V(ictor) Loewe, Zur Grîndungsgeschichte des General-Direktoriums, in: ForschBrandPrG 13 (1900), S. 242 – 246, hier S. 243 f.; zur Entstehung der Instruktion vgl. Ernst Friedlnder, Kçnig Friedrich Wilhelms I. Entwurf zu der Instruktion fîr das General-Direktorium und Kçnig Friedrichs II. Anmerkungen dazu, in: ZPreussGLdkde 17 (1880), S. 353 – 397, hier S. 353 f.; A. B. B., 3, S. 537 – 575; H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 9; und Bruno Reuter, Kçnig Friedrich Wilhelm I. und das General-Directorium, in: ZPreussGLdkde 12 (1875), S. 724 – 749, bes. S. 727 ff. 456 So H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 16 ff.; neue Erkentnnisee jetzt bei Jîrgen Kloosterhuis, Einleitung. Modernes Zentralverwaltungssystem im

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terium fîr Finanzen, Inneres, Handel und Gewerbe, Bergbau- und Hîttenwesen, Domnen und Forsten sowie fîr die Militrçkonomie“.457 Allerdings gab es einen ganz wesentlichen Unterschied zur rationalen Gliederung der zentralen Verwaltungsordnung, wie sie dann seit den 1780er Jahren zuerst in England und danach in Kontinentaleuropa Einzug hielt und bis zum heutigen Tage in reinen Ressortministerien entgegentritt, die es in Preußen dann seit den Tagen des Freiherrn vom Stein, d. h. seit dem Jahre 1808 gegeben hat. Im Unterschied dazu war der Grad der Staatsbildung im Preußen Friedrich Wilhelms I. daran abzulesen, daß vier der fînf zunchst geschaffenen Departements des Generaldirektoriums noch das Regional- mit dem Real- oder Sachprinzip kombinierten. Das heißt, daß die einzelnen Minister fîr mehrere Provinzen insgesamt zustndig waren, in Berlin residierende Provinzchefs hçherer Art, und daß ihnen dann zustzlich einige wenige ausgewhlte Materien îbertragen wurden, die sie nun fîr den Gesamtstaat zu besorgen hatten. In dieser eigentîmlichen, in der deutschen Staatenwelt dieser Zeit nicht nur einmal begegnenden458 Gliederungslogik kommt schlagend zum Ausdruck, wie stark die Regionalismen auch nach Jahrzehnten absolutistischer Gesamtstaatsbildung geblieben waren. Immerhin wurden die Minister, die aus beiden Vorgngerorganen rekrutiert worden sind, zur gemeinsamen Arbeit verpflichtet, d. h. sie sollten ihre Angelegenheiten, wie es ausdrîcklich in der Instruktion vom Dezember 1722 hieß, „collegialiter, nicht aber in den [das heißt: ihren, W. N.] Husern, wie bisher, tractiren“.459 Damit wird nicht nur ein Schlaglicht darauf geworfen, daß fîhrende Amtstrger die Verwaltung des Staates gleichsam aus ihren Berliner Stadtpalais heraus betrieben, nicht aus – damals in Berlin noch nicht existiepreußischen ancien R¤gime. Grundzîge der Behçrdengeschichte des Generaldirektoriums, in: Ders. (Bearb.), Bestandsgruppen-Analyse Generaldirektorium (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Arbeitsberichte 9), Berlin 2008, S. IX-XXIX, bes. S. XVI f.; zum Generaldirektorium auch Meta Kohnke, Zur Geschichte des Generaldirektorums 1712/22 – 1808, in: Jîrgen Kloosterhuis (Hg.), Aus der Arbeit des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 1), Berlin 1996, S. 47 – 73, hier S. 54 f.; Johannes Schellakowski, Die Instruktion Kçnig Friedrich Wilhelms I. von Preußen fîr das „General-Ober-Finanz-, Krieges und Domnen-Direktorium“ aus dem Jahre 1723, in: Eberhard Laux / Karl Teppe (Hg.), Der neuzeitliche Staat und seine Verwaltung. Beitrge zur Entwicklungsgeschichte seit 1700. Im Auftrage der Freiherrvom-Stein-Gesellschaft (= Nassauer Gesprche der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, 5), Stuttgart 1998, S. 13 – 33, hier S. 17, S. 21 ff. 457 M. Kohnke, Generaldirektorium … (s. Anm. 456), S. 55; W. Hubatsch, Friedrich der Große … (s. Anm. 440), S. 27; die Instruktion: A. B. B., 3, S. 575 – 651, Nr. 280, die Departements: S. 580 ff.; O. Hintze, Die Entstehung der modernen Staatsministerien. Eine vergleichende Studie, zuerst 1908, wieder in: Ders., Staat und Verfassung … (s. Anm. 249), S. 275 – 320, S. 298 ff., Vergleich: S. 290, S. 305 – 320. 458 W. Neugebauer, Neuere Deutung … (s. Anm. 243), S. 582. 459 A. B. B., 3, S. 582.

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renden – Zweckbauten mit systematischer Trennung von staatlichen Herrschaftsmitteln und „privater“ Lebensfîhrung. Beide Bereiche blieben auch nach 1723 noch auf einige Zeit verzahnt, und man mag in der Amtsfîhrung aus den Ministerhusern und aus den Wohnungen anderer Rte und hçherer Amtstrger ein weiteres Indiz fîr Traditionalitten im preußischen Verwaltungsalltag in der Zeit des preußischen Hochabsolutismus erkennen; man denke nur an die großen Probleme mit der Amtsverschwiegenheit in all den Fllen, in denen die Arbeiten in den „Husern“ der Amtstrger, die auch zahlreiches eigenes Hauspersonal beschftigten, durchgefîhrt wurden. Immerhin verlagerte das Prinzip der Kollegialitt die eigentliche Entscheidungsfindung dann doch in die Amtsrume des Generaldirektoriums; sie lagen im neuerbauten Westflîgel des Schlosses, rechts vom sog. Eosanderportal.460 Dort im Sitzungszimmer des Kollegiums, an dessen mehrmals in der Woche stattfindenden Plenarsitzungen aller Minister und geheimen Finanzrte („Geheime Finanz-, Krieges- und Domnenrte“), der Kçnige aber selbst nicht teilnahm, dort also fielen die Entscheidungen nach Vortrag des Referenten mit Mehrheitsbeschluß. Auch dies sicherte die exponierte Entscheidungsposition des Monarchen, auf daß also kein Minister oder Beamter allzu mchtig werden konnte; er blieb stets eingebunden in das Kollegium und konnte ggf. auch îberstimmt werden. Dieses Kollegialprinzip ist also von großer Herrschaftssignifikanz in Preußen, zumal in der ersten Hlfte des 18. Jahrhunderts.461 Ein fînftes Departement fîr die Justizangelegenheiten der Kammeralverwaltung hat bis 1739 bestanden. Nur nominell war der Kçnig der Chef des Generaldirektoriums; sein Stuhl am langen Sitzungstisch im Schloß blieb leer. Allabendlich sollten die Berichte des Generaldirektoriums samt Protokollen an den Kçnig gesandt werden, der aus seinem Kabinett ggf. schriftlich beschied. Unterhalb der Berliner Zentrale wurden sodann im Jahre 1723 in den Landschaften und Regionen die jeweiligen Kommissariate und Amtskammern zu Kriegs- und Domnenkammern vereinigt. Die kurmrkische Kammer, die ihre Rume gleichfalls im Berliner Schloß besaß, hat dabei das Vorbild fîr die Organisation in den anderen „Provinzen“ abgegeben,462 was nun zeigt, daß zumindest in formaler Hinsicht mit der 460 W. Neugebauer, Schloß und Staatsverwaltung … (s. Anm. 442). 461 H. Rosenberg, Bureaucracy … (s. Anm. 435), S. 96; C. Hinrichs, Zentralverwaltung … (s. Anm. 429), S. 149; und Fritz Hartung, Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung, zuerst 1942 – 1948, wieder in: Ders., Staatsbildende Krfte … (s. Anm. 127), S. 178 – 344, hier S. 194; das Folgende: A. B. B., 3, S. 645. 462 A. B. B., 3, S. 681 – 723, Nr. 295, bes. S. 714, ferner S. 723 f., Nr. 296; O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 341 – 345; Bruno Reuter, Zur Geschichte der Kriegs- und Domnen-Kammern (= Schriften des Vereins fîr die Geschichte Berlins, 29), Berlin 1892, S. 107 – 116, bes. S. 110 – 112; Wilhelm Stolze, Die Grîndung des Generaldirektoriums durch Friedrich Wilhelm I., in: Festschrift zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag. Beitrge zur brandenburgischen und preußischen Ge-

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Verwaltungsreform der Jahre 1722/23 ein weiterer Schritt zur Vereinheitlichung der staatlichen Strukturen gegangen worden ist. Um 1739/40 gab es neun solcher Kammern in Preußen. Von einem Einheitsstaat kann aber fîr diesen Staat des 18. Jahrhunderts zu keiner Zeit gesprochen werden. Das Generaldirektorium war ohne Zweifel die bedeutendste innere Verwaltungsinstanz des preußischen Staates, und es spricht fîr sich, daß man in §sterreich unmittelbar nach der gegen Preußen erlittenen Niederlage in den 1740er Jahren eben die preußische Verwaltungsorganisation und insbesondere das Generaldirektorium zum Vorbild genommen und nachgeahmt hat.463 Dessen große Bedeutung kam auch darin zum Ausdruck, daß ihm die berîhmte Oberrechenkammer, als Generalrechenkammer um 1714 begrîndet, unterstellt worden ist und diese somit auch einiges an selbstndigen Kontrollkompetenzen gegenîber der Zentralverwaltung verlor. Die Oberrechenkammer war gleichfalls, wenn auch nur bis 1745, im Berliner Schloß untergebracht.464 Hier lagerten auch seit den Zeiten Friedrich Wilhelms I. die monetren Staatsreserven, d. h. die in Fssern verpackten Bargeldbestnde, im Keller unter der kçniglichen Wohnung. Man wird also sagen kçnnen, daß der Schloßkomplex auf der Berliner Spreeinsel nicht nur administratives Zentrum des Staates gewesen ist, sondern zugleich eines der grçßten Edelmetalldepots465 in Mitteleuropa. Denn seit Friedrich Wilhelm I. und bis in die Zeiten der Revolutionskriege in den 1790er Jahren hatte Preußen trotz kriegerischer und ziviler Aufwendungen verschiedenster Art eine wohl ziemlich singulre Schatzbildung mçglich gemacht, und dies trotz der bekannten ungînstigen naturrumlichen Bedingungen. 1740 waren im sog. alten und im neuen Tresor mit wohl îber 10 Millionen Talern rund eineinhalb Jahreseinnahmen des gesamten Staates als bare Rîcklage vorhanden,466 was sicherlich auch ein Indiz dafîr ist, daß die unter diesem

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schichte, hg. vom Verein fîr Geschichte der Mark Brandenburg, Leipzig 1908, S. 49 – 64, hier S. 52 – 60; W. Hubatsch, Friedrich der Große … (s. Anm. 440), S. 28. Z. B. Friedrich Walter, Preußen und die çsterreichische Erneuerung von 1749, in: MI§G 51 (1938), S. 415 – 429, bes. S. 424; zusammenfassend Peter Baumgart, Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz, Schlesien und die çsterreichische Staatsreform von 1749, in: ForschBrandPrG NF 5 (1995), S. 59 – 74, hier S. 64. A. A. B., 4, 1. Hlfte, S. 28 – 36, Nr. 18; H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 18 – 21; W. Neugebauer, Neuere Deutung … (s. Anm. 243), S. 575 ff.; Theodor von Dithfurth, Zur Geschichte der Kçniglich Preußischen Ober-Rechnungskammer, Berlin 1909, S. 25. Wie Anm. 460. Bestand 1740: Reinhold Koser, Die preußischen Finanzen von 1763 bis 1786, in: ForschBrandPrG 16 (1903), S. 445 – 476, hier S. 474; vgl. damit Gustav Schmoller, Preußische Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte Berlin 1921, S. 80, S. 112; etwas geringere Zahlen bei Friedrich-Wilhelm Henning, Die preußische Thesaurierungspolitik im 18. Jahrhundert, zuerst 1974, wieder in: Ders., Studien zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte Mittel- und Ostdeutschlands (= Verçffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universitt Dortmund, Reihe A, Nr. 42), Dort-

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Monarchen reformierte Verwaltung durchaus Effizienz besessen hat. Der Kçnig, der fîr seinen eigenen Hofbedarf nur noch jhrlich 52.000 Taler zuließ, hat zudem in diesen Jahren eine umfassende Entschuldungspolitik betrieben; bis 1723 waren bereits alle auf Domnen lastenden finanziellen Verbindlichkeiten abgelçst worden. Die Steuertarife sind unter Friedrich Wilhelm festgesetzt und dann nicht weiter erhçht worden, was man bei der Erklrung und Beurteilung der preußischen Finanzphnomene in Rechnung zu stellen und zu bedenken hat. 1786 betrug der Staatsschatz dann rund 54 Millionen Taler. Das Akziseaufkommen pro Einwohner hatte sich zwischen 1740 und 1772 aber nur von durchschnittlich vier auf nunmehr fînf Taler erhçht; die Kontribution blieb îber Jahrzehnte prinzipiell unverndert.467 Gewiß kann man aus der Sicht neuerer çkonomischer Theorien die Frage stellen, ob damit nicht dem (inneren) Wirtschaftskreislauf wertvolle Zahlungsmittel und Kaufkraftkapazitten entzogen und aus politischen Grînden gleichsam stillgelegt worden sind. Dahinter standen freilich – nach den Erfahrungen der Jahre vor 1713 – sehr bewußte politische Entscheidungen. Jedenfalls steht fest, daß die Subsidienabhngigkeit, die die brandenburg-preußische Politik unter dem Großen Kurfîrsten und dem ersten Kçnig so nachhaltig charakterisiert und belastet hatte, nunmehr nach 1713 ein signifikantes Ende fand.468 Und so kçnnte man argumentieren, daß in materieller Hinsicht Brandenburg-Preußen nicht eigentlich um 1660 oder 1701 einen wesentlichen Schritt hin zur faktischen politischen Souvernitt gemacht hat: Dies ist in sehr stiller und unaufflliger Weise erst unter Friedrich Wilhelm I. erreicht worden. Damit wird zugleich bewiesen, daß die administrativen Reformen im Preußen dieser Jahre und Jahrzehnte weit îber die scheinbar im Vordergrund stehenden organisatorischen Vernderungen hinaus eine unmittelbar politische Wirkung besaßen, eine die man wohl ohne ˜bertreibung als eine Maximierung der Verwaltungseffizienz im Rahmen des unter den damaligen Bedingungen Mçglichen ansehen darf, d. h. unter den Bedingungen einer nur begrenzt mobilisierbaren stndischen Gesellschaft in der Epoche des Ancien r¤gime. Es ist gewiß berechtigt, bei der Analyse des inneren Organbaus Brandenburg-Preußens die Kameralhierarchie, wie sie im Generaldirektorium ihre kollegiale Spitze besaß, in das Zentrum der Betrachtung zu rîcken. Aber der mund 1985, S. 119 – 136, hier S. 122 f.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 298 f.; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 437. 467 Franz Schneider, Geschichte der formellen Staatswirtschaft von Brandenburg-Preußen (= Schriften der Forschungsstelle fîr Staats- und Kommunalwirtschaft e.V. in Wiesbaden), Berlin 1952, S. 118; das Vortragsreferat von Gustav Schmoller, in: ForschBrandPrG 5 (1892), Sitzungsberichte S. 611; Ders., Verfassungs-Verwaltungs-Finanzgeschichte … (s. Anm. 466), S. 103 f. 468 C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 625; O. Hintze, Geist und Epochen … (s. Anm. 391), S. 16.

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Geheime Rat wurde ja nicht aufgelçst, er bestand, nach Ausgliederung anderer wichtiger Aufgaben in besondere Amtsstellen weiter. Zu den Instanzen, die nun eigene Aufgaben wahrnahmen, gehçrte zu allererst das Departement der Auswrtigen Affren, das sich seit der Zeit um 1700 und im frîhen 18. Jahrhundert herausgebildet hat. Das Jahr 1728 brachte bei der Entstehung des auswrtigen Ressorts beziehungsweise des „Kabinettsministeriums“ nur den Abschluß einer sehr viel lngeren Entwicklung. Die Instruktion vom 8. Dezember dieses Jahres war, um mit Peter Baumgart zu formulieren, „nicht Grîndungsurkunde sondern Reorganisationsstatut“.469 Sie steht fîr dieses gleichfalls kollegialisch aufgebaute Ministerialorgan also nicht am Anfang, es steht am Ende der Entwicklung; Behçrden werden nicht eigentlich neu gegrîndet, sie erwachsen aus der Praxis von Jahrzehnten, und der Monarch formt diese politischen Strukturen mehr als daß er sie eigentlich „schafft“. Dies gilt erst recht fîr die – wenn wir so sagen dîrfen – Restinstanzen des alten Geheimen Rates,470 bei dem allein noch die Justiz und die geistlichen Angelegenheiten, d. h. die Kirchen- und die Schulsachen verblieben. Das Geistliche Departement ist gleichfalls nicht eigentlich „begrîndet worden“, es resultierte aus der Entwicklung hin zu Spezialinstanzen und wird in den Akten zur Mitte der dreißiger Jahre dann erstmals erwhnt.471 Der Minister des geistlichen Departements hatte zugleich Leitungsfunktionen im alten, seit dem 16. Jahrhundert existierenden kurmrkischen Konsistorium inne; ebenso stand er îber den z. T. sehr alten Konsistorien in den verschiedenen Lndern der Monarchie und leitete das seit 1713 fîr die Reformierten ttige Kirchendirektorium. Fîr die lutherischen Kirchen- und Schulangelegenheiten wurde dann 1750 als gesamtstaatliches Kollegium das Oberkonsistorium in Berlin geschaffen, das zugleich fîr die Kurmark speziell zustndig war, nicht jedoch fîr Schlesien.472 Diese Kollegien sind deshalb besonders erwhnenswert, weil unter ihren Amtstrgern, d. h. Geistlichen und Juristen, sich die theologischen und anderen geistig-kulturellen Strçmungen der Zeit besonders deutlich nachweisen lassen. Zunchst haben in den Berliner 469 Vgl. schon O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 370; dann Peter Baumgart, Zur Grîndungsgeschichte des Auswrtigen Amtes in Preußen (1713 – 1728), in: JbGMitteldtld 7 (1958), S. 229 – 248, bes. S. 247; vgl. M. Kohnke, Kabinettsministerium … (s. Anm. 399), S. 318 f., S. 324 – 327; und der Druck in A. B. B., 4, 2. Hlfte, S. 397 ff., Nr. 242; vgl. damit R. Koser, Grîndung … (s. Anm. 434), S. 64 – 109, bes. S. 71. 470 O. Hintze, Staatsministerien … (s. Anm. 457), S. 298; C. Hinrichs, Zentralverwaltung … (s. Anm. 429), S. 148, S. 151; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 237. 471 W. Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit … (s. Anm. 54), S. 84 ff.; Ernst Mîsebeck, Das Preußische Kultusministerium vor hundert Jahren, Stuttgart/ Berlin 1918, S. 5; O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 134 – 140. 472 W. Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit … (s. Anm. 54), S. 96 ff.; O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 139.

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Kollegien des geistlichen Faches ganz entschieden Pietisten dominiert, darunter auch solche Geistliche, die etwa zum Hallenser August Hermann Francke noch selbst in einem persçnlichen Verhltnis gestanden hatten. Philipp Jakob Spener, das geistige Haupt der Richtung, hatte nach seiner ˜bersiedlung nach Berlin in den 1690er Jahren auch sogleich Sitz und Stimme im Konsistorium erhalten.473 Die pietistische Prgung haben diese Kollegien noch auffllig lange bewahren kçnnen, bis weit in die Regierungszeit Friedrichs des Großen hinein, der diese Richtung persçnlich intensivierter und individualisierter Glubigkeit doch eigentlich gar nicht mochte. Gleichwohl haben die Pietisten noch îber zwei Jahrzehnte nach dem Tode Friedrich Wilhelms I. dessen Grundlinie auf dem Gebiet des landesherrlichen Kirchen- und Schulregiments fortsetzen kçnnen; dieser Monarch hat Religionsfragen mit Theologen seines Vertrauens oft sehr direkt beraten und bearbeitet, immer wieder im Kabinetts-Schriftwechsel mit den fîhrenden Aktivittspietisten in Halle an der Saale selbst. Die Pietisten haben bis in die sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts insbesondere in Schulsachen den Ton angegeben. Erst auffllig spt haben dann Theologen und Pdagogen der Aufklrung den pietistischen Amtstrgertypus im geistlichen Fach in Brandenburg-Preußen und besonders in Berlin abgelçst.474 Um 1788/1790 galt dann das Oberkonsistorium des preußischen Staates als ausgesprochener „Hort der Aufklrung“. Das sind lange Linien geistesgeschichtlicher Konjunkturen, die beweisen, daß Prgungen aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. bis weit in die Regierungszeit desjenigen Monarchen fortgewirkt haben, der sich doch der Aufklrung verpflichtet fîhlte. Wir haben es dabei im letztgenannten Bereich durchweg mit 473 Karl Themel, Die Mitglieder und die Leitung des Berliner Konsistoriums vom Regierungsantritt des Kurfîrsten Johann Sigismund 1608 bis zur Aufhebung des Kçniglichen Preussischen Oberkonsistoriums 1809, in: Jahrbuch fîr Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 41 (1966), S. 52 – 111, hier S. 74, S. 81, S. 84, S. 87 f., S. 95; Ph. Georg von Reinbeck, Leben und Wirken des Dr. Th. Johann Gustav Reinbeck …, Stuttgart 1842, S. 36 f.; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus … (s. Anm. 410), S. 411; wichtig nach wie vor Walter Wendland, Siebenhundert Jahre Kirchengeschichte Berlins (= Berlinische Forschungen, 3), Berlin/Leipzig 1930, S. 62 f., S. 131. 474 W. Wendland, Siebenhundert Jahre … (s. Anm. 473), S. 147 f.; Wolfgang Neugebauer, Anton Friedrich Bîsching 1724 – 1793, in: JbBrandenbLdG 58 (2007), S. 84 – 101, hier S. 95 f.; das folgende Zitat bei Paul Schwartz, Die beiden Opfer des Preußischen Religionsediktes vom 9. Juli 1788, J. E. Schulz in Gielsdorf und K. W. Brumbey in Berlin, in: JbBrandenbKG 27 (1932), S. 102 – 155, 28 (1933), S. 96 – 127, hier Tl. 1, S. 105; Ders., Der erste Kulturkampf in Preußen um Kirche und Schule (1788 – 1798) (= Monumenta Germaniae Paedagogica, 58), Berlin 1925, S. 19 ff.; Horst Mçller, Wie aufgeklrt war Preußen?, in: Hans-Jîrgen Puhle / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Gçttingen 1980, S. 176 – 201, hier S. 184; und Ernst Kaeber, Geistige Strçmungen in Berlin zur Zeit Friedrichs des Großen, in: ForschBrandPrG 54 (1943), S. 257 – 303, hier S. 271 – 275.

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bîrgerlichen Amtstrgern zu tun. Diese haben in den Kollegien fîr Kirchen-, Schul- und Armensachen stets dominiert. Unter Friedrich Wilhelm I. war es aber durchaus mçglich, als Bîrgerlicher in hohe, ja in Ministerrnge aufzusteigen, wo dann die Nobilitierung erfolgte. Auf der Ebene der Rte, d. h. der Charge direkt unterhalb der ministerialen Chefs, îberwogen sowohl im Generalfinanzdirektorium als auch im Kommissariat die Bîrgerlichen; nach 1723 arbeiteten in der Kurmrkischen Kriegs- und Domnenkammer 18 bîrgerliche neben vier adeligen Rten. Im Generaldirektorium hielten sich auf der Ebene der Geheimen Finanzrte Adlige und Nichtadlige mit neun zu acht die Waage, whrend im Kammergericht die Nobilitt zu zwei Dritteln entschieden dominierte.475 Von einer systematischen Ausbildung des Personals war noch nicht die Rede, praktische Erfahrungen, etwa auf der Ebene von Domnenmtern ersetzten in der Karriere durchaus noch das Universittsstudium. Seit Friedrich Wilhelm I. hatten ehemalige Offiziere gute Chancen zum Einstieg in die zivile Verwaltungskarriere. Es ist oft behauptet worden, daß damit auch militrische Verhaltensweisen in den Staatsalltag der Untertanen Einzug gehalten htten, was auch fîr die Zeit nach 1740 geschildert worden ist.476 Ob damit allerdings auch die Subordination der Amtstrger unter den monarchischen Willen nachhaltig gestrkt wurde, bleibt noch zu îberprîfen. Sicher ist, daß zumal Friedrich Wilhelm I. Korruptionsphnomenen mit großer Hrte entgegengetreten ist. Die Drohung gegenîber (zumal hohen) Beamten mit dem Tode war unter ihm keine leere Geste.477 Mehr als eine Reduktion von Korruption war schwerlich zu erzwingen, und mochte auch das Organisationstalent des Kçnigs 1723 eine auf lange Frist funktionsfhige Struktur geformt haben, so hat es doch noch auf einige Zeit Parteiungen und untergrîndige Kmpfe entlang der alten Streitlinien von Kommissariats- und Domnenverwaltung gegeben.478 Heiratskreise unter hohen Amtstrgern, vielfache Verschwgerungen und Familienkonnexio475 Gustav Schmoller, Der preußische Beamtenstand unter Friedrich Wilhelm I., in: PreussJbb 26 (1870), S. 148 – 172, S. 253 – 270, S. 538 – 555, hier S. 162 f., diese Studie jetzt auch in Ders., Kleine Schriften zur Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, hg. von Wolfram Fiedler und Rolf Karl (= Opuscula oeconomica, 1), Leipzig 1987, S. 1 – 63; vgl. dazu auch Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Der Baumeister des preußischen Staats. Leben und Wirken des Soldatenkçnigs Friedrich Wilhelms I., Jena (1934), S. 195 f.; W. Hubatsch, Friedrich der Große … (s. Anm. 440), S. 30 f.; und A. Kamp, Friedrich Wilhelm I. und das preußische Beamtentum, in: ForschBrandPrG 30 (1917), S. 31 – 53, hier S. 32. 476 Die Lit. in Anm. 475, insbes. A. Kamp, Friedrich Wilhelm I. … (wie Anm. 475), S. 39 f.; R. A. Dorwart, Reforms … (s. Anm. 404), S. 194; Walter L. Dorn, The Prussian Bureaucracy in the Eighteenth Century, in: Political Science Quarterly 46 (1931), S. 403 – 423, 47 (1932), S. 75 – 94, S. 259 – 273, hier Tl. 2, S. 268 ff.; Hubert C. Johnson, Frederick the Great and His Officials, New Haven/London 1975, S. 49 f. 477 W. Neugebauer, Deutung … (s. Anm. 243), S. 566. 478 B. Reuter, Kriegs- und Domnenkammern … (s. Anm. 462), S. 113 f.

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nen, die insbesondere im Auswrtgen Departement ungewçhnlich weit verbreitet waren, sind seit langem bekannt.479 Analoges gilt fîr die Verhltnisse in einer ganzen Reihe von Provinzen, etwa fîr das Herzogtum Magdeburg, wo es – mit Otto Hintze zu sprechen – geradezu zur „familienmßige(n) Fortpflanzung des Beamtenstandes und seiner Tradition“ gekommen ist.480 Um derartige Klientelbeziehungen zu durchbrechen, hatte Friedrich Wilhelm I. alsbald den Plan gefaßt und als Grundsatz formuliert, daß Kriegs- und Domnenrte in den provinzialen Kammern alle drei Jahre in eine andere Provinz versetzt werden sollten,481 und auch sein Sohn hat sich dieses Instruments, wenn auch mit geringerer Systematik, zu bedienen gesucht, und zwar gegenîber den – durchweg adligen – Kammerprsidenten. Aber die Realitt sah doch im ganzen anders aus. Der gezielte Personalaustausch ist fîr die Kçnigsberger Kammer praktiziert worden, in anderen parallelen Kollegien aber war dies nicht durchzusetzen, und das hieß nichts anderes, als daß hier alte Familien des Landes im Kçniglichen Amt auch gegen den prinzipiellen Willen des Herrschers sich zu behaupten verstanden.482 Insofern sind die Grenzen des Absolutismus sogar in der Amtsstruktur des Alten Preußen nicht zu îbersehen. Vorstellungen von moderner Bîrokratie, etwa mit regulierten Laufbahnen, rationalisiertem Dienstrecht und systematisierter Ausbildung gehen fîr diese Zeit auch in Preußen noch gnzlich an der Realitt vorbei; Traditionalitten blieben auch unter Friedrich Wilhelm I. untergrîndig sehr wohl lebendig, und zwar sogar im Kernbereich des staatlichen Apparates. Und auch die bloßen Quantitten geben einen Eindruck davon, wie weit der Staatsalltag des 18. Jahrhunderts noch von der Welt der modernen Bîrokratie mit ihren großen und anonymen Apparaten entfernt war. Das schon mehrfach erwhnte Generaldirektorium, von dem aus ja der ganze preußische Kameral-, Militr- und Finanzstaat verwaltet werden sollte, umfaßte im Jahre 1740 fînf Minister, neunzehn Geheime Finanzrte, dazu 45 Subalternbeamte, also alles in allem – sozusagen vom Minister bis zum Boten – ganze 69 Mann.483 479 Reinhold Koser, Vom Berliner Hofe um 1750, in: HohenzJb 7 (1903), S. 1 – 37, hier S. 14. 480 O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 407. 481 A. B. B., 4, 2. Hlfte, S. 331, Nr. 208; das Folgende H. C. Johnson, Frederick … (s. Anm. 476), S. 52 f. 482 W. Neugebauer, Integration … (s. Anm. 201), S. 81 f.; Gustav Schmoller, Studien îber die wirthschaftliche Politik Friedrichs des Großen und Preußens îberhaupt von 1680 – 1786, zuerst in: JbGesetzgebungVerwalt 8 (1884), S. 1 – 61, S. 345 – 421, S. 999 – 1091, 10 (1886), S. 1 – 45, S. 327 – 373, S. 675 – 727, 11 (1887), S. 1 – 58, S. 789 – 883, hier in 10 (1886), S. 37 ff.; auch in Ders., Kleine Schriften … (s. Anm. 475), 1, Leipzig 1985, S. 465 – 999. 483 H. C. Johnson, Frederick … (s. Anm. 476), S. 283; zu 1746 GStA PK II. HA, Abt. 3, Gen. Dep., Tit. IV, Nr. 4; sptere Quantitten: J. Kloosterhuis, Einleitung … (s. Anm. 456), S. XVI.

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Schwerlich war damit eine allgegenwrtige Administration zu gewhrleisten. Immerhin mag um so mehr der finanzielle Effekt, wie er unter Friedrich Wilhelm I. eintrat, erstaunen. Im spteren 18. Jahrhundert ist die Zahl der Amtstrger in der Haupt- und Residenzstadt dadurch auf – 1786 – vielleicht gute 400 Mann angestiegen, so daß neben dem Generaldirektorium weitere Spezialkollegien fîr besondere Aufgaben entstanden waren. Unterhalb von Generaldirektorium und provinzialen Kammern blieben die Steuerrte, die wir im 17. Jahrhundert als Commissarii locorum aus der Kriegskommissariatshierarchie erwachsen sahen, das wesentliche Element staatlicher Aufsichtsfîhrung îber die Stdte beziehungsweise Stdtekreise. Seit 1713 wurden sie auch in den westlichen und çstlichen Außenprovinzen eingesetzt, zusammen mit der Einfîhrung der stdtischen Steuer, der Akzise, und in Verbindung mit Interventionen in die stdtische Autonomie.484 Denn zumindest war damit ein massiver Eingriff in die stdtische Steuer- und Finanzverfassung in den verschiedenen Lndern Friedrich Wilhelms I. verbunden. Der Kriegs- und Steuerkommissar, wie er in der Instruktion vom Mai des Jahres 1712 genannt wurde, hatte die Pflicht, in seinem Amtsdistrikt zu wohnen. Er hatte die Kassen einer jeden Stadt in seinem Sprengel zu untersuchen, die Einnehmer, Visitatoren und Torschreiber zu îberwachen, und darîber hinaus hatte er die Aufgabe, die Entwicklung der Stdte zu befçrdern, d. h. er hatte die Aufsicht îber Handel und Verkehr, îber die Sicherheit, zumal die Feuerpolizei; er sollte auch die Zînfte im Auge behalten und fîr den Wiederaufbau noch immer wîster Stellen in den Stdten sorgen.485 Alsbald, d. h. 1719, erging der Befehl, daß die Steuerrte auch die „Medivinal Edicte zur Observantz zu bringen“ htten. Besonders seit 1723 hatten die Steuerrte einer intensiven Berichtspflicht zu genîgen.486 Allerdings kam es bei allen Eingriffen, d. h. in jeweils einzelnen Stdten doch nicht zu einer fçrmlichen Aufhebung der kom-

484 Die einzelnen provinzbezogenen Daten bei L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 126 f.; F. Schneider, Staatswirtschaft … (s. Anm. 467), S. 76; E. Bammel, Dîsseldorf … (s. Anm. 37), S. 31; G. Schmoller, Finanzpolitik … (s. Anm. 183), S. 153. 485 A. B. B., 1, S. 201 ff., Nr. 63; C. O. Mylius; Corpus … (s. Anm. 72), 5, Tl. 4, Abt. 1, Sp. 209, Nr. 24; vgl. Bruno Gloger, Der Potsdamer Steuerrat. Studien zur brandenburgisch-preußischen Lokalverwaltung des Ancien r¤gime, phil. Diss. Humboldt-Universitt Berlin 1957 (Masch.), S. 11. 486 B. Gloger, Steuerrat … (s. Anm. 485), S. 69; O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 343; Berthold Schulze, Die Reform der Verwaltungsbezirke in Brandenburg und Pommern 1809 – 1818. Mit Unterstîtzung der Historischen Kommission fîr die Provinz Pommern (= Einzelschriften der Historischen Kommission fîr die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, 3), Berlin 1931, S. 121 und die Karte S. 2.

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munalen „Ratsverfassung“.487 Gegen die allzu etatistische Sicht der lteren Forschung, die wohl den absolutistischen Staatszugriff in die Stdte hinein etwas îberschtzte, sehen wir heute, daß die kommunale Autonomie, zumal unter Friedrich Wilhelm, gewiß geschwcht worden ist, daß auch der Grad staatlicher Aufsicht gesteigert wurde. Rathusliche Reglements, Stadtverfassungen im kleinen, wurden aus kçniglicher Vollmacht heraus erlassen, aber nicht staatsweit und einheitlich, wie dann im 19. Jahrhundert, sondern fîr jeden Ort besonders. Die Tendenz ging in Richtung auf eine deutliche Reduktion des Personals, das in den Stdten das – oligarchische – Regiment fîhrte. Die periodischen Ratswechsel wurden abgeschafft, aber es blieb prinzipiell beim Grundsatz der Selbstergnzung durch Kooptation. Fîr die ˜bernahme des Amtes wurde die Erteilung der kçniglichen Besttigung gefordert, wobei das juristische Element unter dem Magistratspersonal im Vormarsch war. Allerdings muß man auch berîcksichtigen, daß die Rathuslichen Reglements durchaus nicht durchweg Neues dekretierten, daß sie vielmehr die bestehende Praxis îber weite Strecken nur kodifizierten. Immerhin kam es da, wo mehrere selbstndige Stadtgemeinden nebeneinander existierten, zu Zusammenlegungen, wie schon 1709 im Falle Berlins.488 In Pommern scheint der landesherrliche Zugriff auf die stdtische Autonomie schon um einiges schwcher gewesen zu sein als in der Mark Brandenburg; in Pommern blieben Bîrgervertretungen von einiger Bedeutung erhalten und haben sich nach 1740 noch spîrbar belebt. Daß ganz im Westen, im Herzogtum Kleve zunchst der Versuch unternommen wurde, stdtische Wahlrechte zu beseitigen, dann aber Friedrich Wilhelm I. sich auf die Forderung des Besttigungsrechts zurîckzog, verweist erneut auf Grenzen des Absolutismus in der Herrschaftspraxis, und das auch in existenziellen Bereichen. In Kleve, das ist nachgewiesen worden, blieb îber alle formellen Eingriffe hinweg doch die Herrschaft der „Magistratsfamilien“ ungebrochen; mit der Praxis eines sehr wohl wirksamen „Vorschlagsrechts“ war in den Stdten auch recht gut zu leben. Derartige Beispiele ließen sich vermehren und wîrden dann um so mehr beweisen, daß von einer staatseinheitlichen Stdtepolitik und kommunalen Verfassungsstruktur sogar unter diesem absolutistischen Monarchen nicht die Rede 487 Das betont Kurt Schrader, Die Verwaltung Berlins von der Residenzstadt des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm bis zur Reichshauptstadt …, phil. Diss. Humboldt-Universitt Berlin 1963, (Masch.), S. 49 – bezogen auf den ganzen Staat. 488 Gerd Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preussen unter dem Absolutismus (1660 – 1806), in: Wilhelm Rausch (Hg.), Die Stdte Mitteleuropas im 17. und 18. Jahrhundert (= Beitrge zur Geschichte der Stdte Mitteleuropas, 5), Linz an der Donau 1981, S. 155 – 172, bes. S. 155 – 163; Ders., Festung … (s. Anm. 419), S. 163; wichtig: Wilhelm Gundlach, Friedrich Wilhelm I. und die Bestellung der stdtischen Beamten. Ein Beitrag zur Geschichte der preußischen Verwaltung (= Bausteine zur preußischen Geschichte, NF 1), Jena 1906, S. 4 ff., S. 74 Anm. 13; O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 362.

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sein kann. Unter Friedrich dem Großen sind in den alten Staatsprovinzen die Freiheiten der Stdte weiter ausgeweitet worden; Wahlrechte wurden auch da, wo sie vor 1740 eher eingeschrnkt wurden, wieder respektiert. Die 42 Steuerrte in Preußen (ohne Schlesien), die unter Friedrich II. gezhlt wurden, waren zum großen Teil bîrgerliche Amtstrger. Schon ihre Gesamtzahl lßt es berechtigt erscheinen, vor ihrer ˜berschtzung im Herrschaftsalltag zu warnen.489 Fîr die Zeit Friedrich Wilhelms I. kam aber ein weiteres Moment hinzu, das seinen praktischen Absolutismus auf stdtischem Boden krftig reduzierte. Denn unter ihm hat die temporre Praxis in den Stdten Einzug gehalten, stdtische Stellen gleichsam durch den Kçnig zu verkaufen, indem der Anwrter eine entsprechende Summe an die kçnigliche Rekrutenkasse zahlte. Dies galt etwa fîr Bîrgermeisterstellen und auch fîr die Position von Akziseeinnehmern. Nach 1740 hat dieses Verfahren langsam aufgehçrt. Die Gefahr, korruptive Erscheinungen auf diesem Wege zu steigern, war evident und auch das Faktum, daß sich damit der Monarch eines guten Stîckes potentieller personalpolitischer Einflußwege auf diesem Felde wieder begab.490 Das Phnomen des ømterkaufs, das in anderen europischen Staaten – man denke nur an das Frankreich des Ancien r¤gime – eine so große und verhngnisvolle Rolle spielte, war in Preußen vor allem auf die Zeit Friedrich Wilhelms I. und auf sehr genau umgrenzte Bereiche beschrnkt. Außer den stdtischen Funktionen waren hier vor allen Gerichtsstellen betroffen.491 Es kann also zusammenfassend gesagt werden, daß auch da, wo der kçnigliche Zugriff noch relativ unmittelbar und stark sein konnte, Friedrich Wilhelm eher eine strukturformende Effektivierung bewirkt hat. Wie sehr er dabei auf das angewiesen war, was in den Jahrzehnten zuvor in BrandenburgPreußen gewachsen war, ist allenthalten deutlich. Indem er Vorhandenes formte, 489 O. Vanselow, Pommersche Stdte … (s. Anm. 261), S. 24, S. 26 f., S. 29 ff.; I. Barleben, Selbstverwaltung im Herzogtum Kleve … (s. Anm. 259), S. 42 – 47; treffend schon Carl Wilhelm von Lancizolle, Grundzîge der Geschichte des deutschen Stdtewesens mit besonderer Rîcksicht auf die preußischen Staaten, Berlin/Stettin 1829, S. 98 – 103; W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 18), S. 131 ff.; H. C. Johnson, Frederick … (s. Anm. 476), S. 63 f.; A. B. B., 9, S. 559 ff., Nr. 308. 490 W. Gundlach, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 488), S. 10 ff., S. 15 – 20, S. 23, S. 77 Anm. 42 und passim. 491 O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 333; Horst Mçller, ømterkuflichkeit in Brandenburg-Preußen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Klaus Malettke (Hg.), ømterkuflichkeit. Aspekte sozialer Mobilitt im europischen Vergleich (17. und 18. Jahrhundert). Internationales Colloquium in Berlin (1.–3. November 1978) … (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 26), Berlin 1980, S. 156 – 176, hier S. 157, S. 161 f.; vgl. allgemein Martin Gçhring, Die ømterkuflichkeit im Ancien r¤gime (= Historische Studien, 346), Berlin 1938 – zum franzçsischen Vergleichsfall vom 16. bis zum 18. Jahrhundert.

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nur selten aber Neues aus wilder Wurzel schuf, respektierte er durchaus auch Traditionen. Neben der modernen Kommissariatsverwaltung, die in die Generaldirektoriums- und Kammerveradministration eingegangen war, bestanden die alten traditionalen territorialen Regierungskollegien fort, und zwar als Gerichts- und Konsistorialstellen. Sie wurden nicht etwa beseitigt, sondern so auf fîr den Militr- und Finanzstaat eher sekundre Felder abgedrngt, wie wir es auf der Zentralebene beim Geheimen Rat geschildert haben.492 Auf dem platten Land blieben halbstndische Amtstrger, die Landrte, das wichtigste Instrument des monarchischen Regiments – aber wir werden bei der nheren Betrachtung ihrer stndischen Seite dann erkennen, daß hier die Grenzen des Absolutismus dem Amt gleichsam inhrent waren. Der einzelne Landrat war ja immer zugleich Amtstrger im Staat und Vertrauensmann der Stnde des jeweiligen Kreises, wenngleich Friedrich Wilhelm des çfteren das Wahlrecht beziehungsweise dasjenige der Landratsprsentation nicht anerkannt hat. Das Landratsinstitut wurde, von der Mark Brandenburg ausgehend, dann unter Friedrich Wilhelm I. auf andere Provinzen îbertragen, ein Prozeß, der bis 1740 wesentliche Fortschritte machte, aber erst in den fînfziger Jahren zum Abschluß gebracht wurde. Er ging einher mit der Einrichtung neuer Verwaltungs-Kreise als administrativ-stndische Grundeinheiten des platten Landes. In Pommern gingen der neuen Landesgliederung Verhandlungen mit den Stnden voraus. In einigen Fllen wurden die Kreise so geschnitten, daß sie mit dem Besitz großer Adelsfamilien identisch waren; hier war es denn nur logisch, daß das Landratsamt gewissermaßen erblich in der Hand der betreffenden Familien lag. øltere Traditionen der Landesgliederungen blieben gleichsam unter der Patina einer neuen, monarchischen Verwaltungsgliederung erhalten, die also keinen revolutionren Bruch mit lteren Herrschaftstraditionen bewirkt hat beziehungsweise bewirken wollte. Der Landrat leitete die Kontributionsverwaltung, weiterhin z. B. auch die Marsch- und Polizeisachen, was îbrigens zeigt, daß er in der Tradition der Kreiskommissare des 17. Jahrhunderts stand.493 Es ist eine auffllige Tatsache, daß dieser in das 17. Jahrhundert verweisende Traditionsbestand sogar auf demjenigen Feld staatlich-monarchischer Ttigkeit recht stark gewesen ist, auf dem Friedrich Wilhelm I. in geradezu sprichwçrt492 O. Hintze, Erster Kçnig … (s. Anm. 198), S. 318 f., S. 323, S. 340, S. 348 f., u. ç.; W. Neugebauer, Absolutistischer Staat … (s. Anm. 54), S. 88 ff. 493 O. Hintze, Landratsamt … (s. Anm. 110), hier S. 190 – 194, S. 201 ff.; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 132 ff., S. 161 ff.; Klaus Vetter, Kurmrkischer Adel und preussische Reformen (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 15), Weimar 1979, S. 82 – 85; Ders., Zusammensetzung, Funktion und politische Bedeutung der kurmrkischen Kreistage im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 3 (1979), S. 393 – 415, hier S. 396 f.; G. Vogler, Absolutistisches Regiment … (s. Anm. 181), S. 216; Pommern: G. Heinrich, Dewitz … (s. Anm. 244), S. 111; B. Schulze, Verwaltungsbezirke … (s. Anm. 486), S. 6 f., ferner S. 1 ff.

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licher Weise ein exeptionelles Interesse an den Tag legte, natîrlich auf dem Gebiet des Militrs, fîr das rund fînf der sieben Millionen Taler jhrlicher Staatseinnahmen vor 1740 ausgegeben wurden.494 Zwar wurde unter dem neuen Kçnig nun das traditionelle Milizsystem – bis auf unbedeutende stdtische Reste – aufgehoben.495 In Brandenburg wurde die bloße Verwendung des Wortes „Miliz“ bei Strafe verboten. Nicht auf die sofortige Heeresvermehrung um immerhin 9.000 Mann im Jahre 1713 kommt es an, sondern darauf, wie Friedrich Wilhelm aus in der Praxis entwickelten lteren Anstzen heraus dasjenige Militrsystem geformt hat, das dann auch auf dem Gebiet der Heeresorganisation als preußischer Typus bis zur Militrreform eines Scharnhorst und eines Boyen Bestand gehabt hat. Da war zunchst die Praxis der Enrollierung, mit der die potentielle Mannschaft eben bei der alten Miliz listenmßig erfaßt worden war. Diese ˜bung ist in der Mark und im Herzogtum Preußen im 17. Jahrhundert und um 1700 îblich gewesen.496 Das Heer des Großen Kurfîrsten war noch ganz durch „Werbungen“ zusammengebracht worden. Freilich waren aus dem Inland schon damals Klagen îber gewaltttige ˜bergriffe laut geworden. Werbung fand in den Territorien des Hohenzollern und im Ausland statt. Zur besseren Ordnung und Organisation der einheimischen Rekrutierung wurden seit den 1690er Jahren „Werbebezirke“ geschaffen. „Damit ist das Territorialsystem zur Ergnzung des Stehenden Heeres“ eingefîhrt gewesen; „hierauf fußend konnte Friedrich Wilhelm I. spter die Kantoneinteilung des Staates einrichten.“497 Territorialsystem und Enrollierung waren also bereits prinzipiell bekannt; in den 1720er Jahren haben dann auch regulre Regimenter begonnen, ihre potentielle, d. h. fîr die sptere Indienststellung vorgesehene Mannschaft zu enrollieren. Ferner ist das – stndische – Prinzip der Exemtion schon vor 1713 bekannt gewesen; Personen, die das Privileg des Bîrgerrechts besaßen, ferner auf dem Lande „Possesionierte“ und einige andere Personengruppen mehr, galten als von der Werbung freigestellt. Alsbald nach dem Regierungsantritt wurden auch die gesuchten Wollarbeiter als werbungsfrei erklrt, seit 1740 hatte ganz Berlin, andere Stdte und bestimmte Gebiete dieses be494 G. Schmoller, Verfassungs-, Verwaltungs-, Finanzgeschichte … (s. Anm. 466), S. 112; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 299. 495 G. Schmoller, Entstehung des preußischen Heeres … (s. Anm. 271), S. 276; C. Jany, Lehndienst … (s. Anm. 90), S. 29 f.; J. Schulze, Landesaufgebot … (s. Anm. 94), S. 80; Reste: vgl. die Vortragsnotiz von (E.) Schnackenburg, in: ForschBrandPrG 9 (1896), Sitzungsberichte S. 588 f.: Vermehrung: C. Hinrichs, Regierungsantritt … (s. Anm. 420), S. 130. 496 O. Meinardus, Protokolle … (s. Anm. 105), 5, S. 259 f., Nr. 222; R. Frhr. von Schroetter, Ergnzung … (s. Anm. 272), S. 429, das Folgende S. 403 – 406, S. 457; H. von Gansauge, Das brandenburgisch-preußische Kriegswesen um die Jahre 1440, 1640 und 1740, Berlin/Posen/Bromberg 1839, S. 93 ff. 497 So jedenfalls R. Frhr. von Schroetter, Ergnzung … (s. Anm. 272), S. 407.

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gehrte Vorrecht, wie auch (seit 1769) alle Arbeiter an Glashîtten sowie Eisenund Kupferhmmern. Und schließlich war bereits um 1700 die Mçglichkeit, Soldaten auf Zeit zu beurlauben – und damit die Lçhnung einzusparen – ausgebildet.498 Alle diese Instrumente dienten dazu, im ressourcenarmen Preußen eine mçglichst zahlreiche und schlagkrftige Truppe mit den beschrnkten materiellen Mçglichkeiten im Staat und seinen Regionen in Einklang zu bringen.499 Diese Aufgabe wurde angesichts der quantitativen Ausweitung nach 1713 um so dringender. Die îbergroße Last, die auf dem Lande und auf dem einzelnen Soldaten ruhte, suchte in anfangs erschreckend hohen Desertionszahlen und in mancherlei lndlichen Widerstandsaktionen gegen die Rekrutierungsmaßnahmen ein Ventil. Objektive Grenzen wurden dann sichtbar, wenn die zur Fahne gepressten Mnner als Arbeitskrfte auf dem Lande fehlten oder wenn sie aus Furcht, zur Waffe zu mîssen, das Land verließen. Es kam also darauf an, den gewissermaßen îberschießenden, kontraproduktiven Druck, der von der Rekrutierungspraxis, zumal in ihrer gewaltsamen Variante, ausging, abzubauen, d. h. gleichsam die wilde Werbekonkurrenz zwischen den Regimentern zu beenden. Die Systematisierung der bisherigen Praxis mit den Charakteristika von Territorialsystem, Enrollierung, zeitweiser Beurlaubung und sozialer Exemtion ist dann durch den Kçnig in mehreren Ordern beziehungsweise Dekreten des Jahres 1733 erfolgt, d. h. noch nicht in einem umfassend kodifizierenden Kantonreglement. Die Regimenter erhielten feste Werbebezirke fîr die eigene Ergnzung zugewiesen; in der Mark Brandenburg kamen auf ein Infanterieregiment 5.000, auf ein Kavallerieregiment 1.800 Feuerstellen, doch variierten die Zahlen von Provinz zu Provinz. Die Artillerie ergnzte sich aus den Stdten. Daneben blieb die Auslandswerbung bestehen; um 1740 machten Nichtpreußen rund ein Drittel der Soldaten aus; spter ist diese Rate noch gesteigert worden.500 Der Militrdienst war in der Regel lebenslang, allenfalls 498 C. Jany, Kantonverfassung … (s. Anm. 273), S. 225, S. 227 ff., S. 238 ff.; Ders., Armee … (s. Anm. 40), S. 358; Eugen von Frauenholz, Das Heerwesen in der Zeit des Absolutismus (= Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens, 4), Mînchen 1940, S. 20; F. Wolters, Finanzen … (s. Anm. 132), S. 120; Exemtion: R. Frhr. von Schroetter, Ergnzung … (s. Anm. 272), S. 456 f., Beurlaubung: S. 420; Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preussen 1685 – 1806. Bibliographisch verbesserte, mit einem Registeranhang versehene zweite Auflage, mit einer Einfîhrung von Otto Bîsch (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 9, ND 1), Berlin 1963, S. 221 ff.; Hartmut Harnisch, Preußisches Kantonsystem und lndliche Gesellschaft. Das Beispiel der mittleren Kammerdepartements, in: Bernhard R. Kroener / Ralf Prçve (Hg.), Krieg und Frieden. Militr und Gesellschaft in der Frîhen Neuzeit, Paderborn u. a. (1996), S. 137 – 165, S. 142 f. 499 C. Jany, Lehndienst … (s. Anm. 90), in: ForschBrandPrG 8, S. 444. 500 Ders., Kantonverfassung … (s. Anm. 273), S. 229, S. 234 f., S. 238 – 245; H. von Gansauge, Kriegswesen … (s. Anm. 496), S. 232 – 239; E. von Frauenholz, Heer-

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verkîrzt durch Invaliditt, aber nach der ein- bis zweijhrigen Rekrutenzeit auf wenige Monate im Jahr beschrnkt. Nach 1792 wurde die Dienstzeit auf maximal 20 Jahre reduziert.501 Die vom Lande gezogenen Rekruten standen also dort als Arbeitskrfte weiterhin zur Verfîgung und Soldaten aus Stdten konnten dorthin als „Freiwchter“ beurlaubt werden und sich in der Urlaubszeit etwa als Handwerker verdingen. Angesichts der Vorzîge großer Leute bei der Kampf- und Waffentechnik dieser Zeit spielte die Kçrperhçhe bei der tatschlichen Auswahl der jungen Leute aus dem Nachwuchs des Kantons eine ganz wesentliche Rolle. Die soziale Hrte des altpreußischen Militrsystems mit seinen drakonischen Strafen bei Desertionen wurde somit graduell gemildert, freilich doch nur gemildert; der auffllige Rîckgang der Desertionen ist dafîr ein Indiz.502 Die Verzahnung von Militr und zivilem Lebensalltag, sinnfllig im System der Beurlaubungen, schuf freilich permanente Alltagsprobleme. Die Regel, daß die Soldaten ins Bîrgerquartier gelegt wurden, schuf fîr die Betroffenen oft harte Friktionen, zumal die Militrgerichtsbarkeit fîr den Soldaten etwa im stdtischen Leben auch Privilegiencharakter annehmen konnte. In den Garnisonstdten war die Position des Kommandeurs zentral, bis hin zur Festsetzung der Lebensmittelpreise und der Ordnung der stdtischen Polizeiangelegenheiten.503 Erst recht war die Stellung des Offiziers in der Truppe schlechterdings îberragend. „˜berhaupt muss der gemeine Soldat vor dem Officiere mehr Furcht als vor dem Feinde haben“, so hat Friedrich der Große kurz nach dem Ende des Siebenjhrigen Krieges im Mai 1763 formuliert und postuliert.504 Auch darin

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wesen … (s. Anm. 498), 4, S. 243 – 249; Erwin Dette, Friedrich der Große und sein Heer, Gçttingen 1914, S. 8 – 19; Hans Helfritz, Geschichte der Preußischen Heeresverwaltung, Berlin 1938, S. 151, S. 156 f., S. 165 ff.; Otto Bîsch, Militrsystem und Sozialleben im Alten Preußen 1713 – 1807. Die Anfnge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft. Mit einer Einfîhrung von Hans Herzfeld (= Verçffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-MeineckeInstitut der Freien Universitt Berlin, 7), Berlin 1962, S. 13, S. 15, S. 17 – 20; Auslnderanteil: Curt Jany, Der Siebenjhrige Krieg, Ein Schlusswort zum Generalstabswerk, in: ForschBrandPrG 35 (1923), S. 161 – 192, hier S. 187. C. Jany, Kantonverfassung … (s. Anm. 273), S. 249, S. 251 – 263; M. Lehmann, Werbung … (s. Anm. 272), S. 138 ff., S. 144, S. 146 f.; H. von Gansauge, Kriegswesen … (s. Anm. 496), S. 96 – 100; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 679 – 700. H. Harnisch, Kantonsystem … (s. Anm. 498), S. 142; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 684 Anm. 133. Otto Bîsch, Garnisonen und Garnisonsorte 1640 – 1806 (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Lfg. 17), Beiheft, (Berlin 1966); unpag.: (Anonym), Was waren wir, was sind wir, was wird aus uns werden? Freimîthig beantwortet von einem Preußen, in: Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts, Heft Oktober 1810, S. 104 – 146, hier S. 134 f.; A. B. B., 6, 2. Teil, S. 74. (Adalbert) von Taysen, Friedrich der Grosse. Militrische Schriften (= Militrische Klassiker des In- und Auslandes, 1), Dresden 1891, S. 576.

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blieben Traditionen noch lebendig, daß der Kompaniechef Reste des Militrunternehmers lterer Zeiten weitertrug. Die Kompanie als kleiner Wirtschaftsbetrieb und als Finanzeinheit, dessen Chef der Inhaber war, der, wenn der Kompaniekommandeur wechselte, seinem Vorgnger die Waffen der Kompanie abkaufen mußte – das war ein Charakteristikum sehr vormoderner Verhltnisse und Traditionen, die sich auch noch in der Zeit Friedrich Wilhelms I. bewahrt hatten,505 wiederum mit manchen zeitgençssischen europischen Parallelen. Die Exemtionen, Sçhne von Adel, von Offizieren, vermçgender Bîrgern und Bauern betreffend, gehçren gleichfalls zu den vormodernen Charakteristika, die das altpreußische Heer, das um 1740 rund 76.000 Mann zhlte, von den modernen Armeen der allgemeinen Wehrpflicht unterscheidet. Vielleicht wird man aber zu den Traditionsbestnden in der Zeit Friedrich Wilhelms I. auch patriarchalische Elemente zu rechnen haben, etwa wenn Offiziere, die ganz evident vom Pietismus beeinflußt worden waren, sich um das Seelenheil der Soldaten oder um dasjenige der Soldatenkinder bemîhten. Das Potsdamer Militrwaisenhaus, entstanden auf Initiative Friedrich Wilhelms I. nach dem direkten Vorbild Halles, war nur das prominenteste Element dieser Komponente des preußischen Militrs in der Zeit dieses von seiner Religiositt angetriebenen Aktivittsmonarchen.506 Wie die Akten zeigen, war das keine Legende. Aber ohne Zweifel wurde die preußische Armee alsbald fast zum Mythos, in Preußen und bei seinen Gegnern, und daran hat sich bis zur Gegenwart eigentlich erstaunlich wenig gendert. Preußisches Militr oder gar Militarismus werden auf mçgliche soziale Grundlagen und ihre lngerfristigen Folgen îberprîft. Trotz schwerer Quellenverluste des Jahres 1945 fîr diesen Kernbereich preußischer Strukturgeschichte, kommt die Forschung îberraschenderweise auf diesem Sektor in jîngerer Zeit besonders gut voran. Manche Legende, auch solche im Gewande einer kritischen Sozialgeschichte aus den letzten sechs Jahrzehnten wird an den Quellen nunmehr revidiert – und hlt nicht stand. Vor allem mîssen wir nach den Resultaten der neuesten Forschung allzu einfache Erklrungen aufgeben, nach denen die Agrarstruktur, besonders die Gutsherr505 R. Frhr. von Schrçtter, Offizierskorps … (s. Anm. 276), ForschBrandPrG 26, S. 494 ff.; C. Jany, Kantonverfassung … (s. Anm. 273), S. 246 f., das Folgende S. 245, S. 264; O. Bîsch, Militrsystem … (s. Anm. 500), S. 113 – 134, S. 140. 506 Wolfgang Neugebauer, Truppenchef und Schule im Alten Preußen. Das preußische Garnison- und Regimentsschulwesen vor 1806, besonders in der Mark Brandenburg, in: Eckart Henning / Werner Vogel (Hg.), Festschrift der Landesgeschichtlichen Vereinigung fîr die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjhrigen Bestehen 1884 – 1894, Berlin 1984, S. 227 – 263, hier S. 231 f., S. 239, S. 248, u. ç.; Geschichte des Kçniglichen Potsdamschen Militrwaisenhauses von seiner Entstehung bis auf die jetzige Zeit. Herausgegeben zur hundertjhrigen Stiftungsfeier der Anstalt im November 1824, Berlin/Posen 1824, ND Naufahrn/Percha 1984, S. 3 – 76; C. Hinrichs, Preußentum und Pietismus … (s. Anm. 410), S. 166 f.; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 721.

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schaft zu den wesentlichen Voraussetzungen der spezifischen Strukturprgung vom Typ der Kantonverfassung Friedrich Wilhelms I. – und damit auch seines Nachfolgers – gehçrt habe. Daß das Kantonsystem an Rhein und Weser nur kurze Zeit bestanden hat oder stark modifiziert wurde, kann nicht mehr auf die grundherrschaftliche Agrarstruktur zurîckgefîhrt werden.507 Wir sehen heute, daß das Kantonsystem sowohl auf dem Gebiet der Guts- als auch der Grundherrschaft mçglich und lebensfhig war. Neuerdings werden gerade den Thesen von der allseitigen Militarisierung des alten Preußen gewichtige Argumente entgegengehalten; die Personalidentitt von Gutsherr und Offizier ist mit empirischen Grînden angezweifelt worden.508 Allenfalls hat der Gutsbetrieb fîr den zahlreichen kleinen Adel, der in die Offiziersstellen einrîckte, eine materielle Basis geboten. Aber jede Kontinuittstheorie von den Zeiten Friedrich Wilhelms I. bis in das 19., ja 20. Jahrhundert mîßte erst den Beweis erbringen, daß die vormoderne Heeresverfassung um 1740 in wesentlichen Elementen die Zeit der Heeresreform nach 1808/14 îberstanden htte, die doch mit den Prinzipien von Kantonsystem und Auslandswerbung samt Exemptionen brach. Wir haben in Staatsorganisation, Verwaltung und Heeresverfassung immer wieder starke Traditionalitten bilanziert, die auf die spezifischen Bedingungen des 18. Jahrhunderts verweisen. Friedrich Wilhelm I. hat unter diesen Voraussetzungen auf zivilem und auf militrischen Gebiet nicht eigentlich Strukturen neu geschaffen, wohl aber geformt und zu ungewçhnlicher Effizienz bei geringen materiellen Voraussetzungen gesteigert. Dieses Fazit ergibt sich aus unserer Betrachtung dieses Kçnigs unter der Fragestellung von Strukturen und Persçnlichkeit in der Geschichte. 507 Jîrgen Kloosterhuis, Bauern, Bîrger und Soldaten: Grundzîge der Sozialisation des Militrsystems im preußischen Westfalen, 1713 – 1803, in: Ders. (Bearb.), Bauern, Bîrger und Soldaten. Quellen zur Sozialisation des Militrsystems im preußischen Westfalen 1713 – 1803 (= Verçffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C, 29), S. VII-XXXII, hier S. XI f., S. XVI f.; vgl. Ders., Zwischen Aufruhr und Akzeptanz. Die Ausformung und Einbettung des Kantonsystems in die Wirtschafts- und Sozialstruktur des preußischen Westfalen, in: B. R. Kroener / R. Prçve (Hg.), Krieg und Frieden … (s. Anm. 498), S. 167 – 190, hier S. 175 ff.; anders noch O. Bîsch, Militrsystem … (s. Anm. 500), S. 48 ff.; vgl. Peter Burschel, Von Prîgel und hçherer Kultur. ˜ber eine Quellensammlung zur Sozialgeschichte des preußischen Militrs, in: ForschBrandPrG NF 3 (1993), S. 251 – 254, hier S. 252 (zu den Forschungen von Kloosterhuis). 508 H. Harnisch, Kantonsystem … (s. Anm. 498), S. 140, S. 146 f., S. 164 f.; Frank Gçse, Zwischen Garnison und Rittergut. Aspekte der Verknîpfung von Adelsforschung mit Militrgeschichte am Beispiel Brandenburg-Preußens, in: Ralf Prçve (Hg.), Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militrgeschichte der Frîhen Neuzeit, Kçln/Weimar/Wien 1997, S. 109 – 142, hier S. 121 ff.; Peter H. Wilson, Social Militarization in Eighteenth-Century Germany, in: German History 18 (2000), S. 1 – 39, hier S. 4 f., S. 21 – 33.

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§ 7 Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen bis 1740 Diese Problemstellung lßt sich gleichfalls auf denjenigen Bereich der sowohl gesellschaftlichen als auch staatlichen Existenz Brandenburg-Preußens in Anwendung bringen, den man im allgemeinen als Merkantilismus zu bezeichnen pflegt. Dieser Begriff, so ließe sich zeigen, ist ja als Epochenbegriff gerade am preußischen Beispiel geprgt worden, doch ist davor zu warnen, den Merkantilismus im allgemeinen und denjenigen in Preußen im besonderen allzu schematisch in einen linearen Phasenverlauf von Fortschritten einzufîgen,509 jedenfalls nicht ungeprîft. Gewiß konnte die staatliche Wirtschaftspolitik im 18. Jahrhundert an die Manufakturentwicklung des spten 17. Jahrhunderts anknîpfen, sowohl was die Manufakturpolitik anging, als auch etwa im Hinblick auf die Siedlungspolitik, und es ist unverkennbar, daß die Ansiedlung der Hugenotten im spten 17. Jahrhundert einen temporren Schub in der Wirtschaftsentwicklung der mittleren Provinzen zur Folge hatte.510 Die Importierung von hochqualitativen und von Luxusgewerben korrespondierte mit der Entwicklung einer hçfischen Gesellschaft in den beiden Jahrzehnten vor und nach 1700, in denen mit Absatz und Nachfrage noch am ehesten zu rechnen war, wenngleich es die neuen Branchen in Brandenburg-Preußen nie ganz leicht gehabt haben. Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., dessen zsurhafte Bedeutung auf den Gebieten der politischen Strukturen (soeben) untersucht worden ist, bedeutete in dieser Hinsicht fîr die çkonomischen, zumal fîr die Nachfrageverhltnisse einen tiefen Schnitt. Denn die Umstellung von ostentativer Dauerreprsentation aus der Zeit der Kronpolitik Friedrichs I. auf die Praktik fallweisen Prunks, wie wir ihn schon fîr Friedrich Wilhelm I. geschildert haben, hatte ja nicht nur Folgen fîr Hofgesellschaft und Staatsfinanz. Gerade im Berliner Raum war damit eine tiefe wirtschaftsgeschichtliche Zsur 509 Aus der Lit. als Klassiker Gustav Schmoller, Das Merkantilsystem in seiner historischen Bedeutung: stdtische, territoriale und staatliche Wirtschaftspolitik, zuerst 1884, wieder in: Ders., Umrisse … (s. Anm. 176), S. 1 – 60, bes. S. 42 ff.; vgl. damit grundstzlich Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalçkonomie (= Enzyklopdie der Rechts- und Staatswissenschaften), Berlin/Heidelberg/New York 81965, S. 45, S. 248 ff.; Fritz Blaich, Die Epoche des Merkantilismus (= Wissenschaftliche Paperbacks, 3), Wiesbaden 1973, S. 1 – 10, Preußen: S. 170 ff. – jeweils mit Lit.; Ingomar Bog, Der Merkantilismus in Deutschland, zuerst 1961, wieder in: Ders., Wirtschaften in geschichtlichen Ordnungen, Idstein 1986, S. 40 – 57, bes. S. 42 ff.; zuletzt spezieller Burkhard Nolte, Merkantilismus und Staatsrson in Preußen. Absicht, Praxis und Wirkung der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und in westflischen Provinzen (1740 – 1786) (= Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung, 10), Marburg 2004, S. 8 ff. 510 Vgl. oben bei Anm. 176 und 409 und S. Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“ … (s. Anm. 409), S. 69 – 87, bes. S. 73 f., S. 80 ff.

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verbunden, eine, die fîr den preußischen Merkantilismus und die Staatswirtschaft im 18. Jahrhundert große Signifikanz besitzt. Die Reduktion des Hofes mit dem Herrscherwechsel des Jahres 1713, die z. T. drastische Reduzierung der Beamtengehlter u.a.m., bei gleichzeitiger Ausweitung der Armeeausgaben hatten wirtschaftsstrukturelle Folgen.511 Ohne Widerspruch aus der Berliner Amtstrgerhierarchie ist dieser Schritt nicht abgegangen; es war der Proteg¤ des neuen Monarchen, der Minister Grumbkow, der in einer Immediatsupplik Friedrich Wilhelms I. vor der Radikalitt der Maßnahmen warnte, indem er die Verhltnisse bisher, den Verbrauch und seine wirtschaftlich stimulierenden Folgen, die Anziehungskraft auf auswrtige Besucher, auch den Wert hçfischen Kunstkonsums hervorhob. Der reiche Hofstaat habe die Staatseinnahmen aus der Akzise angehoben und fîr Auftrge an das Handwerk gesorgt, damit auch die „Circulation des Geldes“ befçrdert. Diese Quelle sei nun „verstopfet“, und deshalb bestînde nun die ernste Gefahr, daß die Steuereinnahmen des Staates zurîckgingen. Aus der unmittelbaren Umgebung des Monarchen wurde also die Alternative zu dessen ersten Regierungsmaximen programmatisch formuliert: Der Hofstaat solle nicht verkleinert, er solle vergrçßert werden, die Kînstler solle man halten, die Bauttigkeit in der Residenz dîrfe nicht eingeschrnkt werden. Solche Demarchen hatten keine Chancen, und es ist belegbar, daß sich Friedrich Wilhelm I. sehr wohl bewußt war, daß er das Ruder hart herumwarf; wir sehen schon, daß er damit also sehr persçnlich und unmittelbar wirksam die staatlichen Wirtschaftsstrukturen prgte. Vielleicht war dies auf keinem Gebiete so deutlich und so nachhaltig wie auf dem çkonomischen. Aus der Distanz eines Vierteljahrhunderts hat er selbst den strukturprgenden Umbruch am Beispiel Berlins przis beschrieben. Es sei ja „bekannt, daß die Stadt Berlin zu einer Hofhaltung angeleget ist, die aber anno 1713 abgeschaffet worden; also S. K. M. auf andere Mittel gedacht, diese Stadt zu souteniren und in specie der Armuth Unterhalt zu schaffen, da dann kein ander Mittel dazu gewesen, als die Soutenirung der Manufacturen und die Errichtung des Lagerhauses, daraus sehr viele Leute ihren Verdienst bekommen. Denn weil alle Mundirungstîcher der Armee hier gemachet werden mîssen, so hat die Armuth durch Wollkmmen und Spinnen und dergleichen ihren Unterhalt dabei gefunden, welches auch viele Jahre so geschehen.“512

511 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 198), 1938, S. 40 f.; W. Neugebauer, Berlin-Potsdam-Wusterhausen … (s. Anm. 419), S. 237 ff.; H. Rachel / P. Wallich, Berliner Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 211; Grumbkows Immediateingabe: A. B. B., 1, S. 461 – 474, Nr. 159 (28. Mai 1713). 512 A. B. B., 5, 2. Hlfte, S. 541 f., Nr. 321 (28. August 1738), auch mit scharfer Kritik an der Aufweichung dieser Wirtschaftsprinzipien.

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Das, was also zunchst eintrat, war eine bewußt in Kauf genommene Wirtschaftskrise im Residenzraum der mittleren Provinzen; Firmenzusammenbrîche, Verminderung von Handel und Kredit, wohl auch ein mehrjhriger Bevçlkerungsrîckgang gehçrten zu den Folgen.513 Daß zugleich die çstlichsten Gebiete des Staates sich in einer – wohl in der Tat – dramatischen Wirtschaftslage befanden, wird noch zu schildern sein. Mit der Begrîndung des Lagerhauses, der der Monarch also eine sehr strategische Bedeutung zumaß, wurden die Gegenmaßnahmen eingeleitet, die also in unmittelbarem Konnex mit dem Ausbau der preußischen Armee gestanden haben. Bei dieser Umstellung von Luxusproduktion auf Heeresbedarf, und zwar mit – in heutigen Begriffen – arbeitsmarktpolitischen Absichten, hat sich Friedrich Wilhelm zunchst des Wissens und wohl auch der finanziellen Mçglichkeiten des Ministers Kraut(t) bedient, der ja vor 1713 an der Finanzierung des Hofbedarfs – und auch des Schlossbaus – vorzîglich verdient hatte. Die Grîndung dieses Zentralbetriebes fîr das „Heeresbekleidungswesens“ ist nach 1713/14 abgeschlossen worden, 1715 konnte die Produktion in der Berliner Klosterstraße aufgenommen werden. Die Herstellung von Wollstoffen konnte dabei auf sichere Massenabnahme rechnen, denn anfangs wurden dem Soldaten alle zwei Jahre, seit 1724 sogar jhrlich eine neue Uniform gegeben. Im Jahre 1716 war das Lagerhaus bereit, die „erste vollstndige Heereslieferung“ zu stellen.514 Die Kapazitt dieses Großbetriebes, der 1738 die nach den Maßstben der Zeit horrende Zahl von 4.730 Arbeitern beschftigte, war bald groß genug, um auch fîr die Zivilnachfrage zu produzieren. Im Jahre 1718 konnte – ganz den Grundstzen merkantiler §konomie entsprechend – der Gebrauch feiner auslndischer Tuche verboten werden, im folgenden Jahr erging der Erlaß, daß alle auswrtigen Textilien ausgesperrt werden sollten; fîr feinere Tuche erhielt das Berliner Lagerhaus unter Friedrich Wilhelm I. sogar ein fçrmliches Monopol. Nach dem Tode Krautts ist das Lagerhaus als Staatsbetrieb fortgefîhrt worden, und zwar unter der Regie des Potsdamer Militrwaisenhauses. Auch darin kam die Verknîpfung von Wollindustrie und Militrleben zum Ausdruck, daß mit dem Lagerhaus Arbeitsmçglichkeiten fîr das mit dem Stehenden Heer erwachsende 513 H. Rachel / P. Wallich, Berliner Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 211; Helga Schultz, Berlin 1650 – 1800. Sozialgeschichte einer Residenz. Mit einem Beitrag von Jîrgen Wilke, Berlin 1987, S. 97 f.; Felix Escher, Die brandenburgisch-preußische Residenz und Hauptstadt Berlin im 17. und 18. Jahrhundert, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichte Berlins, 1: Von der Frîhgeschichte bis zur Industrialisierung, Mînchen 1987, S. 343 – 403, hier S. 382. 514 Carl Hinrichs, Das Kçnigliche Lagerhaus in Berlin, in: ForschBrandPrG 44 (1932), S. 46 – 69, bes. S. 47 – 53, das Zitat S. 53; Ders., Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. (= Acta Borussica …), Berlin 1933, auch als Nachdruck mit einer Einleitung von Stefi Jersch-Wenzel, Frankfurt am Main 1986/87, S. 139 ff.; Arbeiter: K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 498), S. 233.

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Militrproletariat, d. h. fîr Soldatenfrauen und -kinder, entstanden. Denn zur zentralen Komponente dieser Wollmanufaktur mit Weberei, Frberei und Appretur kam die dezentrale der Heimarbeit; 1740 wurden 800 Spinner gezhlt, die im Lande fîr das Lagerhaus arbeiteten, im Jahre 1774 waren dies schon 1.500.515 Daß gerade die Wollindustrie ein, wenn nicht das Zentrum der staatlichen Wirtschaftspolitik geworden ist, hatte nicht zuletzt den Grund, daß in dem ressourcenarmen Staat mit der Wolle einer der wenigen Rohstoffe zur Verfîgung stand. Es lag daher ganz in der praktischen Logik des preußischen Merkantilismus, daß, nachdem die Verarbeitungskapazitten in den ersten Jahren Friedrich Wilhelms entwickelt worden waren, die Ausfuhr von Rohwolle allgemein verboten worden ist. Dieser Befehl mußte allerdings mehrmals wiederholt werden; 1723 wurde das Wollausfuhrverbot aus Kurmark, Magdeburg und Halberstadt und das Gebot, den Rohstoff dem Berliner Lagerhaus anzubieten, mit der Androhung der Todesstrafe bei Zuwiderhandeln bekrftigt,516 wenngleich diese wohl nie vollstreckt worden ist. Die Wiederholungen der Wollausfîhrverbote weisen – auch in diesem speziellen Falle – eher darauf hin, daß immer wieder Bedarf bestand, diese Verfîgungen in Erinnerung zu rufen. An Widerstnden hat es also nicht gefehlt, auch nicht an solchen gegen das Lagerhaus, zumal die monopolistische Struktur den privaten (Textil-)Unternehmern und den Stdten ein Stein des Anstoßes gewesen sein mußte. Gleichwohl hat das Lagerhaus Absatzkrisen und Regierungswechsel, wie den von 1740, îberstanden und hat in wechselnder Trgerschaft bis in das 19. Jahrhundert produziert, wenn auch im ausgehenden 18. Jahrhundert schon mit deutlichem Rîckgang.517 Um 1785 sind noch einmal Maxima der Umstze zu bilanzieren. 515 C. Hinrichs, Lagerhaus … (s. Anm. 514), S. 55 ff.; H. Rachel, Berliner Wirtschaftsleben … (s. Anm. 266), S. 122 f.; H. Rachel / P. Wallich, Berliner Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 166 – 184; Harald Reissig, Das Berliner Lagerhaus 1713 – 1816. Zum Einfluß von Regierung und Wirtschaft auf die Entwicklung einer altpreußischen Staatsmanufaktur, in: JbGMitteldtld 29 (1980), S. 68 – 95, hier S. 89. 516 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 172; R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 421), S. 338 – 341; C. O. Mylius, Corpus … (s. Anm. 72), 5. Tl., 2. Abt., 4. Kap., Sp. 353 – 356, Nr. 80; H(ugo) Rachel, Die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik Preußens 1713 – 1740 (= Acta Borussica …) Die einzelnen Gebiete der Verwaltung. Handels-, Zoll- und Akzisepolitik, 2, 2. Hlfte), Berlin 1922, ND Frankfurt am Main 1986/87, S. 47 – 50; C. Hinrichs, Lagerhaus … (s. Anm. 514), S. 54; Ders., Wollindustrie … (s. Anm. 514), S. 58 ff.; (Helga Schultz), Residenzstadt im Sptfeudalismus, in: Ingo Materna u. a., Geschichte Berlins von den Anfngen bis 1945, Berlin 1987, S. 155 – 290, hier S. 241 ff.; noch immer nîtzlich: Moritz Meyer, Die Handwerkerpolitik Kçnig Friedrich Wilhelms I. (1713 – 1740) (= Geschichte der Preussischen Handwerkerpolitik. Nach amtlichen Quellen, 2), Minden i. W. 1888, S. 12. 517 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 184; Widerstnde: A. B. B., 6, 2. Hlfte, S. 74; Ingrid mittenzwei, Friedrich II. von Preußen. Eine Bio-

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Das fîr Jahrzehnte bestehende faktische Inlandsmonopol fîr feine Tuche korrespondierte – zumal nach 1740 – mit mangelnder Konkurrenzfhigkeit im europischen Maßstab. Das schloß allerdings nicht aus, daß in der Zeit Friedrich Wilhelms I. die Textilproduktion auch dazu eingesetzt worden ist, um das merkantilistische Motiv, Fertigwaren zu exportieren, zu fçrdern. Dabei spielten außenpolitische Motive eine erhebliche Rolle, als es in der Mitte der zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts gelang, entsprechende Handelsverbindungen nach Rußland zu knîpfen. Der privilegierte Zusammenschluß mehrerer Berliner Handelshuser, zu denen dann weitere im Lande traten, schuf die Basis der Russischen Kompanie, die îber das eben zu Preußen gekommene Stettin Militrstoffe nach Rußland lieferte. Der Export wurde preußischerseits zollpolitisch massiv gefçrdert. Die Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zu Rußland in den 1730er Jahren einerseits und die îberlegene englische Konkurrenz im Ostseehandel andererseits machten der Russischen Kompanie, fîr die auch außerhalb der Mark Brandenburg gearbeitet werden sollte, noch zu Zeiten Friedrich Wilhelms I. ein Ende. Sie ist nach Kîndigung der Handelsbeziehungen durch Rußland in Folge der Aufhebung des Privilegs nach 1737/38 zum Erliegen gekommen.518 Die Tuch- und Wollindustrie als (ein) Leitgewerbe im preußischen Staat des 18. Jahrhunderts hatte also in Berlin ihr Zentrum, und von hier aus wurde die gesamtstaatliche Wirtschaftspolitik organisiert, wobei die mittleren Provinzen zu einer besonderen Wirtschaftseinheit zusammenzuwachsen begannen.519 Diese Zentralittsstruktur im Gesamtstaat trat bei der Entwicklung der preußischen Rîstungsindustrie besonders markant hervor. War um 1713 eine solche graphie, Kçln 21980, S. 37; Entwicklung im 18. Jahrhundert: H. Reissig, Lagerhaus … (s. Anm. 515), S. 68 – 85, die Grafik S. 75, zuletzt S. 83; Historische Nachricht, von den Haupt-Manufacturen der Tîcher, Hîthe, Strîmpfe und andrer wollenen Waaren in der Churmark, in: Historische politisch-geographisch-statistisch- und militrische Beytrge, die Kçniglich-Preußische und benachbarte Staaten betreffend, 1, Berlin (1781), S. 185 – 210, hier S. 202 ff. 518 Gustav Schmoller, Die russische Compagnie in Berlin. 1724 – 1738. Ein Beitrag zur Geschichte der brandenburgischen Tuchindustrie und des preuß. Exports im 18. Jahrhundert, zuerst 1883, wieder in: Ders., Umrisse … (s. Anm. 176), S. 457 – 529, bes. S. 466 f., S. 474 – 480, S. 487 – 494, S. 498 ff., S. 523, S. 527 ff.; C. Brinkmann, Handel … (s. Anm. 267), S. 361; C. Hinrichs, Wollindustrie … (s. Anm. 514), S. 468 f., Nr. 68 (1731); Otto Hintze, Die Industrialisierungspolitik Friedrichs des Grossen (verglichen mit den von Goßlerschen Plnen fîr Westpreußen). Vortrag gehalten bei Gelegenheit der sechsten ordentlichen Mitgliederversammlung des Verbandes Ostdeutscher Industrieller am 19. September 1903 in Danzig, in: Ders., Historische und politische Aufstze, 2, Berlin 21927, S. 131 – 173, hier S. 145; H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 225 – 229. 519 W. Neugebauer, Verhltnis … (s. Anm. 4), S. 186, S. 193 f., und passim.

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noch „kaum“ vorhanden,520 so mußte die Abhngigkeit von Fremdimporten im Zuge der Heeresvermehrung natîrlich minimiert werden. Das, was anfangs in Preußen zur Verfîgung stand, war nicht mehr als „eine Stîckgießerei und eine Pulverfabrik in Berlin, einige Eisenhîttenwerke in der Kurmark, die Kugeln und Bomben fîr die Artillerie gossen, ein Kupferhammer und ein Messingwerk, beide in Eberswalde“. Damit stagnierte Preußen in etwa auf der Basis derjenigen Kapazitt, îber die man schon in den Zeiten des Großen Kurfîrsten verfîgt hatte. Kanonen mußten aus Holland herbeigeschafft oder aus dem – politisch nicht eben befreundeten – Schweden importiert werden. Auch der Bedarf an Schießpulver war aus einheimischer Produktion nicht zu decken; Blank- und Handfeuerwaffen wurden aus Thîringen, Solingen oder aus Lîttich verschrieben. Diese auffllige Importabhngigkeit hatte im unzureichenden einheimischen Erzaufkommen einen wesentlichen Grund; Mangel an Fachkrften kam zeitspezifisch und typisch hinzu. Das, was unter Friedrich Wilhelm I. erreicht werden konnte, war daher auch noch lange nicht der Zustand der Autarkie. Vor allem wurde nun im mittelmrkischen Wirtschaftsraum die Rîstungsindustrie gestrkt. Daß hier vergleichsweise gute Wasserstraßen vorhanden waren, spielte dabei eine große Rolle, denn im 18. Jahrhundert waren Massengîter und schwere Lasten îber Land in aller Regel nicht zu transportieren. Elbe, Spree und das Kanalnetz zwischen den Stromsystemen spielte dabei also eine große Rolle, nicht nur die Entscheidung des Monarchen, im Residenzraum um Berlin und Potsdam nun auch in çkonomischer Funktionsteilung dieses Element der Staatsfunktionen zu konzentrieren. Nicht zufllig liegt das Berliner Zeughaus ganz in der Nhe der Spree.521 Auch bei der Entwicklung der Rîstungskomponente hat sich Friedrich Wilhelm I. auf eine Kooperation mit privaten Unternehmern gestîtzt – man erinnere sich an den Kaufmann, Bankier und Minister Kraut(t) beim Lagerhaus. Nun waren es die Kaufleute Splitgerber und Daum, die, aus kleinen Verhltnissen aufgestiegen, durch besondere Anpassungsfhigkeit um 1713 und gute Beziehungen zum Hof sich besonders empfohlen hatten.522 Nicht nur als „Bankiers des Hofes und der vornehmen Welt“ (Rachel/Wallich) konnten sie sich behaupten und in erstaunlichem Maße aufsteigen, sondern indem sie von der Lieferung der Artilleriemunition bis hin zur Bereitstellung beziehungsweise Verwaltung von Werbegeldern dem Kçnig zur Hand gingen und damit den 520 Paul Rehfeld, Die preußische Rîstungsindustrie unter Friedrich dem Großen, in: ForschBrandPrG 55 (1944), S. 1 – 31, hier S. 4 (auch das folgende Zitat). 521 P. Rehfeld, Rîstungsindustrie … (s. Anm. 520), S. 4 f. 522 Wilhelm Treue, David Splitgerber. Ein Unternehmer im preußischen Merkantilstaat (1683 – 1764), in: VSWG 41 (1954), S. 253 – 267, bes. S. 254 ff.; Emil von Siefart, Das lteste Berliner Bank- und Handelshaus „Splitgerber und Daum“, jetzt „Gebrîder Schickler“, in: MittVGBerlin 25 (1908), S. 314 – 323, passim; H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 210 – 215, das Zitat S. 212.

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staatlichen Verwaltungsapparat und seine Funktionen auf signifikante Weise auf privatwirtschaftlicher Basis ergnzten, vielleicht auch entlasteten. Metallwerke haben sie auf Pachtbasis betrieben, und sie waren ganz wesentlich involviert, als 1722 der Kçnig durch die Anlage der Gewehr- und Blankwaffenfabrik zu Potsdam und Spandau daranging, der preußischen Rîstungsindustrie ein neues Zentrum zu verschaffen.523 An beiden Standorten wurde arbeitsteilig produziert, und zwar noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als dann diese Werksttten in Staatsbesitz îbergingen. Zunchst kam es darauf an, das nçtige Fachwissen zu beschaffen. Dieses, in der frîhen Neuzeit in aller Regel personengebunden, wurde mit dem Fachpersonal selbst importiert. Arbeiter aus dem Lîtticher Industrierevier wurden nach Spandau und Potsdam gezogen. Nach 1743 hat Splitgerber das Unternehmen, das auch îber gute internationale Handelskontakte verfîgte, allein geleitet. Zeitweise war man in der Lage, Teile der Munitionsproduktion sogar zu exportieren. Zu den gepachteten Metallwerken gehçrten diejenigen bei Eberswalde, Zehdenick und Heegermîhle, ein Rîstungsverbund vom frîhen Kombinatstypus, einer von hoher Leistungskraft. Seit 1724 konnte die Einfuhr fremder Gewehre untersagt werden, und man hat unter Friedrich Wilhelm I. auch noch Waffen exportiert, und zwar nach Dnemark, Polen, Rußland und das alsbald verfeindete §sterreich. In Preußen hatte die Potsdam-Spandauer Gewehrfabrik „die ausschließliche Belieferung des preußischen Heeres mit Gewehren und blanken Waffen“ inne – und das bis 1840 (W. Treue).524 Die Firma stand immediat, d. h. direkt unter dem Kçnig, und in der Tat war „das persçnliche Verhltnis zum Monarchen … fîr die fîhrenden Kaufleute unbezahlbar“. Trotz – wohl emotionaler – Abneigungen Friedrichs II. gegenîber Splitgerber hat diese Verbindung durchaus gehalten, und nach 1740 ist es sogar dazu gekommen, daß dieser (und andere) Unternehmer z. B. gutachtend auf die staatliche (Außen-) Handelspolitik Einfluß nehmen konnten.525 Zu dieser Zeit setzte in Schlesien dann die Entwicklung

523 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 213, S. 215 – auch zum Folgenden; W. Treue, Splitgerber … (s. Anm. 522), S. 255 – 258; P. Rehfeld, Rîstungsindustrie … (s. Anm. 520), S. 6 f., S. 13 ff.; W. Martin, Manufakturbauten … (s. Anm. 264), S. 21 f., S. 131 – 136. 524 W. Treue, Splitgerber … (s. Anm. 522), S. 258 f., folgendes Zitat S. 257; P. Rehfeld, Rîstungsindustrie … (s. Anm. 520), S. 8; W. O. Henderson, Studies in the Economic Policy of Frederick the Great, Liverpool/London 1963, S. 6 f. 525 W. Treue, Splitgerber … (s. Anm. 522), S. 256, S. 262 f.; Wolfgang Neugebauer, Frankreich in der Mark um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Betrachtungen zu den Marktbeziehungen von Land und Residenz, in: Ursula Fuhrich-Grubert / Angelus H. Johansen (Hg.), Schlaglichter Preußen-Westeuropa. Festschrift fîr Ilja Mieck zum 65. Geburtstag (= Berliner Historische Studien, 25), Berlin 1997, S. 319 – 334, hier S. 321 f.

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eines zweiten Industrie- und Rîstungsstandortes ein, mit Hîttenwerken und Hochçfen und mit Geschîtzguß etwa in Breslau.526 Das waren Leitindustrien unter Friedrich Wilhelm I. und auch danach, und fîr diesen Monarchen mit seinem extremen Fiskalismus waren dies immer zugleich auch Instrumente, um die finanziellen Spielrume des Staates zu erweitern. Die Wirtschaft war dazu ein Mittel, und um die Etats kalkulierbar zu halten, durfte der Staat in der Regel nicht selbst unmittelbar unternehmerisch ttig werden. Diesem Grundsatz entsprach ebenso die Verpachtung der Salzproduktion wie diejenige der Domnen. Die Kolonial- und Marinepolitik wurde endgîltig beendet – sie blieb in der frîhen Neuzeit eine im Lichte spterer Flottendiskussionen gern – und z. T. bewußt – îberschtzte Episode. In das gewonnene Bild der staatlichen Manufakturfçrderung und -politik paßt auch das Beispiel der „Gold- und Silberfabrik“ in Berlin oder das der Alaunwerke im Lande.527 Außer den genannten Betrieben sind nach 1713 îberhaupt Textilmanufakturen von großer Bedeutung gewesen – Basisversorgung von Armee und Gesellschaft in der Phase des Merkantilismus, wenngleich es nicht gelungen ist, etwa von fremder Leinwand unabhngig zu werden. Berlin blieb weiterhin das Gewerbezentrum fîr bessere Waren, insbesondere fîr die Feinzeug- und die Tuchproduktion. Die Fertigung von Luxusgîtern hçrte nicht auf, sie ging nur zurîck, und der Kçnig hat – schon vor 1740 – etwa die Seidenindustrie durchaus unterstîtzt, wenn auch ohne großen Erfolg. Zuschîsse und staatliche Reglements sollten da eingreifen, wo der Staat direktes Engagement eben vermied.528 Freilich, bei aller merkantilistischen Programmatik, wie sie vor allem in Behçrdeninstruktionen dem politischen Handeln zugrundegelegt wurde, blieb doch insbesondere bei den Bemîhungen, den einheimischen Markt zu schîtzen und die Einfuhr von Waren zu verbieten, die auch im Inland hergestellt werden konnten, zwischen Ansprîchen und Wirklichkeit des (preußischen) Absolutismus selbst auf diesem Felde staatlicher Ttigkeit eine 526 P. Rehfeld, Rîstungsindustrie … (s. Anm. 520), S. 12, S. 17 ff.; Peter Baumgart, Zur Rolle des preußischen Staates bei der Modernisierung der oberschlesischen Montanindustrie am Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Neugebauer / Ralf Prçve (Hg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700 – 1918 (= Innovationen, 7), Berlin 1998, S. 65 – 87, bes. S. 74 ff. 527 H. Rachel, Merkantilismus … (s. Anm. 265), S. 232 f.; Caspar Abel, Preußische und Brandenburgische Reichs- und Staats-Georgraphie …, Leipzig und Gardelegen 21735, S. 147, S. 207, u. ç., das Folgende S. 234 ff.; Detlef Kotsch, Potsdam. Die preußische Garnisonstadt, Braunschweig 1992, S. 29. 528 H. Rachel, Merkantilismus … (s. Anm. 265), S. 234; Rolf Straubel, Manufakturen im Berliner Gewerbe des 17. und 18. Jahrhundert, in: Erika Herzfeld, Preußische Manufakturen. Großgewerbliche Fertigung von Porzellan, Seide, Gobelins, Uhren, Tapeten, Waffen, Papier u. a. im 17. und 18. Jahrhundert in und um Berlin, o. O. 1994, S. 9 – 31, hier S. 12 f., S. 17 f., S. 22 ff.

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Kluft. Die Handelsbilanz blieb passiv, hochwertige Importe aus Frankreich, den Niederlanden, aus Spanien und Venedig waren nicht zu vermeiden.529 Die Wirtschaft hat Friedrich Wilhelm I. als eines seiner unmittelbaren und sehr persçnlichen Ttigkeitsfelder angesehen. Dies gilt auch fîr die Handwerkerpolitik, in die er bisweilen bis ins Detail hinein intervenierte. Allerdings sind die Grundstze preußischer Strukturpolitik im 18. Jahrhundert, nmlich Stadt und Land strikt zu trennen und in diesem Sinne auf dem Lande nur wenige, genau bestimmte Handwerksarten zuzulassen, gerade nicht vollstndig durchfîhrbar gewesen und eher ein Beispiel dafîr, daß der Spielraum des Nichtabsolutistischen im Absolutismus bis in das Feld der Gewerbepolitik hineinragte.530 øltere Gewohnheiten, in Jahrhunderten entstanden, ließen sich nicht ohne weiteres verdrngen. Ein wesentliches Motiv der brandenburg-preußischen Handwerkerpolitik war darin zu erkennen, daß îberlokale Zusammenschlîsse der – ja sehr mobilen, wandernden – Handwerker und deren Aktionsformen inhibiert, jedenfalls aber reduziert werden sollten. Seit den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts hatte gerade Kurbrandenburg deshalb diese Fragen am Regensburger Reichstag zur Sprache gebracht, denn nicht nur Provinz- beziehungsweise landschaftliche Grenzen wurden von den Handwerkern transzendiert, sondern auch – ganz selbstverstndlich – politische. Schon der Große Kurfîrst hatte Zunftrechte bisweilen durchbrochen, etwa dann, wenn er befahl, nach Brandenburg-Preußen ziehenden Kolonisten das Meisterrecht zuzugestehen.531 Das bevçlkerungs- und das gewerbepolitische Motiv, Menschen, zumal solche mit speziellen Kenntnissen und Fertigkeiten, in das Land zu ziehen, geriet frîh in Widerspruch mit dem alteuropischen Privilegienbestand der tradierten Korporationen, hier eben der Zînfte. Diese waren nach wie vor bestrebt, be529 M. Meyer, Handwerkerpolitik … (s. Anm. 516), S. 11 ff.; K. H. Kaufhold, Staatswirtschaft … (s. Anm. 241), S. 53; H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 214, S. 216; vgl. Anm. 525; Thomas Bertz, Der schsisch-preußische Elbhandel im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch fîr Regionalgeschichte 16 I (1989), S. 94 – 101, hier S. 95 ff. 530 August Skalweit, Das Dorfhandwerk vor Aufhebung des Stdtezwanges (= Abhandlungen des Europischen Handwerks-Instituts Frankfurt am Main, 1), Frankfurt am Main (1942), S. 45 f.; vgl. Gustav Schmoller, Das brandenburgisch-preußische Innungswesen von 1640 bis 1800, hauptschlich die Reform unter Friedrich Wilhelm I., in: Ders., Umrisse … (s. Anm. 176), S. 314 – 456, hier S. 374, S. 376; Helga Schultz, Handwerkerrecht und Zînfte auf dem Lande im Sptfeudalismus, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 7 (1983), S. 326 – 350, bes. S. 336 ff., auch zu den „Principia regulativa“ von 1718; Hartmut Harnisch, Die Landgemeinde in der Herrschaftsstruktur des feudalabsolutistischen Staates. Dargestellt am Beispiel von Brandenburg-Preußen, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 13 (1989), S. 201 – 245, hier S. 220. 531 M. Philippson, Kurfîrst … (s. Anm. 137), hier 3, S. 108 f.; Rudolf Wissel, Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, 3 (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 7), Berlin 1981, S. 59 ff., S. 107 f.

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stimmte Exklusivittskriterien aufrechtzuerhalten; auch insofern standen Traditionen und Handwerksbruche im Widerspruch zu den staatlichen Interessen der Gewerbefçrderung.532 Die Kommissariatsverwaltung, zustndig auch fîr die Zunftsachen, hatte schon mehr und mehr in diesem Bereich interveniert. Der Reichstagsabschied des Jahres 1731 bot dann den reichsweiten rechtlichen Rahmen, um auch in Brandenburg(-Preußen) die Autonomie des Zunftlebens einzuschrnken. Im folgenden Jahr wurde die Reichszunftordnung in Brandenburg-Preußen – soweit es zum Heiligen Reich gehçrte – publiziert und in Kraft gesetzt; der Versuch wurde unternommen, Gesellenbruderschaften zu beseitigen und das korporativ-genossenschaftliche Element auch insofern zu reduzieren. Die Staatsaufsicht sollte verstrkt werden. Gesellenladen, Fahnen und andere Utensilien sind im Lande eingezogen worden. Eine landesherrliche Kommission hatte neue und îberlokale Zunftartikel fîr die einzelnen Gewerke auszuarbeiten, etwa fîr die ganze Kur- und Neumark; sie wurden in der Mitte der 1730er Jahre publiziert und galten fîr alle Stdte. Analog wurden sie an alle Kriegs- und Domnenkammern (außer denjenigen in der nicht zum Heiligen Reich gehçrenden Provinz Preußen) gesandt, gewiß ein Schritt potentieller Unifizierung auf einem von besonders langlebigen Traditionen geprgten Bereich. Auch die Eigengerichtsbarkeit der Zînfte wurde drastisch reduziert. Diese „Innungsstatuten“ (Schmoller) blieben in Kraft bis zur Gewerbeordnung des Jahres 1845. Insgesamt waren es rund 60 Generalprivilegien, die nun an die Stelle der lteren Innungsbriefe traten. Die auswrtigen Kontakte der Gesellen wurden reduziert, auswrtige Korrespondenzen waren untersagt, solche mit fremden Zînften sollten die stdtischen Magistrate kontrollieren. In den preußischen Westprovinzen verfolgten Zunftforderungen der achtziger Jahre noch einmal das gleiche Ziel.533 Allerdings haben wandernde Handwerker auch im spten 18. Jahrhundert etwa in den mittleren Provinzen gearbeitet, die nach wie vor einen großen, ja europischen Mobilittsradius aufwiesen. Außerdem 532 G. Schmoller, Innungswesen … (s. Anm. 530), S. 364 f. 533 G. Schmoller, Innungswesen … (s. Anm. 530), S. 319, S. 348 ff., S. 396 – 399, S. 401, S. 406 – 442; nîtzlich Fritz Blaich, Die Wirtschaftspolitik des Reichstages im Heiligen Rçmischen Reich. Ein Beitrag zur Problemgeschichte wirtschaftlichen Gestaltens (= Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen, 16), Stuttgart 1970, S. 148; Dietmar Peitsch, Zunftgesetzgebung und Zunftverwaltung Brandenburg-Preußens in der frîhen Neuzeit (= Europische Hochschulschriften, 442), Frankfurt am Main/Bern/ New York 1985, S. 116 ff., S. 146, S. 173; H. Schultz, Residenzstadt … (s. Anm. 516), S. 244 ff.; Rudolf Stadelmann / Wolfram Fischer, Die Bildungswelt des deutschen Handwerkers um 1800. Studien zur Soziologie des Kleinbîrgers im Zeitalter Goethes, Berlin 1955, S. 100 f.; Helga Schultz, Das ehrbare Handwerk. Zunftleben im alten Berlin zur Zeit des Absolutismus (= Regionalgeschichtliche Forschungen im Verlag Hermann Bçhlaus Nachfolger Weimar), Weimar 1993, S. 117; M. Meyer, Handwerkerpolitik … (s. Anm. 516), S. 82 – 95; R. Wissel, Handwerks Recht … (s. Anm. 531), 3, S. 129, S. 145 f.

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verlautet in den Quellen bisweilen, daß etwa bei Meisterstîcken sehr wohl ltere Observanzen neben den rechtlichen Normen der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts Bedeutung behielten.534 Auch dieser Bereich bleibt auf Resistenzen hin zu îberprîfen. In der Summe ist unter Friedrich Wilhelm I. im Zunftleben gewiß ein Stîck Autonomie abgebaut worden, und zwar – auch hier – in der Fortsetzung einer Politik, die unverkennbar auf Vorgngerprozesse seit dem spten 17. Jahrhundert aufgebaut hat. Wie auf dem Gebiet der Landesverwaltung oder beim Militr kann man von einer maximalen Uniformisierungstendenz sprechen, freilich doch mit einer vorsichtigen Einschrnkung, was die Grade der Umsetzung betrifft. Indem die Geschlossenheit korporativer Strukturen auf dem gewerblichen Sektor geschwcht worden ist, wurden zugleich Wege erçffnet zur flexibleren Gestaltung des gewerblichen Lebens, etwa zur Ansetzung sog. Freimeister bei Bedarf.535 Es waren praktische Bedîrfnisse, zumal solche von Staat und Armee, die die Entwicklung in dieser Zeit prgten, nicht aber waren es in Preußen theoretische Rekurse auf die Lehren der Kameralisten und Merkantilisten. Friedrich Wilhelm I. liebte es darauf zu verweisen, daß er seine Prinzipien nicht aus Bîchern, sondern aus der Erfahrung gewonnen habe. Aber das heißt nicht, daß er nicht durchaus auch eine quasi theoretische Ausbildung von Amtstrgern befîrwortet htte. Jedenfalls geht die Einrichtung von Kamerallehrstîhlen an den beiden Universitten Halle an der Saale und Frankfurt an der Oder auf ihn zurîck. Vor allem îber die Verwaltung von Domnenmtern, îber diejenige der Regalien und îber die stdtischen Polizeimaterien sollte fortan an den beiden preußischen Universitten unterrichtet werden, ferner „von Fabriquen, deren Vermehrung, wie auch Beibehaltung der Wolle im Lande und deren Verarbeitung“.536 Es handelte sich dabei um die ersten, wenn man es so weit fassen will, 534 R. Stadelmann / W. Fischer, Bildungswelt … (s. Anm. 533), S. 211; [anonym]: Etwas von Handwerkern; nebst einem Verzeichniß derer bey den mehresten Gewerken der Chur- und Mark Brandenburg îblichen Meisterstîcken, in: Halberstdtische gemeinnîtzige Bltter 1 (1785), S. 257 – 264, hier S. 260; Einschrfung 1735 in Kleve: J. J. Scotti (Hg.), Sammlung … (s. Anm. 210), 2. Tl., S. 1122, zu Nr. 1152. 535 Jîrgen Bergmann, Das „Alte Handwerk“ im ˜bergang. Zum Wandel von Struktur und Funktion des Handwerks im Berliner Wirtschaftsraum in vor- und frîhindustrieller Zeit, in: Otto Bîsch (Hg.), Untersuchungen zur Geschichte der frîhen Industrialisierung vornehmlich im Wirtschaftsraum Berlin/Brandenburg (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 6), Berlin 1971, S. 224 – 269, hier S. 258 ff. 536 W. Neugebauer, Bildungswesen … (s. Anm. 388), S. 649 ff.; A. B. B., 4, 2. Hlfte, S. 216 – 220, Nr. 140, das Zitat S. 219; Wilhelm Stieda, Die Nationalçkonomie als Universittswissenschaft (= Abhandlungen der Kçniglich Schsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Philologisch-historische Klasse, 25, Heft 2), Leipzig 1906, ND VaduzLiechtenstein 1978, S. 17 – 21; Hans Maier, Die ltere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 3. Aufl. (= dtv Wissenschaft, 4444), Mînchen 1986, S. 177 ff., vgl. auch

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„volkswirtschaftlichen“ Lehrstîhle an preußischen und an deutschen Universitten, eine also in jeder Hinsicht moderne Idee, vielleicht sogar ihrer Zeit allzusehr voraus. Denn die beiden erstberufenen Professoren waren gewiß keine originellen und offenbar auch in der Lehrwirkung keine nachhaltig prgenden Kçpfe, vielmehr Leute der Praxis und der Jurisprudenz. Der Hallenser Fachvertreter, der Jurist und Kriegs- und Domnenrat Sinion Peter Gasser hat in seinem Lehrbuch, der „Einleitung zu den Oeconomischen, Politischen und Cameral-Wissenschaften“ im Jahre 1729 aus frischer Erinnerung und unmittelbarem Erleben geschildert, wie er gleich 1727 den Befehl erhalten habe, sofort nach Berlin zu kommen, wo der Kçnig mit ihm îber die „Oeconomie“-Professur sprechen wolle. Bei dieser Audienz habe Friedrich Wilhelm „die erste Stunde in diesem collegio oeconomico-camerali selbst gelesen“, dem Hallenser Professor seine Ansicht îber die neuen Lehraufgaben unmittelbar erklrt und seine „Willens Meinung“ kund gegeben.537 Wenn es auch richtig ist, daß erst im spten 18. Jahrhundert unter dem Vorzeichen der neuen Wirtschaftsphilosophie eines Adam Smith an den preußischen Universitten tatschlich auf das çkonomische Denken preußischer Beamter systematischer und in grçßerem Umfang Einfluß genommen wurde, so kommt doch auch in dieser, nicht eigentlich kuriosen als vielmehr sehr typischen Episode der politische Stil eines Monarchen zum Ausdruck, der – stets angetrieben von einer lastenden Religiositt – glaubte, das sehr persçnliche Regiment in einem umfassenden und geradezu didaktischen Sinne in tglicher Arbeit praktizieren zu kçnnen und auch zu mîssen. Freilich ließe sich zeigen, daß gerade auf dem Gebiete des Bildungswesens – auch auf dem des hçheren Unterrichts – die Grenzen des Absolutismus besonders eng gezogen waren. Im Mittelpunkt der Staatsttigkeit im Alten Preußen aber standen Militr und Merkantilwirtschaft.538 S. 30; Bruno Feist, Die Geschichte der Nationalçkonomie an der Friedrichs-Universitt zu Halle (Saale) im 18. Jahrhundert, staatswiss. Diss. Halle a. S. 1930, Halle 1930, S. 34 – 54; Axel Rîdiger, Staatslehre und Staatsbildung. Die Staatswissenschaft an der Universitt Halle im 18. Jahrhundert (= Hallesche Beitrge zur Europischen Aufklrung, 15), Tîbingen 2005, S. 213 ff.; Wilhelm Bleek, Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg. Studium, Prîfung und Ausbildung der hçheren Beamten des allgemeinen Verwaltungsdienstes in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert (= Historische und Pdagogische Studien, 3), Berlin 1972, S. 65 ff., S. 72. 537 Dazu instruktiv: Simon Peter Gasser, Einleitung Zu den Oeconomischen Politischen und Cameral-Wissenschaften, Worinnen fîr dieses mal Die Oeconomico-Cameralia Von den Domainen- oder Cammer- auch andern Gîtern, deren Administration und Anschlgen so wol des Ackerbaues als anderer Pertinentien halber, samt den Regalien angezeiget und erlutert werden. Nebst Einem Vorbericht Von der Fundatio von der neuen oeconomischen Profession, und des Allerdurchlauchtigsten Stifters eigentlichen allergndigsten Absicht, Halle 1729, ND Glashîtten im Taunus 1970, S. 6 f., ferner S. 8 – 10. 538 Wolfgang Neugebauer, Zur Staatsbildung Brandenburg-Preußens. Thesen zu einem historischen Typus, in: JbBrandenbLdG 49 (1998), S. 183 – 194.

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§ 8 Kolonisation, Land und Herrschaftspraxis im preußischen Absolutismus Traditionsbestnde und Grenzen des Absolutismus im Preußen des 18. Jahrhunderts treten also sogar in Kernbereichen preußischer Staatsttigkeit auf Schritt und Tritt entgegen. Die preußischen Monarchen, auch diejenigen der klassischen absolutistischen Zeit waren keine Revolutionre; sie respektierten das ˜berkommene und formten traditionale Strukturbestnde um – im Sinne ihrer Staatsraison. Dies gilt im Staat der preußischen Hohenzollern, der trotz aller gewerblichen und Merkantilentwicklung ja stets ein Agrarstaat blieb, noch sehr viel mehr fîr die lndlichen Verhltnisse, zumal fîr die mittleren und çstlichen Territorien mit ausgeprgteren gutsherrschaftlichen Strukturen. Auf einem Felde hat der preußische Absolutismus aber sehr unmittelbar bis auf das einzelne Bauerndorf hindurchgegriffen, nmlich dort, wo mit der Siedlungspolitik teils krisenkompensatorisch, teils strukturentwickelnd eingewirkt wurde. Die Siedlungspolitik, zumal diejenige unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen, zhlt ohne Zweifel zu den bemerkenswerten Beispielen einer Infrastrukturpolitik, die, indem sie die Interessen der Staatsrson wahrnahm, zugleich die Lebensmçglichkeiten von Untertanen sicherte beziehungsweise sogar erst schuf. In Ostpreußen hatte die Pest der Jahre 1708/9 bis 1711 etwa 40 Prozent der Einwohnerschaft hinweggerafft; von rund 600.000 waren an Seuchen und Hunger îber 241.000 Menschen in kurzer Zeit gestorben. Wenn auch in diesem Falle – ganz hnlich, wie in der Mark nach dem Dreißigjhrigen Kriege – unmittelbar nach dem Erlçschen der Seuche eine spîrbare Wiederbesiedlung einsetzte und – vor allem im Westen des Gebietes – rund 39 Prozent des wîsten Landes wieder besetzt wurde,539 so blieb der Wiederaufbau gerade des preußisch-litauischen Territoriums im Norden und Nordosten um Memel, Tilsit, Ragnit und um Insterburg eine Staatsaufgabe, die Friedrich Wilhelm I. als seine ganz persçnliche Aufgabe ansehen sollte. Bei diesem ersten Fall einer mit großem persçnlichen Einsatz und mit landesherrlichem Finanzaufwand betriebenen Strukturpolitik an der Staatsperipherie540 wurde Retablissement und Staatsbildung zusammen gefçrdert. Zunchst wurden die betreffenden preußischen Verwaltungsstellen, die fîr die landesherrlichen Besitzungen ganz im Osten zu sorgen hatten, strker an Berlin gebunden. Von hieraus wurde das Retablissement im Osten geleitet, wiewohl der Kçnig 539 Fritz Terveen, Gesamtstaat und Retablissement. Der Wiederaufbau des nçrdlichen Ostpreußen unter Friedrich Wilhelm I. 1714 – 1740 (= GçttBausteineGWiss, 16), Gçttingen/Frankfurt/Berlin 1954, S. 18, S. 21; [anonym]: Das Pestjahr 1709 – 10 in Preussen. Ein Gegenstîck zum Cholerajahr, in: AltprMschr 21 (1884), S. 485 – 507, hier S. 500 ff.; H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 4), S. 310. 540 W. Neugebauer, Regionalismus … (s. Anm. 201), S. 76 ff.

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wiederholt in das Gebiet des Wiederaufbaus reiste, um in Konferenzen persçnlich bis in siedlungstechnische Details und in praktische Bauangelegenheiten zu intervenieren. Auch neue Stdte wurden gegrîndet, darunter Gumbinnen, das alsbald Regierungssitz und Verwaltungszentrum im ußersten Nordosten werden sollte und bis zum 20. Jahrhundert auch geblieben ist. Es hat wiederholter Anlufe bedurft, die sich îber die ganze Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. verteilten, um nach schweren Rîckschlgen dem Ziel des Retablissements nher zu kommen.541 Erst der Zuzug von 10.000, vielleicht 15.000, aus Religionsgrînden vertriebener Salzburger Protestanten542 half, den dauernden Erfolg zu sichern; allerdings gab es erhebliche Integrationsprobleme in der çstlichen, ganz ungewohnten Umgebung. Auch Schweizer, Pflzer und frnkische Siedler wurden ins Land gezogen, wofîr Zusicherungen und Privilegien gegeben werden mußten, so Freijahre (von der Steuer), Land und Besitz, auch Inventar u.a.m.543 Gezielt wurde solches Verwaltungspersonal eingesetzt, das nicht aus der Provinz stammte, wobei auf traditionale Kriterien wie das Indigenat keine Rîcksicht mehr genommen wurde. Der finanzielle Aufwand fîr das ostpreußische Retablissement wird – nach den vorsichtigsten Berechnungen – auf 5,5 Millionen Taler angegeben, die Zahl der neuen Dçrfer (nach BeheimSchwarzbach) auf 332.544 Die Siedlungsttigkeit war mit den (uns schon bekannten) Motiven der Fçrderung von Wollproduktion und derjenigen anderer Gewerbe auf das engste verknîpft. Fîr das ungewçhnliche, ganz unmittelbare Engagement Friedrich Wilhelms I. sind religiçse Antriebe quellensicher nachzuweisen. Wirtschafts- und geistliches Retablissement waren eng verschrnkt. Kolonisation, Populationsziel und Mission bildeten eine programmatische und eine ganz praktische Einheit. Wenn aber Friedrich Wilhelm I. gerade deshalb ein Kapital von 50.000 Talern stiftete und die Zinsen davon zur jhrlichen 541 F. Terveen, Gesamtstaat … (s. Anm. 539), S. 27 – 48; vgl. oben bei Anm. 444. 542 Zahl bei H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 4), S. 310; F. Terveen, Gesamtstaat … (s. Anm. 539), S. 73; vgl. aber jetzt Mack Walker, Der Salzburger Handel. Vertreibung und Errettung der Salzburger Protestanten im 18. Jahrhundert (= Verçffentlichungen des Max-Planck-Instituts fîr Geschichte, 131), Gçttingen 1997, S. 127, S. 157 – 165. 543 R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 421), S. 35 – 41, S. 49; F. Terveen, Gesamtstaat … (s. Anm. 539), S. 48 ff., S. 81, S. 149. 544 Walter Mertineit, Die Fridericianische Verwaltung in Ostpreußen. Ein Beitrag zur Geschichte der preußischen Staatsbildung (= Studien zur Geschichte Preußens, 1), Heidelberg 1958, S. 31, S. 51 Anm. 3; August Skalweit, Die ostpreußische Domnenverwaltung unter Friedrich Wilhelm I. und das Retablissement Litauens (= StaatsSozialwissForsch, 25, 3. Heft, der ganzen Reihe 118.), Leipzig 1906, S. 294 ff.; vgl. Max Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen. Ein Beitrag zu der Geschichte des preußischen Staates und der Colonisation des çstlichen Deutschlands, Leipzig 1874, S. 161 – 170, Salzburger: S. 170 – 221; R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 421), S. 141 f.

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Mitfinanzierung von Landschulstellen bestimmte, weil solche Ausgaben eigentlich auf den Etat gerade „nicht gehçren“, so machte er deutlich, daß diese Maßnahme noch nicht im Sinne umfassender moderner staatlicher Daseinsvorsorge und einer dauernden Leistungsverwaltung (fehl-)interpretiert werden darf.545 Friedrich der Große hat sofort die besondere Fçrderung dieser vterlichen Lieblingsprovinz beendet, die gezielte Anwerbung von Kolonisten wurde noch 1740 eingestellt. Die Siedlung konnte nur in soweit fortgesetzt werden, als sie aus der Provinz selbst finanziert werden konnte.546 Das Ziel, die Ressourcen des Staates durch Zuwanderung und Bevçlkerungsvermehrung im Sinne der Peuplierpolitik langfristig zu entwickeln, hat Friedrich Wilhelm I. wiederholt und schon beim Regierungsantritt formuliert.547 Befehle dieses Inhalts waren an verschiedene Provinzial- beziehungsweise Landesstellen ergangen. Auch in Pommern548 hat schon unter Friedrich Wilhelm I. die Kolonisation nach einigen Tausend eingesetzt; auch hier lag der Schwerpunkt der Siedlungsttigkeit auf dem Lande, doch sind dann auch die Stdte, unter Friedrich II. ferner spezielle Wollspinnerkolonien in die Maßnahmen mit einbezogen worden; nach 1763 trat dann in Pommern die staatliche Siedlungsaktivitt in eine neue Phase. Daß aber die Zeit Friedrich Wilhelms I. auch in dieser Hinsicht in unverkennbaren Kontinuittsbezîgen zur Zeit nach 1740 steht, wird besonders deutlich, wenn die Maßnahmen zur lndlichen Bevçlkerungsverdichtung in den brandenburgischen Landschaften betrachtet werden. Vor allem die Trockenlegung des Havellndischen Luches und die Rhinluchentwsserung standen zunchst im Vordergrund, nicht ohne daß der Adel und die vorhandenen Gemeinden Widerstand, u. a. wegen finanzieller Zusatzlasten, geîbt htten. Das berîhmte Amt Kçnigshorst mit seiner Milchveredelungswirtschaft, vor allem aber mit seiner Butterproduktion ist in 545 F. Terveen, Gesamtstaat … (s. Anm. 539), S. 93, u. ç.; R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 539), S. 60; M. Beheim-Schwarzbach, Colonisationen … (s. Anm. 544), S. 158 ff.; W. Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit … (s. Anm. 54), S. 283 f.; Geld fîr Schulen: vgl. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Schule und Absolutismus in Preußen. Akten zum preußischen Elementarschulwesen bis 1806 (= VerçffHistKommBerlin, 82. Quellenwerke, 8), Berlin/New York 1992, S. 170 f., Nr. 26 – mit weiterer Lit. 546 W. Mertineit, Verwaltung … (s. Anm. 544), S. 135 f. 547 R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 421), S. 32 ff.; allgemein H. Harnisch, Kantonsystem … (s. Anm. 498), S. 150. 548 M. Beheim-Schwarzbach, Colonisationen … (s. Anm. 544), S. 367 f.; Martin von Malotki, Die Entwicklung der Landwirtschaft Hinterpommerns bis zum Ende des 18. Jahrhunderts unter besonderer Berîcksichtigung der großen Meliorationen in dieser Zeit, math.-nat. Diss. Jena 1931, S. 47; fîr die Zeit Friedrichs II.: Otto Gebhardt, Friderizianische Pflzerkolonien in Brandenburg und Pommern (= Verçffentlichungen der Landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern, Abt. Geschichte, 6), Stettin 1939, S. 114 ff.

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diesem Kontext entstanden. Hollndische Agrarmethoden wurden importiert. Hier ging es um Melioration und Qualittsvernderungen in einer alten Zentrallandschaft des Staates,549 whrend alsbald die Verdichtung und der quantitative Zuwachs ins Zentrum des Interesses traten. Zunchst wurden dort, wo auf altbesiedeltem Land noch Stellen vakant waren, die Lîcken – z. T. noch aus den Zeiten des Dreißigjhrigen Krieges – geschlossen. Franken und Schwaben folgten den Aufrufen, und die belebte Agrarkonjunktur der 1730er Jahre hat dazu wesentlich beigetragen, daß auch auf adligen Gîtern der Wiederaufbau vorankam beziehungsweise abgeschlossen wurde und daß verwachsenes altes Land wieder unter den Pflug genommen wurde. Das landesherrliche Siedlungsmotiv – das zeigten die Forschungen der brandenburgischen Landesgeschichte sehr deutlich – hatte also wohl auch deshalb in dieser Zeit Erfolg, weil die Konjunkturlage, diejenige in (Mittel-)Europa, durch die Nachfragestruktur die lndliche Kolonisation rentabel machte.550 Um 1740 ist aber ein Sttigungseffekt bei dieser Binnen-Verdichtung nicht zu îbersehen. Unterdessen hatten – schon unter Friedrich Wilhelm I. – die Arbeiten im Oderbruch begonnen. Hier ging es darum, durch Dmme und Entwsserungsarbeiten Land fîr neue Dçrfer zu gewinnen; ein weiteres Element bestand in der Zusiedlung in schon bestehende benachbarte Dçrfer. Die unter Friedrich Wilhelm aufgenommenen Arbeiten wurden durch schwere Rîckschlge, insbesondere durch Deichbrîche, mehrmals gehemmt.551 Aber in der zweiten Hlfte der vierziger Jahre wurde sodann mit großem Einsatz von Geld und Personal, ja unter Zuhilfenahme des Militrs der Erfolg erzwungen. Nach dem 549 (Adolph Friedrich) Riedel, Urbarmachung des Havellndischen Luches, Grîndung und erste Einrichtung des Kçniglichen Domnenamtes Kçnigshorst und daselbst geschehene Errichtung einer Lehranstalt fîr die Kunst und Butter- und Ksezubereitung, durch die Kçnige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., in: Mrkische Forschungen 1 (1841), S. 56 – 93, bes. S. 56 – 63, S. 65 ff., S. 84 – 93; Kçnigshorst: Heinrich Berghaus, Landbuch der Mark Brandenburg und des Markgrafthums Nieder-Lausitz in der Mitte des 19. Jahrhunderts; oder geographisch-historisch-statistische Beschreibung der Provinz Brandenburg auf Veranlassung des Staatsministers und Ober-Prsidenten Flottwell bearbeitet, 1, Brandenburg 1854, S. 407 – 410; Berthold Schulze, Neue Siedlungen in Brandenburg 1500 – 1800. Beiband zur Brandenburgischen Siedlungskarte 1500 – 1800 (= Einzelschriften der historischen Kommission fîr die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, 8), Berlin 1939, S. 24 f. 550 L. Enders, Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), S. 249 f.; Dies., Uckermark … (s. Anm. 100), S. 457. 551 W. Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit … (s. Anm. 54), S. 287 f.; Friedrich Wilhelm I.: Gottfried Wentz, Geschichte des Oderbruches (Die Entstehung des hydrographischen und topographischen Bildes der Bruchlandschaft in historischer Zeit), in: Peter Fritz Mengel (Hg.), Das Oderbruch, 1, Eberswalde 1930, S. 85 – 238, hier S. 101 – 106; Hans-Friedrich Kniehase, Bauern und ihre Hçfe in Zechin im Oderbruch seit Anfang des 18. Jahrhunderts, in: JbBrandenbLdG 36 (1985), S. 42 – 71, hier S. 42.

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Siebenjhrigen Krieg wurden die Oderbrucharbeiten fortgesetzt. Insgesamt sind (nach Johannes Schultze) dreißig neue Bauerndçrfer und Etablissements angelegt worden, wozu noch Spinnersiedlungen kamen, die fîr das Textilgewerbe Rohmaterial zu veredeln hatten. Die Siedler kamen aus §sterreich, der Pfalz, aus Sîddeutschland, auch aus dem mitteldeutschen Raum, ferner aus Mecklenburg und Polen. Kleinere Siedlungsstellen auf Adelsland traten hinzu, doch hat die Oderbruchkolonisation mit dem ostpreußischen Retablissement gemeinsam, daß hier der landesherrliche Zugriff wohl auch deshalb Effizienz erreichte, weil der Monarch gleichsam auf eigenem Boden Infrastruktur- und auch Reformpolitik betrieb; jedenfalls hat die Siedlung auf Domnenland (auch) an der Oder entschieden dominiert. Zu den Privilegien, die man den Siedlern zusichern mußte, gehçrte ganz wesentlich die Kantonfreiheit, dazu kamen Steuerbefreiungen wachsender Ausdehnung, was darauf hindeutete, daß man – zumal nach 1763 – die Anreize vermehren mußte.552 Quantitativ hat die Meliorations- und Siedlungspolitik çstlich der Oder, im Warthe- und Netzebruch sogar noch grçßere Wirkungen hervorgebracht. Auch hier lassen sich erste Maßnahmen bis in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. hinein verfolgen, aber eigentlich setzen dort die Arbeiten im großen Stil erst am Ende des Siebenjhrigen Krieges ein, geleitet durch den aus anhaltischen Diensten herbeigezogenen Geheimen Finanzrat von Brenkenhoff, einem praktischen Agrarreformer und Modernisierer im Sinne neuer, profitabler Anbaumethoden.553 In 552 Wolfgang Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 4), Berlin 2001, S. 130 ff., mit Verweis auf die einschlgigen Aktenbestnde des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam (BLHA); G. Wentz, Oderbruch … (s. Anm. 551), S. 109 – 127, S. 168 ff.; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 344), 5, S. 75, S. 86 f.; (August Heinrich Borgstede), Statistisch-topographische Beschreibung der Kurmark Brandenburg, 1, Berlin 1788, S. 305 f.; Albert Detto, Die Besiedlung des Oderbruches durch Friedrich den Großen, in: ForschBrandPrG 16 (1903), S. 163 – 205, hier S. 163, S. 172 – 205; zu anderen Siedlungsgebieten in Brandenburg siehe jetzt Lieselott Enders, Neu-Brandenburger in der Zeit der friderizianischen Kolonisation. Aktionen und Reaktionen der Einheimischen und Zuzîgler, untersucht vornehmlich am Beispiel der Prignitz, in: Klaus Neitmann / Jîrgen Theil (Hg.), Die Herkunft der Brandenburger. Sozial- und mentalittsgeschichtliche Beitrge zur Bevçlkerung Brandenburgs vom hohen Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert (= Brandenburgische Historische Studien, 9), Potsdam 2001, S. 95 – 111, zu Uckermark und Prignitz S. 97 ff. 553 W. Neugebauer, Brandenburg … (s. Anm. 140), S. 356; A. B. B., 5, 2. Hlfte, S. 507 – 512, Nr. 307; (August Gottlieb Meißner), Leben Franz Balthasar Schçnberg von Brenkenhoff, Kçnigl. Preuß. geheim. ober-Finanz-Kriegs- und Domainenrath, Leipzig 1782, S. 80 – 91; Benno von Knobelsdorff-Brenkenhoff, Eine Provinz im Frieden erobert. Brenckenhoff als Leiter des friderizianischen Retablissements in Pommern 1762 – 1780 (= Studien zur Geschichte Preußens, 37), Kçln/Berlin 1984, S. 15, S. 53; Hans-Heinrich Mîller, Mrkische Landwirtschaft vor den Agrarreformen von 1807.

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den nun noch steigenden Siedlerzahlen wird erkennbar, daß nach 1763 das Populationsmotiv in Brandenburg-Preußen gegenîber dem lteren Fiskalismus an Bedeutung gewann, was man auch in der Gewichtung der gewhrten Siedlungsprivilegien besttigt findet. Nach 1764/67 ist verstrkt çstlich der Oder gearbeitet worden.554 Man rechnet mit rund 15.000 Siedlern und 130 neuen Orten. Der zunchst einmal investitionsweise vom Staat zu stellende Finanzbedarf hat allein im Warthebruch die Millionengrenze îberschritten. Bis 1775 wurden fîr Meliorationen in der Neumark îber 1,8 und zur gleichen Zeit in Pommern 2,45 Millionen Taler verausgabt, eine finanzielle Leistung, die nur dann ganz ermessen werden kann, wenn man die allgemeine Erschçpfung und die gleichzeitigen wirtschaftlichen Krisensymptome nach Ende des Krieges in Erwgung zieht.555 Bisweilen sind neben çkonomischen und bevçlkerungspolitischen Motiven auch direkte militrische Kalkulationen zu erkennen, wenn in einer Gegend die Aussicht bestand, durch Ansiedlungen das entsprechende Regimentskanton personell zu verstrken.556 Zumeist, aber nicht immer, konnten derartige ˜berlegungen angesichts des Privilegs temporrer Kantonbefreiung fîr die Siedler erst sehr langfristig wirksam werden. Die Binnensiedlung – außerhalb der geschilderten landschaftlichen Schwerpunktzonen – wurde nicht aufgegeben und nun auch Schlesien in die Siedlungsmaßnahmen einbezogen, wenngleich hier die erwarteten Erfolge ausgeblieben sind, jedenfalls was die Bauernstellen anging. In Schlesien, wo diese Politik im wesentlichen auf die Regierungszeit Friedrichs II. beschrnkt blieb, wurden vor allem solche Bevçlkerungsgruppen verstrkt angesetzt, die als Husler oder Arbeiter die lndlichen Unterschichten noch verstrkten, das allerdings in quantitativ erheblichen Grçßenordnungen, nach Beheim-Schwarzbach rund 60.000 Personen.557 Aber îber den Quantitten

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Entwicklungstendenzen des Ackerbaues in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts (= Verçffentlichungen des Bezirksheimatmuseums Potsdam, 13), Potsdam 1967, S. 58 ff. Vgl. Anm. 553; Populationsmotiv: Erich Neuhaus, Die Fridericianische Kolonisation im Warthe- und Netzebruch. Nach archivalischen Quellen dargestellt (= Schriften des Vereins fîr Geschichte der Neumark, 18), Landsberg a. W. 1906, S. 43, weiter S. 46 f., S. 51; Hilde-Lore Schmidt, Friderizianische Siedlungspolitik in der Mark Brandenburg, in: JbBrandenbLdG 12 (1961), S. 100 – 120, hier S. 105 ff., S. 115. J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 344), 5, S. 87; Herbert Moeglin, Das Retablissement des adligen Grundbesitzes in der Neumark durch Friedrich den Großen, in: ForschBrandPrG 46 (1934), S. 28 – 69, S. 233 – 274, hier S. 246; Hans Goldschmidt, Die Grundbesitzverteilung in der Mark Brandenburg und in Hinterpommern vom Beginn des dreißigjhrigen Krieges bis zur Gegenwart, Berlin 1910, S. 84. Helmut Kublick, Die Siedlungspolitik Friedrichs des Großen im Kreise Cottbus, phil. Diss. Halle-Wittenberg, Halle (Saale) 1935, S. 5, S. 62. Hannelore Lehmann, Zum Pfeifferschen Etablissement in der Kurmark (1750 – 1754). ˜berfllige Korrekturen aus Anlaß des 200. Todestages von Johann Friedrich (von) Pfeiffer (1717 – 1787), in: Evamaria Engel / Konrad Fritze / Johannes Schildhauer (Hg.), Hansische Stadtgeschichte – Brandenburgische Landesgeschichte

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dîrfen eben die qualitativen Folgen nicht îbersehen werden, wenn auch die Siedlungsbilanz allein der Jahre 1740 bis 1786 mit 284.487 Kolonisten schon an sich beeindruckt.558 Zu den qualitativen Folgen zhlte ganz wesentlich, daß durch diese Infrastruktur- und (Ein-)Wanderungspolitik des preußischen Merkantil-, Finanz- und Militrstaates ungewollt ein ganz wesentlicher Beitrag dafîr geleistet wurde, daß die sozialen Strukturen auf dem Lande weiter in Bewegung kamen. Dies galt sogleich in doppelter Hinsicht, denn zum einen erschien nun auf dem platten Land mit dem hochprivilegierten Siedler ein neues Element in der Nachbarschaft der altgefîgten Bauern- beziehungsweise Gutsdçrfer, da die Kolonisten îber ungewçhnlich gute Erb- und Besitzrechte verfîgten und zudem nur geringe Dienste pflichtmßig zu leisten hatten. Im Warthe- und Netzebruch sind (nach Mîller) rund 44 Prozent der Kolonisten als Vollbauern angesetzt worden mit erblichem Besitz und persçnlicher Freiheit, und dies hatte nachweisbar erleichternde und reformierende Auswirkungen auch auf die alteingesessene Umgebung. Analoges ließe sich im Oderbruch zeigen, wo zudem besonders gute Bçden zu buerlicher Vermçgensbildung in erheblichem Umfang die Grundlage boten.559 Zum anderen bewirkte das Ansetzen von Kolonisten, zumal nach 1740, die „Ablçsung der Fronden“ auch in der Umgebung.560 Daß dies durchaus Absicht war, hat Friedrich der Große 1766 in einer Order an den kurmrkischen Kammerprsidenten von Siegroth expressis verbis bekannt: ein Ziel bei der Bevçlkerungsvermehrung durch Bauern- oder durch die Bîdnersiedlung besonders im Oderbruch sei es, daß „die natural Dienste so viel nur immer mçglich seyn will, verringert und abgeschaffet werden“.561 Und „so trug

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(= Hansische Studien, 8. Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, 26), Weimar 1989, S. 106 – 122, hier S. 106, S. 115; J. Schultze, Prignitz … (s. Anm. 91), S. 234; B. Schulze, Neue Siedlungen … (s. Anm. 549), S. 29 – 31; Schlesien: Herbert Schlenger, Beihefte zum Geschichtlichen Atlas von Schlesien, 1: Friderizianische Siedlungen rechts der Oder bis 1800 auf Grund der Aufnahme von Hammer und v. Massenbach, Breslau 1933, S. 93, S. 95 ff., S. 139 f.; Johannes Ziekursch, Hundert Jahre schlesischer Agrargeschichte. Vom Hubertusburger Frieden bis zum Abschluß der Bauernbefreiung (= DarstQSchlesG, 20), Breslau 11915, S. 199 f.; M. BeheimSchwarzbach, Colonisationen … (s. Anm. 544), S. 299 – 358, bes. S. 308 f.; Heinrich Berg¤r, Friedrich der Große als Kolonisator (= GiessenStudG, 8), Gießen 1896, S. 19 – 31. O. Behre, Statistik … (s. Anm. 447), S. 160, davon 208.574 auf dem Lande. H. Goldschmidt, Grundbesitzverteilung … (s. Anm. 555), S. 76 ff.; L. Enders, Produktivkraftentwicklung … (s. Anm. 100), S. 82; F. Grossmann, Rechtsverhltnisse … (s. Anm. 160), S. 84 f.; H. H. Mîller, Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 33 ff., S. 106 f., S. 152, S. 200 Anm. 350; Ders., Domnen und Domnenpchter in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte 4 (1965), S. 152 – 192, hier S. 164. Carl Brinkmann, Landwirtschaft, in: E. Friedel / R. Mielke (Hg.), Landeskunde … (s. Anm. 267), S. 293 – 343, hier S. 300. BLHA Potsdam, Rep. 2, P 21, Kabinettsorder vom 15. November 1766.

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der Zuzug von Kolonisten aller sozialer Schichten in einem schwer zu îberschtzenden Umfange zur Auflçsung der gesellschaftlichen Struktur des im 16. Jahrhundert und frîhen 17. Jahrhundert sozialstndisch noch klar gegliederten Territorialstaates bei“.562 Auch in Ostpreußen hat im Ergebnis der Siedlungsaktivitten die Zahl der Domnenbauern mit „besseren Besitzrechten“ wesentlich zugenommen. Wenn aber davon die Rede war, daß die tradierte lndliche Sozialstruktur durch die primr fiskalistisch und populationspolitisch motivierte Kolonisationspolitik, die fîr die Staatspraxis des preußischen Absolutismus geradezu ein Charakteristikum darstellt, mobilisiert worden ist, so gilt das noch in einer zweiten Hinsicht. Denn die Bîdnersiedlung verstrkte eo ipso das unterbuerliche Element, sowohl auf Adelsland, als auch auf den Domnen. Zumal die Gutsbesitzer zeigten im Verlauf des 18. Jahrhundert ein wachsendes Interesse daran, ein grçßeres lndliches Arbeitskrftepotential zum Einsatz auf dem Eigenbetrieb zur Verfîgung zu haben. Dabei konnte es, wie auch auf Domnenland, in diesem Kontext auch zur Ansiedlung zu mindergutem Rechte kommen.563 Dies mußte nun gewissermaßen durch „Unterschichtung“ die tradierten Verhltnisse von unten her in Bewegung bringen, zumal damit demographische Trends verstrkt wurden. Die Tendenz zur Proletarisierung der lndlichen Unterschichten ging mit derjenigen zeitlich parallel, tradierte Erbuntertnigkeits- beziehungsweise „Leibeigenschafts“-Strukturen durch implantierte Kolonisteninseln zu erodieren. Nicht zufllig begleitete die ersten Siedlungsmaßnahmen Friedrich Wilhelms I. in Ostpreußen, eine, wenn auch mehr deklaratorische Aktion, deren eigentliches Ziel es war, der Flucht von Bauern außer Landes entgegenzuwirken.564 Deshalb sollte nun die, wie es in den Quellen wçrtlich heißt, „Leibeigenschaft“ auf den Domnen abgeschafft werden; die Verhltnisse in Ostpreußen sollten dem „mrkischen Fuß“ angepaßt werden. In diesem Zusammenhang wurde dann in der Kurmark eine Untersuchung durchgefîhrt, um zu erfahren, wo in der mittleren Provinz îberhaupt noch von Leibeigenschaft die 562 G. Heinrich, Amtstrgerschaft … (s. Anm. 233), S. 205; Ostpreußen: FriedrichWilhelm Henning, Ostdeutsche Wirtschaftsleistungen vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, zuerst 1967, wieder in: Ders., Studien … (s. Anm. 466), S. 9 – 38, hier S. 14. 563 L. Enders, Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), hier S. 250, S. 274; H. Goldschmidt, Grundbesitzverteilung … (s. Anm. 555), S. 75; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 344), 5, S. 89 ff. 564 Georg Friedrich Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den lteren Theilen Preußens, 1 (= Ausgewhlte Werke, 2), Mînchen/Leipzig 21927, S. 83 ff.; R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 421), S. 195 – 197; Georg Grube (Hg.), Corpus Constitutionum Prutenicarum/Oder Kçnigliche Preußische Reichs-Ordnung/Edicta und Mandate …, Kçnigsberg 1721, Tl. 3, S. 352 f. (1719/20).

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Rede war und was man darunter verstand. Diese Enquete ergab, daß gut ein halbes Jahrhundert nach dem Landtagsrezeß von 1653 in verschiedenen Teilen der Mark unter Leibeigenschaft zunchst ein schlechtes buerliches Besitzrecht verstanden wurde, verbunden mit bestimmten Abgaben, etwa einem – mit sechs bis zehn Talern doch eher mßigen – Loskaufgeld, falls der Untertan die bisherige Herrschaft verlassen wollte. Zum Begriff der Leibeigenschaft gehçrte ferner die befristete Gesindezwangdienstpflicht der Kinder. Sehr deutlich trat also bereits die monetre Seite dieser eigentlich (oder scheinbar) personenrechtlichen Kategorie der Leibeigenschaft hervor; die betroffenen Untertanen galten als persçnlich freie Leute. Das war die Lage in der Mark Brandenburg; hier wurde auch in den Landschaften, in denen die Leibeigenschaft heimisch war, die persçnliche Freiheit durch Loskauf immer mehr îblich; der Begriff der Leibeigenschaft verblasste zudem, je mehr die Agrarkonjunktur zu buerlicher Vermçgensbildung fîhrte, also seit den 1720er Jahren – parallel zu den landesherrlichen Befehlen.565 In Ostpreußen blieb es nach der nominellen Aufhebung der Leibeigenschaft gleichfalls bei einem Zustand der Erbuntertnigkeit mit eidlicher Untertanenpflicht, aber mit persçnlicher Freiheit und einer Vererblichkeit des selbsterworbenen Vermçgens, nicht aber des – im Amtsbesitz befindlichen – Hofes.566 So signifikant die begrifflichen Modifikationen sind und auch die Tatsache bemerkenswert ist, daß die Bestandsaufnahmen um 1720 schon auf Wandlungstendenzen in der buerlichen Wirklichkeit schließen lassen, so ist andererseits der unmittelbare agrarsoziale Reformimpuls durch den Zugriff Friedrich Wilhelms I. eher gering gewesen; selbst dieser Monarch hat insofern in Preußen, Pommern und der „Kurmark fast nichts erreicht“ (Knapp); auch in Pommern war mit Patent vom Mrz 1719 die Leibeigenschaft fîr aufgehoben erklrt worden,567 allerdings ohne wesentlichen praktischen Effekt. 565 W. Neugebauer, Leibeigenschaft … (s. Anm. 163), bes. S. 234 – 240; vgl. oben bei Anm. 167; L. Enders, Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), S. 270 f.; Dies., Bauer … (s. Anm. 151), S. 16 f.; Dies., Uckermark … (s. Anm. 100), S. 503 f. 566 A. Skalweit, Ostpreußische Domnenverwaltung … (s. Anm. 544), S. 205 ff. (kritisch!); G. F. Knapp, Bauernbefreiung … (s. Anm. 564), 1, S. 84 f. (optimistischer), das Zitat S. 89; Ders., Bauernbefreiung …, 2 (= Ausgewhlte Werke, 3), Mînchen/Leipzig 2 1927, S. 5 – 8; Ders., Die buerliche Leibeigenschaft im Osten, in: Ders., Die Landarbeiter in Knechtschaft und Freiheit. Vier Vortrge, Leipzig 1891, S. 21 – 42, hier S. 33 f.; F.-W. Henning, Herrschaft und Bauernuntertnigkeit … (s. Anm. 170), S. 133 – 137; ganz Preußen: F. Grossmann, Rechtsverhltnisse … (s. Anm. 160), S. 81. 567 O. Eggert, Bauernbefreiung … (s. Anm. 166), S. 34 f.; Hartmut Harnisch, Der preußische Absolutismus und die Bauern. Sozialkonservative Gesellschaftspolitik und Vorleistung zur Modernisierung, in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte 2 (1994), S. 11 – 32, hier S. 24; das Folgende: H. Goldschmidt, Grundbesitzverteilung … (s. Anm. 555), hier S. 63; C. O. Mylius (Hg.), Corpus … (s. Anm. 72), 5. Tl., 3. Abt., Kap. 1, Sp. 227 – 246, Nr. 32, hier Sp. 245 f.; L. Enders, Landgemeinde … (s. Anm. 166), S. 234; R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 170), 1, S. 74 ff., S. 79.

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Und doch bleibt es bemerkenswert, daß sich die Monarchen seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts der agrarrechtlichen Fragen anzunehmen begannen. Schon in der „Flecken, Dorf und Ackerordnung“ des Jahres 1702 wurde die „Leibeigenschafft“ auf ømtern, d. h. fîr die landesherrlichen Immediatuntertanen fîr ablçsbar erklrt, wofîr eine gewisse Zahlung vorgesehen war. In Ostpreußen hat allerdings erst die Abschaffung des „Zwangsgesindedienstes“ auf den Domnen seit 1763 tatschlich in die Sozialverhltnisse auf dem Lande nachhaltiger eingegriffen. In Ostpreußen hat andererseits der landesherrliche Bauernschutz auf adligem Land keine Wirkungen gezeitigt, wiewohl dann Friedrich II. auch auf die „Einschrnkung der Frondienste“ auf Adelsland hingewirkt hat. Hier hat es im ganzen 18. Jahrhundert – entgegen den Interessen des Landesherrn – ein starkes Bauernlegen gegeben; vor allem grçßere (kçlmische) Gîter waren begehrt, aber auch andere Bauernwirtschafen wurden gerne zur Vergrçßerung der Rittergîter eingezogen.568 Dem Befehl Friedrich Wilhelms I. aus dem Jahre 1739, daß der Adel in Ostpreußen freiwerdende Hçfe wieder zu besetzen habe, folgten harte Proteste der Gutsbesitzer dieser Landschaften. Jedenfalls sind aber Grundprinzipien der Bauernschutzpolitik im Preußen des 18. Jahrhunderts in Anstzen schon vor 1740 zu erkennen. Auch der Befehl Friedrich Wilhelms vom Jahre 1718, daß in Pommern eingezogenes Bauernland vom Adel wieder zurîckgegeben werden solle, gehçrt in diesen Zusammenhang. Aber Wirkungen sind erst unter Friedrich II. auf diesem Felde erzielt worden. Nach einer Erhebung der kurmrkischen Kriegs- und Domnenkammer aus dem Jahre 1746 waren seit 1624 genau „1.962 Bauernstellen und 935 Kosstenstellen verschwunden“.569 Diese Entwicklung, wenn ihr nicht mit Effekt entgegengetreten wurde, rîhrte natîrlich an der Staatsstruktur – man erinnere sich an die Konstruktion der Kantonverfassung seit 1733. Das „Privatinteresse“ von gutsbesitzendem Adel, auch Stiftern und anderen geistlichen Grundbesitzern, kollidierte hier mit dem von Staat und Monarchie. Deshalb und mit eben dieser Begrîndung befahl Friedrich der Große im Sommer 1749, daß kein Vasall „einen Bauern- und Kosstenhof eingehen … lassen“ dîrfe und kein Land davon etwa zu Gîtern beziehungsweise Vorwerken geschlagen werden solle. Die Landrte wurden damit beauftragt, auf die Einhaltung dieses Befehls zu sehen.570 Es ist kein Zweifel daran mçglich: Es ging beim preußischen Bauernschutz um den „Schutz des Bauernlandes und des Bauernstandes“, nicht um 568 G. F. Knapp, Bauernbefreiung … (s. Anm. 564), 1, S. 54 f.; R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 170), 1, S. 351 – 354; H. Schissler, Agrargesellschaft … (s. Anm. 195), S. 80 f.; 1739: A. Skalweit, Ostpreußische Domnenverwaltung … (s. Anm. 544), S. 208. 569 H. Goldschmidt, Grundbesitzverteilung … (s. Anm. 555), S. 63 ff. 570 A. B. B., 8, S. 492 f., Nr. 202.

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die Protektion des einzelnen Bauern.571 Bauernschutz war Standesschutz mit den Motiven der Peuplierung des Landes und der Sicherung der rekrutierungsmßigen Voraussetzungen fîr das preußische Militr. Auch in Brandenburg hatten analoge Befehle eine Tradition seit den Tagen Friedrich Wilhelms, aber erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sollte es tatschlich gelingen, die Erosion des buerlichen Besitzstandes wirksam zu stoppen und in etwa auf dem Niveau der Jahrhundertmitte zu konservieren. Es lßt sich z. B. zeigen, daß der kçnigliche Befehl, in der Neumark wîstgefallene oder eingezogene Bauernstellen wieder zu besetzen, nach 1763 tatschlich zur Wirkung gebracht worden ist.572 Adelsschutz und Bauernschutz waren eminenter Teil der inneren preußischen Staatsrson. Auch die an den Quellen arbeitende – fîr diese gesamte Materie nach wie vor bedeutende – marxistische Agrargeschichtsforschung der frîheren DDR hat das „Einsetzen eines (relativ) wirksamen Bauernschutzes im feudalabsolutistischen preußischen Staat seit der Mitte des 18. Jahrhunderts“ durchaus anerkannt,573 wobei ein vergleichender Blick etwa nach Schwedisch-Vorpommern oder nach dem benachbarten Mecklenburg lehrte, wie die Entwicklung des Bauernlegens da im 18. Jahrhundert weiter fortgeschritten ist, wo eine gezielte Bauernschutzpolitik fehlte. Auch auf massivem Adelsbesitz diesseits der Grenze ist in fallstudienhaften Untersuchungen die Stabilisierung des buerlichen Besitzstandes, das heißt der Zahl der Bauern-Stellen, nachgewiesen worden (Boitzenburg). Trotz aller entgegenstehenden Interessen vor Ort „erreichten die Maßnahmen der preußischen Herrscher objektiv die Erhaltung einer zahlenmßig starken und çkonomisch immer noch ausschlaggebenden Bauernschaft“.574 Auch steuerliche Motive, das heißt die Erhaltung der kontributionspflichtigen Bauernschicht, spielte dabei nicht unerheblich mit. Die Bemîhungen, ungemessene Frondienste in gemessene zu verwandeln und dabei die Existenzbedingungen der tragenden, nichtadligen-lndlichen Bevçlkerungs571 G. F. Knapp, Bauernbefreiung … (s. Anm. 564), 1, S. 51, weiter S. 51 – 57; Otto Hintze, Zur Agrarpolitik Friedrichs des Großen, in: ForschBrandPrG 10 (1898), S. 275 – 309, hier S. 290 f.; B. Schulze, Neue Siedlungen … (s. Anm. 549), S. 27 f.; F. Grossmann, Rechtsverhltnisse … (s. Anm. 160), S. 89; Gustavo Corni, Absolutistische Agrarpolitik und Agrargesellschaft in Preußen, in: ZHF 13 (1986), S. 285 – 313, hier S. 303; O. Bîsch, Militrsystem … (s. Anm. 500), S. 56 – 61: „Bauernschutz als Soldatenschutz“. 572 H. Moeglin, Retablissement … (s. Anm. 555), S. 44 f. 573 Hartmut Harnisch, Rechtsqualitt des Bauernlandes … (s. Anm. 164), S. 363, und eindrucksvoll Ders., Die Herrschaft Boitzenburg. Untersuchungen zur Entwicklung der sozialçkonomischen Struktur lndlicher Gebiete in der Mark Brandenburg vom 14. bis zum 19. Jahrhundert (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 6), Weimar 1968, S. 203 ff.; dann Ders., Absolutismus … (s. Anm. 567), S. 22; regionale Verluste an Bauernstellen: J. Schultze, Prignitz … (s. Anm. 91), S. 212. 574 H. Harnisch, Boitzenburg … (s. Anm. 573), S. 204; vgl. auch L. Enders, Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), S. 281.

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schichten zu verbessern, gehçrten zu demjenigen Instrumentarium, das seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Brandenburg-Preußen auf agrarsozialem Felde eingesetzt worden ist. Die Ablçsung der Naturaldienstpflicht durch Dienstgelder setzte unter Friedrich dem Großen ein. Darin ist eine unmittelbare soziale Folge verbesserter Chancen fîr buerliche Vermçgensbildung auszumachen. Diese Entwicklung ist in der Mark Brandenburg, aber z. B. auch im Magdeburgischen zu beobachten, wo sowieso zumeist nur ein bis zwei Diensttage (pro Woche) verlangt wurden. In Pommern stieß die – allerdings nicht sehr nachdrîcklich – vorgebrachte Forderung, die buerlichen Dienste sollten vermindert werden, auf mehrheitlichen Widerstand aus dem Adel, der von hohen Beamten in Berlin unterstîtzt wurde, die selbst in dieser Region îber eigenen Rittergutsbesitz verfîgten. Nur auf dem Domnenland kam es tatschlich zur Limitierung, und zwar immer noch auf vier Tage in der Woche.575 „Alle Stnde waren in den Dienst des Staates gestellt: der Adel, der die Offiziere und die hçheren Beamten lieferte, der Bîrgerstand, der die Akzise bezahlte, der Bauernstand, der die Kontribution trug und die Kantonisten stellte. Jeder wurde dafîr in seiner Weise geschîtzt und bei seinen hergebrachten Nahrungsquellen erhalten.“576 Ganz im Sinne dieser Staatsvernunft lag es auch, daß Friedrich der Große dem Adel der besonders zuverlssigen mittleren Provinzen beziehungsweise demjenigen in Schlesien die Grîndung von landschaftlichen Kreditinstituten auf korporativ-stndischer Basis gestattete. Mit diesen „Landschaften“ wurde in Zeiten wachsenden Finanzbedarfs dem grundbesitzenden Adel die Kreditbeschaffung unter eigener Kontrolle und Verwaltung ganz wesentlich erleichtert. Dem – in der Tat – unzuverlssigen, das heißt politisch viel selbstndigeren ostpreußischen Adel wurde eine mehrfach vorgebrachte analoge Bitte abgeschlagen. Hier kam es erst unter dem neuen Monarchen, unter Friedrich Wilhelm II. zu einer entsprechenden Grîndung. Damit war in den betreffenden Provinzen ein Organ geschaffen worden, das, auf dem stndischen Wahlprinzip basierend, ganz wesentlich zum organisatorischen Instrument einer Renaissance der Landstnde werden konnte.577 Zum Adelsschutz gehçrte unter Friedrich II., der um einiges adelsfreundlicher als sein Vater war, auch das Bestreben, Adelsbesitz und die Herrschaft der lndlichen Aristokratie zu stabilisieren. Deshalb wurde 1775 verordnet, daß, wenn îberhaupt kînftig „einem oder andern bîrgerlichen Standes de(r) Ankauf adelicher 575 O. Hintze, Agrarpolitik … (s. Anm. 571), S. 275, S. 278, Pommern: S. 280 – 284; L. Enders, Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), S. 281. 576 O. Hintze, Militr- und Beamtenstaat … (s. Anm. 434), S. 428; vgl. H. Rosenberg, Bureaucracy … (s. Anm. 435), S. 44 f., S. 73, S. 150, S. 154; Ingrid Mittenzwei, Aufgeklrter Absolutismus und Klassenverhltnisse in Brandenburg-Preußen, in: Jahrbuch fîr Geschichte des Feudalismus 4 (1980), S. 315 – 341, hier S. 340. 577 Allgemein F. L. Carsten, Junker … (s. Anm. 163), S. 48 f.; W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 18), S. 102 – 107, mit der betr. Spezialliteratur.

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Gîter verstatte(t)“ werden solle, dies nach erteiltem kçniglichem Konsens nur so geschehen dîrfe, daß der bîrgerliche Kufer wesentliche „Einschrnkungen der Eigenthums=Rechte sich gefallen lassen mîsse“. So sollten solche Erwerber auf den stndischen Kreis- und den Landtagen „nicht erscheinen dîrfen“.578 ˜berhaupt klagte der Kçnig îber Mißbruche bei derartigen Verkufen, und deshalb sollte fortan auch die Gutsgerichtsbarkeit nicht im Namen des bîrgerlichen Besitzers gesprochen, ferner das Patronats- und auch das Jagdrecht entzogen werden.579 Allerdings war dies als Norm erst fîr die kînftige Praxis festgestellt worden. Es ist aber ein Irrtum, wollte man aus diesen normativen Quellen auf die Realitt im alten Preußen schließen. Vielmehr wissen wir heute, daß die sozialrestaurativen Bestimmungen, die Friedrich der Große erließ, in grellem Kontrast zu derjenigen Entwicklung stehen, die zu dieser Zeit seit langem eingesetzt hatte. Insofern boten die Befehle des in sozialer Hinsicht konservativ-stndisch denkenden Monarchen ganz offenbar ein in diesem Sinne idealisiertes Gegenbild zur seit langem in Bewegung geratenen sozialen Realitt auf dem Lande. Dort hatten lngst Emanzipationstendenzen eingesetzt, die die Traditionen transzendierten. Bauern oder ganze Gemeinden waren dazu îbergegangen, etwa Rittergîter oder Vorwerke zu pachten, und wohlhabende Bîrgerliche strebten selbst nach Rittergutsbesitz.580 „Die Verußerung adliger Gîter an Nichtadlige stellte sich im Gegensatz zu den Hindernissen, die ihr kçniglicherseits in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts in den Weg gelegt wurden, in den Jahrzehnten davor noch als normal und unkompliziert dar. Damit korrespondieren Eheschließungen zwischen Adligen und Bîrgerlichen. Hochverschuldete Gutsbesitzer verbanden sich mit reichen Bîrgertçchtern“,581 wofîr sprechende Beispiele aus der Mark der ersten Hlfte des 18. Jahrhunderts vorliegen. Daß die konservativen Befehle Friedrichs den adlig-stndischen Wertewandel in Richtung auf ein adlig-bîrgerliches Konnubium durchaus nicht verhindern oder schwchen konnten, ist ganz im Osten gut zu studieren. Jedenfalls ist es ein Fehler, aus den obrigkeitlichen Satzungen oder aus dem Gegen-, ja Feindbild der preußischen Reformer nach 1806 die Verhltnisse im alten Preußen als starre, sozialstndisch strikt gegliederte Struktur zu zeichnen, 578 Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium praecipue Marchicarum …, 1 – 12, Berlin (1753)-1822, hier 5, 3. Tl., Berlin 1776, Sp. 65 f., Nr. 9 zu 1775, Zirkular vom 20. Februar 1775; diese Ediktensammlung fortan zit.: N. C. C. M. 579 N. C. C. M., 5, Sp. 47 – 50, Nr. 7; vgl. F.-W. Henning, Herrschaft und Bauernuntertnigkeit … (s. Anm. 170), S. 97; Elsbeth Schwenke, Friedrich der Große und der Adel, phil. Diss. Berlin 1911, S. 43 f.; P. Baumgart, Kurmrkische Stnde … (s. Anm. 180), S. 148 f. 580 Insbesondere L. Enders, Emanzipation … (s. Anm. 174), passim, bes. S. 419; W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 18), S. 172 – 177. 581 L. Enders, Emanzipation … (s. Anm. 174), S. 414 ff.; das Folgende bei W. Neugebauer, Wandel … (s. Anm. 18), S. 176 – 194.

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die soziale Mobilitt und Wandel nicht zugelassen habe. Unterhalb der Patina des absolutistischen Ediktenstaates kamen vor und nach 1775 die Verhltnisse tîchtig in Bewegung; dagegen halfen nicht Reglements, nicht Zirkulare und keine Kabinettsbefehle. Die „Verbîrgerlichung der Agrargesellschaft“582 machte, wie wir heute wissen, im 18. Jahrhundert gute Fortschritte, die „Selbstbefreiung“ der Bauern gehçrt in die lange Geschichte der preußischen Bauernbefreiung, die ebensowenig wie die Bildungsreform im frîhen 19. Jahrhundert ohne die jahrzehntelange Vorgeschichte im 18. Jahrhundert in Entwicklung und Wirkung verstanden werden kann. Auf Rittergîtern und vor allem auf dem Domnenland haben zudem reiche Pchterfamilien ein wesentliches Element der sozialen Mobilitt dargestellt.583 Wieder kçnnte man geneigt sein, diesen Befund auf die Formel vom Nichtabsolutistischen im Absolutismus zu bringen. Sicher ist jedenfalls, daß der Absolutismus selbst preußischen Typs alles andere als allumfassend war; eher lohnte es sich, nach Freirumen im Staatsalltag des Absolutismus zu fragen. Mit Traditionen wurde nicht in revolutionrer Weise gebrochen, sie wurden îberformt, sie blieben lebendig und bewiesen bisweilen erstaunliche Lebenskraft beim ˜bergang vom Stadium der Latenz in dasjenige der Relevanz. Die politischen Stnde wurden ja auch von einem Friedrich Wilhelm I. nicht beseitigt, obwohl es an harten Konflikten in verschiedenen Provinzen nicht gefehlt hat. Auch da, wo die alten, umstndlichen und fîr die Stnde selbst auch recht teuren Landtage in Abnahme gekommen waren oder nicht mehr berufen wurden, haben Kreistage auch weiterhin stndisches Leben in kleineren, landschaftlichen Einheiten ermçglicht. Die Vernetzung mehrerer derartiger kreisstndischer Korporationen bot dann sehr wohl Wege, bei Bedarf in grçßeren Regionen politische Schlagkraft zu entfalten.584 So traten die Besitzer von Rit582 L. Enders, Emanzipation … (s. Anm. 174), S. 417, das Folgende S. 420 ff., S. 429 f.; vgl. Wolfgang Neugebauer, Die Schulreform des Junkers Marwitz. Reformbestrebungen im brandenburg-preußischen Landadel vor 1806, in: Peter Albrecht / Ernst Hinrichs (Hg.), Das niedere Schulwesen im ˜bergang vom 18. zum 19. Jahrhundert (= Wolfenbîtteler Studien zur Aufklrung, 20), Tîbingen 1995, S. 259 – 288, passim, und Ders., Bildungsreformen vor Wilhelm von Humboldt. Am Beispiel der Mark Brandenburg, in: E. Henning / W. Neugebauer (Hg.), Dona Brandenburgica … (s. Anm. 24), S. 226 – 249, passim, bes. S. 242 – 248. 583 H. H. Mîller, Domnenpchter … (s. Anm. 559), hier im ND bei O. Bîsch / W. Neugebauer (Hg.), Moderne preußische Geschichte … (s. Anm. 243), 1, S. 316 – 359, bes. S. 330 – 359, und die Tabelle S. 357 („Erwerb von Rittergîtern durch Domnenpchter“); Ders., Mrkische Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 113 ff., S. 209 ff.; R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 421), S. 95, S. 101, S. 107, S. 112 ff.; W. Mertineit, Verwaltung in Ostpreußen … (s. Anm. 544), S. 112 – 129. 584 Wolfgang Neugebauer, Zwischen Preußen und Rußland. Rußland, Ostpreußen und die Stnde im Siebenjhrigen Krieg, in: Eckhart Hellmuth / Immo Meenken / Michael Trauth (Hg.), Zeitenwende? Preußen um 1800 (Festgabe fîr Gînther Birtsch

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tergîtern als Kreisstnde zusammen, bis in die 1770er Jahre in der Mark Brandenburg unter Einschluß der bîrgerlichen Inhaber adliger Gîter; Bîrgerliche, die vor 1775 das jeweilige Gut erworben hatten, durften je nach Observanz auch weiterhin teilnehmen. Hier wurden Steuerfragen beraten585 und die nahezu durchweg586 adeligen Landrte prsentiert; auch die Angelegenheiten der Militrverwaltung, der – im weiten Sinne – Polizei oder etwa der Neusiedlung wurden auf den Kreistagsversammlungen diskutiert. Der Landrat amtierte in enger Abstimmung mit seinen Standesgenossen, deren Interessen er im Auge zu behalten hatte. Die Kreiskasse, in die die Steuern nach der Einhebung zunchst flossen, war keine landesherrliche, sondern eine stndische Einrichtung, jedenfalls in den mittleren Provinzen. Nach 1786 belebte sich das kommunalstndische Leben auch in Ost- und Westpreußen auf der Ebene der Kreise. Im spteren 18. Jahrhundert sind Kreistage auch Foren fîr allgemeine Diskussionen um gemeinsam interessierende Fragen geworden. Da nach 1740 sich die Aufsicht der Kriegs- und Domnenkammern îber die Kreisstnde sehr viel lockerer gestaltete, konnte sich ein stndisches Leben in den kleinen Landschaften um so krftiger entfalten. Offenbar hatte die staatliche Verwaltung sogar ein Interesse an funktionsfhigen Stnden, und so war es nur in der Logik, daß auch da, wo unter Friedrich Wilhelm I. Landrte einseitig eingesetzt worden waren, das Wahl- beziehungsweise Prsentationsrecht der Kreisstnde wieder respektiert worden ist.587 Etwa bei der Justizreform um 1750588 wurde 585

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zum 70. Geburtstag), Stuttgart/Bad Cannstatt 1999, S. 43 – 76; W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 18), S. 79 – 85. K. Vetter, Kreistage … (s. Anm. 493), S. 395; Ders., Kurmrkischer Adel … (s. Anm. 493), S. 29 f.; Ders., Die Stnde im absolutistischen Preußen. Ein Beitrag zur Absolutismus-Diskussion, in: ZGWiss 24 (1976), S. 1290 – 1306, hier S. 1299 – 1301; dazu bleibt wichtig Conrad Bornhak, Geschichte des Preußischen Verwaltungsrechts 2, Berlin 1885, S. 160; A. B. B., 16, 1. Tl., S. 445, Nr. 367, 2. Tl. S. 747 ff., Nr. 533; J. Schultze, Brandenburg … (s. Anm. 344), 5, S. 23. A. B. B., 9, S. 553 ff., Nr. 307; vgl. jetzt auch Frank Gçse, Rittergut – Garnison – Residenz. Studien zur Sozialstruktur und politischen Wirksamkeit des brandenburgischen Adels 1648 – 1763 (= Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 51), Berlin 2005, S. 218 ff. O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 359 f.; A. B. B., 9, S. 611, Nr. 336: (Magnus Friedrich von Bassewitz), Die Kurmark Brandenburg, ihr Zustand und ihre Verwaltung unmittelbar vor dem Ausbruche des franzçsischen Krieges im Oktober 1806. Von einem ehemaligen hçheren Staatsbeamten, Leipzig 1847, S. 159 – 169; P. Baumgart, Kurmrkische Stnde … (s. Anm. 180), S. 149 f.; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 132 ff., Magdeburg: S. 135. F. Holtze, Brandenburg … (s. Anm. 129), S. 104; P. Baumgart, Kurmrkische Stnde … (s. Anm. 180), S. 158 f.; Max Springer, Die Coccejische Justizreform, Mînchen/ Leipzig 1914, S. 188 ff., S. 209 f.; Fritz Martiny, Die Adelsfrage in Preußen vor 1806 als politisches und soziales Problem. Erlutert am Beispiel des kurmrkischen Adels (= VSWG, Beiheft 35), Stuttgart/Berlin 1938, S. 54; W. Neugebauer, Wandel … (s. Anm. 18), S. 75 ff.

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Wissen und Geld der Stnde bençtigt, um bei diesem Vorhaben ans Ziel zu kommen, das am grînen Berliner Tisch allein zwar anzuvisieren, aber nicht zu erreichen war. Daß im çstlichsten Preußen zu dieser Zeit – anders als in der Mark Brandenburg – keine permanente stndische Organisation auf der zentralen Landesebene vorhanden war, ist von Kçnig und Verwaltung sehr bald als ein wenig wînschenswerter Zustand erkannt worden. Auch der Absolutismus, der sich die machtrelevanten Bereiche vorbehielt, hat die Stnde etwa zur Herstellung des inneren Konsenses, bei der Stiftung von Rechtsfrieden und -sicherheit sehr wohl bençtigt, ja als Partner gesucht. Einiges spricht dafîr, daß bisweilen der Monarch um einiges weniger „absolutistisch“ dachte als seine fîhrenden Amtstrger und Minister. Als Friedrich Wilhelm I. seit 1716 daranging, den Adel in Ostpreußen, der unter dem Deutschen Orden nie das Privileg der Steuerfreiheit erlangt hatte, durch eine spezielle Landessteuer (den „Generalhubenschoß“) zu belasten, hat der Kçnig den Gedanken gehegt, ob man nicht einen Landtag in Ostpreußen in diesem Kontext einberufen kçnne. Seine Minister und Geheimen Rte haben mit Erfolg dagegen gesprochen. Diese Steuer ist dann, unter Einsatz eines hofnahen Adeligen aus dem Lande selbst (Graf Truchseß zu Waldburg) eingefîhrt worden,589 nicht ohne Widerstand, wie hinzugefîgt werden mag. Der spektakulrste Konflikt, den Friedrich Wilhelm I. mit dem Adel seiner Landschaften auszufechten hatte, betraf gleichfalls einen – erfolgreichen – Versuch, eine Art Besteuerung durchzusetzen, resultierte also aus dem zugespitzten Fiskalismus seiner Regierungsfîhrung. Vor allem Adlige aus dem Herzogtum Magdeburg haben heftigen Widerstand praktiziert, als der Kçnig den Plan durchsetzte, die bisherigen Lehen dem Adel zu vollem Eigentum zu îberlassen, d. h. zu „allodifizieren“ und dafîr einen „Kanon“, eine jhrliche Abgabe zu fordern. Die Magdeburger Stnde waren von der Politik gesteigerter Integration und Vereinheitlichung des Staates nach 1713 in besonderem Maße betroffen gewesen, hier hatte der Kçnig in der Tat die Position der organisierten Landeseliten massiv reduziert. Aus dieser reichsnahen Landschaft, die traditionell die Reichsgrundgesetzte wie etwa den Westflischen Friedensschluß als Schutz-

589 Johann Gustav Droysen, Friedrich Wilhelm I. Kçnig von Preußen (= Geschichte der Preußischen Politik, 4. Tl., 2. Abt., 1), Leipzig 1869, S. 197 f.; A. B. B., 2, S. 551 f.; Else Susat, Die Einfîhrung des Generalhufenschosses in Ostpreußen durch Karl Heinrich Erbtruchsess Graf zu Waldburg (1715 – 1719), in: Altpreußische Monatsschrift 59 (1922), S. 63 – 104, hier S. 81 – 85, S. 100; Heinrich Iwanowius, Die Vernichtung des stndischen Einflusses und die Reorganisation der Verwaltung in Ostpreußen durch Friedrich Wilhelm. Beilage zum Programm des Altstdtischen Gymnasiums zu Kçnigsberg in Preußen Ostern 1894, Kçnigsberg (1894), S. 20 – 29 (auch erschienen als Festschriftenbeitrag).

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schirm der Landesautonomie schtzte,590 ist dann im Zusammenhang mit der Allodifikation des Rittergutsbesitzes sogar der Versuch unternommen worden, den eigenen Landesherrn von der Reichsgerichtsbarkeit des Heiligen Rçmischen Reichs verurteilen und zur Rîcknahme der Maßnahmen zwingen zu lassen. Daß dieser Schritt aus dem magdeburgischen Adel zwar nicht erfolgreich, aber doch in politischer Hinsicht noch folgenreich geworden ist, hatte primr außenpolitische Grînde. Jedenfalls hat der Kçnig noch nach Jahren dem Vorgang große – durchaus politische – Bedeutung beigemessen.591 Mit dem Allodifikationsstreit im mittleren Westen und mit dem Generalhubenschoß im Osten sind die spektakulrsten Konflikte aus der Regierungszeit desjenigen preußischen Monarchen angesprochen, unter dem die stndischen Spielrume gewiß in gesteigertem Zugriff vermindert worden sind, bisweilen bis zum Stadium quasikonspirativer Latenz, freilich immer mit der Mçglichkeit spektakulrer Wiederbelebung. In der Mark Brandenburg blieb freilich die landstndische Ausschussstruktur immer erhalten.592 Die Sitzungen des Großen Ausschusses wurde zur Mitte des Jahrhunderts wieder als Landtag bezeichnet. In Kleve-Mark wurden die Landtage nach 1713 weiter, allerdings durchweg von der Regierung berufen; das Selbstversammlungsrecht ging verloren, doch ist auch hier eine Neubelebung des landstndischen Lebens unter Friedrich II. zu beobachten.593 Friedrich hat – ganz im Sinne seiner Linie des prinzipiellen Adelsschutzes – ein sehr viel weniger „autokratisches“ Verhltnis gegenîber dem Adel besessen, er ist in den alten Staatsprovinzen und im neuerworbenen Ostfriesland den Stnden durchweg entgegengekommen. In der Personalpolitik kam die Bevorzugung des Adels nach 1740 allerdings nur bei ausgesprochenen Spitzenpositionen zum

590 Alle Einzelheiten bei W. Neugebauer, Magdeburg, Halberstadt, Minden … (s. Anm. 55), S. 181 ff.; Ders., Regionalismus … (s. Anm. 201), S. 81, S. 85; H. Bielfeld, Steuerwesen … (s. Anm. 216), S. 155 (Aufhebung des Kreditwerkes 1716); H. Gringmuth, Behçrdenorganisation Magdeburg … (s. Anm. 216), S. 64 f. 591 W. Neugebauer, Magdeburg, Halberstadt, Minden … (s. Anm. 55), S. 184 ff.; Victor Loewe, Die Allodifikation der Lehen unter Friedrich Wilhelm I., in: ForschBrandPrG 11 (1898), S. 341 – 374, hier S. 343 ff., S. 348 – 363; Adolf Stçlzel, BrandenburgPreußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung dargestellt im Wirken seiner Landesfîrsten und obersten Justizbeamten 2, Berlin 1888, S. 79 f.; Frank Gçse, Die Struktur des kur- und neumrkischen Adels im Spiegel der Vasallentabellen des 18. Jahrhunderts, in: ForschBrandPrG NF 2 (1992), S. 25 – 46, hier S. 34. 592 K. Vetter, Die Stnde … (s. Anm. 585), S. 1291 – 1296; Ders., Kurmrkischer Adel … (s. Anm. 493), S. 22 f.; W. Neugebauer, Brandenburg … (s. Anm. 140), S. 374 ff.; O. Hintze, Einleitende Darstellung … (s. Anm. 417), S. 347 – 354. 593 Leo Wollenhaupt, Die Cleve-Mrkischen Landstnde im 18. Jahrhundert (= HistStud, 158), Berlin 1924, ND Vaduz 1965, S. 13 – 17, S. 53 – 65, S. 67; Francis L. Carsten, Princes and Parliaments in Germany From the Fifteenth to the Eighteenth Century, Oxford 1959, S. 327 ff.

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Ausdruck.594 Das alles war kein Zufall. Adelsschutz als Standesschutz bedeutete, daß auch der Adel in seinem Besitz und seinen Rechten erhalten werden mußte; deshalb sollten Bîrgerliche nach Mçglichkeit keine Rittergîter erwerben. Bei alledem spielten die Kriegserfahrungen Friedrichs eine große Rolle; das „Gleichgewicht“ von Bauer und Edelmann solle erhalten werden, wie er im politischen Testament von 1752 notierte, aber der Adel mîsse, wie er 1748 postulierte, gefçrdert werden, da „dessen Sçhne das Landt Defendiren und die Racce davon so guht ist, das sie auf alle art meritiret, Conserviret zu Werden“.595 Insofern, so kçnnte man resîmieren, spielte sogar in die Adelspolitik Friedrichs des Großen, der dies nach seinen ersten schlesischen Kriegen schrieb, die europische Rahmenlage der preußischen Geschichte ganz wesentlich hinein.

§ 9 Preußen und Europa unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts Heinz Duchhardt hat unlngst Preußen im 18. Jahrhundert als den politischen „Aufsteiger“ im Europa dieser Zeit bezeichnet. „Staatengeschichtlich gesehen“, war dessen Entwicklung im Konzert der europischen Mchte „die eigentliche ,˜berraschung’ des 18. Jahrhunderts“, zumal damit ein „randstndiger“ Staat nunmehr zum politischen Faktor wurde.596 Freilich sollte die Frage, seit wann Brandenburg-Preußen schon eine „Großmacht“ gewesen ist, nicht vorschnell und verfrîht beantwortet werden, etwa bestimmt von der weiteren Entwicklung im 18. Jahrhundert, die allerdings – wie die Jahre nach 1756 zeigen sollten – durchaus nicht so abgesichert war, daß eine gewaltsame Umkehr und qualitative Reduktion Brandenburg-Preußens nicht doch noch mçglich gewesen wre. Zunchst hatte das neue Kçnigtum immerhin das erste Jahrzehnt der 1700/ 01 gewonnenen Wîrde îberstanden. In den Verhandlungen, die dem Spanischen Erbfolgekrieg, d. h. den Kmpfen im Westen, ein Ende setzten und bei denen Preußen nunmehr als Vertragspartner am 11. April 1713 zu Utrecht auftrat, hatte nun auch Frankreich die preußische Kçnigswîrde anerkannt. Ein Teil Obergelderns mit 22 Quadratmeilen wurde Brandenburg-Preußen zugesprochen, gleichzeitig aber ausdrîcklich festgestellt, daß fîr die Vertragsparteien die Bestimmungen des Westflischen Friedens auch weiterhin Geltung besitzen 594 E. Schwenke, Adel … (s. Anm. 579), S. 7 – 10, S. 39; H. C. Johnson, Frederick … (s. Anm. 476), S. 52 f., S. 255 f. 595 Gustav Berthold Volz (Hg.), Die Politischen Testamente Friedrichs des Großen (= Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. Ergnzungsband), Berlin 1920, S. 29 f.; deutsche ˜bersetzung: Friedrich der Grosse, Die Politischen Testamente, îbersetzt von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, mit einer Einfîhrung von Gustav Berthold Volz, Mînchen 21936, S. 33 ff.; 1748: A. B. B., 7, S. 562 f. 596 H. Duchhardt, Balance … (s. Anm. 379), S. 154.

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sollten. Die preußische Souvernitt îber Neuch’tel und Valengin wurde anerkannt, allerdings unter Verzicht Friedrich Wilhelms I. auf die unter seinem Vater so gern gehegten Plne einer umfassenden Nachfolge in den Territorien der oranischen Erbschaftsmasse sowie auf die in der Grafschaft Burgund gelegenen Gebiete.597 Damit war eine wesentliche Voraussetzung geschaffen, unter der Friedrich Wilhelm I. das Werk innerer Staatsbildung „mit entschlossener Einseitigkeit“598 durchfîhren konnte. Der Utrechter Frieden bot dafîr eine Erleichterung, nahm er doch fîr lange Zeit, ja fîr Jahrzehnte, den Druck im Westen, der seit dem frîhen 17. Jahrhundert eine der außenpolitischen Determinanten beim Aufstieg Brandenburg-Preußens gewesen war. Indem dieser Außendruck auf Preußen nunmehr also nachließ, die Lehren aus der Zeit vor 1713 aber – wie wir sie in der „Bildungsgeschichte“ Friedrich Wilhelms I. betrachteten – nachhaltig fortwirkten, wurde die persçnliche und zugleich europisch-politische Konstellation geschaffen, in der der innere Aufbau und die Politik strukturformender Herrschaftsverdichtung erst mçglich geworden ist. Gleichwohl wre es falsch, aus der Disproportion von militrischem Aufbau und Aufrîstung auch nach Utrecht einerseits und der aufflligen außenpolitischen Passivitt Friedrich Wilhelms I. in seiner Regierungszeit andererseits zu der zugespitzt-unzulssigen Formel zu kommen, daß ausgerechtet der „Soldatenkçnig“ keine Kriege gefîhrt habe oder sie gar nicht habe fîhren wollen. Es ist zwar richtig, daß den so militrfixierten Monarchen gerade dann, wenn es um politische Programme und Risiken, gar um die Perspektiven konfrontativer Einstze ging, auffllige Skrupel behinderten. In der sehr intimen, eigenhndig niedergelegten Quelle des politischen Testaments von 1722 sind diese in der Religiositt Friedrich Wilhelm I. begrîndeten Hindernisse fîr eine aktive oder gar aggressive Außen- und Militrpolitik besonders gut zu studieren. Ganz am Schluß der langen Ausarbeitung hat Friedrich Wilhelm seine Maximen auswrtiger Politik dem Nachfolger offengelegt, hat er seine Ziele und seine „Pretensionen“ beschrieben: Jîlich und Berg am Niederrhein, die – seit den Tagen des Großen Kurfîrsten599 – virulente Expektanz auf Ostfriesland, vielleicht auch einmal dermaleinst „die Succession auf Megcklenburg“.600 Wenn 597 V. Loewe (Hg.), Preussens Staatsvertrge … (s. Anm. 379), S. 1 – 15; F. W. Ghillany, Europische Chronik von 1492 bis Ende April 1865, Mit besonderer Berîcksichtigung der Friedensvertrge, deren wichtigste Paragraphen nach dem Wortlaut in der Grundsprache der Friedensinstrumente eingefîhrt werden, Ein Handbuch fîr Freunde der Politik und Geschichte 1, Leipzig 1865, S. 222; H. Schulze (Hg.), Hausgesetze … (s. Anm. 339), 3, S. 589. 598 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 276. 599 Vgl. oben bei Anm. 35 – 41. 600 G. Kîntzel / M. Hass, Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 113 – 115 – auch folgendes Zitat.

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„die Kasus in wehrende euere Regirung sich solte(n) ereigenen(,) mîsset Ihr die gerechte Pretensionen sutteniren mit euer gantze macht und es nicht abandoniren den(n) sie gerecht sein und Gott die gerechte sachen beystehen(.) Kurfîrst friderich Wilhelm haht das rechte flor und aufnahme in unser haus gebracht(,) mein Vatter hat die Kçnigl. wîrde gebracht(,) mich [!] habe das Landt und Arme¤ in stande gebracht(,) an euch mein lieber Successor ist was eure vorfahren angefangen zu sutteniren und eure Protensionen und lender darbeyschaffen die unserm hauße von Gott und rechtswehgen zugehçhren“. – Schon diese, in einer internen, ja geheimen Quelle ganz auffllige Betonung rechtlicher Bindungen außenpolitischer Ziele, zudem solcher sehr beschrnkter Reichweite, mutet eigentîmlich an. Unmittelbar darauf folgt nun ein Motiv, das in den außenpolitischen Passagen dieses Herrscherprogramms immer wieder – mal um mal – aufgegriffen wird, eine fast zwanghafte Selbstbindung machtpolitischer Deliberationen: „bettet zu Gott und fanget niemahlen ein(en) ungerechten Krig an(,) aber wozu Ihr recht habet da laßet nicht ab den(n) gerechte sache wierdt euch Gott gewiß sehgenen aber (in) eine ungerechte sache wierdt euch Gott gewiß verlaßen das seidt versicherdt“. „Mein lieber Succeßor bitte ich umb Gottes willen kein ungerechten krihg anzufangen und nicht ein agressçr sein den(n) Gott die ungerechten Krige verbohten und Ihr iemals mîsset rechenschaft gehben von jeden Menschen der dar in ein ungerechten Krig geblieben ist, bedenk(t) was Gottes gericht scharf ist(,) lehset die Historie da werdet Ihr sehen das die ungerechte Krige nicht guht abgelauffen sein.“ Und um die religiçs verankerte Warnung vor politisch-militrischer Aggressivitt auch historisch-empirisch zu untermauern, gab der Monarch seinem Nachfolger eine ganze Reihe geschichtlicher Exempel, wie „ungerechte Krige nicht guht abgelauffen sein“, wie Gott sogar Monarchen deshalb „detroniret“ htte; Gott gebe der Truppe das Herz zum Kampf und er kçnne es auch nehmen, d. h. auch der Kampfwert der Armee sei – so darf man ergnzen – nicht nur eine Sache des quantitativen und qualitativen Ausbaus, sondern in der Schlachtenentscheidung ganz unmittelbar gçttlich determiniert: „Ihr seidt zwahr ein grohser herre auf erden aber Ihr mîßet vor allen ungerechten Krig und Bluht das ihr vergißen laßet vor Gott rechenschaft tuhn (das) ist eine harte sache(,) also bitte ich euch haltet rein gewißen vor Gott alsden Ihr eine glîckliche Regirung fîhren werdet.“601 Bekanntlich hat sich der „Successor“ – Friedrich II. – an diesen Rat nicht gehalten, aber diese Quelle dokumentiert schlagend die politisch-mentalen Auswirkungen der tiefpersçnlichen Religiositt dieses zur außenpolitischen Depressivitt neigenden Monarchen, dessen „außerordentlich gesteigerte religiçse Skrupelhaftigkeit“602 eine Fessel wurde gegen vorschnelle Experimente mit 601 G. Kîntzel / M. Hass, Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 114 f. 602 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. …, 1938 (s. Anm. 398), S. 44 f., S. 49.

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demjenigen Instrument, das er in innenpolitischer Verwaltungsaskese aus- und aufbaute. Kein Zweifel, auf glattem diplomatischen Parkett war dieser Choleriker auf dem Thron nicht gut zu Hause. Auf keinem anderen Arbeitsfeld hat sich Friedrich Wilhelm so sehr auf die Unterstîtzung hoher Amtstrger angewiesen gesehen wie auf dem der Außenpolitik, nur hier war von persçnlichem Regiment keine Rede. „Mein lieber Succeßor bitte ich in stah(t)ssachen nichtes zu Resolviren bevor Ihr alles wohll mit eure Ministris des affere Ettrangehre wohll îberlehget hahbet“,603 – das war ein Rat, in dem auch eigene Regierungspraxis noch lange nachgeklungen ist. Als Friedrich Wilhelm die Regierung îbernahm, stand der Frieden im Westen vor dem Abschluß, aber dies war nicht der ganze europische Frieden. Noch war der Nordische Krieg – zwischen Rußland und Schweden zumal – nicht beendet. Kurz nach dem Regierungswechsel von 1713 hat Peter der Große in Berlin den Kçnig an seine Seite und in den Krieg zu ziehen versucht; immerhin stand zwischen Schweden und Preußen ja nach wie vor die Frage des pommerschen Erbes. Friedrich Wilhelm I. hat zunchst hinhaltend reagiert und darauf verwiesen, daß er erst einmal Armee und Staatsfinanzen in Ordnung bringen mîsse.604 Allerdings hat noch 1713 eine Annherung Preußens an die antischwedische Koalition stattgefunden, nachdem Russen, Polen und Dnen Stettin von den Schweden erobert hatten. Zunchst hat sich Preußen verpflichtet, Stettin und Vorpommern bis zur Peene sequestrierend zu îbernehmen und gegen die Schweden zu decken,605 gewiß ein vorsichtig-tastender Schritt aus der Neutralitt, dem dann ein preußisch-russisches Bîndnis und schließlich – erst am 1. Mai 1715 – die preußische Kriegserklrung gegen das im Rîckzug befindliche Schweden folgte.606 Preußische Truppen haben also im letzten Stadium des Nordischen Krieges eingegriffen, als die Entwicklung unmittelbar das brandenburg-preußische Interessenobjekt der Odermîndung tangierte. Die 603 Departement der Auswrtigen Affairen unter Friedrich Wilhelm I.: vgl. oben bei Anm. 469; folgendes Zitat nach G. Kîntzel / M. Hass, Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 118. 604 E. Hassinger, Brandenburg-Preußen, Rußland … (s. Anm. 378), S. 279; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 276 f., auch zum Folgenden; H. Duchhardt, Altes Reich … (s. Anm. 351), S. 76. 605 V. Loewe (Hg.), Staatsvertrge Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 379), S. 16 ff., S. 28 – 35: Vertrag von Schwedt (6. Oktober 1719); F. Hartung, Neuzeit … (s. Anm. 290), S. 96 f. 606 Jûzef Gierowski, Preußen und das Projekt eines Staatsstreiches in Polen im Jahre 1714. (Zur Genesis der Konfçderation von Tarnogrûd), in: Jahrbuch fîr Geschichte der UdSSR und der Volksdemokratischen Lnder Europas 3 (1959), S. 295 – 317, hier S. 305; Klaus Malettke, Die franzçsisch-preußischen Beziehungen unter Friedrich Wilhelm I. bis zum Frieden von Stockholm (1. Februar 1720), in: O. Hauser (Hg.), Preußen, Europa … (s. Anm. 215), S. 123 – 150, hier S. 141; Kmpfe: C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), S. 632 – 641.

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Armee Friedrich Wilhelms I. nahm spt an einem europischen Konflikt teil, der dann fîr Preußen den einzigen Territorialerwerb in dieser Regierungszeit erbringen sollte. Zunchst fochten die Preußen vor Stralsund und eroberten dann die Insel Rîgen. Der Separatfrieden von Stockholm vom 21. Januar/ 1. Februar 1720 îbertrug Preußen das schon provisorisch îbernommene Gebiet an der Odermîndung unter Einschluß der Insel Wollin und Usedom, wofîr Preußen sich bereiterklrte, zwei Millionen Reichstaler an Schweden zu bezahlen.607 Schweden und Rußland fîhrten den Konflikt noch bis 1721, als dann mit dem Frieden von Nystad das schwedische Ostseeimperium als gebrochen angesehen werden konnte. Nur noch das schwedisch-pommersche Gebiet um Greifswald und Stralsund mit Rîgen blieb als Brîckenkopf des vormals gefhrlichen Widersachers auf mitteleuropischem Boden erhalten. Nachdem 1721 das „schwedische Ostseeimperium“ als „beseitigt“608 angesehen werden konnte und Preußen die untere Oder – das große Ziel des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm – gewonnen hatte, trat freilich nunmehr der russische Faktor fortan in das Krftefeld derjenigen Mchte ein, das auch die preußischen Existenzbedingungen ganz wesentlich bestimmte. Die preußisch-russische Achse hat in der Folge fîr die lngste Zeit unter Friedrich Wilhelm I. einen wichtigen Rîckhalt geboten, nicht zuletzt auch im Hinblick auf gemeinsame Interessen im polnischen Vorfeld. Diese Interessen bestanden in der Konservierung des polnischen Verfassungszustandes, auch der polnischen Freiheiten mit den sich daraus ergebenden Interventionsmçglichkeiten eines „Protektionssystems“, dem schließlich 1726 auch §sterreich beitreten sollte.609 Nach Stockholm und Nystad trat Europa in eine Friedensperiode ein, die als Rahmenlage fîr den inneren Staatsausbau Preußens bis 1740/41 nicht îbersehen werden darf. Die europischen Einflußsphren der großen Mchte nach 1720: England, Frankreich, Habsburg und Rußland lagen mit ihren Interessenszentren dort, wo Preußen nicht unmittelbar berîhrt werden konnte. „Dort 607 V. Loewe (Hg.), Staatsvertrge Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 379), S. 226 ff.; F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), S. 236; vgl. G. Oestreich, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 398), S. 36 f. 608 Klaus Zernack, Preußen als Problem der osteuropischen Geschichte, zuerst 1965, wieder in: Ders., Preußen – Deutschland – Polen. Aufstze zur Geschichte der deutschpolnischen Beziehungen, hg. von Wolfram Fischer und Michael G. Mîller (= Historische Forschungen, 44), Berlin 1991, S. 87 – 104, hier S. 98 f.; H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 4), S. 291; Klaus Zernack, Das preußische Kçnigtum und die polnische Republik im europischen Mchtesystem des 18. Jahrhunderts (1701 – 1763), in: JbGMitteldtld 30 (1981), S. 4 – 20, hier S. 8, S. 11 ff.; Ders., Polen … (s. Anm. 201), S. 418; Michael G. Mîller, Die Teilungen Polens 1772, 1793, 1795, Mînchen 1984, S. 21 f.; E. Hassinger, Brandenburg-Preußen, Rußland … (s. Anm. 378), S. 280 f.; Polen: V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 379), S. 245. 609 Wie Anm. 608.

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wo diese vier Einflußsphren aneinanderstießen, lag … Preußen“, das damit politisch involviert war, ohne im Mittelpunkt von Konfliktherden direkt in Gefahr politischer Verwicklungen zu geraten. Man hat deshalb gerade fîr diese Zeit von einer „gînstige(n) geographischen Lage“ des preußischen Staats gesprochen. „Die brandenburg-preußischen Besitzungen waren dort gelegen, wo die Peripherien der Machtbereiche der Großmchte aneinanderstießen und ihre Kraft naturgemß am schwchsten war. Preußen wurde so davor bewahrt, einfach im Kielwasser einer dieser großen Mchte mit davongerissen zu werden.“ Es konnte sich zur Zeit Friedrich Wilhelms I. „Entscheidungsfreiheit“610 wahren, also in relativer Distanz relative machtpolitische Abstinenz îben. Nach 1720/21 ist Preußen zunchst keine dauernden mitteleuropischen Bindungen eingegangen; im Herrenhauser Bîndnis von 1725 trat Preußen der fragilen Koalition von England und Frankreich gegen §sterreich-Spanien bei, immer den Blick nach dem Westen, auf den Niederrhein gerichtet, mit dem – politisch eigentlich nicht sehr ambitionierten – Ziel von Jîlich und Berg. Der Bîndniswechsel in den Vertrgen von Wusterhausen und Berlin 1726/28, hin zum Kaiser und in Distanz zu den westeuropischen Mchten, entsprang wohl ganz der Initiative Friedrich Wilhelms I., zu dem der çsterreichische Vertreter Graf Seckendorff in geschickter Weise Verbindung hielt und der zudem – auch mit den Instrumenten der Bestechung – die Umgebung des Kçnigs beeinflußte. Emotionale Bindungen des preußischen Kçnigs zum Kaiser kamen hinzu. Dessen Politik wurde ganz wesentlich von dem Motiv bestimmt, die habsburgische Nachfolgelçsung der Pragmatischen Sanktion anerkennen zu lassen und dafîr Unterstîtzung zu finden; dafîr erhielt Friedrich Wilhelm (in der Form freilich unbestimmte) Zusagen hinsichtlich des Herzogtums Berg, die Wien weder eingehalten hat noch einzuhalten beabsichtigte.611 Insofern lagen im preußisch-habsburgischen Bîndnis bereits Konfliktpotentiale begrîndet, die zur Jahrhundertmitte dann ihre Entladung fanden. §sterreich war stets bestrebt, Preußen auch im Status als Allianzpartner keine weitere „Machtentfaltung“ zu ermçglichen.612 Gerade die enge Anbindung an den Kaiser seit 1728, die auch 610 Elisabeth Charlotte Broicher, Der Aufstieg der preußischen Macht von 1713 bis 1756 in seiner Auswirkung auf das europische Staatensystem, phil. Diss. Kçln 1947, o. O. 1955, S. 4 f., S. 24. 611 G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 176 ff.; E. C. Broicher, Aufstieg … (s. Anm. 610), S. 25 – 32, S. 35, S. 38 – 50; F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 244; vgl. G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 490, und A. Siemsen, Anteil … (s. Anm. 290), S. 64 f. 612 Max Braubach, Versailles und Wien von Ludwig XIV. bis Kaunitz. Die Vorstadien der diplomatischen Revolution im 18. Jahrhundert (= BonnHistForsch, 2), Bonn 1952, S. 189; Ilja Mieck, Die Staaten des westlichen Europa in der friderizianischen Außenpolitik, in: Wilhelm Treue (Hg.), Geschichte als Aufgabe. Festschrift fîr Otto Bîsch zu seinem 60. Geburtstag, Berlin 1988, S. 83 – 100, hier S. 85.

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religiçse Grundlagen hatte, minderte aber Preußens politischen Kurswert in erheblichem Maße,613 obwohl in Frankreich schon in der frîhen Regierungszeit Friedrich Wilhelms die innere Politik Preußens mit einiger Aufmerksamkeit beobachtet und eingeschtzt worden war. Im polnischen Thronfolgekrieg von 1733/35 hat Preußen dem Kaiser angeboten, als selbstndiger Bîndnispartner mit der Masse seines Heeres die habsburgische Partei zu unterstîtzen, doch hat Wien sich lieber mit dem Reichskontingent von 10.000 Mann begnîgt, als in eine solche politische Aufwertung Brandenburg-(Preußens) einzuwilligen. Zu einem politischen oder Territorialgewinn ist Friedrich Wilhelm I. denn auch sogar in dieser Konstellation nicht gekommen. Nicht einmal in der Zeit des polnischen Thronfolgekrieges waren Fortschritte hinsichtlich (Jîlich und) Bergs durchzusetzen. Vom Friedensschluß des Jahres 1735 wurde Preußen nicht einmal unterrichtet,614 und auch der Versuch Friedrich Wilhelms, nun im Kontakt mit Frankreich in der niederrheinischen Angelegenheit voranzukommen, schlug fehl. Seit Mitte der 1730er Jahre nahmen „Verrgerung und Enttuschung“ des Kçnigs gegenîber Wien und auch gegenîber Seckendorff spîrbar zu.615 Die Verstndigung §sterreichs mit Frankreich hinter dem Rîcken und auf Kosten Preußens kulminierte in dem diplomatischen Eklat der „identischen Noten“ §sterreichs, Frankreichs, Englands und Hollands vom Februar 1738, in denen die preußischen Ansprîche am Niederrhein kollektiv bestritten und stattdessen die Interessen des pflzischen Konkurrenten vertreten wurden. Diese Lehre saß tief, und dies um so mehr, als damit die emotionale Außenpolitik des brandenburg-preußisch-kaiserlichen Bîndnisses, wie es Friedrich Wilhelm I. auch aus prinzipieller Reichstreue vertreten hatte, auf eine spektakulre Weise gescheitert war. Noch in der allerletzten Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. bahnten sich dann kommende politische Dinge an, als im April 1739 in einem geheimen Vertrag preußisch-franzçsische Verbindungen geknîpft wurden, die nun an die Stelle der bisherigen Orientierungen traten.616 613 E. C. Broicher, Aufstieg … (s. Anm. 610), S. 46 ff., S. 50; vgl. weiter P. Baumgart, Epochen … (s. Anm. 391), S. 75 f.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 314 f.; Frankreich: K. Malettke, Beziehungen … (s. Anm. 606), S. 125, S. 149 f. 614 E. C. Broicher, Aufstieg … (s. Anm. 610), S. 53 f.; F. Hartung, Neuzeit … (s. Anm. 290), S. 106 f.; C. Jany, Armee … (s. Anm. 40), 1, S. 664 – 679, bes. S. 673. 615 Rudolf Endres, Versuche Wiens zur Einflußnahme auf Kronprinz Friedrich von Preußen, in: JbFrnkLdForsch 29 (1969), S. 1 – 17, hier S. 13. 616 V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 379), S. 478 ff., Text: S. 480 – 487; I. Mieck, Westliches Europa … (s. Anm. 612), S. 90 f.; Friedrich Meinecke, Des Kronprinzen Friedrich Consid¤rations sur l’¤tat pr¤sent du corps politique de l’Europe, in: Ders., Brandenburg – Preußen – Deutschland … (s. Anm. 35), S. 196; dazu G. Oestreich, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 398), S. 121; G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 178; G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 494 f.; E. C. Broicher, Aufstieg … (s. Anm. 610), S. 55 f.; H. Duchhardt, Altes Reich … (s. Anm. 281), S. 80.

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Diese haben nach 1740 dann fîr eineinhalb Jahrzehnte Rîckhalt derjenigen Politik geboten, wie sie Friedrich der Große mit entschlossener Aggressivitt betrieben hat. Der Kronprinz Friedrich hat, wie bezeugt ist, diese Entwicklungen bereits sehr aufmerksam beobachtet und vor allem den Wortbruch §sterreichs und die diplomatische Katastrophe der identischen Noten mit „ohnmchtiger Empçrung“ verfolgt.617 Auch in dieser Hinsicht gibt es Linien und Verbindungen îber den Regierungswechsel des Jahres 1740 hinweg. Lngst war der Kronprinz, wenn auch noch nicht selbst gestaltend, zu einem Politikum in Preußen geworden, und die Frage, welche Heiratsverbindung Friedrich eingehen sollte, war um 1730 am preußischen Hofe heftig umkmpft. Denn die außenpolitische Orientierung Preußens wurde dort nicht unkommentiert hingenommen, sie wurde heftig diskutiert. England oder Habsburg, das war die Frage, und die Kçnigin Sophie Dorothea, selbst wieder eine brandenburg-preußische Monarchin aus hannoverschem Hause, hat zwar die bisweilen an den Rand der Kriegsgefahr fîhrende preußisch-hannoversche Rivalitt nicht mildern kçnnen, wohl aber eigene diplomatische Optionen verfolgt.618 Sie beabsichtigte, durch die Beeinflussung des Kronprinzen eine langfristig angelegte Westbindung in der preußischen Politik zu verankern. Sie war die Exponentin des hannoverischenglischen Programms gegen das der kaiserlichen Orientierung, die Friedrich Wilhelm, gestîtzt von Seckendorff und dem Minister Grumbkow, bis 1738/39 verfolgte. Insofern war die das Charakteristikum eines Generationenkonfliktes619 in sich tragende Beziehung des Prinzen Friedrich zu seinem Vater politisch – und geistesgeschichtlich – unterlegt. 617 T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 130; F. Meinecke, Kronprinz … (s. Anm. 616), S. 178 f.; vgl. nun auch Johannes Kunisch, Friedrich der Grosse. Der Kçnig und seine Zeit, Mînchen 2004, S. 120 ff. 618 Heirat Friedrich Wilhelms I.: C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 192), S. 252 – 255, S. 278 – 285, S. 189 – 295; Heiratsprojekt fîr Friedrich II.: I. Mieck, Westliches Europa … (s. Anm. 612), S. 85 f.; Kontext: E. C. Broicher, Aufstieg … (s. Anm. 610), S. 25 f.; Heinrich Schilling, Der Zwist Preußens und Hannovers 1729/ 30, Halle a. S. 1912, S. 1 – 14, preußische Mobilmachung: S. 30 ff.; Carl Hinrichs, Zur Einfîhrung. Momente des Konflikts zwischen Kçnig Friedrich Wilhelm I. von Preußen und Kronprinz Friedrich, in: Ders., Der Kronprinzenprozeß. Friedrich und Katte, Hamburg (1936), S. 5 – 20, hier S. 7, S. 14 – 19 zum Ganzen: G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 152. 619 Zur Konflikt zwischen Friedrich Wilhelm I. und dem Sohn und zum Kronprinzenprozeß aus der (îberreichen) Literatur jetzt auf Grund von Methode und Quellenbasis maßgeblich Jîrgen Kloosterhuis, Katte, Ordre und Kriegsartikel. Aktenanalytische und militrhistorische Aspekte einer „facheusen“ Geschichte, in: ForschBrandPrG NF 15 (2005), 1. Heft, S. 27 – 65, Heft 2, S. 161 – 223 auch als Monographie; aus der lteren Lit. in Auswahl V(ictor) Bibl, Thronfolger, Mînchen 1929, bes. S. 105 – 125, und typologisch passim; Peter Baumgart, Kronprinzenopposition. Zum Verhltnis Friedrichs zu seinem Vater Friedrich Wilhelm I., in: Heinz Duchhardt (Hg.),

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Auch Friedrich II., der Große, war nicht der Erstgeborene, sondern der erstîberlebende Kronprinz gewesen; zwei ltere Brîder waren bald nach der Geburt gestorben.620 Friedrich kam am 24. Januar 1712 zur Welt. Die Instruktion, nach der seine Erziehung erfolgen sollte, war derjenigen des Jahres 1695 nachgebildet, die also fîr die Formung des jungen Friedrich Wilhelms I. maßgeblich gewesen war, nun mit einigen Modifikationen im Geiste des Pietismus.621 Zunchst wurde der junge Prinz einem Hugenotten zur Erziehung îbergeben, der dem Kçnig bei den Kmpfen vor Stralsund wegen besonderer Tapferkeit aufgefallen war; schließlich haben Offiziere aus hohem altpreußischem Adel die Aufgabe zu îbernehmen gehabt, den Prinzen und kînftigen dritten preußischen Kçnig in den Schwerpunktthemen zu schulen, die dem Vater besonders wichtig schienen und am Herzen lagen: alles das, was zu einem kînftigen „guten Wirt“ gehçrte, und natîrlich sollte der Prinz dermaleinst einen guten Offizier abgeben. Friedrich Wilhelm I. lebte in der Angst, sein Nachfolger kçnne, einmal an die Macht gekommen, Preußen in die Bahnen zurîckfîhren, die zwischen 1688, 1700 und 1713 befahren worden waren. Und in der Tat schien der Sohn schon sehr bald Anzeichen dafîr zu geben, daß er jedenfalls den in ihn von Friedrich Wilhelm gesetzten Erwartungen nicht entsprechen wîrde. Desinteresse an allem Militrischen, Abneigung gegen die dem Vater so beliebte Jagd, dazu wenig Fleiß und dann auch noch Romanlektîre und frîhe „religiçse Emanzipation“ (Schieder) wirkten alarmierend.622 Um 1730 zhlte die heimlich aufgebaute Bibliothek des Prinzen knapp 4.000 Bnde. Frîh kam es zu offenen Friktionen. Hinter dem Generationenkonflikt aber verbarg sich ein Systemproblem.623 Seit 1728 hat Friedrich Fluchtgedanken gehegt, nicht nur durch die Frage einer englischen oder eher habsburgischen Heiratsoption inspiriert, aber doch seitens Friedrichs ohne eigentliches politisches Ziel. Sehr viel spter hat er als Kçnig diese jugendlich-dramatische Tat als unbesonnenen Akt bezeichnet, und 620

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Friedrich der Große, Franken und das Reich (= Bayreuther Historische Kolloquien, 1), Kçln/Wien 1986, S. 5 – 23, hier S. 6. J. Grossmann, u. a., Genealogie … (s. Anm. 35), S. 37; C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Jugend … (s. Anm. 192), S. 330, S. 338, S. 600 ff., S. 695 – auch zum Folgenden; Ingrid Mittenzwei, Friedrich II. von Preußen. Eine Biographie, Kçln 21980, S. 7, S. 13. Vgl. von dem seinerzeit besten Kenner des ungedruckten und des gedruckten Quellenmaterials: Reinhold Koser, Friedrich der Große als Kronprinz, (zuerst) Stuttgart 1886, S. 5; sodann T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 7 f., S. 18 ff. R. Koser, Kronprinz … (s. Anm. 621), S. 3; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 20 – 28, S. 34; I. Mittenzwei, Friedrich II. …. (s. Anm. 620), S. 13, und besonders Arnold Berney, Friedrich der Große. Entwicklungsgeschichte eines Staatsmannes, Tîbingen 1934, S. 7 f. P. Baumgart, Kronprinzenopposition … (s. Anm. 619), S. 6 ff.; vgl. z. B. Max Hein (Hg.), Briefe Friedrichs des Großen 1, Berlin 1914, S. 15 f.; A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 15 ff.

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noch um 1760 kamen frîhe Traumatisierungen darin zum Ausdruck, daß Friedrich des Nachts von seinem Vater trumte.624 In London wollte man den Kronprinzen angesichts der zu erwartenden zumindest diplomatischen Komplikationen nicht gerne aufnehmen, aber in Frankreich schien ein Refugium mçglich. Die dramatische Szene des missglîckten Fluchtversuchs whrend einer Reise des Kçnigs nach Sîdwestdeutschland im Sommer des Jahres 1730 ist oft geschildert worden; die Verhaftung, der Kronprinzenprozeß, die Hinrichtung des Jugendfreundes Katte aus altem magdeburgischen Adelshause und der Aufenthalt in der Festung Kîstrin.625 Das, was dem Prinzen vorgeworfen wurde und auf Befehl des Kçnigs so und nicht anders auszusprechen war, hieß: Desertion,626 und damit war im Preußen Friedrich Wilhelms I. die Frage nach physischem und politischem ˜berleben gestellt. Der Ausgang der Sache, in die alsbald auch auswrtige Mchte fîrsprechend zu intervenieren suchten,627 war anfangs durchaus nicht abzusehen; Friedrich Wilhelm I. war im hohen Zorne unkalkulierbar. Der (ußeren) Unterwerfung Friedrichs folgte – auf Empfehlung des Grafen Seckendorff – nach Begnadigung und Vereidigung des Prinzen dessen administrative Ausbildung an der Kriegs- und Domnenkammer im residenzfernen Kîstrin.628 Die Heiratsfrage wurde – entgegen der Parteioption 624 Willy Schîßler (Hg.), Friedrich der Große. Gesprche mit Catt, Leipzig 1940, S. 46 – 48 (1758); A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 17, S. 19; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 29 – 32; vgl. J. Kloosterhuis, Katte … (s. Anm. 619), in der Buchausgabe (Berlin 2006), S. 60. 625 Vgl. Anm. 619; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 32; wichtig noch die Einleitung von C. Hinrichs zu seiner Edition: Kronprinzenprozeß … (s. Anm. 618), S. 21 ff., S. 34 f., franzçsisches Fluchtziel: S. 95 (Verhçr vom 16. September 1730), weiter S. 106, S. 159 f.; Gustav Berthold Volz, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Friedrich der Große und Wilhelmine von Baireuth, 1: Jugendbriefe. Deutsch von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Leipzig 1924, S. 5 – 60, hier S. 10; vgl. P. Baumgart, Kronprinzenopposition … (s. Anm. 619), S. 13 (Thronverzicht? – Todesstrafe?); T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 37 ff. 626 Vgl. Kloosterhuis, wie Anm. 619 in der Buchausgabe S. 62 u. ç.; C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß … (s. Anm. 618), S. 81, vgl. S. 106; aus der lteren Lit. vgl. noch Detlef Merten, Der Katte-Prozeß (= Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin, 62), Berlin/New York 1980, S. 31 – 45. 627 Gerhard Zimmermann / Hans Branig, Fîrsprache. Monarchenbriefe zum Kronprinzenprozeß Kîstrin 1730 …, Berlin/Darmstadt/Wien 1965, S. 13 – 20, Dankschreiben Friedrichs an den Kaiser: S. 21; kein Einfluß auf Friedrich Wilhelm I.: S. 26 (Branig). 628 C. Hinrichs, Kronprinzenprozeß … (s. Anm. 618), S. 177, S. 179 f.; A. B. B., 5, 1. Hlfte, S. 135 – 138, S. 198 f., S. 378; R. Koser, Kronprinz … (s. Anm. 621), S. 73 – 102; R. Endres, Versuche … (s. Anm. 615), S. 2 f.; A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 20 – 23; Heiratsfrage: I. Mieck, Westliches Europa … (s. Anm. 612), S. 85 f.; E. C. Broicher, Aufstieg … (s. Anm. 610), S. 50; plastisches Material in G. B. Volz (Hg.), Friedrich d. Gr. und Wilhelmine von Baireuth … (s. Anm. 625), 1, S. 72, S. 84, S. 89, S. 102 f.; Richard Nîrnberger, Wilhelmine von Bayreuth und Friedrich

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der Kçnigin – zugunsten einer Prinzessin aus dem Hause Braunschweig-Bevern entschieden, die mit dem Hause Habsburg eng verwandt war; ohne Zweifel handelte es sich dabei um eine rein politische Entscheidung, und Friedrich hat sich entsprechend kîhl verhalten. Es folgten die Rheinsberger Jahre seit 1736, angefîllt mit lockerer Geselligkeit und scharfem autodidaktischem Studium.629 Hier wurde die Lektîre der franzçsischen Aufklrung intensiviert, vor allem die der Werke Voltaires, mit dem seit 1736 Kontakt bestand und der auch das Manuskript der sicherlich berîhmtesten Ausarbeitung Friedrichs aus dieser Zeit gelesen und vor dem Druck redigiert hat: dasjenige des Antimachiavell.630 Wenn man unter aufgeklrtem Absolutismus ein Regiment versteht, bei dem der Monarch beziehungsweise die Regierungsfîhrung „von der Philosophie, insbesondere von der Staatslehre der Aufklrung stark beeinflußt“ worden ist,631 der Große, in: Roderich Schmidt (Hg.), Bayreuth und die Hohenzollern vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Jahrestagung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises fîr Mitteldeutschland 10./12. Mai 1989 in Bayreuth, Ebsdorfergrund 1992, S. 105 – 142, hier S. 108. 629 Fritz Arnheim, Der Hof Friedrichs des Großen, 1. Tl.: Der Hof des Kronprinzen (= Geschichte des Preußischen Hofes, 2, 1. Tl.), Berlin 1912, S. 115 – 258; R. Koser, Kronprinz … (s. Anm. 621), S. 123; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 45 – 49; vgl. auch Georg Schuster, Aus der Geschichte des Hauses Hohenzollern. Ereignisse und Episoden aus fînf Jahrhunderten (1415 – 1915), BerlinLichterfelde 1915, S. 122, S. 125, S. 130 – 133; Gerhard Ritter, Friedrich der Große. Ein historisches Profil, Heidelberg 31954, S. 50 ff. 630 W. von Sommerfeld, Die ußere Entstehungsgeschichte des „Antimachiavel“ Friedrichs des Großen, in: ForschBrandPrG 29 (1916), S. 457 – 470, hier S. 457 f.; A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 58 – 66. 631 Aus der umfnglichen Lit. in Auswahl: Fritz Hartung, Der aufgeklrte Absolutismus, zuerst 1955, wieder in: Ders., Staatsbildende Krfte … (s. Anm. 127), S. 149 – 177, bes. S. 154; dazu Leo Just, Stufen und Formen des Absolutismus, zuerst 1961, wieder in: Walther Hubatsch (Hg.), Absolutismus (= Wege der Forschung, 314), Darmstadt 1973, S. 288 – 308, bes. S. 293 f.; Volker Sellin, Friedrich der Große und der aufgeklrte Absolutismus. Ein Beitrag zur Klrung eines umstrittenen Begriffs, in: Ulrich Engelhardt / Volker Sellin / Horst Stuke (Hg.), Soziale Bewegung und politische Verfassung. Beitrge zur Geschichte der modernen Welt (Werner Conze zum 31. Dezember 1975) (= Industrielle Welt, Sonderband), Stuttgart (1976), S. 83 – 112, hier S. 83 ff., S. 94, S. 101, S. 111: Zweck-Rationalismus; Gottfried Niedhart, Aufgeklrter Absolutismus oder Rationalisierung der Herrschaft, in: ZHF 6 (1979), S. 199 – 211, bes. S. 205 ff. – jeweils mit weiterer Lit. Zum Begriff des Aufgeklrten Absolutismus vgl. auch Reinhard Blnkner, „Der Absolutismus war ein Glîck, der doch nicht zu den Absolutisten gehçrt.“ Eduard Gans und die hegelianischen Ursprînge der Absolutismusforschung in Deutschland, in: HZ 256 (1993), S. 31 – 66, bes. S. 54 ff.; insgesamt Karl Otmar Freiherr von Aretin, Einleitung. Der Aufgeklrte Absolutismus als europisches Problem, in: Ders. (Hg.), Der Aufgeklrte Absolutismus (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 67. Geschichte), Kçln (1974), S. 11 – 51, bes. S. 36 ff. – Ungeachtet der Tatsache, daß der Begriff des Reformabsolutismus fîr die preußische Entwicklung zumal seit 1740 auch gegenîber der Prgung „Aufgeklrter Absolutismus“ Vorzîge besitzt, wre in einer weiter ausgreifenden Debatte nach neuen

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dann wird man in der Tat Brandenburg-Preußen seit Friedrich II. diesem historischen Typus zuordnen kçnnen; sollte man freilich unter Aufgeklrtem Absolutismus besser eine Regierungsform verstehen wollen, die zu gesteigerter Zweckrationalitt, zumal derjenigen der Staatsfunktionen vorzudringen versuchte und diejenigen Elemente abbaute, die der „Effizienz und der Logik des Systems zuwiderlief(en)“ (Sellin),632 ergben sich freilich andere Periodisierungen – gerade im preußischen Falle. Dann nmlich mîßte ausgerechnet der Pietist Friedrich Wilhelm, der im antiaufklrerischen Affekt den Philosophen und Aufklrer Christian Wolff von der Universitt Halle weg und außer Landes jagte,633 als der Begrînder des Aufgeklrten Absolutismus in Preußen gelten. Sicher ist auf jeden Fall, daß Friedrich in der spten Kronprinzenzeit zum „abstrakten Universalismus der Aufklrung“ (Meinecke) fand,634 daß er sich als politischer Philosoph mit der Theorie des Herrschafts- beziehungsweise des Gesellschaftsvertrages vertraut machte und von ihr die unbeschrnkte Regierung logisch ableitete, die er als Dienst am Staat definierte und damit zugleich skularisierte. Die Bindung an den Staatszweck bei Anerkennung einer unantastbaren Privatrechtsphre wurde postuliert. Das Naturrecht trat in der LegiWegen zu fragen, vgl. meinen allgemeiner angelegten Beitrag: Wolfgang Neugebauer, Aufgeklrter Absolutismus, Reformabsolutismus und struktureller Wandel im Deutschland des 18. Jahrhunderts, in: Werner Greiling / Andreas Klinger / Christoph Kçhler (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklrung (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission fîr Thîringen, Kleine Reihe, 15), Kçln/Weimar/Wien 2005, S. 23 – 39. Dem Band liegt eine von Georg Schmidt (Jena) organisierte Tagung zugrunde. 632 Vgl. die Lit. Anm. 631, bes. V. Sellin, Friedrich der Große … (s. Anm. 631), S. 111 (Zitat); vgl. schon Wilhelm Roscher, Politik. Geschichtliche Naturlehre der Monarchie, Aristokratie und Demokratie, Stuttgart 21893, S. 282 ff., hier: „Ganz vorzîglich entspricht die Regierung Friedrich Wilhelms I. dem aufgeklrten Absolutismus“ (S. 282). 633 W. Neugebauer, Bildungswesen … (s. Anm. 388), S. 645 – mit Lit. 634 Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsrson in der neueren Geschichte, Mînchen/ Berlin (1)1924, S. 368, zum Antimachiavell insges. S. 364 – 373; zum Folgenden V. Sellin, Friedrich der Große … (s. Anm. 631), S. 100; Otto Hintze, Friedrich der Große nach dem Siebenjhrigen Kriege und das politische Testament von 1768, zuerst 1920, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 449 – 503, hier S. 470 – 473; siehe schon (und noch immer nîtzlich) Eduard Zeller, Friedrich der Große als Philosoph, Berlin 1886, S. 96 f.; zusammenfassend Peter Baumgart, Naturrechtliche Vorstellungen in der Staatsauffassung Friedrichs des Großen, in: Hans Thieme (Hg.), Humanismus und Naturrecht in Berlin-Brandenburg-Preussen. Ein Tagungsbericht (= VerçffHistKommBerlin, 48), Berlin/New York 1979, S. 143 – 154, bes. S. 143 – 147 – mit der lteren Literatur; jetzt differenzierend zur geistesgeschichtlichen Position Friedrichs d. Gr., auch zur religiçsen Verortung Frank-Lothar Kroll, Das Problem der Toleranz bei Friedrich dem Grossen, in: ForschBrandPrG NF 11 (2001), S. 53 – 75, bes. S. 58 f.; Antimachiavell: S. 62 f.; bei Kroll eine Auseinandersetzung mit der lteren (Spranger) und neueren Lit.; vgl. Frank-Lothar Kroll, Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates, Paderborn u. a. 2001, S. 11 – 30.

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timation der Monarchenrechte und der Herrscherpflichten an die Stelle der qulenden Gottesfurcht, die einen Friedrich Wilhelm I. angetrieben und umtrieben hatte. Das war philosophisch nicht eigentlich originell,635 auf lange Sicht aber politisch folgenreich. Wiewohl in der philosophischen Rezeption um 1750 innehaltend, hat Friedrich theoretisch sogar die Staatsformfrage selbst gestellt. „Friedericus … rex natura“ lautete die Devise derjenigen Medaille, die Friedrich kurz nach dem Regierungsantritt im Jahre 1740 prgen ließ. Alsbald erfuhr er am eigenen Leibe den Widerspruch zwischen philosophischer Spekulation und der Eigenlogik politischer Zwnge in der europischen Politik seiner Zeit, gefolgt vom „Sieg Machiavells îber Antimachiavell im politischen Denken und Handeln des Kçnigs“.636 Dies war der Sieg der politischen Staatsraison. Wenige Stunden vor seinem Tode hat Friedrich Wilhelm I., der seit Jahren unter starken Schmerzen und zeitweiliger Todeserwartung regiert hatte, abgedankt und die Herrschaft in Potsdam seinem Sohn îbergeben; dies geschah in den frîhen Morgenstunden des 31. Mai 1740.637 Die ersten Regierungsmaßnahmen schienen ganz den aufgeklrten Herrscher in der Praxis zu verraten: gleich nach einer Woche wurde – entsprechend der aufgeklrten Rechtsphilosophie – die Folter auf unmittelbare Initiative Friedrichs II. abgeschafft, drei besonders gravierende Delikte ausgenommen; nur noch einmal, 1752, wurde zu diesem Instrument der Rechtspflege in einem Falle von schwerem Raub gegriffen, und zwar mit ausdrîcklicher Genehmigung des Kçnigs. Schon unter Friedrich Wilhelm I. war allerdings die Folterpraxis eingeschrnkt worden. Der Philosoph Christian Wolff ist sofort 1740 nach Preußen zurîckgerufen worden, und der Kçnig hat die Grîndung zweier Zeitungsbltter betrieben, ja er hat selbst fîr diese Organe Beitrge geliefert. Fîr die „Berlinischen Nachrichten von 635 Vgl. Walther Hubatsch, Das Problem der Staatsrson bei Friedrich dem Großen, Gçttingen/Berlin 1956, S. 11 f., S. 21; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 286 f., S. 375 f., S. 386, auch zum konservativen Charakter in der Lektîre Friedrichs; vgl. auch G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 508, S. 548; A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 90 f.; Karl Erich Born, Wirtschaft und Gesellschaft im Denken Friedrichs des Großen (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jg. 1979, Nr. 9), Mainz/Wiesbaden 1979, S. 5 – 9. 636 F. Meinecke, Staatsrson … (s. Anm. 634), S. 388; vgl. T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 124 f.; zur Entstehungsgeschichte des „Antimachiavell“ in den letzten Rheinsberger Monaten W. von Sommerfeld, Antimachiavell … (s. Anm. 630), S. 457, S. 460 – 469, auch zur Redaktion durch Voltaire; zum ja immer wieder erçrterten Fragenkreis des Verhltnisses von Kçnig und Aufklrung vgl. aus der jîngeren Produktion Martin Fontius (Hg.), Friedrich II. und die europische Aufklrung (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 4), Berlin 1999, darin insbes. Martin Fontius, Der Ort des „Roi philosophe“ in der Aufklrung, S. 9 – 27, hier S. 17 ff. 637 Reinhold Koser, Geschichte Friedrichs des Großen, 4, Stuttgart/Berlin 41914, S. 31; zum Ort vgl. W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 101.

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Staats- und gelehrten Sachen“ galt zeitweise die Zensurfreiheit, doch ist die Zensur nicht generell aufgehoben worden. Dem standen außenpolitische Rîcksichten – zumal in Zeiten politischer Spannungen – denn doch im Wege, und alsbald sollte um Schlesien ja die Konfrontation voll entbrennen. Im Jahre 1743 ist dann die Kontrolle der Presse wieder in alter Form eingefîhrt worden, und das bedeutete, daß auch unter dem aufgeklrten Monarchen die Zeitung unter der „harten Zensurfessel“ zu leben und zu wirken hatte.638 Ende 1740 ging die Nachricht heraus, daß mit dem Bau eines Opernhauses in Berlin auch kulturell in der Residenz ein reicheres Leben anheben sollte. Der Hof ist noch 1740 ausgebaut worden, vor allen die Hofkapelle trat als neues, und zwar als ein recht kostenintensives Element hinzu. Mit seismographischem Interesse wurde im Ausland notiert, daß die Hofmter wieder besetzt wurden, nicht aber ein Hofzeremoniell gegeben worden ist. Seit der Mitte der vierziger Jahre war Potsdam dann der bevorzugte Sitz Friedrichs II., erst das Stadtschloß und dann im Sommer das neu gebaute Sanssouci. Die Tafelrunde verwies auf den neuen hçfischen Stil vom „geselligen Idealtyp“ (Bauer). Alsbald erfolgte die Neubelebung der Akademie der Wissenschaften. Das alles waren Indizien anderer Regierungsmaximen nach innen. „Aber die große Wende blieb aus.“639 Nur in einer Hinsicht trat noch 1740/41 ein wirklicher Stilwechsel der preußischen Politik ein. Die feste Entschlossenheit, aus der Position des mal um mal dî638 Reinhold Koser, Die Abschaffung der Tortur durch Friedrich den Großen, in: ForschBrandPrG 6 (1893), S. 575 – 581, bes. S. 575 – 580, A. B. B., 6, 2. Tl., S. 8 – 11, Nr. 7, ferner S. 620; A. Stçlzel, Rechtsverfassung … (s. Anm. 591), 2, S. 70; Franz Etzin, Die Freiheit der çffentlichen Meinung unter der Regierung Friedrichs des Großen, in: ForschBrandPrG 33 (1920), S. 89 – 129, S. 293 – 326, bes. S. 92 – 98, S. 100 ff., das Zitat S. 102; I. Mittenzwei, Friedrich II. … (s. Anm. 620), S. 41 – 44, S. 67; Conrad Matschoss, Friedrich der Große als Befçrderer des Gewerbfleißes. Zur 200. Wiederkehr des Geburtstages Friedrichs des Großen im Auftrage des Vereins zur Befçrderung des Gewerbfleißes, Berlin 1912, S. 5 f.; Richard Borrmann, Die Bauund Kunstdenkmler von Berlin. Mit einer geschichtlichen Einleitung von P. Clauswitz (= Die Bauwerke und Kunstdenkmler von Berlin, Beiheft 8), Berlin 1893, ND Berlin 1982, S. 355 f.; Hof: Wolfgang Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation. Das Berliner Schloß und seine historischen Funktionen vom 15. bis 20. Jahrhundert (= Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, 1), Potsdam 1999, S. 43 ff.; Ders., Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 102 ff.; W. Ribbe, Die Anfnge Charlottenburgs … (s. Anm. 419), S. 35; wichtige Quellenedition: Richard Wolff (Hg.), Berliner geschriebene Zeitungen aus dem Jahre 1740. Der Regierungsanfang Friedrichs des Großen (= SchrrVGBerlin, 44), Berlin 1912, S. 113, S. 140; R. Koser, Vom Berliner Hofe … (s. Anm. 479), S. 3 f., S. 20; aus der allgemeinhistorischen Lit. s. Volker Bauer, Die hçfische Gesellschaft in Deutschland von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie (= Frîhe Neuzeit, 12), Tîbingen 1993, S. 100 f.; Johannes Kunisch, Hofkultur und hçfische Gesellschaft in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus, in: A. Buck, u. a. (Hg.), Hofkultur … (s. Anm. 371), 3, S. 735 – 744, hier S. 740 f. 639 T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 128.

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pierten Bundesgenossen minderen Wertes herauszutreten in die kîhle politische Luft angewandter Staatsrson im europischen Krftefeld – das war das Neue des Monarchen, der als Rationalist der Praxis alte Bindungen nicht kannte, die seinen Vater so sehr gefesselt hatten. Die „kalte Rationalitt einer an der Macht orientierten politischen Mechanik“640 – auch das war aufgeklrter Absolutismus in der Praxis, eine Praxis, die mit den Argumenten der politischen Arithmetik, etwa des Gleichgewichtsmotives (z. B. in den „Consid¤rations“ von 1738) heute §sterreich îberfiel, Schlesien raubte und morgen îber Traditionen europischer Staatengeschichte hinwegging und dem alten Polen teilend ein Ende bereitete. Schon in jungen Jahren, im Februar 1731, hat sich der damals eben neunzehnjhrige Prinz zwar zur Erhaltung des europischen Friedenssystems bekannt, zugleich aber die Aufgabe fortschreitender Vergrçßerung des Staates formuliert. Zunchst faßte er dafîr das polnische Preußen, das sptere Westpreußen ins Auge; ferner den schwedischen Rest von Vorpommern, schließlich Mecklenburg und zum Schluß auch Jîlich-Berg.641 Nur als Politiker wollte er dies formulieren, ohne rechtliche Grînde zu erçrtern, ganz nach der Vernunft, so hoffte er damals die Analyse vorzutragen. Von Schlesien war dabei mit keinem Wort die Rede. Das erste Zeichen des neuen preußischen Stils war noch unscheinbar gewesen: der Einmarsch preußischer Truppen im September 1740, um preußische Rechte an der kleinen, nahe Lîttich gelegenen Herrschaft Herstal zu realisieren, die dann auf finanziellem Wege abgelçst worden sind.642 Kurz danach trat mit dem Tode des Habsburgers Karl VI. der diplomatisch lange vorbereitete, zu diesem Zeitpunkt gleichwohl vçllig unerwartete, gefhrliche und schwierige Nachfolgefall im Kaiserhause ein, auf den – in Ermangelung direkter mnnlicher Erben – nun die Pragmatische Sanktion des Jahres 1713 hatte vorbereiten sollen. Die schlesische Frage war also nicht die Ursache des nun losbrechenden 640 Treffend T. Schieder, Friedrich d. Gr. … (s. Anm. 390), S. 146 f.; F. Meinecke, Staatsrson… (s. Anm. 634), S. 379 und die Definition S. 404. 641 J. D. E. Preuss (Hg.), Oeuvres de Fr¤d¤ric … (16), Berlin 1850, S. 3 – 6, bes. S. 5; gegen die ˜berschtzung dieser Quelle, des Natzmer-Briefes, vgl. I. Mieck, Westeuropa … (s. Anm. 612), S. 86 f.; Richard Nîrnberger, Friedrich der Große als Staatsmann, in: Oswald Hauser (Hg.), Friedrich der Große in seiner Zeit (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 8), Kçln/Wien 1987, S. 93 – 108, hier S. 94; A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 30 ff., S. 284 Anm. 102; vgl. damit T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 129 – 132; gegen Schieder und gegen eine ˜berinterpretation des Natzmer-Briefes auch Peter Baumgart, Schlesien im Kalkîl Friedrichs II. von Preußen und die europischen Implikationen der Eroberung des Landes, in: Ders. (Hg.), Kontinuitt und Wandel … (s. Anm. 445), S. 3 – 16, hier S. 6. 642 R. Koser, Friedrich … (s. Anm. 637), 1, Stuttgart/Berlin 41912, S. 205, S. 225; I. Mittenzwei, Friedrich II. … (s. Anm. 620), S. 46 f.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 323.

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çsterreichischen Erbfolgekrieges in Mitteleuropa. Preußen hat auch die Pragmatische Sanktion grundstzlich nicht in Frage gestellt. Sofort nach Eintreffen der Todesnachricht aus Wien hatte es auch in Kursachsen Vorbereitungen gegeben, die politischen Konjunkturen zu nutzen und die wertvolle ostmitteleuropische ˜bergangslandschaft Schlesien, die zwischen Kursachsen und dem mit ihm in Personalunion verbundenen Polen lag, zu erobern. Der Mobilmachungsbefehl war noch im Oktober fîr die schsische Armee herausgegangen. Diese war aber in der entscheidenden Situation nicht marschbereit. Hier, im reichen Sachsen standen zudem Finanzprobleme der direkten militrischen Aktion im Wege. Diese Probleme hatte der preußische Nachbar nicht.643 Die Armee, das von Friedrich Wilhelm I. ausgebaute und von Friedrich II. noch 1740 erneut verstrkte Instrument, stand bereit; der Staatsschatz war zureichend gefîllt. Am 16. Dezember 1740 hat Preußen den Rubikon europischer Aktivittspolitik îberschritten.644 In Beratungen mit seinen Ministern in Rheinsberg, unmittelbar nach Eintreffen der Todesnachricht in Preußen, war vom Kabinettsminister Podewils angeregt worden, zunchst Verhandlungen zu beginnen und dann erst marschieren zu lassen. Friedrich II. hat sehr bewußt die umgekehrte Reihenfolge gewhlt. Nicht historische Ansprîche und vçlkerrechtliche Ableitungen waren das Motiv des Handelns, sondern das Ziel, einen Qualittssprung Preußens im Mchtesystem des alten Europas zu bewirken.645 Erst sekundr sind die lteren brandenburgischen Ansprîche auf schlesisches Gebiet geprîft und herangezogen worden. Friedrich hat intern diese Deduktionen preußischer Juristen mit schwer zu îberbietendem Zynismus qualifiziert. Gewiß hatte das schlesische Motiv schon unter dem Großen Kurfîrsten eine Rolle in den langfristigen Planungen der Hohenzollern gespielt, und der Große Kurfîrst hatte diese ˜berlegungen bereits in den Zusammenhang mit einem eventuellen Aussterben der çsterreichischen Herrscherfamilie gebracht.646 Bemerkenswerterweise hatte 643 Johannes Ziekursch, Sachsen und Preussen um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des çsterreichischen Erbfolgekrieges, Habilitationsschrift Universitt Breslau, Breslau 1904, S. 39 f.; bayerische Mobilmachung im November 1740: Fritz Wagner, Kaiser Karl VII. und die grossen Mchte, Stuttgart 1938, S. 23. 644 Die Kriege Friedrichs des Großen, hg. vom Großen Generalstab, Abt. fîr Kriegsgeschichte, 1.: Der Erste Schlesische Krieg 1740 – 1742 (Bd. 1), Berlin 1890, S. 229 ff. (zit.: Generalstabswerk). 645 P. Baumgart, Schlesien … (s. Anm. 641), S. 7 – 9; A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 122 f.; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 116 f., S. 140 ff.; Johannes Kunisch, Staatsverfassung und Mchtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus (= Historische Forschungen, 15), Berlin 1979, S. 64 – 67; R. Nîrnberger, Friedrich der Große … (s. Anm. 641), S. 97 f. 646 G. Kîntzel / M. Hass, Testamente … (s. Anm. 136), 1, S. 70 – 78; das Folgende: Gustav Berthold Volz, Friedrich Wilhelm I. und die preußischen Erbansprîche auf

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Friedrich Wilhelm I. aber schlesische Objekte nicht mehr unter den legitimen Prtentionen aufgefîhrt, die er in seinem politischen Testament behandelte (der im Zusammenhang mit dem Schwiebuser Kreis und seiner zeitweiligen Abtretung ausgesprochene Verzicht Brandenburgs auf schlesisches Territorium blieb auch nach der Rîckgabe durch Friedrich III. anerkannt). Das waren allenfalls Instrumente, nicht aber wirkliche Motive und Antriebe. Es ging um die Oderlinie647 und um die Stellung Preußens unter den Mchten. §sterreichs Position in Europa aber wurde preußischerseits doch prinzipiell nicht bestritten. Die preußische Armee zhlte Ende 1740 nach neuerlichen Rîstungen 99.446 Mann, die çsterreichische 108.000,648 aber Schlesien war von Truppen weitgehend entblçßt, so daß die Besetzung preußischerseits in wenigen Wochen gelang. Der Sieg îber eine herbeigefîhrte çsterreichische Armee unter Neipperg war alles andere als selbstverstndlich. Bekanntlich hat die Entscheidung in der Schlacht bei Mollwitz am 10. April 1741 trotz zahlenmßiger ˜berlegenheit der Preußen so sehr geschwankt, daß Friedrich II. die Bataille schon fîr verloren gab und das Schlachtfeld verließ. Der Sieg wurde nicht durch den jungen kçniglichen Feldherrn, sondern durch den Feldmarschall Schwerin erzwungen.649 Nunmehr fand Preußen Verbîndete im Kampf, nmlich Frankreich und Bayern, Ergebnis mehr der politisch-psychologischen, denn der unmittelbar militrischen Wirkung dieses Sieges. Fîr §sterreich wurde die Lage dadurch im Verlaufe des Jahres 1741 noch gefhrlicher, daß die feindliche Allianz in die çsterreichischen Erblande einmarschierte, so daß im Oktober §sterreich bereit war, in einer Geheimkonvention (Klein-Schnellendorf 9. Oktober 1741) nach kurzer Scheinbelagerung Neißes ganz Schlesien zu rumen.650 Freilich hat

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Schlesien, in: ForschBrandPrG 30 (1917), S. 55 – 67, bes. S. 57 – 63; Schwiebus: siehe oben bei Anm. 352 – 354. Vgl. zur Bedeutung Schlesiens Walther Mediger, Moskaus Weg nach Europa. Der Aufstieg Rußlands zum europischen Machtstaat im Zeitalter Friedrichs des Grossen, (Braunschweig 1952), S. 379 f.; Johannes Kunisch, Die militrische Bedeutung Schlesiens und das Scheitern der çsterreichischen Rîckeroberungsplne im Siebenjhrigen Krieg, in: P. Baumgart (Hg.), Kontinuitt und Wandel … (s. Anm. 445), S. 19 – 39, S. 20, S. 32 (militrisch). Vgl. das Generalstabswerk … (s. Anm. 644), 1, S. 74; Johann Christoph AllmayerBeck, Wandlungen im Heerwesen zur Zeit Maria Theresias, in: Maria Theresia. Beitrge zur Geschichte der Heerwesens ihrer Zeit (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien. Militrwissenschaftliches Institut, 3), Graz/Kçln/Wien 1967, S. 7 – 24, hier S. 10 f.; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 325. Generalstabswerk … (s. Anm. 644), 1, S. 388 – 406, S. 410 – 413, die Quellen S. 460 Anm. 173; Folgendes: J. Kunisch, Staatsverfassung … (s. Anm. 645), S. 67; A. Berney, Friedrich der Große … (s. Anm. 622), S. 133 f.; zum ganzen jetzt Dennis E. Showalter, The Wars of Frederick the Great, Harlow 1996, S. 38 – 53. G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 201 ff.; Adolf Unzer, Die Convention von Klein-Schnellendorf (9. Oktober 1741), phil. Diss. Kiel 1889, S. 60 ff.; A. Siemsen,

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§sterreich die Vertraulichkeit gebrochen und damit Preußens Verhalten gegenîber seinen Verbîndeten desavouiert. Nach neuerlichen Kampfhandlungen (Sieg bei Chotusitz) und einem preußischen Einmarsch in Bçhmen hat Preußen dann mit dem Berliner Friedensschluß vom 28. Juni 1742 die Masse Schlesiens (mit Ausnahme des westlichen Oberschlesiens) îbertragen bekommen, und zwar gegen ˜bernahme der auf Schlesien lastenden Landesschulden. Fîr Preußen war damit eine Vergrçßerung des Staatsgebietes um ein rundes Drittel mit wertvollem Wirtschaftspotential verbunden. Dies war ganz gewiß ein Sonderfrieden und ein Bîndnisbruch durch Preußen, das seine Alliierten im Stiche ließ.651 Allerdings – gesichert war damit die Beute keineswegs. Schon die militrischen Erfolge §sterreichs und seiner Verbîndeten im Kampf gegen Bayern und Frankreich ließen den Gewinn im Falle eines dauernden ˜bergewichts der Habsburger wieder hçchst unsicher erscheinen. Im zweiten Schlesischen Krieg der Jahre 1744/45 hat Friedrich zunchst die bçhmische Grenze îberschritten, doch mußte der Einmarsch auch auf Grund schwerer militrischer Fehler Friedrichs abgebrochen werden, zumal die Sachsen im Rîcken auf die Seite der Gegner traten. Im neuerlichen Bîndnis mit Frankreich hat Friedrich II. gefochten und wohl zeitweise daran gedacht, auch noch den nordçstlichen Teil Bçhmens zu annektieren. Dazu sollte es nicht kommen, vielmehr im Jahre 1745 zu einer gefhrlichen Isolation Brandenburg-Preußens nach dem Tod Kaiser Karls VII. aus Wittelsbachischem Hause. In der Schlacht bei Hohenfriedberg sîdwestlich Breslaus hat Friedrich gegen einen zahlenmßig îberlegenen Feind den ersten Sieg erfochten, bei dem er selbstndig die preußischen Truppen fîhrte (4. Juni 1745). Es folgten noch in diesem Jahre die Siege bei Soor und Kesseldorf. Mit dem Dresdener Frieden vom 25. Dezember 1745 war Schlesien auf das erste gesichert.652 Mit Schlesien war fîr Preußen nicht nur eine çkonomisch gewichtige und zudem – in der Randlage zur bçhmischen Lndermasse – strategisch bedeutsame Landschaft gewonnen. Zugleich war §sterreich die erste bedeutende Niederlage beigebracht worden seit den Reunionen Ludwigs XIV.653 Der Verlust Kurbrandenburgs Anteil … (s. Anm. 290), S. 78 f.; nîtzlich auch Berthold Bretholz, Geschichte Bçhmens und Mhrens, 3, Reichenberg 1924, S. 89. 651 F. W. Ghillany, Europische Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 265 f.; I. Mittenzwei, Friedrich II. … (s. Anm. 620), S. 62 f.; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 153 f. 652 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 331 ff.; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 158 – 167; R. Nîrnberger, Friedrich der Große … (s. Anm. 641), S. 98 f. 653 Anton Schindling, Friedrich der Große und das reichische Deutschland, in: (Wolfgang J. Kaiser [Hg.]), Friedrich der Grosse. Sein Bild im Wandel der Zeiten. Ausstellung einer Auswahl druckgraphischer Bildnisse Friedrichs des Großen und seiner Zeit vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, zur 200. Wiederkehr seines Todestages …

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Schlesiens traf Fundamente der Habsburgermonarchie im Heiligen Rçmischen Reich, mochte auch auf den ersten Blick das gefhrliche Interregnum eines bayerischen Kaisers nur Episode bleiben. Nach 1745 hat Friedrich in „negativer Reichspolitik“ (Volker Press) die Konfrontation auf anderer Ebene fortgefîhrt. Freilich hat Friedrich das Reich durchaus als politische Grçße beachtet, die man nicht ignorieren dîrfe, zunchst allerdings mehr im Sinne einer Instrumentalisierung fîr weiterreichende eigene politische Konstellationen und Strategien. Auch darin kann man einen Bruch mit denjenigen Traditionen erkennen, die bis 1740 die brandenburg-preußische Politik bestimmt haben. ˜ber die Perspektive von Jîlich und Berg war Preußen nach 1740 zu einer bedeutenderen Tagesordnung îbergegangen; auf diese Ziele Friedrich Wilhelms I. hat es (im Vertrag von Nymphenburg, 18. Mai 1741) Verzicht geleistet.654 Unterdessen war durch den lange vorbereiteten Erbfall auch Ostfriesland 1744 an Preußen gekommen. Gewiß war der erste und zweite Schlesische Krieg – wenn man die weiteren europischen und reichshistorischen Bezîge des Konfliktes der Jahre 1740 – 1748 analysieren wîrde – nur eine der „Randerscheinungen eines gesamteuropischen Krieges, ja eines Weltkrieges“, wie Theodor Schieder formuliert hat.655 Fîr Preußen aber waren damit die Weichen gestellt, ein – riskanter – Weg war beschritten, von dem es kein Zurîck mehr gab. Gewiß war Preußen noch keine große Macht, wohl aber ein Faktor, der die europische Politik ganz maßgeblich beeinflußte. Als Friedrich nach – vorerst – gesicherter Schlesischer Akquisition am 28. Dezember 1745 nach Berlin zurîckkehrte, wurde deutlich, daß auch sein populres Bild sich zu festigen begann. Whrend der Hof sich mit Bekundungen auffllig zurîckhielt, wurde aus den Reihen der Bîrger, dabei insbesondere von der jungen Berliner Kaufmannschaft, der Titel des „Fridericus Magnus“ proklamiert.656 Friedrich hat sich in mehr als vier Jahrzehnten niemals zu diesem Beinamen geußert, der auch nicht in die amtliche Titulatur Aufnahme fand. Daß die – dem Monarchen zumeist in einiger Distanz gegenîberstehenden – Berliner Hofkreise bei dieser Titulierung ihre Hnde im Spiele hatten, ist unbewiesen, ja, nach allem, was wir îber deren Stimmungen wissen, mehr als unwahrscheinlich. Der Kçnig – auch groß in der Kunst bisweilen Historisches Museum, Frankfurt am Main, (Frankfurt am Main 1986), S. 13 – 24, hier S. 14; das Folgende: Volker Press, Friedrich der Große als Reichspolitiker, in: H. Duchhardt (Hg.), Friedrich der Große … (s. Anm. 619), S. 26 – 56, hier S. 30 – 34; H. Duchhardt, Altes Reich … (s. Anm. 281), S. 86 – 90. 654 H. Schulze, Hausgesetze … (s. Anm. 339), 3, S. 596; A. Siemsen, Kurbrandenburgs Anteil … (s. Anm. 290), S. 75. 655 T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 168. 656 Theodor Schieder, ˜ber den Beinamen „der Große“. Reflexionen îber historische Grçße (= Rheinisch-Westflische Akademie der Wissenschaften, Geisteswissenschaften, Vortrge G 271), Opladen 1984, S. 21 ff.; Ders., Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 477 – 480.

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zynischer Selbstironie – hat den aufkommenden Mythos ignoriert, der wie ein Echo den Aufstieg Preußens – inner- und außerhalb des Staates – begleiten sollte.

§ 10 Preußen und die europische Mchtepolitik vom Siebenjhrigen Krieg bis zum Fîrstenbund Die Frage nach den Ursprîngen des Siebenjhrigen Krieges hat lange Zeit die Historiographie – geradezu mit Erbitterung – beschftigt, ein heftiger Historikerstreit zu Ende des 19. Jahrhunderts. Bemerkenswerterweise wurden damals die Extrempositionen beider Lager von preußischen Geschichtswissenschaftlern vertreten.657 Es ging um nichts anderes als um die Kriegsschuldfrage des Jahres 1756 und um diejenige, ob Friedrich II. den Konflikt mit aggressiv-annexionistischen Absichten begann. Daran knîpften sich interpretatorische Perspektiven, weitreichende, die die Geschichte Preußens insgesamt betrafen und solche, die Preußens Weg zur Großmachtqualitt spiegelten. „Hat Friedrich wirklich den Siebenjhrigen Krieg ohne Not vom Zaun gebrochen, um Sachsen und Westpreußen zu erobern, so muß man ihn als Besiegten in diesem Kriege ansehen, und das ganze Urteil îber seine Regierungsgeschichte muß anders orientiert werden, als es bisher îblich war“, so hat Otto Hintze um 1914 schon rîckblickend bilanziert.658 In der Kontroverse des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielte eine Quelle eine besondere Rolle, die, in den Jahren unmittelbar vor Kriegsausbruch verfaßt und von Friedrich dem Großen selbst stammend, scheinbar fîr die umstrittene Frage besonderen Wert besaß. Das Kapitel zu den „politischen Trumereien“ im politischen Testament, das der Kçnig im Jahre 1752 verfaßte, enthlt Deliberationen darîber, welche Erwerbungen Preußen bei sich bietender Gelegenheit erstreben sollte. Dabei hatte der Kçnig zuerst an Kursachsen gedacht, ferner an Westpreußen und Schwedisch-Pommern, vielleicht sogar auch an Bçhmen.659 657 Vgl. dazu die historiographische Einleitung des Herausgebers zu diesem Bande. 658 Otto Hintze, Reinhold Koser. Ein Nachruf, in: HZ 114 (1915), S. 65 – 87, hier S. 78; vgl. – statt weiterer Lit. – Theodor Schieder, die deutsche Geschichtswissenschaft im Spiegel der Historischen Zeitschrift, in: HZ 189 (1959), S. 1 – 104, hier S. 38 ff. 659 Friedrich der Grosse, Testamente …, deutsche Ausgabe (s. Anm. 595), S. 63 – 70; bei Richard Dietrich (Bearb.), Die politischen Testamente der Hohenzollern (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Kçln/Wien 1986, S. 380 f.; vgl. Winfried Baumgart, Der Ausbruch des Siebenjhrigen Krieges. Zum gegenwrtigen Forschungsstand, in: Militrgeschichtliche Mitteilungen 11 (1972), S. 157 – 165, hier S. 162; Otto Hintze, Das Politische Testament Friedrichs des Großen von 1752, zuerst 1904, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 429 – 447, hier S. 434 f.

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Waren das konkrete Kriegsziele, die dann – vier Jahre spter – in das Zentrum praktischer politischer Aktionen rîckten, oder handelte es sich bei diesen „Trumereien“ um sehr langfristige Projektionen? Wollte Friedrich um 1750 das eben Erreichte sichern, oder strebte er bereits nach neuer Beute? Die Diskussionen der kaiserreichlichen Historiographie waren allzu sehr in der Tradition politischer Konfrontationen des 19. Jahrhunderts befangen. §sterreich oder Preußen – das schien die Alternative sein zu mîssen. Der deutsche Dualismus der Reichsgrîndungszeit kehrte in der Suche nach preußischer und çsterreichischer Kriegsschuld wieder. Heute wissen wir, daß diese Perspektive gleich in zweifacher Hinsicht zu eng, ja mitteleuropisch-beschrnkt gewesen ist. Denn zum einen stellte ja der Siebenjhrige Krieg, so wichtig, ja îberlebenswichtig, er fîr den preußischen Staat gewesen ist, nur eine Facette in einem sehr viel umfassenderen Konflikt dar, der ja sogar îber Europa weit hinausreichte.660 Vor allem aber hatte die „diplomatische Revolution“ der Jahrhundertmitte eine Genese, die weit îber kurzfristige Motive und handelnde Einzelpersonen um 1755/56 hinausweist. Dabei war nicht nur das preußischçsterreichische, beziehungsweise das preußisch-çsterreichisch-schsische Verhltnis von Bedeutung, sondern das europische Mchtesystem, in dem – wie wir sahen, zumal nach Nystad Osteuropa eine neue Rolle spielte. Preußens Existenz als grçßere Macht, um die es nach 1756 ging, ist nur aus diesen weiteren europischen Bezîgen zu erklren. Die alte habsburg-bourbonische Rivalitt, die eine Konstante des europischen Mchtesystems îber Jahrhunderte hinaus zu sein schien, hatte – trotz aller geradezu periodischer Konflikte – schon in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts Anstze zu einer franzçsisch-çsterreichischen Kooperation nicht ausgeschlossen.661 Die Interessensgegenstze schienen sich nach 1713/15 vermindert zu haben, wenngleich ltere Feindbilder diese Konstellation noch lange îberlagerten. Damit wurde die franzçsisch-preußische Allianz, die seit dem ersten Schlesischen Krieg – trotz Kleinschnellendorf – die mchtepolitische Stîtze der friderizianischen Politik gewesen war, also sehr langfristig labilisiert. Zugleich setzte, und zwar schon vor 1740, eine russisch-çsterreichische Annherung ein, die nach der preußischen Annexion Schlesiens einen zustzlichen Schub erhielt. Denn dieser Akt hatte Rußland nachhaltig verstimmt; Preußen wurde nunmehr auch in Rußland als Gefhrdung fîr das Gleichgewicht in dem Großraum angesehen, in den die Ostmacht lngst hineinzuwirken begonnen 660 Lothar Schilling, Wie revolutionr war die diplomatische Revolution? ˜berlegungen zum Zsurcharakter des Bîndniswechsels von 1756, in: ForschBrandPrG NF 6 (1996), S. 163 – 202, hier S. 164; W. Baumgart, Ausbruch … (s. Anm. 659), S. 167; vgl. Anm. 667. 661 M. Braubach, Versailles und Wien … (s. Anm. 612), S. 1, S. 7 – 9, S. 27, S. 452 f.; Folgendes: L. Schilling, Revolution … (s. Anm. 660), S. 170, S. 172 ff., S. 176, S. 185; I. Mieck, Westliches Europa … (s. Anm. 612), S. 100.

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hatte.662 Der russisch-çsterreichische Defensivvertrag des Jahres 1746 enthielt bereits fîr die Habsburger Monarchie Zusagen betreffend Schlesien. Friedrich hat die Rolle Rußlands wohl nicht zureichend erkannt, jedenfalls hat er diesen Faktor wohl zeitweise unterschtzt.663 Der russische Part im Vorfeld des Siebenjhrigen Krieges wurde bei der verengten preußisch-çsterreichischen Alternative schlechterdings îbersehen; hier, im Osten Europas, lag ein, vielleicht der treibende Impuls zum Kriegsausbruch im Jahre 1756. Es ist auffllig, daß der çsterreichische Staatskanzler Kaunitz, der ganz auf das antipreußische System eingestellt war, gleichwohl den russischen Aktionismus zunchst bremste. Jedenfalls verweist die – mit Klaus Zernack – „kriegstreibende Rolle Rußlands beim Ausbruch des Siebenjhrigen Krieges“ 664 auf lngerfristige Verschiebungen in Interessengefîge und Krftelagerung. Die Westminsterkonvention vom 16. Januar 1756, die zwischen Preußen und England geschlossen wurde, sprengte dann die preußisch-franzçsische Verbindung und gab den Weg zur habsburg-bourbonischen Allianz frei, mit der dann Rußland in Verbindung trat. Friedrich hatte sich in einem fatalen Irrtum befunden, wenn er glaubte, die Konvention mit England wîrde ohne Bruch mit Frankreich zu haben sein. In Rußland hatte zu eben dieser Zeit, also Anfang 1756, die Kriegspartei endgîltig die Oberhand gewonnen. Im Mrz dieses Jahres fiel dort nun die Entscheidung zum „Angriff auf Preußen“ (Mediger), und zwar mit annexionistischen Absichten hinsichtlich Ostpreußens im Vorfeld weiterreichender Lndertauschprojekte im ostmitteleuropischen Raum. §sterreich zielte natîrlich auf Schlesien. Inwieweit es schon damals um eine fçrmliche „Aufteilung Preußens“ (Kunisch) ging, ist umstritten, zumal Frankreich erst nach Kriegsbeginn das Defensivbîndnis mit §sterreich vom 1. Mai zur Offensivqualitt erweiterte.665 662 Dietrich Ernst Bangert, Die russisch-çsterreichische militrische Zusammenarbeit im Siebenjhrigen Kriege in den Jahren 1758 – 1759 (= Militrgeschichtliche Studien, 13), Boppard am Rhein 1971, S. 19 – 22; vgl. Erik Amburger, Geschichte der Behçrdenorganisation Russlands von Peter dem Grossen bis 1917 (= StudGOsteur, 10), Leiden 1966, S. 127; Johannes Kunisch, Friedrich der Große als Feldherr, zuerst 1987, wieder in: Ders., Fîrst – Gesellschaft – Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fîrstenstaates, Kçln/Weimar/Wien 1992, S. 83 – 106, S. 87. 663 T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 177, S. 231 – 236 – insgesamt zu Rußland mit einer ganzen Reihe treffender, von der neueren Forschung besttigter Beobachtungen; K. Zernack, Das preußische Kçnigtum … (s. Anm. 608), S. 18 f. (Bestuzˇev); D. E. Bangert, Zusammenarbeit … (s. Anm. 662), S. 22 – 27. 664 Unter Verweis auf Butterfield K. Zernack, Preußen als Problem … (s. Anm. 608), S. 99; vgl. Herbert Butterfield, The Reconstruction of an Historical Episode. The History of the Enquiry into the Origins of the Seven Years War, wieder in: Ders., Man on his Past. The Study of the History of Historical Scholarship, Cambridge 1969, S. 142 – 170, bes. S. 145 ff., S. 162 – 169; Westminster: F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 287. 665 M. Braubach, Versailles und Wien … (s. Anm. 612), S. 437 f.; W. Mediger, Moskaus Weg … (s. Anm. 647), S. 617 – 622, ferner S. 625 f., das Zitat S. 622; Johannes Ku-

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Die preußischen Rîstungen datieren vom Juni 1756 und waren Reaktion auf die Nachrichten von den çsterreichischen und russischen Kriegsvorbereitungen,666 wiewohl diese nach Verzçgerungen erst fîr das Jahr 1757 den Angriff auf Preußen ermçglichen sollten. Rußland hatte freilich schon den Aufmarsch eingeleitet und ursprînglich noch 1756 den Krieg beginnen wollen. Der Prventivschlag Friedrichs II. mit seinem Einfall in das noch neutrale Kursachsen hat dann den Automatismus des bis dahin nur defensiven Bîndnisses zwischen Frankreich und §sterreich ausgelçst und damit die „diplomatische Revolution“ letztlich vollendet. Diese war freilich nur ein Aspekt eines Zusammenwachsens der europischen Krisenherde und deren Verbindung mit dem seit 1754/ 55 lngst aufgebrochenen franzçsisch-englischem Gegensatz auf kolonialem Felde.667 Fîr Preußen ging es zumindest um die Existenz als europischer Machtfaktor; die von russischer Seite im Frîhjahr 1756 ventilierten Plne liefen auf eine Zerstîckelung Preußens hinaus, sollten doch nicht nur Ostpreußen und Schlesien von der Hohenzollernmonarchie abgetrennt werden, sondern Pommern an Schweden und Magdeburg an Kursachsen fallen.668 nisch, Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Studien zum Verhltnis von Kabinettspolitik und Kriegsfîhrung im Zeitalter des Siebenjhrigen Krieges, Mînchen/Wien 1978, S. 31 f.; s. schon Leopold von Ranke, Der Ursprung des Siebenjhrigen Krieges, Leipzig 11871, S. 158 ff. 666 G(ustav) B(erthold) Volz, Einleitung. Erster Theil: Die preussische Rîstung, in: Ders. / Georg Kîntzel (Hg.), Preussische und §sterreichische Acten zur Vorgeschichte des Siebenjhrigen Krieges (= PubllPreussStaatsarch, 74), Leipzig 1899, S. ILXIV, hier S. XXXVIII, und G. Kîntzel, Hohenzollern … (s. Anm. 41), S. 528; M. Braubach, Versailles und Wien … (s. Anm. 612), S. 449; vgl. noch die Lit. in Anm. 665; L. Schilling, Revolution … (s. Anm. 660), S. 184, auch zur schon frîher sich anbahnenden franzçsischen Offensivbereitschaft; Herbert H. Kaplan, Russia and the Outbreak of the Seven Years’ War, Berkeley/Los Angeles 1968, S. 47 – 56; W. Baumgart, Ausbruch … (s. Anm. 659), S. 158 f. 667 Treffend T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 119 f., S. 171, S. 174; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 358, S. 360; „Weltkrieg“: schon Adam Wolf, Oestreich unter Maria Theresia, Josef II. und Leopold II. 1740 – 1792 (= Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen, 3. Hauptabt., 9. Tl.), Berlin 1883, S. 57; – Neuerdings deutet sich an, daß die Debatte um den Ausbruch des Siebenjhrigen Krieges unter innerreichischen Aspekten gefîhrt, vielleicht auch neu belebt wird. Großen Wert darauf, daß Kursachsen zur Zeit des preußischen Einfalls noch neutral war, legt Johannes Burkhardt, Sachsen-Polen und die ppstliche Diplomatie im Siebenjhrigen Krieg, in: Sachsen und Polen zwischen 1697 und 1765. Beitrge der wissenschaftlichen Konferenz vom 26. bis 28. Juni 1997 in Dresden, hg. vom Verein fîr schsische Landesgeschichte e.V. (= Saxonia. Schriftenreihe des Vereins fîr schsische Landesgeschichte e.V., 4/5), (Dresden) 1998, S. 176 – 189, bes. S. 177, Reichsexekution: S. 180 f., preußischer „Terrorangriff“ auf Dresden: S. 187. 668 Mit der wichtigsten Lit. W. Baumgart, Ausbruch … (s. Anm. 659), S. 159 f.; J. Kunisch, Mirakel … (s. Anm. 665), S. 22 ff., S. 32 f.; vgl. schon O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 364; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390),

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Der preußische Schlag gegen Kursachsen begann mit dem Einmarsch vom 29. August 1756.669 Preußische Anfragen nach dem Charakter der çsterreichischen Rîstungen waren aus Wien nur ausweichend beantwortet worden. Im Folgejahr trat auch Schweden an die Seite der Feinde Preußens, wobei sich die Garantiemacht des Westflischen Friedens auf seine diesbezîglichen Verpflichtungen berief; tatschlich war Schweden aber im Erfolgsfalle Pommern mit Stettin zugesichert worden. Nicht ein fçrmlicher Reichskrieg, wohl aber die Reichsexekution ist gegen Preußen beschlossen worden; „die von Wien geplante Achterklrung Friedrichs wurde durch das Einschreiten des Corpus Evangelicorum unmçglich gemacht“ (Wolff ).670 Der Angriff auf Kursachsen war fîr die Reichsexekution Anlaß genug; mit Preußen standen nur Hannover, Braunschweig, Hessen-Kassel, Sachsen-Gotha und – subsidienbringend – England. Die Anfangserfolge der preußischen Armee konnten freilich nicht verdecken, daß man fîr die kommenden Aufgaben nicht gut gerîstet war.671 Sachsen wurde genommen und damit die Gebirgsgrenze gewonnen, und zwar mit den Erfolgen bei Pirna und Lobositz. Aber der Versuch, im Jahre 1757 den Entscheidungsschlag zu fîhren, mißlang trotz der Schlacht bei Prag. Noch im selben Jahre folgte die erste preußische Niederlage beim bçhmischen Kolin. „Fortan stellt sich die Kriegsfîhrung des Kçnigs als eine Reihe offensiver Ausflle aus der strategischen Verteidigung dar, in die er zurîckgeworfen ist, immer mit der Absicht, durch einen vernichtenden Schlag die Gefahr auf der einen Front abzutun, um dann der anderen Front Hilfe zu bringen“, d. h. begrenzte Schlge „ausfallartig“ zu fîhren, stets mit nur partialer Wirkung.672 Dies gilt schon fîr 669 670

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S. 173; L. Schilling, Revolution … (s. Anm. 660), S. 176 f., S. 180 f.; differenzierend: M. Braubach, Versailles und Wien … (s. Anm. 612), S. 450 ff. Vgl. J. Burkhardt in Anm. 667; das Generalstabswerk (vgl. Anm. 644) zum Siebenjhrigen Krieg: Der Siebenjhrige Krieg 1765 – 1763, hg. vom Großen Generalstabe, Kriegsgeschichtliche Abtheilung II., 1: Pirna und Lobositz, Berlin 1901, S. 206. F. Wolff, Corpus … (s. Anm. 85), S. 199 (Zitat); Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjhrigen Krieg, (Berlin 2006), S. 122 – 135; Schweden: F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), S. 288; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 364; Helmut Neuhaus, Das Reich im Kampf gegen Friedrich den Großen. Reichsarmee und Reichskriegsfîhrung im Siebenjhrigen Krieg, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Europa im Zeitalter Friedrichs des Großen. Wirtschaft, Gesellschaft, Kriege. Im Auftrage des Militrgeschichtlichen Forschungsamtes (= Beitrge zur Militrgeschichte, 26), Mînchen 1989, S. 213 – 243, hier S. 215 f.; V. Press, Friedrich der Große … (s. Anm. 653), S. 36, Anm. 26; Arthur Brabant, Joseph Friedrich, Herzog zu SachsenHildburghausen, des Heiligen Rçmischen Reichs teutscher Nation Generalissimus. 1757 (= Das Heilige Rçmische Reich teutscher Nation im Kampf mit Friedrich dem Großen, 1), Berlin 1904, S. 77, S. 81. R. Nîrnberger, Friedrich der Große … (s. Anm. 641), S. 100; G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 205 f. C. Jany, Der Siebenjhrige Krieg … (s. Anm. 500), Zitat S. 171, zum Folgenden S. 170 – 177; Generalstabswerk. Siebenjhriger Krieg … (s. Anm. 669), hier 3: Kolin,

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die rettenden Siege des furchtbaren Jahres 1757, zunchst gegen Franzosen und die Reichsarmee beim schsischen Ort Roßbach, dann in der geradezu legendren Schlacht beim schlesischen Dorf Leuthen am 5. Dezember 1757. Im Jahre 1758 versuchte der Kçnig wieder einen beschrnkten „Offensivstoß“ nach Bçhmen zu fîhren, gefolgt von dem Sieg îber die vordringenden Russen bei Zorndorf und von der preußischen Niederlage bei Hochkirch, die die §sterreicher – sich in die Winterlager retirierend – nicht ausgenîtzt haben, zugleich Indiz fîr die technischen Grenzen militrischer Praxis in diesem Weltkrieg des 18. Jahrhunderts. Schon jetzt ging aber die eigentliche Initiative mehr und mehr auf die verschiedenen Armeen der feindlichen Allianz îber. Die Niederlage bei Kunersdorf (12. August 1759) wenig çstlich von Frankfurt an der Oder mit knapp 50.000 Preußen gegen knapp 80.000 Alliierte war die schwerste, die Friedrich je erlitten hat, aber auch sie wurde – wie auch diejenige bei Kay – vom Gegner nicht final genutzt. Im Jahre 1760 hat Friedrich mit neu gesammelten Krften noch einmal die offene Feldschlacht gewagt und bei Liegnitz sowie bei Torgau gesiegt, sich dann aber nach Bunzelwitz in ein Feldlager zurîckgezogen, ohne daß die Feinde es wagten, ihn dort anzugreifen. Der Tod der einen Feindin, der Zarin Elisabeth, und die damit eingetretene Entlastung der çstlichen Flanke (Sieg bei Bunkersdorf ) machten dann den Weg zum Hubertusburger Frieden auf der Basis des Status quo ante frei (15. Februar 1763). Der Krieg war also mit wachsenden Verlusten immer mehr vom offenen Schlachtenkampf zum „Stellungs- und Mançverkrieg“ (Jany) geworden. Mochte Friedrich nach den Anfangserfolgen noch auf Territorialgewinne, zumal auf Sachsen und Westpreußen, gehofft haben, so ging es ihm seit 1757 doch allein noch um die „territoriale Integritt seines Landes“.673 Mehrmals, zuerst 1757 und wieder 1760, war auch Berlin von den Feinden kurzzeitig bedroht bezieBerlin 1901, S. 65 – 88, bes. S. 79 f., S. 84; Alphons Dopsch, Das Treffen bei Lobositz (1. October 1756), sein Ausgang und seine Folgen. Quellenkritische Untersuchungen zur Geschichte des Kriegsjahres 1756, Graz 1892, zu den Quellen S. 18 – 58, zu den politischen Folgen S. 194 ff.; Leuthen: Joseph Kuntzen, Friedrich der Große und sein Heer in den Tagen der Schlacht bei Leuthen. Nebst einer umfassenden Darstellung der letzteren, Breslau 1851, bes. S. 84 – 110; C(olmar) Frhr. von der Goltz, Von Roßbach bis Jena und Auerstedt. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Heeres, Berlin 2 1906, S. 10 – 29; Manfred Laubert, Die Schlacht bei Kunersdorf nach dem Generalstabswerk, in: ForschBrandPrG 25 (1913), S. 91 – 116, hier S. 98, S. 105, S. 112; Stefan Hartmann, Eine neue Quelle zur Schlacht bei Kunersdorf, in: JbBrandenbLdG 42 (1991), S. 78 – 101, der Kommentar S. 83 ff.; jetzt abschließend Eberhard Kessel, Das Ende des Siebenjhrigen Krieges …, Textband und Kartenschuber. Im Auftrage des Militrgeschichtlichen Forschungsamtes hg. v. Thomas Lindner, Paderborn u. a. 2007, zum Friedensschluß: S. 941 – 947, mit der lteren Lit. 673 T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 218; C. Jany, Der Siebenjhrige Krieg … (s. Anm. 500), S. 177.

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hungsweise besetzt worden,674 Hof und Verwaltung wurden auf Zeit nach Magdeburg verlagert. Außenprovinzen, 1758 auch Ostpreußen und spter große Teile Pommerns und immer wieder auch Besitzungen im Westen waren verloren gegangen. Der Krieg wurde preußischerseits ganz wesentlich aus den mittleren Zentralgebieten an Elbe und Oder sowie aus dem reichen, harter Ausplînderung unterworfenen Kursachsen (alsbald ohne Dresden) gefîhrt. Ohne die nach wie vor erhebliche Steuerkraft des hart umkmpften Schlesiens wre der Krieg fîr Preußen nicht durchzustehen gewesen. Neben den englischen Subsidien sind ferner vor allem die aus besetzten Gebieten, insbesondere aus Sachsen gezogenen Kontributionen von 53 Millionen Talern von existenzieller Bedeutung gewesen. Der preußische Staatsschatz des Jahres 1756 von etwa 13,2 (nach anderen Daten 15,7) Millionen Talern htte allenfalls fîr vier Feldzîge ausgereicht. Schon im April 1758 war der „Tresor“ Preußens „erschçpft“ (Koser). Mînzmanipulationen gehçrten zu den probaten Mitteln preußischer Kriegsfinanzierung.675 Die englischen Subsidien, deren Fluß schon in der letzten Kriegsphase versiegte, waren jedoch nicht kriegsentscheidend. Nicht nur in den bedrohten beziehungsweise dann vom Feind zum Teil besetzten Außenprovinzen kam es zu politisch relevanten Erosionserscheinungen, auch in den nach wie vor preußischen Gebieten drohten die notwendigen Besoldungssperren auf die Loyalitt der Amtstrger Auswirkungen zu haben.676 Die Vorteile taktischer und strategischer Art, die Friedrich als unmittelbar entscheidender Feldherr gegen674 Otto Krauske, Skizzen vom preußischen Hofe am Anfang des siebenjhrigen Krieges, in: Historische Aufstze. Karl Zeumer zum sechzigsten Geburtstag als Festgabe dargebracht von Freunden und Schîlern, Weimar 1910, S. 311 – 327, hier S. 323 f., S. 326. 675 Ludwig Beutin, Die Wirkungen des Siebenjhrigen Krieges auf die Volkswirtschaft in Preußen, zuerst 1933, wieder in: Ders., Gesammelte Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hg. von Hermann Kellenbenz, Kçln/Graz 1963, S. 254 – 283, hier S. 269, Sachsen: S. 255 f.; grundlegend nach Quellenfunden Reinhold Koser, Die preußischen Finanzen im Siebenjhrigen Kriege, in: ForschBrandPrG 13 (1900), S. 153 – 217, S. 329 – 375, bes. S. 160, Sachsen: S. 193 – 217, S. 327 ff.; F.-W. Henning, Thesaurierungspolitik … (s. Anm. 466), S. 123 f.; Karl W. Schweizer, England, Prussia and the Seven Years War. Studies in Alliance Policies and Diplomacy (= Studies in British History, 14), Lewiston/Queenston/Lampeter (1989), S. 226 – 237; Wolfram Pyta, Von der Entente Cordiale zur Aufkîndigung der Bîndnispartnerschaft. Preußisch-britische Allianzbeziehungen im Siebenjhrigen Krieg 1758 – 1762, in: ForschBrandPrG NF 10 (2000), S. 1 – 48, hier S. 4 f., S. 19, Zerfall der Allianz seit 1761: S. 28 – 40; diese Studie mit grundstzlichen Einsichten in die (englische) Gleichgewichtspolitik. 676 W. Neugebauer, Zwischen Preußen und Rußland … (s. Anm. 584), passim zur Eigenpolitik der ostpreußischen Landstnde im Siebenjhrigen Krieg – in ostmitteleuropischen Raumbezîgen; Horst Carl, Okkupation und Regionalismus. Die preußischen Westprovinzen im Siebenjhrigen Krieg (= VerçffInstEurG. Abt. Universalgeschichte, 150), Mainz 1993, S. 252 – 256, S. 268 ff., u. ç.; A. B. B., 11, S. 461 f., Nr. 289; vgl. S. 383, Nr. 237; H. C. Johnson, Frederick … (s. Anm. 476), S. 157 – 187.

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îber seinem jeweils weisungsgebundenen Gegenîber besaß, die geradezu charismatische Wirkung des die Kriegsstrapazen mittragenden Kçnigs auf die preußischen Soldaten,677 wurden begleitet von Folgen administrativer Art. Denn mit dem Kçnig im Felde, in ußerster Distanz zum Verwaltungsmechanismus des Staates, entfiel weitestgehend eine staatliche Zentralfunktion: das Kabinett, das unter der ˜berlast der Kriegssituation nicht genîgte und wohl auch gar nicht genîgen konnte. Vielleicht ging dieser Welt-Krieg schon îber die Leistungsfhigkeit der Staaten des Ancien r¤gime; die Zahlen zur Finanzierung des Krieges preußischerseits, insbesondere aus dem besetzten Sachsen sind ein indirekter Beleg fîr diese These. Auf der Seite der Gegner waren die Erschçpfungserscheinungen erst recht evident. Mitten in den Kmpfen erzwang die Lage der Ressourcen §sterreichs im Jahre 1761 eine Verminderung der Truppenstrke; die russische Armee kmpfte im Siebenjhrigen Kriege an der ußersten Peripherie ihres Aktionsradius, sowohl was die Befehlswege vom Zarenhof als auch was die Versorgungsprobleme anbelangte.678 Gerade ihre Truppenstrken, die auf dem Kriegsschauplatz auftreten konnten, hielten sich – ganz anders als beim Einfall in Ostpreußen 1914 oder dann im Zweiten Weltkrieg – in engen Grenzen. Die mangelnde Koordination der Feinde Friedrichs, das Misstrauen unter ihnen, neutralisierte einen Teil der gegnerischen Potentiale.679 Die militrischen Verluste der russischen Armee hatten wohl schon zur Jahreswende 1759/60 zur Einsicht gefîhrt, daß das russisch-çsterreichische Bîndnis die Krfte des Zarenstaates îberforderte und somit im Osten die Idee aufkommen lassen, die Allianz zu lçsen. Ausgefîhrt wurde diese Option dann 1762/64, und schon bei der Anbahnung der russisch-preußischen Allianz, die 1764 geschlossen worden ist, wurde die polnische Frage in die ˜berlegungen einbezogen.680 Nachdem England 1762 Preußen fallengelassen hatte, war das 677 Beispiel: Urkundliche Beitrge und Forschungen zur Geschichte des Preußischen Heeres, hg. vom Großen Generalstabe, Kriegsgeschichtliche Abtheilung II., 2. Heft: Briefe Preussischer Soldaten 1756/57, Berlin 1901, S. 11 f.; G. F. von Tempelhoff, Geschichte des siebenjhrigen Krieges in Deutschland zwischen dem Kçnige von Preußen und der Kaiserin Kçnigin mit ihren Alliierten, als eine Fortsetzung der Geschichte des General Lloyd, 4, Berlin 1789, S. 168 f. 678 John L. H. Keep, Die russische Armee im Siebenjhrigen Krieg, in: B. R. Kroener (Hg.), Europa … (s. Anm. 670), S. 133 – 169, hier S. 144 f., S. 158; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 184, S. 197 f., S. 237. 679 Wichtig dazu J. Kunisch, Mirakel … (s. Anm. 665), S. 56 – 59, S. 83 – 88, S. 93; Ders., Der Ausgang des Siebenjhrigen Krieges. Ein Beitrag zum Verhltnis von Kabinettspolitik und Kriegfîhrung im Zeitalter des Absolutismus, in: ZHF 2 (1975), S. 173 – 222, bes. S. 189 ff., S. 195 – 206, S. 210 – 213; C. Jany, Der Siebenjhrige Krieg … (s. Anm. 500), S. 165. 680 Boris Nosov, Die preussisch-russischen Beziehungen von 1760 bis 1780 und Polen, in: Historische Kommission zu Berlin. Informationen, Beiheft Nr. 17, Berlin 1993, S. 5 –

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preußisch-russische Bîndnis fîr rund fînfzehn Jahre der Rîckhalt fîr die Außenpolitik Friedrichs, immer auch von der Sorge um dessen Tragfhigkeit und davon begleitet, ob es gelingen kçnne, der Politik §sterreichs Grenzen zu setzen. Ansonsten hielt die „diplomatische Isolation Preußens nach Kriegsende“ noch an. Erst 1768/9 wurden mit Frankreich wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen.681 Mochte auch „Preußens Zugehçrigkeit zur europischen Pentarchie“ seit 1763 gesichert erscheinen, so handelte es sich dabei doch – um noch einmal Heinz Duchhardt zu zitieren – um einen „hçchst fragile[n] Großmachtstatus“.682 Ungeachtet des Hubertusburger Friedens (15. Februar 1763) hat Friedrich der Große das Mißtrauen in den çsterreichischen Verzicht auf Schlesien683 nicht verloren. Auch die beiden persçnlichen Zusammenkînfte zwischen Friedrich II. und Joseph II. am 25. bis 28. August 1769 in Neiße und am 3. September 1770 in Mhrisch-Neustadt konnten zu einer dauernden Annherung nicht beitragen, obwohl dies Mittel direkter Monarchendiplomatie fîr Friedrich den Großen ein ganz ungewçhnliches Instrument gewesen ist.684 Zu einer Einbindung çsterreichischer Interessen in die preußischen Strategien ist es erst im Kontext der Polenpolitik der drei schwarzen Adler-Mchte gekommen. Das preußisch-russische Bîndnis von 1764 war von geheimen Absprachen darîber begleitet worden, daß Rußland im polnischen Vorfeld freie Hand bekam, und zwar auf der Basis der Aufrechterhaltung der polnischen Verfassung und des Liberum veto. Die Unterstîtzung des russischen Kandidaten fîr den polnischen Thron, Stanisław August Poniatowski, war ein Eckstein der preu-

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17, hier S. 7; lteres Standardwerk: Wolfgang Stribrny, Die Russlandpolitik Friedrichs des Großen 1764 – 1786 (= Beihefte zum Jahrbuch der Albertus-Universitt Kçnigsberg in Preußen, 26), Wîrzburg 1966, S. 12 ff.; I. Mieck, Westliches Europa … (s. Anm. 612), S. 93 f.; H. Duchhardt, Altes Reich … (s. Anm. 281), S. 80 f., S. 86. Mit Frank Althoff, Untersuchungen zum Gleichgewicht der Mchte in der Außenpolitik Friedrichs des Großen nach dem Siebenjhrigen Krieg (1763 – 1786) (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 10), Berlin 1995, S. 33 (Zitat), S. 34 ff. H. Duchhardt, Altes Reich … (s. Anm. 281), S. 84. Art. 3 des preußisch-çsterreichischen Friedensvertrages vom 15. Februar 1763, zeitgençssischer Druck: Beytrge zur neueren Staats- und Krieges-Geschichte, 182.–185. Stîck, Danzig 1764, S. 18 f.; vgl. den Druck bei F. W. Ghillany (Hg.), Diplomatisches Handbuch. Sammlung der wichtigsten europischen Friedensschlîsse, Congressacten und sonstigen Staatsurkunden vom Westphlischen Frieden bis auf die neueste Zeit. Mit kurzen geschichtlichen Einleitungen, 1, Nçrdlingen 1855, S. 182; Ders., Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 304 f.; vgl. Anm. 672. F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 59 f., S. 63 f., S. 269; Karl Heinrich Siegfried Rçdenbeck, Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrich’s des Großen Regentenleben 1740 – 86, mit historischen und biographischen Anmerkungen zur richtigen Kenntniß seines Lebens und Wirkens in allen Beziehungen, 3: 1770 – 1786, Berlin 1842, S. 22 f.; T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 401 f., S. 404 f.

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ßisch-russischen Verbindung. In der Praxis bedeutete dies, daß russische Truppen, die in den polnischen Konfessions- und Konfçderationskonflikten intervenierten, in Polen standen, d. h. in unmittelbarer Nachbarschaft preußischen Gebietes. Das alles fîhrte nach 1763 zu einer „preußischen Ausrichtung auf Ost- und Sîdosteuropa“ unter „Abkoppelung von den Seemchten“ (Althoff ), und Friedrich hat einer zustzlichen Bîndnisverbindung mit England ausdrîcklich widerraten, auch um nicht indirekt in die kolonialen Konflikte verwickelt werden zu kçnnen.685 Die Befîrchtung, kurz nach dem Ende des Siebenjhrigen Krieges in die Notwendigkeit zu geraten, an der Seite Rußlands in neue militrische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, hat dann in Fortfîhrung der Bîndniskonstellation von 1764, und wenn man so will in lngerer Kontinuitt der Traditionen von Nystad, zur ersten Teilung Polens im Jahre 1772 gefîhrt. Nicht die ersten Annexionen §sterreichs im Jahre 1769 (in der Zips und von kleineren Karpatengebieten) haben den Mechanismus ausgelçst. Im Gleichgewichtsdenken Friedrichs des Großen und im rationalistisch-aufgeklrten „Verzicht auf die legitimittsstiftende Orientierung an der Vergangenheit“ kam es nun zur „Verschrfung der im Konvenienzprinzip angelegten Tendenz zur expansiven Großmachtpolitik“.686 Aus der Sicht §sterreichs ging es gewiß nach wie vor um den Wunsch, fîr Schlesien nun endlich zu einer krftigen Kompensation zu kommen. Preußen, d. h. Friedrich, hatte sptestens seit dem Natzmer-Brief von 1731 den Blick auf das kînftige Westpreußen gerichtet. Auftretende Spannungen zwischen §sterreich und Rußland angesichts militrischer Erfolge gegen die Osmanen ließen nun die Plne reifen, diese Konfliktpotentiale zwischen Rußland, §sterreich und Preußen auf Kosten Polens abzubauen.687 Die preußische Aktenhistoriographie des spten Kaiserreichs hat îber den initialen Part, den Preußen im Vorfeld der ersten Teilung Polens spielte, bereits keinen Zweifel gelassen; „nicht Rußland“ und „auch §sterreich nicht“ – trotz dessen Annexionen von 1769 –: „Kçnig Friedrich war es vielmehr, der den 685 B. Nosov, Preußisch-russische Beziehungen … (s. Anm. 680), S. 9 f.; Johannes Kunisch, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Der dynastische Fîrstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen fîr die Entstehung des frîhmodernen Staates (Historische Forschungen, 21), Berlin 1982, S. IX-XV, hier S. XIII; F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 37 – 39, Zitat S. 39, weiter S. 44 – 51, S. 54; Otto Forst de Battaglia, Stanisław August Poniatowski und der Ausgang des alten Polenstaates, Berlin (1927), S. 117; Klaus Zernack, Negative Polenpolitik als Grundlage deutsch-russischer Diplomatie in der Mchtepolitik des 18. Jahrhunderts., zuerst 1974, wieder in: Ders., Preußen – Deutschland – Polen … (s. Anm. 608), S. 225 – 242, hier S. 234; F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 308 zu 1764; Herbert H. Kaplan, The First Partition of Poland, New York/London 1962, S. 36 – 45. 686 So treffend L. Schilling, Revolution … (s. Anm. 660), S. 197. 687 Zum ganzen M. G. Mîller, Teilungen … (s. Anm. 608), S. 34 – 39.

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entscheidenden Schritt vollzog, indem er im Februar 1771 in Petersburg den Plan der Erwerbung polnischen Gebiets sowohl fîr Preußen wie fîr Rußland vorschlug“.688 In gewisser Hinsicht hat sogar die Dynastie îber Friedrich hinaus handelnd eingegriffen, denn der Anteil des sehr ehrgeizigen Bruders Friedrichs des Großen, des Prinzen Heinrich, ist ja heute unbestritten. Seit dem Frîhjahr 1771 hat Friedrich dann – ohne jede Rîcksicht auf rechtliche Fragen – in der Teilungspolitik die Initiative ergriffen. §sterreich ist – nach Verschrfung der Konfliktgefahr mit Rußland – dann 1772 dieser Linie beigetreten. Die Unterzeichnung der Vertrge in St. Petersburg am 5. August 1772689 fîhrte zur Annexion eines Drittels des polnischen Staatsgebietes. Vielleicht, so kçnnte man versucht sein mit einigem Zynismus zu formulieren, war erst jetzt, bei der gleichberechtigten Teilnahme am rational-traditionsbrechenden Lnderraub des Jahres 1772/73 Preußen „endgîltig in den Rang einer europischen Großmacht“ aufgestiegen.690 Der çsterreichisch-russische Krieg um die „orientalische Ballance“ wurde abgewendet.691 Preußen erhielt den – flchenmßig – kleinsten Teil, aber wohl den mit dem grçßten Wert, vor allem die untere Weichsel (noch ohne Danzig und Thorn); am 18. September 1773 „wurde in Warschau der Vertrag gezeichnet, in welchem die Republik Polen die okkupierten Provinzen an Preußen endgîltig abtrat“. Von den westeuropischen Mchten ist kein Einspruch erfolgt, auch nicht, als Friedrich II. die Teilungsvereinbarungen denkbar extensiv auslegte, etwa, was die Grenzziehung im Netzegebiet anbetraf. Mit allen Mitteln, auch denen der Bestechung der polnischen Grenzkommissare, sollte eine fîr Preußen mçglichst vorteilhafte Linienfîhrung hergestellt werden. Die harten, erpresserischen Techniken Friedrichs im Zollkampf gegen Danzig haben dann bereits das preußisch-rus688 G(ustav) B(erthold) Volz, Friedrich der Große und die erste Teilung Polens, in: ForschBrandPrG 23 (1910), S. 71 – 143, S. 225 – 226, hier S. 118, vgl. S. 71 ff., S. 77 ff.; G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 72), S. 122; Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen, 30, Berlin 1905, S. 466 ff., Nr. 19687 (diese Edition zit.: PC); Gustav Berthold Volz, Prinz Heinrich und die Vorgeschichte der Ersten Teilung Polens, in: ForschBrandPrG 35 (1923), S. 193 – 211, hier S. 193 f., S. 199 – 208; Chester V(erne) Easum, Prinz Heinrich von Preussen. Bruder Friedrichs des Großen, Gçttingen/Berlin/Frankfurt (1958), S. 372 ff., S. 373 Anm. 16 zu Volz; F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 67 f. (Lynar-Projekt, 1769), weiter S. 70, S. 74 – 81. 689 G. B. Volz, Erste Teilung Polens … (s. Anm. 688), S. 79 ff., S. 83, S. 88 – 94, S. 102 ff., S. 111 ff., S. 118; Adolf Beer, Die erste Theilung Polens, 2, Wien 1873, S. 191 f. 690 Karl Otmar Freiherr von Aretin, Tausch, Teilung und Lnderschacher als Folgen des Gleichgewichtssystems der europischen Grossmchte. Die polnischen Teilungen als europisches Schicksal, in: JbGMitteldtld 30 (1981), S. 53 – 68, hier S. 56; vgl. H. Duchhardt, Altes Reich … (s. Anm. 351), S. 85. 691 F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 101; folgendes Zitat: G. B. Volz, Erste Teilung Polens … (s. Anm. 688), S. 118; H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 4), S. 326.

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sische Verhltnis belastet.692 Der preußisch-polnische Handelsvertrag des Jahres 1775 brachte eine einseitige Fçrderung preußischer Interessen zum Nachteil Polens. Zur Mitte der siebziger Jahre war preußischerseits abzusehen, daß der Vorrat gemeinsamer Interessen mit Rußland aufgebraucht war, zumal dieses sich Frankreich zuzuwenden begann. Die çsterreichischen Lndertausch-Plne im Zusammenhang mit der bayerischen Erbfolgefrage und Friedrichs Strategie, daraus §sterreich eine zumindest diplomatische Niederlage zu bereiten, mîndeten zunchst in den bayerischen Erbfolgekrieg von 1778/79, in dem die preußischen Truppen nicht eben glîcklich operierten, und sodann in den Frieden von Teschen (13. Mai 1779), fîr den nun Rußland (neben Frankreich) Garantenfunktionen in Mitteleuropa îbernahm. Fîr Preußen fiel die Zusage ab, einstmals in Form der Erbfolge die frnkischen Gebiete von Ansbach und Bayreuth îbernehmen zu kçnnen. Der Versuch Friedrichs, Rußland an den Verhltnissen im Heiligen Reich zu interessieren, hat die Beziehung zum Zarenstaat nicht mehr stabilisieren kçnnen, vielmehr verlor diese Option nach der Annherung von Rußland und §sterreich fîr Preußen ganz wesentlich an Tragfhigkeit.692a In dieser Lage, in der die neuerliche diplomatische Isolation Brandenburg-Preußens drohte, wurde nun die Bedeutung des Heiligen Rçmischen Reiches fîr die Politik Friedrichs um so grçßer. Seit den siebziger Jahren hatte der Kçnig versucht, die Reichsstnde gegen §sterreich zu mobilisieren, nachdem schon zur Mitte des Jahrhunderts Friedrich sich des Arguments bedient hatte, die reichsstndischen Rechte und die Reichsverfassung verteidigen zu wollen.693 Man mag darauf hinweisen, daß Friedrichs Verhltnis zum Reich letztlich ein instrumentales gewesen ist, daß er es insbesondere dann schtzte, wenn damit antihabsburgische Gegengewichte in Mitteleuropa mobilisiert werden konnten. In diesem Sinne konnte es eine „Ordnungsform“ sein fîr „das außerçsterreichische, das reichische Deutschland“. Vor allem in seinen letzten 692 PC (s. Anm. 688), 34, S. 93, Nr. 22300; vgl. F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 129 – 133, S. 273; H. Rachel, Merkantilismus … (s. Anm. 265), S. 258. 692a F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 125, S. 149 – 156, S. 168 – 174, S. 178 – 181; I. Mittenzwei, Friedrich II. … (s. Anm. 620), S. 173 – 179, u. ç.; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Heiliges Rçmisches Reich 1776 – 1806. Reichsverfassung und Staatssouvernitt, Tl. 1 (= VerçffInstEurG, Abt. Universalgeschichte, 38), Wiesbaden 1967, S. 114 (Tauschprojekte); T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 256 – 259; Werner Gembruch, Prinz Heinrich von Preußen, Bruder Friedrichs des Großen, in: Johannes Kunisch (Hg.), Persçnlichkeiten im Umkreis Friedrichs des Großen (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 9), Kçln/Wien 1988, S. 89 – 120, hier S. 107; zuletzt Jîrgen Ziechmann, Der Bayerische Erbfolgekrieg oder der Kampf der messerscharfen Federn, Sîdmoslesfehn 2007, S. 50 ff., S. 93 – 119, zur lteren Literatur. 693 H. Duchhardt, Protestantisches Kaisertum … (s. Anm. 299), S. 292 f.; Ders., Altes Reich … (s. Anm. 281), S. 80 f., S. 86.

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Jahren hat Friedrich, dessen Urteil îber das Heilige Reich in seiner Zeit sehr schwankte, diesem doch besondere Bedeutung zugemessen.694 „Noch niemals war in den Korrespondenzen Friedrichs soviel die Rede vom Westflischen Frieden und den ,libert¤s germaniques‘, von Wahlkapitulationen und Reichsgesetzen, von dem Recht, das îber der Macht stehe“, wie um 1780. „Der kçnigliche Revolutionr, in dem die große Reihe der Reichsrebellen seit dem 16. Jahrhundert gipfelt, hatte sich in einen konservativen Reichsfîrsten verwandelt, der fîr die Erhaltung des Reichsrechts zu kmpfen gewillt war.“695 Diese Politik mîndete in die Grîndung des Fîrstenbundes, ein Gedanke, der von Baden aus propagiert worden war, eine Reichsassoziation unter preußischer Fîhrung und mit antihabsburgischer Stoßrichtung. Hannover, Sachsen, auch der Kurfîrst von Mainz und ein Dutzend kleinerer Reichsstnde traten im Juli 1785 bei. Zeitlich parallele Tauschprojekte Josephs II. sind an dieser Opposition gescheitert.696 Das russische Bîndnis Preußens war nicht fçrmlich gelçst, aber durch die aktive Reichspolitik Friedrichs ergnzt. In dieser reichskonservativen Phase endete die Außenpolitik des diplomatischen Rationalisten Friedrich.

§ 11 Zur Praxis des „aufgeklrten Absolutismus“ in Brandenburg-Preußen In einiger Zuspitzung kçnnte man formulieren, daß die aufgeklrt-rationalistische Praxis Friedrichs, diejenige der kîhl exekutierten Staatsrson, in der preußischen Außenpolitik nach 1740 sehr viel markanter hervortritt als in der 694 A. Schindling, Friedrich der Große … (s. Anm. 653), S. 16 f., S. 19 f.; V. Press Friedrich der Große … (s. Anm. 653), S. 26; K. O. Frhr. von Aretin, Heiliges Rçmisches Reich … (s. Anm. 692a), 1, S. 19, S. 21, S. 23; vgl. schon O. Hintze, Testament von 1768 … (s. Anm. 634), S. 468. 695 So der Forschungsbericht aus der Quellenarbeit an der „Politischen Correspondenz“ vor 1939 von Hermann Oncken, Aufgaben und Ttigkeit der Preußischen Kommission, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1935, S. XLVII-LIII, hier S. L; es ist zu hoffen, daß dieser reichshistorisch-innovative Befund Onckens bei der Fortsetzung der Arbeit an der PC nicht ignoriert wird! V. Press, Friedrich der Große … (s. Anm. 653), S. 52 ff. 696 T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 275 – 280; F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 160, S. 172, S. 181 ff., S. 194 f., S. 200 – 208, S. 236 – 246; Leopold von Ranke, Die deutschen Mchte und der Fîrstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790, 2. Ausgabe (= Leopold von Ranke’s Smmtliche Werke, 31 und 32), Leipzig 1875, S. 127 f.; vgl. aber Karl Otmar Frhr. von Aretin, Hçhepunkt und Krise des Deutschen Fîrstenbundes. Die Wahl Dalbergs zum Coadjutor von Mainz 1787, in: HZ 196 (1963), S. 36 – 73, hier S. 37 ff., mit starker Akzentuierung der Verfassungskrise des alten Reiches; s. noch S. 61 (Beitritt Dalbergs), zur Kritik an Ranke: S. 38; F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 345.

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inneren Politik des preußischen Staates. Mit der Tendenz weiterer Radikalisierung der monarchischen Autokratie hat Friedrich der Große die Regierung aus seinem Kabinett so fortgefîhrt, wie sein Vater diese entwickelt und angelegt hatte, unter ˜bernahme des im Dienst erprobten Personals.697 Nur die Außenminister konnten im „monokratischen System“ Friedrichs hoffen, Zutritt zum Kçnig zu bekommen,698 aber, wie ein Kabinettsminister Hertzberg leidvoll erfahren mußte, fîhrte der Monarch auch in der Außenpolitik die Geschfte so, daß den Ministern nur ein sehr eingeschrnkter Gestaltungsspielraum verblieb. Daß der Monarch selbst regieren mîsse, hat Friedrich im politischen Testament des Jahres 1752 schroff hervorgehoben. Die „Staatsregierung“ begriff er – ebenso wie die ußere Politik – als ein „System“, wie „ein philosophisches Lehrgebude“, das – daran bestand nicht der mindeste Zweifel – nur aus dem Kopf des (aufgeklrten) Monarchen entspringen kçnne. Dieser aber sei „der erste Diener des Staates“.699 Die Neigung des gegen die Berliner Hochbîrokratie stets mißtrauischen Monarchen, „îber die Kçpfe der Minister hinweg“700 mit den Prsidenten der provinzialen Verwaltungskammern oder mit preußischen Gesandten im Ausland zu korrespondieren, hat die Praxis zugespitzter Autokratie Friedrichs II. weiter profiliert. Was nach 1740 erreicht werden konnte war – mit Otto Hintze – nicht eine „wirkliche Selbstregierung bis ins Detail“, es war vielmehr die „Wahrung der Mçglichkeit persçnlichen Eingreifens an jedem

697 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 85 – 95; vgl. oben bei Anm. 428 – 441. 698 H. O. Meisner, Monarchische Regierungsform … (s. Anm. 44), S. 232 f.; Harm Klueting, Ewald Friedrich von Hertzberg – preußischer Kabinettsminister unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II., in: J. Kunisch (Hg.), Persçnlichkeiten … (s. Anm. 692a), S. 135 – 152, hier S. 140 f. 699 Friedrich der Grosse, Testamente … (s. Anm. 595), S. 41 – 43, bes. S. 42, vgl. auch S. 81 – 84, S. 198 – 201; Karl Erich Born, Die politischen Testamente Friedrichs des Großen, in: Seemacht und Geschichte. Festschrift zum 80. Geburtstag von Friedrich Ruge, hg. vom Deutschen Marineinstitut, Bonn/Bad Godesberg 1975, S. 13 – 28, hier S. 17; W. Hubatsch, Staatsrson … (s. Anm. 635), S. 25 f.; E. Zeller, Friedrich der Große … (s. Anm. 634), S. 106 f. 700 Grundlegend auf der Basis intensiver Aktenkenntnis Martin Hass, Friedrich der Große und seine Kammerprsidenten, in: Festschrift zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag. Beitrge zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, hg. vom Verein fîr Geschichte der Mark Brandenburg, Leipzig 1908, S. 191 – 220, hier S. 197; sodann zusammenfassend Peter Baumgart, Tendenzen der sptfriderizianischen Verwaltung im Spiegel der Acta Borussica, in: A. B. B., 16, 2. Tl. (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 5. Quellenwerke, 5), Hamburg 1982, S. XXIXXXVII, hier S. XXII f.; R. Koser, Friedrich … (s. Anm. 637), 2, S. 73; Ders., Die Grîndung … (s. Anm. 434), S. 103 ff.; M. Kohnke, Kabinettsministerium … (s. Anm. 399), S. 322; H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 133.

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Punkte“.701 Die Entwicklung der Administration nach 1740 verstrkte noch die Rolle des Kabinetts beziehungsweise auch die Arbeitslast, die auf ihm, d. h. letztlich auf dem Monarchen ruhte. Die (innere) Einheitsverwaltung des preußischen Staates fîr Finanzen, Merkantil- und Siedlungspolitik sowie Militrverwaltung war ja bis 1740 im Generaldirektorium gewhrleistet. Bei aller Kontinuitt, auch der in der Behçrdenorganisation nach 1722/23702 und îber die Zsur des Herrscherwechsels hinaus, ging doch die Entwicklung hin zur Aufspaltung der Einheitsverwaltung, whrend der Regierungszeit Friedrichs II. zunchst zur Auflçsung der kollegialen Einheit des Generaldirektoriums und der Verselbstndigung seiner Departements.703 Die Begrîndung von reinen Fachdepartements, die gleich im Jahre 1740 einsetzte, hat dazu nicht wenig beigetragen.704 Schon bei der Einrichtung des (V.) Departements fîr „Commercien- und Manufacturen-Sachen“ – im Monat nach dem Regierungswechsel – war dessen Sonderstellung formuliert worden, und diese Entwicklung hat sich, trotz einer erneuerten Instruktion fîr das Kollegium (1748) bis zur Dismembration gesteigert.705 Mit der Einrichtung einer besonderen Regie-Verwaltung fîr die Akzise und die Zolleinnahmen und weiterer Sonderadministrationen (Seehandlung, Tabaksadministration) wurde der Trend noch verstrkt. Allerdings gab es auch insofern gleichsam gegenlufige Entwicklungen, als parallel zur Steigerung der autokratischen Herrschaftspraxis sich die Zeichen 701 Dazu die prinzipiellen Passagen in dem Werk von Otto Hintze, Die Preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begrîndung durch Friedrich den Großen (= Acta Borussica … Die Einzelnen Gebiete der Verwaltung, Seidenindustrie, 3), Berlin 1892, S. 282 f. 702 Zum Generaldirektorium siehe oben bei Anm. 456 – 462; Kontinuitt: H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 121; R. Koser, Friedrich … (s. Anm. 637), 2, S. 25. 703 H. Hîffer, Lombard … (s. Anm. 434), S. 61 f.; H. Rosenberg, Bureaucracy … (s. Anm. 435), S. 171. 704 W. Neugebauer, Neuere Deutung … (s. Anm. 243), S. 555 f., mit der dort gegebenen Lit.; vgl. sodann M. Kohnke, Generaldirektorium … (s. Anm. 456), S. 59. 705 A. B. B., 6, 2. Hlfte, S. 26 – 32, Nr. 20, bes. S. 29; vgl. H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 127 ff.; W. Hubatsch, Verwaltung … (s. Anm. 440), S. 67, S. 82, S. 152 ff.; Regie: F. Schneider, Staatswirtschaft … (s. Anm. 467), S. 101; Johannes Pritzke, Beitrge zur Geschichte der preußischen Regieverwaltung 1766 – 1786, phil. Diss. Berlin (1912), S. 6 f.; R. Koser, Friedrich … (s. Anm. 637), 3, S. 227, weiter S. 230 ff.; Horst Krîger, Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preussen. Die mittleren Provinzen in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts (= Schriftenreihe des Instituts fîr Allgemeine Geschichte an der HumboldtUniversitt Berlin, 3), Berlin 1958, S. 110; H. C. Johnson, Frederick … (s. Anm. 476), S. 199 f.; Ingrid Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjhrigen Krieg. Auseinandersetzungen zwischen Bîrgertum und Staat um die Wirtschaftspolitik (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Schriften des Zentralinstituts fîr Geschichte, 62), Berlin 1979, S. 102 f., S. 113.

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mehrten, die auf eine strkere Selbstndigkeit der – zumal der hohen – Amtstrger hindeuten. Die Minister bekleideten unter Friedrich II. faktisch lebenslang ihr Amt, und schon dieser Umstand mußte ihre Position erheblich verstrken.706 Mißtrauen des Monarchen und Widerstande der hohen Beamten fîhrten zu spektakulren Kollisionen.707 Gewiß spielte Protektion bei Karrieren (auch) im 18. Jahrhundert eine erhebliche Rolle. Mit der Schaffung der OberExaminationskommission im Jahre 1770 wurden aber fortan bîrgerliche und adlige Kandidaten fîr hçhere Verwaltungsstellen ins Examen gezwungen. Mit der „Fixierung bestimmter Laufbahnkriterien“ wurde dadurch der „Spielraum fîr Interventionen“ immer kleiner.708 Die in den Prîfungen geforderten Kenntnisse bewirkten einen Zwang zu universitrer Vorbildung, und zwar vor allem im rechtwissenschaftlichen, nicht primr im Kameralfach. Wie neueste Forschungen beweisen, gelang es den Traditionen der Protektionspraxis nun nicht mehr, etwa Befreiungen vom Prîfungszwang zu erwirken. Auch hat es keine Bevorzugung des Adels mehr gegeben. War der Anteil von frîheren Militrs oder unteren Beamten bis dahin unter den Anwrtern auf hçhere Stellen durchaus erheblich, so bewirkte die Verfachlichung nach 1770 alsbald ein Absinken des Anteils frîherer Offiziere, was auch fîr die Rekrutierung der Landrte gilt, die sich gleichfalls der Ober-Examinationskommission zu stellen hatten. Nur 11 Prozent der Beamten in Ratsstellungen in Berlin und in den Provinzen stammten im spteren 18. Jahrhundert aus dem Kreise ehemaligen Militrs. Der Trend zum Fachbeamten strkte Selbstbewußtsein und quasibîrokratischen Zusammenhalt der Amtstrgereliten im Alten Preußen. Adlige wurden – ganz in der Logik der friderizianischen Adelspolitik – zwar noch favorisiert, und der Kçnig hat nur einen bîrgerlichen Minister – freilich neben mehreren Nobilitierten – ernannt. Aber schon um 1770 wurde die „fachliche Qualifikation“ (Straubel) bei der Rekrutierung des Personals doch das entscheidende Kriterium.709 Eine besondere administrative Aufgabe fiel zuerst zur Jahreswende 1740/41 an, eine, bei der das Verhltnis zu den alten adligen Landeseliten eine besondere 706 R. Koser, Vom Berliner Hofe … (s. Anm. 479), S. 13. 707 Siehe schon Stephan Skalweit, Die Berliner Wirtschaftskrise von 1763 und ihre Hintergrînde (= Beiheft 34 zur Vierteljahrschrift fîr Sozial- und Wirtschaftsgeschichte), Stuttgart/Berlin 1937, S. 101 f., S. 109, auch zum Fall Ursinus. 708 H. C. Johnson, Frederick … (s. Anm. 476), S. 223, S. 247, S. 255; Rolf Straubel, Beamte und Personalpolitik im altpreußischen Staat. Soziale Rekrutierung, Karriereverlufe, Entscheidungsprozesse (1763/86 – 1806) (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte), Potsdam 1998, S. 162 f. (Zitat), das Folgende S. 44 ff., S. 50, S. 80 – 97, u. ç., ferner S. 128 ff. 709 R. Straubel, Beamte … (s. Anm. 708), S. 125 f., S. 130, S. 140, S. 143, S. 148 f.; E. Schwenke, Adel … (s. Anm. 579), S. 35 f.; Johannes Ziekursch, Bilder aus der Entwicklungsgeschichte der preußischen Bîrokratie im friderizianischen Schlesien, in: PreussJbb 130 (1907), S. 283 – 308, hier S. 297.

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Rolle spielte: die Integration erst Schlesiens, spter Ostfrieslands und Westpreußens in den preußischen Staat. Dabei sind markante Differenzierungen im Grad der integrativen Angleichung an die politischen Strukturen der altpreußischen Gebiete zu beobachten, aber dann auch, besonders nach 1772, Grenzen desjenigen Durchgriffs zu bilanzieren, zu dem der Absolutismus in (spt-)friderizianischer Zeit fhig gewesen ist. Die wirtschaftlich und strategisch gewiß bedeutendste friderizianische Akquisition, natîrlich Schlesien, ist alsbald unter Beseitigung der alten stndischen Organe auf der Ebene des gesamten Landes in den Staat integriert worden. In çkonomischer, besonders handelspolitischer Hinsicht wurde Schlesien gegenîber dem Wirtschaftsraum der mittleren Provinzen aber weiterhin wie Ausland behandelt. Die Auflçsungstendenz der inneren Staatsverwaltung mit der Folge der alleinigen Zusammenfassung der Fîhrungsfunktionen und der Informationsstrçme im Kabinett des Kçnigs wurde dadurch noch gesteigert, daß Schlesien nicht den Berliner Kollegien, sondern dem Monarchen direkt unterstellt wurde.710 Hingegen wurde die auf dem Wege einer jahrzehntewhrenden Erbpolitik erworbene Provinz Ostfriesland, in der nicht die spezifisch schlesischen Konfessionalitts- und Loyalittsprobleme auftraten, unter weitgehender Schonung der Landestraditionen in den Staatsverband eingefîgt. Hier haben auch die Stnde, bis hinein in die Steuerverwaltung, weiterhin ein erhebliches Gewicht besessen.711 Auf den ersten Blick ist Westpreußen712 unter radikalem Bruch mit den Traditionen der polnischen Zeit seit 1772 in den Staat hineingezwungen worden. Die ltere und die 710 Peter Baumgart, Die Annexion und Eingliederung Schlesiens in den friderizianischen Staat, in: Ders., Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 5), Kçln/Wien 1984, S. 81 – 118, bes. S. 81 f., S. 93 – 99, S. 102 – 105; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 171 f., auch zur Stellung des schlesischen Provinzialministers; H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 129 f.; Harm Klueting, Die politisch-administrative Integration Preußisch-Schlesiens unter Friedrich II., in: P. Baumgart (Hg.), Kontinuitt und Wandel … (s. Anm. 445), S. 41 – 62, hier S. 50 – 57; Zoll- und Handelspolitik: Max Lehmann, Freiherr vom Stein, 1, Leipzig 1902, S. 330, Anm. 1; H. Krîger, Manufakturen … (s. Anm. 705), S. 112 f., und H. Rachel, Merkantilismus … (s. Anm. 265), S. 260. 711 Enno Eimers, Die Eingliederung Ostfrieslands in den preußischen Staat, in: P. Baumgart (Hg.), Expansion … (s. Anm. 710), S. 119 – 168, hier S. 120 – 130; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 177 f.; Carl Hinrichs, Die ostfriesischen Landstnde und der preußische Staat 1744 – 1756. Ein Beitrag zur Geschichte der inneren Staatsverwaltung Friedrichs des Großen, 1 (= Sonderdruck aus dem Jahrbuch der Gesellschaft fîr bildende Kunst und vaterlndische Altertîmer, 22), Emden 1927, S. 167 – 192, u. ç. 712 Max Br, Westpreußen unter Friedrich dem Grossen (= Publicationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven, 84), Leipzig 1909, ND Osnabrîck 1965, S. 121, Nr. 113; Peter Letkemann, Die preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Danzig 1815 – 1870, phil. Diss. Bonn, Marburg 1967, S. 13 f.

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neuere Forschung, diejenige, die Preußen mit Sympathie gegenîberstand, wie diejenige unverhohlener Ablehnung, war sich immer darin einig, die strukturgeschichtliche Zsur, die mit der ersten Teilung Polens fîr den unteren Weichselraum und den Netzedistrikt bewirkt worden ist, als eine ungemein tiefgreifende zu interpretieren.713 Die Verwaltung, in die Friedrich der Große immer wieder unmittelbar intervenierte, hat große Anstrengungen zur kolonisatorischen Verdichtung auch hier unternommen; dabei sind Siedler aus Polen durchaus gern gesehen gewesen (Boockmann). Kanalbau und Stdteentwicklung gehçrten gleichfalls zu den Schwerpunkten staatlicher Ttigkeit in diesem neupreußischen Gebiet. Allerdings ist es auch dem – mit mancherlei schrillen antipolnischen Untertçnen einhergehenden – Regiment Friedrichs des Großen nicht gelungen, einen vollstndigen Bruch in der adligen Partizipationskultur des vormaligen Preußen kçniglich polnischen Anteils herbeizufîhren. Nach eineinhalb Jahrzehnten, in denen unter mancherlei Anknîpfung an polnische Traditionen ein erst eher konspiratives, dann um 1780 ein schon erstaunlich offenes politisches Leben des westpreußischen Adels nachgewiesen werden kann, gewannen auch die westpreußischen Adelseliten wieder festere Konsistenz in Form landschaftlicher Institutionen.714 Auch hier mîndete – trotz aller scheinbarer Radikalitt der friderizianischen Verwaltung – die Phase zunchst praktizierter untergrîndiger stndischer Latenz in diejenige einer partizipativen Renaissance. – Nunmehr, nachdem also das ganze Preußen ihm unterstand, nannte sich Friedrich Kçnig von Preußen.715 713 Heinrich von Treitschke, Der erste Verfassungskampf vor hundert Jahren, in: PreussJbb 29 (1872), S. 313 – 360, S. 409 – 473, hier S. 341; L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 181 ff.; Gînter Birtsch, Der preußische Hochabsolutismus und die Stnde, in: P. Baumgart (Hg.), Stndetum … (s. Anm. 13), S. 389 – 408, hier S. 401; zuletzt Hans-Jîrgen Bçmelburg, Zwischen polnischer Stndegesellschaft und preussischem Obrigkeitsstaat. Vom Kçniglichen Preußen zu Westpreußen (1756 – 1806) (= Schriften des Bundesinstituts fîr ostdeutsche Kultur und Geschichte, 5), Mînchen 1995, S. 229, S. 264, Eingriffe des Kçnigs: S. 258 f.; vgl. dagegen G. Heinrich, Preußen… (s. Anm. 72), S. 226; H. Boockmann, Ost- und Westpreußen … (s. Anm. 4), S. 327, S. 330 ff.; W. Hubatsch, Friedrich der Große … (s. Anm. 440), S. 180 – 186, zum Folgenden; materialiter bleibt grundlegend M. Br, Westpreußen … (s. Anm. 712), hier 1, S. 79, S. 101 (Landrte werden ernannt), S. 314 – 357, Adelspolitik: S. 357 ff. (freilich mit veralteter Tendenz), Stdte: S 388 – 400, u. ç. 714 Wolfgang Neugebauer, Adelsstndische Tradition und absolutistische Herrschaft. Zur politischen Kultur Westpreußens nach 1772, in: (Jçrg Hackmann [Hg.]), Pommerellen – Preußen – Pomorze Gdan´skie. Formen kollektiver Identitt in einer deutsch-polnischen Region (= Nordost-Archiv, NF, 6/1997, Heft 2), Lîneburg (1999), S. 629 – 647, mit den dort ausgewerteten Archivbestnden; Ders., Politischer Wandel … (s. Anm. 18), S. 109 – 112. 715 Vgl. N. C. C. M., 5, Tl. 1, Nr. 46 zu 1772, Sp. 385; W. Hubatsch, Friedrich der Große … (s. Anm. 440), S. 183.

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Ob man Friedrichs Wirtschaftspolitik unter dem Diktum des aufgeklrten Absolutismus wird interpretieren kçnnen, erscheint eher zweifelhaft. Er verblieb ganz in den Bahnen des Merkantilismus, darin bestrkt von einer durchaus konservativen wirtschaftstheoretischen Lektîre.716 Sein eigentliches Lieblingsprojekt, die Entwicklung der preußischen Seidenindustrie,717 erwies sich als eine kînstliche Schçpfung angesichts zahlreicher Widerstnde, auch solchen der Unternehmer selbst; letztlich war sie in Preußen nicht lebensfhig. Das Feld, auf dem die Aufklrung noch am deutlichsten Wirkungen zeigte, war ganz ohne Zweifel dasjenige der Justizpolitik. Auch hier hatte schon Friedrich Wilhelm I. die ersten Zeichen gesetzt; wir erwhnten schon, daß bereits unter seiner Regierung der Gebrauch der Folter an die spezielle Genehmigung durch den Kçnig gebunden und damit eingeschrnkt wurde.718 Auch die Kriminalordnung des Jahres 1717, die in die Patrimonialgerichtsbarkeit eingreifen sollte, gehçrt in diesen Zusammenhang. Der Justizminister Samuel von Cocceji, schon unter dem alten Kçnig berufen, hatte freilich lange Zeit mit heftigen Widerstnden im Staatsapparat zu kmpfen. In einer Audienz bei Friedrich dem Großen im September 1746 wurden dann die Grundstze derjenigen Justizreform festgelegt, die mit dem Namen Cocceji‘s auf engste verbunden ist und die das Justizpersonal und das Verfahren betraf. Zunchst wurde im Jahre 1747 in Pommern damit ein Versuch unternommen und bis Anfang 1748 rund 3.000 Prozesse endlich zum Abschluß gebracht. Kammergericht und provinziale Obergerichte wurden umgestaltet, ein Obertribunal îber den Provinzen in 716 F. Hartung, Aufgeklrter Absolutismus … (s. Anm. 631), S. 164; zustimmend I. Mittenzwei, Preußen … (s. Anm. 705), S. 162; Dies., Wirtschaftspolitik – Territorialstaat – Nation. Die Haltung des preußischen Bîrgertums zu den wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Sachsen (1740 bis 1786), zuerst 1970, wieder in: Dies. / K.-H. Noack (Hg.), Preußen … (s. Anm. 160), S. 179 – 211, hier S. 199 f.; vgl. K. E. Born, Wirtschaft und Gesellschaft … (s. Anm. 635), S. 19. 717 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 49), 2, S. 256, vgl. auch S. 330, S. 443; S. Skalweit, Berliner Wirtschaftskrise … (s. Anm. 707), S. 5 f.; Ilja Mieck, Preußischer Seidenbau im 18. Jahrhundert, in: VjschrSozialWirtschG 56 (1969), S. 478 – 498, hier S. 480, S. 485 f., S. 494, S. 498, und passim. 718 R. Koser, Tortur … (s. Anm. 638), S. 578; zu 1717: Peter-Michael Hahn, Die Gerichtspraxis der altstndischen Gesellschaft im Zeitalter des „Absolutismus“. Die Gutachterttigkeit der Helmstedter Juristenfakultt fîr die brandenburgisch-preußischen Territorien 1675 – 1710 (= Schriften zur Rechtsgeschichte, 44), Berlin 1989, S. 118 – 128; Ders., „Absolutistische“ Polizeigesetzgebung und lndliche Sozialverfassung, in: JbGMitteldtld 29 (1980), S. 13 – 29, hier S. 28; vgl. schon O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 303 f.; Adolf Stçlzel, Der Brandenburger Schçppenstuhl (= Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung untersucht auf Grund der Akten des Brandenburger Schçppenstuhls, 1), Berlin 1901, S. 311 f.; Ders., Rechtsverfassung … (s. Anm. 591), 2, S. 73. Zu spektakulren Akten des Regierungsantritts unter Fragestellung nach dem „Aufgeklrten Absolutismus“ s. oben bei Anm. 630/631 (mit der Lit.).

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Berlin errichtet.719 Die Aktenversendung an Juristenfakultten hçrte 1746 auf.720 Mit dem allgemeinen Appellationsprivileg von 1746/50 gewann der preußische Staat an Geschlossenheit als Rechtsgebiet gegenîber der Gerichtsbarkeit des Heiligen Rçmischen Reiches.721 Mißtrauisch auch und gerade gegenîber dem Justizpersonal, hat Friedrich sich mit der vorhandenen Gesetzgebung lange Zeit zufrieden gezeigt. Noch spter, nach der Phase Coccejis um 1750, zeigte sich der Kçnig nicht an der „Gesetzesreform“, sondern an der Justiz-Reform interessiert.722 Das „relative Desinteresse Friedrichs an der Gesetzgebung“723 ist erst mit dem Eklat um den Mîller-Arnoldischen Prozeß 1779/80 dem Entschluß gewichen, in einem neuen justizpolitischen Anlauf nun auch zu einer umfassenden (subsidiarisch gîltigen) Kodifikation des Rechts zu schreiten. Die dabei hervorragend ttigen Juristen, vor allen Karl Gottlieb Svarez und Ernst Ferdinand Klein, waren nun ohne Zweifel Exponenten der aufgeklrten Justiz-Elite im sptfriderizianischen Preußen; ihr Werk „orientiert(e) sich an den allgemeinen Systemforderungen 719 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 349 f.; M. Springer, Coccejische Justizreform … (s. Anm. 588), S. 182 – 190, S. 197 – 210, u. ç.; Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 3: Das Kammergericht im 18. Jahrhundert (= Beitrge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte, 5), Berlin 1901, S. 228 – 231. 720 Jîrgen Haalck, Zur Spruchpraxis der Juristenfakultt Frankfurt an der Oder, in: Friedrich Beck (Hg.), Heimatkunde und Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag von Rudolf Lehmann (= Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 2), Weimar 1958, S. 151 – 169, hier S. 163; M. Springer, Coccejische Justizreform … (s. Anm. 588), S. 186; F. Holtze, Kammergericht … (s. Anm. 588), 3, S. 200. 721 Kurt Perels, Die allgemeinen Appellationsprivilegien … (s. Anm. 296), S. 105 – 111; Friedrich Giese, Preußische Rechtsgeschichte. ˜bersicht îber die Rechtsentwicklung der Preußischen Monarchie und ihrer Landesteile. Ein Lehrbuch fîr Studierende, Berlin/ Leipzig 1920, S. 96; Eberhard Schmidt, Rechtsentwicklung in Preussen. Mit einem Nachwort zum unvernderten ND, ND der Auflage Berlin 1929, Darmstadt 1961, S. 23. 722 Nach der Unterscheidung bei Hans Hattenhauer, Das ALR im Widerstreit der Politik, in: Detlef Merten / Waldemar Schreckenberger (Hg.), Kodifikation gestern und heute. Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts fîr die Preußischen Staaten. Vortrge und Diskussionsbeitrge der 62. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1994 der Hochschule fîr Verwaltungswissenschaften Speyer (= Schriften der Hochschule Speyer, 119), Berlin 1995, S. 27 – 57, hier S. 31 f. 723 So Peter Krause, Die ˜berforderung des aufgeklrten Absolutismus Preußens durch die Gesetzgebung. Zu den Hemmnissen auf dem Weg zum Allgemeinen Landrecht, in: Gînter Birtsch / Dietmar Willoweit (Hg.), Reformabsolutismus und stndische Verfassung. Zweihundert Jahre Allgemeines Landrecht (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 3), Berlin 1998, S. 131 – 211, hier S. 158 Anm. 39 (mit Bezug auf Hattenhauer); zum Arnoldschen Prozeß vgl. nur Malte Diesselhorst, Die Prozesse des Mîllers Arnold und das Eingreifen Friedrichs des Grossen (= Gçttinger Rechtswissenschaftliche Studien, 129), Gçttingen 1984, zum Eingreifen des Kçnigs S. 23 ff.

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des Naturrechts“,724 wie denn auch Cocceji dem aufklrerisch-naturrechtlichen Denken verpflichtet war. Zunchst wurde das Prozessrecht kodifiziert („Corpus Juris Fridericianum“, 1781), dann an den Entwurf jenes Gesetzeswerkes herangegangen, das zunchst als Allgemeines Gesetzbuch im Entwurf publiziert worden ist. Die wesentlichen Arbeiten wurden im Hause des – wie auch Svarez – aus Schlesien berufenen neuen Großkanzlers Carmer durchgefîhrt, nachdem sein Vorgnger, von Fîrst, im Zuge des Arnoldschen Prozeßes sein Amt verloren hatte. Auf Teile des neuen Gesetzeswerkes haben die Stnde einzelner Provinzen „erheblichen Einfluß“ nehmen kçnnen.725 Die Suspendierung des Allgemeinen Gesetzbuches unter Friedrich Wilhelm II. im Jahre 1792 geht nicht auf antiaufklrerische oder antirevolutionre Gegenkrfte, sondern wohl gleichfalls auf Bedenken der Stnde, die ihr prinzipielles Recht auf Mitwirkung an der Gesetzgebung nicht genîgend gewahrt sahen, zurîck, außerdem auf praktische Einwnde aus den Kreisen der hohen preußischen Juristen. Daß dann das Gesetzeswerk nach Modifikationen im Jahre 1794 publiziert wurde, ist darauf zurîckzufîhren, daß man dieses Recht zu einem Instrument der Integration und Reform in den ehemals polnischen Gebieten (der letzten Teilungen Polens)

724 Peter Krause, Naturrecht und Kodifikation, in: Ders. (Hg.), Vernunftrecht und Rechtsreform (= Aufklrung, 3, Heft 2), Hamburg 1988, S. 7 – 28, hier S. 24, Folgendes S. 10; zum Hintergrund ist zu vgl. Eckhart Hellmuth, Naturrechtsphilosophie und bîrokratischer Werthorizont. Studien zur preußischen Geistes- und Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts (= Verçffentlichungen des Max-Planck-Instituts fîr Geschichte, 78), Gçttingen 1985, S. 192 ff., und passim; zum auslçsenden Vorgang s. M. Diesselhorst, Die Prozesse … (s. Anm. 723), und A. Stçlzel, Rechtsverfassung … (s. Anm. 591), 2, S. 272 – 280; Ders., Fînfzehn Vortrge aus der Brandenburgisch-Preußischen Rechts- und Staatsgeschichte, Berlin 1889, S. 170 – 182; Kodifikation: P. Krause, Die ˜berforderung … (s. Anm. 723), S. 151 f.; H. Hattenhauer, Das ALR … (s. Anm. 722), S. 29, S. 33; Adolf Stçlzel, Carl Gottlieb Svarez. Ein Zeitbild aus der zweiten Hlfte des achtzehnten Jahrhunderts, Berlin 1885, S. 1 – 56. 725 Wichtig Andreas Schwennicke, Der Einfluß der Landstnde auf die Regelungen des Preußischen Allgemeinen Ladrechts von 1794, in: G. Birtsch / D. Willoweit (Hg.), Reformabsolutismus … (s. Anm. 723), S. 113 – 129, hier S. 116, S. 119 f., S. 122 – 127; vgl. Ders., Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 (= Ius Commune, Sonderhefte, 61), Frankfurt am Main 1993, S. 34 ff.; vgl. damit Gînter Birtsch, Gesetzgebung und Reprsentation im spten Absolutismus. Die Mitwirkung der preußischen Provinzialstnde bei der Entstehung des Allgemeinen Landrechts, in: HZ 208 (1969), S. 265 – 294, hier S. 266, S. 268, S. 275 f., S. 279 ff.; Ders., Zum konstitutionellen Charakter des preussischen Allgemeinen Landrechts von 1794, in: Kurt Kluxen / Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Politische Ideologien und nationalstaatliche Ordnung. Studien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift fîr Theodor Schieder zu seinem 60. Geburtstag, Mînchen/Wien 1968, S. 97 – 115, hier S. 112; Martin Philippson, Geschichte des Preußischen Staatswesens vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen, 1, Leipzig 1880, S. 302.

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machen wollte.726 Die tatschliche Verabschiedung des „Allgemeinen Landrechts fîr die Preußischen Staaten“ bewirkte die persçnliche Initiative Kçnig Friedrich Wilhelms II.727 Insofern hatte also gerade derjenige Monarch, der der Aufklrung eher distanziert gegenîberstand, diesem Werk sptfriderizianischer Justizreform zum Durchbruch verholfen. Wieweit die Aufklrung unter Friedrich dem Großen tatschlich im Lande verbreitet war und inwieweit Preußen unter Friedrich II. ein aufgeklrter Staat gewesen ist, darîber bedarf es weiterer Forschungen.728 Friedrichs II. religiçse Indifferenz729 machte es ihm leicht, Toleranz gerade auf diesem Felde zu îben. Die Frage, wie die theologischen Lehrstîhle in Preußen zu besetzen seien, hat Friedrich mit vçlliger Gleichgîltigkeit behandelt.730 Von der Einrichtung der Universitten in Preußen hatte er, wie aus zuverlssiger Quelle verlautet, „keinen richtigen Begriff“ (Bîsching). Nicht weit von der Residenz blîhte Volksreligiositt und bisweilen sogar noch Volksmagie; die Berliner Rte sahen dies mit unglubigem Schrecken. Gerade Pfarrer vom aufklrerisch-neologischen Typ hatten es schwer im Alltag des Dorfes; Lesegesellschaften waren noch fast ganz auf die Stdte beschrnkt,731 solche fîr Schulmeister traten hinzu. Auch sie hatten es schwer, wenn sie auf eigene Faust Aufklrung betrieben. Bis in die Religionstopographie Berlins hinein wirkten ltere Traditionen in der sptfriderizianischen Zeit,732 in unmittelbarer Nach726 P. Krause, Die ˜berforderung … (s. Anm. 723), S. 131 – 133, S. 167 – 204; A. Schwennicke, Einfluß der Landstnde … (s. Anm. 725), S. 122, S. 129, S. 135, S. 137; Th. Finkenauer, Vom Allgemeinen Gesetzbuch … (s. Anm. 744), S. 43; H. Hattenhauer, Das ALR … (s. Anm. 722), S. 42. 727 P. Krause, Die ˜berforderung … (s. Anm. 723), S. 209. 728 W. Neugebauer, Brandenburg … (s. Anm. 140), S. 366 – 371 – zum Folgenden. 729 Vgl. dazu jetzt die Verçffentlichungen von Frank-Lothar Kroll (s. Anm. 634); Friedrich der Grosse, Testamente … (s. Anm. 595), S. 35, S. 194 f.; zur Frage des Deismus vgl. T. Schieder, Friedrich der Große … (s. Anm. 390), S. 481, ferner S. 190 ff.; F. Hartung, Aufgeklrter Absolutismus … (s. Anm. 631), S. 160. 730 Diesen Themenkreis sollte freilich die Forschung erneut aufgreifen, vgl. noch immer Reinhold Koser, Friedrich der Große und die preußischen Universitten, zuerst 1904, wieder in: Ders., Zur preußischen und deutschen Geschichte. Aufstze und Vortrge, Stuttgart/Berlin 1921, S. 128 – 201, hier S. 184; Folgendes: Anton Friederich Bîsching, Beytrge zu der Lebensgeschichte denkwîrdiger Personen, insbesonderheit gelehrter Mnner, Fînfter Theil, der den Character Friederichs des zweyten, Kçnigs von Preussen, enthlt, Halle 11788, S. 79 ff.; magische Praktiken: wie Anm. 728; F. Holtze, Brandenburg … (s. Anm. 129), S. 113 f. 731 Richard van Dîlmen, Die Gesellschaft der Aufklrer. Zur bîrgerlichen Emanzipation und aufklrerischen Kultur in Deutschland, Frankfurt am Main 1986, S. 165 – 171; W. Neugebauer, Bildungswesen … (s. Anm. 388), S. 641 (Lit.); Ders., Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit … (s. Anm. 54), S. 422 f. 732 Vgl. Horst Mçlller, Aufklrung in Preussen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai (= Einzelverçffentlichungen der Historischen

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barschaft zum aufgeklrten Beamtenpersonal im Schloß und – nur ein paar Huser weiter – zum Buchverlag Friedrich Nicolais, einer Institution in der Aufklrergesellschaft des preußischen Staates. Er und die „Berlinische Monatsschrift“ von Gedike und Biester waren Stîtzpunkte einer schmalen, freilich gut vernetzten literarisch-aktiven Schicht. Plastisch schildert Friedrich Nicolai im Jahre 1775 die geistige Geographie dieser Stadt, in der es sehr leicht war, in den Verdacht der „Ketzerey“ zu geraten. „Die Einwohner von Berlin“, so schreibt er, „sind so wenig, als die Einwohner irgend einer anderen Stadt, geneigt, Neuerungen in der Lehre machen zu lassen“. Nicht „Atheisten“ und „Naturalisten“ bestimmten das geistige Klima der Massen, nein: Berlin war im vierten Jahrzehnt der Regierung Friedrichs des Großen „pietistisch“ bis „orthodox“, modifiziert je nach der Wohngegend, in Alt-Berlin mehr dogmatischlutherisch bis rein orthodox, wo „man noch ehrenfeste Bîrger îber Erbsînde und Wiedergeburt kçnne disputiren hçren“; „desgleichen haben die Grtner und Viehmster in den Berlinischen Vorstdten noch alle die lçbliche Anlage[,] auf einen Ketzer mit Fusten loszuschlagen“. Nur um das Schloß herum fnde man „am ersten Freygeister“, also in der „Nachbarschaft des Hofes“ und guter Buchlden. Da wo einfache Leute, etwa Pergamentmacher und Seifensieder wohnten, da sei auch der orthodox-religiçse Eifer zu Hause.733 Aufklrung und Absolutismus hatten auch die Grenzen ihrer Wirksamkeit gemein. Erst sehr allmhlich – ganz wesentlich ausgehend von kleinen und grçßeren Reforminseln – gewann die Aufklrung, auch diejenige der Praxis, weitere Verbreitung, bisweilen in derivater Form der Vulgraufklrung. Nebeneinander standen noch lange auf dem Lande, in den vielen kleineren und grçßeren Welten, Modernitt und Tradition.734

§ 12 Preußen in der Zeit der Revolutionen Friedrich der II., der Große, starb am frîhen Morgen des 17. August 1786. Es gab schon seit einiger Zeit Stimmen scharfblickender Beobachter, die von Stagnation,735 vielleicht gar von Zeichen des Nachlassens staatlicher Effizienz in Kommission zu Berlin, 15), Berlin 1974, S. 249 – 252; vgl. Gerhard Kutzsch, Berlin in sptfriderizianischer Zeit. Eine Skizze zur Sozial- und Sittengeschichte, in: Der Br von Berlin. Jahrbuch des Vereins fîr die Geschichte Berlins 23 (1974), S. 30 – 49, hier S. 46 f. 733 (Friedrich Nicolai), Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, 2, Berlin/Stettin 1775, S. 70 – 78. 734 W. Neugebauer, Marwitz … (s. Anm. 582), passim; Ders., Bildungsreformen vor Wilhelm von Humboldt … (s. Anm. 582), passim. 735 Quellenbeispiel bei Gustav Berthold Volz (Hg.), Friedrich der Große im Spiegel seiner Zeit, 2: Siebenjhriger Krieg und Folgezeit bis 1778, Berlin 1926, S. 246; vgl.

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Preußen berichteten. Die Reaktionen auf die Todesnachricht waren zwiespltig, îbrigens wohl nicht ein Spezifikum der innerpreußischen Reaktionen auf das Ende einer øra, die nach sechsundvierzig Jahren zuletzt auch als drîckend empfunden worden sein mochte; als sechs Jahre zuvor die große Gegenspielerin des Preußenkçnigs, Maria Theresia, gestorben war, klangen im Wien des Jahres 1780 „die Stimmen zu ihrem Tode […] dîrftig, selbst misstçnend“.736 Hier wie dort wurden Zîge des zugespitzten Fiskalismus auch bedeutenden Herrschern îbel genommen, und manche Merkmale eines Alterskonservativismus waren zuletzt nur unwillig ertragen worden. Gerade in Berlin, der Stadt, in der gut vierzig Jahre zuvor der Beiname Friedrichs „des Großen“ erstmals – ganz inoffiziell – gebraucht worden war,737 herrschte nun im Sptsommer 1786 Gleichgîltigkeit, nicht eigentlich Trauer.738 Immerhin scheint die Distanz zwischen dem Kçnig und den Oberschichten – selbst den Berliner Hofkreisen – um einiges ausgeprgter gewesen zu sein als die zum Gemeinen Mann, der eben noch, bei den letzten Aufenthalten Friedrichs in der Hauptstadt die Ovationen dargebracht hatte. Nicht anders als in Berlin war die Stimmung im Gesamtstaat nach dem August 1786 gespalten,739 und die Nachfolgenden zeigten auffllige Nçte, mit Friedrichs Memoria umzugehen, wie die ja jahrzehntelange Vorgeschichte des Berliner Friedrich-Denkmals exemplarisch belegt.740

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z. B. noch H. Haussherr, Verwaltungseinheit … (s. Anm. 454), S. 142; W. Hubatsch, Friedrich der Große … (s. Anm. 440), S. 188. So aus intimer Quellenkenntnis Heinrich Kretschmayr, Maria Theresia, Leipzig 2 1938, S. 225; vgl. im weiteren Sinne Werner Ogris, Zwischen Absolutismus und Rechtsstaat, in: (Richard Georg Plaschka / Grete Klingenstein [Red.]), Bundesministerium fîr Wissenschaft und Forschung. §sterreichische Akademie der Wissenschaften. §sterreich im Europa der Aufklrung. Kontinuitt und Zsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. Internationales Symposion in Wien 20.–23. Oktober 1980, 1, Wien 1985, S. 365 – 376, hier S. 366. Mit der Spezialliteratur vgl. Wolfgang Neugebauer, „Von Friedrich soll ich reden – ich nenne Ihn nicht den Großen“. Peter Villaumes Gedchtnisschrift auf Friedrich II. von 1786, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1786, Berlin 1986, S. 7 – 37, hier S. 13, S. 34 (bes. Schieder); T. Schieder, ˜ber den Beinamen … (s. Anm. 656), S. 22 f. (keine øußerung Friedrichs dazu; nie im „amtlichen Zeremoniell“); vgl. oben am Ende von § 9, bei Anm. 656. Mit Johannes Kunisch, Friedrich der Grosse. Der Kçnig und seine Zeit, Mînchen 2004, S. 536 f.; wichtig und zum Folgenden besonders R(einhold) Koser, Friedrich der Große im Urteil seiner Berliner Zeitgenossen, in: MittVGBerlin 19 (1902), S. 35 f., hier S. 36; vgl. noch R. Koser, Friedrich … (wie Anm. 637), 3, S. 549; Fritz Arnheim, Zur Charakteristik Friedrichs des Großen und seines Großneffen, des nachmaligen Kçnigs Friedrich Wilhelm III., in: ForschBrandPrG 18 (1905), S. 229 – 236, hier S. 235. Vgl. M. Philippson, Geschichte … (s. Anm. 725), 1, S. 91; T. Schieder, Friedrich … (s. Anm. 390), S. 470. Friedrich Mielke / Jutta von Simson, Das Berliner Denkmal fîr Friedrich den Grossen. Sonderdruck, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1975, bes. darin Jutta von

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Die Erwartungen an seinen Nachfolger, der als Friedrich Wilhelm II. den Thron bestieg, waren groß – keine einfache Sukzession, zumal die Maßstbe aus den riskanten Erfolgsjahrzehnten bis 1786 vorgegeben wurden. So paarten sich in der çffentlichen Wahrnehmung Friedrich Wilhelms II. von Anfang an große Erwartungen und vorschießende Skepsis.741 Und noch etwas kam erschwerend hinzu: In den nun anbrechenden Zeiten, in denen der Boden der alteuropischen Welt zu beben begann, hatte es mit der Frage nach der Herrschafts- und Herrscherlegitimation gerade in Preußen seine Probleme. Denn Friedrichs Rekurs auf Vernunft und die natîrliche Logik, seine Forderung, daß der Monarch in der praktischen Regierungsarbeit seinen Wert und seine Existenzberechtigung beweisen mîsse, hatte ltere Denkmodelle traditionaler Herrschaft erodieren lassen. Auch in den Gedchtnispredigten des Jahres 1786 war auf das „Leistungsprinzip“ (Wienfort) Bezug genommen worden. So war es nicht ohne weiteres mçglich, nun wieder auf die Fundamente des lteren gçttlichen Rechts zurîckzugehen. Die aufgeklrt-traditionalistische „Verdienstethik“, wie sie in der Epoche zuvor allerhçchsten Orts gegolten hatte, mußte notwendigerweise in einer problematischen Spannung stehen zu dem Bemîhen, die herkçmmlichen Grundlagen von Staat und Monarchie in einer Zeit europischer, ja atlantischer Umbrîche zu restabilisieren. Nicht erst seit 1789, sondern seit den siebziger Jahren wurde îber Republikanismus und Revolution in Preußen diskutiert, wobei das amerikanische Exempel nachweisbar eine Rolle spielte und freilich zugleich auf die Fernwirkung der franzçsischen Aufklrung verwiesen wurde.742

Simson, Geschichte des Denkmals. Die plastischen Entwîrfe, S. 7 – 25, hier S. 11 ff., S. 22; Karl Ludewig Woltmann, Das Brandenburgische Haus. Historische Feier des 18ten Jnners 1801, Berlin 1801, S. 118 ff. 741 Vgl. aus der zeitgençssischen Literatur (Adrian Heinrich von Borcke), Geheime Briefe îber die Preußische Staatsverfassung seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms des Zweyten, Utrecht (?) 1787, S. 3 f.; David Barclay, Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., Mînchen 2000, S. 179 – 196, S. 331, hier S. 180; soweit îberzeugend auch Walter Grab, Die ironische „Leichenpredigt“ des Hamburger Jakobiners Heinrich Wîrzer auf den Tod Kçnig Friedrich Wilhelms II. von Preußen, in: Wilhelm Treue, Geschichte als Aufgabe. Festschrift fîr Otto Bîsch zu seinem 60. Geburtstag, Berlin 1988, S. 145 – 158, hier S. 149; das Folgende: Monika Wienfort, Monarchie in der bîrgerlichen Gesellschaft. Deutschland und England von 1640 bis 1848 (= Bîrgertum, 4), Gçttingen 1993, S. 122 f., S. 128 – 130; jetzt Brigitte Meier, Friedrich Wilhelm II. Kçnig von Preußen (1744 – 1797). Ein Leben zwischen Rokoko und Revolution, Regensburg 2007, S. 88 – 98. 742 Belege zur innerpreußischen Diskussion seit der zweiten Hlfte der 1770er Jahre bei W. Neugebauer, Absolutistischer Staat … (s. Anm. 54), S. 189 ff.; wichtig: Horst Mçller, Wie aufgeklrt war Preußen?, in: Hans-Jîrgen Puhle / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Gçttingen 1980, S. 176 – 201, hier S. 198.

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Damit war das Leitmotiv angeschlagen, das die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. bestimmen sollte. Geboren am 25. September 1744 als Sohn des im Siebenjhrigen Krieg von Friedrich II. schroff behandelten Kçnigsbruders Prinz August Wilhelm, war von Anfang an abzusehen, daß einmal Friedrich Wilhelm auf dem Thron folgen wîrde. Ihm wurde eine sorgfltige Erziehung und Ausbildung zuteil; von einer Vernachlssigung des kînftigen Regenten kann keine Rede sein.743 Friedrich selbst hatte alles bis ins Detail geregelt. Trotz guter Arbeitserfolge gestaltete sich aber das Verhltnis zwischen Kçnig und Prinz von Preußen mit der Zeit schwierig. Das Problem im Verhltnis von Herrscher und Nachfolger lag – nicht zum ersten und nicht zum letzten mal in der Geschichte des Hauses Hohenzollern – weniger im vielleicht unzureichend disziplinierten Lebenswandel und persçnlichen Umgang des kommenden Mannes, sondern in der doch nur punktuellen Einbeziehung des kînftigen Herrschers in die Praxis von Verwaltung und politischer Fîhrung. Gelegentliche Teilnahme der Prinzen an der Arbeit in den Verwaltungsdepartements oder der Einsatz Friedrich Wilhelms bei diplomatischen Missionen haben daran nichts gendert.744 Dabei war er auf die kînftige Herrscherstellung sehr bedacht; mag ihm auch manche persçnliche 743 Bester neuerer und origineller ˜berblick (das Bild dieses Monarchen beginnt sich seit etwa zehn Jahren zu wandeln) bei D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 182 f.; ferner B. Meier, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741); wichtiges lteres Material bei Bogdan Krieger, Zur Kindheits- und Erziehungsgeschichte Friedrich Wilhelms II., in: HohenzJb 12 (1908), S. 70 – 102, hier S. 70, S. 78, S. 80; vgl. damit W(ilhelm) M(oritz) Frhr. v. Bissing, Friedrich Wilhelm II. Kçnig von Preußen. Ein Lebensbild, Berlin (1967), S. 12 – 19; umfngliche Zusammenfassung einer sehr lîckenhaft aufgenommenen Literatur von Wilhelm Bringmann, Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797), Frankfurt am Main u. a. 2001, zur Person S. 84 ff.; nîtzlich: Gerd Heinrich, Friedrich Wilhelm II. von Preußen. Bîrgerkçnig in der Zeitenwende, in: (Christoph Martin Vogtherr / Susanne Evers [Red.]), Friedrich Wilhelm II. und die Kînste. Preußens Weg zum Klassizismus, hg. v. der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlçsser und Grten Berlin-Brandenburg, (Berlin 1997), S. 23 – 33, hier S. 23. 744 Vgl. Johannes Kunisch, Friedrich der Große, Friedrich Wilhelm II. und das Problem der dynastischen Kontinuitt im Hause Hohenzollern, in: Ders. (Hg.), Persçnlichkeiten im Umkreis Friedrichs des Großen (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 9), Kçln/Wien 1988, S. 1 – 27, bes. S. 16 ff.; in diesem Bande auch Harm Klueting, Ewald Friedrich von Hertzberg – preußischer Kabinettsminister unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II., S. 135 – 152, hier S. 143; W. M. Frhr. von Bissing, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 743), S. 33 – 36; F. Althoff, Untersuchungen … (s. Anm. 681), S. 202 f.; wichtig jetzt zu Person und Regierungszeit îberhaupt P. Krause, Die ˜berforderung … (s. Anm. 723), S. 159; zur Haltung Friedrich Wilhelms zum Herrscheramt vgl. treffend Thomas Finkenauer, Vom Allgemeinen Gesetzbuch zum Allgemeinen Landrecht – preußische Gesetzgebung in der Krise, in: ZSRG.Germ 113 (1996), S. 40 – 216, hier S. 62 f., auch zur Rîckkehr zu Legitimationsgrundlagen des Gottesgnadentums.

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Hrte seiner Vorgnger gefehlt haben, mçgen genußbetontere Neigungen auf gewandelte private Stile hindeuten – an Herrscheramt und Herrscherpflicht sollte sich auch kînftig nichts ndern. Das schloß die Bereitschaft, Defizite des alten Regiments zu erkennen und modernisierende Reformen anzudenken, keineswegs aus, sondern ein. Umso mehr war der – ganz offenbar keineswegs so lethargische – junge Herr daran interessiert, auf neben- oder außeramtlichen Wegen zu Informationen und Foren der Diskussionen vorzustoßen, die seiner Vorbereitung dienten. Diese Konstellation ist deshalb von allgmeinhistorischer Bedeutung, weil nur aus ihr jene Kontakte zu Personengruppen und Zirkeln zu erklren sind, die – ganz im Stile der Zeit und alles andere als einzigartig im Europa dieser Epoche – gleichsam durch die Erschließung der Geheimnisse arkaner Wissenswelten Regierungshandeln auf eine neue, verbreiterte Basis von Herrschaftstechniken stellen wollten. Person und Regierung Friedrich Wilhelms II. sind lange Zeit mißverstanden worden, weil die Forschung zu diesen Hintergrînden und Unterstrçmungen der Jahrzehnte der spten Aufklrung defizitr blieb. Das Wissen um diese Kontexte hat sich aber gerade in jîngster Zeit erheblich erweitert. Diese Forschungsstnde mîssen in eine Gesamtîbersicht der Geschichte Preußens in der Zeit der Revolutionen einfließen. Manches spricht dafîr, daß damit ltere strikte Gegenîberstellungen von politischer Aufklrung und Antiaufklrung in der preußischen Geschichte einer Revision bedîrfen. Friedrich Wilhelm, der seit 1772/73 Freimaurer war,745 gewann als solcher und ohne mit diesen Beziehungen zu brechen seit den spten siebziger Jahren Zugang zum Geheimorden der Gold- und Rosenkreuzer, einer arkanen Gesellschaft auf esoterisch-christlicher Grundlage, unter deren Angehçrigen es îberhaupt auch zahlreiche Aufklrer und Freimaurer gab. Im allgemeinen und besonders in den Rosenkreuzerzirkeln im preußischen Staat fllt der hohe Anteil des Adels auf, rund 40 Prozent.746 Bei dem Orden der Strikten Observanz, einem Freimaurersystem, zunehmend attraktiver auch fîr Angehçrige von Fîrstenhusern, handelt es sich um ein ausgesprochenes „Elitenphnomen“.

745 Abweichende Daten bei Florian Maurice, Freimaurerei um 1800. Ignaz Aurelius Feßler und die Reform der Großloge Royal York in Berlin (= Hallesche Beitrge zur Europischen Aufklrung, 5), Tîbingen (1997), S. 36; Hans Riegelmann, Die europischen Dynastien in ihrem Verhltnis zur Freimaurerei, zuerst 1943, ND (= Hintergrundanalysen, 8), Struckum 1985, S. 160. 746 So Christina Rathgeber, Forschungsperspektiven zu dem Gold- und RosenkreuzerOrden in Norddeutschland. Ein ˜berblick, in: Helmut Reinalter (Hg.), Aufklrung und Geheimgesellschaften: Freimaurer, Illuminaten und Rosenkreuzer: Ideologie – Struktur und Wirkungen. Internationale Tagung, 22./23. Mai 1992 an der LeopoldFranzens-Universitt Innsbruck, Bayreuth 1992, S. 161 – 166, hier S. 163 ff.

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Esoterische Bînde und Politik gehçren im Europa des spten 18. Jahrhunderts vielfach zusammen, wie zahlreiche inzwischen erhellte Exempel beweisen.747 Im Feld, whrend des Bayerischen Erbfolgekrieges, gewann der Prinz von Preußen nun auch persçnlichen Kontakt zu Angehçrigen der Rosenkreuzer, vermittelt durch einen gerade in preußische Dienste îbertretenden Offizier, Hans Rudolf von Bischoffwerder.748 Es ist nun von erheblichem allgemeinhistorischen Interesse, von wem die Initiative ausging, ob es sich darum handelte, daß die Rosenkreuzer die Chance sahen und ergriffen, auf einen kînftigen Kçnig von Preußen Einfluß zu gewinnen oder ob der Prinz es gewesen ist, der seinerseits durch Zugang zu dem Orden eine – damals gleichsam ganz moderne – Qualifikation erstrebte, die es ermçglichte, nicht nur auf der Basis allgemeiner Rationalitt und Kausalitt zu herrschen, sondern zustzlich und ergnzend geheime, arkane Instrumente fîr sein Regiment zu erschließen. In der neuesten Forschung werden fîr die zweite Erklrungsvariante beachtliche Argumente aus archivalischen Forschungen vorgelegt. Das ließe also darauf schließen, daß es offenbar der Prinz gewesen ist, der den Weg zu dem Geheimbund suchte, getrieben von dem subjektiv ernsthaften „Wunsch, damit Kompetenzen zu erwerben, die ihm in seinem Regierungshandeln zugute kommen wîrden“.749 Die fçrmliche Aufnahme des Hohenzollern fand 1781 statt. Erst nach und nach zeigte sich ein Interesse des Ordens am Prinzen. Dann war es der sptere Minister Johann Christoph Woellner, eine Schlîsselfigur der (nord-)deutschen Rosenkreuzerszene, die mehr und mehr Einfluß auf den Prinzen nahm. Johann Christoph Woellner, Sohn eines Pfarrers und selbst studierter Theologe, dann praktischer Landwirtschaftsçkonom in der Mark Brandenburg, 747 Zu diesen europischen Hintergrînden und unter Einbeziehung der hier zu referierenden preußischen Phnomene Monika Neugebauer-Wçlk, Arkanwelten im 18. Jahrhundert. Zur Struktur des Politischen im Kontext von Aufklrung und frîhmoderner Staatlichkeit, in: Aufklrung 15 (2003), S. 7 – 65, hier S. 24, S. 26, S. 44 ff.; vgl. Anm. 749 die Monographie von Renko Geffarth. 748 Klassische ltere Studien von dem Berliner Archivar Johannes Schultze, insbesondere: Hans Rudolf von Bischoffwerder, zuerst 1930, wieder in: Ders., Forschungen … (s. Anm. 235), S. 266 – 286, hier S. 271 – 275, folgendes S. 278 ff.; Ders., Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II., zuerst 1929, wieder in: Ders., Forschungen …, S. 240 – 265, hier S. 245 f., wo die Rolle der Kontaktperson im Herzog Friedrich August von Braunschweig gesehen wird, ferner S. 250 ff.; wichtig jetzt Kay-Uwe Hollnder, „Und das kann doch schließlich nicht all und jeder“. Der Aufstieg Johann Christoph Woellners zum preußischen Staatsminister unter Friedrich Wilhelm II., in: W. Neugebauer / R. Prçve (Hg.), Agrarische Verfassung … (s. Anm. 526), S. 225 – 256, hier S. 237 f., S. 242; dazu und zur spteren Stellung Bischoffwerders als Generaladjutant zusammenfassend D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 743), S. 187 f. 749 So Renko D. Geffarth, Religion und arkane Hierarchie. Die Gold- und Rosenkreuzer als Geheime Kirche im 18. Jahrhundert, phil. Diss. Halle/Wittenberg 2003 (Masch.), S. 138 ff., das Folgende S. 140, S. 145 ff.; vgl. B. Meier, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 69.

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hatte mit gut dreißig Lebensjahren 1765 zum ersten mal Zugang zu einer Geheimgesellschaft gefunden, als er Freimaurer geworden war. Im hierarchisch strukturierten Hochgradsystem der Strikten Observanz trat er in Kontakt mit demjenigen Personenkreis, mit dem er spter im Rosenkreuzerorden zusammenarbeiten sollte. Seit 1778 war Woellner Rosenkreuzer, und er erreichte dort einen hohen Rang, nicht aber denjenigen eines der geheimen „hçchsten Oberen“.750 – Das waren Schlîsselfiguren des nach arkanen Krften suchenden Ordens, in dem wesentliche Elemente der Aufklrung durchaus lebendig blieben. In Vortrgen, die Woellner dem Prinzen von Preußen unmittelbar vor dessen Regierungsantritt gehalten hat und mit denen nun gewiß auch Einfluß auf den kommenden Mann ausgeîbt werden sollte, ist diese Verbindung von Aufklrung und Gegenaufklrung schon abzulesen.751 In ihnen ging es um staatspolitische und staatswirtschaftliche Grundsatzfragen, auch in einer Kritik an der friderizianischen Praxis. Woellner sprach insbesondere îber „Leibeigenschaft“ und îber das Bodenrecht, îber Finanzpolitik und zu Problemen der preußischen Verwaltung. Ein gewisser adelskritischer Grundton durchzog die Vorlesungen Woellners. Denn es ist in hohem Maße bezeichnend fîr diejenigen politischen und kulturellen Krfte, die nun in Preußen miteinander zu ringen begannen, daß gerade diejenigen, die vor kommenden Eruptionen warnten, nicht etwa ein Programm des starren rîckwrtsgewandten Immobilismus vertraten, sondern eine Linie entschiedener Reformen in organischer Einheit mit dem Ziel der politisch-sozial-religiçsen Stabilisierung. Ein Johann Christoph Woellner war seit langem mit Reformschriften hervorgetreten, die auch von der marxistischen Agrargeschichtsforschung als durchaus modern anerkannt worden 750 R. D. Geffarth, Religion … (s. Anm. 749), S. 132 ff., mit dem Eintrittsdatum 1779; K.-U. Hollnder, Der Aufstieg Woellners … (s. Anm. 748), S. 227 – 239; C. Rathgeber, Forschunsperspektiven … (s. Anm. 746), S. 161, jeweils mit der lteren Literatur; wichtig noch Paul Bailleu, Johann Christof Woellner, zuerst 1898, wieder in: Ders., Preußischer Wille. Gesammelte Aufstze, hg. von Melle Klinkenborg, Berlin 1921, S. 138 – 153, S. 347 – 349 (auch zur archivalischen Grundlage), hier S. 138 f. 751 K.-U. Hollnder, Der Aufstieg Woellners … (s. Anm. 749), S. 244 ff., S. 247, S. 254, die Mitteilungen aus den Vortrgen S. 245 – 254; Dirk Kemper, Obskurantismus als Mittel der Politik. Johann Christoph von Wçllners Politik der Gegenaufklrung am Vorabend der Franzçsischen Revolution, in: Christoph Weiss (Hg.), Von „Obscuranten“ zu Eudmonisten. Gegenaufklrerische, konservative und antirevolutionre Publizisten im spten 18. Jahrhundert (= Literatur im historischen Kontext, 1), St. Ingbert 1997, S. 193 – 220, hier S. 195, S. 197 f., S. 200; D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 187 f.; wichtig nach wie vor die Quellenmitteilungen bei Johann David Erdmann Preuss, Zur Beurtheilung des Staatsministers von Wçllner, in: Zeitschrift fîr Preußische Geschichte und Landeskunde 2 (1865), S. 577 – 604, S. 746 – 774, 3 (1866), S. 65 – 95, hier S. 593 f., S. 602 f.; Paul Schwartz, Der erste Kulturkampf in Preußen um Kirche und Schule (1788 – 1798) (= Monumenta Germaniae Paedagogica, 58), Berlin 1925, S. 45 f.; J. Schultze, Rosenkreuzer … (s. Anm. 748), S. 261 f.

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sind.752 Konservativismus im Religiçsen und agrarreformerische Programmatik mit der Forderung einer Abschaffung buerlicher Erbuntertnigkeit und gleicherer Bodenverteilung gehen nicht nur im Falle Woellners Hand in Hand. Ihm ging es letztlich um nichts anderes, als um die „Umgestaltung der gesamten lndlichen Gesellschaftsstruktur“.753 Ziel war Beschrnkung des Adels und die Wohlfahrt der Untertanen bei gesteigertem staatlichen Steuerungsanspruch im Sinne der Revolutionsprvention. Es spricht also vieles dafîr, daß wohl hinter seiner Aktivitt auch aus den rosenkreuzerischen Kontexten heraus durchaus ein Programm politischer Relevanz vermutet werden kann.754 So deutet dies – jedenfalls im preußischen Falle und insbesondere in demjenigen Woellners – auf eine Aktion als „Produkt der geistigen, politischen und sozialen Krise, die insbesondere den preußischen Staat seit den achtziger Jahren ergriff“,755 hin. Dieser personelle und personalpolitische Hintergrund ist schon bald nach dem Regierungsantritt zwar erahnt, auch çffentlich diskutiert, aber (notwendigerweise) mißverstanden und verzerrt kolportiert worden;756 andere Faktoren 752 Dazu etwa Hartmut Harnisch, Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchungen îber das ostelbische Preußen zwischen Sptfeudalismus und bîrgerlich-demokratischer Revolution von 1848/49 unter besonderer Berîcksichtigung der Provinz Brandenburg (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 19), Weimar 1984, S. 29, S. 31 f.; I. Mittenzwei, Preußen … (s. Anm. 705), S. 176 f.; H.-H. Mîller, Mrkische Landwirtschaft vor den Agrarreformen … (s. Anm. 553), S. 124 ff., S. 193 Anm. 151; Woellner habe seine Reformforderungen auf den von ihm gefîhrten Gîtern praktisch durchgefîhrt. Woellner war nicht der einzige Reformschriftsteller mit theologischem Hintergrund, vgl. etwa Wolfgang Neugebauer, Johann Peter Sîßmilch, in: Gerd Heinrich (Hg.), Berlinische Lebensbilder. Theologen (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60), Berlin 1990, S. 183 – 200, hier S. 191. 753 So K.-U. Hollnder, Der Aufstieg Woellners … (s. Anm. 748), S. 252. 754 Bei R. D. Geffarth, Religion … (s. Anm. 749), S. 152, eine Tendenz zur Entpolitisierung des rosenkreuzerischen Programms. 755 Horst Mçller, Die Gold- und Rosenkreuzer. Struktur, Zielsetzung und Wirkung einer anti-aufklrerischen Geheimgesellschaft, in: Peter Christian Ludz (Hg.), Geheime Gesellschaften (= Wolfenbîtteler Studien zur Aufklrung, 5, 1), Heidelberg 1979, S. 153 – 202, Zitat: S. 171; ein Beleg dafîr, daß im Kreise der Rosenkreuzer dem Religionsedikt von 1788 ein antirevolutionrer Sinn gegeben wurde, bei J. Schultze, Die Rosenkreuzer … (s. Anm. 748), S. 262; spteres intimes Zeugnis bei Georg Hoffmann, Hermann Daniel Hermes, der Gînstling Wçllners (1731 – 1807). Ein Lebensbild, Breslau 1914, S. 131; im weiteren Sinne Fritz Valjavec, Die Entstehung der politischen Strçmungen in Deutschland 1770 – 1815, unvernd. Nachdr. d. Erstausg. 1951, mit einem Nachwort von Jçrn Garber (= Athenum-Droste Taschenbîcher, Geschichte), Kronberg im Taunus/Dîsseldorf 21978, S. 286, S. 374 ff. 756 Ein frîher, bemerkenswert informierter Diskussionsbeitrag liegt in der in Anm. 741 nachgewiesenen Schrift Adrian Heinrich von Borckes vor; zur Beziehung zur Wilhelmine En(c)ke zusammenfassend Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 2: Dynastie in skularem Wandel von 1740 bis in das 20. Jahrhundert, Stuttgart 2003, S. 59, und das Material S. 206 ebda. zu anderen Frauenbeziehungen Friedrich Wilhelms II.;

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kamen hinzu, die alsbald nach Regierungsantritt das „Image“ des neuen Kçnigs belasteten, wie etwa Nachrichten und ausbaufhige Gerîchte îber außereheliche Frauenbeziehungen. Die beiden dynastischen Ehen Friedrich Wilhelms sind trotz reichlichen Kindersegens nicht glîcklich verlaufen, die erste mit Elisabeth von Braunschweig mußte 1769 geschieden werden, die zweite mit FriederikeLuise von Hessen-Darmstadt blieb pro forma bestehen, und aus ihr ging auch der 1770 geborene Thronfolger Friedrich Wilhelm (III.) hervor. Zwei morganatische Ehen, und nicht nur diese, traten in diesen Jahren hinzu,757 doch hat der Kçnig auch gegenîber Versuchen politischer Einflußnahme aus der weiblichen Kulisse strikt die Autonomie monarchischer Entscheidungskompetenz bewahrt. Es gab Gerede und publizistische Andeutungen – das alles eigentlich nicht zum Vorteil von Kçnig und Monarchie. Der Hof des Kçnigs, der nun wieder mehr in Berlin sein Zentrum fand, aber auch gerne das eine knappe Wegstunde entfernte Charlottenburg nutzte, wurde sichtbarer, prchtiger, auch kostspieliger. Der kulturelle Aufbruch in der Berliner Bîrgerstadt ist vom relativen Neubeginn auf der Berliner Spreeinsel mit dem Stadtschloß als Zentrum nicht zu trennen. Erdmannsdorff, Gontard, Schadow und Langhans arbeiteten in der Residenzlandschaft um Berlin. Allein die bei Umbauten im Berliner Schloß verwandten Summen – die îberlieferten 660.000 Taler der Jahre 1787 bis 1791 geben bei unregelmßig werdender Rechnungsfîhrung wohl keineswegs ein vollstndiges Bild – erreichten Grçßenordnungen, die unter den zwei Vorgngern Friedrich Wilhelms II. wohl unvorstellbar gewesen wren. Es war die Zeit des klassischen Berlin; der Klassizismus begann zwar nicht schlagartig-revolutionr aber doch nach und nach ein neues Element in die nachfriderizianische Epoche einzubringen.758 Mit Schadow trat „der erste in Berlin geborene Kînstler von internationalem Rang“ in dieser Epoche hervor und prgte eine von auslndischen, zumal franzçsischen Vorbildern unabhngige Kunstsprache (Bçrsch-Supan). Kçnig und Hof ermçglichten neue Akzente auf dem Felde von Musik, Oper und Theater – mit abweichenden Daten D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 184; zur frîhen Diskussion îber den Regierungsstil des Kçnigs vgl. Wolfgang Neugebauer, Kabinett und §ffentlichkeit um 1800. Der Fall Potsdam-Berlin, in: Iwan D’Aprile / Martin Disselkamp / Claudia Sedlarz (Hg.), Tableau de Berlin. Beitrge zur „Berliner Klassik“ (1786 – 1815) (= Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800, 10), Hannover/Laatzen 2005, S. 19 – 33, hier S. 27 f. 757 So G. Heinrich, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 743), S. 26 (Julie von Voß-Buch; Grfin Sophie Juliane Dçnhoff ). 758 Gute Beobachtungen bei A. H. von Borcke, Geheime Briefe … (s. Anm. 741), S. 27, S. 44, S. 79, u. passim; Hof: Erich Bleich, Der Hof des Kçnigs Friedrich Wilhelm II. und des Kçnigs Friedrich Wilhelms III. … (= Geschichte des Preußischen Hofes, 3, Tl. 1), Berlin 1914, S. 72 – 82, Feste und Musik S. 87 – 90, S. 97 – 103; grundlegend A. Geyer, Schloß … (s. Anm. 383), 2, Textband S. 35 – 46; W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 756), 2, S. 60.

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kostspieliges und wirksames Mzenatentum mit sowohl kunst- als auch sozialgeschichtlichen Effekten. Mozarts Freimaurer-Oper, die „Zauberflçte“, wurde in Berlin schon 1794 aufgefîhrt; der Komponist musizierte anlßlich seines Besuchs im Jahre 1789 mit dem Kçnig in Berlin und Potsdam, auch schrieb er mehrere Stîcke fîr eine Prinzessin des Hauses. Der Kçnig hat Mozarts Witwe spter finanziell unterstîtzt.759 Das war die glnzende Seite dieser Epoche, aber Zeitgenossen beobachteten Indizien nachlassender Autokratie und vor allem eine im ganzen desastrçse Finanzpolitik. Immerhin: Erste Maßnahmen besttigten das gînstige und populre Anfangsbild. Die Aufhebung der allgemein sehr unbeliebten Sonderverwaltung fîr (indirekte) Steuern, die von franzçsischem Personal administrierte Regie,760 wurde begrîßt. Einige der drîckenden Warenmonopole wurden aufgehoben. Auf Vorschlag Woellners sollte die Entwicklung der (spt-)friderizianischen Zeit, in der die Zentralkollegien immer mehr in je fîr sich stehende Sonderadministrationen aufgelçst worden waren, durch Wiederherstellung des Kollegialittsprinzips auf der obersten Instanzenebene revidiert werden. Dies bedeutete die potentielle Rîckkehr zur Gesamtheit des 1722/23 geschaffenen Generaldirektoriums, und es ist interessant zu hçren, daß Woellner dabei sehr bewußt an die Traditionen jenes Friedrich Wilhelms I. anknîpfte,761 von dessen pietistisch-glaubensstrengem Regiment wir frîher gehçrt haben.762 Freilich, diese Rîckkehr zur Tradition der Zeit vor 1740 wurde denn doch nicht mit voller Konsequenz durchgefîhrt, sehr bald stellte sich heraus, daß die komplexen Aufgaben des ja inzwischen ungleich grçßeren Staats im kollegialen Geschftsstil, gleichsam in pleno, nicht mehr sinnvoll und effektiv bearbeitet werden konnten, Lehren, aus denen dann im Jahre 1798 administrativ-organisatorische Konsequenzen im Sinne erneut eingeschrnkter Kollegialitt gezogen werden sollten. Andere Maßnahmen standen bald nach Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. in einem Spannungsverhltnis zu dem Programm der 759 Kunstgeschichtliches Standardwerk: Helmut Bçrsch-Supan, Die Kunst in Brandenburg-Preußen. Ihre Geschichte von der Renaissance bis zum Biedermeier dargestellt am Kunstbesitz der Berliner Schlçsser, Berlin 1980, S. 173 ff., bes. S. 176; vgl. D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 193 ff. 760 Vgl. z. B. Rudolf Rçseler, Handels- und Gewerbepolitik Preußens zur Zeit Friedrich Wilhelms II. (1786 – 1797), phil. Diss. Marburg 1935, S. 13 f., auch zu den neuen Provinzial-Akzise- und Zolldirektionen; wichtig H. Hîffer, Lombard … (s. Anm. 434), S. 61 f., Edith Ruppel-Kuhfuss, Das Generaldirektorium unter Friedrich Wilhelm II. mit Berîcksichtigung der interimistischen Instruktion von 1798 (= Berliner Studien zur neueren Geschichte, 2), Wîrzburg/Aumîhle 1937, S. 18; zum Folgenden S. 77 f., S. 142; die Quelle bei M. Philippson, Geschichte … (s. Anm. 725), 2, Leipzig 1882, S. 307 – 357 (Instruktion fîr das Generaldirektorium vom 28. September 1786), bes. S. 308, S. 311, S. 313 f.; M. Kohnke, Generaldirektorium … (s. Anm. 456), S. 61. 761 Vgl. oben bei Anm. 455 – 462. 762 Vgl. oben § 6 und § 7, bes. Anm. 408 – 417.

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Rîckkehr zu den îberschaubareren Regierungsverhltnissen der Jahrzehnte vor 1740. Die Grîndung des Oberkriegskollegiums im Jahre 1787 entsprach gewiß dem Bedîrfnis, fîr das so wichtige Feld des Militrs eine – auch rumlich vom Generaldirektorium – separierte Oberinstanz zu schaffen; im Vorfeld der militradministrativen Neuerungen von 1786 und 1787 ist der beratende Einfluß Woellners wiederum nachweisbar. Aber die Abgrenzung der Zustndigkeiten und die Koordination von Generaldirektorium und Oberkriegskollegium blieb ein Dauerproblem.763 Die notwendige Weiterentwicklung von Fachressorts stand quer zum Programm einer Rîckkehr zu den Traditionen Preußens vor 1740. Und auf einem fîr den altpreußischen Staat fundamentalen Felde wurden die unter Friedrich Wilhelm II. propagierten Traditionen nicht aufgenommen, sondern aufgegeben: dem Felde der Finanzen und ihrer Verwaltung. Gewiß haben die politischen und die militrischen Belastungen Preußens, wie sie vor allem seit 1792/93 in West- und Ostmitteleuropa auftraten, den finanziellen Status des Staats mitbestimmt. Aber die volle Erklrung ist das nicht. Denn die Entwicklung etwa des Finanzbedarfs, die der Hof und sein Kulturkonsum beziehungsweise seine – positiver gewendet – Kulturpolitik mit sich brachten, ist davon unabhngig. Unter Friedrich Wilhelm II. soll der jhrliche Finanzbedarf des Hofes zwei Millionen Taler betragen haben, rund ein Achtel des ganzen Etats.764 Nach Aussage der erhaltenen Hofstaatskassenetats lag die Vergleichszahl in der Sptzeit Friedrichs II. etwa bei einem Siebentel. Da die Kassenfîhrung, die schon kurz vor 1786 gewisse Alterschwchen aufwies, nach dem Regierungswechsel gerade im Umfeld des Hofes altpreußischen Standards nicht mehr genîgte, dîrften die tatschlichen Abflîsse noch um einiges grçßer gewesen sein. Der preußische Staatsschatz betrug beim Tode des großen Kçnigs gut 51 Millionen Taler, auch deshalb, weil er in den letzten Regierungsjahren aus seiner „Dispositionskasse“ je drei Millionen Taler in den „Tresor“ gelegt hatte. Dieser Staatsschatz war aus innen- und außenpolitischen Grînden 1794/5 aufgebraucht, und es begann stattdessen die Staatsschuld zu wachsen, und zwar 763 Rudolf Schmidt-Bîckeburg, Das Militrkabinett der preußischen Kçnige und deutschen Kaiser. Seine geschichtliche Entwicklung und staatsrechliche Stellung 1787 – 1918, Berlin 1933, S. 4 f., S. 7, S. 9; H. Hîffer, Lombard … (s. Anm. 434), S. 61 f.; H. Helfritz, Heeresverwaltung … (s. Anm. 500), S. 147 f.; C(olmar) Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 236; E. Ruppel-Kuhfuss, Das Generaldirektorium … (s. Anm. 761), S. 131 f.; Quelle: N. C. C. M., 10, Berlin 1801, Nr. 116 zu 1796, Sp. 745 – 748 (Reskript vom 21. November 1796). 764 Die preußische Finanzgeschichte der frîhen Neuzeit leidet an einem ungenîgenden Forschungsstand; mit diesem Vorbehalt: F. Schneider, Staatswirtschaft … (s. Anm. 467), S. 118; zu den Anstzen nach 1763 auf der Basis von GStAPK I. HA, Rep. 36: Wolfgang Neugebauer, Hof und politisches System in Brandenburg-Preußen: Das 18. Jahrhundert, in: JbGMitteldtld 46 (2000), S. 139 – 169, hier S. 153; vgl. oben bei Anm. 758.

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bis 1797 auf 48 Millionen Taler.765 Die mildere çkonomische Verwaltungspraxis766 unter Friedrich Wilhelm II. wirkte sich aus. Aber es kam etwas hinzu, was ein weiteres Schlaglicht auf Spezifika der Regierungsfîhrung in der øra nach 1786 wirft: Aus der kçniglichen „Dispositionskasse“, die bis dahin nicht fîr Hof- sondern fîr spezielle Staatszwecke herangezogen wurde, wurden nunmehr in relevantem Umfang Kosten des persçnlichen kçniglichen Bedarfs und des Hofs bestritten. Johann Christoph Woellner hatte unter dem neuen Monarchen die Leitung der Dispositionskasse îbernommen, eine Personalentscheidung Friedrich Wilhelms II., die sich als wenig glîcklich erwiesen hat.767 Die monarchische Autokratie nahm jedenfalls nach 1786 tendenziell ab, der Einfluß der persçnlichen Umgebung und der Minister nahm zu, wenngleich sich das Gewicht letzterer durch (Ressort-)Rivalitten wieder neutralisierte. Verschiedene Parteien rangen um das Ohr des Kçnigs. Nicht der Wille zur Selbstherrschaft fehlte, und auch an mangelnder Arbeitsfhigkeit Friedrich Wilhelms II. hat es nicht gelegen, wenn die Berechenbarkeit des Kurses nicht eben zunahm.768 Vor allen Dingen die außenpolitischen Materien wollte sich der Kçnig vorbehalten, und er tendierte dazu, in Verhandlungen ganz unmittelbar einzugreifen. Der Anspruch des Kçnigs, die Zîgel in der Hand zu haben und in der Hand zu behalten, war stets lebendig, wenn auch in seinen spten Lebensjahren in der Realitt die Wirkungen kçrperlichen Verfalls hindernde

765 Albert Naud¤, Der preußische Staatsschatz unter Kçnig Friedrich Wilhelm II. und seine Erschçpfung. Beitrge zur preußischen Finanzgeschichte im 18. Jahrhundert, Teil 1, in: ForschBrandPrG 5 (1892), S. 203 – 256, hier S. 216, S. 221; vgl. G. Schmoller, Finanzpolitik … (s. Anm. 183), S. 174 f., S. 188, mit z. T. von Naud¤ korrigierten Zahlen; F. Schneider, Staatswirtschaft … (s. Anm. 467), S. 125 f.; zum Finanzgebaren Friedrich Wilhelms II. siehe Leo Hellwig, Schulenburg-Kehnert unter Friedrich Wilhelm III. (1798 – 1806) (= Historische Studien, 294), Berlin 1936, S. 13 f., S. 57 f.; vgl. F. W. Henning, Thesaurierungspolitik … (s. Anm. 466), S. 124 f. 766 So zum allgemeinen Hintergrund K. H. Kaufhold, Staatswirtschaft … (s. Anm. 241), S. 59 f. 767 A. Naud¤, Staatsschatz … (s. Anm. 765), S. 225; diese Kosten htten Schatulle oder Hofstaatskasse decken mîssen; Woellner: S. 226 f. 768 R. Rçseler, Handels- und Gewerbepolitik … (s. Anm. 760), S. 6 f.; fîr die Zeit seit den 1790er Jahren und der Amtszeit des Ministers Struensee: Rolf Straubel, Carl August von Struensee. Preußische Wirtschafts- und Finanzpolitik im ministeriellen Krftespiel (1786 – 1804/6) (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte), Potsdam (1999), S. 64; interessante Quellenmitteilungen bei Reinhold Koser, Aus dem ersten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms II. Berichte des kurbraunschweigischen Gesandten von Beulwitz, in: ForschBrandPrG 4 (1891), S. 271 – 283, hier S. 597 f. (14. Oktober 1786), dort auch: „Man spîret jetzo … eine gewisse Unentschlossenheit in Sachen, die von Wichtigkeit sind.“; mit etwas anderen Akzenten D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 184.

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Effekte zeitigten.769 So wurden die verschiedenen Einflußgewichte jeweils neu verteilt. Kçnig und Kabinett verloren graduell an Bedeutung in einer Polyphonie der Krfte. Der mîndliche Sachvortrag der Kabinettssekretre kam unter Friedrich Wilhelm langsam außer Gebrauch. Die Generaladjutanten, eigentlich keine neue Einrichtung dieser Epoche, gewannen seit 1787 nun auch politisches Gewicht. Einzelne, besonderen Einfluß besitzende Minister wie der Kabinettsminister Haugwitz und dann eben die neuen Mnner, Woellner und Bischoffwerder – letzterer dann im Adjutantenrang – spielten gerade bis in die Mitte der neunziger Jahre eine wichtige Rolle.770 Es ist ein vielfach bezeugtes und fîr sich sprechendes Detail, daß Woellner selbst Kabinettsordern entworfen hat; Mitglied des Kabinetts-Stabs war er nicht. Aber gerade in den Jahren bis 1794 reichte sein Einfluß auf den Feldern der Innenpolitik weit. Whrend Bischoffwerder in der Folgezeit mit außen- und militrpolitischer Expertise dem Kçnig zur Seite stand, hat Woellner, der schon in den letzten Lebensmonaten Friedrichs des Großen an Vorbereitungen zur Regierungsîbernahme Friedrich Wilhelms massiv beteiligt war, in erheblichem Umfang personalpolitische Entscheidungen im allgemeinen Verwaltungs- und im Finanzfach vorbereitet, und in einem Falle ist nachgewiesen worden, daß er einen preußischen Minister geradezu gemacht hat, zwei Jahre bevor er selbst einer wurde. Es steht fest, daß in der personalpolitischen Umgruppierung, die nach dem Regierungsantritt des neuen Herrschers in der preußischen Zentralverwaltung stattfand, Angehçrige des Rosenkreuzerordens deutlich protegiert wurden, freilich auch bewhrtes Personal ohne diesen Hintergrund Chancen bekam. Aber nicht nur in die Personalpolitik unterschiedlicher Ressorts hat er interveniert, sondern auch in deren Arbeit selbst.771 Darîberhinaus gibt es in den Akten auffllige Indizien fîr spektakulre Reformdiskussionen auf hçchster Ebene, die Wesentliches von dem vorwegnehmen, was dann nach 1806/7 Reformpolitik wurde und ganz auf der Linie der Woellnerschen Agrar-Sozialreformprogrammatik lag, aber nach 1786 noch am Widerstand der alten Amts769 Vgl. den immer noch unverzichtbaren Beitrag von Reinhold Koser, Die preußische Politik von 1786 bis 1806, zuerst 1906, wieder in: Ders., Zur preußischen und deutschen Geschichte. Aufstze und Vortrge, Stuttgart/Berlin 1921, S. 202 – 268, hier S. 230, auch zur in spteren Jahren nachlassenden Arbeitskraft des Kçnigs; gut auch dazu (und îber den engeren Untersuchungsgegenstand hinausfîhrend) R. Rçseler, Handels- und Gewerbepolitik … (s. Anm. 760), S. 7. 770 So vorlufig die klassische ltere Studie von H. Hîffer, Lombard … (s. Anm. 434), S. 184 f.; Generaladjutanten: vor allem R. Schmidt-Bîckeburg, Militrkabinett … (s. Anm. 763), S. 1 – 9 (Kçckritz, Zastrow, Kleist); vgl. die sptere Kritik Gneisenaus: G(eorg) H(einrich) Pertz, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau, 1, Berlin 1864, S. 506 f.; das Folgende: R. Straubel, Struensee … (s. Anm. 768), S. 60; und R. Rçseler, Handels- und Gewerbepolitik … (s. Anm. 760), S. 7. 771 Siehe R. Straubel, Struensee … (s. Anm. 768), S. 56 – 60.

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eliten des preußischen Staats scheiterte. Damals ging es Friedrich Wilhelm II. um nichts anderes als um die Freigabe des Gîtermarktes, den er kînftig so gestalten wollte, daß auch fîr „Bîrgerliche“ „adliche Land-Gîther“ zu kaufen sein sollten. Dies sei – so der Kçnig – „nothwendig“ fîr „die Aufnahme der Landwirthschaft“. Friedrich Wilhelm II. setzte sich jedoch nicht durch.772 Auch in der Staatspraxis nach 1786 lagen reformprogrammatische Impulse und antiaufklrerische Offensiven im Gemenge. Denn zugleich wurde nun daran gegangen, mit dem Minister von Zedlitz einen ausgesprochenen Reprsentanten der Aufklrung im geistlichen und im Justizfach zu verdrngen. Er wurde nach massiven Angriffen Woellners, der die Frage als Ordensangelegenheit darstellte, im Jahre 1788 erst als Minister des lutherischen Geistlichen Departements und im Jahre darauf auch als Justizminister gestîrzt.773 Woellner selbst trat statt Zedlitz als Minister in das Geistliche Departement ein. Nun, zwei Jahre nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II., erfolgten jene Maßnahmen vor allem auf religionspolitischem Felde, die im besonderen Maß mit dem Namen Woellners verbunden sind und die auf diesem Gebiet die Aufklrungstendenzen der vergangengen Epoche ein Stîck weit revidieren und eindmmen sollten.774 Freilich, so richtig es ist, daß Woellner sofort nach seiner Berufung zum Minister die Religionspolitik krftig – und im Kontakt mit seinen Ordensoberen – in die Hand nahm, so hat doch die Forschung, und zwar seit langem, mit guten Argumenten darauf aufmerksam gemacht, daß auch dabei der persçnliche Part des Kçnigs nicht minimiert werden 772 Nach Akten der kurmrkischen Lehnskanzlei (Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 78), erstmals 1995 mitgeteilt bei W. Neugebauer, Brandenburg … (s. Anm. 140), S. 380 f., auch zum Scheitern des Vorstoßes Friedrich Wilhelms II. am Einspruch des (aus westflischem Adel stammenden) Ministers von der Reck. 773 Vgl. J. Schultze, Rosenkreuzer … (s. Anm. 748), S. 261; P. Schwartz, Kulturkampf … (s. Anm. 751), S. 53; zu Angriffen Woellners gegen Zedlitz bei seinen PrinzenVortrgen seit 1784 vgl. J. D. E. Preuss, Woellner … (s. Anm. 751), S. 603, zum Folgenden S. 577 – 586; wichtige ltere Quellenstudie: Conrad Rethwisch, Der Staatsminister Freiherr von Zedlitz und Preußens hçheres Schulwesen im Zeitalter Friedrichs des Großen, 2., verm. Aufl., Straßburg 1886, S. 207 f.; sodann Peter Mainka, Karl Abraham von Zedlitz und Leipe (1731 – 1793). Ein schlesischer Adliger in Diensten Friedrichs II. und Friedrich Wilhelms II. von Preußen (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 8), Berlin 1995, S. 608 – 612, S. 621 ff. 774 Grundstzlich Gînter Birtsch, Revolutionsfurcht in Preußen 1789 bis 1794, in: Otto Bîsch / Monika Neugebauer-Wçlk (Hg.), Preussen und die revolutionre Herausforderung seit 1789. Ergebnisse einer Konferenz (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 78), Berlin/New York 1991, S. 87 – 101, hier S. 88 f.; Henri Brunschwig, Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert. Die Krise des preußischen Staates am Ende des 18. Jahrhunderts und die Entstehung der romantischen Mentalitt, dt. Ausgabe: Frankfurt am Main 1975, S. 187 – 287.

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darf.775 Auf jeden Fall wurde nun auf dem Felde der Religionspolitik mit der friderzianischen Tradition gebrochen, eigentlich nur auf diesem Felde, wie mit Otto Hintze hinzugefîgt werden mag.776 Zentrales Dokument ist das berîhmte „Edict“ vom 9. Juli 1788 „die Religions-Verfassung in den Preußischen Staaten betreffend“. In ihm wird ausgesprochen, daß Friedrich Wilhelm schon „einige Jahre vor Unserer Thronbesteigung mit Leidwesen bemerkt“ habe, „daß manche Geistliche der Protestantischen Kirche sich ganz zîgellose Freyheiten, in Absicht des Lehrbegriffs ihrer Confession, erlauben; verschiedene wesentliche Stîcke und Grundwahrheiten der Protestantischen Kirche und der Christlichen Religion îberhaupt weglugnen, und in ihrer Lehrart einen Modethon annehmen, der dem Geiste des wahren Christentums vçllig zuwider ist, und die Grundsulen des Glaubens der Christen am Ende wankend machen wîrde. Man entblçdet sich nicht, die elenden, lngst widerlegten Irrthîmer der Socinianer, Deisten, Naturalisten und anderer Secten mehr wiederum aufzuwrmen, und solche mit vieler Dreistigkeit und Unverschmtheit durch den usserst gemißbrauchten Namen: Aufklrung, unter das Volk auszubreiten; das Ansehen der Bibel, als des geoffenbarten Wortes Gottes, immer mehr herabzuwîrdigen, und diese gçttliche Urkunde der Wohlfahrt des Menschen-Geschlechtes zu verflschen, zu verdrehen, oder gar wegzuwerfen“.777 Und weiter: „Als Landesherr und als alleiniger Gesetzgeber in Unseren Staaten befehlen und verordnen Wir also, daß hinfîhro kein Geistlicher, Prediger oder Schullehrer der protestantischen Religion bey unausbleiblicher Cassation und nach Befinden noch hrterer Strafe und Ahndung, sich der im vorigen § […] angezeigten oder noch mehrerer Irrtîmer insofern schuldig machen soll, daß er solche Irrthîmer bey der Fîhrung seines Amtes oder auf andere Weise çffentlich oder heimlich auszubreiten sich unterfange.“ Nur solche Personen sollten fortan zu entsprechenden Stellen zugelassen werden, an deren richtiger ˜berzeugung nicht zu zweifeln sei. Zwei Punkte sind in diesem Kontext festzuhalten: Zum einen stieß dieses Edikt in Deutschland auf großes Aufsehen, wobei anfangs îberraschend positive Tçne zu hçren waren; erst nach und nach îberwog die Kritik. Zudem gab es zu diesem preußischen Dokument politischer und religionspolitischer Stabilisie775 So schon P. Bailleu, Woellner … (s. Anm. 750), S. 149 ff.; siehe auch Klaus Epstein, Die Ursprînge des Konservativismus in Deutschland. Der Ausgangspunkt: Die Herausforderung durch die Franzçsische Revolution 1770 – 1806, dt. Ausgabe: Frankfurt am Main/Berlin 1973, S. 424 f.; P. Krause, Die ˜berforderung … (s. Anm. 723), S. 133: „Kirchen- und Zensurpolitik“ durch Friedrich Wilhelm II. „selbstndig“, z. T. sogar gegen Woellner vorangetrieben; vgl. J. Schultze, Die Rosenkreuzer … (s. Anm. 748), S. 262 f. 776 So O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 411 f. 777 Vgl. N. C. C. M. (s. Anm. 578), 8, Nr. 49 zu 1788, Zirkular vom 25. Juli 1788 und das Edikt vom 9. Juli 1788, Sp. 2175 – 2184, bes. Sp. 2179.

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rung ganz auffllige Parallelen in anderen deutschen Territorien.778 Zum anderen darf nicht îbersehen werden, daß die restriktiv gegen die Aufklrung gerichteten Passagen des Religionsediktes sich auf die Amtstrger der „protestantischen“, besser noch, auf diejenigen der lutherischen Konfession bezogen. Im gleichen Edikt wird aber ganz ausdrîcklich die Gleichstellung der „drey Haupt-Confessionen der Christlichen Religion, nehmlich die Reformierte, Lutherische und Rçmisch-Catholische“ proklamiert. „Daneben aber soll die den Preußischen Staaten von jeher eigenthîmlich gewesene Toleranz der îbrigen Secten und Religions-Partheyen, ferner aufrecht erhalten, und Niemanden der mindeste Gewissenszwang zu keiner Zeit angethan werden, so lange ein jeder ruhig als ein guter Bîrger des Staates seine Pflichten erfîllet, seine jedesmalige besondere Meynung aber fîr sich behalte“ und sie nicht etwa ausbreite.779 Mit dieser Einschrnkung war das Religionsedikt eben auch ein Toleranzpatent, das – mit Otto Hintze zu sprechen – „individuelle Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit aller Konfessionen“ mit umschloß. Auch insofern entzieht sich Zeit und Person Friedrich Wilhelms II. sowie diejenige Woellners allzu einfachen Einordnungen und Urteilen. Restaurative Intention und zukunftsoffene Strategie schlossen sich nicht aus, nicht vor und nicht nach 1789, als dann die Bestimmungen îber Zensur und Presse nach und nach verschrft worden sind.780 Seit etwa 1791 wurden politische Schriften 778 Fritz Valjavec, Das Woellnersche Religionsedikt und seine geschichtliche Bedeutung, in: Historisches Jahrbuch 72 (1953), S. 386 – 400, bes. S. 387 ff., S. 391, S. 393; Beispiel: Fritz Hartung, Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1775 – 1828 (= Carl August. Darstellungen und Briefe zur Geschichte des Weimarischen Fîrstenhauses und Landes, 2), Weimar 1923, S. 197, S. 201; Wolfgang Gericke, Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der brandenburgischen Herrscher bis zur preußischen Union 1540 bis 1815 (= Unio und Confessio, 6), Bielefeld 1977, S. 94; zuletzt aus kirchenrechtsgeschichtlicher Perspektive Georg Manten, Das Notbischofsrecht der preußischen Kçnige und die preußische Landeskriche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung. Unter besonderer Berîcksichtigung der Kirchenund Religionspolitik Friedrich Wilhelms II. (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 32), Berlin 2007, S. 340 – 385. 779 N. C. C. M. (s. Anm. 578), 8, Sp. 2176; folgendes Zitat: O. Hintze, Epochen des Kirchenregiments … (s. Anm. 54), S. 83, und vgl. Ders., Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 411 f.; Hermann Conrad, Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates (= Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin, 22), Berlin 1965, S. 24; und neuerdings K.-U. Hollnder, Aufstieg Woellners … (s. Anm. 748), S. 226; die ltere reduktionistische Perspektive bei P. Schwartz, Kulturkampf … (s. Anm. 751), S. 96 – 112. 780 Anfang: „Erneuertes Censur-Edict fîr die Preußischen Staaten“, 19. Dezember 1788, in: N. C. C. M. (s. Anm. 578), 8, Nr. 95 aus 1788, Sp. 2339 – 2350; das weitere zu finden îber: Repertorium Novi Corporis Consitutionum Prussico-Brandenburgensium Praccipue Marchicarum …, Berlin 1803, im Realrepertorium Sp. 56; zur Praxis vgl. Otto Tschirch, Geschichte der çffentlichen Meinung in Preußen vom Baseler Frieden bis

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genauer beobachtet, doch muß bedacht werden, daß der Import außerhalb Preußens gedruckter Bîcher und Pamphlete im 18. Jahrhundert noch keiner systematischen Grenzkontrolle unterworfen gewesen ist. Diese Religionspolitik stieß freilich von Anfang an auf Widerstand, auch und gerade bei den Organen, die in der altpreußischen Monarchie fîr dieses Fach zustndig waren, etwa auf den Widerstand der Rte des Oberkonsistoriums, in dem gerade Theologen der Aufklrungszeit – Spalding, Teller, Sack, auch Bîsching – den Ton angaben.781 Angesichts dieser Opposition gegen die kçnigliche Religions- und Kultuspolitik in den obersten Staatskollegien wurde dann ein Schachzug durchgefîhrt, indem besondere Gremien zur Exekution etwa des Religionsediktes eingesetzt wurden, vor allem 1791 die ImmediatExaminationskommission, die fîr die Prîfung von Kanditaten vor allem fîr das Predigtamt im Sinne der reinen Lehre zu sorgen hatte. Ihr wurden 12 entsprechende Kommissionen in den Provinzen untergeordnet. Aber nicht nur unter aufgeklrten, etwa „neologischen“ Theologen und Schulmnnern stieß die Politik Friedrich Wilhelms II. und Woellners auf Widerstand. Der Staatsrat hat sich alsbald gegen eine Verschrfung der Zensur ausgesprochen.782 ˜berhaupt darf nicht – etwa aus der Erfahrung jîngerer Jahrhunderte – von scharfen staatlichen Absichten auf durchschlagende staatliche Effekte geschlossen werden. Es gab einige spektakulre Flle angewandter Zensur, auch haben einige publizistische Organe auf Zeit Preußen verlassen. Enge Mitarbeiter Woellners haben die Grenzen ihrer Wirksamkeit in drastischen Formulierungen bezeugt.783 zum Zusammenbruch des Staates (1795 – 1806), 1, Weimar 1933, S. 4 f., S. 29 f., S. 190 f.; Ernst Consentius, Die Berliner Zeitungen whrend der franzçsischen Revolution. Mit Benutzung der Akten des Geheimen Staatsarchivs, in: PreussJbb 117 (1904), S. 449 – 488, hier S. 457, S. 480; Ursula E. Koch, Franzçsische Revolution und preußische Tagespublizistik 1789 am Beispiel der Berlinischen Nachrichten Von Staats- und gelehrten Sachen (gen. Haude- und Spenersche Leitung) sowie der Schlesischen privilegirten Zeitung (Breslau), in: O. Bîsch / M. Neugebauer-Wçlk (Hg.), Preußen … (s. Anm. 774), S. 213 – 266, bes. S. 226 ff. 781 Vgl. Karl Heinrich Sack, Urkundliche Verhandlungen betreffend die Einfîhrung des preußischen Religionsediktes v. J. 1788, in: ZHistTheol 29 (1859), S. 3 – 48, hier S. 17 und die Quelle S. 19 – 22; vgl. P. Schwartz, Kulturkampf … (s. Anm. 779), S. 112 ff.; und J. D. E. Preuss, Zur Beurtheilung Woellners … (s. Anm. 773), S. 764, das Folgende S. 766; W. Neugebauer, Bîsching … (s. Anm. 474), passim; A. Stçlzel, Carl Gottlieb Svarez … (s. Anm. 724), S. 255 f.; H. v. Mîhler, Kirchenverfassung … (s. Anm. 54), S. 278. 782 P. Krause, Die ˜berforderung … (s. Anm. 723), S. 169. 783 Detaillierter: Wolfgang Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in 1 dieses Handbuchs, S. 656; Fallbeispiel: W. Grab, Leichenpredigt … (s. Anm. 741), S. 146 f.; Grenzen: Beispiel G. Hoffmann, Hermes … (s. Anm. 755), S. 110, S. 120, vgl. auch S. 74, S. 79; H. Brunschwig, Gesellschaft … (s. Anm. 774), S. 273 f.; Klage îber Wirkungsgrenzen: C(olmar) Grînhagen, Der Kampf gegen „die Aufklrung“ unter Friedrich Wilhelm II. mit besonderer Rîcksicht auf

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Zwei Faktoren standen gegen den Erfolg und die Dominanz der rosenkreuzerisch-inspirierten Politik Woellners: Zum einen war seit etwa 1794 klar, daß Woellner auch unter den Bedingungen des altpreußischen „Absolutismus“ nicht in der Lage war, auf die untere Ebene durchgreifender zu wirken. Jedenfalls steht fest, daß Woellner seine persçnlichen politischen Ziele nicht durchsetzte und daß er seit 1794 bei Friedrich Wilhelm II. an Ansehen verlor, weil er – aus der Sicht des Kçnigs – gegen die Aufklrer nicht genug erreicht hatte. Auch dies beleuchtet die Rolle des Kçnigs fîr die antiaufklrerisch-revolutionsprventive Strategie im Preußen dieser Zeit.784 Bischoffwerder behielt, davon unabhngig, auf seinem insbesondere außenpolitischen Terrain seine Position. Zum anderen verlor die Faszination der arkanen Verheißungen an Kraft, als nach 1786 nicht nur erhoffte Wirkungen ausblieben, sondern als çffentlich – gleichsam in einer Art Enthîllungsliteratur – Zweifel an einer erweiterten Basis politischer Praxis auf der Grundlage hermetischen Wissens formuliert wurden.785 Die Entzauberung des politischen Geheimnisses setzte der Wirkung der Rosenkreuzer schon Grenzen in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. Unter seinem Nachfolger wurde die Woellnersche Kultuspolitik, ohne daß das Religionsedikt fçrmlich aufgehoben wurde, unter Vermeidung von Aufsehen abgebaut, und Woellner wurde alsbald entlassen. Die neuere rechtsgeschichtliche Forschung hat diese Befunde aus ihrer Sicht heraus besttigt. Zurzeit und im Umfeld der Suspendierung des Allgemeinen Gesetzbuches sei von einer Abhngigkeit Friedrich Wilhelms II. von den Rosenkreuzern schon nicht mehr zu sprechen (Finkenauer). Auf den Protest der Stnde als ein Faktor fîr die Suspendierung wurde schon oben hingewiesen,786 andere Einflîsse, auch solche, die als Reaktionen auf die Unruhen im Westen und Osten Preußens verstanden werden dîrfen, treten hinzu. Gerade Woellner und Bischoffwerder sind nicht als Gegner des Kodifikationswerkes anzusehen.787

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Schlesien, in: Zeitschrift des Vereins fîr Geschichte und Altertum Schlesiens 27 (1893), S. 1 – 27, Zitat Hilmer S. 23; H. Mçller, Gold- und Rosenkreuzer … (s. Anm. 755), S. 176, S. 199 Anm. 109 – dies alles exemplarisch; selbst Paul Schwartz, der eine traditionelle Interpretation Woellners und seiner Zeit vertrat, hat nur eine sehr kleine Zahl von „Opfern“ Woellners namhaft gemacht: Paul Schwartz, Die beiden Opfer … (s. Anm. 474), hier S. 103 – auch wenn sich die Zahl der Flle um ein weniges vermehren ließe. D. Kemper, Obskurantismus … (s. Anm. 751), S. 213. Vgl. M. Neugebauer-Wçlk, Arkanwelten … (s. Anm. 747), S. 57 ff.; vgl. auch Th. Finkenauer, Vom Allgemeinen Gesetzbuch … (s. Anm. 744), S. 70 f.; G. Heinrich, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 743), S. 28. Vgl. oben bei Anm. 725 – 727; hier: Th. Finkenauer, Vom Allgemeinen Gesetzbuch … (s. Anm. 744), S. 68 f., S. 71: Selbstndigkeit des Handelns Friedrich Wilhelms II., wobei freilich persçnliche Einflîsse hervorgehoben werden; Suspendierung: S. 43, anders S. 44, S. 196, zum Folgenden S. 72 f., Vermutungen: S. 75 f. P. Krause, Die ˜berforderung … (s. Anm. 723), S. 132, S. 134; vgl. Anm. 786; die beiden jîngsten, ausfîhrlichen Quellenstudien von Krause und Finkenauer widerspre-

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Das Allgemeine Landrecht fîr die preußischen „Staaten“ von 1794 hat zunchst, trotz seiner starken sozialkonservativen Prgung,788 Unruhe im Lande geschîrt. Aus heutiger Kenntnis wird die zeitgençssische Diskussion um Revolution in Preußen, erst recht die in Teilen der Fîhrungsgruppen grassierende „geheime Revolutionsfurcht“ (v. d. Goltz), fast befremden.789 Soziale Unruhe nahm in Regionen wie Schlesien nach dem Siebenjhrigen Krieg zu, Streiks und Militreinsatz waren nicht mehr ausgeschlossen. Diese Bewegungen wurden nun stimuliert durch die Nachrichten aus Frankreich, ein Vorbild, auf das man sich bisweilen ausdrîcklich berief.790 Die Verkîndung des Allgemeinen Landrechts hat in Schlesien – und nicht nur dort – die Stimmung weiter angeheizt. In mehreren Dutzend Dçrfern haben Bauern, die sich das neue Gesetzbuch sofort gekauft hatten, daraus fîr sich Rechte abgeleitet und Dienste verweigert; auch bei Unruhen des Jahres 1796 haben sie sich erneut auf das Allgemeine Landrecht berufen.791 Bei Bauernunruhen in der westelbischen Altmark, einer Region mit besonders massivem Adelsbesitz, war ein auslçsendes Moment, daß Gerîchte in Umlauf kamen, nach denen die Aufhebung der Naturaldienste 1794 unmittelbar bevorstînde, und dabei wurde wiederum mit dem ALR argu788

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chen sich in der Gewichtung der Faktoren; sie geben noch kein gesichertes und einheitliches Bild. Zuletzt Th. Finkenauer, Vom Allgemeinen Gesetzbuch … (s. Anm. 744), S. 47; Klassiker: Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (= Industrielle Welt, 7), Stuttgart 21975, S. 53 zur „Doppelseitigkeit des Landrechts“, S. 64 ff., S. 70, S. 72 ff.; zum neueren Forschungsstand vgl. Peter Landau, Neue Forschungen zum Preußischen Allgemeinen Landrecht, in: Arch§ffR 118 (1993), S. 447 – 463, zum Rechtsstaatsproblem S. 448 f.; Stndestrukturen: S. 458. Vgl. oben bei und mit Anm. 742; vgl. noch z. B. C. Frhr. v. d. Goltz, von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 512. Nach wie vor grundlegend J. Ziekursch, Hundert Jahre … (s. Anm. 557), S. 191 f., S. 226 ff., S. 231 – 239, S. 393 – 400, u. ç.; Peter Baumgart, Vergleichende Aspekte der habsburgischen und friderizianischen Bauernschutzpolitik in Schlesien (ca. 1742 – 1790), in: Hans-Jîrgen Gerhard (Hg.), Struktur und Dimension. Festschrift fîr Karl Heinrich Kaufhold zum 65. Geburtstag, 1, Stuttgart 1997, S. 256 – 273, bes. S. 270; vgl. WacŁaw DŁugoborski, Die Klassenkmpfe in Schlesien in den Jahren 1793 – 1799, in: Ewa Maleczynˇska (Red.), Beitrge zur Geschichte Schlesiens, Berlin 1958, S. 401 – 442, hier S. 419 ff., stark nach Ziekursch: S. 417 ff., S. 422 ff., ferner S. 437 ff.; Breslau: S. 423 ff., S. 442: „[…] Schlesien als die revolutionrste Provinz des preußischen Staates […]“; Wilhelm Lîdtke, Friedrich Wilhelm II. und die revolutionre Propaganda (1789 – 1791), in: ForschBrandPrG 44 (1932), S. 70 – 83, hier S. 77 f., auch zum polnischen Vorbild. W. DŁugoborski, Klassenkmpfe … (s. Anm. 790), S. 431; R. Koselleck, Preußen … (s. Anm. 788), S. 136 f., der auch auf die Kurmark und Ostpreußen verweist; wichtig: Horst Mçller, Primat der Außenpolitik. Preußen und die Franzçsische Revolution 1789 – 1795, in: Jîrgen Voss (Hg.), Deutschland und die Franzçsische Revolution (= Beihefte der Francia, 12), Mînchen 1983, S. 65 – 81, S. 74; und J. Ziekursch, Hundert Jahre … (s. Anm. 557), S. 236 f., S. 241.

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mentiert.792 Bauernunruhen waren in der Mark Brandenburg der frîhen Neuzeit an sich eher eine Seltenheit.793 In der Summe lßt sich feststellen, daß diese in Schlesien regionalen, sonst eher lokalen Unruhen, die sich in einer Kontinuitt in die Zeit vor 1789 darstellen, im lndlichen Bereich durch die Publikation des ALR einen zustzlichen Impuls empfingen. Staatsgefhrlich wurden sie nicht; ihre Stoßrichtung ging nicht gegen die Monarchie, sondern gegen lokale Gewalten. Neben Breslau wurden als Stdte vor allem Berlin und Halle an der Saale 1795 beziehungsweise 1805 von zum Teil schweren (Hunger-)Revolten erschîttert.794 Unruhen im Westen der Monarchie hielten sich im lokalen Rahmen. Neben den Einwirkungen des franzçsischen Vorbilds werden in Schlesien auch solche der nahen polnischen Staatsrevolution vereinzelt bezeugt.795 Es war noch sehr die Frage, ob die preußische Politik in revolutionrer Zeit tatschlich ihren Schwerpunkt im Westen bestimmte. Anfangs, in den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms II., mochte es so scheinen, als sei die Prioritt der Westpolitik gar nicht sehr ausgeprgt. Der aus dem Dienste Friedrichs des Großen îbernommene Kabinettsminister Ewald Friedrich Graf von Hertzberg befaßte sich mit utopisch-weitausgreifenden Tauschplnen, die die europische Landkarte von Polen, §sterreich und osmanischem Reich vçllig umgestaltet htten.796 Unter den verschiedenen, fîr die Außenpolitik zustndigen Kabi792 Daß schon M. Philippson, Geschichte … (s. Anm. 725), 2, S. 39, îber die altmrkischen Unruhen berichtet hat (zu Schlesien: S. 26 – 38, S. 40 ff.), wurde in der jîngeren Literatur bisweilen îbersehen; zur Altmark vgl. Meta Kohnke, Bauernunruhen in der Altmark im Sommer 1794, in: Jahrbuch fîr Regionalgeschichte 16, 2 (1989), S. 94 – 109, hier S. 95, S. 97 f., u. ç.; vgl. die zeitgençssischen Quellenmitteilungen im N. C. C. M. (s. Anm. 578), 9, Nr. 76 zu 1796 Sp. 2395 – 2406, bes. Sp. 2397. 793 Zusammenfassend aus marxistischer Sicht: Gînter Vogler, Probleme des buerlichen Klassenkampfes in der Mark Brandenburg im Sptfeudalismus, zuerst 1974, wieder in: I. Mittenzwei / K.-H. Noack (Hg.), Preußen … (s. Anm. 160), S. 102 – 122, hier S. 105, andere Formen sozialen Widerstands: S. 111 – 119. 794 Berlin: H. Schultz, Das ehrbare Handwerk … (s. Anm. 533), S. 128 f.; Hungerunruhen in und um Halle 1805: Gustav Friedrich Hertzberg, Geschichte der Stadt Halle an der Saale von den Anfngen bis zur Neuzeit. Nach den Quellen dargestellt, 3, Halle a. d. S. 1893, S. 315 – 321; zum Folgenden H. Mçller, Primat … (s. Anm. 791), S. 73; G. Birtsch, Revolutionsfurcht … (s. Anm. 774), S. 96; lokale Unruhen in der nçrdlichen Kurmark: Lieselott Enders, Das Stdtewesen der Uckermark im Sptfeudalismus, in: Jahrbuch fîr Regionalgeschichte 17, 1 (1990), S. 90 – 112, hier S. 102. 795 Vgl. oben Lîdtke in Anm. 790; W. DŁugoborski, Klassenkmpfe … (s. Anm. 790), S. 431. 796 Details bei Herbert Maks, Preussen im Konzert der Mchte. Mçglichkeiten einer nachfriderizianischen Außenpolitik 1786 – 1792, in: ForschBrandPrG NF 9 (1999), S. 145 – 184, hier S. 145, S. 166; zum Folgenden R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 224 f.; H. Klueting, Hertzberg … (s. Anm. 744), S. 148 ff., zum Folgenden S. 146.

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nettsministern gewann seit 1792 dann Christian Heinrich Carl Graf von Haugwitz immer mehr Bedeutung, der einem militrischen Engagement im Westen kritisch gegenîberstand. Dabei hatte Hertzberg bei der ersten spektakulren Aktion Preußens unter Friedrich Wilhelm II., d. h. der Intervention in den Vereinigten Niederlanden im Jahre 1787, zu energischem Handeln geraten. Dort, wo eine Schwester des preußischen Kçnigs mit dem Erbstatthalter der Niederlande verheiratet war, hatten sich die inneren Konflikte dramatisch zugespitzt; die Patriotenpartei stand gegen die Oranierdynastie. Ein Vorfall, bei dem die Erbstatthalterin auf offenem Wege angegriffen worden war, fîhrte zu einer militrischen Intervention preußischer Truppen in Strke von 20.000 Mann.797 Im Ergebnis kam es zu einem Kompromiß, der die Position des Oraniers stabilisierte. Im Hintergrund dieses Vorgangs spielte die Frage eine große Rolle, ob es zu einer Anlehnung an Frankreich oder an England kommen solle, und so war schon die preußische Intervention in Holland mit einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zu Frankreich verbunden. Das preußisch-hollndische Bîndnis beendete die gefhrliche diplomatische Isolation Preußens in den achtziger Jahren. Eine Defensivallianz mit England schloß sich an.798 Noch wirkten Traditionen der diplomatischen Konstellation aus friderizianischer Zeit nach. Die preußische Intervention in die Lîtticher Wirren im Jahre 1789 – und zwar auf der Seite der Umsturzpartei – folgte der traditionellen Logik, daß damit Position gegen die Stellung Habsburgs im Nordwesten des Reichs bezogen wurde. Neun preußische Bataillone marschierten ein, nachdem die Aufstndischen Preußen um Unterstîtzung gegen den Bischoff in aller Form gebeten hatten. Freilich hatte diese Intervention eine entscheidende Krise des Fîrstenbundes zur Folge.799 Die Spannungen zwischen Preußen und §sterreich 797 D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 743), S. 190; Eckhard Buddruss, Die Franzçsische Deutschlandpolitik 1756 – 1789 (= VerçffInstEurG, 157), Mainz 1995, S. 284, S. 296 f. 798 Willy Real, Von Potsdam nach Basel. Studien zur Geschichte der Beziehungen Preußens zu den europischen Mchten vom Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. bis zum Abschluß des Friedens von Basel 1786 – 1795 (= BaslerBeitrGWiss, 70), Basel/ Stuttgart 1958, S. 14 f.; R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 206 f. 799 Vgl. H. Mçller, Primat … (s. Anm. 791), S. 65 f.; H. Maks, Preussen … (s. Anm. 796), S. 173, vgl. auch S. 175 f., auch zum Folgenden; zur Lîtticher Revolution vgl. Monika Neugebauer-Wçlk, Reich oder Republik? Plne und Anstze zur republikanischen Neugestaltung im Alten Reich 1790 – 1800, in: Heinz Duchhardt / Andreas Kunz (Hg.), Reich oder Nation. Mitteleuropa 1780 – 1815 (= VerçffInstEurG. Abteilung Universalgeschichte, 46), Mainz 1998, S. 21 – 50, hier S. 25 ff. (zu den Phasen der Entwicklung in Lîttich); die Details bei Heike Wîller, Systemkrise und Handlungschance. Christian Wilhelm von Dohm und die Lîtticher Revolution von 1789 (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und preußischen Geschichte, 26), Berlin 2004, S. 152 ff.

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steigerten sich in den folgenden Monaten bis zum Stadium der Kriegsgefahr, und im Sptfrîhling des Jahres 1790 wurden preußische Truppen mobil gemacht. Zur Franzçsischen Revolution hat Friedrich Wilhelm II. durchaus nicht von Anfang an in Gegnerschaft gestanden.800 Die politischen Spitzen, etwa der Minister Hertzberg, begrîßten die Revolution aus dem auffllig traditionalen Motiv heraus, daß so Frankreich außenpolitisch geschwcht und in seiner Handlungsfhigkeit beschrnkt wîrde. Dieses Motiv îberstrahlte einige Zeit die Abneigung gegen demokratistische Tendenzen jenseits des Rheins. Wichtiger blieb das Denken und politische Kalkulieren im diplomatischen Krftegefîge Preußens zwischen §sterreich und Frankreich, und Hertzberg tendierte gar dazu, mit der Revolution den habsburgischen Einfluß zu begrenzen. Der Primat der Außenpolitik dominierte um 1790 in erstaunlichem Maße îber die potentiellen Gefahren aus der Logik der Volkssouvernitt. Im Jahre 1790 stand im Mittelpunkt der preußischen Politik zunchst die wachsende Spannung im Verhltnis zu Joseph II. Das preußische Kriegsmanifest war schon entworfen. Nach dem Tod des Kaisers und dem Regierungsantritt Leopolds II. wurde aber eine Entspannung mçglich. Auf dem Kongreß von Reichenbach, am 27. Juli 1790 wurde eine Entwicklung eingeleitet, die zur Konvention zwischen Preußen und §sterreich fîhrte.801 Der eigentliche Hintergrund dieses Umschwungs in den preußisch-çsterreichischen Beziehungen, nach einem halben Jahrhundert des Gegensatzes, war nicht die Eruption im Westen Europas, sondern im Sîdosten zu suchen. Denn die Spannungen waren im Vorfeld von Reichenbach deshalb noch einmal eskaliert, weil die militrischen Erfolge §sterreichs (und Rußlands) gegenîber den Osmanen das europische Gleichgewicht zu bedrohen schienen. Nun erklrte sich §sterreich aber zum Frieden mit der Pforte bereit, und zwar auf der Basis des Status quo ante. Dafîr wurde Leopold II. der Besitz der habsburgischen Niederlande garantiert. Der Umschwung der preußischen Politik war ganz wesentlich von Friedrich Wilhelm II. selbst herbeigefîhrt worden. Sie bedeutete den endgîltigen Abschied von der Fîrstenbundpolitik. 800 Vgl. Th. Finkenauer, Vom Allgemeinen Gesetzbuch … (s. Anm. 744), S. 69; R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 219; zum Folgenden: Paul Wittichen, Zur inneren Geschichte Preußens whrend der franzçsischen Revolution. Gentz und Humboldt, in: ForschBrandPrG 19 (1906), S. 319 – 351, hier S. 325; R. Krauel, Prinz Heinrich von Preußen als Politiker (= Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hauses Hohenzollern, 4, 3. Reihe, Einzelschriften, 2), Berlin 1902, S. 48; wichtig H. Mçller, Primat … (s. Anm. 791), S. 68. 801 W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 798), S. 20 ff.; Friedrich Carl Wittichen, Preußen und die Revolutionen in Belgien und Lîttich 1789 – 90, Gçttingen 1905, zur Konvention von Reichenbach: S. 85 – 103; Denis E. Showalter, Hubertusberg [sic!] to Auerstdt: The Prussian Army in Decline?, in: German History 12 (1994), S. 308 – 333, hier S. 319; F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), S: 359 f., ebda. zur Konvention mit Datum vom 10. Dezember 1790 (zur Frage der Ratifikation).

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Brandenburg gab Leopold II. die Stimme bei der Kaiserwahl. Innerpreußisch bedeutete der Umschwung des Jahres 1790 eine herbe Niederlage Hertzbergs, whrend Bischoffwerder schon seit langem fîr eine Annherung an §sterreich geworben hatte.802 Das war eine politische Neuorientierung in einer Zeit, in der der Boden Alteuropas zu beben begann. Daß der letzte Markgraf Christian Friedrich Karl Alexander von Ansbach-Bayreuth im Jahre 1791 abdankte und diese frnkischen Gebiete – nach langer hausrechtlicher und diplomatischer Vorgeschichte – an Brandenburg-Preußen fielen, hatte gleichsam zeittypische Anlße. Denn Karl Alexander war zutiefst beunruhigt von unlngst vergangenen und kommenden politischen Dingen. Man sprach von seiner Revolutionsangst. Lange vor der Franzçsischen Revolution sah er das Ende des Heiligen Rçmischen Reichs deutscher Nation schon voraus, also desjenigen Schutz- und Schirmes, der fîr die Stabilitt der politischen Verhltnisse gerade in Franken stets große Bedeutung besessen hatte. Die erste Teilung Polens von 1772 hatte den Markgrafen zutiefst beunruhigt. Er sah darin eine politische Umwlzung und erkannte die neue Qualitt traditionsbrechend-rationalistischer Staatsrson, die bald auch in Mitteleuropa revolutionre Prozesse auslçsen wîrde. Dies waren – letztlich erstaunlich weitsichtige – Kalkulationen, die ihn dazu brachten, in einem Geheimvertrag mit Preußen den Fall der frnkischen Hohenzollernlande an die Macht im Nordosten vorzubereiten. Im Januar 1792 wurden die frnkischen Untertanen der Hohenzollern von dem Herrschaftswechsel îberrascht.803 So spielten selbst in den Anfall der Gebiete Ansbach-Bayreuths, wo Karl August von Hardenberg nun ein traditionsverachtendes und modernisierendes Regiment fîhrte, die großen Weltereignisse des ausgehenden 18. Jahrhunderts hinein. Es waren diejenigen Faktoren, die nun die Außenpolitik Preußens maßgeblich bestimmten: die Lage zwischen Umwlzungen ganz im Westen und zugleich im Osten, und das bei wachsenden inneren Problemen des preußischen Staates; die Politik seit den außenpolitischen Interventionen der spten achtziger Jahre hatte zudem den Staatsschatz in gefhrlichem Maße abschmelzen lassen.804 Wie in dieser Situation sich Preußen zum revolutionren Frankreich verhalten solle, war in der preußischen Fîhrung, auch unter den Rosenkreuzern in der Umgebung des Kçnigs durchaus umstritten. Bischoffwerder, der nach Reichenbach an Einfluß auf die große Politik noch gewann, war fîr eine Politik 802 W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 798), S. 26 f., S. 29, S. 32; R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 212 f.; Friedrich Karl Wittichen, Zur Vorgeschichte der Revolutionskriege, in: ForschBrandPrG 17 (1904), S. 253 – 262, hier S. 256. 803 Die nheren Details und die Spezialliteratur bei W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 756), 2, S. 84 – 93, hier S. 91 f., S. 208 f. 804 W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 22, nach dem der Staatsschatz bis 1790 um 40 Millionen Taler reduziert gewesen sei.

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antirevolutionrer Offensive 1791/92 durchaus offen. Die weitere Entwicklung der Jahre 1791/92 fîhrte îber eine fortgesetzte Annherung Preußens und §sterreichs zur Defensivallianz beider Mchte vom 7. Februar 1792.805 Aber Woellner widerriet gerade in diesen Monaten entschieden einem Krieg gegen Frankreich. Die Entwicklung von revolutionrer Radikalisierung in Frankreich und Bekundungen monarchischer Solidaritt mit dem bedrohten franzçsischen Kçnig (Pillnitzer Erklrung Preußens, §sterreichs und Sachsens, 27. August 1791) gewann eine eigene Dynamik, kulminierend in der franzçsischen Kriegserklrung an §sterreich (20. April 1792). Damit war nun fîr Preußen der Bîndnisfall gegeben. Im Unterschied zu Friedrich Wilhelm II., der den Krieg gegen die Revolution entschieden befîrwortete, war der Feldzug nicht nur in der politischen Fîhrung und im Offizierskorps Preußens alles andere als populr, sondern auch in der sich gerade in diesen Jahren rasch entwickelnden politischen §ffentlichkeit Preußens umstritten. Dies waren Faktoren fîr den unglîcklichen Ausgang des Erçffnungsfeldzuges der zweiten Jahreshlfte 1792. Eine andere Ursache darf in dem ungeklrten Verhltnis antirevolutionrer Mission und traditionalen Eroberungsmotiven erkannt werden. Auch bei Friedrich Wilhelm II. mischten sich in die antirevolutionre Programmatik ganz konventionelle Motive wie die Rîckeroberung von Elsaß und Lothringen und fîr Preußen die aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. bekannten Aspirationen auf Jîlich und Berg, mochte auch das Manifest des alliierten Oberbefehlshabers, des Herzogs von Braunschweig ganz auf die Unterwerfung der Revolution abheben.806 Solche territorialen Plne 805 R. Krauel, Prinz Heinrich … (s. Anm. 800), S. 53; H. Mçller, Primat … (s. Anm. 791), S. 75 zum Folgenden S. 68; H. Maks, Preussen … (s. Anm. 796), S. 179; G. Birtsch, Revolutionsfurcht … (s. Anm. 774), S. 92 f., unter Hinweis auf die wachsende Revolutionsangst als Faktor der preußischen Außenpolitik; Monica Kalt, Europa im ersten Koalitionskrieg und der Frieden von Basel, in: Christian Simon (Hg.), Basler Frieden 1795. Revolution und Krieg in Europa, (Basel 1995), S. 17 – 53, hier S. 28; W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 37 – 40, zum Folgenden S. 117; Woellner: Ders., Die preußischen Staatsfinanzen und die Anbahnung des Sonderfriedens von Basel 1795, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 53 – 100, hier S. 55. 806 Schon gut gesehen bei O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 417; in diesem Sinne auch H. Maks, Preußen … (s. Anm. 796), S. 181 (Krieg fîr den Kçnig „nicht nur als Polizeiaktion“); antirevolutionre Hintergrînde: W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 37 ff.; vgl. M. Kalt, Europa … (s. Anm. 805), S. 21; zu einseitig auf das in der lteren Literatur ja nicht îbersehene Motiv der „Revolutionsfurcht“ hebt ab: Lothar Kittstein, Politik im Zeitalter der Revolution. Untersuchungen zur preußischen Staatlichkeit 1792 – 1807, Stuttgart 2005, S. 38, S. 45 f., S. 68 ff., S. 108, S. 119, S. 129 ff., S. 135, S. 139 ff., S. 144, u. ç.; abgewogen: Philip Dwyer, The Politics of Prussian Neutrality 1795 – 1805, in: German History 12 (1994), S. 351 – 373, hier S. 353; zur franzçsischen Kriegserklrung an §sterreich und den reichshistorischen Komponenten (keine selbstndige Reichsarmee, aber bei den Verbnden der Alliierten

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konnten nur in der ersten Kriegsphase noch ernsthaft erwogen werden, als sich die alliierten Heere in Frankreich in der Offensive befanden, bis zu jenem auch in die Literaturgeschichte eingegangenen Gefecht bei Valmy (20. September 1792), wo 53.000 Franzosen ein Kontingent von 34.000 Preußen zum Rîckzug zwangen.807 Freilich darf Valmy, wo die preußischen Truppen durchaus nicht angriffsweise aufs Letzte gingen, auch nicht zu einem Epochenereignis stilisiert werden.808 Mangel in der Vorbereitung des Krieges und letztlich nur sehr relativer Wille zum Engagement haben schon in der sptsommerlichen Kriegsphase 1792 das preußische Potential nur sehr begrenzt zur Geltung kommen lassen.809 Nach Valmy hat die franzçsische Armee zum Gegenschlag ausgeholt und in kurzer Zeit Speyer, Mainz und dann Frankfurt am Main genommen.810 An Eroberungen im Westen, an Lndertauschplne und Siegesprmien am Niederrhein war fîr Preußen nun nicht mehr zu denken, trotz militrischer Erfolge im Folgejahr (Verteidigung bei Pirmasens). Die Kooperation mit den §sterreichern gestaltete sich wenig effektiv. Alles dies waren Argumente dafîr, politische Erfolge und territoriale Gewinne nicht mehr im Westen, sondern im Osten, in Polen, zu suchen. Noch blieb freilich Preußen mit halbem Herzen im Westen engagiert, angelehnt an die große europische Koalition, die sich 1793 bildete. Englische Subsidien spielten in den beiden folgenden Jahren fîr die Entscheidung eine große Rolle, ob im Westen preußischerseits ein Friede gesucht werden solle oder nicht. Das Gewicht finanzpolitischer Motive fîr die sich anbahnenden Entscheidungen in der preußischen Außenpoltik ist dabei in der neueren Forschung umstritten.811

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auch Kontingente des Reichs) vgl. Karl Otmar Freiherr von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 3, Stuttgart 1997, S. 395 – 399. C. Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 425 f.; zu den taktischen Einzelheiten von Valmy vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, Kçnig in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, (Berlin 1992), S. 74 – 76, auch zum persçnlichen Mut des 1792/93 bei der Truppe weilenden Kçnigs; vgl. Kurt Heidrich, Preußen im Kampfe gegen die Franzçsische Revolution bis zur zweiten Teilung Polens, Stuttgart/Berlin 1908, S. 342 ff.; T. C. W. Blanning, The French Revolutionary Wars 1787 – 1802, London u. a. 1996, S. 71 – 82. Entdramatisierend zuletzt: D. E. Showalter, Hubertusberg … (s. Anm. 801), S. 321 f., auch zur beweglichen Kampffîhrung und zu den militrischen Leistungen der preußischen Truppen; vgl. dazu Peter Baumgart, Die preußische Armee zur Zeit Heinrich von Kleists, in: Kleist-Jahrbuch 1983, S. 43 – 70, hier S. 59 f. D. E. Showalter, Hubertusberg … (s. Anm. 801), S. 319 f.; vgl. K. O. Frhr. von Aretin, Das alte Reich … (s. Anm. 806), 3, S. 390, S. 394. Z. B.: W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 798), S. 48 ff. W. Real, Die preußischen Staatsfinanzen … (s. Anm. 805), hier S. 67 – 77, zur Lage 1794/95: S. 78 ff. (Haager Subsidientraktat, 19. April 1794); zum Folgenden P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 354 f. (relativierend); gute Zusammenfassung: M. Kalt, Europa … (s. Anm. 805), S. 47 (preußische Subsidienforderungen an England und §sterreich).

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Die Belastungen des Staates resultierten seit 1792/93 gleichsam aus zwei Fronten, denn die Entwicklungen in Polen forderten nicht nur immer mehr politische Aufmerksamkeit, sondern auch finanzielle Aufwendungen und bald auch militrische Resourcen. Noch im Jahre 1790 hatte Preußen den Besitzstand Polens in Bîndnisform garantiert. Unterdessen hatte in Polen die Reform mit der Maiverfassung des Jahres 1791 erstaunliche Resultate gezeitigt, aber die dagegen stehenden Krfte der Konfçderation von Targowica hatten dann bei Rußland Unterstîtzung gesucht und gefunden. Russische Truppen marschierten dort 1792 ein. Als dagegen ein fçrmliches Hilfeersuchen Polens an Preußen gerichtet wurde, sagte dieses sich von seinen Allianzverpflichtungen los. Preußische Kompensationsforderungen fîr seine Bîndnisleistungen im Westen und russische Interessen an einer zweiten Teilung Polens wirkten zusammen. In Rußland waren angesichts der politischen Entwicklung in Polen Befîrchtungen aufgekommen, die Kontrolle im Sinne der seit dem frîhen 18. Jahrhundert betriebenen Vorfeldpolitik zu verlieren. Die zweite Teilung Polens vom Januar 1793 fand ohne Beteiligung §sterreichs statt. Sie war sowohl von territorialpolitischen Motiven als auch von dem Interesse geleitet, die Umwlzung der politischen Verhltnisse in Polen im Gefolge der Reformbewegung mit harter Hand unter Kontrolle zu bringen, d. h. zu blockieren.812 Preußen glaubte zudem, sich durch die gemeinsame Teilungsaktion den Rîcken freizuhalten angesichts der im Ganzen unklaren Lage im Westen. An Preußen fiel vor allem das Sîdpreußen genannte Gebiet mit der Stadt Posen („Großpolen“), die Ende Januar 1793 besetzt wurde, ebenso wie Danzig, Thorn und Kalisch. Freilich kamen mit dem Gebietsgewinn ganz neue integrationspolitische Aufgaben und Lasten auf den Staat zu und zudem politische Risiken unbekannten Zuschnitts. Denn mit rund 1,1 Millionen neuer und vor allem polnischer Untertanen war nun ein revolutionres Element im 812 M. G. Mîller, Teilungen … (s. Anm. 608), S. 44 ff., S. 49 ff.; vgl. schon R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 215 ff.; K. O. Frhr. von Aretin, Das alte Reich … (s. Anm. 806), 3, S. 391; P. Wittichen, Die polnische Politik Preußens 1788 – 90, Gçttingen 1899, preußisch-polnische Allianz: S. 45 ff.; zum Folgenden aus den zahlreiche Monographien von Henryk Kocûj, Preußens Stellung zur Verfassung vom 3. Mai 1791. (Ausgewhlte Probleme), Katowice 1997, S. 6 ff. auch zur anfnglichen Unterstîtzung Friedrich Wilhelms II. fîr die Maiverfassung und zu den Hintergrînden des alsbaldigen Umschwungs, zur Haltung Hertzbergs S. 9, ferner S. 18 – und passim; Ders., Prusy, Austria i Rosja wobec Konstytucji 3 Maja. Zagadnienia wybrane, Katowice 1996, S. 4 ff.; zum Hintergrund der Umwlzungen in Polen vgl. aus der umfnglichen Spezialliteratur exemplarisch: Jçrg K. Hoensch, Sozialverfassung und politische Reform. Polen im vorrevolutionren Zeitalter, Kçln/Wien 1973, S. 71 ff., S. 78 – 82, u. ç.; Vorgeschichte: Daniel Stone, Polish Politics and National Reform 1775 – 1788 (= East European Monographs, 22), Boulder/New York 1976, S. 76 ff.; W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 44 f.

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preußischen Staat prsent.813 Dies zeigte sich 1794, als nach frîher Unruhe im Raum Krakau der Aufstand, der mit dem Namen des Tadeusz Kos´ciuszko verbunden ist und am 24. Mrz 1794 begann, fîr die preußischen Truppen herbe Verluste mit sich brachte (Abbruch der Belagerung und Rîckzug vor Warschau, Aufstand in Sîdpreußen, Niederlage bei Bromberg).814 Mit dem russischen Vormarsch und der Einnahme Warschaus, nach heftigen Straßenkmpfen in der Stadt, wandte sich das Blatt zugunsten der Teilungsmchte. Ohne die Hilfe der russischen Truppen, die freilich auch Niederlagen gegen die Insurgenten hinnehmen mußten, wre die preußische Macht wohl nicht siegreich geblieben. Hohe finanzielle Schden, die auf die Stellung Preußens in der europischen Lage der Jahre 1794/95 Rîckwirkungen zeitigten, waren nur die eine Seite der Medaille. Zum anderen nahm nun bei den Mchten der Schwarzen Adler die Bereitschaft zu, der Selbstndigkeit Polens gnzlich ein Ende zu machen. Daß §sterreich im Jahre 1793 leer ausging, hatte die Spannungen innerhalb der antifranzçsischen Koalition drastisch verschrft, mit Folgen fîr Politik und Kriegsfîhrung im Westen. Bei der dritten und (vorerst) letzten Teilung Polens im Jahre 1795 bekam Preußen vormals litauisches Gebiet, das es – mit rund einer Million weiterer, nichtdeutscher Untertanen – als Provinz Neuostpreußen dem Staat ganz im Nordosten anschloß (Teilungskonvention vom 3. Januar 1795). Preußen verfolgte allen Ernstes die Absicht, nunmehr ausgerechnet Warschau als untergeordneten Verwaltungsmittelpunkt dem eigenen Staate zu inkorporieren. Im Petersburger Teilungsvertrag vom 24. Oktober 1795 garantierten sich die Teilungsmchte gegenseitig das jeweilige Annexionsgebiet. Der polnische Kçnig Stanisław August Poniatowsky legte die Krone nieder, am

813 Vgl. Richard Breyer, Die sîdpreußischen Beamten und die Polenfrage, in: ZOstforsch 4 (1955), S. 531 – 548, hier S. 532 f.; Literatur zur Integrationspolitik in Sîdpreußen und spter in „Neuostpreußen“ bei W. Neugebauer, Absolutistischer Staat … (s. Anm. 54), S. 299 ff., worauf hier lediglich verwiesen werden kann. 814 Erhard Moritz, Preußen und der Kos´ciuszko-Aufstand 1794. Zur preußischen Polenpolitik in der Zeit der Franzçsischen Revolution (= Schriftenreihe des Instituts fîr Allgemeine Geschichte an der Humboldt-Universitt Berlin, 11), Berlin 1968, S. 15 ff., zu den Einzelheiten des Ausbruchs S. 50 ff.; Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 93 – 102; Henryk Kocûj, Beitrge zu Preußens Stellung gegenîber dem Kos´ciuszko-Aufstand vom Jahre 1794. Ausgewhlte Probleme, Katowice 1996, S. 29 ff. (preußisch-russische Zusammenarbeit bei der Niederschlagung des Aufstandes); W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 99 ff.; D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 193; interessant auch Paul Schwartz, Die Neumark und die polnische Volkserhebung im Jahre 1794, in: Die Neumark 8 (1931), Nr. 5 – 7, S. 17 – 28, hier S. 18 f.

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25. November 1795, abgefunden von den Teilungsmchten mit einer jhrlichen Dotation von 200.000 Dukaten (gest. 1798).815 Die Verlagerung des politischen Engagements nach dem Osten hatte sich in der Politik und Kriegfîhrung Preußens seit langem angebahnt. Der seit Jahresanfang 1794 im Westen kommandierende Generalfeldmarschall von Mçllendorff hatte durchaus militrische Erfolge erzielt (Sieg bei Kaiserslautern), ohne diese freilich entschlossen auszunutzen. Whrend die Friedenspartei am Hofe strker wurde und Friedrich Wilhelm II. freilich am Kriegsengagement gegen Frankreich festzuhalten gewillt war, war es gerade Mçllendorff, der dafîr pldierte, aus der Koalition im Westen auszuscheiden. Woellner hatte in der Zwischenzeit immer wieder zu einem Friedenschluß geraten, und Bischoffwerder hatte sich dieser Linie inzwischen angeschlossen. Im Oktober 1794 mußte das linke Rheinufer gerumt werden; die Finanzlage wurde dramatisch. In dieser Situation, in der zweiten Jahreshlfte 1794, hat Mçllendorff die Trennung Preußens von der Koalition eingeleitet. Ohne daß der Kçnig davon informiert wurde, hat er nach Sondierungen seit Jahresmitte Verhandlungen mit Frankreich aufgenommen. Friedrich Wilhelm II. – ein in frîheren Phasen preußischer Geschichte wohl unvorstellbarer Vorgang – hat diesem Schritt dann nachtrglich zugestimmt, oder besser: er gab dem Druck seiner Umgebung in dieser zentralen Frage europischer Politik Preußens denn nach. Die offiziellen Verhandlungen wurden zu Basel gefîhrt, zuletzt von Hardenberg. Der Abschluß erfolgte am 5. April 1795.816 Frankreich hatte auf der ˜berlassung der Gebiete des linken Rheinufers bestanden, dabei aber unter dem Stichwort der Entschdigungen nun seinerseits den Gedanken des Lndertauschs aufgebracht. Dieser Teil des Geschfts sollte freilich vorerst geheim bleiben. Was aus Geldern, Mçrs und Kleve werden sollte, mîsse ein kînftiger Friedenskongreß entscheiden. Unter diesen Konditionen hat Preußen den Baseler Separatfrieden abgeschlossen. Auf Anregung Mçllendorffs wurde eine „Neutralittslinie“ vereinbart, hinter der der „norddeutsche Anhang“ (W. Real) Preußens aus dem Koalitionskrieg ausscheiden sollte. Das war gewiß eine Anerkennung der 815 W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 126; Daten bei F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 395; Weiteres wie Anm. 814; M. G. Mîller, Teilungen … (s. Anm. 608), S. 53 f. (Vertrge vom 24. Oktober 1795); D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 193. 816 Vgl. P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 353, S. 355 mit den Namen der Friedenspartei in der preußischen Fîhrung; W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 81 ff., S. 92, S. 102, S. 111 ff., Verhandlungen durch Mçllendorff: S. 115 – 118, Entwicklung seit Herbst 1794: S. 118 – 132; Brendan Simms, The Impact of Napoleon. Prussian high politics, foreign policy and the crisis of the executive, 1797 – 1806, Cambridge u. a. 1997, S. 65; W. Real, Die preußischen Staatsfinanzen … (s. Anm. 805), S. 95, S. 100; Anton Ernstberger, §sterreich und Preußen von Basel bis Campoformio 1795 – 1797, Tl. 1: Der Westen. Krieg und Frieden mit Frankreich (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, 12), Prag 1932, S. 96.

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preußischen Hegemonie in der nçrdlichen Hlfte des Heiligen Rçmischen Reichs deutscher Nation. Denn der Begriff von Norddeutschland wurde denkbar weit ausgedehnt. Auch wenn die Neutralittslinie spter etwas nach Norden verschoben wurde (17. Mai 1795), umfaßte der aus dem Koalitionskrieg nun eximierte Teil Deutschlands auch Franken, Wîrzburg und Nîrnberg; im Sîden war zunchst selbst Nçrdlingen einbezogen, jedenfalls aber derjenige Reichskreis, in dem mit Ansbach und Bayreuth ja nun auch preußische Gebiete lagen. Auch diese Linie, mehrfach verletzt durch Truppen der weiterhin kriegfîhrenden Parteien, wurde spter noch einmal revidiert und 1796 nach Norden verschoben, an die Fulda.817 Der Baseler Friede hatte schon in der Zeit selbst eine schlechte Presse, und der publizistische Kampf nach dem April 1795 hat den preußischen Einfluß im Reich wohl deutlich vermindert. Reichsrechtlich durfte Preußens Haltung als „eklatanter Bruch der Reichsverfassung“ angesehen werden.818 Freilich wird in der neuesten Forschung darauf hingewiesen, daß Preußen auch nach 1795 eher einer „reichskonservativen Tendenz“ folgte und noch lange nicht das Ziel der Reichsvernichtung intendierte. Preußen hatte sich vergrçßert, hatte Millionen neuer Untertanen dazugewonnen, aber hatte sich seine Lage – ganz abgesehen von den nun auch in diesem Staat desastrçsen Finanzen – wirklich verbessert? Die Neutralittszone in der Nordhlfte des Reichs schuf zunchst einmal rumliche Distanz zum Strahlungsfeld der – nun freilich nicht mehr jakobinisch-radikalen – Revolution. Es begann die Zeit der (bewaffneten) Neutralitt, freilich auch der auf lngere Sicht problematischen Isolation Preußens. Unumstritten war diese Generallinie in der politischen Fîhrung Preußens nicht. Hardenberg sah schon Ende 1795 die Zeiten kommen, in denen sich Preußen kmpfend gegen

817 Vgl. dazu mit der instruktiven Karte: M. Kalt, Europa … (s. Anm. 805), S. 49, S. 51; P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 357 f., auch zu einer neuen Linie (entlang der Fulda); vgl. A. Ernstberger, §sterreich … (s. Anm. 816), S. 179 ff., S. 264 f., S. 273; Walter Trummel, Der preußische Schutz der Demarkationslinie nach dem Frieden von Basel, phil. Diss. Mînster, Hildesheim 1913, S. 14 f., S. 24 – 32; gegen die Verurteilung des Baseler Friedens in der lteren Literatur vgl.: D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 192. 818 So Volker Press, Altes Reich und Deutscher Bund. Kontinuitt und Diskontinuitt. Nach dem Tod des Verfassers zum Druck gebracht von Dieter Stievermann (= Schriften des Historischen Kollegs, Vortrge, 28), Mînchen 1995, S. 12; Publizistik: M. Kalt, Europa … (s. Anm. 805), S. 50; vgl. damit L. Kittstein, Politik … (s. Anm. 806), S. 102, S. 132, S. 624; Karl Otmar Frhr. von Aretin, Hçhepunkt und Krise des Deutschen Fîrstenbundes. Die Wahl Dalbergs zum Koadjutor von Mainz (1787), in: HZ 196 (1963), S. 36 – 73, hier S. 39, der auf das persçnliche Interesse Friedrich Wilhelms II. an der Reichspolitik hinweist, vgl. auch S. 72 f.

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Frankreich wîrde behaupten mîssen.819 Bis dahin freilich mochte der mehr als ein Jahrzehnt whrende Friede in Mittel- und Nordostdeutschland dazu beitragen, daß dort eine klassische Kulturblîte mçglich war, die weit îber die Epoche von Basel hinausstrahlte.820 Es war eine Blîte in riskanter Zeit. Und dieser Befund, er gilt nach Westen und mindestens ebenso sehr gegenîber dem Osten. Nach 1795 hatte sich die strategische Lage Preußens insofern verndert, als der Staat nunmehr eine lange und ungeschîtzte Grenze zu Rußland besaß, immer in der Gefahr eines Einmarsches der großen Ostmacht. Ein großer Teil der preußischen Armee war nun im Osten gebunden; Berliner Bataillone wurden nach Warschau verlegt, wo allein eine Garnison von 12.000 Mann erforderlich schien. Gewinn war unter diesen Umstnden nicht zu erwarten. Preußen war nun „ein Reich, teils polnisch, teils deutsch“, denn die gut zwei Millionen Einwohner der polnischen Teilungsgebiete verschoben in Preußen die ethnischen Gewichte. Zusammen mit den lteren Staatsteilen machte der polnische Bevçlkerungsanteil alleine ein Drittel der Staatseinwohner aus, und alsbald zeigte es sich, welche integrationspolitischen Probleme sich auftaten. Der polnische Adel dachte nach 1795 nicht daran, in nennenswertem Umfang etwa preußische Amtstrgerstellen anzunehmen. Republikanisch-stndische Traditionen blieben lebendig und standen gegen die preußische Staatsrson.821 Unter den in den ußersten Osten (zwangs-)versetzten Beamten aus lterer preußischer Schule blîhte nun – so verlauteten jedenfalls zeitgençssische Stimmen – die Korruption in einem vorher schier unvorstellbaren Ausmaß.822

819 Vgl. A. Ernstberger, §sterreich und Preußen … (s. Anm. 816), S. 159 f., S. 229 – 232 (auch zu unterschiedlichen Positionen unter den preußischen Kabinettsministern); zu Verletzungen der Neutralitt nach dem Friedensschluß von Basel durch die weiterhin kriegfîhrenden Mchte vgl.: B. Simms, The Impact … (s. Anm. 816), S. 68; vgl. R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 243 f.; vgl. Paul Bailleu (Hg.), Preußen und Frankreich von 1795 bis 1807. Diplomatische Korrespondenzen, 1, (= PubllPreussStaatsarch, 8), Leipzig 1881, S. XLII; vgl. L. Kittstein, Politik … (s. Anm. 806), S. 74 f. 820 Vgl. Paul Bailleu, Vor 100 Jahren. Der Berliner Hof im Herbst und Winter 1805, in: DtRdsch 125 (1905), S. 203 – 227, hier S. 205; W. Real, Von Potsdam … (s. Anm. 788), S. 137; mit Diskussion der lteren Literatur (Ranke, Meinecke) vgl. P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 352. 821 Wichtig, die Beobachtungen bei C. Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 244 f., ferner S. 91; R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 819), S. 234 f.; vgl. R. Breyer, Beamte … (s. Anm. 813), S. 543. Vgl. zu Westpreußen oben Anm. 714. 822 William W. Hagen, The Partitions of Poland and the Crisis of Old Regime in Prussia 1772 – 1806, in: Central European History 9 (1976), S. 115 – 128, hier S. 124 f.; andere Tendenz (Leistungen der Verwaltung nach 1795): Ingeburg Charlotte Bussenius, Einleitung, in: Walther Hubatsch (Hg.), Urkunden und Akten zur Geschichte der preußischen Verwaltung in Sîdpreußen und Neuostpreußen 1793 – 1806, bearb. von Ingeburg Charlotte Bussenius, Frankfurt am Main/Bonn 1961, S. 24 – 26, u. ç.; zur

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In der preußischen Staatsspitze, unter den zustndigen Ministern und den obersten Kollegien blieb freilich immer umstritten, wie die Integration der polnischen Gebiete erfolgen solle. Whrend die Minister schon eine Politik der Eindeutschung ins Auge faßten, pldierte das Oberschulkollegium dafîr, gerade die polnische Sprache zur Hebung des Kulturniveaus zu nutzen. Insofern wurde sehr ernsthaft eine Ausbreitung des polnischen Unterrichts unter preußischer Verwaltungsgide als alternative Strategie diskutiert.823 Um 1800 lagen Motive eher alteuropischer Tradition und solche des kommenden, des gefhrlichen 19. Jahrhunderts in aufflligem Gemenge.

§ 13 1797 – 1806. Strukturwandel und Vorreformen Der polnische Feldzug von 1794 hatte mit dazu beigetragen, die Gesundheit, aber auch den Optimismus Friedrich Wilhelms II. zu erschîttern. Schon mit rund fînfzig Jahren hatten sich erste Kreislaufprobleme eingestellt und auch andere Zeichen frîhen kçrperlichen Verfalls. Erst ein qualvoller Tod erlçste Friedrich Wilhelm II. am 16. November 1797.824 Mit gut 27 Lebensjahren îbernahm Friedrich Wilhelm III. nun die Regierung. Aufgewachsen in einiger emotionaler Distanz zum Vater, war Friedrich Wilhelm durchaus von bekannteren Kçpfen der Zeit gebildet und erzogen worden, darunter der Theologe und (Popular-)Philosoph Johann Jakob Engel, markanter Vertreter der Berliner Aufklrung und Erzieher der Gebrîder Humboldt.825 In dem starken Interesse des im Jahre 1770 geborenen Prinzen an Gîterpolitik im Osten vgl. zusammenfassend Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 103 f.; dagegen jetzt W. Bringmann, Preußen … (s. Anm. 743), S. 673 f. 823 Vgl. Otto Konopka, Die Schulpolitik Sîdpreußens. Auf Grund archivalischer Quellen (= Friedrich Mann’s Pdagogisches Magazin, 614,1), Langensalza 1915, S. 4, S. 50 ff.; Paul Schwartz, Die preußische Schulpolitik in den Provinzen Sîdpreußen und Neuostpreußen (1795 – 1806), in: Zeitschrift fîr Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 1 (1911), S. 133 – 195, bes. S. 184 (gegen Vernachlssigung der polnischen Sprache), S. 195, und Joachim Gessinger, Sprache und Bîrgertum. Zur Sozialgeschichte sprachlicher Verkehrsformen im Deutschland des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 25 – 27. 824 Zusammenfassend D. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 741), S. 195; G. Heinrich, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 743), S. 31 f.; Berthold Adolf HaaseFaulenorth, Grfin Lichtenau. Ein Schicksal zwischen den Zeiten. Nach bisher unverçffentlichten Archivakten, Berlin 1934, S. 167; [Anonym], Todesfeier Kçnig Friedrich Wilhelms des Zweiten, in: Jahrbîcher der preußischen Monarchie unter der Regierung Friedrich Wilhelms des Dritten 1 (1798), S. 85 – 105, bes. S. 85 f.; Bischoffwerder beim Leichenzug: S. 87; Bestattung im Dom: S. 102. 825 Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 44 – 47, S. 78 u. ç.; einiges zum ersten Lehrpersonal des Prinzen schon in dem, gleich nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. erschienenen biographischen Schrifttum, etwa: A. Cohnfeld, Ausfîhrliche Lebens-

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allem, was das Militr betraf, mag eine Familientradition erkannt werden; in anderen Charakteristika gilt dies freilich nicht, und dazu zhlt eine gewisse Scheu vor dem Publikum,826 ein unterdurchschnittliches Selbstvertrauen, das zumal in den schwierigen Jahren um 1800 zu einer politischen Belastung fîr den Staat werden mochte.827 Es ist bekannt, wie derartige Hemmungen in der sprachlichen Artikulationsweise dieses Monarchen Ausdruck fanden, in abrupter, unvollstndiger Redeweise; nur in kleinen, ihm angenehmeren Gesellschaften fand er zu fließenden Formulierungen.828 Als Kronprinz erhielt er Gelegenheit, in der Arbeit des Generaldirektoriums und des Oberkriegskollegiums politische Erfahrungen zu sammeln. Diejenigen, die er im Feldzug gegen das revolutionre Frankreich erwarb, unterstîtzten seine Neigung zum Pessimismus.829 Dies alles verstrkte das Bedîrfnis Friedrich Wilhelms III., Anlehnung zu finden und sich politisch beraten zu lassen; in den Jahren des Staatszusammenbruchs sollte seine Gemahlin, die aus mecklenburgischem Hause stammende Kçnigin Luise, Einfluß auf politische Entscheidungen, zumal solche

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und Regierungsgeschichte Friedrich Wilhelms III. Kçnigs von Preußen, 1, Berlin 1840, S. 18 ff.; vgl. noch Thomas Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III. (1797 – 1840), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., Mînchen (2000), S. 197 – 218, S. 332 f., hier S. 203 f.; vgl. zu Engel: Walther Killy (Hg.), Deutsche Biographische Enzyklopdie (DBE), 3, Mînchen 1996, S. 115; H. Mçller, Aufklrung in Preussen … (s. Anm. 732), S. 173 ff. Vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, Der Hof Friedrich Wilhelms III. von Preußen 1797 bis 1840, in: Karl Mçckl (Hg.), Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Bîdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1985 und 1986 (= Deutsche Fîhrungsschichten in der Neuzeit, 18), Boppard am Rhein (1990), S. 275 – 319, hier S. 282 – 285; Einfachheit des Wohnstils (im Kronprinzenpalais, nicht im Berliner Stadtschloß!): S. 286. Th. Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 825), S. 201; Ders., Kçnig … (s. Anm. 807), S. 26; vgl. schon O. Hintze, Die Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 423, S. 514 („ohne einen großen staatsmnnischen Zug“); vgl. auch R. Straubel, Struensee … (s. Anm. 768), S. 26; illustrative Beispiele fîr das Zaudern Friedrich Wilhelms III. in der politisch-militrischen Entscheidungspraxis jetzt bei Olaf Jessen, „Preußens Napoleon?“ Ernst von Rîchel 1754 – 1823. Krieg im Zeitalter der Vernunft, Paderborn u. a. 2007, S. 232 f., S. 253, S. 257, S. 280 f., S. 296, S. 322 f.; Kay-Uwe Hollnder, Vom mrkischen Sand zum hçfischen Parkett. Der Hof Friedrich Wilhelms III. – ein Reservat fîr die alte Elite des kurbrandenburgischen Adels?, in: Ralf Prçve / Bernd Kçlling (Hg.), Leben und Arbeiten auf mrkischem Sand. Wege in die Gesellschaftsgeschichte Brandenburgs 1700 – 1914, Bielefeld 1999, S. 15 – 48, hier S. 32 – 35. So R(ulemann) F(riedrich) Eylert, Charakter-Zîge und historische Fragmente aus dem Leben des Kçnigs von Preußen Friedrich Wilhelm III. Gesammelt nach eigenen Beobachtungen und selbst gemachten Erfahrungen, 1, Magdeburg 1842, S. XII-XIV. Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S: 77, S. 79, S. 90.

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personeller Art, gewinnen.830 Gleich nach dem Regierungsantritt lçste sich der neue Monarch zunchst einmal von zentralen Figuren aus der Umgebung seines Vaters; Woellner wurde gestîrzt und Bischoffwerder pensioniert. Militrische Vertraute und insbesondere Adjutanten gewannen neues Gewicht, etwa der General Ernst von Rîchel.831 In einer Instruktion fîr den Oberstleutnant Karl Leopold von Kçckritz aus dem November 1797 hat der junge Monarch bekannt, wie dringend er sich auf den „guten Rath“ seiner Umgebung angewiesen wußte. Der Hofhalt und der hçfische Kulturkonsum wurden neuerlich reduziert, ganz auf der Linie derjenigen Maximen, die Friedrich Wilhelm III. schon als Kronprinz niedergelegt hatte. In seinen von 1796/97 stammenden „Gedanken îber die Regierungskunst“ hatte er gefordert, daß der Hof nach çkonomischen Prinzipien eingerichtet werden mîsse, unter Verzicht auf traditionelles Zeremoniell. Der jahreszeitliche Wechsel in das havellndische Paretz war auch eine Methode, dem neuen Bedîrfnis nach einer fîrstlichen Privatsphre fernab von den Zwngen residenzstdtischer Formen entgegenzukommen.832 Natîrlich dominierte auch in den Jahren um 1800 der Adel am preußischen Kçnigshof, aber immerhin waren rund 13 Prozent des Personals doch bîrgerlichen Standes. Darunter waren aber gerade die nach 1797 an Einfluß gewinnenden Herren des Kabinetts.833 Die Forschung hat seit mehr als einem Jahr830 Auf Grund der Quellenbasis bleibt wichtig Paul Bailleu, Kçnigin Luise. Ein Lebensbild, Berlin/Leipzig 1908, etwa S. 330; auch Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 317 f., zur Heirat 1793: S. 82, S. 90 f. 831 E. Bleich, Hof … (s. Anm. 758), S. 183; Kçckritz, Zastrow, Rîchel: S. 193 f., zum „kçniglichen Hofhalt: S. 194 ff.; vgl. Anm. 827 (O. Jessen); Instruktion fîr Kçckritz: guter Druck bei Georg Kîntzel / Martin Hass (Hg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern. Nebst ergnzenden Aktenstîcken, 2, 2., erw. Aufl., Leipzig/Berlin 1920, S. 144 – 148, hier S. 144: „Ich bin ein junger Mensch, der die Welt noch immer zu wenig kennt, um sich gnzlich auf sich selbst verlassen zu kçnnen […] Ihm muß daher ein jeder guter Rath sobald er redlich gemeint, willkommen sein. Diesen guten Rath nun erwarte ich aber vorzîglich von Ihnen […]“; vgl. dazu (Johann Wilhelm Lombard), Materialien zur Geschichte der Jahre 1805, 1806 und 1807. Seinen Landesleuten zugeeignet von einem Preussen, Frankfurt/Leipzig 1808, S. 69, Anm. zu dieser Instruktion! 832 „Gedanken îber die Regierungskunst“, bei G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 831), 2, S. 112 – 132, hier S. 130; vgl. dazu E. Bleich, Hof … (s. Anm. 758), S. 194 – 199, bes. S. 195; Th. Stamm-Kuhlmann, Hof … (s. Anm. 826), S: 275 ff. – mit guten Beobachtungen; Karl Hammer, Die preußischen Kçnige und Kçniginnen im 19. Jahrhundert und ihr Hof, in: Karl Ferdinand Werner (Hg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. deutsch-franzçsischen Historikerkolloquiums Darmstadt vom 27.–30. September 1982 (= Pariser Historische Studien, 21), Bonn 1985, S. 87 – 98, hier S. 88, S. 90 (Paretz). 833 Vgl. zu den Zahlen K.-U. Hollnder, Sand … (s. Anm. 827), S. 18 f., S. 38; zum bîrgerlichen Charakter des Hofes vgl. schon W. Neugebauer, Das preußische Kabinett … (s. Anm. 425), S. 92 – 100 („bîrgerliche Gegenelite“, S. 93); und W. Neugebauer, Kabinett und §ffentlichkeit … (s. Anm. 756), S. 22 und passim; deshalb vçllig unverstndlich L. Kittstein, Politik … (s. Anm. 806), S. 362 f.

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hundert zu klren gesucht, welchen Einfluß das Kabinett in dem ersten Jahrzehnt Friedrich Wilhelms III. besessen hat, im Gefîge der Fîhrungs- und gegenîber der Ministerialstruktur und im Angesicht des Regierungsstils des neuen Monarchen.834 Wesentlicher ist, daß schon in der internen Diskussion in der Zeit um 1800 die Erkenntnis dominierte, daß lngst „eine Selbstregierung im Stile Friedrichs des Großen unmçglich geworden sei“.835 – Freilich hat nicht erst die neuere Literatur darauf hingewiesen, daß sich im Urteil îber die kritische Rolle der nun von Kabinettsrten wie Johann Wilhelm Lombard und Karl Friedrich Beyme geleiteten Institution zeitgençssische Rivalitten, auch solche sozialer Natur, widerspiegeln. Die konkurrierenden Einflîsse,836 hier bîrgerlicher, dort adliger Entscheidungstrger, wurden im Angesicht des kçniglichen Fîhrungsstiles in den kritischen Jahren um und nach 1800 zu einem Problem. Die monarchische Regierungspraxis und die Stellung des Kabinettspersonals in der unmittelbaren Umgebung des Monarchen wurden vor 1806 in ganz neuem Maße auch zu einem Gegenstand publizistischer Diskussionen.837 Gerade die fehlende §ffentlichkeit der Kabinettssphre wurde nun zum Thema der literarischen §ffentlichkeit, zunehmend angereichert durch Kritik auch am Kçnig selbst. Die Debatte darîber, ob die Tradition der Regierung aus dem Kabinett weiter praktikabel sei oder nicht, war aber zugleich ein wesentlicher Bestandteil derjenigen Auseinandersetzungen, die innerhalb der Staatseliten îber die Notwendigkeit von Reformen lange vor 1807/8 gefîhrt worden sind.838 834 Vgl. Anm. 833; ferner R. Straubel, Struensee … (s. Anm. 768), S. 26, S. 64; vgl. zum außenpolitischen Gewicht der Kabinettsrte vorsichtig abwgend freilich schon die materialreiche Studie von Bruno Gaide, Der diplomatische Verkehr des Geheimen Kabinettsrats Lombard mit den Vertretern auswrtiger Mchte nach den Urkunden und seine Rechtfertigungsschrift, phil. Diss. Greifswald 1911, S. 20, S. 101 f. – was neueren øußerungen zur preußischen Diplomatiegeschichte um 1800 einiges von ihrer stipulierten Originalitt nimmt. 835 So das Referat bei H. Hîffer, Lombard … (s. Anm. 434), S. 83, relativierend zum politischen Einfluß Lombards S. 469; vgl. auch J. W. Lombard, Materialien … (s. Anm. 831), S. 61; vgl. neuerdings noch K. U. Hollnder, Sand … (s. Anm. 827), S. 38; B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 40 ff., S. 64, S. 66; und auch schon Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 211 f. (alle wesentlichen außenpolitischen Entscheidungen vor 1806 in „Konferenzen“ im Beisein der Minister, nicht nur durch die Kabinettsrte); vgl. damit H. Hîffer, a.a.O. S. III, S. XI, S. 92, aber S. 221 f. 836 Zuletzt B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 330, S. 340 f. 837 W. Neugebauer, Kabinett und §ffentlichkeit … (s. Anm. 756), S. 22 – 31; und B. Gaide, Lombard … (s. Anm. 834), S. 15; lterer Klassiker: O. Tschirch, Geschichte der çffentlichen Meinung … (s. Anm. 780), 1, S. 251 f. 838 Mit weiterer Lit. W. Neugebauer, Kabinett und §ffentlichkeit … (s. Anm. 756), S: 30 f.; G. Ritter, …. (s. Anm. 440), 1, S. 228 – 237; Leopold von Ranke (Hg.), Denkwîrdigkeiten des Staatskanzlers Fîrsten von Hardenberg, 2, Leipzig 1877, S. 50 ff.; zuletzt Heinz Duchhardt, Stein. Eine Biographie, Mînster (2007), S. 133 – 136.

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Jedenfalls setzte der „Kampf gegen die Kabinettsregierung“ lange vor dem Oktoberzusammenbruch des Jahres 1806 ein,839 als Teil einer freilich sehr viel breiter gefîhrten Debatte. Sie hatte einen starken Impuls erhalten durch den Ausgang des preußischen Militr-Engagements im Westen, und damit im Zusammenhang stand ja die geradezu dramatische Finanzlage des preußischen Staates seit den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts.840 Die Reformdebatte in der fîhrenden Amtstrgerschicht des preußischen Staates in den Jahren um und nach 1800 stellte einen, freilich nicht den einzigen Aspekt von strukturellen Wandlungstendenzen in den Jahren vor Jena und Auerstedt dar. Bis in die neuesten Darstellungen zur Vorgeschichte des Jahres 1806 dominiert freilich eine etatistische Verengung, wenn es darum geht, Reformdebatten und Wandlungspotentiale zu beschreiben.841 Die damit verknîpften Fragen sind alles andere als zureichend geklrt. Mochte es so scheinen, als sei gerade das altpreußische Militr um 1800 in besonderem Maße von Immobilismus, ja Konservation lngst disfunktional werdender Strukturen geprgt, so ist dem soeben mit Entschiedenheit widersprochen worden:842 Milizplne, wenn sie auch nicht mehr vor der Mobilmachung von 1806 in die Praxis umgesetzt wurden, weisen doch schon voraus auf die Landwehr der Erhebungszeit. In der „Immediat-Militr-Organisationskommission“ wurde bereits seit 1795 vor allem îber organisatorische Details des Heeres beraten, ohne daß vor 1797 durchgreifende Neuerungen erzielt worden wren. Immerhin stand die – an sich ja sehr moderne – Verstrkung leichter Fußtruppen im Mittelpunkt der ˜berlegungen. Sieht man von der Erhçhung der lange stagnierenden Soldzahlungen einmal ab, die freilich durch die Inflationsentwicklung um 1800 rasch wieder aufgezehrt wurde, so halten sich die Resultate der Militrreorganisationskommission doch sehr in Grenzen. Dies wird auf die geringe Unterstîtzung durch den jungen Friedrich Wilhelm III. zurîckgefîhrt,843 der freilich gleich nach Regierungsantritt, im Februar 1798 auch eine 839 Noch immer als Klassiker: Otto Hintze, Das preußische Staatsministerium im 19. Jahrhundert, zuerst 1908, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 530 – 619, hier S. 536 – 543. 840 §ffentliche Debatte nach dem Frieden von Basel: O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 184; Finanzlage: F. W. Henning, Thesaurierungspolitik … (s. Anm. 466), S. 124 f., finanzpolitische „Wende“: 1792, zum Schuldenstand des Jahres 1797; abweichend P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S: 366, auch zu den Lasten der preußischen Polenpolitik und zum Bemîhen um neuerliche Schatzbildung; die Zahlen differieren. 841 Vgl. etwa B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 304 – 337, etwa S. 310 f., ferner S. 341 f. (Defizite im „decission-making apparatus“). 842 O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 352 f. 843 C. Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 763), S. 247, vgl. S. 250 und S. 522 – 527, mit den Einzelheiten; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 425 f.; jetzt O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 173, S. 201 – 215; aus der Sicht der DDR: Hellmut Schnitter, Revolution und Heer. Reformbestrebungen und Revolutions-

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Finanzkommission einsetzte, die Vorschlge angesichts der Schuldenlage mit Propositionen fîr Reformen sowohl im Staatsapparat als auch auf dem Felde der agrarsozialen Strukturen unterbreiten sollte.844 Die Aufhebung der Binnenzçlle wurde vom Kçnig vorgeschlagen, stieß aber auf massive Widerstnde in der hohen Bîrokratie.845 Die Organisation der Zentral- und der Provinzialverwaltung wurde strittig diskutiert, auch die strukturellen Formen derjenigen Entscheidungsprozesse, zu denen ja auch das monarchische Kabinett in seiner Entwicklungsstufe zur Jahrhundertwende gehçrte. Ob die alttradierte Regionalbeziehungsweise Provinzialgliederung des Generaldirektoriums – Ausdruck des altpreußischen Regionalismus im Staat – zugunsten modernerer, sachrationaler Formen bîrokratischer Arbeitsteilung îberwunden werden sollten, das war nun ein zentrales Thema der Diskussion. Es ging also um die effizientere Organisation derjenigen Leitungssphre, die schon (relativ) unabhngig vom Herrscher wirkte. Das neu zu bestimmende Verhltnis von Zentral- und Provinzialverwaltung stand ebenfalls zur Debatte – das alles auch Indizien dafîr, daß eine strukturelle Staatsreform an sich durchaus als Notwendigkeit erkannt worden war.846 Whrend auf der Ebene der Berliner Zentralinstanzen vor 1806 wesentliche Reformeffekte freilich ausblieben, sind auf derjenigen der Provinzialorganisation erste Resultate schon erzielt worden, vor allem auf dem Gebiet einer Differenzierung von Verwaltungs- und Justizfunktionen.847 – Die grund-

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einflîsse im preußischen Heer vor 1806. Lernfhigkeit und Lernbereitschaft einer feudal-absolutistischen Armee im Umfeld der Franzçsischen Revolution 1789/1795, in: Heiner Timmermann (Hg.), Die Franzçsische Revolution in Europa 1789 – 1795 (= Forum: Politik, 7; Dokumente und Schriften der Europischen Akademie Otzenhausen, 60), Saarbrîcken-Scheidt (1989), S. 689 – 701, hier S. 693; die „Instruktion fîr die Immediat-Militr-Organisationskommission“ vom 14. Januar 1798, gedruckt bei G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 831), 2, S. 139 – 143. „General-Instruktion fîr die Kommission der Finanzen“ vom 19. Februar 1798, bei G. Kîntzel / M. Hass (Hg.), Testamente … (s. Anm. 831), 2, S. 149 – 169; dazu noch immer wichtig Horst Petzold, Die Verhandlungen der 1798 vom Kçnig Friedrich Wilhelm III. eingesetzten Finanzkommission, Phil. Diss. Gçttingen 1911, bes. S. 1 f. zu den Mitgliedern, S. 6 – 135 zu den Verhandlungen, u. a. zur Reform der Behçrdenorganisation; zur Autorschaft der Instruktion vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 426, und O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 194 – 198; und nach wie vor: Otto Hintze, Preußische Reformbestrebungen vor 1806, zuerst 1896, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung … (s. Anm. 54), S. 504 – 529, zu beiden Kommissionen: S. 505, S. 507 Anm. 2, zur persçnlichen Initiative fîr die Finanzkommission. So jedenfalls noch O. Hintze, Reformbestrebungen … (s. Anm. 844), S. 518; M. Lehmann, Freiherr vom Stein … (s. Anm. 710), 1, S. 329 ff.; und ltere Positionen korrigierend: R. Straubel, Struensee … (s. Anm. 768), S. 409. Vgl. O. Hintze, Reformbestrebungen … (s. Anm. 844), S. 520 – 526; jetzt auch B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 316, S. 319 (Staatsrats-Plan); Justiz und Verwaltung: L. Tîmpel, Einheitsstaat … (s. Anm. 210), S. 250 f., und unten Anm. 847. Vgl. Anm. 846, und W. Neugebauer, Absolutistischer Staat … (s. Anm. 54), S. 117 – 120 (Ressortreglements); L. Hellwig, Schulenburg-Kehnert … (s. Anm. 765), S. 97

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stzlichen Verwaltungsprobleme des 19. Jahrhunderts klingen schon in diesen Diskussionen an; deren Lçsung, was die rationale Neuorganisation der Ministerialinstanzen anbelangte, blieb allerdings dann der Epoche zwischen Stein und Hardenberg vorbehalten. Immer wieder berîhrten aber Reformdiskussionen und Reformmaßnahmen um 1800 schon Prinzipienfragen des altpreußischen Staatssystems. Die eben erwhnte Soldverbesserung fîr die Soldaten stand im Zusammenhang mit dem Abbau von herkçmmlichen Steuerprivilegien des Adels. Die Aufhebung der Akzisefreiheiten im Jahre 1799 gehçrt ebenfalls in diesen Zusammenhang.848 Unter dem Adel wurden Strategien der Abwehr staatlicher Eingriffe in die Privilegienbestnde mit sehr prinzipiellen Argumenten diskutiert. Jedenfalls standen grundlegende Elemente der altpreußischen Staats- und Gesellschaftsordnung schon vor der „Reformzeit“ zur Debatte. Der Kçnig, damals Friedrich Wilhelm II., hatte ja 1787 – vielleicht unter dem Einfluß von agrarreformerischen Vordenkern in seiner persçnlichen Umgebung – die Freigabe des Bodenverkehrs, d. h. die generelle Erlaubnis zur Verußerung adligen Landes an Nichtadlige schon dezidiert vorgeschlagen. Es ist bezeichnend, daß der Monarch dabei am Widerstand aus der Ministerebene gescheitert war.849 Der Adel der verschiedenen Regionen Preußens hat um 1800 mit großer Scharfsichtigkeit erkannt, welche Herausforderungen eine neue Zeit mit sich bringen wîrde. Ganz im Osten der Monarchie dominierten schon im spteren 18. Jahrhundert erstaunlich zukunftsoffene Strategien des Landesadels. Entscheidende Themen

und S. 99; ferner Wolfgang Rîfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842 (= BonnRWissAbhh, 53), Bonn 1962, S. 121 f. (Neu-Ostpreußen); zu organisatorischen Innovationen auf der mittleren Instanzenebene vgl. Lorenz Beck, Geschftsverteilung, Bearbeitungsgnge und Aktenstilformen in der Kurmrkischen und in der Neumrkischen Kriegs- und Domnenkammer vor der Reform (1786 – 1806/08), in: F. Beck / K. Neitmann (Hg.), Brandenburgische Landesgeschichte … (s. Anm. 163), S. 417 – 438, hier S. 420 f., S. 423 f., mit guten Beobachtungen. 848 N. C. C. M. (s. Anm. 578), 10, Sp. 2185 – 2189, (Edikt vom 25. Januar 1799); wichtig: Friedrich Meusel, Die Aufhebung der Akzisefreiheit in Preußen (1799), in: ForschBrandPrG 21 (1908), S. 559 – 563, hier 559 f.; O. Hintze, Reformbestrebungen … (s. Anm. 844), S. 515 f. 849 Vgl. oben bei Anm. 772; nach den Akten der Kurmrkischen Lehnskanzlei: Wolfgang Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen, 4), (Berlin 2001), S. 166 f., (zuerst 1995); danach Ren¤ Schiller, „Edelleute mîssen Gîther haben, Bîrger mîssen die Elle gebrauchen“. Friderizianische Adelsschutzpolitik und die Folgen, in: Wolfgang Neugebauer / Ralf Prçve (Hrsg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700 – 1918 (= Innovationen. Bibliothek zur Neueren und Neuesten Geschichte, 7), Berlin (1998), S. 257 – 286, hier S. 270 f.; spte Praxis: z. B. L. Enders, Uckermark … (s. Anm. 100), S. 613.

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der preußischen Reformzeit begegnen bereits auf dem Kçnigsberger Landtag des Jahres 1798.850 Das waren bemerkenswerte, weit in das neue Jahrhundert vorausweisende Diskussionen und Tendenzen, die in ersten Anstzen sogar lter waren als das Jahr 1789.851 Die Reformdiskussion vor der Reform war durchaus nicht auf die Berliner Ministerialinstanzen beschrnkt und sie war durchaus nicht eine „bîrgerliche“ allein. In den Stdten gab es hingegen viel bîrgerlichen Traditionalismus, und unter dem Adel gab es gute Rechner, die die Gewinne mçglichen Fortschritts fîr die eigene Familie scharf kalkulierten. Die konjunkturelle Lage – auch – in den Gebieten Preußens war im spten 18. Jahrhundert und bis 1805/1806 durchaus gut, ja ausgesprochen dynamisch. Die demographische Entwicklung des 18., zumal des spteren 18. Jahrhunderts, die auf dem Lande durch das Wachstum der unterbuerlichen Schichten und der Inhaber von Kleinstellen bald zu einem sozialen Problem wurde,852 hatte in Stadt und Land Folgen in vielfacher Beziehung. Der Landesausbau, insbesondere in den preußischen Ostgebieten, mîndete in einen beschleunigten Prozeß demographischen Wandels ein.853 Das Bevçlkerungswachstum beschleunigte wiederum die Mobilisierung der sozialstndischen Strukturen. 850 Vgl. fîr die spten 1790er Jahre W. Neugebauer, Zentralprovinz … (s. Anm. 849), S. 167; mit Ders., Das Problem von Reform und Modernisierung auf dem ostpreußischen Landtag von 1798, in: Zeitschrift fîr Neuere Rechtsgeschichte 19 (1998), S. 177 – 192; zum politischen Profil der preußischen Regionen um 1800 und zur spteren Entwicklung vgl. Wolfgang Neugebauer, Verfassungswandel und Verfassungsdiskussion in Preußen um 1800, in: Alois Schmid (Hg.), Die bayerische Konstitution von 1808. Entstehung – Zielsetzung – Europisches Umfeld (= ZBayerLdG, Beiheft 35), Mînchen 2008, S. 147 – 177. 851 Vgl. allgemein H. Mçller, Primat … (s. Anm. 791), hier S. 80 f.; vgl. Anm. 850. 852 Z. B.: H. Harnisch, Absolutismus … (s. Anm. 567), S. 21; Ders., Bevçlkerung und Wirtschaft. ˜ber die Zusammenhnge zwischen sozioçkonomischer und demographischer Entwicklung im Sptfeudalismus, in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte 1975, 2, S. 57 – 87, hier 79; Gerd Heinrich, Der preußische Sptmerkantilismus und die Manufakturstdte in den mittleren und çstlichen Staatsprovinzen (1740 – 1806), in: Volker Press (Hg.), Stdtewesen und Merkantilismus in Mitteleuropa (= Stdteforschung, Reihe A, 14), Kçln/Wien 1983, S. 301 – 322, Bevçlkerungszahlen: S. 318 f., mit Schwerpunkt auf dem Stdteanteil; und allgemein H.-U. Wehler, Gesellschaftsgeschichte … (s. Anm. 148), 1, Mînchen 1987, speziell zu Preußen S. 70, S. 160, S. 165, S. 171 f., zum lndlichen Unterschichtenwachstum; Ostpreußen: R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 170), 1, S. 168 ff., S. 176 (erhebliche Zunahme der Ktner am Ende des 18. Jahrhunderts), weiter S. 380; und H. Schissler, Agrargesellschaft … (s. Anm. 195), S. 160 f.; wichtig das Kartenblatt und der Beiband von Karsten Bremer / Hans Theissen (Bearb.), Territoriale Gliederung und Bevçlkerung in Preussen um 1800 … (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin, Kartenwerk zur preußischen Geschichte, 2), Berlin 1991, Erluterungsband: S. 110. 853 Vgl. vorzîglich Werner K. Blessing, Gedrngte Evolution: Bemerkungen zum Erfahrungs- und Verhaltenswandel in Deutschland um 1800, in: Helmut Berding /

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Damit sind sehr langfristige Prozesse angesprochen, die, von staatlichen Reformen und Interventionen allenfalls gefçrdert und beschleunigt,854 auf eigenlufige Kausalitten und nicht zuletzt auf vernderte Nachfrageverhltnisse nach Agrarprodukten zurîckzufîhren sind.855 Die Einfîhrung neuer Wirtschaftssysteme und gerade solcher, die tiefgreifende Folgen fîr die Mobilisierung der argrarsozialen Verhltnisse besitzen mußten, bestimmen in sozialgeschichtlicher Beziehung das Bild Preußens um 1800. Dazu gehçrten moderne Formen der Bodenbewirtschaftung, gerade auch solche, die die Bodenqualitt verbessern konnten, um durch den gesteigerten Weizenanteil um 1800 bessere Exportchancen zu gewinnen.856 Die ˜bernahme „englischer“ Agrarmethoden gehçrt zu diesen Modernisierungsmaßnahmen, ebenso die Einfîhrung neuer Futterpflanzen, die wiederum den ˜bergang zur Stallfîtterung des Viehs ermçglichten. Der Anbau der seit dem 17. Jahrhundert bekannten Kartoffel wurde nun im großen Stil verbreitet. Das alles und auch die Dungproduktion, die wiederum fîr die Verbesserung der Bodenqualitt erforderlich war, fçrderte die Bereitschaft zu den „Separationen“. Diese, mittelalterlich-frîhneuzeitliche Traditionen der Bodenaufteilung und kollektiver Bodenbewirtschaftung îberwindende Maßnahme wurde vom Kçnig und von seinen Amtstrgern durchaus unterstîtzt, aber die Entwicklung an sich war um einiges lter. Sie setzt im Brandenburgischen schon vor der Mitte des 18. Jahrhunderts ein und wurde sehr frîh auch vom Adel und den Landstnden gefordert und gefçrdert.857

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Etienne FranÅois / Hans-Peter Ullmann (Hg.), Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Franzçsischen Revolution (= Edition Suhrkamp, 1521), Frankfurt 1989, S. 426 – 450, hier S. 427; und speziell J. Ziekursch, Hundert Jahre … (s. Anm. 557), S. 247 f. Gut gesehen bei Josef Mooser, Preußische Agrarreformen, Bauern und Kapitalismus. Bemerkungen zu Hartmut Harnischs Buch „Kapitalistische Agrarreformen und Industrielle Revolution“, in: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), S. 533 – 554, hier S. 533. Mit weiterer Literatur H. H. Mîller, Mrkische Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 66 – 69, und die Belege S. 179 f.; Ders., Der agrarische Fortschritt und die Bauern in Brandenburg vor den Reformen von 1807, zuerst 1964, wieder in: Hartmut Harnisch / Gerhard Heitz (Hg.), Deutsche Agrargeschichte des Sptfeudalismus (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut fîr Geschichte. Studienbibliothek DDR – Geschichtswissenschaft, 6), Berlin 1986, S. 186 – 212, hier S. 190; zu verschiedenen Regionen Preußens Wolfgang Neugebauer, Marktbeziehung und Desintegration. Vergleichende Studien zum Regionalismus in Brandenburg und Preussen vom 16. bis zum frîhen 19. Jahrhundert, in: JbGMitteldtld 45 (1999), S. 157 – 207, Ostpreußen: S. 193 ff. H. H. Mîller, Mrkische Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 150 f., zu Koppel- und Fruchtwechselwirtschaft, ferner S. 164; Ders., Fortschritt … (s. Anm. 855), S. 192 ff. – auch zum Folgenden. Schon wichtige Mitteilungen bei dem (§konomen und Staatswissenschaftler) (Adolf Friedrich) Riedel, Uebersicht der Einrichtungen, welche Kçnig Friedrich II. fîr das Gedeihen des landwirtschaftlichen Gewerbes in der Mark Brandenburg getroffen, in:

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Die Maßnahmen des Staates zur Verbesserung derjenigen Rechtsverhltnisse, unter denen die Bauern auf den kçniglichen Domnen zu leben hatten, steht also nicht am Anfang der Entwicklung; sie fîgen sich in einen grçßeren und lteren Entwicklungszug ein. Regional und landschaftlich recht verschieden, ist seit der Mitte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts – etwa im Netzebruch – zu Dienstaufhebungen geschritten worden. In einem Kabinettsdekret vom 20. Februar 1777 wurde die Erblichkeit der buerlichen Nahrungen auf den kçniglichen Domnen vor allem in Kur- und Neumark sowie Pommern angeordnet.858 Die Verbesserung des Besitzrechtes war das eine, die Aufhebung der Fron- und Scharwerksdienste das zweite Moment agrarischen Wandels lange vor den Reformedikten von 1807/1811. „Bei den Domnenbauern setzte die Verbesserung ihrer Lage“ jedenfalls „schon weit vor 1790 ein“.859 Ein neuer Schub der Reformen, die schon in die Richtung der „Bauernbefreiung“ wiesen, folgte dann im Staat seit 1799. Friedrich Wilhelm III. hat gerade in Ostpreußen, wo ja der Domnenanteil am landwirtschaftlich genutzten Boden besonders massiv war, einen besonderen Fonds anlegen lassen, aus dem die Kosten der Scharwerksaufhebungen bestritten wurden. Die durch die (partielle) Befreiung Begînstigten hatten ihrerseits als Kompensation einen jhrlichen Kanon zu entrichten. Auch in Pommern und der Mark Brandenburg wurden die Dienstleistungen in Geld- oder Naturalabgaben umgewandelt, und die so fließenden Summen wurden sodann zu neuerlichen Reformmaßnahmen verwendet.860 Die Zahlen derjenigen Wandlungseffekte, die vor 1806 auf den Mrkische Forschungen 2 (1843), S. 135 – 176, hier S. 138 ff. zum Konnex von neuen Anbau- und Bewirtschaftungsmethoden einerseits, den Gemeinheitsteilungen andererseits, S. 140 zur Gemeinheitsteilungskommission seit 1767; aus der neueren Lit. vorzîglich Lieselott Enders, Produktivkraftentwicklung und Marktverhalten. Die Agrarproduzenten der Uckermark im 18. Jh., in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte 1990, 3, S. 81 – 105, bes. S. 84 f., S. 91; H. H. Mîller, Mrkische Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 18, S. 60 f., S. 122, S. 154 – 159; J. Schultze, Prignitz … (s. Anm. 91), S. 238. 858 Druck bei (Magnus Friedrich von Bassewitz), Die Kurmark Brandenburg, ihr Zustand und ihre Verwaltung unmittelbar vor dem Ausbruche des franzçsischen Krieges im Oktober 1806. Von einem ehemaligen hçheren Staatsbeamten, Leipzig 1847, S. 24 f.; H. Goldschmidt, Grundbesitz … (s. Anm. 555), S. 88, und G. F. Knapp, Bauernbefreiung … (s. Anm. 566), hier 2, S. 81 – 85, zu den Einzelheiten („Der Besitz der Amtsbauern wird erheblich gemacht. 1777 – 1790.“). In Teilen der Mark Brandenburg war dies freilich schon 1777 die Rechtslage; vgl. 1 (s. Anm. 564), S. 89 – 91, S. 93 f., S. 96, Ost. und Westpreußen: S. 98 – 102; S. 103 f.: langsamere Entwicklung in der Kurmark. 859 So – aus der Sicht der marxistischen Agrargeschichte der DDR – H. H. Mîller, Fortschritt … (s. Anm. 855), S. 205. 860 Ostpreußen: R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 170), 1, S. 50 – 66, auch zu den noch verbleibenden Mîhlen-, Boten- und Vorspanndiensten; Preußen, Pommern und Neumark: R. Koselleck, Preußen … (s. Anm. 788), S. 140 f., und Theodor Knapp, Zur Geschichte der Bauernbefreiung in Ost- und Westpreußen 1718 – 1808, insbesondere

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Domnen erzielt worden sind, mçgen umstritten sein, und die agrarhistorische Forschung hat die Grçßenordnung von 50.000 betroffenen Domnenbauern diskutiert und nach unten korrigiert. Auch entstand nur teilweise ganz freies Bodeneigentum, da eine zu entrichtende Geldrente ja erhalten blieb.861 Und doch sind in Ostpreußen schon um 1800 die Domnenbauern „nicht mehr als Erbuntertanen behandelt“ worden (R. Stein). Der dahin fîhrende Prozeß reicht zurîck bis in die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts.862 Alles in allem steht doch außer Frage, daß nicht erst – das wre eine gnzlich îberholte Sicht – mit dem Oktoberedikt von 1807 die Mobilisierung der agrarsozialen Grundlagen Preußens einsetzt. Vielmehr steht soviel fest, daß gerade auf diesem çkonomischen und sozialen Leitsektor zumal im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nicht Erstarrung und Immobilismus, sondern eine starke Entwicklungsdynamik bestimmend wurde. Somit stellt sich allerdings die Frage, ob nicht die çkonomische Mobilitt noch strker gewirkt hat als staatliche Impulse, zumal die Berliner Kollegien in

îber die Bedeutung der Patente vom 16. Januar und vom 10. Juli 1719 und der Verordnung vom 8. November 1773, zuerst 1897, wieder in: Ders., Gesammelte Beitrge zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte, vornehmlich des Bauernstandes, Tîbingen 1902, S. 333 – 345, hier S. 337 f., der S. 341 ff. darauf hinweist, daß im Osten in der Praxis die Erbuntertnigkeit auf den Domnen schon in den 1760er Jahren aufgehçrt habe zu bestehen. 861 Gegen Otto Hintze vgl. Hartmut Harnisch, Die agrarpolitischen Reformmaßnahmen der preußischen Staatsfîhrung in dem Jahrzehnt vor 1806/07, in: Jahrbuch fîr Wirtschaftsgeschichte 1977, 3, S. 129 – 153, hier S. 150 f. der deshalb auch nicht von „Befreiung der Domnenbauern“ sprechen wollte: Eigentum der Domnenbauern erst nach der Verordnung vom 11. Juli 1808; vgl. aber H. H. Mîller, Mrkische Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 38, S. 134; vgl. die Zahlen noch bei R. Koselleck, Preußen … (s. Anm. 788), S. 141: „Parallel zur Dienstablçsung lief die Vererbpachtung der Stellen“, bis 1806 rund 55.000 Bauernstellen, rund ein Siebentel des Bestandes, die nun von selbstndigen Eigentîmern innegehabt wurden; vgl. noch L. Enders, Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), S. 256, S. 260 f., zur nçrdlichen Mark Brandenburg ab 1801; H. Harnisch, Rechtsqualitt … (s. Anm. 164), S. 337, S. 347; Zitat Robert Stein wie Anm. 862. 862 Robert Stein, Die Umwandlung der Agrarverfassung Ostpreußens durch die Reform des neunzehnten Jahrhunderts, 2, Kçnigsberg 1933, S. 47; vgl. auch Gottlieb Krause, Der preußische Provinzialminister Freiherr von Schroetter und sein Anteil an der Steinschen Reformgesetzgebung, 1 (= Beilage zum Programm des Kneiphçfschen StadtGymnasiums in Kçnigsberg in Preußen, Ostern 1898), Kçnigsberg in Preußen 1898, S. 29 – 36, auch zur hemmenden Position des Generaldirektoriums in Berlin; H. Schissler, Agrargesellschaft … (s. Anm. 195), S. 88: „Auf den ost- und westpreußischen Domnen sind bereits am Ende des 18. Jahrhunderts wichtige Reformen mit Erfolg durchgefîhrt worden, z. B. die Aufhebung der Fronen 1779. Die Besitzrechte der Bauern wurden verbessert und 1808 in volles Eigentum umgewandelt.“ Und F. W. Henning, Rahmenbedingungen … (s. Anm. 353), S. 25 f.

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ihrer Haltung gegenîber Reformforderungen von Provinzialorganen und Landstnden oft skeptisch blieben.863 Die agrarsoziale und çkonomische Dynamik erfaßte auch die Strukturen auf adligem Land in den verschiedenen, zumal den mittleren und çstlichen Regionen Preußens um 1800. Die „Leibeigenschaft“ hatte im Verlauf des 18. Jahrhunderts auch auf Grund der demographischen Entwicklung und des immer besseren Arbeitskrfteangebots ja lngst „ihren rigiden Charakter“864 verloren. Die freie Lohnarbeit gewann ohnehin fîr die neuen Anbaumethoden zunehmend an Gewicht; alte Dienstverpflichtungen wurden auf adligen Gîtern auf dem Wege von Teilablçsungen in Geldabgaben umgewandelt. Die Gutsherrschaften stellten schon mehr und mehr auf den „Eigenbetrieb“ um. Die Fronen wurden im Rahmen moderner, komplexerer Anbaumethoden unrentabel; die buerlichen Dienste sind im spten 18. Jahrhundert gar nicht mehr in demjenigen Umfang in Anspruch genommen worden, in denen die Gutsherren etwa im Brandenburgischen sie htten abrufen kçnnen. Auch in Schlesien wurden schon um 1800 Fronpflichten gemindert.865 Die gute Ertragslage bei hohen Getreidepreisen machte es zudem mçglich, daß die „Schicht wohlhabender Bauern“ das Eigentum am jeweiligen Hof erwerben konnte. Die agrargeschichtliche Forschung der letzten Jahre hat mit bemerkenswerten Quellenbefunden aufgezeigt, daß gerade Gutsherren oft sehr viel flexibler agierten als die staatlichen Instanzen, wenn es um die sozialen Konsequenzen 863 Vgl. Anm. 862 und die Studie des Vf. in Anm. 850. 864 L. Enders, Bauer und Feudalherr … (s. Anm. 151), S. 17 f. auch zum Folgenden; Dies., Produktivkraftentwicklung … (s. Anm. 857), S. 82 f.; Lohnarbeit: H. H. Mîller, Mrkische Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 74 f., S. 78 f., auch zum Zusammenhang von Lohnarbeit und moderneren Agrarmethoden, vgl. die Beispiele adliger Herrschaften S. 35 – 38, S. 129; Mîller (îber-)betont die Rolle der Pchter adliger Gîter, S. 116 f., S. 125; vgl. Ders., Fortschritt … (s. Anm. 855), S. 190 – 194; vgl. aber F. Martiny, Adelsfrage … (s. Anm. 588), S. 58 – 61; aus marxistischer Sicht vgl. noch Helmut Bleiber, Staat und bîrgerliche Umwlzung in Deutschland. Zum Charakter besonders des preußischen Staates in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts, zuerst 1976, wieder in: Gustav Seeber / Karl-Heinz Noack (Hg.), Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789 (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut fîr Geschichte. Staatenbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, 3), Berlin 1983, S. 82 – 115, hier S. 96 mit Anm. 51; Beispiel: Rudolf Schmidt, Aus der Pfuelen Land (= Oberbarninier Heimatbîcher, 9), Bad Freienwalde 1929, S. 37, S. 66, S. 68; F. Martiny, Adelsfrage … (s. Anm. 588), S. 58 ff. 865 So H. H. Mîller, Mrkische Landwirtschaft … (s. Anm. 553), S. 35, S. 37; vgl. auch zum ˜bergang zur Lohnarbeit Anm. 664 und fîr Gutsherrschaften William W. Hagen, Die brandenburgischen und die großpolnischen Bauern im Zeitalter der Gutsherrschaft 1400 – 1800. Anstze zu einer vergleichenden Analyse, in: Jan Peters (Hg.), Gutsherrschaftsgesellschaften im Vergleich, Berlin (1997), S. 17 – 27, hier S. 25; W. DŁugoborski, Klassenkmpfe … (s. Anm. 790), S. 408 f., auch zum dortigen „Loskauf von der Fronpflicht“.

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der agrarischen Modernisierung ging. Die Form pachtweisen Erwerbs von Adelsland durch die Bauern, z. T. ganzer Ritterhçfe, gehçrt in dieses Bild. Die Entwicklung schritt lngst îber die Vorgaben staatlicher Agrarpolitik hinweg, nach denen mçglichst ja keine Rittergîter an Personen nichtadligen Standes gelangen sollten.866 Das Spektrum derjenigen Phnomene, die zu agrarischer Modernisierung und buerlicher Selbstbefreiung im spten 18. Jahrhundert und um 1800 gehçren, ist vielfltig und erschçpft sich durchaus nicht in den spektakulren Fllen „freiwillig bewirkte[r] Entlassungen aus der Untertnigkeit“, wie sie auch auf ostpreußischen Gîtern freilich schon vorkamen.867 In Brandenburg ist der Freikauf der Bauern, die Begrîndung von Zeitpacht als ein Vertragsverhltnis mit „persçnlich freie[n] Bauern“ (Lieselott Enders) ein fîr die Zeit um 1800 signifikantes Phnomen.868 Von dort aus war es kein großer Schritt zur Bildung von vollem Eigentum. „Alle diese Flle bedeuteten individuelle ,Bauernbefreiung‘ auf çkonomischem Wege“, und es kam vor, daß es den Bauern dabei sogar gelang, die Gerichtsrechte mit zu erwerben.869 Der Staat „vollzog […] nur nach“, was eine schon jahrzehntealte Entwicklung, getragen von einer gînstigen Agrarkonjunktur und einer reformaktiven adligen und buerlichen Landbevçlkerung, zur neuen Realitt lngst hatte werden lassen.870 Gerade vor 1807/8 gab es dagegen keine geschlossene Adelsfront. Unter den ostpreußischen Landtagsabgeordneten aus dem Adel des Jahres 866 L. Enders, Produktivkraftentwicklung … (s. Anm. 857), S. 82, und zum weiteren S. 91 f., S. 94, S. 103 f.; Dies., Emanzipation … (s. Anm. 174), S. 429, und S. 412 – 427, S. 433; H. H. Mîller, Fortschritt … (s. Anm. 855), S. 204; vgl. H. Harnisch, Kapitalistische Agrarreform … (s. Anm. 752), hier S. 55. 867 Vgl. R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 862), 2, S. 44 ff., Zitat S. 44, nach dem es keine Mehrheit der Adligen war, die in Ostpreußen so verfuhr (S. 35); daß auch in Ostpreußen „in den neunziger Jahren sich ohne Eingreifen des Staates eine Wendung zum Besseren“ fîr die Gutsbauern „zu vollziehen beginnt“, zeigte Karl Bçhme, Gutsherrlich-buerliche Verhltnisse in Ostpreußen whrend der Reformzeit von 1770 bis 1830. Gefertigt nach den Akten der Gutsarchive zu Angerapp und Gr.-Steinort (= StaatsSozialwissForsch, 90), Leipzig 1902, S. 14, in sehr vorsichtiger Wertung; M. Rumler, Bestrebungen … (s. Anm. 169), in: ForschBrandPrG 37 (1925), S. 31 – 76, S. 38 f., S. 46, S. 59 f.; Westpreußen: G. Krause, Schroetter … (s. Anm. 862), S. 36 f. 868 L. Enders, Produktivkraftentwicklung … (s. Anm. 857), S. 82; vgl. Dies., Emanzipation … (s. Anm. 174), S. 433; Dies., Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), S. 276; Darlehen von Bauern an Adlige: S. 277; vgl. zu Ostpreußen Ursula Wiese, Zur Opposition des ostelbischen Grundadels gegen die agraren Reformmaßnahmen 1807 – 11, phil. Diss. Heidelberg, Berlin 1935, S. 13, zur Entwicklung seit 1750. 869 Zitat: L. Enders, Bauern und Feudalherrschaft … (s. Anm. 167), S. 279; vgl. Dies., Uckermark … (s. Anm. 100), S. 598. 870 Dies., Individuum und Gesellschaft. Buerliche Aktionsrume in der frîhneuzeitlichen Mark Brandenburg, in: Jan Peters (Hg.), Gutsherrschaft als soziales Modell. Vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frîhneuzeitlicher Agrargesellschaften (= HZ, Beihefte, Neue Folge, 18), Mînchen 1995, S. 155 – 178, hier S. 176 f., s. auch S. 170.

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1798 hatte zwar nur eine Minoritt die Aufhebung der Gutspflichtigkeit oder Erbuntertnigkeit befîrwortet. Die westpreußischen Ritterschaftsvertreter, die zur gleichen Zeit in Marienwerder berieten, haben hingegen die Abschaffung der Erbuntertnigkeit dezidiert gefordert, und ganz in diesem Sinne stellten die westpreußischen Ritterschaftsdeputierten, die zur Huldigung nach Kçnigsberg gingen, dort den „Antrag auf Abschaffung der Erbuntertnigkeit“.871 Es sind Widerstnde der Berliner Ministerialinstanzen gewesen, die auf solche Vorstçße hemmend reagierten. Auch in der Mark Brandenburg haben die Stnde, in diesem Falle der Große Ausschuß, der Ablçsung der buerlichen Dienstlasten in Geld und der „Entlassung der Bauern aus der Erbuntertnigkeit“ im Jahre 1799 ausdrîcklich zugestimmt.872 „Daß der Große Ausschuß die Bauernbefreiung grundstzlich bejaht hat“ zeigt, wie sehr der Adel lngst erkannt hatte, daß die buerlichen Zwangsdienste ihren Nutzen fîr die Gutsbetriebe verloren hatten. „Wahrscheinlich ist die Tendenz zur Bauernbefreiung unter dem Adel sehr viel strker gewesen, als die Forschung erkannt hat“ (F. Matiny). Die selbstndigen Befreiungsschritte auf einzelnen Gîtern stellen wohl nur die Spitze der breiten Wandlungsprozesse im spten 18. Jahrhundert und vor 1806 dar. Das rege Interesse des Adels an Agrarmodernisierungen, insbesondere an neuen und lukrativen Wirtschaftsmethoden, kommt auch in der Grîndung von frîhen Vereinen zum Ausdruck, die der Fçrderung solcher Tendenzen dienen sollten. Das wohl prominenteste Beispiel fîr einen solchen Zusammenschluß adeliger und bîrgerlicher Innovatoren zum Zwecke der Fçrderung der lndlichen Produktion und des stdtischen Gewerbes stellte die 1791 ins Leben gerufene „Mrkische §konomische Gesellschaft“ dar.873 Schon vorher war im ostpreußischen Oberland, zu Mohnungen, eine Physikalisch-çkonomische Gesellschaft gegrîndet worden, die sich zum Ziel setzte, eine bestmçgliche Bodenverzinsung zu befçrdern. Auch in Schlesien haben derartige Vereine bestanden.874 Zusammenschlîsse von Adligen und Bîrgerlichen, von 871 Vgl. W. Neugebauer, Problem … (s. Anm. 850), S. 186 f.; vgl. dazu noch G. Krause, Schroetter … (s. Anm. 862), S. 36 f. 872 F. Martiny, Adelsfrage … (s. Anm. 588), S. 56 f., folgendes Zitat: S. 57 f. 873 Z. B.: Johannes Schultze, Die Mrkische §konomische Gesellschaft, zuerst 1925, wieder in: Ders., Forschungen … (s. Anm. 748), S. 231 – 239, bes. S. 234 f.; Annalen der Mrkischen Oekonomischen Gesellschaft zu Potsdam, 1, Potsdam 1794, S. 1 – 8; Helga Eichler, Pdagogische Bestrebungen in der Mrkischen §konomischen Gesellschaft zu Potsdam um 1795, in: Peter-Michael Hahn / Kristina Hîbener / Julius H. Schoeps (Hg.), Potsdam. Mrkische Kleinstadt – europische Residenz. Reminiszenzen einer eintausendjhrigen Geschichte (= Potsdamer Historische Studien, 1), Berlin (1995), S. 195 – 205, zum Programm S. 196. 874 Außer Akten des Staatsarchivs Kçnigsberg siehe aus der Literatur W. Mertineit, Verwaltung … (s. Anm. 544), S. 72; G. Krause, Schroetter … (s. Anm. 862), S. 26; vgl. noch Rudolph Stadelmann, Preussens Kçnige in ihrer Thtigkeit fîr die Landescultur,

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Gutsbesitzern und §konomen waren in dieser Zeit durchaus nicht allein eine Erscheinung der preußischen Staatsregionen. Zugespitzt ließe sich formulieren: Der agrarische Wandel bei intensivierten Marktbeziehungen, gesteigerter Monetarisierung und so bewirkten Modernisierungen hatte Folgen in der Flche der çstlichsten Staatsgebiete, auch in Pommern, dort freilich im Sinne einer Steigerung buerlicher Geldbelastungen.875 Die gewerbliche Entwicklung fçrderte den wirtschaftlichen Regionalismus, die çkonomische Profilbildung der Schwerpunktgebiete, und das auch trotz staatlicher Unterstîtzung von „Manufakturen und Fabriken“ in anderen Provinzen, z. B. in Ost- und Westpreußen. Gleichwohl ist es dort um 1800 nicht zu einer nennenswerten Entwicklung derartiger Formen des Gewerbes gekommen.876 Nimmt man die „Wollindustrie“ als ein traditionell besonders wichtiges Gewerbe der preußischen Wirtschaftsgeschichte, so wurden im ganzen Staat zur Mitte der 1790er Jahre in dieser Branche 56.114 Arbeiter gezhlt, davon ganz im Osten nur 9.270. Ost- und Westpreußen zhlten nicht einmal 2.000 Arbeiter in der Leinenfabrikation von knapp 60.000 Beschftigten im ganzen Staat. In beiden hier beispielhaft herausgegriffenen Sektoren zeigten sich dagegen die Gewerbeschwerpunkte in der Mark Brandenburg und in Schlesien.877 Oberschlesien erlebte um 1800 eine stîrmische industrielle Entwicklung, begleitet von technischen Innovationen, etwa dem Einsatz von Dampfmaschinen schon seit 1788.878

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2 (= PubllPreussStaatsarch, 11), Leipzig 1882, S. 135 f., S. 342; R. Stein, Umwandlung … (s. Anm. 170), 1, S. 472 – 481. Vgl. Oskar Eggert, Die Massnahmen der preussischen Regierung zur Bauernbefreiung in Pommern (= Verçffentlichung der Historischen Kommission fîr Pommern, Reihe V, 9), Kçln/Graz 1965, hier S. 7 – 9, S. 66 f. („nur … vereinzelte Flle der Befreiung“ in Pommern), S. 70: auch Gemeinheitsteilungen in Pommern „gingen nur zçgernd vor sich“; vgl. noch Wilhelm von Brînneck, Die Aufhebung der Leibeigenschaft durch die Gesetzgebung Friedrichs des Großen und das Allgemeine Landrecht, in: ZSRG.Germ 10 (1889), S. 24 – 61, zu Pommern S. 39 f. Vgl. F(riedrich) (Gottlob) Leonhardi, Erdbeschreibung der Preußischen Monarchie, 1, Halle 1791, S. 367. Zu den Zahlen O. Behre, Statistik … (s. Anm. 447), S. 350 f.; vgl. Hildegard Hoffmann, Handwerk und Manufaktur in Preußen 1769. (Das Taschenbuch Knyphausen) (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften des Zentralinstituts fîr Geschichte, Reihe 2: Landes- und Regionalgeschichte, 10), Berlin 1969, S. 30 f., S. 34. Wilhelm Treue, Wirtschaft und Technik in Preussen bis zu den Reformen, in: JbGMitteldtld 29 (1980), S. 30 – 67, hier S. 65; erste preußische Dampfmaschine 1785 im Mansfelder Revier: S. 64; Konrad Fuchs, Vom Dirigismus zum Liberalismus. Die Entwicklung Oberschlesiens zum preußischen Berg- und Hîttenrevier. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 18. und 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1970, bes. S. 63 – 79; Fuchs auch zu lngerfristigen Entwicklungen; Peter Baumgart, Zur Rolle des preußischen Staates bei der Modernisierung der oberschlesischen Montanindustrie

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Manufakturen wurden, wenn auch nicht ausschließlich, in den Stdten entwickelt; lndliche Ausnahmen in der Mark Brandenburg der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts zeigen einen erheblichen Anteil adeliger Betreiber.879 Die preußische Hauptstadt und die „stadtnahen Manufakturlandschaften“ in deren Umgebung880 bildeten einen ganz wesentlichen Gewerbeschwerpunkt in der preußischen Monarchie. Zwischen 1750 und 1800 erlebte die gewerbliche Wirtschaft in diesem Raum – bei manchen Schwankungen – eine Phase gesteigerter Dynamik, die daran ablesbar ist, „daß die stdtische Wirtschaft in Berlin und der Kurmark sich“ in dieser Zeit, „gemessen an dem Zuwachs der Beschftigtenzahlen fast verdoppelte“, whrend die Einwohnerzahl um 40 Prozent anstieg.881 Im Textilgewerbe des Residenzenraumes war diese Entwicklung auch Ausdruck eines staatlichen Protektionismus. Um 1800 lag der gewerbliche Schwerpunkt Preußens jedenfalls in seinen mittleren Provinzen, dabei besonders in der Kurmark, whrend in den çstlichen Regionen nur 35,4 Prozent und in Preußens Westprovinzen nur 17,9 Prozent der im Gewerbe Beschftigten gezhlt wurden.882

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am Ausgang des 18. Jahrhunderts, in: W. Neugebauer / R. Prçve (Hg.), Agrarische Verfassung … (s. Anm. 849), S. 65 – 87, hier S. 67, S. 83 ff. H. Krîger, Manufakturen … (s. Anm. 705), S. 58 – 60. G. Heinrich, Manufakturstdte … (s. Anm. 852), S. 305; zur Stadt-Land-Arbeitsteilung vgl. Nheres bei Martin Pfannschmidt, Die Industriesiedlung in Berlin und in der Mark Brandenburg. Ihre Entwicklung vom Absolutismus bis zur Gegenwart und ihre zukînftigen Entwicklungsmçglichkeiten, hg. von der Akademie fîr Landesforschung und Reichsplanung, Stuttgart/Berlin 1937, S. 8 f., auch zur Tuchindustrie in der Neumark. Otto Bîsch / Wolfgang Scharfe, Gewerbe in Brandenburg um 1800. Erluterungen zum gleichnamigen Kartenblatt, in: Otto Bîsch (Hg.), Industrialisierung und Gewerbe im Raum Berlin-Brandenburg, 2 (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 19. Publikationen zur Geschichte der Industrialisierung), Berlin 1977, S. 35 – 60, hier S. 39 f., mit genaueren Einzeldaten, zum Folgenden S. 49 und S. 56 f.; Wilhelm Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte Preussens (= VerçffHistKommBerlin, 36), Berlin/New York 1984, S. 182, S. 184 (Metallgewerbe); vgl. (auch zu Krisenerscheinungen im letzten Jahrhundertdrittel) Rolf Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer. Eine empirische Untersuchung îber die sozialen Trger von Handel und Großgewerbe in den mittleren preußischen Provinzen (1763 – 1815) (= VjschrSozialWirtschG, Beihefte 122), Stuttgart 1995, S. 29. Karl Heinrich Kaufhold, Das Gewerbe in Preußen um 1800 (= Gçttinger Beitrge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 2), Gçttingen 1978, S. 31 f., und zum Verhltnis von lndlicher Produktion und Gewerbe in der Kurmark: S. 43 – 45, Berlin: S. 49, S. 197; vgl. noch Wolfgang Radtke, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740 bis 1806. Zur Interdependenz von Kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft (= Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 46), (Berlin 2003), bes. S. 448 ff.; Textilgewerbe: Burkhard Nolte, Merkantilismus und Staatsrson in Preußen. Absicht, Praxis und Wirkung der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und den westflischen Provinzen (1740 – 1788) (= Materialien und Studien

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In Oberschlesien und im Berliner Raum wurden schon im spten 18. Jahrhundert wirtschaftliche Strukturen ausgebildet, die dann ganz unmittelbar auf die Entwicklungen in den Epochen der Frîh- und der Hochindustrialisierung im 19. Jahrhundert hinfîhrten.883 Seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts sind auch technologische Innovationen, d. h. die Einfîhrung neuer Maschinen in bemerkenswertem Umfang zu beobachten.884 Dies gilt insbesondere fîr Maschinenspinnereien, also wieder fîr das Textilgewerbe. Trotz mancherlei Schwankungen in der staatlichen Wirtschaftspolitik whrend der zwei Jahrzehnte nach 1786 stieg der Produktionswert der Manufakturarbeiten von 1785/86 bis 1797/98 in Preußen von 26 Millionen Talern auf knapp 45 Millionen Taler an.885 Die Ausweitung derartiger moderner Produktionsmethoden hat schon in den merkantilistischen Zeiten dazu gefîhrt, daß „große Teile der gewerblichen Wirtschaft aus Zunftbindungen gelçst“ wurden.886

§ 14 Im Sturm der Politik Es war also durchaus nicht so, daß mit Preußen ein Staat alteuropischer Stagnation und des Immobilismus um 1800 in einem sich revolutionierenden Europa in eine existenzielle politische Krise geraten wre. Es war vielmehr ein Preußen, das lngst nicht mehr, wie Jahrzehnte zuvor, in entschlossener, freilich in Europa nicht einzigartiger Einseitigkeit bisweilen mehr als 80 Prozent des Staatsetats fîr militrische Zwecke reservierte. Um 1800, in gefhrlichen Konjunkturen, sank gerade die Militrquote der çffentlichen Ausgaben auf

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zur Ostmitteleuropaforschung, 10), Marburg 2004, S. 36 ff., mit Schwerpunkt auf Schlesien. Vgl. in diesem Sinne O. Bîsch / W. Scharfe, Gewerbe … (s. Anm. 881), S. 60 zu Brandenburg um 1800; es sei „unverkennbar, in welcher Weise die Wirtschaft und das Gewerbe um 1800 Grundlage und Ausgangspunkt fîr den Zustand um 1849 waren, der seinerseits wiederum als Basis fîr den Aufschwung bis zum Jahre 1875 anzusprechen ist“. – Vgl. zu Schlesien den inspirierenden Abriß von Wilhelm Treue, Schlesiens Eingliederung in das preußische Wirtschaftssystem, in: P. Baumgart (Hg.), Kontinuitt … (s. Anm. 445), S. 119 – 134, bes. S. 123 – 126, zur Entwicklung seit den 1780er Jahren; Treue zog die Linien bis in das 20. Jahrhundert aus. Z. B.: H. Krîger, Manufakturen … (s. Anm. 705), S. 47 f.; zur Porzellanherstellung W. Treue, Wirtschaft und Technik … (s. Anm. 878), S. 66, und Ders., Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 881), S. 183, S. 194. Nach H. Harnisch, Bevçlkerung und Wirtschaft … (s. Anm. 852), S. 86; Wirtschaftspolitik: H. Rachel, Merkantilismus … (s. Anm. 265), S. 263 f.; nach wie vor wichtig R. Rçseler, Handels- und Gewerbepolitik … (s. Anm. 760), S. 93. So Clemens Wischermann, Preußischer Staat und westflische Unternehmer zwischen Sptmerkantilismus und Liberalismus (= Mînstersche Historische Forschungen, 2), Kçln/Weimar/Wien 1992, S. 259.

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unter 60 Prozent (1801/1802: 57,13 Prozent) ab.887 In diesen Jahren vernderte sich das Spektrum der Staatsaufgaben erstmals hin zu kulturstaatlichen Wirkungen in der Flche des Staates. Zugespitzt: Ein Preußen, das lngst nicht mehr in alter Entschiedenheit „Militr- und Machtstaat“ war, ging in den Kampf, bei Jena und Auerstedt. Friedrich Wilhelm III., das hat die internationale Forschung besttigt, war ein Monarch mit dezidierter Disposition fîr den Frieden, ein Kçnig,888 der lange Zeit davon îberzeugt war, daß mit dem nachrevolutionren Frankreich ein Ausgleich mçglich sein mîsse. Beim Regierungsantritt des neuen Monarchen kam es zu keinem Kurswechsel in der Außenpolitik. Trotz franzçsischer Offerten zu einer politischen Annherung hielt die preußische Außenpolitik an ihrem Neutralittskurs fest, und dies auch seit 1799 whrend des Zweiten Koalitionskrieges. Freilich wurde seit dem Frieden von Lun¤ville (9. Februar 1801) doch immer deutlicher, daß die Neutralittsstrategie, in der preußischen Staatsfîhrung durchaus umstritten, immer schwerer durchzuhalten war. Auch die massive Abstîtzung der preußischen Neutralittsposition in „Norddeutschland“ durch das zum Jahreswechsel 1791/1792 durch Verzicht Markgraf Alexanders angefallene Ansbach-Bayreuth, d. h. die Verstrkung des hohenzollernschen Hausbesitzes in einer traditionell „kaisernahen“ Reichsregion, sicherte nicht mehr die Position Preußens.889 Es war nach 1795 auf die Dauer nicht mçglich gewesen, die Neutralisierungszone weit nach Sîddeutschland vorzuschieben. Nun ging es darum, wenigstens den Norden unter dem preußischen Neutralittsprotektorat zu halten. Dem diente 1801 die zeitweilige Besetzung Hannovers, um einer Invasion franzçsischer Truppen in dieses (Neben-)Land der englischen Krone zuvorzukommen. Der Rîckzug zum Jahreswechsel 1801/ 02, nach einer Verstndigung zwischen England und Rußland und sodann

887 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Staatsverfassung und Heeresverfassung in Preußen whrend des 18. Jahrhunderts, in: ForschBrandPrG NF 13 (2003), S. 83 – 102, hier S. 101 f. mit Belegen; zum Folgenden Wolfgang Neugebauer, Preußen als Kulturstaat, in: ForschBrandPrG NF 17, 2 (2007), S. 161 – 179. 888 P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 358, auch zum Folgenden, ferner S. 360 ff.; Th. Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III. … (s. Anm. 825), S. 217; vgl. schon Paul Bailleu, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Preußen und Frankreich von 1795 bis 1807. Diplomatische Correspondenzen, 1 (= Publicationen aus den K. Preussischen Staatsarchiven, 8), Leipzig 1881, S. XLVII f. – auch zum Folgenden; vgl. O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 321 f., S. 354; B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 340. 889 Gut gesehen von R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 233; Druck: F. W. Ghillany, Diplomatisches Handbuch … (s. Anm. 683), 1, S. 283 ff. (Lun¤ville); W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 756), 2, S. 91 f.; zum Folgenden W. Trummel, Demarkationslinie nach dem Frieden von Basel … (s. Anm. 817), S. 14 ff., S. 32.

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einsetzenden Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Großbritannien, hat dem Ansehen Preußens erheblich geschadet.890 Die geopolitisch prekre Neutralittsstellung zwischen Frankreich und Rußland, der Versuch, sich aus den Gravitationszonen des europischen Mchtesystems herauszuhalten, bei gleichzeitigem Streben nach territorialen Kompensationen fîr linksrheinische Verluste, machten die Lage immer problematischer. Preußen verlangte Entschdigungen vor allem im Gebiet der Germania Sacra – kein ganz neuer Gedanke891 im Stile traditionsbrechender Kompensationsmechanik in sptaufklrerischer Zeit. Dabei ruhte der Blick der preußischen Außenpolitik nun auf den Fîrststiftern Bamberg und Wîrzburg, Hildesheim und Osnabrîck, ferner auf dem mainzischen Eichsfeld, und einige Reichsstdte sollten noch dazukommen.892 Hildesheim und Teile des Fîrststifts Mînster wurden noch 1802 okkupiert. Ein preußisch-franzçsischer Vertrag (23. Mai) bereitete diejenigen Skularisationen aus reichskirchlichem Bestand vor, die im Reichsdeputationshauptschluß des Folgejahres besttigt wurden. Auch Paderborn, das Eichsfeld und Erfurt, die Abteien Elten, Essen, Werden, ferner Quedlinburg und die Reichsstdte Goslar, Nordhausen und Mîhlhausen kamen als „Entschdigungslande“ an Preußen.893 Verwaltet wurden sie vom Freiherrn vom Stein. Auf dem linken Rheinufer hatte Preußen 48 Quadratmeilen verloren und dafîr jetzt 230 Quadratmeilen gewonnen. Gleichwohl hatte das politische Gewicht Preußens Schaden erlitten. Die frnkischen Hohenzollerngebiete lagen nun im bayerischen Hegemonialraum isoliert. Franzçsische Truppen rîckten in Hannover ein und schoben sich mithin zwischen preußische Gebiete im Westen. Friedrich Wilhelm III. hat, entgegen dem Rat seiner Umgebung, diese 890 B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 69; L. Kittstein, Politik … (s. Anm. 806), S. 249. 891 Vgl. zu preußischen Skularisationsinitiativen auf dem Boden des Alten Reiches in den 1740er Jahren: Volker Press, Das Wittelsbachische Kaisertum Karls VII. Voraussetzungen von Entstehung und Scheitern, in: Andreas Kraus (Hg.), Land und Reich, Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. Festgabe fîr Max Spindler zum 90. Geburtstag, 2, Mînchen 1984, S. 201 – 234, hier S. 225 f.; Walther von Hoffmann, Das Skularisationsprojekt von 1743. Kaiser Karl VII. und die rçmische Kurie, in: Karl Alexander von Mîller (Hg.), Riezler-Festschrift. Beitrge zur bayerischen Geschichte, Gotha 1913, S. 213 – 259, hier S. 222 ff., S. 230 u. ç. 892 Vgl. P. Bailleu, Preußen und Frankreich … (s. Anm. 888), hier 2, S. XV; weitere Forderungen bei K. O. Frhr. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 806), 3, S. 494, S. 499; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 429; vgl. speziell Hermann Bsecke, Die Einrichtung der preußischen Herrschaft auf dem Eichsfelde, 1802 – 1806, Gçttingen 1905, S. 12. 893 Vgl. die ˜bersicht (mit Kartenbeilage): Geographisch-statistische Beschreibung der im Jahre 1802 dem Preußischen Staate zugefallenen Entschdigungsprovinzen, Berlin 1802 (!), bes. S. IV f., auch zum Stift Herford.

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Brîskierung der norddeutschen Hegemonialneutralitt hingenommen. An dieser Politik wurde gleichwohl in Potsdam-Berlin festgehalten; nur eine geheime Allianz mit Rußland zur Verteidigung Norddeutschlands wurde im Mai 1804 geschlossen.894 Die Neutralittspolitik war in Preußen vor 1806 und seitdem in der Historiographie sehr umstritten. Freilich hat diese Politik noch fîr einige Zeit Preußen den Frieden bewahrt und so Zeit geschaffen zur Konsolidierung der finanziellen Lage, auch fîr (vorsichtige) Reformen.895 – Eine Allianz mit Frankreich hat Friedrich Wilhelm III. 1804 vermieden und auch das Angebot eines norddeutschen Kaisertums fîr Preußen nicht ergriffen.896 In dieser Zeit gewann Hardenberg Einfluß auf die preußische Außenpolitik. In der Krise des Dritten Koalitionskrieges hat Preußen im September 1805 die Armee mobilisiert, um dem Druck, zumal aus dem Osten, standzuhalten. Trotz intensiven Werbens Rußlands hat Friedrich Wilhelm III. an seiner Linie festhalten wollen, und dies obwohl franzçsische Truppen erneut das nahe Hannover besetzten und preußisches Hoheitsgebiet verletzten, indem sie durch Ansbach marschierten.897 So kam es nun zu einer Annherung Preußens an die dritte Koalition, besiegelt mit der Vereinbarung einer „bewaffneten Vermittlung“ bei der Anwesenheit Zar Alexanders I. zu Potsdam am 3. November 1805; am Abend des 4. November fand jene Szene am Sarg Friedrichs des Großen in der Potsdamer Garnisonkirche statt, die dem Bîndnis eine dynastisch-traditionale Symbolik zu verleihen schien. Die Niederlage der Koalition bei Austerlitz verhinderte allerdings, daß der Potsdamer Vertrag Wirksamkeit entfaltete. Um so îberraschender, wenn auch unter massivem franzçsischem Druck, kam es kurze Zeit spter, nicht zwei Wochen nach Austerlitz, zum preußischfranzçsischen Allianzvertrag von Schçnbrunn, verhandelt und unterzeichnet 894 R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 248 – 251; P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 364 – 370; B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 70; K. O. Frhr. v. Aretin, Heiliges Rçmisches Reich … (s. Anm. 692a), 1, S. 472; H. Hîffer, Lombard … (s. Anm. 434), S. 123. 895 So gegen die Verdammung der Neutralittspolitik P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 372 f.; vgl. L. Kittstein, Politik … (s. Anm. 806), S. 274 f. 896 Vgl. zu verschiedenen Positionen in der preußischen Fîhrung K. O. Frhr. v. Aretin, Das Alte Reich … (s. Anm. 806), 3, S. 514 f.; vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 430. 897 P. Bailleu, Vor 100 Jahren … (s. Anm. 820), hier S. 204 f., S. 208 f., S. 212 – 220; P. Dwyer, The Politics … (s. Anm. 806), S. 371; Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 185 f., S. 192 – 201; Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763 – 1848, Oxford 1994, S. 279 f.; Paul Bailleu (Hg.), Briefwechsel Kçnig Friedrich Wilhelms III. und der Kçnigin Luise mit Kaiser Alexander I. Nebst ergnzenden fîrstlichen Korrespondenzen (= PubllPreussStaatsarch, 75), Leipzig 1900, S. XIV f.

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durch den Kabinettsminister Graf Haugwitz (15. Dezember 1805). Preußen trat Ansbach, Kleve, Wesel und Neuch’tel an Frankreich ab und wurde dafîr auf Hannover und anderen englischen Besitz verwiesen. Der Pariser Vertrag vom Februar 1806 hat dieses Bîndnis noch verstrkt und Preußen endgîltig in Konfrontation mit Großbritannien gebracht.898 – Preußen hatte zwar erklrt, Hannover nur bis zu einem Frieden besetzen zu wollen. Nach dem Einmarsch der Truppen erklrte England aber am 11. Juni 1806 an Preußen den Krieg.899 Preußen ging nach einem Jahrzehnt der Neutralittspolitik nun isoliert900 in das Entscheidungsjahr 1806, zugleich das letzte Jahr des Alten Reiches. Plne fîr einen norddeutschen Bund, mçglicherweise unter einem hohenzollernschen Kaisertum, mit der Absicht, so einer Proklamation Napoleons zum deutschen Kaiser zuvorzukommen,901 stießen auf Widerstnde deutscher Fîrsten, und Friedrich Wilhelm III. hat diese Plne im Sommer des Jahres 1806 auch allenfalls halbherzig verfolgt. Unterdessen fîhrten Grenzverletzungen franzçsischer Truppen in den westflischen Gebieten Preußens und Nachrichten, nach denen Napoleon das eben erst an Preußen gekommene Hannover an England zurîckgeben wolle, zur entscheidenden Eskalation. Ein preußisches Ultimatum an Frankreich mit der Forderung, die Truppen aus der Nhe der Grenzen zurîckzuziehen und ein Bîndnis zwischen Preußen und Rußland, das freilich auf dem mitteleuropischen Schauplatz jetzt nicht prsent war, fîhrten zum Krieg, in dem Preußen nahezu isoliert gegen Napoleon stand.902 898 F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 445; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 431; R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 254 f.; P. Bailleu, Vor 100 Jahren … (s. Anm. 897), S. 226; [Anonym], Das wichtigste Jahr der preußischen Monarchie, aus offiziellen Berichten mit historischer Treue dargestellt von einem Neutralen, 1, Berlin 1808, S. 44 f. 899 H. Hîffer, Lombard … (s. Anm. 434), S. 192; F. W. Ghillany, Chronik … (s. Anm. 597), 1, S. 448, S. 450. 900 Vgl. B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 318. 901 L. Kittstein, Politik … (s. Anm. 806), S. 293 – 354, bes. S. 321, S. 335 ff., S. 348; K. O. Frhr. v. Aretin, Heiliges Rçmisches Reich … (s. Anm. 692a), 1, S. 471 f.; vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 432; Wilhelm Adolf Schmidt, Geschichte der preußisch-deutschen Unionsbestrebungen seit der Zeit Friedrich’s des Grossen. Nach amtlichen Quellen, Berlin 1851, S. 447 – 459; Heinrich Triepel, Die Hegemonie. Ein Buch von fîhrenden Staaten, Stuttgart 1938, S. 546. 902 Vgl. schon R. Koser, Preußische Politik … (s. Anm. 769), S. 256 – 259; C. Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 29; Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 221, S. 223 – 227; L. Kittstein, Politik … (s. Anm. 806), S. 289, S. 348; und jetzt Ilja Mieck, Die Rettung Preußens? Napoleon und Alexander I. in Tilsit 1807, in: Ilja Mieck / Pierre Guillen (Hg.), Deutschland – Frankreich – Rußland. Begegnungen und Konfrontationen. Im Auftrag des Deutsch-franzçsischen Historikerkomitees, Mînchen 2000, S. 15 – 35, hier S. 19 f.; O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 260.

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Im Feldzug hat faktisch Friedrich Wilhelm III. nicht gefîhrt, und manches spricht fîr einen Autorittsverfall des Kçnigs 1806 schon vor der Katastrophe. Die militrische Fîhrung war auf preußischer Seite von vornherein skeptisch, ob ein Erfolg denn mçglich sei, und der Herzog von Braunschweig, dann Oberbefehlshaber der preußischen Hauptarmee, beabsichtigte ursprînglich eigentlich gar nicht zu schlagen, sondern er wollte die Mobilisierung nur als eine politische Demonstration zum Zwecke der Abschreckung. Ein Teil der Armee blieb im Herbst 1806 denn in den Garnisonen. Das alles sind Indizien dafîr, daß ohne Geschlossenheit und Entschlossenheit in diejenige Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 gegangen worden ist, nach der das alte Preußen binnen kurzem kollabierte.903 Auf der preußischen Seite standen einschließlich des schsischen Verbîndeten in diesem Feldzug rund 120.000 Mann, whrend auf franzçsischer 160.000 Soldaten marschierten.904 Als der Herzog von Braunschweig im Gefecht verletzt wurde, hat Friedrich Wilhelm III. das Kommando nicht etwa entschlossen an sich genommen, und er hat auch darauf verzichtet, mit dem Einsatz der intakten Reserven doch noch zu versuchen, das Blatt zu wenden.905 Der Kçnig ging îber die Festungen Magdeburg und Kîstrin nach dem çstlichsten Preußen, whrend das Heer sich in Panik und Desertion auflçste und Festungen auch ohne Widerstand kapitulierten.906 Eine preußische Reservearmee wurde am 18. Oktober bei Halle geschlagen. Hof und Minister flohen nach Osten; der Freiherr vom Stein rettete freilich die Tresormittel vor dem Zugriff der Franzosen. Ein Friedensversuch am 30. Oktober 1806 scheiterte an den harten Forderungen Napoleons, u. a. an der Bedingung, durch neuerlichen Bîndniswechsel sich nun gegen Rußland zu stellen. Nach Jena und Auerstedt trat, so wurde formuliert, zunchst eine „vorîbergehende vçllige Paralyse des Staatswesens“ ein,907 und in den neupreußischen Teilungsgebieten im polnischen Osten zeigten Insurrektionen die Grenzen 903 Vgl. jetzt O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 260 ff., S. 323, S. 355; die ostpreußischen Regimenter nahmen nicht am Feldzug teil; zur unzureichenden Fîhrungsfhigkeit des Kçnigs vgl. S. 232 f., S. 253, S. 257, S. 280 f., S. 296, S. 322 f., Autorittsverfall 1806: S. 274; C. Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 29 f.; vgl. Th. Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III. … (s. Anm. 825), S. 200, S. 210; zu Fîhrungsdefiziten vgl. erneut B. Simms, Impact … (s. Anm. 816), S. 313 f., S. 317 f. 904 Hans Delbrîck, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau. In zwei Bnden, 1, Berlin 31908, S. 45 f. 905 Th. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 807), S. 238; H. Delbrîck, Gneisenau … (s. Anm. 904), S. 49, S. 52. 906 Wichtiges Material: 1806. Das Preußische Offizierkorps und die Untersuchung der Kriegsereignisse, hg. vom Großen Generalstabe. Kriegsgeschichtliche Abteilung II, Berlin 1806, Festungen: S. 40 – 50, S. 268 – 319; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 29), S. 434 f. 907 So C. Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 88.

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der administrativen Integrationsmaßnahmen des vergangenen Jahrzehnts.908 Zu einem letzten Aufbumen des preußischen Widerstandes kam es, nachdem seit Ende November westlich der Weichsel nur noch in Schlesien und in Kolberg gekmpft wurde, im Februar 1807 noch einmal im innersten Ostpreußen. Russische Truppen hielten den Franzosen in der Schlacht bei Preußisch-Eylau stand (7. und 8. Februar 1807). Ein 6.000 Mann starkes preußisches Korps unter Scharnhorst hat dabei mitgetan. Danzig fiel am 25. Mai, und am 14. Juni 1807, „genau acht Monate nach Jena und Auerstedt“ siegten die Franzosen bei Preußisch-Friedland îber die Russen. Damit waren die im Vertrag von Bartenstein (26. April 1807) mit Rußland getroffenen Abmachungen, im Bîndnis mit dem Zaren die Wiederherstellung Preußens zu erkmpfen, zunichte gemacht. Kçnigsberg mußte gerumt werden. Im ußersten Osten, in Memel und Tilsit, wurde dann derjenige Weg beschritten, der erst zum Waffenstillstand und dann zu einem harten Frieden zu Lasten Preußens am 9. Juli 1807 fîhrte.909 Der Verlust aller westelbischer Gebiete und von Teilen der frîher polnischen Landschaften, eine hohe Kriegskontribution, die nun von viereinhalb Millionen Preußen aufgebracht werden sollte – das alles waren auf den ersten Blick Katastrophen. Auf den zweiten Blick wurden daraus Impulse fîr Reformen und Mobilisierungen, die weit îber das Militrische hinausverwiesen.

908 Vgl. aus preußischer Sicht Kurt Schottmîller, Der Polenaufstand 1806/7. Urkunden und Aktenstîcke aus der Zeit zwischen Jena und Tilsit (= Sonder-Verçffentlichungen der Historischen Gesellschaft fîr die Provinz Posen, 4), Lissa i. P. 1907, S. 40* ff. 909 C. Frhr. v. d. Goltz, Von Roßbach … (s. Anm. 672), S. 84 ff.; Th. Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III. (s. Anm. 825), S. 210 f.; J. Mieck, Tilsit … (s. Anm. 902), S. 20 f.; O. Jessen, Rîchel … (s. Anm. 827), S. 314 – 319; noch immer unersetzt: Oscar von Lettow-Vorbeck, Der Krieg von 1806 und 1807, 4. Bd., Berlin 1896, S. 399 – 442.

C. Große Themen der preußischen Geschichte

I. Preußen und Westeuropa Von Ilja Mieck Bibliographie Fîr die allgemeine Geschichte Preußens wird auf die Bibliographien zu den Epochenkapiteln (Neugebauer, Mieck, Schulze, Born, Mçller) verwiesen. Nachstehend werden vor allem solche Werke aufgefîhrt, in denen beziehungsgeschichtliche Fragestellungen einen grçßeren Raum einnehmen. Bîcher, die mehrere Epochen behandeln, werden nur bei dem Kapitel genannt, fîr das sie besonders relevant sind; bei wiederholter Benutzung wird auf die jeweilige Erstzitierung (§, Anm.) mit den vollstndigen bibliographischen Angaben hingewiesen. Eine Ausnahme bildet die Vertragssammlung Clive Parry (Hg.), The Consolidated Treaty Series [= im folgenden immer CTS], 231 Bde., New York 1969 – 1981, die nur einmal genannt wird (§ 4, Anm. 566). Nicht aufgenommen werden Publikationen, die nur beilufig benutzt wurden. Aus Grînden der ˜bersichtlichkeit stimmen Kapitelzhlung und Gliederungspunkte der Bibliographie îberein (§ 1 – § 7). Deshalb ist der einleitende Abschnitt (îbergreifende Werke usw.) nicht numeriert. Aus praktischen Grînden sind die Literaturhinweise fîr die beiden letzten Kapitel (§§ 6/7: 1815 – 1871) zusammengefaßt. Publikationen, die nach 2000 erschienen sind, konnten im allgemeinen nicht mehr ausgewertet werden. Gesamtdarstellungen, ˜bersichtswerke (auch zu Teilzeitrumen): Karl otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806; 1: Fçderalistische oder hierarchische Ordnung (1648 – 1684), Stuttgart 1993, 2: Kaisertradition und çsterreichische Großmachtpolitik (1684 – 1745), Stuttgart 1997, 3: Das Reich und der çsterreichisch-preußische Dualismus (1745 – 1806), Stuttgart 1997; Olaf asbach / Klaus Malettke / Sven Externbrink (Hg.), Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des franzçsischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert (= Historische Forschungen, 70), Berlin 2001; Ronald G. Asch / Heinz Duchhardt (Hg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 – 1700) (= Mînstersche Historische Forschungen, 9), Kçln/Weimar/Wien 1996; Rainer Babel (Hg.), Frankreich im europischen Staatensystem der Frîhen Neuzeit (= Beihefte der Francia, 35), Sigmaringen 1995; Miguel Alonso Baquer, Das militrische Phnomen des Preußentums aus spanischer Sicht, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußischdeutschen Militrgeschichte, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 37 – 45; Fr¤d¤ric Barbier, Le commerce culturel des nations France-Allemagne, XVIIIe-XIXe siºcle (= Revue de synthºse, 113, Heft 1/2), Paris 1992; FranÅois De Bas, Hohenzollern und Oranien, in: HohenzJb 2 (1898), S. 188 – 207 (mit einer Konsanguinitts-Tafel); Georg von Below / Friedrich Meinecke (Hg.), Handbuch der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte, Abteilung II: Politische Geschichte, Bde. 5 – 8, Mînchen/Berlin

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burgica. Festschrift fîr Werner Vogel zum 60. Geburtstag) (1990), S. 180 – 202; Stefan Hartmann (Bearb.), Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1551 – 1557). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Verçffentlichungen aus dem Archiv Preußischer Kulturbesitz, 57), Kçln/Weimar/Wien 2005; Dieter Heckmann (Hg.), Von Kçnigsberg an die Loire. Quellen zur Handelsreise des herzoglich-preußischen Faktors Antoine Maillet nach Frankreich in den Jahren 1562 bis 1564 (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 33), Kçln/Weimar/Wien 1993; Ders. (Bearb.), Die Beziehungen der Herzçge in Preußen zu West- und Sîdeuropa (1525 – 1688). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 47), Kçln/Weimar/Wien 1999; Gerd Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten von Brandenburg (1640 – 1688) (= ZHF, Beiheft 8), Berlin 1990; Herbert Helbig, Gesellschaft und Wirtschaft der Mark Brandenburg im Mittelalter (= VerçffHistKommBerlin, 41), Berlin/New York 1973; Otto Hintze, Kalvinismus und Staatsrson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens (= Gesammelte Abhandlungen, hg. von Gerhard Oestreich, 3), Gçttingen 1967, S. 255 – 312; Stuart Jenks, England, die Hanse und Preußen: Handel und Diplomatie 1377 – 1474 ( = QDarstHansG NF, 38), Kçln 1992; Martin Kintzinger, Westbindungen im sptmittelalterlichen Europa. Auswrtige Politik zwischen dem Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds (= Mittelalter-Forschungen, 2), Sigmaringen 1999; Gustavgeorg Knabe, Preußische Falken im Dienste der Politik des Deutschen Ordens, in: Preußenland 7 (1969), S. 17 – 21; Robert Jean Knecht, Francis I, Cambridge u. a. 1982; Esther-Beate Kçrber, §ffentlichkeiten der Frîhen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen çffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618 (= Beitrge zur Kommunikationsgeschichte, 7), Berlin/New York 1998; Rudolf Kçtzschke / Hellmut Kretzschmar, Schsische Geschichte, ND Frankfurt am Main 1965; Johannes Kunisch, Kurfîrst Friedrich Wilhelm und die Großen Mchte, in: G. Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland … (siehe dort), Berlin 1990, S. 9 – 32; Ernst Laubach, Wahlpropaganda im Wahlkampf um die deutsche Kçnigswîrde 1519, in: ArchKulturg 53 (1971), S. 207 – 248; Jan Thomas Lindblad, Dutch entries in the pound-toll registers of Elbing, 1585 – 1700 (= Rijks Geschiedkundige Publicati×n, 225), Den Haag 1995; Jean-Marie Moeglin, Dynastisches Bewußtsein und Geschichtsschreibung. Zum Selbstverstndnis der Wittelsbacher, Habsburger und Hohenzollern im Sptmittelalter, in: HZ 256 (1993), S. 593 – 635; Barbara Muschalla, Frankreich und die deutschen Protestanten von 1574 bis 1598, (unverçffentlichte) Staatsexamensarbeit an der FU Berlin, Berlin 1975; Wilhelm Naud¤ / Gustav Schmoller (Bearb.), Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung Brandenburg-Preußens bis 1740 (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Die einzelnen Gebiete der Verwaltung: Getreidehandelspolitik, 2), Berlin 1901; Helmut Neuhaus, Die brandenburgischen Kurfîrsten im Jahrhundert der Reformation (1499 – 1598), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (siehe Gesamtdarstellungen), S. 52 – 73; Beatrice Nicollier-De Weck, Hubert Languet (1518 – 1581). Un reseau politique international de M¤lanchthon ” Guillaume d’Orange, Genf 1995 ; Jean-Daniel Pariset, Les relations entre la France et l’Allemagne au milieu du XVIe siºcle, Straßburg 1981; Werner Paravicini, Die Preußenreisen des europischen Adels (= Beihefte der Francia, 17), bisher 2 Tle., Sigmaringen 1989/1995; Ders. (Hg.), Europische Reiseberichte des spten Mittelalters. Eine ana-

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Die Gewerbsindustrie und Staatswirtschaft der Jahre 1834 und 1835, mit besonderer Berîcksichtigung Deutschlands, und des Preußischen Staats, historisch und statistisch, Breslau 1837; Heinrich Weber, Wegweiser durch die wichtigsten technischen Werksttten der Residenz Berlin (= Der vaterlndische Gewerbsfreund. Ein Leitfaden der industriellen Geschftigkeit im Preußischen Staate, I, 2 Hefte [mehr nicht erschienen]), Berlin/Leipzig 1819/20, ND Leipzig 1987; Wilhelm Weber, Der deutsche Zollverein. Geschichte seiner Entstehung und Entwicklung, Leipzig 21871, ND Glashîtten i. T. 1972; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 2: Von der Reformra bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815 – 1848/49, Mînchen 1987, 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. 1849 – 1914, Mînchen 1995; Klaus Rudolf Wenger, Preußen in der çffentlichen Meinung Frankreichs 1815 – 1870. Politische Aspekte des franzçsischen Preußenbildes. Ein Beitrag zur historischen Analyse nationaler Urteilsklischees (= GçttBausteineGWiss, 50), Gçttingen u. a. 1979; Michael Werner, Ãtrangers et immigrants ” Paris autour de 1848: L’exemple des Allemands, in: I. Mieck / H. Mçller / J. Voss, Paris und Berlin 1848 … (siehe dort), S. 199 – 213; Ders., La r¤ception de Heine en France. El¤ments d’un dossier, in: Cahiers d’Etudes Germaniques 34 (1998), S. 11 – 25; Karin Wiedemann, Zwischen Irritation und Faszination. George Sand und ihre deutsche Leserschaft im 19. Jahrhundert (= Mannheimer Beitrge zur Sprach- und Literaturwissenschaft, 53), Tîbingen 2002; Hans Wilderotter, „Germania mit dem Reichswappen“. Der Ausbau der Behçrdenstandorte des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches in der Wilhelmstraße bis 1880, in: H. Engel / W. Ribbe (Hg.), Geschichtsmeile … (siehe dort), S. 101 – 116; Hans Wilderotter, Alltag der Macht. Berlin Wilhelmstraße, Berlin 1998; Rolf Winau, Krankheiten und Gesundheitspolitik im Leben der drei deutschen Kaiser, in: W. Treue (Hg.), Drei deutsche Kaiser … (siehe dort), S. 174 – 187; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, 2: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, Mînchen 2000; Friedrich Wolfzettel, Ce d¤sir de vagabondage cosmopolite. Wege und Entwicklung des franzçsischen Reiseberichts im 19. Jahrhundert, Tîbingen 1986; Siegfried Wollgast, Karl Christian Friedrich Krause (1781 – 1832). Anmerkungen zu Leben und Werk (= Sitzungsberichte der Schsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig/Phil.-hist. Klasse, 129, 5), Berlin 1990, S. 1 – 127 (auch als Einzeldruck: Berlin 1990); Egmont Zechlin, Bismarck und die Grundlegung der deutschen Großmacht, Darmstadt 21960; Gilbert Ziebura, § 12: Frankreich von der Großen Revolution bis zum Sturz Napoleons III. 1789 – 1870, in: Walther Bussmann (Hg.), Europa von der Franzçsischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts (= Theodor Schieder [Hg.], Handbuch der Europischen Geschichte, 5), Stuttgart 1981, S. 187 – 318; Johannes Ziekursch, Politische Geschichte des Neuen Deutschen Kaiserreiches, 1: Die Reichsgrîndung, Frankfurt am Main 1925.

§ 1 Die Anfnge der Beziehungen Brandenburgs und Preußens zu Westeuropa Die Beziehungen Brandenburg-Preußens zu den westeuropischen Staaten bilden eine unverzichtbare Komponente fîr das historische Verstndnis des Weges, den dieser Staat îber Aufstieg, Blîte und Fall genommen hat. Von Anfang an

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fand die Begegnung auf mehreren Ebenen statt, die nicht nur unterschiedlich strukturiert, sondern auch von beachtlicher Breite und Tiefe waren, so daß die Thematik „Preußen und Westeuropa“ in einem Handbuch der preußischen Geschichte eine eigene Darstellung verdient. Ungeachtet der wechselnden politischen Gegebenheiten wird dabei Westeuropa geographisch verstanden: Neben England, Frankreich und den Niederlanden werden von Fall zu Fall auch die iberischen Lnder sowie – in den beiden letzten Kapiteln – Belgien berîcksichtigt. Gelegentlich mîssen sogar die Beziehungen Preußens zur Schweiz erwhnt werden, bildete doch dieses Land eine wichtige Verbindung zu Westeuropa. Bei der Betrachtung der politischen Beziehungen ist es unerlßlich, das Verhltnis Preußens zu Westeuropa im Zusammenhang zu sehen, denn in der historischen Realitt hat es, genaugenommen, bilaterale Verbindungen nur vordergrîndig gegeben; war Preußen zu irgendeiner Zeit mit England oder den Niederlanden verbîndet, stand Frankreich in aller Regel auf der anderen Seite und umgekehrt. Neben den politischen Konstellationen – oft von ihnen unabhngig und von grçßerer Gewichtigkeit – entwickelten sich zwischen Brandenburg-Preußen und Westeuropa vielfltige Beziehungen anderer Art. §konomischer und kultureller Austausch sind die beiden Hauptstichworte, die, in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, fîr das Entstehen anderer, hufig sehr ausgedehnter Beziehungsgeflechte verantwortlich waren. Dabei liegt, der modernen Auffassung folgend, sowohl den Wirtschafts- als auch den Kulturbeziehungen eine sehr weitgefaßte Definition zugrunde. Die Erforschung dieses facettenreichen Netzwerkes, das also politische und wirtschaftlich-kulturelle Komponenten aufweist, steht in vielen Bereichen noch am Anfang, obwohl die westeuropische Perspektive wesentliche Aspekte zu einem abgewogenen Gesamtbild Brandenburg-Preußens beisteuern kann – hat sie doch die Geschichte dieses Staates vom Sptmittelalter bis zur Bismarckzeit maßgeblich mitbestimmt. Auch durch die Publikationen, die im Umfeld des „Preußenjahres“ 2001 erschienen sind, hat sich die Forschungslage nur wenig gebessert, weil die preußisch-westeuropische Perspektive darin kaum angesprochen wird.1 Das gilt auch fîr manche Tagungsbnde.2 Lediglich in den 1

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Einige Beispiele der meist als Sammelbnde konzipierten Bîcher mçgen genîgen: Julius H. Schoeps / Bildarchiv PK (Hg.), Preußen – Geschichte eines Mythos, Berlin 2000; Patrick Bahners / Gerd Roellecke (Hg.), Preußische Stile. Ein Staat als Kunststîck, Stuttgart 2001; Reinhard Appel / Karl-Gînter von Hase (Hg.), Preußen 1701/ 2001, Mînchen 2001. Genannt seien exemplarisch Brbel Holtz / Hartwin Spenkuch (Hg.), Preußens Weg in die politische Moderne. Verfassung – Verwaltung – politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade, Berlin 2001. In einem vollmundig angekîndigten Werk („Neubestimmung der Preußenforschung“) ist wenigstens einleitend davon die Rede: Ernst

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Aufsatzbnden der Kataloge der verschiedenen Ausstellungen3 sowie in einem biographischen Sammelwerk îber die preußischen Herrscher finden sich vereinzelt neue Informationen.4 I. Voraussetzungen Das brandenburg-preußische Verhltnis zu Westeuropa war zunchst abhngig von geographischen Gegebenheiten. Die Außenpolitik mußte zwar auf die jeweilige Bîndnissituation eingehen, stand aber stndig unter dem Druck der geographischen Lage „mitten in Europa“,5 die eine permanente Herausforderung bedeutete. 1. Der Zwang der Geographie: Mittellage und Zersplitterung Obwohl das Kurfîrstentum Brandenburg, das eine Kernland des spteren Kçnigreichs Preußen, nicht zu den tonangebenden Territorien des sptmittelalterlichen Europa gehçrte, war dieses eher mittel- und osteuropisch orientierte Land im Bewußtsein der westeuropischen Staaten prsent, rîckte es doch allein durch die geographische Besonderheit seiner Mittellage6 ins politische Blickfeld. Andererseits war es fîr ein derart zentral gelegenes Territorium unabdingbar, daß seine Regierung ihre Aufmerksamkeit nicht nur einem Teil, sondern dem gesamten Bereich der ußeren Politik widmete.

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Hinrichs, Preußen und Europa. Neue Anstze der vergleichenden Preußenforschung, in: Jçrg Wolff (Hg.), Stillstand, Erneuerung und Kontinuitt. Einsprîche zur Preußenforschung (= Rechtshistorische Reihe, 234), Frankfurt am Main 2001, S. 11 – 33. Hervorzuheben sind Preußen 1701. Eine europische Geschichte, 2 (= Essayband zur gleichnamigen Ausstellung im Schloß Charlottenburg 2001), hg. v. Deutsches Historisches Museum/Stiftung Preussische Schlçsser und Grten Berlin-Brandenburg, Berlin 2001; Sigrid Hoff (Hg.), Marksteine: 948-1701-2001. Eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen, Potsdam 2001; Christiane Keisch / Susanne Netzer (Hg.), „Herrliche Kînste und Manufacturen.“ Fayence, Glas und Tapisserien aus der Frîhzeit Brandenburg-Preußens 1680 – 1720, Berlin 2001. Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., Mînchen 2000; eher innenpolitische Fragen behandelt dagegen Ders., Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates, Paderborn 2001. – Vgl. noch das biographische Gegenstîck, das allerdings von einer einzigen Autorin stammt: Karin Feuerstein-Prasser, Die preußischen Kçniginnen, Regensburg 2001. Diese Formulierung wurde sogar zum Titel eines Buches: Hartmut Boockmann u. a., Mitten in Europa. Deutsche Geschichte, Berlin 1987. Die „Mittellage“ ist ein beliebtes Diskussionsthema der internationalen Historiographie; eine knappe Zusammenfassung gibt Brendan Simms, The Impact of Napoleon. Prussian High Politics, Foreign Policy and the Crisis of the Executive, 1797 – 1806, Cambridge 1997, S. 9 – 12.

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Eine „Westpolitik“ dieses Staates war nur denkbar, wenn man gleichzeitig die „Ostpolitik“ im Blick behielt (z. B. Polen und Rußland) und îberdies die „Nordpolitik“ (z. B. Schweden) sowie die „Sîdpolitik“ (z. B. §sterreich) gleichermaßen berîcksichtigte. Diese grundstzliche Festlegung schloß Schwerpunktbildungen, die sich aus den jeweiligen politischen Krfteverhltnissen ergaben, nicht aus. Eine erfolgreiche Rundum-Außenpolitik mußte ihre Aufmerksamkeit auf mehrere Aktionsfelder richten, die in Politik und Geographie vielfltig miteinander korrelierten.7 Die außenpolitische Herausforderung verschrfte sich, als infolge der territorialen Vergrçßerungen zu Beginn des 17. Jahrhunderts zur „Mittellage“ die „Zersplitterung“ trat. Zwar stieg das Land durch seine Erwerbungen in West (1614: Kleve, Mark, Ravensberg; 5.470 Quadratkilometer8) und Ost (1618: Herzogtum Preußen; rund 36.000 Quadratkilometer) zum grçßten deutschen Territorialstaat (1688: 111.000 Quadratkilometer) nach §sterreich auf, doch die Neuerwerbungen lagen in weiter Entfernung vom brandenburgischen Kernland, genau wie das 1744 hinzugekommene Fîrstentum Ostfriesland (2.988 Quadratkilometer), das Preußen mit Emden erstmals einen Nordseehafen einbrachte. Infolge dieser Territorialgewinne mußte die brandenburgische Außenpolitik fortan auch die extreme Verwundbarkeit der neuen Provinzen in Rechnung stellen, da jede politische Komplikation den Gegner geradezu einlud, sich der Gebiete als Faustpfnder zu bemchtigen. Whrend das Herzogtum Preußen gegen Schweden und Polen militrisch gesichert werden mußte, standen die Erwerbungen im Westen unter stndiger Bedrohung durch die Spanier oder die gegen sie rebellierenden Niederlnder, die zum Beispiel die klevischen Festungen bis 1672 besetzt hielten. Und schon im ersten Jahr des Dritten Schlesischen Krieges marschierten die Franzosen in Ostfriesland ein und brachten die Aktivitten der Preußisch-Asiatischen Kompanie zum Erliegen.9 Da sich das 17. und das 18. Jahrhundert durch eine hohe Konfliktbereitschaft auszeichneten, 7

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Lauri Adolf Puntila, Bismarcks Frankreichpolitik, Gçttingen 1971, S. 3, spricht im Hinblick auf das deutsch-franzçsische Verhltnis sogar von einer geographisch bedingten „Zwangslage“; „der durch diese geographische Lage verursachte Druck“ habe innen- und außenpolitische Konsequenzen gehabt. Das gilt uneingeschrnkt auch fîr Preußen vor 1871. Auf die vielen Vertrge, die bis zur endgîltigen Regelung des westlichen Besitzstandes der brandenburgischen Hohenzollern allein im 17. Jahrhundert erforderlich waren (1614, 1624, 1651 [nach dem „Kuhkrieg“], 1666, 1672), kann nur hingewiesen werden. Friedrich Wilhelm I. machte aus der Jîlich-Berg-Frage ein neues Dauerproblem. Erst Friedrich II. verzichtete auf das Herzogtum Jîlich. William O. Henderson, § 73b: Der Außenhandel Preußens, in: Jîrgen Ziechmann (Hg.), Panorama der fridericianischen Zeit. Friedrich der Große und seine Epoche. Ein Handbuch (= Forschungen und Studien zur fridericianischen Zeit, 1), Bremen 1985, S. 666 f., hier S. 666.

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kann man geradezu von einer „strukturellen Gefhrdung des weitgespannten, sich von der Memel bis zum Niederrhein hinziehenden lçchrigen Territorienkonglomerats“ sprechen.10 Die ohnehin fragilen Grundlagen hohenzollernscher Politik wurden durch die Territorialgewinne noch zerbrechlicher, die Erwerbungen verschrften das geographische Dilemma und machten eine verstrkte Militrprsenz unabdingbar. Whrend die çstliche Landverbindung 1772 hergestellt werden konnte, blieb die geographische Situation im Westen zunchst unverndert. Es war ausgerechnet der den Frieden îber alles liebende Neutralittspolitiker Friedrich Wilhelm III., der 1805 von Staatsvergrçßerungen Preußens im Westen sprach – angeblich „imp¤rieusement dict¤es par la situation g¤ographique“.11 Aber die von Hardenberg angestrebte „frontiºre plus s•re“, hinter der sich der Erwerb Hannovers verbarg, fîhrte Preußen in die Katastrophe von 1806 – die Abwendung von der behutsam-vorsichtigen Außenpolitik, die Friedrich Wilhelm III. niemals vergessen sollte, hatte bçse Folgen, weil Preußen erstmals in seiner Geschichte den beiden westeuropischen Großmchten England und Frankreich im Krieg gegenîberstand. 1815 wurde die Situation im Westen noch komplizierter: Die neu gewonnene Rheinprovinz (etwa 20.000 Quadratkilometer), sehr viel grçßer als die bisherigen „westlichen Provinzen“ und von beachtlichem wirtschaftlichen Potential, war ohne jede direkte Verbindung zum preußischen Kerngebiet. Das nderte sich erst 1866 durch die Gewaltpolitik Bismarcks. Daß Preußen, laut Kontrollratsbeschluß von 1947 angeblich „a bearer of militarism and reaction in Germany“, zweieinhalb Jahrhunderte mit dieser geopolitischen Anomalie im Westen gelebt hat, ist bemerkenswert. Seit dem frîhen 17. Jahrhundert dominierte in der brandenburg-preußischen „Westpolitik“ Behutsamkeit und politische Vorsicht. Vereinzelte Ausnahmen wie die von 1805 kçnnen diese Grundregel nur besttigen. Dementsprechend ist auch die Behauptung zurîckzuweisen, daß die brandenburg-preußische Außenpolitik „der Hohenzollern“ unter dem Prinzip „Sicherheit durch Expansion“ stand, mit dem sich seit Friedrich II. „der fîr die preußisch-deutsche Politik typische Prventivkriegsgedanke“ verknîpfte.12 10 Heinz Duchhardt, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfîrst (1640 – 1688), in: F.-L. Kroll (Hg.), Herrscher … (s. Anm. 4), S. 95 – 112, hier S. 106. Gegen E. Hinrichs, Preußen … (s. Anm. 2), S. 23, ist zu betonen, daß „die durchgngige massive Abhngigkeit der preußischen Politik von den europischen Mchtekonjunkturen“ nicht erst „im Zeichen des Systems von Nystad“ entstand, sondern von Anfang an maßgebend war. 11 S. u. S. 669 (Anm. 950). 12 Gregor Schçllgen, Die Macht in der Mitte Europas. Stationen deutscher Außenpolitik von Friedrich dem Großen bis zur Gegenwart, Mînchen 1992, Kap. 1, S. 9 – 31: „Sicherheit durch Expansion“. Die Zitate S. 28, 11 und 30. Bei dem Buch (mit dominierender zeitgeschichtlicher Perspektive) stellt sich die methodische Frage, ob man

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„Seitdem der Große Kurfîrst“, heißt es an anderer Stelle, „durch Arrondierungen“13 die ersten Fundamente fîr den Aufstieg Brandenburg-Preußens zur Großmacht gelegt hatte, galt es den Hohenzollern als ausgemacht, daß fîr einen Staat wie den ihren die territoriale Expansion ein denkbares, ein notwendiges, ja ein legitimes Mittel seiner Sicherung sei. Dabei handle es sich, so Schçllgen weiter, um eine „in Etappen realisierte Vorstellung.“ Weder die bis zur Territorialarrondierung verstrichenen Zeitrume (1618 – 1772; 1614 – 1866), noch der (nicht vorhandene) geopolitische Gewinn durch die Eroberung Schlesiens lassen eine solche Einschtzung zu, von dem friedfertigen Naturell vieler Hohenzollern-Kçnige ganz zu schweigen. Auch bei seiner Feststellung, daß „sich die Hohenzollern allzeit der Mçglichkeit, ja der Notwendigkeit eines Krieges bewußt“ waren, îbersieht der Autor, daß auf den Gewaltakt von 1740 erst 1866 ein weiterer folgte, fîr den der Hohenzollernkçnig zwar die Verantwortung trug, aber letztlich nicht verantwortlich war.14 Außerdem sind zwei Ereignisse, die 126 Jahre auseinander liegen, als Kronzeugen fîr historische Kontinuitt denkbar ungeeignet. Durch die Landgewinne in Ost und West mußte sich nicht nur die brandenburgische Außenpolitik neu orientieren. Hinzu kam noch etwas anderes: Obwohl das Kurfîrstentum noch lange nach Osteuropa orientiert blieb, bedeutete der Erwerb der ersten westlichen Provinzen den Anfang eines allmhlichen Hineinwachsens des Kurfîrstentums in die Welt Westeuropas. „Brandenburg war durch seine geographische Lage berufen, eine europische Rolle zu spielen.“15 An dieser Kernaussage konnten auch Jahrzehnte intensiver Detailforschung nichts ndern: „Die brandenburgischen Hohenzollern […] wurden in die europische Politik gezwungen durch Territorialbesitz in sehr verschiedenen politischen Regionen.“16 Wegen des beachtlichen Gebietszuwachses im Nordosten ist es angemessen, die kurfîrstlichen Lande insgesamt kînftig als Brandenburg-Preußen zu be-

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die Außenpolitik der Hohenzollern im 17. und 18. Jahrhundert fast ausschließlich aus den Politischen Testamenten ableiten kann. Das fîr Deutschland konstatierte „Sicherheitsdilemma“ gilt im Grunde erst seit der bismarckisch-wilhelminischen Zeit. Die „Arrondierungen“ des Großen Kurfîrsten (Hinterpommern ohne Stettin, Magdeburg, Minden, Lauenburg, Bîtow, Kreis Schwiebus) vergrçßerten Brandenburg von 81.000 auf 111.000 Quadratkilometer, von denen îber 19.000 auf das unbedeutende Hinterpommern entfielen. ˜ber die „Verantwortlichkeiten“ des Fîhrungsduos Bismarck/Wilhelm s. § 7. Max Immich, Geschichte des europischen Staatensystems von 1660 bis 1789 (= Georg v. Below / Friedrich Meinecke [Hg.], Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abteilung II: Politische Geschichte), Mînchen/Berlin 1905, S. 36. Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 1: Anfnge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740 (= Urban-Taschenbîcher, 573), Stuttgart/Berlin/Kçln 1996, S. 130.

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zeichnen. Erst im Laufe des frîhen 18. Jahrhunderts, nach der Erhebung des Herzogtums Preußen zum Kçnigreich 1701, bîrgerte es sich im europischen Sprachgebrauch ein, vom Kçnigreich Preußen zu sprechen, wenn man den Lnderkomplex bezeichnen wollte, der die Territorien des „Kçnigs in Preußen“ (seit 1772: „[…] von Preußen“) umfaßte. Daß sich das Kçnigreich Preußen im 18. und 19. Jahrhundert zum flchenmßig grçßten europischen Mittelstaat entwickelte, nderte nichts an seiner geographisch bedingten Lage „mitten in Europa“, die durch die fehlende Landverbindung zu den beiden Westprovinzen noch erschwert wurde. Dies sah man 1831 auch im franzçsischen Außenministerium so. In einer Instruktion fîr den nach Berlin zu entsendenden Gesandten Flahaut heißt es, daß Preußen durch seine besondere Position sozusagen zum Militrstaat verdammt sei: „La Prusse, pour ne pas d¤choir, ¤tait donc condamn¤e au rúle d’une puissance exclusivement militaire.“17 Die Außenpolitik dieses Landes, insbesondere auch seine Westpolitik mußte diese Vorgabe jahrhundertelang in Rechnung stellen, ging aber nicht immer den Weg, den man im franzçsischen Außenministerium befîrchtete. 2. Ein methodisches Problem: „Deutschland“ vor 1871 Whrend das Kurfîrstentum Brandenburg bis 1806 zum „Heiligen Rçmischen Reich Deutscher Nation“ gehçrte, lag das Herzogtum/Kçnigreich Preußen außerhalb des Reichsgebietes. Nach dem Anfall an Brandenburg (1618) spielte diese staatsrechtliche Besonderheit in den Beziehungen zu Westeuropa keine Rolle mehr. Infolge der seit dem Mittelalter fortschreitenden Fçderalisierung des Reiches nahm die Macht der Territorialherren stndig zu, whrend der Einfluß von Kaiser und Reich innerhalb der Territorien immer weiter zurîckging: Dux Cliviae in ducatu suo imperator est, lautete die aus dem rçmischen Recht abgeleitete, leicht abgewandelte Begrîndung. Den Hçhepunkt dieser Entwicklung brachten die Westflischen Friedensvertrge, in denen den Landesherren das ius territoriale tam in ecclesiasticis quam in politicis besttigt wurde. Neben dieser fast unbeschrnkten Staatsgewalt gegenîber ihren Untertanen erhielten sie das ius faciendi inter se et cum exteris foedera. Dieses nur theoretisch eingeschrnkte Bîndnisrecht bekrftigte die schon lngst von den Landesherren geîbte Praxis, eine eigene Außenpolitik zu treiben. Fortan gab es nur noch in Ausnahmefllen eine Geschichte Deutschlands; wichtiger als der Kaiser, dem nur einige Reservatrechte verblieben waren, wurden die zahlreichen Landesherren, allen voran die Herrscher îber die großen 17 Zitiert von Wolfgang Heuser, Kein Krieg in Europa. Die Rolle Preußens im Kreis der europischen Mchte bei der Entstehung des belgischen Staates (1830 – 1839) (= Geschichtswissenschaft, 30), Pfaffenweiler 1992, S. 126, Anm. 67.

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Territorien (Bayern, Sachsen, Hannover, Brandenburg usw.). Die Untertanen dieser Quasi-Souverne benutzten zwar dieselbe Sprache und blickten auf ein vergleichbares kulturelles Erbe zurîck, waren aber in erster Linie Bayern, Sachsen, Hannoveraner oder Preußen. Nach dem Interregnum zwischen dem Ende des Alten Reiches (1806) und der Grîndung des „Deutschen Bundes“ (1815) war die Situation hnlich. Das neue Gebilde war ein fçderativ verfaßter Staatenbund, in dem die einzelnen deutschen Lnder ihre auswrtigen Beziehungen gegenîber fremden Staaten selbstndig wahrnahmen. Mitglieder der „Pentarchie“ waren die „deutschen“ Großmchte §sterreich und Preußen. 1871 nderte sich die Situation, als mit der Entstehung des „Deutschen Reiches“ erstmals in der Geschichte ein Staatsgebilde entstand, das die Außenpolitik aller deutschen Einzelstaaten (ohne §sterreich) unter eine zentrale Leitung stellte. Vorangegangen war der Beginn einer Wirtschaftseinheit, die sich etappenweise vollzog und erst nach der Reichsgrîndung abgeschlossen wurde. Die Zhlebigkeit der territorialen Traditionen zeigte sich auch daran, daß im Jahr der Reichsgrîndung die einzelnen deutschen Staaten noch 16 Gesandtschaften im Ausland unterhielten (1914: 8).18 Unabhngig von diesen Gegebenheiten benutzen viele Historiker, auch wenn von der Zeit vor 1871 die Rede ist, die Begriffe „Germany“, „Allemagne“ oder „Deutschland“ und verwenden die entsprechenden Adjektive. Das betrifft keineswegs nur den kulturellen Bereich, bei dem man dieser Gepflogenheit etwas Verstndnis entgegenbringen kçnnte, sondern auch den wirtschaftlichen und sogar den politischen. Es gibt viele Untersuchungen, die sich mit den deutsch-britischen oder deutsch-franzçsischen Beziehungen vor 1871 befassen, ohne îberhaupt zu erwhnen, daß die einzelnen „deutschen“ Territorien ihre eigene Geschichte haben. Dementsprechend gehen die Studien auf die speziellen Verhltnisse zu diesen Einzelstaaten nur selten ein. Der in der franzçsischen Historiographie nicht selten gewhlte Ausweg, den Begriff „germanique“ zu benutzen, lçst das Problem auch nicht. Ein besonders krasses Beispiel betrifft die Eisenbahnen. Obwohl kaum eine andere Einrichtung so stark durch territoriale Konkurrenzen geprgt wurde und von einer „nationalen“ Planung weit entfernt war, erweckt ein neues Buch den gegenteiligen, aber fîr die Frîhzeit vçllig falschen Eindruck einer „deutsch“franzçsischen Rivalitt.19 18 Winfried Baumgart, Europisches Konzert und Nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830 – 1878 (= Handbuch der internationalen Beziehungen, 6), Paderborn u. a. 1999 u. ç., S. 128. 19 Allan Mitchell, The Great Train Race. Railways and the Franco-German Rivalry, 1815 – 1914, Oxford 2000. Fîr Preußen kçnnte eine wirkliche Rivalitt erst mit der Erçffnung der ersten Strecke (1837) beginnen. Zum Eisenbahnkomplex siehe unten, § 7.

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Das historisch sicher wichtigste Ereignis nach 1945, die deutsch-franzçsische Aussçhnung, fîhrte 1984 zur Grîndung eines an der Universitt Paris IV angesiedelten internationalen Forschungsverbundes, dem Centre de recherches germaniques. So begrîßenswert die Aktivitten dieser dem Centre national de la recherche scientifique (im folgenden immer: C.N.R.S.) assoziierten Einrichtung auch sind, so bedauernd muß man feststellen, daß von den bis 2000 erschienenen îber 100 Publikationen kein einziger Titel den Begriff „Preußen/Prusse“ oder „preußisch/prussien“ enthlt.20 Die gleichen Feststellungen gelten fîr die mehr als 20 Verçffentlichungen der seit 1996 bestehenden Reihe Convergences,21 die nicht gezhlte Reihe Perspectives Germaniques (bisher 15 Bnde, hg. von Jacques Le Rider) sowie die seit 1994 in Paris erscheinende Zeitschrift Revue Germanique Internationale, die von Espagne/Le Rider herausgegeben wird. Dagegen lautet einer der vier Forschungsschwerpunkte des schon 1921 in Mainz gegrîndeten, 1930 nach Straßburg verlagerten und 1948 der Universitt angeschlossenen Centre d’Ãtudes Germaniques „Vie et culture politique des Allemagnes“: mit dem etwas ungewçhnlichen Plural versucht man, die historische Realitt besser zu erfassen. Weil das ebenfalls dem C.N.R.S. assoziierte Institut außerdem vor allem „Allemagne contemporaine“, also die Zeit nach 1815, untersucht, stellt sich das methodische Problem nicht in gleichem Maße. Die vom Institut seit 1969 herausgegebene Zeitschrift trgt îbrigens den treffenden Titel Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande. Mit den fîr Forschungsgegenstand und Zeitschrift-Namen gewhlten Formulierungen zeigt das Institut, daß man sich auf die in Deutschland und Frankreich so unterschiedliche historische Entwicklung einzustellen bereit ist. Angesichts der in „Deutschland“ existierenden Zersplitterung erscheint es hçchst problematisch, fîr das 18. Jahrhundert von einem „peuple allemand“ zu sprechen,22 mußte sich doch Friedrich II. whrend des Ersten Schlesischen Krieges stndig darum bemîhen, seinem Adel „den Namen Preußen einzuhmmern, um alle Offiziere zu lehren, aus welcher Provinz sie auch kommen mçgen, daß sie alle Preußen sind“23 – das war das Ziel im 18. Jahrhundert, von „deutsch“ war keine Rede. 20 In der „Collection Contacts“ gibt es (bis 2000) die Serien I (Theatrica, 20 Bde.), II (Gallo-germanica, 28 Bde.), III (Etudes et documents, 48 Bde.) und IV (Bilans et enjeux, 5 Bde.). 21 Sie wird unter der Leitung von Michel Grunewald vom Centre d’Etudes des P¤riodiques de Langue Allemande der Universitt Metz herausgegeben. 22 Jean Mondot, Allemands et FranÅais au XVIIIe siºcle. Ãvolution altern¤e des st¤r¤otypes franco-allemandes, in: Gilbert Merlio / Nicole Pelletier, Bordeaux au temps de Hçlderlin (= Collection Contacts II, 20), Bern u. a. 1997, S. 103 – 119, hier S. 112. 23 Richard Dietrich (Bearb.), Die Politischen Testamente der Hohenzollern (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 20), Kçln/Wien 1986, S. 310 f.

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Die Identifizierung mit dem betreffenden Territorium ging sogar so weit, daß ein franzçsischer Offizier, der in Straßburg 1740 verdchtige Besucher auskundschaften sollte, beobachtete, daß sie „parlaient prussien“ untereinander.24 Noch viel weiter zurîck war man in den kurfîrstlichen Territorien des 17. Jahrhunderts. In dem noch lngst nicht zu einem „totum“ zusammengewachsenen Land dominierten îberall die Regionalismen, whrend „allenfalls in der oberen Amtstrgerschaft eine Art Gesamtstaatsbewußtsein zu keimen begann“.25 Grundlage fîr diese Anfnge eines îberterritorial verankerten Identittsgefîhls bildeten die „Lnder“ des Kurfîrsten, fîr die es keinen Gesamtnamen gab. Einem Ravensberger htte es kaum gefallen, als „Brandenburger“ bezeichnet zu werden. Eberhard Straub hat kîrzlich unterstrichen, daß es (allein!) das Heer war, das in der Zeit des Großen Kurfîrsten „die jeweils ,vaterlndischen’ Gefîhle allmhlich zu einem allgemeinen Staatspatriotismus“ vereinheitlichte, indem es einen Zusammenhang unter den einander fremden „Staatsangehçrigen“ stiftete.26 Und Wolfgang Neugebauer warnte davor, „den Integrationseffekt der Kçnigskrone fîr den Staat mit seinen unterschiedlich organisierten Lndern“ zu îberschtzen: „Die politischen Regionalismen in den nach und nach, mit ganz verschiedenen Traditionen und Institutionen zusammengekommenen Gebieten blieben stark, und sie blieben es fîr mehr als ein Jahrhundert.“27 Zusammengehalten wurden die Teile immerhin durch die Titulatur, da der Kçnig in/von Preußen îberall im Lande an die erste Stelle rîckte. Vom „Reich Deutscher Nation“ war – in preußischen Urkundenkçpfen bis 1806 – nur beim Kurfîrsten und beim Erzkmmerer die Rede. Es ist schon eine Besonderheit, wenn ein deutscher Historiker einrumt, daß im 18. Jahrhundert „nur in begrenztem Umfang und lediglich unter bestimmten Blickwinkeln […] von deutsch-britischen Beziehungen die Rede sein“ kann.28 Eine vergleichbare Formulierung findet man in franzçsischen oder englischen Publikationen selten. Das liegt zum einen daran, daß viele nichtdeutsche Autoren dazu neigen, dem grundstzlichen Problem der politischen, wirtschaftlichen und auch kulturellen Zersplitterung des deutschen Gebietes nicht genîgend Beachtung zu schenken. 24 Es handelte sich um den Besuch Friedrichs II., vgl. Ilja Mieck, Westeuropareisen der Hohenzollernherrscher im 17. und 18. Jahrhundert, in: ForschBrandPrG NF 15 (2005), S. 1 – 26, hier S. 18 ff. 25 H. Duchhardt, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 10), S. 101. 26 Eberhard Straub, Eine kleine Geschichte Preußens, Berlin 2001, S. 49. 27 Wolfgang Neugebauer, Friedrich III./I. (1688 – 1713), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 4), S. 113 – 133, hier S. 131. 28 Peter Wende, Großbritannien und Deutschland im 18. Jahrhundert, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Die ungleichen Partner. Deutsch-britische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1999, S. 31 – 43, hier S. 31.

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Selbst der sonst sehr sachkundige Jacques Binoche muß korrigiert werden, wenn er schreibt: „Avant la R¤volution franÅaise, on ne peut pas parler de relations franco-allemandes. Il y a des relations franco-prussiennes, il y a aussi des relations avec les princes allemands et les communaut¤s allemandes, mais il n’y a pas de relations franco-allemandes puisque l’Allemagne politique n’existe pas.“29 Dieser Feststellung kann man erst zustimmen, wenn der Begriff „R¤volution franÅaise“ durch „Reichsgrîndung“ ersetzt wird, denn die staatliche Zersplitterung Deutschlands endete – nach den Schritten von 1803, 1815, 1834 und 1866 – erst 1871. øhnlich problematisch ist auch die Behauptung, daß „Deutschland als Einheit … vor 1800 kaum in der niederlndischen Vorstellung“ existierte. Daß es statt dessen „nur Preußen, Hannoveraner, Bayern usw.“ gab, ist zwar richtig,30 gilt aber in gleicher Weise fîr etwa zwei Drittel des 19. Jahrhunderts. Wie das in Einzelfllen trotz des generellen Vorbehalts zunehmende Verstndnis fîr die spezifisch deutsche Entwicklung dennoch den Blick auf die Territorien blockiert, zeigt folgendes Beispiel: „A vrai dire“, so liest man in einem Buch von 1999, „la France et l’Allemagne ne peuvent pas Þtre directement mises en parallºle, puisqu’il existe depuis longtemps en France un Ãtat tendant vers la nation, c’est-”-dire une ad¤quation entre un entit¤ politique et des productions intellectuelles, artistiques ou techniques, qui s’y r¤fºrent, alors qu’en Allemagne, il n’est nullement question d’Ãtat.“31 Entgegen der Vermutung von Michel Espagne konnte diese offenkundige „dissym¤trie“ auf deutscher Seite auch nicht „par les r¤miniscences […] de l’id¤e imp¤riale“ kompensiert werden – dazu war die Bedeutung der Kaiseridee im politischen Tagesgeschft der Reichsterritorien zu gering. øhnliches gilt fîr die Reichsidee. So verdienstvoll es ist, das franzçsische Publikum mit Struktur und Verfassung des Alten Reiches etwas vertraut zu machen,32 so bedauerlich ist der Verzicht auf die Feststellung, daß die eigentliche Politik in den Territorien gemacht wurde – der in den letzten Jahren erfolgten und prinzipiell zu begrîßenden historiographischen Neubewertung von Kaiser und Reich zum Trotz.

29 Jacques Binoche, Histoire des relations franco-allemandes de 1789 ” nos jours (= Collection U/S¤rie Relations internationales contemporaines), Paris 1996, S. 4. 30 So Hermann von der Dunk, Die Niederlande und der deutsche Nachbar, in: Klaus Schwabe / Francesca Schinzinger (Hg.), Deutschland und der Westen im 19. und 20. Jahrhundert, 2: Deutschland und Westeuropa (= Historische Mitteilungen, Beiheft 11), Stuttgart 1994, S. 173 – 193, hier S. 174. 31 Michel Espagne, Les transferts culturels franco-allemands (= Perspectives Germaniques), Paris 1999, S. 17 f. 32 Fred E. Schrader, L’Allemagne avant l’Ãtat-Nation. Le corps germanique 1648 – 1806 (= Perspectives germaniques), Paris 1998.

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Wenn ein franzçsischer Historiker trotz dieser mehrfachen Diskrepanz im politischen Bereich den methodischen Weg zu einer umfassenden Erforschung des deutsch-franzçsischen Kulturtransfers dadurch çffnet, daß er – nicht vor dem 18. Jahrhundert – die deutsche „culture nationale“ oder die „nation culturelle“ als eine Art gemeinsamen Nenner („commun d¤nominateur“) in die Debatte einbringt,33 befindet er sich in bester Gesellschaft mit denjenigen deutschen Kollegen, die den „deutschen Sprach- und Kulturraum“ zum Objekt ihrer Transferforschung machen.34 So begrîßenswert dieser Weg auch sein kann, so enttuschend ist er hufig im Hinblick auf die beziehungsgeschichtlichen Kontakte bilateraler Art. Nicht selten wird in diesen Fllen eine kulturelle Geschlossenheit vorausgesetzt, die es in Wirklichkeit nicht gegeben hat. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß die geradezu ausufernde Theoriedebatte îber Kulturtransfer und historische Komparatistik die konkrete historische Erkenntnis nicht immer bereichert. Daß sich der Begriff „Kulturnation“ in der historischen Realitt als hçchst problematisch erweist, wurde bereits am Beispiel Preußens und der Bemîhungen Friedrichs II. gezeigt. Ganz hnlich sah es in den anderen Territorien aus: „Im Reich bildeten fîr den Patriotismus, verstanden als selbstloser Dienst des Einzelnen am ,Gemeinwohl’, […] die grçßeren Territorialstaaten den Hauptbezugspunkt, nicht die deutsche ,Kulturnation’“.35 Es war der politischstndisch geprgte „Landespatriotismus“, der in den Einzelstaaten dominierte und – auch in Preußen – mit Skepsis, Mißtrauen und Zurîckhaltung auf „Fremde“ und die von ihnen ausgehenden Einflîsse reagierte.36 Als „Vaterland“ galt Preußen, nicht Deutschland. Selbst in den antinapoleonischen Freiheitskriegen war der Vaterlandsbegriff primr preußisch eingefrbt; der „deutsche“ Akzent war die Sache einer lautstarken Minderheit von Intellektuellen und Studenten, die unter dem nach 1814/15 einsetzenden Druck der restaurativen Krfte bald auseinanderbrach. Ein anderes Problem der Transferforschung scheint darin zu liegen, daß der Weg von der empirischen Feststellung zur beziehungsgeschichtlichen Analyse 33 M. Espagne, Les transferts … (s. Anm. 31), S. 17 – 20: „L’id¤e de culture nationale.“ 34 Ein gutes Beispiel bietet der Band von Hans-Jîrgen Lîsebrink / Rolf Reichardt (Hg.), Kulturtransfer im Epochenumbruch – Frankreich-Deutschland 1770 – 1815 (= Deutsch-Franzçsische Kulturbibliothek, 9), 2 Bde., Leipzig 1997. Zu diesem Sammelband s. u. Anm. 37. 35 Walter Demel, Europische Geschichte des 18. Jahrhunderts. Stndische Gesellschaft und europisches Mchtesystem im beschleunigten Wandel (1689/1700 – 1789/1800), Stuttgart u. a. 2000, S. 280. 36 Viele Beispiele dieser gegen Zuwanderer und Fremde gerichteten Animositt enthalten die einschlgigen Aufstze (Schaser, Jersch-Wenzel) in dem Sammelband von Alexander Demandt (Hg.), Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Mînchen 1995.

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nicht immer beschritten wird. Die in einem neueren Sammelband enthaltene, vçllig richtige Behauptung: „Im Gegensatz zum zentralistischen Frankreich ist in Deutschland vor 1871 von ganz verschiedenen territorialstaatlichen Realitten auszugehen. Frankreich ist zunchst nicht auf eine Ebene mit ,Deutschland’, sondern mit Preußen, Sachsen, Hannover usw. zu stellen“,37 entspricht îberhaupt nicht der in dem zweibndigen Werk îber viele hundert Seiten ausgebreiteten Forschungspraxis. Sie steht damit im Gegensatz zu der postulierten Forschungsstrategie, deren Beschreibung den Leser bisweilen vor manche Verstndnisprobleme stellt.38 Das methodische Problem deutsch/preußisch, das die gesamte Beziehungsgeschichte Preußens begleitet, tritt bei Untersuchungen zum kosmopolitischen 18. Jahrhundert, das sich eine europische Geisteselite geschaffen hatte, verstrkt auf, weil die Geschichtswissenschaft bestimmte Themenbereiche zwar intensiver erforschte (Aufklrung, Reisen, Mentalitt usw.), „Preußen“ aber als aufstrebender europischer Großmacht noch kein eigenstndiger Platz zugebilligt wurde. So erklrt sich, daß zwar îber die „Relations franco-allemandes“ in dieser Zeit viele Publikationen existieren, es aber îber die „Relations francoprussiennes“ oder die „British-Prussian Relations“ keine zusammenfassenden Darstellungen gibt, so daß man bei der Frage nach den Einzelstaaten auf die in anderen Werken mehr oder weniger versteckten Detailinformationen angewiesen ist.39 Etwas besser wird die Situation bei Arbeiten, die das 19. Jahrhundert betreffen, weil die Stellung Preußens als europische Großmacht mittlerweile akzeptiert war und der „Deutsche Bund“ im politischen Alltagsgeschft kaum eine Rolle spielte. Durch die seit der Bismarck-Zeit sicht- und fîhlbare Dominanz Preußens kam es allerdings çfter zu einer Umkehrung der Situation und zu einer Identifizierung von „preußisch“ und „deutsch“: Noch 1914 sprach die franzçsische Bevçlkerung von den „Prussiens“, die ihr Land angegriffen htten. Sie stand damit in einer Tradition, die zwei oder drei Generationen vorher begrîndet worden war, als einige Franzosen begannen, das verschwommene Deutschland-Bild der Madame de Sta×l kurzerhand auf Preußen zu îbertragen

37 Michael Werner, Dissymmetrien und symmetrische Modellbildungen in der Forschung zum Kulturtransfer, in: H.-J. Lîsebrink/R. Reichardt (Hg.), Kulturtransfer … (s. Anm. 34), 1, S. 87 – 101, das Zitat S. 99. 38 „Die Analyse von Dissymmetrien ist nur vor dem Hintergrund mçglicher Parallelen und konzeptionell eingebauter Symmetrien sinnvoll“ (ebd., S. 101). 39 Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der leider nicht Preußen betreffende Band von Michel Espagne / Matthias Middell (Hg.), Von der Elbe bis an die Seine. Kulturtransfer zwischen Sachsen und Frankreich im 18. und 19. Jahrhundert (= DeutschFranzçsische Kulturbibliothek, 1), Leipzig 1993.

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und „im Laufe des 19. Jahrhunderts die Begriffe Preußen und Deutschland fast als Synonym anzusehen“.40 Fîr diese unhistorische Verschmelzung von deutsch und preußisch trug nicht zuletzt die Generation der „politischen Historiker“ bei, die im Gefolge Droysens vor allem in der Bismarckzeit den Mythos vom „deutschen Beruf Preußens“ propagierten.41 Da ihre Stimmfîhrer wie Sybel und Treitschke auch im westlichen Ausland Gehçr fanden, ist es nicht îberraschend, daß man es auch dort mit den Differenzierungen nicht so genau nahm. Da sich das skizzierte methodisch-terminologische Problem mit seinen angesprochenen Oszillationen durch die ganze Arbeit zieht und eigentlich in jedem Kapitel angesprochen werden mîßte, bot es sich an, diese fîr das Thema „Preußen und Westeuropa“ grundstzlich wichtigen Fragen einleitend gesondert zu erçrtern. 3. Prmissen der brandenburg-preußischen Außenpolitik Von Anfang an mußte Brandenburg-Preußen seine Außenpolitik unter dem Druck einer geographischen Zwangssituation, der europischen Mittellage, konzipieren und durchzusetzen suchen. Zu dieser „Rundum-Orientierung“ kam im 17. Jahrhundert als Folge der territorialen Zersplitterung die Sicherung der entfernten Grenzprovinzen. Diese beiden geopolitischen Gegebenheiten bildeten seit dem frîhen 17. Jahrhundert die Grundvoraussetzungen preußischer Außenpolitik. Keineswegs mußte die preußisch-deutsche Außenpolitik, wie man neuerdings lesen kann, erst ab 1871 mit der geographischen Mittellage „behutsam umgehen und durfte im eigenen Interesse die Nachbarn nicht durch großsprecherisches Auftreten und bengstigende Anspruchshaltung unnçtig reizen“42 – genau das war die politische Grundhaltung gegenîber Westeuropa mindestens seit 1614: Mittellage und territoriale Zersplitterung erforderten eine zurîckhaltende Außenpolitik, um auf lange Sicht „durch das Lavieren zwischen den Bîndnissystemen dem Ziel einer Statusverbesserung nher zu kommen.“43 Daß 40 Vgl. dazu Ilja Mieck, Das Preußenbild der Franzosen zwischen 1815 und 1870, in: Michel Grunewald/Jochen Schlobach (Hg.), M¤diations/Vermittlungen. Aspects des relations franco-allemandes du XVIIe siºcle ” nos jours/Aspekte der deutschfranzçsischen Beziehungen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart (= Collection Contacts II, 7), Bern u. a. 1992, S. 281 – 301, hier S. 290. 41 Dieses Faktum betont Ingrid Voss, Die preußische Ausrichtung der deutschen Historiographie im 19. Jahrhundert, in: Gerard Raulet (Hg.), Historismus, Sonderweg und dritte Wege, Frankfurt am Main u. a. 2001, S. 32 – 50. 42 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 239. 43 Johannes Kunisch, Kurfîrst Friedrich Wilhelm und die Großen Mchte, in: Gerd Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beitrge zur Geschichte des

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die gesteckten Ziele bei dieser Politik manchmal nur auf Umwegen erreicht werden konnten, versteht sich von selbst. Zwischen den etablierten Großmchten Spanien, Frankreich, Schweden und §sterreich sowie den aufstrebenden Flîgelmchten England und Rußland spielte Brandenburg-Preußen nur eine bescheidene Rolle. Gleichwohl mußten sich die Diplomaten der europischen Lnder auch mit diesem Staat auseinandersetzen, insbesondere seitdem der Kurfîrst Friedrich Wilhelm gegen namhafte Subsidienzahlungen seine zahlenmßig zwar geringen, doch recht schlagkrftigen Truppen auf den verschiedenen Kriegsschaupltzen erfolgreich einzusetzen begann. Dabei bestand fîr Friedrich Wilhelm – wie fîr seine Vorgnger und seine Nachfolger – die aus der geographischen Lage resultierende Notwendigkeit, eine allseitig abgesicherte „Außenpolitik“ zu betreiben, bei der die Beziehungen zu Westeuropa nur als Teil einer grçßeren, die Gesamtheit der ußeren Beziehungen umfassenden Politik verstanden werden mîssen. Die außenpolitische Berîcksichtigung der beiden geopolitischen Vorgaben – Mittellage und Zersplitterung – war fîr Preußen von existentieller Bedeutung. Solange die jeweiligen Regierungen an diesen Prmissen als Richtschnur preußischer Außenpolitik festhielten, erfuhr der Staat einen relativ kontinuierlichen, im großen und ganzen unproblematischen Aufstieg in die europische Spitzenkategorie der Mittel-, dann der Großmchte. Daß dreimal, 1740, 1805 und 1866/70, von diesen Grundstzen abgewichen wurde, mußte Preußen teuer bezahlen. Whrend 1805 der preußischen Regierung nur ein grober außenpolitischer Fehler unterlaufen war,44 wurde in den beiden anderen Fllen die ußere Politik durch einen Faktor bestimmt, den man das „Erbfeind-Syndrom“ nennen kçnnte: Ohne zwingende Notwendigkeit verfeindete sich Preußen mit einem Staat, zu dem es bisher im wesentlichen spannungsarme Beziehungen unterhalten hatte. Die propagandistische ˜berhçhung dieses neuen außenpolitischen Gegners zum „Erbfeind“ brachte ein neues Element in die ußere Politik und hatte in beiden Fllen schwerwiegende Konsequenzen. Weil in den spteren Kapiteln diese grundstzliche Problematik nicht angesprochen wird, werden die beiden Beispiele nachstehend erlutert: (1) Whrend die Vermeidung ungerechter Kriege „Generationen hindurch auch im Hause Brandenburg als unumstçßliche Richtschnur in Geltung“ gestanden hatte, wurde (und wird) der ˜berfall auf Schlesien „als eines der sensationellsten Verbrechen der neuzeitlichen Geschichte empfunden.“ Die langfristigen Konsequenzen sind allgemein bekannt: Das ˜berleben Preußens und der Hohenzollern war nur dem glîcklichen Zufall des „Mirakels des Hauses Großen Kurfîrsten von Brandenburg (1640 – 1688) (= ZHF, Beiheft 8), Berlin 1990, S. 9 – 32, hier S. 31. 44 ˜ber Einzelheiten und Hintergrînde dieser bereits erwhnten Fehleinschtzung s. u. § 5.

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Brandenburg“ zu verdanken.45 Der Gewaltakt gegen Schlesien beeinflußte auch die preußische Westeuropa-Politik, weil fîr die europische Diplomatie die abgrundtiefe Verstimmung zwischen Preußen und §sterreich fortan als diplomatische Konstante galt. Erst in nachfriderizianischer Zeit, teilweise bedingt durch die antirevolutionre Geisteshaltung, begann eine allmhliche ˜berwindung des „ErbfeindSyndroms“, so daß sich die preußische Außenpolitik seit etwa 1790 erneut primr an den beiden traditionellen geopolitischen Faktoren orientierte. Ihre Nichtbeachtung 1805 hatte, wie erwhnt, fatale Folgen. (2) Wie Friedrich den Gewinn Schlesiens mit der Todfeindschaft §sterreichs bezahlte, so bezahlte Preußen den Sieg von 1870/71 und den Gewinn Elsaß-Lothringens mit der Unversçhnlichkeit Frankreichs. Durch die Gewaltpolitik Bismarcks, der den Krieg gegen Frankreich wollte und bekam, und auch fîr die Abtretung Elsaß-Lothringens pldierte, wurde nun Frankreich in die Rolle des „Erbfeindes“ hineingezwungen.46 Die Parallelitt ist verblîffend: Weder Friedrich noch Bismarck konnten die von ihnen selbst heraufbeschworenen diplomatischen Blockaden aufbrechen; durch ihre Kriege von 1740 und 1870 verhinderten die angeblich so klugen Diplomaten Bismarck und Friedrich II. die fîr jede Außenpolitik erforderliche Flexibilitt. Beide scheiterten letztlich an dem Erbfeind-Syndrom, Friedrich fast, Bismarck ganz. Nach dem Ende des Staates, der weitgehend auf den von Friedrich und Bismarck geschaffenen Grundlagen beruhte, muß die Frage nach der historischen Bedeutung beider Staatsmnner und der „Grçße“ Friedrichs sicher neu beantwortet werden. Fîr die deutsche Historiographie, die sich dieser Herausforderung zu stellen hat,47 wre es sicher hilfreich, eine fundierte Stellungnahme zu diesem Problemkomplex aus westeuropischer Sicht zu bekommen. Die Fîlle der beziehungsgeschichtlichen Kontakte zwischen Preußen und Westeuropa verbietet es, diese Beziehungen îber drei oder vier Jahrhunderte lîckenlos zu verfolgen. Es kann nur darum gehen, die relevanten Komponenten auf einige Kernfragen hin zu untersuchen. Dazu gehçrt – neben dem weiten Feld der wirtschaftlich-kulturellen Ebene – das Aufspîren langfristig stabiler außenpolitischer Grundstrukturen, an deren prinzipieller Tragfhigkeit auch kurzzeitige Bîndniswechsel nichts zu ndern vermochten. Zu erçrtern ist auch die Frage, welche außenpolitischen Prferenzen festzustellen waren, welche Zielvorstellungen dominierten und welche Prioritten gesetzt wurden. Nicht 45 Eine aktuelle Bewertung des Preußen-§sterreich-Problems gibt Johannes Kunisch, Friedrich II., der Große (1740 – 1786), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 4), S. 160 – 178, die Zitate: S. 166. 46 Zur preußisch/deutsch-franzçsischen „Erbfeindschaft“ s. u. § 7 (S. 809). 47 Fîr Bismarck ist die Debatte lngst im Gange; zu Friedrich vgl. die neuere Literatur (Schieder, Mittenzwei u. a.), insbesondere J. Kunisch, Friedrich II. … (s. Anm. 45), S. 176 – 178.

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aufgegriffen wird dagegen die alte Streitfrage vom angeblichen „Primat der Außenpolitik“,48 weil jeder Art von Etikettierung angesichts der Komplexitt historischen Geschehens grundstzlich mit Skepsis zu begegnen ist. Wichtiger erscheint die jeweils neu zu stellende Frage nach der politischen Praxis: Wie hoch war die Belastbarkeit der tradierten außenpolitischen Strukturen inmitten eines unaufhçrlichen Ringens der Staaten und ihrer Fîrsten und Diplomaten um die jeweils optimale Lçsung politischer Konflikte? Daß diese Konflikte oft kînstlich, nur durch den erklrten Willen der Herrscher ausgelçst wurden, gehçrt zu den außenpolitischen Grundtatsachen der ganzen Epoche. Immer und immer wieder waren außenpolitische Entscheidungen ganz allein auf persçnliche oder dynastische Interessen der Fîrsten zurîckzufîhren, die andererseits nicht zçgerten, ihren rein machtpolitischen Ambitionen das Mntelchen vom rationalen Ausgleich der Interessen oder von der wiederherzustellenden europischen Friedensordnung umzuhngen. Kaum jemals hatte Machiavelli so gelehrige Schîler wie in der Zeit vom 17. zum 19. Jahrhundert.49 Die Herrscher Brandenburg-Preußens gehçrten zwar nicht zu den Musterschîlern des Florentiners, doch ausgerechnet der Fîrst, der einen „Antimachiavell“ geschrieben hatte,50 handelte 1740 mit der gleichen politischen Skrupellosigkeit wie Bismarck 1870. Kein anderer Hohenzollernkçnig hatte sich jemals in dieser Weise îber alle Prinzipien des Vçlkerrechts hinweggesetzt. In der Außenpolitik zerbrachen alle Prinzipien der Aufklrung an der allein handlungsbestimmenden Staatsrson.51 Aufgeklrte Denkmuster bestimmten zwar Friedrichs Selbstverstndnis als Philosoph, Literat und Kçnig, „aber sie waren sekundr fîr sein an der Staatsrson orientiertes praktisches Handeln.“52 Bei der Debatte um die „historische Grçße“ des Preußenkçnigs sollte man dies nicht îbersehen.53

48 ˜ber die neuere Diskussion berichtet J. Kunisch, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 43), S. 9 – 13. Kîrzlich hat E. Hinrichs, Preußen … (s. Anm. 2), S. 12 – 16, die einem falsch verstandenen „Primat der Innenpolitik“ folgende und die bisherige Forschung beherrschende „Fixierung auf die preußisch-deutsche Binnenperspektive“ kritisiert und eine „Europisierung dieser Forschungsperspektive“ gefordert. Dazu will die vorliegende Darstellung, die den Blick auf Westeuropa lenkt, einen Beitrag leisten. 49 J. Kunisch, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 43), S. 31, konstatiert sowohl fîr Brandenburg als auch fîr Frankreich „ein außerordentliches Maß an Unbedenklichkeit den eingegangenen Vertragsverpflichtungen gegenîber“. Zum Machiavellismus Bismarcks s. u. § 7. 50 S. u. § 4 III. 51 Zu den Grenzen des „aufgeklrten Absolutismus“ vgl. Ilja Mieck, Europische Geschichte der Frîhen Neuzeit. Eine Einfîhrung, Stuttgart 61998, S. 202 – 210. 52 Diese ganz hnliche Auffassung vertritt Gînter Birtsch, Friedrich der Große. Zwischen Staatsrson und Aufklrung, in: J. Wolff (Hg.), Stillstand … (s. Anm. 2), S. 51 – 68, hier S. 55.

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4. Grundstrukturen des Wirtschafts- und Kulturtransfers Neben den politischen Verbindungen Brandenburgs und Preußens zu Westeuropa gab es Beziehungen anderer Art. Das betraf in erster Linie den Handel, der sicher eine grçßere Rolle spielte, als die Historiker bisher festgestellt haben. Zunehmende Bedeutung erlangte auch der Bereich, den man im modernen, sehr umfassenden Sinn als Kulturtransfer bezeichnet. Whrend man beim Warenaustausch trotz unterschiedlicher Handelsgîter im allgemeinen von einer ungefhren Gleichwertigkeit ausgehen kann, gab es auf der kulturellen Ebene ein deutliches West-Ost-Geflle: Whrend der Hohenzollernstaat Erfahrungen, Anregungen und Impulse weniger aus den Lndern Osteuropas erhielt, war Westeuropa fîr Brandenburg-Preußen von Anfang an ein wichtiger Orientierungspunkt. Westeuropa hatte Vorbildcharakter; da die Mçglichkeiten der Hohenzollern, ein fîrstliches Selbstverstndnis und ein angemessenes Zeremoniell zu entwickeln, noch bis in die Zeit des Großen Kurfîrsten begrenzt waren,54 blickte man, wenn man Vorbilder suchte, nach Westen. Diese Tendenz verstrkte sich seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert, als sich die westeuropischen Staaten in wachsendem Maße dem Aufbau einer am kapitalistischen System orientierten Wirtschaft zuwandten.55 Der hçhere çkonomische Stand Frankreichs, Englands und der Niederlande wurde zum Maßstab der weiter çstlich gelegenen Lnder. Der westeuropisch-preußische Kultur- und Wirtschaftstransfer war ein integraler Bestandteil des gesamteuropischen West-Ost-Geflles. Fîr Brandenburg-Preußen wurde das westliche Europa zum Muster und Modell fîr viele Bereiche; es regte zur Nachahmung an und forderte mitunter sogar die Fîrsten dieses Kleinstaates heraus, die Modernitt der westeuropischen Lnder an Ort und Stelle zu erleben und wenn mçglich ins eigene Land zu verpflanzen.56 Jahrhundertelang kamen in wechselnder Intensitt, doch kontinuierlich westeuropisches Kulturgut und Wirtschaftspotential nach Brandenburg-Preußen. Von den drei großen Anstçßen, die Brandenburg-Preußen Westeuropa verdankte, kam der erste aus den Niederlanden, der zweite aus Frankreich, der dritte aus England, Frankreich und Belgien. Bei den aus den Niederlanden kommenden Impulsen, bei den Hugenotten und den anderen angeworbenen 53 Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Kçnigtum der Widersprîche, Frankfurt am Main/Berlin 1986, widmet dieser Frage ein ganzes Kapitel (S. 473 – 491). Bei J. Kunisch, Friedrich II. (s. Anm. 45), S. 178, „erscheint immerhin Skepsis angebracht“. 54 Vgl. dazu Jean-Marie Moeglin, Dynastisches Bewußtsein und Geschichtsschreibung. Zum Selbstverstndnis der Wittelsbacher, Habsburger und Hohenzollern im Sptmittelalter, in: HZ 256 (1993), S. 593 – 635. 55 Zur wirtschaftlichen Komponente vgl. Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685 – 1806, Berlin 1927, ND (= VerçffHistKommBerlin, 9, NDe 1), Berlin 21963, S. 5 – 8. 56 Zusammenfassend: I. Mieck, Westeuropa … (s. Anm. 24), passim.

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Arbeitskrften sowie bei den „technologischen“ Reisen des 18. und 19. Jahrhunderts ging es weniger um einen wechselseitigen Austausch, sondern um einen von dem entwickelteren Westeuropa nach Brandenburg-Preußen fließenden Strom, durch den das rîckstndige Land den Anschluß an die moderne Welt finden sollte. In allen drei Fllen kann man – von einigen Ausnahmen abgesehen – Brandenburg-Preußen als Empfngerland bezeichnen. Unendlich viel verdankte der Staat den ideengebenden Lndern Westeuropas, die in bestimmten Epochen Vorbild- und Modellfunktion fîr Brandenburg-Preußen hatten. Einen eigenstndigen Beitrag leistete Preußen dagegen bei der Entwicklung des Vçlkerrechts, das ebenfalls in Westeuropa entstanden war. Zu den großen Theoretikern aus Spanien (Vitoria, de Soto, Surez), den Niederlanden (Grotius) und England (Selden) kamen in Preußen ttige Gelehrte wie Pufendorf (1688 Hofrat und Historiograph des Großen Kurfîrsten) und Thomasius (seit 1690 Rechtslehrer in Halle),57 deren Schriften europaweit bekannt wurden. Auch Kant gehçrt wegen seiner Friedensschrift von 1795, die bis heute viel diskutiert wird, zu den Vtern des modernen Vçlkerrechts.58 II. Frîhe Kontakte zu Westeuropa ˜ber die Beziehungen Brandenburgs und Preußens zu Westeuropa im Mittelalter gibt es zwar einzelne Untersuchungen, aber eine zusammenfassende Darstellung fehlt. Dennoch steht fest, daß es bereits in dieser Zeit politische und wirtschaftliche Kontakte sowohl Brandenburgs als auch des Ordensstaates zu Westeuropa gegeben hat. 1. Erste Brîckenschlge im Sptmittelalter Bereits im 12. Jahrhundert wurden Handelsbeziehungen zwischen einigen mrkischen Stdten wie Salzwedel und Stendal und den flandrischen Gebieten aufgenommen. Der Handel mit Getreide und Holz folgte der Elbe und erreichte îber Hamburg Flandern und England. Den mercatores de Marchia wurde 1252 von Hamburg die Zollfreiheit bei der Durchfahrt nach Holland zugebilligt. Auch fîr andere Produkte gab es Handelsvergînstigungen, wenn sie von mrkischen Kaufleuten aus Hamburg nach Flandern oder in andere Lnder 57 Vgl. die neue Untersuchung von Martin Kîhnel, Das politische Denken von Christian Thomasius. Staat, Gesellschaft, Bîrger (= Beitrge zur Politischen Wissenschaft, 120), Berlin 2001. 58 Volker Marcus Hackel, Kants Friedensschrift und das Vçlkerrecht (= Tîbinger Schriften zum internationalen und europischen Recht, 53), Berlin 2000.

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ausgefîhrt wurden.59 Im Austausch wurden wertvolle flandrische und niederlndische Tuche, etwa aus Leyden, Den Haag, Deventer und Harderwijk, seltener aus England nach Brandenburg importiert.60 Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts gehçrte auch das berîhmte Baiensalz, das von der Baie de Bourgneuf an der Westkîste Frankreichs stammte, zu den wichtigen Importprodukten.61 An diesem Handelsaustausch zwischen Brandenburg und Nordwesteuropa scheint sich trotz der politischen Wirren im 14. Jahrhundert wenig gendert zu haben; vermutlich hatten die mrkischen Stdte aus dem Land doch schon einen relativ einheitlichen Wirtschaftsraum gemacht.62 Noch 1467/68 war ein Kaufmann aus Brandenburg gewhlter Aldermann des Hansekontors in Brîgge; danach blieb er „Angehçriger dieses wichtigen Stîtzpunktes deutschen Außenhandels“.63 Zu den wirtschaftlichen Beziehungen traten die politischen. Nachdem das Land nach dem Aussterben der Askanier ein Jahrhundert lang Streitobjekt rivalisierender Interessenten gewesen war, begann 1411 eine Phase der Stabilisierung: Kçnig Sigismund bestellte Friedrich von Hohenzollern, den Burggrafen zu Nîrnberg, zum Hauptmann und Verweser der Mark. Der amtlichen Verleihung der Wîrde eines Markgrafen und Kurfîrsten am 30. April 1415 folgte die feierliche Belehnung Friedrichs am 18. April 1417 in Konstanz. Mit der Festigung der Hohenzollernherrschaft, die erst 1918 ihr Ende finden sollte, verstrkte sich auch die politische Einbeziehung Brandenburgs in das europische Mchtekonzert; zugleich wurden die Hohenzollern durch die Ereignisse um 1410 „zu einer europischen Dynastie“.64 Inwieweit auch brandenburgische Diplomaten seit der ersten Hlfte des 15. Jahrhunderts mit Problemen konfrontiert wurden, die sich auf der politischen Ebene zwischen dem Kaiser und Westeuropa entwickelten, bleibt noch zu er59 Vgl. Herbert Helbig, Gesellschaft und Wirtschaft der Mark Brandenburg im Mittelalter (= VerçffHistKommBerlin, 41), Berlin/New York 1973, S. 117 f. 60 Ebd., S. 143 – 145; knapper: Helmut Assing, Die Landesherrschaft der Askanier, Wittelsbacher und Luxemburger (Mitte des 12. bis Anfang des 15. Jahrhunderts), in: Ingo Materna / Wolfgang Ribbe (Hg.), Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 85 – 168, hier S. 116. Unklar ist, ob brandenburgische Kaufleute im Sptmittelalter franzçsische Hfen aufgesucht haben: Frankreich wird in dem umfangreichen Sammelwerk von Materna / Ribbe erstmals im Vorfeld der Kçnigswahl von 1519 (S. 469 – 471) erwhnt (S. 257). 61 H. Helbig, Gesellschaft … (s. Anm. 59), S. 140 – 142. 62 H. Assing, Landesherrschaft … (s. Anm. 60), S. 155. 63 H. Helbig, Gesellschaft … (s. Anm. 59), S. 123. Dagegen taucht in den drei Bnden von Jochen Hoock / Pierre Jeannin / Wolfgang Kaiser (Hg.), Ars Mercatoria. Eine analytische Bibliographie, 3 Bde., Paderborn u. a. 1991 – 2001, kein brandenburgischer Autor auf. 64 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 16), S. 33.

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forschen.65 Dagegen ist bekannt, daß zwei brandenburg-ansbachische Gesandte, Ludwig von Eyb und Hertnidt vom Stein, 1473 an den Hof Friedrichs III. kamen und an den Gesprchen des Kaisers mit dem Burgunderherzog Karl dem Kîhnen (Trier, Oktober/November) teilnahmen.66 Zumindest in europischen Adelskreisen besaß das zweite Kernland des spteren preußischen Staates, das an der Ostsee gelegene Gebiet des Deutschen Ordens, seit dem 14. Jahrhundert einen hçheren Bekanntheitsgrad als Brandenburg. Das war eine Folge der Tatsache, daß die Aristokratie des christlichen Europas im Kampf gegen die heidnischen Litauer ein Weiterleben der ritterlichen Kreuzzugstradition sah, der Preußen, insbesondere Kçnigsberg, zu einem Zentrum europischer Ritterschaft machte. Daß die Preußenfahrten dem Ordensstaat betrchtliche wirtschaftlich-finanzielle Vorteile gebracht haben mîssen, zeigt sich unter anderem an den zum Teil îppigen Finanzhilfen, die begîterte Landesherren ihren nach Preußen reisenden Rittern zukommen ließen, beispielsweise die Herzçge von Burgund (1360 – 1411: 76 bekannte Flle) oder der Herzog von Orleans (1389 – 1398: 24).67 Andere berîhmte Preußenfahrer aus Westeuropa im 14. Jahrhundert waren Johann von Blois und Wilhelm IV. von Holland und Hennegau. Im Vergleich zum binnenlndischen Brandenburg verfîgte der Ordensstaat îber sehr viel gînstigere Handelsvoraussetzungen. Es gab einen regen Warenaustausch mit Westeuropa, der teils von den beiden „Großschffereien“ des Ordens in Kçnigsberg und Marienburg, teils von den Kçnigsberger Kaufleuten organisiert wurde.68 Wichtigstes Exportgut war der Bernstein, der als Regal grundstzlich dem Landesherren abzuliefern war und wichtigste Handelsware

65 Martin Kintzinger, Westbindungen im sptmittelalterlichen Europa. Auswrtige Politik zwischen dem Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds (= Mittelalter-Forschungen, 2), Sigmaringen 1999, geht auf diese Frage nicht ein. 66 Matthias Thumser, Chronist und ritterlicher Bîrokrat, in: Heinz-Dieter Heimann (Hg.), Adelige Welt und familire Beziehung, Potsdam 1999, S. 155 – 176, hier S. 173 f. 67 Vgl. dazu allgemein Werner Paravicini, Die Preußenreisen des europischen Adels (= Beihefte der Francia, 17), 2 Tle., Sigmaringen 1989/1995, hier 2, S. 195 – 199 und Tabellen 83 und 84. – Sowohl fîr Brandenburg als auch fîr Preußen wren auch die breiter angelegten Bnde auszuwerten: Ders. (Hg.), Europische Reiseberichte des spten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, bisher 3 Tle. (Deutsche, franzçsische, niederlndische Reiseberichte), Frankfurt am Main/Berlin u. a. 2001, 1999, 2000. 68 Vgl. die grundlegende Untersuchung von Jîrgen Sarnowsky, Die Wirtschaftsfîhrung des Deutschen Ordens in Preußen (1382 – 1454) (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 34), Kçln/Weimar/Wien 1993, S. 86 – 115. Ergnzend: Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Kçnigsberg in Preußen, 1: Von der Grîndung der Stadt bis zum letzten Kurfîrsten, Kçln/Graz 1965, S. 131 – 146. Die Zitate: S. 135, 139.

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der Kçnigsberger Großschfferei war.69 Er wurde mit reichem Gewinn auf dem Seeweg nach Lîbeck und Brîgge gebracht, wo sich die beiden einzigen Zînfte befanden, die Rosenkrnze aus Bernstein herstellten. Außerdem exportierte die Kçnigsberger Großschfferei nach England, Holland und Seeland Getreide, Holz und Holzprodukte, Wachs und Pelze. Bei der Marienburger Ordensschfferei stand der Handel mit Flandern an erster Stelle, aber es gab auch Geschftsbeziehungen zu Holland, Frankreich, England und Schottland, die zum Teil aus „Querverbindungen“ zwischen den Preußenfahrten, dem Deutschen Orden und dem Handel resultierten. Im Falle Englands war die wechselseitige Beeinflussung von Preußenfahrt, Handel und Politik besonders deutlich; Schottland galt als bevorzugtes Handelsgebiet des Marienburger Schffers.70 Wichtigste Exportgîter waren Getreide, Holzprodukte wie Asche und Teer sowie Kupfer und Pelzwerk. Die Einkufe des Ordens zur Deckung des Eigenbedarfs – Leinen und Tuche aus Mecheln und Ypern, Perlen, Kleinode, Gewîrze, Wein, Waffen und Salz – ttigte er vorwiegend in Brîgge, wo ein Bevollmchtigter des Kçnigsberger Großschffers saß, der „so etwas wie ein Bankier des Ordens“ war. Er galt dort als bedeutender und zahlungskrftiger Kufer. In manchen Jahren soll er fast 50 verschiedene Sorten Tuche aus allen Stdten der Niederlande gekauft haben. Brîgge war damals „der fîhrende Finanzmarkt des nçrdlichen Westeuropa, der Ort, wo die germanische und die romanische Welt zueinanderkamen, Spanier und Italiener ebenso prsent waren wie Franzosen und die Leute aus dem Osten, die Oosterlinge oder Hansekaufleute“.71 Noch um 1400 behaupteten die beiden Großschffereien, gestîtzt auf eine lebhafte Handelsttigkeit, eine wirtschaftliche Position, „die wohl im Hanseraum einzigartig war“.72 Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ging zuerst der Handel der Marienburger zurîck; nach 1410 bekam auch die Kçnigsberger Großschfferei – trotz des Bernsteinhandels – empfindliche Rîckschlge zu spîren. Nach der Verdrngung aus dem preußischen Binnenhandel trat der Warenaustausch mit dem Westen, mit Lîbeck und Flandern, an die erste Stelle, doch bald nach 1430 verlor der Handel des Ordens zwar „jede grçßere Bedeutung“, hçrte aber keineswegs auf. 69 Speziell zum Bernstein vgl. J. Sarnowsky, Wirtschaftsfîhrung … (s. Anm. 68), S. 103 – 110 und S. 159 – 161. 70 W. Paravicini, Preußenreisen … (s. Anm. 67), 2, S. 316 – 318. Vgl. zu diesem Gesamtkomplex auch die grîndliche Untersuchung von Stuart Jenks, England, die Hanse und Preußen: Handel und Diplomatie 1377 – 1474 (= QDarstHansG NF, 38), Kçln 1992. 71 W. Paravicini, Preußenreisen … (s. Anm. 67), 2, S. 279. Dort auch die einschlgige Literatur. Sehr aufschlußreich îber die offizielle Prsenz des Ordens in Brîgge und seine Glubiger im Handel mit Westeuropa sind die Tabellen S. 98 – 104, ebd., S. 281 ff. 72 Ebd., S. 302. Das folgende Zitat: S. 456.

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Auch die Kçnigsberger Kaufleute beteiligten sich am flandrischen Handel. Sie brachten „die Waren des Ostens“ wie Holz, Getreide, Teer, Wachs, Flachs, Pelze, Holzkohle, Pottasche, Leder und Honig nach Brîgge und bezogen ihrerseits Tuche, Reis, Wein und – seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts – das erwhnte Baiensalz. Auch zu England und Schottland bestanden Handelsverbindungen, die allerdings zeitweise unterbrochen waren. Als die Kçnigsberger den Salzhandel selbst îbernahmen und damit den niederlndischen Zwischenhandel ausschalteten, kam es zu ernsten Konflikten und einem regelrechten Kaperkrieg: 1483 brachten die Niederlnder eine Flotte von 23 preußischen und livlndischen Schiffen auf. An den Fahrten der Hanse nach Spanien und Portugal scheinen sich Kçnigsberger Kaufleute im Mittelalter nicht beteiligt zu haben.73 2. Brandenburg, Preußen und Westeuropa im 16. Jahrhundert Auch im 16. Jahrhundert verliefen die Beziehungen zwischen dem spteren Kçnigreich Preußen und Westeuropa noch zweigleisig. Das Kurfîrstentum Brandenburg und das Herzogtum Preußen hatten wenig miteinander zu tun. Sogar die Gemeinsamkeit im dynastischen Bereich hatte ihre Grenzen: beide Herrscher kamen zwar aus dem Hause Hohenzollern, gehçrten aber verschiedenen Linien an, der brandenburgischen und der frnkischen. Handelspolitische Traditionen und geographische Gegebenheiten trugen dazu bei, daß sich das Beziehungsgeflecht beider Lnder mit dem westlichen Europa auf unterschiedliche Weise entwickelte. a) Das Kurfîrstentum Brandenburg74 Da der Markgraf von Brandenburg zugleich Kurfîrst des Heiligen Rçmischen Reiches war, gehçrte er zu dem Personenkreis, den der franzçsische Kçnig Franz I. zu gewinnen suchte, als er sich zum Rçmischen Kçnig whlen lassen wollte.75 Noch zu Lebzeiten Kaiser Maximilians, der seinen Enkel Karl, ebenfalls aus dem Hause Habsburg und seit 1516 Kçnig von Spanien, favorisierte, schloß Franz I. 73 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 140 f. 74 Auch îber beziehungsgeschichtliche Fragen orientiert die grundlegende Darstellung von Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 5 Bde. (in einem), Berlin 21989. Fîr diesen Beitrag wurden die Bde. 3 (ab 1415), 4 (ab 1535) und 5 (ab 1648) benutzt. 75 Vgl. die Untersuchung von Wilhelm Ernst Winterhager, Das Haus Brandenburg und die franzçsische Kaiserkandidatur 1519. Neue Dokumente zur Rolle der Kurfîrsten von Brandenburg und Mainz im Kaiserwahlkampf zwischen Habsburg und Frankreich, in: Sven Externbrink / Jçrg Ulbert (Hg.), Formen internationaler Beziehungen in der Frîhen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europischen Staatensystem. Festschrift fîr Klaus Malettke zum 65. Geburtstag (= Historische Forschungen, 71), Berlin 2001, S. 299 – 334.

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mit Joachim I. von Brandenburg im Juni 1517 einen Vertrag, in dem dieser ihm seine Kurstimme zusicherte. Als Gegenleistung erhielt Joachim 75.000 Taler und die Zusage, daß Ren¤e, eine 1510 geborene Tochter des damaligen Kçnigs Ludwig XII., dereinst den Kurprinzen heiraten sollte.76 Als Maximilian im Januar 1519 îberraschend starb und die Wahl noch nicht erfolgt war, erhçhte Joachim seinen Preis, doch Franz ließ sich darauf ein: „Je veux qu’on soulle de toutes choses le marquis Joachim“, instruierte er seine Abgesandten.77 In dem sich entwickelnden Propagandakrieg zwischen den Prtendenten hielt der Brandenburger lange an Frankreich fest; vor allem die Bereitschaft des franzçsischen Kçnigs zum Tîrkenkrieg soll ihn dazu bewogen haben.78 Sicher war es auch die Aussicht auf die Reichsstatthalterschaft, die ihm Franz fîr den Fall seiner Wahl versprochen hatte. Das verrgerte vor allem den Kurfîrsten von Sachsen, aber auch seine Kollegen.79 Nicht zuletzt deshalb schwanden die Aussichten des franzçsischen Kçnigs, der schließlich am 26. Juni seine Kandidatur zurîckzog und vorschlug, Joachim selbst zu whlen. Als dieser Gedanke keine Zustimmung fand, entschloß sich auch der Kurfîrst aus Brandenburg zur Wahl Karls von Spanien, die einstimmig erfolgte. Die vereinbarte dynastische Verbindung zwischen Frankreich und Brandenburg war damit hinfllig geworden; Dietrich von Hardenberg, der die „finanziell sehr eintrglichen Verhandlungen mit Frankreich“ gefîhrt hatte, erhielt wenig spter das Bistum Brandenburg.80 Da sich auch der von Habsburg unterbreitete Heiratsplan des Kurprinzen mit Katharina von Spanien, §sterreich und Burgund zerschlug, blieben die Beziehungen Brandenburgs zu Karl V. gespannt, zumal auch in den 20er Jahren franzçsisches Geld in die Kurmark floß.81 Im Umfeld der Wahl von 1519 war das kleine Kurfîrstentum Brandenburg fîr einen kurzen Augenblick ins Rampenlicht der europischen Geschichte getreten. Obwohl diese Aktivitten wohl eher als „ein bezeichnend-verfrîhter Griff in die europische Politik“ anzusehen sind, rîckte dadurch auch der Name der Dynastie, der Hohenzollern, strker ins çffentliche Bewußtsein, denn der Bruder des Markgrafen war als Erzbischof von Mainz zugleich Reichskanzler 76 Vgl. dazu Robert Jean Knecht, Francis I, Cambridge u. a. 1982, S. 71 – 77. Ren¤e de France (1510 – 1575) diente mindestens viermal als dynastisches Verhandlungsobjekt, bevor sie 1527 den Herzog von Ferrara heiratete. Sie neigte der Reformation zu und war eine der gebildetsten Frauen ihrer Zeit. Vgl. die neue Biographie von Anne Puaux, La Huguenote Ren¤e de France, Paris 1998. 77 Zitiert nach ebd., S. 73, Anm. 25. 78 Vgl. Ernst Laubach, Wahlpropaganda im Wahlkampf um die deutsche Kçnigswîrde 1519, in: ArchKulturg 53 (1971), S. 207 – 248, hier S. 213. 79 Ebd., S. 246. 80 Felix Escher, Das Kurfîrstentum Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus, in: I. Materna, Brandenburgische Geschichte … (s. Anm. 60), S. 231 – 290, hier S. 258. 81 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 16), S. 80. Dort auch das folgende Zitat.

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und ebenfalls Kurfîrst. Das Land gewann weiter an politischem Gewicht, als es sich 1539/40 der Reformation anschloß. Obwohl es an manchen altkirchlichen Traditionen noch fîr einige Zeit festhielt, bildete diese konfessionelle Grundentscheidung mit ihren direkten und indirekten Folgen eine wichtige Voraussetzung fîr die sptere Großmachtstellung Preußens.82 ˜ber die damaligen Handelsverbindungen Brandenburgs mit Westeuropa ist wenig bekannt. Ganz sicher beteiligte sich das Land – genau wie das Herzogtum Preußen – an den Getreidelieferungen, die aus den ostelbischen Gebieten îber die Ostseehfen nach Westeuropa, besonders nach England und Flandern, gingen. Als die osteuropischen Lnder im 15./16. Jahrhundert zu den maßgeblichen Getreidelieferanten fîr Westeuropa, besonders fîr England und Flandern, wurden, begînstigte diese „Kommerzialisierung der ostelbischen Getreidewirtschaft“ die Entstehung eines adligen Unternehmertums, aus dem sich im Bereich der brandenburgischen Gutswirtschaft die politisch-wirtschaftliche Elite der Junker entwickelte.83 Die grîndlichen Forschungen îber die Getreidehandelspolitik Brandenburgs im Vergleich zu anderen europischen Lndern haben nur partielle beziehungsgeschichtliche Erkenntnisse îber den brandenburgischen Getreidehandel gebracht.84 Eher zufllig stçßt man in der Literatur auf die eine oder andere Information, aber eine zuverlssige Gesamtdarstellung fehlt, obwohl der brandenburgische Getreideexport im 16. Jahrhundert fîr Westeuropa ganz sicher eine wichtige Rolle spielte. Beispielsweise ist erwiesen, daß zu Frankreich Handelsverbindungen bestanden haben, denn Karl IX. gestattete 1563 den brandenburgischen und preußischen Kaufleuten, „de traffiquer en France, d’y faire r¤sidence et d’y acqu¤rir mÞme des biens, en prenant des lettres de naturalit¤“. Noch als die Niederlnder den Direkthandel mit den pommerschen und preußischen Stdten im 17. Jahrhundert weitgehend in ihre Hnde gebracht hatten, beriefen sich einige Brandenburger auf diese Erlaubnis.85 82 Das unterstreicht Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981, S. 55. 83 Hanna Schissler, Die Junker. Zur Sozialgeschichte und historischen Bedeutung der agrarischen Elite in Preußen, in: Hans-Jîrgen Puhle / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Gçttingen 1980, S. 89 – 122, hier S. 91. 84 Wilhelm Naude / Gustav Schmoller (Bearb.), Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung Brandenburg-Preußens bis 1740 (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Die einzelnen Gebiete der Verwaltung: Getreidehandelspolitik, 2), Berlin 1901, S. 48 – 51. 85 Prosper Boissonnade, Histoire des premiers essais de relations ¤conomiques directes entre la France et l’¤tat prussien pendant le rºgne de Louis XIV (1643 – 1715), Paris 1912, S. 171. Es handelte sich dabei um das Privileg Karls IX. vom 12. 4. 1563, dessen kîrzlich publizierter Auszug aus der deutschen Fassung (17 Punkte) allerdings nur die

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Daß es in dieser Zeit Handelsverbindungen zwischen Brandenburg und Westeuropa gegeben hat, zeigt das Beispiel des Berliners Georg Scholle, der um 1600 neben Leonhard Weiler „der bedeutendste Kaufmann der Residenz“ und seit 1584 fast 25 Jahre ihr Bîrgermeister war. Er besuchte regelmßig die Messen in Amsterdam und fuhr hufig, zum Teil im Auftrag des Kurfîrsten, nach England. In Holland kaufte er viele Luxuswaren und Exotika, in England Gobelins. Mit seinem (nicht realisierten) Plan, Textilfachleute aus England und den Niederlanden anzuwerben und mit ihnen in der Mark moderne Spinnereien und Webereien einzurichten, war er seiner Zeit weit voraus – vielleicht wre Scholle wirklich „ein Wohltter des Vaterlandes“ geworden.86 Trotz dieser offensichtlich vorhandenen Handelsbeziehungen zu Westeuropa waren die brandenburgischen Kurfîrsten nicht bereit, sich an den konfessionell geprgten Bîrgerkriegen zu beteiligen, die in Frankreich 1562 und in den Spanischen Niederlanden 1566 aufflammten.87 Die Gesandtschaft der deutschen protestantischen Fîrsten, die Ende 1570 nach Frankreich ging, wurde zwar auch von Joachim II. (1535 – 1571) beschickt, doch blieb das Ganze ohne politische Folgen.88 Selbst nach der Bartholomusnacht konnten sich die zerstrittenen protestantischen Fîrsten nicht zu einer gemeinsamen Aktion zugunsten der Hugenotten aufraffen. Im Gegenteil: Dem zum polnischen Kçnig gewhlten Herzog von Anjou,89 der als einer der Verantwortlichen fîr das Massaker galt, gestattete ein Kurfîrstentag vom 10. August 1573 einstimmig den Durchzug mit 800 Reitern. Da sich seine Abreise verzçgerte, erreichte er Luckau, den ersten brandenburgischen Etappenort, erst am 15. Januar 1573. Am 19. war er in Frankfurt/Oder, wo Heinrich „zwar festlich empfangen wurde, der brandenburgische Kurfîrst sich jedoch nicht blicken ließ“. Der hatte ihm

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Untertanen des Herzogs von Preußen betrifft, nicht aber die Brandenburger (Dieter Heckmann [Bearb.], Die Beziehungen der Herzçge in Preußen zu West- und Sîdeuropa [1525 – 1688]. Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten [= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 47], Kçln/ Weimar/Wien 1999, S. 263 f.: Nr. 393). Eberhard Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Kriege (= Berlinische Bîcher, 1), Berlin 1927, S. 102 f. Das Zitat: S. 103. Zu Fîrstenrevolution, Chambord-Vertrag und voyage d’Allemagne Heinrichs II. vgl. Jean-Daniel Pariset, Les relations entre la France et l’Allemagne au milieu du XVIe siecle, Straßburg 1981. Beatrice Nicollier-De Weck, Hubert Languet (1518 – 1581). Un r¤seau politique international de Melanchthon ” Guillaume d’Orange, Genf 1995, S. 248 – 255. Keine gesonderte Behandlung erfhrt das franzçsisch-brandenburgische Verhltnis in der Studie von Maciej Serwanski, La France et le Saint-Empire ” l’¤poque de l’¤lection d’Henri de Valois en Pologne, in: S. Externbrink / J. Ulbert, Formen … (s. Anm. 75), S. 335 – 348.

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allerdings einen Geleitbrief und 600 Reiter als Eskorte geschickt, wofîr sich Anjou in einem Brief vom 24.1. aus Zielenzig bedankte.90 Auch aus konfessionellen Grînden hielten Joachim II. (1535 – 1571) und Johann Georg (1571 – 1598) „das enge politische Zusammengehen mit Kursachsen“ in allen Fragen der ußeren Politik fîr zwingend, obwohl der schsische Kurfîrst August (1553 – 1586), der „in dieser Gemeinschaft […] fîhrend war“, auf eine nennenswerte protestantische Reichspolitik verzichtete.91 Die reservierte Haltung des schsischen Kurfîrsten gegenîber den calvinistischen Hugenotten verstrkte sich noch nach dem 1574 erfolgten Sturz der Kryptocalvinisten im eigenen Lande. Unterstîtzung konnten die franzçsischen Protestanten allein von der îberwiegend reformierten Pfalz erhoffen. Auch nach der Grîndung der katholischen Liga in Frankreich (1576) lehnten die meisten evangelischen Reichsfîrsten jedes ernsthafte Engagement ab: „Die große Mehrheit jedenfalls der lutherischen Reichsstnde war nicht bereit, den Religionsfrieden im Reich durch eine europische Konfessionspolitik aufs Spiel zu setzen.“92 Als Heinrich von Navarra, der Fîhrer der Hugenotten, 1583 seinen Vertrauten S¤gur nach Deutschland schickte, um seine îbergreifenden Bîndnisvorschlge mit der Krise um das Erzbistum Kçln zu verbinden, blieben alle Verhandlungen an der Oberflche, weil die Protestanten nicht einmal in den brennendsten inneren Reichsangelegenheiten Einigkeit erzielen konnten.93 Wenigstens erklrten sie sich zur Entsendung einer Delegation bereit, die Heinrich III. zum Frieden ermahnen sollte.94 Da der franzçsische Kçnig an einer Unterredung nicht interessiert war, empfing er die im August 1586 eingetroffenen Gesandten erst am 10. Oktober. Seiner mîndlichen Zurîckweisung jeder Einmischung in innerfranzçsische Angelegenheiten folgte am nchsten Tag die schriftliche Besttigung – zusammen mit der Aushndigung der Psse fîr die Rîckreise.95 Auch im folgenden Jahr, als England einen Feldzug zu unterstîtzen bereit war und Johann Kasimir um Bundesgenossen warb,96 blieben Kursachsen und 90 Pierre Chevallier, Henri III, roi shakespearien, Paris 1985, S. 213 f.; Barbara Muschalla, Frankreich und die deutschen Protestanten von 1574 bis 1598, Staatsexamensarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin, Berlin 1975, S. 8 – 10. 91 J. Schultze, Brandenburg … (wie Anm. 74), 4, S. 135; Rudolf Kçtzschke / Hellmut Kretzschmar, Schsische Geschichte. ND Frankfurt am Main 1965, S. 234. 92 Horst Rabe, Deutsche Geschichte 1500 – 1600. Das Jahrhundert der Glaubensspaltung, Mînchen 1991, S. 464. 93 Vgl. dazu Friedrich Beiderbeck, Heinrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichsstnde, I, in: Francia 23/2 (1996), S. 1 – 32, hier S. 24 – 28. 94 Einen guten ˜berblick gibt B. Muschalla, Frankreich … (s. Anm. 90), S. 59 – 64. 95 P. Chevallier, Henri III … (s. Anm. 90), S. 590. Nach F. Beiderbeck, Heinrich IV. … (s. Anm. 93), S. 28, wurde die von Hessen und der Kurpfalz ausgerichtete Gesandtschaft „zu einer Farce.“ 96 Ebd., S. 29, Anm. 98: England stellte 150.000 Gulden in Aussicht.

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Kurbrandenburg in der Frage einer Militrhilfe fîr Navarra bei ihrer ablehnenden Haltung. Dennoch wurden so viele Sçldner angeworben, daß eine aus Franzosen, Schweizern und Deutschen bestehende Armee von fast 30.000 Mann im August 1587 nach Lothringen vorrîcken konnte. Das Heer sollte vor allem die starke Stellung der Liga in Lothringen, Burgund und der Champagne schwchen. Die meist aus Nord- und Mitteldeutschland stammenden „Schwarzen Reiter“ nannte man in Frankreich, wo Sçldner in allen Armeen standen, reistres. Das Hauptproblem bestand darin, sie nach dem Ende der Kmpfe wieder loszuwerden. Versorgungsmngel, Krankheiten, stndiger Regen, Streit um die Fîhrung und einige geschickte Attacken des Ligaheeres bei Vimory und Auneau ließen die militrische Hilfsaktion in einem Debakel enden.97 Daran nderte auch der Sieg Navarras îber Heinrich III. bei Coutras (20.10.) nichts. Immerhin gelang es dem Kçnig zum ørger der Guisen, die marodierenden Reste der Hilfsarmee durch Geldzahlungen zur Rîckkehr zu bewegen. Darunter befand sich auch der Oberst Hans v. Buch aus der Mark. Obwohl neue Quellenfunde vermuten lassen, „daß die Zahl der Brandenburger unter den reistres nicht unerheblich war“,98 blieb die Aktion von 1587 fîr Fîrst und Land ohne jede politische Bedeutung. Nach dem Befreiungsschlag Heinrichs III. gegen die Guisen und seinem Bîndnis mit Navarra kam es zu einer erneuten Annherung zwischen den protestantischen Reichsstnden und Navarra, die sich nach dessen Thronbesteigung (August 1589) verstrkte. Unter den deutschen Fîrsten, die dem Hugenotten Heinrich IV. noch im Herbst 52.000 Gulden zusagten, war auch Brandenburg. Auf Drngen Johann Kasimirs kam es sogar im Februar 1591 in Torgau zu einem Bîndnis mehrerer evangelischer Fîrsten, die eine Hilfstruppe fîr Heinrich IV. finanzierten. Nach einem Besuch Turennes in Dresden erhçhten Sachsen und auch Brandenburg ihre Zuschîsse. Am 12. August îberschritt die Armee, die etwa 9.000 Fußsoldaten und 6.200 Reiter umfaßte, den Rhein und stieß Ende September bei Verdun auf die Truppen Heinrichs IV. Die gemeinsame Belagerung von Rouen scheiterte jedoch; als die Truppen wegen ausbleibender Soldzahlungen unruhig wurden, mußte der franzçsische Kçnig seine deutschen Hilfstruppen im Sommer 1592 entlassen. Damit endete die

97 ˜ber diesen Feldzug berichten P. Chevallier, Henri III. … (s. Anm. 90), S. 602 – 606, und F. Beiderbeck, Heinrich IV. … (s. Anm. 93), S. 29 – 32. 98 Zu dieser speziellen Perspektive vgl. Peter-Michael Hahn, Ein brandenburgischer Bericht îber den Zug der Schwarzen Reiter 1587 nach Frankreich, in: JbBrandenbLdG 41 (= Dona Brandenburgica. Festschrift fîr Werner Vogel zum 60. Geburtstag) (1990), S. 180 – 202, hier S. 194.

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zweite gemeinsame Aktion, mit der sich Brandenburg aktiv am Bîrgerkrieg in Frankreich beteiligt hatte.99 Durch die Todesflle des schsischen Kurfîrsten Christian (25. 9. 1591) und des Pfalzgrafen Johann Kasimir (6. 1. 1592), der als spiritus rector des Torgauer Bîndnisses gilt, fîhrte das militrische Desaster auch zum politischen Ende des Fîrstenbundes, dem Kurfîrst Johann Georg ohnehin „nur mit halbem Herzen angehçrt“ hatte.100 Bereits 1593 begann der Brandenburger neue Verhandlungen mit Heinrich IV., um im „Straßburger Kapitelstreit“, der durch die Doppelwahl des Hohenzollernprinzen Johann Georg, dem Enkel des Kurfîrsten, und des Kardinals von Lothringen entbrannt war und sogar zum „Straßburger Bischofskrieg“ fîhrte, einen Verbîndeten zu gewinnen und îber den 1593 erreichten Waffenstillstand mit Besitzstandsteilung hinauszukommen. Die Initiative, Heinrich IV. ein protestantisches Hilfsheer anzubieten (1593/94), ging vom Markgrafen Georg Friedrich von Ansbach aus, scheiterte aber – wieder einmal – an der fehlenden Einigkeit der deutschen Stnde.101 Eine erneute Prsenz auch brandenburgischer Truppen in Frankreich war damit vom Tisch. Ob der Griff nach Straßburg wirklich Teil einer bewußten Politik war, „den Hohenzollern im geistlichen Europa eine Klientel zu schaffen“,102 sei dahingestellt; jedenfalls scheiterte die Absicht langfristig am Widerstand der katholischen Partei; der großzîgig entschdigte Johann Georg verzichtete endgîltig 1604. Auch am Krieg des inzwischen konvertierten Heinrich IV. gegen Spanien beteiligten sich weder der Kurfîrst Johann Georg noch die anderen deutschen protestantischen Fîrsten. In den Friedensvertrag von Vervins (2. Mai 1598) ließ Heinrich IV. einige seiner frîheren Bîndnispartner („si compris y veulent Þtre“) dennoch aufnehmen, darunter ausdrîcklich den „Electeur Marquis de Brandebourg“.103 Mit dieser Erwhnung fand Brandenburg zum erstenmal Eingang in einen Staatsvertrag von europischer Bedeutung.104 Große Distanz hielten die brandenburgischen Kurfîrsten auch zu den aufstndischen Niederlndern. Erst als sich die Jîlicher Erbfolge abzuzeichnen 99 Eine Zusammenfassung des Forschungsstandes gibt B. Muschalla, Frankreich … (s. Anm. 90), S. 81 f. 100 Vgl. dazu Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, Berlin 1915, S. 138 f. 101 Vgl. dazu neuerdings F. Beiderbeck, Heinrich IV. … (s. Anm. 93), II, in: Francia 25/2 (1998), S. 1 – 15, hier S. 1 – 10. Ein Gutachten des Rates Christoph von Wallenfels fîr den Herzog von Preußen zum Kapitelstreit publizierte kîrzlich D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 510 – 514: Nr. 740, 1594. 102 Diese Auffassung vertritt W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 16), S. 118. 103 Jean du Mont, Corps universel diplomatique du droit des gens …, V/1, Amsterdam/ Den Haag 1728, Nr. CCLV, S. 561 – 573, hier S. 563. 104 In dem vorangegangenen Friedensschluß von europischer Bedeutung (Cateau-Cambresis, 3. 4. 1559), auf den man sich 1598 hufig bezog, wurde der Kurfîrst von Brandenburg nicht erwhnt (ebd., V/1, Nr. XXIII, S. 34 – 44).

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begann, bezog man diese westeuropische Konfliktzone ins politische Kalkîl ein. Die von Oldenbarnevelt 1591 gemachten Avancen fîhrten sogar 1594 zu einem Bîndnis.105 Nachdem Brandenburg die Vereinigten Provinzen 1602 indirekt als Staat anerkannt hatte, wurde nach langen Verhandlungen am 25. April 1605 ein dreiseitiges Abkommen geschlossen: Fîr den Erbfall in Jîlich-Kleve versprachen die Niederlande militrische Hilfe, whrend Brandenburg und die Kurpfalz bis 1607 300.000 Gulden Subsidien zahlen sollten. Brandenburgischer Verhandlungsfîhrer war der calvinistische Rheinlnder Otto Heinrich von Bylandt-Rheydt, der 1603 zum Geheimen Rat aufgestiegen war, sich fîr eine §ffnung der brandenburgischen Politik gegenîber Westeuropa einsetzte und als Vertreter einer Machtpolitik galt.106 Als 1609 der Erbfall eintrat, verfolgten die Niederlande nicht ernsthaft die Interessen der Brandenburger, die angeblich den Vertrag nicht erfîllt hatten. Konfessionelle ˜berlegungen spielten bei diesem Konflikt keine Rolle. Auch bei den Vertrgen, die Brandenburg whrend des 30jhrigen Krieges mit den Niederlanden schloß, standen politische und finanzielle Belange im Vordergrund. Von der Bedeutung, die dieser westeuropische Staat zwei, drei Generationen spter fîr das Kurfîrstentum Brandenburg gewinnen sollte, war in diesen Jahren noch wenig zu spîren.107 Insgesamt haben sich die evangelischen Reichsfîrsten mit Ausnahme der Pfalz in der zweiten Hlfte des 16. Jahrhunderts wenig um ihre Glaubensgenossen in Westeuropa gekîmmert – allen voran Sachsen und, fast immer in seinem Schlepptau, Brandenburg. Der auf das Jahr 1574 gemînzte Stoßseufzer der jîngsten Languet-Biographin faßt die Situation insgesamt recht treffend zusammen: „Ce n’¤tait certes pas le Wurtemberg […] ni le lointain Electeur Jean-Georges de Brandebourg, qui allaient s’activer en faveur des ¤vang¤liques franÅais, belges ou anglais“108 – fîr das noch weiter entfernte Herzogtum Preußen galt das gleiche; trotz der îberkonfessionell verteilten Falkengeschenke enthlt die kîrzlich publizierte Korrespondenz nicht den geringsten Hinweis auf irgendein Engagement zugunsten einer der Konfessionsparteien.109 105 Vgl. Paul Hassel, Ein brandenburgisch-hollndisches Bîndnis (1594/95), in: ZPreussGLdkde 5 (1868), S. 504 – 541. 106 Vgl. dazu Johannes Arndt, Das Heilige Rçmische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjhrigen Krieg (= Mînstersche Historische Forschungen, 13), Kçln/Weimar/Wien 1998, S. 164 – 166. ˜ber Bylandt-Rheydt ebd., S. 177 f. 107 S. u. § 2. 108 B. Nicollier-de Weck, Languet … (s. Anm. 88), S. 310. 109 D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), passim. Als Beispiel fîr eine „interkonfessionelle“ Falkenlieferung kann 1580 gelten, als dem „Regi Hispaniae 6, Galliae 6, reginae Angliae 6“ Falken geschickt wurden (ebd., S. 415: Nr. 604, 25. 9. 1580).

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Trotz der politischen Distanzierung zum westeuropischen Protestantismus zeigte sich Brandenburg in konfessioneller Hinsicht kompromißbereit: die vom Kurfîrsten in sechs Stdten angesetzten niederlndischen Tuchmacher reformierter Konfession waren die ersten Glaubensvertriebenen, denen Brandenburg eine neue Heimat gab.110 Es folgte damit einer Tradition, die im Herzogtum Preußen lngst îblich war: Von den Niederlndern, die damals schon den Ostseehandel beherrschten, hatten sich viele Kaufleute als Glaubensflîchtlinge in Kçnigsberg niedergelassen, zunchst noch nicht als Bîrger, sondern als „Lieger“ (= Vertreter ihrer Firmen). Spter kamen Englnder, Schotten und auch Franzosen hinzu. Sie gehçrten fast alle zu den Reformierten, brachten manche unbekannten gewerblichen Methoden oder Techniken und oft auch eine moderne Wirtschaftsgesinnung mit.111 Darîber wird im folgenden Abschnitt noch zu reden sein.112 Das Ausgreifen Brandenburgs in den Westen Deutschlands, das vom Kurfîrsten Joachim Friedrich (1598 – 1608) vorbereitet worden war, hatte auch eine konfessionelle Komponente: daß sein Nachfolger Johann Sigismund (1608 – 1620) 1613 zum Calvinismus îbertrat, hat man lange als einen Akt politischer Wendigkeit in der Auseinandersetzung um das umstrittene Jîlich-Klevische Erbe angesehen, die durch das Offensivbîndnis Heinrichs IV. mit den protestantischen Reichsfîrsten (Schwbisch Hall, 12. 2. 1610) fast zu einer „Kampfarena europischer Gegenstze“ geworden wre.113 In Anlehnung an den grundlegenden Aufsatz von Otto Hintze114 neigt die neuere Forschung dazu, „die politischen Motive des Schrittes von 1613 als eher nachrangig anzusehen“. Wegen der erheblichen Widerstnde am Hof und im Land hat es auch keine „zweite Reformation“ in den kurfîrstlichen Territorien gegeben: das Land blieb îberwiegend lutherisch. „Das […] reformierte Bekenntnis (blieb) im wesentlichen eine Hof- und Beamtenreligion schmaler adliger und bîrgerlicher Fîhrungsgruppen.“115 Auf lange Sicht bedeutete der ˜bertritt des Kurfîrsten aber doch, daß „die politische Orientierung nach dem Westen“ als Grundrichtung 110 G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 57. Vgl. auch Eduard Muret, Geschichte der Franzçsischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, unter besonderer Berîcksichtigung der Berliner Gemeinde, Berlin 1885, ND Berlin 1990, S. 30. 111 Vgl. dazu F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 308 – 315. 112 S. u. § 1 II b. 113 Vgl. F. Beiderbeck, Heinrich IV. … (s. Anm. 93), S. 14 – 24. Der drohende Krieg wurde nur durch die Ermordung Heinrichs verhindert; in den folgenden Verhandlungen wurden Brandenburg Kleve, Mark, Ravensberg und Ravenstein zugesprochen (Xanten, 1614). 114 Otto Hintze, Kalvinismus und Staatsrson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens (= Gesammelte Abhandlungen, hg. von Gerhard Oestreich, 3), Gçttingen 1967, S. 255 – 312. 115 H. Rabe, Geschichte … (s. Anm. 92), S. 559.

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festgelegt116 und damit die im 17. Jahrhundert beginnende §ffnung Brandenburgs nach Westeuropa vorbereitet wurde. Das allmhliche Hineinwachsen des Kurfîrstentums in die europische Politik zeigt sich auch daran, daß sich die Landesherren mehr und mehr veranlaßt sahen, zu den wichtigsten Schaltstellen stndige Vertreter zu entsenden. Nach den Erwerbungen am Niederrhein und in Ostpreußen wurden erste Bevollmchtigte in die Niederlande und nach Polen geschickt. Spter folgten Vertreter am Kaiserhof in Wien, in Schweden (1631) und in Paris (1646).117 b) Das Herzogtum Preußen Das zweite Territorium, mit dem das sptere Kçnigreich Preußen whrend des 16. Jahrhunderts in die europische Staatenwelt hineinwuchs, war der 1525 in das Herzogtum Preußen umgewandelte Ostteil des alten Deutschordenslandes. Dieses von der frnkischen Linie der Hohenzollern regierte Gebiet nahm – als erstes Land îberhaupt – 1526 offiziell die Reformation an, und der letzte, seit 1511 regierende Hochmeister, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, wurde als Albrecht I. erster Herzog in Preußen (1525 – 1568). Der fromme und theologisch gebildete Herzog, der aus seinem Land einen protestantischen Musterstaat machen wollte118 und 1544 die Universitt Kçnigsberg grîndete, ließ die alten Verbindungen nach Westeuropa nicht abreißen. Das ergibt sich aus einem kîrzlich ausgewerteten Aktenbestand, der sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz befindet: Whrend sich die 1525 unterbrochenen, aber 1534 wiederaufgenommenen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen England und dem Herzogtum Preußen „als sehr dauerhaft“ und meist problemlos erweisen sollten und bis 1597 nachzuweisen sind,119 ist die ebenfalls 1534 einsetzende Korrespondenz mit Frankreich zwar lîckenhafter, doch lßt sie erkennen, daß auch das Verhltnis zu Frankreich im großen und ganzen gut war. Um die „Pflege einer engen Freundschaft“ zum Kçnig von Frankreich hat sich Albrecht immer bemîht; auch sein Nachfolger Albrecht Friedrich (1568 – 1577/1618) versprach sogleich 116 O. Hintze, Kalvinismus … (s. Anm. 114), S. 282. 117 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 16), S. 134. 118 Ganz neue Fragestellungen zur historischen Entwicklung des Herzogtums untersucht Esther-Beate Kçrber, §ffentlichkeiten der Frîhen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen çffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618 (= Beitrge zur Kommunikationsgeschichte, 7), Berlin/New York 1998. 119 Zum Gesamtkomplex vgl. D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 1, 11 – 14 (England), 14 – 16 (Frankreich), 16 – 18 (Italien, Niederlande, Spanien, Schottland). Ich danke Herrn Dr. Heckmann fîr die Mçglichkeit, das Manuskript vor der Drucklegung einsehen zu dîrfen.

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nach Regierungsantritt die „Aufrechterhaltung der guten Beziehungen“.120 Die Stellung des Herzogtums zu den Niederlanden, die hinsichtlich der Quellendichte bisher an dritter Stelle rangieren, kçnnte sich nach Auswertung eines weiteren Aktenbestandes noch ndern.121 Da Latein als Korrespondenzsprache zurîckging, mußte sich die herzogliche Kanzlei mehr und mehr auf die franzçsische Sprache einstellen. Um Vermerke wie „Franntzesisch verstehe ich nich“ zu vermeiden, schickte Herzog Albrecht seinen Rat Ahasver von Brandt 1539 fîr einige Monate zum Sprachstudium an die Pariser Universitt.122 Fîr alle westeuropischen Lnder (bis auf Schottland) sind „Falkenbriefe“ îberliefert, die entsprechende Geschenksendungen entweder begleiteten oder deren Eintreffen besttigten, gehçrte doch der Versand von Jagdfalken an europische Hçfe durch die Herzçge in Preußen zu den diplomatischen Usancen, die sie vom Ordensstaat îbernommen hatten.123 Falkengeschenke, die seit dem 15. Jahrhundert zu den beliebtesten Werkzeugen der preußischen Diplomatie gehçrten,124 schickte der Herzog regelmßig an die gekrçnten Hupter Westeuropas und hohe Wîrdentrger in Frankreich (Anne de Montmorency,125 FranÅois de Guise), England (Cromwell, Leicester, Northampton, Paget, Suffolk, Warwick) und den Niederlanden (Berselle, Grafen von Nassau). Maria von Ungarn, die Statthalterin der Niederlande, erfreute sich wohl besonderer Wertschtzung: Von 1535 bis zu ihrem Rîcktritt (1555) erhielt sie in jedem 120 Ebd., S. 370 f.: Nr. 524, 8. 8. 1568 (Albrecht Friedrich an Karl IX.). 121 Unbearbeitet ist bisher die Abteilung A. 1. (Niederlande u. a.). Ergnzend wre heranzuziehen: P. H. Winkelman, Nederlandse rekeningen in de tolregisters van Koningsbergen 1588 – 1602 (= Rijks Geschiedkundige Publication, Grote Serie Nr. 133, 161, 178, 184 – 186), 6 Bde., Den Haag 1971 – 1983. – Die Eckpunkte der Korrespondenz mit Frankreich bilden zwei Briefe von 1534 (Nr. 12, 20.10.) und 1587 (Nr. 666, 30.1.). 122 Ebd., S. 22: Nr. 2, 31. 1. 1526; S. 51 f.: Nr. 54 – 56, 16.–18.11.1538. 123 Zu den Anfngen der Falkengeschenke vgl. Gustavgeorg Knabe, Preußische Falken im Dienste der Politik des Deutschen Ordens, in: Preußenland 7 (1969), S. 17 – 21. Daß ein 1452 vom brandenburgischen Markgrafen erbetener „Handfalke“ – auf Umwegen – dem Kçnig von Aragon zukommen sollte (ebd., S. 19), lßt andere preußisch-iberische Beziehungen vermuten. 124 Eine Liste der „Falkenbriefe“ bei D. Heckmann, Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 5 f. Vgl. auch die neue Untersuchung (mit vollstndiger Edition der Versandlisten) von Ders., Preußische Jagdfalken als Gradmesser fîr die Außenwirkung europischer Hçfe des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Preußenland 37 (1999), S. 39 – 62, das Zitat: S. 39. Daß man die Falken-˜bersendung oft nur als diplomatische Geste ansah, beweist die ˜bersendung von acht Falken an den elfjhrigen Eduard VI. (D. Heckmann [Bearb.], Beziehungen … [s. Anm. 85], Nr. 152, 18. 10. 1548). 125 Gemessen am Umfang der îberlieferten Korrespondenzen gehçrte Anne de Montmorency neben den Kçnigen (auch von Navarra) und Katharina von Medici zu den beliebtesten der franzçsischen Briefpartner des preußischen Herzogs.

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Jahr Falken aus Preußen.126 Von Paget erbat sich der Herzog als Gegengabe 1539 ein Paar englischer Hunde.127 Im ganzen wird man die vielen Falkengeschenke, die vom Herzogtum Preußen nach Westeuropa gingen, als einen wichtigen Transfer ansehen dîrfen, der auf ganz eigentîmliche Weise diplomatische und (jagd-)kulturelle Aspekte verknîpfte – obwohl Franz I., der îber 300 Falken und 50 fauconniers gebot, sicher nicht auf die Falken aus Preußen angewiesen war.128 Dem Zufall der ˜berlieferung ist es zuzuschreiben, daß die Adressaten der ersten und der letzten Falkenbriefe, die in der kîrzlich von Dieter Heckmann mustergîltig herausgegebenen Regesten-Edition enthalten sind, die Kçnige Frankreichs und Englands sind129 – einen besseren Beleg fîr eine jahrzehntelange Verbundenheit des Herzogtums Preußen mit diesen beiden westeuropischen Lndern auf hçchster Ebene kann es kaum geben. Die folgende Tabelle enthlt eine aus den Quellen gewonnene ˜bersicht der Falkengeschenke an westeuropische Empfnger. Daß gelegentlich auch die große Politik in der Korrespondenz des PreußenHerzogs angesprochen wurde, zeigt der Versuch des franzçsischen Kçnigs von 1541, Albrecht von Preußen als Bîndnispartner gegen Karl V. zu gewinnen. Tatschlich kam es durch den geheimen Beitritt des Herzogs zum dnischfranzçsischen Offensivbîndnis gegen den Kaiser zu der von Franz I. erhofften Verbindung.130 Aus einem Aktenstîck von 1543 geht hervor, daß der Preußenherzog zwei Regimenter im Auftrag des franzçsischen Kçnigs aufstellen ließ, die schwçren mußten, sich „als 500 Mann starkes Fhnlein deutscher Nation […] am Musterungsplatz an der Grenze zu Frankreich einzufinden“.131 Auch in der Korrespondenz aus der zweiten Jahrhunderthlfte finden sich immer wieder Hinweise, die zeigen, daß man im Herzogtum Preußen durchaus îber westeuropische Ereignisse informiert war. Beispielsweise befinden sich in den Akten ein langer Bericht îber den Tod Heinrichs II. durch einen TurnierUnfall (1559), ein Vorentwurf Karls IX. zu einem Friedensedikt (1570) sowie die Mitteilung, daß der Herzog aus Krankheitsgrînden verhindert sei, dem neu gewhlten polnischen Kçnig Heinrich (von Valois) in Polen seine Aufwartung 126 Die erste Lieferung ist fîr 1535 nachzuweisen (D. Heckmann, Jagdfalken [s. Anm. 124], S. 47). 127 D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 55: Nr. 62, 18.5.1539. 128 Das letzte erhaltene Dankschreiben Franz’ I. (fîr 12 Falken) stammt vom 28. 12. 1541 (ebd., S. 74: Nr. 98). 129 Ebd., S. 28 f.: Nr. 9 (E) und 12 (F), 20. 10. 1534 – S. 442 f: Nr. 645 (E) und 646 (F), 25.10./4.11.1585. Eine letzte Empfangsbesttigung Heinrichs III. stammt vom 30. 1. 1587 (ebd., S. 453: Nr. 666). 130 D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 15. Gestîtzt auf eine breite Koalition, begann Franz I. im Juli 1542 den (vierten) Krieg gegen Karl V. Wie aktiv sich Preußen daran beteiligte, bleibt noch zu untersuchen. 131 Ebd., S. 88 f.: Nr. 119, 1534.

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Tabelle 1: Falkensendungen aus dem Herzogtum Preußen nach Westeuropa zwischen 1535 und 1615 (in ausgewhlten Jahren) Empfnger Kçnige von England Frankreich Navarra Spanien Wîrdentrger F: Konnetabel Hz. v. Guise E: … NL: Maria v. U. …***

1535

1540

1550

1560

1569

1615*

10 12 10 (bis 1539)

10 10

10 10

10 10

10 10

10/4 12/4

8 8

10** 5

5

6

9 10

6 4

4

12/4

* 1615 wurden sowohl besonders gute als auch „gewçhnliche“ Falken (= Tertzel) verschickt. Der Transport erfolgte von jeher in besonderen Holzkfigen („Kasen“), die fîr 10 Vçgel vorgesehen waren. Zum Transport vgl. G. Knabe, Falken … (s. Anm. 123), S. 18. ** Die Falkengeschenke fîr Philipp II. begannen 1562. Der Herrscher wurde 1568 korrekt als „rex Hispaniarum“ bezeichnet, sonst hieß es „Dem Konige von Hispanien“ oder nur „Hispanien“. Die letzte bekannte Falkenlieferung ging 1580 an Philipp II. (D. Heckmann [Bearb.], Beziehungen … [s. Anm. 85], S. 415: Nr. 604, 25.9.1580). *** Es handelt sich um Jeorijs von Berselle, den Obersten Falkner der Niederlande. 1615 erhielt Moritz von Oranien das Falkengeschenk. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach den Angaben bei D. Heckmann, Jagdfalken … (s. Anm. 124), S. 39, 47-62. Die dort abgedruckten Versandlisten von 1533 bis 1569 lassen sich îber das Namenregister punktuell aus der großen Quellenedition ergnzen (Ders. [Bearb.], Beziehungen … [s. Anm. 85]).

zu machen und stattdessen die Rte Achatius von Dohna, Wenzel Schack von Stangenberg und Melchior von Diebes entsandte (1574). Aus spterer Zeit sind ein Plan Rudolfs II. fîr einen Frieden in Belgien (1579) sowie die Glîckwînsche zu erwhnen, die Elisabeth nach dem Sieg îber die Armada erhielt, nachdem das deutsche Kontor zu London ein ausfîhrliches Rundschreiben îber „die Vernichtung dieser Flotte durch Gottes Hilfe“ verschickt hatte (1588/ 89).132 Andererseits fehlt jede Erwhnung der berîhmten Reise Karls IX. durch sein Kçnigreich (1564/66), die man nur – bruchstîckhaft – aus den wechselnden Austellungsorten der Briefe erschließen kann. Die Zuflligkeit der ˜berlieferung mag auch dafîr verantwortlich sein, daß keine amtlichen Informationen îber die Bartholomusnacht (24. 8. 1572) vorliegen, obwohl die kçnigliche Familie 132 Ebd., S. 184 – 190: Nr. 294, 18. 9. 1559; S. 380 f.: Nr. 541 (b), 3. 2. 1570; S. 396 – 398: Nr. 573 – 576, 11.1.–5.2.1574; S. 411 f.: Nr. 599, 18. 7. 1579; S. 462 f.: Nr. 676, 16. 10. 1588; S. 466: Nr. 682, 13.3.1589.

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nichts unversucht ließ, ihre Auffassung den europischen Herrschern nahezubringen. Auch îber den Tod des katholischen Thronfolgers AlenÅon (1584) und die Ermordung Heinrichs III. (1589) sind keine Schriftstîcke erhalten. Wie eng in der Zeit der westeuropischen Glaubenskmpfe die Verbindung von Politik und Wirtschaft war, zeigen die vielen Briefe, in denen es um die Kaperung von Handelsschiffen ging. Die vor allem die englische Kaperpraxis betreffenden Beschwerden setzten um 1560 ein und erreichten nach dem Armada-Sieg neue Grçßenordnungen, als beispielsweise 1589 etwa 60 Hanseschiffe, darunter drei aus Kçnigsberg („Fortuna“, „Reinhold“, „David“), aufgebracht wurden, als sie, unterwegs zu spanischen und portugiesischen Hfen, auf die vor der Tajomîndung kreuzende englische Flotte gestoßen waren.133 Nach jahrelangen Verhandlungen îber die drei Kçnigsberger Schiffe schaltete sich sogar die englische Kçnigin ein.134 Daß preußische Segler auch schon frîher mit derartigen Verwicklungen rechnen mußten, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 1543, als einige Kçnigsberger Schiffe auf der Rîckfahrt von Lissabon von den Franzosen aufgebracht wurden.135 Neuen ørger gab es 1585 mit England: Der Herzog ließ ein aus Hull kommendes Schiff („Salomon“) samt Ladung wegen Pfundzoll-Hinterziehung beschlagnahmen – îber die Auseinandersetzung, die er in den folgenden Jahren mit der englischen Kçnigin und dem von ihr bemîhten polnischen Kçnig Sigismund III. fîhrte, ließe sich aufgrund der publizierten Quellen eine Kriminalstory schreiben.136 Ungeachtet dieser Zwistigkeiten sah die englische Kçnigin im Herzogtum Preußen einen wichtigen Handelspartner. In einem lateinisch geschriebenen Brief erinnerte sie 1580 an die „Freundschaftsbande“ zwischen englischen Kçnigen und preußischen Herzçgen „und ihren jeweiligen Untertanen“, und fuhr fort: Da es der Wunsch der seit alters her an den Ostseekîsten Handel treibenden englischen Kaufleute sei, den Warenaustausch zum gegenseitigen Nutzen zu verbessern, mçge der Herzog diesen Kaufleuten so behilflich sein, wie er es umgekehrt fîr seine Untertanen in England wînsche. Der konkrete Anlaß dieses Schreibens geht aus dem Text nicht hervor, vielleicht war er dem einige Monate spter geußerten Wunsch vergleichbar, mit den aus England geschickten Beauftragten Dr. John Roger und William Salkins îber eine feste

133 Ebd., S. 6 f. 134 Ebd., S. 515: Nr. 742, 12.5.1595. 135 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 141. Dazu gehçrte vielleicht auch das Schiff von Hans Nimptsch, der 1542 mit Fracht nach Lissabon gesegelt war (ebd., S. 307). 136 Am Anfang der Affre steht ein Bericht vom 7. 8. 1585 (D. Heckmann [Bearb.], Beziehungen … [s. Anm. 85], S. 429 f.: Nr. 628), nach der Rîckgabe des Schiffes (Nr. 655, 2. 12. 1585) begann der Streit um die wertvolle Ladung, der im Mai 1591 (Nr. 715, 8. 5. 1591) noch nicht beigelegt war.

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Niederlassung englischer Kaufleute (= locum sedemque negotiationis) in Elbing zu verhandeln.137 Auch Wirtschaftsbeziehungen anderer Art verbanden Preußen mit Westeuropa. Eine Fîlle von Details verbirgt sich in den von Dieter Heckmann edierten Quellen, und hat das Fehlen einer umfassenden preußisch-westeuropischen Wirtschafts- und Handelsgeschichte erst richtig erkennbar werden lassen. Nur als Hinweise sollen einige Beispiele genannt werden: Als der Herzog 1548 Georg von Reckerodt „gewisser Geschfte wegen“ zu Heinrich II. entsandte, bat er Anne de Montmorency um Unterstîtzung „zur Befçrderung der herzoglichen Geschfte beim Kçnig“; 1555 ließ England in Kçnigsberg mit Hilfe „erfahrener englischer Schiffbauer“ (und unter Schonung der stadtnahen Wlder) vier Schiffe bauen; 1572 wurde dem Herzog Alba in Brîssel mitgeteilt, daß ein Beauftragter des Herzogs in Antwerpen „Wein und Spezereien fîr den Bedarf des Hofes“ kaufen wîrde; 1586 erfuhr Alexander Farnese, daß Johann Kçse zum Kauf „von 50 Schluchen Wein fîr den Kçnigsberger Hofbedarf“ in die Niederlande komme. In diesen Jahrzehnten, als Amsterdam und Antwerpen als Welthandelspltze an die Stelle von Brîgge rîckten, kaufte der preußische Hof dort Wein, Gewîrze und Delikatessen, mitunter auch Getreide ein; 1582 lehnten es die hollndischen Stnde ab, dem Herzog Georg Friedrich fîr 200 Last Roggen, die David Pinßfeldt fîr ihn gekauft hatte, Zollbefreiung zu gewhren, genehmigten sie aber fîr Wolltîcher, Spezereien und andere Waren.138 Tuche bezog man meist aus Antwerpen, wo Bevollmchtigte des Herzogs saßen, die sich die bestellten Stoffe aus England oder den Niederlanden liefern ließen.139 Mitunter ging es auch auf dem direkten Weg: 1569 informierte Herzog Albrecht Friedrich die englische Kçnigin, daß sein Diener Melchior ab Holten 20 Bîndel weißes Tuch fîr den herzoglichen Hof kaufen, einfrben lassen und verschicken sollte.140 Als Karl IX. seinen Gesandten in Dnemark nach einer Handelsware besonderer Art fragte, konnte der Preußenherzog Albrecht Friedrich helfen: er schickte dem Kçnig von Frankreich den „jungen und sehr kleinen Zwergen Urban, der mit anderen am Hof des herzoglichen Vaters (= Albrecht) erzogen 137 Ebd., S. 414 f.: Nr. 602 f., 30.1./25.8.1580. ˜ber die Ergebnisse der Audienz unterrichtete Georg Friedrich Elisabeth am 14. 10. 1581 (ebd., S. 421 f.: Nr. 614). Der Brief enthielt die Zusicherung von „Aufbau und Fçrderung von Freundschaft und Nachbarschaft zwischen den Vçlkern durch den freien Handel unter Maßgabe der Beachtung der gegenseitigen Privilegien“. Zu klren bleibt, was es mit dem erwhnten magnum consilium zur Konfliktbeilegung zwischen England und den „Seestdten“ einschließlich Kçnigsbergs und anderer preußischer Hfen auf sich hat. 138 Ebd., S. 108: Nr. 149, 12. 9. 1548; S. 151: Nr. 235, 11. 6. 1555; S. 392: Nr. 562, 17. 11. 1572; S. 452 f.: Nr. 665, 26. 11. 1586; S. 423: Nr. 616, 1.9.1582. 139 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 243, S. 245. 140 D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 379: Nr. 540, 29.10.1569.

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worden“ war; er hoffe, so schrieb er, daß Urban „unversehrt“ zum Kçnig gelange und dieser „am Dienst des Zwergen viel Kurzweil“ finde. Ein zweiter „Kulturtransfer“, der ungewçhnlich war, hatte 1568 sein Ende gefunden: Nach dem Tod Albrechts reisten die von ihm bisher besoldeten Musikanten auf ihren Wunsch nach Frankreich zurîck, um kînftig fîr den Herzog von BourbonCond¤ zu spielen.141 Eine Besonderheit in den franzçsisch-preußischen Wirtschaftsbeziehungen stellte ein Unternehmen dar, das der in Danzig lebende lothringische Kaufmann Antoine Maillet eingefdelt hatte: Nachdem ein (von ihm erwirktes) auf zehn Jahre befristetes Einfuhrprivileg fîr preußische Pottasche142 von Karl IX. vom 14. Juni 1561 im Herzogtum bekannt geworden war, schloß Albrecht noch 1561 mit dem „Generalfaktor“ Antoine Maillet einen contractus („Dienstvertrag“) îber den Transport und Verkauf von „Pottasche, Wagenschoß, Klappholz, Spieße, Wolle, Hopfen und andere Handelswaren des Herzogs nach Frankreich“.143 In erster Linie sollte die in den preußischen Wldern hergestellte Pottasche144 zu Schiff nach Frankreich gebracht und dort verkauft werden.145 Weil Frankreich in Kçnigsberg keinen Gesandten unterhielt, lief der Schriftverkehr îber Charles de Danzay, der Frankreich in Dnemark vertrat. Da auf Empfehlung Danzays Anfang 1562 sein Neffe, Jacques Tochard de Gauvriºre, als sprachkundiger Verhandlungspartner an den preußischen Hof gekommen war, schickte ihn Albrecht noch im Mrz zu Karl IX. und Katharina von Medici „mit der persçnlichen Danksagung des Herzogs“ und der Mitteilung, daß zur Besprechung von Einzelheiten demnchst Maillet nach Frankreich kommen wîrde. Im Juli vom franzçsischen Hof wieder abgereist, hielt sich Gauvriºre im Februar 1563 erneut in Paris auf, wo ihn Maillet îber den trotz der Wirren (Erster Bîrgerkrieg) guten Stand des herzoglichen Handels in Frankreich unterrichtete. An dem in Paris fîr 200 Mark jhrlich gemieteten Kontor hatte Maillet (aus Sicherheitsgrînden) das herzogliche Wappen an-

141 Ebd., S. 390: Nr. 559, 30. 7. 1572; S. 370: Nr. 523, 31.5.1568. 142 Die beim Verbrennen von Holz entstehende Asche wird durch Auslaugung, Verdampfung und Kalzinierung in Flammçfen („Potten“) in Pottasche (kohlensaures Kali: K2CO3) umgewandelt, die frîher zur Textilbearbeitung, zur Glasfabrikation und als Dînger verwendet wurde. 143 Die Produkte sind aufgefîhrt in einem Schreiben Maillets vom 25. 3. 1562 (D. Heckmann [Bearb.], Beziehungen … [s. Anm. 85], S. 236 f.: Nr. 361). 144 Da zur Gewinnung von 1 kg Pottasche ungefhr 2.000 kg Holz bençtigt wurden, fîhrte der enorme Holzbedarf îberall zu einem Raubbau an den Wldern. 145 Neueste (knappe) Zusammenfassung des Maillet-Unternehmens bei D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 15 f. Zu den Anfngen ebd., S. 203 – 245: Nr. 323 – 368, Dezember 1560/Juni 1562; das Privileg vom 14. 6. 1561: S. 215 f., Nr. 336.

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bringen lassen. ˜ber die Aktivitten Gauvriºres in den nchsten Jahren ist nichts bekannt.146 Ganz sicher hat er in der Maillet-Angelegenheit, wie schon 1562, als Verbindungsglied zwischen Frankreich und Preußen eine wichtige Rolle gespielt. Um das große Projekt, das teilweise vom Herzog (Herstellung der Pottasche, Transport), teilweise von Maillet (Arbeitsorganisation, Vertrieb) finanziert werden sollte, besser mit dem franzçsischen Partner abstimmen zu kçnnen, unternahm Maillet eine vom Herzog finanzierte Reise, die ihn îber Land von Kçnigsberg îber Stettin, Kopenhagen, Antwerpen, Paris und Rouen nach Blois und Orleans und wieder zurîck fîhrte. Die von Maillet whrend dieser Reise, die vom 26. August 1562 bis zum 16. August 1564 dauerte, angefertigte detaillierte Spesenabrechnung ist ein Dokument von einzigartigem Quellenwert, das durch drei andere, ebenfalls publizierte Stîcke ergnzt wird.147 Mehrfach mußte Maillet erfahren, wie stark seine Plne durch die politischen Gegebenheiten gestçrt wurden. Wegen des im Mrz 1562 aufgeflammten Bîrgerkrieges mußte er wiederholt die Reiseroute ndern; mehrmals wurde er, da er zu den „Hugenotti“ gehçrte, von den Papisten mit dem Tode bedroht; unterwegs bekam er die Nachricht, daß der schwedische Kçnig, der sich selbst als „ennemy mortel“ Albrechts I. bezeichnete, die von Danzig nach Stralsund fahrenden Schiffe mit „marchandises“ aus Preußen sicher behindern wîrde, wenn sie keinen an ihn gerichteten Empfehlungsbrief des franzçsischen Kçnigs vorweisen kçnnten.148 Wegen der unsicheren politischen Lage war es schwierig, Katharina von Medici, Karl IX. und anderen Persçnlichkeiten die mitgebrachten Geschenke, darunter mehrere Pferde, zu îberreichen und eine Audienz zu erlangen. Die franzçsischen Majestten revanchierten sich durch eine Snfte mit vier Mauleseln samt Treiber. Ergnzend zu dem Privileg von 1561 gewhrte Karl IX. die „privilegia generalia“ vom 12. April 1563, die aber erst spter ausgefertigt wurden.149 Fîr das enregistrement durch die Parlamente von Paris und Rouen

146 D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 234 f.: Nr. 357 f., 2.3./6. 3. 1562; S. 257 f.: Nr. 388, 17.2.1563. 147 Vgl. Dieter Heckmann (Hg.), Von Kçnigsberg an die Loire. Quellen zur Handelsreise des herzoglich-preußischen Faktors Antoine Maillet nach Frankreich in den Jahren 1562 bis 1564 (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 33), Kçln/ Weimar/Wien 1993, S. 14 – 105 (Abrechnung). 148 Die Angaben (in der genannten Reihenfolge) ebd., S. 114 f., 118 f., 116, 122 f., 85, 124 f. Den von Karl IX. erbetenen „salvum conductum“ erhielt Maillet am 9. Mai 1564. Einen Geleitbrief aus England hatte er am 23. August 1563 bekommen (S. 63). 149 Die in Auszîgen publizierte deutsche Fassung (D. Heckmann [Bearb.], Beziehungen … [s. Anm. 85], S. 263 f.: Nr. 393, 12. 4. 1563) und das Privileg von 1561 kommentierte Maillet: ebd., S. 307 f.: Nr. 442, Okt./Nov. 1564.

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und die anschließende Publizierung, die erst im Mrz 1594 erfolgten, mußte Maillet îber 100 Mark bezahlen.150 Obwohl man auf preußischer Seite mit den Ergebnissen der Reise Maillets eigentlich recht zufrieden sein konnte, ergaben sich nach der Rîckkehr offensichtlich diverse Differenzen, die „Mailletschen Hndel“, die das preußischfranzçsische Pottasche-Projekt scheitern ließen – nach Dieter Heckmann ein „Musterbeispiel fîr die Verhinderung der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes durch die zustndige Verwaltung“.151 Diese dezidierte Auffassung, zu der er aufgrund seiner profunden Quellenkenntnis gelangte, stîtzt sich insbesondere auf die in seiner Edition publizierten Archivalien îber die Maillet-Affre.152 Zusammen mit den frîher verçffentlichten Materialien bilden sie eine unentbehrliche Basis fîr die noch zu schreibende Geschichte des Maillet-Projektes, zu dem zweifellos ergnzende Quellen in den franzçsischen Archiven vorhanden sind. „Aus schwerwiegenden und gerechten Grînden“ zog sich der Herzog schließlich 1565 aus dem Vertrag von 1561 zurîck; er wollte den Handel „weder îber Maillet noch îber einen anderen fortsetzen“. Der frîhere Faktor erhielt, „weniger aus Schuld, sondern zu Ehren des franzçsischen Kçnigs“, noch einen Teil seiner Reisekosten (2416 m/3 s/3p); weiteres Geld sollte er sich durch den Verkauf noch in Frankreich lagernder Waren beschaffen.153 Mit dem Frankreich-Besuch Maillets 1565/66 hçren die Nachrichten îber ihn auf. Mit dem Scheitern des Unternehmens hngt wohl auch die Rîckkehr von Jacques Tochard de Gauvriºre nach Frankreich zusammen. Nachdem er sich vier Jahre am herzoglichen Hof aufgehalten und einen tadellosen Eindruck hinterlassen

150 Ebd., S. 34, S. 47, S. 50, S. 51 f. Maillet notierte alle Ausgaben in der preußischen „Whrung“ mit den Abkîrzungen m/g/d: Dabei gingen 18 d. (denarii, nummi, Pfennige) auf einen g. (Groschen), von denen 20 eine m. (marca, Mark) ausmachten. Fîr die „Registrierung“ der Privilegien mußte er beispielsweise 95/10/7 bezahlen (ebd., S. 81). Warum er in der Schlußabrechnung am Ende seiner „Erwiderung“ (ebd., S. 146 – 149) die (preußischen) Groschen durch (polnische) Schillinge (solidi, Kîrzel: s oder ) ersetzte, ist unklar. Ob sich Maillet an den îblichen Umrechnungskursen (1 g = 3 , 1  = 6 d) orientierte, wre noch zu îberprîfen. 151 D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 16. 152 Die vielen, oft sehr umfangreichen Aktenpublikationen sind am besten îber das Register zu ermitteln. Als Schlîsseldatum muß wohl der September 1564 gelten, in dem die Vorbereitungsreise endete und man begann, die Plne einer Realisierung zu erçrtern. Alle Maillet-Papiere der Abteilung G (= etwa ein Zehntel des Aktenbestandes [D. Heckmann, Kçnigsberg … [s. Anm. 147], S. 1]), wurden von Dieter Heckmann in Regestenform publiziert. 153 D. Heckmann, Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 343 – 346: Nr. 480 – 484, Februar/ Mrz 1565.

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hatte, wollte er 1566 in sein Heimatland zurîckkehren. Albrecht war von ihm so angetan, daß er ihm mehrere Empfehlungsschreiben ausstellte.154 Von einer umfassenden Darstellung der von Maillet unternommenen Kooperations-Bemîhungen ließen sich aufschlußreiche Hinweise auf die Geschichte der preußisch-franzçsischen Handelsbeziehungen im 16. Jahrhundert erwarten. Schon jetzt lßt das Unternehmen von Maillet vermuten, daß sie enger waren als bislang angenommen. Im ganzen gesehen, profitierte Preußen whrend des gesamten 16. Jahrhunderts von dem florierenden Ostseehandel,155 obwohl die Kçnigsberger Kaufleute den meisten Neuerungen und auch den in der Stadt zahlreich vorhandenen Auslndern skeptisch bis feindselig gegenîberstanden, whrend der Landesherr gerade mit den aus fortgeschritteneren Lndern kommenden R¤fugi¤s die Wirtschaftsentwicklung seiner Hauptstadt durch eine gezielte staatliche Ansiedlungspolitik vorantreiben wollte. Die Hollnder stellten nicht nur 42 Prozent der Tonnage aller Kçnigsberg anlaufenden Schiffe (1549), sie waren auch als Tuchmacher und Leineweber ttig und hatten 1554 eine bisher in Preußen unbekannte Methode des Textilfrbens eingefîhrt.156 Die Beziehungen des Herzogtums Preußen zu Westeuropa waren keineswegs einseitig, weil die Reisefreudigkeit nicht nur der oberen Schichten seit der zweiten Hlfte des 16. Jahrhunderts stark zunahm. Sçhne von Großbîrgern, Kaufleute, Studenten und sogar Handwerker lernten die westeuropischen Lnder mit eigenen Augen kennen. Sie studierten in Straßburg, Basel und Leyden, arbeiteten in Holland, England, Schottland, Frankreich, Spanien und Portugal. Manche Kçnigsberger bereisten jahrelang fast ganz Europa; einer wurde Sekretr des dnischen Gesandten in Paris; ein anderer kam als Apotheker der hollndischen Flotte bis nach Ostindien und ein dritter, der als Schneider in Paris, Lyon, Spanien und London gearbeitet hatte, wurde Leibschneider des Prinzen von Oranien. Die Kçnigsberger Schuhmacher behaupteten um 1600, daß „viele von ihnen am Rhein, in Holland, Brabant, Flandern, Frankreich und Spanien gearbeitet htten“. Etwa zur gleichen Zeit wurde Bernhard Pçpping von Berlin nach Kçnigsberg gerufen, um die Tçchter des Herzogs Albrecht Friedrich mit der franzçsischen Sprache vertraut zu machen – der preußisch-westeuropische Wirtschafts- und Kulturtransfer funktionierte auch damals schon erstaunlich gut.157 154 Ebd., S. 359: Nr. 502 f., 18.1.1566. Zu klren wre, ob sich Gauvriere im August 1568 wieder oder immer noch in Preußen aufhielt (ebd., S. 370 f.: Nr. 524, 8. 8. 1568). 155 Immer noch nîtzlich ist die konzentrierte ˜bersicht von Hugo Rachel, Handel und Handelsrecht von Kçnigsberg in Preußen im 16.–18. Jahrhundert, in: ForschBrandPrG 22 (1909), S. 95 – 134. 156 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 315 und S. 311. 157 Alle Beispiele, die aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammen, ebd., 1, S. 429 – 435. – Vgl. zum Komplex Michael Gassert, Kulturtransfer durch Fernhandelskaufleute.

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Auch bei anderen Gelegenheiten gingen die Impulse fîr Kontakte mit Westeuropa direkt vom Herzog aus, etwa im Fall des Faustinus Willius, der „auf herzogliche Kosten“ ein Artes-Studium an der Kçnigsberger Akademie absolviert hatte und nun zum Jurastudium „in das dafîr berîhmte Frankreich“ gesandt werden sollte; Albrecht bat Karl IX., er mçge Willius in dem „weit entfernten fremden Land […] wie den anderen herzoglichen Untertanen“ freundlich entgegenkommen. Andere Motive bewogen den Herzog zu der an die englische Kçnigin gerichteten Bitte, dem in seiner Kîche ttigen Christian N. aus Berlin „einen Platz unter ihren Kçchen einzurumen“; aus den bei Elisabeth neu erworbenen Kochkînsten hoffte der Herzog „kînftig […] gesteigerten Nutzen ziehen zu kçnnen“158 – der westeuropisch-preußische kulturelle Transfer reichte offensichtlich îber Falkengeschenke weit hinaus. Einen hervorragenden Platz nahm dabei auch die Kunst ein: Enge Beziehungen unterhielt Herzog Albrecht, der 1568 starb, zu dem berîhmten niederlndischen Architekten und Bildhauer Cornelis Floris in Antwerpen. Von ihm stammten die drei prchtigen Epitaphien der herzoglichen Familie im Kçnigsberger Dom. Die Grabmler der beiden Herzoginnen Dorothea (gest. 1547) und Anna Maria (gest. 1568) wurden noch îbertroffen durch das des Herzogs, das die ganze Ostwand des Chores einnahm. Ein solches Kunstwerk hatte im ganzen Herzogtum nicht seinesgleichen; es dokumentierte „den Willen und die Bereitschaft des Landes, zeitig und vollwertig teilzuhaben an dem großen Zusammenhang der europischen Kultur“.159 Das Beispiel der 1541/42 geschlossenen Koalition gegen Karl V. zeigt, daß Brandenburg und Preußen in politischer Hinsicht eigene Wege gingen. Daran nderten weder die dynastische Verklammerung noch das seit 1540 gemeinsame protestantische Bekenntnis etwas, so daß sie im diplomatischen Geschft wie zwei vçllig voneinander getrennte Staaten behandelt werden mußten. In diesem Beziehungsdreieck zwischen Preußen, Brandenburg und Westeuropa kam es im Jahre 1618 zu einer Vernderung von skularer Bedeutung, als das Herzogtum Preußen durch Erbfall an die Hauptlinie der Hohenzollern kam und der Kurfîrst von Brandenburg zugleich Herzog in Preußen wurde. Fortan galt das durch Personalunion verbundene Territorium BrandenburgPreußen in der europischen Diplomatie als eine politische Einheit. „Das Stadt, Region und Fernhandel in der europischen Geschichte. Eine wirtschaftshistorische Untersuchung der Beziehungen zwischen wirtschaftlichen Vorgngen und kulturellen Entwicklungen anhand von Karten. 12. bis 16. Jahrhundert (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 915), Frankfurt am Main u. a. 2001. 158 D. Heckmann (Bearb.), Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 362 f.: Nr. 508, 2. 4. 1566; S. 402: Nr. 585, 16.5.1575. 159 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 254. Ergnzende Informationen: Peter Gerrit Thielen, Die Kultur am Hofe Herzog Albrechts von Preußen (1525 – 1568) (= Gçttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, 12), Gçttingen 1953.

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Herzogtum Preußen war der spektakulrste und erfolgreichste Fall des Ausgreifens der Hohenzollerndynastie in neue historische Rume im konfessionellen Zeitalter.“160 Beide Territorien hatten jedoch zunchst unter den Unruhen und Verwîstungen des im gleichen Jahr beginnenden Dreißigjhrigen Krieges schwer zu leiden.161 Zu der desolaten Situation trug auch die Persçnlichkeit des Kurfîrsten Georg Wilhelm bei, der sich 1638 vor dem Krieg ins ferne Ostpreußen zurîckzog.162 Die Beziehungen zu Westeuropa sind in dieser Zeit fast vçllig zum Erliegen gekommen. Inwieweit auch der preußische Ostseehandel davon betroffen war, bedarf noch genauerer Untersuchungen; eine denkbare Methode, vom hollndischen Schiffsverkehr nach Elbing auf den nach Kçnigsberg, der im allgemeinen etwas umfangreicher war, zu schließen, scheidet aus, weil fîr die Jahre 1626 bis 1652 keine Pfundzoll-Register aus Elbing vorliegen.163 Erst mit dem Regierungswechsel 1640 zeichnete sich eine grundlegende Neuorientierung der brandenburg-preußischen Politik ab: Friedrich Wilhelm, den man spter den Großen Kurfîrsten nannte, verknîpfte seine energische und selbstbewußte Politik mit einer gezielten §ffnung des Hohenzollernstaates nach Westeuropa. Der 1613 eingeleiteten Entwicklung des Hohenzollernstaates zur Fîhrungsmacht des – westeuropisch orientierten – politischen Calvinismus folgte die Hinwendung zu Land und Dynastie der Oranier. Unter dieser doppelten Prmisse begann der allmhliche Aufstieg des Doppelstaates Brandenburg-Preußen zu einer Macht europischen Zuschnitts. Sein Abstieg als europische Großmacht begann, als sich Preußen in der Bismarck-Zeit von der westeuropischen Entwicklung abkoppelte. Zweieinhalb Jahrhunderte lang hatte es versucht, auf dem „langen Weg nach Westen“ (Winkler) voranzukommen – erst mit starken Anleihen an der politischen Kultur der Niederlande, dann Frankreichs. Als man die demokratisch-parlamentarischen Traditionen, die sich vor allem in England entwickelt und in weiten Teilen Europas Fuß gefaßt hatten, als „unpreußisch“ ansah und mit allen Mitteln bekmpfte, war

160 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 16), S. 116. 161 Das gilt trotz des Abrîckens der neuen Forschung von den frîher vertretenen Thesen der „death and destruction school“, die aufgrund einer recht undifferenzierten Betrachtungsweise zu îbertriebenen Pauschalbehauptungen gelangte, vgl. Petra Salomon, Untersuchungen zur Geschichte des deutsch-franzçsischen Handels im 17. Jahrhundert, Magisterarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin, Berlin 1990, S. 1 – 11. 162 Eine knappe Zusammenfassung gibt G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 82 – 89. 163 Vgl. Jan Thomas Lindblad, Dutch entries in the pound-toll registers of Elbing, 1585 – 1700 (= Rijks Geschiedkundige Publication, 225), Den Haag 1995, S. 415 und S. XIX f.

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der Weg zur Isolierung Preußens frei. Die Distanzierung von den westeuropischen Traditionen fîhrte letztlich zum Verschwinden dieses Staates.164

§ 2 Die Zeit des Großen Kurfîrsten I. Brandenburg und Westeuropa bis zum Frieden von Oliva In den Beziehungen Brandenburg-Preußens zu Westeuropa bildeten whrend der Regierungszeit des Großen Kurfîrsten die Republik der Vereinigten Niederlande und – mit einigem Abstand – Frankreich die wichtigsten Bezugspunkte. Spanien und England spielten dagegen eine sekundre Rolle. Auch diese beiden Mchte waren zwar im politischen Bewußtsein der brandenburgischen Diplomaten prsent, doch kam es nur vorîbergehend zu intensiveren Kontakten. Im Falle Spaniens war es vor allem eine vertraglich vereinbarte, aber nicht geleistete Subsidienzahlung, an der sich in den 80er Jahren ein Konflikt entzîndete.165 Im Verhltnis zu England folgte auf die eher feindselige Haltung, die Cromwell eingenommen hatte, 1660 die Restauration der Stuarts, auf die Friedrich Wilhelm zunchst positiv reagierte: Er befahl, daß wegen der Wiedereinsetzung Karls II. „durch einhelligen Parlamentsbeschluß“ in allen Ortschaften des Herzogtums Preußen am 29./19. 7. 1660 „Gott mit Predigten und Lobgesngen gedankt werden“ solle.166 Ob der am 20. Juli 1661 geschlossene Vertrag von Westminster zum weiteren Aufschwung des Ostseehandels und vor allem Pillaus, das der Kurfîrst zu einem „nouvelle Amsterdam“ machen wollte, beitrug,167 muß noch untersucht werden. In der Folgezeit ging Friedrich Wilhelm168 auf strkere Distanz zu der gegenîber Brandenburg nicht sehr freundlich agierenden Restaurationsregierung, deren katholisierende Tendenzen dem Kurfîrsten mehr und mehr suspekt wurden. Schon whrend der Regierungszeit des Kurfîrsten Georg Wilhelm (1620 – 1640) war der Lebensstil der oberen Gesellschaftsschichten Brandenburgs stark 164 Zu dieser Thematik vgl. § 7 (Anm. 1361). 165 Siehe unten S. 520. 166 D. Heckmann, Beziehungen … (s. Anm. 85), S. 553: Nr. 797, 29.5.1660. Zweifellos gab es einen vergleichbaren Befehl auch fîr die anderen Landesteile. – Weil die Protestanten die von Gregor XIII. 1582 durchgefîhrte Kalenderreform nicht anerkannten, kam es zur Doppeldatierung. In dem vorliegenden Beitrag erfolgen smtliche Datumsangaben nach dem Neuen Stil beziehungsweise dem Gregorianischen Kalender. 167 Erwhnt von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 235. Abdruck: Theodor von Moerner (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsvertrge von 1601 bis 1700, Berlin 1867, Nr. 135, S. 254 – 256 (Regest). 168 Zur aktuellen Diskussion îber die „historische Grçße“ des Kurfîrsten vgl. die gelungene biographische Skizze von H. Duchhardt, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 10), S. 95 – 112.

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vom Franzçsischen beeinflußt. Man bediente sich bei privater und geschftlicher Korrespondenz der franzçsischen Sprache, durch die man den barocken Schwulst und die lateinischen Perioden umgehen konnte. Auch vom Kurprinzen Friedrich Wilhelm sind solche Briefe îberliefert. Spter bevorzugte er die deutsche Sprache, wenn sie auch mit zahlreichen Einsprengseln romanischer Herkunft durchsetzt war.169 1. Das niederlndische Vorbild: Kommerz und Politik Als einzigen westeuropischen Staat lernte Friedrich Wilhelm die Republik der Vereinigten Niederlande kennen, die im 17. Jahrhundert ihr „Gouden Eeuw“, ihr Goldenes Zeitalter, erlebte. Er hielt sich dort erstmals, noch als Kurprinz, vom Sommer 1634 bis zum Mai 1638 auf.170 Infolge dieses Besuches erfuhren die bereits mit dem Herzogtum Preußen bestehenden Wirtschafts- und Handelsbeziehungen eine wesentliche Ergnzung, weil jetzt auch Brandenburg in grçßerem Maße von den vielfltigen Impulsen profitierte, die von den Niederlanden ausgingen und durch sptere dynastische Verbindungen noch verstrkt wurden. Von den drei großen Impulsen, die Brandenburg-Preußen Westeuropa verdankte, kam der erste aus den Niederlanden. Da es, wie einleitend erwhnt,171 in keinem Fall um einen wechselseitigen Transfer ging, war Brandenburg-Preußen erstmals der „nehmende“ Partner. Der Feststellung von 1853: „Man kann gar nicht genug hervorheben, was Preußen den Niederlanden als Vorbild schuldet“172 kann man auch anderthalb Jahrhunderte spter vorbehaltlos zustimmen. Ein durchaus kritischer Historiker betonte kîrzlich, daß man noch bei der Kçnigskrçnung Friedrichs durch die Berufung auf die oranische Tradition erkenne, „welche eminente Bedeutung die Niederlande […] als kulturelle Vermittler in der fîr Brandenburg-Preußen ußerst schwierigen Phase des Aufstiegs […] einnahmen“.173 Vergleichbare 169 Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfîrst von Brandenburg. Eine politische Biographie, Erster Teil: 1620 – 1660, Gçttingen/Frankfurt am Main/Zîrich 1971, S. 26 f. 170 Vgl. zu dieser Reise und den Ergebnissen ebd., S. 31 – 57. 171 S. o. nach Anm. 30. 172 Hubertus Fischer, „Preußen ist mir jetzt, was Athen und Sparta …“. Unbekannte Briefe Georg Wilhelm von Raumers an Leopold von Ledebur nebst Konzepten und Abschriften des Empfngers, in: JbGMitteldtld 45 (1999), S. 209 – 274, hier S. 270 f., Nr. XXXI: Brief von v. Raumer, dem Direktor der preußischen Archive, an v. Ledebur, 11.11.1853. 173 Peter-Michael Hahn, Magnifizenz und dynastische Legitimation durch ˜bernahme kultureller Muster. Die Beziehungen der Hohenzollern zum Haus Oranien und den Niederlanden im 17. Jahrhundert, in: Peter-Michael Hahn / Hellmut Lorenz (Hg.), Formen der Visualisierung von Herrschaft. Studien zu Adel, Fîrst und Schloßbau vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (= Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches), Potsdam 1998, S. 9 – 56, hier S. 44.

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Bedeutung hatten die anderen westeuropischen Lnder, die in spterer Zeit Vorbild und Modell fîr Brandenburg-Preußen waren, im 17. Jahrhundert nicht.174 Umgekehrt sahen die Niederlnder in den Deutschen oft „unzivilisierte Tçlpel“ und betrachteten sie mit der Herablassung eines kulturell und politisch hçher stehenden Volkes – die Brandenburger machten da sicher keine Ausnahme.175 Auch der kînftige Kurfîrst von Brandenburg brachte aus den Niederlanden zahlreiche Erfahrungen, Kenntnisse und Anregungen mit, wollte er doch den in Holland erlebten „Wirkungszusammenhang von wirtschaftlich-kommerzieller Potenz und politischem Aufschwung“176 so weit wie mçglich auf Brandenburg îbertragen. Angesichts der desolaten Lage seines Landes hat er schon seit 1646 allgemeine Aufforderungen zur Einwanderung erlassen, doch whrend ins binnenlndische Brandenburg nur einige Landwirte und Grtner in den sogenannten „Hollndereien“ entlang der Havel Viehzucht und Gartenbau trieben,177 spielten die Niederlnder, von denen sich einige schon im 16. Jahrhundert in Kçnigsberg niedergelassen hatten, im Herzogtum Preußen in Gewerbe und Handel eine wichtige Rolle. Daß die Niederlnder noch immer den Ostseehandel beherrschten, war den Kçnigsberger Kaufleuten ein Dorn im Auge. Trotzdem hatten sie 1646 das kurfîrstliche Projekt, den hollndischen Zwischenhandel durch die Grîndung einer Ostindischen Kompanie auszuschalten, abgelehnt.178 Stattdessen entwarfen sie in ihrer wîtenden Opposition gegen die „Lieger“179 eine Reihe von ußerst fremdenfeindlichen „Liegerordnungen“. Am liebsten htte man den Hollndern den Aufenthalt in Kçnigsberg ganz verboten; da das nicht ging, 174 ˜ber personenbezogene westeuropische Einflîsse einer bestimmten Personengruppe kann man sich neuerdings in zwei biographischen Nachschlagewerken informieren: (1) Lothar Noack / Jîrgen Splett, Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frîhen Neuzeit. Berlin-Cçlln 1640 – 1688 (= Verçffentlichungen zur brandenburgischen Kulturgeschichte der Frîhen Neuzeit), Berlin 1997; (2) Dies., Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frîhen Neuzeit. Mark Brandenburg 1640 – 1713 (= Verçffentlichungen zur brandenburgischen Kulturgeschichte der Frîhen Neuzeit), Berlin 2001. 175 H. v. d. Dunk, Niederlande … (s. Anm. 30), S. 177 f. 176 Diese treffende Formulierung benutzt H. Duchhardt, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 10), S. 104. 177 Vgl. Stefi Jersch-Wenzel, Juden und ,Franzosen’ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/ Brandenburg (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 23), Berlin 1978, S. 31, Anm. 20 (mit weiterer Literatur). Weitere kurfîrstliche Einwanderungsedikte zugunsten der Niederlnder wurden 1661, 1667 und 1669 erlassen. 178 Vgl. dazu H. Rachel, Handel … (s. Anm. 155), S. 111 f. 179 Zu diesem Begriff s. o. bei Anm. 110.

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erlaubte man ihre Anwesenheit nur vom 1. Mai bis 1. Dezember.180 Weil der Kurfîrst die hollndischen Handelsaktivitten schtzte und die Repressionsversuche deshalb nur halbherzig unterstîtzte, florierte der Handel sozusagen praeter legem auch in den Wintermonaten. Die Fremdenfeindlichkeit der Kaufleute, die von den Hndlern in Memel noch îberboten wurde, vermochte aber die Beziehungen zu den Niederlanden nicht ernsthaft zu gefhrden. Hollndische Kînstler und Buchhndler waren in Kçnigsberg ttig; sogar das Papier fîr die Universittsmatrikel bezog man 1676 aus Amsterdam. Viele niederlndische Fachleute arbeiteten beim Schiffbau und im Marinewesen, allen voran Benjamin Raule.181 Auch im politischen, militrischen und kulturellen Bereich wirkten die Anregungen, die Friedrich Wilhelm whrend der vier hollndischen Jahre aufgenommen hatte, zeitlebens nach.182 Ob der Kurprinz bewußt die neustoizistische Staatslehre von Lipsius aufgenommen hat, ist nicht nachzuweisen, erscheint aber eher unwahrscheinlich.183 Ein spteres Ergebnis der guten Beziehungen zu den Niederlanden ist die 1646 erfolgte Heirat des Kurfîrsten mit Louise Henriette von Oranien. Fîr das politische Prestige Brandenburgs, etwa bei den anstehenden Friedensverhandlungen, schien die Heirats-Allianz mit den Oraniern zwar „von hohem Wert“,184 doch erfîllten sich die damit verbundenen politischen Hoffnungen des Kurfîrsten nicht.185 Mit Recht wurde kîrzlich darauf hingewiesen, daß es dem sprlich ausgestatteten und traditionsarmen Brandenburg an eigener politischer und çkonomischer Substanz fehlte, um das 180 Darîber orientiert H. Rachel, Handel … (s. Anm. 155), S. 118 – 121. Zur Situation in Memel: ebd., S. 132 f. 181 Vgl. F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 521 – 523. ˜ber Raule und die Marineprojekte des Großen Kurfîrsten s. u. bei Anm. 290. 182 Die 1999/2000 in Krefeld, Oranienburg bei Berlin und Het Loo bei Apeldoorn gezeigte Ausstellung „Onder den Oranje Boom. Niederlndische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fîrstenhçfen“ dokumentierte auf eindrucksvolle Weise den Einfluß der Oranier auf Wirtschaft, Kultur und Politik in Deutschland. Zum Textband siehe Anm. 183. 183 Zu diesem Problem vgl. die neue Untersuchung von Martin van Gelderen, Holland und das Preußentum. Justus Lipsius zwischen niederlndischem Aufstand und dem Brandenburg-Preußischem Absolutismus, in: Horst Lademacher (Hg.), Dynastie in der Republik. Das Haus Oranien-Nassau als Vermittler niederlndischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert (= Textband zur Ausstellung Onder den Oranje Boom. Niederlndische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fîrstenhçfen), Mînchen 1999, S. 203 – 212. 184 G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 94. – Zu Louise Henriette vgl. die informative, wenngleich zeitgebundene Schilderung von FranÅois de Bas, Hohenzollern und Oranien, in: HohenzJB 2 (1898), S. 188 – 207, hier S. 201 – 207. 185 Klaus Vetter, Oranien-Nassau und die Hohenzollern im 17./18. Jahrhundert. Zur Charakterisierung einer Beziehung, in: H. Lademacher (Hg.), Dynastie … (s. Anm. 183), S. 213 – 224, hier S. 215.

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wachsende Reprsentationsbedîrfnis durch eine adquate Selbstdarstellung befriedigen zu kçnnen.186 Da man an Frankreich nicht heranreichte und alle anderen westeuropischen Großmchte zu weit entfernt waren, wurden die Beziehungen zum Land der Oranier intensiviert, „weil diese […] die dynastisch und politisch erwînschte Hilfestellung boten, um die hçfische Kultur Brandenburg-Preußens an das Niveau der Konkurrenten im Reich heranzufîhren.“ Ungeachtet der schwankenden politischen Konstellationen dauerten die Bemîhungen Friedrich Wilhelms um die Niederlande und um die ˜bernahme „kultureller Muster“ (Hahn) bis in die 70er Jahre an. Maßgebenden Anteil daran hatte die Kurfîrstin. Obwohl sich Brandenburg auf dem europischen Heiratsmarkt mit einer „ehrenvollen Randstellung“ begnîgen mußte, brachte die Heirat Friedrich Wilhelms mit Louise Henriette von Oranien zwar nicht die erhofften politischen Vorteile, wohl aber eine kulturelle Bereicherung, von der das gesamte Kurfîrstentum profitierte.187 Die im ˜berfluß aufgewachsene Oranierin schickte aus dem rmlichen Brandenburg lange Bestellisten nach Hause; vielleicht geht auf ihre Initiative auch die Anfertigung eines vier Zentner schweren und von Friedrich Wilhelm gekauften Leuchters zurîck, den 1647 eine Amsterdamer Werkstatt herstellte und der seit kurzem im Schloß Charlottenburg hngt.188 Louise Henriette vermittelte auch die Einwanderung vieler hollndischer Fachleute. Neben dem in Holland ausgebildeten Architekten und spteren Festungsbaumeister Johann Gregor Memhardt waren niederlndische Baumeister und Ingenieure seit 1652 am Wiederaufbau Berlins beteiligt. Cornelis Ryckwaert wurde Festungsbaumeister in Kîstrin, whrend der aus Kleve stammende Maler Govaert Flinck zwar hufig fîr Friedrich Wilhelm ttig war, aber nicht nach Brandenburg kam. øhnlich verhielt es sich mit den renommierten Niederlndern Pieter Post, Artus Quellinus und Jacob van Kampen, die wenigstens indirekt, weil von dem gleich zu erwhnenden Johann Moritz dazu eingeladen, seit 1661 fîr Brandenburg arbeiteten. Ein anderer Hollnder, Michael Matthias, reorganisierte das brandenburgische Postwesen. Aus dem ihr 1650 geschenkten Amt Bçtzow machte die Kurfîrstin ein Holland im kleinen, in dem sich viele Zuwanderer niederließen, Kanle bauten, Vieh zîchteten, als Grtner Bume und Blumen zogen, „Bçtzower Bier“ brauten oder Butter und Kse herstellten. Haye Steffens aus Utrecht grîndete 186 P.-M. Hahn, Magnifizenz … (s. Anm. 173), S. 9 – 31. Die Zitate: S. 11, S. 9 und S. 15. 187 Der erwhnten Oranier-Ausstellung (Anm. 182 und 183) hat die Erforschung zahlreicher Aspekte der niederlndisch-brandenburgischen Beziehungen wertvolle Impulse zu verdanken. Fîr eine grîndliche Beschftigung mit diesem Thema sind die beiden umfangreichen Begleitbnde (Katalog, Aufstze) unentbehrlich. 188 ˜ber diese brandenburgischen Spezialimporte aus Westeuropa informiert Kthe Klappenbach, Die Kronleuchter aus Glas und Bergkristall in den preußischen Kçnigsschlçssern von Berlin und Brandenburg bis 1810, Berlin 2000.

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sogar eine Papiermîhle. Das alte Jagdhaus ersetzten Memhardt und Michael Matthias Smids 1651 – 1655 durch ein (spter erweitertes) Wasserschloß nach hollndischem Muster (Fontane: „von mßigen Dimensionen“), das seit 1652 „die Oranienburg“ hieß und ein Jahr spter der Siedlung diesen Namen gab. Eine Meierei belieferte die Hofkîche mit hollndischem Kse und wurde von Louise Henriette „meine kleine Butter- und Kse-Akademie“ genannt. Aus den Ertrgen ihrer „Musterwirtschaft nach hollndischem Vorbild“ bezahlte sie den Bau einer Kirche und eines Waisenhauses.189 Weil der fîr Arbeiten am Berliner Schloß abgestellte Steinmetz 1647 verstorben war, mußte sich der Kurfîrst, der sich erneut im Haag aufhielt und schon einen Zimmermann engagiert hatte, noch um einen Steinmetzen und einen Baumeister bemîhen. 1669 war die Situation hnlich – offenbar fehlte es selbst in der Hauptstadt an gut ausgebildeten Bauhandwerkern.190 Nicht nur als Vermittler hçfischer Kultur zwischen Brandenburg und den Niederlanden spielte Johann Moritz von Nassau-Siegen eine zentrale Rolle. In seinen Funktionen (kurfîrstlicher Statthalter fîr Kleve und Ravensberg von 1647 bis 1679; niederlndischer General) „îberlappten sich die Interessen der Generalstaaten und Brandenburgs in außergewçhnlicher Weise.“191 Als Spezialist fîr das Bau- und Gartenwesen und fîr die Kînste kooperierte er jahrelang mit Friedrich Wilhelm und arbeitete als eine Art „Vorsortierer“ fîr die ins Mrkische geschickten hollndischen Immigranten. Seine Residenzstadt wurde der Mittelpunkt eines januskçpfigen Territoriums: „Kleve hat im 17. Jahrhundert eine besondere Rolle als Kulturprovinz mit zugleich niederlndischer und brandenburgischer Blickrichtung gespielt.“ Die Stadt wurde zur dritten Residenz des Kurfîrsten, in der er sich insgesamt sechs Jahre aufhielt.192 Daß der hollndische Einfluß îber Brandenburg und Kleve hinausreichte, zeigt der Wiederaufbau der durch die Schweden fast vçllig zerstçrten Residenz des Johanniterordens in Sonnenburg/Neumark (1662 – 1667). Johann Moritz, auf Wunsch des Kurfîrsten zum Herrenmeister des Ordens gewhlt, brachte aus den Niederlanden nicht nur die Plne, sondern auch 12 Bauhandwerker mit. 189 Eine zwar populrwissenschaftliche, dennoch seriçse Schilderung gibt Gisela Heller, Louise Henriette von Oranien, Kurfîrstin von Brandenburg, in: Jattie Enklaar / Hans Ester (Hg.), Brandenburg-Preußen und die Niederlande. Zur Dynamik einer Nachbarschaft (= Duitse Kroniek, 11), Amsterdam 1993, S. 123 – 136. ˜ber die Anfnge: Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg/Havelland: Schloß Oranienburg, Hamburg 1952. – 1999 war das Schloß Oranienburg die zweite Station der großen Oranier-Ausstellung. 190 K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 51. 191 P.-M. Hahn, Magnifizenz … (s. Anm. 173), S. 24 f. 192 Gerd Heinrich, „Die isolierte Provinz“. Brandenburg-Preußen und Kleve seit dem 17. Jahrhundert, in: Klaus Flink (Hg.), Kleve im 17. Jahrhundert. Studien und Quellen, 3 (1667 – 1688) (= Klever Archiv, 2), Kleve 1980, S. 9 – 31, das Zitat: S. 17.

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Die Bauleitung îbertrug er Cornelis Ryckwaert. Vorbild fîr das als „niederlndisches Palais“ erbaute Schloß soll das Huis ten Bosch im Haag, die heutige Kçnigsresidenz, gewesen sein. Johann Moritz kam zur Grundsteinlegung aus Potsdam, wo er fîr Friedrich Wilhelm ein Konzept zur Garten- und Landschaftsgestaltung fîr das Stadtschloß entworfen hatte. Schloß Sonnenburg war „der erste reprsentative Bau, der nach dem Dreißigjhrigen Krieg in Brandenburg errichtet wurde.“193 In fast allen Bereichen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens waren hollndische Vorbilder von zentraler Bedeutung. Kînstler, Kunsthandwerker, Architekten, Wirtschaftsfachleute, Handwerker und Bauern aus den Niederlanden arbeiteten in Brandenburg.194 Am Anfang der spter berîhmt gewordenen Fayence-Herstellung in Berlin stand ein Vertrag, den der Große Kurfîrst 1678 mit dem hollndischen „Porcellain-Macher“ Pieter Fransen van der Lee schloß, der Delfter Steinzeug, auch „unechtes Porzellan“ genannt, herzustellen begann. Trotz seines frîhen Todes (1680) und einer Verlegung „des seither kurfîrstlich gefîhrten ,Porzelan Hauses’“ (1683) ans Stralauer Tor wurde das Unternehmen zur Wiege der unter dem ersten Kçnig zu einer Blîtezeit gelangten Berliner Fayence-Produktion.195 Angesichts der so vielfltigen niederlndischen Einflîsse, die vor allem in der Zeit des Großen Kurfîrsten zu beobachten sind, ist gelegentlich davon die Rede, daß es zu einer „Verhollnderung Berlins und Brandenburgs“ gekommen sei. Das ist sicher îbertrieben, zeigt aber treffend die Tendenz der Entwicklung.196

193 Zu den Einzelheiten vgl. Monika Kleiner, Sonnenburg, ein „niederlndisches Palais“ in der Neumark. Kulturtransfer von den Niederlanden nach Brandenburg am Beispiel der Johanniterordensresidenz Sonnenburg, in: P.-M. Hahn / H. Lorenz (Hg.), Visualisierung … (s. Anm. 173), S. 57 – 86. 194 Gute Einblicke vermitteln die Darstellungen von Konrad A. Ottenheym (Baukunst), Claudia Horbas (Kunsthandwerk), Stephan Schçnfeld (Kirchenbau) und Diete M. Oudesluijs (Wirtschaft und Technik), smtlich in: H. Lademacher (Hg.), Dynastie … (s. Anm. 183), S. 287 – 298, 299 – 308, 309 – 320 und 385 – 398. Eine der ersten Forschungsarbeiten stammt von Leopold von Ledebur, ˜ber den Einfluß der Niederlande auf die Mark Brandenburg, in: Ders., Vortrge zur Geschichte der Mark Brandenburg, Berlin 1854, S. 34 – 48. 195 Vgl. dazu die neuen Untersuchungen von Horst Mauter, Die Berliner Fayencemanufakturen. Ihre Entwicklung vom 17. bis 18. Jh. im ˜berblick, in: C. Keisch / S. Netzer (Hg.), „Herrliche Kînste“ … (s. Anm. 3), S. 11 – 21; Christiane Keisch, Berliner Fayence. Ein Diskurs îber Vorbilder, Werksttten und Stil, in: ebd., S. 22 – 57, hier S. 23 – 29; knapper: Hugo Rachel, Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frîhkapitalismus (= Berlinische Bîcher, 3), Berlin 1931, S. 201. 196 Vgl. Peter Bahl, Der Hof des Großen Kurfîrsten. Studien zur hçheren Amtstrgerschaft Brandenburg-Preußens (= Verçffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Beiheft 8), Kçln/Weimar/Wien 2001, S. 164 f.

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2. Politische Fîhlungnahme zu Frankreich Obwohl die Prferenzen Friedrich Wilhelms auch aus konfessionellen Grînden bei den Niederlanden lagen, mußte er fîr die schwierigen und langwierigen Verhandlungen in Mînster und Osnabrîck einen politisch strkeren Partner suchen, um den schwedischen Ansprîchen auf territoriale „Satisfaktion“, die vor allem auf die den Brandenburgern zustehende pommersche Erbschaft zielte, mit Aussicht auf Erfolg begegnen zu kçnnen.197 Mit den im Herbst 1643 angeknîpften Beziehungen zu Frankreich198 begann eine lange Periode der brandenburgisch-franzçsischen Zusammenarbeit.199 Mazarin, der die schwedischen Forderungen im ganzen fîr îbertrieben hielt, hat – auch gegen den Widerstand des Kaisers – in der Folgezeit versucht, eine fîr Brandenburg annehmbare Lçsung zu erreichen. Ob Frankreich wirklich bereit war, wegen des Streites um Pommern einen militrischen Konflikt in Kauf zu nehmen, wie es eine diplomatische Anfrage vermuten lßt,200 sei dahingestellt. Obwohl die Pommernfrage schließlich doch noch vertraglich gelçst werden konnte, kam es wegen einiger Unstimmigkeiten nicht zu einem fçrmlichen Bîndnis Brandenburgs mit Frankreich. Vielleicht trugen auch die Unruhen im Umfeld der Fronde dazu bei. Ohne Konsequenzen blieb das von einem hollndischen „˜berlufer“, dem zum kurfîrstlichen Berater aufgestiegenen Admiral Gysels van Lier, in Mînster prsentierte Projekt einer brandenburgisch-franzçsischen Kolonialgesellschaft.201 197 Zur entscheidenden Phase der Verhandlungen vgl. Fritz Dickmann, Der Westflische Frieden, Mînster 71998, S. 306 ff. Grundlegendes Quellenwerk: Albert Waddington (Hg.), Prusse (= Recueil des instructions donn¤es aux ambassadeurs et ministres de France …, 16), Paris 1901. 198 E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 169), 1, S. 144 f. und 151. Die anfngliche Zurîckhaltung Frankreichs zeigt sich auch darin, daß der franzçsische Kçnig dem Kurfîrsten die Anrede „frºre“ verweigerte. Aus franzçsischer Sicht: Albert Waddington, Le Grand Electeur Fr¤d¤ric Guillaume de Brandebourg, sa politique ext¤rieure, 2 Bde., Paris 1905/1908. 199 Seit 1646 vertrat der spter berîhmte Abraham de Wicquefort, ein „v¤ritable condottiºre de la politique“ (Waddington), als „Resident“ die Interessen des Großen Kurfîrsten in Paris. Nicht nur bei der Bezahlung scheint es Probleme gegeben zu haben (vgl. PierreFranÅois Burger, Res angusta domi. Les Wicquefort et leurs m¤tiers bien d¤licates entres Paris, in: Francia 27/2 [2000], S. 41, Anm. 113), denn Friedrich Wilhelm desavouierte ihn spter auf Bitten Mazarins (ebd., S. 40). 200 Urkunden und Actenstîcke zur Geschichte des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 23 Bde., Berlin 1864 – 1930, hier 4, S. 431 f. (im folgenden immer: UA). Ende Dezember 1647 deutete der Kurfîrst seinerseits eine vergleichbare Konstellation an (ebd., 2, S. 11 ff.). 201 Abdruck: P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), Beilage I: S. 423 – 429. Auch ein zweites Memorandum des Hollnders (1658) zielte auf eine Schwchung der Niederlande (S. 233).

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Whrend des Ersten Nordischen Krieges (1655 – 1660), in dem Friedrich Wilhelm, vom „Wechselfieber“ befallen, mit seinen Truppen hçchst erfolgreich zwischen Schweden und Polen lavierte, kam am 24. Februar 1656 ein Verteidigungsbîndnis mit Frankreich zustande.202 Da es sich nur auf die brandenburgischen Reichslande und die Frankreich 1648 zugesprochenen Gebiete bezog, sicherte der Kurfîrst damit immerhin seine westlichen Besitzungen. Dieser Vertrag, gegen den auch die Niederlande, mit denen Brandenburg nach wie vor gute Beziehungen unterhielt, nur verhalten protestierten, stand am Anfang einer langen Reihe von Abmachungen, die das franzçsisch-preußische Verhltnis jahrhundertelang begleiteten. Daß Friedrich Wilhelm trotzdem an einer eigenstndigen Politik festhielt, zeigte sich bei der anstehenden Kaiserwahl; weder unterstîtzte er den von Mazarin kurzzeitig favorisierten Gedanken einer Wahl Ludwigs XIV. noch trat er 1658 dem gegrîndeten und von Frankreich dominierten Rheinbund bei.203 Trotz kleinerer Differenzen erwies sich die neue Verbindung bald als nîtzlich, denn erst das Eingreifen Frankreichs, das nach dem Pyrenenfrieden die Hnde frei hatte, trug dazu bei, daß die seit langem stagnierenden Friedensverhandlungen im Nordosten Europas wieder in Bewegung kamen. Durch diplomatischen und militrischen Druck wurde Schweden, in dem seit dem 22. Februar 1660 Karl XI. regierte, von seinem alten Bundesgenossen schließlich zum Einlenken gezwungen: „Un v¤ritable congrºs europ¤en se r¤unit […] ” l’abbaye d’Oliva, prºs Danzig.“204 Am 3. Mai 1660 wurde der Vertrag unterzeichnet. „Bei den Verhandlungen in Oliva hatte der franzçsische Vermittler de Lumbres eine Schlîsselstellung.“205 Ihm war schließlich die Einigung zu verdanken, und dem Kurfîrsten-Herzog wurde die nur geringfîgig eingeschrnkte Souvernitt îber das Herzogtum Preußen zugestanden. Von nun an gehçrte Brandenburg-Preußen auch aus der Sicht der westeuropischen Diplomaten endgîltig zum Kreis der etablierten Mittelmchte, mit denen man in jedem Fall zu rechnen hatte. Das nderte nichts an der Tatsache, daß auch kînftig alle Versuche Friedrich Wilhelms, „im Kreis der Souverne als vollkommen Gleichrangiger aufgenommen zu werden“, scheiterten. Kriegskunst, Diplomatie, reprsentative Bauttigkeit, Kunstfçrderung und sogar der Einsatz publizistischer Mittel konnten die europischen Herrscher nicht davon îberzeugen, in ihm mehr als einen Kurfîrsten des Reiches zu sehen. Die reichsrechtliche Hierarchie erwies sich gegenîber dem allein auf das Herzogtum 202 Vertragstext (Regest) bei T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 108, S. 200 f. 203 Vgl. Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 1: Fçderalistische oder hierarchische Ordnung (1648 – 1684), Stuttgart 1993, S. 192 – 201. 204 Gaston Zeller, Les temps modernes, vol. 1: De Christophe Colomb ” Cromwell (= Pierre Renouvin [Hg.], Histoire des relations internationales, 2), Paris 1953, S. 294. 205 E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 169), 1, S. 407.

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Preußen gegrîndeten Souvernittsanspruch langfristig und in europischer Perspektive als strker. Bis zum Schluß kmpfte er vergeblich darum, im zeremoniellen Bereich die honores regios zugebilligt zu erhalten.206 Die reservierte Haltung der benachbarten Staaten bestrkte den brandenburgischen Kurfîrsten in seinen Bemîhungen, die reprsentative Stellung des Herrscherhauses durch dynastische Selbstinszenierungen nach innen und außen zu betonen, setzte doch nach 1648 îberall im Reich ein verstrkter Drang nach fîrstlicher Dignitt und Majestt ein. Um das Fehlen einer traditionsreichen Hof- und Festkultur und den Mangel an çkonomischen Ressourcen zu verdecken, war die Hilfestellung aus den Niederlanden nach wie vor unverzichtbar. Nicht zufllig hielt sich Friedrich Wilhelm in den ersten Jahrzehnten seiner Regierungszeit hufig in Kleve auf, wo sein Statthalter Johann Moritz die Umgebung des Klever Schlosses aufwendig umgestaltete und die Stadt zu einer fîrstlichen Residenz formte. Die vom Kurfîrsten in Kleve – und damit im Umfeld der Oranier – ausgerichteten prunkvollen Festlichkeiten familirer oder politischer Art (1652, 1666) unterstreichen, wie wichtig die aus Kleve kommenden Impulse fîr die Entfaltung einer Residenzkultur in Brandenburg-Preußen war. Die von Johann Moritz in eine prachtvolle Kulisse hçfischer Kultur verwandelte Klever Residenz gehçrte in diesen Jahren fîr den Kurfîrsten „zu den Kristallisationspunkten der Magnifizenz des Hauses Hohenzollern.“207 An den wechselnden Bîndniskonstellationen der folgenden Jahrzehnte lßt sich die politische Aufwertung Brandenburg-Preußens seit 1660 ablesen.208 Die vom Kurfîrsten zunchst gefçrderte Politik des labilen Gleichgewichts zwischen den Machtblçcken, die eher enttuschende Haltung Englands nach 1660, die zunehmenden Differenzen mit den Niederlanden,209 die vorîbergehende Annherung an Spanien sowie die strkere Anlehnung an Frankreich 1664, 1667 und 1670 zeigen die zunehmende Einbindung Brandenburg-Preußens in das europische Mchtekonzert. Nachdem man sich mit Schweden verstndigt hatte, trat Brandenburg 1665 sogar dem Rheinbund bei. Diese Allianz war zwar 206 Zu dieser Problematik vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europischen Publikum, in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 145 – 176, hier S. 156 – 168, das Zitat: S. 168. 207 Zu dieser Problematik vgl. P.-M. Hahn, Magnifizenz … (s. Anm. 173), S. 17 – 21 und S. 28 – 31 (mit Anm. 39). 208 Mit dem Frieden von Oliva beginnt die noch immer grundlegende Untersuchung von Georges Pages, Le Grand Ãlecteur et Louis XIV (1660 – 1688), Paris 1905. Thema des ersten Kapitels ist die 1664 erreichte Erneuerung der Defensiv-Allianz von Kçnigsberg vom 24. 2. 1656 (ebd., S. 35 – 100). 209 Daran konnte auch die Reise von 1661 in die Niederlande, bei der Friedrich Wilhelm von Joan Huydecoper, dem Bîrgermeister von Amsterdam, prchtig empfangen wurde, nichts ndern.

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damals wegen der reichsinternen Streitereien schon fast funktionsunfhig,210 doch „Frankreich erlebte den Brandenburger als einen Mann, der nicht alles, was Frankreich fîr gut befand, akzeptierte“.211 Folgerichtig blieb er im Devolutionskrieg neutral, obwohl der franzçsische Kçnig bei der Ausschau nach Verbîndeten der Kurfîrstin 1666 Geschenke im Wert von îber 62.000 livres machte.212 Auch unterhalb der fîrstlichen Ebene bediente sich die franzçsische Diplomatie, um die brandenburgische Politik besser beeinflussen zu kçnnen, einer ausgefeilten Bestechungspolitik, die Ministern, Ratgebern und Vertrauten Bargeld oder wertvolle Geschenke zukommen ließ. Das war eine im diplomatischen Dienst durchaus îbliche Praxis, die oft von den Landesherren stillschweigend toleriert wurde.213 Die schlecht bezahlten Beamten waren fîr diese Gratifikationen dankbar und empfanden sie hufig als Anerkennung fîr geleistete Dienste. Nicht nur in der Preußen-Literatur wird diese Praxis gern verschwiegen, obwohl die Quellenlage besser ist, als man vermuten kçnnte. Halb bewundernd, halb kritisch, stellte Carl Hinrichs 1941 fest, daß Frankreich seit 1661 „in einer pausenlosen unerhçrten diplomatischen und kriegerischen Offensive gegen Europa eine allgegenwrtige, in ihren Mitteln unerschçpfliche, in ihren Zielen unbeirrbare Diplomatie, die alle Skalen von der kultiviertesten Feinheit bis zur Brutalitt beherrschte“, einsetzte und ergnzte diskret, daß der diplomatischen Offensive „die Offensive des franzçsischen Geldes“ zur Seite ging.214 Leider geht Klaus Malettke in seinen grundstzlichen ˜berlegungen zur Außenpolitik Ludwigs XIV. auf diesen Punkt îberhaupt nicht ein.215 Dennoch ist es unbestreitbar, „que la plupart des ministres du Grand Ãlecteur ont ¤t¤ fr¤quemment subventionn¤s par la France“. Manche konnten ihr dîrftiges Gehalt durch die franzçsische Finanzhilfe vervierfachen. Namentlich genannt werden der Minister Schwerin, der von 1661 bis 1670 Geld 210 Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfîrst von Brandenburg. Eine politische Biographie, Zweiter Teil: 1660 – 1688, Gçttingen/Frankfurt/Zîrich 1978, S. 79. 211 K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 203), 1, S. 227. 212 P.-M. Hahn, Magnifizenz … (s. Anm. 173), S. 27. 213 Regelmßige Geld- und Warengeschenke empfahl zum Beispiel Abraham de Wicquefort, L’Ambassadeur et ses fonctions, 2 Bde., Den Haag 1652, hier 1, S. 106 – 120. Zur damals îblichen Praxis vgl. F. Dickmann, Westflischer Frieden … (s. Anm. 197), S. 201 – 206. 214 Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Kçnig in Preußen. Eine Biographie, 1: Jugend und Aufstieg, ergnzter ND der Ausgabe Hamburg 1943, Darmstadt 1968, S. 133. 215 Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beitrge zum Einfluß franzçsischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frîhen Neuzeit (= Marburger Studien zur Neueren Geschichte, 4), Marburg 1994, htte das etwas heikle Thema an mehreren Stellen anschneiden kçnnen, vor allem im Kapitel V/1.3.

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erhielt, der Fîrst von Anhalt-Dessau, der Diplomat Jena, der Oberstallmeister Pçllnitz und – seit 1673 – Meinders. Damit nicht genug: „Divers petits fonctionnaires touchºrent des sommes proportionn¤es ” leur importance.“216 Daß diese Zahlungen nicht immer ihren Zweck erreichten, lag einmal an der politischen Eigenwilligkeit Friedrich Wilhelms (und der Empfnger), zum andern wohl auch an der Unverbindlichkeit der Zuwendungen: „Ses ministres recevaient des deux cút¤s, franÅais et autrichien.“ Zum Gesamtkomplex der ußeren Angelegenheiten muß auf die Fachliteratur verwiesen werden;217 die weitere Entwicklung der Beziehungen Brandenburgs zu Westeuropa wird dagegen in den folgenden Kapiteln erçrtert. II. Handelsbeziehungen und Reisekontakte Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts intensivierten sich die Handelsbeziehungen zwischen Westeuropa und Brandenburg-Preußen, insbesondere mit Frankreich und den Niederlanden. Dabei erfuhren weder der Warenaustausch noch die Handelsstruktur nennenswerte Vernderungen. 1. Warenaustausch und Handelsstruktur218 Wichtigstes franzçsisches Exportprodukt war der in Brandenburg sehr geschtzte Wein. „Les vins des autres pays d’Europe“, sagte ein Zeitgenosse, „trop forts, trop violents et trop fumeux, ne se peuvent boire qu’en petite quantit¤. Ils ne sont bons que pour flatter le go•t sur la fin d’un repas, et si on en faisait sa boisson ordinaire, ils seraient nuisibles ” la sant¤, au lieu que les vins franÅais sont bons, sains et faciles ” boire“ (8). Der Import franzçsischer Weine erfolgte îber (das schwedische) Stettin (1670: 200 Fass), Kolberg, Kçnigsberg (1669: 216 Vgl. dazu Camille-Georges Picavet, La diplomatie franÅaise au temps de Louis XIV (1661 – 1715). Institutions, Moeurs et coutumes, Paris 1930, S. 192 f. Dort auch die Zitate. 217 Aus der umfangreichen Literatur sind hervorzuheben die Werke von K. O. v. Aretin (Anm. 203 und 356), E. Opgenoorth (Anm. 169 und 210), M. Immich (Anm. 15) sowie der einschlgige Beitrag im gleichen Band dieses Handbuches. Eine neuere Gesamtwîrdigung des Großen Kurfîrsten bringt J. Kunisch, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 43), S. 9 – 32. 218 Die grîndliche, objektiv geschriebene und quellennah gearbeitete Studie von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), ist trotz ihrer Zeitgebundenheit bis heute nicht îberholt (vgl. auch die îberwiegend positive Rezension von Hugo Rachel in: ForschBrandPrG 27 [1914], S. 301 – 309). Die folgenden Informationen îber die Importe aus Frankreich sind fast alle dieser Untersuchung entnommen (S. 8 – 36). Zur Entlastung des Anmerkungsapparats werden die wichtigsten Seitenzahlen im Text in Klammern genannt. Einige Ergnzungen bei F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 519 f.

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1.000 Fass) und Danzig (1669: 800 – 1.000 Fass). Am beliebtesten waren die leichten Weine „de prix moyen“ aus Sîdwest-Frankreich (10 – 13). Auch destillierte Weinprodukte, meist als eau-de-vie bezeichnet, gingen nach Brandenburg. Whrend die teureren Sorten aus Cognac und Umgebung von der „haute soci¤t¤ prussienne“ bevorzugt wurden, gingen preiswertere Fabrikate wie eaux-de-vie de biºre oder eaux-de-vie de grains in grçßeren Mengen nach Schweden, Polen, Rußland und in die Lnder des Kurfîrsten. Diese Produkte wurden zur Fçrderung des Absatzes von den Hollndern, die den Zwischenhandel monopolisiert hatten, durch Zustze und „d’affreux m¤langes“ mit billigen Sorten hergestellt (13 – 15). Sehr begehrt war franzçsischer Essig. ˜ber Danzig und Kçnigsberg wurde angeblich vier- bis fînfmal soviel eingefîhrt wie das gesamte Kçnigreich Schweden importierte (15). „La principale des denr¤es exotiques“ war der von den franzçsischen Antillen kommende Zucker, der in großen Mengen in Stettin, Danzig und Kçnigsberg umgeschlagen wurde (18 f.). Daneben enthalten die Einfuhrlisten Olivençl, Sîdfrîchte, Kapern, Gewîrze, andere Kolonialwaren und vor allem Meersalz, sel marin, von der franzçsischen Atlantikkîste. Von hier, vor allem aus der Baie de Bourgneuf, hatte schon die „Baienflotte“ der Hanse ihr Salz bezogen. Das Meersalz gehçrte zu den wichtigsten Einfuhrgîtern. „Il est certain“, schrieb Colbert 1682, „que les sels de France sont les meilleurs sels du monde et les moins corrosifs“ (19). 1658 sollen etwa 600 hollndische Schiffe franzçsisches Salz in die Staaten des Kurfîrsten gebracht haben (21).219 Damals gelang es auch der franzçsischen Seidenindustrie, die bisher den brandenburgischen Markt beherrschenden Italiener aus dem Felde zu schlagen. Hochwertige Luxustextilien, Brokat, Satin, Taft, Samt und wertvolle Spitze aus Tours, Lyon, Rouen und Paris wurden importiert (27 f.) – fîr die kurfîrstliche Familie und die wenigen Aristokraten, die sich einen solchen Luxus leisten konnten. Der im allgemeinen als sparsam geltende Kurfîrst bezog seine Garderobe nichtsdestoweniger aus Paris und ließ auch die Livreen seiner 40 Pagen, der 24 Hoftrompeter und der îbrigen Dienerschaft von franzçsischen Fabrikanten anfertigen. Bis hin ins ferne Kurland, wo die Schwester des Kurfîrsten als Herzogin residierte, „les dames s’habillent ” la franÅaise et ¤talent la magnificence de leurs longues tra‚nes ” la mode de Paris“ (29). Auch hochwertige Mçbel, Tapisserien und Gobelins wurden von einer begîterten Minderheit aus Frankreich bezogen, ebenso Spiegel, Glas, Parfums, Essenzen, Handschuhe, Perîcken, Elfenbeinkmme usw. Brandenburg-Preußen lieferte nach Frankreich vor allem Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte wie Getreide, Holz, Wolle, Felle, Hute, Leder,

219 ˜ber die Meersalzlieferungen im Sptmittelalter s. o. nach Anm. 60.

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Talg, Hanf, Flachs und Leinçl, aber auch einfache Textilien.220 Mit an vorderer Stelle rangierten Pferde (51 ff.), die wegen ihrer Robustheit von der franzçsischen Artillerie und Kavallerie geschtzt wurden. Nach wie vor gehçrte Bernstein (81 – 86) zu den wertvollsten Ausfuhrprodukten und zu den beliebtesten Objekten bei Staatsgeschenken: die franzçsische Kçnigin Maria Theresia bekam 1667 ein „cabinet d’ambre“ im Wert von mehr als 3.000 Talern geschenkt,221 whrend Ludwig XIV. 1680 einen bernsteingefaßten Spiegel erhielt, den acht Mnner tragen mußten und der auf 100.000 livres geschtzt wurde (85). Das eintrgliche Geschft, die teuren franzçsischen Fertigwaren nach Brandenburg-Preußen zu liefern und auf dem Rîckweg die begehrten Rohstoffe mitzunehmen, lag in den Hnden der Niederlnder. 1.000 bis 1.500 hollndische Schiffe stellten die kommerzielle Verbindung zwischen beiden Lndern her. Allein fîr den Salztransport sollen es jhrlich 500 bis 600 gewesen sein. Begînstigt durch ihre geographische Mittellage und eine jahrhundertealte maritime Tradition, hatten sich die Niederlnder diese îberragende Position gegen die zerfallende Hanse und die in stndige Kriege verwickelten Nord- und Ostseestaaten erkmpft und dabei eine konkurrenzlose Leistungsfhigkeit entwickelt: Sie besaßen die effektivste Handelsorganisation, die erfahrensten Reeder, die besten Schiffe mit den kostengînstigsten Besatzungen, obwohl sie wegen der Piraten oft im Geleitzug fuhren. Sie offerierten die niedrigsten Frachtraten und die kîrzesten Lieferfristen und erhielten die vorteilhaftesten Kredite. An allen wichtigen Handelspltzen unterhielten die hollndischen Kaufleute Kontore – sie hatten, so resîmierte ein zeitgençssischer Beobachter, das Geheimnis entdeckt, Reisen und Transporte billiger als alle anderen durchzufîhren: „Nulle marine ne peut offrir des conditions de transport aussi avantageuses que la leur.“222 Auch Brandenburg-Preußen war durch die niederlndische Klammer eng mit Westeuropa verbunden. Die Niederlnder setzten alles daran, ihr Zwischenhandelsmonopol als „Fuhrmann Europas“ aufrechtzuerhalten. Jede Bedrohung des niederlndischen Handels mit Ost- und Nordeuropa rîhrte an die Grundlagen der staatlichen Existenz. „Cette r¤publique“, so kennzeichnete eine zeitgençssische Schrift diese Sachlage, „situ¤e au milieu des uns et des autres, empÞchera toujours de tout son

220 Detaillierte Angaben, diesmal zu den brandenburgischen und preußischen Exporten nach Frankreich, finden sich wiederum bei P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 54 – 93. 221 Dieses mit Bernstein verzierte Mçbelstîck (wahrscheinlich ein sekretrhnlicher Kunstschrank) hat nichts mit dem berîhmten und seit 1945 verschwundenen „Bernsteinzimmer“ zu tun, das Friedrich Wilhelm I. 1716 dem Zaren Peter I. zum Geschenk machte. 222 P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 116.

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pouvoir que le commerce de l’Europe se fasse autrement que par son entremise.“223 Den kîhnen Plan, dieses weitverzweigte Handelsimperium aus den Angeln zu heben, verfolgte Colbert, der franzçsische Minister fîr Wirtschaft und Finanzen. Deshalb fîhrte er einen regelrechten Handels- und Wirtschaftskrieg gegen die Republik der Niederlande. Um sie aus dem internationalen Speditionsgeschft zu verdrngen, bemîhte sich Colbert auch darum, mit Brandenburg direkte Handelsverbindungen zu knîpfen und auszubauen. Den Intentionen des Großen Kurfîrsten kam das entgegen. Auch er sah in dem Zwischenhandelsmonopol der Niederlnder ein unerwînschtes und kostspieliges ørgernis. Bei der außenwirtschaftlichen Offensive Colberts lassen sich einige Schwerpunkte ausmachen. 2. Die Errichtung franzçsischer Konsulate im Ostseeraum Da die vorpommersche Kîste mit dem wichtigen Hafen Stettin in schwedischer Hand war und in dem an einer verkehrsfeindlichen Ausgleichskîste gelegenen Kolberg nur geringe Warenmengen umgeschlagen werden konnten, wurde das ostpreußische Gebiet die Drehscheibe des brandenburgisch-preußischen Handels. Er lief îber Kçnigsberg und Memel, auch îber das allerdings in PolnischPreußen liegende Danzig, das als eine veritable „r¤publique marchande“ galt und auch „la Venise du Nord“ genannt wurde.224 Hier setzte Colbert das erste Zeichen: Im Mai 1661 ernannte er Jean Formont zum consul de France in Danzig. Er erhielt den Auftrag, die dort arbeitenden franzçsischen Kaufleute in seine Obhut zu nehmen und sich außerdem um den commerce du Nord im weitesten Sinne zu kîmmern. Jean Formont gehçrte zu einer der bedeutendsten europischen Bankiersdynastien.225 Der Chef des Hauses, Pierre Formont, ein marchand-banquier erster Grçßenordnung, der seine herausragende Position 1678 durch den Kauf der nobilitierenden Charge eines secr¤taire du roi festigte, war zwanzig Jahre lang einer der engsten und geschicktesten Mitarbeiter Colberts. Sein Bruder Nicolas stand ihm kaum nach. Er bekleidete hohe und hçchste ømter und verheiratete seine Kinder und Enkel mit Angehçrigen der altehrwîrdigen no223 Pierre-Daniel Huet, Le Grand Tr¤sor historique et politique du florissant commerce des Hollandais, Rouen 1712, S. 84, zitiert ebd., S. 131. 224 Ebd., S. 151 – 153. 225 Zur Formont-Dynastie vgl. Charles Joret, Pierre et Nicolas Formont: Un banquier et un correspondent du Grand-Ãlecteur ” Paris, Paris 1890; Georges Pages, Les frºres Formont et les relations du Grand Ãlecteur avec la Cour de France, in: RH 46 (1891), S. 288 – 299, und P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 175, S. 180 – 186 u. ç. sowie Herbert Lîthy, La Banque Protestante en France, 1, Paris 1959, S. 66 f. (mit Anm. 9).

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blesse d’¤p¤e. Er galt als der reichste Mann Frankreichs und wurde seit den frîhen 70er Jahren der persçnliche Vertraute des brandenburgischen Kurfîrsten in Paris, der durch ihn seine Einkufe ttigen ließ: Mçbel, Kleidung, feine Lederwaren, Spitzen, Kunstgegenstnde, Bîcher, Essenzen und andere Luxuswaren. Auch Pflanzen fîr die kurfîrstlichen Grten waren dabei. Whrend ein weiterer Bruder das Bankgeschft in Rouen betrieb, dem Stammsitz der Familie, hatten sich die beiden jîngsten Brîder, Jean und Daniel, in Danzig niedergelassen. Ein Schwager, Pierre du Pr¤, vertrat die Familieninteressen in Amsterdam, ein anderer, FranÅois du Pr¤, die in Hamburg. Feste Korrespondenten dieser Bank- und Finanzoligarchie saßen in Berlin und Leipzig. ˜ber die verschiedenen Adressen dieses europaweit agierenden Unternehmens lief seit 1667 die gesamte kurfîrstliche Korrespondenz mit Frankreich; auf diesem Wege wurden auch die meisten der Brandenburg gewhrten SubsidienZahlungen abgewickelt. Durch das in Elbing 1664 errichtete franzçsische Konsulat war fortan auch Preußen unmittelbar mit diesem Familienimperium verknîpft. Leiter wurde ein gewisser Salomon, dessen Bruder Jean Formont als Konsul in Danzig gefolgt war. Innerhalb weniger Jahre hatte es Colbert erreicht, auch Brandenburg-Preußen in das westeuropische Finanzsystem einzubeziehen, das er zur Ausschaltung der niederlndischen Konkurrenz dringend bençtigte. 3. Franzçsische Handelsvertrge mit anderen Staaten Um die Niederlande wirtschaftlich zu schdigen, wollte Colbert mçglichst alle nord- und osteuropischen Staaten durch den Abschluß bilateraler Handelsvertrge enger an die franzçsischen Interessen binden. Von 1664 bis 1669 entfalteten die Agenten Colberts eine „activit¤ […] incessante“ im Ostseeraum. Zuerst konnte ein Vertrag mit Dnemark abgeschlossen werden. Whrend mit Schweden und spter auch mit Rußland noch verhandelt wurde, gelang 1665 die Erneuerung lterer Abmachungen mit den Hansestdten.226 Mit Brandenburg, das die 1656 mit Frankreich abgeschlossene Defensiv-Allianz 1664 erneuerte und 1665, 1667 und 1669 weitere Vertrge schloß,227 muß ebenfalls eine Vereinbarung – und zwar îber Salzlieferungen – um die Jahreswende 1670/ 71 zustandegekommen sein. Im Februar 1671 empfahl Colbert „d’executer ponctuellement ce trait¤ et de fournir de bonne marchandise“.228 226 Vgl. P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 176 – 180 und S. 193, das Zitat S. 179. 227 Vertragstexte bei T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167): Nr. 140, S. 258 (6. 3. 1664); Nr. 152, S. 268 – 272 (18. 11. 1665); Nr. 187, S. 321 – 323 (15. 12. 1667); Nr. 193, S. 335 – 337 (Regest) und Anhang II, S. 691 – 696 (Text) (31. 12. 1669). 228 Dieser Vertrag (nicht bei T. v. Moerner [Bearb.], Staatsvertrge … [s. Anm. 167]), wird erwhnt von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 202 f.

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Als flankierende Maßnahme zur Durchsetzung seines Zieles setzte Colbert 1667 den fîr die Niederlande geltenden Zolltarif, der erst drei Jahre alt war, außer Kraft und verdoppelte bis verdreifachte die zu entrichtenden Importzçlle, was faktisch der Erklrung eines Wirtschaftskrieges gleichkam. Die Zeit des gemeinsamen Kampfes gegen den niederlndischen Zwischenhandel war „la p¤riode la plus amicale de l’entente cordiale franco-prussienne“.229 4. Brandenburg und die „Compagnie du Nord“ Obwohl sich die allgemeine Begeisterung – wie bei den meisten Grîndungen Colberts – in Grenzen hielt, rief er, durch lange Gutachten der Brîder Formont aus Danzig darin bestrkt, in der ersten Jahreshlfte 1669 die Compagnie du Nord ins Leben.230 Das Grundkapital von 600.000 livres kam zu etwa zwei Dritteln aus der kçniglichen Kasse; die îbrigen Aktionre konnten großenteils nur durch erhebliche Pressionen zu einer Beteiligung bewogen werden. An der Spitze des Unternehmens standen neben den Brîder Formont einige namhafte hugenottische Großkaufleute aus La Rochelle: Louis Pagºs, Henri Tersmitten und Jean-Baptiste Lagny. Der Angriff Colberts auf den hollndischen Zwischenhandel blieb seitens der niederlndischen Republik nicht ohne Gegenmaßnahmen. Es entbrannte eine Art Zollkrieg, in dessen Verlauf die Niederlande ihrerseits 1670 die Einfuhr franzçsischer Waren fast vçllig unterbanden. Außerdem versuchten sie, die franzçsischen Exportgîter durch andere zu ersetzen und offerierten ihren bisherigen Kunden Wein aus dem Rheinland und Salz aus Portugal. Sie scheuten nicht davor zurîck, die franzçsischen Produkte und Spediteure zu verunglimpfen und die verlorenen Positionen durch eine Politik der Dumping-Preise zurîckzugewinnen. Dennoch konnte die Compagnie du Nord erste Erfolge verbuchen. Seit 1669 gelangten jhrlich mehrere Schiffe der Gesellschaft – das erste hieß ,Esp¤rance’ und war von den Pariser Brîdern Formont ausgerîstet worden – in die preußischen Hfen, wo sie ihre Meersalzladungen lçschten und vorwiegend Masten und Schiffsbauholz an Bord nahmen. Um den mit dem Kurfîrsten 1670 abgeschlossenen Vertrag, der die preußischen Salzimporte der Compagnie du Nord îbertragen hatte, auszubauen und auch weitergehende Verbindungen zu knîpfen, begaben sich auf Weisung Colberts zwei ihrer Direktoren, Louis Pagºs und Jean-Baptiste de Lagny, persçnlich auf Reisen und besuchten im Frîhjahr 1671 die Regierungen in Hamburg, Braunschweig, Berlin, Kopenhagen und Stockholm. In diesen Jahren, zwischen 1669 und 1672, erreichte die entente cordiale commerciale zwischen Frankreich und

229 Ebd., S. 200. 230 Vgl. dazu ebd., S. 188 ff.

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Brandenburg einen Hçhepunkt: „L’¤tat des relations entre le Brandebourg et la France restait alors trºs satisfaisant. L’alliance semblait solide.“231 Um sein kunstvoll aufgebautes System einer antihollndischen Wirtschaftsund Handelspolitik nicht zu gefhrden, widersetzte sich Colbert den Plnen Ludwigs und des jungen Louvois, die zielstrebig auf einen Krieg gegen die Republik der Vereinigten Niederlande hinarbeiteten. Erst in jîngster Zeit konnte die lange vertretene Auffassung, daß auch Colbert zum Krieg gedrngt habe, durch die Forschungen von Paul Sonnino232 eindeutig widerlegt werden. Wirtschaftspolitische Maßnahmen, nicht aber militrische Aktionen, sollten den hollndischen Rivalen langfristig entscheidend schwchen. Colbert, der „ganz sicher […] kein Kriegstreiber“ (Malettke) war, mußte scheitern, weil fîr Ludwig XIV. auch damals „noch Machtpolitik vor wirtschaftlichen und sozialen Erwgungen“ rangierte.233 5. Reisen nach Westeuropa Trotz der politischen Unruhen, die in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts hufig zu Kriegen fîhrten, entwickelte sich nach dem Ende des 30jhrigen Krieges ein bescheidener Reiseverkehr zwischen Brandenburg-Preußen und Westeuropa. Neuere Forschungen haben ergeben, daß mehr als 200 deutsche Gelehrte zwischen 1660 und 1714 England besuchten. Genauere Aussagen werden allerdings dadurch erschwert, daß der Begriff „Preußen“ in dem gesamten Werk nur am Rande vorkommt und alle Herkunftsangaben durch die Sammelbezeichnung „deutsch“ ersetzt werden.234 Will man feststellen, ob auch aus Brandenburg-Preußen Gelehrte nach England reisten, das nach Grîndung der Royal Society (1662)235 „zur fîhrenden europischen Wissenschaftsnation“ geworden war, muß man, da das Buch auch kein Register hat, die 199 Kurzbiographien der deutschen Gelehrten auf Geburtsort und Lebenslauf îberprîfen. Dabei zeigt sich, daß von den Englandreisenden etwa 20 aus BrandenburgPreußen kamen. Zu den bekanntesten gehçrte Johann Christoph Becmann, der 1662 – 1667, mit einem kurfîrstlichen Stipendium ausgestattet, Holland und 231 Ebd., S. 205 f. 232 Paul Sonnino, Louis XIV and the Origins of the Dutch War, Cambridge u. a. 1988. 233 Vgl. dazu K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 314 f., das folgende Zitat: S. 321. 234 Dieses mehrfach angesprochene Problem (s. o. § 1 I 2) besttigt die Studie von Andreas Selling, Deutsche Gelehrten-Reisen nach England 1660 – 1714 (= Mînsteraner Monographien zur englischen Literatur, 3), Frankfurt am Main u. a. 1990. 235 Die seit 1660 bestehende Gesellschaft erhielt 1662 die kçnigliche Anerkennung. Den bis heute geltenden Namen The Royal Society of London for Improving Natural Knowledge bekam sie 1663. – Ergnzend lassen sich die biographischen Nachschlagewerke von Noack / Splett auswerten (s. Anm 174).

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England besuchte und spter mehrfach zum Rektor der Universitt Frankfurt a. d. O. gewhlt wurde. Zum Staatsdienst brachten es die Englandfahrer Ernst von Berge (Sekretr und Dolmetscher unter dem Großen Kurfîrsten), Heinrich und Samuel von Cocceji (Vater und Sohn, Rechtsgelehrte) und Paul von Fuchs (Rechtsgelehrter, Diplomat in kurfîrstlichen Diensten, Grînder der Universitt Halle). Zu nennen sind außerdem Samuel Crell (Theologe), Adam Ebert (Rechtsgelehrter), David Hanisius (Theologe, Hof- und Garnisonsprediger in Berlin), Friedrich Wilhelm Herold (Rechtsgelehrter), Friedrich Hoffmann (Mediziner, 1720 Mitglied der Royal Society), Daniel Ernst und Johann Theodor Jablonski (Brîder, Theologen und Philologen), Martin Kempe (kurfîrstlich-brandenburgischer Historiograph), Gebhard Levin Lîdecke (Rechtsgelehrter?, begleitete als Hofmeister einen Herrn v. Blaspiel nach Holland und England)236, Urban Dietrich von Lîdecke (Rechtsgelehrter?, Kçniglich-Preußischer Geheimrat), Friedrich Wilhelm von Scharden (Theologe und Philologe), Jakob Karl Spener (Rechtsgelehrter und Historiker), Samuel Stryk (Rechtsgelehrter) und Johann Friedrich Sturm (Theologe, Hofprediger am Dom zu Berlin).237 Da sich unter den Englandreisenden auch einige Gelehrte befanden, die aus dem Herzogtum Preußen kamen, lßt sich zusammenfassend sagen, daß Untertanen aus den beiden Kerngebieten des Großen Kurfîrsten England in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts einen Besuch abstatteten und auf diese Weise zu einem bescheidenen Kulturtransfer beitrugen, der allerdings eine Eigenheit schon vorweg nahm, die man – bezogen auf das 18. Jahrhundert – als „Asymmetrie“ bezeichnet: Keiner der vielen Englnder, die im 17. Jahrhundert in die Royal Society aufstiegen und den Ruf Englands als naturwissenschaftliche Fîhrungsmacht begrîndeten, ist jemals nach Brandenburg-Preußen gekommen.238 Fîr die gelehrte Welt Englands waren die bevorzugten Reiseziele der Grand Tour Frankreich, die Niederlande und Italien; jenseits dieser Lnder, so notierte John Evelyn, sei nicht viel mehr zu sehen „but plain and prodigious barbarism.“ Die zweite westeuropische Großmacht, Frankreich, gehçrte mit seiner europaweit berîhmten Hauptstadt nach wie vor zu den zentralen Anlaufpunkten jeder Kavalierstour und reizte ohne Zweifel auch bildungswillige Adlige und Bîrgerliche aus Brandenburg-Preußen zu einem Besuch. Der Glanz des 236 Bei dem Westeuropafahrer, der von A. Selling „biographisch nicht ermittelt“ werden konnte, handelte es sich vermutlich um den brandenburgischen Geheimen Rat und Diplomaten Werner Wilhelm v. Blaspeil (oder Blaspiel, 1615?-1681, vgl. ADB, 2, S. 696 – 698). Sein Sohn, Werner Blaspi(e)l, stieg unter Friedrich I. zum Generalkriegskommissar und Chef der Heeres- und Steuerverwaltung auf (C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), S. 456). 237 A. Selling, Gelehrten-Reisen … (s. Anm. 234), S. 352 – 378 (Kurzbiographien). 238 Ebd., S. 211 – 213. Das folgende Zitat: S. 213.

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Sonnenkçnigs, die Bedeutung Frankreichs fîr Kunst und Wissenschaft, fîr Literatur und Theater, fîr Handwerk und Gewerbe mîssen das Land in hohem Maße zu einem attraktiven Reiseziel gemacht haben. Obwohl die meisten brandenburgischen Herrscher die jungen Adligen fester ans Land binden wollten und Kavalierstouren ins Ausland grundstzlich verboten haben,239 fanden derartige Reisen statt. Es gibt allerdings keine Untersuchung îber Zahl und Namen der Besucher aus den kurfîrstlichen Lndern, die trotzdem nach Frankreich reisten. Solange diese Forschungslîcke nicht geschlossen ist,240 stehen alle nachstehend mitgeteilten Beispiele unter dem Vorbehalt der Zuflligkeit. Versucht man, aus einer neueren Studie, die allerdings, wie fast immer, „Deutschland“ betrifft, die aus Brandenburg-Preußen kommenden Besucher herauszufiltern, ist das Ergebnis kîmmerlich: Aus der Zeit des Großen Kurfîrsten ist als einziger der sptere Rechtsprofessor Adam Ebert aus Frankfurt a. d. O. bekannt, der auf seiner dreijhrigen Europareise nicht nur, wie erwhnt, England besuchte, sondern sich auch 1679 sieben Monate in Paris aufhielt.241 Daß trotz der vielen Kriege in diesen Jahrzehnten noch andere Preußen nach Frankreich reisten, zeigen die von A. Selling zusammengestellten Kurzbiographien. Zwar besuchten die weitaus meisten Englandfahrer aus Brandenburg-Preußen die Niederlande als zweites Reiseland, einige fuhren aber auch nach Frankreich: Das waren Paul von Fuchs, der jîngere Cocceji, der spter das preußische Justizwesen reorganisierte, und Urban Dietrich von Lîdecke – eine recht dîrftig erscheinende Zahl von Frankreich-Reisenden, die sich aber bei einer grîndlichen Auswertung der Preußen-Literatur und intensiveren Nachforschungen zweifellos erhçhen wird. Die Vorliebe des Großen Kurfîrsten fîr die Niederlande, die er auch mehrmals besuchte, ist bekannt. Der Einfluß der Hollnder, îber den an anderer Stelle berichtet wurde,242 beschrnkte sich keineswegs auf Brandenburg, sondern war auch im Herzogtum Preußen deutlich spîrbar. Viele Preußen besuchten hollndische Universitten (Leiden, Franeker, Harderwijk, Groningen, Utrecht), die wegen ihres internationalen 239 Otto Bîsch, Militrsystem und Sozialleben im Alten Preußen. Die Anfnge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft (= VerçffHistKommBerlin, 7), Berlin 1962, S. 79 – 82; Thomas Grosser, Reiseziel Frankreich. Deutsche Reiseliteratur vom Barock bis zur Franzçsischen Revolution, Opladen 1989, S. 33, Anm. 11, druckt ein Edikt des Großen Kurfîrsten vom 20. 1. 1686 ab, das eine Genehmigungspflicht fîr Auslandsreisen adliger und bîrgerlicher „Sçhne“ (von Tçchtern ist nicht die Rede) vorsah. 240 Es wre wînschenswert, daß die sehr rîhrige Arbeitsgruppe um Michel Espagne ihre Forschungen auf das 17. Jahrhundert ausdehnt. 241 T. Grosser, Frankreich … (s. Anm. 239), S. 103 – 107. 242 S. o. § 2 I 1.

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Zuschnitts zu „gesamteuropischen Bildungssttten“ wurden243 oder unternahmen Bildungsreisen in die Niederlande. Michael Willmann studierte in Amsterdam und Antwerpen die hollndische Malerei, ehe er zum Hofmaler des Kurfîrsten avancierte.244 Im ganzen scheint es aber doch nur eine sehr eingeschrnkte Reisettigkeit von Brandenburg-Preußen in die Niederlande gegeben zu haben. Eine neue Studie hat fîr die Zeit des Großen Kurfîrsten nur einen Reisenden ermittelt: Adam Ebert, der 1678 und 1679 in Amsterdam war und seinen Reisebericht unter dem Pseudonym Aulus Apronius verçffentlichte.245 III. Mit den Niederlanden gegen Frankreich Als Frankreich im April 1672 mit einer imponierenden Koalition den Krieg gegen die Niederlande erçffnete, schlug sich der brandenburgische Kurfîrst nach einigem Zçgern auf die Seite der protestantischen Partei.246 Es bleibt noch zu untersuchen, ob er sich dabei bewußt in die europische Front der Frankreichgegner247 einreihte, die sich seit Lisolas Kampfschrift „Bouclier d’¤tat et de justice“ (1667) gebildet hatte. Wie wenig aber die Politik des Kurfîrsten mit der kulturellen Prferenz zu tun hatte, zeigt die in diesen Jahren mehr zu Frankreich tendierende Ausrichtung der brandenburgischen Hofkultur, die mit der zweiten Ehe des Kurfîrsten (1668: Dorothea von Holstein) einsetzte.248 Dennoch blieben auch die hollndischen Anregungen lebendig: Fîr den zur Erinnerung an die Eroberung Stettins (1678) in Berlin errichteten Triumphbogen in antiker Art whlte man ein Vorbild, das 1635 in Antwerpen gebaut worden war.249 243 A. Selling, Gelehrten-Reisen … (s. Anm. 234), S. 11. Zur Internationalitt der hollndischen Universitten vgl. auch Anja Chales de Beaulieu, Deutsche Reisende in den Niederlanden. Das Bild eines Nachbarn zwischen 1648 und 1795 (= Europische Hochschulschriften, Reihe III, 866), Frankfurt am Main u. a. 2000, S. 167 – 178. 244 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 522. 245 A. Chales de Beaulieu, Reisende … (s. Anm. 243), S. 45 – 51. Die angeblich ebenfalls aus Brandenburg-Preußen stammenden Filip von Zesen (Aufenthalte 1655 – 1667 u. ç.) und David Tappe (1667 – 1682) waren in anderen Staaten geboren und hielten sich auch spter nicht dort auf (vgl. die Kurzbiographien ebd., S. 249). 246 ˜ber die Beziehungen Brandenburgs zu den Niederlanden informiert Wouter Troost, William III, Brandenburg and the construction of the anti-French coalition, 1672 – 1688, in: Jonathan Irvine Israel (Hg.), The Anglo-Dutch Moment. Essays on the Glorious Revolution and its world impact, Cambridge u. a. 1991, S. 299 – 333. 247 Vgl. jetzt: Jean Schillinger, Les pamphl¤taires allemands et 19 France de Louis XIV (= Contacts II, 27), Bern u. a. 1999. 248 Zu den Hintergrînden dieses Wechsels von einem westeuropischen Staat zu einem anderen P.-M. Hahn, Magnifizenz … (s. Anm. 173), S. 31 f. 249 Ebd., S. 14 f.

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Der durch ausbleibende Subsidien bedingte Frontwechsel Friedrich Wilhelms nach nur einem Jahr (Separatfriede von Vossem mit Frankreich, 6. 6. 1673) war zwar nur von kurzer Dauer, zeigte aber in aller Deutlichkeit, „wie sehr die brandenburgische Politik abhngig blieb von Hilfeleistungen verbîndeter Mchte“.250 Whrend die Hollnder den franzçsischen Vormarsch zu Lande nur durch die berîhmt-berîchtigte Wasserlinien-Verteidigung aufhalten konnten, gelang es ihnen, die englische Flotte so weit unter Kontrolle zu halten, daß der finanzielle Nerv der Republik, der Seehandel der großen Stdte, nicht ernsthaft gefhrdet wurde.251 Die Plne Colberts und seiner Compagnie du Nord brachen dadurch in wenigen Wochen zusammen. Schon am 30. Juli 1672 mußte er den Direktoren mitteilen, daß bei so weiten Reisen wie in den Ostseeraum „il serait impossible de garantir […] la s¤curit¤ de navigation“. So kam es zu der paradoxen Situation, daß die franzçsische Regierung im Grunde dankbar war, daß die Hollnder, geschftstîchtig wie eh und je, die entstehende Lîcke wieder fîllten und Frankreich nicht auf seinen Exportgîtern sitzen ließen. Eine kçnigliche Ordonnanz vom 19. 12. 1673 autorisierte alle fremden Kaufleute, und besonders diejenigen aus den Vereinigten Niederlanden, in Frankreich freien Handel zu treiben, sofern sie Psse besßen und einen Taler Frachtsteuer pro Tonne entrichteten. Die direkten brandenburgisch-franzçsischen Handelsbeziehungen kamen fast vçllig zum Erliegen. Das Desaster htte kaum grçßer sein kçnnen. Viele franzçsische Kaufleute und Reeder standen vor dem Ruin, die wichtigste Tochtergesellschaft der Compagnie du Nord, die Compagnie privil¤gi¤e de Bordeaux, ging 1674 in Liquidation; die Muttergesellschaft, in Millionenhçhe verschuldet, konnte auch durch eine große Sanierungsaktion nicht vor dem Weg in die Bedeutungslosigkeit bewahrt werden. Einige Indizien lassen jedoch vermuten, daß der Zusammenbruch fast aller Handels- und Wirtschaftsprojekte Colberts durch den Hollndischen Krieg zwar beschleunigt, aber nicht verursacht wurde,252 weil der umtriebige Minister das Ganze doch etwas îberhastet und nicht ohne strukturelle Mngel auf den Weg gebracht hatte.

250 J. Kunisch, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 217), S. 25. Vertragstext: T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 212, S. 373 – 375. Zum Frieden von Vossem vgl. Alexander Koller, Die Vermittlung des Friedens von Vossem (1673) durch den jîlich-bergischen Vizekanzler Stratmann. Frankreich und Brandenburg zwischen dem Frieden von Aachen und der Reichskriegserklrung an Ludwig XIV. (1668 – 1674) (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 22), Mînster 1995. 251 ˜ber die brandenburgischen Beziehungen zu England in diesen Jahren unterrichtet die teilweise îberholte, aber noch nicht ersetzte Darstellung von Ferdinand Hirsch, Brandenburg und England 1674 – 1679, 2 Tle., Berlin 1898/1899, passim. 252 Vgl. K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 320.

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Als Ludwig erkannte, daß er den Kampf gegen die Koalition auf lange Sicht nicht erfolgreich beenden konnte, lenkte er ein. Im Friedensvertrag von Nimwegen 1678 garantierte Frankreich die gegenseitige Handelsfreiheit und nahm alle diskriminierenden Maßnahmen zurîck. Um den Stolz Ludwigs nicht zu verletzen, begnîgten sich die Niederlande hinsichtlich der Kampfzçlle von 1667 mit einer mîndlichen Zusage; tatschlich wurden die willkîrlichen Erhçhungen drei Wochen spter durch einen arrÞt de Conseil zurîckgenommen.253 Am Ende des Hollndischen Krieges, der „peut-Þtre la faute capitale du rºgne“ (Zeller) war, konnte man jedenfalls die Niederlande nicht zu den eigentlichen Verlierern zhlen. Friedrich Wilhelm von Brandenburg hatte sich 1674 erneut der antifranzçsischen Koalition der europischen Mchte angeschlossen. Mit seinem neuen Kurs, den er 1675 durch einen persçnlichen Besuch in den Niederlanden unterstrich,254 verfolgte er zwei Ziele: erstens wollte er mit dem Aufbau einer eigenen brandenburgischen Flotte beginnen, zweitens erhoffte er sich als Kriegsbeute Schwedisch-Pommern. Die Aussichten schienen im Verlauf des Krieges zu wachsen, denn nach seinem Sieg îber die von den Franzosen mobilisierten Schweden bei Fehrbellin 1675 gelang es dem Kurfîrsten, das schwedische Vorpommern zu erobern und die Hafenstadt Stettin im Januar 1678 zu besetzen. Im Hinblick auf die bevorstehenden Friedensverhandlungen erneuerte er sogar am 8. Mrz 1678 seine Defensiv-Allianz mit den Niederlanden um zehn Jahre.255 Dennoch bleibt es fraglich, ob der in erster Linie militrisch begrîndete Anspruch Friedrich Wilhelms auf ganz Vorpommern auch diplomatisch durchsetzbar war. Ernst Opgenoorth spricht sogar von einer „verfehlten Politik“ des Kurfîrsten hinsichtlich Pommerns.256 Die Ereignisse scheinen das zu besttigen: Trotz des Faustpfandes Stettin erteilte die franzçsische Diplomatie ihrem abtrînnig gewordenen Bîndnispartner auf dem Friedenskongreß von Nimwegen eine deutliche Lektion: Sie ließ ihren schwedischen Verbîndeten nicht im Stich und isolierte Friedrich Wilhelm von seinen Bundesgenossen, die sich îber seinen Kopf hinweg mit

253 Gaston Zeller, Les temps modernes, 2: De Louis XIV ” 1789 (= Pierre Renouvin [Hg.], Histoire des relations internationales, 3), Paris 1955, S. 49. 254 Van Amerongen, den er auf seinem Schloß besuchte, „had established friendly relations“ mit Friedrich Wilhelm, als er 1671/72 in Berlin mit ihm verhandelte (W. Troost, William III. … [s. Anm. 246], S. 313). 255 Vertragstext (Regest) bei T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 233, S. 402 – 404. 256 E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 196.

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Frankreich verstndigten,257 so daß er gezwungen war, im Frieden von SaintGermain-en-Laye (29. Juni 1679) Stettin und fast alle anderen Eroberungen wieder herauszugeben. Mit dieser Quittung dafîr, daß er „seine Mçglichkeiten îberschtzt und den bîndnispolitischen ˜berblick zeitweise verloren“ hatte,258 gab man ihm zugleich zu verstehen, daß er kînftig die diplomatischen Gegebenheiten besser zu respektieren habe; außerdem sollte er erkennen, daß bei der augenblicklichen politischen Großwetterlage irgendwelche Grenzkorrekturen nicht gegen Frankreich, sondern nur im Bunde mit dieser neuen europischen Hegemonialmacht zu erreichen waren. Um auch die Umgebung des Kurfîrsten davon zu îberzeugen, kehrte die franzçsische Monarchie nach 1678 zu ihrer traditionellen, wenn auch nicht immer erfolgreichen Praxis der Bestechung zurîck.259 Daß dennoch allein die Interessen Brandenburgs fîr diesen Kurswechsel ausschlaggebend waren, beweist die Argumentation des Kurfîrsten in einem Brief vom August 1679: Aus der in Nimwegen betriebenen Politik Frankreichs gehe eindeutig hervor, daß bei den derzeitigen Machtverhltnissen „keiner seine Sicherheit und Konvenienz finden wird als in Frankreichs Freundschaft und Allianz“. Im îbrigen gebe es keinen Grund gegenîber Frankreich „einige sonderliche Affektion zu haben“ und „dessen Vergrçßerung“ zu wînschen, „weil uns das franzçsische Joch wohl bekannt ist“, doch bliebe im Moment keine andere Wahl.260 IV. An der Seite Frankreichs (1679 – 1685) Nach dem Frieden von Saint-Germain, den der brandenburgische Kurfîrst als „die bitterste Niederlage seines Lebens“ empfand,261 leitete er sofort die Neuorientierung seiner Westpolitik ein: Da ihn Kaiser und Reich im Stich gelassen

257 K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 203), 1, S. 267, unterstreicht, daß sich Kaiser Leopold in dieser Situation durchaus bîndniskonform verhalten habe, so daß von „einem vieldiskutierten Verrat des Kaisers an Brandenburg … keine Rede sein“ kann. 258 Diese im Hinblick auf die zweite Feststellung etwas îbertriebene Auffassung vertritt G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 109; H. Duchhardt, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 10), S. 105, sieht im Friedensvertrag von Saint-Germain den „vielleicht wichtigsten seiner insgesamt acht Vertrge mit dem Sonnenkçnig“ – warum? 259 C.-G. Picavet, Diplomatie … (s. Anm. 216), S. 193. 260 Kurfîrst an Schwerin, 11. August 1679, UA … (s. Anm. 200), 19, S. 357. Dieser Brief Friedrich Wilhelms gilt als „eins der eindrucksvollsten Zeugnisse fîr seinen politischen Realismus und seine staatsmnnische Energie“ (Ferdinand Fehling, Frankreich und Brandenburg in den Jahren 1679 bis 1684. Beitrge zur Geschichte der Allianzvertrge des Großen Kurfîrsten mit Ludwig XIV., Leipzig 1906, S. 36). 261 K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 203), 1, S. 268.

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haben, mîsse man nun allein der Staatsrson folgen und handeln, „so viel unser eigen Interesse mit sich bringt“.262 1. Politik und Wirtschaft: Enttuschungen und Subsidien Noch am Vertragsort erhielten die brandenburgischen Unterhndler die Weisung, den Kurswechsel vorzubereiten und auf eine erneute vertragliche Bindung mit Frankreich hinzuarbeiten. Damit begann eine neue Phase brandenburgischer Orientierung nach Westeuropa.263 Maßgebend mitgestaltet wurde sie von dem Grafen de R¤benac, der vom Januar 1680 bis April 1688 den Posten eines franzçsischen Sondergesandten in Berlin bekleidete und das Vertrauen des Kurfîrsten genoß.264 Zu der vom Kurfîrsten und auch von Colbert erstrebten Erneuerung der politischen und wirtschaftlichen Verbindungen kam es jedoch nicht. Auch die fast vergessene Compagnie du Nord und andere Handelsprojekte wurden nicht wieder belebt, denn Ludwig XIV. war nicht noch einmal bereit, sich auf die unsicheren Plne Colberts einzulassen. Das Verhltnis zwischen beiden war infolge der im Grunde mißglîckten Anti-Holland-Politik merklich abgekîhlt, und schon lange vor seinem Tod (1683) spielte nicht mehr Colbert, sondern Louvois die dominierende Rolle im kçniglichen Rat.265 Die neue Grundeinstellung der franzçsischen Politik, bei allen Verhandlungen den wirtschaftlichen Bereich von dem politischen abzukoppeln, war fîr den brandenburgischen Kurfîrsten, dem die çkonomischen Fragen viel bedeuteten, sehr enttuschend. Er ließ deshalb in Paris eine ganze Reihe von Vorschlgen unterbreiten, die auf eine enge wirtschaftliche Kooperation hinausliefen.266 Doch die Zeiten waren andere geworden: „On parlera moins, 262 Kurfîrst an Schwerin, 11. August 1679, UA … (s. Anm. 200), 19, S. 357; E. Hinrichs, Preußen … (s. Anm. 2), S. 18, unterstreicht, daß der europisch orientierten Machtund Bîndnispolitik Friedrich Wilhelms „auch taktische Erwgungen im Sinne Machiavellis nicht fremd waren“. 263 Vgl. zu dieser Neuorientierung die aktengestîtzte Darstellung von F. Fehling, Frankreich … (s. Anm. 260), passim; Margarete Werners, Die Reichspolitik des Großen Kurfîrsten im Rahmen seiner europischen Politik von 1679 – 1684. Vom Frieden von Saint-Germain bis zum Regensburger Waffenstillstand, phil. Diss. Bonn, Dîsseldorf 1937. 264 Knappe Wîrdigung R¤benacs: Albert Waddington, Un m¤moire in¤dit sur la cour de Berlin en 1688, in: RH 78 (1902), S. 72 – 94, hier S. 72 f. 265 Vgl. Klaus Malettke, Jean Baptiste Colbert. Aufstieg im Dienst des Kçnigs (= Persçnlichkeit und Geschichte, 99/100), Gçttingen 1977, S. 102; G. Zeller, De Louis XIV. … (s. Anm. 253), S. 56. 266 Wie wichtig dem Kurfîrsten die Wiederanknîpfung wirtschaftlicher Beziehungen waren, zeigen die zwei Entwîrfe brandenburgisch-franzçsischer Handelsvertrge vom Sommer 1679, die er seinen Unterhndlern schickte (Erstpublikation von P. Boisson-

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beaucoup moins, de commerce et d’argent.“267 Dementsprechend wurden alle Vorschlge als unangemessen oder verfrîht abgelehnt, und die schließlich am 25. Oktober 1679 in Saint-Germain-en-Laye unterzeichnete Geheimallianz enthielt in kommerzieller Hinsicht lediglich die gegenseitige Zusicherung, daß den Untertanen gestattet werde, „exercer en toute libert¤ le commerce“ sowohl in den Lndern der Vertragspartner als auch „dans les havres et ports, qui leurs appartiennent“.268 Damit verlagerten sich die Beziehungen Brandenburgs zu Westeuropa schwerpunktmßig wieder auf den politischen Bereich. Daß der Kurfîrst in seiner Enttuschung îber den Frieden im neuen Bîndnisvertrag einige Klauseln akzeptierte, die reichsrechtlich nicht unbedenklich waren, macht deutlich, wie weit sich die kurbrandenburgische Politik „aus dem traditionellen Rahmen reichspatriotischer Formeln und Gefîhle entfernt“ hatte.269 Da Friedrich Wilhelm von jeher „in erster Linie auf Erweiterung und Strkung des eigenen Staates bedacht gewesen“ war, hatte das reichspolitische Interesse zwar niemals allein seine Politik bestimmt, doch der Bîndniswechsel fîhrte auch zu einer vçlligen ønderung der kurfîrstlichen Reichspolitik.270 Aber die Folgen waren noch weitreichender: Im Gesamtgefîge der europischen Bîndniskonstellationen bedeutete die neue Allianz „une v¤ritable r¤volution diplomatique“,271 welche die Vertragspartner sogar vor R¤benac, dem kînftigen franzçsischen Gesandten in Berlin, geheimhalten wollten. Deshalb sollte der Kurfîrst die Ratifikationsurkunde direkt an eine Deckadresse nach Paris schicken „sous le couvert de Nicolas Formont“, seinem altvertrauten Einkufer aus frîheren Tagen.

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nade, Histoire … [s. Anm. 85], S. 447 – 453: Anlagen XX und XXI). Selbst Kolonialfragen wollte Friedrich Wilhelm darin berîcksichtigt sehen. An dieser kategorischen Ablehnung, die aus der in franzçsischer Sicht geringen çkonomischen Potenz Brandenburgs resultierte, hielt der Kçnig trotz der Umstimmungsversuche des Kurfîrsten (auch durch Geschenke), Colberts und der Brîder Formont auch in spteren Jahren fest: „Louis XIV, au contraire, rel¤guait tout ” fait ” l’arriºre-plan ces pr¤occupations d’ordre ¤conomique“ (P. Boissonnade, Histoire … [s. Anm. 85], S. 275). Vertragstext bei T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Anhang Nr. V, S. 704 – 708, Artikel 2: S. 704. E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 209. Da der „Reichspatriotismus“ des Großen Kurfîrsten ganz wesentlich von den jeweiligen politischen Gegebenheiten abhngig war und hinter dem eigenen Staatsinteresse zurîckstand, wird man der vorsichtigen Formulierung zustimmen kçnnen, daß „reichspatriotische Elemente in seiner Politik nicht zu îbersehen“ sind (W. Neugebauer, Hohenzollern … [s. Anm. 16], S. 180). Vgl. dazu M. Werners, Reichspolitik … (s. Anm. 263), S. 2 f. A. Waddington, M¤moire … (s. Anm. 364), S. 73.

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˜ber seinen Bruder Pierre Formont lief bald – wie schon in frîheren Jahren – die ebenfalls vereinbarte jhrliche Subsidienzahlung von 100 000 Livres.272 Fîr Brandenburg war diese Summe weder ein „geringer Betrag“ (Opgenoorth) noch ein „Spottgeld“ (Fehling), sondern „ein Liquiditts- und Investitionsfaktor von hoher Bedeutung“.273 Um auf der europischen Bîhne in militaribus et causis externis wenigstens eine bescheidene Rolle spielen zu kçnnen, mußte Friedrich Wilhelm – gestîtzt auf eine stndeunabhngige Finanzierung der aus mchte- und geopolitischen Grînden erforderlichen Militrprsenz – auch in Friedenszeiten einen miles perpetuus aufrechterhalten kçnnen. Obwohl sich die Staatseinnahmen unter Friedrich Wilhelm etwa verdreifachten, war die Aufstellung eines „stehenden Heeres“ ohne finanzielle Zuschîsse von auswrtigen Mchten, sogenannte Subsidien, nicht mçglich. Gelten Subsidienbîndnisse mit anderen Kronen ganz allgemein als „A und O der Außenpolitik des Kurfîrsten“,274 waren entsprechende Vertrge mit dem zahlungskrftigen Frankreich besonders willkommen. Eine franzçsische Subsidienzahlungen an Brandenburg wurde erstmals im Vertrag vom 31. Dezember 1669 vereinbart. Seitdem gehçrten diese Zahlungen in wechselnder Hçhe zum festen Bestandteil aller franzçsisch-brandenburgischen Vertrge bis 1683. Ohne diese Finanzhilfe htte Friedrich Wilhelm, darîber ist sich die Forschung einig, seine Armee reduzieren mîssen. ˜ber die tatschlich erfolgten Zahlungen, die hufig in vertraglich festgelegten Monatsoder Jahresraten erfolgen sollten, und die dabei îblichen Modalitten ist kaum etwas bekannt; nachstehend werden daher nur die Betrge mitgeteilt, um einen Hinweis auf die Grçßenordnung der franzçsischen Subsidien zu geben. Georges Pagºs hat berechnet, daß Frankreich von 1668 bis 1688 an Brandenburg insgesamt vier Millionen livres îberwiesen haben soll.275 Andererseits unterstrich er den Vorrang der Politik: Obwohl die „n¤cessit¤ des subsides“ zweifellos zu den wichtigsten Entscheidungsgrundlagen des Kurfîrsten gehçrt habe, war sie „presque jamais la principale“.276 Ob durch die Abkoppelung von Wirtschaftsfragen in dem Vertrag vom Oktober 1679 der îbliche Warenaustausch merklich beeintrchtigt wurde, darf bezweifelt werden, weil sich die Warenstrçme in der Regel ihre Wege eigenstndig und ohne politische Begleitmusik suchen. Auch in der Zeit der brandenburgisch-franzçsischen Allianzen dîrften hollndische Schiffe das brandenburgische Im- und Exportge272 G. Pages, Frºres Formont … (s. Anm. 225), S. 297 f. 273 Vgl. die Nachweise bei G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 109. 274 H. Duchhardt, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 10), S. 98 – 101, S. 105 f. „Eine Armee auf den Beinen behalten“ wîrde „bei dem erschçpften Zustand unserer Lnder […] unmçglich fallen, wo es nicht durch Subsidien von Frankreich geschieht“, schrieb Friedrich Wilhelm an Schwerin am 11. 8. 1679, UA … (s. Anm. 200), 19, S. 357. 275 Mitgeteilt von C.-G. Picavet, Diplomatie … (s. Anm. 216), S. 194. 276 G. Pages, Grand Ãlecteur … (s. Anm. 208), S. 607.

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Tabelle 2: Franzçsische Subsidienzahlungen an Brandenburg 1669-1683 Vertrag*

Jahresbetrag

Dauer

31.12.1669 6. 6.1673 25.10.1679 11. 1.1681 22. 1.1682 30. 4.1683 25.10.1683

120.000 800.000 100.000 300.000 400.000 900.000 500.000

10 Jahre 6 Jahre 10 Jahre 10 Jahre 10 Jahre*** unbestimmt+ 4 Jahre

livres** livres livres livres livres livres livres

* Alle Texte bei T. v. Moerner, Staatsvertrge … (s. Anm. 3); es sind – in chronologischer Reihenfolge – die Stîcke Nr. 193 (Regest)/Anh. II(Text), Nr. 212 (T), Nr. 240 (R)/Anh. V (T), Nr. 243 (R)/Anh. VI (T), Nr. 247 (R)/Anh. VII (T), Nr. 257 (R)/Anh. IXa (T) und Nr. 258 (R)/Anh. X (T). Die Seitenzahlen werden bei der Erçrterung der einzelnen Vertrge genannt. ** In den Vertrgen von 1669, 1681 und vom April 1683 werden die Betrge in „¤cus“ angegeben; man erhlt den øquivalenzwert in „livres“, indem man mit drei multipliziert. *** An die Stelle der jhrlichen „Friedenssubsidien“ von 400.000 livres sollten im Kriegsfall 300.000 ¤cus (= 900.000 livres) treten. + Dieser Vertrag wurde von Ludwig XIV. nicht ratifiziert (siehe unten § 2 IV 3); auch die Zahlung der erhçhten Kriegssubsidien in Friedenszeiten lehnte er ab (M. Werners, Reichspolitik … [s. Anm. 99], S. 103). Quelle: Eigene Zusammenstellung.

schft erledigt haben. Trotz der Zurîckhaltung Frankreichs in wirtschafts- und handelspolitischer Hinsicht war die 1679 vertraglich fixierte Neuorientierung Brandenburgs von fundamentaler Bedeutung. Sie brachte nicht nur das europische Mchtekonzert erheblich durcheinander; zugleich hat sie die Stellung des Kurfîrsten „in Deutschland und Europa ungemein gefestigt“, denn mit dem Oktobervertrag konnte er „nach vçlligem politischen Bankrott […] wieder zu einer aktiven auswrtigen Politik îbergehen“.277 Damit begann eine neue Phase der franzçsisch-brandenburgischen Kooperation, die rund fînf Jahre dauern sollte. Daß Friedrich Wilhelm in dieser Zeit „l’alli¤, le pensionnaire et presque le vassal de Louis XIV“ gewesen sein soll,278 wird man aus der spezifischen Interessenlage Brandenburgs heraus zwar etwas differenzierter sehen mîssen, aber andererseits gibt es keinen Zweifel, daß die franzçsischen Bestechungsgelder in diesen Jahren reichlich flossen: Zwischen 1680 und 1684 „une pluie d’or s’abbatit sur l’entourage du Grand Ãlecteur“: auch dessen Botschafter in Paris, Spanheim, erhielt ein Geldgeschenk von 2.000 Talern vom franzçsischen Staatssekretr des øußeren, Colbert de Croissy.279 277 F. Fehling, Frankreich … (s. Anm. 260), S. 47. 278 So A. Waddington, M¤moire … (s. Anm. 264), S. 73. 279 Vgl. C.-G. Picavet, Diplomatie … (s. Anm. 216), S. 193 f.

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Tabelle 3: Brandenburgische Empfnger franzçsischer Bestechungsgelder (1680-1684) Meinders:* Fuchs: Grumbkow: Jena: Mlle. de Wangenheim:** Cornmesser:***:

45.500 livres in 6 Raten 36.500 „ „ 6 „ 18.000 „ „ 3 „ 18.000 „ „ 3 „ 15.000 „ „ 5 „ 5.400 „ „ 4 „

* Der in Berlin umlaufende Verdacht, daß Meinders von Frankreich seit 1679 „grçßere Summen“ erhalten habe, um die brandenburgische Politik zu beeinflussen (mitgeteilt von Hugo Rachel / Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648-1806. Neu hg. v. Johannes Schultze / Henry C. Wallich / Gerd Heinrich, Berlin 1967 [Erstauflage 1938], S. 107), war also berechtigt. ** Die letzten zwei Raten von je 3.000 livres gingen an Herrn Perbandt, den die Vertraute des Kurfîrsten inzwischen geheiratet hatte. *** Cornmesser war Kammerdiener des Kurfîrsten. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach der Aufzeichnung von R¤benac vom 15. Mai 1684, in: UA … (s. Anm. 200), 20, S. 897-900.

Da Ludwig XIV. wegen seiner 1679 beginnenden Reunionspolitik europaweit angefeindet wurde, war der Brandenburger ein willkommener Bundesgenosse, den er sich – abgesehen von den erwhnten Subsidien – auch etwas kosten ließ. Von Mrz 1680 bis Mrz 1684 verteilte R¤benac „gratifications“ von insgesamt 172.000 livres an die Mitarbeiter des Kurfîrsten. In diesen vier Jahren erhielten, und zwar ausdrîcklich „par ordres du roi“: Kleinere Betrge wurden anderen Bediensteten ausgezahlt, etwa 400 livres fîr die „commis“ von Meinders oder 3.600 livres an acht oder neun „mains“ im Umfeld des Kurfîrsten und seiner Minister. Einmal gab es 1.500 livres „” MM. Meinders et Fuchs et ” leurs femmes“, ein andermal ein Geschenk fîr den Kurprinzen oder fîr die Kurfîrstin. Whrend R¤benac fîr den April 1681 nur notiert hat, daß er „deux secr¤taires“ 2.000 livres zukommen ließ, nennt er im Mrz 1684 die Namen der zwei Sekretre Ilgen und Stossius, die je 1.000 livres bekamen. Ilgen, von dem im folgenden Kapitel noch zu sprechen sein wird,280 war seit seiner Ernennung zum Geheimen Kammersekretr (1683) auch mit geheimen auswrtigen Angelegenheiten befaßt.281 Daß sich Ludwig „gute Wirkung von den Gratifikationen“ versprach, gab er unumwunden zu.282 Auch andere, zum Teil sehr kostbare Geschenke ließ der Sonnenkçnig in dieser Phase der engen brandenburgisch-franzçsischen entente der kurfîrstli280 S. u. S. 551 (Anm. 439) und S. 562 (Anm. 482). 281 Vgl. Peter Baumgart, Heinrich Rîdiger von Ilgen (ca. 1654 – 1728), in: Westflische Lebensbilder, 7 (= VerçffHistKommWestf, XVII A), Mînster 1959, S. 61 – 82, hier S. 62. Ilgen wurde 1683 die preußische und polnische Kanzleiexpedition îbertragen. 282 Z. B. in seinem Brief an R¤benac vom 19. April 1681, UA … (s. Anm. 200), 20, S. 548.

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chen Familie zukommen: Im Oktober 1683 schickte er der Kurfîrstin Dorothea, die man schon beim Kurswechsel von 1679 einer Bestechung durch Frankreich verdchtigt hatte, zwei Gobelins im Werte von 60.000 livres, die wegen der begrenzten Kapazitten der Kçniglichen Gobelinmanufaktur ein „cadeau diplomatique exceptionel“ waren.283 2. Kooperation und Konkurrenz im kolonialen Bereich Weil der Kurfîrst zu dieser Zeit ein etwas heikles Unternehmen gegen Spanien plante, hatte er ein starkes Interesse an franzçsischer Rîckendeckung. Er wollte rîckstndige Subsidien in Hçhe von 1,8 Millionen Talern284 durch Kaperung spanischer Handelsschiffe eintreiben. Ludwig ging darauf ein und war sogar bereit, entsprechende Zusagen in den kînftigen Bîndnisvertrag aufzunehmen. Niemand konnte voraussehen, daß die mit gemieteten Schiffen unternommene brandenburgische Strafexpedition Erfolg haben wîrde: Das voll beladene Handelsschiff „Carolus secundus“ wurde im September 1680 geentert, erobert und als Prise nach Pillau gebracht. Nach dem Verkauf der Beute285 wurde das Schiff umgetauft und als „Markgraf von Brandenburg“ der kurfîrstlichen Flotte einverleibt – niemals zuvor war den Brandenburgern ein derart spektakulrer Gewinn aus Westeuropa zugefallen.286 Trotzdem erreichte der Verkaufserlçs von etwa 100.000 Talern bei weitem nicht die Hçhe der spanischen Subsidienschulden. Daß dieser Kaperkrieg mit Billigung Frankreichs stattfand, zeigt der Artikel 20 des brandenburgisch-franzçsischen Defensiv-Vertrages vom 11. Januar 1681,287 in dem die brandenburgische Kaperpolitik ausdrîcklich als legitimes Mittel bezeichnet wurde, um „le payement des subsides retard¤s et autres pre283 Isabelle Richefort, Presents diplomatique et diffusion de l’image de Louis XIV, in: Lucien Bely (Hg.), L’invention de la diplomatie. Moyen Age – Temps modernes, Paris 1998, S. 263 – 279, hier S. 270 f. 284 Grundlage der ausgebliebenen Zahlungen war der am 1. Juli 1674 abgeschlossene Subsidientraktat. Vertragstext (Regest): T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 218, S. 383 – 385. 285 Daß der Kurfîrst mit dem Verkauf den in Kçnigsberg ansssigen Niederlnder Wybrant von Workum beauftragt hatte, fîhrte zum Protest der einheimischen Kaufleute, vgl. F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 523. 286 Zum brandenburgischen Kaperkrieg vgl. Ilja Mieck, David und Goliath. Frankreich und Brandenburg als koloniale Konkurrenten zur Zeit Ludwigs XIV., in: Winfried Engler (Hg.), Frankreich an der Freien Universitt (= Zeitschrift fîr romanische Sprache und Landeskunde, Beiheft 23), Stuttgart 1997, S. 36 – 56, hier S. 41 – 43. 287 Abdruck des Vertrages: T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Anhang Nr. VI, S. 708 – 715, Art. 20: S. 712 f. Die Zitate nach der verbesserten Fassung der vier franzçsisch-brandenburgischen Vertrge von 1681, 1682, 1683 (2), die G. Pages, Grand Ãlecteur … (s. Anm. 208), Appendix IV, S. 623 – 643, publiziert hat. Artikel 20: ebd., S. 629 f.

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tentions legitimes et incontestables“ sicherzustellen. Auch die Mçglichkeit, nach der „Carolus Secundus“ noch andere spanische Schiffe wegzunehmen, gestand der Vertrag dem Kurfîrsten zu. Sollten „pareilles ex¤cutions ” l’avenir, soit par terre, soit par mer“ von den Spaniern als „un acte d’hostilit¤ et une rupture“ und damit als Kriegsgrund angesehen werden, verpflichtete sich Ludwig, dem Kurfîrsten zu Hilfe zu eilen und seinen Schiffen und ihren Besatzungen „une entr¤e libre dans ses ports et une retraite assur¤e dans ses propres Etats“ zu gewhren. Eine wohlwollendere Haltung der franzçsischen Regierung htte sich Friedrich Wilhelm kaum wînschen kçnnen. Dementsprechend setzte Brandenburg 1681 seinen frechen Kaperkrieg unverdrossen fort, freilich mit erheblich geringerem Erfolg.288 Im îbrigen hielt sich auch der Vertrag von 1681 an die neue Leitlinie: Im wirtschaftlichen Bereich besttigte er lediglich „la mÞme libert¤ de commerce entre leurs sujets“.289 Bedenkt man die diplomatischen Vorteile, die beide Seiten aus diesem Vertrag zogen, wird man die Auffassung, das Bîndnis von 1681 als „den Hçhepunkt der brandenburgischen Abhngigkeit von Frankreich“ anzusehen,290 nicht unbedingt teilen mîssen. Der eigentliche Motor der brandenburgischen Kolonialpolitik war der Niederlnder Benjamin Raule, den Friedrich Wilhelm zu seinem Marinedirektor machte. Ende 1681 stellten beide fest, daß der Plan, durch weitere Kaperaktionen spanische Subsidienrîckstnde einzutreiben, zu kostspielig und zu risikoreich war. Da diese Form der Schuldeneintreibung auch dem internationalen Ansehen des Kurfîrsten nicht eben fçrderlich war, verzichtete man kînftig darauf. Das Thema blieb aber im Verhltnis zu Spanien immer prsent, bis zu seinem Tode soll Friedrich Wilhelm immer wieder, wenn auch vergeblich, die Spanier an seine Ansprîche auf „trente ou quarante tonnes d’or“ erinnert haben.291 Der Verzicht auf die Kaperfahrten ist wahrscheinlich durch die Aussicht auf andere erfolgversprechende maritim-koloniale Projekte erleichtert worden.292 288 Vgl. Richard Schîck, Brandenburg-Preußens Kolonial-Politik unter dem Großen Kurfîrsten und seinen Nachfolgern (1647 – 1721), 2 Bde., Berlin 1889, hier 1, S. 118 – 120. 289 T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Anhang Nr. VI, S. 708 – 715, Art. 1: S. 709. 290 E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 212. 291 A. Waddington, M¤moire … (s. Anm. 264), S. 81 (mit Anm. 5). 292 Eine neuere Darstellung der brandenburgischen Kolonialpolitik bietet (unter Berîcksichtigung bisher nicht benutzter Archivalien) Hans-Georg Steltzer, „Mit herrlichen Hfen versehen.“ Brandenburgisch-preußische Schiffahrt vor dreihundert Jahren, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981. Eher populrwissenschaftlich dagegen Ulrich van der Heyden, Rote Adler an Afrikas Kîste. Die brandenburgisch-preußische Kolonie Großfriedrichsburg an der westafrikanischen Kîste, Berlin 1993, Neuauflage (Berlin 2001).

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Als zwei von Benjamin Raule ausgerîstete und finanzierte, aber unter brandenburgischer Flagge fahrende Schiffe im Januar 1681 an der Guinea-Kîste auftauchten, kam es zu einer ernsten Auseinandersetzung mit einer anderen westeuropischen Kolonialmacht. Die Niederlande behaupteten, daß der Handel an der gesamten Guinea-Kîste allein der Niederlndisch-Westindischen Kompanie zukme. Demgegenîber vertrat der brandenburgische Kurfîrst eine andere Meinung: „Die Freiheit der Schiffahrt und Handlung in der offenbaren See (= internationale Gewsser) und mit deren accolis (= Anrainern) ist in der Natur und aller Vçlker Recht fundiert und von den Generalstaaten selbst und ihren verstndigsten und gelehrtesten Bedienten in Schriften und Bîchern behauptet und in der Tat selbst glîcklich exerziert worden.“ Weitere Erfolge in diesem Bereich, so belehrte der calvinistische Kurfîrst seine niederlndischen Glaubensbrîder, werden aber „von Gott am meisten zu hoffen sein, wenn man seinem Nchsten auch ein Stîcklein und Teil davon gçnnt und sich nicht unterfngt, alles, was Gott und die Natur gemein gemacht, an sich allein zu ziehen“.293 Diese kîhnen Worte, mit denen der Kurfîrst auf die berîhmte Schrift des Niederlnders Hugo Grotius îber die Freiheit der Meere anspielte, halfen den brandenburgischen Schiffen im fernen Afrika wenig. Der Segler „Wappen von Brandenburg“ wurde von der niederlndisch-westindischen Kompanie aufgebracht; man konfiszierte Schiff und Ladung und internierte Kapitn und Mannschaft. Die Verhandlungen îber die Rîckgabe des Schiffes „cum omni causa et damno“294 zogen sich – parallel zum spanischen „Carolus Secundus“ – jahrelang hin.295 Bald sollte noch ein drittes Verhandlungsobjekt hinzukommen: Die von Frankreich im Januar 1685 beschlagnahmte Fregatte „Morian“.296 Die Erfahrungen der ersten Afrikareise machten dem Kurfîrsten klar, daß man weitere Expeditionen besser vorbereiten mußte. Da ein militrischer Schutz durch Kriegsschiffe nicht mçglich war, versuchte Friedrich Wilhelm, seine kolonialen Projekte vorher diplomatisch abzusichern. Als Verhandlungspartner bot sich wiederum der franzçsische Kçnig an, der wegen seiner rigorosen Reunionspolitik und der Annexion Straßburgs (1681) in eine politische Isolierung geraten war. Es gelang dem Kurfîrsten, seine Kolonialinteressen in die laufenden Bîndnisverhandlungen einzubringen, weil Ludwig ihn in dieser fîr ihn hochwichtigen Angelegenheit nicht verprellen wollte. Die am 22. Januar

293 Resolution des Kurfîrsten, 10. 12. 1680, UA … (s. Anm. 200), 21, S. 31. 294 Kurfîrst an Dietz, 27. 8. 1681 (ebd., S. 41). 295 Zu den Verhandlungen îber das Schiff „Wappen von Brandenburg“ vgl. auch W. Troost, William III. … (s. Anm. 246), S. 317 – 319, S. 322, S. 328 f. 296 Vgl. I. Mieck, David … (s. Anm. 286), S. 52 – 54.

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1682 unterzeichnete „Modifizierte resp. erluterte geheime Defensiv-Allianz“297 verpflichtete im Artikel 8 den franzçsischen Kçnig, Friedrich Wilhelm im Falle eines Angriffs Hilfe zu leisten, auch wenn dieser, um das ihm rechtmßig Zustehende zu erreichen, ungewçhnliche Wege beschritten haben sollte. Spanische oder niederlndische Feindseligkeiten, soweit sie als Antwort auf kurfîrstliche Strafexpeditionen anzusehen waren, mußten demnach zum Bîndnisfall fîhren. Damit nicht genug: In Artikel 9 gewhrte Frankreich den kurfîrstlichen Schiffen weiterhin Zutritt und Zuflucht („l’entr¤e et la retraite libre et assur¤e“) in all seinen Hfen, „tant en Europe qu’ailleurs“. Außerdem hieß es im gleichen Artikel, daß der Kurfîrst „a fait establir depuis quelque temps une certaine compagnie qui sous son octroy et sous son pavillon trafique sur les costes d’Affrique en Guin¤e et ailleurs“, allerdings nur in solchen Gegenden, „o· la France ny aucune autre puissance n’ont ny forts ny Colonies“. Im Gegenzug versprach der franzçsische Kçnig „toutes sortes de faveurs, protection et assistance ” cette compagnie, en cas qu’elle ou ses vaisseaux, fussent attaqu¤s ou insult¤s injustement, et contre le droit des gens, de qui que ce soit, et sous quelque pretexte que ce p•t estre“.298 Damit hatte Friedrich Wilhelm nicht nur die Billigung, sondern auch die Unterstîtzung seiner (erst sechs Wochen spter gegrîndeten) „Handels-Compagnie auf den Kîsten von Guinea“ durch Frankreich vorab erreicht. Er hatte allen Grund, mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden zu sein, brachte es doch die strkste Kontinentalmacht Europas, die zudem zu den etablierten Koloniallndern gehçrte, auch in dieser, ihm besonders wichtigen Angelegenheit an seine Seite. Die 1682 getroffenen Abmachungen mit Ludwig XIV. haben erheblich zur Verstrkung und Beschleunigung der ˜bersee-Plne Friedrich Wilhelms beigetragen, die schließlich am 1. Januar 1683 zur offiziellen Grîndung der brandenburgischen Niederlassung Groß-Friedrichsburg an der Guinea-Kîste fîhrten.299 Will man das westeuropische Engagement des brandenburgischen Kurfîrsten historisch gerecht beurteilen, darf man seine kolonialpolitischen Ambitionen nicht îbersehen. Da ihm diese Dinge sehr am Herzen lagen, genîgt es nicht, seine Bîndnispolitik nur an der europischen Großwetterlage und an den gewhrten Subsidien zu messen – so wichtig diese auch waren. Auch die ˜bersee-Projekte gehçrten zu dem anspruchsvollen Versuch, das Land Brandenburg aus der politischen, militrischen und wirtschaftlichen Mittelmßigkeit

297 Gedruckt von T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Anhang VII, S. 715 – 718, Art. 8: S. 717 f., und in verbesserter Fassung von G. Pages, Grand Ãlecteur … (s. Anm. 208), S. 633 – 637. 298 Ebd., S. 718 beziehungsweise S. 637 (Art. 9). 299 Vgl. I. Mieck, David … (s. Anm. 286), S. 47 f.

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herauszufîhren, um den Machenschaften der Großmchte nicht lnger tatenlos zusehen zu mîssen. 3. Beginnende Neuorientierung (West- und Mitteleuropa) Entscheidend fîr das politische Handeln Friedrich Wilhelms war die brandenburgisch-preußische Staatsrson; er fîhrte „keine deutsche, sondern eine Politik brandenburgisch-hohenzollerischer Interessenwahrung“.300 Sie resultierte aus den jahrzehntelangen Erfahrungen im europischen Mchtespiel: „Der schwedisch-polnische Krieg war die hohe politische und kriegerische Schule des Kurfîrsten von Brandenburg gewesen, in der er gelernt hatte, nach der ,Raison’ seines Staates zu handeln“;301 ein Vierteljahrhundert spter schreckte er nicht davor zurîck, sich mit dem allenthalben angefeindeten, doch îbermchtigen Frankreich zu verbînden. Die Begrîndung war eindeutig: Weil Kaiser und Reich Brandenburg „abandonniert und unserer Feinde Willen îberlassen“, mîsse man nunmehr handeln, „so viel unser eigen Interesse mit sich bringt.“302 Betrachtet man die machiavellistischen Usancen der anderen Staaten und nicht zuletzt Frankreichs in dieser Zeit, scheint die Behauptung, daß „die Wîrdelosigkeit des Brandenburgers gegenîber Ludwig XIV. […] in dieser Zeit keine Grenzen“ kannte,303 kaum begrîndet. Mehrere Grînde fîhrten seit 1683 zu einer Abkîhlung der Beziehungen zwischen Frankreich und Brandenburg-Preußen. Das lag weniger am Scheitern zweier Kolonialprojekte, die der Kurfîrst in Verbindung mit Frankreich favorisiert hatte,304 sondern vor allem daran, daß er seinem Hauptziel, den Schweden Pommern abzunehmen, trotz des Bîndnisses mit dem Sonnenkçnig keinen Schritt nhergekommen war. Im April 1683 schien ihm die Realisierung dieses Projekts in greifbare Nhe gerîckt. Einem am 30. April geschlossenem Offensiv- und Defensivbîndnis mit Frankreich folgte am gleichen Tage eine franzçsisch-dnisch-brandenburgische Allianz gegen Schweden, in der dem Kurfîrsten als eventuelle Kriegsbeute „das ganze Herzogtum Vorpommern nebst Stralsund und der Insel Rîgen“ zugesichert wurde.305 Es stellte sich aber sehr schnell heraus, daß Frankreich dem 300 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 16), S. 180. 301 Carl Hinrichs, Das Reich und die Territorialstaaten im Zeitalter des Absolutismus. 1648 – 1786, in: Peter Rassow (Hg.), Deutsche Geschichte im ˜berblick, Stuttgart 31973, S. 318 – 357, hier S. 325. 302 Kurfîrst an Schwerin, 11. 8. 1679, UA … (s. Anm. 200), 19, S. 357. 303 K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 203), 1, S. 409, Anm. 14. Eine fast gleichlautende Formulierung ebd., S. 283. 304 Vgl. I. Mieck, David … (s. Anm. 286), S. 48 – 50. 305 Die beiden Vertrge bei T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Anhang Nr. IX, S. 721 – 731, das Zitat S. 728. Der Vertrag mit Frankreich bei G. Pages, Grand Ãlecteur … (s. Anm. 208), S. 638 – 640.

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Brandenburger nur aus taktischen Grînden (zeitweilige diplomatische Isolierung und Anerkennung der Reunionen) so weit entgegengekommen war. Als man Friedrich Wilhelm auf dem europischen Schachbrett nicht mehr bençtigte, lehnte Ludwig XIV. die Ratifizierung beider Vertrge kurzerhand ab.306 Auch alle weiteren diplomatischen Fîhlungnahmen in dieser Richtung ließ der franzçsische Kçnig ins Leere laufen, so daß Friedrich Wilhelm sein Lieblingsprojekt schließlich aufgab; er begriff endlich, „daß Frankreich ihn nie gegen Schweden unterstîtzen wîrde und nicht das geringste Interesse an einer brandenburgischen Machterweiterung im Norden hatte“.307 „Pommern war nicht zu erringen“, so kommentierte Carl Hinrichs die verfehlte Pommern-Politik Friedrich Wilhelms, „bevor nicht die franzçsische Vormacht gebrochen war: die Frucht dieser Erkenntnis erntete der Enkel des Großen Kurfîrsten.“308 Erneut hatte der Brandenburger die ˜berlegenheit der franzçsischen Diplomatie zu spîren bekommen, diesmal nicht als Verlierer, sondern als Bundesgenosse. Trotz seiner Verbitterung und der tief sitzenden Enttuschung reagierte er gelassener als 1679: Zu einem offenen Bruch mit Frankreich ließ er es nicht kommen. Eine gewisse innere Reserve Friedrich Wilhelms war schon beim Abschluß des Vertrages vom 25. Oktober 1683309 spîrbar, der fîr lange Zeit der letzte war, der zwischen Brandenburg und Frankreich vereinbart wurde. Er setzte zugleich einen Schlußpunkt unter eine nur wenige Jahre unterbrochene Zusammenarbeit, die 1656 begonnen hatte. Sie war zwar keineswegs problemlos verlaufen, bildete aber fîr die Beziehungen Brandenburgs zu Westeuropa îber viele Jahre hinweg eine feste Grçße. V. Das Edikt von Potsdam – eine europische Entscheidung 1. Konfession und Politik Whrend Nord- und große Teile Mitteleuropas protestantisch geworden und das sîdliche Europa katholisch geblieben war, gab es in weiten Bereichen Westeuropas eine konfessionell gespaltene Bevçlkerung. Whrend in England der landeskirchlich orientierte Anglikanismus dominierte und in den Nieder306 Vgl. zu diesem Komplex M. Werners, Reichspolitik … (s. Anm. 263), S. 99 – 104. 307 Ebd., S. 103. 308 Carl Hinrichs, Der Große Kurfîrst. 1620 – 1688, in: Ders., Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen (= VerçffHistKommBerlin, 10), Berlin 1964, S. 227 – 252, hier S. 252. 309 Vertragstext: T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Anhang Nr. X, S. 731 – 734 (Regest: ebd., Nr. 263, S. 450 f.) und G. Pages, Grand Ãlecteur … (s. Anm. 208), S. 640 – 644. Zum Inhalt dieses Vertrages vgl. E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 253.

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landen Lutheraner, Reformierte und Katholiken recht gut miteinander auskamen, lebten die franzçsischen Calvinisten, meist Hugenotten genannt, unter dem Schutz des Toleranzedikts von Nantes, das ihnen Heinrich IV., ein ehemaliger Glaubensbruder, 1598 zugestanden hatte.310 Nachdem schon Richelieu die politischen Sonderrechte der Hugenotten beschnitten hatte, steuerte Ludwig XIV. seit etwa 1670 einen immer repressiver werdenden Kurs, der auf eine Realisierung der alten Devise „Un roi, une loi, une foi“ hinauslief.311 Aus Grînden, îber die sich die Forschung bis heute nicht ganz einig ist, verfîgte Ludwig XIV. schließlich den Widerruf des Edikts von Nantes. Dies geschah am 18. Oktober 1685 durch das Edikt von Fontainebleau, das von allen Hugenotten den ˜bertritt zum Katholizismus verlangte. Nur die Prediger sollten das Land binnen zwei Wochen verlassen dîrfen. Weder die Hugenotten noch der brandenburgische Kurfîrst sind durch diese Maßnahme îberrascht worden. Da die Hohenzollern 1614 zum Calvinismus îbergetreten waren und Friedrich Wilhelm aufgrund seiner tiefen Religiositt echtes Mitgefîhl gegenîber seinen Glaubensbrîdern empfand, hat er schon frîhzeitig gegen die zunehmenden Verfolgungen protestiert. Fîr die brandenburgisch-franzçsischen Beziehungen brachte dieser Konflikt eine weitere Belastung. R¤benac faßte in einem spteren Bericht den Sachverhalt treffend zusammen: „Les affaires de la Religion ont entiºrement ¤teint l’inclination que Mr l’Ãlecteur s’accoutumoit depuis quelque temps ” avoir pour la France“.312 Diese Feststellung zielte nicht nur auf den Widerruf des Edikts von Nantes, sondern auch auf die Zeit davor, in der die antihugenottischen Maßnahmen einen solchen Umfang erreichten, daß die Huser der brandenburgischen Vertreter Spanheim und Beck in Paris zeitweise Flîchtlingslagern glichen.313 2. Der erneute Kurswechsel Brandenburgs Das Edikt von Potsdam vom 6. November 1685,314 mit dem Friedrich Wilhelm die flîchtigen Hugenotten einlud, sich in seinen Territorien niederzulassen, entsprang keiner spontanen Eingebung, sondern war Teil der grundlegenden 310 Neue Wîrdigung des Edikts von Nantes in seinem historischen Kontext: Ilja Mieck, Das Edikt von Nantes und das Problem der Toleranz in Europa, in: Andreas Flick / Albert de Lange (Hg.), Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 35), Bad Karlshafen 2001, S. 169 – 188. 311 Immer noch nîtzlich ist die knappe ˜bersicht von Daniel Ligou, Le protestantisme en France de 1598 ” 1715 (= Regards sur l’histoire, vol. 4), Paris 1968. 312 A. Waddington, M¤moire … (s. Anm. 264), S. 76. 313 P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 303. 314 Nach dem in Frankreich gîltigen Gregorianischen Kalender. Das entsprechende Datum in Brandenburg-Preußen, in dem noch der „Alte Stil“, also der Julianische Kalender, galt, war der 25. Oktober 1685.

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Neuorientierung der brandenburgischen Außenpolitik, die ganz im stillen lngst eingeleitet worden war: Seit Ende 1682 verhandelte man mit den Niederlanden îber ein neues Bîndnis.315 Nach der franzçsischen Option, fîr die sich Friedrich Wilhelm im Oktober 1679 entschieden hatte, orientierte sich nunmehr auch die große Politik erneut an der persçnlichen Prferenz des Kurfîrsten, von der er auch in den frîhen 80er Jahren nicht abgegangen war: Die Hollnder Raule und Wybrant von Workum waren damals seine einflußreichsten Ratgeber in Kommerziensachen.316 In diese Zeit fallen auch ernsthafte Bemîhungen Brandenburgs um England; das an der Guinea-Kîste bisher recht freundschaftliche Einvernehmen wollte der Kurfîrst wenn mçglich durch einen „Trait¤ de Marine et de Commerce“ krçnen.317 Dazu kam es zwar nicht, aber weil die Englnder – im Gegensatz zu den Niederlndern – im Kçnigsberger Handel damals noch keine große Rolle spielten, befreite sie der Kurfîrst 1682 von Service und Einquartierungen. Danach begannen viele, die sich bisher nur zeitweise in der Stadt aufgehalten hatten, sich dort auf Dauer zu etablieren. Auch einige englische und schottische Reformierte, die 1683 aus Glaubensgrînden ihre Heimat verließen, durften sich mit ihren Familien, Schiffen und Mitteln in Kçnigsberg niederlassen und dort ihrem Gewerbe, der Seeschiffahrt, nachgehen – ausgestattet mit allen Privilegien der schon vorher dort lebenden Englnder.318 Mit ihren modernen Handelsmethoden waren sie wie auch die Hollnder bei der Bîrgerschaft wenig beliebt.319 Als sich die europische politische Gesamtlage nicht zuletzt durch den 20jhrigen Stillstand, der 1684 zwischen Frankreich und dem Reich geschlossen wurde, deutlich vernderte und nun vollends von der franzçsischen Hegemonie geprgt wurde, ging die politische Fîhrung der Niederlande bereitwillig auf die von Brandenburg ausgehenden Signale ein.320 Daß sie dabei unausgesprochen auch die sich abzeichnende englische Handelskonkurrenz treffen wollte,321 zeigt ein exemplarischer Fall aus Kçnigsberg: Als der in der Stadt lebende Englnder 315 Vgl. E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 253. 316 H. Rachel, Handel … (s. Anm. 155), S. 125. 317 Zu diesem speziellen Beziehungskomplex vgl. Klaus-Jîrgen Matz, Brandenburgischenglische Kooperation an der Westkîste Afrikas im spten 17. und frîhen 18. Jahrhundert, in: Gottfried Niedhart (Hg.), Das kontinentale Europa und die britischen Inseln. Wahrnehmungsmuster und Wechselwirkungen seit der Antike, Mannheim 1993, S. 87 – 102, hier S. 94. 318 H. Rachel, Handel … (s. Anm. 155), S. 124 f. 319 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 523. 320 Im Oktober 1684 van Amerongen „realized that ideas on foreign policy in Berlin were changing“ (W. Troost, William III. … [s. Anm. 246], S. 327). 321 Man darf bei der Einschtzung dieser Politik nicht îbersehen, daß die drei niederlndisch-englischen Kriege (1652 – 54, 1665 – 67, 1672 – 74) England deutliche Vorteile gebracht hatten.

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John Scarlett 1685 die Grîndung einer hispanischen Kompanie fîr den Direkthandel mit Spanien vorschlug, scheiterte der Plan nicht nur am Widerstand der konservativen Kaufmannschaft, sondern auch am Widerstand der Hollnder, die sich den gewinnbringenden Zwischenhandel nicht aus der Hand nehmen lassen wollten.322 Bei den Vorverhandlungen erklrte die niederlndische Regierung dem brandenburgischen Gesandten Fuchs im Mrz 1684 ihre Bereitschaft, die umstrittenen kolonialen Fragen auf dem Verhandlungswege lçsen zu wollen und an der Guineakîste „zu Verhîtung kînftigen Streites gewisse Grenzen“ feststellen zu lassen.323 Paul von Fuchs, der seit dem Frîhjahr 1685 erneut im Haag verhandelte, konnte die Beratungen, bei denen es auch um die Entschdigung fîr das Schiff „Wappen von Brandenburg“ ging,324 in wenigen Monaten erfolgreich abschließen. Am 23. August 1685 wurde die bis zum Jahre 1700 proponierte neue Defensiv-Allianz zwischen Brandenburg und den Generalstaaten unterzeichnet.325 In Artikel 5 wurde vereinbart, durch eine gemeinsame Kommission ein Reglement ausarbeiten zu lassen, „um fernere Hndel zwischen der brandenburgisch-africanischen und hollndisch-westindischen Compagnie zu verhîten“. Obwohl es sich nur um ein Verteidigungsbîndnis handelte, reagierte Frankreich auf den Kurswechsel Brandenburgs verrgert. Eine Antwort bestand darin, die Verhandlungen îber die Rîckgabe des Schiffes „Morian“ bewußt zu verzçgern.326 Die vorsichtige Abwendung von Frankreich war also lngst eingeleitet, als die çffentliche Bekanntmachung des Edikts von Potsdam den Bruch perfekt machte: Mit Recht sah Ludwig XIV. in der Einladung der Hugenotten eine flagrante Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs. Dennoch waren beide Seiten bemîht, die wechselseitige Entfremdung nicht allzu offen zutage treten zu lassen; „daran waren bei allem ørger weder der Kurfîrst noch Ludwig XIV. interessiert.“327 Wahrscheinlich hat der franzçsische Kçnig nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die politische Tragweite seiner Entscheidung unterschtzt. Brandenburg jedenfalls sah sich durch den Widerruf des Edikts von Nantes in seiner Politik bestrkt, die bereits eingeleitete politische Distanzierung von Frankreich zur kînftigen außenpolitischen Leitlinie zu machen: „La r¤vocation de l’¤dit de 322 Vgl. F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 68), 1, S. 523 f. 323 Fuchs an den Kurfîrsten, 20. 3. 1684 (UA … [s. Anm. 200], 21, S. 73 f.). 324 Die angebotenen 400.000 Rtlr. konnte er auf 440.000 Rtlr. hochdrîcken und bessere Zahlungsbedingungen erwirken (Fuchs an den Kurfîrsten, 18. 8. 1685 [ebd., S. 101 f.]). 325 Abgedruckt bei T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 280, S. 469 f.; Art. 5: S. 470. 326 Vgl. I. Mieck, David … (s. Anm. 286), S. 52 – 54. 327 E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 260.

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Nantes […] n’explique donc pas la rupture entre le Grand Ãlecteur et Louis XIV: celli-ci ¤tait consomm¤e d¤j”. Mais elle la rendit irr¤m¤diable.“328 3. Ein Transfer besonderer Art: Die Hugenotten Besonders im Umfeld des „Hugenottenjahres“ 1985 hat sich die historische Forschung intensiv mit den aus Frankreich Flîchtenden,329 den R¤fugi¤s, auseinandergesetzt. In vielen Verçffentlichungen ist besonders auf die europische Dimension dieser Flîchtlingsbewegung hingewiesen worden.330 Zwischen den verschiedenen Einwanderungslndern entwickelte sich infolge der unterschiedlichen Vergînstigungen eine Art Wettbewerb; whrend die reicheren Glaubensflîchtlinge meist in wirtschaftlich und kulturell attraktivere Lnder wie England und die Niederlande zogen, kamen die rmeren nach Brandenburg, weil es bessere Bedingungen bot.331 Aus den konkurrierenden Angeboten, mit denen man die Hugenotten anlocken wollte, entwickelte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte ein heftiger „Kampf der Staaten um den Arbeiter“,332 – der wegen seiner Herkunft aus einem technisch und wirtschaftlich fortgeschrittenen Land sehr umworben war. Diese Konflikte erreichten im 18. Jahrhundert ihren Hçhepunkt. Fîr Brandenburg-Preußen wurde die Aufnahme der etwa 20.000 Hugenotten von îberragender Bedeutung. Gegrîndet wurden rund 60 Kolonien, von 328 G. Pages, Grand Ãlecteur … (s. Anm. 208), S. 559. 329 Obwohl der Sachverhalt eindeutig ist, werden die R¤fugi¤s in der Literatur immer wieder als „Vertriebene“ bezeichnet. Selbst hervorragenden Sachkennern unterluft dieser Lapsus, der erstmals bereits auf einem zeitgençssischen Stich begegnet (z. B. Wolfgang Neugebauer, Brandenburg im absolutistischen Staat. Das 17. und 18. Jahrhundert, in: I. Materna / W. Ribbe [Hg.], Brandenburgische Geschichte … [s. Anm. 60], S. 291 – 394, hier S. 311). 330 Zur Einfîhrung gut geeignet ist das gleichzeitig in Frankreich und Deutschland erschienene Sammelwerk von Rudolf von Thadden / Michelle Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten. 1685 – 1985, Mînchen 1985. Informativ: Udo Drger / HansJoachim Giersberg (Hg.), Das Edikt von Potsdam. Die franzçsische Einwanderung in Brandenburg-Preußen und ihre Auswirkungen auf Kunst, Kultur und Wissenschaft (= Katalog zur gleichnamigen Ausstellung), hg. v. Generaldirektion der Staatlichen Schlçsser und Grten Potsdam-Sanssouci, Potsdam 1985. – Zur europischen Dimension: Frederic Hartweg / Stefi Jersch-Wenzel (Hg.), Die Hugenotten und das Refuge: Deutschland und Europa (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 74), Berlin 1990; Ilja Mieck, Wirtschaft und Gesellschaft Europas 1650 – 1850, in: Ders., Handbuch der europischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 4, Stuttgart 1993, S. 1 – 233, hier S. 77 – 79. 331 Stefi Jersch-Wenzel, Preußen als Einwanderungsland, in: Manfred Schlenke (Hg.), Preußen. Beitrge zu einer politischen Kultur (= Katalog zur Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“, 2), Reinbek 1981, S. 136 – 161, hier S. 146. 332 K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 98, 198 – 208.

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denen sich die grçßten in Berlin und Magdeburg befanden.333 Als „importiertes Ersatzbîrgertum“ (Stefi Jersch-Wenzel) oder „Preußens Adoptivkinder“ (Horsta Krum)334 brachten die „preußischen Franzosen“ (Fr¤d¤ric Hartweg), die in der Tat „frîhmoderne Entwicklungshelfer“ (Heinz Duchhardt) waren, zahllose Aspekte westeuropischer Kultur nach Brandenburg-Preußen. Im Wirtschaftsund Sozialbereich, in Staat und Armee,335 im Geistesleben und im Bildungswesen waren die von den franzçsischen Einwanderern ausgehenden Impulse richtungsweisend.336 Von den Einheimischen wurden sie oft als „herausragende Kulturtrger“ (Eckart Birnstiel) angesehen. Berlin profitierte von den R¤fugi¤s in hohem Maße; doch whrend sich die franzçsischen Einwanderer fîr die gewerbliche Wirtschaft und besonders fîr die Herstellung von Luxusartikeln (Juweliere u. a.) als hçchst innovativ erwiesen, war die Finanzttigkeit „kein Ruhmesblatt fîr die R¤fugi¤s“. Sie fîhrten zwar die Bezeichnung „Banquier“ in Berlin ein, aber der Sache nach gab es derartige Geschftsleute auch in den Residenzstdten schon lngst. Sie betrieben, mit dem Warenhandel als Basis, auch Geldgeschfte, whrend sich in Westeuropa, ausgehend vom Geldwechsel, der reine Geldhandel strker entwickelt hatte, so daß ein Bedîrfnis nach einer besonderen Bezeichnung entstanden war und sich

333 Wegen des Materialreichtums immer noch unentbehrlich ist das Jubilumswerk von E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 110). – Eine erste franzçsische Kirche war bereits 1672 in Berlin gegrîndet worden. 334 In der neunbndigen Geschichte der Hugenotten-Einwanderung von Erman und Reclam (1782/1799) wurden die R¤fugi¤s „Adoptivkinder der Hohenzollern“ genannt. 335 Vgl. Helmut Schnitter, Die R¤fugi¤s in der brandenburgischen Armee, in: Gottfried Bregulla (Hg.), Hugenotten in Berlin, Berlin 1988, S. 311 – 326; Detlev Harms, Das Edikt von Potsdam vom 29. Oktober 1685. Die Integration und der soziale Aufstieg von Auslndern in der preußischen Armee des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußischdeutschen Militrgeschichte, Franfurt am Main/Berlin 1993, S. 159 – 171. 336 Eine lebendige Darstellung dieser preußisch-franzçsischen Symbiose gibt Pierre-Paul Sagave, Berlin und Frankreich 1685 – 1871, Berlin 1980; neuere Zusammenfassungen des Gesamtkomplexes: Ingrid Mittenzwei (Hg.), Hugenotten in Brandenburg-Preußen (= Studien zur Geschichte, 8), Berlin (Ost) 1987; G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 335); Eckart Birnstiel / Andreas Reinke, Hugenotten in Berlin, in: Stefi Jersch-Wenzel / Barbara John (Hg.), Von Zuwanderern zu Einheimischen. Hugenotten, Juden, Bçhmen, Polen in Berlin, Berlin 1990, S. 13 – 152; Ursula Fuhrich-Grubert, Die Franzçsische Kirche zu Berlin. Ihre Einrichtungen 1672 – 1945, Bad Karlshafen 1992. – Zur Bedeutung fîr die Wirtschaft vgl. S. Jersch-Wenzel, Juden und ,Franzosen’ … (s. Anm. 177), passim. Detaillierte Angaben zu den Fortschritten in einzelnen Wirtschaftszweigen gibt P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 305 – 316. Vgl. zur Hugenottenfrage auch den Beitrag von Ursula Fuhrich-Grubert im gleichen Band dieses Handbuchs.

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die frîheren Geldwechsler, die berufsmßig mit Geld-, Kredit- und Finanzierungsgeschften zu tun hatten, nun Bankherren oder „banquiers“ nannten.337 Louis le Bachell¤ und Armand Maillette de Buy, beide aus Metz und 1687 und 1688 eingewandert, waren die ersten, die sich „Banquiers“ nannten. Der erste wurde schon im Januar 1688 Tr¤sorier des Kurfîrsten und hatte sich um Zahlungen an die franzçsisch-reformierten Truppenteile zu kîmmern. Eine geheime Untersuchung wegen „Kipperei“ brachte dem sehr angesehenen Kaufmann zwar eine hohe Geldstrafe ein, verhinderte aber nicht seine Ernennung zum Hofrat 1717. De Buy wurde Hofbankier und Silberlieferant fîr die Mînze. 1712 îbertrug man ihm die Leitung der General-Kriegskasse, lçste ihn aber 1713 wieder ab. Er starb 1716, ohne daß er als Finanzier besonders hervorgetreten wre. Wichtiger war der vielseitige und angesehene Geschftsmann Andr¤ le Jeune, der von 1697 bis 1709 die landesherrlichen Hîttenwerke bei Eberswalde gepachtet hatte und außerdem viele Waren- und Geldgeschfte îbernahm. Sein frîher Tod (1723) versperrte dem 1719 zum Hofrat Ernannten den weiteren Aufstieg zu einem gewerblichen Bank-Unternehmer besonderen Formats.338 Andere Hugenotten, die sich im Bankgeschft engagierten, ohne die traditionellen Dimensionen zu sprengen, waren Louis Mangin und Jacques Corvisier aus St. M¤n¤hould, „eine viel zweifelhaftere Persçnlichkeit“ als le Jeune. Als Corvisier nach vielen Streitigkeiten 1728 fallierte, lehnte der Pariser Bankier Jouin, mit dem er offensichtlich Geschftsverbindungen hatte, den vorgeschlagenen Vergleich ab.339 Zu den oft mit kurfîrstlicher Unterstîtzung gegrîndeten Gewerbebetrieben gehçrten Fabriken fîr Seide (Bourguignon, Biet/Massonneau), Gobelins (Mercier/Barraband/Vigne)340, Gold- und Silberborten (Quesnot), Gold- und Silberwaren (Jordan/Theremin, Baudesson, Colliveaux, Reclam), Kleineisenteile (Raven¤), Leder (Cassin/Nicosse), Waffen (Fromery), Textilien (Neveux, Roumieux), Seife (le Roi) u. a. Seit 1692 gab es ein privilegiertes „Bureau d’Adresse“, das Stellen vermittelte, als Leih- und Auktionshaus fungierte und 337 Hugo Rachel / Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648 – 1806. Neu hg. v. Johannes Schultze / Henry C. Wallich / Gerd Heinrich, Berlin 1967 (Erstauflage 1938), S. 67 f. 338 ˜ber le Jeune vgl. ebd., S. 69 – 76. 339 Ebd., S. 68 – 80; zu Corvisier: S. 79. Knapper: H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 85. Die folgenden Angaben ebd., S. 38 – 40, S. 77 – 79, 185, 113, 229. Einige Ergnzungen (Jordan, Girard, Michelet, Baudouin, Vernezobre): H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 337), 2, S. 80 – 101. 340 Berîhmt wurden die acht Gobelins îber „Die Taten des Groß Kurfîrsten“, die Friedrich Wilhelm bei dem aus Aubusson stammenden und 1686 zum Hof-Tapissier ernannten Philippe Mercier in Auftrag gab. Die sechs erhaltenen Gobelins hngen seit kurzem im Schloß Oranienburg. Gute Zusammenfassung: Claudia Horbas, Tapisserien (1680 – 1720), in: C. Keisch / S. Netzer (Hg.), „Herrliche Kînste“ … (s. Anm. 3), S. 108 – 123.

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nur von Franzosen geleitet wurde; wie lange der seit 1688 bestehende „Portechaisen“-Dienst mit 12 Snften und 24 „vereidigten Trgern franzçsischer Nation“ existierte, ist nicht bekannt. Whrend ein von dem aus Metz gekommenen traiteur Hazard mit viel Staatsgeld 1689 eingerichteter Gasthof der gehobenen Kategorie nur einige Jahre bestand, hatten viele Garkîchen, Speisewirtschaften, Kaffee-, Tee-, Spielhuser und „Cabarets“, die von Franzosen erçffnet wurden, eine lngere Lebensdauer.341 Ein Versuch des Kurfîrsten, fîr die meist mittellosen Tuchweber mit westeuropischer Unterstîtzung 1678 ein Unternehmen zu grînden, das hausindustriellen Verlag und Eigenbetrieb verknîpfte, erwies sich als sehr kostspielig, weil man „die dazu nçtigen Spezialarbeiter und Gertschaften […] mit großen Kosten von Amsterdam kommen“ lassen mußte. Dieses großzîgig gefçrderte Unternehmen (Rachel: „wohl die erste grçßere ,Fabrik’ am Ort“) wurde, obwohl nicht sehr erfolgreich, zum Vorbild des spteren „Lagerhauses“.342 Daß Josua Fournier seit 1690 die Papiermîhle in Wolfswinkel bei Eberswalde betrieb, zeigt, daß der Einzugsbereich der hugenottischen Unternehmungen îber Berlin hinausreichte und sich ein hauptstdtischer Wirtschaftsraum zu bilden begann. Diese Tendenz verstrkte sich im folgenden Jahrhundert.343 Eine Besonderheit, die etwas weiter entfernt lag, stellte die SpiegelglasManufaktur in Neustadt an der Dosse dar, die der 1685 nach Kopenhagen geflîchtete Jean Henri de Moor, ein hervorragender Fachmann, wenig spter îbernahm und dort mit franzçsischen Werkmeistern und Arbeitern einen sehr verbesserten Spiegelguß einfîhrte. Sein Verkaufsreprsentant in Berlin war der kurfîrstliche Kommissar Isaac DalenÅon; Filialen hatte der Betrieb in Leipzig, Amsterdam und im Haag. Nimmt man alles zusammen, so spielten die Hugenotten in Preußen eine Rolle „de plus en plus importante, participant fortement ” la constitution de ce qu’on a appel¤ ‘l’esprit prussien’“.344 341 Die bis heute in Berlin erkennbaren Spuren verfolgt Werner Gahrig, Unterwegs zu den Hugenotten in Berlin, Berlin 2000. 342 S. u. nach Anm. 525. 343 ˜ber die Spuren der franzçsischen R¤fugi¤s im hauptstdtischen Wirtschaftsraum informiert Werner Gahrig, Unterwegs zu den Hugenotten im Land Brandenburg, Berlin 2000. Die Auffassung, „daß die wirtschaftliche Kraft der R¤fugi¤s weit geringer war als das Ansehen, das sie im Staat und in der Gesellschaft genossen“ (Rudolf von Thadden, Vom Glaubensflîchtling zum preußischen Patrioten, in: Ders. / M. Magdelaine, Hugenotten … [s. Anm. 330], S. 186 – 197, hier S. 196), erscheint im ganzen wenig îberzeugend. 344 FranÅois Georges Dreyfus, Les Huguenots et la naissance de l’esprit prussien, in: Jean Berenger u. a. (Hg.), L’Europe, l’Alsace et la France. Problºmes int¤rieurs et relations internationales ” l’¤poque moderne. Ãtudes r¤unies en l’honneur du doyen Georges Livet, Colmar 1986, S. 180.

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øhnlich argumentiert Rudolf von Thadden, wenn er betont, daß Brandenburg-Preußen, in dem wegen seiner vielen nur locker zusammenhngenden Territorien noch kein „nationales“ Zusammengehçrigkeitsgefîhl entstanden war, dringend auf integrierende Krfte angewiesen war. Wie vom Kurfîrsten erwartet, trugen die R¤fugi¤s auch dazu bei, „daß die weitverstreuten Landesteile zusammenwuchsen und ein verbindendes Staatsbewußtsein entwickelten. Die eingewanderten Hugenotten wurden nicht Brandenburger, Pommern, Ostpreußen oder Westfalen, sondern staatsunmittelbare Preußen, Glieder des integrationsbedîrftigen Gesamtstaates.“345 Daß diese Aufgabe trotz der von den Hugenotten ausgehenden Impulse einige Generationen dauerte, wurde schon erwhnt.346 Die kînftige Bedeutung der Hugenotten fîr fast alle Bereiche der brandenburg-preußischen Entwicklung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft haben weder der Große Kurfîrst noch seine Berater vorausgesehen, als sie die R¤fugi¤s einluden, sich zu gînstigen Bedingungen in den kurfîrstlichen Landen niederzulassen. Mit der begrîndeten Erwartung einer substantiellen Wiederaufbauhilfe fîr ein Land, das noch immer an den Folgen des Dreißigjhrigen Krieges litt, verband sich die Hoffnung, mit Unterstîtzung der R¤fugi¤s zu einem gesamtstaatlichen Bewußtsein zu gelangen. Was die Hugenotten dem ziemlich rîckstndigen Land an geistiger Substanz, an Kçnnen und Wissen, an Erfahrung und Energie brachten, stellte sich erst im Lauf von Generationen heraus. Dennoch spielte Friedrich Wilhelm eine zentrale Rolle. Auf ihn, der schon frîher vereinzelte R¤fugi¤s aufgenommen hatte,347 geht die Initialzîndung zurîck, deren Grundgedanken (großzîgige Privilegierungen) seine Nachfolger aufnahmen, um die Einwanderungspolitik fortzufîhren.348 Von den 15.000 bis 20.000 Flîchtlingen, die sich bis zur Jahrhundertwende in Brandenburg-Preußen niedergelassen haben, dîrfte etwa die Hlfte noch zu Lebzeiten des Großen Kurfîrsten eingetroffen sein.349 Besonders die Armee profi-

345 R. v. Thadden, Glaubensflîchtling … (s. Anm. 343), S. 190 f. Es wre falsch, das aus der Integration der Hugenotten erwachsende, die einzelnen Territorien verbindende Staatsbewußtsein als „deutsch“ anzusehen; es war „preußisch“. 346 S. o. § V 3, S. 529 – 531. 347 Fast wie ein „Probelauf“ erscheint die in einem 1684 in Potsdam ausgehandelten 10Punkte-Programm geregelte Ansiedlung von 102 Schweizern im Juni 1685, denen 1691 weitere fast 450 folgten. Auf die den Schweizern gewhrten Privilegien wird im Edikt von Potsdam (Art. 9) ausdrîcklich Bezug genommen (Elisabeth Meier-Brîgger, Schweizer in Berlin und Brandenburg, Berlin 1999, S. 14 – 19). 348 Mit dem Jahre 1685 setzt eine Studie ein, die fîr die Erforschung der brandenburgpreußischen Einwanderungspolitik immer noch wertvoll ist: K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), passim. 349 E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 302.

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tierte von den R¤fugi¤s:350 sie stellten etwa ein Drittel des preußischen Offizierkorps. Es war eine doppelte Ironie der Geschichte, daß es schließlich fînf Hugenotten-Regimenter gab und franzçsische Subsidien noch immer zum Erhalt einer Armee beitrugen, „qui bientút combattra la France“.351 Die neuere Hugenottenforschung weist darauf hin, daß es immer wieder Konflikte zwischen Einheimischen und R¤fugi¤s gegeben hat. Die bodenstndigen, keineswegs auf Rosen gebetteten Mrker, Pommern oder Preußen, die dem Luthertum angehçrten, standen den leichtlebigeren, privilegierten und calvinistischen Westeuropern, die obendrein eine andere Sprache sprachen und allerlei Sonderrechte in Anspruch nahmen, hufig reserviert gegenîber.352 Es wre grundverkehrt die Ansiedlung der Hugenotten, wie frîher oft geschehen, idealisierend zu betrachten (V. Thadden: „Keine andere Einwanderungsgruppe hatte […] so viele Anstze zur heroisierenden Legendenbildung geboten.“). Sogar die „Toleranz“ wird im Hinblick auf das Edikt von Potsdam und seine Folgen neuerdings mit guten Argumenten bestritten: Eine genaue Analyse belegt, daß das „Potsdamer Edikt […] alles andere als ein Toleranzedikt“ war; viele Beispiele aus der Niederlassungspraxis zeigen, so Eckart Birnstiel 1998, „daß die Einwanderung und Niederlassung der franzçsischen Glaubensflîchtlinge in Brandenburg-Preußen nichts mit Toleranz, dafîr aber alles mit Staatsrson zu tun hatte“.353 Langfristig gesehen, konstatierte Ursula Fuhrich-Grubert kîrzlich sogar eine gewisse Distanz gegenîber den Einheimischen: „Die Enkel der 1685 eingewanderten reformierten Franzosen begriffen sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts als eine privilegierte, exklusive und elitre Gruppe franzçsischer Kulturtrger und zugleich preußischer Patrioten.“ 350 Vgl. dazu Linda und Marsha Frey, Friedrich I., Preußens erster Kçnig, Graz/Wien/ Kçln 1984, S. 135. 351 G. Pages, Grand Ãlecteur … (s. Anm. 208), S. 606. 352 Zum Sprachproblem vgl. Frederic Hartweg, Die Hugenotten in Deutschland. Eine Minderheit zwischen zwei Kulturen, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 330), S. 172 – 185. – ˜ber die Situation in Kçnigsberg, wo die Reibereien zwischen Hugenotten und Einheimischen auch im nchsten Jahrhundert nicht aufhçrten, berichtet Fritz Gause, Geschichte der Stadt Kçnigsberg, 2: Von der Kçnigskrçnung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Kçln/Weimar/Wien 21996, S. 28 – 30. 353 Eckart Birnstiel, Toleranz und Staatsrson. Von der Aufnahme und Eingliederung hugenottischer Glaubensflîchtlinge in Brandenburg-Preußen (1672 – 1809) (= Manuskript eines in Kçln am 29. 9. 1998 gehaltenen Vortrages, fîr dessen ˜berlassung ich herzlich danke), S. 17 und S. 19. Die etwas vernderte Druckfassung: Ders., Die Aufnahme hugenottischer Glaubensflîchtlinge in Brandenburg-Preußen: Ein Akt der Toleranz?, in: A. Flick / A. D. Lange (Hg.), Berlin … (s. Anm. 310), S. 9 – 33; hnlich kritisch: Ders., Das Edikt von Nantes (1598). Triumph oder Scheitern der Reformation in Frankreich?, in: Hugenotten 63 (1999), S. 3 – 26; das folgende Zitat: Ursula Fuhrich-Grubert, Der Kirchenkampf und die Berliner franzçsisch-reformierte Gemeinde, in: ebd., S. 81 – 118, hier S. 88.

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Insgesamt lßt sich feststellen, daß es bei der Hugenotten-Ansiedlung in den meisten Fllen Licht- und Schattenseiten gab, wenn man auch einrumen wird, daß die positiven Aspekte des zweiten großen Schubs aus Westeuropa îberwogen. Vereinzelt sollen zu sehr enttuschte R¤fugi¤s in ein anderes Einwanderungsland weitergezogen oder sogar nach Frankreich zurîckgekehrt sein. Ernst Opgenoorth nimmt an, daß die von dem franzçsischen Gesandten R¤benac genannte Zahl von vier bis fînf Rîckkehrern pro Woche „sicher nicht zu niedrig“ ist.354 Einen Sonderfall stellten die fast tausend Waldenser dar, die 1690 mit kurfîrstlicher Billigung und Unterstîtzung nach Savoyen zurîckwanderten.355 VI. Festigung des neuen Kurses (1685 – 1688) Whrend sich im Winter 1685/86 die ersten Flîchtlingsstrçme auf den Weg nach Brandenburg machten, komplizierte sich die internationale Lage, als Ludwig XIV. ultimativ die Umwandlung des Regensburger Stillstandes in einen Friedensvertrag verlangte. Fînfmal machte Brandenburg deutlich, daß es einen Frontwechsel vollzogen hatte: (1) Als Kaiser und Reichstag feierlich erklrten, den Waffenstillstand nicht brechen zu wollen, schloß sich Brandenburg dieser Haltung an; (2) der als frankreichfreundlich geltende brandenburgische Reichstagsgesandte Gottfried von Jena356 wurde abberufen; (3) energisch versuchte der Kurfîrst, die Wahl des franzçsischen Kandidaten Fîrstenberg zum Erzbischof von Kçln zu verhindern; (4) am 23. August 1685 hatte Friedrich Wilhelm das erwhnte Bîndnis mit den Niederlanden geschlossen, das gegen die Stuarts gerichtet war und fîr den Kriegsfall gemeinsame Handlungen vorsah;357 (5) der Kurfîrst ließ 500 gedruckte Exemplare des Edikts von Potsdam in Frankreich verbreiten.358 All diese Maßnahmen zeigen, daß der Kurswechsel Brandenburgs von grundstzlicher Bedeutung war. Der dem Kurfîrsten zugeschriebene Ausspruch: „Plutút vivre sous la protection des Turcs que sous la servitude de la France“359 korrespondiert ein wenig mit dem etwas utopischen Kriegsplan gegen Frankreich, den Friedrich Wilhelm 354 E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 303, Anm. 234. 355 Vgl. E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 110), S. 29 f. 356 Da Jena in seiner Frankophilie die kurfîrstlichen Weisungen hufig îberschritt und eine etwas eigenwillige „Reichspolitik“ trieb, kann man seine Ttigkeit in Regensburg „ohne weiteres einen fortgesetzten Reichsverrat nennen“ (So Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich. 1648 – 1806, 2: Kaisertradition und çsterreichische Großmachtpolitik (1684 – 1745), Stuttgart 1997, S. 21). 357 S. o. bei Anm. 310. 358 K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 97. Wegen der Zweisprachigkeit des Edikts (frz./dt.) war diese Maßnahme sicher sehr erfolgreich. 359 Zitiert von G. Zeller, De Louis XIV. … (s. Anm. 253), S. 66.

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im Frîhjahr 1686 entworfen hatte und im Mai dem Kaiser und im August seinem Neffen Wilhelm III. von Oranien, mit dem er sich in Kleve traf, unterbreitete.360 Obwohl auch die kînftige Zusammenarbeit Brandenburg-Preußens mit den Niederlanden nicht stçrungsfrei verlief, hielt Friedrich Wilhelm an dieser Option fest. Außerdem rîckte er wieder an die Seite des Kaisers: Im Defensivbîndnis vom 1. April 1686 versprach ihm der Kurfîrst fîr den Fall einer „revolutio generalis der Sachen in Europa“ eine Hilfstruppe von 8.000 Mann. Dieses eindeutig gegen Frankreich gerichtete Abkommen, das den Krontraktat ein wenig vorwegnahm, sollte indirekt das dauerhafteste Bîndnis des Kurfîrsten werden, „da es den reichspolitischen Standpunkt von Sohn und Enkel bestimmte“.361 Obwohl diese Behauptung in ihrer Gradlinigkeit etwas îbertrieben ist, kann man feststellen, daß die Karte Frankreich, auf die der Kurfîrst bis 1674 und erneut seit 1679 gesetzt hatte, in seinen letzten Lebensjahren keine entscheidende Rolle mehr spielte. Um seine Pommern-Politik auf neue Grundlagen zu stellen, schloß er sich sogar am 27. April 1686 einem niederlndisch-schwedischen Bîndnis an.362 Dennoch wollte Friedrich Wilhelm einen radikalen Bruch mit Frankreich vermeiden, um die Subsidienzahlungen nicht zu gefhrden. Da das neue Bîndnis streng geheim blieb, konnte auch das Abkommen mit Frankreich weiter bestehen: Die Subventionen fîr die brandenburgische Armee wurden von Ludwig XIV. weitergezahlt, whrend der Kurfîrst vom Kaiser offiziell nur Subsidien fîr seine Truppe gegen die Tîrken erhielt.363 Auf diese Doppelbçdigkeit des Verhltnisses zur franzçsischen Monarchie hat schon Friedrich Meinecke aufmerksam gemacht, als er die angebliche Differenz in der Frankreichpolitik zwischen Kurfîrst und Kurprinz widerlegte.364 An der grundstzlichen Kursnderung nderte sich dadurch nichts. Am Hofe begann der niederlndische Einfluß den franzçsischen zu verdrngen. „Les 360 Zu diesem Kriegsplan vgl. E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 265 f. 361 Anton Schindling, Der Große Kurfîrst und das Reich, in: G. Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht … (s. Anm. 43), S. 59 – 74, hier S. 72. Der Vertrag vom 22.3./1. 4. 1686 in: T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 286, S. 481 – 486 (Regest), Anhang XV, S. 750 – 759 (Text); Geltungsdauer: 20 Jahre. 362 Vertragstext ebd., Nr. 288, S. 486 – 489. 363 Vgl. dazu K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 20. Die hinter dem Rîcken des Kurfîrsten vom Kurprinzen am 28. 2. 1686 versprochene Rîckgabe des Schwiebuser Kreises (T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … [s. Anm. 167], Anhang XIV, S. 750) war eine wichtige Voraussetzung fîr das Bîndnis mit Habsburg, betraf also indirekt auch die brandenburgische Westpolitik. 364 Friedrich Meinecke, Brandenburg und Frankreich 1688, in: HZ 62 (1889), S. 197 – 241, hier S. 200: „… daß der Kurfîrst wenigstens ußerlich immer ein gutes Einvernehmen mit Frankreich zu bewahren“ bemîht war.

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Hollandais en g¤n¤ral et en particulier ont un cr¤dit si grand et si naturel en cette cour qu’ils la gouvernent“, so charakterisierte R¤benac 1688 die Situation. Kurfîrst und Bevçlkerung waren einer Meinung: „Tous ne croient rien de beau ni de bien fait que ce qui vient de Hollande.“365 Daß sich Brandenburg-Preußen nur wenige Monate nach dem Tod des Großen Kurfîrsten (9. Mai 1688)366 an einem Krieg gegen Frankreich beteiligte, war nur eine Konsequenz der Westeuropa-Politik, die Friedrich Wilhelm in seinen letzten Jahren verfolgt hatte.

§ 3 Brandenburg-Preußen und Westeuropa von 1688 bis 1740 In der Zeit von 1688 bis 1740 wurde Brandenburg-Preußen von zwei Herrschern regiert, wie sie unterschiedlicher kaum vorstellbar sind. Um ihre grundlegenden Differenzen in Persçnlichkeit, Staatsauffassung, Reprsentationsbedîrfnis, Regierungspraxis und Umgangsformen zu illustrieren, gibt es kaum eine bessere Einfîhrung als das Einleitungskapitel zum 2. Band der unvollendet gebliebenen Friedrich-Wilhelm-Biographie von Carl Hinrichs.367 I. Die Einheit der Epoche Dennoch ist es bemerkenswert, daß sich beide Herrscher trotz aller Gegenstze gewissen außenpolitischen Grundstrukturen verpflichtet fîhlten und sie in die politische Praxis umzusetzen versuchten.368 Dabei spielte der durch die „Glorious Revolution“ in England hervorgerufene europische Umbruch eine wichtige Rolle. Galt die bisher an der Macht befindliche Stuart-Dynastie im wesentlichen als ein außenpolitisches Anhngsel des katholischen Frankreich, so 365 A. Waddington, M¤moire … (s. Anm. 264), S. 79. 366 Eine ausgewogene Kurzanalyse der Verdienste des Großen Kurfîrsten vor dem Hintergrund der von Nicholas Henshall ausgelçsten Absolutismus-Debatte gibt Johannes Arndt, Der Große Kurfîrst, ein Herrscher des Absolutismus? ˜ber die Mçglichkeiten und Grenzen monokratischer Herrschaft im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch / Heinz Duchhardt (Hg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 – 1700) (= Mînstersche Historische Forschungen, 9), Kçln/Weimar/Wien 1996, S. 249 – 273. 367 Carl Hinrichs, Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I., in: JbGMitteldtld 5 (1956), S. 183 – 225; Wiederabdruck (1) in: Ders., Preußen als historisches Problem … (s. Anm. 308), S. 91 – 137; (2) Ders., Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), S. 719 – 765. 368 Zum Vergleich gut geeignet sind die beiden biographischen Skizzen von W. Neugebauer, Friedrich III./I. (s. Anm. 27), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 4), S. 113 – 133; und von Peter Baumgart, Friedrich Wilhelm I. (1713 – 1740), in: ebd., S. 134 – 159.

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stand nunmehr eine protestantische Regierung an der Spitze eines Staates, der – in Personalunion mit den Generalstaaten – in allererster Linie die franzçsische Hegemonie attackierte. Bald bîrgerte sich fîr die beiden westeuropischen Staaten, die bis 1702 in Personalunion verbunden waren und auch danach hufig gemeinsam agierten, die Bezeichnung „Seemchte“ ein. Als im Januar 1678, noch vor dem Ende des Hollndischen Krieges, ein niederlndisch-englisches Bîndnis geschlossen wurde, hatte sich erstmals diese politische Neukonzeption angedeutet, die dem franzçsischen Hegemonialstreben den Gedanken des europischen Gleichgewichts entgegenstellte.369 Die treibende Kraft hinter dieser neuen Konstellation war Wilhelm von Oranien, der Statthalter der Niederlande, der durch die „Glorious Revolution“ mehr als nur englischer Kçnig wurde: „Monarch in Holland durfte er nicht werden; so wurde er europischer Staatsmann.“370 Dieser Dualismus von Gleichgewicht und Hegemonie bestimmte die Politik der europischen Staaten fîr die folgenden vier Jahrzehnte: In Reaktion auf die unerhçrte Machtkonzentration in der Hand eines einzigen Herrschers entstanden, konnte der Gedanke der „Balance of Power“ nach langen Kmpfen im Vertragswerk von Utrecht 1713 verankert werden, whrend es anschließend darum ging, das mîhsam gefundene Gleichgewicht zu bewahren.371 Diese Phase endete mit dem erfolgreichen ˜berfall des Preußenkçnigs Friedrich II. auf Schlesien 1740, der die europischen Machtverhltnisse auf lange Sicht vçllig umstîrzte. Hegemonie und Gleichgewicht waren danach neu zu definieren. II. Brandenburg-Preußen und die neue Westeuropa-Konstellation Obwohl der Große Kurfîrst seine Beziehungen zu Westeuropa seit etwa 1685 neu geordnet und gegenîber Frankreich einen zwar reservierten, doch eindeutigen Kurs gesteuert hatte, blieben in seinen letzten Jahren gewisse Spannungen nicht aus. Sie waren auf den Kurprinzen Friedrich zurîckzufîhren, der seit 369 Ob die empirisch arbeitende Historiographie von der sehr theorieorientierten Studie von Arno Strohmeyer, Theorie der Interaktion. Das europische Gleichgewicht der Krfte in der frîhen Neuzeit, Kçln/Weimar/Wien 1994, zu weiterfîhrenden Erkenntnissen gelangt, bleibt abzuwarten. Fîr das preußisch-westeuropische Verhltnis bringt die Arbeit keine grundlegend neuen Einsichten. 370 Ludwig Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen îber ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte, Erstausgabe 1948, hg. und mit einem Nachwort versehen von Klaus Hildebrand (= Manesse Bibliothek der Weltgeschichte), Zîrich 1996, S. 109. 371 Vgl. die zusammenfassende Analyse von Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785 (= Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, 4), Paderborn 1997, S. 7 – 19.

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seiner Heirat mit der hannoverschen Prinzessin Sophie Charlotte im Mrz 1684 mit den Welfen sympathisierte, die sich immer in einem Konkurrenzverhltnis zu den Hohenzollern sahen. Die bereits latent vorhandene Entfremdung zwischen Kurfîrst und Kurprinz erreichte einen Hçhepunkt, als Friedrich 1687 seinen Schwiegervater Ernst August in Hannover besuchte, der soeben ein Bîndnis mit Frankreich abgeschlossen hatte.372 Dieses Treffen, von Friedrich Wilhelm als persçnlicher Affront aufgefaßt, blieb allerdings fîr die westeuropischen Verbindungen des Großen Kurfîrsten folgenlos. Auch der Kurprinz wollte im Grunde keine ønderung der neuen brandenburgischen Westpolitik:373 Einen Tag nach dem Tode seines Vaters wies er trotz seiner guten Verbindungen zu Oranien den brandenburgischen Gesandten in Paris an, „insonderheit […] die Zahlung der uns noch rîckstndigen Subsidiengelder zu urgieren.“374 1. Die neue Parole: „London und Amsterdam“375 Noch im Todesjahr des Großen Kurfîrsten, der am 9. Mai 1688 starb, deutete sich ein Ereignis an, das man in Vorwegnahme der Geschehnisse von 1756 als ein erstes europisches „renversement des alliances“ bezeichnen kçnnte: Mit der Landung Wilhelms von Oranien in England am 11. November 1688 begann die „Glorious Revolution“, die langfristig zu einer vçlligen Neustrukturierung der europischen Bîndnissituation fîhren sollte. Als Hans Willem Bentinck, der nach Berlin gesandte Vertraute des Statthalters, zu wenig erreichte, traf Oranien persçnlich mit dem neuen Kurfîrsten von Brandenburg zusammen (Hannover 10. 9. 1688).376 Friedrich III., der den Vertrag seines Vaters mit den Niederlanden von 1685 schon am 30. 6. 1688 erneuert hatte, sagte ihm Unterstîtzung zu und hielt Wilhelm, als er nach England fuhr, den Rîcken frei, indem er Kçln besetzte, am Niederrhein eine starke Truppenmacht aufstellte 372 Vgl. zu diesem Komplex E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 320 – 324. 373 Vgl. allgemein zu dieser Problematik die trotz aller Pathetik noch immer wichtige Zusammenfassung von Ernst Berner, Die auswrtige Politik des Kurfîrsten Friedrich III. von Brandenburg, Kçnig Friedrich I. in Preußen, in: HohenzJb 4 (1900), S. 60 – 105. An der neuesten Darstellung haben zwei Niederlnder mitgewirkt: Hans van Koningsbrugge / Jîrgen Luh / Ilja Nieuwland, Sparta oder Spree-Athen? Die auswrtige Politik Preußens im Zeitalter Friedrichs III./I. von 1688 – 1713, in: Sophie Charlotte und ihr Schloß. Ein Musenhof des Barock in Brandenburg-Preußen (= Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Schloß Charlottenburg 1999/2000), hg. v. Stiftung Preußische Schlçsser und Grten Berlin-Brandenburg, Mînchen/London/New York 1999, S. 17 – 30. 374 Zit. von F. Meinecke, Brandenburg … (s. Anm. 364), S. 203. 375 So lautete die Parole, die der Große Kurfîrst an seinen beiden letzten Lebenstagen ausgab, C. Hinrichs, Der Große Kurfîrst … (s. Anm. 308), S. 252. 376 W. Troost, William III. … (s. Anm. 246), S. 332, S. 299.

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und 6.000 Mann in die Niederlande entsandte. Durch diese Maßnahmen gegen ein eventuelles Eingreifen Frankreichs geschîtzt, konnte Wilhelm sein Unternehmen gegen das Stuart-Regime erfolgreich durchfîhren; daß sich „auf den niederlndischen Schiffen, mit denen Wilhelm III. am 15. November 1688 zu Torbay an der englischen Kîste landete, […] auch brandenburgische Regimenter“ befanden,377 konnte die Forschung zwar bald als Legende entlarven,378 doch spielte in diesem Umsturz des westeuropischen Bîndnissystems das kleine Kurfîrstentum eine beachtliche Rolle: „Brandenburg’s assistance […] had become more crucial than ever.“379 Zum Dank erhielt Friedrich 1689 den lange ersehnten englischen Hosenbandorden.380 Der Oranier hatte keine Skrupel, die neue Richtung der brandenburgischen Politik durch finanzielle Zuwendungen an die vermeintlichen Entscheidungstrger zu unterstîtzen. R¤benac, der sich mit derartigen Geschften gut auskannte, beklagte schon im April 1688 den dominierenden Einfluß der Hollnder auf die Berliner Regierung und fîgte hinzu: „Les ministres n’y en trouvent pour leur bien et leur argent qu’en ce seul pays-l”.“381 Eigentlicher Leiter der brandenburgischen Außenpolitik, die damals die enge Verbindung zu Wilhelm von Oranien suchte, wurde der Premierminister Danckelman. Er lenkte die Westpolitik Friedrichs III. verstrkt in die Richtung, die der Große Kurfîrst seit etwa 1685 verfolgt hatte. Eberhard Dankelman, durch seine Herkunft aus der Grafschaft Lingen „hollandais de naissance et de coeur“382 und Untertan Wilhelms von Oranien, galt auch als dessen Pensionr: Er soll vom Oranier ein Jahrgeld von 30.000 Talern bezogen haben; die Behauptung, dessen Briefe seien in Berlin quasi als Befehle aufgefaßt worden, „auxquels on se fait gloire d’ob¤ir“, dîrfte jedoch îbertrieben sein.383 377 Dies behauptet Ludwig Keller, Die Hohenzollern und die Oranier in ihren geistigen, verwandtschaftlichen und politischen Beziehungen, in: HohenzJb 10 (1906), S. 221 – 260, hier S. 258. 378 Vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 258. 379 W. Troost, William III. … (s. Anm. 246), S. 330. Eine moderne Gesamtdarstellung aus brandenburgischer Perspektive fehlt leider; auch die Studie von Monika Wienfort, Monarchie in der bîrgerlichen Gesellschaft. Deutschland und England von 1640 bis 1848 (= Bîrgertum. Beitrge zur europischen Gesellschaftsgeschichte, 4), Gçttingen 1993, geht mit keinem Wort auf die Beziehungen zwischen England und BrandenburgPreußen in dieser Zeit ein. 380 Julius Grossmann, Jugendgeschichte Friedrichs I., ersten Kçnigs in Preußen, in: HohenzJb 4 (1900), S. 10 – 59, hier S. 43. Die feierliche Ordens-Einfîhrung fand am 11. 6. 1690 im Berliner Schloß statt. 381 A. Waddington, M¤moire … (s. Anm. 264), S. 79. 382 P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 299. 383 Fîr die erste Behauptung des franzçsischen Diplomaten Jean-Baptiste de la Rosiºre (Ch. Schefer, Ãtat de la Cour de Brandebourg en 1694, intus: M¤moire [= Relation de M. de la Rosiºre] de la cour de Brandebourg. L’an 1694, in: RevHistDipl 1 [1887], S. 267 – 292 und 411 – 424, hier S. 292) kçnnte sprechen, daß Wilhelm nach der Verhaftung

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Auch nach dem Sturz Danckelmans blieb die enge Verbindung zwischen Brandenburg und den Generalstaaten bestehen, wenn auch die hochnsige Art des Oraniers fîr manche Spannung sorgte. Die recht guten Beziehungen wurden allerdings durch den Tod Wilhelms (Mrz 1702) und das damit akut werdende Problem der „Oranischen Erbschaft“ stark belastet, weil die Niederlande nicht das geringste Interesse daran hatten, die mit dem oranischen Erbe verbundenen Hoffnungen des Brandenburgers (Territorialgewinne, Statthalterschaft) zu erfîllen. Die sofortige Besetzung der beiden Reichsgrafschaften Moers384 und Lingen durch preußische Truppen trug zur weiteren Verstimmung bei, die auch ein persçnlicher Besuch Friedrichs, der seine am Rhein stehenden Truppen im Sommer 1702 verließ und im Haag erschien, nicht aus der Welt schaffen konnte: „Die oranische Erbschaft stand von nun an whrend des ganzen Krieges als trennende Wand zwischen Preußen und den Niederlanden.“385 Weil die politische Allianz whrend dieser Zeit erneut dem çkonomischen Druck der „h¤g¤monie commerciale de Hollande“ ausgesetzt war, veranstaltete Friedrich „une v¤ritable croisade ¤conomique dirig¤e contre le commerce des produits de France dans les pays germaniques. Un mouvement antifranÅais se d¤cha‚nait au del” du Rhin.“386 Diese lautstarke Aggressivitt verstummte immer dann, wenn der brandenburgische Herrscher fîr seinen luxuriçsen Lebensstil und seine Reprsentationsbedîrfnisse auf den Bezug franzçsischer Waren nicht verzichten konnte. Hand in Hand mit den politisch-diplomatischen Vorbereitungen fîr das erstrebte Kçnigtum gingen die kînstlerisch-reprsentativen. Tonangebend wurde erneut Westeuropa, diesmal aber nicht Holland, sondern Frankreich: „Nach dem Vorgang von Paris wird eine Akademie der Kînste zur Fçrderung von Architektur, Plastik und Malerei begrîndet; der Pariser Architekt Blondel und sein Schîler de Bodt entwerfen und bauen das Zeughaus“ – noch bevor

Danckelmans 1697 sofort einen Sondergesandten, George Stepney, nach Berlin schickte, der – vergeblich – um milde Behandlung bitten sollte. Zu den spter zusammengestellten 31 Anklagepunkten gegen Danckelman gehçrte der Vorwurf der Bestechlichkeit nicht (vgl. Harry Bresslau, Der Sturz des Oberprsidenten Eberhard von Danckelmann, in: Ders. / Siegfried Isaacsohn, Der Fall zweier preußischer Minister: des Oberprsidenten Eberhard Danckelmann 1697 und des Grosskanzlers C. J. M. von Fîrst 1779 (= Studien zur brandenburgisch-preußischen Geschichte), Berlin 1878, S. 62 – 65); die zweite Behauptung: ebd., S. 273. 384 Zu Moers vgl. den neuen Sammelband von Margret Wensky (Hg.), Moers. Die Geschichte der Stadt von der Frîhzeit bis zur Gegenwart, 2 Bde., Kçln/Weimar/Wien 2000. 385 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), S. 176. 386 P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 300 f.

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Andreas Schlîter mit seinen großen Arbeiten „dem jungen preußischen Kçnigtum seine eigene grandiose reprsentative Form geben wird.“387 2. Der Pflzische Krieg Noch zu Lebzeiten des Großen Kurfîrsten zeichnete sich ein Konflikt ab, der auch die brandenburgische Westeuropa-Politik tangierte. Es ging um die pflzische Erbfolge, auf die Ludwig XIV. namens seiner Schwgerin, der berîhmten Liselotte von der Pfalz, Ansprîche geltend machte.388 Von Anfang an vertrat Friedrich Wilhelm die Auffassung, daß er die Forderungen fîr unbegrîndet hielt. Das Schreiben an seinen Gesandten in Paris, Ezechiel v. Spanheim, in dem er am 6. Juli 1685 Ludwigs Ansprîche îberaus scharf kritisierte, machte der Kurfîrst sogar allgemein bekannt und ließ es im Druck verçffentlichen.389 Im Lauf der folgenden Monate gelang es der Wiener Diplomatie, Friedrich Wilhelm ganz auf ihre Seite zu ziehen: Nachdem der Kurprinz hinter dem Rîcken des Vaters die kînftige Rîckgabe von Schwiebus versprochen hatte, wurde am 1. April 1686 ein habsburgisch-brandenburgisches Bîndnis geschlossen, dessen Spitze eindeutig gegen Frankreich gerichtet war.390 Damit hatte der Kurfîrst den wichtigsten Schritt seiner diplomatischen Neuorientierung unternommen. Da Frankreich sich zunchst demonstrativ darauf beschrnkte, seine Ziele friedlich zu verfolgen, unterstîtzte der Kurfîrst die Erklrung des Reichstages, daß Frankreichs Verzicht auf die Besitzergreifung der Pfalz den Rechtsansprîchen Liselottes nicht nachteilig sein solle391 – eine meisterhafte Formulierung der Juristen, die Ludwig alle Tîren offen hielt. Parallel zur Entwicklung des pflzischen Konflikts, der auf diese Weise zunchst in der Schwebe gehalten wurde, formierten sich einige auswrtige Mchte und die meisten deutschen Stnde, die allesamt seit der Reunionspolitik und neuerdings auch wegen der pflzischen Forderungen Frankreichs Ambitionen mehr und mehr zu fîrchten begannen, zu einer Allianz, die der Kaiser, 387 Carl Hinrichs, Kçnig Friedrich I. von Preußen, in: Ders., Preußen als historisches Problem … (s. Anm. 308), S. 253 – 271, hier S. 261. Von dem viel beschftigten Franzosen de Bodt stammte auch der 1701 errichtete, îberkuppelte und 2002 restaurierte Torturm, der als „Fortuna-Portal“ zum Haupteingang des Potsdamer Stadtschlosses wurde. 388 Vgl. dazu die gute Biographie von Dirk van der Cruysse, „Madame sein ist ein ellendes Handwerck“. Liselotte von der Pfalz – eine deutsche Prinzessin am Hof des Sonnenkçnigs, Mînchen 1990, S. 353 – 414. 389 M. Immich, Geschichte … (s. Anm. 15), S. 124; vgl. jetzt Sven Externbrink, Diplomatie und R¤publique des Lettres. Ezechiel Spanheim (1629 – 1710), in: Francia 34/ 2 (2007), S. 25 – 59, zu Spanheim als Gelehrtem. 390 K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 16 – 25. 391 Vgl. dazu E. Opgenoorth, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 210), 2, S. 257 f.

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Spanien, Schweden, Bayern, die frnkischen und bayerischen Kreise und andere deutsche Stnde am 9. Juli 1686 schlossen (Augsburger Assoziation). Man drngte auf Einhaltung der Friedensvertrge von 1648, 1659 und 1678/79 sowie des Stillstands von 1684. Nicht dabei waren Wilhelm von Oranien und der Kurfîrst von Brandenburg, die sich im August 1686 in Kleve trafen. Whrend Friedrich Wilhelm seinem Neffen einen eigenen Feldzugsplan gegen Frankreich erluterte,392 wollte Oranien, hnlich wie 1674, eine europische Allianz gegen Ludwig XIV. zusammenbringen, aber „noch war die Zeit nicht gekommen, wo man Frankreich in einem neuen Kriege mit Erfolg gegenîbertreten konnte.“393 Whrend die europische Diplomatie ihre Aktivitten entfaltete und Frankreich erste militrische Aktionen unternahm, bereiteten sich alle Mchte auf den großen Krieg vor, bei dem es nur vordergrîndig um die pflzische Erbfolge ging. In Frankreich heißt diese militrische Auseinandersetzung bis heute „guerre de la Ligue d’Augsbourg“.394 Die Feststellung von Max Immich, daß die Augsburger Allianz „auch jetzt noch [= 1905, I. M.] in franzçsischen Geschichtswerken eine grçßere Rolle [spielt], als ihr zukommt“, kann man ein Jahrhundert spter nur unterstreichen. Nach wie vor erfreut sich die Augsburger Liga in der franzçsischen Historiographie einer Aufmerksamkeit, die sie nicht verdient, obwohl Gaston Zeller schon 1955 unterstrich, daß die in Frankreich îbliche Bezeichnung, „devenu classique, ne cadre guºre avec la r¤alit¤.“395 In Wirklichkeit entwickelte sich ein europischer Krieg, in dem es um den franzçsischen Hegemonialanspruch ging. Den Befehl zum Einmarsch ins Reich erteilte Ludwig XIV. am 24. September 1688, die fadenscheinigen Begrîndungen enthielt ein Aufruf „Par ordre exprºs de Sa Majest¤“. Whrend am 3. April 1689 endlich die Reichskriegserklrung erfolgte und sich die Generalstaaten am 12. Mai 1689 mit dem Kaiser verbîndeten, konnte sich Wilhelm (III.) in seiner Eigenschaft als neuer englischer Kçnig, der zunchst seine Position in England sichern mußte, erst sechs Monate spter dieser „Großen Allianz“ anschließen, die sich – nun aber in europischem Maßstab – die Wiederherstellung der Vertrge von 1648 und 1559 zum Ziel gesetzt hatte. Zwar gehçrte, genau genommen, England der Großen Allianz nicht an, „aber es handelte in ihrem Sinne. Wilhelms Gedanke der europischen Koalition gegen 392 S. o. S. 535 (Anm. 360). 393 M. Immich, Geschichte … (s. Anm. 15), S. 127. 394 Auch die jîngste Zusammenfassung aus franzçsisch-brandenburgischer Perspektive bedient sich dieser Bezeichnung: Jean Berenger, Les relations entre la France et le Brandebourg durant la guerre de la Ligue d’Augsbourg, in: S. Externbrink / J. Ulbert, Formen … (s. Anm. 75), S. 349 – 365. Der Aufsatz beruht auf einer nicht publizierten Studie (S. 350, Anm. 8). 395 G. Zeller, De Louis XIV. … (s. Anm. 253), S. 71. Die pragmatischen Englnder nennen den Krieg „The Nine Years War“.

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Frankreich war verwirklicht.“396 Mit dem kurze Zeit spter erfolgten Beitritt Savoyens und Spaniens „war jene große Koalition zustande gekommen, die das Schicksal Europas bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges bestimmen sollte“.397 Der brandenburgische Kurfîrst Friedrich III. gehçrte seit dem Vertrag von Westminster vom 16. Mai 1690 mit Großbritannien auch offiziell dazu; im September 1690 verpflichtete er sich, gegen eine von den Alliierten zu zahlende monatliche Finanzhilfe von 40.000 Reichstalern, zur Stellung von 20.000 Soldaten, bevor er am 23. Mrz 1691 ganz formell in die Große Allianz von 1689 aufgenommen wurde.398 Gegen die Auffassung, daß Friedrich trotz mancher persçnlicher Schwchen „eine bedeutende und wichtige Rolle gespielt hat in dem großen europischen Unternehmen des Oraniers,“399 lßt sich freilich sagen, daß er im Kreis der Großmchte im Gegensatz zu seinem Vater als „un personnage de second plan“400 angesehen und rîcksichtslos fîr ihre Zwecke ausgenutzt wurde.401 Daß Brandenburg im damaligen Mchtekonzert relativ bescheiden auftreten mußte, lag einmal an den Subsidien, auf die er fîr seine Armee nach wie vor angewiesen war: „Zur selbstndigen Kriegfîhrung war Friedrich III. so wenig imstande wie der Große Kurfîrst.“402 Außerdem galt das Land, gemessen an Territorium und Bevçlkerung, neben den Großmchten Frankreich und §sterreich und den aufstrebenden Flîgelmchten England und Rußland immer noch als zweitrangig. Besonders Ludwig XIV., der den trotz Subsidien und Bestechungen erfolgten brandenburgischen Kurswechsel als „une trahison“ auffaßte,403 ließ keine Gelegenheit aus, Friedrich zu demîtigen. Als eigenstndigen Verhandlungspartner lehnte er ihn ab, sowohl als souvernen Herzog von Preußen als auch als Mitglied des Reiches: „Que si l’Ãlecteur lui avait d¤clar¤ la guerre en son nom, comme il le pr¤tendait, il l’avait ignor¤.“ Dementsprechend billigte man Brandenburg keinen zweiten Gesandten zu und verweigerte dem 396 M. Immich, Geschichte … (s. Anm. 15), S. 142. 397 K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 32. 398 Abdruck der Vertrge: T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 328 (S. 530 – 532), Nr. 331 (S. 533 f.) und Nr. 341 (S. 548 – 550). 399 So F. Meinecke, Brandenburg … (s. Anm. 364), S. 197 f. Eine ausgewogene Wîrdigung Friedrichs III./I. gibt C. Hinrichs, Kçnig Friedrich I. … (s. Anm. 387), S. 253 – 271. 400 Diese Einschtzung stammt von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 359. 401 Vgl. zum Pflzischen Krieg die knappe, aber treffende Darstellung bei L. und M. Frey, Friedrich I. … (s. Anm. 350), S. 188 – 191. 402 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 258. 403 Zu dieser Formulierung gelangt aufgrund seines Aktenstudiums P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 359. Dort auch das folgende Zitat aus der Instruktion Ludwigs vom 3. 6. 1697 an seine Verhandlungsfîhrer in Rijswijk.

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ersten das Prdikat „Exzellenz“.404 So willkommen brandenburgische Militrhilfe den Bîndnispartnern auch war, so sehr wurde Brandenburg von ihnen als bloße „Auxiliarmacht“ angesehen, der man nicht einmal einen eigenen Friedensvertrag zubilligte. In zwei der drei Vertrge, die Frankreich am 20. September 1697 mit England, den Generalstaaten und Spanien schloß, wurde Brandenburg auf der Basis des Friedens von St.-Germain (1679) „einbezogen“:405 in den umfangreichen Vertragswerken wurde es mit jeweils einem einzigen kurzen Artikel bedacht.406 Eine hnliche Erwhnung erfuhr es im Artikel VII des Vertrages mit Kaiser und Reich, der am 30. Oktober 1697 folgte.407 Nur dieser Vertrag enthlt îbrigens die berîhmte „Rijswijker Klausel“,408 die dazu fîhrte, daß die Gesandten der protestantischen Reichsstnde, auch Brandenburgs, das Friedensdokument nur unter Vorbehalt unterschrieben. Das Ergebnis des Krieges war fîr Friedrich III. mehr als enttuschend: Weder wurden seine Entschdigungsforderungen erfîllt, noch erhielt er die bisher nicht gezahlten Subsidien. Wertet man Aufwand und Ertrag dieses jahrelangen militrischen Engagements, erweist sich dieser Krieg wahrscheinlich als der îberflîssigste, an dem sich Brandenburg je beteiligte. Der Kurfîrst mußte die bittere Erfahrung machen, „daß man Brandenburg als ein maßgebendes und tonangebendes Element im Konzert der europischen Mchte damals noch nicht anerkennen wollte.“409 Diese diplomatische Demîtigung bestrkte Friedrich III. in seinen Plnen, durch eine Rangerhçhung seine internationale Position aufzuwerten. Wenigstens hatten die brandenburgischen Militrerfolge dazu beigetragen, daß die fîr Frankreich ungewohnt harten Kriegsfolgen Lud-

404 Vgl. zu den Verhandlungen in Rijswijk C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), S. 120 f. 405 So die freundliche Umschreibung der diplomatischen Isolierung bei K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 40. 406 J. du Mont (Hg.), Corps universel … (s. Anm. 103), VII/1, Amsterdam/Den Haag 1731, S. 383: Art. XV (Vertrag Frankreich/Niederlande), und S. 401: Art. XIV (Vertrag Frankreich/Großbritannien). Im Vertrag mit Spanien (S. 408 – 421) wird Brandenburg nicht erwhnt. 407 Ebd., S. 421 – 39 (Text); T. v. Moerner (Bearb.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 411, S. 635 (Regest). 408 J. du Mont (Hg.), Corps universel … (s. Anm. 103), S. 422 f.: Art. IV. Zur Rijswijker Klausel vgl. Anna Sinkoli, Frankreich, das Reich und die Reichsstnde 1697 – 1702 (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 652), Frankfurt am Main u. a. 1995, S. 73 – 87. 409 E. Berner, Auswrtige Politik … (s. Anm. 373), S. 78. Ergnzend: W. Neugebauer, Friedrich III./I. … (s. Anm. 191), S. 127.

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wig zum Einlenken und zum Abschluß seines ersten „Verlustfriedens“ zwangen.410 Durch die hochgebildete und allen kulturellen Strçmungen aufgeschlossen gegenîberstehende Kurfîrstin Sophie Charlotte, „eine fîrstliche Intellektuelle großen Stils“ (Baumgart), verstrkte sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts der westeuropische Einfluß auf Brandenburg. Die politische Anlehnung an England war fîr die Hannoveranerin selbstverstndlich, aber in ihrer eigentlichen Domne, den Kînsten und Wissenschaften, war sie stark auf das franzçsische Vorbild fixiert. Nach einer Reise der Neunjhrigen in die Niederlande (1677) begleitete sie ihre Mutter Sophie im Herbst 1679 an den Hof Ludwigs XIV.411 Deren Trume, fîr ihre 1668 geborene „Figuelotte“ den Dauphin als kînftigen Ehemann zu gewinnen, zerschlugen sich zwar schnell, aber fîr die aus dem provinziellen Osnabrîck (der Erbfall fîr Hannover trat erst Ende 1679 ein) kommende Sophie Charlotte hatten der Aufenthalt am Hof des Sonnenkçnigs und die Begegnung mit der franzçsischen Kulturwelt große Bedeutung. Auch wenn man die geradezu euphorischen Ausfîhrungen Krauskes („als ein Kind war Sophie Charlotte nach Frankreich gegangen, gereift und mit neuen Gedanken erfîllt kehrte sie heim“)412 mit etwas kritischer Distanz betrachtet, kann man sagen, daß Sophie Charlotte seit dieser Reise, die îber einen Monat dauerte, der franzçsischen Kultur sehr aufgeschlossen gegenîberstand und ihren Lebensstil, vor allem nach ihrer Heirat mit Friedrich III. (1684), auch daran orientierte. Vor allem im Schloß Lietzenburg (Grundstîcksschenkung des Kurfîrsten und Baubeginn 1695, Einweihung 1699) konnte Sophie Charlotte, die seit ihrer Jugend fließend franzçsisch sprach, ihren franzçsischen Vorlieben nachgehen. Dabei stîtzte sich die neue brandenburgische Hofkultur nicht auf eine sklavische ˜bernahme des franzçsischen Vorbilds. Ließen die von Jacques Vaillant 1690 fîr das Potsdamer Schloß gemalten vier Triumphbilder den niederlndischen Einfluß noch deutlich erkennen, war bei der seit 1693 entstehenden Serie von Wandteppichen413 das franzçsische Vorbild maßgebend. Im ganzen spielte aber um die Jahrhundertwende die niederlndische Tradition in Architektur und 410 Zur damaligen Situation in Frankreich vgl. K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 322 – 325. 411 Da Liselotte von der Pfalz Cousine und Patentante von Sophie war, spiegelt sich die Frankreich-Reise auch in ihrer Korrespondenz, vgl. D. v. d. Cruysse, „Madame“ … (s. Anm. 388), S. 261 – 276; P. Baumgart, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 368), S. 135. 412 Otto Krauske, Kçnigin Sophie Charlotte, in: HohenzJb 4 (1900), S. 113. Zum „Gegenlesen“ empfiehlt sich die Darstellung von Peter-Michael Hahn, Hofkultur und Hohe Politik. Sophie Charlotte von Braunschweig-Lîneburg, die erste Kçnigin in Preußen aus dem Hause Hannover, in: Sophie Charlotte und ihr Schloß … (s. Anm. 373), S. 31 – 42. 413 Zu der Gobelin-Manufaktur in Berlin s. o. Anm. 340.

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Malerei nach wie vor eine wichtige Rolle, wie die Brîder Augustin und Matthus Terwesten414 und der Flame Anthoni Schoonjans zeigen. Viele der îber 300 Gemlde,415 die sich 1705 im Lietzenburger Schloß befanden, stammen von ihm.416 Auch der berîhmte Lackkînstler G¤rard Dagly war aus Spa nach Lietzenburg gekommen. Dagegen ließ Sophie Charlotte den Schloßgarten durch einen Schîler von Andr¤ Le Nútre anlegen. 1696 wurde der auf Empfehlung Liselottes von der Pfalz nach Berlin gekommene Simon Godeau, dessen Entwîrfe sie noch von Le Nútre begutachten ließ, ihr Gartenarchitekt. In Lietzenburg entstand der „frîheste sogenannte franzçsische Garten […] im deutschen Sprachraum“. Der mitunter als „Kîchengrtner“ bezeichnete Hofgrtner Ren¤ Dahuron, der 1700 nach Lietzenburg kam, hatte vorher in Hannover gearbeitet.417 Zur geistigen Welt Sophie Charlottes, dieser „mondn verfeinerten, etwas morbiden Hofkultur“,418 wie sie in Lietzenburg entstand, gehçrten auch ihre philosophischen Interessen. Besonders bekannt ist ihre enge Verbindung zu Leibniz.419 Als 1702 der streitbare Ire John Toland, ein in England verfolgter Freidenker und Religionskritiker, nach Lietzenburg kam, ermunterte sie Leibniz, „ein wenig mit Toland zu disputieren“. Sophie Charlotte schtzte diese Streitgesprche, wie sie beispielsweise auch zwischen ihren calvinistischen Hofpredigern (Beausobre, Lenfant, Jaquelot) und einem Jesuiten (Vota) stattfanden. Im Hinblick auf diese Streitgesprchskultur soll man im 18. Jahrhundert das Prinzip, alles einer kritischen Prîfung zu unterwerfen, b¤roliniser genannt haben.420 Neben dieser letztlich auf Descartes zurîckgehenden Geisteshaltung 414 Einen guten ˜berblick îber Entwicklung und Stand der europischen Hofkultur gibt Thomas Dacosta Kaufmann, Das Theater der Pracht. Charlottenburg und die europische Hofkultur um 1700, in: Sophie Charlotte und ihr Schloß … (s. Anm. 373), S. 43 – 56. 415 Unter den mindestens 17 Bildnissen von Angehçrigen des Versailler Hofes war keins, das Ludwig XIV. zeigte. 416 Nicht nur fîr die aus Westeuropa stammenden Stîcke stellt das 1705 angefertigte Inventar des Schlosses eine wahre Fundgrube dar (Abdruck: Sophie Charlotte und ihr Schloß … [s. Anm. 373], S. 348 – 368). Zu den Einzelheiten: Gerd Bartoschek, Die Gemldesammlung der Kçnigin Sophie Charlotte im Schloß Charlottenburg, in: ebd., S. 146 – 152. 417 Vgl. zu diesem Komplex Clemens Alexander Wimmer / Martin Schaefer, Die Bedeutung Simon Godeaus fîr die deutsche Gartenkunst, in: ebd., S. 130 – 140, S. 115, S. 340. 418 So beurteilt die Lietzenburger Atmosphre P. Baumgart, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 368), S. 137. 419 Vgl. aber die kritischen Bemerkungen von P.-M. Hahn, Hofkultur … (s. Anm. 412), S. 42, Anm. 24. 420 Vgl. Gerd van den Heuvel, Die Philosophie in der Hofkultur, in: Sophie Charlotte und ihr Schloß … (s. Anm. 373), S. 90 – 94. In seiner „Relation des cours de Prusse et de Hanovre …“ (Den Haag 1706) erklrte Toland, daß Preußen keineswegs so zurîckge-

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schtzte Sophie Charlotte noch eine andere aus Frankreich stammende Tradition: „Die Umgangsformen in Lietzenburg orientierten sich eher an der franzçsischen Salonkultur der ,Preziçsen’ als an den steifen Formen barocker Herrschaftsreprsentation.“421 Eine andere westeuropische Geistesgrçße, Pierre Bayle, lernte Sophie Charlotte persçnlich kennen, als sie im Herbst 1700 zusammen mit ihrer Mutter in die Generalstaaten und in die habsburgischen Niederlande reiste, um von Maximilian II. Emanuel, dem in Brîssel residierenden habsburgischen Statthalter, der zugleich Kurfîrst von Bayern war, die Zustimmung zur Kçnigskrone zu erreichen.422 Sie benutzte die Gelegenheit, um in Rotterdam den Skeptiker Pierre Bayle aufzusuchen, îber dessen „Dictionnaire historique et critique“ (Ablehnung der Leibnizschen Harmonielehre) in Lietzenburg heftig diskutiert wurde. Es gab viele Wege, auf denen westeuropisches Kulturgut îber die Vermittlung durch Sophie Charlotte nach Brandenburg-Preußen gelangte.423 III. Kçnigswîrde und Spanischer Erbfolgekrieg Kaum ein anderes Ereignis der preußischen Geschichte ist so heftig diskutiert worden wie die Erhebung des außerhalb des Reiches liegenden Herzogtums Preußen zum Kçnigreich. Trotz mancher Zweifel am ersten Teil seiner Aussage trifft die Bemerkung seines Enkels Friedrich noch immer den Kern: „Was ursprînglich nur das Werk der Eitelkeit war,“ so heißt es in den „Denkwîrdigkeiten“, „erwies sich spter als politisches Meisterstîck.“ Daß der Kurfîrst Friedrich III., der diesen Gedanken erstmals 1692 ußerte, schließlich die von vielen Seiten kommenden erheblichen Widerstnde îberwand und sich am blieben sei, wie man allgemein annehme; nur die Hotellerie sei nicht so gut wie in England und Holland, weil man nicht so viel reise, obwohl die Regierung energisch gegen das Ruberunwesen vorgehe. 421 Christine van den Heuvel, Sophie von der Pfalz (1630 – 1714) und ihre Tochter Sophie Charlotte (1668 – 1705), in: Kerstin Merkel / Heide Wunder (Hg.), Deutsche Frauen der Frîhen Neuzeit. Dichterinnen, Malerinnen, Mzeninnen, Darmstadt 2000, S. 77 – 92, hier S. 88. 422 O. Krauske, Sophie Charlotte … (s. Anm. 412), S. 118. P.-M. Hahn, Hofkultur … (s. Anm. 412), S. 36, erwhnt die Reise, aber weder die politische Mission noch den BayleBesuch. 423 Vgl. Lothar Noack / Jîrgen Splett, Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frîhen Neuzeit. Berlin-Cçlln 1688 – 1713 (= Verçffentlichungen zur brandenburgischen Kulturgeschichte der Frîhen Neuzeit), Berlin 2000, vgl. auch Anm. 174, sowie – speziell fîr Berlin – die neue Studie von Christian Schmitz, Ratsbîrgerschaft und Residenz. Untersuchungen zu Berliner Ratsfamilien, Heiratskreisen und sozialen Wandlungen im 17. Jahrhundert, Berlin/New York 2002.

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18. Januar 1701 zum Kçnig Friedrich I. in Preußen krçnte,424 wurde ganz wesentlich durch die westeuropische Bîndniskonstellation ermçglicht, die sich gegen Ende des Jahrhunderts herausgebildet hatte. Insofern zeigte sich der Kurfîrst, dessen Kçnigsplne in Wien 1693 auf taube Ohren gestoßen waren, in diesem Punkt als ein gelehriger Schîler Machiavellis, der einen guten Fîrsten auch daran erkennt, daß er eine sich îberraschend bietende Gelegenheit geschickt ausnutzt. In der sich seit lngerer Zeit abzeichnenden Auseinandersetzung îber das weltumspannende Erbe der spanischen Krone, die erneut die Frage nach der (franzçsischen) Hegemonie und dem (europischen) Gleichgewicht aufwarf, konnte Brandenburg nicht neutral bleiben.425 Als das spanische Gesamterbe testamentarisch an Frankreich zu fallen drohte, schlossen sich die Seemchte und der Kaiser am 7. September 1701 zur „Großen Allianz“ zusammen, der Brandenburg am 18. Februar 1702 beitrat, nachdem das Land bereits zum Jahreswechsel 1701/02 ein Bîndnis mit ergnzendem Subsidienabkommen mit den Seemchten geschlossen hatte.426 Erneut kam es unter englisch-hollndischer Fîhrung zur Bildung einer europischen Allianz gegen den franzçsisch-spanischen Universalanspruch. In dieser Situation haben Friedrich III. und seine Diplomaten den erstrebten Kçnigstitel „der Weltlage und Mchtegruppierung abgerungen, die sich um die Frage der spanischen Erbfolge gebildet hatte“.427 Obwohl das Herzogtum Preußen nicht der kaiserlichen Gewalt unterstand, wollte Friedrich seine Standeserhçhung rechtlich absichern. Der Krontraktat vom 16. November 1700428 war im Kern kaum mehr als eine Besttigung und Erneuerung des Vertrages von 1686429 ; gegen 150.000 Gulden Subsidien stellte der Kurfîrst dem Kaiser wiederum 8.000 Mann Hilfstruppen fîr den Kampf

424 Vgl. neuerdings: Iselin Gundermann (Bearb.), Via Regia. Preußens Weg zur Krone (= Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz), Berlin 1998. Als Gratulanten aus Westeuropa werden nur England und die Niederlande erwhnt (ebd., S. 86). Angesichts der vieljhrigen Vorbereitung wird man kaum von der „Schçpfung eines solchen Titels gleichsam aus dem Nichts“ sprechen kçnnen (so E. Hinrichs, Preußen … [s. Anm. 2], S. 20). 425 Zu den Bemîhungen um Brandenburg in dieser Zeit vgl. A. Sinkoli, Frankreich … (s. Anm. 408), Kap. II/7: Brandenburg-Preußen als Brîcke zwischen Ost und West, S. 135 – 150. 426 Abdruck der Vertrge vom 30. 12. 1701 (Den Haag) und 20. 1. 1702 (London): Victor Loewe (Hg.), Preußens Staatsvertrge aus der Regierungszeit Kçnig Friedrichs I. (= PubllPreußStaatsarch 92), Leipzig 1923, S. 8 – 15 (Regest). 427 C. Hinrichs, Kçnig Friedrich I. … (s. Anm. 387), S. 267. 428 Abdruck: T. v. Moerner (Hg.), Staatsvertrge … (s. Anm. 167), Nr. 443, S. 673 – 678 (Regest). 429 S. o. nach Anm. 360 und 389.

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um das spanische Erbe zur Verfîgung – diesmal gegen Anerkennung des Kçnigstitels (Art. 7). Da Brandenburg nun fest auf der antifranzçsischen Seite stand, erfolgte die Anerkennung des Kçnigstitels430 durch England und Holland bei Ausbruch des Krieges. Fîr Wilhelm III., der sich in frîheren Jahren, vor allem nach Danckelmans Sturz, çfter recht despektierlich gegenîber Friedrich verhalten hatte, zhlte erneut die Kampfkraft der brandenburgischen Truppen, die ihm schon bei der Eroberung Englands den Rîcken freigehalten hatten. Ludwig XIV., der sich îber die kçniglichen Ambitionen des Brandenburgers krftig mokierte, war zur Anerkennung der neuen Wîrde erst bereit, als es im Vertragswerk von Utrecht 1713 zu einer Gesamtregelung der spanischen Erbfolgefrage kam. Da sich damals auch Spanien zur Anerkennung entschloß, sahen das diplomatische Westeuropa und die meisten anderen europischen Territorien nunmehr in dem Kurfîrsten von Brandenburg zugleich den Kçnig in Preußen.431 Die spçttischen Bemerkungen Friedrichs II. îber den Erwerb der Kçnigswîrde durch seinen Großvater sind zwar schon durch ihn selbst relativiert worden,432 aber erst neueste Forschungen haben auf die große Bedeutung des zeremoniellen Motivs sowie auf den starken westeuropischen Bezug beim Gewinn des Kçnigstitels hingewiesen. Was die europischen Herrscher, allen voran natîrlich die fest etablierten aus Westeuropa, seinem Vater verweigert hatten, erstrebte der Sohn: Nur durch „Annehmung der kçniglichen Wîrde“ glaubte er „die honores regios fîr mich und meine Minister (= Gesandte) erhalten“ zu kçnnen. Das eigentliche Risiko lag, wie es Leibniz voraussah, in der Akzeptanz derer, in deren Kreis Friedrich aufsteigen wollte. Um als gleichberechtigt anerkannt zu werden, mußte dem durch eine gînstige bîndnispolitische Situation mçglich gemachten Erwerb der Kçnigskrone ein entsprechendes, der neuen Wîrde angemessenes Zeremoniell folgen; es war schlechterdings 430 Jîngste ˜bersicht bei Peter Baumgart, Ein neuer Kçnig in Europa. Interne Planung, diplomatische Vorbereitung und internationale Anerkennung der Standeserhçhung des brandenburgischen Kurfîrsten, in: Preußen 1701. Eine europische Geschichte, 2 (= Essayband zur gleichnamigen Ausstellung im Schloß Charlottenburg, Berlin 2001), hg. v. Deutsches Historisches Museum/Stiftung Preußische Schlçsser und Grten BerlinBrandenburg (im folgenden immer: DHM/SPSGBB), Berlin 2001, S. 166 – 176. 431 Whrend sich die Franzosen îber die staatsrechtlichen Feinheiten hinwegsetzten und kînftig vom „Roi de Prusse“ sprachen, verweigerte Polen die Anerkennung bis 1764, die Kurie sogar bis 1784/87. Der Titel „Kçnig von Preußen“ wurde von den HohenzollernHerrschern erst seit 1772 benutzt. 432 Vgl. auch Peter Baumgart, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701, das Reich und die europische Politik, in: Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 7), Kçln/Wien 1987, S. 65 – 86. Auch E. Hinrichs, Preußen … (s. Anm. 2). S. 20, betont, daß die „Ranggleichheit“ im Mchtekampf des Ancien R¤gime wie kaum etwas anderes zhlte.

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unausweichlich, „den neuen Rang in der Symbolsprache europischer Politik ad oculos zu demonstrieren“.433 Weil sich jede angemessene Selbstdarstellung der Hohenzollern untrennbar mit der Frage der eher dîrftigen brandenburgischen Hofkultur und der „statusmßigen Defizite in Abstammung und Verwandtschaft“ verknîpfte und Friedrich III. die angestrebte Kçnigswîrde dynastisch-genealogisch untermauern wollte, verfielen er und seine Berater auf die „genealogische Vereinnahmung der Oranier“. Die Suche nach hochrangigen Vorfahren fîhrte nicht etwa zu den Hohenzollernfîrsten des 15. und 16. Jahrhunderts, sondern zu Wilhelm von Oranien, inzwischen Kçnig von England, dem Friedrich obendrein bei seinem Eroberungsfeldzug Waffenhilfe geleistet hatte.434 Die „oranische Wendung“ fîhrte zu einer unerhçrten Aufwertung der Argumente: Der dynastisch-genealogische Bezug auf die Oranier verbesserte die Mçglichkeiten Friedrichs, eine kçnigliche Stellung zu reklamieren. Das dynastische Denken des Kurfîrsten zeigte „die vçllige Ausrichtung der dynastischen Propaganda auf das Haus Oranien.“435 Aus dieser Sicht war es historisch berechtigt, die Feierlichkeiten zum Krçnungsjubilum (18. 1. 2001) mit der Wiedererçffnung des Schloß(museums) Oranienburg zu beginnen, in dem Gemlde von Lievens, Flinck und Mijtens, Skulpturen von Dieussart und Grupello, wertvolle Stîcke aus der Oranischen Erbschaft (van Dyck, Willeboirts) und die berîhmten Wandteppiche aus Brîssel auf die jahrzehntelangen kulturellen Beziehungen Brandenburgs zu den Niederlanden hinweisen. Was der Große Kurfîrst und Louise Henriette gest hatten, erntete der Sohn – dank einer nachhaltigen politischen und moralischen Unterstîtzung durch die erstarkte englisch-niederlndische Personalunion, fîr die der Friede von 1713 „den ersten Schritt auf dem Wege zur erdumspannenden Pax Britannica“ bedeuten sollte.436 Obwohl Preußen auf der anderen Seite gestanden hatte, machte Ludwig XIV. dem neuen Preußenkçnig ein kostbares Geschenk: Die in Brîssel gefertigte Serie von sechs Bildteppichen hngt heute im Schloß Oranienburg. Den Stellenwert, den der Beitrag Westeuropas beim Gewinn der preußischen Kçnigskrone hatte, deuten auch die beiden folgenden Sachverhalte an: Fîr die Erledigung der an ihn gerichteten Immediat-Suppliken beschftigte der neue preußische Kçnig einen besonderen Beamten, der – nach franzçsischen 433 Wolfgang Neugebauer, Hof und Politisches System in Brandenburg-Preußen: Das 18. Jahrhundert, in: JbGMitteldtld 46 (2000), S. 139 – 169, das Zitat: S. 141; alle îbrigen Angaben nach B. Stollberg-Rilinger, §ffentlichkeit … (s. Anm. 206), S. 145 – 176, hier S. 168 – 176. Die Zitate: S. 170, S. 172, S. 176. Gute zusammenfassende Wîrdigung bei W. Neugebauer, Friedrich III./I. … (s. Anm. 27), passim. 434 S. o. § 3 II 1. 435 P.-M. Hahn, Magnifizenz … (s. Anm. 173), S. 38 – 45, die Zitate: S. 39, S. 40, S. 42. 436 I. Mieck, Europische Geschichte … (s. Anm. 51), S. 279.

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Muster – ma‚tre des requÞtes genannt wurde; die skeptische Meinung Ilgens, der schon „franzçsische, englische, schwedische und andere hier anwesende Ministri (= Gesandte)“ nach der Krçnung verschwinden sah, besttigte sich nicht. Auch die politischen Konstellationen, îber die im nchsten Absatz zu sprechen ist, trugen dazu bei, daß die Seemchte, Brandenburg-Preußens wichtigster Bîndnispartner, dem neuen Kçnig eine wichtige Hilfestellung boten. Der englische Hof erkannte nicht nur Friedrichs Gleichrangigkeit an, er war auch einverstanden, daß in Berlin die neuen honores regios çffentlich demonstriert wurden. Als Lord Raby, seit 1703 envoy¤ der britischen Krone, 1706 zum ambassadeur erhoben wurde, gab es eine auf zwei Tage verteilte (7./10. 4. 1706) çffentlich inszenierte feierliche Antrittsaudienz mit großem entr¤e, wie man sie in Berlin noch nie gesehen hatte. Damit war, fîr alle Welt sichtbar, auch der Berliner Hof zu einem „Forum der gemeineuropischen hçfischen §ffentlichkeit“ aufgestiegen. Sogar das Lietzenburger Ensemble – Schloß, Park und Stadt – wurde von Sophie Charlotte bewußt in den Dienst der neuen Wîrde gestellt – als eine „reprsentationspolitische Komponente“ besonderer Qualitt.437 Friedrich bemîhte sich auch, den Luxusindustrien der Hauptstadt direkte und indirekte Unterstîtzung zukommen zu lassen, um seiner neuen kçniglichen Wîrde einen angemessenen Rahmen zu geben. Dazu gehçrte die Fortfîhrung der Gobelinmanufaktur, die unter ihrem neuen Leiter Jean Barraband jun. bereits 1699 nachweisbar ist und wohl die bedeutendste Berlins war. Auch die Fayence-Herstellung erfuhr eine neue Blîtezeit, als sich die aus den Niederlanden stammenden Gerhard Molin und Gerhard Wolbeer erfolgreich darum bemîhten, bevor Cornelius Funcke „aus Holland“ das frîher vçllig unbekannte Gewerbe weiter voranbrachte.438 Obwohl es zwischen den Verbîndeten immer wieder zu Spannungen kam, hielt Friedrich I. prinzipiell an der antifranzçsischen Koalition fest,439 geriet aber 437 Heinrich Otto Meisner, Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, Leipzig 21952, S. 41; B. Stollberg-Rilinger, §ffentlichkeit … (s. Anm. 206), S. 145 f., S. 173 – 176, das Zitat: S. 176. – Die feste Reprsentationsabsicht Sophie Charlottes unterstreicht Dorothea Zçbl, Sophie Charlotte und ihre Schloß-, Garten- und Stadtanlage Lîtzenburg/Charlottenburg, in: Jîrgen Wetzel (Hg.), Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2001, S. 21 – 36, hier S. 22. 438 Reichhaltige Informationen bieten H. Mauter, C. Keisch und C. Horbas in: C. Keisch / S. Netzer (Hg.), „Herrliche Kînste“ … (s. Anm. 3). 439 Auf Drngen Ilgens gab es 1705 Verstndigungsversuche mit Frankreich, die jedoch am mangelnden Entgegenkommen Ludwigs XIV. scheiterten; vgl. dazu Erich Hassinger, Preußen und Frankreich im Spanischen Erbfolgekrieg, in: ForschBrandPrG 54 (1943), S. 43 – 86. Ein europisches Sonderproblem, das auch eine franzçsisch-preußische Seite hat, untersucht Laurence Huey Boles Jr., The Huguenots, the Protestant Interest, and

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Tabelle 4: Jhrliche Subsidienzahlungen an Preußen (um 1710, in Kronen) Korps in Flandern „Altes Korps“ „Neues Korps“ Italienisches Korps

Niederlande

England

Kaiser

180.000 155.000

180.000 155.000 280.000 247.000

30.000

123.000

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach K.-L. Feckl, Preußen … (s. u. Anm. 440), S. 85 (Tabelle); L. / M. Frey, Friedrich I. … (s. Anm. 350), S. 204 f.

Schritt fîr Schritt in eine immer grçßere finanzielle und politische Abhngigkeit von den Seemchten, die ihn durch eine Reihe von Subsidien-Vertrgen (1702, 1704 [„Novembervertrag“], 1706, 1708, 1709) fest an sich banden.440 Die geschickte Preußen-Politik des englischen Oberbefehlshabers Marlborough und des englischen Gesandten in Berlin, Lord Raby, trug dazu bei, daß Friedrich I. vom „Parteignger des Kaisers“ zum „Kostgnger der Seemchte“ wurde, weil die „Kaufleute und Bankiers der Londoner City îber die Kanzleijuristen der Hofburg“ siegten (Feckl). Aus den 8.000 Mann, zu denen er sich im Krontraktat verpflichtet hatte, waren um 1709 etwa 30.000 geworden, die gegen Frankreich kmpften. Insgesamt stellte Preußen vier Truppenkontingente: Nimmt man die Sollstrke der Truppen bei Vertragsabschluß zur Grundlage, betrug sie 5.200, 12.000, 6.200 und 8.000, zusammen also mehr als 31.000 Soldaten, fîr deren Unterhalt (Sold, Proviant, Pferdefutter, Rekrutengeld) pro Jahr 1.350.000 Kronen in die preußische Staatskasse fließen sollten. Seiner vorsichtigen, aus der Einsicht in die militrische Schwche Preußens resultierenden Politik ist es zuzuschreiben, daß es dem am ehesten daran interessierten Frankreich nicht gelang, den 1700 ausgebrochenen Großen Nordischen Krieg mit dem Spanischen zu einem gesamteuropischen Konflikt zu verbinden.441 Das herbe Urteil, das man frîher îber die Außenpolitik Friedrichs zu fllen geneigt war, wird von der heutigen Forschung nicht mehr geteilt. Weil Preußen – trotz Kçnigstitel – wegen seiner Subsidien-Abhngigkeit immer noch als Auxiliarmacht galt, fîhrte Friedrich nicht, wie Droysen meinte, im Westen Krieg ohne Politik, im Osten Politik ohne Krieg, sondern eher „im Westen the War of the Spanish Succession (= American University Studies, Series 9: History, 181), New York u. a. 1997. 440 Eine gelungene Zusammenfassung stammt von Klaus-Ludwig Feckl, Preußen im Spanischen Erbfolgekrieg (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 123), Frankfurt am Main u. a. 1979, hier S. 82 – 85. Abdruck der Vertrge: V. Loewe, Staatsvertrge Friedrichs I. … (s. Anm. 426), S. 8 ff., S. 58 ff., S. 75 ff., S. 79 ff., S. 97 ff., S. 103 ff. (Regesten). 441 Zu dieser Problematik vgl. die einsichtige Analyse von O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 275.

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Krieg ohne Geld, im Osten Politik ohne Armee.“442 Da er sich fîr die Kçnigskrone und damit fîr den Krieg im Westen entschieden hatte und dabei auch dynastische Interessen verfolgte,443 unterließ er es klugerweise, gleichzeitig im Osten einzugreifen – wohl wissend, daß sein leicht verwundbares Land einen Zweifrontenkrieg kaum îberstehen wîrde. Als England 1711 die Koalition verließ, weil der bislang bekmpfte bourbonische Universalanspruch durch einen habsburgischen ersetzt zu werden drohte und die 1710 ans Ruder gekommene Antikriegspartei mit Frankreich zu verhandeln begann, war Preußen zu schwach, um das Auseinanderbrechen der Großen Allianz verhindern zu kçnnen. Trotz seiner Empçrung konnte Friedrich nur versuchen, zwischen den Parteien zu lavieren und einen halbwegs akzeptablen Friedensschluß zu erreichen. Gegen die Auffassung des Kronprinzen, der einen streng antienglischen Kurs verfolgte, konnte sich die „Realpolitik Ilgens“ (Hinrichs), der eine Anlehnung an England nach wie vor als die fîr Preußen politisch aussichtsreichste ansah, durchsetzen.444 Der am 11. April 1713 zwischen Frankreich, Spanien und Preußen geschlossene Vertrag,445 der zum umfassenden Friedenswerk von Utrecht gehçrt, brachte zunchst die Anerkennung der Kçnigswîrde durch die beiden Bourbonenmchte. In territorialer Hinsicht bestand der Lohn fîr aktive Militrhilfe auf elf Feldzîgen in einigen Teilen der oranischen Erbschaft, die Preußen zum Teil schon whrend des Krieges besetzt hatte: die Grafschaften Moers, Lingen und Tecklenburg sowie Teile des Oberquartiers von Geldern. Whrend Preußen auf das mitten in Frankreich gelegene Fîrstentum Orange verzichtete, wurde dem Kçnig die bereits 1707 angetretene Nachfolge in dem in der Schweiz 442 K.-L. Feckl, Preußen … (s. Anm. 440), S. 207. Zustimmend: K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 69 f. 443 Es ging um Teile der „oranischen Erbschaft“, auf die Friedrich nach dem kinderlosen Tod Wilhelms III. (1702) aufgrund einer (umstrittenen) Erbvereinbarung mit seiner Mutter, Luise Henriette, Ansprîche erhob. Zu dieser Problematik immer noch grundlegend: Wolfgang Peters, Die Franche-Comt¤, Neuch’tel und die oranische Sukzession in den Plnen der preußischen Politik whrend des spanischen Erbfolgekrieges, in: ForschBrandPrG 28 (1915), S. 83 – 138 und S. 423 – 474. Gute Zusammenfassung: K.-L. Feckl, Preußen … (s. Anm. 440), S. 86 – 107. 444 Wegen des schlechten Gesundheitszustandes Friedrichs wurden die auswrtigen Angelegenheiten bereits weitgehend vom Kronprinzen wahrgenommen, vgl. C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), S. 603 – 609: Kap. 4/III/2 („Der Kronprinz und der Utrechter Friedenskongreß“). Zu den komplizierten diplomatischen Auseinandersetzungen im Umfeld des Utrechter Friedenskongresses vgl. K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 217 – 248. 445 Vertragstext (lateinisch): Victor Loewe (Hg.), Preußens Staatsvertrge aus der Regierungszeit Kçnig Friedrich Wilhelms I. (= PubllPreußStaatsarch 87), Leipzig 1913, Nr. 2, S. 8 – 15. Vgl. dazu auch Erich Klein, Preußen und der Utrechter Frieden, Danzig 1910, passim.

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gelegenen Fîrstentum Neuch’tel (Neuenburg) und der angrenzenden Grafschaft Valangin besttigt.446 Da Friedrich die ihm zufließenden Subsidien weniger selbstndig als sein Vater einsetzte, daher eher als „roi merc¤naire“ galt und sein Land als reine Auxiliarmacht angesehen wurde, erschienen Otto Hintze diese dîrftigen Territorialgewinne „noch als ein unverhofftes Glîck“; die neuere Forschung drîckt sich deutlicher aus: „Friedrich III./I. hatte im Pflzer Krieg nichts, im Spanischen Erbfolgekrieg wenig erworben.“447 Weil er den Utrechter Frieden nur als Kçnig in Preußen unterschrieben hatte, endete der Krieg fîr den Kurfîrsten von Brandenburg erst mit dem Frieden von Baden (1714), als sich das Reich dem Utrechter Friedenswerk anschloß. Da der territoriale Gewinn recht mager war, kçnnte man als wichtigstes Ergebnis des Krieges fîr Brandenburg-Preußen die bislang verweigerte Anerkennung der Kçnigswîrde durch Frankreich und Spanien ansehen.448 Daß die von Frankreich weit entfernten Gebiete dem îberwiegenden Teil der dortigen Bevçlkerung auch nach der Krçnung kaum oder gar nicht bekannt waren und „in der franzçsischen Wahrnehmung Europas nur eine Außenseiterrolle“ spielten, ist aber nur bedingt richtig; seit dem Großen Kurfîrsten gehçrte das Land im Rahmen der europischen Politik zu den etablierten Mittelmchten, mit denen auch die Großmchte zu rechnen hatten. Die Behauptung, daß die Erhebung Preußens zum Kçnigtum in Frankreich „die Gestalt eines Nicht-Ereignisses“ annahm, kann man in dieser Radikalitt deshalb nicht akzeptieren.449 Herrscher und Diplomaten wußten sehr genau, was es mit der neuen Titulatur auf sich hatte. IV. Die Liquidierung der Kolonialpolitik Die Beziehungen des Großen Kurfîrsten zu Westeuropa wurden nicht zuletzt durch seine kolonialen Interessen bestimmt. Trotz des eigenen Engagements und Raules Initiativen war an eine brandenburgische Kolonialpolitik ohne die 446 Vgl. neuerdings Wolfgang Stribrny, Die Kçnige von Preußen als Fîrsten von Neuenburg-Neuch’tel (1707 – 1848). Geschichte einer Personalunion (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 14), Berlin 1998. 447 O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 273; K.-L. Feckl, Preußen … (s. Anm. 440), S. 201. 448 Diese Auffassung vertritt beispielsweise K.-L. Feckl, Preußen … (s. Anm. 440), S. 198. Auch das großzîgige Prsent Ludwigs XIV. kçnnte dafîr sprechen. 449 So Christophe Duhamelle, Die Krçnung von 1701 und ihre Wahrnehmung in Frankreich, in: Preußen 1701 … (s. Anm. 430), S. 240 – 246, die Zitate S. 243 und S. 246. Speziell fîr das Verhltnis Preußens zu Frankreich nach 1701 werden auch ganz andere Meinungen vertreten, z. B. von K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 360 f.

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wohlwollende Tolerierung durch die anderen Kolonialmchte nicht zu denken. Mehr als einmal hatten die brandenburgischen ˜bersee-Ambitionen zu Konflikten mit den etablierten Kolonialmchten Spanien, Frankreich, England und den Niederlanden gefîhrt.450 Daß diese dem ganzen Projekt, besonders nach der Grîndung von Groß-Friedrichsburg, langfristig eher reserviert gegenîberstanden, zeigen nicht nur die langwierigen Verhandlungen mit Frankreich und den Niederlanden îber die Rîckgabe der konfiszierten Schiffe „Morian“ und „Wappen von Brandenburg“ sowie die spteren Auseinandersetzungen um die Insel Arguin.451 Trotz der politischen Annherung auf Regierungsebene blieb besonders das Verhltnis zur niederlndischen Afrika-Kompanie ausgesprochen feindselig. Nach dem brutalen ˜berfall auf den brandenburgischen Stîtzpunkt Takoradi am 27. Februar 1685 und dessen Eroberung durch Truppen der Westindischen Kompanie 1687 verbesserten sich die Beziehungen erst seit etwa 1690 im Zeichen der „Großen Allianz“.452 Bis dahin dominierte die traditionelle europische Auffassung, daß es selbst in Friedenszeiten im kolonialen Wettstreit „no peace beyond the line“ gbe. Diese imaginre ozeanische Grenze gehçrte seit den Friedensverhandlungen von Cateau-Cambr¤sis (1559) zum Repertoire der europischen Diplomatie. Eine hnliche Auffassung vertrat die brandenburgisch-afrikanische Kompanie 1687 hinsichtlich des Handels „ultra tropicum cancri“.453 Diese Diskrepanz wurde sogar in der kolonialen Konkurrenz der „Seemchte“ deutlich: Whrend sich zwischen Brandenburgern und Hollndern erhebliche Probleme aufbauten, blieb das Verhltnis zu England „ungetrîbt und gestaltete sich mehr denn je zum gegenseitigen Nutzen; […] die Qualitt und Intensitt der brandenburgischen Beziehungen mit England wurden im Verhltnis zur Westindischen Compagnie in Afrika jedoch ebensowenig jemals erreicht wie gegenîber allen anderen europischen Mchten.“454 Whrend die Spannungen mit der niederlndischen Gesellschaft noch auf die Zeit des Großen Kurfîrsten zurîckgingen, weist die Festsetzung der Brandenburger auf der Insel Arguin bereits auf die Regierungszeit Friedrichs III., denn der erste Vertrag wurde zwar noch zu Lebzeiten Friedrich Wilhelms am 20. Dezember 1687 unterzeichnet – allerdings in Afrika, so daß er faktisch nur noch den Nachfolger betraf, der ihn nicht nur akzeptierte, sondern 1698 und 1703 besttigte.455 450 451 452 453 454 455

S. u. § IV. Vgl. auch I. Mieck, David … (s. Anm. 286), S. 51 – 54. Vgl. dazu K.-J. Matz, Kooperation … (s. Anm. 317), S. 99. R. Schîck, Kolonial-Politik … (s. Anm. 288), 1, S. 199, Anm. 200. K.-J. Matz, Kooperation … (s. Anm. 317), S. 98 f. I. Mieck, David … (s. Anm. 288), S. 55.

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Die Voraussage R¤benacs, daß mit dem Tode des Großen Kurfîrsten die brandenburgischen Kolonialaktivitten aufhçren wîrden,456 erfîllte sich also nicht. Friedrich III. besaß zwar nicht die politische Statur seines Vaters, doch fîhlte er sich auch in der Kolonialpolitik verpflichtet, dessen Werk fortzusetzen. Außerdem sah der unermîdliche Benjamin Raule in der sich abzeichnenden neuen westeuropischen Bîndniskonstellation eine Chance, alte Projekte auf neue Wege zu bringen. Der im Mrz 1691 von Raule entworfene Plan, die brandenburgische Kolonialpolitik durch einen Vertrag mit den „Seemchten“ auf festere Grundlagen zu stellen,457 erklrt sich einmal durch die Zugehçrigkeit des Landes zur „Großen Allianz“, zum andern durch den politisch umfassenderen Entwurf einer Tripelallianz zwischen England, den Niederlanden und Brandenburg, die dem Premierminister Eberhard v. Danckelman damals vorschwebte.458 Obwohl sich diese Plne als illusionr erwiesen, veranlaßte der Kurfîrst 1692 eine Sanierung der fast bankrotten Afrika-Kompanie und wandelte sie in eine neue um, die den Namen „Brandenburgisch-africanisch-americanische Compagnie“ erhielt. Auch sie stand 1698 erneut vor dem Zusammenbruch; bis 1709 liefen nur noch fînf Schiffe aus, danach keines mehr. Kaufleute aus Rotterdam, mit preußischen Pssen ausgestattet, îbernahmen fortan den Handel und die Versorgung der brandenburgischen Stîtzpunkte Groß-Friedrichsburg und Arguin.459 Frankreichs Enttuschung îber den Kurswechsel Brandenburgs hatte auch Rîckwirkungen im kolonialen Bereich, in dem Ludwig XIV. in den frîhen 80er Jahren dem Großen Kurfîrsten manche Vorteile zugestanden hatte. Der Konfliktpunkt, den die franzçsischen Diplomaten seit den Verhandlungen in Rijswijk wiederholt zur Sprache brachten, war die von Brandenburg 1687 besetzte und zu einer lukrativen Handelsniederlassung ausgebaute Insel Arguin. Nachdem Friedrich in Rijswijk ihre von Frankreich unter recht fadenscheinigen Grînden verlangte ˜bergabe abgelehnt hatte, kam der Staatssekretr460 Pontchartrain noch drei Jahre spter darauf zurîck und bezichtigte den Kurfîrsten in dieser Sache der Bçswilligkeit.461

456 457 458 459 460

S. o. bei Anm. 264. R. Schîck, Kolonial-Politik … (s. Anm. 290), 2, S. 376 f. S. o. S. 539 (Anm. 383). K.-J. Matz, Kooperation (s. Anm. 317), S. 95 – 97 (mit Anm. 44). Er gehçrte zu den sechs Ministern des alten Frankreich (Kanzler, Generalkontrolleur der Finanzen, vier Staatssekretre) und îbte als „secr¤taire d’¤tat des affaires ¤trangºres“ die Funktion des Außenministers aus. 461 P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 359 mit Anm. 2, zitiert zwei einschlgige Briefe vom Herbst 1700.

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Obwohl Friedrich III./I. versuchte, das „Kolonialexperiment“ des Großen Kurfîrsten462 auch gegen große Widerstnde in seiner Umgebung mit erheblichen finanziellen Zuwendungen aufrechtzuerhalten und koloniale Fragen – wenn auch erfolglos – sogar bei den Beitrittsverhandlungen zur „Großen Allianz“ zur Sprache brachte,463 scheiterte das gesamte Unternehmen letztlich am Spanischen Erbfolgekrieg, der es faktisch unmçglich machte, Schiffe îberhaupt auszusenden. Da Friedrich Wilhelm I. „das Africanische Commercien-Wesen“ von jeher „als eine Chimere“ angesehen hatte, bemîhte er sich, den ganzen Komplex mçglichst gewinnbringend abzustoßen. Er schaffte auf diese Weise einige Konfliktpunkte aus der Welt, die das Einvernehmen zwischen Brandenburg-Preußen und den westeuropischen Kolonialmchten wiederholt beeintrchtigt hatten. Das allgemeine Friedens- und Ruhebedîrfnis der west- und mitteleuropischen Staaten nach den ludovizianischen Kriegen kam dem entgegen. Nachdem alle anderen Versuche, das koloniale Erbe zu retten, gescheitert waren, verkaufte Friedrich Wilhelm I. am 18. Dezember 1717 die brandenburgischen Besitzungen in Westafrika fîr 6.000 Dukaten an die NiederlndischWestindische Kompanie und verpflichtete sich, nie wieder an der Guinea-Kîste Schiffahrt und Handel zu treiben oder Niederlassungen zu grînden.464 Als die Englnder von den Verkaufsverhandlungen erfuhren, boten sie sogar einen hçheren Kaufpreis an, aber das Geschft war schon gettigt. Weil John Conny, „der schwarze Preuße“, Groß-Friedrichsburg noch jahrelang verteidigte, konnten die Niederlnder das Fort erst im November 1724 erobern; Arguin hatte ihnen inzwischen die franzçsische Senegal-Kompanie genommen, als sie sich der Insel, auf die sie seit langem Ansprîche erhob, im Mrz 1721 bemchtigte.465 V. Friedrich Wilhelm und Westeuropa Da der Kçnig auch nach der Einfîhrung des Kantonsystems an der oft sehr brutal durchgefîhrten Auslandswerbung festhielt, lag er mit den westeuropischen Mchten wegen seiner Soldatenrekrutierung in einem Dauerkonflikt. Besonders gefhrdet waren großgewachsene junge Mnner, die der Soldaten462 So Klaus-Jîrgen Matz, Das Kolonialexperiment des Großen Kurfîrsten in der Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts, in: G. Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht … (s. Anm. 43), S. 191 – 202. 463 R. Schîck, Kolonial-Politik … (s. Anm. 288), 1, S. 273. 464 Vertragstext (niederlndisch): V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 445), Nr. 44, S. 185 – 190. 465 ˜ber das Ende der brandenburgischen Kolonien berichtet ausfîhrlich H.-G. Steltzer, „Mit herrlichen Hfen“ … (s. Anm. 292), S. 215 – 228 (Groß-Friedrichsburg) und S. 229 – 236 (Arguin).

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kçnig mit mancherlei Vergînstigungen versah und in das Leibregiment der „Langen Kerls“ steckte. Die hufigen Desertionen der zum Militrdienst Gepreßten fîhrten zu zahlreichen zwischenstaatlichen Vereinbarungen (Kartelle), in denen Fragen der Bestrafung und Auslieferung geregelt wurden. Bei den zehn Kartellvertrgen, die von Friedrich Wilhelm I. bekannt sind, war Westeuropa allerdings nur einmal vertreten (England 1719).466 Whrend Friedrich III./I. stark an der barocken Prachtentfaltung des franzçsischen Hofes orientiert war, bevorzugte der Sohn, der ein ziemlich schlechtes Franzçsisch sprach und mit dem hçfischen Geprnge des ersten Preußenkçnigs beim Regierungsantritt grîndlich aufgerumt hatte,467 die bîrgerlich-kaufmnnische Welt der Niederlande. Lebensart und Mentalitt der Hollnder entsprachen weitgehend seinem Naturell, das auf Sparsamkeit, Gradlinigkeit, Effektivitt und Ehrlichkeit Wert legte, aber auch vor Grobheiten nicht zurîckschreckte. In ironischer Distanzierung von den prchtigen Gartenanlagen der franzçsischen Kçnige soll er einen von ihm selbst in soldatischer Ordnung vor dem Potsdamer Brandenburger Tor angelegten gewçhnlichen Kîchengarten „mein Marly“ genannt haben. Es entsprach seinem Charakter, daß er sich gern von dem lrmenden Berlin nach Potsdam oder Wusterhausen zurîckzog. Der von Carl Hinrichs stammende Vergleich, daß sich Potsdam und Wusterhausen zu Berlin verhalten wie Versailles zu Paris erscheint allerdings nicht ganz stichhaltig;468 eher kçnnte man an die kleineren Residenzen denken, die Friedrich Wilhelm schon als Kronprinz in den Niederlanden gesehen und – wie das ganze Land – schtzen gelernt hatte. Whrend seiner Regierungszeit rîckte dieser Staat, diesmal gemeinsam mit England, erneut an die erste Stelle der westeuropischen Staaten.

466 Vgl. dazu Gabriele Langowski, „Militarisierung“ des gesellschaftlichen Lebens unter Friedrich Wilhelm I.? Die Bedeutung des Heeres fîr Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, Staatsexamensarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin, Berlin 1979, S. 25 – 30. 467 Daß der „Systemwechsel“ (Baumgart) teilweise „dramatische Folgen“ hatte, betont Wolfgang Neugebauer, Staatsverwaltung, Manufaktur und Garnison. Die polyfunktionale Residenzlandschaft von Berlin-Potsdam-Wusterhausen zur Zeit Friedrich Wilhelms I., in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 233 – 257, hier S. 235 – 239. 468 Carl Hinrichs, Die Preußische Zentralverwaltung in den Anfngen Friedrich Wilhelms I., in: Ders., Preußen als historisches Problem … (s. Anm. 308), S. 157; W. Neugebauer, Staatsverwaltung … (s. Anm. 467), S. 250 – 255, favorisiert als Vergleichsobjekt das Residenzensemble von Wien und Umgebung. Nach jahrelanger Restaurierung kann das Schloß Kçnigs Wusterhausen seit 2000 wieder besichtigt werden.

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1. Die Niederlande: Fîrstliches Reiseziel und Vorbild Wie sein gleichnamiger Großvater kannte Friedrich Wilhelm als einziges westeuropisches Land die Niederlande aus eigener Anschauung. Von der „ersten hollndischen Bildungsreise“469 des zwçlfjhrigen Kurprinzen, die in der zweiten Jahreshlfte 1700 stattfand, versprach sich Friedrich III. eine positive Resonanz in der hollndischen §ffentlichkeit im Hinblick auf seine Hoffnung, vom derzeitigen Statthalter, der zugleich englischer Kçnig war, als Nachfolger eingesetzt zu werden, whrend die Mutter, die „Westlerin“ Sophie Charlotte, ihrem Sohn „die in ihren Augen geistig freiere und fortgeschrittenere Welt Westeuropas“ ein wenig erschließen wollte. Deshalb arrangierte sie auch die beiden Treffen mit Pierre Bayle (Rotterdam, 2.10.) und F¤nelon (Brîssel, 13.10.). Viel strker beeindruckten den Kurprinzen die mehrfachen Zusammenkînfte mit dem Statthalter-Kçnig Wilhelm, der seinen Gast das „charmanteste und hoffnungsvollste Kind“ nannte, das er je gesehen habe, und ihm versprach, ihn im abzusehenden Kampf um das Spanische Erbe an seine Seite zu rufen. Die vielfltigen Eindrîcke verfestigten sich bei Friedrich Wilhelm und prgten sein weiteres Leben: „Von der so unmilitrischen, aber auch unhçfischen Bîrgerund Hndlerkultur îbernahm er, alles aufs Militrische ausrichtend, architektonische Formen, soziale Einrichtungen und die Lieblingsbeschftigung der §lmalerei. Hollndisch waren Garnisonkirchen mit Glockenspielen, MilitrWaisenhaus, Anatomie fîr Feldschers, die Bîrgerhuser fîr seine Grenadiere an Kanlen und Brîcken in dem wasserreichen Potsdam.“ Es ist kein Zufall, daß sich Friedrich Wilhelm I. auf einem Selbstbildnis als reicher Hollnder darstellte, obwohl er seit 1725 (als erster europischer Monarch) nur noch Uniform trug. Daß gelegentlich auch andere Westeuroper fîr ihn ttig waren, zeigt das Beispiel des Offizier-Architekten Pierre Gayette, der in Potsdam die HeiligGeist-Kirche (1726) und den „Langen Stall“ (1734) errichtete. 1730/32 ließ sich Friedrich Wilhelm bei Potsdam das Jagdschlçßchen Stern im Stil eines zweigeschossigen hollndischen Bîrgerhauses erbauen.470 Auf einen Besuch des Kçnigs in Amsterdam im Frîhjahr 1732 ging die Errichtung des in den letzten Jahren restaurierten „Hollndischen Viertels“ in Potsdam zurîck. In die von Johan Bouman von 1734 bis 1740 gebauten 134 Huschen zogen nach neuesten Forschungen mindestens 32 niederlndische Immigranten ein, die den

469 Vgl. C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), Kap. I/IX, S. 76 – 88. Die folgenden Zitate: S. 78, S. 81 und S. 84. 470 Vgl. Ulrich Schmelz, Zu den niederlndischen Prgungen der Residenzstadt Potsdam im 18. Jahrhundert, in: H. Lademacher (Hg.), Dynastie … (s. Anm. 183), S. 321 – 325.

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großzîgigen Anwerbungszusagen gefolgt waren.471 Auch der rund 1,5 Kilometer lange Stadtkanal („Gracht“) wurde unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. nach hollndischem Vorbild angelegt. Reisen preußischer Untertanen in die Niederlande haben allerdings trotz der Vorliebe Friedrich Wilhelms fîr alles Hollndische kaum stattgefunden. Als Holland-Besucher konnten aus seiner Regierungszeit lediglich Carl Ludwig von Pçllnitz, der das Land 1732/33 bereiste,472 sowie der sonst unbekannte Johann Peter Reichart (1727, 1731?) ermittelt werden. Vielleicht war auch Adrian Gottlieb Volckart, der zwischen 1717 und 1722 vier Schiffsreisen von Amsterdam aus unternahm, ein Brandenburger.473 Auch mit Arbeiten zum Wasserschutz, fîr die die Hollnder von alters her („Deus mare, Batavus litora fecit“) als Spezialisten galten, wurden sie beauftragt; Simon Leonhard von Haerlem, dessen Großvater hollndischer Oberdeichgraf war, arbeitete seit 1736 an der Beseitigung von Hochwasserschden und wurde spter zum „Kulturpionier des Oderbruches“.474 Auch in politischer Hinsicht ließ der Kurprinz whrend seines HollandAufenthaltes bereits gewisse Vorlieben erkennen, etwa die Idee einer englischhollndisch-brandenburgischen Allianz, wie sie Danckelman vorgeschwebt war und wie sie 1701/02 Wirklichkeit wurde. Hinsichtlich der anderen Hoffnungen, die Friedrich III. mit der Reise seines Sohnes verknîpft hatte (brandenburgische Statthalterschaft, Anerkennung der Kçnigswîrde), endete sie enttuschend: Wilhelm hîtete sich vor jeder konkreten Zusage. Die zweite hollndische Reise Friedrich Wilhelms fand Ende 1704 statt. Im November war Marlborough nach Berlin gekommen, um den Abschluß des 471 Vgl. Detlef Kotsch, Hollnderviertel und Bornstedter Feld. Die soziale Funktion von Bîrgerquartier und Kaserne, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militrgeschichte, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 309 – 322, hier S. 311 – 313. Auf neuen Archivalien beruht die Studie von Christian Wendland, Die Niederlnder im Hollndischen Viertel in Potsdam, in: J. Enklaar / H. Ester (Hg.), Brandenburg-Preußen und die Niederlande … (s. Anm. 189), S. 158 – 175. 472 Zu Pçllnitz s. u. nach Anm. 737 und 756. 473 A. Chales de Beaulieu, Reisende … (s. Anm. 243), S. 255 – 257. 474 Vgl. die biographische Skizze von Hans-Peter Trçmel, Simon Leonhard von Haerlem (1701 – 1775) – der Kulturpionier des Oderbruches, in: J. Enklaar / H. Ester, Brandenburg-Preußen und die Niederlande … (s. Anm. 189), S. 186 – 194, und die weitgehend auf Archivalien beruhende Studie von Bernd Herrmann, „Nun blîht es von End’ zu End’, All îberall.“ Die Eindeichung des Nieder-Oderbruches 1747 – 1753. Umweltgeschichtliche Materialien zum Wandel eines Naturraums (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, 4), Mînster u. a. 1997, S. 64. Rudolph Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. in seiner Ttigkeit fîr die Landescultur Preussens (= PubllPreußStaatsarch, 2), Leipzig 1878, S. 62 – 72, geht auf die aus Holland kommenden Impulse nur am Rande ein.

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„Novembervertrages“ vorzubereiten.475 Als er nach wenigen Tagen zurîckreiste, begleitete ihn der Kronprinz in die Niederlande.476 Im Haag, das Friedrich Wilhelm im Jahre 1700 als einen „der grçßten damaligen Brennpunkte und Versammlungsorte der westeuropischen Politik und Diplomatie“ kennengelernt hatte, wiederholten sich die Visiten, Empfnge, Diners usw., „die die große Welt sich schuldete“. Grîndlich besichtigte er Delft, Leiden und Amsterdam und besuchte in Rotterdam den berîhmten Maler Adriaen van der Werff, von dem er sich portrtieren ließ. Zwei Tage nach Erhalt der Erlaubnis, dem inzwischen weiter gereisten Marlborough nach England zu folgen, erreichte den Kronprinzen die Nachricht vom îberraschenden Tod seiner Mutter. Auf den geplanten England-Besuch mußte er deshalb verzichten. 1709 erhielt der Kronprinz die Erlaubnis, sich zu den im Westen stationierten preußischen Truppen zu begeben. So kam er erneut nach Holland, traf dort mit Marlborough und dem Prinzen Eugen zusammen und nahm an der blutigsten Schlacht des Jahrhunderts teil, die im nordfranzçsischen Raum am 11. September bei Malplaquet stattfand. Dieser Schlacht, „dem grçßten persçnlichen Erlebnis seines Lebens,“ gedachte Friedrich Wilhelm fortan in jedem Jahr im Schlçßchen in Kçnigs Wusterhausen am „Malplaquet-Tag“ in festlicher Runde im Kreis einiger Offiziere, die dabei gewesen waren.477 2. Frankreich und Vorpommern Als Friedrich Wilhelm am 25. Februar 1713 den Thron bestieg, waren die Friedensverhandlungen in Utrecht fast abgeschlossen. Weil eine Einigung mit Kaiser und Reich noch ausstand, bemîhte sich Frankreich, dem an einem baldigen Kriegsende sehr gelegen war, um eine Verstndigung mit Preußen.478 Als die Friedensschlîsse in Rastatt und Baden unterzeichnet waren, rîckte die „pacification du Nord“ unter weitgehender Schonung Schwedens ins Zentrum der franzçsischen Preußenpolitik. Solange aber Frankreich nicht zu einer Garantiezusage fîr Vorpommern und Stettin bereit war, liefen alle Verhandlungen îber eine Allianz ins Leere. Erst nachdem Rußland 1714 diese Zusicherung ausgesprochen hatte,479 war auch Frankreich bereit, die seit der Zeit des Großen Kurfîrsten strittige Frage mit Karl XII. zu erçrtern und Friedrich Wilhelm in 475 Siehe oben bei Anm. 440. 476 Vgl. dazu C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), Kap. I/X/3, S. 104 – 108. Die Zitate: S. 87 und S. 105. 477 Ebd., S. 399 – 412. 478 Zu dieser Thematik vgl. Klaus Malettke, Die franzçsisch-preußischen Beziehungen unter Friedrich Wilhelm I. bis zum Frieden von Stockholm (1. Februar 1720), in: O. Hauser (Hg.), Preußen … (s. Anm. 432), S. 123 – 150; etwas erweiterter Wiederabdruck in: Ders., Frankreich … (s. Anm. 215), S. 332 – 361. 479 Text des Vertrages vom 12. Juni 1714: V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 455), Nr. 210, S. 73 – 77.

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diesem zentralen Anliegen entgegenzukommen. Entscheidend wurde, daß die franzçsischen Diplomaten fîr die Garantieerklrung eine Formulierung fanden, mit der ihnen „la foy des Traittez de Westphalie“ vereinbar schien, so daß der franzçsisch-preußische Vertrag am 14. September 1716 unterzeichnet werden konnte.480 Gegen die Auffassung, daß es sich lediglich um „eine sehr verklausulierte Verpflichtung“ gehandelt habe und „der stark eingeschrnkte Charakter der franzçsischen Garantie“ fîr die vom Preußenkçnig ersehnten Gebiete (Stettin und Vorpommern bis zur Peene) von der Forschung bisher nicht genîgend beachtet worden sei,481 spricht einmal der Wortlaut der Artikel 2 und 3, zum andern die klare Aussage in Artikel 11, nach dem Schweden dazu gebracht werden soll „” c¤der la ville de Stettin et le district [= Vorpommern – I.M.] au s¤r¤nissime roi de Prusse“. Weil unter der Regentschaft Philipps von Orleans Frankreichs Bereitschaft, Schweden zu unterstîtzen, deutlich gesunken war und sich auch manche Spannungen mit §sterreich ergaben, war man in Paris mit der preußischen Defensivallianz recht zufrieden, obwohl sie fîr Preußen erheblich vorteilhafter war als fîr Frankreich. Das war wohl auch der Grund, daß man den drei preußischen Verhandlungspartnern Ilgen, Printzen und Dçnhoff je einen wertvollen Brillantring zukommen lassen wollte. Obgleich frîhere Versuche, Ilgen zur Annahme franzçsischer Gelder zu bewegen, gescheitert waren, stellte Paris diesmal, quasi als Belohnung, erneut 30.000 livres allein fîr den Leiter der preußischen Außenpolitik bereit.482 Als die Sache mit den Brillantringen im Rat zur Sprache kam, zahlte der Kçnig den drei Beamten je 12.000 livres aus eigener Tasche. Der schçnste dieser Ringe, die Rottembourg, der franzçsische Gesandte in Berlin, inzwischen zurîckgegeben hatte, kam auf Umwegen dennoch an die Familie Ilgen: Der preußische Gesandte in Paris, der Freiherr von Knyphausen, der auch Ilgens Schwiegersohn war, erhielt ihn 1718 als Abschiedsgeschenk. Ilgen selbst ließ sich îberreden, nach langem Zçgern und unter hçchster Geheimhaltung im Jahre 1717 vom franzçsischen Gesandten einen Geldbetrag von 30.000 livres anzunehmen, der als reiner Gunstbeweis aufgefaßt werden sollte. Auch im Folgejahr hat Ilgen dieselbe Summe aus Frankreich erhalten und dafîr dem Gesandten manche Informationen gegeben. Es kann demnach als gesichert gelten, daß die Versuche, franzçsische Politikvorstellungen in Preußen 480 Abdruck: ebd., Nr. 36, S. 151 – 158. 481 So K. Malettke, Beziehungen … (s. Anm. 478), S. 146. 482 Zu den Bestechungsversuchen vgl. Jçrg Ulbert, Der Leiter der preußischen Außenpolitik Heinrich Rîdiger von Ilgen (1654 – 1728) als Informant der franzçsischen Diplomatie. Anwerbung – Bezahlung – Gegenleistung, in: S. Externbrink / J. Ulbert (Hg.), Formen … (s. Anm. 75), S. 273 – 296. Ich danke Herrn Ulbert fîr die Gelegenheit, vorab ein (grçßeres) Manuskript einsehen zu kçnnen.

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mit Hilfe finanzieller Zuwendungen durchzusetzen, auch nach 1715 zum Repertoire der franzçsischen Diplomatie gehçrten.483 Whrend Frankreich seit 1716/17 unter dem neuen Staatssekretr des øußeren Dubois von der ludovizianischen Politik abzurîcken begann und einen Ausgleich mit Habsburg und England-Hannover anstrebte, geriet Preußen, dessen primre Interessen im Ostseeraum lagen (Kriegserklrung an Schweden am 1. Mai 1715), zwar an den Rand des politischen Gesichtsfeldes Frankreichs, konnte aber noch den russisch-preußisch-franzçsischen „Allianz- und Freundschaftsvertrag“ vom 15. August 1717 zustandebringen, der in einer besonderen Deklaration die franzçsische „garantie de Stettin et de ses d¤pendances“ vom 14. September 1716 „dans toute leur force et vertu“ feierlich bekrftigte.484 Frankreich hat in den folgenden Jahren maßgeblich daran mitgewirkt, daß die „pacification du Nord“ zustandekam. Beim Frieden von Stockholm (1720) erhielt Preußen zwar die auch von Frankreich zugesicherten Landgewinne Stettin und die Odermîndung, nicht aber das gesamte Vorpommern. Frankreich wollte seinen alten Bundesgenossen nicht ganz im Stich lassen und war zudem an einer grçßeren territorialen Erweiterung Preußens nicht interessiert.485 Daß Preußen auch nach Utrecht trotz seiner militrischen Strke von den meisten Großmchten noch immer als politische Potenz zweiter Kategorie angesehen wurde, zeigte sich auch darin, daß es am Zustandekommen der neuen Bîndniskonstellation nicht aktiv beteiligt war. Das neue englisch-franzçsische „rapprochement“ wurde durch die im Januar 1717 von England und Frankreich unterzeichnete Tripelallianz (zu der die Generalstaaten noch dazustoßen sollten) besiegelt, die durch den Beitritt des Kaisers am 2. August 1718 zur (immer noch dreistaatigen) Quadrupelallianz erweitert wurde, die im Grunde die Große Allianz des Krieges mit der neuen Entente zusammenfîhrte und auf diese Weise Kernstîck eines gesamteuropischen kollektiven Sicherheitssystems werden konnte.486

483 H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 371), erwhnt, etwa im Kapitel „Diplomatie“ (S. 19 – 39), diese Praxis mit keinem Wort. 484 Vertragstext: V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 445), Nr. 40, S. 169 – 174. Die Deklaration: S. 174. 485 Vgl. K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 358 – 360. Der bei Schweden verbleibende Teil Vorpommerns (mit Stralsund und Rîgen), das sogenannte SchwedischPommern, kam erst 1814/15 an Preußen. 486 Vgl. H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 371), S. 265 f.

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3. Das Projekt der preußisch-englischen Doppelheirat und der Streit um Jîlich-Berg (bis 1733) Da sich Friedrich Wilhelm in den 20er Jahren verstrkt um die Neustrukturierung seines Staates bemîhte und das Problem Vorpommern gelçst war, trat die Außenpolitik, die ihm auch nicht sonderlich lag,487 in dieser Zeit in den Hintergrund. Weil aber die Sicherung der angestrebten Erbfolge in den niederrheinischen Territorien Jîlich und Berg488 „geradezu den Nukleus der gesamten Außenpolitik Kçnig Friedrich Wilhelms I. bildete“, wurde Preußen immer wieder in oft langwierige diplomatische Auseinandersetzungen hineingezogen. Dem Charlottenburger Freundschaftsvertrag mit England vom 10. Oktober 1723 folgte – der Spitze gegen §sterreich/Spanien – der Allianzvertrag von Herrenhausen vom 3. September 1725 mit England und Frankreich, der in einem Geheimartikel die Unterstîtzung der preußischen Ansprîche auf Jîlich-Berg zusagte.489 Der mit diesem Bîndnisvertrag erneut aufbrechende Konflikt zwischen der Treue zu Kaiser und Reich und eigenstndiger Interessenpolitik, der durch rivalisierende Parteien am preußischen Hof krftig geschîrt wurde, hat „in den Folgejahren das Leben Friedrich Wilhelms I. ebenso sehr vergiftet wie das seiner Familie“.490 Im Umfeld der Hofopposition, die auf eine „West-Orientierung der Politik“ (Heinrich) hinarbeitete, entstand der Gedanke einer englisch-preußischen Doppelheirat,491 den vor allem die aus Hannover stammende Kçnigin Sophie Dorothea propagierte; „durch die Verbindungsstrnge nach London und Wien war der Heiratsplan in das Nervenzentrum der großen europischen Politik gestellt.“492 Obwohl die Herrenhausener Allianz auf 15 Jahre geschlossen war, ließ sich der Preußenkçnig von Seckendorff, dem sehr geschickten kaiserlichen Ge487 Trotz dieser Einschrnkung ist K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 360 f., zuzustimmen, der die undifferenzierte Behauptung, Friedrich Wilhelm habe „jedes persçnliche Verstndnis und Geschick fîr diplomatische Verhandlungen“, vor denen er „ein Grauen“ hatte, gefehlt (so Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm I. Preußischer Absolutismus, Merkantilismus, Militarismus [= Persçnlichkeit und Geschichte, 96/97], Gçttingen 1977, S. 116), zurîckweist. 488 Grundlegend immer noch die beiden Werke von August Rosenlehner, Kurfîrst Karl Philipp von der Pfalz und die jîlich’sche Frage 1725 – 1729, Mînchen 1906, und Hans Schmidt, Kurfîrst Karl Philipp von der Pfalz als Reichsfîrst (= Forschungen zur Geschichte Mannheims und der Pfalz, NF, 2), Mannheim 1963. 489 Die beiden Vertrge bei V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 445), Nr. 68, S. 278 – 284, Nr. 70, S. 285 – 294. Der Geheimartikel: S. 293. 490 C. Hinrichs, Reich und Territorialstaaten … (s. Anm. 301), S. 345. 491 Die beiden ltesten Kinder Friedrich Wilhelms, Wilhelmine und der Kronprinz Friedrich, sollten mit den Kindern Georgs II. vermhlt werden. 492 T. Schieder, Friedrich … (s. Anm. 53), S. 31. Nach G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 152, lag „hier eine der Nahtstellen der europischen Politik offen“.

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sandten, der zugleich sein Malplaquet-Kamerad war, îberraschend schnell wieder ins andere Lager locken: Bereits am 12. Oktober 1726 wechselte Friedrich Wilhelm im Vertrag von Wusterhausen – jedoch nur gegen Anerkennung seiner Ansprîche auf Berg, nicht auf Jîlich – auf die Seite des Kaisers. Von dessen Doppelspiel (geheime Jîlich-Berg-Zusage fîr die Pfalz) nichts ahnend, schloß Friedrich Wilhelm mit dem Kaiser sogar noch den Allianzvertrag von Berlin, der am 23. Dezember 1728 unterzeichnet wurde.493 Die schwankende, unberechenbar gewordene Außenpolitik sowie das unbeherrschte Auftreten des Kçnigs, die zu schweren familiren Zerwîrfnissen fîhrten und auch zum Fluchtversuch des Kronprinzen beitrugen (1730), beunruhigten die westeuropischen Regierungen. Schon Anfang 1727 vertrat man in Paris die Auffassung, daß „les preuves du d¤rangement d’esprit du roy de Prusse se multiplient tous les jours,“ so daß niemand mehr voraussehen kçnne, was von ihm zu erwarten sei.494 Die reservierte Haltung der franzçsischen Regierung verstrkte sich noch, als der langjhrige Leiter der preußischen Außenpolitik, der im Kern franzosenfreundliche Ilgen, 1728 starb und Preußen vollends auf die çsterreichische Karte setzte. Kaum besser war das Verhltnis zu England, wo man mit Empçrung auf die preußische Praxis reagierte, auch britische Staatsbîrger mit Lug und Trug nach Potsdam zu verschleppen und in die „Langen Kerls“ einzureihen. Auch îber andere Auswîchse des persçnlichen Regiments Friedrich Wilhelms und sein militrisches Zwangssystem war man durch die Berichte des Gesandten Guy Dickens, der auch die Empçrung nach dem Urteil im Kronprinzenprozeß schilderte, gut unterrichtet, so daß die Beziehungen zwischen London und Berlin in diesen Jahren im ganzen „mehr als kîhl“ blieben.495 Auch das Verhltnis Preußens zu den Niederlanden war auf der politischen Ebene nicht spannungsfrei. Obwohl der Streit um die Oranische Erbschaft durch den „Verdrag van Partage“ 1732 endlich beigelegt werden konnte, sorgte das Dauerproblem Jîlich-Berg fîr eine permanente Beunruhigung. Als die Niederlnder, durch die stndigen ˜bergriffe der preußischen Werber verrgert, 493 Abdruck der beiden Vertrge: V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 445), Nr. 74, S. 311 – 321, Nr. 82, S. 357 – 373. 494 Fîr den Hinweis auf diesen Brief (Archives de Ministºre des Affaires Estrungºres, Correspondence Politique, Prusse, vol. 80, fol. 432: 16. 1. 1727) bin ich Herrn Jçrg Ulbert sehr zu Dank verpflichtet. Zum Krankheitsbild Friedrich Wilhelms, das neben einer starken Erregbarkeit mit pathologischen, nicht zu steuernden Temperamentsausbrîchen und heftigsten Aggressionen im Alter auch paranoide Zîge erkennen lßt und auf eine anlagebedingte Stçrung im psychogenen Bereich deutet, vgl. Hans-Joachim Neumann, Friedrich Wilhelm I. Leben und Leiden des Soldatenkçnigs, Berlin 1993, S. 188 – 191. 495 Vgl. dazu Francis L. Carsten, Preußen und England, in: Otto Bîsch (Hg.), Preußen und das Ausland (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 35), Berlin 1982, S. 26 – 46, hier S. 26 – 28.

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im Januar 1733 ein Exempel statuierten und zwei Werbeoffiziere aus Preußen in Maastricht erschießen ließen, wre es fast zum Krieg gekommen. Nur um Karl VI., der sich aus taktischen Grînden (Polenfrage) einschaltete, wegen JîlichBerg nicht zu verstimmen, ließ sich Friedrich Wilhelm auf dessen Vermittlung ein.496 Die Nachgiebigkeit des Soldatenkçnigs zahlte sich nicht aus: Sein Angebot, im Polnischen Thronfolgekrieg 50.000 Soldaten zu stellen, wurde vom Kaiser abgelehnt, weil er befîrchtete, Friedrich Wilhelm kçnne mit dieser Armee eine militrische Entscheidung im Jîlich-Berg-Streit herbeifîhren.497 4. Das Fiasko der Westeuropa-Politik Friedrich Wilhelms I. Was die wiederholten Zusagen des Kaisers in der Sache Jîlich-Berg wert waren, erfuhr Friedrich Wilhelm auf sehr verletzende Art am 10. Februar 1738, als die vier Großmchte (England-Hannover, die Niederlande, Frankreich und der Kaiser), die sich auf Kosten Preußens verstndigt und dem Hause Pfalz-Sulzbach den provisorischen Besitz von Jîlich-Berg zugesichert hatten, dem Preußenkçnig identische Noten mit der Aufforderung îberreichten, dem zuzustimmen. Diese schwere diplomatische Niederlage war nicht nur „einer der schwrzesten Tage in Friedrich Wilhelms Außenpolitik“,498 sondern fîgte dem Kçnig zugleich „die tiefe seelische Wunde“ zu, die seinen Gesundheitszustand weiter verschlechterte und mit zum Tode fîhrte.499 Das Vorgehen der Großmchte beschleunigte aber auch den vom Kronprinzen schon seit lngerem favorisierten außenpolitischen Kurswechsel. Durch das Geheimbîndnis mit Frankreich vom 5. April 1739500 wurde die seit 1686 mit kleinen Unterbrechungen bestehende, also mehr als fînf Jahrzehnte alte çsterreichisch-preußische Allianz beendet. Mit dem Tode Friedrich Wilhelms, der ein Jahr spter starb, begann eine neue Phase der preußischen Westpolitik und der endgîltige Schritt von der Auxiliarmacht zur europischen Großmacht. Whrend Preußens „grçßter innerer Kçnig“ die finanziellen und militrischen Grundlagen zum spteren Aufstieg seines Staates legte, war er in der Außenpolitik weniger erfolgreich. Das 496 Vgl. zu diesem Zwischenfall, aus dem Friedrich Wilhelm eine Staatsaffre machte, Ernst Mîller, Die Erschießung des preußischen Werbeoffiziers Michael Georg v. Wollschlger und der Konflikt mit den Niederlanden 1733, in: ForschBrandPrG 48 (1936), S. 359 – 374. 497 Zu den Einzelheiten vgl. K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 335 – 346. 498 C. Hinrichs, Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), S. 70 f. 499 G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), S. 179. 500 Vertragstext: V. Loewe, Staatsvertrge Friedrich Wilhelms I. … (s. Anm. 445), Nr. 108, S. 478 – 487. Neuerer Abdruck: Clive Parry (Hg.): The Consolidated Treaty Series, 231 Bde., New York 1969 – 1981 (im folgenden immer: CTS), 35, S. 343 – 352. Es ging – wieder einmal – um Jîlich-Berg, dieses von Friedrich Wilhelm bis zuletzt mit fast manischer Hartnckigkeit verfolgte Projekt.

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Urteil: „Sie haben ihn alle betrogen und betrîgen kçnnen, weil er fîr diplomatische Schachzîge nicht geboren war“,501 ist vielleicht etwas zu scharf, doch hat Friedrich Wilhelm dem Ansehen Preußens durch seine Verbohrtheit502 in der Jîlich-Berg-Frage auf dem internationalen Parkett zweifellos geschadet. Als er 1732 in Prag darîber mit dem Kaiser und dem Prinzen Eugen verhandelte, sprach man dort ganz offen von dem „einfltigen Soldatenkçnig“, der nicht begriff, daß niemand in Wien jemals ernstlich daran gedacht hatte, dieses katholische Land am Niederrhein der grçßten protestantischen Macht im Reich zuzusprechen.503 Diese mangelnde Einsicht in die komplexen Gegebenheiten der ußeren Beziehungen verbanden sich bei Friedrich Wilhelm mit seiner spezifischen Abneigung gegen Intrigen, Rnke, Verdrehungen und Lîgen, die in der internationalen Diplomatie damals wie heute an der Tagesordnung waren. 5. Preußisch-westeuropische Kontakte anderer Art (Kultur, Handel, „Peuplierung“, Gewerbe) Trotz der teilweise gespannten politischen Beziehungen Preußens zu den westeuropischen Staaten in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. gab es auf anderen Ebenen einen regen Transfer, der in manchen Fllen sogar in Richtung Westen lief, beispielsweise in einem ganz speziellen Kontaktbereich, der sich zwischen Preußen und England entwickelte.504 Die 1711 erfolgte Begegnung Friedrich Wilhelms mit der protestantischen Strçmung des von August Hermann Francke vorgelebten und von der Krone danach gefçrderten Pietismus505 fand in England ein lebhaftes Echo. Francke selbst korrespondierte mit dem Erzbischof von Canterbury, Tenison, und sandte 1699 zwei Lehrer aus Halle nach England, um dort ein der Franckeschen Stiftung vergleichbares Schulwerk aufzubauen. Obwohl das Projekt nicht zustandekam, blieben die Kontakte eng, und Francke wurde korrespondierendes Mitglied der Society for Promoting Christian Knowledge. Ein zweites Bindeglied zwischen London und Halle war der Geistliche Anton Wilhelm Boehme, der als Hofprediger der Kçnigin Anna in England lebte und den deutschen Englandreisenden Urlsperger 1709 begleitete. Weil Boehme, der zahlreiche theologische Schriften ins Englische îbertrug, sehr fîr Franckes Ideen warb, schickten seit 1706 englische Kaufleute ihre Sçhne zur 501 G. Oestreich, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 487), S. 121. 502 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 16), S. 223, spricht etwas freundlicher von der „unflexiblen Konzentration auf die Ansprîche von Jîlich und Berg“. 503 K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 333. 504 Zum Folgenden vgl. A. Selling, Gelehrten-Reisen … (s. Anm. 234), S. 152 – 154. 505 Zum Pietismus vgl. Carl Hinrichs, Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiçs-soziale Reformbewegung, Gçttingen 1971; Ders., Friedrich Wilhelm … (s. Anm. 214), S. 559 – 599.

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Ausbildung nach Halle. Dort entstand mit Unterstîtzung der Kçnigin und durch Spenden aus England ein „Englisches Haus“ (das bis heute so heißt) mit einem „englischen Tisch“, an dem zwçlf deutsche Schîler freie Mahlzeiten erhielten. Als Gegenleistung mußten sie Englisch lernen und kleine Texte îbersetzen. Kontakte unterhielt Francke außerdem nicht nur zu anderen westeuropischen Lndern wie Holland und Frankreich, sondern auch zu Nordamerika.506 Whrend îber Preußen, die sozusagen privat nach Westeuropa reisten, kaum etwas bekannt ist,507 haben zweifellos einige Kaufleute in direktem oder indirektem Kontakt mit Kollegen in Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden, vielleicht sogar auf der Iberischen Halbinsel gestanden – hnlich wie der Kaufmannssohn Gottfried Chodowiecki, der aber aus Danzig stammte und vor 1722 „auf einer mehrjhrigen Bildungs- und Geschftsreise bis nach Holland gelangt“ ist.508 Ob Auslandsreisen in dem der polnischen Krone unterstehenden „Preußen kçniglichen Anteils“ (mit Danzig) weniger reglementiert waren als im Hohenzollernstaat, ist noch zu untersuchen. Leider gibt es keine zusammenfassende Darstellung der preußisch-franzçsischen,509 geschweige denn der preußisch-westeuropischen Wirtschafts-, Handels- und Reisebeziehungen nach 1715, so daß man auf vereinzelte und entsprechend lîckenhafte Informationen angewiesen ist. England, das fîr seine Kolonien grobe Leinenstoffe bençtigte, verschaffte der Leinenindustrie von Minden und Ravensberg „ihren wichtigsten auslndischen Absatz“. Gegen mehrfache Erhçhungen der Importzçlle hatte Preußen vergeblich protestiert, doch als ein generelles Einfuhrverbot drohte, erreichte man, daß dies zwar fîr die bunten Leinen- und Kattunstoffe, nicht aber fîr die einfarbigen, fîr Westindien bestimmten, gelten sollte (1720). Selbst fîr Leinwand aus Hinterpommern, die von geringerer Qualitt war, çffnete sich in den 30er Jahren vorîbergehend der westeuropische Markt: 1737 wurden von Kolberg aus 9.217 Stîck nach England und 313 nach Holland exportiert, doch ging der Absatz nach England schon im Folgejahr wieder zurîck.510 506 Knapp zusammenfassend: Jîrgen Storz, Die Auslandsbeziehungen A. H. Franckes unter besonderer Berîcksichtigung Rußlands, in: Paul Raabe (Hg.), Die Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale, Wolfenbîttel 1990, S. 68 – 83. 507 Zu der Reise des Kaufmanns Daum nach Lîttich 1722 s. u. nach Anm. 527. 508 Dagmar von Stetten-Jelling, Daniel Chodowiecki als Mitglied der franzçsisch-reformierten Kirche in Berlin, Magisterarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin, Berlin 1996, S. 10 (gekîrzte Fassung in: JbVGBerlin 49 [2000], S. 17 – 46). Gottfried C. war der Vater des berîhmten Kînstlers. 509 Die zwar veraltete, wegen ihres Materialreichtums immer noch wichtige Darstellung von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), hat bis heute keine Fortsetzung gefunden. 510 Hugo Rachel (Bearb.), Handels-, Zoll- und Akzisepolitik (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Die einzelnen Gebiete der Verwaltung), Bd. 2 in 2 Tlen.: 1713 – 1740, Berlin 1922, hier 2/1, S. 367 f.

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Der Handel mit Frankreich, das vor allem Salz, Wein und „Franzbranntwein“ lieferte, lag fast ausschließlich in den Hnden der Hollnder, Englnder und der in Kçnigsberg etablierten „Lieger“. Da es den Kçnigsberger Kaufleuten nach wie vor an Unternehmungsgeist fehlte, fçrderte Friedrich Wilhelm den Zwischenhandel der Hollnder: Weil der Niederlnder Peter Thallings in 39 Jahren 68mal nach Kçnigsberg gesegelt war, erhielt er vom Kçnig 1720 ein Silbergeschirr im Wert von 300 Talern („ein kleines Vermçgen“); als Anreiz ließ Friedrich Wilhelm îber diese Belohnung in den hollndischen Zeitungen berichten. Beim Getreide, dem wichtigsten Exportprodukt (1729: 19.124 Last auf 872 Schiffen), ging der Hauptanteil sicher nach Westeuropa.511 Der Plan (1714), Kolberg strker in den Frankreich-Handel einzubeziehen, scheiterte: „Nach Frankreich ging noch nicht einmal jedes Jahr ein Schiff, weil Exportwaren fîr die Hinfahrt fehlten.“ Auch Versuche, den meist îber Kçnigsberg gehenden Handel zu verbessern und die niederlndischen Zwischenhndler auszuschalten, brachten keinen Erfolg, obwohl man mit Frankreich schon vor Utrecht in Verhandlungen stand und spter sogar auf einen Handelsvertrag hoffte. Weil man in Berlin das von Frankreich fîr Kçnigsberg geforderte „Salzaufschîtten“ nicht akzeptieren wollte, kam der Vertrag nicht zustande. Die Folge war, daß der Kçnigsberger Frankreich-Handel, „mit dem 1712/13 ein hoffnungsvoller Anfang gemacht war“, auf den alten Stand zurîckfiel, whrend Danzig, Lîbeck, Bremen und Hamburg von einem in Utrecht mit Frankreich ausgehandelten, „sehr vorteilhaften“ Handelsvertrag profitierten, der ihre Kaufleute, im Gegensatz zu den preußischen, bei den Zçllen den Inlndern gleichstellte. ˜ber einen Handelsvertrag mit Spanien gab es unterschiedliche Auffassungen. Whrend die Beamten in Berlin darin eine „sehr avantageuse Sache“ sahen und den Gesandten im Haag beauftragten, mit dem dortigen spanischen Vertreter zu verhandeln, ußerte man in Kolberg Bedenken; nicht nur „wegen der marokkanischen Seeruber“, die in jedem Fall Geleitfahrten erforderlich machen wîrden, sondern vor allem „wegen Mangels an Ausfuhrwaren“. Diese sicher sehr realistische Einschtzung wurde von der Regierung offensichtlich nicht geteilt: man ließ in London sondieren, ob Brandenburg-Preußen nicht fîr einige Jahre „gleich den Englndern die Freiheit erlangen kçnne, die spanischamerikanischen Kîsten mit ein oder zwei Schiffen zu befahren“ – in manchen Kçpfen waren koloniale Ambitionen auch noch unter Friedrich Wilhelm I. lebendig.512

511 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 89 f. mit Anm. 1a. 512 H. Rachel, Handelspolitik … (s. Anm. 510), 2/1, S. 551, S. 815 – 820; zu dem geplanten Handelsvertrag mit Frankreich, von dem zuletzt noch 1826 die Rede ist, werden einige Aktenstîcke publiziert: 2/2, S. 35 – 38, das folgende Zitat: S. 37.

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Die Handelsgîter, die zwischen Preußen und Westeuropa ausgetauscht wurden, waren vermutlich die gleichen wie in der Zeit bis 1715. Genauere Angaben fehlen. Die Kçnigsberger Kaufleute bezogen Seidenwaren und Tuche aus den Niederlanden und England; sie wurden oft, wie auch die Tuche aus Holland, nach Polen und Litauen reexportiert. Die frîher so gern vom preußischen Herzog nach Frankreich verschenkten Falken scheinen keine Rolle mehr gespielt zu haben; der franzçsische Monarch erhielt zwar noch Falkengeschenke vom dnischen Kçnig sowie vom Malteserorden, doch die Falkenjagd kam aus der Mode, und das Amt des grand fauconnier wurde 1787 abgeschafft.513 Daß die Kaufleute der Hauptstadt sich auch in der Zeit Friedrich Wilhelms mehr als andere am Westeuropa-Handel beteiligten, kann man aus der Bemerkung schließen, daß zu Beginn der 30er Jahre îber 50 Berliner Kaufleute „schon seit vielen Jahren“ Kolonialwaren und Wein auf direktem Wege aus Holland, England oder Frankreich importierten.514 Ein Beispiel fîr den umgekehrten Weg ist der Berliner Kaufmann Andr¤ le Jeune, der in den frîhen 20er Jahren Holz an die franzçsische Marine lieferte und zwei Kommissionre, jeweils in Hamburg und in Paris, beschftigte.515 In der Korrespondenz îber den mit Frankreich eventuell zu schließenden Handelsvertrag findet sich ein Passus, den man eigentlich erst in den wirtschaftstheoretischen Streitschriften des folgenden Jahrhunderts erwarten wîrde.516 Bîrgermeister, Rte, Gerichte und Zînfte der drei Stdte Kçnigsberg schrieben am 14. Februar 1718 an den Kçnig: „Es kann nirgends ein Handel in Flor kommen, wofern demselben nicht der freie Lauf gelassen wird.“ Beilufig erfhrt man îber den sonstigen Westeuropa-Handel, daß auch „spanisches Salz“, dessen Einfuhr vorîbergehend verboten war, nach Preußen gelangte und daß der Handel mit dem (aus Frankreich stammenden) „Boysalz“ (= Bai von Bourgneuf ) nur Memel und Kçnigsberg erlaubt war. Weil sich Verhandlungen mit England und Holland, die Preußen 1711 auf Verlangen von Kçnigsberger Kaufleuten begonnen hatte, verzçgerten, schickten einige von ihnen Getreideschiffe nach Portugal, weil der dortige preußische Gesandte Bonnet diesen Handel „eifrig angeregt“ hatte.517 Auch bei den Bemîhungen um „Peuplierung“ seines teilweise menschenleeren und verwîsteten Landes setzte Friedrich Wilhelm die Tradition seiner beiden Vorgnger fort. Da es zur „Kolonisation“ vor allem an buerlicher und 513 Leonhard Horowski, „Ceux qui ne quittent jamais le prince.“ Die obersten Chargen am Hof von Versailles als sozialgeschichtliches Forschungsproblem, Magisterarbeit am FB Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU Berlin, Berlin 2000, S. 52 mit Anm. 123. 514 H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 85. 515 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 337), 2, S. 71. 516 S. o. S. 681, S. 740 ff. 517 H. Rachel, Handelspolitik … (s. Anm. 510), 2/1, S. 814 – 816.

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gewerblich erfahrener Bevçlkerung fehlte, ließ der Kçnig viele Einwanderungsangebote ins Franzçsische îbersetzen und in auswrtigen Zeitungen abdrucken. Die Grenzen zwischen Bauern und Handwerkern waren oft fließend, so daß Preußen auf unterschiedliche Weise von den (privilegierten) Einwanderern profitierte. Dennoch ist vor jeder Idealisierung zu warnen: Schon die ltere Literatur nennt eine Fîlle von Problemen, die sich zwischen Einwohnern und Zuwanderern ergaben. Die Konflikte erklren sich nicht zuletzt aus der Zahl der Immigranten – soll doch die Bevçlkerung Preußens zwischen 1700 und 1740 durch die Kolonisation um etwa 600.000 Menschen gewachsen sein. Der Hçhepunkt der Peuplierungskampagne, die Ankunft der 20 – 25.000 Salzburger 1732/33, hat zwar mit Westeuropa nichts zu tun, muß aber wenigstens erwhnt werden.518 Dagegen hat Friedrich Wilhelm im Zuge der Entwsserungsarbeiten fîr die ausgedehnten Havelbrîche (Rhin- und Havellndisches Luch) auf dem Mustergut Kçnigshorst eine Milchwirtschaft nach hollndischem Vorbild errichtet. Ein 1725 aus Zevenaar nach Kçnigshorst geholter niederlndischer Spezialist fîr Butter- und Kse-Herstellung war sogar bereit, den Musterbetrieb, an dessen Errichtung 1721 etwa 1.400 Mann gearbeitet haben sollen, zu pachten. In Groningen kaufte der Kçnig 30 hollndische Kîhe von besonderer Qualitt. Im Laufe der Jahre entstand in Kçnigshorst eine Lehranstalt fîr Butter- und Ksezubereitung mit zweijhriger Lehrzeit und Prîfung „ohne Hilfe der Hollnderin“. Inwieweit Hollnder auch bei den erfolgreichen Meliorationsarbeiten unter Friedrich Wilhelm mitwirkten, muß noch geklrt werden; immerhin scheint der Ortsname Neuholland einen ersten Hinweis zu geben.519 Whrend die buerlichen Kolonisten meist aus anderen preußischen Provinzen oder dem deutschsprachigen Ausland kamen, ließ Friedrich Wilhelm die Spezialisten aus Handwerk und Gewerbe vorzugsweise in Westeuropa abwerben, um von dem wirtschaftlich-technischen Vorsprung dieser Lnder zu profitieren. Damit wirkte er zugleich beispielgebend fîr seinen Nachfolger: „Diese Einwanderungspolitik ist von den Landesherren fînfviertel Jahrhunderte hindurch mit großem, ja sich steigerndem Nachdruck betrieben worden und war zumal fîr die Hauptstadt von der allergrçßten Bedeutung.“520 Auch fîr diesen Bereich fehlt es an einer zusammenfassenden Darstellung, die îber die lteren Forschungsergebnisse von Schmoller, Stadelmann, BeheimSchwarzbach u. a. hinausgeht. Wenigstens îber die zwei grçßten Stdte Preußens, Berlin und Kçnigsberg, liegen einige Angaben vor, wenn auch von un518 Eine knappe ˜bersicht findet sich in der lteren Darstellung von R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 474), S. 32 – 72, besonders S. 36, S. 42 – 50, Quellenabdruck: S. 209 – 388. 519 Zu den Entwsserungsarbeiten und Kçnigshorst ebd., S. 62 – 72. 520 H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 5.

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terschiedlichem Umfang.521 Wie ernsthaft Friedrich Wilhelm die Anwerbung westeuropischer Spezialisten betrieb, zeigt seine ergnzende Bemerkung zu dem Wunsch, man solle in Hamburg „einige gute Samtmacher“, wenn nçtig aus Holland, besorgen und nach Potsdam schicken: „An Geld zu den dazu bençtigten Kosten soll es nicht fehlen.“522 1731 und 1733, als das Problem der Samtherstellung noch immer nicht gelçst war, erteilte Friedrich Wilhelm I. dem Schutzjuden David Hirsch, der schon eine Tuch- und Zeugmanufaktur betrieb, zwei Privilegien auf 12 Jahre fîr die alleinige Herstellung von Samt und Plîsch im Preußen çstlich der Weser und ließ die Arbeiter auf seine Kosten aus der Schweiz, Holland und England holen.523 Zu den Wirtschaftszweigen, denen Friedrich Wilhelm besondere Fçrderung zukommen ließ, gehçrten die Wollmanufakturen. Mit dem oft wiederholten Exportverbot fîr Wolle524 und der Verarbeitung im Landesinnern durch teilweise aus Westeuropa angeworbene Fachkrfte waren sie zugleich ein Musterbeispiel fîr die merkantilistische Wirtschaftspraxis.525 Wollarbeiter aus Frankreich, der Schweiz, Sachsen und anderen Lndern wurden durch besondere Privilegien angelockt (Edikt vom 27. 9. 1717). Whrend im Berliner „Lagerhaus“ einfachere Tuche fîr die Soldaten hergestellt wurden,526 mußten die feineren Stoffe fîr Offiziere und die Kavallerie eingefîhrt werden527 oder kamen aus der seit 1687 in Brandenburg an der Havel bestehenden Fabrik von FranÅois Roussel, der „Meister und Gesellen mit großen Kosten in den Niederlanden und im Jîlichschen“ angeworben hatte. Als Roussel zum „Lagerhaus“ wechselte und dort eine Spinnerei und Weberei fîr die aus „spanischer Wolle“ gefertigten besseren Tuche einrichtete, entstand am neuen Arbeitsplatz die eigenstndige Zunft der „Spanischen Tuchweber“.

521 Es handelt sich um die mehrfach zitierten Untersuchungen von Hugo Rachel (s. Anm. 195), Ders. / Paul Wallich (s. Anm. 337) und Fritz Gause (s. Anm. 68 und Anm. 352). 522 Brief Friedrich Wilhelms vom 3. 6. 1732, zitiert von K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 100. 523 Heinrich Schnee, Die Hoffinanz und der moderne Staat. Geschichte und System der Hoffaktoren an deutschen Fîrstenhçfen im Zeitalter des Absolutismus, 1: Die Institution des Hoffaktorentums in Brandenburg-Preußen, Berlin 1953, S. 116 f. 524 Ein Beispiel (24. 1. 1732) mit Rîckverweisen (1719, 1721, 1723) bei R. Stadelmann, Friedrich Wilhelm I. … (s. Anm. 474), Nr. 61, S. 338 – 341. 525 Die folgenden Angaben nach H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 121 – 124, S. 118, S. 117 f., S. 119, S. 120 f., S. 119 f., S. 175, S. 80. 526 Carl Hinrichs, Das Kçnigliche Lagerhaus in Berlin, in: ForschBrandPrG 44 (1932), S. 46 – 69. 527 Seit 1721 wurde der Import feiner Tuche durch extrem hohe Eingangszçlle faktisch verhindert.

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Ganz in der Hand von R¤fugi¤s lag die Strumpfwirkerei. Sie hatten das die Herstellung von Strîmpfen revolutionierende Gert nach Brandenburg mitgebracht, den Strumpfwirkstuhl – „die kunstvollste Maschine, die es vor der Erfindung der englischen Arbeits- und Kraftmaschinen“ gab. Zu seiner Installierung waren Spezialisten nçtig: aus Frankreich mußten „Stuhlschlosser“ und „Stuhlsetzer“ verpflichtet werden, die fîr ein staatliches Jahresgehalt von 300 Talern stndig zur Verfîgung standen. Die in Berlin seit dem Großen Kurfîrsten ttigen Strumpfwirker-Unternehmer waren Jean Didelot, Jordan & Mialon, Henry Delon und FranÅois Duchesne. Die Heranbildung einheimischer Strumpfwirker – die Kosten fîr einen Stuhl (40 bis 80 Taler) îbernahm oft der Kçnig – fîhrte sogar zur Grîndung einer eigenen Zunft, die aber 1725 mit der franzçsischen fusionierte. Obwohl Friedrich Wilhelm seine Fçrderung auf die Wollverarbeitung konzentrierte und Baumwoll- und Seidenstoffe weniger schtzte, profitierten im Grunde alle Textilgewerbe von den R¤fugi¤s, da auch der Bedarf der besser gestellten Kreise gedeckt werden mußte. So wurde die „feine Tuchfrberei“ von ihnen eingefîhrt, und auch die Baumwollverarbeitung und der Kattundruck (du Titre, Gandin) waren nicht unbedeutend. Halbseidene Stoffe („Crepons“) durften wegen der eigenen Produktion seit 1723 nicht mehr eingefîhrt werden; 1732 lockte Friedrich Wilhelm – als Konkurrenten fîr den Seidenzeughersteller Pierre Bourguignon – den Lyoner Seidenfabrikanten Claude Pitra aus Dresden nach Berlin, wo er eine kçnigliche Pension (600 Taler) erhielt und bis zu 32 Seidenstîhle betrieb. Fîr die rmeren Schichten wurde preiswerte Leinwand hergestellt; dazu ließ Friedrich Wilhelm mehrere Damast- und Drellmacher aus Holland nach Potsdam kommen. Wichtige Impulse erhielten auch Posamentierer, Bandhersteller und Samtmacher durch die westeuropischen Einwanderer. Ausschließlich R¤fugi¤s stellten Handschuhe aus Glac¤-Leder her und bildeten 1702 sogar eine eigene Zunft. Da es keine Gerber fîr Glac¤leder in Berlin gab, mußten sie ihr Leder aus Erlangen, Frankreich oder der Schweiz beziehen. Als Besonderheit kann gelten, daß sich Friedrich Wilhelm veranlaßt sah, vor dem Schloß auf eigene Kosten ein Kaffeehaus zu errichten, das ein gewisser Olivier, der mit vielen Vergînstigungen aus dem Haag gekommen war, als „Ma‚tre du Caff¤ de Sa Majest¤“ fîr 200 Taler Gehalt betrieb. Das Caf¤ befand sich von 1747 bis 1768 im Akademiegebude. Ein ganz anderer Wirtschaftsbereich, der ganz wesentlich auf westeuropische Hilfe angewiesen war, soll abschließend – und zugleich als gutes Beispiel fîr kostspieligen Technologie-Import – vorgestellt werden. Es handelt sich um die Errichtung der Gewehrfabrik (1722) in Spandau/Potsdam, die Friedrich Wilhelm durch die Unternehmer-Kaufleute Daum und Splitgerber anlegen ließ,

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deren Handelsbeziehungen bis nach Amsterdam, London, Lissabon und Bordeaux reichten.528 Um den besten Standort zu finden, mußten sie „zunchst einmal einen Meister aus dem durch seine Gewehrfabrikation berîhmten Lîttich kommen lassen“. 1722 reiste Daum selbst nach Lîttich, um dort Arbeiter fîr die Gewehrfabriken zu gewinnen. Mit Unterstîtzung des angeworbenen Fabrikantensohnes Philipp Henoul verpflichteten sich 171 Meister und Gesellen, nach Preußen zu gehen. Der Kçnig zahlte die Reise und gewhrte andere Vergînstigungen (kein Militrdienst, „Wartegeld“ bis Arbeitsbeginn, freies Brennholz u. a.). Auch die Bedingung, einen zweisprachigen Priester mitbringen zu dîrfen, akzeptierte der Kçnig, der den Lîttichern auch die freie Ausîbung des katholischen Gottesdienstes gestattete. Auf dem „Gewehrplan“ ließ er kleine Wohnhuser errichten, zu denen je ein Garten zum Gemîseanbau gehçrte sowie eine Wiese, wo man „ein oder ein paar Kîhe“ halten konnte.529 Eine andere westeuropische Komponente bei der Gewehrfabrik bestand darin, daß man bis in die 70er Jahre zur Feuerung Steinkohle aus England bezog, die abgabenfrei eingefîhrt werden durfte. Da Splitgerber & Daum sich auch mit Geld- und Warenhandel beschftigten, konnte man bei ihnen viele Produkte aus Westeuropa beziehen: Weine aus Bordeaux, Tee und Tabak aus Amsterdam, Kramwaren und Gala-Livreen aus London und Kolonialwaren aus Lissabon.530 Die Einfîhrung der zum Teil arbeitsteilig organisierten Manufakturen beschrnkte sich nicht auf den Berliner Wirtschaftsraum. Die strikte Anwendung merkantilistischer Grundstze durch Friedrich Wilhelm I. hat auch der Kçnigsberger Stadtgeschichte eine neue Richtung gegeben. Weil der Kçnig und die Behçrden dabei weitgehend auf Fremde angewiesen waren, sind „so gut wie alle Manufakturen in Kçnigsberg von Franzosen, Englndern und Juden ins Leben gerufen worden.“531 Das fîhrte hufig zu Konflikten zwischen dem unbeweglichen stdtischen Rat und der auf Modernisierung setzenden Staatsverwaltung. Außerdem stieß der soziale Aufstieg des sich dabei herausbildenden Unternehmerstandes in die stdtische Oberschicht auf den heftigen Widerstand der standesbewußten Handelsherren. Die traditionelle Animositt gegenîber den

528 Gute Zusammenfassung: Arnold Wirtgen / Rolf Wirtgen, Manufaktur und Gewehrfabrik Potsdam-Spandau, in: Andrea Theissen / Arnold Wirtgen (Hg.), Militrstadt Spandau. Zentrum der preußischen Waffenproduktion 1722 bis 1918 (= Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung), Berlin 1998, S. 18 – 67, hier S. 18 – 23; ergnzend: H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 86 f., S. 188 f.; Ders. / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 337), 2, S. 209 – 230. 529 K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 60, S. 102 f., S. 116, S. 119, S. 123. 530 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 337), 2, S. 214. 531 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 91. Die folgenden Angaben ebd., S. 91 – 96.

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Aktivitten von „Fremden“ setzte sich bei den vom Staat gefçrderten Manufakturgrîndern aus Westeuropa fort. Das zeigte sich bei der von den beiden Englndern Benjamin Dell und Jean Jarvis 1716 gegrîndeten privilegierten Rotgerberei, gegen die einheimische Gerber sogar gewaltsam vorgingen. Bei der in einer anderen Quelle genannten Lederfabrik von William Dell, in der das Leder „auf englische Art mit englischen Arbeitern“ behandelt wurde, handelte es sich wohl um dasselbe Etablissement. Jedenfalls setzten sich die Englnder durch und erhielten 1726 ein neues Privileg, das ihnen die Versorgung mit Baumrinde sicherte. Aus Grînden, die noch zu klren sind, gehçrte die Etablierung der Seidenindustrie in Kçnigsberg zu den bevorzugten Projekten Friedrich Wilhelms. Nach einer ersten Niederlassung von Thomas Lejuge 1698 legte Monbrun, auch er gegen den Widerstand des Rates, 1710 eine zweite Seidenmanufaktur an. Es folgten Grîndungen von Etienne Neuville 1713 und dem Schweizer Fennert 1714. Neuville errichtete auch eine große Wollmanufaktur (1716), in der Tuche, Leinen und Damast hergestellt wurden. 1724 wurde der Betrieb von FranÅois Dambonette îbernommen. Auch eine große Leinenmanufaktur entstand; sie wurde 1723 von einem Stadtrat und zwei Kaufleuten namens Pinet und Paul Lafargue gegrîndet. Zwei Jahre spter beschftigte sie 96 Weber, 250 Hilfspersonen und 763 Spinner. Die produzierte Leinwand (1726: 142.130 Ellen) war zwar von einfacher Qualitt, wurde aber nach Hamburg, Amsterdam und Lissabon verkauft. Der aus Ch’lons stammende Pierre Sarry und Johann Daniel Keßler îbernahmen 1723 den Verlag der gesamten ostpreußischen Tuchproduktion. Nachdem Plne, die englischen Tuchlieferanten fîr die russische Armee auszubooten, gescheitert waren, konnten auch die Errichtung einer Tuchmacherwalkmîhle 1725 und der Einsatz von „Breittuchmachern“, die es sonst in Preußen nicht gab, das Unternehmen nicht retten. Die Firma Sarry & Keßler stellte 1728 ihre Ttigkeit ein. Um den arbeitslos gewordenen Tuchmachern zu helfen, grîndete Friedrich Wilhelm 1733 mit 10.000 Talern Startkapital einen Staatsverlag mit Woll- und Tuchmagazin, der mit Gewinn arbeitete und bis 1806 bestand. Know-how aus Westeuropa bençtigten dagegen die Zeugdruckereien, die von Isaac Bellon und Pierre Cottel in den 30er Jahren errichtet wurden, ebenso die Strumpfmanufaktur, fîr deren Errichtung zwei Franzosen, Jean Audoin und Pierre Binet, 1.000 Taler aufnahmen (1729). Die vorstehenden Ausfîhrungen haben gezeigt, daß die Friedrich Wilhelm I. oft zugeschriebene Kennzeichnung als „Preußens grçßter innerer Kçnig“ sehr einseitig ist. Infolge seiner abwartenden, vielleicht zu vertrauensseligen Außenpolitik konnten er und seine Berater (Ilgen!) immerhin erreichen, was seinem

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Großvater versagt blieb, den Gewinn Stettins: „Kluge Außenpolitik mußte nicht unbedingt aktive, gar aggressive Außenpolitik sein.“532 Außerdem lenkte Friedrich Wilhelm, dessen Bezeichnung als „Soldatenkçnig“ ebenfalls nicht sehr glîcklich ist, so oft wie nçtig seinen Blick nach Westeuropa, um von dort die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten nach Brandenburg-Preußen bringen zu lassen. Fîr seine Regierungszeit dîrfte die von Ernst Hinrichs geforderte „Europaorientierung des Forschungsinteresses“ am dringendsten sein.

§ 4 Preußen und Westeuropa in friderizianischer Zeit533 Es gibt keine andere historische Epoche, in der Frankreich fîr Preußen eine so wichtige Rolle spielte wie in der Zeit Friedrichs II. Auch die anderen Lnder Westeuropas blieben zwar im Blickfeld des Kçnigs, doch reichte ihr Einfluß bei weitem nicht an das franzçsische Vorbild heran, das in fast allen Bereichen fîr den friderizianischen Staat maßgebend wurde. Wegen seiner ausgeprgten Frankophilie wurde Friedrich einmal etwas boshaft als „Franzose im mrkischen Sand“ bezeichnet. Dabei spielten die persçnlichen Eindrîcke, die sich Friedrich von Frankreich verschaffte, keine Rolle: Im August 1740 hielt er sich, begleitet von August Wilhelm, Wartensleben und Algarotti, inkognito (Graf Dufour) einige Tage in Straßburg auf, wo er die Zitadelle besichtigte und den Mînsterturm bestieg. Politische Hintergrînde hatte diese Reise nicht. Immerhin konnte er den Innenarchitekten Johann August Nahl, der aus dem sparsamen Preußen des Soldatenkçnigs nach Straßburg gegangen war, zur Rîckkehr bewegen. Noch im gleichen Jahr wollte Friedrich Voltaire in Antwerpen treffen, doch wegen eines heftigen Fiebers mußte der Kçnig ihn in Preußen empfangen. Der zweite Westeuropa-Besuch Friedrichs fand im Juni 1755 statt, als er bei einer Reise durch seine westlichen Provinzen, wiederum inkognito (Kapellmeister des Kçnigs von Polen), mit nur zwei Begleitern fîr einige Tage einen Abstecher nach Holland unternahm und die Wasserwege zwischen Amsterdam und Utrecht

532 E. Hinrichs, Preußen … (s. Anm. 2), S. 22, das folgende Zitat: S. 25. 533 Zur Gesamtthematik vgl. Eckart Henning / Herzeleide Henning, Bibliographie Friedrich der Große 1786 – 1986. Das Schrifttum des deutschen Sprachraums und der ˜bersetzungen aus Fremdsprachen, Berlin/New York 1988. Da bei den fremdsprachigen Darstellungen die nicht îbersetzten îberwiegen, ist der Band fîr die spezielle Themenstellung dieses Beitrages nur begrenzt zu gebrauchen.

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befuhr.534 Auf diese zwei Kurzbesuche beschrnkten sich Friedrichs WesteuropaReisen.535 Fîr die Fragestellung dieses Beitrages ist es auch sekundr, ob sich der Preußenkçnig literaturgeschichtlich aus der Masse der franzçsischsprachigen Autoren heraushob und, nach einem Vorschlag von Lemoine-Lichtenberger (1901), den Ehrentitel „un poºte franÅais“ verdient. Den in die Richtung einer solchen Aufwertung (literarischer Geschmack, sthetische Anschauungen, kînstlerische Schçpfungskraft usw.) zielenden, manchmal etwas euphorischen Bemîhungen von Werner Lange kçnnte man, etwa nach der Lektîre der Politischen Testamente, mit einiger Skepsis begegnen. Der ungeheure Einfluß der franzçsischen Geistes- und Kulturwelt auf Friedrich und Preußen wird von dieser Debatte nicht berîhrt.536 Von den Hohenzollernherrschern soll Friedrich seiner Abstammung nach „den strksten franzçsischen Einschlag“ gehabt haben. Unter der Obhut seiner ersten Gouvernante, Madame de Rocoules, wuchs er als franzçsisch sprechendes Kind auf.537 øhnlich wie die „Westlerin“ Sophie Charlotte zeigte sich Friedrich schon als Kronprinz den aus den westlichen Nachbarlndern kommenden Einflîssen gegenîber ußerst aufgeschlossen. Dabei galt seine besondere Vorliebe der franzçsischen Sprache, die er bis an sein Lebensende zwar nicht perfekt beherrschte, aber besser sprach und schrieb als die deutsche. Dazu kam eine große Bewunderung fîr die meist aus Frankreich kommenden philosophischen, literarischen, kulturellen und kînstlerischen, aber auch çkonomisch-administrativen Ideen, die im 18. Jahrhundert fîr weite Teile Europas prgend wurden.538 Sogar die hçchste preußische Kriegsauszeichnung, die 1740 von Fried534 Obwohl die Preußenherrscher keine „Reisenden“ im îblichen Sinne waren, werden ihre wiederholten Besuche in den Niederlanden in einer neuen Untersuchung nicht einmal erwhnt: A. Chales de Beaulieu, Reisende in den Niederlanden … (s. Anm. 473). 535 Zu den beiden Westeuropa-Reisen Friedrichs vgl. I. Mieck, Westeuropa … (s. Anm. 24). Keine Erwhnung findet der Besuch in den thematisch einschlgigen Sammelbnden von Heinke Wunderlich / Jean Mondot (Hg.), Deutsch-Franzçsische Begegnungen am Rhein 1700 – 1789. Rencontres Franco-Allemandes dans l’espace rh¤nan entre 1700 et 1789, Heidelberg 1994, und von Bernard Vogler / Jîrgen Voss (Hg.), Strasbourg, Schoepflin et l’Europe au XVIIIe siºcle (= Pariser Historische Studien, 42), Bonn 1996. Einen Drei-Zeilen-Hinweis (S. 11) enthlt der in Anm. 135 genannte Band. Die (recht dîrftige) deutschsprachige Literatur ist in der FriedrichBibliographie verzeichnet (s. Anm. 533). 536 Werner Langer, Friedrich der Große und die geistige Welt Frankreichs (= Hamburger Studien zu Volkstum und Kultur der Romanen, 11), Hamburg 1932, passim. Das Zitat: S. XIII. 537 Vgl. dazu E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 110), S. 63 – 65; P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 336), S. 48 – 52. Fîr den Namen der Erzieherin gibt es mehrere Schreibweisen. 538 Stephan Skalweit, Der preußische Staat im Denken des ausgehenden „ancien r¤gime“ in Frankreich, in: Otto Bîsch / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648 – 1947. Eine Anthologie (= VerçffHistKommBerlin, 52), Berlin/New

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rich II. gestiftet wurde, trug einen franzçsischen Namen: „Pour le m¤rite“.539 Obwohl Preußen, besonders seit 1772, noch sehr stark nach Osteuropa orientiert war und westlich der Elbe nur îber Streubesitz verfîgte, gehçrte eine erfolgreiche „Westpolitik“ zum festen diplomatischen Instrumentarium, um den Bestand des unter Friedrich zur europischen Großmacht aufsteigenden Staates zu sichern.540 I. „Westliche“ Prgungen des Kronprinzen Als Friedrich vier Jahre alt war, îbernahm seine Erziehung ein pr¤cepteur hugenottischer Herkunft, Jacques Egide Duhan de Jandun. Zehn Jahre lang blieb er, unterstîtzt durch zwei Offiziere, dafîr verantwortlich. Franzçsisch war und blieb Hauptfach. Fîr die in der Instruktion vorgeschriebene „Lesung guter Bîcher“ kaufte der Kronprinz heimlich und auf Kredit eine Bibliothek von îber dreitausend Bnden zusammen. Darunter befanden sich alle bedeutenden Werke der Schriftsteller, Literaten, Philosophen und Staatstheoretiker des Grand Siºcle, auch einige Schriften des jungen Voltaire. Friedrich blieb seinem „cher Duhan“, der 1740 Geheimrat im auswrtigen Departement und Akademiemitglied wurde, bis zu dessen Tod 1746 freundschaftlich verbunden. Besonders dankbar war er seinem Freund und Lehrer, daß er ihm den Sinn fîr Ruhm, der nach Friedrichs Worten „so charakteristisch fîr den franzçsischen Adel“ sei, eingeflçßt habe. Bald nach der Entlassung der drei Erzieher wurde der inzwischen fînfzehnjhrige Kronprinz in die Auseinandersetzungen hineingezogen, die sich wegen der unterschiedlichen außenpolitischen Prferenzen am Hof des Soldatenkçnigs entwickelten. Gegen die eher kaisertreue Politik Friedrich Wilhelms I. opponierte eine um die Kçnigin Sophie Dorothea gescharte Gegenpartei, die vor allem das Projekt der „englischen Heiraten“ favorisierte: Eine Doppelhochzeit des Kronprinzen und seiner Schwester Wilhelmine mit dem englischen York 1981, 1, S. 197 – 242. Dabei handelt sich um einen ergnzten und îberarbeiteten Beitrag aus der grundlegenden Untersuchung von Stephan Skalweit, Frankreich und Friedrich der Große. Der Aufstieg Preußens in der çffentlichen Meinung des „ancien r¤gime“ (= BonnHistForsch, 1), Bonn 1952. 539 Dieser einzige von Friedrich gestiftete Orden war im Dienst befindlichen Offizieren vorbehalten; nur ausnahmsweise wurde er auch hervorragenden (auslndischen) Zivilpersonen (Maupertuis, Algarotti, Voltaire) verliehen. Verdiente Auslnder erhielten in der Regel den 1667 gestifteten „Orden de la G¤n¤rosit¤“ (vgl. Jçrg Nimmergut, § 29b: Orden als Staatsauszeichnung persçnlicher Verdienste, in: J. Ziechmann [Hg.], Panorama … [s. Anm. 9], S. 316 f.). – Die Friedensklasse des „Pour le m¤rite“ (fîr Wissenschaften und Kînste) wurde erst 1842 gestiftet und 1952 erneuert. 540 Vgl. allgemein zur „Westpolitik“ Friedrichs II.: Ilja Mieck, Die Staaten des westlichen Europa in der friderizianischen Außenpolitik, in: Wilhelm Treue (Hg.), Geschichte als Aufgabe. Festschrift fîr Otto Bîsch zu seinem 60. Geburtstag, Berlin 1988, S. 83 – 100.

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Erbprinzen Georg und seiner Schwester sollte îber die engere dynastische Verbindung auch zu einer außenpolitischen Neuorientierung fîhren.541 Friedrich, ohnehin in Opposition zu seinem Vater und von seiner Mutter in diesen Streit hineingezogen, trieb die Angelegenheit durch Kontakte und Versprechungen an die englische Adresse mit erstaunlichem Geschick voran. „Die Heiratssache war sein politisches Gesellenstîck, das er in diesem hçfisch-diplomatischen Spiel ablegte, ohne in persçnlicher Hinsicht irgendwie engagiert zu sein.“542 Noch entbehrte seine Hinneigung zu den westlichen Mchten einer wirklichen politischen Begrîndung und war mehr Ausdruck des Protestes gegen die Politik des ungeliebten, hufig prîgelnden Vaters, der 1728 sogar seine geheime Bibliothek entdeckte und sie verkaufen ließ. Der Buchhndler Haude, der sie erwarb, gab die Bîcher dem Kronprinzen einzeln zurîck und richtete ihm in seinem Laden eine kleine Privatbibliothek ein.543 Einen hnlichen Wechsel auf die Zukunft hatte auch der franzçsische Gesandte im Sinn, als er meinte: „Um den Vater zu entwaffnen, mîßte man dem Kronprinzen eine Partei schaffen und eine Anzahl von Offizieren auf seine Seite bringen […] Ich glaube, das wîrde gelingen. Jedenfalls mîßte man den jungen Prinzen in einer fîr Frankreich gînstigen Gesinnung erziehen.“544 Als das Heiratsspiel verloren war und die Erziehungsversuche des Vaters immer drastischere Formen annahmen, reifte beim Kronprinzen der Plan zur Flucht aus Preußen. Beide Westmchte wurden vom Kronprinzen informiert: Whrend man ihn in London nicht sehen wollte und wegen der mçglichen Weiterungen von einer Flucht dringend abriet, htte er in Frankreich auf Gastfreundschaft rechnen kçnnen. Als Friedrich am 5. August 1730 den Fluchtplan, der mehr als dilettantisch war, auf einer Reise nach Sîddeutschland in die Tat umsetzen wollte, wurde er festgenommen. Auf den Prozeß und die Hinrichtung des Freundes Katte folgte die „Pardonierung“ Friedrichs und eine sehr allmhliche Aussçhnung mit dem Vater, dessen Bedeutung fîr den Staatsaufbau der Kronprinz bei seiner strafweise angeordneten Verwaltungsttigkeit in Kîstrin schtzen lernte. Eine weitere „westliche“ Prgung erfuhr Friedrich nach 1736, als er in Rheinsberg einen „Musenhof“ nach seinem Geschmack im Stil des Rokoko 541 S. o. S. 567. 542 T. Schieder, Friedrich … (s. Anm. 53), S. 31. 543 Ursula E. Koch, Berliner Presse und europisches Geschehen 1871 (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 22), Berlin 1978, S. 55. 544 Zitiert von Carl Hinrichs (Hg.), Der Kronprinzenprozeß. Friedrich und Katte, Hamburg 1936, Wiederabdruck der Einleitung u. d. T.: Friedrich Wilhelm I. und Kronprinz Friedrich, in: Ders., Preußen als historisches Problem … (s. Anm. 308), S. 185 – 202, hier S. 200; vgl. jetzt Jîrgen Kloosterhuis, Katte, Ordre und Kriegsartikel. Aktenanalytische und militrhistorische Aspekte einer „facheusen“ Geschichte, Berlin 2006.

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fîhrte, an dem nicht nur die franzçsische Aufklrung ihren festen Platz hatte, sondern auch franzçsische Lebensart (einschließlich kulinarischer Delikatessen), elegante, aber unkonventionelle Umgangsformen und eine freie Geselligkeit herrschten. Friedrich begnîgte sich nicht mit geistvollen Gesprchen, Lesungen, Musik und Tanz; er las nchtelang, um seine Bildung zu vervollkommnen und begann am 8. August 1736 seine Korrespondenz mit Voltaire. Andere „Westeuroper“, die zum Rheinsberger Feundschaftskreis gehçrten, waren Charles Etienne Jordan, ein Abkçmmling normannischer R¤fugi¤s545, und der 1698 im Haag geborene Heinrich August de la Motte-Fouqu¤, der als Page des „Alten Dessauers“ nach Preußen gekommen und von Friedrich Wilhelm I. zum militrischen Gesellschafter des Kronprinzen bestellt worden war. Ihn machte der junge Friedrich zum Großmeister des Bayard-Ordens, den er zur Erinnerung an Bayard, den chevalier sans peur et sans reproche und Weggefhrten Franz I.’, gestiftet hatte. Interessante Einzelheiten enthalten die 1788 verçffentlichten Memoiren von Fouqu¤ (mit Briefwechsel), der wegen einer militrischen Schlappe (1760) zwar vorîbergehend in Ungnade fiel, aber dennoch Dompropst in Brandenburg wurde. Die erste persçnliche Begegnung Friedrichs mit Voltaire fand am 11. September 1740 auf Schloß Moyland bei Kleve statt, die fînfte und letzte endete im Mrz 1753, nachdem Voltaire drei Jahre Gast des Preußenkçnigs gewesen war. Die Bedeutung ihrer intensiven, aber keineswegs spannungsfreien Beziehungen im Kontext des preußisch-franzçsischen Verhltnisses wird an anderer Stelle erçrtert;546 in der Kronprinzenzeit blieb es bei der Korrespondenz und den gemeinsamen Vorbereitungen zur Herausgabe des von Friedrich verfaßten „Antimachiavell“, der 1740 erschien.547 So wie er als Kronprinz den bereits 1738 verstorbenen Isaac de Beausobre sehr verehrt hatte, hielt Friedrich auch nach seiner Thronbesteigung daran fest, sich mit Angehçrigen der Franzçsischen Kolonie zu umgeben, auch wenn sie nicht der Akademie angehçrten. Das waren beispielsweise Militrs wie Guichard

545 Nachdem Charles Jordan seinen Galanteriewaren-Handel mit einer boutique portative (= Bauchladen) begonnen hatte, machten er und seine Familie daraus bald eins der bekanntesten Huser Berlins (1772 Hofjuweliere). ˜ber Charles Etienne J., der zur zweiten Generation gehçrte, vgl. Jens Hseler, Ein Wanderer zwischen den Welten. Charles Etienne Jordan (1700 – 1745) (= Beihefte der Francia, 28), Sigmaringen 1994, passim, auch zum folgenden; Denkwîrdigkeiten aus dem Leben des preußischen Generals de la Motte Fouquet, 2 Tle., Berlin 1788. 546 S. u. S. 601 – 605. 547 Anti-Machiavel, ou essai de critique sur le Prince de Machiavel, publi¤ par Mr. de Voltaire. La Haye, au d¤pens de l’Editeur 1740. – Weitere Ausgaben (teilweise mit leicht gendertem Titel): Brîssel und Kopenhagen 1740, Gçttingen, Amsterdam und Marseille 1741, London 1751. Obwohl anonym erschienen, kannte ganz Europa den Autor.

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(Quintus Icilius),548 Forcade und Camas, Prediger wie Achard und Moulines oder gelehrte Kçpfe wie La Motte-Fouqu¤ und R¤guelin.549 Whrend der Aussçhnungsphase beschftigte sich Friedrich auch mit Fragen der Außenpolitik, noch bevor ihn sein Vater seit etwa 1734 schrittweise an diese Materie heranfîhrte. Als erstes einschlgiges Dokument wird gern der „Natzmer-Brief“ vom Februar 1731 angefîhrt, doch betont die neuere Forschung, daß man angesichts der dort skizzierten Plne und Projekte lieber von „einer wohl nicht ganz ernst zu nehmenden Gedankenspielerei“ sprechen sollte, weil dem Text jedes außenpolitische Rsonnement und eine tiefergehende Analyse fehlen.550 Fîr die kînftigen Beziehungen Friedrichs zu Westeuropa gibt das Dokument nichts her. Neben Expansionszielen im mittel- und osteuropischen Raum (von Schlesien ist aber nicht die Rede) wird im Westen lediglich JîlichBerg genannt – traditionelles Arrondierungsobjekt des Soldatenkçnigs, auf das Friedrich schon 1741 verzichtete. Mit Hilfe eines 1732 nach Berlin geschickten neuen Gesandten, des Marquis de La Ch¤tardie, hoffte die franzçsische Regierung, Preußen aus dem Bîndnis mit §sterreich herauslçsen zu kçnnen. Wre Friedrich Wilhelm I. im Winter 1734, wie man ernsthaft vermutete, gestorben, htte die neue Konstellation vielleicht schon whrend des Polnischen Thronfolgekrieges feste Gestalt angenommen. So aber mußte der Kronprinz mitansehen, wie sich §sterreich und Frankreich hinter dem Rîcken Preußens verstndigten und Friedrich Wilhelm im Februar 1738 eine schwere diplomatische Niederlage bereiteten, die zugleich den Wert des kaiserlichen Versprechens von 1728 enthîllte.551 Diese Jahre waren die außenpolitische Lehrzeit des Kronprinzen. Nach der Genesung des Vaters noch einmal ins zweite Glied zurîckgetreten, besuchte er 1734 das im Westen im Polnischen Thronfolgekrieg kmpfende preußische Hilfskorps552 und 1735 den çstlichen Kriegsschauplatz. Seit dem Bezug von Rheinsberg (1736) arbeitete er dort „wie ein Besessener“, um sich die grundlegenden Kenntnisse, die fîr eine erfolgreiche Außenpolitik unerlßlich waren, anzueignen. Ein Teilergebnis seiner Bemîhungen waren die um die Jahreswende 548 Warum sich Friedrich von dem Major Charles Guichard, der mit dem Bankier-Abenteurer Calzabigi befreundet war, ausgerechnet in Bankfragen beraten ließ, ist einigermaßen rtselhaft. 549 E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 110), S. 66. 550 Vgl. I. Mieck, Die Staaten … (s. Anm. 540), S. 87 f., gegen die positive Einschtzung von T. Schieder, Friedrich … (s. Anm. 492), S. 43. 551 S. o. S. 566. 552 Der Kronprinz erfuhr gewiß nichts vom spartanischen Leben der preußischen Soldaten, die ihre karge Suppe, wie ein franzçsischer Diplomat berichtet, mit einfachem Lampençl verbesserten (Heinz Duchhardt, Frankreichs diplomatische Prsenz am Rhein: das Beispiel Louis Augustin Blondel, in: H. Wunderlich / J. Mondot, Begegnungen … [s. Anm. 535], S. 93 – 101, hier S. 99).

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1737/38 entstandenen „Consid¤rations sur l’¤tat pr¤sent du corps politique de l’Europe.“553 Weit entfernt von den dilettantischen Fingerîbungen des „Natzmer-Briefes“, analysiert Friedrich in diesen „Consid¤rations“ im Rahmen einer militrisch-politischen Bestandsaufnahme die aktuelle Lage und stellt die preußischen Interessen mitten hinein. Bemerkenswert ist in unserem Zusammenhang, daß er in dieser Schrift eine zwar verklausulierte, aber dennoch deutlich erkennbare Option fîr ein Bîndnis mit Frankreich ausspricht.554 Er wiederholte damit, was er schon gegenîber La Ch¤tardie whrend der Krankheit seines Vaters mehrfach angedeutet hatte.555 Der vom Kronprinzen favorisierte Kurswechsel erfolgte 1738/39. Am 5. April 1739 wurde mit Frankreich ein geheimer Vertrag geschlossen.556 Preußen erhielt die Zustimmung zur kînftigen Abtretung des besten Teils des Herzogtums Berg, allerdings ohne Dîsseldorf. Damit hatte man zwar nur die eine Versprechung (von §sterreich) gegen eine andere (von Frankreich) ausgetauscht, aber angesichts der bisherigen Erfahrungen mit den habsburgischen Zusagen war Friedrich Wilhelm damit fîrs erste zufrieden, und Friedrich hatte den ersten Schritt in Richtung auf das von ihm prferierte Bîndnis mit Frankreich getan. Langfristig gesehen, wurde „eine îber fînfzigjhrige çsterreichisch-preußische Allianz (seit 1686) […] auf diese Weise brîsk beendet“.557 Was die Preußen nicht wußten, war, daß dieser Vertrag einem anderen Geheimabkommen widersprach, das Kardinal Fleury, der Lenker der franzçsischen Politik, am 13. Januar 1739 mit §sterreich vereinbart hatte. Bis heute ist unklar, wie sowohl Fleury als auch der Kaiser aus dieser widersprîchlichen Vertragslage herauskommen wollten.558 Aber da der Tod des Pfalzgrafen Karl

553 Abgedruckt in Johann David Erdmann Preuss (Hg.), Oeuvres de Fr¤d¤ric le Grand, 8/1, Berlin 1848, S. 3 – 30. 554 Heinz Duchhardt, § 72: Die internationalen Beziehungen, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 653 – 659, hier S. 655 f., spricht dagegen – nicht îberzeugend – von einer „eindeutig frankophoben Tendenz der Schrift“ und einer „Verteufelung Frankreichs“, obwohl er einrumt, daß „die Mçglichkeit einer zukînftigen Allianz Preußens mit Frankreich fîr den Kronprinzen schon damals mehr als einen Gedanken wert gewesen ist.“ 555 Vgl. Arnold Berney, Friedrich der Große. Entwicklungsgeschichte eines Staatsmannes, Tîbingen 1934, S. 53 f.; ausfîhrlicher: Ders., Franzçsische Bemîhungen um den Kronprinzen Friedrich (1732 – 1738), in: ArchKulturg 26 (1936), S. 104 – 114. 556 Neuerer Abdruck: CTS, 35, S. 343 – 352. 557 Peter Baumgart, Grundzîge des preußischen Absolutismus, in: Manfred Schlenke (Hg.), Preußische Geschichte. Eine Bilanz in Daten und Deutungen, Freiburg/Wîrzburg 21991, S. 156. 558 Auf diesen Widerspruch wurde schon vor Jahrzehnten hingewiesen, z. B. durch O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 316.

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Philipp, um dessen Erbfolge es ging, erst 1742 eintrat, stellte sich die Frage zu einem Zeitpunkt, da sich die europische Lage grundlegend verndert hatte.559 II. Der westeuropische Faktor in der Außenpolitik 1. Die Allianz mit Frankreich: „Travailler pour le roi de Prusse“ Obwohl die westeuropischen Staaten seit den ersten diplomatischen Schritten Friedrichs, der am 31. Mai 1740 den Thron bestieg, Preußen mit großer Aufmerksamkeit betrachteten und diesen Staat in ihr politisches Kalkîl einbeziehen mußten, gibt es bis heute keine monographische Untersuchung dieser besonderen Problematik, so daß man im Grunde nur auf einen lteren Aufsatz verweisen kann, der an unerwarteter Stelle erschienen ist und zudem seine zahlreichen Quellenzitate nicht nachweist.560 Woher der Wind jetzt in Berlin wehte, erklrte Friedrich im Dezember 1740 dem englischen Gesandten: „Ich finde, mein Herr, England hat ebenso wie Frankreich die Neigung, andere Souverne unter seine Vormundschaft zu nehmen, aber ich habe keine Lust, mich gngeln zu lassen, weder von dem einen noch von dem andern.“561 Dieser Grundsatz bestimmte fortan die WesteuropaPolitik Preußens, die Friedrich mit einem îberraschenden Paukenschlag, der allenthalben Respekt abnçtigte, erçffnete. Da die Verhandlungen um die preußischen Rechte auf die Herrschaft Herstal mit dem Lîtticher Fîrstbischof schon acht Jahre gedauert hatten, stellte Friedrich im September 1740 dem Bischof ein Ultimatum von zwei Tagen („Das ist die Sprache Ludwigs XIV.“) und setzte zugleich von Kleve aus preußische Truppen in Marsch. Die kleine, aber nachdrîckliche militrische „Diversion“ von 3.000 Mann genîgte, um den Fîrstbischof zum Einlenken zu bewegen und preußischem Ansehen im ußersten Westen wieder Achtung zu verschaffen.562 559 Vgl. dazu K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 349 f. 560 Carl Hinrichs, Friedrich der Große – Deutschland und die Westmchte. Betrachtungen zur 200. Wiederkehr des Regierungsantritts des Großen Kçnigs am 31. Mai 1740 (= Einleitungskapitel zu: Ders. [Hg.], Der allgegenwrtige Kçnig. Friedrich der Große im Kabinett und auf Inspektionsreisen, Berlin 31943, S. 1 – 38). Trotz des GçringGeleitwortes und der Datierung „im Mai des Kriegsjahres 1940“ hat Carl Hinrichs die seinerzeit erwarteten Nazi-Floskeln geschickt umgangen; wahrnehmungsgeschichtliche Ergnzungen der Westeuropapolitik: Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjhrigen Krieg, (Berlin 2006). 561 C. Hinrichs, Friedrich … (s. Anm. 560), S. 6. 562 Reinhold Koser, Geschichte Friedrichs des Großen, 1, Stuttgart/Berlin 51921, S. 224 – 226 und S. 233 f.

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Von den westeuropischen Karten spielte Friedrich zuerst die franzçsische.563 Bereits im September schlug er mit etwas euphorischen Worten („Die Interessen Frankreichs und meine sind gleich“) Fleury ein engeres Bîndnis vor, doch wollte man in Frankreich, das in den 30er Jahren wiederum zur europischen Fîhrungsmacht aufgestiegen war und zu Beginn des neuen Jahrzehnts „die internationalen Beziehungen in jeder Hinsicht kontrollierte“, nichts îbereilen.564 Auch als Friedrich zur allgemeinen ˜berraschung, von der gînstigen politischen Lage profitierend, am 16. Dezember den Krieg gegen §sterreich erçffnete, um die reiche Provinz Schlesien zu erobern, zçgerte Fleury zunchst mit einer Unterstîtzung, zumal auch der damalige Staatssekretr des øußeren,565 der Marquis d’Argenson, durch den ˜berfall des „roi philosophe“ auf Schlesien, der auch fîr ihn vçllig unerwartet kam, irritiert war. Erst nach der erfolgreichen Schlacht bei Mollwitz (10. 4. 1741) konnte sich die anti-çsterreichische Partei unter der Fîhrung des Grafen Belle-Isle durchsetzen, so daß Frankreich schließlich zu einer Allianz mit Friedrich bereit war. Der erste in einer langen Reihe preußisch-franzçsischer Vertrge in friderizianischer Zeit wurde in Breslau am 5. Juni 1741 fîr eine Dauer von 15 Jahren geschlossen.566 Gegen die Zusicherung Niederschlesiens mit Breslau verzichtete Friedrich auf seine Ansprîche auf Jîlich-Berg und warf damit eine diplomatische Chimre îber den Haufen, der sein Vater jahrzehntelang ergebnislos nachgejagt war. Da das gegenseitige Mißtrauen aber bestehen blieb (Hintze: „Jeder […] wollte den anderen fîr seine Zwecke gebrauchen, und jeder war klug genug, das zu merken“) und Frankreich deshalb seinen Bîndnisverpflichtungen nicht nachkam, zog sich der Preußenkçnig aus dem Krieg zurîck und schloß mit dem von allen Seiten bedrngten §sterreich die geheime Vereinbarung von KleinSchnellendorf (9. 10. 1741: Waffenstillstand, vorlufiger Besitz Schlesiens).567 563 Fîr viele Details noch immer wichtig die Gesamtdarstellung von M. Immich, Geschichte … (s. Anm. 15); wichtigste Quellengrundlage fîr das Gesamtthema: Politische Correspondenz Friedrichs des Großen, 46 Bde., Berlin 1879 – 1939. 564 Vgl. H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 371), S. 300. Zu vielen der folgenden Angaben vgl. auch das Werk von Friedrich d. Gr., Histoire de mon temps [Dt. u. d. T.: Geschichte meiner Zeit, zahlreiche Ausgaben, passim]. Aus franzçsischer Sicht: Michel Antoine, Louis XV, Paris 1989. 565 Zur Titulatur s. o. S. 556 (Anm. 460) und u. S. 735. 566 Im Gegensatz zu den von seinen beiden Vorgngern geschlossenen internationalen Vereinbarungen fehlt noch immer eine Sammlung der Vertrge aus friderizianischer Zeit. Wegen der zeitlichen Lîcke zwischen den großen Sammlungen von Du Mont (bis 1731) und Martens (ab 1761, mit Nachtrgen fîr die Zeit vorher) war man lange auf die Editionen des 18. und 19. Jahrhunderts (Clercq, Ghillany, Koch, Rousset, Schoell, Wenck u. a.) angewiesen. Neuerdings liegt ein Monumentalwerk vor: C. Parry, CTS … (s. Anm. 500). Der Vertrag von Breslau: Ebd., 36, S. 217 – 224. 567 Ebd., S. 243 – 245; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 329.

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Doch nach der Eroberung Prags durch seine „Verbîndeten“ Frankreich, Bayern und Sachsen wechselte Friedrich erneut seine Strategie und nahm den Krieg gegen §sterreich wieder auf. Wiederum war es ein militrischer Sieg (Chotusitz, 17. 5. 1742), der ihm politischen Erfolg brachte. Es war vor allem der britischen Diplomatie zuzuschreiben, daß sich Friedrich zu einem Sonderfrieden bereit erklrte, als ihm §sterreich den Besitz fast ganz Schlesiens zusicherte (Vertrge von Breslau/Berlin (11.6./28.7.1742.)568 Der doppelte Bîndnisbruch Friedrichs ist in Frankreich mit Erstaunen und Empçrung aufgenommen worden. Selbst erfahrene Diplomaten wie Fleury und vor allem das literarische Frankreich hatten vom Hauptverfasser des „Antimachiavell“ eine andere Politik erwartet. Auch Voltaire lernte dazu: Er erkannte, daß der Philosophen-Kçnig und der Philosophen-Feldherr gleichermaßen in der Person des Kçnigs angelegt waren und gelangte dadurch zu einem besseren Verstndnis des kçniglichen Partners und zeitweiligen Freundes. Gegen die diplomatische Isolierung, in die sich Friedrich im Sommer 1742 hineinmançvriert hatte, schloß er sogar ein Defensiv-Bîndnis mit England (18./29. 11. 1742)569 – dem ebenfalls noch viele andere Abmachungen folgen sollten. Durch den Gewinn Schlesiens mußte sich die preußische Außenpolitik neu orientieren. Weil §sterreich den Verlust dieser Provinz noch lngst nicht akzeptiert hatte, wîrde langfristig, so Friedrich selbst, nur „viel Mßigung und viel Gleichmut gegen alle Nachbarn“ zur dauerhaften Anerkennung der neuen preußischen Stellung durch die anderen Kabinette Europas fîhren. Als nach dem Tod des Kardinals Fleury (29. 1. 1743) die franzçsische Außenpolitik in Bewegung geriet und sich die politische Lage nach dem Sieg der „pragmatischen Armee“ bei Dettingen (27. 6. 1743) îber die Franzosen deutlich zugunsten §sterreichs und zum Nachteil Friedrichs vernderte,570 war Frankreich bereit, den Affront von Klein-Schnellendorf und Breslau/Berlin zu vergessen und ein erneutes Bîndnis mit Preußen in Erwgung zu ziehen. Um genauere Erkundigungen îber die preußischen Absichten einzuziehen, verfiel man in Frankreich auf den Gedanken, den vom Preußenkçnig hoch geschtzten, aber diplomatisch wenig geeigneten Voltaire mit dieser Mission zu betrauen. Friedrich durchschaute den Plan sehr schnell, faßte ihn als eine plaisanterie auf und blieb Herr der Situation. Als ihm der Zeitpunkt gînstig erschien, beauftragte er den Grafen Rothenburg, der 1740 aus franzçsischen in preußische Dienste getreten war, mit der Vorbereitung eines Vertrages. Mit dem Abschluß des neuen Bîndnisses (Paris, 5. 6. 1744: „Trait¤ d’alliance offensive et 568 CTS … (s. Anm. 500), 36, S. 275 – 282 und S. 409 – 420. 569 Ebd., S. 497 – 503. Das sptere Datum bezieht sich auf den Gregorianischen Kalender, den Großbritannien erst 1752 einfîhrte. 570 Vgl. dazu u. a. H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 371), S. 306 – 309; O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 330 – 334.

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d¤fensive“)571 hatte die Mission Voltaires, der Berlin bereits im Oktober 1743 wieder verlassen hatte, nichts zu tun.572 Diese Allianz war Teil eines breiten Koalitionsgeflechts, das in wenigen Wochen geknîpft wurde. Preußen und Frankreich waren gemeinsam an drei der insgesamt sechs Vereinbarungen beteiligt: Der Frankfurter Union (22. Mai 1744: Karl VII., Hessen-Kassel, Kurpfalz und Preußen) schloß sich Frankreich am 6. Juni an, ebenso dem Frankfurter Bîndnis (24. Juli: Karl VII., Preußen) am 24. Juli.573 Obwohl der direkte Bîndnisvertrag natîrlich am wichtigsten war, konnte Friedrich mit dem Ergebnis seiner Diplomaten zufrieden sein.574 Die çffentliche Meinung Westeuropas wollte Friedrich zu seinen Gunsten durch die Zeitschrift „L’observateur hollandais“ beeinflussen, die er seit 1744 îber den Marquis d’Argens herausgeben ließ, der 1735 bis 1741 in den Niederlanden gelebt und dort seine wichtigsten Werke verfaßt hatte. Dieses Propagandablatt wurde zwar in Berlin gedruckt, nannte aber als Erscheinungsort Leyden und mußte îber Holland vertrieben werden. Da die hollndischen Behçrden den Verkauf verboten und der Absatz in Preußen sehr zu wînschen îbrig ließ, wurde die Zeitschrift Anfang 1745 wieder eingestellt.575 Gestîtzt auf die Allianz mit Frankreich begann der Preußenkçnig im August 1744 den Zweiten Schlesischen Krieg. Bei seinem Einmarsch in Bçhmen ließ es jedoch sein neuer Bundesgenosse an tatkrftiger Unterstîtzung fehlen, weil der junge Kçnig Ludwig XV., der seine ersten militrischen Erfahrungen sammelte, in Metz an einem so heftigen Fieber erkrankte, daß man mit seinem Ableben rechnete. Die „Episode von Metz“ hatte nicht nur weitreichende Folgen fîr die innerfranzçsische Politik,576 sondern bewirkte auch einen vorîbergehenden Stillstand der militrischen Operationen, was Friedrichs ohnehin schon mißli571 Wie aus der Politischen Korrespondenz … (s. Anm. 563), 3, hervorgeht, gibt es am Abschluß dieser Allianz keinen Zweifel. Dennoch fehlt sie in den meisten zeitgençssischen Vertragssammlungen und auch in der CTS, 37 (1742 – 1746). Der Text ist enthalten in Alexander de Clercq, Recueil des trait¤s de la France, 15, Suppl. 1713 – 1885, Paris 1888, S. 18 – 21. 572 Ausfîhrliche Darstellung dieser Angelegenheit bei T. Schieder, Friedrich … (s. Anm. 53), S. 445 – 450. 573 Abdruck der Vertrge: CTS, 37, S. 259 – 268 (22. 5. 1744), 273 – 282 (6.6.) und 289 – 296 (24.7.). Die sechste Abmachung (ebenfalls vom 6.6.) betraf einen Geheimartikel zur Frankfurter Union, der Friedrich, wie bei Reichssachen îblich, nur als Kurfîrst von Brandenburg beigetreten war. 574 Zur politischen Situation vgl. K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 356), 2, S. 456 f. 575 Martin Welke, § 18: Das Pressewesen, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 424 – 436, hier S. 430. 576 Ludwig versprach, sich von Madame de Ch’teauroux, seiner Mtresse, zu trennen. Mit teilweise neuen Ergebnissen untersucht diese Affre Jens Ivo Engels, Kçnigsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben îber den franzçsischen Kçnig in der ersten Hlfte des 18. Jahrhunderts (= Pariser Historische Studien, 52), Bonn 2000, S. 183 – 205. Knapper: M. Antoine, Louis XV. … (s. Anm. 564), S. 368 – 380.

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che Lage weiter verschlechterte. Da franzçsische Unterstîtzung auch spter ausblieb, war Friedrich auf sich allein gestellt. Erst durch die 1745 errungenen Siege bei Hohenfriedberg, Soor und Kesselsdorf konnte er sich aus seiner schwierigen Lage befreien. Als §sterreich nach diesen drei Niederlagen verhandlungsbereit war, kîmmerte er sich nicht weiter um seinen Bîndnispartner Frankreich, das angeblich „keinen Artikel des Versailler Vertrages erfîllt“ hatte, verstndigte sich mit England (Hannover, 26. 8. 1745)577 und schloß nach britischer Vermittlung einen Sonderfrieden mit §sterreich, der ihm erneut Schlesien garantierte (Dresden, 25. 12. 1745).578 Daß Preußen dadurch zur zweiten deutschen Großmacht wurde, war fîr die beiden Westmchte ein schwerer Schlag: „Das 1648 geschaffene deutsche Depressionsgebiet, auf dessen Machtlosigkeit das bisherige europische System beruht hatte, war zu einem großen Teil durch ein neugeschaffenes politisches Kraftzentrum aufgefîllt.“579 Zusammen mit dem skrupellosen Angriff auf Schlesien mitten im Frieden haben die dreimaligen Bîndnisbrîche des Preußenkçnigs das 1740 îberwiegend positive Bild Friedrichs in Frankreich deutlich getrîbt, wenngleich der Parteiwechsel von 1745 von den Diplomaten, die den Interessenpolitiker Friedrich inzwischen richtig einzuschtzen gelernt hatten, gelassener als die ersten beiden aufgenommen wurde.580 Whrend Frankreich am Ende des §sterreichischen Erbfolgekrieges (Aachen, 18. 10. 1748)581 sogar die eroberten habsburgischen Niederlande wieder herausgeben mußte, garantierten die Großmchte Preußen den Besitz Schlesiens, das es letztlich unter der diplomatischen Absicherung durch das Bîndnis mit Frankreich, das nun mit leeren Hnden dastand, behauptet hatte. Damals entstand in Frankreich die Redensart „travailler pour le roi de Prusse“ zur Umschreibung der Tatsache, daß man sich fîr etwas einsetze, ohne Nutzen davon zu haben.582 Tatschlich hat sich das franzçsische Engagement fîr Preußen, so halbherzig es auch gewesen ist, im Rahmen des §sterreichischen 577 Abdruck: CTS, 37, S. 411 – 416. 578 Abdruck: ebd., S. 429 – 439. 579 C. Hinrichs, Friedrich … (s. Anm. 560), S. 9. Dieser Formulierung merkt man wohl das Erscheinungsjahr 1940 an. 580 Vgl. dazu – im Anschluß an S. Skalweit – Klaus Malettke, Frankreich und Friedrich der Große, in: Wilhelm Treue (Hg.), Preußens großer Kçnig. Leben und Werk Friedrichs des Großen. Eine Ploetz-Biographie, Freiburg/Wîrzburg 1986, S. 185 – 196; Wiederabdruck in: Ders., Frankreich … (s. Anm. 215), S. 362 – 372, hier S. 367 f. 581 Abdruck: CTS, 38, S. 297 – 398 (mit ergnzenden Dokumenten). 582 Die Verwendung dieses Ausdrucks von Hanns Christian Lçhr, Fîr den Kçnig von Preußen arbeiten? Die deutsch-franzçsischen Beziehungen am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in: Francia 23/3 (1996), S. 141 – 154, ist zwar im sachlich-zeitlichen Kontext etwas problematisch, zeigt aber, daß mit dieser Formel noch heute „ein politisches Verlustgeschft“ (S. 152) bezeichnet wird.

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Erbfolgekrieges nicht ausgezahlt, weil die franzçsische Regierung Friedrich unterschtzt hatte. „Der vermeintliche Juniorpartner entwickelte […] alsbald eine wahre Meisterschaft in der Handhabung machiavellistischer Interessenpolitik. Er fîhrte sich auf diese Weise durchaus angemessen in das Konzert der europischen Großmchte ein.“583 Die Kaltschnuzigkeit der friderizianischen Außenpolitik zeigte sich auch darin, daß der Kçnig, als er 1745 fast ohne finanzielle Ressourcen war, bei dem von ihm bitter enttuschten Frankreich um Subsidien nachsuchte, allerdings vergeblich.584 Wegen der Niederlagen im §sterreichischen Erbfolgekrieg îbernahm Frankreich dagegen von Preußen etwas fîr seine Armee, was nichts kostete: den Gleichschritt (pas cadenc¤) und die damit verbundene „Mechanisierung der Truppen“.585 2. Von 1748 bis zum Umschwung der Bîndnisse (1756) In seinem ersten politischen Testament von 1752 lßt Friedrich die westeuropischen Staaten zwar alle Revue passieren, hlt aber nur England und Frankreich fîr politisch relevant. ˜ber Portugal teilt er lediglich mit, daß der Kçnig „nur ein großer Bankier mit Titel“ und zudem „der reichste Privatmann Europas“ sei, der „sein Glîck als Kaufmann“ mache. Spanien kçnne seine Interessen gegen England (Handel) und §sterreich (Italien) nur dann durchsetzen, wenn es „inseparable de la France“ vorgehe. Hollands Regierung sei „schwach und ohne Kredit“; die Regenten, obwohl „mißtrauisch, unschlîssig, eifersîchtig […] und ohne Geld“, folgen meist England, „das den Handel dieser armen Republik zugrunde richtet.“586 Maßgebend seien allein die westeuropischen Vormchte England und Frankreich, um die sich die Souverne des christlichen Abendlandes, in zwei Parteien geteilt, scharten. Wegen der gegenstzlichen Interessen und der alten Gehssigkeiten komme es zwischen diesen beiden Monarchien niemals zu einer Einigung – außer „wenn ihr Land von Menschen leer und ihre Truhen erschçpft sind.“ Bei jedem Konflikt bezçgen sie zuerst Stellung, und durch die Zahl ihrer Verbîndeten „entsteht ein Gleichgewicht der Mchte, das eine Gleichheit der Strke zwischen Angreifer und Angegriffenem herstellt.“587 583 I. Mieck, Die Staaten … (s. Anm. 540), S. 92. 584 Mitgeteilt von O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 339. 585 Claudia Opitz-Belakhal, Militrreformen zwischen Bîrokratisierung und Adelsreaktion. Das franzçsische Kriegsministerium und seine Reformen im Offizierskorps von 1760 bis 1790 (= Beihefte der Francia, 34), Sigmaringen 1994, S. 32 f. 586 ˜ber die umgekehrte Perspektive unterrichtet die Studie von Jan A. F. de Jongste, Vom Bild Friedrichs II. von Preußen in der Republik. Bemerkungen zu einer Widersprîchlichkeit, in: H. Lademacher (Hg.), Dynastie … (s. Anm. 13), S. 73 – 88. 587 R. Dietrich (Bearb.), Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 334 – 337, S. 406 f. (Holland), S. 342 f. und S. 388 f. (Spanien/Portugal), S. 344 f. (England/Frankreich).

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Die Entscheidung zwischen beiden wurde durch die Eroberung Schlesiens prjudiziert. „Preußen ist von mchtigen Nachbarn und einem unversçhnlichen Feind, dem Hause §sterreich, umgeben“, und es ist eben diese Macht, „die wir“, wie Friedrich an anderer Stelle betont, „am meisten verletzt haben und die niemals den Verlust Schlesiens vergessen wird.“588 Sollte Maria Theresia ein Genie wie der Prinz Eugen erwachsen, „kçnnte ihre Macht aus der Asche neu entstehen und fîr Europa furchtbar werden“, besonders natîrlich fîr Preußen. Friedrich war im îbrigen ehrlich genug zuzugeben, daß die Eroberung Schlesiens „den Neid ganz Europas“ auf Preußen gelenkt und „alle unsere Nachbarn wachsam gemacht“ habe, so daß man sich im Grunde auf eine Rundum-Verteidigung einstellen mîsse. Da England in den 40er Jahren der wichtigste Bundesgenosse §sterreichs gewesen war, bçte sich bei dieser Konstellation folgerichtig nur Frankreich als Allianzpartner Preußens an.589 Einen zustzlichen Anstoß erhielt diese Option durch die Weigerung Englands, preußischen Kaufleuten, denen in den frîhen 40er Jahren von „englischen Piraten die Schiffe weggenommen“ worden waren, den eingetretenen Schaden, angeblich 189.770 Rtlr., zu ersetzen. Der langwierige Streit belastete die beiderseitigen Beziehungen erheblich und wurde erst 1756 beigelegt.590 Ohne daß Friedrich davon erfuhr, entwickelte seit der Mitte der 50er Jahre sein 14 Jahre jîngerer Bruder Heinrich, der ein großer Verehrer Frankreichs war, politisch-militrische Planspiele, die – wenn immer mçglich – auf eine preußisch-franzçsische Allianz hinausliefen.591 Seit wann Friedrich seinem Bruder – und ob îberhaupt – Einblick in seine Westeuropa-Politik gewhrte, bedarf ebenso noch einer Untersuchung wie die Frage, ob Friedrich spter die durchaus fundierte Kritik Heinrichs an seiner Politik und Kriegfîhrung im §sterreichischen Erbfolgekrieg („Schaukelpolitik“) akzeptierte und bei einer passenden Gelegenheit îbernahm. An der festen Loyalitt Heinrichs, der in seiner fast bedingungslosen Frankophilie Friedrich vielleicht noch îbertraf, gab es trotz dieser kleinen Differenzen keinen Zweifel. 588 Hier spricht Friedrich in aller Deutlichkeit das selbst heraufbeschworene „ErbfeindSyndrom“ an, das den Verlust der außenpolitischen Flexibilitt zur Folge hatte. 589 R. Dietrich (Bearb.), Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 401, S. 331 – 333, S. 381, S. 347 (Reihenfolge der Zitate). 590 Die Kaperaktionen hatten whrend der ersten beiden Schlesischen Kriege stattgefunden. Das englische Verhalten rgerte Friedrich so sehr, daß er in seinem Politischen Testament von 1752 darauf zu sprechen kam (ebd., S. 352 f.). Vgl. dazu auch O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 342. 591 Bernhard Mundt, Prinz Heinrich von Preußen. Ein Parteignger Frankreichs am Hofe Friedrichs des Großen, in: Francia 27/2 (2000), S. 249 – 256, hier S. 250. Friedrich sind die profranzçsischen Denkschriften Heinrichs von 1753/1755 sicher nicht bekannt gewesen.

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Unter großzîgigem ˜bergehen der gegenseitigen Enttuschungen whrend des §sterreichischen Erbfolgekrieges erklrte Friedrich in seinem Politischen Testament, daß Frankreich, trotz einiger innerer Schwchen „das mchtigste Kçnigreich Europas“, fast zwangslufig „einer unserer mchtigsten Bundesgenossen“ sei und bleiben mîsse: „Unsere augenblicklichen Interessen, besonders seit der Erwerbung Schlesiens, verlangen, mit Frankreich einig zu bleiben ebenso wie mit allen Feinden des Hauses §sterreich. Schlesien und Lothringen sind zwei Schwestern, von denen die ltere Preußen und die jîngere Frankreich geheiratet hat. Dieser Bund verpflichtet sie, derselben Politik zu folgen.“ Nachdem Friedrich noch andere gemeinsame Zielsetzungen aufgefîhrt hat, unterstrich er noch einmal, „daß dieses Bîndnis natîrlich ist, daß alle Interessen der beiden Kronen îbereinstimmen.“ Deutlicher konnte man die Option fîr eine dauerhafte franzçsisch-preußische Allianz kaum formulieren. Eine hnliche Haltung nahm Frankreich ein: „Allen Schwankungen in den preußischfranzçsischen Beziehungen zum Trotz galt das preußische Bîndnis in Versailles als Grundelement der franzçsischen Staatsrson.“592 Die preußisch-franzçsischen Beziehungen waren damals so gut, daß der franzçsische Gesandte in Berlin, wenn auch im Scherz, 1751 an eine sptere Vermhlung der eben geborenen Prinzessin Wilhelmine mit dem gleichaltrigen Duc de Bourgogne, dem ltesten Sohn des franzçsischen Thronfolgers, dachte.593 Zu Beginn der 50er Jahre eskalierten die englisch-franzçsischen Zusammenstçße in Nordamerika trotz des Aachener Friedens in einer Weise, die einen bewaffneten Konflikt befîrchten ließ. Als im Mai 1756 die englische Kriegserklrung erfolgte, befand sich fast die gesamte europische Bîndniskonstellation seit etwa anderthalb Jahren in Bewegung.594 Die treibenden Krfte waren England, das Hannover heraushalten und nur einen Kolonialkrieg fîhren wollte, §sterreich, das von einer franzçsisch-çsterreichischen Allianz zur Rîckgewinnung Schlesiens trumte595 und Rußland, das 592 Eckard Buddruss, Die franzçsische Deutschlandpolitik 1756 – 1789 (= VerçffInstEurG, Abt. Universalgeschichte, 157), Mainz 1995, S. 155. 593 FranÅois de Bas, Prinzessin Wilhelmine von Preußen, Gemahlin des Statthalters Wilhelm V. von Oranien und Nassau, in: HohenzJb 3 (1899), S. 197 – 220, hier S. 197. 594 Die Entstehungsgeschichte des Siebenjhrigen Krieges mit dem berîhmten „renversement des alliances“ von 1756 ist ein viel beackertes Forschungsfeld. Die folgende ˜bersicht stîtzt sich auf die jîngste Zusammenfassung von H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 371), S. 319 – 333, Kap. IV: Das Renversement des alliances. 595 Die Konferenz von Schçnbrunn (11. 8. 1755) hatte sich mit den von Kaunitz entwickelten Plnen einer Annherung an Frankreich einverstanden erklrt; vgl. dazu die nîchterne Analyse von Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 3: Das Reich und der çsterreichisch-preußische Dualismus (1745 – 1806), Stuttgart 1997, S. 83 f.

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einen konzertierten Militrschlag gegen Preußen anstrebte und sich endgîltig als europische Großmacht etablieren wollte. Auf eine englisch-russische Vereinbarung, auf die beide Partner hçchst unterschiedliche Erwartungen setzten, reagierte Friedrich, etwas besorgt, mit dem Abschluß eines rein defensiven Abkommens mit England (Westminster I, 16. 1. 1756), das den Krieg vom Reich (und von Hannover) fernhalten sollte.596 Ob man diese aus der Not geborene Option als „europische Gleichgewichtspolitik“ des Preußenkçnigs bezeichnen kann,597 erscheint im Hinblick auf die Konsequenzen zumindest diskutabel, denn daß beide Mchte geglaubt hatten, trotzdem in ihren bisherigen Bîndnissystemen bleiben zu kçnnen, sollte sich als folgenschwerer Irrtum herausstellen. „Die Reaktion auf die Westminsterkonvention kam einem mittleren Erdbeben und einem dadurch ausgelçsten Erdrutsch gleich.“598 Die franzçsische Regierung war empçrt und beschloß ohne sorgfltige Prîfung des Sachverhaltes, „den Preußenkçnig dafîr zu bestrafen, daß er hinter dem Rîcken Frankreichs mit den Englndern abgeschlossen hatte“599 : Es verzichtete auf die Verlngerung der im Juni auslaufenden Allianz mit Preußen und knîpfte neue Gesprche mit Kaunitz, dem Protagonisten einer bourbonisch-habsburgischen Aussçhnung, an. Ein Doppelvertrag (Versailles I, 1. 5. 1756)600 markierte den ersten Schritt auf dem Wege zu dem rapprochement zwischen Paris und Wien, das den Schlußstrich unter den im Streit um Burgund im spten 15. Jahrhundert aufgebrochenen franzçsisch-habsburgischen Antagonismus setzte.601 In den Geheimartikeln wurden weitere Verhandlungen in Aussicht gestellt, erstens îber „tous les cas […] pas […] suffisament pr¤vus“ im Aachener Frieden, zweitens îber „diff¤rends territoriaux et autres objets“, die „la tranquillit¤ de l’Europe“ gefhrden kçnnten (Geheimartikel III). Hufig wird behauptet, daß in den Geheimartikeln des Vertrages als Kriegsziel die „d¤struction totale de la Prusse“ genannt wird. Dieser Irrtum geht wohl auf eine (richtige) Bemerkung von Otto Hintze zurîck, die falsch wie596 Abdruck: CTS, 40, S. 291 – 299. Eine ergnzende „D¤claration“ hob gegen eine britische Entschdigungszahlung von 20.000 Livres Sterling die von Preußen 1752 verfîgte Sistierung der auf Schlesien lastenden Staatsschulden auf. 597 So A. Strohmeyer, Theorie … (s. Anm. 369), S. 200. 598 H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 373), S. 330. 599 E. Buddruss, Deutschlandpolitik … (s. Anm. 592), S. 80. Zu den Verhandlungen vgl. ebd., S. 78 – 84 und S. 155 – 159. 600 Abdruck: CTS, 41, 331 – 349. Die vereinbarte „Convention … de neutralit¤“ wurde ergnzt durch einen „Trait¤ d’amiti¤ et d’union purement d¤fensif“ (9 Haupt-, 2 Separatund 5 Geheimartikel). 601 Zur Genesis und frîhen Entwicklung dieses Konflikts vgl. I. Mieck, Europische Geschichte … (s. Anm. 51), S. 89 ff. – Zur Entwicklung des Antagonismus von 1648 bis 1748 vgl. E. Buddruss, Deutschlandpolitik … (s. Anm. 592), S. 14 – 31: Kap. 2.1.

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dergegeben wurde. Frankreich hat entsprechende Forderungen von Kaunitz immer zurîckgewiesen und war auch beim Anschlußvertrag ein Jahr spter, îber den gleich zu reden sein wird, nur zu einer Verkleinerung Preußens bereit, niemals aber zu seiner restlosen Auslçschung.602 Das habsburgisch-bourbonische Bîndnis vom 1. Mai 1756, dem sich Rußland am 31. Dezember 1756 anschloß,603 kam einer Sensation gleich, weil Friedrich eine Realisierung der sich aus Westminster I ergebenden politischen Konsequenzen fîr unmçglich gehalten hatte. Das sich mit diesem Vertrag abzeichnende renversement des alliances kam fîr die Zeitgenossen, auch fîr Friedrich, so îberraschend, daß einige Historiker den mit dieser Allianz eingeleiteten „Umschwung der Bîndnisse“, einer Formulierung von Max Braubach folgend, als „diplomatische Revolution“ bezeichnen.604 ˜ber die Grînde, die dafîr oder dagegen sprechen, lßt sich endlos diskutieren. Wenn îberhaupt, sollte man diese Bezeichnung nur in Anfîhrungszeichen gebrauchen, da es sich bei der „diplomatischen Revolution“ wohl doch um einen „vielleicht etwas îbertriebenen“ Begriff handelt (Duchhardt).605 Jedenfalls sah Friedrich in dem Vertrag Versailles I einen Affront; Ende 1756 brach er die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich ab – fîr 602 Ebd., S. 157, Anm. 220. Die Stelle bei O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 360. Daß sich der Irrtum so lange halten konnte, hngt wohl auch mit der schweren Zugnglichkeit der Vertragstexte zusammen. Whrend Heinz Duchhardt, Das Zeitalter des Absolutismus (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte, 11), Mînchen 31998, S. 193, auch in der dritten Auflage seines Studienbuches die d¤struction totale „eher mit einem Fragezeichen zu versehen“ vorschlgt, heißt es neuerdings klipp und klar (H. Duchhardt, Balance of Power … [s. Anm. 371], S. 328 f., daß ein „d¤membrement“, nicht aber eine „d¤struction totale“ Preußens vorgesehen war. Kaunitz definierte spter als Kriegsziel die „r¤duction de la Maison de Brandebourg ” son ¤tat primitif de petite puissance trºs secondaire“, zitiert von Johannes Kunisch, Absolutismus. Europische Geschichte vom Westflischen Frieden bis zur Krise des Ancien R¤gime (= UTB Nr. 1426), Gçttingen 1986, S. 153 f. 603 Abdruck des „Acte d’accession“: CTS, 40, S. 350 – 353. 604 Auch C. Hinrichs, Friedrich … (s. Anm. 560), S. 12, nannte schon 1940 „das Begrbnis der Erbfeindschaft Habsburg-Bourbon eine diplomatische Revolution erster Ordnung“. Neuerdings pldiert fîr diese Formel Johannes Burkhardt, Geschichte als Argument in der habsburgisch-franzçsischen Diplomatie. Der Wandel des frîhneuzeitlichen Geschichtsbewußtseins in seiner Bedeutung fîr die Diplomatische Revolution von 1756, in: Rainer Babel (Hg.), Frankreich im europischen Staatensystem der Frîhen Neuzeit (= Beihefte der Francia, 35), Sigmaringen 1995, S. 191 – 217, hier S. 217: „Die Diplomatische Revolution war […] der erste große Anwendungsfall des modernen Geschichtsbewußtseins“, S. 198 (Nachweis des Titels von Braubach). 605 Angesichts der moralischen Implikationen kann man auch an den Vorschlag von Oskar Halecki aus den 60er Jahren erinnern, der das Verschwinden Polens von der europischen Landkarte als eine wirkliche diplomatische Revolution ansieht (Oskar Halecki, Europa. Grenzen und Gliederung seiner Geschichte, Darmstadt 21964, S. 158 ff.).

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13 Jahre.606 Einige Monate spter wurde der ergnzende Offensivpakt zwischen Frankreich und §sterreich geschlossen (Versailles II, 1. 5. 1757)607, das sich inzwischen auch mit der Zarin verbîndet hatte (Petersburg, 2. 2. 1757), so daß die Koalition der drei Frauen (Pompadour, Maria Theresia, Elisabeth), wie Friedrich spçttisch meinte, nun vollstndig war.608 §sterreich, das jhrlich 12 Millionen Gulden Subsidien erhalten sollte, mußte sich dank des franzçsischen Widerstandes mit dem Ziel einer territorialen Reduzierung Preußens begnîgen: Konkret genannt wurden (Art. V) Schlesien und Magdeburg, Crossen und Halberstadt, Glatz, „le pays de Halle“, Vorpommern, die Klevische Erbschaft und Obergeldern.609 Fîr den Umsturz der politischen Machtverhltnisse in Europa war diese Frage – Verkleinerung oder Aufteilung Preußens – von sekundrer Bedeutung, denn lange vor dem zweiten Vertrag, am 29. August 1756, hatte Friedrich nach der Devise „besser praevenire als praeveniri“ ohne vorherige Kriegserklrung die schsische Grenze îberschritten und aus rein militrischen Grînden mit der Besetzung Sachsens begonnen. Die lange Streitfrage, ob dieser ˜berfall, der in ganz Europa Empçrung auslçste, als Prventivschlag bewertet werden kann,610 ist im Hinblick auf die westeuropischen Mchte klar zu verneinen. Selbst außerhalb des Reiches wurde der Griff nach Sachsen „als der zweite unerhçrte Gewaltstreich“ Friedrichs angesehen, der durch seine Ausbeutungspolitik, seine vçlkerrechtswidrige Eingliederung der schsischen Truppen und die von ihm angezettelte schsischpolnische Whrungszerrîttung noch verstrkt wurde. Nicht zuletzt das Auftreten Friedrichs in Sachsen, dem Ludwig XV. auch aus dynastischen Grînden besonders zugetan war, brachte schließlich Versailles II zustande. Nicht nur Friedrichs Frankreich-Option erwies sich 1756/57 als Fehlkalkulation; auch der Automatismus, den er im Politischen Testament angesprochen hatte, funktionierte nicht mehr reibungslos, denn England war zunchst nicht bereit, îber das Neutralittsabkommen von Westminster hinauszugehen. Bei dem in zwei lteren Sammlungen publizierten „Vertrag“ vom 11. Januar

606 Heinz Wilhelm Reinherz, Die preußisch-franzçsischen Beziehungen in den Jahren 1758 – 1770, phil. Diss. Berlin 1936, S. 5. 607 Abdruck (32 Haupt- und 10 Separatartikel): CTS, 41, S. 1 – 44. 608 Friedrichs „Dialogue des morts entre Madame de Pompadour et la Vierge Marie“ ist von Gerhard Knoll kîrzlich îbersetzt und neu ediert worden (Berlin 22000). 609 Diese territorialen Ansprîche, zu denen spter noch weitere kamen (Teile Ostpreußens fîr Rußland), htten Preußen zweifellos seine Großmachtstellung gekostet. 610 Vgl. zu dieser Frage K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 86 f., 551 (Anm. 134). Das folgende Zitat: S. 87.

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1757, der Preußen fîr die Dauer des Krieges jhrlich 1 Million Pfd. Subsidien zusagte, handelt es sich um eine Flschung.611 Erst nach îber einem Jahr kam es mit England zu einer Festigung der bestehenden Allianz: Es sagte zu, keinen Sonderfrieden zu schließen und Preußen einmalig 670.000 Pfd. (= 4 Millionen Taler) Subsidien zu zahlen (Westminster II, 11. 4. 1758).612 Damit waren die neuen Bîndnissysteme Großbritannien/Preußen (beide protestantisch) und Frankreich/§sterreich (beide katholisch) mit Rußland als gleichberechtigtem Partner endgîltig etabliert. Auf Druck der beiden katholischen Mchte wurde auch vom Regensburger Reichstag am 17. 1. 1757 die „Reichsexekution“ gegen BrandenburgPreußen und die Aufstellung einer Armee gegen den „Friedensbrecher“ Friedrich beschlossen.613 Die geplante Verhngung der Reichsacht îber Friedrich wußte Freiherr von Plotho, der preußische Resident in Regensburg, allerdings zu verhindern (14. 10. 1757).614 3. Preußen und Westeuropa im „Neuen System“ Der preußische Frontwechsel zeigt erneut, daß die Leitidee der friderizianischen Außenpolitik die Staatsrson war. Aufklrerische ˜berlegungen haben in diesem Bereich nie eine Rolle gespielt, hçrte doch der „aufgeklrte Absolutismus“ dort auf, wo es an die politische oder soziale Substanz des Staates ging: „Dominierendes Element der ußeren Politik blieb die in die Form kîhler Rationalitt gekleidete Staatsrson.“615 Das galt auch fîr das von Friedrich literarisch-kulturell so geschtzte Frankreich: „Nie hat er sich hinreißen lassen von seiner Liebe zum geistigen Frankreich, durch sie seine Staatsfîhrung beeinflussen lassen. Er kmpfte mit oder gegen die Franzosen, wie es kalte ˜berlegung im Augenblick erfordert.“616 611 Arnold Schfer, Der angebliche preußisch-englische Vertrag vom 11. Januar 1757, in: ZPreußGLKde 3 (1866), S. 250 – 253. Wiederabdruck des formal vçllig unzulnglichen „Vertrages“, von dem sich auch keine Spur in den Archiven fand: CTS, 41, S. 431 – 436. 612 Abdruck: CTS, 41, S. 179 – 183. Der Vertrag nimmt Bezug auf Westminster I vom 16. 1. 1756, erwhnt aber mit keinem Wort die angebliche Vereinbarung vom 11.1.1757. In der Literatur ist oft von anderen Summen (67.000, 250.000, 570.000 Pfd.) und von „jhrlichen“ Zahlungen die Rede, obwohl der Wortlaut des Artikels I eindeutig ist. 613 Zu dieser Problematik aus franzçsischer Sicht vgl. Sven Externbrink, Frankreich und die Reichsexekution gegen Friedrich II. Zur Wahrnehmung der Reichsverfassung durch die franzçsische Diplomatie whrend des Siebenjhrigen Krieges, in: Olaf Asbach / Klaus Malettke / Sven Externbrink (Hg.), Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des franzçsischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert (= Historische Forschungen, 70), Berlin 2001, S. 221 – 253. 614 Franz Kugler / Adolph von Menzel, Geschichte Friedrichs des Großen, viele Ausgaben, Kçln o. J., S. 340 – 342. 615 Vgl. I. Mieck, Europische Geschichte … (s. Anm. 51), S. 203 – 210; das Zitat S. 207. 616 W. Langer, Friedrich … (s. Anm. 536), S. 9.

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Da der Siebenjhrige Krieg in ˜bersee entschieden wurde und der Dritte Schlesische Krieg im Grunde nur ein Anhngsel des englisch-franzçsischen Kampfes um die Weltherrschaft war, stellt sich die Frage nach der westeuropischen Relevanz des preußischen Engagements. Weil die friderizianische Armee franzçsische Truppen auf dem Kontinent band und, wenigstens anfangs, wichtige Siege errang, konnte Pitt zwar am 9. Dezember 1762 mit Recht erklren, Amerika sei in Deutschland erobert worden, doch war die englische Unterstîtzung fîr den preußischen Partner zuerst recht halbherzig erfolgt. In der militrisch desolaten Lage nach dem verlustreichen Sieg bei Prag (6.5.) und der Niederlage bei Kolin (18. 6. 1757, erste Verlustschlacht) trug sich Friedrich mit Selbstmordgedanken. Aber whrend er ein sehr pessimistisches Gedicht („Lebt wohl, ihr trîgerischen Lorbeerkrnze! […] Ertrumte Grçße, lebe wohl“) dem Marquis d’Argens und eine hoffnungsvollere Ode seinem Bruder Prinz Heinrich schickte, schrieb er auch an den franzçsischen Oberbefehlshaber, den Marschall von Richelieu. Schmeicheleien und ein Geldgeschenk von 100.000 Talern617 bewogen den Herzog, ein Gegner des „renversement“ von 1756, zu Geheimverhandlungen, durch die sich Friedrich wieder Bewegungsfreiheit verschaffen konnte.618 Erst nach den Erfolgen bei Roßbach (5. 11. 1757, îber die Franzosen und das Reichsheer619) und Leuthen (5. 12. 1757, îber die §sterreicher) war England zur Mitfinanzierung des Krieges bereit; „er wurde Subsidienkrieg in Europa und Eroberungskrieg in Amerika“ (Kluxen). Weil die Lage Preußens immer schwieriger wurde620 und der Krieg Friedrichs „contre le grand nombre

617 Offensichtlich war die Bestechung, wie von manchen zeitgençssischen Autoren (Wicquefort 1652, Calliºres 1716) empfohlen, nach wie vor fester Bestandteil der diplomatischen Beziehungen. ˜ber den von hçchster Stelle gebilligten Einsatz von Geld und Geschenken berichtet – am Beispiel des franzçsischen Diplomaten Folard gegenîber Ansbach-Bayreuth – S. Externbrink, Frankreich … (s. Anm. 613), S. 241 f. 618 F. Kugler / A. v. Menzel, Geschichte … (s. Anm. 614), S. 333 – 335, S. 340. Nach Kugler war fîr das Gift, das Friedrich bei sich trug, die Poesie das „Gegengift“ (ebd., S. 334). 619 ˜ber die Schlagkraft der „Reichsarmee“ und ihr begrenztes militrisches Potential hatte sich die franzçsische Diplomatie keine Illusionen gemacht; bei Roßbach betrug ihr Kontingent etwa 8.400 Mann (S. Externbrink, Frankreich … [s. Anm. 613], S. 236 f.). „Das Reich im Siebenjhrigen Krieg“ behandelt im ˜berblick K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 87 – 107. 620 Ein Sonderproblem, das an die territoriale Zerrissenheit Preußens erinnert, behandelt Horst Carl, Okkupation und Regionalismus. Die preußischen Westprovinzen im Siebenjhrigen Krieg (= VerçffInstEurG, Abteilung Universalgeschichte, 150), Mainz 1993. – Zu klren sind auch noch die Hintergrînde der Friedensfîhler, die Wilhelmine, Friedrichs Schwester in Bayreuth, nach Paris ausstreckte (Kurze Information: S. Externbrink, Frankreich … [s. Anm. 613], S. 239 – 242).

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d’ennemis“ immer kostspieliger und verlustreicher, erneuerte England dreimal die 1758 vereinbarte Subsidienzusage.621 Der Erfolg ließ nicht auf sich warten: Unter ausdrîcklichem Hinweis auf die durch den englisch-preußischen Vertrag verursachte politische Zwangssituation schlossen Frankreich und §sterreich ein neues Bîndnis (Versailles III, 30. und 31. 12. 1757). Man erneuerte zwar das Neutralittsabkommen von 1756, erklrte aber den Offensivpakt von 1757 in seiner Gesamtheit fîr null und nichtig. Damit war das Kriegsziel der Zerstîckelung Preußens vom Tisch. Frankreich reduzierte seine Subsidienzahlungen betrchtlich, und von großen Territorialgewinnen war auch nicht mehr die Rede – hieß es doch in Artikel 5 hçchst unverbindlich, daß Frankreich §sterreich unterstîtzen wîrde, wenn Maria Theresia beim Frieden „quelqu’avantage consid¤rable au d¤pens du roi de Prusse“ zugesichert wîrde. Schlesien und Glatz wurden in dem neuen Vertrag mit keinem Wort erwhnt.622 Nach dem Sturz Pitts (5. 10. 1761) stieg England zur Empçrung Friedrichs („infames Betragen“) aus dem kontinentalen Krieg aus. Unannehmbare Friedensvorschlge (Rîckgabe Schlesiens!) fîhrten dazu, daß die preußisch-englische Allianz endgîltig 1762 – fîr lange Zeit – zerbrach.623 In ˜bersee entschieden die Briten den Konflikt fîr sich, weil die Franzosen in der zweiten Kriegshlfte eine Niederlage nach der anderen kassierten.624 Die Ergebnisse des Krieges (Paris, 10. 2. 1763; Hubertusburg 15. 2. 1763)625 zeigen, daß die franzçsische Monarchie die Abwendung vom preußischen Bîndnis in mehrfacher Hinsicht teuer bezahlen mußte: Preußen behielt Schlesien, aber Frankreich verlor fast sein gesamtes Kolonialreich; der Schul-

621 Das erfolgte in gleichlautenden Konventionen vom 7. 12. 1758 (CTS … (s. Anm. 500), 41, S. 229 – 234), 9. 11. 1759 (ebd., S. 351) und 12. 12. 1760 (ebd., 42, S. 49), so daß Preußen insgesamt 16 Millionen Taler erhalten haben muß. Nach monatelangen Verhandlungen wurde der im Dezember 1761 auslaufende Vertrag nicht verlngert. 622 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 41, S. 235 – 253 (30.12), S. 261 – 268 (31.12.). Die Unterzeichnung der beiden Vertrge soll erst im Mrz 1759 stattgefunden haben (Richard Waddington, La Guerre de Sept Ans, 5 Bde., Paris 1899 – 1914, hier 3, S. 452). Zu weiteren Einzelheiten vgl. E. Buddruss, Deutschlandpolitik … (s. Anm. 592), S. 110 – 112. 623 Zu den Einzelheiten vgl. M. Immich, Geschichte … (s. Anm. 15), S. 370 – 375. Ob vor dem preußisch-englischen Bîndnis von 1788 ein anderes geschlossen wurde – und warum? –, ist zu îberprîfen. 624 Vgl. die tabellarische ˜bersicht bei I. Mieck, Europische Geschichte … (s. Anm. 51), S. 287. 625 Abdruck der beiden Vertrge: CTS, 42, S. 279 – 345 und S. 347 – 359. Zum Forschungsstand vgl. H. Duchhardt, Absolutismus … (s. Anm. 602), S. 192 – 196. Aretin nennt den Hubertusburger Frieden „das Ergebnis der totalen Erschçpfung aller Teilnehmer“ (K. O. v. Aretin, Altes Reich … [s. Anm. 595], 3, S. 107).

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dendienst verschlang 60 Prozent der Staatseinkînfte, und „verheerend war der Krieg auch fîr das Prestige Frankreichs als Großmacht.“626 Weil das Motiv der Revanche beim Hauptverlierer fortan „zu einer Art Staatsphilosophie“ wurde und entsprechende Ambitionen (Flottenbau!) in den Vordergrund rîckten, zog sich Frankreich recht lautlos aus der kontinentalen Mchtepolitik zurîck, was sptestens bei der Ersten Teilung Polens spîrbar wurde.627 Auch England setzte andere Prioritten und rîckte mit seinen Interessen – nicht ganz freiwillig – vom Kontinent ab.628 Da Preußen am Ende des Krieges vçllig isoliert war, schloß Friedrich 1764 ein auf acht Jahre befristetes Defensivbîndnis mit Rußland. In seinem (2.) politischen Testament (1768) begrîndete er diese Entscheidung im Rahmen eines politischen Panoramas, das er von den europischen Staaten entwarf.629 Von den westeuropischen Lndern sei Spanien „nur als eine vçllig von Frankreich abhngige Macht anzusehen“, whrend sich Portugal im Schlepptau Englands befinde und wenig Einfluß in Europa habe; allerdings kçnne es „îber Portugal zu einem Kriege mit England kommen“. Das ehemals so mchtige Holland „ist heruntergekommen, weil es seine Marine und sein Heer vernachlssigt hat“. Infolge der komplizierten Verfassung wîrden Entschlîsse fast immer gefaßt, wenn es zu spt sei.630 Diese negative Meinung îber die Niederlande hat Friedrich nicht daran gehindert, seine von ihm sehr geschtzte Nichte Wilhelmine („ein Schmuck, eine Ehre und ein Ruhm ihres Geschlechts“), die Tochter des Kronprinzen, 1767 mit Wilhelm (V.) von Oranien zu verheiraten. Trotz seiner bescheidenen eigenen Erfahrungen soll Friedrich „die Niederlande mit so glnzenden Farben“ geschildert haben, daß Wilhelmine rasch einwilligte.631 Zur Hochzeit und auch danach wurde sie von Friedrich reichlich mit KPM-Porzellan beschenkt. 1773 besuchte sie die Manufaktur, von der ein großer Lîster noch heute im Schloß 626 E. Buddruss, Deutschlandpolitik … (s. Anm. 592), S. 118. Zu den diplomatischen Hintergrînden des Krieges ebd., S. 92 – 119. 627 Vgl. Ilja Mieck, Frankreich und die Erste Polnische Teilung, in: S. Externbrink / J. Ulbert, Formen … (s. Anm. 75), S. 467 – 481. 628 Vgl. zur Gesamtproblematik H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 371), S. 335 – 347. 629 R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 622 – 657. ˜ber das russische Bîndnis: S. 646 – 649. Eine neuere Analyse gibt Frank Althoff, Untersuchungen zum Gleichgewicht der Mchte in der Außenpolitik Friedrichs des Großen nach dem Siebenjhrigen Krieg (1763 – 1786) (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 10), Berlin 1995, S. 33 – 39. 630 R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 634 – 637 (Spanien und Portugal), S. 640 – 643 (Holland). Zur entgegengesetzten Perspektive vgl. wieder J. A. F. de Jongst, Friedrich … (wie Anm. 586), S. 83 – 88. 631 Zu allen Einzelheiten vgl. F. de Bas, Wilhelmine … (s. Anm. 593), S. 197 – 220.

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Het Loo hngt.632 Einer Bemerkung von Bernhard Mundt ist zu entnehmen, daß der Aufenthalt des Prinzen Heinrich in den Niederlanden 1768 (auch) politische Grînde hatte.633 Es war sein erster Besuch eines westeuropischen Landes. øhnlich wie die hollndischen Kaufleute, rsonniert Friedrich weiter im politischen Testament, dchten die in England zur Zeit regierenden Tories nur an die Handelsvorteile der Nation und mieden „jeden Kontinentalkrieg und jedes Bîndnis mit den Kontinentalmchten.“ Auch von dem hochverschuldeten Frankreich und seiner Regierung hat Friedrich keine gute Meinung. Da das Land „weder große Heerfîhrer noch Admirale“ hat, werden „Leichtsinn, Trgheit und die dem Volke angeborene Unbestndigkeit“ zur Zeit jeden kriegerischen Glanz verhindern, „bis eines Tages ein îberragender, fhiger Geist sie trotz ihrer Fehler siegreich sein lßt“ – man kçnnte in dieser Bemerkung eine Vorahnung der großen Erfolge des ein Jahr spter geborenen Napoleon erblicken.634 Da England nicht in Frage kam und Friedrich das russische Bîndnis durch eine westeuropische Bindung ergnzen wollte, arbeitete er trotz seiner kritischen Haltung an der Wiederherstellung der Allianz mit Frankreich.635 Anfang 1769 war das „rapprochement d¤sir¤ par les deux cours“ unter Dach und Fach, und die diplomatischen Beziehungen wurden wieder aufgenommen; etwa zur gleichen Zeit ist auch ein Handelsvertrag vereinbart worden.636 Dennoch blieben die Beziehungen wechselhaft, da die „Schwestern“ Schlesien und Lothringen an politischer Aktualitt verloren hatten und die çsterreichische Hofpartei durch die Ehe Ludwigs XVI. und der Tochter Maria Theresias, Marie Antoinette (1770), und den Regierungsantritt (1774) gestrkt wurde. 632 Von Sanssouci nach Europa. Geschenke Friedrichs des Großen an europische Hçfe (= Katalog der gleichnamigen Ausstellung), hg. v. Stiftung Schlçsser und Grten BerlinBrandenburg, Potsdam 1994, Nr. 14, das Zitat S. 88. 633 B. Mundt, Heinrich … (s. Anm. 591), S. 251. 634 R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 636 – 641 (England), S. 632 – 635 (Frankreich). 635 Darîber orientieren Robert Hammond, La France et la Prusse 1763 – 1769. R¤tablissement des rapports diplomatiques aprºs la Guerre de Sept Ans, in: RH 25 (1884), S. 69 – 82 (das folgende Zitat: S. 82), und H. W. Reinherz, Beziehungen … (s. Anm. 606), S. 21 – 31. Neue Informationen îber den (sehr frankophilen) Gesandten, den Friedrich auch diesmal nach Frankreich schickte, gibt Thomas Hçpel, Diplomatischer Dienst und Kulturtransfer. Die Wirkung der Ttigkeit von Bernhard Wilhelm von der Goltz in Berlin und Paris, in: Grenzgnge 4 (1995), S. 23 – 44. 636 Vgl. I. Mieck, Die Staaten … (s. Anm. 540), S. 94 f. Der Behauptung, daß Friedrich von 1763 bis in die Mitte der 70er Jahre „die ausschließliche Orientierung auf das russische Bîndnis zur Leitlinie seiner Politik“ gemacht haben soll (F. Althoff, Gleichgewicht … [s. Anm. 629], S. 143), ist aus prinzipiellen und aus sachlichen Grînden zu widersprechen.

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Erst unter Vergennes, der 1774 franzçsischer Staatssekretr des øußeren wurde und es 13 Jahre blieb,637 kam es zu einer bemerkenswerten Neubelebung der preußischen Westeuropa-Politik. Schon bevor das revanchelîsterne Frankreich im Februar 1778 an der Seite der aufrîhrerischen amerikanischen Kolonien in den Krieg gegen England eintrat, ist auch Preußen von amerikanischen Emissren umworben worden. Seit dem Frîhjahr 1777 versuchte der Bevollmchtigte Lee, Verhandlungen mit Preußen aufzunehmen.638 Friedrich, durch die Bayerische Erbfolgekrise vollauf beschftigt, hielt sich in der Anerkennungsfrage aber zurîck.639 Erst nach dem Frieden (Paris/Versailles, 3. 9. 1783) war er bereit, mit dem neuen Staat – nach Frankreich (1778), Holland (1782) und Schweden (1783) – ebenfalls einen Handelsvertrag zu schließen (1785).640 Nachdem unter Vermittlung Frankreichs der Bayerische Erbfolgekrieg beendet werden konnte (Teschen, 13. 5. 1779),641 bemîhte sich Vergennes weiter, die starke Bindung Frankreichs an §sterreich abzuschwchen. Als Joseph II. 1784 zur großen Empçrung der Niederlnder die Scheldeschiffahrt auch fîr den nicht-niederlndischen Handel freigeben wollte und ein militrischer Konflikt drohte, schaltete sich auch Prinz Heinrich ein, der im gleichen Jahr auf seiner ersten Parisreise war, dort ein umfangreiches kulturelles Besichtigungsprogramm absolviert und viele einflußreiche Leute getroffen hatte. Zwar nicht von Friedrich autorisiert, aber „auch nicht ausdrîcklich gegen den Willen des Kçnigs“, gelang ihm eine deutliche Lockerung der franzçsisch-çsterreichischen Verbindung, die er allzu gern durch eine preußisch-franzçsische Allianz, sein altes Lieblingsprojekt, ersetzt htte.642 Der durch den Bruder des Preußenkçnigs

637 Knappe, aber ausgewogene Unterrichtung durch E. Buddruss, Deutschlandpolitik … (s. Anm. 592), S. 57 – 67. 638 Da es sich um Kolonien eines westeuropischen Landes handelt, ist eine knappe Erwhnung gerechtfertigt. – Kurze Darstellung nach den Akten bei F. Althoff, Gleichgewicht … (s. Anm. 629), S. 144 – 147, der die einschlgige Preußen-Literatur (mit einer Ausnahme) aber nicht erwhnt. 639 Vgl. Friedrich Kapp, Friedrich der Große und die Vereinigten Staaten von Amerika, Leipzig 1871, passim. Neuere Zusammenfassung: Petra Kruse, Die Vereinigten Staaten von Amerika, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 908 – 921. 640 Vgl. Karl J. Arndt, Der Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen Seiner Majestt dem Kçnig von Preußen und den Vereinigten Staaten von Amerika, Mînchen 1977. Gordon A. Craig, Preußen und die USA, in: O. Bîsch (Hg.), Preußen und das Ausland … (s. Anm. 495), S. 51 f. – Reimer von Borries, Neuer Partner Amerika? Der preußisch-amerikanische Freundschafts- und Handelsvertrag von 1785, in: Erhard Bethke (Hg.), Friedrich der Große. Herrscher zwischen Tradition und Fortschritt, Gîtersloh 1985, S. 212 – 218. 641 Ausfîhrliche Analyse bei E. Buddruss, Deutschlandpolitik … (s. Anm. 592), S. 211 – 260. 642 Vgl. dazu B. Mundt, Heinrich … (s. Anm. 591), S. 252.

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unterstîtzte Vergennes konnte schießlich die Situation entschrfen und damit den drohenden europischen Krieg verhindern.643 Auch das von Joseph II. 1785 verfolgte bayerisch-niederlndische Tauschprojekt stieß auf den Widerstand Frankreichs. Weil auch Friedrich dagegen war, ergab sich fast zwangslufig eine gegen §sterreich gerichtete Interessengemeinschaft. Eckhard Buddruss hlt es sogar fîr gerechtfertigt, die unter Ludwig XV. entstandene Redensart umzukehren: „Sous Louis XVI, c’est bien le roi de Prusse qui a travaill¤ pour la France.“644 Whrend der von Friedrich gegrîndete Fîrstenbund645 Joseph von außenpolitischen Abenteuern zu Lasten Preußens abhalten sollte,646 erreichte es Vergennes im Zusammenspiel mit Preußen und gegen den erbitterten Widerstand der Kçnigin, den mitunter riskanten Unternehmungen Josephs einen Riegel vorzuschieben.647 So kam Friedrich in seinen letzten Lebensjahren in seiner Westeuropa-Politik noch einmal auf die franzçsische Option zurîck und besttigte damit die Meinung vieler Zeitgenossen in Frankreich, die grundstzlich von der „außenpolitischen Interessengemeinschaft zwischen Frankreich und Preußen und ihrer Notwendigkeit fîr die Erhaltung des durch §sterreich und England gestçrten Gleichgewichts in Deutschland und Europa“ îberzeugt waren.648 III. Preußen und die Geisteswelt: Der frankophile Kçnig Das auf die ersten beiden Schlesischen Kriege folgende Friedensjahrzehnt stand unîbersehbar und unîberhçrbar im Schatten Frankreichs. Was sich in der Kronprinzenzeit angedeutet hatte, setzt sich nach den turbulenten Kriegsjahren 643 Zum Gesamtkomplex: H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 371), S. 391, und Friedrichs øußerungen in seiner Schrift „De la Politique“, in: R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 731. 644 Eckhard Buddruss, Les ¤lºves de Schoepflin au Ministºre des Affaires Ãtrangºres ” Versailles, in: B. Vogler / J. Voss, Strasbourg … (s. Anm. 535), S. 215. 645 Neue Gesamtdarstellung grçßeren Umfangs: K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 299 – 370. 646 Selbst im fernen Spanien hielt man die Fîrstenbundpolitik Friedrichs fîr richtig und nannte ihn „Protector de la Libertad del Cuerpo Germnico“ (Richard Konetzke, Zwischen Berlin und Madrid. Preußisch-spanische Verbindungen im Zeitalter des aufgeklrten Absolutismus, in: Karl Erich Born [Hg.], Historische Forschungen und Probleme. Peter Rassow zum 70. Geburtstag, Wiesbaden 1961, S. 164). 647 H. Duchhardt, Balance of Power … (s. Anm. 537), S. 384 – 393. Ergnzend: E. Buddruss, Deutschlandpolitik … (s. Anm. 592), S. 260 – 273. 648 S. Skalweit, Preußischer Staat … (s. Anm. 538), S. 200. K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 372, relativiert diese Aussage dahingehend, daß zumindest die meisten in Frankreich lebenden Zeitgenossen Friedrichs das Vorhandensein einer „außenpolitischen Interessengemeinschaft zwischen Frankreich und Preußen“ als gegeben ansahen.

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in einer Weise fort, daß Europa wieder an den „roi philosophe“ zu glauben begann. Da das gesamte kulturelle Leben fast aller europischen Staaten damals von Frankreich geprgt wurde und das gebildete Europa franzçsisch dachte, franzçsisch sprach und schrieb, franzçsisch philosophierte und die Grundgedanken der Aufklrung obendrein aus Frankreich kamen,649 ist es nicht îberraschend, daß diese Saat bei Friedrich, dem Enkel der „Westlerin“ Sophie Charlotte, auf fruchtbaren Boden fiel. 1. Aufklrung, Literatur und Wissenschaft Vom hçfischen Leben bis hin zur Alltagskultur gab es kaum einen Bereich, der nicht am franzçsischen Vorbild orientiert war. Daß Friedrich, der sich gern mit franzçsischen Kînstlern und Wissenschaftlern umgab, in seiner Kritik an den einheimischen Geistesgrçßen bisweilen ungerecht war, sie oberflchlich beurteilte und hufig falsch einschtzte,650 wird von der Forschung mehr und mehr unterstrichen.651 Auch beherrschte er die franzçsische Sprache zwar besser als die deutsche, doch war sein Franzçsisch, zurîckhaltend formuliert, keineswegs fehlerfrei.652 Es hatte schon seinen Grund, daß er den „Antimachiavell“ vor dem Druck von Voltaire, der sicher mehr war als sein „literarischer Gewissensrat und Stilkorrektor in Vers und Prosa“ (Hintze), durchsehen und durch ihn publizieren ließ. Um sich eine neue, ganz an der antiken Kultur und der franzçsischen r¤publique des lettres ausgerichtete Bibliothek einzurichten, unterhielt Friedrich 649 Vgl. z. B. Gonthier-Louis Fink, § 16: Der Einfluß der franzçsischen Aufklrung auf das literarische Deutschland, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 204 – 210. Der Sammelband von Hans-Erich Bçdeker / Etienne FranÅois (Hg.), Aufklrung/Lumiºres und Politik. Zur politischen Kultur der deutschen und franzçsischen Aufklrung (= Deutsch-Franzçsische Kulturbibliothek, 5), Leipzig 1996, enthlt keinen Beitrag zur spezifischen franzçsisch-preußischen Thematik. 650 Als der Kçnig wegen der Berufung Lessings in die Akademie verrgert war, verbot er daraufhin jede Aufnahme deutscher Schriftsteller (Angelika Menne-Haritz, § 4 a: Akademien und Universitten, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 67 – 71, hier S. 71). Nach Conrad Grau, Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Eine deutsche Gelehrtengesellschaft in drei Jahrhunderten, Heidelberg u. a. 1993, S. 101, hat Friedrich dagegen die Aufnahme besttigt). 651 Beispielsweise hat man festgestellt, daß die Grundgedanken seiner 1780 publizierten Schrift De la litt¤rature allemande aus der Zeit um 1750, teilweise sogar aus der Kronprinzenzeit stammen (vgl. Winfried Woesler, „…ob unsere Art der Kultur der fremden vorzuziehen sei?“ Justus Mçser antwortet Friedrich II., in: Michel Espagne / Michael Werner [Hg.], Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace francoallemand [XVIIIe et XIXe siºcle], Paris 1988, S. 393 – 408, hier S. 394). 652 Als gute Beispiele kçnnen die beiden nach den Handschriften edierten Politischen Testamente gelten: R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 254 – 461 (1752) und 462 – 697 (1768); O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 344.

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seit 1736 einen agent litt¤raire in Paris, Nicolas-Claude Thieriot. Er berichtete îber Neuerscheinungen und sorgte fîr schnelle Lieferung der bestellten Bîcher. Spter îberließ Friedrich die Korrespondenz mit Thieriot seinem Sekretr Jordan, whrend die finanzielle Abwicklung îber den Pariser Bankier Mettra lief.653 Als der 1748 zum literarischen Korrespondenten ernannte Baculard d’Arnaud vorîbergehend nach Berlin ging, ersetzte ihn Pierrre Morand.654 Auch Thieriot muß spter noch einmal auf seinen alten Posten zurîckgekehrt sein, denn nach dessen Tode (23. 11. 1772) fragte Voltaire bei Friedrich an, ob er denn fîr den verstorbenen „Kaffeehaushistoriographen Thieriot“ keinen Nachfolger ernennen wolle.655 Daß die Stelle nicht wieder besetzt wurde, wertet Werner Langer als Indiz dafîr, daß der Preußenkçnig der in Frankreich seit der Jahrhundertmitte aufstrebenden bîrgerlich orientierten Kultur kein Verstndnis entgegenbrachte, da sie „vollkommen […] aus Friedrichs literarischer Welt“, die er wie in seiner Jugendzeit nur durch die Brille der Klassik sah, herausfiel: „Frankreich hatte geistig aufgehçrt fîr ihn zu existieren.“656 Auch mit der im preußischen Neuch’tel 1769 gegrîndeten Soci¤t¤ Typographique de Neuch’tel (im folgenden immer: STN), die rasch zu einem der grçßten europischen Verlagsunternehmen im Ancien R¤gime wurde, trat Friedrich in keine enge Verbindung. ˜berhaupt rangierte Preußen als Buchkufer weit hinter anderen deutschen Territorien; neben den beiden Abnehmern Samuel Pitra (4 Bîcher) und Baron v. d. Schulenburg (2) taucht in den livres de commission fîr die Jahre 1774 – 1785 auch Friedrich II. auf, der allerdings nur ein Buch kaufte. In anderen Quellen, die îber die Zeitrume 1769 – 1774 und 1785 – 1789 Auskunft geben, werden aus Berlin nur die Besteller Pitra und FranÅois de Lagarde genannt.657 Da die Beziehungen Friedrichs zu Voltaire einen eigenstndigen, vielfach untersuchten Themenkomplex darstellen, kann im Rahmen dieses Beitrages nur auf die grundstzliche Bedeutung dieser Verbindung fîr die Frankreich-Orientierung Friedrichs hingewiesen werden. Die beste Quelle ist nach wie vor die umfangreiche, seit langem edierte Korrespondenz zwischen – in Friedrichs ei653 Zu Thieriot vgl. J. Hseler, Ein Wanderer … (s. Anm. 545), S. 111 – 115. 654 Gonthier-Louis Fink, § 18: Die literarischen Beziehungen Friedrichs zu Frankreich, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 243 – 249, hier S. 248. 655 Voltaire an Friedrich, 1. 2. 1773, in: Aus dem Briefwechsel Voltaire – Friedrich der Große. Herausgegeben, vorgestellt und îbersetzt von Hans Pleschinski, Zîrich/ Darmstadt 1992, Nr. 207, S. 473. 656 Vgl. dazu W. Langer, Friedrich … (wie Anm. 536), S. 184 – 195, die Zitate: S. 185, S. 195. 657 Jeffrey Freedman, Zwischen Frankreich und Deutschland. Buchhndler als Kulturvermittler, in: H.-J. Lîsebrink / R. Reichardt (Hg.), Kulturtransfer … (s. Anm. 34), S. 445 – 498, hier S. 486 – 488 (Anhang I).

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gener Charakterisierung fîr die spten Jahre – dem „Einsiedler von Sans-Souci“ und dem „Patriarchen von Ferney“.658 Dieser „Briefwechsel kann als erster kontinuierlicher europapolitischer Austausch auf hçchster Ebene bezeichnet werden, nmlich zwischen einem deutschen Fîrsten, der die Landkarten, und einem franzçsischen Philosophen, der das Denken vernderte.“659 Auf der Grundlage der vielbndigen Editionen660 ist vor wenigen Jahren eine îbersetzte, wissenschaftlich brauchbare Auswahl erschienen.661 Das einschlgige Schrifttum ist fast unîbersehbar und wchst weiter, obwohl PierrePaul Sagave schon 1980 meinte, daß „îber Voltaire und Friedrich […] lngst alles ausgesagt worden“ sei.662 In zahllosen Gesprchen und Briefen sowie durch seine Schriften, nicht nur die historischen, hat Voltaire beim Preußenkçnig einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, der auch zeitweilige Verstimmungen îberdauerte. Am 28. 12. 1774 îbersandte der Preußenkçnig dem 80jhrigen Voltaire beste Gesundheitswînsche; wenn er einmal diese Welt verließe, „il ne reste en v¤rit¤ rien de brillant dans la lit¤rature de toute l’Europe“.663 Nach seinem Tode ließ Friedrich am 26. November 1778 eine von ihm selbst verfaßte, 18 Seiten umfassende „Ãloge ” M. de Voltaire“ bei einer Sondersitzung der Akademie verlesen.664 Es htte wohl keinen geeigneteren Ort als die Preußische Akademie der Wissenschaften und Literatur gegeben, die von Friedrich III., dem Großvater, 1700 als „Kurfîrstlich Brandenburgische Societt der Wissenschaften“ ge658 Reinhold Koser / Hans Droysen (Hg.), Friedrich der Große, Briefwechsel mit Voltaire 1736 – 1778 (= PubllPreussStaatsarch, Bde. 81, 82 und 86), Leipzig 1908 – 11. Ein von Droysen / Caussy / Volz herausgegebener Ergnzungsband erschien 1917. Zur Edition der Gesamtkorrespondenz s. u. Anm. 660. 659 Hans Pleschinski, Friedrich und Voltaire. Eine europische Beziehung, in: Friedrich der Große und Voltaire. Ein Dialog in Briefen (= Katalogband zur gleichnamigen Ausstellung im Neuen Palais, 1999/2000), Potsdam 2000, S. 13 – 16, hier S. 13. – Unter den in der Ausstellung gezeigten 22 Originalbriefen waren keine unbekannten Stîcke; einige wurden aber erstmals ins Deutsche îbertragen. 660 Die umfangreichsten Briefeditionen hat Theodore Besterman herausgegeben: Correspondence de Voltaire, (1) 107 Bde., Genf 1953 – 1965, (2) 13 Bde. (= Collection Ple€ade), Paris 1964 – 1993. 661 H. Pleschinski, Briefwechsel … (s. Anm. 655). – Von einer Voltaire-Spezialistin stammt der Beitrag von Christiane Mervaud, § 21 a: Der Briefwechsel mit Voltaire, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 259 – 265. 662 P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 336), S. 73. – Hinzuweisen ist auf die reiche Spezialliteratur (Fontius, Gçtz, Magnan, Mervaud, Mçnch und Pomeau) sowie auf den Forschungsbericht von Jîrgen Voss, Deutsche Voltairiana, in: Francia 22/2 (1995), S. 187 – 194. 663 Friedrich an Voltaire, 28. 12. 1774, H. Pleschinski, Briefwechsel … (s. Anm. 655), Nr. 218, S. 500 – 502. 664 Abgedruckt in deutscher ˜bersetzung von H. Pleschinski, Briefwechsel … (s. Anm. 655), S. 557 – 574.

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grîndet und von Friedrich II. dem Enkel, 1744 reorganisiert und zur „Acad¤mie Royale des sciences et belles-lettres de Berlin“ mit Franzçsisch als Amtssprache umgeformt wurde.665 Eine breite Basis fîr Akademieberufungen boten zunchst die zahlreichen R¤fugi¤s der ersten und zweiten Generation, die aufgrund ihrer exzellenten Ausbildung als Schriftsteller, Wissenschaftler oder Journalisten ttig waren.666 So entstand auch in Brandenburg-Preußen eine „R¤publique des Lettres qui fut repr¤sent¤e […] par des intellectuels huguenots comme Jacques Abbadie, Gabriel d’Artis, Etienne Chauvin, Philippe Naud¤, Isaac de Beausobre ou Jean de Barbeyrac.“667 Whrend vor der Reform neun Gelehrte franzçsischer Abstammung als ordentliche Mitglieder in die Akademie berufen wurden, waren es von 1744 bis zum Ende des Jahrhunderts 30, von denen 13 in Deutschland zur Welt gekommen waren, beispielsweise Beausobre, Bitoub¤, Erman, Formey (secr¤taire perp¤tuel von 1748 – 1797)668 und Pelloutier.669 Fîhrungspositionen bekleideten Maupertuis (Philosoph und Naturwissenschaftler aus Saint-Malo, Prsident 1746 – 1759), Charles Etienne Jordan (aus Berlin, seit 1736 Sekretr Friedrichs, Vizeprsident 1744 – 1745),670 FranÅois Charles Achard (Chemiker, Entdecker der Zuckergewinnung aus Rîben, Direktor der physikalischen Klasse 1782 – 1810) sowie der Marquis d’Argens (*1703 in Aix-en-Provence), auf den Friedrich durch seine in den Niederlanden verçffentlichten Schriften aufmerksam geworden war. Der rasch an die Spitze der europischen Literatenwelt Aufgestiegene, der auch ein charmanter Causeur war, fungierte von 1744 bis 1769 als Direktor der philosophischen Klasse der Akademie. Seine Korrespondenz mit Maupertuis und Formey ist bis heute nicht ediert.

665 Eine gute ˜bersicht bietet C. Grau, Preußische Akademie … (s. Anm. 650), passim. 666 Zu dieser speziellen Thematik vgl. Conrad Grau, Die Berliner Akademie der Wissenschaften und die Hugenotten, in: G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 335), S. 327 – 362. 667 Eckart Birnstiel, Les r¤fugi¤s huguenots en Allemagne au XVIIIe siºcle, in: Jean Mondot / Jean-Marie Valentin / Jîrgen Voss (Hg.), Deutsche in Frankreich. Franzosen in Deutschland. 1715 – 1789. Institutionelle Verbindungen, soziale Gruppen, Sttten des Austauschs. Allemands en France. FranÅais en Allemagne. 1715 – 1789. Contacts institutionels, groupes sociaux, lieux d’¤changes (= Beihefte der Francia, 25), Sigmaringen 1992, S. 73 – 87, hier S. 84 f. 668 Arnaud Hayes, Jean Henri Samuel Formey (1711 – 1797). Un journaliste de la R¤publique des Lettres, in: Francia 21/2 (1994), S. 245 – 253. 669 Zu dieser Thematik vgl. die Studie von Jîrgen Voss, Deutsche in franzçsischen Akademien und Franzosen in deutschen Akademien 1700 – 1800, in: J. Mondot / J.-M. Valentin / J. Voss (Hg.), Deutsche in Frankreich … (s. Anm. 667), S. 39 – 52. Das folgende Zitat: S. 42. 670 Vgl. dazu die neue, auch das literarisch-philosophische Umfeld berîcksichtigende Biographie von J. Hseler, Ein Wanderer … (s. Anm. 545), passim.

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Von 1744 bis 1800 sind 78 Franzosen zu auswrtigen Mitgliedern der Preußischen Akademie ernannt worden, darunter Voltaire (1746). „Fast alle Persçnlichkeiten, die in Frankreich in Wissenschaft und Aufklrung Rang und Namen hatten, sind hier zu finden.“ Rechnet man die drei Ehrenmitglieder noch hinzu, kommt man fîr die ersten hundert Jahre auf 127 Franzosen, die in die Akademie berufen wurden. Einen vergleichbaren Anteil an auslndischen Gelehrten erreichte damals keine andere Akademie. Daß an der Preußischen Akademie hervorragende Gelehrte ttig waren, zeigt z. B. die Tatsache, daß Leonhard Euler, ein Mathematiker aus der Schweiz, zwçlfmal Preistrger der Pariser Acad¤mie des Sciences war.671 1741 erhielt Simon Pelloutier aus Berlin den Preis der Acad¤mie des Inscriptions et Belles Lettres in Paris – fîr den hugenottisch-preußischen Patrioten Jordan ein Beweis „pour Messieurs les franÅais, que Berlin n’est pas sans gens de m¤rite.“672 Noch hçher zu bewerten ist sicher die Tatsache, daß die preußische Portrt- und sptere Hofmalerin Anna Dorothea Therbusch, die sich von 1765 bis 1767 in Paris aufhielt, als zweite Nichtfranzçsin (nach Rosalba Carriera) 1767 in die Acad¤mie Royale de Peinture et de Sculpture aufgenommen wurde.673 Daß der geistige Transfer auch in der anderen Richtung funktionierte, zeigen nicht nur die 45 Preisaufgaben der Berliner Akademie, von denen franzçsische Wissenschaftler acht fîr sich entschieden. Abgesehen von den Pariser Akademien, die 12 assoziierte deutsche Mitglieder, darunter zwei oder drei aus Preußen, hatten, waren auch in 18 (von 32) Provinzakademien, wie Tabelle 5 zeigt, Gelehrte aus Deutschland vertreten, von denen 22 von der Berliner Akademie kamen. Daß die Mitglieder der Berliner Akademie auch in England einen guten Ruf hatten, zeigt das Beispiel von Johann Gottlob Lehmann, der eine von der Royal Society of Arts, Manufactures and Commerce 1756 ausgeschriebene Preisaufgabe durch seine in Latein verfaßte Schrift îber den Kobalt gewann. Seine Preisschrift wurde gedruckt und Lehmann 1759 zum Korrespondierenden Mitglied der Gesellschaft gewhlt. Wie schon im spten 17. Jahrhundert bestanden in der Welt der Gelehrten auch im Jahrhundert der Sozietten beachtliche englisch-preußische Kontakte.674 671 ˜ber ihre Rolle in Berlin îberhaupt informiert der interessante Sammelband von Martin Fontius / Helmut Holzhey (Hg.), Schweizer im Berlin des 18. Jahrhunderts (= Aufklrung und Europa. Beitrge zum 18. Jahrhundert), Berlin 1996. 672 Ebd., S. 122. Abdruck des bisher unverçffentlichten Briefes an Friedrich vom 23. Mrz 1742: ebd., Anhang Nr. 4, S. 142 – 144. 673 Tanja Wçhle, Anna Dorothea Therbusch (1721 – 1782), in: K. Merkel / H. Wunder (Hg.), Deutsche Frauen … (s. Anm. 421), S. 183 – 193, hier S. 187 f. 674 Hans-Joachim Braun, Technologische Beziehungen zwischen Deutschland und England von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts (= Geschichte und Gesellschaft. Bochumer Historische Studien), Dîsseldorf 1974, S. 96 – 99. Einen an-

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Tabelle 5: Deutsche/preußische Mitglieder an den franzçsischen Provinzakademien Ort

Mitglieder aus „Deutschland“/Preußen*

Bordeaux Lyon Marseille Dijon Rouen Orl¤ans Ch’lons-sur-Marne Nancy La Rochelle Angers Villefranche

23/5 15/5 8/3 7/1 6/1 6/1 4/2 4/2 3/1 2/1 1/1

* einschließlich Mehrfachmitgliedschaften Quelle: Eigene Zusammenstellung nach J. Voss, Deutsche … (s. Anm. 669), S. 44-51.

Von den franzçsischen Gelehrten der friderizianischen Akademie hatte wohl – neben Voltaire – der Arzt und Philosoph Julien Offray de La Mettrie („L’homme-machine“, „L’homme-plante“), der als politischer Flîchtling nach Preußen kam und Friedrichs Vorleser wurde, die strkste Nachwirkung. Auch fîr ihn verfaßte Friedrich eine Gedenkrede (1751). Dennoch ist ein Niedergang der Akademie in sptfriderizianischer Zeit nicht zu îbersehen. Die wesentliche Ursache lag wohl „in Friedrichs Beschrnkung auf die franzçsische Wissenschaft“.675 Außerdem „regierte“ er die Institution seit 1764 faktisch selbst; er allein, allerdings beraten von d’Alembert in Paris, berief auch die Mitglieder. Die meisten der genannten Gelehrten gehçrten zur berîhmten „Tafelrunde“ des Kçnigs, die insbesondere zwischen dem Zweiten und Dritten Schlesischen Krieg zwar regelmßig, doch in wechselnder Besetzung in Sanssouci zusammenkam. Durch das Gemlde von Menzel weithin bekannt geworden, traf sich bei der Tafelrunde eine internationale Geisteselite, die weitgehend aus Frankreich kam, sich franzçsisch unterhielt, franzçsisch debattierte und mit wenigen Ausnahmen tief in der franzçsischen Geisteswelt verankert war. Ohne ˜bertreibung wird man die friderizianische Tafelrunde zwar als ein Zentrum der Frankophilie in Preußen bezeichnen kçnnen, doch nderten alle Bemîhungen am Hof und im Adel nichts daran, daß die Frankreich-Begeisterung mit all ihren Ausprgungen nur eine dînne Firnisschicht war, die sich îber den immer noch militrisch-buerlich geprgten friderizianischen Staat legte. Daran nderte deren Schwerpunkt, allerdings nur bis zum Jahre 1714, behandelt A. Selling, Gelehrten-Reisen nach England … (s. Anm. 234). Beide Untersuchungen zeigen, daß die preußisch-englischen Kulturbeziehungen im 17. und 18. Jahrhundert weitgehend unerforscht sind. 675 A. Menne-Haritz, Akademien … (s. Anm. 650), S. 71.

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auch die Alltagssprache nichts, die mit vielen, oft mißverstandenen franzçsischen Einsprengseln durchsetzt war. Whrend die ganze Vorliebe Friedrichs Frankreich galt, fand er die englische Literatur wenig interessant und lehnte Shakespeare als „barbarisch“ ab. Dennoch gehçrten die aus Schottland stammenden Brîder v. Keith jahrelang zu seinem engsten Freundeskreis: James (Jakob), Feldmarschall und Gouverneur von Berlin (1749), fiel 1758 bei Hochkirch; George, der „Lord Marishal“, kam 1747 nach Berlin, vertrat Preußen in Paris (1751), Neuenburg (1754, 1762) und Madrid (1759), kehrte 1764 nach Potsdam zurîck und wurde Friedrichs Vertrauter der spten Jahre. Bis zur Fertigstellung des Hauses, das ihm der Kçnig in der Parkanlage von Sanssouci errichten ließ („Keith-Haus“), durfte er im Potsdamer Stadtschloß wohnen.676 Eine hnlich enge Verbindung bestand zwischen dem Kçnig und dem Marquis d’Argens aus Aix, der nicht nur der „Zuverlssigste und Treueste der Tafelrunde“, sondern vielleicht auch „Friedrichs Nchster im Geist“ gewesen sein soll.677 Ihm rumte der Kçnig sogar eine eigene Wohnung im Neuen Palais ein.678 2. Bildende Kînste, Architektur und Musik Die Vorliebe Friedrichs fîr alles Franzçsische zeigte sich auch in vielen anderen Bereichen, etwa beim Theater, fîr das er eine franzçsische Komçdiantentruppe unterhielt. Grundstzlich gilt aber, daß er die Kînste als Mittel zur Verfeinerung seines Lebensstils zwar sehr schtzte, sie aber nicht als Instrument zur umfassenden geistig-moralischen Erziehung des Volkes – wie im katholisch-barocken Sîddeutschland – ansah. Deshalb hielt sich die Fçrderung der Kînste bei dem sparsamen Kçnig im îberschaubaren Rahmen. Insofern blieben abgesehen von den zahlreichen Romanismen in der deutschen Sprache679 – die kulturellen Einflîsse aus Frankreich auf den Hof und die im wesentlichen hauptstdtische 676 Wolfgang Ziegler, Potsdam in Reisebeschreibungen in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts, Staatsexamensarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin, Berlin 1996, S. 41 – 43, S. 62. 677 Eine etwas populre Milieuschilderung der Tafelrunde bietet das im ganzen sehr kritisch aufzunehmende Buch von Eberhard Cyran, Preußisches Rokoko. Ein Kçnig und seine Zeit, Berlin 1979, 21993, S. 50 – 61, die Zitate: S. 56 f. Fîr Wolfgang Neugebauer, Preußens Weg zum Kulturstaat, in: Politische Studien 52 (2001), Nr. 377, S. 25 – 32, hier S. 27, ist dagegen die Tafelrunde „geradezu ein Symptom fîr die Selbstisolierung eines elitren Aufklrungshofes vom ,geselligen’ Typus – isoliert im Land und sogar in der Stadt.“ 678 In der restaurierten Wohnung (vier Rume) des 1763 – 1769 erbauten Neuen Palais fand Anfang 2000 die Ausstellung „Friedrich der Große und Voltaire. Ein Dialog in Briefen“ statt. Seit wann und wie lange d’Argens, der 1769 nach Frankreich zurîckkehrte, dort wohnte, ist nicht bekannt. 679 Instruktiv ist das zum Bestseller gewordene Bîchlein von Ewald Harndt, Franzçsisch im Berliner Jargon, Berlin 91987.

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geistig-wissenschaftliche Eliteschicht Preußens beschrnkt. Man muß auch daran erinnern, daß die Kenntnis der franzçsischen Sprache bei der breiten Masse der R¤fugi¤s in der zweiten und dritten Generation deutlich nachließ und zu Gegenmaßnahmen (Kult, Schule, Sozialwesen) fîhrte.680 Andererseits verlangte Friedrich von allen Offizieren, sich der franzçsischen Sprache zu bedienen. Weil Aneignung und Gebrauch dieser Fremdsprache bei vielen oft zu wînschen îbrig ließ, waren gute Privatlehrer gesucht. Der von Werbern zwangsweise nach Preußen gebrachte Franzose Pierre Rouanet, der in Toulouse eine Jesuitenschule besucht hatte, entpuppte sich als tîchtiger Sprachlehrer (auch fîr Latein) und konnte seine Einkînfte infolge seiner vielen Unterrichtsstunden erheblich aufbessern. Mehrere Jahre gab er auch den 12 Pagen Franzçsisch-Stunden, die in Potsdam auf den kçniglichen Dienst vorbereitet wurden.681 Die Erinnerungen dieses zum Preußen gewordenen Franzosen dîrften der modernen militrgeschichtlichen Forschung und ihren Fragen nach den sozialen Beziehungen zwischen Militr- und Zivilbevçlkerung hochwillkommen sein.682 Im Verhltnis Friedrichs zu den Kînsten spiegelte sich nicht nur seine innere Spannung zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Moral und Politik, zwischen Vernunft und Ehrgeiz, zwischen raison und gloire, auch die sich ndernde Lebenseinstellung spielte ihre Rolle. Die von den drei franzçsischen Malern Antoine Watteau, Nicolas Lancret und Jean-Baptiste Pater stammenden 89 Gemlde im Watteau-Genre, die sich in seinen Schlçssern befanden, hatte er fast alle bis Ende der 40er Jahre gekauft.683 Mit der Ausstattung von Sanssouci deutete sich ein neues Malereiverstndnis an, das in der neuen Bildergalerie (1755 – 1763) evident wurde und auch zu Lasten der franzçsischen Malerei ging. Neben dem seit 1710 in Berlin lebenden Hof- und Portrtmaler Antoine Pesne, der drei Kçnigen diente und von zentraler Bedeutung fîr die Malerei in Preußen war, lieferten auch die franzçsischen Hofmaler Vanloo und Lesueur einige Auftragswerke fîr Sanssouci. Lesueur illustrierte 1751 und 1752 zwei Werke des Kçnigs. Seit etwa 1770 arbeitete die ursprînglich an Watteau ori-

680 E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten … (s. Anm. 336), S. 132 f. 681 Interessante Einblicke in das Soldaten-Sprachlehrer-Dasein vermittelt Jean Pierre Barthelemy Rouanet, Von Toulouse bis Beeskow. Lebens-Erinnerungen, mit einem Nachwort von Gotthard Erler (= Aufbau Taschenbuch Nr. 1465), Berlin 2000, S. 80 – 122. 682 Vgl. dazu Ralf Prçve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die neue Militrgeschichte der Frîhen Neuzeit – Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: GWU 51 (2000), S. 597 – 612, hier S. 601, S. 610 f. 683 Zur Malerei vgl. Helmut Bçrsch-Supan, Friedrich der Große und Watteau, in: Watteau 1684 – 1721. Katalog der in New York, Paris und Berlin 1984/85 gezeigten Ausstellung, deutsche Ausgabe, Berlin 1985, S. 553 – 562.

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entierte Anna Dorothea Therbusch, die als peintre du Roi signierte, fîr die kçnigliche Familie, auch als Portrtmalerin (14 Friedrich-Bildnisse).684 Auch Daniel Chodowiecki, dessen kînstlerische Arbeiten ganz wesentlich zur Popularisierung Friedrichs beitrugen (Liebermann: „Vater der preußischen Malerei“), stammte îber seine Mutter, Marie Henriette Ayrer, von hugenottischen Vorfahren ab. Sie hatte franzçsische Kultur in die mit dem polnischen Kleinadel verschwgerte Familie eingebracht. 1755 heiratete Chodowiecki Jeanne Marie Barez aus einer alteingesessenen R¤fugi¤-Familie. „Franzçsisch, die Sprache seiner Mutter und seiner Frau, blieb ein Leben lang des Kînstlers erste Sprache“. Daß Chodowiecki sich neben seinem Kunstschaffen 25 Jahre sehr intensiv in der franzçsisch-reformierten Gemeinde engagierte, ist erst seit kurzem bekannt. Als sehr bewegendes Zeugnis des Preußen Chodowiecki fîr einen in Frankreich erfolgten Justizmord gilt der in Paris entstandene und noch dort zum Gemlde ausgearbeitete Kupferstich „Der Abschied des Jean Calas von seiner Familie“ von 1767/68.685 Auf dem Felde der Architektur686 hatten schon unter Friedrich I. die franzçsischen Baumeister Jean de Bodt und Zacharias Longuelune in Berlin und Potsdam mit Schlîter und Eosander von Gçthe zusammengearbeitet. Ein von de Bodt stammender Entwurf fîr die Hedwigskirche wurde nicht realisiert. Im Auftrag Friedrichs II. entwarf ein anderer Franzose, Jean Laurent Legay (oder Legeay), der spter auch die Communs in Potsdam plante, 1743 den Bau, dessen Fertigstellung erst 1773 durch einen anderen Westeuroper, den aus Amsterdam stammenden Johann Boumann687, erfolgte. In ganz Europa wurde fîr diese katholische Kirche im protestantischen Preußen gesammelt: Die Ka684 T. Wçhle, Therbusch … (s. Anm. 673), S. 186, S. 190 – 192. 685 Vgl. dazu Willi Geismeier, Daniel Chodowiecki, Leipzig 1993, S. 95 – 101 (Calas); D. v. Stetten-Jelling, Chodowiecki … (s. Anm. 508), passim, das Zitat: S. 12. Ergnzte Kurzfassungen in: (1) JbVGBerlin 49 (2000), S. 17 – 46; (2) Ursula Fuhrich-Grubert / Jochen Desel (Hg.), Daniel Chodowiecki (1726 – 1801). Ein hugenottischer Kînstler und Menschenfreund in Berlin (= Begleitbuch mit Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Danzig, Bad Karlshafen und Berlin 2001; zugleich: Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 34), Bad Karlshafen 2001, S. 15 – 49. Der 1726 in Danzig geborene Chodowiecki war 1743 nach Berlin gekommen. 686 Gute ˜bersicht: Hans Reuther, § 6: Architektur, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 129 – 142. – Neuere Zusammenfassung mit dem Schwerpunkt auf der ersten Jahrhunderthlfte von Irene Markowitz, Franzçsische Architekten an deutschen Fîrstenhçfen des 18. Jahrhunderts, in: J. Mondot / J.-M. Valentin / J. Voss, Deutsche in Frankreich … (s. Anm. 667), S. 127 – 150. Zu Preußen: S. 128 f. Dort auch einige Bemerkungen zur Gartenkunst. 687 Johann Boumann, seit 1732 in Berlin und 1776 als Oberbaudirektor gestorben, erbaute in Potsdam das Hollndische Viertel (1734 – 1742), das Berliner Tor und das Rathaus, in Berlin den Alten Dom und das Prinz-Heinrich-Palais, whrend sein Sohn Georg Friedrich als westlichen Abschluß des Forum Fridericianum die Kçnigliche Bibliothek („Kommode“) errichtete.

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thedrale von Santiago de Compostela spendete 1748 die betrchtliche Summe von 8.000 reales „para una iglesia catûlica que se permite edificar en Prusia“.688 Da Friedrich mit Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, den er 1740 zu dem berîhmten Architekturtheoretiker, Baumeister und Stdteplaner Jacques-FranÅois Blondel nach Paris geschickt hatte, bis zu dessen Tod (1753) einen hervorragenden „Hausarchitekten“ hatte, spielten franzçsische Baumeister erst spter wieder in Preußen eine wichtige Rolle, allen voran der Hugenottenabkçmmling Karl von Gontard, dessen Urgroßvater noch maire von Grenoble gewesen war. Auch er studierte bei Blondel und wurde 1764 als Hofbaumeister nach Berlin berufen, wo man bis heute – genau wie in Potsdam – zahlreiche Spuren seiner Bauttigkeit findet. Bei den großen Gartenbauanlagen ließ sich Friedrich ebenfalls von franzçsischen Vorbildern leiten; um den in der Parkanlage von Sanssouci liegenden „Marlygarten“ mußte sich seit 1748 sein Hofgrtner Johann Samuel Sello kîmmern. Weil die Musik eine bemerkenswerte Ausnahme in Friedrichs Frankophilie bildete, verdient sie eine kurze Erwhnung.689 Von der franzçsischen Musik hielt der Kçnig nichts, auch fîr ihn war Italien, wo man die Oper als neue Musikgattung „erfunden“ hatte, und zudem die Instrumentalmusik bevorzugte, das Zentrum des europischen Musiklebens. Viele Deutsche brachten das in Italien erlernte Opernkomponieren – „italienischer als die Italiener selbst“ – an die Fîrstenhçfe, etwa Hndel (nach England), Hasse (nach Sachsen) und die Brîder Graun (nach Preußen). Das von Knobelsdorff in Berlin erbaute Kçnigliche Opernhaus (1743 fertiggestellt), bei dem er auch englische, auf Palladio zurîckgehende Einflîsse verarbeitete, wurde mit einem aus Italien importierten Sngerensemble am 7. Dezember 1742 mit dem Singspiel „Cleopatra und Csar“ von Carl Friedrich Graun erçffnet. Aufgefîhrt wurden in den Folgejahren (gespielt wurde nur montags und freitags in der Karnevalszeit vor geladenem Publikum) jedoch nur die italienisierten Opern von Graun und Johann Adolf Hasse, dem von Friedrich bevorzugten Komponisten, der in Dresden lebte. Zum vom Kçnig selbst verfaßten Opernlibretto „Montezuma“ mußte Graun die Musik schreiben.690 An der Spitze der Gehaltsliste fîr Musiker standen Graun und Friedrichs 688 Aus den Quellen mitgeteilt von Ilja Mieck, Kontinuitt im Wandel. Politische und soziale Aspekte der Santiago-Wallfahrt vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), S. 299 – 328, hier S. 315, Anm. 77. 689 Eine gute ˜bersicht gibt Peter Rummenhçller, §§ 27 und 28: Die Musik, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 292 – 311. Ergnzend: Werner Bollert, Friedrich der Große und die Musik, in: Philharmonische Bltter 1986/87, 2, S. 1 – 14. 690 Vgl. dazu die neue Untersuchung von Hans-Joachim Lope, Federico II, Carl Heinrich Graun y Montezuma (1755), in: Ders. (Hg.), Federico II de Prusia y los EspaÇoles (= Studien und Dokumente zur Geschichte der Romanischen Literaturen, 41), Frankfurt

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Flçtenlehrer Quantz (je 2.000 Tlr.). 1771 trat erstmals eine deutsche Sngerin in der Oper auf; seit 1789 war die §ffentlichkeit gegen Eintritt bei Opernauffîhrungen zugelassen. Die neue Art der Musik, durch die Gluck, der von Rousseau und Voltaire unterstîtzt wurde, das Pariser Musikleben aufrîttelte, stieß bei Friedrich auf vehemente Ablehnung.691 Dennoch gab es auch im musikalischen Bereich eine bemerkenswerte Verbindung zu Westeuropa: Als ein hoher spanischer Beamter, der Graf Aranda, 1753 in Preußen das Militrsystem studierte, soll er den Marsch eines preußischen Grenadierregiments nach Spanien mitgenommen haben, der dann zur „Marcha Real“, zur spanischen Nationalhymne, umgestaltet wurde. Daß Friedrich diesen Marsch selbst komponiert haben soll, ist eine Legende.692 Die knappe ˜bersicht zur Frankophilie Friedrichs, der in dem Bewußtsein starb, einer der letzten Vertreter der „Europe franÅaise“ zu sein,693 soll mit dem Hinweis auf das 1985 von Jîrgen Ziechmann herausgegebene und mehrfach zitierte Handbuch zur friderizianischen Zeit beendet werden: Es bietet auf îber 1.000 Seiten ein geradezu enzyklopdisches Themenspektrum an und nennt zu jedem Spezialbereich auch weiterfîhrende Literatur. Als ein Beispiel von vielen soll ein Bereich genannt werden, der von Friedrichs Frankophilie kaum berîhrt wurde, da er sich ohnehin am franzçsischen Vorbild orientierte, die Mode: Im Gegensatz zur Herrenmode, die seit dem Soldatenkçnig auch im zivilen Bereich eine Wandlung erfahren hatte, dominierte bei der Damenmode vor und nach 1740 der Einfluß Frankreichs. Die Damen des Hofes – von Sophie Dorothea bis Elisabeth Christine – kleideten sich bis in die 80er Jahre vorzugsweise ” la franÅaise, whrend sich bei den Herren die Zivilkleidung nach der Uniform zu richten begann („preußischer Stil“). „Der enge Schnitt der preußischen Uniform prgte die Mnnerkleidung Europas, also auch Frankreichs, unterstîtzt durch parallele englische Impulse.“ Die so genannte „Landlord-Mode“ verwies durch ihren schlichten Besatz und die dunkelblaue Farbe „eindeutig auf die preußische Uniform als Vorfahr“ –

am Main u. a. 2000, S. 105 – 122. Einen knappen ˜berblick aus spezieller Perspektive gibt Miguel Alonso Baquer, Das militrische Phnomen des Preußentums aus spanischer Sicht, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militrgeschichte, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 37 – 45. 691 Beispielsweise im Gesprch mit dem neuen Hofkapellmeister Reichardt im Januar 1776, vgl. Dietrich Fischer-Dieskau, Weil nicht alle Blîtentrume reiften. Johann Friedrich Reichardt. Hofkapellmeister dreier Preußenkçnige. Portrt und Selbstportrt, Stuttgart 1992, S. 87 – 91. 692 R. Konetzke, Berlin … (s. Anm. 466), S. 161 – 172, hier S. 166 mit Anm. 22. 693 G.-L. Fink, Literarische Beziehungen … (s. Anm. 650), S. 249; J. Ziechmann, Panorama … (s. Anm. 9).

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selbst bei der Mode gab es bemerkenswerte Verbindungen zwischen Preußen und Westeuropa.694 IV. Andere Einflîsse und Wirtschaftsbeziehungen Von den vielfltigen Verbindungen, Beziehungen, Kontakten, Impulsen und Einflîssen, die es zwischen Preußen und Westeuropa in friderizianischer Zeit gegeben hat, sind die wenigsten hinreichend untersucht. In vielen Bereichen steht die Forschung noch am Anfang. Da es kaum monographische Darstellungen gibt, ist man weitgehend auf isolierte Forschungsergebnisse angewiesen. Außerdem gilt das wiederholt angesprochene Problem Deutschland/Preußen in verstrktem Maße fîr das 18. Jahrhundert. In kaum einer Studie stehen „Preußen“ im Mittelpunkt;695 fast immer handelt es sich um „Deutsche“, bei denen erst festgestellt werden muß, aus welchem Staat sie eigentlich gekommen sind.696 Unter diesem Vorbehalt stehen die folgenden Ausfîhrungen, in denen – nach Politik, Kunst und Wissenschaft – die sonstigen Beziehungen Preußens zu den westeuropischen Lndern in friderizianischer Zeit umrissen werden. Vorab lßt sich feststellen, daß die beziehungsgeschichtlichen Impulse zwar nicht ausschließlich, aber doch vorrangig von Westeuropa in Richtung Preußen gingen und nicht umgekehrt. Zur Pflege der staatlichen Beziehungen im weitesten Sinne gehçrte der Austausch von Geschenken. Der vor einigen Jahren publizierte Katalog697 ist im Hinblick auf Westeuropa enttuschend, benennt er doch als hochrangige Empfnger friderizianischer Geschenke lediglich Friedrichs Nichte Wilhelmine, die Wilhelm (V.) von Oranien geheiratet hatte,698 sowie den zweiten Sohn des englischen Kçnigs Georg III., Frederick von York. Daß insbesondere KPMPrsente auch an andere westeuropische Fîrsten gegangen sein mîssen, belegt 694 Ruth Bleckwenn, § 64: Die Mode, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 627 – 631, die Zitate: S. 631. 695 Eine der seltenen Ausnahmen bildet das Buch von Cathrine Betty Abigail Behrens, Society, Government and the Enlightenment. The experiences of 18th-century France and Prussia, London 1985, das aber nicht beziehungsgeschichtlich orientiert ist. 696 Nur drei Beispiele: Friedrich Wilhelm Bayer, Reisen deutscher ørzte ins Ausland (1750 – 1850), Berlin 1937; Thomas Grosser, Reiseziel Frankreich. Deutsche Reiseliteratur vom Barock bis zur Franzçsischen Revolution, Opladen 1989; Pierre-Andre Bois / Roland Krebs / Jean Moes (Hg.), Les lettres franÅaises dans les revues allemandes du XVIIIe siºcle/Die franzçsische Literatur in den deutschen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts (= Convergences, 4), Bern u. a. 1997. 697 Von Sanssouci … (s. Anm. 632), passim. 698 Es ist kaum vorstellbar, daß bei der Hochzeit 1767 in Berlin der Oranier kein Geschenk erhalten haben soll.

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die Mitteilung (mit Abbildung) îber das „Koffer-Service“ mit dem Dekor „Federvieh“, das Friedrich – kleine Ironie der Geschichte – der Tochter Maria Theresias, Marie Antoinette, zukommen ließ.699 Trotz der etwas gespannten Beziehungen zu Friedrich îbersandte ihm Ludwig XV. 1748 einige Skulpturen von Jean-Baptiste Pigalle und LambertSigisbert Adam. Der Preußenkçnig soll sich dafîr mit dem Geschenk einiger Pferde revanchiert haben.700 Andere Geschenke des franzçsischen Kçnigs sind nicht bekannt. 1. Staatsverwaltung und Regierungspraxis Das Beispiel der franzçsischen Monarchie, die von den Zeitgenossen (flschlich) als Muster eines gut organisierten Staates angesehen wurde, hat schon in den Jahren vor 1740 in Brandenburg-Preußen zu manchen Nachahmungen franzçsischer Vorbilder gefîhrt oder zu hnlichen Erscheinungsformen administrativer Institutionen. Otto Hintze hat darauf hingewiesen, daß die preußischen Kriegs- und Domnenkammern dieselbe Stelle einnehmen und im wesentlichen sehr hnliche Funktionen ausîben wie die Intendanten in Frankreich; beide Einrichtungen gehen letztlich auf die Institution der mit außerordentlichen Vollmachten ausgestatteten Kriegskommissare zurîck.701 Whrend die neuere Forschung dieser Ansicht im großen und ganzen zuzustimmen vermag, hlt sie die weitergehenden ˜berlegungen von Hintze, der Kammergericht, Amtskammer und Geheimen Rat mit parlement, chambre des comptes und conseil royal parallelisiert,702 fîr weniger tragfhig. Dagegen ist es wahrscheinlich, daß die General- und Rechenkammer 1714 nach dem Muster der franzçsischen chambre des comptes eingerichtet wurde und daß man bei der Ernennung des ersten preußischen Generalkontrolleurs der Kçniglichen Kassen 1713 den in Frankreich amtierenden contrúleur g¤n¤ral des finances zum Vorbild nahm. Unter Friedrich I. ist sogar der Titel eines ma‚tre de requÞtes in Brandenburg-Preußen aufgetaucht.703 699 Leonie Holz, „…Ehre, Hut, Stock und Porzellan“. KPM – Seit 225 Jahren eine Kçnigliche Manufaktur (= Berliner Forum 4/88), Berlin 1988, S. 49. 700 Von Sanssouci … (s. Anm. 632), S. 8, S. 19. 701 Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte. Eine vergleichende Studie, in: Ders., Staat und Verfassung (= Gesammelte Abhandlungen, 1, hg. von Gerhard Oestreich), Gçttingen 31970, S. 242 – 275, hier S. 248. 702 Otto Hintze, Die Entstehung der modernen Staatsministerien. Eine vergleichende Studie, in: Ders., Staat und Verfassung … (s. Anm. 701), S. 275 – 320, hier S. 279. 703 Vgl. Klaus Malettke, Zur „Ausstrahlung“ des franzçsischen Absolutismus in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert, in: Gerhard Sauder / Jochen Schlobach (Hg.), Aufklrungen. Frankreich und Deutschland im 18. Jahrhundert, 1 (= Annales Universitatis Saraviensis, 19), Heidelberg 1986, S. 90 – 115; Wiederabdruck in: K. Malettke, Frankreich … (s. Anm. 215), S. 100 – 128, hier S. 111 – 116 (Kap. 2.3).

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Whrend bei den Beratungen der Regierungssachen in Frankreich im 18. Jahrhundert meist ein „anarchischer Ministerialdespotismus“ (Hintze) triumphierte, wurde in Preußen die vom Soldatenkçnig eingefîhrte Kabinettsregierung (Immediatberichte, Kabinettsordres) durch Friedrich „zu einer Schrfe der Selbstregierung gesteigert, die nicht mehr îberboten werden konnte.“704 Dennoch blickte Friedrich mit einer Mischung aus Unzufriedenheit und Neid nach Frankreich, wenn es um die Staatseinkînfte ging. Generell kann man sagen, daß Friedrich die erwînschte Steigerung der Staatseinnahmen durch Maßnahmen erzielte, „fîr die hufig das franzçsische Steuerwesen Vorbild war.“705 Er war der Meinung, daß franzçsische Finanzbeamte besser mit Geld umgehen kçnnten als preußische und witterte außerdem îberall Betrug, Schmuggel und Korruption. Als nach dem Siebenjhrigen Krieg die Einnahmen aus den indirekten Steuern (Akzisen) hinter den Erwartungen zurîckblieben, faßte Friedrich zuerst den Plan, die Akzise nach franzçsischem Vorbild durch Steuerpchter eintreiben zu lassen.706 Dieses Projekt scheiterte an der von den Interessenten zu stellenden Kaution. Es blieb also bei der staatlichen Zustndigkeit, aber nun entschloß sich der Kçnig zu einer umfassenden Reform der Akziseverwaltung und îbertrug in diesem Zusammenhang 1766 die Erhebung und Verwaltung der Akzisen und Zçlle franzçsischen Beauftragten. Die Anregung kam von dem franzçsischen Philosophen Helv¤tius, einem frîheren fermier g¤n¤ral, der 1765 in Potsdam war und den ersten Kontakt zwischen Friedrich und einem Pariser Konsortium von Steuerpchtern herstellte. Zwar verwarf der Kçnig das System der Steuerpacht selbst, wollte aber „die îberlegene franzçsische Kontrolltechnik“ îbernehmen.707 Die „Administration g¤n¤rale des Accises et P¤ages“, die nunmehr „R¤gie“ hieß,708 stand fortan unter der technischen Leitung des Geheimen Finanzrates und Generalregisseurs de Launay, der von vier anderen franzçsischen r¤gisseurs unterstîtzt wurde. Auch in den leitenden Provinzstellen waren viele Franzosen angestellt,709 „im ganzen aber nicht îber 200“. Tatschlich fîhrte „die verfei704 O. Hintze, Entstehung … (s. Anm. 702), S. 299. 705 J. Ziechmann, § 32: Das Finanz- und Steuerwesen, in: Ders. (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 335 – 348, hier S. 343. 706 Die folgenden Angaben nach O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 383 f. Ergnzend: J. Ziechmann, Finanzwesen … (s. Anm. 705), S. 343 – 348. 707 S. Skalweit, Der preußische Staat … (s. Anm. 535), S. 222 mit Anm. 64. 708 Zu der neuen Behçrde vgl. Hugo Rachel (Bearb.), Die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik Preußens 1740 – 1786 (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Die einzelnen Gebiete der Verwaltung: Handels-, Zollund Akzisepolitik, 3), 2 Tle., Berlin 1928, hier 3/1, S. 142 – 337. 709 Auch die nach Kçnigsberg entsandten Regie-Franzosen wurden mit großem Mißtrauen betrachtet vgl. F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 181.

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nerte franzçsische Technik des Dienstbetriebes“ zu hçheren Einnahmen, aber Bier, Branntwein und Fleisch wurden auch erheblich hçher besteuert als vorher; nur die Mehlakzise fiel weg. Ob sich die Akzise-Einnahmen auch ohne die franzçsischen Beamten in gleichem Maße erhçht htten, ist umstritten. Allerdings stiegen die Verwaltungskosten von 6,7 auf 10 Prozent der Bruttoeinnahmen. Die bei der Regie angestellten Franzosen waren nicht immer beliebt und gaben zu manchen Klagen Anlaß. Ein franzçsischer Reisender bemerkte 1773, daß die verhaßten franzçsischen financiers sogar eine antifranzçsische Stimmung im Volk hervorgerufen htten.710 Der Chef de Launay versah sein Amt jedoch tadellos; auch sptere Untersuchungen erbrachten nichts Nachteiliges. Ebenfalls 1766 wurde das Postwesen umgestaltet; der franzçsische Generalintendant Jacques Marie Bernard îbernahm die Leitung, assistiert von Jacques Gilbert de la Hogue und Edºme Nicolas Moret. Weil die Franzosen fast alle nach kurzer Zeit „wegen vielfltiger Betrîgereien“ entlassen werden mußten, wurde schon am 16. 4. 1769 wieder ein preußischer Beamter, der frîhere Kammerprsident Friedrich Wilhelm von Derschau, zum Generalpostmeister ernannt.711 Nach franzçsischem Muster eingefîhrt wurde auch eine staatliche Zahlenlotterie, die von 1763 bis 1766 an ihren Schçpfer Gian Antonio di Calzabigi, einen „Bankier und Abenteurer aus Livorno“, danach an zwei hohe preußische Beamte verpachtet war.712 Auch bei der nach franzçsischem Vorbild eingerichteten General-Tabaks-Pachtungs-Gesellschaft („Tabac-Ferme“) 1765 war Calzabigi beteiligt, zusammen mit dem etwas zwielichtigen franzçsischen Kaufmann Roubeaud; da es mit der Monopolgesellschaft, deren Hauptaktionr Calzabigi war, „rasch abwrts“ ging, wurde sie schon 1766 von Friedrich II. in eine staatliche Verwaltung umgewandelt.713 Das Tabaksvertriebsmonopol, das allein in Berlin 364 „Distributeure“ (1785) beschftigte, hatte rein fiskalische Grînde, brachte auch Geld in die Staatskasse, war aber bei der Bevçlkerung ußerst unbeliebt. Noch verhaßter war das Kaffeemonopol, das 1781 eingefîhrt und von der Regie durchgesetzt werden sollte, die zur Kontrolle an die 400 710 Ebd., S. 228. 711 Wilhelm Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens (= VerçffHistKommBerlin, 56), Berlin/New York 1984, S. 112. Auch beim ersten Tabakmonopol (1765) war der vom Kçnig zum Geheimen Finanz- und Kommerzienrat ernannte Calzabigi, zusammen mit dem Franzosen Roubeaud (nicht: Rouband), beteiligt. 712 Als der Londoner Gesandte Knyphausen nach einem genialen Mann, der große finanzielle Plne entwerfen kçnne, Ausschau halten sollte, war er auf Calzabigi gestoßen und hatte eine (vorsichtige) Empfehlung ausgesprochen (H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … [s. Anm. 337], 2, S. 480 – 487. ˜ber die anderen Calzabigi-Projekte ebd., S. 487 – 497). 713 Ebd., S. 492 – 495.

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„Kaffeeriecher“ einsetzte.714 Insgesamt war das Regiewesen so wenig ertragreich, daß Friedrich seit 1784 îber Verbesserungen nachdachte. Keine andere nach franzçsischem Muster begrîndete Institution brachte so große Enttuschungen; noch 1786 unterstellte Friedrich Wilhelm II. die Akziseverwaltung wieder preußischen Beamten.715 2. Das Heerwesen: Ein Transfer in Ost-West-Richtung In den preußischen Beziehungen zu Westeuropa îberwogen nicht immer die von den westeuropischen Staaten ausgehenden Einflîsse. Bei den von Preußen kommenden Impulsen rîckte zwangslufig der Bereich in den Vordergrund, in dem dieses Kçnigreich zuerst und besonders eindrucksvoll die Aufmerksamkeit seiner europischen Nachbarn erregte, das Militrwesen. Zumindest drei westeuropische Staaten sahen sich durch die Erfolge Preußens veranlaßt, die eine oder andere militrische Besonderheit zu îbernehmen: Spanien, Frankreich und England. 1753 hielt sich der Graf Aranda fîr drei Monate in Potsdam und Berlin auf um sich îber die friderizianische Heeresorganisation zu informieren und Anregungen fîr die notwendige Modernisierung der spanischen Armee zu bekommen. Als Leiter des Amtes fîr Artillerie- und Ingenieurwesen, der in seinen „Ordenanzas de Carlos“ preußische Prinzipien zur Grundlage der Heeresreform machte, sorgte er – nach 1762 – fîr den Einzug des „prusianismo“ in spanische Kasernen.716 Whrend der Preußenkçnig die elfbndige franzçsische Ausgabe (Paris 1735 – 38) der „Reflexiones militares“ des Grafen Santa Cruz de Marcenado (Erstausgabe Turin 1723 – 27) immer wieder konsultierte, verbreitete der Spanier Toms Morla den Feldherrnruhm Friedrichs durch seine „Noticias de la constituciûn militar prusiano“. Besonders seit 1782 wurde das Hauptquartier der preußischen Armee hufig von spanischen Gsten aufgesucht. Welche speziellen Erkenntnisse der venezuelanische Freiheitsheld Francisco de Miranda 1784 aus Preußen mitbrachte, bedarf noch der Erforschung.717 Ein anderes Beispiel des „militrischen Kulturtransfers“ (Vogel) betrifft Frankreich. Als der in Montauban geborene Militrschriftsteller Jacques Antoine Hippolyte de Guibert, ein Spezialist fîr Strategie und Taktik, durch die Kritik an der franzçsischen Regierung in seinem „Essai g¤n¤ral de tactique“ (1772) in Frankreich in Ungnade fiel, fand er Zuflucht bei Friedrich, der ihn sogar zur Tafelrunde einlud. Er durfte die Mançver um Breslau beobachten und 714 Zu den Einzelheiten vgl. H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 95, 217 f. 715 Zusammenfassend: W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 110 – 116, S. 159. 716 Vgl. R. Konetzke, Berlin … (s. Anm. 646), S. 166 f. 717 Alle Angaben nach Hans-Joachim Lope, § 81: Die Iberischen Staaten, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 832 – 842, hier S. 834.

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publizierte 1777 seine „Observation sur la constitution politique et militaire des arm¤es de Sa Majest¤ prussienne.“718 Bereits 1775 nach Frankreich zurîckgerufen, spielte er eine wichtige Rolle bei den im folgenden Abschnitt erwhnten Militrreformen. Nach Friedrichs Tod verçffentlichte Guibert eine „Eloge du roi de Prusse“, die 1788 ins Deutsche îbersetzt („Lobschrift auf Friedrich den Zweiten“) und 1997 nachgedruckt wurde. Die Frage, ob man „Preußen als Vorbild militrischer Modernisierung“ ansehen kann, wird von der neueren Forschung differenziert beantwortet:719 Die ˜bernahme der preußischen Militrverfassung, die „Vor- und Gegenbild“ zugleich war, stieß nicht zuletzt wegen der vçllig anderen Struktur des Offizierskorps (Preußen: vollstndige Anbindung des Adels an das Kçnigtum; Frankreich: ømterkuflichkeit; Monopol der Kommandostellen beim Hoch- beziehungsweise Hofadel usw.) auf teilweise erbitterten Widerstand. Selbst ein Bewunderer der preußischen Truppen und der discipline ” l’allemande schrieb in seinen „R¤flexions sur l’arm¤e Prussienne et l’arm¤e FranÅaise“ (1783), daß schon die Einfîhrung einer neuen Schrittkadenz durch die ganz andersartige „constitution de la France“ verhindert wîrde, weil die Voraussetzung dafîr, das tgliche Exerzieren, nicht „sans la plus rigoureuse discipline dans tous les r¤giments de l’arm¤e“ realisierbar wre – was, so ist wohl zu ergnzen, fîr das franzçsische Heer illusorisch sei. Das Vorbild Preußen war demnach nur punktuell – und im spten 18. Jahrhundert immer weniger – ein attraktives Modell fîr eine effiziente Militrreform. So beschrnkte sich die ˜bernahme preußischer Militrerfahrungen in Frankreich auf Bereiche, die nicht an die politische und soziale Substanz des Staates rîhrten. Auch in dem vor allem unter Ludwig XIV. entwickelten Festungswesen blieb Frankreich im 18. Jahrhundert fîhrend: Als Friedrich zur besseren Ausbildung seiner Artillerie 1752 die „Kladower Schanze“ bei Berlin errichten ließ, wurden Polygon, spitzwinklige Bastions, Courtines und Ravelins nach „Vaubans 1. Manier“ angelegt. Selbst in England wîrdigte man nach 1756 die militrische Disziplin und erblickte am preußischen Beispiel plçtzlich die Vorteile eines sonst immer abgelehnten stehenden Heeres. Noch vor Ausbruch des Krieges wurden preußische Dienstvorschriften ins Englische îbersetzt und einige Truppenteile mit dem preußischen Exerzierreglement vertraut gemacht. Die spter noch intensivierte 718 W. Ziegler, Potsdam … (s. Anm. 676), S. 44. Guibert wird auch von Karl Heinrich Siegfried Roedenbeck, Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrich’s des Großen Regentenleben (1740 – 1786), 5 Abteilungen in 3 Bden., Berlin 1840 – 42, hier 3, S. 80 – 88, wiederholt erwhnt, obwohl Roedenbeck viele andere Besucher Friedrichs aus Westeuropa nicht nennt. 719 Zum Folgenden vgl. C. Opitz-Belakhal, Militrreformen … (s. Anm. 585), besonders Kap. 5.2: „Preußen als Vorbild militrischer Modernisierung?“ (S. 350 – 358) und S. 358 – 364.

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Nachahmung preußischer Ordnung und Disziplin ließ einige Kritiker von einem das Land bedrohenden „Militarismus“ sprechen.720 3. Kulturelle Kontakte mit Großbritannien und Frankreich Im allgemeinen îberwog in England eine distanzierte Haltung zum friderizianischen Staat. Dafîr sorgten schon die Entfernung von etwa 12 Tagereisen und die Insellage. Außerdem erschien die englische Sprache, die fast nirgends gelehrt wurde, den Deutschen im frîhen 18. Jahrhundert als „sehr fremd und schwierig“.721 Neuere Forschungen zeigen aber, daß seit etwa 1660 eine ganze Reihe deutscher Gelehrter England besuchten, doch dîrfte diese Weiterfîhrung der traditionellen „peregrinatio academica“ kaum auf andere Personenkreise anregend gewirkt haben.722 Eine erste beiderseitige Annherung erfolgte mit der englisch-hollndischen Personalunion und dem Spanischen Erbfolgekrieg, eine zweite – um die Jahrhundertmitte – durch die Konsequenzen der Personalunion mit Hannover und das Engagement Englands auf dem Kontinent. Whrend Großbritannien „als Vormacht des europischen Staatensystems, als Zentrum des Welthandels und der Aufklrung […] in den Mittelpunkt des europischen Interesses“ rîckte,723 geriet Deutschland „auf politischer Ebene vor allem als Nebenschauplatz îberseeischer Politik ins Blickfeld, als die Bîhne von Allianzen und Schlachten“.724 Daß diese Annherung in besonderem Maße auch Preußen betraf, hing mit dem Abschluß der Westminster-Konvention zusammen, die in England zu einer Friedrich-Preußen-Euphorie fîhrte, die sogar eine erstaunliche Wertschtzung 720 Manfred Schlenke, England und das friderizianisches Preußen 1740 – 1763. Ein Beitrag zum Verhltnis von Politik und çffentlicher Meinung im England des 18. Jahrhunderts (= OrbisAcad, 6), Freiburg/Mînchen 1963, S. 191 f. 721 Zu den Sprachproblemen vgl. Michael Maurer, Aufklrung und Anglophilie in Deutschland (= Verçffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 19), Gçttingen/Zîrich 1987, S. 20 – 22. 722 Ergnzende Informationen zu Englandreisenden aus „Deutschland“ finden sich in einem oft îbersehenen Sammelband: Marie-Luise Spieckermann (Red.), ,Der curieuse Passagier’. Deutsche Englandreisen des 18. Jahrhunderts als Vermittler kultureller und technologischer Anregungen (= Beitrge zur Geschichte der Literatur und Kunst des 18. Jahrhunderts, 6), hg. v. Arbeitsstelle 18. Jahrhundert der Universitt Mînster, Heidelberg 1983. 723 Michael Maurer (Hg.), O Britannien, von deiner Freiheit einen Hut voll. Deutsche Reiseberichte des 18. Jahrhunderts, Mînchen u. a. 1992, S. 12. – Schon das durch neuere Forschungen weitgehend îberholte Bndchen von Robert Elsasser, ˜ber die politischen Bildungsreisen der Deutschen nach England (vom 18. Jahrhundert bis 1815) (= Heidelberger Abhandlungen, 51), Heidelberg 1917, in dem einige Preußen vorkommen, erwhnte die Reisenden der ersten Jahrhunderthlfte nur beilufig (S. 2). 724 P. Wende, Großbritannien … (s. Anm. 28), S. 31 – 43, hier S. 36.

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preußischer Militrtugenden einschloß.725 Nach den Siegen des protestantischen Friedrich bei Roßbach und Leuthen (1757) steigerte sich die Sympathiewelle auf der ganzen Insel zu einem Sturm der Preußenbegeisterung, „wie ihn kein anderes Land zu irgendeiner Zeit je erlebt hat.“726 Die Bewunderung fîr Friedrich und seine Siege erfaßte alle Schichten der britischen Gesellschaft, „vom Kçnigshaus bis zu den einfachen Leuten“; das Portrt des Preußenkçnigs erschien auf zahllosen Bierkrîgen, Tellern und Kaffeekannen,727 und viele Gastwirtschaften nannten sich „King of Prussia“. Sein Geburtstag wurde ebenso gefeiert wie der des englischen Kçnigs.728 Auch spter blieb das Verhltnis gut: „Jedenfalls hegte man in London whrend der ganzen Regierungszeit Friedrichs des Großen fîr Preußen sehr freundliche Gefîhle.“ Die politische Annherung trug dazu bei, daß die englische Sprache um 1750 zu einer „Modeerscheinung“ (Maurer) zu werden begann und im ausgehenden 18. Jahrhundert „in Deutschland schon sehr verbreitet“ war. Hinzuweisen ist noch auf einen ganz speziellen Berîhrungspunkt, der in beiden Lndern nur wenige Kçpfe betraf – die Freimaurerei. Seit der Aufnahme des Kronprinzen in die „Loge d’Hambourg“ 1738/1739 und die mit seiner Billigung erfolgte Grîndung der Loge „Aux trois globes“ durch Jordan und einige Kaufleute (13. 9. 1740) erfreute sich die Freimaurerei in Preußen sogar kçniglicher Fçrderung. Nach einer Reise Bielfelds nach London 1741 glaubte man – flschlich – an eine fçrmliche Besttigung seitens der englischen Großloge. Als interne Streitigkeiten 1770 zur Grîndung der „Großen Landesloge der Freimaurer in Deutschland“ fîhrten, bestand die englische Großloge darauf, nach wie vor als maßgebende Instanz auch fîr die deutschen Logen angesehen zu werden. Schließlich kam ein Vertrag zustande (30. 11. 1773), in dem die oberste Loge in London die große Loge zu Berlin als „einzige, große Landesloge des deutschen Kaiserreiches“ anerkannte.729 725 S. u. bei Anm. 835. 726 Fîr die britisch-preußischen Beziehungen im 18. Jahrhundert immer noch grundlegend: M. Schlenke, Das friderizianische Preußen … (s. Anm. 720), passim. Knappe Zusammenfassung: Das friderizianische Preußen im Urteil der englischen çffentlichen Meinung 1740 – 1763, in: GWU 14 (1963), S. 209 – 220, Wiederabdruck in: O. Bîsch / W. Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte … (s. Anm. 538), 1, S. 182 – 196. 727 Zur englischen Friedrichbegeisterung vgl. Lionel Burman, Darstellungen Friedrich des Großen auf britischen Keramiken zwischen 1750 und 1800, in: Jîrgen Ziechmann (Hg.), Fridericianische Miniaturen, 3, Bremen 1993, S. 163 – 174, das Zitat: S. 174. 728 Vgl. Francis L. Carsten, Preußen und England, in: Otto Bîsch (Hg.), Preußen und das Ausland (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 35), Berlin 1982, S. 26 – 46, hier S. 29 – 32; M. Maurer, Britannien … (s. Anm. 723), S. 12. 729 Vgl. dazu Katharina Gudladt, Untersuchungen zur Geschichte der Freimaurerei in Berlin 1740 – 1806, Magisterarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin,

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Ein anderer Berîhrungspunkt zwischen Preußen und Großbritannien im 18. Jahrhundert nahm ein wenig den englisch-preußischen Technologietransfer voraus, der im Industriezeitalter eine wichtige Rolle spielen sollte:730 Friedrich II. schickte 1765 vier Beamtensçhne auf seine Kosten fîr ein Jahr nach England, die îber den Stand der dortigen Landwirtschaft regelmßig berichteten und nach ihrer Rîckkehr je ein Domnenamt zur Anwendung der erlernten Methoden erhielten. Der Erfolg war so gut, daß der Kçnig spter „zu gleichem Zweck noch andere junge Landwirte nach England“ schickte.731 Unterschiedlich waren die Erfahrungen, die Friedrich mit englischen Landwirten machte, die er durch seine Diplomaten abwerben ließ. Whrend der Englnder Wilson, der 1767 nach Preußen kam und das Vorwerk Gîtergotz bei Potsdam zu einem Musterbetrieb ausbauen sollte, den Preußenkçnig durch Verhalten und Wirtschaftsfîhrung enttuschte, war er mit der Arbeit seines Landsmannes Brown, der seit 1769 das Domnenamt Mîhlenbeck „auf englischen Fuß“ stellen sollte, zufrieden: Er bewilligte ihm und dem mitgebrachten „englischen Pflugmacher“ Gehlter von 1.000 beziehungsweise 188 Talern, îbergab ihm zustzlich das Amt Schçnhausen und forderte die kurmrkischen Domnenpchter zur Nachahmung auf. Nach den Erfolgen in Brandenburg versuchte Friedrich die Einfîhrung der englischen Landwirtschaft auch in anderen Provinzen. 1771 îberwies Friedrich der Kurmark 100.000 Taler, damit auch rmere Gemeinden die englische Landwirtschaft einfîhren kçnnten. Weniger „asymmetrisch“ verlief der Transfer auf philosophischem Gebiet: „Die schottischen Aufklrer und Immanuel Kant hatten in vieler Hinsicht mehr miteinander gemein als mit Rousseau und Voltaire und den franzçsischen Enzyklopdisten.“732 Unterhalb dieser Spitzenebene dominierte wieder die Ungleichgewichtigkeit: Zwischen 1740 und 1799 sollen 320 englische Romane ins Deutsche îbertragen worden sein.733 Es hngt vielleicht auch damit zusammen, daß es auf deutscher Seite im 18. Jahrhundert zu einer deutlich erhçhten Reisefreudigkeit kam, der sich die Forschung seit einigen Jahren verstrkt zugewandt hat.734 War die klassische „Kavalierstour“ der Deutschen im 16. und 17. Jahrhundert meist nach Holland, Frankreich und Italien gegangen, fîhrte 730 731

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Berlin 1993, S. 46 – 50, 89 – 92; Rîdiger Hachtmann, Friedrich II. von Preußen und die Freimaurerei, in: HZ 264 (1997), S. 21 – 54 (Lit.). S. u. S. 730 – 733. Dies und die folgenden Angaben nach Rudolph Stadelmann, Preußens Kçnige in ihrer Ttigkeit fîr die Landeskultur, 2: Friedrich der Große (= PubllPreußStaatsarch 11), Leipzig 1882, S. 171 – 174: „Einfîhrung der englischen Landwirtschaft“ (mit den dazugehçrigen Quellen). Ein Hinweis auch bei C. Hinrichs, Allgegenwrtiger Kçnig … (s. Anm. 560), S. 159, Anm. 1. W. J. Mommsen, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Partner … (s. Anm. 28), S. 10. M. Maurer, Aufklrung … (s. Anm. 721), S. 77. Einen guten Einblick gibt der Band von Michael Maurer (Hg.), Neue Impulse der Reiseforschung. Aufklrung und Europa. Beitrge zum 18. Jahrhundert, Berlin 1999.

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die „Grand Tour“, die im folgenden Skulum îblich wurde, auch nach England.735 Whrend aus den ersten sechs Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nur jeweils zwei oder drei Berichte deutscher Englandreisender îberliefert sind, waren es 25 in den 80er und acht in den 90er Jahren, bevor infolge der napoleonischen Kriege und der Kontinentalsperre der Besuchsverkehr fast vçllig aufhçrte.736 Von den 24 Reiseberichten, die 1992 in Auszîgen publiziert wurden, stammt etwa ein Viertel von preußischen Reisenden.737 Zu ihnen gehçrten Adlige (Pçllnitz 1721, Spielgefhrte des spteren Friedrich Wilhelms I., kgl. Kammerjunker 1708; der Legationsrat Bielfeld 1741, Vertrauter Friedrichs und ein großer Freund des englischen Gartens738), Naturwissenschaftler (Christlob Mylius 1753, Johann Reinhold Forster 1780, Georg Forster 1790), Theologen (Deichsel 1718), Gelehrte (Moritz 1782) und Autoren, die lange in Preußen gelebt hatten und sich spter anderswo niederließen (Archenholtz 1785).739 Anders als diese Reisenden, die in der Regel îber Zeit und Geld verfîgten, gehçrte „die Mehrzahl der deutschen Englandfahrer […] jedoch den untersten Schichten an: Handwerker auf der Suche nach einem Auskommen; Abenteurer und Soldaten; Auswanderer auf dem Weg nach Amerika; Landstreicher, Spieler, Glîcksritter, Bettler, Betrîger und Scharlatane; doch sie alle schrieben keine Reiseberichte“740 – das gilt fîr Preußen genauso wie fîr Deutschland. Ungeachtet dieser engeren Verbindungen blieb die „Asymmetrie“ im preußisch-britischen Verhltnis erhalten. Begab sich der englische Gentleman 735 M. Maurer, Britannien … (s. Anm. 723), S. 12. 736 M. Maurer, Aufklrung … (s. Anm. 721), S. 26. In Hinblick auf Besucher aus Preußen auszuwerten wre auch die Studie von Andreas Oehlke, Irland und die Iren in deutschen Reisebeschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts (= Mînsteraner Monographien zur englischen Literatur, 10), Frankfurt am Main u. a. 1992. 737 M. Maurer, Britannien … (s. Anm. 723), passim. 738 Ebd., S. 113 – 115. Die Vorliebe der preußischen Kçnige fîr den franzçsischen Garten wurde erst 1787 unterbrochen, als Friedrich Wilhelm II. den Neuen Garten als ersten englischen Landschaftspark anlegen ließ. Bielfeld kannte îbrigens auch Paris, dem Berlin „weder in Hinsicht des Umfangs, noch in der Schçnheit der Gebude, noch in der Breite und Anlage der Straßen … bedeutend“ nachstand (Brief vom 11. 8. 1739). 739 Die drei letztgenannten verdienen eine Extra-Erwhnung: 1. Der 1729 als Professor in Breslau verstorbene Johann Gottlieb Deichsel, der im Juni 1718 auch die Niederlande besuchte, stammte wohl aus dem damals noch çsterreichischen Schlesien; 2. ˜ber den Preußen Moritz und seine Englandreise vgl. Gerhard Sauder, Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782: Karl Philipp Moritz, in: M.-L. Spieckermann (Red.), ,Der curieuse Passagier‘ … (siehe Anm. 722), S. 93 – 108; 3. Zusammen mit Johann Joachim Eschenburg in Braunschweig soll Archenholtz zu den beiden Schriftstellern gehçrt haben, „die vielleicht mehr als andere getan haben, um im 18. Jahrhundert Deutschland mit England vertraut zu machen“ (Bernhard Fabian, Einfîhrung, in: ebd., S. 7 – 14, hier S. 13 f.). 740 M. Maurer, Britannien … (s. Anm. 723), S. 14 f.

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auf Reisen, berîhrte er Deutschland – und das entfernte Preußen erst recht – „allenfalls dann, wenn er ausnahmsweise von Paris nach Italien den Weg rheinaufwrts whlte. Entsprechend wenig wußte man îber die Geographie, das Klima oder die politischen Verhltnisse dieses fernen Landes.“741 Dennoch gab es vier Englnder, von denen wir aus Reiseberichten wissen, daß sie der preußischen Residenzlandschaft Berlin-Potsdam einen Besuch abstatteten. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die Zahl der Besucher hçher, doch nicht jeder schrieb seine Reiseerinnerungen nieder. James Boswell, ein schottischer Adelsabkçmmling, der spter zum Lord Auchinleck aufstieg und eine Biographie îber Samuel Johnson schrieb, unternahm eine Europareise, die ihn bis nach Korsika fîhrte.742 Begleitet wurde er auf seiner Reise nach Berlin von dem schottischen Freund und Vertrauten Friedrichs II., dem „Lord Marishal“ George Keith, den der Preußenkçnig erneut an seinen Hof gerufen hatte,743 und dessen tîrkischer Adoptivtochter Emetulla – eine wahrhaft multikulturelle Reisegesellschaft. Boswell hielt sich von Juli bis September 1764 in Berlin und Potsdam auf, besuchte in beiden Stdten die schottische Kolonie und erhielt von Keith einen Empfehlungsbrief an den befreundeten Rousseau. Obwohl in Europa seit 1763 Frieden herrschte, fand der zweite Besuch eines Englnders erst sieben Jahre spter statt: Im Rahmen seiner „Kavalierstour“ bereiste der Herzog von Northumberland seit 1768 Europa. Im April 1771 kam er, begleitet durch seinen Hofmeister Louis Dutens, nach Berlin und Potsdam. Charles Burney, ein Musikgelehrter aus England, der 1772 Potsdam besuchte, berichtete îber ein Flçtenkonzert, „in welchem der Kçnig die Solostze mit großer Przision vortrug“. Trotz einiger Kritikpunkte, so fuhr er fort, îbertreffe sein Spiel „in manchen Punkten alles, was ich bisher unter Liebhabern oder selbst von Flçtenisten von Profession gehçrt habe“. In seinem Reisetagebuch soll Burney auf 100 Seiten îber das Berlin-Potsdamer Musikleben berichtet haben. Im Mai 1773 hielt sich „Lord Chesterfield“ fîr einige Wochen in Potsdam auf.744

741 P. Wende, Großbritannien … (s. Anm. 28), S. 38. 742 Die folgenden Angaben nach W. Ziegler, Potsdam … (s. Anm. 676), S. 40 – 44, S. 61 f., S. 78 – 83 (Boswell), S. 21 – 23 (Northumberland), S. 50 – 53, S. 67 f., S. 85 – 87 (Piozzi). ˜ber Boswells Reise berichtet auch A. Selling, Gelehrten-Reisen … (s. Anm. 234), S. 213. Nur einige westeuropische Reisende, die Friedrich und/oder Potsdam aufsuchten, erwhnt ein dreibndiges Werk, das leider ohne jedes Register ist: K. H. S. Roedenbeck, Tagebuch … (s. Anm. 718). 743 Zu den Brîdern Keith s. o. S. 606. 744 Zu Burney: P. Rummenhçller, Musik … (s. Anm. 689), S. 305 f.; zu Chesterfield: K. H. S. Roedenbeck, Tagebuch … (s. Anm. 718), 3, S. 79; Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise, Kassel 2003 (viele ˜bersetzungen).

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Weitere britische Preußenbesucher sind erst wieder aus den 80er Jahren bekannt. 1783 und 1785 besuchte Frederick von York, der zweite Sohn des englischen Kçnigs, Friedrich, der ihm beim zweiten Treffen ein KPM-Tafelservice schenkte.745 Der nchste bekannte Besucher aus England war eine Dame. Hester Lynch Thrale, die dem englischen Landadel entstammte, heiratete nach dem Tode ihres ersten Mannes zur Entrîstung der besseren Kreise den italienischen Musiker Gabriel Piozzi. Um Anfeindungen aus dem Wege zu gehen, unternahm sie ab September 1784 mit Mann und Dienstmdchen eine mehrjhrige Europareise, die sie im Januar 1787 nach Potsdam fîhrte. Daß nur sechs Reisende aus England – noch dazu in jahrelangen Abstnden – Berlin und Potsdam in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts besucht haben sollen, ist unwahrscheinlich. Bisher scheint – auch fîr Preußen – die Annahme berechtigt, daß erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts die bislang dominierende „Asymmetrie“ in den deutsch-britischen Beziehungen îberwunden und das bisher „allzu ferne, provinzielle, bestenfalls skurrile Deutschland […] in den Rang eines gleichwertigen Partners erhoben“ wurde; ob und inwiefern die um 1800 stattfindenden Deutschland-Reisen von Robinson, Taylor, Coleridge und Wordsworth746 auch die britischen Beziehungen zu Preußen positiv beeinflußten und fîr die beiden Lnder ebenfalls „eine Phase fruchtbarer wechselseitiger Beziehungen und gegenseitiger Anerkennung“ einleiteten,747 bleibt noch zu îberprîfen. Im Hinblick auf Preußen klingt der Buchtitel „Aufklrung und Anglophilie in Deutschland“ etwas euphemistisch, da der Kulturtransfer fast ausschließlich auf einer Einbahnstraße ablief. Ein echter „Kulturaustausch“ fand kaum statt und konnte allenfalls einen sehr flîchtigen Eindruck auf die englische Gesellschafts- und Geisteswelt hinterlassen. In fast jeder Hinsicht waren Land und Leute der beiden Staaten viel zu verschieden, als daß eine echte Sympathie oder ein wahres Verstndnis fîr den anderen aufkommen konnte.748 Die etwas herablassende Sicht auf Preußen, die in Großbritannien – mit Ausnahmen – im ganzen 18. Jahrhundert îblich war, galt in hnlicher Weise auch fîr die zweite westeuropische Großmacht. In Frankreich geschah es vor allem in der ersten Jahrhunderthlfte, daß man Preußen – wie ganz Deutschland – ein wenig îber die Schulter ansah. Schon die deutsche Sprache sei fîr Franzosen – nach Aussage von El¤azar de Mauvillon – nicht parlable; außerdem habe eine „indiff¤rence franÅaise mÞl¤e d’incompr¤hension d¤daigneuse pour les 745 Von Sanssouci … (s. Anm. 632), Nr. 22. 746 Zu dieser neuen Phase der deutsch-britischen Beziehungen vgl. M. Maurer, Aufklrung … (s. Anm. 721), S. 440 f. 747 P. Wende, Großbritannien … (s. Anm. 28), S. 43. 748 Eda Sagarra, § 78: Großbritannien, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 797 – 807, hier S. 807.

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Allemands“ bestanden, die erst seit der Mitte des Jahrhunderts einem grçßeren Verstndnis wich. Als Antoine de Cournand um 1760 euphorisch ausrief: „O peuple heureux, o douce Germanie“ wurde deutlich, daß die wichtigste Eigenschaft der „frontiºres franco-allemandes culturelles“ in ihrer „extrÞme porosit¤“ lag.749 In der zweiten Jahrhunderthlfte entwickelte sich sogar eine friderizianische Legende, die aus vielen Quellen gespeist wurde. Der Preußenherrscher erschien, durch zahllose Anekdoten popularisiert, als die moderne Version des „guten Kçnigs“ von frîher.750 Der franzçsisch-preußische Reiseverkehr in friderizianischer Zeit ist weitgehend unerforscht. Es gibt zwar vereinzelte Hinweise, doch keine systematische Aufarbeitung. Dabei steht es außer Frage, daß Persçnlichkeit und Residenz des frankophonen und frankophilen Preußenkçnigs fîr Besucher aus Frankreich als attraktive Reiseziele gegolten haben mîssen. „Wer kann, begibt sich nach Preußen, sei es in offizieller Funktion oder privat.“ Dennoch sind, abgesehen von den Dauergsten wie Voltaire, Maupertuis und d’Argens, die oft im Schloß untergebracht wurden, nur wenige Reisende aus Frankreich bekannt: 1772 besuchte Vivant Denon auf seiner Reise nach St. Petersburg Potsdam, um vor allem Friedrichs Watteau-Sammlung zu sehen. Er wurde wohl auch vom Preußenkçnig empfangen.751 Im Juni 1773 kam der schon erwhnte Guibert nach Berlin und Potsdam. Sein Reisetagebuch wurde erst lange nach seinem Tode verçffentlicht (1803). Bei der Parade fiel ihm auf, daß sowohl im Garderegiment als auch im Regiment des Kronprinzen „beaucoup de FranÅais“ waren.752 Um 1774 besuchte der junge Lauzun, der sptere General Biron, Friedrich; Berthier (1783) und Toulongeon (1786) wurden mit Beobachtungsauftrgen in die preußische Hauptstadt geschickt; 1784 und 1785 kam der Marquis de Bouill¤ nach Potsdam; der Graf von Damas (1784) und Lafayette interessierten sich – wie viele andere Besucher – vor allem fîr die Mançver. Lafayette beobachtete auch, daß Friedrichs blaue, sehr alte Uniform „voll mit spanischem Tabak“ war. Nach Besuchen in Sanssouci sollen auch in Frankreich lebende Geistesgrçßen wie Claude-Adrien Helv¤tius (1765) und Melchior Grimm 749 Jean Mondot, Allemands et FranÅais au XVIIIe siºcle. L’¤volution altern¤e des st¤r¤otypes franco-allemands, in: G. Merlio / N. Pelletier (Hg.), Hçlderlin … (s. Anm. 22), S. 103 – 119, hier S. 113 – 118. 750 Vgl. dazu Michel Kerautret, Zum Bild Friedrich II. in Frankreich am Vorabend der Revolution, in: Jîrgen Ziechmann (Hg.), Fridericianische Miniaturen, 2, Bremen 1991, S. 203 – 222. Das folgende Zitat: S. 208. 751 Philippe Sollers, Le Cavalier du Louvre. Vivant Denon (1747 – 1825) (= Collection Folio N8 2.938), Paris 1997, S. 50. 752 W. Ziegler, Potsdam … (s. Anm. 676), S. 44 – 46. Das besttigt J. P. B. Rouanet, Toulouse … (s. Anm. 681), S. 81, fîr die Garde und das Regiment „Prinz von Preußen“ (1766).

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(1769) von Friedrich besser beurteilt worden sein, whrend er andere, die „sonst noch in seinen Gesichtskreis“ traten (Mably, Duclos, Delisle, Raynal u. a.), weiterhin ablehnte.753 Der berîhmteste Franzose, der in sptfriderizianischer Zeit nach Berlin kam, war der Graf Mirabeau. Er erschien Anfang 1786, wurde zweimal von Friedrich empfangen und reiste Ende April nach Paris zurîck. Von August 1786 bis Januar 1787 war Mirabeau erneut in Berlin, diesmal als geheimer Beobachter der franzçsischen Regierung. Er erlebte die preußische Hauptstadt beim Tode Friedrichs („fatigu¤ jusqu’” la haine“). 1788 verçffentlichte er als erste Frucht seines Preußen-Aufenthalts das siebenbndige Werk „De la Monarchie prussienne sous Fr¤d¤ric le Grand“, dessen Einfluß auf das Preußenbild der Franzosen sicher îberschtzt wird, obwohl es durchaus zutreffende Beobachtungen enthlt.754 Im gleichen Jahr publizierte er auch seine geheimen Berichte, die, vermischt mit einer chronique scandaleuse des Berliner Hofes („Histoire secrºte de la Cour de Berlin“), großes Aufsehen erregten. Bei beiden Werken leistete der brandenburgische Hugenottenabkçmmling Jakob Mauvillon wichtige Hilfestellung.755 Daß es in preußisch-franzçsischer Richtung mehr Reisende gegeben hat, kann man vermuten. Es werden aber in der Mehrzahl Angehçrige des Bîrgerund Handwerkerstandes gewesen sein, da dem Adel in der Regel eine ins Ausland fîhrende Bildungsreise versagt blieb.756 Eine berîhmte Ausnahme stellte der Adlige Carl Ludwig von Pçllnitz dar, den Droysen einen „Vagabunden der vornehmen Welt“ nannte. Er hielt sich – vor seiner Englandreise – von 1712 bis 1719 in Paris und Versailles auf.757 Weil die 1768 aus der franzçsischen Hauptstadt abgereiste Anna Dorothea Therbusch den Wunsch des Marquis d’Argenson, nach Paris zurîckzukommen und seine Familie zu portrtieren, ablehnte,758 kam ein franzçsisch-preußischer Kulturtransfer ganz besonderer Art nicht zustande. Daß es andere Frankreichreisende aus Preußen gegeben haben muß, zeigen allein die 4.000 deutschen Handwerker, die 1797 in Paris arbeiteten;759 von 753 W. Langer, Friedrich … (s. Anm. 536), S. 194 mit Anm. 63. 754 Vgl. I. Mieck, Preußenbild … (s. Anm. 40), S. 284 f. 755 Eine gute Darstellung der Friedrich-Mirabeau-Beziehung gibt T. Schieder, Friedrich … (s. Anm. 53), S. 465 – 472. 756 Reisebeschrnkungen galten natîrlich nicht fîr Diplomaten oder sogar Prinzen wie Heinrich, den Bruder des Kçnigs, der 1784 erstmals in Paris war. Nicht nur wegen seiner zahlreichen Reisen stand die ihm 2002 gewidmete Ausstellung unter dem Titel „Prinz Heinrich von Preußen. Ein Europer in Rheinsberg.“ 757 T. Grosser, Reiseziel Frankreich … (s. Anm. 239), S. 48 – 53. Auch der sptere Friedrich-Freund Bielfeld hat in den 30er Jahren Paris besucht; Johann Gustav Droysen, Geschichte der preußischen Politik, 4, 4. Abt., Leipzig 1870, S. 97 – 126, Zitat: S. 104. 758 T. Wçhle, Therbusch … (s. Anm. 673), S. 189 f. 759 S. u. S. 653.

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ihnen dîrfte ein erheblicher Teil schon in vorrevolutionrer Zeit aus Preußen gekommen sein. In noch strkerem Maße als fîr England gilt also auch fîr die zweite westeuropische Großmacht, daß fîr die Erforschung der gegenseitigen Reisebeziehungen noch ein großer Nachholbedarf besteht. 4. Westeuropische Impulse im Gewerbebereich Viel wichtiger als Besucher und Reisende waren die zahlreichen Wirtschaftsfachleute, die, hufig in Westeuropa abgeworben, auf den Spuren der frîheren Hugenotteneinwanderungen auch in friderizianischer Zeit nach Preußen kamen und sich dort auf Dauer niederließen.760 Ganze Gewerbezweige wie die Seidenund die Baumwoll-Manufakturen, die sich der gezielten Fçrderung des Kçnigs erfreuten, verdankten ihren Aufschwung den aus Frankreich angeworbenen Fachkrften. Vor allem Berlin, aber beispielsweise auch Krefeld, profitierten von den mit großer Energie betriebenen Plnen Friedrichs.761 Einige Unternehmer wie Marceaut (Klçppelspitzen), Chanony (Taft) und Madame de Rieux („italienische“ Blumen) hatten, anders als die frîheren Einwanderer, noch so gute Kontakte nach Frankreich, daß sie sich nach der Betriebsgrîndung entsprechend ausgebildete Arbeiterinnen aus Paris beschaffen konnten. Es ist fast unglaublich, daß neben Marceaut auch Madame de Rieux als „sous-directeur“ bei der Akziseverwaltung eingestellt wurde. Eine Ausnahmestellung nahm auch die Spiegelglasmanufaktur in Neustadt an der Dosse ein, die von den R¤fugi¤s Jean Henri de Moor und Jean Henri Colomb, seinem Vetter aus N‚mes, betrieben wurde. Die Tochter des Spiegelfabrikanten Colomb heiratete spter einen preußischen Offizier und wurde die Mutter der Gebrîder Humboldt, auf deren Frankophilie im Rahmen dieses Beitrages noch mehrfach hinzuweisen ist.762 Da die Bemîhungen Friedrichs II. um den Zuzug westeuropischer Arbeitskrfte teilweise recht gut erforscht sind, kann auf die einschlgige Spezialliteratur verwiesen werden, besonders auf das dreibndige Werk von Schmoller/Hintze sowie die Untersuchung von Hugo Rachel, die fîr den Ber760 Vgl. dazu Stefan Reinhold, Einwanderungspolitik in friderizianischer Zeit, Staatsexamensarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin, Berlin 1996. 761 Einige Beispiele bei S. Jersch-Wenzel, Juden und ,Franzosen’ … (s. Anm. 177), S. 131 – 139 und S. 200 – 216. Die folgenden Angaben: ebd., S. 201. Daß der Aufbau der preußischen Seidenindustrie ohne tatkrftige Unterstîtzung aus Frankreich nicht denkbar war, belegt eindrucksvoll die immer noch als Standardwerk geltende Untersuchung von Gustav Schmoller / Otto Hintze (Bearb.), Die preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begrîndung durch Friedrich den Großen (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert), 3 Bde., Berlin 1892; ein auf Berlin konzentrierter Auszug îber Unterstîtzungen usw. bei H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 563), S. 245 f. 762 P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 706), S. 31.

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liner Wirtschaftsraum eine wahre Fundgrube darstellt. Die zahlreichen Angaben betreffen beispielsweise – in willkîrlicher Auswahl – die Grîndung einer Baumwollwaren-Fabrik durch die Fabrikanten Laurent, Joiron und Desjardins aus Amiens (1764); die Etablierung der großen Seidenhuser von Baudouin & Sçhne, Girard & Michelet und Gabain; die etwa 80, von den Berliner Schneidern angefeindeten franzçsischen Kleidermacherinnen (1769); die bekannte Hutfabrik von Jacques Pascal und du Fay (1805: 107 Arbeiter) sowie die durch den Englnder John Christian eingefîhrte neue Erfindung der gedruckten Papiertapeten.763 Ein Goldsticker aus Ch’lons-sur-Marne, der îber Amsterdam zusammen mit seinem Schwager Henry Rollet nach Berlin gekommene Jean Barez, wurde 1755 der Schwiegervater Chodowieckis.764 Eine hnliche Abhngigkeit von Westeuropa ist fîr Kçnigsberg festzustellen, obwohl dort im 18. Jahrhundert nur wenige Manufakturen gegrîndet wurden. Die beiden Tabakfabriken, die bis 1786 als Monopolbetriebe arbeiteten, wurden von Jean Laqueux (fîr Schnupftabak) und Le Cocq (fîr Rauchtabak) geleitet. Andere Unternehmer hatten ihre Erfahrungen in England gesammelt: der Fayence-Hersteller Collin (ein Hugenottenabkçmmling, sechs Jahre bei Wedgwood beschftigt, Spezialitt: Reliefportrts) und der Goldarbeiter Garbrecht, der nach einigen Jahren der „Werkspionage“ in England 1769 in Kçnigsberg eine Fabrik fîr Metall- und Perlmuttknçpfe erçffnete, die Jahrzehnte florierte. Verfahrenskenntnisse und Werkzeuge hatte er aus England mitgebracht. Auch der sehr vielseitige Unternehmer Johann Jakob Kanter (Verleger, Buchhndler, Fabrik fîr Preßspanplatten [„besser als die englischen“], Schriftgießerei) hatte durch seinen „Papiermachermeister“ Keferstein trotz des Ausfuhrverbots „die modernsten Maschinen aus England“ besorgen lassen; seine von Friedrich II. mit 12.000 Talern gefçrderte Fabrik, seit 1821 mit einer Dampfmaschine ausgestattet, arbeitete bis 1857.765 Weitere Informationen îber Abwerbungen aus Westeuropa finden sich, wenn auch verstreut, in der einschlgigen Fachliteratur. Aus all diesen Studien geht auch hervor, daß die aus Westeuropa kommenden und hufig vom Staat finanziell und anderweitig gefçrderten Hilfen oft mit großen Enttuschungen, Absatzproblemen, Kapitalverlust und Firmenzusammenbrîchen endeten. Die auf die Seidenmanufakturen Berlins gemînzte Bemerkung Rachels kann ohne jeden Zweifel verallgemeinert werden: „Es ist dabei viel Geld vertan worden, ohne das eigentliche Ziel zu erreichen.“766 Wie bei der Hugenotten-Ansiedlung 763 H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 147, S. 157, S. 163 f., die folgenden Zitate: S. 165 (dort auch die Liste der 1817 [!] in Berlin noch nicht herstellbaren Textilerzeugnisse). 764 D. v. Stetten-Jelling, Chodowiecki … (s. Anm. 685), S. 18 f. 765 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 207 – 213. 766 H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 158.

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ist auch bei den Wirtschaftshilfen eine Idealisierung nicht angebracht. Eine entsprechende Auswertung der von Hugo Rachel mitgeteilten Informationen wîrde zweifellos ein nicht sehr rosiges Gesamtbild fîr den Wirtschaftsraum Berlin-Potsdam-Spandau ergeben. Fîr die Berliner Textilmanufakturen, die nur „durch schrfste staatliche Protektion lebensfhig“ waren, gilt allgemein, daß ihre Produkte trotz aller Bemîhungen „an Gîte und in Preisen“ derart hinter den auslndischen zurîckblieben, daß der Schmuggel, durch den die vielen Einfuhrverbote umgangen wurden, blîhte. Nicht wenige Erzeugnisse konnten in Preußen ungeachtet der Hilfen aus Westeuropa bis ins 19. Jahrhundert gar nicht hergestellt werden. Eine der wenigen Ausnahmen bildete der (nicht aus Westeuropa stammende) Strumpffabrikant Hildebrand, der im Todesjahr Friedrichs II. nach Berlin kam und im folgenden Kapitel erwhnt werden muß.767 Da Porzellan-Arbeiter hufig als Geheimnistrger galten, gehçrten sie auch in Preußen zu den besonders gern angeworbenen Fachleuten. Schon 1712 erhielt der „Porcellain-Brenner“ Cornelius Funcke aus Holland ein Privileg auf 15 Jahre mit der Verpflichtung, noch „an 12 bis 20 Mann aus Holland“ zu besorgen. Obwohl Funcke seine Konzession nicht ausnutzte, lieferte seine Fabrik hollndischer Tabakpfeifen und die eines anderen Hollnders namens Gerhard Wolbeer „gute Arbeit, die in und außer Landes Absatz hatte“. 1753 fragte ein Porzellanmacher, der 15 Jahre in Meißen und Dresden gearbeitet hatte, beim preußischen Gesandten in Kopenhagen nach einer Beschftigung in Berlin. Wieder aus Westeuropa, nmlich aus London, kamen die „nçtigen Arbeiter“ fîr eine Porzellanfabrik in Breslau, die der Schlesien-Minister Hoym 1776 besorgen ließ.768 Besonders erfolgreich war Friedrich II. selbst, als er der von ihm îbernommenen KPM 1766 den franzçsischen Modelleur Tournau vermittelte.769 Zusammenfassend lßt sich feststellen, daß sich die friderizianische Kolonisation weniger auf Religionsflîchtlinge als vielmehr auf ausgesuchte Wirtschaftsfachkrfte stîtzte. Es vollzog sich in der friderizianischen Epoche „eine Einwanderung, die weniger merklich und ansehnlich, aber an Zahl kaum geringer war als jene frîhere Kolonisationswelle“.770 Seit den ersten Peuplierungsbemîhungen des Großen Kurfîrsten hatte sich fast eine Tradition gebildet: „Preußen wurde in Europa bekannt als toleranter Staat, welcher ohne 767 S. u. nach Anm. 980. 768 Alle Angaben bei K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 77, S. 99 – 101. Ergnzend zu Funcke: H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 201. 769 Arnulf Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers. Sozialgeschichte der Kçniglichen Porzellan-Manufaktur und der Kçniglichen Gesundheitsgeschirr-Manufaktur in Berlin 1763 – 1880 (= VerçffHistKommBerlin, 100), Berlin/New York 2002 (zugleich phil. Diss. FU Berlin 2000), S. 283. 770 H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 9.

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Rîcksicht auf Herkommen Fremde aufnahm und gute Bedingungen fîr sie bot.“771 5. Andere Kontakte zu Westeuropa (Niederlande und Spanien) Von den Niederlanden hielt Friedrich nicht viel.772 Seine Vorliebe fîr Frankreich ließ die seit dem Großen Kurfîrsten recht intensiven Beziehungen Brandenburg-Preußens zu Holland in den Hintergrund treten, ohne daß sie ganz aufgegeben wurden. Beispielsweise berief er 1775 den flmischen Bildhauer Jean Pierre Tassaert zum Direktor der Akademie der Kînste und machte ihn zum Leiter des kçniglichen Bildhauerateliers. Auch die Plne fîr „eine der umfangreichsten landschaftsgestaltenden Maßnahmen, die je auf preußischem Territorium durchgefîhrt wurden“, nmlich die Trockenlegung des Oderbruchs (1747 – 1753), stammten von einem Fachmann hollndischer Abstammung, Simon Leonhard von Haerlem, dem Enkel eines hollndischen Deichgrafen. Ob dieser 1746 zum Kriegs- und Domnenrat ernannte Oberdeichinspektor auch hollndische Arbeitskrfte heranzog, ist noch zu klren. Dagegen ist gesichert, daß der franzçsisch-stmmige Ingenieur Mahistre als Deichbau- und Kanalfachmann vertraglich gewonnen werden konnte. Auch in diesem Bereich war Preußen offensichtlich in starkem Maße auf westeuropische Unterstîtzung angewiesen.773 Die schon immer recht kleine Zahl von Preußen, die die Niederlande bereisten, ging in friderizianischer Zeit weiter zurîck – Folge der rigiden Reisepolitik des Preußenkçnigs, der vor allem îber Paßverweigerungen die Reisefreiheit einschrnkte.774 Bekannt sind nur die Reisen von Stephanus Schultze (1749), Christlob Mylius (1753), Rochus Friedrich Graf zu Lynar (1730/31; 1771), Friedrich August Alexander von Eversmann (1783), der auf Regie771 K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 92. 772 Die entsprechenden øußerungen in seinen Politischen Testamenten sind selbstverstndlich in erster Linie „politisch“ zu verstehen. Daß es etwa beim Kunstbereich anders aussah, zeigt die folgende Mitteilung Ursula Rçper / Simone Oelker / Astrid Reuter (Hg.), Preußens FrauenZimmer (= Katalogband zur gleichnamigen Ausstellung im Kloster Stift zum Heiligengrabe 2001), Berlin 2001, S. 96 f. 773 Vgl. dazu die neue Ergebnisse bringende Untersuchung von B. Herrmann, „Nun blîht es“ … (s. Anm. 475), passim. – Um die Mitwirkung von Hollndern an den anderen Meliorationsvorhaben Friedrichs festzustellen, sind weitere Quellenauswertungen erforderlich (R. Stadelmann, Friedrich … [s. Anm. 731], S. 50 – 65 mit den dazugehçrigen Quellen u. a.). 774 A. Chales de Beaulieu, Reisende … (s. Anm. 243), S. 46 f. (mit den Anm. 144 und 150). Ergnzende Informationen ebd., S. 259, S. 263, S. 268 und S. 271 f. (Kurzbiographien). Daß eine vom Hofbuchdrucker Decker geplante Reise in die Schweiz durch Kabinettsorder vom 20. 3. 1780 bewilligt werden mußte (Faksimile-Abdruck der KO bei C. Hinrichs, Allgegenwrtiger Kçnig … [s. Anm. 560], Anhang, Nr. 2) wirft ein bezeichnendes Licht auf die restriktive Reisepolitik Friedrichs.

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rungskosten reiste, und Georg Forster (1778), der 1776 Mitglied der Royal Society geworden war. Als Forster Humboldt auf seiner großen Westeuropareise begleitete, kam er 1790 ein zweites Mal in die Niederlande. Die sptere Preußenkçnigin Luise, die 1791 Holland besuchte, war damals noch Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz.775 Die Beziehungen zwischen Preußen und Spanien sind weitgehend unerforscht. Die wenigen vorhandenen Untersuchungen konzentrieren sich meist auf Friedrich II. und seine Zeit776 oder gehen auf das preußisch-spanische Verhltnis nur am Rande ein.777 Weitergehende Impulse fîr diese besondere Thematik bietet ein neues Sammelwerk, das mentalitts- und kulturgeschichtlich orientierte Aufstze enthlt, die Handelsbeziehungen aber vçllig unberîcksichtigt lßt.778 Im ganzen scheint das preußisch-spanische Verhltnis auch in Spannungszeiten relativ gut gewesen zu sein, da der mit einer schsischen Prinzessin verheiratete Karl III. fîr eine aufgeklrte Form des Absolutismus eintrat und die Leistungen Friedrichs in Verwaltung, Wirtschaft und Kultur anerkannte. Von George Keith, dem „Lord Marishal“, der vor seinem PreußenAufenthalt (seit 1747) in spanischen Diensten gestanden hatte, erfuhr Friedrich II. alles Wissenswerte îber Spanien. Beide wurden vom Grafen Fernn NfflÇez aufgesucht, der Ende der 60er Jahre in Berlin und Potsdam war.779 Begînstigt wurde die preußisch-spanische Annherung durch den Gesandtenaustausch von 1782. Wiederholte Besuche im preußischen Hauptquartier, eine wohlwollende Geschichtsschreibung (Calzada, Escart„n, Lûpez de Ayala) und einige Theaterstîcke (Comella) ließen teilweise so etwas wie einen Friedrich-Mythos entstehen.780 Da auch die Handelsverbindungen einigerma-

775 Der Besuch der Niederlande der 15jhrigen Luise (August/September 1791) war die einzige Westeuropa-Reise der spteren preußischen Kçnigin. Ihr auf dieser Reise verfaßtes Tagebuch ist noch nicht verçffentlicht. 776 Vgl. etwa die Arbeiten von H.-J. Lope, Iberische Staaten … (s. Anm. 717), S. 832 – 842; Ders., Zum Bild Friedrichs des Großen im Spanien des 18. Jahrhunderts, in: Jîrgen Ziechmann (Hg.), Fridericianische Miniaturen, 1, Bremen 1988, S. 159 – 170. 777 In dem Band von Hans Juretschke (Hg.), Zum Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklrung. Eine historische ˜bersicht (= Spanische Forschungen der Gçrresgesellschaft, Reihe 2, 33), Mînster 1997, werden als preußische Spanienkenner nur die Gebr. Humboldt in einem Aufsatz gewîrdigt. 778 Hans-Joachim Lope (Hg.), Federico II de Prusia y los EspaÇoles (= Studien und Dokumente zur Geschichte der Romanischen Literaturen, 41), Frankfurt am Main u. a. 2000. 779 Dietrich Briesemeister, Un informe anûnimo espaÇol sobre Prusia en tiempos de la Guerra de los Siete AÇos, in: ebd., S. 29 – 38, hier S. 30, Anm. 3. 780 Maria Angulo Egea, La recepciûn en EspaÇa de la imagen de Federico II – Prensa, biograf„as y teatro, in: ebd., S. 1 – 27.

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ßen funktionierten,781 scheint sich das spanisch-preußische Verhltnis im großen und ganzen in ruhigen Bahnen bewegt zu haben. 6. Preußisch-westeuropische Handelsbeziehungen Die vom friderizianischen Staat monopolisierten Produkte Tabak und Kaffee verweisen auf einen Bereich, der ebenfalls wenig erforscht ist. Auch hier fehlt es an Monographien lteren und neueren Datums, die etwa der detaillierten Untersuchung von Prosper Boissonnade îber den brandenburgisch-franzçsischen Handel in der Zeit Ludwigs XIV. vergleichbar sind. Einen materialreichen Ausgangspunkt fîr derartige Forschungen aus preußischer Sicht bildet zwar die Dokumentation von Hugo Rachel, doch sind dem Handel mit Westeuropa dort weniger als 50 Seiten – von fast 1.500 – gewidmet.782 Ein methodisches Problem liegt darin, daß vor allem auslndische Studien hufig die „englisch-deutschen“ oder „franzçsisch-deutschen“ Handelsverbindungen betreffen. Diese Untersuchungen bleiben oft unbefriedigend, weil sie dem grundstzlichen Problem der politischen und wirtschaftlichen Zersplitterung des deutschen Gebietes nicht genîgend Rechnung tragen.783 Dementsprechend ist von „Preußen“ kaum einmal die Rede, meist hçrt die geographisch-politische Przision bei der Erwhnung der Hafenstdte auf, wobei hufig nur „der Norden“, „Nordeuropa“ oder der „hanseatische Raum“ genannt wird. Gestîtzt auf die in Frankreich bis heute îbliche Bezeichnung wurde selbst in einer neueren deutschen Darstellung der betreffende Handelsraum nur „Le Nord“ genannt.784 Eine andere Schwierigkeit zeigt ein unlngst erschienener Aufsatz, der die Einfuhr von Holz zum Schiffbau aus den „ports allemands de la mer Baltique“ 781 S. u. S. 783. 782 S. Anm. 708. Einige Ergnzungen finden sich in einem anderen Acta-Borussica-Band: Wilhelm Naude / August Skalweit / Gustav Schmoller (Hg.), Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung Preußens 1740 – 1756 (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. Die einzelnen Gebiete der Verwaltung: Getreidehandelspolitik, 3), Berlin 1910, 1. Buch, IV/3, S. 154 – 169. 783 Z. B. Jean Meyer, Marchands et n¤gociants allemands dans la France de l’Ouest au XVIIe et XVIIIe siºcles, in: Ãtudes germaniques 37 (1982), S. 187 – 210. Ein Beispiel aus der deutschen Historiographie ist – trotz des zu viel versprechenden Titels – die Studie von Peter Hçfer, Deutsch-franzçsische Handelsbeziehungen im 18. Jahrhundert. Die Firma Breton frºres in Nantes (1763 – 1766) (= Beitrge zur Wirtschaftsgeschichte, 18), Stuttgart 1982, in der auch Stdte in Preußen behandelt werden. – Vgl. jetzt die Studie von Rolf Straubel, Die Handelsstdte Kçnigsberg und Memel in friderizianischer Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des ost- und gesamtpreußischen „Commerciums“ sowie seiner sozialen Trger (1763 – 1806/15), (= Bibliothek der brandenburgischen und preußischen Geschichte), Berlin 2003, mit zahlreichen westeuropischen Bezîgen. 784 Zu dem methodischen Problem s. u. S. 786.

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Tabelle 6: Wert der aus Frankreich importierten Waren 1789 (in Millionen livres) Zielland Hamburg: Andere Hansestdte: Preußen:

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Quelle: K. Fuchs, Wirtschaftsbeziehungen … (s. u. Anm. 787), S. 136.

durch den Zusatz „surtout des chÞnes (ceux de Prusse sont particuliºrement demand¤s)“ ergnzt, aber auf jede weitere Erwhnung dieses Landes verzichtet.785 øhnlich vage ist die Mitteilung, daß „le Nord“ seinen Anteil an dem von Bordeaux ausgehenden Handel im 18. Jahrhundert auf 40 Prozent steigern konnte; whrend Amsterdam nach wie vor Hauptumschlagplatz fîr Zucker blieb, stand Hamburg beim Kaffee an erster Stelle786 – daß von dort ein Großteil nach Preußen gebracht wurde, steht außer Frage. Obwohl genauere Angaben selten sind, lassen sich einige Hinweise auf die Grçßenordnung geben (Tabelle 6): Da die genannten Handelspltze zugleich Waren im Wert von etwa 30 Millionen livres (Holz, Leinwand, Hanf, Getreide u. a.) nach Frankreich exportierten (1789), muß es einen ußerst regen Schiffsverkehr auch zwischen Preußen und Frankreich gegeben haben.787 Die auch von Friedrich als wichtigstes Exportprodukt sehr geschtzte schlesische Leinwand bildete die „Krone“ des preußischen Außenhandels; 1785/ 1786 produzierten die 26.369 schlesischen Leinwebstîhle Exportware fîr 7,5 Millionen Rtlr., die im allgemeinen zur Hlfte nach England, Spanien und Westindien, zu einem Drittel nach Frankreich und Portugal und zu je einem Zehntel nach Italien sowie nach Polen und ins Reich ging.788 Grundstzlich kann man sagen, daß der Handel Preußens mit den westeuropischen Lndern nicht in preußischen Hnden lag. Es war schon eine Ausnahme, wenn die Firma Ephraim & Sçhne, wie sie im Dezember 1764 785 Jean Meyer, N¤gociants allemands en France et n¤gociants franÅais en Allemagne au XVIIIe siºcle, in: J. Mondot / J.-M. Valentin / J. Voss, Deutsche in Frankreich … (s. Anm. 667), S. 101 – 119, hier S. 105. 786 Jean-Pierre Poussou, Commerce, in: Lucien Bely (Hg.), Dictionnaire de l’Ancien R¤gime. Royaume de France. XVIe-XVIIIe siºcle, Paris 1996, S. 293. 787 Die Zahlen nach Konrad Fuchs, Franzçsisch-deutsche Wirtschaftsbeziehungen whrend des Mittelalters und der Neuzeit. Dargestellt an ausgewhlten Beispielen, in: Frankreich und Deutschland. Zur Geschichte einer produktiven Nachbarschaft, Hannover/Bonn 1986, S. 144 – 165, hier S. 136, Wiederabdruck in: Ders., Ausgewhlte Aufstze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Zum 65. Geburtstag, hg. von Winfried Baumgart / Wolfgang Elz, Frankfurt am Main u. a. 1993, S. 17 – 36. 788 H. Rachel, Handelspolitik … (s. Anm. 708), 3/1, S. 571 – 573.

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berichtet, einige Schiffe gekauft und „mit Waren von Stettin nach Frankreich“ gesandt haben soll.789 Friedrich selbst betonte 1768, daß sich sein Staat „bezîglich unseres Handels niemals mit den Hollndern, Englndern, Franzosen und Spaniern“ vergleichen dîrfe, die sich auf diesem Gebiet „aller guten Posten bemchtigt“ htten. Da Preußen im îbrigen „eine Kontinentalmacht“ sei, brauche es zwar eine gute Armee, aber keine Flotte.790 Trotzdem bemîhte man sich in der Folgezeit mit Erfolg um Schiffsbau und Fernreederei; in seinem Bericht vor der Akademie (27. 1. 1785) erwhnte der Minister Hertzberg, daß Preußen nunmehr 1.200 Schiffe besitze und „der grçßte Teil des Handels […] auf eigenen Schiffen“ erfolge.791 Bis in die zweite Hlfte des 18. Jahrhunderts wurde der europische Warenaustausch durch den merkantilistischen Grundsatz erschwert, mçglichst keine Fertigwaren einzufîhren, da – im Extremfall – die exportwilligen Lnder fîr ihre Produkte keine Abnehmer fanden.792 Mit diesem Argument ließ Choiseul 1769 die Verhandlungen îber einen Handelsvertrag mit Preußen scheitern.793 Das westeuropische Land, mit dem Preußen den geringsten Warenaustausch hatte, war Portugal, obwohl der von Friedrich bevorzugte Wein, der Malvasier, aus diesem Land kam.794 Die fremden Zwischenhndler brachten schlesische Leinwand, Tîcher und Holz dorthin sowie Wein, Olivençl, Sîdfrîchte (Zitronen), Brasilholz, Rohzucker (aus Brasilien) und andere Kolonialwaren zurîck. Merkantilistische Prinzipien behinderten zudem den Absatz „der hier verbotenen portugiesischen Waren“. Das portugiesische Salz galt als zu teuer; da der Kaffee billiger als der franzçsische war, versuchte Friedrich, die Regie dafîr zu interessieren. Mit der Zahlungsmoral soll es nicht immer zum besten gestanden haben. Bemîhungen um einen Handelsvertrag gab es – ohne Erfolg – in den 50er und 60er Jahren; zu Beginn der 80er Jahre wurden sie wieder aufgenommen, doch der Kçnig selbst fragte sich, ob durch den Direkthandel dem Commerce der einheimischen Kaufleute, die „auswrtige con789 H. Schnee, Hoffinanz … (s. Anm. 523), S. 150. 790 R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 488 f. 791 Nach dem Bericht des spanischen Gesandten in Berlin, vgl. Franzisco Agramonte, Friedrich der Große. Die letzten Lebensjahre, Berlin 1928, hier S. 18. 792 Zur merkantilistischen Lehre vgl. I. Mieck, Wirtschaft und Gesellschaft … (s. Anm. 330), S. 144. 793 Vgl. H. W. Reinherz, Beziehungen … (s. Anm. 606), S. 33 f. Frankreich wollte mçglichst wenig schlesisches Leinen importieren, weil man den Bedarf im eigenen Land (Bretagne) erzeugen konnte. 794 Die folgenden Angaben stammen aus R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 291, S. 301, S. 491 – 493, S. 637 und S. 649; H. Rachel, Handelspolitik … (s. Anm. 708), 3/2, S. 571 – 614; William O. Henderson, § 73 b: Der Außenhandel Preußens, in: J. Ziechmann (Hg.), Panorama … (s. Anm. 9), S. 666 f.; F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 133, S. 181 – 198.

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naissances“ haben und mit ihnen gut zusammenarbeiten, „nicht einiger Nachteil zuwachsen“ kçnne. Aus Spanien und seinen Kolonien bezog Preußen in den 60er Jahren vor allem Metalle, Farbwaren, Zucker, Kaffee, Kakao, Hute, Wolle, Wein, §l und Frîchte. Besonders geschtzt wurden Weine aus Malaga; Friedrich selbst bevorzugte Tabak aus Spanien gegenîber dem aus Virginia,795 was „dem Ketzerkçnig aus dem Norden“ eine betrchtliche Popularitt auf der Pyrenenhalbinsel verschaffte.796 Die Gegenlieferungen bestanden in Stabholz, etwas Getreide und großen Mengen schlesischer Leinwand, die hauptschlich nach Westindien verschifft wurden. Weil das hufig als Kommissionsgeschft geschah, hatten die Exporteure wiederholt „Zeitverluste, Risico und oft große Geldverluste“ zu tragen. Vor allem wegen der Verbesserung der Handelsbeziehungen war seit 1782 ein preußischer Gesandter in Madrid ttig.797 Auch mit Spanien verhandelte Preußen seit 1749/50 und wieder in den 60er Jahren îber einen Handelsvertrag, doch vergeblich. Da Friedrich die spanischen Importe offensichtlich schtzte, ließ er 1771 einen Plan entwerfen „zum Etablissement einer Handlungs-Compagnie und eines Handlungshauses zu Cadix“, wo es schon einen preußischen Konsul gab. Finanzielle Probleme verzçgerten das Projekt; erst die Seehandlung hat 1774 den Direkthandel mit Cadix (Schlesische Leinwand hin, Salz zurîck) – genau wie mit Lissabon – erçffnet. Obwohl der Absatz der preußischen Leinen- und Wollwaren in den 80er Jahren florierte,798 ist es zu keinem Handelsvertrag mit Spanien gekommen.799 Insgesamt blieben die preußisch-spanischen Wirtschaftsbeziehungen trotz beiderseitigen Interesses recht unbefriedigend. Den intensivsten Warenaustausch gab es aus traditionellen und geographischen Grînden mit Frankreich, auch wenn der Handel etwa bis zur Mitte des Jahrhunderts fast ausschließlich îber Hollnder lief. Preußische und franzçsische Schiffe waren zwar nur begrenzt am direkten Handel beteiligt, andererseits 795 Vgl. R. Konetzke, Berlin … (s. Anm. 646), S. 165 – 69. 796 H.-J. Lope, Iberische Staaten … (s. Anm. 717), S. 833. 797 Als in Preußen kein geeigneter Katholik aufzutreiben war, entschied sich der Kçnig fîr den Grafen Nostitz, der aber wegen Unfhigkeit schon 1784 durch Sandoz de Rollin ersetzt wurde. Die spanischen Gesandten waren Simûn de las Casas (1782 – 84), Bermudez Azanza (1785) und der Graf Guemes (1785 – 86). Reichhaltige Informationen, nicht nur zu den spanisch-preußischen Beziehungen, aus der Sptzeit Friedrichs, enthlt die sehr quellennahe Untersuchung von F. Agramonte, Friedrich … (s. Anm. 791), passim. 798 Jhrlich ging schlesisches Leinen fîr etwa 5 Millionen Piaster nach Spanien (ebd., S. 183). Es gab zumindest zwei Leinenhndler, die ihre Geschfte von Landshut und Breslau aus direkt abwickelten (Hermann Kellenbenz, Deutschland und Spanien, in: Ders., Europa. Raum wirtschaftlicher Begegnung [= Kleine Schriften, 1] [Beihefte zur VjschrSozialWirtschG, 92], Stuttgart 1991, S. 306). 799 Vgl. dazu F. Agramonte, Friedrich … (s. Anm. 791), S. 175 – 183.

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darf ihre Zahl auch nicht zu niedrig angenommen werden, betonte man doch in Nantes 1774 die „relation directe de commerce“ zwischen der Stadt und den preußischen Hfen und fîgte hinzu, daß sich auch „fr¤quemment des navires prussiens“ unter den Schiffen befnden, die aus Memel, Kçnigsberg und Stettin mit Getreide, Holz und Leinwand kmen und als Rîckfracht „vin, eau-de-vie, sucre et siropes, melasses, caff¤s et indigos“ luden.800 In einer dem Kçnig îbergebenen Denkschrift vom 30. 8. 1746 bat der Berliner Unternehmer Splitgerber dringend darum, mit Frankreich wegen Zollvergînstigungen in Verhandlungen einzutreten. Auf die Demarchen des Gesandten Le Chambrier in Paris empfahl der Minister d’Argenson den Abschluß eines Handelsvertrages. Nach langen Verhandlungen wurde 1753 eine Konvention vereinbart, die dem Direkthandel mit Frankreich die Meistbegînstigung – und damit die Befreiung von dem sehr drîckenden „Tonnengeld“ – zugestand.801 Viele Einzelheiten sind îber den Westeuropa-Handel der damals von Splitgerber geleiteten Firma Gebr. Schickler, die ein europaweites Renommee hatte und in Berlin drei Zuckersiedereien betrieb (Monopol fîr fast ganz Preußen!), bekannt. „Durch das Zuckerunternehmen hat sich auch das îberseeische Geschft, namentlich mit Frankreich und den Pyrenenlndern, erheblich ausgeweitet.“802 Ein anderes franzçsisches Exportgut war die Rohseide. Wegen der dîrftigen Ergebnisse des einheimischen Seidenbaus waren die seidenverarbeitenden Betriebe Preußens auf fremde Rohseide, die vor allem aus Frankreich (Rhúne-Tal) und Italien geliefert wurde, dringend angewiesen. Ganz sicher kamen fîr den Transport nach Preußen die Atlantikhfen kaum in Betracht, aber der Handelsweg, den die Rohseide nahm, ist nicht bekannt. Daß sich fîr diese und andere Forschungen noch ein weites Feld çffnet, zeigt ein Aktenstîck, das Markus Denzel im Geheimen Staatsarchiv Berlin entdeckt hat: „Liste des navires prussiens qui sont venus dans les ports de Nantes, Croisic, Lorient et Port-Louis, Brest, Saint-Malo et Morlaix pendant la Navigation de l’ann¤e 1789.“803 Wenn zurîckgekehrte hugenottische Kaufleute in der Mitte des 18. Jahrhunderts in manchen franzçsischen Atlantikhfen eine wichtige Rolle gespielt haben sollen, wren natîrlich einige Beispiele willkommen; zu klren wre auch, wie viele Preußen eigentlich zu der wirtschaftlich 800 Markus A. Denzel, Der Preiskurant des Handelshauses Pelloutier & Cie aus Nantes (1763 – 1793) (= Beitrge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 73), Stuttgart 1997, S. 26. 801 Friedrich Lenz / Otto Unholtz, Die Geschichte des Bankhauses Gebrîder Schickler. Festschrift zum 200jhrigen Bestehen, Berlin 1912, S. 76 – 80. 802 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 337), 2, S. 216 – 221, das Zitat: S. 217. 803 M. A. Denzel, Preiskurant … (s. Anm. 784), S. 16, Anm. 13.

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starken colonie allemande in Bordeaux gehçrt haben.804 Kaum untersucht ist bisher die Geschichte der konsularischen Beziehungen; man weiß nur, daß in manchen Hafenstdten ein preußischer Konsul existierte (Sºte 1747, Nantes 1751, Bayonne 1799805). 1759 soll es vier, 1789 sechzehn preußische Konsuln in Frankreich gegeben haben.806 In Bordeaux war in den 80er Jahren Jacques Henri (Jakob Heinrich) Wustenberg (Wîstenberg), ein Pfarrerssohn aus Stettin, als preußischer Vizekonsul ttig, whrend der Konsul, Jean Georges (Johann Georg) Streckeisen, aus Basel stammte. Neben diesen beiden erschien in einer amtlichen Liste vom 3. 3. 1797 noch Thierry Charles Hesse als „agent consulaire de Prusse“.807 Die zu den ersten Husern Berlins zhlende Firma der Gebr. Schickler unterhielt îber Generationen gute Verbindungen zum Bankier Streckeisen; 1783 und 1788 heirateten dessen Tçchter David Berendes und Johann Ernst Schickler, der 1801 in Bordeaux starb. Andere Geschftspartner Schicklers in Westeuropa waren die Gebr. Lienau & Co. in Bordeaux, das große Handelshaus von Pelloutier in Nantes, Tourton & Ravel und Thellusson Necker & Co. in Paris sowie viele Firmen in London und Amsterdam.808 Zu den in Bordeaux ansssigen Kaufleuten, die aus Preußen kamen und dort in die oberen Schichten aufstiegen, gehçrten auch der „n¤gociant-commissionaire“ Jean Thomas Bahr und der 1773 in Magdeburg geborene Charles (Karl) Klipsch, der 1803 mit dem Mecklenburger Christian Gaden (* 1777) eine gemeinsame Weinhandlung in Bordeaux grîndete. 1802/03 suchte Gaden die preußischen Hafenstdte Stettin, Danzig, Elbing und Kçnigsberg auf, um Kontakte zu knîpfen und Bestellungen entgegenzunehmen.809 804 Michel Espagne, Les Allemands de Bordeaux au XVIIIe siºcle, in: J. Mondot / J.-M. Valentin / J. Voss, Deutsche in Frankreich … (s. Anm. 667), S. 297 – 312, und Alfred Leroux, La colonie germanique de Bordeaux, 2 Bde., Bordeaux 1918/1920, gehen auf diese Frage nicht ein. Auch hier gelten die grundstzlichen Bemerkungen (§ 1 I 2). 805 Er hieß Bardewisch. 806 Mitgeteilt von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85). S. 416. 807 Michel Espagne, Le voyage de Wilhelm von Humboldt ” Bordeaux et dans le SudOuest de la France, in: Jean Mondot / Catherine Larrere (Hg.), Lumiºres et commerce. L’exemple bordelais (= Collection Contacts II, 28), Bern u. a. 2000, S. 127 – 145, hier S. 133; Ders., Bordeaux – Baltique. La pr¤sence culturelle allemande ” Bordeaux aux XVIIIe et XIXe siºcles, Bordeaux 1991, S. 91. 808 F. Lenz / O. Unholtz, Geschichte … (s. Anm. 801), S. 118 f., S. 149 – 152, S. 187, S. 199. Aufschlußreich ist die tabellarische ˜bersicht des Umsatzes von 1765 bis 1786 mit drei Husern in Paris, Amsterdam und Frankfurt am Main (ebd. S. 152 f.). 809 Einzelheiten îber die Reise und die Wein-Bestellungen (in Stettin, Danzig, Elbing) bei M. Espagne, Transferts … (s. Anm. 31), S. 102 – 108. „Les restrictions apport¤es ” la circulation maritime par la politique napol¤onienne“ haben den lebhaften Handel zwischen Bordeaux und den preußischen Hfen (Wein, Kolonialwaren) spter allerdings erheblich behindert.

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Daniel Christoph Meyer stammte zwar auch aus Preußen (* 1751 in Magdeburg), doch erfuhr er seine Ausbildung in Hamburg. Anfang der 70er Jahre ging er nach Bordeaux, wurde angesehener Weinhndler und 1797 Hamburger Generalkonsul. Bei allen preußischen und nichtpreußischen Kaufleuten spielten Heiratsverbindungen eine wichtige Rolle fîr den sozialen Aufstieg.810 Auch familire Kontakte anderer Art waren mitunter hilfreich:811 Jean Ulric Pelloutier, seit 1772 preußischer Konsul in Nantes, war der Neffe des Berliner Akademie-Mitgliedes Simon Pelloutier.812 1779 reiste er in die preußische Hauptstadt, um den Kçnig – ohne Erfolg – fîr das Projekt einer direkten Handelsverbindung zu China zu gewinnen.813 Aus Frankreich eingefîhrt wurden, neben dem bekannten Meersalz von der Atlantikkîste, das man jetzt „Boysalz“ nannte, Wein (auch Champagner), Branntwein, Seidenwaren, Olivençl, Gewîrze und andere Kolonialwaren. Franzçsischer Zucker, meist in Hamburgs îber 350 Siedereien weiterverarbeitet, soll besser als der hollndische und billiger als der englische gewesen sein. Der Kaufmann Jacobi in Kçnigsberg bezog 1751/53 Kaffee aus Martinique, „Bourbon-Caffee“ von der Insel Bourbon (heute R¤union), Kartoffeln814 aus Holland, Tee aus England und Butter aus dem irischen Cork. Exportgîter waren Weizen und Roggen (außer in Notzeiten), verschiedene Hanfsorten, Flachs, Leinsamen, Holz, Wachs, Borsten, Bernstein(korallen) und in spteren Jahren Luxusartikel wie Seidenstoffe aus Krefeld und Porzellan aus Berlin. Jacobi verkaufte auch russischen Kaviar nach Westeuropa. Ob Frankreich, wie im Politischen Testament angedeutet, auch in Stettin gebaute Schiffe abnahm, erscheint eher fraglich. Daß Berlin als Residenzstadt und Verwaltungsschwerpunkt ein Zentrum franzçsischer Konsumtionsgewohnheiten war,815 ist kîrzlich eindrucksvoll besttigt worden; zugleich konnte durch die Auswertung einer in den spten 40er 810 (1) Michel Espagne, Bordeaux – Baltique … (s. Anm. 807), S. 39; (2) Ders., La colonie allemande ” Bordeaux ” la fin du XVIIIe siºcle, in: Jean Mondot / Alain Ruiz (Hg.), Interf¤rences franco-allemandes et R¤volution franÅaise, Bordeaux 1994, S. 13 – 37, hier S. 31; (3) Ders., Les Allemands de Bordeaux au d¤but du XIXe siºcle. L’exemple des familles Gaden, Meyer, Klipsch, in: G. Merlio / N. Pelletier, Hçlderlin … (s. Anm. 22), S. 53 – 77, hier S. 57 – 59, S. 64 – 67, S. 70 – 73; (4) Ders., Transferts … (s. Anm. 31), passim; (5) Alain Ruiz, La pr¤sence germanique ” Bordeaux en 1804, in: ebd., S. 155 – 185, hier S. 168. 811 Ob es den Weinhandel gefçrdert hat, daß die Schwester von Karl Klipsch „l’¤pouse du pr¤sident du S¤nat de Berlin“ (??) war (s. Anm. 810 [3], S. 67, und [4], S. 110), ist nicht îberliefert. 812 S. o. bei Anm. 669. 813 M. A. Denzel, Preiskurant … (s. Anm. 784), S. 32. Eine Stammtafel der Familie Pelloutier ebd., S. 22. 814 Zur Kartoffelfrage s. u. S. 642. 815 Vgl. z. B. H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), passim.

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Jahren vorgenommenen Untersuchung nachgewiesen werden, daß Frankreich – „jenseits franzçsischer und halbfranzçsischer Schriftkultur jedweden Niveaus“ – vielerorts in der Mark Brandenburg „prsent und lebendig“ war.816 Die in fast allen Fllen „mediate“, also indirekt îber Hfen (Hamburg, Lîbeck, Rostock, Wismar) oder Handelspltze (Leipzig, beide Frankfurt, Braunschweig) eingefîhrten franzçsischen Waren umfaßten neben den „klassischen“ Importprodukten wie Wein, Branntwein, „Moscabade“ (= Rohzucker) und den vielen fîr die Textilbearbeitung bençtigten Farbwaren (Zinnober, Indigo, Orleans [= gelbroter Farbstoff ] u. a.) mitunter auch Damast, feinere Textilwaren (Seidengewebe), schwere Stoffe (Brokat), Gold- und Silberband, franzçsischen Sirup und Konfitîren. Es kann also als erwiesen gelten, daß – neben Berlin auch große Teile der binnenlndischen Regionen der Kurmark Marktbeziehungen zu Frankreich unterhielten. Dabei war die Handelsbilanz chronisch passiv, weil Frankreich weniger an den preußischen Manufakturwaren als vielmehr an Schiffs- und Stabholz interessiert war. Als einzige haben die Kaufleute in Stettin „immediate“ mit Frankreich Handel getrieben.817 Um die Jahrhundertmitte fuhren die Stettiner Schiffe (1756: 65) zweimal im Jahr nach Bordeaux und kehrten beladen mit Sîdfrîchten, Ingwer, Indigo, Kaffee, §l, Branntwein, Wein, Uhren und Galanteriewaren zurîck.818 Deshalb begrîßten sie auch die seit 1743 laufenden Bemîhungen um einen Handelsvertrag. Dagegen war fîr die Kçnigsberger (1747: 26 Schiffe), die mit den privilegierten hollndischen Zwischenhndlern zusammenarbeiteten, der Handel „durch die zweite Hand […] weit avantageuser“. Dennoch îberwog das gesamtstaatliche Interesse; in der Hoffnung auf eine sptere, umfassendere Vereinbarung wurde am 14. Februar 1753 die „Convention pr¤liminaire et provisoire“ unterzeichnet, die den beiderseitigen Untertanen freien Handelsverkehr zu Wasser und zu Lande zusicherte.819 Da der Vertrag fîr Paris „von nur sehr geringem Vorteil“ war,820 kam er vor allem Preußen zugute, das einen neuen Markt fîr schlesische Leinwand und fîr 816 Vgl. Wolfgang Neugebauer, Frankreich in der Mark um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Betrachtungen zu den Marktbeziehungen von Land und Residenz, in: Ursula Fuhrich-Grubert / Angelus H. Johansen (Hg.), Schlaglichter. Preußen – Westeuropa. Festschrift fîr Ilja Mieck zum 65. Geburtstag (= Berliner Historische Studien, 25), Berlin 1997, S. 319 – 334. Danach die folgenden Angaben. 817 Aus Rathenow ist allerdings eine Stabholz-Lieferung (mit Wein als Rîckfracht) direkt nach Bordeaux bezeugt, whrend ein Wirt aus Gardelegen „allerhand franzçsische Weine, auch Franz Branntwein immediate aus Bordeaux“ bezog, seine Zahlungen aber îber Hamburg abwickelte (ebd., S. 327, Anm. 26). 818 W. Naude / A. Skalweit / G. Schmoller, Getreidehandelspolitik … (s. Anm. 782), S. 165. 819 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 40, S. 49 – 54. Artikel IV enthlt die Meistbegînstigungsklausel. 820 H. W. Reinherz, Beziehungen … (s. Anm. 606), S. 5.

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Wachs und Holz zu finden hoffte. Die Rechnung ging auf: Die franzçsischen Atlantikhfen exportierten lieber schlesisches Leinen nach ˜bersee als bretonisches, weil es billiger war. Daß der auf zehn Jahre geschlossene Vertrag nicht hielt, was sich Friedrich davon versprochen hatte, hing mit der seit 1756 grîndlich vernderten politischen Situation zusammen. Dennoch wurde der Handel offensichtlich sofort nach dem Krieg wieder aufgenommen, wie ein in Nantes aufbewahrtes Konvolut von 565 Briefen, die im Dezember 1763 einsetzen, zeigt. Das Handelshaus Breton frºres in Nantes, das auch Kunden in Berlin, Magdeburg und Breslau hatte, versandte Kaffee, Tee, Zucker, Indigo, Ocker, Ochsenhute, Kalbs- und Hirschfelle, Pelze, Wein, Branntwein und franzçsischen Honig îber Amsterdam bis nach Hamburg, Altona oder Bremen.821 Den weiteren Transport mußten lokale Kaufleute îbernehmen. Aus dem Jahre 1764 sind einige Bestellungen aus Berlin bekannt, eine fîr 2.000 Pfd. feinen Martinique-Kaffee zu 16 Sous/Pfd., eine andere fîr 50 - 80 Dutzend brauner Kalbsfelle, der im folgenden Jahr eine weitere îber „100 halbe Hute fîr Sohlleder und 50 bis 100 Dutzend Kalbsfelle“ folgte. Man sieht an diesen Beispielen, daß auch unterhalb der großen Warenstrçme eine Menge franzçsischer und anderer westeuropischer Artikel nach Preußen gelangt sein mîssen, wissen wir doch von einem Kaufmann aus Bremen, was er aus London im allgemeinen bezog: Tabak, Reis, Pfeffer, Ingwer, Baumwolle, Indigo, Kaffee und Zinn. Das gleiche Handelshaus registrierte vom Mai 1764 bis zum Mai 1765 folgende Schiffsankînfte aus Westeuropa: Amsterdam (6; Kandis, §l, Tran), Bordeaux (4; Wein, Kaffee), London (2; Tabak), Cork (2; Butter), Limerick (1; Butter), Mlaga (1; Wein).822 Kein Zweifel, daß viele dieser Waren den weiteren Weg nach Preußen genommen haben dîrften, um – wie eben erçrtert – auch die binnenlndischen Regionen mit Kolonialwaren zu versorgen. Als Frankreich nach dem Debakel des Siebenjhrigen Krieges um den ehemaligen Bîndnispartner warb, wollte Choiseul den Preußenkçnig mit einem neuen Handelsvertrag kçdern, obwohl er ernsthaft nicht daran interessiert war. Tatschlich gelang es, den preußischen Vertreter Meny so zu tuschen, daß Friedrich, der Meny am 9. Juni 1768 in Wesel getroffen hatte, in seinem Politischen Testament von 1768 sehr optimistisch von dem bevorstehenden „sehr gînstigen Handelsvertrag“ sprach.823 Als sich das trotz der wieder aufgenommenen diplomatischen Beziehungen 1769 als illusorisch erwies, dachte er kurzzeitig daran, diese wieder abzubrechen.824 821 822 823 824

Vgl. P. Hçfer, Handelsbeziehungen … (s. Anm. 783), S. 25 – 31. Ebd., S. 202 f. (Berlin), S. 57 (London) und S. 56 (Westeuropa). R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 490 f., S. 648 f. Darîber orientiert H. W. Reinherz, Beziehungen … (s. Anm. 606), S. 22 – 34.

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Tabelle 7: Empfangsgebiete der Exporte aus Bordeaux im 18. Jahrhundert (in Prozent) 1717-1721 1728-1730 1751-1753 1764-1766 1775-1777

Niederlande

„Nord“

England

53 46 24 21 32

10 18 44 51 50

16 11 11 7 2

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach F. Crouzet, Commerce … (s. Anm. 826), S. 256.

Trotz dieser Querelen erhçhte sich der direkte Warenaustausch Preußens mit Bordeaux in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts betrchtlich, weil auch der handelspolitische Schwung der Hollnder erlahmte. Die wichtigsten Empfangsregionen der Exporte aus Bordeaux zeigt Tabelle 7: Von diesem handelspolitischen Aufschwung zugunsten des „Nordens“ profitierte auch Preußen. Stettin, „qui devint un important march¤ des denr¤es coloniales“, îberflîgelte als Zielhafen sogar Lîbeck und Danzig. 89 von 140 Schiffen (= 63 Prozent), die 1784 in den Ostseeraum entsandt wurden, „se dirigeaient vers les ports prussiens et allemands“.825 Von 1780 bis 1791 entsandte Bordeaux im Jahresdurchschnitt 71 Schiffe nach Preußen (= 11 Prozent der Gesamtmenge), davon 41 nach Stettin und 18 nach Kçnigsberg.826 Um 1786 soll Preußen fîr die ausnahmslos îber Westeuropa gelieferten Importgîter folgende Betrge ausgegeben haben: Zucker 2 Millionen, Kaffee und Tee 1,8 Millionen und Wein 1,8 Millionen Taler.827 Der Wechsel seiner politischen Prferenzen nderte nichts an Friedrichs ˜berzeugung, in Handelsfragen franzçsische Fachleute heranziehen zu sollen. War schon die Errichtung der „Asiatischen Handelskompanie“ 1747 in Emden durch Franzosen angeregt worden,828 so waren es ebenfalls „franzçsische Kaufleute“, die 1768 in derselben Stadt eine Ostindienkompanie grînden wollten, von der Friedrich viel erhoffte; insbesondere sollte sie die preußische Ausfuhr von Tuchen, Wollstoffen, Bernstein, Leinen und Porzellan erweitern. Auch bei 825 Hier wird wieder das methodische Problem deutlich, auf das wiederholt hingewiesen wurde. 826 FranÅois Crouzet, Le commerce de Bordeaux, in: FranÅois-Georges Pariset (Hg.), Bordeaux au XVIIIe siºcle (= Histoire de Bordeaux, 5), Bordeaux 1968, S. 256 – 260. 827 Wolfgang Zorn, Gewerbe und Handel 1648 – 1800, in: Hermann Aubin / Ders. (Hg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 1, Stuttgart 1971, S. 568. Nach Waren und Wert differenzierte Handelsstatistiken finden sich bei H. Rachel, Handelspolitik … (s. Anm. 708), 3/1, S. 510 – 521. 828 Vgl. Karl-Heinz Bokeloh, Emder Wirtschaftsgeschichte 1744 – 1806. Preußischer Absolutismus der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts in einer Randprovinz, Tîbingen 1984, S. 63 – 83. In anderen Arbeiten wird das Grîndungsjahr 1750 genannt.

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der Grîndung der Kgl. Seehandlung am 14. Oktober 1772 ließ sich Friedrich durch den Franzosen de Lattre beraten.829 Neben anderen Aufgaben wurde ihr der Ankauf von Kaffee und Tabak fîr die kçnigliche Monopolverwaltung îbertragen. Durch Preisgestaltung und gînstige Konditionen beherrschten die hollndischen Zwischenhndler nicht nur den Ostseehandel im allgemeinen, auch der preußisch-franzçsische Handel lag, besonders in der ersten Jahrhunderthlfte, zum guten Teil in ihren Hnden. Einige der hollndischen Zwischenhndler verkauften aus Preußen stammende Produkte auch im eigenen Land. Dazu gehçrte Getreide aus Magdeburg und Kleve, das auch Holz dorthin lieferte.830 Insgesamt bedîrfen die preußisch-niederlndischen Handelsbeziehungen im 18. Jahrhundert noch der Erforschung. Von jeher spielten die Englnder im preußisch-westeuropischen Warenaustausch als Zwischenhndler eine gewisse Rolle; einige waren auch als Kaufleute in preußischen Hafenstdten ansssig wie beispielsweise – seit Generationen – in Kçnigsberg. Dort nahmen Englnder und Franzosen in der Kaufmannschaft eine besondere Stellung ein. Neben Edward Collins, Francis Hay und James Philipps ist besonders der mit Kant befreundete Joseph Green zu nennen, der mit Getreide, Heringen und Steinkohle handelte und den tîchtigen Schotten Robert Motherby 1754 nach Kçnigsberg holte.831 Aber auch sie konnten den allmhlichen Niedergang des Kçnigsberger Handels seit etwa 1780, der zu einem guten Teil durch den Starrsinn des alten Kçnigs, der jede ønderung seiner Handelspolitik strikt ablehnte, bedingt war, nicht aufhalten. Leider gibt Fritz Gause nicht an, wo die rund 2.000 Schiffe, die 1783/84 Kçnigsberg und Pillau anliefen, herkamen. Der direkte preußisch-englische Handel war von Anfang an wegen der gegenseitigen Verbotspraxis nicht sehr entwickelt. Das betraf weniger die preußisch-merkantilistischen Grundstze als vielmehr die seit der Navigationsakte Cromwells von 1651 fîr England-Importe geltenden Einschrnkungen, die den direkten Handel stark behinderten. Sie wurden obendrein ußerst restriktiv ausgelegt: Die Einfuhr von Fichtenholz war verboten, weil es angeblich aus Polen stammte. „Kein Stettiner durfte Gîter aus Kçnigsberg oder Memel, kein Kçnigsberger oder Memeler Gîter aus Stettin, kein ostfriesisches Schiff Gîter aus den preußischen Ostseehfen nach England verfrachten“, obwohl doch alle 829 Zur Seehandlung vgl. H. Rachel, Handelspolitik … (s. Anm. 708), 3/2, S. 422 – 459. 830 R. Dietrich, Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 488 f. Der Band von J. Enklaar / H. Ester (Hg.), Brandenburg-Preußen und die Niederlande … (s. Anm. 189), lßt diese Fragestellung vçllig unbeachtet. 831 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 191 – 194 und R. Straubel, Handelsstdte … (s. Anm. 783).

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diese Hfen in den Lndern des Preußenkçnigs lagen.832 Selbst das auswrtige Departement kapitulierte vor diesem Anachronismus, weil England in den Schiffahrtsgesetzen „den essentiellsten Grund“ fîr die Blîte seines Handels sah und nicht zum Einlenken bereit war. Zu dieser kommerziellen Dauerbelastung kam seit den 40er Jahren noch die Verstimmungen wegen der Kaperei.833 Unberîhrt von diesen Querelen hatte das renommierte Berliner Juweliergeschft Gebr. Jordan in der zweiten Jahrhunderthlfte mit Jean le Coq seinen eigenen Vertreter in London.834 Auch Friedrich pflegte die Verbindung und bestellte in England um 1750 vier Schiffe, die fîr die in Emden 1751 gegrîndete Preußisch-Asiatische Handelskompanie bestimmt waren. Das erste Schiff, die Fregatte „Kçnig von Preußen“ mit 132 Mann und 36 Kanonen an Bord, segelte 1752 von Emden nach China, um Tee, Porzellan und Seide zu holen; der Gewinn îbertraf alle Erwartungen, doch whrend des 1755 einsetzenden Seekrieges verlor die Kompanie – zur Freude der Englnder – ihre Bedeutung. Auch als das reservierte Interesse Englands an Preußen nach der Westminster-Konvention (1756) in teilweise euphorische Begeisterung umschlug,835 hielten sich die Wirtschafts- und Handelskreise zurîck. Man fîrchtete, daß die strkste Militrmacht des Kontinents sich eines Tages zur konkurrierenden Seemacht aufschwingen kçnnte und beobachtete die vielfltigen Bemîhungen Friedrichs um eine Strkung der preußischen Wirtschaft und eine Fçrderung des Handels nicht ohne Sorge. Als man von der Grîndung der OstindienKompanie in Emden erfuhr, verbreitete sich panischer Schrecken unter den Kaufleuten der Londoner City. Der Schrecken vergrçßerte sich noch bei der Nachricht, daß sich das erste Schiff der neuen Kompanie bei einer englischen Gesellschaft versichert hatte. Allenthalben, selbst im Parlament, soll der Kriegsruf „Emden delenda est“ erschollen sein. Der Ausstieg aus dem preußischen Bîndnis wurde nicht zuletzt durch diejenigen Kreise gefçrdert, die der preußischen Militrmacht zutrauten, eines Tages zu einer fîhrenden Wirtschafts- und Handelsnation aufzusteigen. Deshalb ließ man das preußische Bîndnis 1761 ohne viel Aufhebens fallen. Als England im ausgehenden 18. Jahrhundert zum wichtigsten Abnehmer preußischen Getreides wurde, hatte diese Einbeziehung in den Weltmarkt, wie neuere Forschungen zeigen, tiefgreifende Folgen, die teilweise îber die ost-

832 W. Naude / A. Skalweit / G. Schmoller, Getreidehandelspolitik … (s. Anm. 782), S. 164. 833 Zur Aufhebung der Navigationsakte s. u. bei Anm. 1227. 834 H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 705), 2, S. 82. 835 S. o. S. 591, S. 618f..

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preußischen Agrargebiete hinausreichten. Eine zusammenfassende Darstellung dieser Problematik erfolgt im nchsten Abschnitt.836 Abschließend muß erwhnt werden, daß die Kartoffel im preußisch-westeuropischen Handel in friderizianischer Zeit keine Rolle spielte. Sie war als Zierpflanze bekannt, doch gab es îberall in Europa starke Widerstnde gegen ihre Einfîhrung als Grundnahrungsmittel.837 In Preußen sollen sich eingewanderte Pflzer seit etwa 1740 darum bemîht haben, aber auch das vielzitierte Engagement Friedrichs838 half nicht viel. Nur in Pommern und der Kurmark (1773: 21.384 Wispel)839 hat es nennenswerte Ernteertrge gegeben. Die den Transport und die Finanzen berîhrende Frage, wo eigentlich die unentbehrlichen Saatkartoffeln, die Friedrich angeblich großzîgig verteilen ließ, hergekommen sind, ist bisher nicht untersucht worden. Jedenfalls kamen sie nicht aus Frankreich, denn Parmentier, der in den 70er Jahren der große Propagator des Kartoffelanbaus in Frankreich wurde, soll diese neue Nutzpflanze als franzçsischer Kriegsgefangener in Preußen kennengelernt haben.840 Ihren Nhrwert und ihre lebenserhaltende Bedeutung erkannte die breite Bevçlkerung wohl erst in den Hungerjahren 1769 und 1771/72. Bis auf vereinzelte Ausnahmen841 ist îber einen innereuropischen Handel mit Kartoffeln bisher nichts bekannt. Die fîr Kçnigsberg fîr 1799/1800 getroffene kategorische Feststellung: „Kartoffeln wurden noch nicht gehandelt“842 dîrfte 836 S. u. S. 697 – 705 und S. 709. 837 Gute Zusammenfassung dieser Problematik bei Claudia Schnurmann, Europa trifft Amerika. Atlantische Wirtschaft in der Frîhen Neuzeit 1492 – 1783 (= Europische Geschichte, Fischer TB 60.127), Frankfurt am Main 1998, S. 207 – 210. 838 Die ersten Anordnungen Friedrichs sollen „bald nach Antritt seiner Regierung“ erfolgt sein, doch bei den wenigen publizierten Aufforderungen handelt es sich fast immer um Einzelstîcke fîr die Kurmark oder Schlesien. Nicht mehr als einen Ausgangspunkt fîr eine grîndliche Untersuchung des Gesamt-Kartoffelanbaus in friderizianischer Zeit bietet R. Stadelmann, Preußens Kçnige … (s. Anm. 731), 2, S. 175 – 177 (mit den 1757 einsetzenden Quellen). Auch das lteste bekannte Dokument, ein kçnigliches Zirkular fîr die in Schlesien ttigen Landrte und Beamte vom 24. 3. 1756 (Gesetzsammlung fîr Schlesien und Glatz 1740 – 1786 [Sammlung aller (…) Ordnungen, Edicten, Mandaten, Rescripten ec. ec.], 6, Nr. LXXI, S. 350 f.) enthlt nur eine dringende Empfehlung, die „Tartoffel“, ein „auf sehr vielfache Art dienliches Erdgewchs“, anzubauen. Daß Friedrich seine Aufforderungen zum Kartoffelanbau so oft wiederholen mußte, spricht nicht fîr eine große Effektivitt. Das letzte in der erwhnten Sammlung îberlieferte Stîck stammt îbrigens von 1768. 839 Ebd., S. 177. Zum Vergleich: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts rechnete man in den Provinzen Litauen und Ostpreußen mit einer Ernte von 213.000 Wispeln Roggen und 176.000 Wispeln Kartoffeln (W. Naude / A. Skalweit / G. Schmoller, Getreidehandelspolitik … [s. Anm. 782], S. 54 – 56). 840 Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts, 1: Der Alltag, Mînchen 1985, S. 175. 841 S. o. S. 636. 842 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 197.

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bis ins beginnende 19. Jahrhundert fîr den gesamteuropischen Warenaustausch gegolten haben. Auch ist nach den bisher bekannten Quellen durchaus vorstellbar, daß die Bemîhungen Friedrichs um den Kartoffelanbau zu hnlich traurigen Ergebnissen wie beim Seidenbau fîhrten. Die Behauptung von der in friderizianischer Zeit blîhenden und devisensparenden Erzeugung von einheimischer Seide konnte widerlegt werden.843 Nur unter Verwendung von aus Frankreich und Italien importierter Rohseide war der Aufbau einer preußischen Seidenindustrie îberhaupt mçglich. Bedenkt man die Effektivitt der kçniglichen Aufforderungen, kçnnten auch die Erzhlungen vom florierenden Kartoffelanbau zu den vielen zhlebigen Friedrich-Legenden gehçren.

§ 5 Preußen, Franzçsische Revolution und napoleonische Zeit844 Die frîhere Vorstellung, daß die Franzçsische Revolution die in Jahrhunderten gewachsenen Strukturen des Ancien R¤gime wie eine Sturmflut auf einen Schlag hinweggefegt habe, ist erstmals von Alexis de Tocqueville bestritten und seitdem von der Forschung in zunehmendem Maße in Frage gestellt worden. Auch im Bereich der auswrtigen Beziehungen dominierten nach wie vor Machtstreben, Staatsrson und Arrondierungspolitik, im Falle Frankreichs seit 1793 durch die Forderung nach den „natîrlichen Grenzen“ ergnzt.845 I. Grundstrukturen der Westpolitik unter Friedrich Wilhelm II. Das Verhltnis Preußens zu Westeuropa wurde zwischen 1786 und 1815 durch außenpolitische Strukturen bestimmt, die sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts herausgebildet hatten. Da in Preußen die letzte Entscheidung noch immer beim absolutistischen Kçnig lag, war die persçnliche Auffassung des jeweiligen Herrschers auch in außenpolitischen Fragen nach wie vor von zen843 Ilja Mieck, Preußischer Seidenbau im 18. Jahrhundert, in: VjschrSozialWirtschG 56 (1969), S. 478 – 498. 844 Trotz des teilweise îberholten Forschungsstandes und ihrer Zeitbezogenheit immer noch nîtzlich ist die materialreiche und ausgewogene Darstellung von Adalbert Wahl, Geschichte des europischen Staatensystems im Zeitalter der Franzçsischen Revolution und der Freiheitskriege (1789 – 1815) (= Georg von Below / Friedrich Meinecke [Hg.], Handbuch der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte, Abt. A: Politische Geschichte), Mînchen/Leipzig 1912. 845 Zu diesem Begriff vgl. Ilja Mieck, Deutschlands Westgrenze, in: Alexander Demandt (Hg.), Deutschlands Grenzen in der Geschichte, Mînchen 31993, S. 197 – 239, hier S. 213 – 215.

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traler Bedeutung – sehr zum ørger der Berater, die den Eigensinn der Monarchen hufig als stçrend empfanden. Insofern gilt die Feststellung von Horst Mçller, daß Stil und Ziele der preußischen Außenpolitik nach 1786 „vorrevolutionr“ gewesen seien,846 sinngemß genau so gut fîr andere von der Revolution unberîhrte Lnder wie England. Sogar im revolutionren Frankreich orientierte sich die Außenpolitik an den im Ancien R¤gime entwickelten Grundstrukturen847 – bis hin zu den persçnlichen Prferenzen, die sich sowohl bei den Revolutionren als auch bei den Diplomaten ausmachen lassen. Auch die franzçsische Außenpolitik nach 1789 war in hohem Maße vorrevolutionr.848 Nur auf dem Sektor der Reichspolitik hat die franzçsische Republik in den spten 90er Jahren eine radikale Neuorientierung vorgenommen, als sie, nicht uneigennîtzig, eine grundlegende Umstrukturierung des Reichsgefîges anstrebte.849 Den Regierungswechsel in Preußen beobachtete man in Westeuropa mit gespannter Erwartung. Mit der raschen Abschaffung der verhaßten „Regie“ fîr Kaffee und Tabak durch Friedrich Wilhelm II. fand die friderizianische Frankophilie auch symbolhaft ihr Ende. In vielen Bereichen von Staat und Gesellschaft hatte die Fixierung Friedrichs auf alles Franzçsische zu Einseitigkeiten und Verhrtungen gefîhrt, mit denen man sich, solange der in dieser Frage uneinsichtige Kçnig lebte, abfinden mußte. Die militrische Erziehung des Thronfolgers850 vertraute sein Onkel Friedrich dem gelehrten Major von Borcke an, whrend der aus Frankreich stammende Chef der „Regie“, der Geheime Finanzrat de la Haye de Launay, ihn in die Staatswirtschaft einfîhrte. Die Hauptlast der Ausbildung trug Nicolas B¤guelin (1714 – 1789) aus der franzçsischen Schweiz, der 1743 in preußische 846 Horst Mçller, Primat der Außenpolitik: Preußen und die Franzçsische Revolution 1789 – 1795, in: Jîrgen Voss (Hg.), Deutschland und die Franzçsische Revolution (= Beihefte der Francia, 12), Mînchen/Zîrich 1983, S. 65 – 81, hier S. 80. 847 „Rien n’est plus fort en diplomatie que la tradition“, meint Jean Tulard, La diplomatie franÅaise et l’Allemagne de 1789 ” 1799, in: ebd., S. 43 – 48, hier S. 43. Der These ist sicher zuzustimmen; dagegen sind seine Ausfîhrungen îber Friedrich Wilhelm II., der angeblich nur deutsch sprach (S. 44), nicht immer korrekt. 848 Vgl. Kurt von Raumer, Deutschland um 1800. Krise und Neugestaltung 1789 – 1815, in: Otto Brandt / Arnold Oskar Meyer / Leo Just (Hg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, 3: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Teil Ia, Neuauflage Wiesbaden 1980, S. 1 – 430, hier S. 124. 849 Das zeigt die weitgehend aus den Quellen gearbeitete Studie von Daniela Neri, Frankreichs Reichspolitik auf dem Rastatter Kongreß (1797 – 1799), in: Francia 24/2 (1997), S. 137 – 157, hier S. 155 f. 850 Lesenswert und informativ ist die neue biographische Skizze von David E. Barclay, Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 4), S. 179 – 196. Vgl. noch Wilhelm Bringmann, Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797), Frankfurt am Main u. a. 2001.

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Dienste getreten war, ein Jahr spter Lehrer am Joachimsthalschen Gymnasium und 1750 „Sous-Pr¤cepteur“ des Kronprinzen wurde. Aufgrund einer von Friedrich selbst verfaßten „Instruction“ unterrichtete er ihn vierzehn Jahre lang in Franzçsisch, Latein, Mathematik, Geschichte und Geographie. Auch Friedrich Wilhelm hat sich spter fast ausschließlich der franzçsischen Sprache bedient. Obwohl sein Deutsch genau so fehlerhaft wie das seiner Vorgnger war, rumte er der deutschen Kultur einen angemessenen Platz ein: Die deutsche Literatur und die Schçnen Kînste, besonders die Baukunst, erlebten in seiner Regierungszeit einen beachtlichen Aufschwung. Erhalten blieb der Gebrauch der franzçsischen Sprache, die am Hof und in gehobenen Kreisen Mittel der tglichen Verstndigung war, obwohl die vierte oder fînfte Generation der Hugenotten das Franzçsische kaum noch beherrschte. Deutsch und Franzçsisch waren dem 1777 in Berlin geborenen Adelssproß Marwitz „vollkommen […] gelufig“, weil „in dem Hause meiner Eltern […] bestndig franzçsisch gesprochen“ wurde wie in allen Adelsfamilien zu damaliger Zeit.851 Friedrich Wilhelm besaß eine vçllig andere Persçnlichkeitsstruktur als sein verstorbener Onkel. Er war weichherzig und gutmîtig, mitteilsam und anlehnungsbedîrftig und liebte die schçnen Dinge des Lebens (vier Ehen, davon zwei „zur linken Hand“, mehrere Mtressen). Da er zur Frçmmelei und zu mystischen Vorstellungen neigte, duldete er in seiner engsten Umgebung Schmeichler und Gînstlinge wie Wçllner und Bischoffwerder, die ihn in den Dunstkreis des antiaufklrerischen Geheimbundes der Rosenkreuzer (Eintritt 1781) hineinzogen und unter der Maske harmloser Gott- und Wahrheitssucher starken Einfluß auf den Kçnig ausîbten. Das betraf in zunehmendem Maße auch die Außenpolitik, die Friedrich Wilhelm zuerst weitgehend dem Grafen Hertzberg îberließ, der sich zwar als Sachwalter des friderizianischen Erbes verstand, aber nicht in der Lage war, seine zum Teil sehr phantasievollen Vorstellungen („Nordischer Mchtebund“) den konkreten politischen Gegebenheiten anzupassen. Die Erfolglosigkeit Hertzbergs ermçglichte dem von Ehrgeiz und Geltungsdrang getriebenen Bischoffwerder seit etwa 1790, maßgebenden Einfluß auf die preußische Außenpolitik zu gewinnen. Die gegen jede friderizianische Erfahrung verfolgte Annherung an §sterreich ist sein Werk. Insgesamt wurde durch die zçgernde und unentschlossene Haltung des Kçnigs in die oberste Fîhrung des preußischen Staates nach 1786 ein Element der Unbestimmtheit hineingetragen.

851 Friedrich Meusel (Hg.), Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Ein mrkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege, 1: Lebensbeschreibung, Berlin 1908, S. 19 – 21. Schon seine jîngeren Geschwister mußten mehr Mîhe aufwenden und die franzçsische Sprache „nach Regeln erlernen“.

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II. Das Erbe Friedrichs im westeuropischen Bîndnissystem Im europischen Krftespiel zeichnete sich nach dem Siebenjhrigen Krieg eine Schwergewichtsverlagerung nach Osten ab, wo drei Großmchte auf Tuchfîhlung standen, die auf Territorialgewinne aus der polnischen und/oder der osmanischen Konkursmasse hofften. Tatschlich konnte Preußen trotz seines allerdings begrenzten Engagements in Westeuropa durch die Zweite (1793) und Dritte (Auf-)Teilung Polens (1795) sein Territorium im çstlichen Raum erheblich vergrçßern. Vor seinem Rîckzug aus Westeuropa, der durch den Frieden von Basel (1795) bekrftigt wurde, hatte sich Preußen wiederholt, teilweise auch militrisch,852 in westeuropische Konflikte eingeschaltet, die andeuteten, daß sich im Zeitalter der Franzçsischen Revolution eine Neuformierung der europischen Staaten und Gesellschaften abzuzeichnen begann. 1. Die in den Niederlanden853 seit 1784/85 schwelende und 1787 ausgebrochene bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der oranischen „Statthalterpartei“ und den „Patrioten“, die von England beziehungsweise Frankreich unterstîtzt wurden, fîhrte nicht nur zur zeitweiligen Suspendierung des Statthalters, sondern auch zur Verhaftung seiner Gattin Wilhelmine, einer Schwester des Preußenkçnigs.854 Als Friedrich Wilhelm nach dem Scheitern aller Vermittlungsversuche im September 1787 mit britischer Billigung preußische Truppen (26.000 Mann) nach Holland entsandte und Amsterdam besetzen ließ, wurde die statthalterliche Macht rasch wiederhergestellt.855 Von dem (vorrevolutionren!) Frankreich, das – genau wie in Amerika – jeden unterstîtzte, wenn er nur gegen England war, wurde die „Patriotenpartei“ im Stich gelassen. Das gedemîtigte Land mußte noch erleben, daß im April/Juni 1788 eine gegen Frankreich gerichtete Tripelallianz zwischen Preußen, den Niederlanden und 852 Eine knappe Zusammenfassung der beiden Militr-Interventionen Preußens in Gebieten Westeuropas gibt D. E. Barclay, Friedrich Wilhelm II. … (s. Anm. 850), S. 190 f. 853 ˜ber die drei ersten Konfliktfelder informiert knapp und zuverlssig Michael Erbe, Belgien, Niederlande, Luxemburg. Geschichte des niederlndischen Raumes, Stuttgart/ Berlin/Kçln 1993, S. 155 f., 172 – 178. Ausfîhrlicher: Klaus Vetter, Die niederlndische Patriotenbewegung, die Brabanter Umwlzung und die Revolution in Lîttich. Eine vergleichende Betrachtung, in: S. Externbrink / J. Ulbert, Formen … (s. Anm. 75), S. 483 – 503. Zur Rolle Preußens: Friedrich Carl Wittichen, Preußen und die Revolutionen in Belgien und Lîttich 1789 – 90, Gçttingen 1905, passim. 854 Vgl. F. de Bas, Wilhelmine … (s. Anm. 593), S. 209. 855 Als der preußische Kçnig nach einem Besuch seiner Schwester im Schloß Het Loo bei Apeldorn im Juni 1788 nach Cleve zurîckkehrte, blieb der Kronprinz („Graf von Lingen“) einige Tage lnger und besuchte Utrecht und Amsterdam. Das war die einzige Westeuropa-Reise seiner Kronprinzenzeit (Thomas Stamm-Kuhlmann, Kçnig in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 47 – 49).

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England geschlossen wurde.856 Das demokratisch-bîrgerliche Lager sah in Preußen den Hauptschuldigen der Reaktion; eine der Wurzeln fîr die kînftige Identifikation dieses Staates mit soldatischem Drill und Kadaverdisziplin lag in der Militrintervention von 1787.857 2. In den §sterreichischen Niederlanden war es infolge der îberstîrzten Reformmaßnahmen Josephs II. seit 1787 zu Unruhen gekommen, die im Januar 1790 mit der Bildung einer unabhngigen Republik der Ãtats belgiques unis unter dem Schutz der Tripelallianz ihren Hçhepunkt fanden. Obwohl der îberraschende Tod Josephs (20. 2. 1790) den konzilianteren Leopold II. auf den Thron brachte, war der „Abfall Belgiens“ langfristig nicht aufzuhalten: Whrend sich der alte Rivale Preußen îber die Schlappe §sterreichs freute und vom Revolutionsfeind (in Holland) zum Revolutionsfreund (in Belgien) wurde, „fîhrte die belgische Revolution zur tçdlichen Niederlage des absolutistischen §sterreich.“858 Preußen profitierte in diesem Fall von einer gînstigen Konstellation und begnîgte sich mit der moralischen Unterstîtzung der „Brabanter Revolution“, griff aber auch nicht ein, als çsterreichische Truppen im Dezember 1790 das Intermezzo der unabhngigen belgischen Republik vorîbergehend beendeten. 3. Zu einem dritten Unruheherd entwickelte sich das Bistum Lîttich, das im niederlndischen Raum durch die Kontrolle der Maas eine politisch und wirtschaftlich strategisch einmalige Lage besaß. Da es verfassungsmßig îberdies zum Deutschen Reich gehçrte, îberschnitten sich mehrere Interessen und machten dieses kleine Land zu einem neuralgischen Punkt im Mchtegefîge Nordwesteuropas. Vor den revolutionren Unruhen (18./19. 8. 1789), die eine Antwort auf die antistndische Politik des Fîrstbischofs waren, floh dieser noch im August 1789 nach Trier.859 Damit begann eine etwa zweijhrige Phase der Lîtticher Selbstbehauptung – bis April 1790 unter der schîtzenden Hand preußischer Truppen.860 Von der Intervention erhoffte sich die Regierung – nach Holland – einen zweiten Stîtzpunkt in der Nhe des belgischen Aufstandsgebietes. Da die offene Begînstigung einer Aufstandsbewegung andere Reichsstnde empçrte, zog sich Preußen aus Lîttich zurîck. Die Revolutionre 856 Abdruck der Vertrge (15. 4. 1788: Großbritannien/Niederlande, Preußen/Niederlande; 13.6. und 13. 8. 1788: Großbritannien/Preußen): CTS … (s. Anm. 500), 50, S. 305 – 319, S. 333 – 338, S. 353 – 358. 857 H. v. d. Dunk, Niederlande … (s. Anm. 30), S. 179. 858 K. v. Raumer, Deutschland … (s. Anm. 848), S. 71. 859 Warum der Fîrstenbund durch die Lîtticher Revolution in eine „schwere Krise“ geriet, erlutert K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 354 – 361. 860 Vgl. dazu Monika Neugebauer-Wçlk, Preußen und die Revolution in Lîttich. Zur Politik des Christian Wilhelm von Dohm 1789/90, in: Otto Bîsch / Dies. (Hg.), Preußen und die revolutionre Herausforderung seit 1789 (= VerçffHistKommBerlin, 78), Berlin/New York 1991, S. 59 – 76.

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hielten sich noch neun Monate. Die Wiederherstellung der çsterreichischen Oberhoheit (Januar 1791) war zwar nur von kurzer Dauer, doch brachte der gesamte Ablauf der Lîtticher Affre Preußen einen empfindlichen Prestigeverlust. 4. Da der neue Kaiser Leopold II. von einem Ausgleich mit Preußen eine allgemeine Entlastung §sterreichs erhoffte, drngte er, durchaus zu territorialen Opfern und anderen Zugestndnissen im Tîrkenkrieg bereit, auf eine Verstndigung mit dem theresianischen Erzfeind. Mit der Konvention von Reichenbach (27. 7. 1790),861 die einen vçlligen Umschwung der preußischen Politik einleitete, wurde die friderizianische Linie des permanenten Mißtrauens gegenîber §sterreich verlassen und eine Phase preußisch-çsterreichischen Zusammengehens eingeleitet, die als neue Form des seit 1740 bestehenden Dualismus bis ins 20. Jahrhundert dauern sollte. Weil der verbitterte Hertzberg mit der neuen, von Bischoffwerder verfolgten und vom çsterreichischen Vizekanzler Cobenzl „zur Grundlage eines neuen Systems“ (Aretin) gemachten außenpolitischen Leitlinie nicht einverstanden war, erbat er im Juli 1791 seinen Abschied. Damit endete auch die friderizianische Westeuropa-Politik, die von einer grundstzlichen preußisch-franzçsischen Interessengemeinschaft ausging; „cette alliance est naturelle“ – so hatte es Friedrich 1752 in seinem Politischen Testament ausgedrîckt und schon als Kronprinz erstmals 1739 in die Tat umgesetzt.862 Fîr Westeuropa wurde die neue preußisch-çsterreichische Entente wichtig, weil Frankreich seit 1789 ein weiteres Unruhezentrum darstellte, dessen grenzîberschreitende Ausstrahlung auch den anderen Großmchten gefhrlich werden konnte. Andererseits hat es noch bis 1790/91 auf preußischer Seite Versuche gegeben, Verbindungen mit maßgebenden Kreisen in Frankreich aufzunehmen,863 um die von Bischoffwerder projektierte Verstndigung mit §sterreich zu verhindern. Sogar Prinz Heinrich knîpfte auf seiner zweiten Frankreichreise 1788/89 persçnliche Kontakte und dachte immer noch an ein Bîndnis mit Frankreich, obwohl er nach dem Regierungswechsel jeden Einfluß verloren hatte und Hertzberg, der Leiter der preußischen Außenpolitik, im Einvernehmen mit dem Kçnig eine grundstzlich anglophile Haltung bevor-

861 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 51, S. 23 – 33. Zur Entstehung und Wîrdigung vgl. K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 372 f. 862 R. Dietrich (Bearb.), Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 346. 863 Vgl. dazu Wilhelm Lîdtke, Preußen und Frankreich vom Bastillesturm bis Reichenbach (1789 – 1790), in: ForschBrandPrG 42 (1929), S. 230 – 262. Zum Gesamtkomplex der preußisch-franzçsischen Beziehungen vgl. Michel Kerautret, L’image de la Prusse en France pendant la R¤volution FranÅaise: changement et continuit¤, in: O. Bîsch / M. Neugebauer-Wçlk (Hg.), Preußen … (s. Anm. 860), S. 267 – 300.

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zugte.864 Auch die von Heinrich gefîhrte profranzçsische Partei am preußischen Hof machte bald die Erfahrung, daß auf beiden Seiten ideologische Argumente die kîhle Rationalitt der Staatsrson zu îberlagern begannen. Das absolutistisch regierte Preußen und die Revolutionre standen sich in zunehmender Reserviertheit gegenîber.865 Auch die in der bisherigen Forschung unterschtzte Entsendung des Berliner Kaufmanns Benjamin Veitel Ephraim im Oktober 1790 durch Friedrich Wilhelm866 konnte den Lauf der Dinge nicht mehr ndern, obwohl Ephraim in Paris acht Monate lang îber ein preußisch-franzçsisches Bîndnis mit Preußen verhandelte; Preußen setzte auf das Prinzip der Legitimitt und war bereit, an der Seite §sterreichs gegen die Franzçsische Revolution vorzugehen, wenn es sein mußte, auch militrisch.867 Der Gedanke eines Krieges zur Beseitigung des revolutionren Spuks nistete sich, nachhaltig gefçrdert durch die zahlreichen Emigranten,868 allmhlich in 864 Zum zweiten Parisbesuch Heinrichs vgl. B. Mundt, Heinrich … (s. Anm. 591), S. 252 f., und die noch immer unentbehrliche Arbeit von Richard Krauel, Prinz Heinrich von Preußen in Paris whrend der Jahre 1784 und 1788 bis 1789. Nach ungedruckten Quellen, Berlin 1901. 865 Zu diesem Komplex vgl. Willy Real, Von Potsdam nach Basel. Studien zur Geschichte der Beziehungen Preußens zu den europischen Mchten vom Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. bis zum Abschluß des Friedens von Basel – 1786 – 1795 (= BaslerBeitrrGWiss, 70), Basel/Stuttgart 1958, S. 27 f. 866 Zu der Ephraim-Mission vgl. die grundlegende Studie von Joachim Kîhn, B. V. Ephraims Geheimsendung nach Paris, 1790/91. Ein Beitrag zur Kabinettspolitik Friedrich Wilhelms II., phil. Diss. Gießen 1916; andere Erwhnungen: H. Rachel / P. Wallich, Großkaufleute … (s. Anm. 337), 2, S. 348 f.; Dominique Bourel, Zwischen Abwehr und Neutralitt. Preußen und die Franzçsische Revolution 1789 – 1795/1795 – 1803/06, in: O. Bîsch / M. Neugebauer-Wçlk (Hg.), Preußen … (s. Anm. 860), S. 43 – 57, hier S. 48 f.; Gerhard Steiner, Drei preußische Kçnige und ein Jude. Erkundungen îber Benjamin Veitel Ephraim und seine Welt, Berlin 1995, S. 126 – 148. 867 Einen guten Einblick in das Verhltnis „Deutschlands“ zur Franzçsischen Revolution gibt der reich illustrierte und unter Mitwirkung vieler Fachleute (F. Dumont, W. Grab, F. Kopitzsch, U. Martin, A. Ruiz, B. Schoch-Joswig, J. Voss u. a.) entstandene Band L’Allemagne et la revolution franÅaise 1789/1989 (= Katalog der gleichnamigen Ausstellung in Bordeaux 1989), hg. v. Goethe-Institut Stuttgart 1989. Die preußenspezifischen Angaben des auch in deutscher Sprache erschienenen Bandes sind allerdings îber das ganze Buch verstreut. Lesenswert ist auch die zusammenfassende Darstellung von K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 371 – 487: „Das Reich im Kampf mit der Franzçsischen Revolution.“ 868 Gute ˜bersichten bei Jean Vidalenc, Les ¤migr¤s franÅais dans les pays allemands pendant la R¤volution, in: J. Voss (Hg.), Deutschland … (s. Anm. 846), S. 154 – 167; Irmgard A. Hartig, Franzçsische Emigranten in Deutschland zur Zeit der Revolution und Napoleons, in: Jacques Grandjonc (Hg.), Deutsche Emigranten in Frankreich – Franzçsische Emigranten in Deutschland 1685 – 1945 (= Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Paris 1983), Paris 21984, S. 46 – 60. Die neue Untersuchung von Christian Henke, Coblentz: Symbol fîr die Gegenrevolution. Die franzçsische Emigration nach Koblenz und Kurtrier 1789 – 1792 und die politische Diskussion des re-

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den Kçpfen der Monarchen §sterreichs und Preußens ein, whrend nicht wenige deutsche Geistesgrçßen dem Geschehen in Frankreich gespanntes Interesse, mitunter auch Revolutionsbegeisterung oder sogar etwas Neid entgegenbrachten.869 Teilweise beflîgelt durch den Umsturz der Verhltnisse in Frankreich, fîhlten sich auch manche Preußen als „pºlerins de la libert¤“ und beteiligten sich an dem beachtlichen deutschen „Revolutionstourismus“,870 der mit einem intensiven Kulturtransfer zwischen Preußen und Frankreich einherging (W. v. Humboldt 1789, A. v. Humboldt und Georg Forster 1790, Konrad Engelbert Oelsner 1790 u. a.).871 Unter den Auslndern, die aufgrund ihrer revolutionren Verdienste am 26. 8. 1792 den Titel eines „Citoyen FranÅais“ erhielten (Paine, Bentham, Madison, Washington, Hamilton, Koscziusko u. a.), waren auch vier Deutsche (Campe, Cloots, Klopstock und Schiller).872 Der einzige Preuße von ihnen, der

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volutionren Frankreichs 1791 – 1794 (= Beihefte der Francia, 47), Stuttgart 2000, kommt nur gelegentlich auf das preußisch-franzçsische Verhltnis zu sprechen, weil auch Koblenz zum Erzbistum Trier gehçrte und zeitweilig sogar Residenzstadt war (preußisch erst 1815). – Richtungweisend fîr die kînftige Emigranten-Forschung ist die Studie von Thomas Hçpel, Emigranten der Franzçsischen Revolution von 1789 im Preußischen Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem, in: Michel Espagne / Katharina Middell / Matthias Middell (Hg.), Archiv und Gedchtnis. Studien zur interkulturellen ˜berlieferung (= Deutsch-Franzçsische Kulturbibliothek, 13), Leipzig 2000, S. 223 – 243. – Ders., Emigranten der franzçsischen Revolution in Preußen und Sachsen, in: Daniel Schçnpflug / Jîrgen Voss (Hg.), R¤volutionnaires et Emigr¤s. Transfer und Migration zwischen Frankreich und Deutschland 1789 – 1806 (= Beihefte der Francia, 56), Stuttgart 2002, S. 193 – 220, hier S. 202, beziffert inzwischen die in Preußen aufgenommenen franzçsischen Emigranten auf etwa 4.000. Erich Pelzer, Die Wiederkehr des girondistischen Helden. Deutsche Intellektuelle als kulturelle Mittler zwischen Deutschland und Frankreich whrend der Franzçsischen Revolution (= Pariser Historische Studien, 43), Bonn 1998, geht in seiner breit angelegten Studie nicht speziell auf den Kreis der in Paris lebenden Intellektuellen aus Preußen ein. T. Grosser, Reiseziel Frankreich … (s. Anm. 239), S. 183 – 329, widmet dieser Thematik ein ganzes Kapitel. Die Beitrge des 1000-Seiten-Werkes von H.-J. Lîsebrink / R. Reichardt (Hg.), Kulturtransfer … (s. Anm. 34) sind entweder methodisch-theoretisch ausgerichtet oder behandeln den „deutschen Sprach- und Kulturraum der ,Sattelzeit’“. Von den „deutschen Staaten“ ist zwar gelegentlich die Rede, aber die spezifisch franzçsisch-preußische Beziehungsgeschichte wird in den beiden Bnden kaum angesprochen. – In anderer zeitlicher Perspektive wird der (deutsche!) „Revolutionstourismus“ erçrtert von Alain Ruiz, Le pºlerinage vers la „terre b¤nie de la libert¤“ de 1789 ” 1848, in: J. Mondot / Ders. (Hg.), Interf¤rences … (s. Anm. 810), S. 169 – 196. Zu diesen „Ehrenbîrgern“ vgl. Jîrgen Voss, Der Mann, der Schiller 1792 zum Ehrenbîrger Frankreichs machte: Philippe Jacques Rîhl (1737 – 1795), in: Ders., Deutsch-franzçsische Beziehungen im Spannungsfeld von Absolutismus, Aufklrung und Revolution. Ausgewhlte Beitrge (= Pariser Historische Studien, 36), Bonn 1992, S. 313 – 329. Ein Faksimile-Abdruck des Gesetzes in: L’Allemagne … (s. Anm. 867), S. 178.

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aus Kleve stammende und seit 1775 in Paris lebende Baron Jean-Baptiste von Cloots war ein begeisterter Revolutionr der ersten Stunde. Er nahm spter den Vornamen Anacharsis an und trat in der Nationalversammlung als „Orateur du genre humain“ auf. Den Girondisten nahestehend, pldierte er fîr den Krieg gegen Preußen, gehçrte spter dem Konvent an und war kurzzeitig Prsident des Jakobinerklubs. Er stîrzte zusammen mit den H¤bertisten und wurde trotz der Ehrenbîrgerschaft am 13. 4. 1794 enthauptet.873 Ein anderes Opfer aus Preußen war der Freiherr von der Trenck, der sich als fast Siebzigjhriger 1793 nach Paris begab. Seine Hoffnung, als Opfer des Despotismus mit offenen Armen empfangen zu werden, erfîllte sich nicht. Weil man in ihm einen preußischen Geheimagenten vermutete, wurde er am 25. Juli 1794 hingerichtet – drei Tage vor Robespierre. Zu den bekanntesten Preußen, die sich damals in Paris aufhielten, gehçrte der schlesische Adlige Gustav v. Schlabrendorf, der schon vor 1789 nach Paris gekommen war und zum Mittelpunkt eines preußisch-franzçsischen Zirkels wurde (Ruiz: „L’’me de la colonie germanique“), zu dem Johann Friedrich Reichardt, der Diplomat Th¤remin und der Abb¤ Sieyºs gehçrten. Der eigenwillige Graf („Diogenes von Paris“), der bis zu seinem Tode (1824) in einem Hotelzimmer lebte, unterhielt zahlreiche Verbindungen zu franzçsischen Gelehrten und Politikern und empfing dort Humboldt, Stein und Hardenberg. Zusammen mit seinem Freund, dem preußischen Kapellmeister und umtriebigen Publizisten Reichardt874, verfaßte er wahrscheinlich ein 1804 anonym erschienenes Werk îber Napoleon, das allenthalben großes Aufsehen erregte.875 Napoleon ließ bei Hardenberg nach dem Autor des Buches fragen, das in Nîrnberg, Hannover und Frankfurt am Main verboten wurde. Die Vermutung war begrîndet; durch ein Empfehlungsschreiben Friedrich Wilhelms III. war Reichardt zu dem preußischen Gesandten Lucchesini gekommen, der ihm die Tîren zu den vornehmen Gesellschaftskreisen der Konsulatszeit çffnete. Von den schon vor der Revolution in Paris ansssigen Preußen kçnnen der Kçnigsberger Kupferstecher Johann Georg Wille, der Maler Johann Jakob 873 Vgl. die neuen Untersuchungen von Roland Mortier, Anacharsis Cloots o· l’utopie foudroy¤e, Paris 1995; FranÅois Labbe, Anacharsis Cloots, le Prussien francophile. Un philosophe au service de la R¤volution franÅaise et universelle (= Coll. Allemagne d’hier et d’aujourd’hui), Paris 2000; Ders., Anacharsis Cloots (1755 – 1794). Le Prussien gallophile et le rÞve d’une union franco-prussienne, clef de vo•te de sa R¤publique Universelle, in: Francia 27/2 (2000), S. 265 – 274. Fîr die mitunter zu findende Mitteilung, daß auch der Preuße Kant zum „Ehrenbîrger“ der Revolution ernannt worden sei (z. B. bei W. Demel, Deutsche Geschichte … [s. Anm. 35], S. 281), gibt es meines Wissens keinen Beleg. 874 S. o. S. 692 und S. 758. 875 [Anonym], Napoleon Bonaparte und das franzçsische Volk unter seinem Konsulate, neu hg. und eingeleitet von Werner Greiling (= Deutsch-Franzçsische Kulturbibliothek, 2), Leipzig 1993. Die folgenden Angaben nach der Einleitung, S. 7 – 32.

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Hauer und der Musiker Jean-Paul Egidius Schwarzendorf (Pseudonym: Martini; „Plaisir d’amour“) genannt werden, die beide aus dem Rheinland stammten.876 Aus Berlin waren der Jurist Karl Clauer und der Musiker Daniel Steibelt gekommen. Der Homer-˜bersetzer Paul J¤r¤mie Bitaub¤ (Ilias 1780, Odyssee 1785) und Freund d’Alemberts, der spter auch Goethe îbersetzte (Hermann et Doroth¤e), stammte aus Kçnigsberg; das Mitglied der Berliner Akademie, bereits zum membre associ¤ de l’Acad¤mie des inscriptions gewhlt, brachte es 1795 zum membre de l’Institut. Eine Darstellung îber die sich lngere Zeit in Paris aufhaltenden Preußen steht noch aus, nicht zuletzt weil fast alle Forschungen entweder die „¤trangers“ betreffen877 oder ganz allgemein, hnlich wie bei Wirtschaftsfragen, die „Deutschen“.878 So sollen 1797 allein im Faubourg Saint-Antoine „4.000 Allemands environ“ gelebt haben – „menuisiers, ¤b¤nistes, facteurs d’instruments de musique, m¤caniciens, cordonniers, forgerons etc.“879 Wieviele von ihnen aus Preußen gekommen waren, wurde bislang ebensowenig untersucht wie die andere Frage, wieviele Preußen in der vorrevolutionren Epoche nach Paris fuhren, das „jhrlich von Tausenden Deutschen“ besucht wurde.880 Zu den „Revolutionsreisenden“ kamen im Laufe der Jahre nicht wenige, die in Preußen als unerwînschte Personen galten und ausgewiesen wurden.881 1791 mußte der Jurist Karl Clauer Berlin verlassen und ließ sich in Straßburg nieder. Im folgenden Jahr wurde der kosmopolitische Aufklrer Franz Michael Leuchsenring („Monsieur Liserin“), der 1782 nach Berlin gegangen war und zeitweise den Kronprinzen unterrichtet hatte, aus Preußen ausgewiesen, weil er fîr ein franzçsisch-preußisches Bîndnis eingetreten war. Die Zahl der Frankreich-Reisenden, die infolge des Krieges seit 1792 zurîckgegangen war, erhçhte sich wieder nach dem Frieden von Basel (1795). „Hommes politiques et n¤gociateurs, commerÅants, hommes de lettres, savants, 876 Alain Ruiz, Migrations crois¤es de la fin de l’Ancien R¤gime ” l’¤poque de Napoleon, in: J. Mondot / A. Ruiz, Interf¤rences … (s. Anm. 810), S. 67 – 91, hier S. 75 und S. 77. 877 Z. B. Albert Mathiez, La R¤volution et les ¤trangers. Cosmopolitisme et d¤fense nationale, Paris 1918; Jules Mathorez, Les ¤trangers en France sous l’Ancien R¤gime, 2 Bde., Paris 1919/1921. 878 Zu diesem Problem s. o. § 1 I 2. 879 A. Ruiz, Migrations … (s. Anm. 876), S. 75, die folgenden Zitate: S. 88 f. 880 Diese Schtzung von Archenholtz (1785) teilt mit Thomas Grosser, Reisen und Kulturtransfer. Deutsche Frankreichreisende 1650 – 1850, in: Michel Espagne / Michael Werner (Hg.), Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIIIe et XIXe siºcle), Paris 1988, S. 163 – 228, hier S. 169 f. 881 Zu dieser Thematik vgl. Walter Grab, Revolutionsfreunde in Preußen im Zeitalter der franzçsischen Revolution, in: O. Bîsch / M. Neugebauer-Wçlk (Hg.), Preußen … (s. Anm. 860), S. 119 – 144.

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artistes de toutes sortes, simples touristes. Les plus c¤lºbres […] furent sans conteste les frºres Wilhelm et Alexander von Humboldt“882 – aus Preußen. Ende 1795 kam – mit einigen Zwischenstationen – der aus der Pfalz stammende, aber im Zentrum der Berliner Sptaufklrung stehende Theologe, Kunstschriftsteller und politische Publizist Andreas Riem nach Paris. Er war 1787 zum Mitglied, 1788 zum Sekretr der 1696 gegrîndeten Berliner Akademie der Kînste berufen worden, hatte sich ebenfalls fîr eine Allianz mit Frankreich eingesetzt und pldierte – nach Basel 1795 – fîr einen Freundschaftsbund mit der franzçsischen Republik, fîr die Rheingrenze und fîr die Aufhebung der Dritten Polnischen Teilung. Das reichte der Regierung, um Riem ohne Prozeß und Urteil, genau wie Leuchsenring, nach Sachsen abzuschieben. In seinem achtbndigen vergleichenden Reisebericht îber Deutschland, Frankreich, England und Holland prophezeite er Preußen eine traurige Zukunft: „Nie wandelte ein Blinder ruhiger am Rande eines unabsehbaren Abgrunds als das Berliner Kabinett.“883 Auch der im Frnkischen geborene Georg Friedrich Rebmann, der zu den bedeutendsten, der Revolution zugewandten Publizisten Deutschlands in der Zeit vor 1849 zuzurechnen ist, kam als politischer Flîchtling nach Paris und wurde 1796/1797 zum kritischen Beobachter und Kommentator des nachrevolutionren Frankreich. Danach arbeitete er als Jurist in den linksrheinischen Gebieten, verkehrte nach dem Einmarsch der Preußen privat mit Justus Gruner, kritisierte die patriotischen Frankreichhasser (Arndt, Jahn, Gçrres) und trat 1816 in den bayerischen Staatsdienst ein.884 Eine kleine Gruppe von preußischen Revolutionsfreunden (Contessa, Feßler, Held, Leipziger, Zerboni u. a.) hatte 1792 den Bund der „Evergeten“ (= Wohltter) gegrîndet. Diese konspirative Vereinigung entfaltete zwar keine großen politischen Aktivitten, diskutierte aber die revolutionren Thesen auf hohem Niveau. Contessa, ein Hirschberger Kaufmann, lud die Evergeten zum 12. 7. 1794 nach Haynau ein, um dort „das Fest der hçchsten Vernunft“ zu feiern – der von Robespierre am 8. 6. 1794 verkîndete Kult der Vernunft hatte seine Anhnger auch in Preußen. Die meisten Mitglieder der Geheimloge, die sich 1795 auflçste, bezahlten ihr Engagement fîr die revolutionren Ideale „Gleichheit vor dem Gesetz und Freiheit zur Entwicklung und Ausbildung“ 882 Alain Ruiz, Des Allemands dans la France r¤volutionnaire, in: L’Allemagne … (s. Anm. 867), S. 101 – 105, hier S. 105. 883 W. Grab, Revolutionsfreunde … (s. Anm. 881), S. 128 – 136, das Zitat: S. 132. Viele neue Informationen enthlt der neue Sammelband von Karl H. L. Welker, Andreas Riem. Ein Europer aus der Pfalz (= Schriften der Siebenpfeiffer-Stiftung, 6), Stuttgart 1999, passim. 884 Elmar Wadle / Gerhard Sauder (Hg.), Georg Friedrich Rebmann (1768 – 1824). Autor, Jakobiner, Richter (= Schriften der Siebenpfeiffer-Stiftung, 4), Sigmaringen 1997, passim.

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(Leipziger) mit langer Kerkerhaft, oft ohne Verfahren und Urteil, weil sich der von „panischer Jakobinerfurcht besessene Preußenkçnig“ Friedrich Wilhelm II. (Grab) in diesem Fall îber Rechtsgrundstze hinwegsetzte. Erst nach dem Regierungswechsel kamen sie wieder frei.885 Von anderem Zuschnitt war die zur Unterstîtzung der franzçsischen Armee am 4. 9. 1792 ins Leben gerufene l¤gion germanique, die vor allem Deserteure aus der preußisch-çsterreichischen Armee aufnehmen sollte. Der von Cloots und dem Sachsen Saiffert gegrîndeten „Deutschen Legion“, die im Mai 1793 etwa 1.500 Mann zhlte, gehçrten auch Soldaten anderer Nationen an, sogar einige Franzosen (Marceau, Augereau). Unter der Leitung eines preußischen Offiziers erledigte die Truppe Ordnungsaufgaben im Raum Paris, in NordostFrankreich und in der Vend¤e. Zerstritten und angefeindet, besonders durch Marat, wurde die l¤gion germanique im Juni 1793 aufgelçst.886 Weniger offen operierte in spteren Jahren die erst kîrzlich von der Forschung entdeckte Propaganda: Zusammen mit einheimischen Revolutionsfreunden bemîhten sich jakobinische Emissre, Geheimgesellschaften in Preußen zur Vorbereitung eines Umsturzes zu errichten.887 Außer in Kçln, Bonn und Koblenz hat es im linksrheinischen Gebiet auch im preußischen Aachen, das seit 1794 besetzt war, einen großen neojakobinischen Zirkel gegeben.888 Die meist von Alain Ruiz stammenden Angaben îber die deutschen ParisBewohner/Besucher, die auf seiner grîndlichen Vertrautheit mit den beiderseitigen Emigrationsbewegungen beruhen, nehmen zwar immer wieder auf Einwanderer aus Preußen Bezug, erwhnen aber auch Bayern, Sachsen, Wîrttemberger und andere „Deutsche“.889 Daß bei diesem „jeu d’¤changes“ Frank885 W. Grab, Revolutionsfreunde … (s. Anm. 881), S. 139 – 144; Ders., Preußische Demokraten im Zeitalter der Franzçsischen Revolution und im Vormrz, in: Manfred Schlenke (Hg.), Preußen. Beitrge zu einer politischen Kultur (= Katalog zur Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“, 2), Reinbek 1981, S. 162 – 180, hier S. 165 – 168. 886 Arthur Chuquet, La L¤gion germanique (1792 – 1793), Paris 1904; Alain Ruiz, Die deutschen Emigranten in Frankreich vom Ende des Ancien R¤gime bis zur Restauration, in: J. Grandjonc (Hg.), Emigranten … (s. Anm. 868), S. 61 – 79, hier Nr. 112, S. 68. 887 Mitgeteilt von Walter Grab bei Monika Wçlk, Diskussionsbericht zur ersten Arbeitssitzung. Mit Beitrgen von Walter Grab, Peter Baumgart u. a., in: Otto Bîsch / Ders. (Hg.), Die demokratische Bewegung in Mitteleuropa im ausgehenden 18. und frîhen 19. Jahrhundert (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 29), Berlin 1980, S. 38. 888 Axel Kuhn, Jakobiner im Rheinland. Der Kçlner konstitutionelle Zirkel von 1798 (= Stuttgarter Beitrge zur Geschichte und Politik, 10), Stuttgart 1976, S. 14. Fîr die ehemals preußischen linksrheinischen Gebiete wre auszuwerten die Studie von Josef Smets, Les pays rh¤nans (1794 – 1814). Le comportement des Rh¤nans face ” l’occupation franÅaise (= Collection Contacts II, 22), Bern u. a. 1997. 889 Aufschlußreich ist die knappe, aber konzentrierte Zusammenfassung von A. Ruiz, Des Allemands … (s. Anm. 882), S. 101 – 105.

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reich von den deutschen Einwanderern „incontestablement“ mehr profitiert habe als „Deutschland“ von den franzçsischen Emigr¤s, wird man im Hinblick auf die nach Preußen kommenden Wirtschaftsflîchtlinge differenzieren mîssen; der Brief des Lyoner Textilfabrikanten Moiroux vom 10. 5. 1796 war sicher kein Einzelfall: „Les troubles, les malheurs qui agitent sans cesse Lyon m’ont forc¤ d’abandonner cette ville.“ Viele Seidenarbeiter waren aus Lyon in die Schweiz gezogen und richteten von dort Aufnahmegesuche an preußische Seidenfabrikanten oder Behçrden.890 Leider sind nicht alle damals nach Preußen emigrierten Franzosen so bekannt891 wie der 1792 aus Frankreich geflîchtete und spter mehrmals zwischen Frankreich und Berlin pendelnde Louis-CharlesAd¤laide de Chamisso892, der gern als besonderes Beispiel einer preußischfranzçsischen Symbiose prsentiert wird: „C’est finalement pour sa patrie d’adoption qu’il opta, sans renier cependant la France.“ Das Problem deutsch/preußisch gilt gleichermaßen fîr die deutschen Kolonien in Bordeaux, Lyon, Marseille,893 Rouen und Versailles.894 In diesem Spektrum bildet die Hafenstadt Bordeaux einen Sonderfall,895 weil die colonie germanique, die zwischen 300 (1760) und 500 (1790) Kçpfe zhlte, die Forschung seit langem beschftigt. Eine historisch-germanistisch orientierte Gruppe um Michel Espagne, Gilbert Merlio und Jean Mondot hat in den letzten Jahren eine Reihe von wichtigen Publikationen verçffentlicht, die interessante Einblicke in das Leben dieser deutschen Minderheit erlaubt.896 Leider ist, wie fast immer, in den zahlreichen Aufstzen gar nicht oder nur beilufig von „Preußen“ die Rede: wenn „parmi les sympathisants allemands r¤solus de la 890 K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 84 f. 891 Zu einem Teilproblem vgl. die richtungweisende Studie von Ursula Fuhrich-Grubert, „Refugirte“ und „Emigrirte“ im Berlin des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zur Konstruktion von kultureller Identitt einer Migrationsbewegung, in: Comparativ 7 (1997), 5/6: R¤fugi¤s und Emigr¤s, S. 111 – 134. 892 Rene-Marc Pille, Adelbert von Chamisso vu de France, 1805 – 1840. Genºse et r¤ception d’une image, Paris 1993. 893 Zu îberprîfen wre auch der preußische Anteil an den in Marseille lebenden „deutschen“ Schriftstellern, die seit 1791 îber die Stadt geschrieben haben: Heinke Wunderlich, Marseille vue par les ¤crivains de langue allemande (= Coll. Allemagne d’hier et d’aujourd’hui), Paris 2000. Das Desiderat gilt auch in umgekehrter Richtung: Aus dem Sammelband von Pierre-Andre Bois / Raymond Heitz / Roland Krebs (Hg.), Voix conservatrices et r¤actionnaires dans les p¤riodiques allemands de la R¤volution franÅaise ” la Restauration (= Convergences, 13), Bern u. a. 1999, mîßte das publizistische Echo in Preußen herausgefiltert werden. 894 A. Ruiz, Emigranten … (s. Anm. 886), S. 61. 895 Da sich in vier dieser Stdte auch Provinzakademien befanden, sei daran erinnert, daß Bordeaux die meisten „deutschen“ Mitglieder hatte. 896 Viele gute Studien enthalten die in Anm. 804 und 807 genannten Arbeiten sowie das erwhnte Sammelwerk von G. Merlio / N. Pelletier (Hg.), Hçlderlin … (s. Anm. 22).

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Gironde“ etwa ein Dutzend Mitglieder der colonie allemande waren, wîrde man gern erfahren, wer und wie viele von ihnen aus Preußen kamen.897 Diese Einschrnkung betrifft natîrlich nicht die Sprache: „Il est frappant“, notierte Arthur Schopenhauer 1804, „d’entendre comme on parle ici beaucoup allemand.“898 Wenn sich auch aus den vielen Beitrgen îber die relations bordelaises-allemandes einschlgige Informationen gewinnen lassen,899 lßt sich eine Gesamtdarstellung der preußischen Beziehungen zu Bordeaux dadurch nicht ersetzen. Angesichts der außenpolitischen Isolierung Frankreichs900 ist es verstndlich, daß der Gedanke eines Bîndnisses mit Preußen 1791 von der Regierung in Paris ernsthaft diskutiert wurde. Zeitweilig erwog man sogar, Bischoffwerder sowie die Mtresse und die Ehefrau zur linken Hand „durch Argumente oder Bestechung zu gewinnen“, um Friedrich Wilhelm II. umzustimmen,901 aber die Wîrfel waren gefallen. Daran konnte auch die diplomatische Mission von S¤gur in Berlin (Januar 1792), die sehr zurîckhaltend aufgenommen wurde, nichts mehr ndern. Dem kaiserlichen Rundschreiben von Padua (6. 7. 1791), der preußischçsterreichischen Wiener Konvention (25. 7. 1791) und den Drohungen der beiden Monarchen in der „Erklrung von Pillnitz“ (27. 8. 1791), die ungewollt im revolutionren Frankreich bekannt wurden, folgte die preußisch-çsterreichische Defensivallianz vom 7. Februar 1792.902 Sie beendete die 1756 fixierte Verstndigung zwischen Frankreich und §sterreich und brachte Preußen auf einen kaiserfreundlichen Kurs zurîck, der in frîheren Zeiten oft zu politischen Enttuschungen gefîhrt hatte. Diesmal war die Sachlage anders: Obwohl diese Allianz die weiteste Abkehr von der Politik Friedrichs II. bedeutet, ist Preußen dieses Bîndnis ohne jeden Druck in vçlliger Souvernitt eingegangen und hat

897 Gerhard Kurz, La Gironde et les intellectuels allemands, in: ebd., S. 37 – 50, hier S. 45. 898 Alain Ruiz, La pr¤sence germanique ” Bordeaux en 1804. Johanna et Arthur Schopenhauer t¤moignent, in: ebd., S. 155 – 185, hier S. 163. 899 Einige Beispiele s. o. Anm. 895. 900 Zur außenpolitischen Situation vgl. Ernst Buddruss, Die Deutschlandpolitik der Franzçsischen Revolution zwischen Traditionen und revolutionrem Bruch, in: Karl Otmar von Aretin / Karl Hrter (Hg.), Revolution und konservatives Beharren. Das Alte Reich und die Franzçsische Revolution (= VerçffInstEurG, Abt. Universalgeschichte, Beiheft 32), Mainz 1990, S. 145 – 154. 901 Helga E. Abendroth, Sophie Julie Dçnhoff. Biographische Studien zu einer morganatischen Gemahlin Friedrich Wilhelms II. Magisterarbeit am FB Geschichtswissenschaften der FU Berlin, 1991, S. 73. 902 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 51, S. 183 – 188 (Wien), S. 233 – 236 (Pillnitz), S. 287 – 294 (Berlin).

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auf diese Weise seine eigene Großmachtstellung neben der §sterreichs dokumentiert.903 Da sich das Bîndnis zwischen den (erst seit 1740) tief verfeindeten Mchten Preußen und §sterreich seit Reichenbach abzuzeichnen begann und dadurch auch keine jahrhundertealte Tradition umgestoßen wurde, ist es nicht angebracht, diesen Kurswechsel als „Zweite Diplomatische Revolution“ zu bezeichnen.904 Wenn die inflationre Verwendung dieses Begriffes dazu fîhrt, daß die „Diplomatischen Revolutionen“ numeriert werden mîssen,905 sollte man, wie bei der „Industriellen Revolution“, die auch keine war, besser ganz darauf verzichten. Auch die „Erbfeindschaft“ zwischen Preußen und §sterreich erscheint – trotz der Anfîhrungszeichen – problematisch, wenn man die kaisertreue und reichsloyale Haltung bedenkt, an der die brandenburgischen Herrscher von 1686 bis 1739 festhielten.906 Da Leopold letztlich auf einen friedlichen Ausgleich mit Frankreich hoffte, war Preußen, dessen Kçnig sich schon im Winter 1790 „sehr kriegslustig“ gezeigt hatte, die eigentlich treibende Kraft in der antifranzçsischen Koalition, fîr die Preußen ein Hilfskorps von 20.000 Mann zu stellen zugesagt hatte. Daß der diplomatisch geschickte Kaiser, erst 45 Jahre alt, am 1. 3. 1792 starb, kam den preußischen „Falken“ sehr gelegen.907 Diese sahen in einem Krieg gegen die Revolutionre eine Art „Polizeiaktion“, an deren Kosten sich Ludwig XVI. beteiligen mîßte. Daher die etwas merkwîrdig anmutenden preußischen Versuche, mit dem franzçsischen Kçnig die Erstattung der Kosten vor Beginn der militrischen Aktionen vertraglich auszumachen. Weil sich diese Frage bald in einen Schacher um Lnderwert und Lndertausch (vor allem im Reich und in Polen) verwandelte, begann bereits jetzt die Epoche der großen territorialen Vernderungen, die erst 1815 zu Ende ging.908 Gegen Friedrich Wilhelm und Bischoffwerder formierte sich am preußischen Hof eine Anti-Kriegspartei, zu der u. a. der Herzog von Braunschweig, der in außenpolitischen Fragen sehr kundige Prinz Heinrich, der Bruder Friedrichs II., sowie die Grfin Dçnhoff, die morganatische Gemahlin des Kçnigs, gehçrten. Diese Gruppe war nicht etwa revolutionsfreundlich, sondern befîrchtete von dem kaum vorbereiteten Waffengang ein militrisches und 903 Vgl. insgesamt W. Real, Potsdam … (s. Anm. 865), S. 25 – 38. 904 Zu 1790/1792 vgl. Michael Hochedlinger, Krise und Wiederherstellung. §sterreichische Großmachtpolitik zwischen Tîrkenkrieg und „Zweiter Diplomatischer Revolution“ 1787 – 1791 (= Historische Forschungen, 65), Berlin 2000. 905 ˜ber eine dritte „Diplomatische Revolution“ s. u. bei Anm. 1343. 906 S. o. §§ 2 und 3. 907 Knapp und przise wie (fast) immer: O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 100), S. 415 – 418. 908 Diese Besonderheit betont K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 390.

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politisches Fiasko. Die Auseinandersetzungen waren sehr hitzig und fîhrten sogar zum Abbruch der Beziehungen zu Friedrich Wilhelm durch die Grfin Dçnhoff, weil er sich „avec autant de l¤gºret¤ dans cette importante et difficile exp¤dition“ begebe, fîr die man eigentlich 450.000 Soldaten brauche.909 Trotz aller Gegenargumente ließ sich der Kçnig nicht umstimmen. Nachdem am 20. April 1792 die franzçsische Kriegserklrung an Franz (II.), den „Kçnig von Bçhmen und Ungarn“, erfolgt war, setzte sich die preußische Armee unter dem Befehl des Herzogs von Braunschweig in Marsch. Friedrich Wilhelm begab sich am 24. Juni zu den Truppen nach Koblenz ins Hauptquartier.910 Als im Sommer 1792 – keine sechs Jahre nach Friedrichs Tod – das preußisch-çsterreichische Heer gemeinsam in den Krieg gegen Frankreich zog, fand die friderizianische Westeuropa-Politik ihr definitives Ende, das sich in Reichenbach bereits angedeutet hatte. III. Preußen und die ersten vier Koalitionskriege (1792 – 1807) Der preußisch-çsterreichische Revolutionskrieg wurde 1793 zum Koalitionskrieg, weil sich die Fîhrungsmacht England und andere europische Staaten zum Eingreifen veranlaßt sahen, als die Interventionsarmee, die den Widerstand der Franzosen erheblich unterschtzt hatte,911 sich nach der berîhmten Kanonade von Valmy wieder zurîckzog,912 whrend die nachdrngenden Franzosen das linke Rheinufer besetzten und die Stdte Speyer, Mainz und Frankfurt eroberten. Nach dem Sieg bei Jemmapes (6. November 1792) besetzten die Franzosen Mons, Brîssel, Lîttich und Antwerpen, marschierten 1793 in Holland ein und annektierten Belgien, whrend sie im Sîdosten Savoyen und Nizza eroberten. Diese annexionistische Politik („natîrliche Grenzen“), die der Konvent durch ein Dekret vom 19. November legalisiert hatte, beobachtete besonders England, 909 Zu diesem Konflikt vgl. H. E. Abendroth, Sophie Julie Dçnhoff … (s. Anm. 901), S. 69 – 75. 910 Im Juli trafen die emigrierten Brîder Ludwigs XVI. in Mainz mit Franz II. und Friedrich Wilhelm II. zusammen, der mit ihnen am 30.7. in Bingen speiste; vgl. C. Henke, Coblentz … (s. Anm. 868), S. 70 (mit Anm. 51). 911 Kurze Zusammenfassung des Krieges: ebd., S. 280 – 289. Das berîchtigte (Koblenzer) „Manifest“ des Herzogs von Braunschweig vom 25. Juli, in dem die Zerstçrung von Paris angedroht wurde, trug wesentlich zur Strkung der franzçsischen Verteidigungsbereitschaft bei; W. Real, Potsdam … (s. Anm. 865), S. 125. 912 Neuere Analysen: Roger Dufraisse, Valmy: une victoire, une l¤gende, une ¤nigme, in: Francia 17/2 (1990), S. 95 – 118; Wilfried von Bredow, Goethe in Valmy, in: Johannes Kunisch / Herfried Mînkler (Hg.), Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution (= Beitrge zur Politischen Wissenschaft, 110), Berlin 1999, S. 113 – 130.

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das im flandrischen Raum von jeher sein besonderes Interessengebiet sah, mit ußerstem Mißtrauen, das sich durch die Hinrichtung des Kçnigs (21. Januar 1793) noch verstrkte. Erste Gegenmaßnahmen Pitts d. J. fîhrten im Konvent zu einer fast missionarischen Stimmung: Man erklrte England und Holland (und wenig spter auch Spanien) den Krieg (1. Februar/7. Mrz). Da sich 1793 bis auf die nordischen Mchte, die Schweiz, Venedig und die Toskana alle Staaten Europas der antifranzçsischen Allianz anschlossen, entstand aus der preußisch-çsterreichischen Strafexpedition vom Sommer 1792 eine europische Koalition gegen das revolutionre Frankreich. Nachdem sich in Großbritannien mit Edmund Burke die folgenreichste gegenrevolutionre publizistische Stimme erhoben hatte („Reflections on the Revolution in France“, 1790), wurde das Land in mehrfacher Hinsicht zum zentralen Rîckhalt der insgesamt fînf Koalitionskriege: durch die Subsidien (insgesamt 830 Millionen Pfund), durch die ˜berlegenheit seiner Flotte und – seit 1808 – auch durch einen maßgebenden Anteil an der Kriegfîhrung. 1. Preußens Ausstieg aus der Ersten Koalition (1795) Als schnelle Erfolge im Kriege ausblieben und außerdem der von Friedrich hinterlassene Staatsschatz (55,2 Millionen Taler) lngst aufgebraucht war, ließ sich Friedrich Wilhelm, um wenigstens Teilerfolge vorweisen zu kçnnen, fîr die Bereitstellung von 62.400 Mann monatlich 50.000 Pfd. Sterling zusichern (Vertrag vom Haag, 19. April 1794).913 Als es Streitigkeiten îber den Oberbefehl gab, wollten die Englnder nicht mehr zahlen; da sich auch die militrischen Erfolge in Grenzen hielten und die finanzielle Lage immer katastrophaler wurde, zog Preußen seine Truppen im Oktober 1794 vom westlichen Kriegsschauplatz zurîck und streckte – zunchst ohne Wissen des Kçnigs – Friedensfîhler aus, auf die das diplomatisch isolierte Frankreich einging. Seine guten Beziehungen zu den neuen Machthabern in Paris ermçglichten Prinz Heinrich, die von ihm erwarteten ersten Kontakte zu knîpfen;914 gemeinsam mit Struensee und Mçllendorff konnte er schließlich dem widerstrebenden, ritterlich-bîndnistreuen Kçnig das Einverstndnis zu separaten Friedensverhandlungen abringen (25. Oktober), an denen er allerdings nicht beteiligt wurde. Die zuerst von von der Goltz (6. Februar gest.), dann von Hardenberg (Sekretr: Alexander von Humboldt) gefîhrten Verhandlungen, die unter dem Eindruck der militrischen Erfolge Frankreichs standen, fîhrten zum Vertrag von Basel (5. April 1795), mit dem Preußen aus dem Ersten Koalitionskrieg 913 Zu allen Einzelheiten, auch den finanziellen, vgl. W. Real, Potsdam … (s. Anm. 865), S. 79 – 97. Abdruck des Vertrages (mit Ergnzung): CTS … (s. Anm. 500), 52, S. 199 – 207. 914 B. Mundt, Heinrich … (s. Anm. 902), S. 253.

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ausschied. Der von Preußen zugestandene Verzicht auf seine linksrheinischen Gebiete sollte anlßlich der zu erwartenden „pacification g¤n¤ral entre la France et l’Empire Germanique“ îberprîft werden – die mit Rîcksicht auf das Reich nur in den Geheimartikeln angesprochene „indemnisation territoriale“ (stillschweigend waren damit die Kirchengîter gemeint) war nur ein Wechsel auf die Zukunft. Durch den Verzicht auf die linksrheinischen Gebiete, die seit 1794 dem franzçsischen Staat faktisch einverleibt waren, erhielt Preußen zum erstenmal in seiner Geschichte eine gemeinsame Grenze mit dem inzwischen zur Republik gewordenen Frankreich: Im Rest-Herzogtum Kleve wurde das am rechten Rheinufer gelegene Wesel zur Grenzstadt. In einem anderen Geheimartikel wurde eine quer durch Deutschland verlaufende Demarkationslinie (sehr vereinfacht: „Mainlinie“) festgelegt. Allen jenseits dieser Linie liegenden Territorien (= Norddeutschland im weitesten Sinne) wurde von den Vertragspartnern Neutralitt zugesichert „afin […] de conserver le repos du nord de l’Allemagne et de r¤tablir la libert¤ entiºre du commerce“.915 Diese Bestimmungen wurden noch etwas modifiziert und in einem gesonderten Vertrag bekanntgemacht (17. Mai). Whrend man sich in §sterreich îber den „Judas am Reiche“ erregte und in dem Vertrag den „Beweis der schndlichsten Untreue“ sah, kritisierte auch Katharina II. „cette paix inf’me, honteuse et d¤sastreuse, qu’un roi sans foi ni loi avait sign¤ avec les bandits r¤gicides.“ Im Konvent wurde der Vertrag dagegen mit den Rufen „Vive la R¤publique“ begrîßt und einstimmig genehmigt. Kant soll er veranlaßt haben, seine Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) herauszugeben, die in Auszîgen in franzçsischer ˜bersetzung im Moniteur erschien.916 Auch in Preußen traf der Friedensschluß auf Zustimmung; daß er, wie manche Kritiker meinten, im Grunde eine politische Abdankung war,917 wird heute differenzierter gesehen: ein Zwei-Fronten-Krieg htte den Staat finanziell îberfordert. Dennoch hat der Kçnig seine Verstimmung îber den Vertrag mit den Kçnigsmçrdern nicht verbergen kçnnen. Daß ihn die finanzielle Notlage 915 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 52, S. 331 – 339. Der ergnzende Vertrag (17. 5. 1795: zur Demarkationslinie) ebd., S. 393 – 397. 916 Rudolf Vierhaus, Die Revolution als Gegenstand der geistigen Auseinandersetzung in Deutschland, 1789 – 1830, in: Roger Dufraisse (Hg.), Revolution und Gegenrevolution 1789 – 1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutschland (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, 19), Mînchen 1991, S. 251 – 266, hier S. 258. Zur Kant-Rezeption im ganzen: FranÅois Azouvi / Dominique Bourel, De Kçnigsberg ” Paris. La r¤ception de Kant en France, Paris 1991. 917 Eine ltere, ohne Quellenangaben geschriebene und inzwischen weitgehend îberholte Arbeit sprach von einem „unseligen und fîr die Geschichte der nchsten zwanzig Jahre so verhngnisvoll gewordenen Friedensvertrag“ [Anonym], Preußen und Frankreich von 1795 bis 1800, in: Hohenzollerische Forschungen 7 [1905], S. 68 – 92, hier S. 68).

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Preußens dazu zwang, wegen der lockenden polnischen Beute den Krieg im Westen aufzugeben und mit dem Abschaum der menschlichen Gesellschaft (Katharina: „l’¤cume du genre humain“) zu paktieren, hat Friedrich Wilhelm Zeit seines Lebens nicht verwunden.918 Besonders rgerlich war, daß sich Preußen trotz der frei werdenden Truppen mit den recht bescheidenen Erwerbungen aus der Dritten Polnischen Teilung zufriedengeben mußte, die Rußland und §sterreich dem nicht beteiligten Preußen in einem bis zum August geheim gehaltenen Abkommen vom 3. Januar 1795 zugebilligt hatten. Obwohl das Einverstndnis fîr Preußen „eine schwere Zumutung“ (Wahl) bedeutete, folgte man nach einigen territorialen Zugestndnissen §sterreichs dem Prinzip „Lieber etwas als gar nichts“ und trat der Vereinbarung bei (24. Oktober 1795). Die Verstimmung îber die polnische Frage hat wesentlich zu der wachsenden Entfremdung zwischen Preußen und §sterreich beigetragen. Insgesamt kann man feststellen, daß sich die von Bischoffwerder eingefdelte Annherung an §sterreich und die damit verbundene Aufgabe einer friderizianischen Grundposition nicht ausgezahlt hat. Es bleibt allerdings die Frage, ob unter anderer Fîhrung eine Koalition des absolutistischen Preußen mit dem revolutionren Frankreich denkbar gewesen wre. Zumindest fîr die Zeit bis zum Sommer 1792 htte angesichts der traditionellen außenpolitischen Strukturen eine solche Konstellation durchaus Realisierungschancen gehabt. Die Beziehungen Preußens zu Westeuropa zwischen dem Frieden von Basel919 und dem Zwangsbîndnis mit Frankreich vom Februar 1806 sind dadurch gekennzeichnet, daß sich der Hohenzollernstaat nach 1795 in einem Zustand der „bewaffneten Neutralitt“ befand und alles daran setzte, diesen Status zu bewahren. Diese Haltung, die sich unter Friedrich Wilhelm III. (1797 – 1840) noch verstrkte, fîhrte Preußen in eine zunehmende Isolierung. Auch die Erwartung, daß Preußen die Rolle einer Schutzmacht îber das neutralisierte Norddeutschland îbernehmen kçnne, erwies sich als trîgerisch, weil die weiter im Krieg befindlichen Staaten Frankreich und §sterreich die Neutralittszone kaum beachteten und Preußen nicht genug Truppen hatte, um Grenzverletzungen zu verhindern. Bei den Verhandlungen îber eine Revision der Grenzlinie brachte Frankreich, weil der Krieg mit dem Reich ebenfalls weiterging, die Frage der linksrheinischen Gebiete zur Sprache.920 Preußen er918 W. Real, Potsdam … (s. Anm. 865), S. 132. 919 Mit dem Frieden von Basel setzt eine vorzîgliche, zweibndige Quellensammlung ein, die noch immer eine Fundgrube darstellt: Paul Bailleu (Hg.), Preußen und Frankreich von 1795 bis 1807. Diplomatische Correspondenzen (= PubllPreußStaatsarch 8 und 29), 1: 1795 – 1800, 2: 1800 – 1807, Leipzig 1881/1887. Beiden Teilbnden sind fundierte, quellengestîtzte Einleitungen vorangestellt. 920 Seit dem 11. 7. 1795 war Frankreich in Preußen durch den Gesandten Caillard vertreten, der am 8. 5. 1798 durch Sieyºs abgelçst wurde. Vgl. zu beiden Dominique Bourel, La

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reichte im Berliner (Doppel-) Vertrag vom 5. August 1796 erstens die Besttigung der norddeutschen Neutralitt, zweitens aber – im Geheimteil – gegen den so gut wie definitiven Verzicht auf seine linksrheinischen Besitzungen die konkrete Zusage einer territorialen Entschdigung. Daß bei diesen und anderen Entschdigungen „le principe des s¤cularisations devient absolument indispensable“, wurde nun offen ausgesprochen.921 Diese preußisch-franzçsischen Abmachungen bezeichneten „den hçchsten Grad von Einverstndnis, zu dem beide Staaten seit den Tagen vor dem siebenjhrigen Krieg je gelangt sind.“922 Daß whrend der fast zehnjhrigen Friedenszeit, die Preußen politisch herbeigefîhrt hatte, das betroffene Gebiet eine kulturelle Blîtezeit ohnegleichen erlebte, ist schon von Ranke unterstrichen worden. Auch die neuere Forschung neigt dazu, diese Friedensperiode, die auch den Menschen in ihren Alltagsgeschften hochwillkommen war, positiver zu bewerten923 als es frîhere Historiker getan haben. Was die in der Neutralittszone liegenden Lnder in den kriegerischen Wirren nach 1805 zu ertragen hatten, war schlimm genug, resultierte aber aus den inzwischen vçllig vernderten Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich. Nicht durchsetzen dîrfte sich allerdings die Verwendung des traditionell auf den skandinavischen Raum zielenden Begriffs von der „Ruhe des Nordens“924 fîr die zehnjhrige Neutralisierung Nord- und Mitteldeutschlands. Einen Problemfall besonderer Art stellte Hannover dar: Das Kurfîrstentum, seit 1714 mit Großbritannien in Personalunion verbunden, lag zwar in der neutralen Zone, galt aber besonders fîr Frankreich als beliebtes territoriales Spekulationsobjekt bei allen mçglichen Verhandlungen. Das fîhrte zwar in der Regel zur diplomatischen Beunruhigung Englands, doch ernsthafte Hilfe hatte

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mission d’Antoine Bernard Caillard ” Berlin, in: J. Mondot / J.-M. Valentin / J. Voss (Hg.), Deutsche in Frankreich … (s. Anm. 667), S. 277 – 282; Ders., Un r¤gicide ambassadeur ” la cour des Hohenzollern. Sieyºs ” Berlin, in: Herve Brouillet (Hg.), Contribution ” l’histoire de la R¤volution et de l’Empire. 1789 – 1815, Baden 1989, S. 277 – 286. Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 53, S. 231 – 241, das Zitat: S. 240. P. Bailleu, Preußen … (s. Anm. 919), 1, S. XXVII. Z. B. Andreas Wirsching, Die letzte „Ruhe des Nordens“. Preußens Neutralittspolitik und die Beziehungen zu Frankreich 1795 – 1806, (unverçffentlichter) Habilitationsvortrag an der Universitt Regensburg vom 12. 7. 1995, hier S. 7. Fîr die ˜berlassung des Manuskripts bin ich Herrn Wirsching sehr dankbar. Das ergibt sich eindeutig aus der Untersuchung von Otto Brandt, Das Problem der „Ruhe des Nordens“ im 18. Jahrhundert, in: HZ 140 (1929), S. 550 – 564; durch dieses Schlagwort wurde um 1800 die alte Frage nach dem „Dominium maris Baltici“ etwas in den Hintergrund gerîckt (ebd., S. 552). Auch K. v. Raumer, Deutschland … (s. Anm. 848), benutzt gelegentlich diesen Begriff in seinem eingeschrnkten Sinn (S. 156 u. ç.). 1804 wollte der Kçnig „die Ruhe im Norden“ (= Norddeutschland) erhalten, meist sprach er aber von „Nordeuropa“, „Norddeutschland“ oder vom „Norden des Reiches“.

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Hannover von dieser Seite nicht zu erwarten.925 1801 wurde das Land (vorîbergehend) von Preußen besetzt. Als sich aber Friedrich Wilhelm III. – trotz seiner Verantwortlichkeit fîr die Neutralitt Hannovers und Nordwestdeutschlands – einem militrischen Zugriff Frankreichs (1803), der „den ruhmlosen Untergang des Kurfîrstentums“ herbeifîhrte, nicht widersetzte, „he had given to Europe the measure of Prussia’s weakness“. Manche Historiker sehen im preußischen Kçnig „the one determining factor“, bei dem durch seine Haltung von 1803 die „ultimate responsability“ fîr die Ereignisse von 1805/06 lag.926 2. Friedrich Wilhelm III. und die zunehmende Isolierung Preußens Seit dem Ausstieg aus der Ersten Koalition verschlechterte sich das Verhltnis Preußens zu den beiden großen Westmchten von Jahr zu Jahr. Obwohl auch §sterreich aus dem Ersten Koalitionskrieg ausgeschieden war (Campo Formio, 17. Oktober 1797), setzte England den Krieg gegen Frankreich fort und brachte seit 1798 die Zweite Koalition zusammen (England, Rußland, §sterreich und andere europische Lnder). Alle Bemîhungen, auch Preußen zu gewinnen, scheiterten an der strikten Neutralittspolitik, die Friedrich Wilhelm III. zu seiner außenpolitischen Leitlinie gemacht hatte.927 Es war eine ganz persçnliche Entscheidung des Kçnigs („J’abhorre la guerre“), die auf Erfahrungen aus dem Frankreich-Feldzug (1792) und dem Krieg in Polen (1794) beruhte: Da es fîr ihn kein „plus grand bien sur terre que la conservation de la paix“ gebe, wolle er niemals „une guerre de caprice“ anfangen.928 Diese charakterliche Disposition veranlaßte den Kçnig Zeit seines Lebens, militrische Engagements bis zum letzten Augenblick hinauszuzçgern und dabei auf die fortun” zu vertrauen. Ob das ngstliche und verschlossene Wesen, das den Kçnig zeitlebens auszeichnete,

925 Vgl. Karl Friedrich Brandes, Hannover in der Politik der Großmchte 1801 – 1807. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Hannover, England und Preußen im Zeitalter Napoleons, in: ForschBrandPrG 51 (1939), S. 239 – 274, hier S. 247 – 251. Zum Hannover-Problem vgl. auch die neue Quellen auswertende Untersuchung von B. Simms, Impact … (s. Anm. 6), passim. 926 Immer noch nîtzlich ist die Arbeit von Guy Stanton Ford, Hanover and Prussia 1795 – 1803. A Study in Neutrality (= Studies in History, Economics and Public Law, 18/3), New York 1967. Die Zitate S. 312 – 314. 927 Mit den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms III. beginnt die materialreiche Darstellung von B. Simms, Impact … (s. Anm. 6), passim. Die Auswertung neuer Quellen lßt zwar die britische Politik in hellerem Licht erscheinen, doch fehlt der Studie bisweilen die innere Stringenz. 928 Friedrich Wilhelm III. an Prinz Heinrich, 16. 10. 1798, zitiert von P. Bailleu, Frankreich … (s. Anm. 919), 1, S. XLVII, Anm. 2.

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auf die Erziehung durch Gottlieb Behnisch zurîckgeht, der „als dîstere Erscheinung und stets îbelgelaunter Lehrer“ gilt, ist umstritten.929 Der 1770 geborene Großneffe Friedrichs verlebte seine Kindheit noch am ganz und gar franzçsisch geprgten friderizianischen Hof. Trotzdem îbergab der Kçnig die Erziehung des Dreijhrigen, der schon gelufig franzçsisch sprach, keinem Hugenotten, sondern dem frîheren Diplomaten Behnisch, der sich nach einer von Friedrich II. verfaßten Instruktion zu richten hatte. 1781 wurde Oberst Backhoff zum Erzieher fîr das Militrische ernannt; 1784 îbernahm der Elssser Michael Leuchsenring, der 1775 in Paris eine literarische Zeitschrift gegrîndet hatte, den Philosophieunterricht; da er sich mit Behnisch îberwarf und Berlin verließ, betraute Friedrich II. noch im gleichen Jahr Guillaume Moulines, ein Akademiemitglied und frîherer Pfarrer der franzçsischen Gemeinde, mit dem Philosophieunterricht fîr ein Jahr. Obwohl die einjhrige Unterweisung allseitige Zufriedenheit auslçste, blieb Moulines der einzige „Franzose“, der an der Erziehung Friedrich Wilhelms beteiligt war.930 Seine Thronbesteigung931 wurde einmal mit Blick auf die preußischfranzçsischen Beziehungen „eines der unglîcklichsten Ereignisse der preußischen Geschichte“ genannt, weil die starre Politik der Neutralitt das Verhltnis zu Frankreich auf die Dauer unhaltbar machte.932 Beide Staaten htten in einer preußisch-franzçsischen Allianz ihren Vorteil finden kçnnen, doch in Berlin und Paris gemachte Fehler haben das verhindert, wie sich bereits in Rastatt zeigte. Um die in Basel und Campo Formio nicht gelçste Entschdigungsfrage zu beraten, trat Ende 1797 der Rastatter Kongreß zusammen, auf der die franzçsische Delegation die definitive Abtretung des linken Rheinufers sowie die Entschdigung in Form von Skularisationen durchsetzen wollte.933 Um eine strkere Verhandlungsposition zu erreichen, verstrkte die franzçsische Regierung gleichzeitig ihre Bemîhungen um den Abschluß eines Bîndnisses. Die 929 So im Sinne der frîheren Auffassung P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 336), S. 55. Einen anderen Eindruck vermittelt die sehr differenzierte Darstellung von T. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 855), S. 20 – 28. 930 Ebd., S. 32 – 47 und S. 50 – 59. Zu Moulines: P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 336), S. 55 – 58. 931 Der eigenwillige, auf Gradlinigkeit und Einfachheit ausgerichtete Charakter des neuen Kçnigs zeigte sich schon bei der in Berlin und Kçnigsberg stattfindenden Huldigung; vgl. dazu Monika Wienfort, Monarchie, Verfassung und Fest. Großbritannien und Preußen um 1800 im Vergleich, in: Martin Kirsch / Pierangelo Schiera (Hg.), Denken und Umsetzung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europischen Lndern in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts (= Schriften zur Europischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, 28), Berlin 1999, S. 175 – 191. 932 Diese dezidierte Auffassung vertritt H. W. Reinherz, Preußisch-franzçsische Beziehungen … (s. Anm. 606), S. 45 f., das Zitat: S. 46. 933 Vgl. dazu D. Neri, Frankreichs Reichspolitik … (s. Anm. 849), passim.

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Verhandlungen in Berlin scheiterten an der Haltung Friedrich Wilhelms III., der stur an seinem Neutralittskurs festhielt, die in Rastatt an den zahllosen Streitigkeiten und Eifersîchteleien der vielen Interessenten. Der Zweite Koalitionskrieg und der berîchtigte „Rastatter Gesandtenmord“ (29. April 1799), dem zwei franzçsische Delegierte zum Opfer fielen, beendeten schließlich einen Kongreß, dessen Ergebnislosigkeit schon lange vorher abzusehen war. Daß eine starke preußisch-franzçsische Allianz zu besseren Ergebnissen gefîhrt htte, darf zumindest vermutet werden. Da die Friedensschlîsse Frankreichs mit dem Reich (Lun¤ville 1801) und mit England (Amiens 1802) Europa keine Ruhe brachten, erçffneten England, Rußland, §sterreich, Schweden und Neapel 1805 den Dritten Koalitionskrieg. Friedrich Wilhelm bestand wiederum auf Neutralitt,934 ließ sich aber auf ein Eventual-Bîndnis mit dem Zaren ein, der sich in einem Geheimartikel fîr die Abtretung Hannovers an Preußen aussprach (Vertrag von Potsdam, 3. November 1805).935 Daß dem zur Beschwichtigung Napoleons nach Frankreich gereisten Haugwitz stattdessen ein Zwangsbîndnis aufgedrngt wurde, wird weiter unten erçrtert werden.936 Weil Preußen dabei Hannover versprochen wurde, trat England auf den Plan.937 Um Pitt, der Preußen als kontinentalen Vorkmpfer gegen Frankreich gewinnen wollte, im Hinblick auf Hannover zu beruhigen, entwarf Hardenberg einen großen Tausch- und Entschdigungsplan, der aber in England auf keine Gegenliebe stieß. Stattdessen bot man Preußen andere territoriale Gewinne an und drngte – vor allem nach Austerlitz – auf den Abschluß eines Bîndnisses, weil die Vernichtung Napoleons als die wichtigste Aufgabe erschien. Durch die großzîgigen Angebote, die dem Berliner Hof um die Jahreswende 1805/06 von England und seinen Verbîndeten gemacht wurden, befand sich Preußen „in einer so entscheidenden und gînstigen Lage, wie sie der Staat […] noch nie erlebt hatte“; „das Schicksal Europas hatte tatschlich einen Augenblick von den Entscheidungen Preußens abgehangen; […] die große Stunde fand in Berlin aber nur kleine Mnner“ – Friedrich Wilhelm zog wie immer „die Erhaltung des Friedens einem ungewissen Krieg“ (v. Raumer) vor. Mit der Unterzeichnung der Vertrge von Schçnbrunn/Paris938 934 Infolge der fortgesetzten Neutralittspolitik hatte Preußen auch in den Jahren von 1803 bis 1806 „an der Gestaltung Deutschlands keinen Anteil“ (K. O. v. Aretin, Altes Reich … [s. Anm. 595], 3, S. 514). 935 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 58, S. 267 – 287, hier (Art. 1) S. 271. 936 S. u. S. 668 f. 937 Vgl. K. F. Brandes, Hannover … (s. Anm. 925), S. 239 – 274, die Zitate: S. 272 f. Reichhaltige ergnzende Informationen bietet B. Simms, Impact … (s. Anm. 6), Part II: The events, S. 159 – 265 (Untersuchung der Zeit vom Oktober 1804 bis Juni 1806). 938 Wegen der besseren ˜bersichtlichkeit werden erst die Beziehungen zu England, dann zu Frankreich behandelt.

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war die Chance, Preußen fîr den Dritten Koalitionskrieg zu gewinnen, dahin. Die Konsequenzen ließen nicht auf sich warten: nachdem Preußen vertragsgemß Hannover besetzt und die deutschen Hfen geschlossen hatte, erklrte England am 11. Juni 1806 Preußen den Krieg – mit der einen westeuropischen Großmacht befand sich Preußen also seit dem Sommer 1806 im Kriege.939 Wie sah es mit der zweiten aus, die – entsprechend dem herkçmmlichen Gleichgewichtsdenken – im allgemeinen auf der anderen Seite zu finden war? Trotz der beachtlichen militrischen Erfolge, die seit einigen Jahren Napoleon fîr Frankreich errang, hatte sich die Republik mehrmals intensiv um Preußen als Bîndnispartner bemîht und versucht, die Beziehungen durch eine Allianz zu festigen. Fîr Michel Kerautret haben die Bîndnisbemîhungen Frankreichs um Preußen whrend der Revolutionszeit auch einen traditionellen Grund: Er sieht die Ursache dafîr „sicher“ in der „besonderen Zuneigung zu einem Monarchen neuen Typs“ (= Friedrich II.), die in der kollektiven Phantasie des vorrevolutionren Frankreich zur Versçhnung von Freiheit und heldenhafter Autoritt fîhrte.940 Obwohl auch Friedrich Wilhelm III. in Frankreich „einen natîrlichen Verbîndeten Preußens“ sah und viele Franzosen in Preußen den „alli¤ naturel dans tous les temps“ erblickten,941 scheiterten alle entsprechenden Versuche an der Neutralittspolitik des Kçnigs und der Vermutung der Minister, daß Frankreich Preußen doch nur als Speerspitze gegen §sterreich benutzen wolle. Nach den erfolglosen Verhandlungen von 1797 und 1798, als die Republik sogar den „Kçnigsmçrder“ Sieyºs als Gesandten nach Berlin geschickt hatte,942 kîhlten sich die Beziehungen so weit ab, daß Preußen fast den englisch-russischen Werbungen fîr die Zweite Koalition erlegen wre, aber Friedrich Wilhelm III. hielt unbeirrt am Prinzip striktester Neutralitt fest. Als nach dem Frieden von Lun¤ville die Entschdigungsfrage auf die politische Tagesordnung kam, war Preußen an einer Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich interessiert, da sich der Erste Konsul Napoleon wie ein selbsternannter Vollstrecker der Neuordnung des Deutschen Reiches aufspielte. Als zu den Verhandlungen „eine fast allgemeine Wallfahrt deutscher Diplomaten nach Paris begann und dort ein wîrdeloses Feilschen und Betteln um Erhaltung oder Vergrçßerung des Gebietes, unter Bestechung Talleyrands und anderer franzçsischer Beamten, einsetzte“, vollzog sich „das unerhçrte Schauspiel der 939 ˜ber den preußisch-britischen Krieg von 1806 vgl. Richard Krauel, Preußen und England vor hundert Jahren, in: DtRev 31 (1906), S. 348 – 361. 940 M. Kerautret, Friedrich II., in: J. Ziechmann (Hg.), Miniaturen … (s. Anm. 750), 2, S. 203 – 222, hier S. 222. 941 P. Bailleu, Frankreich … (s. Anm. 919), 1, S. XLVII u. ç., und S. XLI, Anm. 3 (Sieyºs an Talleyrand, 13. 10. 1798). 942 ˜ber die Mission Sieyºs’ vgl. [Anonym], Preußen … (s. Anm. 74), S. 87 – 90.

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freiwilligen Selbstentwîrdigung des deutschen hohen Adels“.943 Die Einzelheiten wurden vorab in einem preußisch-franzçsischen Vertrag festgelegt (23. Mai 1802;944 am 24. Mrz 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluß besttigt). „Das große Bçrsenspiel um Deutschlands Land und Leute“ (Treitschke), an dem auf preußischer Seite der Gesandte Lucchesini teilnahm, erbrachte fîr Preußen einen Landgewinn von 12.967 Quadratkilometern mit fast 560.000 Einwohnern – gegenîber 2.643 Quadratkilometern mit 127.000 Bewohnern, die es linksrheinisch verloren hatte; Preußen hatte allen Grund, der franzçsischen Republik, die ein vages Versprechen von 1795 so großzîgig, wenn auch auf Kosten anderer, eingelçst hatte, dankbar zu sein. Dennoch blieb der Kçnig bei seiner neutralen Haltung. Auch die Besetzung Hannovers durch die Franzosen 1803 nderte nichts an der grundstzlichen Einstellung Friedrich Wilhelms III., mit Frankreich zwar gute Beziehungen zu unterhalten, mehr aber nicht. Seine „îberngstliche Politik“ (Aretin) veranlaßte Haugwitz 1804 zum empçrten Abschied;945 an seine Stelle trat Hardenberg. Auch eine wahre Ordensflut (21. Mrz 1805: Der Kçnig und fînf andere hochrangige Preußen erhielten die hçchste franzçsische Auszeichnung, das Großkreuz der Ehrenlegion; 7. April 1805: Napoleon und sechs andere Franzosen bekamen den Hohen Orden vom Schwarzen Adler) konnte die Beziehungen nicht wesentlich verbessern.946 Whrend sich die Dritte Koalition zusammenfand, „verharrte Preußen allein unerschîtterlich auf dem einmal eingenommenen Standpunkt der Neutralitt“.947 3. Krieg gegen England und Frankreich Daß Preußen bei aller Friedensliebe mit großem Appetit auf das vor seinen Augen liegende Hannover blickte, hatte Napoleon lngst erkannt. Es bedurfte nur einiger Andeutungen, um in den preußischen Diplomaten heiße Begehr943 Zitate: A. Wahl, Geschichte … (s. Anm. 844), S. 136; Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 1, Leipzig 31882, S. 184 f. Sogar der îberaus kritische Franz Mehring, Jena und Tilsit, Leipzig 1906, in: Ders., Gesammelte Schriften, 6, Berlin 21975, S. 86, illustriert dieses unwîrdige Treiben durch ein langes Treitschke-Zitat. 944 Preußen verzichtete definitiv auf das linke Rheinufer und erhielt konkrete Zusagen auf Entschdigung (Abdruck: CTS … [s. Anm. 500], 56, S. 323 – 329). 945 Einen Hinweis auf die Kontroverse îber die Neutralittspolitik gibt K. O. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 595), 3, S. 625, Anm. 49. Bei dem indirekten Vorwurf, daß „dieser Kçnig“ „eine gesamtdeutsche Verantwortung […] nie gekannt“ habe, îbersieht der Autor, daß Friedrich Wilhelm immer und zu allererst als „Preuße“ dachte und handelte. 946 Jacqueline Keim, Ordensverleihungen in europischer Perspektive, in: Glanz und Glitter 7 (1937), S. 10 – 32, hier S. 24. 947 P. Bailleu, Frankreich … (s. Anm. 919), 2, S. LI.

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lichkeit fîr dieses Eroberungsobjekt zu wecken. Selbst Friedrich Wilhelm III. hielt zwar hartnckig an seiner Neutralittspolitik fest, suchte aber nach Wegen, sie mit der Besitznahme von Hannover zu verbinden. Die Priorittensetzung blieb aber umstritten.948 Jedenfalls wurde das englisch-deutsche Problem Hannover seit 1803 zum neuralgischen Punkt der preußischen Außenpolitik und ist eine der entscheidenden Ursachen dafîr, daß Preußen seine gescheiterte Neutralittspolitik „mit einem der widersinnigsten und hoffnungslosesten Kriege vertauschte, die es je gefîhrt hat“.949 Ein entscheidender Grund lag darin, daß der Preußenkçnig mit seiner halbherzigen Politik der unbedingten Neutralitt der kaltschnuzigen Brutalitt des Franzosenkaisers diplomatisch und menschlich nicht gewachsen war. Die das kînftige Schicksal Preußens bestimmenden Entscheidungen sind untrennbar mit Westeuropa verbunden. Sie fielen im Winter 1805/1806. Obwohl Friedrich Wilhelm auch im Dritten Koalitionskrieg auf die Neutralitt Preußens bestanden hatte, erklrte er sich nach einem persçnlichen Treffen mit dem Zaren (theatralischer Auftritt am Grabe Friedrichs II.) zu einer „m¤diation arm¤e“ zwischen den Kriegsparteien bereit. Sollte „le prompt retour de la paix continentale“ unter bestimmten Bedingungen nicht mçglich sein, versprach der Kçnig – unter einer sehr verklausulierten russischen Zusicherung des englischen Hannover950 – „le concours effectif de la Prusse ” la guerre que les Alli¤s font ” la France“ (Vertrag von Potsdam, 3. November 1805).951 Whrend Friedrich Wilhelm, der ewige Zauderer, einerseits mit der faktischen Aufgabe der Neutralittspolitik hçchst unzufrieden war, ließ er andererseits – in Erwartung der zweiten Alternative – militrische Vorbereitungen treffen, whrend Haugwitz zu Napoleon reiste, um diesen îber die neue Konstellation zu informieren. Weil ihm die politische Lage nicht gînstig erschien, ließ Haugwitz bei der ersten Audienz (28. November) den neuen Vertrag unerwhnt und sprach nur von Vermittlung. Drei Tage spter hatte die Politik den Taktiker eingeholt und jeden Vermittlungsversuch obsolet gemacht: Nach dem Jahrhundertsieg von Austerlitz (2. Dezember 1805) kannte Napoleon keine 948 Vgl. etwa die Ausfîhrungen ebd., 2, S. LVII-LXII, und von K. v. Raumer, Deutschland … (s. Anm. 848), S. 156. 949 Ebd., S. 187. 950 Daß sich hinter der angestrebten „frontiºre plus s•re“, die angeblich „imp¤rieusement dict¤e(s) par la position g¤ographique“ Preußens war, der Erwerb Hannovers verbarg, erluterte der erste Separat- und Geheimartikel (ausfîhrliche Analyse: B. Simms, Impact … [s. Anm. 6], S. 200 f. Zum Ausnahmecharakter des Potsdamer Vertrages, der „Hardenberg’s work“ war.) 951 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 58, S. 267 – 287, hier (Art. 1) S. 271. ˜ber die Mission des englischen Sondergesandten Harrowby, der seit Ende November 1805 in Berlin war, vgl. B. Simms, Impact … (s. Anm. 6), S. 202 – 206, S. 225 – 227. Preußen hatte das englische Interesse an Hannover wieder einmal grîndlich unterschtzt (S. 203: „Harrowby refused to discuss Hanover“).

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Rîcksichten mehr. Auch das der Kaiserin Josephine im Dezember 1805 îberreichte Geschenk von 12 großen KPM-Vasen952 blieb ohne Einfluß auf die politische Stimmung am franzçsischen Hof. Napoleon prsentierte Haugwitz einen Vertrag, der fîr Preußen ein Zwangsbîndnis mit Frankreich bedeutete (Februar 1806). Der Vertrag von Schçnbrunn (15. Dezember 1805), der Preußen gegen die Abtretung von Wesel, Cleve, Ansbach und Neuch’tel das englische Hannover zusprach,953 war ein Ultimatum. Ohne die preußische Zustimmung drohte der Krieg mit Frankreich. Als Friedrich Wilhelm III. der Ratifikation ein m¤moire explicatif mit einigen Modifikationswînschen beilegte, erklrte Napoleon dem nach Paris gereisten Haugwitz, daß die Abmachungen von Schçnbrunn, da vom Preußenkçnig nicht ratifiziert, null und nichtig seien. „In place of the defunct arrangements of Schçnbrunn“ setzte er einen neuen Vertrag auf, der Preußen zustzlich verpflichtete (Art. 4), alle Nordseehfen und Lîbeck „” la navigation et au commerce des Anglais“ zu schließen. Bis zur Ratifizierung, die diesmal ohne wenn und aber in drei Wochen zu erfolgen hatte, blieben die franzçsischen Truppen in Sîddeutschland stationiert – „la guerre ou le trait¤“, das war die Wahl, vor der Friedrich Wilhelm III. stand. Er entschied sich fîr die Ratifizierung, die am 25. Februar stattfand (Vertrag von Paris, 15. Februar 1806).954 Das von Frankreich seit 1795 angestrebte Ziel einer Allianz mit Preußen war erreicht – freilich unter Bedingungen, die sich Friedrich Wilhelm in seinen rgsten Trumen nicht htte ausmalen kçnnen: „Die Demîtigung Preußens durch den Schçnbrunner Vertrag hat die Demîtigung der Geschlagenen von Austerlitz an Schwere noch îbertroffen.“955 Das außenpolitische Kalkîl, das Napoleon durch die ˜berlassung Hannovers angestrebt hatte, ging auf: „War with Britain, […] the lesser of two evils […], was taken into account, and finally accepted, as a part of the calculated risk of Prussian policy.“ Als sich Großbritannien allen diplomatischen Bemîhungen um Schadensbegrenzung energisch widersetzte, geriet Preußen in einen schweren Konflikt mit diesem 952 A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 34. 953 Neuere Zusammenfassung: T. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 855), S. 201 – 213. 954 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 58, S. 397 – 400. Da der Vertrag von Schçnbrunn, der auch als trait¤ de Vienne bezeichnet wird, keine Rechtsgîltigkeit erlangte, wurde er in die Vertragssammlung CTS nicht aufgenommen. Die Ratifizierungsdebatte in Preußen analysiert B. Simms, Impact … (s. Anm. 6), S. 231 – 236. Zweifellos war die auch von Stein und Hardenberg geforderte „long-standing ambition to annex the electorate of Hanover“ (ebd., S. 235) der grçßte Fehler in der preußischen „Westpolitik“ vor 1866/ 1870. 955 K. v. Raumer, Deutschland … (s. Anm. 848), S. 158. „Schçnbrunn“ mîßte allerdings durch „Paris“ ersetzt werden. Das folgende Zitat bei B. Simms, Impact … (s. Anm. 6), S. 239.

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Land, das die Schließung der deutschen Hfen mit einer Seeblockade und der Wegnahme von îber 300 preußischen Handelsschiffen956 beantwortete. Da sich Preußen mçglichst schnell aus dem Zwangsbîndnis lçsen wollte, reagierte es verrgert auf kleinere Zwischenflle, empçrte sich îber die von Napoleon vorgeschlagene Rîckgabe Hannovers an England, leitete Rîstungen der Armee ein und begann, nachdem ein Ultimatum abgelaufen war, Ende September 1806 den Krieg gegen Frankreich. In diesem Vierten Koalitionskrieg stand nur noch Sachsen an der Seite Preußens. Verfeindet mit Frankreich und Großbritannien, hatte es, wenn îberhaupt, nur von dem fernen Rußland etwas Unterstîtzung zu erwarten. Der Krieg gegen die beiden westeuropischen Großmchte îberstieg Preußens Krfte bei weitem. Zu der allmhlich fîhlbaren Wirtschaftskrise kamen die vernichtende militrische Niederlage von Jena und Auerstedt,957 die Verschrfung der çkonomischen Misere durch die Verkîndung der Kontinentalsperre und das Friedensdiktat von Tilsit, das Preußen flchen- und bevçlkerungsmßig um etwa die Hlfte reduzierte und den Staat mit enormen finanziellen Leistungen belastete. Als besonders schmerzlich wurde die Wegnahme aller Gebiete zwischen Rhein und Elbe empfunden, obwohl man in Paris (Sieyºs, Talleyrand) schon 1798 erwogen hatte, Preußen hinter die Elbe zurîckzuwerfen.958 Eine Legende ist dagegen, daß lediglich der Einspruch des Zaren Napoleon davon abgehalten habe, dem preußischen Staat dasselbe Schicksal zu bereiten, das 1795 Polen widerfahren war.959

956 Das waren etwa 10 Prozent des Bestandes, der 1805 etwa 3.700 Schiffe betragen haben soll (Hans Saring, Die Wirkung der Kontinentalsperre auf Preußen, phil. Diss. Berlin 1930, S. 13). 957 Der Oberst Boguslawsky, der mit îber 500 preußischen Offizieren in Gefangenschaft geriet, leistete einen besonderen Beitrag zum preußisch-franzçsischen Kulturtransfer: Er unterzog den Ackerbau in der Champagne und Lothringen einer akribischen Analyse (Breslau/Leipzig 1809). Mitgeteilt von T. Grosser, Reisen … (s. Anm. 880), S. 163 – 228, hier S. 206. 958 P. Bailleu, Frankreich … (s. Anm. 919), 1, S. XLIII. 959 Vgl. Ilja Mieck, Die Rettung Preußens? Napoleon und Alexander I. in Tilsit 1807, in: Ilja Mieck / Pierre Guillen (Hg.), Deutschland – Frankreich – Rußland. Begegnungen und Konfrontationen/La France et l’Allemagne face ” la Russie, Mînchen 2000, S. 15 – 35.

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IV. Die preußisch-westeuropischen Beziehungen auf dem Tiefpunkt Die zahllosen Schikanen, Drangsalierungen und Demîtigungen, die mit der franzçsischen Besatzungspolitik einhergingen,960 ließen in breiten Kreisen der preußischen Bevçlkerung einen tiefsitzenden Franzosenhaß entstehen. Begînstigt wurde diese neue Einstellung durch die Erinnerung an das teilweise unerfreuliche Auftreten der franzçsischen Emigranten in den 90er Jahren; auch am Rheinsberger Hof des Prinzen Heinrich, der in sptfriderizianischer Zeit zu einem Sammelpunkt der mit Friedrichs Politik Unzufriedenen wurde, lebten viele franzçsische Emigranten, so daß Rheinsberg mit seiner dort versammelten Gesellschaft zu einer „zunehmend als unzeitgemß empfundenen Bastion des friderizianischen Zeitalters“ wurde.961 Die im 18. Jahrhundert alle Lebensbereiche beherrschende Frankophilie in Preußen fand in diesen Jahren ein vorlufiges Ende. Zwischen 1806 und 1815 verschlechterte sich das vom „Koblenz-Syndrom“962 bereits belastete Frankreich-Bild weiter. Symbol der napoleonischen Erniedrigung Preußens wurde die Quadriga auf dem Brandenburger Tor Berlins, die im Dezember 1806 demontiert und nach Paris gebracht wurde. Als das durch Einquartierungen, Armeelieferungen, Kunstraub und Kontributionen fast ruinierte Preußen 1812 obendrein Aufmarsch-, Versorgungs- und Ausrîstungsgebiet der Grande Arm¤e vor ihrem Rußland-Feldzug wurde, steigerte sich die Franzosenfeindschaft weiter und fîhrte zu den blutrînstigen Haßgesngen, mit denen „Patrioten“ wie Arndt, Kçrner und Jahn die aufgeputschte, rachsîchtige Jugend auf die Schlachtfelder der Freiheitskriege schickten.963 Das religiçs-nationale Pathos, das den Kampf um die Befreiung des „Vaterlandes“ von den Franzosen zu einem „heiligen Krieg“ stilisierte, speiste sich vorwiegend aus preußischen Quellen. „Bis auf wenige Ausnahmen stammte das Gros der Dichter, Feldprediger und protestantischen Geistlichen, die im Befreiungskrieg publizistisch und als Kanzelredner ttig waren, aus Preußen.“ Und 960 Einen guten Einblick in die aus der Okkupation resultierenden Probleme vermittelt – am Beispiel der Kleinstadt Beeskow – J. P. B. Rouanet, Toulouse … (s. Anm. 681), S. 137 – 154. 961 B. Mundt, Heinrich … (s. Anm. 591), S. 253. 962 I. A. Hartig, Emigranten … (s. Anm. 868), S. 47. ˜bernommen von C. Henke, Coblentz … (s. Anm. 868), S. 385. 963 Zu diesem Gesamtkomplex vgl. Ilja Mieck, Leipzig/Kassel: Napoleon, Madame de Sta×l, Vçlkerschlacht, in: Horst Mçller / Jacques Morizet (Hg.), Franzosen und Deutsche. Orte der gemeinsamen Geschichte, Mînchen 1996, S. 133 – 136. – Zur Entstehung des deutschen Nationalpatriotismus aus der Freiheitskampf-Ideologie vgl. Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverstndnis in Deutschland und Frankreich 1792 – 1918 (= Sprache und Geschichte, 19), Stuttgart 1992, S. 32 – 102.

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whrend Arndt964 den Haß zwischen Preußen und Franzosen zum notwendigen Lebensprinzip erklrte („Ich will den Haß gegen die Franzosen, […] ich will ihn fîr immer“, 1813) und Kçrner zum „Kreuzzug“ gegen die Franzosen aufrief, pldierte Kleist fîr eine „Lustjagd“ gegen „Wolf“ (= franzçsischer Soldat) und „Hçllensohn“ (= Napoleon), den er îbrigens zur Tçtung freigab: „Schlagt ihn tot! Das Weltgerichte/fragt euch nach den Grînden nicht!“ Den wortgewaltigen preußischen Dichter-Patrioten, denen die Sammlungen („Gold gab ich fîr Eisen“) viel verdankten, standen die Karikaturisten um nichts nach.965 Wie eine Nebelwand legte sich îber ganz Preußen ein tiefsitzender Franzosenhaß. Als die Preußen Frankreich 1814 eroberten,966 exportierten sie die jahrelang gewachsene Franzosenfeindlichkeit als Sieger- und Besatzungsmacht in das Land der Besiegten, wo das bislang neutrale Preußenbild nun stark negative Zîge annahm, die fîr Jahrzehnte maßgebend bleiben sollten.967 Die fast europaweit festzustellende und 1814/15 auf Frankreich îbertragene antinapoleonische Grundstimmung beruhte zu einem guten Teil auf dem organisierten Kunstraub des Franzosenkaisers. Auch in Preußen war sein Beauftragter, Vivant Denon („l’huissier-priseur de l’Europe“), unermîdlich ttig und suchte îberall aus, was nach Paris geschickt werden sollte. Zum Dank erhielt er – mit persçnlicher Widmung von Napoleon – eine vergoldete Reise-Schreibgarnitur („¤critoire de poche“), die Voltaire Friedrich geschenkt hatte.968 Fîr die Rîckgabe der Quadriga sorgte Friedrich Wilhelm III. persçnlich,969 whrend Jakob Grimm von der preußischen Regierung den Auftrag erhielt, in Paris die aus Preußen ge964 Die Arbeit von Gînter Dahms, Arndt und der europische Westen, phil. Diss. (Masch.) o. O. o. J., stand nicht zur Verfîgung. 965 Zum Gesamtkomplex vgl. Erich Pelzer, Die Wiedergeburt Deutschlands 1813 und die Dmonisierung Napoleons, in: Gerd Krumeich / Hartmut Lehmann (Hg.), „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frîhen 20. Jahrhundert, Gçttingen 2000, S. 135 – 156, die Zitate: S. 140, 145 – 147. Unter neuen Fragestellungen wird diese Zeit untersucht von Karen Hagemann, Mannlicher Muth und teutsche Ehre. Nation, Krieg und Geschlecht in der Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens (= Krieg in der Geschichte, 8), Paderborn 2001. 966 Zu der diplomatisch-politischen Konstellation, die letztlich zur Niederwerfung Napoleons fîhrte, vgl. Henry A. Kissinger, Das Gleichgewicht der Großmchte. Metternich, Castlereagh und die Neuordnung Europas 1812 – 1822, Zîrich 1990. Zur einschlgigen Preußen-Literatur: Ilja Mieck, Preußen von 1807 bis 1850. Reformen, Restauration und Revolution, in: Otto Bîsch (Hg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, 2, Berlin/New York 1992, S. 7 f. 967 Vgl. dazu I. Mieck, Preußenbild … (s. Anm. 40), passim. 968 P. Sollers, Le Cavalier … (s. Anm. 751), S. 265 f. Die dort erwhnte „extraction“ von 278 Gemlden wre mit den Angaben in der Preußen-Literatur (Bassewitz, Kataloge) zu vergleichen. 969 Ilja Mieck, Von der Reformzeit zur Revolution (1806 – 1847), in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichte Berlins, 1: Von der Frîhgeschichte bis zur Industrialisierung, Mînchen 21988, S. 403 – 602, hier S. 473 f.

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raubten Handschriften zu ermitteln und zurîckzuverlangen. ˜ber Wilhelm von Humboldt, der ebenfalls im Sommer 1815 in Paris war, kaufte Friedrich Wilhelm III. fîr 540.000 Francs von dem Pariser Kunsthndler Bonnemaison 157 Gemlde italienischer Meister, die den Grundstock fîr die Berliner Gemldegalerie bildeten. Trotz dieser recht intensiven Beziehungen war die Bilanz fîr die preußisch-franzçsischen Beziehungen bitter: „Ein Jahrzehnt napoleonischer Herrschaft hatte ausgereicht, das […] deutsch-franzçsische Verhltnis nachhaltig zu vergiften.“970 Nicht wenige der von Napoleon so geschundenen Preußen reisten 1814/15 im Gefolge der siegreichen Truppen als „Kriegstouristen“ in die franzçsische Hauptstadt, diesen vorîbergehenden Sammelplatz der aus ganz Europa zusammengetragenen Kunstschtze. „Ganz Berlin sei aus Berlin gezogen, um Paris zu sehen“, notierte ein Beobachter. Der Gedanke „Wir sind gercht“ verband alle Preußen, und „in den Bogengngen des Palais Royal hçrt man mehr deutsch als franzçsisch reden“.971 Zu der allgemeinen Animositt gegen die Franzosen, die am tglichen Gebrauch der Sprache am Hof und in den besseren Kreisen nichts nderte, kamen die wirtschaftlichen Folgen, die sich im Gefolge der franzçsisch-britischen Auseinandersetzungen, die auch als Wirtschaftskrieg gefîhrt wurden, fîr Preußen ergaben. Da Napoleon die englische ˜berlegenheit zur See (Abukir, Trafalgar) akzeptieren mußte und der Versuch einer eventuellen Invasion (Boulogne, Sommer 1805) aufgegeben worden war, versuchte der Kaiser auf andere Weise, die fîhrende Industrie- und Handelsmacht in die Knie zwingen. Das vom Direktorium 1796 erlassene Importverbot fîr englische Waren blieb unter Napoleon bestehen und wurde 1803 erneuert. Den dadurch vor Konkurrenz geschîtzten franzçsischen Produkten wie Baumwoll- und Seidenwaren, Leder und Galanterieartikel sollten Preußen und die anderen eroberten Gebieten große Absatzmrkte bieten, weil die Einfuhrzçlle von den franzçsischen Besatzungsbehçrden bewußt niedrig gehalten wurden, zum Beispiel durch die pauschale Senkung der vorgeschlagenen Zollstze um 50 Prozent.972 Der auch in Deutschland scharf kritisierte Versuch Englands, den Handel mit den Nordseehfen von Brest bis Hamburg zu monopolisieren (16. Mai 1806), hat „den gigantischen Wirtschaftskampf heraufbeschworen, in dessen Wirbel alle Staaten des Kontinents […] hineingezogen wurden“, weil Napoleon 970 I. Mieck, Leipzig/Kassel … (s. Anm. 963), S. 135. Im Hinblick auf den preußischen Anteil wre eine wichtige Quellensammlung (225 Titel) auszuwerten: Rainer Schçwerling / Hartmut Steinecke (Hg.), Politische Schriften aus den Freiheitskriegen 1813 – 1815 (= Anti-Napoleonische Pamphlete, Erste Abteilung), Microfiche-Edition, Hildesheim 1998. 971 Zitiert von T. Grosser, Reisen … (s. Anm. 880), S. 207. 972 Zu allen Einzelheiten vgl. H. Saring, Wirkung … (s. Anm. 956), passim, hier S. 25 – 28.

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in diesem Maßnahmen-Krieg zu einer neuartigen Waffe griff, durch die er den çkonomischen Schwerpunkt Europas von London nach Paris zu verlegen hoffte.973 Mit der in Berlin am 21. November 1806 verkîndeten Kontinentalsperre erreichte der seit 1793 tobende englisch-franzçsische Wirtschaftskrieg, unter dem fortan auch Preußen zu leiden hatte, eine neue Dimension: Die als protektionistische Sperrmaßnahme bestehende „Blockade“ Englands wurde jetzt den Erfordernissen des Grand Empire angepaßt: Kein aus England oder seinen Kolonien kommendes Schiff sollte kînftig einen kontinentaleuropischen Hafen anlaufen dîrfen, so daß England, nach Napoleons Willen aller Absatzgebiete beraubt, „nicht eigentlich an Auszehrung, sondern an Verfettung“ sterben sollte.974 Schwierigkeiten bei der Realisierung des Handelsembargos und Gegenmaßnahmen der Englnder fîhrten zur Eskalation. Durch immer schrfer werdende Bestimmungen (Dekrete von Mailand [23. November 1807; 17. Dezember 1807], Paris [11. Januar 1808], Rambouillet [9. Juli 1810], Trianon [5. August 1810: exorbitante Einfuhrzçlle fîr Kolonialwaren; von Preußen am 10. Oktober îbernommen] und Fontainebleau [19. Oktober 1810: Verbrennung englischer Waren]) wollte Napoleon erreichen, daß aus dem ursprînglichen blocus ein mçglichst lîckenloses systºme continental wurde.975 Trotz aller Bemîhungen ist es ihm aber nicht gelungen, die gesamte europische Kîstenlinie zu sperren, obwohl er die meisten Staaten zur Einhaltung der Kontinentalsperre verpflichten konnte. Durch Ausnahmegenehmigungen (Lizenzen), die es seit 1809 gab (allerdings nur fîr franzçsische Kaufleute), fîhrte er einen direkten Handel mit England ein (etwa fîr Kriegsmaterial), whrend er dies allen anderen verbot: „So machte sich Napoleon […] selbst zum Schmuggler“ (Tulard). Auch in den preußischen Hafenstdten war eine ganze Bîrokratie damit beschftigt, die Einhaltung der Kontinentalsperre zu kontrollieren und den Schmuggel, der beachtliche Ausmaße annahm, zu unterbinden. Da alle Beamten zur Eidesleistung verpflichtet wurden, lief die Verwaltung meist reibungslos weiter; trotzdem richteten die Franzosen zustzliche Kontrollsysteme ein. Berîchtigt war der Konsul Clerembault, der in Kçnigsberg einen ziemlich schamlosen Handel mit Lizenzen trieb.976 Zur territorialen Abrundung und zur besseren Beaufsichtigung der Hfen annektierte Frankreich 1810 Holland sowie 973 Ebd. S. 15 f. 974 Hans Haussherr, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit vom Ende des 14. bis zur Hçhe des 19. Jahrhunderts, Kçln/Wien 41970, S. 360. 975 Als systºme continental bezeichnet man die wirtschaftlich-politische Organisation, die Napoleon dem Kontinent aufzwang, um ihn der Kontinentalsperre zu unterwerfen und seine Mrkte zugleich den franzçsischen Waren zu çffnen. 976 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 371 f. (mit Anm. 2).

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Teile der deutschen Nord- und Ostseekîste mit Bremen, Hamburg und Lîbeck. Das Grand Empire umfaßte nun 130 Departements; von den „limites naturelles“ war nicht mehr die Rede. Preußen gehçrte von Anfang an zu den Lndern, die von der Kontinentalsperre betroffen waren,977 da man Getreide und Holz nach England exportierte und die Manufakturen weitgehend auf die Einfuhr englischer Farbstoffe, Baumwolle und Baumwollgarne angewiesen waren. Fast 90 Prozent des gesamten preußischen Handels hingen von England ab. Um auf dem preußischen Markt eigene Manufakturwaren absetzen zu kçnnen, schlug die franzçsische Besatzungsmacht eine erste Bresche in das bisher dominierende Prohibitivsystem und erhob von allen Importgîtern nur einen mßigen Eingangszoll von durchschnittlich 8,7 Prozent. Die ungewohnte Konkurrenz aus Frankreich brachte nicht nur die bislang von Einfuhrverbot, Handels- und Fabrikationsmonopol profitierende KPM in große Schwierigkeiten;978 hnlich erging es auch den Berliner Seidenfabrikanten,979 doch insgesamt erfîllte sich die franzçsische Spekulation nur zum Teil: Die Bevçlkerung war viel zu arm, um die franzçsischen Luxusgîter kaufen zu kçnnen.980 Daß manche Unternehmer gleichwohl von der franzçsischen Besetzung profitieren konnten, zeigt das Beispiel des Strumpffabrikanten Ernst Hildebrand. 1786 aus Hannover nach Berlin gekommen und spter zum Werkmeister in der Strumpffabrik von Paul Duchesne aufgestiegen, machte er sich 1799 selbstndig (1801: 131 Stîhle). Durch die Qualitt seiner Produkte und die Breite des Angebots konnte er mit seinen Erzeugnissen (Tricots de Berlin) gegen die franzçsische Konkurrenz bestehen. Nach 1806 mußte er die Kaiserin Josephine und den franzçsischen Hof mit sehr feinen Seidenstrîmpfen beliefern, die fîr preußische Verhltnisse unerhçrt teuer waren (10 – 28 Tlr./Paar). Bis 1813 konnte Hildebrand von einem lebhaften Schmuggelabsatz nach Paris profitieren.981 977 Zusammenfassend: W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 241 – 245. Zu der Debatte îber die Auswirkungen der Kontinentalsperre vgl. Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien R¤gime zum Wiener Kongreß (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte, 12), Mînchen 31993, Kap. II/7. 978 Heinrich Weber, Wegweiser durch die wichtigsten technischen Werksttten der Residenz Berlin (= Der vaterlndische Gewerbsfreund. Ein Leitfaden der industriellen Geschftigkeit im Preußischen Staate, I, 2 Hefte [mehr nicht erschienen]), Berlin/Leipzig 1819/20, ND Leipzig 1987 (mit einem Nachwort von Erika Herzfeld), hier 2, S. 189 f.; ergnzend: A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 38. Der Einfuhrzoll fîr franzçsisches Porzellan wurde auf zehn Prozent festgesetzt. 979 Ilja Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806 – 1844. Staatshilfe und Privatinitiative zwischen Merkantilismus und Liberalismus (= VerçffHistKommBerlin, 20), Berlin 1965, S. 138, 212. 980 Zusammenfassend: H. Saring, Wirkung … (s. Anm. 956), S. 15 und S. 29 – 34. 981 H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 160.

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Schlimme Folgen hatte die Schließung der Hfen fîr die schlesische Leinwandherstellung, die unter einer jahrelangen katastrophalen Absatzkrise zu leiden hatte. Einen gewissen Vorteil brachten die ausbleibenden Rohrzuckerimporte, weil die Bemîhungen um die Zuckergewinnung aus Rîben intensiviert wurden. Whrend manche Handelshuser in Kçnigsberg zusammenbrachen, zogen andere durch phantasievollere Geschftsgestaltung – hnlich wie Hildebrand in Berlin – Nutzen aus den vernderten Umstnden.982 Von der insgesamt unîbersichtlichen Lage profitierte sogar die preußische Regierung: Durch die Freigabe beschlagnahmter Waren gegen hohe Lizenzgebîhren kassierte sie zwischen 1810 und 1812 etwa 12 Millionen Taler, die in den Militrhaushalt flossen.983 Die Kontinentalsperre war fîr Napoleon auch nach der am 31. Dezember 1810 verkîndeten offiziellen Absage Rußlands keineswegs erledigt. Noch bei den berîchtigten Februarvertrgen 1812 mußte Friedrich Wilhelm III. zusagen, „pendant toute la dur¤e de la guerre actuelle le systºme continental […] dans toute l’¤tendue“ seines Staates zu respektieren; da jeder Handel mit England zu unterbleiben habe, seien „toutes marchandises manufactur¤es en Angleterre“ zu verbrennen und alle Kolonialwaren zu beschlagnahmen.984 Weil Napoleon die çkonomischen Mechanismen eines Marktes von 80 Millionen Menschen administrativ ausschalten wollte, scheiterte er. Es war „das Jagen nach der Fata Morgana des wirtschaftlichen Sieges îber England […], das zum Zusammenbruch des Grand Empire entscheidend beigetragen hat“985 – Preußen hat von dieser besonderen westeuropischen Konstellation politisch, aber auch handelspolitisch profitieren kçnnen (siehe Tabelle 8). In dem auch wegen des Ausscherens Alexanders I. von Napoleon begonnenen Rußlandfeldzug und den anschließenden deutschen Freiheitskriegen brach das Kontinentalsystem zusammen. Verlierer des Handelskrieges war in erster Linie Frankreich, whrend England als Sieger aus dem Konkurrenzkampf hervorging. Preußen konnte seine handelspolitische Position zwar in etwa behaupten, mußte sich aber in den nchsten Jahren mit den Nachwirkungen der Kontinentalsperre auseinandersetzen:986 Die meisten der unter ihrem Schutz zu kînstlichem Wachstum gekommenen Manufakturbetriebe konnten sich nach 1815 nicht halten, als England seine Massenware auch auf den preußischen Markt warf. Der Kontinent mußte nun dafîr bezahlen, daß er sich von Napoleon in seinen Wirtschaftskrieg gegen England hatte hineinzwingen lassen. 982 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 372. 983 Mitgeteilt von E. Fehrenbach, Ancien R¤gime … (s. Anm. 977), S. 83. 984 Abdruck: CTS, 61, S. 460 f. Zur politischen Entwicklung vgl. I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 32 – 38. 985 Eberhard Weis, Der Durchbruch des Bîrgertums 1776 – 1847 (= Propylen Geschichte Europas, 4), Frankfurt am Main u. a. 1978, S. 270. 986 Vgl. S. 676 und S. 725.

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Tabelle 8: Der Wert der Importe Preußens aus Frankreich und Großbritannien zwischen 1787 und 1815 in einigen ausgewhlten Jahren (in 1.000 Rtlr.) Jahr

aus Frankreich

aus Großbritannien

1787 1792 1797 1802 1805 1806 1807 1808 1809 1810 1812 1814 1815

2.433 2.033 1.203 1.956 9.112 5.054 326 303 5.542 197 574 548 2.799

639 1.131 3.182 5.540 33.965 3.126 1.033 473 4.025 17.583 571 13.489 8.923

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Martin Kutz, Die Entwicklung des Außenhandels Mitteleuropas zwischen Franzçsischer Revolution und Wiener Kongreß, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), nach S. 540: Tabelle 1.

Obwohl Preußen nur mit Frankreich verfeindet war, ist es in diesen Jahren durch seine weitgehende Abhngigkeit von Napoleon in einen stndigen Konflikt mit England geraten, obwohl der Streitpunkt Hannover, der sogar zum preußisch-englischen Krieg gefîhrt hatte, seit dem Freundschaftsvertrag vom 28. Januar 1807 vom Tisch war.987 Die fîr Preußen so verhngnisvolle Konstellation von 1806 war damit îberwunden. England war sogar bereit, das noch immer schwer kmpfende Preußen mit 1 Million Pfund Sterling Subsidien zu unterstîtzen,988 doch durchkreuzte der Friede von Tilsit die weiteren Kriegsplne. Seit 1808 erhoffte sich das territorial dezimierte und von Napoleon schikanierte Preußen von der zweiten westeuropischen Großmacht, die erste Erfolge in Spanien erzielt hatte, eine gemeinsame Rîckkehr zu einem Zustand der Normalitt nach den Demîtigungen und Turbulenzen der napoleonischen Zeit.

987 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 59, S. 137 – 140. Der preußische Verzicht auf die „clúture de l’Ems, du Weser et de l’Elbe“ und die Zusicherung der „libert¤ de la navigation et du commerce“ wurden natîrlich durch die Kontinentalsperre praktisch unwirksam. 988 Abdruck des Subsidienvertrages vom 27. 6. 1807: CTS … (s. Anm. 500), 59, S. 225 – 229.

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V. Die neue Konstellation: An der Seite Englands gegen Frankreich Die Beziehungen Preußens zu Westeuropa entwickelten sich in den letzten Jahren der napoleonischen Herrschaft auf zwei Bahnen. Auf der einen Seite stand Frankreich, das in dem immer wieder gedemîtigten Preußen als Hauptfeind galt. Seit der Besetzung durch Napoleon entwickelte sich in Preußen eine antifranzçsische Grundstimmung, wie es sie frîher nie gegeben hatte. In den Ereignissen der napoleonischen øra liegen die eigentlichen Wurzeln der in spterer Zeit so oft genannten „Erbfeindschaft“.989 Wie es îber die aufgezwungenen Unterwerfungsvertrge, den Rußlandfeldzug, Tauroggen, Kalisch, die Freiheitskriege sowie mehrere Bîndnisse990 schließlich gelang, als Sieger in Paris einzumarschieren, ist oft beschrieben worden, bietet aber fîr unser Thema keine neuen Perspektiven, da der Grundtenor seit 1806/07 feststand. Die Brutalitt der franzçsischen Ausbeutung Preußens erfuhr durch die Pariser Vertrge von 1812 lediglich einen neuen Hçhepunkt. Mit England befand sich Preußen in der merkwîrdigen Situation, daß es in dieser politischen Konstellation zwar der natural ally war, aber infolge der von Napoleon erzwungenen Maßnahmen in der Praxis des politischen Geschfts als Gegner auftauchte. Daß man in London diese preußische Zwangslage verstand, hat die sich abzeichnende Bildung einer gegen Frankreich gerichteten Interessengemeinschaft begînstigt. Auch im Verhltnis zu Großbritannien waren die Weichen seit 1807 gestellt; was folgte, waren Versuche, das gemeinsame Kriegsziel zu erreichen, wobei die Meinungen îber den einzuschlagenden Weg zwar manchmal auseinandergingen, aber niemals zu einer Gefhrdung der Entente fîhrten. Nachdem sich Friedrich Wilhelm III. auch unter der Knute Napoleons jahrelang um eine mçglichst risikofreie Neutralittspolitik bemîht hatte, wurde der Juni 1813 fîr die kînftigen preußisch-westeuropischen Beziehungen zum Schlîsseldatum. Dem russisch-preußischen Bîndnis von Kalisch (27./28. Februar 1813), dem sich Schweden (22. April 1813) angeschlossen hatte, folgte am 14. und 15. Juni 1813 in Reichenbach der Abschluß der Allianzvertrge Rußlands und Preußens mit England. Gegen die Garantie Hannovers sicherte Großbritannien noch fîr 1813 zwei Millionen Pfund Subsidien zu. Preußen erhielt fîr die Gestellung von 80.000 Mann ein Drittel dieser Summe, Rußland 989 S. 461 und S. 809 f. 990 Zu der Bezeichnung „Freiheitskriege“ oder „Befreiungskrieg(e)“ vgl. I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 51 f. Zum Kriegsverlauf ebd., S. 57 – 72. Der Allianzvertrag von Chaumont-en-Bassigny (1. 3. 1814) wies in die Zukunft, denn die vier Großmchte verbîndeten sich „dans un parfait concert ” fin de se procurer ” elles-mÞmes et ” l’Europe une Paix G¤n¤rale“ (CTS … [s. Anm. 500], 63, S. 86).

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– fîr 160.000 Mann – zwei Drittel. Die neue Freundschaft mit der westeuropischen Großmacht England fîhrte zu der bemerkenswerten vertraglichen Feststellung, daß es „essentiel“ sei, „de reconstruire la Prusse dans les proportions n¤cessaires“. Ein Geheimartikel przisierte, daß dabei („si les succºs des Arm¤es Alli¤es le permettent“) zumindest an den Status „avant la guerre de 1806“ gedacht sei.991 Es paßte vorzîglich zu dieser Eventualzusage, daß wenige Tage spter, ohne daß die Unterzeichner es ahnten, Wellington den franzçsischen Truppen bei Vitoria eine vernichtende Niederlage bereitete (21. Juni). Zwei Jahre spter rîckten Preußen und Großbritannien noch enger zusammen, als Wellington und Blîcher am 18. Juni 1815 auf dem Schlachtfeld von Waterloo992 Napoleon besiegten und das Schicksal Europas entschieden. Symbolhaft flankierten die Figurinen „Britannia“ und „Borussia“ den zentralen Obelisken des prachtvollen Service, das Friedrich Wilhelm III. 1817 bei der KPM fîr Wellington in Auftrag gab.993 VI. Brîckenschlge anderer Art: Modernisierung und Handel Hufig wird darauf hingewiesen, daß sich Preußen 1814/15 militrisch durchsetzen konnte, weil es inzwischen eine tiefgreifende Reformperiode durchlebt hatte, die dem Staat eine politische und gesellschaftliche Modernisierung bescherte. Ohne in diese Debatte, bei der euphorische Tçne fehl am Platze sind, eingreifen zu wollen, lßt sich feststellen, daß die preußischen Reformen ohne westeuropische Vorbilder nicht denkbar sind. Dabei muß sowohl von England als auch von Frankreich die Rede sein, da sich die Motive der preußischen Reformer aus sehr unterschiedlichen Quellen speisten994 und 991 CTS … (s. Anm. 500), 62, S. 273 – 279 (14.6.: Großbritannien/Preußen), S. 289 – 297 (15.6.: Großbritannien/Rußland). Die Zitate: S. 275 und S. 278 f. 992 Die Preußen bevorzugten den Gasthof „La Belle Alliance“ als namengebend fîr die Schlacht. Vgl. dazu den interessanten Aufsatz von Erich Pelzer, Waterloo: Schlachtmythos und Erinnerungssymbolik, in: Gerd Krumeich / Susanne Brandt (Hg.), Schlachtenmythen, Kçln/Weimar/Wien 2000, S. 1 – 24 (Sonderdruck). 993 Im ganzen bestellte der Kçnig bei der KPM sieben „Feldherren-Service“: 1815 fîr Yorck, Kleist, Tauentzien und drei Prinzen, 1817 fîr Wellington (A. Siebeneicker, Offizianten … [s. Anm. 769], S. 46 f., 116); îber das Wellington-Service, das 28.452 Rtlr. kostete, berichtet ausfîhrlich H. Weber, Wegweiser … (s. Anm. 978), 2, S. 196 – 202. 994 Ernst von Meier, Franzçsische Einflîsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens im 19. Jahrhundert, 2 Bde., Leipzig 1907/08, hat sich als einer der ersten grîndlich und kritisch um „die Klarstellung des Verhltnisses der franzçsischen Revolution zur Stein-Hardenbergschen Gesetzgebung“ bemîht. Zu Hardenberg vgl. den neuen Sammelband von Thomas Stamm-Kuhlmann (Hg.), „Freier Gebrauch der Krfte“. Eine Bestandsaufnahme der Hardenbergforschung, Mînchen 2001, beide auch zum folgenden.

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die neuere Forschung gerade den Protagonisten Stein und Hardenberg unterschiedliche Positionen zuweist. Whrend Stein in strkerem Maße der deutschen Selbstverwaltungstradition und auch englischen Vorbildern verpflichtet war, gelangte Hardenberg eher von den Ideen der Aufklrung und den Prinzipien der Franzçsischen Revolution zu seinem Reformprogramm. Frankreichs „Vorbildcharakter fîr Europa“ (Weis) erreichte also auch Preußen, wo sich, nach dem berîhmten Wort des Ministers Struensee von 1799, „die heilsame Revolution […] langsam von oben nach unten vollziehen“ werde. øhnliche Gedankengnge finden sich in der berîhmten Rigaer Denkschrift Hardenbergs, whrend die Nassauer Denkschrift Steins von anderem Zuschnitt ist. Auch in der Reformzeit war also Westeuropa in Preußen immer prsent, weil sich die §ffentlichkeit, das Bildungsbîrgertum und die hohe Beamtenschaft mit den von dort kommenden Ideen intensiv auseinandersetzten.995 Da der anglophile Stein nach nur einem Jahr als Reformminister auf Druck Napoleons entlassen werden mußte (und auch spter nie zurîckgerufen wurde), rîckten whrend der zwçlfjhrigen Staatskanzlerzeit Hardenbergs franzçsischrheinisch-westflische Reformvorstellungen strker in den Vordergrund. Whrend sich etwa das Rheinland im Rechtswesen recht stark franzçsischen Einflîssen çffnete,996 war es im wirtschaftlichen Bereich insbesondere die von dem schottischen Nationalçkonomen Adam Smith entwickelte und an Preußens Universitten gelehrte Freihandelstheorie (Kçnigsberg: Kraus; Halle: Gasser, Stiebritz), die eine Wirtschaftsbelebung durch das Konkurrenzprinzip versprach und von der neuen Beamtengeneration durch Gewerbefreiheit (1810) und Handelsfreiheit (1818) in die Praxis umgesetzt wurde.997 Die aus Westeuropa gekommene Laissez-faire-Doktrin war îbrigens die einzige Errungenschaft der 995 Vgl. neuerdings Hermann Ludger, Die Herausforderung Preußens: Reformpublizistik und politische §ffentlichkeit in Napoleonischer Zeit (1789 – 1815) (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 781), Frankfurt am Main u. a. 1998. – Zu Struensee vgl. Rolf Straubel, Carl August von Struensee. Preußische Wirtschafts- und Finanzpolitik im ministeriellen Krftespiel (1786 – 1804/ 06) (= Bibliothek der brandenburgischen und preußischen Geschichte, 4), Potsdam 1999. 996 Zu der Rechtsproblematik vgl. Ilja Mieck, Die Integration preußischer Landesteile franzçsischen Rechts nach 1814/15, in Otto Bîsch / Monika Neugebauer-Wçlk (Hg.), Preußen und die revolutionre Herausforderung seit 1789. Ergebnisse einer Konferenz (= VerçffHistKommBerlin, 78), Berlin/New York 1991, S. 345 – 362; vgl. Christian Brandt, Die Entstehung des Code p¤nal von 1810 und sein Einfluß auf die Strafgesetzgebung der deutschen Partikularstaaten des 19. Jahrhunderts am Beispiel Bayerns und Preußens (= Europische Hochschulschriften, Reihe 2: Rechtswissenschaft, 3326), Frankfurt am Main u. a. 2002. 997 Vgl. I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 2 – 25; W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 215 – 218.

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preußischen Reformen, an der die Regierung auch in der Restaurationszeit festhielt.998 Fîr die Militrreform wurde die andere Großmacht Westeuropas wichtig. Angestoßen durch die Siege Frankreichs von 1792 bis 1806, orientierten sich die Militrreformer vielfach am Modell des Siegers (Wehrpflicht, Offizierskarriere, Abschaffung der Prîgelstrafe), so daß es zu einem „militrischen Kulturtransfer“ (Vogel) zwischen Frankreich und Preußen kam, wobei das franzçsische Vorbild von den Reformern allerdings etwas modifiziert und den preußischen Verhltnissen angepaßt wurde.999 Die westeuropischen Modernisierungsimpulse reichten sogar, wie Wolfgang Neugebauer nachweisen konnte, bis ins ferne Ostpreußen.1000 Zu den wichtigen Ursachen des Wandels in der Mentalitt der politischen Eliten und damit der politischen Kultur Altpreußens gehçrten die steigenden Getreidepreise, die viele Rittergutsbesitzer zur Umstellung der Produktion und zum Einsatz modernerer Anbaumethoden veranlaßten. Bereits unter Friedrich II. waren Verbindungen zu England geknîpft worden, um moderne Methoden der Landwirtschaft an Ort und Stelle zu studieren und wenn mçglich in Preußen nachzuahmen.1001 Einen akzelerierenden Faktor stellten die west- und mitteleuropischen Kriege der 80er und 90er Jahre dar; sie „hatten nachhaltige Wirkungen auf das mehr denn je auf den Weltmarkt bezogene Preußenland“, das um 1800 „Teil einer systematischen Weltmarktbeziehung“ geworden war.1002 Mit Lieferungen aus Kçnigsberg, Elbing und Danzig (1793 preußisch) deckte Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast 50 Prozent des englischen Importbedarfs an Getreide. Vor den napoleonischen Kriegen gab es auch einen nicht unerheblichen Export nach Frankreich: Von 1.300 preußischen Schiffen, die 1789 den Sund passierten, landeten 480, „charg¤s de grains“, in franzçsi998 Diesen Hinweis gibt Otto Pflanze, Bismarck and the Development of Germany, 3 Bde., Princeton 1990 [Dt. u. d. T.: Bismarck, 1: Der Reichsgrînder, Mînchen 1997], S. 291 f. 999 Jakob Vogel, Lernen vom Feind. Das Militr als Trger des deutsch-franzçsischen Kulturtransfers im 19. Jahrhundert, in: Etienne FranÅois u. a. (Hg.), Marianne – Germania. Deutsch-Franzçsischer Kulturtransfer im europischen Kontext 1789 – 1914 (= Deutsch-Franzçsische Kulturbibliothek, 10), Leipzig 1998, 1, S. 93 – 110, hier S. 99 f. 1000 Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Stnden zum Konstitutionalismus (= Quellen und Studien zur Geschichte des çstlichen Europa, 36), Stuttgart 1992, S. 152 – 194. 1001 Zu den preußisch-englischen Kontakten zur Modernisierung der Landwirtschaft s. Werner Kroker, Wege zur Verbreitung technologischer Kenntnisse zwischen England und Deutschland in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts (= Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 19), Berlin 1971, S. 129 – 131, S. 152 f. 1002 W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 1000), S. 168.

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schen Hfen.1003 Sogar die Niederlande und Spanien gehçrten zu den Abnehmern Ost- und Westpreußens.1004 Getreide aus Preußen war also in Westeuropa konkurrenzfhig, obwohl sich der Endpreis durch die Zahlung des Sundzolls, von dem nur die preußischen Hfen Stettin, Kolberg und Kammin (!) befreit waren, erhçhte. Die europische Marktbindung der beiden Regionen hatte weitreichende Folgen: Die „Wirkungen einer großen, Geldstrçme ins Land lenkenden westorientierten Marktbeziehung“ vernderten Mentalitten und Strukturen.1005 Diese „Westimpulse, die einen politischen Wertewandel hervorriefen“, hatten zugleich tiefgreifende sozial-psychologische Wandlungen zur Folge, wie sie sich bei der Einwirkung von Geld auf Menschen und Gruppen hufig einstellen: „Die westeuropischen Geldstrçme des preußischen Eigen- und des Durchgangshandels in die ostmitteleuropischen Binnenrume bewirkten eine folgenreiche Vernderung der (politischen) Kultur, nicht nur, aber auch in den Kreisen des Adels.“ Durch die Marktkontakte modernisierte sich langfristig nicht nur die altpreußische Agrarstruktur, auch die Lebensqualitt nderte sich. „Ich glaube“, schrieb ein Reisender 1800, „daß es Leute in Memel gibt, die von dem Hemd aus hollndischer Leinwand […] bis zu den Stiefeln aus englischem Leder kein preußisches Erzeugnis an ihrem Leibe haben, und in Mçbeln, Speisen und Getrnken herrscht der nmliche Luxus.“ Die napoleonischen Jahre mit ihren vielfachen Belastungen haben diese Haltung nur noch steigern kçnnen. 1812 erfuhr Napoleon persçnlich, „daß vom Prsidenten ab in Gumbinnen alles englisch gesinnt sei“.1006 Die zunehmende Einbindung Ost- und Westpreußens in die westeuropischen Marktbeziehungen hatte eine Folge, auf die erst kîrzlich aufmerksam gemacht wurde: Die beiden altpreußischen Kerngebiete entwickelten sich auseinander. Whrend in der Kurmark und den mittleren Provinzen die Orientierung auf den Residenzraum und das Herrschaftszentrum Berlin-Brandenburg strker wurde und sich die Wirtschaftsstrukturen eher als „defizitr-inversiv“ bezeichnen lassen, „schaute das çstliche Preußen weit îber die See, angebunden an Marktverhltnisse, die lngst Weltmarktverhltnisse waren, wie die kon-

1003 Mitgeteilt von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 415. 1004 Zu den gesamtstaatlichen Auswirkungen vgl. Wolfgang Neugebauer, Marktbeziehung und Desintegration. Vergleichende Studien zum Regionalismus in Brandenburg und Preußen vom 16. bis zum frîhen 19. Jahrhundert, in: JbGMitteldtld 45 (1999), S. 157 – 207, hier S. 193 – 196. 1005 Hervorhebung von W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 1000) S. 187, die folgenden Zitate: S. 192 und S. 487. 1006 Beide Zitate ebd., S.186.

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junkturellen Implikationen des amerikanischen Unabhngigkeitskrieges zeigen“.1007 Daß sich nach der unter Friedrich îberbetonten Frankophilie in der nachfriderizianischen Epoche andere westeuropische Einflîsse strker bemerkbar machten, betrifft auch den kînstlerisch-architektonischen Bereich. Beispielsweise gilt der von Friedrich Wilhelm II. in Auftrag gegebene Neue Garten in Potsdam, der seit 1787 von Johann August Eyserbeck angelegt wurde, als erster englischer Landschaftspark der preußischen Kçnige. Spter wurde der westliche Teil des Charlottenburger Schloßparks ebenfalls in englischem Stil umgestaltet. Auch das Marmorpalais mit seiner Sammlung von WedgwoodKeramik sowie die anderen Parkgebude aus dieser Zeit zeigen, daß die Dominanz des Franzçsischen teilweise durch andere Vorlieben, etwa fîr das Englische, ersetzt wurde. Vorwiegend auf England gerichtet war auch der preußische Versuch, sich îber die dort erreichten technischen Fortschritte in der frîhindustriellen Phase zu unterrichten. Schon unter Friedrich II. waren Beamte und Techniker mit dieser oft heiklen Aufgabe betraut worden, doch nach 1786 nahmen diese hufig vom Staat gefçrderten „technologischen Reisen“1008 von Mechanikern und Beamten zu.1009 Diese Reisen, die im westeuropischen Ausland mit Recht als eine kaum verschleierte Industriespionage1010 angesehen wurden, sind noch lngst nicht ausreichend untersucht.1011 Nichts wissen wir beispielsweise îber die Dienstreisen der ostpreußischen Beamten Koppien (1796 nach Holland, Frankreich und England) und Lohn (1796 nach England)1012, etwas mehr îber Theodor von Schçn, der mit seinem Begleiter Weiß 1798 – 1799 England be-

1007 W. Neugebauer, Marktbeziehung … (s. Anm. 1004), S. 199. 1008 Allgemein: W. Kroker, Wege … (s. Anm. 1001), passim; knappe Zusammenfassung mit Preußenbezug: W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 222 – 224. 1009 Beispiele fîr die erforderlichen finanziellen Mittel fîr Abwerbungen aus Westeuropa bei K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 110, S. 114, S. 182 f. 1010 Wolfhard Weber, Industriespionage als technologischer Transfer in der Frîhindustrialisierung Deutschlands, in: Technikgeschichte 42 (1975), S. 287 – 305. 1011 Neueste Zusammenfassung im Hinblick auf das Mutterland der Industrialisierung: Wolfhard Weber, Technologietransfer zwischen Großbritannien und Deutschland in der industriellen Revolution, in: W. J. Mommsen, Ungleiche Partner … (s. Anm. 28), S. 65 – 81, hier S. 65 – 73. 1012 Erwhnt von Hubert Heinelt, Studienreise und Innovation. Zur Reise Theodor von Schçns durch Deutschland und Großbritannien und deren Impulse fîr die Wirtschaft Ost- und Westpreußens, in: Udo Arnold (Hg.), Preußen im 19. Jahrhundert. Vortrge (= Schriftenreihe Nordost-Archiv, 24; Tagungsberichte der Historischen Kommission fîr Ost und Westpreußische Landesgeschichte, 4), Lîneburg 1984, S. 11 – 30, hier S. 27, Anm. 2.

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suchte, wo er 1798 eine Dreschmaschine kaufte.1013 Sogar whrend der napoleonischen Zeit wurden solche Reisen durchgefîhrt. In der Zeit nach 1786 wurden die Bemîhungen fortgesetzt, auf Reisen oder îber andere Kanle auslndische Facharbeiter aus Westeuropa fîr Preußen anzuwerben.1014 Fîr die von den Gebr. Baudouin gewînschte Abwerbung von zwei besonders geschickten Seiden-Appreteuren aus Lyon mîßte der Staat, so schrieben sie im Juni 1794, fîr Reisekosten und „vorteilhafte Aussichten […] wohl 6 bis 8.000 Rtlr.“ ausgeben. Als einige Jahre spter fîr den Seiden-Dessinateur Grimaud aus Lyon die Reisekosten sowie eine Jahrespension von 400 Rtlr. erbeten wurden, schlug die Behçrde sogar bessere Bedingungen vor, „da er nicht nur Muster zu kopieren, sondern auch neue zu erfinden verstînde, woran es in Berlin gnzlich fehlte.“1015 1804 gelang es, den hoch qualifizierten Porzellanmaler Louis Henri Rivet de la Grange aus Paris fîr die KPM zu verpflichten.1016 1807 kaufte eine Gruppe von Kaufleuten in Kçnigsberg ein frîheres Fabrikgrundstîck, auf dem sich noch „eine englische Schneidemîhle und eine hollndische Schmiede“ befanden.1017 Fîr alle mit der Industrialisierung zusammenhngenden Probleme blieb England die beste Adresse. Dabei funktionierte der englisch-preußische Technologietransfer in beiden Richtungen. Nachdem bereits der Hîttenfachmann Williams Wilkinson, „der die preußische Regierung bei der Entwicklung der oberschlesischen Industrie tatkrftig unterstîtzte“, Schlesien 1788 und 1789 1013 Ebd., S. 20. Einige Informationen zur Schçn-Reise geben W. Kroker, Wege … (s. Anm. 1001), S. 77 – 85, S. 86 – 92, R. Elsasser, Bildungsreisen … (s. Anm. 723), S. 116 f., und Bernd Sçsemann, Der ostpreußische Reformer Theodor von Schçn zur Wirtschaft und Gesellschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert. Die Tagebuchaufzeichnungen seiner Reise durch Deutschland und Großbritannien, in: ZOstforsch 32 (1983), S. 20 – 72. Eine kritische Edition der Aufzeichnungen Schçns îber seine Englandreise fehlt, so daß auf die unzulngliche Erstausgabe zurîckgegriffen werden muß (Studienreisen eines jungen Staatswirts in England […], Berlin 1891). Ursula Fuhrich-Grubert bereitet eine moderne Schçn-Biographie vor. Methodisch interessant ist ihr Aufsatz: Die Reise Theodor von Schçns durch Deutschland und England gegen Ende des 18. Jahrhunderts – eine Grundlage seiner politischen Verbindungen?, in: Bernd Sçsemann (Hg.), Theodor von Schçn. Untersuchungen zu Biographie und Historiographie (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 42), Kçln/Weimar/ Wien 1996, S. 41 – 53. Schçn hat îbrigens nur eine Reise nach England gemacht (so auch: W. Neugebauer, Politischer Wandel … [s. Anm. 1000], S. 161). 1014 Rtselhaft ist, wie es ein Gutsbesitzer bei Memel trotz des Auswanderungsverbotes fîr Facharbeiter schaffte, „zwei Dreschmaschinen samt Mechaniker aus Großbritannien“ kommen zu lassen (H. Heinelt, Studienreise … [s. Anm. 1012], S. 21). 1015 K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 110, S. 114, S. 183. 1016 A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 287. Den Wechsel hatte der Leibarzt des niederlndischen Kçnigs vermittelt. 1017 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 208.

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besucht hatte,1018 kam der schottische Ingenieur John Baildon auf Dauer dorthin (1796?), beteiligte sich am Bau der „Kçnigshîtte“ und errichtete dort 1802 den grçßten Hochofen des Kontinents. Er konstruierte auch die in der KPM in Berlin 25 Jahre arbeitende Dampfmaschine1019 und trat 1798 in den Staatsdienst ein.1020 Ein anderer Englnder, William Richard, der (als Quker wegen des Diensteides mit einigen Schwierigkeiten) 1787 preußischer Beamter geworden war, arbeitete noch bis 1827 als Chef einer Maschinenbauanstalt „mit grçßtem Erfolg fîr die kçniglichen Behçrden“ in Hettstadt bei Halle, wo er 1786 die erste in Preußen arbeitende Dampfmaschine zum regelmßigen Laufen gebracht hatte. Auf einer Englandreise konnte der Schwertfeger Voigt, der in Berlin eine kleine Stahlfabrik betrieb, drei Dutton-Brîder und William Whitehouse 1789 zur ˜bersiedlung in die preußische Hauptstadt bewegen. Obwohl die Auswanderung von Facharbeitern streng verboten und fîr John Dutton ein Kopfgeld von 500 Pfund ausgesetzt war, grîndeten sie in Berlin eine Fabrik, die Ende 1790 îber 100 Beschftigte zhlte. Whrend Whitehouse nach einem mißglîckten Versuch eigener Selbstndigkeit 1804 stark verschuldet nach England floh, florierte das Duttonsche Unternehmen bis ins beginnende 19. Jahrhundert. Die Ausbildung der etwa 30 Lehrlinge (1792) oblag einem „frîher mit großen Kosten aus England herbeigeschafften Feilenhauer“ namens Armatage. Der Plan des Gewerbeassessors Kunth, diesen englischen Betrieb mit einer Dampfmaschine, der ersten gewerblich genutzten in Preußen, auszustatten, zerschlug sich allerdings zugunsten der KPM.1021 Da der direkte Reiseweg nach England durch manche Unwgbarkeiten erschwert wurde, nahm Frankreich im west-çstlichen Industrialisierungsgeflle Europas eine wichtige Vermittlungsfunktion ein. Indem man Innovationen aus England importierte und Spezialisten aus den çstlicher gelegenen Kontinentalstaaten damit bekannt machte, wurde Frankreich zu einer „technologischen Diffusionsdrehscheibe“, die auch Besuchern aus Preußen reiche Informationen zu bieten hatte.1022

1018 Conrad Matschoss, Die Entwicklung der Dampfmaschine, 1, Berlin 1908, S. 155. 1019 Die wohl abschließende Untersuchung zur viel diskutierten Errichtung dieser Dampfmaschine bei A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 89 – 98. 1020 W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 207, 372. 1021 Zur Fabrik von Dutton, in der auch Kinder arbeiteten, vgl. H. Rachel, Wirtschaftsleben … (s. Anm. 195), S. 190 f., und K. Hinze, Arbeiterfrage … (s. Anm. 55), S. 141 f., S. 187 f., S. 203 (mit Anm. 2). 1022 T. Grosser, Reisen … (s. Anm. 880), S. 224 f. Einen besonderen Beitrag fîr den technologischen Erfahrungsaustausch zwischen Frankreich und dem îbrigen Europa leistete Frankreich durch die von der Pariser Akademie der Wissenschaften seit 1761 in

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Die Tabelle 9 nennt – ohne Anspruch auf Vollstndigkeit – die fîr Preußen insgesamt sehr ertragreichen „technologischen Reisen“ nach Westeuropa in der spt- und nachfriderizianischen Zeit. Die Reisen gingen whrend der napoleonischen Kriege weiter und fanden danach eine beachtliche Fortsetzung.1023 Die Tabelle, in der die Bezeichnungen „Technologische Reisen“ und „Techniker“ sehr weit gefaßt sind, zeigt, wie eng die preußisch-westeuropische Zusammenarbeit in diesen Jahren war. Die abnehmende Zahl der „technologischen Reisen“ infolge der kriegerischen Ereignisse1024 fîhrte dazu, daß Preußen gegenîber der westeuropischen Industrialisierung in einen Rîckstand geriet, der zwar kaum mehr als anderthalb Jahrzehnte betrug, gleichwohl aber recht schwerwiegend war, weil in dieser frîhen Phase Erfindungen, Neuerungen und Verbesserungen rasch aufeinander folgten. Es genîgt, an die enttuschenden Ergebnisse der Kgl. Eisengießerei in Berlin zu erinnern, als sie 1814/15 versuchte, zwei Dampfmaschinen und zwei Lokomotiven zu konstruieren.1025 Fîr den preußisch-franzçsischen Kulturaustausch bedeutete die Unterbrechung durch die napoleonische Zeit nur eine „c¤sure relativement brºve“ (Ruiz), obwohl durch die im Oktober 1795 eingefîhrte Paßpflicht eine „nouvelle bureaucratie frontaliºre“ entstand, die den Reisewilligen manchen ørger bereitete. Der aus dem Rheinland stammende Schriftsteller Philipp Adam Storck, quasi „le porte-parole de myriades de voyageurs“, schrieb 1809: „L’histoire des passeports compte parmi les pires contrari¤t¤s auxquelles un ¤tranger arrivant ” Paris est oblig¤ de s’exposer.“1026 121 Teilen herausgegebene Descriptions des arts et m¤tiers [Dt. u. d. T. Schauplatz der Kînste und Handwerke, 21 Bde., Berlin 1762 – 1805]. 1023 Auch whrend der napoleonischen Zeit riß der Transfer mit Frankreich nicht vçllig ab: 1805 fuhr Frick, damals „Vizearkanist“ der KPM, im Auftrag der Manufaktur nach Paris; 1812 begleitete er Alexandre Brongniart, den Direktor der Sºvres-Manufaktur und „Doyen der europischen Porzellanherstellung“, als Dolmetscher auf dessen Reise zu deutschen Keramik-Betrieben (A. Siebeneicker, Offizianten … [s. Anm. 769], S. 153). 1024 Wie unsicher die europischen Verbindungswege damals waren, zeigt der Fall von Abraham Schnitzler aus Solingen, der 1805 nach Portugal segeln wollte. Das Schiff wurde aufgebracht und er selbst in Tunis festgesetzt. Erst nach Zahlung eines hohen Lçsegeldes kam er 1806 frei (Martin Schumacher, Auslandsreisen deutscher Unternehmer 1750 – 1851 unter besonderer Berîcksichtigung von Rheinland und Westfalen [= Schriften zur rheinisch-westflischen Wirtschaftsgeschichte, 17], Kçln 1968, S. 257 – 259). 1025 Kurze Zusammenfassung: I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 63 – 65, S. 89 f. 1026 Hans-Ulrich Seifert, Les registres des passeports pour l’Int¤rieur comme source de l’histoire sociale du tournant des Lumiºres. L’exemple du d¤partement de la Sarre 1796 – 1814, in: J. Mondot / C. Larrere, Lumiºres … (s. Anm. 807), S. 183 – 201, hier S. 184. Im Hinblick auf dieses meist îbersehene Detail besonders der internationalen Reisepraxis besteht eine große Forschungslîcke. A. Ruiz, Migrations … (s. Anm. 1030), S. 84 – 86.

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Tabelle 9: Preußische Kontakte mit Westeuropa 1765-1799: „Technologische Reisen“ von Unternehmern, Beamten und Technikern, Abwerbungen (A) und empfangene Besuche (Auswahl) Jahr

Ziel- beziehungsweise Herkunftsland

Techniker/Fabrikant/Beamte

1765/ 66 1768 1774 1776/ 77

England

Klaus Friedrich von Reden,* Philipp Gottlob Heynitz A: Puddefoot (Breslau) Bourgignon Philipp Anton Heynitz,

England Frankreich Frankreich,

England 1778/ England, 79 Frankreich 1779 Frankreich 1782/ England 83 1782/ England 83 1783/ England, 84 Niederlande 1786 aus England 1786 1786 1786/ 87 1787 1788

England aus England England

England Frankreich, Niederlande 1788 aus Frankreich 1789 aus England 1789 1789/ 90 1791 1793 1793 1794 1784 1796

aus Frankreich England

England aus England England England aus England England, Frankreich 1796 England 1796? aus England

z. T. mit Friedrich Wilhelm v. Reden Joh. Phil.Waitz von Eschen/Bîckling Empeytaz Klaus Friedrich von Reden Johann Theodor Fischer Friedrich August Eversmanna Samuel Homfray, begleitet von Eversmann, besucht Schlesien** Karl Friedrich Bîckling A: William Richard Frhr. vom Stein/Johann Conrad Friedrich/Friedr. Wilh. v. Reden Nottebohm Johann Jacob Ferber/Waehler Wilkinson vier Monate in Preußen** A: John, Thomas und Charles Dutton, William Whitehouse (Berlin) Wilkinson erneut in Preußen Fr. Wilh. v. Reden/Joh. Friedr. Wedding Wedding (?) A: John Baildon (kurze Zeit in Bln) Itzenplitz John Baildon/Joh. W. Otto Schulze A: Joseph Beaumont (Schlesien) Koppien Lohn A: A. Nordberg/N. N. (Berlin)***

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Tabelle 9: (Fortsetzung) Jahr

Ziel- beziehungsweise Herkunftsland 1796/ aus England 97 1797 England Frankreich 1797/ England 99 1798/ England 99 1799? aus England 1800 England

Techniker/Fabrikant/Beamte A: John Baildon (Schlesien) Friedrich Gilly+ Theodor von Schçn, Paul Heinrich Weiß Barth. Georg Niebuhr A: George Woodward, Henry Houlden Vincke (2. England-Reise: 1807)++

* Obwohl hannoverscher Beamter, war Reden, ein Neffe von Heynitz und Vater von F. W. v. R., fîr die Entwicklung des preußischen Montanwesens außerordentlich wichtig. Vielleicht war wegen der Personalunion der Zutritt zu den englischen Fabriken fîr den Hannoveraner leichter. ** Homfray und Wilkinson erledigten quasi praeter legem zahlreiche preußische Bestellungen. Wilkinson, der ein Werk in Le Creusot errichtete, war von Ferber eingeladen worden. *** Die Abwerbung erfolgte durch den Berliner Fabrikanten Sieburg. Nach den Bemerkungen bei W. Kroker, Wege … (s. Anm. 1001), S. 142 f., kçnnte es sich auch nur um eine Person, nmlich Nordberg, handeln. Hinter dem unbekannten Englnder verbirgt sich vielleicht Woodward (ebd., S. 160-162). + Bei seinem Entwurf fîr ein (preußisches!) Nationaltheater verwendete Gilly jun. die Formensprache der franzçsischen Revolutionsarchitektur. ++ Der Minister erwartete von Vincke auch Informationen „îber die etwaige Verpflanzung englischer Arbeiter nach Preußen“. a Vgl. neuerdings Ulf Hartmann, Ein Industriespion entdeckt sich selbst. Die Englandreise des Friedrich August Alexander Eversmann von 1783, in: Otfried Dankelmann (Hg.), Entdeckung und Selbstentdeckung. Die Begegnung europischer Reisender mit dem England und Irland der Neuzeit, Frankfurt am Main u. a. 1999, S. 151 – 167. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach den Angaben bei R. Elsasser, Bildungsreisen … (s. § 4, Anm. 723); C. Matschoss, Dampfmaschine …, 1 (s. Anm. 1018); W. Kroker, Wege … (s. Anm. 1008); Wolfhard Weber, Innovationen im frîhindustriellen deutschen Bergbau und Hîttenwesen. Friedrich Anton von Heynitz (= Studien zu Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, 6), Gçttingen 1976; Ders., Industriespionage … (s. Anm. 1010).

Unter den zahlreichen Frankreich-Besuchern waren viele Preußen, die sich fîr lngere oder kîrzere Zeit in diesem Land aufhielten: Neben Prominenten wie Kleist,1027 Chamisso, Kotzebue, Arndt, Savigny,1028 den Gebrîdern Bo1027 Vgl. Justus Fetscher, Der Himmel îber Paris. Kleists erste Reise in die franzçsische Hauptstadt im Jahre 1801, in: Gudrun Gersmann / Hubertus Kohle (Hg.),

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isser¤e, Wilhelm von Humboldt, Rahel Varnhagen und ihrem Mann sind die Mediziner Friedlnder aus Berlin und David Alexander Koreff aus Breslau zu nennen.1029 Am bekanntesten ist wohl die preußisch-franzçsische WissenschaftsPartnerschaft von Alexander von Humboldt und Aim¤ Bonpland, dem Mediziner aus La Rochelle, die von 1799 bis 1804 ihre berîhmten Forschungsreisen in Mittel- und Sîdamerika unternahmen. Auf seiner Europareise (1805/06), die ihn u. a. durch Frankreich (mit Aufenthalt in Bordeaux) und Italien fîhrte, wurde Humboldt durch den Physiker-Chemiker Joseph-Louis Gay-Lussac begleitet, mit dem er die genaue Zusammensetzung des Wassers bestimmte (1805) und eine wichtige Schrift herausgab (1804). 1812 wurde Gay-Lussac zum korrespondierenden, 1842 zum außerordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie gewhlt – ein gutes Beispiel fîr preußisch-franzçsischen Wissenschaftstransfer in Theorie und Praxis. Jahrzehnte spter wurde der als Frankreichkenner geltende Alexander von Humboldt, der 22 Jahre in Paris gelebt hatte und 1810 zum assoziierten Mitglied des Institut de France gewhlt worden war, von zwei preußischen Kçnigen wiederholt als Sondergesandter und „Kulturbotschafter“ in die franzçsische Hauptstadt geschickt.1030 Wilhelm von Humboldt hielt sich, nach einem Kurzbesuch 1789, von 1797 bis 1801 in Paris auf. In seinem Salon in der rue de Verneuil, der als „une sorte d’ambassade officieuse“ galt, trafen sich die berîhmtesten Kînstler und Literaten Frankreichs. Im Winterhalbjahr 1799/1800 unternahm er eine lange Studienreise durch Frankreich und Spanien, die er 1801 durch eine mehrwçchige Reise ins Baskenland ergnzte. Die beiden Reisen haben wesentlich dazu beigetragen, daß sich Wilhelm von Humboldt verstrkt den Problemen von Sprache und Bildung zuwandte, mit denen er sich kînftig immer wieder beschftigte.1031 Obwohl die Zahl der Paris-Besucher whrend der napoleonischen Kriege etwas zurîckging,1032 war die franzçsische Hauptstadt bis 1814 „Mittelpunkt Frankreich 1800. Gesellschaft, Kultur, Mentalitten, Stuttgart 1990, S. 142 – 160. Von 1801 bis zum Frîhjahr 1804 reiste Kleist mehrmals nach Paris. 1028 Zur eventuellen Resonanz seiner Studienreise nach Frankreich (1804/06) wre zu konsultieren Mathias Freiherr von Rosenberg, Friedrich Carl von Savigny (1779 – 1861) im Urteil seiner Zeit (= Rechtshistorische Reihe, 215), Frankfurt am Main u. a. 2000. 1029 A. Ruiz, Migrations … (s. Anm. 876), S. 84 – 86. 1030 S. u. S. 712, S. 713, S. 716 und S. 721. 1031 M. Espagne, Voyage … (s. Anm. 807), S. 127 – 145, das Zitat: S. 128. 1032 Im Hinblick auf Besucher aus Preußen wre zu îberprîfen: Thomas Grosser, Der lange Abschied von der Revolution. Wahrnehmung und mentalittsgeschichtliche Verarbeitung der (post-) revolutionren Entwicklungen in den Reiseberichten deutscher Frankreichbesucher 1789 – 1814/15, in: G. Gersmann / H. Kohle (Hg.), Frankreich 1800 … (s. Anm. 1027), S. 161 – 193.

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einer einzigartigen deutsch-franzçsischen Gemeinschaft. Unter dem Zeichen der Revolution lebte hier die Tradition kosmopolitischer Gastfreundschaft fort, die das Ancien R¤gime geprgt hatte.“1033 Die Handelsbeziehungen Preußens zu Westeuropa haben sich in sptfriderizianischer und napoleonischer Zeit unterschiedlich entwickelt. Trotz hufig fehlender Angaben kann man annehmen, daß die frîher geknîpften Verbindungen zu Spanien und Portugal, auch zu Westfrankreich, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht abgerissen sind. Daß auch die preußischen Hfen, hnlich wie Hamburg, vom Abstieg der alten Handelszentren Bordeaux und Antwerpen profitieren konnten, trifft im Falle Englands jedenfalls zu. Von zentraler Bedeutung fîr Preußen wurde nmlich der Weizenhandel mit England, das seit der Mitte der 60er Jahre1034 zahlungskrftiger Nachfolger der Niederlande, Schwedens und Sîdeuropas geworden war, den bisherigen Hauptabnehmern. „Kçnigsbergs Getreidehandel erlebte einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung mit Maxima um 1773/74 und 1783/84.“ Andere Exportprodukte waren Leinsamen, Hanf und Forstprodukte, whrend – wertmßig geringer – Kolonialwaren wie Kaffee, Zucker, Tabak und Tee sowie Metallwaren und Erzeugnisse der englischen Industrie eingefîhrt wurden. Der aus Preußen und meist îber die Ostseehfen verschiffte englische Getreide- und Holzimport îbertraf um 1800 den aller anderen deutschen Hfen. Die Kaufleute an der Kîste verdienten natîrlich auch am Zwischenhandel mit dem preußischen Hinterland und mit Polen, so daß insgesamt erhebliche Geldmengen aus West-, Mittel- und Osteuropa in die ostpreußischen Gebiete flossen.1035 Die Tatsache, daß in der Literatur zwar çfter von „Deutschland“, aber fast nie von „Preußen“ die Rede ist,1036 betrifft auch die Zeit der Revolution und Napoleons.1037 Beispielsweise fehlt bei der fîr Bordeaux getroffenen Feststellung, daß trotz des Niedergangs der Hafenstadt „die traditionellen Handelsverbindungen im Weinexport mit Nordeuropa […] dank des Handels der 1033 A. Ruiz, Deutsche Emigranten … (s. Anm. 886), S. 62. 1034 Die Studie von Lars Atorf, Der Kçnig und das Korn. Die Getreidehandelspolitik als Fundament des brandenburg-preußischen Aufstiegs zur europischen Großmacht (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 17), Berlin 1999, geht auf die außenwirtschaftlichen Beziehungen trotz ihrer Bedeutung fîr die Fragestellung nicht ein. 1035 Vgl. dazu W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 1000), S. 166 – 188, das Zitat: S. 167. 1036 S. o. § 1 I 2. 1037 Die in der westeuropischen Historiographie immer wieder îbersehene Feststellung: „Avant la R¤volution franÅaise, on ne peut pas parler de relations franco-allemandes, […] puisque l’Allemagne politique n’existe pas“ (J. Binoche, Histoire … [s. Anm. 29], S. 4) ist sogar auf das 19. Jahrhundert auszudehnen: Selbst der Zollverein umfaßte erst seit 1888 (Anschluß Hamburgs und Bremens) ganz Deutschland.

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Neutralen und spter dank des Lizenzsystems“ weiterbestanden, jede genauere Spezifizierung.1038 Der im politischen Bereich gelufige Begriff der Cours du Nord (Nordmchte = §sterreich, Preußen, Rußland), fîr die im franzçsischen Außenministerium die Sous-direction du Nord zustndig war,1039 gilt nicht fîr den Handelsbereich; hier meint Le Nord – wie schon bei Colbert – die Anrainerstaaten der Ostsee in weitestem Sinne. ˜ber die Zeit bis zur Jahrhundertwende liegen etwas genauere Informationen vor, obwohl der Handel mit Preußen, das nach einer lteren Angabe 1789 den dreifachen Wert seiner Frankreich-Exporte aus diesem Land importierte (9:3 Millionen francs),1040 auch nicht im Mittelpunkt der ausgewerteten Untersuchung steht.1041 Danach war Deutschland am Vorabend der Revolution der wichtigste Handelspartner Frankreichs. Infolge der unruhigen Zeiten seit 1789/90 ging der Warenaustausch zwar zurîck, hçrte aber zu keiner Zeit vçllig auf. Trotzdem ist beispielsweise fîr das im Waren- und Geldhandel sehr aktive Berliner Bankhaus Gebr. Schickler ein durch die Revolution entstandener Verlust von zwei Millionen Livres anzunehmen.1042 Nach einer Abschwchung whrend der Jahre 1793/94 kam es schon vor dem Frieden von Basel zu einer deutlichen Neubelebung, die – mit Unterbrechungen – bis 1806 anhielt. Aus der Absicht, „de r¤tablir les relations commerciales, qui nous deviennent si n¤cessaires“, entwickelte sich zeitweilig in Frankreich sogar der Gedanke, mit Preußen einen Handelsvertrag abzuschließen, doch kam es nicht dazu. Mit den Jahren nderte sich die Qualitt der Warenstrçme. Bis îber die Mitte der 90er Jahre wurden îberwiegend Kolonialwaren (besonders Kaffee, Zucker), Seidenbnder, Trikotagen (bonneterie), feine Textilwaren (gazes, crÞpes, seidene Taschentîcher) sowie Wein und Branntwein (eaux-de-vie) exportiert und Rohstoffe wie Pottasche, Bauholz, Flachs, Garn, Hanf, Leder und Blei, aber auch Vieh und Getreide, Bnder (rubanerie) sowie Kurz- und Metallwaren eingefîhrt. Dazu kamen – wie von jeher – Bedarfsartikel fîr Heer (Pferde) und Marine (Masten, Segeltuch, Teer). Seit 1796 nahmen bei den deutschen Importen Wein und Branntwein bei weitem die erste Stelle ein (Jahr VII: 53,2 Prozent des franzçsischen Exports), 1038 Fernand Braudel / Ernest Labrousse (Hg.), Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich im Zeitalter der Industrialisierung. 1789 – 1880, 1, Frankfurt am Main 1986, S. 87. 1039 Martin Stauch, Im Schatten der Heiligen Allianz. Frankreichs Preußenpolitik von 1848 bis 1857 (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 713), Frankfurt am Main u. a. 1996, S. 23, Anm. 29. 1040 Mitgeteilt von P. Boissonnade, Histoire … (s. Anm. 85), S. 415 f. 1041 Roger Dufraisse, Les relations ¤conomiques entre la France r¤volutionnaire et l’Allemagne, in: J. Voss (Hg.), Deutschland … (s. Anm. 846), S. 214 – 248. Danach das Folgende, die Zitate: S. 233, S. 239 und S. 248. 1042 F. Lenz / O. Unholtz, Geschichte … (s. Anm. 801), S. 192.

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Tabelle 10: Prozentualer Anteil des deutsch-franzçsischen Handels am Gesamt-Außenhandel Frankreichs (a) und prozentualer Anteil Preußens am deutsch-franzçsischen Handel (b), ergnzt um die franzçsischen Importe aus Preußen (c) und die Exporte nach Preußen (d) zwischen 1787 und 1800 Jahr

a

b

c

d

1787 1788 1789 1792 1796/97 1797/98 1798/99 1799/00

10,7 11,4 12,2 11,9 17,7 20,4 27,8 28,3

10,4 10,9 14,0 7,7 9,1 6,5 8,4 19,4

12,9 16,3 18,0 8,8 8,4 10,1 6,4 29,2

9,8 9,7 12,8 7,3 10,1 4,8 9,0 10,2

(V) (VI) (VII) (VIII)

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach R. Dufraisse, Les relations ¤conomiques … (s. Anm. 1041), S. 245 und 248: Tabellen 1 c und 6.

whrend die Einfuhr von Kolonialwaren stark zurîckging.1043 An die zweite Stelle rîckten Manufakturwaren, insbesonderes hochwertige Stoffe aus Seide, Wolle und Leinen. Bei der Ausfuhr nach Frankreich erfuhren die Rohmaterialien noch eine Steigerung, ebenso die Industrieprodukte. Nhere Angaben zum preußisch-franzçsischen Warenaustausch fehlen. Da der Handel meist îber Hamburg und die anderen Hansestdte lief, war der direkte Austausch mit Preußen begrenzt (siehe Tabelle 10): Hinter diesen trockenen Zahlen verbirgt sich beispielsweise, daß im Jahre 1797 in Bordeaux 171 Schiffe aus Preußen ankamen (= 69 Prozent der Schiffsmenge), davon 92 aus Emden. Sie brachten Kohle fîr die Zuckerraffinerien, Holz fîr die Faß-Herstellung und zum Schiffsbau. Von den aus Preußen gekommenen Schiffen verließen 110 Bordeaux „charg¤s de vins pour la Guadeloupe, 44 pour d’autres ports franÅais, 65 pour les ports de l’Europe du Nord d’Anvers (alors franÅais) ” Kçnigsberg“. Die preußischen Schiffe waren also „des auxiliaires indispensables“ sowohl fîr den franzçsischen Außen- wie auch fîr den Binnenhandel. Neue Forschungen ermçglichen wenigstens einen kleinen Einblick in die preußischen Handelsverbindungen mit Bordeaux.1044 Danach gehçrte das Handelshaus Johann Jacob Vanselow in Stettin, das schon 1740 und 1741 Wein vom Großhndler Schrçder & Schyler/Bordeaux bezogen hatte, in den Jahren 1763 – 69, 1788 – 1793 und 1797 – 1804 zu den festen Kunden dieses Hauses. Die Gegenlieferungen bestanden meist aus „bois de tonnellerie“, also Faßholz. 1043 Vgl. Tabelle 3 (ebd., S. 518). 1044 Paul Butel, Les r¤seaux commerciaux du vin ” Bordeaux au XVIIIe siºcle, in: J. Mondot / C. Larrere, Lumiºres … (s. Anm. 807), S. 51 – 66, hier S. 61 – 64.

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In den 60er Jahren hatte das Unternehmen Schrçder & Schyler noch sieben andere Kunden in Stettin (1797 – 1801: 13 – 15). Weil „Stettin et les ports prussiens effectuent de plus en plus d’ordres d’achats ou de ventes“, stieg die Zahl der preußischen Kunden von Schrçder & Schyler: In Kçnigsberg von 5 (1763/69) îber 13 und 18 auf 26 (1788/93), in Breslau im gleichen Zeitraum von 6 auf 8. „Elbing, Stolpe, Kolberg voient leur role ¤galement renforc¤.“ Als Danzig, das etwa ein gutes Drittel der aus Bordeaux kommenden Weine importierte, 1793 preußisch wurde, verbesserte sich die preußisch-bordelaiser Weinstatistik noch erheblich. In den spten 90er Jahren nahm die Bedeutung der Landverbindungen im deutsch-franzçsischen Handel wegen des geringeren Risikos zu. Whrend der Anteil der Hansestdte deutlich zurîckging, erfuhr der Warenaustausch mit den „autres ¤tats allemands“ eine beachtliche Zunahme, die 1797/98 mit 68,3 Prozent (Hansestdte: 25,2; Preußen: 6,5 Prozent) einen Hçhepunkt erreichte. Welche Auswirkungen das auf Preußen hatte, lßt sich aus den vorliegenden Studien nicht entnehmen. Vergleichbare Untersuchungen, die sich – etwa in Ergnzung der Arbeit von Martin Kutz1045 – mit den Handelsbeziehungen Frankreichs mit Deutschland und insbesondere mit Preußen seit der Jahrhundertwende beschftigen, gibt es nicht. Was Lokalstudien fîr diese Fragestellung erbringen kçnnen, zeigen zwei Beispiele: Der in Nantes ttige Großkaufmann Ulric Auguste Pelloutier war in der Zeit vor 1800 als agent de commerce des Kçnigs von Preußen ttig. In der napoleonischen Zeit arbeitete er als Reeder, wurde vor 1815 zum preußischen Generalkonsul fîr die gesamte Bretagne ernannt und erhielt den Roten Adlerorden.1046 Das zweite Beispiel betrifft Kçnigsberg: „Als Rußland sich von der Kontinentalsperre lossagte, brachten die Englnder ihre Waren fîr halb Europa nach den russischen Ostseehfen, und von hier wurden sie in Karawanen leichter Wagen oder Schlitten nach Kçnigsberg gebracht, das so zu einem großen Umschlagplatz von Kolonialwaren wurde.“1047

§ 6 Preußen und Westeuropa von 1815 bis 1850 Whrend die europischen Mchte 1814/15 in Wien um die nach den Wirren der Revolutionsepoche und der napoleonischen Zeit dringend erforderliche Neuordnung Europas und Deutschlands stritten, schienen die alten Bîndnis1045 Martin Kutz, Die Entwicklung des Außenhandels Mitteleuropas zwischen Franzçsischer Revolution und Wiener Kongreß, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 538 – 558; leider teilt Kutz nur den Exportwert, nicht aber die Warenarten mit. 1046 M. A. Denzel, Preiskurant … (s. Anm. 800), S. 36. 1047 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 372.

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strukturen, die den Kontinent jahrelang geprgt hatten, zeitweise verschwunden. Alles scharte sich in Wien um die Diplomaten Castlereagh, Metternich1048 und Talleyrand,1049 die als die einflußreichsten angesehen wurden. Es war ein weiter Weg vom anfnglichen Schauplatz der Nationalinteressen bis zur Verabschiedung einer europischen Friedensordnung, die jahrzehntelang Bestand haben sollte.1050 Mit der Konsolidierung der politischen Verhltnisse kamen auch die traditionellen Bîndnisstrukturen wieder zum Vorschein. Fîr die Außenpolitik Preußens lag die letzte Zustndigkeit nach wie vor beim Kçnig. Daran nderte sich bis zum faktischen Ende einer eigenstndigen preußischen Außenpolitik nichts;1051 weder die nach 1815/16 ohnehin gebremsten Reformer noch die mit Außenpolitik befaßten Minister und Berater dachten jemals daran, den kçniglichen Entscheidungsanspruch in dieser Sache ernsthaft in Frage zu stellen. Deshalb haben auch Fragen der Mitbestimmung in außenpolitischen Fragen beim jahrzehntelangen Verfassungskonflikt in Preußen kaum eine Rolle gespielt. Die preußische Außenpolitik nach 1815, die in der lteren Literatur eine abwertende Beurteilung (unselbstndig, wankelmîtig, im Schlepptau Metternichs, inkonsequent o. .) erfuhr, wird neuerdings positiver beurteilt. Das liegt vor allem an den hartnckigen Bemîhungen des Kçnigs Friedrich Wilhelm III., den europischen Frieden wenn irgend mçglich zu bewahren. Die langjhrigen Außenminister Bernstorff (1818 – 1832), Ancillon (1832 – 1837) und Werther (1837 – 1841) waren keine unkritischen Befehlsempfnger, sondern bemîhten sich durchaus selbstndig um eine den Vorstellungen des Kçnigs entsprechende Politik des Ausgleichs und des Friedens. Dieses Ziel versuchte Preußen auch gegen den in den ersten Jahren îbermchtigen Einfluß Metternichs durchzusetzen.

1048 Eine Biographie aus franzçsischer Sicht stammt von Guillaume de Bertier de Sauvigny, Metternich, Paris 1986 [Dt. u. d. T. Metternich. Staatsmann und Diplomat fîr §sterreich und den Frieden, Gernsbach 1988]. 1049 Zur Rolle Talleyrands vgl. die neue Studie von Alexandra von Ilsemann, Die Politik Frankreichs auf dem Wiener Kongreß. Talleyrands außenpolitische Strategien zwischen Erster und Zweiter Restauration (= Beitrge zur deutschen und europischen Geschichte, 16), Hamburg 1996. 1050 Eine fundierte ˜bersicht zu Problematik und Forschungsstand gab vor einigen Jahren Heinz Duchhardt, Gleichgewicht der Krfte, Convenance, Europisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlîsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß (= Ertrge der Forschung, 56), Darmstadt 1976, S. 127 – 196. 1051 Dazu siehe unten § 7. Zum Verhltnis Friedrich Wilhelms III. zur Außenpolitik vgl. die treffenden Bemerkungen von W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 160 – 163.

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I. Grundzîge der preußisch-westeuropischen Beziehungen vom Wiener Kongreß bis zum Ende der Revolution (1814 – 1850) Die Epoche zwischen 1814/15 und 1830 oder 1840 wird hufig als Einheit verstanden und îbergreifend als „Zeit der Restauration“ bezeichnet.1052 Die anschließende Zeit, meist nicht sehr glîcklich als „Vormrz“ bezeichnet, leitet îber zu den europischen Revolutionen, mit denen die 40er Jahre ausklingen. Da in den preußisch-westeuropischen Beziehungen dieser Jahrzehnte trotz des Regierungswechsels 1840 mehr Kontinuitten als heftige Entwicklungssprînge zu beobachten sind, wird im folgenden Abschnitt dieser Gesamtzeitraum von etwa dreieinhalb Jahrzehnten zusammenhngend erçrtert. Dennoch sind im Verhltnis Preußens zu Westeuropa mehrere Phasen zu erkennen. 1. Preußen und die westeuropischen Mchte bei den Verhandlungen in Paris und Wien 1814/151053 Da Preußen als einzige Siegermacht eine jahrelange Besatzungszeit durch franzçsische Truppen erlebt hatte, erwuchs aus der Niederlage Frankreichs der Gedanke einer mçglichst strengen Revanchepolitik, der bei der drangsalierten Bevçlkerung und in den patriotisch gestimmten Kreisen, auch beim Militr, auf breite Zustimmung stieß. Mit dieser Zielsetzung kam Preußen bereits beim Friedensschluß mit einigen Verbîndeten in Konflikt, etwa mit England, das den Krieg zur Wiederherstellung des europischen Gleichgewichts, nicht aber als antinapoleonischen Kreuzzug gefîhrt hatte.1054 Da sich Friedrich Wilhelm mit den Forderungen nach finanziellen Ersatzleistungen und Restitutionen (fast 170 Millionen Franken) und mit anderen Ansprîchen gegen Frankreich nicht durchsetzen konnte, wurde schon der Erste Frieden von Paris (30. Mai 1814)1055 von der preußischen Patriotenpartei mit großer Enttuschung aufgenommen. Ihre Leitfigur Blîcher, der auch Chef der „ligue de la vertu“ (= Tugendbund) war, nannte der franzçsische Gesandte in Berlin einen „homme sans g¤nie, sans 1052 Zu diesem Begriff vgl. I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 179 f. 1053 Speziell zu den preußisch-franzçsischen Beziehungen vgl. fîr den gesamten § 6 die neue Untersuchung von Reiner Marcowitz, Großmacht auf Bewhrung. Die Interdependenz franzçsischer Innen- und Außenpolitik und ihre Auswirkungen auf Frankreichs Stellung im europischen Konzert 1814/15 – 1851/52 (= Beihefte der Francia, 53), Stuttgart 2001, deren Ergebnisse nur teilweise eingearbeitet werden konnten. 1054 Zu diesem von Pitt 1805 entwickelten Plan, den Castlereagh 1813 zur „Leitlinie seiner Außenpolitik“ erklrte, vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß zur Pariser Konferenz. England, die deutsche Frage und das Mchtesystem 1815 – 1856 (= Verçffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 28), Gçttingen/Zîrich 1991, S. 28 f. 1055 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 63, S. 171 – 202.

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instruction, […] demi-barbare, demi-civilis¤, […] ennemi irr¤conciliable de la France“.1056 Laut Vertragstext (Art. 32) sollten alle am Krieg beteiligten Mchte binnen zwei Monaten Bevollmchtigte nach Wien entsenden, um dort zu einer Regelung der noch offenen Fragen zu gelangen. Die preußische Delegation leitete Friedrich Wilhelm III. persçnlich.1057 Von den zahlreichen Ergebnissen des Kongresses,1058 die im einzelnen hier nicht zu behandeln sind, ist die „Westverschiebung“ Preußens fîr sein Verhltnis zu Westeuropa am wichtigsten geworden. Preußen erhielt als territorialen Ausgleich fîr im Osten verlorene Gebiete das Rheinland. Schon vor dem Kongreß hatte die preußische Regierung Ansprîche auf das gesamte Kçnigreich Sachsen angemeldet. Diese Forderung, die auf den erbitterten Widerstand der meisten anderen Mchte stieß,1059 verknîpfte sich mit dem (von Rußland ausgehenden) Polenproblem zu der „schsisch-polnischen Krise“.1060 Sie brachte den Kongreß durch den îberraschenden Zerfall der Koalition der vier Siegermchte nicht nur an den Rand eines Krieges (Frankreich/England/§sterreich [defensives Militrbîndnis 3. Januar 1815] gegen Preußen/Rußland), sondern auch an einen Wendepunkt. Indem er die neue Situation geschickt ausnutzte, gelang es Talleyrand, den praktischen Ausschluß Frankreichs von der Mitbestimmung der europischen Neuordnung aufzubrechen. Es war ein erster Schritt aus der außenpolitischen Isolierung, in der sich Frankreich seit dem Viererbîndnis von Chaumont (1. Mrz 1814)1061 befand. Die Hartnckigkeit Preußens in der Sachsenfrage hatte demnach das unerwînschte Ergebnis einer Aufwertung des Erzfeindes Frankreich, das in der Endphase des Kongresses „wirksam an der Neugestaltung Europas“ teilnahm.

1056 Zitiert von Karl Hammer, Die franzçsische Diplomatie der Restauration und Deutschland 1814 – 1830 (= Pariser Historische Studien, 2), Stuttgart 1963, S. 84. 1057 Zum Aufenthalt Friedrich Wilhelms in Wien vgl. T. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 855), S. 397 – 404. 1058 ˜ber die Ergebnisse fîr Preußen vgl. I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 74 – 83. Zum Kongreß selbst vgl. Karl Griewank, Der Wiener Kongreß und die europische Restauration 1814/15, Leipzig 21954. 1059 Preußens Hartnckigkeit in dieser Frage blieb in London lange unvergessen und war fîr das gespannte Verhltnis zwischen London und Berlin nach 1815 mit verantwortlich (Gînther Heydemann, Konstitution gegen Revolution. Die britische Deutschlandund Italienpolitik 1815 – 1848 [= Verçffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 36], Gçttingen/Zîrich 1995, S. 53). 1060 Einen Spezialaspekt dieses Zentralproblems behandelt Reiner Marcowitz, Finis Saxoniae? Frankreich und die schsisch-polnische Frage auf dem Wiener Kongreß 1814/ 15, in: Neues Archiv fîr Schsische Geschichte 68 (1997), S. 157 – 184. 1061 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 63, S. 83 – 92.

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Dem Druck der Großmchte mußte sich Preußen schließlich beugen. Es bekam nur einen Teil Sachsens und mußte sich außerdem wohl oder îbel mit dem ursprînglich von England lancierten Vorschlag der (geographisch problematischen) „Arrondierung“ durch das liberalere und obendrein katholische Rheinland abfinden. Es war ihm gar nicht recht, die „Wacht am Rhein“ zu îbernehmen; außerdem wurde Preußen nun – zum zweitenmal nach 1794 – Frankreichs direkter Grenznachbar. Die „Westverschiebung“ Preußens und ihre Folgen werden unterschiedlich beurteilt. Daß die ungînstige geographische Konfiguration, die an der preußischen Westgrenze seit 1614 bestand, durch die Versetzung Preußens an den Rhein (Nipperdey: „eine der fundamentalen Tatsachen der deutschen Geschichte“) noch verstrkt wurde, ist nicht zu bestreiten. Trotzdem fand sich Preußen lnger als ein halbes Jahrhundert damit ab. Weder wurde dieses Faktum zur „strksten Antriebskraft preußischer Machtpolitik“, die eine ˜berwindung dieser geopolitischen Anomalie anstrebte,1062 noch lag darin „der Keim fîr das Bemîhen, die beiden getrennten Teile durch Annexion dazwischenliegenden Gebietes zusammenzufîhren“1063 – erst die Gewaltpolitik Bismarcks hat diese geopolitische Besonderheit 1866 beseitigt1064 und dazu gefîhrt, daß Preußen jede andere Großmacht an Territorialgewinnen îbertraf und 1871 „zu einer vollwertigen Großmacht emporgestiegen“ ist. Auf die Zuweisung des Rheinlandes an Preußen 1815 sind die spteren Annexionen jedenfalls nicht zurîckzufîhren; die Westverschiebung hatte ganz andere Folgen.1065 Frankreich unterstîtzte die Festsetzung Preußens auf dem linken Rheinufer, weil die Regierung der Meinung war, daß eine eventuelle Wiedergewinnung dieser Gebiete gegen Preußen leichter durchzusetzen sei als gegen Sachsen oder einen anderen Mittel- oder Kleinstaat, der traditionsgemß zu der franzçsischen clientºle im Reich gehçrte.1066 Nachteilig wirkte sich fîr Preußens Beziehungen zu Westeuropa die in Wien beschlossene Zuweisung Ostfrieslands mit Emden an Hannover aus (1815). Damit verlor Preußen den einzigen Zugang zur Nordsee, îber den das Land verfîgte (Erbfall 1744). Fîr den çstlichen Teil Preußens wurde seitdem die Elbe besonders wichtig, da der Hauptanteil des Exports nach Westeuropa und 1062 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 – 1866. Bîrgerwelt und starker Staat, Mînchen 1983, S. 91. 1063 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 238. Dort auch das folgende Zitat. 1064 S. u. § 7. 1065 Zu den negativen Auswirkungen der „Westverschiebung“ auf das franzçsische Preußenbild nach 1815 vgl. I. Mieck, Preußenbild … (s. Anm. 40), 1, S. 281 – 301, hier S. 289 f. Nicht zu unterschtzen sind auch die Mißerfolge bei den Integrationsbemîhungen: Vgl. dazu I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 97 – 101. 1066 Vgl. dazu K. Hammer, Diplomatie … (s. Anm. 1056), S. 18 f.

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˜bersee îber Hamburg ging. Seit den 30er Jahren konnten die aus Preußen kommenden Englandreisenden ein immer mittwochs von Hamburg nach London fahrendes Dampfschiff benutzen.1067 Als der Wiener Kongreß zu Ende ging, hatten sich die Grundstrukturen der europischen Mchtepolitik qualitativ gendert. An die Stelle des im 18. Jahrhundert vorwiegend mechanisch verstandenen Gleichgewichts, das „wesentlich kruder und einfacher gestaltet“ war, trat nun das „Europische Gleichgewicht“ der vier, seit 1818 fînf Großmchte, das ein hohes Maß an Elastizitt aufwies und erhebliche internationale Spannungen und Belastungen ertragen konnte. Da sich die fînf Großmchte, von denen drei zum Komplex „Preußen und Westeuropa“ gehçren, untereinander und zueinander in einem labilen Gleichgewichtszustand befanden, der immer wieder austariert werden mußte, hnelte das ganze System einem Mobile, das durch unterschiedliche Gewichte auszubalancieren war.1068 Fîr die sich daraus entwickelnden Großmachtbeziehungen bîrgerte sich die Bezeichnung „Europisches Konzert“ ein. Beide Begriffe tauchten erstmals im Vertrag von Chaumont (1. Mrz 1814)1069 auf und wurden durch die Quadrupelallianz (20. November 1815) zur Grundlage der dort vereinbarten Kongreßdiplomatie. Das „Europische Konzert“ wurde in den Folgejahren zwar ein wenig aufgelockert, existierte aber als eine neue Form des Gleichgewichts der Mchte bis in die 50er Jahre.1070 War der Gleichgewichtsgrundsatz im 18. Jahrhundert durch das Recht des Strkeren, persçnliche Ruhmsucht und dynastischen Ehrgeiz vielfach pervertiert worden, so hielten nun Vertragstreue, außenpolitische Zurîckhaltung und die Beachtung von Vçlkerrechtsnormen Einzug in die europische Staatenordnung.1071 Außerdem bekam der Gleichgewichtsgedanke eine innenpolitische Komponente, indem, wie es Metternich vorschwebte, das antirevolutionre Prinzip der Legitimitt die innere Ruhe der europischen Staaten garantieren sollte.1072 Als Großmacht, wenn auch zweiter Kategorie, gehçrte Preußen von Anfang an zum „Europischen Konzert“, das seit der Aufnahme Frankreichs (1818, s. 1067 Stefan Hartmann (Hg.), Als die Schranken fielen. Der Deutsche Zollverein. Entwicklung vom Wiener Kongreß bis zur Vollendung der deutschen Zolleinheit von 1890 (= Katalog zur Ausstellung des GStAPK in Berlin 1984), Mainz 1984, S. 46. 1068 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 149. 1069 S. u. S. 696, S. 699. 1070 Zum „Europischen Konzert“ vgl. W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 153 f.; zur Gesamtproblematik ebd., S. 146 – 165. 1071 Diese positive Einschtzung von Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763 – 1848, Oxford 1994, dessen Ablehnung des Gleichgewichtsbegriffs nicht unwidersprochen bleiben wird, trifft sich in etwa mit den Kriterien „Solidaritt unter den Großmchten“, „machtpolitische(n) Zurîckhaltung“, „Vertragstreue“ und „Kooperationsgeist“ (W. Baumgart, Europisches Konzert … [s. Anm. 18], S. 154). 1072 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 146 f.

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u.) die europische Politik als Fînf-Mchte-Block („Pentarchie“) weitgehend bestimmte. Fîr diese Mchte galt das ungeschriebene Gesetz, „daß jede von ihnen zum Fîhrungskreis in den europischen Angelegenheiten gehçrt und bei jeder Stçrung des Europischen Gleichgewichts aufgerufen und berechtigt ist, ihre Stimme zu ußern und in die Waagschale zu werfen“.1073 Bevor die noch in Wien versammelten Politiker die Neuordnung Europas beschließen konnten, erfolgte die unvermutete Rîckkehr Napoleons. Die wie ein Donnerschlag wirkende Nachricht fîhrte sofort zur Erneuerung des Kriegsbîndnisses (Wien, 25. Mrz 1815).1074 Die Episode der „Hundert Tage“, die mit dem Sieg der Alliierten bei Waterloo (18. Juni 1815) und der erneuten Abdankung Napoleons vier Tage spter ihr Ende fand, brachte Frankreich eine erhebliche Verschlechterung seiner Situation. Die „Unzufriedenen“ auf preußischer Seite erhofften sich von einem neuen Friedensvertrag schrfere Bestimmungen als 1814 bis hin zu einem „d¤membrement total de la France“.1075 Dazu kam es zwar nicht,1076 doch sollte das Land nach dem Zweiten Frieden von Paris (20. November 1815) fînf Jahre besetzt bleiben und eine Kriegsentschdigung von 700 Millionen Franken zahlen.1077 Außerdem erhielt Preußen noch das Gebiet um Saarlouis sowie die Grafschaft Nassau-Saarbrîcken. In seinem antifranzçsischen Zorn wollte Blîcher sogar eine der Seine-Brîcken, den Pont d’I¤na, allein wegen ihres Namens in die Luft sprengen lassen. Es bedurfte vieler Interventionen und eines kçniglichen Machtworts, um ihn davon abzuhalten.1078

1073 Zur Definition von „Großmchten“ vgl. ebd., S. 147 f., das Zitat: S. 148. Die Gewichtung Preußens bleibt aber schwierig: Der Bemerkung, das Land sei erst 1871 „zu einer vollwertigen Großmacht emporgestiegen“ (ebd., S. 238), steht die Feststellung gegenîber, Preußen-Deutschland sei nach 1871 als Großmacht nur „mittelgewichtig“ gewesen und habe damit zwar die Stufe Frankreichs, nicht aber England und Rußland („schwergewichtig“) erreicht (ebd., S. 150). 1074 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 64, S. 27 – 68. Whrend die Allianz nur von den vier Chaumont-Mchten geschlossen wurde, hatte eine von den acht Fîhrungsstaaten unterzeichnete Deklaration vom 13. Mrz Napoleon, den „Ennemi et Perturbateur du Monde“, der „vindicte publique“ unterworfen (ebd., 63, S. 495 – 497). 1075 Vgl. Reiner Marcowitz, Altes Machtkalkîl und neues Denken – Frankreich, Rußland und der Deutsche Bund 1814/15 bis 1830, in: I. Mieck / P. Guillen (Hg.), Deutschland – Frankreich – Rußland … (s. Anm. 959), S. 51 – 70, hier S. 56. Die konkreten Forderungen in einem Memorandum Hardenbergs vom 4. 8. 1815 (vgl. K. Griewank, Wiener Kongreß … [s. Anm. 1058], S. 324 f.). 1076 Grîndliche Analyse der Verhandlungen bei K. Griewank, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1058), S. 313 – 355. 1077 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 65, S. 215 – 332. 1078 Einige Quellenstîcke bei I. Mieck, Leipzig/Kassel … (s. Anm. 963), S. 155 – 158.

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Ebenfalls am 20. November 1815 wurden die Kriegsbîndnisse von Chaumont und Wien in der Quadrupelallianz1079 „zum dauernden Friedensbund“ umgeformt. Dieses auf die sptere Kontrolle der gesamten europischen Politik zielende Bîndnis wurde zwar fîr Frankreich in den ersten Jahren zu einem fçrmlichen „europischen ˜berwachungsreglement“ (Griewank), brachte aber auch die in Chaumont eingeleitete Neugestaltung der europischen Ordnung zu einem vorlufigen Abschluß.1080 Durch die vorgesehenen Beratungen (Art. 6) wurde die Allianz zur Grundlage der nun beginnenden und bis 1822 whrenden Kongreߐra. Zusammen mit der am 26. September 1815 beschlossenen „Heiligen Allianz“ bestimmte der Viererbund die Politik der europischen Großmchte in der Zeit der bevorstehenden Kongresse. Von den westeuropischen Mchten hatte allein England die Unterzeichnung dieses merkwîrdigen Dokumentes abgelehnt;1081 die konservativen Staaten Mittel- und Osteuropas sahen in den Vereinbarungen von 1815 ein willkommenes Instrument, um gegen jede „revolutionre“ Bewegung in einem der europischen Lnder vorzugehen („Intervention“). In Ergnzung der Thesen Paul W. Schroeders wird die „Heilige Allianz“, deren restaurative Zielsetzung nach innen unbestritten bleibt, unter außenpolitischen Aspekten neuerdings positiver beurteilt. Wenn man die zahlreichen Konferenzen und Kongresse der Zeit nach 1815 genauer analysierte, entpuppe sich dieses Dokument „bei nherem Hinsehen als der veritable Kern eines kollektiven Sicherheitssystems“.1082 Ob sich diese Auffassung besttigt oder nicht – Preußen gehçrte jedenfalls von Anfang an dazu.

1079 Der Vertrag ist Bestandteil der am 20. 11. 1815 unterzeichneten Abmachungen: CTS, 65, S. 296 – 298. Abdruck der Allianz: Werner Nf (Hg.), Europapolitik zu Beginn des 19. Jahrhunderts (= Quellen zur neueren Geschichte, 2), Bern 31968, S. 19 – 22. 1080 Diese Auffassung vertritt A. Doering-Manteuffel, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1054), S. 39, der ausfîhrlich auf den Vertrag eingeht. Vgl. auch K. Griewank, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1058), S. 356 f. 1081 Abdruck (mit Entwurf ): W. Nf, Europapolitik … (s. Anm. 1079), S. 7 – 10; zusammenfassend: I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 81. 1082 Wolfram Pyta, Konzert der Mchte und kollektives Sicherheitssystem: Neue Wege zwischenstaatlicher Friedenswahrung in Europa nach dem Wiener Kongreß 1815, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 1996, Mînchen 1997, S. 133 – 173, hier S. 134.

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2. Preußen als Besatzungsmacht, die Anfnge der Botschafterkonferenzen und der Kongreßdiplomatie Weil Ludwig XVIII. mçglichst rasch ins europische Mchtekonzert zurîckkehren wollte, mußte er sich einer zurîckhaltenden Außenpolitik befleißigen.1083 „Le grand besoin est que la France a du repos“, schrieb er 1816 seinem Wiener Gesandten. Eine hnliche Auffassung vertrat im Prinzip auch Friedrich Wilhelm III., der nach den unruhigen Jahren der napoleonischen Zeit vor allem Ruhe im Lande und Frieden mit den Nachbarn wollte. Trotzdem kam es zwischen den beiden Staaten wiederholt zu Spannungen, die grundstzlicher Natur waren oder aus der aktuellen Situation resultierten. Zu den prinzipiellen Motiven zhlte die Tatsache, daß Ludwig XVIII. in Preußen keine Großmacht sah. Ihm galt das Land als „parvenu“ des 18. Jahrhunderts und sein Herrscher als eine Art arrivierter „Marquis de Brandebourg“.1084 Dazu paßt, daß sich Frankreich auch nach 1815 in Berlin nicht durch einen Botschafter, sondern nur durch einen Gesandten vertreten ließ;1085 auch als Siegermacht blieb Preußen in den Augen Frankreichs nur die erste der Mchte zweiter Ordnung, mehr nicht. Einen anderen Dauerkonflikt brachte die in Wien beschlossene preußische Westverschiebung. Gegen die maladie de 1815 protestierte die tief verletzte Nation als Ganzes zuerst stillschweigend, seit 1830 immer lauter.1086 Sie wandte sich gegen die Last eines „schmachvollen Friedens“ und die „unnatîrlichen Grenzen“. Bei dem 1829 Palmerston gegenîber erwhnten Anspruch auf Pyrenen, Alpen und Rhein ging es in der Praxis um die Wiedergewinnung der Rheingrenze.1087 Ludwigs Stimmung gegenîber Preußen wurde durch die Aufnahme oder die Duldung flîchtiger Republikaner, mit denen manche Anhnger der preußischen Reform- und Patriotenpartei (Gneisenau, Grolmann, Gruner, Blîcher u. 1083 Vgl. dazu Reiner Marcowitz, Kongreßdiplomatie 1815 – 1823: Frankreichs Rîckkehr in das Europische Konzert, in: Francia 24/3 (1997), S. 1 – 22. Die ltere, noch von K. Hammer, Diplomatie … (s. Anm. 1056), S. 25, vertretene Auffassung, das unter alliierter Kuratel stehende Frankreich sei Ende 1815 ein „Paria“ innerhalb des europischen Mchtesystems gewesen, wird von der neueren Forschung nicht geteilt; nach R. Marcowitz, ebd., S. 4, wurde der Staat von den anderen Mchten „eher als ein (politisch – I. M.) krankes Land angesehen, das […] noch nicht vollends geheilt schien“. 1084 ˜ber die geringschtzige Beurteilung Preußens durch Paris informiert (aus den diplomatischen Quellen) ausfîhrlich K. Hammer, Diplomatie … (s. Anm. 1056), S. 8 f., S. 43 und S. 83 ff. 1085 Zum diplomatischen Dienst und zur Typologie der diplomatischen Vertreter nach 1815 vgl. W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 134 – 145. 1086 S. u. S. 708, S. 716 ff. 1087 Kurt M. Hoffmann, Preußen und die Julimonarchie 1830 – 1834 (= Historische Studien, 283), phil. Diss. Berlin 1936, S. 10 – 12. Auch bei den frîheren Forderungen nach den limites naturelles hatte man eigentlich immer nur die Rheingrenze im Sinn.

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a.) sympathisierten, nicht besser. Lazare Carnot, einer der bekanntesten „Kçnigsmçrder“, erhielt zwar nicht die 1816 erbetene Erlaubnis, regulr nach Preußen îberzusiedeln, durfte sich aber auf Betreiben von Hardenberg, Boyen und Gruner in Magdeburg niederlassen. Bis zu seinem Tode 1823 erhielt er eine Offizierspension, wurde als General bezeichnet und behandelt sowie in manchen militrischen Fragen konsultiert.1088 Inwieweit auch die Entschdigungsansprîche der aus Preußen zurîckgekehrten Emigranten die gegenseitigen Beziehungen belasteten, wre noch zu prîfen.1089 Die Schwierigkeiten der preußischen Regierung, sich gegen die radikale Patriotenpartei zu behaupten, die Abhngigkeit des Landes von §sterreich sowie sein Auftreten als Besatzungsmacht trugen dazu bei, daß Preußen in den ersten Nachkriegsjahren als der ausgesprochene Widersacher Frankreichs galt. Dabei lagen die Wurzeln allen ˜bels nach Ansicht der franzçsischen Beobachter im Ausbleiben der frîher gegebenen Zusagen. Die Regierung verzichtete nicht nur darauf, die im Rumpfpreußen nach 1807 erlassenen Reformgesetze auch fîr die neuen Provinzen verbindlich zu machen, sie litt auch an einer seit 1815 zu beobachtenden reaktionren Verfestigung, die ihre Hçhepunkte in der Ausschaltung der Reformpartei, im Aufbegehren des jîngeren Offizierskorps („von einem aufsssigen und regierungsfeindlichen Geist erfaßt“) und in der Nichteinlçsung der wiederholten kçniglichen Verfassungsversprechen fand. Die letzte Verantwortung dafîr trug einzig und allein Friedrich Wilhelm III., aber „der Monarch selber stand dem Zerfall von Staat und Armee apathisch gegenîber.“1090 Eine fîr breite Bevçlkerungskreise fîhlbarere Belastung der preußischfranzçsischen Beziehungen folgte aus der Besatzung. Die preußischen Truppen exportierten die seit 1806 gewachsene Franzosenfeindschaft in das Land der nunmehr Besiegten, drehten den Spieß um und spielten sich als Angehçrige einer Sieger- und Besatzungsmacht auf. Schon 1815 klagte der Zar, daß die preußische Armee der gemeinsamen Sache schade „par la vengeance, les mauvais traitements et la violence des soldats“.1091 „Vor allem die Preußen“, faßt Raymond Poidevin den Sachverhalt zusammen, „beuteten die çffentlichen Kassen aus, forderten abnorm hohe Lebensmittelrationen, belstigten zuweilen die

1088 Vgl. Ernst-Joachim Giessmann, Lazare Carnots Weg nach Preußen oder: Ein Exulant in der beginnenden Krise der Regierung Hardenberg 1815/16, in: Jahrbuch fîr Geschichte 34 (1987), S. 7 – 38. 1089 Vgl. dazu Almut Franke-Postberg, Le milliard des ¤migr¤s. Die Entschdigung der Emigranten im Frankreich der Restauration (1814 – 1830) (= Europa in der Geschichte, 3), Bochum 1999, passim. 1090 K. Hammer, Diplomatie … (s. Anm. 1056), S. 83 – 85. 1091 Zitiert ebd., S. 20.

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Bevçlkerung und trieben Mißbrauch mit Requisitionen.“1092 Dieses negative Preußenbild blieb vor allem in den Dçrfern und Kleinstdten der preußischen Besatzungszone bei den unteren Schichten der Bevçlkerung jahrzehntelang dominierend. Noch 1866 machte ein Prfekt „les tristes souvenirs de 1815“ fîr die Preußenfeindschaft der Einwohner verantwortlich, whrend ein franzçsischer Historiker 1893 die Besatzung unter der ˜berschrift „La Terreur Prussienne“ behandelte.1093 Da Frankreich nicht nur die Kriegsentschdigung, sondern auch die auf 1,64 Millionen Franken geschtzten Besatzungskosten fîr 150.000 Mann aufzubringen hatte, bemîhte sich die franzçsische Regierung von Anfang an um eine Reduzierung der Soldatenzahlen. Von dem ebenfalls sehr finanzschwachen Preußen ging der grçßte Widerstand aus, so daß sich die Verhandlungen jahrelang hinzogen, bis eine neue Institution, die im diplomatischen Verkehr bis zum Ersten Weltkrieg als ideales Forum „fîr ein Konfliktmanagement unterhalb der Schwelle intergouvernementaler Organisationsstrukturen“ (Pyta) eine bedeutende Rolle spielen sollte, endlich eine Lçsung fand: Die Pariser Botschafterkonferenz beschloß die Verringerung der Besatzungstruppen um 30.000 Mann zum 1. April 1817.1094 Gegen weitere Reduzierungswînsche wandte sich vor allem Friedrich Wilhelm, der erst bei einem Besuch in St. Petersburg vom Zaren umgestimmt werden konnte. Als auch Metternich einverstanden war, „stand im Verlaufe des Sommers 1818 die stillschweigende ˜bereinkunft der Alliierten îber die Rumung Frankreichs von der Besatzung fest“.1095 Der erste Schritt zur Befreiung Frankreichs von den fremden Truppen war auf Vorschlag der Pariser Botschafterkonferenz erfolgt. „Botschafterkonferenzen“ waren ursprînglich stndige Einrichtungen in Paris, London und Frankfurt, doch wurden ihnen spter von Fall zu Fall aktuelle Streitfragen zwecks friedlicher Lçsung zugewiesen, so daß sie, als sich das Verfahren eingespielt hatte, „als die typischen Clearingstellen des Mchtekonzertes“ gelten kçnnen. Ohne den außenpolitischen Strukturwandel von Wien wren sie nicht ent-

1092 Raymond Poidevin / Jacques Bariety, Frankreich und Deutschland. Die Geschichte ihrer Beziehungen 1815 – 1975, Mînchen 1982, S. 20. 1093 I. Mieck, Preußenbild … (s. Anm. 40), S. 289. 1094 Mit dem Jahr 1817 beginnt die große, auf die Innenpolitik konzentrierte Edition der Acta Borussica, NF, 1. Reihe: Jîrgen Kocka / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817 – 1934/38, 12 (Erschließungs- oder Regesten-) Bde., Hildesheim 1999 ff.; Parallel-Publikation: Microfiche-Edition des Volltextes der Protokolle, Hildesheim 1997. Fragen der Beziehungen zu Westeuropa wurden allerdings in den Beratungen dieser Zeit nur selten angesprochen. 1095 Zu den Verhandlungsphasen vgl. K. Hammer, Diplomatie … (s. Anm. 1056), S. 27 – 31 und S. 39 – 41.

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standen: „Dieser Konfliktlçsungsmechanismus war der Gleichgewichtspolitik des 18. Jahrhunderts wesensfremd.“1096 Das Problem der Kriegsentschdigungen, die anfangs auf 1,6 Milliarden Franken beziffert worden waren, konnten sie allerdings auch nicht lçsen. Da Frankreich die Zahlung dieser exorbitanten Summe ablehnte, begannen Verhandlungen, die mehrmals in Sackgassen endeten, bis schließlich Wellington, zum Vermittler bestellt, eine Lçsung vorschlug, die zwar jedem wehtat, aber von allen akzeptiert wurde (Abkommen vom 25. April 1818): Die Gesamtheit der deutschen Forderungen wurde von 773 auf 216 Millionen Franken reduziert und zugleich in eine verzinsbare Staatsschuld umgewandelt. Preußen hatte sich wacker geschlagen: es war in seinen Forderungen von 135 auf 52 heruntergegangen, whrend Spanien (215:17), §sterreich (189:25), Bayern (78:10) und Sachsen (15:4) deutlich grçßere Abstriche machen mußten.1097 Whrend die preußischen Beziehungen zu Frankreich in den ersten Jahren nach 1815, wie erwhnt, keineswegs spannungsfrei waren, fehlten vergleichbare Animositten gegenîber Großbritannien, so daß sich das beiderseitige Verhltnis in relativ ruhigen Bahnen bewegte. Preußen war unter entscheidender Mitwirkung Englands in die Wiener Sicherheitsordnung „hineinkonstruiert“ (Gruner) worden, um in erster Linie eine çsterreichische Hegemonialstellung in Mitteleuropa zu verhindern.1098 Dieses Ziel, das wegen der grçßeren Distanz und der divergierenden Hauptinteressen beider Staaten (˜bersee, Kontinent) nicht durch Konkurrenzen belastet wurde, besaß fîr die englische Preußenpolitik erste Prioritt. Eine antiçsterreichische Politik Englands konnte Preußen nur recht sein. Andererseits zeigte man sich in England sehr besorgt, wenn innerpreußische Machtkmpfe die Außenpolitik vorîbergehend wenig kalkulierbar erscheinen ließen. Als die Großmchte im Herbst 1818 zum „joli petit congrºs“ (Metternich) in Aachen zusammenkamen (29. September – 21. November), um – zunchst ohne Frankreich – Bilanz zu ziehen, wurde die bereits vorgeklrte Frage des Truppenabzugs rasch geregelt (9. Oktober). Weil die Sieger trotz aller Bemîhungen des Ministerprsidenten Richelieu in Frankreich immer noch „le pays le moins dispos¤ ” respecter la tranquillit¤ g¤n¤rale“1099 sahen, erneuerten sie

1096 Vgl. dazu W. Pyta, Konzert … (s. Anm. 1082), S. 147 – 161, das obige Zitat: S. 161. 1097 Ausfîhrliche Darstellung bei K. Hammer, Diplomatie … (s. Anm. 1056), S. 31 – 39. Zahlen korrigiert nach dem Text: CTS … (s. Anm. 500), 68, S. 355 – 374, hier S. 373. 1098 Die jîngste Zusammenfassung (mit „deutscher“ Perspektive) gibt Wolf D. Gruner, Großbritannien und die Staaten des Deutschen Bundes im Vormrz, in: W. J. Mommsen (Hg.), Ungleiche Partner … (s. Anm. 28), S. 44 – 64, hier S. 53 – 55. 1099 Diese Einschtzung des Metternich-Beraters Gentz wird mitgeteilt von R. Marcowitz, Machtkalkîl … (s. Anm. 1075), S. 58 (mit Anm. 28).

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Tabelle 11: Konferenzen îber Westeuropa-Probleme mit preußischer Beteiligung (1818-1867) Jahr

Ort

Verhandlungsgegenstand*

1818 1820

Aachen Troppau

1821 1822 1830-1832 1838-1839 1840-1841

Laibach Verona** London London London

1856 1867

Paris London

Frankreich Spanien/Portugal; Prinzip der bewaffneten Intervention (Italien) Spanien Belgien Belgien Oriental. Frage (Rheinkrise!) Friedenskongreß nach Krimkrieg Luxemburg

* Selbstverstndlich standen auf jeder Konferenz mehrere Themen zur Debatte; die Heraushebung einzelner Tagesordnungspunkte hat aber den Vorteil der ˜bersichtlichkeit. ** In Verona fand der letzte der sogenannten „Monarchenkongresse“ statt. Quelle: Eigene Zusammenstellung unter Benutzung der Tabelle bei W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 155.

insgeheim den Viererbund (19. Oktober), um das Land weiter unter Kontrolle halten zu kçnnen.1100 Nach dieser Absicherung luden die vier Siegermchte Frankreich ein, kînftig an ihren Beratungen teilzunehmen, wie es der Artikel VI der Quadrupelallianz ermçglichte. Die Unterzeichnung des Aachener Protokolls durch die fînf Mchte (15. November) war fîr die franzçsische Regierung ein großer Erfolg; mit Aachen endete fîr Frankreich die Nachkriegszeit. Zugleich gilt das Protokoll als das entscheidende vçlkerrechtliche Dokument des europischen Mchtekonzerts, obwohl es den Ausdruck alliance vermied und stattdessen von einer rechtlich unverbindlicheren union sprach.1101 Es sanktionierte den multilateralen Politikstil, wie er sich zwischen den Großmchten seit 1815 allmhlich herausgebildet hatte.1102 Frankreich verpflichtete sich, an diesem „systºme qui a donn¤ la paix ” l’Europe“, kînftig mitzuwirken. Die Tabelle 11 zeigt, auf welchen Konferenzen westeuropische Themen unter preußischer Beteiligung in den nchsten Jahrzehnten geregelt wurden.

1100 Ebd., S. 58. Das Geheimprotokoll vom 19. 10. 1818 (nicht in der Vertragssammlung CTS!) ist abgedruckt bei Guillaume de Bertier de Sauvigny, La Sainte Alliance, Paris 1972, S. 143 – 145. 1101 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 69, S. 365 – 367; W. Nf, Europapolitik … (s. Anm. 1079), S. 34 – 42. 1102 Vgl. zu dieser Frage W. Pyta, Konzert … (s. Anm. 1082), S. 145 f.

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Obwohl Preußen Gastgeber war, spielten weder der Kçnig noch seine Berater in Aachen eine politische Rolle. „Sie zhlen hier dieses Mal nicht,“ sagte man den Preußen ins Gesicht. Mehr als die internationalen Probleme beunruhigte Friedrich Wilhelm das in Aachen zirkulierende „M¤moire sur l’¤tat actuel de l’Allemagne“ des Russen Stourdza, das besonders die Universitten als Herde revolutionrer Umtriebe charakterisierte. Dieses Pamphlet war der weit verbreiteten Verschwçrungsliteratur zuzurechnen, durch die konservative Kreise in der Meinung bestrkt wurden, in Paris ein den Umsturz vorbereitendes comit¤ directeur r¤volutionnaire am Werk zu sehen.1103 Seit der offiziellen Aufnahme ins europische Mchtekonzert hatte Frankreich noch einen Grund mehr, auf das ungeliebte Preußen hochmîtig herabzusehen. Daran nderte auch der Besuch nichts, den Friedrich Wilhelm und der Zar Ludwig XVIII. in Paris abstatteten. Sie machten dadurch auch nach außen sichtbar, daß der Bourbonenstaat kînftig ein gleichberechtigter Partner bei der Sicherung der „Wiener Ordnung“ sein wîrde. 3. Die zwanziger Jahre Seit dem Kongreß von Aachen war Frankreich, von der Vormundschaft der Sieger befreit, zwar gleichberechtigt in das Konzert der Großmchte zurîckgekehrt, doch fehlte es nach dem Sturz der Regierung Richelieu (Dezember 1821) an starken Persçnlichkeiten, die eine kraftvolle Außenpolitik zu fîhren in der Lage waren. Das Verhltnis zu Preußen, das sich außenpolitisch noch immer vorwiegend an §sterreich orientierte, blieb kîhl. Der Staat Metternichs erschien den franzçsischen Diplomaten weitaus wichtiger als Preußen. Auch der berîhmte Schriftsteller Chateaubriand, der von Januar bis Juli 1821 franzçsischer Gesandter in Berlin1104 war, konnte den Beziehungen zu Frankreich keinen grçßeren Schwung vermitteln. Die schlichte Wohnung Friedrich Wilhelms imponierte ihm; da die Berliner Gesellschaft zwischen fînf und sechs Uhr zur Soir¤e ging und um neun Uhr alles zu Ende war, ging er ebenfalls zu Bett – „ganz als ob ich nicht Botschafter gewesen wre.“1105 Im îbrigen sind die Bemerkungen îber seine Ttigkeit als Gesandter und îber die Stadt wenig substantiell; die „Art der Erholungen, die ich dort fand“, erinnerten ihn an Kindheit und Jugend, die Baudenkmler Berlins an Festungen. Als ihn 1103 Dazu vgl. I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 182. 1104 Zur komparativen Betrachtung der beiden Hauptstdte vgl. Ilja Mieck (Hg.), Paris und Berlin in der Restaurationszeit 1815 – 1830. Soziokulturelle und çkonomische Strukturen im Vergleich (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Sigmaringen 1996. 1105 FranÅois-Rene de Chateaubriand, Erinnerungen. M¤moires d’outre-tombe, hg., neu îbertragen und mit einem Nachwort versehen von Sigrid von Massenbach, Mînchen 1968, S. 455 – 462. Chateaubriand war natîrlich nicht ambassadeur, sondern nur envoy¤.

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einmal bei -22 Grad ein schneidender Ostwind îberraschte, kam er nur halbtot in die Stadt zurîck. Ein preußisch-franzçsisches Ereignis besonderer Art war die Totenmesse, die am 21. Januar, dem Hinrichtungstag Ludwigs XVI., in der Berliner Hedwigskirche stattfand. Zu diesem „service funºbre pour le repos de l’’me de Sa Majest¤ Louis XVI“ wurden die Diplomaten der katholischen Lnder Bayern, §sterreich, Sardinien und Spanien eingeladen, dazu kam 1822 Portugal, im nchsten Jahr „Deux Siciles“.1106 Friedrich Wilhelm III. beunruhigten die „demagogischen Umtriebe“ sowie der liberale Zeitgeist an Schulen und Universitten im eigenen Lande ungleich strker als die Lçsung internationaler Probleme, fîr die man sich damals – nach dem ersten Treffen in Aachen – der Kongreßdiplomatie zu bedienen begann. Nur mit Mîhe ließ er sich dazu bewegen, am Monarchenkongreß von Troppau (Oktober/Dezember 1820) îberhaupt teilzunehmen; zur Fortsetzungskonferenz von Laibach (Januar/Mai 1821) erschien er gar nicht.1107 Ob Friedrich Wilhelm zu der bisher kaum beachteten Großmchte-Konferenz von Wien (7. September – 3. Oktober 1822)1108 reiste, erscheint fraglich, dagegen kam er mit großem Gefolge zum Kongreß von Verona (Oktober 1822/Februar 1823), blieb aber nur eine Woche und begab sich anschließend auf eine mehrwçchige Italienreise. Die einzige westeuropische Frage von Bedeutung, die auf der Tagesordnung der Konferenzen stand, war die Situation in Spanien, wo eine 1820 ausgebrochene Meuterei in Andalusien zur revolutionren Gefhrdung des absolutistischen Regimes des Kçnigs Ferdinand VII. gefîhrt hatte. In Troppau verstndigten sich die drei Ostmchte auf das Prinzip, revolutionren Bewegungen in anderen Staaten zuerst durch „d¤marches amicales“, wenn aber unvermeidlich, auch durch „l’emploi de la force militaire“ zu begegnen (19. November); das war die Geburt des berîhmt-berîchtigten Interventionsprinzips.1109 Zum Entsetzen der europischen Mchte deutete der Zar an, zur Rettung Europas russische Truppen nach Spanien marschieren zu lassen. Als Aufstnde auch in Italien ausbrachen, hatte man Mîhe, Alexander von einer Beteiligung an çsterreichischen Militraktionen abzuhalten. Weil inzwischen das Griechenland-Problem in den Vordergrund getreten war, fand die Konferenz von Verona, „gesellschaftlich […] die eindrucksvollste internationale Versammlung von Herrschern und Staatsmnnern seit Wien“ (Palmer) eine salomonische 1106 Archives Diplomatiques de Nantes, Ambassade de Berlin, Fonds C, 38 (nicht paginiert): Einladungen fîr 1822 und 1823. Ob die Gedenkmesse in allen Jahren nach 1815 – oder bis wann – stattfand, bleibt noch festzustellen. 1107 ˜ber die Konferenzen von Troppau und Laibach vgl. die detaillierten Ausfîhrungen von H. A. Kissinger, Gleichgewicht … (s. Anm. 966), S. 465 – 531. 1108 Erwhnt bei R. Marcowitz, Kongreßdiplomatie … (s. Anm. 1083), S. 15 mit Anm. 77. 1109 Abdruck: W. Nf, Europapolitik … (s. Anm. 1079), S. 43 – 46.

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Lçsung: Frankreich wurde fîr den Fall einer Verschrfung der Lage beauftragt, gegen die revolutionren Umtriebe in Spanien vorzugehen („Intervention“). Im Gegensatz zu den anderen Kontinentalmchten beschrnkte sich der preußische Vertreter fîr den Konfliktfall auf eine Zusage „ideeller Unterstîtzung“.1110 Die Note, mit der das spanische Parlament aufgefordert wurde, die Verfassung zu ndern und Ferdinand VII. als absoluten Kçnig wieder einzusetzen, hatte – neben Frankreich, §sterreich und Rußland – auch Preußen unterschrieben.1111 Als die cortez dies im Dezember 1822 ablehnten, sah Frankreich den Interventionsfall gegeben und ließ am 7. April 1823 die cent mille fils de Saint Louis îber die Pyrenen marschieren. Von einem preußischen Engagement bei dieser militrisch kurzen, aber erfolgreichen Aktion ist nichts bekannt. Obwohl Frankreich durch den Sieg îber die Liberalen in den Augen des Preußenkçnigs eine politische Aufwertung im Sinn der Restaurationspolitik erfuhr, blieb Friedrich Wilhelm mißtrauisch, weil er die Wiederbelebung des Gedankens der „natîrlichen Grenzen“ und damit Streit um das neugewonnene Rheinland fîrchtete. Schließlich hatte der inzwischen zum Außenminister aufgestiegene Chateaubriand (1822 – 1824) die Spanienfrage zu einer nationalen Angelegenheit erklrt und als nchstes Ziel die Wiedergewinnung des linken Rheinufers genannt. Dennoch bemîhte sich die franzçsische Regierung seit der Mitte der 20er Jahre um eine Annherung, um Preußen angesichts des nachlassenden Einflusses §sterreichs als Gegengewicht aufzubauen. Die neue Politik fîhrte aber zu keiner grundlegenden ønderung des preußisch-franzçsischen Verhltnisses.1112 Im Gegenteil: Das durch Deputierte und Presse whrend der „Krieg-inSicht-Krise“ um die Jahreswende 1828/29 entfesselte Gezeter îber die Rheingrenze, die phantasievollen Territorialprojekte des seit 1829 amtierenden Ministerprsidenten Polignac sowie die durch preußische Vermittlung erreichte Beilegung des Orientalischen Konfliktes (Friede von Adrianopel 1829) trugen dazu bei, daß sich die Spannungen zwischen Paris und Berlin ausgangs der 20er Jahre wieder vergrçßerten.1113 Verschrfend wirkten auch die zielstrebigen Schritte Preußens zur Bildung des Zollvereins. „Die franzçsisch-preußischen Beziehungen kamen auf einen Tiefpunkt, den sie seit îber einem Jahrzehnt nicht mehr eingenommen hatten“ (Hammer). 1110 R. Marcowitz, Kongreßdiplomatie … (s. Anm. 1083), S. 16. 1111 Vgl. dazu Ulrike Schmieder, Preußen und der Kongreß von Verona. Eine Studie zur Politik der Heiligen Allianz in der spanischen Frage, phil. Diss. Leipzig 1992. 1112 Ausfîhrliche Analyse bei K. Hammer, Diplomatie … (s. Anm. 1056), S. 126 – 169. Das folgende Zitat: S. 169. 1113 Zu diesen Themenbereich vgl. Ilja Mieck, Der Einfluß der „Orientalischen Frage“ auf die franzçsisch-preußischen Beziehungen im 19. Jahrhundert, in: Christian Baechler / Klaus-Jîrgen Mîller (Hg.), Les tiers dans les relations franco-allemandes/Dritte in den deutsch-franzçsischen Beziehungen, Mînchen 1996, S. 139 – 153, hier S. 143 – 146.

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Das konnte man von den preußisch-britischen Beziehungen nicht sagen.1114 Sie verblieben auf einem gleichbleibend niedrigen Niveau, ohne daß England an der absoluten Monarchie Preußen ohne Verfassung, aber mit Gewerbefreiheit besonderes Interesse zeigte. Im Prinzip herrschte zwischen London und Berlin in den 20er Jahren ein recht freundliches Verhltnis, „dessen hervorstechendstes Merkmal allerdings das britische Desinteresse an Preußen und an seiner Rolle in Deutschland war.“ Die verwickelten deutschen Angelegenheiten blieben den Englndern fremd und obendrein unwichtig, „sie gewannen nur dann an Bedeutung, wenn die preußisch-çsterreichische Rivalitt das europische Gleichgewicht zu stçren drohte.“1115 Eine derartige Konstellation sollte sich in den 30er Jahren ergeben.1116 4. Julirevolution, Belgien und der Rhein Obwohl Preußen – wie auch §sterreich – nach der franzçsischen Julirevolution „auf eine bemerkenswerte Weise von ernsthaften Unruhen fast unberîhrt“ blieb1117 und die vereinzelten stdtischen Aufruhrbewegungen (Berlin, Aachen, Breslau) keine nennenswerten politischen Folgen hatten,1118 wurde das Land in die durch die internationale Resonanz der Julirevolution (Belgien, Polen, Italien, England, Spanien, Portugal, Deutscher Bund) ausgelçsten Konfliktsituationen, die sich zur europischen Krise der Jahre 1830/32 ausweiteten,1119 hineingezogen. Das erste „westeuropische“ Problem, das Preußen zu lçsen hatte,1120 war die Frage der Anerkennung des durch die Revolution zur Regierung gelangten „Bîrgerkçnigs“ Ludwig Philipp. Neuere Forschungen zeigen, daß es insbesondere Friedrich Wilhelm III. war, der trotz mancher Bedenken gegen den Sohn 1114 Da es keine Spezialuntersuchung zu den preußisch-britischen Beziehungen vor 1848 gibt, ist vorlufig auf die in den Anm. 1054 und 1059 genannten Arbeiten zurîckzugreifen. 1115 A. Doering-Manteuffel, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1054), S. 330. 1116 S. u. S. 716 f. 1117 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 2: Von der Reformra bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815 – 1848/49, Mînchen 1987, S. 347. 1118 Etwas anders akzentuiert – aus marxistischer Sicht – Kurt Holzapfel, Die Julirevolution von 1830 und ihre Auswirkungen auf die Innenpolitik Preußens 1830 – 1834, in: Jahrbuch fîr Geschichte 34 (1987), S. 59 – 83. Zu Aachen vgl. A. Kuhn, Jakobiner … (s. Anm. 888), S. 158. 1119 Zur „europischen Krise von 1830 bis 1832“ vgl. Jîrgen Angelow, Von Wien nach Kçniggrtz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europischen Gleichgewicht (1815 – 1866) (= Beitrge zur Militrgeschichte, 52), Mînchen 1996, S. 87 – 106. 1120 ˜ber die Grundstrukturen der preußisch-westeuropischen Beziehungen von 1830 bis 1878 informiert in aller Kîrze W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 244 f. (Preußen-England) und 245 f. (Preußen-Frankreich).

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des „Kçnigsmçrders“ Philippe Egalit¤ vor allem den Erhalt der Monarchie in Frankreich begrîßte und deshalb, wie auch England und §sterreich, fîr eine Anerkennung pldierte. Obwohl Metternich in der Julirevolution einen „Dammbruch“ sah, der das alte Europa ernsthaft bedrohte, hatte auch er sich zu dieser Haltung entschlossen. Damit akzeptierten die Großmchte das Ergebnis der Julirevolution und begruben zugleich ihre seit Troppau proklamierte und wiederholt praktizierte Interventionspolitik. Nachdem Großbritannien als erste Großmacht die neue franzçsische Regierung anerkannt hatte (29. August),1121 konnte sich auch Friedrich Wilhelm, der es keinesfalls zu einem Krieg kommen lassen wollte, gegen die ziemlich starke Kriegspartei am Hof durchsetzen. Am 9. September erhielt der franzçsische Gesandte Lobau das Anerkennungsschreiben, in dem die preußische Regierung ihren Willen zum Frieden sowie zu guten Beziehungen zwischen beiden Vçlkern betonte.1122 Intern erluterte Bernstorff, daß Preußen damit das kleinere ˜bel gewhlt hatte; man wolle mit der Anerkennung keinesfalls den revolutionren Ursprung der Regierung billigen, sondern sie nur „auf die faktisch entschiedene, neue politische Gestaltung Frankreichs bezogen“ wissen.1123 Kurz vorher, am 25. August, war in Brîssel ein gegen die Niederlande gerichteter revolutionrer Aufstand ausgebrochen. Er betraf auch das europische Mchtekonzert, weil sich mit dem national begrîndeten Befreiungskampf der Belgier fîr einen von Holland unabhngigen Staat fîr die Großmchte erneut die Frage nach dem Interventionsprinzip stellte. Preußen war nicht nur durch seine geographische Nhe, sondern auch durch die dynastischen Verbindungen mit dem hollndischen Kçnigshaus (Wilhelm war ein Schwager Friedrich Wilhelms) durch die Ereignisse in Belgien in besonderem Maße betroffen. Deshalb war Preußen das erste Land, das Wilhelm fîr den Eventualfall um militrische Unterstîtzung bat – schon am 28. August. Erneut formierte sich am preußischen Hof eine zahlenmßig beachtliche Gruppierung, die einen Krieg befîrwortete, zu der nur der Kçnig, dessen enger Berater Job v. Witzleben und Außenminister Bernstorff das Gegengewicht bildeten. Die Auffassung des 1121 Vgl. G. Heydemann, Konstitution … (s. Anm. 1059), S. 160. 1122 Zur Anerkennungsfrage (unter Auswertung neuer Akten) vgl. W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 67 – 78. In einer tour d’horizon werden auch – sehr abgewogen – die Protagonisten beider Gruppierungen vorgestellt und die Grînde fîr die Entscheidung gegen den Krieg analysiert (S. 111 – 163). Die Untersuchung von W. Heuser bildet eine wichtige Ergnzung zu der in Anm. 1087 genannten Dissertation von 1936, die zum großen Teil ebenfalls auf Archivalien basiert. – Dagegen erfhrt man bei Th. StammKuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 855), îber die Westeuropa-Politik Preußens in den 30er Jahren (Belgienfrage, Rheinkrise) fast nichts. 1123 K. M. Hoffmann, Preußen … (s. Anm. 1087), S. 22 f.

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Kçnigs, fîr die es viele gute Grînde gab,1124 setzte sich durch: Als er am 9. September das Hilfeersuchen seines Schwagers ablehnte, hatte er sich zu einer bei den Militrs und „im Kreise der kçniglichen Familie weitgehend unpopulren Politik“ entschlossen.1125 Einem zweiten Hilfsersuchen an Preußen vom 29. September ließ Wilhelm am 2. Oktober eine an die fînf Großmchte gerichtete Bitte um militrischen Beistand folgen. Obwohl Friedrich Wilhelm vor allem von Rußland, aber auch von §sterreich und der vom Prinzen Wilhelm angefîhrten preußischen Kriegspartei zu einer militrischen Intervention gedrngt wurde, schlug er sich auf die Seite Englands, das von Anfang an eine Verhandlungslçsung erstrebte.1126 Durch diese Entscheidung des Kçnigs wurde Preußen, „bestimmt von der Einsicht in die Notwendigkeit der Erhaltung des europischen Friedens, Vorreiter einer friedlichen Konfliktlçsung“ in der belgischen Frage.1127 Um auch Frankreich fîr den englisch-preußischen Friedenskurs zu gewinnen, schickte der Preußenkçnig Alexander von Humboldt als Sondergesandten nach Paris. Als hufiger und sehr geschtzter Tischgast und Reisebegleiter war Alexander strker als sein Bruder Wilhelm zum Vertrauten des Kçnigs und Ratgeber in allen Frankreich betreffenden Fragen geworden. 1790 erstmals in Paris, war er 1810 assoziiertes Mitglied des Institut de France geworden und hatte 1808 und 1814/15 an den Verhandlungen in Paris teilgenommen; 1817 begleitete er Friedrich Wilhelm erneut in die franzçsische Hauptstadt und spter zu den Kongressen von Aachen und Verona. Seit September 1830 hielt sich Humboldt mit kurzen Unterbrechungen in Paris auf, um die Regierung (Stamm-Kuhlmann: „allen revolutionren Ursprîngen zum Trotz“) fîr eine friedliche Lçsung der nicht nur von Friedrich Wilhelm als ußerst bedrohlich angesehenen europischen Krise zu gewinnen. Der in Frankreich hoch angesehene Gelehrte war zwischen 1830 und 1848 insgesamt achtmal als kçniglicher Sonderbotschafter in Paris: „La t’che principale […] ¤tait de consolider les relations entre la France et la Prusse.“ Von den (mindestens!) 52 „rapports diplomatiques“ Humboldts sind 46 publiziert 1124 In einer unverçffentlichten Denkschrift vom 30. Oktober 1830 îber den politischen Zustand Europas faßte Friedrich Wilhelm III. die fîr seine friedliche Haltung ausschlaggebenden Grînde zusammen, vgl. W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 152 – 154. Daß auch die Mittellage Preußens eine potentielle Gefahr darstellte, unterstreicht W. Heuser (ebd., S. 126), doch gehçrte diese Prmisse von Anfang an zu den Grundvoraussetzungen brandenburgisch-preußischer Außenpolitik. 1125 Der Belgien-Konflikt fîhrte am preußischen Hof zu einer hnlichen Krieg/FriedenKonstellation wie die Julirevolution. Das Zitat: ebd., S. 122. 1126 Die Behauptung, daß Preußen und England in der belgischen Frage „unterschiedliche Positionen“ einnahmen (W. Baumgart, Europisches Konzert … [s. Anm. 18], S. 244), bedarf der Differenzierung. Auch waren die preußisch-englischen Beziehungen (ebd., S. 244 f.) nach 1830 nicht nur „unproblematisch“, sondern teilweise gut. 1127 Gute Darstellung der Gesamtlage ebd., S. 144 – 160, das Zitat: S. 151.

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worden, darunter acht, alle von 1835, die an Friedrich Wilhelm III. gerichtet waren.1128 Heimlich sprach man von dem offiziellen Vertreter (v. Werther, 1824 – 1837) als von dem „Gesandten“ und von Humboldt als dem „Geschickten“. Werthers Strken lagen woanders: Der hochgebildete Kenner von Kunst und Literatur und angenehme Gesprchspartner çffnete das Hútel de Beauharnais, das der Kçnig 1818 gekauft hatte und wo die preußische Gesandtschaft seit 1821 residierte, in besonderem Maße den kulturellen Kreisen von Paris. Als Frankreich sich fîr den Grundsatz der Nichtintervention aussprach1129 und die anderen vier Mchte die militrische Beistandsforderung des hollndischen Kçnigs Wilhelm I. ablehnten, schien sich das Interventionsprinzip endgîltig îberlebt zu haben. Um dieses in Troppau 1820 beschlossene Prinzip zu retten, plante Zar Nikolaus eine Wiederbelebung der „Heiligen Allianz“ mit Preußen und §sterreich. Damit kam er den Grundgedanken Friedrich Wilhelms entgegen, der dem Thronfolger in seinem Politischen Testament (1. Dezember 1827) eine klare Direktive erteilt hatte: „Vor allem aber mçge Preußen, Rußland und §sterreich sich nie voneinander trennen: Ihr Zusammenhalten ist als der Schlußstein der großen europischen Allianz zu betrachten.“1130 Auch in England schtzte man die „Holy Alliance“ noch fînf Jahre spter als Machtfaktor ein, dessen Ende man unmçglich voraussagen kçnne.1131 Weil sich die europische Bîndnis-Landschaft seit 1815 verndert hatte, erreichte der Zar sein Ziel nicht ohne Mîhe. Mit den preußisch-westeuropischen Beziehungen haben diese Initiativen nur am Rande zu tun; deshalb mîssen einige Hinweise genîgen: Den in Mînchengrtz von Rußland und §sterreich getroffenen Vereinbarungen (18./19. September 1833), trat Preußen erst bei (Berlin, 15. Oktober), nachdem Friedrich Wilhelm III. aus dem Text die Schrfen herausgestrichen und fîr Geheimhaltung pldiert hatte, weil er Frankreich nicht unnçtig provozieren wollte.1132 Dementsprechend hielt sich die Verstimmung der Westmchte îber das Dokument in Grenzen. 1128 Vgl. dazu Jean Theodorides, Alexandre de Humboldt, observateur de la France de Louis Philippe 1835 – 1847 (= Bibliothºque de la Revue d’Histoire diplomatique, 4. Rapports diplomatiques in¤dits), Paris 1972. Das Zitat: S. 8. Zu den Briefen an Friedrich Wilhelm IV. s. u. Anm. 1165. Die folgende Anekdote ebd., S. 3 f. 1129 W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 102. 1130 R. Dietrich (Bearb.), Politische Testamente … (s. Anm. 23), S. 754. 1131 G. Heydemann, Konstitution … (s. Anm. 1059), S. 358 mit Anm. 39. 1132 Zu den Details vgl. Harald Mîller, Der Weg nach Mînchengrtz. Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen der Reaktivierung des reaktionren Bîndnisses der Habsburger und Hohenzollern mit den Romanows im Herbst 1833, in: Jahrbuch fîr Geschichte 21 (1980), S. 7 – 62. Die westeuropische Perspektive behandelt unter Auswertung neuer Quellen W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 397 – 403. Abdruck

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Die Bewertung der Abmachungen von Mînchengrtz ist seit Treitschke1133 umstritten. Aufgrund neuer Quellen kommen die jîngsten Studien zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen. Daß die ideologische Tendenz des Aufsatzes von Mîller („Preußen und §sterreich als Schutzwall gegen die antifeudalen revolutionren Bewegungen“, „innere Widersprîche des Kapitalismus“, „wie es Engels ausdrîckte“ u. a. m.) auch zu der îbertriebenen Einschtzung des angeblichen Triumphes Rußlands fîhrte, hat Wolfgang Heuser nachgewiesen.1134 Seine weitergehende Auffassung, daß auch „von einer Reaktivierung der Heiligen Allianz“ keine Rede sein kann, steht allerdings im Widerspruch zu der von Martin Stauch vertretenen These, der von einem Weiterbestehen der „Heiligen Alianz“, gestrkt durch Mînchengrtz, bis 1854 ausgeht.1135 Vielleicht kann man den Gegensatz dadurch auflçsen, daß man bei der untrennbar mit dem Jahre 1815 verknîpften „Heiligen Allianz“ zwischen ihrem ideellen Weiterbestehen (bis 1854) und ihrem faktischen Auseinanderbrechen (1823, 1825 oder 1830) unterscheidet. Da keine der Großmchte ernsthaft an einem Krieg gegen die Belgier interessiert war, kam nur die von England und Preußen von Anfang an favorisierte Konferenzlçsung in Frage. Die Verhandlungen der fînf Mchte hatten schon begonnen (London, 4. November), als die Aufstndischen durch die Proklamation der Unabhngigkeit Belgiens (18. November) die Wiener Ordnung quasi umstîrzten. Die Londoner Konferenz tagte – mit Unterbrechungen – bis zum Jahre 1839. Obwohl die Gegenstze zunchst unîberbrîckbar und die Verwicklungen unentwirrbar erschienen, sind sich die Großmchte îber wichtige Fragen relativ schnell einig geworden.1136 Durch seine vermittelnde und zugleich konstruktive Verhandlungsfîhrung kommt dem preußischen Konferenzdelegierten, Heinrich v. Bîlow, ein großes Verdienst an der erfolgreichen Konfliktlçsung zu. Als einer der wenigen, welche die belgische Frage am Ende noch îberschauten, trug Bîlow entscheidend zu ihrer friedlichen Lçsung bei, in der Winfried Baumgart „eine große Leistung des Europischen Konzerts“ erblickt, weil es gelang, die eingetretene ønderung der Wiener Ordnung zu sanktionieren und den Konflikt ohne einen Krieg unter den Großmchten zu lçsen.

der Vertrge: (1) îber die Tîrkei (18.9.): CTS … (s. Anm. 500), 84, S. 21 – 26; (2) îber die „Repression of Unrest in Poland“ (19.9.): ebd., 84, S. 27 – 34 (sehr weitgehend); (3) îber „Common Actions against Revolutionaries“ (15.10): ebd., 84, S. 65 – 68. 1133 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 4, Leipzig 1889, S. 322 – 335. 1134 W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 401. 1135 M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), passim, z. B. S. 170 f., S. 264. 1136 Zu Verlauf und Ergebnis der Londoner Konferenz vgl. W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 274 – 277.

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Seine Behauptung, daß kein einziger der sechs von 1830 bis 1848 amtierenden preußischen Außenminister „besonders erwhnenswert“ sei, weil sie „alle im Fahrwasser der restaurativen Politik Metternichs“ schwammen,1137 korrespondiert im Hinblick auf die preußische Beteiligung an der Lçsung der belgischen Frage nicht mit den neuen archivalischen Befunden: Preußen betrieb in dieser Situation „eine eigenstndige, zur Not auch gegen die engsten Verbîndeten gerichtete, einzig der Prosperitt des Staates […] und dem Frieden verpflichtete Politik“.1138 Daß Friedrich Wilhelm als treibende Kraft hinter der preußischen Ausgleichspolitik stand, wird dadurch unterstrichen, daß der zweifache Wechsel im Außenministerium (Ancillon nach Bernstorffs Rîcktritt, 10. Mai 1832; Werther nach Ancillons Tod, 19. April 1837) nichts an der Konzeption dieser Politik nderte. 1835 erklrte Ludwig Philipp, daß die Bewahrung der „tranquillit¤ de la France et de l’Europe“ in den bewegten Jahren 1830/31 zu einem guten Teil „” la haute sagesse et ” la fermet¤ mod¤ratrice“ des Preußenkçnigs zu verdanken sei.1139 Aus westeuropischer Perspektive ist zu betonen, daß die Belgienfrage zu einer jahrelangen Interessengemeinschaft zwischen England und Preußen fîhrte. Sie begann bereits im Sommer 1830, als beide Staaten als erste fîr eine Konferenzlçsung eintraten, und sie endete faktisch mit dem Ende der Londoner Konferenz (1839). Wie Palmerston gehçrte auch Bîlow zu den wenigen, die die immer komplexer werdenden diplomatischen Verwicklungen am Ende noch îberschauten. Zu einem guten Teil wurde die Londoner Konferenz durch die englisch-preußische Kooperation zu einem erfolgreichen Ende gefîhrt; Bîlow trug dabei „entscheidend zu ihrer friedlichen Lçsung bei“.1140 Die Konferenz zeigte zugleich, daß sich Preußen in seiner Außenpolitik weder von Rußland1141 noch von §sterreich gngeln ließ und eine eigenstndige, vorrangig an der Friedenswahrung orientierte Politik verfolgte. Daß durch dieses Ergebnis der neueren Forschung auch der hufig „sympathisch unbeholfen wirkende“ (Heuser) Monarch eine Aufwertung erfhrt, kann im Interesse einer differen1137 Ebd., S. 127. 1138 W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 451. ˜ber Bîlow vgl. ebd., S. 146 (Instruktion), S. 437 und S. 452 (Wîrdigung) und S. 520 (Personenregister). Zu den Außenministerwechseln S. 361 und S. 385. 1139 A. v. Humboldt an Friedrich Wilhelm III., 23. 8. 1835, in: J. Theodorides, Humboldt … (s. Anm. 1128), S. 13 – 17, hier S. 13. 1140 ˜ber das Ende der Konferenz vgl. W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 393 – 441 (Verlauf ) und S. 442 – 459 (Wîrdigung), das Zitat: S. 452. 1141 Daß Preußen „bei jedem Schritt, den es tat“, nach dem Zaren sah (Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart/Hamburg 1958, S. 152 f.), stimmt weder fîr die Jahre 1830 und 1840 noch fîr die gesamte Außenpolitik Preußens nach 1815.

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zierteren Beurteilung Friedrich Wilhelms III. nur begrîßt werden. Auch die folgende, mit Westeuropa zusammenhngende Episode kann zu einem abgerundeteren Bild des Kçnigs beitragen. Die von Preußen gegenîber dem Frankreich Ludwig Philipps von Anfang an geîbte Politik der wohlwollenden Zurîckhaltung erfuhr noch eine Steigerung, als der franzçsische Kronprinz und sein ltester Bruder1142 auf dem Wege nach Wien im Mai 1836 in Berlin Station machten und sehr herzlich empfangen wurden. Obwohl der Besuch bei den „Legitimisten“ am Hof und beim Zaren hçchstes Mißfallen auslçste und auch Alexander von Humboldt Bedenken geußert hatte, ging Friedrich Wilhelm III. noch einen Schritt weiter: Nachdem die Wiener Heiratsplne des Kronprinzen gescheitert waren, griff er helfend ein. „Offensichtlich auf seine Initiative“ lenkte der Minister Wittgenstein die Aufmerksamkeit der franzçsischen Regierung auf Helene von Mecklenburg, eine Nichte des Preußenkçnigs. Da Metternich keine Einwnde erhob und auch die Prinzessin der Eheschließung nicht abgeneigt gegenîberstand („Lieber zehn Wochen Herzogin von Orleans als hier in Schwerin fînfzig Jahre aus dem Schloßfenster sehen“), hielt Friedrich Wilhelm an seinem Plan fest, unbeirrt von allen Warnrufen des Prinzen Wilhelm und der vielen anderen Gegner des Projekts. Alexander von Humboldt hatte dagegen seine Meinung inzwischen gendert: „il voyait l” une nouvelle possibilit¤ de rapprochement entre Paris et Berlin.“1143 Am 4. April 1837 wurde der Heiratskontrakt unterzeichnet. Als der Kronprinz ein Jahr spter die Geburt eines Sohnes anzeigte, richteten sich seine Gedanken voller Dankbarkeit „vers Votre Majest¤ ” qui je dois tant“.1144 Die Bemîhungen Friedrich Wilhelms III., das Verhltnis Preußens zu Frankreich zu verbessern, verbanden sich mit seinem Willen zur unbedingten Friedenswahrung, als sich Ende der 30er Jahre ein weiterer Konflikt im westeuropischen Raum abzeichnete, der fast zu einem Krieg zwischen Frankreich und Preußen gefîhrt htte. Die ˜berzeugung Friedrich Wilhelms III., daß „das Glîck eines Landes […] zuverlssig in einem fortdauernden Frieden“ bestehe,1145 traf sich in diesem den Regierungswechsel îberlappenden Konflikt mit der abwartenden Haltung seines Nachfolgers Friedrich Wilhelm IV., der am 7. Juni 1840 den preußischen Thron bestieg.1146 1142 Es handelte sich um Ferdinand Philipp (geb. 1810), Herzog von Orleans, und Ludwig Karl (geb. 1814), Herzog von Nemours. 1143 J. Theodorides, Humboldt … (s. Anm. 1128), S. 4. 1144 W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 405 – 410. 1145 Mit dieser øußerung Friedrich Wilhelms von 1796/97 îberschreibt W. Heuser, ebd., seinen Hauptabschnitt (S. 79 – 441). 1146 Zur Bedeutung der orientalischen Frage fîr die Außenpolitik des neuen Kçnigs vgl. Winfried Baumgart, Zur Außenpolitik Friedrich Wilhelms IV. 1840 – 1858, in: Otto

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Die auf Regierungsebene recht guten preußisch-franzçsischen Beziehungen hatten auch davon profitiert, daß der nicht eben preußenfreundliche Außenminister Achille Charles de Broglie am 1. April 1834 durch den konzilianteren Admiral de Rigny abgelçst wurde. Dennoch verstrkte sich im ganzen Lande unterschwellig eine antipreußische Stimmung. Sie habe ihre Wurzel, so ein Bericht Werthers vom 26. November 1834, „in dem zîgellosen Ehrgeiz aller Franzosen, die mit aller Macht Frankreichs Grenzen bis zum Rhein ausdehnen wollen“, und zwar mit Hilfe „eines feindlichen Einfalls“.1147 Der Boden war also schon vorbereitet, als die Spannungen zwischen beiden Lndern auf eine geradezu unglaubliche Art und Weise eskalierten. Erschwerend kam hinzu, daß in Preußen der lang erwartete Thronwechsel erfolgte. Der neue preußische Kçnig hatte die Schrecken der napoleonischen Kriege als Kind vielfltig erfahren. Die Demîtigungen hatten den sensiblen Jungen so tief getroffen, daß bei ihm whrend der Freiheitskriege der Kreuzzugsgedanke gegen Napoleon strker war als der Wunsch nach einem Sieg îber Frankreich. Zeit seines Lebens blieb er von diesen Eindrîcken geprgt. Ganz anders waren seine Erinnerungen an die Englnder, die in Memel, dem Fluchtort der kçniglichen Familie, am gesellschaftlichen Leben teilnahmen. Englische Kapitne waren gern gesehene Gste an der kçniglichen Tafel.1148 Nach Friedrich Delbrîck îbernahm 1810 der Hugenottenabkçmmling Jean Pierre FranÅois Ancillon, der sptere Außenminister, die Erziehung des Kronprinzen. Der Augenzeuge der Franzçsischen Revolution bemîhte sich, das politische Weltbild des Prinzen vor dem europischen Horizont zu sehen und die Idee Europas in den Mittelpunkt des Denkens zu rîcken. „In Ancillon reprsentierte sich noch einmal“, so Ranke, „Sinn und Art der franzçsischen Kolonie in Berlin.“1149 Die Unzufriedenheit mit dem alten Kçnig, einige positiv aufgenommene Signale des Kronprinzen und viele Hoffnungen fîhrten dazu, daß die an einen Thronwechsel geknîpften Erwartungen selten so groß waren wie 1840. Zunchst mußte sich die neue Regierung aber einem dringenden Problem in Westeuropa zuwenden. Ausgangspunkt der Rheinkrise von 1839/41 war die „Orientalische Frage“, in der das in der Levante stark engagierte Frankreich eine diplomatische NieBîsch (Hg.), Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 62), Berlin 1987, S. 132 – 156, hier S. 132 – 138. 1147 K. M. Hoffmann, Preußen … (s. Anm. 1087), S. 182 f. (Broglie) und S. 195 (Rheingrenze). 1148 Zu Jugend und Entwicklung Friedrich Wilhelms IV. vgl. Walter Bussmann, Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie, Berlin 1990, S. 13 – 110, hier S. 55 und S. 29. 1149 Ebd., S. 44 – 48, das Ranke-Zitat: S. 47.

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derlage erlitten hatte (Londoner Konvention, 15. Juli 1840).1150 Der franzçsische Ministerprsident Thiers machte aus der Orientfrage eine nationale Prestige-Angelegenheit, die in erster Linie Preußen, den Mitunterzeichner der Konvention, aufs Korn nahm und Politik und çffentliche Meinung auf die limites naturelles und damit auf das unterschwellig virulente Rheinproblem lenkte.1151 „So wurde der gyptische Streit durch den Julivertrag nicht nur zu einer europischen Frage, er machte auch Preußen zu einem ungewollten Hauptdarsteller in dem anhebenden Kriegsgeschrei.“ Whrend in Frankreich, das sich in einem „nationalistischen Delirium“ (Baumgart) befand,1152 kriegerische Fanfarentçne îber den Rhein und îber eine Revision der Westgrenze (Mauguin, Lamartine, Quinet, de Musset, Hugo, Blanc, Proudhon u. a.) rasche Verbreitung fanden, antwortete auf der anderen Seite des Rheins ein nicht weniger eindrucksvoller Chor von Literaten und Publizisten (Becker, Schneckenburger, Hoffmann von Fallersleben [Baumgart: „Die Deutschen haben also ihre sptere Nationalhymne eigentlich dem Pascha am Nil zu verdanken.“], Herwegh, Arndt u. a.), deren Tenor nicht selten an die antifranzçsischen Haßtiraden der sptnapoleonischen Zeit erinnerte. Obwohl dieser kriegslîsterne literarisch-publizistische Wettstreit fast zum Selbstlufer wurde und Frankreich und Preußen an den Rand eines Krieges brachte, bemîhten sich die gemßigten Krfte auf beiden Seiten um ein Krisenmanagement, ohne die Gefahr aus dem Auge zu verlieren. Whrend am preußischen Hof Prinz Wilhelm und einige Militrs wie Moltke und Radowitz fîr eine kriegsfreudige Politik gegenîber Frankreich pldierten, sprachen sich der Kçnig, Außenminister v. Werther und der grçßere Teil der politisch-militrischen Fîhrungsspitze fîr eine friedliche Konfliktbeilegung aus. Die detaillierten Berichte îber die Strke der franzçsischen Armee, die der preußische Militrattach¤ Cler1153 regelmßig aus Paris schickte, trugen dazu bei, daß die 1150 In grçßerer Perspektive behandelt die Rheinkrise Irmline Veit-Brause, Die deutschfranzçsische Krise von 1840. Studien zur deutschen Einheitsbewegung, phil. Diss. Kçln 1963. 1151 Neue Zusammenfassung: W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 287 – 301. Mit dem Schwerpunkt auf den franzçsisch-preußischen Beziehungen: I. Mieck, Einfluß … (s. Anm. 1113), S. 146 – 152. Das folgende Zitat: S. 149. 1152 Die Auffassung, die nationalistische Welle habe sich letztlich „als Strohfeuer entpuppt“ (Gilbert Ziebura, § 12: Frankreich von der Großen Revolution bis zum Sturz Napoleons III. 1789 – 1870, in: Walther Bussmann [Hg.], Europa von der Franzçsischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts [= Handbuch der Europischen Geschichte, 5], Stuttgart 1981, S. 187 – 318, hier S. 275) unterschtzt die Wirkungskrfte der damaligen Propaganda, die sich tief ins kollektive Gedchtnis beider Vçlker eingruben. 1153 Ignaz Heinrich v. Cler, der von 1830 bis 1845 militrtechnische Nachrichten aus Paris schickte, kçnnte der erste europische Militrattach¤ îberhaupt gewesen sein, vgl. W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 143.

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„Friedenspartei“ ihre Auffassung zwar durchsetzte, den Militrs aber – fîr den Fall der Flle – die Beratung von Offensivplnen zugestehen mußte. Dieser Kompromiß zeigte den wachsenden Druck der preußischen Kriegspartei auf die politisch-militrische Fîhrung.1154 Zwei Jahrzehnte spter ließ sich die Militrpartei auf keinen Kompromiß mehr ein; ihr Triumph fîhrte letztlich dazu, daß in Europa 1914 „die Lichter ausgingen“.1155 Da die Kriegsgefahr trotz aller Friedensabsichten Ende 1840 noch virulent schien, dachte Friedrich Wilhelm IV. ernsthaft daran, „von Frankreich eine kategorische Erklrung îber Sinn und Zweck seiner Rîstungen an den deutschen Grenzen zu verlangen“.1156 Vor allem den Monarchen Frankreichs und Preußens war es letztlich zu verdanken, daß die Krise beigelegt werden konnte. Unter dem neuen Regierungsgespann Soult/Guizot schloß Frankreich mit Europa wieder seinen Frieden (Beitritt zur Londoner Konvention und zum Dardanellenvertrag, 13. Juli 1841). Durch die Auseinandersetzungen von 1840/41 wurden die preußisch-franzçsischen Beziehungen allerdings noch fîr Jahrzehnte belastet, denn „der nationalistische Aufbruch hatte in Preußen und Frankreich eine Breiten- und Langzeitwirkung entfaltet, wie man sie seit den Freiheitskriegen nicht erlebt hatte“.1157 Neuere Forschungen haben gezeigt, daß die frîher eher negative Einschtzung der preußischen Westeuropapolitik in den 30er Jahren nicht aufrechterhalten werden kann. Kçnig und Außenminister spielten keineswegs eine sekundre Rolle, sondern wirkten nicht nur sehr aktiv, teilweise auch initiativ an den Regelungen der Streitfragen mit. Es erscheint daher fraglich, ob man fîr die Jahre nach 1830 noch von einem „papiernen Großmachtanspruch“ Preußens sprechen kann;1158 es war wohl eher so, daß Preußen in den 30er Jahren auf dem Weg zu einer von den westeuropischen Mchten als gleichrangig angesehenen Großmacht einen guten Schritt vorangekommen ist.

1154 Vgl. dazu J. Angelow, Wien … (s. Anm. 1119), S. 113 – 117; Abdruck des Berichts von Cler vom 1. 12. 1840: Anlage 14 (S. 371 – 374). 1155 Diese treffende Formulierung stammt aus dem Titel eines Buches von Ludwig Reiners, In Europa gehen die Lichter aus. Der Untergang des wilhelminischen Reiches, Mînchen 1954. Zu der Krieg-Frieden-Problematik s. u. § 7. 1156 So in der Instruktion fîr Radowitz vom 5. 11. 1840, Abdruck: J. Angelow, Wien … (s. Anm. 1119), Anlage 15, S. 376. 1157 I. Mieck, Einfluß … (s. Anm. 1113), S. 152. 1158 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 242.

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5. Vormrz und Revolutionszeit Dem Kapitel îber die Zeit nach der Rheinkrise bis zum Ausbruch der Revolution gab der englische Historiker Alan Palmer in seiner bekannten Diplomatiegeschichte die ˜berschrift „Minister des Friedens, 1841 – 1848“.1159 In der Tat wurde die europische Politik dieser Jahre von Personen geprgt, die sich wie die Außenminister Guizot in Frankreich und Aberdeen in England energisch fîr den Erhalt des Friedens einsetzten. „Das Bemîhen um die Beseitigung des Geistes der nationalen Rivalitt und persçnlichen Eitelkeit“ (Guizot) fîhrte sogar zu einer entente cordiale zwischen den beiden Lndern, die erst mit der Ablçsung Aberdeens durch Palmerston 1846 endete.1160 Zu den eher friedliebenden Politikern gehçrte auch der preußische Monarch Friedrich Wilhelm IV., der sich schon bei der Rheinkrise gegenîber der Kriegspartei am Hof durchgesetzt hatte.1161 Ein Nachspiel der Rheinkrise fîhrte zu einer unerwarteten preußisch-englischen Zusammenarbeit. Seit der Verpflichtung des Sultans, den christlichen Gemeinschaften Zugang zu den heiligen Sttten zu gewhren, war in Europa eine Palstinabegeisterung ausgebrochen, die sich nicht auf Pilgerzîge beschrnkte. Zu deren Schutz hielt man die Einrichtung von Konsulaten erforderlich. Friedrich Wilhelm IV., dem eine preußische Hochkirche nach anglikanischem Muster vorschwebte, hoffte sein (sehr umstrittenes) Ziel „auf dem Umweg îber Palstina“ verwirklichen zu kçnnen. Tatschlich erreichte der Sondergesandte Bunsen, der dieses Projekt mit initiiert hatte, daß in einer englisch-preußischen Gemeinschaftsaktion 1841 das evangelische Bistum Jerusalem gegrîndet wurde. Es wurde alternierend besetzt (Salomon Alexander; Samuel Gobat; Barclay); diese „romantische Episode“ (Bussmann) endete erst 1886, als das Abkommen von Preußen gekîndigt wurde. Da sich das Verhltnis Preußens zu der zweiten westeuropischen Großmacht infolge der JerusalemKooperation weiter verbessert hatte, reiste der preußische Kçnig im Januar 1842 nach Großbritannien, um bei der Taufe Edwards (VII.) als Pate dabei zu sein. Die Reise demonstrierte auch „das ungewçhnlich vertrauensvolle Verhltnis“ zwischen Friedrich Wilhelm und Bunsen, der im Herbst 1841 – endlich – zum preußischen Gesandten in London ernannt worden war.1162 1159 Alan Palmer, The Chancelleries of Europe, London 1983 [Dt. u. d. T. Glanz und Niedergang der Diplomatie. Die Geheimpolitik der europischen Kanzleien vom Wiener Kongreß bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Dîsseldorf 1986], S. 124 – 143. Das folgende Zitat: S. 136. 1160 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 302 – 305. 1161 S. o. S. 716. 1162 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 250 f.; David E. Barclay, Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, S. 128 – 132.

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Kîhnheit und Entschlossenheit in außenpolitischen Fragen gehçrten nicht zu den Strken Friedrich Wilhelms IV., der seine Strken im kînstlerischen Bereich hatte und sich selbst als „Gesamtkunstwerk“ (Barclay) auffaßte. øhnlich wie sein Vorgnger war er zwar eher friedfertig und auf Ausgleich bedacht,1163 reprsentierte aber als einer der letzten das „alte“, legitimistisch orientierte Europa und wollte die Wiener Ordnung der kollektiven Sicherheit und Solidaritt unter allen Umstnden verteidigen. Dementsprechend steigerte sich seine Abneigung gegen das revolutionre Frankreich mit der Machtergreifung Napoleons zur Frankophobie.1164 Die fast permanente Revolutionsfurcht fîhrte zusammen mit seinem friedliebenden Naturell mitunter zu merkwîrdigen außenpolitischen Entscheidungen, wie etwa die nicht selten praktizierte Idee, preußische Außenpolitik durch persçnliche Emissre betreiben zu lassen. Die damit verknîpften Hoffnungen wurden aber hufig enttuscht. Nicht so von Alexander von Humboldt, den er als sachkundigen Berater in Paris ließ und mit dem er eine rege Korrespondenz unterhielt.1165 Von den internationalen Konflikten der 40er Jahre (Spanische Heiraten, Annexion Krakaus, Sonderbundskrieg) wurden die preußisch-westeuropischen Beziehungen so gut wie nicht berîhrt. Ein Dauerproblem blieb aber das Verhltnis zu Frankreich, das durch die Nachwehen der nationalistischen Aufwallungen whrend der Rheinkrise weiterhin stark belastet blieb. øhnlich wie am Schlagwort „Freiheitskriege“ schrfte sich am Begriff „1840“ das deutsche Selbstbild am franzçsischen Feindbild, das jetzt auch fîr eine jîngere Generation selbstverstndlich wurde und in Preußen eine Ambivalenz zwischen ideeller Frankophilie und faktischer Frankophobie entstehen ließ.1166 Einen direkten Einfluß auf die politischen Beziehungen hatten diese Animositten aber nicht. Auf die Pariser Februarrevolution von 1848 reagierte Preußen mit einer vorsichtigen Verstrkung der militrischen Abwehrkrfte im Rheinland, um ein 1163 Vgl. dazu die neueren Biographien von W. Bussmann, Zwischen Preußen und Deutschland … (s. Anm. 1148), D. E. Barclay, Anarchie und guter Wille … (s. Anm. 1162), und Dirk Blasius, Friedrich Wilhelm IV. 1795 – 1861. Psychopathologie und Geschichte, Gçttingen 1992. 1164 Auf der Basis der immer noch nîtzlichen Studie von Konrad Kettig, Friedrich Wilhelms IV. Stellung zu Frankreich bis zur Errichtung des zweiten Franzçsischen Kaiserreiches, phil. Diss. Berlin 1936, gibt M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 45 – 48, eine treffende Einschtzung der Haltung des Kçnigs. 1165 Vgl. J. Theodorides, Humboldt … (s. Anm. 1128), S. 41 – 188. Die 38 HumboldtBriefe an Friedrich Wilhelm IV. stammen aus den Jahren 1841 (7), 1842/43 (14), 1845 (11), 1847 (6). Die Breite der von Humboldt angesprochenen Themen deutet das umfangreiche Personenregister an. 1166 Reiner Pommerin / Reiner Marcowitz (Hg.), Quellen zu den deutsch-franzçsischen Beziehungen 1815 – 1919, Darmstadt 1997, S. 1 – 28 (Einleitung/R¤sum¤), hier S. 6 f.

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˜bergreifen der Revolution zu verhindern1167 und auch gegen mçgliche Grenzkorrekturwînsche der neuen Regierung gewappnet zu sein.1168 Viel gravierender gestaltete sich aber in den nchsten Wochen die innere Situation Preußens, denn der Februarrevolution von Paris folgte die Mrzrevolution von Berlin. Da sich beide Regierungen vorrangig mit den revolutionren Ereignissen auseinandersetzen mußten, lagen die außenpolitischen Beziehungen weitgehend brach.1169 Der Informationsfluß lief zwar auf Hochtouren, kreiste aber fast ausschließlich um die Revolution. Im Unterschied zu 1792 kam es im Gefolge der Revolution von 1848/49 zu keinem Krieg unter den europischen Großmchten. Das lag einmal daran, daß die beiden von der Revolution nicht oder wenig betroffenen Flîgelmchte, England und Rußland, ein hohes Maß an Zurîckhaltung geîbt haben. Ihre Leitlinien waren Bewahrung des Gleichgewichts auf der einen, Erhaltung des Status Quo auf der anderen Seite. „Keine der beiden Mchte wollte von den Schwierigkeiten und dem Schwchezustand der anderen profitieren.“1170 Hinzu kam, daß die Revolution nur in Frankreich zu einem Regime- und Verfassungswechsel fîhrte.1171 Auch deshalb war die Regierung derart mit inneren Problemen beschftigt, „daß an eine aktive, geschweige denn aggressive Außenpolitik nicht zu denken war“. Zudem wollte sie sich keinesfalls in eine radikale Richtung drngen lassen.1172 Daß Friedrich Wilhelm IV. in der Nacht zum 19. Mrz in einem „An meine lieben Berliner“ gerichteten Flugblatt behauptete, „eine Rotte von Bçsewichtern, meist aus Fremden bestehend“, habe die Revolution angezettelt, zielte natîrlich besonders auf Frankreich. Und der bayerische Gesandte schob die Schuld ganz ungeniert „Emissren, Polen, Franzosen und Sîddeutschen“ zu. Die neuere Forschung, die teilweise auf unverçffentlichtem Quellenmaterial beruht, hat 1167 Eine gute Zusammenfassung gibt William J. Orr Jr., La France et la R¤volution allemande de 1848 – 1849, in: RevHistDipl 93 (1979), S. 300 – 330. 1168 Obwohl sich der neue franzçsische Außenminister Lamartine bei der Nichtanerkennung der Grenzen von 1815 (4. 3. 1848) zugleich von kriegerischen ønderungen distanziert hatte, bestand die deutsche Kriegsfurcht weiter; vgl. dazu J. Angelow, Wien … (s. Anm. 1119), S. 133 – 135, und, speziell zur Kriegsdiskussion in Preußen, Rîdiger Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution (= Verçffentlichungen des Instituts fîr Sozialgeschichte), Bonn 1997, S. 121 f. 1169 Knappe Zusammenfassung der franzçsisch-deutschen/preußischen Beziehungen im Umfeld der Revolution: R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 38 – 42. 1170 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 317 – 320, das Zitat: S. 319. 1171 Zum Vergleich mit Preußen vgl. I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 240, und die Arbeit von Ulrike Ruttmann, Wunschbild – Schreckbild – Trugbild. Rezeption und Instrumentalisierung Frankreichs in der deutschen Revolution von 1848/49 (= Frankfurter Historische Abhandlungen, 42), Stuttgart 2001, zugl. phil. Diss. Frankfurt 2000. 1172 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 322.

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diese Behauptung endgîltig ins Reich der Legende verwiesen.1173 Die Revolution in Berlin war eine Revolution der Berliner und sonst nichts. Die nahezu unîbersehbare Bîcherflut, die im Umkreis des Jahres 1998 zur „europischen“ Revolution von 1848 erschienen ist,1174 brachte zwar eine ganze Reihe neuer Forschungsergebnisse und mehr oder weniger umstrittener Gesamteinschtzungen, gelangte aber im Hinblick auf direkte Einflußnahmen kaum îber den bisherigen Kenntnisstand hinaus. Angesichts des Reformstaus in Preußen und des breiten Informationsstroms, der in bisher unbekannter Weise îber die teilweise neu entstehenden Presseorgane nach Preußen kam,1175 genîgten die aus Frankreich kommenden Impulse zur Auslçsung der Revolution. Frankreich galt zwar fîr viele Preußen als Vorreiter und Leitbild der Revolution, war es aber nur in ideellem Sinne;1176 auslndische Agitatoren sind zumindest in Berlin nicht nur nicht nachzuweisen, sie waren letzten Endes auch nicht erforderlich. Weder die Grîndung der „Deutschen Demokratischen Gesellschaft“ (Mrz 1848, Paris) noch Bildung und Einsatz der „Deutschen Legion“ (April 1848, Straßburg/Baden) haben die Revolution in Deutschland wesentlich vorangebracht. Seit Mrz gab es zwischen dem neuen preußischen Außenminister ArnimSuckow, Frankreich und England Bîndnisgesprche, die aber zu nichts fîhrten, weil der Gedanke Arnim-Suckows, Polen zu restitutieren, zu riskant schien. Die englische Antwort, der Plan sei eine Gefahr fîr den europischen Frieden, war ernîchternd und belegte „die kîhle Haltung der englischen Regierung in diesen hitzigen Revolutionstagen“. Das Polen-Projekt ist aber ein Indiz dafîr, „wie gefhrlich ausgreifend und kriegstreibend die Außenpolitik der preußischen Regierung in der Anfangsphase der Revolution gewesen ist“. Sie wurde noch îbertroffen durch die nationalistischen, zum Teil imperialistischen Reden, die in der Paulskirche gehalten wurden, als es um die Eingliederung Preußisch-Polens und um Elsaß-Lothringen ging. Selbst v. Gagern sprach von der „weltgebietenden“ Stellung des kînftigen Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. tat gut 1173 Ilja Mieck, Auslnder und Immigranten in Berlin 1848, in: Ilja Mieck / Horst Mçller / Jîrgen Voss (Hg.), Paris und Berlin in der Revolution 1848. Paris et Berlin dans la r¤volution de 1848, Sigmaringen 1995, S. 215 – 228. 1174 Wegen seiner beziehungsgeschichtlichen Komponente sei nur genannt Michael Stîrmer, Krise, Revolution und Konjunktur 1848 – 1849. Deutsch-franzçsische Varianten îber ein europisches Thema/Crise, r¤volution et conjoncture 1848 – 1849 (= R¤flexions sur l’Allemagne au 20e siºcle), Bonn 1999. 1175 Vgl. dazu Ursula E. Koch, La presse et son public ” Paris et ” Berlin (1848/49). Une ¤tude exploratoire, in: I. Mieck / H. Mçller / J. Voss (Hg.), Paris und Berlin … (s. Anm. 1173), S. 19 – 78. 1176 ˜ber Preußen hinausreichend: Ulrike Ruttmann, „Paris ist offenbar unsere Hauptstadt!“ – Die Bedeutung des Frankreichbildes fîr die deutsche Revolution von 1848/49, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 9 (1997), S. 149 – 160.

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daran, „seinen friedenstçrenden Außenminister“ am 17. Juni zu entlassen.1177 In die preußisch-franzçsischen Beziehungen hatte er nur Verwirrung gebracht. Seine Nachfolger wechselten rasch, erst Otto von Manteuffel amtierte wieder mehrere Jahre (Ende 1850 bis November 1858).1178 Obwohl England den revolutionren Ereignissen auf dem Kontinent eher abwartend gegenîberstand, kam es whrend der ersten Revolutionsphase zu einer bemerkenswerten preußisch-britischen Zusammenarbeit. Man gewhrte dem als radikal-konservativ eingeschtzten Kronprinzen Wilhelm („Karttschenprinz“), als er auf der Flucht vor der Revolution Berlin am 19. Mrz verließ und eine Woche spter in England erschien, politisches Asyl.1179 Die preußische Regierung wollte den Thronfolger aus der Gefahrenzone und zugleich in Sicherheit bringen, war doch dessen Thronverzicht gefordert worden. Am 27. Mrz erreichte Wilhelm „unter nicht gerade erhebenden Umstnden“ îber Spandau, die Pfaueninsel,1180 Ludwigslust und Hamburg sein Londoner Exil, „wohin auch fîr mehr als ein Jahr Krone und Kronschatz gebracht worden waren“.1181 In England blieb er neun Wochen, bis sich die Lage in Berlin wieder beruhigt hatte.1182 Als mit dem bereits abzusehenden Scheitern der Revolution sich nacheinander die Frankfurter Nationalversammlung, Preußen und §sterreich um eine Lçsung der Deutschen Frage bemîhten, blieb Frankreich nicht unttig. ˜ber seine Versuche, sich durch Einflußnahme auf die preußische Politik fîr seine Interessen einzusetzen, wird zu Beginn des folgenden Kapitels berichtet.1183 Da sie letztlich vergeblich waren, mußte sich auch Frankreich damit abfinden, daß – nach dem Scheitern der Revolution auf ganzer Linie – der Deutsche Bund in seiner alten Form wiederhergestellt wurde. 1177 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 322 – 324. 1178 S. die ˜bersicht bei I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 290 f. 1179 Zu allen Einzelheiten vgl. die detaillierte Darstellung von Karl Haenchen, Flucht und Rîckkehr des Prinzen von Preußen im Jahre 1848, in: HZ 154 (1936), S. 32 – 95. Zur Reaktion der britischen Regierung auf das îberraschende Erscheinen Wilhelms wird (mit einer Ausnahme, S. 85) leider nichts gesagt. 1180 Ohne jede politische Absicherung durch die westeuropischen Großmchte versuchte dort Carl, Prinz von Preußen und jîngerer Bruder, vergeblich, den flîchtigen Wilhelm sowohl direkt als auch îber seine Frau Augusta zum Thronverzicht zu bewegen, um im Falle einer erzwungenen Resignation des Kçnigs das traditionelle Kçnigtum durch einen konterrevolutionren Militrputsch wieder fest in den Sattel setzen zu kçnnen, Sir Charles Glienicke. Prinz Carl und sein Sommersitz (= Porticus, Sonderheft: Katalog der gleichnamigen Ausstellung 2001), hg. v. Stiftung Preußische Schlçsser und Grten Berlin-Brandenburg, Berlin 2001, S. 11 f. 1181 G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 82), S. 364. 1182 Vgl. I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 254; detaillierter: R. Hachtmann, Berlin … (s. Anm. 1168), S. 184 – 187 und S. 322 – 344. 1183 S. u. § 7.

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In der europischen Geschichte begann 1850/1851 trotz des Sieges der konservativen Krfte eine neue Epoche. Der Sturz Metternichs und die Absetzung Ludwig Philipps symbolisierten eine Wende. Die sich kînftig der Außenpolitik widmende Generation steuerte einen anderen Kurs: Ludwig Napoleon, Schwarzenberg, Cavour, Gortschakow und Bismarck fragten nicht mehr nach der Bewahrung des europischen Friedens und dem Weiterbestand des Europischen Konzerts. Fîr sie alle galt in allererster Linie die Maxime: Was nîtzt meinem Staat? Dazu waren sie einsichtig genug, die bisher unterdrîckten liberalen und nationalen Sehnsîchte und Ziele aufzugreifen und „vor ihren Karren der nationalen und egoistischen Machtsteigerung zu spannen“.1184 Fortan dominierte, anders ausgedrîckt, „die neue Politik des nationalen Egoismus und des einzelstaatlichen Machtinteresses“.1185 Als sich diese Politik der Konfliktbereinigung durch Krieg durchsetzte, ging fîr Europa – und damit auch fîr die preußisch-westeuropischen Beziehungen – eine kaum unterbrochene Friedensepoche zu Ende, die in Wien begrîndet worden war und rund 35 Jahre gehalten hatte. Auf eine der lngsten Friedensperioden Europas folgten binnen kurzem mehrere Nationalkriege, deren Saat in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts aufging. II. Westeuropas Hilfe bei der Industrialisierung Preußens Durch die napoleonischen Kriege und die Kontinentalsperre wurden die Bemîhungen Preußens, mit Hilfe der „technologischen Reisen“ den Anschluß an die in Westeuropa einsetzende Industrialisierung zu gewinnen,1186 erheblich behindert, so daß sich der Rîckstand gegenîber Großbritannien und Frankreich vergrçßerte. Unter dem Schutz der Kontinentalsperre hatten zwar einige wenige Gewerbezweige, die nicht unter der dadurch begînstigten franzçsischen Konkurrenz litten, eine Scheinblîte erlebt, doch mit dem Ende der Kontinentalsperre (20. Mrz 1813) begann fîr die preußische Wirtschaft durch die aus England hereinstrçmenden Waren eine Katastrophe. Um wieder konkurrenzfhig zu werden, waren nicht nur grundlegende ønderungen der Wirtschaftsgesinnung und der Gewerbefçrderungsidee, sondern vor allem durchgreifende technische 1184 Diese erfrischend-kritische Auffassung vertritt W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 335. 1185 So A. Doering-Manteuffel, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1055), S. 187 f., der allerdings das „Ende der Wiener Ordnung“ erst mit Ausbruch, Verlauf und Ende des Krimkrieges gekommen sieht. 1186 S. o. S. 760 – 845.

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Modernisierungen erforderlich:1187 Der Vorsprung, den Westeuropa durch den Einsatz von Arbeitsmaschinen (Mechanisierung) und Kraftmaschinen (Motorisierung) gewonnen hatte, mußte schnellstmçglich aufgeholt werden. Beispielgebende Leitbilder fîr diesen Prozeß waren England, Frankreich und die sîdlichen Niederlande, das sptere Belgien.1188 Der ergnzenden Frage, ob es im Rahmen der Industrialisierungsproblematik noch andere Einflîsse auf Preußen gegeben hat, hat sich die Forschung bisher kaum zugewandt.1189 1. Anwerbung von Westeuropern Da die Englnder fîhrend im Maschinenbau waren, bezog man in Preußen – wenn mçglich – nicht nur fast alle modernen Maschinen aus diesem Land,1190 sondern bemîhte sich auch die Gewerbeverwaltung seit 1814 gezielt um die Anwerbung entsprechender Fachleute. Das berîhmteste Beispiel bieten die Brîder John und Charles-James Cockerill, die auf Initiative Beuths aus Verviers bei Lîttich nach Berlin kamen, dort eine vollmechanisierte Wollspinnerei errichteten und sich vor allem auch um Verkauf und Aufstellung von Dampfmaschinen in ganz Preußen kîmmerten. Geliefert wurde ab Berlin und ab Magdeburg, die Inbetriebnahme besorgte ein von der Firma gestellter englischer Maschinenbauer. Von 26 Dampfmaschinen, die man 1830 in Berlin zhlte, stammten wahrscheinlich 15 von den Cockerills.1191 Auch die ersten Dampfschiffe wurden seit 1816 von einem Englnder namens Humphreys gebaut; der ebenfalls aus England angeworbene Tuchmacher Charles Aldridge erhielt den

1187 Zur neuen Wirtschaftskonzeption vgl. I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 1 – 42. Wiederabdruck dieser Einleitung: Ders., Vom Merkantilismus zum Liberalismus, in: O. Bîsch / W. Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte … (s. Anm. 538), 2, Nr. XXXIII, S. 994 – 1030. 1188 Zum Aufholen dieses Vorsprungs vgl. Pierre Benaerts, Les origines de la grande industrie allemande, Paris 1933, passim. 1189 Einen knappen Vergleich der Steuersysteme und çffentlichen Haushalte gibt Eckart Schremmer, Steuern und Staatsfinanzen whrend der Industrialisierung Europas. England, Frankreich, Preußen und das Deutsche Reich 1800 bis 1914, Berlin u. a. 1994, S. 209 – 214. Das Buch ist nicht beziehungsgeschichtlich konzipiert. 1190 Das betraf seit den 30er Jahren in besonderem Maße auch das Eisenbahnwesen: Lokomotiven, Waggons, Schienen (Normalspur in Deutschland nach englischem Vorbild bis heute 1,435 m), Ersatzteile u. a. mußten in den ersten Jahren ausnahmslos aus England eingefîhrt werden. 1191 I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 101 – 107 und S. 241 (Dampfmaschinenstatistik). Ergnzend: Ilja Mieck, Franz Anton Egells, die Gebrîder Freund und die Anfnge des Maschinenbaus in Berlin, in: Wilhelm Treue / Wolfgang Kçnig (Hg.), Berlinische Lebensbilder, 6: Techniker (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60), Berlin 1990, S. 65 – 83.

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Auftrag, die preußischen Tuchfabriken mit englischen Webstîhlen auszurîsten.1192 Auch in den traditionellen preußischen Gewerbelandschaften arbeiteten trotz des bis 1825 geltenden Auswanderungsverbots zahlreiche Facharbeiter aus England. Der seit langem in Schlesien wirkende Schotte Baildon machte sich 1823 selbstndig und grîndete die Baildonhîtte bei Kattowitz. „Baildon erwies sich als eine der fîr Bergbau und Hîttenwesen in Schlesien bedeutendsten Persçnlichkeiten.“1193 William Richard, der ebenfalls in den preußischen Staatsdienst getreten war, arbeitete bis 1827. Sein Sohn Franz fîhrte das Unternehmen fort und wurde 1847 „gewerblicher Maschinenbauinspektor.“ Aus dem Westen der Monarchie, der – mit einigen Ausnahmen – im Vergleich zum Osten industriell weniger entwickelt war, ist bisher nur der Englnder Dobbs bekannt, der bei der Errichtung der ersten Aachener Dampfmaschinenfabrik beteiligt war.1194 Anders war es in Berlin: In der grçßten Kattundruckerei der Stadt arbeiteten Ende der 20er Jahre die Werkmeister Ferguson, Beavers und Gibbons aus Manchester. Die Maschinenbauer Biram aus Huddersfield, Foster aus Manchester und Dickson waren ebenfalls in Berlin ttig und lieferten ausgezeichnete Produkte.1195 Auch die Straßenbeleuchtung Berlins lag bis 1847 in englischer Hand: Die Imperial Continental Gas Association, die ein Exklusivprivileg fîr 21 Jahre erhalten hatte, errichtete die erste Gasanstalt Berlins und begann am 19. 6. 1826 mit der Beleuchtung der Straße Unter den Linden. Trotz des in Berlin ziemlich verhaßten englischen Gasmonopols schloß der Polizeiprsident mit den Englndern Fox und Crampton 1852 einen Exklusivvertrag auf 25 Jahre îber die Wasserversorgung Berlins. 1856 begann die Berlin Waterworks Company zu arbeiten. Bis 1873 blieb die Wasserversorgung Berlins fest in englischer Hand.1196 „So vielseitig […] schon damals das Zusammenspiel deutscher und englischer Fachmnner“ war und so sehr die Preußen „den englischen Ingenieuren

1192 P. Benaerts, Origines … (s. Anm. 1088), S. 361. 1193 W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 205 (Zitat), S. 207. 1194 C. Matschoss, Dampfmaschine … (s. Anm. 1018), S. 151 f. (mit Anm. 1) und S. 168 (Schreibweise ,Dobs’ korrigiert). 1195 Diese und die folgenden Beispiele aus Berlin bei I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 108 – 117. ˜ber fast alle frîhen Fabrikbetriebe Berlins (Biram, Cockerill, Dannenberger, Feilner, Foster, Hensel & Schumann, Hummel, Kgl. Eisengießerei, KPM, Queva, Tappert u. v. a) informiert das unersetzliche Buch von H. Weber, Wegweiser … (s. Anm. 978), passim. 1196 Paul Clauswitz, Die Stdteordnung von 1808 und die Stadt Berlin, Berlin 1908, S. 170 – 176.

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viel Dank schuldeten“,1197 so wenig darf man îbersehen, daß auch andere Westeuroper bei der Industrialisierung Preußens gehçrig nachhalfen. Auch aus Frankreich, das im west-çstlichen Industrialisierungsgeflle Europas eine wichtige Vermittlungsfunktion einnahm, wurden Spezialisten geholt, um ihre Ttigkeit in Preußen fortzusetzen. Eine der ersten Dampfkesselfabriken des Kontinents, die spter einen großen Aufschwung erlebte, wurde 1814 in Weiden bei Aachen durch Jacques Piedboeuf errichtet. Aus Paris abgeworben und nach Berlin gelockt wurden der Lampen- und Laternenfabrikant Schweighofer, der dort als contre-ma‚tre arbeitende Goldschmied und Juwelier Hossauer, der Bronzegießer Lequine und der Ziseleur Cou¤.1198 In den 30er Jahren verstrkte sich das franzçsische Engagement vor allem in der Rheinprovinz: Whrend zwischen 1834 und 1836 die Zeche Eschweiler und die Steinkohlengruben Berghaupten entstanden, grîndeten 1838 nordfranzçsische Finanzleute und Zechenbesitzer die Bergbaugesellschaft Hardenberg. An vielen Bergwerks- und Versicherungsgesellschaften an Rhein und Ruhr war Kapital aus Frankreich beteiligt.1199 Englnder und Franzosen waren nicht die einzigen Westeuroper, die Preußen bei der Industrialisierung halfen: Auf der Basis traditioneller Gewerbezweige entstand im niederlndisch-belgischdeutschen Grenzgebiet damals eine regelrechte Industrielandschaft, von der Preußen sehr profitierte.1200 Aus dem niederlndisch-belgischen Grenzraum kamen nicht nur die Cockerills nach Berlin, sondern auch der Steinsetzer Ernotte, der in der preußischen Hauptstadt die Trottoirpflasterung „nach Lîtticher Art“ einfîhrte.1201 In hollndischen Werksttten hatte auch der „Mechanikus“ Zerrahn gearbeitet, von dem 1812 und 1813 einige Spinn-, Rauh- und Schermaschinen „nach niederlndischer Art“ in Berlin aufgestellt wurden.1202

1197 So C. Matschoss, Dampfmaschine … (s. Anm. 1018), S. 156. Dagegen muß die einschrnkende Auffassung von P. Benaerts, Origines … (s. Anm. 1188), S. 346 (Beuth „se mit r¤solument ” l’¤cole des Anglais“), erheblich differenziert werden. 1198 ˜ber Piedboeuf C. Matschoss, Dampfmaschine … (s. Anm. 1018), S. 168 f.; zu den Beispielen aus Berlin I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 108 – 114. 1199 Knappe ˜bersicht mit Beispielen fîr die Kapitalbeteiligungen bei R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 64. Zu diesem Komplex siehe auch unten § 7. 1200 Vgl. dazu Otto Eschweiler, Die Euregio Aachen-Lîttich-Maastricht – ihre Entstehung und ihre Bewhrung in der wirtschaftspolitischen Praxis, in: Klaus Schwabe / Francesca Schinzinger (Hg.), Deutschland und der Westen im 19. und 20. Jahrhundert, 2: Deutschland und Westeuropa (= Historische Mitteilungen, Beiheft 11), Stuttgart 1994, S. 241 – 250, hier S. 242 – 246. 1201 I. Mieck, Von der Reformzeit zur Revolution … (s. Anm. 969), S. 506. 1202 Aus den Angaben bei H. Weber, Wegweiser … (s. Anm. 978), Heft 1, S. 39 f., geht nicht hervor, ob sich Zerrahn in Berlin niedergelassen hat.

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2. Preußische Westeuropa-Reisende von 1814 bis 1845 Zu den viel begangenen „Paths of Transmission“,1203 auf denen sich die Industrialisierung ausbreitete, gehçrten nicht nur Abwerbungen. Sowie es die 1814 einsetzende Friedenszeit erlaubte, begann eine lebhafte Reisettigkeit von Verwaltungsfachleuten und Unternehmern in Richtung Westeuropa, um die Ursachen des industriellen Vorsprungs zu erkunden und den Anschluß an die vorausgeeilte Entwicklung wiederherzustellen.1204 Die einen wurden gezielt von der Regierung geschickt, hufig ermuntert und manchmal auch unterstîtzt, andere bereisten die westeuropischen Lnder aus freien Stîcken und auf eigene Kosten. Hauptziel war die Beschaffung von Informationen,1205 aber vor der heimlichen Anfertigung von Zeichnungen oder sogar dem Herausschmuggeln von Maschinen, deren Export aus England bis 1842/1843 verboten war, schreckten weder Regierungsbeauftragte noch Privatunternehmer zurîck.1206 Wie frîher, spielte die Werkspionage1207 eine wichtige Rolle, hatte doch Sack, der Chef des Generaldepartements, an Hardenberg am 4. Februar 1814 geschrieben, daß man jetzt „an Maschinen, Kunstgriffen und Fabrikgeheimnissen“ das bekommen kçnne, was „durch die frîher hingesandten sachverstndigen Personen […] nicht zu erlangen“ war.1208 Um – neben Beamten und Unternehmern – auch den technischen Nachwuchs mit dem in Westeuropa erreichten Stand der Industrialisierung vertraut zu machen, ergnzte das von Beuth 1821 gegrîndete und bis 1845 geleitete Gewerbe-Institut seine gute Ausbildung in vielen Fllen durch Auslandsaufenthalte. Die Absolventen des Instituts sollten zur Abrundung und Perfektio1203 So îberschreibt Sidney Pollard, Peaceful Conquest. The Industrialization of Europe 1760 – 1970, Oxford 1981, sein 4. Kapitel S. 142 – 190. 1204 Zur ersten der zahlreichen Reisen vgl. die wegweisende Studie von Wilhelm Treue, Eine preußische „technologische“ Reise in die besetzten Gebiete im Jahre 1814, in: VjschrSozialWirtschG 28 (1935), S. 15 – 40. 1205 Die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, GStAPK, vorhandenen Akten „Die Nachrichten aus England îber Fabrikationsverbesserungen“ (1. HA, Rep. 120 D, I, 1, Nr. 1) umfassen 18 Bnde (1822 – 1866). Ihre systematische Auswertung steht noch aus. 1206 Einige Beispiele bei I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 92, S. 96 – 98. In seinem programmatischen Schreiben vom 21. 12. 1839 (ebd., S. 71) erwhnte Beuth diese illegalen Praktiken natîrlich nicht. 1207 Fîr die Zeit vor 1850 erscheint der meist verwendete Begriff „Industriespionage“ nicht sehr treffend, da whrend der Frîhindustrialisierung kaum mehr als die Grundlagen fîr die Entstehung einer „Industrie“ geschaffen wurden. Martin Schumacher, Auslandsreisen deutscher Unternehmer 1750 – 1851 unter besonderer Berîcksichtigung von Rheinland und Westfalen (= Schriften zur rheinisch-westflischen Wirtschaftsgeschichte, 17), Kçln 1968, S. 224, verwendet zwar das Wort „Werkspionage“, kennt aber im Sachregister nur „Industriespionage“. 1208 Zitiert von W. Treue, Reise … (s. Anm. 1204), S. 17.

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nierung ihres theoretisch-praktischen Rîstzeugs Erfahrungen im westlichen Ausland sammeln. In Tabelle 12, die keinen Anspruch auf Vollstndigkeit erhebt, werden daher auch diese Reisen, soweit sie aus der Literatur zu ermitteln sind, aufgefîhrt. Die ˜bersicht macht deutlich, daß die Reisen der InstitutsAbsolventen mit der Zeit sehr stark zunahmen, whrend die Auslandsbesuche der Beamten deutlich zurîckgingen. Insgesamt gibt die Tabelle einen guten Eindruck von den preußischen Bemîhungen um direkte Auslandskontakte mit dem Ziel, den Industrialisierungsvorsprung Westeuropas mçglichst bald aufzuholen. Die Bedeutung der Westeuropa-Reisen der Absolventen des Gewerbe-Instituts fîr die Industrialisierung Preußens kann nicht hoch genug eingeschtzt werden. Aus den îberlieferten Archivalien, so lîckenhaft sie auch sind, ergibt sich als Orientierungsgrçße, daß fast ein Viertel der dort ausgebildeten Techniker nach der Abschlußprîfung nach Westeuropa ging und dort zum Teil monate- oder sogar jahrelang arbeitete, bevor Preußen nach ihrer Rîckkehr von ihren Fhigkeiten profitierte. Nicht wenige Fçrderungsantrge, die den strengen Kriterien der Gewerbeverwaltung nicht genîgten, wurden abgelehnt.1209 Daß die preußisch-westeuropischen Beziehungen durch die Auslandsreisen eine beachtliche Bereicherung erfuhren, steht außer Frage. Das gilt vor allem fîr die Englandbesuche, die nach wie vor sowohl dem Maschinenkauf als auch der Abwerbung dienten. Friedrich Harkort, der 1819 zusammen mit dem Englnder Edward Thomas in Wetter/Westfalen eine Maschinenbauanstalt gegrîndet hatte, ermçglichten Wuppertaler Verwandte, die in einer Londoner Bank arbeiteten, Fabrikbesichtigungen und îbernahmen die Verschiffung von zwei gekauften Dampfmaschinen. Harkort und der ihn begleitende Thomas engagierten auf dieser Reise dessen Schwiegervater und seinen Sohn, Samuel und George Godwin, sowie den Gießer Obrey. Von den ebenfalls umworbenen Brîdern Richmond kam nur einer nach Wetter; der andere ließ sich auch bei einer lngeren „Abwerbungsreise“ Samuel Godwins (1824/26) nicht aus Manchester fortlocken.1210 Ungeachtet der politisch schwankenden Verhltnisse ist von irgendwelchen Querelen zwischen den Gastlndern und den preußischen Wirtschaftspraktikern und Gewerbebeamten nichts bekannt. Daß sich in England, Frankreich oder den Niederlanden und Belgien gelegentlich Mißtrauen oder Konkurrenzfurcht gegenîber den preußischen Emissren bemerkbar machte, ist verstnd1209 Vgl. dazu Peter Lundgreen, Techniker in Preußen whrend der frîhen Industrialisierung. Ausbildung und Berufsfeld einer entstehenden sozialen Gruppe (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 16), Berlin 1975, S. 169 – 177. 1210 Wolfhard Weber, Technologietransfer zwischen Großbritannien und Deutschland in der industriellen Revolution, in: W. J. Mommsen (Hg.), Ungleiche Partner … (s. Anm. 28), S. 65 – 81, hier S. 75 f. (mit Anm. 46 – 49).

I. Preußen und Westeuropa

Tabelle 12: Preußen auf Westeuropa-Reisen 1814-1845* (Beamte, Unternehmer und Absolventen des Gewerbe-Instituts) (B=Belgien, E=England, F=Frankreich, NL=Niederlande) Jahr

Reiseziele

Reisende

1814 1814

(Cockerill) F, NL E E E B E F E E E E B E E E, F F F E E B E B, E, F E, F F E E, F, NL E E F E E B, E, F E F B E B, E E, F E E E B, F B, F

Beuth** Busse, Frank, Liepe, Tappert Krigar, Weber Hardenberg, May Eckardt, Krigar Lueg Hensel, Schumann Kleinstîber Bauer Harkort Eckardt, Krigar Egells Beuth Egells (bis Herbst 1822) Dannenberger Beuth Queva Milde, Runge Wedding Hamann Schuster Eckardt, Krigar Lueg, Gebr.Haniel, Luyken Kolb Feyerabend Harkort Beuth, Schinkel Eckardt, Krigar Dannenberger Stobwasser Ganzel, Wulff Hofmann Mîllensiefen Geiß Prinz Beuth, N.N., N.N. Lueg, begleitet von Harvey Hçlterhoff, Nollen Baumann Wedding Matthaei Vonpier, z. T. mit Prof. Ure Knecht Schubarth

1815 1816 1817 1819 1819 1819/20 1821 1821 1822 1823 1824 1824-26 1825 1825-27 1826

1827 1828 1828-30 1829 1830/31 1832 1833 1833/35 1835(?) 1835

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Tabelle 12: (Fortsetzung) Jahr 1836 1837

1838 1838-42 1839 1839/40 1839-41 1841 1842 1842-43 1843 1844 1845 1845-46

Reiseziele B, F E B F E E E E E E F B B, E E, F, NL B, E, F F, E B, F E E, F E B, E E B, E, F

Reisende Schubarth, Reich W. Illgner Mîllensiefen G. Bçcking Harkort Mevissen Neukrantz Krupp Pattberg Niedergassel Gropius; Hossauer Beckers Seiffert Elbertzhagen 1840/41 Kaselowsky Hossauer Romberg Weidtmann Proessel, teilweise begleitet von E. Mitscherlich*** Burlage Elbers Nohl Oechelhuser

* Berîcksichtigt werden auch lngere oder kîrzere Aufenthalte. ** Der Vortragende Rat im Gewerbe-Departement war als Lîtzower Jger 1814 bei den Cockerills einquartiert; Beuth besichtigte das Werk in Seraing und fîhrte wohl erste Abwerbungsgesprche. *** Ein von Carl Bruno Proessel verfaßter Reisebericht befindet sich als Manuskript im KPM-Archiv. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach P. Benaerts, Origines … (s. Anm. 1188); Alfred Heggen, Beuths „technologische Reisen“ 1818-1829, in: Technikgeschichte 42 (1975), S. 18-25 (lîckenhaft); P. Lundgreen, Techniker … (s. Anm. 1209); I. Mieck, Gewerbepolitik … (s. Anm. 979), S. 87-120; M. Schumacher, Auslandsreisen … (s. Anm. 1207); A. Siebe Neicker, Offizianten … (s. Anm. 769).

lich, hat aber die breite und vielseitige Unterstîtzung, die Preußen beim Prozeß der Industrialisierung durch Westeuropa erfuhr, nicht wesentlich beeintrchtigt. Die Feststellung: „There is no doubt that Germany drew heavily on the leadership, experience, and skills of the more advanced industrial nations“1211, gilt ohne jede Einschrnkung auch fîr Preußen. Wenn seit den 30er Jahren englische Fabrikbesitzer auch preußische Betriebe besichtigten (Smith 1834: 1211 Rondo E. Cameron, Some French Contributions to the Industrial Development of Germany, 1840 – 1870, in: JournEconHist 16 (1956), S. 281 – 321, hier S. 313.

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Tabelle 13: Reisen nach Westeuropa* von 135 Absolventen des Gewerbe-Instituts 1821-1850** England: 13 Frankreich: 13 Belgien: 8

Deutscher Bund: 7 (außerhalb Preußens) §sterreich: 4

Irland: 4 Holland: 4 Schweiz: 1 (USA: 1)

* Berîcksichtigt werden auch lngere oder kîrzere Aufenthalte. ** Darunter muß sich auch Theodor Vonpier (1809-1870) befinden, der nach seiner Abschlußprîfung fîr mehrere Jahre nach England geschickt wurde. Quelle: P. Lundgreen, Techniker … (s. Anm. 1209), S. 165 in Verbindung mit S. 131.

Rheinprovinz; Donkin 1842/43: Dîren; Cowan 1845: Siegen),1212 bedeutete das zwar noch keine Trendumkehr, zeigte aber, daß sich die guten preußischwesteuropischen Industriekontakte auszuzahlen begannen und der Lehrling zu einem geachteten Konkurrenten geworden war. III. Preußisch-westeuropische Handels- und Kulturbeziehungen øhnlich wie bei der Industrialisierung verliefen die preußisch-westeuropischen Handels- und Kulturbegegnungen ohne große Aufregung, obwohl die Situation nach den napoleonischen Kriegen keineswegs spannungsfrei war und es auf anderen Ebenen durchaus zu Komplikationen kam. Ungeachtet der politischen Animositten und Zwistigkeiten gab es auch im Verhltnis zwischen Preußen und Franzosen im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich keine besonderen Probleme.1213 1. Beziehungen im Geld- und Warenhandel In den ersten Jahren nach den Turbulenzen der napoleonischen Zeit war der Geldhandel fîr das Kçnigreich Preußen wichtiger als der Warenhandel. Wegen der hohen Staatsverschuldung infolge der enormen Kriegslasten bewegte sich das Land fast stndig am Rande des Staatsbankrotts.1214 Die preußische Bankund Geschftswelt war nicht mehr in der Lage, die Lçcher in der Staatskasse zu stopfen. Als auch eine 1817 beim Bankhaus Rothschild in Frankfurt am Main aufgenommene Anleihe nur eine kurzzeitige Erholung brachte, mußte sich 1212 M. Schumacher, Auslandsreisen … (s. Anm. 1207), S. 294. 1213 Eine politisch-kulturelle Zusammenschau, die weit îber Preußen hinausgreift, bietet Marie-Louise von Plessen (Hg.), Marianne und Germania 1789 – 1889. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten – Eine Revue (= Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Berlin und Paris 1996/97), Berlin 1996. 1214 Knappe Zusammenfassungen: W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 297 – 304; I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 117 – 131.

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Preußen zu seiner ersten Auslandsanleihe bereitfinden. Die Hoffnungen ruhten auf Westeuropa, wo nur der Finanzplatz London dafîr in Frage kam. 1818 wurde Christian Rother, neuer Direktor im Schatzministerium und erfahrener Finanzexperte, zu Verhandlungen nach London geschickt. In aufreibenden Gesprchen konnte Rother, der „Bankier fîr Preußen“,1215 mit Nathan Rothschild eine neue Anleihe aushandeln, deren Bedingungen zwar schwer waren, in dieser Situation aber akzeptabel erschienen (Ausgabekurs 72 Prozent, Zinsen 5 Prozent). Mit den 30 Millionen Rtlr. aus London begann Preußen die Konsolidierung seiner Staatsschuld, deren Hçhe 1820 im Staatsschuldengesetz festgeschrieben wurde. Trotz aller Bemîhungen blieb die Kassenlage prekr, so daß Rother in schwierigen Gesprchen mit Nathan Rothschild eine zweite Anleihe (1. Mai 1822: 21,5 Millionen Rtlr., Kurs 84 Prozent, Zinsen 5 Prozent) aushandelte. Preußen sah sich dadurch zwar der rgsten finanziellen Not enthoben, aber das Haus Rothschild wurde mit dieser zweiten Anleihe „recht eigentlich der private Staatsfinanzier Preußens“.1216 Preußen kam auf dem Weg zur Gesamtkonsolidierung seiner Finanzen so gut voran, daß Rother mit Hilfe einer dritten Anleihe (25. Februar 1830: 23,3 Millionen Rtlr., Kurs 92 Prozent, Zinsen 4 Prozent) die Reste der Schuld von 1818 in fînf Halbjahresraten tilgen konnte. Damit hatte Preußen die schlimmsten finanziellen Kalamitten der Kriegs- und Nachkriegszeit glîcklich îberstanden – dank der westeuropischen Millionen. Seit den 30er Jahren wurde das finanziell erholte Land sogar fîr franzçsische Investoren interessant. Im Saarland, an Rhein und Ruhr und in Schlesien grîndeten Franzosen Industrieunternehmen, beteiligten sich an der Errichtung von mehreren Banken und waren im Versicherungswesen aktiv.1217 Franzçsische Ingenieure und Unternehmer trugen wesentlich zur Industrialisierung Preußens bei: „French scientific and technical education in the first half of the nineteenth century was the best in the world, and French engineers were in great demand […] throughout Europe and overseas.“ Die Englnder hatten zwar die Pionierarbeit bei der Industrialisierung geleistet, doch die Franzosen trugen ent-

1215 Diese Bezeichnung, ursprînglich Titel einer Fernsehsendung von 1986, wurde fîr ein Buch îbernommen: Wolfgang Kirchner / Wolfgang Radtke, Bankier fîr Preußen (= Drehbuch)/Christian Rother und die Kçniglich-Preußische Seehandlung (= Darstellung), Berlin 1987 (mit jeweils eigener Paginierung). Zur Anleihe-Problematik vgl. die grundlegende Untersuchung von Wolfgang Radtke, Die Preußische Seehandlung zwischen Staat und Wirtschaft in der Frîhphase der Industrialisierung (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 30), Berlin 1981, S. 57 – 76. 1216 Ebd., S. 71. 1217 Kurze ˜bersicht bei R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 63 – 67. Da die franzçsischen Investitionen vor allem nach 1845/50 erfolgten, werden sie im folgenden Kapitel behandelt: § 7.

I. Preußen und Westeuropa

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scheidend zu ihrer Verbreitung bei; außerdem wurde die „French business organization […] widely copied throughout Europe.“1218 Hinsichtlich des preußischen Warenaustauschs mit den westeuropischen Lndern ist festzustellen, daß es trotz der handelsstatistischen Werke, die in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts von Carl Friedrich Wilhelm Dieterici, C. W. Ferber, Georg v. Viebahn, Friedrich Benedikt Weber u. a. verçffentlicht wurden, bis heute keine Geschichte des preußischen Außenhandels gibt. Beim Versuch, die Handelsbeziehungen „von außen“ zu rekonstruieren, stçßt man erneut auf das Unverstndnis der westeuropischen Nachbarn gegenîber der deutschen Vielstaaterei. Meist ist vom Handel mit „Germany“ oder „Allemagne“ die Rede, sehr selten von den deutschen Einzelstaaten.1219 Beispielsweise ist bekannt, daß 107, 110 und 150 mit Wein beladene Schiffe Bordeaux in den Jahren 1821 bis 1823 verlassen haben – „” destination de Hambourg, BrÞme, Lîbeck, la Prusse, le Mecklembourg ou le Hanovre“.1220 Genauere Hinweise wren zwar sehr willkommen, doch muß man andererseits leider feststellen, daß selbst die in englischen Quellen auftauchende Angabe „Prussia“ nicht immer eindeutig ist.1221 Die folgenden Ausfîhrungen kçnnen dementsprechend nur einen vorlufigen Charakter haben. Whrend es aus sachlichen und methodischen Grînden unmçglich ist, volkswirtschaftlich interessante Fragen nach dem Außenhandel Deutschlands mit den Niederlanden zu beantworten, „da fîr solche Antworten die statistische Grundlage nicht tragfhig genug ist“, lassen sich îber den niederlndischpreußischen Handel wenigstens einige Einzelheiten mitteilen: Von den 1.451 Getreideschiffen, die 1830 den Sund durchfuhren, legten 415 in niederlndischen Hfen an – zweifellos waren viele darunter, die aus Preußen kamen. Da die Hollnder nicht mehr den Ostseehandel beherrschten, trug nur noch etwa ein Viertel der in Pillau ankommenden Schiffe (1816: etwa 1.000; 1824: 288; 1828: 623) die niederlndische Flagge. Ein zweites Viertel fîhrte die preußische Flagge, whrend der anfangs bei etwa 15 Prozent liegende Anteil der Englnder stndig zunahm.1222 Auch Stettin verzeichnete Mitte der 20er Jahre „betrchtliche Getreideausfuhren nach Holland“.1223 Die wichtigsten Ausfuhrgîter, die aus ganz Deutschland – und damit prozentual auch aus Preußen – nach England gingen, waren Wolle, Getreide 1218 R. E. Cameron, Contributions … (s. Anm. 1211), S. 313. 1219 Zu diesem Problem s. o. § 1 I 2. 1220 M. Espagne, Bordeaux – Baltique … (s. Anm. 807), S. 129. 1221 Beispiele bei Martin Kutz, Deutschlands Außenhandel von der Franzçsischen Revolution bis zur Grîndung des Zollvereins. Eine statistische Strukturuntersuchung zur vorindustriellen Zeit (= VjschrSozialWirtschG, Beiheft 61), Wiesbaden 1974, S. 23. 1222 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 430. 1223 M. Kutz, Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), S. 168 f.

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und Holz.1224 Dank ihrer Qualitt konnte sich die Wolle, die als deutsches Exportprodukt bis zum Ende der napoleonischen Kriege kaum eine Rolle gespielt hatte, gegen die starke spanische Konkurrenz behaupten. Seit 1818 îbertrafen die englischen Wollimporte aus Deutschland die aus Spanien, und seit 1822 stand die Wolle an der Spitze der deutschen Exportstatistik. Noch 1840 erreichte Australien, der zweite Woll-Lieferant fîr den englischen Markt, nicht einmal die Hlfte der aus Deutschland gelieferten Menge.1225 Eine Untersuchung, welchen Anteil preußische Wolle an dieser beeindruckenden Marktdominanz hatte, stellt eins der vielen Forschungsdesiderate zur preußisch-englischen Handelsgeschichte dar. Um den bis zur Napoleonzeit florierenden Getreideexport von Ostpreußen nach England fîr die Zeit danach besser beurteilen zu kçnnen, mîßten die Quantitten genauer erforscht werden: Einerseits heißt es, daß die preußischen Ausfuhren trotz der englischen Schutzzçlle („corn laws“) bis zur Agrarkrise der 20er Jahre weitergingen,1226 andererseits wird behauptet, daß „sich der langjhrige Kampf um die Aufhebung der englischen Kornzçlle […] in allen Phasen auf den Kçnigsberger Handel“ offensichtlich negativ auswirkte.1227 Und eine Gesamteinschtzung geht davon aus, daß der ohnehin nicht sehr umfangreiche Getreideimport aus Deutschland 1819 begann, „fîr lange Zeit zur Bedeutungslosigkeit herabzusinken […]. Bis zum Jahre 1825/26 drîckte eine gute Ernte nach der anderen sowohl in England wie auf dem Kontinent die Getreidepreise so sehr, daß die deutschen Exporte nach England kaum eine Bedeutung erlangten.“1228 Aufgrund der fîr Preußen zu ermittelnden Daten wre auch die Angabe von Paul Bairoch zu îberprîfen, daß England in den Jahren 1811 bis 1830 wirklich nur 3 Prozent seines Weizenverbrauchs importiert habe.1229 Kaum kontrovers erscheint dagegen die Ansicht, daß erst die mit einer dreijhrigen ˜bergangsfrist 1846 beschlossene Aufhebung der corn laws sowie die Herabsetzung der niederlndischen Zçlle (1847) dem (ost)preußischen Weizenexport Erleichterung 1224 Der ltere Aufsatz von Martin Kutz, Die deutsch-britischen Handelsbeziehungen von 1790 bis zur Grîndung des Zollvereins. Ein statistischer Beitrag zur Neuorientierung, in: VjschrSozialWirtschG 56 (1969), S. 178 – 214, in dem von Preußen gar nicht die Rede ist, wird ergnzt durch Ders., Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), S. 12 – 83 (îber England). 1225 Ebd., S. 47 – 49. 1226 W. Neugebauer, Politischer Wandel … (s. Anm. 1000), S. 487. 1227 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 430. Die Konsequenzen der Aufhebung der Navigationsakte fîr preußische Schiffe (1825, ebd.) sind auch ungeklrt. 1228 M. Kutz, Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), S. 45. 1229 Paul Bairoch, Landwirtschaft und Industrielle Revolution, in: Carlo M. Cipolla / Knut Borchardt (Hg.), Europische Wirtschaftsgeschichte, 3: Die Industrielle Revolution (= UTB, 315), Stuttgart/New York 1985, S. 297 – 33, hier S. 314.

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verschafften,1230 obwohl die deutschen Importe schon seit etwa 1828 wegen der hohen Weizenpreise wieder angestiegen waren und eine „bedeutende Hçhe“ erreicht hatten.1231 Die Zahlenangaben fîr das an dritter Position des deutschen EnglandHandels stehende Holz lassen sich leicht auf Preußen îbertragen, weil „der gesamtdeutsche Export an Holz nach England […] bis auf wenige Prozentpunkte von Preußen gestellt“ wurde. Wertmßig lagen die Holzexporte (Dielen, Fichtenholz, Faßdauben, Eichenplanken, Masten, Lattenholz u. a.) Ende der 20er Jahre zwischen 500.000 und 800.000 £ Sterling.1232 Andere deutsche Exportartikel waren Nahrungsmittel, Hute und Felle, Smereien, Flachs und Hanf sowie andere Rohstoffe. Das fast vçllige Fehlen von Fertigwaren „zeigt mehr als deutlich, daß Deutschland im Verhltnis zu England ein Agrarland und reiner Rohstoff- und Nahrungsmittellieferant war“.1233 Textilien und Garne machten in der Zeit nach 1814 zwischen 60 und 85 Prozent der englischen Deutschland-Exporte aus. Dabei waren die nach der Kontinentalsperre auf den europischen Markt geworfenen Baumwollwaren zuerst am wichtigsten, doch verschob sich allmhlich das Verhltnis von Fertigwaren zu Baumwollgarnen durch die allmhliche Sttigung des Marktes und den Aufbau eigener Industrien. Dagegen blieb die Ausfuhr von Wollwaren relativ konstant. Seit etwa 1820 kam es aber infolge der steigenden wirtschaftlichen Aktivitten in Deutschland zu einem kontinuierlichen Rîckgang „in nahezu allen wichtigen Zweigen der britischen Exportwirtschaft beim Handel mit Deutschland“. Nur im Bereich „Eisen und Stahl“ gab es 1827/1833 eine den bisherigen Trend unerhçrt beschleunigende Verdoppelung der Exporte.1234 In welchem Umfang Preußen an diesen deutsch-britischen Handelsbeziehungen beteiligt war, kann nicht beantwortet werden. Dank der Forschungen von Martin Kutz sind wir îber die preußischfranzçsischen Handelsbeziehungen besser unterrichtet und nicht nur auf die Schtzung der franzçsischen Zollverwaltung von 1821 angewiesen, nach der Preußen 1821 Waren im Wert von 10,6 Millionen Francs nach Frankreich exportierte, im Gegenzug aber Gîter fîr nur 9,4 Millionen importierte.1235 Unter den 96 Tabellen seines Anhangs sind sechs, die direkt îber die ImportExport-Situation in den Jahren 1821 bis 1833 Auskunft geben. Außerdem konnte Kutz nachweisen, daß die napoleonischen Kriege dem franzçsischen Handel in mehrfacher Hinsicht schwer geschadet haben: Erstens wurde 1230 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 430. 1231 M. Kutz, Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), S. 46. 1232 Ebd., S. 49 – 54 und S. 292 (Tabelle 19: ˜bersicht 1827 – 1833). 1233 Zusammenfassende Wertung: Ebd., S. 74 – 76, das Zitat: S. 74. 1234 Ebd., S. 70 f., das Zitat: S 65. 1235 Mitgeteilt von R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 61.

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Tabelle 14: Der Anteil Preußens an Deutschlands Import/Export aus/nach Frankreich in 1.000 Francs und in Prozent der deutschen Wirtschaftsgebiete (Hansestdte, Preußen, Einzelstaaten) 1821-1833 Jahr

Import Wert

Commerce g¤n¤ral: 1821 8.487 1825 9.650 1829 7.689 1833 7.491 Commerce sp¤cial:* 1825 8.474 1829 7.551 1833 6.749

Export Prozent

Wert

Prozent

12,6 16,9 12,7 10,0

12.410 15.240 19.742 20.491

36,3 29,4 32,5 35,7

16,6 13,9 6,4

12.284 17.217 12.506

29,1 32,5 32,1

* Die Importe/Exporte von Agrarprodukten, Rohstoffen sowie gewerblichen und industriellen Erzeugnissen gehçren zum commerce sp¤cial. Diese Statistik gibt es erst seit 1825. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach M. Kutz, Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), S. 315 und S. 322: Tabellen 42 und 49.

Frankreich aus seiner Position als erster Lieferant von Kolonialwaren fîr Deutschland durch England verdrngt; zweitens verlor es mit den Hansestdten, die sich lieber nach England orientierten, seinen wichtigsten Abnehmer und Vermittler aus der vorrevolutionren Epoche. Als der Frieden wiederhergestellt war, konnte Preußen, das auch schon frîher direkte Handelsverbindungen zu Frankreich unterhalten hatte, diese Lîcke wenigstens teilweise ausfîllen. Die folgende Tabelle zeigt den Anteil Preußens am Import/Export aus/nach Frankreich. Um die „îber Preußen“ eingehenden Importe in den deutschen Gesamtzusammenhang stellen zu kçnnen, sei ergnzt, daß die Einfuhren „îber die Hansestdte“ zwischen 16 und 27 Prozent, diejenigen „îber die deutschen Einzelstaaten“ zwischen 60 und 72 Prozent schwankten.1236 Bei den Exporten lagen die Werte zwischen 6,1 und 25 (Hansestdte) beziehungsweise 36 und 68 (Einzelstaaten) Prozent. Im einzelnen ging es beim Handelsverkehr zwischen Preußen und Frankreich um folgende Warengruppen: Insgesamt kann man sagen, daß die preußischen Importe aus Frankreich infolge des Gewinns der Rheinprovinz und Westfalens erheblich gestiegen sind. Anfang der 20er Jahre lag der Anteil Preußens am gesamtdeutschen Import aus Frankreich bei 18 Prozent, am Export sogar bei fast 37 Prozent. Insgesamt war Deutschland bis 1823 der wichtigste Kunde Frankreichs, rutschte 1824 auf den zweiten Platz ab und stand 1825 sogar nur an fînfter Stelle. Seit dem Ende der 1236 Nur 1821 betrug das Verhltnis 7,1 : 12,6 : 80,3.

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Tabelle 15: Prozentanteil der von Preußen aus Frankreich importierten Warengruppen 1821-1833 Warengruppen

1821

1825

1829

1833

Nahrungsmittel Getrnke Kolonialwaren Text.-Rohst./ Halbfabrik. Textilien Rohstoffe Nichttextile Fertigwaren Chemische Produkte

0,1 24,7 6,5 0,2 21,1 14,9 3,7 -

0,3 11,7 11,8 1,7 7,2 21,7 2,3 –

0,5 20,5 19,9 1,8 12,7 19,1 5,1 0,4

0,2 24,0 7,2 2,3 11,2 21,5 8,7 0,5

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach M. Kutz, Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), S. 321: Tabelle 48. Tabelle 16: Prozent-Anteil der von Preußen nach Frankreich exportierten Warengruppen 1821-1833 Warengruppen

1821

1825

1829

1833

Nahrungsmittel Lebende Tiere Text.-Rohst./ Halbfabrik. Textilien Rohstoffe/ Halbfabrik. Nichttextile Fertigwaren

> 0,1 13,8 11,3 25,9 13,9 15,3

0,6 4,6 3,3 39,9 17,0 16,0

16,3 4,5 7,3 15,6 16,5 9,1

13,0 3,2 3,4 32,9 19,9 11,1

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach M. Kutz, Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), S. 328: Tabelle 55.

20er Jahre blieb es auf dem dritten Platz. Ohne auf die Wertangaben bei den Importen nher eingehen zu kçnnen,1237 folgt nachstehend noch eine tabellarische ˜bersicht îber die preußischen Frankreich-Exporte. Insgesamt nahmen die deutschen Exporte nach Frankreich deutlich zu; die Gesamtrechnung deutet sogar auf eine Verdoppelung zwischen 1821 und 1830 hin. Damit steht die Exportbilanz in schroffem Gegensatz zu den zurîckgehenden Importen. Es bleibt zu klren, wie sich diese gegenlufige Entwicklung im einzelnen auf den franzçsischen Handel mit Preußen auswirkte. Es scheint, daß sich die Schtzung der franzçsischen Zollverwaltung von 1821 besttigt. Trotz der relativ geringen Beteiligung Preußens am internationalen Warenaustausch stellte die preußische Prsenz auf dem europischen und dem Weltmarkt keineswegs eine quantit¤ n¤gligeable dar. Sowohl die teilweise recht 1237 Zum Handelswert der Warengruppen vgl. M. Kutz, Deutschlands Außenhandel … (s. Anm. 1221), Tab. 47 (Import Preußens) und Tab. 54 (Export Preußens).

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erfolgreichen ˜berseefahrten1238 als auch der innereuropische Handel wirkten sich im ganzen fçrdernd auf das gesamte Wirtschaftsleben aus. Obwohl auch die Preußische Seehandlung nur relativ wenige Fahrten in die westeuropischen Lnder unternahm,1239 war doch, wie Tabelle 17 zeigt, das Netz der Kaufleute, die als Handelspartner in westeuropischen Stdten saßen, recht dicht. Die preußisch-westeuropischen Handelsverbindungen wurden dadurch erschwert, daß es nicht gelang, den îber Hamburg gehenden Hauptexport zu umgehen. Als ein seit 1824 in Stettin ttiges Kontor zur Koordinierung des Transatlantikhandels mehr stçrend als fçrdernd wirkte, wurden seine Aufgaben 1833 an die Berliner Zentrale zurîckverlagert. Wenn das Geschftsergebnis der Export-Import-Aktivitten der Seehandlung trotz aller Bemîhungen ihres Prsidenten Rother im ganzen „betriebswirtschaftlich niederschmetternd“ waren,1240 wird man diese Feststellung cum grano salis auch fîr ihren Handel mit Westeuropa treffen kçnnen. 2. Westeuropa und der Deutsche Zollverein Die preußisch-westeuropischen Wirtschaftsbeziehungen entwickelten sich im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der großen Auseinandersetzung îber die handelspolitischen Grundprinzipien Freihandel oder Protektionismus. Geleitet von den Maximen des schottischen Nationalçkonomen Adam Smith, war Preußen der erste Staat, der – nach der Gewerbefreiheit 18101241 – am 26. Mai 1818 zu einer durch mßige (Gewichts-)Zçlle nur noch wenig eingeschrnkten Handelsfreiheit îberging und sich damit inmitten eines Umfelds von protektionistischen Lndern an den Prinzipien des wirtschaftlichen Liberalismus orientierte. Neuere Untersuchungen zeigen, daß die aus europischer Sicht sehr liberal erscheinenden Zollstze keineswegs so niedrig waren, daß die preußischen Gewerbe gegen die auslndische Konkurrenz (England!) nicht bestehen konnten. Die preußische Zollpolitik nach 1818 kann deshalb im ganzen „als ein 1238 Vgl. dazu Stefan Hartmann, Unternehmungen der Preußischen Seehandlung in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Schiffs „Prinzessin Louise“, in: Oswald Hauser (Hg.), Vortrge und Studien zur preußisch-deutschen Geschichte (= Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, 2), Kçln/Wien 1983, S. 87 – 147. 1239 Vgl. W. Radtke, Seehandlung … (s. Anm. 1215), S. 250 f. 1240 Ebd., S. 259. 1241 Der Aufsatz von Jîrgen Brand, Die preußische Gewerbereform in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts oder der mißlungene große Sprung nach vorn, in: J. Wolff, Stillstand … (s. Anm. 2), S. 169 – 208, geht vor allem auf die Kontroverse um die Zunftfrage ein, lßt es aber gelegentlich an der notwendigen Quellenkritik fehlen. Da die Industrialisierungsproblematik îberhaupt nicht angesprochen wird, kann man den etwas modischen Untertitel irrefîhrend nennen.

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Tabelle 17: Wichtigste Handelspartner der Preußischen Seehandlung in Westeuropa um 1835 Land

Stadt

Firma

Belgien England

Ostende Cowes (I.Wight) Dartmouth Deal Dover Falmouth Jersey Liverpool London Plymouth Ramsgate Yarmouth Bayonne Bordeaux Brest Cherbourg Dînkirchen Le Havre Marseille Montpellier Nantes Rochefort Rouen Sºte Amsterdam Harlingen Rotterdam Texel Lissabon Madeira Porto Alicante Barcelona Bilbao Cadix Malaga Sevilla

Franz Ludwig de Bal Robert Dawis R. L. Kingston & Sohn Edward Iggulden Henshaw Latham George C. Fox A. de St. Croix John W. Gibson Friedrich Huth & Co. Hawker & Sçhne Nathan Austen Isaac Preston Bardewisch* Carl Delbrîck Louis Auguste Bersolle Jacques Mauger P. Bonvarlet C. Fr. Werner C. L. Roulet Claude Coulet & Co. Hippolyte Pelloutier** St. Guerin des Escards J. Rondeaux Claude Coulet & Co. van Heukelom & Dollenhoven Freezk Derks Fontyn P. H. Schott Johann Jacob Reinbach J. G. Poppe Johann Krîger Anton Maya Jacob l’Arabet Anton d’Ogny Johann Amann Ludolph Christian Uhlhoff Johann Roose Anton Merry

Frankreich

Niederlande

Portugal Spanien

* Zu diesem Namen s. o. (Anm. 813). ** Offensichtlich bestand die Firma Pelloutier (s. o. S. 604, S. 636 und S. 637) immer noch. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach den Angaben bei S. Hartmann, Unternehmungen …(s. Anm. 1238), S. 87-147, hier S. 145-147.

tragfhiger Kompromiß zwischen den Interessen des freihndlerischen Agrarsektors und der mehr am Schutzzoll interessierten gewerblichen Wirtschaft

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angesehen werden“,1242 auch wenn sich ein Monopolbetrieb wie die KPM durch die §ffnung Preußens fîr Porzellanimporte unversehens einer massiven Konkurrenz gegenîbersah.1243 Wegen ihres Kompromißcharakters wurden die kaum vernderten Tarife im großen und ganzen 1834 vom Zollverein îbernommen, der an ihnen bis etwa 1841 festhielt. Gegenîber den beiden westeuropischen Großmchten verfolgte Preußen zwischen 1814/15 und 1834 eine an den wirtschaftlichen Realitten ausgerichtete Handelspolitik. V. Werther, der preußische Gesandte, erreichte, daß Frankreich in Einzelfllen von seiner Schutzzollpolitik abrîckte (Verzicht auf Zollerhçhungen fîr Eisen- und Stahlwaren, Stahlbleche, Samt- und Seidenbnder, 13. Juli 1825). Und îber das franzçsische Zollgesetz vom 17. Mai 1826 sagte Motz, daß „der preußische Zolltarif um nichts liberaler als der franzçsische“ sei, weil beide Regierungen damit den „Schutz der inlndischen Fabrikation und Produktion gegen auslndische Konkurrenz“ anstrebten.1244 Seit 1822 kassierte Preußen von allen Schiffen, die preußische Hfen anliefen, „Flaggengelder“ in betrchtlicher Hçhe, sofern in einem Handelsvertrag nichts anderes vereinbart war. Das zielte insbesondere auf England, mit dem Verhandlungen gescheitert waren, und bedeutete eine massive Protektion der einheimischen Kîstenschiffahrt. Diese „preußische Navigationsakte“ (Mieck) trug wesentlich dazu bei, daß England unter dem Handelsminister Huskisson mit dem Abbau des Schutzzollsystems begann und auf eine freihndlerische Handelspolitik einschwenkte. Die Flaggengelder haben „die entscheidende und fîr ganz Europa vorbildliche Bresche in das Recht der englischen Navigationsakten geschlagen.“1245 Das nach schwierigen Verhandlungen mit England geschlossene Schiffahrtsabkommen (2. April 1824) wurde zwei Jahre spter auf den Kolonialhandel ausgedehnt. Die (allerdings modifizierten) Bestimmungen

1242 Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins (= Kleine VandenhoeckReihe, 1052), Gçttingen 1984, S. 23. 1243 Vgl. A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 39 – 47 (detailliert) und 434 (zusammenfassend). Lohnsenkungen erschienen unvermeidlich, um die Existenz der KPM zu sichern. 1828 begann die KPM îbrigens mit der erfolgreichen Weiterentwicklung einer franzçsischen Erfindung, der „Lichtschirmbilder“. Diese aus feinstem Biskuitporzellan gefertigten „Lithophanien“ waren gegen das Licht zu halten und gehçrten als Fensterbilder u. a. zur festen Wohnkultur in der Biedermeierzeit. 1244 Einen knappen ˜berblick îber die preußische Handelspolitik vor 1834 gibt I. Mieck, Preußen … (s. Anm. 966), S. 163 – 165 (mit Literatur und den Zitaten). Vgl. JensPeter Hornbogen, Travail national – Nationale Arbeit. Die handelspolitische Gesetzgebung in Frankreich und Deutschland vor dem Hintergrund der Debatte îber Freihandel und Schutzzoll 1818 – 1892 (= Tîbinger Schriften zum Internationalen und europischen Recht, 58), Berlin 2002. 1245 Carl Brinkmann, Die preußische Handelspolitik vor dem Zollverein und der Wiederaufbau vor hundert Jahren, Berlin/Leipzig 1922, S. 152.

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der Navigationsakte von 1651 haben auch bei spteren Verhandlungen mit Großbritannien eine Rolle gespielt.1246 Mit dem Inkrafttreten des Zollvereins (1. Januar 1834)1247 endete genau genommen der preußische Außenhandel, wenigstens in statistischer Hinsicht, denn der von 18 Staaten des Deutschen Bundes beschlossene Deutsche Zollverein war eine Zollunion, eine union douaniºre. Fortan gab es, wie schon in Preußen seit dem Zollgesetz von 1818, keine Binnenzçlle mehr, sondern eine gemeinsame Außenzollgrenze. Es ist also vollauf gerechtfertigt, wenn eine neuere Dissertation die Handelsbeziehungen seit 1834 zwischen Frankreich und den deutschen Staaten untersucht – von Preußen ist in handelspolitischer Sicht seit 1834 nicht mehr die Rede.1248 Außerdem vertrat der Zollverein in außenpolitisch-kommerziellen Belangen die einzelnen Mitgliedsstaaten, die – ein beispielloser Erfolg der preußischen Finanzminister Motz und Maaßen – mit ihrem Beitritt ihre handelspolitische Souvernitt aufgaben, obwohl das Zollregal seit dem hohen Mittelalter zu den Kernprivilegien der Landesherren gehçrt hatte. Der Deutsche Zollverein war die erste suprastaatliche Organisation auf europischem Boden; anders als heute hatte sie allerdings noch keine eigenen diplomatischen Vertreter. Die Forschung ist sich heutzutage darîber einig, daß sich das frîher beliebte Schlagwort „von der Wirtschaftseinheit zur politischen Einheit“ îber einen Zeitraum von fast 40 Jahren als zu kurzschlîssig erwiesen hat. In unserem Zusammenhang kann diese Kontroverse nur am Rande berîhrt werden; vorrangig geht es um die Fragen, wie die westeuropischen Mchte zur Bildung des Zollvereins standen und wie sie nach 1834 mit diesem ganz ungewohnten Gebilde umgingen. Metternich, der ein erbitterter Gegner des Zollvereins war, htte sie gern fîr seine Politik gewonnen; er fîrchtete, daß sich ein ,Staat im Staat’ unter der Prponderanz Preußens bilden wîrde, der zu allem Unglîck „die hçchst gefhrliche Lehre der deutschen Einheit“ impliziere.1249 Im Einvernehmen mit dem konservativen Fîrsten Wittgenstein versuchte er sogar, 1246 Die „Convention of Commerce“ zwischen Preußen und Großbritannien von 1824 ist abgedruckt in CTS … (s. Anm. 500), 74, S. 127 – 133. 1247 Die Literatur ist fast unîberschaubar (Fischer, Henderson, Oncken-Saemisch, Weber u. a.); vgl. neuerdings z. B.: S. Hartmann, Als die Schranken fielen (s. Anm. 1067); H.W. Hahn, Zollverein … (s. Anm. 1242), passim; W. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte … (s. Anm. 711), S. 285 – 297; zur westeuropischen Perspektive: Dagmar Soleymani, Les ¤changes commerciaux entre la France et les Ãtats allemands 1834 – 1869 (= Pariser Historische Studien, 41), Bonn 1996, S. 25 – 30, dort die ltere Literatur. 1248 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), passim. Da die preußischen FrankreichExporte îber die Niederlande und Belgien, als ¤changes indirects galten, wurden sie extra erfaßt (ebd., S. 8); eine tabellarische ˜bersicht fehlt aber. 1249 Zitiert von G. Heydemann, Konstitution … (s. Anm. 1059), S. 260.

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1833 die Entlassung von Johann Albrecht Eichhorn zu erreichen,1250 einer der geistigen Vter des Zollvereins und „bester Kopf im Auswrtigen Amt“.1251 Wie sich der preußische Handel mit den westeuropischen Lndern nach 1834 im einzelnen abspielte, ist schwer festzustellen, da die verçffentlichten Statistiken1252 nicht mehr die Einzelstaaten betreffen, so daß sich die preußischen Importe und Exporte faktisch in den Statistiken îber den Handel mit dem Zollverein verbergen. Was das fîr die Feststellung der preußisch-westeuropischen Handelsbeziehungen nach 1834 bedeutet, soll an einigen Beispielen erlutert werden. Nur beilufig erfhrt man, daß auch die preußischen Hfen Danzig,1253 Stettin und Kçnigsberg Getreide an Frankreich lieferten,1254 daß bei den importations diverses (= Bauholz, Hute, Pferde, Kurzwaren, Glas- und Keramikartikel u. a.) „le fournisseur principal […] la Prusse“ war und daß die Glasund Keramikindustrie, „largement concentr¤e en Sarre“, mit franzçsischem Kapital arbeitete. Ebenfalls nur am Rande wird mitgeteilt, daß die Lieferungen von Rohzink (zinc brut) bis in die 50er Jahre „principalement“ aus der Gegend um Beuthen/Schlesien kamen, whrend bei den importations metallurgiques „la majeure partie des ventes ” la France provenait de la Prusse, notamment de la Sil¤sie, la Sarre et la Rh¤nanie.“ Und die preußischen Ostseehfen Danzig und Stettin „exportaient de grandes quantit¤s des bois sci¤s vers Le Havre et Bordeaux, servant ” la construction navale et ferroviaire ainsi qu’” la viticulture.“

1250 Vgl. Hans Branig, Fîrst Wittgenstein. Ein preußischer Staatsmann der Restaurationszeit (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 17), S. 168 – 172. 1251 G. Heinrich, Preußen … (s. Anm. 82), S. 332. 1252 Z. B. in den Werken von Alfred Bienengrber, Statistik des Verkehrs und Verbrauchs im Zollverein fîr die Jahre 1842 – 1864. Nach den verçffentlichten amtlichen Kommerzial-˜bersichten etc., Berlin 1868; C. W. F. Dieterici, Der Volkswohlstand im Preußischen Staate: in Vergleichungen aus den Jahren vor 1806 und von 1828 bis 1832, so wie aus der neuesten Zeit, nach statistischen Ermittlungen und dem Gange der Gesetzgebung aus amtlichen Quellen dargestellt, Berlin/Posen/Bromberg 1846, ND Mînster 1986; Carl Junghanns, Der Fortschritt des Zollvereins, 2 Abteilungen, Leipzig 21848; Wilhelm Oechelhuser, Der Fortbestand des Zollvereins und die Handelseinigung mit Oesterreich, Frankfurt am Main 1851; Georg von Viebahn (Hg.), Statistik der zollvereinten und noerdlichen Deutschlands. Unter Benutzung amtlicher Aufnahmen, Berlin 1858 – 1868, ND Frankfurt am Main 1987. Dazu kommen die Statistiken der anderen europischen Lnder. 1253 Der preußische Seehandel mit Westeuropa hat vom Gewinn Danzigs (1793, 1814) sehr profitiert. 1254 Obwohl sich der langjhrige Kampf um die Aufhebung der corn laws in allen Phasen negativ auf den Kçnigsberger Handel auswirkte, profitierte der Hafen von der guten Getreidekonjunktur Ende der 20er Jahre, vgl. F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 430.

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1855 soll „die Ausfuhr von Preußen nach Bordeaux […] wie seit langen Jahren […] nur aus Holz“ bestanden haben.1255 Zustzlich wird die statistische Ermittlung durch methodische Probleme erschwert: Fîr den franzçsischen Handel gibt es ab 1834/40, wie erwhnt, nur noch Pauschalangaben îber den Warenaustausch mit „les ¤tats allemands“ oder „l’union douaniºre“, obwohl die Zahl der dem Zollverein angeschlossenen Staaten in dieser Zeit keineswegs konstant war.1256 Wie ungewohnt das Gebilde „Zollverein“ den franzçsischen Beamten war, zeigt das von der administration des douanes herausgegebene tableau g¤n¤ral du commerce de la France avec […] les puissances ¤trangºres, das bis 1840 als Exportlnder Prusse und Allemagne auffîhrte. Ein anderes Problem ergibt sich aus der franzçsischen Eigenheit, als pays de provenance nicht das Ursprungsland der Waren, sondern den Hafen oder das Land, woher sie kamen, anzusehen. Als diese Regelung 1857 beseitigt wurde, schien sich plçtzlich die Textileinfuhr aus Deutschland in unerwarteter Weise zu vergrçßern; in Wirklichkeit hatte nur eine „am¤lioration dans nos comptes rendus de statistiques“ diese vermeintliche Steigerung bewirkt.1257 Von den beiden westeuropischen Großmchten1258 hatte Frankreich, durch die Erste Orientkrise vollauf beschftigt, die Schritte, die zur Bildung des Zollvereins fîhrten, mit einiger Gelassenheit verfolgt. Halbherzig waren alle Versuche der franzçsischen Regierung ausgefallen, die Position der außerpreußischen Staaten zu strken, weil man einerseits nicht zu wirklichen zollpolitischen Konzessionen bereit war, andererseits den preußischen Bemîhungen um Zolleinigung keine Realisierungschancen einrumte. In den sich herausbildenden Zollblçcken hatte man ausgerechnet auf den zwischen Nord und Sîd 1828 entstehenden Mitteldeutschen Handelsverein gesetzt, der aber nicht lebensfhig war und sich 1831 auflçste. So hat die wenig geschickte franzçsische Handelspolitik der 20er Jahre die Bildung des Zollvereins sogar begînstigt.1259 Im Rîckblick erklrte Thiers 1836: „Quant ” l’association prussienne […] la France a ¤t¤ dans l’impossibilit¤ la plus absolue d’empÞcher ce grand ¤v¤nement. Oui, il y a eu l’impossibilit¤ la plus absolue.“1260 Daß es diplomatische Bemîhungen gegeben hatte, verschwieg er dabei. Weil diese Mittel untauglich waren, mußten sie scheitern: „In ihrer Unentschlossenheit, in ihrem bîrokratischen Denken und unter dem Druck der schroffen Schutzzçllner haben es die 1255 Die Beispiele bei D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 64, S. 106, S. 103, S. 93, S. 98 und S. 99. Vergleichbare Studien îber den Preußenhandel mit/aus anderen westeuropischen Lndern gibt es nicht. 1256 Vgl. die ˜bersicht bei H.-W. Hahn, Zollverein … (s. Anm. 1242), S. 194 f. 1257 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 6 – 8. 1258 Knapper ˜berblick zu den Verbindungen des Zollvereins mit Westeuropa: Ebd., S. 25 – 30. 1259 R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 54 – 61. 1260 Zitiert von K. M. Hoffmann, Preußen … (s. Anm. 1087), S. 193.

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verschiedenen Regierungen in Paris nicht vermocht, die Konstruktion dieses politischen und wirtschaftlichen Instruments zu verhindern.“1261 Die andere westeuropische Großmacht, Großbritannien, betrachtete die zollpolitischen Initiativen Preußens mit einiger Sorge, denn in handelspolitischer und çkonomischer Hinsicht widersprach das von Preußen verfolgte Ziel „nahezu diametral britischen Wirtschaftsinteressen“.1262 England befîrchtete den Verlust seiner îberragenden Stellung als Lieferant in Deutschland und die Abschottung des wichtigen deutschen Absatzmarktes. Der Privy Council for Trade sah in der bevorstehenden Grîndung einen „war […] declared by Prussia upon British commerce“. Trotzdem mußte man sich mit der Bildung des Zollvereins abfinden, die îbrigens nicht die befîrchteten Folgen hatte. Da das neue Wirtschaftsgebilde1263 in der Mitte Europas keine quantit¤ n¤gligeable war, mußten sich die westeuropischen Lnder wohl oder îbel damit arrangieren und ihre handelspolitischen Interessen in Einzelverhandlungen durchzusetzen versuchen. Das geschah in der Regel durch Handelsvertrge, die man mit dem Zollverein abschloß. In der Praxis sah das so aus, daß Preußen die Verhandlungen fîhrte und die betreffenden Vertrge „unter Vorbehalt des Beitritts der îbrigen Zollvereinsstaaten“ zustandebrachte.1264 Als fîhrende Macht des Zollvereins konnte Preußen seine Interessen natîrlich oft durchsetzen und auf diese Weise, nicht zuletzt durch die Meistbegînstigungsklausel, von den Vertrgen profitieren. Dabei erlebten die Diplomaten die ˜berraschung, daß sie in aller Regel nicht mehr mit den bekannten Partnern wie Bayern, Baden oder Sachsen zu tun hatten, sondern mit Preußen, der Fîhrungsmacht des Zollvereins. Die erste internationale Vereinbarung schloß der Zollverein mit einem westeuropischen Staat: Als die Niederlande, die ihre beherrschende Stellung im Ostseehandel inzwischen verloren hatten,1265 1835 mit Zollerhçhungen und anderen handelspolitischen Nadelstichen auf die Grîndung des Zollvereins reagierten, begannen Verhandlungen. Sie fîhrten zu einem nur mit Preußen abgeschlossenen Schiffahrtsvertrag (3. Juni 1837), dem zwei Jahre spter ein Handelsvertrag folgte (21. Januar 1839). Dieser Vertrag, in dem es vor allem um 1261 R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 60. Dagegen wird man der Bemerkung, Frankreich habe nicht den geringsten Versuch unternommen, die preußischen Initiativen zu vereiteln (ebd.), widersprechen mîssen. 1262 Gute Zusammenfassung: G. Heydemann, Konstitution … (s. Anm. 1059), S. 251 – 266, die Zitate: S. 253 f. 1263 Zu den mitunter merkwîrdigen Vorstellungen îber das Gebilde „Zollverein“ s. u. § 7. 1264 Hermann von Festenberg-Pakisch, Geschichte des Zollvereins mit besonderer Berîcksichtigung der staatlichen Entwicklung Deutschlands, Leipzig 1869, ND Frankfurt am Main 1986, S. 221. In der Regel galt als Vertragspartner „la Prusse agissant au nom des Ãtats composant l’Union des Douanes allemandes“ („Zollverein“). 1265 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), S. 430.

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Zuckerlieferungen ging, war der erste, den der Zollverein mit einem westeuropischen Staat schloß. Weil man auf preußischer Seite ungeschickt verhandelt hatte und die Ergebnisse enttuschten, wurde er 1841 nicht verlngert.1266 Recht wohlwollend betrachtete das revolutionre Belgien den Zollverein.1267 Als der rheinlndische Liberale David Hansemann Kontakte zu Politik und Wirtschaft suchte und wirtschaftliche Avancen machte, dachte man in Brîssel sogar an einen Beitritt zum Zollverein und trumte von einer Eisenbahnlinie Kçln-Antwerpen, um das hollndische Rheinschiffahrtsmonopol zu umgehen.1268 Obwohl seit 1839 verhandelt wurde, zçgerte Skepsis auf beiden Seiten die Sache hinaus, bis endlich ein Handelsvertrag zustandekam (1. September 1844).1269 Er blieb bis Ende 1853 in Kraft, sicherte dem Zollverein de facto einen Freihafen in Antwerpen zu1270 und gewhrte belgischem Eisen „des droits d’entr¤e pr¤f¤rentiels“. Auch Frankreich, das traditionell protektionistisch eingestellt war, erstrebte von Anfang an eine Vereinbarung mit dem Zollverein: „Depuis la cr¤ation du Zollverein en 1834, la France et l’Association douaniºre, repr¤sent¤e par la Prusse, n’avait cess¤ de n¤gocier un trait¤ commercial.“1271 Daß diese Verhandlungen zunchst ergebnislos blieben, lag auch an der realistischeren Einschtzung der Situation: „Der Zollverein“, so ein franzçsischer Diplomat, „hatte nicht alle die verhngnisvollen Konsequenzen, die man befîrchten konnte. Seine Zollstze sind gemßigt protektionistisch.“1272 Dennoch erhçhte Frankreich 1841/42 die Zçlle auf deutsche Exportwaren. Als Gegenmaßnahme antwortete der Zollverein auf Wunsch rheinischer, schsischer und badischer Unternehmer mit einer Zollerhçhung auf Modeartikel, Branntwein, Handschuhe 1266 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 86, S. 495 – 501 (1837), CTS … (s. Anm. 500), 88, S. 265 – 281 (1839). Zu beiden Vertrgen vgl. Wilhelm Weber, Der deutsche Zollverein. Geschichte seiner Entstehung und Entwicklung, Leipzig 21871, ND Glashîtten i. T. 1972, S. 151 – 164. 1267 Vgl. fîr alle Details die grundlegende Studie von Helmut Sydow, Die Handelsbeziehungen zwischen Belgien und dem Zollverein 1830 – 1885 (= Dissertationen zur neueren Geschichte, 4), 2 Bde., Kçln/Wien 1979. 1268 ˜ber dieses Projekt informiert Wolfgang Klee, Preußische Eisenbahngeschichte, Stuttgart u. a. 1982, S. 35 – 40. 1269 Zwar teilweise îberholt, aber knapp und îbersichtlich zu Belgien W. Weber, Zollverein … (s. Anm. 1266), S. 206 – 214 und S. 267 – 270, und D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 30. Abdruck des Vertrages: CTS … (s. Anm. 500), 97, S. 161 – 173. 1270 Karl-Georg Faber, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Restauration und Revolution (1815 – 1851) (= Otto Brandt / Arnold Oskar Meyer / Leo Just (Hg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, 3/I, 2.), Wiesbaden 1979, S. 138 f.; W. Heuser, Kein Krieg … (s. Anm. 17), S. 381. 1271 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 36. Dieser Vertrag kam erst 1862/65 zustande (s. u. S. 835). 1272 Zitiert von R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 62.

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und Tapeten (Stuttgart, 22. September 1842), womit der Zollkrieg erçffnet schien.1273 Trotz der sich anschließenden langen Verhandlungen („de nombreuses fois interrompues“) kam es in den 40er und 50er Jahren zu keinem Handelsvertrag zwischen Frankreich und dem Zollverein. Die beiderseits erhobenen Forderungen wurden immer wieder abgelehnt, „parce que les deux parties ¤taient convaincues d’avoir un r¤gime douanier parfaitement adapt¤ ” leur ¤conomie nationale. Toute concession tarifaire leur semblait par cons¤quent pr¤judiciable au d¤veloppement ¤conomique int¤rieur.“1274 Dies entsprach der zollpolitischen Leitlinie, die in dem von Friedrich List herausgegebenen „Zollvereinsblatt“ 1845 wie folgt umrissen wurde: „Wir mîssen uns auch gegen Frankreich wehren, namentlich wegen der schçnen, wohlfeilen Wollstoffe, die sich so angenehm tragen und beim Publikum infolge neuerer Verbesserungen so beliebt sind.“1275 Der Zollverein lieferte nach Frankreich vor allem Rohstoffe (Wolle, Kohle, Holz, Vieh, Hute, Raps und Rîben), die zwei Drittel der Exporte ausmachten.1276 In Notzeiten kam Getreide hinzu. Whrend Industrieerzeugnisse nur eine geringe Rolle spielten, gehçrten sie zu den wichtigsten franzçsischen Exportgîtern (Woll-, Baumwoll- und Seidenwaren, Papier, Pappe). Die relativ hohen Zçlle auf franzçsischen Wein hatten erhebliche Rîckwirkungen auf den Absatz. 92 Prozent des Handels wurde îber Land abgewickelt. 1835 sollen 230 preußische Schiffe franzçsische Hfen angelaufen haben. Am Handel mit dem Zollverein waren in den 40er Jahren zwischen 6 und 49 franzçsische Schiffe beteiligt, whrend es beim Handelspartner zwischen 78 und 218 (davon 78 Prozent preußische) waren. Ein beachtlicher Bestandteil des Frankreichhandels war der Schmuggel. Besonders unter dem Regime der protektionistischen Handelsbeschrnkungen „la contrebande se pratiqua fr¤quemment“. Wenn auch sein wirtschaftliches Gewicht nicht îberschtzt werden sollte, war doch die Schmuggelei „reconnue comme un usage commercial“. 1853 beklagte sich die Aachener Handelskammer darîber, daß die franzçsischen Zçlle auf einen (leider nicht genannten)

1273 Ebd., S. 59. Von einem anderen Autor wird dagegen nur „eine Vereinbarung îber eventuelle Zoll-Retorsionsmaßregeln gegen Frankreich“ erwhnt (W. Weber, Zollverein … [s. Anm. 1266], S. 219); nach H.-W. Hahn, Zollverein … (s. Anm. 1242), S. 118 – 121, sind spter weitere (?) Zollerhçhungen erfolgt (Roheisen 1844, Garn 1846), die aber „lediglich maßvolle Korrekturen eines insgesamt bewhrten Tarifsystems“ darstellten. 1274 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 36. 1275 Zitiert von H. v. Festenberg-Pakisch, Zollverein … (s. Anm. 1264), S. 220. 1276 Alle Angaben nach R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 62 f.

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Artikel so hoch wren, „daß der grçßte Teil auf dem Wege des Schleichhandels eingefîhrt werden muß“.1277 Weil sich auch England, das den Zollverein nach wie vor als „an alliance conceived in a spirit of hostility to British industry and British commerce“ ansah, mçglichst vorteilhaft mit ihm arrangieren wollte, liefen seit 1836 Verhandlungen zwischen Preußen und England îber eine Zollsenkung fîr britische Manufakturwaren.1278 Den Gegenforderungen des Zollvereins standen die Prinzipien der Navigationsakte von 1651 entgegen, die – etwas modifiziert – noch immer galt. Als England einlenkte, kam es zum Abschluß eines Vertrages (2. Mrz 1841), in dem die wechselseitige freie Schiffahrt zugesichert wurde. Dieser Vertrag, 1847 verlngert, blieb bis 1865 in Kraft.1279 ˜ber die Waren, die zwischen Großbritannien und Preußen ausgetauscht wurden, ist wenig bekannt.1280 Wenn England aus dem Zollverein vor allem „Agrarprodukte der ostelbischen Regionen“ importierte, konnten sie eigentlich nur aus Preußen gekommen sein. Andererseits gingen englische Gewerbeerzeugnisse und Halbfertigwaren (Roheisen, Garn) „vorwiegend in die westdeutschen Regionen“, wo sie den Aufbau einer Fertigwarenindustrie erleichterten und durch die Lieferung von Maschinen und technischem Wissen einen wichtigen Beitrag zur Industrialisierung Deutschlands leisteten – auch in diesen Fllen kann es sich îberwiegend nur um preußische Industriegebiete handeln.1281 Ein wichtiges Importgut war englische Steinkohle, die bei der Industrialisierung und beim beginnenden Eisenbahnboom wegen ihrer großen Heizkraft sehr gefragt war. Noch bis zur Reichsgrîndung stammten erhebliche Mengen der in die Zentren der preußischen Schwerindustrie gelieferten Kohle aus Großbritannien, wie die Tabellen 18 und 19 zeigen. Trotz des Handelsvertrages von 1841 ging der Zollkrieg indirekt weiter. Daß England den norddeutschen Kîstenstaaten 1844/45 Vergînstigungen eingerumt hatte, die îber den Vertrag mit dem Zollverein von 1841 hinausgingen, empfand man nicht nur in Preußen als Druckmittel, um die norddeutschen 1277 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 157. Dort auch die Zitate. 1278 Auch die Englnder mußten sich daran gewçhnen, daß sie mit Preußen nur in seiner Funktion als Sprecher des Zollvereins verhandeln konnten. 1279 Zum Vertrag vgl. W. Weber, Zollverein … (s. Anm. 1266), S. 168 – 173, und D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 30. Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 91, S. 283 – 289. 1280 Ob sich aus Untersuchungen îber den deutsch-britischen Handel (ebd., S. 5, Anm. 6) oder die deutsch-britischen Beziehungen (s. Anm. 28, 1054 und 1059) etwas zum englisch-preußischen Warenaustausch entnehmen lßt, wre zu îberprîfen. 1281 Mitgeteilt und zitiert (nach S. Pollard, Conquest … [s. Anm. 1203], S. 142 ff.) von H.-W. Hahn, Zollverein … (s. Anm. 1242), S. 92.

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Tabelle 18: Anteil englischer Steinkohle am gesamten Kohleimport Preußens (in Prozent) 1860-1871 in Magdeburg in Berlin

1860

1862

1865

1871

25,7 57,4

17,4 41,9

5,7 20,6

18,1 23,0

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Rainer Fremdling, Les frets et le transport du charbon dans l’Allemagne du Nord, 1850-1913, in: Michele Merger (Hg.), Les transports terrestres en Europe continentale (XIXe-XXe siºcles) (= Histoire, Economie et Soci¤t¤ 11 [1992]), Paris 1992, S. 33-60, hier S. 57 f.: Tableaux 6 und 7. Vor 1860 lagen die Anteile wahrscheinlich noch hçher. Tabelle 19: Herkunft der nach Berlin eingefîhrten Steinkohle (Schiff/Eisenbahn) 1846-1871 (in Prozent) Jahr

Gesamtmenge (t)

englische

deutsche/bçhmische

1846 1860 1871

95.185 354.230 1.073.097

100 (100/0) 57 (74/3) 23 (83/1)

0 (0/0) 43 (26/97) 77 (17/99)

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Rainer Fremdling, Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840-1879. Ein Beitrag zur Entwicklungstheorie und zur Theorie der Infrastruktur (= Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte, 2), Dortmund 1975, S. 62 f.

Kîstenstaaten vom Beitritt zum Zollverein abzuhalten.1282 In der Tat erreichte es die britische Politik, daß die sechs Kîstenlnder (drei Hansestdte, drei Flchenstaaten) erst nach 1866 dem Zollverein schrittweise beitraten. Einen Sonderfall beim Handel des Zollvereins mit Westeuropa stellte Spanien dar. Die auf dem Landweg nach Deutschland gelieferten Waren unterlagen den franzçsischen Transitzçllen, ebenso viele Exportgîter des Zollvereins, die îber die franzçsischen Hfen nach Spanisch-Amerika verschifft wurden. Sîddeutschland und das preußische Rheinland „furent fortement impliqu¤es dans ce trafic“, da sie Woll- und Seidenwaren, Kohle und Zink nach ˜bersee verschickten. Bis in die 50er Jahre belief sich der Wert der Transitwaren auf etwa ein Drittel der Gesamteinfuhr des Zollvereins aus Frankreich. Unter den Transitwaren befanden sich selbstverstndlich auch Produkte aus anderen Lndern, ganz sicher aus Portugal, vielleicht auch aus England und den ˜bersee-Gebieten – soweit die dortigen Hndler nicht lieber direkt die Hafenstdte an der Nord- und Ostseekîste belieferten. Obwohl die neue Forschung fîr eine differenziertere Beurteilung des Zollvereins pldiert, steht außer Frage, daß die von ihm ausgehenden Impulse 1282 Ebd., S. 125 f.

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Tabelle 20: Gesamtimporte des Zollvereins aus Frankreich und Anteil der Transitwaren 1834-1849 (in Millionen Francs) Jahr

Gesamteinfuhr

Transitwaren

Prozent

1834 1839 1844 1849

60,4 81,7 92,8 51,2

22,1 32,6 34,6 15,0

36,6 39,9 37,3 29,3*

* Der Rîckgang ist eine Folge der Revolution. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 274: Tableau 76.

Macht und Einfluß Preußens schon vor 1850 gestrkt haben.1283 Das gilt nicht nur innerhalb Deutschlands, wo Preußen die Fîhrungsposition anfangs eher zçgernd îbernahm, sondern auch im Blick auf Westeuropa, in dem man sich daran gewçhnen mußte, daß ein zum Konkurrenten werdender Industriestaat zugleich als Sprecher fast des gesamten mitteleuropischen Wirtschaftsraumes auftrat. Die grçßten Erfolge stellten sich aber erst nach der Jahrhundertmitte ein, als Eisenbahn und Freihandelsidee den Weg zu einem Warenaustausch çffneten, der umfangreicher war als je zuvor. 3. Preußisch-westeuropischer Kulturtransfer Von den zahlreichen Verçffentlichungen, die in den letzten Jahren zum Thema „Kulturtransfer“ erschienen sind, beschftigen sich nur wenige mit Preußen. Wie auch bei anderen beziehungsgeschichtlichen Fragen erscheint als kultureller Partner der westeuropischen Staaten fast immer „Germany“ oder „Allemagne“. Das liegt vorrangig an der historiographischen Tradition der zentralistisch strukturierten Lnder, in denen man hufig Schwierigkeiten hat, die geographisch-politisch-kulturellen Bezîge innerhalb der buntscheckigen deutschen Staatenwelt richtig einzuordnen. Daß im Deutschen Reich gleichwohl eine Sprachgemeinschaft mit einem hnlichen kulturellen Hintergrund lebte, ist zwar nicht zu bestreiten, darf aber nicht îberbewertet werden. Noch im 18. Jahrhundert war der europische Horizont auf den kleinen Kreis der Gelehrten und Gebildeten beschrnkt,1284 so daß auch die Ideen der Aufklrung an der Masse der Bevçlkerung vorbeigegangen sind. 1283 Eine ausgewogene Beurteilung ebd., S. 189 – 193. 1284 Eine zutreffende Einschtzung stammt von Rudolf Vierhaus, Bemerkungen zur politischen Kultur im 18. Jahrhundert, in: Hans Erich Bçdeker / Etienne FranÅois (Hg.), Aufklrung/Lumiºres und Politik. Zur politischen Kultur der deutschen und franzçsischen Aufklrung (= Deutsch-Franzçsische Kulturbibliothek, 5), Leipzig 1996, S. 447 – 454.

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Auf hoher und hçchster Ebene spielte sich der Austausch von Prsenten der Regierungen ab, der meist auf die Angehçrigen der regierenden Dynastien, Minister und Offiziere beschrnkt war. Es waren schon Ausnahmen, wenn Jacob Meyerbeer 1833 und Alexander von Humboldt 1849 eine der reichlich verschenkten „Mînchener Vasen“ aus der KPM bekamen.1285 Nach dem prchtigen Wellington-Service gingen, soweit bekannt, nur noch preiswertere Porzellangeschenke nach Westeuropa. Einige kleinere Gedecke wurden 1825 nach Holland verschenkt, whrend sich die meisten anderen Empfnger, darunter kçnigliche Prinzen von Frankreich und England, mit den „Mînchener Vasen“, die um die 1.000 Rtlr. kosteten, begnîgen mußten. ˜ber den Preis der „franzçsischen Vase“, die 1842 die Queen erhielt, ist nichts bekannt. §fter beschenkt wurde auch Friederike Luise Wilhelmine, eine Tochter Friedrich Wilhelms II., die 1791 Wilhelm von Oranien geheiratet und 1815 Kçnigin der Niederlande geworden war. Diese preußisch-niederlndische Eheverbindung setzte eine auf den Großen Kurfîrsten zurîckgehende Tradition fort, der zuletzt auch die Schwester Friedrich Wilhelms II. gefolgt war.1286 Fîr den westeuropisch-preußischen Kulturtransfer unterhalb der Regierungsebene brachte die Zeit um die Jahrhundertwende einige Neuerungen. Als erstes sind die „technologischen Reisen“ zu nennen, die preußische Techniker und Unternehmer in die weiter industrialisierten Lnder Westeuropas fîhrten.1287 Damit vergleichbar, spielte seit den 20er Jahren der „Ausstellungstourismus“ eine zunehmende Rolle. Lockten die frîhen „National-Ausstellungen“1288 aus dem Ausland meist nur Fachleute an, so wurden die seit 1851 (London) stattfindenden Weltausstellungen zu wahren Publikumsmagneten, die Millionen Besucher anzogen.1289 Eine andere Form des kulturell-wissenschaftlichen Austauschs, die im 19. Jahrhundert zu einer neuen Blîte gelangte, waren die oft umfangreichen Korrespondenzen, die von Kînstlern, Gelehrten und Schriftstellern îber die Landesgrenzen hinaus gefîhrt wurden. Neben den Reisen zeugen zahlreiche Brief-Editionen von einem regen Kulturaustausch zwischen Preußen und Westeuropa. Die dritte Innovation im westeuropisch-preußischen Kulturtransfer betrifft England, das im ausgehenden 18. Jahrhundert eine neue Rolle zu spielen be1285 Die folgenden Angaben nach Winfried Baer / Ilse Baer (Hg.), auf Allerhçchsten Befehl … Kçnigsgeschenke aus der Kçniglichen Porzellan-Manufaktur Berlin – KPM. Ausstellung im Auftrag des Senats von Berlin, Berlin 1983, S. 13, S. 28, S. 59, S. 73, S. 84, S. 89. 1286 S. o. S. 597. 1287 S. u. S. 753 – 762. 1288 Vgl. dazu Uwe Beckmann, Gewerbeausstellungen in Westeuropa vor 1851 (= Studien zur Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 3), Frankfurt am Main u. a. 1991. 1289 Vgl. dazu § 7.

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gann. Das lag einmal an den erwhnten Informationsreisen preußischer Techniker und Unternehmer nach Großbritannien, zum andern an den besseren Kenntnissen, die man in England îber Deutschland und Preußen hatte. Damit begann eine neue Phase in den deutsch-britischen kulturellen Beziehungen; die Feststellung, daß „die øra des einseitigen kulturellen Transfers“ um 1800 durch eine „Phase fruchtbarer wechselseitiger Beziehungen und gegenseitiger Anerkennung“ abgelçst wurde, erscheint allerdings im Hinblick auf Preußen als etwas euphorisch, solange es keine empirisch gesicherte Unterfîtterung dieser Behauptung gibt.1290 Dennoch gingen die Kontakte mit Großbritannien in vielen Fllen weit îber technische Informationen hinaus und trugen zu einem recht breiten englisch-preußischen Kulturtransfer bei. Zu den bekanntesten England-Besuchern aus Preußen gehçrte Fîrst Hermann Pîckler-Muskau, der nicht nur preußischer General und Schwiegersohn Hardenbergs war, sondern sich auch als Kunstsammler, Schriftsteller und Gartenarchitekt hervortat. Pîckler, der in frîheren Jahren Paris und Straßburg kennengelernt hatte, hielt sich von Oktober 1826 bis Januar 1829, also fast zweieinhalb Jahre, in England auf, wo er – mit einem vielkçpfigen Gefolge – großen Eindruck hinterließ.1291 Weniger Aufsehen erregte Heinrich Heine, der von seinem viermonatigen Aufenthalt (1827) sehr enttuscht war („Welch ein widerwrtiges Volk, welch ein unerquickliches Land! Wie steifleinen, wie hausbacken, wie englisch […]“).1292 Andere Besucher waren Friedrich von Raumer (1835), dessen dreibndiges England-Werk 1842 erschien, und Felix Mendelssohn-Bartholdy, der 1833 von seinem Vater, dem Bankier Abraham Mendelssohn, begleitet wurde. Der berîhmte Komponist wirkte wiederholt beim Musikfest von Birmingham mit. Als er 1847 seine zehnte (und letzte) Englandreise unternahm, waren die Queen und Albert, der „dem edlen Kînstler“ eine persçnliche Widmung ins Textbuch schrieb, bei einer seiner sechs „Elias“-Auffîhrungen zugegen. Von Preußen-Besuchern aus England ist wenig bekannt. Der prominenteste war sicher der Maler William Turner, den sein Projekt der „Rivers of Europe“ auch zum Mittelrhein (1817) und zur Mosel (1826, 1834) fîhrte. Berîhmtheit erlangten seine 51 Rhein-Aquarelle. Daß er îber das Rheinland nicht hinauskam, lag ganz in der Tradition der englischen „Grand tour“. Da nur wenige Untersuchungen îber die deutsch-englischen Kulturbeziehungen existieren,1293 1290 P. Wende, Großbritannien … (s. Anm. 28), S. 43. 1291 Rainer Gruenter, Der reisende Fîrst. Fîrst Hermann Pîckler-Muskau in England, in: M.-L. Spieckermann (Red.), ,Der curieuse Passagier‘ … (s. Anm. 722), S. 119 – 137. 1292 Renate Schusky, Heine, England und die Englnder, in: ebd., S. 139 – 148, das Zitat: S. 141; Friedrich von Raumer, England, 3 Bde., Leipzig 21842. 1293 Einige Hinweise gibt Utz Haltern, Die Londoner Weltausstellung von 1851 (= Neue Mînstersche Beitrge zur Geschichtsforschung, 13), Mînster 1971, S. 238 – 243 mit Anm. 401 – 430. Recht ertragreich sind oft biographisch orientierte Arbeiten, z. B.

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gehçrt auch der preußisch-englische Kulturtransfer zu den ausgesprochenen Forschungsdesideraten. Neben der Schweiz und Paris rîckte seit 1837 England, besonders London, als drittes Zentrum der preußisch-deutschen politischen Emigration strker in den Vordergrund. Friedrich Engels hielt sich von 1842 bis 1844 in Manchester auf. Auch Georg Weerth, der in Detmold geborene Engels-Freund, ging von Preußen aus 1843 nach England. Zum Kreis der preußischen Emigranten gehçrte von 1843 bis 1848 auch Jakob Venedey, der sein ebenfalls dreibndiges England-Buch 1845 publizierte. 1847 kamen Marx und Engels aus Brîssel nach London und traten in den deutschen Arbeiterverein ein, den sie in den „Bund der Kommunisten“ umbildeten. Weil dieser seinen Sitz in der britischen Hauptstadt hatte, wurde das von dem Preußen Marx unter Mithilfe des Preußen Engels (vielleicht schon in Brîssel) verfaßte „Kommunistische Manifest“ im Februar 1848 in London verçffentlicht.1294 Als Marx nach dem Scheitern der Revolution 1849 Preußen wieder verließ und aus Frankreich ausgewiesen wurde, ließ er sich in London nieder. Brîssel war ein anderer westeuropischer Zielpunkt der preußischen politischen Emigration. Hier arbeiteten Marx und Engels gemeinsam von 1845 bis 1848; 1846 kam der Arbeiterdichter Georg Weerth aus England ebenfalls in die belgische Hauptstadt. 1848 aus Brîssel ausgewiesen, kehrte Marx vorîbergehend nach Preußen zurîck und gab die „Neue Rheinische Zeitung“ heraus. Auch ist daran zu erinnern, daß die genannten westeuropischen Metropolen fîr viele Emigranten nur Durchgangsstationen auf dem Weg in die USA waren.1295 Im Hinblick auf Frankreich ist die Forschungslage zwiespltig. Es gibt zwar eine ganze Reihe von Publikationen îber einen modern verstandenen kulturellen Austausch mit Deutschland, doch geht kaum eine speziell auf Preußen ein.1296 Da es im Rahmen dieses Beitrages unmçglich ist, aus diesen oft umEckart Klessmann, Die Mendelssohns. Bilder aus einer deutschen Familie, Zîrich 1990; Hans-Gînter Klein, Abraham Mendelssohn Bartholdy in England. Die Briefe aus London im Sommer 1833 nach Berlin, in: Mendelssohn-Studien 12 (2001), S. 67 – 128. 1294 K.-G. Faber, Deutsche Geschichte … (s. Anm. 1270), S. 151 f., S. 179 f.; Jakob Vennedey, England, 3 Bde., Leipzig 1845. 1295 In der materialreichen Studie von Jçrg Nagler, Politisches Exil in den USA zur Zeit des Vormrz und der Revolution von 1848/49, in: Jîrgen Elvert / Michael Salewski (Hg.), Deutschland und der Westen im 19. und 20. Jahrhundert, 1: Transatlantische Beziehungen (= Historische Mitteilungen, Beiheft 7), Stuttgart 1993, S. 267 – 293, werden die Heimatterritorien der „deutschen“ Emigranten fast nie erwhnt. 1296 Die umfangreiche Arbeit von Klara Kautz, Das deutsche Frankreichbild in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts nach Reisebeschreibungen, Tagebîchern und Briefen, phil. Diss. Kçln 1957, die îber 200 Reisebeschreibungen auswertete (1800 – 1869: 207), vermittelt den Eindruck, daß ein Staat „Preußen“ gar nicht existierte. øhnlich verhlt es sich beim Gegenstîck von Heinrich Schneider, Deutsche Art und Sitte im Spiegel

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fangreichen Bnden1297 die auf Preußen bezogenen Aspekte herauszufiltern, muß eine Auswahl getroffen werden, die weder vollstndig noch reprsentativ ist und sich auf wenige Hinweise beschrnken muß. Zunchst ist beim preußisch-franzçsischen Kulturtransfer auf einige wichtige Unterschiede hinzuweisen. So gut wie alle der bekannten Frankreich-Reisenden aus Preußen fuhren nach Paris. Geht man von den publizierten Reiseberichten aus, bereisten sie nur in Ausnahmefllen die „Provinz“ oder blieben dort ansssig.1298 Vçllig unklar ist, welchen Anteil preußische Emigranten an den Deutschen in den zehn ostfranzçsischen Departements hatten. Sie sollen vor allem in den Industriestdten (in Metz und Mîlhausen je 15.000) gelebt haben und werden einschließlich lterer colonies allemandes in Lyon, Le Havre, Marseille und Bordeaux um 1847 auf hçchstens 35.000 Personen geschtzt.1299 Fîr die franzçsischen Preußen-Reisenden stand dagegen Berlin nicht im Zentrum des Interesses.1300 Zu den nicht sehr zahlreichen Besuchern gehçrten weniger bekannte Gste wie Girod de l’Ain, Fantin des Odoards und JulesAntoine Paulin, aber auch echte „Prominente“ wie Madame de Sta×l (1804), Stendhal (1808), Chateaubriand (1821) und Berlioz. Der damals schon bekannte Komponist besuchte auf seiner Reise nach Norddeutschland (1841/1842) auch Preußen, wo ihn besonders das gute Spiel der Militrmusiker beeindruckte. Berlin („la musique y est dans l’air“) faszinierte ihn durch seine „richesses musicales“ und durch seine große Musikalitt, die sich in der Oper, bei den Konzerten und in Zelters Singakademie zeigte. „L’extraordinaire popularit¤ en Prusse du sentiment musical“ erschien ihm besonders bemerkenswert; es gebe „peu de capitales qui puissent s’enorgueillir de tr¤sors d’harmonie comparables aux siens“. In Erinnerung an seine Deutsch-

franzçsischer Reisebeschreibungen aus den Jahren 1830 – 1870, phil. Diss. Kçln 1929. Eine gezielte Auswertung beider Studien ließe fîr den preußisch-franzçsischen Kulturaustausch interessante Ergebnisse erwarten. 1297 Drei Beispiele: (1) M. Espagne / M. Werner (Hg.), Transferts … (s. Anm. 880); (2) Albin Michel (Hg.), Le commerce culturel des nations France-Allemagne, XVIIIe-XIXe siºcle (= Revue de synthºse, 113, Heft 1/2), Paris 1992; (3) E. FranÅois u. a. (Hg.), Marianne … (s. Anm. 999). 1298 Einige Beispiele gibt T. Grosser, Reisen … (s. Anm. 880), S. 204 – 207. Das folgende Zitat: S. 220, Anm. 214. 1299 Vgl. Jacques Grandjonc, Demographische Grundlagenforschung, in: M. Espagne / M. Werner, Transferts … (s. Anm. 880), S. 83 – 94, hier S. 94. Die ebd., S. 91, genannte Zahl von 62.000 Deutschen, die mit der colonie allemande in Paris identisch ist, muß auf einem Irrtum beruhen. 1300 Es ist bezeichnend und rîckt zugleich die Maßstbe zurecht, daß in dem 500-SeitenBand von Friedrich Wolfzettel, Ce d¤sir de vagabondage cosmopolite. Wege und Entwicklung des franzçsischen Reiseberichts im 19. Jahrhundert, Tîbingen 1986, Berlin – genau wie Dîsseldorf, Bingen und St. Goar – nur einmal vorkommt.

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land/Preußen-Reise komponierte er 1844 das Stîck „Voyage musical en Allemagne“.1301 Attraktiver als die Hauptstadt war aber fîr die meisten Besucher aus Frankreich das 1815 preußisch gewordene Rheinland (Alexandre Dumas, Victor Hugo, Jules Michelet, Jules Nanin, G¤rard de Nerval, D¤sir¤ Nisard, Edgar Quinet).1302 Wer von den vielen anderen aus Frankreich kommenden Literaten auch Preußen besucht hat, muß von Fall zu Fall festgestellt werden.1303 Ein anderer Unterschied betrifft die Personen selbst, die zum kulturellen Austausch zwischen beiden Lndern beitrugen. Frankreich war nicht nur Reiseziel, sondern auch ein Land, in dem sich viele Preußen aus beruflichen oder politischen Grînden auf Dauer aufhielten. Von den „nahezu unzhligen deutschen Architekten, Malern und Kusthandwerkern, die zwischen 1700 und 1850 zu Studienzwecken, in hçfischem Auftrag oder auf ihrer Gesellenwanderung nach Paris reisten“, gehçrten 1847 etwa 62.000 zur colonie allemande.1304 Rund 95 Prozent waren in allen nur denkbaren Handwerks- und Dienstleistungsberufen ttig, darunter beispielsweise 37.000 Schuhmacher, Schneider und Tischler; dazu kamen Straßenfeger, Bauhilfsarbeiter sowie viele Dienstmdchen und Gouvernanten („immigration de main d’oeuvre“). Zu den îbrigen 5 Prozent zhlten Kaufleute, Unternehmer, Bankiers, Schriftsteller, Handwerksmeister, ørzte, Journalisten, Gelehrte usw. („immigration bourgeoise et intellectuelle“). Angehçrige dieser Gruppe waren fîr die nur vorîbergehend nach Paris kommenden Reisenden wichtige Anlaufpunkte. Sie sorgten auch dafîr, daß der Kontakt mit der Heimat nicht abriß. Dagegen entstammten die franzçsischen Preußenreisenden soweit bekannt fast ausschließlich den wohlhabenderen und gebildeten Kreisen. Eine migration de main d’oeuvre in Richtung Preußen gab es nicht; von den vereinzelt angeworbenen Facharbeitern war auch die Bildung einer colonie franÅaise nicht zu erwarten. Paris mit seiner colonie allemande war einmalig – etwas Vergleichbares gab es in keiner deutschen und in keiner preußischen Stadt.1305 1301 Mitgeteilt und zitiert von Cyril Buffet, Berlin, Paris 1993, S. 172 f. 1302 F. Wolfzettel, D¤sir … (s. Anm. 1300), S. 160, spricht sogar von einer „Rheinreisetradition“. Die meistbesuchten preußischen Stdte waren Kçln (7) und Aachen (3), whrend im îbrigen Deutschland Heidelberg (10), Frankfurt am Main (6) und Mainz (4) an der Spitze lagen (ebd., Stichwortverzeichnis). 1303 Ausgangspunkte bieten die Untersuchungen von Wolfgang Leiner, Das Deutschlandbild in der franzçsischen Literatur, Darmstadt 1989, S. 79 – 153, und von F. Wolfzettel, D¤sir … (s. Anm. 1300), passim. 1304 Gute Zusammenfassung: Michael Werner, Ãtrangers et immigrants ” Paris autour de 1848: L’exemple des Allemands, in: I. Mieck / H. Mçller / J. Voss (Hg.), Paris und Berlin … (s. Anm. 1173), S. 199 – 213. 1305 Obwohl nicht vergleichbar, soll wenigstens an die colonie franÅaise erinnert werden, die in Berlin nach 1685 gegrîndet worden war.

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In Paris waren es vor allem vier Bereiche, in denen sich der Einfluß der deutschen Einwanderung bemerkbar machte. Insbesondere nach der Julirevolution wuchs der Kreis der aus politischen Grînden Emigrierten stark an. Im Februar 1832 wurde in Paris ein deutscher Gesangverein in eine politische Gruppierung umgewandelt, die „Deutscher Volksverein“ genannt wurde. Neben den Nichtpreußen Schuster und Bçrne gehçrte auch Heinrich Heine zu dem Verein, der 1834 zum geheimen „Bund der Gechteten“ wurde, mit dem Venedey aus Kçln und Pappers aus Aachen zusammenarbeiteten. Eine wichtige Figur der politischen Emigration wurde der im Herbst 1843 nach Paris gekommene Karl Marx, der zusammen mit Arnold Ruge 1844 die „DeutschFranzçsischen Jahrbîcher“ herausgab. Heine (* 1797 in Dîsseldorf ), Marx (* 1818 in Trier) und Ruge (* 1803 auf Rîgen) waren „Neupreußen“ wie auch der „Kommunistenrabbi“ Moses Heß (* 1812 in Bonn), der zeitweise ebenfalls in Paris war. In welche Richtungen politische Kultur transferiert werden konnte, zeigte Lorenz von Stein, der 1841/42 in Paris war und îber die radikalen Gruppen an die preußische Regierung berichtete.1306 Einige der Pariser Immigranten waren aus politischen Grînden gekommen, viele aber aus wirtschaftlichen Motiven, angelockt von der Aussicht, in der Riesenstadt Paris leichter zu beruflichem Erfolg und geschftlichen Vorteilen zu gelangen. „Le monde du livre“ nahm bei den Wirtschaftsimmigranten aus Deutschland eine Spitzenstellung ein. Wenn zwischen 1840 und 1900 „unv¤ritable r¤seau de librairies allemandes ” Paris“ entstand, dann war aus Preußen zumindest Albert Franck aus Breslau dabei, der 1844 die Pariser Filiale von Brockhaus/Leipzig îbernahm, sich unermîdlich fîr die deutsch-franzçsische Annherung einsetzte und seit 1858 die Revue germanique herausgab.1307 Obwohl auch einige Berliner Verlage Filialen in Paris hatten, blieb die wichtigste Partnerstadt fîr die Pariser Buchwelt Leipzig. Der dritte Immigrationsschwerpunkt war „le monde de la musique“. Obwohl Preußen fîr diesen Bereich nicht gerade als tonangebend gilt, ist eine endgîltige Beurteilung nicht mçglich, solange keine Untersuchung îber den 1306 Zu diesem Komplex vgl. K.-G. Faber, Deutsche Geschichte … (s. Anm. 1270), S. 151 f., S. 179 – 181. 1307 Isabelle Kratz, Libraires et ¤diteurs allemands install¤s ” Paris 1840 – 1914, in: Le commerce culturel … (s. Anm. 1297), S. 99 – 108, hier S. 101 f. Eine thematisch hnliche Zeitschrift war frîher in Straßburg erschienen: die Bibliothºque allemande (1826) wurde fortgesetzt durch die Revue germanique (1827) und die Nouvelle revue germanique (1829 – 1837); vgl. Paul Rowe, A Mirror on the Rhine? The Nouvelle revue germanique, Strasbourg 1829 – 1837 (= French Studies of the Eighteenth and Nineteenth Centuries, 2), Oxford u. a. 2000. Besondere Beachtung fanden in der Nouvelle revue germanique die Preußen Heine und Hegel. – Fîr das Folgende der Hinweis auf die neueren Ausgaben von Johann Friedrich Reichardt, Vertraute Briefe aus Paris, hg. v. Rolf Weber, Berlin 1981; Ders., Vertraute Briefe aus Paris 1792, hg. v. Rolf Weber, Berlin 1980.

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Anteil Preußens an dem Siegeszug der deutschen Musik in Frankreich vorliegt. Ganz sicher gab es Musiker aus Preußen, die in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts sozusagen auf den Spuren von Johann Friedrich Reichardt deutsche Musikkultur nach Frankreich brachten: Dieser Hofkapellmeister dreier Preußenkçnige hatte 1785, 1786, 1788, 1792 und 1802 Paris besucht und 1804 die „Vertrauten Briefe aus Paris“ verçffentlicht. Aus spterer Zeit ist Giacomo Meyerbeer zu nennen, der 1826 nach Paris ging und in Scribe einen ausgezeichneten Librettisten fand. Seine erste Oper, „Robert le Diable“, am 21. 11. 1831 uraufgefîhrt, war eine der erfolgreichsten des 19. Jahrhunderts; allein in Paris wurde sie bis 1893 îber 750 mal gespielt. Als auch „Les Huguenots“ (1836) ein großer Erfolg wurde, berief ihn Friedrich Wilhelm IV. als Nachfolger Spontinis 1842 zum Generalmusikdirektor der Preußischen Hofoper. Fîr die Neuerçffnung (1844) des ein Jahr zuvor abgebrannten Knobelsdorffschen Opernhauses komponierte Meyerbeer die Oper „Das Feldlager von Schlesien“ (Libretto Ludwig Rellstab). Weil ihm in Berlin aber nur „Unbill, Gift und Galle“ geboten wurden, pendelte er zunchst zwischen Paris und Berlin, erbat dann seine Entlassung und brachte seine dritte große Oper (1849 „Le Prophºte“) wiederum in Paris zur Auffîhrung, wo er spter mit „L’Ãtoile du Nord“ (1854, eine Umarbeitung des „Feldlagers“) und „Dinorah“ (1859) seine Erfolge fortsetzte. Glnzend aufgenommen wurde auch die ein Jahr nach seinem Tode aufgefîhrte „L’Africaine“ (1865). Ganz unerforscht ist die Wechselwirkung des preußischen Theaters mit Westeuropa.1308 Die bekannte Begeisterung Friedrich Wilhelms III. fîr Theater, Oper und Ballett, die ihn nach 1815 seine „tgliche Theatergewohnheit“ wieder aufnehmen ließ,1309 fîhrte bei dem sparsamen Kçnig sicher nicht zur Einladung renommierter Schauspieler oder ganzer Ensembles zu Gastspielen oder Sonderauffîhrungen. In den spten 20er Jahren wechselte die berîhmte Sopranistin Henriette Sontag (* 1806 Koblenz) mehrmals zwischen Paris (Th¤’tre Italien) und Berlin (Kçnigstdtisches Theater). Einen anderen Schwerpunkt der deutschen Paris-Einwanderung bildete „le monde des savants“. Obwohl die Phalanx der deutschen Gelehrten, die in der franzçsischen Hauptstadt arbeiteten und sich hoher Wertschtzung erfreuten, beeindruckend ist, muß man berîcksichtigen, daß es sich nicht immer um Wissenschaftler aus Preußen handelte. Alexander von Humboldt war îber Jahrzehnte die große Lichtgestalt, die die Fahne der preußisch-franzçsischen Kooperation hochhielt. Seine jahrelange Zusammenarbeit mit Bonpland und 1308 Gezielt auszuwerten wre die neue Studie von Laurence Kitching (Hg.), Die Geschichte des deutschsprachigen Theaters im Ausland: Von Afrika bis Wisconsin – Anfnge und Entwicklungen (= Thalia Germanica, 2), Frankfurt am Main u. a. 2000. 1309 Ob das kçnigliche Tagebuch weitere Informationen enthlt, mîßte îberprîft werden; T. Stamm-Kuhlmann, Kçnig … (s. Anm. 855), S. 521 f., geht darauf nur beilufig ein.

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Gay-Lussac wurde bereits erwhnt.1310 Was Humboldt îber die Kooperation mit Gay-Lussac sagte, kennzeichnet die Gesamtheit der deutsch/preußischfranzçsischen naturwissenschaftlichen Kontakte: „Nous nous stimulons mutuellement.“1311 Aus preußisch-franzçsischer Sicht wren noch die Historiker Theodor Mommsen und Friedrich von Raumer aus Berlin zu nennen; auch Ernst Moritz Arndt, der seine jugendliche Paris-Begeisterung (1799) aber bald îber Bord warf. Jacques-Ignace Hittorff, der in Paris ansssige Stadtarchitekt (Place de la Concorde, Gare du Nord), wurde zwar in Kçln geboren, aber in vorpreußischer Zeit (1792). Auch er war mit Humboldt befreundet und hat Schinkel in Frankreich bekanntgemacht.1312 Die Intensitt der Wissenschafts-Kontakte zeigt sich auch daran, daß zwischen 1789 und 1832 mindestens 180 deutsche Naturforscher nach Frankreich gefahren sind, whrend es in umgekehrter Richtung etwa 30 gewesen sind. Ein hnliches Verhltnis zeigt sich bei den ˜bersetzungen: Zwischen 1785 und 1835 sind mehr als 320 franzçsische Fachbîcher ins Deutsche îbersetzt worden, dagegen nur etwa 70 Monographien aus dem Deutschen ins Franzçsische. Daß die damaligen Kriege trotz ihrer Schrecken noch îberschaubar blieben, zeigt die Tatsache, daß die Wissenschaftsreisen auch in Kriegszeiten fortgesetzt wurden.1313 Auch „die sechs Grîndungsvter der modernen Sprachwissenschaft“, die Gebrîder Schlegel, Wilhelm v. Humboldt, Franz Bopp, Jacob Grimm und Friedrich Diez, gingen nach Paris, „um im Zentrum der wissenschaftlichen Aktivitten Europas zu sein“. Im ganzen gesehen, wird man auch aus preußischer Sicht der Feststellung Jîrgen Trabants zustimmen kçnnen: „Die Deutschen haben sich ganz offensichtlich in Paris wissenschaftlich vçllig zu Hause gefîhlt, sie haben mit den franzçsischen Kollegen wissenschaftlichen Austausch gepflegt und sie haben auf franzçsisch publiziert.“1314 Daß das Frankreichbild der Preußen und das Preußenbild der Franzosen durch die kulturellen Kontakte weitgehend geprgt wurden, ist unbestritten. Ob der Einfluß des Deutschland-Buches der Madame de Sta×l, das 1813/14 er1310 S. o. bei Anm. 1029. 1311 Kai Torsten Kanz, Wissenstransfer und Nationalismus. ,Deutsche’ und ,franzçsische’ Naturwissenschaft um 1800, in: E. FranÅois u. a. (Hg.), Marianne … (s. Anm. 999), 2, S. 385 – 404, hier S. 387 – 389. 1312 Gînter Metken, Am Bilde Frankreichs arbeiten. Deutsche Kînstler in Paris, in: Ebd., 1, S. 333 – 344; allgemein: Karl Hammer, Jakob Ignaz Hittorff. Ein Pariser Baumeister 1792 – 1867 (= Pariser Historische Studien, 6), Stuttgart 1968. 1313 K. T. Kanz, Wissenstransfer … (s. Anm. 1311), S. 387 – 389. 1314 Jîrgen Trabant, Indien und Amerika. ˜ber die deutsch-franzçsischen Anfnge der Sprachwissenschaft in Paris, in: E. FranÅois u. a. (Hg.), Marianne … (s. Anm. 999), 2, S. 507 – 519, die Zitate: S. 508 und S. 518.

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schien, wirklich so groß gewesen ist und faktisch bis zur Rheinkrise dominierte,1315 wird neuerdings bezweifelt;1316 fîr Preußen, das Madame de Sta×l wohl nicht sehr schtzte, gibt das Werk ohnehin nicht viel her.1317 Inzwischen hat die Forschung festgestellt, daß das idealisierende Sta×l-Bild seit den 30er Jahren in Frankreich scharf kritisiert wurde.1318 Einer der bekanntesten Emigranten war der „Neupreuße“ Heinrich Heine, der 1831 nach Paris ging. Er verkehrte mit Balzac, Hugo, Dumas d. ø., Lamartine, de Musset und Nerval, erhielt lngere Zeit eine Ehrenpension der franzçsischen Regierung und machte als Schriftsteller franzçsische Kultur und Liberalitt in Deutschland und deutsche Literatur und Philosophie in Frankreich bekannt.1319 1833 rechnete er schonungslos mit dem sentimental verschwommenen, romantisierenden Deutschlandbild der Mme de Sta×l ab. Da die Schrift Heines schon zwei Jahre spter neu aufgelegt werden mußte, kann man annehmen, daß die Demontage des Sta×lschen Deutschlandbildes recht erfolgreich war.1320 Daß den Franzosen Deutschland und auch Preußen seit den 30er Jahren in einem anderen Licht erschienen und sich das preußische Frankreichbild ebenfalls verschob, zeigt, daß die çffentliche Meinung nicht statisch war, sondern sich an den Erfahrungen orientierte, die beim preußischfranzçsischen Kulturtransfer beiderseits der Grenze gemacht wurden. Das Kapitel îber den preußisch-westeuropischen Kulturtransfer soll mit zwei Beispielen abgeschlossen werden, in denen die mitunter verschlungenen Wege der Weiterleitung kultureller Schçpfungen sichtbar werden. Ausgangspunkt dieses kulturellen Transfers sind zwei Gelehrte, die beide zwar keine gebîrtigen Preußen waren, doch fîr die preußische Geschichte und die westeuropisch-preußischen Beziehungen ihre Bedeutung haben. Der 1781 in Eisenberg (Sachsen-Coburg-Gotha) geborene Karl Christian Friedrich Krause, ein Privatdozent mit 12 Kindern, war von 1813 bis 1815 in 1315 So W. Leiner, Deutschlandbild … (s. Anm. 1303), S. 119 f., mit Nachweis. 1316 Vgl. Klaus Rudolf Wenger, Preußen in der çffentlichen Meinung Frankreichs 1815 – 1870. Politische Aspekte des franzçsischen Preußenbildes. Ein Beitrag zur historischen Analyse nationaler Urteilsklischees (= GçttBausteineGWiss, 50), Gçttingen u. a. 1979, S. 54. 1317 Vgl. I. Mieck, Preußenbild … (s. Anm. 40), S. 290. 1318 Ebd., S. 295 f. 1319 Vgl. dazu Michael Werner, La r¤ception de Heine en France. El¤ments d’un dossier, in: Cahiers d’Ãtudes Germaniques 34 (1998), S. 11 – 25. Der gleiche Verfasser, ein Spezialist fîr die deutsch-franzçsischen Beziehungen, ist Mitautor einer Heine-Biographie: Jan-Christoph Hauschild / Ders., „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“ – Heinrich Heine. Eine Biographie, Paris 1997; auf deutscher Seite erschien zeitgleich die Habilitationsschrift von Renate Stauf, Der problematische Europer: Heinrich Heine im Konflikt zwischen Nationenkritik und gesellschaftlicher Utopie (= Beitrge zur neueren Literaturgeschichte, 3. Folge, 154), Heidelberg 1997. 1320 I. Mieck, Preußenbild … (s. Anm. 40), S. 292 f.

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Berlin, wo er vergeblich auf die Professur des verstorbenen Fichte hoffte.1321 Danach lebte er mehr schlecht als recht in Dresden, Gçttingen und Mînchen, ohne jemals eine Professur zu erhalten, weil er als politisch gefhrlich galt. Von seinen Hçrern schtzte ihn besonders Frçbel, der „Vater der Kindergrten“. Neben seinen Vorlesungen verfaßte er mehrere Schriften, in denen er ein philosophisches System entwickelte, das Zeitgenossen wie Ludwig Tieck, Heinrich Oppermann, Karl Bahr, Arnold Ruge und Heinrich Ahrens beeindruckte. 1832 starb Krause. Die Einordnung der Philosophie Krauses, die an Kant, Fichte, Schelling und Hegel, nach anderer Auffassung auch an Spinoza, Schleiermacher und Schopenhauer anknîpfte, ist bis heute umstritten. Man kçnnte îber diese wissenschaftsgeschichtliche Kontroverse hinweggehen, wenn nicht Krauses Lehre von der universellen Harmonie, von der Zusammenfîhrung von Ideal und Wirklichkeit, als „Krausismo“ in Spanien durch den Philosophen Sanz del Rio in aller Form eingefîhrt worden wre. Der „Krausismo“ erfuhr in Spanien seine spezifische Ausformung und verbreitete sich von da aus in viele Lnder Lateinamerikas, in denen er bis heute von erheblichem Einfluß ist. Der von 1983 bis 1989 amtierende Prsident Argentiniens, Alfonsin, berief sich ausdrîcklich auf die Ethik Krauses, dessen Lehre auch in Belgien und den Niederlanden nicht vergessen ist. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Arbeiten Krauses ins Englische und Franzçsische îbersetzt. Obwohl Krause kein Preuße war, enthlt sein philosophisches Gebude viele Gedanken, die ihre Wurzeln in den ˜berlegungen großer preußischer Philosophen haben. Krauses Friedens- und Menschheitsplan bezeichnet eine Weiterentwicklung der Ideen von Immanuel Kant. Philosophiegeschichtlich kann man Krause als einen Preußen ansehen; Grund genug, ihn und den hierzulande fast vergessenen „Krausismo“ am Ende dieses Kapitels zu erwhnen, in dem es um den preußisch-westeuropischen Kulturtransfer geht. Auch Spanien gehçrt schließlich zu Westeuropa. Im Gegensatz zu Krause, der Spanien nie gesehen hatte, kannte der 1800 in Stuttgart geborene Viktor Aim¤ Huber Frankreich, England und Schottland, Spanien und Portugal aus eigener Anschauung.1322 Whrend seiner Englandreisen hatte er ein positives Verhltnis zur Industrialisierung gefunden, doch der iberischen Halbinsel galt sein Hauptinteresse. Als einer der besten Kenner spanischer Literatur und Geschichte wurde er 1843 an die Berliner Universitt 1321 Alle Angaben nach Siegfried Wollgast, Karl Christian Friedrich Krause (1781 – 1832). Anmerkungen zu Leben und Werk (= Sitzungsberichte der Schsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig/Phil.-hist. Klasse, 129, Heft 5), Berlin 1990, S. 1 – 127 (auch als Einzeldruck vertrieben: Berlin 1990). 1322 Michael A. Kanther / Dietmar Petzina, Victor Aim¤ Huber (1800 – 1869). Sozialreformer und Wegbereiter der sozialen Wohnungswirtschaft (= Schriften zum Genossenschaftswesen und zur §ffentlichen Wirtschaft, 36), Berlin 2000, passim.

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berufen, wo er bis 1850 die preußischen Studenten mit der iberischen Kultur vertraut machte. Politisch schloß er sich der protestantisch-konservativen Richtung an, gab von 1845 bis 1848 die Zeitschrift „Janus. Jahrbîcher deutscher Gesinnung, Bildung und Tat“ heraus, grîndete sogar einen Handwerkerverein, wandte sich aber nach 1848 von den Konservativen ab und verließ Berlin (1852). Wegen der von ihm in Wernigerode entwickelten sozialen Modelle gilt Huber als Wegbereiter der sozialen Wohnungswirtschaft und Begrînder der Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften. Aus dem in Preußen lehrenden Spanienkenner wurde ein Sozialreformer, dessen Ideen ein europaweites Echo fanden.

§ 7 Preußen und Westeuropa zwischen Revolution und Julikrise Weil der Zollverein keine diplomatischen Vertretungen in den westeuropischen Staaten hatte, wurde Preußen, das mit Recht als spiritus rector dieser Wirtschaftsvereinigung galt, in fast allen Handelsfragen der wichtigste Ansprechpartner. Genaugenommen begann mit der Bildung des Zollvereins der Ausstieg Preußens aus einer eigenstndigen Außenhandelspolitik. Es dauerte lange, bis sich Diplomaten und Regierungen Westeuropas an dieses neue Gebilde, dessen geographische Lokalisierung manche Unsicherheit auslçste, gewçhnten. In anderen Bereichen verliefen die Beziehungen dagegen in gewohntem Fahrwasser.1323 I. Politische Beziehungen In den preußisch-westeuropischen politischen Beziehungen zwischen 1850 und 1870 lassen sich mehrere Phasen unterscheiden. Die erste umschließt die 50er Jahre, in denen mit dem Krimkrieg ein internationaler Konflikt großen Ausmaßes die internationalen Beziehungen beherrschte, whrend im folgenden Jahrzehnt vor allem die innerdeutschen Auseinandersetzungen das Geschehen bestimmten.

1323 Zur allgemeinen Geschichte Preußens in dieser Zeit vgl. Hagen Schulze, Preußen von 1850 bis 1871. Verfassungsstaat und Reichsgrîndung, in: Otto Bîsch (Hg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, 2, Berlin/New York 1992, S. 293 – 372.

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1. Die Persigny-Missionen Obwohl Frankreich an seiner abwartenden Haltung bei der Lçsung der „Deutschen Frage“ im Prinzip festhalten wollte, wurde die Regierung durch die konkurrierenden Einigungsprojekte beunruhigt.1324 Whrend sich die franzçsischen Politiker mit dem preußischen (kleindeutschen) Unionsplan, den inzwischen 27 von 35 deutschen Staaten akzeptiert hatten, nolens volens abgefunden htten, hielten sie den von Schwarzenberg favorisierten (großdeutschen) Plan fîr das „Reich der 70 Millionen“ fîr viel gefhrlicher. Deshalb schickte der im Dezember 1848 zum Staatsprsidenten gewhlte Ludwig-Napoleon seinen Vertrauten Persigny im August 1849 nach Berlin und Wien.1325 Whrend Persigny dem friedliebenden Preußenkçnig Friedrich Wilhelm IV. ein gegen die çsterreichische Vormacht gerichtetes Bîndnis mit Frankreich nahelegen wollte, bekrftigte er in Wien die Abneigung Frankreichs gegen eine weitere Verfolgung der Mitteleuropa-Plne. Friedrich Wilhelm hatte das Bîndnisangebot Persignys „zwar nicht aufgegriffen, aber auch nicht direkt abgelehnt“, weil er eine losere Verbindung zu Frankreich fîr vorstellbar hielt. Auf sein Ersuchen kam Persigny, der vorîbergehend sogar die franzçsische Gesandtschaft in Berlin leitete (Dezember 1849 – 21. November 1850), ein zweites Mal in die preußische Hauptstadt. Neuere Forschungen zeigen, daß es dem franzçsischen Prsidenten bei dieser zweiten Reise Persignys vorrangig weder um das Bîndnis mit Preußen noch um territoriale Gewinne (Kompensationen am Rhein) ging,1326 sondern vor allem um die Verhinderung eines preußisch-çsterreichischen Ausgleichs, als dessen Ergebnis an der franzçsischen Ostgrenze ein riesiger colosse allemand entstehen kçnnte. Um dies zu verhindern, mußte die franzçsische Politik mal mit, mal gegen Preußen operieren, wobei allerdings das schwchere Preußen in den anstehenden Konfliktfllen (Schweizer Flîchtlinge, Holsteinische Frage, Kurhessen-Streit) etwas hufiger mit franzçsischer Unterstîtzung rechnen konnte. Indirekt hatte dieser west-mittel-europische Konflikt eine Rîckwirkung besonderer Art auf Berlin: Als die preußische Regierung die gegen §sterreich gerichtete Mobilmachung anordnete, stellte man fest, daß die in Berlin lediglich vorhandenen Kopfbahnhçfe, die alle extra muros lagen, fîr eine schnelle 1324 ˜ber die franzçsisch-preußische Situation um 1849/50 informiert William J. Orr Jr., Louis-Napol¤on et la question allemande (1849 – 50), in: RevHistDipl 95 (1981), S. 171 – 212; durch diese Studie wird die ltere Arbeit von Ernst Georg Lange, Frankreichs Preußenpolitik in den Jahren 1849/50, phil. Diss. Berlin 1930, zum Teil îberholt. Eine Untersuchung îber die englisch-preußischen Beziehungen in der nachrevolutionren Epoche fehlt. 1325 Neueste Zusammenfassung (mit der lteren Literatur): M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 79 – 91. 1326 Zu den territorialen Fragen vgl. R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 42.

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Truppenverschiebung nicht geeignet waren. So wurde der Bau der eingleisigen und ebenerdigen „Verbindungsbahn“ beschlossen.1327 Die 1851 erçffnete Bahn, nur 11 km lang und reserviert fîr Gîter- und Militrverkehr, entwickelte sich zu einem veritablen Verkehrshindernis, bis sie 1872 durch die Ringbahn entbehrlich und stillgelegt wurde. Um den Konflikt zu entschrfen, ging Manteuffel nach Olmîtz, wo er in allen Punkten nachgab (Olmîtzer Punktation, 29. November 1850): Die Erfurter Union,1328 das preußische Einigungsprojekt, wurde aufgelçst, die Mobilmachung zurîckgenommen, der Rîckzug der Truppen aus Hessen zugesagt. Weil Preußen sich auch mit der Wiederherstellung des Deutschen Bundes einverstanden erklrte,1329 blieb noch das Frankreich viel bedrohlicher erscheinende Einigungsprojekt Schwarzenbergs, auf das er in Olmîtz nur aus taktischen Grînden verzichtet hatte. Als sich die Großmchte im Dezember 1850 in Dresden trafen, um îber die neue Form des alten Deutschen Bundes zu beraten, kam das „70-Millionen-Reich“, das nach den etwas illusionren Vorstellungen (Doering-Manteuffel: „wirklichkeitsfremd und geschichtsfern“) des Handelsministers Bruck auch ein einziges Zoll- und Handelsgebiet bilden sollte, erneut auf die Tagesordnung. Obwohl dieser Komplex die preußisch-westeuropischen Beziehungen nur am Rande berîhrt, sollen die wichtigsten Ergebnisse skizziert werden, weil sie auch ein neues Licht auf die eigentliche Thematik dieses Beitrages werfen. Whrend die ltere Forschung den Hauptgrund des Scheiterns der BruckSchwarzenbergschen Mitteleuropa-Plne in dem unîberbrîckbaren preußischçsterreichischen Antagonismus sah, vertritt man neuerdings die Auffassung, daß es insbesondere der Widerstand der europischen Mchte war, der das Projekt zum Scheitern brachte. Weil das in Aussicht genommene großdeutsche Reich in kurzer Zeit zu einem wirtschafts- und handelspolitischen Machtfaktor geworden wre und Englands dominierende Stellung im Welthandel gefhrdet htte, wandte sich Großbritannien, wie Anselm Doering-Manteuffel nachweisen konnte, von

1327 Rainer Fremdling, Eisenbahnen und deutsches Wirtschaftswachstum 1840 – 1879. Ein Beitrag zur Entwicklungstheorie und zur Theorie der Infrastruktur (= Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte, 2), Dortmund 1975, S. 110; knapper: Arthur von Mayer, Geschichte und Geographie der Deutschen Eisenbahnen von 1835 bis 1890, 4 Tle. in 2 Bdn., Berlin 1891, neu hg. von Erhard Born, Moers 1984, 2, S. 706 und S. 712. 1328 Vgl. dazu den neuen Band von Gunther Mai (Hg.), Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, Kçln/Weimar 2000. 1329 Fîr die §ffentlichkeit und die nationale Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts kam Olmîtz einer „Kapitulation Preußens“ (Faber) gleich und galt als Tiefpunkt der preußischen Geschichte.

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Anfang an mit allem Nachdruck gegen das Projekt: „Mit den Interessen Englands war der Bruck-Plan unvereinbar.“1330 Daß Frankreich „der eigentliche Motor des Widerstandes gegen die çsterreichischen Plne“ war, hat kîrzlich Martin Stauch gezeigt.1331 Um die Entstehung des geplanten Riesenreiches jenseits des Rheins zu verhindern, schreckte Frankreich selbst vor Kriegsdrohungen nicht zurîck. Da es mit England in dieser Frage einer Meinung war, konnte sich die westeuropische Entente gegenîber §sterreich durchsetzen. Als auch der bisher fest zu §sterreich stehende Zar, den die beiden Westmchte diplomatisch bearbeitet hatten, Ende Mrz 1850 eine vorsichtige Absage formulierte, war der Bruck-Schwarzenberg-Plan endgîltig vom Tisch. England und Frankreich konnten aufatmen; da auch Frankreich gegen die Wiederherstellung des Deutschen Bundes nichts einzuwenden hatte und Preußen als diplomatisches Druckmittel gegen §sterreich nicht mehr gebraucht wurde, kehrte Ludwig-Napoleon zur traditionellen Deutschland-Politik Frankreichs (nur ein zersplittertes Deutschland bietet Sicherheit an der Ostgrenze) zurîck und verzichtete auf weitere Angebote zur Unterstîtzung Preußens. 2. Krimkrieg und Neuenburg-Streit Entstanden „aus einer vielgliedrigen Kette von Fehlern, Fehlschlîssen, Mißverstndnissen, falschen Verdchtigungen und irrationalen Feindvorstellungen“,1332 hatte der Krimkrieg mit der tîrkischen Kriegserklrung an Rußland (4. Oktober 1853) begonnen, der am 27./28. Mrz 1854 die englischfranzçsische Kriegserklrung an Rußland folgte. Da Preußen und §sterreich sowie der Deutsche Bund als Ganzes neutral blieben, versuchten die Kriegsparteien, die beiden deutschen Großmchte jeweils ins eigene Lager zu ziehen. Die knappe Feststellung von Poidevin/Bariety, daß der inzwischen zu Napoleon III. gewordene franzçsische Staatschef Preußen außerhalb des diplomatischen Spiels ließ, das zum Krimkrieg fîhrte, greift zu kurz. Neuere Forschungen zeigen, daß der Krimkrieg trotz der Neutralitt fîr die preußischwesteuropischen Beziehungen seine Bedeutung hatte. Ein viel differenzierteres Bild der preußischen Haltung in diesem europischen Konflikt erlauben insbesondere die preußischen (2 Bde.), englischen (4 Bde.) und franzçsischen Akten (3 Bde.), die im Rahmen der von Winfried Baumgart u. a. herausge-

1330 Vgl. A. Doering-Manteuffel, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1054), S. 164 – 174, das Zitat: S. 167. 1331 Vgl. M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 92 – 103. 1332 Diese sarkastische Aufzhlung findet sich bei W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 343.

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gebenen „Akten zur Geschichte des Krimkriegs“ (im folgenden immer: AGKK) bisher erschienen sind.1333 Beispielsweise wurde das britisch-preußische Verhltnis whrend des gesamten Krimkrieges durch wirtschaftliche und handelspolitische Aspekte belastet, weil die Neutralitt Preußens und des Deutschen Bundes auch die Neutralitt der zum Zollverein gehçrenden Staaten nach sich zog. Erst nachdem die Regierung neue Leitlinien fîr die Handelspolitik entwickelt hatte, normalisierten sich die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und dem Zollverein wieder. Ein anderer Streitpunkt war der Rußlandhandel, weil Preußen es zuließ, daß Rußland – trotz der englischen Seeblockade – seinen Handel îber die preußischen Ostseehfen abwickelte. Die Steine, die Preußen England auf allen nur mçglichen Gebieten in den Weg legte, erklren die „bisweilen kochende Wut“ Clarendons. Die Streitereien fîllten whrend des ganzen Jahres 1855 die diplomatischen Akten. Schließlich wurde Preußen in England nahezu als Feindstaat betrachtet, dessen angebliche Neutralitt in Wirklichkeit Rußland begînstige.1334 Unterhalb dieser hochpolitischen Ebene kam es jedoch zu einer erstaunlichen preußisch-britischen Zusammenarbeit, da die englischen Kaufleute auf ihren lukrativen Rußlandhandel nicht verzichten und ihn nun îber Kçnigsberg leiten wollten. 1854 erschienen im Hafen erstmals keine englischen Raddampfer mehr, sondern große Schraubendampfer, deren Ladungen teils auf Binnenwasserstraßen, teils zu Lande nach Rußland transportiert wurden. Nachdem 1855 schon 58 englische Dampfer gekommen waren, wurde eine regelmßige Dampfschiffahrtslinie zwischen Kçnigsberg und Hull/Leith eingerichtet, die auch nach dem Friedensschluß weiterbestand. Eine feste Verbindung zu den Niederlanden folgte. Die Segelschiffe wurden weiter zurîckgedrngt; in Pillau lag die Tonnage der Dampfschiffe 1868 schon bei îber 50 Prozent.1335 Leider war die Neutralittspolitik Friedrich Wilhelms im Krimkrieg „bei weitem nicht so klar, wie er behauptete“, so daß sich am Hof Parteienkmpfe entwickelten.1336 „Die voreiligen und schlecht konzipierten diplomatischen Initiativen“, die Bunsen, der preußische Vertreter in London, Anfang 1854 aus 1333 Erschienen: Mînchen/Wien 1979 – 2006; von dessen zahlreichen Publikationen zum Thema immer noch wichtig: Ders., Vom Europischen Konzert zum Vçlkerbund. Friedensschlîsse und Friedenssicherung von Wien bis Versailles (= Ertrge der Forschung, 25), Darmstadt 21987. Eine der jîngsten Verçffentlichungen: Ders., The Crimean War 1853 – 1856 (= Modern War Series), London 1999. 1334 Zu diesem Komplex vgl. A. Doering-Manteuffel, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1054), S. 269 – 279, das Zitat S. 272. 1335 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 557. 1336 Eine interessante Sichtweise der preußischen Außenpolitik im Krimkrieg aus „biographischer“ Sicht bietet D. E. Barclay, Anarchie … (s. Anm. 1162), S. 375 – 383, das Zitat: S. 380.

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eigenem Antrieb startete, desavouierten die fîr eine Westorientierung eintretende Gruppe, hatten die Entlassung Bunsens und des Kriegsministers Bonin zur Folge und fîhrten zu einem tiefen Zerwîrfnis zwischen dem Kçnig und dem Kronprinzen. Zum Entsetzen – und oft ohne Kenntnis – der Verantwortlichen schickte Friedrich Wilhelm hufig eigens ernannte Sondergesandte auf Auslandsmissionen;1337 „die spektakulrste und eigentlich dîmmste dieser Geschichten war jedoch die unglîckselige Usedom-Wedell-Mission Ende 1854 und Anfang 1855 nach London und Paris“, zu der Carl Wilhelm Saegert geraten hatte und die ohne Wissen des Außenministers erfolgte. Die Franzosen hielten die Mission „im Grunde fîr einen Witz“, whrend man in London nur auf „das grenzenloseste Mißtrauen gegen den Kçnig und seine Regierung“ stieß.1338 Das Mißtrauen der westeuropischen Lnder gegenîber der preußischen Diplomatie, in der „geradezu anarchische Zustnde“ herrschten, wurde stndig grçßer. Die Preußenpolitik Frankreichs im Krimkrieg ist vor kurzem Gegenstand einer grîndlichen Untersuchung gewesen, die weitgehend auf der diplomatischen Korrespondenz beruht. Fîr alle Einzelheiten muß auf diese Darstellung verwiesen werden, die fîr viele Bereiche der preußischen Geschichte neue Erkenntnisse bringt,1339 etwa fîr die Konzeptionslosigkeit und Wankelmîtigkeit der preußischen Außenpolitik, die aus dem stndigen Machtkampf zwischen dem Kçnig, der verkîmmerten Restkamarilla (Leopold v. Gerlach, Marcus Niebuhr), dem Außenminister v. Manteuffel, dem Kronprinzen und der „Wochenblattpartei“ resultierte. Einflußreich und in Frankreich sehr geschtzt war auch der Graf von Hatzfeld-Trachenberg, der Preußen von 1848 bis 1859 in Paris vertrat. Neue Erkenntnisse bringt die Arbeit von Stauch auch im Hinblick auf die Usedom-Wedell-Mission, auf den Potsdamer Depeschendiebstahl, auf die franzçsische Unterstîtzung Manteuffels und auf viele andere preußisch-franzçsische Probleme. Folgt man seiner Argumentation, so waren die franzçsisch-preußischen Beziehungen whrend des Krimkrieges dadurch gekennzeichnet, daß sich die franzçsische Diplomatie immer wieder um Preußen bemîhte, obwohl diese kleinste der europischen Großmchte im Mchtespiel nur ein relativ geringes politisches Gewicht besaß, das zudem durch die schwankende, aber immer um die Neutralitt kreisende Außenpolitik des Kçnigs belastet wurde. Frankreich war es zu danken, daß Friedrich Wilhelm, der sich selbst aus dem Europischen Konzert ausgeschlossen hatte, zur Schlußkonferenz, auf der Preußen weder

1337 Dazu W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 141. 1338 D. E. Barclay, Anarchie … (s. Anm. 1162), S. 377 und S. 380 f. 1339 M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 119 – 249. Thema des Abschnitts II (S. 31 – 70) sind „Die Akteure der Außenpolitik“.

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Ruhm noch Ansehen erntete,1340 wieder eingeladen wurde. Die neuere Forschung ist davon îberzeugt, daß Preußens glimpfliches Abschneiden beim Friedensschluß „eher dem Zufall als guter Staatsfîhrung zuzuschreiben“ war; bei lngerer Kriegsdauer wre Preußen vielleicht sogar in eine Situation hnlich der von 1806 geraten.1341 Aus îbergeordneten Grînden, die gleich zu erçrtern sind, mußte Frankreich eine ernste Gegnerschaft zu Preußen vermeiden. Deshalb verfolgte es eine eher behutsame Preußenpolitik, die zwar gelegentlich mit „Zuckerbrot und Peitsche“ arbeitete, fîr die aber im ganzen die preußische Neutralitt im Krimkrieg „zwar nicht die beste, aber doch die zweitbeste Lçsung“ war. Erst die wohlwollende Tolerierung der preußischen Neutralitt verhinderte ein Abgleiten Preußens in Richtung §sterreich oder Rußland. Da Preußen hartnckig an seiner Neutralittspolitik festhielt, weil es das System der fînf Großmchte (mit Rußland) nicht umstîrzen wollte, hemmte es erfolgreich §sterreichs Versuche, die Mitte Europas auf den „Westen“ zu verpflichten, „der sich erstmals […] als eine ideologische Wertegemeinschaft verstand“.1342 Vielleicht hat Preußen damit das Ausufern des Krimkrieges zu einem Weltkrieg verhindert; trotzdem sollte sich diese Distanzierung von Westeuropa auf lange Sicht als eine fatale Politik erweisen, deren Folgen erst viel spter fîhlbar wurden. Kurzfristig ermçglichte es die preußische Außenpolitik jedenfalls, daß am 2. Dezember 1854 – dem Jahrestag von Austerlitz – ein franzçsisch-çsterreichisches Bîndnis geschlossen werden konnte, dem auch Großbritannien beitrat. Dieses Bîndnis, das manche Historiker – wieder einmal1343 – als „diplomatische Revolution“ bezeichnen mçchten, war ein Meilenstein in der europischen Geschichte, stellte es doch die erste vertragliche Abmachung dar, die Frankreich mit einer der drei Mchte traf, die am 26. September 1815 die Heilige Allianz unterschrieben hatten. Wie schon 1756 war es ein Vertrag zwischen Frankreich und §sterreich, der die europische Bîndnisstruktur vernderte. Es gehçrt zu den Verdiensten der Studie von Martin Stauch, daß sie die geistige Langlebigkeit dieser auf einem erzkonservativen Dokument beruhenden „Heiligen Allianz“, die offensichtlich wohl doch mehr war als ein „lauttçnendes Nichts“ (Metternich), in die Erinnerung zurîckgerufen hat.1344 Ob diese lockere 1340 Zu der „ußerlich so undankbaren Rolle, die Preußen vor und whrend der Konferenz von Paris einzunehmen hatte“, vgl. A. Doering-Manteuffel, Wiener Kongreß … (s. Anm. 1054), S. 302 – 316. 1341 D. E. Barclay, Anarchie … (s. Anm. 1162), S. 382 f. 1342 Diese Auffassung vertritt E. Straub, Preußen … (s. Anm. 26), S. 9. 1343 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 112, S. 295 – 298. 1344 Die Frage der Heiligen Allianz, die ja auch im Titel auftaucht, zieht sich durch das ganze Buch von M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039); das folgende Zitat: S. 23.

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Verbindung der konservativen Staaten wirklich „zur alleinigen Hîterin der Vertrge“ wurde, kçnnte zu Diskussionen Anlaß geben; dennoch scheint gesichert, daß diese Allianz, der auch Frankreich am 19. November 1815 beigetreten war, nicht nur bis 18251345 oder einige Jahre lnger wirksam blieb, sondern trotz aller Krisen und Konflikte, in Mînchengrtz 1833 erneuert, als Symbol der antiliberalen und antirevolutionren Krfte weiterbestand.1346 Das durch mehrere Revolutionen gegangene Frankreich konnte sich mit dieser Verbindung der restaurativen Mchte auf die Dauer nicht abfinden. Sptestens seit Ludwig-Napoleon arbeitete die franzçsische Diplomatie zielgerichtet gegen das immanente Weiterleben der „Heiligen Allianz“. Man wollte die strkste der europischen Mittelmchte, §sterreich, gewinnen, denn „eine Kontinentallianz mußte zwangslufig das System der Heiligen Allianz beenden, das Frankreich jahrzehntelang eingezwngt hatte“. Mit dem Dezembervertrag von 1854, der faktisch „die Zerstçrung der Heiligen Allianz“ bedeutete, war das Ziel erreicht – nicht als ein Resultat des Krimkrieges, sondern als gewolltes Ergebnis der franzçsischen Diplomatie.1347 Daß Preußen durch seine Neutralittspolitik im Krimkrieg der franzçsischen Diplomatie unbewußt den Weg geebnet hat, um der schon lange etwas brîchig gewordenen „Heiligen Allianz“ den Todesstoß zu versetzen, kann als eine Ironie der Geschichte bezeichnet werden, die der in politischen Fragen immer unsichere Friedrich Wilhelm IV. wahrscheinlich nie begriffen hat. Frankreich dagegen stand als der eigentliche Gewinner des Krimkrieges da und profitierte auf der ganzen Linie von dem großen Prestigegewinn, den ihm Krieg und Friedensschluß brachten. Der politisch-diplomatische Schwerpunkt Europas wanderte von Wien nach Paris: „1855 die Weltausstellung und 1856 die Friedenskonferenz, das waren glanzvolle Zeichen dafîr, daß sich das Zentrum Europas offenbar an die Seine verschoben hatte. Politiker aus aller Herren Lnder begannen jetzt, nach Paris zu pilgern, das mehr und mehr auch wieder zum geistigen und kînstlerischen Mittelpunkt Europas wurde.“1348 Auch Bismarck fuhr zum Besuch der Weltausstellung 1855 nach Paris.1349 Zum ersten Mal traf er dort mit Napoleon III. und dessen Frau zusammen.1350 1345 Diese Auffassung vertritt W. Baumgart, Vom Europischen Konzert … (s. Anm. 1133), S. 1. 1346 Zum Problem des Weiterbestehens der Heiligen Alianz s. o. S. 699 – 701, S. 768. 1347 M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 264 und S. 263. 1348 Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionr, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 5 1981, S. 166. 1349 Zu dem Paris-Besuch Bismarcks von 1855 vgl. Ernst Engelberg, Bismarck, 1: Urpreuße und Reichsgrînder, Berlin 1985, S. 433 – 435, die folgenden Zitate: S. 435. 1350 Immer noch wichtig ist die detaillierte Untersuchung von Herbert Geuss, Bismarck und Napoleon III. Ein Beitrag zur Geschichte der preußisch-franzçsischen Beziehungen 1851 – 1871 (= Kçlner Historische Abhandlungen, 1), Kçln/Graz 1959.

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Diese Zusammenkunft war ihm sehr wichtig, weil es Bismarck „damals und auch in den folgenden Jahren in erster Linie darum ging, mit Frankreich in eine nhere Beziehung ohne festere Bindung zu kommen.“ Zwei Jahre spter war er allerdings schon der Meinung, daß der „sicherste Mittelweg“ zwischen Rußland und England „die Kultivierung der Beziehungen Frankreichs zu Preußen“ sei. Auch spter hat er Frankreich als Bîndnispartner meist favorisiert. Weil Bismarck in Paris guten Kontakt zum preußischen Gesandten Hatzfeld hielt, wurde er auch der Queen Victoria und dem Prinzen Albert vorgestellt, die dem vier Jahre alten englisch-franzçsischen Bîndnis durch einen Staatsbesuch im August eine außergewçhnliche Reverenz erwiesen.1351 Victoria war zwar nicht „the first reigning British monarch to set foot on French soil since Henry V, 400 years earlier“,1352 doch das berîhmte Treffen Heinrichs VIII. mit Franz I. auf dem Camp de drap d’or im Juni 1520 lag auch schon mehr als drei Jahrhunderte zurîck.1353 ˜ber den Neuenburg-Streit, der erst im September 1856 ausbrach, haben nicht Bismarck und Napoleon gesprochen, sondern ein Jahr spter Hatzfeld und Napoleon (Biarritz, 19. September 1856). Wegen der Lage Neuenburgs, das Preußen 1707 zugefallen war,1354 muß der Konflikt im Rahmen einer Darstellung der preußisch-westeuropischen Beziehungen wenigstens erwhnt werden. Nach einem napoleonischen Zwischenspiel (1806 Abtretung an den Marschall Berthier, 1814 Verzicht) wurde die Personalunion mit Preußen auf Wunsch der Neuenburger wiederhergestellt und das Fîrstentum als abgesonderter und unverußerlicher Teil Preußens 1814 als 21. Kanton in die Eidgenossenschaft aufgenommen. Die Machtergreifung der Republikaner (1. Mrz 1848) beantwortete Preußen mit einem Protest und ließ sich im Londoner Protokoll (24. Mai 1852) seine Rechte besttigen. Einem royalistischen und preußenfreundlichen Aufstand (1856) widerstanden die Republikaner sehr erfolgreich. Die îber 500 gefangenen Royalisten wurden zu Geiseln, als Friedrich Wilhelm IV. wegen seines „teuren Lndchens am Jura“ die Großmchte mit diesem Konflikt konfrontierte. Da niemand einen Krieg Preußens gegen die Schweiz wollte, mußte die Angelegenheit in europischem Rahmen gelçst werden. 1351 ˜ber den englischen Staatsbesuch: E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 433; M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 197; A. Palmer, Glanz und Niedergang … (s. Anm. 1159), S. 187 f. 1352 John Allwood, The Great Exhibitions, London 1977, S. 35. 1353 Vgl. dazu R. J. Knecht, Francis I … (s. Anm. 76), S. 77 – 82; 60 Jahre nach dem Azincourt-Sieger Heinrich V. (1415) hatte auch Eduard IV. franzçsischen Boden betreten und war mit Ludwig XI. zusamengetroffen (Picquigny 1475). 1354 S. o. Anm. 446. Das dort genannte Werk von Wolfgang Stribrny unterrichtet auch îber den Neuenburg-Streit.

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Weil Friedrich Wilhelm IV. nicht nur Napoleon, sondern auch England, Rußland und §sterreich um Vermittlung bat, entwickelte sich in den nchsten Monaten ein lebhaftes diplomatisches Treiben. Ohne auf Einzelheiten einzugehen,1355 ist als wichtigstes Ergebnis festzuhalten, daß Friedrich Wilhelm schließlich auf alle Rechte auf Neuenburg verzichtete und sich mit dem Titel begnîgte (Konferenz von Paris, Mrz/April 1857). Wie schwer dem Preußenkçnig der Verzicht fiel, zeigt die Tatsache, daß ihn erst eine Reise des Prinzen Napoleon nach Berlin zur Unterschrift bewegen konnte (26. Mai 1857).1356 Vielleicht hing die Vorliebe des Kçnigs fîr Neuenburg mit der Tatsache zusammen, daß das Fîrstentum das einzige preußische Weinanbau-Gebiet war. Auch nach 1857 soll der lebhafte Weinhandel seinen Fortgang genommen haben. Das Weingut Chateau d’Auvernier soll bis zum Ersten Weltkrieg an den Berliner Hof geliefert haben. Die Neuenburger Affre illustriert das Verhltnis Friedrich Wilhelms IV. zu Westeuropa ausgezeichnet. An Stelle der franzçsischen Vermittlung htte der Preußenkçnig eine diplomatische Anbindung an Großbritannien viel lieber gesehen; trotz der englischen Unterstîtzung fîr die Schweiz wollte er noch im Januar 1857 durch einen persçnlichen Brief an die Queen vorsorglich die Nhe Englands suchen, um gegenîber Napoleon nicht in noch grçßere Dankesschuld zu geraten.1357 Diese Grundmaxime beherrschte die Westeuropa-Politik des Kçnigs: Freundschaft mit dem protestantischen England, keine zu enge Annherung an den auf dem Boden der Illegitimitt stehenden Napoleon. Auf Angebote des Franzosenkaisers ging er nur dann ein, wenn sich keine andere Mçglichkeit bot. Solange dieser „frankophobe“ Preußenkçnig an der Macht war, gingen alle diplomatischen Bemîhungen Napoleons ins Leere: „Eine wirkliche preußisch-franzçsische Annherung war unter Friedrich Wilhelm IV. nicht mçglich.“1358 So blieb Preußen nach Krimkrieg und Neuenburg-Streit im außenpolitischen Abseits, obwohl sich Napoleon in beiden Fllen immer wieder um Preußen bemîhte. 1857 machte er Bismarck bei einem erneuten Paris-Aufenthalt so weitreichende Bîndnisangebote, daß dieser sich scheute, der fran1355 Die jîngste Zusammenfassung des Problems, teilweise auf der Basis neuer Quellen, bietet M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 251 – 260. 1356 Den Titel „Prinz Napoleon“ trug ein Sohn Jºrome Bonapartes, des frîheren Kçnigs von Westfalen. Der Prinz, meist Plon-Plon genannt, war vom 8. bis 14. Mai in Berlin. 1855 saß er im Organisationskomitee der Weltausstellung; auch an den Planungen fîr den zentralen Ausstellungsbau 1867 war er beteiligt (Erik Mattie, Weltausstellungen, Stuttgart/Zîrich 1998, S. 20). Zu diesem Komplex s. u. § 7. – Abdruck des Vertrages îber Neuenburg, an dem sechs Staaten mitgewirkt hatten: CTS … (s. Anm. 500), 117, S. 9 – 12. 1357 Auf Anraten Manteuffels wurde der Brief vom 6. 1. 1857 nicht abgeschickt. 1358 M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 252 und S. 260.

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kophoben Fraktion in Berlin (Friedrich Wilhelm IV., Manteuffel, Gerlach) davon zu berichten.1359 Als der Kaiser sehr freimîtig auch andere territoriale und politische Projekte ansprach, erkannte Bismarck wohl erstmals, daß Napoleon einem geschickten Taktierer in außenpolitisch schwieriger Lage kaum gewachsen sein wîrde. Whrend sich die Beziehungen zu Preußen einem Tiefpunkt nherten, trat Frankreich durch die Ergebnisse des Krimkrieges aus dem Schatten heraus, den die „Heilige Allianz“ jahrzehntelang auf das Land geworfen hatte. „Die glnzende Stellung, die Frankreich nach dem Pariser Frieden in Europa einnahm, war auch ein Verdienst der franzçsischen Preußenpolitik.“1360 3. Zunehmende Distanzierung Preußens von den politischen Traditionen Westeuropas seit 1857 In der Geschichte Preußens hat es wenige Zeitspannen gegeben, die das Geschick dieses Staates so nachhaltig beeinflußt haben wie das Jahrfînft von 1857 bis 1862. Mehrere Entwicklungslinien, die teils strukturell, teils personell bedingt waren, fielen zusammen und brachten Preußen in diesen fînf Jahren auf einen Weg, an dessen Ende der Zusammenbruch und die fçrmliche Auflçsung dieses Staates stehen sollte. Tendenzen, die im Grunde lngst bekannt waren, konzentrierten sich zwischen 1857 und 1862 wie in einem Brennglas und leiteten eine politische Entwicklung ein, die îber eine starke Wiederbelebung konservativen Gedankengutes zu einer Abkoppelung von den freiheitlich-liberal-parlamentarischen Traditionen Westeuropas fîhrte. Damit begann der ein rundes Jahrhundert dauernde Umweg Preußen/Deutschlands auf dem „Langen Weg nach Westen.“1361 a) Regierungswechsel und antiwestliche Tendenzen Angesichts der fortschreitenden Krankheit Friedrich Wilhelms IV. îbernahm Ende Oktober 1857 sein Bruder Wilhelm die Stellvertretung,1362 ein Jahr spter (26. Oktober 1858) die offizielle Regentschaft.1363 Den sich unter dem „Prinzregenten“ Wilhelm auch in der Außenpolitik anbahnenden „Neuen Kurs“ 1359 Zum Besuch Bismarcks in Paris 1857 vgl. O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 167. Zu seiner ˜berlegenheit: S. 302 – 307 („Der Caesar an der Seine“). 1360 M. Stauch, Im Schatten … (s. Anm. 1039), S. 249. Die Friedensabmachungen von Paris (30. 3. 1856) sind abgedruckt: CTS … (s. Anm. 500), 114, S. 409 – 425. 1361 Diese treffende Formulierung ist Titel eines neuen Buches von Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, 2 Bde., Mînchen 2000. 1362 Eine neuere biographische Skizze stammt von Gînter Richter, Kaiser Wilhelm I., in: Wilhelm Treue (Hg.), Drei deutsche Kaiser. Wilhelm I. – Friedrich III. – Wilhelm II. Ihr Leben und ihre Zeit, Freiburg/Wîrzburg 1987, S. 14 – 75. 1363 Vgl. Anm. 1094 vor allem Bd. 5, bearb. von Rainer Paetau, Hildesheim/Zîrich/New York 2001, mit einschlgigem Material.

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(und damit die spter so verhngnisvolle Diskrepanz in der außenpolitischen Orientierung1364 Preußens zwischen Frankreich und §sterreich/Rußland) bekam Bismarck 1859 zu spîren, als er nach Rußland versetzt und damit, nach seinen Worten, „an der Newa kaltgestellt“ wurde. Whrend sich die Frankophobie Friedrich Wilhelms IV. insbesondere gegen die Politik des revolutionren Emporkçmmlings Napoleon III. gerichtet hatte, war der Nachfolger Wilhelm von tiefem Mißtrauen gegen Frankreich erfîllt. Obwohl die Brîder hnliche Erinnerungen an die Flucht von 1806/07 und die Freiheitskriege haben mußten, saßen die Ressentiments bei dem jîngeren Wilhelm tiefer.1365 Auch gegenîber Großbritannien mit seiner Regierungsform, bei der der Prime Minister eine politisch wichtigere Rolle als der Monarch spielte, war man in den konservativen Kreisen Preußens, die in dem militrorientierten Prinzregenten eine willkommene Stîtze ihrer Politik sahen, mißtrauisch. Das bekam von Anfang an der Kronprinz Friedrich Wilhelm zu spîren, der mit Victoria („Vicky“), einer Tochter der gleichnamigen Queen, verheiratet war.1366 „The dislike of the high-born Prussian for anything that was English was perhaps only equalled by the dislike of a certain section of the English press for anything that was Prussian,“ allen voran The Times. Unter der allgemeinen Animositt gegen alles Englische litt natîrlich auch Victoria – „the first that she was English and could not forget it, the second that she loved English political and sanitary ideas.“1367 Eine von ihr verfaßte und an die Queen geschickte Denkschrift îber die Ministerverantwortlichkeit htte in Preußen zu einem Aufschrei der Empçrung gefîhrt.1368 Der Argwohn ging soweit, daß der Prinzgemahl Albert, wenn er seine Tochter besuchte, sehr auf den privaten Charakter der Reise zu achten hatte; angeblich wurde die Kronprinzessin von der preußischen Geheimpolizei beobachtet und ihre nach Eng-

1364 Mit dem November 1858 setzt die große Quellensammlung ein, die auch fîr die außenpolitischen Beziehungen Preußens zu den Westmchten unentbehrlich ist: Erich Brandenburg / Willy Hoppe / Arnold Oskar Meyer (Hg.), Die auswrtige Politik Preußens 1858 – 1871 (im folgenden immer: APP). Diplomatische Aktenstîcke, 10 Bde. (bis April 1869; mehr nicht erschienen), Oldenburg/Berlin 1933 – 1939. 1365 Vgl. dazu G. Richter, Wilhelm I. … (s. Anm. 1362), S. 16 f. 1366 „Die Einsamkeit einer englischen Prinzessin am preußischen Hof“ behandelt verstndnisvoll John C. G. Rçhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers. 1859 – 1888, Mînchen 1993, S. 101 – 105. Ergnzend: S. 388 f. (Brief vom November 1879). Das in zwçlfjhriger Arbeit entstandene Werk von Rçhl, dem 2001 ein zweiter Band îber die Zeit von 1888 bis 1900 gefolgt ist, setzt in der Wilhelm-Biographik neue Maßstbe und steckt voller neuer Forschungsergebnisse. 1367 Nach englischen Vorbildern kam es – unter ihrer Mitwirkung – 1876 zur Errichtung des „Kaiserlichen Gesundheitsamtes“. 1368 Frederick Ponsonby (Hg.), Letters of the Empress Frederick, London 1929, S. 25 f.

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land gehende Post geçffnet.1369 Und obendrein erhielt der Erstgeborene der „Englnderin“, der sptere Wilhelm II., 1859 auch noch die Namen Victor und Albert. Als Napoleon III., der fîr nationale Einigungsbewegungen viel Verstndnis aufbrachte, zugunsten der Italiener einen Krieg gegen §sterreich begann, bot Preußen der angegriffenen Großmacht seine „bewaffnete Vermittlung“ an, verstrkte aber andererseits seine Garnisonen am Rhein, um gegen eventuelle Grenzkorrekturen, die in Frankreich von manchen Kreisen immer wieder gefordert wurden, gewappnet zu sein. Gleichzeitig verbreitete sich in ganz Deutschland eine starke antifranzçsische Stimmung, die nach den blutigen Siegen (Magenta, Solferino) und dem relativ rasch erfolgten Kriegsende (Villafranca/Zîrich 11. Juli/10. November 1859) nicht aufhçrte. Sie steigerte sich noch, als Napoleon im Mrz 1860 Nizza und Savoyen zugesprochen erhielt. Daß dieser Erwerb durch eine Volksabstimmung im April besttigt wurde, war ein absolutes Novum in der europischen Geschichte. Nach diesen Erfolgen befîrchtete man in Preußen/Deutschland franzçsische ˜bergriffe am Rhein. Die gegenseitige Verstimmung, die das preußischfranzçsische Verhltnis der Jahre 1859/60 prgte, konnte auch bei den Treffen Napoleons mit Wilhelm am 15. und 17. Juni 1860 whrend der internationalen Fîrstenversammlung in Baden-Baden nicht aus der Welt geschafft werden. Obwohl Napoleon territoriale Absichten am Rhein zurîckwies und sogar das Programm einer „amiti¤ franco-allemande […] autour de la France et de la Prusse“ entwarf, deren politisch-wirtschaftliche Basis „le lib¤ralisme“ und ein „systºme ¤changiste“ sein sollten, blieb das Mißtrauen Wilhelms gegenîber der Politik Frankreichs erhalten.1370 Trotz eines nochmaligen Treffens in Compiºgne im Oktober 18611371 und des im folgenden Jahr abgeschlossenen Handelsvertrages1372 sowie der Bemîhungen des franzçsischen Außenministers Thouvenel um eine entente amicale mit Preußen blieben die franzçsisch-preußischen Beziehungen zu Beginn der 60er Jahre „von Ungewißheit und einem gewissen Mißtrauen geprgt“.1373 1369 Mitgeteilt von Wilhelm Treue, Kaiser Friedrich III., in: Ders., Drei Kaiser … (s. Anm. 1362), S. 76 – 132, hier S. 85. 1370 Eine quellengestîtzte Analyse dieser preußisch-franzçsischen Verstimmung gibt – trotz des mißverstndlichen Titels – Fernand L’Huillier, La crise franco-allemande de 1859 – 1860. Etude historique, in: BullFacLettresStrasbourg, 1955/1. Benutzt wurde der Separatdruck: Straßburg 1955, hier S. 59. 1371 Ein von Wilhelm verfaßter Bericht îber dieses Treffen ist abgedruckt in: Karl Ringhoffer (Hg.), Im Kampfe fîr Preußens Ehre. Aus dem Nachlaß des Grafen Albrecht von Bernstorff und seiner Gemahlin Anna geb. Freiin v. Koenneritz, Berlin 1906, S. 439 – 444. 1372 S. 772 f., S. 834 ff., S. 837 – 846. 1373 R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 87.

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Damit war wenige Jahre nach dem Regierungswechsel eine spîrbare Verhrtung im Verhltnis Preußens zu Frankreich eingetreten. Daran nderte sich auch nichts, als Frankreich auf Empfehlung seines Gesandten de la Tour d’Auvergne im Herbst 1860 ein 1735 errichtetes Palais an einem der schçnsten çffentlichen Pltze Berlins kaufte, in dem der franzçsische Gesandte in Preußen schon seit 1835 residierte: Pariser Platz 5. Von 1879 bis 1883 grîndlich renoviert, wurde das Haus der franzçsischen Botschaft ein Zentrum des gesellschaftlichen Lebens, whrend fîr die britische Botschaft erst 1884 ein prachtvolles Palais (Wilhelmstraße 70) gekauft wurde. Die an jeweils gleicher Stelle von Wilford & Partners und Christian de Portzamparc errichteten Neubauten wurden im Juli 2000 und im Januar 2003 feierlich erçffnet. Die Grundsteinlegung fîr die franzçsische Botschaft (10. Juli 1998) hatte der Außenminister V¤drine vorgenommen. Zwei Ereignisse trugen Anfang der 60er Jahre zur politischen und geistigen Abkoppelung Preußens von Westeuropa bei. Beide enttuschten erstens die Erwartungen und Wînsche, die von den liberalen Kreisen an den Beginn der „Neuen øra“ unter Wilhelm geknîpft worden waren; zweitens sorgten sie durch den konservativ-reaktionren Ruck, der durch Preußen ging, fîr eine weitere Entfremdung des Hohenzollernstaates von den moderneren politischen Vorstellungen Westeuropas. Sowohl die Kçnigskrçnung Wilhelms (1861) als auch die Berufung Bismarcks (1862) vernderten das innenpolitische Klima Preußens innerhalb eines knappen Jahres grundlegend, wurden aber auch von den westeuropischen Mchten mit einiger Skepsis betrachtet. b) Die Krçnung Wilhelms I. (1861) und Westeuropa Noch whrend Bismarck in Petersburg war, mußte er eine Dienstreise nach Kçnigsberg unternehmen, um der bombastischen Krçnungszeremonie beizuwohnen, mit der Wilhelm nach dem Tode seines Bruders (2. Januar 1861) seine Regierung offiziell erçffnete.1374 Er wollte das Band zwischen Krone und Volk festigen, doch durch die starke Betonung des Gottesgnadentums verschreckte er die Liberalen, deren Hoffnungen einen herben Dmpfer erhielten.1375 Die Krçnung hatte aber auch eine außenpolitische Signalwirkung: Sie war – ein Jahrzehnt nach der „Schmach von Olmîtz“ – als „erste große Demonstration 1374 Es ist erstaunlich, daß diese europaweit beachtete Zeremonie weder im HohenzJb noch in neueren Publikationen bis heute eine wissenschaftliche Wîrdigung erfahren hat, obwohl die Quellenlage nicht so schlecht zu sein scheint. Der Katalogband zur Ausstellung des GStAPK (s. Anm. 424) bietet zwar manche Detailinformationen, enthlt aber keine begleitenden Aufstze. Die ausfîhrlichsten Schilderungen des Ereignisses stammen von der preußischen Kronprinzessin (Brief in Englisch) und von ihrem Mann (Tagebuch). 1375 H. Schulze, Preußen … (s. Anm. 1323), S. 326 f.

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preußischen Selbstbewußtseins“ gedacht,1376 erzielte aber aus mehreren Grînden nicht den gewînschten Effekt. Die westeuropische Prsenz war beeindruckend. „Half Europe is here“, schrieb Victoria an die Queen aus Kçnigsberg.1377 Daß sich Wilhelm bei der etwas unzeitgemßen Inszenierung der Krçnung, „die in der konstitutionellen und protestantischen Welt des preußischen Staates im 19. Jahrhundert immerhin fremdartig genug wirkte“,1378 sehr dezidiert auf das Gottesgnadentum berief, hat sicher auch die drei „außerordentlichen Krçnungsbotschafter“ merkwîrdig berîhrt, die aus Westeuropa nach Berlin gekommen waren, aber zusammen mit den akkreditierten Gesandten der anderen Lnder nach Kçnigsberg beordert wurden.1379 Der strapaziçsen Bahnreise (îber 15 Stunden in einem Sonderzug, 15. Oktober) folgte am nchsten Tag die feierliche „Auffahrt“ aller Diplomaten.1380 Die eigentliche Krçnungszeremonie, fîr die Meyerbeer einen Krçnungsmarsch komponiert hatte, fand am 18. Oktober 1861 in der Schloßkirche zu Kçnigsberg statt. Am gleichen Tag wurde den drei westeuropischen Krçnungsbotschaftern der Schwarze Adlerorden verliehen.1381 Der Ablauf der Krçnung orientierte sich weitgehend an der von 1701;1382 allerdings gab es den Unterschied, „daß die erste Krçnung ganz im Geiste der Zeit gelegen hatte und die zweite gegen ihn war.“1383 Daß Kçnigsberg und seine Einwohner angesichts der zahlreichen Hofleute und Diplomaten plçtzlich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses standen, ist verstndlich, allerdings wurde die Stadt durch Versorgungs- und Unterbringungsprobleme „bis an die Grenzen ihrer Leistungsfhigkeit beansprucht“.1384 Das scheint glaubhaft: „We have all got our servants and carriages and horses here – every day – 300 footmen in livery – together with other servants in livery make 400.“ Dazu

1376 Diese Bezeichnung stammt von F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 553. 1377 F. Ponsonby, Letters … (s. Anm. 1368), S. 32. Die (gekîrzte) Schilderung (S. 31 f.) wird durch einige Mitteilungen îber einen Brief Clarendons ergnzt (S. 33 f.). 1378 Walter Bussmann, Das Zeitalter Bismarcks (= Otto Brandt / Arnold Oskar Meyer / Leo Just [Hg.], Handbuch der Deutschen Geschichte, 3/II), Frankfurt am Main 41968, S. 58. 1379 Zu den Krçnungsbotschaftern aus Westeuropa kam noch der aus Italien, whrend der Kçnig von Schweden und Norwegen einen außerordentlichen Krçnungsgesandten geschickt hatte. 1380 Tagebuch-Eintragung des Kronprinzen (17.10.): „Auffahrt und Audienzen der Krçnungsbotschafter und Gesandten bei uns fast drei Stunden hindurch.“ 1381 I. Gundermann (Bearb.), Via regia … (s. Anm. 424), S. 120, S. 142, S. 134. 1382 Es ist charakteristisch, daß es bei der Ausstellung des GStAPK von 1998 zum Krçnungsthema (s. Anm. 1374) nur um die Krçnungen von 1701 und 1861 ging. 1383 ˜ber die Krçnung aus stadthistorischer Sicht vgl. F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 552 – 555, das Zitat: S. 552 f. 1384 I. Gundermann (Bearb.), Via Regia … (s. Anm. 424), S. 124.

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kamen „all the standards and colours of the whole army“ und „all the Colonels“. Ein Verkehrschaos in Kçnigsberg scheint die Folge gewesen zu sein. Lord Clarendon, der persçnliche Vertreter der Kçnigin Viktoria, hatte anderthalbtausend Kilometer zurîckgelegt und berichtete nach London, daß der Kçnig „keine Ahnung von den Pflichten eines konstitutionellen Monarchen“ habe und im îbrigen „keinen einzigen Staatsmann“ besitze.1385 Der Franzosenkaiser hatte den Marschall Mac Mahon entsandt, den Sieger von Magenta und Solferino,1386 whrend aus Westeuropa noch „Prince Frederick of the Netherlands“,1387 der spanische Sonderbotschafter und Dom Joao aus Portugal, der ebenfalls mit dem Schwarzen Adlerorden ausgezeichnet wurde, gekommen waren. Dem Gewicht des Ereignisses entsprach die Medienprsenz: Neben den zahlreichen deutschen Zeitungen berichteten auch englische, franzçsische und belgische Bltter aus Kçnigsberg. Unter den vielen Zeichnern, Malern und Photographen befand sich der englische Maler G. A. Thomas, der im speziellen Auftrag der Queen zu den Krçnungsfeierlichkeiten gereist war. Auf dessen Arbeiten wies Kçnig Wilhelm ausdrîcklich hin, als er den Entwurf zum Krçnungsgemlde von Adolph Menzel zu sehen bekam1388 – englisch-preußischer Kulturtransfer der ganz besonderen Art. Dank der Eisenbahn konnten sich schon ab dem 22. Oktober mehrtgige Feierlichkeiten in Berlin und Potsdam anschließen. Aus westeuropischer Perspektive ist zweierlei bemerkenswert: Anders als in Kçnigsberg, wo Meyerbeer krankheitshalber nicht selbst dirigieren konnte, leitete der in Paris lebende Musiker (dortige Premiere der „Afrikanerin“ 1865) in Berlin am 24. Oktober ein Galakonzert im Schloß;1389 einen Tag spter gab Kçnig Wilhelm im Weißen Saal einen großen Ball. Nach einem Ballfest des franzçsischen Krçnungsbotschafters (29. Oktober) endeten die Krçnungsfeiern mit einem Diner des Kçnigspaares in seinem Palais Unter den Linden zu Ehren der Diplomaten am 31. Oktober.1390

1385 Zitiert von A. Palmer, Diplomatie … (s. Anm. 1159), S. 218. 1386 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 553. 1387 Der auch von Friedrich Wilhelm erwhnte „Fritz von Oranien“ war ein Onkel des in den Niederlanden regierenden Wilhelm III. und Enkel der preußischen Prinzessin Wilhelmine. 1388 I. Gundermann (Bearb.), Via regia … (s. Anm. 424), S. 170. 1389 Ebd., S. 156. 1390 Bernd Fischer / Anja Knott / Enrico Seewald (Hg.), Zwischen Wilhelmstrasse und Bellevue. 500 Jahre Diplomatie in Berlin, Berlin 1998, S. 55.

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c) Verfassungskonflikt, Abdankungsdebatte und die Berufung Bismarcks: Der konservative Ruck und die Abkehr von den politischen Traditionen Westeuropas Nach seinen Petersburger Jahren wurde Bismarck im Mai 1862 als preußischer Gesandter nach Paris geschickt. Obwohl – oder weil – alle Welt darin nur eine ˜bergangslçsung sah, nutzte er die wenigen Monate aus. Nach seiner Antrittsaudienz (1. Juni) traf er noch zweimal mit Napoleon III., den er seit 1855 kannte, zusammen. Dessen Erklrung, „daß Preußen und Frankreich so viele gemeinsame Interessen haben, daß darin die Grundlagen fîr eine enge und dauerhafte Verbindung zu finden sind“, traf sich mit Bismarcks Wunsch, zu Frankreich gute Beziehungen zu unterhalten.1391 Als Bismarck Anfang Juli die Londoner Weltausstellung besuchte, profitierte er von der sechstgigen Englandreise, um Gesprche mit Premierminister Palmerston, dem Außenminister Russell und dem Oppositionsfîhrer Disraeli zu fîhren, der danach gesagt haben soll: „Take care of that man! He means what he says.“ Wie schon in frîheren Epochen zeigten die englischen Politiker, die vorwiegend in den Dimensionen des Empire dachten, wenig Interesse an den innerpreußischen Problemen (Bismarck: „îber Preußen wissen die englischen Minister weniger wie îber Japan und die Mongolei.“).1392 Dementsprechend verliefen die englisch-preußischen Beziehungen ohne große Aufregungen. In die europischen Belange griffen die Englnder meist nur dann ein, wenn sie das kontinentale Gleichgewicht gefhrdet glaubten. Eine ltere Dissertation, fîr die aber keine Archivalien ausgewertet wurden, spricht ebenfalls davon, daß die Englnder „gewiß keine besonders große Kenntnis von den Dingen auf dem europischen Kontinent“ gehabt haben sollen und daß ihr hçchstes außenpolitisches Ziel die „Erhaltung des europischen Friedens“ gewesen sei. Auch wegen der guten Beziehungen zu Frankreich habe England nach 1866 versucht, Preußen zu einem behutsamen Vorgehen in der Deutschen Frage zu veranlassen.1393 Die folgende Einschtzung, die fîr 1863 getroffen wurde, gilt im Grunde, etwas vereinfacht, fîr die 60er Jahre insgesamt: „Die Queen und ihr Ministerium waren einig darin, sich nicht in einen Krieg mit Preußen verwickeln zu lassen.“1394 Im ganzen hat sich die britische Regierung mit der deut-

1391 Zu den Gesprchen mit Napoleon III. vgl. L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 226 – 228. 1392 Ebd., S. 228 – 231, das Zitat: S. 230. In einem gleichzeitigen Brief an Roon (5. 7. 1862) nannte er stattdessen „China und die Tîrkei“. – Etwas knapper behandelt diese westeuropischen Kontakte Bismarcks E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 518 f. 1393 Elfriede Polenz, Preußen und England in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, phil. Diss. Kçln 1939. Die Zitate: S. 7 und S. 92. 1394 W. Bussmann, Zeitalter … (s. Anm. 1378), S. 72.

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Tabelle 21: Militrpersonalstrke der westeuropischen Großmchte und Preußens (in 1.000 Mann) Jahr

Großbritannien

1830 277 1840 310 1850 201 1860 347 (nach dem Beginn der Heeresreform): 1865 296 1870 257

Frankreich

Preußen

314 376 439 608

165 122 131 201

479 452

216 319

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 68. Obwohl nicht allein die Anzahl der Soldaten îber die Schlagkraft einer Armee entscheidet, liefern die Angaben ein recht anschauliches Bild.

schen Einheit, wie sie von Bismarck geschmiedet wurde, „mit bemerkenswertem Gleichmut abgefunden“.1395 Nach seinem Englandbesuch trat Bismarck eine lngere Reise durch das mittlere und sîdliche Frankreich und Nordspanien an – in stndigem brieflichen Kontakt mit Roon, der ihn îber die sich zuspitzende Situation in Berlin auf dem Laufenden hielt. ˜ber Blois, Bordeaux, Bayonne und San Sebastian kam er nach Biarritz, wo er fast den ganzen August blieb. Nach einem PyrenenAusflug ging es îber Toulouse, Montpellier und Lyon nach Paris zurîck, wo er das berîhmte Telegramm vom 18. September („Periculum in mora. Depechezvous!“) erhielt, das ihn eilends nach Berlin rief.1396 Warum mußte er die westeuropische Metropole so schnell verlassen? Die Teilmobilmachung im Frîhjahr 1859 hatte den preußischen Militrs erneut vor Augen gefîhrt, daß eine Heeresreform zur zahlenmßigen Verstrkung der Armee unvermeidlich sei, hatte doch der Bestand an Militrpersonal im Vergleich zu Großbritannien und Frankreich seit einigen Jahrzehnten deutlich abgenommen (Tabelle 21). Whrend Friedrich Wilhelm IV. diesen Fragen keine hohe Prioritt zugemessen hatte, war sein Nachfolger Wilhelm I. ganz anderer Meinung. Er hielt eine Verstrkung und eine Neuorganisation des preußischen Heeres fîr un1395 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 244. 1396 Vgl. E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 519 – 524. Eine knappe Darstellung der Berufung Bismarcks bei H. Schulze, Preußen … (s. Anm. 1323), S. 331 – 333. Ergnzendes findet sich in Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“. Die Bemerkung Galls zur Schilderung der Vorgeschichte seiner Berufung (S. 240: „[…] in Wahrheit stimmt daran fast nichts“) gilt im Grunde fîr das gesamte Werk (Gooch: „Jede Tatsachenfeststellung muß verifiziert, jedes Urteil îber Menschen und Ereignisse îberprîft werden,“ zitiert von Josef Becker, Otto von Bismarck: „Gedanken und Erinnerungen“, in: Hans Vilmar Geppert [Hg.], Große Werke der Literatur, 6, Tîbingen 1999, S. 117 – 134, hier S. 123).

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umgnglich. Weil das mit erheblichen Kosten verbunden war, wurde die Heeresreform zu der Frage, „an der es zu einer Scheidung zwischen dem alten Preußen und der noch jungen Volksvertretung dieses Staates kam“.1397 Der sich aus dem Heereskonflikt (Kernfrage: zwei- oder dreijhrige Dienstzeit, an der Wilhelm hartnckig festhielt) entwickelnde Verfassungskonflikt zog sich wochenlang hin; nach einem langen Gesprch mit den frîheren Ministern Patow und Schwerin notierte der Kronprinz in seinem Tagebuch, daß beide, „wie îberhaupt jeder von den gemßigt-vernînftigen Liberalen“ die gegenwrtige Lage als „sehr, sehr ernst, wenn nicht schon bedenklich“ anshen. Whrend Friedrich Wilhelm eine Verhandlungslçsung befîrwortete, pldierte die Militrpartei fîr Hrte, da das gegenwrtige Abgeordnetenhaus „nichts als Demokratengesindel sei“ und die einzigen Stîtzen der Krone „Herrenhaus und Armee“ seien; „Nachgeben fîhre zum Sturz alles Bestehenden.“1398 Gegenîber diesen radikal-konservativen Einschtzungen hatte sich Friedrich Wilhelm einige Tage vorher in seinem Tagebuch fîr ein flexibles Vorgehen ausgesprochen, „weil am Ende das Abgeordnetenhaus einer der Regierungsfaktoren ist und ein Recht auf Bewilligung hat“.1399 – Welten lagen zwischen den beiden Auffassungen. Obwohl in Preußen die letzte Entscheidung allein beim Kçnig lag, waren die unterschiedlichen Vorstellungen von Kçnig und Kronprinz von fundamentaler Bedeutung, weil sie – ohne Wissen der Beteiligten – îber den kînftigen Weg Preußens entschieden. Zwei Mçglichkeiten hatte Wilhelm, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen. In beiden Fllen prjudizierte die kçnigliche Entscheidung eine Weichenstellung, die nicht nur die preußische Geschichte betraf, sondern auch fîr die preußisch-westeuropischen Beziehungen, ja sogar fîr die Weltgeschichte der kommenden Jahrzehnte bedeutsam wurde. Wilhelm stand – etwas zugespitzt formuliert – vor der Wahl „zwischen dem Europa der Menschenrechte und dem Europa der alten Ordnung“1400 oder, einfacher ausgedrîckt, vor der Wahl zwischen Rîcktritt und Verfassungsbruch. 1397 W. Bussmann, Zeitalter … (s. Anm. 1378), S. 58. 1398 Heinrich Otto Meisner (Hg.), Kaiser Friedrich III. Tagebîcher von 1848 – 1866, Leipzig 1929, S. 159 (14.9.) und S. 161 (20.9.): Die scharfen øußerungen stammen von Alvensleben. 1399 Ebd., S. 157 (1.9.). Gemeint ist das dem Abgeordnetenhaus verfassungsgemß zustehende Recht auf Steuerbewilligung. 1400 Diese einprgsame Formulierung findet sich bei Rudolf von Thadden, Preußen und Europa vor der Reichsgrîndung, in: Henning Kçhler (Hg.), Deutschland und der Westen (= Studien zur europischen Geschichte, 15), Berlin 1984, S. 22 – 33, hier S. 33. Eine kritisch-abgewogene Einschtzung der Situation gibt auch die fîr ein breiteres Publikum geschriebene Darstellung von Wolfgang Ribbe / Hansjîrgen Rosenbauer (Hg.), Preußen. Chronik eines deutschen Staates (= Begleitbuch zur gleichnamigen Fernsehreihe), Berlin 22001, S. 180 f.

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Die Alternative von 1862 war keine Chimre, sondern stellte eine echte politische Chance dar. In Anbetracht aller Umstnde erschien sie plausibel und realisierbar, obwohl sie von der Bismarck-Forschung, wie es scheint, kaum als wirkliche Gelegenheit einer Kursnderung angesehen wird.1401 Als erster hat wohl der linksliberale und bismarckkritische Johannes Ziekursch, dessen Stimme sich wohltuend vom Kreis der Bismarck-Bejubler abhebt, mitten im Ersten Weltkrieg darauf hingewiesen, daß Friedrich Wilhelm, als er seinem Vater 1862 die Abdankung ausredete, den ˜bergang Preußen-Deutschlands zu einem „unitarisch geeinten, parlamentarisch regierten Bourgeoisstaat nach westeuropischem Muster“ verhindert und Bismarck die Gelegenheit zur Rettung des altpreußischen Militr- und Beamtenstaats verschafft habe.1402 Daß im Jahre 2000 eine Ziekursch-Formulierung zum Ausgangspunkt einer die Argumente abwgenden Diskussion gemacht wird, zeigt, daß man sich bei der 1862 erkennbaren Alternative keineswegs im wissenschaftlichen Abseits bewegt.1403 Spter haben sich insbesondere Werner Richter und – etwas abgeschwcht – Franz Herre in ihren Friedrich-III.-Biographien (1938, 1988) fîr diese These ausgesprochen, die neuerdings von John Rçhl aufgegriffen wurde, der – als englischer Historiker – die mit Abstand beste Biographie îber den letzten Preußenkçnig geschrieben hat.1404

1401 Etwa von L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 242 f. Andere Positionen vertreten dagegen – zwar nicht so dezidiert, aber sehr ausgewogen – Franz Herre, Kaiser Wilhelm I. Der letzte Preuße, Kçln 1980, S. 302 – 309, sowie E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 524 – 528. Diese vielleicht umstrittenste Frage der Bismarck-Forschung kann im Rahmen dieses Beitrages nur im Hinblick auf die preußisch-westeuropischen Beziehungen angesprochen werden. 1402 ˜ber die von Ziekursch 1915 in seinem Jubilumsvortrag „Die Hohenzollern und ihr Volk“ entwickelte These berichtet ausfîhrlich Karl-Georg Faber, Johannes Ziekursch, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Deutsche Historiker, 3 (= Kleine VandenhoeckReihe, 343 – 345), Gçttingen 1972, S. 109 – 123, hier S. 114 f. (dort auch das Zitat). Die sptere Begrîndung des Autors, daß seit Friedrich II. die „Schaffensfreude … in der Dynastie erloschen“ war (Johannes Ziekursch, Politische Geschichte des Neuen Deutschen Kaiserreiches, 1: Die Reichsgrîndung, Frankfurt am Main 1925, S. 71), ist allerdings nicht sehr îberzeugend. 1403 Hans-Christof Kraus, Friedrich III. (12. Mrz 1888 – 18. Juni 1888), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 4), S. 265 – 289, hier S. 272 f. 1404 Werner Richter, Friedrich III. Leben und Tragik des zweiten Hohenzollern-Kaisers, Mînchen 1938, ND (mit einem vorzîglichen, den derzeitigen Forschungsstand zusammenfassenden Nachwort von Rîdiger vom Bruch) Mînchen 21981; Franz Herre, Kaiser Friedrich III. Deutschlands liberale Hoffnung. Eine Biographie, Stuttgart 1988; J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366); die scharfe Kritik von Kroll („einseitig aburteilend“) wird der um Grîndlichkeit und Objektivitt bemîhten Biographie nicht gerecht (Frank-Lothar Kroll, Wilhelm II. [1888 – 1918], in: Ders., Preußens Herrscher … [s. Anm. 4], S. 290 – 310 und S. 338 – 340, hier S. 339).

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Nachdem der Autor, den wohl der weltweite Horizont des Englnders vor einem zu engen Blickwinkel auf die Person des Reichsgrînders bewahrt, die zahlreichen øußerungen gegen den „politischen Aventurier“ Bismarck zusammengestellt hat, fîhrt er fort: „Jedem war klar, daß die kînftige Entwicklung Preußens und Deutschlands von dieser Entscheidung abhing. […] Wir haben es hier mit einem jener schwerwiegenden Momente zu tun, in denen die Geschichte den Atem anhlt, ehe sie das Schicksal kînftiger Generationen preisgibt.“1405 Treffender kann die Situation kaum beschrieben werden. In der Tat hatte sich die Debatte um die Heeresreform so zugespitzt, daß der Kçnig ernsthaft an Rîcktritt und die ˜bernahme der Regierung durch den Kronprinzen Friedrich Wilhelm dachte.1406 In dieser Situation, sah Roon „in Bismarck die letzte Rettung vor der Machtîbernahme durch die Liberalen unter dem ihnen mehr oder weniger offen zuneigenden Thronfolger“1407 und schickte ihm das erwhnte periculum-Telegramm (18. September). Die von Roon apostrophierte Gefahr bestand in dem eventuellen Thronwechsel. Bei dem Gesprch, das Kçnig und Kronprinz am 19. September fîhrten, htte ein Wort der Zustimmung genîgt, „und Wilhelm I. wre nach nur zweijhriger Regierung ohne ein Wort der Klage aus der preußischen Geschichte verschwunden“. Eine Regierungsîbernahme durch den 31 Jahre alten Englandfreund, der liberalen und konstitutionellen Ideen aufgeschlossen gegenîberstand, htte die Mçglichkeit erçffnet, „einen auf Vernunft und Vertragstreue begrîndeten mchtigen Verfassungsstaat inmitten Europas aufzubauen“ – mit dem die kînftige europische Geschichte anders (und sicher besser) verlaufen wre.1408 Aber der Sohn wollte sich aus mehreren Grînden nicht gegen den Vater stellen; „das bedenkenlose Zugreifen des Erfolgspolitikers war dem Prinzen nicht gegeben“ – er ahnte nicht, „daß er fîr diesen Entschluß mit sinnloser Vergeudung des Vierteljahrhunderts bezahlen mußte, das sein Leben danach noch umfaßte.“1409

1405 Einen „politischen Aventurier“ hatte ihn die preußische Kçnigin genannt. Das Zitat: J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 111. 1406 Erst 1888 verzichtete er auf den zweiten Namensteil. Zur Rîcktrittsfrage vgl. Wilhelm Treue, Wollte Kçnig Wilhelm I. 1862 zurîcktreten?, in: ForschBrandPrG 51 (1939), S. 275 – 310. 1407 So L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 241. 1408 Die Zitate: W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), S. 75 und S. 74. Die Gegenargumente Galls („skulare Weichenstellung“ damals kaum erkennbar; Thronîbernahme htte Friedrich Wilhelm „in vielerlei Hinsicht in eine eher mißliche Lage gebracht“) sind nach meiner Auffassung nicht zwingend (ebd., S. 243). 1409 Vgl. dazu W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), Kapitel VII („Beinahe Kçnig“), besonders S. 74 – 76.

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øhnlich kommentierte Egmont Zechlin die klare Ablehnung Friedrich Wilhelms, nach der Krone zu greifen: „Htte er geahnt, daß er noch 26 Jahre warten mußte, um sie dann als Todkranker nur wenige Monate halten zu kçnnen, wîrde er sich vielleicht besonnen haben.“1410 Auch die jîngste biographische Skizze kommt – bei aller Ausgewogenheit der Darstellung – zu dem Schluß: „Der preußische Hamlet hatte, ohne es zu wissen, die Chance seines Lebens verpaßt.“1411 Daß Wilhelm trotz der Absage des Sohnes unschlîssig blieb, beunruhigte die Militrpartei. Um eine in ihren Augen falsche Entscheidung zu vermeiden, mußte sie, die auf die Hrte des heimlich herbeigerufenen Bismarck setzte,1412 alles versuchen, den Kçnig von der geplanten Demission abzubringen, damit der konstitutionsfreundliche und anglophile Kronprinz mit seiner englischen Frau nicht an die Regierung kam. Hauptinhalt des an Wilhelm gerichteten Memorandums der Regierung, das an zweiter Stelle Roon unterschrieben hatte, war die eindringliche Bitte, auf keinen Fall zurîckzutreten.1413 Es ist kein Zufall, daß Otto Pflanze diesen Teil seiner Darstellung unter den Titel „Deutschland am Kreuzweg“ gestellt hat.1414 „Als der Triumph des Parlaments îber die Militrkamarilla unmittelbar bevorzustehen schien […] [und] die Krise des alten Regimes in Preußen ihren Hçhepunkt erreichte“, geriet, so beurteilt auch Hans-Ulrich Wehler die Situation, „mit einem kînftig liberal regierten und dominierten Preußen ein skularer Wendepunkt in der modernen deutschen Geschichte in unmittelbare Sichtweite“. Als „Dompteur“ dieser „fundamentalen Krise Preußens“ kam nach Meinung der Militrpartei nur Bismarck in Frage.1415 Die damit eng zusammenhngende Abwendung Preußens von den westeuropischen Traditionen verfestigte sich im Laufe der kommenden Jahre und îbertrug sich nach der Reichsgrîndung auf Deutschland, das Jahrzehnte brauchte, um diesen Irrweg 1410 Egmont Zechlin, Bismarck und die Grundlegung der deutschen Großmacht, Darmstadt 21960, S. 302. 1411 H.-C. Kraus, Friedrich … (s. Anm. 1403), S. 289. 1412 Whrend E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 524, „die Militrpartei um den Kriegsminister Roon“, der Bismarck zweimal telegrafisch herbeirief, als treibende Kraft ansieht, betont L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 241, daß „in Wahrheit die Initiative fast vçllig bei ihm selber (= Bismarck) lag“. Der ˜bertçlpelte war in jedem Fall der Kçnig. Die Auffassung von W. Treue, Wilhelm … (s. Anm. 1406), S. 281, daß Wilhelm „trotz aller inneren Hemmungen die Berufung Bismacks von langer Hand plante und vorbereitete“, wahrscheinlich seit Mai, hat sich nicht durchsetzen kçnnen. 1413 H. O. Meisner (Hg.), Tagebîcher … (s. Anm. 1398), Nr. 6a, S. 494 – 497: Immediatbericht vom 21.9.1862. 1414 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 988), S. 169 – 181. 1415 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. 1849 – 1914, Mînchen 1995, S. 260 – 264, die Zitate: S. 264.

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wieder zu verlassen.1416 Daß nicht wenige Zeitgenossen schon 1862 eine solche Entwicklung befîrchteten, spricht fîr ein gutes politisches Urteilsvermçgen. Whrend Wilhelm îber das ministerielle Dokument, dessen Argumentation nicht ungeschickt war, noch nachdachte und schon vermutete, „daß mich die Minister nicht verlassen wîrden“, „da kam ganz zufllig der Gesandte in Paris v. Bismarck nach Berlin, um seine Familie nach Paris abzuholen.“ Da dieser die Ansichten Wilhelms „îber die festen und energischen Schritte, die dem Abgeordnetenhause gegenîber zu ergreifen seien“ teilte und auch vor der „Inaussichtnahme eines budgetlosen Zustands“ nicht zurîckschreckte, wurde er fîr ihn „ein Vertrauensmann“. Wilhelm Treue hat gezeigt, daß fîr den Kçnig „die einzige Lçsungsmçglichkeit ohne Abdankung […] ein Regiment ohne Budget“ war: „Ich werde bis ans øußerste gehen, ehe ich diesen Schritt (= Abdankung) tue, dessen ungeheure Port¤e ich vçllig und vollstndig erkenne und auch die ungeheure schwere Stellung fîr Fritz (= Kronprinz) nicht einen Augenblick verkenne.“ Wie auch Egmont Zechlin in seiner Kritik beilufig einrumt („In vereinzelten øußerungen…“),1417 vertrat auch Wilhelm Treue die Auffassung, daß der Kçnig nur „bedingt“, keineswegs aber „fest“ zum Rîcktritt entschlossen war: Abdankung nur, wenn kein Minister zu einem budgetlosen Regime bereit war. Zweifellos erleichterte es die Entscheidung Wilhelms, daß er dem Regierungsprogramm seines Sohnes skeptisch gegenîberstand, „weil dann kam, was er jetzt zu vermeiden suchte“1418 – sah er doch noch in hohem Alter im Kronprinzen „den Bannertrger eines parlamentarischen Systems“.1419 Nach dem Versprechen Bismarcks, auch ohne Budget zu regieren, konnte Wilhelm guten Gewissens auf die Abdankung verzichten.1420 Daß der Kçnig von der Anwesenheit Bismarcks in Berlin îberrascht wurde, wird durch ein Gesprch mit dem Kriegsminister besttigt:1421 Als Roon den Kçnig drngte, als einzigen Retter aus der verzweifelten Lage Bismarck zu berufen, wandte Wilhelm ein, daß dieser ja nicht da sei und „mit ihm nichts besprochen werden“ kçnne. Die Antwort Roons: „Er ist hier, er wird Ew. Majestt Ruf bereitwillig folgen“ zeigt die ˜bertçlpelung des Kçnigs durch die Militrpartei mehr als deutlich. Die Feststellung Roons fîhrte das von diesem 1416 Vgl. zu dieser Thematik Johann Baptist Mîller, Deutschland. Eine westliche Nation. Konzeption und Kontroversen, Goldbach 1993, folgendes Zitat: Nachweis in Anm. 1421. 1417 E. Zechlin, Bismarck … (s. Anm. 1410), S. 627 – 629, setzt sich ausfîhrlich mit W. Treue auseinander. Das Zitat: S. 627. 1418 Die Zitate bei W. Treue, Wilhelm … (s. Anm. 1406), S. 294 f. 1419 G. Richter, Wilhelm … (s. Anm. 1362), S. 74. 1420 Undatierte Marginalnotiz Wilhelms zum Bericht vom 21.9. (H. O. Meisner [Hg.], Tagebîcher … [s. Anm. 1398], Nr. 6b, S. 497 f.). 1421 Mitgeteilt von F. Herre, Wilhelm … (s. Anm. 1401), S. 307.

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ersehnte Gesprch herbei, in dessen Verlauf die entscheidende Weichenstellung erfolgte. Den Inhalt dieses Gesprchs, das an dem welthistorisch gewordenen Tag des 22. September 1862 stattfand, kennen wir nur aus Bismarcks Memoirenwerk. Whrend fîr Wilhelm Treue und Lothar Gall vieles dafîr spricht, daß er die Unterredung „in den Grundzîgen“ beziehungsweise „im Kern“ richtig wiedergegeben hat, nennt Gînter Richter die Darstellung „mehr literarisch als dokumentarisch“.1422 Letztlich erkannte der Kçnig die politische ˜berlegenheit seines „Vasallen“ an und reagierte so, wie er in den folgenden 26 Jahren fast immer reagierte: aus Einsicht in die ihm von Bismarck eingeredete Notwendigkeit; er brauchte einen loyalen Helfer im bevorstehenden Kampf gegen die parlamentarische Opposition. Nach dem Gesprch war die Gefahr einer Abdankung und damit der drohenden Thronbesteigung des Kronprinzen vorîber. Aber es war noch mehr geschehen: „Bismarcks Ernennung ist die denkbar deutlichste Demonstration der autoritren Macht der Hohenzollernmonarchie. Bismarck gelangte in seine Stellung durch die persçnliche Entscheidung des Kçnigs und sollte diese […] jahrzehntelang behalten, weil es dem Kçnig so gefiel.“1423 Gar nicht gefiel diese Entscheidung der vom Kronprinzenpaar angefîhrten englisch-coburgischen Partei, die auf eine Parlamentarisierung Preußens gehofft hatte.1424 Sie darf man im grundstzlichen Einverstndnis mit der Queen vermuten (17. September: „[…] the king should abdicate“).1425 Insofern hatte die Entscheidung von 1862 auch eine außenpolitische Komponente, weil sich die englischen Vorstellungen îber eine kînftige Zusammenarbeit mit einem liberalisierten Preußen durch den Sieg von Wilhelm und Bismarck als illusorisch erwiesen. Es war ein Pyrrhussieg,1426 weil er die Tîr zu den freiheitlich-liberal-parlamentarischen Traditionen Westeuropas versperrte. 1862 kam es erstmals zu der besonderen Form politischer Zusammenarbeit zwischen Wilhelm und Bismarck, in der es der Minister immer wieder erreichte, den Kçnig zu bestimmten Dingen, die er fîr richtig hielt, zu îberreden. Bis1422 L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 244 f.; G. Richter, Wilhelm … (s. Anm. 1362), S. 50 – 52. 1423 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 180. 1424 Zur englisch-coburgischen Partei gehçrten Herzog Ernst von Coburg, die Queen, Kçnigin Augusta (= Wilhelms Gattin), das Kronprinzenpaar („Fritz“ und „Vicky“), die Kçniginmutter Maria Paulowna und Alexandrine (= Schwester Wilhelms). „Sie alle waren (1866) von Bismarcks Wahn und der Unvermeidlichkeit seines Sturzes îberzeugt“(ebd., S. 298). Dazu kamen noch andere Bismarck-Gegner wie Goltz, Bernstorff, Schleinitz und Gruner. 1425 Mitgeteilt von W. Treue, Wilhelm … (s. Anm. 1406), S. 294 f. 1426 Diesen Begriff benutzt – mit dem Blick auf 1866 – Frank-Lothar Kroll, Stufen und Wandlungen der Fîrstenherrschaft in Brandenburg-Preußen, in: Ders. (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 4), S. 9 – 25, hier S. 23.

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marck verstand es von Anfang an, Wilhelm als unersetzlich zu erscheinen. Otto Pflanze charakterisierte diese fîr Preußens Zukunft verhngnisvolle Allianz mit Bismarck wie folgt: Wilhelm „hatte sich daran gewçhnt, sich dessen Willen zu beugen. Es war, als bestînde zwischen den beiden ein stillschweigendes Einverstndnis darîber, daß, wenn es Bismarck gelang, einen Schritt als unvermeidlich erscheinen zu lassen, Wilhelm diesen Schritt tun wîrde, widerwillig und sogar verrgert, aber nichtsdestoweniger dazu bereit.“1427 Bismarck behandelte seinen Kçnig und spteren Kaiser, so Winfried Baumgart,1428 „wie sein Werkzeug, indem er ihn bei tiefgreifenden politischen Meinungsverschiedenheiten immer wieder durch Stellen der Kabinettsfrage erpreßte“ – Rîcktrittsdrohung nach oben und Verweis auf die kçnigliche Entscheidung nach unten waren die Mittel, mit denen Bismarck die von ihm fîr richtig gehaltene Politik seit 1862 durchsetzte. Aus der Interessengemeinschaft Wilhelm und Bismarck wurde ein „Erfolgsduo“, in das der eine Entschlußkraft, Einfallsreichtum und politische Erpressung einbrachte, whrend der Monarch bereit war, sich unterzuordnen, den vorgeschlagenen Unternehmungen zu vertrauen und an einmal gefaßten Entschlîssen eisern festhielt.1429 Kronprinz und Regierung hatten unterschiedliche Motive, dem Kçnig die Abdankung auszureden. Der Gruppe um Roon ging es vor allem darum, den Weg Preußens in eine konstitutionelle Monarchie moderner Prgung, vielleicht englisch orientiert, zu verhindern – fîr dieses Ziel war man sogar bereit, den Kçnig in eine Falle laufen zu lassen, denn von Zuflligkeit konnte beim Auftauchen Bismarcks keine Rede sein. Er war der Kandidat der militrischen Elite der mchtigen Armee und wurde am 22. September 1862 zum Ministerprsidenten und wenig spter zum Außenminister Preußens (8. Oktober) ernannt.1430 Wilhelm tat dies vielen warnenden Stimmen zum Trotz und – zumindest teilweise – „seinen innersten Instinkten entgegen“. Mit der „Lîckentheorie“, der „Eisen-und-Blut“-Rede (30. September) und einem klaren Verfassungsbruch zeigte der neue Mann bald allen Beobachtern, wie das „System Bismarck“ funktionierte. Daß es Roon nach vielen vergeblichen Versuchen gelungen war, dem Kçnig den stockkonservativen, antikonstitutionellen, machthungrigen und standesbe1427 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 506. 1428 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 252. Lesenswert ist die erfrischende Gesamtbeurteilung Bismarcks ebd., S. 251 – 258. 1429 Eine knappe Charakteristik bei Jîrgen Angelow, Wilhelm I. (1861 – 1888), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 4), S. 242 – 264, hier S. 256. 1430 Zu dem beschrittenen Weg vgl. die ausgewogene Darstellung von G. Richter, Wilhelm … (s. Anm. 1362), S. 49 – 53. Es war fast symbolhaft, daß Bismarck als Außenminister den Altliberalen Albrecht v. Bernstorff ablçste, der als Gesandter in London (1854 – 1861, 1862 – 1873) fîr eine westliche Orientierung der preußischen Politik eintrat.

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wußten Landadligen Bismarck „aufzureden“,1431 rundete den Sieg der preußischen Militrpartei ab, der innen- und außenpolitisch schwerwiegende Folgen haben sollte. Die Kontrollrats-Beschuldigungen von 1947 zielten vorrangig auf den Staat, dessen Weg durch die zu Beginn der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts erfolgte Weichenstellung faktisch vorgezeichnet war. Bismarck selbst gab in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ unverblîmt zu, daß er den Kçnig vor die Alternative „Kçnigliches Regiment oder Parlamentsherrschaft“ gestellt habe, die, wenn nçtig, „auch durch eine Periode der Diktatur abzuwenden sei.“ Wilhelm, der zustimmte, wurde damit auf eine Konfrontation mit dem Parlament eingeschworen – das war der erste Schritt auf dem „Langen Weg nach Westen“,1432 den die in Preußen regierende Militrpartei flschlicherweise fîr die bessere Option hielt. Von tiefem Mißtrauen erfîllt gegenîber „dem europischen Westen und seiner politischen Orientierung an den Grundgedanken der ,Glorious Revolution’, der Amerikanischen und der Franzçsischen Revolution, mit seiner ,politischen Kultur’ der Menschenrechte und der humanitren Traditionen von Christentum und Aufklrung“, setzte man auf einen spezifisch preußischen „Sonderweg“,1433 der sich langfristig als grobe Fehleinschtzung herausstellte. Bismarck wuchs zwar îber die ihm zugedachte Position des „Nothelfers“ bald hinaus, hielt aber bis zum Schluß an seinen konservativen Grundîberzeugungen fest. Das Dilemma der Erbmonarchie und der „eiserne Kanzler“, der sich auf die Unterstîtzung durch den Kçnig verlassen konnte, versperrten den Weg zu einer politischen Modernisierung Preußens. Der Preis, den der Hohenzollernstaat unter der Fîhrung des Gespanns Bismarck/Wilhelm I. fîr die Abkoppelung von den in Westeuropa gewachsenen freiheitlich-parlamentarischen Traditionen im spten 19. und 20. Jahrhundert zu zahlen hatte, war hoch: Die Auflçsung von 1945/47 wird man als eine folgerichtige Konsequenz der Entscheidung von 1862 ansehen kçnnen. Daß dem spteren Kaiser Friedrich III. eine Vorliebe fîrs Militrische, das Streben nach Feldherrnruhm (1866, 1870) und einige nicht sehr kluge politische Ambitionen im Umfeld der Reichsgrîndung zugeschrieben werden,1434 hngt mit seiner spteren Entwicklung zusammen, als ihn seine militrischen 1431 Diese treffende Formulierung benutzt F. Herre, Wilhelm … (s. Anm. 1401), S. 306. Das folgende Zitat: S. 304. Bismarck-Zitat: Otto von Bismarck, Erinnerung und Gedanke. Kritische Neuausgabe auf Grund des gesamten schriftlichen Nachlasses, hg. von Gerhard Ritter, Rudolf Stadelmann (= Gesammelte Werke, 15), Berlin (1932), S. 179. 1432 H. A. Winkler, Der lange Weg … (s. Anm. 1361), S. 154 f., geht – trotz des Titels – auf diese bewußte (und erste) Abwendung von westeuropischen Traditionen nicht expressis verbis ein. 1433 J. Becker, „Gedanken und Erinnerungen“ … (s. Anm. 1396), S. 130. 1434 W. Treue, Friedrich … (s. Anm. 1369), S. 98 f., S. 107.

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Erfolge in den Sog der deutschen Einigungsbewegung hineinzogen. Wre er 1862 Kçnig geworden, htte er sich dieser Situation unter ganz anderen Prmissen gestellt, als er es, kaum noch regierungsfhig, 1888 konnte. Getragen vom Schwung der Regierungsîbernahme, htte er sich auf zwei Verbîndete stîtzen kçnnen: Erstens wre die ursprînglich nur „eine wacklige Allianz von Fraktionen“ (Pflanze) bildende liberale Koalition unter seinem Regime sicher zu strkerer innerer Festigkeit gelangt und zweitens htte ihm seine Frau Victoria tatkrftig zur Seite gestanden. Stattdessen haben beide jahrzehntelang unter den Zwngen des ewigen Kronprinzendaseins gelitten. 1888 war es fîr eine politische Neuorientierung und fîr eine engere kulturelle Verbundenheit mit der britischen Weltmacht zu spt. Die sich 1862 abzeichnende Mçglichkeit, dem Liberalismus auch „eine Gasse in Preußen“ (Herre) zu çffnen und den Staat damit auf den Weg einer politischen Modernisierung nach zwar modifizierten, aber im Kern westeuropischen Gepflogenheiten zu bringen, kam nicht wieder. Die ˜berlegung Wilhelms vom Januar 1871, daß es – wegen des Streits um die Kaiserfrage – vielleicht besser sei, „zurîckzutreten und Fritz alles zu îbertragen“,1435 war wohl einmal nicht ganz ernst zu nehmen, htte aber außerdem in der Siegeseuphorie des Winters 1870/71 nicht zu einem radikalen Kurswechsel preußischer Innenund Außenpolitik, die hier zusammenfielen, fîhren kçnnen. In seinen meist eher nîchternen Tagebuch-Eintragungen1436 reagierte Friedrich Wilhelm mit ungewçhnlicher Heftigkeit auf die Ernennung Bismarcks, die sein Vater noch am 19. September zurîckgewiesen hatte: „Diese Ernennung wird erbitternd auf Abgeordnete wirken, man wird sofort Reaktion wittern, Mißtrauen muß allseitig erwachsen […]“ Nach diesem wohl auch außenpolitisch aufzufassenden Blick auf Europa folgt die Feststellung: „Nunmehr herrscht Onkel Karl1437 wieder mehr als je, und die Kreuzzeitungspartei 1435 Brief Wilhelms an Augusta; mitgeteilt von G. Richter, Wilhelm … (s. Anm. 1362), S. 61. Dazu auch O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 508. 1436 H. O. Meisner (Hg.), Tagebîcher … (s. Anm. 1398), S. 160 f., die um die Abdankungsidee kreisenden Dokumente: Anhang, Nr. 6, S. 494 – 500. 1437 Carl, Prinz von Preußen und Bruder des Kçnigs, galt 1848 „als Vertreter finsterster Reaktion“ (s. o. Anm. 1180). 1840 hatte er Friedrich Wilhelm IV. in Kçnigsberg erklrt, „daß, wenn es jemals zu einer konstitutionellen Reprsentativ-Verfassung bei uns kommen sollte, ich mich durch keinen Gott lnger in Preußen halten lassen wîrde“ (H. Branig, Wittgenstein … [s. Anm. 1250], S. 196). Die Kçnigin hielt îberhaupt nichts von diesem „ausgesprochenen Reaktionr“, dessen Leistungen fîr den Staat „in den denkbar engsten Grenzen“ blieben. Er bettigte sich als Kunstsammler, Jger, Reiter und Bauherr, unterschrieb seine Briefe nach dem Kauf des Schlosses (1824) manchmal mit „Sir Charles Glienicke“; bei seinen vielen Reisen besuchte er nie Westeuropa. Ausstellungen im Schloß Glienicke (1987, 2001) zeigten ihn vor allem als „Beschîtzer des Schçnen“. Vgl. K. Haenchen, Flucht … (s. Anm. 1179), S. 57 – 62; G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 28), S. 337 f., S. 393.

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wird nicht ruhen und rasten mit ihrer heuchlerischen Intrigenwirtschaft, allen bisher eingebîßten Einfluß wieder zu erlangen! Mußte es dahin kommen […]?“ Die Antwort auf die letzte Frage bleibt Friedrich Wilhelm in seinem Tagebuch schuldig. Er besttigt zwar die Rîcktrittsabsichten seines Vaters (18., 19. und 21. September), betont auch sein starkes Engagement, ihn davon abzubringen, geht aber – als loyaler Sohn, wie auch Rçhl betont – auf die sich abzeichnende Mçglichkeit einer ˜bernahme der Regierung mit keinem Wort ein. Wie dem auch sei – mit der Berufung Bismarcks war die Eventualitt einer „englischen Option“ durch die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms und seiner Frau Victoria endgîltig vom Tisch. Als er kurz darauf, „nahezu verstçrt“, Berlin verließ, dmmerte ihm vielleicht schon „eine Ahnung von der ungeheuren Tragweite seiner […] Entscheidung, die dem Mann den Weg frei gemacht hatte, der ihm nun den eigenen immer wieder verstellen wîrde.“1438 Die Auseinandersetzungen zwischen Bismarck und dem Kronprinzen in den 60er Jahren, die – etwa nach der Danziger Rede (4. Juni 1863)1439 oder in der Schleswig-Holstein-Frage – zu ernsten Verstimmungen, Demissionsangeboten und monatelangem Ausweichen nach England fîhrten, fanden einen Hçhepunkt in der Bismarckschen Andeutung vom 1. August 1865, daß er das Kronprinzenpaar verdchtige, preußische Staatsgeheimnisse dem englischen Hof preiszugeben.1440 Diese auf Hoch- und Landesverrat zielende persçnliche Unterstellung war die Spitze eines Eisbergs: In der Gedankenwelt des Altpreußentums, das Regierung, Armeeleitung und Militrkabinett beherrschte, dominierte ein stndiges Mißtrauen gegen den Kronprinzen. Bismarck, der „aus vielen Grînden, persçnlichen und politischen, […] den Tag der Thronbesteigung des Kronprinzen“ fîrchtete,1441 bestrkte diese Fraktion in der ˜berzeugung, daß der „liberale Schwchling, der Verrter der Tradition, der lcherliche Fortschrittstrumer […] wenn es irgend ginge, von der Thronfolge auszuschließen sei.“ Bei den erbitterten Auseinandersetzungen um die „Preßordnung“, als die Militrpartei sogar an eine mehrjhrige Festungshaft fîr den Kronprinzen dachte, wurde die westeuropische Komponente der Entscheidung von 1862 besonders sichtbar. Whrend der vorbereitenden Kabinettssitzungen wahrte Friedrich Wilhelm „eisiges Schweigen. […] Seine willensstarke englische Gemahlin und beider Verwandte in den fernen Schlçssern von Coburg, Brîssel und London strkten ihm den Rîcken.“1442 Engelberg schließt aus dem spteren 1438 W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), S. 77. 1439 Er distanzierte sich von der neuen Verordnung, die eine Knebelung der Oppositionspresse ermçglichte; vgl. zu diesem Komplex O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 212 – 216. 1440 W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), S. 119, das îbernchste Zitat: S. 99. 1441 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 219. 1442 Ebd., S. 215 f.

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Aufbegehren Friedrich Wilhelms sogar auf „das Vorhandensein einer hçfischen Fronde, deren Haupt die Kçnigin Augusta neben der Kronprinzessin Victoria“ war.1443 Als die neue Verordnung trotz seiner dringenden Gegenempfehlung nach der Abreise des Kronprinzen verabschiedet wurde (1. Juni 1863), kam es nicht nur zum Zerwîrfnis mit dem Vater; „die Reaktion darauf stellte innerhalb und außerhalb Preußens alles Bisherige in den Schatten“.1444 Eine „Indiskretion“ ermçglichte es der Times, als einzige europische Zeitung den kçniglichen Briefwechsel abzudrucken1445 – nur der Nachgiebigkeit des Kronprinzen (Gall: „Schwche und Unentschlossenheit“) war es zu danken, daß sich in den Beziehungen zu England îber die stillschweigende Mißbilligung hinaus keine weiteren Probleme ergaben. Als Friedrich Wilhelm den Kçnig am 3. September 1863 wegen der Auflçsung des Parlaments zur Rede stellte, ließ Wilhelm die Katze aus dem Sack: „[…] Aber ,dieses hundsfçttische konstitutionelle System’ kçnne nicht mehr Bestand haben, denn es solle nur die kçnigliche Autoritt zerstçren, um Republik mit Prsident wie in England (sic!) einzufîhren. Den ,Kanaillen’ der Opposition […] mîsse gezeigt werden, wer Kçnig von Preußen sei“1446 – eine klarere Kampfansage an die in Westeuropa entstandenen, entwickelten und teilweise realisierten Regierungssysteme der politischen Reprsentation und Mitbestimmung konnte es nicht geben. Die konservative Wende des Jahres 1862 und die Distanzierung von den westeuropischen Traditionen wird schlagartig durch die Tatsache erhellt, daß das unsgliche (çffentliche!) DreiKlassen-Wahlrecht, das in Westeuropa nicht seinesgleichen hatte, bis 1918 bestehen blieb. d) Die Festigung der antiwestlichen Tendenzen seit September 1862 Nach der Ernennung Bismarcks und seinen ersten Maßnahmen atmeten die Militrs und die Konservativen auf: „Der Verfassungsbruch von Kçnig und Staatsministerium blieb ohne revolutionre Antwort.“1447 Die „Revolution“ beschrnkte sich bei den zahlreichen Bismarck-Gegnern (Kçnigin Augusta1448, 1443 E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 532 f. Weil die Verordnung nicht verfassungskonform war, mußte sie die Regierung im November wieder aufheben. 1444 L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 284. 1445 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 222 f. 1446 H. O. Meisner (Hg.), Tagebîcher … (s. Anm. 1398), S. 213. 1447 H. A. Winkler, Der lange Weg … (s. Anm. 1361), S. 155. 1448 Nach der „Ernennung ihres Todfeindes“, so der Kronprinz, habe Augusta nach Bismarcks eigenen Worten ihm bis zu ihrem Tode 1890 „mehr Schwierigkeiten bereitet als alle fremden Mchte und die gegnerischen Parteien im Lande“ (zitiert von L. Gall, Bismarck … [s. Anm. 1348], S. 70). „Augusta haßte und fîrchtete er (= Bismarck) bis zuletzt, und dementsprechend schlecht kommt sie in den Gedanken und Erinnerungen weg“ (O. Pflanze, Bismarck … [s. Anm. 998], S. 578). Josef Becker nennt das Me-

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Kronprinzenpaar, Forckenbeck [„Ich halte ihn fîr den gefhrlichsten Minister fîr Preußens Freiheit und Glîck“], Bunsen, Bennigsen, Lassalle, Engels, Treitschke u. v. a.) meist auf mîndliche Proteste oder schriftliche øußerungen, die oft erst spter bekannt wurden. In Berlin war man entsetzt, als der „vielgehaßte und verlsterte Mann“ berufen wurde, der in seiner Person die gefîrchtete ,Reaktion’ verkçrperte. Das „schon so lange drohende Schreckgespenst“ nahm in der Person Bismarcks „Fleisch und Bein“ an. Die Witzbltter îberschîtteten den Gehaßten und Gefîrchteten mit einem Hagel spitzester Pfeile, und das Bildungsbîrgertum stand Schulter an Schulter mit den Liberalen, mit den Nationalliberalen und mit den Demokraten.1449 Wie tief verwurzelt die Anti-Bismarck-Haltung war, zeigt die Resolution des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 22. Mai 1863, dem ein Ausweg aus der verfahrenen politischen Lage nur „durch einen Wechsel der Personen, und mehr noch, durch einen Wechsel des Systems“ vorstellbar erschien.1450 Die Forderung nach einem „Systemwechsel“1451 war eine direkte Folge der Entscheidung von 1862, doch erwiesen sich alle Hoffnungen auf eine Neugestaltung der preußischen Innenpolitik nach westeuropischem Vorbild als trîgerisch. Weil es dem zerstrittenen demokratisch-liberalen Lager sowohl an einer fest organisierten und zielbewußten Fîhrung als auch an der erforderlichen Massenbasis fehlte, war ein „Systemwechsel“ nur von der diplomatisch-hçfischen Fronde, hinter der die Gesandten in Paris (Goltz)1452 und London (Bernstorff ) sowie die englisch-coburgische Partei standen, zu erwarten. Etwas zugespitzt ausgedrîckt, war die Tîr nach Westeuropa „in diesen schicksalstrchtigen Monaten des Jahres 1866“ einen Spalt geçffnet. Aber die Opposition, die gegen den Krieg mit §sterreich und fîr einen „vollstndigen Personenwechsel“ eintrat, scheiterte, denn Bismarck, gestîtzt auf Altliberale, Konservative und den Mimoirenwerk eine „politische Kampfschrift“, die in erster Linie gegen Augusta und ihre prowestlichen Tendenzen geschrieben wurde (J. Becker, „Gedanken und Erinnerungen“ … [s. Anm. 1396], S. 129). 1449 Ein gutes Stimmungsbild gibt Ludwig Pietsch, Wie ich Schriftsteller geworden bin, 2: Erinnerungen aus den sechziger Jahren, Berlin 1894, S. 168 – 170. 1450 Zitiert von H. Schulze, Preußen … (s. Anm. 1323), S. 332 f. mit Anm. 24. 1451 Der Begriff findet sich wçrtlich in der undatierten Forderung des Abgeordnetenhauses (7. Leg.-Periode, II. Session, Nr. 148, S. 1 – 4: 22. 5. 1863), daß das Ministerium „das verfassungsmßige Budgetrecht des Abgeordnetenhauses anerkennnt und aufrechterhlt“, um den „inneren Frieden des Landes wieder herstellen“ zu kçnnen. 1452 ˜ber die wechselnde Stimmung der Pariser Presse in den ersten Bismarck-Jahren unterrichtet Klaus Malettke, Die Beurteilung der Außen- und Innenpolitik Bismarcks von 1862 – 1866 in den großen Pariser Zeitungen (= Historische Studien, 399), Lîbeck/ Hamburg 1966. Nach anfnglich abwartender Skepsis setzte sich Mitte der 60er Jahre in den liberalen Blttern die Auffassung durch, „daß Bismarck ein reaktionrer, zeitfremder, gewaltttiger, antiparlamentarischer und egoistischer Politiker sei“ (S. 223 f.) – weite Teile der franzçsischen çffentlichen Meinung registrierten aufmerksam-kritisch seine Abwendung von den liberalen Traditionen Westeuropas.

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litr- und Staatsapparat, „handelte 1866 nach dem Gesetz, nach dem er 1862 angetreten war.“1453 Unverndert blieb „die Aufrechterhaltung monarchischer Kontrolle îber die Machtmittel des Staates stets das erste Anliegen der Bismarckschen Innenpolitik.“1454 Um einer nochmaligen anglophil-liberal-konstitutionellen ˜berraschung hnlicher Art vorzubeugen, suchten die konservativen Kreise Einfluß auf den Enkel des Kçnigs zu gewinnen und ihn dem anglophilen Kronprinzenpaar zu entfremden. Ganz bewußt wurde Wilhelm „als preußisch-reaktionres, mnnlich-militaristisches und antisemitisches Bollwerk“ gegen die als „weich“, „weiblich“ und „unpreußisch“ verteufelte englische Gedankenwelt aufgebaut.1455 Das war nicht leicht, weil Wilhelm seit seiner Kindheit oft in England gewesen war, meist in Begleitung von Mutter und/oder Vater (1861, 1863, 1865) oder allein (1864, 1877).1456 Viele Wochen hatte er bei seiner Großmutter, der Queen Victoria, in Windsor Castle oder in Osborne, der auf der Insel Wight gelegenen Sommerresidenz, verbracht. Nach seinem England-Aufenthalt von 1877 wollte Wilhelm am liebsten immer bei seiner „Großmama von England“ leben. Zwei Jahre spter erinnerte er sich dankbar „an die schçnen Tage und die glîcklichen Stunden, die ich letztes Jahr mit Dir und meinen lieben Onkeln und Tanten in Windsor Castle zubringen durfte“ – die preußisch-britischen Beziehungen schienen einem Hçhepunkt zuzustreben, doch mit Beginn der 80er Jahre schlug die enge Verbundenheit, die Wilhelm bisher fîr England empfunden hatte, in eine sich stndig steigernde Englandfeindlichkeit um, die einmal auf seiner zunehmenden Passion fîr die Marine, zum anderen auf der Abkehr von seinen anglophilen Eltern, vor allem auf dem Bruch mit der Mutter beruhte.1457 Jetzt zeigte sich, wie erfolgreich die gezielte Beeinflussung des 1870 elfjhrigen Enkels langfristig war. Als sich der ungestîme Wilhelm in den 80er Jahren sogar als „Anfîhrer einer Gegenpartei“ aufspielte, war den Eingeweihten lange vor 1888 klar, „daß die Chancen Friedrichs und Victorias, das Bismarckreich in einen zeitgemßen, westeuropischen, mit England verbîndeten 1453 Zu der Opposition des Jahres 1866 vgl. E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), 1, S. 582 – 597, der auch von „Systemwechsel“ spricht (S. 589). 1454 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 75. 1455 Diese scharfen Worte, mit denen er „sozusagen ein zweites Hauptthema“ seiner Biographie umreißt, stehen bei J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 16 (Vorwort). Eine hnlich kritische Position bezieht Johannes Ziekursch, Politische Geschichte des Neuen Deutschen Kaiserreiches, 3: Das Zeitalter Wilhelms II. (1890 – 1918), Frankfurt am Main 1930, S. 3 – 11. 1456 Alle Angaben nach J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 95 f., S. 183, S. 445 – 448. 1457 øhnlich leichtfertig wurde 1870 die Chance zu einer dauerhaften Verbesserung der preußisch-franzçsischen Beziehungen vertan, wie sie sich in den spten 60er Jahren entwickelt hatte.

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Verfassungsstaat umzuwandeln“ und damit einen fundamentalen Kurswechsel in den preußisch/deutsch-westeuropischen Beziehungen einzuleiten, faktisch gleich Null waren. Betrachtet man die Grundstrukturen der europischen Bîndniskonstellation, lßt sich feststellen, daß die preußische/deutsche Westeuropa-Politik infolge der Entscheidung von 1862 Jahrzehnte spter in einem Desaster endete.1458 Obwohl es mîßig ist, îber die verpaßte Gelegenheit von 1862 zu spekulieren, muß auf einige Aspekte hingewiesen werden: Weder htte der zur Macht gekommene Kronprinz in Preußen ein durchgreifend demokratisches Parteienregiment parlamentarischer Prgung errichtet, noch wre eine ˜bertragung des von ihm und Victoria geschtzten englischen Regierungssystems auf Preußen mçglich gewesen. Ebensowenig htte man eine radikale ønderung der in Jahrhunderten gewachsenen sozialen Strukturen erwarten kçnnen, verband sich doch der Antiparlamentarismus der maßgebenden konservativen Kreise mit den traditionellen preußischen Grundprinzipien von Autoritt, monarchischem Prinzip, militrischen Befehlsstrukturen und großgrundbesitzerlicher Herrschaft auf dem Lande. Auch war der „preußische Hamlet“, wie er jîngst genannt wurde,1459 weder ein radikaler Liberaler noch ein Demokrat, aber dank der Verfassungstreue und seiner „westlichen“ Ansichten wre es ihm ohne die Berufung Bismarcks vielleicht gelungen, den Modernisierungsrîckstand, den Preußen im Vergleich zu Westeuropa aufwies, behutsam und schrittweise abzubauen und auch das unselige Herrschaftskartell zwischen Krone und Adel aufzubrechen: „Preußens eigentliche Herrscherschicht blieb bis 1918 der grundbesitzende Adel, der auch in Militr und hçherer Karrierebîrokratie dominierte.“1460 Auch bei der von Bismarck nach 1866 angestrebten Verbindung dieser altpreußischen Fîhrungsschicht mit der neuen stdtischen Industrie- und Finanzelite blieb die traditionelle Konstellation im wesentlichen erhalten. Mit Recht bezweifelt Otto Pflanze, daß Friedrich Wilhelm, der sicher „keine entschlossene Persçnlichkeit“ war, „das empfindliche Gleichgewicht liberaler und konservativer Krfte, das sein politisches Ideal war, lange aufrechterhalten 1458 Mit dieser Argumentation erfhrt die Auffassung von J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 16 (dort auch alle Zitate), der voll zuzustimmen ist, eine europaorientierte Erweiterung. 1459 Die vom Kronprinzen verpaßte „wahre politische Chance seines Lebens“ wird von H.-C. Kraus, Friedrich … (s. Anm. 1403), S. 271 – 275, abwgend-kritisch dargestellt. Da Friedrich Wilhelm kein Kmpfertyp war, zog er sich nach dem Presse-Konflikt in eine Art „Selbstverbannung“ (Meisner) zurîck, die schließlich zur politischen Isolation fîhrte. 1460 Eine kritische, aber anregende Preußenbetrachtung gibt Hans-Jîrgen Puhle, Preußen: Entwicklung und Fehlentwicklung, in: Ders. / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6), Gçttingen 1980, S. 11 – 42, das Zitat S. 28.

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htte“,1461 doch wird man andererseits auch nicht ausschließen kçnnen, daß Staat und Gesellschaft Preußens bei der „englischen Option“ kurzfristig eine allmhliche Liberalisierung, verbunden mit einer wirklichen Parlamentarisierung,1462 sowie langfristig vielleicht sogar eine Demokratisierung erlebt htten. Im ganzen wird man Otto Pflanze beipflichten kçnnen, daß bei einer Abdankung Wilhelms die Chance auf eine Vernderung der konstitutionellen Verhltnisse Preußens bestanden habe; unter Friedrich Wilhelm htte es – vergleichbar mit der Verfassungsstruktur in anderen west- und nordeuropischen Lndern – auch in Preußen eine Entwicklung in Richtung auf eine Kontrolle der Exekutive durch die Legislative geben kçnnen.1463 Ganz sicher htte die preußisch-deutsche Geschichte bei einer strkeren Westeuropa-Orientierung nach 1862 nicht „einen vçllig anderen Verlauf“ genommen, doch wre vieles anders gelaufen: Fîr Roon, der fast als einziger Bismarcks Ernennung „von ganzem Herzen“ wînschte, wre mit Wilhelms Abdankung „eine Unterwerfung der Armee unter die Kontrolle des Parlaments vielleicht unvermeidlich geworden und damit das Ende des preußischen Militrstaates gekommen.“1464 In diesem Sinne kann man Wilhelm Treue zustimmen, wenn er feststellt: „Staat und Gesellschaft von Preußen-Deutschland hatten seit 1862 und 1871 sehr feste, eher traditionalistische als zu Reformen von oben geeignete Strukturen erhalten oder entwickelt“;1465 auch der ewige „Kronprinz im Wartestand“ hat sich in spteren Jahren zu sehr von den konservativen Krften vereinnahmen lassen, um sich daraus noch befreien zu kçnnen. 1862 wre es vielleicht mçglich gewesen. Diese Vermutung findet eine indirekte Besttigung durch das Gesprch, das Lord Clarendon anlßlich der Krçnungszeremonie in Kçnigsberg fîhrte. Daß die Kronprinzessin Victoria, sein von ihrem Mann sehr geschtztes „liebes Frauchen“, einen starken Einfluß auf ihren „Fritz“ hatte, ist unbestritten. Deshalb auch der stndige Kampf des Altpreußentums gegen die Englnderin. Nach der „very long conversation“, die Clarendon 1861 mit der 21jhrigen preußischen Kronprinzessin hatte, war er „more than ever astonished“ îber die „statesmanlike and comprehensive views which she takes of the policy of Prussia, both internal and foreign and of the duties of a constitutional King“.1466 1461 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 179. 1462 Viel spricht fîr die Annahme Rçhls, daß Friedrich Wilhelm „ein zeitgemßes parlamentarisches Regierungssystem eingefîhrt“ htte (J. C. G. Rçhl, Wilhelm … [s. Anm. 1366], S. 100). H. A. Winkler, Der lange Weg … (s. Anm. 1361), S. 154, betont, daß man fîr die Jahre von 1862 bis 1866 in Preußen nicht einmal von einem „Scheinkonstitutionalismus“ sprechen kann. 1463 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 181. 1464 Ebd., S. 179, S. 181. 1465 W. Treue, Friedrich … (s. Anm. 1369), S. 130. 1466 F. Ponsonby, Letters … (s. Anm. 1368), S. 33 f.

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Auch wenn man die fast euphorische Einschtzung Clarendons etwas kritisch betrachtet, erscheint es mehr als wahrscheinlich, daß mit der Nichtabdankung Wilhelms Anfang der 60er Jahre eine im ganzen negative Weichenstellung erfolgte. Sie war nicht nur tiefgreifend, sondern auch irreparabel: Eine vergleichbare Gelegenheit, Preußen langfristig auf den Weg zu Liberalismus, Gewaltenteilung und Demokratie zu bringen, bot sich nicht noch einmal. „Wie anders wre die deutsche, die europische und die Weltgeschichte verlaufen, wenn es tatschlich in den 1860er Jahren zu der Thronbesteigung des Prinzen Friedrich Wilhelm und seiner englisch-coburgischen Frau gekommen wre!“1467 Mit allen Vorbehalten, die fîr eine thesenhaft formulierte Eventualmçglichkeit gelten,1468 scheint diese Annahme durchaus plausibel. Ursprînglich von Johannes Ziekursch (Karl-Georg Faber: „Ziekurschs mutiger Entwurf“) und Werner Richter vertreten, haben sich kîrzlich außer John Rçhl auch Wolfgang J. Mommsen und Josef Becker hnlich geußert. In einer kritischen Betrachtung der Bismarckschen „Gedanken […]“ betont Becker, daß die entscheidende Weichenstellung bereits im Verfassungskonflikt der 60er Jahre erfolgt sei: Die Alternative (Weg zur parlamentarischen Monarchie/Annahme des von Bismarck verkçrperten Systems des ,gestoppten Konstitutionalismus’ mit seiner militarisierten Gesellschaftsordnung) gab es nach der Berufung Bismarcks nicht mehr.1469 In dem von Wolfgang J. Mommsen herausgegebenen Sammelband, in dem auch die noch immer weitgehend unerforschten britisch-preußischen Beziehungen einen (bescheidenen) Platz finden, schreibt er: „Noch anfangs der 1860er Jahre war die Aussicht, daß es in Preußen zu einer gemßigt-konstitutionellen Regierung unter dem Thronfolger Friedrich nach Art des britischen Whiggismus kommen werde, nicht gering, bis dann Bismarck das Ruder herumriß.“ Victoria und ihr Mann htten, „sofern Friedrich III. frîher und als gesunder Mann den Thron bestiegen htte, dem Gang der Dinge durchaus eine andere Wendung geben kçnnen.“1470 4. Bismarcks Westeuropapolitik (1863 – 1870) Die Komplexitt der preußisch-westeuropischen Beziehungen in der Bismarckzeit macht es unmçglich, im Rahmen dieses Beitrages auf Einzelheiten einzugehen. Es muß genîgen, auf einige Tendenzen und Grundzîge hinzuweisen, die das besondere Verhltnis Preußens zu Westeuropa in den 60er Jahren kennzeichnen. Hilfreich sind dabei die neueren Bismarck-Biographien, die zwar von unterschiedlicher Kritikfreudigkeit sind, sich aber ausnahmslos 1467 J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 100. 1468 Das folgende Zitat: K.-G. Faber, Ziekursch … (s. Anm. 1402), S. 115. 1469 J. Becker, „Gedanken und Erinnerungen“ … (s. Anm. 1396), S. 131. 1470 W. J. Mommsen (Hg.), Ungleiche Partner … (s. Anm. 28), S. 10 (Einleitung).

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gegen die veralteten Auffassungen vom „Genie“ Bismarck wenden, der seine Politik von Anfang an einem festen Plan unterworfen hatte und seit 1862 zielstrebig auf die Reichsgrîndung zusteuerte.1471 Monographische Darstellungen liegen îber die preußische Politik gegenîber Frankreich und England in den 60er Jahren vor, doch beruhen beide Arbeiten nicht auf archivalischen Quellen, sondern werten lediglich die reichlich vorhandene Literatur aus, so daß sie vor allem als ˜berblicke geeignet sind.1472 In den Jahren bis 1870 war Bismarcks zentrales Ziel, „die Macht Preußens, das in Europa kaum als Großmacht gewertet wurde, zu heben“. Dabei folgte er altbekannten Regeln: Wie von Machiavelli empfohlen, ergriff er die gînstige occasione unter richtiger Einschtzung der necessit” und der qualit” dei tempi (Rede vom 3. Februar 1866: „In der auswrtigen Politik […] gibt es Momente, die nicht wiederkommen.“), wobei ihm virt· und fortuna oft zur Seite standen.1473 Es ist Zeit, das abgegriffene Wort vom „Realpolitiker“ Bismarck, das nur eine schçnfrberische Umschreibung seiner Machtpolitik ist, îber Bord zu werfen. Wenn das realpolitische Prinzip darin besteht, „daß Macht und Erfolg den letzten Maßstab jeder Politik“ darstellen,1474 dann ist die Bezeichnung Bismarcks als „Machiavellist“, der die Staatsraison îber alles stellte, viel treffender: „Der archimedische Punkt, auf den sein politisches Denken und Handeln […] hinlaufen, ist das preußische – nach 1871 das deutsche – Staatsinteresse“.1475 Schon in seiner Olmîtz-Rede hatte Bismarck erklrt, daß „die einzig gesunde Grundlage eines großen Staates […] der staatliche Egoismus“ sei (3. Dezember 1850). Und whrend vor einigen Jahren im Zusammenhang mit der Luxemburg-Krise 1867 bei Bismarck „die Undurchsichtigkeit und Unberechenbarkeit seiner machiavellistischen Schachzîge“ betont 1471 Es sind die schon zitierten Arbeiten von Lothar Gall, Ernst Engelberg und dem USAmerikaner Otto Pflanze, dessen Bismarck-Biographie mitunter als die beste bezeichnet wird (s. Anm. 1348, S. 1349 und Anm. 998). 1472 E. Polenz, Preußen … (s. Anm. 1393); L. A. Puntila, Frankreichpolitik … (s. Anm. 7), beide passim. 1473 Knappe Charakterisierung der Staatstheorie Machiavellis: I. Mieck, Europische Geschichte … (s. Anm. 51), S. 46 – 48. 1474 Diese Definition bei Josef Becker, Von Bismarcks „spanischer Diversion“ zur „Emser Legende“ des Reichsgrînders, in: Johannes Burkhardt u. a., Lange und kurze Wege in den Ersten Weltkrieg. Vier Augsburger Beitrge zur Kriegsursachenforschung (= Schriften der Philosophischen Fakultt der Universitt Augsburg, 49), Mînchen 1996, S. 87 – 113, hier S. 93. 1475 Dafîr pldiert indirekt W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 254 (dort auch das Zitat). øhnliche Argumentation: L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 339 (mit den Machiavelli-Begriffen, daß 1866 „im entscheidenden Moment Zufall und Glîck den Ausschlag gaben“) und S. 340.

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wurde,1476 sprach Josef Becker 1999 von „dem Kult der puren Interessenpolitik, wie ihn Bismarck verkçrperte“, der einer in Westeuropa inzwischen untergegangenen „Welt des Großmchteantagonismus und des Machtstaatsnationalismus“ angehçrte und Preußen auf den unheilvollen „Sonderweg“ der bismarckwilhelminischen øra verwies.1477 Die westeuropischen Staaten mußten sich an die rîcksichtslose Anwendung dieser Handlungsmaxime und des Prinzips, daß im Konfliktfall Macht vor Recht geht, erst gewçhnen. Daß auch andere Staatsmnner und Diplomaten (Schwarzenberg, Cavour, Gortschakow, Cowley u. a.) in der zweiten Jahrhunderthlfte Anstze zu einer „realpolitischen“ (= machiavellistischen) Außenpolitik erkennen ließen, ndert nichts an der Tatsache, daß Bismarck zu den brutalsten Verfechtern dieses Prinzips gehçrte, der vor und nach 1871 „Moral und Außenpolitik als zwei vçllig verschiedene Bereiche betrachtete“.1478 Ein frîhes Problem, mit dem Bismarck zu kmpfen hatte, war die Vorliebe seines Kçnigs fîr §sterreich. Obwohl sich das Verhltnis stndig verschlechterte, hielt Wilhelm an der Hoffnung auf Aussçhnung fest und wollte von der von Bismarck favorisierten Hinwendung zu Frankreich nichts wissen. Diese zurîckhaltende Politik erhielt ihre Quittung, als Napoleon III. seinerseits auf die çsterreichische Karte setzte und in einem kînftigen Konflikt die von Preußen erhoffte wohlwollende Neutralitt verweigerte. Die Ablçsung des Außenministers Thouvenel durch Drouyn de Lhuys im Oktober 1862 symbolisierte diesen Richtungswechsel. Im Jahr 1863 verschlechterten sich auch die preußisch-franzçsischen Beziehungen. Dafîr sorgte einmal der polnische Aufstand,1479 auf den beide Lnder unterschiedlich reagierten, so daß die Bilanz der polnischen Krise fîr Bismarck bitter war: „Das Verhltnis zu Frankreich, auf das er so großen Wert legte, war schwer belastet.“1480 Unsicher war man in Preußen zudem, was sich hinter den etwas abenteuerlichen Umgestaltungsplnen der europischen Landkarte verbarg, die von der Kaiserin Eugenie im Februar dem çsterreichischen Botschafter vorgelegt worden waren.1481

1476 Diese Formulierung benutzt H. v. d. Dunk, Niederlande … (s. Anm. 30), S. 173 – 193, hier S. 183. 1477 J. Becker, „Gedanken und Erinnerungen“ … (s. Anm. 1396), S. 131 – 133. 1478 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 157 – 165, das Zitat: S. 160. 1479 Die europische Perspektive betont Hans-Werner Rautenberg, Der polnische Aufstand von 1863 und die europische Politik im Spiegel der deutschen Diplomatie und der çffentlichen Meinung (= Quellen und Studien zur Geschichte des çstlichen Europa, 10), Wiesbaden 1979. 1480 L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 275. 1481 Vgl. dazu R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 89 f.; W. Bussmann, Zeitalter … (s. Anm. 1378), S. 72.

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Da sich Napoleon von çsterreichisch-preußischen Differenzen Vorteile fîr seine eigene Hegemonialstellung erhoffte, hielt er sich in der Schleswig-Holstein-Krise zurîck. Auch als beide Lnder militrisch intervenierten,1482 behandelte er sie recht wohlwollend, weil er den Gedanken an eine „freimîtige und kraftvolle“ Verbindung1483 mit Preußen nicht aufgegeben hatte. Der schsische Gesandte in Paris meinte sogar, daß Preußen seit dem Fîrstentag von 1860 „der Lieblingsstaat Napoleons“ geworden sei.1484 Einem so geschtzten und umworbenen Partner wollte man wenn mçglich entgegenkommen: „Napoleon III, ” la recherche d’une entente avec la Prusse et favorable ” la politique des nationalit¤s en Allemagne, donne son accord aux projets prussiens d’agrandissement.“1485 Als sich in London die von der Queen gestîtzte Friedenspartei gegen Palmerston durchsetzte und die Londoner Friedenskonferenz scheiterte, schritten Preußen und §sterreich zur militrischen Besetzung der Herzogtîmer. Als die Vereinbarung der Siegermchte îber die weitere Verwaltung von Schleswig und Holstein (Bad Gastein, 14. August 1865) in Frankreich fîr Verstimmung sorgte,1486 entschloß sich Bismarck, Napoleon III. persçnlich aufzusuchen. ˜ber das Treffen, das im Oktober 1865 in Biarritz stattfand, ist viel gertselt worden.1487 Ganz sicher konnte Bismarck die Meinungsverschiedenheiten wegen der Konvention von Bad Gastein ausrumen; wahrscheinlich wînschte man auf beiden Seiten eine entente, wollte aber keine eindeutigen Verpflichtungen eingehen. Daß Napoleon den Gewinn des linken Rheinufers 1482 Mit dem deutsch-dnischen Krieg setzt eine Untersuchung ein, die auf 400 Seiten eine interessante Thematik behandelt: Helmut Burckhardt, Deutschland – England – Frankreich. Die politischen Beziehungen Deutschlands zu den beiden westeuropischen Großmchten 1864 – 1866, Mînchen 1970. Das ohne Einleitung, Schluß, Literaturverzeichnis geschriebene Buch bietet vor allem zahllose Resumees aus der diplomatischen Korrespondenz (und aus Zeitungen wie der „Ind¤pendance belge“!) und beendet acht von neun Kapiteln mit dem Unterkapitel „Das Urteil der Geschichte“. Auch das Namensregister ndert nichts an dem negativen Gesamteindruck des Buches. 1483 Bericht des preußischen Gesandten v. d. Goltz îber ein Gesprch mit Drouyn de Lhuys, 9. 4. 1864; zitiert von R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 91. 1484 Mitgeteilt von H. Burckhardt, Deutschland … (s. Anm. 1482), S. 165. 1485 J. Binoche, Histoire … (s. Anm. 29), S. 31. 1486 ˜ber die Grînde (und Hintergrînde) vgl. R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 92. 1487 W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 377 – 379 (mit Abdruck einer Karikatur); O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 269. Merkwîrdigerweise wird das Treffen weder von Gall noch von Engelberg erwhnt. Bei H. Burckhardt, Deutschland … (s. Anm. 1482), S. 175, erfhrt man weder Datum noch nhere Umstnde der Besprechung. Es wird nur referiert, was einige Diplomaten darîber berichteten. Eine quellenkritische Analyse, auch des Bismarck-Briefes vom 11.10. und seines Telegramms vom 3.11., findet nicht statt.

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erstrebt habe, ist eine nicht îberzeugende Behauptung.1488 Es ging in Biarritz zwar nicht um eine Allianz, aber danach wußte Bismarck, „daß er auf Frankreichs Neutralitt im Fall eines Krieges mit §sterreich rechnen konnte“. Beruhigt konnte er Biarritz verlassen: „Nachdem sich die Wolken am Horizont der preußisch-franzçsischen Beziehungen verzogen hatten, konnte Bismarck kîhl den Krieg gegen §sterreich vorbereiten.“1489 Im Frîhjahr 1866 entschloß er sich, den in eine Sackgasse geratenen Heeresund Verfassungskonflikt durch die Verknîpfung mit der nationalen Frage einer Lçsung zuzufîhren. Hatte der Hohenzollernstaat bislang auf dynastischer Loyalitt, preußischem Patriotismus und protestantischer Frçmmigkeit beruht, so fîgte Bismarck jetzt als neuen Pfeiler den deutschen Nationalismus hinzu.1490 Damit rîckte der Konflikt mehr und mehr in den Bereich der Außenpolitik, in dem Kçnig Wilhelm seinem Minister hoffnungslos unterlegen war. Die meisten Entscheidungen gingen îber den Kopf des Kçnigs hinweg, der auf eigene Initiativen vçllig verzichtete. „Wohl blieb er oberste Befehlsinstanz, aber er hatte aufgehçrt zu regieren.“1491 Bismarck, der neue Protagonist der deutschen Einheit, begann die Neubegrîndung der Hohenzollernmonarchie mit dem von ihm fîr unvermeidlich gehaltenen Krieg gegen §sterreich, den er gegen die gesamte çffentliche Meinung durchsetzte. Whrend die europische Diplomatie noch auf Hochtouren lief, kam es in Deutschland zum preußisch-çsterreichischen Bruderkrieg, der zur großen ˜berraschung auch Napoleons einen schnellen Sieg Preußens brachte. „Sadowa“ und „Kçniggrtz“ (3. Juli) wurden die jeweiligen Schlagworte, mit denen in Frankreich und Preußen der Glanzpunkt des Sieges umschrieben wurde. Whrend die Militraktionen weitergingen, begannen langwierige Verhandlungen, die sowohl in Paris als auch im preußischen Hauptquartier stattfanden. Sie sollten die Gefahr einer franzçsischen Intervention abwenden und einen Friedensvertrag mit §sterreich und den verbîndeten sîddeutschen Staaten vorbereiten. Noch vor Abschluß der Verhandlungen gelang es Bismarck, 1488 Hermann Oncken (Hg.), Die Rheinpolitik Kaiser Napoleons III., 3 Bde., Stuttgart 1926. Diese Edition, deren dokumentarischer Wert unbestritten ist, sollte die These vom angeblich Jahrhunderte alten Streben Frankreichs nach der Rheingrenze belegen und der expansiven Politik Napoleons die Schuld an den Kriegen von 1870/71 und 1914/18 zuschieben. Onckens These konnte sich nicht durchsetzen. 1489 Vgl. dazu R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 92 f., die Zitate: S. 93; nach W. Bussmann, Zeitalter … (s. Anm. 1378), S. 86, ist die Zusicherung wohlwollender Neutralitt auch in einem Brief Napoleons enthalten. Ein ausfîhrlicher Bericht Bismarcks an den Kçnig vom 11. 10. 1865 ist abgedruckt bei R. Pommerin / R. Marcowitz (Hg.), Quellen … (s. Anm. 1166), Nr. 18, S. 118 – 121. 1490 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 295, S. 310. 1491 G. Richter, Wilhelm … (s. Anm. 1362), S. 54.

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im August 1866 mit den vier sîddeutschen Staaten geheime Defensivallianzen abzuschließen. Bei der Ausarbeitung des Kompromißprogramms, das schließlich zu den Friedensvertrgen fîhrte (Nikolsburg/Prag 26. Juli/23. August), erwarb sich v. d. Goltz, der preußische Gesandte in Paris, große Verdienste.1492 Durch die Annexion (per Gesetz am 20. September) der mit §sterreich verbîndeten Lnder (Hannover1493, Nassau, Kurhessen, Frankfurt am Main; dazu war [gemß Nikolsburg/Prag] Schleswig-Holstein gekommen), der die westeuropischen Lnder etwas verwundert gegenîberstanden, vergrçßerte Preußen sein Territorium von 279.000 auf 352.000 Quadratkilometer und seine Bevçlkerungszahl von 19,6 auf 29,2 Millionen. Zugleich fand die territoriale Zerrissenheit Preußens nun auch im Westen ihr Ende: Erst die Gewaltpolitik Bismarcks verschaffte dem angeblich so aggressiven Staat die seit 1614 fehlende Landbrîcke zwischen dem brandenburgischen Kerngebiet und den Westprovinzen.1494 Freunde und Feinde Bismarcks hielten die Annexionen (Engelberg: „Vertreibung eines Kçnigs, eines Kurfîrsten und zweier Herzçge“) fîr einen beispiellosen Gewaltakt, fîr eine „Revolution von oben“. Es wre noch zu prîfen, ob die vielen „Dienstreisen“ des Kronprinzen 1866/69 nach Hannover, HessenNassau, Sachsen, Bayern, Frankreich, §sterreich, Griechenland, die Levante und øgypten (17. November 1869: Einweihung des Suezkanals) nicht vor allem dazu dienten, einen namhaften Vertreter der englisch-coburgischen Partei von Berlin fernzuhalten. Im Abgeordnetenhaus ließen der glanzvolle Sieg der preußischen Truppen und die reichlichen territorialen Gewinne vergessen, was „der Rattenfnger in der Wilhelmstraße“1495 den Liberalen angetan hatte. Durch die Annahme der Indemnittsvorlage (3. September 1866; 230:75 Stimmen) legalisierten die 1492 Knappe Zusammenfassung bei R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 89 – 93. Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 132, S. 463 – 470 (Nikolsburg); CTS … (s. Anm. 500), 133, S. 71 – 87 (Prag). 1493 Trotz der bis 1837 bestehenden Personalunion unternahm England nichts gegen diesen Gewaltakt, weil es mit der Annektion aus tieferliegenden politischen Grînden im wesentlichen einverstanden war; vgl. dazu E. Polenz, Preußen … (s. Anm. 1393), S. 72 – 74. Nach H. Schulze, Preußen … (s. Anm. 1323), S. 345, wurde „die von Bismarck geforderte Arrondierung Preußens“ gegenîber Frankreich zwar „nicht ausdrîcklich erwhnt, aber von Napoleon schweigend gebilligt“. 1494 Daß 1815 „der Keim fîr das Bemîhen, die beiden getrennten Teile durch Annexion zusammenzufîhren oder zumindest die Landbrîcken zu beherrschen“, gelegt worden sein soll (W. Baumgart, Europisches Konzert … [s. Anm. 18], S. 238), ist in der auf Friedenswahrung bedachten Außenpolitik Preußens bis 1866 nicht zu erkennen. Der angebliche „Schçnheitsfehler der Friedensordnung von 1815“ (H. Schulze, Preußen … [s. Anm. 1323], S. 346), ging in seinem Kern auf die ersten westlichen Erwerbungen 1614 zurîck. 1495 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 341, das folgende Zitat: S. 335.

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Abgeordneten den Verfassungsbruch und besttigten damit zugleich, daß sie die mit der Politik Bismarcks verknîpfte Abwendung von Westeuropa indirekt billigten. Viele Mitglieder der bisher oppositionellen Fortschrittspartei schlossen sich der neu gegrîndeten loyalen Nationalliberalen Partei an.1496 Der Siegesjubel wandelte sich zu einer allgemeinen Euphorie, und „fast îber Nacht entstand der Bismarck-Kult.“ Das Kernproblem des Verfassungskonflikts, das Budgetrecht des Parlaments, kam bei den Beratungen îber den Bismarckschen Verfassungsentwurf des Norddeutschen Bundes erneut zur Sprache. Da das „Entgegenkommen“ Bismarcks, „nur“ den Militretat bis Ende 1871 von der parlamentarischen Zustimmung auszunehmen („Eiserner Etat“), den Zeitpunkt neuer Streitigkeiten faktisch programmierte, bençtigte Bismarck, wie die Erfahrung mit der Indemnittsvorlage lehrte, neue außenpolitische Triumphe, um der Opposition zu gegebener Zeit den Wind aus den Segeln nehmen zu kçnnen und damit „den Untergang der preußischen Militrmonarchie mit ihren traditionell-gesellschaftlichen Strukturen im ,Schlamm-Meere des parlamentarischen Regiments’“ (Roon) zu vermeiden – damit rîckte der Blickwinkel auf Westeuropa, genauer auf Frankreich, wieder in den Vordergrund. Die Umsetzung seiner von nun an antifranzçsischen Haltung von Diplomatie zum Krieg dauerte keine vier Jahre: Schon im Frîhjahr 1870 sah Bismarck als Bilanz der politischen Entwicklung seit 1866 einen „baldigen Krieg mit Frankreich“ voraus, in dem er „eine unabweisliche Notwendigkeit“ sah.1497 Preußische, deutsch-nationale und Westeuropapolitik Bismarcks fielen fortan zusammen. Unter den Verlierern von 1866 war auch Napoleon III., der die territoriale Expansion Preußens nicht verhindern konnte und mit seinen Wînschen auf Grenzvernderungen zu spt kam. Von der Unzufriedenheit des Franzosenkaisers îberzeugt, glaubte Bismarck, daß ein weiterer Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit „aller Voraussicht nach ohne Krieg mit Frankreich nicht zu bewerkstelligen sein wîrde“.1498 Die Annahme, daß ein Krieg mit Frankreich unvermeidlich sei, war seit 1866 eine feste Grçße in Bismarcks Westeuropapolitik.

1496 Zu Strke und Einfluß der antiwestlichen Stimmung wre zu konsultieren Ansgar Lauterbach, Im Vorhof der Macht. Die nationalliberale Reichstagsfraktion in der Reichsgrîndungszeit (1866 – 1880) (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 873), Frankfurt am Main u. a. 2000. 1497 Die faktische Perpetuierung des Budgetkonflikts betonen – im Gegensatz zu L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 389 und E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 655 – O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 365 f. und J. Becker, „Spanische Diversion“ … (s. Anm. 1474), S. 110, das Zitat (aus einem Gesprch mit dem schsischen Minister Friesen): S. 94. 1498 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 332 f.

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Der territoriale Zuwachs Preußens schien Napoleon nur akzeptabel, wenn auch Frankreich „Kompensationen“ erhalten wîrde. Als seine direkten Versuche keine Erfolge zeitigten, meldeten sich die Preußengegner, die vor kriegerischen Tçnen nicht zurîckschreckten, in der Presse wieder strker zu Wort. Seit den Untersuchungen von Herbert Geuss ist bekannt, daß sich im franzçsischen Kabinett zwei Auffassungen gegenîberstanden. Deshalb war die franzçsische Politik auch im Hinblick auf eine zu erwartende Einigung Deutschlands nicht immer ganz eindeutig. Napoleon, der zusammen mit einigen Ministern (La Valette, teilweise Rouher) einen eher konzilianten Kurs bevorzugte, mußte angesichts der preußenfeindlichen Haltung der Offensivpartei (Moustier, Benedetti, Gramont, Niel, La Tour d’Auvergne) lavieren und auf deren Position Rîcksicht nehmen. Die sich daraus ergebende zentrale Aufgabe der preußischen Außenpolitik, den Einfluß der Kriegspartei im franzçsischen Kabinett zurîckzudrngen, ist, wie die Ereignisse zeigen, langfristig gescheitert.1499 Seine erste Bemîhung, wieder zur politischen Offensive îberzugehen, verknîpfte Napoleon III. ungeschickterweise mit einer Kompensationsforderung, die ihm zwar innenpolitisch den Rîcken strken sollte, aber auf den erbitterten Widerstand der anderen Mchte stieß. Seine zweite Initiative betraf die Thronfolge in Spanien, fîr die ein Hohenzollernprinz vorgesehen war. Beide Streitpunkte lagen in Westeuropa. Beim ersten ging es um Luxemburg, doch Bismarck konnte die Annexionswînsche Napoleons torpedieren.1500 Seine „machiavellistischen Schachzîge“1501 beunruhigten zwar die Nachbarn, fîhrten aber zu einer internationalen Konferenz, auf der Preußen dafîr sorgte, daß der Staat neutralisiert wurde (Mai 1867). „C’est la fin de la politique des compensations; […] une forte amertume s’empare de l’opinion publique franÅaise.“1502 Der zweite Streit betraf die Kandidatur eines Hohenzollernprinzen fîr den seit 1868 vakanten spanischen Thron.1503 Da die franzçsische §ffentlichkeit darîber sehr beunruhigt war, lehnte Napoleon den Kandidaten ab. Wilhelm, vom franzçsischen Botschafter Benedetti in Bad Ems davon unterrichtet, erklrte sich schließlich am 12. Juli 1870 bereit, auf den Kandidaten Leopold von 1499 Vgl. H. Geuss, Bismarck … (s. Anm. 1350), S. 217 – 222. 1500 Zur Luxemburgkrise vgl. O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 379 – 394. Eine spezielle Fragestellung untersucht Herbert Maks, Zur Interdependenz innen- und außenpolitischer Faktoren in Bismarcks Politik in der luxemburgischen Frage 1866/67, in: Francia 24/3 (1997), S. 91 – 115. 1501 Zu dieser Formulierung s. o. bei Anm. 1496. 1502 J. Binoche, Histoire … (s. Anm. 29), S. 40. 1503 Vgl. dazu die Quellenauszîge bei R. Pommerin / R. Marcowitz, (Hg.), Quellen … (s. Anm. 1166), Nr. 50 – 55, S. 158 – 165; David Wetzel, Duell der Giganten. Bismarck, Napoleon III. und die Ursachen des Deutsch-Franzçsischen Krieges 1870/71. Aus dem Englischen von Michael Epkenhans, Paderborn u. a. 2005.

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Hohenzollern zu verzichten. Damit hatte die franzçsische Politik erreicht, was sie wollte. Aber die starke Kriegspartei war damit nicht zufrieden. Sie verlangte eine reculade, etwa einen Entschuldigungsbrief des Kçnigs und die Garantie, daß Preußen auch kînftig diese Kandidatur nicht unterstîtzen wîrde. Als diese Forderung Kçnig Wilhelm, der die Sache fîr erledigt ansah, am 12. Juli von Benedetti prsentiert wurde, schickte er am 13. Juli an Bismarck die berîhmte „Emser Depesche“, die Bismarck nach einigen Umformulierungen1504 verçffentlichte.1505 Nach hitzigen Debatten in der Kammer (Thiers: „Ich halte diesen Krieg fîr unklug“) setzten sich die Kriegsanhnger unter Emile Ollivier durch: Am 19. Juli traf in Berlin die franzçsische Kriegserklrung ein; da Außenpolitik inzwischen Bundessache war1506 und auch fîr die sîddeutschen Staaten durch die Allianzen von 1866 der casus belli eingetreten war, rîstete sich ganz Deutschland zum Krieg gegen Frankreich; ein vçllig unsinniger Krieg, une guerre de prestige, begann.1507 „La France est isol¤e en Europe. L’opinion europ¤enne lui donne tort et l’accuse de s’Þtre engag¤ dans le conflit sans cause s¤rieuse, par orgueil et ressentiment.“ Es ist an dieser Stelle angebracht, die Meinung eines franzçsischen Wissenschaftlers zur „Emser Depesche“, die ja den eigentlichen Kriegsgrund darstellte, mitzuteilen. Er weist zunchst darauf hin, daß bei einer ˜bersetzung manche Nuancen des Textes verlorengehen kçnnen („certains mots en allemand ne r¤sonnent pas de faÅon aussi brutale qu’en franÅais“), erwhnt auch die allgemeine Erregung îber den aide de camp de service, der dem Botschafter die kçnigliche Mitteilung îberbracht hat, stellt aber zusammenfassend fest: „Tout ce qui est dit dans cette d¤pÞche est vrai au point de vue des ¤v¤nements, et conforme au texte dict¤ par Guillaume Ier ” Ems. Et pourtant, Paris va consid¤rer cette d¤pÞche comme un outrage et s’irriter du fait que les conversations d’Ems aient ¤t¤ communiqu¤es ” la presse et aux gouvernements ¤trangers.“ Die Frage nach der Kriegsschuld 1870 bedeutet fîr die preußischfranzçsischen Beziehungen einen letzten Kulminationspunkt, der zugleich am Ende der jahrhundertealten preußisch-franzçsischen Beziehungsgeschichte steht, soweit sie die Große Politik betraf. Der folgende militrische Konflikt war kein Krieg mit Preußen mehr, sondern der erste deutsch-franzçsische Krieg, weil Preußen seine (west-) europische Politik im Grunde schon 1866 aufgeben 1504 Zu dieser Frage s. u. S. 804 f. 1505 Abdruck des deutschen Textes: R. Pommerin / R. Marcowitz (Hg.), Quellen … (s. Anm. 1166), Nr. 52, S. 160 f.; Abdruck des franzçsischen Textes: J. Binoche, Histoire … (s. Anm. 29), S. 42 f. 1506 Zu diesem Komplex s. u. S. 809 f. 1507 Diese treffende Formulierung, die aber, wie gleich zu erlutern, nichts îber die eigentliche Kriegsschuld aussagt, benutzt J. Binoche, Histoire … (s. Anm. 29), S. 39 zur Emser Depesche: S. 42 f. die folgenden Zitate: S. 43 f.

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mußte; nun fand sie, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, ihr endgîltiges Ende. Wegen der Brisanz der neueren Diskussion îber die Kriegsschuldfrage soll wenigstens kurz auf sie eingegangen werden. Eine sehr minutiçse Untersuchung der Julikrise kam 1970 zu dem Schluß, daß die Auffassung, Bismarck die Verantwortung fîr den Ausbruch des Krieges aufzubîrden, „falsch“ sei, weil „die franzçsische Regierung“ fîr mindestens drei Aktionen, die als „Hauptstationen auf dem Wege zum Krieg“ gelten kçnnen, „verantwortlich“ ist. Bismarck brauchte im Grunde nur zuzusehen, wie die politische Fîhrung Frankreichs („viel unzureichender als von allen europischen Staatsmnnern vor Ausbruch der Krise angenommen“) zum Kriegsentschluß und zur Kriegserklrung gelangte.1508 Daß diese These nicht unwidersprochen blieb, versteht sich von selbst. Nach wie vor vertreten einige Historiker mit guten Argumenten die Auffassung, daß Bismarck mindestens seit Mrz 1870 auf einen Krieg gegen Frankreich hinarbeitete. Bis 1945 sekretierte Dokumente wîrden Frankreich davon îberzeugen, so ein Gutachter von 1890, daß der Krieg von Bismarck „von langer Hand vorbereitet und beabsichtigt gewesen sei“.1509 Die „Friedensreise“ zur Pariser Weltausstellung von 18671510 war vergessen; die Lçsung der nationalen Frage glaubte Bismarck nur îber eine Krise mit Frankreich erreichen zu kçnnen. Sein Kollisionskurs sollte „Frankreich entweder zum Krieg provozieren oder diplomatisch schwer demîtigen“.1511 Diese antifranzçsische Einstellung, fîr die es keinerlei rationale Grînde gab und an der Bismarck seit 1866 festhielt, traf sich mit der grundstzlichen Antipathie Wilhelms, die auf die traumatischen Erinnerungen an die Franzosenzeit zurîckgingen.1512 Den Hçhepunkt der bismarckschen Kriegstreiberei bildete die erwhnte „Emser Depesche“, die erst infolge seiner ˜berarbeitung die angebliche Beleidigung des greisen und friedfertigen Kçnigs, den Bismarck whrend der Julikrise politisch lngst ausgeschaltet hatte,1513 deutlich werden ließ. Whrend der Verfasser des Telegramms nach der Publikation „ganz entsetzt“ behauptete, „so etwas nie geschrieben zu haben“, erklrte Wilhelm selbst spter, „er sei îber die Beleidigungsgeschichte ganz erstaunt gewesen“. Das gezielte Redigieren (Bis1508 Eberhard Kolb, Der Kriegsausbruch 1870. Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870, Gçttingen 1970, passim. Die Zitate: S. 137, S. 143 f., S. 146. 1509 J. Becker, „Spanische Diversion“ … (s. Anm. 1474), S. 91. Die Zitate im nchsten Absatz: S. 107 und S. 108. 1510 S. u. S. 850. 1511 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 464. 1512 S. u. S. 821 – 830. 1513 J. Angelow, Wilhelm … (s. Anm. 1429), S. 259: „Den Ausbruch des Krieges […] erlebte der preußische Kçnig als Marionette Bismarckscher Verschlagenheit.“

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marck: „Emser Legende“1514) sowie die propagandistisch geschickte Verbreitung des Textes fîhrten zu dem von Bismarck gewînschten Effekt: Er erhielt den von Frankreich erklrten Krieg, den er – zumindest – seit einigen Monaten gewollt hatte.1515 Die von Josef Becker herausgegebene dreibndige Quellensammlung (Stengers: „¤v¤nement scientifique“) mit dem pragmatischen Titel-Begriff „Reichsgrîndungskrieg“ soll diese These zweifellos untermauern. Dabei geht es u. a. um unverçffentlichte Briefe Augustas an Wilhelm („Zeugnisse eines bitteren Kampfes gegen Bismarck, fîr den Frieden in Europa und gegen die Thronkandidatur in Madrid“), die zum traditionellen Bismarck-Bild erhebliche Korrekturen bringen werden und zugleich zeigen, daß Bismarck und kein anderer die Abwendung Preußens von den westeuropischen Traditionen zu verantworten hat. Die bewußte Verschleierung der von Bismarck praktizierten Kriegspolitik und die bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg reichende „patriotische Selbstzensur deutscher Historiker nach 1918“ hat Josef Becker in der „Einleitung“ zur Quellenedition ausfîhrlich dargestellt.1516 Auch die franzçsische Kriegserklrung wird neuerdings differenzierter gesehen. Die „Emser Depesche“ wurde in den Hnden der Regierung Ollivier/ Gramont „primr zum Instrument fîr die Mobilisierung der nationalen Leidenschaften“ in einem Krieg um die Vorherrschaft in Europa.1517 Die Depesche selbst lieferte, wie ein franzçsischer Historiker es ausdrîckte, „la justification a posteriori de la guerre“.1518 Die Diskussion îber die Frage, ob Bismarck seit Mrz oder erst seit Anfang Juli zum Krieg entschlossen war, wird weitergehen. Daß Frankreich Mitte Juli in den Augen Europas isoliert war, sagt îber die lang-, mittel- oder kurzfristigen Kriegsursachen nichts aus,1519 sondern zeigt nur, daß die diplomatische Spekulation Bismarcks aufgegangen war: Die çffentliche Meinung Europas stand 1514 Im Grunde handelte es sich um mehrere „Emser Legenden“, vgl. J. Becker, „Spanische Diversion“ … (s. Anm. 1474), S. 106 – 108. 1515 Die ausfîhrlichste Darstellung bei O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 465 – 472. 1516 Josef Becker, Bismarcks spanische „Diversion“ 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgrîndungskrieg. Quellen zur Vor- und Nachgeschichte der Hohenzollern-Kandidatur fîr den Thron in Madrid 1866 – 1932, 3 Bde. (1: Einleitung: S. IX-LXXXVI, hier S. XV-XXVII; Quellen: 1866 – 4.4.1870; 2: 5.4.–12. 7. 1870; 3: 12.7.1870 – 12.9.1932), Paderborn 2003 – 2007. – Auf den negativen Einfluß schon der zeitgençssischen „Borussischen Geschichtswissenschaft“ weist auch Wolfgang Ribbe hin: W. Ribbe / H. Rosenbauer (Hg.), Preußen … (s. Anm. 1400), S. 194. 1517 J. Becker, „Spanische Diversion“ … (s. Anm. 1474), S. 112. 1518 FranÅois Roth, La guerre de 70, Paris 1990, S. 152. 1519 Der vermittelnden Tendenz Baumgarts („Die Kriegsschuld liegt also auf beiden Seiten“) muß im Hinblick auf die çffentliche Meinung widersprochen werden (W. Baumgart, Europisches Konzert … [s. Anm. 18], S. 398 f.).

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auf der Seite Preußens, dessen Regierung den Krieg, seit Wochen oder Monaten, bewußt herbeigefîhrt hatte.1520 „Zum Krieg kam es, weil Bismarck ihn fîr nçtig hielt und die Gelegenheit dazu im Sommer 1870 gînstig fand“1521 – zu der innenpolitisch orientierten Abkoppelung Preußens von Westeuropa, die durch Bismarcks Berufung 1862 erfolgt war, trat im ersten Halbjahr 1870 eine zweite, diesmal außenpolitisch motivierte Abkoppelung, die eine der beiden westeuropischen Großmchte betraf. Seit dem Verschwinden Napoleons I. hatten Preußen und Frankreich in einem zwar nicht spannungsfreien, doch im großen und ganzen akzeptablen Verhltnis miteinander gelebt. Daß die Beziehungen, die 1867 einen fast freundschaftlichen Charakter angenommen hatten, drei Jahre spter zu einem vçllig unnçtigen Krieg fîhren wîrden, ist einzig und allein den Machenschaften Bismarcks zuzuschreiben. Sieht man die innenpolitische Weichenstellung von 18621522 und die durch den bewußten antifranzçsischen Kollisionskurs provozierte außenpolitische Weichenstellung von 1870 zusammen, lßt sich der Eindruck nicht vermeiden, daß der „Reichsgrînder“ in doppelter Hinsicht eine fîr Preußen mehr als unheilvolle Rolle spielte.1523 Innenpolitisch hat er den Weg Preußens zu einem modernen Verfassungsstaat verhindert, außenpolitisch durch den Krieg und die anschließende Annexion Elsaß-Lothringens das bisher gute Einvernehmen mit Frankreich auf den Scherbenhaufen der Geschichte geworfen. Flexibilitt in der Außenpolitik konnte es danach nicht mehr geben, hielt doch Bismarck an seiner Prmisse der deutsch-franzçsischen Feindschaft, die er selbst verschuldet hatte, unbeirrbar fest. Bis zum Schluß blieb fîr den angeblich so flexiblen Diplomaten „die Grundkonstellation erhalten, wie sie nach 1871 entstanden war“: „die franzçsische Feindschaft war ab 1871 eine unverrîckbare Konstante in Bismarcks Außenpolitik“1524 – zwei Jahrzehnte lang fiel dem genialen Politiker als

1520 H. A. Winkler, Der lange Weg … (s. Anm. 1361), S. 203, meint, daß man „von einer alleinigen Kriegsschuld Bismarcks, Preußens oder Deutschlands“ nicht sprechen kann, doch wird man die von Bismarck gewollte Anti-Frankreich-Politik als einen erneuten Schritt auf dem „langen Weg nach Westen“ bewerten kçnnen. 1521 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 472. 1522 S. o. S. 792 – 794. 1523 Mit erfrischender Offenheit berichtet Pierre-Paul Sagave, 1871. Berlin – Paris. Capitale du Reich et capitale du monde (= Coll. Histoire), Paris 1995 [Dt. u. d. T.: 1871. Berlin – Paris. Reichshauptstadt und Hauptstadt der Welt, Frankfurt am Main/Berlin u. a. 1971, S. 29 – 41], îber die kritischen Stimmen zur Reichsgrîndung und die mit dem Ereignis in Versailles verbundene Mythologisierung, Idealisierung und Verflschung. 1524 Die beiden Zitate, die sich einander ergnzen, stammen von L. Gall, Bismarck … (s. Anm. 1348), S. 624, und W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 257. In der Nichtteilnahme des Deutschen Reiches an den Pariser Weltausstellungen 1878 und 1889, die auf Bismarck zurîckgeht, kann man eine weitere Besttigung dieser These

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Grundlage seiner Außenpolitik nichts anderes ein als die Konstanz der Gegnerschaft zu Frankreich. Wie stark Bismarck den Spielraum seiner eigenen Außenpolitik selbst begrenzt hatte, fiel ihm erst in den 80er Jahren auf. Auch die zweite westeuropische Großmacht betrachtete die Politik Bismarcks seit 1862 mit großer Skepsis. „Daß Prinzessin Victoria und der englische Hof eine konstitutionelle Entwicklung Preußens anstrebten und in diesem Sinn auf den Thronfolger einwirkten, war çffentlich bekannt.“1525 Sptestens 1863 hatte man in England und bei der „coburgischen Partei“ in Berlin begriffen, welche politischen Prferenzen der „Catilina“ in der Wilhelmstraße hatte.1526 Die Abkoppelung Preußens von der westeuropischen Entwicklung war danach nicht mehr aufzuhalten. Mit ihr begann die durchaus negativ zu bewertende „Eroberung Preußens durch Deutschland“, die 1932 zur Entmîndigung durch das Reich und 1947 zum Verschwinden des Staates fîhrte.1527 Die Gewaltpolitik Bismarcks und seine antifranzçsische Politik in den spten 60er Jahren waren die eigentlichen Ursachen des von Gregor Schçllgen konstatierten und bis 1947 bestehenden preußisch-deutschen „Sicherheitsdilemmas“.1528 Die Hohenzollernherrscher des 17. und 18. Jahrhunderts sind nur in ganz geringem Maße dafîr verantwortlich – im Gegensatz zu Wilhelm I., der unter der auf ihn zukommenden Verantwortung versagte. Man kann verstehen, daß der Monarch in der Kaiserkrone eine Verdunkelung seines historischen preußischen Kçnigtums erblickte, doch muß daran erinnert werden, daß die letzte Verantwortung immer bei ihm lag. Sowohl 1862 als auch 1870 hatte er sich îberrumpeln lassen – einmal von der Militrpartei, hinter der Bismarck stand, dann von Bismarck selbst. Seit 1862 war Wilhelm infolge der „paladinartigen Treue […] seinem erfolgreichen Ministerprsidenten gegenîber“1529 mehr und mehr unter dessen Einfluß geraten. In den militrischen Erfolgen sah er die logische Konsequenz einer weitschauenden, auf Preußens Wohl gerichteten Politik, deren politische Hintergrînde er immer weniger begriff. sehen, vgl. Ilja Mieck, Deutschland und die Pariser Weltausstellungen, in: E. FranÅois u. a. (Hg.), Marianne … (s. Anm. 999), 1, S. 31 – 60, hier S. 49. 1525 G. Richter, Wilhelm … (s. Anm. 1362), S. 53 f. 1526 Diese Bezeichnung zitiert O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 216, als Bestandteil der folgenden Beurteilung: „Wie die Kçnigin Augusta haßte und fîrchtete Friedrich Wilhelm (= der Kronprinz) den „Catilina“ in der Wilhelmstraße, der die Monarchie in den Abgrund zu fîhren schien.“ 1527 Mit dem Kapitel „Die allmhliche Eroberung Preußens durch Deutschland“ lßt E. Straub, Geschichte … (s. Anm. 26), S. 149 – 162, sein neues Preußenbîchlein enden. 1528 Vgl. dazu G. Schçllgen, Die Macht … (s. Anm. 12), S. 30 f. Das Sicherheitsproblem bestand zwar als Folge der Bismarckschen Politik „zumal fîr die Zeit nach 1871“, bildete aber seit dem frîhen 17. Jahrhundert eine stndige Voraussetzung flexibler brandenburgpreußischer Außenpolitik. 1529 J. Becker, „Spanische Diversion“ … (s. Anm. 1474), S. 109.

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„Drei Kriege, drei Siege, dreimal gefeiert ein tumber Tor!“1530 Das war die Konsequenz aus der Tatsache, daß der Kanzler „die politischen Entscheidungen […] nahezu diktatorisch an sich“ zog.1531 Fîr die Dominanz Bismarcks, „der ,monarchisches Prinzip’ und Dynastie in den Schatten stellte“, hatten nicht nur die Hohenzollern einen hohen Preis zu zahlen (1918);1532 den hçheren Preis bezahlte der Staat selbst, der 1947 aufgelçst wurde, weil es ihm ein halbes Jahrhundert lang nicht gelungen war, sich von der fatalen Erbschaft Bismarcks zu befreien. Dessen fast drei Jahrzehnte dauernde politische Dominanz begînstigte ein hohes Maß an Elitenkontinuitt in Großgrundbesitz, Schwerindustrie, Militr, Bîrokratie und Justiz und fçrderte das Erbe des Obrigkeitsstaates im Bîrgertum und in den Bildungsanstalten1533 – alles konservative, dem altgewordenen“ Wilhelm I. aber sympathische Elemente, die den Wertmaßstben der westlichen Demokratie nicht entsprachen und schlicht anti-westeuropisch waren. Etwas zugespitzt kann man sagen, daß die Entscheidungen von 1862 und 1870, die sich gegen England und Frankreich richteten und eine Abwendung von Westeuropa signalisierten, langfristig gesehen, zum Ende Preußens fîhrten. Nach 1871 wurde die zweifache Distanzierung Preußens von Westeuropa auf das Deutsche Reich ausgedehnt, mit dessen Schaffung Bismarck zwar die Einheitsfrage (von oben), nicht aber die Freiheitsfrage gelçst hatte. Bewußt formte der Kanzler das kînftige Reich zu einer (eingeschrnkten) konstitutionellen Monarchie ohne parlamentarisch verantwortliche Regierung, weil dies „das Ende ,seines’ Preußen und das hieß: der Vorherrschaft von Krone, Adel und Militr, bedeutet htte“.1534 Damit begann auch fîr Deutschland „der lange Weg nach Westen“, den Preußen schon 1862 und 1870 einschlagen mußte. Auf dieser Basis kçnnte man die „doppelte Versptung“ („Deutschland wurde sehr viel spter als […] England und Frankreich ein Nationalstaat und noch viel spter eine Demokratie“), die von Heinrich August Winkler konstatiert wird, etwas modifizieren – waren es doch in erster Linie die fehlende Parlamentari-

1530 E. Engelberg, Bismarck … (s. Anm. 1349), S. 758. 1531 G. Richter, Wilhelm … (s. Anm. 1362), S. 58. 1532 J. Becker, „Spanische Diversion“ … (s. Anm. 1474), S. 110. 1533 Die treffende Aufzhlung findet sich leicht modifiziert bei H. A. Winkler, Der lange Weg (s. Anm. 1361), 2: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, S. 642. 1534 Diese eindeutige Formulierung benutzt Heinrich August Winkler, Der Westen ist anders, in: Der Tagesspiegel, Nr. 17.227, 9. 11. 2000, S. 33. – Zu den im Reich dominierenden Krften und ihrem Sieg îber die (aus Westeuropa stammenden) parlamentarisch-demokratischen Ideen vgl. die ausgewogene Darstellung von Dieter HertzEichenrode, Deutsche Geschichte 1871 – 1890. Das Kaiserreich in der øra Bismarck, Stuttgart/Berlin/Kçln 1992, S. 9 – 33.

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sierung und die ausbleibende Demokratisierung, die als Hauptursachen fîr den „langen Weg nach Westen“ gelten mîssen.1535 5. Das Ende preußischer Außenpolitik Lange bevor mit der Julikrise des Jahres 1870 das Jahrhundert der angeblichen deutsch-franzçsischen „Erbfeindschaft“1536 eingelutet wurde, hatte nicht nur die preußische Westeuropapolitik, sondern die preußische Außenpolitik insgesamt, soweit sie außerdeutsches Gebiet betraf, ihr Ende gefunden. Obwohl es sie eigentlich schon nicht mehr gab, endete sie 1870/71 mit einem Paukenschlag: Durch die Entstehung des Deutschen Reiches wurde das europische Gleichgewicht vçllig zerstçrt.1537 Im Gefolge des Sieges von 1866 hatten sich 22 Staaten unter Fîhrung Preußens zum „Norddeutschen Bund“ zusammengeschlossen. Diese „Schçpfung preußischer Machtpolitik“1538 war ein fçderalistisch aufgebauter Staatenbund, dessen von Bismarck ausgearbeitete Verfassung, vom „Reichstag“ des Norddeutschen Bundes genehmigt, am 1. Juli 1867 in Kraft trat. Die Kompetenz fîr die auswrtigen Angelegenheiten lag nicht mehr bei den Einzelstaaten, sondern beim „Prsidium des Bundes“, das erblich der Krone Preußens zukam. An der Spitze des Prsidiums stand der preußische Außenminister, der zugleich Chef der Staatenkammer, des „Bundesrates“ war, den Titel „Bundeskanzler“ trug und die Regierungsgeschfte fîhrte, wobei ihm das „Bundeskanzleramt“ zur Seite stand. Auf diese Weise gab es wenigstens fîr Preußen eine personelle Kontinuitt, doch mit der außenpolitischen Souvernitt der Gliedstaaten, auch Preußens, war es faktisch vorbei. Die Umstellung auf einen gemeinsamen auswrtigen Dienst des Norddeutschen Bundes1539 begann damit, daß sich die bisherigen Auslandsvertreter Preußens zustzlich als „Botschafter des Norddeutschen Bundes“ akkreditieren lassen mußten.1540 Sie arbeiteten also in den ersten Jahren in einer Doppelfunktion und waren, nach den Worten des Gesandten in London, „eine Art von Amphibien geworden“. Whrend Bernstorff auf seine Visitenkarte „The Prus1535 Zur Gesamtproblematik vgl. H. A. Winkler, Der lange Weg … (s. Anm. 1361), 2, S. 640 f. 1536 „Avant 1870, les relations entre FranÅais et Allemands ¤taient amicales,“ heißt es kurz und bîndig bei J. Binoche, Histoire … (s. Anm. 29), S. 1. Im Sptsommer 1866 soll auf deutscher Seite erstmals das Wort von „la France comme l’ennemie h¤r¤ditaire“ gefallen sein (ebd., S. 40). 1537 Diese Feststellung Disraelis zitiert P.-P. Sagave, 1871 … (s. Anm. 1523), S. 41. 1538 O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 332. 1539 Eine knappe Zusammenfassung gibt W. Baumgart, Europisches Konzert … (s. Anm. 18), S. 127 f. 1540 Die folgenden Angaben nach B. Fischer u. a. (Hg.), Wilhelmstraße … (s. Anm. 1390), S. 60 f.

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sian and North German Ambassador“ drucken ließ, verwendete v. d. Goltz in Paris seine Karte nur selten, weil „L’Ambassadeur de Prusse et de la Conf¤d¤ration de l’Allemagne du Nord“ zu lang war und zudem republikanisch klang. Die entsprechenden Beglaubigungsschreiben wurden problemlos von den fremden Herrschern anerkannt; die zweite Akkreditierung, die zum Ergçtzen der eingefîhrten Diplomaten jedesmal mit einer erneuten Antrittsaudienz verbunden war, erfolgte in der zweiten Jahreshlfte 1867. Nachdem erste Erfahrungen mit der neuen Außenvertretung gesammelt worden waren, schlug Bismarck am 4. Januar 1870 vor, das „Ministerium der auswrtigen Angelegenheiten des Norddeutschen Bundes“ amtlich in „Auswrtiges Amt des Norddeutschen Bundes“ umzubenennen, weil diese Behçrde „nicht den Wirkungskreis eines verfassungsmßigen Ministers“ darstellte. Die umbenannte Behçrde sollte nach wie vor dem Bundeskanzleramt unterstehen und von einem Staatssekretr geleitet werden. Nachdem Kçnig Wilhelm am 10. Januar 1870 die Vorschlge genehmigt hatte, wurde der diplomatische Dienst darîber informiert, daß mit Jahresbeginn „die Verwaltung der auswrtigen Angelegenheiten Preußens in seinen gesamten Beziehungen zum Bundesauslande auf den Norddeutschen Bund îbergegangen“ sei. Fortan war das altehrwîrdige preußische Außenministerium nur noch fîr die Beziehungen des preußischen Staates zu den anderen Bundesstaaten zustndig. Als Geburtsstunde des „AA“ gilt der 10. Januar 1870; nach dem Anschluß der vier sîddeutschen Staaten an den Norddeutschen Bund im November 1870 beantragte der Bundesrat am 9. Dezember, den erweiterten Norddeutschen Bund nunmehr „Deutsches Reich“ zu nennen. Nach der Genehmigung durch den Reichstag (10. Dezember 1870) und der Verkîndung der Reichsverfassung (31. Dezember 1870) hçrte der Norddeutsche Bund zu bestehen auf, und das Deutsche Reich trat ins Leben. Damit hatte sich der Wunsch Bernstorffs in London erfîllt, sich baldmçglich „Ambassadeur d’Allemagne“ nennen zu kçnnen.1541 Seine vorgesetzte Behçrde erhielt allerdings erst am 4. Mai 1871 die Bezeichnung „Auswrtiges Amt des Deutschen Reiches“, blieb aber im Hause Wilhelmstraße 76.1542 Der 1541 Schreiben an v. d. Goltz vom 10. 3. 1868, zitiert ebd., S. 60 f. – Abgesehen von seinem Intermezzo als Außenminister (1861/62) war Bernstorff seit 1854 preußischer Gesandter in London; seine Verdienste um gute Beziehungen zu England sind beachtlich; s. auch oben Anm. 1430. 1542 Zur Umstrukturierung der preußischen Behçrden in Reichsbehçrden siehe das mit vielen Plnen und Fotos ausgestattete Werk von Laurenz Demps, Berlin-Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht, Berlin 21996, S. 127 – 164; Hans Wilderotter, „Germania mit dem Reichswappen“. Der Ausbau der Behçrdenstandorte des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches in der Wilhelmstraße bis 1880, in: Helmut Engel / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtsmeile Wilhelmstraße (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997, S. 101 – 116.

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Amtssitz vergrçßerte sich 1877/1882 (Kauf/Bezug des Hauses Wilhelmstraße 75). Das schon 1875 ebenfalls vom Staat erworbene Palais Radziwill (Wilhelmstraße 77, Einweihung nach Umbauten 1878; Wohnung Bismarcks, Berliner Kongreß) wurde zur Reichskanzlei umgebaut.1543 Das Zentralgebude des Auswrtigen Amtes (Wilhelmstraße 76), in dem nur die Politische Abteilung untergebracht werden konnte (die anderen hatten ihre Dienstrume in der Wilhelmstraße 61), war seit 1819 Amts- und Wohnsitz der preußischen Außenminister. Der Staat hatte das von dem frîheren russischen Gesandten Alopaeus Anfang des 19. Jahrhunderts aufwendig ausgebaute Palais erworben, weil man dem nach einer Karriere in Dnemark zum preußischen Außenminister berufenen Grafen Bernstorff ein Dienstgebude mit Dienstwohnung versprochen hatte. Wegen der Raumnot wurde der grçßere Teil der Bîros erst im Ordenspalais (Wilhelmplatz 8), seit 1827 in der Wilhelmstr. 61 untergebracht. Bismarck logierte zuerst im Staatsministerium (Wilhelmstraße 74), zog aber noch 1862 ins Außenministerium, wo er 16 Jahre wohnen blieb.1544 Nachdem 1882 infolge eines großen Gebudetauschs auch die Zweite Abteilung (Handel, Recht, Konsularwesen usw.)1545 in das 1877 hinzugekaufte Gebude eingezogen war, bekam das Auswrtige Amt im Januar 1920 noch das Haus Wilhelmstraße 74 hinzu, so daß es bis 1945 seinen Sitz in der Wilhelmstraße 74 – 76 hatte. Gebaut wurde immer, der Platzmangel war permanent. V. Ribbentrop war empçrt îber die „rumliche Beengtheit in den alten Baulichkeiten und die altpreußische Einfachheit in der Ausstattung der Dienstrume“ und verlagerte einige Abteilungen nach auswrts. Eine der beiden Sphinxen, die seit Alopaeus’ Zeiten den Treppenaufgang zur oberen Etage in Nr. 76 flankierten, lag Ende 1947 noch immer an ihrem alten Platz in dem zerbombten und ausgebrannten Gebude.1546 Weil die Wilhelmstraße sich mehr und mehr zu einem Zentrum der preußisch-deutschen und der internationalen Politik entwickelte, siedelten sich 1543 Zu den Einzelheiten vgl. L. Demps, Wilhelmstraße … (s. Anm. 1542), S. 299 – 312 (= Biographien der Grundstîcke und Gebude); etwas ausfîhrlicher: Hans Wilderotter, Alltag der Macht. Berlin Wilhelmstraße, Berlin 1997, S. 239 – 323 (= Die Wilhelmstraße – Gebudemonographien). 1544 Vgl. dazu die informationsreiche Studie von Heinz Gînther Sasse, Die Wilhelmstraße 74 – 76. 1870 – 1945. Zur Baugeschichte des Auswrtigen Amtes in Berlin, in: O. Hauser (Hg.), Preußen … (s. Anm. 432), S. 357 – 376; zu den ersten Jahren ergnzend: L. Demps, Wilhelmstraße … (s. Anm. 1542), S. 85 – 90. 1545 Zur Binnenstruktur des „AA“ vgl. Ludwig Biewer, Die Wilhelmstraße in der Sicht des Auswrtigen Amtes, in: H. Engel / W. Ribbe, Geschichtsmeile … (s. Anm. 1542), S. 85 – 100, hier S. 86 – 89. 1546 Eine (undatierte) Fotographie des Eingangsbereiches mit den beiden Sphinxen findet sich bei H. Wilderotter, Alltag … (s. Anm. 1543), S. 173.

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auch zahlreiche Gesandtschaften, darunter alle westeuropischen, hier oder in unmittelbarer Nhe an.1547 II. Beziehungen anderer Art Obwohl die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Preußen und Westeuropa von den wechselnden politischen Situationen nicht zu trennen sind, gab es – unterhalb der Großen Politik – einen breiten Bereich, in dem ein kontinuierlicher wechselseitiger Kulturtransfer von unterschiedlicher Intensitt stattfand und außerdem gut funktionierende Handelsbeziehungen existierten. 1. Kultureller Austausch, Freund- und Feindbilder Das Verhltnis Preußens zu Großbritannien scheint – hnlich wie im umgekehrten Fall – zu Anfang eher reserviert gewesen zu sein, bevor sich im technischen Bereich durch die zahlreichen Industrialisierungskontakte die Situation verbesserte.1548 Fîr den literarischen Sektor kann Theodor Fontane genannt werden, der zwar Frankreich schtzte,1549 aber auch dreimal England bereiste (1844, 1852, 1855 – 1859) und etwa vier Jahre dort verbrachte. Wie er sind zweifellos viele andere preußische Romanciers und Schriftsteller nach Großbritannien gefahren, um Kunst und Kultur an Ort und Stelle zu studieren und zugleich von der Liberalitt des Landes zu profitieren. Es mag mit der deutschfranzçsischen Aussçhnung zusammenhngen, daß sich die Wissenschaftler bislang strker den historischen Wurzeln des preußisch/deutsch-franzçsischen

1547 Eine ˜bersicht bei L. Demps, Wilhelmstraße … (s. Anm. 1542), S. 90. 1548 ˜ber deutsche/preußische Techniker und Wissenschaftler, die wie die Brîder Wilhelm, Friedrich und Karl Heinrich Siemens in der zweiten Jahrhunderthlfte auf Dauer als geachtete Unternehmer in England arbeiteten, fehlt nach wie vor eine zusammenfassende Untersuchung. Werner Siemens in Berlin und Wilhelm Siemens in London stehen im Brennpunkt der neuen Studie von Elisabeth Bîhlmann, La ligne Siemens. La construction du t¤l¤graphe indo-europ¤en 1867 – 1870, Bern u. a. 1999. 1549 Seine beiden Aufenthalte als Kriegskorrespondent in Frankreich fielen in eine Zeit, die in diesem Beitrag nicht mehr behandelt wird (29.9.–1.12.1870, 10.4.–13. 5. 1871). Daß er dabei „im Land seiner Vorfahren“ eintraf (P.-P. Sagave, Berlin … [s. Anm. 336], S. 220), ist etwas îbertrieben: Fontane hatte eine (illegitime, spter von K. W. Kummer adoptierte) Enkelin von Pierre Rouanet geheiratet, einem in friderizianischer Zeit nach Preußen gekommenen Soldaten, der hier Sprachlehrer und spter Kmmerer von Beeskow wurde. Vgl. dazu J. P. B. Rouanet, Toulouse … (s. Anm. 681), S. 164 (zur Familiengeschichte).

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Kulturtransfers zugewandt und das Verhltnis zu Großbritannien ein wenig vernachlssigt haben.1550 Positive Auswirkungen hatten auch die vielen Englandreisen, die „Fritz“, der sptere 99-Tage-Kaiser Friedrich III., unternahm. Auf seiner sechsten Reise heiratete er – in London, wo man ihn 1857 sogar zum Ehrenbîrger gemacht hatte – am 28. Januar 1858 das lteste Kind der Queen Victoria, die Tochter Victoria, die im Familienkreis „Vicky“ genannt wurde. Langfristig erhofften sich die Queen, der Prinzgemahl Albert und sein Berater Stockmar von dieser Ehe eine allmhliche Herauslçsung Preußens aus seiner traditionellen Rußlandfreundschaft und eine Hinwendung zu einer konstitutionellen Staatsform. Sollte sich die Einigung Deutschlands zu einem Großstaat vollziehen, kçnnte dieser der naturgegebene Verbîndete Großbritanniens werden. Ein solcher Akt dynastischer Verbindung wîrde auch die beiden Lnder selbst einander nherbringen. Mit entsprechender Begeisterung wurde in England die Geburt „eines englisch-preußischen Prinzen“, des spteren Kaisers Wilhelm II., begrîßt. Die Queen schrieb euphorisch an die preußische Kçnigin: „Unser gemeinsamer Enkel bindet uns und unsere Lnder immer enger zusammen.“1551 øhnliche Hoffnungen verbanden die fortschrittlichen Kreise Preußens mit der Heirat: Die Ehe erschien der liberalen Bevçlkerung wie ein Symbol einer neuen „Belle-Alliance“ und wie eine Bîrgschaft, daß auch Preußen „fortan nach den Prinzipien geleitet und regiert werden wîrde, auf welchen Englands Freiheit und Grçße beruhte.“ In der Eheverbindung Friedrich Wilhelms, „der eine neue øra des Glîcks fîr unser Vaterland heraufzufîhren bestimmt schien“, mit der englischen Prinzessin sah die „Masse des Volkes“ zugleich auch ein Ende der intimen Freundschaft mit Rußland, die man fîr die reaktionre preußische Innenpolitik weitgehend verantwortlich glaubte.1552 Der kînftige preußische Thronfolger und seine britische Gemahlin waren Hoffnungstrger fîr eine §ffnung Preußens nach Westeuropa. Entsprechend umjubelt war – trotz bitterer Klte – der feierliche Einzug der Jungvermhlten in Berlin (8. Februar 1858). Ein Augenzeuge ersphte das Gesicht der Prinzessin „hinter der großen Spiegelscheibe der goldenen Hochzeitskutsche […] fîr einige Sekunden bei ihrem langsamen Vorbeifahren durch mein Opernglas“1553 – es war wohl doch nicht der vom Protokoll vorgeschriebene „offene Wagen“, der Victoria so frieren ließ wie noch nie in ihrem 1550 Es ist sehr zu begrîßen, daß der neue Sammelband von W. J. Mommsen, Ungleiche Partner … (s. Anm. 28), auch einige Aufstze zu den preußisch-britischen Beziehungen enthlt. 1551 Den Brief vom 30. 1. 1859 zitiert J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 24. 1552 Ludwig Pietsch, Wie ich Schriftsteller geworden bin, 1: Erinnerungen aus den Fînfziger Jahren, Berlin 21898, S. 336 – 338. 1553 Ebd., S. 336 – 342, die Zitate S. 341.

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Leben.1554 Zur Erinnerung an diese grandiose entr¤e wurde die Straße, die heute zwischen Philharmonie und (neuer) Staatsbibliothek vom Landwehrkanal zum Kemperplatz verluft, in Viktoriastraße umbenannt.1555 Infolge der engen familiren Beziehungen kam es zwischen dem britischen Herrscherpaar und dem preußischen Kronprinzenpaar1556 recht hufig zu gegenseitigen Besuchen. Nachdem Albert im Juni 1858 allein in Babelsberg gewesen war, stattete er zwei Monate spter seiner Tochter zusammen mit der Queen einen „visit of some length“ ab. Obwohl Victoria von einigen Ministern begleitet wurde, galt der Besuch als „quite private and unofficial“.1557 Damit setzte erstmals ein englischer Monarch seinen Fuß auf preußischen Boden. Umgekehrt reisten „Vicky“ und „Fritz“ im Sommer und im November 1859 (mit dem kleinen Wilhelm) nach Osborne; als der verhaßte Bismarck schon seit lngerer Zeit den Ton angab, blieb das Kronprinzenpaar sogar von September bis zum Dezember 1863 in England.1558 Vielleicht war es der Besuch von Albert und der Queen von 1858, der Eduard Gaertner zu einem Gemlde anregte, fîr das in der Literatur zwei Titel genannt werden: „Die Schloßbrîcke beim Besuch der Kçnigin Victoria von Großbritannien 1861“ oder „Einzug zur Hochzeit des Prinzen Friedrich Wilhelm mit der Prinzessin Viktoria, 1861“.1559 Gaertner selbst nannte das Gemlde, das schon vor 1860 entstanden ist, nur „Ansicht der Schloßbrîcke hierselbst“, obwohl das Bild ohne Zweifel ein wichtiges preußisch-britisches Ereignis darstellt (Flaggen!). Jedenfalls sind sowohl die von Gaertner selbst angegebene Datierung (1861) als auch die genauen Bezeichnungen irrefîhrend: Die Hochzeit (in London!) und der Einzug in Berlin hatten bereits 1858 stattgefunden,1560 und die Queen hat 1861 Berlin îberhaupt nicht besucht.

1554 So W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), S. 59 f. 1555 Der heutige Name „Potsdamer Straße“ ist irrefîhrend: Infolge der Kriegszerstçrungen und der vielen Neubauten gibt nur die „Alte Potsdamer Straße“ noch die Richtung der frîheren Straßenfîhrung an. 1556 In diese Position gelangte das Paar offiziell natîrlich erst nach dem Tode des seit 1858 geisteskranken Friedrich Wilhelm IV. 1557 Alle Angaben nach F. Ponsonby (Hg.), Letters … (s. Anm. 1368), S. 17. 1558 Ebd., S. 21, S. 24 und S. 49. 1559 Version 1 findet sich bei G. Heinrich, Geschichte … (s. Anm. 82), nach S. 384, Abb. 84; Version 2 bei Irmgard Wirth, Eduard Gaertner. Der Berliner Architekturmaler, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1978, Abb. 182. 1560 Zur Gemldefrage vgl. die îberzeugende Argumentation in: Dominik Bartmann / Rolf Bothe (Hg.), Stadtbilder. Berlin in der Malerei vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart (= Katalogband), Berlin 1987, S. 139 – 141: Nr. 62. Fîr den Besuch der Queen 1858 als Motiv kçnnte sprechen, daß sich das Gemlde noch heute im Besitz der Hohenzollern befindet (und bei der Gaertner-Ausstellung in Berlin 2001 nicht gezeigt wurde).

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Das Kronprinzenpaar stand fîr Englandfreundlichkeit, fîr politische Liberalitt und fîr Weltaufgeschlossenheit. Vom englischen Prinzgemahl Albert war der junge Friedrich Wilhelm sehr beeindruckt; er verdanke es ihm, so ußerte er spter, „daß er es gelernt habe, die Welt mit den Augen eines Westeuropers anzusehen“.1561 Friedrich Wilhelm dachte daran, nach der Regierungsîbernahme mittels einer Ablçsung der oktroyierten Verfassung durch eine neue Konstitution zu „einen rationalen Ausgleich der Macht zwischen Krone und Volk“ zu gelangen. Darauf beruhte das außenpolitische Konzept des Prinzenpaares: An Stelle der vasallenhaften Bindung an Rußland „der Versuch eines vertrauensvollen Schritthaltens mit dem konfessionell, stammesmßig und kînftig dann auch in der Staatsform verwandten England“.1562 Auch îber die stolze und machtbewußte, aber auch gebildete, umgngliche und liberale Victoria, die nach dem Tode ihres Mannes den Namen „Kaiserin Friedrich“ annahm, sind erhebliche Einflîsse aus England nach Preußen gedrungen, beispielsweise konstituierte sich auf ihre Initiative 1867 der Verein „Deutsches Gewerbe-Museum“, der nach dem Vorbild des seit 1853 in London bestehenden South-Kensington-Museums auch in Berlin die Errichtung einer Mustersammlung mit angeschlossener Fachschule plante. 1868 wurde in der Tat das spter sehr renommierte Kunstgewerbemuseum erçffnet,1563 fîr das Walter Gropius 1877 – 1881 den heute nach ihm benannten Bau schuf. Victoria war auch Schutzpatronin des „Vereins der Berliner Kînstlerinnen“, dessen Grîndung 1867 durch W. A. Lette und W. v. Siemens sie sehr gefçrdert hatte.1564 Auch in politischer Hinsicht hielt Victoria an ihren aus England mitgebrachten Grundstzen fest. Bismarck, der in der Heirat mit der englischen Prinzessin schon im Vorfeld (1853) ein „Sicherheitsrisiko“ gesehen hatte, fand in ihr oft eine sehr unbequeme Gegenspielerin. Die Spannungen zwischen beiden erreichten in den frîhen 80er Jahren einen Hçhepunkt, als Bismarck aus rein taktischen Grînden „durch den Kolonialerwerb […] einen Zankapfel in die deutsch-englischen Beziehungen“ werfen wollte und deshalb, wie Axel Riehl nachgewiesen hat, auf eine betont antienglische Kolonialpolitik einschwenk-

1561 Zitiert von W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), S. 35 f. 1562 Alle Zitate ebd., S. 67. 1563 A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 75 f. 1564 Zu diesem Verein, der in Preußen der erste Berufsverband fîr Frauen gewesen sein soll, vgl. auch unten Anm. 246. Auch die deutsche Frauenbewegung, die in den 70er und 80er Jahren in Berlin ihren Kristallisationspunkt hatte, wurde von der Kronprinzessin tatkrftig unterstîtzt (vgl. Angelika Schaser, Helene Lange und Gertrud Bumer. Eine politische Lebensgemeinschaft (= L’homme, Schriften, 6), Kçln/Weimar/Wien 2000, S. 60 – 63.

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te.1565 Auch danach kam es zwischen Bismarck und Victoria immer wieder zu Konfrontationen. „Die Abneigung wandelte sich zu Haß, wenn Bismarck sich in die Vorstellung hineinsteigerte, daß bei einem Thronwechsel […] der liberale Kronprinz Friedrich Wilhelm an die Regierung kommen wîrde, der obendrein mit der noch liberaleren Tochter der englischen Kçnigin, Victoria, verheiratet war. Der neue Kaiser wîrde in der Innenpolitik die Weichen umstellen, in der Außenpolitik sich […] zu einem Zusammengehen mit England orientieren“1566 – genau diese beiden Chancen waren seit 1862 verspielt worden und hatten Preußen auf den „langen Weg nach Westen“ gebracht. Von Anfang an erwarteten die konservativen Kreise am preußischen Hof, insbesondere die Rußlandfreunde, zu denen Gerlach und die Kamarilla sowie der Minister Manteuffel gehçrten, von dem „englischen Wesen“, das die selbstbewußte und eigenwillige junge Frau an den Tag legte, nichts Gutes fîr Altpreußen. Eine preußische Kronprinzessin, die bei einer England-Reise erklrte, endlich auf der englischen Seite des ørmelkanals angekommen zu sein, „what will ever remain for me the right side of the Channel“,1567 mußte bei der russophilen und mnnlich-autokratisch orientierten Militrpartei leichtes Entsetzen auslçsen. Ihr ausgezeichnetes Verhltnis zu ihrem Mann wurde weder durch die beginnenden politischen Animositten noch durch die anfnglichen Unzulnglichkeiten des Wohnkomforts im Berliner Schloß getrîbt. Mit der ˜bersiedlung nach Babelsberg nderte sich vieles, hatten doch Lenn¤ und Pîckler-Muskau nicht nur den Park nach englischem Vorbild umgestaltet. Auch das Schloß und die Parkgebude erinnerten an englische Landsitze, so daß sich Victoria bald wohler fîhlte: „Der sanft gehîgelte, prchtig gehaltene Rasen“, die Pergola und die Treibhuser, der Blick auf die Havel, das Schloß und die Mçbel – „alles Dinge, wie sie ja auch das viktorianische England liebte“.1568 øhnlich war es mit dem Krongut Bornstedt (bei Potsdam), wo das Kronprinzenpaar mit seinen 1565 Das Ergebnis des 800-Seiten-Werkes von Axel T. G. Riehl, Der „Tanz um den øquator“. Bismarcks antienglische Kolonialpolitik und die Erwartung des Thronwechsels in Deutschland 1883 bis 1885 (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 1), Berlin 1993, „klingt beinahe unfaßbar, ist aber […] nicht anders zu deuten“ (W. Baumgart, Europisches Konzert … [s. Anm. 18], S. 253). 1566 Ebd. 1567 Victoria an die Queen, 15./16. 6. 1887, zitiert von J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 652 und S. 927 (Anm. 39). Sie begleitete den bereits todkranken Kronprinzen auf seiner letzten Englandreise. 1568 Vgl. W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), S. 59 – 61. Das Schloß Babelsberg war ein sehr geeigneter Ort fîr die kleine Ausstellung (2001) des von Victoria gefçrderten „Vereins Berliner Kînstlerinnen“, von der man sich eine positivere Wîrdigung der „Kaiserin Friedrich“ erhoffte. – Zum Krongut Bornstedt siehe „Der Tagesspiegel“ vom 5.12.2004.

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Kindern seit 1867 ausgedehnte Sommerferien verbrachte („Die glîcklichsten Zeiten in unserem Leben“). „Vicky“ und „Fritz“ entwickelten hier ein Mustergut fîr Milchwirtschaft und bauten ein altes Brau- und Brennhaus zu einem modernen Stall fîr 63 Milchkîhe um. Die Kronprinzessin entdeckte ihre Liebe zur Gartenarbeit, bezog Pflanzensetzlinge und Blumensamen aus England und zîchtete Rhododendren und „Victoria-Veilchen“. Die recht hufigen gegenseitigen Besuche sind bereits erwhnt worden.1569 Ob sich aus diesen positiven Beziehungen eine allgemeine Belebung des preußisch-britischen Kulturtransfers – etwa im Umfeld der beiden Londoner Weltausstellungen1570 – entwickelte, bedarf noch der genaueren Erforschung. Ein englisch-preußischer Wissenschaftler-Transfer besonderer Art ging auf die Queen Victoria zurîck, die im Januar 1859 ihren Leibarzt Sir James Clarke sowie eine englische Hebamme nach Berlin schickte. Weil kein Spezialist, blieb Clarke bei der Geburt Wilhelms allerdings im Hintergrund. Als sich im Laufe der Zeit mehrere Behinderungen des Babies herausstellten (Armlhmung links, Reizbarkeit, Wutanflle, Gleichgewichtsstçrungen; 1878 kam ein Ohrenleiden dazu) wlzte Victoria alles auf die preußischen ørzte ab, denen sie Kunstfehler vorwarf, die zu Geburtsschden gefîhrt htten.1571 Auch „englische Experten“, die man spter wegen der unsicheren Diagnose der Armlhmung konsultierte, konnten nicht weiterhelfen. Die Fehldiagnosen fîhrten dazu, daß das Kind, dem natîrlich ein englisches Kindermdchen, Emma Hobbs,1572 beigegeben wurde, jahrelang unter falscher Behandlung zu leiden hatte. Bei der Geburt des zweiten Sohnes (Heinrich, *1862) war der englische Spezialist Sir Charles Locock dabei.1573 Eine hnlich heikle Situation ergab sich, als angesichts der schweren Erkrankung des „ewigen Kronprinzen“ Friedrich Wilhelm 1887 das preußische/ deutsche ørzteteam eine (sehr riskante) Kehlkopfoperation versuchen wollte; der aus England herbeigerufene Spezialist, Sir Morell Mackenzie, riet aus Grînden, die nicht ganz durchschaubar sind, davon ab, unternahm spter selbst in England einen Eingriff, ohne aber eine dauerhafte Heilung herbeifîhren zu 1569 S. o. S. 812 – 817. 1570 Auch in der Arbeit von U. Haltern, Londoner Weltausstellung … (s. Anm. 1293), ist kaum von „Preußen“ die Rede. Erwhnung findet dagegen der Zollverein; im „Vergleich der Nationen“ wird an dritter Stelle „Deutschland“ behandelt. 1571 Der genaue medizinhistorische Hintergrund ist erst kîrzlich erforscht worden: J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 21 – 36 und S. 37 – 71, widmet seine ersten beiden Kapitel diesem Problem. 1572 Der Trotz, Ungezogenheit, Sprechfaulheit, Boshaftigkeit und Grobheit des Zweijhrigen brachten die Mutter zu dem Urteil, ihr Sohn sei „eine ußerst destruktive kleine Person“; vgl. ebd. S. 94 – 99, das Zitat (aus einem Brief vom 21. 1. 1861): S. 95. 1573 H. O. Meisner (Hg.), Tagebîcher … (s. Anm. 1398), S. 157 (28. 8. 1862).

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kçnnen.1574 In grotesker Vereinfachung îbertrug Wilhelm spter die Abneigung gegen seine Mutter auf die englischen Mediziner: „An English doctor killed my father, and an English doctor crippled my arm – and this we owe to my mother who would not have Germans about her.“1575 Auch unter diesem Aspekt nahmen die preußisch-britischen Beziehungen entgegen der von Albert und der Queen gehegten Hoffnungen seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts einen nicht sehr glîcklichen Verlauf. In den kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Preußen gab es vor 1870/71 keinen Bruch.1576 Die Germanophobie mancher Franzosen, die in der Realitt oft eine Prussophobie war, sowie die Frankreichliebe vieler Preußen gingen von der ersten Jahrhunderthlfte nahtlos in die zweite îber. Man beschftigte sich in Frankreich weiterhin mit den Philosophen Kant, Fichte und Hegel (die alle in Preußen gelehrt hatten), las deutsche Schriftsteller wie Goethe, Schiller, Lessing, Hoffmann, Heine und Uhland, deren Werke zum Teil îbersetzt wurden, wie auch ein Roman von Gustav Freytag, der in Fortsetzungen im Moniteur erschien. Franzçsische Wissenschaftler korrespondierten mit deutschen, wobei die Berliner Professoren an Universitt und Akademie nach wie vor gesuchte Partner waren. Ins Franzçsische îbersetzt wurden auch wissenschaftliche Arbeiten von besonderer Bedeutung, beispielsweise das vierbndige Hauptwerk des Nichtpreußen Friedrich Creuzer îber die „Symbolik und Mythologie der alten Vçlker“, von dem Joseph-Daniel Guigniault eine traduction annot¤e anfertigte oder die Volksausgabe des „Leben Jesu“ (1863, 131904) von David Friedrich Strauß, um dessen Resonanz in Frankreich sich der bekannte Emile Littr¤ verdient gemacht hat. Eine systematische Untersuchung des literarisch-wissenschaftlichen Transfers zwischen Preußen und Frankreich mit dem Ziel, „die sprlichen ˜berbleibsel jener großen deutsch-franzçsischen Zeit aufzulesen“,1577 steht leider aus. 1574 Vgl. zu diesem medizinhistorischen sehr komplexen Fall die jîngste Analyse von J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 643 – 671, und die folgenden Kapitel. Eine ausgewogene Darstellung stammt auch von W. Richter, Friedrich … (s. Anm. 1404), S. 284 ff.; auch Philipp Vandenberg, Die heimlichen Herrscher. Die Mchtigen und ihre ørzte. Von Marc Aurel bis Papst Pius XII., Mînchen 1991, S. 107 – 148, gibt eine gute Zusammenfassung. Allgemeiner: Rolf Winau, Krankheiten und Gesundheitspolitik im Leben der drei deutschen Kaiser, in: W. Treue, Drei Kaiser … (s. Anm. 1362), S. 174 – 187. 1575 J. C. G. Rçhl, Wilhelm … (s. Anm. 1366), S. 827, Anm. 47. 1576 Angesichts der sehr verstreuten Literatur, die sich – wie fast immer – nicht auf Preußen, sondern auf Deutschland bezieht, stîtzt sich die folgende Darstellung auf die knappe, aber an Quellenauszîgen reiche Zusammenfassung von J. Binoche, Histoire … (s. Anm. 29), S. 32 – 37, dort auch die Zitate. 1577 Diese treffende Einschtzung fîr die Zeit zwischen 1790 und 1870 gibt Jîrgen Trabant, Indien und Amerika. ˜ber die deutsch-franzçsischen Anfnge der Sprachwis-

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Auch nach 1850 wurde Preußen kein ausgesprochenes Exportland fîr den Bereich der Musik. Die Franzosen liebten Mozart, Beethoven, Haydn und Gluck, aber auch Weber und Meyerbeer, der einerseits in Paris große Triumphe feierte und andererseits als Dirigent fîr die Kçnigsberger Krçnungszeremonie 1861 vorgesehen war. Auch fîr Richard Wagner, der den „Rienzi“ 1840 in Paris vollendet hatte, interessierte sich das Pariser Publikum, wenn auch sein „Tannhuser“ einen Skandal auslçste (1861). Fîr den Preußen Jacques Offenbach (* Kçln 1819), den Operettenkçnig, gab es seit seinem Durchbruch im Umfeld der Weltausstellung von 18551578 derartige Probleme nicht: „Jusque… l’Exposition universelle de 1867 il domine la scºne musicale du second Empire dont il caricature la politique et les faiblesses“, heißt es in einem franzçsischen Musiklexikon. Auch sein Stern begann allerdings nach 1870/71 zu sinken; bçse Zungen bezeichneten ihn als „grand corrupteur“. Im ganzen schtzten die Franzosen ihre deutschen Nachbarn, wie Edmond About es ausdrîckte, „comme une race forte, laborieuse, simple et honnÞte“. Bei den Journalisten und Schriftstellern war die Einschtzung, entsprechend dem jeweiligen politischen Lager, unterschiedlich. Republikaner und Liberale „s’enflamment pour la cause prussienne qui est aussi juste que la cause italienne. Pourquoi, disent-ils, refuser ” l’Allemagne ce que la France a fait chez elle sous la Grande R¤volution et ce qui vient de se faire en Italie avec l’appui franÅais?“ Einige gingen noch weiter und sahen in einer großdeutsch-franzçsisch-englischen Verstndigung „une invincible trinit¤ entra‚nant le monde dans les voies du progrºs par la raison“. Daß die (immer etwas revolutionre) franzçsische Hauptstadt den preußischen Sieg bei Sadowa durch eine Illumination feierte, fanden Zeitschriften wie Le Siºcle, La Presse oder La Libert¤ vçllig richtig. Auf der anderen Seite standen diejenigen, die in dem preußischen Erfolg ein „malheur“ (Thiers) sahen und fîrchteten, daß Preußens Großmachtambitionen sicher darauf abzielten, „” nous remplacer“ (Quinet). Daß auch diese Stimmen in den 60er Jahren auf Widerstand stießen und bei den Kammerdebatten korrigierende Repliken des Außenministers La Vallette (16. September 1866) und des Oppositionssprechers Jules Favre (4. Juli 1868) hervorriefen, zeigt, daß man sich generell um Verstndnis fîr die „Deutsche Frage“ bemîhte. Bezeichnend fîr die preußisch-franzçsische Situation war die Bemerkung des Ministerprsidenten Ollivier am 30. Juni 1870, „qu’” aucun moment le maintien de la paix en Europe n’a paru plus assur¤“.

senschaft in Paris, in: E. FranÅois u. a. (Hg.), Marianne … (s. Anm. 999), 2, S. 507 – 519, hier S. 519. 1578 S. u. S. 824 f.

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Tabelle 22: Liste der Weltausstellungen vor 1870

Flche (in Hektar) Teilnehmende Lnder Zahl der Aussteller aus dem Zollverein davon aus Preußen davon ausgezeichnet Zahl der Besucher**

London 1.5.-11.10. 1851

Paris 15.5.-15.11. 1855

London 1.5.-3.11. 1862

Paris 1.4.-3.11. 1867

8,1* 28* 13.937* 1.563 802 192 6.039.195

16,8 25 20.839 2.230 1.319 716 5.162.330

10,1 39 28.653 2.115 1.189 563 6.211.103

41,7* 42* 43.217* 3.610 2.485 1.174 6.805.969

* Die Zahl ist wegen unterschiedlicher Literaturangaben nur als Orientierungsgrçße anzusehen. ** Die Zahlenangaben schwanken betrchtlich. Fîr London 1862 werden bis zu 11 Millionen genannt, fîr Paris 1867 bis zu 16 Millionen; nach dem internationalen JuryBericht wird man mit knapp zehn Millionen Besuchern rechnen kçnnen. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Evelyn Kroker, Die Weltausstellungen im 19. Jahrhundert. Industrieller Leistungsnachweis, Konkurrenzverhalten und Kommunikationsformen unter Berîcksichtigung der Montanindustrie des Ruhrgebietes zwischen 1851 und 1880 (= Studien zur Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, 4), Gçttingen 1975, S. 146, S. 158, S. 239-241; Einfach gigantisch. 150 Jahre Faszination Weltausstellung. 1851-2000 (= Damals, 30, Spezialausgabe), Stuttgart 1998; E. Mattie, Weltausstellungen … (s. Anm. 1356), S. 7-25 (nur fîr 1851 und 1867); Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig/Wien 61909, 2, S. 157.

2. Preußen und die Weltausstellungen vor 1870 Auf einer anderen Ebene, aber doch sehr spektakulr,1579 entwickelte sich in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts der Gedanke, Weltausstellungen zu veranstalten und die Vçlker Europas, bald auch der Welt zu ihrem Besuch einzuladen. Der mit der ersten Ausstellung (London 1851) anlaufende Weltausstellungs-Tourismus, der bis zur Reichsgrîndung nur die Metropolen London und Paris betraf, setzte bisher nie gekannte Menschenmengen in Bewegung, die mit dem neuen Verkehrsmittel, der Eisenbahn, die Ausstellungen relativ preiswert, schnell und bequem – jedenfalls im Vergleich zur Postkutsche – besuchen konnten. Da sich Preußen an den vier Weltausstellungen, die vor 1870 (und nur in Westeuropa) stattfanden, beteiligte, folgt einleitend eine tabellarische ˜bersicht: Die Behandlung der Ausstellungsproblematik wird dadurch erschwert, daß es zwar einen Aufsatz îber die preußische Beteiligung an den Pariser Weltausstellungen gibt,1580 eine Untersuchung der Ausstellungsaktivitten Preußens in 1579 Bei den frîheren Ausstellungsbesuchern handelte es sich fast immer um Einzelreisende. 1580 I. Mieck, Deutschland … (s. Anm. 1524), passim.

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London aber zu den zahlreichen Forschungsdesideraten gehçrt, die besonders das britisch-preußische Verhltnis betreffen. Einen Beleg dafîr bietet die Tatsache, daß ein geradezu beispielhafter angeblicher preußisch-englischer Kulturtransfer im Ausstellungsbereich erst kîrzlich ins Reich der Legende verwiesen werden konnte: Noch in den jîngsten Publikationen ist zu lesen, daß Albert, der Gemahl der Queen Victoria, die Berliner Gewerbeausstellung von 1844 besucht habe.1581 Dabei soll er, so ein Ausstellungsexperte des 19. Jahrhunderts, auf den „großartigen Gedanken“ gekommen sein, „den Begriff der Landesausstellung zu dem allgemeinen der Weltausstellung zu erweitern“.1582 Da Albert 1844 gar nicht in Berlin war, sind beide Behauptungen falsch.1583 Vielmehr hat Albert seine Anregungen vor allem aus englischen Ausstellungen (London 1845, Birmingham 1849) bezogen. Neuere Forschungen zeigen, daß die Idee, eine Weltausstellung zu veranstalten, von Sir Henry Cole stammte, der Albert, den man frîher fîr den Vater des Weltausstellungsgedankens gehalten hat, dafîr begeisterte.1584 Die erste Weltausstellung, bei der sich Deutschland als Ganzes prsentieren konnte, fand 1873 in Wien statt. Anders war es bei den vier Weltausstellungen vor der Reichsgrîndung; sowohl in London als auch in Paris hatte man Schwierigkeiten mit der geographischen Einordnung des Zollvereins. Als es 1851 in London zu ersten Mißverstndnissen kam, protestierte der Wîrttemberger Ferdinand v. Steinbeis wiederholt dagegen, Ausstellungsstîcke seines Landes mit der Herkunftsbezeichnung „Zollverein“ zu versehen und argumentierte dabei: „Kein Mensch weiß hier, wo das Land ,Zollverein’ liegt, und man hat mich schon çfters gefragt, ob es zwischen Preußen und Rußland liege; die meisten halten es fîr eine preußische Provinz.“1585 Wegen der unklaren Situation verhandelten die Ausstellungs-Organisatoren weiterhin lieber mit den Einzelstaaten. Alle deutschen Lnder, die sich îber die aggressive Zollpolitik Preußens gergert hatten, waren damit zufrieden. Die Partikularinteressen fîhrten 1851 dazu, daß „neben Preußen, Baden, Kurhessen, Braunschweig und den thîringischen Staaten alle îbrigen Lnder im Amtlichen Katalog gesondert und selbstndig auftraten“1586 – von einer Na1581 Wolfgang Kçnig / Wolfhard Weber, Netzwerke, Stahl und Strom. 1840 – 1914 (= Propylen Technikgeschichte, 4), Berlin 1997, S. 232. 1582 Diese Behauptung findet sich bei Franz Reuleaux, Ausstellungswesen, in: Hans Kraemer u. a. (Hg.), Das 19. Jahrhundert in Wort und Bild. Politische und Kulturgeschichte, 3, Berlin u. a. 1900, S. 185 – 202, hier S. 185. 1583 Vgl. dazu I. Mieck, Deutschland … (s. Anm. 1524), S. 31. 1584 U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 35 – 51; J. Allwood, Exhibitions … (s. Anm. 1352), S. 14 f. 1585 Einfach gigantisch. 150 Jahre Faszination Weltausstellung. 1851 – 2000 (= Damals, 30. Jg., Spezialausgabe), Stuttgart 1998, S. 15. 1586 U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 199.

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tionalausstellung konnte trotz Zollverein nicht die Rede sein. Leider verzichtet der Autor auf eine um so mehr interessierende Wîrdigung der von den 802 preußischen Ausstellern gezeigten Objekte. Die Zwitterstellung der zum Zollverein gehçrenden Staaten zeigte sich auch in den „Amtlichen Berichten“ îber die Weltausstellungen, die teilweise von einer Zollvereins-Kommission verfaßt wurden (1851, 1862), teilweise von Beauftragten der einzelnen Lnder (1855). Eine ønderung trat 1867 ein, als „Preußen und die Norddeutschen Staaten“, also faktisch der Norddeutsche Bund, sowohl bei den in Tabelle 22 genannten Auszeichnungen als auch beim Ausstellungsbericht zusammengefaßt wurden.1587 Alle Versuche, den Zustand der zersplitterten Reprsentation Deutschlands auf den Weltausstellungen zu îberwinden, scheiterten an den Egoismen der Territorien, so auch ein Vorstoß des „Deutschen Nationalvereins“ von 1861/62, der sogar eine zur Londoner Ausstellung entsandte Arbeiterdelegation finanzierte.1588 Die dem Zollverein angehçrenden Regierungen beschrnkten ihre Gemeinsamkeit darauf, den im Ausland prsentierten Gegenstnden „beim Wiedereingange in den Zollverein die Zollfreiheit“ zu gewhren. Der in England arbeitende deutsche Landwirtschaftsingenieur Max Eyth spottete 1862: „Zuerst waren die Preußen auf dem Platz. Dann kamen die anderen, und die ,kollegialische’ Ttigkeit begann. Nach zwei Wochen war deren Ergebnis die allgemeine ˜berzeugung, daß es ganz unmçglich sei, ,kollegialisch’ die Einheit Deutschlands zur Darstellung zu bringen.“1589 Fîr die als preußisches Staatsunternehmen immer wieder kritisierte KPM wirkten sich die bis 1870 in Westeuropa stattfindenden Weltausstellungen sehr positiv aus, weil die Manufaktur in die Funktion einer „Kunst- und Musteranstalt“ hineinwuchs, „die eine Vorreiterrolle fîr die gesamte keramische Industrie in Preußen zu erfîllen hatte.“1590 Das Prunkstîck der ersten Weltausstellung,1591 der „Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations“ war der von John Paxton entworfene Crystal Palace, ein in 17 Wochen errichtetes, fînfschiffiges Gebude mit einer 564 1587 Nîtzlich ist die nach Weltausstellungen geordnete Auswahl-Bibliographie bei Evelyn Kroker, Die Weltausstellungen im 19. Jahrhundert. Industrieller Leistungsnachweis, Konkurrenzverhalten und Kommunikationsformen unter Berîcksichtigung der Montanindustrie des Ruhrgebietes zwischen 1851 und 1880 (= Studien zur Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, 4), Gçttingen 1975, S. 208 – 223. 1588 Mitgeteilt von O. Pflanze, Bismarck … (s. Anm. 998), S. 231. 1589 Zur preußischen/deutschen Ausstellungsproblematik vgl. E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), Kap. I/1/3, S. 28 – 36, die Zitate: S. 33 und S. 34. 1590 A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 170. 1591 Es ist die einzige Weltausstellung vor 1900, îber die es eine neuere historische Untersuchung gibt, leider ohne stringenten Preußenbezug: U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), passim.

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Meter langen Zentralhalle. Das Querschiff mit dem Haupteingang erhielt wegen des „Einbaus“ einer riesigen Ulme ein 33 Meter hohes Tonnengewçlbe.1592 Der Queen vermittelte die Erçffnungsfeier, an der neben ihrer ltesten Tochter Victoria („Vicky“) auch das preußische Kronprinzenpaar, Wilhelm und Auguste, sowie ihr Sohn Friedrich Wilhelm („Fritz“) teilnahmen,1593 „a sensation I shall never forget, and I felt much moved“, war doch das bewegende Ereignis zudem untrennbar verknîpft mit ihrem „beloved husband, the author of this ,peace festival’“. Sie beendete ihre Tagebuchnotiz mit den Worten: „All this was moving indeed, and it was and is a day to live for ever.“1594 Als 200 Musiker und 600 Chorsnger das „Hallelujah“ aus Hndels Messias intonierten, blieben, wie der preußische Botschafter notierte, nur „wenige Augen trocken“. Große Aufmerksamkeit fand in Preußen der Bericht des im Londoner Exil lebenden Steuerverweigerers von 1848, Lothar Bucher.1595 Friedrich Wilhelm IV. erkundigte sich beim Ausstellungskommissar Albert, wie es denn mit der Sicherheit stînde. Albert zhlte in seinem Antwortschreiben alle auf, die vor der Ausstellung gewarnt htten: Mathematiker (Einsturz des Kristallpalastes bei starkem Wind), Ingenieure (Zusammenbruch der Ausstellungsgalerien), Politçkonomen (Mangel an Lebensmitteln), ørzte (Seuchengefahr, hnlich dem „Schwarzen Tod“ im Mittelalter), Moralisten (Konzentration aller ˜bel dieser Welt in London) und Theologen (Gottes Zorn wîrde auf diesen zweiten Turm von Babel fallen). Er schloß seinen Brief an den Preußenkçnig mit der Bemerkung, „that he personally would be unable to guarantee him against these perils“.1596 Vielleicht war es dieses Schreckensbild, das Friedrich Wilhelm IV. von seiner ursprînglichen Absicht, die Ausstellung zu besuchen, abrîcken ließ.1597

1592 Fast alle Weltausstellungswerke enthalten Informationen und/oder Abbildungen zum Kristallpalast (Allwood, Livre des expositions, Mattie usw.). 1854 abgebaut und in Sydenham „in a much enlarged version“ wiedererrichtet, wurde er 1936 ein Raub der Flammen. Ausfîhrliche Darstellung: U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 64 – 80. 1593 Mit der Begegnung von „Vicky“ und „Fritz“ begann die Bekanntschaft beider, die 1858 zur Heirat fîhrte. 1594 ˜ber die feierliche Erçffnung (mit ausfîhrlichen Zitaten): U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 160 – 180; J. Allwood, Exhibitions … (s. Anm. 1584), S. 20; eine franzçsische Fassung der Queen-Rede (gekîrzt): Yvonne Brunnhammer (Hg.), Le livre des expositions universelles, 1851 – 1989 (= Ausstellungskatalog des Mus¤e des Arts D¤coratifs), Paris 1983, S. 17 f. 1595 Lothar Bucher, Kulturhistorische Skizzen aus der Industrieausstellung aller Vçlker, Frankfurt am Main 1851. 1596 Diesen unverçffentlichten Briefwechsel erwhnt J. Allwood, Exhibitions … (s. Anm. 1584), S. 18. 1597 U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 175.

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Vertreten war 1851 auch die KPM, die allerdings nicht – wie Sevres und Minton1598 – die begehrte Council Medal, sondern nur die Prize Medal erhielt; die Erzeugnisse der preußischen Manufaktur, deren Exponate ein hochkartiger „Ehrenrat“ ausgewhlt hatte, reichten wohl (noch) nicht ganz an die besten westeuropischen heran. Bei den spteren Ausstellungen wurde es besser: „Die KPM stieg im Zeitalter der Weltausstellungen zum Aushngeschild des preußischen Staates im internationalen Wettstreit auf.“1599 Unter den preußischen Ausstellern war von Anfang an die Firma Fried. Krupp aus Essen. Ihre Spezialitt waren Tiegelgußstahlblçcke, die von einer Ausstellung zur nchsten immer gewaltiger wurden: 40, 105, 400 und 1.050 Zentner1600 wogen die Stîcke. Nach anderen Angaben soll Krupp, als er vor der Erçffnung der Ausstellung einen englischen 5-Zentner-Block mit der Aufschrift Monster bloc entdeckte, umgehend in Essen einen 100-Zentner-Block bestellt haben, dem er die Bezeichnung Little bloc gab.1601 Auch Kanonen, die nicht wie îblich aus Bronze, sondern aus Gußstahl waren, gehçrten seit 1851 zu den regelmßigen Exponaten Krupps. Aus dem Ruhrbergbau waren in London 1851 drei große Unternehmen vertreten. Konkurrenzfurcht soll îbrigens die Betriebe der Preußischen Seehandlung von einer Beschickung der Londoner Ausstellung abgehalten haben.1602 Die zahlenmßige Prsenz der preußischen Wirtschaft war bei der in Paris 1855 stattfindenden „Exposition universelle“ erheblich grçßer (siehe Tabelle 22, S. 818). Ein qualitativer Vergleich ist nicht mçglich, da fîr die Londoner Ausstellung im Gegensatz zur Pariser kaum preußenspezifische Angaben vorliegen.1603 Der Empfehlung der preußischen Regierung, die Ausstellung zu beschicken, folgten îber 1.300 Aussteller. Selbst der Minister v. d. Heydt kam fîr ein paar Tage nach Paris. Die preußischen Aussteller errangen 24 Goldmedaillen. Neben Borsig und der KPM war auch das Gewerbe- und Handelsministerium unter den Preistrgern. Der preußische Ausstellungstrakt war zwar etwas pathetisch gestaltet, aber das beeintrchtigte das insgesamt gute und

1598 Herbert Minton gehçrte eine Porzellanmanufaktur in Stoke-upon-Trent. 1599 A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 64 – 66, das Zitat: S. 73. 1600 Dieses Gewicht hatte der 1873 in Wien ausgestellte Block; das von 1867 wird von E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), S. 112 – 118, nicht genannt. Nach U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 200 f., Anm. 212, hatten die Blçcke ein Gewicht von 2.150, 5.000, 20.000 und 40.000 Kg. 1601 F. Reuleaux, Ausstellungswesen … (s. Anm. 1572), S. 186. Nach U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 200, trug der Block die Bezeichnung „monstre ingot“. 1602 U. Haltern, Weltausstellung … (s. Anm. 1293), S. 200. 1603 Zur Pariser Ausstellung vgl. I. Mieck, Deutschland … (s. Anm. 1524), S. 33 – 36. Danach die folgenden Angaben. ˜ber die Beteiligung der KPM an der Pariser Ausstellung von 1855 ist ein Aktenstîck erhalten (KPM-Archiv, XXVI, 6).

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reibungslose preußisch-franzçsische Verhltnis auf dem Ausstellungssektor in keiner Weise. Da man sich auch im nichtpreußischen Deutschland von den Weltausstellungen neue Erkenntnisse, Anregungen und Impulse fîr die eigene Wirtschaft versprach, schickte beispielsweise die wîrttembergische „Centralstelle fîr Gewerbe und Handel“, die von Ferdinand v. Steinbeis geleitet wurde, 42 Gewerbetreibende auf Staatskosten zur ersten Weltausstellung nach London. Vier Jahre spter waren es 50, die – ebenfalls auf Staatskosten – nach Paris fuhren.1604 Fîr die preußisch-westeuropischen Beziehungen stellt sich in diesem Zusammenhang die noch zu untersuchende Frage, ob auch der preußische Staat bereit war, Reisen von Gewerbetreibenden zu den Weltausstellungen zu finanzieren. Whrend das Stammhaus des 1665 gegrîndeten Unternehmens Saint-Gobain in Paris besonders große Glas- oder Spiegelscheiben prsentierte, deren Herstellung bis dahin Probleme aufgeworfen hatte, beteiligte sich das im Großherzogtum Baden 1853 ins Leben gerufene Zweigwerk (Waldhof bei Mannheim; Betriebsbeginn: 18. Oktober 1854) wohl nicht an der Weltausstellung. Eine Niederlassung von Saint-Gobain in Preußen erfolgte erst 1857.1605 Daß die Pariser Weltausstellung von 1855 auch dazu diente, der Herrschaft Napoleons III. zustzlichen Glanz zu verleihen, wurde schon erwhnt. Es war bei dieser Gelegenheit, daß der Kaiser erstmals mit dem noch kaum bekannten Bismarck zusammentraf und wenig spter das britische Kçnigspaar zum Staatsbesuch empfing.1606 Ein Hçhepunkt des kulturellen Rahmenprogramms war die von Verdi selbst geleitete Urauffîhrung der Oper „Die Sizilianische Vesper“. Speziell fîr die Weltausstellungsgste spielte Jacques Offenbach im neu erçffneten Th¤’tre des Bouffes-Parisiens mit großem Erfolg seine Operette La Reine des ‚les. Unabhngig von den technisch-wissenschaftlich-kulturellen Kontakten, war die Pariser Ausstellung „a triumphant demonstration of the aspirations of the Second Empire for peace and progress, and of pride“1607 – auch gegenîber dem damals politisch zweit- oder drittrangigen Preußen. ˜ber die nchste Weltausstellung, die als „International Exhibition“ 1862 wiederum in London stattfand und mit einer von Meyerbeer komponierten „Festouverture“ erçffnet wurde, ist im Hinblick auf die preußische Beteiligung wenig bekannt, obwohl sie fîr die Prsentation der im Ruhrgebiet liegenden Eisen- und Stahlindustrie mit 16 eisenindustriellen Einzelausstellern einen 1604 E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), S. 149. 1605 Vgl. dazu Horst Mçller / Hildegard Mçller, Saint-Gobain in Deutschland. Von 1853 bis zur Gegenwart. Geschichte eines europischen Unternehmens, Mînchen 2001, S. 13 – 17 und S. 21. 1606 S. o. S. 769 und S. 778. 1607 J. Allwood, Exhibitions … (s. Anm. 1352), S. 36.

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Hçhepunkt bedeutete. Erst in Wien (1873) wurde diese Zahl îbertroffen.1608 Der gute Eindruck dieses Industriezweiges, der grçßtenteils aus dem preußischen Ruhrgebiet kam, veranlaßte einen Beobachter zu einer kîhnen Voraussage: „Es wird noch dahin kommen, daß Englnder nach Deutschland zu gehen haben, um die Behandlung des Eisens zu lernen.“1609 Obwohl sich fast 1.200 Aussteller aus Preußen an der Ausstellung beteiligt haben, fehlen weitere Angaben fast vçllig. Da die Strke dieser Ausstellung in der Prsentation vieler technischer Neuerungen lag (Anillinfarben, Photographie, elektrischer Telegraph, Tiefseekabel u. a.), wren Informationen îber die Exponate aus Preußen von besonderem Interesse. Immerhin konnte man kîrzlich erfahren, daß die Kçnigliche Gesundheitsgeschirr-Manufaktur, die kleine Schwester der KPM, auf dieser Ausstellung „allerlei plastische Arbeiten in sogenannter Marmormasse“, darunter von Christian Daniel Rauch entworfene Adler, prsentierte.1610 Fîr die Rolle, die Preußen auf der Ausstellung von 1862 spielte, liegt eine Quelle besonderer Art vor: Es ist eine Art Gstebuch, das am Stand der Firma Krupp auslag. Eine erste Auswertung der 671 erfaßten Einzelbesucher, die teilweise sehr genaue Angaben (Name, Herkunft, Beruf u. a.) machten, stammt von Evelyn Kroker;1611 durch gezielte Recherchen kçnnte auf der Grundlage dieses einmaligen Dokuments ein wichtiger Beitrag zum preußisch-westeuropischen Technik- und Kulturtransfer erarbeitet werden – kamen doch von 72 Ingenieuren 18 aus Frankreich, 11 aus Preußen und 11 aus England. Zu îberprîfen und im Hinblick auf Preußen zu ergnzen wre auch die Bewertung von Franz Reuleaux: „Deutschland war auch da, aber wie klein!“ Gegenîber Frankreich bereits durch die Raumzuweisung benachteiligt, zeigte es sich „zerstîckt und ohne gemeinsame Anordnung und Leitung, trotz der Zusammenfassung der Zollvereinsstaaten.“ Dennoch ließ sich das Ergebnis sehen: „Die Nutzgewerbe waren gut, Stahl ausgezeichnet, Eisen sehr gut, Maschinen gingen aufwrts.“1612 Interessant wre auch die Klrung der Frage, ob und wie schnell die 1862 in grçßerer Zahl gezeigten Nhmaschinen aus England und

1608 E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), S. 115, erwhnt einige Unternehmen, die Qualittsprodukte herstellten und jeden Vergleich mit franzçsischen oder englischen Werken aushielten. Dazu gehçrte natîrlich auch die Firma Krupp. 1609 Lothar Bucher, Die Londoner Industrieausstellung von 1862, Berlin 1863, S. 123. Auch schon frîher haben Englnder preußische/deutsche Fabrikanlagen besucht. 1610 A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 71, Anm. 234. 1611 E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), S. 151 – 155. 1612 F. Reuleaux, Ausstellungswesen … (s. Anm. 1582), S. 188. Die bissige Bemerkung Eyths bezog sich auf 1862.

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den USA, darunter Modelle der Firma Singer,1613 Eingang in die beachtliche preußisch-deutsche Textilindustrie fanden. Nheres wird man îber Preußen und die Weltausstellung von 1862 erst sagen kçnnen, wenn entsprechende Forschungsarbeiten vorliegen. Die Basis dafîr kçnnten die von Evelyn Kroker mitgeteilten bibliographischen Hinweise liefern.1614 Angesichts des dîrftigen Forschungsstandes fehlt der kîrzlich getroffenen Feststellung, daß infolge der Weltausstellungen von 1851 bis 1879 (sic!) „der Technologietransfer von Großbritannien nach Deutschland […] nach 1848 in bedeutendem Maße“ zugenommen habe, die konkrete Unterfîtterung. Auch sprechen methodische Vorbehalte gegen eine Gesamtbeurteilung ohne Berîcksichtigung der nach 1871 vçllig vernderten Situation. Zu îberprîfen wre auch, was „ein breiter Reise- und Informationsstrom“ zahlenmßig bedeutet und welche der in Paris ausgestellten englischen Fabrikate nach Preußen oder Deutschland verkauft wurden.1615 Obwohl die Quellenlage unvergleichlich besser ist, gibt es keine monographische Darstellung îber die Teilnahme Preußens an der zweiten „Exposition universelle“, die 1867 in Paris stattfand. Die folgenden Angaben stîtzen sich auf einen kîrzlich erschienenen Aufsatz, in dem der Ausstellung von 1867 allerdings nur wenige Seiten gewidmet werden konnten.1616 Da zu dem Aussteller „Preußen und die Norddeutschen Staaten“ auch die 1866 annektierten Gebiete gehçrten, hatte man die zur Verfîgung gestellte Ausstellungsflche vergrçßert. Bei der Zahl der Aussteller und der Auszeichnungen, die in Tabelle 22 genannt sind, ist diese Vergrçßerung Preußens zu berîcksichtigen. Auch diesmal hatte die Regierung fîr eine breite Beteiligung der preußischen Wirtschaft an der Ausstellung pldiert. Ob der preußische Staat Gewerbetreibenden Reisekostenzuschîsse gewhrt hat, bedarf noch der Klrung, erscheint aber eher zweifelhaft. Gesichert ist hingegen, daß es private Hilfen fîr einige „Unbemittelte“ gab, die sich eine Paris-Reise nicht leisten konnten: Der preußische „Centralverein fîr das Wohl der arbeitenden Klassen“ schickte 131 Aussteller nach Paris, darunter drei Frauen. Da sich îber 1.000 Bewerber gemeldet hatten, îberstieg die Nachfrage das Angebot bei weitem. Weitere unterstîtzende Organisationen sind bisher nicht bekannt. 1613 Einfach gigantisch … (s. Anm. 1585), S. 15. Merkwîrdig, daß Reuleaux diese revolutionre Neuerung nicht erwhnt (F. Reuleaux, Ausstellungswesen … [s. Anm. 1582], S. 188). 1614 E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), S. 210 f. 1615 So W. Weber, Technologietransfer … (s. Anm. 1210), S. 80. Da 1879 keine Weltausstellung stattfand, ist wohl 1889 gemeint. Es muß auch daran erinnert werden, daß Deutschland an den Pariser Weltausstellungen von 1878 und 1889 nicht teilnahm. 1616 I. Mieck, Deutschland … (s. Anm. 1524), S. 36 – 43. Ausfîhrlicher: P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 336), S. 204 – 218.

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Andere Staaten schreckten vor den Kosten nicht zurîck: Wie schon 1851 und 1855 schickte Wîrttemberg 159 Handwerker und Gewerbetreibende, diesmal aus ganz Deutschland (mit oder ohne Preußen?) zur Weltausstellung nach Paris.1617 Der von Evelyn Kroker genannten Zahl von „292 deutschen ,Stipendiaten’“,1618 ist allerdings entgegenzuhalten, daß eine zuverlssige Zahlenangabe îber staats- oder privatfinanzierte Ausstellungs-Stipendiaten erst dann mçglich sein wird, wenn ergnzende Informationen aus den anderen deutschen Territorien vorliegen – etwa aus dem stark industrialisierten Sachsen, das mit Sicherheit an den Weltausstellungen interessiert war und sich die Entsendung von Fachleuten vielleicht auch etwas kosten ließ. Von den 290 „Stipendiaten“ erwartete man îbrigens nach ihrer Rîckkehr Berichte, die in Berlin und Stuttgart teilweise publiziert wurden und heute eine wertvolle Quelle darstellen. Im Zentrum der Ausstellung stand ein sehr originelles Gebude in Form eines gestreckten Ovals, das einem Colosseum aus Eisen und Glas hnlich sah. Wegen seiner besonderen Thematik erhielt der Innenhof dieses Bauwerks den Beinamen Colis¤e du Travail und wurde auf manchen Exponaten abgebildet.1619 Unter den zehn oder elf Millionen Besuchern sollen die Besucher aus Deutschland an zweiter Stelle gestanden haben. „Den Deutschen wird die Reise durch Extrazîge bequem gemacht“, berichtete ein Journalist, „am bequemsten aber von Berlin aus.“ Wer die Sonderzîge benutzte, brauchte nur den halben Preis zu bezahlen. Auch ohne die genaue Zahl der Besucher aus Preußen zu kennen, kann man von einem gewaltigen kulturellen Transfer zwischen Frankreich und Preußen/Deutschland sprechen, der durch die Ausstellung in Bewegung gesetzt worden ist. So viele îberragende Ausstellungsstîcke scheint es jedoch nicht gegeben zu haben. Preußen („einschließlich Norddeutscher Bund“!) erhielt zwar insgesamt 1.174 „Auszeichnungen“, doch wenn von den 83 Großen Preisen und 1.176 Goldmedaillen (= 2. Preise) nur acht beziehungsweise 101 auf ganz Deutschland entfielen, wird auch der Anteil Preußens nicht îbermßig hoch gewesen sein.1620 Die Siemens-Forschung kçnnte vielleicht beantworten, warum die von Werner v. Siemens 1867 ausgestellte Dynamomaschine nicht in Aktion gezeigt 1617 E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), S. 149. 1618 Da an dieser Stelle von keinen anderen Zahlen die Rede ist, liegt wohl ein Druck- oder Additionsfehler vor (131 … 159 = 290). 1619 Beispielsweise auf einem Seidenband der Fa. Knoblauch, Berlin, das sich heute im Stadtmuseum Berlin befindet und ein schçnes Beispiel fîr den preußisch-franzçsischen Ausstellungstransfer auf der Ebene eines Kleinfabrikanten ist. 1620 Die Bibliographie fîr 1867 von E. Kroker, Weltausstellungen … (s. Anm. 1587), S. 211 – 213, enthlt eine Fîlle preußenspezifischer Werke. Die Zahlen ebd., S. 241, S. 176.

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wurde.1621 Auch die Ausstellungsstîcke der KPM schienen vielen Fachbesuchern der franzçsischen Konkurrenz unterlegen. Vielleicht lag es daran, daß der „Ehrenrat“ seine Arbeit 1864 eingestellt hatte.1622 Zum bekanntesten Ausstellungsobjekt, das auch von deutscher Seite viel Kritik erfuhr, wurde die von Krupp gezeigte Riesenkanone, die 47 Tonnen wog und auf eigens dafîr konstruierten zwçlfrdrigen Spezialwaggons aus Essen herangeschafft worden war. Ihre etwas bedrohlich wirkende Prsenz gab zu allerlei ironischen Kommentaren Anlaß. Spter kursierte der Witz, daß zum erstenmal ein Geschîtz frîher in einer Stadt gewesen sei als die von ihm abgefeuerten Granaten. Whrend die Kanone von Krupp lngst vergessen ist, çffnete der von dem Franzosen Leon Edoux erfundene und 1867 prsentierte Fahrstuhl den Weg in die Zukunft. Hydraulisch betrieben, konnte der „assenseur m¤canique“ (so die originale Schreibweise des vom „Ingenieur“ Edoux erfundenen Wortes) eine mit 10 Personen besetzte Plattform in zwei Minuten 25 Meter emporfahren. Von dort fîhrte eine Treppe zu einem „walkway on the roof“, wo sich eine herrliche Aussicht îber Stadt und Ausstellungsgelnde bot. „Assenseur-promenade et Panoramas de Paris“ waren sicher nicht billig, dennoch werden viele Besucher aus Preußen dieses technische Wunderwerk mit grçßerer Begeisterung als die Kruppsche Kanone gesehen und vielleicht auch ausprobiert haben. Weder beim eigentlichen Beginn (1. April) noch bei der feierlichen Erçffnung (1. Mai), fîr die Rossini eine „Hymne an den Kaiser“ komponiert hatte, waren hochrangige Vertreter Preußens anwesend, obwohl an der Zeremonie „representatives from nearly all the royal families of Europa“ teilgenommen haben sollen.1623 Erst am 5. Juni trafen der Preußenkçnig, der Kronprinz und Bismarck in Paris ein. Das Angebot Napoleons (Brief vom 4. Mrz),1624 im Tuilerienschloß zu îbernachten, nahmen Wilhelm und „Fritz“ an, whrend sich der Kanzler im Palais Beauharnais einquartierte. Der preußische Gesandte v. d. Goltz gab dort am 16. Juni einen Festball fîr mehrere hundert Gste; Kçnig Wilhelm empfing das Kaiserpaar und fîhrte Eugenie zur Tafel. Kulinarische Berîhmtheit erlangte das „Drei-Kaiser-Diner“, das am 7. Juni im Cafe Anglais stattfand und pro Person 400 Goldfranken gekostet haben 1621 W. Kçnig / W. Weber, Netzwerke … (s. Anm. 1581), S. 236. 1622 A. Siebeneicker, Offizianten … (s. Anm. 769), S. 74, S. 64. Auch îber die KPMBeteiligung an der Ausstellung von 1867 ist im KPM-Archiv ein Aktenfaszikel (XXVI, 9) vorhanden (ebd., S. 497). 1623 J. Allwood, Exhibitions … (s. Anm. 1584), S. 48. 1624 Der im GStAPK vorhandene Brief wurde in der Ausstellung „Marianne und Germania 1789 – 1889. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten – eine Revue“ (Katalog-Nr. 10/ 1, S. 387), die 1996/97 in Berlin und Paris stattfand, gezeigt; (E. FranÅois u. a. [Hg.], Marianne … [s. Anm. 999]).

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soll.1625 Bismarck, der gern eine weiße Kîrassier-Uniform trug, zeigte sich von seiner besten Seite und war bald so populr, daß die Pariser Schneider angeblich eine rotbraune Modefarbe couleur Bismarck genannt haben. Mit seinem akzentfreien Franzçsisch und seinem Charme hinterließ er auf Empfngen, in Salons und bei vielen Gesprchen einen blendenden Eindruck. Obwohl franzçsische Diplomaten dem Besuch des preußischen Kçnigs in Paris – ein knappes Jahr nach Sadowa1626 – mit einiger Skepsis entgegengesehen hatten, wurde daraus, wie Bismarck immer wieder betonte, eine wahre „Friedensreise“, die das gegenseitige Verstndnis strken und das preußischfranzçsische Einvernehmen festigen sollte. Damit stand der preußische Politiker, der immer fîr eine frankreichfreundliche Haltung eingetreten war, nicht allein.1627 Auch in Frankreich lassen sich im Umfeld der Weltausstellung von 1867 Strçmungen feststellen, die fîr eine ˜berwindung der nachbarlichen Spannungen eintraten und teilweise in eine frîhe Europa-Vision verfielen. Der prominenteste Wortfîhrer auf franzçsischer Seite war Victor Hugo; in der umfangreichen Einleitung, die er fîr einen im Mai 1867 erschienenen ParisGuide geschrieben hatte, sprach er von einer kînftigen Nation: „Elle s’appellera l’Europe au vingtiºme siecle, et aux siºcles suivants.“ Weil Paris schon jetzt „chef-lieu d’Europe“ sei, wîrde die Stadt fast von selbst zur kînftigen „capitale“ werden. Wichtiger aber sei etwas anderes: „Le continent fraternel, tel est l’avenir.“ „Nous sommes,“ fuhr Hugo mit dem Blick auf Preußen fort, „nous Europ¤ens de Paris, la mÞme famille que vous, Europ¤ens de Berlin.“ Geht man von der literarischen Ebene zur musikalischen îber, findet man eine hnliche Entsprechung zwischen Paris und Berlin: Wenn die Operetten von Offenbach, allen voran La vie parisienne, geradezu als ein „produit d’exposition“ angesehen werden, die Tausende von Besuchern begeisterten, darf man nicht îbersehen, daß die meisten der Offenbach-Werke auch den Berlinern wohlbekannt waren. Auf îber hundert Auffîhrungen hatte es Orpheus in der Unterwelt gebracht, und auch Die schçne Helena war ein großer Kassenerfolg. Im Sommer 1867 konnte man das gute Einvernehmen zwischen Frankreich und Preußen fîr recht stabil halten. Die vielfltigen kulturellen und wirt1625 Zu den Einzelheiten – einschließlich der Menukarte – vgl. P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 336), S. 213 – 216. Von den acht Personen, die am „Drei-Kaiser-Diner“ teilgenommen haben sollen, werden aber nur sechs genannt (Zar, Zarewitsch; Wilhelm, Bismarck; Napoleon, Eug¤nie); der kînftige Zar Alexander III. wurde wohl als „dritter Kaiser“ angesehen. 1626 Zu der durchaus zwiespltigen Haltung Frankreichs dazu s. o. S. 801 f. 1627 Die friedlichen Absichten Bismarcks und Napoleons betont H. Geuss, Bismarck … (s. Anm. 1350), S. 218 f., der vom Besuch der Weltausstellung nur die politischen Gesprche mitteilt.

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Tabelle 23: Unternehmen in Deutschland (Preußen) mit franzçsisch-belgischer Kapitalbeteiligung um 1860 Zink und Blei: 12 (8) Eisen und Stahl: 5 (4)

Kupfer: 5 (3) Glas: 3 (2)

Kohle: 7 (6) Vers./Banken: 6 (4)

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach R. E. Cameron, Contributions … (s. Anm. 1211), S. 316-321: Appendix.

schaftlichen Beziehungen, die bereits bestanden, erfuhren durch die Weltausstellung in Paris neue Impulse, so daß die Annherung der beiden Lnder enger wurde und den Eindruck einer sich allmhlich entwickelnden und festigenden entente cordiale vermittelte. Diese kîrzlich benutzte Umschreibung fîr das preußisch-franzçsische Verhltnis, wie es sich im Weltausstellungsjahr prsentierte,1628 scheint durchaus geeignet, die Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich am Ende der 60er Jahre angemessen zu charakterisieren. 3. Wirtschaftsfragen: Kapitalverflechtung, Zollverein, Preußisch-franzçsischer Handelsvertrag Seit den 50er Jahren nahm die Beteiligung franzçsischen Kapitals und franzçsischen Managements bei der Grîndung preußischer Bank- und Industrie-Unternehmen deutlich zu. Durch die Untersuchungen von Rondo E. Cameron1629 konnte erstes Licht auf die oft etwas im Dunkel liegenden finanziellen Verflechtungen geworfen werden. Auch er beschftigt sich zwar mit „Germany“, doch zeigt ein Blick auf die Standorte, daß es sich bei den meisten der von ihm erwhnten und auch tabellarisch aufgelisteten Betriebe um Unternehmen handelt, die in Preußen lagen und hufig als franzçsisch-preußische Gemeinschaftsunternehmen bezeichnet werden kçnnen. Fîr die sechs Unternehmensbereiche, die Cameron unterscheidet, wird nachstehend die Gesamtzahl der mit franzçsischer und/oder belgischer Finanzbeteiligung errichteten Gesellschaften genannt; in Klammern stehen die in Preußen beheimateten Betriebe:1630 Viele dieser Bergbaubetriebe, Hîttenwerke, Maschinenbauanstalten, Glasfabriken und Bankhuser arbeiteten mit bis zu 100 Prozent franzçsischem Ka1628 Diese Formulierung benutzt I. Mieck, Deutschland … (s. Anm. 1524), S. 32 und S. 42. Dagegen sollte der Begriff der entente ¤l¤mentaire (Willy Brandt) der Aussçhnungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg vorbehalten bleiben. 1629 (1) R. E. Cameron, Contributions … (s. Anm. 1211), S. 281 – 321; (2) Ders., France and the Economic Development of Europe 1800 – 1914. Conquests of Peace and Seeds of War, Princeton 1961. Vergleichbare Untersuchungen fîr die preußisch/deutsch-britische Kapitalverflechtung gibt es nicht. 1630 Was der Forschung noch zu tun bleibt, zeigt exemplarisch die kîrzlich erschienene erste Monographie eines preußisch/deutsch-franzçsischen Unternehmens: H. Mçller / H. Mçller, Saint-Gobain … (s. Anm. 1605), passim.

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pital, hatten franzçsische Direktoren und besaßen einen Stammsitz in Paris. Die Saint-Gobain-Gruppe stellte einen extremen Sonderfall dar, da die in Deutschland arbeitenden Betriebe bis nach dem Ersten Weltkrieg selbst bei Entscheidungen von geringer finanzieller Tragweite von der Pariser Zentrale abhngig waren, die auch Lçhne und Gehlter îberwies und Rechnungen bezahlte.1631 Von grçßter Bedeutung fîr die Nicht-Eisen-Industrie „was the full-scale invasion of Germany launched in 1853 by the Soci¤t¤ de la Vieille Montagne“, eine franzçsisch-belgische Gesellschaft, die Unternehmen im Rhein-Ruhr-Gebiet und in Schlesien errichtete und nach der Neustrukturierung der gesamten deutschen Zinkindustrie zwischen 25 und 35 Prozent der europischen Zinkproduktion gewann und weltmarktorientiert war.1632 Nicht selten kam es zu Fusionen; als die beiden von Charles Detillieux und Andre Koechlin geleiteten Bergwerks- und Hîttenbetriebe 1855 fusionierten, verfîgte die neue deutschfranzçsische Gesellschaft îber 12 Hochçfen, die ein Sechstel der preußischen Gußeisenproduktion ausmachte.1633 Daß Fusionen auch personelle Konsequenzen haben konnten, zeigt ein Fall aus dem Jahr 1860, als die preußische Regierung forderte, daß eine Mehrheit des Leitungspersonals aus preußischen Bîrgern zu bestehen habe; die Internationalitt der großen Stolberger Gesellschaft, die unter Andre Koechlin aufblîhte und zum grçßten Bleiproduzenten Europas wurde, belegt die Wahl des Direktorengremiums 1855: Es bestand aus sechs Franzosen, drei Belgiern und vier Preußen.1634 Daß sich die Unternehmer wenig um die große Politik kîmmerten, zeigen die Rheinischen Stahlwerke in Duisburg, die noch 1869 mit franzçsischem und belgischem Kapital gegrîndet wurden. Das Werk, dessen Leitung in Paris saß, produzierte Stahl nach den neuesten Verfahren von Bessemer und SiemensMartin. Die seit 1857 im preußischen Stolberg bei Aachen arbeitende Glasfabrik von Saint-Gobain (1866: „Soci¤t¤ Anonyme des Manfactures de[s] Glaces et Produits Chimiques de Saint-Gobain, Chauny & Cirey“) îberstand sogar den Krieg von 1870/71 recht glimpflich, weil der sptere Direktor, Carl Arbenze nach eigener Aussage „whrend der Dauer des Krieges alle Unannehmlichkeiten vermeiden konnte, die sich fîr das Unternehmen als franzçsische Firma htten ergeben kçnnen, und selbst die franzçsischen Staatsangehçrigen […] in keiner Weise belstigt“ wurden. Daß diese Maxime auch fîr sptere Epochen gleich1631 Ebd., S. 62. 1632 R. E. Cameron, Contributions … (s. Anm. 1211), S. 290 f. 1633 R. E. Cameron, France … (s. Anm. 1629), S. 369 – 403 (Chapter XII: French Enterprise in German Industry), hier S. 391 f. 1634 Ebd., S. 380 – 382. Bei dieser Gesellschaft handelt es sich nicht um die ebenfalls in Stolberg ansssige Saint-Gobain-Filiale.

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sam „vorbildhaft fîr deutsch-franzçsische Koexistenz unterhalb der politischen und militrischen Ebene“ gewesen sein soll, wre zwar zu begrîßen, bedarf aber noch weiterer Forschungen.1635 Grenzîberschreitend waren auch die Kapitalstrçme zwischen den preußischen und den westeuropischen Industriezentren. Der preußische Stahlkçnig Krupp in Essen, erhielt 1865 einen Kredit vom Bankhaus Seilliºre. Die franzçsischen Beteiligungen, insgesamt 250 bis 300 Millionen Francs, sollen vor 1870 bei Bergwerken und Hîttenbetrieben („mining and metallurgy“) 10 bis 15 Prozent der Investitionen, bei anderen Industriezweigen 4 bis 5 Prozent betragen haben.1636 Ein wichtiger Geldgeber war bis zu ihrem Zusammenbruch 1867 auch die franzçsische Bank Cr¤dit Mobilier. Die ursprîngliche Idee, Deutschlands Glasbedarf weitgehend durch eine in Stolberg/Preußen zu errichtende Zweigfabrik von Saint-Gobain zu decken, geht auf den Marquis de Sassenay zurîck, der dort eine Zinkfabrik betrieb. Seinem Geschftspartner Abraham Oppenheim, Chef des Kçlner Bankhauses, gelang es, an Stelle des zunchst vorgesehenen Bankiers Rothschild 1852/53 Andre Koechlin als Finanzier zu gewinnen. 1853 erhielt die „Aachener Spiegelmanufaktur AG“ die kçniglich-preußische Konzession und begann mit der Produktion. Von Anfang an versuchte man, durch Zukauf anderer Werke und technische Modernisierungen (1866: erste Gußglashalle in Deutschland; 1867: Spiegelglasgußhalle; 1871: neue Versilberungswerkstatt) Preis- und Absatzprobleme zu lçsen, doch erreichte man in Stolberg erst in den 80er Jahren befriedigende Ertrge.1637 Cameron hat das franzçsische Engagement an Rhein und Ruhr wie folgt zusammengefaßt:1638 „Geschickte Glasarbeiter, die Saint-Gobain nach Stolberg sandte, Ingenieure wie Aubin de Jaurias und Ferdinand Rohr, Geschftsfîhrer wie Saint-Paul de SinÅay und Louis Hess, Finanzier-Unternehmer wie Koechlin, Laveissiºre und die Direktoren des Cr¤dit Mobilier, Mnner wie Sassenay und Detillieux, die mehrere Funktionen kombinierten – each left his mark on German industry and each, in turn, was imitated by his German counterparts.“ Ohne jede Einschrnkung lßt sich bei dieser Beurteilung „Germany“ durch „Prussia“ ersetzen. Whrend franzçsische Unternehmer wesentlich zur Industrialisierung Preußens beitrugen, begnîgten sich ihre deutschen Kollegen mit einer be1635 H. Mçller / H. Mçller, Saint-Gobain … (s. Anm. 1605), S. 39 f. Die Entstehung des Firmennamens wird auch auf 1858 datiert (S. 25). 1636 R. E. Cameron, France … (s. Anm. 1629), S. 396 f., S. 402 f. Gegenîber 1956 (Contributions … [s. Anm. 1211], S. 311) hat Cameron seine Schtzungen 1961 leicht erhçht. 1637 H. Mçller / H. Mçller, Saint-Gobain … (s. Anm. 1605), S. 33 – 43, S. 47 – 49. 1638 R. E. Cameron, Contributions … (s. Anm. 1211), S. 313 (teilîbersetzt von I. M.). Fast wçrtliche ˜bereinstimmung bei Ders., France … (s. Anm. 1629), S. 402 f.

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scheideneren Position in der franzçsischen Industrie und auf dem franzçsischen Kapitalmarkt. Von ihnen kamen die meisten aus Frankfurt am Main, Hamburg oder Mînchen, nur wenige aus Preußen. „Die Interessenverflechtung im Bereich der finanziellen Beziehungen“, so îberschreibt Raymond Poidevin das entsprechende Kapitel, war also etwas einseitig, hatte aber eine wichtige Konsequenz: „Das franzçsische Kapital hat eine bedeutende Rolle bei der Industrialisierung Deutschlands gespielt.“1639 Die auf europischer Ebene gefîhrte Diskussion zwischen den Adepten einer protektionistischen oder einer freihndlerischen Handelspolitik, die in der ersten Jahrhunderthlfte begonnen hatte, setzte sich in der zweiten fort. Die in den 40er Jahren auf Druck der Protektionisten in mehreren Lndern, auch dem Zollverein, durchgesetzten Zollerhçhungen riefen die Freihndler auf den Plan. Kaufleute von der Ost- und Nordseekîste und preußische Großgrundbesitzer pldierten fîr einen mçglichst unbeschrnkten Warenaustausch, nachhaltig unterstîtzt durch Politiker wie den Englnder Richard Cobden und Publizisten wie John Prince-Smith, der zwar aus England kam, aber im preußisch-deutschen Gebiet (Elbing, Berlin, Frankfurt am Main) fîr die Sache des Freihandels in Wort und Schrift warb. Mit der Abschaffung der Kornzçlle (1846) und der Aufhebung der Navigationsgesetze (1849)1640 îbernahm England die Fîhrungsposition auf dem Weg zum weltweiten Handelsliberalismus. Um die Mitte des Jahrhunderts gab es eine deutliche wirtschaftspolitische Zsur,1641 die fîr die europischen Lnder ußerst positive Folgen hatte: „C’est la croissance ¤conomique des ann¤es cinquante qui donnera une nouvelle impulsion au lib¤ralisme ¤conomique.“1642 Zwar scheiterten die franzçsisch-preußischen Verhandlungen 1853/54 zum wiederholten Male, aber da die Freihandelsidee in den 50er Jahren weiter an Boden gewann, zeichnete sich insgesamt in den Jahren von 1854 bis 1865 eine europaweite „ouverture douaniºre“ ab. Whrend der Zollverein an seinen Tarifen festhielt, senkten sogar die protektionistischen Franzosen ihre Tarife in den 50er Jahren, weil sich die Protagonisten des Freihandels (Kaiser, Handels- und Außenministerium) gegen die Protektionisten (Corps l¤gislatif, chambre de commerce) durchsetzten. Das Engagement Napoleons III., der aus mehreren Grînden fîr eine strkere Liberalisierung des Handels eintrat, wurde deutlich spîrbar. 1639 Vgl. dazu R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 66 f. 1640 Aufgehoben wurden die „Acts of Navigation“; eine ˜bersetzung mit „Navigationsakten“ ist irrefîhrend. 1641 Wolfram Fischer, Wirtschaft und Gesellschaft Europas 1850 – 1914, in: Ders. (Hg.), Europische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg (= Handbuch der europischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 5), Stuttgart 1985, S. 11. 1642 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 26 f.

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Eine andere Belastung, unter der der preußische Westeuropahandel schwer zu leiden hatte, war der Sundzoll. Von 1847 bis 1856 bezahlten Kçnigsberger Kaufleute insgesamt îber 200.000 Taler, um ihre Weizenlieferungen durch die schwedisch-dnische Meeresstraße nach Frankreich, England oder Holland bringen zu dîrfen. Die Aufhebung des Sundzolls erfolgte 1857 und ermçglichte den preußischen Getreideexporteuren eine aussichtsreichere Konkurrenz mit den Hamburgern auf dem englischen Markt.1643 Fîr die Freigabe des europischen Handels richtungweisend wurde der Cobden-Chevalier-Vertrag zwischen Frankreich und England (23. Januar 1860), der die gegenseitige Meistbegînstigung vorsah, die Zçlle beider Staaten drastisch reduzierte und den ersten Hçhepunkt der europischen Liberalisierungswelle darstellte.1644 Von diesem Vertrag, der „zum großen Teil als das persçnliche Werk des Kaisers Napoleon betrachtet werden“ kann,1645 versprach sich der Franzosenkaiser eine Hebung der Massenkaufkraft und neue Impulse fîr die Industrialisierung Frankreichs. Da er außerdem îber die Handelspolitik auch die Beziehungen zu Preußen intensivieren wollte, um „die aufstrebende Fîhrungsmacht des Zollvereins als Juniorpartner an die eigene Politik zu binden“, drngte er die preußische Regierung, mit Frankreich ebenfalls einen Handelsvertrag abzuschließen.1646 Bei einem ersten Treffen mit Wilhelm in Baden-Baden (Juni 1860) erklrte Napoleon sein großes Interesse an einem Vertrag, bei einem zweiten in Compiºgne (Oktober 1861) machten die beiden Monarchen den Weg zum Abschluß frei.1647 Daß die Verhandlungen recht schleppend vorankamen, lag weniger daran, daß die Vertreter Frankreichs (de Clercq) und Preußens (Pommer-Esche, Philipsborn, Delbrîck), die seit Januar 1861 in Berlin zusammensaßen, die1643 F. Gause, Kçnigsberg … (s. Anm. 352), 2, S. 558. 1644 Da der Sundzoll nur beim Handel mit den Ostsee-Anrainern zu entrichten war, kommt dem Vertrag von 1860 grçßere Bedeutung zu. Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 121, S. 243 – 258 (mit Ergnzungen: -281); zum Cobden-Vertrag das fîr die englisch-preußischen Beziehungen einschlgige Werk von Gabriele Metzler, Großbritannien – Weltmacht in Europa. Handelspolitik im Wandel des europischen Staatensystems 1856 bis 1871 (= Studien zur Internationalen Geschichte, 4), Berlin 1997, S. 135 ff.; zu Preußen S. 115 ff. 1645 W. Weber, Zollverein … (s. Anm. 1266), S. 368. Der Autor bezeichnet den Vertrag auf wirtschaftlichem Gebiet als das „vielleicht […] wichtigste internationale Ereignis dieses Jahrhunderts“. 1646 Vgl. H.-W. Hahn, Geschichte … (s. Anm. 1242), S. 165 – 167. 1647 Zum Vertrag und zu den Verhandlungen vgl. W. Weber, Zollverein … (s. Anm. 1266), S. 356 – 411; Eugen Franz, Die Entstehungsgeschichte des preußisch-franzçsischen Handelsvertrags vom 29. Mrz 1862, in: VjschrSozialWirtschG 25 (1932), S. 1 – 37 und S. 105 – 129; H.-W. Hahn, Geschichte … (s. Anm. 1242), S. 165 – 180; R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 75 – 79; D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 37 – 54.

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selben waren wie 1853/54. Sie hatten zwar jetzt andere Instruktionen, aber die Materie erwies sich als ußerst komplex, weil der gesamte Tarif durchgegangen und zum Teil îberarbeitet werden mußte und zudem die beiden grundverschiedenen Erhebungsmethoden (Gewichtszoll, Wertzoll) aufeinander abzustimmen waren.1648 Weil Napoleon, Wilhelm und die Außenminister einen schnellen Abschluß wînschten, îberwand „der unbedingte, von der Politik diktierte Einigungswille […] die letzten wirtschaftlichen Schwierigkeiten“.1649 Nachdem Frankreich den Entwurf am 29. Mrz 1862 gebilligt hatte, paraphierte Preußen noch am gleichen Tag ohne Rîcksprache mit den îberraschten Zollvereinspartnern den Vertrag. Nachdem die beiden preußischen Kammern den Vertrag angenommen hatten, wurde er am 2. August 1862 unterzeichnet. Daß der Vertrag zustande gekommen war, hatte seinen Hauptgrund in der „damals außergewçhnlich intensiven außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Zielverbundenheit Preußens und Frankreichs“. Fîr Bismarck, gerade ins Amt gekommen, war dieser Vertrag wichtig, weil die wirtschaftlichen Prinzipien, auf denen er beruhte, die Basis der preußischen Handelspolitik darstellten. Die Bemîhungen um die Zustimmung der anderen Zollvereinsstaaten zogen sich jahrelang hin, bis sich am 12. Oktober 1864 die letzten vier Staaten dem Vertrag anschlossen, dessen Anerkennung Preußen mit dem Projekt einer grîndlichen Umstrukturierung des Zollvereins verknîpft hatte.1650 So konnte der Vertrag endlich am 1. Juli 1865 in Kraft treten. Ebenfalls am 2. August 1862 unterzeichnet wurden ein trait¤ de navigation, eine convention relative au service international des chemins de fer1651 sowie eine auf Wunsch Frankreichs ausgearbeitete convention litt¤raire et artistique, in der erstmals Urheberrechtsfragen zwischen den beiden Lndern geklrt wurden.1652 Drei von den vier Vertrgen unterzeichnete Preußen als Mandatar des Zollvereins, whrend die Urheberrechts-Konvention nur Preußen und Frankreich betraf.

1648 ˜ber die Verhandlungsschritte informiert unter Auswertung neuer Archivalien D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 40 – 51. 1649 E. Franz, Entstehungsgeschichte … (s. Anm. 1647), S. 127. Das folgende Zitat: S. 129. 1650 Vgl. dazu H.-W. Hahn, Geschichte … (s. Anm. 1242), S. 170 – 179, das folgende Zitat: S. 170. Abdruck des Vertrages ohne/mit allen Anhngen und Ergnzungen: CTS … (s. Anm. 500), 126, S. 178 – 188/177 – 238. 1651 Abdruck: Ebd., S. 233 – 238. 1652 Derartige Vertrge hatte Frankreich schon mit Hannover, Sachsen-Weimar und Baden abgeschlossen; zum Inhalt D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 54. Unerklrlich ist, warum die convention litt¤raire et artistique in der Sammlung CTS nicht enthalten ist. Sie wird nur in dem „Protocole explicatif“ zum Gesamttext (14. 12. 1864: Ebd., S. 229 – 231, hier S. 231), erwhnt.

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Tabelle 24: Zollstze fîr den Export nach Frankreich (vor und nach dem Handelsvertrag, in Francs/100 kg) Waren

Alter Zoll

Neuer Zoll

Roheisen Bearbeitetes Eisen Eisendraht Dînnblech

2,50 3,25 14,00 13,00

2,00 2,75 10,00 10,00

Der auf eine Anregung Napoleons III. zurîckgehende preußisch-franzçsische Handelsvertrag war getragen von dem Wunsch, „de resserrer les liens d’amiti¤s et d’¤tendre les relations commerciales“ (Prambel); erreichen wollte er außerdem – und das war fîr kînftige Bemîhungen um internationale Kooperation richtungweisend – die Bindung einer „r¤forme douaniºre nationale ” une standardisation du droit commercial international“.1653 Vordergrîndig sicherte der Vertrag den Anschluß des Zollvereins an das westeuropische Freihandelssystem. Der Handelsvertrag, der zum ørger §sterreichs auch die Meistbegînstigungsklausel enthielt (Art. 31), sah von franzçsischer Seite zahlreiche Zollsenkungen vor, wie sie Paris England (und neuerdings auch Belgien, 1861) zugestanden hatte (Roheisen, Bleche, Eisendraht, Stahl, Nichteisenmetalle, Metallwaren, Maschinen, Textilien, Porzellan, Fayencen u. a.). Die vom Zollverein zu erbringenden Gegenleistungen waren in den zwei Tarifklassen A und B enthalten: Die „neuen deutschen Zçlle bedeuteten im Grunde eine vollkommen freihndlerische Umgestaltung des bisherigen Zollvereinstarifs.“ Stark reduziert wurden beispielsweise die Abgaben auf grobe Eisenwaren, Garn, Textilien (besonders Seidenstoffe), Porzellan und Wein. Ein Blick auf die handelspolitischen Implikationen wird durch den Vergleich einiger Zollstze, die beim Handel zwischen dem Zollverein und Frankreich erhoben wurden, ermçglicht; die Zahlen verdeutlichen, warum der Handelsvertrag in der neuen franzçsischen Literatur ohne Zçgern als trait¤ de libre-¤change de 1862 bezeichnet wird. ˜ber die Anwendung der neuen Handelsvertragsbestimmungen in den knapp drei Jahren bis zur Zustimmung des Zollvereins stritten sich die beiden Regierungen, doch liegen keine Angaben îber den Handel mit Preußen in diesen Jahren vor. Um einen etwas genaueren Einblick zu geben, zeigt die Tabelle 26 die Entwicklung des Warenaustauschs zwischen Frankreich und dem Zollverein in der Zeit von 1834 bis 1869. Daß der Zollverein als Handelspartner Frankreichs von 1859 bis 1869 vom 5. auf den 4. Platz kletterte, unterstreicht, daß der Warenaustausch mit Frankreich nach etwas kîmmerli1653 Ebd., S. 52.

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Tabelle 25: Zollstze fîr den Import aus Frankreich (vor und nach dem Handelsvertrag, in Francs/100 kg) Wollgarn, -stoffe Baumwollgarn, -stoffe Gefrbtes/gebleichtes Garn/Stoffe Wein in Fssern Wein in Flaschen Reinseidene Stoffe

60,00 22,50 60,00 45,00 60,00 825,00

30,00 15,00 30,00 30,00 30,00 300,00

Quelle: R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 77. Tabelle 26: Warenaustausch zwischen Frankreich und dem Zollverein 1834-1869 (in Millionen Francs) Jahr

Import

Zunahme*

Export

Zunahme*

1834 1839 1844 1849 1854 1859 1864 1869

38,6 49,1 58,2 36,2 82,1 123,8 176,1 255,7

+4,23 +2,87 –7,61** +14,62 +7,09 +6,05 +6,42

53,6 60,8 74,7 51,7 71,9 175,2 248,4 305,0

+2,12 +3,49 –5,95** +5,65 +16,00 +5,99 +3,48

* Mittelwert der vergangenen fînf Jahre ** Folge der revolutionren Ereignisse in Europa Quelle: Eigene Zusammenstellung nach D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 154, S. 272.

chen Anfngen insbesondere in den 60er Jahren einen betrchtlichen Aufschwung nahm.1654 Der Einfluß des Handelsvertrages von 1862/65 scheint bei den franzçsischen Importen im Jahr 1866 greifbar zu werden: Erstmals stieg der Wert der Einfuhrgîter îber 200 Millionen Francs, um 1868 mit 303 Millionen eine Rekordhçhe zu erreichen. Demgegenîber verharrten die franzçsischen Exporte bis 1868 bei 230 bis 260 Millionen, um erst 1869 die 300-Millionen-Grenze zu îberschreiten.1655 Die zehn wichtigsten Exportartikel Frankreichs1656 waren – in jhrlich unterschiedlicher Reihenfolge – Textilien, Kurzwaren (mercerie), Wein, Roh1654 Durch die von Dagmar Soleymani publizierten Zahlen sind die Angaben bei R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 61 f., weitgehend îberholt. 1655 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 272, tableau 75. 1656 Die folgenden Angaben sind zusammengestellt aus R. Poidevin / J. Bariety, Frankreich … (s. Anm. 1092), S. 77 – 82, und aus den zahlreichen Produkt-Kapiteln bei D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 64 – 111 (franzçsische Importe) und S. 111 – 149 (franzçsische Exporte).

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baumwolle, Garn, Rohseide, Holz, Leder, Getreideprodukte und Kleidung. Whrend Textilien die unangefochtene Spitzenposition einnahmen, stand der Wein fast konstant an zweiter Stelle. Dazu kamen viele Fertigwaren wie Werkzeuge, Metallerzeugnisse, Maschinen, Papier, Pappe und Bîcher. Frankreich lieferte auch Rohstoffe, die von der sich entwickelnden Industrie der Zollvereinslnder bençtigt wurden. Bei der Einfuhr Frankreichs aus dem Zollverein waren Rohstoffe und Agrarprodukte noch immer wichtig, doch ging ihre Menge zurîck, whrend der Import von Fertigwaren zunahm. Bis 1869 erreichten Produkte wie Papier, Pappe, Bîcher, Tçpfer-, Glas- und Kristallwaren, Maschinen, Metallerzeugnisse und chemische Produkte einen immer grçßeren Marktanteil. 4. Verkehrsprobleme Der Aufschwung des preußisch-franzçsischen Handels, der zu îber 90 Prozent îber Land abgewickelt wurde, ist eng verbunden mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts. Fîr den deutschen Bereich, in dem bis 1850 schon îber 7.000 Kilometer Schienen verlegt waren, kann an Friedrich List erinnert werden, der das Eisenbahnnetz als den siamesischen Zwilling des Zollvereins bezeichnete.1657 Trotzdem ist in europischem Maßstab zu bedenken, daß zuerst nur wenige Hauptlinien als Verbindungen der wichtigsten Stdte gebaut wurden. Die fehlende Infrastruktur, ein nicht ausreichender Lokomotiv- und Wagenpark, unterschiedliche Spurbreiten, fehlende Ersatzteile und andere Schwierigkeiten fîhrten dazu, daß althergebrachte Transportmittel konkurrenzfhig blieben und nach wie vor eine wichtige Rolle spielten: „Le roulage, support traditionnel du commerce, r¤sista jusque dans les ann¤es 1870 ” la concurrence des chemins de fer.“1658 Das war mçglich, weil fast îberall das Straßennetz seit der napoleonischen Zeit zîgig ausgebaut worden war.1659 In Preußen stieg die Zahl der befestigten Straßen von 3.836 (1816) auf 16.689 Kilometer (1852). In der zweiten Jahrhunderthlfte setzten sich beim Straßenbau die Verbesserungsvorschlge des schottischen Ingenieurs John Mac Adam durch (Paris 1849); die Spezialliteratur gibt vielleicht Auskunft darîber, ob der Einfluß des Schotten auf Preußen so groß war wie auf Frankreich, wo man noch heute – in abgewandelter Bedeutung – das Wort „macadamiser“ fîr ,asphaltieren’ benutzt. Whrend die auf der Straße eingesetzten Transportmittel noch lange die gleichen blieben, brachte die Einfîhrung der Dampfschiffahrt auf den schon 1657 Mitgeteilt von H.-W. Hahn, Geschichte … (s. Anm. 1242), S. 93. 1658 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 55. 1659 Zu den folgenden Angaben vgl. R. Fremdling, Eisenbahnen … (s. Anm. 1327), S. 103 – 107.

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frîher meist recht gut ausgebauten Wasserstraßen eine erhebliche Verbesserung, weil die Fahrt flußaufwrts sehr erleichtert wurde. Auch hier profitierte Preußen von dem technischen Vorsprung Westeuropas. Die ersten Dampfschiffe, die seit 1816 in Preußen gebaut und eingesetzt wurden, stammten von den Englndern Humphreys und Biram.1660 Whrend die Fahrten nach Hamburg aber nur langsam in Gang kamen, wurde die Dampfschiffahrt auf dem Rhein bereits 1825 eingefîhrt – durch eine niederlndische Gesellschaft.1661 Auch bei einer anderen Kommunikationsverbesserung, der ˜bermittlung von Informationen, profitierte Preußen auf zweifache Weise von Westeuropa. Kein halbes Jahrhundert lag zwischen dem von dem Franzosen Louis Chappe erfundenen (und in Preußen verbesserten) optischen Telegraphen (Preußen 1833: Berlin-Koblenz, nur Behçrdenverkehr) und dem elektromagnetischen Telegraphen, dessen Entwicklung durch die Erfordernisse des sich bildenden Eisenbahnnetzes sehr beschleunigt wurde. Die Eisenbahn gab „den entscheidenden finanziellen Anreiz zur Serienreife der Telegraphenapparate“, bevor sie der Staat fîr seine Zwecke nutzte.1662 Zu den geschicktesten Experimentatoren gehçrten die Englnder Cooke und Wheatstone. Ihr „Zeigertelegraph“ wurde zum Kennzeichen des ersten kommerziell erfolgreichen Telegraphen in England und auf dem Kontinent. 1843 nahm die „Rheinische Bahn“ den ersten elektrischen Telegraphen mit Wheatstone-Gerten in Betrieb. Nachdem Wilhelm Siemens aus London seinen Bruder Werner in Berlin mit diesen Apparaten bekanntgemacht hatte, begann dieser – mit Erfolg – an Verbesserungen zu arbeiten und grîndete 1847 die Firma, die bald Weltruf erlangte. Als der Staat 1852 die Linie Berlin-Kçln errichtete, wurde die optische Verbindung stillgelegt. Eine andere preußisch-britische Zusammenarbeit fand ebenfalls auf dem Telegraphensektor statt: Unter der Federfîhrung von Siemens & Halske in Berlin begannen Siemens-Zweigstellen in London (gegr. 1858) und anderen Stdten 1867 mit der Verlegung der indoeuropischen Telegraphenlinie (London-Norddeutschland-Rußland-Teheran).1663 Wegen seiner vielfltigen Verdienste wurde Wilhelm Siemens, der auch mehrere englischsprachige Bîcher publiziert hatte, 1883 die Ritterwîrde verliehen, so daß er sich fortan Sir William nennen durfte – ob dies beim britisch-preußischen/deutschen Wissenschafts-, Kultur- und Technologietransfer çfter vorkam, mîßte noch untersucht werden.

1660 I. Mieck, Berlin … (s. Anm. 968), S. 519 f. 1661 R. Fremdling, Eisenbahnen … (s. Anm. 1327), S. 105. 1662 W. Kçnig / W. Weber, Netzwerke … (s. Anm. 1581), S. 214 – 218. 1663 Elisabeth Bîhlmann, La ligne Siemens. La construction du t¤l¤graphe indo-europ¤en 1867 – 1870, Bern u. a. 1999.

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Tabelle 27: Streckenlnge (in km) der preußisch-deutschen und westeuropischen Eisenbahnnetze bis 1870* Deutscher Bund Preußen Großbritannien Frankreich Belgien Niederlande Spanien Portugal

1840

1850

1860

1870

579 185 1.348 497 336 17 – –

7.123 3.512 10.653 3.083 854 176 28 –

11.157 7.504 16.787 9.528 1.729 335 1.918 137

24.769** 15.527 24.999 17.931 2.997 1.419 5.457 714

* Fîr die unterschiedlichen Angaben in der Literatur gibt es viele Erklrungen: Jahreszeit, ein-/zweigleisig, fertig/betrieben, Erhebungsprobleme, Grenzverschiebungen, geographische Unsicherheiten usw. ** Gemeint ist wohl das Gebiet des Deutschen Reiches. Quelle: Eigene Zusammenstellung nach R. Fremdling, Eisenbahnen … (s. Anm. 1327), S. 48; Meyers Großes Konservations-Lexikon, 5, Leipzig/Wien 61909, nach S. 504. Tabelle 28: Transportleistungen der preußischen Eisenbahnen 1865 und 1873 (in Millionen p/km und t/km) Jahr

Personen

Gîter

1865 1873

1.386 3.554

2.244 7.016

Quelle: W. Klee, Eisenbahngeschichte … (s. Anm. 1268), S. 136.

Wegen der oben erwhnten Schwierigkeiten vollzog sich der Ausbau des Eisenbahnwesens zwar unregelmßig, doch zeigt die Tabelle 27, daß die Lnder, in denen die Industrialisierung am frîhesten eingesetzt hatte, auch im Eisenbahnbau fîhrend waren. Von einem Vorsprung Westeuropas beim Eisenbahnbau kann man nur partiell sprechen, insbesondere wenn man andere Vergleichsgrçßen (z. B. km/ Einw., km/Flche, Befçrderungszahlen oder Gîtermenge/Einw.) heranzieht. Außerdem war der Eisenbahnbau stark abhngig von den geographischen Gegebenheiten. Obwohl Vergleichszahlen zu Westeuropa fehlen, folgen einige Angaben îber die Transportleistungen der preußischen Eisenbahnen: Vergleicht man mangels anderer Zahlen die Streckenlngen, zeigt sich, daß die iberischen Staaten und die Niederlande nicht nur weit hinter England, Frankreich und Belgien, sondern sogar hinter Preußen zurîckblieben. Wie sehr aber auch Preußen besonders in den 40er Jahren von westeuropischen Lieferungen abhngig war, verdeutlicht Tabelle 29. Das nderte sich erst durch die

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Tabelle 29: Herkunft und Beschaffungsjahr der in Preußen 1853 vorhandenen 308 Lokomotiven Jahr

Gesamtzahl

Deutschld.

England

Belgien

USA*

1838 1841 1844 1847 1850 1853

7 20 17 106 53 105

0 0 7 72 42 99

6 19 8 14 5 0

1 1 1 20 6 6

0 0 1 0 0 0

* Es ist zu klren, warum nur in den Jahren 1842-44 Lokomotiven aus den USA beschafft wurden (2, 8, 1). Quelle: Eigene Zusammenstellung nach R. Fremdling, Eisenbahnen … (s. Anm. 1327), S. 76 (Hersteller: S. 75). Zweitabdruck: Ders., Germany, in: Patrick O’Brien (Hg.), Railways and the Economic Development of Western Europe, 1830-1914, London/Oxford 1983, S. 126.

Lieferungen des „Lokomotivkçnigs“ Borsig; von den 729 Lokomotiven, die 1853 in Preußen fuhren, stammten nur noch 219 aus nichtdeutschen Werksttten, aber 414 aus seiner Fabrik. Neben dem „Lokomotivkçnig“ spielte der „Eisenbahnkçnig“ Bethel Henry Strousberg (* 1823) beim Ausbau der preußischen Eisenbahnen in den 60er Jahren eine herausragende Rolle. Seit 1835 hatte er in England das kaufmnnische Geschft erlernt und den Grundstock fîr sein Vermçgen gelegt. Verheiratet mit einer Englnderin, ging er 1855 nach Preußen und wurde 1861 Berater eines englischen Konsortiums, das sich fîr den Bau der Bahnlinie Insterburg-Tilsit interessierte. Im Zuge des damit beginnenden Aufstiegs wurde Strousberg zu einem der grçßten Unternehmer und reichsten Mnner Europas. In den 70er Jahren kam es allerdings zum Zusammenbruch seines Konzerns. Die zunehmende Transportleistung der Eisenbahn im internationalen Warenaustausch war nur zu erbringen, wenn die Staaten auf nationale Selbstbezogenheit verzichteten und die Voraussetzungen fîr einen gut funktionierenden grenzîberschreitenden Verkehr schufen. Dazu gehçrten auch technische Abstimmungen, die Anfnge der Normung sowie kaufmnnische und grenzpolizeiliche Zusammenarbeit. Zu allererst mußten die nationalen Bahnnetze miteinander verbunden werden. Internationale Zusammenarbeit war in besonderem Maße bei einem sehr praktischen Problem erforderlich, das jeden Auslandsreisenden tangierte. Es war die Zeitfrage, îber die, soweit erkennbar, bisher noch keine zusammenhngende Darstellung vorliegt. Solange sich jedes Land nach seiner Ortszeit richtete, mußten die Passagiere an jedem Grenzbahnhof ihre Uhr umstellen. Ein erster Schritt war die Aufgabe der jeweiligen Ortszeiten zugunsten einer einheitlichen Landeszeit, auch Eisenbahnzeit genannt. Ausgehend von der Westeuropischen Zeit (Greenwich Mean Time), schloß sich das Deutsche Reich am 1. April 1893

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der neuen Zonenzeit, der Mitteleuropischen Zeit, an, die ein Jahr spter in Kraft trat. Whrend in Westeuropa mit Ausnahme Frankreichs und Portugals, die zunchst an ihrer Landeszeit festhielten, die G.M.T. galt, war fîr Mitteleuropa die M.E.Z. maßgebend (+ 1 Std.). In den Niederlanden war noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die G.M.T. nur fîr den Eisenbahn- und Telegraphenverkehr vorgesehen. Daß die preußische Hauptstadt nach Auskunft des Chef-Statistikers Dieterici 1844 „durch vier Eisenbahnen mit den vier Weltgegenden verbunden“ war,1664 ist zwar – acht Jahre nach Errichtung der ersten preußischen Linie – eine beachtliche Leistung, sagt aber îber die Anbindung Berlins und Preußens an Westeuropa nichts aus. Zu îberprîfen ist dagegen die Bemerkung, daß 1852 eine Eisenbahn von Wien nach Berlin fuhr, „wo es bereits direkte Verbindungen nach Brîssel, Antwerpen, Calais und Paris gab“.1665 In der Tat wurden die nach Westen fîhrenden Linien von Berlin aus recht schnell fertiggestellt: nach Hamburg und Magdeburg 1846, nach Kçln 1848 und nach Frankfurt am Main 1852. Fîr den grenzîberschreitenden Eisenbahnverkehr Preußens wurde Belgien zum wichtigsten Knotenpunkt. Nach Streitigkeiten îber das Projekt der Strecke Antwerpen-Kçln, an der in Belgien seit 1833 gebaut wurde, îbernahm schließlich die 1835 gegrîndete „Rheinische Eisenbahngesellschaft“ (unter Camphausen) den Bau einer Eisenbahn „von Cçln îber Dîren und Aachen nach der belgischen Grenze, zum Anschluß an die Eisenbahn, die von Antwerpen an die preußische Grenze gefîhrt wird“.1666 Als sich Finanzierungsprobleme einstellten, war die belgische Regierung sogar bereit, ein Aktienpaket zu îbernehmen und 1 Million Taler zuzuschießen. Der Vertrag zwischen einem westeuropischen Land und einer preußischen Privatgesellschaft, der Belgien zum grçßten Aktionr dieser Gesellschaft machte, wurde am 18. Oktober 1839 geschlossen. Da auch die Regierung in Berlin, die nur ein Darlehen geben wollte, mit dem Vertrag einverstanden war, wurde er, nachdem man Kçnig Leopold bei einem Besuch die Dringlichkeit des Streckenbaus vor Augen gefîhrt hatte, am 1. Mai 1840 ratifiziert.1667 Den intensiven Bemîhungen Hansemanns (Klee: „Preußens geschicktester und sachkundigster Eisenbahnpionier“) war es zu danken, daß sich 1841 auch der preußische Staat, nach dem Regierungswechsel auf einem eisenbahnfreundlicheren Kurs, an der Finanzierung dieser ins Ausland fîhrenden Linie beteiligte. 1664 I. Mieck, Berlin … (s. Anm. 968), S. 574; vgl. generell James M. Brophy, Capitalism, Politics, and Railroads in Prussia, 1830 – 1870, Columbus 1998. 1665 Mitgeteilt von A. Palmer, Diplomatie … (s. Anm. 1159), S. 170. 1666 § 3 der Statuten, Abdruck: W. Klee, Eisenbahngeschichte … (s. Anm. 1268), S. 244 – 253. 1667 Ebd., S. 41 f., das folgende Zitat: S. 45.

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Als am 15. Oktober 1843 die Strecke von Kçln bis zum Grenzort Herbesthal erçffnet wurde, traf sie dort auf das belgische Netz, das bereits Lîttich, Mecheln, Brîssel und Antwerpen verband. Umrahmt wurde dieses Ereignis durch „ein preußisch-belgisches Eisenbahn- und Freundschaftsfest“ von einer Woche Dauer. Es war die erste Linie, die Preußen mit dem Ausland verband. Von Belgien aus waren die anderen westeuropischen Lnder mit der Eisenbahn, je nach Baufortschritt, zu erreichen. Die Strecke nach Ostende, wo die großen Kanalfhren nach England fuhren, war seit 1838 fertig. Die bereits 1842 gebaute Linie von Brîssel nach Mons/Valenciennes erhielt 1846 den Anschluß nach Paris1668 Die seitdem vorhandene durchgehende Bahnverbindung KçlnParis (îber Brîssel) wurde 1851 durch eine zweite, die îber Namur fîhrte, ergnzt.1669 Kçln wurde seitdem „une place de transbordement importante dans les ¤changes entre la France et l’Allemagne“1670 – auch hier kann man ohne Zçgern den Begriff „Allemagne“ durch „Prusse“ ersetzen, das nach wie vor der wichtigste deutsche Handelspartner Frankreichs war. Große Finanzierungsprobleme gab es beim Bau der ersten direkten Bahnverbindung zwischen Frankreich und Preußen: Um die Verbindung zwischen Forbach (Ende der franzçsischen Strecke) und Neunkirchen (Ende der pflzischen „Ludwigsbahn“) herzustellen, mußte eine Eisenbahn durchs preußische Saargebiet gebaut werden, fîr die 3,2 Millionen Rtlr. veranschlagt wurden.1671 Obwohl die Vorteile fîr die saarlndischen Kohlelieferungen nach Ost und West offenkundig waren, wurde die relativ kurze Verbindung erst 1852 fertiggestellt. Die Strecke Paris-Ludwigshafen, die îber Epernay, Nancy und Metz fîhrte, berîhrte auch Saarbrîcken, also preußisches Gebiet. Seit 1856 gab es durch die Linie Wesel-Arnheim die erste Direkt-Verbindung zu den Niederlanden. Dazu kam 1863 die Strecke Krefeld-Kleve-Nimwegen. Eine Besonderheit, die sicher beispielhaft ist und eine erfolgreiche technisch-geschftliche Kooperation vermuten lßt, war die „Preußisch-Niederlndische Verbindungsbahngesellschaft“, die in den 60er Jahren aktiv war und die 1868 erçffnete Linie Viersen-Venlo baute.1672 Die internationalen Verbindungen im Rhein-Ruhr-Raum wurden vor allem durch die „Rheinische Bahn“ gefçrdert. Diese Gesellschaft gehçrte sicher zu den „großartigsten und bestgeleitetsten (sic!) Privatbahnunternehmungen Preußens und Deutschlands“,1673 doch ist wohl seit der Untersuchung von Wolfgang Klee 1668 A. v. Mayer, Geschichte … (s. Anm. 1327), 1, S. 471. 1669 Eine knappe Schilderung der Eisenbahnfahrt von Berlin îber Kçln und Belgien nach Paris im Jahre 1863 findet sich bei L. Pietsch, Schriftsteller … (s. Anm. 1449), 2, S. 206 – 216. 1670 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 57. 1671 Darîber informiert W. Radtke, Seehandlung … (s. Anm. 1215), S. 294 – 297. 1672 A. v. Mayer, Geschichte … (s. Anm. 1327), 1, S. 466 und S. 473. 1673 Ebd., S. 472.

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in vielen Fllen eine differenzierte Beurteilung angebracht. Ihr Netz „wurde besonders fîr den Gîtertransport von und nach Belgien sowie Frankreich von Bedeutung“.1674 Auf dieser nçrdlichen Route („liaison du Nord“) wurde fast der gesamte preußisch-westeuropische Handel, soweit er die Eisenbahn nutzte, abgewickelt. Transportiert wurden in erster Linie Textilwaren, Glasartikel, Rohstoffe und Nahrungsmittel. Da Wirtschafts- und Verkehrsfragen eng zusammenhngen, sollen abschließend noch die Eisenbahnverbindungen erwhnt werden, die außerhalb Preußens den Verkehr des Zollvereins mit Westeuropa sicherstellten. Im mittleren Bereich wurde 1851 zwar die Linie Paris-Straßburg erçffnet, doch scheint es keinerlei Anschlîsse an das bayerische oder badische Eisenbahnnetz gegeben zu haben.1675 Erst die erwhnte Strecke Paris-Ludwigshafen ermçglichte seit 1852 den grenzîberschreitenden Personen- und Gîterverkehr. Die Anbindung des franzçsischen Netzes an das bayerische erfolgte 1855 (Erçffnung der „gare frontaliºre“ Weißenburg/Wissembourg; einzige Direktverbindung zwischen Frankreich und der bayerischen Rheinpfalz), an das badische (bis 1854 mit anderer Spurweite) 1861 (Fertigstellung der Kehler Rheinbrîcke).1676 Weil die Hçchstgeschwindigkeit fîr Gîterzîge anfangs auf 35 km/h und die Tagesstrecke auf 125 km beschrnkt war, waren die Zîge von Sîddeutschland nach Paris 5 bis 6 Tage unterwegs. Viehtransporte, die auch nachts fahren durften, schafften die Strecke mitunter in 24 Stunden. In jedem Fall wurden die Grenzkontrollen allein durch die Quantitten der transportierten Waren komplizierter und langwieriger. Trotz der revolutionren Unruhen des Jahres 1848 wurde – ganz sicher auf Druck der west- und mitteleuropischen Handelswelt – eine Vereinbarung geschlossen, die einen wahrhaft zukunftweisenden Charakter hatte (31. Dezember 1848): „R¤glement du service international par chemin de fer entre la Belgique, la France et la Prusse dans ses rapports avec la douane.“1677 Dieser gemeinsame Regierungserlaß sollte „faciliter, quant aux formalit¤s de douanes, l’exploitation du chemin de fer franco-belge-rh¤nan“. Dazu gehçrten Zollerhebung im Landesinnern, Einfîhrung eines Warenbegleitscheins („feuille 1674 Zitiert von D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 57. 1675 Diese Eintragung (Putzgers Historischer Weltatlas, Neuauflage 1986, S. 96 II) wre zu îberprîfen. 1676 A. v. Mayer, Geschichte … (s. Anm. 1327), 2, S. 1246 (Wissembourg) und S. 547 (Kehl). Vgl. auch D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 59. 1677 Die folgenden Angaben nach D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 61 f. In der Vertragssammlung CTS ist das „R¤glement“, das als arr¤t¤, nur Verordnungscharakter hat, nicht enthalten; ob es außer dem zeitgençsischen Abdruck (in: Lois et r¤glements des douanes franÅaises. Collection publi¤e sous l’agr¤ment de l’administration sous la surveillance d’un de ses employ¤s, 23, Paris 1848) noch andere gibt, ist nicht bekannt.

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de route“) an Stelle der bisherigen Begleitung sowie freie Durchfahrt aller Eisenbahn-Materialien. 1853 wurde die Verordnung von 1848 durch eine Vereinbarung îber den internationalen Transitverkehr ergnzt. Mit ihrer Vereinfachung der Zollformalitten und der strkeren internationalen Kooperation ließ sie bereits „rudiments d’un droit douanier international“ (Clinquart) erkennen. Da Preußen die Vereinbarung von 1848 im April 1856 aufgekîndigt hatte,1678 verknîpfte man die Beratung îber eine Neuregelung mit den Verhandlungen îber den Handelsvertrag.1679 Die im Artikel 12 ausgesprochene Absichtserklrung fand ihre Entsprechung in der Convention relative au service international des chemins de fer dans ses rapports avec la douane, die dem Handelsvertrag als Annex beigegeben wurde und ebenfalls am 1. Juli 1865 in Kraft trat.1680 Kînftig passierten smtliche Gîterzîge die Grenze „sans contrúle douanier“, sofern die mitgefîhrten Waren in besondere Waggons verladen und durch ihre „feuilles de route“ begleitet wurden. Personen durften kînftig auch sonnund feiertags sowie bei Nacht die Bahn benutzen, wobei „le contrúle des passagers et de leurs bagages“ erhalten blieb. Umfangreiche Bestimmungen gab es îber die Zollerhebungen am Zielort und îber das Transitproblem, das bei Lndern wie Belgien und der Schweiz einer dringenden Regelung bedurfte. Auch die angrenzenden Lnder, etwa Spanien, sollten von den Vorteilen der Vereinbarung profitieren. Die preußisch-franzçsische Eisenbahn-Konvention von 1862/65 ersetzte die Abmachung von 1848 durch eine zeitgemßere. Sie war ein wichtiger Schritt in eine Richtung, deren Bedeutung erst in der zweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts voll erkannt und schrittweise realisiert wurde. Die Vereinbarung von 1862, so resîmiert Dagmar Soleymani,1681 „jeta les bases pour une ¤troite collaboration entre ces deux services“ – Zoll und Eisenbahn. Wer heute mit dem Thalys von Kçln îber Brîssel nach Paris, unbeschwert von Zoll- und Paßkontrollen, in vier Stunden drei Lnder durchfhrt, sollte sich daran erinnern, daß eine franzçsischbelgisch-preußische Eisenbahn-Vereinbarung vom 31. Dezember 1848 am Anfang dieser Entwicklung stand. Unter den neun großen Statuen, die den Reisenden am Zentralportal der Gare du Nord begrîßen, befinden sich zwei, die preußische Abfahrtsorte symbolisieren: Berlin und Kçln.

1678 Ob in der Spezialliteratur die Begrîndungen dafîr genannt werden, wre zu îberprîfen. 1679 S. o. S. 836 – 838. 1680 Abdruck: CTS … (s. Anm. 500), 126, S. 233 – 238. 1681 D. Soleymani, Les ¤changes … (s. Anm. 1247), S. 62.

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§ 8 Schlußbemerkung Das Ende preußischer Außenpolitik, das 1866 mit der Grîndung des Norddeutschen Bundes begann, bedeutete kein Ende der Beziehungen Preußens zu Westeuropa. Diese Beziehungen endeten genaugenommen erst 1947, als zwei der traditionellen Westmchte gemeinsam mit den beiden Weltmchten USA und SU das Ende Preußens beschlossen. Dennoch wurde das Verhltnis Preußens zu Westeuropa seit der Reichsgrîndung grundlegend anders, weil der Abschied vom „Alten Preußen“, den Wilhelm I. 1871 nicht nur beklagt, sondern zu einem guten Teil auch zu verantworten hatte, unter Bismarck, Wilhelm II., Hindenburg und den Nationalsozialisten Wirklichkeit wurde. Der Blick auf die nicht zu îbersehenden Fehlentwicklungen Preußens nach 1870/71 veranlaßt manchen Kenner der preußischen Geschichte, die große Zeit dieses Staates auf wenig mehr als ein Jahrhundert zu veranschlagen, von 1740 bis 1870: „Nach der Grîndung des deutschen Kaiserreiches verschwindet Preußen. […] Alles, was dem neuen Reich seinen Charakter und sein Gewicht gab, entzog sich Preußens Lebensgefîhl, ja untergrub es.“1682 Aus westeuropischer Perspektive kçnnte man in dieser Sicht auf die Geschichte Preußens die Jahreszahl 1870 durch 1862 ersetzen. Als die konservative Militrpartei die sich im Sommer diesen Jahres abzeichnende „englische Option“ unter allen Umstnden zu verhindern suchte und die Berufung Bismarcks durchsetzte, war der Weg zu einer allmhlichen Umwandlung Preußens in einen parlamentarisch kontrollierten Verfassungsstaat versperrt und der politische Abstieg, den zuerst Preußen, seit 1871 das Deutsche Reich erlebte, vorgezeichnet. Dreimal hatte Preußen im Laufe von zweieinhalb Jahrhunderten wichtige Impulse aus Westeuropa aufgenommen, die dazu beitrugen, daß sich dieser Staat wirtschaftlich und kulturell den westeuropischen Traditionen çffnete und zu einem respektierten Mitglied der europischen Staatengemeinschaft wurde. Als es sich dem vierten Impuls, dem politischen, verweigerte, besiegelte Preußen damit seinen Untergang. Der klgliche Rettungsversuch vom Oktober 1918 besttigte, daß die Geschichte den bestraft, der zu spt kommt. Tabelle 30: Verzeichnis der in der preußischen Hauptstadt akkreditierten Botschafter und Gesandten der westeuropischen Staaten bis 1871 Da die in der Literatur genannten Jahreszahlen oft widersprîchlich sind, kçnnen die Zahlengaben vor allem fîr die frîheren Epochen kaum mehr als Anhaltspunkte bieten, die von Fall zu Fall îberprîft werden mîssen. Die sich îber Jahrzehnte erstreckende Etablierung des Gesandtschaftswesens sowie die fehlende Grundlagenforschung machen das erforderlich. 1682 Wolf Jobst Siedler, Dieser Klassizismus – eine Klasse fîr sich. Ein Gesprch mit Wolf Jobst Siedler, in: Der Tagesspiegel, Nr. 17.293, 17. 1. 2001, S. 27.

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Ilja Mieck

Belgien Maurice Ignace Marie Joseph de Merckx Graf Joseph FranÅois Jean Nepomucene von Baillet Baron Jean Pierre Christine Willmar Baron Jean Baptiste Nothomb Frankreich FranÅois de Pas, Graf von R¤benac Jules de Gravel Pierre Puchot, Marquis des Alleurs Graf Konrad Alexander von Rothenburg Guy Louis Henri de Valory FranÅois Elie Marquis de Moustier Antoine Bernard Caillard Emmanuel Joseph Sieyºs Pierre de Riel, Marquis de Beurnonville Graf Antoine Mathurin von Laforest Filippo Antonio Asinari, Marchese di San Marzano Victor Louis Charles de Riquet, Herzog von Caraman Marquis de Bonnay, Charles FranÅois Vicomte FranÅois Ren¤ de Chateaubriand Comte de Rayneval, FranÅois Maximilien G¤rard Comte de Saint-Priest, Emanuel Louis Marie Comte d’Agoult, Hector Philippe Auguste Charles Joseph Flahaut de la Billarderie Charles Joseph Bresson Hector Napol¤on Soult, Marquis de Dalmatie Brunet-Denom (kommissarisch) Graf Adolphe Marie Pierre von Circourt Emmanuel Arago Louis de Lurde Jean-Gilbert Victor Fialin de Persigny Cintrat Barth¤lemy-Dominique, Marquis de Castelbajac Armand Edouard Lefebvre Jacques Edouard, Baron Burignot de Varenne Moustier, Desle Marie-France-Ren¤-L¤onel, Marquis de Prinz Henri de la Tour d’Auvergne-Lauraguais Baron Ang¤lique de Talleyrand-P¤rigord

1831-1832 1836 1840-1845 1845-1881 1680-1688 1688-1689 1689-1701 1714-1728 1740-1750 1790-1791 1795-1798 1798-1799 1800-1802 1803-1804 1808-1813 1814-1816 1816-1821 1820-1821 -1824 1825-1828 1828-1830 1831 1831-1844 1844-1848 1848 1848 1848 1849 1849-1850 1850 1850* 1850-1852 1852-1853 1853-1859 1860-1862 1862-1864

I. Preußen und Westeuropa

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Vincent Benedetti * Es ist unklar, warum der langjhrige Gesandte in auch als Vertreter in Berlin genannt wird (I, 268). Großbritannien (bis 1707: England) Thomas Wentworth, Baron Raby Charles Whitworth Charles du Bourgay John Carmichael, Graf von Hyndford Sir Charles Hanbury Williams Sir Andrew Mitchell James Harris Hugh Elliot Sir John Stepney John Dalrymple Joseph Ewart Morton Eden Thomas Bruce, Graf von Elgin John Joshua Proby Baron Carysfort Francis James Jackson George Henry Rose Richard Charles Francis Meade George William Chad Gilbert Elliot Graf von Minto Lord George William Russell John Fane Graf von Westmoreland John Arthur Douglas Bloomfield Lord Augustus William Frederick Spencer Loftus Sir Andrew Buchanan Sir Francis Napier Lord Augustus William Frederick Spencer Loftus Niederlande Godard Adriaan van Reede van Amerongen

1864-1870 St. Petersburg (1849-1854)

Jacob Hop Baron Jacob van Wassenaer Johan Ham Baron Jacob van Wassenaer Baron Christiaan Karel van Lintelo Baron Reinhard van Reede-Ginckel

1701-1711 1716-1720 1724-1730 1741-1744 1750-1751 1766-1771 1772-1776 1777-1782 1782-1784 1785-1787 1788-1791 1791-1793 1795-1798 1800-1801 1802-1806 1815-1823 1823-1827 1827-1832 1832-1834 1835-1841 1841-1851 1851-1860 1860-1862 1862-1864 1864-1866 1866-1871 1671/72, 1679-1681, 1682/1684 1687-1688 1689 1692-1699 1699-1701 1704-1716 1730-1747*

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Ilja Mieck

Bertram Filip Sigismond A. Gronsfeld, Graf van Diepenbroick Impel 1747-1758 Dirk Hubert Verelst 1758-1774 Reinhard Adriaan Wilhelm Carel van Heyden 1774-1781 Baron Arend Willem van Reede 1781-1795** Carel Gerard Hultman 1801-1803 Baron Anton Boudewijn Gijsbert van Dedem 1803-1806 Graf Heinrich von Perponcher-Sedlnitzky 1814-1842 Baron Alexander Carel Jacob Schimmelpenninck van der Oye 1842-1861 Graf Julius Philip Jacob Adriaan van Zuylen van Nijevelt 1861-1865 Graf Charles Malcolm Ernest George von Bylandt 1865-1871 * Die Jahreszahl 1737 (I, 272) ist wohl falsch; Reede-Ginckel wurde von Friedrich Wilhelm I. sehr geschtzt („ein ordentlicher feiner lieber Mann“) und erhielt 1738 den Schwarzen Adler-Orden (I, 30). ** der Gesandtenwechsel ist vielleicht erst 1782 erfolgt (I, 272). Portugal Alexandre de Sousa Holstein 1789-1790 Jos¤ Antonio de Sa Pereira e Meneses, Graf von Anadia 1791-1801 Fernao Jos¤ de Correa Henriques Noronha 1801-1807 Joaquim Jos¤ Lobo da Silveira, Graf von Oriola 1815-1821 Simao da Silva Ferraz de Lima e Castro, Baron von Rendufe 1842-1845 Nuno de Barboza Figueiredo 1846-1849 Jos¤ Antonio Soares Real, Vicomte de Santa Qu„teria 1856-1858 Baron Joaquim de Roboredo 1858-1860 Jos¤ de Vasconcellos e Souza 1860-1862 Dom Luis Victorio de Noronha 1862-1869 Joao Gomes de Oliveira e Silva, Graf von Rilvas Bandeira de Melo 1870-1881 Spanien Simon de las Casas 1782-1784 Antonio de Orcasitas 1785-1786 Miguel de Galvez 1786-1788 Horacio Borghese 1789-1797 Ignacio de Mfflzquiz 1797-1799

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I. Preußen und Westeuropa

Gonzalo O’Farrill y Herrera Benito Pardo de Figueroa Jos¤ Garcia de Leûn y Pizarro Mondel Hierro Luis Fernandez de Cordoba Camille Gutierrez de los R„os Don Antonio Ramon Zarco del Valle Don Juan Donoso Cortes, Marquis de Valdegamas Don Luis Armero y Millares Don Gaspar Aquilera y Contreras, Marquis de Benalua Don Juan Jimenez Sandoval, Marquis de la Ribera Pascual de Oliver Don Juan Jimenez Sandoval, Marquis de la Ribera Manuel Rances y Villanueva Don Miguel Tenaro de Castilla Juan Antonio Rascûn Navarro Sena y Redondo

1799-1804 1806-1808 1813-1815 1826-1828 1829-1832 1832-1834 1848-1849 1849-1850 1850-1851 1851-1854 1854-1855 1855-1856 1856-1862 1862-1867 1867-1869 1869-1872

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach: (I) Bernd Fischer / Anja Knott / Enrico Seewald (Hg.), Zwischen Wilhelmstrasse und Bellevue. 500 Jahre Diplomatie in Berlin, Berlin 1998, S. 265-277; (II) Karl Hammer, Die franzçsische Diplomatie der Restauration und Deutschland 1814-1830 (= Pariser Historische Studien, 2), Stuttgart 1963, Anhang II, S. 232-239; (III) Horst Lademacher (Hg.), Dynastie in der Republik. Das Haus Oranien-Nassau als Vermittler niederlndischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert (= Textband zur Ausstellung „Onder den Oranje Boom“. Niederlndische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fîrstenhçfen), Mînchen 1999; (IV) Ilja Mieck, Auslnder und Immigranten in Berlin 1848, in: Ders. / Horst Mçller / Jîrgen Voss (Hg.), Paris und Berlin in der Revolution 1848. Paris et Berlin dans la r¤volution de 1848, Sigmaringen 1995, S. 225-228; (V) Martin Stauch, Im Schatten der Heiligen Allianz. Frankreichs Preußenpolitik von 1848 bis 1857 (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 713), Frankfurt am Main u. a. 1996, S. 59-64; (VI) Wouter Troost, William III, Brandenburg, and the Construction of the AntiFrench Coalition, in: Jonathan Irvine Israel (Hg.), The Anglo-Dutch Moment. Essays on the Glorious Revolution and Its World Impact, Cambridge u. a. 1991, S. 299333; nicht mehr ausgewertet werden konnte Tobias C. Bringmann, Handbuch der Diplomatie 1815-1963. Auswrtige Missionschefs in Deutschland und deutsche Missionschefs im Ausland von Metternich bis Adenauer, Mînchen 2001.

II. Brandenburg-Preußen und das Alte Reich ca. 1650 – 1806 Von Frank Kleinehagenbrock Bibliographie Die Bibliographie zeichnet vor allem die einschlgige reichsgeschichtliche Forschung nach. Edierte Quellen zum hier behandelten Thema im speziellen gibt es nicht. Deswegen sei im folgenden auf einige einschlgige Quelleneditionen zur Geschichte des Alten Reiches und ansonsten auf die von Wolfgang Neugebauer in seinem Beitrag zu „Brandenburg-Preußen in der Frîhen Neuzeit“ in diesem Bande angefîhrten Quelleneditionen verwiesen. Die Literaturîbersicht konzentriert sich auf die Ergebnisse der jîngeren Reichsgeschichtsforschung. Spezialliteratur zur preußischen Geschichte findet sich nur insoweit, als daß sie fîr das Thema unverzichtbar erscheint; ganz hnlich ist mit Literatur aus der landesgeschichtlichen Forschung einzelner Territorien des Heiligen Rçmischen Reiches verfahren worden. Auf diese Weise sollen unnçtige ˜berschneidungen zu den Bibliographien der beiden Beitrge von Wolfgang Neugebauer und Ilja Mieck in diesem Bande vermieden werden. Um den vorhandenen Druckraum optimal auszunutzen, wurden Sammelbnde, aus denen im Text mehrere Aufstze zitiert wurden ohne eigene Nennung derselben nur einmal angefîhrt; in diesen Fllen sei auf den Anmerkungsapparat verwiesen. Quellensammlungen und Bibliographien zur Verfassung des Alten Reiches: Winfried Becker, Dreißigjhriger Krieg und Zeitalter Ludwigs XIV. (1618 – 1715) (= Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart, 2), Darmstadt 1995; Arno Buschmann, Kaiser und Reich. Verfassungsgeschichte des Heiligen Rçmischen Reiches Deutscher Nation von Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten, 2 Tle., Baden-Baden 21994; Hanns Hubert Hofmann, Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Rçmischen Reiches deutscher Nation 1495 – 1815 (= Ausgewhlte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr vom Stein-Gedchtnisausgabe, 13), Darmstadt 1976; Klaus Mîller (Bearb.), Absolutismus und Zeitalter der Franzçsischen Revolution (1715 – 1815) (= Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart, 3), Darmstadt 1982; Johann Stephan Pîtter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, 4 Tle., Gçttingen 1776 – 1791, ND Gçttingen 1965; Gustav Adolf Stenzel, Grundriß und Litteratur zu Vorlesungen îber deutsche Staats- und Rechtsgeschichte […], Breslau 1832; vgl. dazu auch die ˜bersicht bei Helmut Neuhaus, Das Reich in der Frîhen Neuzeit (= Enzyklopdie deutscher Geschichte, 42), Mînchen 1997, S. 103 – 117.

Literatur : Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, Mînchen 1984; Karl Otmar Freiherr von Aretin / Notker Hammerstein,

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Frank Kleinehagenbrock

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II. Brandenburg-Preußen und das Alte Reich ca. 1650 – 1806

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Frank Kleinehagenbrock

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II. Brandenburg-Preußen und das Alte Reich ca. 1650 – 1806

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Frank Kleinehagenbrock

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S. 59 – 74; Ders., Die Anfnge des Immerwhrenden Reichstags zu Regensburg. Stndevertretung und Staatskunst nach dem Westflischen Frieden (= VerçffInstEurG, Abteilung Universalgeschichte, 143/Beitrge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 11), Mainz 1991; Ders., Westflischer Frieden, in: Handwçrterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 5, Berlin 1995, Sp. 1302 – 1305; Ders., Corpus evangelicorum er corpus catholicorum. Constitution juridique et r¤alit¤s sociales dans le Saint-Empire, in: Jean Pierre Kintz / Georges Livet (Hg.), 350e anniversaire des Traites de Westphalie 1648 – 1998. Une genºse de l’Europe, une societ¤ ” reconstruire. Actes du Colloque International, Strasbourg 1999, S. 43 – 55; Ders., Kaiser, Reich und Reichsverfassung 1648 – 1806. Das neue Bild vom Alten Reich, in: Olaf Asbach / Klaus Malettke / Sven Externbrink (Hg.), Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des franzçsischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2001, S. 25 – 54; Ders., Der Westflische Friede und das Nebeneinander der Konfessionen im Heiligen Rçmischen Reich deutscher Nation, in: Konrad Ackermann / Alois Schmid / Wilhelm Volkert (Hg.), Bayern. Vom Stamm zum Staat. Festschrift fîr Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, Mînchen 2002, S. 409 – 432; Ders., 450 Jahre Pax Augustana. Bikonfessionalitt und Paritt im Alten Reich, in: Andreas Schmauder (Hg.), Hahn und Kreuz. 450 Jahre Paritt in Ravensburg (= Historische Stadt Ravensburg, 4), Konstanz 2005, S. 9 – 24; Georg Schmidt, Der Westflische Frieden – eine neue Ordnung fîr das Alte Reich?, in: Reinhard Mussgnug (Red.), Wendemarken der deutschen Verfassungsgeschichte. Tagung der Vereinigung fîr Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 11.3.– 13.3. 1991, Berlin 1993, S. 45 – 83; Ders., „Wo Freiheit ist und Recht …“, da ist der Deutsche Untertan?, in: Matthias Werner (Hg.), Identitt und Geschichte, Weimar 1997, S. 105 – 124; Ders., Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frîhen Neuzeit 1495 – 1806, Mînchen 1999; Ders., Teutsche Kriege. Nationale Deutungsmuster und integrative Wertvorstellungen im frîhneuzeitlichen Reich, in: Dieter Langewiesche / Georg Schmidt (Hg.), Fçderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum ersten Weltkrieg, Mînchen 2000, S. 33 – 61; Ders., Die frîhneuzeitliche Idee „deutsche Nation“: Mehrkonfessionalitt und skulare Werte, in: Heinz-Gerhard Haupt / Dieter Langewiesche (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt/New York 2001, S. 33 – 67; Hans Schmidt, Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1615 – 1690) als Gestalt der deutschen und europischen Politik des 17. Jahrhunderts, 1: 1615 – 1658, Dîsseldorf 1973; Walther Schmidt, Geschichte des Niederschsischen Kreises vom Jahre 1673 bis zum Zusammenbruch der Kreisverfassung, in: NdSchsJbLdG 7 (1930), S. 1 – 134; Georg Schnath, Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674 bis 1714, 4 Bde., Hildesheim 1938 – 1982; Matthias Schnettger (Hg.), Imperium

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Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher Reichs-Staat. Das Alte Reich im Verstndnis der Zeitgenossen und der Historiographie (= VerçffInstEurG, Abteilung fîr Universalgeschichte, Beiheft 57), Mainz 2002; Ders., Von der „Kleinstaaterei“ zum „komplementren Reichs-Staat“. Die Reichsverfassungsgeschichtsschreibung seit dem zweiten Weltkrieg, in: Hans-Christof Kraus / Thomas Nicklas (Hg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege (= HZ, Beiheft 44), Mînchen 2007, S. 129 – 154; Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der Frîhen Neuzeit (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 7), Gçttingen 1966; Winfried Schulze, „Das Mainzer Paradoxon“. Die deutsche Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit und die Grîndung des Instituts fîr europische Geschichte, in: Ders. / Corine Defrance (Hg.), Die Grîndung des Instituts fîr europische Geschichte Mainz (= VerçffInstEurG, Abteilung fîr abendlndische Religionsgeschichte, Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 36), Mainz 1992, S. 7 – 39; Ders., Die Skularisation als Ende des Heiligen Rçmischen Reiches Deutscher Nation, in: Peter Blickle / Rudolf Schlçgl (Hg.), Die Sakularisation im Prozeß der Skularisierung Europas (= Oberschwaben – Geschichte und Kultur, 13), Epfendorf 2005, S. 339 – 348; Wolfgang Sellert, Richterliche Unabhngigkeit am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Okko Behrens / Ralf Dreier (Hg.), Gerechtigkeit und Geschichte. Beitrge eines Symposions zum 65. Geburtstag von Malte Dießelhorst, Gçttingen 1996, S. 118 – 132; Bernhard Sicken, Der Frnkische Reichskreis. Seine ømter und Einrichtungen im 18. Jahrhundert (= Verçffentlichungen der Gesellschaft fîr Frnkische Geschichte, Fotodruckreihe, 1), Wîrzburg 1970; August Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil an den kaiserlichen Wahlkapitulationen von 1689 bis 1742 (= QStudVerfGDtReich, 3, Heft 3), Weimar 1909; Rudolf Smend, Brandenburg-Preußen und das Reichskammergericht, in: ForschBrandPrG 20 (1907), S. 161 – 199; Ders., Das Reichskammergericht, 1: Geschichte und Verfassung (= QStudVerfGDtReich, 4,3), Weimar 1911; Heribert Smolinsky, JîlichKleve-Berg, in: Anton Schindling / Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1650, 3: Der Nordwesten (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 51), Mînster 21995, S. 86 – 106; Leopold von Ranke, Die deutschen Mchte und der Fîrstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790, Leipzig 21875; Heinrich Ritter von Srbik, Das §sterreichische Kaisertum und das Ende des Heiligen Rçmischen Reiches (1804 – 1806), in: ArchPolG 8 (1927), S. 133 – 171 und S. 301 – 335; Dieter Stievermann, Reichsrechtliche und reichspolitische Rahmenbedingungen fîr die Konfessionen in der Frîhen Neuzeit, in: Rottenburger Jahrbuch fîr Kirchengeschichte 12 (1994), S. 11 – 24; Barbara StollbergRilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit

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als Strukturmerkmale des frîhneuzeitlichen Reichstags, in: Johannes Kunisch (Hg.), Neue Studien zur frîhneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1997, S. 91 – 132; Dies., Das Heilige Rçmische Reich deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806, Mînchen 2006; Wolfgang Stribny, Die Kçnige von Preußen als Fîrsten von Neuenburg-Neuch’tel (1707 – 1848). Geschichte einer Personalunion (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 14), Berlin 1996; Hans Ulrich Thamer, Das Heilige Rçmische Reich als politisches Argument im 19. und 20. Jahrhundert, in: Heinz Schilling / Werner Heun / Jutta Gçtzmann (Hg.), Heiliges Rçmisches Reich deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806. Essays. 29. Ausstellung des Europarates in Berlin und Magdeburg, Dresden 2006, S. 383 – 395; Gustav Bertold Volz, Friedrichs des Großen Plan einer Losreißung Preußens aus Deutschland, in: HZ 122 (1920), S. 267 – 277; Ders., Friedrich der Große und der bayrische Erbfolgekrieg, in ForschBrandPrG 44 (1932), S. 264 – 301; Jochen Vçtsch: Kursachsen, das Reich und der mitteldeutsche Raum zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main u. a. 2003; Anke Waldmann, Reichspatriotismus im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in: Otto Dann / Miroslav Hroch / Johannes Koll (Hg.), Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Rçmischen Reiches (= Kçlner Beitrge zur Nationsforschung, 9), Kçln 2003, S. 19 – 61; Emil Walter, Die Politik der Hohenzollern bei den Deutschen Kaiserwahlen. Im Zusammenhange dargestellt, Berlin 1879; Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Krfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980; Helmut Weigel, Der Reichsfîrstenbund zwischen Brandenburg-Preußen, Hannover und Sachsen vom Jahre 1785. Ein Beitrag zur Entstehung des deutschen Fîrstenbundes, Leipzig 1924; Jîrgen Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel in Deutschland (= Quellen und Forschungen zur Hçchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 4), Kçln/Wien 1976; Stephan Wendehorst / Siegrid Westphal (Hg.), Lesebuch Altes Reich (= Bibliothek Altes Reich, 1), Mînchen 2006; Margarete Werner, Die Reichspolitik des Großen Kurfîrsten im Rahmen seiner europischen Politik von 1679 – 1684 (Vom Frieden von St. Germain bis zum Regensburger Waffenstillstand), phil. Diss. Bonn, Dîsseldorf 1937; Franziska Windt / Christoph Lind / Sepp G. Groeschel (Bearb.), Preußen 1701. Eine Europische Geschichte, 2: Essays, Berlin 2001, S. 166 – 176; Manfred Wolf, Das 17. Jahrhundert, in: Wilhelm Kohl (Hg.), Westflische Geschichte in drei Textbnden und einem Bild-Dokumentarband, Dîsseldorf 1983, S. 539 – 601; Fritz Wolff, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westflischen Friedenskongreß. Die Einfîgung der konfessionellen Stndeverbindungen in die Reichsverfassung (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte, 2), Mînster 1966; Martin Wrede, Der Kaiser, die deutsche Nation – und ihre „Feinde“.

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Natiogenese, Reichsidee und der „Durchbruch des Politischen“ im Jahrhundert nach dem Westflischen Frieden, in: HZ 280 (2005), S. 83 – 116; Wolfgang Wîst (Hg.), Reichskreis und Territorium: Die Herrschaft îber der Herrschaft? Supraterritoriale Tendenzen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich sîddeutscher Reichskreise. Tagung der Schwbischen Forschungsgemeinschaft und der Forschungsstelle Augsburg der Kommission fîr bayerische Landesgeschichte in Kooperation mit dem Institut fîr Europische Kulturgeschichte (Universitt Augsburg) und dem Stadtarchiv Augsburg in Irsee vom 5. bis 7. Mrz 1998 (= Augsburger Beitrge zur Landesgeschichte BayerischSchwabens), Stuttgart 2000, S. 235 – 250; Ernst Walter Zeeden, Katholische ˜berlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (= Sptmittelalter und Frîhe Neuzeit, 15), Stuttgart 1985, S. 113 – 191; Johannes Ziekursch, August der Starke und die katholische Kirche in den Jahren 1697 – 1720, in: ZKG 24 (1903), S. 86 – 135 und S. 232 – 280.

§ 1 Das Thema „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ als Problem der Forschung. Historiographische Scheidung und strukturelle Verzahnung Das Heilige Rçmische Reich deutscher Nation und Preußen teilen das Schicksal, untergegangene politische Gebilde zu sein, die auf modernen Landkarten nicht mehr vorkommen. Ungeachtet dessen gehçren sowohl das Alte Reich als auch Preußen zu den nachhaltig prgenden Tatsachen der deutschen Geschichte, deren eigene Geschichten, zumal in den frîhneuzeitlichen Jahrhunderten aufs engste verzahnt sind. Diese strukturelle Verzahnung soll im folgenden sowohl institutionengeschichtlich als auch in chronologischer Folge entlang zentraler Ereignisse der gemeinsamen Geschichte Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches nachgegangen werden. Die meisten Territorien, in denen der Kurfîrst von Brandenburg und sptere Kçnig in Preußen regierte, lagen innerhalb der Grenzen des Alten Reiches. Lediglich das im 18. Jahrhundert mehr und mehr namensgebend gewordene Herzogtum Preußen, das seit 1701 von einem Kçnig beherrscht wurde, lag außerhalb. Ergnzend hingewiesen werden muß in diesem Kontext auch auf die Stellung des Fîrstentums Neuch’tel, das seit 1707 vom brandenburgischen Kurfîrsten regiert wurde und zu den zugewandten Orten der Eidgenossenschaft gehçrte, also ebenfalls faktisch jenseits der Reichsgrenzen lag. Mit diesen beiden Ausnahmen – zuzîglich der Gebietsgewinne aus den Teilungen Polens gegen Ende des 18. Jahrhunderts – blieben bis zum Untergang des Heiligen Rçmi-

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schen Reiches im Jahre 1806 alle Territorien mit kurfîrstlich-brandenburgischer Herrschaftsausîbung Bestandteil jenes Verfassungssystems in der Mitte Europas,1 das sich ausgehend vom Wormser Reichstag von 1495 im Laufe der Frîhen Neuzeit in langfristigen und dynamischen, wenn auch freilich nicht immer widerspruchsfreien Prozessen zunehmend institutionell verdichtete.2 Um so erstaunlicher erscheint es, daß diese strukturelle Verzahnung niemals Gegenstand intensiver Forschungsarbeit geworden ist, wiewohl gelegentlich

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Die fîr die neuere Forschung wegweisende Charakterisierung des Heiligen Rçmischen Reiches als Verfassungssystem geht aus ˜berlegungen von Volker Press, Das rçmischdeutsche Reich – ein politisches System in verfassungs- und sozialgeschichtlicher Fragestellung, in: Volker Press, Das Alte Reich. Ausgewhlte Aufstze, hg. v. Johannes Kunisch, Berlin 22000 (zuerst 1981), S. 18 – 41 (pointiert v. a. S. 40), hervor. – Zur Geschichte des Heiligen Rçmischen Reiches aus neuerer Sicht gibt es einige kîrzere ˜bersichtsdarstellungen, die den Forschungsstand zusammenfassen: Helmut Neuhaus, Das Reich in der Frîhen Neuzeit (= Enzyklopdie deutscher Geschichte, 42), Mînchen 1997; Axel Gotthard, Das Alte Reich 1495 – 1806 (= Geschichte kompakt), Darmstadt 2003; Peter Claus Hartmann, Das Heilige Rçmische Reich deutscher Nation in der Neuzeit 1486 – 1806, Stuttgart 2005; Barbara Stollberg-Rilinger, Das Heilige Rçmische Reich deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806, Mînchen 2006; an ein breiteres Publikum wendet sich Stephan Wendehorst / Siegrid Westphal (Hg.), Lesebuch Altes Reich (= Bibliothek Altes Reich, 1), Mînchen 2006. Als zentrale Referenzwerke fîr die Reichsgeschichte fîr den im folgenden zu behandelnden Zeitabschnitt sind Karl Otmar Freiherr von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, 4 Bde., Stuttgart 1993 – 2000 (teilweise çfter), ferner auch – die europischen Zusammenhnge betonend – Ders., Das Reich. Friedensordnung und europisches Gleichgewicht 1648 – 1806, Stuttgart 1986, anzusehen. In den genannten Werken befinden sich jeweils auch ˜berblicke îber die Literaturlage, auf die an dieser Stelle pauschal verwiesen sei. Ausgegangen ist dieser Prozeß von der sogenannten Reichsreform; dazu grundlegend, aber nicht unwidersprochen: Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410 – 1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, Mînchen 1984. Die Vorstellung von der zunehmenden ,Verdichtung’ der Reichsverfassung geht von den Forschungen von Peter Moraw zum spteren Mittelalter aus, besonders sei hier hervorgehoben: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im spten Mittelalter 1250 bis 1490 (= Propylen Geschichte Deutschlands, 3), Berlin 1985. Vgl. dazu ferner Heinz Duchhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte 1495 – 1806, Stuttgart 1991, und auch Karl Otmar Freiherr von Aretin / Notker Hammerstein, Reich. IV. Frîhe Neuzeit, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 5, Stuttgart 1984, S. 456 – 486. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch noch immer auf den lteren ˜berblick von Gerhard Oestreich, Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 9. Auflage, 11), Stuttgart 1970, der zwar lteren Forschungstraditionen verpflichtet ist, dessen strukturgeschichtlicher Zugang jedoch durchaus wegweisend war.

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darauf aufmerksam gemacht wurde.3 Preußische Geschichtsforschung insbesondere jîngerer Zeit sowie die Ergebnisse der neueren Reichsgeschichtsforschung, vor allem die auf die Untersuchung des Alten Reiches ausgerichtete Frîhneuzeitforschung, die sich nach den Umbrîchen des Jahres 1945 in (West-) Deutschland herausgebildet hat, existieren weitgehend nebeneinander, ohne aus einzelnen Berîhrungspunkten Anstze fîr weiterfîhrende, umfngliche Untersuchungen entwickelt zu haben.4 ˜ber die tieferen Grînde dafîr kann nur spekuliert werden. Zu erwhnen ist an dieser Stelle gewiß, daß in den frîhen Jahren der westdeutschen Geschichtsschreibung unter alliiertem Einfluß Anstze Wirkung entfalten konnten, die eine „Entpreußung“ der deutschen Geschichte zum Ziel hatten und wohl mit am Ausgangspunkt des neuen Interesses am Alten Reich eine Rolle spielten.5 Hier mag ein Grund dafîr zu suchen sein, 3

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Verwiesen sei beispielsweise auf Wolfgang Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 5), Berlin 2001, hier S. 81. Schon Walther Hubatsch mahnte in einer kursorischen, oftmals allzu oberflchlichen ˜berblicksdarstellung Forschungen zum Verhltnis von Preußen zum Alten Reich, zum Deutschen Bund und zum Deutschen Reich nach 1871 an, ohne nachhaltig Perspektiven dafîr zu entwickeln: Preußen und das Reich, in: Oswald Hauser (Hg.), Zur Problematik ,Preußen und das Reich’ (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 4), Kçln/Wien 1984, S. 1 – 11. Aus lterem Blickwinkel vgl. noch immer Ludwig Dehio, Der Zusammenhang der preußisch-deutschen Geschichte 1640 – 1945, in: Otto Bîsch / Wolfgang Neugebauer, Moderne Preußische Geschichte 1648 – 1947. Eine Anthologie, Berlin/New York 1981, 3 (= VerçffHistKommBerlin, 52,3), S. 1623 – 1639 (allerdings îberwiegend mit der Zeit nach 1800 im Fokus der Betrachtung). Diese Eindrîcke – allerdings sehr pauschal und ohne Literaturangaben – faßt zusammen Gînther Lottes, Einleitung, in: Ders., Vom Kurfîrstentum zum „Kçnigreich der Landstriche“. Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklrung (= Aufklrung und Europa, 10), Berlin 2004, S. 9 – 14. Zur Entwicklung der jîngeren Geschichtsschreibung îber das Alte Reich vgl. Anton Schindling, Kaiser, Reich und Reichsverfassung 1648 – 1806. Das neue Bild vom Alten Reich, in: Olaf Asbach / Klaus Malettke / Sven Externbrink (Hg.), Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des franzçsischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2001, S. 25 – 54; Michael Kissener, Monstro simile? Anmerkungen zur Rezeption des frîhneuzeitlichen Reiches und seiner Verfassung in der Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Konrad Amann u. a. (Hg.), Bayern und Europa. Festschrift fîr Peter Claus Hartmann zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main 2005, S. 321 – 337, und Matthias Schnettger, Von der „Kleinstaaterei“ zum „komplementren Reichs-Staat“. Die Reichsverfassungsgeschichtsschreibung seit dem zweiten Weltkrieg, in: Hans-Christof Kraus / Thomas Nicklas (Hg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege (= HZ, Beiheft 44), Mînchen 2007, S. 129 – 154. Zu den Konflikten unter Historikern in den frîhen Jahren nach 1945 vgl. Winfried Schulze, „Das Mainzer Paradoxon“. Die deutsche Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit und die Grîndung des Instituts fîr europische Geschichte, in: Ders. / Corine Defrance (Hg.), Die Grîndung des Instituts fîr europische Geschichte Mainz

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daß in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die wissenschaftliche Beschftigung mit dem frîhneuzeitlichen Brandenburg-Preußen und die neuere Reichsgeschichte so auffallend getrennte Wege gegangen sind. Beim Blick nach Osten erçffnet sich ein hnliches Bild. In der DDR fand zwar eine mehr oder minder kontinuierliche, ideologischen Vorgaben und politischen Konjunkturen folgende Beschftigung mit Preußen statt,6 der jedoch ein weitgehendes Desinteresse an der Geschichte des Alten Reiches gegenîberstand. Fîr beide Teile des geteilten Landes stellte das sogenannte Preußenjahr 1981 einen besonderen Schwerpunkt der Beschftigung mit dem Erbe Preußens dar. Allerdings fand diese Beschftigung eher unter den Zeichen einer auf Jubilen fixierten Erinnerungskultur statt, die vorhandene Forschungsstnde zusammenfaßte und popularisierte, ohne innovative Forschungsarbeiten zur Folge zu haben. Fîr den Westen Deutschlands lßt sich fîr die Behandlung des Themas „Preußen“ indes feststellen, daß es aufgrund der suboptimalen Archivsituation im geteilten Land und eines Rîckgang der die wissenschaftlichen Interessen an der preußischen Geschichte vorantreibenden Institutionen trotz einer Vielzahl erschienener Bîcher und Aufstze lediglich wenige weiterfîhrende Impulse gab.7 Whrend Preußen zunehmend historisiert wurde, fand einerseits eine Abkehr vom Motiv des kontinuierlichen Aufstiegs zur nationalen Fîhrungsmacht statt; andererseits ging damit kaum eine intensive Rezeption der Anstze und Ergebnisse jîngerer Studien zum Alten Reich, in dessen Strukturen der

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(= VerçffInstEurG, Abteilung fîr abendlndische Religionsgeschichte, Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 36), Mainz 1992, S. 7 – 39, hier besonders 21 ff., auch 30. – Dieser Problemkreis wird intensiver von Wolfgang Neugebauer in seinem Beitrag „Preußen in der Historiographie“ in diesem Bande behandelt. Hans Alexander Krauss, Die Rolle Preußens in der DDR-Historiographie. Zur Thematisierung und Interpretation der preußischen Geschichte durch ostdeutsche Geschichtswissenschaft. Mit einem Geleitwort von Dieter Stievermann (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 544), Frankfurt am Main u. a. 1993; Brbel Holz, Das Thema Preußen in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik der DDR, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 8), Berlin 2006, S. 329 – 354. Whrend Stephan Skalweit, Preußen als historisches Problem, in: JbGMitteldtld 3 (1954), S. 189 – 210, hier vor allem S. 209 f., die Entwicklung der Geschichtsschreibung Preußens nach 1945 anfnglich mit hoffnungsfrohem Optimismus betrachtete, trug nicht nur die Archivsituation im geteilten Deutschland langfristig zur Stagnation bei: Wolfgang Neugebauer, Brandenburg-preußische Geschichte nach der deutschen Einheit. Voraussetzungen und Aufgaben, in: Werner Buchholz (Hg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, Paderborn u. a. 1998, S. 179 – 212.

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îberwiegende Teil der brandenburgisch-preußischen Territorien nun einmal eingebunden war, einher.8 Gleichsam gilt auch fîr die neuere Reichsgeschichtsschreibung, daß sie sich auf die sogenannten „kaisernahen“ Regionen im Sîden und Sîdwesten konzentriert hat, in denen das Reichssystem in besonderer Weise politisch prsent und prgend war, whrend der als „kaiserfern“ eingestufte Norden des Heiligen Rçmischen Reiches weniger intensiv analysiert wurde. Wenn von den kurfîrstlich-brandenburgischen Territorien am Rhein und in Westfalen abgesehen wird, sind die îbrigen eben in jenen kaiserfernern Zonen zu verorten. Diese verkîrzten Perspektiven kennzeichnen also die Behandlung des Themas Brandenburg-Preußen und das Alte Reich in den zurîckliegenden Jahrzehnten. Dies ist besonders bedauerlich in Hinblick auf die Geschichte des 17. Jahrhunderts, in dem „der epochale Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit in seine entscheidende Phase“ trat.9 Das Datum des Westflischen Friedens von 1648 ist fîr die Entstehung des neuen Bildes vom Alten Reich zentral, wird es doch nicht mehr als Ausgangspunkt fîr den Zerfall des Alten Reiches aufgefaßt, sondern eher als Zeugnis seiner Konsolidierung. In zeitlicher Parallele dazu begann mit der Regierung des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm fîr BrandenburgPreußen eine Aufstiegsphase, die auf Dauer fîr die gesamte deutsche Geschichte Relevanz besessen hat und das Reichsgefîge durchaus vernderte.10 Dies bleibt eine unbestreitbare Tatsache. Fîr die Reichsgeschichte fand ausgehend vom Jubilumsjahr 1948 eine zunchst vorsichtige,11 dann aber entschiedene Neu8 Wenn eine historiographiegeschichtliche Behandlung des Themas „Preußen und das Reich“ stattgefunden hat, so hatte sie îberdies zumeist einen Schwerpunkt auf der Zeit nach der Reichsgrîndung von 1871, vgl. Otto Bîsch, Das Preußenbild in der Geschichte, in: Ders. / W. Neugebauer, Moderne Preußische Geschichte … (s. Anm. 3), 1, S. 3 – 13, hier S. 9 f. zur Historisierung Preußens sowie S. 12 f. mit bibliographischen Hinweisen. Zum Bild von Preußen in der Geschichte vgl. fîr die Zeit bis etwa 1980 Jîrgen Mirow, Das alte Preußen im Geschichtsbild seit der Reichsgrîndung von 1871 (= Historische Forschungen, 18), Berlin 1981, aber auch den Sammelband von Hans-Jîrgen Puhle / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im Rîckblick, Gçttingen 1980, beide ohne intensive Behandlung des Alten Reiches. Einzubeziehen ist ferner Michael Stîrmer, Preußen als Problem der Forschung, in: O. Bîsch / W. Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte … (s. Anm. 3), 1, S. 74 – 102, im geschilderten Zusammenhang vor allem S. 75 und S. 100 ff. 9 Paul Mînch, Das Jahrhundert des Zwiespalts. Deutsche Geschichte 1600 – 1700, Stuttgart 1999, S. 163. 10 Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600 – 1715, Mînchen 1991, S. 370. 11 Im Grunde kçnnte an dieser Stelle bereits ein Hinweis auf Hans Erich Feine, Zur Verfassungsentwicklung des Heil. Rçm. Reiches seit dem Westflischen Frieden, in: ZSRG.Germ 65 (1932), S. 65 – 133, erfolgen; vor allem aber sei auf Max Braubach, Der Westflische Friede, Mînster 1948, hier S. 69, verwiesen. Vgl. dazu Heinz Duchhardt, Das Feiern des Friedens. Der Westflische Friede im kollektiven Gedchtnis der Friedensstadt Mînster, Mînster 1997, hier besonders S. 94 – 97

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bewertung dieses bedeutsamen Vertragswerkes statt,12 das eben auch durch die massiven Gebietsgewinne fîr den Kurfîrsten Friedrich Wilhelm fîr die brandenburgisch-preußische Geschichte eine wichtige Wegmarke war.13 Denn nicht nur durch den Zuwachs an Territorien, die wirtschaftliche, strategische und politische Vorteile mit sich brachten und die brandenburgischen Einflußmçg12 Diese historiographische Entwicklung stellen Konrad Repgen, Der Westflische Friede: Ereignis und Erinnerung, in: HZ 267 (1998), S. 615 – 647, Bernd Schçnemann, Die Rezeption des Westflischen Friedens durch die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Der Westflische Friede. Diplomatie, politische Zsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte, Mînchen 1998, S. 805 – 825, und Johannes Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung des frîhmodernen Reiches 1648 – 1763 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Auflage, 11), Stuttgart 2006, hier S. 32 – 45, dar. Zum Westflischen Frieden im allgemeinen sei an dieser Stelle auf das inzwischen bereits ltere Standardwerk von Fritz Dickmann, Der Westflische Frieden, Mînster 71998, sowie die umfngliche Bibliographie zum Westflischen Frieden von Heinz Duchhardt (Hg.), Bibliographie zum Westflischen Frieden, bearb. v. Eva Ortlieb / Matthias Schnettger, Mînster 1996, verwiesen. Eine umfngliche Zusammenfassung des Forschungsstandes, der seither nur wenige Ergnzungen erfahren hat, findet sich bei Klaus Bussmann / Heinz Schilling (Hg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa. Ausstellungskatalog, 3 Bde., Mînster 1998, Johannes Arndt, Ein europisches Jubilum: 350 Jahre Westflischer Friede, in: Jahrbuch fîr europische Geschichte 1 (2000), S. 133 – 158, sowie knapper bei Anton Schindling, Westflischer Frieden, in: Handwçrterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 5, Berlin 1995, Sp. 1302 – 1305. Gesondert sei jedoch im angefîhrten Kontext auf folgende Studien hingewiesen: Volker Press, Die Krise des Dreißigjhrigen Krieges und die Restauration des Westflischen Friedens, in: Monika Hagenmaier / Sabine Holtz (Hg.), Krisenbewußtsein und Krisenbewltigung in der Frîhen Neuzeit. Festschrift fîr Hans-Christoph Rublack, Frankfurt am Main u. a. 1992, S. 61 – 72, Christoph Link, Die Bedeutung des Westflischen Friedens in der deutschen Verfassungsentwicklung. Zum 350jhrigen Jubilum eines Reichsgrundgesetzes, in: ZBayrKG 67 (1998), S. 12 – 26, Johannes Burkhardt, Der Westflische Friede und die Legende von der landesherrlichen Souvernitt, in: Jçrg Engelbrecht / Stephan Laux (Hg.), Landes- und Regionalgeschichte. Festschrift fîr Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag, Bielefeld 2004, S. 197 – 220, Gabriele Haug-Moritz, Die Friedenskongresse von Mînster/Osnabrîck (1643 – 1648) und Wien (1814/15) als „deutsche“ Verfassungskongresse. Ein Vergleich in verfahrensgeschichtlicher Perspektive, in: HJb 124 (2004), S. 125 – 178, Frank Kleinehagenbrock, Ideen von 1648? Reichsverfassungsrecht als Quelle politischer Ideengeschichte, in: H.-C. Kraus / T. Nicklas (Hg.), Geschichte der Politik … (s. Anm. 4), S. 399 – 419. 13 Zusammenfassend: Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 1: Anfnge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740, Stuttgart/Berlin/Kçln 1996, hier S. 150 ff. Im îbrigen fllt auf, daß diese zentrale Phase brandenburgischer Geschichte nur ganz unbefriedigend aufgearbeitet wurde, woran auch die neuere Zusammenfassung von Matthias Asche, Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewltigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Mînster 2006, hier etwa S. 35 – 39, nichts ndert.

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lichkeiten vor allem im Westen des Alten Reiches vergrçßerten, war das Kurfîrstentum tangiert, sondern auch durch die Restauration der Reichsverfassung wurde die Stellung des Kurfîrsten in derselben berîhrt, weil sie weiterhin einen zu beachtenden Bezugsrahmen fîr die brandenburgisch-preußische Politik darstellte, in dem durchaus auch andere Dynastien ihre Chancen zu ergreifen versuchten und in Konkurrenz zu den Hohenzollern traten, so beispielsweise, die Welfen, die ebenfalls in den dem Dreißigjhrigen Krieg folgenden Jahrzehnten die politische Szenerie im Norden des Alten Reiches prgten. Fîr die Behandlung des Themas „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ scheint allerdings das Problem des Staates eine wichtige Rolle zu spielen. Hatten doch Historiker des 19. Jahrhunderts, am prominentesten wohl (und deswegen auch recht einfach fîr Schwarzweißmalerei zu mißbrauchen) Heinrich von Treitschke, den nationalen Einheitsstaat zum Ideal erklrt, dem das Alte Reich nicht entsprach und dessen Vollendung in der kleindeutschen Variante vor allem als Verdienst preußischer Politik seit den Tagen des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm (1640 – 1688) betrachtet wurde.14 Diese kleindeutsch-borussische Perspektive auf die frîhneuzeitliche Geschichte war ebenso politisch motiviert wie nachhaltig wirksam. Dies faßt – zumindest in grober Vereinfachung – das Geschichtsbild des deutschen Bildungsbîrgertums zusammen, das erst nach 1945 ernsthafte Erschîtterungen durchlebte15 und nunmehr in dieser 14 Einen zusammenfassenden ˜berblick gewhren Eike Wolgast, Die Sicht des Alten Reiches bei Treitschke und Erdmannsdçrffer, in: Matthias Schnettger (Hg.), Imperium Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher Reichsstaat. Das Alte Reich im Verstndnis der Zeitgenossen und der Historiographie (= VerçffInstEurG, Abteilung fîr Universalgeschichte, Beiheft 57), Mainz 2002, S. 169 – 188, hier besonders S. 171 – 181, und Hans Ulrich Thamer, Das Heilige Rçmische Reich als politisches Argument im 19. und 20. Jahrhundert, in: Heinz Schilling / Werner Heun / Jutta Gçtzmann (Hg.), Heiliges Rçmisches Reich deutscher Nation 962 bis 1806. Altes Reich und neue Staaten 1495 bis 1806. Essays. 29. Ausstellung des Europarates in Berlin und Magdeburg, Dresden 2006, S. 383 – 395, hier besonders S. 388 – 392. Vgl. dazu auch Ulrich Langer, Heinrich von Treitschke. Politische Biographie eines deutschen Nationalisten, Dîsseldorf 1998, hier etwa S. 184 – 197 (zu Treitschkes Essay „Bundesstaat und Einheitsstaat“) oder auch resîmierend S. 374 f. – Vgl. dazu ferner Utz Haltern, Geschichte und Bîrgertum. Droysen – Sybel – Treitschke, in: HZ 259 (1994), S. 59 – 107, hier S. 90 f., und Andreas Biefang, Der Streit um Treitschkes „Deutsche Geschichte“ 1882/83. Zur Spaltung des Nationalliberalismus und der Etablierung eines nationalkonservativen Geschichtsbildes, in: HZ 262 (1996), S. 391 – 422, hier S. 398. 15 Eine weithin rezipierte „Zusammenfassung“ dieses Geschichtsbildes findet sich etwa bei Fritz Hartung, Volk und Staat in der deutschen Geschichte, in: Ders., Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1940, S. 7 – 27, hier vor allem S. 17 – 22. Vgl. dazu aber auch: Stephan Skalweit, Der „moderne Staat“. Ein historischer Begriff und seine Problematik (= Rheinisch-Westflische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften. Vortrge, G203), Opladen 1975. Daß es daneben im spten 19. und in der ersten Hlfte des 20. Jahrhunderts auch andere Perspektiven auf die Geschichte des Alten Reiches gegeben hat, und daß die unterschiedliche

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Verengung von der neueren Reichsgeschichtsschreibung als Zerrbild gekennzeichnet wird. Zumindest werden die konkurrierenden Interessen von Reichsstnden und Kaiser nicht lnger ausschließlich in ihren verhngnisvollen Auswirkungen auf eine nationalstaatliche Entwicklung nach westeuropischem Muster interpretiert. Vielmehr erweisen sich die produktiven, friedwahrenden Krfte einer auf Ausgleich aller Interessen angewiesenen politischen Ordnung in der Mitte Europas als zukunftsweisend. Aber auch fîr die Geschichtsschreibung Preußens, das 1933 von den nationalsozialistischen Gewaltherrschern gleichgeschaltet und 1947 vom Alliierten Kontrollrat fîr aufgelçst erklrt wurde, bedeuteten die Umbrîche und Vernderungen zur Mitte des 20. Jahrhunderts tiefgreifende Einschnitte, die nicht nur struktureller und institutioneller Art gewesen zu sein scheinen. Preußen wird in der neueren Forschung, wenigstens was die frîhneuzeitlichen Jahrhunderte betrifft, nicht mehr betont einem frîhen zentralistischen Einheitsstaat hnlich und damit als vitaler Gegenentwurf zum vorgeblich amorphen Alten Reich betrachtet. Vielmehr erscheint Preußen als ein durch die Mehrfachherrschaft der Kurfîrsten respektive Kçnige verbundenes Konglomerat von reichsstndischen Territorien (zuzîglich des Herzogtums Preußen und des Fîrstentums Neuch’tel),16 dessen Strukturen sich vor allem im Laufe des 18. Jahrhunderts so gestalteten, daß zwar eine strkere Verzahnung und Angleichungsprozesse wirksam wurden, jedoch ohne regionale Identitten, soziale Eigenheiten und eigene rechtliche Traditionen vollkommen in den Hintergrund Einschtzung der Geschichte desselben auch aktuelle geschichtswissenschaftliche Debatten prgen kann, verdeutlicht Dieter Langewiesche, Das Alte Reich nach seinem Ende. Die Reichsidee in der deutschen Politik des 19. und frîhen 20. Jahrhunderts. Versuch einer nationalgeschichtlichen Neuberwertung in welthistorischer Perspektive, in: Anton Schindling / Gerhard Taddey (Hg.), 1806 – Souvernitt fîr Baden und Wîrttemberg. Beginn der Modernisierung? (= Verçffentlichungen der Kommission fîr geschichtliche Landeskunde in Baden-Wîrttemberg, Reihe B: Forschungen, 169), Stuttgart 2007, S. 27 – 51, hier besonders S. 27 f. 16 Vgl. dazu Franz Bosbach, Mehrfachherrschaft – eine Organisationsform frîhmoderner Herrschaft, in: Michael Kaiser / Michael Rohschneider (Hg.), Membra unius capitis (= ForschBrandPrG NF, Beiheft 7), S. 19 – 34, aber auch (mit zeitlich begrenztem Schwerpunkt) Johannes Arndt, Der Große Kurfîrst. Ein Herrscher des Absolutismus? ˜ber die Mçglichkeiten und Grenzen monokratischer Herrschaft im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch / Heinz Duchhardt (Hg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550 – 1700) (= Mînstersche Historische Forschungen, 9), Kçln/Weimar/Wien 1996, S. 249 – 273. Verwiesen sei in diesem Kontext auch auf eine Fallstudie: Wolfgang Stribny, Die Kçnige von Preußen als Fîrsten von Neuenburg-Neuch’tel (1707 – 1848). Geschichte einer Personalunion (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 14), Berlin 1996.

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zu drngen.17 Erste Anstze zur Zentralisierung, wie sie in der seit den 1640er Jahren gewachsenen Armee und den Kriegskommissaren erkennbar werden,18 konnten an der Relevanz territorial-regionaler Institutionen und ˜berlieferungen fîr die Politik in Brandenburg-Preußen nichts ndern.19 Hinzu tritt, daß in einer jîngeren Generation von Historikerinnen und Historikern nicht nur durch diese Erkenntnis, sondern unter Rîckgriff auf ltere Arbeiten von Otto Brunner20 und Gerhard Oestreich21 das Bild des 17 Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder, Staatliche Vereinigung: Fçrdernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte. Tagung der Vereinigung fîr Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13.3. – 15. 3. 1995 (= Beiheft „Der Staat“, 12), Berlin 1998, S. 49 – 87, hier besonders S. 83 f.; Ders., Marktbeziehung und Desintegration. Vergleichende Studien zum Regionalismus in Brandenburg und Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: JbGMitteldtld 46 (1999), S. 157 – 207; Ders., Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 5), Berlin 2001; Ders., Geschichte Preußens, Hildesheim/Zîrich/New York 2004, hier S. 36 – 51; Helmut Neuhaus, Das Werden Brandenburg-Preußens, in: Hans-Jîrgen Becker (Hg.), Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europischen Verfassungsgeschichte. Tagung der Vereinigung fîr Verfassungsgeschichte in Hofgeismar von 19.3.–21. 3. 2001 (= Beihefte zu „Der Staat“, 16), Berlin 2006, S. 236 – 256. Vgl. daneben als instruktiv dargestelltes Fallbeispiel Ernst Opgenoorth, Die rheinischen Gebiete Brandenburg-Preußens im 17. und 18. Jahrhundert, in: Peter Baumgart (Hg.), Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 5), Kçln/Wien 1994, S. 33 – 44. Diese Perspektive findet sich auch schon bei Ludwig Tîmpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (1609 – 1806) (= Untersuchungen zur Staats- und Rechtsgeschichte, 124), Breslau 1915, ND Aalen 1965, etwa S. 265. Die Entwicklung hin zu staatlicher Einheit betont dagegen Wilhelm Fix, Die Territorialgeschichte des preußischen Staates, im Anschluß an zwçlf historische Karten îbersichtlich dargestellt, Berlin 31884, ND Wolfenbîttel o. J. – Vgl. zu dieser Thematik generell den Beitrag von Wolfgang Neugebauer îber Brandenburg-Preußen in der Frîhen Neuzeit in diesem Band. 18 Vgl. hierzu noch immer den grundlegenden Aufsatz von Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte, in: Ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hg. v. Fritz Hartung, Leipzig 1941, S. 233 – 264. 19 Ein anschauliches Beispiel gibt Wolfgang Neugebauer, Die Stnde in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: Peter Baumgart (Hg.), Stndetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (= VerçffHistKommBerlin, 55), Berlin/New York 1983, S. 170 – 207, hier S. 170 f. und S. 182 f. 20 Verwiesen sei hier auf Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte §sterreichs im Mittelalter, hier benutzt die Ausgabe Darmstadt 1973, hier vor allem S. 113. Vgl. dazu Reinhard Blnkner, Von der „Staatsbildung“ zur „Volkswerdung“. Otto Brunners Perspektivenwechsel der Verfas-

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Staates in der Frîhen Neuzeit îberhaupt erschîttert wird und die komplizierten, sich oftmals îberlappenden und nicht linear darzustellenden, auf jeden Fall aber personal geprgten Herrschaftsverhltnisse der Frîhen Neuzeit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerîckt werden.22 Sie werden generell nicht mehr als Hindernis auf dem Weg zu einem – auch nicht mehr als Ideal betrachteten – Einheitsstaat mit zentralistischen Strukturen gesehen, sondern in der durch das Reichsverfassungssystem geordneten herrschaftlichen Vielfalt von einst werden die Potentiale erkannt, die sich nicht zuletzt Untertanen und Einwohnern der historischen Territorien erçffneten. Nur in diesem Sinne – und trotz der Begrifflichkeit nicht im Widerspruch dazu – kann das Alte Reich nun beispielsweise in einer durchaus provokanten Beurteilung als „komplementrer Reichsstaat“ angesehen werden, was nicht unumstritten ist, aber doch die bleibende Funktionsfhigkeit des Reichsverfassungssystems îber 1648 hinaus herausstellt.23 Zudem wird auch im Alten Reich sungshistorie im Spannungsfeld zwischen vçlkischem und alteuropischem Geschichtsdenken, in: Luise Schorn-Schîtte (Hg.), Alteuropa oder Frîhe Moderne? Deutungsmuster fîr das 16. und 17. Jahrhundert aus dem Krisenbewußtsein der Weimarer Republik in Theologie, Rechts- und Geschichtswissenschaft (= ZHF, Beiheft 13), Berlin 1999, S. 87 – 135, hier besonders etwa S. 105 ff. (Abwendung von der „historiographischen Orientierung am ,Staat’ als Leitkategorie“) oder S. 116 (Hinwendung zur Beschreibung sozialer Gruppen und Strukturen in ihrer Genese). 21 Verwiesen sei hier auf den gesamten Sammelband von Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frîhmodernen Staates. Ausgewhlte Aufstze, Berlin 1969, sowie auf Dens., Vom Herrschaftsvertrag zur Verfassungsurkunde. Die „Regierungsformen“ des 17. Jahrhunderts als konstitutionelle Elemente, in: Ders., Strukturprobleme der frîhen Neuzeit. Ausgewhlte Aufstze, hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 229 – 252. Vgl. dazu Reinhard Blnkner, Strukturprobleme des frîhmodernen Staates, in: Frederick S. Carney / Heinz Schilling / Dieter Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie, und Politische Theologie. Beitrge des Herborner Symposions zum 400. Jahrestag der Politica des Johannes Althusius 1603 – 2003, Berlin 2005, S. 399 – 435, hier besonders S. 401 – 415. 22 Markus Meumann / Ralf Prçve, Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Dies. (Hg.), Herrschaft in der Frîhen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frîhen Neuzeit, 2), Mînster 2004, S. 11 – 49; Dagmar Freist, Einleitung: Staatsbildung, lokale Herrschaftsprozesse und kultureller Wandel in der Frîhen Neuzeit, in: Ronald G. Asch / Dies., Staatsbildung als kultureller Prozeß. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frîhen Neuzeit, Kçln 2005, S. 1 – 47. 23 Der Begriff „Komplementrer Reichsstaat“ umschreibt die Verdichtung der Reichsverfassung, greift „Staat“ in einer Wortbedeutung vor 1800 auf und zielt auf die Beschreibung des Verhltnisses von Kaiser und Reichsstnden im Rahmen des Reichsverfassungssystems der Frîhen Neuzeit: Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frîhen Neuzeit 1495 – 1806, Mînchen 1999, hier S. 40 – 44. Vgl. dazu auch bereits Dens., Der Westflische Frieden – eine neue Ordnung fîr das Alte Reich?, in: Reinhard Mussgnug (Red.), Wendemarken der deutschen Verfas-

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ein Bezugsrahmen fîr frîhe national geprgte Selbstwahrnehmungen erkannt.24 ˜berdies kann das Alte Reich einigen Autoren zugleich auch zur Legitimation aktueller politischer Systeme dienen, so etwa fîr die fçderativen Ordnungen und dezentralen Konfliktlçsungsmechanismen, wie sie fîr die gegenwrtige Bundesrepublik Deutschland und den europischen Einigungsprozeß prgend sind. Solchen Anstzen wird zwar Widerspruch entgegengebracht, doch schlagen sich darin Forschungstendenzen nieder, die im „Neuen Bild vom Alten Reich“ zusammengefaßt sind.25 sungsgeschichte. Tagung der Vereinigung fîr Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 11.3.– 13.3. 1991, Berlin 1993, S. 45 – 83, Dens., Das frîhneuzeitliche Reich – Sonderweg und Modell fîr Europa oder Staat der deutschen Nation?, in: M. Schnettger (Hg.), Imperium Romanum … (wie Anm. 14), S. 247 – 277. Kritik an Schmidts Konzept ußerte Heinz Schilling, Reichs-Staat und frîhneuzeitliche Nation der Deutschen oder teilmodernisiertes Reichssystem – ˜berlegungen zu Charakter und Aktualitt des Reiches, in: HZ 272 (2001), S. 371 – 399, aber auch Wolfgang Reinhard zeigte sich skeptisch: Frîhmoderner Staat und deutsches Monstrum. Die Entstehung des modernen Staates und das Alte Reich, in: ZHF 29 (2002), S. 339 – 357, hier besonders S. 343. Zur Frage, inwiefern das Reich als Staat in einem jîngeren Wortsinn bezeichnet werden kann, vgl. auch Bernd Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion îber die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts (= VerçffInstEurG, Abteilung fîr Universalgeschichte, 112/Beitrge zur Sozialund Wirtschaftsgeschichte des Alten Reiches, 4), Wiesbaden/Stuttgart 1984. 24 Georg Schmidt, „Wo Freiheit ist und Recht …“, da ist der Deutsche Untertan?, in: Matthias Werner (Hg.), Identitt und Geschichte, Weimar 1997, S. 105 – 124; Ders., Teutsche Kriege. Nationale Deutungsmuster und integrative Wertvorstellungen im frîhneuzeitlichen Reich, in: Dieter Langewiesche / Georg Schmidt (Hg.), Fçderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum ersten Weltkrieg, Mînchen 2000, S. 33 – 61; Ders., Die frîhneuzeitliche Idee „deutsche Nation“: Mehrkonfessionalitt und skulare Werte, in: Heinz-Gerhard Haupt / Dieter Langewiesche (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt/New York 2001, S. 33 – 67; Martin Wrede, Der Kaiser, die deutsche Nation – und ihre „Feinde“. Natiogenese, Reichsidee und der „Durchbruch des Politischen“ im Jahrhundert nach dem Westflischen Frieden, in: HZ 280 (2005), S. 83 – 116. 25 Konrad Repgen, Der historische Ort des Grundgesetzes: 1648-1789-1949, in: Ders.: Dreißigjhriger Krieg und Westflischer Frieden, Studien und Quellen (= Rechts- und Staatswissenschaftliche Verçffentlichungen der Gçrres-Gesellschaft NF, 81), hg. v. Franz Bosbach / Christoph Kampmann, Paderborn 1998, S. 831 – 849, Johannes Burkhardt, Das grçßte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westflische Frieden in neuer Perspektive, in: GWU 49 (1998), S. 592 – 612, Ders., ˜ber das Recht der Frîhen Neuzeit, politisch interessant zu sein. Eine Antwort auf Martin Tabaczek und Paul Mînch, in: GWU 50 (1999), S. 748 – 756, Georg Schmidt, Das frîhneuzeitliche Reich – Sonderweg und Modell fîr Europa oder Staat der Deutschen Nation?; sowie Heinz Schilling, Das Alte Reich – ein teilmodernisiertes System als Ergebnis der partiellen Anpassung an die frîhmoderne Staatsbildung in den Territorien und in den europischen Nachbarlndern, beide in: Matthias Schnettger (Hg.), Imperium Romanum … (s. Anm. 14), S. 247 – 276 und S. 279 – 291.

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Die so skizzierte dezentrale Perspektive sowohl auf das Heilige Rçmische Reich als auch auf Brandenburg-Preußen scheint den zeitgençssischen Zugriffen auf das Thema „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ gerechter zu werden, als die nicht zuletzt politisch motivierten Geschichtsbilder von zentralisierter staatlicher Einheit seit dem 19. Jahrhundert. Ein Blick etwa in Anton Friedrich Bîschings nach politischen Entitten gegliederten Erdbeschreibungen aus der Zeit um 1770 zeigt, daß fîr ihn die Strukturen des Heiligen Rçmischen Reiches maßgebliche Darstellungskriterien waren, er geht nach Reichskreisen vor und stçßt dabei an unterschiedlichen Stellen auf die Integration der Territorien des Kurfîrsten von Brandenburg, der in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts auch konsequent so genannt wird, in die jeweilige Organisationseinheit des Alten Reiches.26 Diese Perspektive blieb bis in die erste Hlfte des 19. Jahrhunderts erhalten: Brandenburgische Geschichte wurde als Teil der Reichsgeschichte aufgefaßt, die zumeist untergliedert nach den Regierungszeiten der Kaiser und entlang der Entwicklungen der einzelnen Territorien dargestellt wurde.27 Dabei war noch immer ein Gespîr dafîr vorhanden, daß das eigentliche Preußen, also das Herzogtum ganz im Osten an Pregel und Memel, nicht zum Heiligen Rçmischen Reich gehçrte, also sozusagen außerreichisch war und deswegen im Kontext polnischer und schwedischer Materien Erwhnung fand.28 Brandenburg-Preußische Geschichte in der Zeit zwischen Westflischem Frieden und den Umbrîchen der Jahre 1805/06 ist, so gesehen, auch die Summe unterschiedlichster Landesgeschichten, die gemeinsam freilich einen entscheidenden Aspekt deutscher Geschichte ausmachen und zusammen betrachtet folglich mehr sind als bloße Landesgeschichte; und gerade in den unterschiedlichen von den brandenburgisch-preußischen Monarchen mitgeprgten Landesgeschichten liegen die meisten Berîhrungspunkte zwischen dem Heiligen Rçmischen Reich und Brandenburg-Preußen. Diese kçnnen im folgenden kaum umfassend und erschçpfend behandelt, wohl aber punktuell und exemplarisch vorgefîhrt werden. Es ist trotz der suboptimalen Forschungslage ein 26 In diesem Kontext einschlgig: D. Anton Friedrich Bîschings neue Erdbeschreibungen. Siebender Theil welcher von dem deutschen Reiche, den westphlischen, churrheinischen und ober-rheinischen Teil enthlt, Schaffhausen 1770, und D. Anton Friedrich Bîschings neue Erdbeschreibungen Neunter Teil, welcher vom deutschen Reich den oberschsischen Kreis enthlt, Neueste Ausgabe mit Registern, Schaffhausen 1771. Zu Bîsching vgl. Wolfgang Neugebauer, Anton Friedrich Bîsching 1724 – 1793, in: JbBrandenbLdG 58 (2007), S. 84 – 101. 27 Axel Gotthard, Preußens deutsche Sendung, in: Helmut Altrichter / Klaus Herbers / Helmut Neuhaus (Hg.), Mythen in der Geschichte, Freiburg im Breisgau 2004, S. 321 – 369, hier S. 322 ff. 28 Dies nderte sich erst 1866/71! – Vgl. dazu Klaus Zernack, Preußens Ende und die ostdeutsche Geschichte, in: Ders., Preußen – Deutschland – Polen. Aufstze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, hg. v. Wolfram Fischer / Michael G. Mîller, Berlin 1991, S. 65 – 83, hier S. 67.

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Blick auf die zentralen Institutionen des Reiches mçglich, der Aufschluß îber die wechselseitigen Bedingungen fîr brandenburgisch-preußische und reichische Politik in der zweiten Hlfte der Frîhen Neuzeit zumindest im ˜berblick gewhrt. Aus der Tatsache, daß das Kurfîrstentum Brandenburg sowie die meisten anderen Territorien, in denen der Kurfîrst herrschte, Glieder des Reichssystems waren, folgte, wie bereits betont, eine strukturelle Verzahnung, aus denen sich einerseits fîr die brandenburgische und preußische Politik unterschiedliche Potentiale zu politischer Gestaltung ergaben und aus denen andererseits Begrenzungen aufgrund reichsrechtlicher Vorgaben erwuchsen.29 In die Betrachtung einzubeziehen sind die Kurfîrstenbank sowie die Fîrstenkurie des Reichstages und auch das Corpus Evangelicorum als seit 1653 regelmßig tagendes Gremium der evangelischen Reichsstnde. Ferner ist die Zugehçrigkeit zu mehreren Reichskreisen und ihren Institutionen zu beachten. Der Zugewinn an Territorien im 17. und 18. Jahrhundert bedeutete fîr den Kurfîrsten von Brandenburg auch ganz praktisch ein wenigstens formales Plus an Einfluß in den Reichsinstitutionen, nicht zuletzt im Reichstag einschließlich des Corpus Evangelicorum und in den Kreistagen:30 „Erst mit den Erwerbungen am Niederrhein und in Westfalen nach 1609 wandelte sich Brandenburg von einem Territorium des kaiserfernen Nordostens zu einem gewichtigen Faktor der Reichspolitik […].“31 Die Stellung der Kurfîrsten als Kaiserwhler hob sie aus dem Lehensverband, den das Alte Reich auch darstellte, heraus und war seit der Goldenen Bulle von 1356 ein prgendes Moment des Reichsverfassungssystems, an dem auch die Friedensverhandlungen in Mînster und Osnabrîck im Prinzip nichts 29 Anton Schindling, Kurbrandenburg im System des Reiches whrend der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts. Eine Problemskizze, in: Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 7), Kçln/Wien 1987, S. 33 – 46, hier S. 36. 30 Als strukturgeschichtliche ˜berblicke zur Geschichte des Alten Reichs seien an dieser Stelle – neben den in Anm. 1 genannten ˜berblickswerken – hervorgehoben: Heinz Schilling, Hçfe und Allianzen. Deutschland 1648 – 1763 (= Das Reich und die Deutschen), Berlin 1989, hier S. 94 – 125, und K. O. Frhr. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 1), 1, S. 61 – 154; daneben ganz knapp Rudolf Gmîr / Andreas Roth, Grundriß der deutschen Rechtsgeschichte, Mînchen/Unterschleißheim 112006, S. 66 – 73. 31 Horst Carl, „Und das Teutsche Reich selbsten sitzet gantz stille darzu …“. Das Reich und die preußische Kçnigskrçnung, in: Heide Barmeyer (Hg.), Die preußische Rangerhçhung und Kçnigskrçnung 1701 in deutscher und europischer Sicht, Frankfurt am Main u. a. 2002, S. 43 – 61, Zitat S. 49. Vgl. dazu ferner Dens., Okkupation und Regionalismus. Die preußischen Westprovinzen im Siebenjhrigen Krieg (= VerçffInstEurG, Abteilung Universalgeschichte, 150), Mainz 1993, S. 29 – 33.

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verndert haben.32 Gleichwohl kam es sptestens seit der Perpetuierung des Reichstages ab 1663 nicht mehr zur Wiederbelebung von gesonderten Kurfîrstentagen, auf denen noch in der Zeit des Dreißigjhrigen Krieges mitunter zentrale politische Entscheidungen ihren Ausgang genommen haben.33 Es fand sozusagen eine deutlichere Einbindung der Kurfîrsten in den nun immerwhrenden Gesandtenkongreß in Regensburg statt, und sie fanden sich in einer Mittlerrolle zwischen kaiserlicher Macht und fîrstlichen Interessen wieder. Der zunehmende Ausbau der Reichsinstitutionen fîhrte eben auch dazu, daß die Sonderrolle der Kurfîrsten, die im Sptmittelalter neben dem Kaiser eine Art politisches Handlungszentrum des Heiligen Rçmischen Reiches darstellten, beschrnkt wurde. Vielleicht ist diese Entwicklung mit ein Grund, warum gerade der brandenburgische Kurfîrst Friedrich Wilhelm, der in frîheren Jahren den Instrumenten gemeinsamer kurfîrstlicher Politik nicht zuletzt aus persçnlicher Unzufriedenheit mit den Ergebnissen des Westflischen Friedens eher skeptisch gegenîberstand, in der Zeit nach 1680 eine Wiederbelebung der gesonderten Kurfîrstentage ernsthaft ins Gesprch brachte.34 Es blieb freilich bei der weitestmçglichen Abstimmung kurfîrstlicher Politik im Kurverein, um dem Kaiser mit politischen Forderungen begegnen und auf dem Reichstag dominant sein zu kçnnen. Die Kurfîrsten besaßen gleichwohl als Kaiserwhler weiterhin die Preminenz vor den îbrigen Fîrsten des Reiches. In der Rangordnung der Kurfîrsten indes firmierte der Brandenburger freilich nicht weit oben. Die geistlichen 32 Axel Gotthard, Sulen des Reiches. Die Kurfîrsten im frîhneuzeitlichen Reichsverband, 2 Bde., Husum 1999, hier 1: Der Kurverein. Kurfîrstentage und Reichspolitik, S. 421 – 428, und 2: Wahlen. Der Kampf um die kurfîrstliche „Preminenz“, S. 724 – 840. Zu den Kurfîrsten auf dem westflischen Friedenskongreß vgl. Winfried Becker, Der Kurfîrstenrat. Grundzîge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westflischen Friedenskongreß (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 5), Mînster 1973. 33 Dieter Albrecht, Der Regensburger Kurfîrstentag und die Entlassung Wallensteins, in: Ders. (Hg.), Regensburg – Stadt der Reichstage, Regensburg 21984, S. 88 – 108. 34 Vgl. hierzu im ˜berblick Axel Gotthart, Der „Große Kurfîrst“ und das Kurkolleg, in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 1 – 54. Diese Studie muß fast ohne Literaturangaben auskommen und stîtzt sich îberwiegend auf Aktenmaterial, was den im Grunde vçllig unbefriedigenden Forschungsstand dokumentiert. Erwhnt sei in diesem Kontext aber ebenfalls die ltere Studie von Hans Prutz, Gottfried von Jena als brandenburgischer Reichstagsgesandter 1679 – 87, in: ForschBrandPrG 18 (1905), S. 23 – 106, die sich freilich auf die Politik des preußischen Gesandten und seine Zusammenarbeit mit Frankreich konzentriert und dabei den Reichsbezug vernachlssigt beziehungsweise von einer negativen Perspektive auf das Reich gekennzeichnet ist. Fîr die Zeit des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm siehe Anton Schindling, Der Große Kurfîrst und das Reich, in: Gerd Heinrich (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten von Brandenburg (1640 – 1688) (= ZHF, Beiheft 8), Berlin 1990, S. 59 – 74, hier S. 68 f.

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Kurfîrsten von Mainz, Kçln und Trier hatten eine Vorrangstellung, wobei der Mainzer als Reichserzkanzler in besonderer Weise hervorgehoben war. Von den weltlichen Kurfîrsten hatte der von der Pfalz und zufçrderst der von Sachsen einen hçheren Rang, wie îberhaupt die von Cçlln an der Spree ausgehende kurfîrstliche Politik lange Zeit, eigentlich bis in die Zeit der Friedensverhandlungen von Mînster und Osnabrîck in den 1640er Jahren im Schatten kurschsischen Handelns gestanden hat.35 Schon ein Blick auf den Kreis der Kurfîrsten verdeutlicht die Dynamik, welche die Reichsverfassung gekennzeichnet hat. Bereits der Westflische Friede hatte die bayerische Kurwîrde neben der pflzer etabliert. 1708 wurde die seit 1526 ruhende bçhmische Kurwîrde wieder reaktiviert. Darîber hinaus wurde das Kurkolleg in seiner Mitgliederstruktur bis 1806 weiteren Vernderungen und Ergnzungen unterworfen. So trat zunchst im Jahre 1692 aus der Welfendynastie der Kurfîrst von Hannover hinzu. Das schwchte in gewisser Weise die Dynastie der Hohenzollern in diesem Gremium, zumal es andere große Dynastien im hier behandelten Zeitraum schafften, îber lngere Zeitrume oder zumindest phasenweise Kuren zu akkumulieren, so allen voran die Wittelsbacher in Bayern und der Pfalz sowie in Kçln. Auch fungierten ein Habsburger und ein Wettiner als geistliche Kurfîrsten gegen Ende des Alten Reiches. Whrend die geistlichen Kurfîrsten von Kçln und Trier nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wegfielen, traten Baden, Hessen und Wîrttemberg in den letzten Tagen des Alten Reiches hinzu. Zumindest was eine Kaiserwahl betrifft, hatte dies keine direkten praktischen Konsequenzen, wohl aber zeigen diese Vernderungen eine neue reichs- und konfessionspolitische Konstellation an, die Potentiale fîr ein nicht-habsburgisches sowie protestantisches Kaisertum enthielt, aber sich freilich nicht mehr entfalten konnte.36 Deutlich wird jedoch, daß trotz der Tatsache, daß seit 1438 mit der Ausnahme der Kaiserwahl von 1742, bei der ein Wittelsbacher gekîrt wurde, stets Habsburger den Kaiser stellten, das Heilige Rçmische Reich eine Wahlmonarchie war, deren Wahlcharakter durchaus ernst zu nehmen ist. 35 Dieser Befund stammt wohl zunchst von Reinhold Koser, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Politik, 1: Geschichte der brandenburgischen Politik bis zum Westflischen Frieden von 1648, Stuttgart/Berlin 21913 (von dem nur der erste Band erschienen ist), hier S. 278 ff.; vgl. dazu Jens Bruning, der Augsburger Religionsfrieden und die Reichsstnde Kursachsen und Kurbrandenburg, in: Heinz Schilling / Heribert Smolinsky (Hg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Wissenschaftliches Symposium aus Anlaß des 450. Jahrestages des Friedensschlusses, Augsburg 21. bis 25. September 2005 (= RefGeschichtlStud, 150), Mînster 2007, S. 193 – 212, hier S. 195, der sich schwerpunktmßig freilich auf Kursachsen bezieht. 36 Heinz Duchhardt, Protestantisches Kaisertum und Altes Reich. Die Diskussion îber die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht (= VerçffInstEurG, Abteilung Universalgeschichte, 87/Beitrge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 1), Wiesbaden 1977, hier S. 309 – 325.

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Denn jede Kaiserwahl in der Wahlkapelle der Stiftskirche St. Bartholomus in Frankfurt am Main erçffnete den Kurfîrsten die Mçglichkeit, ihre besondere Stellung im Reichsverfassungssystem auszuschçpfen.37 Genau genommen waren es die vorbereitenden Wahlverhandlungen, die regulr im Frankfurter Rçmer stattfanden und Gelegenheiten boten, kurfîrstliche Interessenpolitik gegenîber dem kînftigen Kaiser durchzusetzen und in den Wahlkapitulationen festschreiben zu lassen.38 Bei den Verhandlungen ging es sowohl um die Absicherung von Anliegen kurfîrstlicher Politik wie auch um reichspolitische Fragen. So brachten etwa die brandenburgischen Gesandten im Zusammenhang mit der Kaiserwahl Josephs I. unter anderem die Wînsche des Kurfîrsten Friedrich III. nach einer Ausweitung des Privilegium de non appellando fîr Pommern, Magdeburg, Halberstadt, Minden und Kleve vor. Ein dauerhaftes Anliegen brandenburgischer Politik in diesem Kontext blieb die Stellung der Reformierten im Reich und insbesondere die angemessene Vertretung der Protestanten unter den Richtern beim Reichshofrat.39 Erfolgreich war die Berliner Politik bei den Wahlverhandlungen bis in die Zeit Friederichs II. kaum. Erwhnt seien im Zusammenhang mit der Kaiserwahl auch die von einem strengen Zeremoniell geprgten Feierlichkeiten, an denen die Kurfîrsten von 37 Vgl. hierzu die knappen ˜berblicke bei Hermann Meinert, Von der Wahl und Krçnung der deutschen Kaiser zu Frankfurt am Main. Mit dem Krçnungsdiarium des Kaisers Matthias aus dem Jahre 1612, Frankfurt am Main 1956, und Barbara Dçlemeyer, Wahl und Krçnung im Spiegel der Diarien des 18. Jahrhunderts, in: Bernd Heidenreich / Frank-Lothar Kroll (Hg.), Wahl und Krçnung, Frankfurt am Main 2006, S. 79 – 98. – Fîr den hier behandelten Kontext im speziellen vgl. ferner die ltere Arbeit von Emil Walter, Die Politik der Hohenzollern bei den Deutschen Kaiserwahlen. Im Zusammenhange dargestellt, Berlin 1879. 38 Vgl. zu den Verhandlungen der Kurfîrsten die ltere, sehr deutlich aus der brandenburgisch-preußischen Perspektive geschriebene Studie von August Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil an den kaiserlichen Wahlkapitulationen von 1689 bis 1742 (= QStudVerfGDtReich, 3, Heft 3), Weimar 1909, fîr das Folgende seien an dieser Stelle exemplarisch u. a. S. 10, S. 13 – 16, S. 43 – 47 eigens herausgehoben. Zu den Wahlkapitulationen ist – trotz eher pessimistischer Einschtzung – nach wie vor Fritz Hartung, Die Wahlkapitulationen der deutschen Kaiser und Kçnige, in: HZ 107 (1911), S. 306 – 344, heranzuziehen, ferner: Gînter Scheel, Die Stellung der Reichsstnde zur rçmischen Kaiserwahl seit den Westflischen Friedensverhandlungen, in: Richard Dietrich / Gerhard Oestreich (Hg.), Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe fîr Fritz Hartung, Berlin 1958, S. 113 – 132, und Gerd Kleinheyer, Die kaiserlichen Wahlkapitulationen, Karlsruhe 1968, hier vor allem Kap. III. 39 Zu den protestantischen Richtern am Reichshofrat vgl. Wolfgang Sellert, Richterliche Unabhngigkeit am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Okko Behrens / Ralf Dreier (Hg.), Gerechtigkeit und Geschichte. Beitrge eines Symposions zum 65. Geburtstag von Malte Dießelhorst, Gçttingen 1996, S. 118 – 132, hier S. 129, sowie Sigrid Jahns, Die Reichsjustiz im Spiegel der Reichs- und Religionsverfassung, in: Klaus Bussmann / Heinz Schilling (Hg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, Mînster 1998, S. 455 – 463, hier S. 462 f.

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Brandenburg selbstverstndlich ihren festen Anteil besaßen.40 Diese bereiteten den auf Rangfragen hçchst bedachten Kurfîrsten zunehmend Probleme, so etwa das Festmahl im Frankfurter Rçmer, bei dem die Kaiserwhler zwar an herausgehobenen Pltzen saßen, aber dem neuen Kaiser zu dienen hatten, weswegen sie sich lieber vertreten ließen. Hier bildete der Kurfîrst von Brandenburg, der formal mit dem Erzamt des Kmmerers des Reiches begabt war, zumal nach der Rangerhçhung zum Kçnig in Preußen, keine Ausnahme.41 Anders war hingegen die Situation auf dem Reichstag und in den Reichskreisen, in denen Territorien des Kurfîrsten von Brandenburg respektive Kçnigs in Preußen lagen. Hier brachte der Zuwachs an Territorien, wie bereits angedeutet, auch stets einen Zuwachs an Einflußmçglichkeiten, nicht zuletzt îber die Stimmabgaben. Whrend die Entwicklung des Kurfîrstenkollegiums fîr die Hohenzollern weniger gînstig verlief, konnte auf der Fîrstenbank des Reichstages ein Zugewinn brandenburgisch-preußischen Einflusses verzeichnet werden. Dadurch erhielt die brandenburgisch-preußische Politik hier prinzipiell zunehmend an Gewicht, war doch der Reichstag der Ort, an dem die Gesetze des Reiches beschlossen wurden, bis 1654 durch Reichsabschied und auf dem Immerwhrenden Reichstag in Regensburg seit 1662/63 durch Reichsschluß.42 40 Dazu im ˜berblick: Hans Joachim Berbig, Der Krçnungsritus im Alten Reich (1648 – 1806), in: ZBayerLdG 38 (1975), S. 639 – 700; Winfried Dotzauer, Die Ausformung der frîhneuzeitlichen deutschen Thronerhebung. Stellenwert, Handlung und Zeremoniell unter dem Einfluß von Skularisation und Reformation, in: ArchKulturg 68 (1986), S. 25 – 80, und Barbara Dçlemeyer, Reichsrecht, politische Propaganda und Festbeschreibung in den Wahl- und Krçnungsdiarien, in: Evelyn Brockhoff / Michael Matthus (Hg.), Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356 – 1806, Frankfurt 2006, S. 140 – 151. 41 Paul-Joachim Heinig, Krçnung und Fest, in: B. Heidenreich / F.-L. Kroll (Hg.), Wahl und Krçnung … (s. Anm. 37), S. 99 – 122, hier S. 115. 42 Zur Geschichte des Reichstages vgl. (mit zeitlichen Untersuchungsschwerpunkten auf dem 16. und 17. Jahrhundert) Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der Frîhen Neuzeit (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 7), Gçttingen 1966, und Rosemarie Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Beitrge zu einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 18), Gçttingen 1980. Fîr die frîhen Jahre des hier behandelten Zeitraumes ist Anton Schindling, Die Anfnge des Immerwhrenden Reichstags zu Regensburg. Stndevertretung und Staatskunst nach dem Westflischen Frieden (= VerçffInstEurG, 143/ Beitrge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 11), Mainz 1991, einschlgig. Darin passim noch am meisten Hinweise auf Bedeutung und Politik Brandenburg-Preußens im Reichstag (z. B. S. 135 zur Vertretung des Kurfîrsten auf der Fîrstenbank fîr Nebenlnder). Vgl. zum Reichstag ferner Dens., Der Westflische Frieden und der Reichstag, in: H. Weber: Politische Ordnungen … (s. Anm. 67), S. 113 – 153, sowie den ˜berblick von Walter Fîrnrohr, Der Immerwhrende

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Eine detaillierte Untersuchung brandenburgisch-preußischer Politik auf dem Reichstag fehlt indes.43 Der brandenburgische Kurfîrst war durch Gesandte in Regensburg vertreten, die gehalten waren, wçchentlich vom Geschehen auf dem Reichstag sowie ihre Unterhandlungen dort Bericht zu erstatten.44 Besondere Auswirkungen hatte die Akkumulation von Voten durch den Kurfîrsten von Brandenburg im Corpus Evangelicorum.45 Dabei handelte es sich um die regelmßig tagende Konferenz der protestantischen Reichsstnde auf dem Reichstag, deren Ziel es war, die Anliegen dieser Konfessionspartei zu bîndeln und gegenîber dem Kaiser und der katholischen Reichstagsmehrheit mit Wirkung auf die Reichsçffentlichkeit vernehmlich zu vertreten. Durch die Vielzahl seiner reichsfîrstlichen Territorien konnte der Kurfîrst von Brandenburg beziehungsweise Kçnig in Preußen eine gewichtige Gegenstimme gegen Reichstag zu Regensburg. Das Parlament des Alten Reiches. Zur 300-Jahrfeier seiner Erçffnung 1663, Regensburg 21987. 43 Verwiesen sei an dieser Stelle auf eine einzige, zeitlich eng begrenzte Spezialuntersuchung: Gerhard Jacobi-Scherbening, Brandenburg und der Regensburger Reichstag von 1670 bis 1673, phil. Diss. Breslau 1921 (mit kritischer Perspektive auf den Reichstag als Institution). Die Thematik streifen ferner Friedrich Meinecke, Der Regensburger Reichstag und der Devolutionskrieg, in: HZ 60 (1888), S. 193 – 222, und Arnold Berney, Der Reichstag zu Regensburg (1702 – 1704), in: HistVjschr 24 (1929), S. 389 – 442. 44 Zu den Gesandtschaften am Reichstag generell vgl. Nikolaus Leiher, Die rechtliche Stellung der auswrtigen Gesandten beim Immerwhrenden Reichstag zu Regensburg. Eine rechtshistorische Untersuchung unter Auswertung der Schriften zum Ius Publicum des Alten Reiches, jur. Diss. Regensburg, Aachen 2003, hier S. 63 – 66 und S. 81 – 86. 45 Die Geschichte des Corpus Evangelicorum ist noch nicht hinreichend erforscht. Als ˜berblicksdarstellung empfiehlt sich noch immer Heinrich Wilhelm von Bîlow, ˜ber Geschichte und Verfaßung des Corporis Evangelicorum, mit Bezug auf die neuesten Verhandlungen, die Sitz- und Stimmordnung der beiden evangelischen FîrstenBischçfe zu Osnabrîck und Lîbeck betreffend, o. O. 1795. Verwiesen werden kann auf Fritz Wolff, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westflischen Friedenskongreß. Die Einfîgung der konfessionellen Stndeverbindungen in die Reichsverfassung (= Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte, 2), Mînster 1966, Gabriele Haug-Moritz, Corpus Evangelicorum und deutscher Dualismus, in: Volker Press (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frîhen Neuzeit (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, 23), Mînchen 1995, S. 189 – 207, Anton Schindling, Corpus evangelicorum et corpus catholicorum. Constitution juridique et r¤alit¤s sociales dans le Saint-Empire, in: Jean Pierre Kintz / Georges Livet (Hg.), 350e anniversaire des Traites de Westphalie 1648 – 1998. Une genºse de l’Europe, une societ¤ ” reconstruire. Actes du Colloque International, Strasbourg 1999, S. 43 – 55, Frank Kleinehagenbrock, Die Erhaltung des Religionsfriedens. Konfessionelle Konflikte und ihre Beilegung im Alten Reich nach 1648, in: HJb 126 (2006), S. 135 – 156; und die neueste, als erste wohl auf den Akten des Corpus Evangelicorum aufbauende Studie von Andreas Kalipke, „Weitlufigkeiten“ und „Bedenklichkeiten“ – Die Behandlung konfessioneller Konflikte am Corpus Evangelicorum, in: ZHF 35 (2008), S. 405 – 447 (zu den Voten S. 426 ff., zur geringen Durchsetzungskraft der kurschsischen Politik S. 428 f.).

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die eigentliche Fîhrungsmacht der deutschen Protestanten, nmlich Kursachsen, erheben. Der schsische Kurfîrst trat îberdies im Kontext seiner Wahl zum Kçnig von Polen 1697 zur katholischen Kirche îber und mußte sich seither zumindest formal von einer Nebenlinie, den Herzçgen von Sachsen-Weißenfels, im Direktorenamt vertreten lassen.46 Das nderte nichts daran, daß die Rolle der reformierten Kurfîrsten von Brandenburg innerhalb des Corpus Evangelicorum bereits seit der Zeit des Westflischen Friedenskongresses beachtlich und die Stimme von der Spree tonangebend war.47 Die im Umfrageverfahren erhobenen Voten im Corpus Evangelicorum wurden einzeln, nach dem Rang des Territoriums analog zur Abgabe der Voten auf dem Reichtag abgegeben.48 Ziel bei dem Stimmverfahren war es, ein einheitliches Votum herzustellen, das Ausdruck von Konsens war. Allein ein Blick auf Siegellisten von Schreiben des Corpus Evangelicorum verdeutlicht,49 daß notwendige Kompromisse in dem aufwendigen Verfahren leichter in brandenburgisch-preußischem als in kurschsischem Sinne erzielt werden konnten, zumal die (kur)hannoversche Politik in Konfessionsfragen in der Regel der Berliner folgte. Die zumeist tonangebende Gruppe von Kurfîrsten und Fîrsten des Corpus Evangelicorum stand eindeutig unter der Fîhrung des Kurfîrsten von Brandenburg beziehungsweise des Kçnigs in Preußen. Diese sogenannte „Aktionspartei“ wurde freilich bei der Votenbildung nicht selten von der kurschsischen Politik ausgebremst, indem der Weg zu den notwendigen Kom-

46 Hierzu liegt eine ltere Studie von Adolph Frantz vor: Das katholische Directorium des Corpus Evangelicorum. Nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Marburg 1880. 47 F. Wolff: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum … (s. Anm. 45), S. 185. 48 Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frîhneuzeitlichen Reichstags, in: Johannes Kunisch (Hg.), Neue Studien zur frîhneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1997, S. 91 – 132, hier S. 110. Vgl. fîr das Corpus Evangelicorum dazu die Diskussion um das Abstimmungsverfahren bei Ulrich Belstler, Die Stellung des Corpus Evangelicorum in der Reichsverfassung, jur. Diss. Tîbingen, Bamberg 1968, S. 61 – 69 (S. 63: „Die Mehrheit wurde allenfalls gewogen, aber nicht gezhlt.“) 49 Die folgende ˜bersicht bezieht sich auf ein von besonders vielen protestantischen Stnden gesiegeltes Schreiben: Schreiben An Ihro Rçm. Kayserl. Majestt Vom Corpore Evangelicorum de dato 17. May 1752. In Gelegenheit Des am 22. Januar nup. dictirten Kayserl. Commissions-Decreti, Zugleich auch Smtlicher im Reiche obwaltender Religions-Beschwerden halber abgelassen, Regensburg 1752. Es sind wohl nicht immer alle im Corpus Evangelicorum vertretenen Reichsstnde unter den Siegelnden zu finden, das Hochstift Osnabrîck, mit alternierender Regierung katholischer und lutherischer Fîrstbischçfe, verzichtete bei protestantischer Regierung zumeist auf Siegelung, um Rangstreitigkeiten mit anderen Stnden zu umgehen (H. W. v. Bîlow: ˜ber Geschichte und Verfassung … (s. Anm. 45), S. 214 f.). Aber allein die Siegelliste verdeutlicht die Bildung von „Stimmblçcken“ durch die Akkumulation von reichsstndischen Territorien.

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Fîrsten im Corpus Evangelicorum (Auswahl; Stand 1752)

Teil einer Mehrfachherrschaft, Herrschaften in der Hand einer Dynastie

Magdeburg Bremen Sachsen-Gotha Sachsen-Altenburg Sachsen-Weimar Sachsen-Eisenach Brandenburg-Culmbach Brandenburg-Ansbach Braunschweig-Celle Braunschweig-Calenberg Braunschweig-Grubenhagen Braunschweig-Wolfenbîttel Halberstadt Hessen-Darmstadt Verden Hessen-Kassel Vorpommern Hinterpommern Wîrttemberg Baden-Durlach Baden-Hochberg Sachsen-Lauenburg Minden Anhalt Henneberg Camin Hirschfeld Mçmpelgard Ostfriesland Reichsgrafen der Wetterau Frnkische Reichsgrafen

Brandenburg-Preußen (Kurhannover)

(Hohenzollern) (Hohenzollern) (Kurhannover) (Kurhannover) (Kurhannover) (Kurhannover) Brandenburg-Preußen

Kursachsen Kursachsen Kursachsen Kursachsen

(Kurhannover) Brandenburg-Preußen Brandenburg-Preußen

Brandenburg-Preußen

Kursachsen

Brandenburg-Preußen Brandenburg-Preußen

promissen im Sinne der Mehrheit nicht zuletzt durch verfahrenstaktische Maßnahmen verlngert wurde. Nach den drei protestantischen Kurfîrsten von Sachsen, Brandenburg und Braunschweig (Hannover) und vor vier siegelnden Reichsstdten werden in einem hier herangezogenen Beispiel folgende Fîrsten aufgefîhrt: Wohlgemerkt spiegelt sich dabei nicht eine Auszhlung der Stimmen zur Bestimmung einer rechnerischen Mehrheit wider. Es geht darum, entsprechend dem Rang des Territoriums eines Landesherren Positionen zu vertreten, die sich schlußendlich, nach langwierigem Verfahren die Gesamtinstitution zueigen machte. In diesem Kontext dîrfte sich vor allem der Erwerb des ehemaligen Erzstifts Magdeburg, aber auch von Pommern und Ostfriesland im Laufe des

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hier betrachteten Zeitraums fîr den Kurfîrsten von Brandenburg bezahlt gemacht haben. In derselben Weise ist die Bedeutung des Kurfîrsten von Brandenburg beziehungsweise Kçnigs in Preußen als Mehrfachherrscher in den Reichskreisen zu erfassen, freilich auch nicht zu îberschtzen.50 Konsequenterweise war er zum Teil sogar mehrfach Kreisstand im Oberschsischen Reichskreis,51 im Niederschsischen Reichskreis52 und im Niederrheinisch-Westflischen Reichskreis.53 50 In den vergangenen Jahren hat sich die Forschungslage zu den Reichskreisen deutlich verbessert. Hingewiesen sei in chronologischer Reihenfolge auf folgende zentrale Monographien und Sammelbnde: Winfried Dotzauer, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des Alten Reiches und ihr Eigenleben (1500 – 1806), Darmstadt 1989; Peter Claus Hartmann (Hg.), Regionen in der Frîhen Neuzeit. Reichskreise im deutschen Raum, Provinzen in Frankreich, Regionen unter polnischer Oberhoheit: Ein Vergleich ihrer Strukturen, Funktionen und ihrer Bedeutung (= ZHF, Beiheft 17), Berlin 1994; Winfried Dotzauer, Die deutschen Reichskreise (1383 – 1806). Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998. In allen der genannten Bnde finden sich einzelne Abschnitte/Beitrge zu jedem einzelnen Reichskreis. Darîber hinaus gewhrt Wolfgang Wîst (Hg.), Reichskreis und Territorium: Die Herrschaft îber der Herrschaft? Supraterritoriale Tendenzen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Vergleich sîddeutscher Reichskreise. Tagung der Schwbischen Forschungsgemeinschaft und der Forschungsstelle Augsburg der Kommission fîr bayerische Landesgeschichte in Kooperation mit dem Institut fîr Europische Kulturgeschichte (Universitt Augsburg) und dem Stadtarchiv Augsburg in Irsee vom 5. bis 7. Mrz 1998 (= Augsburger Beitrge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens, 7), Stuttgart 2000, S. 235 – 250, einen ˜berblick. Der Schwerpunkt der Forschung liegt freilich auf dem Frnkischen, dem Schwbischen und dem Niederrheinisch-Westflischen Reichskreis, wozu im Rahmen des Themas „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ nicht im einzelnen ausfîhrliche bibliographische Angaben gemacht werden kçnnen. In den genannten Werken finden sich jeweils einschlgige Abschnitte und Kapitel. Als Thesaurus fîr Informationen îber die Reichskreise empfiehlt sich bis heute Johann Jacob Moser, Von der Teutschen Crays-Verfassung. Nach denen Reichs-Gesezen und dem Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-Rechts-Lehrern, und eigener Erfahrung […] (= Neues teutsches Staatsrecht, 10), Frankfurt/Leipzig 1773, ND Osnabrîck 1967. 51 Zum Oberschsischen Reichskreis liegt die Monographie von Thomas Nicklas vor: Macht oder Recht. Frîhneuzeitliche Politik im Oberschsischen Reichskreis, Stuttgart 2002, Kapitel 6 und 7 decken einen Teil des hier untersuchten Zeitraums ab. 52 Zum Niederschsischen Reichskreis in der hier untersuchten Zeit gibt es einen lngeren, freilich bereits lteren ˜berblicksaufsatz von Walther Schmidt, Geschichte des Niederschsischen Kreises vom Jahre 1673 bis zum Zusammenbruch der Kreisverfassung, in: Niederschsisches Jahrbuch fîr Landesgeschichte 7 (1930), S. 1 – 134; daneben: Friedrich Wilhelm Kaiser, Der niederschsische Kreis nach dem Westflischen Frieden (1651 – 1673), phil. Diss. Hamburg 1927. 53 Zum Niederrheinisch-Westflischen Reichskreis ist die Forschungslage generell etwas besser: Walter Isaakson, Geschichte des niederrheinisch-westflischen Kreises von 1648 – 1667, phil. Diss. Bonn, Dinslaken 1933, Paul Casser, Der NiederrheinischWestflische Reichskreis, in: Hermann Aubin / Eduard Schulte (Hg.), Der Raum Westfalen, II/2, Berlin 1934, S. 33 – 77. Vgl. im hier behandelten Kontext vor allem

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Seit dem Anfall der hohenzollerischen Markgraftîmer im Jahre 1791 war er auch im Frnkischen Reichskreis vertreten.54 Fîr das Thema „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ sind einige Besonderheiten zu erwhnen, die die unterschiedliche Bedeutung der Kreisstandschaften in den einzelnen Reichskreisen hervorheben. Sieht man vom Frnkischen Reichskreis ab, gehçrten die anderen genannten Reichskreise zu jenen, deren Funktionieren in der Regel, zumindest fîr das 18. Jahrhundert, in Zweifel gezogen wurde. Doch lßt sich fîr jeden dieser Reichskreise festhalten, daß selbst dann, wenn etwa die Kreistage ab der Zeit um 1700 gar nicht mehr oder nicht mehr regelmßig zusammenkamen, damit nicht das Ende gekommen war. Prsentationen von Assessoren an das Reichskammergericht hat es weiterhin gegeben, und noch 1805 exekutierte etwa der Niederrheinisch-Westflische Reichskreis Urteile des Reichskammergerichts.55 Die Reichskreise waren generell die Exekutivorgane des Reiches, sie stellten einen Zusammenschluß mehrerer Territorien dar, die sich eine festgefîgte Organisationsstruktur gegeben hatten und Institutionen ausbildeten.56 Ihre vornehmste Aufgabe war die Sicherung der Wahrung des Landfriedens. In diesem Sinne waren sie fîr die Bekanntmachung und Durchsetzung der Reichsgesetze in den einzelnen Mitgliedsterritorien verantwortlich. ˜ber die Institutionen der Reichskreise wurden die Reichssteuern eingezogen. Die Aufrechterhaltung der guten Policey, also dessen, was çffentliche Ordnung ausmachte, oblag ebenfalls den Reichskreisen. Ferner exekutierten sie Urteile des Reichskammergerichts und des Reichshofrates. Zudem waren sie seit 1681 fîr die Stellung von Truppenkontingenten fîr die Reichsarmee zustndig. Alwin Hanschmidt, Kurbrandenburg als Kreisstand im Niederrheinisch-Westflischen Kreis vom Westflischen Frieden bis zum Spanischen Erbfolgekrieg, in: O. Hauser (Hg.), Preußen, Europa … (s. Anm. 29), S. 47 – 64, an dieser Stelle vor allem S. 47 mit Anm. 1 mit Hinweisen auf Spezialstudien und Handbuchliteratur. 54 Wie angedeutet, ist die Forschungslage zum Frnkischen Reichskreis ungleich besser: An dieser Stelle sei jedoch zunchst nur auf die populre Zusammenfassung von Rudolf Endres, Der Frnkische Reichskreis (= Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur, 29), Augsburg 2003, ferner aber auf Richard Fester, Franken und die Kreisverfassung, Wîrzburg 1906, und Bernhard Sicken, Der Frnkische Reichskreis. Seine ømter und Einrichtungen im 18. Jahrhundert (= Verçffentlichungen der Gesellschaft fîr Frnkische Geschichte, Fotodruckreihe, 1), Wîrzburg 1970, hingewiesen. 55 Als Nachweis sei an dieser Stelle lediglich Josef Tçnsmeyer, Das Landesfîrstentum Rheina-Wolbeck, Rheine [1962], S. 145 – 151(mit weiteren Belegen in Anm. 56), angefîhrt. 56 An dieser Stelle sei zustzlich auf die Studie von Heinrich Mohnhaupt, Die verfassungsrechtliche Einordnung der Reichskreise in die Reichsorganisation, in: Karl Otmar Freiherr von Aretin (Hg.), Der Kurfîrst von Mainz und die Kreisassoziationen 1648 – 1746. Zur verfassungsmßigen Stellung der Reichskreise nach dem Westflischen Frieden (= VerçffInstEurG, Abteilung fîr Universalgeschichte, Beiheft 1), Wiesbaden 1975, S. 1 – 29, verwiesen.

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Infolge der Akkumulation unterschiedlicher Reichsterritorien durch einen Herrscher, aber auch aufgrund des Territorialbesitzes unterschiedlicher Linien einer Herrscherfamilie oder durch Positionen in der Reichskirche wurden insbesondere der Niederrheinisch-Westflische Reichskreis, aber auch der Frnkische Reichskreis zunehmend Schauplatz fîr die Konflikte der großen Dynastien des Alten Reiches, der Hohenzollern, der Habsburger und der Wittelsbacher, unterhalb der Reichsebene. So vernderte sich das Gefîge des Frnkischen Reichskreises nachhaltig, als der Kçnig in Preußen 1791 Kreisstand wurde; vor allem wurde die Klientelpolitik, die das Haus Habsburg in diesem Raume betrieb, durch die hohenzollerische Konkurrenz aus Berlin gestçrt.57 Fîr die Reichskreise war auch von Bedeutung, daß seit dem jîngsten Reichsabschied von 1654 auf den Kreistagen nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wurde. Zunchst muß jedoch festgestellt werden, daß die genannten Reichskreise, in denen der Kurfîrst von Brandenburg beziehungsweise der Kçnig in Preußen Kreisstandschaften besaß, hçchst unterschiedliche Gebilde waren. Der Oberschsische Reichskreis bestand im wesentlichen aus den beiden Kurfîrstentîmern Sachsen und Brandenburg, die gemeinsam das Direktorium innehatten und deren Konkurrenz seit dem 17. Jahrhundert nicht zuletzt dadurch gekennzeichnet war, daß sich Kursachsen als Fîhrungsmacht der Lutheraner im Alten Reich prsentierte, whrend die seit 1613 reformierten brandenburgischen Hohenzollern stets eine eigene Konfessionspolitik verfolgten. Die Institutionen des Reichskreises hat offenkundig dazu beigetragen, aufkommende Konflikte in die Bahnen der Reichsverfassung zu lenken. Viele oberschsische Kreisstnde verloren ihre Stellung freilich im Laufe der Frîhen Neuzeit, neben kleineren weltlichen Territorien sei hier besonders auf die ehemaligen Reichstifter Meißen, Merseburg und Naumburg, die durch Kursachsen skularisiert wurden, verwiesen. Das gleiche Schicksal erfuhren durch den Kurfîrsten von Brandenburg die Bistîmer Brandenburg, Havelberg und Lebus, deren Reichs- und damit Kreisstandschaft von vornherein umstritten war. Trotz dieser Vernderungen verharrte der brandenburgische Kurfîrst in einer Position, die nicht 57 Vgl. hierzu Manfred Hanisch, Friedrich II. und die preußische Sukzession in Franken in der internationalen Diskussion, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Friedrich der Große, Franken und das Reich (= Bayreuther Historische Kolloquien, 1), Kçln/Wien 1986, S. 81 – 91, hier besonders S. 90 f., Volker Press, Franken und das Reich in der Frîhen Neuzeit, in: Jîrgen Schneider / Gerhard Rechter (Hg.), Festschrift Alfred Wendehorst zum 65. Geburtstag gewidmet von Kollegen, Freunden und Schîlern (= JbFrnkLdForsch, 52), 1, Neustadt an der Aisch 1992, S. 329 – 347, hier S. 343 ff.; Rudolf Endres, Die Erbabreden zwischen Preußen und den frnkischen Markgrafen im 18. Jahrhundert, in: JbFrnkLdForsch 25 (1965), S. 43 – 87; Ders., Preußens Griff nach Franken, in: H. Duchhardt (Hg.), Friedrich der Große …(s. Anm. 57), S. 57 – 79, und Ders., Franken in den Auseinandersetzungen der Großmchte bis zum Ende des Frnkischen Reichskreises, in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, 3,1, Mînchen 31997, S. 496 – 516.

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Kreisstnde im Oberschsischen Kreis (18. Jahrhundert) Kurfîrst von Sachsen Kurfîrst von Brandenburg Alle Herzçge von Sachsen (mit je einer Stimme) Herzçge von Pommern

Vorpommern Hinterpommern

Fîrsten von Anhalt Abt zu Walkenried øbtissin zu Gernrode Fîrsten von Schwarzburg (Rudolstadt) Fîrsten von Schwarzburg (Sondershausen) Grafen von Mansfeld Herren von Reuß

gesonderte „Stimmfîhrung“

Brandenburg Brandenburg Braunschweig-Wolfenbîttel Anhalt Stolberg

jener der Wettiner entsprach, wobei diese freilich in zwei Linien gespalten waren, die kurfîrstlichen Albertiner und die herzçglichen Ernestiner. Fîr das 18. Jahrhundert ergibt sich freilich folgendes Bild:58 Es ist mittlerweile gezeigt worden, daß der Oberschsische Reichskreis durchaus funktionieren konnte und zu unrecht im Schatten der Forschung gelegen ist. Dies gilt jedoch insbesondere dann, wenn Wettiner und Habsburger gemeinsame Interessen verfolgten und sich die schsischen Kurfîrsten durch Ihre Politik als besonders kaisertreu prsentieren konnten.59 ˜berdies waren sie es, die der Strukturen des Reichskreises bedurften, um Ihre Position in Mitteldeutschland – nicht zuletzt gegenîber Brandenburg-Preußen – zu behaupten. Von Cçlln/Berlin aus allerdings wurde immer mehr eine Politik befçrdert, die sich îber die Reichsstrukturen hinwegzusetzen begann. Der letzte Kreistag des Oberschsischen Reichskreises fand 1683 statt, womit dieser als Element der strukturellen Verzahnung von Brandenburg-Preußen und dem Alten Reich vorerst in den Hintergrund tritt. Fîr die Zeit danach liegen leider kaum Forschungsergebnisse vor,60 bedeutungslos war der Oberschsische Reichskreis indes nicht geworden, wofîr die Prsentationen von Assessoren fîr das Reichskammergericht – wie erwhnt – als Beispiel dienen kçnnen. Ganz anders sah es im Niederschsischen Reichskreis aus, wo sich kaum Vernderungen in der Mitgliederstruktur im Verlaufe der Frîhen Neuzeit er58 Zusammenstellung nach T. Nicklas, Macht oder Recht … (s. Anm. 57), S. 377 ff. 59 T. Nicklas, Macht oder Recht … (s. Anm. 57), insbesondere die Zusammenfassung der Ergebnisse S. 340, S. 342. 60 Einen Ausblick bis ins erste Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts vermittelt Arnold Berney: Kçnig Friedrich I. und das Haus Habsburg (1701 – 1707), Mînchen/Berlin 1927, S. 244 – 254 zu den Aktivitten Kçnig Friedrichs I. in Preußen, die Reichskriegsverfassung im Oberschsischen und Niederschsischen Reichskreis umzusetzen.

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gaben. Allerdings wurden auch hier die zahlreichen Stifter der Reichskirche zumeist zugunsten benachbarter Dynastien skularisiert, deren Territorialbesitz jedoch nicht inkorporiert. Von den Fîrstbistîmern Magdeburg, Halberstadt, Bremen, Lîbeck, Schwerin, Ratzeburg, Schleswig und Hildesheim blieb lediglich das zuletzt genannte katholisches geistliches Territorium. Die Arbeit des Niederschsischen Reichskreises wurde immerhin bis ins 18. Jahrhundert hinein nachgezeichnet.61 In diesem Reichskreis konnte der brandenburgische Kurfîrst, der vor allem auf den Kçnig von Dnemark als Herzog von Holstein sowie auf unterschiedliche Linien des Welfenhauses traf, das skularisierte Erzstift Magdeburg sowie das Hochstift Halberstadt hinzugewinnen. Fîr letzteres durfte bereits ab 1648 die Stimme im Kreistag des Niederschsischen Reichskreises gefîhrt werden; die im Westflischen Frieden niedergelegte Anwartschaft auf das Erzstift Magdeburg konnte erst 1680 realisiert werden. Dies bedeutete zugleich die ˜bernahme des Kreisdirektoriums, das sich einerseits Magdeburg mit dem Hochstift Bremen, welches nach dem Dreißigjhrigen Krieg zunchst schwedisch, dann von Hannover aus regiert wurde, alternierend teilte und andererseits von demjenigen der Welfenherzçge ausgeîbt wurde, der am lngsten regierte. Die Funktion des Kreisdirektors war wichtig, da damit auch das Ausschreibeamt verbunden war, sowie die Festlegung der Tagesordnung und die Verhandlungsfîhrung auf den Kreistagen. Deswegen verwundert es nicht, daß dem Kurfîrsten von Brandenburg die Ausîbung des Magdeburger Direktorenamtes streitig gemacht wurde.62 Wiewohl es seit 1692 einen Kurfîrsten aus dem Welfenhaus gab, blieb diese hochadelige Familie im Gegensatz zu den Hohenzollern in der Konkurrenz dadurch geschwcht, daß unterschiedliche Linien in den einzelnen welfischen Territorien – einschließlich der alternierenden Sukzession eines Welfen zum Fîrstbischof im Hochstift Osnabrîck – regierten.63 Die unterschiedlichen Interessen aller am Niederschsischen Reichskreis beteiligten Dynastien, so der gegenwrtige, aber gewiß zu îberprîfende Forschungsstand, lhmten die Arbeit des Niederschsischen 61 Vgl. oben Anm. 53. 62 Klaus-Ludwig Feckl, Preußen im Spanischen Erbfolgekrieg (= Europische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 123), Frankfurt am Main/Bern/Cirencester 1979, hier S. 133 f. 63 Vgl. dazu die leider ohne Anmerkungen vorliegende Studie von Volker Press, Kurhannover im System des alten Reiches 1692 – 1803, in: Adolf M. Birke / Kurt Kluxen, (Hg.), England und Hannover/England and Hanover, Mînchen u. a. 1986, S. 53 – 79, hier S. 56 f. Eine ausfîhrliche Darstellung liefern Frieda Freiin von Esebeck, Die Begrîndung der hannoverschen Kurwîrde, phil. Diss. Bonn 1935, und natîrlich das umfngliche Werk von Georg Schnath, Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674 bis 1714, 4 Bde., Hildesheim 1938 – 1982, auf das hier nur pauschal verwiesen sei.

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Reichskreises und verhinderten unter anderem das Zustandekommen einer Militrverfassung.64 Komplizierter waren hingegen die Verhltnisse im Niederrheinisch-Westflischen Reichskreis, der sich nicht zuletzt von den îbrigen genannten Reichskreisen durch seinen Mitgliederreichtum abhob und geographisch fast den gesamten Nordwesten des Alten Reiches abdeckte, von Ostfriesland an der Nordsee bis zum Hochstift Lîttich. Auch konfessionell gab es hier erhebliche Unterschiede, die sich auch auf das Kreisdirektorium auswirkten, in dem auf der einen Seite der reformierte Kurfîrst von Brandenburg als Herzog von Kleve und Graf von der Mark, andererseits die katholischen Neuburger Pfalzgrafen aus dem Hause Wittelsbach als Herzçge von Jîlich-Berg sich das eine Kreisdirektorenamt teilten, whrend das andere der Fîrstbischof von Mînster innehatte. Neben der Prsenz der bedeutenderen Dynastien des Alten Reiches gab es am Niederrhein und in Westfalen noch eine Reihe mindermchtiger Stnde, die das Konfliktpotential etwa bei der Ausîbung von Herrschafts- und Gerichtsrechten angesichts der selten klar definierten Grenzen erhçhte und beispielsweise îber Prozeßfîhrungen beim Reichskammergericht und am Reichshofrat die Institutionen des Reiches dauerhaft prsent machten. Seit 1609 war der Kurfîrst von Brandenburg in diesem Reichskreis vertreten, zunchst fîr das Herzogtum Kleve und die Grafschaften Mark und Ravensberg. Nach dem Westflischen Frieden von 1648 trat das ehemalige Hochstift Minden hinzu, 1702 die Grafschaften Moers und Lingen, 1707 die Grafschaft Tecklenburg, 1744 das Fîrstentum Ostfriesland und 1792 schließlich die Grafschaft Sayn-Altenkirchen, die erst ein Jahr zuvor in den Besitz der frnkischen Hohenzollern gelangt war. Die kurfîrstlichen Territorien sicherten schließlich vier von 51 Stimmen auf dem Kreistag und stellten so neben den von Braunschweig-Lîneburg gefîhrten Stimmen den grçßten Stimmenblock im Kreistag dar. Hauptstreitpunkt im Niederrheinisch-Westflischen Kreis war wie im Niederschsischen Reichskreis die Militrverfassung. Aber gerade fîr den Niederrheinisch-Westflischen Reichskreis muß auf die Mitwirkung bei der Auswahl der Reichskammergerichtassessoren hingewiesen werden. Der wachsende Einfluß Brandenburg-Preußens auf die Strukturen des Alten Reiches wirkte sich nmlich auch auf die Prsentation der Assessoren fîr das Reichskammergericht aus.65 ˜berhaupt ist bei der Analyse der Beziehungen 64 Hier nochmals der Hinweis A. Berney, Kçnig Friedrich I. … (s. Anm. 60), S. 244 – 254. 65 Auch die hçchste Gerichtsbarkeit des Alten Reiches hat in den vergangenen Jahrzehnten eine intensivere Erforschung erfahren, allen voran das Reichskammergericht. Fîr den Reichshofrat bestehen, insbesondere im hier im Mittelpunkt stehenden Zeitraum weiterhin Defizite. Einen Forschungsîberblick gewhren Eva Ortlieb / Siegrid Westphal, Die Hçchstgerichtsbarkeit im Alten Reich: Bedeutung, Forschungsentwicklung und neue Perspektiven, in: ZRG GA 123 (2006), S. 291 – 304. Ausgewhlte Hinweise erfolgen hier nur auf die zusammenfassende Literatur, eine Gesamtdarstellung jîngeren

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zwischen dem Kurfîrsten von Brandenburg beziehungsweise Kçnig in Preußen und den hçchsten Gerichten des Heiligen Rçmischen Reiches wohl das grçßere Gewicht auf das Reichskammergericht zu legen. Gestaltete sich der Reichshofrat doch erst vergleichsweise spt aus und erhielt nicht vor der Zeit um 1600 nachhaltige Bedeutung. Eine dauerhafte Organisation (unter maßgeblichem Vorbild des Reichskammergerichts) erfuhr er erst in der Reichshofratsordnung von 1654.66 Der Reichshofrat blieb jedoch ein in den kaiserlichen Hof integriertes Gericht, auf das die Reichsstnde nur einen sehr begrenzten Einfluß hatten, insbesondere bezîglich der vom Kaiser konzedierten protestantischen Reichshofrte. Beim Reichskammergericht war dieser Einfluß schon von der Entstehungsgeschichte her seit 1495 von vornherein gegeben, dort wurde seit 1555 auf konfessionelle Paritt geachtet. Beide Gerichte konnten sich als hçchste Gerichte des Reiches nebeneinander etablieren. Datums, die die beiden noch immer heranzuziehenden Referenzwerke von Rudolf Smend, Das Reichskammergericht, 1: Geschichte und Verfassung (= QStudVerfGDtReich, 4,3), Weimar 1911 (von dem nur der erste Band erschienen ist), und Oswald Gschliesser, Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehçrde von 1559 bis 1806 (= Verçffentlichungen der Kommission fîr Neuere Geschichte des ehemaligen §sterreich, 33), Wien 1942, ersetzen wîrde, liegt nicht vor. Ersatzweise kann der knappe, aber instruktive Katalog des Reichskammergerichtsmuseums herangezogen werden: Lothar Keck / Hartmut Schmidt, Das Reichskammergerichtsmuseum in Wetzlar, Wetzlar 21997. Zunchst seien daneben die beiden ˜berblicksaufstze von Volker Press angefîhrt: Der Reichshofrat im System des frîhneuzeitlichen Reiches, in: Friedrich Battenberg / Filippo Ranieri (Hg.), Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa, Festschrift fîr Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, Kçln/Wien 1994, S. 349 – 365, und Das Reichskammergericht in der deutschen Geschichte, Schriftenreihe der Gesellschaft fîr Reichskammergerichtsforschung, 3, Wetzlar 31997, sowie Heinz Duchhardt, Das Reichkammergericht, und Wolfgang Sellert, Der Reichshofrat, beide in: Bernhard Diestelkamp (Hg.), Oberste Gerichtsbarkeit und zentrale Gewalt im Europa der Frîhen Neuzeit (= Quellen zur hçchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 29), Kçln/Weimar/Wien 1996, S. 1 – 13 und S. 15 – 43. Ferner (in chronologischer Reihenfolge): Friedrich Hertz, Die Rechtsprechung der hçchsten Reichsgerichte im rçmisch-deutschen Reich und ihre politische Bedeutung, in: M§IG 69 (1961), S. 331 – 358; Bernhard Diestelkamp (Hg.), Die politische Funktion des Reichskammergerichts (= Quellen und Forschungen zur hçchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 24), Kçln/Weimar/Wien 1994; Ingrid Scheurmann (Hg.), Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806, Mainz 1994; Bernhard Diestelkamp (Hg.), Recht und Gericht im Heiligen Rçmischen Reich (= Ius Commune, Sonderheft 122), Frankfurt am Main 1999; Wolfgang Sellert (Hg.), Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhltnis (= Quellen und Forschungen zur Hçchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 34), Kçln/Weimar/Wien 1999. 66 Dazu konkret Stefan Ehrenpreis, Kaiserliche Gerichtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576 – 1612 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 72), Gçttingen 2006, hier S. 45.

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Bezîglich des Reichskammergerichts ist zunchst auf das kurbrandenburgische Prsentationsrecht zu verweisen, das nach 1781/82 in einer alternierenden Prsentation der protestantischen Kurfîrsten aufging.67 Sie bot eine stndige Einflußmçglichkeit. Ferner partizipierte der Kurfîrst respektive Kçnig, wie bereits angedeutet, jeweils turnusgemß an der Nomination der Reichskammergerichtsassessoren aus allen îbrigen Reichskreisen, in denen er vertreten war; fîr den Niederrheinisch-Westflischen und den Frnkischen Reichskreis galt dies jeweils fîr die Stnde Augsburger Konfession. Bemerkenswerterweise wurden jedoch von Cçlln/Berlin aus bis in die zweite Hlfte des 18. Jahrhunderts hinein auch in die Kurassessorate vornehmlich solche juristisch geschulte Personen gesetzt, die vorwiegend aus den hinzugewonnenen Territorien im Nordwesten, aber auch aus der Mitte Deutschlands kamen und oftmals dort Kenntnisse der administrativen Praxis besaßen. Dies hing mit dem unterschiedlichen Ausmaß der Appellationsbefreiung fîr die einzelnen Territorien zusammen. Whrend fîr Kurbrandenburg diese Befreiung von Appellationen an das Reichskammergericht den Privilegien zuzurechnen ist, welche allen Kurfîrsten in der Goldenen Bulle gewhrt wurden, konnte eine solche fîr alle îbrigen Territorien erst bis zum Jahre 1750 erlangt werden.68 So wurde das mit der Kur verbundene Prsentationsrecht genutzt, um grçßeren Einfluß auf Prozesse nehmen zu kçnnen, die beispielsweise aus Kleve-Mark oder Magdeburg beim Reichskammergericht anhngig waren. Daneben blieb es ein Ziel brandenburgischer Politik, protestantische Positionen am Reichskammergericht zu befçrdern und die politischen Interessen des Corpus Evangelicorum zu unterstîtzen, zumindest bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Gleichzeitig betrieb man mit der Prsentationspraxis eine Fçrderung reformierter Interessen. 67 Sigrid Jahns, Brandenburg-Preußen im System der Reichskammergerichts-Prsentationen 1648 – 1806, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Krfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 169 – 202, hier S. 170 f., S. 173 ff., S. 180, S. 195 f. Ergnzend dazu die ltere Arbeit von Rudolf Smend, Brandenburg-Preußen und das Reichskammergericht, in: ForschBrandPrG 20 (1907), S. 161 – 199, der vor allem zeigt, wie die kurfîrstlich/kçniglichen Territorien in die Prozeßpraxis des Reichskammergerichts involviert waren. Vgl. daneben Wolfgang Sellert, Die Bedeutung der Reichskreise fîr die hçchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich, in: P. C. Hartmann, Regionen in der Frîhen Neuzeit … (s. Anm. 50), S. 145 – 178, der auch auf die Vollstreckung von Reichshofratsurteilen durch die Reichskreise eingeht (S. 159 – 165). 68 Vgl. hierzu Jîrgen Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel in Deutschland (= Quellen und Forschungen zur Hçchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 4), Kçln/Wien 1976, hier S. 87 – 147, daneben aber auch Kurt Perels, Die allgemeinen Appellationsprivilegien fîr Brandenburg-Preußen (= QStudVErfGDtReich, 3,1), Weimar 1908, hier besonders S. 54 – 121.

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Aber nicht nur die Prsentation von Assessoren machte die Beziehung zwischen Reichskammergericht und den brandenburgisch-preußischen Monarchen aus. Fîr jedes einzelne seiner Reichsterritorien mußte er entsprechend der Kameralmatrikel Abgaben leisten und an Visitationen mitwirken. Darîber hinaus oblag ihm als Direktor und ausschreibender Fîrst in mehreren Reichskreisen die (militrische) Exekution der Urteile der beiden hçchsten Reichsgerichte. So bleibt festzuhalten, daß die Geschichte der Beziehungen des Kurfîrsten von Brandenburg beziehungsweise Kçnigs in Preußen und dem Reichskammergericht nicht auf die Appellationsprivilegien zu reduzieren ist. Nicht umsonst unterhielt der Kurfîrst in Speyer und dann in Wetzlar eigene Prokuratoren zur Prozeßfîhrung, die îber feste Einkînfte und einen Ratstitel verfîgten.69 Daß es zahlreiche strukturelle Verzahnungen zwischen dem Heiligen Rçmischen Reich und Brandenburg-Preußen gab, ist deutlich geworden. Ebenso ist evident, daß es noch erheblicher Anstrengungen der Forschung bedarf, dieselben voll und ganz zu erfassen Der gegebene strukturgeschichtliche ˜berblick hat ein noch recht unbefriedigendes Bild erbracht, das mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt. Im Grunde mangelt es an einer gezielten Erforschung der Partizipation Brandenburg-Preußens an den Reichsinstitutionen. Nur punktuell lassen sich auf der Grundlage der Literatur Aussagen treffen. Unklar bleibt îberdies, welche Rîckwirkungen die Integration Brandenburg-Preußens in das System der Reichsverfassung auf das Kurfîrstentum sowie auf die anderen vom Kurfîrsten respektive Kçnig regierten Territorien besessen hat. Die Schwierigkeiten, das Thema „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ zu erfassen, bleiben auch dann bestehen, wenn im folgenden die strukturelle Verzahnung von Brandenburg-Preußen und dem Alten Reich in unterschiedliche Phasen der historischen Entwicklung zwischen 1648 und 1806 anhand ausgewhlter Detailfragen in den Blick genommen wird.

§ 2 Der Kurfîrst von Brandenburg und der Westflische Friede Ausgangspunkt der folgenden Darstellung muß der Westflische Frieden sein, der, wie bereits betont wurde, das Heilige Rçmische Reich bis zu seinem Ende prgte sowie auch darîber hinaus nachhaltige Wirkungen auf die deutsche Verfassungsgeschichte besessen hat70 und gleichermaßen fîr die Entwicklung 69 R. Smend, Brandenburg-Preußen … (wie Anm. 67), S. 185 ff. 70 An dieser Stelle nochmals der Verweis auf K. Repgen, Historischer Ort … (s. Anm. 25), ferner auf den Rezensionsaufsatz von Martin Heckel, Konfessionalisierung in Koexistenznçten. Zum Augsburger Religionsfrieden, Dreißigjhrigen Krieg und Westflischen Frieden in neuerer Sicht, in: HZ 280 (2005), S. 647 – 690.

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Brandenburg-Preußens wegen der fîr den Kurfîrsten hinzugewonnenen Territorien zentral war.71 Fîr das Heilige Rçmische Reich reetablierte der Westflische Friede zum einen nach den Jahrzehnten des Dreißigjhrigen Krieges das System der Reichsverfassung mit ihren zentralen Institutionen und schuf andererseits auf der Basis des Augsburger Religionsfriedens von 1555, aber doch diesen modifizierend, eine rechtliche Grundlage fîr das Nebeneinander der drei fortan im Heiligen Rçmischen Reich zugelassenen Konfessionen (Katholiken, Lutheraner und Reformierte). Der konfessionelle Standpunkt ist dann auch wichtig gewesen fîr die Politik des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm bei den Verhandlungen in den beiden Bischofsstdten in Westfalen. Wie alle brandenburgischen Kurfîrsten seit 1613 und spter die preußischen Kçnige hing er dem reformierten Bekenntnis an. Denn nach dem ˜bertritt des Kurfîrsten Johann Sigismund von der lutherischen zur calvinistischen Konfession, îber dessen politische Motive viel spekuliert wurde, der aber letztlich wohl von persçnlichen ˜berzeugungen geleitet wurde, existierten im Kurfîrstentum Brandenburg sowie den hinzugekommenen Territorien zwei obrigkeitlich tolerierte Konfessionen.72 Das reformierte Bekenntnis stand jedoch vor 1648 nicht auf dem Boden der Reichsverfassung. Folglich fand der Calvinismus zunchst nur Eingang in die Sphre des Hofes, der herrschaftlichen Diener und der Beamten, da die brandenburgischen Kurfîrsten bis zum Ende des Dreißigjhrigen Krieges nicht auf das ihnen im Augsburger Religionsfrieden prinzipiell zugestandene Ius reformandi zurîckgreifen konnten.73 Im Gegenteil gab es durchaus Bedenken und Proteste der 71 Vgl. dazu auch die grundstzlichen ˜berlegungen von A. Schindling, Kurbrandenburg im System … (s. Anm. 29), hier S. 33 f. 72 Vgl. hierzu die neueren zusammenfassenden ˜berblicksdarstellungen von Manfred Rudersdorf / Anton Schindling, Kurbrandenburg, in: Anton Schindling / Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1650, 2: Der Nordosten (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 50), Mînster 3 1993, S. 34 – 66, hier vor allem S. 54 – 62); Wolfgang Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 13), 1, S. 135 – 138 und S. 147 – 150; Axel Gotthard, Zwischen Luthertum und Calvinismus (1598 – 1640), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., Mînchen 2000, S. 74 – 94, hier vor allem S. 82, und Bodo Nishan, Prince, People, and Confession. The Second Reformation in Brandenburg, Philadelphia 1994. 73 Zum Augsburger Religionsfrieden liegt nun die Studie von Axel Gotthard vor: Der Augsburger Religionsfrieden (= RefGeschichtlStud, 148), Mînster 2004, mit ausfîhrlichem Quellen- und Literaturverzeichnis S. XIII-XLV, auf das an dieser Stelle verwiesen sei; vgl. dazu die Zusammenfassungen von Dems., Der Religionsfrieden und das Heilige Rçmische Reich Deutscher Nation 1555 – 1648, in: Carl A. Hoffmann (Hg.), Als Frieden mçglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Begleitband zur Ausstellung im Maximiliansmuseum Augsburg, Regensburg 2005, S. 71 – 83, und Der Augsburger Religionsfrieden – ein Meilenstein der frîhneuzeitlichen Geschichte, in: Wolf-

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lutherischen Pfarrer und auch von Untertanen und Einwohnern gegen den neuen kurfîrstlichen religiçsen Standpunkt. Dies blieb ein Kontinuum brandenburgisch-preußischer Politik und gilt insbesondere auch fîr einige der nach 1648 von den Kurfîrsten beziehungsweise Kçnigen hinzugewonnenen Territorien.74 Whrend das Kurfîrstentum sowie das Herzogtum Preußen dauerhaft von der lutherischen Konfession geprgt blieben, gelang es in den territorialen Neuerwerbungen am Niederrhein und in Westfalen, bestehende reformierte Kirchen und Pfarrgemeinden zu fçrdern und neue zu etablieren. Dies konnte deswegen geschehen, weil in diesen Territorien bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts kein einheitlicher Konfessionalisierungsprozeß stattgefunden hatte und eine konfessionelle Pluralitt entstanden war, die neben den beiden evangelischen Konfessionen katholische Minderheiten umschloß und im Heiligen Rçmischen Reich als durchaus bemerkenswert betrachtet werden kann.75 Kleine katholische Minderheiten sollte es spter auch in Minden und Magdeburg geben, doch waren diese wie die meisten der îbrigen hinzugewonnenen Territorien vorwiegend lutherisch geprgt. In Moers, Tecklenburg und Burgsteinfurt war allerdings der Calvinismus alleinige Konfession, in Ostfriesland gab es ein gespanntes Nebeneinander von Reformierten und Lutheranern, in Lingen dagegen dominierten die Katholiken in der Bevçlkerung. Der 1620 geborene sptere Kurfîrst Friedrich Wilhelm wurde konsequent im reformierten Sinne erzogen, prgende Stationen seiner Sozialisation lagen in den Niederlanden, am Hofe der Statthalter aus dem Hause Oranien oder im

gang Wîst / Georg Kreuzer / Nicola Schîrmann (Hg.), Der Augsburger Religionsfriede 1555. Ein Epochenereignis und seine regionale Verankerung (= ZHistVSchwab, 98), Augsburg 2005, S. 13 – 28. 74 Fîr das Beispiel Magdeburg vgl. Franz Schrader, Magdeburg, in: A. Schindling / Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs … (s. Anm. 75), 3, S. 68 – 86, hier S. 81 – 86; und Wolfgang Neugebauer, Teutscher Krieg und große Politik – Das Ende der Selbstndigkeit Magdeburgs 1631 – 1680, in: Matthias Puhle / Peter Petsch (Hg.), Magdeburg. Geschichte der Stadt 805 – 2005, Dçssel (Saalkreis) 2005, S. 425 – 450, hier S. 444. 75 Einen ˜berblick îber die Forschungslage vermittelt Heribert Smolinsky, Jîlich-KleveBerg, in: Anton Schindling / Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1650, 3: Der Nordwesten (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 51). Mînster 21995, S. 86 – 106, hier S. 102 f., dazu ferner: Stefan Ehrenpreis, „Wir sind mit blutigen Kçpfen davongelaufen … „. Lokale Konfessionskonflikte im Herzogtum Berg 1550 – 1700, Bochum 1993, hier S. 50 – 53, Ders., Die Vereinigten Herzogtîmer Jîlich-Kleve-Berg und der Augsburger Religionsfrieden, in: H. Schilling / H. Smolinsky (Hg.), Augsburger Religionsfrieden … (s. Anm. 35), S. 239 – 267, hier vor allem S. 264 ff.

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Umfeld der Leidener Universitt.76 Fîr seine Reichspolitik, nicht zuletzt auch bei den Verhandlungen zum Westflischen Frieden,77 war sein religiçses Bewußtsein durchaus wichtig; er studierte eifrig die Bibel und war von der calvinistischen Prdestinationslehre îberzeugt.78 Schließlich lehnte er persçnlich Katholiken ab und begegnete Lutheranern mit Skepsis, da er ihnen eine zu große Nhe zur Lehre der rçmischen Kirche unterstellte, die sich in der Abendmahlslehre und der Liturgie widerspiegelte.79 Immerhin vermochte es Kurfîrst Friedrich Wilhelm, sich und seine durch Kriegeinwirkungen schwer geschdigten und unter Bevçlkerungsverlusten leidenden Kurlande nach seinem Regierungsantritt 1640 wenigstens durch die ersten Schritte zum Aufbau eines stehenden Heeres militrisch zu stabilisieren,80 was seine Verhandlungsposition in Mînster und Osnabrîck optimierte. Allerdings muß bezîglich des Themas „Brandenburg-Preußen und das Alte Reich“ auch an dieser Stelle festgehalten werden, daß die Forschung selbst bezîglich eines derart exponierten, ja epochalen Datums wie dem Westflischen Frieden 76 Zur großen Bedeutung der niederlndischen Einflîsse: Gerhard Oestreich, Calvinismus, Neostoizismus und Preußentum, in: O. Bîsch / W. Neugebauer (Hg.), Preußische Geschichte … (s. Anm. 3), 3, S. 1268 – 1293, hier vor allem S. 1282 – 1290. 77 Vgl. hierzu noch am ausfîhrlichsten F. Dickmann, Westflischer Frieden, … (s. Anm. 12), S. 343 – 373 und S. 464 f. Dickmanns Perspektive auf den westflischen Friedenskongreß ist durch die vorwiegende Nutzung Marburger Akten gekennzeichnet; es wird kein besonderes Augenmerk auf die Berliner Politik und Diplomatie gelegt. 78 Wolfgang Gericke, Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der brandenburgischen Herrscher bis zur preußischen Union 1540 bis 1815 (= Unio und Confessio, 6), Bielefeld 1977, hier besonders S. 36 – 45. 79 Vgl. hierzu noch immer Ernst Walter Zeeden, Katholische ˜berlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (= Sptmittelalter und Frîhe Neuzeit, 15), Stuttgart 1985, S. 113 – 191, hier besonders die Abschnitte I.1 bis I.3; und Peter Claus Hartmann, Kulturgeschichte des Heiligen Rçmischen Reiches 1648 bis 1806. Verfassung, Religion und Kultur (= Studien zu Politik und Verwaltung, 72), Wien/Kçln/Graz 2001, hier S. 117 ff. 80 An dieser Stelle sei nochmals hervorgehoben, daß die Geschichte des Dreißigjhrigen Krieges im Kurfîrstentum Brandenburg noch besser aufgearbeitet werden mîßte. Verwiesen sei an dieser Stelle wiederholt auf den Abriß von M. Asche, Neusiedler … (s. Anm. 13), S. 24 – 54 wegen der zahlreichen Literaturangaben. Zu beachten ist aber vor allem die neuere Studie von Ulrich Kober, Eine Karriere im Krieg. Graf Adam von Schwarzenberg und die kurbrandenburgische Politik von 1619 bis 1641 (= Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 24), Berlin 2004. Zustzlich sei hier die ltere Arbeit von Eberhard Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Kriege (= Berlinische Bîcher, 1), Berlin 1927, fîr Berlin in diesem Zusammenhang S. 222 – 232, angefîhrt; auf die strukturellen Probleme Brandenburg-Preußens in den 1640er Jahren macht die ebenfalls ltere Studie von Wilhelm Kalbe, Beitrge zur brandenburgisch-preußischen Geschichte beim Regierungsantritte des Großen Kurfîrsten, phil. Diss. Gçttingen 1902, aufmerksam.

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bislang eher blaß geblieben ist.81 ˜berhaupt haben „in der Geschichtsschreibung îber den Großen Kurfîrsten […] das Reich, die Reichspolitik, die Reichsinstitutionen und das Reichsrecht nie im Mittelpunkt gestanden“.82 Dabei waren die genannten Elemente der Reichsreligionsverfassung durchaus fîr sein Regierungshandeln beachtlich, da seine Interessen in den von ihm regierten Territorialkomplex tangiert wurden. Als vor 1648 außerhalb der Reichsverfassung stehender reformierter Herrscher muß ihm an der dauerhaften Regelung der Konfessionsproblematik im Alten Reich83 – und zwar in seinem Sinne – gelegen gewesen sein. Ein zentraler Punkt war dabei eben die reichsrechtliche Anerkennung der Reformierten und somit ihre Gleichstellung innerhalb der parittischen Reichsreligionsverfassung, in der seit 1555 lediglich Lutheraner und Katholiken integriert waren.84 Un81 Das stellte bereits Peter Baumgart fest, der die einzige neuere Spezialstudie zu diesem Themenfeld vorgelegt hat: Kurbrandenburgs Kongreßdiplomatie und ihre Ergebnisse, in: H. Duchhardt (Hg.), Der Westflische Friede … (s. Anm. 12), S. 469 – 484, hier S. 469; vgl. daneben die lteren Arbeiten von Gustav Breucker, Die Abtretung Vorpommerns an Schweden und die Entschdigung Kurbrandenburgs. Ein Beitrag zur Geschichte des Westflischen Friedens, Halle 1879, und Friedrich Rich[ard] Brandstetter, Kurbrandenburgische Unionsbestrebungen 1647/48. Ein Beitrag zur Geschichte des Westflischen Friedens, phil. Diss. Leipzig 1898. Ferner sind zu beachten Martin Lackner, Die Kirchenpolitik des Großen Kurfîrsten (= Untersuchungen zur Kirchengeschichte, 8), Witten 1973, hier S. 71 – 89, Johannes Arndt, Die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in Mînster und Osnabrîck fîr die rheinischen Territorien, in: Stefan Ehrenpreis (Hg.), Der Dreißigjhrige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen, Neustadt an der Aisch 2002, S. 299 – 327, hier besonders S. 323 – 327, und eine wertende Zusammenfassung von Derek McKey, The Great Elector (= Profiles in Power), Harlow 2001, S. 40 – 44. Darîber hinaus finden sich natîrlich einschlgige Abschnitte in der bis heute viel beachteten Biographie des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfîrst von Brandenburg, 2 Tle., Gçttingen u. a. 1971 und 1978, hier 1, S. 185 – 191. Die Studie von Lackner ist stark der lteren Arbeit von Hugo Landwehr, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfîrsten. Aufgrund archivalischer Quellen, Berlin 1894, verpflichtet. 82 A. Schindling, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 34), Zitat S. 59. 83 Zu den Problemen des Konfessionellen Zeitalters im Alten Reich ist noch immer am besten die systematische Zusammenfassung von Martin Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 22001, hier besonders S. 198 – 207. Vgl. (auch zur Erschließung neuerer Literatur) Stefan Ehrenpreis / Ute Lotz-Heumann, Reformation und Konfessionelles Zeitalter (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002 (hier vor allem S. 62 – 79 zum Forschungsparadigma der Konfessionalisierung), und Harm Klueting, Das konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte, Darmstadt 2007, hier S. 238 – 241 (zu den Reformierten in Deutschland) und S. 349 – 353 (zur Deutung des Westflischen Friedens). 84 Vgl. hierzu Martin Heckel, Paritt, in: Ders., Gesammelte Schriften. Staat, Kirche, Recht, Geschichte, 3 (= Ius Ecclesiasticum, 58), Tîbingen 1997, S. 383 – 440; Dens.,

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terstîtzt wurde der junge Kurfîrst in diesem Anliegen vor allem von der hessenkasselschen Vormundschaftsregierung der Amelie Elisabeth von Hanau-Mînzenberg beziehungsweise ihren Gesandten auf dem Friedenskongreß.85 Allein diese Konstellation macht deutlich, daß das protestantische Lager nicht einheitlich in Osnabrîck agierte. Der schsische Kurfîrst Johann Georg, dessen eigener konfessioneller und territorialer Besitzstand nicht mehr intensiv verhandelt werden mußte, suchte Distanz zu den Reformierten und machte sich ihre Positionen nicht zu eigen. Kurfîrst Friedrich Wilhelm hatte deswegen immer wieder Kompromisse herbeizufîhren, um fîr die Protestanten insgesamt in seinem Sinne Ergebnisse zu erzielen, die îber die bloße Besitzstandswahrung der Lutheraner hinausgingen. Es konnte schließlich erreicht werden, daß die Reformierten als Untergruppe der Lutheraner in das Friedenswerk integriert wurden, beide protestantischen Konfessionen verzichteten gegenseitig auf die Ausîbung des Ius reformandi in ihren Territorien. Der Kurfîrst von Brandenburg hatte zwar angestrebt, daß im Vertragswerk nur von den „Evangelischen“ geschrieben und auf eine przise begriffliche Unterscheidungen von Lutheranern und Reformierten verzichtet wîrde. In diesem Bemîhen stieß er jedoch auf Widerstnde seitens des Kaisers und der katholischen Konfessionspartei, aber auch aus lutherischen Kreisen, allen voran aus Kursachsen. Trotz der schließlich auch im Vertragstext genannten Verschiedenheit der beiden evangelischen Konfessionen (Instrumentum pacis osnabrugense Art. VII) bildeten sie fortan, wie bereits oben ausgefîhrt, das Corpus Evangelicorum des Reichstages.86 Somit wurde nicht allein der Normaljahrstag, der 1. Januar 1624, zu einem Datum,87 das allgemein die konfessionellen Besitzverhltnisse regelte, sondern Vom Religionskonflikt zur Ausgleichsordnung. Der Sonderweg des deutschen Staatskirchenrechts vom Augsburger Religionsfrieden 1555 bis zur Gegenwart (= Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Abhandlungen, NF 130), Mînchen 2007, hier besonders S. 10 – 33; Anton Schindling, Andersglubige Nachbarn. Mehrkonfessionalitt und Paritt in Territorien und Stdten des Reiches, in: K. Bussmann / H. Schilling (Hg.), 1648 … (s. Anm. 12), S. 465 – 473; Dens., Der Westflische Friede und das Nebeneinander der Konfessionen im Heiligen Rçmischen Reich deutscher Nation, in: Konrad Ackermann / Alois Schmid / Wilhelm Volkert (Hg.), Bayern. Vom Stamm zum Staat. Festschrift fîr Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, Mînchen 2002, S. 409 – 432, und Dens., 450 Jahre Pax Augustana. Bikonfessionalitt und Paritt im Alten Reich, in: Andreas Schmauder (Hg.), Hahn und Kreuz. 450 Jahre Paritt in Ravensburg (= Historische Stadt Ravensburg, 4), Konstanz 2005, S. 9 – 24. 85 Hierzu gibt es eine Spezialstudie: Erwin Bettenhuser, Die Landgrafschaft HessenKassel auf dem Westflischen Friedenskongreß 1644 – 1648, Wiesbaden 1983. 86 An dieser Stelle sei nochmals auf F. Wolff, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum … (s. Anm. 45), hier S. 147 – 181, hingewiesen. 87 Zur Bedeutung der Normaljahrsregelung sind die Arbeiten von Ralf-Peter Fuchs einschlgig: Das ,Normaljahr 1624’ des Westflischen Friedens. Ein Versuch zum Ein-

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auch die spezielle und durch gesonderte Vereinbarung entstandene Anerkennung der innerprotestantischen Besitzverhltnisse nach dem Stand von 1648 fîr die Zukunft prgend. Diese hatten ganz unmittelbar Folgen fîr die kurfîrstlichen Territorien, indem die Besitzverhltnisse der Konfessionsparteien reichsrechtlich – nach strenger lutherischer Auslegung unvernderbar – festgeschrieben wurden. Dies betraf nun ohnehin die beiden evangelischen Konfessionen, bezog aber auch die Katholiken, wo es sie gab, mit ein. Fîr die reformierten Minderheiten in diesen Territorien, den Kurfîrsten als Landesherren eingeschlossen, folgte aus den Bestimmungen des Westflischen Friedens immerhin die Erlaubnis, Privatgottesdienste, beziehungsweise Hofgottesdienst feiern zu kçnnen. Ferner konzedierte der Friedensvertrag von Osnabrîck konfessionellen Minoritten, und das blieben die Reformierten in allen brandenburgisch-preußischen Territorien, bestimmte Privilegien, wie den Bau unscheinbarer kleiner Kirchen. Hier erçffneten sich immerhin Mçglichkeiten, die Stellung der kurfîrstlichen Konfession auszubauen, was in den folgenden Jahrzehnten, gelegentlich auch unter extensiver Auslegung des Reichsrechts geschah. Zu bedenken ist nmlich, daß die Normaljahrsregelung das landesherrliche Reformationsrecht, das prinzipiell besttigt wurde, einschrnkte. Dieser Widerspruch fîhrte an unterschiedlichen Stellen des Heiligen Rçmischen Reiches bis in seine letzten Jahre hinein zu Spannungen und Konflikten unter den Konfessionen. Auch der Kurfîrst von Brandenburg beziehungsweise sptere Kçnig in Preußen durfte nicht mehr auf eine einheitliche Konfessionalisierung aller Untertanen und Einwohner hinarbeiten. Insbesondere die Lutheraner betrachteten jeden Schritt seiner Kirchenpolitik mit Argwohn und konnten jederzeit auf ihre reichsrechtlich abgesicherten Positionen verweisen. Diese innerprotestantische Spannung wurde vielmehr zu einem Wesensmerkmal der brandenburgisch-preußischen Geschichte in der Frîhen Neuzeit.88 Whrend die Friedensverhandlungen in der Frage der Stellung der Reformierten durchaus im Sinne des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm verliefen, hatte er in anderen Angelegenheiten zurîckzustecken. Dies betraf vor allem seine legitimen Erbansprîche auf Pommern, die von den Schweden streitig gemacht wurden. Hier ging es natîrlich um Einflußsphren im Ostseeraum, konkret auch um die Kontrolle der Odermîndung. Schweden konnte sich zwar nicht freiren der Zeit?, in: Arndt Brendecke / Wolfgang Burgdorf (Hg.), Wege in die Frîhe Neuzeit. Werkstattberichte, eine Linksammlung sowie Bildmaterialien zu Mînchen im Dreißigjhrigen Krieg und zur Hexenverfolgung auf CD-Rom, Neuried 2001, S. 215 – 234, und Die Autoritt von ,Normaljahren’ bei der kirchlichen Neuordnung nach dem Dreißigjhrigen Krieg – das Fîrstbistum Osnabrîck und die Grafschaft Mark im Vergleich, in: Arndt Brendecke / Ralf-Peter Fuchs / Edith Koller (Hg.), Autoritt in der Frîhen Neuzeit, Mînster 2007, S. 353 – 374. 88 Gerhard Oestreich, Fundamente preußischer Geistesgeschichte. Religion und Weltanschauung in Brandenburg im 17. Jahrhundert, in: Ders., Strukturprobleme … (s. Anm. 21), S. 275 – 29, hier S. 278.

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vollstndig durchsetzen, doch blieben fîr den Kurfîrsten von Brandenburg nur Hinterpommern und dazu das (Fîrst-?)Bistum Kammin, dessen Reichsstandschaft fraglich war. Hçchst unglîcklich war er, daß ihm alternativ die Hochstifter Halberstadt und Minden angeboten wurden. Hinzu kam noch die Anwartschaft auf das Erzstift Magdeburg, das nach dem Tode des letzten Bistumsadminitrators aus dem Hause Wettin ebenfalls unter den brandenburgischen Herrscher gelangen sollte, eine Option, die, wie erwhnt, letztlich erst nach drei Jahrzehnten, im Jahre 1680 voll und ganz umgesetzt werden konnte. Auf die langfristige Bedeutung dieser Verankerung kurfîrstlicher Macht in der Mitte und im Nordwesten des Alten Reiches war bereits hingewiesen worden.89 Kurfîrst Friedrich Wilhelm gehçrte trotz der kriegsbedingten Probleme in seinem Stammlanden zu den Gewinnern des Krieges.90

§ 3 Kurfîrst Friedrich Wilhelm als Reichspolitiker Trotz der alles andere als befriedigenden Forschungslage, lßt sich die Aussage treffen, daß es Kurfîrst Friedrich Wilhelm offenbar sehr genau mit seinen Reichsverpflichtungen91 nahm und diese erfîllte. Dabei hat Heinz Duchhardt auf seine Teilnahme an den Tîrkenkriegen 1663/64 sowie 1683, seine Beteiligung am Devolutionskrieg als Reichskrieg gegen Frankreich und auf sein Abstimmungsverhalten im Kurkolleg bei den Kçnigs- beziehungsweise Kaiserwahlen von 1653 und 1658 hingewiesen. In seinem politischen Testament nahm der Kurfîrst direkt Bezug zum Westflischen Frieden und verortete sich und seiner Nachfolger Stellung im Reichsverfassungssystem, indem er den Rat gab, die eingerumten Freiheiten auszunutzen (zum Beispiel das Recht zu 89 Die Gebietserwerbungen, die durch den Westflischen Frieden erlangt wurden, stehen bei den lteren (biographischen) Studien îber die Zeit des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm im Mittelpunkt der Betrachtungen, so noch bei Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfîrst (= Persçnlichkeit und Geschichte, 65), Gçttingen/Zîrich/ Frankfurt 1971, hier S. 37 ff., aber auch bei Bernhard Erdmannsdçrffer, Kleinere historische Schriften, 1: Der Große Kurfîrst, Berlin o. J., hier S. 14 f., S. 37 – 40; oder Max Braubach, Der Aufstieg Brandenburg-Preußens 1640 bis 1815, Freiburg im Breisgau 1933, hier S. 178 – 181. 90 A. Schindling, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 34), S. 61. 91 Heinz Duchhardt, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfîrst (1640 – 1688), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 72), S. 95 – 112, S. 323 f., hier S. 107 f. Vgl. dazu auch A. Schindling, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 34), hier S. 59 ff., S. 63. – Diese Einschtzung fußt ganz wesentlich auf Bernhard Erdmanndçrffer, Deutsche Geschichte vom Westflischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen 1648 – 1740, zuerst 1892/93, zuletzt Meersburg/Naunhof/Leipzig 1932, ND Darmstadt 2 1962, vor allem 1. Bd. passim.

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Bîndnissen, die nicht gegen den Kaiser gerichtet waren).92 Die Stellung des Kaisers sei zu respektieren. Im Mittelpunkt stand fîr ihn jedoch der Reichsverband und darin vornehmlich die Evangelischen. Deren Stellung sollte gewahrt werden, was auf das engste mit dem Schlagwort von der „Teutschen freiheit“ verknîpft wurde. Zugleich aber hat Heinz Duchhardt darauf aufmerksam gemacht, daß die brandenburgische Politik in diesem Zeitraum begann, durch die allmhliche, erst zaghaft beginnende Verklammerung der kurfîrstlichen Territorien die rechtlichen Grundlagen und Traditionen des Alten Reiches fîr sich und die von ihm beherrschten Gebiete in den Hintergrund zu drngen. Die Art und Weise, wie Kurfîrst Friedrich Wilhelm mit der Reichsverfassung umging, soll im folgenden verdeutlicht werden. Einen sehr frîhen Test des in Mînster und Osnabrîck geschaffenen Friedenswerkes stellten jene Ereignisse von 1651 dar, die in der Literatur oftmals mit der Bezeichnung „Dîsseldorfer Kuhkrieg“ abgehandelt werden. Hierbei handelt es sich um Auseinandersetzungen zwischen dem Kurfîrsten und dem Pfalzgrafen von Pfalz-Neuburg als Landesherren in jenen Territorien, die sie als Erben der Herzçge von JîlichKleve-Berg im Vertrag von Xanten von 1614 unter sich aufgeteilt hatten. Diese Auseinandersetzungen erhielten ihre Bezeichnung aufgrund des Umstandes, daß militrische Drohgebrden unter den beiden beteiligten Landesherren tatschlich in einem freilich sehr begrenzten Militreinsatz endeten, in dessen Verlauf Kîhe weggefîhrt wurden. Im Hintergrund stand indes ein fundamentales Problem, nmlich die Verteilung der konfessionellen Besitztîmer in den vier betroffenen niederrheinischen und westflischen Territorien sowie natîrlich das 1648 weiterentwickelte Verfassungsrecht des Reiches und damit die politische Durchsetzungsfhigkeit der Kontrahenten. Der Dîsseldorfer Kuhkrieg ist ein Hçhepunkt der beginnenden Auseinandersetzungen um die richtige Auslegung des Westflischen Friedens, in den auch der Kaiser involviert war. Dieser Konflikt war mit einer der Grînde dafîr, daß sich im Umfeld des Regensburger Reichstages von 1653/54 die evangelischen Reichsstnde zum Corpus Evangelicorum als kînftig regelmßig tagende Konferenz zusammengefunden haben.93 Konkret ging es um die Frage, ob ltere vertragliche Vereinbarungen, zuletzt eine aus dem Jahre 1647 îber die Abgrenzung der Rechte des brandenburgischen Kurfîrsten und des Neuburger Pfalzgrafen in Jîlich, Berg, Kleve und Mark, die fîr den Konfessionsstand der Untertanen und Einwohner sowie die konfessionellen Besitzverhltnisse in den betroffenen Territorien die Normaljahre 1609 (fîr die Gebude) und 1612 (fîr den Got92 Politisches Testament des Großen Kurfîrsten, in: Richard Dietrich (Hg.), Politische Testamente der Hohenzollern, Mînchen 1981, S. 53 – 79, hier S. 62. 93 So schon H. W. v. Bîlow, Geschichte und Verfassung … (s. Anm. 45), S. 98.

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tesdienst) ansetzten, weiterhin Gîltigkeit besitzen wîrden, wie es seitens der brandenburgisch-preußischen Politik vertreten wurde.94 Auf der Seite Pfalz-Neuburgs meinte man, daß die Normaljahrsregelung des Westflischen Friedens greifen wîrde. Der konfessionelle Besitzstand am ersten Tage des Jahres 1624 war dann auch fîr die Katholiken wesentlich gînstiger. Diese Anschauung wurde vom Reichshofrat besttigt, der bereits Ende des Jahres 1648 involviert wurde und dessen Interesse es war, im Sinne der Stabilisierung des Friedens im Heiligen Rçmischen Reich, zumal angesichts der noch immer offenen und strittigen Fragen, die der Westflische Frieden zur weiteren Regelung den Reichsstnden îberlassen hatte, den sogenannten negotia remissa, klare Linien vorzugeben.95 Denn der Dîsseldorfer Kuhkrieg reihte sich in weitere, ganz hnlich bedingte Konflikte zwischen den Konfessionsparteien in unterschiedlichen Territorien ein,96 die, wie im hier behandelten Fall, zum Teil noch îber Jahrzehnte schwelen sollten.97 Es war aber ein Anliegen der Konfessionspolitik des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, das eigene reformierte Be-

94 Vgl. dazu aus der lteren Literatur Bernhard Erdmannsdçrffer, Deutsche Geschichte vom Westflischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen 1648 – 1740, Leipzig 1932, ND 1962, hier 1, S. 133 – 142, sowie Ders., Der Große Kurfîrst … (s. Anm. 89), S. 56; ferner die biographische Studie von Hans Schmidt, Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1615 – 1690) als Gestalt der deutschen und europischen Politik des 17. Jahrhunderts, 1: 1615 – 1658, Dîsseldorf 1973, hier S. 40 – 53, sowie die neueren ˜berblicke von H. Smolinsky, Jîlich … (s. Anm. 75), S. 102, und vor allem aber Wilhelm H. Neuser, Die Auswirkungen des Normaljahrs 1624 auf den kirchlichen Besitzstand und die Religionsfreiheit in Westfalen, in: Bernd Hey (Hg.), Der Westflische Frieden 1648 und der deutsche Protestantismus (= Religion in der Geschichte, 6/Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte, 3), Bielefeld 1998, S. 13 – 40, hier S. 33 – 49, sowie Ralf-Peter Fuchs, Verschiedene Normaljahre und die gemeinschaftliche Autoritt zweier Fîrsten im jîlich-klevischen Kirchenstreit, in: Wulf Oesterreicher / Gerhard Regn / Winfried Schulze (Hg.), Autoritt der Form – Autorisierung – Institutionelle Autoritt (= Pluralisierung und Autoritt, 1), Mînster u. a. 2003, S. 309 – 322. 95 Anton Schindling, Der Westflische Frieden und der Reichstag, in: H. Weber (Hg.), Politische Ordnungen … (s. Anm. 67), S. 113 – 153, hier besonders S. 143 – 146. 96 Einen ˜berblick îber den Umfang der konfessionellen Konflikte nach 1648 (mit quantitativen Annherungen, etwa S. 27 f.) gibt die Studie von Jîrgen Luh, Unheiliges Rçmisches Reich. Der konfessionelle Gegensatz 1648 bis 1806 (= Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches, 1), Potsdam 1995; siehe ferner U. Belstler, Stellung des Corpus Evangelicorum … (s. Anm. 48), hier S. 11. 97 Vgl. hierzu generell Klaus Jaitner, Die Konfessionspolitik des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg in Jîlich-Berg von 1647 – 1679, Mînster 1973, sowie Manfred Wolf, Das 17. Jahrhundert, in: Wilhelm Kohl (Hg.), Westflische Geschichte in drei Textbnden und einem Bild-Dokumentarband, Dîsseldorf 1983, S. 539 – 601, hier S. 571 – 578.

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kenntnis zu protegieren,98 wie explizit fîr die Grafschaft Mark gezeigt wurde;99 der Gegenseite war es um die Rekatholisierung ihrer Territorien zu tun. Vor allem trachtete der Kurfîrst danach, das Wirken der kaiserlichen Kommissionen, die der Reichshofrat bestimmt hatte, zu behindern, wiewohl diese parittisch besetzt waren. Gelçst wurde der Konflikt im Jahre 1651 nicht, auch wenn sich Kurfîrst Friedrich Wilhelm von Brandenburg schlußendlich des Einsatzes der kaiserlichen Kommissionen beugte, deren Auftrag freilich beschnitten wurde. Sie hatten nicht mehr die konfessionellen Besitzverhltnisse zu bestimmen, sondern nur der Frage nachzugehen, ob der Konflikt zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg bereits durch das Vertragswerk von Mînster und Osnabrîck gelçst worden sei. Damit hatte sich der Kurfîrst zwar auf den Boden des Reichsverfassungssystems gestellt, aber im Grunde die Reichsinstitutionen von Entscheidungen in seinen Territorien ferngehalten und damit zeitlichen Spielraum gewonnen zu Konfliktlçsungen ohne Beteiligung des Reiches, wie sie – mit Bezug auf das hier angefîhrte Fallbeispiel – etwa im Cçllner Rezeß von 1672 deutlich werden. Aber auch an anderer Stelle lßt sich dieser Grundzug kurfîrstlicher Politik gegenîber dem Alten Reich verdeutlichen. So debattierte der Immerwhrende Reichstag in seinen frîhen Jahren îber eine Erweiterung der Reichsexekutionsordnung von 1555.100 Es ging darum, per Reichsgesetz Landstnde dazu zu verpflichten, in Fllen von Reichsverteidigung und Wahrung des Landfriedens dazu bençtigte Festungen ihrer Landesherren grundstzlich zu unterhalten. Damit verbunden war ein Verbot von Klagen dagegen vor den Reichsgerichten, und gerade an diesem Aspekt des Gesetzesvorhabens war Kurfîrst FriedrichWilhelm gelegen. Allerdings – und auch das ist Teil des Themas „BrandenburgPreußen und das Alte Reich“ – scheiterten die Plne.

98 Vgl. hierzu in allgemeiner Perspektive Heinz Schilling, Nochmals „Zweite Reformation“ in Deutschland. Der Fall Brandenburg in mehrperspektivischer Sicht von Konfessionalisierungsforschung, historischer Anthropologie und Kunstgeschichte, in: ZHF 23 (1996), S. 501 – 524, hier S. 510, und den Aufsatz von Jîrgen Luh, Zur Konfessionspolitik der Kurfîrsten von Brandenburg und Kçnige in Preußen 1640 bis 1740, in: Horst Lademacher / Renate Loos / Simon Groenveld (Hg.), Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, 9), Mînster u. a. 2004, S. 306 – 324 (mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Literatur), hier besonders S. 307 – 313. 99 Fîr die Grafschaft Mark im besonderen R.-P. Fuchs, Autoritt von ,Normaljahren’ … (s. Anm. 87), hier S. 359 und S. 365 ff. 100 A. Schindling, Großer Kurfîrst … (s. Anm. 34), S. 69 ff.

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§ 4 Das Alte Reich, das Kçnigreich Preußen und die Kriege um 1700 Am Ende der Regierung des Kurfîrsten Friedrich-Wilhelm waren die von ihm regierten Territorien, abgesehen von der genannten Ausnahme Preußen, feste Bestandteile des Reichssystems, das noch immer den Rahmen fîr brandenburgisch-preußische Politik abgab, auch wenn das Bemîhen, das Wirken der Reichsinstitutionen in die kurfîrstlichen Lande hinein mçglichst weitgehend zu unterbinden, unverkennbar ist. Diese Politik sollte in den kommenden Jahren, wann immer sich Mçglichkeiten dafîr boten, fortgesetzt werden. Als prominentes Beispiel kann der – freilich alles andere als erfolgreiche – Versuch angesehen werden, auch die letzten Mçglichkeiten zur Appellation an das Reichskammergericht oder den Reichshofrat von den kurfîrstlichen Territorien aus, zu unterbinden, so geschehen im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Visitation des Reichskammergerichts bis zum Jahre 1711.101 Andererseits bedurfte brandenburgisch-preußische Politik um 1700 noch unbedingt des Alten Reiches. Denn ohne kaiserliches Wohlwollen und ohne Wiener Unterstîtzung wre die Krçnung des brandenburgischen Kurfîrsten zum Kçnig in Preußen im Jahre 1701 nicht erfolgt, vielmehr war sie nur mçglich, weil der Reichsstand Kurbrandenburg am System des Alten Reiches aktiv partizipierte.102 Und dabei stand die Politik des Kurfîrsten Friedrich III. ganz im Zeichen der Kontinuitt zu der seines Vorgngers Friedrich Wilhelm.103 Ohne auf dessen Politik aufbauen zu kçnnen, wre aus ihm nicht Kçnig Friedrich I. geworden.104 Fîr den Kronerwerb des Jahres 1701 erwies sich das Bîndnis, das Kurfîrst Friedrich Wilhelm im Jahre 1686 mit Kaiser Leopold I. eingegangen war, als nachhaltig wirksam.105 Bedeutete doch dieses Bîndnis, daß sich die von Cçlln/ Berlin aus gestaltete Politik in den nachfolgenden Jahren in den zentralen 101 J. Weitzel, Kampf um die Appellation … (s. Anm. 68), S. 142 ff. 102 H. Carl, „Und das Teutsche Reich … (s. Anm. 31), hier S. 43; Heinz Duchhardt, Das preußische Kçnigtum von 1701 und der Kaiser, in: Ders. / Manfred Schlenke (Hg.), Festsschrift fîr Eberhard Kesse zum 75. Geburtstag, Mînchen 1982, S. 89 – 101. 103 Peter Baumgart, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701, das Reich und die europische Politik, in: O. Hauser, Preußen, Europa … (s. Anm. 29), S. 65 – 86, Ders., Ein neuer Kçnig in Europa. Interne Planung, diplomatische Vorbereitung und internationale Anerkennung der Standeserhçhung des brandenburgischen Kurfîrsten, in: F. Windt / C. Lind / S. G. Groeschel, Preußen 1701. Eine Europische Geschichte, 2: Essays, Berlin 2001, S. 166 – 176. 104 Vgl. fîr das Folgende vor allem den handbuchartigen ˜berblick von Wolfgang Neugebauer, Friedrich III./I. (1688 – 1713), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 72), S. 113 – 133 und S. 324 – 329 (mit einer Zusammenstellung der einschlgigen Literatur). 105 Vgl. dazu K. O. Frhr. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 1), 2, S. 16 – 25, sowie W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 3), 1, S. 184 – 190.

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Fragen vor allem der reichischen Außenpolitik an den Wiener Vorstellungen orientierte. Das beinhaltete natîrlich eine strikte Ausrichtung gegen das Alte Reich gerichtete Expansionsstreben des franzçsischen Kçnigs Ludwig XIV., whrend Kurbrandenburg bis dahin die franzçsische Politik unterstîtzt hatte. Damit einher ging eine stete Festigung der Stellung des Kaisers im Reichsverfassungssystem auf der Grundlage der westflischen Friedensordnung.106 In einem zentralen Punkt stellte sich Kurfîrst Friedrich freilich gegen die Vorstellungen seines Vorgngers, der bereit gewesen war, die Territorien, die er als Mehrfachherrscher regierte, unter seinen Erben aufzuteilen, was gegen hohenzollerische Hausvertrge verstieß. So sicherte Friedrich III. auf Dauer die Einheit jener Lnder, die sptestens im 19. Jahrhundert als Kçnigreich Preußen firmierten, unter einem Monarchen.107 Es ist Ausdruck dieser gefestigten Stellung des Kaisers, daß es ihm gelang, den auf Unterstîtzung beim Unterhalt seines Heeres angewiesenen brandenburgischen Kurfîrsten den Weg zu alternativen beziehungsweise zustzlichen Subsidien neben den ohnehin vertraglich abgesicherten Geldflîssen aus Frankreich bereitet zu haben. In dem Geheimvertrag von 1686 sagte der Kurfîrst gegen Subsidienzahlungen Soldaten fîr den Kampf des Kaisers gegen die Tîrken zu, verzichtete aber gleichzeitig auf dauerhafte Gebietsforderungen in Schlesien und stimmte in wesentlichen Fragen dem Vorgehen Leopolds I. gegen Frankreich zu, wenn man sich diese auch in Cçlln/Berlin nicht vollstndig zueigen machte.108 Gleichwohl ist im Hintergrund auch der konfessionelle Aspekt, der die Reichspolitik dauerhaft charakterisierte, erneut zu erkennen, denn die evangelischen Reichsstnde fanden – wenn auch seit den frîhen 1670er Jahren erst nur zçgerlich – zur Mitte des achten Jahrzehnts des 17. 106 Volker Press, §sterreichische Großmachtbildung und Reichsverfassung. Zur kaiserlichen Stellung nach 1648, in: MIçG 98 (1990), S. 131 – 154. 107 Bei Otto Hintze ist dies noch ein Akt zur Wahrung der Staatsrson: Die Hohenzollern und ihr Werk. Fînfhundert Jahre vaterlndischer Geschichte, Berlin 51915, ND Moers 1979/80, hier S. 256 f. Vgl. dazu W. Neugebauer, Friedrich III./I. … (s. Anm. 104), hier S. 114 f. 108 Hier wirkt die profranzçsiche Politik nach, die der brandenburgische Gesandte auf dem Reichstag îber lange Jahre betrieben hatte und von der sich der lter gewordene Kurfîrst Friedrich Wilhelm offenbar abwandte, den Gesandten schließlich auch austauschte: Hans Prutz: Gottfried von Jena als brandenburgischer Reichstagsgesandter 1679 – 1687, in: ForschBrandPrG 18 (1905), S. 387 – 464, ganz deutlich (und teleologisch kleindeutsch) S. 105. Vgl. dazu auch Richard Fester, Die Abberufung Gottfried von Jenas vom Regensburger Reichstage, in: ForschBrandPrG 15 (1902), S. 471 – 495. Siehe ferner Ernst Opgenoorth, Der Große Kurfîrst, das Reich und die europischen Mchte, in: O. Hauser (Hg.), Preußen, Europa … (s. Anm. 29), S. 19 – 31, hier vor allem S. 28 ff., und auch noch die ltere Arbeit von Margarete Werner, Die Reichspolitik der Großen Kurfîrsten im Rahmen seiner europischen Politik von 1679 – 1684 (Vom Frieden von St. Germain bis zum Regensburger Waffenstillstand), phil. Diss. Bonn, Dîsseldorf 1937.

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Jahrhunderts zu einer gemeinsamen Position gegen Frankreich, das 1685 die Protestanten nicht nur im eigenen Lande der ihnen im Edikt von Nantes eingerumten Freiheiten beraubte, sondern auch in besetzten Reichsterritorien rekatholisierend wirkte.109 Fîr das Streben nach der Kçnigswîrde gab es mehrere Grînde, die zum einen in der Person des Kurfîrsten gesucht werden kçnnen, dem sein Hof in seinem Streben nur widerwillig folgte. Zum anderen waren Rangfragen entscheidend, wie sie fîr das Zeitalter bestimmend waren. Diese wurden durch die Rangerhçhungen anderer Kurfîrsten des Heiligen Rçmischen Reiches um so drngender. So hatten die Welfen im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts nicht nur die Kurfîrstenwîrde erlangen kçnnen, sondern es zeichnete sich ab, daß der hannoveraner Kurfîrst in absehbarer Zeit Kçnig von England werden wîrde, was ihm das englische Parlament mit dem Act of Settlement von 1701 verbriefte. Der Kurfîrst von Sachsen wurde 1697 zum Kçnig von Polen gewhlt. Allein der bayerische Kurfîrst vermochte es als einziger unter den weltlichen nicht, eine Krone zu erlangen, was nicht zuletzt daran lag, daß er sich mit seiner Politik whrend des Spanischen Erbfolgekrieges gegen das Reich und auf die franzçsische Seite stellte.110 Seit 1693 stand Kurfîrst Friedrich in Kontakt mit dem kaiserlichen Hof in der Angelegenheit der Kçnigswîrde, in den Jahren 1699 und 1700 wurde konkret verhandelt.111 Aber bereits vorher traten Erfolge ein. So erreichte Kurfîrst Friedrich, daß ihn Kaiser Leopold als souvernen Herzog in Preußen anerkannte. ˜berdies konnte er 1694 einen reformierten unter den wenigen evangelischen Reichshofrten durchzusetzen112 und fîr sich und seine Nach109 F. Meinecke, Regensburger Reichstag … (s. Anm. 43), hier S. 212 f. Zur Konfessionspolitik des Kurfîrsten/Kçnigs Friedrich siehe den knappen ˜berblick von Jîrgen Luh, Die Religionspolitik Friedrich III./I., in: F. Windt / C. Lind / S. G. Groeschel (Bearb.), Preußen 1701 … (s. Anm. 103), S. 13 – 29. 110 Peter Baumgart, Kurfîrst Max Emanuel von Bayern und die preußische Rangerhçhung, in: H. Barmeyer (Hg.), Preußische Rangerhçhung … (s. Anm 31), S. 117 – 127. Vgl. dazu auch die Monographie von Reginald de Schryver, Max II. Emanuel von Bayern und das spanische Erbe. Die europischen Ambitionen des Hauses Wittelsbach 1665 – 1715 (= VerçffInstEurG, Abteilung Universalgeschichte, 156), Mainz 1996. 111 An lterer Spezialliteratur sei hier vor allem Albert Waddington, L’acquisition de la couronne royal de Prusse par les Hohenzollern, Paris 1888, und F. Pribam, Oestreich und Brandenburg 1688 – 1700, Prag/Leipzig 1885, genannt. Vgl. zusammenfassend auch Jîrgen Luh, „Elevation, Macht und Ansehen“. Die politischen Ziele Friedrich III./ I., in: Frank Gçse (Hg.), Im Schatten der Krone. Die Mark Brandenburg um 1700 (= Brandenburgische Historische Studien, 11), Potsdam 2002, S. 13 – 29. 112 Vgl. hierzu auch O. v. Gschliesser, Reichshofrat … (s. Anm. 65), S. 350 – 353. Dort – vorbehaltlich weiterer Forschungen – der Hinweis, daß Kurfîrst/Kçnig Friedrich seinen Verhandlungserfolg nicht vollstndig auszunutzen wußte. Freiherr Friedrich Karl von Danckelmann trat trotz Berufung im Jahre 1694 seinen Dienst in Wien erst 1703 an,

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kommen die Anwartschaft auf Ostfriesland sichern. Dafîr restituierte er den schlesischen Kreis Schwiebus, wie es sich schon im 1686 geschlossenen Vertrag angekîndigt hatte, an den Habsburger. Zudem hatte sich Kurfîrst Friedrich um Kaiser und Reich bei der Verteidigung gegen Franzosen und Tîrken verdient gemacht. Vertrauensbildend wirkte sich wohl auch die seitens Brandenburg reibungslose Wahl Josephs, des Sohnes Kaiser Leopolds, zum rçmischen Kçnig im Jahre 1690 aus. Schließlich bedeutete die Anerkennung der preußischen Kçnigswîrde durch den Kaiser fîr die Anerkennung derselben durch andere europische Monarchen viel. Diese Anerkennung wurde im Allianztraktat des Jahres 1700 garantiert, und in spteren Vertragsabschlîssen besttigt.113 Nach der Unterzeichnung des Allianzvertrages im November wurde sogleich mit der Vorbereitung der Krçnungsfeierlichkeiten begonnen, die bereits am 17. und 18. Januar 1701 in Kçnigsberg im neuen Kçnigreich Preußen stattfanden. Die Kçnigswîrde galt nur fîr das ehemalige Herzogtum, so wie auch die Kurfîrsten von Sachsen und von Hannover Kçnigswîrden innehatten, die mit Lndern außerhalb der Reichsgrenzen verknîpft waren. Innerhalb des Heiligen Rçmischen Reiches agierten diese als Kurfîrsten, so auch der Kçnig in Preußen.114 Die Kçnigskrçnung in Kçnigsberg, die innerhalb und außerhalb des Reiches zum Teil verspottet wurde, durchaus umstritten war und medial außerhalb der kurfîrstlichen Lnder vergleichsweise wenig Beachtung fand, konnte nur deswegen dauerhaft Anerkennung finden,115 weil sie im Schatten der großen europischen Krise jener Jahre stattfand, nmlich dem Spanischen Erbfolgekrieg, der alle antifranzçsischen Krfte im Alten Reich und in Europa zusammenfaßte. Diese Bîndelung fiel im Heiligen Rçmischen Reich um so leichter, als seit dem Vordringen der Franzosen in die Kurpfalz und in umliegende Territorien im Zuge des Pflzischen Erbfolgekrieges die konfessionelle Ordnung des Heiligen Rçmischen Reiches, wie sie seit 1648 relativ stabil gewesen war, ins Wanken geriet. Dazu trug auch die bereits angesprochene Konversion des Kurfîrsten von Sachsen, Friedrich August, im Jahre 1697 bei.116 Diese wurde aber nicht von nennenswerten konfessionellen Spannungen innerhalb des Kurfîrstentums begleitet. Vielmehr erhielten die lutherischen Stnde Kursachsens Garantien fîr ihre Kirche und eine ungehinderte Ausîbung ihres Be113 114 115 116

hatte keine adquate Ausbildung genossen und hat in seiner Funktion, die er immerhin bis 1734 ausîbte, reformierte Positionen kaum nachhaltig vertreten. K.-L. Feckl, Preußen im Spanischen Erbfolgekrieg … (s. Anm. 62), hier S. 50 f. H. Carl, Und das Teutsche Reich … (s. Anm. 31), hier S. 59. Vgl. fîr das Heilige Rçmische Reich Eduard Ichon, Die Verhandlungen îber die Anerkennung der preußischen Kçnigswîrde am Reichstage zu Regensburg (1701), phil. Diss. Heidelberg 1907, hier bes. S. 62 ff. mit negativer Perspektive auf den Reichstag. Johannes Ziekursch, August der Starke und die katholische Kirche in den Jahren 1697 – 1720, in: ZKG 24 (1903), S. 86 – 135 und S. 232 – 280.

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kenntnisses. In Dresden blieb der Katholizismus ein Phnomen des Hofes. Zudem sicherte der zwischen Polen und Schweden geschlossene Altranstdter Frieden im Jahre 1706 diesen Zustand ab, flankiert 1707 von der schwedischkaiserlichen Konvention von Altranstdt, in welcher die Situation der Protestanten in Schlesien optimiert wurde. Die zeitgençssische Publizistik begleitete diese Vorgnge zum Teil mit heftiger konfessioneller Polemik.117 Die durch die franzçsische Besetzung der Pfalz entstandenen Religionswirren verursachten jedoch heftigere Spannungen.118 Diese waren um so intensiver, als daß sie von innerpflzischen Vorgngen begleitet wurden. Jenes Kurfîrstentum, daß sich als erstes offen zum Reformiertentum bekannt hatte und insbesondere whrend des Dreißigjhrigen Krieges offensiv fîr diese Konfession eingestanden war, wurde seit dem Jahre 1685 von einer katholischen Linie des Hauses Wittelsbach regiert.119 Mit Philipp-Wilhelm von Pfalz-Neuburg trat in Heidelberg ein Kurfîrst an die Macht, der zuvor von Dîsseldorf aus regiert hatte und aus dem Kontext des Niederrheinisch-Westflischen Reichskreises der brandenburgischen Politik wohl vertraut gewesen ist. Der neue pflzische Kurfîrst und sein Nachfolger, Kurfîrst Johann Wilhelm, bemîhten sich um die katholische Kirche und versuchten, diese im mehrheitlich reformierten Territorium zu reetablieren. Trotz der vordergrîndig calvinistischen Prgung der Kurpfalz dîrften dem neuen Kurfîrsten die tatschlichen Konfessionsverhltnisse aus seinen Territorien am Niederrhein vertraut gewesen sein. Denn aufgrund der Wirren des Dreißigjhrigen Krieges waren auch in der Kurpfalz nach 1648 alle im Alten Reich zugelassenen Konfessionen „irgendwie prsent“,120 was ein Resultat der spa117 Jochen Vçtsch, Kursachsen, das Reich und der mitteldeutsche Raum zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main u. a. 2003, hier S. 20 – 169, Frank Metasch, 300 Jahre Altransttter Konvention, 300 Jahre schlesische Toleranz. Begleitpublikation zur Ausstellung des Schlesischen Museums zu Gçrlitz, Dresden 2007, hier S. 1 – 25 und S. 52 f. 118 Vgl. dazu im ˜berblick J. Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung … (s. Anm. 12), hier vor allem S. 327 f. 119 Vgl. hierzu die knappe Zusammenfassung bei Armin Kohnle, Kleine Geschichte der Kurpfalz, Leinfelden-Echterdingen 2005, hier S. 156 – 160, sowie auf die einschlgigen Abschnitte bei Meinrad Schaab, Geschichte der Kurpfalz, 2: Neuzeit, Stuttgart/Berlin/ Kçln 1992, hier S. 149 – 160, und K. O. Frhr. v. Aretin: Altes Reich … (s. Anm. 1), 2, S. 15 – 51, S. 161 – 172. Im îbrigen ist noch immer die Studie von Alfred Hans, Die kurpflzische Religionsdeklaration von 1705. Ihre Entstehung und Bedeutung fîr das Zusammenleben der drei im Reich tolerierten Konfessionen, Mainz 1973, hier vor allem Kap. II-IV, maßgeblich. Darîber hinaus ist auch auf die Arbeit von [Johann Stephan] Pîtter, Systematische Darstellung der Pflzischen Religionsbeschwerden nach der Lage, worin sie jetzt sind, Gçttingen 1793, hier vor allem X-XXVII, zu verweisen. 120 Anton Schindling / Walter Ziegler, Kurpfalz, Rheinische Pfalz, Oberpfalz, in: Dies. (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500 – 1650, 5: Der Sîdwesten (= Katholisches

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nisch-ligistischen und schwedischen Besatzungen whrend des Dreißigjhrigen Krieges war. Im Schatten der Zerstçrung und Besetzung der Pfalz durch Frankreich im Pflzischen Erbfolgekrieg seit 1688,121 bemîhte sich der neue pflzische Landesherr um die Rekatholiserung der Untertanen und Einwohner seines Territoriums, was sich mit den Interessen der Besatzer traf.122 Auch wenn nach den Bestimmungen des Westflischen Friedens fîr die Kurpfalz ausnahmsweise und ganz unprzise das Normaljahr auf die Zeit vor den bçhmischen Unruhen verlegt worden war (Instrumentum pacis osnabrugense Art. III § 6), war es fîr die protestantische Konfessionspartei im Heiligen Rçmischen Reich ganz unstrittig, daß jetzt Rechte reformierter Gemeinden und Untertanen verletzt wîrden. Der Friede von Rijswijk von 1697 sanktionierte allerdings das franzçsische Vorgehen, was sowohl die Billigung des pflzischen Kurfîrsten als wahrscheinlich auch des Kaisers fand.123 Das bedeutete konkret, daß in den von den Franzosen wieder freigegebenen Gebieten zulasten der reformierten Gemeinden die erst in den 1690er Jahren etablierten Besitzstnde der Katholiken unangetastet blieben und an zahlreichen Orten in der Kurpfalz abweichend von der Normaljahrsregel des Westflischen Friedens fortan Simultaneen existierten. Die Reformierten wurden zustzlich dadurch provoziert, daß die lutherische Minoritt landesherrlicherseits bevorzugt wurde und eigene kirchliche Strukturen aufbauen konnte, welche die Vorrechte der Reformierten beschnitten. Angesichts ihrer Probleme konnten sich diese nur nach außen wenden, und da war das Corpus Evangelicorum des Reichstages, unter maßgeblichem Einfluß des Kurfîrsten von Brandenburg der

Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 53), Mînster 1993, S. 8 – 49, hier S. 42. 121 Walter G. Rçdel, Der Pflzische Krieg (1688 – 1698) und seine Folgen, in: BllPflzKG 56 (1989), S. 183 – 197. 122 Zum ˜berblick vgl. Meinrad Schaab, Die Wiederherstellung des Katholizismus in der Kurpfalz im 17. und 18. Jahrhundert, in: ZGORh 114 (1966), S. 147 – 205, und Frauke Volkland, Konfessionelle Abgrenzung zwischen Gewalt, Stereotypenbildung und Symbolik. Gemischtkonfessionelle Gebiete der Ostschweiz und die Kurpfalz im Vergleich, in: Kaspar von Greyerz / Kim Siebenhîner (Hg.), Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale und Deutungen (1500 – 1800), Gçttingen 2006, S. 343 – 2365, hier S. 350 ff. Das konkrete Vorgehen erfaßt Hans-Walter Hermann, Die Religionspolitik Kçnig Ludwigs XIV. in den eroberten linksrheinischen Reichsgebieten, in: BllPflzKG 53 (1985), S. 17 – 44, ferner Christoph Flegel, Die lutherische Kirche in der Kurpfalz von 1648 bis 1716, Mainz 1999, sowie Ders., Die Rijswijker Klausel und die lutherische Kirche in der Kurpfalz, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Der Friede von Rijswijk 1697 (= VerçffInstEurG, Beiheft 47), Mainz 1998, S. 271 – 279. 123 Heinz Duchhardt, Der Friede von Rijswijk in der Perspektive der Nachwelt, in: Ders. (Hg.), Der Friede von Rijswijk … (s. Anm. 122) , S. 313 – 320, hier S. 314 ff.

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wichtigste Fîrsprecher.124 Der Kurfîrst, der in der pflzischen Angelegenheit nicht nur aus dem Reichstagscorpus heraus handelte, sondern von den Reformierten der Kurpfalz direkt einbezogen wurde, erwies sich durchaus als bedeutsam fîr die weitere Entwicklung des Verhltnisses der drei im Alten Reich zugelassenen Konfessionen in der Kurpfalz. Als der pflzische Kurfîrst aufgrund des Verlaufs des Spanischen Erbfolgekrieges, weil die bayerischen Wittelsbacher als einzige prominente Reichsfîrsten auf die franzçsische Karte setzten und mit diesen in der Schlacht bei Hçchstdt verloren, die Mçglichkeiten zur Erlangung der bayerischen Kurwîrde und die Wiedergewinnung der im Dreißigjhrigen Krieg verlorenen Oberpfalz zu erkennen vermeinten, hatte er sich das Wohlwollen auch der protestantischen Kurfîrsten zu sichern. Deswegen gestaltete er seine Konfessionspolitik moderater, was zur Pflzischen Religionsdeklaration von 1705 fîhrte. In dieser wurde in der Kurpfalz allen im Heiligen Rçmischen Reich zugelassenen Konfessionen Bekenntnisfreiheit konzediert und das Kirchengut unter Reformierten und Katholiken verteilt, was bis 1707 vollzogen wurde. In die Abfassung dieses Dokuments war Kçnig Friedrich I. in Preußen involviert, der auch dafîr sorgte, daß die protestantischen Reichsstnde in dieser Angelegenheit einheitlich agierten.125 Schließlich barg die Fçrderung der lutherischen Minoritt in der Kurpfalz sowie die tatschlichen Einbußen der reformierten Gemeinden in der Kurpfalz die Gefahr in sich, Reformierte und Lutheraner auf der Ebene des Reiches gegeneinander in Stellung zu bringen. Die faktische Fîhrungsrolle des reformierten Kurfîrsten von Brandenburg beziehungsweise Kçnigs in Preußen innerhalb der protestantischen Reichsstnde, die einherging mit einer deutlich wahrnehmbaren brandenburgischpreußischen Prsenz, wann immer es darum ging, die Interessen von Angehçrigen des reformierten Bekenntnisses reichsçffentlich zu vertreten, gehçren wohl zu den Konzepten der Politik Friedrichs III./I., die auch von seinem Nachfolger beachtet wurden.126 So brachte die brandenburgisch-preußische Diplomatie, 124 Vgl. dazu allgemein die lteren Aufstze von Eberhard Freiherr von Danckelmann, Die Kirchenpolitik Friedrichs III. von Brandenburg und Johann Wilhelms von Kurpfalz bis zum Rijswijker Frieden. Ein Beitrag zu dessen Geschichte, in: Dîsseldorfer Jahrbuch 28 (1916), S. 105 – 156; Dens., Die Kurbrandenburgische Kirchenpolitik und Kurpfalz im Jahre 1696, in: ZGORh 70 (1916), S. 573 – 601, und ferner F. Wolff, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum … (s. Anm. 45), hier S. 191 – 194, sowie A. Hans, Kurpflzische Religionsdeklaration … (s. Anm. 119), S. 134 – 145. 125 A. Hans, Kurpflzische Religionsdeklaration … (s. Anm. 119), S. 342 und S. 346 (stark aus kurpflzischer Perspektive und ohne besondere Rîcksichtnahme auf die Strukturen des Alten Reiches). Anders dagegen Hans von Hymmen, Der erste preußische Kçnig und die Gegenreformation in der Pfalz, phil. Diss. Gçttingen, Bielefeld 1904, hier besonders S. 14 – 39. 126 Dieses Konzept ist systematisch noch nicht hinreichend erforscht worden. Aus der lteren Literatur sei besonders auf Arnold Berney, Der Reichstag zu Regensburg … (s.

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wenn auch erfolglos, whrend der Friedensverhandlungen in Utrecht, Rastatt und Baden, die das Ende des Spanischen Erbfolgekrieges bedeuteten, sowohl die Rijswijker Klausel als auch die Religionsdeklaration von 1705 zur Sprache. Dabei wurde die Absicht verfolgt, die Lage der Reformierten in der Pfalz zustzlich jenseits der Reichsebene, auf europischen Niveau absichern zu lassen.127

§ 5 Die Krise des Reichsverfassungssystems um 1720 Die konfessionell geprgten Auseinandersetzungen blieben fîr die Entwicklung der Reichsgeschichte îber das Ende des Spanischen Erbfolgekrieges hinaus wichtig und fîhrten in den Jahren 1719 und 1720 zu einer krisenhaften Zuspitzung, ja es bestand sogar die Gefahr, daß das westflische Friedenssystem ins Wanken geriet.128 Reformierte Untertanen aus der Kurpfalz wandten sich wegen konfessioneller Bedrîckungen fortwhrend an das Corpus Evangelicorum. Das Vorgehen des Pflzer Kurfîrsten Karl Philipp, des Nachfolgers Johann Wilhelms, tat ein îbriges zur Verschrfung der Lage. 1718 verlegte er seine Residenz von Dîsseldorf nach Heidelberg. Fîr seinen Hofgottesdienst wollte er einen grçßeren Raum als den ihm zustehenden Chor der Heiliggeistkirche, so beanspruchte er das ganze Gotteshaus fîr sich. Die reformierte Gemeinde sollte einen Neubau erhalten. ˜berdies verhinderte der Kurfîrst eine Neuauflage des Heidelberger Katechismus durch unannehmbare Auflagen. Die entschiedene Parteinahme des Corpus Evangelicorum in der kurpflzischen Angelegenheit konterkarierte die Politik Kaiser Karls VI., seine eigene Stellung im Reich zu strken und in diesem Zusammenhang die HandlungsAnm. 43), hier nachdrîcklich S. 406 – 425 zum Widerstand der protestantischen Reichsstnde unter brandenburgisch-preußischer Fîhrung gegen eine Verlegung des Reichstages angesichts der kurbayerischen Besetzung im Jahre 1703, verwiesen. Vgl. aus der neueren Literatur vorerst etwa James Allen Vann, The Swabian Reichskreis. Institutional Growth in the Holy Roman Empire, 1648 – 1715, Brîssel 1975, hier S. 120, sowie vor allem Wolfgang Neugebauer, Konfessionelle Klientelpolitik im 17. Jahrhundert: Brandenburg-Preußen und Sayn-Wittgenstein, in: JbGMitteldtld 51 (2005), S. 91 – 108, hier S. 108; und Ders., Klientel und Protektion. Reichsgrafen und Untertanen aus Sayn und Wittgenstein in ihrem Verhltnis zu Brandenburg-Preußen (17. und frîhes 18. Jahrhundert), in: Siegener Beitrge 11 (2006), S. 35 – 54, hier S. 43 – 48. 127 A. Hans, Kurpflzische Religionsdeklaration … (s. Anm. 119), hier S. 351 – 356. 128 Vgl. hierzu im ˜berblick Andreas Biederbick, Der deutsche Reichstag zu Regensburg im Jahrzehnt nach dem Spanischen Erbfolgekrieg. 1714 – 1724. Der Verlauf der Religionsstreitigkeiten und ihre Bedeutung fîr den Reichstag, phil. Diss. Bonn 1936, Dîsseldorf 1937, F. Wolff, Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum … (s. Anm. 45), S. 195 – 198, und K. O. Frhr. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 1), 2, S. 272 – 295. Bis heute grundlegend erscheint die Studie von Karl Borgmann, Der deutsche Religionsstreit der Jahre 1719/20, Berlin 1937.

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weise des Reichstages nachhaltiger zu beeinflussen.129 In diesem Zusammenhang wurde kaiserlicherseits das Recht der protestantischen Stnde, sich îberhaupt korporativ zusammenzuschließen, bestritten.130 Dies verschrfte die Situation nochmals und tangierte natîrlich auch den preußischen Kçnig als tatschlich fîhrenden Monarchen der protestantischen Konfessionspartei. Die Protestanten trieb die Sorge um, die Entwicklungen in der Kurpfalz seit 1685, zumal in der Zuspitzung seit 1718, kçnnten der Ausgangspunkt „zur planmßigen Ausrottung des Protestantismus“ sein.131 Deswegen fielen die Reaktionen scharf aus, insbesondere nachdem Verhandlungen zwischen dem Kurfîrsten von Hannover und dem Kurfîrsten von der Pfalz gescheitert waren. Es kam zu Repressalien gegen katholische Untertanen protestantischer Landesherren. Die Kurfîrsten von Hannover und der Kçnig in Preußen sowie der Landgraf von Hessen-Kassel verschlossen katholische Kirchen. Es tauchten gar Plne fîr Kriegshandlungen im Heiligen Rçmischen Reich auf. In dieser Situation gab es jedoch erhebliche Spannungen innerhalb der protestantischen Konfessionspartei. Es ging um das das Direktorium des Corpus Evangelicorum, das an die wettinische Nebenlinie Sachsen-Weißenfels gegangen war. Doch in Berlin wurde durchaus der Anspruch erhoben, dieses Direktorium zu îbernehmen. Dieser Konflikt schwelte îber Jahrzehnte; ausgerechnet im Jahr des zweihundertjhrigen Reformationsjubilums, 1717, das mit großem medialen Aufwand begangen wurde, brach er offen aus.132 Anlaß dazu gab die nchste kurschsische Konversion, denn auch der Kurprinz Friedrich August trat zur katholischen Kirche îber. Die zum Teil heftigen Reaktionen darauf vermengten sich mit dem symboltrchtigen Streit um die Heidelberger Heiliggeistkirche. Offen wurde innerhalb des protestantischen Lagers darîber diskutiert, den Sachsen das Direktorium des Corpus Evangelicorum zu entwinden. Zwei Interessenten fîr dieses Amt gab es: den Kurfîrsten von Hannover und den von Brandenburg.133 Da diese sich nicht einigen konnten, wurde im Corpus Evangelicorum îber eine Direktorenwahl gesprochen, jedoch wurde eine Entscheidung zwischen den beiden Kçnigen vermieden.134 Da die Konfessionsbe129 Vgl. dazu Hans Schmidt, Karl VI. 1711 – 1740, in: A. Schindling / W. Ziegler (Hg.), Kaiser der Neuzeit … (s. Anm. 150), S. 200 – 214, hier S. 209 ff., und Ders., Kurfîrst Karl Philipp von der Pfalz als Reichsfîrst, Mannheim 1963, hier S. 90 – 149. 130 Vgl. hierzu Gabriele Haug-Moritz, Kaisertum und Paritt. Reichspolitik und Konfessionen nach dem Westflischen Frieden, in: ZHF 19 (1992), S. 445 – 482, hier S. 473, und H. Duchhardt, Protestantisches Kaisertum … (s. Anm. 36), S. 273 – 284. 131 Hierzu und zum Folgenden vgl. K. Borgmann: Der deutsche Religionsstreit … (s. Anm. 128), S. 43, S. 53 – 56 und S. 93 – 96. 132 J. Burkhardt, Vollendung und Neuorientierung … (s. Anm. 128), S. 333. 133 A. Frantz, Katholisches Direktorium … (s. Anm. 46), S. 72 – 96; J. Vçtsch: Kursachsen … (s. Anm. 117), hier S. 119 – 147. 134 A. Frantz, Katholisches Direktorium … (s. Anm. 46), S. 113 – 122, S. 137 ff.

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schwerden der Reformierten aus der Kurpfalz drngten, war es die Lçsung, alles beim alten zu belassen. Das Direktorium verblieb den Wettinern, der Einfluß Brandenburg-Preußens blieb aber maßgeblich. In Heidelberg einigte man sich indes, was auch die Repressalien gegen die Katholiken im Norden des Heiligen Rçmischen Reiches beendete. Die Heiliggeistkirche wurde zur Simultankirche und der Heidelberger Katechismus durfte erneut verlegt werden.135 Nach Gabriele Haug-Moritz haben sich bis in die frîhen 1720er Jahre hinein die konfessionellen Gegenstze innerhalb des Heiligen Rçmischen Reiches verfestigt.136 Daran wirkte auch der Kçnig in Preußen mit. Die Kurfîrsten von Brandenburg hatten seit dem Westflischen Frieden daran gearbeitet, daß sich das Corpus Evangelicorum aller Belange der Reichspolitik annahm, die seine Mitglieder betrafen.137 Sie mußten freilich als „Religionsangelegenheit“ definiert werden. Das Corpus Evangelicorum schrieb sich, was auf Ablehnung des Kaisers und der katholischen Reichsstnde stieß, das Recht zu, umfassende Regelungskompetenz „mit einem Maßnahmenbîndel – das von der Vermittlung vor Ort bis notfalls auch zu Militrischen Maßnahmen reichte“, zu besitzen.138 Hierin lag wahrscheinlich auch die Attraktivitt des Direktorenamtes begrîndet, auf das Brandenburg formal zwar verzichtete, whrend es faktisch den Direktor ersetzte. Noch in der Zeit von Ende der 1740er Jahre bis hin in die ersten Jahre des Siebenjhrigen Krieges konnte Friedrich II. das evangelische Reichstagskorpus fîr seine Zwecke instrumentalisieren. Dies ist insofern wichtig, als daß Reichspolitik bis weit ins 18. Jahrhundert hinein von der Fraktionierung entlang der konfessionellen Trennlinien bestimmt wurde, wofîr die Diskussionen um die die Emigration der Salzburger Protestanten zu Beginn der 1730er Jahre oder der Hohenloher Osterstreit der 1740er Jahre eindrîckliche Beispiele sind.139

135 K. Borgmann, Der deutsche Religionsstreit … (s. Anm. 128), S. 110 – 114; A. Biederbick, Der deutsche Reichstag … (s. Anm. 128), S. 42 f. 136 G. Haug-Moritz, Corpus Evangelicorum … (s. Anm. 46), S. 189 – 197, das nachfolgende Zitat S. 192; Dies., Die Behandlung des Wîrttembergischen Stndekonflikts unter Herzog Carl Eugen durch den Reichshofrat (1763/64 – 1768/70), in: B. Diestelkamp (Hg.), Politische Funktion … (s. Anm. 65), hier S. 112 – 115. 137 G. Haug-Moritz, Corpus Evangelicorum … (s. Anm. 46), hier S. 203 – 207. 138 G. Haug-Moritz, „Des Kaysers rechter Arm“: Der Reichshofrat und die Reichspolitik des Kaisers, in: Harm Klueting / Wolfgang Schmale (Hg.), Das Reich und seine Territorialstaaten im 17. und 18. Jahrhundert. Aspekte des Mit-, Neben- und Gegeneinanders, Mînster 2004, S. 23 – 42. 139 G. Haug-Moritz, Corpus Evangelicorum … (s. Anm. 46), S. 205 f.

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§ 6 Friedrich II. und die Etablierung Preußens als Subsystem des Alten Reiches Unter Kçnig Friedrich Wilhelm I. gelang eine durchaus beachtliche Verklammerung der einzelnen territorialen Bestandteile des kurbrandenburgischen Herrschaftssystems. Hierfîr war einerseits die Entwicklung des Militrs ein Motor, anderseits wurde durch Verwaltungsreformen in mehreren Schritten ab dem Jahre 1713 eine hierarchische Behçrdenstruktur geschaffen, die von Berlin aus in die einzelnen kurfîrstlichen/kçniglichen Herrschaften hineinwirkte.140 1722/23 wurde das General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domnen-Direktorium geschaffen, dem vier Departements mit regionalen und sachlichen Zustndigkeiten und ein fînftes fîr die Verwaltungsjustiz untergeordnet waren. Daneben gab es neun Kriegs- und Domnenkammern, deren vornehmste Aufgabe der Einzug der Steuern war. Den vorhandenen, stndisch geprgten Administrationen wurde quasi eine brandenburgisch-preußische Gesamtadministration îbergestîlpt, die bis in 19. Jahrhundert im Prinzip Bestand hatte, unter Friedrich II. allenfalls um Fachdepartements ergnzt wurde. Die Details tangieren das Thema Preußen und das Alte Reich nicht und kçnnen hier îbergangen werden. Wichtig ist jedoch die Feststellung, daß einzelne reichsstndische Territorien nun in eine brandenburgisch-preußische Provinzialstruktur hineinwuchsen, ohne daß bereits ein einheitliches Staatsgefîge mit Berlin als Zentrum geschaffen worden wre. Es nderte sich ebenso nichts an der der Einbindung von beispielsweise Kleve und Mark oder Ravensberg und Minden in die geschilderten Strukturen des Reichsverfassungssystems. Freilich entstand langfristig ein territorienîbergreifendes Subsystem im Norden und Nordwesten des Alten Reiches, das parallel zu den reichischen Strukturen Elemente einer eigenstndigen Verfassungsentwicklung setzte. Aber die Existenz des Heiligen Rçmischen Reiches wurde erst 1806 beendet und

140 Zum ˜berblick vgl. O. Hintze, Hohenzollern … (s. Anm. 107), S. 280 – 306, W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 13), 1, S. 199 – 207, und Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1984, S. 165 ff. Fîr Westfalen findet sich ein guter ˜berblick bei Harm Klueting, Geschichte Westfalens. Das Land zwischen Rhein und Weser vom 8. bis zum 20. Jahrhundert, Paderborn 1998, S. 163 – 171. Zu den Grenzen dieser administrativen Verdichtung mit Blickrichtung nach Westen vgl. vor allem H. Carl, Okkupation und Regionalismus … (s. Anm. 31), kondensiert in der Bilanz S. 417 – 421, und – mit anderer Perspektive und argumentativen Schwerpunkt auf dem Osten Wolfgang Neugebauer, Zwischen Preußen und Rußland. Rußland, Ostpreußen und die Stnde im Siebenjhrigen Krieg, in: Eckhart Hellmuth / Immo Meenken / Michael Trauth (Hg.), Zeitenwende. Preußen um 1800. Festschrift fîr Gînter Birtsch, Stuttgart 1999, S. 43 – 76.

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deswegen blieb es ein gewichtiger Faktor fîr die brandenburgisch-preußische Politik. Dies war fîr das Heilige Rçmische Reich keine einzigartige Entwicklung. Fîr die (deutschen) Habsburgischen Lnder kçnnen vergleichbare Beobachtungen schon sptestens seit dem 15. Jahrhundert gemacht werden.141 Dieser Prozeß ist auch als „Herauswachsen“ §sterreichs aus dem Reich bezeichnet worden. øhnlich wie im Falle der preußischen Geschichte wird dabei aber hufig der Umstand der kontinuierlichen Zugehçrigkeit zum Alten Reich vernachlssigt.142 Die unter der Person der çsterreichischen Erzherzçge vereinigten Territorien, von den Lndern der bçhmischen Krone îber Vorderçsterreich bis schließlich, nach dem Spanischen Erbfolgekrieg, zu den sîdlichen Niederlanden, nahmen eine eigene Entwicklung innerhalb des Reichssystems, wurden im Laufe der Frîhen Neuzeit administrativ verklammert, indem lokale, stndische Interessen zusehends, aber nie vollstndig in den Hintergrund gedrngt wurden. Den Habsburgern gelang es sogar, fîr die von Ihnen beherrschte Territorialmasse konstitutionelle Sonderstellungen im System der Reichsverfassung durchzusetzen. Am extremsten gilt dies wohl fîr die Niederlande nach dem Burgundischen Vertrag von 1548. Aber auch Ausnahmen und Sonderregelungen aus den Konfessionsbestimmungen des Augsburger Religionsfriedens sowie des Westflischen Friedens schufen eine einmalige, distinguierte Stellung im System der Reichsverfassung. Im gleichen Ausmaß erlangten die Hohenzollern eine solche fîr die von ihnen beherrschten Territorien nicht, und dennoch war es wohl die Regierungszeit Kçnig Friedrichs II., die entscheidend war, das brandenburgischpreußische Subsystem, das ja territorial keineswegs geschlossen war, auf der europischen Bîhne und jenseits der Reichsstrukturen, deren Bedeutung fîr die Berliner Politik allmhlich zu schwinden schien, zu etablieren. Karl Otmar Freiherr von Aretin hat darauf aufmerksam gemacht, daß der îberwiegend protestantische, im 18. Jahrhundert zunehmend vom Pietismus Hallescher Prgung bestimmte Charakter der brandenburgisch-preußischen Territorien ihre

141 Vgl. fîr das folgende im ˜berblick Volker Press, Die Erblande und das Reich von Albrecht II. bis Karl VI. (1438 – 1740), in: Robert A. Kann / Friedrich E. Prinz (Hg.), Deutschland und §sterreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Mînchen/Wien 1980, S. 44 – 88, und Harm Klueting, Das Reich und §sterreich 1648 – 1740 (= Historia profana et ecclesiastica, 1), Mînster/Hamburg/London 1999, hier besonders S. 1 – 17 (mit einem historiographiegeschichtlichen ˜berblick) und S. 33 – 44. 142 Als gutes Gegenbeispiel kann hier die Studie von Angela Kulenkampff, §sterreich und das Alte Reich. Die Reichspolitik des Staatskanzlers Kaunitz unter Maria Theresia und Joseph II., Kçln 2005, betrachtet werden, die die These vom Herauswachsen §sterreichs aus dem Reich konsequent als „irrefîhrend“ (S. 1) bezeichnet.

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Sonderstellung im bikonfessionellen Alten Reich mit der die Politik beherrschenden Frontstellung der Religionsparteien verstrkt habe.143 Wenn dieser Charakter durch die anhaltende Unterdrîckung der Katholiken in Lingen, denen dauerhaft eine Behandlung nach den Maßstben des Westflischen Friedens versagt blieb, auch gewiß gewahrt werden konnte,144 vernderte sich die Situation doch mit der Annexion Schlesiens, jenem strategisch und fîr die kommende wirtschaftliche Entwicklung wichtigem Nebenland der habsburgischen Krone Bçhmen, einem Land mit zahlreichen katholischen Einwohnern.145 Die Integration der Katholiken in den werdenden preußischen Gesamtstaat war eben nicht mehr vollkommen an den Prinzipien des Westflischen Friedens ausgerichtet, vielmehr wurde das Recht der Katholiken auf Religionsausîbung herrschaftlich konzediert und dabei ein Einfluß des Kçnigs auf die Kirche sichergestellt. Dies prgte in noch strkerem Maße freilich auch die Kirchenpolitik Kaiser Josephs II. Das aus den Konflikten des 16. und 17. Jahrhunderts erwachsende Reichsverfassungssystem scheint in den letzten Jahren seiner Existenz neuen machtpolitischen Anforderungen nicht mehr gerecht geworden zu sein beziehungsweise nicht mehr umfassend seine Schutzfunktion fîr alle Einwohner des Alten Reiches entfaltet zu haben. Offenbar hat mit dem Thronwechsel von Friedrich Wilhelm I. zu Friedrich II. eine neue Phase des Verhltnisses zwischen Brandenburg-Preußen und dem Alten Reich angefangen.146 Brandenburg-Preußen war nach 1648 zu einem in der deutschen Politik bedeutsamen Reichsstand geworden, dessen Monarchen zwar eigene Interessen verfolgten, sich aber ansonsten reichskonform verhielten. Das war bis dahin sozusagen reichische Normalitt. Genau das aber tat der neue 143 K. O. Frhr. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 1), 2, S. 408. 144 Vgl. dazu im ˜berblick Wolfgang Seegrîn, Die katholische Kirche in der Grafschaft Lingen auf dem Weg von der verbotenen zur gleichberechtigten Konfession, in: St. Bonifatius Lingen (Ems) – Zur Geschichte der kath. Kirchengemeinde, Lingen 1986, S. 95 – 117, und noch immer ausfîhrlich Bernhard Anton Goldschmidt, Geschichte der Grafschaft Lingen und ihres Kirchenwesens insbesondere, Osnabrîck 1850, ND Osnabrîck 1975, S. 252 – 413. 145 Anton Schindling, Friedrichs des Großen Toleranz und seine katholischen Untertanen, in: Peter Baumgart (Hg.), Kontinuitt und Wandel. Schlesien zwischen §sterreich und Preußen. Ergebnisse eines Symposions in Wîrzburg vom 19. bis 31. Oktober 1987 (= Schlesische Forschungen, 4), Sigmaringen 1990, S. 257 – 272. Vgl. dazu in lterer Perspektive L. Tîmpel, Entstehung … (s. Anm. 17), hier S. 223 – 239, sowie die neuere Studie von Hans-Wolfgang Bergerhausen, Friedensrecht und Toleranz. Zur Politik des preußischen Staates gegenîber der katholischen Kirche in Schlesien 1740 – 1806 (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 18), Berlin 1999, hier u. a. S. 54, S. 188 f., fîr das Folgende u. a. S. 211 – 216. 146 Den Zsurcharakter betont Helmut Neuhaus, Hie §sterreichisch – hier Fritzisch. Die Wende der 1740er Jahre in der Geschichte des Alten Reiches, in: Ders., Aufbruch aus dem Ancien r¤gime. Beitrge zur Geschichte des 18. Jahrhunderts, Kçln/Weimar/Wien 1993, S. 57 – 77.

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Kçnig nicht mehr. Kçnig Friedrich II. jedenfalls profilierte sich als ganz junger Monarch vor allem als Landfriedensbrecher, also dadurch, daß er gegen eine der bestimmenden Grundlagen des Reichsverfassungssystems seit dem Wormser Reichstag von 1495 verstieß – und sich dennoch durchsetzen konnte. Um so erstaunlicher ist es, daß auch fîr dieses Kapitel gemeinsamer brandenburgischpreußischer und reichischer Geschichte die Forschungslage nicht optimal ist.147 Mit der Besetzung Schlesiens im Jahre 1740, fîr die sehr weitlufige Erbansprîche als Begrîndung herhalten mußten, provozierte der Kçnig zum einen einen europischen Krieg und damit nicht nur die ebenfalls erst jung regierende Erzherzogin Maria Theresia, sondern zum anderen auch das Heilige Rçmische Reich.148 Auf jeden Fall machte er sich zunutze, daß mit dem Tode des letzten mnnlichen deutschen Habsburgers die Regelungen zu seiner Nachfolge in den Erblanden, die Pragmatische Sanktion, die das Tragen des Erzherzogshuts auch weiblichen Nachfahren ermçglichte, Makulatur war. Auch die Kaiserwahl, die nach dem Tode Karls VI. im Jahre 1740 notwenig geworden war, wurde davon tangiert, daß mit Friedrich II. ein Monarch die Bîhne betreten hatte, der die Reichstreue und jene die Kaiser in zentralen Fragen stîtzende Politik seiner Vorgnger verwarf, um nun nach eigenen Maßstben Politik zu gestalten. Volker Press hat jedoch nachdrîcklich darauf aufmerksam gemacht, daß diese Politik nicht losgelçst vom Heiligen Rçmischen Reich stattfand, sondern charakterisiert Friedrich II als „eine[n] der erfolgreichsten Reichspolitiker […], die es je gegeben hat“.149 Daß dabei die gewachsenen Strukturen des Heiligen Rçmischen Reiches unter Druck gerieten, ist kaum zu verkennen. Das Kaisertum Karls VII., des bayerischen Wittelsbachers, der 1742 in Frankfurt am Main gewhlt und gekrçnt wurde, war nicht glnzend und hatte aufgrund der den Kurfîrsten sehr weit entgegenkommenden Wahlkapitulation langfristig negative Folgen fîr die kaiserliche Stellung im Heiligen Rçmischen Reich.150 Aber gerade dieses Kaisertum war von Friedrich II. protegiert und 147 Dies stellte schon Volker Press vor allem mit Blick auf die biographische Literatur in seinem fîr dieses Thema zentralen Aufsatz fest: Friedrich der Große als Reichspolitiker, in: H. Duchhardt (Hg.), Friedrich der Große … (s. Anm. 57), S. 25 – 56, hier S. 25. 148 Peter Baumgart, Schlesien im Kalkîl Kçnig Friedrich II. von Preußen und die europischen Implikationen der Eroberung des Landes, in: Ders. (Hg.), Kontinuitt und Wandel … (S. Anm. 145), S. 3 – 16. 149 V. Press, Friedrich der Große … (s. Anm. 147), S. 26. 150 Zu Karl VII. ist vor allem die Monographie von Peter Claus Hartmann, Karl Albrecht VII. Glîcklicher Kurfîrst. Unglîcklicher Kaiser, Regensburg 1985, sowie der einschlgige Abschnitt bei K. O. Frhr. v. Aretin, Das Alte Reich … (s. Anm. 1), 2, S. 413 – 469, heranzuziehen, die jedoch die Bedeutung Friedrichs II. von Preußen nur passim wîrdigten. Vgl. ferner Volker Press, Das Wittelsbachische Kaisertum Karls VII. Voraussetzungen von Entstehung und Scheitern, in: Andreas Kraus (Hg.), Land und Reich, Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. Festgabe fîr Max Spindler zum 90. Geburtstag, 2: Frîhe Neuzeit, Mînchen 1984, S. 201 – 234,

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politisch vorbereitet worden, er stîtze Karl VII. auch in den Krisenzeiten, die seine frîhe Regierung prgten. Friedrich II. fand sich dann auch nicht bereit, den Gatten der Erzherzogin, Franz Stephan von Lothringen, zum Kaiser zu whlen151 und mit der Restauration der Habsburger auf dem Kaiserthron auch das Alte Reich wieder zu stabilisieren, das offenkundig der Infrastruktur bedurfte, die sich nach dem Tode Kaiser Rudolfs II. in Wien herausgebildet hatte. Nicht nur 1740, sondern etwa auch 16 Jahre spter beim Ausbruch des Siebenjhrigen Krieges, der reichsrechtlich betrachtet ebenfalls mit einem Landfriedensbruch begann und den preußischen Kçnig der Gefahr aussetzte, in die Reichsacht zu fallen, belastete er das System des Heiligen Rçmischen Reiches schwer. ˜ber dessen Funktionalitt dachte der Monarch eher skeptisch, wobei ˜berlegungen der lteren Forschung, Friedrich II. habe bereits 1756 Plne verfolgt, die brandenburgisch-preußisch regierten Territorien im Bîndnis mit Hannover aus dem Reichssystem zu lçsen, mit Skepsis zu betrachten sind.152 Hier ist gewiß weiterer Forschungsbedarf festzustellen. Gleichwohl scheint die preußische Politik – nicht zuletzt auch wegen der wachsenden Konkurrenz zum Hause Habsburg – alternative Entwîrfe des Reichssystems diskutiert zu haben. Daß dabei auch die Existenz der Hochstifter der Reichskirche tangiert wurden, sollte natîrlich nicht nur die Reichsstruktur verndern, sondern die Klientelpolitik des Hauses Habsburg stçren. Denn in der Zeit Kaiser Karls VII. war bewiesen worden, daß die kaiserliche Position durchaus von der Stîtzung durch die Reichskirche abhing. Einerseits verstrkte sich so das Mißtrauen gegenîber der Berliner Politik an den geistlichen Hçfen Deutschlands, andererseits wußte sich Friedrich II. der protestantischen Klientel in Form des Corpus Evangelicorum im Reich zu bedienen, denn diese verhinderte trotz des Landfriedensbruches 1757 die Reichsacht gegen den preußischen Kçnig.153 und Alois Schmid, Karl VII. 1742 – 1745, in: Anton Schindling / Walter Ziegler, Die Kaiser der Neuzeit 1519 – 1918. Heiliges Rçmisches Reich, §sterreich, Deutschland, Mînchen 1990, S. 215 – 231. – Mit Details zur Innenpolitik des Alten Reiches, aber negativer Perspektive auf seine Institutionen: Friedrich Meisenburg, Der Deutsche Reichstag whrend des §sterreichischen Erbfolgekrieges (1740 – 1748), phil. Diss. Bonn, Dillingen an der Donau 1931. 151 Alois Schmid, Franz I. und Maria Theresia 1745 – 1765, in: A. Schindling / W. Ziegler (Hg.), Kaiser … (s. Anm. 150), S. 233 – 248, hier S. 236; Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reichs … (s. Anm. 24), S. 269 f. 152 Gustav Bertold Volz, Friedrichs des Großen Plan einer Losreißung Preußens aus Deutschland, in: HZ 122 (1920), S. 267 – 277. Viel bewußter, was die Strukturen des Reichsverfassungssystems angeht, argumentiert, Hermann Meyer, Der Plan eines evangelischen Fîrstenbundes im siebenjhrigen Krieg, phil. Diss. Bonn, Celle 1893. Vgl. zum Folgenden auch noch einmal V. Press, Wittelsbachisches Kaisertum … (s. Anm. 150), hier S. 226 f. 153 Vgl. dazu ferner Artur Brabant, Das Heilige Rçmische Reich teutscher Nation im Kampf mit Friedrich dem Großen, 2, Berlin 1911, S. 30 – 41.

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Sowohl in den 1740er Jahren als auch whrend des Siebenjhrigen Krieges hatte sich der Kçnig nmlich bereit gezeigt, Territorien der Reichskirche – bevorzugt zur Erweiterung seiner Herrschaften, aber auch etwa des Kurfîrstentums Hannover – zu skularisieren.154 Damit wren in der Tat nicht nur wichtige Stîtzen des habsburgischen Kaisertums weggebrochen, sondern die Krfteverhltnisse in Reichstag und Reichskreisen htten sich weiter letztlich zugunsten Berlins verschoben, insbesondere im Niederrheinisch-Westflischen Reichskreis. Aber auch der Frnkische Reichskreis geriet in den Blick des Kçnigs, der nach Franken ausgriff, denn durch das „Pactum Fridericianum“ von 1752 sicherten sich die brandenburgischen Hohenzollern die Markgraftîmer des frnkischen Zweiges der Dynastie im Falle, daß diese ausstîrben.155 Ungeachtet der Skularisationsplne betrieb Friedrich II. im Norden und Nordwesten des Alten Reiches freilich auch eine intensive Klientelpolitik, die insbesondere auch die reichskirchlichen Territorien einschloß.156 Allerdings gelang es ihm nur in Hildesheim im Jahre 1763 und in Paderborn im Jahre 1786, ihm wohlgesonnene Kandidaten bei den Wahlen der Domkapitel durchsetzen. Dies war keine besondere Erfolgsbilanz. In den reichskirchlichen Territorien dominierte im Grunde weiterhin der Einfluß der Wittelsbacher und der Habsburger, der großen sîddeutschen, katholischen Dynastien. Die ausdrîcklichen Bischofswahlen prohabsburgischer Kandidaten in den frnkischen Hochstiftern ist jedenfalls als Reaktion auf die Politik Friedrichs II. zu werten.157 Hier mçgen natîrlich auch konfessionelle Vorbehalte eine Rolle gespielt haben, die grundstzlich beim Monarchen, der Religion skeptisch begegnete, vorhanden waren. Die Fîhrungsrolle im Corpus Evangelicorum fîllte Friedrich II. bis in die Zeit vor dem Siebenjhrigen Krieg indes noch aus, ganz in der Tradition der brandenburgischen Kurfîrsten als fîhrende politische Reprsentanten der Protestanten im Heiligen Rçmischen Reich. Zu beachten ist, daß sich im Vorfeld des Krieges ab 1756 konfessionell vergleichsweise homogene Bîndnissysteme organisierten, die protestantischerseits – natîrlich ohne Kursachsen – unter brandenburgisch-preußischer Fîh154 Peter Baumgart, Skularisationsplne Kçnig Friedrichs II. von Preußen. Zu einem kontroversen Thema der Preußenhistoriographie, in: Joachim Kçhler, Skularisationen in Ostmitteleuropa. Zur Klrung des Verhltnisses von geistlicher und weltlicher Macht im Mittelalter, von Kirche und Staat in der Neuzeit, Kçln/Wien 1984, S. 59 – 102. 155 Vgl. dazu oben, Anm. 57. 156 V. Press, Friedrich der Große … (s. Anm. 147), S. 37 f. und S. 44 ff. 157 Vgl. dazu die beiden Aufstze von Anton Schindling, „Friederizianische Bischçfe“ in Franken? Aufklrung und Reform im geistlichen Franken zwischen Habsburg und Preußen, und Johannes Burkhardt, Der Beitrag der rçmischen Kurie zur Sicherung Frankens gegen Friedrich den Großen. Eine Untersuchung zu drei Bamberger Bischofswahlen, in: H. Duchhardt (Hg.), Friedrich der Große … (s. Anm. 57), S. 157 – 171 und S. 173 – 193.

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rung standen und bereits 1725, wenn auch nur fîr kurze Zeit, im Herrenhausener Bîndnis erprobt worden waren. Die Beteiligung Hannovers verweist auf die jahrzehntelange Kooperation der beiden Kurfîrsten in den Strukturen des Corpus Evangelicorum. Konsequent ist dann seitens Brandenburg-Preußens in den ersten Kriegsjahren versucht worden, mit Unionsplnen das Vorgehen der protestantischen Territorien des Reichs neu zu bîndeln. Entsprechend propagandistisch aufgeladen war die Stimmung im Heiligen Rçmischen Reich zur Mitte der 1750er Jahre, hatte doch erneut eine prominente Konversion, nmlich die 1754 çffentlich bekanntgewordene des Erbprinzen von HessenKassel, fîr Aufregung gesorgt. Die notwendigen Absicherungen des Konfessionswechsels einschließlich der Garantien fîr die bestehende konfessionelle Mehrheit im Territorium waren reichsrechtlich partiell problematisch. Gleichwohl wurden sie von den Kurfîrsten in London und Berlin garantiert.158 So wundert es auch nicht, daß der Siebenjhrige Krieg, zumindest in seinen Anfangsjahren von heftigster konfessioneller Polemik gekennzeichnet war.159 Um 1770 erlahmte das Interesse Friedrichs II. an dieser Plattform der Reichspolitik und Hannover trat hier strker in den Vordergrund der protestantischen Reichsstnde.160 Und doch ist zumindest fîr die Zeit nach dem Frieden von Hubertusburg festzustellen, daß Friedrich II. das Alte Reich nicht nur als Verfîgungsmasse seiner Politik betrachtete. Denn als Kaiser Joseph II. nach dem Tode des letzten bayerischen Wittelsbachers in dessen Kurfîrstentum einmarschierte, gehçrte Brandenburg-Preußen voran zu jenen Reichsstnden, die den Bruch des Reichsrechts kritisierten und fîr eine Wahrung der Traditionen des Reichsverfassungssystems eintraten.161 Die Fîrstenbundpolitik Friedrichs II., die daraus 158 Johannes Burkhardt, Abschied vom Religionskrieg. Der Siebenjhrige Krieg und die ppstliche Diplomatie (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 61), Tîbingen 1985, hier S. 75 – 99. Vgl. daneben auch noch immer A. Brabant, Das Heilige Rçmische Reich … (s. Anm. 153), 1, Berlin 1904, S. 20 – 27 159 Vgl. hierzu Antje Fuchs, Der Siebenjhrige Krieg als virtueller Religionskrieg an Beispielen aus Preußen, §sterreich, Kurhannover und Großbritannien, in: Franz Brendle / Anton Schindling (Hg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Mînster 2006, S. 313 – 343; und H. Carl, Okkupation und Regionalismus … (s. Anm. 31), S. 368 – 372 mit Hinweisen auf entsprechende Parteinahmen in der Bevçlkerung. 160 G. Haug-Moritz, Corpus Evangelicorum … (s. Anm. 46), hier S. 205 ff.; deutlicher noch Dies., Wîrttembergischer Stndekonflikt und deutscher Dualismus. Ein Beitrag zur Geschichte des Reichsverbands in der Mitte des 18. Jahrhunderts (= Verçffentlichungen der Kommission fîr geschichtliche Landeskunde in Baden-Wîrttemberg, Reihe B: Forschungen, 122), Stuttgart 1992, hier etwa S. 290 f. 161 Noch ganz im Zeichen des preußisch-çsterreichischen Dualismus: Werner Hîhne, Friedrich der Große, die europischen Mchte und das Reich am Vorabend des bayrischen Erbfolgekrieges, phil. Diss. Gçttingen 1935; und Gustav Berthold Volz, Friedrich der Große und der bayrische Erbfolgekrieg, in ForschBrandPrG 44 (1932),

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resultierte, gibt der Forschung bis heute Rtsel auf.162 Nach dem Bayerischen Erbfolgekrieg waren es jedenfalls vor allem die Kurfîrsten von Sachsen und Hannover, die sich mit kleineren Reichstnden um eine reichspatriotische Politik bemîhten und immer auch eine Annherung an Brandenburg-Preußen anstrebten. Diese Politik ruhte gewiß auf den politischen Traditionen des protestantischen Deutschland seit dem Ende des Dreißigjhrigen Krieges, zeigte aber auch, daß die konfessionellen Fronten lngst nicht mehr starr waren. Zu Beginn der 1780er Jahre griff Friedrich II. diesen Faden auf und setzte sich an die Spitze der Bewegung, zu der eben auch der Kurfîrst von Mainz gehçrte. Der Fîrstenbund von 1785 kann als Instrument brandenburgisch-preußischer Politik gesehen werden. Damit wurden einerseits die politischen Verhltnisse im Heiligen Rçmischen Reich stabilisiert.163 Andererseits konnte der Kçnig im Norden des Reiches seine Klientel strker an sich binden. Zudem wurde gegen die reformorientierte Politik Kaiser Josephs II. opponiert. Wolfgang Neugebauer hat mit Verweis auf einen Forschungsbericht der Akteneditoren der 1930er Jahre darauf aufmerksam gemacht, daß sich Friedrich II. in jenen Jahren intensiv mit dem Reichsrecht befaßt habe,164 Volker Press kommt zu dem Schluß, daß der Kçnig zu dieser Zeit zumindest nicht mehr destruktiv auf das Reichsverfassungssystem wirkte, sondern eher reichskonservativ agierte – und die alte brandenburgisch-preußische Fîhrungsrolle im protestantischen Lager wieder aufgriff. Doch auch hier gilt es festzustellen, daß es intensiverer Forschung bedîrfte, um das Verhltnis zwischen Altem Reich und BrandenburgPreußen in der Regierungszeit Friedrichs II. in all seinen Facetten und Wandlungen zu erhellen. S. 264 – 301; vgl. dazu ferner Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der Kçnig und seine Zeit, Mînchen 2004, hier S. 518. 162 Die jîngste Interpretation liefert Dieter Stievermann, Der Fîrstenbund von 1785 und das Reich, in: V. Press (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung … (s. Anm. 45), S. 209 – 226; dazu aber auch knapp Ders., Reichsrechtliche und reichspolitische Rahmenbedingungen fîr die Konfessionen in der Frîhen Neuzeit, in: Rottenburger Jahrbuch fîr Kirchengeschichte 12 (1994), S. 11 – 24, hier S. 23 f. Noch immer sind auch Leopold von Ranke, Die deutschen Mchte und der Fîrstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790, Leipzig 21875, sowie Helmut Weigel, Der Reichsfîrstenbund zwischen Brandenburg-Preußen, Hannover und Sachsen vom Jahre 1785. Ein Beitrag zur Entstehung des deutschen Fîrstenbundes, Leipzig 1924, heranzuziehen. 163 Nach K. O. Frhr v. Aretin, Reich. … (s. Anm 1), S. 30, gelangte Friedrich II. in dieser Situation in die Rolle eines protestantischen Gegenkaisers. Vgl. dazu ferner Anke Waldmann, Reichspatriotismus im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in: Otto Dann / Miroslav Hroch / Johannes Koll (Hg.), Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Rçmischen Reiches (= Kçlner Beitrge zur Nationsforschung, 9), Kçln 2003, S. 19 – 61, hier S. 32 – 49 164 Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 2: Dynastie im skularen Wandel. Von 1740 bis in das 20. Jahrhundert, Stuttgart 2003, S. 46 (unter Hinweis auf Hermann Oncken, im Quellen- und Literaturverzeichnis auf S. 205).

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Das Subsystem des Alten Reiches, das Friedrich II. regierte, hat das Alte Reich gewiß noch nicht zerstçrt. Es wird auch deutlich, daß das Heilige Rçmische Reich – wenn auch phasenweise unterschiedlich – eine tatschliche Option preußischer Politik blieb. Die brandenburgisch-preußischen Territorien haben sich allerdings in der Ersten Teilung Polens weiter îber die Reichsgrenzen hinausentwickelt und damit tiefer in ostmitteleuropische Kontexte hinein bewegt. Innerhalb des Reiches, zumal in den wichtigen brandenburgisch-preußischen Einflußzonen im Nordwesten gewann es an Attraktivitt in dem Maße, wie die Strukturen und Traditionen des Alten Reiches drîckend wurden. So gab es etwa in der Reichsstadt Dortmund, die ganz von mrkischem Territorium umschlossen war, eine Partei unter den Bîrgern, die fîr eine Annherung an die preußische Herrschaft offen war und die Strukturen des Alten Reiches zu îberwinden suchte, nicht zuletzt um die infrastrukturelle und wirtschaftliche Verzahnung mit dem Umland zu optimieren und um ein drîckendes Schuldenproblem loszuwerden.165 Fîr die Verordnungsttigkeit des Stadtrates war der grçßere Nachbar auf jeden Fall vorbildlich, und nicht etwa wie vielfach in Sîddeutschland die Reichskreise. Deswegen sandte man Delegationen nach Berlin. In hnlicher Weise versuchte die Berliner Politik îber die Einflußmçglichkeiten des Niederrheinisch-Westflischen Reichskreises tatschlich Einfluß zu nehmen auf die Verfassungsentwicklung der Reichsstadt Aachen, die eigentlich als Einflußsphre zwischen den ebenfalls im Reichskreis vertretenen Wittelsbachern und dem Kaiser umstritten war.166 Traditionelle Nutzung der Optionen der Reichspolitik und das Beschreiten „neuer“ Wege zu grçßerem politischen Gewicht im Reich ergnzten sich noch.

165 Heinrich Uhlenkîken, Das Schuldenwesen der Freien Reichsstadt Dortmund im 18. Jahrhundert, in: Beitrge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 35 (1928), komplett, hier S. 26; Luise von Winterfeld, Geschichte der freien Reichsund Hansestadt Dortmund, Dortmund 21956, S. 146 f.; Thomas Schilp, Die Reichsstadt Dortmund im 18. Jahrhundert, in: Ulrike Grtner / Judith Koppetsch (Hg.), Klostersturm und Fîrstenrevolution. Staat und Kirche zwischen Rhein und Weser 1794/ 1803. Begleitbuch zur Ausstellung der Staatlichen Archive des Landes NordrheinWestfalen und des Museums fîr Kunst und Kulturgeschichte Dortmund (= Verçffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe D: Ausstellungskataloge staatlicher Archive, 31), o. O. 2003, S. 28 – 34, hier S. 30 ff. 166 August Pauls, Friedrich der Große und die Aachener Mkelei, in: ZAachenGV 48/49 (1926/27), S. 1 – 23; Horst Carl, Die Aachener Mkelei 1786 – 1792. Konfliktregelungsmechanismen im alten Reich, in: ebd. 92 (1985), S. 103 – 187.

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§ 7 Das Ende vom Alten Reich und vom Alten Preußen In der Zeit um 1800 ergnzten sich diese beiden Pole preußischer Politik nicht mehr. Freilich ist gerade fîr diese Epoche der Forschungsstand zu Preußens Stellung und Politik im Alten Reich noch am meisten defizitr. Der Forschungsstand zur Geschichte des Alten Reiches in dieser Periode erscheint ebenso suboptimal.167 Das Reich geriet jedenfalls zunehmend unter Druck, als es Krieg gegen das revolutionre Frankreich zu fîhren hatte.168 Eigentlich verhielten sich die Reichsstnde zunchst neutral, und es waren §sterreich und Preußen, die gemeinsam Krieg fîhrten, bis ihr Bîndnis 1795 zerbrach. Das Alte Reich war mit dem Reichskrieg gegen Frankreich offenbar îberfordert. Offenkundig waren beide Monarchen, sowohl der Kaiser und Erzherzog als auch der Kçnig und Kurfîrst, deren Territorialmassen als vergleichsweise gutentwickelte Subsysteme ja jeweils eine Sonderstellung innerhalb des Reichsverfassungssystems einnahmen, zunehmend bereit, im Sinne einer neuen, rational 167 Zuletzt sind eine Reihe von Titeln erschienen, die nur teilweise innovativen Charakter oder Bezug zum hier behandelten Thema besitzen; deswegen seien auch Sammelbnde hier nur pauschal zur Dokumentation des Forschungsstandes erwhnt: Hans-Christof Kraus, Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflçsung des Heiligen Rçmischen Reiches Deutscher Nation 1806 (= Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 37), Berlin 2006; Peter Claus Hartmann / Florian Schuller (Hg.), Das Heilige Rçmische Reich und sein Ende 1806. Zsur in der deutschen und europischen Geschichte, Regenburg 2006; Christine Roll / Matthias Schnettger (Hg.), Epochenjahr 1806? Das Ende des Alten Reichs in zeitgençssischen Perspektiven und Deutungen (= VerçffInstEurG, Abteilung fîr Universalgeschichte, Beiheft 76), Mainz 2008. Fîr diesen Beitrag sind die genannten Werke nur wenig einschlgig; dies gilt auch fîr die Studie, die zeigt, daß die Zeitgenossen den Untergang des Alten Reiches sehr wohl und vorwiegend mit Bestîrzung wahrnahmen: Wolfgang Burgdorf, Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806 (= Bibliothek Altes Reich, 2), Mînchen 2006; ganz hnlich: Eric-Oliver Mader, Die letzten Priester der Gerechtigkeit. Die Auseinandersetzung der letzten Generation von Richtern des Reichskammergerichts mit der Auflçsung des Heiligen Rçmischen Reichs Deutscher Nation (= Colloquia Augustana, 20), Berlin 2005, hier etwa S. 250 ff. 168 Fîr die Ereignisgeschichte bieten sich die ˜berblicke von Volker Press, Der Untergang des Heiligen Rçmischen Reiches deutscher Nation, in: Eberhard Mîller (Hg.), „… aus der Gelehrsamkeit“. Tîbinger Studien zum 18. Jahrhundert. Dietrich Geyer zum 60. Geburtstag, Tîbingen 1988, S. 81 – 97, Karl Otmar Freiherr von Aretin, Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund (= Deutsche Geschichte, 7), Gçttingen 21993, hier S. 59 – 108, Helmut Neuhaus, Das Ende des Alten Reiches, in: Helmut Altrichter / Ders. (Hg.), Das Ende von Großreichen (= Erlanger Studien zur Geschichte, 1), Erlangen/Jena 1996, S. 185 – 209, Elisabeth Fehrenbach, Vom Ancien R¤gime zum Wiener Kongress (= Oldenbourg Grundriß Geschichte, 12), Mînchen 2001, hier S. 71 – 94, K. O. Frhr. v. Aretin, Altes Reich … (s. Anm. 1), 3, S. 371 – 531, und Johannes Arndt, Das Ende des Alten Reiches, in: E. Brockhoff / M. Matthus (Hg.), Kaisermacher … (s. Anm. 40), S. 152 – 161, an.

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und machtpolitisch geprgten Politik das Alte Reich zumindest in Teilen preiszugeben. Das ist um so erstaunlicher, als daß es noch in den 1790er Jahren eindeutige Zîge von Reichspatriotismus169 gegeben hat und die Reichsverfassung nicht zuletzt auch von franzçsischen Aufklrern positiv rezipiert wurde. Das Alte Reich war auch in dieser Phase durchaus funktionsfhig, so beispielsweise bei der letzten Kaiserwahl im Jahre 1792.170 Die Wahlkapitulation, die der neue Kaiser zu unterzeichnen hatte, stand ganz in der Tradition des Alten Reiches und betonte die Schutzfunktion des Kaisers fîr das Reich und seine Stnde. Voraussetzung fîr diese Wahl war freilich die Aufgabe der Fîrstenbundpolitik (und damit die Opposition gegen den Kaiser) sowie eine Annherung zwischen Berlin und Wien nach dem Tode Kaiser Josephs II. Aber als nach dem Auseinanderbrechen der çsterreichisch-preußischen Koalition die separaten Friedensverhandlungen mit Frankreich gefîhrt wurden, opferten beide, zunchst der Berliner, dann der Wiener die linksrheinischen Territorien des Alten Reiches und akzeptierten damit das Prinzip der Entschdigung der weltlichen Reichstnde zulasten der reichskirchlichen Territorien, die skularisiert werden sollten. Der Friede von Basel zwischen Frankreich und Preußen, der zweifelsfrei einen Bruch des Reichsrechts darstellt, bedeutete einen ersten Schritt in Richtung Lun¤ville.171 Der Friede von Lun¤ville besttigte endgîltig das Prinzip der Skularisati172 on , das durch die Annahme der Empfehlungen der zur Umsetzung des Friedensvertrages bestimmten Deputation des Reichstages sogar ins Reichsverfassungsrecht einging.173 Zu bedenken ist freilich, daß mit der Skularisation 169 A. Waldmann, Reichspatriotismus … (s. Anm. 163), hier S. 49 – 60. 170 Alfred Kohler, Die Kaiserwahl von 1792: Erwartungen und Reaktionen im Reich, in: Wilhelm Brauneder (Hg.), Heiliges Rçmisches Reich und moderne Staatlichkeit (= Rechtshistorische Reihe, 112), Frankfurt am Main u. a., S. 29 – 40; Walter Ziegler, Franz II. 1792 – 1806, in: A. Schindling / W. Ziegler, Die Kaiser der Neuzeit … (s. Anm. 150), S. 289 – 306. 171 Hans Haussherr, Hardenberg und der Friede von Basel, in: HZ 184 (1957), S. 292 – 335, bringt den Friedensschluß mit der Hardenbergschen Reformpolitik in Zusammenhang. Eine ausfîhrliche Analyse liefert Willy Real, Der Friede von Basel, in: BaslerZG 50 (1951), S. 27 – 228. 172 Rudolfine Freiin von Oer, Zur Beurteilung der Skularisation von 1803, in: Festschrift fîr Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971, 1 (= Verçffentlichungen des Max-Planck-Instituts fîr Geschichte, 36), Gçttingen 1971, S. 511 – 521; Winfried Schulze, Die Skularisation als Ende des Heiligen Rçmischen Reiches Deutscher Nation, in: Peter Blickle / Rudolf Schlçgl (Hg.), Die Sakularisation im Prozeß der Skularisierung Europas (Oberschwaben – Geschichte und Kultur, 13), Epfendorf 2005, S. 339 – 348. 173 Anton Scharnagl, Zur Geschichte des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803, in: HistJb 70 (1951), S. 238 – 259; Hans Meier, Was war Skularisation und wie lief sie

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reichskirchlicher Territorien eine erste Mediatisierungswelle einherging, die auch kleinere weltliche Reichsstnde zugunsten grçßerer aus dem Reichsverfassungssystem herausnahm, nmlich die meisten Reichsstdte. Aber das Reich zeigte sich dabei flexibel genug, die gewiß von außen erzwungenen Bestimmungen des Friedensvertrages von Lun¤ville in Reichsrecht umzusetzen. Und in der Deputation des Reichstages saß ein Vertreter des brandenburgischen Kurfîrsten, der somit in dieser zentralen Phase der spten Reichsgeschichte vorhandene Gestaltungsmçglichkeiten ausnutzen konnte.174 Doch zeigt etwa auch das Vorgehen in den frnkischen Markgraftîmern, die 1792 in den Besitz des brandenburgischen Kurfîrsten und preußischen Kçnigs îbergingen, die Bereitschaft, sich zur Durchsetzung eigener politischer Ziele îber das Reichsrecht und den darin immanenten Schutz Mindermchtiger hinwegzusetzen.175 Bei den Skularisationen wurden unmittelbar preußische Interessen berîhrt; sie knîpften an die lteren Skularisationsplne aus der Zeit Kçnig Friedrich II. an.176 Teile des ehemaligen Hochstifts Mînster sowie das Hochstift Paderborn wurden – zumindest (zunchst) vorîbergehend – zu Erbfîrstentîmern des preußischen Kçnigs respektive (noch immer) Kurfîrsten von Brandenburg; dem ging eine, freilich friedlich vollzogene, militrische Besetzung voraus. Freundlich aufgenommen wurden die Preußen dort nicht. Aber nicht nur diese beiden Hochstifter der Reichskirche wurden preußisch. Die Liste ist um Hildesheim, das ehemals mainzische Eichsfeld (mit Erfurt) und die Reichsabteien Essen, Werden und Elten zu ergnzen. Allerdings waren diese Zugewinne auch Kompensationen – allerdings sehr îppige – fîr den Verlust des linksrheinischen Teils von Kleve. ab? Der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 und die Folgen, in: Essener Gesprche zum Thema Staat und Kirche 38 (2004), S. 7 – 30. 174 Hinweise darauf, daß preußische Politiker die Wirkung des Reichsdeputationshauptschlusses sehr abwgend und in ihren Folgen fîr das Reich sehr skeptisch betrachteten gibt Heinz Duchhardt, Der Freiherr vom Stein und das Ende der Adelskirche, in: Harm Klueting (Hg.), 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluß. Skularisation, Mediatisierung und Modernisierung zwischen Altem Reich und neuer Staatlichkeit. Tagung der Historischen Kommission fîr Westfalen vom 3.–5. April 2003 in Corvey, Mînster 2005, S. 333 – 337. 175 Verwiesen sei an dieser Stelle auf die ltere Studie von Fritz Hartung, Hardenberg und die preußische Verwaltung in Franken von 1792 bis 1806, phil. Diss. Berlin, Tîbingen 1906, und auf Hanns Hubert Hofmann, Die preußische øra in Franken, in: Ders., Die Entstehung des modernen souvernen Staates (= Neue wissenschaftliche Bibliothek, 17), Kçln 1967, S. 245 – 258. 176 Rudolfine Freiin von Oer, Preußen, der Reichsdeputationshauptschluß und die Erbfîrstentîmer Mînster und Paderborn, in: H. Kluetuing (Hg.), 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluß … (s. Anm. 174), S. 159 – 172, fîr das folgende besonders S. 162 ff. – Vgl. zum Folgenden auch die durchaus abwgende Studie von Hermann Busche, Die Einrichtung der preußischen Herrschaft auf dem Eichsfelde 1802 – 1806, phil. Diss. Gçttingen 1905.

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Wie eingangs betont, war das Alte Reich nach 1802/03 noch funktionsfhig, wie etwa die Gerichtspraxis bis in das Jahr 1806 hinein zeigt. Sofort wurde îbrigens aus den neu erworbenen Territorien das Reichskammergericht gegen den neuen Landesherrn bemîht. Das Heilige Rçmische Reich vernderte sich, und in diesen Vernderungsmçglichkeiten lag auch Potential fîr die preußische Politik, zumindest zur Absicherung eigener Positionen in den nçrdlichen Reichskreisen. Kurfîrstenkollegium und Reichstag verloren jedenfalls ihre strukturelle katholische Mehrheit, was auch fîr das Kaisertum der Habsburger nicht ohne Konsequenzen geblieben wre. Das Alte Reich hatte sich also unter franzçsischem Druck zu wandeln. Nach den Vernderungen des Reichsdeputationshauptschlusses, die noch Chancen fîr das Heilige Rçmische Reich beließen, war es vor allem der napoleonische Rheinbund, dessen Existenz die des Heiligen Rçmischen Reiches nachhaltig zu beenden half.177 Preußen schien zu dieser Zeit eher danach zu trachten, seinen Einfluß im Norden des Heiligen Rçmischen Reiches zu halten und auch zu mehren und zugleich seine ostmitteleuropischen Einflußzonen fîr sich zu wahren.178 Die Neutralittspolitik nach dem Frieden von Basel half dabei. Denn es darf nicht vergessen werden, daß der politische und militrische Druck durch Napoleon auch auf Preußen und §sterreich lastete; es gab aber auch Verlockungen, wie die franzçsische Idee eines Kaisertums in Norddeutschland, die in Berlin nicht aufgegriffen wurden, um nherliegende politische Ambitionen nicht zu gefhrden. 1806 schließlich wurde die Neutralitt dann doch geopfert, um gegen Frankreich Krieg zu fîhren. Dabei ging es dann nur noch um Preußen, die gemeinsame Geschichte mit dem Alten Reich war beendet. Das Ausscheiden von einer Reihe kleiner und mittelgroßer Territorien im Sîden aus dem Reichsverband ließ diesen im ganzen bereits im Jahre 1805 als Torso erscheinen; die Reformen in diesen Lndern unter dem Druck der franzçsischen Politik ließ das Verfassungssystem des Alten Reiches und seine Traditionen ebenfalls weit hinter sich zurîck. Dennoch blieb auch im Rheinbund die Vorstellung von einer Einheit der deutschen Lnder erhalten und spielte in den Diskussionen der Zeitgenossen eine gewichtige Rolle. Fîr die franzçsische Politik ging es wohl um die Schaffung einer Art verkleinerten Alten Reiches, in grçßerer Abhngigkeit zu Frankreich und ohne §sterreich und Preußen. Fîr §sterreich hatte sich Kaiser Franz II. bereits 1804 ein eigenes 177 Georg Schmidt, Der napoleonische Rheinbund – ein erneuertes Altes Reich?, in: V. Press (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung … (s. Anm. 45), S. 227 – 246, mit einer sehr weitgehenden Deutung. Vgl. dazu Volker Press, Das Ende des Alten Reiches und die deutsche Nation, in: Kleist-Jahrbuch 1993, S. 31 – 55, hier besonders S. 45 f. 178 W. Neugebauer, Hohenzollern … (s. Anm. 164), 2, S.75 f., und Ders., Geschichte … (s. Anm. 17), S. 86 f., aber auch Thomas Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III. (1797 – 1840), in: F.-L. Kroll (Hg.), Preußens Herrscher … (s. Anm. 72), S. 197 – 218, hier S. 208 f.

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Kaisertum geschaffen, mit dem er die Idee des Kaisertums des Heiligen Rçmischen Reiches schon sprengte. Er sah kommende Entwicklungen voraus und war durch die Vernderung des Kurkollegs sowie die napoleonische Kaiserkrone unter Zugzwang gesetzt.179 Mit dem Alten Reich gingen 1806 ein Rechtssystem und eine Friedensordnung unter. Das hat die deutsche Geschichte geprgt. Die strukturellen und politischen Zusammenhnge dieses Alten Reiches und Brandenburg-Preußens, die noch vertieft erforscht werden mîssen, auch hinsichtlich çkonomischer und kultureller Zusammenhnge, sind jedenfalls offensichtlich und mîssen fortan strker beachtet werden. Gewiß ist das Alte Reich auch daran untergegangen, daß es sich trotz der prinzipiellen Funktionsfhigkeit seiner Institutionen zu langsam dem gesellschaftlichem Wandel angepaßt hat, gewiß ist auf die separaten Interessen einzelner Reichsstnde zu verweisen, von denen zwei allmhlich zu sich immer mehr verdichtenden Subsystemen innerhalb des Reichssystems heranwuchsen. Zudem wre die ˜berschuldung vieler Reichsstnde als ein wichtiger Faktor anzusehen. Aber ebenso Preußen war um 1800 in einer Phase des notwendigen Wandels und tiefgreifender Umbrîche. Das Heilige Rçmische Reich war darauf angelegt, Konflikte zu dissimulieren, den Konsens aller Beteiligten in aufwendigen Verfahren zu finden und in rechtlicher Weise zu Ausgleichen zu gelangen. Sptestens nach dem Tode Friedrichs II. ließ sich Brandenburg-Preußen auf diese Verfahren nur noch bedingt ein, vielmehr galt fortan, in einer Zeit aufgeklrter Rationalitt der Gestaltungswille desjenigen, der sich politisch und militrisch behaupten konnte. Die Ausgleichsordnung des Alten Reiches war nicht rational, sie war traditional geprgt und um 1800 kollidierte sie mit der revolutionren Durchsetzungskraft eines neuen politischen Rationalismus.

179 Hierzu noch immer Heinrich Ritter von Srbik, Das §sterreichische Kaisertum und das Ende des Heiligen Rçmischen Reiches (1804 – 1806), in: ArchPolG 8 (1927), S. 133 – 171 und S. 301 – 335.

III. Berlin als brandenburgisch-preußische Residenz und Hauptstadt Preußens und des Reiches Von Wolfgang Ribbe Bibliographie Da fîr bibliographische Hinweise nur begrenzter Raum zur Verfîgung steht, muß das Literaturverzeichnis auf einige relevante Werke zur Residenz- und Hauptstadtforschung im Hinblick auf Berlin beschrnkt bleiben. Auf die Nennung von Einzelbeitrgen in Sammelwerken ist weitgehend verzichtet worden. Weitere Forschungsergebnisse sowie Quellenwerke und andere weiterfîhrende Titel enthlt der Anmerkungsapparat. Karl-Heinz Ahrens, Residenz und Herrschaft. Studien zur Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im spten Mittelalter (= Europische Hochschulschriften. Reihe III, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 427), Frankfurt am Main u. a. 1990; Peter Alter (Hg.), Im Banne der Metropolen. Berlin und London in den zwanziger Jahren (= Verçffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 29), Gçttingen/Zîrich 1993; Kurt Andermann (Hg.), Residenzen. Aspekte hauptstdtischer Zentralitt von der Frîhen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie (= Oberrheinische Studien, 10), Sigmaringen 1992; Max Arendt / Eberhard Faden / Otto-Friedrich Gandert, Geschichte der Stadt Berlin. Festschrift zur 700-Jahr-Feier der Reichshauptstadt, Berlin 1937; Willmuth Arenhçvel / Rolf Bothe (Hg.), Das Brandenburger Tor 1791 – 1991. Eine Monographie, Berlin 1991; Peter Bahl, Der Hof des Großen Kurfîrsten. Studien zur hçheren Amtstrgerschaft Brandenburg-Preußens (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 8), Kçln/Weimar/Wien 2001; David E. Barclay, Kçnig, Kçnigtum, Hof und preußische Gesellschaft in der Zeit Friedrich Wilhelms IV. (1840 – 1861), in: JbGMitteldtld 36 (1987), S. 1 – 21; Carl von Bardeleben, Festlichkeiten am Brandenburgischen Hofe zur Zeit des Kurfîrsten Joachim II. in Berlin, in: MittVGBerlin 24 (1907), S. 61 – 68; Gerd Bartoschek (Hg.), Sophie Charlotte und ihr Schloß. Ein Musenhof des Barock in Brandenburg-Preußen, Mînchen/London/New York 1999; Rosemarie Baudisch, Kultur, Gesellschaft und Politik in der Wilhelmstraße. Wahrnehmungs- und Bedeutungsgeschichte, in: Helmut Engel / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtsmeile Wilhelmstraße (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997, S. 129 – 151; Volker Bauer, Die hçfische Gesellschaft in Deutschland von der Mitte des 17. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie (= Frîhe Neuzeit, 12), Tîbingen 1993; Peter Baumgart, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701, das Reich und die europische Politik, in: Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich (= Neue Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, 7), Kçln/Wien 1967, S. 65 – 86; Peter Baumgart, Der deutsche Hof der Barockzeit als politische Institution, in: August Buck u. a. (Hg.), Europische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert … (= Wolfenbîtteler Arbeiten zur Barockforschung, 8), 1, Hannover 1981, S. 25 – 43; Bodo-

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Michael Baumunk / Gerhard Brunn (Hg.), Hauptstadt. Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte. Ausstellungskatalog, Kçln 1989; Lorenz Beck, Hofpersonal und Bîrgerschaft in der Residenzstadt Berlin-Cçlln im 15. und 16. Jahrhundert. Beziehungen und Verflechtungen, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1997, S. 7 – 32; Nicolaus Bernau, Der Ort des Souverns, in: Das Schloß? Eine Ausstellung îber die Mitte Berlins, Berlin 1993, S. 53 – 80; Johannes von Besser, Preußische Krçnungsgeschichte 1702, ND Berlin 1901; Frauke Bey-Heard, Hauptstadt und Staatsumwlzung Berlin 1919. Problematik und Scheitern der Rtebewegung in der Berliner Kommunalverwaltung, Stuttgart 1969; Eduard Bleich, Der Hof des Kçnigs Friedrich Wilhelm II. und des Kçnigs Friedrich Wilhelm III. (= Geschichte des Preußischen Hofes, 3, 1), Berlin 1914; Jochen Boberg / Tilman Fichter / Eckhart Gillen (Hg.), Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur in Berlin im 19. Jahrhundert (= Industriekultur deutscher Stdte und Regionen, Berlin 1), Mînchen 1984; Jochen Boberg / Tilman Fichter / Eckhart Gillen (Hg.), Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert (= Industriekultur deutscher Stdte und Regionen, Berlin 2), Mînchen 1986; Dagmar Bçcker / Heidelore Bçcker, Spandau [C.2.], in: Werner Paravicini (Hg.), Hçfe und Residenzen im sptmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, 2: Residenzen (= Residenzenforschung, 15.I), bearb. v. Jan Hirschbiegel und Jçrg Wettlaufer, Ostfildern 2003, S. 537 – 541; Dagmar Bçcker / Heidelore Bçcker, Tangermînde [C.2.], in: Werner Paravicini (Hg.), Hçfe und Residenzen im sptmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, 2: Residenzen (= Residenzenforschung, 15.I), bearb. v. Jan Hirschbiegel und Jçrg Wettlaufer, Ostfildern 2003, S. 575 – 579; Harald Bodenschatz, Die Planungen fîr die „Weltstadt Berlin“ in der Weimarer Republik, in: Helmut Engel / Wolfgang Ribbe (Hg.), Hauptstadt Berlin – wohin mit der Mitte? Historische, stdtebauliche und architektonische Wurzeln des Stadtzentrums (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1993, S. 143 – 159; Harald Bodenschatz, Hauptstadtplanungen aus der Perspektive der Stadt, in: Helmut Engel / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtsmeile Wilhelmstraße (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997, S. 247 – 259; Eva Bçrsch-Supan, Die Residenzlandschaft Berlin-Potsdam unter Friedrich Wilhelm III. und IV. – Schinkel, Lenn¤, Persius und Stîler, in: ForschBrandPrG NF 8 (1998), S. 165 – 202; Helmut Bçrsch-Supan, Die Kunst in Brandenburg-Preußen. Ihre Geschichte von der Renaissance bis zum Biedermeier dargestellt am Kunstbesitz der Berliner Schlçsser, Berlin 1980; Ders., Wohnungen preußischer Kçnige im 19. Jahrhundert, in: Karl Ferdinand Werner (Hg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. Deutsch-franzçsischen Historikerkolloquiums Darmstadt vom 27.–30. September 1982 (= Pariser Historische Studien, 21), Bonn 1985, S. 99 – 120; Friedrich Bohlen, Die XI. Olympischen Spiele Berlin 1936, Kçln 1979; Eberhard Bohm, Kurfîrstendamm. Entstehung und erste Entwicklung, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Von der Residenz zur City. 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 67 – 102; Friederike Bornhak, Das Palais Kaiser Wilhelms I. Unter den Linden zu Berlin. Aufzeichnungen zum Gedchtnis des Hauses …, Berlin [1900]; Dominique Bourel, Berlin und der europische Westen: Der Fall Paris-Berlin, in: Karl Ferdinand Werner (Hg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. Deutsch-franzçsischen Historikerkolloquiums Darmstadt vom 27.–30. September 1982 (= Pariser Historische Studien, 21), Bonn 1985, S. 249 – 257; Detlef Briesen, Berlin – Die îberschtzte Metropole. ˜ber das System deutscher Hauptstdte zwischen 1850 und 1940, in: Gerhard Brunn / Jîrgen Reulecke (Hg.), Metropolis Berlin. Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europischer Hauptstdte 1871 –

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1939, Bonn/Berlin 1992, S. 39 – 78; Detlef Briesen, Weltmetropole Berlin? Versuch, sich einem deutschen Mythos îber die Zeit zwischen den Weltkriegen empirisch zu nhern, in: Gerhard Brunn / Jîrgen Reulecke (Hg.), Metropolis Berlin. Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europischer Hauptstdte 1871 – 1939, Bonn/Berlin 1992, S. 151 – 186; Bernhard vom Brocke, Forschung und industrieller Fortschritt. Berlin als Wissenschaftszentrum. Akademie der Wissenschaften, Universitt, Technische Hochschule und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, in: Wolfgang Ribbe / Jîrgen Schmdeke (Hg.), Berlin im Europa der Neuzeit. Ein Tagungsbericht (= VerçffHistKommBerlin, 75), Berlin/New York 1990, S. 165 – 197; Ders., Die Kaiser-WilhelmGesellschaft im Kaiserreich. Vorgeschichte, Grîndung und Entwicklung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Rudolf Vierhaus / Bernhard vom Brocke (Hg.), Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart 1990, S. 17 – 162; Ders., Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Weimarer Republik. Ausbau zu einer gesamtdeutschen Forschungsorganisation (1918 – 1933), in: Rudolf Vierhaus/Bernhard vom Brocke (Hg.), Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart 1990, S. 197 – 355; Ders. (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, Hildesheim 1991; Rîdiger vom Bruch, Berlin, in: Laetitia Boehm / Rainer A. Mîller (Hg.), Universitten und Hochschulen in Deutschland, §sterreich und der Schweiz. Eine Universittsgeschichte in Einzeldarstellungen, Dîsseldorf 1983, S. 49 – 86; Gerhard Brunn, Die deutsche Einigungsbewegung und der Aufstieg Berlins zur deutschen Hauptstadt, in: Theodor Schieder / Gerhard Brunn (Hg.), Hauptstdte in europischen Nationalstaaten, Mînchen/Wien 1983, S. 15 – 33; Ders., Die Deutschen und ihre Hauptstadt, in: Bodo-Michael Baumunk / Gerhard Brunn (Hg.), Hauptstadt. Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte. Ausstellungskatalog, Kçln 1989, S. 19 – 24; Gerhard Brunn / Jîrgen Reulecke (Hg.), Metropolis Berlin. Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europischer Hauptstdte 1871 – 1939, Bonn/Berlin 1992; Tilmann Buddensieg / Henning Rogge, Industriekultur. Peter Behrens und die AEG 1907 – 1914, Berlin 1978; Otto Bîsch, Industrialisierung und Gewerbe im Raum Berlin/Brandenburg 1800 – 1850, Berlin 1971; Hans-Norbert Burkert / Klaus Matussek/Wolfgang Wippermann, „Machtergreifung“ Berlin 1933 (= Sttten der Geschichte Berlins, 2), Berlin 1982; Richard Burschik, Wanderungen europischer Hauptstdte, in: Zu Friedrich Ratzels Gedchtnis. Geplant als Festschrift zum 60. Geburtstag, nun als Grabspende dargebracht von Fachgenossen und Schîlern, Freunden und Verehrern, Leipzig 1904, S. 5 ff.; Walter Bussmann, Die Krçnung Wilhelms I. am 18. Oktober 1861. Eine Demonstration des Gottesgnadentums im preußischen Verfassungsstaat, in: Dieter Albrecht u. a. (Hg.), Politik und Konfession. Festschrift fîr Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, Berlin 1983, S. 189 – 212; Michael S. Cullen, Der Reichstag. Parlament – Denkmal – Symbol, Berlin 1995; Ders. / Uwe Kieling, Das Brandenburger Tor. Ein deutsches Symbol, Berlin 1999; Otto Dann, Die Hauptstadtfrage in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg, in: Theodor Schieder / Gerhard Brunn, Hauptstdte in europischen Nationalstaaten, Mînchen 1983, S. 35 – 60; Laurenz Demps, Berlin – Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht, Berlin 1994; Elke Diehl / Jîrgen Faulenbach (Red.), Hauptstadt Berlin (= Informationen zur politischen Bildung, 240), Bonn 1996; Richard Dietrich, Von der Residenzstadt zur Weltstadt. Berlin vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgrîndung, in: Das Hauptstadtproblem in der Geschichte. Festgabe zum 90. Geburtstag Friedrich Meineckes. Gewidmet vom Friedrich-Meinecke-

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Wolfgang Ribbe

Institut der Freien Universitt Berlin (= JbGeDtOsten, 1), Tîbingen 1952, S. 111 – 139; Heinz Durchhardt, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701. Ein europisches Modell?, in: Ders. (Hg.), Herrscherweihe und Kçnigskrçnung im frîhneuzeitlichen Europa, Wiesbaden 1983, S. 82 – 95; Ders., Anspruch und Architektur. Das Beispiel Berlin, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 31 – 52; Thilo Eggeling, Kçnigsschlçsser, Museumsschlçsser, Entstehung, Geschichte und Konzeption der Preussischen Schlçsserverwaltung, Berlin 1991; Evamaria Engel u. a. (Hg.), Stdtebuch Brandenburg und Berlin (= Deutsches Stdtebuch. Handbuch stdtischer Geschichte. Neubearbeitung, 2), Stuttgart/Berlin/Kçln 2000, darin Helmut Assing, Potsdam, S. 400 – 414 und Harald Engler / Felix Escher, Berlin, S. 579 – 607; Evamaria Engel / Karen Lambrecht / Hanna Nogossek (Hg.), Metropolen im Wandel. Zentralitt in Ostmitteleuropa an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des çstlichen Mitteleuropas), Berlin 1995; Helmut Engel, Schauplatz Staatsmitte. Schloß und Schloßbezirk in Berlin, Berlin 1998; Ders. (Red.), Die Gruft der Hohenzollern im Berliner Dom, Berlin 2005; Ders. / Wolfgang Ribbe (Hg.), Hauptstadt Berlin – Wohin mit der Mitte ? Historische, stdtebauliche und architektonische Wurzeln des Stadtzentrums (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1993; Ders. / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtsmeile Wilhelmstraße (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997; Ders. / Wolfgang Ribbe (Hg.), Via triumphalis. Geschichtslandschaft „Unter den Linden“ zwischen Friedrich-Denkmal und Schloßbrîcke (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997; Ders. / Jçrg Haspel / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtswerkstatt Spree-Insel. Historische Topographie – Stadtarchologie – Stadtentwicklung (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Potsdam 1998; Michael Engel, Geschichte Dahlems, Berlin 1984; Christian Engeli, Landesplanung in Berlin-Brandenburg. Zur Geschichte des Landesplanungsverbandes Brandenburg Mitte 1929 – 1936, Stuttgart 1986; Harald Engler, Die Finanzierung der Reichshauptstadt. Untersuchungen zu den hauptstadtbedingten staatlichen Ausgaben Preußens und des Deutschen Reiches in Berlin vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich 1871 – 1945 (= VerçffHistKommBerlin, 105), Berlin/New York 2004; Felix Escher, Berlin und sein Umland. Zur Genese der Berliner Stadtlandschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 47), Berlin 1985; Hans-Jîrgen Ewers / John B. Goddard / Horst Matzerath (Hg.), The Future of the Metropolis. Berlin, London, Paris, New York. Economic Aspects, Berlin/New York 1986; Vom Exerzierplatz zum Regierungsviertel. Ausstellungskatalog, Berlin 1992; Eberhard Faden, Berlin Hauptstadt – Seit wann und wodurch?, in: JbBrandenbLdG 1 (1950), S. 17 – 34; Hans-Joachim Fey, Reise und Herrschaft der Markgrafen von Brandenburg (1134 – 1319) (= Mitteldeutsche Forschungen, 84), Kçln/Wien 1981; Friedhelm Fischer / Harald Bodenschatz, Hauptstadt Berlin. Zur Geschichte der Regierungsstandorte, hg. v. d. Senatsverwaltung fîr Bau- und Wohnungswesen (= Stdtebau und Architektur, Ber. 12), Berlin 1992; Klaus Funk / Wilhelm Janssen (Hg.), Territorium und Residenz am Niederrhein (= Klever Archiv, 14), Kleve 1993; Johann Christian Gdicke, Lexicon von Berlin und der umliegenden Gegend. Enthaltend alles Merkwîrdige und Wissenswerthe von dieser Kçnigsstadt und deren Gegend. Ein Handbuch fîr Einheimische und Fremde, Berlin 1806; Thomas W. Gaehtgens, Die Berliner Museumsinsel im Deutschen Kaiserreich. Zur Kulturpolitik der Museen in der wilhelminischen Epoche, Mînchen 1992; Lothar Gall, Berlin als Zentrum des deutschen Nationalstaats, in: Wolfgang Ribbe / Jîrgen Schmdeke (Hg.), Berlin im Europa der Neuzeit. Ein Tagungsbericht (= VerçffHistKommBerlin, 75), Berlin/New

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York 1990, S. 229 – 238; Albert Geyer, Geschichte des Schlosses zu Berlin, 1: Die kurfîrstliche Zeit bis zum Jahre 1698, Berlin 1936, ND, mit einer Einfîhrung von J. Tulier, Berlin o. J.; 2: Vom Kçnigsschloß zum Schloß des Kaisers (1698 – 1918), bearb. v. S.-G. Grçschel, aus dem Nachlaß herausgegeben, mit einer Einfîhrung von J. Tulier, Der Text, Berlin 21993; Die Bilder, Berlin 21993; Horst Geyer, Olympische Spiele 1896 – 1996. Ein deutsches Politikum, Mînster 1996; Wilhelm G. Grewe, Preußen, Brandenburg, Berlin im Lichte der vollzogenen Wiedervereinigung, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 15 – 32; Iselin Gundermann, Alte Hauptstadt Berlin. Ausstellungskatalog Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1993; Iselin Gundermann (Hg.), Via Regia. Preußens Weg zur Krone. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz 1998, Berlin 1998; Wilhelm Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg. Im Auftrage des Magistrats bearbeitet, 2 Bde., Berlin 1905; Rîdiger Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997; Peter-Michael Hahn, Die Hofhaltung der Hohenzollern. Der Kampf um Anerkennung, in: Patrick Bahners / Gerd Roellecke (Hg.), Preußische Stile. Ein Staat als Kunststîck, Stuttgart 2002, S. 73 – 89; Ders., Geschichte Potsdams. Von den Anfngen bis zur Gegenwart, Mînchen 2003; Ders. u. a. (Hg.), Potsdam. Mrkische Kleinstadt – Europische Residenz (= Potsdamer Historische Studien, 1), Berlin 1995; Peter Hall, The World Cities, London 1966; Thomas Hall, Planung europischer Hauptstdte. Zur Entwicklung des Stdtebaus im 19. Jahrhundert, Stockholm 1986; Olaf Hampe, Die Entstehung des „Gesetzes îber die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“, in: [Ingo Materna / Wolfgang Ribbe (Hg.)], Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert. Die 1920 nach Berlin eingemeindeten Stdte: Wirkungen und Entwicklungen whrend der Weimarer Republik (= Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universitt zu Berlin. Reihe Geistes- und Sozialwissenschaften 41 [1992] 6), S. 7 – 16; Martin Hass, Bemerkungen îber die Hofordnung Joachims II., in: ForschBrandPrG 19 (1906), S. 223 – 226; Das Hauptstadtproblem in der Geschichte. Festgabe zum 90. Geburtstag Friedrich Meineckes. Gewidmet von Friedrich-Meinecke-Institut an der Freien Universitt Berlin (= Jahrbuch fîr die Geschichte des deutschen Ostens, 1), Tîbingen 1952, darin fîr das Mittelalter bes. die Beitrge von Wilhelm Berges, Das Reich ohne Hauptstadt (S. 1 – 29), und Johannes Schultze, Caput Marchionatus Brandenburgensis. Brandenburg und Berlin (S. 65 – 84), sowie fîr die nachfolgenden Epochen die Beitrge von Carl Hinrichs, Richard Dietrich, Hans Herzfeld, Georg Kotowski, aber auch die zeitîbergreifende stdtebauliche Studie von Edwin Redslob; Hans Hecker / Silke Spieler (Hg.), Berlin – Die Hauptstadt und der Osten. Neue Beitrge zur Geschichte einer schwierigen Aufgabe, Bonn 1986; Hermann Heckmann (Hg.), Berlin, Potsdam. Kunstlandschaft, Landeskultur, Bewahrung der Umwelt. Symposium in Potsdam vom 22.–24. Oktober 1993 (= Aus Deutschlands Mitte, 28), hg. im Auftrag der Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat Bonn, Weimar u. a. 1994; Bernd Heidenreich (Hg.), Deutsche Hauptstdte. Von Frankfurt nach Berlin, Wiesbaden 1998; Hermann Heimpel, Hauptstdte Großdeutschlands, in: Ders., Deutsches Mittelalter, Leipzig 1941, S. 144 – 159; Kurt Heinig, Hohenzollern. Wilhelm II. und sein Haus. Der Kampf um den Kronbesitz, Berlin 1921; Gerd Heinrich, Festung, Flîchtlingsstadt und Fîrstenresidenz. Zur Entwicklung und Raumfunktion brandenburgisch-preußischer Neustdte 1660 – 1786, in: Abhandlungen aus der Pdagogischen Hochschule Berlin 1 (1974), S. 137 – 177; Ders., Hauptstadtraum und Militrstaat. Grundzîge der Entwicklung der Militrlokation in der Berliner Zentrallandschaft seit der Roonschen Heeresreform, in: Hanns Hubert Hofmann (Hg.), Stadt und militrische Anlagen. Historische und raumplanerische Aspekte (= Verçffentlichungen der Akademie fîr

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Wolfgang Ribbe

Raumforschung und Landesplanung. Forchungs- und Sitzungsberichte, 114), Hannover 1977, S. 237 – 249; Ders., Berlin am 18. und 19. Mrz 1848. Mrzrevolution, Militraufgebot und Barrikadenkmpfe (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin. Nachtrge, 6), Berlin/New York 1980; Ders., Europische Ausblicke. Kurfîrst Friedrich Wilhelm und die Berlin-Potsdamer Residenzlandschaft um 1688, in: Ders. (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten von Brandenburg (= ZHF, Beiheft 8), Berlin 1990, S. 75 – 98; Eckart Henning (Hg.), Beitrge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems (= Verçffentlichungen aus dem Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, 13), Berlin 2000; Harald Heppner (Hg.), Hauptstdte in Sîdosteuropa. Geschichte, Funktion, nationale Symbolkraft, Kçln/Wien/Weimar 1994; Hans Herzfeld / Gerd Heinrich (Hg.), Berlin und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert (= VerçffHistKommBerlin, 25), Berlin 1968; George Hesekiel, Preußisches Krçnungsbuch 1701 und 1861, Berlin 1863; Hans Hochholzer, Millionenstdte, Weltstdte, Metropolen, in: Zeitschrift fîr Wirtschaftsgeographie, angewandte und Sozialgeographie 20 (1976), S. 33 ff.; Wolfgang Hçpker, Metropolen der Welt. Wirkliche und heimliche Hauptstdte, Stuttgart/ Bonn 1986; Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in BrandenburgPreußen (= Beitrge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte, 1, 2, 5, 6), 4 Bde., Berlin 1890 – 1904; Friedrich Holtze, Das Amt Mîhlenhof bis 1600, in: SchrrVGBerlin 30 (1893), S. 19 – 39; Rîdiger Hoth, Die Gruft der Hohenzollern im Dom zu Berlin, Berlin 1992; Erich Hubala, Das Berliner Schloß und Andreas Schlîter, in: Gedenkschrift Ernst Gall, Berlin 1965, S. 311 – 344; Isabel V. Hull, The Entourage of Kaiser Wilhelm II. 1888 – 1918, Cambridge u. a. 1982; Dies., Der Kaiserliche Hof als Herrschaftsinstrument, in: Hans Wilderotter / Klaus-D. Pohl (Hg.), Der letzte Kaiser Wilhelm II. im Exil, Gîtersloh/Mînchen 1991, S. 19 – 30; Friedrich Jeschonnik / Dieter Riedel / William Durie, Alliierte in Berlin 1945 – 1994. Ein Handbuch zur Geschichte der militrischen Prsenz der Westmchte, Berlin 2002; Peter Johanek (Hg.), Vortrge und Forschungen zur Residenzfrage (= Residenzforschung, 1), Sigmaringen 1990; Ernst Kaeber, Beitrge zur Berliner Geschichte. Ausgewhlte Aufstze (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 14). Mit einem Vorwort von Johannes Schultze, bearb. und mit einer biographischen Darstellung versehen v. Werner Vogel, Berlin 1964; Heinz Kathe, Preußen zwischen Mars und Musen. Eine Kulturgeschichte von 1100 bis 1920, Mînchen-Berlin 1995; Gerhard Keiderling, Der Umgang mit der Hauptstadt. Berlin 1945 bis 2000, Berlin 2004; Bernhard Kirchgssner / Hans-Peter Brecht (Hg.), Residenzen des Rechts (= Stadt in der Geschichte, 19), Sigmaringen 1993; Karl-Heinz Klingenberg, Der Berliner Dom. Bauten, Ideen und Projekte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1987; Walther Koch, Hof und Regierungsverfassung Kçnig Friedrichs I. von Preußen (1697 – 1710) (= UntersdtStaatsRG, 136), Breslau 1926, ND Aalen 1991; [Anton Balthasar Kçnig], Versuch einer historischen Schilderung der Hauptvernderungen, der Religion, Sitten, Gewohnheiten, Kînste, Wissenschaften in der Residenzstadt Berlin seit den ltesten Zeiten bis zum Jahre 1786, 5, 2, Berlin 1799, ND Berlin 1991; Hans-Michael Kçrner / Katharina Weigand (Hg.), Hauptstadt. Historische Perspektiven eines deutschen Themas, Mînchen 1995; Julius Kohte, Das Hohe Haus in Berlin. Ein Beitrag zur Baugeschichte Berlins im Mittelalter, in: ForschBrandPrG 48 (1936), S. 146 – 163; Erich Konter, Das Berliner Schloß im Zeitalter des Absolutismus. Architektursoziologie eines Herrschaftsortes (= Arbeitshefte des Instituts fîr Stadt- und Regionalplanung. Technische Universitt zu Berlin, Sonderheft 3), Berlin 1991; Reinhold Koser, Vom Berliner Hofe um 1750, in: HohenzJb 7 (1903), S. 1 – 37; Detlef Kotsch, Potsdam. Die

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preußische Garnisonstadt, Braunschweig 1992; Bogdan Krieger, Das Berliner Schloß in den Revolutionstagen 1918. Erinnerungen und Eindrîcke, Leipzig 1922; Ders., Berlin im Wandel der Zeit. Eine Wanderung vom Schloß nach Charlottenburg, Berlin 1929; Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militrgeschichte. Im Auftrag des Militrgeschichtlichen Forschungsamts herausgegeben, Frankfurt am Main/Berlin 1993, darin Wolfgang Neugebauer, Potsdam – Berlin. Zur Behçrdentopographie des preußischen Absolutismus, S. 273 – 296, Klaus-Jîrgen Mîller, Der Tag von Potsdam, S. 435 – 449, Kurt Finker, Das Potsdamer Infanterieregiment 9 und der konservative militrische Widerstand, S. 451 – 464, Heiger Ostertag, Cecilienhof. Die Konferenz von Potsdam 1945 und ihre Ergebnisse aus heutiger Sicht, S. 501 – 521; Johannes Kunisch, Hofkultur und hçfische Gesellschaft in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus, in: August Buck u. a. (Hg.), Europische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert … (= Wolfenbîtteler Arbeiten zur Barockforschung, 8), Hannover 1981, 3, S. 735 – 744; Gerhard Kutzsch, Der Staat und die Stadt Berlin. Skizzierung ihres Verhltnisses zueinander im 19. Jahrhundert, in: Der Br von Berlin 17 (1968), S. 7 – 21; Heinz Ladendorf, Der Bildhauer und Baumeister Andreas Schlîter. Beitrge zu seiner Biographie und zur Berliner Kunstgeschichte seiner Zeit (= Forschungen zur Kunstgeschichte, 2), Berlin 1935; Hubert Laitko (Hg.), Wissenschaft in Berlin. Von den Anfngen bis zum Neubeginn nach 1945, Berlin 1987; Agathe Lasch, Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Dortmund 1910; Hannelore Lehmann, Potsdam – Versailles. Zum Problem der hauptstadtnahen Residenzstadt, in: HistorikerGesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik. Wissenschaftliche Mitteilungen (1988), 2/3, S. 17 – 26; Peter Lemburg u. a., Hauptstadtplanung und Denkmalpflege. Die Standorte fîr Parlament und Regierung in Berlin, hg. v. d. Senatsverwaltung fîr Stadtentwicklung und Umweltschutz (= Beitrge zur Denkmalpflege in Berlin, 3), Berlin 1995; Max Lenz, Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universitt zu Berlin, 1 – 4, Halle an der Saale 1910 – 1918; Hans Leussink / Eduard Neumann / Georg Kotowski (Hg.), Studium Berolinense. Aufstze und Beitrge zu Problemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universitt zu Berlin (= Gedenkschrift der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Freien Universitt Berlin zur 150. Wiederkehr des Grîndungsjahres der Friedrich-Wilhelms-Universitt zu Berlin, 2), Berlin 1960; Hsi-Huey Liang, Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik (= VerçffHistKommBerlin, 47). Aus dem Amerikanischen îbersetzt von Brigitte und Wolfgang Behn, Berlin/New York 1977; Rudolf Lill, Hauptstadtprobleme im modernen Italien, in: Theodor Schieder / Gerhard Brunn (Hg.), Hauptstdte in europischen Nationalstaaten, Mînchen/Wien 1983, S. 71 – 86; Hellmut Lorenz, Tradition oder „Moderne“? ˜berlegungen zur barocken Residenzlandschaft BerlinBrandenburg, in: ForschBrandPrG NF 8 (1998), S. 1 – 23; Ekkehard Mai / Stephan Waetzold (Hg.), Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich (= Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich, 1), Berlin 1981; Klaus Malettke / Chantal Grell / Petra Holz (Hg.), Hofgesellschaft und Hçflinge an europischen Fîrstenhçfen in der Frîhen Neuzeit (15.–18. Jh.) (= Forschungen zur Geschichte der Neuzeit. Marburger Beitrge, 1), Mînster 2001; Ingo Materna (Hg.), Geschichte Berlins von den Anfngen bis 1945, Berlin 1987; Ders. / Wolfgang Ribbe (Hg.), Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995; Peter de Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mchte in der Geschichte der deutschen Presse, Berlin 1959; Ilja Mieck / Horst Mçller / Jîrgen Voss (Hg.), Paris und Berlin in der Revolution 1848. Gemeinsames Kolloquium der Stadt Paris, der Historischen Kommission zu Berlin und des Deutschen Historischen Instituts (Paris, 23.–25. 11. 1992), Sigmaringen

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Wolfgang Ribbe

1995; Karl Mçckl (Hg.), Hof und Gesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Bîdinger Forschungen der Sozialgeschichte 1986 (= Deutsche Fîhrungsschichten in der Neuzeit, 18), Boppard am Rhein 1990; Horst Mçller, Aufklrung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 15), Berlin 1974; Michael Mçnninger (Hg.), Das neue Berlin. Baugeschichte und Stadtplanung der deutschen Hauptstadt, Frankfurt am Main/Leipzig 1991; Peter Moraw, Das Hauptstadtproblem in der deutschen Geschichte, in: Damals 24 (1992), S. 246 – 271; Rainer A. Mîller, Der Fîrstenhof in der frîhen Neuzeit (= Enzyklopdie deutscher Geschichte, 33), Mînchen 1995; Eckhard Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz in Berlin und Kçlln 1280 – 1486. Markgrafenhof, Herrschaftsschwerpunkt, Residenzstadt, in: ZGWiss 36 (1988), S. 139 – 154; Klaus Neitmann, Was ist eine Residenz? Methodische ˜berlegungen zur Erforschung der sptmittelalterlichen Residenzenbildung, in: Peter Johanek (Hg.), Vortrge und Forschungen zur Residenzenfrage (= Residenzenforschung, 1), Sigmaringen 1990, S. 11 – 45; Wolfgang Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam. Eine verfassungsgeschichtliche Studie zur fîrstlichen Zentralsphre in der Zeit des Absolutismus, in: Ders. (Hg.), Potsdam – Brandenburg – Preußen. Beitrge der Landesgeschichtlichen Vereinigung zur Tausendjahrfeier der Stadt Potsdam (= Jahrbuch fîr brandenburgische Landesgeschichte, 44), Berlin 1993, S. 69 – 115; Ders., Das Kaiser-Wilhelm-Institut fîr Deutsche Geschichte im Zeitalter der Weltkriege, in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 60 – 97; Ders., Potsdam – Berlin. Zur Behçrdentopographie des preußischen Absolutismus, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militrgeschichte. Im Auftrage des Militrgeschichtlichen Forschungsamtes unter Mitarbeit von Heiger Ostertag, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 272 – 296; Ders., Staatsverwaltung, Manufaktur und Garnison. Die polyfunktionale Residenzlandschaft von Berlin-Potsdam-Wusterhausen zur Zeit Friedrich Wilhelms I., in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 233 – 257; Ders., Residenz – Verwaltung – Reprsentation. Das Berliner Schloß und seine historischen Funktionen vom 15. bis 20. Jahrhundert (= Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, 1), Potsdam 1999; Ders., Hof und politisches System in Brandenburg-Preußen, in: JbGMitteldtld 46 (2001), S. 139 – 169; Ders., Kabinett und §ffentlichkeit. Der Fall Potsdam – Berlin, in: Iwan D’Aprile u. a. (Hg.), Tableau de Berlin (1786 – 1815) (= Beitrge zur Berliner Klassik, 10), Hannover/Laatzen 2005, S. 19 – 33; Friedrich Nicolai, Beschreibung der kçniglichen Residenzstdte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwîrdigkeiten und der umliegenden Gegend, 1 – 3, Berlin 1786, ND: Berlin 1980; Thomas Nipperdey, Die Organisation der Wissenschaften im Wilhelminischen Berlin und ihre Beziehungen zur Wirtschaft, in: Berlin und seine Wirtschaft. Ein Weg aus der Geschichte in die Zukunft. Lehren und Erkenntnisse, hg. v. d. Industrie- und Handelskammer zu Berlin, Berlin/New York 1987, S. 113 – 133; Onder den Oranje boom. Niederlndische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fîrstenhçfen. Katalogband, Mînchen 1999; Manfred A. Pahlmann, Anfnge des stdtischen Parlamentarismus in Deutschland. Die Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung unter der Preußischen Stdteordnung von 1808 (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997; Werner Paravicini (Hg.), Hçfe und Residenzen im sptmittelalterlichen Reich. Ein dynastischtopographisches Handbuch, 2: Residenzen (= Residenzenforschung, 15.I), bearb. v. Jan Hirschbiegel und Jçrg Wettlaufer, Ostfildern 2003; Hans Patze / Werner Paravicini (Hg.), Fîrstliche Residenzen im sptmittelalterlichen Europa (= Vortrge und Forschungen, 36), Sigmaringen 1991; Eugen Paunel, Die Staatsbibliothek zu

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Entwicklung als außeruniversitre Forschungsanstalten und Beratungsorgane der politischen Instanzen (= BAM-Berichte Nr. 23 der Bundesanstalt fîr Materialprîfung), Berlin 1973; Pierre Paul Sagave, 1871. Berlin, Paris. Reichshauptstadt und Hauptstadt der Welt, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1971; Friedrich Sass, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung, Berlin 1846, neu hg. v. Detlef Heikamp, Berlin 1983; Wolfgang Schche, Architektur und Stdtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945. Planen und Bauen unter der øgide der Stadtverwaltung (= Bauwerke und Kunstdenkmler von Berlin, 17), Berlin 21992; Ders., Der „Zentralflughafen Tempelhof“ in Berlin, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1996, S. 151 – 164; Ders. / Norbert Szymanski, Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht, Berlin 2001; Erika Schachinger, Die Berliner Vorstadt Friedrichswerder 1658 – 1708 (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 4), Kçln/Weimar/Wien 1993; Dies., Die Dorotheenstadt 1673 – 1708 (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 9), Kçln/Weimar/Wien 2001; Winfried Schich, Anfnge und Ausbau zweier „Hauptstdte“ der mittelalterlichen Mark Brandenburg: Brandenburg und Berlin, zuletzt in: Ders., Wirtschaft und Kulturlandschaft. Gesammelte Beitrge 1977 bis 1999 zur Geschichte der Zisterzienser und der „Germania Slavica“, bearb. und hg. v. Ralf Gebuhr und Peter Neumeister, Berlin 2006, S. 327 – 342; Theodor Schieder, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701 in der politischen Ideengeschichte, in: Ders., Begegnungen mit der Geschichte, Gçttingen 1965, S. 183 – 209; Ders. / Gerhard Brunn (Hg.), Hauptstdte in europischen Nationalstaaten, Mînchen/Wien 1983; Joachim Schildt / Hartmut Schmidt, Berlinisch. Geschichtliche Einfîhrung in die Sprache einer Stadt, Berlin 21992; Alfred Schinz, Berlin. Stadtschicksal und Stdtebau, Braunschweig 1964; Sigurd H. Schmidt, Groß-Berlin entsteht, in: Sigurd H. Schmidt u. a., Vor 75 Jahren. Groß-Berlin entsteht. Ausstellungskatalog Landesarchiv Berlin 1995, Berlin 1995, S. 9 – 84; Heinrich Schnee, Die Hoffinanz und der moderne Staat. Geschichte und System der Hoffaktoren an deutschen Fîrstenhçfen im Zeitalter des Absolutismus. Nach archivalischen Quellen, 1: Die Institution des Hoffaktorentums in Brandenburg-Preußen, Berlin 1953; Wolfgang Schneider / Wolfgang Gottschalk, Berlin. Eine Verwaltungsgeschichte in Bildern und Dokumenten, Leipzig/Weimar 1980; Angela Schçnberger, Die Neue Reichskanzlei von Albert Speer. Zum Zusammenhang von nationalsozialistischer Ideologie und Architektur, Berlin 1981; Kurt Schrader, Die Verwaltung Berlins von der Residenzstadt des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm bis zur Reichshauptstadt, phil. Diss. Berlin 1963 (Masch.); Helga Schultz, Berlin 1650 – 1800. Sozialgeschichte einer Residenz. Mit einem Beitrag von Jîrgen Wilke, Berlin 1987; Uwe Schultz (Hg.), Die Hauptstdte der Deutschen. Von der Kaiserpfalz in Aachen zum Regierungssitz Berlin, Mînchen 1993; Berthold Schulze, 200 Jahre staatlicher Verwaltungsbezirk Berlin, in: JbBrandenbLdG 3 (1952), S. 1 – 8; Ulrich Schîren, Der Volksentscheid zur Fîrstenenteignung 1926. Die Vermçgensauseinandersetzung mit den depossedierten Landesherren als Problem der deutschen Innenpolitik unter besonderer Berîcksichtigung der Verhltnisse in Preußen (= Beitrge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 64), Dîsseldorf 1978; Claudia Sedlarz, Die Hierodulen des Eros Uranios. Hirts Inszenierungen von Hoffesten, in: Dies. (Hg.), Aloys Hirt. Archologe, Historiker, Kunstkenner (= Berliner Klassik, 1), Hannover/Laatzen 2004, S. 191 – 216; Paul Seidel, Ein Gang durch die neue Kaiserliche Wohnung im Berliner Schlosse, in: PreußJbb 63 (1889), S. 377 – 391; Ders., Die Insignien und Juwelen der preußischen Krone, in: HohenzJb 17 (1913), S. 5 – 69; Hellmut Seier, Berlin und die deutsche Nation. Die Hauptstadt und ihr Modernisierungspotential im Bewußtsein der

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Deutschen, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1989, S. 33 – 52; Reinhard Seyboth, Hohenzollern, brandenburgische Linie, in: Werner Paravicini (Hg.), Hçfe und Residenzen im sptmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, 2: Residenzen (= Residenzenforschung, 15.I), bearb. v. Jan Hirschbiegel und Jçrg Wettlaufer, Ostfildern 2003, S. 117 – 122; Hans Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung in der Mark Brandenburg im Mittelalter (= VerçffVGBrandenb), Leipzig 1908; Uwe Steiner, Triumphale Trauer. Die Trauerfeierlichkeiten aus Anlaß des Todes der ersten preußischen Kçnigin in Berlin im Jahre 1705, in: ForschBrandPrG NF 11 (2001), S. 23 – 52; Adolf Stçlzel, Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, 1: Der Brandenburger Schçppenstuhl, Berlin 1901; Christoph Stçlzl (Hg.), Die Neue Wache unter den Linden. Ein deutsches Denkmal im Wandel der Geschichte, Berlin 1993; Barbara StollbergRilinger, Hçfische §ffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europischen Publikum, in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 145 – 176; Karl Streckfuss, Der Preußen Huldigungsfest. Nach amtlichen und andern sichern Nachrichten und eigener Anschauung … zusammengestellt, Berlin 1840; Ralf Stremmel, Modell und Moloch. Berlin in der Wahrnehmung deutscher Politiker vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, Bonn 1992; Michael Stîrmer, Berlin als Hauptstadt des Reiches, Industriemetropole und Finanzplatz, in: Berlin und seine Wirtschaft. Ein Weg aus der Geschichte in die Zukunft – Lehren und Erkenntnisse, hg. v. der Industrie- und Handelskammer zu Berlin, Berlin/ New York 1987, S. 79 – 94; Ders., „Wir fîrchten uns vor einer Hauptstadt“. Das Hauptstadtproblem in der deutschen Geschichte, in: Kurt Andermann (Hg.), Residenzen. Aspekte hauptstdtischer Zentralitt von der Frîhen Neuzeit bis zum Ende der Monarchie (= Oberrheinische Studien, 10), Sigmaringen 1992, S. 11 – 23; Werner Sîss (Hg.), Hauptstadt Berlin, 1 – 3, 1: Nationale Hauptstadt. Europische Metropole, 2: Berlin im vereinten Deutschland, 3: Metropole im Umbruch, Berlin 1994 – 1996; Ders. / Ralf Rytlewski (Hg.), Berlin. Die Hauptstadt. Vergangenheit und Zukunft einer europischen Metropole, Berlin 1999; Johann Peter Sîssmilch, Die kçnigliche Residenz Berlin und die Mark Brandenburg im 18. Jahrhundert. Schriften und Briefe, hg. v. Jîrgen Wilke, Berlin 1994; Anthony Sutcliffe (Hg.), Metropolis 1890 – 1940, Oxford 1984; Hans Jîrgen Teuteberg (Hg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert. Historische und geographische Aspekte (= Verçffentlichungen des Instituts fîr vergleichende Stdtegeschichtsforschung in Mînster, Reihe A, 16), Kçln/Wien 1983; Johannes Tuchel / Reinhold Schattenfroh, Zentrale des Terrors. Prinz-AlbrechtStraße 8. Das Hauptquartier der Gestapo, Berlin 31987; Dietrich Tutzke, Charit¤ 1710 – 1985, Berlin 1985; Carl E. Vehse, Illustrierte Geschichte des preußischen Hofes, des Adels und der Diplomatie vom Großen Kurfîrsten bis zum Tode Kaiser Wilhelms I. Fortgesetzt von Vehse redivivus, 2 Bde., Stuttgart 1901; Fried[rich] Wadzek / Wilhelm Wippel, Geschichte der Erbhuldigungen der Preußisch-Brandenburgischen Regenten aus dem Hohenzollernschen Hause, 1 und 2, Berlin 1798; Volker Wagner, Die Dorotheenstadt im 19. Jahrhundert. Vom vorstdtischen Wohnviertel barocker Prgung zu einem Teil der modernen Berliner City (= VerçffHistKommBerlin, 94), Berlin/New York 1998; Hans Weber, Bankplatz Berlin, Kçln/ Opladen 1957; Sigfrid von Weiher, Berlins Weg zur Elektropolis. Ein Beitrag zur Technik- und Industriegeschichte an der Spree, Gçttingen/Zîrich 1987; Wilhelm Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit einer Universitt. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universitt zu Berlin, Berlin 1960; Die verhinderte Weltausstellung. Beitrge zur Berliner Gewerbeausstellung 1896, Berlin 1996; Alfred Wendehorst / Jîrgen Schneider (Hg.), Hauptstdte. Entstehung, Struktur und Funktion

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(= Schriften des Zentralinstituts fîr frnkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universitt Erlangen-Nîrnberg, 18), Neustadt an der Aisch 1979; Gînter Wendel, Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1911 – 1914. Zur Anatomie einer imperialistischen Forschungsgesellschaft (= Studien zur Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, 4), Berlin 1975; Karl Ferdinand Werner (Hg.), Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. Deutsch-franzçsischen Historikerkolloquiums Darmstadt vom 27.–30. September 1982 (= Pariser Historische Studien, 21), Bonn 1985; Udo Wetzlaugk, Die Alliierten in Berlin, Berlin 1988; Liselotte Wiesinger, Das Berliner Schloß. Von der kurfîrstlichen Residenz zum Kçnigsschloß, Darmstadt 1989; Hans Wilderotter, Alltag der Macht. Berlin Wilhelmstraße, Berlin 1998; Ders., Das Haus am Werderschen Markt. Von der Reichsbank zum Auswrtigen Amt, Berlin 2000; Ders., Das Haus der Abgeordneten. Ein Denkmal preußischer und deutscher Geschichte in der Mitte Berlins, Berlin 2001; Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert 1780 – 1914 (= VerçffHistKommBerlin, 73), Berlin/New York 1989; Paul Wille, Die Geschichte der Berliner Hospitler und Krankenhuser von der Grîndung Berlins bis zum Jahre 1800, Charlottenburg 1930; Klaus-Rainer Woche, Vom Wecken bis zum Zapfenstreich. Die Geschichte der Garnison Berlin, Potsdam 21998; Adolf Wolff, Berliner Revolutionschronik. Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848 nach politischen, socialen und literarischen Beziehungen, 3 Bde., Berlin 1851 – 1854; Rudolf Wolters, Stadtmitte Berlin. Stadtbauliche Entwicklungsphasen von den Anfngen bis zur Gegenwart, Tîbingen 1978; Alfred Zimm, Die Entwicklung des Industriestandortes Berlin. Tendenzen der geographischen Lokalisation bei den Berliner Industriezweigen von îberçrtlicher Bedeutung sowie die territoriale Stadtentwicklung bis 1945, Berlin 1959; Martin Zippel, Untersuchungen zur Militrgeschichte der Reichshauptstadt Berlin von 1871 bis 1945, Mînster 1982.

§ 1 Vorbemerkung Nachdem der brandenburgische Kurfîrst Friedrich III. 1701 erfolgreich nach der preußischen Kçnigskrone gegriffen hatte, ist der ranghçhere Teil der nun in einem Staatsgebilde vereinigten beiden Territorien „zur nominellen Klammer des Gesamtstaates, eben derjenige Preußens“1 geworden. In der Hauptstadtfrage ist aber, wohl nicht zuletzt aus geopolitischen Grînden, vor allem aber aus der historischen Tradition heraus, anders entschieden worden. Als sich 1701 der Kurfîrst von Brandenburg mit Einwilligung des Kaisers den Titel eines „Kçnigs in Preußen“ zulegte, fand die Selbstkrçnung zwar in Kçnigsberg statt,2 doch war 1 2

Wolfgang Neugebauer, Die Geschichte Preußens. Von den Anfngen bis 1947, Mînchen/Zîrich 2006, S. 57. Zu den Krçnungsfeierlichkeiten vgl. die zeitgençssische, offiziçse Darstellung von Johannes von Besser, Preußische Krçnungsgeschichte 1702, ND Berlin 1901; sowie zu den Krçnungen von 1701 und 1861 George Hesekiel, Preußisches Krçnungsbuch 1701 und 1861, Berlin 1863; und den von Iselin Gundermann betreuten Ausstellungskatalog: Via Regia. Preußens Weg zur Krone, Berlin 1998. Auch zur historischen Einordnung vgl. dort und unten § 4 und § 7 sowie die dort genannte Literatur.

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die Doppelstadt an der Spree bereits seit zweieinhalb Jahrhunderten nicht nur Residenz der Hohenzollern, sondern bereits seit langem Hauptstadt des Kurfîrstentums.3 Nachdem sich Preußen in der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts zur Hegemonialmacht in Deutschland entwickelt hatte, war die Hauptstadtfunktion Berlins fîr die neuen staatlichen Gebilde selbstverstndlich und somit in den Verfassungen des Norddeutschen Bundes (1867) und des Reiches (1871) keiner Erwhnung mehr wert.4 Die Hauptstadt Preußens hatte nun auch das Kaiserreich und nach dem Ende der Monarchie 1918 die neue Republik mit dem Freistaat Preußen zu reprsentieren. Ob mit dem „Preußenschlag“ 1932 auch die preußischen Hauptstadtfunktionen Berlins endeten oder ob diese îber die NS-Herrschaft hinweg bis zur formalen Auflçsung Preußens durch die Alliierten bis 1947 fortbestanden, wird zu erçrtern sein. Die hohenzollernschen Kurfîrsten von Brandenburg haben mit der Errichtung eines festen Schlosses in Cçlln an der Spree im 15. Jahrhundert den wesentlichen Grundstein fîr die Ausbildung Berlins zur Residenz gelegt. Sie knîpften dabei an Bemîhungen ihrer markgrflichen und kurfîrstlichen Vorgnger aus anderen Dynastien an, der zwischen Elbe und Oder gelegenen Doppelstadt zentralçrtliche Funktionen zuzuweisen. In ihrer weiteren Entwicklung mußte sich die neue Residenz gegen Konkurrenten in der nheren Umgebung, aber auch in ferneren Landesteilen des territorial expandierenden Kurfîrstentums und spteren Kçnigreiches behaupten, wobei der brandenburgischen Zentrallandschaft um Berlin, insbesondere dem Bereich in und um Potsdam, entscheidende Bedeutung zukam. Zur Residenz hat sich Berlin in mehreren Stufen, îber einen lngeren, Jahrhunderte dauernden Zeitraum hinweg entwickelt, und selbst fîr die ˜bernahme der Funktion als preußische Hauptstadt ist kein „jour fixe“ auszumachen. Residenzen5 und Hauptstdte6 haben wesentlich mehr Gemeinsames als Trennendes. Im Grunde bezeichnen die Begriffe eine neue Form der Herr3

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Das Hauptstadtproblem in der Geschichte. Festgabe zum 90. Geburtstag Friedrich Meineckes. Gewidmet vom Friedrich-Meinecke-Institut an der Freien Universitt Berlin (= Jahrbuch fîr die Geschichte des deutschen Ostens, 1), Tîbingen 1952, darin fîr das brandenburgische Mittelalter bes. der Beitrag von Johannes Schultze, Caput Marchionatus Brandenburgensis. Brandenburg und Berlin (S. 65 – 84), sowie fîr die nachfolgenden Epochen die Beitrge von Carl Hinrichs, Richard Dietrich, Hans Herzfeld, Georg Kotowski, aber auch die zeitîbergreifende stdtebauliche Studie von Edwin Redslob. Bei der Grîndung des Deutschen Bundes 1815 war das noch anders, und auch das Frankfurter Paulskirchenparlament hat wohl, als es Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kçnigskrone anbot, nicht an eine „Deutsche Hauptstadt Berlin“ gedacht. Zur Definition des Begriffes „Residenz“ vgl. den grundlegenden Beitrag von Klaus Neitmann, Was ist eine Residenz? Methodische ˜berlegungen zur Erforschung der sptmittelalterlichen Residenzenbildung, in: Peter Johanek (Hg.), Vortrge und For-

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schaftsausîbung mit ortsfesten Zentralbehçrden. Dazu gehçren u. a. Regierungs- und Verwaltungsorgane mit Kanzlei und Archiv, die obersten Rechtsprechungsinstanzen, die zentralen Kirchen-, Militr-, Bildungs- und Wissenschaftsorganisationen. Speziell zur Residenz gehçrt der Hof mit der Hofgesellschaft, hufig auch eine Grablege fîr die Mitglieder der herrschenden Dynastie. Nicht alle Faktoren mîssen zwangslufig an einem Ort versammelt sein, was nicht nur fîr Brandenburg-Preußen zutrifft. Einzelne Funktionen kçnnen stndig oder zeitweise auf Nebenresidenzen oder andere Orte mit profaner oder geistlicher Bestimmung îbertragen werden. In gleicher Weise sind den Hauptstdten unterschiedliche Funktionen zuteil geworden, was hufig von der historisch determinierten Verfassung eines Landes abhing. Ein zentralistisch organisierter Staat wird zwangslufig mehr zentrale Institutionen in seiner Hauptstadt versammeln als ein fçderativ verfaßtes Land oder gar eine Nation, die in zahlreiche Einzelstaaten gegliedert ist. Die extremen Beispiele in Europa sind Frankreich mit seiner konkurrenzlosen Hauptstadt Paris auf der einen Seite und Deutschland mit einer Vielzahl von Hauptstdten,7 von denen keine ihren Platz unangefochten behaupten konnte, auf der anderen Seite. Typische Merkmale einer Hauptstadt zeigen sich in zentralen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen. Zu nennen sind hier in der Politik u. a. der zentrale Verwaltungssitz eines Territoriums, der Sitz von Regierung, Parlament und obersten Behçrden sowie der politisch relevanten Verbnde. Die Wirtschaft ist in der Hauptstadt vertreten mit Spezialgewerben, Fernhandel, Messen, Banken, der Bçrse und der Mînze, aber auch mit einer Industriekonzentration. Sie ist Sitz von zentralen Wirtschaftsvereinigungen und bildet einen Verkehrsknotenpunkt. Zu den kulturellen Hauptstadtfunktionen gehçren u. a. Museen, Theater, Opernhuser, Bibliotheken, Akademien mit einer kînstlerisch-wissenschaftlichen Elite, gegebenenfalls auch eine Universitt sowie herausragende Publikations- und Kommunikationsmçglichkeiten. Einige der genannten Merkmale treffen auch auf Metropolen und auf Weltstdte zu. Whrend eine Metropole auch regionalen Charakter haben 6

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schungen zur Residenzenfrage (= Residenzenforschung, 1), Sigmaringen 1990, S. 11 – 45. Eine nîtzliche Definition des Begriffes „Hauptstadt“, der auch die nachfolgenden Ausfîhrungen zugrunde liegen, bietet Klaus Fehn, Hauptstadtfunktionen in der Mitte Europas. Politische, kulturelle und wirtschaftliche Standortvernderungen zwischen 1250 und der Gegenwart, in: Bodo-Michael Baumunk / Gerhard Brunn (Hg.), Hauptstadt. Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte, Kçln 1989, S. 474 – 491. Mit der Vereinigung beider deutscher Staaten 1990 stellte sich die Frage nach der Hauptstadt und dem Regierungssitz der erweiterten Bundesrepublik neu. In diesem Zusammenhang sind zahlreiche historische Anthologien zu diesem Fragenkomplex verçffentlicht worden, u. a. von Uwe Schultz (Hg.), Die Hauptstdte der Deutschen. Von der Kaiserpfalz in Aachen zum Regierungssitz Berlin, Mînchen 1993.

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kann,8 sind Weltstdte von globaler Bedeutung, und zwar auf politischem, wirtschaftlichem oder kulturellem Gebiet. Je mehr dieser Eigenschaften sie jeweils kumulieren, desto grçßer ist ihre Bedeutung. Sowohl Metropolen als auch Weltstdten kçnnen viele spezifische, auch unverzichtbare Charakteristika von Residenz- und Hauptstdten fehlen.9 Im Blick auf Berlin stellten sich die Fragen, ob es sich um eine Weltstadt gehandelt hat und ob dies nur fîr einen begrenzten Zeitraum zutrifft. Diese Fragen sollen an entsprechender Stelle beantwortet werden.10 Eine moderne Hauptstadt beherbergt in der Regel die hçchsten Einrichtungen von Legislative, Exekutive, und Judikative sowie die entsprechenden staatlichen Verwaltungsbehçrden. An den Regierungssitz gebunden sind auch die auslndischen Vertretungen, also die Botschaften und Missionen mit ihrem Personal, die den Residenzcharakter unterstreichen, der in erster Linie bei monarchischer Verfassung durch den Hof und in der Republik durch den Stab des Staatsoberhauptes nach außen in Erscheinung tritt, vor allem bei Staatsbesuchen und anderen offiziellen Gelegenheiten. Natîrlich ist die Hauptstadt auch das bevorzugte Wirkungsfeld fîr Vertretungen von in- und auslndischen Verbnden und Interessenorganisationen, deren Lobby versucht auf die Gesetzgebung und die Regierungsgeschfte Einfluß zu nehmen. Schließlich versucht der Staat selbst sich in der Hauptstadt auch îber die Wissenschaft und die Kunst nach innen und außen zu reprsentieren. Von nicht geringer Bedeutung ist dabei die Finanzierung dieser Schaufensterfunktion von Residenz- und Hauptstdten, ein Aspekt, der erst in jîngster Zeit auch wissenschaftliches Interesse geweckt hat.11 Die einzelnen Merkmale, die eine sptmittelalterliche Residenz kennzeichnen, werden nicht immer auch auf eine neuzeitliche Residenz oder Hauptstadt zutreffen, sie mîssen auch nicht vollstndig vorhanden sein, um einen Ort dieser Funktion zuordnen zu kçnnen. Die vergleichende Gewichtung der einzelnen Elemente fîr die zusammenfassende Charakterisierung einer Residenzbeziehungsweise Hauptstadt erfordert methodisch neue Wege: „Wenn schon die 8 Dies trifft zum Beispiel auf die „Rhein-Main-Metropole“ (Frankfurt) oder auf die „bayerische Metropole“ (Mînchen) zu. 9 So ist Frankfurt am Main lediglich eine Finanzmetropole. Der Stadt fehlt ebenso wie New York der nationale Regierungssitz, und sogar die hessische Landesregierung amtiert nicht in Frankfurt, sondern in Wiesbaden. 10 Vgl. unten in den Abschnitten îber „Preußische und Deutsche Hauptstadt im Kaiserreich“, „Hauptstadt des Freistaates Preußen in der ersten deutschen Republik“ und „Reichshauptstadt im Nationalsozialismus“. 11 Die bereits von der barocken Hofhaltung verursachte hohe Staatsverschuldung ist, worauf Wolfgang Neugebauer kîrzlich hinwies, auch in Brandenburg-Preußen der Staatsraison geschuldet, denn Friedrich I. mußte sein neues Kçnigtum auch nach außen „beweisen“. Vgl. W. Neugebauer, Die Geschichte Preußens … (s. Anm. 1), S. 52 f.

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Bedeutung der einzelnen Funktionen allgemein und vor allem speziell je nach Zeitabschnitt sehr verschieden sein kann, so ist die Gesamtgewichtung naturgemß noch viel schwieriger. Hier hilft oft nur eine Kombination unterschiedlicher Methoden, um die einzelnen Mosaiksteinchen zu einem Bild zu vereinigen“12. Dies gilt in einer besonderen Weise fîr Berlin. Als Residenz und Hauptstadt reprsentierte die Stadt eine Markgrafschaft, ein Kurfîrstentum, eine kçnigliche und dann auch kaiserliche Monarchie, einen Freistaat in und mit einer demokratisch verfaßten Republik und schließlich eine Diktatur, die mit dem Ziel, Preußen auszulçschen, auch den zentralen Ort dieses Staates traf: In der nationalsozialistischen „Welthauptstadt Germania“ war fîr die Hohenzollern-Residenz und fîr die preußisch-deutsche Hauptstadt kein Platz mehr.

§ 2 Vorstufen und Herausbildung der Residenz Berlin/Cçlln bis zum Ausgang des Mittelalters Voraussetzungen zumindest fîr einen zeitweiligen herrschaftlichen Aufenthalt an der Spree hatten als erstes brandenburgisches Markgrafengeschlecht bereits die Askanier geschaffen.13 Als Meilenstein auf diesem Weg kann der Erwerb eines Gelndes an der Stadtmauer im Zusammenhang mit einer Stadterweiterung um die Mitte des 13. Jahrhunderts gesehen werden. Hier errichteten die Askanier ihre 1261 erwhnte „aula Berlin“14 (spter auch als „Hohes Haus“ bezeichnet)15. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dieser landesherrlichen Niederlassung entstand seit 1271 das Berliner Franziskanerkloster. „Auch in Berlin sind der markgrfliche Hof und das Bettelordenskloster wie in bestimmten 12 K. Fehn, Hauptstadtfunktionen in der Mitte Europas … (s. Anm. 6), S. 475. 13 J. Schultze, Caput Marchionatus Brandenburgensis … (s. Anm. 3), S. 65 – 84. Darauf aufbauend und weiterfîhrend: Eckhard Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz in Berlin und Cçlln 1280 – 1486. Markgrafenhof, Herrschaftsschwerpunkt, Residenzstadt, in: ZGWiss 36 (1988), S. 139 – 154. 14 Hermann Krabbo / Georg Winter (Bearb.), Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, Leipzig/Berlin 1919 – 1955, Nr. 863. 15 Bei dem in der Quelle genannten „curia“ (dem „Hohen Haus“) und einem ebenfalls erwhnten „Alten Hof“ handelt es sich um einen Gebudekomplex, der nicht zu verwechseln ist mit einem ebenfalls îberlieferten „Alten Haus“. Vgl. hierzu die Ausfîhrungen von Eberhard Bohm, Teltow und Barnim. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte und Landesgliederung brandenburgischer Landschaften (= Mitteldeutsche Forschungen, 83), Kçln/Wien 1978, bes. Exkurs II: Hohes Haus und Alter Hof in Berlin, S. 309 – 317; sowie die ltere Studie von Julius Kohte, Das Hohe Haus in Berlin. Ein Beitrag zur Baugeschichte Berlins im Mittelalter, in: ForschBrandPrG 48 (1936), S. 146 – 163. Die Frage nach den frîhen askanischen Niederlassungen in Berlin berîhrt auch E. Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 139 – 154, bes. S. 142 f.

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anderen mrkischen Stdten in bestimmter Weise als Einheit zu betrachten. Das Franziskanerkloster erscheint in religiçs-gottesdienstlichen wie in administrativen Funktionen fîr die Markgrafen und ihren Hof in Berlin“.16 Daß die Askanier sich in Berlin einen Wohnsitz schufen und ihn spter ausbauten, zeugt aber auch von der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Stadt. Das gestiegene Ansehen Berlins kommt auch darin zum Ausdruck, daß der gesamte Adel der Altmark, der Prignitz und der Mittelmark sich hier im August 1280 zum ersten mrkischen Landtag versammelte.17 Berlin scheint sich also bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts zu einem Mittelpunkt der Mark Brandenburg entwickelt zu haben.18 Die Itinerare der Markgrafen und Kurfîrsten lassen aber fîr das 12., 13., 14. und selbst noch im frîhen 15. Jahrhundert eine ausgedehnte Reiseherrschaft erkennen, mit lngeren Abwesenheiten der Landesherren, mit temporren Aufenthalten an verschiedenen Orten, ohne feste Kanzlei.19 Hausklçster dienten 16 E. Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 139 – 154, bes. S. 142. 17 Die askanischen Markgrafen schlossen am 18. 8. 1280 in Berlin Bedevertrge mit dem Adel und den Stdten der Mark. Adolph Friedrich Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung von Urkunden, Chroniken und sonstigen Geschichtsquellen der Mark und ihrer Regenten … [im folgenden immer: CDB], C I, S. 9 f. 18 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Winfried Schich, der Berlin am Ausgang des 13. Jahrhunderts zwar als ein „caput Marchiae“ sieht, aber noch nicht als „Hauptstadt“ im modernen Sinn: „Berlin erreichte diesen Stand … in seiner Eigenschaft als Handels- und Gewerbezentrum eines Ausbaugebietes des 13. Jahrhunderts, das zugleich weitreichende, intensive und kontinuierliche Handelsbeziehungen unterhielt […] Aus der starken wirtschaftlichen Position leitete sich eine faktische Vorrangstellung ab, der dann auch der Landesherr Rechnung trug, als er im spten Mittelalter die Stadt als Platz fîr seine Residenz ausersah.“ Vgl. Winfried Schich, Anfnge und Ausbau zweier „Hauptstdte“ der mittelalterlichen Mark Brandenburg: Brandenburg und Berlin, zuletzt in: Ders., Wirtschaft und Kulturlandschaft. Gesammelte Beitrge 1977 bis 1999 zur Geschichte der Zisterzienser und der „Germania Slavica“ (= Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 12), bearb. und hg. v. Ralf Gebuhr und Peter Neumeister, Berlin 2006, S. 327 – 342, bes. S. 342. 19 Die Itinerare der brandenburgischen Markgrafen im Mittelalter sind bisher nur fîr die askanische Zeit vollstndig ermittelt worden. Vgl. dazu die theoretischen ˜berlegungen von E. Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 139 – 154, bes. S. 140 f.; sowie zur praktischen Auswertung: Hans-Joachim Fey, Reise und Herrschaft der Markgrafen von Brandenburg (1134 – 1319) (= Mitteldeutsche Forschungen, 84), Kçln/Wien 1981. Nicht so umfassend, aber im Hinblick auf die sptmittelalterliche Residenzbildung in Brandenburg wichtig ist die Untersuchung von Karl-Heinz Ahrens, Residenz und Herrschaft. Studien zur Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im spten Mittelalter (= Europische Hochschulschriften. Reihe III, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 427), Frankfurt am Main u. a. 1990. Weniger ergiebig hinsichtlich der Residenzbildung erweist sich die Studie von Wolfgang Podehl, Burg und Herrschaft in der Mark Brandenburg. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte

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als Grablege und wohl auch als Depositalort ihrer Urkunden. An eine Residenz Berlin haben die brandenburgischen Askanier bei der Eroberung und Besiedlung des Landes sicher nicht gedacht. Die als Kaufmannssiedlung gegrîndete Doppelstadt an der Spree ist auch whrend des gesamten Mittelalters nicht befestigt worden, bot also den Markgrafen und ihrem Gefolge keinen Schutz und hatte auch sonst wenige Merkmale aufzuweisen, die sie in einer Zeit der ausgeîbten Reiseherrschaft fîr lngere Aufenthalte prdestinierte. Gegen Ende der askanischen Herrschaft in Brandenburg, um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert, ist es wohl nicht das altmrkische Tangermînde,20 das einen herausragenden Rang als Aufenthaltsort der Markgrafen einnimmt, sondern eher das mittelmrkische Spandau,21 fîr das sich teils lngerfristige, aber zahlreiche periodische Aufenthalte nachweisen lassen. Das Itinerar der Markgrafen weist also von der Mitte des 13. Jahrhunderts an deutlich auf die Burg Spandau als festen Aufenthaltsort hin: „Allein schon ihre zentrale Lage in Bezug auf das gesamte mrkische Territorium qualifizierte sie […] zum brandenburgischen Herrschaftszentrum […] Die ˜berwindung der Landesteilung unter Markgraf Woldemar bedeutete auch gleichzeitig einen Schritt vorwrts hinsichtlich der Residenzbildung.“22 Nach dem Aussterben der Askanier gab es einen Bruch in der Residenzentwicklung des Kurfîrstentums Brandenburg. Fîr mehrere Jahrzehnte fehlte eine geregelte Regierungs- und Verwaltungsttigkeit in der Mark. Soweit der Landesherr îberhaupt anwesend war, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die Prignitz, die Uckermark, die Herrschaft Ruppin, nicht aber auf den Kern der Mittelmark zwischen Elbe und Oder. Dadurch ging die Residenzfunktion Spandaus zeitweise verloren und das benachbarte Berlin/Cçlln konnte sich „ungehindert durch die Anwesenheit eines Markgrafen und seines Hofes weiter zu einer Stadt entwickeln, die Mitte des Jahrhunderts in der Lage war, dem Landesherrn die Grenze seiner Macht aufzuzeigen.“23 Mit dem ˜bergang der Mark Brandenburg an die Wittelsbacher kam neben Spandau auch Berlin ins Spiel. Allerdings blieb Spandau ein bevorzugter Aufenthaltsort, den Ludwig d. øltere nutzte, wenn er aus seiner sîddeutschen 20

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unter besonderer Berîcksichtigung von Altmark, Neumark und Havelland (= Mitteldeutsche Forschungen, 76), Kçln/Wien 1976. ˜ber Tangermînde als kurfîrstliche Residenz vgl. zusammenfassend und mit weiterer Literatur Dagmar Bçcker / Heidelore Bçcker, Tangermînde [C.2.], in: Werner Paravicini (Hg.), Hçfe und Residenzen im sptmittelalterlichen Reich. Ein dynastischtopographisches Handbuch, 2: Residenzen (= Residenzenforschung, 15.1), bearb. v. Jan Hirschbiegel und Jçrg Wettlaufer, Ostfildern 2003, S. 575 – 579. Zusammenfassend und mit weiterfîhrenden Literaturhinweisen Dagmar Bçcker / Heidelore Bçcker, Spandau [C.2.], in: W. Paravicini, Hçfe und Residenzen … (s. Anm. 20), S. 537 – 541. So H.-J. Fey, Reise und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 254. K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 84.

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Heimat kommend die Mark Brandenburg bereiste. Hier saßen auch whrend seiner Abwesenheit die markgrflichen Beamten, denen die Verwaltung des Landes oblag, insbesondere die Hebung der Steuern und Abgaben.24 Wenn neben den beiden Burgstdten Tangermînde und Spandau im Verlauf der wittelsbachischen Herrschaft in Brandenburg die Kaufmannsstdte Stendal in der Altmark und Berlin in der Mittelmark traten, dann werden politischpraktische Grînde eine Rolle gespielt haben, denn es ließ sich hier besser mit den stdtisch-stndischen Gruppierungen verhandeln. Sobald sich daraus aber Spannungen ergaben, ließen die markgrflichen Aufenthalte nach, was sich besonders seit 1344/45 in Berlin/Cçlln nachweisen lßt, das der Markgraf nach Auseinandersetzungen mit stndischen Gruppierungen zugunsten von Spandau kaum noch frequentierte. Erst nach erfolgter Aussçhnung mit der Stadt bevorzugten Ludwig der Rçmer und Otto VIII. Berlin/Cçlln von 1352 an wieder als Hauptaufenthaltsort in der Mittelmark, whrend sie in Spandau von nun an nur noch sporadisch nachweisbar sind.25 Die den Wittelsbachern folgende Herrschaft Karls IV. in Brandenburg war geleitet von den wirtschaftlichen Interessen des Kaisers, die sich an den Handelswegen zwischen Elbe und Oder orientierten.26 Davon profitierte vor allem Tangermînde, das Karl IV. zwar nicht zu einer markgrflich-brandenburgischen, wohl aber zu einer kaiserlichen, also îberterritorialen Residenz in der Mark ausbauen ließ.27 Andere brandenburgische Stdte, wie Frankfurt an der

24 Herrschaftsmittelpunkt in dem zwischen Elbe und Oder gelegenen Bereichen der Mark war neben Berlin und Spandau auch die befestigte Anlage in Mittenwalde, was offensichtlich ohne Auswirkung auf die Ausbildung einer stndigen Residenz in Brandenburg blieb. 25 E. Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 145 – 148. 26 Die politischen und wirtschaftlichen Interessen, die Kaiser Karl IV. mit der Mark Brandenburg verband, sind vielfach erçrtert worden, besonders auch von Gerd Heinrich, Kaiser Karl IV. und die Mark Brandenburg. Beitrge zu einer territorialen Querschnittanalyse (1371 – 1378), in: Hans Patze (Hg.), Kaiser Karl IV. 1316 – 1378. Forschungen îber Kaiser und Reich, Gçttingen 1978, S. 407 – 432; vgl. auch Eckhard Mîller-Mertens, Kaiser Karl IV. 1346 – 1378. Herausforderung zur Wertung einer geschichtlichen Persçnlichkeit, in: ZGWiss 27 (1979), S. 340 – 356; Hans K. Schulze, Karl IV. als Landesherr der Mark Brandenburg, in: JbGMitteldtld 27 (1978), S. 138 – 168; Ulrike Hohensee, Zur Erwerbung der Lausitz und Brandenburgs durch Kaiser Karl IV., in: Michael Lindner / Eckhard Mîller-Mertens / Olaf B. Rader (Hg.), Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae historica. Unter Mitarbeit von Mathias Lawo, Berlin 1997, S. 213 – 243; Alfred Wieske, Der Elbhandel und die Elbhandelspolitik bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Halberstadt 1927. 27 Wilhelm Zahn, Kaiser Karl IV. in Tangermînde. Festschrift zur Enthîllungsfeier des von seiner Majestt dem Deutschen Kaiser und Kçnig von Preußen gestifteten Denk-

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Oder, Berlin und Stendal waren zwar wirtschaftlich und politisch bedeutend und wurden vom Kaiser auch als stdtisch-stndische Machtfaktoren wahrgenommen, blieben aber ohne Berîcksichtigung in seinem Herrschaftskonzept. Seine luxemburgischen Nachfolger betrachteten auch Berlin weiterhin nur als Durchgangsstation auf Reisen, und selbst Tangermînde bîßte weitgehend die Funktion als Residenz ein.28 Erst unter den Hohenzollern sollte sich das Blatt wenden. In den Jahrzehnten um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert beherrschte ein gegen die Landesherrschaft gerichtetes Fehdewesen das Kurfîrstentum Brandenburg und die benachbarten Territorien, das Handel und Wandel schdigte und das Land zu ruinieren drohte.29 Die Situation besserte sich, als Kçnig Sigismund nach dem Tod des Markgrafen Jost von Mhren den Nîrnberger Burggrafen Friedrich VI. zum Landeshauptmann der Mark bestellte. Mit Hilfe der mittelmrkischen Stdte, insbesondere Berlins, besiegte Friedrich zunchst 1412 den Herzog von Pommern, und Anfang 1414 unterwarf er den aufstndischen einheimischen Adel, der lieber einen Landesherrn aus den eigenen Reihen gesehen htte.30 Friedrich verkîndete ein Landfriedensgesetz, das alle Fehden fîr die Zukunft verbot.31 Mit seiner Ernennung zum Markgrafen als Friedrich I. (1415) und schließlich (1417) zum Kurfîrsten begann die fînfhundertjhrige Herrschaft des Hauses Hohenzollern in Brandenburg (-Preußen), die erst 1918 durch die Novemberrevolution beendet werden sollte.32

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mals Kaiser Karls IV., Tangermînde 1901; Marie Blhov, Tangermînde [C.1.], in: W. Paravicini, Hçfe und Residenzen … (s. Anm. 19), S. 573 – 575. Dazu zusammenfassend D. Bçcker / H. Bçcker, Tangermînde … (s. Anm. 20), S. 575 – 579; aber auch Karl-Heinz Ahrens, Bemerkungen zur Mittelpunktfunktion Berlins und Tangermîndes im 14. und 15. Jahrhundert, in: P. Johanek, Vortrge und Forschungen … (s. Anm. 5), S. 147 – 184. Das Fehdewesen und die Befriedungsbemîhungen Friedrichs I. im Bund mit den mrkischen Stdten waren Gegenstand der zeitgençssischen Chronistik: Wolfgang Ribbe, Die Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz. ˜berlieferung, Edition und Interpretation einer sptmittelalterlichen Quelle zur Geschichte der Mark Brandenburg (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 12), Berlin 1973. Die Magdeburger Schçppenchronik îberliefert die øußerung des brandenburgischen Adels, der aus den eigenen Reihen stammende Caspar Gans zu Putlitz sei ihnen Markgraf genug („der wer on markgreve noch“): Karl Janicke (Hg.), Magdeburger Schçppenchronik (= Chroniken deutscher Stdte, 7: Die Chroniken der niederschsischen Stdte, 1), Leipzig 1869, S. 325. In der lteren (borussischen) Forschung sind die landesherrlichen Eingriffe z. T. bagatellisiert worden, so u. a. von Felix Priebatsch, Die Hohenzollern und der Adel in der Mark, in: HZ 88 (1902), S. 193 – 246. In diesem Sinne auch: W. Neugebauer, Die Geschichte Preußens … (s. Anm. 1), S. 16. Neben dem zum „Thronjubilum“ erschienen Klassiker von Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk. Fînfhundert Jahre vaterlndische Geschichte, Berlin 1915;

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Bereits Friedrich I. erschien kurz nach seiner Ernennung zum obersten Hauptmann und Verweser in der Mark Brandenburg 1412 in Berlin und besttigte den Stnden die Privilegien. Hier erfolgte auch 1415 die Erbhuldigung der Stnde fîr den Markgrafen und Kurfîrsten, und im Herbst 1440 fand die Huldigung fîr seinen Nachfolger statt.33 Seit dieser Zeit ist der Hof nur noch zwischen Berlin und Tangermînde verlegt worden, was der Praxis der letzten Wittelsbacher in Brandenburg entsprach. Die meisten Urkunden hat Friedrich I. in Berlin oder in Tangermînde ausgestellt, dem jeweiligen Sitz seiner Verwaltung, und von hier aus hat er die Mark regiert.34 In Berlin fungierte in der Abwesenheit des Kurfîrsten ein Stellvertreter, und hçhere Hofbeamte gingen den anfallenden Geschften nach.35 Fîr etwas mehr als ein Jahrzehnt hat Friedrich I. die Geschicke der Mark geleitet und u. a. versucht, eine Konsolidierung der inneren Verhltnisse zu erreichen, indem er die Landeseliten an den Berliner Hof zog, Eheverbindungen zwischen den beiden Landesteilen in Franken und Brandenburg fçrderte und auch darîber hinaus die Distanz zwischen diesen Gruppierungen zu îberbrîcken suchte.36

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vgl. jetzt das grundlegende Werk von Wolfgang Neugebauer, Die Hohenzollern, 1, Stuttgart 1996, 2, Stuttgart 2003. Fried[rich] Wadzek / Wilhelm Wippel, Geschichte der Erbhuldigungen der Preußisch-Brandenburgischen Regenten aus dem Hohenzollernschen Hause, 1 und 2, Berlin 1798. Das Schwergewicht dieser Ttigkeit verlagerte sich eindeutig nach Berlin; vgl. K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 59 f. K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 59. Zusammenfassend: Reinhard Seyboth, Hohenzollern, brandenburgische Linie, in: W. Paravicini, Hçfe und Residenzen … (s. Anm. 20), S. 117 – 122, bes. S. 119. Zu den Anfngen der Hohenzollern in Brandenburg vgl. jetzt auch Heidelore Bçcker, Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollernschen Kurfîrsten und der Ausbau der Mark zum fîrstlichen Territorium whrend des 15. Jahrhunderts, in: Ingo Materna / Wolfgang Ribbe (Hg.), Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 169 – 230; Peter-Michael Hahn, Die Hofhaltung der Hohenzollern. Der Kampf um Anerkennung, in: Patrick Bahners / Gerd Roellecke (Hg.), Preußische Stile. Ein Staat als Kunststîck, Stuttgart 2002, S. 73 – 89; Peter-Michael Hahn, Landesherrliche Ordnung und dynastisches Machtstreben. Wettiner und Hohenzollern im 15. Jahrhundert, in: Friedrich Beck / Klaus Neitmann (Hg.), Brandenburgische Landesgeschichte und Archivwissenschaft, Weimar 1997, S. 89 – 107; Wolfgang Neugebauer, Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der Brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Wilhelm Brauneder (Hg.), Staatliche Vereinigung: Fçrdernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte (= Der Staat, Beiheft 12), Berlin 1998, S. 49 – 106; Dieter J. Weiss, Die ersten Hohenzollern in der Mark (1415 – 1499), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., Mînchen 2000, S. 26 – 51; Karl-Hermann Zwanziger, Das frnkische Element in der Mark Brandenburg im 15. Jahrhundert, in: Archiv fîr Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken 20 (1898), S. 65 – 95.

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Das Verhltnis zwischen dem Landesherrn und den Stdten erlitt Schaden, als Friedrich 1426 auf einem Landtag in Rathenow seinem ltesten Sohn, Johann („der Alchimist“), Statthalterschaft und Markgrafenwîrde îbertrug.37 Wie viele andere deutsche Fîrsten wollte auch Johann die Territorialgewalt strken und die Autonomie der Stdte beschrnken. Diese verweigerten sich jedoch entschieden territorialen und finanziellen Forderungen des Markgrafen zu entsprechen. Auf einem Hansetag zu Lîbeck, auf dem 1430 gemeinsamer Widerstand gegen fîrstliche ˜bergriffe beschlossen wurde, erschienen daher auch seit langer Zeit wieder Vertreter von Berlin und Cçlln.38 Whrend der landesherrlichen Auseinandersetzungen mit den großen Stdten vermied es der Regent weitgehend dort Quartier zu beziehen, und so fungierte seit dem Sommer 1429 Spandau wieder als Hauptaufenthaltsort des Markgrafen zwischen Elbe und Oder. Westlich der Elbe erlebte Tangermînde in dieser Zeit eine Renaissance als markgrfliche Residenz.39 Das Spannungsverhltnis zwischen dem Markgrafen und den mittelmrkischen Stdten spitzte sich zu, als Brandenburg, Berlin, Cçlln und Frankfurt an der Oder erneut einen Stdtebund eingingen, der deutlich gegen die landesherrliche Gewalt gerichtet war. Vor allem das alte brandenburgische Recht sollte gegen alle Angriffe verteidigt werden. Um ihre Stellung gegenîber dem Landesherrn noch weiter zu festigen, stellten Berlin und Cçlln ihre inneren Rivalitten und Streitigkeiten zurîck und gingen im Juni 1433 ein Bîndnis ein, das praktisch einem vollen inneren Zusammenschluß gleichkam.40 Diese Vereinigung zur Beilegung bisheriger und zur Vermeidung kînftiger Konflikte war sowohl eine Besttigung als auch eine Erweiterung der Union vom 20. Mrz 1307.41 Die Vereinigung von Berlin und Cçlln verschrfte die Spannungen zwischen Stadtgemeinde und Innungen einerseits und Stadtrat und Patriziat andererseits, so daß es im Jahr 1442, als das Kurfîrstentum bereits an Friedrichs I. gleichnamigen Sohn îbergegangen war, zu einem schweren Konflikt kam, bei dem die Bîrger den Kurfîrsten um Vermittlung baten.42 Der Ver37 Theodor Hirsch, Johann der Alchimist. Markgraf von Brandenburg, in: ADB 14 (1881), S. 153; und besonders Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, 1 – 5, Berlin 1961 – 1969, hier 3, Kapitel 4: Markgraf Johann. Regent der Mark, S. 36 – 47. 38 Felix Priebatsch, Die Hohenzollern und die Stdte der Mark, Berlin 1892, bes. S. 62 ff. 39 E. Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 150. 40 Ferdinand Voigt (Hg.) Urkunden-Buch zur Berlinischen Chronik [im folgenden immer: Berliner UB], hg. v. dem Verein fîr die Geschichte Berlins durch F. V., Berlin 1869, S. 352, Nr. LIII und Nr. LIV; CDB … (s. Anm. 17), A XII, S. 510, Nr. XXXVIII; Eckhard Mîller-Mertens, Berlin und die Hanse, in: HansGBll 80 (1962), S. 1 – 25, bes. S. 15 – 16. 41 Berliner UB … (s. Anm. 40), S. 24 f., Nr. XXXVII. 42 Berliner UB … (s. Anm. 40), S. 378 – 381, Nr. XCV.

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mittler erkannte die Chance, den Streit der Stdte fîr seine eigenen Absichten zu nutzen, und zwar fîr die Errichtung einer festen Residenz in Berlin/Cçlln. Kurfîrst Friedrich II. („Eisenzahn“), geboren 1413 in der kaiserlich-kurfîrstlichen Residenz Tangermînde, erzogen seit seinem achten Lebensjahr am Krakauer Hof des polnischen Kçnigs, dessen Tochter Hedwig er heiraten sollte,43 wollte noch konsequenter als sein Vorgnger Johann die landesherrliche Macht gegenîber den mrkischen Stdten und vor allem Berlin/Cçlln gegenîber durchsetzen.44 Die Doppelstadt sollte seine Residenz werden, und er ging davon aus, mit der Unterwerfung der fîhrenden Stadt in der Mark Brandenburg auch die anderen Stdte gefîgig machen zu kçnnen. Bereits 1440 hatte er bei der Huldigung durch die Doppelstadt ihre Rechte nur mit schlichten Worten („in slechten worden“) und nicht an Eides statt bei den Heiligen („nicht in eydes stad tu den hyligen“) besttigt.45 Jetzt nutzte er ihre inneren Konflikte, um die Autoritt des Landesherrn zu strken und die Selbstndigkeit der Stadt zu schwchen. Er stellte sich auf die Seite der opponierenden Gruppen, entmachtete das Patriziat weitgehend und lçste die Vereinigung der beiden Stdte wieder auf. Kînftig sollten Berlin und Cçlln jeweils eigene Rte bestellen und zwar vorwiegend aus Angehçrigen der Gewerke und der Bîrgerschaft.46 Zugleich beanspruchte der Kurfîrst das Recht der Besttigung bei der Ratswahl und verbot den Stdten, Bîndnisse abzuschließen sowie an den Beratungen der Hansestdte teilzunehmen. Diese Maßnahmen mîssen die Bîrger hart getroffen haben, bedeuteten sie doch letztlich die Unterwerfung unter die Gewalt des Landesherrn. Sie haben das auch offensichtlich nicht widerspruchslos hingenommen, denn am 29. August 1442 zog der Kurfîrst in Be-

43 Hedwig starb 1431, noch vor der geplanten Hochzeit. Eine erhoffte Erbnachfolge der Hohenzollern auf dem polnischen Thron erwies sich ohnehin als obsolet, da dem polnischen Kçnig noch im hohen Alter ein Sohn beschieden war. 44 J. Schultze, Die Mark Brandenburg … (s. Anm. 37), Kapitel 5: Markgraf Friedrich II. Regent der Mark, sowie Kapitel 6: Friedrich II. Kurfîrst, S. 48 – 52 beziehungsweise S. 53 – 106. Unter dem Aspekt der Residenzbildung: K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 63 – 71. 45 Paul Clauswitz (Hg.), Berlinisches Stadtbuch. Neue Ausgabe … im Auftrage der Stdtischen Behçrden Berlins, Berlin 1883, S. 250, Nr. 58. 46 Ernst Kaeber, Der „Berliner Unwille“ und seine Vorgeschichte, zuerst unter dem Titel „Die Beziehungen zwischen Berlin und Cçlln im Mittelalter und der Konflikt der beiden Stdte mit Kurfîrst Friedrich II.“, in: HansGBll 34 (1929), S. 19 – 88, erneut in: Ernst Kaeber, Beitrge zur Berliner Geschichte. Ausgewhlte Aufstze (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 14). Mit einem Vorwort von Johannes Schultze, bearb. und mit einer biographischen Darstellung versehen v. Werner Vogel, Berlin 1964, S. 60 – 118; Eckhard MîllerMertens, Zur Stdtepolitik der ersten mrkischen Hohenzollern und zum Berliner Unwillen (1448), in: ZGWiss 4 (1956), S. 525 – 544.

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gleitung einer grçßeren Streitmacht47 in Berlin/Cçlln ein und hielt ein fçrmliches Gericht îber die Stdte. An diesem Gericht nahmen auch die Bîrgermeister und Ratmannen aus Spandau, Frankfurt und Bernau sowie die øbte von Lehnin und Chorin und der Graf von Ruppin teil. Die Stdte wurden verurteilt und mußten sich unterwerfen.48 In das gemeinsame Rathaus der Stdte Berlin/Cçlln zog ein kurfîrstlicher Richter ein. Auch die Schçffenwahl des Rats unterlag von nun an der landesherrlichen Besttigung. Der Markgraf gab die zwischenzeitlich beschlagnahmten vier ehemaligen Johanniterdçrfer Tempelhof, Marienfelde, Mariendorf und Richardsdorf (Rixdorf ) zwar wieder an die Stadt zurîck, dafîr aber mußte Berlin auf die 1391 erkaufte Gerichtsbarkeit und auf das seit der Stadtgrîndung verbriefte Niederlagsrecht verzichten. Von weit reichender Bedeutung war aber ein anderer Teil der Vereinbarung: Die Bîrger mußten dem Kurfîrsten fîr die Errichtung eines Schlosses das dafîr bençtigte Gelnde am Cçllner Spreeufer, nahe der Langen Brîcke, abtreten.49 Der Schloßbau auf der Cçllner Seite der Doppelstadt sollte die landesherrliche Stellung weiter strken, und im Sommer 1443 legte der Kurfîrst persçnlich den Grundstein fîr den Neubau und damit fîr die Hauptresidenz der Hohenzollern in Brandenburg.50 Zugleich hatte die Doppelstadt an der Spree ihre wesentlichsten stdtischen Freiheiten eingebîßt, offensichtlich eine Voraussetzung fîr die vom Landesherrn angestrebte Funktion als dauerhafte Residenz in seinem Kurfîrstentum.51 Dennoch schwelte der Konflikt zwischen dem Markgrafen und der Stadt unter der Oberflche weiter. Vor allem dem Bau des Schlosses in Cçlln, das die Berliner als „Zwingburg“, als „Zîgel der alten Freiheit“ empfanden, galt der 47 Diesen Vorgang îberliefert allein Peter Hafftitz in seinem „Microchronicon Marchicum“, unvollstndig ediert von Riedel, vgl. CDB … (s. Anm. 17), D, Belegstelle S. 62. 48 Die Urkunden bei Georg Wilhelm von Raumer (Hg.), Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus. Sammlung ungedruckter Urkunden zur Brandenburgischen Geschichte, 1, Berlin/Stettin/Elbing 1831, S. 207 – 209; und bei F. Voigt, Berliner UB … (s. Anm. 40), S. 378 ff., Nr. XCV und S. 381 ff., Nr. XCVIII. 49 Berliner UB … (s. Anm. 40), S. 381 ff., Nr. XCV III. 50 CDB … (s. Anm. 17), C I, S. 257; und Berliner UB … (s. Anm. 40), S. 388, Nr. 112. 51 Fîr die weitere Entwicklung des Cçlln-Berliner Stadtschlosses vgl. die grundlegende Studie von Wolfgang Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation. Das Berliner Schloß und seine historische Funktion vom 15. bis 20. Jahrhundert (= Kleine Schriften der Historischen Kommission zu Berlin, 1), Potsdam 1999; dort ist auch die gesamte, fîr einzelne Aspekte der Schloß-Funktionen relevante Literatur angemerkt. Siehe außerdem auch u. a. Goerd Peschken, Das kçnigliche Schloß zu Berlin, 1: Die Baugeschichte von 1688 – 1701 mit Nachtrgen zur Baugeschichte seit 1442, Mînchen 1992; Liselotte Wiesinger, Das Berliner Schloß. Von der kurfîrstlichen Residenz zum Kçnigsschloß, Darmstadt 1989. Grundlegend gerade auch fîr die politischen Zusammenhnge E. Mîller-Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 138 – 154.

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Unwille der Bîrger.52 Es kam daher in den nchsten Jahren wiederholt zu Behinderungen des Schloßbaus.53 Fînf Jahre spter, 1448, provozierte der Kurfîrst einen offenen Aufruhr, als er unter einem Vorwand versuchte, große Teile des bîrgerlichen Besitzes an sich zu bringen. Die hier geeint auftretende Bîrgerschaft nahm den markgrflichen Richter gefangen, vertrieb den Mîhlenmeister und den Zçllner des Kurfîrsten und verwehrte seinen persçnlichen Dienern den Zutritt zur Stadt. Auch das Rathaus auf der Langen Brîcke îbernahm man wieder in eigene Regie. Den Bauplatz fîr das Schloß setzten die Bîrger unter Wasser. Sie drangen in das „Hohe Haus“ ein, in dem sich die kurfîrstliche Kanzlei befand, vernichteten einen großen Teil der Urkunden und Amtsbîcher und zogen sich dann hinter die Stadtmauer zurîck, um sich dort zu verbarrikadieren. Der Kurfîrst vermied einen Truppeneinsatz und lud stattdessen den Rat und die Bîrger vor sein Hofgericht nach Spandau. Die Einwohner von Berlin und Cçlln widersetzten sich jedoch. Sie inhaftierten den kurfîrstlichen Boten und beantworteten weitere Schreiben des Kurfîrsten nicht, planten sogar einen bewaffneten Aufstand und wandten sich an die Hanse und an die anderen mrkischen Stdte, um von ihnen Hilfe zu erhalten. Doch diese blieb aus. Der Kurfîrst hatte es verstanden, durch Drohungen und Versprechen die anderen Stdte von ihren Beistandsverpflichtungen abzuhalten. Berlin und Cçlln standen in ihrem Kampf gegen die Vorherrschaft des Landesherrn allein. Der Aufstand brach zusammen. Das vom Kurfîrsten in Spandau zusammengerufene landstndische Gericht besttigte die Abmachungen von 1442. In Anwesenheit des gesamten brandenburgischen Adels, der Ratsleute von Frankfurt an der Oder, Brandenburg, Spandau und anderer Stdte, mußten sich 52 Die Einwnde, die u. a. von W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 11 – 13, gegen die Charakterisierung des Schlosses als „Zwingburg“ geltend gemacht werden, beziehen sich (unter Einbeziehung der Studie von Raoul Nikolas, Ist das Schloß Kurfîrst Friedrichs II. 1540 ganz abgebrochen worden?, in: ZGVBerlin 54 [1937], S. 58 – 63) im wesentlichen auf die bauliche Erscheinung der Anlage. Die Formulierung ist aber nicht zeitgençssisch, sondern stammt von Ende des 16. Jahrhunderts und reflektiert nicht den Bau selbst, sondern dessen Auswirkungen, nmlich die Auffassung der vom „Schloß“bau betroffenen Bîrger, deren stdtische Freiheiten eingeschrnkt wurden. Diese Auffassung aber entspricht einer charakteristischen Begleiterscheinung der Residenzbildung îberhaupt. Vgl. zur Quelle Friedrich Holtze, Die Berolinensien des Peter Hafftitz (= SchrrVGBerlin, 31), S. 1 – 99, bes. S. 13 f. 53 Dazu ausfîhrlich, auch die Forschungsergebnisse reflektierend, E. Kaeber, Der „Berliner Unwille“ … (s. Anm. 46), bes. S. 110 ff.; sowie besonders Knut Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern bis zum Ausbruch des Dreißigjhrigen Krieges (1411/ 12 – 1618), in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichte Berlins (= Berlin-Forschungen der Historischen Kommission zu Berlin, 2/1), 1: Von der Frîhgeschichte bis zur Industrialisierung, Berlin 32002, S. 251 – 340, bes. den Abschnitt „Der ,Berliner Unwille’ von 1448 und der Austritt aus der Hanse“, S. 268 – 271.

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Berlin und Cçlln dem Landesherrn offiziell unterwerfen. Die Anfîhrer des Aufstands wurden verbannt, ihr Vermçgen eingezogen.54 Der Verlust der Selbstndigkeit und die Niederlage durch die landesherrliche Gewalt hat nicht nur die Bîrgergemeinde von Berlin und Cçlln tief getroffen, sondern war auch ein Ereignis, das îber den lokalen und landesgeschichtlichen Rahmen hinaus nationalgeschichtliche Bedeutung erlangte. Es war der erste vollkommene Sieg des Fîrstentums îber das Bîrgertum und fîhrte auch in anderen Lndern des Reiches dazu, daß die Landesherren konsequent gegen die stdtische Autonomie in ihren Territorien vorgingen.55 Trotz der Aussicht, jetzt Residenzstadt zu werden, war der Verlust der stdtischen Freiheiten schmerzlich, zumal in dieser Phase Berlin und Cçlln auch wirtschaftliche Schwierigkeiten und tiefgreifende gesellschaftliche Strukturvernderungen bewltigen mußten.56 Fîr die Doppelstadt begann ein neuer Abschnitt ihrer Geschichte: die Entwicklung zur Residenz. Der Markgraf trieb die Bauarbeiten am Schloß zîgig voran, und im Frîhjahr 1451 konnte er sein neues Domizil beziehen.57 Friedrich II. hatte seine erste Regierungshandlung auf mrkischem Boden in Berlin vorgenommen, und Berlin/Cçlln blieb sein bevorzugter, nahezu ausschließlicher Aufenthaltsort in der Mark. Von hier aus unternahm er lediglich mehrere Kurzreisen zur Regelung lokaler Angelegenheiten. Ausgenommen von dieser Entwicklung blieben die lngeren Abwesenheiten im Zusammenhang mit dem Rîckerwerb der Neumark. Wichtigste Station des Markgrafen war hier Kîstrin, was die kînftige Funktion des Ortes als bedeutende Nebenresidenz begrîndete.58 Markgraf Friedrich II. (der Jîngere), ein gleichnamiger Bruder, der îber die Altmark und die Prignitz gebot, whlte zunchst Tangermînde und spter, nach der Stiftsgrîndung von 1459, auch Arneburg zu seinen Hauptaufenthaltsorten.59 Der Berlin/Cçllner Hof ist whrend der Regierungszeit 54 Berliner UB … (s. Anm. 40), S. 410, Nr. 152. 55 Eine sachkundige und einfîhlsame Diskussion der Forschungsbeitrge zum „Berliner Unwillen“ bietet K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53) in dem Abschnitt „Die Bewertung der Vorgnge“, S. 271 – 273. 56 Dazu wird auch die allmhliche Herauslçsung Berlins aus der Hanse beigetragen haben, die allerdings nicht unmittelbar mit dem Berliner Unwillen verbunden war, sondern sich eher in Etappen vollzog, bis sich Berlin 1518 endgîltig von der Hanse lossagte. Zu diesem Ergebnis gelangt auch K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53) in dem Abschnitt „Der ,Berliner Unwille’ und der Austritt aus der Hanse“, S. 270 f. 57 Ob allerdings bei der Errichtung des Berliner Schlosses die Wohnfunktion im Vordergrund stand, wie zuletzt (im Anschluß an E. Faden) P.-M. Hahn angenommen hat, ist nicht erwiesen: Peter Michael Hahn, Struktur und Funktion des brandenburgischen Adels im 16. Jahrhundert (= Historische und Pdagogische Studien, 9), Berlin 1979, S.141 mit Anm. 756. 58 K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 70. 59 K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 68.

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Friedrichs II. nicht an andere Orte verlegt worden, auch dann nicht, wenn der Kurfîrst sich zur Regelung alt- oder neumrkischer Angelegenheiten in Tangermînde beziehungsweise Kîstrin befand. Mit der Errichtung des Cçllner Schlosses erwies sich diese Entwicklung als unumkehrbar.60 Die neue Hauptresidenz der Hohenzollern an der Spree beherbergte hauptschlich den Landesherrn, seine Familie und den Hof 61 sowie die Kanzlei mit der zentralen Landesverwaltung,62 aber keineswegs alle wesentlichen Institutionen, die ein solcher Ort auf sich vereinigen kçnnte. Als Hochgericht wirkte der Schçppenstuhl weiterhin in Brandenburg an der Havel, wenngleich das Hofgericht im Cçllner Schloß getagt haben wird.63 Erst gegen Ende seiner Herrschaft richtete Friedrich II. 1469 in der Pfarrkirche des Cçllner Schlosses ein Domstift mit neun Domherrenpfrînden ein,64 zu dessen reicher Ausstattung65 der Kurfîrst entscheidend beitrug, indem er die ihm auf einer Pilgerfahrt zum Heiligen Grab in Jerusalem66 von Papst Nikolaus V. in Rom 1453 verliehene Goldene Rose seiner Schloßkapelle inkorporierte: „Die besondere Fçrderung der Cçllner Schlosskirche durch Kurfîrst Friedrich II. war ein Schritt in Richtung auf das angestrebte Ziel, in der Mark Brandenburg eine neue Residenz zu schaffen und sie angemessen auszustatten. Machtpolitik, Kirchenregiment und Reprsentationsbedîrfnis griffen dabei ineinander.“67 Friedrich I. hatte bereits 1435, nach der Rîckkehr seiner Sçhne von einer JerusalemWallfahrt, auf dem Harlunger Berg bei Brandenburg an der Havel das Prmonstratenser-Stift St. Marien gegrîndet. Unmittelbar nach dem Tod seines Vaters stiftete Friedrich II. hier im Herbst 1440 einen religiçs geprgten Rit60 Das Itinerar auch dieses Kurfîrsten weist K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19) nach; vgl. dort den Abschnitt „Markgraf Friedrich II.“, S. 63 – 71. 61 Lorenz Beck, Hofpersonal und Bîrgerschaft in der Residenzstadt Berlin-Cçlln im 15. und 16. Jahrhundert, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1997, S. 7 – 32. 62 Hans Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung in der Mark Brandenburg im Mittelalter (= VerçffVGBrandenb), Leipzig 1908, S. 13 ff. 63 Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, 1 (= Beitrge zur Brandenburg-Preußischen Rechtsgeschichte, 1), Berlin 1890, S. 94 – 97. 64 Gustav Abb, Das Domstift zu Cçlln an der Spree, in: Gustav Abb / Gottfried Wentz (Hg.), Das Bistum Brandenburg, 1 (= Germania Sacra. Erste Abteilung, 1), Berlin 1929, S. 211 – 232. 65 Andreas Tacke, Der Reliquienschatz der Berlin-Cçllner Stiftskirche des Kurfîrsten Joachims II. von Brandenburg. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte, in: Jahrbuch fîr Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 57 (1989), S. 125 – 236. 66 Felix Geisheim, Die Hohenzollern am Heiligen Grabe in Jerusalem, insbesondere die Pilgerfahrt der Markgrafen Johann und Albrecht von Brandenburg im Jahre 1435. Aus den Quellen bearbeitet, Berlin 1858. 67 Christiane Schuchard, Die Goldene Rose Nikolaus’ V. von 1453 in der BerlinCçllner Schloßkapelle, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2000, S. 7 – 26, Zitat S. 19.

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terorden, die „Gesellschaft unserer lieben Frau“, der nach einem Sinnbild auf der Ordenskette als „Schwanenorden“ bezeichnet wird.68 Der Kurfîrst beabsichtigte damit „wohl, den Adel der Mark zu strkerer Religiositt und hçfischen Sitten zu erziehen […]. Wie in anderen europischen Staaten sollte sich der Ritterorden zum Kern des im Entstehen begriffenen Hofadels entwickeln“,69 den er damit aber noch nicht auf die Residenz Berlin/Cçlln ausrichtete.70 Was immer ihn bewogen haben mag, das Kurfîrstentum Brandenburg 1470 seinem jîngeren Bruder Albrecht (Achilles) zu îbergeben, sein Ende wollte er nicht in der neuen Residenz finden. Das 1469 errichtete Domstift hat er nicht mit einer Grablege ausgestattet. Friedrich zog sich auf die Plassenburg zurîck und ist nach seinem Tod 1471 in Neustadt an der Aisch nicht in der Mark Brandenburg, sondern neben seinem Vater in der Kirche des Zisterzienserklosters Heilsbronn beigesetzt worden. Wie seine lteren Brîder Friedrich und Johann wurde auch Albrecht (Achilles) im brandenburgischen Tangermînde geboren, wo er auch seine Kindheit verlebte. Mit fînfzehn Jahren kam er 1430 an den Hof Kçnig Sigismunds, dessen reprsentative Hofhaltung und militrische Aktionen neben Albrechts eigenem diplomatischen Geschick bestimmend fîr seinen weiteren Lebensweg sein sollten, wobei er neben den hohenzollernschen Hausinteressen vor allem eine zumeist eng an den Kçnig gebundene Reichspolitik verfolgte. In Brandenburg waren die neuen Landesherren jedoch noch hufig abwesend, und erst mit Albrechts Sohn Johann („Cicero“)71 fungierte Berlin als stndiger Aufenthaltsort der Markgrafen und Kurfîrsten sowie ihres ganzen Hofes.72 Der personelle Kern dieses Hofes ist in den ersten Jahren der Statthalterschaft Johanns fîr seinen Vater Albrecht wohl identisch mit dem Regentschaftsrat, den 68 Rudolph von Stillfried, Das Buch vom Schwanenorden. Ein Beitrag zu den hohenzollerischen Forschungen. Mit 41 photolithographischen Abbildungen, Berlin 1881. 69 Dieter J. Weiss, Die ersten Hohenzollern in der Mark … (s. Anm. 36), Zitat: S. 35 f. 70 Zum Sitz des 1459 errichteten oberdeutschen Zweiges des Schwanenordens bestimmte Albrecht Achilles die Georges-Kapelle bei St. Gumbertus in der frnkischen Residenz Ansbach, wo ihm Papst Pius II. die Privilegien der Marienkirche bei Brandenburg îbertrug. Dazu Julius Meyer, Die Schwanenorden-Ritterkapelle bei St. Gumbertus in Ansbach, Ansbach 1900. 71 ˜ber ihn zusammenfassend J. Schultze, Die Mark Brandenburg … (s. Anm. 37) im Abschnitt 8: „Kurfîrst Johann“, S. 162 – 172; ebenso Dieter J. Weiss, Die ersten Hohenzollern in der Mark … (s. Anm. 36), S. 49 – 51. Zum Beinamen Friedrich Wagner, Kurfîrst Johann von Brandenburg kein Cicero, in: ForschBrandPrG 14 (1901), S. 45 – 68. 72 Von einem der frnkischen Berater des brandenburgischen Kurfîrsten stammt auch die erste îberlieferte Hofordnung. Ediert und kommentiert hat sie Gerhard Schapper, Die Hofordnung von 1470 und die Verwaltung am Berliner Hofe zur Zeit des Kurfîrsten Albrechts im historischen Zusammenhang behandelt (= VerçffVGBrand), Leipzig 1912. Zum Hofpersonal vgl. auch W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 14 f.

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dieser fîr seinen erst fînfzehnjhrigen Sohn einsetzte.73 Abgesehen von den Huldigungsreisen zu Beginn seiner Regentschaft nahm Kurfîrst Albrecht, wenn er sich in der Mark aufhielt, in Berlin/Cçlln seinen stndigen Sitz.74 Auch unter seinen Nachfolgern blieb die Verwaltung in Berlin/Cçlln ansssig, selbst wenn die Landesherren zu kîrzeren Reisen die Residenz verließen. Die Verbindung mit einer fest auf dem Cçllner Schloß etablierten Kanzlei hielten dann Boten aufrecht, die den von den mitreisenden Kanzleischreibern betreuten Schriftverkehr regelten, ein deutlicher Hinweis auf die Verfestigung der Verwaltungsorgane an der Hauptresidenz.75 Ein hufiger Wechsel der Aufenthaltsorte des Markgrafen, wie ihn Albrecht Achilles angeregt hatte, um die Hofhaltungskosten zu senken, war offensichtlich nicht im Sinne seines Sohnes und seiner Nachfolger. Sie waren wohl der Meinung, daß eine Verlegung des Hofes von Residenz zu Residenz, wie es die Hohenzollern offensichtlich in Franken am Ausgang des Mittelalters praktizierten, in der Mark Brandenburg nicht mçglich war. Sowohl der Stand der Lokal- als auch der Zentralverwaltung sowie die gegenîber Franken ungleich grçßere Flche der Mark Brandenburg haben eine wechselnde Ansiedlung der zentralen Landesverwaltung in verschiedenen Landesteilen nicht zugelassen.76 Mit der Ausbildung von Vorformen landesherrlicher Behçrden, aber auch mit dem Anwachsen des Hofpersonals und Befestigung dieser Institution an einem Ort ging die hochmittelalterliche Reiseherrschaft in die sptmittelalterlich-frîhneuzeitliche Residenzherrschaft îber. Landesherrschaft wurde nicht mehr ausschließlich in Form des persçnlichen Regiments des Landesherrn, bei dem aber die Entscheidung verblieb, ausgeîbt. Lediglich die Ausfîhrung der persçnlichen Entscheidung wurde mehr und mehr delegiert. Eine feste Residenz 73 Mitglieder des Rates waren u. a. als Kanzler der Bischof Dr. Friedrich Sesselmann, Bischof Dietrich von Brandenburg, Graf Gottfried von Hohenlohe, Nickel Pfuel, Lorenz von Schaumberg, Andreas von Seckendorf und als Sekretr Heinrich Howek. An der Spitze stand der Kammermeister Georg von Waldenfels. Ihnen folgten der Kanzler Georg von Alsberg und Ludwig von Eyb nach. Dazu: Felix Priebatsch (Hg.), Politische Correspondenz des Kurfîrsten Albrecht Achilles (= Publikationen aus dem Kçnigl. Preußischen Staatsarchive, 59, 67, 71), 3 Bde., Leipzig 1894 – 1898, hier: 1, Nr. 40 – 44. Vgl. auch Julius von Minutoli (Hg.), Das kaiserliche Buch des Markgrafen Albrecht Achilles. Kurfîrstliche Periode von 1470 – 1486, mit einem aus Archivalien des Plassenburger Haus- und Staatsarchiv bearbeiteten Commentare, als Beitrag zur Charakteristik dieses Fîrsten (= Quellensammlung fîr frnkische Geschichte, 2.2), Berlin 1850, S. 7 ff. 74 K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 71 – 77. 75 K.-H. Ahrens, Residenz und Herrschaft … (s. Anm. 19), S. 68. 76 Carl August Hugo Burckhardt (Hg.), Das funfft Merckische Buch des Churfîrsten Albrecht Achilles 1471 – 1473, Jena 1857; sowie vor allem Christian Meyer, Briefe des Kurfîrsten Albrecht Achilles an die Verwalter der Mark Brandenburg (1470 – 1485), in: ZPreussGLdkde 19 (1882), S. 1 – 97.

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war Berlin/Cçlln aber damit noch immer nicht. Die Statthalter des meist abwesenden Kurfîrsten gingen erst seit 1470 zu einer stndigen Hofhaltung îber, die allerdings noch keine nachhaltige Wirkung auf die Stadt ausîbte.77 Hofund Kanzleistellen erhielten die Berliner Bîrger nicht und auf das Berliner Wirtschaftsleben wirkte sich der Hof als Verbraucher kaum aus. Zur Versorgung des Hofes in der festen Residenz bedurfte es auch in nachmittelalterlicher Zeit einer angemessenen und ausreichenden Grundlage. Als Nukleus in der hçfischen Versorgung kann der „Mîhlenhof“ angesehen werden, mit dessen Hilfe bereits im 14. Jahrhundert der Wittelsbacher Hof in der Mittelmark unterhalten wurde. Der Mîhlenhof hatte nicht nur die finanziellen Bedîrfnisse am Hof zu befriedigen, sondern mußte auch die bençtigten Naturalien liefern, eine Aufgabe, die zunehmend in den Mittelpunkt der Leistungen rîckte.78 Strker als mit dem Kurfîrstentum Brandenburg blieben die Hohenzollern noch mit ihrer frnkischen Burgherrschaft Nîrnberg und mit der Reichspolitik verbunden. Hof und Gefolge in Brandenburg bestritten sie mit ihren frnkischen Rten und adligen Gefolgsleuten.79 Im Zuge dieser Entwicklung verlagerten sich die auf den Fîrsten und seine Familie bezogenen Ttigkeiten von Kmmerer, Truchseß, Marschall und Schenk mehr und mehr auf den Hof. Die Inhaber der Hofmter îbernahmen Verwaltungsaufgaben in den Bereichen Finanzen, Hauswirtschaft, Transport- und Kriegswesen.80 Zu zentralen Institutionen am Hof avancierten neben der Kanzlei vor allem das Hofgericht und das Kammergericht.81 Nach der Vollendung des Schloßbaues 1451 hatte der Kurfîrst ein Hofgericht eingerichtet und die Schloßkapelle zum Domstift erhoben.82 Das askanische „Hohe Haus“, einige benachbarte, aber auch andere Grundstîcke vergab er als Burglehen und Freihuser an seine Rte und Amtleute.83 Die fîrstlichen Ratgeber wechselten nicht mehr in dem althergebrachten 77 G. Schapper, Die Hofordnung von 1470 … (s. Anm. 72), passim. 78 Friedrich Holtze, Das Amt Mîhlenhof bis 1600, in: SchrrVGBerlin 30 (1893), S. 19 – 39; Felix Escher, Berlin und sein Umland. Zur Genese der Berliner Stadtlandschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 47), Berlin 1985. 79 Einer der bedeutenden frnkischen Berater und Amtstrger der Hohenzollern war der auch in der Reichspolitik wirkende Ritter Ludwig von Eyb. ˜ber ihn vgl. Albert Werminghoff, Ludwig von Eyb (1417 – 1502). Ein Beitrag zur frnkischen und deutschen Geschichte im 15. Jahrhundert, Halle an der Saale 1919. 80 Dazu umfassend und die ltere Forschung korrigierend P.-M. Hahn, Struktur und Funktion … (s. Anm. 57), 2: Die brandenburgische Amtstrgerschaft, S. 133 – 238. 81 P.-M. Hahn, Struktur und Funktion … (s. Anm. 57), S. 157 – 160. 82 Friedrich Wagner, Die lteste Geschichte des Domes und Domstiftes zu Cçlln-Berlin, in: HohenzJb 8 (1904), S. 37 – 59. 83 J. Kohte, Das Hohe Haus in Berlin … (s. Anm. 15), S. 146 – 163.; E. Mîller Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 139; Ders., Zur Stdtepolitik der ersten mrkischen Hohenzollern … (s. Anm. 47), S. 526 – 544.

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Umfang. Der Landesherr band einzelne Personen fîr lngere Zeit an sich und den Hof, sie wurden Teil seiner Herrschaft. „Das Schloß […] war ein Zentrum politischer Strukturen vormoderner Prgung, in enger Verbindung von Hofund Landes- ,Verwaltung’, sofern man mit diesem schwierigen Begriff îberhaupt schon in diesen Zeiten, um und nach 1500, arbeiten darf.“84 Dafîr bildeten sich stndige Verwaltungsorgane heraus, die sich auf einen juristisch geschulten, festen Amtstrgerstand stîtzten.85 Darîber hinaus wurde Berlin/ Cçlln zum Tagungsort der Stnde, die seit der Mitte des 14. Jahrhunderts die Belange des Kurfîrstentums erçrterten und dazu in unregelmßigen Abstnden hier zusammenkamen.86 Ein Wandel im Stadtbild der Residenz, der seit dem 15. Jahrhundert zu beobachten war, resultierte aus einer regen Bauttigkeit, die auf einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung beruhte, der aber nicht primr mit der Residenzwerdung Berlin/Cçllns zusammenhing. Die Berliner ersetzten ihre Lehmfachwerkhuser durch Steinhuser mit Ziegeldchern, sie erneuerten viele Sakralbauten und statteten sie reicher aus, aber verglichen mit anderen bedeutenden Hansestdten blieb die Doppelstadt an der Spree in ihrer stdtischbîrgerlichen Reprsentation doch stark zurîck.87 Das gilt auch im Hinblick auf Bildung und Kenntnisse der modernen Verwaltung und Geschftsfîhrung, die ebenso wie die ˜bernahme humanistischen Gedankenguts gegenîber den oberdeutschen Stdten und den Seestdten, aber auch gegenîber mitteldeutschen Kommunen wie Leipzig rîckstndig blieb. Eine hçhere Bildungsanstalt fehlte nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Mark Brandenburg. Eine erste Hochschule richtete 1477 der Dominikanerorden ein, indem er sein (allerdings wenig bedeutendes) in der schsischen Provinz angesiedeltes Generalstudium von Erfurt und Magdeburg an die Spree verlegte.88 Die in der zweiten Hlfte des 15. Jahrhunderts zu beobachtende Verstrkung des religiçsen Lebens in Berlin geht ebenfalls nicht auf die Residenzwerdung der Stadt zurîck, sondern gestaltete sich im Rahmen einer îberall in Deutschland zu beobachtenden Steigerung der Volksfrçmmigkeit, die sich als Teil einer allgemeinen Unsicherheit in Stadt und Land ausbreitete. Sie war Kennzeichen einer tiefen Krise in Kirche und Gesellschaft am Ausgang des Mittelalters. Einen Schub erhielt die Residenzwerdung mit der am 24. Februar 1473 im Cçllner Schloß ausgefertigten „Dispositio Achilea“, in der Albrecht îber eine Erbrechtsregelung die 84 W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 16. 85 P.-M. Hahn, Struktur und Funktion … (s. Anm. 57), 2: Die brandenburgische Amtstrgerschaft, S. 133 – 238. 86 E. Mîller Mertens, Die landesherrliche Residenz … (s. Anm. 13), S. 139. 87 L. Beck, Hofpersonal und Bîrgerschaft … (s. Anm. 61), S. 7 – 32. 88 Dietrich Kurze, Das Mittelalter. Anfnge und Ausbau der christlichen Kirche in der Mark Brandenburg, in: Gerd Heinrich (Hg.), Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, S. 15 – 146, bes. S. 98.

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Trennung des Kurfîrstentums Brandenburg von den frnkischen Fîrstentîmern der Hohenzollern einleitete.89 Die hohenzollernschen Kurfîrsten konzentrierten sich nun auf die Herausbildung ihrer Landeshoheit in Brandenburg und gestalteten Berlin weiter zur Fîrstenresidenz und zum Verwaltungszentrum ihres Territorialstaates aus. Deutlich wird das bereits am Itinerar des Kurfîrsten Johann, der das Territorium hauptschlich vom Cçllner Schloß aus regiert hat.90

§ 3 Herrschaftszentrum der hohenzollernschen Renaissancefîrsten Berlin hat sich – abhngig vom Einfluß des jeweiligen Kurfîrsten – in mehreren großen Schîben zur Residenz- und Hauptstadt entwickelt.91 Nach den Anfngen in der zweiten Hlfte des 15. Jahrhunderts sind zwei betrchtliche Intervalle zu beobachten. Die Kurfîrsten Johann Cicero (1486 bis 1499) und Joachim I. (1499 bis 1535)92 vernderten die bauliche Gestalt ihres festen Aufenthalts nur geringfîgig. Insbesondere Joachim I., der fast stndig im Cçllner Schloß residierte, festigte seine Landesherrschaft indem er sich bemîhte, die bestehenden Verhltnisse zu stabilisieren. Diesem Ziel diente auch die Errichtung eines Kammergerichts als Appellationsinstanz von allen grundherrschaftlichen und stndischen Gerichten im Jahre 1516; es war zunchst 89 Die „Dispositio Achilea“ hat Hermann von Caemmerer, Die Testamente der Kurfîrsten von Brandenburg und der ersten beiden Kçnige von Preußen (= VerçffVGBrandenb, 21), Mînchen/Leipzig 1915, S. 27 – 43, Nr. 5, herausgegeben. 90 Richard Wolff, Politik des Hauses Brandenburg im ausgehenden fînfzehnten Jahrhundert (1486 – 1499) (= VerçffVGBrandenb), Mînchen/Leipzig 1919, bes. Anhang I: Aufenthalte des Kurfîrsten Johann. 11. Mrz 1486 bis 9. Januar 1499, S. 185 – 212. 91 Einen instruktiven, aber nicht ganz fehlerfreien ˜berblick zur stadtplanerischen und stdtebaulichen Entwicklung Berlins bietet Alfred Schinz, Berlin. Stadtschicksal und Stdtebau, Braunschweig 1964. Zu einzelnen Aspekten der frîhneuzeitlichen Residenzbildung vgl. u. a. Gerhard Oestreich, Das persçnliche Regiment der deutschen Fîrsten am Beginn der Neuzeit, zuerst 1935, wieder in: Ders., Geist und Gestalt des frîhmodernen Staates. Ausgewhlte Aufstze, Berlin 1969, S. 201 – 234; Kurt Schulz, Residenzstadt und Gesellschaft vom Hoch- zum Sptmittelalter, in: Klaus Funk / Wilhelm Janssen (Hg.), Territorium und Residenz am Niederrhein (= Klever Archiv, 14), Kleve 1993, S. 211 – 227. Zur Nutzungsgeschichte des Berlin/Cçllner Schlosses, auch im 16. und 17. Jahrhundert, vgl. die grundlegende Studie von W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 16 – 35. 92 Johann Cicero und Joachim I. waren auch die ersten beiden Hohenzollern, die sich in der Mark Brandenburg (in der Grablege der brandenburgischen Askanier, im Kloster Lehnin) bestatten ließen. Dazu vgl. Rîdiger Hoth, Darstellung der Geschichte der Hohenzollerngruft im Berliner Dom, in: Die Hohenzollerngruft und ihre Sarkophage. Geschichte, Bedeutung und Restaurierung, Berlin 2005, S. 11 – 26, bes. S. 11; zur innenpolitischen Situation in der Regierungszeit Johann Ciceros vgl. Walther Schotte, Fîrstentum und Stnde in der Mark Brandenburg unter der Regierung Joachims I. (= VerçffVGBrandenb), Leipzig 1911.

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nicht im Schloß, sondern in einem Turm der benachbarten Dominikanerkirche untergebracht.93 Der Landesherr schuf sich damit ein Rechtsmittel fîr das Eingreifen in adlige und patrizische Machtausîbung. Das Kammergericht setzte sich aus akademisch gebildeten, nach rçmischem Recht urteilenden Berufsbeamten zusammen und war insofern ein Fortschritt gegenîber dem alten Hofgericht der adligen Rte. Dieses neue Gericht tagte dreimal jhrlich in Berlin/ Cçlln und einmal in der Nebenresidenz Tangermînde; es ergnzte zunchst noch die Rechtsprechung des Brandenburger Schçffenstuhls.94 Entscheidende ønderungen weist seit der Wende zum 16. Jahrhundert die Bevçlkerungsstruktur der Residenz aus, denn im Migrationsprozeß ist ein grundlegender Wandel zu beobachten: Whrend im Mittelalter der Zuzug von Fremden aus Richtung Westen vorherrschte, kamen Neubîrger nun bevorzugt aus dem Sîden, aus Sachsen, Thîringen und Franken in die Residenz an der Spree. Dabei trat im Umfeld des Hofes die frnkische Kolonie dominierend in Erscheinung. Bei Hofe und in den mit Franken besetzten Regierungs- und Verwaltungsmtern sprach man hochdeutsch und hielt Distanz zu den noch niederdeutsch sprechenden Berlinern. Erst mit der Herrschaftsîbernahme durch Johann Cicero, der seinen Aufenthalt auf Dauer in das Cçllner Schloß verlegte, verringerte sich die Distanz zwischen den zugereisten „Auslndern“ am Hofe und der hauptstdtischen Bevçlkerung. Die Franken begannen nun, aus dem Schloß in die Stadt zu ziehen und heirateten in Berliner Bîrgerfamilien ein. Das Hochdeutsche avancierte zur Umgangssprache der Gebildeten und die alteingesessenen Bîrgergeschlechter wandelten ihre niederdeutschen Familiennamen ins Hochdeutsche um: Aus „Ryke“ wurde „Reiche“. Die hçheren ømter in Kanzlei und Verwaltung konnten nun auch mit Angehçrigen der vornehmen Berliner Bîrgergeschlechter besetzt werden, die Jura im „Ausland“ studiert hatten und mit ihren Fachkenntnissen in die hçheren Fîhrungsschichten aufrîckten, wo sie spezielle Amtsfunktionen am Hof und fîr die kurfîrstliche Landesherrschaft îbernahmen.95 93 Albert Geyer, Geschichte des Schlosses zu Berlin, 1: Die kurfîrstliche Zeit bis zum Jahre 1698, Berlin 1936, S. 23. 94 Zum Berliner Kammergericht vgl. F. Holtze, Geschichte des Kammergerichts … (s. Anm. 63), S. 108 – 120. Zum Brandenburger Schçffenstuhl ist noch immer unverzichtbar das grundlegende Werk von Adolf Stçlzel, Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, 1: Der Brandenburger Schçppenstuhl, Berlin 1901. Durchaus entbehrlich dagegen der zusammenfassende Essay von Friedrich Ebel, Der Schçffenstuhl zu Brandenburg, in: Klaus Christoph Clav¤e (Hg.), Justiz in Stadt und Land Brandenburg im Wandel der Jahrhunderte, Brandenburg an der Havel 1998, S. 44 – 54. 95 P.-M. Hahn, Struktur und Funktion … (s. Anm. 57); Hans Hallmann, Die kurmrkischen Stnde zur Zeit Joachims II., in: ForschBrandPrG 49 (1937), S. 22 – 38; Martin Hass, Bemerkungen îber die Hofordnung Joachims II., in: ForschBrandPrG 19 (1906), S. 223 – 226; Ders., ˜ber die Verwaltung der Amts- und Kammersachen unter Joachim II. und Johann Georg, in: ForschBrandPrG 19 (1906), S. 227 – 232;

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Das massive Bevçlkerungswachstum durch die Einwanderungen hatte zu einer strkeren Ausprgung und Spezialisierung der stdtischen und landesherrlichen Behçrden gefîhrt.96 Die Vielfalt der von ihnen zu lçsenden Aufgaben erforderte einen intensiveren Einsatz der Beamten und damit auch einen hçheren Bildungsgrad. Die hçhere Bildung blieb aber nur den begîterten Familien vorbehalten. Ihre Mitglieder besuchten die Kirchenschulen von St. Petri, St. Marien oder St. Nicolai, und sie studierten an auswrtigen Universitten. Vor allem die Hochschulen in Leipzig und Wittenberg zogen die Berliner Studenten an, was die hochdeutsche Sprachentwicklung in der Residenz nachhaltig mit beeinflußte.97 Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts setzte sich das Meißnische in Berlin als Schriftsprache durch: „Man îbernahm die oberschsische [Schrift]Sprache, aber man sprach sie niederdeutsch aus.“98 Außerhalb der Residenz, auf dem platten Land, behielt man weitgehend das Niederdeutsche auch in der Aussprache bei.99 Den verstrkten Bildungsbedîrfnissen trugen sowohl die Kirche als auch der Landesherr Rechnung. Neben dem Generalstudium der schsischen Ordensprovinz, das die Dominikaner 1477 in das Cçllner Kloster verlegt hatten und das sich zur ersten Berliner Hochschule, an der Gelehrte von Rang ttig waren, entwickelte, wurde nun auch das Berliner Franziskanerkloster erweitert, in dem – vereint mit der „Cçllner Ratsschule“ – das Berlinische Gymnasium „Zum Grauen Kloster“ entstand, das noch heute besteht. Diesem

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Otto Hintze, Hof- und Landesverwaltung in der Mark Brandenburg unter Joachim II., zuerst 1906, wieder in: Ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, hg. und eingel. v. Gerhard Oestreich, Gçttingen 21967, S. 204 – 254; Bernhard Landmesser, Die Stnde der Kurmark Brandenburg unter Joachim II. (1535 – 1571), jur. Diss. Kiel 1929; Helmuth Croon, Die kurmrkischen Landstnde 1571 – 1616 (= Verçffentlichungen der Historischen Kommission fîr die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, 9/1), Berlin 1938. Die Bîrgerbîcher von Berlin und Cçlln lassen fîr die erste Hlfte des 16. Jahrhunderts die Herkunftsgebiete der Zuwanderer erkennen: Peter von Gebhardt (Hg.), Die Bîrgerbîcher von Cçlln an der Spree 1508 – 1611 und 1689 – 1709 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Berlins, 3), Berlin 1930; sowie Ders. (Hg.), Das lteste Berliner Bîrgerbuch 1453 – 1700 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Berlins, 1), Berlin 1927. Auf der Grundlage der Bîrgerbîcher hat Knut Schulz eine „Karte îber die Zuwanderung nach Berlin (16. Jahrhundert)“ erarbeitet. Vgl. K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 303. Vgl. Agathe Lasch, Die Aufnahme des Hochdeutschen in Stadt und Gerichtskanzlei in Berlin und Cçlln, in: Dies., Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Dortmund 1910, Kapitel 7, S. 154 ff. Agathe Lasch, Berlinisch. Eine Berlinische Sprachgeschichte, Berlin 1928, ND Darmstadt 1967, S. 81 und S. 84. Vgl. dazu auch das Kapitel „Das 16. und 17. Jahrhundert: Hochdeutsch neben Niederdeutsch“ von Hartmut Schmidt, in: Joachim Schildt / Hartmut Schmidt, Berlinisch. Geschichtliche Einfîhrung in die Sprache einer Stadt, Berlin 21992, S. 141 – 152.

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Gymnasium inkorporiert waren die Kirchenschulen von St. Nicolai und St. Marien. Es ist dann spter u. a. von Schadow, Schleiermacher, Schinkel, Bismarck und dem Turnvater Jahn besucht worden.100 Die hochdeutschen Einflîsse zeigen sich auch in der immer enger werdenden Verflechtung von Berliner Kaufleuten und Bankiers mit dem aufblîhenden Wirtschaftsplatz Leipzig und darîber hinaus mit Nîrnberg und Oberdeutschland. Der Bevçlkerungszuwachs nahm bald solche Ausmaße an, daß die Stdte Berlin und Cçlln ihn nicht mehr bewltigen konnten. So begann im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts bereits eine vorstdtische Bebauung vor den beiden Toren Cçllns und dem Berliner Georgentor.101 Mit dem raschen Bevçlkerungszuwachs nahmen aber auch die sozialen Probleme zu. Unter den Fremden, die die Residenz anlockte, befanden sich auch viele, denen wirtschaftlicher Erfolg versagt blieb. Pest, Teuerungen und Hungersnçte kamen hinzu. Weder private noch kirchliche Initiativen reichten aus, um die sozialen Probleme zu lçsen. Auch die Versuche des Rates, mit Verordnungen wie der Bettelordnung oder der Armenordnung der Lage Herr zu werden, brachten keine dauernden Erfolge. So mußte die soziale Frage immer wieder neu aufgegriffen werden und bildete eine stndige Quelle von Unruhen und Konflikten in der Residenz.102 Die Anwesenheit des Hofes hatte sich zunchst nicht belebend auf die Wirtschaft der Residenz ausgewirkt. Die hufige Abwesenheit der ersten Hohenzollern und ihre Verbundenheit mit ihren frnkischen Landen hielten den wirtschaftlichen Nutzen fîr die Bevçlkerung noch in engen Grenzen.103 Erst das steigende Reprsentationsbedîrfnis von Joachim I. und Joachim II. fîhrte zu wirtschaftlichem Wachstum in der Stadt. Von der steigenden Nachfrage des Hofes profitierten jedoch in erster Linie die Handwerker und Krmer. Dreiundzwanzig neue Innungen entstanden whrend des 16. Jahrhunderts in Berlin, vor allem Spezialisten wie z. B. Seidensticker, Hutmacher, Teppichmacher, Pastetenbcker. Dies reichte jedoch fîr einen weitergehenden und lnger anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung noch nicht aus. Aber die Anwesenheit des Landesherrn und der Hofgesellschaft machte sich durchaus nicht immer positiv bemerkbar, etwa durch erhçhte Auftragseintrge und Nachfrage. Es gab – besonders aus der Sicht der alteingesessenen Bîrgerschaft – durchaus auch 100 Martin Diterich, Berlinische Kloster- und Schulhistorie, Berlin 1732, ND Berlin 1997; Harald Scholz, Gymnasium Zum Grauen Kloster 1874 – 1974. Bewhrungsprobe einer Berliner Gymnasialanstalt in ihrem vierten Jahrhundert, Weinheim 1998. 101 K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 326 f. 102 K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 333 f. 103 Georg Droege, Die finanziellen Grundlagen des Territorialstaates in West- und Ostdeutschland an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: VjschrSozialWirtschG 53 (1966), S. 145 – 161; Hugo Rachel, Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frîhkapitalismus, Berlin 1931.

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negative Tendenzen, so zum Beispiel wegen der Auflockerung des Zunftzwanges, denn mit der Erteilung kurfîrstlicher Privilegien fîr den Status von Hofhandwerkern und Freimeistern wurde zumindest das gewerbliche Monopolrecht durchlçchert. Allerdings ist von seiten des Hofes offensichtlich in dieser Frage Zurîckhaltung geîbt worden, um die Spannungen gegenîber den Berliner Innungen nicht zu groß werden zu lassen. Trotzdem geriet das Tuchgewerbe in Berlin und Cçlln im 16. Jahrhundert in eine schwere und lang andauernde Krise, aus der es auch die Bemîhungen des Hofes vorerst nicht herauszufîhren vermochten, doch nahmen andere Gewerbe und Handwerke in Verbindung mit der Residenz und mit dem dort immer aufwendiger gewordenen Lebensstil einen bemerkenswerten Aufschwung. In vielen Bereichen blieb Berlin/Cçlln insgesamt aber eine zwar grçßere, aber durchaus durchschnittliche Bîrgerstadt mit einer in vielen Bereichen spîrbaren Verbindung zur Landwirtschaft, in Teilen eine Ackerbîrgerstadt, mit Weinbergen und Grten, mit Hopfengrten sowie mit Baum- und Gemîsegrten in der unmittelbaren Umgebung. Viele der Bîrgergrten waren mit Gartenlauben oder Gartenhusern bestîckt, daneben entstanden auch einige Gewerbeansiedlungen.104 Mit der Errichtung des Jagdschlosses Grunewald um die Mitte des 16. Jahrhunderts schuf Joachim II. die erste wichtige Nebenresidenz im Berliner Raum. Mit der Anlage von weiteren Aufenthaltsquartieren bildeten sich auch im weiteren Umfeld der Berliner Zentrallandschaft neue Besitzschwerpunkte des Landesherrn. Dem standesgemßen Jagdbedîrfnis war auch die Errichtung kurfîrstlicher Jagdhuser in Grimnitz (1528), Tegel (um 1558) und Caputh (1607) geschuldet. Die bereits bestehenden Burgen in Bçtzow (Oranienburg) und Kçpenick dienten ebenfalls den kurfîrstlichen Jagdgesellschaften.105 Mit den gesteigerten Ansprîchen der Hofhaltung verbunden ist dann erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Errichtung von Sommerresidenzen.106 Auf Joachim II. geht auch der Ausbau der Spandauer Zitadelle zurîck. Damit wurde fîr die Stdte Berlin und Spandau eine klare Aufgabenteilung vorgenommen: die Residenzfunktionen blieben bei der zunchst nur schwach befestigten Doppelstadt Berlin/Cçlln, whrend Spandau, an strategisch gînstigerer Stelle gelegen, weiterhin den militrischen Schutz der Haupt- und Residenzstadt îbernahm.107 Erst im folgenden Jahrhundert, nach dem Dreißigjhrigen Krieg, verband der Große Kurfîrst die staatliche Wirtschaftsfçrderung fîr das Territorium mit einem Ausbau der Hauptstadt und ihrer starken Befestigung. In seine Regierungszeit fllt dann die Grîndung der ersten Neustdte (Friedrichswerder und Dorotheenstadt), aber auch die Errichtung des Potsdamer Stadtschlosses, das 104 105 106 107

K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 320 – 325. F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), S. 76. F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), S. 76 – 78. F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), S. 78 mit weiterer Literatur.

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den Kern einer kînftigen zweiten Hauptresidenz – allerdings ohne Hauptstadtfunktion – bilden sollte.108 Der sptmittelalterliche Cçllner Schloßbau entsprach schon lange Zeit nicht mehr dem Reprsentationsbedîrfnis eines Renaissancefîrsten. Auch die expandierende Landesverwaltung und die zentralen politischen Institutionen bençtigten mehr Rumlichkeiten als das alte Schloß ihnen bot. Joachim II. (1535 bis 1571)109 ließ das „alte“ Schloß grundlegend umgestalten und erweitern sowie um einen Neubau ergnzen.110 Nach einem von dem kurschsischen Baumeister Konrad Krebs entworfenen Modell errichtete nach dessen Tod, 1540, sein Schîler und Nachfolger Caspar Theiß, der auch die Jagdschlçsser Grunewald und Kçpenick gebaut hatte, ein stattliches, dreigeschossiges Gebude mit Ecktîrmen und reprsentativen Dachgiebeln.111 Innerhalb des Schloßbezirkes entstanden eine Stechbahn fîr Turniere und Ritterspiele sowie ein Ballhaus, ein Reithaus und ein Jgerhof.112 Der Kurfîrst ließ auch einen schnellen Verbindungsweg vom Stadtschloß zum Jagdschloß Grunewald bauen, der z. T. durch sumpfiges Gelnde fîhrte und deshalb als Bohlendamm („Kurfîrstendamm“) angelegt war.113 1573 errichtete dann der Kurfîrst Johann Georg einen neuen Lustgarten,114 zu dessen Bewsserung (aber auch fîr die Versorgung des Schlosses mit fließendem Wasser) 1580 einer der Schloßtîrme zum Wasserturm umgebaut wurde. Acht Jahre zuvor hatten Mitglieder der bîrgerlichen Fîhrungsschicht, die sich diesen Luxus leisten konnten, bereits eine erste Wasser108 A. Schinz, Berlin. Stadtschicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 71 – 82; sowie Gerd Heinrich, Festung, Flîchtlingsstadt und Fîrstenresidenz. Zur Entwicklung und Raumfunktion brandenburgisch-preußischer Neustdte 1660 – 1786, in: Abhandlungen aus der Pdagogischen Hochschule Berlin 1 (1974), S. 137 – 177, bes. S. 171 ff. 109 ˜ber Joachim II. und seine Zeit vgl. A. Zimmermann, Geschichte der Mark Brandenburg unter Joachim I. und II., Berlin 1841; sowie J. Schultze, Die Mark Brandenburg … (s. Anm. 37), 4, S. 9 – 100. 110 R. Nicolas, Ist das Schloß Kurfîrst Friedrichs II. … (s. Anm. 52), S. 58 – 63; sowie zusammenfassend zur gesamten Neugestaltung des Zentrums der Residenz W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 16 – 20. 111 Goerd Peschken / Hans-Werner Klînner, Das Berliner Schloß. Unter Mitarbeit von Fritz-Eugen Keller und Tilo Eggeling, Frankfurt am Main/Wien/Berlin 1982, S. 29 ff.; A. Geyer, Geschichte des Schlosses … (s. Anm. 93), S. 34 ff. 112 E[rnst] Fidicin, Historisch-diplomatische Beitrge zur Geschichte der Stadt Berlin, 4, ND Berlin 1990, Nr. 239, S. 286 ff. 113 Eberhard Bohm, Kurfîrstendamm. Entstehung und erste Entwicklung, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Von der Residenz zur City. 275 Jahre Charlottenburg, Berlin 1980, S. 67 – 102, bes. S. 70 – 78. 114 Zum Berliner Lustgarten vgl. Bogdan Krieger, Berlin im Wandel der Zeit. Eine Wanderung vom Schloß nach Charlottenburg, Berlin 1929; sowie die ebenfalls eher kunsthistorisch orientierte Studie von Markus Jager, Der Berliner Lustgarten. Gartenkunst und Stadtgestalt in der Mitte Preußens (= Kunstwissenschaftliche Studien, 20), Mînchen 2004.

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kunst errichtet, die aber ebenso wie die kurfîrstliche kaum zur Trinkwassererzeugung geeignet war, da sie nur schmutziges beziehungsweise verunreinigtes Wasser lieferte, das sich allenfalls zum Waschen, Lçschen oder zur Gartenbewsserung eignete. Jenseits der Spree, auf dem Werder, entstand 1602 ein Ballhaus, in dem man eine frîhe Form des Tennis mit dem „Raquet“ spielte. Neu war auch das Reithaus, eine gedeckte Reitbahn zum ˜ben und zum Zureiten der Pferde. Ein „Jgerhof“, der mit dem Schloß durch die Hundebrîcke (spter: Schloßbrîcke) verbunden war, diente als Versammlungshof der Jagdgesellschaft, wenn man sich zur Jagd nach Kçpenick, zum Jagdschloß Grunewald oder auch nur zum Ausreiten in den Tiergarten traf. Weiter ausgebaut wurde in dieser Zeit auch das Stadtschloß.115 Rochus Graf zu Lynar,116 der auch die Spandauer Befestigungsanlagen verstrkte, îbernahm die Bauleitung am Schloß. Mit Hilfe schsischer Bauhandwerker errichtete er 1579/80 einen Eckbau im Nordwesten des Schlosses, den sogenannten Apothekenflîgel, dann 1585 bis 1590 das Haus der Herzogin an der Spreefront mit zwei Ecktîrmen und offenem Obergeschoß, und schließlich 1591 bis 1593 an der Westseite das Vorschloß, so daß nun der gesamte innere Hof von Gebuden umgeben war.117 Sowohl Joachim I. als auch sein Nachfolger traten nicht nur als Territorialfîrsten in Erscheinung, beide engagierten sich nachhaltig auch in der Reichspolitik. Hier sahen sie sich mit einem Vorgang konfrontiert, der nicht nur ihre Position als Reichsfîrsten, sondern ganz unmittelbar als Landesfîrsten im Verhltnis zu ihren Untertanen und damit auch zu den Bîrgern und Einwohnern ihrer Residenz und Hauptstadt tangierte: Gemeint ist die sich anbahnende konfessionelle Spaltung in Deutschland. Als Martin Luther 1517 die Reformation einleitete, gehçrte die Stadt Wittenberg zwar politisch zu Sachsen, aber kirchlich zum Bistum Brandenburg.118 Der brandenburgische Kurfîrst Joachim I. hatte sich eng an Kaiser Karl V. angeschlossen und hielt streng am Katholizismus fest. Obgleich die neue Lehre sich rasch in der Mark Brandenburg ausbreitete und auch vor der kurfîrstlichen Familie nicht halt machte (Kurfîrstin Elisabeth bekannte sich zum Luthertum und entschloß sich, das Land zu verlassen), blieb Joachim I. ein entschiedener Gegner der Reformation 115 K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 327 f. 116 Fedor von Rauch, Graf Rochus Guerini zu Lynar, in: MittVGBerlin 25 (1908), S. 310 – 312. 117 G. Peschken / H. W. Klînner, Das Berliner Schloß … (s. Anm. 111), S. 29 ff.; sowie A. Geyer, Geschichte des Schlosses … (s. Anm. 93), S. 34 ff.; G. Peschken, Das kçnigliche Schloß zu Berlin … (s. Anm. 51); Goerd Peschken, Von der kurfîrstlichen Residenz zum Kçnigsschloß, in: G. Peschken / H. W. Klînner, Das Berliner Schloß … (s. Anm. 111), S. 20 – 73; L. Wiesinger, Das Berliner Schloß … (s. Anm. 51). 118 Willy Hoppe, Luther und die Mark Brandenburg, zuerst 1950, wieder in: Ders., Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewhlte Aufstze, hg. v. Herbert Ludat, Kçln/Graz 1965, S. 288 – 308.

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und ließ Luthers Schriften in seinem Kurfîrstentum verbieten.119 Joachims Sohn und Nachfolger steuerte in Glaubensfragen zunchst einen hnlichen Kurs. Doch am 13. Februar 1539 traten die Rte der Berlin/Cçllner Residenz zusammen und forderten in einem Schreiben vom 15. Februar vom Landesherrn die Einfîhrung des Abendmahls nach evangelischem Ritus. Am 1. November 1539 machte ihnen Joachim II. dann ein Zugestndnis. Gemeinsam mit einigen brandenburgischen Adligen empfing er - wahrscheinlich in der Spandauer Nikolaikirche - von dem brandenburgischen Bischof Matthias von Jagow das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Am folgenden Tag predigte der Bischof vor dem Rat und der Bîrgerschaft der Stdte Berlin und Cçlln sowie vor vielen auswrtigen Geistlichen in Berlin.120 Damit hatte die Reformation in der kurfîrstlichen Residenz und Hauptstadt Einzug gehalten. Die anderen mrkischen Stdte und die gesamte Mark Brandenburg folgten in den nchsten Jahren. Dabei kam es nirgends zu Blutvergießen und harten Zwangsmaßnahmen wie in anderen deutschen Lndern, da die Stnde die Reformation wollten und der Kurfîrst ihnen folgen mußte, weil er zur Begleichung seiner Schulden und zur Bestreitung seiner enormen Hofhaltungskosten auf die Skularisierungsgewinne aus der Reformation, also auf die Enteignung und Nutzung des Kirchengutes, angewiesen war. Die Einfîhrung der Reformation im Kurfîrstentum Brandenburg wies dem Territorialfîrsten die Funktion des „summus episcopus“ zu, dem das Visitationsrecht oblag und der auch eine Neuordnung aller kirchlichen Einrichtungen und Gîter vornehmen konnte. Er hatte fortan das Recht zur Besetzung der Pfarrstellen und geistlichen ømter und ihm oblag auch die Gesetzgebung und die Rechtsprechung in allen geistlichen Angelegenheiten mittels des 1545 nach schsischem Muster eingerichteten Konsistoriums, der obersten Kirchenbehçrde.121 Neben dem Kammergericht als oberster Justizbehçrde, der Amtskammer fîr die Verwaltung der landesherrlichen Domnen und Regalien122 ist das 119 Iselin Gundermann, Kirchenregiment und Verkîndigung im Jahrhundert der Reformation (1517 – 1598), in: Gerd Heinrich (Hg.), Tausend Jahre Kirche in BerlinBrandenburg, Berlin 1999, S. 147 – 242, bes. S. 147 – 157 (Kurfîrst Joachim I. und die neue Lehre); sowie Walter Delius, Die Kirchenpolitik Joachims I., in: Jahrbuch fîr Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 49 (1974), S. 7 – 41. 120 Die Vorgnge um den ˜bertritt Joachims II. sind wiederholt erçrtert worden, aber wohl nicht mehr zweifelsfrei zu klren. Vgl. dazu u. a. Wolfgang Ribbe, Der Reformationstag der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch fîr Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 49 (1974), S. 59 – 66, mit weiterer Literatur. 121 Wolfgang Ribbe, Modernisierung und Beharrung. Aspekte der Kirchenpolitik der brandenburgischen Hohenzollern im Spannungsfeld von innerkirchlichen Reformbestrebungen und Reformation, in: JbBrandenbLdG 41 (1990), S. 165 – 179; sowie I. Gundermann, Kirchenregiment … (s. Anm. 119), S. 158 – 203. 122 M. Hass, ˜ber die Verwaltung … (s. Anm. 95), passim.

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„Cçllnische Konsistorium“ als oberste Kirchenbehçrde in Berlin/Cçlln etabliert worden, die ihren Sitz zunchst im Schloß erhielt.123 Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bestimmte die kurfîrstliche Residenz zunehmend das Stadtbild und das gesellschaftliche Leben Berlins und Cçllns. Wie an allen europischen Fîrstenhçfen gab es seit dem Ausgang des Mittelalters mehr Dienerschaft und „Staatsbeamte“. Das hing eng zusammen mit der Ausbildung frîhmoderner Regierungsformen. Auch in Brandenburg gab es nun neue und erweiterte Zentralbehçrden, die smtlich noch beim Hof, also im Schloß ihren Sitz hatten. Viele Amtstrger, Hofleute, Kînstler und Gelehrte sind in dieser Zeit aus dem fortschrittlichen Nachbarstaat Sachsen an den Berliner Hof berufen worden, wo sie in Politik, Kultur und Wirtschaft großen Einfluß erlangten, unter ihnen der Kanzler Lampert Distelmeier. Die hohen Amtsleute erhielten Burglehen. Vor allem in der Breite Straße, aber auch bei der Schloßfreiheit sowie spter auf dem Friedrichswerder sind zahlreiche Hofleute angesiedelt worden. Schloßbezirk, Burglehen, Werder und Mîhlendamm sowie alle zum Hof gehçrenden Personen waren der Gerichtsbarkeit und dem Steuerrecht der Stadtrte entzogen. Sie unterstanden direkt der kurfîrstlichen Gewalt, die durch den Hausvogt wahrgenommen wurde. Da sich die Exemtionen stndig personell und territorial ausweiteten, kam es, wie das in allen Residenzen zu verzeichnen ist, auch in Berlin und Cçlln zu einem Dualismus zweier rechtlich und verwaltungsmßig getrennter Bezirke. Hoffeste prgten nun auch das ußere Erscheinungsbild der aufstrebenden Residenz.124 Zwei bildliche Darstellungen, die 1592 anlßlich einer kurfîrstlichen Tauffeier entstanden, zeigen ein Ringrennen und ein Feuerwerk, die vor dem Schloß stattfanden.125 Dem Schloß gegenîber ließ Joachim II. eine Stechbahn errichten, die als Schauplatz festlicher Turniere diente. Eines der grçßten fand 1545 anlßlich der Doppelhochzeit statt, mit der sich der brandenburgische Kurfîrst mit dem schlesischen Herzoghaus verschwgerte.126 Ein anderer Anlaß, kurfîrstliche Macht und fîrstlichen Glanz darzustellen, bot 1569 die vom polnischen Kçnig erreichte Mitbelehnung fîr das Herzogtum Preußen, also die Anwartschaft auf dieses Territorium. Bereits Joachim II. zelebrierte Hochzeiten und Taufen im Schloß und im Schloßbezirk auf diese 123 Das Konsistorium zog spter um in das Kollegienhaus in der Lindenstraße. 124 Barbara Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europischen Publikum, in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 145 – 176; Carl von Bardeleben, Festlichkeiten am Brandenburgischen Hofe zur Zeit des Kurfîrsten Joachim II. in Berlin, in: MittVGBerlin 24 (1907), S. 61 – 68; sowie die zusammenfassende Darstellung von K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 328 – 230. 125 Wolfgang Schneider / Wolfgang Gottschalk, Berlin. Eine Kulturgeschichte in Bildern und Dokumenten, Leipzig/Weimar 1980, S. 94 f., Abb. 112 und Abb. 113. 126 F. Holtze, Die Berolinensien … (s. Anm. 52), S. 44 f.

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Weise. Solche Veranstaltungen hatten Volksfestcharakter, denn die Zînfte bildeten dabei Spalier und konnten das Schauspiel miterleben.127 Aber auch die Bîrger feierten gern ausgedehnte Hochzeiten in der Residenz, die zum Teil den Charakter von Volksfesten annahmen und in der Regel drei Tage dauerten.128 Mit dem Erlaß von Luxus- und Polizeiordnungen versuchte man, diesen großen Aufwand einzuschrnken. Vor allem sollten dadurch auch gesellschaftlich-stndische Unterschiede klar erkennbar bleiben, und zwar nicht nur gegenîber dem Hof, sondern auch innerhalb der Bîrgerschaft. Eine Polizeiordnung unterschied 1580 vier Stnde innerhalb der Bîrgerschaft. Fein abgestuft diktierte die Polizeiordnung den einzelnen Stnden die Anzahl der zulssigen Tische und damit der teilnehmenden Personen, aber auch die Anzahl der zu reichenden Gerichte, sogar die Qualitt des Bieres, die zulssige Zahl der Fackeltrger und Musiker, die Art der Musikinstrumente und die Aufwendungen fîr gegenseitige Geschenke. øhnliche Bestimmungen gab es fîr Verlçbnisse, Taufen, Begrbnisse und hinsichtlich der Bekleidung. Befolgt worden ist die Polizeiordnung aber kaum, denn der Kurfîrst Friedrich Wilhelm beklagte sich im Jahre 1600 bei den Ratsherren von Berlin und Cçlln îber die weitgehende Mißachtung der alten Ordnung und die Entfaltung eines îbermßigen Aufwandes an Schmuck, Kleidung und Gastereien.129 Es gab auch eine gemeinsame Veranstaltung von Dienerschaft und Hof, das Schîtzenfest. In der Besttigung der Cçllner Schîtzengilde von 1572 werden die Privilegien der Vereinigung genannt, die als vornehmste Gilde bezeichnet wird, der alle Ratspersonen von Amts wegen anzugehçren hatten, whrend die Bîrger und das geschworene Hofgesinde fîr zwçlf Silbergroschen die Mitgliedschaft erwerben konnten. Bestandteil des Festes waren nicht nur das Schießen sowie das Essen und Trinken mit dem geselligen Beisammensein, sondern auch ein soziales Engagement. Der Gilde oblag auch die Armenfîrsorge, die sie gegenîber dem Gertrauden-Hospital oder gegenîber verarmten Mitbîrgern oder Schwestern auszuîben hatte. Da die Mitglieder der Gilde die Kosten, die das Fest verursachten, nicht mehr tragen konnten, îbernahmen die Sçhne des Kurfîrsten, die noch jugendlichen Markgrafen, die Rolle der Gildenmeister der Schîtzengilde, und zwar Markgraf Christian (1581 bis 1655) fîr Cçlln und Markgraf Joachim Ernst (1583 bis 1625) fîr Berlin.130 Mit den Skularisierungsgewinnen aus der Reformation konnte das landesherrliche Amt Mîhlenhof erheblich erweitert werden, das mit seiner be127 Eberhard Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Krieg (= Berlinische Bîcher, 1), Berlin 1927, S. 8. 128 K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), passim. 129 E. Fidicin, Historisch-diplomatische Beitrge … (s. Anm. 112), Nr. 253, S. 317 ff. 130 Beide richteten im Juni und Juli 1593 das Schîtzenfest in Cçlln beziehungsweise Berlin aus. Das Cçllner Schîtzenfest fand am Pfingstmontag statt, das Berliner Schîtzenfest am Montag nach Jacobi, also Ende Juli.

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trchtlichen Eigenwirtschaft in Mîhlenbeck sowie mit den skularisierten Lehniner Klosterdçrfern in seiner Umgebung, aber auch mit vielen anderen weiterreichenden neuen Besitzungen die immer anspruchsvolleren Wînsche des Berliner Hofes zu befriedigen hatte.131 Daneben mußten noch weitere ømter (Kçpenick, Spandau, Potsdam) zum Unterhalt der Residenz(en) beitragen. Die Landesherrschaft betrieb in der Mittelmark eine zielgerichtete Erwerbspolitik, in deren Folge mehr als die Hlfte aller Siedlungen im Raum um Berlin den landesherrlichen ømtern gehçrte.132 Aber auch ihre Ertrge reichten schließlich nicht aus, die Ansprîche eines Renaissancefîrsten und seines Hofes zu befriedigen. Die kostspielige Hofhaltung insbesondere Joachims II. fîhrte zu einer immensen Schuldenlast. Ein umfassendes Bauprogramm, Kunstsammlungen, îppige Feste und schließlich eine Außenpolitik, die auf Ansprîche in Preußen und Schlesien zielte, verschlangen gewaltige Summen. Der Landesherr zog die Steuerschraube fester an, aber auch die von den Landstnden bewilligte Sondersteuer vermochte nicht die riesigen Lçcher zu stopfen, und auch immer wieder neue Kreditschçpfungsmaßnahmen und Umschuldungen schufen keine Abhilfe. 1567 ließ der Kurfîrst sogar smtliche Schmuckmînzen, aber auch alles Bargeld und sonstiges Vermçgen von den Kaufleuten und Bankiers seiner Haupt- und Residenzstadt zwangsweise einziehen, um seine Schulden decken zu kçnnen.133 Auf dem Landtag von 1564 îbernahmen Adel und Stdte die 400.000 Taler der kurfîrstlichen Schulden. Der Kurfîrst nçtigte die Landstnde wiederholt zur ˜bernahme seiner Verbindlichkeiten und stand doch bei seinem Tode 1571 mit 4,7 Millionen Taler bei seinen unzhligen Glubigern in der Kreide. Die Bevçlkerung der Residenz, also der grçßten und wohlhabendsten Stadt des Landes, mußte einen besonders großen Anteil daran tragen. „Der Beliebtheit Joachims, der auch schon mal mit stattlichem Gefolge bei Berliner Geschlechtern zu Festen erschien, tat dies offenbar keinen Abbruch.“134 Bereits 1567 hatten die Bîrgermeister und kurfîrstlichen Beamten in Berlin und Cçlln das Vermçgen der Bîrger zu schtzen, um anschließend einen hçheren Schoß von einem Taler pro Haus und sechs Pfennigen von jedem Schock Groschen festzulegen. Die Steuer wurde zweimal jhrlich erhoben und entsprach einer Abgabe von etwa zwei Prozent des bîrgerlichen Besitzes. Kurfîrst Johann Georg erhçhte bei seinem Regierungsantritt 1571 zustzlich die Bierakzise, die eintrglichste Verbrauchssteuer auf das allgemeine Volksgetrnk jener Zeit. Doch 131 F. Holtze, Das Amt Mîhlenhof … (s. Anm. 78), S. 19 – 39. 132 Berthold Schulze, Besitz und siedlungsgeschichtliche Statistik der brandenburgischen ømter und Stdte 1540 – 1800, Berlin 1935, bes. S. 45 ff. 133 Gustav Adolf von Mîlverstedt, Die ltere Verfassung der Landstnde in der Mark Brandenburg vornmlich im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 1858, S. 45. 134 W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 20.

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die Kassen des Fîrsten waren ein Faß ohne Boden, und selbst unter einem verantwortungsbewußten Regenten wren die Kosten des Renaissancehofes und Staatswesens von einem Land, das im Unterschied zum benachbarten Sachsen weder Erzlagersttten noch ein blîhendes Gewerbe besaß, kaum zu tragen gewesen.135 Als Versorgungsdepot fîr den Hof in Berlin fungierte weiterhin das landesherrliche Amt Mîhlenhof, das allerdings nur die Grundversorgung sichern konnte.136 Eine wichtige Rolle bei der Geldbeschaffung fîr die Kurfîrsten und ihre Hofhaltungen fiel den Juden zu.137 Zeitweise verfolgt und vertrieben, gelangten sie immer wieder in die Position von Geldbeschaffern fîr das kurfîrstliche Haus in der Residenz. Diese Phase des 16. Jahrhunderts erlebte auch eine erneute Welle von Judenverfolgungen. War die Lage der Juden seit den ersten Pogromen anlßlich der großen Pestepidemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts immer mehr oder weniger gefhrdet gewesen, so kam es unter Joachim I. zu schweren Ausschreitungen gegen sie. Angeblich sollten sie Hostien aus einer Kirche gestohlen, verkauft und geschndet haben. Der Kurfîrst machte hundert Juden den Prozeß und ließ 38 von ihnen am 19. Juli 1510 auf dem Neuen Markt seiner Hauptstadt verbrennen. Alle Juden des Landes verloren ihr Vermçgen. Niemand, der Schulden bei ihnen hatte, brauchte diese zu begleichen, und die am Leben gebliebenen Juden wurden aus Berlin und der Mark Brandenburg ausgewiesen.138 Vier Jahrzehnte lebten hier keine Juden mehr. 1550 kam der Jude Lippolt mit Vater und Brîdern aus Prag nach Berlin an den Hof und fungierte als Vertrauter des Kurfîrsten, der ihn 1556 zum obersten mrkischen Juden mit der Aufgabe der Schutzgeldeinziehung ernannte. Lippolt war nicht wie sein Vorgnger ein Finanzier im großen Stil, er erledigte fîr seinen Herrn die delikaten Geschfte. 1565 îbertrug ihm der Kurfîrst die Mînze und von 1568 bis 1571 prgte Lippolt unter seinem Wappen, dem Davidstern, mrkische Goldgulden. Daneben betrieb er eine Pfandleihe, deren Kunden sowohl am

135 G. Droege, Die finanziellen Grundlagen … (s. Anm. 103), bes. S. 156 – 159; und vor allem W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 20 f. 136 Friedrich von Medem, Berlin im Jahre 1617, in: Allgemeines Archiv fîr die Geschichtskunde des Preußischen Staates 6 (1831), S. 193 – 213. 137 Heinrich Schnee, Die Hoffinanz und der moderne Staat. Geschichte und System der Hoffaktoren an deutschen Fîrstenhçfen im Zeitalter des Absolutismus. Nach archivalischen Quellen, 1: Die Institution des Hoffaktorentums in Brandenburg-Preußen, Berlin 1953; Hugo Rachel, Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, in: ForschBrandPrG 40 (1927), S. 221 – 260. 138 Friedrich Holtze, Das Strafverfahren gegen die mrkischen Juden 1510 (= SchrrVGBerlin, 21), Berlin 1884.

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Hofe als auch im Bîrgerturm der Residenzstadt zu finden waren. Als Johann Georg die Nachfolge als Kurfîrst antrat, ließ er Lippolt hinrichten.139 Mit der Person des Kurfîrsten Joachims II. ist auch die Bereitschaft zur Spekulation und zur Planung abenteuerlicher Projekte verbunden. Mit dem sittenstrengen Kurfîrsten Johann Georg verbindet sich dagegen die Neigung zum Grîblerischen und zum Glauben an die Sterne und trotz aller Nîchternheit in çkonomischen Fragen auch die Bereitschaft, der Alchimie erwartungsvolles Vertrauen zu schenken. Gestalten wie Leonhardt Thurnheißer sind sowohl Ausdruck einer lebendigen und unternehmungsfreudigen Entwicklung im Umfeld der Residenz Berlin/Cçlln als auch der Bereitschaft zum Spekulativen, das vielen dieser Unternehmungen des Landesherrn anhaftete.140 Das letzte Drittel des 16. Jahrhunderts war eine Zeit der gesellschaftlichen Umstrukturierung in der Residenz.141 øltere Berliner und Cçllner Geschlechter schieden aus den unterschiedlichsten Grînden aus der stdtischen Fîhrungsschicht aus, whrend neue Namen und Initiativen nach vorn drngten. Einige der Neuen kamen nun auch wieder vom Rhein. Am Ende des 16. Jahrhunderts war Berlin zwar kurfîrstliche Residenzstadt, aber sie nahm keineswegs den ersten Platz unter den mrkischen Kommunen ein. Politisch hatte die Altstadt Brandenburg grçßere Bedeutung und wirtschaftlich war Frankfurt an der Oder weit voraus. Berlin fîhrte in dieser Zeit das stille Leben einer kleinen, beschaulichen Residenz. Selbst die Reformation, die fîr manche andere deutsche Stadt den Aufbruch in eine wegweisende Zukunft bedeutete, hat Berlin wenig verndert, denn die Konfessionalisierung des Kurfîrstentums war mit dem halbherzigen ˜bertritt Joachims II. zur evangelischen Kirche Luthers keineswegs abgeschlossen. Auch nach Einfîhrung der lutherischen Reformation, die eher auf den Druck der Stnde hin als durch freies Engagement des Kurfîrsten und des Hofes zustande gekommen war, blieb die Konfessionsfrage fîr Brandenburg ungeklrt. In der Einheitlichkeit und Eindeutigkeit des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses von Landesherrn, Hof und Bîrgerschaft entstanden Risse, als sich weitreichende politische und territoriale Chancen fîr das Haus Hohen139 Werner Heise, Zur Wirtschaftsgeschichte Berlins in der zweiten Hlfte des 16. Jahrhunderts. Neues aus den Akten des Juden Lippold, in: ZVGBerlin 51 (1934), S. 59 – 65; sowie Hugo Rachel / Johannes Pappritz / Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten (= VerçffVGBrandenb), 1: Bis zum Ende des Dreißigjhrigen Krieges, neu hg., ergnzt und bibliographisch erw. v. Johannes Schultze, Henry C. Wallich und Gerd Heinrich, Berlin 1967, S. 304 – 308. 140 Vgl. die zusammenfassende Darstellung mit Quellennachweisen von K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 312 – 316. 141 Eduard Clausnitzer, Die mrkischen Stnde unter Johann Sigismund, phil. Diss. Leipzig, Halle an der Saale 1895; Ludwig Tîmpel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Einheitsstaates im Zeitalter des Absolutismus (1609 – 1806) (= Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, 124), Breslau 1915, ND Aalen 1965.

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zollern abzuzeichnen begannen. Dies gilt einerseits fîr die Anwartschaft auf das Herzogtum Preußen und andererseits und in erster Linie fîr die rheinische Erbschaft aus dem Herzogtum Jîlich. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs suchte Brandenburg Anlehnung an die reformierte Pfalz. Als ein erster Schritt darf die Verlobung des zehnjhrigen Markgrafen Georg Wilhelm mit der achtjhrigen hessischen Prinzessin Elisabeth Charlotte gelten. Als es drei Jahre spter, 1608, zum Abschluß der Union protestantischer Fîrsten kam, trat der brandenburgische Kurfîrst Joachim Friedrich allerdings nicht bei. Erst seinem Nachfolger Johann Sigismund gelang die Verwirklichung der beiden Großprojekte in der brandenburgischen Politik, die Erlangung des Herzogtums Preußen und eines Teils der rheinischen Erbschaft mit den Lndern Kleve, Mark, Ravensberg und Ravenstein.142 Ein Ereignis im Vorfeld des Dreißigjhrigen Krieges, der „Berliner Tumult“ von 1615, der die Zuspitzung der religiçsen und politischen Spannungen auf lokaler Ebene widerspiegelt, illustriert das Verhltnis von Stadtbîrgertum und Landesherrn in seiner Hauptresidenz.143 Die Rîckkehr des Kurfîrsten nach Berlin kurz vor Ostern 1613 war noch mit großer Prachtentfaltung gefeiert worden, doch kam es bald zu Mißstimmungen zwischen der Stadt und dem Hof. Anlaß war die Festpredigt im Berliner Dom des aus Preußen stammenden Hofpredigers Salomon Fink, ein gebîrtiger Kçnigsberger Lutheraner, der sich den Reformierten zugewandt hatte. Die Proteste der Stnde beantwortete der Kurfîrst mit der Erklrung, er beanspruche die Religionsfreiheit, die er seinen Untertanen einrume, auch fîr sich selbst und seinen Hof. Am Weihnachtstag trat der Kurfîrst mit 55 Personen des Hofes zum reformierten Glauben îber, whrend die Kurfîrstin entschlossen an der Lehre Luthers festhielt. Da der Kurfîrst durchaus nicht nur aus politischen Erwgungen, sondern aus innerster ˜berzeugung den ˜bertritt vollzogen hatte, war er in dieser Frage auch nicht neutral, wie er vorgab. So sollten beispielsweise an der Frankfurter Viadrina Stipendien nur noch an Studenten vergeben werden, die zum reformierten Glauben konvertierten.144 Auf dem Landtag im Januar 1615 in Berlin zwangen die Stnde den Kurfîrsten zwar, die ungehinderte Religionsausîbung nach der ungenderten Augsburgischen Konfession und der Konkordienformel zuzusichern, aber die Spannungen wuchsen. Whrend der Abwesenheit des Kurfîrsten 142 Zu den daraus resultierenden politischen Problemen W. Neugebauer, Staatliche Einheit … (s. Anm. 36), S. 49 – 87; sowie W. Neugebauer, Die Hohenzollern … (s. Anm. 32), S. 111 – 119 und 127 – 130. 143 Eberhard Faden, Der Berliner Tumult, in: JbBrandenbLdG 5 (1954), S. 27 – 45; und E. Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Krieg … (s. Anm. 127), S. 135 ff. 144 Aus kalvinistischer Sicht hat Bodo Nischan, Kontinuitt und Wandel im Zeitalter des Konfessionalismus. Die Zweite Reformation in Brandenburg, in: Jahrbuch fîr BerlinBrandenburgische Kirchengeschichte 58 (1991), S. 87 – 133, beschrieben. Dagegen: W. Ribbe, Modernisierung und Beharrung … (s. Anm. 121), S. 165 – 179.

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und der Statthalterschaft seines Bruders, des Markgrafen Johann Georg, kam es dann zu einem heftigen Zusammenstoß in der Residenzstadt. Ausgelçst wurde er durch einen ikonoklastischen Befehl des Markgrafen, der den Dom von allen „Bildnissen“ subern ließ, um ihn calvinistisch-schmucklos zu gestalten. Dieser Bildersturm versetzte die Bîrgerschaft in hçchste Erregung und fîhrte in der Nacht vom 3. zum 4. April 1615 zu gewaltttigen Auseinandersetzungen. Man bewarf die Huser der calvinistischen Prediger mit Steinen und griff den Statthalter mit seinem berittenen Gefolge an. Es kam zu Plînderungen und zu Blutvergießen. Am Ende wurde aber allen Beteiligten die freie Religionsausîbung gewhrt, das Prinzip von „cuius regio, eius religio“ sollte in Brandenburg nicht gelten, der Landesherr und weitgehend auch sein Hof waren und blieben Calvinisten, whrend das Land und damit auch die Bîrger und Einwohner der Residenz Berlin sich zur lutherischen Reformation bekannten.145 In der Folge entwickelte sich in Berlin-Brandenburg eine Religionspolitik, die calvinistisch-reformierten und anderen glaubensvertriebenen Zuwanderern Schutz gewhrte, wobei die Kurfîrsten allerdings versuchten, die Schlîsselposition der Verwaltung mit den zugewanderten Calvinisten zu besetzen, die als Glaubensgenossen eher ihr Vertrauen besaßen als der einheimische lutherische Adel. Auch das Mißtrauen zwischen der lutherischen Berlin/Cçllner Bîrgerschaft und den calvinistischen Landesherren und ihrem Hof blieb bestehen. Wiederum, wie schon 1448, waren die Berliner fîr ihre Rechte aufgestanden und hatten, diesmal sogar mit Erfolg, Widerstand gegen die Macht des Landesherrn geleistet. Was war nach 150 Jahren kurfîrstlicher Hof- und Residenzstadt von den bîrgerlichen Elementen in der Stadtverfassung îbrig geblieben? Nach dem Verlust der meisten Freiheiten fîr die Bîrger blieb auch die stdtische Selbstverwaltung weitgehend eingeschrnkt. Der Rat mußte vom Hof Weisungen entgegennehmen und sank mehr und mehr auf die Stufe einer kurfîrstlichen Unterbehçrde herab. An der Verwaltungsspitze der beiden Stdte standen Bîrgermeister, in der Regel Juristen, die der Stadt auch als Rechtsbeistand dienten. Fîr Berlin wurden vier, fîr Cçlln wurden zwei Bîrgermeister gewhlt, wobei der Dienstlteste „Regierender Bîrgermeister“ hieß. Die Ratsherren wurden besoldet und hatten feste Amtsbereiche. Die Kanzlei fîhrte der Stadtschreiber, bei dem es sich nun nicht mehr, wie im Mittelalter, um einen Geistlichen, sondern um einen studierten weltlichen Juristen handelte. Als u145 Auch die Versuche des Kurfîrsten, einen renommierten calvinistischen Theologen auf Dauer an den Hof und die Stadt zu binden, schlugen fehl. Der aus Kleve importierte Abraham Scultetus war nicht zu bewegen, auf Dauer in Berlin zu bleiben. Anfang Mai 1615 teilte er brieflich mit: „Quam tristia que Berlino! … Magnum et arduum opus est, a superstitione hominum animo avocare et ad verum Dei cultum traducere velle“. Vgl. K. Pahnke, Abraham Scultetus in Berlin, in: ForschBrandPrG 23 (1910), S. 357 – 375, bes. S. 375.

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ßeres Zeichen der politischen Abhngigkeit kann der Abriß des gemeinsamen Rathauses der Doppelstadt auf der Langen Brîcke im Jahre 1514 angesehen werden. Nach der Errichtung des Schlosses und dem Ausbau der Residenz war der Rat seit der Mitte des 15. Jahrhunderts sukzessive entmachtet worden. Seine legislative, jurisdiktionelle und exekutive Gewalt îbte er nur noch im Auftrag des Kurfîrsten aus.146 Gleichzeitig entstanden neue landesherrliche Institutionen, die sich auch und gerade in den die kurfîrstliche Residenz betreffenden Angelegenheiten fîr zustndig hielten. Dies gilt fîr das Kammergericht, das immer hufiger in die dem Rat zustehende Stadtgerichtsbarkeit eingriff und damit dessen Zustndigkeit zumindest in erster Instanz verletzte. Bei Schwierigkeiten zwischen Bîrgern und Hofbedienten nahm der kurfîrstliche Hausvogt fîr sich die Gerichtsbarkeit in Anspruch, so daß die Stadtgerichtsbarkeit immer strker ausgehçhlt wurde. Hinzu kam mit dem landesherrlichen Kirchenregiment auch eine Ausdehnung der geistlichen Gerichtsbarkeit. Dies machte sich im besonderen Maße auch auf der Verwaltungsebene und im Bereich der Verordnungen und Satzungen bemerkbar. Der Rat wurde in dieser seiner ureigensten Kompetenz mehr und mehr zu einem vorbereitenden und ausfîhrenden Organ degradiert, dem aber insofern eine Bedeutung zukam, als damit der Anschein der bîrgerlichen Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit aufrecht erhalten werden konnte. Die Entscheidung selbst îber verhltnismßig belanglose stdtische Angelegenheiten behielt sich der Kurfîrst zusammen mit seinem Kanzler und seinem Rat vor und zwar umso mehr, je weiter das 16. Jahrhundert voranschritt. Mit der weitgehenden Entmachtung des stdtischen Rates verminderte sich auch die Zustndigkeit der Gemeindeverordneten, die sowohl in Steuerangelegenheiten als auch beim Eingreifen in viele wirtschaftliche Bereiche ein Mitspracherecht und eine Mitaufsicht fîr sich beanspruchen konnten. Ihr einst beachtlicher Einfluß, der durchaus ein Gegengewicht der Gemeinde gegenîber dem immer autoritrer auftretenden Stadtrat darstellte, schwand im Laufe des 16. Jahrhunderts im gleichen Maße, wie der Rat durch die erstarkenden landesherrlichen Institutionen in den Hintergrund gedrngt wurde. Der Gemeinde blieb nur die Durchfîhrung der unangenehmen und unbeliebten Maßnahmen, die Steuererhebungen, Einquartierungen, Kontrollen an den Stadttoren und die Einziehung von Gebîhren, insbesondere fîr die nicht mehr von den Bîrgern selbst ausgeîbte Wachpflicht. Erst nach der Niederlage von 1806 begann man sich wieder auf den Wert der Bîrgertugenden und des Patriotismus zu besinnen, so daß schließlich am 9. November 1808 von den zustndigen Ministern dem Kçnig ein „Entwurf zur Stdte-Verordnung

146 E. Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Krieg … (s. Anm. 127), S. 41 ff.

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nebst Instruktion fîr die Stadtverordneten“ îbergeben wurde, der auch kurz darauf in Kraft trat.147

§ 4 Hauptstadt und barocke Residenzlandschaft im absolutistisch regierten Brandenburg-Preußen Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatten die Bewohner der kurfîrstlichen Hauptresidenz wieder einen gewissen Wohlstand erreicht. Den Hohenzollern war es mit dem Erwerb eines Teils des Herzogtums Jîlich mit Kleve im Westen und des Herzogtums Preußen im Osten gelungen, zwei Großprojekte brandenburgischer Politik zu verwirklichen, die zwar fîr die weitere Entwicklung des Gesamtstaates, aber zunchst weniger fîr die Hauptstadt von Bedeutung sein sollten: „˜berhaupt hatte der Anfall des Herzogtums Preußen im Osten und der niederrheinisch-westflischen Gebiete von Kleve, Mark und Ravensberg im Westen nicht automatisch einen Bedeutungsgewinn der Spreeinselresidenz zur Folge.“148 Gerade im 17. Jahrhundert sind lngere Aufenthalte der Kurfîrsten außerhalb der Hauptstadt zu beobachten: Georg Wilhelm behielt zeit seines Lebens eine engere Bindung an seinen Geburtsort Kleve,149 wo er in jîngeren Jahren auch als Statthalter residierte, und er bevorzugte whrend des Krieges Kçnigsberg, wo er 1640 auch starb. Mit ihren neuen Erwerbungen gehçrten den Kurfîrsten von Brandenburg nun Gebiete quer durch Europa.150 Sie waren damit automatisch in das europische politische Krftespiel einbezogen. Brandenburg konnte es daher auch nicht gelingen, whrend des großen europischen Krieges Neutralitt zu wahren.151 Auch besaß das Land kein schlagkrftiges Heer, um sich wirksam 147 K. Schulz, Vom Herrschaftsantritt … (s. Anm. 53), S. 338 – 340. Siehe auch Manfred Pahlmann, Anfnge des stdtischen Parlamentarismus in Deutschland. Die Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung unter der Preußischen Stdteordnung von 1808 (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997, bes. Kapitel 1: „Die Stdteordnung vom 19. November 1808“, S. 17 – 76. 148 W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 25 f. 149 Einzelheiten mit Hinweisen auf Quellen und Literatur bei W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 26. 150 Zusammenfassend und wertend: W. Neugebauer, Die Geschichte Preußens … (s. Anm. 1), S. 26 – 30; sowie Wolfgang Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert (= Bibliothek der brandenburgischen und preußischen Geschichte, 4), Berlin 2001, bes. das Kapitel „Brandenburg und die europische Krise im frîhen 17. Jahrhundert“, S. 41 – 59. 151 W. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus … (s. Anm. 150), S. 41 – 52; und zur militrischen Lage Brandenburgs am Beginn des Krieges vgl. u. a. Hans Bleckwenn, Unter dem Preußen-Adler. Das brandenburgisch-preußische Heer 1640 – 1807, Mînchen 1978; sowie Gînter Gieraths, Die Kampfhandlungen der brandenburgisch-

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schîtzen zu kçnnen. Der Kurfîrst selbst nahm eine schwankende Haltung ein. Bald sah man ihn auf kaiserlich-katholischer Seite, bald auf schwedisch-protestantischer Seite. Damit gab er sein Land erst recht den plîndernden Truppen aller Seiten preis.152 Kaiserliche und schwedische Heerfîhrer zogen auch durch Brandenburg und erpreßten Kriegssteuern und Warenlieferungen. Schließlich floh Kurfîrst Georg Wilhelm mit seinem Hofstaat vor den Feindseligkeiten in seine çstlichste Nebenresidenz, nach Kçnigsberg in Preußen, das aber ebenfalls vom Krieg betroffen war.153 Der von ihm eingesetzte Statthalter, Adam Graf von Schwarzenberg, betrachtete Berlin, obgleich fîr eine Verteidigung vçllig ungeeignet, als Zufluchtssttte fîr die ganze Mittelmark. Um ihre Wehrhaftigkeit zu steigern, begann Schwarzenberg die Befestigung der Stadt auszubauen und stationierte ein Regiment in Berlin, alles Maßnahmen, die hçchst unpopulr waren. Die Bîrger hatten mit allen Mitteln versucht, den Krieg von der Stadt fernzuhalten. Umso verbitterter reagierten sie, als der Graf 1640 beim Anrîcken der Schweden voreilig und – wie sich zeigen sollte – unnçtig (ein Angriff der Schweden blieb aus) die Vorstdte niederbrennen ließ. ˜berall tauchten gegen Schwarzenberg gerichtete Schmhschriften auf.154 Der Dreißigjhrige Krieg und seine Folgen brachten die kurbrandenburgische Hauptstadt an den Rand des wirtschaftlichen Ruins, denn viele Residenzfunktionen hatte die Stadt mit der Abwesenheit des Kurfîrsten verloren.155 Selbst sein Statthalter blieb nicht dort, sondern verschanzte sich auf der Zitadelle in Spandau. Vor allem mit der Verlagerung des Hofes nach Kçnigsberg hatte die Hauptresidenz ihren wichtigsten Auftraggeber fîr Handel und Gewerbe eingebîßt, und die Seuchen infolge der Kriegszîge verminderten die Bevçlkerung Berlins um fast ein Drittel. Am strksten zeigten sich die Verwîstungen in Cçlln, also in dem Teil der Doppelstadt, der am strksten durch die Residenz geprgt war. Aber trotz aller erlittenen Schden haben Berlin und Cçlln unter dem Dreißigjhrigen Krieg nicht in dem Ausmaße leiden mîssen, wie andere große

152 153 154

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preußischen Armee 1626 – 1807. Ein Quellenhandbuch (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 8), Berlin 1964; Curt Jany, Geschichte der Preußischen Armee, 1, Osnabrîck 21967, S. 98 ff. W. Neugebauer, Die Geschichte Preußens … (s. Anm. 1), S. 32 f. Fritz Gause, Die Stadt Kçnigsberg in Preußen, 1, Kçln 21996, S. 399 – 410. Das Bild des Grafen Schwarzenberg ist, worauf Neugebauer mit Recht hinweist, „hart umkmpft“: W. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus … (s. Anm. 150), S. 55. Die hier (S. 56 f.) versuchte Ehrenrettung des „in der Mark sehr unpopulren“ Schwarzenberg sollte aber Anlaß zu weiterer Beschftigung mit der Politik dieses kurfîrstlichen Statthalters sein. E. Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Krieg … (s. Anm. 127), passim: Faden widmet dem Hof leider kein eigenes Kapitel, Einzelheiten sind aber dem 2. Teil („Ereignisse“) seiner Darstellung zu entnehmen, S. 135 – 232.

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Stdte der Region, beispielsweise Frankfurt an der Oder und Magdeburg.156 Wenn die Residenz auch nicht besetzt, geplîndert und gnzlich niedergebrannt wurde, so ist sie von diesem Schicksal doch nur verschont geblieben durch die Zahlung einer immensen Kontribution von 30.000 Talern, womit die Stadt an den Rand des Ruins geriet. Hçher noch als die zu begleichenden Forderungen der Schweden waren aber die Kontributionen, die Berlin 1635 bis 1641 an den kurfîrstlichen Statthalter zu zahlen hatte. Mehr als 150.000 Taler brachten die Bîrger auf, um aus dem Krieg herausgehalten zu werden, indem sie u. a. versuchten, sich der Garnison zu entledigen. Vehement wandten sie sich gegen die weitere Befestigung der Stadt, weil sie glaubten, ihr Eigentum und Gewerbe so besser vor der Vernichtung schîtzen zu kçnnen. Schwarzenberg ließ aber die Vorstdte abbrennen, die im wesentlichen aus Husern von Ackerbîrgern und anderen Landbewohnern bestanden. Dadurch entstand ein Schaden von immerhin mehr als 42.000 Talern. Aber auch innerhalb der Mauern wirkten sich die Folgen des Krieges aus. Zahlreiche Huser lagen wîst, etwa ein Viertel der Gebude waren von ihren Bewohnern verlassen. Hinzu kamen die Belastungen durch Einquartierungen, Teuerungen und Pestepidemien, die innerhalb weniger Jahre zahlreiche Opfer forderten.157 Die Lage beruhigte sich erst, als der Kurfîrst mit dem 1641 in Stockholm erzielten Waffenstillstand eine Wende in der brandenburgischen Politik herbeifîhrte. Hauptziel der Vereinbarungen war, eine weitgehende Neutralitt Brandenburgs und eine Loslçsung von der engen Bindung an die Politik des Kaisers und des Hauses Habsburg zu erreichen. Whrend Brandenburg in den letzten Kriegsjahren zwar immer noch unter durchziehenden kaiserlichen und schwedischen Truppen zu leiden hatte, blieben Berlin/Cçlln und Spandau jetzt von solchen direkten Kriegsfolgen verschont. Inmitten eines verwîsteten Landes lagen aber Handel und Handwerk danieder, die Stadt war in ihrer ganzen Entwicklung weit zurîckgeworfen. Berlin schien als Residenzstadt keine Zukunft mehr zu haben. Noch rund hundert Jahre spter zeichnete Friedrich Nicolai ein quellennahes Bild vom Zustand der Stadt am Ende des Dreißigjhrigen Krieges: Ein Teil der Straßen war unpassierbar, die Brîcken eingestîrzt und verfielen, der Kehricht verfaulte vor den Husern, alle Abflußkanle waren verstopft, die Bîrger hielten Schweine auf den Straßen, die im Unrat wîhlten: „man stelle sich dies alles vor, und man hat einen voll-

156 Zu Magdeburg jetzt Helmut Asmus, 1200 Jahre Magdeburg. Die Jahre 805 bis 1631, Magdeburg 1999, S. 512 – 561 („Wallenstein, Tilly und der Untergang des alten Magdeburg“). 157 E. Faden, Berlin im Dreißigjhrigen Krieg … (s. Anm. 127), S. 161 f., S. 179 f., S. 207 f. und S. 231 f.

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stndigen Begriff von dem damaligen elenden Zustande der kurfîrstlichen Residenz.“158 Aus eigener Kraft war die Stadt nicht imstande, sich zu erneuern. Impulse zur Verbesserung der allgemeinen Lage konnten nur noch durch den Landesherrn erfolgen. Kurfîrst Friedrich Wilhelm159 hatte schon in der letzten Phase des Krieges mit der Ausbesserung des Schlosses begonnen. Bereits vor seiner – zunchst noch vorîbergehenden – Rîckkehr nach Berlin 1643 ließ er den verfallenen Altan am Schloß aufbauen. Der Schloßbau bedeutete in der Zukunft Arbeit und Geld fîr die verarmte Stadt, in der es nun auch an sachverstndigen Bauhandwerkern mangelte. Das bençtigte Kapital transferierte der Kurfîrst zunchst aus der neuen Westprovinz, aus Kleve.160 Fîr die notwendigsten Arbeiten ließ der Landesherr Bauhandwerker aus den Niederlanden kommen, zum neuen Schloßbaumeister ernannte Friedrich Wilhelm 1648 Gregor Memhardt. Ihm verdankt die Residenz auch ihren ersten Stadtplan. Dieser zeigt die auf ihren mittelalterlichen Umfang zurîckgeworfene Stadt mit ihren Mauern und mit den zur Zeit des Statthalters Schwarzenberg zum Teil auf dem Gelnde der ehemaligen Vorstdte als Schutz errichteten Erdwllen. An çffentlichen Gebuden ließ Friedrich Wilhelm neben dem Schloß, den Kirchen und den Mîhlen auf dem Mîhlendamm die Gebude am Lustgarten wieder herstellen beziehungsweise neu erbauen. Fîr den Lustgarten, dem die besondere kurfîrstliche Sorge galt, hatte Memhardt ein Gartenhaus entworfen. Mit dem Hopfengarten im Amtsdorf Schçneberg organisatorisch vereinigt, entstand aus dem ehemaligen Kîchengarten, der die kurfîrstliche Hoftafel versorgte, unter 158 Friedrich Nicolai, Beschreibung der kçniglichen Residenzstdte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwîrdigkeiten und der umliegenden Gegend, 1 – 3, Berlin 1786, ND Berlin 1980, S. XLV-XLVI. 159 Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm. Der große Kurfîrst (= Persçnlichkeit und Geschichte, 65), Gçttingen/Zîrich/Frankfurt 1971; Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfîrst, 1.2, Gçttingen 1971/1978; Kurt Breysig, Geschichte der brandenburgischen Finanzen in der Zeit von 1640 bis 1697. Darstellung und Akten, 1 (= Urkunden und Aktenstîcke zur Geschichte der inneren Politik des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1, 1), Leipzig 1895; Wolfgang Neugebauer, Die Kurmark und ihre Verwaltung vom 15. bis 18. Jahrhundert. Hauptlinien und Grundprobleme, in: Fînf Jahre Bundesland Brandenburg … Kolloquium der Landesgeschichtlichen Vereinigung fîr die Mark Brandenburg e. V. und des Landtages Brandenburg am 28. 10. 1995 (= Schriften des Landtages Brandenburg, 2), Potsdam 1996; Ders., Monarchisches Kabinett und Geheimer Rat. Vergleichende Betrachtungen zur frîhneuzeitlichen Verfassungsgeschichte in §sterreich, Kursachsen und Preußen, in: Der Staat 33 (1994), S. 511 – 535; Ders., Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert in vergleichender Sicht, zuerst 1977, erw. in: Otto Bîsch / Wolfgang Neugebauer (Hg.), Moderne Preußische Geschichte 1648 – 1947. Eine Anthologie, 2 (= VerçffHistKommBerlin, 52/2), Berlin/New York 1981, S. 541 – 597. 160 W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 29 (nach den Bauakten).

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der Leitung des Hofgrtners Elsholtz eine bedeutende Gartenanlage.161 Als Vorbild fîr die Neugestaltung Berlins diente die vom Kurfîrsten gern und hufig aufgesuchte Residenz Kleve. Nach Klever Vorbild ließ er auch den Tiergarten in einen echten Wildpark verwandeln und in dem ab 1657 durch einen Stackettenzaun eingefaßten Waldgelnde Hirsche und Auerhhne aussetzen. Wieder herrichten ließ er aber vor allem die „Dienstrume“ des Schlosses, in denen nahezu alle zentralen Institutionen des Staates untergebracht waren, darunter die Kriegskasse und die Kriegskanzlei, die Lehnskanzlei, das Konsistorium und das Kammergericht. Die Geldmittel fîr den Um-, Aus- und Neubau konnte das vom Krieg ausgelaugte Land aber nicht aufbringen. Weiteres Kapital nahm der Kurfîrst bei einem der Kriegsgewinnler auf, dem Kommandanten von Spandau, Johann Georg von Ribbeck. Zustzliche Mittel verschaffte er sich durch die Verpfndung einer Nebenresidenz, des Schlosses im Amt Bçtzow, an dessen Stelle spter das Schloß Oranienburg entstehen sollte.162 Bevor jedoch nach Beendigung des Krieges die große Wiederaufbauphase begann, war es das wichtigste Ziel Friedrich Wilhelms, seine Herrschaft zu stabilisieren. Wollte er entsprechend den von Frankreich ausgehenden Staatsauffassungen einen zentralen, absolutistisch zu beherrschenden Staat aufbauen, war es zunchst notwendig, den Adel politisch zu entmachten sowie die Rechte der alten Landstnde und der Stdte noch weiter einzuschrnken, eine zentralistische Verwaltung aufzubauen und die Staatsgewalt in einer Hand zu konzentrieren.163 Ein wichtiger Schritt auf diesem Wege war die Schaffung eines stehenden Heeres zur Verteidigung nach außen und zur Unterdrîckung von Widerstnden im Innern. Die Residenz Berlin wurde zur Garnison- und spter zur Festungsstadt ausgebaut. Die Politik des Großen Kurfîrsten folgte nach dem Dreißigjhrigen Krieg nicht nur den Regierungspraktiken des franzçsischen Absolutismus, sondern auch seinem niederlndischen Vorbild. War die kurfîrstliche Residenz und Hauptstadt Berlin bis dahin nur ein regionales Zentrum in der Mark Brandenburg, so entwickelte Friedrich Wilhelm ein neues Machtzentrum mit einer Zentralregierung, und war die politische Macht bisher zwischen dem Kurfîrsten und den Stnden geteilt und îber die Provinzen verstreut, so konzentrierte sich das politische Gefîge nunmehr auf den Herrscher. Mit der Entwicklung des Absolutismus in Brandenburg ging die Ausbildung von Berlin/Cçlln zu einem 161 F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), S. 346. 162 Weitere Hinweise auf den Geldmangel, unter dem nicht nur der Ausbau der Residenz, sondern sogar die notwendigsten Reparaturen am Schloß litten, gibt aus den Akten W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 28 – 31. 163 Gerhard Oestreich, Der brandenburg-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfîrsten bis zu der Neuordnung im Jahre 1651. Eine behçrdengeschichtliche Studie (= Berliner Studien zur neueren Geschichte, 1), Wîrzburg-Aumîhle 1937; W. Neugebauer, Staatliche Einheit … (s. Anm. 36), S. 49 – 87.

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îberregionalen Zentrum einher. Erst jetzt begann die Stadt andere brandenburgische Kommunen zu îberflîgeln, die – wie Brandenburg an der Havel mit dem Schçppenstuhl – noch eine zentrale Institution des Kurfîrstentums beherbergte oder wie Frankfurt an der Oder, das nicht nur als Messe- und Handelsstadt florierte, sondern auch die Landesuniversitt in ihren Mauern barg. Berlin begann nun das gesamte Staatsgebilde zu prsentieren, dessen einzelne Teile nicht flchenmßig miteinander verbunden waren und das îber eine weite Distanz hinweg, vom Niederrhein im Westen bis zum Herzogtum Preußen im Nordosten, reichte. Whrend Berlin sich anschickte, die unangefochtene Hauptstadt des Kurfîrstentums zu werden, mußte die Stadt aber zugleich ihre residenzialen Funktionen mit anderen Standorten teilen, allen voran mit Potsdam, wo der Große Kurfîrst mit dem Schloßbau zugleich den Grundstein fîr eine Teilung beider Herrschaftsfunktionen legte, die praktisch bis zum Ende der Monarchie bestehen bleiben sollte. Die wiederholten Brandschatzungen im Krieg hatten das Verlangen nach einer ausreichenden Befestigung der landesherrlichen Residenz verstrkt. Die um Berlin errichteten primitiven Sandwlle boten nur geringen Schutz. Als der Kurfîrst im Zuge der schwedisch-polnischen Auseinandersetzungen sein Bîndnis mit Schweden brach und zur polnischen Seite wechselte, dîrfte er den Entschluß gefaßt haben, auch die kurfîrstliche Residenz mit einem bastionren Festungsring zu umgeben.164 Die Befestigungsarbeiten dauerten mehrere Jahrzehnte und wurden îberwiegend von niederlndischen Fachkrften ausgefîhrt. Friedrich Wilhelm hat die Residenz gegen den entschiedenen Willen der Bîrger befestigt und eine Garnison stationiert. Von der Konzentration militrischer Macht in ihren Mauern erwarteten die Bîrger keine Entlastung in Kriegszeiten, vielmehr befîrchteten sie, damit unter besonderen Druck zu geraten. Um seinen Willen durchsetzen zu kçnnen, griff der Kurfîrst in das Stadtregiment ein, indem er den Magistrat entmachtete.165 Die stdtischen Selbstverwaltungen bestanden zwar formal weiter, wichtigste kommunalpolitische Institution war aber jetzt das Militrgouvernement mit dem Kommandanten an der Spitze. Der Militrgouverneur besaß seit 1658 die Polizeigewalt und war derjenige, der die 164 Heinz Schierer, Die Befestigung Berlins zur Zeit des Großen Kurfîrsten (= SchrrVGBerlin, 57), Berlin 1939; Friedrich Wilhelm Holtze, Geschichte der Befestigung von Berlin (= SchrrVGBerlin, 10), Berlin 21874; Johannes Schultze, Der Ausbau Berlins zur Festung und die Aufnahme der ersten stndigen Garnison 1658 – 1665, in: JbVGBerlin 1 (1951), S. 140 – 162. 165 Kurt Schrader, Die Verwaltung Berlins von der Residenzstadt des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm bis zur Reichshauptstadt, 1, phil. Diss. Berlin 1963 (Masch.), S. 13 – 25; Gerd Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preußen unter dem Absolutismus (1660 – 1806), in: Wilhelm Rausch (Hg.), Die Stdte Mitteleuropas im 17. und 18. Jahrhundert, 1 (= Beitrge zur Geschichte der Stdte Mitteleuropas, 5), Linz 1981, S. 155 – 172.

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Plne und Anordnungen des Kurfîrsten durchzufîhren hatte. Ihm hatte der Magistrat die Schlîssel zur Stadt aushndigen mîssen.166 Whrend der langen Bauzeit der Festung wuchs die Residenz nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Mauern îber ihre bisherigen Grenzen hinaus. Auf landesherrlichem Grund und Boden, der unmittelbar an den Schloßbezirk angrenzte, vergab der Kurfîrst an Hofbedienstete und Handwerker Grundstîcke gegen Erbzins und gewhrte umfassende Vergînstigungen. Wer dort baute und sich niederließ, erhielt alle bîrgerlichen Rechte, war aber zugleich von der Jurisdiktion des Magistrats befreit und mußte keine Kontributionen zahlen. Dieser Stadtausbau ging einher mit der Erweiterung des Hofstaates.167 Die Mittel fîr den Schloßbau, fîr die Befestigung der Stadt, fîr den Unterhalt der Garnison, des wachsenden Hofstaates und des Beamtenapparates wurden aus der Akzise, der neuen indirekten Verbrauchssteuer bestritten, die in allen absolutistisch regierten Staaten durchgesetzt wurde. In der kurfîrstlichen Residenz kam es zu Unruhen, da die Handhabung der Akzise den Großhndlern Vorteile bot, whrend die Handwerker und Tagelçhner sich benachteiligt sahen. Erst als die Gesellen von der Nahrungssteuer befreit wurden und der Kurfîrst die Exemtion von Hof- und Staatsbeamten aufhob, beruhigte sich die Lage. Innerhalb der Residenz fîhrten der kurfîrstliche Hof und die bîrgerliche Doppelstadt jeweils ein eigenes Leben.168 Schon rumlich sichtbar durch die Ansiedlung des Hofes, der Amtstrgerschaft, îberhaupt der fîhrenden Schicht im abgegrenzten Schloßbezirk auf der Schloßfreiheit und auf dem Friedrichswerder sowie auch rechtlich durch die Exemtion von der rathuslichen Rechtsprechung, war der Hof von der Bîrgerschaft getrennt. So war es nur folgerichtig, wenn der Kurfîrst seinen Hofbaumeister Johann Gregor Memhardt zum ersten Bîrgermeister des Friedrichswerder ernannte. Gesellschaftlich und kulturell prgten den Berliner Hof hollndische Einflîsse, eine Folge der Erziehung des Kurfîrsten in den Niederlanden und seiner oranischen Heirat. Aus den Niederlanden stammten nicht nur die Fachleute im Bauwesen und in der Landwirtschaft. Vom Stdtebau îber die Stadtbefestigung 166 K. Schrader, Die Verwaltung Berlins … (s. Anm. 165), S. 13 – 25; F. W. Holtze, Geschichte der Befestigung … (s. Anm. 164), S. 59. 167 Dazu jetzt die grundlegende, fîr die weitere Hof- und Residenzforschung in Brandenburg-Preußen richtungweisende Studie von Peter Bahl, Der Hof des Großen Kurfîrsten. Studien zur hçheren Amtstrgerschaft Brandenburg-Preußens (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 8), Kçln/Weimar/Wien 2001. 168 Gerd Heinrich, Europische Ausblicke. Kurfîrst Friedrich Wilhelm und die BerlinPotsdamer Residenzlandschaft um 1688, in: Ders. (Hg.), Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beitrge zur Geschichte des Großen Kurfîrsten von Brandenburg (= ZHF, Beiheft 8), Berlin 1990, S. 75 – 98.

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bis hin zum Schiffsbau sowie der Melioration in der Landwirtschaft waren es Hollnder, die der Kurfîrst ins Land holte, um seinen Staat nicht nur wirtschaftlich zu erneuern, was aber den Gegensatz zwischen Hof und Hofgesellschaft einerseits und der bîrgerlichen Stadt andererseits verstrkte. Unter den hohen Beamten der Zentralbehçrden, des Geheimen Rates und Generalkriegskommissariats, waren neben Vertretern des brandenburgischen Adels vor allem Reformierte aus den westlichen Provinzen tonangebend.169 Die hçheren Offiziere, die bei Hofe verkehrten, entstammten zumeist dem brandenburgischen Adel. In Berlin/Cçlln entfaltete sich nun ein prunkhaftes Hofleben, ußerlich u. a. erkennbar an den Festen zu Ehren auslndischer Gesandtschaften,170 die mehr Geld verschlangen, als die kurfîrstliche Kasse durch Einnahmen aus der Kontribution beziehungsweise Akzise in beiden Residenzstdten erlangte. Die Hofkultur manifestierte sich auch in der Beschftigung von Hofmalern und anderen Kînstlern, die mit der Ausschmîckung des Schlosses beschftigt wurden, aber auch durch die Unterhaltung einer Hofkapelle. Daneben beeinflußten die kurfîrstlichen Bibliothekare, die Hofprediger und Hofmediziner sowie Lehrer an den Gymnasien das geistige Leben der Residenz. Fast alle Kînstler und Wissenschaftler stammten nicht aus Berlin oder dem brandenburgischen Kerngebiet, sondern waren außerhalb geboren und hatten ihre Kenntnisse in anderen Teilen der Welt erworben. Viele bekannten sich zum reformierten Glauben oder waren vom Calvinismus beeinflußt und hatten an den entsprechenden Universitten studiert. Der Kurfîrst besetzte auch weiterhin hohe Staats- und Kirchenmter vornehmlich mit reformierten Fremden, um mit dieser ihm aufs engste verbundenen Elite wirksam gegen den einheimischen lutherischen Adel agieren zu kçnnen. Das trug in dieser Zeit erheblich zum Ausbau der absolutistischen Fîrstenmacht in Brandenburg bei.171 Zu heftigen Konflikten fîhrte der theologische Streit zwischen den reformierten Hofpredigern und den residenzstdtischen lutherischen Geistlichen infolge der landesherrlichen Kirchenpolitik, der schließlich 1666 zur Absetzung mehrerer lutherischer Prediger durch den Kurfîrsten, unter ihnen der an St. Nikolai in Berlin wirkende bedeutendste protestantische Liederdichter, Paul Gerhardt, fîhrte. Der Versuch des Kurfîrsten, die lutherische Landeskirche dem 169 Ernst Opgenoorth, Die Reformierten in Brandenburg-Preußen. Minderheit und Elite?, in: ZHF 8 (1981), S. 439 – 459, hier bes. S. 443 – 445. 170 Zur politischen Bedeutung solcher Feste, insbesondere auch fîr den Kurfîrsten Friedrich Wilhelm: B. Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit … (s. Anm. 124), S. 145 – 176. 171 E. Opgenoorth, Die Reformierten … (s. Anm. 169), S. 439 – 459; Rudolph von Thadden, Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in BrandenburgPreußen, Berlin 1959, S. 39 – 57 und S. 65 – 77.

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Regime des reformierten Herrschers und seiner Hofprediger unterzuordnen, als religiçse Toleranzpolitik zu bewerten, ist aber mit religiçser Toleranz schwerlich vereinbar.172 In der Residenz schwelte mit diesem Konflikt auch eine handfeste wirtschaftspolitische Krise. Die lutherischen Prediger173 hatten nicht nur die adlige Stndeopposition im Kurfîrstentum Brandenburg auf ihrer Seite, sondern auch die Berliner Zînfte mit ihrer Ablehnung der kurfîrstlichen absolutistischen Steuer- und Kriegspolitik. Nach der Sicherung seiner Herrschaft ergriff der Große Kurfîrst eine Reihe von Stdtebaufçrderungsmaßnahmen, um die Eigeninitiative und die Bauttigkeit der Bîrger anzuregen. Bereits 1641 hatte er eine neue Bauordnung erlassen, die er durch weitere Verordnungen ergnzte und die einen erheblichen Einfluß auf die stdtische Infrastruktur ausîbte. Die Pflasterung der Straßen und Pltze wurde Vorschrift, und zum Erhellen der Straßen mußten Laternen aufgestellt werden. Es war verboten, Scheunen und Schweinestlle auf der Straße zu errichten, und der Mist durfte nur auf dem Hof gelagert werden. Um die Baulust der Bîrger zu steigern, gewhrte der Kurfîrst ihnen freies Bauholz und sechs steuerfreie Jahre. Manchmal stellte er ihnen auch nicht genutzte Grundstîcke zur Verfîgung. Auf der Grundlage dieser Baupolitik entstand ein neuer Stadtteil, in dem sich hauptschlich kurfîrstliche Bedienstete niederließen. Er erhielt den Namen „Friedrichswerder“. Seine Bewohner durften Handel und Gewerbe betreiben. 1670 erhob der Kurfîrst den Friedrichswerder zur dritten Residenzstadt neben Berlin und Cçlln, mit einer eigenen Verwaltung und einem eigenen Rathaus, eigenem Bîrgerrecht und eigenen stdtischen Privilegien. Bewohner durften Jahrmrkte abhalten und sich beruflich in Innungen zusammenschließen.174 Auf dem anderen Spreeufer, im Bereich der alten Stadt Cçlln, entstanden zur gleichen Zeit ebenfalls neue Huser, in denen vor allem Beamte und Kînstler Unterkunft fanden. Auch das sîdçstlich anschließende Gelnde zwischen Wallstraße und Mrkischem Ufer, ebenfalls noch innerhalb des Festungsgîrtels gelegen, wurde in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts bebaut. Nçrdlich des Friedrichswerder entwickelte sich seit 1674 eine vierte Residenzstadt. Das Gelnde hatte der Kurfîrst seiner zweiten Gemahlin, Do172 W. Ribbe, Modernisierung und Beharrung … (s. Anm. 121), S. 165 – 179. 173 Im Unterschied zu den Hofpredigern und Hofgelehrten, die îberwiegend an auswrtigen reformierten Universitten studiert hatten, waren die meisten einheimischen lutherischen Prediger Absolventen der orthodoxen lutherischen Universitt Wittenberg. 174 Grundlegend: Erika Schachinger, Die Berliner Vorstadt Friedrichswerder 1658 – 1708 (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 4), Kçln/ Weimar/Wien 1993; außerdem zur weiteren Entwicklung des Friedrichswerder Edgar Bielke, Friedrichswerder 1720 bis 1799, Eine historisch-demographische Untersuchung als Beitrag zur Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen I (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 54), Berlin 1986, bes. S. 135 – 196.

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rothea, geschenkt. Die hier entstehende und nach ihr benannte Dorotheenstadt erhielt ebenfalls eine selbstndige Stadtverwaltung und eine eigene Gerichtsbarkeit. Darîber hinaus ließ Friedrich Wilhelm hier eine von Lutheranern und Calvinisten gemeinsam zu nutzende Simultankirche errichten.175 Bei den Bewohnern der Neustdte handelte es sich in vielen Fllen um Glaubensflîchtlinge, die insbesondere seit dem Edikt von Potsdam (1685) Aufnahme in Brandenburg fanden. Neben den Stadtgrîndungen innerhalb des Festungsgîrtels entstanden vor den Toren Vorstdte. Hier befanden sich zunchst Kupferund Walkmîhlen sowie die Ratsziegelei, aber auch Sommergrundstîcke der Bîrger. Der Kurfîrst ließ diese Gebiete nun auch zu Wohnzwecken erschließen. Die Vorstdte erhielten ihren Namen nach den zugehçrigen Stadttoren, so die Georgenvorstadt (seit 1701 Kçnigsstadt), die Stralauer und die Spandauer Vorstadt (auch Sophienstadt genannt) sowie sîdlich der Spree die Kçpenicker Vorstadt.176 Der Wiederaufbau nach dem Dreißigjhrigen Krieg wre ohne eine wirtschaftliche Gesundung des Landes nicht mçglich gewesen. Strker als viele andere deutsche Stdte hatte Berlin Anteil an diesem wirtschaftlichen Aufschwung. Nur zum Teil waren dafîr die wachsenden Bedîrfnisse und die steigende Nachfrage des Hofes verantwortlich, die wirtschaftliche Erholung ist wesentlich durch die Steuer- und Wirtschaftspolitik des Großen Kurfîrsten begînstigt worden. Mit der Einfîhrung der Akzise schuf er eine Voraussetzung zur Ordnung der zerrîtteten Finanzen.177 Darîber hinaus fçrderte er den Handel. Massengîter sind auch im 17. Jahrhundert noch îberwiegend auf dem Wasser transportiert worden, und mit dem Bau des Mîllroser oder FriedrichWilhelm-Kanals konnte die Position Berlins im europischen Verkehrsnetz wesentlich verbessert werden.178 In der Mitte dieser Wasserstraße, die Oder und Spree miteinander verband, lag Berlin. Jetzt wurden Warentransporte in erheblichem Umfang vom Ostseehafen Stettin, aber auch vom Landverkehr îber Leipzig und Magdeburg abgezogen und durch die Hauptstadt geleitet. Berlin, und nicht mehr Frankfurt an der Oder, war jetzt der Hauptumschlagplatz fîr 175 F. von Medem, Berlin im Jahre 1617 … (s. Anm. 136), S. 193 – 213; sowie ebenfalls grundlegend Erika Schachinger, Die Dorotheenstadt 1673 – 1708 (= Verçffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 9), Kçln/Weimar/Wien 2001. Die schwierigen kirchlichen Verhltnisse, die in der Errichtung einer Simultankirche endeten, sind S. 59 – 63 beschrieben. 176 Waltraud Volk, Die Stadterweiterungen Berlins im 17. und in der ersten Hlfte des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch fîr Geschichte 35 (1987), S. 93 – 118. 177 Willy A. Boelcke, „Die sanftmîtige Accise“. Zur Bedeutung und Problematik der „indirekten Verbrauchsbesteuerung“ in der Finanzwirtschaft der deutschen Territorialstaaten whrend der frîhen Neuzeit, in: JbGMitteldtld 21 (1972), S. 93 – 139. 178 Von der Spree aus konnte bereits îber Havel und Elbe die Nordsee erreicht werden. Vgl. Werner Natschka, Berlin und seine Wasserstraßen, Berlin 1971, S. 30 und S. 35.

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schlesische Waren. Die Residenz an der Spree îberflîgelte in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung rasch Frankfurt und wuchs zu einer bedeutenden Handelsmetropole heran. Auf dem Friedrichswerder entstand fîr die Schiffahrt der Packhof, und aus dieser ersten Warenniederlage entwickelte sich in den folgenden zwei Jahrhunderten ein umfangreiches Hafensystem, das Berlin zu einem der grçßten Binnenschiffahrtspltze Europas machte. Wesentlich fîr die weitere wirtschaftliche Entwicklung waren Grîndung und Ausbau von Manufakturen, die zunchst mit dem wichtigsten einheimischen Rohstoff, der Wolle, arbeiteten. Neben dem Handel versuchte der Kurfîrst auch das Handwerk zu fçrdern. Dies hatte sich zwar relativ bald von den Kriegsfolgen erholt, blieb aber wie bisher in Zînften und Gewerken organisiert. Diese traditionelle Struktur behinderte weitergehende Reformen, dennoch gab es nun zahlreiche neue Zînfte, allerdings zumeist als Spezialisierungen der alten. Die ehrgeizige Wirtschaftspolitik des Großen Kurfîrsten orientierte sich am Vorbild der Niederlande und Frankreichs und zielte îber den regionalen Bereich weit hinaus. Sie ließ sich mit den traditionellen Krften des Landes kaum verwirklichen und machte eine konsequente Begînstigung von Zuwanderern notwendig. Kolonisten wurden auf den verçdeten Dorf- und Hofstellen, aber auch in den Stdten angesiedelt. In den Anfangsjahren der Regierungszeit Friedrich Wilhelms sollten vor allem Niederlnder den wirtschaftlichen Aufschwung und die wirtschaftliche Stabilitt ihres Landes auf die Mark îbertragen. Aber der Zustrom niederlndischer Siedler blieb, abgesehen von einigen herausragenden Spezialisten, gering. Die erste wichtige Gruppe, die der Große Kurfîrst wieder ins Land ließ, waren die Juden. Seit 1572 hatte es ein Ansiedlungsverbot fîr Juden in der Mark gegeben. Im Edikt vom 21. Mai 1671 gewhrte Friedrich Wilhelm 50 jîdischen Familien, die aus Wien vertrieben worden waren, Schutz und Aufenthaltsrechte in Berlin. Dabei handelte es sich um sehr wohlhabende Familien mit weitreichenden Handelsbeziehungen, von denen sich der Kurfîrst wirtschaftlichen Nutzen versprach.179 Die zweite große und einflußreiche Zuwanderergruppe waren die Franzosen. Als Folge des Edikts von Potsdam (1685), mit dem der Große Kurfîrst die calvinistischen beziehungsweise reformierten Franzosen (Hugenotten) nach Brandenburg rief, sind von den insgesamt etwa 12.000 franzçsischen Glaubensvertriebenen rund 6.000 179 Stefi Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes BerlinBrandenburg zur Zeit des Merkantilismus (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 23), Berlin 1978, S. 43 – 69; Wolfgang Ribbe, Der wirtschaftliche und politische Status der Juden in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Merkantilismus, in: Marianne Awerbuch / Stefi Jersch-Wenzel (Hg.), Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklrung und Romantik. Beitrge zu einer Tagung (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 75), Berlin 1992, S. 1 – 19.

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in Berlin ansssig geworden.180 Die Hugenotten ließen sich vor allem in den neuen Residenzstdten Friedrichswerder und Dorotheenstadt nieder. Sie entfalteten ein reges, von der einheimischen Bevçlkerung getrenntes Leben, mit eigener Kirche und unter eigener Gerichtsbarkeit, mit einem eigenstndigen franzçsischen Gymnasium und speziellen Innungen. Sie grîndeten zahlreiche neue Manufakturen. Mit ihren Kenntnissen in der Herstellung und im Vertrieb von feinen Gewebewaren und Luxusartikeln waren sie den Einheimischen îberlegen. Vor allem diesen franzçsischen Zuwanderern war die Intensivierung des Manufakturwesens zu verdanken. Sie gaben den kurfîrstlichen Neustdten, der Dorotheenstadt und dem Friedrichswerder und damit der gesamten Residenz einen enormen Aufschwung. Hauptziel der Politik des Großen Kurfîrsten war zweifellos die Festigung seiner Macht und – damit verbunden – der wirtschaftliche Aufbau des Landes. Er fçrderte aber auch Wissenschaft und Kunst,181 wobei bereits die politische Reprsentation, der Anspruch auf Rang und Wîrde unter den Souvernen Europas eine Rolle gespielt haben mag.182 Schon frîh hatte Friedrich Wilhelm begonnen, Kunstschtze verschiedener Art sowie Gemlde niederlndischer Meister zu sammeln und eine Gemldegalerie aufgebaut, die er im Cçllner Stadtschloß unterbrachte. Spter widmete er sich den italienischen und franzçsischen Meistern des 16. Jahrhunderts. Seine Kunstsammlungen wurden zum Grundstein der heutigen Berliner Museen.183 Auch musikalisch erlebte Berlin eine erste Blîte, allerdings nicht bei Hofe: Von 1622 bis 1662 wirkte Johann Krîger in der Stadt, der u. a. die Gedichte und Kirchenlieder des Lutheraners Paul Gerhardts vertonte. Sein 1630 erschienenes Lehrbuch der Komposition machte ihn weit îber die brandenburgische Hauptstadt hinaus bekannt.184 Schließlich gewann Berlin auch als Druck- und Verlagsort an Bedeutung. Die erste Druckerei war zwar schon 1540 eingerichtet worden, um 180 S. Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“ … (s. Anm. 179), S. 69 – 92. 181 Onder den Oranje boom. Niederlndische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahrhundert an deutschen Fîrstenhçfen. Katalog, Mînchen 1999. 182 B. Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit … (s. Anm. 124), gibt S. 167 f. ein Beispiel fîr die vergeblichen Bemîhungen Friedrich Wilhelms unter den Souvernen Europas als gleichberechtigt anerkannt zu werden. 183 Whrend Heinz Duchhardt, Anspruch und Architektur: Das Beispiel Berlin, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 31 – 52, die wissenschaftlich-kînstlerischen Aktivitten des Großen Kurfîrsten nicht gelten lassen will, da er seine Betrachtung auf das Bauen konzentriert (S. 37 f.), hebt B. Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit … (s. Anm. 124), S. 165 f., auch die Kunstfçrderung Friedrich Wilhelms hervor. Zu den kurfîrstlichen Sammlungen im Berliner Schloß vgl. auch W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 32. 184 Christian Brunners, Der Berliner Musiker Johann Crîger (1598 – 1662). Seine Wege, Werke und Wirkungen im europischen Zusammenhang, in: Jahrbuch fîr BerlinBrandenburgische Kirchengeschichte 62 (1999), S. 63 – 75.

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anlßlich der Reformation die neue Kirchenordnung zu vervielfltigen, nun erschienen auch Zeitungen, vor allem aber eine Biographie des Kurfîrsten, von der angenommen wird, sie sei im Schloß gedruckt worden. øhnlich intensiv wie bei der Kunst waren die Bemîhungen des Großen Kurfîrsten zur Fçrderung von Bildung und Wissenschaften. 1654 grîndete er nach den bereits bestehenden Hochschulen (Frankfurt an der Oder und Kçnigsberg in Preußen) in Duisburg eine dritte Landesuniversitt.185 Berlin verdankt ihm das Joachimsthalsche186 und das Friedrichswerdersche Gymnasium. Daneben bestanden das Cçllnische und das Berlinische Gymnasium. Im Unterschied zu den einfachen Stadtschulen herrschte hier die lateinische Ausbildung vor, die zur Aufnahme eines Universittsstudiums befhigte. Mit der Errichtung einer großen Bibliothek, die 1686 schon 1.600 Handschriften und mehr als 20.000 gedruckte Werke enthielt und die auch den Bîrgern der vier Stdte offenstand, sorgte er fîr den Grundstock der Preußischen Staatsbibliothek und hatte einen erheblichen Anteil am Aufschwung der Wissenschaften.187 Noch whrend der letzten Lebensjahre Friedrich Wilhelms kam mit Samuel von Pufendorf (1632 – 1694) ein bedeutender Jurist von europischem Rang an den Berliner Hof. Pufendorf hatte sich durch seine Arbeiten îber das Natur- und Vçlkerrecht einen Namen gemacht. Mit seiner zweibndigen Lebensgeschichte des Großen Kurfîrsten erschien eines der ersten politischen Geschichtswerke des brandenburgischen Staates.188 Die vielseitigen Interessen des Kurfîrsten 185 Ein akademisches Gymnasium gab es in Duisburg bereits seit 1559, eine ppstliche Erlaubnis fîr eine Universittsgrîndung erhielt der Herzog 1564, zwei Jahre danach auch das kaiserliche Privileg, doch erst der brandenburgische Kurfîrst Friedrich Wilhelm vollzog die Grîndung 1654. In Anwesenheit des kurfîrstlichen Statthalters im Herzogtum Kleve nahm die Universitt Duisburg am 14. 10. 1655 ihren Lehrbetrieb auf: Walter Ring, Die Geschichte der Universitt Duisburg, Duisburg 1920; Gînter von Roden / Hubert Jedin, Die alte Universitt Duisburg 1655 – 1818 (= Duisburger Forschungen, 12), Duisburg 1968; Gernot Born / Frank Kopatschek, Die alte Universitt Duisburg, Duisburg 2001. 186 Der Kurfîrst verlegte das Gymnasium aus dem uckermrkischen Joachimsthal in seine Hauptstadt. Vgl. Erich Wetzel, Die Geschichte des Kçniglichen Joachimsthalschen Gymnasiums 1607 – 1907, Halle an der Saale 1907. 187 Eugen Paunel, Die Staatsbibliothek zu Berlin. Ihre Geschichte und Organisation whrend der ersten zwei Jahrhunderte seit ihrer Erçffnung 1661 – 1871, Berlin 1965. Einen umfassenden Einblick in die Fçrderung von Kunst und Wissenschaft durch den Kurfîrsten vermittelt der Ausstellungskatalog: Der Große Kurfîrst 1620 – 1688. Sammler, Bauherr, Mzen, hg. v. den Staatlichen Schlçssern und Grten PotsdamSanssouci, Potsdam 1988. Vgl. auch Wolfgang Ribbe, Vom Apothekenflîgel des Berliner Schlosses zum Bibliotheksbau Unter den Linden. Standortentscheidungen fîr die Kçnigliche Historische Bibliothek, in: Gabriele Spitzer (Hg.), Die Staatsbibliothek Unter den Linden, Frankfurt am Main 1997, S. 23 – 36, bes. S. 23 f. 188 Samuel Pufendorf, De rebus gestis Friederici Wilhelmi Magni, electoris brandenburgici, commentariorum libri XIX, Berlin 1695.

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wandten sich aber auch der staatlichen Gesundheitspflege zu. Die von ihm 1685 erlassene Medizinalordnung schuf mit dem „Collegium Medicum“ eine Behçrde, die eine bessere rztliche Versorgung vorbereiten sollte.189 Bei allem Fortschritt war aber das Mittelalter noch keineswegs ganz îberwunden, was u. a. die alchimistischen Experimente Johann Kunkels auf der Pfaueninsel bezeugen, die der Kurfîrst auf das lebhafteste fçrderte. Kunkel gelang zwar nicht die gewînschte Erzeugung von Gold und Silber, aber immerhin die Herstellung des Rubinglases.190 Einen weiteren Fortschritt der Wissenschaft bedeutete in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts die Einfîhrung der Kartographie in Berlin. 1685 erschien der Plan des Ingenieurs N. La Vigne, der Berlin mit seiner dçrflichen Umgebung zeigt. Im Todesjahr des Großen Kurfîrsten, 1688, verçffentlichte Johann Bernhard Schulz einen Perspektivplan, der ein detailliertes Bild der Hauptstadt bietet. Der Plan mit seiner imposanten Grçße von 139 mal 47 Zentimetern verherrlicht die Leistungen des Großen Kurfîrsten fîr seine Residenz Berlin, von deren Bauten genaue Angaben gemacht werden.191 Vom Berlin-Cçllner Stadtschloß aus entwickelte sich im Berliner Raum eine weitreichende Residenzlandschaft,192 die schließlich im wesentlichen westwrts orientiert war.193 Nachdem der Standort fîr das Schloß in Cçlln feststand, war die Richtung fîr eine weitere Ausdehnung der Residenz vorgegeben, denn çstlich des Schlosses war das gesamte Areal der Stadt bereits bebaut.194 Der Friedrichswerder, die Dorotheenstadt und die Friedrichsstadt wurden dem Schloß und der Stadt Cçlln vorgelagert, weil nur hier noch ausreichend Baugelnde zur Verfîgung stand, das sich auch im Besitz des Landesherrn befand. Bereits unter Joachim II. war mit dem Jagdschloß Grunewald eine „Nebenresidenz“ entstanden, die der weiteren Entwicklung die Richtung angab. Das 189 Paul Wille, Die Geschichte der Berliner Hospitler und Krankenhuser von der Grîndung Berlins bis zum Jahre 1800, Charlottenburg 1930; Johann Friedrich Fritze, Nachricht von einem neuerrichteten klinischen Institute beim Kçniglichen Collegio medico-chirurgico, Berlin 1789. 190 Gotthold Gloger, Rot wie Rubin. Das abenteuerliche Leben des deutschen Glaskînstlers Johann Kunckel, Berlin 21963. 191 Heinz Spitzer / Alfred Zimm, Berlin 1650 bis 1900. Entwicklung der Stadt in historischen Plnen und Ansichten. Mit Erluterungen, Berlin/Leipzig 1986; Paul Clauswitz, Die Plne von Berlin und die Entwicklung des Weichbildes, Berlin 1906; Wilhelm Erman (Hg.), Berlin anno 1690. Zwanzig Ansichten aus Stridbeck’s des Jîngeren Skizzenbuch, Berlin 1881; Gînther Schulz, Die ltesten Stadtplne Berlins 1652 – 1757, Weinheim 1986. 192 G. Heinrich, Europische Ausblicke … (s. Anm. 168), S. 75 – 98. 193 Burkhard Hofmeister, Berlin. Die zwçlf westlichen Bezirke. Eine geographische Lnderkunde, Darmstadt 1975, S. 10 – 19. Dazu F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), Abbildung 2: Die Landesherrlichen Besitzungen um Berlin bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, S. 70. 194 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 64 ff.

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heißt aber nicht, daß der Raum çstlich, sîdlich und nçrdlich von Berlin/Cçlln frei von Nebenresidenzen geblieben wre. Der bedeutendste dieser Schloßbauten ist sicherlich Kçpenick, wo Kurfîrst Friedrich Wilhelm 1677 mit dem Ausbau der vorhandenen Rumlichkeiten zum Schloß begann und das 1705 – als Friedrich I. beabsichtigte, die Stadt Charlottenburg zu grînden – noch immer nicht ganz vollendet war.195 Friedrichsfelde wurde Anfang des 18. Jahrhunderts fîr Nebenlinien des Herrscherhauses zum Schloß ausgebaut,196 und Niederschçnhausen ist in der ersten Hlfte des 17. Jahrhunderts vom Adelssitz zum Schloß umgestaltet worden, kam aber erst spter an die Hohenzollern.197 Im Westen entstand nach dem Berlin/Cçllner Stadtschloß (1443 bis 1451) und dem Jagdschloß Grunewald (1542) zunchst in Potsdam198 ein Stadtschloß, dessen Errichtung in die Jahre 1667 bis 1701 fllt.199 Damit war aber der letzte entscheidende Schritt getan.200 Zwar hatte Kurfîrst Friedrich Wilhelm 1650 das nçrdlich von Berlin gelegene Amt Bçtzow seiner Gemahlin Luise Henriette von Oranien îbertragen, die dort 1651 von Memhardt ein neues Schloß erbauen ließ, das im folgenden Jahr den Namen „Oranienburg“ erhielt und das sie mit einer agrarischen Musterwirtschaft verband,201 doch hat dies insgesamt nicht so weitreichende Folgen gehabt wie der Bau des Potsdamer 195 Gînter Schade, Schloß Kçpenick. Ein Streifzug durch die Geschichte der Kçpenicker Schloßinsel, Berlin 41975, bes. S. 28 ff. und S. 58 ff. 196 Vor den Toren Berlins. Friedrichsfelde-Karlshorst und Umgebung, Berlin/Karlshorst 1933; Claudia Sommer, Niederlndische Einflîsse auf die Landeskultivierung und Kunstentfaltung in Brandenburg von 1540 bis 1740, in: Onder den Oranje boom … (s. Anm. 181), S. 205 – 207, sowie im Katalogteil Nr. 8/37 bis 8/44, S. 239 – 250. 197 Ferdinand Meyer, Pankow und Niederschçnhausen nebst Schloß und Park, in: Brandenburgia 4 (1895/1896), S. 89 – 95. 198 Ahlefeld, Der Aufenthalt des Großen Kurfîrsten in Potsdam, in: Mittheilungen des Vereins fîr die Geschichte Potsdams 2 (1866), S. 175 – 189; Wolfgang Neugebauer, Potsdam – Berlin. Zur Behçrdentopographie des preußischen Absolutismus, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militrgeschichte. Im Auftrage des Militrgeschichtlichen Forschungsamtes, unter Mitarbeit von Heiger Ostertag, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S. 272 – 296; Wolfgang Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam. Eine verfassungsgeschichtliche Studie zur fîrstlichen Zentralsphre in der Zeit des Absolutismus, in: Ders. (Hg.), Potsdam – Brandenburg – Preußen. Beitrge der Landesgeschichtlichen Vereinigung zur Tausendjahrfeier der Stadt Potsdam (= JbBrandenbLdG, 44), Berlin 1993, S. 69 – 115. 199 H. Karnia, Das Stadtschloß unter dem Großen Kurfîrsten, in: Mitteilungen des Vereins fîr Geschichte der Stadt Potsdam NF 6 (1927), S. 10 – 12. 200 G. Heinrich, Europische Ausblicke … (s. Anm. 168), passim. 201 Friedrich Ballhorn, Geschichte der Stadt Oranienburg bis zur Einfîhrung der Stdteordnung im Jahre 1808 nebst kurzen Nachrichten von den îbrigen zum Oranienburger Kirchspiel gehçrigen Ortschaften, Berlin 1850; A. Maurer / C. Roland, Die Kurfîrstin Henriette Luise, Gemahlin Friedrich Wilhelms d. Großen, als Landesmutter und ihre besondere Wirksamkeit zu Oranienburg, Neustadt/Eberswalde 1858.

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Stadtschlosses.202 Das neue Schloß war fîr Kurfîrst Friedrich Wilhelm keine Sommerfrische, sondern stndige Residenz, von der aus er regierte. Hier erließ er 1685 das Edikt von Potsdam, das den Hugenotten den Weg nach Brandenburg çffnete,203 und hier starb er auch drei Jahre spter, allerdings fand die Beisetzung nicht in Potsdam, sondern im hauptstdtischen Dom statt, der seit mehreren Generationen als Grablege der brandenburgischen Hohenzollern diente.204 Noch whrend des Baus des Potsdamer Stadtschlosses war der Ort ein recht unbedeutender Flecken, der erst in seiner Funktion als Residenz wirtschaftlichen Auftrieb erhielt.205 Was mag aber den Kurfîrsten dazu bewogen haben, so kleine Orte wie Bçtzow und Potsdam zu Nebenresidenzen zu erheben? Mit ausschlaggebend fîr die Standortfrage dîrften die Besitz- und Rechtsverhltnisse gewesen sein. Der Grunewald, in dem das Jagdschloß Joachims II. errichtet wurde, befand sich ebenso in landesherrlichem Besitz206 wie das Amt Bçtzow207, in dem das Schloß Oranienburg entstand, und auch Potsdam war ein landesherrliches Stdtchen, von dem der Kurfîrst keine politischen Schwierigkeiten zu erwarten hatte. Am Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms war die Bevçlkerung Berlins von 6.000 auf 20.000 Einwohner angewachsen.208 Im Vergleich mit anderen europischen Hauptstdten wie Paris oder London, in denen damals schon mehr als 700.000 Menschen lebten, waren das sicherlich nicht viele, aber angesichts der Schden des Dreißigjhrigen Krieges handelte es sich alles in allem um eine erhebliche Aufbauleistung und um einen vielversprechenden neuen Anfang. Jedenfalls ist es der Bevçlkerungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Kulturpolitik des Großen Kurfîrsten zu verdanken, daß Berlin schon im 17. Jahrhundert einen „Modernisierungsschub“ erlebte, der der Stadt einen Vorsprung vor anderen mitteleuropischen Zentren verschaffte. Als er 1688 starb, hatte Kurfîrst Friedrich Wilhelm die Fundamente gelegt, auf denen seine Nachfolger den Staat der Hohenzollern weiter entwickeln konnten. Fîr Berlin war der Weg zur Großstadt und zur kînftigen Hauptstadt Brandenburg-Preu202 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 64 ff. und S. 71 – 82; Ahlefeld, Der Aufenthalt … (s. Anm. 198), passim. 203 Detlev Harms, Das Edikt von Potsdam vom 29. Oktober 1685. Die Integration und der soziale Aufstieg von Auslndern in der preußischen Armee des 17. und 18. Jahrhunderts, in: B. R. Kroener, Potsdam … (s. Anm. 198), S. 159 – 172. 204 Rîdiger Hoth, Die Gruft der Hohenzollern im Dom zu Berlin, Berlin 1992. 205 Georg Sello, Potsdam und Sans-Souci. Forschungen und Quellen zur Geschichte von Burg, Stadt und Park, Breslau 1888. 206 Gînter Thiel, Geschichte des Grunewaldgebietes, phil. Diss. Berlin 1941. 207 B. Schulze, Besitz- und Siedlungsgeschichte … (s. Anm. 132), S. 45 – 47. Neben den Besitzverhltnissen dîrfte auch die Anbindung an einen Wasserweg eine Rolle bei der Standortentscheidung gespielt haben. 208 Helga Schultz, Berlin 1650 – 1800. Sozialgeschichte einer Residenz. Mit einem Beitrag von Jîrgen Wilke, Berlin 1987, S. 25 – 51.

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ßens vorgezeichnet und geebnet. Als Residenz hat die Stadt dem Kurfîrsten aber nur in einzelnen Abschnitten seiner Regentschaft gedient. Die von Friedrich Wilhelm in Brandenburg eingeleitete Wiederaufbauphase fîhrte sein Nachfolger fort. Nachdem dieser 1701 als Friedrich I. in Kçnigsberg die preußische Kçnigskrone erlangt hatte,209 baute er Berlin zu einer kçniglichen Haupt- und Residenzstadt aus. Einen Eindruck der fîr die Stadt neuen barocken Prunkentfaltung vermittelten bereits die Trauerfeierlichkeiten beim Tode des Großen Kurfîrsten, als die zum Schloß fîhrende Breite Straße mit Ehrenportalen geschmîckt war, und danach der reich dekorierte Festzug mit Triumphtoren, der 1701 den frisch gekrçnten Kçnig in Preußen durch die – in Kçnigstraße umbenannte – Oderberger Straße zum Stadtschloß fîhrte. Dem folgten weitere çffentliche Inszenierungen, die dazu dienten, der erlangten Kçnigswîrde sichtbaren Ausdruck zu verleihen.210 Entsprechend der Bedeutung dieses neuen Staates, der seinen Platz unter den europischen Monarchien noch suchte, sollte die kçnigliche Haupt- und Residenzstadt Berlin ausgebaut und erweitert werden.211 Im Mittelpunkt der Bauttigkeit des Kçnigs stand dabei zweifellos das Berliner Schloß. Noch als Kurfîrst war es Friedrich III. 1694 gelungen, mit Andreas Schlîter212 einen der bedeutendsten Bildhauer und Architekten des Barock fîr Berlin zu gewinnen.213 Ihm oblag es, das alte Schloß durch Erweiterung und Neugestaltung ganzer Fassadenpartien, durch schmuckreich ausgestaltete Festsle und einen impo209 Zu Vorgeschichte und Ablauf der Selbstkrçnung in Kçnigsberg vgl. u. a. Theodor Schieder, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701 in der politischen Ideengeschichte, in: Ders., Begegnungen mit der Geschichte, Gçttingen 1965, S. 183 – 209; Heinz Duchhardt, Das preußische Kçnigtum von 1701 und der Kaiser, in: Festschrift Eberhard Kessel, Mînchen 1982, S. 89 – 101; Heinz Duchhardt, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701. Ein europisches Modell?, in: Ders. (Hg.), Herrscherweihe und Kçnigskrçnung im frîhneuzeitlichen Europa, Wiesbaden 1983, S. 82 – 95; Peter Baumgart, Die preußische Kçnigskrçnung von 1701, das Reich und die europische Politik, in: Oswald Hauser (Hg.), Preußen, Europa und das Reich (= Neue Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, 7), Kçln/Wien 1967, S. 65 – 86. 210 B. Stollberg-Rilinger, Hçfische §ffentlichkeit … (s. Anm. 124), S. 145 – 176, zeigt dies am Beispiel des „solennen Einzugs“ des englischen Ambassadeurs Thomas Wentworth Lord Raby am 7. April 1706 in Berlin. Die staatspolitische Bedeutung der Beisetzungsfeierlichkeiten fîr Sophie Charlotte erçrtert Uwe Steiner, Triumphale Trauer. Die Trauerfeierlichkeiten aus Anlaß des Todes der ersten preußischen Kçnigin in Berlin im Jahre 1705, in: ForschBrandPrG NF 11 (2001), S. 23 – 52. 211 ˜ber die „Kunst und vor allem Architektur als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ im Hinblick auf Friedrich I. vgl. den grundlegenden Beitrag von H. Duchhardt, Anspruch und Architektur … (s. Anm. 183), S. 31 – 52, mit weiterer Literatur. 212 Zu Schlîter grundlegend noch immer Heinz Ladendorf, Der Bildhauer und Baumeister Andreas Schlîter, Berlin 1935. 213 Erich Hubala, Das Berliner Schloß und Andreas Schlîter, in: Gedenkschrift Ernst Gall, Berlin 1965, S. 311 – 344.

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santen Innenhof in ein „prunkvolles Kçnigsschloß“ umzugestalten, das dem Reprsentationsbedîrfnis des Herrschers entsprach.214 Als Hofbildhauer215 schuf Schlîter neben den 22 Masken sterbender Krieger im Lichthof des 1706 fertiggestellten Zeughauses auch das Bronzestandbild Kurfîrst Friedrichs III. und das Reiterstandbild des Großen Kurfîrsten, das auf der Langen Brîcke am Berliner Stadtschloß seinen Platz fand.216 1706 wurde dann eines der wichtigsten Barockbauwerke, das Zeughaus, fertiggestellt, an dem Andreas Schlîter ebenfalls mitgewirkt hatte.217 Neben Schlîter waren es die Bauleistungen Johann Arnold Nerings, Martin Grunenbergs, Johann Friedrich Nilsson Eosander Freiherr Gçthes und Jean de Bodts, die in dieser Zeit dem Stadtbild Berlins sein barockes Geprge gaben.218 Bereits Friedrich Wilhelm hatte neben der weiteren Ausgestaltung des Lustgartens durch ein 1685 begonnenes Bibliotheksgebude im nçrdlichen Anschluß an die Spreeseite des Schlosses weitere Projekte fîr ein großes Marstallgebude und fîr das Zeughaus ausarbeiten lassen. Sein Nachfolger, der zunchst die Befestigung auf der Berlinischen Seite verstrken ließ, gab dann den Bau des großen Marstalles in der Dorotheenstadt in Auftrag. Auch die Projekte des nchsten Jahrzehnts – 1690 Haus fîr den Oberjgermeister, 1693 Hetzgarten fîr Tierspiele, 1695 Parochialkirche und das Zeughaus, 1697 Friedrichs-Hospital – und schließlich die seit 1697 erarbeiteten Entwîrfe fîr den Schloßumbau berîcksichtigen umfassend die Erfordernisse der kçniglichen Residenz und keineswegs nur baukînstlerische Erwgungen.219 Vorausgegangen war bereits die Neugestaltung der 400 Jahre alten, bauflligen Domkirche und die Zusammenfassung eines Huserkomplexes in der Breite Straße, der den kurfîrstlichen Marstall und andere Einrichtungen der Hof214 Zusammenfassend: Goerd Peschken, Das Kçnigsschloß, in: G. Peschken / H. W. Klînner, Das Berliner Schloß … (s. Anm. 111), S. 49 – 68, bes. S. 54 – 57; L. Wiesinger, Das Berliner Schloß … (s. Anm. 51); im Hinblick auf die barocke Herrschaftsdarstellung H. Duchhardt, Anspruch und Architektur … (s. Anm. 183), S. 45 – 50. 215 Margarete Kîhn, Andreas Schlîter als Bildhauer, in: Jçrg Rasmussen (Hg.), Barockplastik in Norddeutschland (= Katalog Hamburg 1977), Mainz 1977, S. 105 – 181. 216 Es gilt als das bedeutendste Reiterdenkmal des deutschen Barock und fand nach dem Zweiten Weltkrieg im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg seinen Platz. Zur Bedeutung von Reiterdenkmlern in der Herrscher-Ikonographie des Barock vgl. Ulrich Keller, Reitermonumente absolutistischer Fîrsten. Staatstheoretische Voraussetzungen und politische Funktionen, IV, Mînchen 1971. 217 Zur neueren Deutung des Zeughauses als ein „çffentliches“ Bauwerk, das nicht als fîrstlicher Reprsentationsbau anzusehen ist, vgl. H. Duchhardt, Anspruch und Architektur … (s. Anm. 183), S. 39 – 41. 218 Zu ihnen und weiteren Baumeistern der Zeit in Berlin vgl. u. a. den Abschnitt „Die Architekten“, in: Hans Reuther, Barock in Berlin. Meister und Werke der Berliner Baukunst 1640 – 1786, Berlin 1969, S. 133 – 146, mit weiterer Literatur. 219 Dies behauptet wohl zu Unrecht A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 83.

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haltung aufnahm. Das alte Oderberger Tor sollte durch einen reprsentativen Neubau in der Art eines Triumphtores ersetzt werden. An der Kçnigstraße errichtete sich der engste Berater und Gînstling des Kçnigs, Graf Kolbe von Wartenberg, nach einem Entwurf Schlîters seit 1701 ein neues Palais. Zahlreiche weitere Plne lagen vor, aber „keiner dieser Entwîrfe wurde ausgefîhrt, auch das Kçnigstor blieb in seinen Fundamenten stecken und der eigentliche Antrieb fîr die stdtebauliche Gestaltung des Schloßplatzes ging zunchst verloren“.220 Doch der allgemeine Aufbau und die Stadterweiterung wurden zîgig vorangetrieben. Seit 1688 entstand auf der angekauften Cçllner Feldmark außerhalb des Befestigungsgîrtels als fînfte Stadtgemeinde im Gebiet von Berlin/ Cçlln die nach dem Monarchen benannte Friedrichstadt,221 in der sich viele Hugenotten ansiedelten. Auch îber diese Neustadt gebot – zeittypisch fîr eine Residenz – der Kçnig als absoluter Stadtherr, der nun auch die rudimentren Reste der alten Stadtfreiheit von Berlin und Cçlln beseitigte. Mit der bis dahin umfassendsten kommunalpolitischen Maßnahme der Stadtgeschichte befahl er 1709 die Schaffung einer Einheitsgemeinde Berlin, bestehend aus den Stdten Berlin, Cçlln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt. Als Sitz des neu zu bildenden Magistrats bestimmte er das nahe dem Schloß gelegene Cçllner Rathaus, gerade weil „selbiges nicht allein in der Mitte der îbrigen Stdte, sondern auch bei unserem Residenzschloß gelegen“,222 und befahl einen Neubau. Bei der Grundsteinlegung am 27. Mai 1710 hatte der Kçnig geußert, „daß dieses neue Rathaus so lange stehen mçchte, als die Welt bestehen wîrde“.223 Um der Bevçlkerung weite Wege zu ersparen, blieben die îbrigen Rathuser als Amtslokale erhalten. Die am 1. Januar 1710 in Kraft getretene Stadtverfassung der zentralisierten Einheitsgemeinde Berlin sah einen auf Lebenszeit amtierenden und fest besoldeten Magistrat vor. Er sollte parittisch aus Lutheranern und Reformierten besetzt sein. Auch eine neue Gerichtsverfassung erließ der Kçnig. Das 1710 gebildete Stadtgericht erhielt als Amtssitz das Berliner Rathaus zugewiesen. Die Rechtsprechung erfolgte durch fînf Richter mit einem Bîrgermeister als Direktor. An die Stelle von Laienschçffen traten jetzt sachkundige Assessoren. Ausgenommen von dieser Regelung blieben die Garnison und die den stdtischen Behçrden nicht unterstellten kçniglichen Beamten. Auch die franzçsische Kolonie bewahrte weitgehend ihre Selbstndigkeit.224 So verdienstvoll die Vereinigung der fînf Stdte in verwal220 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 87. 221 Zusammenfassend mit Literaturhinweisen H. Schultz, Berlin 1650 – 1800 … (s. Anm. 208), S. 55. 222 Georg Gottfried Kîster, Altes und neues Berlin, Berlin 1737, S. 36. 223 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 90. 224 K. Schrader, Die Verwaltung Berlins … (s. Anm. 165), S. 13 – 25.

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tungstechnischer Hinsicht auch gewesen sein mag, mit dieser Neuordnung hatte der Landesherr wiederum tief in die stdtische Selbstverwaltung seiner Hauptresidenz eingegriffen. Die neue Verfassung beseitigte endgîltig alle alten Stadtfreiheiten, auch wenn diese nur noch formal existiert hatten. Vielleicht blieben auch deshalb Proteste gegen diese Maßnahmen aus. Anstelle der alten Wappen und Siegel, die zumindest bildlich-symbolisch noch an die alte Stadtfreiheit erinnerten, zeigte das neue große Siegelwappen – entsprechend der neuen Stadtverfassung – einen in drei weiße Felder gegliederten Schild mit dem brandenburgischen roten Adler, dem schwarzen Adler Preußens und darunter den aufrecht schreitenden Berliner Bren. ˜ber dem Wappenschild schwebte der „Souverain Churhut“, die Krone des aus dem brandenburgischen Kurfîrstentum zum Kçnigreich aufgestiegenen preußischen Staates.225 Friedrich I.,226 der sich als aufstrebender Barockfîrst hçfisch zu prsentieren hatte, fîhrte zahlreiche von Friedrich Wilhelm begonnene Projekte fort, wollte aber zugleich auch eigene Vorhaben verwirklichen. Er grîndete nicht nur die Friedrichstadt, sondern sorgte auch fîr den barocken Ausbau des Kçpenicker Schlosses. Kleinere Projekte im Berliner Raum kçnnen an dieser Stelle unbeachtet bleiben, zeigen doch die bereits erwhnten Beispiele, daß es die Krfte eines einzelnen Herrschers îbersteigen mußte, whrend seiner Regierungszeit ein so weit reichendes Bauprogramm zu bewltigen. Bis 1704 ließ Friedrich I. das Schloß seiner Mutter vçllig umgestalten.227 Bereits 1690 hatte er von den Erben seiner Stiefmutter, der verwitweten Kurfîrstin Dorothea, das Amt Potsdam mit den dazugehçrigen Gîtern Caputh und Langerwisch erworben,228 die er auf Lebenszeit seiner Gemahlin Sophie Charlotte îbertrug.229 Vier Jahre spter gab sie das Landgut aber wieder zurîck, weil „Wir wegen der fernen Abgelegenheit von der kurfîrstlichen Residenz […] das Plaisir und Divertissement dieses angenehmen Ortes […] nicht nach Wunsch und Verlangen genießen kçnnen […]“.230 Dafîr wurde der Kurfîrstin im folgenden Jahr „die Lietze nebst dem Vorwerk bei Spandau“231 aus dem Amt Mîhlenhof, also aus 225 K. Schrader, Die Verwaltung Berlins … (s. Anm. 165), S. 13 – 25. Siehe auch Paul Seidel, Die Insignien und Juwelen der preußischen Krone, in: HohenzJb 17 (1913), S. 5 – 69. 226 J. Schultze, Die Mark Brandenburg … (s. Anm. 37), 5, S. 59 – 64. 227 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 87 – 91. 228 Wilhelm Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg, 2, Berlin 1905, S. 7 – 10, Nr. 1. 229 W. Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg … (s. Anm. 228), S. 10 f., Nr. 2. 230 W. Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg … (s. Anm. 228), S. 11 – 13, Nr. 3, bes. S. 12; sowie: Anm. 234 Gerd Bartoschek (Hg.), Sophie Charlotte und ihr Schloß. Ein Musenhof des Barock in Brandenburg-Preußen, Mînchen/London/New York 1999. 231 Kurfîrst Friedrich III. befiehlt der Amtskammer, die ˜bergabe der Lîtze und des Vorwerks bei Spandau an seine Gemahlin Sophie Charlotte zu veranlassen (9. Mai

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landesherrlichem Besitz îbertragen. Der Schloßbau brachte aber kein stdtisches Leben nach Lietzenburg. Als mit Sophie-Charlottes Tod 1705 die treibende Kraft fîr den Schloßbau erlosch, war dieses Schloß fîr den Kçnig nur noch ein Projekt unter vielen und zudem nicht sein eigenes. Um das Andenken seiner Gemahlin zu ehren, vollzog er den Namenswechsel und ließ auch das nunmehrige Schloß Charlottenburg232 eher zçgernd als bereitwillig fertig bauen, doch zu einer dauernden Fçrderung dieser Nebenresidenz war er nicht in der Lage und wohl auch nicht bereit. Insofern wird es auch verstndlich, wenn er die wirtschaftliche Fçrderung Charlottenburgs nicht gerade vorrangig betrieb und sogar die von ihm beabsichtigte Stadtgrîndung eher dilatorisch behandelte, so daß sie bald wieder in Vergessenheit geriet. Fîr Friedrich I. handelte es sich von nun an nur noch um eine Nebenresidenz unter vielen anderen in seinem Territorium. Die reiche kînstlerische Entwicklung und Bauttigkeit sowohl in der Hauptstadt als auch in den Nebenresidenzen wurde belebt durch die von Kurfîrst Friedrich III. 1694 gegrîndete Akademie der Kînste mit Sitz in Berlin. Sie sollte nach Rom und Paris „Europae Tertia“, aber „Germaniae Prima“ sein, mit der Aufgabe, international anerkannte Kînstler nach Berlin zu berufen, so als ersten Direktor den „Schweizer Miniaturenmaler Joseph Werner, der es gerade in Rom und Paris zu hçchstem Ansehen gebracht hatte und der – auch ein Symptom fîr europischen Anspruch – mit dafîr sorgte, daß fîr die neue Kunstakademie umgehend eine Sammlung von Gipsabgîssen berîhmter Antiken aus dem Vatikanischen Museen besorgt wurde.“233 Wichtige Impulse fîr Musik und Theater, aber auch fîr die Wissenschaft gingen von der Kçnigin Sophie Charlotte aus.234 Ihr gelang es, den Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz, dessen Akademieplne sich in Wien nicht verwirklichen ließen, an Berlin zu binden. Auf seine Anregung hin wurde am 11. Juli 1700 (also noch vor Friedrichs Selbstkrçnung zum Kçnig in Preußen) mit einem Stiftungsbrief des Kurfîrsten die Kurfîrstlich-Brandenburgische 1695), abgedruckt bei W. Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg … (s. Anm. 228), S. 14, Nr. 5. 232 Wolfgang Ribbe, Die Anfnge Charlottenburgs in der Residenzlandschaft um Berlin, in: W. Ribbe, Von der Residenz zur City … (s. Anm. 113), S. 23. 233 H. Duchhardt, Anspruch und Architektur … (s. Anm. 183), S. 33 f., unter Hinweis auf Liselotte Wiesinger, Berliner Maler um 1700 und die Grîndung der Akademie der Kînste und mechanischen Wissenschaften, in dem Katalogband: Willmuth Arenhçvel (Hg.), Berlin und die Antike, Berlin 1979, S. 80 – 92, hier S. 80. 234 Gerd Bartoschek (Hg.), Sophie Charlotte und ihr Schloß. Ein Musenhof des Barock in Brandenburg-Preußen, Mînchen/London/New York 1999; Onno Klopp (Hg.), Correspondenz von Leibniz mit Sophie Charlotte, geb. Prinzessin von BraunschweigLîneburg, verm. Kurfîrstin von Brandenburg und Kçnigin von Preußen. Vom 18. Januar 1701 bis 1. Februar 1705, Hannover 1877; Rolf Thomas Senn, Sophie Charlotte von Preußen. Biographie, Weimar 2000.

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Soziett der Wissenschaften (die sptere Akademie der Wissenschaften) mit Leibniz als erstem Prsidenten geschaffen.235 Mehrere Jahre zuvor (1693/94) hatte Friedrich III. bereits eine Universitt gegrîndet, allerdings nicht in der Hauptstadt, sondern in Halle an der Saale. Auch hier wirkten wissenschaftliche Kapazitten von europischem Rang.236 Smtliche Neugrîndungen dîrfen als Teil der fîrstlichen Standespolitik mit dem Ziel einer von den europischen Mchten anzuerkennenden Rangerhçhung angesehen werden. „Man wird sicher davon ausgehen kçnnen, daß die Konstituierung des preußischen Kçnigtums îber Jahre hinweg mehr oder weniger gezielt und sorgfltig geplant wurde.“237 Dabei standen die staatspolitischen Ziele stets im Vordergrund, „denn die einschlgigen Aktivitten Friedrichs dienten keineswegs allein seiner persçnlichen ,gloire‘, sondern daneben immer auch dem Aufstieg und der Konsolidierung des Staates, waren Faktoren, um dem Kurfîrstentum in dem im vollen Gang befindlichen Staatenwettbewerb bessere Karten zu verschaffen“.238 Mit der Grîndung und Fçrderung bedeutender wissenschaftlicher und kînstlerischer Institutionen ging der Ausbau der Residenz einher. Die materielle Leistung, die zwar noch hinter den Absichten und Projekten zurîckblieb, erreichte das grçßte Ausmaß unter allen gleichzeitigen stdtebaulichen Aufgaben in Deutschland, denn die Einwohnerzahl Berlins stieg von 12.000 im Jahre 1670 bis auf 61.000 im Jahre 1712; mehr als die Hlfte der 4.100 Huser entstanden um 1700, wobei sich die Bevçlkerung nahezu verdoppelte. Der Vorrat an Baustellen reichte allein in der Friedrichstadt nur noch fîr etwa 400 Huser aus. Die Einwanderung von Glaubensflîchtlingen war in zunehmendem Maße gefçrdert worden und hatte nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung der Wirtschaft und des Gewerbes. Allein die franzçsische Kolonie umfaßte einen Personenkreis von fast 6.000 Menschen, unter denen hervorragende Baumeister, Maler und Kupferstecher, Bildhauer, Gold- und Silbersticker, Seidenwirker und zahlreiche andere „Manufacturiers“ waren. Die Garnison war auf 8.000 Militrpersonen angewachsen. Abschreckende Maßnahmen und drakonische Strafen sollten die Peuplierungspolitik stîtzen. 235 Ines Bçger, „Ein seculum … da man zu Societten Lust hat“. Darstellung und Analyse der Leibnizschen Soziettsplne vor dem Hintergrund der europischen Akademiebewegung im 17. und frîhen 18. Jahrhundert, Mînchen 2001. 236 So H. Duchhardt, Anspruch und Architektur … (s. Anm. 183), S. 35. Die Grîndung der Hallenser Universitt ist lngere Zeit von Wien und Dresden hintertrieben worden. Schließlich hat sie Kaiser Leopold I. 1694 feierlich erçffnet. Herausragende Gelehrte der Grîndungszeit waren Christian Thomasius (der auch als erster Rektor wirkte) und Christian Wolff, der als Aufklrer in Konflikt mit den Pietisten der Franckeschen Stiftungen geriet, von Friedrich I. ausgewiesen und von Friedrich II. wieder nach Halle zurîckgeholt wurde. 237 H. Duchhardt, Anspruch und Architektur … (s. Anm. 183), S. 34. 238 H. Duchhardt, Anspruch und Architektur … (s. Anm. 183), S. 36.

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Grausame Strafen als Abschreckung waren auf die Desertion gesetzt, und 1711 verbot der Kçnig jede Auswanderung, die er unter Todesstrafe stellte. Damit sollte der Bestand des Erreichten gesichert werden.239 Mit dem Tode Friedrichs I. am 25. Februar 1713 verloren die Gedanken zur Erweiterung des Hofstaates und zum Ausbau der dazugehçrigen Bauwerke ihren eifrigsten Fçrderer, so daß alle damit zusammenhngenden stdtebaulichen ˜berlegungen ebenfalls endeten. Die Gestaltung des engeren und weiteren Schloßbezirks war zunchst abgeschlossen. Zahlreiche Prunkbauten, Schlçsser, Lusthuser und Kirchen prgten das Stadtbild. Doch der ußere Glanz tuschte. Bei seinem Tod hinterließ Kçnig Friedrich I. eine Schuldenlast von 20 Millionen Talern, und am Schloß soll ein anonymes Plakat gehaftet haben mit der Aufschrift: „Dieses Schloß ist zu vermieten, und diese Residenz Berlin ist zu verkaufen“. Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. begann eine neue Phase in der Geschichte der preußischen Hauptstadt. Whrend es dem ersten Preußenkçnig vor allem um die Entfaltung und Vermehrung kçniglichen Glanzes ging, um die Ebenbîrtigkeit des preußischen Kçnigs im Kreis der europischen Mchte zu demonstrieren, war das Hauptanliegen Friedrich Wilhelms I., die militrische Strke des preußischen Staates zu fçrdern. Der dazu notwendige Ausbau der Armee konnte aber nur auf der Grundlage solider Finanzen gelingen. Von nun an waltete ußerste Sparsamkeit. Der Hofetat wurde umfassend gekîrzt, Hofbedienstete entlassen oder geringer entlohnt.240 Die Einwohner der Haupt- und Residenzstadt, die um ihre Einkînfte aus der Versorgung des Hofes fîrchten mußten, sahen die einschneidenden Maßnahmen mit gemischten Gefîhlen. Bisher waren es gerade die enormen Bedîrfnisse des Hofes gewesen, die der Stadtwirtschaft ihren Auftrieb gegeben hatten. So bewirkten die kçniglichen Sparmaßnahmen auch zunchst einen erheblichen Rîckschlag. Der Einnahmenausfall fîhrte – zusammen mit dem Versuch innerhalb der Stadt Soldaten anzuwerben – dazu, daß in den ersten beiden Regierungsjahren des neuen Kçnigs fast 17.000 Einwohner, vor allem junge Menschen, darunter 7.000 bis 8.000 Handwerker, abwanderten.241 239 Weitere Einzelheiten zur Wirtschafts- und Sozialstruktur Berlins um 1700 in der grundlegenden Analyse von H. Schultz, Berlin 1650 – 1800 … (s. Anm. 208). 240 Die zeitgençssischen Berichte îber rigorose Sparmaßnahmen Friedrich Wilhelms I. nach dem Tod des ersten preußischen Kçnigs werden in der neueren Forschung relativiert. Da fîr die Pflege des Staatenverkehrs am preußischen Hof doch ein gewisser Aufwand betrieben werden mußte, habe der Kçnig die Technik des „fallweisen Prunks“ angewandt: „Bei Fîrstenbesuchen [schuf ] die Reduktion des Hofaufwandes auf okkasionelle Notwendigkeit im politischen Verkehr mit dem deutschen und europischen Umfeld […] Spielrume fîr die Entwicklung militrischer Potenz“. Vgl. W. Neugebauer, Die Geschichte Preußens … (s. Anm. 1), S. 60. 241 H. Schultz, Berlin 1650 – 1800 … (s. Anm. 208), S. 98.

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Wie seine Vorgnger entwickelte aber auch der Soldatenkçnig eine rege Bauttigkeit. Im Mittelpunkt standen jetzt jedoch nicht mehr prunkvolle Palais, sondern Bîrgerhuser, die Schließung von Baulîcken und die Erweiterung der Residenz, seit 1720 insbesondere der Friedrichstadt. Er gewhrte erneut Baufreiheiten und drohte mit empfindlichen Strafen, falls ein Grundstîcksinhaber seiner Baupflicht nicht nachkam. Mancher, der îber Geld verfîgte, wurde mit drakonischen Maßnahmen zum Huserbau gezwungen. 1725 verzeichnete die Stadt bereits wieder 60.000 Einwohner, dazu 12.000 Mann Einquartierung. Schon 1723 hatte er eine Erweiterung der Friedrichstadt befohlen. Als 1732 die noch freien 400 Parzellen bebaut waren, erfolgte diese Erweiterung zunchst nach Sîden und dann nach Westen, bis die Flche der Friedrichstadt sich verdoppelt hatte. Fîr das innerhalb von zwei Jahren realisierte Vorhaben entwickelte der Kçnig ein eigenes Verfahren. Die Gewerke mußten je ein Haus bauen, und wo die Mitgliederzahl zu klein war, wurden mehrere Gewerke zu einer Baugemeinschaft zusammengefaßt. In einer Art fortlaufender Baustelleneinrichtung entstanden die Huserreihen der sîdlichen Friedrich- und Wilhelmstraße. Reichten die Mittel fîr eine zwei- oder dreigeschossige Bauweise nicht aus, gab sich der Kçnig auch mit eingeschossigen Husern zufrieden. Jhrlich entstanden hier mehr als 100 Huser, so daß die gesamte Friedrichstadt 1737 mit 1.682 Husern bebaut war. Zugleich wurden die çffentlichen Bauten, und das waren mangels anderer çffentlicher Einrichtungen fast ausschließlich Kirchen, in allen Stadtteilen erneuert oder auch neu errichtet. Bereits 1737 war die Friedrichstadt nicht nur die flchenmßig grçßte, sondern mit fast 30.000 Einwohnern auch die bevçlkerungsreichste Teilstadt Berlins.242 Als der Kçnig zunchst die Berliner Handwerker und spter alle Berliner von der Wehrpflicht befreite, ließ die Massenabwanderung rasch nach. Die kontinuierliche Bau- und Wirtschaftspolitik des Monarchen sorgte schließlich fîr einen Bevçlkerungsanstieg auf fast 90.000 Personen.243 Die Flche der Hauptstadt vergrçßerte sich dabei von 5,6 auf 13,2 Quadratkilometer.244 Mit der stndigen Zunahme der Glaubensflîchtlinge calvinistisch-reformierten Glaubens erwies sich die Errichtung einer eigenen reformierten Pfarrkirche als notwendig. 1695 wurde bereits mit dem Bau nach den Plnen von Nering begonnen. Besonders wichtig waren hierbei dem Kçnig die Kirchtîrme, 242 Johann Peter Sîssmilch, Abhandlung von dem schnellen Wachsthum der Kçnigl. Residentz Berlin, vorgelesen in der Versammlung der Kçnigl. Academie der Wissenschaften den 6ten Febr. 1749, zuletzt gedruckt in: Ders., Die kçnigliche Residenz Berlin und die Mark Brandenburg im 18. Jahrhundert. Schriften und Briefe, hg. v. Jîrgen Wilke, Berlin 1994, S. 15 – 48. 243 H. Schultz, Berlin 1650 – 1800 … (s. Anm. 208), S. 122 – 124; A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 92. 244 H. Schultz, Berlin 1650 – 1800 … (s. Anm. 208), S. 125; A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 92 – 99.

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die nicht nur mçglichst hoch sein sollten, sondern nun auch eine auf besondere Wirkung berechnete Stellung im Stadtgrundriß erhielten. Wenn auch die Standorte der sieben Kirchtîrme, die Friedrich Wilhelm I. im Laufe seiner Regierungszeit in Berlin erbauen ließ, meist – wie im vorliegenden Falle – durch den vorhandenen Kirchenbau bestimmt waren, so wurde doch bei der Stellung des Turmes auf die bestmçgliche Wirkung in den Straßenraum hinein geachtet. Auf diese Weise entstand ein System von optischen Schwerpunkten, die îber die ganze Stadtflche verteilt waren, das dem weitlufigen Stadtbild eine spîrbare Einheitlichkeit gab und die einzelnen Stadtteile optisch miteinander verband. Auch andere Bauten wurden in dieses System einbezogen, wie z. B. das Palais des Barons Vernezobre (das sptere Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße) und das Collegienhaus (spter: Sitz des Kammergerichts). Das letztere wurde nach den Plnen von Philipp Gerlach 1734 bis 1735 an der Lindenstraße in der Achse der Markgrafenstraße erbaut. Es handelt sich um das erste als reines Verwaltungsgebude errichtete Bauwerk in Berlin. In seiner Nhe mußten sich Amtstrger ansiedeln, die der Kçnig, ebenso wie die Gewerke, zur Errichtung von Husern zwang. Sie gaben der Markgrafenstraße eine gehobene Atmosphre, so wie das Palais Vernezobre und andere weiter nçrdlich am Westrand der Friedrichstadt gebaute Adelspalais der Wilhelmstraße das vornehme Geprge verliehen. Zwei weitere Maßnahmen Friedrich Wilhelms I. fîhrten ebenfalls zur Vereinheitlichung und Zusammenfassung des Stadtkçrpers der preußischen Hauptstadt: Fast gleichzeitig mit der ußeren Stadterweiterung setzte die Gewinnung neuen Baugelndes nach innen ein, indem der Kçnig die Befestigungen auf der Cçllnischen Seite abtragen ließ und das so gewonnene Gelnde in Baustellen parzellierte. Hierdurch verwischten sich mit fortschreitender Bebauung die Grenzen zwischen der Altstadt und den Neustdten fast vçllig und es bildete sich der Eindruck eines ungegliederten und unîbersehbaren Husermeeres. Eine zweite Maßnahme war die Errichtung der fast sechs Meter hohen Stadtmauer, die keine fortifikatorische Bedeutung hatte, sondern die Desertion der Soldaten und die Akzisedefraudation verhindern sollte.245 Bis hierhin waren im Sinne der zentralistischen Machtballung des absolutistischen Staates der Residenz Berlin alle Aufgaben, die einer Stadt îberhaupt zufallen konnten, zugewiesen worden. Der Große Kurfîrst hatte fîr alle diese Funktionen den Ansatz gegeben, Friedrich I. hatte unter dem Gedanken der barocken Reprsentation des absoluten Kçnigtums besonders die kulturellkînstlerischen Residenzaufgaben ausgebildet, whrend nun Friedrich Wilhelm I. mit der Fçrderung der militrisch-wirtschaftlichen Funktionen den Grundstock fîr den zu hçchster Blîte aufsteigenden preußischen Staat legte. Whrend seiner Regierungszeit verdoppelte er die preußische Armee von 245 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 98 f.

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ca. 40.000 auf 83.000 Mann. Einen nicht geringen Teil davon ließ der Kçnig bei den Bîrgern einquartieren, da man noch keine Kasernen kannte. Berlin wurde nun mehr und mehr auch eine Militrstadt, was das Stadtbild erheblich vernderte. Militrische Erfordernisse wurden jetzt bei der Stadtplanung berîcksichtigt. So entstanden mehrere Reit- und Exerzierpltze. Unter anderem wandelte der Soldatenkçnig den Lustgarten in einen Exerzierplatz um. Im Tiergarten diente der Kçnigsplatz (spter: Platz der Republik, vor dem Reichstagsgebude) den gleichen Zwecken. Die Friedrichstraße wurde îber das Rondell hinaus nach Tempelhof verlngert, um eine gerade Ausfallstraße zum dortigen Exerzierplatz (dem Gelnde des spteren Zentralflughafens Tempelhof ) zu haben.246 Den „neuen Kurs“ des Kçnigs spîrten auch die Nebenresidenzen. Friedrich Wilhelm I. zeigte wenig Interesse am weiteren Ausbau der Residenzlandschaft um Berlin allein zu Zwecken der Reprsentation. Das Schloß Charlottenburg verlor seine Funktion als Sommerfrische fîr den Hof. Doch wenn der Kçnig auch das Schloß nun vernachlssigte, zeigte er sich doch am Ausbau des Ortes zur Stadt interessiert.247 In Oranienburg fielen sogar Schloß und Ort dem kçniglichen Spargebot zum Opfer.248 Anders verhielt es sich mit Wusterhausen und Potsdam,249 zwei „Nebenresidenzen“, die nun in die politischen und wirtschaftlichen Aktivitten des Kçnigs eingebunden wurden und die der Hauptstadt Berlin den Rang als „Hauptresidenz“ nahmen. Eine Aufgabenteilung bahnte sich an, indem Friedrich Wilhelm I. eine funktionale Trennung von der Verwaltung in Berlin und der Regierung in Potsdam einleitete, die sein Nachfolger îbernahm und verfestigte. Im Verbund mit den Residenzen um, aber auch mit Berlin als ein weiterem Zentrum entwickelte sich ein neuer Standort der Wirtschaft und des Militrs.250 Auch in der Hauptstadt fçrderte der Kçnig neben dem Wohnungsbau planmßig ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung. Wichtigster Motor des wirtschaftlichen Wachstums im Gesamtstaat waren jetzt die Bedîrfnisse des Militrs. Die Armee selbst und eine sie versorgende Industrie erforderten jedoch bei weitem mehr Menschen als das Land Einwohner besaß. Neben den Werbern fîr das Militr wirkten daher auch besondere Arbeiterwerber. Diese versuchten, 246 Dazu kînftig Harald Engler, Berlin, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Handbuch der Militrgeschichte Berlin-Brandenburg [in Vorbereitung]; vorlufig: G.-Michael Dîrre, Die Steinerne Garnison. Die Geschichte der Berliner Militrbauten, Berlin 2001. 247 W. Ribbe, Die Anfnge Charlottenburgs … (s. Anm. 232), S. 25 – 30. 248 F. Ballhorn, Geschichte der Stadt Oranienburg … (s. Anm. 201). 249 Wolfgang Neugebauer, Staatsverwaltung, Manufaktur und Garnison. Die polyfunktionale Residenzlandschaft von Berlin-Potsdam-Wusterhausen zur Zeit Friedrich Wilhelms I., in: ForschBrandPrG NF 7 (1997), S. 233 – 257. 250 W. Neugebauer, Staatsverwaltung … (s. Anm. 249), passim.

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„auslndische“, d. h. nichtpreußische Spezialisten gerade auch fîr die Berliner Wirtschaft zu gewinnen. Den auswrtigen Arbeitskrften wurde weitgehende Befreiung von Steuerlasten und vom Militrdienst zugesichert. Auf diese Weise kamen als Fachleute und Arbeiter fîr die neu angesiedelten Manufakturen u. a. franzçsische, schsische, schweizerische, wallonische und niederdeutsche Wollweber und Metallarbeiter in großer Zahl ins Land, u. a. auch nach Potsdam und Spandau, vor allem aber nach Berlin. Die zahlenmßig strkste Zuwanderergruppe bildeten die îber Sachsen eingewanderten bçhmischen Protestanten. Die „Kolonisten“ sorgten vor allem fîr die Ansiedlung neuer Gewerbe. In der Hauptstadt stieg die Zahl der gewerblichen Berufe in den Jahren zwischen 1718 und 1730 von 83 auf 128. Um die wirtschaftliche Entwicklung noch strker voranzutreiben, versuchte der Kçnig auch, die zum Teil noch mittelalterlichen Verfassungen der Handwerkerinnungen zu beseitigen. Die Freirume der Zînfte wurden beschnitten, die Innungsstatuten grîndlich revidiert und die Unterordnung der Innungen unter staatliche Instanzen endgîltig durchgesetzt. Die Ansiedlung von Handwerkern und der Zugang zum Meisteramt wurden erleichtert, die Beschrnkung der Meisterzahl sowie die Bevorzugung von Meistersçhnen abgeschafft. Damit verstrkte sich der Wettbewerb unter den Handwerkern, und die Konkurrenzfhigkeit, insbesondere der Berliner gewerblichen Wirtschaft, nahm zu. Neue Wohnviertel, neue Gewerbe und aufblîhender Handel waren zumindest zunchst die Ergebnisse dieser kçniglichen Politik.251 Ergnzend zu den wirtschaftspolitischen Aktivitten fîhrte Friedrich Wilhelm I. auch eine weitgehende Reform der Staats- und Stadtverwaltung durch. Den ersten großen Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden Staatsaufsicht îber die Stdte hatte schon Friedrich I. mit der Einheitsgemeinde Berlin getan. Sein Nachfolger ging diesen Weg weiter und schuf 1723 eine einheitliche Oberbehçrde fîr Wirtschaft, Finanzen und Armee: Das General-, Oberfinanz-, Kriegs- und Domnen-Direktorium mit umfassenden Befugnissen auf dem Gebiet der Verwaltung. Auch dieses sogenannte „Generaldirektorium“ residierte ebenso im Berliner Schloß wie die gesamte preußische Innenverwaltung und die brandenburgischen Provinzialbehçrden, die im Schloßplatz- und Westflîgel untergebracht waren: „Vom großen Eosanderschen Portale nach zuerst das Zimmer des Staatsraths, worinn sich auch das Forstdepartement versammlet, ferner ein Theil der geheimen Kanzley des Generaldirektoriums, die auch hinten auf dem Schlosshofe gehet. Ferner […] das Versammlungszimmer des Generaldirektoriums, daneben an der Ecke nach der Stechbahn ein Konferenzkabinett, worin sich auch das Bergwerksdepartement versammlet. ˜ber diesen Zimmer sind im dritten Geschosse die Registraturen des dritten und fînften Departements des Generaldirektoriums, und im vierten Geschosse die Regis251 Grundlegend H. Schulz, Berlin 1650 bis 1800 … (s. Anm. 208), S. 97 – 161.

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traturen des ersten, zweiten und vierten Departements.“252 Die Staatsverwaltung fand nicht mehr in den Wohnungen der Amtstrger, sondern (bis zur Errichtung der Kollegienhuser) im Schloß statt, das damit durchaus als „Staatsmitte“ fungierte. Im Gegensatz zum ersten Preußenkçnig fçrderte Friedrich Wilhelm kaum Kunst und Wissenschaft. In seiner Regierungszeit fîhrte die Akademie der Wissenschaften ein Schattendasein. Charakteristisch fîr den mehr praktischen Sinn des Kçnigs war die Bedeutung, die er dem Volksschulwesen beimaß.253 Unter seiner Regentschaft entwickelte sich aber das „Collegium Medico Chirurgium“ zu einer vorbildlichen rztlichen Fachschule, die sich in erster Linie mit der Ausbildung von Wundrzten und Feldschern fîr die Armee befaßte. Sie nahm in Deutschland dadurch eine einzigartige Stellung ein, weil der Kçnig ihr mit der Charit¤ eine praktische Ausbildungssttte angegliedert hatte. Sie war aus einem 1710 errichteten Pesthaus hervorgegangen, das 1726 zur Lehrsttte und zum çffentlichen Krankenhaus bestimmt wurde. Die Vorlesungen erfolgten in deutscher Sprache und nicht in Latein oder Franzçsisch, wie an anderen Medizinschulen.254 Auch die îber zweihundertjhrige Geschichte einer der bekanntesten Preußischen Zeitungen begann unter dem Soldatenkçnig. Seit 1721 erschien die „Berlinische Privilegierte Zeitung“, aus der die „Vossische Zeitung“ hervorging.255 Die Residenz und ihre Bewohner hatten unter diesem Kçnig kein leichtes Leben, aber er hinterließ bei seinem Tode am 31. Mai 1740 ein wohlbestelltes Haus. Preußen war ein Land mit 2.240.000 Einwohnern, von denen 80.000 in der Armee dienten, und ein hervorragend organisierter Staat auf soliden finanziellen Grundlagen. Die Tîr auf dem Weg zur europischen Großmacht schien weit geçffnet; die kçnigliche Residenz Berlin stand an der Schwelle zur Großstadt und schickte sich an, alle îbrigen deutschen Stdte zu îberflîgeln. Beim Regierungsantritt Friedrichs II. trat eine entscheidende Wende ein, mit politischen Auswirkungen auf die hçfische Reprsentation des Kçnigs und seines Staates. Am 1. Juni 1740, dem ersten Tag seiner Regierung, erhob der 252 F. Nicolai, Beschreibung … (s. Anm. 158), 1, S. 112; W. Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam … (s. Anm. 198), S. 70. Vgl. auch W. Neugebauer, Potsdam – Berlin … (s. Anm. 198), S. 276 mit Anm. 29; Helmut Engel, Schauplatz Staatsmitte. Schloß und Schloßbezirk in Berlin, Berlin 1998, S. 45 f. 253 Wie unzureichend – trotz aller Anstrengungen auf diesem Gebiet – die erzielten Ergebnisse noch waren, zeigt der Abschnitt „Residenzstadt und Landschule“ einer Fallstudie von Wolfgang Neugebauer, Schule und Stadtentwicklung. Zweieinhalb Jahrhunderte Schulwirklichkeit in der Residenz- und Großstadt Charlottenburg, in: W. Ribbe, Von der Residenz zur City … (s. Anm. 113), S. 103 – 115. 254 Dietrich Tutzke, Charit¤ 1710 – 1985, Berlin 1985; Gînter Hellriegel (Hg.), Die Charit¤ in Berlin 1710 – 1987 (= Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt Universitt zu Berlin. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Reihe, 36), Berlin 1987. 255 Peter de Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mchte in der Geschichte der deutschen Presse, Berlin 1959, S. 27 – 37.

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Monarch weder Berlin noch Rheinsberg oder Potsdam, sondern Charlottenburg zu seiner Residenz. Der abrupte Wechsel traf alle Beteiligten, besonders aber die betroffene Ortschaft vçllig unvorbereitet. Als die Vorhut des Kçnigs am 5. Juni von Ruppin kommend in Charlottenburg eintraf, bot sich den Hofleuten ein buntes Bild: „Die Gastwirte waren nicht mit dem Geringsten versehen, als der neue Kçnig seine Residenz unvermutet daselbst aufschlug. Hohe und Niedere drngten sich von allen Seiten an den neuen Herrscher, welcher schon als Kronprinz ihre Freude und Hoffnung bewiesen; und so wurden binnen kurzem alle Vorrte in Charlottenburg in dem Grade aufgezehrt, daß man fîr schweres Geld nicht einmal ein Stîck Brot erhalten konnte.“256 In den nchsten Jahren sollte es sich aber zeigen, daß der Kçnig Charlottenburg doch nicht zum stndigen Aufenthaltsort gewhlt hatte. Zwar ließ er das Schloß ausbauen und auch Unterkînfte fîr den Hof errichten, sogar ein Gebude fîr die Garde du Corps, dem neuen Paraderegiment, das die Langen Kerls des Soldatenkçnigs ablçste, aber die Aufenthalte Friedrichs II. in Charlottenburg wurden immer kîrzer. Nach ein paar Jahren konzentrierte er seine Aktivitten auf Potsdam, ohne allerdings Charlottenburg ganz aufzugeben. Hier wurden whrend des Sommers die großen Hoffeste gefeiert, die Geburtstage der kçniglichen Familie, zu denen hin und wieder auch die Gemahlin des Kçnigs geladen war, die ihren stndigen Aufenthalt in (Nieder-)Schçnhausen nehmen mußte und Potsdam nie betreten hat. Friedrich II. hat die reprsentative Seite des absoluten Kçnigtums wieder mehr belebt. Die Zahl der Lakaien wurde vermehrt, und die seit dem Tode Friedrichs I. verwaisten Hofmter wieder besetzt. Ein wesentlicher Unterschied zu dem Hofstaat des Großvaters jedoch bestand darin, daß der Enkel das von seinem Vater abgeschaffte Hofzeremoniell nicht wieder einfîhrte. Vor allem duldete er auch keine selbstndigen Machtpositionen innerhalb des Hofstaates, die sich durch bestimmte Rangabstufungen im System des Hofzeremoniells ausdrîcken konnten. Den geselligen Kreis von Freunden, den der Kronprinz in seiner Rheinsberger Zeit um sich versammelt hatte, um mit Geist, Witz und Talent das Leben unter philosophischen Gesprchen und kînstlerischen Darbietungen zu gestalten, lçste der Kçnig bereits in seinen ersten Regierungsjahren auf. Nur mit wenigen verkehrte er weiterhin, so mit seinem Jugendfreund Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, mit dem er plante, der Haupt- und Residenzstadt Berlin einen neuen Mittelpunkt zu geben. 256 Teil einer umfassenderen Schilderung des Zustands Charlottenburgs von Jakob Friedrich Frhr. von Bielfeld, Lettres Familiºres. Autres, De Monsieur Le Baron De Bielfeld, 1, Leiden 1767 [dt. u. d.T: Friedrich der Große und sein Hof, oder: So war es vor 100 Jahren. In vertrauten Briefen … geschrieben von 1738, 2 Bde., Breslau 1838], S. 119 – 131. Die oben zitierte ˜bersetzung bei W. Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg … (s. Anm. 228), S. 110.

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Die Gesamtentwicklung der Residenzlandschaft im Berliner Raum whrend des 18. Jahrhunderts darf nicht getrennt von den gesamtstaatlichen Interessen Brandenburg-Preußens betrachtet werden. Es handelte sich um einen zentralistisch gefîhrten Staat, in dem die Hauptstadtfunktionen zunchst einer einzigen Stadt zufielen, und das war Berlin. Doch gerade unter dem aufgeklrten Absolutismus Friedrichs II. blieb die Staatsmacht nicht auf Berlin beschrnkt, es bildete sich vielmehr eine Aufgabenteilung innerhalb des ganzen Berliner Raumes heraus, in der Krfte nutzbar gemacht wurden, die in langen Jahrzehnten und Jahrhunderten mîhsam entwickelt, zwischenzeitlich aber verschîttet worden waren. Die Hauptstadt wurde dabei in einen Zusammenhang mit ihrer weiteren Umgebung gestellt, die sie weitgehend dominierte, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Ihre Residenzfunktion mußte die Hauptstadt aber mit anderen Orten ihrer Umgebung teilen.257 Am Beginn seiner Regierung, nachdem ihm am 3. August 1740 vor und im Schloß gehuldigt worden war, hatte Friedrich II. noch geplant, ein neues Stadtschloß in Berlin zu errichten, dem das Forum Fridericianum mit Opernhaus, Hedwigskirche, Bibliothek, Marstall und Adelspalsten vorgelagert sein sollte.258 Anstelle des Schlosses wurde 1754 bis 1764 auf der Nordseite der „Linden“ fîr den Bruder des Kçnigs das „Palais des Prinzen Heinrich“ (seit 1810: Universitt) errichtet. Schließlich entstand noch in Anlehnung an einen etwa 50 Jahre alten Plan des Wiener Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach 1775 bis 1785 gegenîber der Oper auf der Westseite des Opernplatzes ein Bibliotheksgebude.259 Es folgte der Ausbau der „Linden“ zur reprsentativen Hauptstraße und als Achse auf das Berliner Stadtschloß. Gleichzeitig mit dem Ausbau des Forums begann Knobelsdorff mit der Ausgestaltung des Tiergartens zu einem Landschaftspark, der nicht nur fîr den Hofstaat, sondern 257 Zu den Stufen der Residenzentwicklung in ihrer Bedeutung fîr das Berliner Umland vgl. F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), S. 79 f. Escher verweist dort auf hnliche Entwicklungen in anderen Territorien, z. B. in Sachsen. Vgl. dazu auch Karlheinz Blaschke, Die Umlandbeziehungen Dresdens als Residenzstadt, in: Gînther Franz (Hg.), Stadt-Land-Beziehungen und Zentralitt als Problem der historischen Raumforschung, Hannover 1974, S. 139 – 160. 258 Die Dissertation von Hans-Joachim Giersberg, Friedrich als Bauherr. Studien zur Architektur des 18. Jahrhunderts in Berlin und Potsdam, Berlin 1986, widmet sich ausschließlich Spezialthemen (u. a. „Stadttore“ und „Kirchenbauten“). Auch klammert sie die umfangreichen baulichen Aktivitten Friedrichs in seiner Hauptstadt weitgehend aus. Vgl. daher dazu noch immer A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), bes. S. 99 – 103. 259 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 102 f.; zur Huldigung und anderen Ereignissen in der Hauptstadt bei Regierungsantritt Friedrichs II. vgl. Richard Wolff (Hg.), Berliner geschriebene Zeitungen aus dem Jahre 1740. Der Regierungsanfang Friedrichs des Großen (= SchrrVGBerlin, 44), Berlin 1912, bes. S. 13, S. 28, S. 37, S. 62 ff. sowie passim.

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fîr alle Einwohner der Hauptstadt als Sttte der Erholung und des Naturgenusses gedacht war. Die Straße „Unter den Linden“ erhielt dadurch die Aufgabe einer reprsentativen Verbindung zwischen dem Schloß und der wesentlich erweiterten Parkanlage. Nun lçste auch der Lustgarten mehr und mehr den Schloßplatz in seiner Funktion als Vorplatz des Schlosses ab, was besonders durch die Verlegung der Domkirche betont wurde, die 1747 bis 1750 an der çstlichen Spreeseite des Lustgartens entstand. Nach dem Siebenjhrigen Krieg ließ der Kçnig nach und nach mehr als die Hlfte der alten Wohngebude an den „Linden“ durch sogenannte „Immediatbauten“ ersetzen. „Parallel zu den ,Linden’ entstand dann spter auch in der Leipziger Straße, durch Palastfassaden an den Immediatbauten, ein reprsentativer Straßenzug vom Achteckplatz zum Dçnhoffplatz, so daß die beiden Haupteingnge in die Stadt – das Brandenburger Tor mit Quarreeplatz und den ,Linden’ vom Schloß Charlottenburg her und das Potsdamer Tor mit Achteckplatz und der Leipziger Straße vom Potsdamer Schloß her – im Stadtbild hervorgehoben worden waren.“260 In seinen spten Regierungsjahren richtete sich die Aufmerksamkeit des Kçnigs auch auf die Ausgestaltung des Gendarmenmarktes als dem wichtigsten Platz in den neuen Stadtteilen. 1774 ließ Friedrich II. mitten auf dem Platz ein Theater bauen, das fîr die Auffîhrung von franzçsischen Schauspielen gedacht war, in dem aber seit 1781 auch deutsche Bîhnenstîcke gegeben werden durften und das 1786 Friedrich Wilhelm II. zum Kçniglichen Nationaltheater erheben sollte. Nach einem Entwurf von Gontard haben dann 1780 bis 1785 die beiden Kirchen vollkommen gleichartige Turmbauten erhalten, die nicht so sehr als Kirchtîrme, sondern als schmîckende Monumentalbauten gedacht waren. Den grçßten Teil der Gendarmenmarktfronten ließ der Kçnig auf seine Kosten mit Immediatbauten besetzen, fîr die er ebenso wie bei den Bauten in der Leipziger Straße und am Dçnhoffplatz die Fassaden selbst aus italienischen Kupferstichwerken aussuchte.261 Im Zusammenhang mit den Umgestaltungsplnen der Berliner Residenz muß wohl auch das anfnglich starke Interesse des Kçnigs an Charlottenburg gesehen werden: zwischen Charlottenburg und dem Berliner Stadtschloß gab es eine gînstige Verkehrsverbindung, Winter- und Sommersitz des Herrschers waren eng miteinander verbunden, die Mobilitt des Hofstaates gewhrleistet. Diese Situation nderte sich schlagartig, als Friedrich seinen Plan zum weiteren Ausbau der Hauptstadt weitgehend aufgab und seit 1745 an Stelle des Schloßneubaus in Berlin in der freien Landschaft bei Potsdam, auf einem Hçhenzug abseits des stdtischen Lebens, das ganz nach seinen Wînschen und Angaben entworfene Sanssouci erbauen ließ, das bis zu seinem Tode der be260 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 103. 261 Laurenz Demps, Der Gensd’armen-Markt. Gesicht und Geschichte eines Berliner Platzes, Berlin 21988, bes. S. 143 – 228.

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vorzugte Aufenthaltsort bleiben sollte.262 Das vom Großen Kurfîrsten in Potsdam errichtete Stadtschloß diente Friedrich II. als Winterquartier, so daß die Funktionen, die Berlin und Charlottenburg getrennt îbernehmen sollten – Berlin als Wintersitz und Charlottenburg als Sommerresidenz – nun in Potsdam auf engstem Raum vereint waren. Zwischen den Residenzen Berlin und Potsdam entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert eine Arbeitsteilung. Whrend der Rat im Berliner Schloß verblieb, reiste das Kabinett mit dem Kçnig und arbeitete an seinem Aufenthaltsort. Selbst in Zeiten, in denen Potsdam nicht der stndige Hauptaufenthaltsort des Herrschers war, blieb die Stadt Standort des Kçniglichen Kabinetts.263 Dies gilt insbesondere fîr die Zeit des preußischen Hochabsolutismus im 18. Jahrhundert, als Berlin nicht im Zentrum des Herrscherinteresses stand: „Dem Schlîterschen Schloß in Berlin haben die beiden Nachfolger Friedrichs I. innerlich vçllig fremd gegenîbergestanden: Ihre Residenz war die Soldatenstadt Potsdam. Fîr Friedrich Wilhelm I. war das Berliner Schloß, in dem er nur seine kleine Kronprinzenwohnung behielt, der Sitz der Behçrden und Aufbewahrungsort des Staatsschatzes. Friedrich der Große pflegte das Berliner Schloß nur einmal jhrlich, zur Feier des Karnevals zu betreten.“264 Die Regierung mittels Kabinett erçffnete dem Kçnig eine weitgehende Handlungsfreiheit ohne stndige Eingriffe des Rates. Friedrich Wilhelm I. hatte bereits als Kronprinz, vor seinem Regierungsantritt 1713, seit 1698 in der Herrschaft Wusterhausen diese Herrschaftsform erprobt.265 Strukturell nderte sich mit der Regierung îber und mit Hilfe der Kabinettsbeamten die Herrschaftspraxis erheblich, da der Kçnig sich aus den Kollegien zurîckzog und mit den Ministern nur noch schriftlich verkehrte, ein Vorgang, der nicht nur in Preußen, sondern auch an anderen europischen Hçfen zu beobachten ist.266 Das Kçnigliche Kabinett hatte in der Residenz keine eigenen Dienstrume, sondern arbeitete beim Herrscher in dessen privatem Domizil. Die Kabinettsrte ihrerseits fertigten die Vorlagen ebenfalls in ihren Privatrumen aus. In der nachfriderizianischen Zeit sollte sich die Regierungspraxis ndern, obwohl die Kabinettskanzlei weiter bestand: „Die 262 Wegen der beigefîgten Quellen noch immer grundlegend G. Sello, Potsdam und SansSouci … (s. Anm. 205); unter dem Aspekt der Funktion als Residenzstadt jetzt PeterMichael Hahn, Geschichte Potsdams. Von den Anfngen bis zur Gegenwart, Mînchen 2003, hier bes. S. 60 ff. 263 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam … (s. Anm. 198), bes. S. 74 – 100. 264 Carl Hinrichs, Kçnig Friedrich I. von Preußen: Die geistige und politische Bedeutung seiner Regierung, erneut abgedruckt in: Ders., Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hg. v. Gerhard Oestreich, Berlin 1964, S. 253 – 271, bes. S. 263. 265 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam … (s. Anm. 198), S. 77. 266 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam … (s. Anm. 198), S. 88.

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Kabinettskanzlei wurde zunehmend zur Durchlaufstation externer Entscheidungen, war nicht mehr primr Expeditionsstelle des kçniglichen Willens.“267 Das kulturelle Leben hat aber die Residenz Potsdam nicht in dem Maße erreicht, wie es in der Hauptstadt Berlin zur Geltung kam. Unabhngig von Hof und Staatsverwaltung wirkte die Berliner Aufklrung268 durch einen Kreis wissenschaftlich und literarisch Interessierter, vor allem jîdischer Bîrger um den Verleger Friedrich Nicolai, um Moses Mendelssohn sowie Gotthold Ephraim Lessing. In den Theatern der Stadt (im franzçsischen Komçdienhaus am Gendarmenmarkt, auf den Schaubîhnen am Monbijouplatz und in der Behrenstraße) wurden Werke der deutschen, franzçsischen und englischen Klassik aufgefîhrt. Der Geist der bîrgerlichen Aufklrung und die weitgehende Lockerung der Zensur fîhrten auch zum Aufleben des Zeitungswesens. Neben der „Vossischen Zeitung“ erschien seit dem 30. Juni 1740 die neue Zeitung „Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“, die der Verleger Ambrosius Haude herausgab. Daneben gab es Monatsschriften mit wissenschaftlichen und unterhaltenden Beitrgen, aber auch solche, die sich mit aktuellen Tagesfragen, mit Politik sowie mit Berliner und anderen Neuigkeiten befaßten.269 Die Bauttigkeit Friedrichs II. konzentrierte sich in Berlin auf den reprsentativen Ausbau der von seinen Vorgngern angelegten zentralen Stadtteile. Reprsentativ war nur das Zentrum der Residenz ausgestaltet worden, am Rand der Hauptstadt und in den Vorstdten sah es ganz anders aus, mit der Entfernung vom Hof nderte sich das Bild gewaltig. In einer 1785 anonym erschienenen Schrift ist dieser Zustand der Hauptstadt anschaulich beschrieben: „Die Gegenden um die Stadt herum sowie auch vor den Toren sind mit Land-, Brauund Fabrikhusern sowie auch mit Kasernen angebaut. Kommt man vom Rosenthaler-, Hamburger-, Kottbusser- und Schlesischen Tor herein, so hat Berlin ein sehr trauriges Ansehen; sehr niedrige schlechte Huser, wo die Armut ihr Schild angehangen hat – Menschen in den zerlumptesten Kleidern und Kinder halb nackend, die aus den Husern herauskriechen, sind der erste Anblick, der sich aber nach und nach erheitert, sowie man in das Innere der Stadt kommt und den Neuen und Hackischen Markt berîhrt, wo man Steinpflaster, schçne Huser und bessere Menschenphysionomien findet.“270 267 W. Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam … (s. Anm. 198), S. 96 f. 268 Horst Mçller, Aufklrung in Preußen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 15), Berlin 1974. 269 Walter G. Oschilewski, Zeitungen in Berlin im Spiegel der Jahrhunderte, Berlin 1997, S. 33. 270 Julius Friedrich Knueppeln, „Charakteristik von Berlin“. Stimme eines Kosmopoliten in der Wîste. Erstes und zweites Bndchen, Philadelphia 1785, S. 14 f.

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Der Philosoph auf dem Thron war auch Machtpolitiker wie seine Vorgnger. Von den ersten beiden Kriegen um den Besitz Schlesiens (1740 bis 1742 und 1744/1745) wurde Berlin noch relativ wenig berîhrt. Der dritte schlesische Krieg jedoch, der Siebenjhrige Krieg (1756 bis 1763), brachte den preußischen Staat und seine Hauptstadt Berlin nahe an eine Existenzkrise. Der plçtzliche Abzug der Truppen aus der Stadt, der Rîckgang der zivilen Nachfrage im Inland, der Wegfall von auslndischen Mrkten, zustzliche Steuern und die Zahlung hoher Geldbetrge der Stadt bei ihrer Besetzung durch die §sterreicher 1757 und durch russische Truppen 1760, erschîtterten ihre wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen.271 Es bedurfte einer ganzen Reihe von politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, um die Folgen des Krieges zu beseitigen. Die landeskulturellen Maßnahmen im Raume Berlin wie auch sonst in Preußen zeigen das große Interesse des Kçnigs an dem Ausbau der Wirtschaft und der Hebung des Lebensstandards der Bevçlkerung. Hier konnte er auf den Leistungen seines Vorgngers aufbauen und dessen wirtschaftspolitische Anstze zu hervorragenden Erfolgen fîhren, wobei alle Maßnahmen im Raume Berlin direkt mit der Berliner Wirtschaft im Zusammenhang standen. Die steigende Einwohnerzahl der Hauptstadt und die Bedeutung als Garnison sowie auch als grçßte Produktionssttte des Kçnigreiches, machten die Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen zu einem Problem. Um den sich stndig steigenden Lebensmittelbedarf der Hauptstadt soweit wie mçglich aus der eigenen Landwirtschaft decken zu kçnnen, mußte eine Intensivierung der Bodennutzung und eine Erweiterung der Anbauflchen durch Urbarmachung von ˜berschwemmungsgebieten erfolgen, fîr die die Umgebung Berlins große Mçglichkeiten bot. Hinzu kam die Versorgung mit Rohstoffen, vor allem mit Wolle, und die Ausstattung mit Arbeitskrften. Daher siedelte Friedrich II. in der Berliner Zentrallandschaft zahlreiche Familien von Textilarbeitern an, die die Aufgabe hatten, fîr die etwa 7.000 Webstîhle der Berliner Textilmanufaktur das gesponnene Garn zu liefern.272 In einem hnlichen Verhltnis zu Berlin standen die Metallwarenfabriken im Finowtal bei Eberswalde, deren Roherzeugnisse zur Weiterverarbeitung und zum Verkauf in die Hauptstadt geliefert wurden. Eine andere Gruppe gewerblicher Siedlungen bildeten die Kolonien der Bauarbeiter, die am Auf- und Ausbau der Stadt beschftigt waren, wie z. B. die Siedlung „Vogtland“ vor dem Hamburger Tor nçrdlich Berlins. Der Erfolg dieser Maßnahmen war die Verdichtung der Bevçlkerung sowohl auf dem Lande wie 271 Hermann Granier, Die Russen und §sterreicher in Berlin im Oktober 1760, in: HohenzJb 2, Berlin/Leipzig 1898, S. 113 – 145, bes. S. 131; Stephan Skalweit, Die Berliner Wirtschaftskrise von 1763 und ihre Hintergrînde (=VjschrSozialWirtschG, Beiheft 34), Berlin 1937, S. 76 – 86. 272 Rolf Straubel, Der Berliner Polizeidirektor und das Textilgewerbe der brandenburgisch-preußischen Provinz. Ein Beitrag zum Verhltnis von Lokalbehçrde und Wirtschaftsentwicklung (1740 – 1789), phil. Diss. Berlin 1984 (Masch.), bes. S. 325.

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auch in der Stadt. Hatte jedoch auf dem Lande eine planmßige Siedlungsttigkeit auch den notwendigen Raum fîr diese Bevçlkerungszunahme geschaffen, so war das in der Hauptstadt unterlassen worden. Um 1700 lebten im Kçnigreich Preußen etwa fînfzehn Einwohner auf dem Quadratkilometer, gegen Ende der friderizianischen Zeit waren es fast dreißig. Dazu waren etwa 1.000 neue Ortschaften geplant, gegrîndet und aufgebaut worden. Die Kolonisten erhielten Rechte wie sie bereits die Stdter besaßen, also persçnliche Freiheit (keine Leibeigenschaft), Militrdienstfreiheit, Freizîgigkeit und whrend des Aufbaus eine Anzahl von Freijahren. Im Oderbruch allein waren mehr als 56.000 Hektar Kulturland neu gewonnen und besiedelt worden.273 Die Wirtschaftsfçrderung wurde insgesamt verstrkt, das Manufakturwesen verbessert, die Ansiedlung im Berliner Umland intensiviert. Hinzu kamen Einfuhrverbote fîr Waren, die auch im Inland hergestellt werden konnten und Ausfuhrverbote fîr Rohstoffe wie Wolle, Hute, Metalle sowie landwirtschaftliche Produkte aller Art. Zahlreiche Manufakturen îbernahm der Staat in eigener Regie, so z. B. 1763 die Porzellanmanufaktur des Kaufmanns Gotzkowsky, die unter dem Namen „Kçnigliche Porzellan-Manufaktur“ (KPM) internationale Berîhmtheit erlangte. Andere Staatsbetriebe wurden in private Hnde gelegt, um ihre Wirtschaftlichkeit zu steigern. Darîber hinaus bemîhte sich der Kçnig, die Verkehrsverbindungen Berlins weiter zu verbessern. Die staatliche Fçrderung, insbesondere fîr die Textilindustrie, brachte der Hauptstadt einen Standortvorteil gegenîber anderen Wirtschaftszentren ein. Am Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen war Berlin ein Zentrum der gewerblichen Wirtschaft von europischem Format und die grçßte deutsche Textilstadt.274 In Berlin lebten bei Beginn der Regierung Friedrichs II. etwa zwçlf Zivilund vier Militrpersonen auf einem Grundstîck, eine Zahl, die seit 1700 ziemlich konstant geblieben war, da der große Zuzug durch weitere Anlage von Siedlungsflchen aufgefangen wurde. 1785 dagegen lebten etwa 22 Personen (das Militr war seit 1760 in Kasernen untergebracht) auf einem Grundstîck, und in dieser Zeit war die Siedlungsflche nicht erweitert worden. Zu den etwa 6.500 Vordergebuden waren aber noch etwa 3.300 Hintergebude gekommen, die also die Steigerung der Grundstîcksbelegung ermçglichten und womit der Grundstein zur Mietskaserne gelegt worden war, der spter so verhngnisvolle 273 Dazu das Kapitel „Zentralprovinz in der Zeit von Absolutismus und Aufklrung“, in: W. Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus … (s. Anm. 150), S. 129 ff. 274 Zu den einzelnen Unternehmern, Kaufleuten und Finanziers der Berliner Wirtschaft zur Zeit Friedrichs II. vgl. Hugo Rachel / Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, 2: Die Zeit des Merkantilismus 1648 – 1806, neu hg., ergnzt und bibliographisch erw. v. Johannes Schultze, Henry C. Wallich und Gerd Heinrich, Berlin 1967, bes. S. 284 – 553.

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Frîchte tragen sollte.275 Innenpolitische Reformen Friedrichs II. erstreckten sich auch auf die Stadtverfassung und die Umgestaltung der stdtischen Verwaltung. Mit dem „Rathußlichen Reglement der Kçniglichen Residentzen Berlin“276 war ein Abschluß erreicht. Die stdtische Selbstverwaltung und die Arbeit des Magistrats waren jetzt noch weiter eingeschrnkt und strkerer Kontrolle unterworfen. Zuvor hatte Friedrich II. das Polizeiwesen neu geordnet, und seit 1742 war der vom Kçnig eingesetzte Polizeidirektor gleichzeitig Stadtprsident und stand damit an der Spitze der Berliner Verwaltung. 1809, bei der Einfîhrung der reformierten Stdteordnung, die man gern als den Beginn eines neuen Zeitabschnittes in der kommunalen Entwicklung Berlins ansieht, war noch nicht einmal die Zustndigkeit unter den Staats- und Kommunalbehçrden fîr die Bearbeitung stdtebaulicher Fragen eindeutig geklrt. Seit der letzten Stadterweiterung waren mehr als siebzig Jahre vergangen und die Bevçlkerung hatte sich seitdem etwa verdoppelt. Noch weitere vierzig Jahre sollten vergehen, bis die dann nun nicht mehr aufschiebbare Stadterweiterung planmßig in Angriff genommen wurde.277 Beim Tode Friedrichs des Großen gehçrte Preußen politisch zu den europischen Großmchten und hatte sich zu einem modernen Staat im Sinne des aufgeklrten Absolutismus entwickelt. Berlin war die Hauptstadt dieses Staates sowie sein politischer, wirtschaftlicher, geistiger und kultureller Mittelpunkt. Die Hauptstadt zhlte einschließlich der Garnison 150.000 Einwohner und gehçrte zu dem noch kleinen Kreis europischer Großstdte. Amsterdam, Madrid, Rom und Wien waren etwa gleich groß, wesentlich grçßer waren nur Paris mit 700.000 und London mit 800.000 Einwohnern.

§ 5 Das klassische Berlin in einer verdichteten Residenzlandschaft Der preußische Staat, den Friedrich II. bei seinem Tode hinterließ, war dringend reformbedîrftig. Sein Nachfolger hat die von der Franzçsischen Revolution gesetzten Zeichen der Zeit nicht erkannt und politisch restriktiv reagiert. Um die Zuneigung der Bevçlkerung zu gewinnen, wurden zwar einige unpopulre wirtschaftliche Maßnahmen Friedrichs II. vorîbergehend aufgehoben, aber die staatliche Wirtschaftsfçrderung betrieb Friedrich Wilhelm II. nicht mehr so intensiv wie sein Vorgnger auf dem preußischen Thron. Krisen in der 275 Dazu der Abschnitt „Von der Sandwîste zum Voigtland“, in: Johann Friedrich Geist / Klaus Kîrvers, Das Berliner Mietshaus 1740 – 1862, 1, Mînchen 1980, S. 28 – 75. 276 K. Schrader, Die Verwaltung Berlins … (s. Anm. 165), S. 74 – 108. 277 F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), S. 138 – 157; Ernst Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin unter der Steinschen Stdteordnung, zuletzt in: Ders., Beitrge zur Berliner Geschichte … (s. Anm. 124), bes. S. 245 – 271 („Die Festsetzung des Weichbildes bis zum Rezeß vom 21. 6. 1841“).

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Textilindustrie erschîtterten die çkonomischen Grundlagen der Region. Ein erheblicher Teil der hauptstdtischen Bevçlkerung lebte in bitterer Armut. Im Jahre 1788 gab es fast 14.000 Bedîrftige in Berlin, die auf Unterstîtzung und mildttige Spenden angewiesen waren.278 Die schwierige wirtschaftliche Situation sowie das Elend und die Wohnungsmisere, vor allem in den Außenbezirken, standen im Gegensatz zum Engagement Friedrich Wilhelms II. fîr Wissenschaft und Kînste. Als der Klassizismus die barocke Formgebung ablçste, erteilte er die staatlichen Auftrge fîr die weitere baukînstlerische Ausgestaltung der preußischen Hauptstadt an Kînstler dieser neuen Zeit, unter ihnen Carl Gotthard Langhans und Gottfried Schadow. Trotz Zensur, trotz der Abkehr vom Rationalismus der Aufklrung und der Hinwendung zu mystisch-spiritistischen und frîhromantischen geistigen Strçmungen, und trotz der drîckenden sozialen Probleme war es insgesamt eine Zeit wissenschaftlicher und kultureller Blîte, die îber den Tod des Kçnigs hinaus in das 19. Jahrhundert hinein reichte. Die Akademie der Kînste und die Akademie der Wissenschaften profilierten sich weiter. Die literarischen Salons, in denen sich Adel und Bîrger begegneten und in denen Schauspieler, Schriftsteller, Kînstler und Diplomaten verkehrten, trugen zum internationalen Ansehen der kçniglichen Residenz bei.279 Oper und Theater erlebten einen Hçhepunkt: Das „klassische“ Berlin280 schien sich zum kulturellen Mittelpunkt Deutschlands zu entwickeln, war aber bereits unbestritten die „geistige“ Hauptstadt Preußens. Wie sein Vorgnger setzte Friedrich Wilhelm II. den Ausbau der Residenz Berlin zunchst durch die Errichtung von Immediatbauten fort. Das Schlußverzeichnis in den Akten des Oberhofbauamtes verzeichnet 133 Immediatbauten, deren Zweck in dem Erlaß îber die zur kçniglichen Fçrderung auszuwhlenden Bauten vom 30. Juli 1795 noch einmal indirekt ausgesprochen wurde: nicht mehr Hinter- und Nebengebude, noch weniger Interieurbauten in Anschlag zu bringen, weil dies gnzlich gegen den Endzweck laufe, die Stadt zu „embelliren“.281 Seit 1781 wurde mit dem Abriß der alten bauflligen, die 278 H. Schultz, Berlin 1650 – 1800 … (s. Anm. 208), S. 249 – 319 („Berlin zwischen Aufklrung und Reaktion, 1770 – 1799“). 279 Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert 1780 – 1914 (= VerçffHistKommBerlin, 73), Berlin/New York 1989, vgl. insbesondere die Abschnitte „Entstehungsbedingungen der Berlin Salons im 18. Jahrhundert“, S. 33 ff. und „Die Berliner Salons um 1800“, S. 63 ff. 280 „Berliner Klassik“ hat Conrad Wiedemann ein Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften benannt, das dem kulturell-sozialen Umbruch in Preußens Hauptstadt whrend des Zeitraumes vom Tod Friedrichs des Großen bis zu den Preußischen Reformen gewidmet ist (in bewußter Abgrenzung zur „Weimarer Klassik“). Wesentliche Ergebnisse dieser Forschungen werden in einer eigenen Schriftenreihe („Berliner Klassik“) publiziert. 281 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 105.

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Berliner Vorstdte als Akzisegrenze umschließende Palisadenlinie eine neue Stadtmauer errichtet, in deren Verlauf auch neue Torbauten eingefîgt werden mußten; doch nur drei der insgesamt neun Tore erhielten grçßere Anlagen, in denen die Torwache und die Zollstube mit dem Tor zu einem monumentalen Torgebude zusammen gefaßt waren. Sicherlich sollten ursprînglich alle Stadteingnge eine solche reprsentative Gestaltung erfahren, auch die fînf Tore der sog. Kçnigsmauer auf der Friedrichstdter Seite, aber hier wurde ebenfalls nur einer der geplanten Neubauten errichtet, der des Brandenburger Tores. Dieses wurde nun als ein monumentaler Haupteingang zur Schloßachse „Unter den Linden“ 1788 bis 1791 von Langhans erbaut, womit der Gedanke, den Friedrich I. mit dem Kçnigstor nach dem Entwurf von de Bodt 1701 als Haupteingang zur Kçnigsstraße hatte, in neuer Gestalt wieder aufgenommen war.282 Mit der Anlehnung an die griechischen Propylen von Athen hatte Langhans nicht so sehr die Form eines prunkvollen Triumphtores als vielmehr die eines schlichten aber erhabenen Eingangs im Sinn. In dieser Abkehr vom Vorbild der rçmischen Imperatorenarchitektur, dem die Barockbaukunst sich angelehnt hatte und das Friedrich II. auch noch dort bevorzugte, wo es nur noch leere Phrase war, wurde das Brandenburger Tor – mit der von Schadow entworfenen Quadriga – zum Symbol der Krfte, die eine tiefere Durchdringung des Geistes- und Kulturlebens mit neuen politischen und vor allem mit religiçsen Inhalten anstrebten.283 Gleichzeitig setzte – ebenfalls mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. – eine Hinwendung zum Privaten ein, die hauptschlich Reprsentationszwecken diente, aber auch staatspolitische Bedeutung erlangte. Anders als sein großer Vorgnger bezog Friedrich Wilhelm II. das Berliner Schloß umfassend in seine Herrschaftsfîhrung ein. In den durch die revolutionren Ereignisse in Frankreich politisch brisanten Jahren 1789 und 1790 ließ er im Stadtschloß mit hohem Aufwand die Kçnigskammern und eine weitere Wohnung fîr die Kçnigin einrichten.284 Der politische Kern der preußischen Staatsverwaltung war seit dem Ausgang des Mittelalters im Schloß der Hauptstadt ansssig. Hier tagten zunchst die Landstnde und mit der Zeit fanden alle landesherrlichen Institutionen, die whrend des Mittelalters an keinen festen Ort gebunden waren oder bis dahin an anderer Stelle ihren Sitz hatten, wie die Kanzlei und das Archiv, ihre Unterkunft in diesem Schloß. Die Hohenzollern gingen dazu îber, die Schlo282 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 109 f. 283 Dieter Zimmer / Carl-Ludwig Paeschke, Das Tor. Deutschlands berîhmtestes Bauwerk in zwei Jahrhunderten, Stuttgart 1991; Michael S. Cullen / Uwe Kieling, Das Brandenburger Tor. Ein deutsches Symbol, Berlin 1999. ˜berwiegend kunstgeschichtlich orientiert: Willmuth Arenhçvel / Rolf Bothe (Hg.), Das Brandenburger Tor 1791 – 1991. Eine Monographie, Berlin 1991. 284 Helmut Engel, Schauplatz Staatsmitte. Schloß und Schloßbezirk in Berlin, Berlin 1998, S. 59 f.

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ßkirche als Grablege fîr die Angehçrigen ihres Hauses zu nutzen. Aber auch die zentralen Behçrden waren im Schloß untergebracht. Hier wirkte seit Anfang des 17. Jahrhunderts der brandenburgische Geheime Rat, der spter als oberstes Organ fîr die außerbrandenburgischen Gebiete der Hohenzollernmonarchie fungieren sollte. Aber der Ausbau der Behçrden unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. und die damit verbundene Bîrokratisierung und rumliche Ausdehnung sprengten die Kapazitt des Berliner Stadtschlosses. Neben der Fortsetzung der schon unter Kçnig Friedrich I. begonnenen Auslagerung îberlokaler Herrschaftsfunktionen in das Alte beziehungsweise Neue Kollegienhaus wurden auch regionale und lokale ømter aus dem Schloß herausgenommen. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts sind außerhalb des Schlosses weitere Standorte erschlossen worden, wobei die Nhe zum Schloß ein wichtiges Kriterium ihrer Wahl war. Im Donnerschen Haus am Festungsgraben tagte das Finanzkollegium und im sogenannten Kellnerhaus in der Wilhelmstraße das Justizkollegium, aus beiden entwickelten sich spter die entsprechenden preußischen Ministerien. In der sogenannten Statthalterei, Ecke Brîderstraße, traten der Gerichtshof und das Oberheroldsamt sowie im Werderschen Rathaus die Oberkollegien Medicum und Sanitatis zusammen. Im Kçniglichen Stallgebude an der Breiten Straße logierte die Oberrechenkammer, und der Jgerhof nahm die Kçnigliche Bank, die Hauptbergwerks- und Hîttenkasse sowie die Hauptforstkasse und das Ober-Baudepartement auf. Das Justizdepartement nutzte neben dem Kollegienhaus auch die Hausvogtei und das ehemalige franzçsische Waisenhaus. In der Hauptwache auf dem Neuen Markt nahmen Abteilungen der Militrverwaltung ihren Sitz. Das Fîrstenhaus auf dem Friedrichwerderschen Markt diente u. a. als Stempelkammer und beherbergte das Generalkriegskommissariat. Die Akzise- und Zolladministration arbeitete ebenfalls im Donnerschen Haus. In der Neuen Mînze, auf dem Friedrichwerderschen Markt, fanden das Ober-Baudepartement und das Bergbau-Departement ihren Sitz. Diese Auslagerungen der Abteilungen und Unterabteilungen der Zentralbehçrde leiteten das Ende des Schlosses als Behçrden- und Verwaltungszentrum ein und fîhrten zur Erweiterung des preußischen Regierungsbezirks in der Hauptstadt, der nun weit îber den alten Schloßbezirk hinausreichte, eine Entwicklung, deren Ende noch nicht abzusehen war.285 Als Friedrich Wilhelm 1797 verstarb, hinterließ er seinem Nachfolger einen gewaltigen Schuldenberg und nur wenige tîchtige Berater. Der absolutistische 285 Wolfgang Ribbe, Funktions- und Bedeutungswandel im 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Schloß und Schloßbezirk in der Mitte Berlins. Das Zentrum der Stadt als politischer und gesellschaftlicher Ort, Berlin 2005, S. 99 – 118; W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 54 f. Den Sitz nahezu aller çffentlichen (und privaten) Behçrden (beziehungsweise Institutionen und Einrichtungen) am Ende der friderizianischen Epoche verzeichnet F. Nicolai, Beschreibung der kçniglichen Residenzstdte … (s. Anm. 158), 1 und 2, passim.

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friderizianische Staat befand sich in der Krise. Die unbefriedigende Gegenwart lenkte den Blick auf die vermeintlich glanzvolle Vergangenheit. Ein Denkmal fîr Friedrich den Großen in der Hauptstadt sollte die Bedeutung dieses Kçnigs in der preußischen §ffentlichkeit wachhalten. Ein Wettbewerb, dessen Ergebnisse 1797 in der Akademie der Kînste zu besichtigen waren, brachte aber lediglich monumentale Phantasien des Heroenkults hervor. Der Tod Friedrich Wilhelms II. 1797 und der bald darauf folgende vorîbergehende Zusammenbruch des preußischen Staates verhinderten die Ausfîhrung dieses Projektes. Friedrich Wilhelm III. hatte schon kurz nach seinem Regierungsantritt festgestellt, daß „der Staat nicht reich genug sei, die Kosten eines solchen Gebudes tragen zu kçnnen. Es wren noch viele Verbesserungen in der Kultur zu machen, und dafîr mîsse eher gesorgt werden, als fîr ein so teures Monument.“286 Anders als sein Vorgnger bewohnte Friedrich Wilhelm III. whrend der langen Zeit seiner Regierung von 1797 bis 1840 nicht das Berliner Stadtschloß, sondern das Kronprinzenpalais und das Prinzessinnenpalais „Unter den Linden“, doch ließ sich die Kçnigin Luise einige der schçnsten Rume der Kçnigskammer herrichten.287 Nutzen konnten sie dieses Refugium jedoch nicht. Der absolutistische friderizianische Staat brach zu Beginn des 19. Jahrhunderts endgîltig zusammen. In der Folge der Franzçsischen Revolution wurde Europa durch Napol¤on mit Krieg îberzogen, der auch Preußen erfaßte. Als der preußische Staat nach zehnjhriger Neutralittspolitik doch noch gezwungen war, Napol¤on entgegenzutreten, war dieser Krieg weder politisch noch militrisch ausreichend vorbereitet. Die Niederlage in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 bedeutete fîr Staat und Armee in Preußen das vorlufige Ende. Der Kçnig verließ die Berlin-Potsdamer Residenzlandschaft und suchte – wie seine Vorfahren im 17. Jahrhundert – Zuflucht im fernen Kçnigsberg. Die Garnison wurde aus der lngst nicht mehr verteidigungsfhigen Hauptstadt abgezogen. Staatliche Behçrden und auch wohlhabende Familien verließen Berlin in großer Zahl. Umgekehrt strçmten viele Schutzsuchende aus dem bedrohten und teilweise verwîsteten Umland in die Hauptstadt. Die Banken schlossen, die Geschfte stockten und Panikstimmung breitete sich aus. In dieser Situation ließ der Gouverneur von Berlin, Graf Friedrich Wilhelm von der Schulenburg, am 17. Oktober 1806 das berîhmte Plakat anschlagen mit der Aufschrift: „Der Kçnig hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bîrgerpflicht. Ich fordere die Einwohner Berlins dazu auf. Der Kçnig und seine Brîder leben.“ Zehn Tage spter, am 27. Oktober 1806, zog Napol¤on mit seiner siegreichen „Grande Armee“ durch das zehn

286 Zitiert nach A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 109 f. 287 H. Engel, Schauplatz Staatsmitte … (s. Anm. 284), S. 73 – 80.

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Jahre zuvor errichtete Brandenburger Tor in die preußische Residenz und Hauptstadt ein und besetzte sie.288 Der Kaiser der Franzosen residierte in der preußischen Hauptstadt in den erst kurz zuvor hergerichteten Kçnigskammern. Fast tglich nahm er im Lustgarten die Parade seiner Garden ab. Napol¤on stand dann vor der Schloßapotheke und ließ die Abteilungen vorbeimarschieren. Whrend der franzçsischen Besatzungszeit griff Napol¤on tief in das politische, finanzielle und wirtschaftliche Gefîge der Hauptstadt ein. Zunchst vernderte er die bestehende Verwaltungsorganisation. Gleich nach seinem Einzug in die preußische Hauptresidenz befahl er, 2.000 der angesehensten Bîrger der Stadt auszuwhlen und sie am folgenden Tag in der Petrikirche zu versammeln. Die vom Magistrat bestimmten 2.000 Personen whlten am 29. Oktober 1806 aus ihrer Mitte 60 Personen, die die Generalverwaltungsbehçrde der Stadt bildeten. Aus diesem Kreis, der kein zweites Mal zusammengetreten ist, ging ein Siebenerkollegium hervor, das nach seiner Besttigung durch Napol¤on als „Comit¤ administratif“ bis zum Abzug der Franzosen die Stadtverwaltung in den Hnden hielt. Obwohl es als unmittelbare Aufsicht und Kontrollinstanz des „Comit¤ administratif“ das Amt eines Intendanten gab, bedeutete dieses aus der Bîrgerschaft heraus gebildete Verfassungsorgan einen ersten Schritt zu einer modernen Verwaltungsund Verfassungsreform. Das Kollegium, das keinen Leiter whlte, war hauptschlich damit beschftigt, die der Stadt auferlegten Lasten auf die einzelnen Bevçlkerungskreise zu verteilen. Die materiellen Forderungen, die den Berlinern in der Phase der Besetzung zugemutet wurden, erstreckten sich im wesentlichen auf vier Bereiche: – Beschlagnahmung staatlichen Eigentums und des persçnlichen Besitzes der Hohenzollern und anderer Adelsfamilien. Viele Kunstschtze wurden auf diese Weise aus den Schlçssern in Berlin, Charlottenburg und Potsdam nach Paris gebracht. Sehr zur Empçrung der Berliner gehçrte dazu auch Schadows Quadriga vom Brandenburger Tor. – Einquartierungen, unter denen besonders die Hausbesitzer zu leiden hatten. Zwischen 12.000 und 30.000 Mann durchziehender franzçsischer Truppen mußten tglich untergebracht werden. – Lieferungen fîr die franzçsische Armee, und schließlich – Zahlungen (Kontributionen) fîr den Unterhalt der Besatzungstruppen (insgesamt einen Betrag von 2,7 Millionen Talern).289 288 Die folgenden Ausfîhrungen beruhen im wesentlichen auf Forschungsergebnissen von Ilja Mieck, die er in einem Handbuchbeitrag zusammengefaßt hat: Ilja Mieck, Von der Reformzeit zur Revolution (1806 – 1847), in: W. Ribbe, Geschichte Berlins … (s. Anm. 53), S. 407 – 602, bes. S. 422 – 441 („Die Zeit der franzçsischen Besetzung“). 289 I. Mieck, Von der Reformzeit … (s. Anm. 288), S. 427 – 435.

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Am Ende der franzçsischen Besetzung belief sich die Schuldenlast Berlins auf 4,5 Millionen Taler. An dieser hohen Summe hatte die Stadt noch bis 1850 zu tragen. Die finanziellen Opfer und die materiellen Belastungen erschîtterten die wirtschaftliche Substanz. Produktion und Handel gingen zurîck, die çffentliche Armut nahm rapide zu, und die allgemeine Lage erschien immer trost- und hoffnungsloser. In dieser Situation entwickelte sich in der preußischen Hauptstadt allmhlich eine Opposition gegen die Besatzung und ihre systematische Ausbeutungspolitik. Sie orientierte sich an Persçnlichkeiten wie dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte, dessen „Reden an die deutsche Nation“ im Winter 1807/08 den Patriotismus entfachten, oder an dem Theologen Friedrich Schleiermacher, der in der Dreifaltigkeitskirche die umfassende Erneuerung der geistigen und moralischen Grundlagen des preußischen Staates predigte. Als Ende des Jahres 1808 die franzçsischen Truppen Berlin rumten, normalisierten sich die Verhltnisse nur langsam. Berlin war in seiner Entwicklung weit zurîckgeworfen. Armut und Not griffen weiter um sich, Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit machten sich in der Bevçlkerung breit. Groß war die Enttuschung der Bevçlkerung, weil Kçnig Friedrich Wilhelm III. zunchst nicht bereit war, in seine Hauptstadt zurîckzukehren. Als 1808 der spanische Unabhngigkeitskrieg gegen die franzçsische Fremdherrschaft ausbrach und 1809 der deutsche Aufstand gegen Napol¤on gleichzeitig in §sterreich, Tirol und Norddeutschland begann, diskutierte man auch in Berlin îber eine Beteiligung an diesen Aufstnden. Der Versuch des Husarenoffiziers Ferdinand von Schill, ohne Befehl und auf eigene Faust den Kampf aufzunehmen, weckte in der preußischen Hauptstadt große Sympathien und Hoffnungen. Das Scheitern dieses Unternehmens, die Passivitt des Kçnigs und der Zusammenbruch des deutschen Aufstandes ließen die zunchst euphorische Stimmung der Bevçlkerung schnell in Resignation umschlagen. Das stdtische Leben erholte sich erst wieder, als der Kçnig mit seinem Hof sowie den obersten Staatsbehçrden gegen Ende des Jahres 1809 (îber Breslau) nach Berlin zurîckkehrte. In dieser Phase erlebte die preußische Hauptstadt eine Zeit relativer Ruhe. Diese sollte jedoch nicht lange anhalten. Die Absicht Napol¤ons, Rußland zu unterwerfen, um seine Kontinentalherrschaft endgîltig zu festigen, fîhrte dazu, daß im Mrz 1812 erneut franzçsische Truppen in die Stadt einrîckten. Wieder begannen die Leiden der Besatzungszeit mit Truppeneinquartierungen und hohen finanziellen Belastungen. Von Anfang an regte sich jetzt Widerstand gegen die Besatzungsmacht, und Berlin entwickelte sich zu einem Zentrum der antinapol¤onischen Stimmung.290 Der Druck der franzçsischen Besatzung hatte auch Entwicklungen gefçrdert, die auf eine politische und geistige Erneuerung abzielten. Eine kleine Gruppe von Reformern um den Freiherrn vom Stein versuchte, durch Vern290 I. Mieck, Von der Reformzeit … (s. Anm. 288), S. 438 – 441.

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derungen in Staat und Gesellschaft die alte politische Bedeutung Preußens wiederherzustellen. Von dieser preußischen Reformgesetzgebung des Freiherrn vom Stein war fîr Berlin vor allem die neue Stdteordnung, die am 19. November 1808 Gesetz wurde, von Bedeutung. Sie machte den Weg zur Selbstverwaltung in den preußischen Stdten frei und beabsichtigte eine Belebung des Gemein- und Bîrgersinns und eine Mitwirkung der Bîrger an der Politik. Nach dem neuen Gesetz waren die gemeindlichen und die staatlichen Aufgaben klar getrennt, und die Verschrnkung von Justiz und Verwaltung wurde beseitigt. Als neues beschließendes Organ wurde die Stadtverordnetenversammlung eingefîhrt, die von den Bîrgern in freier und geheimer Wahl gewhlt werden sollte. Stimmberechtigt waren allerdings nur Bîrger mit Hauseigentum oder mit einem Jahreseinkommen von mehr als 200 Talern. In Berlin waren das etwa 6,9 Prozent der Bevçlkerung.291 Fîr die Position des Oberbîrgermeisters nominierte die Versammlung drei Kandidaten und bat den Kçnig, den Erstplazierten zu besttigen. So wurde Leopold von Gerlach, der 1813 im Amt starb, Oberbîrgermeister von Berlin.292 Im Berliner Rathaus wurde das formell noch bestehende „Comit¤ administratif“ aufgelçst und der alte Magistrat verabschiedet. Nach einem Gottesdienst in der Nikolaikirche erfolgte die Vereidigung und anschließend die fçrmliche Einsetzung des Magistrats im Rathaus. Damit hatte die Haupt- und Residenzstadt zwar ihre mittelalterlichen Freiheiten nicht wiedererlangt, konnte nun aber im begrenzten Rahmen kommunale Entscheidungen treffen. In allen wichtigen Angelegenheiten behielt jedoch der Kçnig beziehungsweise eine von ihm beauftragte Institution das Heft in der Hand.293 In der Reformdiskussion dieser Zeit spielte die Erneuerung des preußischen Bildungswesens eine zentrale Rolle. An der Wende zum 19. Jahrhundert besaß die preußische Hauptstadt eine grçßere Zahl von wissenschaftlichen Einrichtungen, so die Akademie der Wissenschaften und die der Kînste, die Bauakademie, ein Lehrinstitut fîr Bergwerk und Hîttenwesen, Schulen fîr die Ausbildung von Militr- und Tierrzten und von Allgemeinmedizinern, militrische Bildungsanstalten sowie eine landwirtschaftliche Lehranstalt. Aber erst mit der von dem Geheimen Staatsrat und Direktor der Sektion Kultus und des çffentlichen Unterrichts im Ministerium des Innern, Wilhelm von Humboldt, vorbereiteten neuen Universitt entstand ein neuartiges hauptstdtisches Bildungszentrum. Es sollte vor allem der geistigen Erneuerung dienen. Die Freiheit 291 M. Pahlmann, Anfnge des stdtischen Parlamentarismus … (s. Anm. 147), bes. Kapitel 2: „Die Durchfîhrung der Wahlen“, S. 77 ff. und Kapitel 3: „Die Stadtverordnetenversammlungen“, S. 151 ff. 292 Gunther Hildebrandt, Leopold von Gerlach, in: Wolfgang Ribbe, Stadtoberhupter. Biographien Berliner Bîrgermeister im 19. und 20. Jahrhundert (= Berlinische Lebensbilder, 7), Berlin 1992, S. 35 – 50. 293 Gerhard Kurtzsch, Der Staat und die Stadt Berlin. Skizzierung ihres Verhltnisses zueinander im 19. Jahrhundert, in: Der Br von Berlin 17 (1968), S. 7 – 21, bes. S. 16.

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der Wissenschaften und die untrennbare Verbindung von Forschung und Lehre waren dazu unabdingbare Voraussetzungen. Im Oktober 1810 wurde die Berliner Universitt mit der Aufnahme der Vorlesungen im Palais des Prinzen Heinrich, gegenîber der Oper, offiziell erçffnet. Im ersten Jahr lehrten dort 52 Professoren und 256 Studenten waren als Hçrer eingeschrieben. Durch die (seit 1823 so bezeichnete) Friedrich-Wilhelms-Universitt erhielt die Hauptstadt einen geistigen Mittelpunkt, und mit ihr zeigte sich der preußische Staat als Vorbild fîr die planmßig betriebene Wissenschaftspflege.294 Neben der Steinschen Stdteordnung von 1808 und der Erneuerung des Erziehungs- und Bildungswesens durch Wilhelm von Humboldt berîhrten die preußischen Reformen noch andere Gebiete. Wirtschaftlich von großer Bedeutung war das Gewerbesteuer-Edikt und das Gewerbepolizei-Gesetz, das der Staatskanzler Hardenberg, der die Steinschen Reformen fortfîhrte, ausgearbeitet hatte. Es hob die Zunftordnungen zugunsten der Gewerbefreiheit auf und ermçglichte so die sptere Industrialisierung.295 Wirtschaftliche Auswirkungen hatte auch die bîrgerliche Gleichstellung der Juden von 1812.296 Parallel zu diesen Reformen verlief seit 1807 die Erneuerung des Heereswesens durch die Generle Gneisenau und Scharnhorst sowie den Kriegsminister Boyen.297 Zwischen 1810 und 1817 kam es im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen zur umfassenden Reorganisation der Staatsorgane und -verwaltungen. In deren Folge bildeten sich neue Standorte auch fîr die Zentralverwaltungen heraus, fîr deren Wahl andere als die bisherigen Kriterien zugrunde lagen. Die Ministerien konzentrierten sich mehrheitlich im Bereich „Unter den Linden“, in der Leipziger Straße und in der Wilhelmstraße.298 Diesem „Zug nach dem Westen“ schlossen sich aber nicht alle politischen Gremien an: Nach der von 294 Zur Vorbereitung der Grîndung und zu den frîhen Jahren des Lehr- und Forschungsbetriebes vgl. die Quellensammlung von Wilhelm Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit einer Universitt. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-WilhelmsUniversitt zu Berlin, Berlin 1960. 295 Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg 1810 – 1820 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 57), Gçttingen 1983. 296 Peter Baumgart, Befîrworter und Gegner der preußischen Judenemanzipation im Spiegel der Denkschriften und Gesetzgebung, in: M. Awerbuch / S. Jersch-Wenzel, Bild und Selbstbild der Juden … (s. Anm. 179), S. 155 – 178. 297 Heinz G. Nitschke, Die preußische Militrreformen 1807 – 1813. Die Ttigkeit der Militrreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee (= Kleine Beitrge zur Geschichte Preußens, 2), Berlin 1983. 298 Hans Wilderotter, Alltag der Macht. Berlin Wilhelmstraße (= Eine Publikation der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1998; Helmut Engel / Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichtsmeile Wilhelmstraße (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 1997. Zur Nutzung der einzelnen Grundstîcke und Gebude vgl. Laurenz Demps, Berlin-Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht, Berlin 1994.

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Freiherr vom Stein 1808 durchgesetzten Auflçsung des Kçniglichen Kabinetts, durch das der Kçnig souvern regiert hatte, waren Ministerien eingerichtet und 1810 der Staatsrat konstituiert worden, dem die wichtigsten Entscheidungen oblagen. Der Sitzungssaal des Staatsrates lag im Erdgeschoß des Schlosses und wurde in dieser Zeit durch einen Architekten des Hofbauamtes neu ausgebaut. Der Staatsrat konstituierte sich 1810 als hçchste Staatsbehçrde Preußens, trat jedoch erstmals erst am 30. Mrz 1817 mit einer Debatte îber Steuerreformplne zusammen. Er sollte die wichtigsten staatlichen Entscheidungen fllen und die Arbeit der Regierung kontrollieren, hatte aber „mit der laufenden Verwaltung nichts zu tun“.299 Seine Beratungen standen unter der Leitung des Kçnigs oder des Staatskanzlers. Dem Staatsrat gehçrten an: Die volljhrigen Prinzen, die Minister, die Chefs der Zentralbehçrden, die Feldmarschlle, die kommandierenden Generle, die Oberprsidenten und 43 weitere Persçnlichkeiten, die vom Kçnig berufen wurden. Ab 1850 îbernahm der Preußische Landtag die bis dahin vom Staatsrat nominell innegehabte Kontrollfunktion. Die Verwaltung des Staatsministeriums war zu diesem Zeitpunkt bereits in die Leipziger Straße verlagert. Von den zentralen Behçrden verblieben nach 1848 nur noch das Geheime Staats- und Landesarchiv (im Erdgeschoß des Westflîgels) und die Generalstaatskasse im Schloß. Sie vereinte organisatorisch die ehemals zahlreichen Kassen im Erdgeschoß des Schloßplatz-Flîgels zwischen Portal I und II. Mit diesen Entwicklungen begann ein neues Kapitel der preußischen Verwaltungsgeschichte, das außerhalb des Berliner Schlosses geschrieben wurde.300 Nicht nur das Schloß selbst, sondern der gesamte Schloßbezirk waren politisch und verwaltungstechnisch kein Teil der Stadt, sondern bildeten einen von ihr exemten Gutsbezirk, dessen Interessen allein der Kçnig wahrnahm. Im 19. Jahrhundert umfaßte der Schloßbezirk neben dem Schloß selbst nur dessen unmittelbare Umgebung auf der Spree-Insel. Hier lebten Kaufleute, Handwerker und andere Gewerbetreibende beziehungsweise deren Witwen. Staatsdiener, Militrs, Angehçrige des Adels oder der bîrgerlichen Oberschicht waren nicht darunter. Dies war schon kurz nach der Jahrhundertwende so, wie ein Huserverzeichnis aus dem Jahre 1801 anschaulich zeigt. Auch hier besteht der Schloßbezirk (neben dem Stadtschloß selbst) aus dem Schloßplatz, der Schloßfreiheit und dem Lustgarten.301 Noch 1786 dîrfte der Lustgarten als Exerzier- und Paradeplatz gedient haben.302 299 So Hans Schneider, Der Preußische Staatsrat 1817 – 1918. Ein Beitrag zur Verfassungsund Rechtsgeschichte Preußens, Mînchen/Berlin 1952, S. 135 ff. 300 W. Neugebauer, Residenz – Verwaltung – Reprsentation … (s. Anm. 51), S. 54 f. 301 Wolfgang Ribbe, Funktions- und Bedeutungswandel … (s. Anm. 285), S. 102 ff. („Topographie und Ereignisgeschichte des Schloßbezirkes“). 302 F. Nicolai, Beschreibung der kçniglichen Residenzstdte … (s. Anm. 158), 1, S. 74.

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Die erste architektonische Vernderung seit der Erbauung des Domes hatte der Lustgarten um die Wende zum 19. Jahrhundert durch den Bau der Bçrse, mit dem im Frîhjahr 1801 begonnen wurde, der aber erst am 5. August 1805 seiner Bestimmung îbergeben werden konnte, erfahren. Als sich der Wirkungskreis der Berliner Kaufleute immer mehr erweiterte, reichte das Gebude am Dom nicht mehr aus. Ihre gînstigen finanziellen Verhltnisse gestatteten der Kaufmannschaft einen Neubau in der Burgstraße. Seit 1798 war der Lustgarten mit einer Doppelreihe Pyramidenpappeln eingefaßt und mit Rasen bedeckt worden, dessen Betreten aber den Spaziergngern bei Androhung von fînf Talern Strafe strengstens untersagt war; der Rasen war Eigentum der Kommandantur. Die napol¤onischen Truppen, die 1806 Berlin besetzten, kîmmerte das wenig. Ein Teil der Fußgarde errichtete im Lustgarten ein Feldlager. Napol¤on hielt im Lustgarten eine große Parade ab. Daran mußten auch Offiziere der geschlagenen preußischen Armee teilnehmen, bevor er sie auf der Festung Spandau internierte. Zwar zogen die Truppen nach dem Tilsiter Frieden 1807 wieder ab, um aber nach der Niederlage Napol¤ons in Rußland erneut Berlin zu besetzen, bis sie am 4. Mrz 1813 von russischen Truppen vertrieben wurden. In den darauf folgenden Wochen wurde der Lustgarten zum ˜bungs- und Ausbildungsplatz fîr die vielen Freiwilligen, die sich zum Kampf gegen die napol¤onischen Truppen zur Landwehr gemeldet hatten. Es fanden Feldgottesdienste statt, mit denen zwei Regimenter in den Kampf verabschiedet wurden.303 Erst die vernichtende Niederlage der franzçsischen Armee in Rußland schuf die Voraussetzungen fîr einen nationalen Befreiungskampf. „Mit Mann und Roß und Wagen hat sie der Herr geschlagen!“, dichtete triumphierend Ernst Ferdinand August, ein Primaner am Berliner Gymnasium zum „Grauen Kloster“, als die Reste der franzçsischen Armee nach der Katastrophe in Rußland zurîckfluteten. Im Frîhjahr 1813 entschloß sich der Kçnig endlich zum Bruch mit Napol¤on und traf Allianzabsprachen mit Alexander I. In den Kmpfen des Jahres 1813 war die preußische Hauptstadt Mittelpunkt der nationalen Erhebung. 10.000 Freiwillige meldeten sich in ganz Preußen, 6.300 davon allein aus Berlin. Mehrmals versuchte Napol¤on, die Stadt zurîckzuerobern. Vor ihren Toren, in der Schlacht bei Großbeeren, scheiterte dieses Vorhaben.304 Es kam nicht zu einem „Kampf um Berlin“, aber mit der Vçlkerschlacht bei Leipzig 1813, nach der die Herrschaft Napol¤ons in Deutschland zusammenbrach, war die Gefahr endgîltig gebannt. Nach dem Sieg îber Napol¤on feierten die Berliner am 7. August 1814 den Einzug des Kçnigs und der von Feldmarschall Blîcher gefîhrten Armee in die festlich geschmîckte Residenz, der mit einem 303 Zum Berliner Lustgarten jetzt die grundlegende Studie von M. Jager, Der Berliner Lustgarten … (s. Anm. 114), passim. 304 I. Mieck, Von der Reformzeit zur Revolution … (s. Anm. 288), S. 470 – 472.

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Dankgottesdienst im Lustgarten seinen Hçhepunkt fand. Dazu waren an der Nordseite vor der Kleinen Pomeranzenbrîcke Tribînen fîr den Kçnig, die Prinzessinnen und die Staatsbeamten errichtet worden. Davor befand sich ein Altar, auf dessen Stufen sich die Geistlichkeit aller Konfessionen versammelt hatte, whrend die Truppen auf dem Platz Aufstellung nahmen. Ein Konsistorialrat hielt die Predigt und schloß den Gottesdienst mit dem geistlichen Segen, worauf Kanonendonner und das Luten der Domglocken folgten. Blîcher hatte auch nach dem Sieg fîr die sofortige Rîckgabe der Quadriga gesorgt, die nun wieder das Brandenburger Tor schmîckte. Nach einem Entwurf von Schinkel waren dem Stab der Siegesgçttin das Eiserne Kreuz und der Preußische Adler hinzugefîgt worden.305 Nachdem viele Behçrden das Schloß verlassen hatten und mit ihren Verwaltungen in die Stadt gezogen waren, ist es als Wohnsitz wieder hergerichtet worden, vor allem fîr Staatsgste, weniger fîr die kçnigliche Familie und den Monarchen selbst, der aber nicht ganz darauf verzichtete, im Berliner Stadtschloß prsent zu sein. Die offizielle Berliner Residenz des Kçnigs lag im ersten Geschoß auf der Lustgartenseite des Schlosses, deren Bedeutung so eine erhebliche Aufwertung erfuhr, zum Nachteil des dem altstdtischen Cçlln zugewandten Schloßplatzes, der bis dahin als „Cour d’honneur“ gedient hatte.306 Vom Brandenburger Tor kommend fîhrte nun die „Via triumphalis“ îber die Schloßbrîcke zum Stadtschloß mit dem vorgelagerten Lustgarten und dem Dom und weiter nach Osten zum „Ochsenplatz“, den Friedrich Wilhelm III. anlßlich des Staatsbesuchs des Zaren Alexander I. 1806 in „Alexanderplatz“ umbenennen ließ. Bei seinem Einzug nach Berlin ist der Zar dann auch – von „seinem“ Platz herkommend – auf der neuen Protokollseite, die damit an politischer Bedeutung gewann, empfangen und in das Schloß geleitet worden.307 Zuvor zog bereits das Kronprinzenpaar zu seiner Verlobung, aus Potsdam kommend, îber die Linden nach Berlin ein. Am Ende der Via triumphalis, beim Eintritt in den Schloßbezirk, begrîßte das Berliner Bîrgertum das Paar, dem spter, beim Thronwechsel, das Volk (darunter das Berliner Stadtoberhaupt) auch dort, im Lustgarten, huldigte, whrend die Huldigung durch Prinzen und Stnde im Schloß erfolgte.308 305 Es blieb den DDR-Behçrden vorbehalten, das Eiserne Kreuz zwischenzeitlich wieder zu entfernen. 306 H. Engel, Schauplatz Staatsmitte …(s. Anm. 284), S. 74 f. 307 Zur Geschichte des Alexanderplatzes vgl. die Beitrge von Helmut Engel, Der Alexanderplatz in der preußischen und deutschen Hauptstadt, sowie von Wolfgang Ribbe, Politik und Gesellschaft am Alexanderplatz, in: Hans-Joachim Pysall (Hg.), Das Alexanderhaus. Der Alexanderplatz, Berlin 1998, S. 11 – 26 beziehungsweise S. 27 – 42; außerdem Gernot Jochheim, Der Berliner Alexanderplatz, Berlin 2006, bes. S. 54 – 61. 308 H. Engel, Schauplatz Staatsmitte … (s. Anm. 284), S. 73 f.

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Das erste çffentliche Gebude, das Friedrich Wilhelm III. nach dem Wiederaufleben des preußischen Staates nach den Befreiungskriegen errichten ließ, die Neue Wache, entsprach dem Sparsamkeitsgebot des Kçnigs und seiner persçnlichen Abneigung gegen alles ˜bertriebene und Emphatische.309 Dies zwang vor allem auch den „Staatsbaumeister“ Karl Friedrich Schinkel, dessen Bauten in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts das architektonische Bild der Haupt- und Residenzstadt neu prgten, zu klaren und knappen Architekturformen, zu Planungen, die mit mçglichst geringen Mitteln den besten und sinnvollsten Erfolg versprachen, zum „preußischen Stil“.310 Die erste grçßere Aufgabe fîr Schinkel sollte der Umbau des alten friderizianischen Domes werden, die er seit 1817 durchfîhrte und die auf die Gestaltung des Lustgartens, der mit dem Ausbau der „Linden“ immer mehr die Funktionen des Schloßplatzes îbernommen hatte, nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Noch im selben Jahr entwarf Schinkel einen Plan zur Umgestaltung der ganzen nçrdlichen Spreeinsel, der die Grundzîge der spteren Arbeiten bereits festlegte. Zunchst ist der Dom auch in seiner ußeren Gestalt in den Jahren 1820 bis 1822 weiter verndert worden. Diese Baumaßnahmen standen im Zusammenhang mit der Begrîndung einer unierten protestantischen Staatskirche durch den Herrscher, mit der er die seit 1613 bestehende Spaltung zwischen Lutheranern und Calvinisten beendete. Die politisch-religiçsen Vorstellungen Friedrich Wilhelms gipfelten in dem Plan, in der Hauptstadt Preußens ein monumentales protestantisches Gotteshaus entstehen zu lassen, das in seiner Grçße und Bedeutung dem Kçlner Dom (der als Hauptkirche der Katholiken in Preußen, wenn nicht in Deutschland galt) keinesfalls nachstehen sollte. Im Zusammenwirken mit Schinkel, Persius und Stîler sind zahlreiche Entwîrfe dafîr entwickelt worden, doch verwirklicht werden konnte diese monumental-religiçse Idee nicht. Der umgebaute Dom hat seinen Zweck noch bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfîllt. Bevor ihn Wilhelm II. zugunsten des Neubaues von Raschdorf abreißen ließ, fand beim Tode Wilhelms I. hier ein letzter Staatsakt statt: Der erste hohenzollernsche Kaiser wurde noch im alten Dom aufgebahrt.311 Die Idee, ein çffentlich zugngliches Museum in der preußischen Hauptstadt einzurichten, das mit Kunstschtzen aus den kçniglichen Schlçssern bestîckt werden sollte, geht auf den Akademie-Professor Alois Ludwig Hirt zurîck, der 1798 sein Anliegen, eine „nationale østhetik“ zu fçrdern, in einer 309 Christoph Stçlzl (Hg.), Die Neue Wache unter den Linden. Ein deutsches Denkmal im Wandel der Geschichte, Berlin 1993. 310 A. Schinz, Berlin. Schicksal und Stdtebau … (s. Anm. 91), S. 110. 311 Carl-Wolfgang Schîmann, der Berliner Dom im 19. Jahrhundert (= Die Bau- und Kunstdenkmler von Berlin, Beiheft 8), Berlin 1980; Karl-Heinz Klingenberg, Der Berliner Dom. Bauten, Ideen und Projekte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1987; Helmut Engel (Red.), Die Gruft der Hohenzollern im Berliner Dom, Berlin 2005.

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Denkschrift erluterte. An die Realisierung dieses Vorhabens konnte erst nach den politisch-militrischen Krisen und Niederlagen zu Beginn des 19. Jahrhunderts und den erfolgreichen Befreiungskriegen gegen Napol¤on im Rahmen der preußischen Reformen gedacht werden. 1825 wurde der Grundstein fîr das erste Museum, das heutige Alte Museum, gelegt. Schinkel setzte den Bau als nçrdliche Begrenzung des Lustgartens direkt auf den Spreegraben, was voraussetzte, daß dieser zugeschîttet und die Fundamente auf unzhligen in den morastigen Boden gerammten Pfhlen errichtet werden mußten. Die feierliche Erçffnung fand am 3. August 1830, dem 60. Geburtstag Kçnig Friedrich Wilhelms III., statt.312 Der Museumsbau, der vorausgegangene Neubau der Schloßbrîcke und der Umbau des Domes machten nun eine Neugestaltung des Lustgartens erforderlich. Nach Entwîrfen Schinkels entstand der sogenannte „Zweite Lustgarten“, der dem Museum und nicht dem Schloß zugeordnet war, vor dem der Kçnig einen freien Platz fîr das Militr behalten wollte. Die Anlage erhielt eine von Mandelbumen und Kugelakazien eingefaßte, durch Wege gegliederte Grînflche und in der Mitte ein Wasserbecken mit einer zwanzig Meter hohen Fontne. In die Nordostecke, unmittelbar vor die Friedrichsbrîcke, wurde dafîr ein Maschinenhaus gesetzt, in dem eine Dampfmaschine der Firma Egells das Wasser aus der Spree in ein Reservoir pumpte. Die Rasenflchen waren von zierlichen Gittern eingefaßt und der Platz vor dem Schloß und dem Dom neu gepflastert. Gaslaternen beleuchteten die Neuanlage, die insgesamt mehr als 27.000 Taler gekostet hatte. Schinkel war die Rîckgewinnung eines Teils des frîheren Lustgartens gelungen, der nun wieder zum Flanieren und Verweilen einlud.313 Ein kulturelles Nebenzentrum außerhalb des Schloßbezirkes war seit der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts am Gendarmenmarkt314 entstanden, auf dem Friedrich II. 1774 ein (franzçsisches) Kommçdienhaus errichten ließ, das Friedrich Wilhelm II. zum Deutschen Nationaltheater erhob. Nachdem das 1801 bis 1802 von Langhans neu errichtete und gerade zehn Jahre alte Theater abgebrannt war, erhielt Schinkel den Auftrag fîr einen Neubau, mit dem auch die Neugestaltung des gesamten Platzes verbunden war, unter Einschluß des Deutschen und des Franzçsischen Domes, die gleiche Turmaufbauten erhielten, abgeschlossen mit den von Gontard gestalteten Hauben. Diese Kirchen repr312 Hans Reuter, Die Museumsinsel Berlin, Frankfurt am Main/Berlin, 1978; Renate Petras, Die Bauten der Berliner Museumsinsel, Berlin 1987. 313 M. Jager, Der Berliner Lustgarten … (s. Anm. 114), S. 131 – 167 (Kapitel IV: „Pleasureground der hçfisch-bîrgerlichen Mitte. Der Lustgarten von Karl Friedrich Schinkel“). 314 Laurenz Demps, Der Gensd’armen-Markt. Gesicht und Geschichte eines Berliner Platzes, Berlin 21988; Ders., Der schçnste Platz Berlins. Der Gendarmenmarkt in Geschichte und Gegenwart, Berlin 1988.

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sentierten die beiden Hauptreligionsgemeinschaften im polykonfessionellen preußischen Staatswesen. Der Einfluß der kçniglichen Bauherren darf bei den Planungen fîr die Neugestaltung des historischen Zentrums der preußischen Hauptstadt nicht unterschtzt werden. Friedrich Wilhelm IV. hat bereits als Kronprinz Entwîrfe fîr einen Ausbau der Preußischen Staatsmitte angefertigt, die durchaus auch die sptere Umgestaltung des gesamten Schloßbezirkes beeinflußt haben. Dazu gehçrte die Ausgestaltung der Nordspitze der Spreeinsel zu einem Forum der Kunst aller Vçlker und Zeiten. Hier sollten nach den Plnen des Kçnigs, durch offene Hallen verbunden, alle fîr Zwecke der Kunst in der Landeshauptstadt erforderlichen Bauten wie Museen, Akademie und Verwaltungsgebude vereinigt werden. In Anlehnung an den Museumsbau von Schinkel wurde jedoch nur das „Neue“ Museum nach seinen Entwîrfen und Angaben durch Stîler 1843 bis 1855 errichtet, doch erfreute sich dieser Gedanke auch weiterhin der kçniglichen und spter auch der kaiserlichen Unterstîtzung, so daß noch weitere Museen entstanden. 1864 bis 1866 wurde die Nationalgalerie, 1898 bis 1903 das Kaiser-Friedrich-Museum (jetzt: Bode-Museum) und schließlich kurz vor dem Ende der Hohenzollernmonarchie das Pergamonmuseum auf der „Museumsinsel“ errichtet.315 Die baulichen Aktivitten – und damit zusammenhngend – die dynastische und staatliche Reprsentation Preußens durch die Hohenzollern beschrnkte sich auch in dieser Zeit keineswegs ausschließlich oder auch nur hauptschlich auf die Hauptstadt Berlin, sondern erstreckte sich auf die gesamte Residenzlandschaft. Einen Akzent setzten alle Herrscher seit dem Großen Kurfîrsten auf die „Insel“ Potsdam, ohne allerdings die weitere, historisch gewachsene Residenzlandschaft, im Norden Schçnhausen und Oranienburg bis nach Rheinsberg, im Sîden Kçpenick und Wusterhausen, aber auch çstlich von Berlin bis Kîstrin und Schwedt aus dem Blick zu verlieren. Eine Rolle fîr die dezentrale Unterbringung der kçniglichen Familie spielte durchaus die Absicht der Herrscher (nicht nur Friedrichs II.), den Hof von der Regierung fern zuhalten. Es nîtzte den Prinzen nichts, sich ein Palais in der Hauptstadt errichten zu lassen, in der zwar die Verwaltung angesiedelt war und in der man gesellschaftlich, hufig in der winterlichen Ballsaison, zusammenfand, whrend man die Sommerfeste in den Lustschlçssern, besonders in Charlottenburg, feierte, denn die politischen Entscheidungen wurden in Potsdam vorbereitet und gefaßt, an Orten, zu denen auch die Mitglieder der kçniglichen Familie nicht ohne weiteres Zugang hatten. Das gilt fîr das Potsdamer Stadtschloß ebenso wie fîr Sanssouci und das Neue Palais. 315 Thomas W. Gaehtgens, Die Berliner Museumsinsel im Deutschen Kaiserreich. Zur Kulturpolitik der Museen in der wilhelminischen Epoche, Mînchen 1992; R. Petras, Die Bauten der Berliner Museumsinsel … (s. Anm. 312), passim.

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Aber wohl alle preußischen Kçnige des 19. Jahrhunderts haben sich in oder nahe der Residenzstadt Potsdam neue Refugien erschlossen, ohne dabei die im 17. und 18. Jahrhundert von ihren Vorgngern auf dem Thron errichteten Schlçsser zu vernachlssigen. Friedrich Wilhelm II., dem die Herrschafts- und Staatsprsenz in der Hauptstadt Berlin durchaus ein Anliegen war, hat das Marmorpalais (mit dem Palais Lichtenau) und das Schloß auf der Pfaueninsel an den westlichen Rand der Residenz Potsdam, auf Berlin zu, errichten lassen, wobei bei der Entscheidung fîr diesen Standort (anders als bei den lteren Potsdamer Schlçssern) die direkte Anbindung an einen Wasserweg mit ausschlaggebend gewesen sein dîrfte: „Damit kîndigte sich eine landschaftsplanerische Entwicklung von ungleich grçßerer Nachhaltigkeit und Geschlossenheit an, als dies einst in den Tagen des Kurfîrsten Friedrich Wilhelm der Fall gewesen war, nmlich eine Ausrichtung der gesamten Potsdamer Residenzlandschaft auf die Havel als zentralem Verbindungsglied. Bei dieser Idee stand das Wçrlitzer Gartenreich Pate, wo die Elbe mit ihren Auenlandschaften die hçfischen Zentren zwischen Wçrlitz und Dessau auf großartige Weise miteinander verband.“316 In Berlin ließ der Monarch fîr sich und die Kçnigin im Stadtschloß die Kçnigskammern mit außerordentlichem Aufwand neu herrichten, die sein Nachfolger mied, der in der Hauptstadt das Kronprinzenpalais und das Kronprinzessinnenpalais nutzte, whrend er sich bereits seit seiner Kronprinzenzeit westlich von Potsdam in Paretz einen Sommersitz hatte errichten lassen, auf dem er in einer fast privaten Sphre das Leben eines schlichten Gutsherrn fîhren wollte, mit der spteren Kçnigin als der „gndigen Frau von Paretz“.317 Nach deren Tod bevorzugte Friedrich Wilhelm III. Charlottenburg, wo er sich von Schinkel einen Pavillon im Schlosspark errichten ließ.318 Mit dem Ende der Befreiungskriege begann zwar fîr Preußen und seine Hauptstadt Berlin eine lange Periode des Friedens, aber die politischen Hoffnungen der fortschrittlichen Krfte auf die Weiterfîhrung der inneren Reformen erfîllten sich nicht. Der Kçnig lçste sein Verfassungsversprechen, das er dreimal, zuletzt 1815, gegeben hatte, nicht ein. Im Gegenteil: Mit den Festlegungen des Wiener Kongresses waren alle nationalen und liberalen Erwartungen weitgehend zunichte gemacht worden. An die Stelle des erhofften deutschen Nationalstaates trat mit dem Deutschen Bund ein loser Staatenverband unter Vorsitz §sterreichs. Er bestand aus den noch existierenden oder wiederherge316 Peter-Michael Hahn, Geschichte Potsdams (s. Anm. 262), S. 86. 317 Schloß Paretz. Ein kçniglicher Landsitz um 1800, hg. v. Verein Historisches Paretz und der Generaldirektion der Stiftung Preußischer Schlçsser und Grten, Potsdam 1995, S. 8. 318 Eva Bçrsch-Supan, Die Residenzlandschaft Berlin-Potsdam unter Friedrich Wilhelm III. und IV. – Schinkel, Lenn¤, Persius und Stîler, in: ForschBrandPrG NF 8 (1998), S. 165 – 202, bes. S. 174 f.

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stellten 35 deutschen souvernen Fîrstenstaaten und den letzten vier freien Reichsstdten und wurde durch die stndig in Frankfurt am Main tagende Gesandtenkonferenz zusammengehalten. Der Deutsche Bund betrieb eine strikt antinationale und antiliberale Politik. Das fortschrittliche Bîrgertum reagierte auf diesen radikalen politischen Kurswechsel weitgehend mit Resignation. Es wandte sich enttuscht von der Politik ab, zog sich in die private Sphre zurîck, pflegte kînstlerische und literarische Interessen und widmete sich in den besseren Kreisen einem unpolitischen, geselligen Leben. Die Bezeichnung dieser Epoche mit dem Begriff „Biedermeier“ verdeckt, daß die Mehrzahl der Bewohner, insbesondere in Berlin, in sozialer Not und keineswegs idyllisch und behaglich lebte. Die ehemaligen Verfechter der Reformpolitik wurden nach und nach kaltgestellt. In Preußen faßte der Polizeiminister Wittgenstein alle staatlichen Krfte zusammen, um diejenigen zu bekmpfen, die weiterhin nationale und liberale Ziele verfolgten. Ausgelçst durch die Ermordung des als Gegner demokratischer Freiheiten geltenden Dichters August von Kotzebue durch den Studenten und Burschenschaftler Karl Ludwig Sand in Mannheim setzte am 7. Juli 1819 eine gut vorbereitete Verhaftungswelle auch und gerade in Berlin ein. Bei der sogenannten Demagogenverfolgung wurde neben fîhrenden Burschenschaftlern auch Friedrich Ludwig Jahn verhaftet, der in der Berliner Hasenheide die deutsche Turnbewegung gegrîndet hatte. Nach den Karlsbader Beschlîssen von 1819, die u. a. die ˜berwachung der Universitten und die Buch- und Pressezensur beinhalteten, hatte die liberale Phase in Preußen ihr Ende gefunden. Der Kçnig entließ Wilhelm von Humboldt, Polizeispitzel îberwachten die Predigten Friedrich Schleiermachers, und fîhrende Reprsentanten des Staates, wie der Freiherr vom Stein, der General v. Gneisenau und der Philosoph und Schriftsteller Ernst Moritz Arndt wurden beschattet. Die Gefngnisse in der Berliner Hausvogtei und im Kçpenicker Schloß gelangten zu einer traurigen Berîhmtheit. Wer an einer patriotischen Erinnerungsfeier an die Befreiungskriege teilnahm, konnte sich verdchtig machen, und Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ erhielten 1824 in der preußischen Hauptstadt keine Druckerlaubnis mehr. Das çffentliche Leben stagnierte. Bis in die dreißiger Jahre war von Widerstand und Opposition gegen diese Politik wenig zu spîren. Unruhen, ausgelçst durch die franzçsische Julirevolution, wurden durch Verschrfung der Verfolgungsmaßnahmen im Keim erstickt.319 Das politische Klima wirkte sich auch auf die Verwaltung der Hauptstadt aus. Neben dem Magistrat war die wichtigste Behçrde der Polizeiprsident, der das Recht hatte, Anweisungen direkt an den Magistrat zu richten. Er unterstand dem Innenminister und ihm oblag die Wahrnehmung aller Aufgaben im Be319 I. Mieck, Von der Reformzeit … (s. Anm. 288), S. 523 – 538 („Restauration und Biedermeier 1815 – 1840“).

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reich der Sicherheitspolizei, der Kriminalpolizei, der Sittenpolizei, der Zensur, der Verkehrspolizei, der Gewerbepolizei und der politischen Polizei. Neben dem Paß- und Fremdenwesen fielen auch das Beleuchtungs-, Reinigungs- und Feuerlçschwesen in den Dienstbereich des Polizeiprsidenten. Oberbîrgermeister war in den Jahren 1813 bis 1831 Johann Bîsching. In seine Amtszeit fiel die schwierige Realisierung der Stdteordnung, insbesondere die allmhliche Klrung der konkurrierenden Zustndigkeiten von staatlichen und stdtischen Behçrden. Zu erheblichen Konflikten innerhalb der Berliner Verwaltung kam es, nachdem 1831 die „Revidierte Stdteordnung“ in Berlin und anderen preußischen Orten eingefîhrt werden sollte. Im Anschluß an die Julirevolution von 1830 in Frankreich waren „Maßregeln zur Erhaltung der Ruhe in Deutschland“ beschlossen worden. In Preußen bedeutete dies vor allem eine schrfere ˜berwachung der stdtischen Organe durch die zentralen Staatsbehçrden. Die Rechte der Stadtverordnetenversammlung wurden zugunsten des Magistrats eingeschrnkt. Als der 1831 gewhlte Oberbîrgermeister Friedrich von Brensprung auch noch die kollegiale Geschftsfîhrung abschaffte und die disziplinare Gewalt îber seine Kollegen forderte, kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb des Magistrats.320 1834 trat Oberbîrgermeister von Brensprung zurîck, neues Stadtoberhaupt wurde Heinrich Wilhelm Krausnick,321 ein Jurist, der bis 1862 amtierte. Um in Zukunft hnliche Konflikte zu vermeiden, bestimmte ein gleichzeitig erlassenes „Regulativ îber das Geschftsverfahren fîr den Magistrat von Berlin“ den Oberbîrgermeister zum unmittelbaren Vorgesetzten der Mitglieder des Magistrats und seiner Beamten. Er war fortan die entscheidende Kraft bei der Gestaltung und Lenkung der stdtischen Geschicke. Die Verwaltung Berlins erwies sich in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts als ußerst schwierig. Eine Ursache war sicherlich die rasche Zunahme der Einwohnerzahl. In den drei Jahrzehnten nach den Befreiungskriegen verdoppelte sich die Bevçlkerung der Haupt- und Residenzstadt von knapp 200.000 auf gut 400.000 Einwohner. Damit stand Berlin - nach London, Paris und St. Petersburg - an der vierten Stelle der europischen Metropolen. Die Zuwanderer, die diesen Anstieg bewirkten, kamen in ihrer Mehrzahl aus anderen preußischen Gebieten, vor allem aus dem Regierungsbezirk Potsdam und aus der Provinz Sachsen. Dieser enorme Anstieg der Bevçlkerung durch Zuwanderer, die sich in der aufstrebenden Großstadt Arbeits- und Beschftigungs320 Zu Brensprung vgl. Gunther Hildebrandt, Friedrich von Brensprung, in: W. Ribbe, Stadtoberhupter … (s. Anm. 292), S. 67 – 82. 321 Jîrgen Wetzel, „… taub fîr die Stimme der Zeit“. Zwischen Kçnigstreue und Bîrgerinteressen. Berlins Oberbîrgermeister H. W. Krausnick von 1834 bis 1862. Ausstellungskatalog, Berlin 1986; sowie Ders., Wilhelm Krausnick, in: W. Ribbe, Stadtoberhupter … (s. Anm. 292), S. 83 – 106.

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mçglichkeiten erhofften, ließ auch die sozialen Probleme der Stadt anwachsen. Die Gegenstze zwischen dem begîterten Teil der Bevçlkerung und der großen Zahl der Arbeiter, Tagelçhner, Handwerksgesellen und kleinen Gewerbetreibenden, die eine notdîrftige Existenz fristeten, verschrften sich zunehmend. Die Verdoppelung der Einwohnerzahl fîhrte zu einer verstrkten Bebauung der innerstdtischen Bereiche, aber auch außerhalb der Stadtmauern nahm jetzt die Zahl der Wohngebude zu. Immer mehr Industriebetriebe siedelten sich außerhalb der Stadtmauern an. Berlin wuchs îber die alten Stadtgrenzen hinaus. Die kleinen Dçrfer des Umlandes, wie Schçneberg oder Wedding, entwickelten sich auf die Stadt zu und wurden spter eingemeindet.322

§ 6 Die Hauptstadt Preußens in der konstitutionellen Monarchie Whrend im politischen Bereich liberale Bestrebungen unterdrîckt wurden, orientierte sich die Gewerbe- und Wirtschaftspolitik der Restaurationszeit an freihndlerischen Ideen sowie am Konkurrenz- und Marktdenken. Die Gewerbefreiheit war schon 1810 eingefîhrt worden. Durch das neue Zollgesetz, das Preußen in ein einheitliches Wirtschafts- und Zollgebiet verwandelte, kam 1818 die fast uneingeschrnkte Handelsfreiheit hinzu. Fîr die preußische, vor allem aber fîr die Berliner Wirtschaft ergaben sich daraus zunchst schwierige Anpassungsprobleme, die jedoch durch die wirtschaftliche Aktivitt des preußischen Staates rasch îberwunden wurden. Ohne die liberalen Grundstze preiszugeben, entwickelte der Direktor der Abteilung fîr Handel und Gewerbe im preußischen Finanzministerium, Christian Peter Wilhelm Beuth, ein gut funktionierendes Belehrungs-, Fçrderungs- und Unterstîtzungsprogramm fîr die Wirtschaft. Erstes Ziel war der Aufbau einer konkurrenzfhigen Industrie und damit der Anschluß an die europischen Industriestaaten, insbesondere an England.323 Der Erfolg dieser Politik bewirkte die wirtschaftliche Vormachtstellung Preußens im deutschen Raum mit Berlin als einem Flaggschiff. In der preußischen Hauptstadt entfaltete sich in den dreißiger Jahren voll der Prozeß der industriellen Revolution, der bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts andauern sollte. Die Modernisierung der Berliner Industrie, deren Grundlage 322 F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), bes. S. 138 – 194 („Stadt-UmlandBeziehungen in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts“); E. Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Steinschen Stdteordnung, zuletzt in: Ders., Beitrge zur Berliner Geschichte … (s. Anm. 46), S. 234 – 276, bes. S. 245 – 271 („Die Festsetzung des Weichbildes bis zum Rezeß vom 21. 6. 1841“). 323 Ilja Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806 – 1844. Staatshilfe und Privatinitiative zwischen Merkantilismus und Liberalismus (= VerçffHistKommBerlin, 20), Berlin 1965.

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die Dampfmaschine war, fîhrte zum Ausbau der Maschinenbau- und Metallindustrie und zur Herausbildung einer Konfektionsindustrie. Aktiengesellschaften und neue Banken wurden gegrîndet. Von besonderer Bedeutung erwies sich die Entwicklung des Verkehrs, besonders der Bau der Eisenbahnen. Am 29. Oktober 1838 erlebte die Hauptstadt die feierliche Erçffnung der Eisenbahnstrecke in die Residenz Potsdam.324 Ein Jahrzehnt spter war Berlin schon der wichtigste Eisenbahnknotenpunkt im weitverzweigten preußischen Eisenbahnnetz. Der hohe Stand der Berliner Wirtschaft zeigte sich auch bei der Gewerbeausstellung 1844 im Zeughaus. Obgleich fast die gesamte Produktion des Zollvereins und darîber hinaus ganz Deutschlands vertreten war, konnten die Berliner Fabrikanten zahlreiche Auszeichnungen erringen.325 Es gehçrt zu den Widersprîchlichkeiten in der Geschichte Berlins, daß gerade in einer Zeit politischer Unterdrîckung und aufziehender sozialer Probleme Wissenschaft und Bildung, Kunst und Kultur eine ihrer glanzvollsten Epochen erlebten. Der Ruf der Berliner Universitt mit der grçßten Anzahl von Studenten aller deutschen Hochschulen und mit Gelehrten von Rang wie Fichte, Schleiermacher, Hegel, Schelling, Niebuhr und Ranke, um nur einige zu nennen, reichte weit îber die deutschen Grenzen hinaus. Die Kçnigliche Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Kînste besaßen europisches Format. Daneben gab es eine Fîlle hçherer Bildungs- und Lehranstalten, Akademien, Gymnasien, hçherer Bîrgerschulen und Mittelschulen fîr Sçhne und Tçchter. Das Volksschulwesen, das lange Zeit vernachlssigt worden war, erfuhr seit den dreißiger Jahren erhebliche Verbesserungen, und nach 1850 blieben keine schulpflichtigen Kinder mehr ohne Unterricht.326 In der Phase zwischen Freiheitskriegen und der Revolution beruhte die kînstlerische Bedeutung der preußischen Hauptstadt vor allem auf dem Werk Karl Friedrich Schinkels. Ihm verdankt Berlin bedeutende Bauten. „Schinkels Berlin“, das waren u. a. das Nationaldenkmal fîr die Freiheitskriege auf dem Kreuzberg, die Neue Wache, das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das (Alte) Museum, die Schloßbrîcke, die Friedrichwerdersche Kirche, die Bauakademie. Viele private Wohn- und Landhuser und mehrere Kirchen, auch außerhalb Berlins, waren sein Werk. ˜ber die Stadtarchitektur hinaus beeinflußte Schinkel auch die Innenarchitektur, das Kunstgewerbe und die Bîhnenbildnerei. Neben ihm waren es Gottfried Schadow, Christian Daniel Rauch, 324 Stefan Handke, Die Eisenbahn Berlin-Potsdam, Berlin 1888, bes. Kapitel 1: Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn, S. 9 – 28. 325 I. Mieck, Preußische Gewerbepolitik … (s. Anm. 323), S. 147 – 149 und S. 231 – 235; Amtlicher Bericht îber die allgemeine Deutsche Gewerbe-Ausstellung zu Berlin im Jahre 1844, 3 Bde., Berlin 1845 – 1846; Eberhard Schmieder, Wirtschaftsgeschichte Berlins im 19. und 20. Jahrhundert, in: Heimatchronik Berlin, Kçln 1962, S. 663 – 760, bes. S. 705. 326 Zusammenfassend: Ilja Mieck, Von der Reformzeit … (s. Anm. 288), S. 531 – 534.

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Friedrich Tieck, die Gebrîder Wichmann und August Riß, die dieser Kunstepoche ihr Geprge gaben, einer Epoche, in der Theater und Oper eine große Rolle spielten. 1821 erlebten die Berliner begeistert die Urauffîhrung der Oper „Der Freischîtz“ von Carl Maria von Weber. Felix Mendelssohn Bartholdy, Karl Friedrich Zelter und Giacomo Meyerbeer bestimmten das Musikleben der Stadt. In der Malerei ist vor allem Adolph Menzel, in der Literatur sind Willibald Alexis, Adelbert von Chamisso und E. T. A. Hoffmann, fîr kîrzere Zeit auch Heinrich Heine, zu nennen. Die Salons der Rahel Varnhagen und der Henriette Herz, in denen sich literarisch, wissenschaftlich und politisch Interessierte trafen, erlangten ebenso Berîhmtheit wie der Klub um Bettina von Arnim. Sie alle trugen dazu bei, die Bedeutung Berlins als Stadt der Wissenschaften und der Kînste zu festigen und zu mehren.327 Am 7. Juni 1840 starb Friedrich Wilhelm III. Im Gegensatz zu ihm residierte sein ltester Sohn und Nachfolger standesgemßer. Friedrich Wilhelm IV. bezog bereits 1815 als Kronprinz Rumlichkeiten im Berliner Schloß, mit der Erasmuskapelle als „Arbeitszimmer“.328 Das schloß aber ein Engagement fîr die Residenz Potsdam nicht aus, die ihm u. a. die Anlage von Charlottenhof verdankt.329 Auch als Kçnig hielt Friedrich Wilhelm IV. zunchst am Berliner Stadtschloß als Residenz fest, wobei er Schloß und Schloßbezirk als Staatsmitte ausbauen ließ. Bereits die Huldigung fand vor und in dem Schloß statt, dessen umgestalteter Weißer Saal nun als hoheitlicher Mittelpunkt Preußens gelten konnte.330 Der Regierungsantritt seines Nachfolgers war mit großen politischen Erwartungen verknîpft. Die ersten Handlungen des Kçnigs schienen diese Erwartungen auch zu rechtfertigen. Friedrich Wilhelm IV.331 beendete mit einer Amnestie zunchst die politischen Verfolgungen. Der wegen der Demagogenjagd gehaßte Justizminister von Kamptz erhielt seine Entlassung. Der Kçnig milderte auch die Zensur. Den aus Gçttingen verjagten Brîdern Jacob und Wilhelm Grimm gewhrte er Asyl und eine neue Wirkungssttte an der Akademie der Wissenschaften. Doch es zeigte sich bald, daß die Hoffnungen trogen.332 Erste Anzeichen konnten schon zuvor, bei den Trauerfeierlichkeiten fîr 327 I. Mieck, Von der Reformzeit … (s. Anm. 288), S. 534 – 538. 328 E. Bçrsch-Supan, Die Residenzlandschaft Berlin-Potsdam … (s. Anm. 318), S. 174 – 178. 329 E. Bçrsch-Supan, Die Residenzlandschaft Berlin-Potsdam … (s. Anm. 318), S. 178 – 186. 330 H. Engel, Schauplatz Staatsmitte … (s. Anm. 284), S. 89 – 106. 331 David E. Barclay, Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995. 332 Vgl. dazu das Kapitel „Der Berliner Vormrz (1840 – 1847)“ bei I. Mieck, Von der Reformzeit … (s. Anm. 288), S. 587 – 602; vgl. auch D. E. Barclay, Anarchie und guter Wille … (s. Anm. 331), S. 91.

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Friedrich Wilhelm III. und der danach folgenden Huldigung des neuen Monarchen, an der annhernd 50.000 Menschen teilnahmen, ausgemacht werden. Auf dem gesamten Areal vor dem Berliner Schloß waren Schranken errichtet, in denen Gste und Zuschauer, sorgfltig nach Stnden und Berufen getrennt, ihre Pltze erhielten. Die Feierlichkeiten waren fîr den 45. Geburtstag Friedrich Wilhelms IV. am 15. Oktober 1840 anberaumt. Mit dem Huldigungsakt sollte der Kçnig einerseits die bestehenden Privilegien der einzelnen Stnde besttigen und diese wiederum dem neuen Kçnig ihre Treue schwçren. Das aufstrebende Bîrgertum erwartete von Friedrich Wilhelm IV. die Einlçsung des Versprechens seines Vaters von 1815, dem Lande eine (geschriebene) Verfassung zu geben. Um aber „Mißverstndnisse“ auszurumen, machte der Kçnig am 4. Oktober in einem Dekret seine Ablehnung dazu deutlich. Außerdem sah das HuldigungsReglement vor, daß die Ritterschaft ihre Ehrerbietung im Schloß darbringen durfte, whrend fîr die Deputierten der Stdte und Landgemeinden der Lustgarten vorgesehen war. Letztere waren zwar îber die Bevorzugung des Adels empçrt, fîgten sich aber den Anordnungen. Der 15. Oktober 1840 war ein kalter, regnerischer Tag. Seit den frîhesten Morgenstunden hatten Deputierte und Zuschauer ihre Pltze eingenommen, bejubelten den Weg des Kçnigs zum Gottesdienst in den Berliner Dom, danach seine Rîckkehr ins Schloß und warteten geduldig weitere zwei Stunden – so lange dauerte die Zeremonie im Schloß – um einem Kçnig zu huldigen, der Preußen erhalten wollte, wie „es ist und wie es bleiben muß“. Im Namen der Berliner Bîrgerschaft und der Vertreter aller anderen Stadt- und Landgemeinden sprach Oberbîrgermeister Krausnick von den untersten Stufen der Riesentreppe herauf zum Kçnig und versicherte ihm bei strçmendem Regen unverbrîchliche Treue und untertnigen Gehorsam. Kanonendonner und Glockengelut und der gemeinsame Gesang des Liedes „Nun danket alle Gott“ beendeten die Zeremonie. Vollstndig durchnßt verließen die Teilnehmer den Lustgarten.333 Die nicht mehr zeitgemße Herrschaftsauffassung Friedrich Wilhelms IV. zeigt sich nicht nur beim Huldigungszeremoniell in seiner Hauptstadt. Der neue Kçnig war vor allem nicht gewillt, das Verfassungsversprechen seines Vaters von 1815 einzulçsen. Die Enttuschung darîber schlug in Unzufriedenheit um, als konservative und reaktionre Krfte Schlîsselstellungen in Regierung, Universitt und Rechtsprechung erhielten. Wer çffentlich eine neue Verfassung forderte, mußte mit einem Hochverratsprozeß rechnen. Diese starre Haltung des 333 ˜ber die Huldigungsfeierlichkeiten berichtet als Zeitzeuge Adolf Streckfuss, 500 Jahre Berliner Geschichte. Vom Fischerdorf zur Weltstadt. Geschichte und Sage, Berlin 31880, S. 872 – 877. Vgl. auch Karl Streckfuss, Der Preußen Huldigungsfest. Nach amtlichen und andern sicheren Nachrichten und eigener Anschauung … zusammengestellt, Berlin 1840. Das Huldigungsgemlde von Franz Krîger stellt auch die Situation mit der Ansprache des Oberbîrgermeisters deutlich dar.

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neuen Regimes fîhrte zu einer zunehmenden politischen Radikalisierung und zu einer allgemeinen Politisierung der §ffentlichkeit in der preußischen Hauptstadt. Neben akademischen Diskussionsrunden, an denen u. a. der Student Karl Marx und der in der preußischen Hauptstadt seinen Militrdienst ableistende Friedrich Engels teilnahmen, gab es ein breites Spektrum politisch Interessierter. Sie trafen sich in den berîhmten Lesecaf¤s und Konditoreien der Stadt. Hier lagen inlndische, vor allem aber auslndische Zeitungen aus, die man begierig las, um Ereignisse und Vorgnge in Wien oder Paris zu diskutieren und auf die eigene Situation zu beziehen. In dieser Zeit soll es ungefhr hundert Konditoreien und zwanzig bis dreißig Weinstuben dieser Art in Berlin gegeben haben. Sie boten Raum fîr die Debatten um Pressefreiheit und Verfassung.334 Von hoher politischer Bedeutung war auch die Grîndung des Berliner Handwerker-Vereins im Jahr 1844. Sein Ziel war zwar vornehmlich die theoretische und praktische Fortbildung der Gesellen und Meister; politische Bettigung war ihm nicht erlaubt. Dennoch bildete die Politik einen Schwerpunkt der vereinsinternen Diskussionen, und der Verein spielte eine wichtige Rolle bei der politischen Bewußtseinsbildung seiner Mitglieder.335 Die Politisierung ergriff aber auch die unteren Schichten der Bevçlkerung, wie der illegale „Bund der Gerechten“ zeigt, der als der erste Ansatz einer organisierten Berliner Arbeiterbewegung gesehen werden kann.336 Die Unzufriedenheit der Hauptstdter wuchs stetig. Whrend die politischen Hoffnungen des liberalen Bîrgertums immer wieder enttuscht wurden, verschrfte sich die soziale Situation eines großen Teils der Bevçlkerung. Vor allem die Nachrichten vom schlesischen Weberaufstand 1844, die sich in Windeseile verbreiteten, lenkten die Aufmerksamkeit der Bîrger auch auf die sozialen Probleme in ihrer eigenen Stadt. Die allgemeinen Lebensbedingungen der untersten Schichten, zu denen man in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts mindestens hunderttausend Menschen rechnen konnte, waren katastrophal. Ein ˜berangebot an Arbeitskrften çffnete jeglicher Willkîr Tîr und Tor. Extrem niedrige Lçhne, îberlange Arbeitszeiten (zwçlf bis siebzehn Stunden tglich), das Fehlen jeglicher sozialer Absicherung bei Krankheit, Invaliditt, Arbeitslosigkeit, keine Altersversorgung, Mitarbeit der Ehefrauen bei noch niedrigeren Lçhnen, zunehmende Kinderarbeit und - dadurch bedingt - mangelnde Schulausbildung sowie menschenunwîrdige Wohnverhltnisse kennzeichneten die materielle Lage dieser Menschen. Das Armenwesen nahm immer 334 Friedrich Sass, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung, Berlin 1846; neu hg. v. Detlef Heikamp, Berlin 1983, S. 39 – 59. 335 Stefan Born, Erinnerungen eines Achtundvierzigers, Leipzig 31898; sowie die Kurzbiographie in: Rîdiger Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997, S. 935 f. 336 R. Hachtmann, Berlin 1848 … (s. Anm. 335), bes. Teil IV: Die wirtschaftliche Entwicklung, soziale Lage und Konfliktverhalten, S. 346 – 476.

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grçßere Dimensionen an, die Verelendung breiter Bevçlkerungskreise konnte nicht verhindert werden. Wie gespannt die politische und soziale Situation in der Stadt war, zeigte 1844 das Attentat des ehemaligen Bîrgermeisters von Storkow, Heinrich Ludwig Tschech, auf den Kçnig, bei dem dieser leicht verletzt wurde, sowie ein Streik der Kattundrucker im selben Jahr.337 Danach verschlechterte sich das politische Klima noch mehr. Als nach einer schweren Mißernte die Preise fîr Kartoffeln, Getreide und andere Grundnahrungsmittel erheblich anstiegen, kam es zu Unruhen und Plînderungen in der Hauptstadt. Auf dem Gendarmenmarkt stîrmte die Menge die Marktstnde, und nur mit Hilfe des Militrs konnte die Ruhe nach drei Tagen wiederhergestellt werden. Mehr als 300 Teilnehmer an dieser sogenannten Kartoffelrevolution wurden verhaftet. Zur gleichen Zeit tagte der Vereinigte Landtag in Berlin. In seiner Erçffnungsrede machte der Kçnig noch einmal deutlich, daß er eine kodifizierte, als Gesetz beschlossene Verfassung nicht akzeptieren werde. Die Gegenstze waren grçßer denn je, und der Landtag ging nach sechs Wochen ohne wesentliche Ergebnisse auseinander. Die Verfolgung mißliebiger und oppositioneller Krfte nahm zu, und die Entfremdung zwischen dem Kçnig und seinem Volk, insbesondere dem seiner Hauptstadt Berlin, wurde immer strker.338 Als Folge der Februar-Revolution in Frankreich, die zur Abdankung des Kçnigs und zur Ausrufung der Republik fîhrte, kam es auch in den Staaten des Deutschen Bundes zu revolutionren Unruhen. Die politischen Auseinandersetzungen in Preußen konzentrierten sich auf die Hauptstadt, auf die kçnigliche Hauptresidenz, das Machtzentrum des Staates. Hier waren çffentliche politische Diskussionen oder gar Demonstrationen nicht erlaubt, und so fanden in den Biergrten und vor den Toren der Stadt „in den Zelten“ (im Tiergarten) zahlreiche politische Versammlungen und Demonstrationen statt,339 die in eine „Adresse an den Kçnig“ mîndeten. In dieser Adresse, die den Kçnig nicht erreichte, wurden freiheitliche Forderungen erhoben. Die angespannte Lage verschrfte sich dramatisch, als nach Beendigung einer Zeltenversammlung Soldaten auf Befehl des Polizeiprsidenten die in die Stadt strçmende friedliche 337 Heidrun Homburg, Kleingewerbe in den Hauptstdten Paris – Berlin. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und konjunkturelle Entwicklung im Vorfeld der Revolution von 1848. Eine Skizze, in: Ilja Mieck / Horst Mçller / Jîrgen Voss (Hg.), Paris und Berlin in der Revolution 1848. Gemeinsames Kolloquium der Stadt Paris, der Historischen Kommission zu Berlin und des Deutschen Historischen Instituts (Paris, 23.–25. 11. 1992), Sigmaringen 1995, S. 137 – 152. 338 Adolf Wolff, Berliner Revolutionschronik. Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848 nach politischen, socialen und literarischen Beziehungen, 3 Bde., Berlin 1851 – 1854, passim. 339 Bernd Hildebrandt (Red.), 1848. Volksversammlungen In den Zelten – Kinderstube der Demokratie, Berlin 1998.

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Menge angriffen. Zwischen dem Brandenburger Tor und dem Schloß kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, bei denen viele Menschen verletzt wurden.340 Nun erreichten weitere politische Forderungen den Kçnig: Rîckzug des Militrs, Versammlungsfreiheit, Presse- und Redefreiheit, politische Gleichberechtigung aller Bîrger ohne Rîcksicht auf Besitz und religiçses Bekenntnis, Einberufung des Landtages, bewaffnete Bîrgerwehr. In dieser Situation sagte die preußische Regierung die Pressefreiheit sowie die Einberufung des Landtages zu und stellte weitere Reformen in Aussicht. Als am selben Tag, dem 18. Mrz 1848, auf einer großen Kundgebung, an der etwa 10.000 Menschen teilnahmen, die Proklamation verlesen werden sollte, rîckte plçtzlich Militr an und Schîsse fielen. Damit begann der blutige Akt der Revolution.341 Aus herumliegenden Baumaterialien, aus Marktstnden und Transportkarren wurden Barrikaden errichtet.342 Bei den Kmpfen gab es zahlreiche Tote und Verwundete auf beiden Seiten. Die preußische Hauptstadt war zum Zentrum der Mrzrevolution geworden. Nach vierzehnstîndigem blutigem Kampf verfaßte der Kçnig die Proklamation „An meine lieben Berliner“, in der er zur Rumung der Barrikaden aufforderte.343 Die Revolutionre verlangten jedoch zuvor den Abzug des Militrs, und um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, rief der Kçnig die Truppen zunchst in die Kasernen zurîck und ließ sie dann aus der Stadt abmarschieren. Darîber hinaus sagte Friedrich Wilhelm IV. die Umbildung der Regierung zu und genehmigte die Bewaffnung der Bîrger. Auch mußte der 340 Adolf Streckfuss, Die Mrzrevolution in Berlin. Ein Augenzeuge erzhlt, hg. v. Horst Denkler mit Irmgard Denkler, Kçln 1982, bes. Kapitel II: Berlin in der Revolutionszeit, S. 55 ff.; Ernst Kaeber, Berlin 1848. Zur Hundertjahrfeier der Mrzrevolution im Auftrage des Magistrats dargestellt, Berlin 1948, bes. Kapitel 1, S. 7 – 34. 341 Aus der Sicht des verantwortlichen Generals: Karl Ludwig von Prittwitz, Berlin 1848. Das Erinnerungswerk des Generalleutnants Karl Ludwig von Prittwitz und andere Quellen zur Berliner Mrzrevolution und zur Geschichte Preußens um die Mitte des 19. Jahrhunderts (= VerçffHistKommBerlin, 60), bearb. und hg. v. Gerd Heinrich, Berlin 1985. 342 Vgl. dazu die Kartierung der Ereignisse von Gerd Heinrich, Berlin am 18. und 19. Mrz 1848. Mrzrevolution, Militraufgebot und Barrikadenkmpfe (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin. Nachtrge, 6), Berlin/New York 1980. 343 A. Streckfuss, Die Mrzrevolution in Berlin … (s. Anm. 340), S. 108 – 125. In seiner Ansprache versuchte der Kçnig, fremde Rdelsfîhrer aus Frankreich und Polen fîr die politischen Unruhen in seiner Hauptstadt verantwortlich zu machen. Dazu: Katharina Rosenplenter, Eine Rotte von Bçsewichtern. Auslndische Agitatoren als Anfîhrer der Berliner Mrzunruhen?, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen III (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 66), Berlin 1988, S. 43 – 51. Die Verf. gelangt zu dem Schluß: „Anhand der Namenlisten der Gefallenen lassen sich keine Auslnder als Teilnehmer an den Kmpfen feststellen“ (S. 51). Die kçnigliche Verschwçrungstheorie widerlegt auch Ilja Mieck, Auslnder und Immigranten in Berlin 1848, in: I. Mieck / H. Mçller / J. Voss (Hg.), Paris und Berlin … (s. Anm. 337), S. 215 – 228.

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Kçnig persçnlich erscheinen, um den Toten seine Referenz zu erweisen. Alle, die wegen Verstoßes gegen die Pressezensur und anderer politischer Vergehen verurteilt waren, wurden amnestiert. Am 21. Mrz ritt der Kçnig mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde durch die Stadt. Er bewilligte eine verfassunggebende Nationalversammlung in Preußen und verkîndete, daß er an die Spitze der deutschen Bewegung fîr Freiheit und Einheit trete. Preußen sollte fortan in Deutschland aufgehen. Am 22. Mrz fand die feierliche Beisetzung der 183 bei den revolutionren Unruhen im Mrz Gefallenen im Friedrichshain statt. Bei den Toten handelte es sich um Berliner Arbeiter, Handwerksgesellen, kaufmnnische Angestellte, aber auch um Angehçrige der „gebildeten Stnde“.344 Die Revolution bescherte den Bewohnern der preußischen Hauptstadt große und kleine Freiheiten: Von nun an durfte auf der Straße geraucht werden.345 Presse- und Versammlungsfreiheit ließen ein lebhaftes çffentliches Leben zu. Berlin wurde mit Flugblttern, Maueranschlgen und Plakaten îberschwemmt, und eine politische Presse entstand.346 In den letzten Mrztagen 1848 bildeten sich in der preußischen Hauptstadt die ersten politischen Vereinigungen als Vorlufer der politischen Parteien, Gleichgesinnte schlossen sich in den sogenannten „Klubs“ zusammen. Zu den bedeutendsten zhlte der „Politische Klub“, aus dem sich spter dann der „Demokratische Klub“ entwickelte. Er forderte die vollstndige Verwirklichung der Volkssouvernitt. Der „Konstitutionelle Klub“ fand vor allem in konservativen Kreisen Anhnger und Unterstîtzung. Aus der Arbeiterschaft bildete sich der „Arbeiterklub“, an dessen Spitze der Drucker Stefan Born stand. Im April 1848 kam es dann zur Grîndung des „Zentralkomitees fîr Arbeiter“. Dieser erste Schritt zur organisatorischen Verselbstndigung der Arbeiterschaft fîhrte schließlich zum ersten „Allgemeinen Arbeiterkongreß“, der vom 23. August bis 3. September 1848 ebenfalls in Berlin stattfand.347 344 Heike Abraham, Der Friedrichshain. Die Geschichte eines Berliner Parks von 1840 bis zur Gegenwart (= Miniaturen zur Geschichte, Kultur und Denkmalpflege Berlins, 27), Berlin 1988; Jan Feustel, Spaziergnge in Friedrichshain (= Berlinische Reminiszenzen, 64), Berlin 1994; A. Streckfuss, Die Mrzrevolution in Berlin … (s. Anm. 340), S. 181 – 194. 345 Manfred Gailus, Rauchen in den Straßen und anderer Unfug. Kleine Straßenkonflikte (Polizeivergehen) in Berlin 1830 bis 1850, in: W. Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen III … (s. Anm. 343), S. 11 – 42. 346 Ursula E. Koch, La presse et son public ” Paris et ” Berlin (1848/49). Une ¤tude exploratoire, in: I. Mieck / H. Mçller / J. Voss, Paris und Berlin … (s. Anm. 337), S. 19 – 78. 347 Zusammenfassend: Wolfram Siemann, Politische Vereine whrend der Revolution von 1848/49 in Berlin, in: I. Mieck / H. Mçller / J. Voss, Paris und Berlin … (s. Anm. 337), S. 79 – 87; zu einzelnen politischen Gruppierungen u. a. Hartwig Gebhardt, Revolution und liberale Bewegung. Die nationale Organisation der konstitu-

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Auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Stimmrechts fîr Mnner wurden im Mai die Wahlen zur Preußischen und zur Deutschen Nationalversammlung durchgefîhrt. Whrend am 18. Mai 1848 das erste gesamtdeutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche tagte, trat die Preußische Nationalversammlung am 20. Mai in der Berliner Singakademie zusammen, um in harten Auseinandersetzungen eine Verfassung zu beraten. Spter verlegte sie ihre Sitzungen in das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Anders als bei der vorangegangenen Wahl zur Preußischen Nationalversammlung, in der in einem indirekten Wahlverfahren 60.000 Urwhler die Wahlmnner in 140 Bezirken whlten, spiegelte die Wahl zur Berliner Stadtverordnetenversammlung Ende Mai 1848 kaum die Errungenschaften der Revolution wider. Es galt noch die Stdteordnung von 1808, und nur 25.000 Bîrger waren wahlberechtigt. Die neue Stadtverordnetenversammlung blieb denn auch eine Vertretung der Hausbesitzer und Inhaber von Gewerbebetrieben. Entschiedene Anhnger des demokratischen Gedankens wurden nicht gewhlt. Magistrat und Stadtverordnete standen vor schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. In der Stadt herrschte erhebliche Arbeitslosigkeit. Allein die Berliner Maschinenbaufabriken hatten wegen der schlechten Absatzlage 4.000 Arbeiter entlassen. Die staatlichen und stdtischen Behçrden entschlossen sich zu umfangreichen Notstandsarbeiten. So viele Erwerbslose wie mçglich wurden beim Kanalbau am Landwehrgraben, am Spandauer Kanal und in Wedding eingesetzt.348 Stçrungen und Unruhen waren an der Tagesordnung. Bei der Auseinandersetzung um die systematische Bewaffnung des Volkes stîrmten Demonstranten das Zeughaus und plînderten private Waffengeschfte. Magistrat und Stadtverordnete verurteilten çffentlich diese „verbrecherischen Handlungen“ und bildeten eine „Sicherheitsmannschaft“ zur polizeilichen ˜berwachung der Straße.349 Nachdem sich in Paris und Wien die Reaktion durchgesetzt hatte, siegte in der ersten Novemberhlfte auch in der preußischen Hauptstadt die Staatsmacht îber die liberal-republikanischen Tendenzen. Zunchst setzte Friedrich Wilhelm IV., der in einem Brief an Camphausen geschrieben hatte, „daß die Eiterbeule Berlin operiert werden muß“350 und der nun die Meinung tionellen Partei in Deutschland 1848/49, Bremen 1974; Wolfgang Schwentker, Konservative Vereine und Revolution in Preußen 1848/49. Die Konstituierung des Konservatismus als Partei, Dîsseldorf 1988; zu den einzelnen „Clubs“ vgl. Joachim Paschen, Demokratische Vereine und preußischer Staat. Entwicklung und Unterdrîckung der demokratischen Bewegung whrend der Revolution von 1848/49, Mînchen 1977. 348 R. Hachtmann, Berlin 1848 … (s. Anm. 335), S. 346 – 470. 349 Manfred Gailus, Straße und Brot. Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berîcksichtigung Preußens 1847 – 1849, Gçttingen 1990. 350 Friedrich Wilhelm IV. an Camphausen, 18. Juni 1848, in: Erich Brandenburg (Hg.), Kçnig Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, Berlin 1906, S. 178.

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vertrat, „was Not tut, ist die Zhmung Berlins“, ein neues konservatives Kabinett ein, das îberwiegend aus Offizieren und Beamten bestand. Die Regierung verschob wegen der Unruhen die Sitzungen der Nationalversammlung und verkîndete ihre Verlegung aus der Hauptstadt weg in die Provinz nach Brandenburg an der Havel, dem mittelalterlichen Vorort der Mark. Vergeblich versuchten die Abgeordneten, in Berlin weiter zu tagen. Inzwischen waren preußische Truppen unter dem Befehl des Generals von Wrangel in die Stadt einmarschiert, der am 12. November den Belagerungszustand verkîndete. Zuvor waren die Pressefreiheit aufgehoben, die Bîrgerwehr und die Nationalversammlung aufgelçst worden. Am 6. Dezember 1848 oktroyierte Friedrich Wilhelm IV. eine Verfassung, die zwar die kçnigliche Gewalt strkte, zur ˜berraschung konservativer Kreise aber auch liberale Zugestndnisse enthielt. Sie machte Preußen zu einer konstitutionellen Monarchie und ließ noch auf die Reformfhigkeit des preußischen Staates hoffen.351 Doch Friedrich Wilhelm IV. drngte schon nach kurzer Zeit auf eine Revision dieser Verfassung, da sie zu sehr „vom Zeitgeist des Liberalismus“ durchdrungen sei. Politische Mitbestimmungsrechte wurden kassiert und vor allem das allgemeine Wahlrecht durch das Dreiklassen-Wahlrecht, das in Preußen bis zum Ende der Monarchie in Kraft bleiben sollte, ersetzt. Nachdem im Frîhjahr 1849 îberall in Deutschland die Reaktion gesiegt und der preußische Kçnig seine Wahl zum deutschen Kaiser durch die Paulskirchen-Versammlung abgelehnt hatte, waren der Versuch, einen parlamentarisch-monarchischen Verfassungsstaat zu schaffen ebenso gescheitert wie die Bemîhungen um eine nationale Einigung. Am 26. Februar 1849 erçffnete er im Weißen Saal das nach der neuen, ihm aufgezwungenen Verfassung gewhlte Parlament, am 6. Februar 1850 leistete er im Rittersaal den Eid auf die preußische Verfassung.352 Nach den fîr ihn demîtigenden Erlebnissen der Revolutionstage und der anschließenden politischen Entwicklung mied Friedrich Wilhelm IV. die preußische Hauptstadt und hielt sich nur noch vorîbergehend im Berliner Schloß auf. Er bewohnte nun hauptschlich die Potsdamer Schlçsser, im Sommer vor allem Sanssouci, aber auch sein eigenes, im Zusammenwirken mit Schinkel und Persius entstandenes Refugium, das sîdçstlich des Neuen Palais gelegene Schlçßchen „Charlottenhof“.353 351 Mit großer Souvernitt stellt Walter Bussmann, Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie, Berlin 1990, S. 218 – 247, die revolutionren Ereignisse, die zum Verfassungsoktroyt fîhrten, dar. Zur Verfassungskrise um den Jahreswechsel 1849/50 vgl. auch Erich Jordan, Friedrich Wilhelm IV. und der preußische Adel bei der Umwandlung der ersten Kammer in das Herrenhaus 1850 – 1854, Berlin 1909, bes. S. 69 – 149. 352 D. E. Barclay, Anarchie und guter Wille … (s. Anm. 331), S. 308 f. 353 E. Bçrsch-Supan, Die Residenzlandschaft Berlin-Potsdam … (s. Anm. 318), S. 178 – 186.

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Der Sieg der Reaktion hatte in der preußischen Hauptstadt, dem Zentrum der Revolution, besonders schwerwiegende Folgen. Seit der Entstehung fester Residenzen und Hauptstdte waren die zentralen Gewalten immer wieder bestrebt, die politische Selbstndigkeit dieser Orte zu begrenzen, vor allem um so den grçßtmçglichen Einfluß auf die innere und ußere Entwicklung zu haben,354 wozu auch die Vermeidung von Unruhen gehçrte. Zahlreiche Verhaftungen, Ausweisungen, Bespitzelungen, Verurteilungen von Demokraten, Paßkontrollen auf den Bahnhçfen, Beschlagnahmungen, eine strenge Pressezensur und Polizeischikanen bestimmten das Bild der nachfolgenden zehn Jahre.355 Am 11. Mrz 1850 wurde eine neue Stadtverfassung und Gemeindeordnung in Berlin rechtswirksam, die vor allem die Stellung der entscheidend vom Kçnig abhngigen staatlichen Aufsicht, des Bîrgermeisters und des von ihm geleiteten Gemeindevorstandes strkte.356 Voraussetzung fîr das aktive Wahlrecht war 1850 ein Jahreseinkommen von 300 Talern. Dadurch reduzierte sich die Zahl der Wahlberechtigten auf fînf Prozent der Einwohnerschaft, das waren nur 21.000 Bîrger. Darîber hinaus mußte in Berlin die Hlfte der Stadtverordneten, die auf sechs Jahre gewhlt wurden, Hausbesitzer sein. Da achtzehn liberale und demokratische Stadtverordnete, die mit der neuen Wahlordnung nicht einverstanden waren, ausgeschlossen wurden, bestand die stdtische Vertretung nur aus Anhngern der konservativen Partei. Zum Oberbîrgermeister avancierte Wilhelm Krausnick, der whrend der Revolution aus dem Amt entfernt worden war.357 Die „Revidierte Stdteordnung“ vom 30. Mai 1853 strkte die staatlichen Aufsichtsrechte noch einmal. Die Befugnisse der Stadtverordnetenversammlung beschrnkten sich jetzt auf rein stdtische Angelegenheiten. Die dominierende Position in der Stadt war nicht die des Oberbîrgermeisters, sondern die des Polizeiprsidenten. Der seit 1848 amtierende Berliner Polizeiprsident, Carl Ludwig Friedrich von Hinckeldey, erwies sich einerseits als Hauptvertreter der Willkîrherrschaft der Polizei, andererseits betrieb er mit der Bereinigung des Kompetenzenwirrwarrs zwischen staatlichen und stdtischen Polizeiorganen eine moderne vorausschauende Stadtpolitik. Aber auch die Schaffung einer modernen technischen Infrastruktur geht auf ihn zurîck. So sorgte er fîr den Aufbau einer Berufsfeuerwehr, die gleichzeitig fîr 354 Ein signifikantes Beispiel aus dem 19. Jahrhundert ist die Bildung des Districts of Columbia um die US-amerikanische Hauptstadt Washington im Jahre 1800, in dessen Bannkreis es zunchst keinerlei politische Selbstndigkeit gab. Alle kommunalen Entscheidungen fîr die Hauptstadt hatten die beiden Huser des Parlaments zu treffen, und die Einwohner der Hauptstadt durften bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nicht an den Prsidentenwahlen teilnehmen. 355 Wolfram Siemann, „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung“. Die Anfnge der politischen Polizei 1806 – 1866, Tîbingen 1985. 356 M. Pahlmann, Anfnge des stdtischen Parlamentarismus … (s. Anm. 147), S. 71 – 75. 357 J. Wetzel, „ … taub fîr die Stimme der Zeit“ … (s. Anm. 321), S. 9 – 86.

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die Stadtreinigung verantwortlich war, die Errichtung von Bade- und Waschanlagen, den Bau einer Wasserleitung und eines Wasserwerkes vor dem Stralauer Tor sowie die Neuordnung des Anschlagwesens (Litfaßsule). Insgesamt verdankt Berlin Hinkeldey den Aufbau der großstdtischen Infrastruktur, die in den kommenden Jahren die Grundlage der weiteren Entwicklung der Hauptstadt bilden sollte.358 Fîr die preußische Hauptstadt waren die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts ein Jahrzehnt tiefgreifender Einschnitte und ønderungen. Ohne dieses Vorbereitungs-Jahrzehnt htten sich die Impulse, die von der spteren Reichsgrîndung ausgingen, nicht so rasch auswirken kçnnen. Zunchst konnte das von Hinckeldey im kommunalen Bereich begonnene Werk unter vernderten politischen Vorzeichen fortgesetzt werden. 1857 war Friedrich Wilhelm IV. krankheitsbedingt regierungsunfhig geworden. Sein Bruder Wilhelm regierte vorerst als Stellvertreter, seit 1858 als Regent, und nach dem Tode Friedrich Wilhelms IV., 1861, als Kçnig Wilhelm I. Auf ihn als Reprsentanten einer „Neuen øra“ wurden vor allem im liberalen Berlin große Hoffnungen gesetzt. Wilhelm I. nahm gemßigt liberale Minister in seine Regierung auf. Liberaler und fortschrittlicher Geist kehrte in das preußische Parlament und in die Berliner Stadtverordnetenversammlung zurîck. Die Reaktionszeit schien endlich vorîber. Fîr Berlin begann die „klassische Periode“ seiner Selbstverwaltung, die ihren architektonischen Ausdruck im reprsentativen Klinkerbau des „Roten Rathauses“ fand.359 Wilhelm hatte die ˜bernahme der Regentschaft fîr seinen erkrankten Bruder zunchst abgelehnt, da sie ihm den Eid auf die Verfassung abverlangt htte. Der Prinz von Preußen wirkte daher zunchst nur als Stellvertreter seines Bruders, der ihm aber dann doch, am 8. Oktober 1858, die Regentschaft îbertrug. Als „Prinzregent“ mußte er nun doch vor beiden Husern des Landtages den Eid auf die Verfassung leisten. Nachdem mit dem Tode Friedrich Wilhelms IV. die Kçnigswîrde auf ihn îbergegangen war, strebte Wilhelm I. zur Befestigung seiner Herrschaft zunchst eine Huldigungszeremonie im Berliner Schloß an, mit der die preußischen Landstnde ihm – nach altem Vorbild – ihre Treue zur Monarchie und zur Person des Monarchen îbermitteln sollten. Nachdem aber das Staatsministerium die Unvereinbarkeit einer traditionellen Huldigung mit der geltenden Verfassung verdeutlicht hatte, entschloß sich Wilhelm I. zu einer Selbstkrçnung, die dann allerdings nicht in der preußischen 358 Heinrich von Sybel, Carl Ludwig Hinckeldey 1852 – 1856, in: HZ Sonderheft 189 (1959), S. 111 ff.; Berthold Schulze, Polizeiprsident von Hinckeldey, in: JbGMitteldtld 4 (1955), S. 81 – 108; Gînter Richter, Zwischen Revolution und Reichsgrîndung (1848 – 1870), in: W. Ribbe, Geschichte Berlins … (s. Anm. 53), 2, S. 647 – 650: Die øra Hinckeldey. 359 Ingrid Bartmann-Kompa, Das Berliner Rathaus, Berlin 1991.

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Hauptstadt, sondern am Ort der ersten – und bis dahin einzigen – Krçnung, also im Kçnigsberger Schloß stattfand. Bei seiner Rîckkehr nach Berlin am 22. Oktober 1861 whlte der Kçnig denselben Weg, den Friedrich I. 1701 gezogen war. Die Berliner Krçnungsfeier bestand aus einer großen Parade auf der Via triumphalis „Unter den Linden“, einer Krçnungscour im Weißen Saal des Berliner Schlosses und einer Gala-Vorstellung im Opernhaus. Am folgenden Tag leitete der Generalmusikdirektor Giacomo Meyerbeer ein Schloß-Konzert in Anwesenheit des Kçnigspaares, das erst am Tag danach vor dem Potsdamer Stadtschoß eine Parade abnahm, um anschließend sofort nach Berlin zurîckzukehren, wo im Weißen Saal des Schlosses der Krçnungsball stattfand.360 Die allgemeine politische Lage trîbte sich in Preußen schon bald wieder ein. Ursache war der schwere Konflikt zwischen der Volksvertretung und der Regierung in den Jahren 1861 bis 1866. Die Auseinandersetzungen entzîndeten sich an der Heeresreform Wilhelms I. mit ihrer Verlngerung der Dienstzeit auf drei Jahre, der Strkung der kçniglichen Kommandogewalt bei gleichzeitiger Einschrnkung der Kontrollrechte des preußischen Abgeordnetenhauses. Außerdem sollte die in den Freiheitskriegen gegen Napol¤on als Bîrgerarmee mit eigener Fîhrung geschaffene Landwehr ihre Eigenstndigkeit verlieren. Das Abgeordnetenhaus, das nach der Verfassung die Geldmittel bewilligen mußte, wandte sich heftig gegen die Richtung dieser Reform. In diesem Streit, der sich schließlich zu einem Verfassungskonflikt ausweiten sollte, standen die çffentliche Meinung Berlins und die stdtischen Kçrperschaften geschlossen hinter den Abgeordneten.361 In diesem Zusammenhang engagierte sich besonders die 1861 in der preußischen Hauptstadt gegrîndete liberale Deutsche Fortschrittspartei, die konsequent fîr die Parlaments- und Bîrgerrechte eintrat. Bei den Wahlen am Ende des Jahres wurde sie auf Anhieb strkste Partei des preußischen Abgeordnetenhauses und errang 30 Prozent der Mandate. Nach Auflçsung und nochmaliger Neuwahl des Parlaments stellte sie 1862 zusammen mit anderen liberalen „Linken“ die Mehrheit. Eine ihrer Hochburgen war Berlin: Acht von den neun Abgeordneten der Hauptstadt gehçrten dieser Partei an. Die neue Mehrheit im preußischen Staat und in seiner Hauptstadt sah sich durch die Politik des Kçnigs brîskiert, vor allem dadurch, daß im September 1862 der schon 1848/49 als Revolutionsgegner hervorgetretene Otto von Bismarck zum preußischen Ministerprsidenten berufen wurde. Bismarck nutzte eine angebliche Lîcke in der Verfassung, regierte gegen die Mehrheit im Parlament, setzte die Heeresreform durch und fîhrte die Staatsgeschfte ohne einen verfassungsmßig zustande gekommenen Haushalt. Der von Bismarck eskalierte Verfassungskonflikt fîhrte zu einer schweren innenpolitischen Krise. Die 360 I. Gundermann, Via Regia … (s. Anm. 2), 2: Wilhelm I., Berlin 1998, S. 95 – 175. 361 G. Richter, Zwischen Revolution und Reichsgrîndung … (s. Anm. 358), S. 678 f.

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Hoffnungen auf eine „Neue øra“ waren rasch verflogen, der Widerstand gegen die Regierungspolitik regte sich in Berlin besonders heftig. Wieder begannen politische Verfolgungen und politische Zensur. Es schien eine neue Phase der Reaktion zu drohen, und in Regierungskreisen befîrchtete man eine erneute Revolution.362 Doch nach den siegreichen Kriegen mit §sterreich gegen Dnemark (1864) um die Zukunft Schleswig-Holsteins und gegen §sterreich (1866) um die Vorherrschaft im Deutschen Bund, der 1815 an die Stelle des von Napol¤on zerstçrten alten Reiches getreten war, schlug die politische Stimmung außerhalb der Hauptstadt vçllig um. Die Bevçlkerung in den preußischen Provinzen unterstîtzte jetzt die Regierungspolitik. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 3. Juli 1866 verlor die Fortschrittspartei etwa die Hlfte ihrer Mandate. Die neue „Nationalliberale“ Partei und die Konservative Partei hatten damit wieder die Oberhand, und das Parlament billigte nachtrglich die Haushalte der Jahre 1862 bis 1865. Es war der außenpolitische Erfolg, der schließlich zur Beendigung des Verfassungskonflikts zwischen Krone, Regierung und Parlament fîhrte. Doch es blieb letztlich – trotz der ausdrîcklichen Anerkennung des parlamentarischen Haushaltsrechts – eine Niederlage des Parlaments, die weit îber Preußen und das Jahr 1866 hinaus fortwirkte. Zum dritten Mal nach 1819 und 1848 hatte das liberale Bîrgertum den Kampf gegen das Kçnigtum und um die Verwirklichung des Verfassungsstaates und der Demokratie verloren. Doch whrend Bismarcks Ansehen in Preußen gestiegen war, traf dies fîr ihn in Berlin noch lange Zeit nicht zu. In der Hauptstadt verlor die Fortschrittspartei auch keinen ihrer Abgeordneten bei Wahlen. Als sechs von ihnen zu den Nationalliberalen îbertraten, wurden sie nicht wiedergewhlt.363 Die patriotische Stimmung in der preußischen Hauptstadt blieb davon unbelastet. Das zeigte sich, wenn das Herrscherhaus im Lustgarten Paraden und Siegesfeiern veranstaltete, so auch nach dem Sieg Preußens îber §sterreich 1866. Der zweitgige Aufmarsch der Sieger in der zur „Via triumphalis“ dekorierten Straße „Unter den Linden“ endete am 21. September mit einem Tedeum im Lustgarten. Dazu war fîr Kçnig Wilhelm I. ein Pavillon mit vergoldeten Sulen, Viktorien und einer Krone errichtet worden. Den Platz schmîckten Flaggenmasten, Siegestrophen, Blumen und Lorbeerlaub und er war mit Tribînen, einem Altar und einer 20 Meter hohen Borussia mit adlergekrçntem Helm ausgestattet. Die Figur stand auf einem Postament, an dem alle preußischen Siege der letzten 200 Jahre in Goldschrift aufgefîhrt waren. In Fortsetzung der Heldenfiguren auf der Schloßbrîcke standen an der Schloßseite

362 G. Richter, Zwischen Revolution und Reichsgrîndung … (s. Anm. 358), S. 679. 363 Franz Specht, Die Reichstagswahlen von 1867 bis 1897, Berlin 1898, S. 123 ff.

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bis zum Apothekenflîgel die Statuen der 17 bisherigen Hohenzollern-Regenten von Kurfîrst Friedrich I. bis Kçnig Friedrich Wilhelm IV.364 Nach den beiden Kriegen hatte Preußen eine dominierende Stellung in Norddeutschland erlangt. Nun bildete Bismarck den Norddeutschen Bund, der seine Zentrale in Berlin hatte. Hier tagte auch der norddeutsche Reichstag. Am 12. Februar 1867 wurde der konstituierende Reichstag dieses Norddeutschen Bundes gewhlt. Es war, hnlich wie 1848 in Preußen, eine allgemeine, gleiche und geheime, allerdings auf die Mnner, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten, begrenzte Wahl. In diesem Parlament, das die Bundesverfassung verabschiedete, erhielt die Fortschrittspartei fînf der sechs Berliner Mandate. Bei der anschließenden Neuwahl am 31. August bekam sie sogar alle sechs. Die sechs konservativen Kandidaten dagegen, darunter Bismarck, fielen in Berlin durch. Die preußische Hauptstadt whlte linksliberal, die Arbeiterschaft eingeschlossen, soweit sie îberhaupt zur Wahlurne ging. Erst seit 1871 gab es in Berlin sozialdemokratische Kandidaten, deren Stimmenzahl von Wahl zu Wahl schnell zunahm.365 Preußens Hauptstadt schickte sich in dieser Phase an, zum politischen Mittelpunkt Deutschlands aufzusteigen. Dabei wurden auch die kommunalen Aufgaben einer Großstadt energisch angegangen. Dies war vor allem Karl Theodor Seydel366 zu verdanken, einem Politiker der Fortschrittspartei und seit 1862 Nachfolger Krausnicks im Amt des Oberbîrgermeisters. In der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts stand Berlin vor dem Problem einer enormen Bevçlkerungsexplosion. Von Ende 1857 bis 1871 stieg die Zahl der Einwohner von 450.000 auf mehr als 800.000, und 1877 war die erste, 1905 die zweite Million erreicht. Berlin zog wie keine andere Stadt Zuwanderer an. Die finanzielle Lage hatte sich in den sechziger Jahren erheblich verbessert. Es kam zu einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Industrialisierung Berlins machte rasche Fortschritte. Eine Fîlle neuer Fabriken entstand, dazu kamen viele Banken und Aktiengesellschaften. Neue Verkehrswege, Fernbahnlinien und drei innerstdtische Kanle wurden gebaut. Zur Expansion trug auch bei, daß die Stadtgrenzen Anfang 1861 um die Vorstdte erweitert wurden, die lngst îber den Ring der alten Zollmauer hinausgewachsen waren; die Mauer wurde 1867/68 abgerissen. Wedding, Moabit, Gesundbrunnen, Teile von Schçneberg und Tempelhof und ein kleines bewohntes Stîck des Tiergartens kamen zu Berlin, dessen Flche von 35 Quadratkilometer auf 59 Quadratkilometer anwuchs: Das war fast eine Verdoppelung, aber doch nur ein Fînfzehntel der Flche des spteren „Groß-Berlin“ mit seinen 889 Quadratkilo364 H. Engel, Schauplatz Staatsmitte … (s. Anm. 284), S. 109 – 111. 365 G. Richter, Zwischen Revolution und Reichsgrîndung … (s. Anm. 358), S. 676 – 680. 366 Karl-Heinz Noack, Karl Theodor Seydel, in: W. Ribbe, Stadtoberhupter … (s. Anm. 292), S. 113 – 124.

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metern. Damals kamen rund 35.000 Einwohner neu zu Berlin hinzu.367 Zugleich sollte der historische Berliner Stadtkern modernisiert werden: „In Berlin wînschte man sich seit den 1839er Jahren, seit dem Aufkommen der Vorstellung, daß die preußische Hauptstadt eine ,Weltstadt’ sein kçnnte, die baulichen ˜berreste aus der Zeit der kurfîrstlichen Residenzstadt zu beseitigen und so die Fesseln der Vergangenheit abzustreifen. Man schmte sich schon in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts der baulichen ˜berreste aus der Zeit vor 1701.“368 Allerdings hatte die Stadtverwaltung bei ihrer Modernisierungsplanung keine freie Hand, sie war insbesondere im Schloßbezirk und seiner Umgebung an die Direktiven des preußischen Kçnigs gebunden, der bis zu Wilhelm I. hin ein „Embellissement“ der Hauptstadt (wie in Wien mit der Ringstraße und in Paris mit der Haussmannschen Umgestaltung) fîr Berlin nicht ermçglichte. Zu den Schattenseiten des „Aufschwungs“ gehçrte eine steigende Wohnungsnot, die man durch den Bau immer grçßerer Mietskasernenkomplexe zu bekmpfen suchte. Das Ergebnis war die Umwandlung Berlins in die „grçßte Mietskasernenstadt der Welt“.369 Mit dazu beigetragen hatte der „Bebauungsplan von den Umgebungen Berlins“ von 1862.370 Er umfaßte ein Gebiet etwa von der Grçße des spteren S-Bahn-Rings und ermçglichte auch die Bebauung bisheriger Ackerflchen in Berlin und seinen Nachbargemeinden. Von seinen Initiatoren und dem Baurat James Hobrecht, der ihn ausarbeitete, durchaus als ein Jahrhundertwerk begriffen, schuf er die Grundlagen fîr eine großrumige Ausdehnung der Stadt. Doch nach seiner Bekanntgabe wurde der Bebauungsplan bald heftig kritisiert. Vor allem vermißte man die Aufstellung eines Programms fîr staatliche und stdtische Einrichtungen. Wohnungsnot und eine private Bau- und Bodenspekulation, der vom Staat freie Hand gelassen wurde, verhinderten dann fîr lange Zeit eine Stadtplanung, die ein positives Beispiel htte geben kçnnen. Stattdessen ging es den Spekulanten darum, mçglichst viele Menschen auf mçglichst wenig Raum zu mçglichst hohen Mieten unterzubringen. Diese Entwicklung gehçrt zwar schon einer neuen Epoche an, aber ihre Wurzeln reichen in die sechziger Jahre zurîck. Zunchst 367 Ernst Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Steinschen Stdteordnung, in: Ders., Beitrge zur Berliner Geschichte … (s. Anm. 46), S. 234 – 376, bes. Kapitel 3: Die große Eingemeindung des Jahres 1860 (S. 271 – 293). 368 Benedikt Goebel, Der Umbau Alt-Berlins zum modernen Stadtzentrum. Planungs-, Bau- und Besitzgeschichte des historischen Berliner Stadtkerns im 19. und 20. Jahrhundert (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, 6), Berlin 2003, S. 362. 369 So bezeichnet von Werner Hegemann in seiner polemischen Schrift „Das steinerne Berlin“ – Geschichte der grçßten Mietskasernenstadt der Welt, Berlin 1930. 370 Jutta Lubowtizki, Der „Hobrechtplan“. Probleme der Berliner Stadtentwicklung um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen V (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 71), Berlin 1990, S. 11 – 130; Klaus Strohmeyer, James Hobrecht (1825 – 1902) und die Modernisierung der Stadt (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin), Berlin 2000.

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folgte den Kriegen von 1864 und 1866 ein weiterer, der 1871 zur Grîndung des Deutschen Reiches fîhrte. Preußen war die Hegemonialmacht dieses Reiches, die preußische Hauptstadt sollte nun auch Reichshauptstadt werden.

§ 7 Preußische und Deutsche Hauptstadt im Kaiserreich Mit der Grîndung des Norddeutschen Bundes unter Preußens Vorherrschaft hatte Bismarck die Einheit Deutschlands nçrdlich der Mainlinie erreicht. Auf dem Wege zur Einigung Gesamtdeutschlands war dies der erste Schritt. Einer unverzîglichen Vereinigung Norddeutschlands und Sîddeutschlands stand noch zweierlei im Wege. Zum einen gab es in den sîddeutschen Lndern selbst eine starke antipreußische Fraktion, zum anderen htte Frankreich einen mchtigen deutschen Nationalstaat unter der Fîhrung Preußens nicht kampflos hingenommen. Schon der preußische Sieg îber §sterreich 1866 war in der çffentlichen Meinung Frankreichs wie eine eigene Niederlage empfunden worden. Frankreich bestand auf der Erhaltung der Selbstndigkeit der sîddeutschen Lnder und sah in der Mçglichkeit eines Deutschlands, das von den Alpen bis zur Ost- und Nordsee reichte, eine stndige Bedrohung, der es durch Bîndnisverhandlungen mit §sterreich und Italien entgegenzuwirken suchte. Die politische Situation verschrfte sich erheblich, als 1869 und 1870 im Streit um die spanische Thronfolge einem Hohenzollern die Kçnigskrone angeboten wurde. Auch nach dessen Verzicht auf die Thronkandidatur gab sich Frankreich nicht zufrieden und verlangte von Kçnig Wilhelm I. einen Verzicht der Hohenzollern fîr alle Zeiten. Der preußische Kçnig, der gerade zur Kur in Bad Ems war, wies diese Forderung, die ihm der franzçsische Botschafter îberbrachte, zurîck und weigerte sich, ihn ein weiteres Mal zu empfangen. Dann sandte der Kçnig ein Telegramm îber den Vorfall an Bismarck nach Berlin und îberließ es seinem Ministerprsidenten, die Presse davon zu unterrichten. Bismarck ergriff sofort die Chance und verçffentlichte in stark verkîrzter und dadurch verschrfter Form seine „Emser Depesche“. Was in den Augen Wilhelms I. die diplomatisch-hçfliche Ablehnung einer îbertriebenen Forderung gewesen war, las sich nun wie die brîske Abweisung einer versuchten Demîtigung Preußens und seines Kçnigs. In Deutschland trug diese Verçffentlichung dazu bei, die Auseinandersetzung als nationale Angelegenheit zu begreifen. In Frankreich wurde sie als Provokation aufgefaßt und fîhrte am 19. Juli 1870 zur Kriegserklrung an Preußen. Damit war auch fîr die sîddeutschen Staaten nach den 1867 mit Preußen geschlossenen Vertrgen der Bîndnisfall eingetreten, und es begann der franzçsisch-deutsche Krieg von 1870/71. Kçnig Wilhelm I. kehrte in einem Sonderzug nach Berlin zurîck, auf allen Bahnhçfen an der Fahrtroute und besonders in der Hauptstadt von jubelnden Menschenmassen begrîßt: „Mich

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erfîllt eine komplette Angst bei diesem Enthusiasmus, denn was fîr Chancen bietet nicht der Krieg, wo all dieser Jubel oft verstummen kçnnte und – mîßte!“ schrieb der Monarch in einem Brief an Kçnigin Augusta.371 Anderthalb Monate spter waren die Franzosen besiegt, war die Schlacht von Sedan am 2. September 1870 erfolgreich geschlagen, und Kaiser Napoleon III. hatte dem Kçnig von Preußen seinen Degen îbergeben. „Welch’ eine Wendung durch Gottes Fîhrung!“ hieß es nun in einem Telegramm Wilhelms an die Kçnigin.372 Bismarck konnte den so entfachten Patriotismus fîr seine Einigungsplne nutzen. Der gemeinsame Krieg der Deutschen gegen die Franzosen gab den entscheidenden Anstoß fîr die deutsche Einigung. Daß die Proklamation des Kçnigs von Preußen zum Deutschen Kaiser nicht in Berlin stattfand, sondern am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles, vor den Toren der franzçsischen Hauptstadt Paris, war nicht als Brîskierung der preußischen Hauptstadt als der kînftigen Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches, sondern als eine zustzliche Demîtigung der Franzosen gedacht. Am 1. Mrz ratifizierte die franzçsische Nationalversammlung in Bordeaux den Friedensvertrag, der unter anderem die Abtretung von Elsaß-Lothringen und die Zahlung einer Kriegsentschdigung von fînf Milliarden Francs vorsah. Das war ein Betrag, der nicht zuletzt in der preußisch-deutschen Hauptstadt den wirtschaftlichen Aufschwung der „Grînderjahre“ beflîgelte. Das preußische Berlin ist aber als deutsche Hauptstadt nur zçgernd, streckenweise gar nicht anerkannt worden. Lange Zeit war man sich in Deutschland nicht sicher, ob man eine Hauptstadt îberhaupt bençtigte. Samuel Pufendorf kam in der zweiten Hlfte des 17. Jahrhunderts zu dem Ergebnis: „Auch pflegt in manchen Lndern der Glanz und die Grçße der Hauptstdte, in denen unermeßliche Reichtîmer zusammenstrçmen, die Augen der Fremden zu blenden, und von Paris, London und Lissabon schließen Unerfahrene leicht auf ganz Frankreich, England und Portugal, whrend Deutschlands Reichtum, îber das ganze weite Land gleichmßig verteilt, eben dadurch unbedeutender erscheint“,373 Lessing spottete in seiner „Hamburgischen Dramaturgie“: „˜ber den gutherzigen Einfall, den Deutschen ein Nationaltheater zu verschaffen, da wir Deutsche doch keine Nation sind! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern bloß von dem sittlichen Charakter. Fast sollte man sagen dieser sei: keinen eigenen haben zu wollen. Wir sind noch immer die geschwornen Nachahmer alles Auslndischen“,374 und Wieland beklagte 1780 die politische 371 Erich Brandenburg (Hg.), Briefe Kaiser Wilhelms des Ersten. Nebst Denkschriften und anderen Aufzeichnungen in Auswahl, Leipzig 1911, S. 227. 372 E. Brandenburg, Briefe Kaiser Wilhelms … (s. Anm. 371), S. 241. 373 Samuel von Pufendorf, De statu imperii Germanici. Nach dem ersten Druck mit Berîcksichtigung der Ausgabe letzter Hand, hg. v. Fritz Salomon, Weimar 1910, S. 99. 374 Gotthold Ephraim Lessing, Werke, hg. v. Herbert G. Gçpfert, 4: Dramaturgische Schriften, bearb. v. Karl Eibl, Mînchen 1973, S. 698.

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Verfassung seiner Zeit: „Um ihretwillen werden wir niemals einen gemeinsamen Mittelpunkt, nie einen gemeinschaftlichen Schauplatz fîr Talente, Kînste und Wissenschaften, nie eine wahre Nationalbîhne, nie eine allgemein anerkannte Hauptstadt Germaniens haben, von deren Dasein jenes alles die natîrlichen Folgen sein wîrde“.375 Doch gab es auch andere Stimmen. So meinte Schiller: „Keine Hauptstadt und kein Hof îbt Tyrannei îber den deutschen Geschmack aus“.376 Nach der Franzçsischen Revolution wurde aber der Hauptstadtfrage ein anderer Stellenwert zugemessen. Ohne Hauptstadt keine Revolution, keine Befreiung von den Fesseln des fîrstlichen Absolutismus, von der feudalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Aber auch die stndig zunehmende Maschinenwirtschaft, der Kapitalismus und die Bçrse beschleunigten den unmittelbaren, stetigen çrtlichen Austausch. Dieser erfolgte in Deutschland zunchst nicht îber eine Reichshauptstadt, sondern îber die Haupt- und Residenzstdte der Fîrstentîmer und îber die einzige, von Napoleon belassene Freie Reichsstadt Frankfurt sowie îber die Hansestdte. Und noch dreizehn Jahre nach der Reichsgrîndung vermerkte Alfred Lichtwark, nachdem er franzçsische Kînstler durch Deutschland gefîhrt hatte: „Am meisten imponierte das selbstndige Leben der einzelnen Zentren. Daß das Land nicht alle hervorragenden Krfte der verschiedenen Kînste und Wissenschaften nach Berlin sendet und sich nicht in der Provinz mit Krften zweiten und minderen Ranges begnîgt, muß ein Franzose von Angesicht zu Angesicht geschaut haben, um mehr als das Wort zu begreifen.“377 Angesichts dieses weit verbreiteten und tief verwurzelten Fçderalismus verwundert es nicht, daß selbst die Reichsverfassung von 1871 den Namen der Hauptstadt „Berlin“ nicht nennt, und fîr die reprsentative Unterbringung der Reichsbehçrden brauchte man Jahrzehnte. Im „Alten Reich“ war der Widerstand gegen das preußische Berlin noch groß, in der man eine weitgehend kulturlose Stadt auf Kolonialboden sah. Die Mittel- und Kleinstaaten beklagten den Verlust der Souvernitt sowie die Lasten, die ihnen gleichzeitig aufgebîrdet wurden, und im Bewußtsein der Menschen setzte sich eine Legende als Tatsache 375 Patriotischer Beytrag zu Deutschlands hçchstem Flor, veranlaßt durch einen unter diesem Titel im Jahre 1780 im Druck erschienenen Vorschlag eines Ungenannten, in: Christoph Martin Wieland, Smtliche Werke, hg. v. der „Hamburger Stiftung zur Fçrderung von Wissenschaft und Kultur“ in Zusammenarbeit mit dem „Wieland Archiv“ … und Hans Radspieler, V/15, Hamburg 1984, S. 357. 376 Friedrich von Schiller, Deutsche Grçße. Ein unvollendetes Gedicht Schillers, 1801. Nachbildung der Handschrift. Im Auftrage des Vorstandes der Goethe-Gesellschaft, hg. und eingel. v. Bernhard Suphan, Weimar 1902. 377 Alfred Lichtwark, Briefe an die Kommission fîr die Verwaltung der Kunsthalle, in: Auswahl mit einer Einleitung, hg. v. Gustav Pauli (= Hamburgische Hausbibliothek), 1 – 2, Hamburg 1924, 1, S. 178.

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durch: Wie im Mrchen sei Berlin eines Morgens als Reichshauptstadt erwacht, gleichsam îber Nacht groß geworden, ein glîcklicher Gewinner ohne Verdienst und Wîrdigkeit. Selbst der Berliner Magistrat hat zur 700-Jahr-Feier im Jahre 1937 diese Sicht der Dinge îbernommen, wenn er im stdtischen Amtsblatt drucken ließ: „Berlin ist fast îber Nacht zur Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches geworden. In keinem Stadium der deutschen Geschichte htte menschliche Voraussicht die kîhne Forderung erheben kçnnen, die preußische Hauptstadt mîsse sich darauf vorbereiten, einmal die deutsche Reichshauptstadt darzustellen.“378 Sogar zînftige Historiker schlossen sich dieser Auffassung an. So schrieb Erich Marcks noch 1936: „Der Wetteifer der Landschaften spiegelt sich in einer Sonderbarkeit: Wo sollte die kînftige Reichshauptstadt liegen? Doch nicht in der Mark Brandenburg?“379 In der Publizistik meldete man viele Ansprîche an: etwa fîr Frankfurt, Nîrnberg, Bamberg, fîr Erfurt und Leipzig und, als die echte gesamtdeutsche, deutsch-mitteleuropische Zentrale, fîr Wien. Angesichts solcher øußerungen fragt man sich, was Berlin eigentlich prdestinierte, Hauptstadt zu sein, wodurch sich die Nation in Berlin reprsentiert fîhlen konnte. Aber zeitgençssische Beobachter registrierten bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts, daß Berlin von der Hauptstadt einer Provinz zu der eines ganzen Kçnigreichs geworden sei; nun steige es zu einer Weltstadt auf. Dazu trage vor allem das nach allen Seiten ausgebaute Eisenbahnnetz bei, das in der Tat keine Stadt Europas (London ausgenommen) aufzuweisen hatte. Die Leipziger „Illustrirte Chronik“ berichtete îber die europischen Lnder und Hauptstdte im Jahresband 1848 von Berlin: „Keine Stadt auf dem europischen Festlande ist in kurzer Zeit so riesengroß angewachsen wie Berlin. Im Jahre 1817 zhlte es, mit Einschluß der Besatzung, nur 188.485 Bewohner, whrend diese Zahl jetzt die Hçhe von fast 400.000 erreicht hat und Berlin somit nchst Wien die bevçlkertste Stadt Deutschlands geworden ist.“380 Der preußische Kçnig hat die deutsche Kaiserwîrde keineswegs angestrebt. Er sah sich auch nach dem Staatsakt im Schloß von Versailles weiterhin in erster Linie Preußen verpflichtet und nderte auch wenig am Hofprotokoll. Sowohl nach seiner Krçnung zum Kçnig 1861 als auch nach der Proklamation zum deutschen Kaiser 1871 residierte er nicht im Berliner Stadtschloß, sondern weiterhin in seinem Palais „Unter den Linden“. Seinem Nachfolger Friedrich III., dem „99-Tage-Kaiser“, blieb keine Zeit, das Berliner Schloß als 378 700 Jahre Berlin (= Amtsblatt der Reichshauptstadt Berlin, 78), Berlin 1937. 379 Erich Marcks, Der Aufstieg des Reiches. Deutsche Geschichte 1807 – 1870/71, 1: Vorstufen, Stuttgart/Berlin 1936, S. 304. 380 [Alfred Estermann / Andreas Werner], Illustrirte Chronik. Aufzeichnungen aus der Geschichte der Ereignisse, der Lnder, der Vçlker, der Menschen und Stimmungen der Gegenwart. Mit in den Text gedruckten Abbildungen, Portraits, Karten, Plnen und musikalischen Compositionen, 1: Chronik des Jahres 1848, Leipzig 1848, ND Nendeln (Liechtenstein) 1978, S. 147.

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Herrscherresidenz zu reaktivieren; er lebte in Charlottenburg, starb im Potsdamer „Neuen Palais“ (in dem er auch geboren worden war) und ließ sich nicht in der Hohenzollerngruft des hauptstdtischen Domes beisetzen, sondern fand seine letzte Ruhesttte im Mausoleum der Potsdamer Friedenskirche. Erst Wilhelm II. bevorzugte das hauptstdtische Schloß zumindest als saisonalen Wohnsitz, das war in der Regel im Winter von Januar bis Mai, und betonte – wie seine Vorfahren im 17. und 18. Jahrhundert – die Bedeutung des Gebudes durch die Anwesenheit der Hofgesellschaft. War der Kaiser im Schloß anwesend, dann wurde auf dem Fahnenmast îber dem Portal IV die kaiserliche Standarte aufgezogen. Am 25. Juni 1888 erçffnete Wilhelm II. den deutschen Reichstag im Weißen Saal, eine prunkvolle Festlichkeit. Wilhelm II. besaß eine Vorliebe fîr die Barockkunst Schlîters und Eosanders. Ihm sagte – mehr als seinen Vorgngern – das riesige, reprsentative, auch als wenig wohnlich empfundene Schloßgebude zu und er war bestrebt, es mit dem Glanz eines Kaiserschlosses zu versehen. Das øußere des auch als dîster angesehenen mchtigen Bauwerkes erhielt unter Wilhelm II. eine freundliche Umfriedung. Zur kaiserlichen Wohnung gehçrte auch ein Schloßgarten, eine idyllische, aus der Zeit Friedrich Wilhelms IV. stammende Anlage an der Spreeseite.381 Bereits als Hauptstadt Preußens, als Mittelpunkt der Provinz Brandenburg und als Stadtgemeinde war Berlin ein Zentrum von Regierung und Verwaltung und zugleich eine Stadt der Parlamente gewesen.382 Mit der Grîndung des

381 W. Ribbe, Funktions- und Bedeutungswandel … (s. Anm. 285), S. 99 – 118, bes. das Kapitel: „Das Schloß als politischer Ort“, S. 114 f. Zur Hofgesellschaft unter Wilhelm II. vgl. Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt am Main/ Berlin/Wien 1981, S. 424 f. 382 Das Verhltnis Preußens zum Reich hat in neuerer Zeit vor allem Karl Erich Born erçrtert. Vgl. dazu u. a. Karl Erich Born, Preußen im deutschen Kaiserreich 1871 bis 1918. Fîhrungsmacht des Reiches und Aufgaben im Reich, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, III: Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin/New York 2000, S. 15 – 148; Ders., Preußens Weg von der europischen Macht zur deutschen Hegemonialmacht, in: Otto Bîsch (Hg.), Das Preußenbild in der Geschichte (= VerçffHistKommBerlin, 50), Berlin/New York 1981, S. 167 – 182; Ders., Preußen und Deutschland im Kaiserreich, Tîbingen 1967; sowie die ltere Untersuchung von Hans Goldschmidt, Das Reich und Preußen im Kampf um die Fîhrung, Berlin 1931. Außerdem mehrere Beitrge in dem Sammelband von: Oswald Hauser (Hg.), Zur Problematik „Preußen und das Reich“ (= Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte, 4), Kçln/Wien 1984; darin vor allem Walther Hubatsch, Preußen und das Reich, S. 1 – 11; Michael Stîrmer, Eine politische Kultur – oder zwei? Betrachtungen zur Regierungsweise des Kaiserreiches, S. 35 – 47; Richard Dietrich, Fçderalismus, Unitarismus oder Hegemonialstaat?, S. 49 – 81; Lothar Gall, Zwischen Preußen und dem Reich. Bismarck als Reichskanzler und preußischer Ministerprsident, S. 155 – 164. Außerdem: Christoph Vondenhoff, Hegemonie und Gleichgewicht im

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Deutschen Reiches fielen der Stadt erweiterte Hauptstadtfunktionen zu. Jetzt hatten in Berlin auch der Reichstag und die obersten Reichsbehçrden ihren Sitz. Der Deutsche Reichstag wurde, wie schon der „Reichstag“ des Norddeutschen Bundes, nach dem allgemeinen, gleichen und direkten, aber noch auf die îber 25 Jahre alten Mnner beschrnkten Wahlrecht gewhlt. Er fand, als er im Herbst 1871 wieder zusammentrat, eine neue „provisorische“ Bleibe in dem um einen Plenarsaal erweiterten bisherigen Gebude der Kçniglichen Porzellanmanufaktur (KPM) in der Leipziger Straße. Es blieb ein „Provisorium“ fîr 23 Jahre. Nach jahrelanger Bauplatzsuche, zwei Architektenwettbewerben und zehnjhriger Bauzeit konnte der Enkel des ersten Kaisers endlich den Schlußstein fîr das monumentale Reichstagsgebude setzen. Am 6. Dezember 1894 bezogen die Abgeordneten ihr neues Haus am Kçnigsplatz.383 Weitere zehn Jahre spter waren auch fîr Preußens Herren- und Abgeordnetenhaus zwischen der Leipziger Straße 3 – 4 und der neu angelegten Prinz-Albrecht-Straße Neubauten in hnlich monumentalem Stil entstanden.384 Im Rathaus hatte neben dem Magistrat und der Stadtverwaltung auch die Stadtverordnetenversammlung ihren Sitz.385 Außerdem residierten in der Hauptstadt in eigenen Husern der Brandenburgische Provinzialverband mit dem Provinziallandtag und die Verwaltungen und Kreiskçrperschaften der beiden an Berlin grenzenden Kreise Niederbarnim und Teltow. Auch nachdem Berlin Hauptstadt des Deutschen Reiches geworden war, blieb das Verhltnis zwischen der Stadt und dem Staat, seiner Regierung und dem Hof gespannt. Die Grînde lagen vor allem im politischen Bereich. Bismarcks Hoffnung, das Reichstags-Wahlrecht werde die Massen der Whler den konservativen Parteien zufîhren, erfîllte sich nur begrenzt.386 In Preußen, und 383 384

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Bundesstaat. Preußen 1867 – 1933. Geschichte eines hegemonialen Gliedstaates (= Berichte aus der Rechtswissenschaft), Aachen 2001. Zur Geschichte des Reichstags in der Hauptstadt Berlin vgl. vor allem die eingehenden Studien von Michael S. Cullen, insbesondere die umfassende Dokumentation „Der Reichstag. Parlament – Denkmal – Symbol“, Berlin 1995. Hans Wilderotter. Das Haus der Abgeordneten. Ein Denkmal preußischer und deutscher Geschichte in der Mitte Berlins, Berlin 2001; Der Preußische Landtag. Bau und Geschichte, hg. v. der Prsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Berlin 1993; Der Bundesrat im ehemaligen Preußischen Herrenhaus, hg. v. Bundesrat, Berlin 2002. Ingrid Bartmann-Kompa, Das Berliner Rathaus, Berlin 1991. Zum Wahlverhalten in Preußen und im Reich îberhaupt vgl. die Untersuchungen von Monika Neugebauer-Wçlk, Whlergenerationen in Preußen zwischen Kaiserreich und Republik. Versuch zu einem Kontinuittsproblem des protestantischen Preußen in seinen Kernprovinzen (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 55), Berlin 1987; und von Horst Nçcker, Der preußische Reichstagswhler in Kaiserreich und Republik 1912 und 1924. Analyse – Interpretation – Dokumentation. Ein historisch-statistischer Beitrag zum Kontinuittsproblem eines epochenîbergreifenden Whlerverhaltens (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 56), Berlin 1987.

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ganz besonders in einigen evangelischen Teilen der lndlichen „ostelbischen“ Provinzen, erhielten konservative Kandidaten tatschlich hohe Stimmenanteile. In Preußens neuen Provinzen und im îbrigen Reich war die regierungstreue neue Nationalliberale Partei erfolgreich. Doch Berlin blieb auch bei den Reichstagswahlen eine Hochburg der „Linken“. Hier fîhrte das neue Wahlrecht sogar dazu, daß die Sozialdemokraten den „linken“ Liberalen der Fortschrittsund Freisinnigen Partei die Abgeordnetensitze streitig machten. Bei der Reichstagswahl von 1877 gewannen sie ihre ersten beiden Berliner Mandate, die Fortschrittspartei behielt die îbrigen vier. Die politische Entwicklung in Berlin unterschied sich also in vielen Punkten von der im îbrigen Reich. Daher spielte Bismarck sogar mit dem Gedanken, den Reichstag an einen anderen Ort, außerhalb der Hauptstadt, zu verlegen.387 Daß zwischen der Hauptstadt eines Landes, die meistens zugleich zu den grçßten Agglomerationen zhlt und vielfltige Probleme der industriellen Massengesellschaften in ihrer Gemarkung zu bewltigen hat, sowie den jeweils Regierenden ein gewisses Spannungsverhltnis besteht, ist gewiß nicht selten der Fall. Die Spannungen werden um so grçßer sein, je breiter die Kluft ist, welche die regierenden Schichten von der Mehrheit der meist sozial benachteiligten Einwohner der Metropole trennt. So haben Paris und das îbrige Frankreich fast stets verschiedene politische Lager reprsentiert. Das Verhltnis Berlins zum îbrigen Preußen, zumal seinen mittleren und çstlichen Teilen, war damit durchaus vergleichbar. Dieser Gegensatz, der sich in der bereits beschriebenen Verwaltungsstruktur widerspiegelte, war durchaus nichts Neues. Er verschrfte sich aber durch das weiterhin ungebremste Wachstum Berlins (und seiner Vororte). Denn dieses beruhte ja in erster Linie auf dem ungehemmten Zustrom rmerer Bevçlkerungsschichten, die in der Industriemetropole sowie in dem großen Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum auf Arbeitspltze und besseres Auskommen hofften und in ihrer Hoffnung oft genug enttuscht wurden. Was aber an wagemutigem und erfolgreichem Potential in die Hauptstadt zog, stand bei den konservativ eingestellten Regierungskreisen hufig in keinem guten Ansehen, so daß ein erheblicher Teil des langsam erstarkenden und durch Reichtum oder mindestens Wohlhabenheit selbstbewußter auftretenden mittleren und Großbîrgertums eher zur politischen Opposition zhlte. In den Augen der monarchisch gesinnten herrschenden Kreise sowie der Hohenzollern selbst war Berlin daher eine unbotmßige, im Grunde wenig geliebte Stadt, und 387 Bereits im November 1871 hatte die konservative Berliner „Landeszeitung“ vorgeschlagen, wegen der Gefahr, die von Seiten der Arbeiterschaft drohe, den Sitz von Parlament und Regierung nach Kassel zu verlegen. Als es im Mrz 1881 zu Spannungen zwischen dem Reichskanzler und dem Berliner Magistrat kam, erklrte Bismarck in einer Reichstagsrede: „Ich habe mich immer dem Gedanken nicht verschließen kçnnen, daß der Reichstag und die Zentralbehçrden besser in einer anderen, weniger bevçlkerten und der Unruhe weniger ausgesetzten Stadt wie Berlin ihre Sitzungen hielten.“

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nur wenig besser stand es um die Vororte. „So wichen die Herrscher gerne ins preußische Versailles, nach Potsdam aus, das als Nebenresidenz seit jeher eine besondere Bedeutung besessen hatte, und der lakonisch-schneidige Ton des dortigen Offizierskasinos, ein vom grçbsten Straßenstaub gereinigtes Berlinisch, war bei Hofe im Kaiserschloß der Hauptstadt durchaus gelitten.“388 Der Aufstieg Berlins von einem „Fabrikort“ oder einer „Manufakturstadt“ mit relativ begrenzter Bedeutung zu einem preußischen Wirtschaftszentrum hatte bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert begonnen, wurde aber durch die Belastungen whrend der napol¤onischen Jahre empfindlich gestçrt. Nach 1815 waren es vor allem vier Faktoren, die fîr den Aufstieg zu einem îberregional bedeutenden Wirtschaftsplatz entscheidend waren: die Verdoppelung der Bevçlkerungszahl in den drei Jahrzehnten vor 1848; die durchgngig positive Wanderungsbilanz, wodurch insbesondere Angehçrige der mittleren und jîngeren Generationen, die arbeitswillig und arbeitsfhig waren, in das Berlin der beginnenden Industrialisierung kamen; die Entwicklung eines leistungsfhigen Handels- und Versorgungssystems fîr eine Stadt mit mehr als 400.000 Einwohnern in der Jahrhundertmitte und der Ausbau eines funktionierenden und zuverlssigen Post- und Verkehrswesens. Zu einem deutschen Wirtschaftszentrum wurde Berlin aber erst, als die von Preußen seit 1818 ausgehende aktive Zollpolitik erste Ergebnisse zeigte. Etwa seit der Mitte der dreißiger Jahre kann man Berlin als die heimliche Hauptstadt des wirtschaftlichen Deutschland ansehen. Eine Besttigung und einen wichtigen Hçhepunkt dieser Entwicklung stellte die erste Allgemeine Deutsche Gewerbeausstellung dar, die 1844 in der preußischen Hauptstadt veranstaltet wurde.389 In den fînfziger Jahren des 19. Jahrhunderts îberflîgelte Berlin die Hauptstadt des Habsburgerreiches Wien und nahm wirtschaftlich die Entwicklung, die 1862 Friedrich Kapp, ein Achtundvierziger, auf seinem ersten Deutschlandbesuch nach fast anderthalb Jahrzehnten in einem Brief an Ludwig Bamberger begeistert schildert: „Die grçßere Selbstndigkeit des Volkes, seine Teilnahme am politischen Leben, sein çkonomisches Gedeihen und sein Selbstbewußtsein – der Eindruck aus vielen Stdten in Nord und Sîd. Berlin ist jetzt eine mchtige Fabrikstadt, die vom Hofe ebenso unabhngig dasteht wie Paris. Meine heimatliche Provinz [der protestantische Teil Westfalens] ist eigentlich nur ein Bergwerk, ein Hammer und Hochofen. Die Zukunft Deutschlands steckt nicht mehr in seiner studierenden, respektive auf Universitten herumbummelnden Jugend, sondern in 388 Michael Erbe, Berlin im Kaiserreich 1871 – 1918, in: W. Ribbe, Geschichte Berlins … (s. Anm. 53), S. 691 – 793, Zitat: S. 755. 389 Preußische Fabrikate waren bereits 1822 im Gewerbehaus Klosterstraße 38 und 1827 im Akademiegebude zu sehen, bevor der Minister von Flottwell am 15. August 1844 die „Ausstellung vaterlndischer Gewerbeerzeugnisse“ erçffnete. Dazu: Eberhard Schmieder, Wirtschaftsgeschichte Berlins im 19./20. Jahrhundert, in: Heimatchronik Berlin, Kçln 1962, S. 663 – 760, bes. S. 705.

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den jungen Technikern, Industriellen und besseren Handwerkern. Diese Wahrnehmungen eines durchaus nîchternen und praktischen Beobachters [so schließt Bamberger in seinen Erinnerungen] beweisen, daß nicht die Siege des Heeres und auch nicht die Grîndung des neuen Deutschen Reiches den wahren Wendepunkt in Deutschlands großem wirtschaftlichen Aufschwung gezeitigt haben, sondern die Gesamtheit der technischen Entdeckungen und Veranstaltungen und die zu ihrer Verwertung angelegten Eigenschaften der Deutschen.“390 Berlin hatte sich zu einem der grçßten Industrie- und Handelszentren des neuen Deutschen Reiches entwickelt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg die preußische Hauptstadt auch zum fîhrenden Finanzzentrum Deutschlands auf. Zu Anfang des Jahrhunderts îberwog wohl der Finanzbedarf des preußischen Staates, spter jedoch war es die Nhe zu den staatlichen Entscheidungsorganen, die Berlin Anziehungskraft verlieh. Preußens militrische Erfolge (1866 und 1870/71) sicherten Berlin den Vorsprung gegenîber anderen Stdten (vor allem Frankfurt am Main), aber die weitere Konzentration finanzieller Transaktionen und Institutionen in Berlin erklrt sich aus den durch „Economies of Scale“ und positive externe Effekte bewirkten Kostenvorteilen gegenîber anderen Finanzmrkten.391 Der Weg Berlins zu einem europischen Wirtschaftszentrum begann in dem Jahrzehnt nach der Reichsgrîndung.392 Auf vielen, doch nicht auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens spielte die Reichshauptstadt bald eine fîhrende Rolle in Europa. Es gelang, den Anschluß an die lteren Metropolen London und Paris zu finden und sich insgesamt an der dritten Stelle zu etablieren. Eine Weltausstellung sollte diese Position ad oculos demonstrieren. Aber Wilhelm II., der gerade in Fragen des technischen Fortschritts vorausschauend dachte, hat sich diesem Projekt, mit dem Berlin sich als Hauptstadt eines der modernsten Industrielnder der Weltçffentlichkeit htte prsentieren und den hohen Stand der kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklung zur Schau stellen kçnnen, mit aller Hartnckigkeit verschlossen. Entsprechende Plne tauchten zwar immer wieder auf, aber man hat fast den Eindruck, als habe Wilhelm II. Berlin eine solche Ausstellung, mit der sich in Europa bereits London, Paris, Wien und Brîssel profiliert hatten, nicht gçnnen wollen. So blieb es bei den beiden großen Berliner Gewerbeausstellungen von

390 Ludwig Bamberger, Erinnerungen, hg. v. Paul Nathan, Berlin 1899, S. 503. 391 Hans Weber, Bankplatz Berlin, Kçln/Opladen 1957. 392 Zusammenfassend und mit weiterer Literatur: Michael Stîrmer, Berlin als Hauptstadt des Reiches, Industriemetropole und Finanzplatz, in: Berlin und seine Wirtschaft. Ein Weg aus der Geschichte in die Zukunft – Lehren und Erkenntnisse, hg. v. der Industrieund Handelskammer zu Berlin, Berlin/New York 1987, S. 79 – 94.

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1879 in Moabit und 1896 in Treptow, die eindrucksvoll vor allem die Leistungen der Berliner Wirtschaft unter Beweis stellten.393 Das Volumen der Industrie îberholte bald das der anderen deutschen Stdte. Berlin dehnte sich immer mehr aus, wobei sich die sozialen Gegenstze vergrçßerten. Es war daher nicht îberraschend, daß auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in der neuen Hauptstadt bald ihre feste Verankerung fand. Nach Aufhebung des Sozialistengesetzes konnte sich ihr Vorstand hier eine gewichtige Position aufbauen und mit Hilfe einer leistungsfhigen Presse wirksame Propaganda treiben. Dazu errichtete die Parteifîhrung in der Hauptstadt noch ein zentrales Preßbîro, einen Zentralbildungsausschuß und schließlich die Parteischule, die Funktionre und Propagandisten heranbilden sollte. Den Abschluß bildete der Aufschwung des Gewerkschaftswesens, der mit einer allgemeinen Zentralisierung verbunden war. Seit 1903 amtierten die Generalkommission der Gewerkschaften, das Zentralarbeitersekretariat sowie ein Arbeiterinnensekretariat ebenfalls in Berlin. So hatte sich die Reichshauptstadt fîr die Arbeiterbewegung zu einer politisch-organisatorischen Zentrale entwickelt, die nicht nur in Deutschland eine integrierende Wirkung ausîbte, sondern auch die Parteien der gesamten Zweiten Internationale beeinflußte, deren Fîhrer sich hufig in Berlin aufhielten, um dort Eindrîcke und Erfahrungen sammeln zu kçnnen. So war die Kaiserstadt Berlin, auf deren prunkvolle Ausgestaltung die letzten Hohenzollern und zumal Wilhelm II. viel Mîhe verwandten, in der man gerne Paraden abhielt und Staatsbesuche mit allem îblichen zeremoniellen Pomp empfing, letzten Endes auch eine Metropole der Opposition, vor allem der Linksliberalen und der Sozialdemokraten, die man regierungsoffiziell als „Reichsfeinde“ und „vaterlandslose Gesellen“ zu diffamieren beliebte. Die îbrigen Parteien spielten in und zunehmend auch um Berlin keine wesentliche Rolle.394 Die Anfnge der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Berlins reichen bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurîck, aber erst der Aufstieg Berlins zur Hauptstadt des Deutschen Reiches und die fînf Milliarden Francs, die das besiegte Frankreich nach dem Krieg 1870/71 an Reparationen bezahlen mußte, fîhrten zu dem wirtschaftlichen Boom der „Grînderjahre“. Berliner Banken und Versicherungen engagierten sich in einem bisher nicht gekannten Ausmaß. In Berlin wurde eine Fîlle neuer Firmen, meist Aktiengesellschaften, gegrîndet. 393 Hella Kaeselitz (Red.), Die verhinderte Weltausstellung. Beitrge zur Berliner Gewerbeausstellung 1896, Berlin 1996; darin besonders die Beitrge von Uwe Mîller / Frank Zschaler, Weltstadt von Industrie und Gewerbe. Die Berliner Wirtschaft und die Gewerbeausstellung von 1896, S. 29 – 48; und von Kerstin Ohms, Berliner Unternehmer in der Wilhelminischen Epoche. Profile und Profilierungen hauptstdtischer Kaufleute, Industrieller und Gewerbetreibender, S. 49 – 56. 394 Eduard Bernstein (Hg.), Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung, 1 – 3, Berlin 1907 – 1910.

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Im Eisenbahnbau und in der Bauwirtschaft nahm man neue große und gewagte Unternehmungen in Angriff. Ganze Straßenzîge und Villenvororte, wie Westend und Lichterfelde, wurden ebenso errichtet wie umfangreiche Baukomplexe von „Mietskasernen“ fîr die rmere Bevçlkerung. Die Aktienkurse stiegen durch Spekulationen in immer grçßere Hçhen. Der nachfolgende „Grînderkrach“ von 1873 fîhrte zum Zusammenbruch allzu spekulativer Unternehmungen und lçste eine Bçrsenpanik aus. Die Kurse stîrzten schneller, als sie gestiegen waren, und viele teuer, oft nur mit Krediten erworbene Aktien wurden wertloses Papier. Die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen waren vor allem in der Hauptstadt Berlin zu spîren.395 Der „Grînderkrach“ unterbrach jedoch nur den Aufschwung, er beendete ihn nicht. Insgesamt ist bis 1914 ein allmhlicher Anstieg der Einkommen zu verzeichnen, die Attraktivitt der Stadt blieb erhalten. 1875 waren von den fast eine Million Bewohnern nur noch etwas mehr als 40 Prozent in Berlin geboren. Die Industrialisierung hat die Stadtentwicklung Berlins im 19. Jahrhundert wesentlich geprgt. Die eigentliche „City“ Berlins – mit dem historischen Berlin und Cçlln als Kern – hatte schon bald nach 1871 begonnen, ihr Gesicht stark zu verndern. Die Ausdehnung von Bîros, Geschften und Hotels fîhrte zu einer erheblichen Schrumpfung ihrer Bewohnerzahl. Um die Jahrhundertwende kam es im îbrigen alten Stadtgebiet zu hnlichen Entwicklungen. Die Bevçlkerung wuchs fast nur noch im Norden; im Sîden und Westen war die Stadt lngst zu einem ußerlich ungetrennten Husermeer zusammengewachsen. Die engen Grenzen der Stadt sind nicht nur von der Bevçlkerung, sondern auch von der Wirtschaft und vom Verkehr in immer schnellerem Tempo îberschritten worden. Das Zentrum gehçrte – außerhalb des Schloßbezirkes und des Regierungsviertels – dem Handel und den Banken. Im Husermeer der Mietskasernen mit ihren Hinterhusern und Gewerbehçfen lagen die kleinen und mittleren Industriebetriebe und Werksttten. Die Fabrikanlagen der Berliner Großindustrie, die am Ende des Kaiserreiches immer mehr an den Rand der Stadt und darîber hinaus gezogen waren, reichten bis nach Hennigsdorf, Spandau und Tegel, nach Adlershof und Kçnigs Wusterhausen.396 Fîr die traditionellen Hauptwirtschaftszweige Berlins brachte die Reichsgrîndung trotz des „Grînderkrachs“ auf lngere Sicht einen neuen Aufschwung. Vor allem das Bekleidungsgewerbe profitierte vom Krieg mit Frankreich, denn als die amerikanischen Einkufer nicht in das belagerte Paris gelangen konnten, reisten sie 395 Hans Rosenberg, Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf und Politik in Mitteleuropa (= VerçffHistKommBerlin, 24), Berlin 1967. Zusammenfassend und auf Berlin bezogen: M. Stîrmer, Berlin als Hauptstadt des Reiches … (s. Anm. 392), S. 90 – 92. 396 Alfred Zimm, Die Entwicklung des Industriestandortes Berlin. Tendenzen der Geographischen Lokalisation bei den Berliner Industriezweigen von îberçrtlicher Bedeutung sowie die territoriale Stadtentwicklung bis 1945, Berlin 1959, bes. S. 25 – 84.

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weiter nach Berlin und ttigten hier ihre Einkufe. Vor allem aber avancierte Berlin zum Zentrum der deutschen Elektroindustrie.397 Im Bereich der gewerblichen Anlagen beanspruchte die Großindustrie immer weitere Flchen. Sozialrumlich fîhrte das zur strikten Trennung von Wohnen und Arbeiten, zur Ausgrenzung von großen Arealen und ganzen Straßenblçcken aus dem çffentlichen Bereich durch lange Mauern und Zune. Die bemerkenswerten Berliner Industriearchitekten wie Strack (Borsig), Behrens (AEG) und Janisch beziehungsweise Hertlein (Siemens) versuchten diese Areale optisch in die Stadt einzubinden.398 Am Ende des 19. Jahrhunderts sprach man lngst von Berlin und seinen Vororten, bald auch von Groß-Berlin, wenn man den Bereich der Gemeinden rings um die Hauptstadt meinte, die zwar politisch selbstndig, aber wirtschaftlich eng mit ihr verbunden waren. Mit der raschen Ausdehnung der Mietskasernenviertel im Stadtinnern wuchs in den sechziger Jahren in Berlin das Bedîrfnis nach gesundem Wohnen in lndlicher Umgebung: Der „Landhaus-Gedanke“, der von England kam, verbreitete sich auch in Berlin. Zwischen Reichsgrîndung und Jahrhundertwende hatte Berlin ein weit verzweigtes und ins Umland ausgreifendes Nahverkehrs-System aus Eisenbahn, U- und Hochbahn, elektrischer Straßenbahn und – wenig spter – Autobus erhalten. Industriebahnen kamen hinzu. Ohne dieses Verkehrsnetz, so zersplittert, auf viele Gemeinden verteilt und oft schlecht koordiniert es auch war, wre das rumliche Wachstum Berlins nicht mçglich gewesen. Die Ausdehnung der Stadt drngte die mrkische Landschaft im weiten Umkreis um die Hauptstadt zurîck. Auf lngere Sicht schuf dies aber erst die Mçglichkeiten fîr Reformen des Stdtebaus und die Entwicklung zu moderneren Wohn- und Arbeitsverhltnissen.399 Als Hauptstadt des Wilhelminischen Kaiserreiches war Berlin ein europisches Wirtschaftszentrum von Bedeutung geworden, blieb aber dennoch hinter London und Paris zurîck. Die çkonomische Substanz fîr eine hçhere Einstufung wre wohl vorhanden gewesen, doch die politischen Umstnde standen dem im Wege. Andererseits ist hervorzuheben, daß es im Unterschied zu anderen Staaten neben der Reichshauptstadt mehrere wirtschaftlich, kulturell und politisch wichtige Landes- und Provinzhauptstdte wie Mînchen, Kçln und Breslau sowie die „freien“ Reichs- und Hansestdte wie Frankfurt am Main und Hamburg gab. Es ist also sehr fraglich, ob in Berlin die preußisch-deutsche Bildung und politische Meinung hnlich gemacht und bestimmt wurde wie in 397 Sigfrid von Weiher, Berlins Weg zur Elektropolis. Ein Beitrag zur Technik- und Industriegeschichte an der Spree, Gçttingen/Zîrich 1987. 398 Dieter Vorsteher, Borsig. Eisengießerei und Maschinenbauanstalt zu Berlin, Berlin 1983; Tilmann Buddensieg / Henning Rogge, Industriekultur. Peter Behrens und die AEG 1907 – 1914, Berlin 1978; Wolfgang Ribbe / Wolfgang Schche, Die Siemensstadt. Geschichte und Architektur eines Industriestandortes, Berlin 1985. 399 F. Escher, Berlin und sein Umland … (s. Anm. 78), Ausblick, S. 321 – 336.

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Wien die çsterreichische oder in Paris die franzçsische. In der Politik wie in der Wirtschaft hatte sich aber der Anspruch Berlins, Hauptstadt und çkonomisches Entscheidungszentrum zu sein, bis zum Ende des Kaiserreiches weitgehend durchgesetzt. Im kulturellen Bereich, insbesondere was die Kunst, die Literatur, auch die Architektur betraf, waren die Dinge weniger eindeutig. Berlins literarische Szene blieb in der Hauptsache provinziell oder regional auf das volkstîmlich Erzhlerische und Dramatische begrenzt. An der Berliner Universitt verlor sich der liberale Geist der Achtundvierziger Generation, wie ihn Theodor Mommsen und der auch als Berliner Stadtverordneter verdienstvolle Mediziner Rudolf Virchow beispielhaft verkçrperten. 1871 kam Heinrich von Treitschke nach Berlin, ein unbedingter Verfechter des preußischen Machtstaates und eines nationalistischen Antisemitismus, îber den er 1879/80 unter anderem mit Mommsen in einen heftigen Streit geriet.400 Eine solche Atmosphre konnte auf auswrtige Geister, fîr die Berlin – anders als Paris fîr die Franzosen und London fîr die Englnder – nicht die selbstverstndliche Hauptstadt war, lange nicht anziehend sein. Daran nderte auch die von den Mitgliedstaaten des Norddeutschen Bundes 1869 beschlossene Gewerbefreiheit nichts, die zahlreiche Theaterneugrîndungen in Konkurrenz zu den Hoftheatern ermçglichte, die aber zugleich einschneidenden Restriktionen bei der Spielplangestaltung unterworfen blieben.401 Obwohl das preußische Hoftheater einen reprsentativen Neubau erhielt, nderte sich an der Spielplangestaltung nichts. Fachleute klagten, es wîrde „schwer fallen, auch nur ein Dutzend neuer Stîcke von literarischem Charakter aufzuzhlen, die in den letzten dreißig Jahren auf dieser Bîhne in das Licht der §ffentlichkeit getreten oder dort geduldet worden wren. Zu keiner Zeit und in keinem Land der Welt hat je ein nationales Theater, dessen Subvention aus der Steuerkraft des Volkes fließt, so jede Fîhlung mit dem schaffenden Geist der Zeit vermissen lassen wie dieses“.402 Erst in den spten achtziger Jahren, als die Zeit Bismarcks und des Sozialistengesetzes zu Ende ging, belebte sich auch Berlins literarische Szene. 1887 bildete sich der „Klub der dichtenden Naturwissenschaftler“ mit dem programmatischen Namen „Durch“. Wilhelm Bçlsche, Arno Holz, Johannes Schlaf, auch Gerhart Hauptmann gehçrten zu diesem Kreis, dessen naturalistische Stîcke der Verein „Freie Bîhne“ unter der Regie von Otto Brahm auffîhrte. Diese bîrgerlich bestimmte literarische Be-

400 Walter Boehlich (Hg.), Der Berliner Antisemitismusstreit (= Sammlung Insel, 6), Frankfurt am Main 1965. 401 Ruth Freydank, Gewerbefreiheit – Theaterfreiheit, in: Dies., Theater in Berlin. Von den Anfngen bis 1945, Berlin 1988, S. 286 – 311. 402 Max Martersteig, Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert, Leipzig 1904, S. 659.

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wegung mîndete in der Volksbîhnenbewegung mit der Errichtung eines eigenen Theaters.403 Adolph von Menzel war in Berlin lange der einzige, der sich von der „Hofmalerei“, etwa Anton von Werners, abhob, aber dennoch von Wilhelm II. geschtzt wurde, der die Werke anderer Maler, die sich 1898 im Protest gegen die etablierte Kunstszene zur „Berliner Sezession“ zusammengeschlossen hatten, als „Rinnsteinkunst“ schmhte. Das galt wohl nicht fîr die Landschaftsmalerei Max Liebermanns und Walter Leistikows, den beiden Prsidenten der Secession, aber gewiß fîr Kthe Kollwitz’ Radierungen zum Weberaufstand und fîr ihre und Heinrich Zilles Darstellungen des Berliner Arbeiter-Elends und erst recht fîr die Maler des Expressionismus, wie Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde, die weder Farbe noch Form als gottgegeben respektierten und sich in der „Kînstlergruppe Brîcke“ gefunden hatten. øhnliche Entwicklungen, fort vom traditionellen, offiziellen Stil, gab es in der Bildhauerei und der Architektur. Letzte Zeugnisse des „Wilhelminismus“, eines auf „monumentale“ Wirkung zielenden Stilgemisches, waren die Marmorstatuen der brandenburgisch-preußischen Herrscher in der Siegesallee (respektlos „Puppenallee“ genannt), der neue Dom am Lustgarten und die KaiserWilhelm-Gedchtniskirche. Auch der Reichstag mit seinem Fassadenpomp entsprach diesem Zeitgeschmack. Selbst die Fassaden der Mietskasernen sollte dieser „Stil“ noch reprsentativ erscheinen lassen, und er prgte auch viele Industriebauten. Doch hier begann sich schon vor dem Kriege ein neuer Stil zu zeigen: er war von der Funktion bestimmt und wies in Warenhusern und Werkshallen ebenso wie in Wohnbauten und -siedlungen einer neuen Epoche den Weg. In Ausstellungen der „Secession“ waren auch Plastiken von Ernst Barlach, Louis Tuaillon und anderen zu sehen, die ebenfalls bereits einer neuen Zeit angehçrten.404 Die Erweiterung der preußischen Sammlungen und Bauten auf der Museumsinsel, mit wichtigen Werken der europischen Kunst bis ins 19. Jahrhundert, war vor allem das Werk des Museumsdirektors Wilhelm von Bode.405 Auch durch sein Talent, Geldgeber zu gewinnen, wurde Berlin eine Museumsstadt von europischem Rang.

403 Ruth Freydank, Die Volksbîhnenbewegung, in: Dies., Theater in Berlin … (s. Anm. 401), S. 341 – 351; sowie Siegfried Nestriepke, Geschichte der Volksbîhne Berlin, Berlin 1930, S. 14 f. 404 An Stelle einer noch immer fehlenden umfassenden Darstellung der Kunst und Kultur im Kaiserreich vgl. die knappe, auch die politischen Zusammenhnge berîcksichtigende Einfîhrung von Lothar Gall, Das Berlin der Bismarckzeit, in: Ruth Glatzer, Berlin wird Kaiserstadt. Panorama einer Metropole 1871 – 1890, Berlin 1993, S. 11 – 24. 405 Thomas W. Gaehtgens, Die Berliner Museumsinsel im Deutschen Kaiserreich, Mînchen 1992, bes. S. 11 – 28: Wilhelm von Bode und seine Sammler.

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Im Wissenschaftsbereich406 blieb die Friedrich-Wilhelms-Universitt407 unbestritten die angesehenste Hochschule. 1890 hatte die Universitt bereits 6.000 immatrikulierte Studenten, und fast 300 Geistes- und Naturwissenschaftler, viele von internationalem Rang, waren hier lehrend und forschend ttig. An der Universittsklinik, der Charit¤, arbeiteten berîhmte Mediziner wie der bereits als liberaler Politiker erwhnte Begrînder der Zellularpathologie, Rudolf Virchow, aber auch der Entdecker des Tuberkelbazillus und des Choleraerregers Robert Koch, der 1905 den Medizin-Nobelpreis erhielt. Darîber hinaus war Berlins Wissenschaftslandschaft bereits 1879 durch die Grîndung der „Kçniglichen Technischen Hochschule zu Berlin“ in Charlottenburg erweitert worden.408 Auch die 1887 gegrîndete Physikalisch-Technische Reichsanstalt trug der wachsenden Bedeutung von Technik und Naturwissenschaften Rechnung. Zur Hundertjahrfeier der Universitt, 1910, wurde, um der Forschung mehr Raum zu geben, als ein „Deutsches Oxford“ die „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Fçrderung der Wissenschaften“ (seit 1948 „Max-Planck-Gesellschaft“) gegrîndet. Sie nahm ihren Sitz in Dahlem, zu jener Zeit noch außerhalb der Berliner Stadtgrenze gelegen, auf einem kroneigenen Areal, das der Kaiser zur Verfîgung stellte und das auch oberste Fachbehçrden des Reiches beherbergte. Die Physiker Max Planck und Albert Einstein, die beide den Nobelpreis erhielten, gehçrten zu den fîhrenden dort ttigen Forschern. Nobelpreise erhielten vor 1918 auch der Physiker Max von Laue sowie die Chemiker Emil Fischer und Fritz Haber. An Fischers Institut erforschten Otto Hahn (Nobelpreis 1944) und Lise Meitner seit 1906 die Radioaktivitt.409 Unter den

406 Zu den folgenden Ausfîhrungen vgl. (die nicht immer ideologiefreien Darstellungen) von Wilhelm Girnus, Zwischen Reichsgrîndung und Jahrhundertwende (1870 – 1900), und Annette Vogt, Berliner Wissenschaft im Abgesang des Wilhelminischen Reiches (1900 – 1917), in: Hubert Laitko (Hg.), Wissenschaft in Berlin. Von den Anfngen bis zum Neubeginn nach 1945, Berlin 1987, bes. S. 172 ff. und S. 306 ff. 407 Zur Entwicklung der einzelnen Fachgebiete vgl. die Beitrge in: Hans Leussink / Eduard Neumann / Georg Kotowski (Hg.), Studium Berolinense. Aufstze und Beitrge zu Problemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-WilhelmsUniversitt zu Berlin, Berlin 1960. 408 Reinhard Rîrup (Hg.), Wissenschaft und Gesellschaft. Beitrge zur Geschichte der Technischen Universitt Berlin 1879 – 1979, 2 Bde., Berlin/Heidelberg/New York 1979. 409 Michael Engel, Geschichte Dahlems, Berlin 1984, bes. die Kapitel: „Die Begrîndung wissenschaftlicher Einrichtungen“ (S. 69 – 83), „Die Errichtung oberster Fachbehçrden“ (S. 84 – 95), „Der Weg zur Kaiser Wilhelm Gesellschaft“ (S. 96 – 121) und „Die Institute der Kaiser Wilhelm Gesellschaft“ (S. 122 – 136); Eckart Henning (Hg.), Beitrge zur Wissenschaftsgeschichte Dahlems (= Verçffentlichungen aus dem Archiv der MaxPlanck-Gesellschaft, 13), Berlin 2000; Felix Escher, „Die fiskalische Siedlungspolitik in Dahlem entspricht nicht der ˜berlieferung des preußischen Staates“, in: JbBrandenbLdG 55 (2004), S. 206 – 214.

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Berliner Geisteswissenschaftlern war 1902 Theodor Mommsen fîr seine „Rçmische Geschichte“ mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet worden.410 Im ersten Jahrzehnt der Existenz als Reichshauptstadt gehçrte Berlin verwaltungsorganisatorisch zur Provinz Brandenburg. Erst 1881 schied es aus dieser aus und wurde ein eigener Verwaltungsbezirk, doch blieben Oberprsidium, Konsistorium, Provinzialschul- und Medizinalkollegium von Brandenburg weiterhin als hçhere Instanz fîr Berlin zustndig, whrend das Polizeiprsidium direkt dem preußischen Ministerium des Innern, nicht dem Reichsamt des Innern unterstand, so daß die preußische Kapitale und Reichshauptstadt Berlin in mehreren Verwaltungsbereichen weiterhin abhngig von der Provinzregierung in Potsdam blieb.411 Der Hof residierte weiterhin in Berlin und Potsdam, wobei die Schlçsser der Hohenzollern-Dynastie die wichtigsten Bezugspunkte des Hofes bildeten: „Der Kaiser besitzt […] als Eigentum in Berlin drei [Stadtschloß, Bellevue, Monbijou], in Potsdam und in der Umgebung 13 und im ganzen mehr als 40 Schlçsser […].“412 Die Spitzen der preußischen und der Reichs-Verwaltung, die Fîhrungskrfte in den Zentralen von Banken, Industrie und Handel und die „Lobbyisten“, die Vertreter der Interessenverbnde, konzentrierten sich zwischen Kçnigsplatz, Potsdamer Platz und Alexanderplatz. Hier fielen die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. In Berlin residierten die auslndischen Diplomaten und die immer noch als „Gesandte“ titulierten und sich auch so fîhlenden Vertreter der anderen Bundesstaaten vom Kçnigreich Bayern bis zur Hansestadt Lîbeck, die zugleich im Bundesrat den Ton angaben. Staats- und Regierungschefs kamen zu Staatsbesuchen oder internationalen Konferenzen in die Hauptstadt, wie zum Berliner Kongreß von 1878, bei dem es, mit Bismarck als dem „ehrlichen Makler“, um Krieg und Frieden auf dem Balkan ging. All diese „Kreise“, dazu noch die Vertreter von Parteien und Parlamenten, von Kultur und Wissenschaft, bildeten jene „oberen Zehntausend“ der Hauptstadt, auf die sich – wie auf die Reichstagsdebatten – die çffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte. Sie alle arrangierten und spielten das Spiel auf der offiziellen, offiziçsen und gesell410 Hartmut Galsterer, Theodor Mommsen, in: Michael Erbe (Hg.), Berlinische Lebensbilder. Geisteswissenschaftler (= Berlinische Lebensbilder, 4), Berlin 1989, S. 175 – 194, mit weiterer Literatur. 411 Werner Vogel, Brandenburg (= Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815 – 1945. A, 5), Marburg an der Lahn 1975, bes. S. 45 – 48. 412 13 weitere Schlçsser im Reich wurden dem Kaiser zur Verfîgung gestellt, waren aber nicht sein Eigentum. Vgl. Kurt Heinig, Hohenzollern. Wilhelm II. und sein Haus. Der Kampf um den Kronbesitz, Berlin 1921, S. 36 ff.; Rudolf Martin, Jahrbuch des Vermçgens und des Einkommens der Millionre in Berlin, Berlin 1913, bes. S. 115 – 124; außerdem: Sabel V. Hull, The Entourage of Kaiser Wilhelm II 1888 – 1918, Cambridge u. a. 1982; Dies., Der Kaiserliche Hof als Herrschaftsinstrument, in: Hans Wilderotter / Klaus-D. Pohl (Hg.), Der letzte Kaiser Wilhelm II. im Exil, Gîtersloh/Mînchen 1991, S. 19 – 30.

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schaftlichen Bîhne. Sie konferierten und verwalteten in den Bîros, die immer mehr die Innenstadt eroberten, trafen sich bei Verhandlungen und Geschftsabschlîssen, aber auch bei Empfngen, in den Theater-, Opern- und Konzertslen, in den Restaurants und Caf¤s. Bei all dem gab es in dieser „Berliner Gesellschaft“ strenge Rangunterschiede.413 Ganz „oben“ standen die Aristokratie und das Militr mit der kaiserlich-kçniglichen Familie und der in viele Kategorien unterteilten Hofgesellschaft. Dabei machte der Adel 1871 nur ein Prozent der Berliner Bevçlkerung aus, whrend 42 Prozent dem Bîrgertum und 57 Prozent der Arbeiterschaft zugerechnet wurden. Bîrgerliche hatten nur ausnahmsweise zu diesem obersten Kreis der Berliner Gesellschaft Zutritt und wurden dann selbst in den Adelsstand erhoben: wie der Historiker Leopold (von) Ranke, der Maler Adolph (von) Menzel oder – eine ganz besondere Ausnahme – die jîdischen Bankiers (von) Gerson und Bleichrçder, der Bismarcks Kriege mitfinanziert hatte und des Kanzlers Vermçgen verwaltete. Auch Parlamentarier, wie der Rittergutsbesitzer von Bennigsen, konnten zu jener Gesellschaft gehçren, wenn sie aus der anfangs nicht kleinen Schar aristokratischer Mandatsinhaber kamen, dazu konservativ oder wenigstens nationalliberal waren.414 Von den drei Herrschern des Kaiserreichs regierte Wilhelm II. mit 30 Jahren am lngsten. Er drîckte diesen drei Jahrzehnten seinen Stempel auf und die Epoche seiner Herrschaft bleibt mit seinem Namen verbunden.415 Der Kaiser verband eine erstaunliche Aufgeschlossenheit fîr den technischen Fortschritt und anfangs auch fîr soziale Fragen mit einem herrscherlichen Sendungsbewußtsein, das letztlich die meisten gesellschaftlichen Reformen im Keime erstickte. Sein selbstherrliches Auftreten, vor allem nach der Entlassung des „Reichsgrînders“ Bismarck 1890, ist die Zeit des „Wilhelminismus“. Dieser strahlte auch auf ein Bîrgertum aus, das wirtschaftliche Tîchtigkeit mit der 413 John C. G. Rçhl, Hof und Hofgesellschaft unter Kaiser Wilhelm II., zuerst 1985, wieder in: Ders., Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, Mînchen 1987, S. 78 – 115 und S. 220 – 233; [Anonym], Aus Kaiser Wilhelms II. Umgebung, Berlin 1897; Hans Philippi, Der Hof Kaiser Wilhelms II., in: Karl Mçckl (Hg.), Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (= Bîdinger Forschungen der Sozialgeschichte. Deutsche Fîhrungsschichten in der Neuzeit, 18), Boppard am Rhein 1990, S. 361 – 394. 414 Es sind vor allem Selbstzeugnisse, die ein anschauliches Bild von der Gesellschaft und ihren Lebensformen im kaiserlich-kçniglichen Berlin bieten, so u. a. Kraft Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben, 2, Berlin 1905; Bogdan Graf von Hutten-Czapski, Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft, 1, Berlin 1936; Sophie Marie Grfin von Voss, Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe. Aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin, Leipzig 21876; Robert Graf Zedlitz-Trîtzschler, Zwçlf Jahre am deutschen Kaiserhof, Berlin/Leipzig 17-191924; Fedor von Zobeltitz, Chronik der Gesellschaft unter dem letzten Kaiserreich, 2 Bde., Hamburg 1922. 415 Walther Rathenau, Der Kaiser. Eine Betrachtung, Berlin 1919.

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Nachahmung adliger Umgangsformen verband. Berlins Besitz- und Großbîrgertum, das seine Villen vorzugsweise um den Wilhelmplatz, am Rande des Tiergartens und im „Millionrsvorort“ Grunewald besaß, war von dieser „Neofeudalisierung der deutschen Gesellschaft“ nicht frei, obgleich der Liberalismus der Freisinnigen den Berliner Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung nach wie vor beherrschte und die politische Heimat des grçßten Teils dieses Berliner Bîrgertums war. Zu diesem Berliner Liberalismus bekannte sich auch eine breite Schicht von Angehçrigen akademischer Berufe, wie Juristen, Mediziner, Hochschullehrer und hçhere Magistratsbeamte, die ihren gesellschaftlichen Ort zwischen großbîrgerlicher „Finanzaristokratie“ und dem Kleinbîrgertum hatte. Andererseits gab es zunehmend große Teile des Kleinbîrgertums und der Handwerker, die ihre Existenz von der Industrie bedroht sahen, und eine untere Beamten- und Angestellten-Schicht, deren materieller Lebensstandard sich wenig von dem der Arbeiterschaft unterschied. Sie waren im Lebensstil großenteils konservativ und national, antiliberal, antisozialistisch und antisemitisch. Es ist bezeichnend, daß der 6. Reichstagswahlkreis, der den ganzen Nordwesten Berlins und îber zwei Fînftel der Berliner Wahlberechtigten umfaßte, nicht nur die meisten sozialdemokratischen, sondern auch die meisten konservativen Whler hatte. Dieses Industrie- und Gewerbegebiet, das Moabit, Wedding, Gesundbrunnen und dazu auch einen Teil des spteren Bezirks Prenzlauer Berg umfaßte, war zugleich der Sitz zahlreicher kleiner Betriebe mit Handwerksmeistern und -gesellen. Konservative und Reichspartei, „Handwerkspartei“ und Antisemiten-Parteien kamen hier im Wechsel auf hohe Whlerzahlen: 1887 erhielt der christlich-soziale und antisemitische Hofprediger Adolf Stçcker fast 30 Prozent der Stimmen. Dennoch – nimmt man die linksliberale Partei, auch wenn sie von nationalen Tçnen mit der Zeit nicht frei blieb, und die kometenhaft aufsteigende SPD zusammen, dann stimmten Berlins Whler zu 80 bis 90 Prozent mehr oder minder „links“.416 Formen des Wilhelminismus sind auch in der Verwaltung der Hauptstadt zu erkennen. Neben dem Oberbîrgermeister als Haupt der Selbstverwaltung war in Berlin stets der Polizeiprsident als Reprsentant der preußischen Staatsgewalt die wichtigste stdtische Persçnlichkeit. Von 1848 bis 1856 war der Polizeiprsident Hinckeldey die beherrschende Figur des Berliner Stadtregiments gewesen. Auch als seit 1861 die Liberalen auf Berlins politischer Szene wieder nach vorn rîckten, waren seine Nachfolger mchtige Mitregenten. Als Persçnlichkeiten blieben sie jedoch weitgehend unbekannt. Dagegen begann 1862 mit Karl Theodor Seydel die Reihe bedeutender Oberbîrgermeister, die selbst liberal waren und eng mit den Berliner Freisinnigen zusammenarbeiteten. 416 Vgl. M. Neugebauer-Wçlk, Whlergenerationen in Preußen … (s. Anm. 386); sowie H. Nçcker, Der preußische Reichstagswhler … (s. Anm. 386).

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Auf Seydel folgte Arthur Hobrecht (1873 bis 1878), der, wie sein Nachfolger Max von Forckenbeck (bis 1892), zuvor Oberbîrgermeister von Breslau gewesen war. Danach amtierten bis zur Bildung Groß-Berlins Robert Zelle (bis 1898), Martin Kirschner (bis 1912) und Adolf Wermuth (bis 1920),417 die das bîrgerliche Element in der preußisch-deutschen Hauptstadt in der Residenz der Monarchen zu behaupten suchten. Die staatlichen preußischen Instanzen, die das Jahr 1848 nur zu gut im Gedchtnis behalten hatten, sahen die erneute „Liberalisierung“ der stdtischen Selbstverwaltung ebenso mit Mißtrauen wie spter das anwachsende „rote“ Berlin. So hat es an Spannungen gegenîber den stdtischen Kçrperschaften vom Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts an nicht gefehlt. Auch als Reichseinung, Sozialistengesetz und wilhelminische Weltpolitik in Teilen des Berliner Bîrgertums einen Stimmungsumschwung brachten, war dieser doch nie stark genug, um die liberale Vorherrschaft in den Selbstverwaltungsorganen zu gefhrden. Bismarck, der von dem in der Hauptstadt herrschenden „Fortschrittsring“ sprach, ließ die Kommune çfter seinen Unwillen spîren. Dafîr weigerten sich 1895 die Stadtverordneten ebenso wie der Reichstag, dem inzwischen in den Ruhestand geschickten Berliner Ehrenbîrger und Ex-Kanzler zu seinem 80. Geburtstag zu gratulieren. Die Politik, die von Kaiser, Hof, Reichs- und preußischer Regierung sowie von den konservativen Parteien – den großagrarisch ausgerichteten „Deutschkonservativen“ mit ihren Schutzzollinteressen und den mehr auf Reichsinteressen und Kolonialexpansion zielenden „Freikonservativen“ – ja auch von den „Nationalliberalen“, die 1866 im preußischen Verfassungskonflikt sich mit Bismarck arrangiert hatten, getragen wurde, spielte sich zwar in Berlin ab und artikulierte sich in einigen großen Blttern wie der „Neuen Preußischen Zeitung“ (oder „Kreuzzeitung“, seit 1848), dem „Reichsboten“ (1873), der „Post“ (1874) oder der „Deutschen Tageszeitung“ des Bundes der Landwirte (1893) beziehungsweise der bisweilen halboffiziçsen „Norddeutschen Allgemeinen“, doch die Linie, die hier verfolgt wurde, wirkte sich auf die Stadt ebenso wenig aus wie das gesellschaftliche Leben bei Hofe, mit dem weite Bevçlkerungskreise der Metropole nichts zu tun hatten.418 „Kaiserstadt“ und „Reichshauptstadt“ – das waren an sich nur das engere Areal um das Stadtschloß und der nach Westen durch das Brandenburger Tor und den Tiergarten fîhrende Straßenzug „Unter den Linden“/Charlottenburger Chaussee (heute: Straße des 17. Juni) zwischen dem Lustgarten und der Grenze zur westlichen Nachbargemeinde sowie das Gebiet um die Wilhelmstraße mit 417 Vgl. die Beitrge von Karl-Heinz Noack, Daniel S. Matern und Andreas Splanemann in: W. Ribbe, Stadtoberhupter … (s. Anm. 292). 418 P. Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin … (s. Anm. 255), bes. die Verleger-Biographien Leopold Ullstein, Rudolf Mosse und August Scherl, S. 56 ff.

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ihren Regierungsgebuden zwischen der Straße „Unter den Linden“ im Norden und dem Belle-Alliance-Platz (heute: Mehringplatz) im Sîden. Vor allem nçrdlich der Leipziger Straße, die westwrts Bauten preußischer Ministerialbehçrden sumten, reihten sich beiderseits der Wilhelmstraße Reichsmter und preußische Ministerien aneinander. Es begann mit der Reichskanzlei, einem 1875/76 ausgebauten Palais aus dem frîhen 18. Jahrhundert, in dessen großem vorderen Mittelsaal 1878 Bismarck den Berliner Kongreß abhielt. Daran schlossen sich das Auswrtige Amt – gleichfalls ein Palais aus dem 18. Jahrhundert – und das Reichsamt des Innern an, in dem – wenn man nicht gemeinsam mit dem Reichstag in dessen Gebude seine Sitzungen abhielt – der Bundesrat, die Vertretung der zum Reich verbîndeten deutschen Fîrsten und Stdte und das politisch letztlich entscheidende Gremium in Deutschland, tagte. Im Bereich der Kreuzung „Unter den Linden“ mit der Wilhelmstraße befanden sich die wichtigsten auslndischen Botschaften – die des Zaren und der USA sowie die Großbritanniens und Frankreichs.419 Die des engsten Verbîndeten des Deutschen Reiches, §sterreich-Ungarns, befand sich dagegen im „Alsenviertel“ sîdlich des Spreebogens, wo nach den Reichseinigungskriegen ein weiteres Reprsentationszentrum fîr das neue Reich entstand. Sein Mittelpunkt war der Kçnigsplatz, ein ehemaliges Exerzierfeld, das seit 1864 umgestaltet wurde und auf dem sich seit 1873 die smtliche preußischdeutschen Siege ab 1864 verherrlichende Siegessule mit einem vergoldeten Denkmal der Viktoria erhob. Mit Auffahrt und Eingangsportal zu diesem Platz hin wurde im Westen dicht an der Spree zwischen 1884 und 1894 der Reichstag nach Plnen von Paul Wallot errichtet, mit einem dekorativen Aufwand, der im umgekehrten Verhltnis zu den Einflußmçglichkeiten und Freiheiten stand, welche die Reichsverfassung ihrer parlamentarischen Versammlung zugestand, die sich zuvor mit provisorischen Unterkînften hatte begnîgen mîssen. Wilhelm II. nannte in einem Schreiben an Philipp Graf Eulenburg kurz nach der Schlußsteinfeier Anfang Dezember 1894 den Bau, dessen Architekten er mehrfach brîskiert hatte, verchtlich „Reichsaffenhaus“. Die von Wallot îber dem Eingang geplante Inschrift „Dem deutschen Volke“ hatte er zuvor verhindert. Erst mitten im Ersten Weltkrieg, als politische Ratgeber ihm diese Geste nahelegten, ließ er sich dazu herbei, die Widmung zu genehmigen, die dann kurz vor Weihnachten 1916 im Giebeldreieck îber dem Portal angebracht wurde, wo sie sich noch heute befindet. Zwischen Reichstag und Siegessule wurde 1901 ein Nationaldenkmal fîr Bismarck enthîllt, das ebenso wie die auf 419 Dazu u. a. die Beitrge von Hans Wilderotter, Ludwig Biewer, Andreas Nachama, Wolfgang Ribbe und Rosemarie Baudisch in: H. Engel / W. Ribbe, Geschichtsmeile Wilhelmstraße … (s. Anm. 298); sowie H. Wilderotter, Alltag der Macht … (s. Anm. 298); und L. Demps, Berlin – Wilhelmstraße … (s. Anm. 298) [nicht immer zuverlssig].

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dem nçrdlich an den Kçnigsplatz anschließenden Standbilder des ehemaligen preußischen Kriegsministers Roon und des Generalstabschefs Moltke, den militrischen Vtern der Siege in den Einigungskriegen, samt Siegessule 1938 von den Nationalsozialisten zum Großen Stern versetzt wurden, wo sie heute noch stehen. Die Doppelplatzanlage wurde im Norden vom Generalstabsgebude und im Sîden von der 1901 vollendeten „Siegesallee“ durch den Tiergarten flankiert. Der Kçnigsplatz, 1919 in „Platz der Republik“ umbenannt, war mitsamt seiner Umgebung also keineswegs ein Areal, das die parlamentarische Verklammerung des neuen Reiches, sondern eher seine Schçpfung mit „Blut und Eisen“ symbolisierte.420 Die Selbstverwaltungsrechte des Magistrats waren in der Hauptstadt strker eingeschrnkt als in anderen preußischen Stdten. Erst seit 1876 durfte die Kommune selbstndig îber die Erneuerung und einen dem zunehmenden Verkehr entsprechenden Ausbau von Straßen, Pltzen und Brîcken entscheiden. Doch blieb auch dann noch der Bereich der kçniglichen Schlçsser und Anlagen ausgenommen, und das Schloß im Herzen der Hauptstadt lag als eigener „Gutsbezirk“ ganz außerhalb der stdtischen Verwaltung. Auch mußten jeder Bebauungsplan, jede Straßenbahnanlage, jedes çffentliche Denkmal und jeder Straßenname vom Kçnig genehmigt werden. Seit 1881 nahm die Stadt Berlin als eigener Verwaltungsbezirk im Verhltnis zur Provinz Brandenburg eine Sonderstellung ein. Das htte ein Schritt zu grçßerer Eigenstndigkeit der stdtischen Verwaltung sein kçnnen. Doch der brandenburgische Oberprsident und der Polizeiprsident konnten weiter in die stdtische Verwaltung hineinregieren. Eine Art „polizeiliches“ Groß-Berlin gab es dagegen lngst, aber das Neben- und oft auch Gegeneinander mehrerer Dutzend Stdte und Dçrfer mit ihren Bîrgermeistern und ømtern blieb. Abgesehen von kleineren Arrondierungen gab es seit 1861 keine großen Erweiterungen des Berliner Stadtgebietes mehr. Berlin ebenso wie die „besseren“ Vororte befîrchteten eigensîchtig, von ihrem „Reichtum“ etwas an „rmere“ Nachbargemeinden abgeben zu mîssen, und als die Stadt endlich umschwenkte, wollte Preußens Regierung das „rote“ Berlin lieber durch einen „Kranz blîhender Vorortgemeinden“ unter Kontrolle halten. Trotzdem haben Magistrat und Stadtverordnete fîr die rasch wachsende Millionenbevçlkerung in den engen Grenzen Berlins manche wichtige Verbesserung durchgesetzt. Die grçßte Leistung des Zweckverbandes bestand sicherlich in der Erhaltung des Grunewalds, des Tegeler, des Dîppeler und des Kçpenicker Forstes, die heute noch als Erholungsgebiete dienen. Insgesamt kaufte er dem preußischen Staat ein Dauerwald- und Seengebiet von îber 100 Qua420 Zum Reichstag und seiner Umgebung: M. S. Cullen, Der Reichstag … (s. Anm. 383); sowie: Michael S. Cullen, Platz der Republik: vom Exerzierplatz zum Regierungsviertel. Ausstellungskatalog, mit einem Katalogbeitrag von Michael S. Cullen, Berlin 1992.

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dratkilometern Umfang ab. Komplizierter war die Bndigung des Verkehrschaos. Fast nichts konnte der Verband gegen den herrschenden stdtebaulichen Wirrwarr ausrichten. Erst der private Stdtebauwettbewerb „Groß-Berlin“ von 1909/10 brachte einen Gesamtplan hervor, der mangels eines offiziellen Plans dann sogar teilweise realisiert wurde. Solange das Kaiserreich und die preußische Monarchie bestanden, blieb dies alles jedoch Stîckwerk. Es bedurfte erst vçllig vernderter politischer Verhltnisse, um eine Einheitsgemeinde Berlin realisieren zu kçnnen.421 Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Folgen der Industriellen Revolution in der Kaiserstadt Berlin deutlich spîrbar. In der Wirtschaft ebenso wie in der Wissenschaft, Kunst und Kultur zeigten sich aber vielversprechende und zukunftsweisende Entwicklungen. An ihnen hatten Menschen der verschiedensten Herkunft und sozialen Schichten, gebîrtige Berliner ebenso wie Zugereiste, ihren Anteil. Entgegen den Parolen des politischen Antisemitismus, der am Ende des 19. Jahrhunderts auflebte, leisteten dazu Berlins jîdische Mitbîrger – nach der Religionsstatistik von 1910 waren es 90.000 oder 4,3 Prozent von 2,1 Millionen Einwohnern – einen wichtigen Beitrag. Etliche von ihnen hatten hervorgehobene Stellungen: als Fabrikanten und Verleger, Kaufleute und Bankiers, Wissenschaftler und Kînstler, Parlamentarier, Juristen, ørzte und Publizisten. In den oberen Rngen der Staatsverwaltung wie im Militr verwehrte ihnen der monarchische Staat allerdings die Gleichberechtigung. Das galt in unterschiedlichem Maße auch fîr andere gesellschaftliche Gruppen, die weitere Verbesserungen und ønderungen der bestehenden Verhltnisse erstrebten. Kritische Katholiken waren davon in einem zu fast zwei Dritteln evangelischen Reich mit einer zu mehr als 80 Prozent evangelischen Hauptstadt ebenso betroffen wie linke Liberale und besonders die Sozialdemokraten. Letztere blieben weiterhin im ganzen Reich das bevorzugte Objekt einer politischen ˜berwachung, die ihr Zentrum im Berliner Polizeiprsidium hatte.422 Materielle und soziale Fortschritte ließen die Forderungen nach politischer Gleichberechtigung und demokratischer Mitbestimmung nicht verstummen; vor allem das preußische Dreiklassen-Wahlrecht zum Landtag wie zum Stadtparlament, aber auch die Ausschließung der Frauen vom Wahlrecht, forderten zunehmend Demonstrationen heraus. Auch fîr die Opposition war Berlin das politische Zentrum. Zugleich waren in der europischen wie in der Welt-Politik Krisen und Spannungen herangewachsen. Lange bevor sie sich 421 Christian Engeli, Landesplanung in Berlin-Brandenburg, Stuttgart 1986. 422 Dieter Fricke / Rudolf Knaak (Bearb.), Dokumente aus geheimen Archiven. ˜bersichten der Berliner politischen Polizei îber die allgemeine Lage der sozialdemokratischen und anarchistischen Bewegung 1879 – 1913 (= Verçffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, 17, 24/Verçffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 42), Weimar 1983, 1989 sowie Berlin 2004.

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1914 jh entluden, hatte ein internationaler Wettlauf um Kolonien, Heeresund Flottenaufrîstungen eingesetzt. Das „wilhelminische“ Kaiserreich war dabei zum Rivalen der alten „imperialistischen“ Mchte England, Frankreich und Rußland geworden. Es sah sich in Krisen auf dem Balkan, im Vorderen Orient, in Nordafrika, sogar in China verwickelt oder bestand auf Mitsprache. Der Kaiser schîrte, oft von Berlin aus, das Mißtrauen durch instinktlose Reden. Deutschland fîhlte sich eingekreist und umsomehr auf die – vom Zerfall bedrohte – çsterreichisch-ungarische Monarchie angewiesen, den einzigen festen Verbîndeten, der von Bismarcks kompliziertem, nach 1871 arrangierten europischem Bîndnissystem îbrig geblieben war. Am 31. Juli 1914, einen Tag vor der Kriegserklrung, die zum Ersten Weltkrieg fîhren sollte, verkîndete ein Offizier am Fuße des Reiterdenkmals Friedrichs II. „Unter den Linden“ einer wartenden Menschenmenge die drohende Kriegsgefahr und die Verhngung des Belagerungszustands îber die Hauptstadt.423 Der Kaiser hielt vom Balkon îber dem Portal V im zweiten Stock des Schlosses eine seiner îberheblichen, theatralischen Reden. Am Tag darauf, als der Krieg begann, ergingen dann in einer kurzen Rede an das Volk, die Wilhelm II. vom Balkon îber dem Portal IV des Berliner Schlosses hielt, die berîhmt gewordenen Worte: „In dem jetzt bevorstehenden Kampfe kenne ich in meinem Volk keine Parteien mehr. Es gibt unter uns nur noch Deutsche, und welche von den Parteien auch im Laufe des Meinungskampfes sich gegen mich gewendet haben sollte, ich verzeihe ihnen allen von ganzem Herzen […].“424 Am 4. August versammelte sich der Reichstag im Weißen Saal des Berliner Stadtschlosses. Der Kaiser verlas den Abgeordneten eine vom Reichskanzler verfaßte Thronrede, in der er die Kernstze seiner Adresse an das Volk vom 1. August wiederholte und hinzufîgte: „Zum Zeichen dessen, daß Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Stammesunterschiede, ohne Konfessionsunterschiede durchzuhalten, mit mir durch dick und dînn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstnde der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“425 Als der Erste Weltkrieg am 1. August 1914 begann, herrschte in Berlins Straßen eine hnliche Begeisterung wie 1870 und die Menschen bewegte die gleiche, diesmal trîgerische Hoffnung auf einen

423 Friedrich Meinecke, Straßburg – Freiburg – Berlin 1901 – 1919. Erinnerungen, Stuttgart 1949; erneut in: Ders., Werke, 8: Autobiographische Schriften, hg. v. Eberhard Kessel, Stuttgart 1969, S. 135 – 320, bes. S. 222 f. 424 Bericht in der „Frankfurter Zeitung“ vom 1. August 1914, erneut verçffentlicht in: Ernst Jordan (Hg.), Reden des Kaisers. Ansprachen, Predigten und Trinksprîche Wilhelms II., Mînchen 1966, S. 125 f. (Nr. 55). 425 Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 – 1918, Stuttgart 1964, Nr. 313, S. 455.

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schnellen Sieg.426 Schon 1911 hatte der sozialdemokratische Parteifîhrer August Bebel im Berliner Reichstag eindringlich vor der Katastrophe eines Weltkrieges gewarnt, hinter welcher „der große Kladderadatsch“ stehen werde: „Die Gçtterdmmerung der bîrgerlichen Welt ist im Anzuge […] Sie stehen heute auf dem Punkte, Ihrer eigenen Staats- und Gesellschaftsordnung das Totenglçcklein zu luten.“427 Regierung und Parlament blieben in Berlin, der Kaiser aber verließ seine Hauptstadt und seine Residenz im Potsdamer Neuen Palais, um Stellung im militrischen Hauptquartier zu beziehen, allerdings ohne wesentlichen Einfluß auf die Kriegsfîhrung nehmen zu kçnnen. Mit dem Ausgang des Krieges und der Abdankung des Kaisers verlor das Berliner Schloß seine wesentlichste Funktion als Residenz, auch ein politischer Ort ist es nach der November-Revolution nicht mehr geworden. Am 9. November 1918 hatte die Revolution die Hauptstadt erreicht. Aber Kaiser Wilhelm II., fern von Berlin im militrischen Hauptquartier, wollte noch immer nicht abdanken, jedenfalls nicht als Kçnig von Preußen. So verkîndete Reichskanzler Prinz Max von Baden schließlich selbst: „Der Kaiser und Kçnig hat sich entschlossen, dem Throne zu entsagen“,428 und îbertrug dem SPDVorsitzenden Friedrich Ebert das Reichskanzleramt. In Berlin ging es zu wie in vielen Stdten zwischen Kiel und Mînchen: Bewaffnete Arbeiter und einfache Soldaten mit roten Armbinden prgten das Straßenbild. Offiziere wurden entwaffnet, Politiker und Agitatoren hielten Reden, Arbeiter- und Soldatenrte wurden gebildet. Tausende standen vor dem Reichstag und erwarteten vom Parlament eine Entscheidung. Im Speisesaal drinnen saß die SPD-Fîhrung beim bescheidenen Mittagessen, da traf die Meldung ein, daß Karl Liebknecht, mit Rosa Luxemburg Fîhrer des revolutionren „Spartakusbundes“, vom Schloßbalkon eine Rede halten wolle. Wîrde Liebknecht die „Sowjetrepublik“ ausrufen?429 Philipp Scheidemann wollte dem etwas entgegensetzen. Er eilte auf 426 Wolfgang Kruse, Die Kriegsbegeisterung im Deutschen Reich zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Entstehungszusammenhnge, Grenzen und ideologische Strukturen, in: Marcel van der Linden / Gottfried Merger (Hg.), Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Unter Mitarbeit von Hermann Lange, Berlin 1991, S. 73 – 88. 427 Jîrgen Rojahn, Arbeiterbewegung und Kriegsbegeisterung: Die deutsche Sozialdemokratie 1870 – 1914, in: M. v. d. Linden / G. Merger, Kriegsbegeisterung … (s. Anm. 426), S. 57 ff. 428 Herbert Michaelis / Ernst Schraepler (Hg.), Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte, 2: Der militrische Zusammenbruch und das Ende des Kaiserreichs. Unter Mitwirkung von Gînter Scheel, Berlin 1959, S. 570 (Nr. 512). 429 Bogdan Krieger, Das Berliner Schloß in den Revolutionstagen 1918. Erinnerungen und Eindrîcke, Leipzig 1922; Rudolf Rotheit, Das Berliner Schloß im Zeichen der Novemberrevolution, Berlin 1923; dazu korrigierend: Ingo Materna, Schloß und

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einen der Balkons des Reichstages und hielt eine improvisierte Rede: „Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt“ und fîgte hinzu: ,,Das Alte ist nicht mehr […]. Ebert ist zum Reichskanzler ernannt. Die Hohenzollern haben abgedankt […] Es lebe die deutsche Republik!„430 Fast gleichzeitig verkîndete Karl Liebknecht von einem Balkon des Berliner Stadtschlosses die „sozialistische Republik“. Die Amtsenthebung Wilhelms II., der zunchst nur als deutscher Kaiser zurîcktreten wollte, durch Prinz Max von Baden sowie die beiden Ansprachen leiteten das offizielle Ende Berlins als Residenz der herrschenden Dynastie ein, gefolgt von vermçgensrechtlichen Auseinandersetzungen, die erst Jahre spter ein Ende fanden.431 ˜ber das Ende der Monarchie hinaus blieb Berlin aber die Hauptstadt sowohl des Freistaates Preußen als auch des Deutschen Reiches, wobei die Stadt im Kampf um die politische Macht in der neuen Republik eine entscheidende Rolle spielte.

§ 8 Hauptstadt des Freistaates Preußen in der ersten deutschen Republik Der Residenzcharakter der Hauptstadt nderte sich mit dem Ende der Monarchie. Der Reichsprsident amtierte nicht im Berliner Stadtschloß, sondern im Reichsprsidentenpalais, einem sptbarocken Bau im politischen Zentrum der Wilhelmstraße.432 Anders als etwa im nachrevolutionren Frankreich, wo die Reprsentanten der neuen Republik die §rtlichkeiten der Monarchie fîr sich reklamierten (und îber alle politischen Umstîrze hinweg daran festhielten), verzichtete die Politik im republikanischen Deutschland auf diese Form der Legitimation. So wich mit dem Ende der Monarchie und den damit unmitSchloßbezirk in der Revolution 1918/1919, in: W. Ribbe, Schloß und Schloßbezirk … (s. Anm. 285), S. 139 – 147. 430 H. Michaelis / E. Schraepler, Ursachen und Folgen … (s. Anm. 328), S. 572 f. (Nr. 515). 431 Am 26. Oktober 1926 beschloß der Preußische Landtag das „Gesetz îber die Vermçgensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staat und den Mitgliedern des ehemals regierenden Preußischen Kçnigshauses“, nachdem in einer Volksabstimmung 14,5 Millionen Stimmen fîr die entschdigungslose Enteignung abgegeben worden waren; preußische Gesetzsammlung 1926, Berlin o. J., S. 267 – 269 (Nr. 13157). 432 Im sog. „Schwerinschen Palais“ in der Wilhelmstraße 37 war das kçniglich-preußische Hausministerium untergebracht bevor das Gebude 1919 vom Reich erworben wurde. Von hier aus verließ Kaiser Wilhelm II. am 26. 10. 1918 (als der Reichstag den ˜bergang zur parlamentarischen Regierungsform beschloß) die Hauptstadt, um sie nie wieder zu betreten. Im Reichsprsidentenpalais amtierten Ebert und Hindenburg. Nach dessen Tod fungierte es als „Prsidialkanzlei“ fîr Hitler und von 1939 an als Dienstsitz des Reichsaußenministers: L. Demps, Berlin – Wilhelmstraße … (s. Anm. 298), S. 305 f.; sowie umfassender und prziser H. Wilderotter, Alltag der Macht … (s. Anm. 298), bes. S. 274 – 276.

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telbar verbundenen Ereignissen, insbesondere der Ausrufung der Rte-Republik durch Karl Liebknecht und den nachfolgenden revolutionren Auseinandersetzungen, das Berliner Schloß fîr lngere Zeit aus dem Zentrum der großen Politik, die nun in der Wilhelmstraße und im Reichstag ihren Ort hatte.433 Es blieb zunchst weitgehend ungenutzt, beherbergte aber weiterhin die reiche Ausstattung an Kunst- und Gebrauchsgegenstnden, bewacht von den Kastellanen und Aufsehern, die weiterhin im Schloß wohnten. Obwohl das gesamte Krongut beschlagnahmt worden war, gestattete die amtierende preußische Finanzverwaltung die ˜berfîhrung von persçnlichem Eigentum Wilhelms II. und Kunstwerken aus den Schlçssern der Hohenzollern zur Ausstattung des hollndischen Exilsitzes des abgedankten Herrschers in Doorn.434 Zustndig fîr das Schloß war eine noch im November 1918 gegrîndete Kronverwaltung (seit 1929 Krongutverwaltung), die bei der preußischen Finanzverwaltung ressortierte und 1927 in der Verwaltung der Staatlichen Schlçsser und Grten aufging, nachdem bereits Mitte Dezember 1919 die preußische Landesversammlung beschlossen hatte, die fîrstlichen Schlçsser zu erhalten und angemessen zu nutzen.435 Das Berliner Stadtschloß war nun nicht lnger politische „Staatsmitte“, es sollte fortan als „Museumsschloß“ dienen. Damit war der Schloßbau selbst so zu behandeln, wie die von ihm zu beherbergende museale Ausstattung, das heißt, das Schloß selbst galt als Kunstgegenstand. Mit der Translozierung des Kunstgewerbemuseums aus dem Martin-Gropius-Bau in das Berliner Schloß endeten dessen politische Funktionen. Es diente von nun an – so gut es die Umstnde zuließen – hauptschlich der Kultur und der Wissenschaft. Am 1. September 1921 erçffnete das neue Schloßmuseum seine Dauerausstellung, die sich îber lange Raumfolgen im Erdgeschoß sowie im ersten und zweiten Stock des Schlosses erstreckte. Damit erhielt die §ffentlichkeit erstmals Zutritt zu zahlreichen kînstlerisch bedeutenden Rumen des Schlosses, darunter die von Gontard gestalteten Kçnigskammern, der Große Sulensaal, der von Schadow gestaltete Parolesaal, der Weiße Saal mit den anschließenden Galerien, der 433 Zur Wilhelmstraße: H. Wilderotter, Alltag der Macht … (s. Anm. 298), S. 31 – 71; sowie Wolfgang Ribbe, Die Wilhelmstraße im Wandel der politischen Systeme. Preußen – Kaiserreich – Weimarer Republik – Nationalsozialismus, in: H. Engel / W. Ribbe, Geschichtsmeile Wilhelmstraße … (s. Anm. 298), S. 21 – 39; zum Reichstag vgl. das Kapitel „Das Reichstagsgebude als Symbol der Weimarer Republik“ bei M. S. Cullen, Der Reichstag … (s. Anm. 383), S. 221 – 41. 434 Renate Petras, Das Schloß in Berlin. Von der Revolution 1918 bis zur Vernichtung 1950, Berlin/Mînchen 1992, S. 34 f. 435 Grundlegend dazu Ulrich Schîren, Der Volksentscheid zur Fîrstenenteignung 1926. Die Vermçgensauseinandersetzung mit den depossedierten Landesherren als Problem der deutschen Innenpolitik unter besonderer Berîcksichtigung der Verhltnisse in Preußen (= Beitrge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 64), Dîsseldorf 1978, zum Berliner Stadtschloß bes. S. 252 – 260.

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Kapitelsaal, der Rittersaal, das Kçnigszimmer, der Schweizer Saal und viele weitere Rumlichkeiten, die Reprsentationszwecken und zur Veranstaltung von Hoffesten gedient hatten. §ffentlich zugnglich waren seit Anfang 1926 auch die „Historischen Wohnrume“, also die privaten Gemcher der Hohenzollern im Berliner Stadtschloß. Ausgangspunkt fîr die Besichtigung dieses Teils des Schlosses war der von Schinkel als Audienzsaal entworfene „Sternsaal“, so genannt wegen seines gemalten Deckenschmuckes. Hier hatten sich in den Revolutionstagen 1848 die Minister und Generle um den Kçnig versammelt, und von hier aus fîhrte der Gang durch die Ausstellung in die Privatgemcher des Kaiserpaares. Im Arbeitszimmer des Kaisers stand als Attraktion ein Tisch, der aus dem Holz des Schiffes „Victory“ hergestellt worden war, das Nelson in der siegreichen Schlacht bei Trafalgar am 21. Oktober 1805 befehligte. An diesem Tisch hatte der Kaiser am 1. August 1914 die Mobilmachung unterzeichnet. Mit Wirkung vom 29. Oktober 1926 trat das Gesetz îber die Vermçgensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staat und den Mitgliedern des vormals regierenden Hauses Hohenzollern in Kraft. Damit ging das Berliner Stadtschloß in Staatseigentum îber. Kurz nach diesem Besitzwechsel konstituierte sich die Verwaltung Staatliche Schlçsser und Grten, die auch andere, aus dem Hohenzollernvermçgen „entlassene“ Bauten und Anlagen in ihre denkmalpflegerische und museale Betreuung aufnahm.436 Die revolutionren Auseinandersetzungen, die in Kiel begonnen hatten, erreichten im November 1918 auch die Hauptstadt, um sich fortan hier zu konzentrieren.437 Das Ende der Monarchie war mit dem 9. November 1918 besiegelt, wer aber wîrde sich durchsetzen? Wîrde die neue Republik eine parlamentarische Demokratie werden, in der die Regierung auf das Vertrauen der gewhlten Volksvertretung angewiesen war? Oder wîrde aus den Arbeiterund Soldatenrten der Revolution ein „sozialistisches“ Rtesystem entstehen? Darunter verstanden die einen eine „direkte Demokratie“ mit bestndiger Mitbestimmung des Volkes, die anderen sahen es als Vorstufe zu einer Parteidiktatur nach sowjetischem Vorbild an. Zunchst bildeten SPD und USPD gemeinsam einen „Rat der Volksbeauftragten“, mit den Parteivorsitzenden Ebert und Haase an der Spitze. Ein „Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenrte“ sollte diese Berliner Revolutionsregierung kontrollieren. In der Zwischenzeit gab die radikale Linke nicht auf. Immer wieder kam es zu Straßenkmpfen. Aber auch Rechtsradikale versuchten den Umsturz. Weihnachten 1918 wiederum putschte 436 R. Petras, Das Schloß in Berlin … (s. Anm. 434), S. 32 ff., S. 38 ff. und S. 57 ff. 437 Ingo Materna, Novemberrevolution und Grîndung der KPD in Berlin (1917 – 1919), in: Ders. (Hg.), Geschichte Berlins von den Anfngen bis 1945, Berlin 1987, S. 547 – 565; dazu jetzt die Edition von Gerhard Engel / Brbel Holtz / Ingo Materna (Hg.), Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenrte in der Revolution 1918/19. Dokumente der Vollversammlungen und des Vollzugsrates. Vom Ausbruch der Revolution bis zum 1. Rtekongreß, Berlin 1993.

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die revolutionre „Volksmarinedivision“ und nahm den sozialdemokratischen Stadtkommandanten Otto Wels gefangen. Erst nach blutigen Kmpfen gaben die Putschisten am Silvestertag auf. Zwei Tage zuvor war die USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten ausgeschieden, und in der Neujahrsnacht entstand aus dem Spartakusbund die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Damit war die deutsche Arbeiterbewegung endgîltig gespalten. Anfang Januar 1919 setzte die Regierung den Polizeiprsidenten Eichhorn ab, weil er systematisch linksradikale Arbeiter bewaffnet und das Polizeiprsidium zur Festung ausgebaut hatte.438 Daraufhin kam es zu neuen Straßenkmpfen; „Spartakisten“ besetzten den sozialdemokratischen Zeitungsverlag „Vorwrts“ und andere Zeitungshuser, çffentliche Gebude und das Brandenburger Tor. Demonstrationen bestimmten nun îber viele Jahre hinweg bis in die frîhe NS-Zeit hinein das Straßenbild der Hauptstadt.439 Unterdessen sammelte der SPD-Wehrexperte Gustav Noske, der nach dem Ausscheiden der USPD in den Rat der Volksbeauftragten geholt worden war, in Dahlem eine Truppe aus Offizieren und Soldaten des alten Heeres, die planmßig und rîcksichtslos die Stadt von Spartakisten „suberten“. Am 15. Januar wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gefaßt, verhçrt, zusammengeschlagen, abtransportiert und ermordet. In einer solchen Atmosphre der Erregung und Gewalt, die nicht nur auf Berlin beschrnkt blieb, fanden vier Tage spter die Wahlen zur Nationalversammlung statt. Erstmals nahmen daran auch die Frauen teil, denen bis dahin das Wahlrecht verweigert worden war. Die bîrgerlichen Parteien organisierten sich unter neuen Bezeichnungen: von der konservativen „Deutschnationalen Volkspartei“ (DNVP) îber die rechtsliberale „Deutsche Volkspartei“ (DVP) bis zur linksliberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP). Das katholische „Zentrum“ dagegen behielt seinen Namen. SPD, Demokraten und Zentrum, die sich klar fîr die Republik und die Demokratie ausgesprochen hatten, erhielten eine Drei-Viertel-Mehrheit.440 Sie bildeten die „Weimarer Koalition“. Das Reich zerbrach nicht, aber die Radikalen von rechts und links sahen in der „Reichshauptstadt“ weiter den Schlîssel zur Macht in Deutschland. Trotz aller revolutionren Wirren hatte gerade die Entwicklung in der Hauptstadt in diesen kritischen Wochen ganz wesentlich dazu beigetragen, das Reich zusammenzuhalten und letztlich die Demokratie gegen totalitre Tendenzen durchzusetzen. Es waren keineswegs allein die Unruhen in der Hauptstadt, die das Reichskabinett veranlassten, einen anderen Ort außerhalb Berlins fîr die Zu438 Hsi-Huey Liang, Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik (= VerçffHistKommBerlin, 47). Aus dem Amerikanischen îbersetzt von Brigitte und Wolfgang Behn, Berlin/New York 1977, S. 41 – 47. 439 Marie-Luise Ehls, Protest und Propaganda. Demonstrationen in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik (= VerçffHistKommBerlin, 92), Berlin/New York 1997. 440 H. Nçcker, Der preußische Reichstagswhler … (s. Anm. 386).

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sammenkunft der Nationalversammlung zu whlen. Die sîddeutschen Staaten hatten sich grundstzlich gegen Berlin als Tagungsort ausgesprochen und der provisorischen Regierung vorgeschlagen, die verfassunggebende Versammlung nach Wîrzburg einzuberufen. Das aber wollte die Regierung nicht und ließ weitere mçgliche Standorte erkunden, darunter Bayreuth, Jena, Nîrnberg, Dresden, Frankfurt am Main, Kassel und schließlich auch Weimar, das den Zuschlag erhielt. Damit wollte u. a. Friedrich Ebert den separatistischen Bestrebungen der sîddeutschen Staaten begegnen, was der Schçpfer der neuen Verfassung, der Liberale Hugo Preuß, als ein Zeichen der Schwche bewertete. Die Gegner einer Tagung der Nationalversammlung in der Berliner FriedrichWilhelms-Universitt sahen in Weimar das andere, das nicht militaristische, vor allem das nicht-preußische Deutschland und so beschloß die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung am 31. Juli 1919 im Weimarer Nationaltheater die Verfassung der „Weimarer Republik“.441 An eine dauerhafte Verlegung des Regierungssitzes von Berlin weg, worîber bereits Bismarck reflektiert hatte, dachte jetzt aber wohl niemand mehr, obwohl Berlin noch bis in das Jahr 1920 ein politischer Unruheherd blieb. Am 13. Januar 1920 kam es bei Demonstrationen gegen das Betriebsrtegesetz vor dem Reichstag zu gewaltttigen Auseinandersetzungen, bei denen es 42 Tote und îber 100 Verletzte gab. Auch beim rechtsradikalen „Kapp-Putsch“ vom 13. bis 17. Mrz 1920 war Berlin der zentrale Ort des Geschehens.442 Reichsprsident Ebert, Mitglieder der Regierung und der Nationalversammlung flohen aus der von den Unruhen beherrschten Hauptstadt nach Dresden und weiter nach Stuttgart;443 doch die meisten Beamten verweigerten der „Putschisten-Regierung“ die Mitarbeit. Dies und mehr noch ein Generalstreik, den die Gewerkschaften ausriefen, zwangen die Putschisten zur Aufgabe. Die Revolution von „rechts“ war damit in der Hauptstadt ebenso gescheitert wie zuvor die revolutionre Rtebewegung von „links“: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung Berlins hatten zu Beginn der Weimarer Zeit gegenîber der Vorkriegszeit keine revolutionren Vernderungen erfahren und waren keiner so einschneidenden Neuordnung unterworfen worden, wie sie die Stdteordnung am Beginn des 19. Jahrhunderts mit sich ge441 Walter Oehme, Die Weimarer Nationalversammlung 1919. Erinnerungen, Berlin 1962; Susanne Miller (Bearb.), Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, unter Mitwirkung von Heinrich Potthoff, 2 Bde., Dîsseldorf 1969; Paul Kaiser, Die Nationalversammlung 1919 und die Stadt Weimar, Weimar 1970; zusammenfassend: Hasso Spode, Die Deutsche Nationalversammlung in Weimar, in: B.-M. Baumunk / G. Brunn, Hauptstadt … (s. Anm. 6), S. 270 – 273. 442 Hans J. Reichhardt, Kapp-Putsch und Generalstreik Mrz 1920 in Berlin. „Tage der Torheit, Tage der Not“, Berlin 1990, bes. S. 7 – 31, mit weiterer Literatur. 443 Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1977, S. 290 – 293; Ders., Weimar. Deutschland 1917 – 1933 (= Die Deutschen und ihre Nation, 4), Berlin 1982, S. 214 – 212.

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bracht hatte. Vielmehr hatten Krieg und Revolution den Anstoß gegeben fîr die lngst îberfllige, konstitutionelle Anpassung an die Entwicklung Berlins zu einer Industriegroßstadt. Whrend dieses Prozesses gewann das Element der kommunalen Verwaltung eine immer grçßere Eigenstndigkeit gegenîber [preußischem Frei-] Staat und Reich, die sie schließlich zur nahtlosen ˜bernahme der kommunalen Selbstverwaltung auch fîr die Leitung der neuen Riesenstadt befhigte.444 Trotz der politischen Unruhen hatten der Berliner Magistrat und die gesamte stdtische Verwaltung relativ unbehelligt arbeiten kçnnen. Am 18. November 1918 war sogar die alte Stadtverordnetenversammlung wieder zusammengetreten. Am 23. Februar 1919 wurde sie neu gewhlt, nun nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht, das keine Klassen mehr kannte. SPD und USPD erhielten zusammen zwei Drittel der Mandate. Auch hier whlten jetzt erstmals die Frauen mit.445 Bald darauf erlebte Berlin eine grundlegende kommunalpolitische Reform. SPD, USPD und DDP setzten im Preußischen Landtag das „Gesetz îber die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ durch – gegen den Widerstand der meisten Abgeordneten der îbrigen bîrgerlichen Parteien (darunter das Zentrum), die ein „rotes“ Berlin mit einem von der SPD und anderen linken Parteien beherrschten Rathaus fîrchteten.446 Das Gesetz vom 27. April 1920 trat am 1. Oktober 1920 in Kraft und machte „GroßBerlin“ endlich zur modernen Großstadtgemeinde. Es faßte die inzwischen 3,8 Millionen Einwohner – die sich bisher auf Berlin (1,9 Millionen) und sieben weitere Stdte (1,2 Millionen) mit zusammen fast 3,1 Millionen Ein444 Frauke Bey-Heard, Hauptstadt und Staatsumwlzung Berlin 1919. Problematik und Scheitern der Rtebewegung in der Berliner Kommunalverwaltung, Stuttgart 1969, S. 244; vgl. grundstzlich vor allem die Einleitung zu G. Engel / B. Holtz / I. Materna, Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenrte … (s. Anm. 437), bes. S. X-XLIV. 445 Wahl- und Sozialstatistik des demokratischen Berlin 1919 – 1933, hg. von der „Arbeitsgruppe Berliner Demokratie“ am Fachbereich Geschichtswissenschaften der Freien Universitt Berlin, in: Otto Bîsch / Wolfgang Haus (Hg.), Berlin als Hauptstadt der Weimarer Republik 1919 – 1933 (= VerçffHistKommBerlin, 70/1), Berlin/New York 1987, S. 289 – 482. 446 Das Abstimmungsverhalten der Parteien, das in Verçffentlichungen durchweg falsch wiedergegeben wird, hat erstmals Olaf Hampe richtiggestellt: „Angenommen wurde das Gesetz mit 165 Ja-Stimmen, dabei 112 von der SPD, 20 von der USPD und 33 von der DDP, gegen 148 Nein-Stimmen (39 von der DNVP, 10 von der DVP, 84 des Zentrums und 6 der DDP) bei fînf sich enthaltenden Demokraten. Zu Spekulationen Anlaß gibt die Zahl der 82 bei der Sitzung fehlenden Abgeordneten.“ Vgl. Olaf Hampe, Die Entstehung des „Gesetzes îber die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“, in: (Ingo Materna / Wolfgang Ribbe [Hg.]), Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert. Die 1920 nach Berlin eingemeindeten Stdte: Wirkungen und Entwicklungen whrend der Weimarer Republik (= Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universitt zu Berlin. Reihe Geistes- und Sozialwissenschaften, 41, [1992], 6), S. 7 – 16; zur Frage der Stimmenthaltungen vgl. a. a. O., Anm. 51 sowie die Tabellen S. 16.

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wohnern, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke verteilten – unter einheitlicher Verwaltung zusammen.447 Gab es nun ein „rotes“ Groß-Berlin, wie die bîrgerlichen Parteien befîrchteten? In Wirklichkeit hat die Erweiterung eben dies eher verhindert. Im engen „Alt-Berlin“ mit seinen Mietskasernen-Vierteln hatte die SPD schließlich 75 Prozent aller Whlerstimmen erhalten und fînf der sechs Reichstags-Abgeordneten gestellt.448 Doch seit 1920 auch der weite Kreis der Villenvororte Teil der Hauptstadt geworden war, kamen selbst SPD und USPD/KPD zusammen nur noch auf eine knappe Mehrheit der Whler. Damit ließ sich wegen der Zerstrittenheit der sozialistischen Parteien kein aktionsfhiger Magistrat bilden. So whlte die SPD 1920 trotz aller Vorbehalte den bîrgerlich-demokratischen Oberbîrgermeister Gustav Bçß mit, der ein Jahrzehnt lang die Hauptstadt reprsentierte.449 Das demokratische Berlin als politisches und gesellschaftliches Zentrum des republikanischen Deutschland im Weimarer Nationalstaat ging in einem Wandlungsprozeß aus der obrigkeitsstaatlichen Tradition des deutschen Kaiserreiches hervor, und es ging nach den Erfahrungen einer ersten demokratischen Selbstverwaltung in dieser ersten deutschen Republik von Weimar rund eineinhalb Jahrzehnte spter in der Hitlerdiktatur unter.450 In dieser Zeit bewhrte sich das neue Groß-Berlin mit seinen seit 1925 îber vier Millionen Einwohnern auf mehreren Ebenen. Zu den Leistungen der Hauptstadt gehçrte ein „Lastenausgleich“ zwischen den rmeren und den wohlhabenden Bevçlkerungsschichten durch eine entsprechende Steuer-, Sozial-, Verkehrs- und Versorgungspolitik, durch welche die Bevçlkerung unter anderem eine billige Versorgung mit den Bedarfsgîtern des tglichen Lebens – Wasser, Energie, Transport und anderen Leistungen zur Aufrechterhaltung einer adquaten Infrastruktur – erhielt, und es gehçrten sozialpolitische Maßnahmen fîr Hunderttausende von Unterstîtzungsempfngern dazu.451 Diese Leistungen hatte die Stadt aus eigener Kraft zu erbringen, wobei die kommunalen Betriebe 447 Sigurd-H. Schmidt / Heike Schroll / Volker Viergutz, Vor 75 Jahren: GroßBerlin entsteht, Berlin 1975; dazu die Aufzeichnungen eines der Hauptbeteiligten, des langjhrigen Syndikus und Bîrgermeisters Friedrich C. A. Lange, Groß-Berliner Tagebuch 1920 – 1933, Berlin/Bonn 21982. 448 H. Nçcker, Der preußische Reichstagswhler … (s. Anm. 386). 449 Christian Engeli, Gustav Bçß. Oberbîrgermeister von Berlin 1921 – 1930. Beitrge zur Berliner Kommunalpolitik (= SchrrVGBerlin, 62), Berlin 1981; Ders., Gustav Bçß, in: W. Ribbe, Stadtoberhupter … (s. Anm. 292), S. 185 – 201. 450 Otto Bîsch, Berlin zwischen Obrigkeitsstaat und Diktatur: Demokratische Tradition und Hauptstadtfunktion in der Weimarer Republik, in: Wolfgang Ribbe / Jîrgen Schmdeke (Hg.), Berlin im Europa der Neuzeit. Ein Tagungsbericht (= VerçffHistKommBerlin, 75), Berlin/New York 1990, S. 297 – 303. 451 Die Rolle der Berliner Eigenbetriebe untersucht in diesem Zusammenhang Otto Bîsch, Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft in der Weimarer Epoche (= VerçffHistKommBerlin, 1), Berlin 1960.

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Grundlagen und Voraussetzungen fîr eine umfassende wirtschaftliche Entwicklung schufen: „Im Verlauf der zwanziger Jahre steigerte sich die Bedeutung der kommunalen Wirtschaftsunternehmungen und -einrichtungen auch in dem Maße, wie ihr Aufgabenkreis im Rahmen der allgemeinen Berliner Wirtschaft und des Aufbaus Berlins als Wirtschaftshauptstadt im Weimarer Staat so wie als eines wichtigen Knotenpunktes der modernen Weltwirtschaft wuchs.“452 Diese Entwicklung muß vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Situation in Preußen und im Reich gesehen werden.453 Zu den spezifischen Existenzformen des demokratischen Berlin der Weimarer Zeit zhlte aber auch die Demokratisierung des politischen Lebens und der Selbstverwaltung. Im Berliner Whlerverhalten spiegelt sich der Kampf um die politische Macht in Deutschland wider, es zeigt aber zugleich eine eigene Note. Die Parteien der Mitte bildeten im Stadtparlament eine „Etatsmehrheit“, auf die sich der Magistrat, jedenfalls bis 1929, stîtzen konnte. Die NSDAP konnte hier erst spt und schwcher als im Reich Fuß fassen. Als besonders stark erwies sich whrend dieser Zeit die KPD. NSDAP und KPD, zum Teil auch die DNVP, bildeten die Exponenten einer Republikfeindschaft von rechts und links, die in Berlin den sinnflligsten Ausdruck fîr ihren Haß gegen die demokratische Republik von Weimar fand. Durch Korruptionsskandale, Arbeitslosigkeit und Finanzkrisen lieferten die demokratischen Parteien ihren Gegnern aber auch Angriffspunkte, denen sie schließlich dadurch zu begegnen suchten, daß sie vom Preußischen Landtag aus im Jahre 1931 eine Gesetzesnovelle zur Berliner Verfassung erließen, durch die eine autoritre Verstrkung der Stellung des Oberbîrgermeisters gegenîber dem Stadtparlament erreicht wurde.454 Auf diesem Gesetz konnten die Nationalsozialisten nach ihrer Machtîbernahme aufbauen, als sie im Wege der Gleichschaltung die Demokratie in Berlin beseitigten.455 Auch die letzte, autoritr angelegte Phase der Berliner Selbstverwaltungsdemokratie der Weimarer Zeit blieb von der allge452 O. Bîsch, Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft … (s. Anm. 451), S. 9. 453 Horst Mçller, Preußen von 1918 bis 1947: Weimarer Republik, Preußen und der Nationalsozialismus, in: W. Neugebauer, Handbuch der Preußischen Geschichte … (s. Anm. 382), S. 149 – 316; Wolfram Fischer, Deutsche Wirtschaftspolitik 1918 – 1945, Opladen 31968; Gerold Ambrosius, Die çffentliche Wirtschaft in der Weimarer Republik, Baden-Baden 1984; Hans-Joachim Winkler, Preußen als Unternehmer 1923 – 1932 (= VerçffHistKommBerlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universitt Berlin, 17), Berlin 1965; Hagen Schulze, Am Beispiel von Weimar: Das Verhltnis von Staat und Wirtschaft, in: Berlin und seine Wirtschaft … (s. Anm. 392), S. 177 – 195. 454 Hans J. Reichhardt (Hg.), Die Entstehung der Verfassung von Berlin. Eine Dokumentation unter Mitarbeit von Werner Breunig und Josephine Gabler, 1 – 2, Berlin/ New York 1990, Dokument 2, S. 91 – 98. 455 Otto Bîsch / Wolfgang Haus, Berlin als Hauptstadt der Weimarer Republik 1919 – 1933 (= VerçffHistKommBerlin, 70/1), Berlin 1987, S. 329.

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meinen wirtschaftlichen und politischen Krise nicht verschont. Bei den letzten freien Wahlen in Berlin 1932/1933 blieben nur noch 30 Prozent der Berliner Whler der Demokratie treu.456 Die schleichende Geldentwertung und Teuerung, die mit dem Kriege eingesetzt hatte, wurde in den ersten Nachkriegsjahren zur immer schneller galoppierenden Inflation. Hinzu kamen die immensen Reparationsleistungen in Geld und Waren, die aus dem Friedensvertrag von Versailles resultierten, aber unter den gegeben Umstnden kaum zu realisieren waren. Inflation und Arbeitslosigkeit verstrkten die Bereitschaft der Bevçlkerung, radikale Lçsungsvorschlge zu akzeptieren.457 Erst die mit einer Whrungsreform eingefîhrte „Rentenmark“ bewirkte eine Stabilisierung der Whrung und einen allmhlichen politischen und wirtschaftlichen Aufschwung. Auf das Ende der Inflation folgten nicht nur fîr Berlin Jahre, in denen es aufwrts ging, auch wenn von den „Goldenen Zwanziger Jahren“, außer auf dem Gebiet der Kultur, nur mit großen Einschrnkungen gesprochen werden kann. Die deutsche Hauptstadt entwickelte sich weiter zu einer transnationalen Wirtschaftsmetropole. 1925 lebten hier auf knapp einem Fînfhundertstel des Reichsgebietes vier Millionen Menschen, das war ein Fînfzehntel der deutschen Bevçlkerung. Ein Zwçlftel (450.000) aller Betriebe und ein Zehntel (zweieinhalb Millionen) aller Beschftigten des Reiches waren hier konzentriert. Elektroindustrie, Feinmechanik und Optik, Apparate-, Fahrzeug- und Maschinenbau, chemische Industrie und Bekleidungsgewerbe standen an der Spitze. Durch Zusammenschlîsse und die Aufgabe kleiner Firmen sank dabei die Zahl der Betriebe in vielen Branchen. Grçßte Wachstumsbranche blieb jedoch die Elektroindustrie, vor allem Siemens und AEG. Berlin war die grçßte Industriestadt des Kontinents und hielt auf der Weltrangliste den vierten Platz, hinter London, New York und Chicago.458 Berlin hatte sich auch zu einer der grçßten Zeitungsstdte der Welt entwickelt. Im Jahre 1930 war allein die Zahl der Tageszeitungen auf 149 gestiegen.459 Der Rundfunk entwickelte sich seit dem Sendebeginn im Oktober 1923 schnell weiter. 1924 fand die erste Funkausstellung statt, 1926 wurde der Funkturm seiner Bestimmung îbergeben, 1928 erlebte das Fernsehen seine noch recht unvollkommene Premiere,460 und in 456 Wahl- und Sozialstatistik … (s. Anm. 445), S. 289 – 482. 457 Das zentrale Problem war die hohe Arbeitslosigkeit: Klaus Dettmer, Arbeitslose in Berlin. Zur politischen Geschichte der Arbeitslosenbewegung zwischen 1918 und 1923, Berlin 1977. 458 Peter Czada, Die Berliner Elektroindustrie in der Weimarer Zeit (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 4), Berlin 1969. 459 P. Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin … (s. Anm. 255), bes. das Kapitel: „Das Berliner Jahrzehnt“, S. 250 – 274. 460 Gerd Klawitter, 100 Jahre Funktechnik in Deutschland. Funksendestellen rund um Berlin, Berlin 1997.

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Berlin wurde der erste kommerzielle Kino-Tonfilm vorgefîhrt. Er kam aus den USA, aber das Patent stammte von drei Berlinern. Bis 1932 gab es in Berlin 210 Tonfilmkinos. Seit 1917 schon befand sich die „Universum-Film-AG“ im Besitz des politisch rechts stehenden Hugenberg-Konzerns. Mit ihren Ateliers in Neubabelsberg und Tempelhof stellte die Ufa das grçßte Filmunternehmen dar.461 Am 20. Februar 1926 çffnete die erste „Grîne Woche“ auf dem Messegelnde. Um das immer wichtiger werdende Messewesen und den Fremdenverkehr organisatorisch zusammenzufassen, entstand im selben Jahr die „Gemeinnîtzige Berliner Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs GmbH“.462 Die „City“ wandelte ihr Gesicht, war Zentrum von Verwaltung und Handel, erster Bank- und Bçrsenplatz Deutschlands und einer der Mittelpunkte internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Moderne Hochbauten entstanden bis zu den frîhen dreißiger Jahren, wie das Columbushaus am Potsdamer Platz und die hohen Bîrohuser am Alexander Platz, den Drehscheiben des Verkehrs. Als eine „zweite City“ etablierte sich endgîltig der Kurfîrstendamm.463 Mit seinen Kinos, Theatern und Caf¤s sowie dem „Kabarett der Komiker“ wurde er zu einem neuen Mittelpunkt der Berliner Gesellschaft. Die Zeitungskonzerne Scherl und Mosse erweiterten ihre Huser, Ullstein baute neu in Tempelhof, im Stil einer neuen Sachlichkeit, der auch sonst zahlreiche Fabrikbauten kennzeichnete.464 Im Wohnungsbau wurden die Mietskasernen durch fortschrittlichere Bauformen abgelçst: Randbebauung um große Innenhçfe, wie die Britzer Hufeisensiedlung, und Huserzeilen, die sich nach den Licht- und Sonnenverhltnissen richteten. Auch preiswerte Reihenhuser bestimmten das neue Gesicht der Vorstdte. Trotzdem blieb eine große Wohnungsnot, denn der Wohnungsbau konnte nie mit der steigenden Bevçlkerung und den gestiegenen Bedîrfnissen Schritt halten. 1933 gab es in Berlin noch fast 42.000 Wohnungen in Baracken und Laubenkolonien.465 Besser stand es um die Entwicklung des stdtischen Verkehrs. Vor allem Ernst Reuter, dem Verkehrsstadtrat seit 1926, ist es zu verdanken, daß das U-Bahn-Netz zîgig ausgebaut wurde. 1928 wurden alle Berliner Straßenbahnen, Bus und U-Bahn-Strecken zur „Berliner Verkehrs461 Rainer Rother (Hg.), Die Ufa 1917 – 1945. Ein deutsches Bildimperium, Berlin 1992. 462 Felix Escher, Berlin und seine Ausstellungen. Zur Geschichte des Messegelndes unter dem Funkturm, in: W. Ribbe (Hg.), Von der Residenz zur City … (s. Anm. 113), S. 427 – 458. 463 Burkhard Hofmeister, Charlottenburg und die Entwicklung der City von WestBerlin, in: W. Ribbe (Hg.) Von der Residenz zur City … (s. Anm. 113), S. 631 – 668, bes. das Kapitel: „Die Tradition des Alten Westens im Hinblick auf eine sptere CityBildung“, S. 634 ff. 464 Dabei handelt es sich vor allem um die vom Weimarer (dann auch: Berliner) Bauhaus beeinflußte Architektur, die Weltgeltung erlangte. 465 Dazu die einschlgigen Beitrge in dem von Lothar Juckel konzipierten Sammelband „Wohnen in Berlin. 100 Jahre Wohnungsbau in Berlin“, Berlin 1999.

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Aktiengesellschaft“ (BVG) zusammengefaßt. Sie war das grçßte kommunale Unternehmen der Welt. 1929 konnte die Elektrifizierung der zur Reichsbahn gehçrenden Stadt-Bahn-Strecken abgeschlossen werden.466 Auf dem Tempelhofer Feld war inzwischen ein neuer Flughafen entstanden, von dem aus 1926 îber 30.000 Fluggste befçrdert wurden. In jenem Jahr bildete sich aus dem Aero-Lloyd und den Junkers-Werken die Deutsche Lufthansa.467 In den Straßen der Stadt nahm die Zahl der Autos rapide zu. Taxis verdrngten die Pferdedroschken. Bei den Reichstagswahlen im Mai 1928 schlug sich diese alles in allem positive kommunale Entwicklung in einer starken Stimmeneinbuße vor allem der Deutschnationalen als der Hauptpartei des „nationalen“ Protests nieder, aber auch die anderen bîrgerlichen Parteien bis hin zu den Demokraten erlebten Einbußen. Hauptgewinner in Berlin war gegenîber der Wahl vom Dezember 1924 allerdings die KPD, doch blieb die SPD weiterhin die Partei mit den meisten Whlerstimmen.468 Kultur und Kunst profitierten am schnellsten von der Aufhebung der bisherigen Herrschaftsstrukturen und Wertmaßstben. „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewhrt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil“, hieß es nun im Artikel 142 der Reichsverfassung. Die offizielle Kunst des Wilhelminismus hatte ihre staatlich gefçrderte Stellung verloren, auch wenn ihre steinernen Zeugen im Stadtbild blieben.469 Aber Kthe Kollwitz und Max Liebermann wurden nun in die stdtische Kunstdeputation gewhlt, Liebermann wurde 1927 Ehrenbîrger der deutschen Hauptstadt, und Heinrich Mann prsidierte seit 1930 die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Kînste. Was sich am Ende des Kaiserreiches mit dem Impressionismus und Expressionismus am Rande der Gesellschaft vorbereitet hatte, beherrschte nun in Literatur und Musik, auf den îber 40 Schauspiel- und Opernbîhnen sowie in der Malerei und Bildhauerei die Programme und Diskussionen. Preußens Kulturminister Becker ebenso wie Berlins Oberbîrgermeister Bçß trugen das Ihre dazu bei, daß Berlin nicht nur als geistiger und kultureller Mittelpunkt der Republik, sondern vor allem auch – im Unterschied zu Mînchen oder Dresden – als ein internationales Kulturzentrum reîssierte, das Kînstler, Schriftsteller und Wissenschaftler aus aller Welt anzog. Vor allem in der Literatur und der Malerei reprsentierten die Vertreter der von Wilhelm II. abqualifizierten „Rinnsteinkunst“, die das moderne Leben nicht aus der Sicht der Hofmaler und -poeten darstellten, nun eine neue Epoche. Impressionismus, Expressionismus, Dadaismus, Futurismus und Kubismus: Berlin war das Zentrum aller Rich466 467 468 469

O. Bîsch, Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft … (s. Anm. 451), S. 82 – 97. Helmut Conin, Gelandet in Berlin. Zur Geschichte der Berliner Flughfen, Kçln o. J. Wahl- und Sozialstatistik … (s. Anm. 445), S. 358 (Schaubild). Peter Gay, Die Republik der Außenseiter. Kunst und Kultur in der Weimarer Zeit: 1918 – 1933, Frankfurt am Main 1970.

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tungen der Literatur und Bildenden Kînste. Maler und Bildhauer wie Lovis Corinth, Karl Hofer, George Grosz, Max Beckmann, Ernst Barlach, Georg Kolbe, Fritz Klimsch, Renee Sintenis wirkten hier. In seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ (1929) gab Alfred Dçblin aus seinen Erfahrungen als Kassenarzt im Berliner Osten ein zugleich faszinierendes und erschreckendes Bild des Lebens unter der strahlenden Oberflche der Hauptstadt. „Linke“ Schriftsteller und Journalisten, von denen manche, wie Erich Mîhsam, 1918 aktiv fîr die Revolution gewirkt hatten, lebten in Berlin oder kamen hierher. Bertolt Brecht, Leonhard Frank, Arnold Zweig, Ludwig Renn, Erich Weinert und Arnolt Bronnen, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky ebenso wie Kurt Hiller und Walter Benjamin sind hier zu nennen. Aber auch Lyriker und Erzhler wie Oskar Loerke und Paul Zech, Gottfried Benn, Nelly Sechs und Jochen Klepper, Joachim Ringelnatz und Erich Kstner waren oder wurden Berliner. Sogar Franz Kafka zog 1923, ein Jahr vor seinem Tode, in die deutsche Hauptstadt. Die großen Schauspieler dieser Jahre begrîndeten ihren Ruf in Berlin: Elisabeth Bergner und Kthe Dorsch, Heinrich George und Gustaf Grîndgens, Fritz Kortner, Werner Krauss und Max Pallenberg seien als Beispiele genannt. Viele von ihnen wurden auch in der øra des Stumm- und Tonfilms populr. Max Reinhard und Leopold Jessner waren die fîhrenden Regisseure und Intendanten, Wilhelm Furtwngler, Bruno Walter, Erich Kleiber, Leo Blech und Otto Klemperer dirigierten die Philharmoniker und die Opern-Orchester. Paul Hindemith und Ernst Krenek lehrten an der Hochschule fîr Musik, die KrollOper war das anerkannte Welt-Zentrum des zeitgençssischen Musiktheaters. Die Welt der bis 1933 in Berlin tonangebenden Kultur hatte ihre bekannteste Meinungs- und Diskussionsbçrse, wie schon zur Kaiserzeit, im „Romanischen Caf¤“, nahe der Gedchtniskirche. In vielen der Tages- und Wochenzeitungen und zahlreichen Zeitschriften – von der „Aktion“ bis zur „Weltbîhne“ – kam sie zu Wort. Nicht selten traf dabei tzende Kritik auch den demokratischen Staat und vor allem das Fortwirken von Strukturen und Vertretern des alten Obrigkeitsstaates in ihm. In der Tat blieben dieser Staat und seine Hauptstadt immer von einer Gegenbewegung bedroht, die den verlorenen Krieg nicht verwinden konnte, die den Krieg, den Kampf, die Monarchie und das Volk heroisierte und die in Demokratie, Kritik und kînstlerischer Freiheit den Ursprung aller ˜bel der Gegenwart sah.470 470 Die internationale Literatur zur Kunst und Kultur im Berlin der Weimarer Republik ist sehr umfangreich. Es sei hier nur auf zwei Sammelbnde verwiesen: Charles W. Haxthausen / Heidrun Suhr (Hg.), Berlin. Culture and Metropolis, Minneapolis/ Oxford 1990; und Lionel Richard (Hg.), Berlin 1919 – 1933. Gigantisme, crise sociale et avant-garde: L’incarnation extrÞme de la modernit¤ (= Ãditions Autrement. S¤rie M¤moires, 10), Paris 1991. Von deutscher Seite vgl. u. a. den Sammelband von Ruth Glatzer (Hg.), Berlin zur Weimarer Zeit. Panorama einer Metropole 1919 – 1933, Berlin 2000, insbesondere das Kapitel: „Die ,Goldenen Zwanziger’. Kunst, Kultur,

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Die Aufschwungsphase sollte nur von kurzer Dauer sein. Halbwegs „golden“ war in der preußisch-deutschen Hauptstadt bestenfalls die Hlfte der zwanziger Jahre, zwischen dem Ende der Inflation und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosenzahl, die Anfang 1924 schlagartig gesunken war, stieg wieder rapide an. Im Mai 1929 kam es wiederholt zu Arbeitslosenunruhen. Die Polizei setzte Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge ein. Am Ende zhlte man 23 Tote und 73 Schwerverletzte. Das waren – trotz des Aufschwungs der Wirtschaft – erste Warnzeichen. Obgleich die Zahl der Geburten zurîckging, wuchs Berlins Bevçlkerung durch Zuzug schneller als seine Wirtschaftskraft. Hinzu kam, daß Berlin mit seinen hohen Steuerertrgen zur Stîtzung notleidender Gemeinden im ganzen Reich beitrug. Zunehmend hatte die Stadt dadurch selbst Finanzsorgen und mußte sich mit kurzfristigen Auslandskrediten verschulden. Die eindrucksvolle Leistungsbilanz der Berliner Stadtverwaltung in den letzten Jahren ging in einem politischen Skandal unter, der zum Rîcktritt des erfolgreichen Oberbîrgermeisters Bçß fîhrte. Das Ansehen der stdtischen Verwaltung und der demokratischen Verwaltung îberhaupt waren nachhaltig geschdigt, auch wenn Bçß spter vor Gericht vom Verdacht der Bestechlichkeit rehabilitiert wurde.471 Der Preußische Landtag bildete auf Antrag der Deutschnationalen einen Untersuchungsausschuß „zur Prîfung der Mißwirtschaft in der Berliner Stadtverwaltung“. Anfang 1931 schrnkte ein preußisches Gesetz Berlins Selbstverwaltung ein und strkte die Position des Oberbîrgermeisters als „Fîhrer der Verwaltung“. Erst jetzt, îber ein Jahr nach dem Rîcktritt von Bçß, wurde der parteilose, als konservativ geltende frîhere Danziger Senatsprsident Heinrich Sahm zum Nachfolger gewhlt.472 Inzwischen hatte sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert. Firmenkonkurse und Bankenzusammenbrîche in Folge der Weltwirtschaftskrise trafen das Wirtschaftszentrum Berlin besonders hart. Die Wirtschaftskrise entwickelte sich zur Staatskrise, und Berlin war zwangslufig ihr Zentrum. Nachdem 1932 der Reichsprsident den Reichskanzler Brîning entlassen und den konservativen Katholiken Franz von Papen zum Nachfolger ernannt hatte, trieb dieser die Krise voran, indem er die nach zahllosen Straßenschlachten verbotene SA wieder zuließ. Sie verstrkte in Berlin den Straßenterror, und diesen erneuten Bîrgerkrieg nahm Papen am 20. Juli 1932 mit zum Vorwand, um îber Berlin und Brandenburg den Ausnahmezustand zu verhngen und die preußische Regierung, mit dem Sozialdemokraten Otto Unterhaltung in der Reichshauptstadt“, S. 253 – 371, mit Literatur im Anhang, sowie den einleitenden Essay von Wolf Jobst Siedler, Glanzvolles Zwischenspiel auf abgerumter Bîhne. Die lange Wirkung der kurzen Dauer, S. 11 – 20. 471 Chr. Engeli, Gustav Bçß … (s. Anm. 449), S. 263 – 274. 472 Heinrich Sprenger, Heinrich Sahm. Kommunalpolitiker und Staatsmann, Kçln/ Berlin 1969; dagegen die distanziertere Darstellung von Martina Sçnnichsen, Heinrich Sahm, in: W. Ribbe, Stadtoberhupter … (s. Anm. 292), S. 235 – 252.

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Braun an der Spitze, abzusetzen.473 Unter ihm und mit einer Regierung der „Weimarer Koalition“ war Preußen, das zwei Drittel des Reiches umfaßte, bis dahin durch alle Krisen eine wichtige Stîtze der Demokratie gewesen. Schon vor diesem „Preußenschlag“, der einem Staatsstreich nahe kam, hatte Papen den Reichstag aufgelçst.474 Die Wahl am 31. Juli 1932 brachte erstmals NSDAP und KPD zusammen jene „negative“ Mehrheit, die nicht regieren, aber die Regierung durch Aufhebung der Notverordnungen lahmlegen konnte. Der Reichstag wurde erneut aufgelçst. Berlin erlebte noch ein Zwischenspiel besonderer Art: Die KPD unter Walter Ulbricht, der inzwischen Parteichef von Berlin-Brandenburg war, und die NSDAP unter Joseph Goebbels, dem Gauleiter von Berlin, organisierten zusammen einen Streik gegen Lohnkîrzungen bei der BVG und legten vorîbergehend das Verkehrsnetz Berlins lahm.475 Zwei Monate spter, nachdem Papen ebenso wie sein Nachfolger, General von Schleicher, gescheitert war, ernannte Hindenburg Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. Die Berliner haben ihn gewiß nicht gewhlt. Gerade in der Hauptstadt kam die NSDAP, bevor sie an der Macht war, kaum îber ein Viertel der Stimmen hinaus. Fast drei Viertel der Berliner stimmten gegen sie – aber damit noch nicht fîr die Weimarer Demokratie. Nimmt man KPD, NSDAP und die mit ihr in der „Harzburger Front“ verbîndeten Deutschnationalen zusammen als Parteien, die bei aller Gegenstzlichkeit ihrer Programme in der Ablehnung des parlamentarisch-demokratischen Staates einig waren, stimmten auch zwei Drittel der Berliner Whler gegen Weimar.476 Das gehçrt zu den Widersprîchen, an denen zwischen 1918 und 1933 die deutsche Demokratie zerbrochen ist, auch in der deutschen Hauptstadt.

§ 9 Reichshauptstadt im Nationalsozialismus Die Jahre 1933 bis 1945 brachten fîr die deutsche Hauptstadt einen tiefen Einschnitt in ihrer Geschichte: Aus dem Symbol der demokratischen Republik wurde die nationalsozialistische Reichshauptstadt – von den neuen Machthabern im Grunde gehaßt, wobei ihre Großstadtfeindlichkeit (aber auch das „rote“ Berlin) eine entscheidende Rolle spielten.477 Als Sitz der Reichregierung und zum Ausweis ihrer „Machtergreifung“ war die „Reichshauptstadt“ fîr die Nationalsozialisten unverzichtbar, und so wurde der von Goebbels arrangierte 473 474 475 476 477

H. Schulze, Otto Braun … (s. Anm. 443), S. 722 ff. und S. 745 ff. H. Schulze, Weimar … (s. Anm. 443), S. 378 – 382. H. Schulze, Weimar … (s. Anm. 443), S. 387. Wahl- und Sozialstatistik … (s. Anm. 445), S. 359 (Schaubild). Peter Steinbach, Berlin unter dem Nationalsozialismus, in: W. Ribbe / J. Schmdeke (Hg.), Berlin im Europa der Neuzeit … (s. Anm. 450), S. 315 – 328.

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Fackelzug der SA-Kolonnen durch das Brandenburger Tor hin zur Reichskanzlei in der Wilhelmstraße am Abend des 30. Januar 1933 zum Zeichen der nationalsozialistischen Machtîbernahme fîr das ganze Deutsche Reich. Er sollte die ungeteilte Zustimmung und Begeisterung der Bevçlkerung demonstrieren. Es handelte sich aber nur um eines der vielen Tuschungsmançver, mit denen die Nationalsozialisten ihre Herrschaft begrîndeten: Fîr den Propagandazug war die Bannmeile im Regierungsviertel aufgehoben und gleichzeitig jegliche Gegendemonstration verboten worden. Der „Preußenschlag“, mit dem im Juli 1932 das Reichskabinett Papen unter Anwendung des Notverordnungsrechts die sozialdemokratisch gefîhrte preußische Staatsregierung suspendiert hatte, war ohne unmittelbare Auswirkungen auf das Leben in der Stadt geblieben. So hatte etwa die damals verfîgte Ablçsung der Berliner Polizeifîhrung nichts an der traditionellen Aufgabe der Polizei gendert, fîr die Aufrechterhaltung der çffentlichen Ordnung in der Hauptstadt zu sorgen. Wenn auch die Nationalsozialisten nun etwas mehr Spielraum fîr militante Propaganda und gewaltttige Aktionen hatten, so verblieben diese doch zunchst noch innerhalb der im Strafgesetzbuch festgelegten Grenzen. Durch skrupellose Anwendung des Notverordnungsrechts der Weimarer Reichsverfassung machten sie dann allerdings – trotz der in den Wahlergebnissen sichtbar werdenden unzureichenden politischen Legitimation – aus der Regierungsîbernahme im Reich die totale Machtergreifung auf allen Ebenen in Staat und Gesellschaft. Voraussetzung hierfîr war die Instrumentalisierung des staatlichen Gewaltmonopols zum Zwecke der Ausschaltung aller politischen Gegner. Mit einem geschickten Schachzug hatte Hitler zwar die kommissarische Regierungsgewalt in Preußen dem Koalitionspartner von Papen zugestanden, davon jedoch das Innenministerium, und damit die Polizei, ausgenommen und diese Gçring unterstellt. Mit Wilhelm Frick als Reichsinnenminister und Hermann Gçring als Minister ohne Geschftsbereich, dem aber als kommissarischem Innenminister von Preußen der gesamte preußische Polizeiapparat unterstand, lag nun ausgerechnet die Verantwortung fîr die innere Sicherheit und Ordnung in den Hnden der NSDAP. In rascher Folge wurden nun die Spitzen der einzelnen lokalen Polizeidirektionen – die bereits im Sommer 1932 nach Papens Staatsstreich mit national zuverlssigen Personen besetzt worden waren – erneut ausgewechselt; jetzt îbernahmen durchweg Nationalsozialisten diese entscheidenden Schaltstellen des staatlichen Gewaltmonopols.478

478 Hans-Norbert Burkert / Klaus Matussek / Wolfgang Wippermann, „Machtergreifung“. Berlin 1933, Berlin 1982; Christoph Graf, Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur. Die Entwicklung der preußischen Polizei vom Staatsschutzorgan der Weimarer Republik zum Geheimen Staatspolizeiamt des Dritten Reiches (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 36), Berlin 1983.

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Nach dem Reichstagsbrand setzte in Berlin und im ganzen Reich ein beispielloser Terrorfeldzug gegen politische Gegner ein. Binnen kurzem gab es in der Reichshauptstadt mehr als 50 „wilde“ Konzentrationslager in Kasernen und „Sturmlokalen“ von SA und SS, in denen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler und „linke“ Intellektuelle geprîgelt, gefoltert, in vielen Fllen auch ermordet wurden. Im Karl-Liebknecht-Haus, der KPD-Zentrale, wurden angebliche Umsturz- und Bîrgerkriegsplne „entdeckt“, aber nie verçffentlicht. Alles deutete auf eine Aktion der Nazis hin, die den Vorwand zum endgîltigen Staatsstreich geben kçnnte. Als sechs Tage vor der Reichstagswahl, am Abend des 27. Februar 1933, der Reichstag brannte, erklrten Hitler und Gçring, der auch Reichstagsprsident war, dies sei das Fanal zum kommunistischen Aufstand. Noch in der Nacht ließen sie 5.000 Oppositionspolitiker im ganzen Reich verhaften und in Konzentrationslager bringen. Mit der Notverordnung vom 28. Februar 1933 „zum Schutz von Volk und Staat“ waren die wichtigsten Grundrechte und Grundprinzipien der Weimarer Verfassung und des Rechtsstaates außer Kraft gesetzt.479 Der legalisierte Terror wurde zur eigentlichen Verfassung des „Dritten Reiches“. Doch trotz des Terrors und einer RekordWahlbeteiligung von 88,7 Prozent (in Berlin 87,1 Prozent) erhielten die Nationalsozialisten am 5. Mrz 1933 bei den Reichstagswahlen nicht die Mehrheit: Nur 43,9 Prozent (in der Reichshauptstadt sogar nur 34,6 Prozent) der Whler stimmten fîr sie. Zusammen mit dem deutschnationalen Koalitionspartner waren es 51,9 Prozent (in Berlin 45 Prozent). Das htte fîr eine verfassungsmßige Mehrheitsregierung, wenn auch knapp, gereicht. Aber Hitler wollte die ganze Macht. Er erhielt sie, zwei Tage nach der propagandistischen Inszenierung des „Tages von Potsdam“ mit Ansprachen Hindenburgs und Hitlers in der Potsdamer Garnisonkirche480 an die Reichstagsabgeordneten, am 23. Mrz 1933 mit dem Ermchtigungsgesetz. Der Reichstag, der nun in der Kroll-Oper zusammenkam, schaltete sich dadurch selbst aus. Nur die SPD stimmte dagegen, die KPD-Mandate waren fîr ungîltig erklrt worden. Die KPD-Abgeordneten (ebenso wie ein Teil der SPD-Abgeordneten) wurden verhaftet oder waren untergetaucht. Goebbels, der Berliner Gauleiter der NSDAP, avancierte zum „Reichsminister fîr Volksaufklrung und Propaganda“. Bei all dem war der Rundfunk, den Goebbels sogleich in seine Hand gebracht hatte, eines der

479 Hans Mommsen, Der Reichstagsbrand und seine politischen Folgen, in: VjHefteZG 12 (1964), S. 351 – 413. 480 Manfred Schlenke, Nationalsozialismus und Preußen. Eine historische Bilanz aus Anlaß der 60. Wiederkehr des „Tages von Potsdam“ (21. 3. 1935), in: Peter-Michael Hahn / Kristina Hîbener / Julius H. Schoeps (Hg.), Potsdam. Mrkische Kleinstadt – Europische Residenz (= Potsdamer Historische Studien, 1), Berlin 1995, S. 307 – 326.

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wirkungsvollsten Propaganda-Instrumente. Schließlich erfaßte die „Gleichschaltung“ nahezu alle Lebensbereiche.481 Nun ging es Schlag auf Schlag, und immer war Berlin zwar nicht der einzige, aber ein Hauptschauplatz: Am 1. April zeigte der inszenierte „Boykott“ jîdischer Geschfte, daß der Weg in den mçrderischen Rassenwahn begonnen hatte. Dann wurden die Verwaltungen des Reiches, der Lnder und der Gemeinden ebenso „gleichgeschaltet“ wie die Justiz. Nachdem der 1. Mai 1933 als „Tag der nationalen Arbeit“ auf dem Tempelhofer Feld wie eine riesige Propaganda-Schau inszeniert worden war, folgte das Verbot der Gewerkschaften, die an der Maifeier noch aktiv teilgenommen hatten. Damit war der Weg zum „Fîhrerstaat“ und zum „SS-Staat“ endgîltig frei. Zu den Zentralen des Unrechtsstaates, dessen Hauptstadt Berlin jetzt war, gehçrte neben der Reichskanzlei ein Gebudekomplex von SS und Gestapo an der Prinz-AlbrechtStraße und Wilhelmstraße, in dessen Kellern zahllose Gegner des NS-Regimes verhçrt und gefoltert wurden. Seine „Außenstellen“ waren die Konzentrationslager, deren nchstes großes, Oranienburg/Sachsenhausen, gleich nçrdlich von Berlin lag.482 øußeres Zeichen der nationalsozialistischen Machtîbernahme im kînstlerischen und wissenschaftlichen Bereich war die Bîcherverbrennung am 10. Mai 1933, die in der Hauptstadt auf dem Opernplatz vor der FriedrichWilhelms-Universitt, zeitgleich aber auch an vielen Hochschulen der Provinz stattfand.483 Der Bîcherverbrennung war bereits die „Gleichschaltung“ der preußischen Akademie der Kînste vorangegangen, wobei sich die neue preußische Regierung unter Gçring zunchst auf die Abteilung fîr Dichtung konzentrierte. Der Reichskommissar Rust setzte den amtierenden Akademie481 Zu diesen und den unmittelbar folgenden Ereignissen in der Reichshauptstadt vgl. Christian Engeli / Wolfgang Ribbe, Berlin in der NS-Zeit (1933 – 1945), in: W. Ribbe, Geschichte Berlins … (s. Anm. 53), S. 927 – 952. 482 Dazu das Kapitel „Die ,Machtergreifung’ und die Errichtung des nationalsozialistischen Terrorregimes in Berlin“, in: H.-N. Burkert / K. Matussek / W. Wippermann, „Machtergreifung“ … (s. Anm. 478), S. 64 – 69; Helmut Brutigam / Oliver C. Gliech, Nationalsozialistische Zwangslager in Berlin I. Die „wilden“ Konzentrationslager und Folterkeller 1933/34, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen II (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 61), Berlin 1987, S. 141 – 178; Wolfgang Wippermann, Nationalsozialistische Zwangslager in Berlin II. Das „Arbeitserziehungslager“ Wuhlheide, in: ebd. , S. 179 – 188; Wolfgang Wippermann / Ute Brîckner-Boroujerdi, Nationalsozialistische Zwangslager in Berlin III. Das „Zwangslager“ Marzahn, in: ebd., S. 189 – 202. 483 Hermann Haarmann / Walter Huder / Klaus Siebenhaar (Hg.) „Das war ein Vorspiel nur …“ Bîcherverbrennung Deutschland 1933: Voraussetzungen und Folgen, Berlin/Wien 1983, darin u. a. der Beitrag von Anselm Faust, Die Hochschulen und der undeutsche Geist. Die Bîcherverbrennung am 10. Mai 1933 und ihre Vorgeschichte, S. 31 – 50; Gerhard Sander, Die Bîcherverbrennung. Zum 10. Mai 1933, Mînchen/ Wien 1983; Hans-Wolfgang Strtz, Die studentische „Aktion wider den undeutschen Geist“ im Frîhjahr 1933, in: VjHefteZG 16 (1968), S. 347 – 372.

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prsidenten, Max von Schillings, bereits Mitte Februar 1933 unter Druck, indem er eine Auflçsung zumindest der Literaturabteilung androhte, da sich Akademiemitglieder wie Kthe Kollwitz und Heinrich Mann politisch bettigten. Rust fand dabei in Gottfried Benn einen Propagandisten seiner These, die sich auf eine willkîrliche Auslegung der Statuten stîtzte. Ohne weiter Widerstand zu leisten, legte Heinrich Mann den Vorsitz der Literaturabteilung nieder und trat aus der Akademie aus. Dies war der Auftakt fîr die Suberung nicht nur in der Abteilung fîr Dichtkunst, sondern der gesamten Akademie.484 Die staatlich verordnete beziehungsweise sanktionierte Willkîrherrschaft im kulturellen Bereich blieb nicht isoliert. Die Universitten und Hochschulen, die sich im Zusammenhang mit der Bîcherverbrennung als Wegbereiter der nationalsozialistischen Tyrannei erwiesen hatten, gingen nun daran, politisch nicht konforme Professoren und Studenten sowie die jîdischen Mitglieder der Universitten aus den Hochschulen und Instituten hinauszudrngen. Die KaiserWilhelm-Institute, in denen vor allem naturwissenschaftliche Grundlagenforschung betrieben wurde, aber auch die Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin sowie die Technische Hochschule Charlottenburg und die Friedrich-Wilhelms-Universitt waren davon betroffen. Der bedeutendste Gelehrte, der Berlin und damit Deutschland den Rîcken kehrte, war Albert Einstein. Aber nicht alle Forscher emigrierten. Gustav Hertz zum Beispiel, der noch wenige Jahre zuvor zusammen mit James Frank den Nobelpreis fîr Leistungen auf dem Gebiet der Atomphysik erhalten hatte und der sich nun weigerte, die geforderte Ergebenheitsadresse fîr Hitler zu unterschreiben, wechselte von der Technischen Hochschule Charlottenburg, die zu jener Zeit noch Weltgeltung besaß, in das zentrale Forschungslabor von Siemens îber. Selbst die Kirche beteiligte sich an der Verdrngung von Gelehrten, wie die Entziehung der Lehrbefugnis von Dietrich Bonhoeffer an der Theologischen Fakultt der Friedrich-Wilhelms-Universitt 1936 zeigt. Aber nur selten gelang es, durch eine annhernd gleichwertige Besetzung der freiwerdenden Stellen die Lîcken zu schließen, die im Bereich von Wissenschaft und Kunst durch die nationalsozialistischen Herrschaftspraktiken entstanden. Einige bedeutende Kînstler und Wissenschaftler, die nicht von den Nazis vertrieben wurden, aber von denen zumindest die Emigranten meinten, sie htten sich aus Solidaritt den aus Deutschland Vertriebenen anschließen mîssen, blieben aus den unterschiedlichsten Grînden in Berlin. Zu ihnen gehçrten Wilhelm Furtwngler als Chef der Philharmonischen Konzerte, Gustaf Grîndgens als Generaldirektor des 484 Zur Vorgeschichte und zu den Folgen der Bîcherverbrennung vgl auch H. Haarmann / W. Huder / K. Siebenhaar, „Das war ein Vorspiel nur“ … (s. Anm. 483), passim; sowie Hildegard Brenner, Ende einer bîrgerlichen Institution. Die politische Formierung der preußischen Akademie der Kînste ab 1933 (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte fîr Zeitgeschichte, 24), Stuttgart 1972.

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Preußischen Staatsschauspiels und Heinrich George als Leiter des Schillertheaters. Sie sind dafîr strker angefeindet worden als viele ihrer zweitklassigen Kollegen, die nach dem „Exodus des Geistes“ nun aus der deutschen Provinz in die Reichshauptstadt drngten, um als Architekten die Ideen des Bauhauses zu negieren, um als Schriftsteller die deutsche Literatur auf die Ebene des Heimatromans mit Blut- und Boden-Tendenz zurîckzustufen, um als Komponisten die Neutçner vergessen zu machen oder um als Dirigenten endlich stndig mit einem Eliteorchester arbeiten zu kçnnen, was bis dahin nur den Spitzenkrften mçglich gewesen war. Diese Mitlufer, die um der Karriere willen der NSDAP beitraten – wenn es sein mußte, sogar zweimal – haben fortan die Marschrichtung bestimmt und auch nach der Niederlage Hitler-Deutschlands weiter entscheidenden Einfluß im Bereich von Kunst und Kultur ausgeîbt. Aber auch auf dem Gebiet der Wissenschaft ist nach 1945 ein weiterer Substanzverlust zu verzeichnen gewesen, da die Siegermchte die in Deutschland verbliebenen Kapazitten ohne Rîcksicht auf deren politische Haltung whrend der Nazizeit abgeworben haben. So gingen z. B. Gustav Hertz in die Sowjetunion und Wernher von Braun in die USA. Von diesem Exodus des Geistes, der sich in zwei Etappen vollzog, hat sich Berlin nach dem Krieg nur bedingt erholen kçnnen. Wenn auch einige Emigranten zurîckkehrten – die ersten ließen sich in Ost-Berlin nieder – so ist doch insgesamt ein Substanzverlust zu verzeichnen, der die Stadt auf Dauer schdigte. Der empfindlichste Mangel resultiert wohl aus der Vernichtung der Schicht jîdischer Bildungsbîrger, die aktiv in ihrem Beruf, aber auch als Mzene und „Konsumenten“ die kulturelle Weltgeltung Berlins im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erst ermçglicht hatten.485 Mit zu den ersten Opfern nationalsozialistischer Verfolgungen und Brutalitten gehçrten die Berliner Juden. Ihr Anteil an der Bevçlkerung des Reiches und Berlins war – entgegen dem Eindruck, den die NS-Propaganda erweckte – minimal und schon vor 1933 rîcklufig. Als Hitler an die Macht kam, gab es in Deutschland rund 500.000 Juden, weniger als ein Prozent aller Deutschen. Etwa ein Drittel von ihnen lebte in Berlin, das damit die Stadt mit dem bei weitem grçßten jîdischen Bevçlkerungsanteil war. Aber selbst hier machte er nur vier Prozent aus. Die Zahlen sagen jedoch wenig îber die besondere Bedeutung der Juden im wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Leben der Stadt aus. Gerade im Berlin der Weimarer Republik gab es eine 485 Verwiesen sei generell auf die umfangreiche Memoirenliteratur der Exilanten sowie auf einzelne Beispiele: „Das Ausscheiden Albert Einsteins aus der Berliner Akademie der Wissenschaften“, in: Christa Kirsten / Hans-Jîrgen Treder (Bearb.), Albert Einstein in Berlin 1913 – 1933, 1: Darstellung und Dokumente, Berlin 1979, S. 241 – 275, 2, S. 187 – 206; David C. Cassidy, Gustav Hertz, Hans Geiger und das Physikalische Institut der Technischen Hochschule Berlin in den Jahren 1933 – 1945, in: Reinhard Rîrup (Hg.), Wissenschaft und Gesellschaft. Beitrge zur Geschichte der Technischen Universitt Berlin 1879 – 1979, 1, Berlin/Heidelberg/New York, S. 373 – 387.

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relativ hohe Zahl von prominenten Juden (um nur einige wenige zu nennen: Walther Rathenau als Industrieller und Politiker, Karl Fîrstenberg als Bankier, Albert Einstein als Wissenschaftler, Max Liebermann als Maler, Kurt Tucholsky als politischen Schriftsteller, Max Reinhardt als Regisseur, Else Lasker-Schîler als Dichterin, Hugo Preuß als einen der „Vter“ der Reichsverfassung von 1919, Samuel Fischer, die Gebrîder Ullstein, Rudolf Mosse als Verleger, Theodor Wolff als Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“). Dennoch gehçrte der weitaus îberwiegende Teil der Juden Berlins dem Mittelstand an, der unter den schweren wirtschaftlichen Belastungen der Nachkriegszeit genauso gelitten hatte wie die îbrige Bevçlkerung Berlins.486 Zu den „Ostjuden“, die zumeist in rmlichen Verhltnissen im „Scheunenviertel“ nçrdlich vom Alexanderplatz lebten, gehçrten von den Berliner Juden 1933 allein rund 50.000. Ihnen galten bereits im Mrz und April 1933 umfangreiche Razzien.487 Der Befehl zum „Judenboykott“ am 1. April 1933, den die Nationalsozialisten îber die Hauptstadt hinaus auf das gesamte Reich ausdehnten, machte endgîltig klar, daß es hier nicht nur um „˜bergriffe“ der siegestrunkenen SA ging. Berufsverbote fîr jîdische Beamte, Rechtsanwlte, Notare, Journalisten und Kassenrzte waren die schnell folgenden nchsten Schritte. Jîdische Fabriken, Geschfte, Banken, Verlage wurden „arisiert“, indem man die Inhaber zum Verkauf weit unter Wert zwang. Die „Nîrnberger Gesetze“ von 1935 machten die deutschen Juden endgîltig zu Staatsbîrgern minderen Rechts. Politische Rechte und die Verleihung von Ehrenmtern waren jetzt abhngig vom Nachweis der „arischen Abstammung“, Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden wurden verboten. Schrittweise wurden Verfolgung und Entrechtung bis zur sogenannten „Reichskristallnacht“, der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 gesteigert. Die Mehrzahl von Berlins Synagogen wurde verbrannt, die meisten der noch îber 3.700 jîdischen Geschfte der Stadt und viele jîdische Wohnungen demoliert und etwa 12.000 Berliner Juden in Konzentrationslager, vor allem nach Sachsenhausen, gebracht. Danach schwoll die Welle der Auswanderungen, die gleich nach 1933 begonnen hatte, stark an. Im Mai 1939 hatte sich die Zahl der Berliner Juden auf nur noch etwa 80.000 halbiert.488 486 Helmut Genschel, Die Verdrngung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich (= Gçttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, 38), Gçttingen 1966; vgl. auch Chr. Engeli / W. Ribbe, Berlin in der NS-Zeit … (s. Anm. 481), bes. den Abschnitt „Diskriminierung und Verdrngung der jîdischen Bevçlkerung“, S. 952 – 960. 487 Vgl. dazu auch den Abschnitt „Die ,Machtergreifung’ und der Beginn der Verfolgung der Berliner Juden“, in: H.-N. Burkert / K. Matussek / W. Wippermann, „Machtergreifung“ … (s. Anm. 478), S. 113 – 130. 488 Chr. Engeli / W. Ribbe, Berlin in der NS-Zeit … (s. Anm. 481), bes. den Abschnitt „Diskriminierung und Verdrngung der jîdischen Bevçlkerung“, S. 952 – 960.

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Berichte der auslndischen Presse îber die vernderte Lebensweise in der nationalsozialistischen Reichshauptstadt mit den permanenten Gewaltmaßnahmen gegen Andersdenkende und vor allem gegen die jîdische Bevçlkerung sind von der NS-Propaganda entweder in Abrede gestellt oder aber als bçswillige Interpretation von Vorgngen bezeichnet worden, die als Teil der nationalsozialistischen „Revolution“ auch die Zustimmung der Bevçlkerung fnden. 1936 boten sich die Olympischen Spiele als eine geeignete Veranstaltung an, den vielen auslndischen Besuchern zu suggerieren, daß die internationale Presse ein falsches Bild vom nationalsozialistischen Deutschland verbreitet habe. Die Olympischen Sommer-Spiele von 1936 in Berlin wurden zur grçßten von den Nationalsozialisten inszenierten Schau in der Reichshauptstadt, die zugleich dem neuen Regime mehr internationales Ansehen bringen und seine – bis zum Abschluß der Aufrîstung noch vorzutuschende – Friedensliebe demonstrieren sollte. Zentrum der Spiele war das neue, 100.000 Zuschauer fassende OlympiaStadion, inmitten neuer Schwimm-, Reit-, Hockey- und Tennisstadien. Fîr Freilicht-Auffîhrungen kam die Dietrich-Eckart-Bîhne, die sptere Waldbîhne, mit 20.000 Pltzen hinzu. Als Aufmarschplatz fîr 250.000 Menschen entstand hinter dem Olympiastadion das Maifeld.489 Dabei ist Berlin nicht durch die Nationalsozialisten zur Olympiastadt geworden. Bereits 1930 hatte das IOC die Austragung der Spiele fîr 1936 an die deutsche Hauptstadt vergeben, die endgîltige Zusage ist auf einer Plenarsitzung des IOC im April 1931 in Barcelona erteilt worden. 1932, als die Olympischen Spiele in Los Angeles stattfanden und sich bereits der politische Aufstieg der NSDAP abzeichnete, ließ der Prsident des Internationalen Olympischen Comitees, der Belgier de Baillet-Latour, îber das deutsche IOC-Mitglied Ritter von Halt herausfinden, wie sich die Nationalsozialisten zur Durchfîhrung der Olympischen Spiele 1936 stellten. Hitler ließ Ritter von Halt wissen, daß er die Frage der Durchfîhrung mit großem Interesse betrachte. Unter der Leitung von Theodor Lewald, einem Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium, ist dann sechs Tage vor Hitlers Machtergreifung das Olympische Organisationskomitee fîr 1936 gegrîndet worden. Von da an war der Austragungsort Berlin international wieder umstritten. Die innere Entwicklung in Deutschland, insbesondere Hitlers antisemitische Politik, fîhrten zu einer Welle der Empçrung in der internationalen Presse. Der Prsident des amerikanischen Olympischen Komitees, Avery Brundage, wollte die Spiele entweder nach Rom oder Tokio verlegen, sie – wie 1916 – ausfallen lassen oder keine Mannschaft nach Berlin entsenden, weil man dort die olympischen Grundstze der rassischen, religiçsen und politischen Gleichheit auf das grçbste mißachtete. Doch alle Warnungen 489 Thomas Schmidt, Werner March und seine Planungen zum ehemaligen Reichssportfeld, errichtet anlßlich der Olympiade 1936, in: W. Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen II … (s. Anm. 482), S. 236 – 262.

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und Vorbehalte nutzten nichts. Das IOC vergab die Spiele nach Berlin, und die Olympiade erwies sich als ungeheurer Propagandaerfolg des NS-Regimes im Innern und festigte zugleich sein Prestige im Ausland.490 Planender und leitender Architekt der olymischen Wettkampfsttten war Werner March, der bereits vor 1933 mit dieser Aufgabe betraut worden war.491 Mit dem Bau der olympischen Sportanlagen, dem Reichssportfeld, vernderte sich das Stadtbild Berlins wesentlich, da neben den Wettkampfsttten die gesamte Infrastruktur im westlichen Charlottenburg neu gestaltet werden mußte. Das Straßensystem fand eine reprsentative Ausgestaltung, und im Bereich des çffentlichen Personennahverkehrs entstanden neue S- und U-Bahnlinien, die das Areal an das stdtische Verkehrsnetz anschlossen.492 ˜ber den Rundfunk gab es 368 ˜bertragungen innerhalb Europas und rund 800 nach ˜bersee. Erstmals erprobte man das Fernsehen in grçßerem Maßstab. In 28 çffentlichen Fernsehstuben oder an noch seltenen privaten Empfangsgerten konnten die Berliner die Spiele auch außerhalb der Stadien verfolgen – zum Teil bereits in „Live“˜bertragungen.493 Doch bald nach den Olympischen Spielen wurden die jîdischen Sportvereine verboten und viele Arbeitersportler verhaftet. Dennoch fanden 1937 das erste „Internationale Stadionfest“ (ISTAF) und 1938 die erste Handball-Weltmeisterschaft in der Reichshauptstadt statt. Whrend der Dauer der Olympischen Spiele herrschte in der Reichshauptstadt eine internationale Atmosphre, die das weiterhin intakte ˜berwachungs- und Spitzelsystem des Regimes nicht immer erkennbar werden ließ, zumal auffllige Aktionen nicht stattfanden. Den auslndischen Besuchern bot sich ein Bild der Normalitt, dessen interimistischen Charakter sie nur schwer ausmachen konnten. Straßen und Pltze der Stadt waren vom „stîrmerischen Radau-Antisemitismus“ gereinigt, und die zahlreichen Schauksten mit der Kopfleiste „Die Juden sind unser Unglîck“ wurden fîr die Dauer der Spiele umgestaltet. Nicht mehr die antisemitische Hetzschrift „Der Stîrmer“ war an den Kiosken erhltlich, sondern nur noch der „Vçlkische Beobachter“ und „Das Schwarze Korps“. Auch die zahlreichen Warnschilder „Fîr Juden ist der Zutritt verboten“ hatte man in Berlin entfernt. Allerdings waren die Nazis bestrebt, jeden Kontakt der zahlreichen Gste mit Juden zu unterbinden. So fehlte beispielsweise in dem vom Organisationskomitee herausgegebenen Amtlichen 490 Arnd Krîger, Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung (= Sportwissenschaftliche Arbeiten, 7), Berlin 1972, S. 53 und S. 46 ff. 491 Thomas Schmidt, Werner March (1894 – 1976). Eine biographische Skizze zu seiner Ttigkeit als Architekt und Stdtebauer, in: W. Ribbe, Berlin-Forschungen III … (s. Anm. 343), S. 231 – 278. 492 Werner March, Bauwerk Reichssportfeld, Berlin 1936, S. 16 – 18; Knut Hickethier (Red.), Die Berliner S-Bahn, Berlin 1982, S. 122. 493 Chr. Engeli / W. Ribbe, Berlin in der NS-Zeit … (s. Anm. 481), bes. im Abschnitt „Alltag im Nationalsozialismus“, S. 969 – 972.

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Fîhrer zu den Spielen jeder Hinweis auf Synagogen, wo doch andererseits alle Kirchen und sogar eine Moschee aufgefîhrt waren, und Hitler verweigerte dem schwarzen, mehrfachen Olympiasieger Jesse Owens die persçnliche Gratulation. Nach Abschluß der Olympischen Spiele wandelte sich die Situation in Berlin schlagartig. Alle Restriktionen setzten erneut ein, eine groß angelegte Suberungsaktion wandte sich gegen „Volksschdlinge“, und der Terror gegenîber der jîdischen Bevçlkerung formierte sich in einem bisher nicht gekannten Maße.494 Gleichzeitig rîstete Hitler zum Zweiten Weltkrieg. Andere çffentliche Veranstaltungen, wie die 700-Jahr-Feier der Reichshauptstadt, die im Jahr nach den Olympischen Spielen, also 1937, stattfand, sind dann mit erheblich weniger Aufwand an Mitteln und Publizitt durchgefîhrt worden, wohl um den gînstigen Eindruck nicht zu verwischen, den man mit der Ausrichtung der Olympiade in Berlin weltweit erreicht zu haben glaubte. Die 700-Jahr-Feier der Stadt fand dann auch lediglich in einem kommunalen Rahmen statt, ohne den „Fîhrer und Reichskanzler“, der whrend des Jubilums den Bayreuther Festspielen den Vorzug gab, und auch der preußische Ministerprsident Hermann Gçring nahm nicht an den Feierlichkeiten der preußischen und Reichs-Hauptstadt teil. Man îberließ das Feld Goebbels, dem Berliner Gauleiter der NSDAP, und den NS-Vertretern der Reichshauptstadt und des Deutschen Stdtetages.495 Dabei ging die Idee, das Stadtjubilum 1937 zu feiern – wie die Ausrichtung der Olympischen Spiele 1936 – ebenfalls nicht auf eine nationalsozialistische Planung zurîck, sondern war bereits 1930 von dem Berliner Stadtarchivar Ernst Kaeber angeregt worden.496 Die Berliner Bevçlkerung konnte sich an einem großen Festzug beteiligen, war aber im îbrigen auf zahlreiche Militrkonzerte und sportliche Veranstaltungen angewiesen, die ihren paramilitrischen Charakter nicht mehr zu verbergen suchten. Insoweit bot auch die 700-Jahr-Feier der Reichshauptstadt Massenveranstaltungen, wie sie im NS-Staat îblich geworden waren und den Alltag der Bevçlkerung bestimmten.497 Die Autoren der offiziellen Festschrift 494 Hans Georg Stîmke / Rudi Finkler, Rosa Winkel, rosa Listen, Reinbek bei Hamburg 1981, S. 252 f. 495 Dazu die Tagebucheintragungen von Goebbels am 16. und 19. August 1937: Elke Frçhlich (Hg.), Die Tagebîcher von Joseph Goebbels. Smtliche Fragmente, 1, 3, Mînchen u. a. 1987, S. 237 – 241. 496 Felix Escher, Berlins 700-Jahr-Feier 1937. Bemerkungen zur Entwicklung des Gedankens eines Stadtjubilums, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1986, S. 177 – 190. Kaeber ist an der Durchfîhrung der Feier nicht mehr beteiligt gewesen und mußte auch die Herausgabe der offiziellen Festschrift an nationalsozialistische Historiker abgeben, da er als Liberaler politisch nicht genehm war und – da mit einer Jîdin verheiratet – auch den rassistischen Vorstellungen der Verantwortlichen nicht entsprach. Vgl. dazu den oben genannten Aufsatz von F. Escher, bes. S. 180. 497 F. Escher, Berlins 700-Jahr-Feier … ( s. Anm. 496), S. 181 – 186.

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zum Stadtjubilum498 deuteten die Geschichte Berlins im nationalsozialistischen Sinne um. In seinem Geleitwort ließ der Oberbîrgermeister und Stadtprsident Julius Lippert den Leser wissen: „Keine menschliche Voraussicht hat den Werdegang und den Aufstieg Berlins aus jenen kleinen Anfngen im Osten des mittelalterlichen Deutschen Reiches zu einer der grçßten Weltstdte ermessen kçnnen. Die gleichen Krfte, die Brandenburg-Preußens Aufstieg bestimmt haben, sind auch in dem Geschehen Berlins wirksam gewesen und haben die Residenz der großen Preußenkçnige zur Hauptstadt des Reiches gemacht. Als Reich und Staat dem Untergang verfallen zu sein schienen, als jene Krfte: Zucht und Ordnung, Arbeitsamkeit und Disziplin durch fremdes Gift gelhmt waren, bedrohte ein grauenvolles Verhngnis Berlin. In achtjhrigem erbitterten Kampfe hat der Nationalsozialismus es dem deutschen Wesen zurîck gewonnen; der Erretter des Reiches und des Volkes hat dann Berlin zur politischen Hauptstadt des neuen freien Deutschen Reiches bestimmt.“499 Die Reichshauptstadt gehçrte zu den wenigen Großstdten, in denen die NS-Machtergreifung nicht darin ihren sichtbaren Ausdruck fand, daß das gewhlte Stadtoberhaupt umgehend aus dem Amt gedrngt und durch einen Parteigenossen ersetzt wurde. Die Zugehçrigkeit zur Deutschnationalen Volkspartei allein htte fîr Oberbîrgermeister Heinrich Sahm500 wohl nicht ausgereicht, sich an so exponierter Stelle zu halten. Seine enge Verbindung zum greisen Reichsprsidenten Hindenburg, die sich darin dokumentiert, daß er 1932 Vorsitzender des îberparteilichen Hindenburg-Wahlkomitees war, machte ihn jedoch fîr die Nationalsozialisten unangreifbar – zumindest solange Hindenburg noch lebte. Sicher hat umgekehrt die Loyalitt zum Reichsprsidenten Sahms Entscheidung mit beeinflußt, eine von diesem abgesegnete Koalition der „nationalen Einigung“ zwischen DNVP und NSDAP auf kommunaler Ebene mitzutragen. Er erlag wie die Deutschnationalen in der Reichsregierung fîr ihren Teil der Illusion, die Geschicke der Reichshauptstadt weiterhin maßgeblich mitgestalten zu kçnnen.501 Der nationalsozialistischen Machtîbernahme in den kommunalen Angelegenheiten der Reichshauptstadt waren politische Querelen der Parteien der Weimarer Koalition und Opposition vorangegangen. Der mit dem Gesetz von 1920 geschaffene Stadtkreis Berlin bildete den Ortspolizeibezirk Berlin. Ortspolizeibehçrde war das Polizeiprsidium zu Berlin. Die Vereinigung Berlins und 498 Geschichte der Stadt Berlin. Festschrift zur 700-Jahr-Feier der Reichshauptstadt. Im Auftrage des Oberbîrgermeisters und Stadtprsidenten dargestellt von Max Arendt, Eberhard Faden und Otto-Friedrich Gandert, Berlin 1937; zur Bewertung der Festschrift vgl. F. Escher, Berlins 700-Jahr-Feier … (s. Anm. 496), S. 186 – 188. 499 Geschichte der Stadt Berlin … (s. Anm. 498), S. V. 500 ˜ber Heinrich Sahm als Berliner Oberbîrgermeister vgl. M. Sçnnichsen, Heinrich Sahm … (s. Anm. 472), S. 235 – 252. 501 M. Sçnnichsen, Heinrich Sahm … (s. Anm. 472), S. 247 – 251.

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seiner Vororte zur Gemeinde Groß-Berlin wurde vor allen mit Stimmen der USPD und SPD gegen die der bîrgerlichen Parteien erzwungen. Diese fîrchteten, wie die Hohenzollern, eine Mehrheit der Arbeiterparteien im Stadtparlament, ein „rotes“ Berlin.502 In den folgenden Jahren sollte sich die Parteienzersplitterung der Weimarer Republik auch im Berliner Stadtparlament ungînstig auswirken. Da die Reichsverfassung von 1918 nicht gendert werden konnte, die fîr die Wahlen in den Lndern und Gemeinden auch die reine Verhltniswahl vorschrieb, suchte die preußische Staatsregierung den Folgen der Parteienzersplitterung in Berlin durch ønderung der Stadtverfassung zu begegnen. Ein 1930 vorgelegter Entwurf fîr ein Selbstverwaltungsgesetz der Hauptstadt Berlin gab den „fîhrenden Personen“ eine grçßere Machtfîlle.503 Gegen diesen Entwurf sind erhebliche Widerstnde mobilisiert worden. Verabschiedet wurde schließlich am 30. Mrz 1931 das „Gesetz îber die vorlufige Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts fîr die Hauptstadt Berlin“.504 Darin ist die Zustndigkeit der Stadtverordnetenversammlung auf einen bestimmten Katalog von Angelegenheiten beschrnkt worden. Diese Funktionen wurden dann an ein aus ihrer Mitte gewhltes, aus 45 Mitgliedern bestehendes Gremium, den „Stadtgemeinde-Ausschuß“, îbertragen, der in nichtçffentlicher Sitzung tagte und dessen Vorsitzender der Oberbîrgermeister war. Die Funktionen des Gemeindevorstandes wurden zwischen dem Magistrat und dem Oberbîrgermeister aufgeteilt. Dieser war nun nicht nur Vorsitzender des Magistrats, sondern trat auch in den wichtigsten Angelegenheiten an dessen Stelle. Das Gesetz bezeichnete ihn als „Fîhrer der Verwaltung“. An der Unterstellung der Stadt unter den Preußischen Oberprsidenten und das Preußische Ministerium des Innern wurde aber zunchst nichts gendert.505 Dies blieb den Nationalsozialisten vorbehalten, die mit dem „Gesetz îber die Einsetzung eines Staatskommissars in der Hauptstadt Berlin“ vom 31. Mai 1933 neben den Oberbîrgermeister und den Magistrat nun den Staatskommissar als weitere Institution setzten.506 Er wurde vom preußischen Innenminister ernannt und fîhrte die Oberaufsicht îber die Stadtverwaltung, 502 Dazu O. Hampe, Die Entstehung … (s. Anm. 446), bes. S. 7 – 16. 503 H. J. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung … (s. Anm. 454), druckt diesen Entwurf leider nicht ab. 504 H. J. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung … (s. Anm. 454), S. 91 – 98. 505 H. J. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung … (s. Anm. 454), S. 98. 506 Vgl. das Gesetz îber die Einsetzung eines Staatskommissars in der Hauptstadt Berlin vom 31. Mai 1933 (Preußische Gesetzsammlung, S. 196), in: H. J. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung … (s. Anm. 454), S. 99 – 101. Den Sinn dieses Gesetzes erlutert der Verwaltungsbericht der Allgemeinen Hauptverwaltung. 1. April 1932 bis 31. Mrz 1936 mit kurzem Rîckblick auf die Jahre seit 1928, 1 (1937), S. 13: „Der Staatsgewalt war nunmehr die Mçglichkeit gegeben, allen gemeindlichen Plnen von vornherein eine Richtung zu geben, die sich nicht in Widerspruch zur Staatspolitik brachte.“

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konnte an den Sitzungen des Magistrats, des Stadtgemeinde-Ausschusses, der Stadtverordnetenversammlung sowie an smtlichen Deputationen und Ausschîssen mit beratender Stimme teilnehmen. Der Oberbîrgermeister hatte ihn îber alle wesentlichen Vorgnge in der Verwaltung zu informieren. Zugleich stand ihm das Recht zu, in alle Akten Einsicht zu nehmen und alle Dienststellen und stdtischen Betriebe zur ˜berprîfung zu betreten. Er besaß das Einspruchsrecht gegen alle Maßnahmen des Oberbîrgermeisters und der stdtischen Institutionen, wenn sie ihm als den Interessen des Reiches, des Landes Preußen und der Stadt Berlin nachteilig erschienen. Ihre Ausfîhrung hatte bis zum Entscheid der Kommunalaufsichtsbehçrde im Preußischen Ministerium des Innern zu unterbleiben. Sie gab ihm auch Anweisungen. Mit Ausnahme der Preisîberwachung sowie der Gewerbe- und Hygieneaufsicht îbernahm er zugleich vom Polizeiprsidium die Regierungsaufgaben. Er hatte eine schrfere Kontrolle des Staates îber die Stadt als bis dahin zu gewhrleisten. Das Prsidium war de facto als Aufsichtsbehçrde ausgeschieden, die Stadt unter Vermittlung des Staatskommissars dem Preußischen Ministerium des Innern direkt unterstellt und die Selbstverwaltung damit ausgeschaltet. Am 12. November 1933 tagte zum letzten Mal die Stadtverordnetenversammlung. An ihre Stelle traten – in Anlehnung an das Gemeindeverfassungsrecht von 1931 mit seinem „Stadtgemeinde-Ausschuß“ – nun 45 Ratsherren, die in Berlin der Gauleiter (Goebbels) ernannte. Sie wurden vom Oberbîrgermeister zu Sitzungen einberufen, bildeten dabei jedoch kein Gremium mit Organstellung, sondern waren einzeln verpflichtet, den Oberbîrgermeister zu beraten. Die Berufung erfolgte auf sechs Jahre. Nach dem Erlaß des „Gesetzes îber die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt“ von 1936 wurden die Ratsherren 1937 neu berufen.507 Bereits im Dezember 1933 wurden die Kompetenzen des Staatskommissars erweitert: Ihm wurde die Aufsicht îber die Gemeindeangelegenheiten Berlins îbertragen und das Rechnungsprîfungsamt unterstellt. An die Stelle des Preußischen Ministers des Innern trat nun der Preußische Ministerprsident.508 Wenig spter, im Mrz 1934, wurde das Staatskommissariat zu einer staatlichen Verwaltungsbehçrde. Die Kompetenzen des Oberprsidenten von Brandenburg erhielt mit wenigen Ausnahmen der Staatskommissar.509

507 Christian Engeli, Die nationalsozialistischen Kommunalpolitiker in Berlin, in: W. Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen II … (s. Anm. 482), S. 113 – 199. 508 Gesetz îber die ønderung der Staatsaufsicht îber die Hauptstadt Berlin vom 15. Dezember 1933 (Preußische Gesetzsammlung, S. 483), in: H. J. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung … (s. Anm. 454), S. 104 f. 509 Gesetz îber die Erweiterung der Aufgaben des Staatskommissars vom 28. Mrz 1934 (Preußische Gesetzsammlung, S. 239), in: H. J. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung … (s. Anm. 454), S. 105 – 106.

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Das „Gesetz îber die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin“ vom 1. Dezember 1936510 ersetzte den Staatskommissar durch den Stadtprsidenten, und zwar unter bewußter Wiederanknîpfung an die absolutistische Verfassungsstruktur. Das Amt des Stadtprsidenten wurde mit dem des Oberbîrgermeisters vereinigt, Oberbîrgermeister und Stadtprsident waren unmittelbare Landesbeamte. Als Oberbîrgermeister stand der Amtsinhaber der Kommunalverwaltung und als Stadtprsident einer besonderen Staatsbehçrde im Rang einer Regierung vor. In seiner Eigenschaft als Stadtprsident gingen auf ihn zugleich die Aufgaben und Befugnisse des Staatskommissars îber, so zum Beispiel die Aufsicht îber die hçheren Schulen. Die Aufsicht îber die Gemeindeangelegenheiten der Stadt Berlin fîhrte das Ministerium des Innern. Ihm wurden auch die Aufgaben des Oberprsidiums der Provinz Brandenburg îbertragen. Im îbrigen war bei kînftigen Gesetzen und Verordnungen der Stadtprsident in allen Fllen kompetent, in denen die Ober- oder Regierungsprsidenten als zustndig bezeichnet wurden, soweit fîr Berlin nicht eine besondere Regelung getroffen worden war. Die Kommunalverwaltung war also wieder zum ausschließlichen Exekutivorgan zurîckgebildet worden. Eine Vertretung der Bîrgerschaft, wie sie die Steinsche Stdteordnung geschaffen hatte, gab es nicht mehr. Fîr die weitere Entwicklung der Stadtverwaltung in der NSZeit war nicht ihre Stellung zu den Staatsbehçrden ausschlaggebend, sondern ihre Position gegenîber der NSDAP. Der Erweiterung ihres Einflusses auf die Stadtverwaltung trugen die Gesetze seit 1933 Rechnung. Neben den Oberbîrgermeister trat nun auch noch der Gauleiter der NSDAP. Vor Entschließungen von grundstzlicher Bedeutung (Stdtebau, Verkehrsentwicklung, Kunst und Kultur, aber auch Presse und Personalangelegenheiten) war er zu informieren. Die Bezirksbîrgermeister und Ratsherrn wurden nicht mehr gewhlt, sondern mit seinem Einverstndnis ernannt. Der Gauleiter von Berlin und Reichsverteidigungskommissar Goebbels erhielt 1944 zugleich die Verwaltung der Reichshauptstadt und das Amt sowie die Bezeichnung Stadtprsident îbertragen.511 Das Verhltnis der Reichs- und Preußischen Staatsbehçrden zur Hauptstadt blieb davon unberîhrt. Das Oberbîrgermeisteramt und das des Stadtprsidenten wurden wieder getrennt. Entsprechend den Weisungen des Stadtprsidenten leitete der Oberbîrgermeister die Gemeindeverwaltung. Der Vizeprsident als bisheriger Stellvertreter des Stadtprsidenten nahm die vom bisherigen Stadtprsidenten erledigten Aufgaben und Rechte, also die staatliche Verwaltung der Reichshauptstadt wahr. Noch am 5. August 1944 wurde sie 510 H. J. Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung … (s. Anm. 454), S. 114 – 120. 511 Erlaß des Fîhrers îber die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin vom 1. April 1944, in: Reichsgesetzblatt (1944), 1, S. 87. Vgl. auch Berthold Schulze, 200 Jahre staatlicher Verwaltungsbezirk Berlin, in: JbBrandenbLdG 3 (1952), S. 1 – 8, bes. S. 8.

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durch Verordnung einem Regierungsprsidenten îbertragen.512 Dessen Amt blieb erhalten. Ihm standen Befugnisse des Oberprsidenten zu. Eine endgîltige Regelung dieses Nebeneinanders von Staatsaufsichtsbehçrden ließen aber die Kriegswirren nicht mehr zu. Auch fîr die Reichshauptstadt gilt, was Horst Matzerath îber die generelle Entwicklung des Oberbîrgermeisteramtes in der NS-Zeit festgestellt hat: „Das Amt des Oberbîrgermeisters verlor im Dritten Reich weitgehend die politische Bedeutung, die es vorher besessen hatte. Die vernderte Rechtsstellung des Gemeindeleiters, die verschrfte Staatsaufsicht, die engeren finanziellen Mçglichkeiten sowie die zahllosen Auseinandersetzungen mit Staats- und Parteiorganisationen um den Erhalt der bisherigen Kompetenzen hatten zugleich eine wesentliche Schwchung der Position des Oberbîrgermeisters bewirkt. Die eigentliche politische Abhngigkeit indessen bestand gegenîber dem Gauleiter.“513 Mit der zunehmenden staatlichen Lenkung der Wirtschaft konzentrierten sich in Berlin noch mehr Wirtschaftsverbnde und Firmenvertretungen. Die Stadt blieb nach Zahl der Beschftigten weiterhin die grçßte Industriemetropole Europas. Die Wirtschaftsstruktur Berlins sollte sich aber unter nationalsozialistischem Einfluß verndern. Schuld daran war nicht nur die eher restriktive Handhabung des Außenhandels, sondern vor allem die staatliche Fçrderung der Großbetriebe, die zu Lasten der kleinen und mittleren Firmen ging. So sind die Klein- und Mittelbetriebe durch eine staatlich gelenkte Rohstoffwirtschaft und bei der Vergabe von Staatsauftrgen benachteiligt worden: „Kleinstbetriebe werden çkonomisch zugrunde gerichtet, um die hier gebundene Bevçlkerung fîr die riesig aufgeblhte Rîstungsindustrie abzustellen.“514 In Berlin waren kleinere und mittlere Betriebe der Konsumgîter- und Bekleidungsindustrie, die von solchen Maßnahmen besonders betroffen waren, traditionell im Innenstadtbereich angesiedelt, eng verflochten mit den großstdtischen Wohnkomplexen. Mit der staatlichen Bevorzugung der Produktionsmittelindustrie, die îberwiegend in Großbetrieben organisiert war, verstrkte sich das Firmensterben im Innenstadtbereich, der dadurch immer mehr zum Wohn- und Geschftsviertel wurde, whrend die Industrie sich weiterhin an der „Peripherie der Vorortbahnen“ konzentrierte, wo einige Großfirmen bald an die Grenze ihrer Expansionsmçglichkeit stießen. 512 Vgl. die Verordnung vom 27. November 1937, in: Reichsgesetzblatt (1937), 1, S. 1190, in Verbindung mit Reichsgesetzblatt (1944), I, S. 175; sowie B. Schulze, 200 Jahre … (s. Anm. 511), S. 8. 513 Horst Matzerath, Oberbîrgermeister im Dritten Reich. Auswertung einer quantitativen Analyse, in: Klaus Schwabe, Oberbîrgermeister (= Bîdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1979), Boppard am Rhein 1981, S. 157 – 199, bes. S. 197. Der dort S. 125 – 155 gedruckte Beitrag von Dieter Rebentisch, Die politische Stellung der Oberbîrgermeister im Dritten Reich, spart Berlin leider aus. 514 A. Zimm, Die Entwicklung des Industriestandortes Berlin … (s. Anm. 396), S. 174.

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Nach 1933 nderte sich an der Verkehrsplanung der zwanziger Jahre zunchst nur wenig. Bis zum Kriegsausbruch bauten die Nationalsozialisten den Flughafen Tempelhof großzîgig aus, zum zukînftigen Luftkreuz Europas, wie es bei der Grundsteinlegung fîr die von Emil Sagebiel entworfenen gigantischen Flughafengebude 1935 hieß.515 Im Bereich des Straßenverkehrs entstand der Anschluß der Avus an den Autobahnring, allerdings ohne daß damit eine wesentliche Verbesserung fîr den Berliner Straßenverkehr gewonnen wurde. Innerhalb der Stadt sind die Elektrifizierung der S-Bahn und der Bau neuer Verbindungen vorangetrieben worden. Whrend des Krieges wurden keine neuen Projekte realisiert. Fîr die Planung eines neugestalteten Eisenbahnnetzes ist am 12. Mai 1937 die Reichsbahnbaudirektion Berlin gegrîndet worden. Die Kapazitt der Berliner Ringbahn sollte durch zwei Gleise so erweitert werden, daß der Fernverkehr eingefdelt werden konnte. Dadurch wren je ein Zentralbahnhof im Norden und Sîden mçglich geworden. Plne der zwanziger Jahre sind auch beim Ausbau der Binnenwasserstraßen mit fantastischen neuen Projekten verbunden worden. Aufgrund lterer Plne wurde noch whrend der ersten Kriegsjahre die Berliner Mîhlendamm-Schleuse ausgebaut und zugleich plante Speer, die Spree auf eine Lnge von 400 Metern in zwei je 30 Meter breiten Tunneln unter einer Plattform, der im Rahmen von Hitlers Welthauptstadt-Projekten geplanten „Großen Halle“, hindurchzufîhren, ein gigantisches Unternehmen, dessen technische Probleme bei der Planung keineswegs bedacht worden sind.516 Eine neue Verkehrsplanung, die dazu beigetragen htte, das Berliner Stadtbild von Grund auf zu verndern, war durchaus nicht utopisch: Zahlreichen Abrisse von Wohnhusern, die Kîndigung von Sportplatznutzern und auch die Entwidmung von Friedhçfen zeigen, daß die Planungen bei Kriegsende weit vorangeschritten waren. Nach dem Krieg ist gerade im Bereich der Verkehrsplanung vielfach an die Vorhaben aus der NS-Zeit angeknîpft worden. So entspricht der heutige Autobahnstadtring in etwa dem Verlauf des Speerschen „Dritten Ringes“, und auch die Planung fîr einen Hauptstadtbahnhof geht teilweise auf den Generalbauinspektor zurîck. Hitler und Speer sahen in Berlin die kînftige Welthauptstadt „Germania“, fîr die sie gigantische Reprsentationsbauten planten.517 Die Plne – und ersten Anstze ihrer Verwirklichung – gehçren zu den markantesten Kapiteln aus der 515 Wolfgang Schche, Der „Zentralflughafen Tempelhof“ in Berlin, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1996, S. 151 – 164. 516 Lars Olaf Larsson, Die Neugestaltung der Reichshauptstadt. Albert Speers Generalbebauungsplan fîr Berlin, Stuttgart 1978, S. 32 – 57. 517 Anschaulich mit zusammenfassenden substantiellen Beitrgen ist der Ausstellungskatalog von Hans J. Reichhardt / Wolfgang Schche, „Von Berlin nach Germania“. ˜ber die Zerstçrungen der Reichshauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen, vçllig îberarb. und erw. Neuaufl., Berlin 1998.

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Geschichte Berlins in der NS-Zeit, wohl auch deswegen, weil es hierbei nicht nur um Stdtebau geht, sondern auch der Byzantinismus als eine der beherrschenden Komponenten des NS-Staates sichtbar wird.518 Die Vereinnahmung Berlins durch das Reich, die symbolhaft in der erwhnten verfassungsrechtlichen Erhebung zur Reichshauptstadt ihren Ausdruck fand, ist hier nun mit Hnden zu greifen. Die Neugestaltungsplne waren nicht an den Bedîrfnissen der Stadt orientiert, sondern dienten der Demonstration nationaler Grçße und Macht. In Gesprchen des dilettierenden Architekten und Stadtplaners Adolf Hitler mit den Verantwortlichen in der Stadtverwaltung ging es allein um Straßen, Pltze, Hallen und Denkmler; 60 Millionen RM jhrlich auf die Dauer von zwanzig Jahren stellte er 1934 der Stadt in Aussicht, ohne konkrete Zweckbindung, aber auf jeden Fall „fîr die Umwandlung Berlins zu einer wîrdigen Reichshauptstadt und reprsentativen Weltstadt“.519 Der Wohnungsbau mußte allgemein zugunsten von Staats- und Parteibauten zurîcktreten.520 In der Konsolidierungsphase der Dritten Reiches war ein Gesamtprogramm noch nicht erkennbar; einzelne große Bauvorhaben, die nicht direkt durch die neue Staatsfîhrung veranlaßt waren, wiesen jedoch bereits die Richtung in jene Monumentalitt, die fîr die weitere Entwicklung des Berliner Stdtebaus charakteristisch werden sollte. 1934 wurde mit dem Ausbau des Reichssportfeldes, der fîr die Olympischen Spiele von 1936 geplanten Anlage begonnen, fîr den die Weichen schon seit lngerer Zeit gestellt waren.521 Die ersten Bauten, die Deutsche Hochschule fîr Leibesîbungen und das Deutsche Sportforum, waren bereits in den Jahren 1926 bis 1928 entstanden. Ihr Architekt Werner March522 gestaltete nun auch Maifeld, Olympiaturm, Stadion und Dietrich-Eckert-Freilichtbîhne (spter: Waldbîhne).523 Den Entwurf fîr einen Erweiterungsbau der Reichsbank hatte bereits Hitler mit ausgewhlt; das 1934 begonnene Vorhaben war von erdrîckender Massenwirkung – dazu angetan, die sehr kleinteiligen Verhltnisse des Innenstadtbereichs zu 518 Grundlegend ist das Handbuch von Wolfgang Schche, Architektur und Stdtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945. Planen und Bauen unter der øgide der Stadtverwaltung (= Bauwerke und Kunstdenkmler von Berlin, 17), Berlin 21992. 519 Selbst nach Beginn des Krieges hatte fîr Hitler die Neugestaltung der Reichshauptstadt noch Prioritt, wie eine Anweisung vom 25. Juni 1940 zeigt, die er in der Nacht nach der Kapitulation Frankreichs unterzeichnete. Sie ist abgebildet bei H. J. Reichhardt / W. Schche, „Von Berlin nach Germania“ … (s. Anm. 517), S. 32. 520 Rudolf Baade, Kapital und Wohnungsbau in Berlin 1924 bis 1940. Die çffentliche Fçrderung in der Weimarer Republik und im NS-Staat (= Berlin-Forschungen der Historischen Kommission zu Berlin, 3), Berlin 2004, bes. der Abschnitt „Kontinuitt und Diskontinuitt im nationalsozialistischen Wohnungsbau“, S. 335 – 341. 521 Wolfgang Schche / Norbert Szymanski, Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht, Berlin 2001. 522 Thomas Schmidt, Werner March … (s. Anm. 491), S. 231 – 278. 523 Thomas Schmidt, Werner March und seine Planungen … (s. Anm. 489), S. 236 – 262.

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zerstçren. Keine Rîcksicht wurde dabei auf wertvolle Bausubstanz genommen, die dem Neubau weichen mußte, so vor allem nicht auf die von Friedrich August Stîler gestaltete Mînze.524 Hermann Gçring drngte sich 1935 mit dem Bau eines Reichsluftfahrtministeriums525 an der Wilhelmstraße vor, dem ebenfalls umfangreiche Abrißarbeiten an historischen Gebuden vorausgehen mußten. Der Architekt dieses nach dem Krieg als „Haus der Ministerien“ genutzten Gebudekomplexes, der in der Bundeshauptstadt das Finanzministerium beherbergt, war Emil Sagebiel, der auch den Flughafen Tempelhof von 1935 bis 1939 ausbaute. Dieses Vorhaben zu realisieren war bereits seit lngerem von der Stadt dem MehrheitsAktionr der Flughafen-Gesellschaft in Aussicht gestellt worden. Doch fîhrte das Interesse, das Hitler nun an dem Projekt zu erkennen gab, dazu, daß es um einiges grçßer geriet, als ursprînglich vorgesehen. Tempelhof sollte der grçßte und schçnste Flughafen der Welt werden und beim ankommenden Fluggast „jede abfllige Kritik îber Deutschland zum Verstummen“ bringen.526 In Ehrfurcht verstummen sollten auch die auslndischen Diplomaten, wenn sie von Hitler in seine Neue Reichskanzlei in der Wilhelmstraße gebeten wurden: Sie hatten dann vom Haupteingang zum Empfangssaal einen rund 300 Meter langen Weg durch Ehrenhof, Vorhalle, Mosaiksaal und Marmorgalerie zu durchschreiten. Die Planung fîr seine Residenz hatte Hitler dem jungen Architekten Albert Speer anvertraut. Mit ihrer Ausfîhrung konnte allerdings erst 1937 begonnen werden, da zunchst die entsprechenden Grundstîcke aufgekauft und anschließend gerumt werden mußten. Der Neubau wurde dann mit absoluter Prioritt rund um die Uhr vorangetrieben, damit das gesteckte Ziel, die Einweihung anlßlich des Neujahrsempfangs des Diplomatischen Corps 1939, erreicht werden konnte.527 Am Funkturm entstand 1934 bis 1936 in reprsentativer Anlage die Randbebauung des Messegelndes mit einer zentralen Ehrenhalle und symmetrisch zugeordneten Flîgelbauten.528 In derselben Zeit wurde auch die Deutschlandhalle errichtet.529 Beide Baulichkeiten bildeten monumentale Akzente am stadteinwrts gelegenen Ende der AVUS, der Automobil-Versuchsund Rennstrecke, deren Bedeutung als Einfallstor nach Berlin durch den nun in 524 Wolfgang Schche, Architektur und Stadtplanung whrend des Nationalsozialismus am Beispiel Berlin, in: H. J. Reichhardt / W. Schche, „Von Berlin nach Germania“ … (s. Anm. 517), S. 15 – 17. 525 W. Schche, Architektur und Stdtebau … (s. Anm. 518), S. 218 – 225. 526 W. Schche, Der „Zentralflughafen Tempelhof“ in Berlin … (s. Anm. 515), S. 151 – 164. 527 Angela Schçnberger, Die Neue Reichskanzlei von Albert Speer. Zum Zusammenhang von nationalsozialistischer Ideologie und Architektur, Berlin 1981. 528 F. Escher, Berlin und seine Ausstellungen … (s. Anm. 462), S. 427 – 457. 529 F. Escher, Berlin und seine Ausstellungen … (s. Anm. 462), S. 435 – 439.

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fieberhafter Eile vorangetriebenen Autobahnbau erheblich stieg. Denn dieses Unternehmen betraf, obwohl reichsweit geplant, in besonderem Maße Berlin, war doch die Reichshauptstadt als Zentrum und Bezugspunkt vorgesehen, von dem aus beziehungsweise auf den hin das Liniennetz gestaltet werden sollte. Aus sechs Richtungen mîndeten Verkehrsbnder in Berlin, aufgefangen durch einen Autobahnring, der den Durchgangsverkehr an Berlin vorbei, den Zielverkehr aber durch innerhalb des Rings gelegene Zubringer stçrungsfrei an die Stadt heranfîhren sollte. Der wichtigste sîdwestliche Zubringer wurde auf die AVUS hin ausgerichtet.530 Einer mit Sondervollmachten ausgestatteten „Gesellschaft zur Vorbereitung der Reichsautobahnen“ gelang in wenigen Monaten, was unter „herkçmmlichen“, rechtsstaatlichen Verhltnissen Jahre gedauert htte: die Abstimmung unter den beteiligten Reichs-, Landes-, Provinzial-, Kreis- und Kommunalbehçrden. Sie sollte, in Verbindung mit anderen Organisationsformen, Vorbild werden fîr das von Hitler inszenierte Vorhaben einer „Neugestaltung der Reichshauptstadt“. Weder die Berliner Stadtplanung noch der Landesplanungsverband Brandenburg-Mitte, der die Interessen der den Autobahnring aufnehmenden Landkreise vertrat, wurden bei der Festlegung der Linienfîhrung herangezogen. Dem als nationales Prestigeobjekt Nr. 1 entsprechend propagandistisch aufgezogenen Autobahnbau hatten sich alle partikularistischen Interessen unterzuordnen. Whrend îber den militrstrategischen Aspekt in der §ffentlichkeit nichts verlautbart wurde, war um so mehr vom Arbeitsbeschaffungseffekt die Rede. Und der war in der Tat betrchtlich. Zwischen 5.000 und 10.000 Arbeitslose aus der Stadt fanden 1934 auf den Baustellen in der Umgebung Berlins zeitweise Beschftigung. Keines dieser Projekte wurde von der Stadt betrieben. Die Fîhrung hatte das Reich îbernommen – genauer gesagt, der „Fîhrer des Reiches“ selbst. Schon 1933 befaßte er sich mit „den großen Berliner stdtebaulichen Aufgaben“, so wie er sie sah. In zahlreichen Besprechungen ließ er sich von den zustndigen Berliner Behçrdenleitern îber bestehende Probleme und Planungen unterrichten. Fîr ihn ging es darum, diese zu einer einheitlichen Idee zusammenzuzwingen, sie durch eine stdtebauliche Geste zu îberhçhen, welche die Grçße des nationalsozialistischen Staates symbolisieren wîrde. Aus den gegebenen rumlichen Fixpunkten, der Ost-West-Achse und der als Verbindung zwischen den beiden sanierungsbedîrftigen Bahnhofskomplexen Anhalter/Potsdamer Bahnhof beziehungsweise Lehrter/Stettiner Bahnhof gedachten Nord-Sîd-Achse ließ sich ein Kreuzungsbereich von îberragender Dominanz konstruieren, ein neues Zentrum der Reichshauptstadt. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Umstand, daß Hitler seit vielen Jahren Ideenskizzen fîr zwei imperiale Bau530 Chr. Engeli, Landesplanung in Berlin-Brandenburg … (s. Anm. 421), S. 117 ff.

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werke mit sich herumtrug und nun eine Mçglichkeit sah, sie entstehen zu lassen: einen Triumphbogen und ein Pantheon.531 Seine Plne besprach Hitler ohne andere Beteiligung eingehend mit seinem Architekten Albert Speer, dem er inzwischen die Ausfîhrung des Reichsparteitagsgelndes in Nîrnberg anvertraut hatte.532 Im Frîhjahr 1936 begann Speer – vorerst ebenfalls noch geheim – mit der Ausarbeitung des Umgestaltungsplanes, dessen Ausmaß seine Urheber alsbald erkennen ließ, daß dieser nach herkçmmlichen Verfahren nicht wîrde vorangebracht werden kçnnen. Hier half nur eine Sonderbehçrde nach Art der Autobahnplanungsstelle, welche die Stadtverwaltung sowie die einzelnen Reichs- und preußischen Behçrden mit ihren speziellen Zustndigkeiten rigoros ausschaltete und alle Kompetenzen in einer Hand vereinigten. Am vierten Jahrestag seiner Ernennung zum Reichskanzler, am 30. Januar 1937, unterschrieb Hitler einen „Erlaß îber einen Generalbauinspektor fîr die Reichshauptstadt“, zu dem er gleichzeitig Speer ernannte. Der Vorsprung und die bevorzugte Behandlung Berlins gegenîber den „Neugestaltungsmaßnahmen“, die dann spter auch fîr andere Stdte angekîndigt wurden, zeigen die Prioritt, mit der Hitler den Umbau der Reichshauptstadt Berlin zur Welthauptstadt „Germania“ betrieben sehen wollte. Daß das Selbstbestimmungsrecht der Stadt Berlin auf diese Weise fîr alle sichtbar mit Fîßen getreten wurde, daß ihr damit die einzige noch verbliebene Gestaltungsmçglichkeit, die Planungshoheit genommen wurde, kîmmerte die Urheber des Gesetzes am wenigsten. Sie hatten es nicht einmal fîr nçtig erachtet, einvernehmliches Vorgehen wenigstens nach außen hin vorzutuschen – was der Stadt immerhin erlaubt htte, ihr Gesicht zu wahren. Und die Praxis sollte erweisen, daß Speer den ihm zugestandenen Handlungsspielraum kompromißlos ausnutzte. Julius Lippert, inzwischen Stadtprsident und Oberbîrgermeister in einer Person, versuchte gegen die starre Haltung des Generalbauinspektors verschiedentlich anzugehen, da er in ihr eine vorstzliche Demîtigung der Reichshauptstadt zu erblicken glaubte, doch vergebens: 1940 wurde er auf Betreiben Speers von Hitler kurzerhand abgesetzt.533 Im Zusammenhang mit der Ernennung Speers wurden die „Neugestaltungsplne“ in unverfnglichen Teilen bekanntgemacht, z. B. ohne die in der §ffentlichkeit im Modell nicht gezeigte „Große Halle“. Sie war in ihren Abmessungen gigantisch 531 Zu lteren Entwîrfen fîr diese Planung vgl. Rudolf Wolters, Stattmitte Berlin. Stadtbauliche Entwicklungsphasen von den Anfngen bis zur Gegenwart, Tîbingen 1978, bes. S. 203. 532 ˜ber Speer als Architekt und Stadtplaner fîr Berlin vgl. Wolfgang Schche, Albert Speer, in: Wolfgang Ribbe / Wolfgang Schche (Hg.), Baumeister, Architekten, Stadtplaner. Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins, Berlin 1987, S. 511 – 528. 533 Die Kontroverse, die zur Absetzung des NS-Oberbîrgermeisters Lippert fîhrt ist dokumentiert in H. J. Reichhardt / W. Schche, „Von Berlin nach Germania“ … (s. Anm. 517), S. 45 f.

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dimensioniert; es handelte sich um das grçßte Bauwerk der Welt. Auf einem quadratischen Unterbau von 315 Meter Seitenlnge sollte sich in 100 Metern Hçhe eine Kuppel wçlben, deren Abschluß sich 320 Meter îber dem Bodenniveau befand. Das ursprînglich auf die krçnende Laterne gesetzte Hakenkreuz, auf dem der Adler sich festkrallen sollte, wurde von Hitler im Frîhsommer 1939, also kurz vor Beginn des von ihm entfesselten Zweiten Weltkrieges, durch eine Kugel ersetzt: „Hier soll nicht mehr der Adler îber dem Hakenkreuz stehen, hier wird er die Weltkugel beherrschen.“534 Der in der Randbebauung des Platzes vor der Halle einbezogene Reichstag erlaubte den Grçßenvergleich und machte die Hybris, in der Hitler und seine Umgebung befangen waren, deutlich. Die Bauzeit war auf zwçlf Jahre angesetzt. 1950 sollte die Halle, gleichzeitig mit den anderen an der Nord-Sîd-Achse geplanten Neubauten, fertiggestellt sein. Hierzu gehçrte auch Hitlers zweites Lieblingsprojekt, der Triumphbogen – auch er so bemessen, daß er mit den sie umgebenden Bauten nicht korrespondieren konnte, sondern sie erdrîcken mußte.535 Viel Platz beanspruchte der auf eine Million Menschen berechnete Aufmarsch- und Versammlungsplatz vor der Großen Halle; dessen westliche Begrenzung sollte îberdies ein neues „Fîhrerpalais“ bilden, fîr das zwei Millionen Quadratmeter Grundflche vorgesehen waren. Nicht nur der Kçnigsplatz und die Kroll-Oper sollten der Monsterplanung weichen, sondern das gesamte im Spreebogen gelegene Alsenviertel, ebenso das Matthikirchviertel zwischen Landwehrkanal und Kemperplatz, beide jeweils mit mehreren tausend Wohnungen, unzhligen Dienststellen und Betrieben. Mit den Abrißarbeiten wurde 1938 begonnen. Bei Kriegsbeginn wurden sie unterbrochen, aber schon nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug wieder aufgenommen und bis 1942 weiter betrieben. Von da an îbernahmen unvorhergesehen die Bombenabwîrfe die Fortfîhrung des Zerstçrungswerkes. Im Spreebogen ließ man allein die Schweizer Botschaft stehen, im sîdlichen Bereich, ebenfalls aus politischen Grînden, die Matthikirche. In ihrer Nachbarschaft entstand aber bereits als erstes – und einziges – der geplanten Neuvorhaben lngs der Nord-Sîd-Achse das Haus des Fremdenverkehrs; die Rohbauruine machte Anfang der sechziger Jahre der Neuen Nationalgalerie Platz. Das Kernstîck der geplanten Neugestaltung entpuppte sich als Stadtzerstçrung nicht nur im buchstblichen Sinn, sondern auch in seiner Maß(stabs)losigkeit. Architektonische Monstrositten drohten eine in Jahrhunderten gewachsene Stadtstruktur zu sprengen.536 Vor dem Hintergrund dieses Kernstîcks verblassen die weiteren Planungsziele: Kolossale Museumsbauten als Erweiterung der Museumsinsel und Ak534 H. J. Reichhardt / W. Schche, „Von Berlin nach Germania“ … (s. Anm. 517), S. 62. 535 H. J. Reichhardt / W. Schche, „Von Berlin nach Germania“ … (s. Anm. 517), S. 60 – 66. 536 Chr. Engeli / W. Ribbe, Berlin in der NS-Zeit … (s. Anm. 481), S. 995.

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zente an der Ost-West-Achse. Die Rîcksichtnahme auf Stadtschloß, Dom und Marienkirche bremste die Phantasie hinsichtlich des „Auftaktes“ der Ostachse; in Richtung Westen wurde der Tiergarten weitgehend respektiert. Immerhin, die Straße mußte verbreitert werden – eine wenig aufwendige Arbeit, mit der sogleich begonnen werden konnte. Im Rahmen dieses Ausbaus erfolgte die Umsetzung der Siegessule vom Kçnigsplatz auf den erweiterten Großen Stern; die Dimensionen am neuen Standort erforderten nach Ansicht Hitlers eine Aufstockung des Sulenschaftes um eine Trommel. Am Vorabend seines 50. Geburtstages, am 19. April 1939, konnte Hitler dieses Teilstîck der Ost-WestAchse in neuer Gestalt fîr den Verkehr freigeben. Westlich des Tiergartens wurde 1938 ein Verwaltungsneubau errichtet, das Haus des Deutschen Gemeindetages. Es sollte dem Deutschen Gemeindetag zum Ersatz fîr seine im Spreebogen gelegenen und damit der Nord-Sîd-Achse zum Opfer fallenden Dienststellen dienen. Weiter westlich war vorgesehen, den ReichskanzlerPlatz537 durch ein funktionsloses Monument aufzuwerten. Und noch weiter draußen sollte an der West-Achse – gegenîber dem Reichssportfeld – eine Hochschulstadt entstehen. Fîr den Bau einer Wehrtechnischen Fakultt legte Hitler dort Ende 1937 den Grundstein.538 Bis zur Realisierung dieser Plne sollte aber alles beim alten bleiben. Dies galt insbesondere fîr das Regierungsviertel.539 An der Verlagerung des politischen Machtmittelpunktes vom Schloß weg hin zur Regierungsmeile in und an der Wilhelmstraße und zum Reichstag einschließlich der Via triumphalis „Unter den Linden“ von der Schloßbrîcke bis zum Brandenburger Tor nderten auch die Nationalsozialisten nichts.540 Als Hitler mit seinem Generalbauinspektor Speer daran ging, Berlin als kînftige Welthauptstadt „Germania“ neu zu entwerfen, blieb das Schloß bei der Umgestaltung der Stadt unberîhrt. Whrend der NS-Diktatur diente die beeindruckende Fassade des Schlosses lediglich als Staffage fîr grçßere, auf der Straße Unter den Linden und im Lustgarten stattfindende Propagandaveranstaltungen. Im Sommer 1936 wurden die schon seit 1926 im Schlîterhof des Schlosses vom Berliner Philharmonischen Orchester gegebenen Konzerte innerhalb der „Berliner Kunstwochen“ in das Rahmenprogramm der Olympischen Spiele einbezogen. Das Interesse der Nationalsozialisten am Schloß selbst war gering. Hitler soll das Schloß nie besucht haben. Lediglich der preußische Ministerprsident Gçring lud im November 1937 in seiner Eigenschaft als Reichsjgermeister 537 Ab 1933 Adolf-Hitler-Platz, heute Theodor-Heuß-Platz. 538 Das bis zum Rohbau gediehene Hauptgebude liegt heute unter 13 Millionen Kubikmeter Trîmmerschutt am Teufelsberg begraben. 539 Chr. Engeli / W. Ribbe, Berlin in der NS-Zeit … (s. Anm. 481), S. 995. 540 Wolfgang Ribbe, Stadtschloß und Schloßbezirk in der Weimarer Republik und whrend der NS-Herrschaft, in: W. Ribbe, Schloß und Schloßbezirk … (s. Anm. 285), S. 149 – 158, bes. S. 152 – 154.

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anlßlich einer internationalen Jagdausstellung im Weißen Saal zum Bankett. Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges fîhrte zur Schließung der Sammlungen und ihrer Auslagerung.541 Der vor der Nordseite des Schlosses gelegene Lustgarten, îber den bei Festlichkeiten des Kaiserhauses Salutschîsse und das Luten der Domglocken getçnt hatten und auf dem seit 1918 Demonstrationen stattfanden, war fîr mehr als hundert Jahre eine schçne, auf Schinkels Entwurf zurîckzufîhrende Gartenanlage geblieben. Daran nderten auch die revolutionren Ereignisse in und vor dem Schloß von 1918/19 ebenso wenig wie die wenigen politischen Kundgebungen zur Zeit der Weimarer Republik, etwa aus Anlaß des Welttages der Arbeit am 1. Mai. So wenig Interesse die Nationalsozialisten am Schloß selbst zeigten, umso mehr besetzten sie den politischen Raum davor, und zwar noch bevor sie die „Macht ergriffen“. Am 9. Juli 1932 marschierte die SA an der Schloßfreiheit und im Lustgarten auf und vor der Schloßkulisse positionierte sich als Hauptredner der Berliner Gauleiter der NSDAP, Joseph Goebbels.542 Nach ihrer Machtîbernahme bezogen die Nationalsozialisten den Schloßbezirk noch strker in ihre politischen Propagandaaktionen ein. Ende Juni 1933 veranstalteten sie im Lustgarten eine Massenkundgebung gegen den Friedensvertrag von Versailles. Es blieb auch den Nationalsozialisten vorbehalten, den Lustgarten zum Aufmarschplatz umzugestalten. In Vorbereitung der Olympiade 1936 genehmigte Hitler im Dezember 1935 die Plne fîr den von ihm selbst als einen Paradeplatz vorgesehenen Lustgarten. Am 1. Mai 1936 marschierten auf der freien, nun gepflasterten großen Mittelflche die Uniformierten auf. Der Gartencharakter war zerstçrt. Die Granitschale hatte man von ihrem Platz vor dem Alten Museum an die Nordseite des Domes versetzt, die Museumstreppe wurde als Rednertribîne benutzt. So stand nun fîr große Versammlungen der Lustgarten in Verbindung mit dem Schloßvorplatz als Aufmarschgelnde fîr 27.000 Menschen zur Verfîgung. Die Feierlichkeiten zum Auftakt der Olympischen Spiele im Sommer 1936 in Berlin begannen am Vormittag des 1. August im Lustgarten mit einem Aufmarsch von 25.000 Sportlern aus aller Welt. Auf einem Altar vor der Mitte der Museumstreppe und auf einem zweiten Altar auf der Schloßrampe entzîndeten Fackeltrger das olympische Feuer und trugen es dann zum Olympiastadion in Charlottenburg.543 Anders als 1914 wurde die Nachricht vom Kriegsausbruch im Herbst 1939 von der Bevçlkerung nicht bejubelt, sondern mit Sorge aufgenommen.544 Die 541 W. Ribbe, Stadtschloß und Schloßbezirk … (s. Anm. 540), S. 152. 542 Die Demonstration galt der Reparationskonferenz von Lausanne; vgl. W. Ribbe, Stadtschloß und Schloßbezirk … (s. Anm. 540), S. 153. 543 Vgl. das Kapitel „Der Lustgarten in der Zwischenkriegszeit“, in: W. Ribbe, Stadtschloß und Schloßbezirk … (s. Anm. 540), S. 155 – 158. 544 Hans Dieter Schfer, Berlin im Zweiten Weltkrieg. Der Untergang der Reichshauptstadt in Augenzeugenberichten, Mînchen/Zîrich 1985.

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Wunden des Ersten Weltkrieges waren noch lngst nicht verheilt. Die Generation der jetzt vierzig- bis fînfzigjhrigen Mnner war spîrbar dezimiert; ein neuer Blutzoll vergleichbaren Ausmaßes stand als Menetekel im Raum. Dabei hatte der Kriegsausbruch die Bevçlkerung nicht unvorbereitet getroffen. Die militrische Aufrîstung wurde seit 1933 vor aller Augen vollzogen und bestimmte das Straßenbild der Stadt: Ein Heldengedenktag wurde alljhrlich gefeiert; auf Militrparaden fîhrte die Wehrmacht ihre Waffen vor, und es entstanden neue Kasernen, Uniformtrger von Partei und Wehrmacht wurden von der Hitlerjugend imitiert. Die geistige Einstimmung auf den Krieg besorgten die Parolen von der ˜berlegenheit der arischen Rasse, von der Schmach von Versailles und von Disziplin und Kampf – ein aggressives Vokabular beherrschte die Tagespresse und tçnte aus dem Volksempfnger. Mit der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges endeten aber alle wesentlichen Baumaßnahmen fîr die kînftige Welthauptstadt Germania. Die Ressourcen sollten fîr die Erringung der Weltherrschaft eingesetzt werden.545 Berlin war unter dem NS-Regime nicht nur durch die große Zahl der Opfer systematischer Entrechtung und Vertreibung hervorgehoben, sondern es war als Hauptstadt des „Dritten Reiches“ auch das Planungs- und Organisationszentrum der Deportationen und der „Endlçsung“, der Vernichtung der Juden ganz Europas in den Massenmord-Lagern des nach dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 eroberten Polen. Seit dem 30. April 1939 mußten die Berliner jîdischen Glaubens ihre Wohnung verlassen, um fortan in sogenannten „Judenwohnungen“ beziehungsweise „Judenhusern“ in der Innenstadt zu leben. Grundlage fîr die „Ghettoisierung“ bildete ein Gesetz îber die Mietsverhltnisse. Die Reichsvertretung der Juden in Deutschland wurde zu einer rechtsfhigen Organisation, die man als staatliches Instrument an der Deportation der Berliner Juden beteiligte.546 Dieser Vorgang blieb umstritten, und von den Betroffenen wird noch heute die Frage diskutiert, ob man sich darauf htte einlassen dîrfen. Daß die Reichsvereinigung Ende 1941 zu Aufgaben herangezogen wîrde, die nicht in ihrer Satzung vorgesehen waren, wie etwa Mitwirkung bei Deportationen, ˜bermittlung von Befehlen der Gestapo an die Mitglieder und dergleichen, war bei Schaffung der Reichsvereinigung im Jahre 1938 nicht vorauszusehen. Diejenigen, die in der Arbeit der Reichsvereinigung standen, sind ausnahmslos deportiert worden. Die meisten sind in der Deportation umgekommen. Die Mitarbeiter der Reichsvereinigung haben sich nicht 545 Vgl. den Abschnitt „Die Stadt im Zweiten Weltkrieg“, in: Chr. Engeli / W. Ribbe, Berlin in der NS-Zeit … (s. Anm. 481), S. 996 ff. 546 Hans-Erich Fabian, Zur Entstehung der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, in: Herbert A. Strauss / Kurt R. Grossmann (Hg.), Gegenwart im Rîckblick. Festgabe fîr die Jîdische Gemeinde zu Berlin 25 Jahre nach Neubeginn, Heidelberg 1970, S. 165 – 179.

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als Helfer der Gestapo betrachtet, sie haben vielmehr ihre Aufgabe darin gesehen, den jîdischen Menschen soweit wie mçglich zu helfen. Sie haben ihre Posten auch nicht verlassen, als sie damit rechnen mußten, selbst deportiert zu werden. Daneben wurden in Berlin die „christlichen Nichtarier“ weiter vom Bîro Grîber547 und vom St.-Raphael-Verein548 sowie die „Dissidenten“ vom Qukerbîro549 betreut, bis am 23. Oktober 1941 die Auswanderung der Juden durch einen Runderlaß des Gestapochefs Mîller verboten wurde. Bis dahin sind die Lebensbedingungen der Berliner Juden kontinuierlich erschwert worden. Nach und nach hatten sie ihre Radioapparate abzuliefern, erhielten keine Kleiderkarten mehr, durften private Telefone nicht mehr besitzen und mußten den Davidstern tragen. lm Herbst 1941 befanden sich noch ca. 70.000 Menschen jîdischer Abstammung in Berlin. Bei ihnen handelte es sich um diejenigen Berliner Juden, die aus physischen oder materiellen Grînden nicht auswandern oder fliehen konnten beziehungsweise wollten, aber auch solche, die sich trotz der weitgehenden Diskriminierung weiter als Deutsche fîhlten oder aber ihre Freunde und Verwandten nicht im Stich lassen wollten. Auch ihre Ermordung war angeordnet. Am 31. Juli 1941 hatte Gçring den Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes und SS-Sturmfîhrer Reinhard Heydrich mit der „Endlçsung der Judenfrage“ beauftragt. Aber noch vor der entscheidenden Besprechung, die in der deutschen Dienststelle der Internationalen Kriminalpolizei in Berlin am 20. Januar 1942 stattfand und die als „WannseeKonferenz“ in die Geschichte eingegangen ist, hatten bereits die ersten Transporte Berlin in Richtung Osten verlassen.550 Die Deportationen wurden unter Verschleierung der wahren Absichten als „Evakuierung“ bereits vom 18. Oktober an durchgefîhrt. In der Reichshauptstadt stand deren Gauleiter Goebbels in der vordersten Linie bei der Verfolgung des Vorhabens, Berlin „judenfrei“ zu machen.551 Schon am 18. Oktober 1941 hatten hier die Deportationen nach Auschwitz und in die anderen Vernichtungslager des „Ostens“ begonnen, direkt oder îber das als „Altersghetto“ deklarierte Theresienstadt. Von den fast 73.000 Juden, die noch 547 An der Stechbahn. Erlebnisse und Berichte aus dem Bîro Grîber in den Jahren der Verfolgung, hg. v. der Evangelischen Hilfsstelle fîr ehemals Rasseverfolgte in Berlin, Berlin 1960. 548 Lutz-Eugen Reutter, Die Hilfsttigkeit katholischer Organisationen und kirchlicher Stellen fîr die im nationalsozialistischen Deutschland Verfolgten, phil. Diss. Hamburg 1969 [Masch.]. 549 Anna Sabine Halle, „Die Gedanken sind frei …“. Eine Jugendgruppe der Berliner Quker 1935 – 1941 (= Beitrge zum Widerstand, 14), Berlin 1980. 550 Wolfgang Wippermann, Steinerne Zeugen. Sttten der Judenverfolgung in Berlin, Berlin 1982, bes. S. 17 ff., „Die Wannsee-Konferenz und was ihr vorausging“. 551 Kurt Jakob Ball-Kaduri, Berlin wird judenfrei. Die Juden in Berlin in den Jahren 1942/43, in: JbGMitteldtld 22 (1973), S. 196 – 246.

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im Herbst 1941 in Berlin lebten, gab es Ende Mrz 1945 keine 6.000 mehr. Die meisten der ˜berlebenden waren (im NS-Sprachgebrauch) „arisch versippt“ – gerettet dadurch, daß ihre nichtjîdischen Ehepartner zu ihnen gehalten hatten. Etwa 1.400 Juden, so schtzt man, tauchten nach dem Krieg aus der Illegalitt auf, oft jahrelang verborgen und versorgt von Berlinern, die fîr sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Gegen die Deportation der Berliner Juden gab es keinen organisierten Widerstand. Die Vertreter der jîdischen Gemeinde nutzten ihren Einfluß, um die Maßnahmen der Gestapo im einzelnen zu mildern und die Evakuierung im halbwegs geordneten Rahmen durchzufîhren. Vom Vorstand der Berliner Kultusgemeinden hat allein Leo Baeck îberlebt. In Berlin gab es aber zwei jîdische Gruppen, die auf ihre Weise Widerstand leisteten. Aus den rmeren Schichten der Bevçlkerung rekrutierte sich eine Vereinigung mit zionistischem, kommunistischem und sozialistischem Hintergrund, welche die Auswanderung und Flucht aus Deutschland unterstîtzte, Flugbltter herstellte, und die schließlich am 18. Mai 1942 einen Bombenanschlag auf eine Nazipropagandaausstellung verîbte, die gegen die Sowjetunion gerichtet war. Die Gruppe flog auf, und ihr Anfîhrer, Herbert Baum, starb am 11. Juli 1942 an den Folgen der Folterungen, denen er ausgesetzt war. Die anderen Mitglieder sind vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und hingerichtet worden.552 lm Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Ausstellung hat die Gestapo 500 jîdische Berliner festgenommen, von denen sie 250 in der Lichterfelder Kadettenanstalt erschoß, die anderen brachte sie in Konzentrationslager.553 Vereinzelt gelang es den Verfolgten, sich mit Hilfe nichtjîdischer Freunde vor der Gestapo zu verstecken. Diese Helfer riskierten ihr Leben, indem sie ihrem Gewissen folgend dem nationalsozialistischen Mordprogramm Widerstand leisteten.554 Rassistisch verfolgt wurden außer Juden auch Sinti und Roma sowie aus politischen Grînden u. a. Sozialdemokraten, Kommunisten und Christen, die sich nicht systemkonform verhielten und gleichschalten ließen. Mit Flugblttern, illegalen Zeitungen und durch Mundpropaganda versuchten viele kleinere politische Gruppierungen den Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime zu formieren. Im Schutz der Großstadt Berlin war dies eher mçglich als im kleinstdtisch-lndlichen Bereich, wo solche Aktionen und ihre Urheber nicht verborgen bleiben konnten. 552 Wolfgang Wippermann, Die Berliner Gruppe Baum und der jîdische Widerstand (= Beitrge zum Thema Widerstand, 19), Berlin 1981. 553 Jizchak Schwersenz / Edith Wolff, Jîdische Jugend im Untergrund. Eine zionistische Gruppe in Berlin whrend des Zweiten Weltkrieges, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 15 – 16 (1981), S. 16 – 38. 554 Ihrer wird dankbar auch in Israel gedacht. Vgl. dazu u. a. Anton Maria Keim, Yad Vashem. Die Judenretter aus Deutschland, Mainz 1983.

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Fîr Berlin wird zuweilen der Anspruch erhoben, daß es nie im eigentlichen Sinne eine Nazistadt, dagegen stets ein Zentrum und eine Hauptstadt des Widerstandes gewesen sei. Die Herausstellung des „anderen“, „besseren Berlin“ hat dabei politische und pdagogische Grînde, doch gert sie bisweilen in die Gefahr der Mythenbildung, wenn der Eindruck entsteht, als sei in Berlin die große Mehrheit der Bevçlkerung fîr den Nationalsozialismus nicht anfllig gewesen. Tatschlich hat auch in Berlin ein hnlich hoher Prozentsatz der Bevçlkerung die NSDAP gewhlt wie in anderen deutschen Großstdten, zwar weniger als in Hamburg und Frankfurt, aber mehr als in Kçln, Essen oder Stuttgart und etwa ebensoviel wie in Mînchen, der „Hauptstadt der Bewegung“. Die Wahlergebnisse lassen ebensowenig wie die Zeugnisse fîr die çffentliche Unterstîtzung des Regimes zumindest in der Frîhzeit des Dritten Reiches den Schluß zu, daß Berlin sich durch eine ganz exzeptionelle Widerstandskraft gegen die Versuchungen des Nationalsozialismus ausgezeichnet hat und insgesamt stets ein Bollwerk des Widerstandes gewesen ist. Mehr denn je war whrend der NS-Zeit Berlin ein Ort krasser Gegenstze: in vieler Hinsicht ein Zentrum des Widerstandes, aber auch eine im vermeintlichen Glanz des Dritten Reiches sich sonnende Reichshauptstadt. In zeitgençssischen Einschtzungen gehen die Meinungen darîber weit auseinander: „Berlin ist fîrchterlich“, urteilte Helmuth James von Moltke im Blick auf die Nazistimmung der Stadt – nicht nur whrend der Olympiade 1936. Daneben stehen vor allem fîr die sptere Zeit andere Stimmen: George Kennan etwa, bei Kriegsbeginn als US-Diplomat in Deutschland, war beeindruckt von der „inneren Distanziertheit“ der Berliner gegenîber den NS-Parolen. Man kennt die Berichte, wonach in der Pogromnacht vom 9. November 1938 unter den „normalen“ Berlinern eher Beklemmung als Begeisterung herrschte. Mehr als in jeder anderen Stadt sind gerade hier untergetauchte Juden von Einzelnen, Gruppen und kirchlichen Hilfsstellen vor dem Massenmord gerettet worden. Mit zunehmender Dauer vollzog sich whrend des Krieges in breiten Schichten die innere Abwendung vom herrschenden System, doch kennzeichnend dabei war (parallel zu dem sich verschrfenden Bombenkrieg) eher wachsende „Abgestumpftheit“ und Indifferenz als eine politische Aktivierung. Am 20. Juli 1944 sollen die Berliner „apathisch“ und ußerlich „unberîhrt“ reagiert haben auf die Nachricht vom Umsturzversuch. So sehr also gerade in Berlin am Ende die Ablehnung gegen das Regime wuchs, so hat es auch hier doch nie Anstze gegeben fîr den Durchbruch zu einer echten Volksopposition. Natîrlich war Berlin insoweit per se auch „Hauptstadt des Widerstandes“, wie es Hauptstadt des Deutschen Reiches war, und die Opposition im engsten Sinne mit dem Ziel des Staatsstreiches war geradezu darauf angewiesen, ihre Krfte in Berlin zusammenzuziehen, um hier den Umsturz vorzubereiten.555 Die 555 Wilhelm Ernst Winterhager, Berlin als Zentrum des deutschen Widerstandes

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fîhrenden Kçpfe des Widerstandes sind auf diese Weise nach Berlin gekommen. Sie konnten sich dabei auf ein relativ breites Widerstandspotential stîtzen, das die Stadt aus sich selbst hervorbrachte. Diese zum aktiven Kampf gegen das Regime bereiten Kreise fanden sich seit 1938 zunehmend auch im bîrgerlichen Berlin, vor allem aber in der Arbeiterschaft. Trotz großer Verluste durch die schon 1933 erlittene brutale Verfolgung blieb die Reichshauptstadt Berlin stets der herausragende Schwerpunkt und das organisatorische Zentrum des sozialistischen und kommunistischen Widerstandes.556 Weniger politisch ausgerichtet, dafîr aber strker in die §ffentlichkeit wirkend war die Opposition aus den Kirchen. Unter evangelischen Pfarrern und Laien entstand, als die „Deutschen Christen“ unter dem „Reichsbischof“ Mîller mehrere Landeskirchen auf NS-Kurs brachten, die „Bekennende Kirche“. Zentrum dieser „bekennenden“ Christen war die Dahlemer Gemeinde in Berlin mit ihrem Pfarrer Martin Niemçller, der 1937 verhaftet und erst 1945 aus dem KZ befreit wurde. Nicht nur auf evangelischer Seite bildete Berlin mit Martin Niemçller und dem Theologen Dietrich Bonhoeffer ein Zentrum der Bekennenden Kirche (mit freilich begrenzter Verankerung im Kirchenvolk), sondern auch die katholische Kirche hatte in Berlin etwa mit Bischof Preysing klare Stimmen des Protestes gegen das staatliche Unrecht. Der Vatikan hatte, auch um die Kirche und ihre Glubigen zu schîtzen, 1933 ein „Reichskonkordat“ mit der NS-Regierung geschlossen, dem ein Konkordat mit dem Freistaat Preußen vorangegangen war, trotzdem gehçrte zu den Opfern des sogenannten „Rçhm-Putsches“ 1934 auch der Leiter der „Katholischen Aktion“, Erich Klausener. Priester und Laien sahen sich den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Waren die Aktionen von der politischen Linken und der Kirchen auf eine vçllige Abkehr von der nationalsozialistischen Politik in Krieg und Frieden gerichtet, so nahm der militrische Widerstand eine eher ambivalente Haltung ein. Die Mnner des 20. Juli konzentrierten sich auf die Beseitigung Hitlers. ˜ber den zukînftigen deutschen Staat, der ohne Hitler den Krieg beenden sollte, gab es die unterschiedlichsten Auffassungen. Dies gilt auch hinsichtlich der nationalsozialistischen Judenpolitik.557 Ein politischer Kern dieser Widerstandsbewegung war der „Kreisauer Kreis“, den die Gestapo nach dem Landgut 1933 – 1945, in: W. Ribbe / J. Schmdeke, Berlin im Europa der Neuzeit … (s. Anm. 450), S. 377 – 397. 556 Jîrgen Schmdeke / Peter Steinbach (Hg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft gegen Hitler, Mînchen/Zîrich 1985. 557 Zur Stellung der Juden in einem von der nationalsozialistischen Herrschaft befreiten Deutschland aus der Sicht des Widerstandes vgl. Christoph Dipper, Der deutsche Widerstand und die Juden, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 349 – 380; sowie Ders., Der Widerstand und die Juden, in: J. Schmdeke / P. Steinbach, Der Widerstand … (s. Anm. 556), S. 298 – 616, bes. S. 606 ff.

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Helmuth James Graf von Moltkes in Kreisau (Schlesien) so bezeichnete. Von 1940 bis 1944 trafen sich die Angehçrigen dieses Kreises, unter anderem in Kreisau, aber auch in der Hortensienstraße 50 in Berlin-Lichterfelde, im Hause von Peter Graf Yorck von Wartenburg. Sozialdemokraten und Gewerkschafter, evangelische und katholische Christen, Bîrgerliche und Adelige gehçrten dieser Gruppierung an. Politischer „Kopf“ des Kreises war der frîhere SPD-Reichstagsabgeordnete Carlo Mierendorff. Auf ihren Zusammenkînften erarbeiteten sie innen- und außenpolitische Grundstze fîr ein „Deutschland nach Hitler“. Das Attentat vom 20. Juli htte wohl als einzige Widerstandshandlung zu einem Umsturz fîhren kçnnen, entsprechend furchtbar war die Rache an den Verschwçrern. Der Hauptattentter, Claus Graf von Stauffenberg, ist zusammen mit weiteren Angehçrigen der Widerstandsgruppe sofort im Hof des Berliner „Bendlerblocks“ erschossen worden. Vielen weiteren Verschwçren wurde der Prozeß gemacht. Die von Roland Freisler gefîhrten Verhandlungen vor dem „Volksgerichtshof“, der im Großen Sitzungssaal des Kammergerichts tagte, ließen deutlich erkennen, fîr wie gefhrlich auch die Nazis die Aktion hielten. Hitler, der die Hinrichtungen durch den Strang beziehungsweise durch Fleischerhaken in Berlin-Plçtzensee filmen ließ, um sich daran zu berauschen, hat sich von diesem Schlag gegen seine Herrschaft nicht wieder erholt. Auch andere Widerstndler, die den Mnnern vom 20. Juli nahe oder ferner standen, bekamen in den verbleibenden wenigen Monaten bis zum Kriegsende die verschrfte Gangart des NS-Staates zu spîren. Viele von ihnen haben wohl aus diesem Grunde ihre Befreiung nicht mehr erlebt, wie der katholische Dompropst von St. Hedwig in Berlin, Bernhard Lichtenberg, und der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer.558 Bis zum Kriegsende gelang es der Gestapo auch im Zentrum der Macht nicht, alle oppositionellen Zirkel zu zerschlagen und alle jene Berliner aufzuspîren, die Verfolgte verbargen und ihnen weiterhalfen. Nicht nur in sozialistischen und bîrgerlich-liberalen, sondern auch in konservativ-nationalen und militrischen Kreisen wuchs der Wille zum Widerstand, seit Hitlers Kriegsplne mit den Vorbereitungen zum ˜berfall auf die Tschechoslowakei konkrete Formen annahmen und sich zugleich immer deutlicher der Weg zur Entfesselung eines Weltkrieges und zur Judenvernichtung abzeichnete. Viele bisherige weltanschauliche Frontstellungen verloren in der Konfrontation mit dem nationalsozialistischen Gewaltregime ihre Bedeutung. Nach der Entfesselung des Krieges war Berlin sehr bald selbst vom Krieg betroffen. Unmittelbares Kriegsziel ist die Reichshauptstadt bereits am Tage des ˜berfalles auf Polen gewesen. Zwei polnische Flugzeuge griffen Berlin an, ohne 558 Zu den verschiedenen Formen des Widerstandes und ihren Trgern vgl. die Beitrge in dem Tagungsband von J. Schmdeke / P. Steinbach, Der Widerstand … (s. Anm. 556).

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von den Bewohnern bemerkt zu werden, obwohl es den ersten Luftalarm gegeben hatte. Bis zur systematischen Bombardierung der Reichshauptstadt sollten aber noch mehrere Monate vergehen, denn whrend der Aufbauphase der strategischen Bomberflotte der Alliierten, die bis in das Jahr 1942 hinein dauerte, ist Berlin von den Fernbombern nicht ernsthaft bedroht worden. Die Langstreckenbomber der Royal Air Force konnten gerade den An- und Abflug bewltigen, wobei sie von gînstigen Witterungsbedingungen abhngig waren und kaum noch Zeit fîr den eigentlichen Angriff hatten.559 Ausgelçst hat die Bombardierung Berlins die deutsche Luftwaffe, die am 24. August 1940 im Rahmen der „Schlacht um England“ in mehreren Nachtangriffen die Londoner Innenstadt bombardierte. Nicht zuletzt unter dem Druck der çffentlichen Meinung ordnete das englische Kriegskabinett einen Vergeltungsangriff auf die Reichshauptstadt fîr den 25. August 1940 an. So flog dann in der Nacht vom 25. zum 26. August 1940 die Royal Air Force mit einundachtzig Flugzeugen ihren ersten Angriff auf Berlin, dem viele weitere auch der amerikanischen Alliierten folgen sollten. Als Bilanz des Luftkrieges um Berlin ist festzuhalten, daß ca. 50.000 Menschen in der Stadt den Tod fanden, wobei die Zahl der Vermißten ungewiß bleibt. Insgesamt 78,5 Quadratkilometer sind in ein Ruinenfeld verwandelt worden; Groß-Berlin verlor 39 Prozent seines ursprînglichen Wohnungsbestandes, 612.000 Wohnungen wurden vçllig zerstçrt.560 Dagegen waren bei Kriegsende rund 65 Prozent aller Industrieanlagen in Berlin in betriebsfhigem Zustand. Dies nderten erst die Demontagen der Sieger. Mit den gegen Berlin geflogenen alliierten Luftangriffen, die sich auf die dicht besiedelten innerstdtischen Bezirke konzentrierten, kehrte der von Deutschland ausgegangene Krieg in die Reichshauptstadt zurîck. Am 3. Februar 1945 unternahm die amerikanische Luftwaffe mit 937 Bombern und 600 Jagdflugzeugen den grçßten Angriff auf die Stadt. Ziel der in zwei Wellen sich îber die Stadt ergießenden flchendeckenden Bombardements war hauptschlich das Regierungs- und Zeitungsviertel. Das Schloß wurde von mehreren Spreng- und Brandbomben getroffen. Sein Inneres brannte mit Ausnahme der Nordwestecke mit dem Weißen Saal und einem Stîck des Erdgeschosses an der Schloßplatzseite vçllig aus. Auch viele Kellergewçlbe, die fîr sicher gehalten und als Aufbewahrungsort fîr zahlreiche, besonders kostbare Kunstwerke gewhlt worden waren, wurden zerstçrt. Fînfhundert Jahre Kulturgeschichte fielen binnen weniger Stunden in Schutt und Asche. Nur die drei Meter dicken Außenmauern, die nicht von Sprengbomben getroffen waren und zerbarsten, hielten dem Feuer stand. Teile des Schlosses brannten dann noch einmal im April, als 559 Werner Girbig, … im Anflug auf die Reichshauptstadt, Stuttgart 1970, S. 26 ff. 560 Laurenz Demps, Die Luftangriffe auf Berlin. Ein dokumentarischer Bericht, 1 – 3, in: Jahrbuch des Mrkischen Museums 4 (1978), S. 27 – 68; 8 (1982), S. 7 – 44; 9 (1983), S. 19 – 48.

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die zur „Festung“ erklrte Reichshauptstadt schwer umkmpft und mit Artillerie beschossen wurde.561 Nach dem verheerenden Luftangriff auf Hamburg am 4. August 1943 bereitete Goebbels als Gauleiter von Berlin die Bevçlkerung der Reichshauptstadt auf Evakuierungsmaßnahmen vor, da man nach der Zerstçrung Hamburgs nicht mehr ausschließen konnte, daß Berlin als Reichshauptstadt und industrielles Zentrum ein hnliches Schicksal bevorstand.562 Aber nicht nur Menschen waren von den Evakuierungen betroffen; auch zahlreiche Betriebe wurden bei den Angriffen auf Berlins Wohnviertel stark beschdigt oder vçllig zerstçrt. Produktionssttten in den Außenbezirken hatten in weit geringerem Maße Produktionsausflle zu verzeichnen. Hier wurden Einbußen nicht durch Bomben, sondern durch das Versiegen der werkseigenen Produktionsreserven verursacht, durch die Unterbrechung der Rohstoffzufuhr, durch Stçrungen des Verkehrssystems sowie durch Arbeitskrftemangel. Um die Jahreswende 1944/ 1945 betrieben allein die Siemens-Schuckertwerke rund 140 Kriegs-Verlagerungswerksttten, die îber ganz Deutschland und Teile der damals angegliederten Gebiete (Sudetengau) verstreut lagen. Nach Grçße und Bedeutung recht unterschiedlich, waren die meisten in den Jahren 1943 und 1944 entstanden. Die Belegschaftszahl lag zwischen 15 und 450, insgesamt waren mehr als 4.000 Personen zustzlich im Arbeitseinsatz. Soweit sie im Bereich der spteren „Westzone“ lagen, ist aus diesen Verlagerungs- und Ausweichwerken heraus die Schwerpunktverlagerung der Firma betrieben worden, wobei unter Vernachlssigung des Hauptstandortes Berlin eine Dezentralisierung einsetzte. Die Firmenleitung wechselte von Berlin nach Erlangen beziehungsweise Mînchen, ein Weg, den unter dem politischen Druck im Nachkriegs-Berlin viele bedeutende Unternehmen beschritten.563 Mit dem Ende der Luftangriffe auf Berlin aber war die Zerstçrung der Stadt noch nicht abgeschlossen. Den Rest besorgte die Rote Armee, nachdem Hitler die Reichshauptstadt hatte zur Festung erklren lassen, so daß die herannahenden sowjetischen Truppen Haus fîr Haus im Kampf nehmen mußten, wobei insbesondere an Wohnhusern betrchtlicher Sachschaden entstand. Der letzte Akt der Zerstçrung fand erst nach dem Krieg statt, als man aus ideologischen Grînden oder wegen des zu erwartenden Profits (Abriß des Schlosses, Kahlschlagsanierung) daran ging, teilzerstçrte oder intakte Gebude abzureißen, um sie durch teils minderwertige Neubauten zu ersetzen.

561 Bernd Maether, Die Vernichtung des Berliner Stadtschlosses. Eine Dokumentation, Berlin 2000; zu den Zerstçrungen des Zweiten Weltkrieges vgl. S. 35 ff. 562 Vgl. den Abschnitt „Der Bombenkrieg – Evakuierungen und Verlagerungen“, in: Chr. Engeli / W. Ribbe, Berlin in der NS-Zeit … (s. Anm. 481), S. 1009 – 1020. 563 W. Ribbe / W. Schche, Die Siemensstadt … (s. Anm. 398), S. 237 ff. und S. 249 ff.

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Doch erst am 30. April 1945 gab Hitler den Krieg endgîltig verloren und beging im Bunker der Reichskanzlei Selbstmord. Goebbels folgte ihm wenig spter. Am 2. Mai 1945 kapitulierte der Befehlshaber des Verteidigungsbereichs Berlin, General Helmuth Weidling.564 Damit endete fîr die Reichshauptstadt der Zweite Weltkrieg. In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 wurde im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst – wie tags zuvor schon in Reims – die bedingungslose Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht unterschrieben.565 Stalin hatte darauf bestanden, die bedingungslose Kapitulation in der von seinen Truppen eroberten Reichshauptstadt vollziehen zu lassen. Ob Berlin in der NS-Zeit eine Weltstadt geblieben war, sei dahingestellt. Whrend des Krieges war sie es sicher nicht mehr. Mit dem Ausgang des Krieges hatte sich auch Hitlers Vision von einer Welthauptstadt „Germania“ erledigt. Die Hauptstadtfunktionen hat Berlin aber im wesentlichen bis 1945 beibehalten.

§ 10 Epilog Als die vier Hauptsiegermchte des Zweiten Weltkrieges mit ihrem Kontrollratsgestz Nr. 46 am 25. Februar 1947 die „Auflçsung des Staates Preußen“ wegen seines vermeintlich reaktionren und militrischen Charakters verfîgten,566 gab es den Freistaat lngst nicht mehr, der – trotz gegenteiliger nationalsozialistischer Propaganda – bereits mit dem Staatsstreich vom 20. Juli 1932 geendet hatte.567 Nur wenig spter ist auch die „Preußische Hauptstadt“ zugunsten der nun auch offiziell so genannten „Reichshauptstadt“ ausgelçscht worden.568 Alle Plne Hitlers fîr eine „Welthauptstadt Germania“ waren mit 564 Reproduktion des Befehls in: Reinhard Rîrup (Hg.), Berlin 1945. Eine Dokumentation, Berlin 1995, S. 37; dazu: Helmuth Weidling, Der Endkampf in Berlin, in: WehrwissRdsch 12 (1962), S. 40 – 52, S. 111 – 118 und S. 169 – 174. 565 R. Rîrup, Berlin 1945 … (s. Anm. 564), S. 36. 566 Johannes Hohlfeld (Hg.), Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart: Ein Quellenwerk fîr die politische Bildung und staatsbîrgerliche Erziehung, 6, bearb. v. Klaus Hohlfeld, Berlin/Mînchen 1951, Nr. 27, S. 218. Zu den innerdeutschen Folgen des Auflçsungsdekretes vgl. Reinhard Mussgnug, Das Staatserbe Preußens – Rechtslage und Verfassungswirklichkeit, in: ForschBrandPrG NF 2 (1992), S. 1 – 23. Das Hauptstadt-Problem berîhrt der Autor nicht. 567 H. Mçller, Preußen von 1918 bis 1947 … (s. Anm. 453), S. 149 – 316, bes. das Kapitel: „Epilog: Wann endete die Geschichte Preußens?“, S. 308 – 311. Verbreitet ist aber auch weiterhin die Ansicht, der preußische Staat habe bis 1947 bestanden, als die Alliierten ihn auflçsten, so u. a. R. Mussgnug, Das Staatserbe Preußens … (s. Anm. 566), S. 1 und passim; sowie Hartmut Boockmann, Wie weit reichte die preußische Geschichte?, in: ForschBrandPrG NF 6 (1996), S. 145 – 162, bes. S. 145, der in seinem Beitrag allerdings mehr die Anfnge des Staates im Blick hat. 568 Die Grundlage bildete das „Gesetz îber die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt“ vom 1. Dezember 1936, das am 1. Januar 1937 in Kraft trat und das die bis

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dem Ausgang des Zweiten Weltkrieges obsolet geworden. Die Siegermchte waren sich lange Zeit nicht schlîssig in der Fage, ob sie Deutschland als Ganzes erhalten oder in Teilstaaten gliedern sollten. Mit der dann realisierten Zonengliederung (und natîrlich mit den Gebietsrevisionen im Osten) zerschlugen sie den preußischen Staat bereits vor seiner formalen Auflçsung.569 Fîr Berlin fanden die Hauptsiegermchte eine andere Lçsung. Die Stadt sollte – losgelçst von den Besatzungszonen – gemeinsam besetzt werden und die interalliierten Regierungsorgane beherbergen, also gemeinsame Hauptstadt der Militrregierung sein. Im Londoner Protokoll vom 12. September 1944 heißt es unter Ziffer 1: „Germany, within her frontiers as they were on the 31th December, 1937, will, for the purposes of occupation, be divided into three zones, one of which will be allotted to each of the three powers, and a special Berlin area, which will be under joint occupation by the three powers.“570 Danach war Berlin eindeutig ein separates Besatzungsterritorium, das zu keiner der anderen Besatzungszonen, also auch nicht zur sowjetischen, gehçrte und damit auch spter nicht zur DDR. Trotz der Forderung nach Dezentralisierung hatten die Siegermchte mit der Ansiedlung ihrer Kontrollorgane in der Stadt deren ehemalige zentrale Funktion besttigt. Die aus der Vergangenheit erwachsenen Vorbehalte gegenîber Berlin blieben aber bestehen und belasteten die Entwicklung. Dies gilt zugleich fîr deutsche Politiker. Besonders in Sîd- und Westdeutschland bestand weiterhin eine starke Abneigung gegen die alte „preußische“ Hauptstadt. Die Motive dieser Ablehnung sind zahlreich und vor allem historisch bedingt.571 Die ersten Nachkriegsjahre zeigten dann, daß Berlin nicht mehr Mittelpunkt des politischen Leben in ganz Deutschland war und die Behauptung stand im Raum: „Berlin ist nicht von den Siegermchten, sondern zuerst von den Deutschen dahin geltende offizielle Bezeichnung „Hauptstadt Berlin“ ablçste. Im allgemeinen Sprachgebrauch war der Begriff „Reichshauptstadt“ schon lnger îblich. 569 Sowohl die Hauptsiegermchte als auch die Anrainerstaaten des Reiches hatten – bei allen Gemeinsamkeiten in der Beurteilung der Rolle Preußens in der Geschichte – durchaus auch unterschiedliche Auffassungen im Detail. Vgl. dazu u. a. Henning Kçhler, Das Ende Preußens in franzçsischer Sicht (= VerçffHistKommBerlin, 53), Berlin/New York 1982; Andreas Lawaty, Das Ende Preußens in polnischer Sicht. Zur Kontinuitt negativer Wirkungen der preußischen Geschichte auf die deutsch-polnischen Beziehungen (= VerçffHistKommBerlin, 63), Berlin/New York 1986. 570 Protocol between the United States of America, the United Kingdom, and the Union of Soviet Socialist Republics, on the zones of occupation in Germany and the administration of „Greater Berlin“ (London, 12th September 1944), in: Foreign Relations of the United States. Diplomatic Papers. The Conferences at Malta and Yalta, Washington 1955, S. 118 – 121, bes. S. 120. 571 Diese Vorbehalte (ergnzt durch neue Argumente) sind dann wieder deutlich geworden, als es darum ging, nach der Vereinigung beider deutscher Staaten 1990 nicht Bonn, sondern Berlin als gemeinsame Hauptstadt und als Regierungssitz zu bestimmen.

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selbst seiner Hauptstadtfunktion beraubt worden.“572 Die Frage, ob Berlin vçlkerrechtlich die Hauptstadt des Deutschen Reiches îber das Kriegsende hinaus geblieben ist, konnte nicht eindeutig beantwortet werden, klare Bekundungen werden relativiert: „Im Rîckblick kann es keinen vernînftigen Zweifel daran geben, daß Berlin bis 1945 von Rechts wegen die deutsche Hauptstadt war und dieses auch danach geblieben ist, wenngleich nur virtuell, wie Deutschland als Gesamtstaat auch.“573 Doch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Gliederung Berlins in vier Sektoren inmitten einer dieser Besatzungszonen unter zentraler alliierter Verwaltung schuf eine neue Situation.574 Auch das besetzte Deutschland sollte also eine Art Besatzungs-Hauptstadt575 haben. Das schuf zugleich Probleme. Die totale Niederlage brachte fîr Berlins Existenz radikale ønderungen, die in ihrer ganzen Schwere im Mai 1945 noch gar nicht zu îbersehen waren. Die Hauptsiegermchte entwickelten kontrre Vorstellungen îber die Zukunft des besiegten Deutschland, die sich bereits auf der großen Konferenz abzeichneten, die sie in der von ihnen gemeinsam besetzten alten Reichshauptstadt abhalten wollten. Die kriegszerstçrte Stadt konnte aber die Konferenz und ihre Teilnehmer nicht aufnehmen. Ein Ersatzstandort fand sich in Potsdam. Zwar war auch hier die Innenstadt in den letzten Kriegstagen durch Bombardierungen weitgehend zerstçrt worden, doch blieben die Schlçsserlandschaft um Sanssouci und die Prominenten-Villen am Stadtrand in Babelsberg weitgehend erhalten. So konnte die als „Berliner Konferenz“ der Großen Drei geplante Tagung im August 1945 als „Potsdamer Konferenz“ im Schloß „Cecilienhof“, der alten preußischen Residenz, stattfinden, hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen Berlin und Potsdam ein Vorgang nicht ohne historische Bezîge. Statt Zentrum eines neuen, demokratischen Deutschland zu werden, entwickelte sich Berlin zu einem der gefhrlichsten Krisenpunkte in der macht572 Otto Dann, Die Hauptstadtfrage in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg, in: Theodor Schieder / Gerhard Brunn, Hauptstdte in europischen Nationalstaaten, Mînchen 1983, S. 35 – 60. 573 Wilhelm G. Grewe, Preußen, Brandenburg, Berlin im Lichte der vollzogenen Wiedervereinigung, in: ForschBrandPrG NF 1 (1991), S. 15 – 30, Zitat S. 26. Der Berlin betreffende Schlußteil dieses Artikels wurde am 19. 4. 1991 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt. 574 Helmut Wagner, Berlin in den Plnen der Alliierten des Zweiten Weltkrieges, in: W. Ribbe / J. Schmdeke, Berlin im Europa der Neuzeit … (s. Anm. 450), S. 417 – 444. 575 Zusammenfassende Darstellungen der Nachkriegsgeschichte Berlins einschließlich der Wiedervereinigung der Stadt und den daraus resultieren Folgen sind noch selten. Vgl. vorlufig Wolfgang Ribbe, Berlin 1945 – 2000. Grundzîge der Stadtgeschichte (= Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, 6), Berlin 2002; sowie „vom parteilichen Standpunkt“ aus Gerhard Keiderling, Der Umgang mit der Hauptstadt. Berlin 1945 bis 2000, Berlin 2004.

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politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Auch aus dem „dismemberment of Germany“, auf das sich die Alliierten in Teheran und Jalta grundstzlich geeinigt hatten, ist so, wie sie es sich vorgestellt hatten, nichts geworden. Die gemeinsame Verwaltung, wie sie auf der „Berliner Konferenz“ in Potsdam beschlossen worden war, ging bereits nach drei Jahren in die Brîche. Versuche, den „Status quo“ Berlins durch einseitige Maßnahmen, etwa durch die Blockade von 1948 oder durch ultimative politische Drohungen zu ndern, blieben erfolglos. Alle Versuche, Deutschland zu neutralisieren, scheiterten, aber auch die beabsichtigte „Europisierung“ Deutschlands ist (allerdings mit einer ganz anderen Zielrichtung) erst nach der Vereinigung der deutschen Teilstaaten in Gang gekommen. Statt dessen verwandelten sich, was Berlin betrifft, die fîr den Zweck der Besatzung geschaffenen Sektorengrenzen in Block- und Staatsgrenzen. Diese bereits am 14. November 1944 von den Alliierten vereinbarten Grenzen verfestigten und vertieften sich und reduzierten sich auf eine Grenze zwischen zwei politischen Regimen. Berlin lebte seither mit einer Ersatzlçsung: Weil die Alliierten sich nicht einigen konnten, was mit Berlin und mit Deutschland geschehen solle, sind sie bestrebt gewesen, den militrischen Status quo von 1945, der von keiner Seite als dauerhafter politischer Status quo gedacht war und angesehen wurde, mit allen Mitteln zu halten und als beste aller mçglichen Lçsungen zu betrachten. Eine ønderung dieser Situation wurde erst im Rahmen der deutschen Einigung mçglich.576 Die Geschichte Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg ist in hohem Maße von der sowjetischen Besatzungsmacht beziehungsweise von der Sowjetunion als Schutzmacht der DDR geprgt worden.577 Unter der Sowjetischen Militradministration in Deutschland sind von Ost-Berlin jene Impulse ausgegangen, die im Rahmen der Moskauer Deutschlandpolitik fîr Staat und Gesellschaft in einem neuen deutschen Staat fîr unerlßlich gehalten wurden. Freilich ist der sowjetischen Besatzungsmacht gerade in der ehemaligen Reichshauptstadt vor Augen gefîhrt worden, daß ihre Zielsetzungen nicht auf die erhoffte Resonanz in der Bevçlkerung stießen. Mit der Grîndung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1949 wurde der Ostsektor Berlins systematisch zur Haupt576 Rupert Scholz, Der Status Berlins, in: Josef Isensee / Paul Kirchhoff (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1, Heidelberg 1987, S. 351 – 383. 577 Georg Kotowski, Berlin im Spannungsfeld von West und Ost, in: W. Ribbe / J. Schmdeke, Berlin im Europa der Neuzeit … (s. Anm. 450), S. 447 – 460; Dieter Schrçder, Berlin (West) im westlichen Bezugssystem: Westmchte, Bundesrepublik Deutschland und westliches Bîndnis, in: W. Ribbe / J. Schmdeke, Berlin im Europa der Neuzeit … (s. Anm. 450), S. 461 – 467; Alexander Fischer, Berlin (Ost) im çstlichen Bezugssystem: Sowjetische Besatzungsmacht und „Sozialistische Staatengemeinschaft“, in: W. Ribbe / J. Schmdeke, Berlin im Europa der Neuzeit … (s. Anm. 450), S. 469 – 479.

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stadt der DDR auf- und ausgebaut, lag jedoch bis zum Mauerbau von 1961 deutlich im Schatten der westlichen Halbstadt. Beide Teilstdte waren aber Vorposten der Systemkonkurrenz und îbten jeweils fîr das politische System, das sie vertraten, eine Schaufensterfunktion aus. Auf engstem Raum konnten Ost und West ad oculos ihre politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungen und Zielsetzungen demonstrieren.578 Die sowjetische Berlin-Politik konnte – bis zur Neuorientierung durch Gorbatschow – als ein empfindlicher Seismograph der Moskauer Deutschlandpolitik angesehen werden. So wurde Berlin oft als Prîfstein der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion bezeichnet. Das ist durchaus zulssig, wenngleich man auch betonen muß, daß die Deutschland-Frage îberhaupt und mit ihr das Berlin-Problem seit dem Zweiten Weltkrieg nur ausnahmsweise im Mittelpunkt der Politik der Großmchte standen. Lediglich in den schweren Krisen von 1948/1949579 und von 1958/1961580 hatte Berlin in der Ost-West-Auseinandersetzung herausragende Bedeutung. Die ehemalige Reichshauptstadt war vom international bedeutsamen Handlungszentrum zum Spielball der Weltpolitik geworden. Erst das VierMchte-Abkommen vom 3. September 1971, das mit der Unterzeichnung des „Schlußprotokolls“ am 3. Juni 1972 in Kraft trat, lçste die Zeit unberechenbarer Konfrontationen durch ein geregeltes Nebeneinander ab.581 Seit diesem Abkommen spielte die Berlin-Frage in der Weltpolitik keine besondere Rolle mehr, bis die Ereignisse des 9. November 1989 eine neue Situation schufen. Ob dadurch neue Handlungsrume fîr eine deutsch-deutsche Politik entstanden sind, ist Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Reflexionen. Insgesamt muß man berîcksichtigen, daß Berlin in der Weltpolitik seit 1945 ganz unterschiedliche Funktionen hatte. Zunchst als Sitz des Alliierten Kontrollrates fîr Deutschland zwar noch Hauptstadt, aber Hauptstadt eines besiegten Feindstaates, der mangels Organisation auf die Politik der Sieger 578 Dieser Thematik ist ein Forschungsprojekt („Berlin-Brandenburg zur Zeit des Kalten Krieges 1945 – 1961“) am Potsdamer Zentrum fîr Zeithistorische Forschung (ZZF) gewidmet. Erschienen ist kîrzlich ein erster Sammelband zu diesem Thema: Michael Lemke (Hg.), Schaufenster der Systemkonkurrenz. Die Region Berlin-Brandenburg im Kalten Krieg (= Zeithistorische Forschungen, 37), Kçln/Weimar/Wien 2006. 579 Einen ˜berblick unter Einbeziehung der unterschiedlichen Standpunkte der beteiligten Mchte bietet Uta Nitschke, Berlin 1949. Verhandlungen zur Statusfrage der Stadt, in: Wolfgang Ribbe (Hg.), Berlin-Forschungen IV (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 70), Berlin 1989, S. 281 – 311. 580 Zuletzt und grundlegend: Michael Lemke, Die Berlinkrise 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielrume der SED im Ost-West-Konflikt, Berlin 1995; aber auch Christian Bremen, Die Eisenhower-Administration und die zweite Berlin-Krise 1958 – 1961 (= VerçffHistKommBerlin, 95), Berlin/New York 1998. 581 Udo Wetzlaugk, Die Alliierten in Berlin, Berlin 1988, bes. S. 80 ff. und das Schlußkapitel: „Alliierte, Konfliktmanagement mit der çstlichen Seite und deutsche Frage.“

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îberhaupt keinen Einfluß ausîben konnte. Bis zur Grîndung der beiden deutschen Teilstaaten gingen der Stadt die gesamtdeutschen Verwaltungsfunktionen verloren. Sie sind nur fîr den DDR-Bereich in Ost-Berlin restituiert worden. Aber auch der Personen- und Gîterverkehr zwischen beiden deutschen Staaten blieb stark eingeschrnkt und war zeitweise fast ganz zum Erliegen gekommen. Fîr West-Berlin kamen die natîrlichen Lagevorteile der einstigen deutschen Hauptstadt nicht mehr zur Geltung. Die politischen Folgen des Zweiten Weltkrieges und die weitere politische Entwicklung unter dem Einfluß des Kalten Krieges brachten der westlichen Teilstadt also erhebliche Standortnachteile. Die çstliche Teilstadt hatte bei ihrer Landesplanung den „Fremdkçrper“ West-Berlin zu berîcksichtigen, der vor allem im Nah- und Fernverkehrsbereich zu erheblichen Dispositionsnderungen zwang,582 und die westliche Raum- und Landesplanung hat in jenen Jahren auch keine neuen Modelle entwickelt, die sich der gegebenen politischen Situation angepaßt htten. Erst mit den grundlegenden politischen Vernderungen in Europa und dem damit gebahnten Weg zu einer Vereinigung beider deutscher Staaten erçffnete sich fîr Berlin erneut die Chance, nationale Hauptstadt und europische Metropole zugleich zu sein. Schon seit jeher war der Staat bestrebt, seine Hauptstadt zu mediatisieren. Obwohl dies im Falle Berlins weder in der Wilhelminischen noch in der Weimarer Zeit gelungen ist, so war doch die Stadt, bei allem Oppositionsgeist, in ihrer Struktur, in der Machtorientiertheit eines großen Teils ihrer fîhrenden sozialen Gruppen, auf den Staat bezogen. Das, was man die Wilhelminische Gesellschaft nennt, war vor allem in der Gesellschaft der Reichshauptstadt verkçrpert, in ihrem oft parvenuhaften Lebensstil und ihren Grundvorstellungen, ihren ˜berzeugungen und Vorurteilen. Gleiches gilt, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen, fîr die Gesellschaft von Weimar, fîr ihre tiefe soziale und politische Zerrissenheit, die Neigung zur Flucht in die – vorwrts- oder rîckwrtsgewandte – Utopie. Auch in dieser Beziehung spiegelte Berlin, strker als jede andere Stadt des Reiches, die vorherrschenden Tendenzen der Zeit wider. Dem entsprach in diesen Jahren die Vorstellung, daß das eigentliche Leben hier stattfand, seinen Hçhepunkt erreichte – und mit ihm auch der Prozeß der Mediatisierung des Landes durch die Hauptstadt. Beides aber war machtorientiert. Diese Machtorientiertheit formte die moderne Metropole, und der Verlust der Macht ließ sie unvermeidlich verfallen. Allerdings gilt dies nur fîr 582 Diese und andere Probleme, die sich aus der fortschreitenden Teilung der Region ergaben, referiert Detlef Kotsch, Das Land Brandenburg zwischen Auflçsung und Wiederbegrîndung. Politik, Wirtschaft und soziale Verhltnisse in den Bezirken Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus in der DDR (1952 bis 1990) (= Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen, 8), Berlin 2001, IV: Das Umland und die Metropole, S. 557 – 591.

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West-Berlin. Bezogen auf den Teilstaat DDR blieben alle wichtigen Elemente, die eine Metropole ausmachen, erhalten und kamen durch die zentralistische Staatsverfassung, aber auch durch die zentrale Steuerung seitens der SED als Staatspartei, verstrkt zur Geltung. Neben den Verwaltungsfunktionen, die eine Kapitale wahrzunehmen hat, sei hier die herausragende Rolle auf kulturellem Gebiet sowie die fîhrende Position als Wirtschafts- und Pressezentrum, als Knotenpunkt des Verkehrs, als Sitz gesellschaftlicher Spitzenorganisationen sowie auch als militrisches Zentrum583 erwhnt. Nach ˜berwindung der deutschen Zweistaatlichkeit und damit auch der Spaltung der Stadt sowie nach einem komplizierten politischen Selbstfindungsprozeß, der die alten historischen Ressentiments der Menschen in den neuen Grenzen Deutschlands und seiner Bundeslnder (im Westen strker als im Osten, aber weniger im Ausland) gegen die alte preußische Residenz- und Hauptstadt und sptere Reichshauptstadt wieder deutlich erkennbar werden ließ, erhielten zahlreiche wichtige Verfassungsorgane in der neuen Bundeshauptstadt Berlin erneut ihren Sitz. Einige Ministerien verblieben in der (nun so bezeichneten) Bundesstadt Bonn, andere wichtige Bundesinstitutionen (darunter die hçchsten Gerichte) translozierte das gesamtdeutsche Parlament von Berlin weg an andere Standorte in der erweiterten Bundesrepublik oder beließ sie dort. Immerhin verblieben der Sitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Hauptverwaltung der Stiftung Schlçsser und Grten an Spree und Havel, also in den Stdten Berlin und Potsdam, die sich bereits seit der Frîhen Neuzeit die Residenzfunktion fîr die preußischen Herrscher und spter fîr die Deutschen Kaiser geteilt hatten.584

583 Das gilt sowohl fîr die Westgruppe der Streitkrfte der UdSSR als auch fîr die Nationale Volksarmee der DDR nur bedingt, da ihre Hauptquartiere außerhalb der Berliner Stadtgrenzen in Wînsdorf beziehungsweise in Strausberg angesiedelt waren. 584 Zur Rechtsstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor und nach der Vereinigung beider deutscher Staaten vgl. R. Mussgnug, Das Staatserbe Preußens … (s. Anm. 566), bes. S. 19 – 23.

IV. Minoritten in Preußen: Die Hugenotten als Beispiel Von Ursula Fuhrich-Grubert Bibliographie Literaturverzeichnisse [in Zeitschriften und Darstellungen]: Matthias Freudenberg (Hg.), Johannes Calvin: Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae Religiones. Nach der letzten Ausgabe von 1559 îbersetzt und bearbeitet von Otto Weber, Neukirchen-Vluyn 2008; Herbert Wilhelm Debor, Der Deutsche Hugenott. Zeitschrift fîr die Mitglieder des Deutschen Hugenotten-Vereins e. V.: Inhaltsverzeichnis, 1. bis 40. Jahrgang 1929 – 1976 (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins, 18, Heft 1/2), Braunschweig 1973; Guy Howard Dodge, The Political Theory of the Huguenots of the Dispersion, New York 1947; Friedrich Wilhelm Hussong, Literatur und Quellen zur Geschichte der Hugenotten und der Refugi¤s (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins, NF 7), Berlin 1936; Walter Mogk, Die Verçffentlichungen des Deutschen Hugenotten-Vereins. Eine chronologische und bibliographische ˜bersicht (= Geschichtsbltter des Deutschen HugenottenVereins, 17, Heft 1), Braunschweig 1973; Henri Tollin, Die franzçsischen Colonien im Deutschen Reich, in: Deutsche Erde 1 (1902), S. 4 – 7. Zeitschriften/Zeitungen: Bulletin de la Soci¤t¤ de l’Histoire du Protestantisme franÅais, 1 ff. (18 ff.); Der Deutsche Hugenott [1998 unbekannt in: Hugenotten]. Zeitschrift fîr die Mitglieder des Deutschen Hugenottenvereins e. V., 1 ff. (1929 ff.); Die Franzçsische Colonie. Zeitschrift fîr Vergangenheit und Gegenwart der franzçsisch-reformierten Gemeinden Deutschlands, 1 – 20 (1887 – 1906); Die Kolonie. Organ fîr die ußeren und inneren Angelegenheiten der franzçsisch-reformirten Gemeinden, Probenummer 1874, 1 – 3 (1875 – 1877), 4 – 6 (1880 – 1882); Kirchliche Nachrichten fîr die franzçsisch-reformierte Gemeinde in Großberlin, 1 – 18 (1924 – 1941); Sonntag und Alltag fîr die franzçsisch-reformierte Gemeinde in Groß-Berlin, 1 – 5 (1919 – 1923). Quelleneditionen: Richard B¤ringuier, Die Colonieliste von 1699. Rúle g¤n¤rale des FranÅois refugiez dans les etats de sa S¤r¤nit¤ Electorale de Brandenbourg, comme ils se sont trouvez au 31. d¤cembre 1699, Berlin 1888; Das Edikt von Fontainebleau, in: Gottfried Guggenbîhl (Hg.), Quellen zur allgemeinen Geschichte, 3: Quellen zur Geschichte der neueren Zeit, Zîrich 1956, S. 211 – 213; Das Edikt von Nantes 1598, in: Ernst Walder (Hg.), Religionsvergleiche des 16. Jahrhunderts, 2 (= Quellen zur neueren Geschichte, 8), Bern 1961, S. 13 – 71 (deutsche Fassung); Friedrich Ebrard, Das Flîchtlingsschicksal der Hugenotten unserer Zeit, in: DtHugenott 14 (1950), S. 2 – 21; Eckart Birnstiel, Bibliographie g¤n¤rale, in: E. Birnstiel / C. Bertnat (Hg.), La diaspora …, S. 149 – 199; Janine Garrisson (Hg.), L’Ãdit de Nantes. Texte pr¤sent¤ et annot¤, Biarritz 1997; Carl Hinrichs (Bearb.), Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 2, Die einzelnen Gebiete der Verwaltung, 5), Berlin 1933; Hugenotten in der Berliner Akademie.

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Dokumente ihres Wirkens, hg. v. Zentralarchiv der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1986; Yves Krumenacker (Hg.), Das Journal von Jean Migault. Leiden und Flucht einer hugenottischen Familie (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 37), Bad Karlshafen 2003; Ernst Mengin (Hg.), Das Edikt von Nantes. Das Edikt von Fontainebleau (= Rechtsurkunden zur Geschichte der Hugenotten), Flensburg 1963; Ders., Das Recht der franzçsisch-reformierten Kirche in Preußen. Urkundliche Denkschrift (= Geschichtsbltter des Deutschen HugenottenVereins NF, 4), Berlin 1929; Eduard Muret, Geschichte der Franzçsischen Kolonie in Brandenburg-Preußen unter besonderer Berîcksichtigung der Berliner Gemeinde, Berlin 1885; Christian Otto Mylius, Recueil des Edits, Ordonannance, Rºglements et Rescripts, contenant les privilºges et les droits attribu¤s aux Francois R¤fugi¤s, dans les Ãtats de Roi de Prusse, et reglant tant pour l’ecclesiastique que pour l‘administration de la justice, ce qui concerne les Colonie FranÅoises ¤tablies dans les Ãtats de sa Majest¤. Auxquels on joints la discipline des Ãglises Reform¤es de France; et quelques autres ¤dits traduit de leur langues originale pour l’usage de ses Colonie, Berlin 1750 (Anhang zu: Ders. [Hg.], Corpus Constitutionum Marchicarum, 6, Berlin/Halle 1751), Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium praecipue Marchicarum oder Neue Sammlung Kgl. Preuß. und churfîrstl. Brandenburgischer sonderlich in der Churund Mittelmark publizirte und ergangene Verordnungen, Edikten, Mandaten, Rescripten &c. &c. &c., von 1806 bis 27sten Oktober 1810, Zwçlfter und letzter Band, Berlin 1822; Georg Wilhelm von Raumer (Hg.), Auszîge aus dem Tagebuche des Grafen und der Grfin von Linar, whrend ihres Aufenthaltes in Spandau im sechzehnten Jahrhundert, in: Allgemeines Archiv fîr die Geschichtskunde des Preussischen Staates 16 (1835), S. 193 – 232; Rºglements pour la Compagnie du Consistoire de L’Ãglise FranÅoise pour la Compagnie du Consistoire FranÅoise de Berlin, hg. von der Compagnie du Consistoire, Berlin 1791 [Deutsche erweiterte Fassung: Reglements fîr die Compagnie des Consistoriums der franzçsischen Kirche zu Berlin, hg. v. der Compagnie des Consistoriums, Berlin 1876]; Johannes E. S. Schmidt, Die Franzçsische Domschule und das Franzçsische Gymnasium zu Berlin. Schîlererinnerungen 1848 – 1861, hg. und kommentiert von Rîdiger R. E. Fock, Hamburg 2008; Gustav Schmoller / Otto Hintze (Bearb.), Die preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begrîndung durch Friedrich den Großen (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Die einzelnen Gebiete der Verwaltung), 3 Bde., Berlin 1892; Henri Tollin, Geschichte der Franzçsischen Colonie zu Magdeburg, 3 Bde. in 6 Teilen, Halle 1886 – 1894. Sammelbnde: Karl Ahrendts (Hg.), Die Feier der 250. Wiederkehr der Aufnahme der Hugenotten durch den großen Kurfîrsten in Brandenburg-Preußen (Edikt von Potsdam vom 29. Oktober 1685) durch die Franzçsische Kirche in Berlin, Berlin 1935; Peter F. Barton (Hg.), Im Zeichen der Toleranz, Wien 1981; Sabine Bemeke / Hans Ottomeyer (Hg.), Zuwanderungsland Deutschland. Die Hugenotten, Berlin 2005; Richard B¤ringuier (Hg.), Beschreibung der Feier zum 200jhrigen Gedchtnisse des Edikts von Potsdam [29. Oktober 1685], begangen von den franzçsisch-reformierten Gemeinden in Brandenburg-Preußen, Berlin 1885; Ders. (Hg.), Stammbume der Mitglieder der Franzçsischen Colonie in Berlin, Berlin 1887; Eberhart Bethge (Hg.), Kirche in Preußen, Gestalten und Geschichte, Stuttgart u. a. 1983; Eckart Birnstiel / Chrystel Bernat (Hg.), La diaspora des huguenots. Les r¤fugi¤s protestants de France et leur dispersion dans le monde (XVIe – XVIIIe siºcles), Paris 2001; Johannes Bischof Eberhard von Harsdorf, Lexikon deutscher Hugenotten-Orte (= Geschichtsbltter

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des deutschen Hugenotten-Vereins, 22), Bad Karlshafen 1994; Manuela Bçhm / Jens Hseler / Robert Violet (Hg.), Hugenotten zwischen Migration und Integration. Neue Forschungen zum Refuge in Berlin und Brandenburg, Berlin 2005; Guido Braun / Susanne Lachenicht (Hg.), Hugenotten und deutsche Territorialstaaten. Immigrationspolitik und Integrationsprozesse. Les Ãtats allemands et les huguenots. Politique d’immigration et processus d’int¤gration (= Pariser historische Studien, 82), Mînchen 2007; Hubert Bost (Hg.), Pierre Bayle, citoyen du monde. De l’enfant du Carla ” l’auteur du Dictionnaire. Actes du Colloque du Carla-Bayle (13 – 15 septembre 1996) (= Vie des Huguenots, 4), Paris 1999; Bruno Botta u. a. (Hg.), Die Hugenotten und Berlin-Brandenburg, hg. zum Hugenottentreffen 1971 in Berlin (23.–26.4.71), Berlin 2 1981; Gottfried Bregulla (Hg.), Hugenotten in Berlin, Berlin 1988; Peter Brockmeier / Roland Desn¤ / Jîrgen Voss (Hg.), Voltaire und Deutschland. Quellen und Untersuchungen zur Rezeption der franzçsischen Aufklrung, Stuttgart 1979; Walter Conrath (Hg.), Kçnigsberger Hugenottenbuch. Rechenschaft îber 250 Jahre in Preußen, Kçnigsberg 1938; Das Edikt von Potsdam 1685 (= Bltter fîr Heimatgeschichte, Studienmaterial 4 [1986]), Berlin 1986; Jochen Desel / Walter Mogk (Hg.), Hugenottischer Almanach 1685 – 1985, Sickte 1985; Barbara Dçlemeyer (Hg.), 100 Jahre Deutscher Hugenotten-Verein. Geschichte – Personen – Dokumente – Bilder (= Tagungsschriften des Deutschen Hugenotten-Vereins, 10), Bad Karlshafen 1990; Dies. / Jochen Desel (Hg.), Deutsche Hugenotten- und Waldensermedaillien (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 27), Bad Karlshafen 1998; Dies. / Heinz Mohnhaupt (Hg.), Das Privileg im europischen Vergleich, 1 (= Ius commune, Sonderhefte, Studien zur europischen Rechtsgeschichte, 93), Frankfurt am Main 1997; Heinz Duchhardt (Hg.), Der Exodus der Hugenotten. Die Aufhebung des Edikts von Nantes als europisches Ereignis (= ArchKulturg, Beihefte, 24), Kçln/Wien 1985; Wolfgang Engel (Hg.), Festakt und wissenschaftliche Konferenz aus Anlaß des 200jhrigen Todestages von Leonhard Euler (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1985, 1), Berlin 1985; Jîrgen Eschmann (Hg.), Hugenottenkultur in Deutschland (= Erlanger Romanistische Dokumente und Arbeiten, 2), Tîbingen 1988; Andreas Flick / Albert de Lange (Hg.), Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 35), Bad Karlshafen 2001; Heidi Fogel / Mathias Loesch (Hg.), „Aus Liebe und Mitleiden gegen die Verfolgten“. Beitrge zur Grîndungsgeschichte Neu-Isenburgs, Neu-Isenburg 1999; Martin Fontius / Helmut Holzhey (Hg.), Schweizer im Berlin des 18. Jahrhunderts (= Aufklrung und Europa), Berlin 1996; Gînther Franz (Hg.), Bauernschaft und Bauernstand 1500 – 1970. Bîdinger Vortrge 1971 (= Deutsche Fîhrungsschichten in der Neuzeit, 8), Limburg an der Lahn 1975; Ursula Fuhrich-Grubert / Jochen Desel (Hg.), Daniel Chodowiecki (1726 – 1801). Ein hugenottischer Kînstler und Menschenfreund in Berlin. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 34), Bad Karlshafen 2001; Manfred Gailus (Hg.), Kirchengemeinden im Nationalsozialismus. Sieben Beispiele aus Berlin, Berlin 1990, (bes. S. 9 – 25); Janine Garrisson (Hg.), L’ðdit de Nantes et sa R¤vocation. Histoire d’une Intol¤rance, Paris 1985 [Dt. unter dem Titel: Denn so gefllt es uns… Geschichte einer Intoleranz, Bad Karlshafen 1995]; Hans-Joachim Giersberg (Red.), Das Edikt von Potsdam, 1685. Die franzçsische Einwanderung in BrandenburgPreußen und ihre Auswirkungen auf Kunst, Kultur und Wissenschaft. Ausstellung der staatlichen Schlçsser und Grten Potsdam-Sanssouci, Neues Palais, 24. August bis 10. November 1985, (Katalog), Potsdam 1985; Fr¤d¤ric Hartweg / Stefi JerschWenzel (Hg.), Die Hugenotten und das Refuge: Deutschland und Europa, Berlin

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IV. Minoritten in Preußen: Die Hugenotten als Beispiel

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IV. Minoritten in Preußen: Die Hugenotten als Beispiel

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Ursula Fuhrich-Grubert

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Ursula Fuhrich-Grubert

Jersch-Wenzel (Hg.), Die Hugenotten und das Refuge: Deutschland und Europa, Berlin 1990, S. 141 – 146; Georges Frºche, Contre-R¤forme et dragonnades (1610 – 1789). Pour une orientation statistique de l’histoire du Protestantisme, in: BullSocHistProtFranÅ 119 (1973), S. 362 – 383; Dieter Frielinghausen, Wege und Grenzen kirchlicher Toleranz, in: Manfred Stolpe / Friedrich Winter (Hg.), Wege und Grenzen der Toleranz. Edikt von Potsdam 1685 – 1985, Berlin 1987, S. 69 – 79; Ursula Fuhrich-Grubert, Wegbereiter von Freiheiten? Hugenotten in der Uckermark. Ein Literaturbericht, in: Hugenotten 70.3 (2006), S. 91 – 127; Dies., Der Kirchenkampf und die Berliner franzçsisch-reformierte Gemeinde, in: Andreas Flick / Albert de Lange (Hg.), Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 35), Bad Karlshafen 2001, S. 81 – 118; Dies., Die Franzçsische Kirche zu Berlin. Ihre Einrichtungen 1672 – 1945 (= Tagungsschriften des Deutschen Hugenotten-Vereins, 11), Bad Karlshafen 1992; Dies., Hugenotten unterm Hakenkreuz. Studien zur Geschichte der Franzçsischen Kirche zu Berlin 1933 – 1945 (= VerçffHistKommBerlin, 85), Berlin/New York 1994; Dies., Joseph Chambon – eine Biographie, in: DDH 56 (1992), S. 6 – 21 und S. 35 – 41; Dies., Von der „Kolonie“ zur „Franzçsischen Kolonie“, in: Hugenotten 65 (2001), S. 113 – 123; Dies., „Refugirte“ und „Emigrirte“ im Berlin des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zur Konstruktion von kultureller Identitt einer Migrationsbewegung, in: Comparativ 7 (1997), S. 111 – 134; Martin Gabriel, Die reformierten Gemeinden in Mitteldeutschland. Geschichte und Verfassung einer Bekenntnisminderheit im 18. Jahrhundert und danach (= unio und confessio, 5), Witten 1973 [teilw. zugl.: theol. Diss. Halle-Wittenberg 1957, m. d. Tit.: Die reformierte Gemeinde am Dom zu Halle von ihren Anfngen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts]; Robert Paul Gagg, Kirche im Feuer. Das Leben der sîdfranzçsischen Hugenottenkirche nach dem Todesurteil durch Ludwig XIV., Zîrich/Stuttgart 1961 [zugl.: theol. Diss. Zîrich m. d. Tit.: Prophetische Laienbewegungen im reformierten Sîdfrankreich Ludwigs XIV.]; Manfred Gailus, Berliner Kirchengemeinden im Nationalsozialismus. ˜berlegungen zum Forschungsstand, in: Ders. (Hg.), Kirchengemeinden im Nationalsozialismus. Sieben Beispiele aus Berlin, Berlin 1990, S. 9 – 25; Ders., Die andere Seite des „Kirchenkampfes“. Nazifizierte Kirchengemeinden und „braune“ Pfarrer in Berlin 1933 – 1945, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs 1995, Berlin 1995, S. 149 – 170; Jacques Alfred Galland, Essai sur l’histoire du protestantisme ” Caen et en Basse-Normandie de l’Edit de Nantes ” la R¤volution (1598 – 1794), Paris 1898; Janine Garrisson, L’Ãdit de Nantes. Chronique d’une paix attendue, Paris 1998; Dies. (Hg.), L’ðdit de Nantes et sa R¤vocation. Histoire d’une Intol¤rance, Paris 1985 [Dt. u. d. T.: Denn so gefllt es uns … Geschichte einer Intoleranz, Bad Karlshafen 1995]; Dies., L’Homme protestant (= Historiques, 33; Texte int¤gral, 6), Bruxelles 1986; Rolf Geissler, „… il n’est pas possible qu’un Allemand ait de l’esprit…“: Beitrge zur ˜berwindung eines Vorurteils im Frankreich des 18. Jahrhunderts (Grimm/Beausobre/Bielefeld), in: Henning Krauss u. a. (Hg.), Offene Gefîge. Literatursystem und Lebenswirklichkeit. Festschrift fîr Fritz Nies, Tîbingen 1994, S. 357 – 375; Ders., Antoine Achard (1696 – 1772), ein Prediger und Philosoph in Berlin, in: Martin Fontius / Helmut Holzhey (Hg.), Schweizer im Berlin des 18. Jahrhunderts, Berlin 1996; Ders., Die Hugenotten im literarischen Leben Berlins, in: Gottfried Bregulla (Hg.), Hugenotten in Berlin, Berlin 1988, S. 363 – 391; Ders., Die protestantische Kontroversliteratur als Wegbereiter des antimetaphysischen Denkens, in: Winfried Schrçder (Hg.), Franzçsische Aufklrung – Bîrgerliche Emanzipation, Literatur und Bewußtseinsbildung, Leipzig 1974; Ders., Formey als Journalist, in: Anthony Strugnell (Hg.), Transactions of the Ninth In-

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Ursula Fuhrich-Grubert

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§ 1 Zur Vorgeschichte in Frankreich Die gleichermaßen von Verketzerung, Verfolgung und politisch-militrischen Machtkmpfen geprgte Geschichte der spter so genannten Hugenotten beginnt mit dem Einsetzen der Reformation in Frankreich. Von den Ideen eines humanistisch inspirierten Reformkatholizismus ausgehend und seit etwa 1520 von der Lehre Martin Luthers (1483 – 1546) beeinflußt, breitete sie sich trotz zunehmender Verfolgung von Seiten der franzçsischen Monarchie stetig aus.1

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Vgl. dazu: Ilja Mieck, Die Entstehung des modernen Frankreich 1450 – 1610, Stuttgart u. a. 1982, S. 229 – 234.

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Insbesondere in Jean Calvin (1509 – 1564)2 fand sie ihren Lehrer. Calvins Institutio religionis christianae von 1536, die 1541 in franzçsischer Sprache erschien,3 formierte ein einheitliches theologisches Lehrgebude, das unter anderem von strenger Kirchenzucht, einer presbyterial-synodalen Kirchenorganisation, der reformierten Abendmahlslehre und der Prdestinationslehre bestimmt war.4 So sind Glaubensbekenntnis (confession de foi) und die Kirchenordnung (discipline eccl¤siastique des ¤glises r¤form¤es de France) der Reformierten Kirchen Frankreichs (sie gaben sich beides 1559 auf ihrer ersten Nationalsynode in Paris) deutlich von Calvins Handschrift geprgt. Daß er Franzose war und zumindest einen Teil seiner Landsleute in ihrer Muttersprache anreden konnte,5 gilt als ein Grund dafîr, „daß die franzçsische Reformation ohne große innere Konflikte auf den reformierten Kurs Calvins einschwenkte“.6 Eine wichtige Rolle fîr diese Entwicklung spielte aber auch die Stadt Genf. Dort hatte Calvin sein theoretisches Lehrgebude seit 1541 in die Praxis umsetzen kçnnen7 und damit ein îberaus kraftvolles Modell innerhalb der europischen Reformation

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Jean Calvin wurde 1509 in Frankreich geboren. Nach einem Studium der Philosophie und der Rechtswissenschaften brach er 1533/34 mit der katholischen Kirche. Aufgrund von Ketzereivorwîrfen floh er in der Folge aus Frankreich. 1535 schrieb er in Basel die Institutio religionis christianae nieder, die 1536 erschien. Im selben Jahr von Guillaume Farel erstmals nach Genf berufen, gelang es ihm dort, die reformatorische Lehre zu etablieren. Er starb 1564. Vgl. dazu ausfîhrlich: Olivier Chrustin, Les r¤formes. Luther, Calvin et les protestants, Paris 1995; ferner Bernard Cottret, Calvin, Paris 1995; und Denis Crouzet, Jean Calvin. Vie parallºle, Paris 2000; zuletzt ein Werk aus der Fîlle der Literatur, die im Rahmen des Gedenkjahres 2009 erschienen ist: Christoph Strohm, Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators, Mînchen 2009. Jean Calvin, Institutio religionis christianae, Basel 1536. Die letzte, stark erweiterte lateinische Fassung stammt aus dem Jahre 1559. Die zugehçrige franzçsische Fassung erschien im Jahre 1560. Vgl. dazu ausfîhrlich: Ãmile Doumerge, Jean Calvin, les hommes et les choses de son temps, 7 Bde., Lausanne 1899 – 1927, ND Genf 1969, hier vor allem 4 und 5. Frankreich war sprachlich gegliedert: Whrend im Norden primr Franzçsisch und zugehçrige Dialekte gesprochen wurden, war der Sîden okzitanischsprachig. Tatschlich hat die Reformation in Frankreich durch die Verwendung des Franzçsischen als Kultussprache dazu beigetragen, das seit 1539 als Amtssprache festgelegte Franzçsisch zu verbreiten. Vgl. Jîrgen Eschmann, Die Sprache der Hugenotten in der alten und neuen Heimat, in: Andreas Flick / Albert de Lange (Hg.), Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 35), Bad Karlshafen 2001, S. 35 – 52, hier S. 37 – 39. Vgl. I. Mieck, Die Entstehung … (s. Anm. 1), S. 232 – 234. Vgl. dazu Ilja Mieck, Europische Geschichte der Frîhen Neuzeit, Stuttgart/Berlin/ Kçln 51994, S. 113.

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entwickelt: Aus Genf kamen die meisten protestantischen Druckerzeugnisse fîr Frankreich und seit 1558 auch viele Pastoren.8 Bis in die spten zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts waren die Anhnger der Reformation in Frankreich nur vereinzelt verfolgt worden. Im Verlaufe der dreißiger Jahre nderte sich dann die ambivalente Haltung der franzçsischen Monarchie ihnen gegenîber:9 Verhaftungen, Folterungen, Prozesse und Exekutionen waren nunmehr an der Tagesordnung.10 Heinrich II. [1519 (1547) – 1559], Sohn von Franz I. [1494 (1515) – 1547], verschrfte die von seinem Vater ergriffenen Maßnahmen erneut. Dennoch erhçhte sich die Zahl der Protestanten in Frankreich stetig.11 Der franzçsische Protestantismus breitete sich îber alle Stnde bis in den Hochadel hinein aus.12 Um 1560 erreichte er mit etwa zwei Millionen Anhngern und damit 10 Prozent der franzçsischen Gesamtbevçlkerung seinen quantitativen Hçhepunkt im Frankreich der Frîhen Neuzeit.13 Geographische Zentren waren der Sîden und Sîdwesten sowie der Nordwesten des Landes.14 Etwa zeitgleich mit der Reformierten Kirche Frankreichs (1559) entstand auch die Bezeichnung Hugenotten (huguenots). Aus einem von katholischer Seite benutzten Schimpfwort wandelte sich der Begriff allmhlich zur Selbstbezeichnung der reformierten Franzosen, die sich zunchst ¤vang¤liques und etwa ab 1540 r¤form¤s genannt hatten.15 Die ethymologische Herleitung des 8 Vgl. dazu Marc Venard, La grande cassure (1520 – 1598), in: Jacques le Goff / Rene Remond (Hg.), Histoire de la France religieuse, 2, Paris 1988, S. 185 – 319, hier S. 240 – 241. Es war die 1558 in Genf gegrîndete Akademie, aus der viele franzçsische Pastoren hervorgingen: a.a.O., S. 241. 9 Das hatte unter anderem mit der sogenannten „Plakataffre“ zu tun: 1534 war in Paris und anderswo, aber angeblich auch an der Tîr des Kçnigs, eine Flugschrift, ein antikatholisches Pamphlet aufgehngt worden. Zuvor hatte der Kçnig, der zwischen dem Wunsch nach Verbesserung der Kirchenzucht und Erneuerung der gallikanischen Kirche einerseits und der vçlligen Ablehnung einer Spaltung der Kirche andererseits schwankte, keine klare Haltung den „Hretikern“ gegenîber an den Tag gelegt. Vgl. I. Mieck, Die Entstehung … (s. Anm. 1), S. 232 – 234. 10 Besonders zu erwhnen ist hier das erstmals auf das gesamte Kçnigreich bezogene Edikt contre l’inf’me canaille des luth¤riens vom 24. Juni 1539, ebd. 11 So M. Venard, La grande cassure … (s. Anm. 8), S. 246. 12 So traten Anton von Bourbon, der Kçnig von Navarra, dessen Bruder, der Prinz von Cond¤, und Gaspard de Coligny, Admiral de France, zum Protestantismus îber. Vgl. I. Mieck, Die Entstehung … (s. Anm. 1), S. 236. 13 John Miller (Hg.), L’Europe protestante aux XVIe et XVIIe siºcle (= Collection Europe Histoire), Paris 1997, S. 261. 14 Vgl. dazu Samuel Mours, Les Ãglises r¤form¤es en France. Tableaux et cartes, Paris/ Straßburg 1958, passim; ferner allgemein: Denis Crouzet, La genºse de la R¤forme franÅaise, 1520 – 1562 (= Regards sur l’Histoire, 109), Paris 1996. 15 Marianne Carbonnier-Burkard / Patrick Cabanel, Une histoire des protestants de France, Paris 1998, S. 15.

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Begriffs ist umstritten. Die in der Literatur meist zu findende Erklrung, das Wort stamme vom Begriff Eydgenossen ab, scheint aus sprachwissenschaftlicher Perspektive nur schwer aufrechtzuerhalten zu sein.16 Die Ableitung vom Vornamen des franzçsischen Kçnigs Hugues Capet17 ist hnlich problematisch.18 Tatschlich lßt sich der Begriff eindeutig wohl nicht herleiten. Erwhnt wurde er erstmals 1551 in einer Handschrift aus dem P¤rigueux, in der Bilderstîrmer als „bçse Hugenottenrasse“ bezeichnet wurden.19 In offiziellen Texten hießen die reformierten franzçsischen Protestanten allerdings nicht Hugenotten, sondern wurden als ceux de la religion pr¤tendue r¤form¤e oder abgekîrzt RPR bezeichnet.20 Um die Mitte des 16. Jahrhunderts standen sich infolge der stetigen Ausbreitung des Protestantismus in Frankreich zwei konfessionell geschiedene und zugleich politisch rivalisierende Fraktionen gegenîber: Hugenotten und Katholiken. Zwischen ihnen kam es nach dem îberraschenden Tod Heinrichs II. (1559) infolge eines schweren Autorittsverfalls der franzçsischen Krone zum Kampf um die politische Macht im Lande.21 Innerhalb von nur fînfzehn Jahren sollten drei Sçhne ihrem Vater Heinrich II. auf dem Thron folgen: der fînfzehnjhrige Franz II. [1544 (1559) – 1560], der minderjhrige Karl IX. [1550 (1560) – 1574] und nach dessen Tod Heinrich III. [1551 (1574) – 1589]. Bis

16 Vgl. dazu: Ernst Mengin, Ursprung und Ethymologie des Wortes Hugenotten, in: DtHugenott 30 (1966), S. 120 – 125, 31 (1967), S. 13 – 17, S. 53 – 56, S. 80 – 84, S. 108 – 114, 32 (1968), S. 11 – 17, S. 41 – 49, S. 76 – 86, S. 121 – 123, 33 (1969), S. 9 – 16, S. 34 – 38. 17 Weil es den Protestanten verboten gewesen sei, Gottesdienste abzuhalten, versammelten sie sich heimlich zu nchtlicher Stunde – auch in Tours, wo einer Legende zufolge der franzçsische Kçnig Hugues Capet (987 – 996) als Gespenst umging. Deshalb seien sie dort spçttisch als Kinder des Schreckgespenstes Hugues, als huguenots, als Hugenotten bezeichnet worden. Vgl. dazu Barbara Dçlemeyer, Die Aufnahme der Hugenotten in deutschen Territorien. Allgemeine politische, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen, in: Heidi Fogel / Matthias Lçsch (Hg.), „Aus Liebe und Mitleiden gegen die Verfolgten“. Beitrge zur Grîndungsgeschichte Neu-Isenburgs, Neu-Isenburg 1999, S. 21 – 81, hier S. 24 – 25. 18 Vgl. Paul Lienhardt, Der Ursprung des Namens „Huguenot“, in: Die Hugenottenkirche 45 (1992), S. 46 – 47, hier S. 46. Lienhardt betont, daß es sich bei der Ableitung vom Namen Hugues vermutlich um eine sptere Selbstmythologisierung der Hugenotten handelte, die darauf abzielte, im Nachhinein eine Verbindung zum franzçsischen Kçnigshaus der Kapetinger (erloschen 1328) zu konstruieren. 19 Vgl. a. a. O., S. 46 – 47. 20 Diese Bezeichnung findet sich seit 1576, dem Frieden von Beaulieu, vgl. Eckart Birnstiel, Die Hugenotten in Berlin: Eine Gemeinde auf der Suche nach ihrer Kirche, in: Rudolf von Thadden / Michelle Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985, Mînchen 1985, S. 115 – 126, hier Anm. 2, S. 231. 21 Vgl. dazu I. Mieck, Europische Geschichte … (s. Anm. 7), S. 132.

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1563 war deren gemeinsame Mutter Katharina von Medici (1519 – 1589) Regentin. Sie versuchte zunchst einer konfessionellen Koexistenz den Weg zu bereiten, nachdem ihr Sohn Franz II. whrend seiner einjhrigen Herrschaft (1559 – 1560) von der katholischen Partei der Guise beherrscht worden war, der an einer Aussçhnung mit den Protestanten nicht gelegen war. Katharina hingegen wollte mit ihrer Strategie der Koexistenz die Einheit des Kçnigreichs retten und die Autoritt der Krone wahren. Sie hatte erkannt, daß der Protestantismus in Frankreich nicht mehr zu unterbinden war. Letztlich blieben ihre Bemîhungen allerdings ohne Erfolg.22 Teil ihrer Ausgleichspolitik sollte auch die Hochzeit ihrer Tochter Marguerite de Valois, genannt Margot (1553 – 1615)23 mit dem protestantischen Heinrich von Navarra, dem spteren Heinrich IV. [1553 (1589) – 1610, Krçnung: 1594] sein.24 Es kam anders: Der Hochzeit folgte in der so genannten Bartholomusnacht vom 23. zum 24. August 1572 ein Mordkomplott gegen die Protestanten.25 Allein in Paris 22 Beispielhaft sei auf das von Katharina gegen erhebliche Widerstnde im September/ Oktober 1651 durchgesetzte Religionsgesprch zwischen Protestanten und Katholiken in Poissy hingewiesen. Vgl. dazu: Alain Tallon, La France et le Concile de Trente (1518 – 1563) (= Bibliothºque des ºcoles franÅaises d’Athºnes et de Rome, 295), Rom 1997, S. 301 – 315; ferner auf das von ihr erlassene Edikt vom 17. Januar 1562, das eine fîr das zeitgençssische Europa bis dahin unbekannte Duldung fîr Glaubensdissidenten beinhaltete. Whrend das Religionsgesprch aufgrund des Dogmatismus der beteiligten Theologen ohne Ergebnis endete, scheiterte das Edikt an der Militanz der katholischen Guise-Partei. Eine umfassende Darstellung der Hugenottenproblematik von den 1520er Jahren bis zum Edikt von Nantes bietet: Nicole Mary Sutherland, The huguenot struggle for recognition, New Haven 1980. Als Anhang enthlt dieses Buch eine lîckenlose Zusammenstellung der von 1525 bis 1598 erlassenen Religionsedikte. Biographien îber Katharina gibt es viele. Obwohl schon lter, ist die Arbeit von Jean H¤ritier, Catherine de M¤dicis, Paris 21959 zuerst zu nennen. Solide gearbeitet ist auch das Buch von Ivan Cloulas, Catherine de Medicis, Paris 1979. Ferner sei genannt: Jean Hyppolite Mari¤jol, Catherine de Medicis, 1519 – 1589, Paris 1979, und Jean Orieux, Catherine de Medicis ou La reine noire, Paris 1986. 23 Zu ihr vgl. die Biographie von Janine Garrisson, Marguerite de Valois, Paris 1994. 24 Vgl. I. Mieck, Die Entstehung … (s. Anm. 1), S. 265. 25 Daß es Katharina gewesen sei, die das Attentat an dem Fîhrer der Hugenotten, Gaspard de Coligny, vorbereitet und das Massaker an den zur Hochzeit anwesenden Protestanten ihrem Sohn Karl IX. abgerungen habe, ist als These der lteren Forschung in der Zwischenzeit umstritten. Neuerdings wird davon ausgegangen, daß es sich bei dem Massaker um ein von Spanien aus angezetteltes Komplott unter aktiver Beteiligung einiger katholischer Guise-Anhnger handelte. Philipp II. von Spanien war stark daran interessiert, die aggressive Spanienpolitik des Hugenottenfîhrers Coligny, der Karl IX. auf seine Seite gebracht hatte, zu unterbinden. Fîr das folgende Pogrom war schließlich das aufstndische Paris, das auf diese Weise seinen Protest gegen die seit 1570/71 praktizierte Religions-, Finanz- und Außenpolitik zum Ausdruck brachte, verantwortlich. Vgl. Jean Louis Bourgeon, L’assassinat de Coligny (= Traveaux d’Histoire ¤thicopolitique, 51), Genf 1992, S. 49 – 51. Die Bartholomusnacht resultierte demnach aus

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fielen dem wohl aus Spanien ferngesteuerten und vom aufstndischen Paris durchgefîhrten Morden 2.000 Hugenotten zum Opfer. Kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten hatten allerdings schon zehn Jahre zuvor eingesetzt: Auslçser war das sogenannte Massaker von Vassy (1562) – der ˜berfall des katholischen Herzogs FranÅois de Guise auf eine Versammlung von etwa 1.200 Protestanten.26 Insgesamt acht Bîrgerkriege sollten folgen, wobei die jeweiligen Zeiten zwischen den Kriegen keineswegs solche der Ruhe waren. Die sogenannten „Hugenottenkriege“ waren innenpolitisch-konfessionell begrîndet und durch fehlende Kompromißbereitschaft und den Verfall der politischen Moral gekennzeichnet. Außerdem wurden sie stark durch die Aktivitten außerfranzçsischer Mchte, insbesondere Spaniens, aber auch Englands, deutscher Territorien, einiger Schweizer Kantone sowie der Niederlande mitbestimmt.27

einem totalen, wenn auch vorîbergehenden Zusammenbruch der kçniglichen Macht, da die einsetzenden Mordaktionen weder vom Kçnig noch von seiner Mutter planerisch beeinflußt worden waren. Vgl. a. a. O., S. 108 – 111. Vgl. zur lteren Forschungs- und Interpretationslage nach dem Jubilum von 1972: Ilja Mieck, Die Bartholomusnacht als Forschungsproblem. Kritische Bestandsaufnahme und neue Aspekte, in: HZ 216 (1973), S. 73 – 110; ferner Ders., Die Bartholomusnacht als sozialer Konflikt, in: Klaus Malettke (Hg.), Soziale und politische Konflikte im Frankreich des Ancien R¤gime, Berlin 1981, S. 1 – 23. Einen ˜berblick îber die neuere Forschung gibt Ders., Neue Forschungen zur Bartholomusnacht, in: Francia 23 (1996), S. 203 – 214, in der neuere, vor allem franzçsischsprachige Arbeiten vorgestellt werden; u. a. Denis Crouzet, La nuit de la Saint-Barth¤lemy. Un rÞve perdu de la Renaissance, Paris 1994 ; und Jean-Louis Bourgeon, Charles IX devant la Saint-Barth¤lemy (= Traveaux d’Histoire ¤thico-politique, 55), Genf 1995. 26 Bei diesem Massaker vom 1. 3. 1562 wurden 74 Personen getçtet. Vgl. Lucien Romier, Catholiques et Huguenots ” la cour des Charles IX. Les ¤tats g¤n¤reaux d’Orl¤ans, le colloque de Poissy, le „concordat“ avec les protestants, le massacre de Vassy, 1560 – 1562, Paris 1924, passim. I. Mieck, Die Entstehung … (s. Anm. 1), S. 239. Die erste Phase der Bîrgerkriege im internationalen Kontext behandelt: Nicole Mary Sutherland, The Massacre of St. Bartholomew and the European Conflict 1559 – 1572, London/ New York 1973. 27 Die Bîrgerkriege fanden 1562 – 1563, 1567 – 1568, 1568 – 1570, 1572 – 1573, 1574 – 1576, 1576 – 1577, 1579 – 1580 und 1585 – 1598 statt. Ein umfassendes Gesamtbild von ihnen entwirft: Michel Pernot, Les guerres de religion en France, 1559 – 1598 (= Regards sur l’Histoire, 61), Paris 1987; ferner Georges Livet, Les guerres de religion, 1559 – 1598, Paris 1962; sowie unter dem Aspekt der Gewaltanwendung: Denis Crouzet, Les Guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion, vers 1525 – vers 1610, 2 Bde., Paris 1990. Einen neueren und ausgezeichneten Gesamtîberblick bietet: Arlette Jouanna u. a., Histoire et dictionnaire des guerres de Religion (= Collection Bouquins), Paris 1998.

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Erst dem protestantischen Heinrich IV. von Bourbon28 gelang es, nach seiner Konversion zum Katholizismus (25. Juli 1593) mit dem Edikt von Nantes im Jahre 1598 Frieden zu schaffen. Das Edikt29 manifestierte die Tatsache, daß die religiçse Einheit Frankreichs zum Zeitpunkt seines Erscheinens praktisch nicht durchsetzbar war: Den Hugenotten wurde Gewissensfreiheit im ganzen Kçnigreich, der freie Zugang zu çffentlichen ømtern, Schulen und Universitten, die Ausîbung ihres Kultus an bestimmten Orten (ausgenommen waren z. B. der Hof und die Stadt Paris), das Recht auf religiçse Versammlungen, wie Kolloquien und Synoden, sowie eine Anzahl von militrischen Sicherheitspltzen30 zugestanden. Sozio-politisch waren die Protestanten damit den katholischen Untertanen in Frankreich gleichgestellt und religiçs akzeptiert.

28 Aus der umfangreichen biographischen Literatur zu Heinrich IV. sei die erste im umfassenden Sinne kritische Biographie genannt: Jean-Pierre Babelon, Henri IV, Paris 1982; ferner ebenfalls gut geeignet: Janine Garrisson, Henri IV, Paris 1984. 29 Es bestand aus 95 Artikeln, 56 Geheimartikeln, den articles secrets, und zwei kçniglichen Bewilligungsurkunden, den brevets. Zum 400jhrigen Jubilum des Edikts im Jahre 1998 ist eine Fîlle von Literatur erschienen. Beispielhaft sei genannt: Janine Garrisson, L’Ãdit de Nantes. Chronique d’une paix attendue, Paris 1998. Die Literatur nennt und kommentiert mit Blick auf das moderne Geschichtsbild in Frankreich in Auszîgen: Eckart Birnstiel, Das Edikt von Nantes (1598). Triumph oder Scheitern der Reformation in Frankreich?, in: Hugenotten 1 (1999), S. 3 – 26, hier S. 4 – 7. Eine weitergehende Zusammenstellung der Literatur bietet: Jochen Desel, Bîcher in Frankreich zur 400-Jahr-Feier des Edikts von Nantes 1998, in: Hugenotten 1 (1999), S. 26 – 28. Eine kritische ˜bersicht îber die Tagungsbnde aus dem Jubilumsjahr bietet schließlich: Hubert Bost, Das Edikt von Nantes (1598). Ein ˜berblick îber franzçsische Verçffentlichungen zum 400. Jubilum (1998), in: Hugenotten 64 (2000), S. 42 – 55. Die jîngste und zuverlssigste quellenkritische Edition des Edikts stammt von: Janine Garrisson (Hg.), L’Ãdit de Nantes. Texte pr¤sent¤ et annot¤, Biarritz 1997. Eine deutsche kommentierte ˜bersetzung gibt es unter anderem von Ernst Mengin (Hg.), Das Edikt von Nantes. Das Edikt von Fontainebleau (= Rechts-Urkunden zur Geschichte der Hugenotten), Flensburg 1963, S. 19 – 84. Zur Frage inwieweit es sich bei diesem Edikt um ein „Toleranzedikt“ handelt, Michael Goebel, Das Edikt von Nantes und der Toleranzbegriff, in: Hugenotten 64.4 (2000), S. 123 – 135, mit weiterfîhrender Literatur. 30 Je nachdem, was unter einem Sicherheitsplatz verstanden wird – les places de s•ret¤, les places de mariage und/oder les villes libres –, erhielten die Hugenotten 400 bis 500 Sicherheitspltze. Genaueres in: Eckart Birnstiel / Pierre Jean Souriac / Robert Guicharnaud (Hg.), L‘Ãdit de Nantes. S•ret¤ et ¤ducation, Colloques internationale organis¤ par la Ville des Montauban et la Soci¤t¤ Montalbanaise d’Ãtude et de Recherche sur le Protestantisme tenu ” Montauban, les 14/15/16/17- Octobre 1998, Montauban 1999, S. 127 – 149. Fîr die in den Sicherheitspltzen stationierten hugenottischen Garnisonen bezahlte der Kçnig jhrlich 180.000 ¤cus. Vgl. Nummer 1 und 4 der geheimen Zusatzartikel zum Edikt von Nantes, Ernst Mengin, Das Edikt des Großen Kurfîrsten von Brandenburg, in: DtHugenott 36.2 (1972), S. 46 – 54.

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Inhaltlich differierte das Edikt nur wenig von anderen „Friedensedikten“,31 die im Verlaufe der Bîrgerkriege ergangen waren. Allein der feste Wille des Kçnigs, es anzuwenden, und der Fakt, daß er langfristig die Machtmittel dazu besaß, unterschied es grundlegend von ihnen, zumal die militrischen Krfte beider Konfessionsparteien erschçpft waren. Festzuhalten bleibt jedoch, daß Heinrich IV. die Duldung der Protestanten tatschlich nur auf Zeit festgeschrieben hatte, denn grundstzlich wurde auch von ihm die religiçse Einheit Frankreichs angestrebt.32 Nach Heinrichs IV. Ermordung im Jahre 1610 sollte Richelieu,33 „KardinalPremier“ Ludwigs XIII. [1601 (1610) – 1643]34 zunchst die militrisch-politische Macht der Hugenotten brechen – stand sie doch der aufstrebenden Monarchie mit einem sich erneuernden Katholizismus im Wege.35 1628 war mit dem Fall der letzten militrischen Bastion der reformierten Franzosen, La Rochelle, die øra des „hugenottischen Staates im Staate“ mit eigener Administration, Armee, Gerichtsbarkeit und Kirchenwesen beendet. Gewissensfreiheit und soziale Gleichstellung mit den katholischen Franzosen wurde den Hugenotten allerdings im „Gnadenedikt“ von Alºs (28. Juni 1629) zugesichert. So sollte der zunchst als Rebellion empfundene, offene Kampf der Hugenotten gegen die Krone, den sie seit 1620 wieder gefîhrt hatten,36 endgîltig beendet werden. 31 Vgl. dazu die Quellenedition: Andr¤ Stegmann (Hg.), Ãdits des guerres de Religion, Paris 1979. 32 So E. Birnstiel, Das Edikt von Nantes … (s. Anm. 29), S. 23. Bereits genauso Elisabeth Labrousse / Robert Sauzet, Au temps du Roi-Soleil, in: J. le Goff / R. Remond (Hg.), Histoire de la France religieuse … (s. Anm. 8), S. 475 – 549, hier S. 445. Im Gegensatz dazu zuletzt: Ilja Mieck, Das Edikt von Nantes und das Problem der Toleranz in Europa, in: A. Flick / A. de Lange (Hg.), Von Berlin … (s. Anm. 5), S. 169 – 188, hier S. 184. 33 Aus der sehr umfangreichen biographischen Literatur zu Armand-Jean du Plessis, Cardinal de Richelieu (1585 – 1642) seien neben der sehr eindringlichen Darstellung von Roland Mousnier, L’Homme rouge ou la vie du cardinal de Richelieu (1585 – 1642), Paris 1992, das grundlegende Werk von Gabriel Hanotaux / Henri-Jacques Nompal de Caumont duc de la Force, Histoire du cardinal de Richelieu, 6 Bde., Paris 1893, sowie die gelungene Arbeit von Michel Carmona, La France de Richelieu, Paris 1984, genannt. 34 Vgl. zu dieser Bezeichnung Gînter Barudio, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklrung 1648 – 1779 (= Fischer Weltgeschichte, 25), S. 95. 35 Vgl. Herrmann Weber, Die Hugenottenfrage zur Zeit Ludwigs XIII., in: Heinz Duchhardt (Hg.), Der Exodus der Hugenotten. Die Aufhebung des Edikts von Nantes als europisches Ereignis (= ArchKulturg, Beihefte, 24), Kçln/Wien 1985, S. 9 – 28, hier S. 27. Dort auch weiterfîhrende Literatur a. a. O., S. 9 – 10. 36 A. a. O., S. 20. Zum Fall von La Rochelle und den Folgen vgl. u. a. FranÅois de Vaux de Foletier, Le siºge de La Rochelle, 1627 – 1628, La Rochelle/Paris 1978; David Parker, La Rochelle and the French Monarchy. Conflict and Order in SeventeenthCentury France, London 1980; ferner Janine Garrisson, L’ðdit de Nantes et sa

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Der Verlust der Macht auf militrisch-politischem Gebiet vernderte die sozialen Strukturen und die politische Haltung im franzçsischen Protestantismus: Der Adel, insbesondere der hohe Adel, konvertierte zum Katholizismus.37 So gab es Hugenotten nunmehr beinahe ausschließlich im dritten Stand. Parallel entwickelte sich ein politischer Konformismus, der mit Blick auf den Herrscher offen idolatorische Zîge annahm und vom nordfranzçsischen Protestantismus gespeist wurde.38 Mit dem Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV. [1638 (1643) – 1715] im Jahre 1661 setzten soziale und konfessionelle Repressionen und Restriktionen gegenîber den Protestanten in Frankreich ein. Nochmals verstrkt wurden sie nach 1679: Vom Singen der Psalmen außerhalb der Kirche – einem wichtigen Bestandteil des reformierten Gottesdienstes und der „privaten“ Erbauung – îber Berufsverbote (Richter, Anwlte, Notare, ørzte, Hebammen und schließlich alle ømter im Staatsdienst)39 bis hin zu den sogenannten Dragonaden, der Einquartierung von Soldaten in protestantischen Familien mit der Maßgabe, letztere so lange zu drangsalieren, bis sie zum katholischen Glauben wechselten. Die Maßnahmen, insbesondere die letztgenannte, waren durchaus erfolgreich: Standen um 1600 etwa 1,25 Millionen Protestanten 16 Millionen Katholiken in Frankreich gegenîber – 7 Prozent der franzçsischen Bevçlkerung bekannten sich damit zum Protestantismus – so waren es im Jahre 1685 weniger als 5 Prozent (ca. 850.000 Personen) mit abnehmender Tendenz.40

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R¤vocation. Histoire d’une Intol¤rance, Paris 1985 [Dt. unter dem Titel: Denn so gefllt es uns… Geschichte einer Intoleranz, Bad Karlshafen 1995], S. 48 – 82. A. a. O., S. 112. Zusammenfassend: Philppe Joutard, 1685 – Ende und neue Chance fîr den franzçsischen Protestantismus, in: R. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten … (s. Anm. 20), S. 11 – 25, hier S. 14 – 15. Vgl. dazu auch: Myriam Yardeni, Calvinist political thought, 1534 – 1715, in: Menna Prestwich (Hg.), International Calvinism 1541 – 1715, Oxford 1985, S. 315 – 337. Ausfîhrlich zur unterschiedlichen Entwicklung des politischen Denkens bei nord- beziehungsweise sîdfranzçsischen Protestanten vgl. Elisabeth Labrousse, La Saint Barth¤l¤my ou les r¤sonances d’un massacre, Neuch’tel 1976, passim. Dazu grundlegend: Arie Theodorus van Deursen, Professions et m¤tiers interdits. Un aspect de l’histoire de la r¤vocation de l’Ãdit de Nantes, Groningen 1960. Die Zahl schwankt in der Literatur. Whrend P. Joutard, 1685 … (s. Anm. 38), S. 11, von 850.000 Personen ausgeht und sich dabei auf die Berechnungen bei Samuel Mours, Essai sommaire de g¤ographie du protestantisme franÅais au XVIIºme siºcle, in: BullSocHistProtFranÅ 111 (1965), S. 303 – 322, 112 (1966), S. 19 – 36, stîtzt, nennt Klaus Malettke, Die Hugenotten in Frankreich bis zum Widerruf des Edikts von Nantes im Jahre 1685, in: Karl-Hermann Wegner (Hg), 300 Jahre Hugenotten in Hessen. Herkunft und Flucht, Aufnahme und Assimilation, Wirkung und Ausstrahlung. Ausstellung Museum Fridericianum Kassel, 12. April bis 28. Juli 1985, Kassel 1985, S. 16 – 50, hier S. 24, die Zahl von 900.000 Protestanten. Genauso: B. Dçlemeyer, Die Aufnahme … (s. Anm. 17), S. 34.

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Wenn Ludwig XIV. seine antiprotestantischen Maßnahmen schließlich 1685 mit der Aufhebung des Edikts von Nantes „vollendete“, so hatte dies neben grundstzlichen innenpolitischen Erwgungen auch aktuelle außenpolitische Grînde: Die protestantische Minderheit mit ihren religiçsen Sonderrechten stand der von Ludwig verfolgten „Verfestigung des absolutistischen Zentralstaates, der auf den Abbau von Sonderrechten und die Schaffung eines homogenen Staatsvolkes zielte“41 eindeutig entgegen. Sodann hatte sich der außenpolitische Handlungsspielraum des Kçnigs durch die 1684 abgeschlossene Regensburger Konvention, die den Frieden mit Habsburg und den Niederlanden gebracht hatte, erweitert. Hinzu kam eine kirchenpolitische Konstellation, die, hervorgerufen durch den Gallikanismus in Frankreich,42 die Beziehungen Ludwigs zur Kurie zuvor dramatisch verschlechtert hatte. So war der Kçnig nunmehr bemîht, seinen strikten Katholizismus dadurch zu beweisen, indem er „den ,Kreuzzug’ zum Wohle der Kirche, den er nach außen – gegen die Osmanen – nicht fîhren wollte, in das Innere Frankreichs verlagerte“.43 Mit dem Revokationsedikt von Fontainebleau (18. Oktober 1685)44 wurde die Ausîbung der reformierten Konfession in Frankreich verboten, die Zerstçrung der protestantischen Kirchen angeordnet, der husliche Gottesdienst untersagt und die Geistlichen, die nicht konvertieren wollten, des Landes verwiesen. Taufe und Eheschließung mit allen rechtlichen Folgen war nur noch nach katholischem Ritus mçglich. Zugleich wurde allen Protestanten die Flucht bei schrfster Strafe (Galeerenstrafe fîr Mnner, Gefngnishaft fîr Frauen) untersagt. Dennoch verließen etwa 170.000 Menschen ihre Heimat, um sich ins 41 A. a. O., S. 27. Eine politische Einheit schien ohne religiçse Einheit nicht mçglich, dies machte der Klerus dem Kçnig mit Erfolg klar. Vgl. dazu etwa: I. Mieck, Europische Geschichte … (s. Anm. 7), S. 197. Die Frage, warum unter diesen Umstnden die Juden in Frankreich nicht zur Konversion gezwungen wurden, dîrfte zum einen mit Hinweis auf ihre geringe Zahl von etwa 40.000 Personen zu beantworten sein. Zum andern lebten sie von der franzçsischen Gesellschaft vçllig getrennt: bei der nation juive handelte es sich um eine „entit¤ homogºne, un corps uniforme“ mit einer Kultur und einem Status, „qui les disqualifiait essentiellement“. Das heißt auch, daß sie gar nicht als Teil des franzçsischen Staatsvolkes wahrgenommen wurden. Vgl. dazu Freddy Rapha×l, Les juifs de l’Ancien R¤gime, in: Jacques le Goff / Rene Remond (Hg.), Histoire de la France religieuse, 3, Paris 1991, S. 62 – 72, hier S. 62. 42 Die vier gallikanischen Artikel, die einen scharfen Angriff auf die ppstliche Autoritt enthielten, datierten vom Mrz 1682 (Abdruck bei: L¤on Mention, Documents relatifs aux rapports du clerg¤ avec la Royaut¤ de 1682 ” 1705, ND Genf 1976, S. 26 – 32). Dadurch hatte sich das Verhltnis Ludwigs zur Kurie dramatisch verschlechtert. Vgl. Heinz Duchhardt, Die Konfessionspolitik Ludwigs XIV. und die Aufhebung des Edikts von Nantes, in: Ders. (Hg.), Der Exodus … (s. Anm. 35), S. 29 – 52, hier S. 33. 43 Ders., Die Konfessionspolitik … (s. Anm. 42), S. 33. 44 Nach dem in Brandenburg-Preußen noch gîltigen (alten) Julianischen Kalender handelte es sich um den 8. Oktober.

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protestantische Ausland – unter anderem nach Brandenburg-Preußen – zu begeben. Die Mehrzahl blieb jedoch: Oft fîhrten die franzçsischen Protestanten ein religiçses Leben im Geheimen. Eine reformierte Kirche im Untergrund entstand. Verschiedene Formen des Widerstandes, angefangen beim heimlichen Lesen der Bibel bis zum offenen Bekennen der verbotenen Konfession im Rahmen des „Prophetismus“45 mîndeten zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den Cevennen schließlich sogar in militrischen Widerstand: 1702 brachen dort Aufstnde aus, die jedoch bereits 1710 von der franzçsischen Krone endgîltig niedergeschlagen wurden.46 Seit 1715 reorganisierte Antoine Court47 die „Kirche der Wîste“,48 die protestantische Kirche im Untergrund. „Un simple ¤tat 45 Dabei handelte es sich um das Aufkommen von Prophezeiungen und das Auftreten von Prophet(inn)en seit 1688 im Dauphin¤ und im Vivarais. Sie trugen mit zu den Aufstnden in den Cevennen bei. Vgl. dazu P. Joutard, 1685 … (s. Anm. 38), S. 22 – 23; vor allem aber: Daniel Vidal, Le malheur et son prophºte. Inspir¤s et sectaires en Languedoc calviniste, 1685 – 1725, Paris 1983 ; sowie: Jean-Paul Chabrol, Ãlie Marion, le vagabond de Dieu (1678 – 1713). Prophºtisme et mill¤narisme protestants en Europe ” l’aube des Lumiºres, Aix-en-Provence 1999. 46 Vgl. zu diesen Aufstnden der Camisarden: Philippe Joutard, Les Camisards (= Collection Archives), Paris 1976 ; und Ders., La l¤gende des Camisard. Une sensibilit¤ au pass¤, Paris 1977; ferner grundlegend seither: Henri Bosc, La Guerre des C¤vennes, 1702 – 1710, 6 Bde., Montpellier 1985 – 1993; sowie den Sammelband von Chrystel Bernat (Hg.), Die Kamisarden. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte des Krieges in den Cevennen (1702 – 1710) (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 36), Bad Karlshafen 2003. 47 Zu Antoine Court (1696 – 1760) vgl. grundlegend: Edmond Hugues, Antoine Court. Histoire de la restauration du protestantisme en France au XVIIIe siºcle, d’aprºs des documents in¤dits, 2 Bde., Paris 1872; weiterhin Hubert Bost / Claude Lauriol (Hg.), Entre D¤sert et Europe, le pasteur Antoine Court (1695 – 1760). Actes du Colloque de N‚mes, 3/4 novembre 1995, Paris 1998. 48 In der Kirche der Wîste, die ihren Namen von dem biblischen Zug des Volkes Israel durch die Wîste hatte, gab es enge Verbindungen in die Schweiz. In Lausanne wurde ein Seminar fîr franzçsische Prediger erçffnet. Zur Geschichte der Kirche der Wîste vgl. das umfassende Werk: Claude Lasserre, Le s¤minaire de Lausanne (1726 – 1812). Instrument de la restauration du protestantisme franÅais (= Bibliothºque Historique Vaudoises, 112), Lausanne 1987; ferner Robert Gagg, Kirche im Feuer. Das Leben der sîdfranzçsischen Hugenottenkirche nach dem Todesurteil durch Ludwig XIV., Stuttgart 1961; Theodor Schott, Die Kirche der Wîste 1713 – 1787. Das Wiederaufleben des franzçsischen Protestantismus im 18. Jahrhundert (= SchrrVRefG, 11), Halle an der Saale 1893. Weiterhin noch immer unverzichtbar: Charles-Augustin Coquerel, Histoire des Ãglises du D¤sert chez les protestants de France depuis la fin du rºgne de Louis XIV jusqu’” la R¤volution franÅaise, 2 Bde., Paris 1841 ; und Edmond Hugues, Les Synodes du Desert. Actes et rºglements des synodes provinciaux et nationaux tenus au D¤sert de France de l’an 1715 ” l’an 1793, 3 Bde., Paris 1885 – 1886. Zu den ersten Pastoren vgl. Napol¤on Peyrat, Histoire des pasteurs du D¤sert (1685 – 1700) d’aprºs des documents pour la plupart in¤dits, 2 Bde., Paris 1879. In neuerer Zeit sind vor allem

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civil la€c“49 erhielten die reformierten Franzosen aber erst siebzig Jahre spter: Das 1787 erlassene Toleranzedikt brachte ihnen jedoch noch keine Kultusfreiheit. §ffentliche Gottesdienste waren weiterhin untersagt, offiziell zugelassene Pastoren gab es nicht. Das nderte sich erst im Zuge der Franzçsischen Revolution durch die Erklrung der Menschen- und Bîrgerrechte am 26. August 1789.50

§ 2 Das Edikt von Potsdam Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes am 18. Oktober 1685 machten sich trotz aller Verbote etwa 170.000 reformierte Franzosen auf den Weg in das protestantische Ausland. Hauptaufnahmelnder waren die Niederlande und England sowie – allerdings in weit geringerem Umfang – die protestantischen Kantone der Schweiz. In die Territorien des Alten Reiches kamen etwa 40.000 Flîchtlinge.51 Hufig wanderten sie – aus der Schweiz kommend – îber Arbeiten zu einzelnen Pastoren erschienen, beispielhaft sei genannt: Andr¤ Fabre, Pierre Durand, pasteur du D¤sert, martyr, 1700 – 1732, La B¤gude de Mazenc 1983. 49 So Andr¤ Encrev¤, Introduction, in: Dictionnaire du monde religieux dans la France contemporaine, 5, Paris 1993, S. 5 – 30, hier S. 6. Das heißt, die Protestanten erhielten damit insbesondere das Recht, ihre Geburten, Heiraten und Sterbeflle in staatlichen Zivilstandsregistern einzutragen. Vgl. dazu den Abdruck (Faksimile) in: Andr¤ Encrev¤ / Claude Lauriol (Hg.), Actes des Journ¤es d’Ãtudes sur l’Ãdit de 1787 in: BullSocHistProtFranÅ 135 (1988), S. 179 – 186. 50 Charles Durand, Histoire du protestantisme franÅais pendant la R¤volution et l’Empire, Paris/Genf 1902; ferner: Paul Girault de Coursac / Pierrette Girault de Coursac, Louis XVI et la question religieuse pendant la R¤volution, un combat pour la tol¤rance, Paris 1988. 51 Nach England wanderten etwa 40.000 franzçsische Protestanten, in die Niederlande 35.000 bis 50.000 und in die Schweiz, die allerdings primr ein Durchgangsland war, etwa 10.000 franzçsische Protestanten ein. Weitere Aufnahmelnder waren Dnemark mit etwa 2.000 Flîchtlingen und Rußland mit etwa 600. Nach Irland und Amerika wanderten schließlich zusammen nochmals etwa 10.000 Personen aus und einige der niederlndischen Immigranten gingen nach Afrika, ans Kap der Guten Hoffnung. Vgl. die auf der neueren Literatur beruhende Zusammenstellung von Zahlen bei: B. Dçlemeyer, Die Aufnahme der Hugenotten in deutschen Territorien. Allgemeine politische, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen, in: Heidi Fogel / Matthias Loesch (Hg.), „Aus Liebe und Mitleiden gegen die Verfolgten“. Beitrge zur Grîndungsgeschichte Neu-Isenburgs, Neu Isenburg 1999, S. 21 – 81, hier S. 34. Im Gegensatz dazu geht Fabienne Chamayou, Le r¤fuge dans les ‚les Britanniques, in: Eckart Birnstiel / Chrystel Bernat (Hg.), La diaspora des huguenots. Les r¤fugi¤s protestants de France et leur dispersion dans le monde (XVIe-XVIIIe siºcles), Paris 2001, S. 43 – 62, hier S. 47, von 70.000 Personen aus, die nach England einwanderten, ebenfalls auf der Grundlage neuerer Literatur. Diese Differenzen machen beispielhaft das grundstzliche Problem von Zahlenangaben im Rahmen der Forschungen zur Flucht der Hugenotten deutlich. Die wichtigste Literatur zu den einzelnen Lndern des refuge findet

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Frankfurt am Main als „Drehscheibe des Refug¤“ ein.52 Dies galt auch fîr viele der sogenannten r¤fugi¤s, die Brandenburg-Preußen zum Ziel hatten. Insgesamt waren es etwa 15.000 franzçsische Migranten, die sich in das damit von ihnen am meisten geschtzte Territorium innerhalb des Alten Reiches flîchten sollten.53 Oft wurden die r¤fugi¤s durch sogenannte Aufnahmeprivilegien angeworben.54 Der Große Kurfîrst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm [1620 (1640)1688], erließ das zugehçrige Edikt von Potsdam am 29. Oktober 1685.55 Zu diesem Zeitpunkt waren seine Lnder noch immer von den Folgen des Dreißigjhrigen Krieges gezeichnet. Vor allem die hohen Bevçlkerungsverluste56 waren noch nicht ausgeglichen. Lassen sich diese Verluste im einzelnen auch kaum mehr nachvollziehen, zumal sie regional stark differierten,57 so gibt eine

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sich zusammengestellt bei: Eckart Birnstiel, Bibliographie g¤n¤rale, in: Ders. / C. Bernat (Hg.), La diaspora … (s. oben in Anm. 51) S. 149 – 199. Vgl. dazu Michelle Magdelaine, Frankfurt am Main: Drehscheibe des Refuge, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985 … (s. Anm. 20), S. 26 – 37. Vgl. dazu § 3 dieses Beitrages. Brandenburg-Preußen folgte als beliebtestes Aufnahmeland im Alten Reich Hessen-Kassel (etwa 4.000), das îbrige Hessen (etwa 4.000), Franken, d. h. Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth (etwa 4.000), die Kurpfalz mit Zweibrîcken (3.400), Wîrttemberg (etwa 3.000), die Hansestdte (etwa 2.000) und die niederschsischen Territorien, d. h. Braunschweig-Lîneburg und Braunschweig-Wolfenbîttel (1.500), Baden-Durlach (etwa 800) und Kursachsen (etwa 250). Die restlichen etwa 650 Flîchtlinge verteilten sich auf Thîringen, Mecklenburg, Anhalt, Lippe-Detmold, Neuwied und Waldeck. Vgl. B. Dçlemeyer, Die Aufnahme … (s. Anm. 51), S. 34. Vgl. zu dieser Kategorisierung besagter Rechtsakte, die als Edikte, Patente, Freiheitsbriefe u. s. w. bezeichnet und durch die die Aufnahme und Ansiedlung der Hugenotten in den Lndern des refuge eingeleitet, organisiert und geregelt wurden: Barbara Dçlemeyer, Die Aufnahmeprivilegien fîr Hugenotten im europischen Refuge, in: Barbara Dçlemeyer / Heinz Mohnhaupt (Hg.), Das Privileg im europischen Vergleich, 1 (= Ius commune, Sonderhefte, Studien zur europischen Rechtsgeschichte, 93), Frankfurt am Main 1997, S. 303 – 328; ferner Dies., Die Hugenotten, Stuttgart 2006, S. 40 – 49. In Brandenburg-Preußen galt noch der (alte) Julianische Kalender. Nach dem in Frankreich bereits gîltigen (neuen) Gregorianischen Kalender handelte es sich um den 8. November 1685. Vgl. zur Entwicklung Brandenburg-Preußens nach 1648 Peter Baumgart, Zur Entstehung der Monarchie und des preußischen Staatsgedankens, in: Manfred Schlenke (Hg.), Preußische Geschichte. Eine Bilanz in Daten und Deutungen, Freiburg/Wîrzburg 21991, S. 122 – 134, hier S. 129. Vgl. ferner Jîrgen Wilke, Berlin zur Zeit des Edikts von Potsdam. Das Edikt und seine Bedeutung, in: Gottfried Bregulla (Hg.), Hugenotten in Berlin, Berlin 1988, S. 13 – 53, hier S. 18 – 20. Innerhalb des Reiches werden sie fîr die Stdte auf 25 – 30 Prozent, im lndlichen Bereich auf 35 – 40 Prozent geschtzt. Vgl. dazu Friedrich-Wilhelm Henning, Das vorindustrielle Deutschland 800 – 1800, Paderborn 1974, S. 239 – 240. Der Stadt-LandUnterschied erklrt sich aus dem relativen Schutz der mit Mauern versehenen (grçßeren)

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1652 angeordnete Untersuchung zumindest fîr die Kurmark einen Einblick in die Bevçlkerungsverluste: Darin war von einer Reduzierung der Bevçlkerung um bis zu 50 Prozent die Rede.58 Dementsprechend fehlten in BrandenburgPreußen Arbeitskrfte. Dieser Mangel in Verbindung mit restriktiven Zunftordnungen und im Vergleich unzulnglichen Produktionskenntnissen seiner Untertanen machten es dem Kurfîrsten schwer, Wirtschaft und Handel in seinen Territorien zu beleben.59 Versuche, mit Hilfe von Siedlungs- und Kolonisationsmaßnahmen hier Abhilfe zu schaffen, waren von ihm bereits in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts auf den Weg gebracht worden. ˜blicherweise enthielten die entsprechenden Aufforderungen zur Einwanderung, denen zunchst Immigranten aus den Niederlanden folgen sollten, eine Reihe von Vergînstigungen. Sie reichten von befristetem Steuererlaß fîr die Ansiedlungswilligen îber die Bereitstellung von kostenlosem Bauland und Befreiung von Einquartierungen bis hin zur unentgeltlichen Erteilung des Bîrgerrechts – Maßnahmen, die spter als Vorlage fîr die im Edikt von Potsdam gewhrten Privilegien dienen und grundstzlich Brandenburg-Preußen fîr potentielle Einwanderer attraktiv machen sollten.60 Auch die „religiçse Toleranzpolitik“ des Kurfîrsten gehçrt zumindest teilweise in den Zusammenhang der beabsichtigten „Peuplierung“ seiner Lnder: Gerade um ihres Glaubens willen Verfolgte aus anderen Territorien erschienen als zukînftige Untertanen gut anwerbbar und daher besonders interessant.61 Allerdings dîrfte die spezifische konfessionelle Verfaßtheit BrandenburgPreußens die kurfîrstliche „Toleranzpolitik“ gleichermaßen hervorgebracht haben: 1613 war der Großvater Friedrich Wilhelms, Kurfîrst Johann Sigis-

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Stdte und dadurch, daß die Stdte ihre Verluste durch Flîchtlinge vom Land schneller ausgleichen konnten (a.a.O.). P. Baumgart, Zur Entstehung … (s. Anm. 56), S. 129. Vgl. dazu u. a. Stefi Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 23), Berlin 1978, S. 31 – 32. Vgl. dazu Meta Kohnke, Zur Vorgeschichte, Entstehung und Bedeutung des Edikts von Potsdam, in: Ingrid Mittenzwei (Hg.), Hugenotten in Brandenburg-Preußen (= Studien zur Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut fîr Geschichte, 8), Berlin 1987, S. 13 – 26, hier S. 16; ferner S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 31 – 32; sowie ausfîhrlich Max Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen. Ein Beitrag zu der Geschichte des preußischen Staates und der Colonisation des çstlichen Deutschlands, Leipzig 1874, passim. Vgl. ferner Werner Grieshammer, Studien zur Geschichte der R¤fugi¤s in Brandenburg-Preußen bis 1713, phil. Diss. Berlin 1935, S. 19 – 28. Vgl. hierzu Eckart Birnstiel / Andreas Reinke, Hugenotten in Berlin, in: Stefi Jersch-Wenzel / Barbara John (Hg.), Von Zuwanderern zu Einheimischen. Hugenotten, Juden, Bçhmen und Polen in Berlin, Berlin 1990, S. 13 – 152, hier S. 40.

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mund [1572 (1608) – 1619], aus persçnlichen, im wesentlichen62 aber wohl aus politischen Grînden vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis îbergetreten.63 Seine Versuche, die Landstnde seiner Territorien ebenfalls zum ˜bertritt zu bewegen, scheiterten. Seitdem existierte in Brandenburg-Preußen eine konfessionelle Spaltung zwischen dem reformierten Herrscherhaus und einer Reihe reformierter Familien einerseits und der in ihrer großen Mehrheit lutherischen Bevçlkerung andererseits. Lutheraner und Reformierte lebten zwar gleichberechtigt nebeneinander, Konfessionskonflikte waren dennoch an der Tagesordnung.64 Indem er in der Verwaltung zunehmend reformierte Nichteinheimische als Beamte einsetzte, nutzte der Große Kurfîrst das Potential dieser Konflikte beim Aufbau einer Zentralverwaltung. Sie sollte der administrativen und politischen Zusammenfîhrung der verstreut gelegenen Territorien Brandenburg-Preußens dienen und stand in engem Zusammenhang mit der Errichtung eines stehenden Heeres.65 Die Anfeindungen, die den reformierten Beamten von Seiten der Bevçlkerung und der Stnde, die fîr das Indigenat kmpften und die durch die Zentralverwaltung zunehmend an Einfluß verloren, wiederum entgegenschlug, fîhrte zu vermehrter Loyalitt der Beamten gegenîber dem Herrscher66 – ein Phnomen, das sich bei den r¤fugi¤s wiederholen sollte. Eng mit den innenpolitischen Maßnahmen verknîpft war die Außenpolitik des Kurfîrsten. Grundstzlich darauf angelegt, die machtpolitische Entscheidung der Großmchte im Westflischen Frieden zu revidieren, diente sie vor allem dazu, das unter schwedischer Herrschaft stehende Vorpommern fîr Brandenburg-Preußen zu gewinnen. Obwohl Friedrich Wilhelm diesem Ziel nach îberraschenden Bîndniswechseln – sie brachten ihm den Vorwurf des „Wechselfiebers“ ein – wiederholt nahe schien, sollte er letztlich scheitern. 1679 hatte diese Außenpolitik den brandenburgischen Kurfîrsten zum wiederholten 62 So Rudolf von Thadden, Die Kirchen im Staat der Hohenzollern, in: M. Schlenke (Hg.), Preußische Geschichte … (s. Anm. 56), S. 86 – 96, hier S. 87 – 88. 63 Es ging um den Erwerb von Territorien am Niederrhein. Vgl. z. B. P. Baumgart, Zur Entstehung … (s. Anm. 56), S. 128. 64 Vgl. dazu R. von Thadden, Die Kirchen … (s. Anm. 62), S. 88. 65 So gingen die Zentralbehçrden aus der fîr die Finanzierung dieses Heeres notwendigen Steuerverwaltung hervor. Gegen den erbitterten Widerstand der Landstnde, die das Steuerbewilligungsrecht besaßen, hatte Friedrich Wilhelm nach 1655 die Aufstellung und dauerhafte Finanzierung des stehenden Heeres durchgesetzt und damit eine weitere Grundlage fîr einen zentralisierten Gesamtstaat in Brandenburg-Preußen geschaffen. Vgl. dazu P. Baumgart, Zur Entstehung … (s. Anm. 56), S. 131 – 133; ferner mit Blick auf das refuge E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 35 – 38. 66 Den Beamten wurde ihre Abhngigkeit vom Kurfîrsten durch die Anfeindungen deutlich vor Augen gefîhrt. Vgl. E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 38.

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Mal zu einem Bîndnis mit Frankreich gefîhrt, dessen Ende sich aber unter anderem in einem gegen Ludwig XIV. gerichteten Defensivabkommen mit den Niederlanden abzeichnete.67 Zwischenzeitlich hatte es – so 1682 und zuletzt 1684 –68 vergebliche Appelle von Seiten der zunehmend bedrîckten reformierten Glaubensbrîder des Kurfîrsten in Frankreich an seine Hilfsbereitschaft gegeben.69 Als Ludwig XIV. daher am 18. Oktober 1685 das Revokationsedikt von Fontainebleau erließ, wurde Friedrich Wilhelm von dieser Maßnahme keineswegs îberrascht, zumal er durch seine Gesandten in Paris und Versailles regelmßig und umfassend îber alle Aktivitten gegen die Protestanten in Frankreich unterrichtet wurde.70 Bekannt waren ihm auch die in Dnemark und in den Generalstaaten seit 1681 verbreiteten Privilegien zugunsten der franzçsischen Reformierten71 sowie die entsprechende „Freyheits-Concession“ des Landgrafen von Hessen-Kassel (18. April 1685).72 Im September 1685 hatten außerdem die Pastoren und øltesten der seit 1672 in Berlin existierenden franzçsisch-reformierten Kirchengemeinde in einer Petition an ihren Herrscher nachdrîcklich auf den zunehmenden Flîchtlingsstrom aus Frankreich und die damit zusammenhngenden Probleme in Berlin hingewiesen.73 Von verschiedenen Seiten bedrngt und erneut auf dem Wege zu einem außenpolitischen Bîndniswechsel entschloß sich Friedrich Wilhelm im Edikt

67 Allerdings legte er mit seinen verschiedenen militrisch-politischen Erfolgen unter anderem die rechtliche Grundlage fîr die Grîndung des Kçnigreichs der Hohenzollern: 1660 erhielt er die Lehnshoheit îber Preußen. Vgl. dazu J. Wilke, Berlin … (s. Anm. 56), S. 21. 68 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 44. 69 Interventionen des brandenburgischen Kurfîrsten aus den Jahren 1666 und 1667 – zu diesem Zeitpunkt war Friedrich Wilhelm nicht mit Frankreich verbîndet gewesen – waren allerdings erfolglos geblieben. Ein Teil der zugehçrigen Korrespondenz ist in deutscher ˜bersetzung abgedruckt bei: Horsta Krum, Preußens Adoptivkinder. Die Hugenotten. 300 Jahre Edikt von Potsdam, Berlin 1985, S. 25. 70 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 44. 71 Vgl. dazu die Ausfîhrungen bei B. Dçlemeyer, Die Aufnahme … (s. Anm. 51), S. 37 – 39. 72 Vgl. zu der Konzession Thomas Klingebiel, Die hessische „Freiheitskonzession“ vom 18. April 1685, in: 300 Jahre Hugenotten in Hessen. Herkunft und Flucht, Aufnahme und Assimilation, Wirkung und Ausstrahlung, hg. v. Magistrat der Stadt Kassel – Stadtmuseum, Kassel 1985, S. 85 – 94. 73 Die Petition wird zitiert bei: Eckart Birnstiel, Die Aufnahme hugenottischer Glaubensflîchtlinge in Brandenburg-Preußen: ein Akt der Toleranz? in: Andreas Flick / Albert de Lange (Hg.), Von Berlin bis Konstantinopel. Eine Aufsatzsammlung zur Geschichte der Hugenotten und Waldenser (= Geschichtsbltter der deutsche Hugenotten-Gesellschaft, 35), Bad Karlshafen 2001, S. 9 – 33, hier S. 14.

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von Potsdam zu einer politischen Lçsung des Flîchtlingsproblems.74 Bereits im Oktober 1685 in rund 2.000 Exemplaren in franzçsischer und deutscher Sprache gedruckt,75 wurde es umgehend an die Residenten des Kurfîrsten in den Haag, Amsterdam, Hamburg, Kçln und Frankfurt/Main, und damit den Sammelstellen der franzçsisch-reformierten Flîchtlinge verschickt. Außerdem wurden 500 Exemplare heimlich nach Frankreich und in die Schweiz geschafft. Da die kurfîrstlichen Flîchtlingskommissare zudem Nachdrucke herstellen ließen, dîrfte eine Gesamtauflage von mindestens 5.000 Stîcken erreicht worden sein.76 Das Edikt von Potsdam77 enthielt Bestimmungen und Vergînstigungen, die keineswegs neu waren: Entweder verfîgten die sich bereits im Lande befindlichen r¤fugi¤s îber ganz hnliche Rechte,78 oder sie waren in den vorangegan74 Das in franzçsischer Sprache verfaßte Konzept des Edikts stammte von dem Geheimen Kammersekretr Heinrich Rîdiger von Ilgen. Die Textredaktion nahm der Geheime Rat Paul von Fuchs vor. Vgl. dazu Meta Kohnke, Das Edikt von Potsdam. Zu seiner Entstehung, Verbreitung und ˜berlieferung, in: Jahrbuch fîr die Geschichte des Feudalismus 9 (1985), S. 241 – 275. 75 Der Drucker war der Berliner Hofbuchdrucker Georg Schultze. Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 46. 76 M. Kohnke, Das Edikt … (s. Anm. 74), S. 254 – 257. 77 Vgl. den zweisprachigen Abdruck bei Eduard Muret, Geschichte der Franzçsischen Kolonie in Brandenburg-Preußen unter besonderer Berîcksichtigung der Berliner Gemeinde, Berlin 1885, S. 301 – 306. Neben der bereits genannten Spezialliteratur zum Edikt von Potsdam von B. Dçlemeyer, Die Aufnahme … (s. Anm. 51), passim; Dies., Die Aufnahmeprivilegien … (s. Anm. 54), passim; J. Wilke, Berlin … (s. Anm. 56), passim; E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), passim; M. Kohnke, Zur Vorgeschichte … (s. Anm. 60), passim; und Dies., Das Edikt … (s. Anm. 74), passim, sei auf folgende Arbeiten hingewiesen: Dies., Zur Vorgeschichte, Entstehung und Bedeutung des Edikts von Potsdam, in: Hans-Joachim Giersberg (Red.), Das Edikt von Potsdam 1685. Die franzçsische Einwanderung in Brandenburg-Preußen und ihre Auswirkungen auf Kunst, Kultur und Wissenschaft, Potsdam 1985, S. 7 – 13; Lieselott Enders, Das Potsdamer Edikt von 1685, in: Mrkische Heimat. Beitrge zur Heimatgeschichte des Bezirks Potsdam 4 (1985), S. 23 – 35; Hans-Joachim Beeskow, Das Edikt von Potsdam und seine Vorgeschichte, in: Standpunkt. Evangelische Monatsschrift 13 (1985), S. 43 – 45, S. 95 – 96, S. 135 – 137, S. 266 – 268; Ernst Mengin, Das Edikt des Großen Kurfîrsten von Brandenburg, in: DtHugenott 36 (1972), S. 46 – 54; Bruno Zilch, Das Edikt von Potsdam. Zur 300. Wiederkehr der Aufnahme der R¤fugi¤s in Brandenburg-Preußen, in: ZGWiss 33 (1985), S. 823 – 837. Vor allem die Vorgeschichte betrachtet Hans-Joachim Beeskow, Zur Vorgeschichte des Edikts von Potsdam, 1685. Bemerkungen zur Kirchenpolitik des brandenburgischen Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, in: JbBrandenbLdG 35 (1985), S. 53 – 62; die Folgen des Edikts fîr die Entwicklung der Uckermark diskutiert schließlich Lieselott Enders, Auswirkungen des Potsdamer Edikts von 1685 auf die Uckermark, in: Beitrge zur uckermrkischen Kirchengeschichte 11 (1985), S. 1 – 39. 78 Vgl. § 13 des Edikts abgedruckt bei E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 306.

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genen Edikten fîr Einwanderer79 schon einmal festgehalten worden. Das Edikt bestand aus insgesamt vierzehn Artikeln und einer bewußt politisch akzentuierten Prambel,80 in der unter Hinweis auf die konfessionellen Grînde fîr den Erlaß des Edikts auf die Verfolgung der Flîchtlinge in Frankreich Bezug genommen wurde. Außer der Organisation der Einwanderung und der Niederlassung der Flîchtlinge (Artikel 1, 2, 3, 14) wurde in den einzelnen Abschnitten die fiskalische, çkonomische, juristische, konfessionelle und administrative Eingliederung der Einwanderer in Brandenburg-Preußen geregelt. Bedeutsam waren insbesondere die wirtschaftlichen Privilegien wie die Zollfreiheit auf smtliche mitgefîhrte Mobilien und Waren, eine zeitweilige Steuerbefreiung sowie die Zusage von Subventionen und Hilfe zur Existenzgrîndung (Artikel 4, 5, 6, 8, 9). Juristisch stellte das Edikt die Ankçmmlinge den einheimischen Untertanen gleich. Sie erhielten die bîrgerlichen und Zunft-Rechte und wurden von jeglicher zugehçrigen Aufnahmegebîhr befreit. Zugleich legte das Edikt das Fundament fîr ein besonderes Rechtsprechungsverfahren der Franzosen und sicherte die Standesprivilegien des hugenottischen Adels (Artikel 7, 10, 12). In konfessioneller Hinsicht wurde den Flîchtlingen Glaubensfreiheit zugesichert sowie die Ausîbung des Kultus in franzçsischer Sprache, nach der ihnen gelufigen Art und mit eigenen Geistlichen (Artikel 11). Mochte der Kurfîrst sein Handeln auch primr konfessionell begrîndet haben, so zeigt die detaillierte Analyse des Privilegs, daß es vor allem demographisch-çkonomische und nicht religiçse Interessen gewesen sein dîrften, die ihn zum Handeln bewogen hatten. Dem Charakter nach handelte es sich bei dem Edikt von Potsdam um eine Art „Werbeschrift“:81 Sie sollte zwecks Peuplierung Flîchtlinge von franzçsisch-reformierter Konfession in die Territorien des brandenburgischen Kurfîrsten bringen. Die mit dem Edikt meist verbundene Vorstellung eines Aktes von Toleranz seitens des Großen Kurfîrsten erscheint im Licht neuerer Forschungen hingegen schwer aufrechtzuerhalten sein. Die Hugenotten sollten nicht etwa als Fremde mit minderem Status in Brandenburg-Preußen geduldet werden – was um 1685 als „tolerant“ galt. Sie wurden vielmehr als „Aufbauhelfer des zerstçrten Landes willkommen geheißen und als protestantische Glaubensgenossen des Herrscherhauses in den Staat der Hohenzollern eingegliedert“.82 Die im Potsdamer Edikt enthaltenen Niederlassungsprivilegien wurden bis ins 18. Jahrhundert hinein von den Nachfolgern des Kurfîrsten Friedrich 79 Vgl. dazu M. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Colonisationen … (s. Anm. 60), S. 36 – 38. 80 Vgl. hierzu und zum Folgenden den zweisprachigen Abdruck des Edikts bei E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 301 – 306. 81 So auch E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 16. 82 Vgl. dazu E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 24.

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Wilhelm mehrfach besttigt, teilweise erweitert und differenziert.83 Friedrich III./I. [1657 (Kurfîrst: 1688, Kçnig: 1701) – 1713] harmonisierte die Sondergesetzgebung zunchst intern, indem er 1696 die steuerrechtliche Gleichstellung smtlicher in seinen Territorien lebenden r¤fugi¤s verfîgte. Extern paßte er die Gesetzgebung 1709 mit dem sogenannten Naturalisationsedikt an die innenpolitischen Verhltnisse im Lande an: Die Zuwanderer aus Frankreich wurden den Einheimischen als Untertanen vçllig „egalisiret“.84 1720 dehnte Friedrich Wilhelm I. [1688 (1713) – 1740] die Privilegien auf jene Spteinwanderer aus, die sich den bestehenden sogenannten Franzçsischen Kolonien (vgl. dazu § 3 dieses Beitrages) anschließen wollten. Damit war die Rahmengesetzgebung fîr die r¤fugi¤s, die im Edikt von Potsdam ihren Ausgangspunkt gehabt hatte, im Grunde abgeschlossen. Friedrich II. [1712 (1740) – 1786] besttigte bei seinem Regierungsantritt die Privilegien der r¤fugi¤s nur noch einmal. Durch die von ihm veranlaßte §ffnung der Franzçsischen Kolonien fîr alle „Fremden“ – gemeint waren damit nichtpreußische Untertanen, die sich im Lande ansiedeln wollten – in den Jahren 1751 beziehungsweise 177285 beschleunigte er deren Auflçsungstendenzen, denn dadurch gestaltete sich die Abgrenzung von Angehçrigen der Kolonien gegenîber der îbrigen Bevçlkerung als noch schwieriger (vgl. dazu § 6 dieses Beitrages).

§ 3 Die Franzçsischen Kolonien in Brandenburg-Preußen (1685 – 1809) Einige Stdte wie Stendal, Brandenburg, Magdeburg oder Halle waren den r¤fugi¤s im Edikt von Potsdam ausdrîcklich als Niederlassungsorte vorgeschlagen worden86 – hier schien eine Erhçhung der Bevçlkerungszahlen und eine Ansiedlung von Handwerk und Gewerbe besonders dringlich. Dennoch sollten sich die meisten franzçsisch-reformierten Flîchtlinge nicht dort, sondern in 83 Vgl. dazu und im Folgenden E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 50 – 51. Dort finden sich auch die Angaben îber den Abdruck der zugehçrigen Privilegien. 84 Vgl. dazu den Abdruck des Naturalisationsedikts vom 13. 5. 1709 bei E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 307. 85 1751 wurde festgelegt, daß jede Person, die sich in Preußen niederlassen wollte, grundstzlich in eine Franzçsische Kolonie aufzunehmen sei. 1772 wurde das Wahlbîrgerrecht eingefîhrt, wonach jeder „Fremde“ whlen konnte, unter welche Gerichtsbarkeit, die franzçsische oder deutsche, er fallen wolle. Vgl. dazu u. a. Ursula FuhrichGrubert, „Refugirte“ und „Emigrirte“ im Berlin des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zur Konstruktion von kultureller Identitt einer Migrationsbewegung, in: Comparativ 7 (1997), S. 111 – 134. 86 Vgl. dazu den Abdruck des Edikts von Potsdam bei E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 303.

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Berlin und seinen Vorstdten ansiedeln. Im Jahre 1700 wurden hier 5.869 „refugierte“ Personen gezhlt, womit zu diesem Zeitpunkt knapp 40 Prozent aller franzçsisch-reformierten Flîchtlinge in Brandenburg-Preußen Berlin als Zufluchtsort gewhlt hatten.87 Neben dem Status der Stadt als brandenburgische Haupt- und Residenzstadt hat fraglos vor allem die Existenz einer franzçsisch-reformierten Kirchengemeinde (seit 1672) zu dieser Entwicklung beigetragen. Als das Edikt von Potsdam am 29. Oktober 1685 erlassen wurde, gab es in Berlin somit bereits eine Ansiedlung von reformierten Franzosen. Die erste Neugrîndung einer Franzçsischen Kolonie im Jahre 1685 fand dann am 22. Dezember des Jahres in Kleve am Niederrhein statt.88 Es handelte sich um eine sogenannte „Haupt-Kolonie“, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die dortigen r¤fugi¤s îber eine eigene Franzçsische Kirche verfîgten, alternativ îber einen eigenen franzçsisch-reformierten Geistlichen und/oder einen franzçsischen (Schieds-) Richter. Neben solchen Haupt-Kolonien existierten bis 1809, dem Jahr der Auflçsung aller Franzçsischen Kolonien, noch sogenannte NebenKolonien oder Annexe, in denen aufgrund des Fehlens „refugierter“ Amtspersonen die konfessionellen, juristischen, fiskalischen und çkonomischen Privilegien der ansssigen r¤fugi¤s oft nur eine begrenzte Verwirklichung erfuhren. Bis zum Beginn des Jahres 1689 entstanden neben der in Kleve noch 24 weitere Haupt-Kolonien, insbesondere in den Marken Brandenburgs (16 Niederlassungen einschließlich Berlins), die so zum Zentrum dieser ersten Grîndungswelle wurden.89 Parallel kam es in Vorpommern und Ostpreußen nur zu jeweils einer Neugrîndung (Stargard und Kçnigsberg/Pr.).90 Die îbrigen neu geschaffenen Franzçsischen Kolonien verteilten sich in diesem Zeitraum auf das Herzogtum Magdeburg und den ußersten Westen des brandenburg-preußischen Herrschaftsgebiets, auf das Herzogtum Kleve. 1691 kam es zu einer zweiten Grîndungswelle: Mindestens vier hugenottische Ansiedlungen entstanden. Mit einer Ausnahme lagen sie alle in den Marken.91 Eine dritte 87 Jîrgen Wilke, Zur Sozialstruktur und demographischen Analyse der Hugenotten in Brandenburg-Preußen, insbesondere in Berlin, in: Ingrid Mittenzwei (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 60), S. 27 – 99, hier S. 51: Tabelle 1, und S. 52: Tabelle 2. 88 Vgl. dazu FranÅois David, Les colonies des r¤fugi¤s protestants franÅais en Brandenbourg-Prusse (1685 – 1809): institutions, g¤ographie et ¤volution de leur peuplement, in: BullSocHistProtFranÅ 140 (1994), S. 111 – 142, hier S. 115. 89 Das heißt in der Mittelmark einschließlich Berlins, in der Altmark im Westen, und in der Uckermark im Norden, jedoch nicht in der çstlich der Oder gelegenen Neumark, in der sich îberwiegend Adelsherrschaften etabliert hatten. Vgl. dazu auch F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 115 – 116, Anm. 16. Vgl. dazu ferner die Auflistung bei E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 25 – 27. 90 Vgl. dazu F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 119. 91 In der Literatur finden sich Unterschiede bei der Angabe der Kolonien: Whrend Jîrgen Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie, in: G. Bregulla (Hg.),

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Grîndungswelle setzte schließlich acht Jahre spter ein: 1699 wurden mindestens fînf weitere Haupt-Kolonien etabliert.92 Der Schwerpunkt lag erneut in Brandenburg. Zwischenzeitlich war jeweils eine Kolonie in Duisburg (1696) und in Minden (1698) angelegt worden. Nach der Jahrhundertwende kamen bis 1731, dem Jahr der letzten Neugrîndung einer Franzçsischen Kolonie in Preußen, nochmals mindestens neun weitere Kolonien hinzu,93 die nunmehr allerdings relativ gleichmßig îber die Territorien des brandenburgischen Kurfîrsten und preußischen Kçnigs (seit 1701) verteilt waren.94 Im vierten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts erreichte die Anzahl der Franzçsischen HauptKolonien mit mindestens 42 ihren Hçhepunkt. Zwei Kolonien waren zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits wieder eingegangen.95 Danach reduzierte sich deren Zahl weiter – langsam, aber kontinuierlich. Als die eigene Verwaltung der Franzçsischen Kolonien im Jahre 1809 aufgelçst wurde, waren es weniger als

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Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 54 – 87, hier die Tabellen auf S. 474 – 475, Battin, Parstein, Soest und Strasburg in der Uckermark und Neustadt an der Dosse nennt genauso wie E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 54, die letztgenannten unter Bezug auf E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), passim, und so auch E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), findet sich bei F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 117, Neustadt an der Dosse nicht. Da Birnstiel (E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 25) als Quelle seiner Zusammenstellung die Magisterarbeit von David (FranÅois David, Les Colonies franÅaises en BrandenburgPreußen 1685 – 1809. Ãtudes statistique de leur population [Magisterarbeit Universit¤ FranÅois-Rabelais], Tours 1992, 2: Base de donn¤es statistique) zugrundegelegt hat, die auch dem Aufsatz von F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), die Basis lieferte, dîrfte es sich beim dortigen Fehlen von Neustadt/Dosse um einen Irrtum handeln. Problematisch ist ferner, daß bei E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 27 außerdem noch Schmargendorf (Uckermark) als Haupt-Kolonie genannt wird. Auch hier gibt es in der Literatur Differenzen: whrend E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 54, und J. Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 474, Kolberg als Haupt-Kolonie mit Grîndungsdatum 1699 auffîhren, und damit von sechs neugegrîndeten Kolonien ausgehen, bezeichnet F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 118, Kolberg als Annex zu einer anderen Kolonie, das dementsprechend bei der Aufstellung der Haupt-Kolonien bei E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 25 – 27, fehlt. Nach E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 208, der wie F. David aus den Akten gearbeitet hat, allerdings leider keine differenzierten Angaben zu seinen Quellen gemacht hat, war dort jedoch von 1699 bis 1700 ein franzçsischer Geistlicher ttig. Es htte sich also bei Kolberg tatschlich um eine Haupt-Kolonie gehandelt. Auch hier differieren die Zahlen: Whrend J. Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 474 – 475, neun Kolonien aufzhlt, nennt E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 25 – 27, elf. Desgleichen F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 19. Vgl. die diesbezîglichen Angaben a. a. O., J. Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 474 – 475; oder E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 25 – 27. Vgl. dazu F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 130; ferner a. a. O., S. 117 – 118.

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zwanzig.96 Neben den Haupt-Kolonien existierten im Zeitraum von 1685 bis 1809 noch insgesamt etwa 200 Annexe oder Neben-Kolonien, deren Menge whrend des 18. Jahrhunderts hnlich zusammenschrumpfte wie die der HauptKolonien.97 Die verschiedenen Grîndungswellen der Franzçsischen Kolonien im Lande hingen eng mit innen- und außenpolitischen Entwicklungen und Aktivitten Brandenburg-Preußens, der anderen europischen Aufnahmelnder und vor 96 Vgl. dazu a. a. O., S. 117; ferner J. Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 474 – 475. 97 Vgl. die Auflistung bei F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 118 – 121. Zu den einzelnen Kolonien existiert mehr oder weniger umfangreiche Literatur. Neben der oben bereits genannten Literatur, die sich mit den Koloniegrîndungen im allgemeinen auseinandersetzt [E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61); E. Muret, Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 77); E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73); F. David, Les Colonies … (s. Anm. 88); und J. Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91)], sind in den Geschichtsblttern der Deutschen Hugenottengesellschaft seit deren Grîndung im ausgehenden 19. Jahrhundert immer wieder die Geschichten einzelner Kolonien behandelt worden (vgl. dazu die bis 1972 reichende Zusammenstellung von Walter Mogk, Die Verçffentlichungen des Deutschen Hugenotten-Vereins. Eine chronologische und bibliographische ˜bersicht (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins, 17, Heft 1), Braunschweig 1973). Einen ˜berblick zu den einzelnen Kolonien und ausgewhlte Literatur zu ihnen bietet: Johannes Bischoff / Eberhard von Harsdorf, Lexikon deutscher Hugenotten-Orte (= Geschichtsbltter des deutschen Hugenotten-Vereins, 22), Bad Karlshafen 1994. Schließlich sei noch auf die allerdings bereits schon ltere Bibliographie von Friedrich-Wilhelm Hussong, Literatur und Quellen zur Geschichte der Hugenotten und der Refugi¤s (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins NF, 7), Berlin 1936, verwiesen. Erwhnt werden sollen hier ferner Darstellungen, die jeweils eine Region im Blick haben: Thomas Klingebiel, Preußens Pilgervter. Die Hugenotten in Brandenburg, Pommern und (Ost-)Preußen, in: Bernhart Jhnig / Silke Spieler (Hg.), Kirchen und Bekenntnisgruppen im Osten des Deutschen Reiches. Ihre Beziehungen zu Staat und Gesellschaft, Bonn 1991, S. 31 – 46; Zygmunt Szultka, Die franzçsischen Kolonien im brandenburg-preußischen Pommern vom Ende des 17. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, in: Fr¤d¤ric Hartweg / Stefi Jersch-Wenzel (Hg.), Die Hugenotten und das Refuge: Deutschland und Europa (= Einzelverçffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 74), Berlin 1990, S. 129 – 139; Margarete Pick, Die franzçsischen Kolonien in der Uckermark (= Arbeiten des Uckermrkischen Museums- und Geschichtsvereins zu Prenzlau, 13), Prenzlau 1935; Lieselott Enders, Auswirkungen des Potsdamer Edikts von 1685 auf die Uckermark, in: Beitrge zur uckermrkischen Kirchengeschichte 11 (1985), S. 1 – 39; ferner Ursula Fuhrich-Grubert, Wegbereiter von Freiheiten? Hugenotten in der Uckermark. Ein Literaturbericht, in: Hugenotten 70.3 (2006), S. 91 – 127; und Karl Manoury, Die Geschichte der franzçsisch-reformierten Provinz-Gemeinden, Berlin 1961. Ausdrîcklich erwhnt werden muß hier die Arbeit von Henri Tollin, Geschichte der Franzçsischen Colonie zu Magdeburg, 3 Bde. in 6 Teilen, Halle 1886 – 1892, da darin die Geschichte der Gemeinden im gesamten Herzogtum Magdeburg abgehandelt wird und keineswegs nur die Geschichte der Gemeinde in der Stadt Magdeburg.

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allem Frankreichs zusammen: So ist die große Zahl von Kolonieneugrîndungen zwischen 1685 und 1688 als direkte Reaktion auf das Edikt von Fontainebleau beziehungsweise das Edikt von Potsdam zu verstehen.98 Die Grîndungswelle des Jahres 1691 steht in engem Zusammenhang mit der hugenottischen Fluchtbewegung aus der Pfalz: Nachdem sie im Verlaufe des Pflzischen Erbfolgekrieges (1688 – 1697) von franzçsischen Truppen besetzt worden war, wanderten viele Angehçrige der dort seit dem 16. Jahrhundert existierenden wallonischen Gemeinden, denen sich im Verlaufe der Zeit franzçsische Protestanten und Waldenser angeschlossen hatten, nach Brandenburg-Preußen aus.99 1699 schließlich kam eine große Gruppe von r¤fugi¤s, die sich zunchst in die Schweiz geflîchtet hatten, in das Land der Hohenzollern. Da der Unterhalt der Flîchtlinge in der Schweiz nicht mehr gewhrleistet war, immigrierten sie geschlossen, nachdem zuvor Verhandlungen mit Kurfîrst Friedrich III. zu einem positiven Ergebnis fîr sie gefîhrt hatten.100 Schlußendlich hatte die ˜bergabe des Fîrstentums Orange (ursprînglich ein oranisches Lehen) an Ludwig XIV. im Jahre 1703 mit der Folge eines Verbots der protestantischen Religionsausîbung im Lande sowie das Ende der Aufstnde in den Cevennen (1710) (vgl. § 1 dieses Beitrages) eine Fluchtwelle und damit auch Kolonieneugrîndungen in Brandenburg-Preußen zur Folge.101 Wenn Ostpreußen mit Ausnahme von Kçnigsberg erst im beginnenden 18. Jahrhundert als Siedlungsraum bedeutsamer wurde und auch in Hinterpommern erst jetzt zwei Kolonien entstanden,102 so hatte das folgende Grînde: zum einen war die Bevçlkerung Ostpreußens zu Beginn des Jahrhunderts infolge der Pest stark reduziert worden, so daß eine „Peuplierung“ zwingend notwendig schien, zum anderen ging es den preußischen Kçnigen darum, in neu hinzugewonnenen103 und weit entfernten104 Regionen des Herrschaftsgebiets mehr und mehr loyale Untertanen zu etablieren (vgl. dazu auch § 2 dieses Beitrages). Die meisten der Emigranten hatten, wenn sie an ihrem jeweiligen Bestimmungsort in Brandenburg-Preußen eingetroffen waren, sehr weite Strecken 98 99 100 101

F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 115. A. a. O., S. 123. Vgl. dazu E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 30. Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 52; ferner: Fred W. Felix, Die Ausweisung der Protestanten aus dem Fîrstentum Orange 1703 und 1711 – 13 (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 33), Bad Karlshafen 2000. 102 Es handelte sich um die Kolonien Pasewalk und Stettin. Vgl. dazu F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 130. Zu den pommerschen Kolonien vgl. Z. Szultka, Die franzçsischen Kolonien … (s. Anm. 97), S. 129 – 139. 103 So etwa in Hinterpommern, das seit 1721 zu Preußen gehçrte. Zu den ostpreußischen Kolonien T. Klingebiel, Preußens Pilgervter … (vgl. Anm. 97), S. 31 – 46. 104 Es handelte sich um den nordçstlichsten Teil Ostpreußens, das so genannte litauische Kammerdepartement, in dem die r¤fugi¤s angesiedelt wurden.

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zurîckgelegt, denn das brandenburg-preußische refuge wurde primr von Ankçmmlingen aus den sîdlichen Provinzen Frankreichs, aus dem Dauphin¤ und Vivarais, der Provence und dem Languedoc beherrscht. Sie stellten mehr als 10.000 Personen. Eine zweite Großgruppe stammte aus den nçrdlichen Landesteilen Frankreichs, den urbanen Zentren der Champagne, der Picardie, der ¡le de France und aus den Stdten Metz und Sedan. Es handelte sich insgesamt um etwa 2.500 Menschen. Die Herkunft der îbrigen Flîchtlinge war bisher nicht zu ermitteln.105 Parallel zur zunehmenden Anzahl der Franzçsischen Kolonien entwickelten sich die demographischen Daten der franzçsisch-reformierten Einwanderer und ihrer Nachkommen: Weihnachten 1689 lebten etwa 3.000 r¤fugi¤s in Brandenburg-Preußen (davon circa 300 in Berlin). Ende 1691 waren es etwa 5.000 Personen, 1701 um die 12.500 (davon etwa 6.000 in Berlin) und 1709 etwa 16.000. Zwischen 1730 und 1740 erreichte die Zahl der hugenottischen Untertanen im Hohenzollernstaat (ausgenommen Militrangehçrige) ihren Maximalwert mit etwas îber 18.000 Menschen. Mitgezhlt wurden dabei allerdings auch Kinder, die bereits im refuge geboren worden waren, ferner die erwhnten Waldenser, Wallonen und Pflzer. Tatschlich dîrfte die Gesamtzahl der Emigranten in diesem Zeitraum sogar noch etwas hçher gewesen sein, da weibliche r¤fugi¤s nach einer Eheschließung mit einem Nicht-Kolonisten in der Statistik nicht mehr auftauchten. Insgesamt sind die Zahlenangaben allerdings keineswegs genau, da Mehrfachzhlungen aufgrund von Wanderungsbewegungen durchaus vorkamen. Neben den Zivilisten gab es noch etwa 2.000 hugenottische Militrs. Sie standen unter einer eigenen Gerichtsbarkeit und gehçrten den Franzçsischen Kolonien damit nicht an, obwohl sie îblicherweise Angehçrige der Franzçsischen Kirche waren.106 Um 1740 hatte der preußische Kçnig also etwa 20.000 hugenottische Untertanen. Eingewandert dîrften zwischen 1685 und 1710 einschließlich Waldensern, Wallonen und Pflzern allerdings nur etwa 15.000 r¤fugi¤s sein.107 In der Folge nahm die Zahl der Koloniefranzosen bis etwa 1760 relativ stetig ab, um danach von etwa 15.000 langsam wieder auf etwas îber 17.000 Personen um 1806 anzusteigen. Whrend die Abnahme der Zahl eng mit der zunehmenden Akkulturation von Zuwanderern und Einheimischen (vgl. dazu § 6 dieses Beitrages) zusammenhing, gehçrte deren erneuter Anstieg nach 1760 in den Kontext der §ffnung der Franzçsischen Kolonien fîr alle „Fremden“. Der zuvor einsetzende und nicht mehr aufzuhaltende Austauschprozeß zwischen 105 Eckart Birnstiel, Gruppenidentitt und Sozialverhalten der Hugenotten in Brandenburg-Preußen, in: F. Hartweg / S. Jersch-Wenzel (Hg.), Die Hugenotten … (s. Anm. 97), S. 107 – 128, hier S. 109. 106 Vgl. dazu F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 123 – 125. 107 Vgl. dazu das Schaubild a. a. O., S. 125. Vgl. auch im folgenden.

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Franzçsischen Kolonien und deutscher Umgebung fîhrte dazu, daß immer mehr Koloniefranzosen und -franzçsinnen aus verschiedenen Grînden ihre Gemeinschaft verließen: etwa weil sie des Franzçsischen nicht mehr mchtig waren108 oder als Frauen eine Ehe mit einem Nicht-Kolonisten schlossen.109 Zugleich heirateten deutschsprachige Frauen in die Kolonie ein und infolge des 1772 dezidiert zugestandenen „Wahlbîrgerrechts“ (vgl. dazu Anm. 85 dieses Beitrages) war jedem „Auslnder“ nunmehr die Wahl einer ihm genehmen Gerichtsbarkeit und damit die Aufnahme in die Franzçsische Kolonie ermçglicht.110 Aufgrund der eindeutigen Vorteile, die das klare und homogene franzçsische Rechtssystem, das in den Franzçsischen Kolonien galt, gegenîber der sehr unîbersichtlichen, auch weil insgesamt uneinheitlichen, Rechtssituation in Preußen besaß,111 bemîhten sich selbst zuziehende Deutsche oder Katholiken um die Aufnahme in die Franzçsischen Kolonien – ein Phnomen, das bereits lange vor 1772 einsetzte.112 Regional gesehen war und blieb Berlin mit seinen Vorstdten das demographische Zentrum des refuge in Brandenburg-Preußen. Dort war die îberregionale Administration der Franzçsischen Kolonien und Kirche (vgl. dazu die als Anhang beigefîgte tabellarische ˜bersicht) zu finden, dort gab es die meisten sozialen Einrichtungen jener Kirche, dort konnten sich die Einwanderer und ihre Nachkommen noch am ehesten der Illusion hingeben, „Frankreich in Preußen“113 gefunden zu haben: Um 1700 war jeder vierte Berliner ein Franzose.114 Im Durchschnitt lebten dort 45 Prozent aller franzçsisch-reformierten Einwanderer und ihrer Nachkommen, gefolgt von den Marken mit durchschnittlich 25 Prozent. Das heißt 70 Prozent aller Koloniefranzosen in Brandenburg-Preußen lebten in einem Umkreis von 150 km um und in Berlin. 108 A. a. O., S. 135. 109 Vgl. dazu: Reglements fîr die Compagnie des Consistoriums der franzçsischen Kirche zu Berlin, hg. v. der Compagnie des Consistoriums, Berlin 1876, passim. 110 Vgl. dazu F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 137 – 138. Ausfîhrlicher dazu U. Fuhrich-Grubert, „Refugirte“ … (s. Anm. 85), S. 111 – 134. 111 Vgl. dazu Klaus Brandenburg, Die Rechtsprechung in der Kolonie, in: G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 281 – 297, hier S. 296 f. Erst das Allgemeine Landrecht fîr die Preußischen Staaten von 1794 sollte zu einer Vereinheitlichung des Rechts in Preußen fîhren, obwohl formal die Provinzial- und Statuarrechte weiter gîltig waren. Sie wurden jedoch zunehmend durch das Allgemeine Landrecht verdrngt. Mit diesem erfolgte zudem die Unterordnung der R¤fugi¤s unter preußisches Recht, obwohl die franzçsischen Gerichte erhalten blieben. 112 Vgl. dazu ausfîhrlich U. Fuhrich-Grubert, „Refugirte“ … (s. Anm. 85), S. 121 – 126. 113 So Pastor Abel Burja in seiner Festpredigt des Jahres 1785. Vgl. Abel Burja, Sermon du pasteur A. Burja, in: L’heureuse colonie, ou c¤l¤bration du Jubil¤ des colonies franÅoises ¤tablies dans les Etats du Roi: consistant en un Recueil de Sermons prononc¤s dans les cinq paroisses franÅoises de Berlin, Berlin 1785, S. 15. 114 Vgl. dazu E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 34.

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Whrend diese Region ihre Bedeutung als Einwanderungsgebiet und Lebensraum fîr die r¤fugi¤s und ihre Nachkommen durchgngig beibehielt, wurden der ußerste Westen und das Herzogtum Magdeburg im Verlaufe der Zeit fîr die Einwanderer zunehmend uninteressanter. Lebten bis 1700 noch etwa 25 Prozent der Flîchtlinge dort, so nderte sich das in der Folge – nicht zuletzt aufgrund der herrschaftlichen Vorgaben. Um 1740 sah die Verteilung dann folgendermaßen aus: etwa 11 Prozent der r¤fugi¤s lebten im Herzogtum Magdeburg, 2 Prozent am Niederrhein, 12 Prozent in Ostpreußen und 5 Prozent in Hinterpommern.115 Durch Gebietserweiterungen des preußischen Staates kamen schließlich nach 1792 noch zwei weitere Franzçsische Kolonien hinzu: aufgrund des Erwerbs der Markgraftîmer Ansbach und Bayreuth durch Preußen die Kolonie in Erlangen (1792) und infolge der sogenannten zweiten Teilung Polens, die Danziger Kolonie (1793).116 Wie schon die hohe Anzahl von Koloniefranzosen in Berlin vermuten lßt, zog die Mehrzahl der franzçsisch-reformierten Immigranten und ihrer Nachkommen das Leben in einer Stadt dem auf dem Lande vor. Das Verhltnis von stdtischen zu lndlichen Kolonien betrug 1699 etwa drei zu eins.117 Praktisch beherbergten smtliche großen Stdte in Brandenburg-Preußen im ausgehenden 17. Jahrhundert eine Hugenottenkolonie.118 Im 18. Jahrhundert verstrkte sich die Tendenz zur Verstdterung des refuge erneut. So existierten tatschlich nur zwei lndliche Zentren hugenottischer Ansiedlung in den hohenzollernschen Territorien: zunchst bereits im 17. Jahrhundert die Uckermark,119 spter – jedoch in geringerem Umfang – der Norden Ostpreußens.120 Das unausgeglichene Verhltnis von stdtischem zu lndlichem refuge erklrt sich genauso wie dessen spezifische soziale Zusammensetzung aus der primr urbanen Herkunft 115 116 117 118

Vgl. dazu das Schaubild bei F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 126. Vgl. dazu a. a. O., S. 118. Vgl. die Auflistung bei F. David, Les colonies … (s. Anm. 88), S. 118 – 121. So E. Birnstiel, Die Aufnahme … (s. Anm. 73), S. 22. Allerdings betont er zugleich, daß sich die Kolonien gut ausgewogen auf Stadt und Land verteilten, was jedoch der genaueren Betrachtung der bei ihm angegeben Kolonistenzahlen nicht entspricht. Vgl. a. a. O., S. 25 – 27. 119 Vgl. dazu Jîrgen Wilke, Der Einfluß der Hugenotten auf Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, in: Manfred Stolpe / Friedrich Winter (Hg.), Wege und Grenzen der Toleranz. Edikt von Potsdam 1685 – 1985, Berlin 1987, S. 36 – 50, hier S. 38. Ausfîhrlich zur Siedlung in der Uckermark: M. Pick, Die franzçsischen Kolonien … (s. Anm. 97), passim; ferner L. Enders, Auswirkungen … (s. Anm. 97), S. 1 – 39; und Werner Lippert, Geschichte der 110 Bauerndçrfer in der nçrdlichen Uckermark (= Mitteldeutsche Forschungen, 57), Kçln/Wien 1968, passim. 120 Vgl. dazu E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 234 – 236; ferner: Horst Kenkel, Franzçsische Schweizer und R¤fugi¤s als Siedler im nçrdlichen Ostpreußen (Litauen) 1710 – 50 (= Sonderheft des Vereins fîr Familienforschung in Ost- und Westpreußen, 13), Hamburg 1970, passim.

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der Immigranten: Stammten doch 50 bis 60 Prozent der Flîchtlinge aus Stdten und Kleinstdten. Dementsprechend hufig waren Hndler, Krmer und Handwerker unter den r¤fugi¤s (75 Prozent) vertreten,121 whrend der Anteil von Bauern weit geringer (13 Prozent) war. Das dîrfte auch auf deren strkere Bodenstndigkeit und dem grundstzlich geringeren Anteil von Bauern unter den Hugenotten in Frankreich zurîckzufîhren sein.122 Adlige, Militrs und hohe bîrgerliche Beamte machten etwa 5 Prozent aller Einwanderer aus. Mit 7 Prozent war der Anteil gebildeter r¤fugi¤s wie ørzte, Apotheker, Juristen, Theologen und Lehrern betrchtlich –123 in Berlin lag er sogar bei 13 Prozent.124 Hintergrund dafîr waren zum einen die Bestimmungen des Edikts von Fontainebleau, wonach smtliche reformierte Theologen, sofern sie nicht konvertierten, Frankreich umgehend zu verlassen hatten, zum anderen stellte Berlin das Zentrum der refugierten Administration dar. Whrend es dem Kurfîrsten also grundstzlich gelang, wissenschaftliches und handwerkliches „Know-how“ ins Land zu ziehen (vgl. hierzu auch § 5 dieses Beitrages), hatte sein Bemîhen, Kapital, das heißt, kapitalkrftige Bankiers oder Großmanufakturiers nach Brandenburg-Preußen zu holen, nur relativ geringen Erfolg:125 In Berlin zhlten allein 7 Prozent der r¤fugi¤s zu dieser Gruppe.126 Insgesamt handelte es sich beim brandenburg-preußischen refuge dennoch oder gerade deshalb „um eine nahezu komplette franzçsische Gesellschaft [hugenottischer Provinienz] en miniature“.127 Parallel mit der Zunahme der Franzçsischen Kolonien bildete sich ihr Sonderstatus mit eigener Gerichtsbarkeit und Verwaltung heraus. Um 1720 war dieser Prozeß im wesentlichen abgeschlossen. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts blieben die zugehçrigen Institutionen bestehen. Als Vorbild fîr die besondere Form der hugenottischen Administration und Jurisdiktion dienten die Maßnahmen rund um die Ansiedlung von niederlndischen Kolonisten in Brandenburg in den fînfziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Die Niederlnder sollten eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit nach niederlndischem Muster erhalten – so lauteten zumindest die Forderungen der niederlndischen Kolonisationsunternehmer. Auch wenn die niederlndischen Kolonisationsversuche in Brandenburg-Preußen tatschlich kaum eine praktische Bedeutung fîr Brandenburg-Preußen haben sollten, so bereiteten sie immerhin den Boden fîr 121 122 123 124 125

Vgl. dazu Jîrgen Wilke, Der Einfluß der Hugenotten … (s. Anm. 119), S. 39. Vgl. dazu Ders., Zur Sozialstruktur … (s. Anm. 87), S. 34. J. Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 70. Vgl. dazu Tabelle 10 in: Ders., Zur Sozialstruktur … (s. Anm. 87), S. 65. Vgl. dazu Ders., Der Einfluß der Hugenotten … (s. Anm. 119), S. 39, allerdings ohne genaue Zahlenangaben. 126 Vgl. dazu Tabelle 10 in: J. Wilke, Zur Sozialstruktur … (s. Anm. 87), S. 65. 127 A. a. O., S. 34.

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die autonome kirchliche und bîrgerliche Verfassung der zukînftigen Franzçsischen Kolonien.128 Als erstes Verwaltungsorgan fîr die einwandernden Franzosen war am 23. November 1685 das „Kommissariat fîr Franzçsische Angelegenheiten“ (commissariat franÅais) unter Leitung des kurfîrstlichen Geheimrates, Generalkriegskommissars und Oberhofmarschalls Joachim Ernst von Grumbkow eingerichtet worden. Dem Generalkriegskommissariat angegliedert, sollte es als Aufsichts- und Kontrollorgan die Durchfîhrung der Bestimmungen des Potsdamer Edikts îberwachen.129 Am 12. Mai 1689 wurden die Kompetenzen des Kommissariats erweitert. Mit einem deutschen Direktor, dem chef de la nation, an der Spitze war es nunmehr fîr smtliche skularen Belange der franzçsischen Niederlassungen zustndig: das heißt, es war gleichermaßen mit der Kontrolle des Steuer-, Finanz- und Ordnungswesens der r¤fugi¤s betraut wie mit der Fçrderung ihrer wirtschaftlichen Unternehmungen. Im Juli 1708 wurde dem deutschen Koloniedirektor ein franzçsisches Konsultativgremium, die commission franÅaise zur Seite gestellt, eine nunmehr unabhngig vom Generalkriegskommissariat arbeitende Behçrde. 1718 schließlich wurde das Koloniedirektorium erneut umorganisiert und zusammen mit dem inzwischen ausgebildeten Selbstverwaltungsgremium der r¤fugi¤s, dem „Franzçsischen Rat“ (conseil franÅais) unter dem Namen Franzçsisches Oberdirektorium (grand directoire oder conseil franÅais) etabliert. In dieser stets von den r¤fugi¤s auf allen Verwaltungsebenen majorisierten Zusammensetzung blieb das Franzçsische Oberdirektorium bis zur Neuordnung der gesamten Behçrdenstruktur im Rahmen der preußischen Staatsreformen nach 1806 erhalten. Nur unmittelbar dem Kçnig verantwortlich, war es mit der franzçsischen Ministerialregistratur fîr den franzçsischen Etat, fîr alle Anliegen der Kolonisten und fîr die Bildung und Fçrderung von franzçsischen Manufakturen zustndig.130 An der Spitze der hugenottischen Administration stand weiterhin der oben erwhnte chef de la nation. Als der fîr die skularen Belange der franzçsischen Niederlassungen berufene Staatsminister saß er im Geheimen Rat des preußischen Kçnigs und leitete smtliche Koloniebehçrden.131 Auf Ebene der einzelnen Kolonien stan128 Werner Grieshammer, Studien zur Geschichte der R¤fugi¤s in Brandenburg-Preußen bis 1713, Berlin 1935, S. 19 – 28. 129 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 85; ferner J. Wilke, Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 55. 130 Vgl. dazu zum Beispiel E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 85 – 86. 131 Vgl. dazu Jîrgen Wilke, Rechtsstellung und Rechtssprechung der Hugenotten in Brandenburg-Preußen (1685 – 1809), in: R. v. Thadden / M. Magdelaine, Die Hugenotten 1685 – 1985 (s. Anm. 20), S. 100 – 114; ferner Ders., Zur Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 54 – 87; und E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 82 – 88.

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den dem Kolonieministerium als Vertretung der r¤fugi¤s die gewhlten Bîrgermeister gegenîber (maires ¤lus), die in der Regel auch das Amt des mit dem Edikt von Potsdam (§ 10) geschaffenen Schiedsrichters (arbitre) innehatten.132 Die bereits im Edikt von Potsdam (§ 10) erwhnten Schiedsrichter wiederum waren zunchst von den in den Stdten angesiedelten r¤fugi¤s aus ihrer Mitte gewhlt worden, um interne Streitigkeiten entsprechend ihrem Rechtsverstndnis zu schlichten. Bei Streitsachen zwischen Deutschen und Franzosen sollten sie mit dem einheimischen Magistrat zusammenarbeiten. Das auf diese Weise entstandene gemischte Justizkollegium war zudem fîr solche internen Streitigkeiten zustndig, die der Schiedsrichter in erster Instanz nicht hatte beilegen kçnnen. Der franzçsische Schiedsrichter hatte somit keine eigene Prozeßfîhrungskompetenz. Fîr ein ordentliches Verfahren auf zivil- oder strafrechtlicher Ebene war der Gerichtsstand des deutschen Magistrats maßgeblich. Das fîhrte in der Folge zu Schwierigkeiten in der praktischen Prozeßabwicklung. Problematisch war auch die Frage, fîr welchen Personenkreis die franzçsische Justiz îberhaupt zustndig war. Um diese Schwierigkeiten zu lçsen, wurden mit dem Edikt vom 19. Juni 1690 zunchst smtliche Koloniefranzosen ohne Rîcksicht auf den Zeitpunkt ihrer Einwanderung der franzçsischen Justiz unterstellt.133 Ausgenommen waren allein Soldaten, Geistliche und Hofbedienstete, die der Militr-, der Kirchen- oder der HausvogteiGerichtsbarkeit beziehungsweise seit 1718 dem Hofgericht unterstanden. Zugleich wurde ein verbindlicher Instanzenzug fîr die interne Prozeßfîhrung der franzçsischen Einwanderer festgelegt: Die Einzelrichter in den Franzçsischen Kolonien fîhrten demnach nur noch Gîteverfahren durch, whrend franzçsische Untergerichte, die an bestimmten Orten wie Berlin oder Magdeburg etabliert wurden und sich ausschließlich aus r¤fugi¤s zusammensetzten, nunmehr fîr alle ordentlichen Verfahren im Zivil- und Kriminalrecht zustndig waren. Das in Berlin ansssige Obergerichtskollegium schließlich wirkte als Berufungsinstanz bei einem Streitwert von îber sechs Talern. In Bezug auf die Revisionsverfahren wurden bis 1705 noch mehrere Modifikationen vorgenommen. Danach diente das tribunal d’Orange, das mehrheitlich aus emi132 Vgl. hierzu a. a. O., S. 87. 133 Vgl. dazu a. a. O., S. 83; ferner E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 27 – 28. Das Edikt vom 19. Juni 1690 ist abgedruckt bei: Christian Otto Mylius, Recueil des Edits, Ordonannance, Rºglements et Rescripts, contenant les privilºges et les droits attribu¤s aux Francois R¤fugi¤s, dans les Ãtats de Roi de Prusse, et reglant tant pour l’ecclesiastique que pour l’administration de la justice, ce qui concerne les Colonie FranÅoises ¤tablies dans les Ãtats de sa Majest¤. Auxquels on joints la discipline des Ãglises Reform¤es de France; et quelques autres ¤dits traduit de leur langues originale pour l’usage de ses Colonie (= Anhang zu: Ders., Corpus Constitutionem Marchicarum, 6), Berlin 1750, XXIV (83 – 86); ferner im Auszug bei E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 28.

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grierten Richtern des Fîrstentums Orange (s. o.) bestand, als ordentliches Apellationsgericht fîr alle Berufungsverfahren der franzçsischen Justiz in letzter Instanz.134 1716 wurde diese in franzçsischer Sprache urteilende Revisionskammer allerdings mit dem Preußischen Oberappelationsgericht vereinigt und auf diese Weise dem deutschen Justizwesen angegliedert. Als Direktor des franzçsischen Obergerichts, das wie alle anderen franzçsischen Gerichte, die Einzelrichter und die Untergerichtskollegien dem Franzçsischen Oberdirektorium unterstand, fungierte der oben bereits erwhnte chef de la nation. Das auf diese Weise an der Spitze in die deutsche Justiz eingegliederte franzçsische Justizwesen existierte bis 1809 beziehungsweise 1812.135 War seit 1690 der Fall zweier streitender franzçsischer Parteien nunmehr eindeutig an die franzçsische Justiz verwiesen, so entwickelte sich nach 1699 im Fall von deutsch-franzçsischen Streitfllen die Regel, daß der Klger dem Gerichtsstand des Beklagten zu folgen hatte. Im Falle der Verhandlung vor einem deutschen Gericht wurde im allgemeinen ein franzçsischer Richter hinzugezogen und umgekehrt. Darîber hinaus hatten die franzçsischen Richter Verwaltungsaufgaben im deutschen Rathaus zu erledigen, etwa als Mittler und Dolmetscher zwischen franzçsischem Gericht und deutschem Magistrat.136 Als Grundlage der Zivilrechtssprechung, in welche die Gewohnheitsrechte verschiedener Regionen Frankreichs und das geschriebene rçmische Recht einflossen, diente die sogenannte franzçsische Prozeßordnung aus dem Jahre 1699.137 In der Strafjustiz richteten sich die franzçsischen Gerichte zunchst nach dem Code Louis XIV (ordonnance criminelle von 1670).138 Seit 1742 mußten die franzçsischen Richter in Kriminalsachen jedoch die Prozeßordnung der deutschen Gerichte anerkennen, wobei den Angeklagten es allerdings gestattet war, ihre Verteidigung entsprechend dem Code Louis XIV einzubringen. Neben dem franzçsischen Recht waren in allen Streitsachen jedoch zugleich smtliche Verordnungen und Edikte der brandenburgischen Kurfîrsten und preußischen Kçnige zu berîcksichtigen. Seit 1691 wurde eine entsprechende Sammlung herausgegeben, die von Christian Otto Mylius erweitert und als 134 Vgl. dazu J. Wilke, Rechtsstellung … (s. Anm. 131), S. 104 – 110; vgl. auch im folgenden. 135 Diese Daten werden im folgenden ausfîhrlich erlutert. 136 Vgl. dazu J. Wilke, Rechtsstellung … (s. Anm. 131), S. 105 – 106. 137 Vgl. dazu a. a. O., S. 106; ferner E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 28. Ediert ist die franzçsische Fassung der Ordnung bei: C. O. Mylius, Recueil des Edits … (s. Anm. 133), hier XLV (133 – 190). 138 Vgl. dazu die verschiedenen Regelungen vom 25. April 1715 (a. a. O., LXXIII (457 – 462)), vom 2. September 1715 (a. a. O., CLXVI (697 – 699)), vom 22 Januar 1716 (a. a. O., CLXVII (700 – 702)), vom 13. Mrz 1717 (a. a. O., LXXX (483 – 488)), vom 15. Juni 1717 (a. a. O., LXXXIV (497 – 508)) und vom 8. Juni 1719 (a. a. O., XCVIII (543 – 552)).

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gesonderte Gesetzessammlung fîr die Franzçsische Kolonie aufgelegt wurde139 – ein fîr Preußen wohl einmaliger Vorgang. Nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon im Jahre 1806 und dem Zusammenbruch des preußischen Staates erfolgte dessen reformerische Umgestaltung, die schlußendlich zur Aufhebung der Franzçsischen Kolonien in Preußen fîhrte. Bis 1808 blieb die Struktur der franzçsischen Administration allerdings zunchst noch erhalten. Erste Eingriffe erfolgten im Zusammenhang mit der Proklamation der Stdteordnung vom 19. November 1808 und der Neuordnung der obersten Staatsbehçrden und der Provinzialverwaltung im Organisationsedikt vom 24. November desselben Jahres. Schließlich wurden mit der Kabinettsorder vom 30. Oktober 1809 smtliche Privilegien der Hugenottenkolonien in Preußen und deren Sonderstellung in bîrgerlicher wie rechtlicher Hinsicht beseitigt, ferner alle zugehçrigen Zivilverwaltungsbehçrden aufgehoben. Das Franzçsische Oberdirektorium fiel sofort weg, whrend das Franzçsische Obergericht erst 1810 aufgelçst wurde. Die Aufsicht îber die franzçsischen Koloniegerichte in der Kurmark wurde dem Kammergericht îbertragen. Diese Koloniegerichte blieben zunchst noch bestehen, nahmen aber keine neuen Streitflle mehr an und wurden nach erfolgter Abwicklung der Prozesse mit den deutschen Untergerichten vereinigt, was 1812 grundstzlich erfolgt war. Das Untergericht in Berlin war bereits ein Jahr zuvor aufgehoben worden. Mit den genannten Maßnahmen war die Skularverwaltung der Franzçsischen Kolonien in Preußen nach mehr als 120 Jahren endgîltig beseitigt. Wenn R¤fugi¤s-Nachkommen bis ins 20. Jahrhundert hinein noch immer von der Franzçsischen Kolonie in Preußen sprachen, so handelte es sich bei diesem Gebilde also nicht mehr um eine mit staatlichen Privilegien ausgestattete Institution wie in den Jahren bis zu den preußischen Reformen, sondern um die Reprsentation einer spezifischen hugenottischen Tradition und um eine Ausdrucksform ihrer Identitt.140

§ 4 Die Hugenotten in der Wirtschaft Brandenburg-Preußens Die Wirtschaft Brandenburg-Preußens hatte sich auch gegen Ende des 17. Jahrhunderts von den Folgen des Dreißigjhrigen Krieges noch keineswegs erholt. Weite Flchen in den primr landwirtschaftlich genutzten Territorien des 139 Vgl. dazu J. Wilke, Rechtsstellung …, (s. Anm. 131), S. 106 – 107. Die wichtigsten Gesetze wurden deutsch und franzçsisch gedruckt, wobei die franzçsische Version im allgemeinen als authentisch galt. Vgl. a .a. O., S. 107. Bei dem genannten Werk handelt es sich um C. O. Mylius, Recueil des Edits … (s. Anm. 133), Teil VI. 140 Vgl. zu den Vorstellungen îber die Franzçsische Kolonie seit 1809: E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 72 – 74, dort auch der Abdruck der Kabinettsorder vom 30. Oktober 1809, S. 310 – 311.

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Großen Kurfîrsten lagen brach. Es gab kaum Bodenschtze, eine nennenswerte gewerbliche Struktur fehlte und im Handel war das Land auf den Verkehr mit den unmittelbaren Nachbarstaaten beschrnkt.141 Hier versuchten nun Kurfîrst Friedrich Wilhelm und sein Sohn und Nachfolger Friedrich III./I. durch die Aufnahme einwanderungswilliger Fremder, unter anderem der Hugenotten, Abhilfe zu schaffen. Entsprechend den Vorstellungen der volkswirtschaftlichen Lehre des 17. Jahrhunderts, des Merkantilismus, bestand eine Wechselbeziehung zwischen Bevçlkerung und Produktion, zwischen Volksreichtum und Macht.142 Daß wirtschaftspolitische Aspekte bei der Ansiedlung der Hugenotten eine zentrale Rolle spielten, wurde bereits im Edikt von Potsdam sichtbar (vgl. dazu § 2 dieses Beitrages).143 Die darin enthaltenen wirtschaftlichen Privilegien machten die Intentionen des Kurfîrsten deutlich: So wurden etwa bestimmte Stdte im dritten Artikel des Edikts hervorgehoben,144 in denen eine Gewerbeansiedlung als besonders gînstig geschildert wurde, obwohl die Wahl des Niederlassungsortes grundstzlich nicht beschrnkt war. Przisiert wurde der Wunsch nach entsprechender Gewerbeansiedlung sodann in Artikel 8:145 Hier ging es um die Etablierung von Manufakturen. Neben Freiheiten und Privilegien, die zu deren Einrichtung nçtig waren, wurden die Produkte benannt, die insbesondere hergestellt werden sollten, nmlich Tuche, Stoffe und Hîte. In Artikel 7 des Edikts wurde schließlich klar gemacht, daß es bei der Einladung zur Einwanderung vor allem um die Verbreiterung des stdtischen Bîrgertums ging. Auch wenn eine Vorauswahl der Immigranten durch das Edikt grundstzlich nicht erfolgen sollte,146 so wurde dennoch eine Steuerung durch spezielle Angebote an besonders umworbene Gruppen wie etwa Handwerker versucht. Sie erhielten eine unentgeltliche Aufnahme in einheimische Innungen und Zînfte ausdrîcklich zugesagt.147

141 Stefi Jersch-Wenzel, Hugenotten in Preußen, in: Alexander Demandt (Hg.), Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Mînchen 1995, S. 158 – 171. 142 Vgl. dazu ausfîhrlich mit Blick auf die Hugenotten in Brandenburg-Preußen S. JerschWenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 40 – 42. 143 Vgl. dazu u. a. auch: Rudolf von Thadden, Einwanderer in fremdem Land. Die Hugenotten in der stndischen Wirtschaft Brandenburg-Preußens, in: Ders., Nicht Vaterland, nicht Fremde. Essays zu Geschichte und Gegenwart, Mînchen 1989, S. 9 – 18. 144 Es handelte sich um die Stdte Werben, Rathenow, Brandenburg und Frankfurt/Oder sowie Magdeburg, Halle, Calbe und Kçnigsberg/Pr. Vgl. den Abdruck des Edikts von Potsdam bei E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), hier S. 303. 145 Vgl. den Abdruck des Edikts von Potsdam, a. a. O., S. 305. 146 So gibt es keine Beschrnkungen, die bestimmte Immigrantengruppen ausschlossen. Vgl. den Abdruck des Edikts von Potsdam, a. a. O., S. 301 – 306. 147 Vgl. den Abdruck des Edikts von Potsdam, a. a. O., S. 304.

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Tatschlich brachten die Hugenotten im stdtisch-gewerblichen Bereich dann auch dort bisher nicht vorhandene Kenntnisse und Fertigkeiten nach Brandenburg-Preußen. Insbesondere im Rahmen der gewînschten Textilproduktion bettigten sie sich innovativ.148 Bisher unbekannte Berufe kamen mit ihnen in die Territorien des Großen Kurfîrsten wie etwa die Strumpfmacherei149 oder die Fabrikation gewirkter Tapeten und Gobelins.150 Gerade in der Textil- und Bekleidungsindustrie fertigten sie allerdings vor allem Luxuswaren. So waren die r¤fugi¤s von Beginn an auf dem Gebiet der Seidenindustrie151 mit allen ihren Untergruppen fîhrend – einem Gewerbe, das in Frankreich eine lange Tradition besaß.152 Sodann sorgten die Neuankçmmlinge fîr eine Verbesserung und Verfeinerung von Produkten, die in Brandenburg-Preußen bereits hergestellt wurden, etwa bei der Samtherstellung, aber auch in der Lederverarbeitung und hier besonders bei der Handschuhmacherei. Die Posamentiererei und Stickerei, die Perîckenmacherei, die Uhrenfabrikation, die Gold- und Silberverarbeitung sowie die Eisen- und Stahlverarbeitung, all diese „Industriezweige“153 entwickelten sich durch die r¤fugi¤s weiter.154 Alles das gilt allerdings primr fîr die großen Stdte, an erster Stelle fîr Berlin und dessen Vorstdte.155 In den kleineren franzçsischen Gemeinschaften der weiter çstlich gelegenen Landstriche hingegen konnten nur jene reformierten Franzosen Fuß fassen, die sich den dortigen Erwerbsbedingungen anzupassen verstanden.156 So setzten sich etwa die Franzçsischen Kolonien in 148 Vgl. dazu ausfîhrlich: S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 202 (hier vor allem der Hinweis auf die Luxusindustrien); ferner E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 41 – 44. 149 Zur Arbeit der Strumpfwirker in Berlin vgl. Stefi Jersch-Wenzel, Hugenotten in Berlin. Die Strumpfwirker zwischen ethnischer Identitt und wirtschaftlicher Integration, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, Berlin 1985, S. 7 – 16. 150 Vgl. Kurt Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685 – 1806 (= VerçffHistKommBerlin, 9), Berlin 21963, S. 231 – 232. 151 Eine erste Seidenmanufaktur wurde in Berlin 1687 von einem r¤fugi¤ gegrîndet. Vgl. Gustav Schmoller / Otto Hintze (Bearb.), Die preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begrîndung durch Friedrich den Großen, (= Acta Borussica. Denkmler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, 1, Nr. 1), Berlin 1892, S. 3; vgl. ferner S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 202 – 203. 152 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 114. 153 So der Begriff bei E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 41. 154 Vgl. dazu zum Beispiel: Stefi Jersch-Wenzel, Toleranz und §konomie im 18. Jahrhundert, in: F. Hartweg / S. Jersch-Wenzel (Hg.), Die Hugenotten … (s. Anm. 97), S. 147 – 157, hier S. 154 – 155; oder Ingrid Mittenzwei, Die Hugenotten in der gewerblichen Wirtschaft Brandenburg-Preußens, in: ZGWiss 34 (1986), S. 494 – 507. 155 So Thomas Klingebiel, Preußens Pilgervter … (s. Anm. 97), S. 31 – 46, hier S. 35. 156 A. a. O.

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Prenzlau oder in Strasburg/Uckermark – in jenen Stdten also, die als Handelsund Dienstleistungszentren der Uckermark fungierten – vor allem aus Vertretern des dort bekannten und bençtigten Handwerks sowie des Landhandels zusammen und nicht etwa aus Vertretern der Luxusindustrie. In den meisten kleineren Niederlassungsorten trugen die Hugenotten tatschlich eher dazu bei, demographische Defizite auszugleichen als neue Wirtschaftszweige einzufîhren.157 Die im Zusammenhang mit der Seidenindustrie vor allem im Berliner Raum gegrîndeten Manufakturen158 erwiesen sich zudem oftmals aus Mangel an qualifizierten Arbeitskrften, dem Fehlen eines Binnenmarktes fîr die primr hergestellten Luxuswaren und einer im Vergleich zu auslndischen Produkten schlechteren Qualitt als wenig lebensfhig. Daher zogen viele im gewerblichen Bereich ttige r¤fugi¤s die Arbeit als selbstndige Handwerker oder im Stîcklohn fîr einen Verleger zumindest in den Anfangsjahren grundstzlich der Arbeit in einer Manufaktur vor.159 Der Beitrag der Hugenotten im Bereich des Gewerbes bestand tatschlich weniger in der Einfîhrung und Verbreitung neuer Betriebsformen als „vielmehr in der Verbesserung der Qualitt und in der Erweiterung des Warenkatalogs, in der Einfîhrung effizienterer Methoden und feinerer Werkzeuge“.160 Im Bereich der Landwirtschaft, einem anderen im Edikt von Potsdam ausdrîcklich erwhnten wirtschaftlichen Bettigungsfeld der r¤fugi¤s (Artikel 9), erweiterten die Neuankçmmlinge die Produktion hinsichtlich der Anbauformen und -arten.161 Vor allem war es die Tabakproduktion in der Uckermark und im 157 Jean Pierre Erman / Pierre Christian Frederic Reclam, M¤moires pour servir ” l’histoire des Refugi¤s franÅois dans les Ãtats du Roi, 9 Bde., Berlin 1782 – 1799, hier 3, S. 376; ferner Charles Ancillon, Die Geschichte der Niederlassung der R¤fugi¤s in den Staaten Seiner Kurfîrstlichen Hoheit von Brandenburg, Berlin 1939 [Orig.: Histoire de l’Etablissement des FranÅois Refugiez dans les Etats de Son altesse Electorale de Brandebourg, Berlin 1690], S. 57 f.; ferner zusammenfassend: Thomas Klingebiel, Preußens Pilgervter … (s. Anm. 97), S. 35. 158 Seidenmanufakturen gab es aber zum Beispiel auch in Magdeburg, vgl. H. Tollin, Geschichte … (s. Anm. 97), 3, Tl. 1, S. 304. 159 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 107; ferner: Ingrid Mittenzwei, Hugenotten und Manufakturkapitalismus. Zur Rolle der Hugenotten in der gewerblichen Wirtschaft Brandenburg-Preußens, in: Dies. (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 60), S. 112 – 168, hier S. 129. 160 Zitiert nach S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 83. 161 Vgl. dazu ausfîhrlich H. Krum, Preußens Adoptivkinder … (s. Anm. 69), S. 103 – 114. Zur Wirkung der Einwanderer auf die landwirtschaftliche Entwicklung in Preußen vgl. auch Klaus Vetter, Die Hugenotten im System der ostelbischen Gutswirtschaft in der Mark Brandenburg, in: H. Duchhardt, Der Exodus … (s. Anm. 35), S. 141 – 154; ferner Jîrgen Wilke, Der Einfluß der Hugenotten auf die gewerbliche Entwicklung, in: G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 227 – 280, hier S. 268 – 270.

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Magdeburgischen Raum162 sowie die Einfîhrung von Gemîsen und Frîchten, die wie der Blumenkohl in Brandenburg-Preußen noch fremd waren, und die Verbreitung verfeinerter Gartenbaumethoden, die als Neuerungen zu betrachten sind.163 Im Warenhandel lag der Schwerpunkt hugenottischer Bettigung bei den Gegenstnden des gehobenen Konsums, also wie bei der Textilproduktion im Luxusbereich. Im Handel mit Kolonialwaren, Gewîrzen, Frîchten, Smereien, Apothekerwaren, Galanterie-, Parfîmerie- und Kurzwaren sowie mit franzçsischen, ungarischen und Rheinweinen oder mit Bîchern bestand das Metier der r¤fugi¤s. 164 Dabei blieben sie im allgemeinen den im Bereich des Handels îblichen Normen und Wertsetzungen verpflichtet: Weder priesen sie – wie etwa jîdische Hndler – ihre Waren an noch versuchten sie Konkurrenten zu unterbieten oder potentielle Kunden direkt zum Verkauf zu îberreden.165 So bestand ihre innovative Leistung im Handel vor allem darin, einem breiteren bîrgerlichen Publikum die Waren des gehobenen Konsums zugnglich zu machen, allerdings ohne daß dabei je eine Umorientierung ihrerseits auf die weiteren Bedîrfnisse dieser Bevçlkerungsschichten stattgefunden htte.166 Im Rahmen des Geldhandels erweiterten die r¤fugi¤s schließlich die vorhandene Anstze im Sinne einer Internationalisierung der Geschfte, das heißt aber auch, daß sie keine neuen Methoden des Geldhandels in ihr Aufnahmeland mitbrachten. Mochten die hugenottischen banquiers wie die deutschen Geldhndler in Brandenburg-Preußen auch – anders als die Geldhndler in Frankreich und England – fast durchgngig aus dem Warenhandel und nicht aus dem Geldwechsel hervorgegangen sein,167 so verfîgten sie als entscheidenden Vorteil gegenîber ihren deutschen Konkurrenten oftmals îber erstklassige Beziehungen in das ost- und westeuropische Ausland,168 die oftmals bereits in Frankreich angelegt worden waren und hufig auf verwandtschaftlichen Netzwerken be162 Die Kenntnisse dazu stammten vornehmlich von den so genannten Pflzern und Wallonen (vgl. dazu § 3 dieses Beitrages). Vgl. dazu H. Krum, Preußens Adoptivkinder … (s. Anm. 69), S. 112. 163 Vgl. J. Wilke, Gewerbliche Entwicklung … (s. Anm. 161), S. 269; ferner T. Klingebiel, Preußens Pilgervter … (s. Anm. 97), S. 35; E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 48 – 50; oder H. Tollin, Geschichte … (s. Anm. 97), 2, Tl. 1, passim. 164 Vgl. dazu S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 216; ferner ausfîhrlich J. P. Erman / P. C. F. Reclam, M¤moires … (s. Anm. 157), 6, S. 84 – 147. 165 So S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 216. 166 A. a. O. 167 A. a. O., S. 84. 168 So gab es Beziehungen in die Niederlande, nach England, Dnemark, Schweden, Rußland und nicht zuletzt auch noch immer nach Frankreich. Vgl. J. Wilke, Gewerbliche Entwicklung … (s. Anm. 161), S. 272 – 273, der beispielhaft auf den Kaufmann und Bankier Andr¤ Le Jeune eingeht; sowie allgemein S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 84 – 85.

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ruhten.169 Fîr manche der im internationalen Banken- und Finanzgeschft ttigen Hugenottenfamilien bedeutete das refuge keine Verringerung, sondern eher eine Ausdehnung und Verstrkung ihrer Geschfts- und Handelsbeziehungen.170 Wenn nicht wenige finanzielle Transaktionen der hugenottischen banquiers in Brandenburg-Preußen dennoch zu Mißerfolgen fîhrten und manch einer von ihnen Konkurs anmelden mußte, so ist das in der Regel weniger ihrem geringen Kçnnen als vielmehr der unterentwickelten Wirtschaftsstruktur und den zahlreichen staatlichen Reglementierungen im Lande zuzuschreiben.171 Auf handelsorganisatorischem Gebiet endlich waren die r¤fugi¤s tatschlich innovativ ttig: Mit dem zunchst in Berlin um 1690 erçffneten bureau d’adresse importierten sie eine wichtige und wirksame Neuerung im kaufmnnischen Bereich. Dabei handelte es sich um eine Institution, die durch die Verbindung von Pfandleihe, Stellennachweis, Auktionen und Vermittlung von Verkufen und Vermietungen den Informationsfluß innerhalb der stdtischen Kaufmannschaft erleichterte und beschleunigte und bald Nachahmung in anderen brandenburg-preußischen Stdten wie Potsdam, Halle, Magdeburg und Halberstadt fand.172 An der Etablierung einer fîr den Handelsverkehr außerhalb der einzelnen Stdte und mit dem Ausland wichtigen Institution, das heißt an der Etablierung einer Bçrse, hatte ein Angehçriger der in Berlin ansssigen Franzçsischen Kolonie ebenfalls maßgeblichen Anteil. Von Kurfîrst Friedrich Wilhelm schon 1685 per Dekret auf den Weg gebracht, sollte ein nicht abbrechender Bçrsenverkehr erst auf Betreiben des zur besagten Kolonie gehçrenden Messegroßhndlers und Seidenbandfabrikanten Wennemar Platzmann 1761 „an freigewhltem Ort und ohne jede behçrdliche Ordnung“173 zustan169 So Klaus Malettke, Kommentar zum Beitrag von Stefi Jersch-Wenzel, in: S. JerschWenzel / F. Hartweg (Hg.), Die Hugenotten … (s. Anm. 97), S. 159 – 164, hier S. 163 – 164. 170 Vgl. dazu Guy Chussinand-Nogaret, Les Financiers de Languedoc au XVIIIe siºcle (= Affaires et gens d’affaires, 35), Paris 1970, S. 191. 171 Vgl. dazu S. Jersch-Wenzel, Toleranz … (s. Anm. 154), S. 157, die diese Aussage allerdings primr auf die Anstrengungen der Hugenotten zur Herausbildung eines frîhindustriellen Manufakturwesens bezieht. 172 Vgl. dazu J. P. Erman / P. C. F. Reclam, M¤moires … (s. Anm. 157), 5, S. 33, S. 36, S. 38 und S. 85; sowie Martin Preetz, Die deutschen Hugenotten-Kolonien. Ein Experiment des Merkantilismus, phil. Diss. Jena 1930 (Masch.), S. 149; ferner S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 85. 173 So A. a. O., S. 230; ferner allgemein Georg Buss, Die Berliner Bçrse von 1685 – 1913. Zum 50. Gedenktage der ersten Versammlung im neuen Hause, Berlin 1913, passim; J. Wilke, Der Einfluß … (s. Anm. 121), S. 275 – 276 hingegen betont, daß auch schon im 17. Jahrhundert ein regelmßiger Bçrsenverkehr stattfand, wobei es ebenfalls die franzçsischen Einwanderer gewesen seien, die dabei das Sagen hatten, denn es war die kombiniert franzçsisch-deutsche Materialistengilde, in der sie „den Ton angaben“, welche die 1696 erçffnete Bçrse „betrieb“. Zudem stellten die r¤fugi¤s den ersten offiziellen Makler mit George David¤.

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dekommen. Insgesamt bewirkten die r¤fugi¤s im 17. wie 18. Jahrhundert also eher eine Verbreiterung vorhandener Grundlagen des brandenburg-preußischen Handels als daß sie, abgesehen von den erwhnten organisatorischen Innovationen, neue Normen setzten. Wie erwhnt lag der Schwerpunkt çkonomischer Innovationen seitens der r¤fugi¤s im gewerblichen Bereich sowohl hinsichtlich der Produkte als auch der Herstellungsweisen im Rahmen der Luxusindustrien, vor allem in der Seidenund seidenverarbeitenden Industrie.174 Die zentralisierte Manufaktur war dabei die vorherrschende Betriebsform.175 Grînde fîr die genannten Schwerpunkte sind in den staatlichen Unterstîtzungsmaßnahmen zu suchen, die vor allem diese Gewerbezweige und betrieblichen Organisationsformen erfuhren.176 Monopole, Privilegien, Schutzzçlle sowie Ein- und Ausfuhrverbote fîr bestimmte Produkte waren in diesem Zusammenhang an der Tagesordnung.177 Entsprechende Monopolgarantien, die vor allem Hersteller neuartiger Produkte (das erste derartige Privileg fîr einen r¤fugi¤ wurde am 12. Oktober 1685 fîr Daniel Michaud ausgestellt)178 oder Betreiber von Manufakturen erhielten, verhinderten in der Folge oftmals jahrzehntelang weitere Neugrîndungen.179 Die meist zugehçrigen Zoll- und Akzisemaßnahmen sollten sodann die im Lande befindlichen Produktionssttten vor auslndischer Konkurrenz schîtzen oder îberhaupt erst konkurrenzfhig machen. Die fîr die Luxusindustrie notwendigen Rohstoffe wie teilweise auch die Arbeiter beziehungsweise die Produktionskenntnisse mußten aus dem Ausland eingefîhrt werden, was die Preise der Waren erhçhte. Hinzu kam die produktionstechnische Rîckstndigkeit der in Brandenburg-Preußen gegrîndeten Manufakturen.180 Eine nur wenig entwi174 Vgl. dazu Hugo Rachel / Johannes Papritz / Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, neu hg., erg. und bibliographisch erw. v. Johannes Schultze / Henry C. Wallich / Gerd Heinrich (= VerçffVGBrandenb, ND 2 – 3) 3 Bde., Berlin 1967, hier 2, S. 80. Vgl. ferner Peter Landgrebe, Minorittsgruppe und wirtschaftliche Bedeutung: zum Einfluß der Hugenotten auf die deutsche Wirtschaftsentwicklung, phil. Diss. Mînchen 1977, passim. 175 Vgl. hierzu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 119; ferner S. Jersch-Wenzel, Toleranz … (s. Anm. 154), S. 154, S. 212 – 213 u. S. 215. 176 E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 119 – 120. Weiterhin gefçrdert wurden i. allg. Produzenten fîr den îberregionalen Markt und solche fîr den inneren Markt, welche mit ihrem Handel den Umfang und die Kapazitten des bisherigen Handels îberstiegen. A. a. O. 177 A. a. O., S. 120 – 121. 178 A. a. O., S. 120. Vgl. ferner zum Fall Michaud Carl Hinrichs (Bearb.), Die Wollindustrie in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. (= Acta Borussica, 2, Die einzelnen Gebiete der Verwaltung, 5), Berlin 1933, S. 733. 179 Vgl. E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 120; ferner C. Hinrichs, Die Wollindustrie … (s. Anm. 178), S. 739. 180 Vgl. dazu Warren C. Scoville, The Huguenots and the diffusion of Technology, in: JournPolEcon 60 (1952), S. 294 – 311 und S. 392 – 411.

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ckelte Arbeitsteilung fîhrte zu vergleichsweise hçheren Produktionskosten, so daß einheimische Luxusartikel im Vergleich zu auslndischen sehr viel teurer waren.181 Wenn auch der Ausgleich dieses Preisgeflles mit Hilfe der Zoll- und Akzisemaßnahmen gelang – so wurden etwa inlndische, in hugenottischen Manufakturen hergestellte Woll- und Seidenprodukte 1686 mit nur 1,5 Prozent, dieselben auslndischen jedoch mit 10 Prozent Impost belegt –,182 mangelte es dennoch an einem kapitalkrftigen Bîrgertum, das îber genîgend finanzielle Mittel verfîgte, um die fîr die Neugrîndungen notwendigen Investitionen zu ttigen.183 Hier sollten nun finanzielle Zuwendungen durch den Staat Abhilfe schaffen,184 obwohl ihnen enge Grenzen gesetzt waren. Die Dominanz des Heeres und der wachsende Finanzierungsbedarf der Armee, der sich im Verlaufe des 18. Jahrhunderts bis auf zwei Drittel der Staatseinnahmen erhçhte, ließ keine hohen Zuschîsse zu.185 Insgesamt existierten verschiedene Formen von Zuwendungen: angefangen bei der Schenkung von Betriebskapital îber Bereitstellung von Husern bis hin zu jhrlichen Pensionen fîr die Unternehmer, das heißt hier Gehltern.186 Staatliche Zuschîsse und Unterstîtzungen zogen zugleich eine immer umfassendere Staatsaufsicht îber die gewerblichen Unternehmungen nach sich, die aufgrund des mangelnden Eigenkapitals auf solche Zahlungen angewiesen waren. Das konnte am Ende dazu fîhren, daß die gesamte Leitung des Unternehmens in den Hnden des Staates lag.187 Eine letzte Mçglichkeit, um Produzenten schwer verkuflicher Waren verwaltungsmßig zu unterstîtzen, bestand in staatlichen Abnahmegarantien fîr

181 Vgl. E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 121; ferner ausfîhrlich Horst Krîger, Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen. Die mittleren Provinzen in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts (= Schriftenreihe des Instituts fîr Allgemeine Geschichte an der Humboldt-Universitt Berlin, 3) Berlin 1958, S. 308 – 309. 182 Vgl. dazu etwa C. Hinrichs, Die Wollindustrie … (s. Anm. 178), S. 733 – 734. 183 Vgl. E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 121. 184 Vgl. hierzu a. a. O.; ferner S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 130. 185 Vgl. dazu Otto Bîsch, Militrsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713 – 1807. Die Anfnge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft (Durchgesehene, um das Vorwort zur Taschenbuchausgabe und den bibliographischen Nachtrag erweiterte Edition), Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981, S. 2. 186 Dieses Procedere war jedoch keineswegs allein auf die r¤fugi¤s beschrnkt, sondern ein grundlegendes Strukturprinzip der merkantilistischen Wirtschaftsfçrderung. Die Darstellung folgt hier E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 121 – 122. 187 So geschah es zum Beispiel im Falle des aus Lyon stammenden Seidenfabrikanten Simond. Vgl. dazu G. Schmoller / O. Hintze (Bearb.), Die Seidenindustrie … (s. Anm. 151), 1, Nr. 216, S. 105 – 207.

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deren Produkte.188 Widerstand gegen die zentralisierenden staatlichen Maßnahmen, die schließlich auch die Rohstoffbeschaffung aus dem Ausland und die Organisation des auswrtigen Absatzes kontrollieren wollten, kam – allerdings nur vereinzelt – von Seiten franzçsischer Seiden- und Baumwollindustrieller, die zugleich Großhndler waren. Sie beharrten auf bestimmte, durch eigene Erfahrungen erprobte Handelsmçglichkeiten und lehnten die staatlichen Eingriffe ab.189 Grundstzlich fîhrten die entsprechenden Regelungen zwar zu Manufakturneugîndungen, doch waren diese Unternehmen in der Folge weiterhin auf Unterstîtzung angewiesen. Die erwhnten Zuwendungen wurden vom conseil franÅais (vgl. dazu § 3 dieses Beitrages) oder von den hugenottischen Handwerkern selbst oft bereits in die jeweilige Planung fîr die Unternehmen miteinbezogen.190 So verhinderten jene finanziellen und materiellen Zuwendungen letztlich eine Orientierung an den vorhandenen Produktions- und Absatzbedingungen und fîhrten zu einer Ausrichtung auf die îbertriebenen Exporterwartungen des Staates und auf die Bedîrfnisse der schmalen preußischen Oberschicht. Diese strukturelle Schwche der hugenottischen Unternehmen in den Textil- und Bekleidungsgewerben hatte nach Wegfall der vielfltigen Unterstîtzungsmaßnahmen zu Beginn des 19. Jahrhunderts oft ihren Zusammenbruch zur Folge.191 Whrend die r¤fugi¤s und ihre Nachkommen also an den Bemîhungen um die Herausbildung eines frîhindustriellen Manufakturwesens in BrandenburgPreußen trotz anfnglicher Zurîckhaltung durchaus beteiligt waren, zugleich aber von den durch den staatlichen Dirigismus aufgestellten Hindernissen gehemmt wurden, wirkte sich ihr aus Frankreich mitgebrachtes Wissen und ihre Erfahrung in der gewerblichen Produktion – und in geringerem Maße auch im Handel und in der Landwirtschaft – grundstzlich fçrderlich auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes aus. Dabei erwiesen sich die Spezialkenntnisse zugleich als das wichtigste Kapital, das ihnen vor allem innerhalb der Gewerbe eine hervorragende Stellung zuwies.192 Anfangs achteten die r¤fugi¤s auch sehr darauf, diese Spezialkenntnisse nur in den eigenen Reihen und in188 Ein Beispiel dafîr war der Umgang mit den Produkten des hugenottischen Gobelinwebers Charles Vigne um 1740. Vgl. dazu a. a. O., Nr. 62, 82 u. 219, S. 65, S. 88 – 90 u. S. 210. 189 So S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 216. 190 Vgl. dazu die Beispiele bei G. Schmoller / O. Hintze (Bearb.), Die Seidenindustrie … (s. Anm. 151), 1, Nr. 20, 21, 37, 46, 60, 156, 157 u. 159, S. 23 – 24, S. 33 – 34, S. 40 – 41, S. 64, S. 150 – 152 u. S. 152 – 153. 191 Vgl. Stefi Jersch-Wenzel, Ein importiertes Ersatzbîrgertum? Die Bedeutung der Hugenotten fîr die Wirtschaft Brandenburg-Preußens, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985 … (s. Anm. 20), S. 160 – 171, hier S. 167. 192 Vgl. dazu K. Hinze, Die Arbeiterfrage … (s. Anm. 150), S. 198 – 208.

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nerhalb der eigenen Werksttten weiterzugeben. Zumindest legt die Grîndung einer Vielzahl franzçsischer Innungen diese Vermutung nahe.193 Allerdings waren jene Grîndungen – hnlich wie die Arbeit vieler r¤fugi¤s als Freimeister oder im Bereich landesherrlicher Freiheiten – auch dem Widerstand der Zînfte gegen die im Edikt von Potsdam eigentlich verordnete kostenlose Aufnahme der r¤fugi¤s in die Zînfte, Gilden und Innungen (Artikel 7 des Edikts) geschuldet. Tatschlich werden in der Forschung immer wieder Flle geschildert, in denen deutsche Zînfte franzçsischen Meistern Schwierigkeiten bei der Aufnahme machten.194 Konkurrenzangst, Mißtrauen gegenîber den hufig besser qualifizierten Einwanderern und Sorge vor dem Verlust althergebrachter Privilegien fîhrten zu einem solchen Verhalten. Selbst wenn die Franzosen in außerzînftigen Gewerben arbeiteten, traten Konflikte mit deutschen Zunftmitgliedern auf.195 Eine entscheidende Rolle spielte dabei die bei den r¤fugi¤s îbliche, von den deutschen Zînften jedoch abgelehnte Kinder- und Frauenarbeit.196 Die von der Obrigkeit seit Beginn des 18. Jahrhunderts forcierten Bemîhungen um die Vereinigung der unzhligen kleinen und sich bekmpfenden deutschen und franzçsischen Innungen fîhrten im Gewerbe erst langsam197 zu einer Integration der Hugenotten in gemeinsame berufsstndische Vereinigungen.198 Dabei bedeutete ein erfolgter Zusammenschluß der jeweiligen Berufsorganisationen noch keineswegs das Ende der Konflikte. Noch bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts scheinen sich Angehçrige der Franzçsischen Kolonien vereinzelt als Gruppe mit spezifischen Interessen innerhalb einer Zunft verstanden zu haben, wie der „Tumult“ um die Wahl des deutschen Ober-Altmeisters in der Berliner Strumpfwirker-Innung im Jahre 1784 hinlnglich be193 E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 108. 194 Vgl. dazu unter anderem I. Mittenzwei (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 60), S. 129 – 130; oder H. Krum, Preußens Adoptivkinder … (s. Anm. 69), S. 202 – 205. 195 E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 108. 196 So G. Schmoller / O. Hintze (Bearb.), Die Seidenindustrie … (s. Anm. 151), 3, S. 86; ferner Henri Tollin, Der hugenottische Lehrstand, Wehrstand und Nhrstand zu Frankfurt an der Oder (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins, 5, Heft 7 – 9), Magdeburg 1896, S. 52 – 54, der behauptet, daß ihm kein Fall bekannt sei, in dem eine deutsche Zunft einen franzçsischen Meister freiwillig umsonst aufgenommen habe. Allgemein I. Mittenzwei (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 60), S. 129 – 130; oder Helmut Erbe, Die Hugenotten in Deutschland (= Volkslehre und Nationalittenrecht in Geschichte und Gegenwart, Reihe 2, 1), Essen 1937, S. 49 – 52. Zur Frauenarbeit vgl. auch S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 212 – 214. 197 Noch 1735 kam es zur Ablehnung der franzçsischen Bcker in Berlin durch die deutsche Zunft. Vgl. dazu H. Krum, Preußens Adoptivkinder … (s. Anm. 69), S. 114. 198 In Magdeburg allerdings wurden alle r¤fugi¤s bereits 1730 zwangsweise in die deutschen Zînfte integriert. Die Obrigkeit wollte derart eine Vermischung von deutschen und franzçsischen Handwerkern durchsetzen. Ohne Probleme etwa in Bezug auf die kostenlose Aufnahme der Franzosen ging es aber auch dabei nicht ab. Vgl. H. Tollin, Geschichte … (s. Anm. 97), 3, Tl. 1, A., S. 29 u. S. 31.

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wies.199 Im wesentlichen aber war die Integration der Hugenotten in die berufsstndischen Vereinigungen rund einhundert Jahre nach ihrer Ankunft in Brandenburg-Preußen vollzogen. Diese zunehmende Integration fîhrte schließlich auch zu der Verallgemeinerung der von ihnen mitgebrachten Spezialkenntnisse, wobei staatlich ausgesetzte Prmien fîr die Ausbildung von Lehrlingen an diesem Prozeß ihren Anteil gehabt haben dîrften. So wie die Nachkommen der r¤fugi¤s einhundert Jahre nach ihrer Ankunft in die Zînfte im Grunde integriert waren, so hatten sie auch ihre Rolle als Neuerer weitgehend verloren: Ihr Vorsprung in Bezug auf die Produktionskenntnisse und Herstellungsverfahren war zugunsten einer Angleichung und Verbreitung dieses Wissens geschrumpft. Weder konnten noch wollten sie weiterhin innovatorische Aktivitten auf gewerblichem Gebiet entwickeln.200 Dies erklrt vermutlich auch ihren in Berlin seit 1760 zu beobachtenden Rîckzug aus dem Gewerbe und dem parallel erfolgten zunehmenden Einstieg in den Dienstleistungsbereich.201 Im Gegensatz zum Gewerbe hatte die Integration der hugenottischen Kaufleute und Hndler in die einheimischen berufsstndischen Organisationen bereits sehr viel frîher, nmlich schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts, stattgefunden. Das dîrfte an den wenig abweichenden Wirtschaftsformen und – zumindest in Berlin – an der gemeinsamen Frontstellung von franzçsischen und deutschen Handelstreibenden gegen die jîdischen Hndler gelegen haben. Abschließend sei eine Antwort auf die grundstzliche Frage, ob sich die kostspielige Aufnahme der Hugenotten durch den brandenburg-preußischen Staat gelohnt habe, versucht. Auch wenn die Zeitgenossen der r¤fugi¤s diese Frage im 18. Jahrhundert uneingeschrnkt positiv beantwortet haben, lßt sie sich heute auf dem gegenwrtigen Forschungsstand wohl „nur [noch] mit einem eingeschrnkten ,Ja‘ beantworten.“202

§ 5 Die Hugenotten im kulturellen Leben ihres Aufnahmelandes Um 1700 bahnte sich in der geistigen Welt Europas eine Umwertung an, die wichtige Grundlagen der staatlich-politischen Zustnde der Zeit in Frage stellen sollte.203 Die Idee, alle Lebensgebiete einem einheitlichen Gedankengerîst zu unterwerfen und dabei Dissonanzen und Widersprîche zu leugnen oder zu 199 So S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), S. 11. 200 E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 129. 201 Von 60 Prozent gewerblich ttigen r¤fugi¤s vor 1760 auf unter 50 Prozent zwischen 1760 und 1812. Gleichzeitig erhçhte sich die Zahl der Hugenotten im Dienstleistungsbereich. Vgl. a. a. O. Vgl. dazu auch J. Wilke, Zur Sozialstruktur … (s. Anm. 87), S. 27 – 99. 202 S. Jersch-Wenzel, Toleranz … (s. Anm. 154), S. 157. 203 Max Braubach, Vom Westflischen Frieden bis zur Franzçsischen Revolution (= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 10), Mînchen 81988, S. 118.

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beseitigen, hatte ihren politischen Ausdruck im Absolutismus gefunden. Sie wurde nun durch die historische Kritik, die Unterscheidung von natîrlichen und geoffenbarten îbernatîrlichen Wahrheiten, den ˜bergang der Vernunft von einem heteronomen in einen autonomen Zustand, erschîttert. Das Zeitalter der Aufklrung brach an:204 in Brandenburg-Preußen gefçrdert durch die aus Frankreich ins Land gekommenen r¤fugi¤s. 205 Von der absolutistischen Staatsgewalt in Frankreich zuvor intellektuell eingeschnîrt und vorwiegend auf Abwehr bedacht, gelang es den reformierten Franzosen erst im refuge, ihre geistige Isolation zu îberwinden und ihre rationalen Potenzen zu reaktivieren. Die jetzt „nicht mehr als Getriebene“206 handelnden r¤fugi¤s wurden so zu Akteuren der geistigen Umwlzung, zu treibenden Krften im Prozeß der Revolutionierung des Denkens whrend der ˜bergangsphase zur Aufklrung.207 Als Protestanten und vor allem als Angehçrige des Bîrgertums ausgeschlossen von der stark aristokratisch geprgten Kultur der franzçsischen Klassik, waren sie aber auch nicht von deren strengen Normen eingeengt. So beteiligten sie sich in den Lndern des refuge „maßgeblich an der Schaffung des [neuen] literarischen Genres der wissenschaftlichen Publizistik.“208 Die geistige Drehscheibe in diesem Prozeß waren die Niederlande mit ihren blîhenden Universitten, Druckereien und Buchhandlungen, zudem waren sie ein Land ohne Zensur.209 Berlin, das in dieser Entwicklung die zentrale Rolle fîr 204 Fr¤d¤ric Hartweg, Die Hugenotten in der Berliner Akademie, in: Hans Thieme (Hg.), Humanismus und Naturrecht in Berlin-Brandenburg-Preußen. Ein Tagungsbericht (= VerçffHistKommBerlin, 48), Berlin/New York 1979, S. 182 – 205, hier S. 183. 205 So Conrad Grau, Die Berliner Akademie der Wissenschaften und die Hugenotten, in: G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 327 – 362, hier S. 327. Vgl. ferner auch Eckart Richter, Die Aufklrung und die Berliner Hugenotten, in: Beitrge zur romanischen Philologie 9 (1970), S. 52 – 61; oder Gînther Mîhlpfordt, Hugenottische und deutsche Aufklrung. Von der Gesinnungs- zur Kulturgemeinschaft, in: I. Mittenzwei (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 60), S. 191 – 229; sowie Jean de Pablo, Die Rolle der Franzçsischen Kolonie zu Berlin in der Gelehrtenrepublik des 18. Jahrhunderts, in: Die Hugenottenkirche 18 (1965), Beilage. 206 So Erich Haase, Einfîhrung in die Literatur des Refuge. Der Beitrag der franzçsischen Protestanten zur Entwicklung analytischer Denkformen am Ende des 17. Jahrhunderts, Berlin 1959, S. 101. 207 A. a. O. 208 Fr¤d¤ric Hartweg, Die Hugenotten in Berlin. Eine Geschichte, die vor 300 Jahren begann, in: S. Jersch-Wenzel / F. Hartweg (Hg.), Die Hugenotten … (s. Anm. 97), S. 1 – 56, hier S. 25. 209 A. a. O., S. 26. Vgl. auch im folgenden. Zu den durchaus vorhandenen Grenzen der Pressefreiheit in den Niederlanden vgl. John Christian Laursen, Impostors and Liars: Clandestine Manuscripts and the Limits of Freedom of the Press in the Huguenots Netherlands, in: Ders. (Hg.), New Essays on the Political Thought of the Huguenots of the Refuge, Leiden/New York/Kçln 1995, S. 73 – 100, hier S. 89 – 94.

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Brandenburg-Preußen spielen sollte, konnte zwar weder ein aufstrebendes stdtisches Bîrgertum noch die geistigen Entfaltungsmçglichkeiten der Niederlande bieten, auch nicht die Nhe zu Frankreich einschließlich der damit gegebenen Mçglichkeiten, die ehemalige Heimat zu beeinflussen, aber immerhin gab es hier aufgrund der weitreichenden und großzîgigen Unterstîtzungszusagen durch die Obrigkeit vielfltige Mçglichkeiten der Existenzsicherung fîr hugenottische Gelehrte. §ffentliche ømter als Pastoren, Lehrer oder Juristen gaben ihnen in neugeschaffenen Institutionen des Schulwesens, der Verwaltung, der Gerichtsbarkeit oder der Kirche, aber auch als Erzieher im Herrscherhaus und beim Adel eine Lebensgrundlage. Daneben konnten sich jene r¤fugi¤s den Wissenschaften oder der Literatur widmen. Alternativ bestand fîr sie die Mçglichkeit, sich im Buchhandel oder im Verlagswesen zu engagieren, was den reformierten Franzosen gleichermaßen eine existentielle Absicherung wie einen gewissen Einfluß auf die oben beschriebene geistige Entwicklung der Aufklrung bot. Einen ersten Mittelpunkt fîr die intellektuelle Entfaltung der r¤fugi¤s in Brandenburg-Preußen bildete die 1700 auf Initiative von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) in Berlin gegrîndete „Societt der Wissenschaften“.210 Von Beginn an wurden franzçsische Glaubensflîchtlinge berufen: Es waren zunchst der Theologe und Philosoph Etienne Chauvin (1640 – 1725), der Mathematiker und Theologe Philippe Naud¤ d. ø. (1654 – 1729), der Historiker und Orientalist Mathurin Veyssiºre de la Croze (1661 – 1739), der Mathematiker Pierre Dangicourt (1665 – 1727), der Theologe und Mathematiker Alphonse des Vignoles (1649 – 1744) und schließlich – obwohl ihnen die zugehçrigen Diplome nicht ausgehndigt worden waren – der Architekt Jean de Bodt (1670 – 1745) und der Theologe und Historiker FranÅois de Gaultier (†1703).211 Damit waren also sieben der bis Ende 1701 in die „Societt“ aufgenommenen dreißig Ordentlichen Mitglieder r¤fugi¤s.212 Eine solche „zeitliche Hufung von Zuwahlen hugenottischer Mitglieder [23 Prozent] […] sollte es bis […] 1744, [als die „Societt“ in der Acad¤mie Royale aufging], nicht wieder geben.“213 Insgesamt lag der Anteil der reformierten Franzosen unter den ge210 Zum Hintergrund der Grîndung vgl. Adolf von Harnack, Geschichte der KçniglichPreußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1, Berlin 1900, passim. 211 Zu FranÅois Gaulthier de St. Blancard vgl. Henri Tollin, Kurfîrstlich-Kçnigliche Ober-Kommissare und Minister aus der Franzçsischen Kolonie, in: Die Franzçsische Colonie 6 (1892), S. 130 – 133, S. 142 – 150, S. 161 – 169, hier S. 131 – 133; ferner zu de la Croze: Martin Mulsow, Die drei Ringe: Toleranz und clanderstine Gelehrsamkeit bei Mathurin Veyssiºre La Croze (1661 – 1739) (= Hallesche Beitrge zur europischen Aufklrung, 16), Tîbingen 2001. 212 Die Zahl ergibt sich, wenn man diejenigen mitzhlt, die keine Diplome erhalten hatten, andernfalls wren es 25 Ordentliche Mitglieder. 213 C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 341.

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whlten Ordentlichen Mitgliedern der „Societt“ zwischen 1700 und 1744 bei etwa 15 Prozent.214 Unter den elf Ordentlichen Mitgliedern, die von 1702 bis zur offiziellen Erçffnung der „Societt“ im Jahre 1711 außerdem noch aufgenommen wurden, befand sich dann nur noch ein Hugenotte: der Jurist und Historiker Charles Ancillon (1659 – 1715).215 Nach 1711 kamen der Theologe Jacques Lenfant (1661 – 1728)216 sowie der Jurist und Philosoph Philippe Josºphe Pandin de Jarige (1706 – 1770)217 als r¤fugi¤s hinzu. Unter den abwesenden Mitgliedern der „Societt“ fanden sich bis 1744 etwa acht Prozent Hugenotten,218 darunter der Physiker Denis Papin (1647 – vermutlich 1712), der Schriftsteller Paul-Emile Mauclerc (*1690) und der Altphilologe, Jurist und Philosoph Jean Barbeyrac (1674 – 1744).219 Bis auf wenige Ausnahmen – wie Jean Barbeyrac und Etienne Chauvin – handelte es sich bei den franzçsisch-reformierten Angehçrigen der „Societt“ um Gelehrte zweiten Ranges. Dadurch unterschieden sie sich jedoch nicht von den deutschen Mitgliedern der Akademie, gingen doch auch deren wissenschaftliche Bestrebungen insgesamt eher in die Breite, denn in die Tiefe.220 Seitens der Hugenotten entstanden unzhlige, vielfach heterogene und ohne Rangordnung ausgebreitete Materialsammlungen, die oft das Produkt von entsagungsvoller Kleinarbeit waren und der spteren Wissenschaft wichtige empirische Grundlagen liefern sollten.221 Unersttlich in ihrem Heißhunger nach Informationen bis ins kleinste Detail und deren Wiedergabe îbernahmen die Hugenotten als Wegbereiter des Enzyklopdie-Gedankens im refuge wichtige Vermittlerfunktionen von Frankreich nach Deutschland. Ferner waren sie bedeutende Infor214 A. a. O. 215 Er wurde 1707 in die „Societt“ aufgenommen. 216 Zu Lenfant vgl. Christian Velder, 300 Jahre Franzçsisches Gymnasium Berlin, Berlin 1989, S. 50 – 55. 217 Zu Jarige vgl. Henri Tollin, Kurfîrstlich-Kçnigliche Ober-Kommissare … (s. Anm. 211), S. 180 – 184. 218 Vgl. dazu C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 347. 219 Zu Jean Barbeyrac gibt es eine Reihe von Publikationen, unter anderem: P. Meylan, Jean Barbeyrac (1674 – 1744) et les d¤buts de l’enseignement du droit dans l’ancienne Acad¤mie de Lausanne, Lausanne 1937; Sieglinde C. Othmer, Berlin und die Verbreitung des Naturrechts in Europa. Kultur- und sozialgeschichtliche Studien zu Jean Barbeyracs Pufendorf-˜bersetzungen und eine Analyse seiner Leserschaft (= VerçffHistKommBerlin, 30), Berlin 1970; sowie zuletzt Daniel Brîhlmeier, Natural Law and Early Economic Thought in Barbeyrac, Burlamaqui and Vattel, in: J. C. Laursen (Hg.), New Essays … (s. Anm. 209), S. 53 – 71. 220 Ausgehend von der Theologie huldigten die Mitglieder der Akademie im allgemeinen dem Spiritualismus, ohne sich jedoch durch besondere Kîhnheit oder Gedankenschrfe auszuzeichnen. Systemgedanken abgeneigt, war fîr sie der Eklektizismus die einzig wahre Philosophie. So F. Hartweg, Die Hugenotten in der Berliner Akademie … (s. Anm. 204), S. 190 – 191. 221 A. a. O., S. 193.

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mationsquellen fîr franzçsische Gelehrte, da ihre Arbeiten nicht durch die dortige Zensur gegangen waren. Neue Quellen wurden von den r¤fugi¤s benutzt.222 Das rumlich und zeitlich Abgelegene223 kam strker ins Blickfeld, und das Unbekannte wurde hufiger beachtet. Doch die Ergebnisse dieser Betriebsamkeit waren insgesamt eher bescheiden, denn den nchsten Schritt der Kritik wagten die hugenottischen Autoren des brandenburg-preußischen refuge meist nicht.224 Dennoch waren die r¤fugi¤s durch ihre Aktivitten grundstzlich an der Vorbereitung der kîhneren Unternehmungen der Aufklrung beteiligt – nicht zuletzt mit Hilfe der „Societt“. Indem sie nmlich das persçnliche Prestige ihrer Mitglieder hob, fçrderte sie zugleich die soziale und wissenschaftliche Anerkennung der reformierten Flîchtlinge.225 Grundstzlich jedoch blieb die „Societt“ – mitgeprgt durch die beschriebenen Strken und Schwchen der r¤fugi¤s – ein eher lebloser Organismus. Unter Friedrich Wilhelm I., dem es ausschließlich um die praktische, das heißt einseitige Nutzung der Wissenschaft ging, siechte sie endgîltig vor sich hin.226 Symptomatisch fîr ihren Niedergang war die Grîndung von Konkurrenzunternehmen, an denen auch wieder r¤fugi¤s beteiligt waren: Um 1720 entstand die Soci¤t¤ anonyme, ein literarischer Arbeitskreis, der von dem oben bereits erwhnten Hugenotten Jacques Lenfant auf den Weg gebracht worden war. 1743 wurde dann die Nouvelle Soci¤t¤ Litt¤raire gegrîndet. Aus ihr und der alten „Societt“ entstand im Januar 1744 schließlich die Acad¤mie Royale. Bei deren Konstituierung wurden ebenso wie bei der Grîndung der „Societt“ sieben r¤fugi¤s zu Ordentlichen Mitgliedern ernannt, doch bedeutete dies bei nur insgesamt zwçlf Gewhlten im Jahr 1744, daß die r¤fugi¤s im Gegensatz zu 1701 nicht nur 23 Prozent, sondern nun mehr als 50 Prozent der Mitglieder der Acad¤mie ausmachten.227 Neben dem Schriftsteller, ehemaligen Pastor und Sekretr Friedrichs II. [1712 (1740) – 1786] Charles Etienne Jordan 222 So etwa von Jean Lenfant, Histoire de la R¤formation (ou origine et progrºs du Luth¤ranisme dans l’Empire et les ¤tats de la Conf¤d¤ration d’Augsbourg, depuis 1517 jusqu’” 1530), 4 Bde., Berlin 1785 – 1786. 223 Vgl. z. B. die Studien des Orientalisten Mathurin Veyssiere de Lacroze, etwa sein Werk Histoire du christianisme d’Ethopie et d’Arm¤nie, Den Haag 1739. 224 Vgl. dazu F. Hartweg, Die Hugenotten in der Berliner Akademie … (s. Anm. 204), S. 194. 225 Vgl. dazu A. a. O., S. 199. 226 Mit dem Botanischen Garten und dem Collegium Medico-Chirurgium, an dem mit Pierre Carita ein bekannter hugenottischer Arzt und Chirurg wirkte, wurden durch diese Einstellung allerdings zwei Einrichtungen mit der Akademie verbunden, die den Anschluß an den Standart anderer Akademien ermçglichte, so daß die Entwicklung der „Societt“ unter Friedrich Wilhelm I. nicht nur in negativem Licht zu sehen ist. Vgl. zu diesem Komplex und im Folgenden: C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 349 – 350. 227 A. a. O., S. 350.

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(1700 – 1745),228 handelte es sich um die Brîder und Theologen Antoine (1696 – 1772) und FranÅois Achard (1753 – 1821),229 den Mathematiker und Ingenieur Abraham de Humbert (1689 – 1761), den Theologen und Historiker Simon Pelloutier (1694 – 1754), den unter anderem als Historiker arbeitenden Joseph du Fresne de Francheville (1704 – 1781), sowie schließlich um den Theologen und Schriftsteller Samuel Formey (1711 – 1797).230 Seit 1744 gehçrte auch der Mathematiker Leonhard Euler (1707 – 1783),231 ein reformierter Schweizer, der seit seiner Ankunft in Berlin 1741 Mitglied der Franzçsischen Kirche war, als Direktor der mathematischen Klasse zur neukonstituierten Acad¤mie. Euler war damit einer jener Schweizer, die primr in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts bis zur Auflçsung der Franzçsischen Kolonie im Jahre 1809/12 kontinuierlich als Ordentliche Mitglieder in die Akademie aufgenommen wurden und die aufgrund ihrer Zugehçrigkeit zur Franzçsischen 228 Jens Hseler, Ein Wanderer zwischen den Welten. Charles Etienne Jordan 1700 – 1745 (= Francia, Beihefte, 28), Sigmaringen 1993; Jens Hseler / Antony McKenna (Hg.), La vie intellectuelle aux r¤fuges protestants. Actes de la Table Ronde de Mînster du 25 juillet 1995 (= Vie des Huguenots, 5), Paris 1999. 229 Eine Untersuchung zum Wirken der Brîder Achard, die etwa der Darstellung von J. Hsler zu Ch. E. Jordan (s. Anm. 228) entspricht, fehlt bisher. 230 Zum Wirken von Formey als Journalist vgl. Rolf Geissler, Formey journaliste: observation sur sa collaboration au Journal encyclop¤dique et ” d’autres journaux europºens, in: J. Hseler / A. McKenna (Hg.), La vie intellectuelle … (s. Anm. 228), S. 111 – 113 ; sowie Ders., Formey als Journalist, in: Anthony Strugnell (Hg.), Transactions of the Ninth International Congress on the Enlightenment, Mînster 23 – 29 July 1995, 3, Oxford 1996, S. 1262 – 1265. Zu Formeys Wirken als Sekretr der Akademie vgl. Werner Krauss, Ein Akademiesekretr vor 200 Jahren: Samuel Formey, in: Ders., Studien zur deutschen und franzçsischen Aufklrung (= Neue Beitrge zur Literaturwissenschaft, 16), Berlin 1963, S. 52 – 63. Das Verhltnis von Voltaire und Formey analysiert Bertram E. Schwarzbach, Voltaire et les huguenots ” Berlin: Formey et Isaac de Beausobre, in: Peter Brockmeier / Roland Desn¤ / Jîrgen Voss (Hg.), Voltaire und Deutschland. Quellen und Untersuchungen zur Rezeption der franzçsischen Aufklrung, Stuttgart 1979, S. 103 – 118; sowie Jens Hseler, Voltaire vu par Formey et ses amis, ou ¤l¤ments d’une histoire de la r¤ception de Voltaire en Prusse, in: Ulla Kçlvin / Christine Mervaus (Hg.), Voltaire et ses combats. Acres du Congrºs international, Oxford – Paris, Oxford 1997, S. 969 – 975. Die Beziehung zwischen dem Wollffianismus Formeys und der franzçsischen Aufklrung untersucht Rolf Geissler, J.-H.-S. Formey critique des philosophe franÅais. Oberservations sur les rapports wolffianisme et Lumiºres franÅaises, in: Actes du 8e Congrºs international sur les Lumiºres, Oxford 1992, S. 507 – 511. Vgl. schließlich zu Formey und seiner Funktion als Vermittler der Ideen von Rousseau: Jacques Voisine, J. Formey (1711 – 1797), Vulgarisateur de l’Oeuvre de Rousseau en Allemagne, in: M¤langes d’histoire litt¤raire, offerts ” Daniel Mornet, Paris 1951, passim. 231 Zum Wirken Eulers in der Berliner Hugenottenkirche vgl. Fr¤d¤ric Hartweg, Leonhard Eulers Ttigkeit in der franzçsisch-reformierten Kirche von Berlin, in: Die Hugenottenkirche 32 (1979), S. 14 – 15 u. S. 17 – 18. Ferner zu seinem Leben und Werk die Biographie von Rîdiger Thiele, Leonhard Euler, Leipzig 1982.

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Kirche in Berlin in der Forschung als Hugenotten bezeichnet werden.232 Andere Beispiele sind Nicolas (de) B¤guelin (1714 – 1789), Johann Bernhard Merian (1732 – 1807),233 Johann Albrecht Euler (1734 – 1800), Henri Alexandre de Catt (1685 – 1795)234 und Jean (III.) Bernoulli (1744 – 1807).235 Grînde fîr die Aufnahme in die Acad¤mie konnten bei den R¤fugi¤sNachkommen wie bei den Schweizern außer ihrer Gelehrsamkeit auch die Stellung zum jeweiligen Monarchen oder ein gewisser Dienstrang sein. Letzteres galt etwa bei de Catt, dem Vorleser Friedrichs II., bei Guillaume de Moulines (1728 – 1802),236 dem Erzieher des Kronprinzen Friedrich Wilhelm oder bei Karl Gottlieb Guichard, genannt Quintus Icilius (1724 – 1775),237 einem Offizier und zugleich „Freund“ Friedrichs II. Der Schweizer Mathematiker Bernoulli, der Theologe und Historiker Jean Pierre Erman (1735 – 1814)238 oder der Chemiker FranÅois Charles Achard (1753 – 1821)239 wurden dagegen um ihrer wissenschaftlichen Verdienste willen zu Mitgliedern der Acad¤mie ernannt. Zunchst hat auch die Wahl des Franzçsischen als Verhandlungs- und Verçffentlichungssprache (seit 1745)240 der Acad¤mie die dortige Ttigkeit der Hu232 So z. B. C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 357. 233 Zur Ttigkeit von Johann Bernhard Merian an der Akademie der Wissenschaften vgl. Jens Hseler, Johann Bernhard Merian – ein Schweizer Philosoph an der Berliner Akademie, in: Martin Fontius / Helmut Holzhey (Hg.), Schweizer im Berlin des 18. Jahrhunderts, Berlin 1996, S. 217 – 230. 234 Zu Henri Alexandre de Catt vgl. Johannes Kunisch, Henri de Catt, Vorleser und Gesprchspartner Friedrichs des Großen – Versuch einer Typologie, in: M. Fontius / H. Holzey (Hg.), Schweizer … (s. Anm. 233), S. 99 – 124. 235 Zu Jean (III.) Bernoulli vgl. Fritz Nagel, Die Mathematiker Bernoulli und Berlin, in: M. Fontius / H. Holzey (Hg.), Schweizer … (s. Anm. 233), passim. 236 Zu Guillaume de Moulines vgl. C. Velder, 300 Jahre … (s. Anm. 216), S. 112 – 116. 237 Zu Karl Gottlieb Guichard, genannt Quintus Icilius vgl. H[enry] Roquette, R¤fugi¤s im Leben und im Staate Friedrichs des Großen, in: Kirchliche Nachrichten fîr die franzçsisch-reformierte Gemeinde in Groß-Berlin 11 (1934), S. 26 – 32, S. 35 – 40, S. 50 – 52, S. 57 – 60, S. 65 – 66, S. 81 – 88, S. 95 – 101, S. 105 – 110, S. 114 – 115, S. 121 – 125, S. 129 – 134, hier S. 36 – 38. 238 Zu Jean Pierre Erman vgl. Wilhelm Erman, Jean Pierre Erman (1735 – 1814). Ein Lebensbild aus der Berliner Franzçsischen Kolonie, Berlin 1914; ferner: Viviane Rosen-Prest, L’Historiographie des Huguenots en Prusse au temps des lumiºres entre m¤moire, histoire et l¤gende: J. P. Erman et P. C. F. Reclam. M¤moires pour servir ” l’histoire des r¤fugi¤s franÅois dans les Etats du Roi (1782 – 1799), (= Vie du Huguenots, 23), Paris 2002. 239 Zu FranÅois Charles Achard vgl. Gerhard Fischer, Die Hugenotten in Berlin, Berlin 4 1985, S. 47. 240 Hintergrund fîr die Wahl des Franzçsischen war der Wunsch, die Akademiepublikationen im Ausland zu verbreiten und die Mitarbeit von Mnnern wie Voltaire (eigentlich FranÅois Marie Arouet) oder Pierre Louis Moreau de Maupertuis zu sichern, auch wenn diese Wahl gegen das ursprîngliche Anliegen von Leibniz und der Wunsch des Stifters der Akademie, Friedrichs III./I., die deutsche Sprache und Kultur zu fçrdern, verstieß.

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genotten, welche die Sprache grundstzlich besser beherrschten als ihre deutschen Kollegen, begînstigt.241 In dieser ihrer Sprache vermittelten sie als ˜bersetzer oder publizistische Bearbeiter einem gebildeten europischem Publikum unter anderem die Naturrechtslehre eines Samuel Pufendorf (1632 – 1694)242 oder das philosophische System des Christian Wolff (1679 – 1754)243 und erlaubten Preußen damit, an der geistigen Entwicklung Europas teilzuhaben und sie ansatzweise auch mitzubestimmen. Gerade die ˜bernahme der Wolffschen Philosophie durch die Gelehrten des refuge in Preußen kann dabei als „Prîfstein ihrer Integration in die deutsche geistige Welt gelten.“244 So hielten sie in ihrer Mehrzahl auch Wolff dann noch die Treue, als die franzçsische Aufklrung, beeinflußt von der englischen Philosophie eines Anthony Ashley Cooper, Earl of Shaftesbury (1671 – 1730), eines Isaac Newton (1643 – 1727) oder eines John Locke (1632 – 1704), den preußischen Hof eroberte und der Materialismus245 Einzug in die Acad¤mie hielt.246 Wenn sich der Materialismus der Acad¤mie aber nicht bemchtigen konnte, so lag das nicht zuletzt an der philosophischen Haltung der r¤fugi¤s.247 Zwei Hugenotten, Philippe Joseph de Jariges und vor allem Samuel Formey, beide bereits in Berlin geboren, spielten fîr die Entwicklung der Acad¤mie im 18. Jahrhundert eine besonders wichtige Rolle. Jariges – von 1733 bis 1748 „Bestndiger Sekretr“ – nahm wesentlichen Anteil an der Reorganisation der „Societt“ im Jahre 1744. Formey, von 1748 bis zu seinem Tode im Jahre 1797 in derselben Funktion wie Jariges ttig, war es schließlich, dem die Franzçsische Aufklrung ihre Kenntnisse der Wolffschen Philosophie verdankte.248 Die durch seine Darstellung der Wolffschen Philosophie in Dialogform249 auf den Weg gebrachte Rezeption des deutschen Philosophen in Frankreich ist dabei der 241 242 243

244 245 246 247 248

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Vgl. dazu C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 356 – 357; ferner F. Hartweg, Die Hugenotten in der Berliner Akademie … (s. Anm. 204), S. 201. A. a. O. Zur ˜bersetzung Pufendorfs und der Verbreitung seiner Ideen in Frankreich durch Barbeyrac vgl. S. C. Othmer, Berlin … (s. Anm. 219), passim. Zur ˜bersetzung von Wolff durch Formey und die Verbreitung seiner Philosophie in Frankreich vgl. Sonia Carboncini, Christian Wolff in Frankreich. Zum Verhltnis von franzçsischer und deutscher Aufklrung, in: Werner Schneiders (Hg.), Aufklrung als Mission. Akzeptanzprobleme und Kommunikationsdefizite, Marburg 1993. So F. Hartweg, Die Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 208), S. 29. Zum Materialismus und seiner Entwicklung vgl. z. B. die theologischen Diskurse zur Naturphilosophie. F. Hartweg, Die Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 208), S. 29. Vgl. dazu C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 355. Vgl. dazu Rolf Geissler, Die Hugenotten im literarischen Leben Berlins, in: G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 363 – 391, hier S. 379 – 380. Vgl. ferner Ders., Formey journaliste … (s. Anm. 230), S. 111 – 113; sowie Ders., Formey als Journalist … (s. Anm. 230), S. 1262 – 1265. Samuel Formey, La belle Wolfienne, 6 Bde., La Haye 1741 – 1753.

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entsprechenden Pufendorf-Rezeption, die durch die ˜bersetzung, Erluterung und Kommentierung von dessen Naturrechtslehre durch den r¤fugi¤ Jean Barbeyrac250 verbreitet worden war, durchaus vergleichbar.251 Die Wirkung der ˜bersetzung genauso wie die Mitarbeit Formeys an der Encyclop¤die, deren Idee von ihm bereits konzipiert worden war, bevor Jean Le Rond d’Alembert (1717 – 1783) und Denis Diderot (1713 – 1784) mit ihr an die §ffentlichkeit getreten waren, und seine ˜bertragungen von deutschen und lateinischen Beitrgen fîr die Miszellaneen der Akademie ins Franzçsische machten Formey zu einem wichtigen Mittler in der gesamteuropischen Aufklrung des 18. Jahrhunderts.252 Auch noch im 19. Jahrhundert, als die preußischen Reformen nicht nur der rechtlichen Sonderstellung der Franzçsischen Kolonien in Preußen ein Ende bereitet hatten (vgl. unten § 6 dieses Beitrages), sondern auch eine neue Entwicklungsetappe der Akademie einluteten,253 wirkten dort weiterhin Nachkommen von r¤fugi¤s: etwa der Physiologe Emil DuBois-Reymond (1818 – 1896) oder Angehçrige der Gelehrtenfamilie Erman wie der Physiker Paul Erman (1764 – 1851)254 oder der øgyptologe Adolf Erman (1854 – 1937).255 Neben diesen Wissenschaftlern an der Akademie des 19. Jahrhunderts ist an dieser Stelle ferner auf den fraglos bekanntesten Literaten hugenottischer Abstammung hinzuweisen, auf Theodor Fontane (1819 – 1898).256 Fontane, der sich wie die Ermans257 bewußt als Hugenottennachkomme verstand,258 hat nicht nur zur Franzçsischen Kirche zu Berlin

250 Vgl. Jean Barbeyracs Franzçsische ˜bersetzung, Anmerkungen und Einfîhrung zu Samuel Pufendorf, Le Droit de la Nature et des gens ou Systºme G¤n¤ral des Principes les plus importans de la politique, Amsterdam 1706. 251 Vgl. dazu S. C. Othmer, Berlin … (s. Anm. 219), passim. 252 Vgl. dazu z. B. R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 379. Zur Situation der Akademie unter Friedrich II. vgl. auch: Christian Bartholmºss, Histoire philosophique de l’Acad¤mie de Prusse. Depuis Leibniz jusqu’” Schelling, particuliºrement sous Fr¤d¤ric-le-Grand, 2 Bde., Paris 1850 – 1851. 253 Vgl. dazu zusammenfassend C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 361. 254 Zu Paul Erman vgl. Wilhelm Erman, Paul Erman. Ein Berliner Gelehrtenleben 1764 – 1851 (= SchrrVGBerlin, 53), Berlin 1927. 255 Zu Adolf Erman vgl. a. a. O., S. 104, S. 169 – 172, S. 187 – 192, S. 199 – 204, S. 216 – 222. 256 Zu Theodor Fontane und seiner Beziehung zur Franzçsischen Kolonie vgl. Jean de Pablo, Theodor Fontanes Verhltnis zur Franzçsischen Kolonie in Berlin (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins, 16, Heft 4), Obersickte 1967. 257 W. Erman, Paul Erman … (s. Anm. 254), S. 2 – 5. 258 Vgl. dazu den „Autobiographischen Roman“ (so bezeichnete Fontane das Werk selbst, vgl. G. Fischer, Die Hugenotten … [s. Anm. 239], S. 51): Theodor Fontane, Meine Kinderjahre, Berlin 1895.

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gehçrt, sondern seine intimen Kenntnisse hugenottischer Mentalitt auch in seinen Romanen verarbeitet.259 Die aufgrund der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der „Societt“ um 1720 gegrîndete Soci¤t¤ anonyme war als literarischer Arbeitskreis weit mehr als nur ein Gesprchskreis: Hier diskutierten die Herausgeber der franzçsischsprachigen Literaturzeitschrift Bibliothºque germanique, die 1720 von den r¤fugi¤s Jacques Lenfant, Isaac de Beausobre (1659 – 1738)260 und Alphonse des Vignoles gegrîndet worden war, deren Inhalt.261 Da die Zeitschrift in Amsterdam, im Gegensatz zu Berlin, unzensiert erscheinen konnte, wurde sie dort verlegt. In den mehr als 20 Jahren ihres Bestehens (1720 – 1741) wurden 25 Bnde publiziert. Zusammen mit der Nouvelle Bibliothºque germanique, die mit weiteren 25 Bnden von 1746 bis 1759 das Unternehmen fortsetzte, handelte es sich um eine der langlebigsten Literaturzeitschriften des 18. Jahrhunderts262 und zugleich um ein „literarisches Großunternehmen der europischen Aufklrung“,263 das in der Tradition des im ausgehenden 17. Jahrhundert kreierten kritischen Journalismus eines Pierre Bayle (1647 – 1706) oder Jean Le Clerc (1657 – 1736) – beides in die Niederlande geflîchtete Hugenotten – stand. Direktes Vorbild fîr die Grînder der Bibliothºque germanique war die Bibliothºque anglaise ou histoire de la Grande-Bretagne, die in Amsterdam erschien und die îber die in England publizierte Literatur informierte. øhnliches wollten die Herausgeber der Bibliothºque germanique fîr die in Deutschland erscheinende Literatur erreichen.264 Dabei bezogen sie und ihre Mitstreiter – ganz Aufklrer – Stellung gegen den religiçsen Fanatismus auf katholischer wie protestantischer Seite. Zugleich aber verzichteten sie darauf, in religiçse oder politische Auseinandersetzungen einzugreifen. Ihre Einstellung zum absolutis259 Vgl. z. B. Theodor Fontane, Schach von Wuthenow, Berlin 1883, und dort seine Beschreibung der Madame de Carayon. 260 Einen knappen biographischen ˜berblick bietet: Fr¤d¤ric Hartweg, Le Grand Beausobre. Aspekte des intellektuellen und kirchlichen Lebens der ersten Generation des Berliner Refuge, in: Wilhelm Treue (Hg.), Geschichte als Aufgabe. Festschrift fîr Otto Bîsch, Berlin 1988, S. 69 – 75; zum Verhltnis von Beausobre zu Voltaire vgl. B. E. Schwarzbach, Voltaire et les huguenots ” Berlin … (s. Anm. 230), S. 103 – 118; zu seinem politischen Denken im Allgemeinen: Ders, Politics and Ethics in the Huguenot Diaspora. Isaac de Beausobre in Berlin, in: John Laursen (Hg.), New Essays … (s. Anm. 209), S. 109 – 130; zu seinem Wirken in der Akademie: Christian Bartholmºss, Le grand Beausobre et ses amis, ou La soci¤t¤ franÅaise ” Berlin entre 1685 et 1740, in: BullSocHistProtFranÅ 2 (1854), S. 667 – 682. 261 Vgl. dazu C. Grau, Die Berliner Akademie … (s. Anm. 205), S. 343 – 346; ferner R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 369 – 372. 262 A. a. O., S. 371. 263 A. a. O. 264 Vgl. dazu die Ausfîhrungen von R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 372.

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tischen preußischen Staat war vielmehr von uneingeschrnkter Loyalitt gekennzeichnet.265 Zu den weiteren journalistischen Versuchen der r¤fugi¤s in BrandenburgPreußen gehçrten neben der Bibliothºque germanique und ihrer Nachfolgerin ein Nouveau Journal des SÅavans (1694 – 1696), herausgegeben von Etienne Chauvin zunchst in Rotterdam, dann 1695 nach seiner Berufung als Philosophieprofessor an das Franzçsische Gymnasium der Stadt in Berlin. Ferner zhlte dazu das Journal litt¤raire d’Allemagne, de Suisse et du Nord (1742 – 1745), die Bibliothºque impartiale (1750 – 1758),266 sowie die kurzlebigen Zeitschriften Mercure et Minerve (1738), deren letzte Nummern unter dem Titel Amusements litt¤raire et politiques erschienen, das Journal de Berlin, ou nouvelles politiques et litt¤raires (1740/41) und eine Abeille du Parnasse (1750 – 1757).267 An allen zuletzt genannten Unternehmungen war der oben erwhnte Sekretr der Akademie Samuel Formey – meist federfîhrend – beteiligt. Bereits seit 1733 hatte er an der Bibliothºque germanique mitgearbeitet. Im Jahre 1738 nach dem Tode von Isaac de Beausobre, der sie zuletzt geleitet hatte, îbernahm er sie zusammen mit dem Stettiner Pastor Paul Emile de Mauclerc (*1690). Formey war es auch, der das von ihm und Mauclerc gegrîndete und nach dem Tod Mauclercs 1742 mit Jacques de P¤rard weitergefîhrte Journal litt¤raire d’Allemagne, de Suisse et du Nord schließlich 1746 durch die Nouvelle Bibliothºque germanique ersetzte. Formey spielte also whrend der Aufklrung in Berlin nicht nur als Akademiesekretr eine zentrale Rolle auf dem Gebiet der literarischen Kommunikation, sondern auch als Herausgeber wichtiger Zeitschriften.268 Die Bedeutung der journalistischen Aktivitten der Hugenotten fîr Berlin beruhte nicht zuletzt auf der Tatsache, daß dort bis 1757269 keine deutschsprachige literaturkritische Zeitschrift fîr ein breiteres Publikum vorhanden war. Der Journalismus hatte – als zweitrangige literarische Bettigung abgewertet – bis dahin keine Verbreitung in der Stadt erfahren.270 Dieser negativen Vorstellung traten die R¤fugi¤s in ihren Publikationen entgegen.271 Vor allem aber bedienten sie mit ihren Zeitschriften ein Informationsbedîrfnis îber die 265 So a.a.O., S. 373. 266 Vgl. dazu J. Mars, Une r¤vue oubli¤e du XVIIIe siºcle. „La Bibliothºque impartiale“, in: Romanische Forschungen 80 (1968), S. 281 – 291. 267 Vgl. hierzu etwa R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 376 – 377. 268 A. a. O. 269 In diesem Jahr erfolgte die Grîndung der Zeitschrift „Bibliothek der schçnen Wissenschaften und der freyen Kînste“. Vgl. R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 377. 270 Entsprechende Hinweise finden sich noch 1799: Christoph Friedrich Nicolai, Leben und Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, Berlin/Stettin 1799, 1, S. 142. 271 Vgl. E. Haase, Einfîhrung … (s. Anm. 206), S. 405.

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Lndergrenzen hinweg. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse im Franzçsischen wie im Deutschen, und ihrer Verhaftung in zwei Kulturen waren sie fîr diese Art der Arbeit besonders prdestiniert. So wie sie als Mittler und Multiplikatoren philosophische, historische oder staatspolitische Erkenntnisse aus Deutschland in Frankreich publik machten,272 so wirkten sie umgekehrt, indem sie Werke der franzçsischen Aufklrung einem deutschen gebildeten Publikum vorstellten. Auf diese Weise wurde Berlin neben Paris, Amsterdam und London zu einem, wenn auch nicht so bedeutenden Zentrum der weitgehend franzçsisch beeinflußten r¤publique de lettres.273 Zu diesem Status gehçrte gleichermaßen, daß sich dort wie auch in anderen brandenburg-preußischen Stdten wie zum Beispiel in Halle274 eine Reihe von hugenottischen Buchhndlern und Verlegern niederließen – auch wenn die „refugierten“ Angehçrigen dieser Berufe vor allem in die zensurlosen Niederlande ausgewandert waren. Viele der spteren Buchhndler und Verleger in Brandenburg-Preußen begannen als Buchbinder,275 wie der Betreiber der ersten Leihbibliothek in Berlin, der Buchhndler Jean de Sarrat (oder Dussarat).276 Zu nennen sind ferner Robert Roger,277 Verleger einer Geschichte îber die Niederlassung der r¤fugi¤s278 von Charles Ancillon, oder Etienne de Bourdeaux, dessen Buchhandlung ein Umschlagplatz fîr die franzçsische Aufklrungsliteratur war. Bourdeaux gab außerdem einen Catalogue raisonn¤ heraus, in dem neben seinen Lagerbestnden auch smtliche Neuheiten auf dem Buchmarkt verzeichnet waren, die zudem – als absolute Novitt – eine knappe Kommentierung der Titel enthielt. Kein geringerer als der bereits mehrfach erwhnte Samuel Formey stellte sich dabei als Kritiker erneut in den Dienst der Verbreitung franzçsischsprachiger Literatur in Brandenburg-Preußen.279 272 Montesquieu hatte gleich in zwei seiner Bibliotheken eine Ausgabe der Biliothºque germanique. Vgl. dazu R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 378. 273 Geißler (a.a.O., S. 369) gibt Berlin denselben Rang in der r¤publique de lettre wie den anderen genannten Stdten, whrend Hartweg (F. Hartweg, Die Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 208), S. 26) wohl zu Recht darauf verweist, daß Berlin den Rang von Amsterdam nicht erreicht hat. 274 Vgl. dazu H. Krum, Preußens Adoptivkinder … (s. Anm. 69), S. 120. 275 Die Zahl der Buchbinder erhçhte sich in Berlin z. B. von sieben im Jahre 1678 auf 15 im Jahre 1689. Vgl. R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 382. 276 Jean de Sarrat (Dussarat). Er gab zum Beispiel 1705 eine revidierte Fassung des Neuen Testaments heraus. Vgl. R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 382; ferner H. Krum, Preußens Adoptivkinder … (s. Anm. 69), S. 119. 277 Robert Roger hatte 1688 sein Patent erhalten. Vgl. R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 382. 278 Die deutsche ˜bersetzung trgt den Titel: Charles Ancillon, Geschichte der Niederlassung der R¤fugi¤s in den Staaten Seiner Kurfîrstlichen Hoheit von Brandenburg (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins, 15, Heft 8), Berlin 1939. 279 So R. Geissler, Die Hugenotten … (s. Anm. 248), S. 382.

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Wenn die r¤fugi¤s auf literarischem Gebiet als Vermittler einen solch hohen Stellenwert in der zeitgençssischen preußischen Gesellschaft besaßen, so stand dies in engem Zusammenhang mit der großen Bedeutung der franzçsischen Sprache in ganz Europa. Eine enge Verbindung zwischen der Mçglichkeit, Franzçsisch zu lernen, dessen „Studium zu jeder guten Erziehung gehçrte“,280 und der Etablierung der Franzçsischen Kolonien in Brandenburg-Preußen sahen bereits die Chronisten des refuge Jean-Pierre Erman und Fr¤d¤ric Reclam im 18. Jahrhundert.281 Tatschlich wurden in Berlin wie auch in vielen anderen Stdten Brandenburg-Preußens von den Neuankçmmlingen Schulen eingerichtet, die keineswegs allein von ihren eigenen Kindern besucht wurden. Eine Flut von franzçsischen Hauslehrern, Hofmeistern oder Gouvernanten war auf der Suche nach Bettigung, die – da das Angebot die Nachfrage îberstieg – im allgemeinen allerdings schlecht bezahlt war.282 Mochten ihre Methoden manchmal aus heutiger Sicht auch sehr drastisch gewesen sein,283 so brachten sie ihren Schîtzlingen dennoch gewisse Kenntnisse der franzçsischen Sprache und Kultur bei. Naturgemß wirkten sie dabei vor allem in die Breite. Daneben gab es eine Reihe „leuchtender Gestalten“,284 hugenottische gouverneurs und sousgouverneurs, informateurs, instituteurs, pr¤cepteurs oder sous-pr¤cepteurs am preußischen Hof.285 Allein fînf Hohenzollernherrscher wurden von hugenottischen Gouveranten, Erziehern und Lehrern betreut: Friedrich Wilhelm I., Friedrich II., Friedrich Wilhelm II., Friedrich Wilhem III. und Friedrich Wilhelm IV. Dazu kamen eine Vielzahl hohenzollernscher Prinzessinnen und Prinzen, deren Erziehung in den Hnden von r¤fugi¤s und deren Nachkommen lag.286 Whrend Kurfîrst Friedrich Wilhelm und sein Sohn Friedrich ihre Ausbildung noch an befreundeten europischen Hçfen erhalten hatten, stand 280 F. Hartweg, Die Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 208), S. 33. 281 Vgl. dazu die Ausfîhrungen bei H. Krum, Preußens Adoptivkinder … (s. Anm. 69), S. 68 – 72. 282 Vgl. dazu Henri Duranton, Un m¤tier de chien. Pr¤cepteurs, demoiselles de compagnie et bohÞme litt¤raire dans le Refuge allemand, in: Dix-huitiºme siºcle 17 (1985), S. 297 – 315. 283 Ohrfeigen oder Einsperren waren dabei an der Tagesordnung, vgl. die Schilderung von Friedrich August Ludwig von der Marwitz, der eine franzçsisch-reformierte Gouvernante hatte. Zitiert nach Friedrich Ausgust Ludwig von der Marwitz, Ein mrkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege, hg. v. Friedrich Meusel, 1, Berlin 1908, in Auszîgen neu abgedruckt bei Jîrgen Schlumbohm, Kinderstuben – Wie Kinder zu Bauern, Bîrgern, Aristokraten wurden 1700 – 1850 (= dtv-Dokumente, 2933), Mînchen 1983, S. 189 – 190. 284 So F. Hartweg, Die Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 208), S. 34. 285 Pierre-Paul Sagave, Berlin und Frankreich 1685 – 1871, Berlin 1980, S. 52. Das in diesem Zusammenhang relevante Kap. 2 des Buches wurde erneut abgedruckt als Ders., Franzçsische Prinzenerzieher am Preußischen Hof (1694 bis 1814), in: I. Mittenzwei, Hugenotten … (s. Anm. 60), 1986, S. 279 – 312. 286 Vgl. die Ausfîhrungen bei P.-P. Sagave, Berlin … (s. Anm. 285), S. 37 – 65.

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der 1688 geborene Kronprinz Friedrich Wilhelm, der sptere Friedrich Wilhelm I., von Kindheit an am eigenen Hof unter hugenottischer Aufsicht.287 Marthe de Rocoules (†1741), eine r¤fugi¤e, die 1685 noch unter ihrem Witwennamen Marthe de Montbeil an den Berliner Hof gekommen war, wurde dessen erste Gouvernante.288 Ihr folgte, als Friedrich Wilhelm sieben Jahre alt war, mit dem in Genf geborenen Alexander von Dohna (1661 – 1728), einem Sohn des Grafen Friedrich von Dohna (1621 – 1688), Statthalter von Orange, und dessen hugenottischer Gattin Esp¤rance du Puy-Ferassiºre, ein Schîler des berîhmten franzçsisch-reformierten Philosophen Pierre Bayle als Erzieher. Der Lehrplan, an dessen erster Stelle der Unterricht in reformierter Religion stand, sah vor, aus dem Kronprinzen einen Fîrsten zu machen, „der die Politik und die Kriegskunst verstehe“.289 Das Ziel wurde erreicht, allerdings mit erheblicher Mîhe: Ein unter der Aufsicht des zwischenzeitlich zum Oberhofmeister erhobenen von Dohna unterrichtender deutscher Lehrer wurde 1697 von dem r¤fugi¤ Jean Philippe Rebeur abgelçst, dem es gelang, die Kenntnisse des lese- und schreibschwachen Schîlers so weit zu verbessern, daß er 1697 sein Examen zur allgemeinen Zufriedenheit ablegte.290 Bekanntlich lehnte Friedrich Wilhelm I. jede schçngeistige Bettigung als unnîtze Zeitverschwendung ab und beseitige die franzçsisch inspirierte Hofetikette seines Vaters sofort nach seinem Regierungsantritt. Dennoch îbergab er seine Kinder nicht allein deutschen Erzieherinnen oder Schulmeistern, sondern sorgte dafîr, daß sie zunchst unter der Obhut seiner einstigen Gouvernante, Madame de Rocoules, und deren Tochter Marthe de Montbeil (†1752)291 aufwuchsen.292 Der Kronprinz Friedrich erhielt bereits mit vier Jahren seinen eigenen franzçsischen Hofmeister: Jacques Egide Duhan de Jandun (1685 – 1746),293 geboren in Sedan. Jacques Duhan war zunchst Hauslehrer bei den Sçhnen des Erziehers von Friedrich Wilhelm I., Alexander von Dohna, gewesen. Friedrich entwickelte eine enge Bindung an seinen Lehrer, nicht zuletzt, weil dieser entgegen dem Verbot des Vaters, die literarischen Neigungen 287 Vgl. dazu Heinrich Borkowsky, Erzieher und Erziehung Friedrich Wilhelms I., in: HohenzJb 8 (1904), S. 92 – 142. 288 Zu Marthe de Rocoules (Rocoulles, Rocoulle) vgl. H. Roquette, Die R¤fugi¤s … (s. Anm. 237), S. 20 – 21. 289 H. Borkowsky, Erzieher … (s. Anm. 287), S. 102. 290 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 134. 291 Zu Marthe de Montbeil vgl. H. Roquette, Die R¤fugi¤s … (s. Anm. 237), S. 20 – 21. 292 Friedrichs Schwester Wilhelmine (Markgrfin von Bayreuth) schildert die Erziehung durch die Genannten in ihren Memoiren, die sich in ihrem Nachlass fanden. 293 Vgl. zum Leben und Wirken von Jacques Egide Duhan de Jandun: Monique Dannhauser, Aus Frankreich nach Deutschland. Die franzçsischen Hugenotten und ihr Sproß Jacques-Egide Duhan de Jandun, Przeptor des Preußenkçnigs Friedrichs II. (= Deutsche Hochschulschriften, 1168), Frankfurt am Main/Mînchen/New York 1999. Vgl. auch im folgenden.

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seines begabten Zçglings unterstîtzte. Lehrer und Schîler legten sich eine Geheimbibliothek zu, die neben den Klassikern vor allem franzçsische Dichtungen und Dramen sowie Werke der franzçsischen Aufklrung enthielt. Friedrichs Neffe und Nachfolger, Friedrich Wilhelm (II.) hatte unter anderem mit Nicolas (de) B¤guelin (1714 – 1789),294 einen aus einer Schweizer reformierten Familie stammenden Lehrer.295 Der reformierte Religionsunterricht sollte anders als bei Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. keine besondere Rolle mehr spielen – so die Vorgaben des deistischen Onkels Friedrichs II. Der Prinz sollte zur Toleranz gegenîber allen Glaubensgemeinschaften in Brandenburg-Preußen erzogen werden. Friedrich Wilhelm war – hnlich wie sein gleichnamiger Großvater – nur ein mßig begabter Schîler. Die meisten Fortschritte machte er im Franzçsischen, das er wie sein Vorgnger auf dem Thron zeitlebens dem Deutschen vorzog. Der Sohn Friedrich Wilhelms (II.), der sptere Friedrich Wilhelm III., erhielt auf Betreiben seines Großonkels Friedrich ebenfalls einen Lehrer und Erzieher aus der Franzçsischen Kolonie zu Berlin: Guillaume de Moulines. Er galt als der beste Kenner des Franzçsischen in der Hauptstadt Preußens. 1784 îbernahm er den Philosophieunterricht des Prinzen.296 Als letzter hugenottischer Prinzenerzieher in Preußen wirkte schließlich Jean Pierre Fr¤d¤ric Ancillon (1767 – 1837).297 Er fîhrte von 1810 bis 1814 den spteren Friedrich Wilhelm IV. in die Geschichte und Philosophie ein.298 Außer ihm waren allerdings eine Vielzahl bekannter Persçnlichkeiten und Gelehrter wie zum Beispiel Barthold Georg Niebuhr oder Friedrich Karl von Savigny als Erzieher des zukînftigen Kçnigs ttig. Nimmt sich Ancillon, obwohl Hofhistoriograph und Leiter der philosophischen Klasse an der Berliner Akademie der Wissenschaften, neben ihnen auch eher bescheiden aus, so war sein Einfluß auf den spteren Kçnig im Sinne eines aufgeklrten Absolutismus nicht unerheblich. Von dessen Vater Friedrich Wilhelm III. wurde Ancillon spter sogar zum Außenminister ernannt.299 Etwa ein Jahrhundert wirkten die r¤fugi¤s und ihre Nachkommen demnach als praeceptores borussiae. Von ihnen lernten die zukînftigen Herrscher Preußens die franzçsische Sprache, franzçsische Umgangsformen, ihnen verdankten sie 294 Vgl. zu Nicolas de B¤guelin die Genfer Dissertation von Paul Dumont, Nicolas de B¤guelin (1714 – 1789): Fragment de l’histoire des id¤es philosophiques en Allemagne dans la seconde moit¤ du 18me siºcle, Neuchatel 1907. 295 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 135. 296 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 135; ferner C. Velder, 300 Jahre … (s. Anm. 216), S. 115 – 116. 297 Zu Jean Pierre Fr¤d¤ric Ancillon vgl. a.a.O., S. 172 – 177. 298 Vgl. dazu P.-P. Sagave, Franzçsische Prinzenerzieher … (s. Anm. 285), S. 304. 299 A. a. O., S. 308; Paul Haake, Johann Peter Friedrich Ancillon und Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (= HistBibl, 42), Mînchen/Berlin 1920.

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ihre Kenntnis îber die zeitgençssische franzçsische Politik, Philosophie und Literatur. Unter ihrem Einfluß entwickelte sich der preußische Hof im 18. Jahrhundert zum „franzçsischsten“ aller außerfranzçsischen Hçfe in Europa. Nicht zuletzt durch das Vorbild des Hofes aber konnte sich die von den Hugenotten vermittelte franzçsische Kultur whrend des 18. Jahrhunderts als die fîhrende Kultur in der gesellschaftlichen und intellektuellen Elite Preußens durchsetzen.300 Im Bereich der bildenden Kunst und der Musik allerdings trifft diese Aussage nur begrenzt zu. Vermutlich auch aufgrund der Stellung der reformierten Kirche Frankreichs zur Bilderfrage – es gab ein strenges Bilderverbot im Gottesdienstraum301 – hat das refuge in Brandenburg-Preußen nur vergleichsweise wenige und dann auch heute eher unbekannte bildende Kînstler und Architekten hervorgebracht.302 Die instrumentelle Musik des 19. Jahrhunderts wurde zwar von einigen Kînstlern hugenottischer Abstammung bereichert, wie etwa durch den Violinisten und Komponisten Jacques Charles Jacquemar (*1818),303 doch auch sie waren nur wenige und sind heute kaum mehr bekannt.304 Mçglicherweise hat die hugenottische Tradition des Psalmengesangs ohne instrumentelle Begleitung einer intensiveren Beschftigung mit instrumenteller Musik entgegengewirkt.305

300 So E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 135. 301 Vgl. dazu im Heidelberger Katechismus die Erluterungen zum zweiten Gebot. Danach war das Abbilden von „Kreaturen“ zwar erlaubt, aber diese Erlaubnis eher negativ belegt. Vgl. dazu u. a. Thorsten Latzel, Theologische Grundzîge des Heidelberger Katechismus (= Marburger theologische Studien, 83), Marburg 2004 (mit weiterfîhrender Literatur). Vgl. ferner die Ausfîhrungen bei Andreas Flick, 300 Jahre Evangelischreformierte Kirche in Celle. Der letzte Hugenottentempel in Niedersachsen, in: Hugenotten 64 (2000), S. 107 – 122, hier S. 112. 302 Vgl. dazu Sibylle Badstîbner-Grçger, Daniel Chodowieckis Arbeiten fîr die franzçsische Kolonie, in: G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 435 – 471, hier S. 435. 303 Zu Jacques Charles Jacquemar vgl. G. Fischer, Hugenotten … (s. Anm. 239), S. 53. 304 Vgl. dazu G. Fischer, Die Hugenotten … (s. Anm. 239), S. 69. 305 Vgl. dazu H. Tollin, Geschichte … (s. Anm. 97), 1, S. 66. Ferner G. Fischer, Die Hugenotten … (s. Anm. 239), S. 68. Zu dem traditionell zurîckhaltenden Verhltnis der franzçsisch-reformierten Gemeinden zur instrumentellen Musik vgl. ferner Markus Jenny, Der reformierte Beitrag zu Kirchenlied und Kirchenmusik im 16. und 17. Jahrhundert, in: DtHugenott 50 (1986), S. 70 – 82. Zur Verbreitung des Genfer Psalters im deutschen und niederlndischen Sprachraum vgl. die Konferenz vom 8. bis 10. April 2002 in Emden und den zugehçrigen Artikel von Henning P. Jîrgens, Die Rezeption des Genfer Psalters in Deutschland und den Niederlanden. Internationale Tagung in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden 8.–10. April 2002, in: Hugenotten 66 (2002), S. 152 – 154.

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Von den hugenottischen Architekten306 schließlich waren manche auch fîr ihre Franzçsische Kolonie und Kirche ttig: So wird dem r¤fugi¤ Jean de Bodt (1670 – 1745)307 der Entwurf fîr den temple – so die Bezeichnung fîr die Kirchengebude der reformierten Franzosen – auf dem Friedrichswerder, einer Berliner Vorstadt, zugeschrieben, whrend Louis Cayart (1644 – 1702) und Abraham Quesnay (1660 – 1726)308 den temple auf dem ehemaligen Friedrichstdtischen Markt erbauten. Whrend Cayart, als Baumeister und Ingenieur der Befestigungen von Verdun, Wesel, Kîstrin und Kolberg 1686 nach Berlin gekommen war, bettigte sich Quesnay unter anderem auch als Baufîhrer des Berliner Waisenhauses. Jean de Bodt schließlich wirkte um 1700 als Leiter des kurfîrstlichen, seit 1701 des kçniglichen Bauwesens in Berlin unter anderem am Bau des Zeughauses in Berlin und des Stadtschlosses in Potsdam mit.309 David Gilly (1748 – 1808), Sohn eines Schwedter r¤fugi¤, und auch sein Sohn Friedrich Gilly (1772 – 1800)310 arbeiteten dann nicht mehr als Architekten fîr die Franzçsische Kolonie und Kirche. Einen Namen machten sie sich vielmehr als Angehçrige der preußischen Bauverwaltung und Lehrer an der Berliner Bauakademie im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert: Vor allem der Vater zeichnete sich fîr eine Reihe wichtiger Bauten des Berliner Frîhklassizimus verantwortlich. Emmanuel Bardou (1744 – 1818)311 schließlich war im 18. Jahrhundert als Bildhauer aus dem Schweizer refuge nach Berlin gekommen. Er wird wie der Vater und Sohn Gilly dem Frîhklassizismus zugerechnet. Neben einem Herkules-Relief am Brandenburger Tor hat er unter anderem eine Portrait-Bîste Friedrichs II. hinterlassen. Abraham Romandon (1620 – 1688)312 und dessen Sohn G¤d¤on (um 1657 – etwa 1697)313 hatten sich 1686 als r¤fugi¤s in Berlin niedergelassen und wurden von Kurfîrst Friedrich Wilhelm als Hofmaler angestellt. Sie schufen unter anderem Portrts des Fîrsten, seines Sohnes Friedrich und dessen Gemahlin Sophie Charlotte. Daniel Chodowiecki (1726 – 1801) schließlich war einer der bedeutendsten und bekanntesten, wenn nicht der bedeutendste und 306 Vgl. dazu und im folgenden: Sybille Badstîbner-Grçger, Daniel Chodowieckis Arbeiten … (s. Anm. 302), S. 435. Zum hugenottischen Kirchenbau allgemein vgl. Andrew Spicer, Calvinist churches in early modern Europe, Manchester u. a. 2007. 307 Zu Jean de Bodt vgl. G. Fischer, Die Hugenotten … (s. Anm. 239), S. 47 – 48. 308 Zur Ttigkeit von Louis Cayart und Abraham Quesnay fîr die Franzçsische Kirche zu Berlin vgl. Sibylle Badstîbner-Grçger, Der hugenottische Kirchenbau in Berlin und Potsdam, in: G. Bregulla, Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 133 – 176, hier S. 147. 309 Zur Ttigkeit von de Bodt vgl. G. Fischer, Die Hugenotten … (s. Anm. 239), S. 47 – 48. 310 Zur Ttigkeit von Vater und Sohn Friedrich Gilly vgl. a. a. O., S. 49. 311 Zur Ttigkeit von Emmanuel Bardou vgl. a. a. O.; vgl. auch im folgenden. 312 Zu Abraham Romandon vgl. G. Fischer, Die Hugenotten … (s. Anm. 239), S. 63. 313 Zu G¤d¤on Romadon vgl. G. Fischer, Die Hugenotten … (s. Anm. 239), S. 48.

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bekannteste bildende Kînstler des brandenburg-preußischen Refuge.314 Aus einer reformierten polnisch-deutsch-franzçsischen Familie in Danzig stammend, war er 1743 nach Berlin gekommen, hatte sich der dortigen Franzçsischen Kirche angeschlossen und schließlich eine Berliner r¤fugi¤e geheiratet.315 Sein Werk als Emaille- und Miniaturmaler, als Zeichner und Radierer war von Rokoko und Aufklrung geprgt und mit seinen sthetischen und literarischen, philosophischen und pdagogischen Bestrebungen ist er charakteristisch fîr diese Zeit. Zugleich aber ist das Werk Chodowieckis ohne dessen enge Bindung an die Franzçsische Kolonie und Kirche zu Berlin nicht denkbar. Der petit ma‚tre der bildenden Kunst Daniel Chodowiecki vermittelte in und mit seinen Werken zwischen den Kulturen Frankreichs und Deutschlands316 – ganz hnlich wie es die Schriftsteller und Gelehrten des Berliner refuge taten. Schon zu Lebzeiten war er als Illustrator wichtiger Bîcher der deutschen Klassik und Romantik, aber auch als Zeichner und Stecher des Berliner bîrgerlichen Alltags bekannt und berîhmt. Als er starb, war er Prsident der Berliner Akademie der Kînste. Zugleich aber hatte er sich stets als øltester und Diakon der Berliner Franzçsischen Kirche intensiv fîr die sozial Benachteiligten in der Franzçsischen Kolonie eingesetzt. Darîber hinaus fertigte er kînstlerische Arbeiten ohne Entgeld fîr die Kirche an: Neben einer Reihe von Buch-Illustrationen beweisen vor allem seine Entwîrfe fîr den bauplastischen Schmuck des so genannten Franzçsischen Doms, jenes Bauwerks, das von Friedrich II. in Auftrag gegeben und neben der Franzçsischen Friedrichstadtkirche geplant, zusammen mit seinem Pendant, dem Deutschen Dom, den Berliner Gendarmenmarkt verschçnern sollte, sein kînstlerisches Engagement fîr diese Kirche. In dem von Chodowiecki Ende des 18. Jahrhunderts entworfenen Bildprogramm wird der starke Einfluß der franzçsisch-reformierten Theologie und Ethik auf den Kînstler besonders deutlich.317 Das heißt, nicht nur in seiner Wirkung, sondern auch in seiner Geisteshaltung hnelte der bildende Kînstler Chodowiecki einer 314 Die Literatur îber Daniel Chodowiecki ist vielfltig. Eine Zusammenstellung bietet Jochen Desel, Auswahlbibliographie zu Leben und Werk von Daniel Chodowiecki, in: Ursula Fuhrich-Grubert / Jochen Desel (Hg.), Daniel Chodowiecki (1726 – 1801). Ein hugenottischer Kînstler und Menschenfreund in Berlin, Bad Karlshafen 2001, S. 215 – 219. 315 Zu seiner Jugend und seinem Leben als Glied der Franzçsischen Kirche zu Berlin vgl. Dagmar von Stetten-Jellig, Daniel Chodowiecki als Mitglied der franzçsisch-reformierten Gemeinde zu Berlin, in: U. Fuhrich-Grubert / J. Desel (Hg.), Daniel Chodowiecki … (s. Anm. 314), S. 15 – 49. 316 Vgl. dazu Ursula Fuhrich-Grubert, Einleitung, in: Dies. / J. Desel (Hg.), Daniel Chodowiecki … (s. Anm. 314), S. 11 – 14, hier S. 11. 317 Vgl. dazu Sibylle Badstîbner-Grçger, Daniel Chodowieckis Arbeiten … (s. Anm. 302), S. 435 – 471, hier S. 455 – 462; ferner Dies., Eine Kontroverse um das Bildprogramm des Franzçsischen Doms in Berlin, in: U. Fuhrich-Grubert / J. Desel (Hg.), Daniel Chodowiecki … (s. Anm. 314), S. 101 – 123.

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Vielzahl von Berliner „refugierten“ Gelehrten seiner Zeit. Erklrlich wird diese Analogie aufgrund des regen intellektuellen Austausches, der freundschaftlichen und auch verwandtschaftlichen Verbindungen innerhalb der Elite der Franzçsischen Kolonie zu Berlin, zu der Chodowiecki und seine Familie genauso gehçrten wie etwa die Angehçrigen der oben erwhnten Familie Erman.318 Insgesamt gesehen, brachten die Franzçsischen Kolonien in BrandenburgPreußen also nur wenige bedeutende bildende Kînstler hervor. Tatschlich waren nicht sie es, sondern vielmehr vor allem Kunsthandwerker wie Goldschmiede oder Gobelinhersteller, welche fîr das kînstlerische Schaffen im refuge Brandenburg-Preußens standen.319 Auf das reformierte Bilderverbot als einen mçglichen Grund fîr dieses Phnomen wurde oben bereits hingewiesen. Innerhalb der Kirchen der franzçsisch-reformierten Gemeinden wurde dieses Gebot tatschlich bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchgngig eingehalten: Das Bildprogramm am Franzçsischen Dom widersprach ihm nicht, denn bei ihm handelte es sich um kein Kirchengebude. Tatschlich waren die neu erbauten Kirchen im refuge durch die gleichen Eigenschaften gekennzeichnet wie die reformierten temples im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts, in denen entsprechend den Vorschriften Calvins der Raum mit der reformierten Theologie und Liturgie îbereinstimmen sollte.320 Bildlich îberliefert sind zwei Grundtypen hugenottischen Kirchenbaus in Frankreich, zum einen die Paradieskirche in Lyon und zum anderen der temple von Charenton bei Paris. Letzterer wurde nach seiner Zerstçrung im Jahre 1685 zum symbolischen, seltener zum architektonischen Vorbild hugenottischen Kirchenbaus. Aber einige der dort festgelegten Architekturelemente blieben allgemein verpflichtend – auch in Brandenburg-Preußen: So waren die neu errichteten Kirchenbauten stets als Versammlungshuser, die der Wortverkîndung und dem Spenden der Sakramente dienen sollten, konzipiert. Einschiffige Saalbauten, in der Regel mit flachen Holzdecken und umlaufenden, hufig zweigeschossigen Emporengalerien auf frei stehenden Stîtzen, die eine Mehrschiffigkeit vortuschen konnten und eine zweigeschossige Fensteranordnung besaßen, wurden bevorzugt. Da die Predigt im Mittelpunkt des reformierten Gottesdienstes stand und steht, kam dies auch in der baulichen Aufstellung der Kanzel zum Ausdruck, die zentral und frei im Raum angebracht wurde. Der 318 Vgl. Jochen Desel, Nikolaus Daniel Chodowiecki und seine Familie – Genealogische Daten und Fakten, in: U. Fuhrich-Grubert / J. Desel (Hg.), Daniel Chodowiecki … (s. Anm. 314), S. 163 – 177. 319 S. Badstîbner-Grçger, Daniel Chodowieckis Arbeiten … (s. Anm. 302), S. 435. 320 Vgl. S. Badstîbner-Grçger, Der hugenottische Kirchenbau … (s. Anm. 308), S. 133 – 136. Vgl. ferner A. Flick, 300 Jahre … (s. Anm. 301), S. 115.

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Abendmahlstisch stand îblicherweise zentriert darunter. Wenn mçglich, waren die Kirchenbnke oder Stîhle strahlenfçrmig oder amphitheatrisch um die Kanzel ausgerichtet, auch diejenigen der Empore, wobei der parquet der Kanzel am nchsten lag.321 Neue Kirchenbauten errichteten die r¤fugi¤s in der Regel mit Hilfe von Kollektengeldern und obrigkeitlicher Unterstîtzung. In folgenden Orten entstanden sie: in Magdeburg (1705 – 1710), Mîncheberg (1710), Cottbus (1707 – 1714, simultan mit den Deutsch-Reformierten benutzt), Halberstadt (1712 – 1717), Kçnigsberg (1733 – 1736), Frankfurt/Oder (1736), Potsdam (1753), Schwedt (1779) und vor allem in Berlin.322 Dort waren es fînf Neubauten, von denen zwei simultan mit Deutsch-Reformierten und Lutheranern genutzt wurden, nmlich die Dorotheenstdtische323 und Friedrichwerdersche Kirche.324 Allein den Franzçsisch-Reformierten dienten die Friedrichstadtkirche,325 die Luisenstadtkirche326 und die Klosterkirche.327 Allerdings waren Kirchenneubauten im brandenburg-preußischen refuge eher die Ausnahme. In der Regel erhielten oder erwarben die r¤fugi¤s alte, oft mittelalterliche, schon lange Zeit nicht mehr genutzte Kirchen.328 Charakteristisch fîr die Neuankçmmlinge war auch die Einrichtung behelfsmßiger Ver321 A. a. O., S. 111 – 112; ferner S. Badstîbner-Grçger, Der hugenottische Kirchenbau … (s. Anm. 308), S. 133 – 136. Vgl. zum franzçsisch-reformierten Kirchenbau Inge Elssser, Die „Hugenottenkirche“ in Erlangen und ihre Vorbilder. Beispiel einer Synthese aus franzçsischem Hugenottentempel und deutscher Querkirche im Gefîge einer barocken Stadtanlage (= Schriften aus dem Institut fîr Kunstgeschichte der Universitt Mînchen, 14) Mînchen 1987; der Sammelband von Paul Corby Finney (Hg.), Seeing Beyond the Word. Visual Arts and the Calvinist Tradition, Grand Rapids/Cambridge 1999; beziehungsweise Jochen Desel, Hugenottenkirchen in Hessen-Kassel (= Geschichtsbltter des Deutschen Hugenotten-Vereins, 21), Bad Karlshafen 1992, S. 8 – 11. 322 S. Badstîbner-Grçger, Der hugenottische Kirchenbau … (s. Anm. 308), S. 134. 323 Eingeweiht wurde die Kirche 1687. 1688 wurde sie der franzçsisch-reformierten Gemeinde zur simultanen Benutzung mit der deutsch-reformierten Gemeinde îberwiesen. Ein letzter Gottesdienst der franzçsisch-reformierten Gemeinde fand 1841 statt, danach wurde das Kirchengebude an die deutsch-reformierte Gemeinde verkauft. Vgl. Ursula Fuhrich-Grubert, Die Franzçsische Kirche zu Berlin. Ihre Einrichtungen 1672 – 1945 (= Tagungsschriften des Deutschen Hugenotten-Vereins, 11), Bad Karlshafen 1992, S. 47 – 48. 324 1701 bis 1841 wurde die Kirche von der franzçsisch-reformierten Gemeinde genutzt. Diese Kirche war von Beginn an eine Simultankirche fîr die drei genannten Konfessionen. A. a. O., S. 51 – 55. 325 Eingeweiht wurde die Kirche 1705. Sie existiert noch heute. A. a. O., S. 55 – 58. 326 Eingeweiht wurde die Kirche 1700. Zerstçrt wurde sie im Zweiten Weltkrieg. A. a. O., S. 48 – 51. 327 1726 wurde die Kirche eingeweiht, seit 1924 wurde sie nicht mehr als Gottesdienstraum, sondern u. a. als Ort fîr Theaterveranstaltungen genutzt. Zerstçrt wurde die Kirche im Verlaufe des Zweiten Weltkriegs. A. a. O., S. 59 – 65. 328 Vgl. S. Badstîbner-Grçger, Der hugenottische Kirchenbau … (s. Anm. 308), S. 133.

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sammlungsrume in Profangebuden sowie die Nutzung und der Mitbesitz von Kirchen deutsch-reformierter und lutherischer Gemeinden, die so zu Simultankirchen wurden.329 Auch wenn diese Regelungen anfangs oft zu Konflikten fîhrten, so waren sie doch zugleich Symbol fîr die Rolle, welche die r¤fugi¤s und ihre Nachkommen im kulturellen Leben Brandenburg-Preußens im weitesten Sinne des Wortes spielen sollten: die Rolle als Vermittler zwischen den verschiedenen religiçsen, sozialen und wissenschaftlichen Kulturen der Zeit – gleichermaßen als eigentliche Handwerker wie als Handwerker der Aufklrung.

§ 6 Identitt und Akkulturation Von einer gemeinsamen Identitt der r¤fugi¤s konnte bei ihrer Niederlassung in Brandenburg-Preußen zunchst keine Rede sein, denn die Gruppe der reformierten Franzosen, die im 17. und 18. Jahrhundert nach Brandenburg-Preußen kamen, war keineswegs homogen:330 Stammten ihre Mitglieder doch aus zwei politisch, kulturell und sozio-çkonomisch sehr unterschiedlichen Regionen Frankreichs, den pays de droit im Sîden und den pays de coutume im Norden des Landes. Whrend der Sîden çkonomisch eher landwirtschaftlich geprgt war, hatte sich im stdtisch dominierten Norden bereits eine Differenzierung handwerklicher Produktion vollzogen. Diese wiederum fçrderte die Entwicklung des protoindustriellen Manufakturwesens. Aus all dem resultierten zwei deutlich voneinander abgrenzbare Existenzformen im Sîden und Norden Frankreichs, welche von den r¤fugi¤s in ihr Aufnahmeland mitgebracht wurden.331 Zur ˜berwindung dieser regionalen Divergenzen trugen in BrandenburgPreußen mindestens drei Faktoren bei: 1. die gemeinsame sprachliche Basis des Hochfranzçsischen – verfîgten doch alle reformierten Franzosen seit der Bibelîbersetzung in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts neben ihren re329 A. a. O. Zu nennen wre als Beispiel die Kirche in Neustadt an der Dosse. Zur dortigen Franzçsischen Kolonie vgl. E. Muret, Geschichte der Franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 77), S. 254. 330 Vgl. dazu E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), passim. 331 Vgl. dazu a.a.O., S. 109 – 110. Ursprînglich hatte es regional differenziert eine unterschiedliche Auffassung unter den Reformierten in Frankreich îber das richtige Verhalten gegenîber dem franzçsischen Kçnig gegeben. Whrend im Sîden Frankreichs eher eine Tradition des Widerstandes gepflegt wurde, setzten die Hugenotten im Norden auf Loyalitt als ˜berlebensstrategie im absolutistischen Frankreich. Sie sollten sich mit dieser Auffassung letztlich durchsetzen. Vgl. dazu Elisabeth Labrousse, La Saint Barth¤l¤my ou les r¤sonances d’un massacre, Neuch’tel 1976, S. 84. Vgl. ferner Philippe Joutard, 1685 – Ende und neue Chance fîr den franzçsischen Protestantismus, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985 … (s. Anm. 20), S. 11 – 25, hier S. 12 – 13.

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gional unterschiedlichen „Dialekten“ und „Sprachen“332 îber eine einheitliche franzçsische Kultussprache –, 2. die gemeinsame reformierte Konfession,333 und 3. die mehrheitlich ablehnende Haltung der einheimischen Bevçlkerung gegenîber den Neuankçmmlingen.334 Sowohl die franzçsische Sprache wie die reformierte Konfession wirkten außer zur Konsolidierung der Immigrantengruppe auch zur Steigerung ihrer Wertschtzung bei Teilen des Adels335 und bei den intellektuellen Eliten Brandenburg-Preußens. Da Franzçsisch seit Ende des 30jhrigen Krieges Latein als Diplomaten- und Gelehrtensprache mehr und mehr ablçste, galt das Beherrschen dieser Sprache seit der Wende zum 18. Jahrhundert als Ausdruck zivilisierter Lebensart. So verschaffte die sprachliche Teilhabe an der zunehmend franzçsisch geprgten Hochkultur der gesellschaftlichen Eliten Europas den r¤fugi¤s das Renommee einer positiv bewerteten kulturellen Avantgarde.336 Zugleich entstand der Eindruck, daß ihre reformierte Konfession, die auch die des brandenburgischen Kurfîrsten war und von ihm durch reformierte Hofprediger im ganzen Land propagiert wurde, eine von der lutherischen „Volksreligion“ abgehobene hçfische Elitekonfession sei. Von dieser Qualifizierung ihrer Konfession konnten die r¤fugi¤s im Hinblick auf den Adel und die Intellektuellen des Landes wiederum nur profitieren: Ihre Wertschtzung wurde nochmals gesteigert.337 332 Im Sîden war es das Okzitanisch, eine mit dem Franzçsischen eng verwandte romanische Sprache, die dialektal stark gegliedert war, im Norden franzçsische Dialekte. Vgl. Jîrgen Eschmann, Die Sprache … (s. Anm. 5), hier S. 43; ferner: Ders., Romanische Migranten- und Vertriebenensprachen: Franzçsisch und okzitanisch-langues romanes des migrants et des exil¤s: franÅaise et occitan, in: Gerhard Ernst (Hg.), Romanische Sprachgeschichte – Histoire linguistique de la Romania. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen, 2. Teilbd., Berlin/New York 2006, S. 1892 – 1896. 333 Vgl. E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), S. 110 f. 334 Vgl. dazu Ursula Fuhrich-Grubert, Hugenotten in Preußen 1685 bis 1945. Von den „Paddenschluckern“ zu den besten Deutschen, in: Hugenotten 66 (2002), S. 3 – 27, hier S. 11 – 12. Vgl. zu Protesten und Widerstnden seitens der einheimischen Bevçlkerung mit Blick auf die Gesamtheit der deutschen Territorialstaaten Andreas Reinke, Die Kehrseite der Privilegierung: Proteste und Widerstnde gegen die hugenottische Niederlassung in den deutschen Territorialstaaten, in: Comparativ 7 (1997), S. 39 – 55. 335 Vgl. dazu E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), S. 111 f., der allerdings davon ausgeht, daß die r¤fugi¤s beim gesamten Adel von ihrer Konfession profitierten (ebd., S. 112). Er vergißt dabei z. B. den heftigen Widerstand der ostpreußischen Stnde gegen die Durchsetzung des reformierten Bekenntnisses unter dem Großen Kurfîrsten – was auf keine sehr positive Einstellung der Mehrheit des dortigen Adels gegenîber der reformierten Konfession schließen lßt. Vgl. dazu Martin Lackner, Die Kirchenpolitik des Großen Kurfîrsten, Berlin 1973, S. 148 – 182. 336 Vgl. dazu E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), S. 111. 337 A. a. O., S. 112.

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Whrend also die adligen und intellektuellen Eliten des Landes und vor allem dessen Herrscher die reformierten Franzosen als Bereicherung, als „positive Migranten“ empfanden und die Neuankçmmlinge entsprechend behandelten, schlug ihnen von Seiten der îbrigen Bevçlkerung heftige Ablehnung entgegen.338 Gerade die franzçsische Sprache und Kultur, aber auch die reformierte Konfession, die den Hugenotten ihren vorteilhalften Status am Hof, beim Adel und unter den Gelehrten verlieh, fîhrte in Verbindung mit çkonomischen øngsten bei der „einfachen“, vor allem lutherischen Bevçlkerung Brandenburg-Preußens zu einem offen diskriminierenden Verhalten gegenîber den Franzosen,339 das zudem von Seiten der lutherischen Geistlichkeit teilweise noch verstrkt wurde.340 So mußte etwa 1686 zur Unterstîtzung der Ankçmmlinge eine sogenannte Zwangskollekte erhoben werden, da freiwillige Geldsammlungen zugunsten der r¤fugi¤s nicht den gewînschten Erfolg zeitigten.341 Die anfangs notwendige Versorgung der Emigranten mit Lebensmitteln schuf ebenfalls Probleme: Es kam zu einer zeitweiligen Lebensmittelverknappung, die zu hçheren Preisen fîhrte, was wiederum den Unmut der Einheimischen nach sich zog.342 Selbst kommunale oder staatliche Vertreter scheinen der Antipathie der Bevçlkerung Ausdruck gegeben zu haben: Vom Kurfîrsten angeordnete Hilfsleistungen fîr die r¤fugi¤s wurden verzçgert oder gar verweigert – wie etwa um 1688 in Magdeburg geschehen.343 Schließlich mußten sogar Soldaten zum Schutz der Fremden abkommandiert werden, da mancherorts Steine durch ihre Fenster flogen oder gar Feuer in ihren Husern gelegt wurde.344 Im gewerblichen Bereich drîckte sich die Ablehnung der Einheimischen oftmals im Widerstand gegen die im Edikt von Potsdam zugesagte unentgeltliche Aufnahme der r¤fugi¤s in die „deutschen“ Zînfte und Gilden aus, ferner in zahlreichen Klagen wegen unzînftiger Produktion oder ganz allgemein in Forderungen nach gravierenden Einschrnkungen der hugenottischen Fabrikation.345 Zustzlich verschlechterte sich das Verhltnis von Neuankçmm338 Vgl. fîr den gesamtdeutschen Raum zum Phnomen der Diskriminierung der r¤fugi¤s: A. Reinke, Die Kehrseite … (s. Anm. 334), S. 39 – 55. Auf Preußen bezogen vgl. ebd., S. 45 – 48 u. 50 – 53. 339 Vgl. U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten in Preußen … (s. Anm. 334), S. 10 – 11. 340 Vgl. dazu z. B. H. Tollin, Geschichte … (s. Anm. 97), 3, Abt. 1, C, Tl. 3, Abschnitt 7, S. 1261 – 1306, passim. 341 Vgl. dazu E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 17. 342 Vgl. dazu E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), hier S. 101. 343 Vgl. dazu H. Tollin, Geschichte … (s. Anm. 97), 2, S. 295 – 312. 344 Vgl. die Beschreibung bei M. Curt L. Lang, Das Modell einer Immigration. Die Hugenotten in Preußen, in: Bruno Botta u. a. (Hg.), Die Hugenotten und BerlinBrandenburg, Berlin 21981, S. 28 – 42, hier S. 35. 345 Vgl. hierzu die Hinweise bei H. Tollin, Geschichte … (s. Anm. 97), 3, Abt. 1, A, Tl. 1, Abschnitt 1, S. 22 – 82, passim; oder bei S. Jersch-Wenzel, Juden … (s. Anm. 59), hier S. 76 – 79. A. Reinke, Die Kehrseite … (s. Anm. 334), S. 54 – 55 beschreibt den ge-

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lingen und Alteingessenen allerdings auch durch ein gewisses provokatives Verhalten seitens der r¤fugi¤s – etwa beim Gottesdienstbesuch in Simultankirchen.346 Den Emigranten wurde zu Beginn ihrer Niederlassung auf diese Weise deutlich vor Augen gefîhrt, daß allein der Schutz der Obrigkeit, speziell der des Kurfîrsten selbst, ihren Aufenthalt in Brandenburg-Preußen sicherte, was die Ergebenheit der hugenottischen Elite, spter dann der Gesamtheit aller r¤fugi¤s347 gegenîber dem hohenzollernschen Herrscherhaus strken sollte.348 Im Verlaufe von etwa drei Generationen formierte sich aus den Nachkommen der r¤fugi¤s schließlich eine homogene Gruppe, deren Identitt und innerer Zusammenhalt von der stetig zunehmenden Wertschtzung der franzçsischen Hochkultur in ihrem Aufnahmeland positiv beeinflußt und durch die fortgesetzte gezielte Privilegienpolitik der preußischen Herrscher gefestigt wurde.349 Die kontinuierliche Protektion der Hugenotten, die in ihren Franzçsischen Kolonien bekanntlich mit einer eigenen Verwaltung und eigenen Rechten ausgestattet waren (s. § 2 dieses Beitrages), durch die Hohenzollern fîhrte schließlich zu einer spezifischen Form hugenottischer Borussophilie, hugenottischen Royalismus und Patriotismus.350 Vorbereitet durch die bereits in Frankreich begrîndete Tradition der Loyalitt gegenîber der weltlichen Obrigkeit,351 besaß sie zudem offen idolatorische Zîge. Nicht zuletzt diese auf das 346

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schilderten Widerstand als Teil von Protesten der stndischen Bevçlkerung gegen den stndig wachsenden Machtanspruch des sich formierenden modernen Machtstaates. Dabei kam es z. B. in Berlin îber Jahrzehnte hinweg zu Auseinandersetzungen zwischen den „deutschen“ und „franzçsischen“ Kirchenbesuchern: Die einen, die „Deutschen“, wollten die Kirche verlassen, die anderen, die „Franzosen“, drngten hinein. So entstand schnell ein Tumult. Trotz Androhung von hohen Strafen ließen die r¤fugi¤s von diesem Verhalten îber lange Zeit nicht ab. Vgl. dazu U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten in Preußen … (s. Anm. 334), S. 13 – 15. Vgl. ferner die ausfîhrliche Schilderung der zugehçrigen Streitigkeiten bei Markus Clausius, Die Etablierung der Hugenotten in Berlin 1672 – 1702, Magisterarbeit Berlin 1996 (Masch.), S. 64 – 66. Der Widerstand gegen die sozialdisziplinierenden Maßnahmen des absolutistischen Staates, der sich von Seiten der unteren Schichten der r¤fugi¤s artikulierte, fîhrte die Neuankçmmlinge, die hier hnliche Intentionen gegen die reglementierenden und leistungsfordernden Eingriffe des absolutistischen Staates im Sinne hatten wie die Einheimischen, jedoch nicht zu einem gemeinsamen Widerstand mit diesen. Vielmehr richteten sie den Widerstand gegeneinander, so daß dieses Verhalten letztlich zu einer Strkung der obrigkeitlichen Macht beitrug, da jene in dem Konflikt vermittelnd und regulierend eingreifen konnte und sich dadurch die herrschaftliche VermittlungsFunktion festigte. Vgl. dazu auch A. Reinke, Die Kehrseite … (s. Anm. 334), S. 54 – 55. Vgl. dazu U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten in Preußen … (s. Anm. 334), S. 16. Vgl. dazu E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), S. 110. So a. a. O., S. 122. Vgl. dazu als Grundlage: Rudolf von Thadden, Vom Glaubensflîchtling zum preußischen Patrioten, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985 … (s. Anm. 20), S. 186 – 197. Vgl. dazu P. Joutard, 1685 … (s. Anm. 331), S. 12 – 13.

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Haus Hohenzollern îbertragene Loyalitt ermçglichte den Neuankçmmlingen schließlich ihre verhltnismßig rasche Eingliederung in die preußische Gesellschaft.352 Parallel zum Wandel von Identitt und Gruppenstruktur der r¤fugi¤s vernderte sich im Verlaufe des 18. Jahrhunderts die Haltung der Einheimischen ihnen gegenîber: Aus Ablehnung wurde Anerkennung und schließlich sogar Bewunderung der Hugenottennachkommen. Wenn sich die Enkel der 1685 eingewanderten reformierten Franzosen als eine privilegierte, exklusive und elitre Gruppe franzçsischer Kulturtrger und zugleich preußischer Patrioten, als eine Gruppe von staatsunmittelbaren Preußen, als „preußische citoyens“ begriffen, so wurden sie von ihrer „deutschen“ Umgebung nunmehr auch so wahrgenommen.353 Trotz der erfolgreich verlaufenden Akkulturation der „Franzosen“ in die preußische Gesellschaft sollte nach ihrer Vorstellung auch im ausgehenden 18. Jahrhundert der juristische und administrative Sonderstatus der Franzçsischen Kolonien keineswegs angetastet werden. Begrîndet wurde dieser Wunsch der Hugenottennachkommen mit ihrem fîr die Gesellschaft beispielhaften „Gemeingeist“.354 Die hugenottischen „Sonderrechte wiesen quasi îber sich hinaus und stellten gewissermaßen Vorbildungen spterer Allgemeinheiten [nmlich des Bîrgersinns] dar“.355 Die r¤fugi¤s und ihre Nachkommen boten sich damit dem preußischen Staat als integrative Elite fîr den nationalen Einigungsprozeß an, wobei sie durch ihr politisches Bekenntnis zur preußischen Monarchie zugleich den aufgeklrten Absolutismus strkten.356 Im Kontext ihrer Sonderrolle spielte die franzçsische Sprache als Identifikationselement der „preußischen Franzosen“ eine wichtige Rolle. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestand deren nur mehr symbolischer Wert in einer gruppenausweisenden Funktion.357 Franzçsisch wurde dabei vor allem von der Fîhrungselite358 der Hugenottennachkommen als existenzlegitimierendes Moment verteidigt, obwohl ein immer grçßer werdender Teil der reformierten 352 Vgl. dazu R. v. Thadden, Vom Glaubensflîchtling … (s. Anm. 350), S. 190 – 191. 353 Vgl. R. v. Thadden, Vom Glaubensflîchtling … (s. Anm. 350), S. 193; ferner U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten in Preußen … (s. Anm. 334), S. 20; und E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), S. 125. 354 So R. von Thadden, Vom Glaubensflîchtling … (s. Anm. 350), S. 190 – 191; ferner dazu E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), S. 125. 355 R. von Thadden, Vom Glaubensflîchtling … (s. Anm. 350), S. 195. 356 Vgl. dazu E. Birnstiel, Gruppenidentitt … (s. Anm. 105), S. 124 – 125. 357 Vgl. dazu Fr¤d¤ric Hartweg, Die Hugenotten in Deutschland. Eine Minderheit zwischen zwei Kulturen, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985 … (s. Anm. 20), S. 172 – 185, hier S. 177. 358 Es handelte sich dabei um die hohen Verwaltungsbeamten, um Wissenschaftler und einige Kînstler sowie – allerdings in geringerem Umfang – um Adlige. Vgl. dazu Jîrgen Wilke, Zur Geschichte der franzçsischen Kolonie … (s. Anm. 91), S. 70.

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Koloniefranzosen dieser Sprache nicht mehr mchtig war. Fîr viele der Hugenottennachkommen hatte sich das Franzçsische seit der Mitte des 18. Jahrhunderts aus einer Alltags- zu einer „Kultussprache“ gewandelt.359 Gleichzeitig hatten bestimmte Begriffe in den deutschen Wortschatz Aufnahme gefunden, insbesondere in Berlin, wo bis heute Worte wie Bulette (la boulette), Budike (la boutique) oder blîmerant (plus mourant) vom sprachlichen Einfluß der r¤fugi¤s auf das Berlinische zeugen.360 Bekmpft wurde der voranschreitende Eindeutschungsprozeß unter den Hugenottennachkommen von seiten der Franzçsischen Kirche, die eine theologische Daseinsbegrîndung offenbar nur schwer erbringen konnte und daher die Sprache gleich auf zwei Ebenen als Ausgleich dafîr benutzte: Zum einen knîpfte sie an eine Unterstîtzung bedîrftiger Gemeindeglieder und deren Aufnahme in kirchliche Wohlttigkeitseinrichtungen Kenntnisse der franzçsischen Sprache,361 und zum anderen schuf sie kircheneigene Institutionen,362 um 359 Vgl. dazu ausfîhrlich in Bezug auf die Berliner Franzçsische Kirche: Fr¤d¤ric Hartweg: Zur Sprachsituation der Hugenotten in Berlin im 18. Jahrhundert, in: Beitrge zur Romanischen Philologie 20 (1981), S. 117 – 127; ferner Ders., Sprachwechsel und Sprachpolitik der franzçsisch-reformierten Kirche in Berlin im 18. Jahrhundert, in: JbGMitteldtld 30 (1981), S. 162 – 176; und Ders., Franzçsisch als Kultsprache? Zur Sprachpolitik der franzçsisch-reformierten Kirche in Berlin 1774 – 1814, in: Beitrge zur Romanischen Philologie 22 (1983), S. 5 – 42; sowie zusammenfassend Ders., Die Hugenotten in Berlin, in: F. Hartweg / S. Jersch-Wenzel (Hg.), Die Hugenotten … (s. Anm. 97), S. 36 – 42, und Ders., Der Sprachwechsel im Berliner Refuge, in: Sabine Beneke / Hans Ottomeyer (Hg.), Zuwanderungsland Deutschland. Die Hugenotten, Berlin 2005, S. 121 – 126, hier S. 123 – 126; ferner Manuela Bçhm, Der Sprachwechsel der Hugenotten im lndlichen Raum. Die Franzçsischen Kolonien Strasburg/Uckermark und Friedrichsdorf/Taunus im Vergleich, in: S. Beneke / H. Ottomeyer (Hg.), Zuwanderungsland …., S. 127 – 133. 360 Diese Begriffe beruhen allerdings nicht allein auf dem Einfluß der Hugenotten, sondern auch auf der allgemeinen Wertschtzung des Franzçsischen im 18. Jahrhundert und auf dem spteren Einfluß von ¤migr¤s, das heißt franzçsischen Revolutionsflîchtlingen, und auf dem franzçsischer Soldaten, die whrend der Napoleonischen Kriege in Berlin waren. Vgl. dazu Jîrgen Wilke, Einflîsse franzçsischer Sprache und Alltagskultur auf das Berlinische, in: G. Bregulla (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 56), S. 392 – 419, hier S. 404. Zu den Einflîssen der Franzçsischen Sprache auf das Berlinische vgl. Ewald Harndt, Franzçsisches im Berliner Jargon, Berlin 81985; ferner zusammenfassend: F. Hartweg, Die Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 208), S. 35 – 36. 361 Vgl. dazu a. a. O., S. 36 – 37. 362 Genannt werden mîssen hier die p¤piniºre des chantres et ma‚tres d’¤cole (gegrîndet 1779) und das s¤minaire de th¤ologie (gegrîndet 1770), die der Ausbildung von Kantoren, Lehrern und Geistlichen dienen sollten. Vgl. dazu ausfîhrlich U. Fuhrich-Grubert, Die Franzçsische … (s. Anm. 323), S. 39 – 45. Daß insbesondere die schulischen Einrichtungen insgesamt zunehmend in den Dienst „refugierter“ Identittsstiftung und -erhaltung gestellt wurden, belegt die Arbeit von Franziska Roosen, „Soutenir notre Ãglise.“ Hugenottische Erziehungskonzepte und Bildungseinrichtungen im Berlin des

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franzçsischsprachige Lehrkrfte und Geistliche auszubilden. Aufhalten konnte sie den Eindeutschungsprozeß mit diesen Maßnahmen jedoch nicht, zumal die Zahl deutsch-franzçsischer Mischehen in ganz Brandenburg-Preußen stndig anstieg. Gesicherte Zahlen liegen allerdings nur fîr Berlin vor. Zwischen 1760 und 1784 machten die entsprechenden Ehen mit 48,7 Prozent erstmals den grçßeren Anteil der in der Franzçsischen Kirche zu Berlin geschlossenen Gesamtzahl von Ehen aus, nachdem dieser Anteil in den Generationen vorher zunchst stetig von 10,7 Prozent (1676 – 1700) îber 15,2 Prozent (1704 – 1728) auf 32,4 Prozent (1732 – 1756) angewachsen war.363 Dabei scheinen es primr „franzçsische“ Mnner gewesen zu sein, die „deutsche“ Frauen heirateten.364 Die vielfltigen sozialen und wirtschaftlichen Kontakte in einer Stadt wie Berlin bewirkten offenbar einen relativ schnellen Abbau von Mißtrauen und Hemmungen. Dabei dîrfte die durch eine Heirat ermçglichte Zugehçrigkeit zur prestigetrchtigen und privilegierten Franzçsischen Kolonie fîr deutsche Ehepartner auch eine Rolle gespielt haben. Daß die Geschichte des refuge in Preußen zugleich die Geschichte einer Entfremdung ihrer intellektuellen Elite von Frankreich war,365 gehçrt als wichtiger Aspekt zu der schließlich nicht mehr umkehrbaren Eingliederung der franzçsischen Religionsmigranten in die preußische Gesellschaft.366 So schienen gegen Ende des 18. Jahrhunderts gebîrtige Franzosen und die geistige Elite der Koloniefranzosen auf keine anderen Berîhrungspunkte als ihre gemeinsamen Wurzeln zurîckblicken zu kçnnen. Entsprechend der eigenen ˜berzeugung wie der ihrer Umgebung hatten die r¤fugi¤s und ihre Nachkommen bedeutende Elemente der franzçsischen Kultur nach Deutschland transferiert. Daraus war auf der Basis der deutschen Kultur etwas Neues entstanden, nmlich „la nouvelle civilisation allemande“,367 der sich die intellektuelle Elite des refuge dem-

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18. Jahrhunderts (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 42), Bad Karlshafen 2008, S. 313 – 318. Vgl. die Tabellen bei E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), hier S. 94 – 97. Diese Aussage ist wegen der Quellengrundlage, den franzçsisch-reformierten Kirchenbîchern, jedoch zu relativieren, da franzçsische Frauen, die deutsche Mnner heirateten und auch deren Konfession annahmen, nicht erfaßt sind. Vgl. dazu in den rºglements der Franzçsischen Kirche zu Berlin die Konkordate mit den lutherischen und deutsch-reformierten Kirchen in Preußen. Siehe dazu die Reglements fîr die Compagnie des Consistoriums der franzçsischen Kirche zu Berlin, Berlin 1876, S. 113 – 127. Die Gruppenidentitt der R¤fugi¤s-Nachkommen wurde allerdings bisher ausschließlich fîr den Bereich der mnnlichen Kolonieelite untersucht. Vgl. die Untersuchung bei Myriam Yardeni, Le Refuge allemand et la France. Histoire d’une ali¤nation, in: F. Hartweg / S. Jersch Wenzel (Hg.), Die Hugenotten … (s. Anm. 97), S. 187 – 204. Myriam Yardeni, Erudition et engagement: l’historiographie huguenote dans la Prusse des Lumiºre, in: Francia 9 (1981), S. 584 – 601. Vgl. dazu M. Yardeni, Le Refuge … (s. Anm. 97), S. 196 – 198. Das Zitat ebd., S. 198.

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entsprechend zugehçrig fîhlte. Diese Zivilisation jedoch hatte mit der Kultur des zeitgençssischen Frankreich nur noch Teile ihres Ursprungs gemein.368 Neben diesem Entwurf im Prozeß der Konstruktion hugenottischer Identitt im Preußen des ausgehenden 18. Jahrhunderts existierte ein anderer Entwurf, der weniger der intellektuellen Elite als vielmehr der Gewerbe und Handel treibenden „Mittelschicht“ des refuge zuzuordnen ist. Er fand seinen Ausdruck in deren Selbstbild von einer Brîckenfunktion zwischen der preußischen Heimat und der Heimat der Vorfahren – eine Vorstellung, die sich in konkretem, geschlechtsspezifisch differenziertem Handeln ausdrîckte: Whrend Mnner primr als Mittler von Preußen nach Frankreich wirkten, indem sie zwecks Handels oder Transfers von gewerblichen Erfahrungen Reisen in die Heimat ihrer Vorfahren unternahmen, wirkten Frauen in umgekehrter Richtung: Sie banden oftmals gebîrtige Franzosen, die nach Preußen gekommen waren, durch Heirat an die Hugenottenkolonien.369 Das Selbstbild vom Mittler beziehungsweise von der Mittlerin zwischen Preußen und Frankreich ist damit genauso Teil der Gesamtheit hugenottischer Identitt im Preußen des ausgehenden 18. Jahrhunderts wie das der Zugehçrigkeit zu einer neu entstandenen „civilisation allemande“.370 Um 1800 versuchte also eine borussophile, patriotische, den Hohenzollern loyal ergebene, sich als franzçsische Kulturtrger, zugleich aber auch als Mittler zwischen deutschen und franzçsischen Kulturen verstehende Gruppe von Hu-

368 Ebd., S. 198. Darîber hinaus ist an dieser Stelle auf die wichtige Rolle der Hugenotten als Mittler zwischen den verschiendenen Herrschaftsrume des preußischen Staates unter Friedrich II. Vgl. dazu Ursula Fuhrich-Grubert, „Meine gute Mama Camas, vergessen nie mich nicht. Friedrich“. Hugenottische Netzwerke um Friedich II. von Preußen, in: Andreas Flick / Walter Schulz (Hg.), Von Schweden bis Sîdafrika. Vortrge der Internationalen Hugenotten-Konferenz 2006. From Sweden to South Africa. Procedings of the International Huguenot conference in Emden 2006 (= Geschichtsbltter der Deutschen Hugenotten-Gesellschaft, 43), Bad Karlshofen 2008, S. 369 Vgl. dazu ausfîhrlich U. Fuhrich-Grubert, „Refugirte“ … (s. Anm. 85), S. 111 – 134, hier vor allem die Zusammenfassung S. 133 – 134. Darîber hinaus gab es ein raumgreifendes Kommunikationsnetz der Hugenotten im 18. Jahrhundert, das transnational angelegt war und z. B. die Finanzierung grçßerer Projekte wie die Grîndung eines Franzçsischen Waisenhauses in Berlin 1725 ermçglichte. 370 Zum anderen ließe sich denken, daß auch îber die Mittelschicht hinaus dieses Phnomen in der Identittsstruktur des preußischen refug¤ latent vorhanden war, daß es jedoch nicht opportun war, es der preußischen §ffentlichkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu prsentieren. Diese Hypothese wîrde eine Erklrung fîr das Verhalten der Familie Erman und anderer Mitglieder der fîhrenden „Kolonieoligarchie“, die sich fîr die Ende des 18. Jahrhunderts nach Preußen kommenden Revolutionsflîchtlinge sehr einsetzten, bieten. Vgl. dazu a. a. O., S. 123 – 124.

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genotten den Spagat zwischen franzçsisch geprgter Sonderidentitt und allgemeinem preußischen Staatsbewußtsein.371 Mit dem Beginn des Krieges gegen Frankreich im Jahre 1806 wurde dieses „gemischte“ Selbstbild allerdings zunehmend von der durchgngigen Vorstellung der Hugenotten als preußische Patrioten ersetzt, deren Beziehung zu Frankreich nunmehr ausschließlich in der Vergangenheit zu suchen war.372 Endgîltig durchgesetzt hat sich dieses Bild dann whrend und nach der napoleonischen Okkupation. Das Franzçsische wurde nunmehr in vielen hugenottischen Familien als Sprache des Feindes abgelehnt und nicht mehr gesprochen. Mancher Familienname wurde germanisiert.373 Dazu paßt, daß in dieser Zeit (1814 ff.) eine grundstzliche Diskussion um den Fortbestand der Franzçsischen Kirche und Sprache unter den Angehçrigen dieser Kirche entbrannte.374 Die Auseinandersetzung, deren Wortfîhrer der Pastor der Gramzower franzçsisch-reformierten Gemeinde David-Louis Th¤remin sowie als dessen Kontrahent der Berliner Geistliche Jean Henry waren, belegt zugleich, daß die Hugenotten in Preußen an dem bekannten Meinungsstreit „um die von den Jakobinern in Frankreich verfochtenen und in Deutschland zur Zeit der napoleonischen Kriege zum Teil wieder aufgegriffene Idee der einheitlichen Sprachnation teilnahmen; das jakobinische Prinzip ,eine Nation, eine Sprache‘ wurde allerdings in ,eine Sprache, eine Nation‘ umgekehrt.“375 Th¤remin drîckte es folgendermaßen aus: Die Pflicht der Hugenotten sei es, die Kinder nicht zu franzçsischen, sondern zu deutschen oder preußischen Bîrgern zu bilden, und dies kçnne nur durch die deutsche Sprache geschehen.376 In seiner Replik verwies Henry auf den mit der Sprache der Vter vererbten Korpsgeist, der in den hugenottischen Gemeinden herrsche. Mit dem Verlust der Sprache ginge die Nicht-Achtung dieses Korpsgeistes, das heißt die Nichtachtung der Grundstze der Vter, ihr Rigorismus und ihr schlichter Lebenswandel einher. Schuld an der Abschwchung des Korpsgeistes seien zudem diejenigen, die einen Gegensatz zwischen ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Franzçsischen Kirche und als preußische (nicht deutsche!) Bîrger konstruierten. Im Grunde 371 Vgl. dazu U. Fuhrich-Grubert, „Refugirte“ … (s. Anm. 85), S. 114 – 134; vgl. Franziska Heusch, Nhe trotz Ferne. Das Franzçsische Waisenhaus zu Berlin und sein Fçrderkreis im europischen Refuge (1718 – 1725), in: Hugenotten 68.3 (2004), S. 91 – 100. Vgl. Franziska Heusch, Nhe trotz Ferne. Das franzçsische Waisenhaus zu Berlin und sein Fçrderkreis im europischen Refuge (1718 – 1725), in: Hugenotten 68.3 (2004), S. 91 – 100. 372 Vgl. a. a. O., S. 134. 373 Vgl. dazu H. Erbe, Die Hugenotten … (s. Anm. 196), S. 175. 374 Vgl. dazu F. Hartweg, Franzçsisch als Kultsprache? … (s. Anm. 359), S. 5 – 42. Zusammenfassend Ders., Die Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 208), S. 39 – 42. 375 Ders., Die Hugenotten in Deutschland … (s. Anm. 357), hier S. 181. 376 David Ludwig Th¤remon, Zuruf an die franzçsischen Gemeinen in der preußischen Monarchie von einem ihrer ltesten Lehrer, Berlin 1814, S. 8.

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handelte es sich bei der Replik Henrys nur noch um ein „Rîckzugsgefecht“.377 Die deutsche Sprache hielt selbst in der noch immer grçßten und bedeutendsten Berliner Franzçsischen Kirche 1819 ihren Einzug.378 In anderen preußischen Gemeinden wie etwa in Groß-Ziethen war es bereits 1801/1802379 oder in Buchholz dann 1814380 zu deutschsprachigen Gottesdiensten gekommen. In der Folgezeit verschwanden viele franzçsisch-reformierte Gemeinden oder fusionierten mit deutsch-reformierten beziehungsweise lutherischen Gemeinden und verloren auf diese Weise den ihnen eigentîmlichen konfessionellen Charakter. In Berlin blieb die franzçsisch-reformierte Kirchengemeinde zwar erhalten, doch auch hier zeigten sich Verfallserscheinungen: die Zahl der Pastoren ging von elf auf sieben zurîck, zwei Kirchen wurden aufgegeben.381 Es hatte den Anschein, als wre der vçllige Niedergang der franzçsisch-reformierten Gemeinden als letzte Institutionen, die noch eine Sonderidentitt fîr eine im Grunde schon vçllig „assimilierte“ Gruppe stifteten, vorprogrammiert. Allein um 1870 kam es zu einem unerwarteten Aufschwung. Es lßt sich durchaus von einer Hugenottenrenaissance sprechen. In Berlin wurden die sogenannte R¤union und die Hugenottische Mittwochsgesellschaft gegrîndet – Vereinigungen, die dem Gemeindesterben in Brandenburg-Preußen Einhalt gebieten und zugleich das Gemeinschaftsgefîhl unter den Nachkommen der r¤fugi¤s wiederbeleben wollten.382 Eigene Zeitschriften entstanden. In ihnen wurde der Versuch unternommen, den Lesern anstelle der franzçsisch-reformierten Konfession eine spezifische historische Tradition zwecks Identittsstiftung zu vermitteln – eine Tradition, die auf einem bisher so nicht bekannten Geschichtsbild beruhte.383 Mit den Feierlichkeiten zum 200jhrigen Jubilum des Edikts von Potsdam erreichte die Hugenottenrenaissance einen Hçhepunkt und hier wurde das neue Geschichtsbild auch besonders deutlich – nmlich in der Vielzahl von Publikationen, die im Umfeld der Feier entstanden. An vorderster Stelle ist hier die umfassende Geschichte der Franzçsischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, mit 377 So F. Hartweg, Die Hugenotten in Deutschland … (s. Anm. 357), S. 182. 378 Vgl. dazu E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 75 fîr die Berliner Gemeinde. 379 Vgl. dazu K. Manoury, Die Geschichte der franzçsisch-reformierten Provinzgemeinden … (s. Anm. 97), S. 109. 380 A. a. O., S. 25. 381 Vgl. dazu die Angaben bei U. Fuhrich-Grubert, Die Franzçsische Kirche … (s. Anm. 323), S. 46 – 67. 382 Vgl. dazu Ursula Fuhrich-Grubert, Hugenotten unterm Hakenkreuz. Studien zur Geschichte der Franzçsischen Kirche zu Berlin 1933 – 1945, Berlin/New York 1994, S. 97 – 106. 383 Es handelte sich um Die Kolonie (1875 – 1877, 1880 – 1882) und Die Franzçsische Colonie (1887 – 1906). Vgl. dazu: Ursula Fuhrich-Grubert, Von der „Kolonie“ zur „Franzçsischen Colonie“, in: Hugenotten 65 (2001), S. 113 – 123, hier insbesondere S. 116 u. S. 118.

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besonderer Berîcksichtigung der Berliner Gemeinde zu nennen, die von einem Mitglied der Franzçsischen Kirche zu Berlin, Eduard Muret, verfaßt worden war und 1885 erschien.384 In ihr betonte der Autor den besonderen wirtschaftlichen und kulturellen Einfluß, den die r¤fugi¤s auf Brandenburg-Preußen gehabt htten. Er bezeichnete sie als die „besseren“ Preußen, da die Dankbarkeit fîr die Wohltaten gegenîber ihren Vorfahren sie enger an das neue Vaterland und das Haus Hohenzollern gekettet habe als dessen ursprîngliche Bewohner.385 Nicht mehr der Stolz auf die franzçsische Besonderheit des refuge wie noch einhundert Jahre zuvor, sondern nunmehr der Stolz auf die Wirkung des refuge in der preußischen Geschichte kam in Murets Werk zum Ausdruck. Aufgrund ihrer historisch begrîndeten, besonders engen Verbundenheit zum preußischen Staat verstanden sich die Nachkommen der r¤fugi¤s 1885 als gute, ja als die besseren Preußen. Hatten sie doch scheinbar durch ihre wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen eine der Voraussetzungen fîr den Aufstieg Preußens zu einer europischen Großmacht geschaffen.386 Mçglich gemacht worden war diese Leistung, so die Vorstellung, durch eine spezifische Wahlverwandtschaft zwischen Hugenotten und Deutschen, mit der letztlich auch die stets betonte Assimilationsfhigkeit der hugenottischen Minderheit in der deutschen Gesellschaft begrîndet wurde.387 Die vernderte Wahrnehmung ihrer Geschichte388 durch die Hugenotten, die sich whrend der 200-Jahrfeier in Bild und Schrift ußerte, blieb nicht auf ihre Gruppe beschrnkt. Ihre nunmehr von dieser Wahrnehmung mitgeprgte Identitt wirkte auch auf das Bild ihrer Umgebung: Reichskanzler Otto von Bismarck brachte es auf den Punkt, als er von den Hugenotten nicht nur als von den besseren, sondern den „besten Deutschen“ sprach.389 Whrend des Ersten Weltkrieges war die Stimmung der Hugenotten wie schon einhundert Jahre zuvor in den napoleonischen Kriegen von besonderem deutschen Patriotismus und Nationalismus geprgt – ein bei Minderheiten 384 Es handelte sich dabei um das bereits vielfach zitierte Werk von E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77). Vgl. zur Analyse des zweihundertjhrigen Jubilums des Edikts von Potsdam Etienne FranÅois, Vom Preußischen Patrioten zum besten Deutschen, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985 … (s. Anm. 20), S. 198 – 212; ferner Ders., Die Traditions- und Legendenbildung des deutschen Refuge, in: H. Duchhardt (Hg.), Der Exodus … (s. Anm. 35), S. 177 – 193. Ferner Fr¤d¤ric Hartweg, Hugenotten(tum) und Preußen(tum), in: I. Mittenzwei (Hg.), Hugenotten … (s. Anm. 60), S. 313 – 352. 385 So E. Muret, Geschichte … (s. Anm. 77), S. 55. 386 Vgl. hierzu auch E. FranÅois, Vom preußischen Patrioten … (s. Anm. 384), S. 202 – 205. 387 Vgl. hierzu ebd., S. 208 – 210; ferner Ders., Traditions- und Legendenbildung … (s. Anm. 384), S. 179 – 181. 388 E. Birnstiel / A. Reinke, Hugenotten in Berlin … (s. Anm. 61), S. 132 f. 389 Vgl. [Anonym], Eine Bismarck-Erinnerung, in: DtHugenott 1 (1929), S. 10.

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hufig zu beobachtendes ˜beranpassungsverhalten,390 das in diesem Falle etwa zur Einstellung der noch sporadisch gehaltenen franzçsischsprachigenen Gottesdienste in Berlin391 und Kçnigsberg in Preußen392 fîhrte. Whrend der Weimarer Republik setzte, ausgehend von einer Besinnung auf die reformierte Theologie, eine zweite Renaissance des Hugenottentums ein. Sie stand in engem Zusammenhang mit den kirchlichen Umwlzungen und den daraus resultierenden theologisch-organisatorischen Mçglichkeiten der Zeit.393 Dementsprechend war sie strker als die erste Renaissance (1885) von konfessionell-reformierten Momenten geprgt.394 Gleichzeitig entwickelte sich das hugenottische Geschichtsbild weiter. Nicht mehr als staatstragende, voll assimilierte deutsche Bîrger prsentierten sich die Hugenotten in einer ganzen Reihe von Verçffentlichungen, sondern als Teil einer internationalen calvinistischen Gemeinschaft. So betonte der Berliner franzçsisch-reformierte Pfarrer Ernst Mengin 1929 die gemeinsame Geisteshaltung smtlicher Calvinisten auf der Welt395 und bezeichnete die „Franzçsisch-Reformierten als Vorposten der calvinistischen Weltkirche innerhalb der ev. Landeskirche der altpreußischen Union“.396 Die Hugenotten boten sich erneut als Mittler an – eine Rolle, die sie bekanntlich schon im 18. Jahrhundert fîr sich in Anspruch genommen hatten –, als „Brîcke zur Verstndigung îber nationale Gegenstze hinweg“,397 als Brîcke zwischen Deutschland und Frankreich, ja sogar als Brîcke zwischen 390 So schickte das Consistorium 1918 – nach Ausbruch der Revolution – eine Ergebenheitsadresse an Kaiser Wilhelm II. Vgl. dazu Karl Manoury, Geschichte der Franzçsischen Kirche zu Berlin. Hugenottenkirche 1672 – 1955, Berlin 1955, S. 104; vgl. ferner Ders., Hugenotten in Preußen 1685 – 1945. Von den verachteten „Paddenschluckern“ zu den besten Deutschen, in: Hugenotten 60.1 (2002), S. 3 – 27, hier S. 18 – 26. 391 Vgl. dazu U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten unterm Hakenkreuz … (s. Anm. 382), S. 18. 392 Vgl. dazu J. Eschmann, Die Sprache … (s. Anm. 5), S. 40. 393 Hier ist an die Aufhebung des Summepiskopats und die neue Kirchenverfassung in Preußen gedacht. Nhere Einzelheiten dazu vgl. im Abschnitt „Verfassung und Verwaltung der Franzçsischen Kirche zu Berlin, in: U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten unterm Hakenkreuz … (s. Anm. 382), S. 29 – 67. 394 Vgl. dazu Ursula Fuhrich-Grubert, Zwischen Patriotismus und Internationalismus. Hugenotten im 19. und 20. Jahrhundert, in: S. Beneke / H. Ottomeyer (Hg.), Zuwanderungsland …, S. 163 – 172, hier S. 169. 395 Ernst Mengin, Der protestantische Mensch. Geisteshaltung und Weltdeutung des Calvinismus, in: DtHugenott 1 (1929), Nr. 2, S. 15 – 20, hier S. 20. 396 Ders., Kontinentale Tagung des Reformierten Weltbundes in Wuppertal-Elberfeld, 7.–12. September 1930. Sonderbericht, in: Kirchliche Nachrichten fîr die franzçsischreformierte Gemeinde in Großberlin 7 (1930), S. 207 – 209, hier S. 209. 397 So Anni Boch¤, Rundschau îber das Hugenottentum im Ausland, in: DtHugenott 1 (1929), S. 21 – 22, S. 31 – 35, S. 47 – 50, u. 2 (1930), S. 14 – 16, hier S. 32.

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allen jenen Staaten, in denen Hugenottennachkommen lebten.398 Daneben wurde aber das traditionelle Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts in mancher Publikation weitertransportiert – jenes Geschichtsbild von den Hugenotten als den besten Deutschen, die am Aufstieg dieses Staates erheblichen Anteil gehabt htten.399 Dieses Geschichtsbild wurde von den Machthabern des Dritten Reiches unbesehen îbernommen, genauso wie es nunmehr von exponierten Vertretern der Hugenotten erneut in den Vordergrund gestellt wurde. Die in der Weimarer Republik aufgekommene Tendenz, die Internationalitt der hugenottischen Gemeinschaft in den Vordergrund zu stellen und ihr eine vçlkerverbindende Funktion zuzuordnen, wurde entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie verworfen.400 1935, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 250jhrigen Jubilum des Edikts von Potsdam, wurde der hugenottische Mythos des 19. Jahrhunderts von den Nachfahren der r¤fugi¤s in allen Punkten nachgezeichnet: Der Gegensatz zwischen dem „verblendeten“ Ludwig XIV. und dem „vterlichen“ Großen Kurfîrsten Friedrich Wilhelm, die Mitwirkung der Hugenotten am Aufstieg Preußens wie ihr Patriotismus und ihre schnelle Assimilation. Auch auf die Wahlverwandtschaft zwischen Hugenotten und Deutschen wurde erneut hingewiesen, die letztlich auch die Assimilationsfhigkeit der ursprînglich franzçsischsprachigen Minderheit in die deutsche Gesellschaft begrîndet habe.401 Die Hugenottennachkommen prsentierten sich nicht nur hier, sondern in smtlichen wichtigen Publikationen whrend des Dritten Reiches durchgngig als staatstragende und vçllig assimilierte Deutsche, die dem NS-Staat mit grçßter Loyalitt gegenîberstanden. Richard Lagrange,402 Pfarrer der Berliner franzçsisch-reformierten Gemeinde, drîckte es 1935 folgendermaßen aus: „[…] keiner [soll] uns îbertreffen in der Liebe zu unserem Fîhrer [Adolf Hitler] und zu diesem unserem deutschen Volk und Land“.403 In der von der NS-Ideologie propagierten Vorstellung von den Hugenotten spiegelte sich deren Selbstbild wieder. Sie galten gleichermaßen als Bereicherung fîr das „Deutsche Volk“ wie ihre Assimilation in die deutsche Gesellschaft als 398 Vgl. dazu U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten unterm Hakenkreuz … (s. Anm. 382), S. 21 – 22. 399 Vgl. dazu als Beispiel [Anonym], Eine Bismarck-Erinnerung … (s. Anm. 389), S. 10. 400 Vgl. dazu ausfîhrlich: U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten unterm Hakenkreuz … (s. Anm. 382), S. 374 – 396. 401 Vgl. dazu die Ausfîhrungen von Karl Ahrendts, dem secr¤taire der Geenralversammlung der Franzçsischen Kirche zu Berlin, abgedruckt in: Karl Ahrendts (Hg.), Die Feier der 250. Wiederkehr der Aufnahme der Hugenotten durch den großen Kurfîrsten in Brandenburg-Preußen. (Edikt von Potsdam vom 29. Oktober 1685 durch die Franzçsische Kirche in Berlin), Berlin 1936, S. 26 – 38. 402 Eine Kurzbiographie von Richard Lagrange findet sich bei: U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten unterm Hakenkreuz … (s. Anm. 382), S. 561 – 565. 403 K. Ahrendts (Hg.), Die Feier … (s. Anm. 401), S. 54.

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gelungen geschildert wurde. Die Vorstellung von ihnen als „beste Deutsche“ wurde allerdings zugunsten einer grundstzlichen Gleichrangigkeit zwischen Hugenottenabkçmmlingen und „deutschen Volksgenossen“ aufgegeben. In „rassischer Hinsicht“ wurde ihnen allerdings erneut ein besonderer Status zugebilligt: So galten sie als „besonders positive Auslese besten germanischen Blutes“. Das wiederum kam dem elitren Bild des 19. Jahrhunderts von den Hugenotten nunmehr in rassistischer Terminologie und aus rassistischer Perspektive sehr nahe, obwohl beide Vorstellungen auf zwei vçllig unterschiedlichen argumentativen Grundlagen beruhten. Das Bild von den historischen Hugenotten wie das ihrer Abkçmmlinge in Deutschland war im NS-Staat tatschlich noch immer von der Vorstellung geprgt, daß es sich bei ihnen um eine durch ihre regionale Herkunft abgrenzbare Gruppe mit daraus resultierenden speziellen Qualitten handele. Damit waren die Hugenotten und ihre Nachkommen aus nationalsozialistischer Perspektive eine klassisch numerische Minderheit, genaugenommen eine „positive“ Minderheit in klassisch numerischem Sinne. Denn „Herkunft aus bestem germanischem Blut“ bedeutete genau das in der rassistischen Terminologie der NS-Ideologie.404 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es erneut zu einem Wandel des hugenottischen Geschichtsbildes. Dieses unter anderem in den Schriften des Deutschen Hugenotten-Vereins zum Ausdruck kommende Bild hnelt dem in der Weimarer Republik, konnte es doch nach Ende des zweiten Weltkrieges und der Teilung Deutschlands nicht mehr von der Mythologisierung Preußens bestimmt werden. Die unausweichliche Folge der nationalsozialistischen Diktatur war die Ruinierung der nationalen Geschichtstradition Deutschlands. So wird heute wieder die Internationalitt und das vçlkerverbindende Moment in der hugenottischen Geschichte betont. Besonders die Rolle der Hugenotten und ihrer Organisationen als Bindeglied zwischen Deutschland und Frankreich wird gern hervorgehoben: so etwa in den Publikationen zum 300jhrigen Jubilum des Edikts von Potsdam im Jahre 1985.405

404 Vgl. dazu U. Fuhrich-Grubert, Hugenotten in Preußen … (s. Anm. 334), S. 3 – 5. 405 Vgl. z. B. Friedrich Centurier, Die Hugenotten-Nachkommen und der Deutsche Hugenotten-Verein, in: R. v. Thadden / M. Magdelaine (Hg.), Die Hugenotten 1685 – 1985 … (s. Anm. 20), S. 213 – 220, hier S. 219.

IV. Minoritten in Preußen: Die Hugenotten als Beispiel

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Anhang Aufbau der Verwaltung der Franzçsischen Kolonie(n) und Kirche(n) sowie des „franzçsischen“ Justizwesens in Brandenburg-Preußen um 1750

Grand Directoire oder Conseil FranÅais Franzçsisches Oberdirektorium Amtssitz: Berlin

Franzçsischer Kolonie- und Polizeibeauftragter Amtssitz: in den stdtischen Kolonien

Chef de la Nation zugleich Staatsminister fîr Justiz Amtssitz: Berlin Tribunal d’Orange Consistoire FranÅais Oberste Appellationsinstanz Sup¤rieur zusammengeschlossen mit dem Franzçsisches preußischen Oberkonsistorium Oberappellationsgericht Amtssitz: Amtssitz: Berlin Berlin Franzçsisches Obergericht Fînf Kircheninspektoren Amtssitz: Berlin (1737 – 1755) Inspektionen: Berlin, Stettin, Magdeburg, Halberstadt, Cleve Franzçsisches UntergerichtsConsistoire ordinaire Kollegium Amtssitz: am jeweiligen Amtssitz: in den grçßeren Hauptort der frz.-ref. stdtischen Kolonien Kirchengemeinden Franzçsischer Schieds-Richter Amtssitz: in den kleineren stdtischen Kolonien

Sonderfall Berliner Franzçsische Kirche Seit 1699: Aufteilung des Consistoire ordinaire in Consistoire und Diakonat zustndig fîr „Armensachen“ beaufsichtigt vom Consistoire Seit 1781: weitere Aufteilung des Consistoire in: Assembl¤e g¤n¤rale und Consistoire zustndig fîr „geistige Sachen“ beaufsichtigt von der Assembl¤e

1224

Ursula Fuhrich-Grubert

Zusammenstellung der Schulen, Erziehungsanstalten und allgemeinen karitativen Einrichtungen der Berliner Franzçsischen Kirche (chronologisch) Schulen

Erziehungsanstalten

Karitative Einrichtungen

Ecoles paroissales

Franzçsisches Waisenhaus Ecole de Charit¤

Franzçsisches Hospital Maison FranÅaise Marmite (Suppenanstalt) Armenbckerei

1687 – 1809 Ecoles ¤lementaires 1687 – priv¤es 1850 Franzçsisches 1689Gymnasium heute S¤minaire de 1770 – Theologie 1945 1779 – P¤piniºre des Chantres et Ma‚tres 1809 d’Ecole Ecole de Dimanche 1829 – 1830 Fortbildungsschule 1868 – fîr Lehrlinge 1878

* = nur noch Stiftung

1725 – 1844 1747 – 1844 Petit Húpital 1760 – 1844 1844Hospice pour les Enfants de l’Eglise du heute* Refuge

1686heute* 1688heute* 1699 – 1809 1699 – 1909

Hútel de Refuge 1700heute* Maison d’Orange Frz. Holzgesellschaft Fondation Achard Damenpensionat

1705heute* 1776 – 1945 1783 – 1945 1857 – 1878

Personenregister Abbadie, Jacques 604 Abb¤ Sieyºs, Emmanuel Joseph 652 Abel, Caspar 17 Abenze, Carl 832 Aberdeen, George Hamilton-Gordon, 4. Earl of Aberdeen 720 About, Edmond 819 Abusch, Alexander 77 Achard, FranÅois Charles 581, 604, 1194 f., 1224 Adam, Lambert-Sigisbert 613 Aero-Lloyd 1083 Ahens, Heinrich 761 Alba, Fernando Úlvarez de Toledo, Herzog von 483 Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, Prinzgemahl 20, 56, 525, 753, 770, 773 f., 813 f., 815, 818, 821, 823, 1135 f., 1150 Albertiner 892 Albrecht Achilles 960 f. Albrecht Friedrich, Herzog 128, 478 f., 483, 487, 960 f. Albrecht von Preußen 8, 123, 127, 129, 240, 417 f., 478, 479, 480, 485, 488 Aldrige, Charles 726 AlenÅon 482 Alexander I., Alexander Pawlowitsch Romanow, russischer Zar 404, 671, 677 Alexander, Salomon 720 Alexis, Willibald 1035 Alfonsin Foulkes, Raffll Ricardo 761 Algarotti, Francesco 576, 578 Alopaeus, David Maximowitsch 811 Althoff, Friedrich 44, 50 Amelie Elisabeth Landgrfin von HessenKassel 902 Ancillon, Charles 1192, 1200 Ancillon, Jean Pierre FranÅois 717 Ancillon, Pierre Frederic de 16, 695, 715, 717, 1182, 1200, 1203 Angelus, Andreas Engel 9–11, 291, 638 Anhalt-Dessau, Fîrst Leopold zu 267

Anjou, Herzog von 472 f. Anna, Herzogin von Preußen 15, 87, 94, 107, 131, 139, 150, 184, 471, 774 Anna, Kçnigin 567 Antoine, Michel 584, 663, 848, 1194 Aranda, Graf 611, 616 Archenholtz, Johann Wilhelm Daniel von 621, 653 Aretin, Karl Otmar Freiherr von 649, 668 Arndt, Ernst Moritz 759, 1031 Arnim, Bettina von 1035 Arnim-Suckow, Heinrich Alexander von 723 Arnold, Gottfried 16 Arnold, Udo 68, 130 Askanier 466, 948–950, 964 Askenazy, Szymon 107 Auchinleck, Lord 622 Audoin, Jean 575 Augereau, Charles Pierre FranÅois 655 August der Starke, Kçnig von Polen und schsischer Kurfîrst 869, 911 August, Ernst Ferdinand 1025 August Wilhelm, Kçnigsbruder und Prinz 358, 576 August, Kurfîrst 473 Augusta, Kçnigin 785, 790, 805, 807, 823, 1050 Aulus Apronius 510 Ayala, Lûpez de 630 Ayrer, Marie Henriette 609 Baczko, Ludwig von 9 Baeck, Leo 1111 Bahr, Jean Thomas 636 Bahr, Karl 761 Baildon, John 686, 688 f. Baillet-Latour, Henride 1093 Bairoch, Paul 736 Balzac, Honor¤ de 760 Bamberger, Ludwig 1056 Barbeyrac, Jean de 604, 1192, 1197 Barclay, David E. 357, 645, 720 f., 1035

1226

Personenregister

Bardou, Emmanuel 1205 Brensprung, Friedrich von 1032 Barez, Jeann Marie 609 Bariety, Jacques 765 Barlach, Ernst 1062, 1084 Baron, Hans 87 Barraband, Jean 530, 551 Bartholdy, Felix Mendelssohn 1035 Bassewitz, Magnus Friedrich von 12 Baudesson, Louis 530 Baudouin, Gebrîder 685 Baum, Herbert 1111 Baumgart, Peter 272, 655 Baumgart, Winfried 66, 714, 765, 786 Bayard 580 Bayle, Pierre 547, 559, 1198, 1202 Beausobre, Isaac de 546, 580, 604, 1194, 1198 f. Beavers 727 Bebel, August 1072 Becker, Carl Heinrich 82, 732 Becker, Josef 790, 795, 797, 805 Becker, Otto 69 Beckmann, Max 1084 Beethoven, Ludwig van 819 B¤guelin, Nicolas 645 Beheim-Schwarzbach, Max 298, 302, 571 Behnisch, Gottlieb 665 Behrens, Peter 1060 Bekmann, Johann Christoph 11, 18, 507 Belle-Isle, Graf Louis-Charles-Auguste Fouquet 584 Bellon, Isaac 575 Benedetti, Vincent 802 f., 849 Benn, Gottfried 1084, 1090 Bennigsen, Rudolf von 791, 1065 Bentham, Jeremy 651 Bentinck, Hans Willem 538 Berendes, David 636 Berge, Ernst von 508 Bergner, Elisabeth 1084 Berlioz, Hector 755 Bernard, Jacques Marie 615 Berney, Arnold 75 Bernoulli, Jean (III.) 1195 Bernstorff, Albrecht von 695, 711, 715, 774, 791, 809–811 Berselle, Jeorijs 479

Berthier, Louis Alexandre, Marschall 624, 770 Bessemer, Henry 832 Besser, Johann von 239 f., 944 Beuth, Christian Wilhelm 232, 726, 728 f., 731 f., 744, 1033 Beyme, Karl Friedrich 388 Bielfeld, Jakob Friedrich Barm 619, 621 Biester, Johann Erich 355 Binet, Pierre 575 Binoche, Jacques 457 Biram, Benjamin 727, 840 Birnstiel, Eckart 529, 533 Bischoffwerder, Hans Rudolf 360, 367, 372, 377, 382, 385, 387, 646, 649, 657 f., 662 Bischoffwerder, Hans Rudolf von 360 Bismarck, Otto von 29, 31, 34–37, 62–64, 66, 68 f., 73, 77, 80–82, 93, 96, 101 f., 107., 451 f., 459 f., 462 f., 489, 698, 725, 769–773, 775, 778 f., 781–811, 814–816, 825, 829 f., 836, 847, 967, 1045–1047, 1049 f., 1054 f., 1061, 1064 f., 1067 f., 1071, 1077, 1219 Bitaub¤, Paul J¤r¤mie 653 Blech, Leo 1084 Blois, Johann von 467 Blondel, Jacques-FranÅois 540, 581, 610 Blîcher, Gebhard Leberecht von 680, 696, 700, 702, 1025 f. Bode, Wilhelm von 1062 Bodin, Jean 221 Bodt, Jean de 540 f., 609, 997, 1017, 1191, 1205 Boehme, Anton Wilhelm 567 Bçhme, Helmut 93, 96 Boisser¤e, Gebrîder 690 Boissonnade, Prosper 631 Bçlsche, Wilhelm 1061 Bonhoeffer, Dietrich 1090, 1113 Bonin, Eduard von 158, 767 Bonnemaison, F¤r¤rol 674 Bonnet 570 Bonpland, Aim¤ 690 Boockmann, Hartmut 123, 350 Bopp, Franz 759 Borcke, Johann Heinrich von, Major 645 Bordeaux, Etienne de 1200

Personenregister

Borgstede, August Heinrich 12 Born, Stefan 1040 Bçrne, Ludwig 757 Bçrner, Karl-Heinz 106 Bornhak, Conrad 40 f., 83 Bçrsch-Supan, Helmut 363 f. Borsig, 824, 842, 1060 Bçß, Gustav 1079, 1083, 1085 Boswell, James 622 Botzenhart, Erich 66, 71 Bouill¤, Marquis de 624 Bouman, Johan 559, 609 Bourguignon, Pierre 530, 573 Boyen, Herrmann von 37, 280, 703, 1023 Brahm, Otto 1061 Brandenburg, Erich 26, 63, 65 Brandt, Ahasver von 479 Bratring, Friedrich Wilhelm August 12 Braubach, Max 71 f., 592 Braun, Otto 99, 1077, 1086 Braun, Wernher von 1091 Brecht, Bertolt 1084 Brenkenhoff, Franz von 301 Broglie, Achille Charles de 717 Bronnen, Arnolt 1084 Brown 620 Bruck, Karl Ludwig von 64, 764 f. Brîggemann, Ludwig Wilhelm 12 Brundage, Avery 1093 Brîning, Heinrich 1085 Brunner, Otto 92, 877 Brunschwig, Henri 85 Buch, Hans von, Oberst 474 Bucher, Lothar 823 Buchholtz, Samuel 11, 18 Buddruß, Eckhard 600 Bugenhagen, Johannes 12 Bîlow, Heinrich von 714 Bunsen, Christian Karl Josias 720, 766 f., 791 Burckhardt, Jacob 28 Burgsdorff, Konrad von 154, 205 Burgsdorff, von 194 Burke, Edmund 660 Burney, Charles 622 Bîsch, Otto 87 Bîsching, Anton Friedrich 12, 354, 371, 880 Bîsching, Johann Gottfried 1032

1227

Bußmann, Walter 31, 81, 93, 720 Buy, Armand Maillette de 530 Bylandt-Rheydt, Otto Heinrich von 137 f., 159, 476 Calvin, Jean 1150, 1207 Calzabigi, Gian Antonio di 581, 615 Calzada 630 Camas 581, 1216 Cameron, Rondo E. 732, 831, 833 Campe, Joachim Heinrich 651 Camphausen, Ludolf 843, 1041 Capet, Hugues 1152 Carlyle, Thomas 30, 33 Carmer, Johann Heinrich von, Großkanzler 353 Carnot, Lazare 703 Carriera, Rosalba 605 Carsten, Francis L. 85, 87 f. Cassin 530 Castlereagh, Robert 673, 695 f. Catt, Henri Alexandre de 1195 Cavour, Camillo Benso von 725, 797 Cayart, Jean Louis 1205 Chamisso, Adelbert von 656, 689, 1035 Chanony 626 Chappe, Louis 840 Chateaubriand, FranÅois Ren¤ 707, 709, 755 Chauny & Cirey 832 Chauvin, Etienne 604, 1191 f., 1199 Chemnitz, Bogislaf Philip von 155 Chesterfield, Lord 622 Chodowiecki, Daniel 609, 627, 1129 f., 1204–1207 Chodowiecki, Gottfried 568 Choiseul-Praslin, C¤sar Gabriel de 633, 639 Christian Friedrich Karl Alexander von Ansbach-Bayreuth, Markgraf 377 Christian Wilhelm, Markgraf von Brandenburg 137 Christian, John 627 Christian, Markgraf von BrandenburgBayreuth 377, 973 Cicero, Johann 964 f. Clarendon 766, 776 f., 794 f. Clarke, Leibarzt Sir James 817 Claude-Adrien Helv¤tius 624 Clauer, Karl, Jurist 653

1228

Personenregister

Cler, Ignaz Heinrich von 718 f. Clercq, Alexander de 586, 835 Clerembault, Konsul 675 Cloots 436 f., 651 f., 655 Cloots, Anacharsis 436 f., 652 Cloots, Baron Jean-Baptiste von 652 Cobden, Richard 834 Cobenzl, Johann Ludwig von 649 Cocceji, Samuel von 351–353, 508 Cockerill, Gebrîder John und CharlesJames 726, 728, 732 Colbert, Jean Baptiste 502, 504–507, 511, 514 f., 692 Coleridge, Samuel Taylor 623 Coligny, Gaspard de Admiral 217 Collins, Edward 641 Colomb, Jean Henri de 498, 626 Conny, John 557 Contessa, Christian Jakob 654 Conze, Werner 91 f., 324, 870 Cooke, William Fothergill 840 Cooper, Anthony Ashley, Earl of Shaftesbury 1196 Corinth, Lovis 1084 Corvisier, Jacques 530 Cottel, Pierre 575 Cournand, Antoine de 624 Court, Antoine 1159 Cowley, Henry Wellesley 797 Craig, Gordon 81, 84 Crampton, Thomas Russell 727 Crell, Samuel 508 Creutz, Ehrenreich Bogislav von 257 Creuzer, Friedrich 818 Croissy, Colbert de 517 Cromwell, Thomas 479, 490, 498, 641 d‘Argens, Marquis 586, 595, 604, 607, 624 d’Alembert, Jean Le Rond 606, 653, 1197 d’Arnaud, Baculard 602 d’Artis, Gabriel 604 d’Auvergne, de La Tour 775, 802 Dagly, G¤rard 546 Dahuron, Ren¤ 546 DalenÅon, Isaac 531 Damas, Graf FranÅois-Etienne von 624 Dambonette, FranÅois 575

Danckelman, Eberhard von 195 f., 234, 237, 246, 249, 539 f., 549, 556, 914 Dangicourt, Pierre 1191 Danzay, Charles de 484 Daum, Gottfried Adolph 568, 573 f. Dehio, Ludwig 78, 82 Deichsel, Adolf 621 Delbrîck, Friedrich 406, 717, 741, 835 Delbrîck, Hans 46, 55, 57 f. Dell, Benjamin 575 Dell, William 575 Delon, Henry 573 Denon, Vivant 624, 673 Denzel, Markus 635 Derschau, Friedrich Wilhelm von 615 Descartes, Ren¤ 546 Desjardins 627 Detillieux, Charles 833 Dickens, Guy 565 Dickmann, Fritz 159 Didelot, Jean 573 Diderot, Denis 1197 Diebes, Melchior von 481 Dieterici, Carl Friedrich Wilhelm 735 Dieussart, Charles Philippe 550 Diez, Friedrich 759 Disraeli, Benjamin 778, 809 Distelmeier, Kanzler Lampert 972 Długosz, Jan 8 Dobbs 727 Dçblin, Alfred 1084 Doering-Manteuffel, Anselm 696, 764 Dohna, Achatius von 481 Dohna, Alexander von 1202 Dohna, Burggraf Fabian zu 148 Dohna, Graf Friedrich von 1202 Dom Joao 777 Dçnhoff, Sophie Julie 363, 562, 657, 658, 659 Donkin 733 Dorothea von Brandenburg, Herzogin 488 Dorothea von Holstein, Kurfîrstin 510, 519, 611, 989, 999 Dorsch, Kthe 1084 Dotterweich, Volker 28 Dreyhaupt, Johann Christoph 13 Droysen, Johann Gustav 24–27, 37 f., 40–42, 48 f., 143, 460, 552, 625 DuBois-Reymond, Emil 1197

Personenregister

Duc de Bourgogne 590 Duchesne, FranÅois 573 Duchesne, Paul 676 Duchhardt, Heinz 67, 216, 232, 314, 341, 529 Duclos, Charles Pinot 625 Duhan de Jandun, Jacques Egide 578, 1202 Dumas d. Alexandre 760 Dumas, Alexandre 756 Duncker, Max 36 f. Dusburg, Peter von 7 f. Dutens, Louis 622 Dutton-Brîder 686 Dyck, Anthonius van 550 Ebert, Adam 508–510 Ebert, Friedrich 1072 f., 1075, 1077 Edoux, Leon 829 Edwards, Albert 720 Egalit¤, Philippe 711 Eichel, August Friedrich 55 f., 260, 263 Eichhorn, Johann Albrecht 744, 1076 Einstein, Albert 1063, 1090–1092 Eleonore von Preußen 131 Elisabeth Charlotte von der Pfalz 162 Elisabeth Charlotte, Prinzessin von Hessen 977 Elisabeth Christine von BraunschweigWolfenbîtteln-Bevern 363, 611 Elisabeth I. von England 481, 483, 488 Elisabeth von Dnemark, Norwegen und Schweden, Kurfîrstin 970 Elisabeth I. von Rußland, Zarin 338, 593 Elsholtz, Johann Sigismund 984 Elze, Walter 73 Emil, Karl 232 Enders, Lieselott 103, 173, 397 Engel, Johann Jakob 385 Engelberg, Ernst 101 f., 106, 789, 800 Engels, Friedrich 58, 77, 102, 586, 714, 754, 791, 1037 Ephraim & Sçhne 632 Ephraim, Benjamin Veitel 650, 1012, 1050 Erdmannsdçrffer, Bernhard 26, 213 Erlach, Johann Bernhard Fischer von 1009 Erman, Adolf 1197

1229

Erman, Jean Pierre 1195 Erman, Paul 1197 Ernestiner 892 Espagne, Michel 457, 509, 656 Eugen Franz, Prinz von Savoyen 561, 567, 589 Montijo, Eugenie de 829 Eugenie, Kaiserin 797 Eulenburg, Philipp, Graf 1068 Euler, Johann Albrecht 1195 Euler, Leonhard 605, 1194 Evelyn, John 508 Eversmann, Friedrich August Alexander von 629,688 Eyb, Ludwig von 467, 961 f. Eyck, Erich 80 Eyserbeck, Johann August 684 Eyth, Max 822 Faber, Karl-Georg 795 Fallersleben, Hoffmann von 718 Farnese, Alexander 483 Faulenbach, Bernd 62, 67, 94, Favre, Jules 819 Feckl, Klaus-Ludwig 552 Fehling, Ferdinand 516 Feldman, Jûzef 108 F¤nelon, FranÅois 559 Ferber, C.W. 735 Ferdinand II. 155, 158 Ferdinand VII. 708 f. Ferguson, Adam 727 Feßler, Ignaz Aurelius 654 Fichte, Johann Gottlieb 761, 818, 1021, 1031, 1034 Figuelotte 545 Fincke, Ludwig Freiherr von 140 Fink, Salomon 977 Finkenauer, Thomas 372 f. Fischbach, Friedrich Ludwig Joseph 12 Fischer, Emil 1063 Fischer, Samuel 1092 Flahaut, Auguste Charles Joseph 453, 848 Fleury, Andr¤-Hercule, Kardinal 582, 584 f. Flinck, Govaert 494 Floris, Cornelis 488 Fontane, Theodor 812, 1197 Forcade 581

1230

Personenregister

Forckenbeck, Max von 1067 Formey, Samuel 604, 1148, 1194, 1196 f., 1199 f. Formont, Gebrîder 506 Formont, Jean 504 f. Formont, Nicolas 504, 515 Formont, Pierre 504, 516 Fçrster, Friedrich 20 Forster, Georg 621, 630, 651 Forster, Johann Reinhold 621 Fournier, Josua 531 Fox, Charles 727, 741 Francheville, Joseph du Fresne de 1194 Franck, Albert 757 Francke, August Hermann 251–253, 273, 567 f. FranÅois de Guise, Herzog 1154 Frank, James 1090 Frank, Walter 66, 69 f., 73 Franz I., Kçnig von Frankreich 469, 480, 580, 770, 1151 Franz II., Kaiser 930 Franz II., Kçnig von Frankreich 1152 f. Franz Stephan von Lothringen 922 Freisler, Roland 1114 Freytag, Gustav 818 Frick, Wilhelm 1087 Friederike Luise Wilhelmine von Preußen 752 Friedlnder 267, 690 Friedrich August von Sachsen, Kurprinz 916 Friedrich II:, Kurfîrst 955 Friedrich II./der Große 14, 18, 19, 22, 26, 32 f., 36, 38, 48, 50, 54, 56, 58, 59, 64, 70, 73–75, 77, 85, 97, 101, 104, 106, 107, 176, 211, 230, 234, 244, 246, 247, 253, 257, 260 f., 262, 263 f., 267, 268, 270, 273 – 275, 278, 282, 285, 288, 291, 299 f., 302 f., 306 f., 308 f., 313, 314, 316, 321–332, 333, 335–338, 340 – 348, 349 f., 353–356, 358, 365, 367 f., 388, 393, 399, 400, 404, 426 f., 428 f., 450 f., 455 f., 458, 462, 463 f., 537, 549, 560, 576–578, 582 – 584, 587, 588, 589, 594, 597 – 599, 601, 602 f., 604, 607 f., 609, 610, 615, 619 f., 622, 624, 626 – 628, 630, 633, 657 f., 665, 667, 669, 682,

684, 781, 860 f., 891, 904, 906, 920 – 922, 923–926, 931, 957, 969, 1008 f., 1001, 1009, 1011, 1014 – 1016, 1148, 1167, 1193, 1195, 1197, 1201 – 1203, 1205 f., 1216 Friedrich I., Markgraf 478, 952 f., 959 Friedrich III., „99-Tage-Kaiser“ 780 f., 787, 795, 813 Friedrich III./I., Kurfîrst und Kçnig 26, 195, 197, 208 f., 220, 230 f., 234 f., 237, 240, 247, 249, 254, 265, 424 f., 456, 538, 547 f., 556 – 560, 609, 613, 781, 884, 908–910, 994, 996, 999, 1000 ff., 1005, 1017, 1045, 1047, 1167, 1171, 1180, 1195 Friedrich VI., Burggraf zu Nîrnberg 952 Friedrich von Hohenzollern 466 Friedrich Wilhelm I., Kçnig 9, 11, 16–18, 20, 22, 38, 42 f., 50, 54, 60 f., 70, 72 f., 77 f., 82, 84 f., 98, 133, 149, 176, 183, 187, 196 f., 201–203, 207, 230–232, 236–238, 241–243, 245–249, 251–260, 262–271, 273–280, 283–293, 295, 297–301, 304–306, 310–323, 325 f., 329 f., 332, 351, 364, 378, 450, 500, 503, 536, 545, 557–561, 563–567, 569, 571 f., 574 f., 578–581, 621, 850, 1185, 1193, 1201–1203 Friedrich Wilhelm, Kurfîrst 14, 27, 58, 87 f., 126, 128, 130, 134, 135, 143, 147, 151–153, 157, 159 – 163, 169, 178, 179, 181, 184, 186 – 188, 190, 194 – 196, 199, 200, 202 – 207, 210 – 214, 216 – 225, 226, 227 f., 229 f., 232 – 235, 241 – 244, 250, 259, 271, 277, 280, 290, 315, 318, 329, 452, 456, 460 f., 464 f., 489 f., 493, 496 f., 501, 504, 508 – 510, 513 – 515, 520, 524, 532, 536, 538, 541, 554 – 557, 561, 573, 628 f., 752, 860 f., 865, 873–875, 882, 898–909, 973, 983, 984–987, 989 – 997, 992, 994 f., 1011, 1030, 1141 f., 1155, 1165 f., 1167, 1180 f., 1184, 1201, 1205, 1210, 1221 Friedrich Wilhelm II. 117 f., 243, 263, 308, 346, 353 f., 357–366, 368–376, 378, 380–383, 385, 391, 433 f.,

Personenregister

436 f., 616, 621, 644 f., 647, 650, 655, 657, 659, 684, 752, 1201 Friedrich Wilhelm III. 20, 36, 356, 363, 366, 379, 385–390, 394, 402–407, 451, 647, 652, 662, 664, 666–670, 673 f., 677, 679 f., 695, 697, 702 f., 708, 710, 712 f., 715 f., 758, 930, 1030, 1203 Friedrich Wilhelm IV. 22, 69, 79, 98, 439 f., 713, 716 f., 719–723, 758, 763, 769–773, 779, 788, 814, 823, 945, 1035, 1041 f., 1201, 1203 Friedrich Wilhelm, Prinz 795, 814 Friedrich, Georg 128 f., 483, 609 Frçbel, Julius 761 Fuchs, Paul von 194, 508 f., 527, 1165 Fuhrich-Grubert, Ursula 533 Funcke, Cornelius 551, 628 Fîrstenberg 534 Fîrstenberg, Karl 1092 Furtwngler, Wilhelm 1084, 1090 Gabain 627 Gaden, Christian 636 f. Gaertner, Eduard 814 Gagern, Heinrich von 723 Gall, Lothar 96 f., 785 Gasser, Sinion Peter 296, 681 Gattin Wilhelmine, einer Schwester des Preußenkçnigs 647 Gaultier, FranÅois de 1191 Gause, Fritz 641 Gauvriºre, Jacques Tochard de 484 – 486 Gayette, Pierre 559 Gay-Lussac, Joseph-Louis 690, 759 Gebr. Lienau & Co. 636 Gedike, Friedrich 355 Georg Friedrich Markgraf von Ansbach und Herzog von Brandenburg-Ansbach 128, 475, 483 Georg III., Kçnig von England 612 Georg Wilhelm, Kurfîrst von Brandenburg 150 f., 153, 154 f., 160, 161 f., 489 f., 491, 980, 981 Georg Wilhelm, Markgraf von Brandenburg-Bayreuth 977 Georg, Erbprinz 579 George, Heinrich 1084, 1091 Gercken, Philipp Wilhelm 11 Gerhard, Dietrich 87

1231

Gerhardt, Paul 987, 991 Gerlach, Philipp 79, 772, 816, 1004 Gerlach, Leopold von 79, 767, 1022 Geuss, Herbert 802 Gilbert, Felix 25, 87 Gilly, David 1205 Gilly, Friedrich 689, 1205 Girard & Michelet 627 Gluck, Christoph Willibald 611, 819 Gneisenau, August Neidhart von 36, 367, 406, 702, 1023, 1031 Gobat, Samuel 720 Godeau, Simon 546 Godwin, Samuel und George 730 Godwin, Samuel 730 Goebbels, Joseph 1086, 1088, 1095, 1098, 1108, 1110, 1116 f. Goltz, Colmar Frhr. von der 373, 660, 791, 800, 810, 829 Gontard, Karl von 363, 610, 1010, 1028, 1074 Gooch, George Peabody 74 Gorbatschow, Michail 1121 Gçring, Hermann 583, 1087–1089, 1095, 1107, 1110 Gçrres, Joseph 32, 65, 654, 879 Gortschakow, Alexander Michailowitsch 725, 797 Gçthe, Eosander von 243, 609, 997, 1053 Gçtze, von 191, 194 Gramont, Antoine Alfred Ag¤nor de 634, 802, 805 Grase, Ernst 203 Graun, Carl Friedrich 610 Graun, Gebrîder 610 Griewank, Karl 697, 701 Grimm, Jacob 673, 759, 1035 Grimm, Melchior 624 Grimm, Wilhelm 1035 Grolmann, Wilhelm Heinrich von 702 Gropius, Walter 815 Grosz, George 1084 Grotius, Hugo 144, 186, 465, 521 Grumbkow, Friedrich Wilhelm 249, 267, 286, 321, 518 Grumbkow, Joachim Ernst von 1176 Grîndgens, Gustaf 1084, 1090 Grunenberg, Martin 997 Gruner, Justus 654, 702 f., 705, 785

1232

Personenregister

Grupello, Gabriel de 550 Guibert, Jacques Antoine Hippolyte de 616 f., 624 Guichard, Karl Gottlieb 580 f., 1195 Guigniault, Joseph-Daniel 818 Guise, FranÅois de 479 Guizot, FranÅois 719 f. Gustav Adolf, schwedischer Kçnig 150 – 152., 155 f. Haber, Fritz 1063 Habsburger 10, 32, 143, 165, 212, 233, 328, 331, 335, 464, 713, 883, 891 f., 911, 919, 921–923, 930 Haerlem, Simon Leonhard von 560, 629 Hahn, Peter Michael 494 Hahn, Otto 1063 Halske, Johann Georg 840 Hammer, Karl 303, 387, 697, 709, 759, 851, 1056 Hndel, Georg Friedrich 486, 527, 610, 823 Hanisius, David 508 Hansemann, David 747, 843 Hardenberg, Karl August von 35 f., 55, 94, 193, 377, 382 f., 388, 391, 404, 451, 652, 660, 666, 668–670, 680 f., 700, 703, 728 f., 731, 753, 928 f., 1023 Hardenberg, Dietrich von 470 Harkort, Friedrich 730–732 Harnisch, Hartmut 103 Hartknoch. Christoph 9 Hartung, Fritz 72, 85 f., 228 Hartweg, Fr¤d¤ric 529 Hass, Martin 46, 162, 387 Hasse, Johann Adolf 610 Hatzfeld 770 Hatzfeld-Trachenberg, Graf Paul von 767 Haude, Ambrosios Buchhndler 579 Hauer, Johann Jakob 653 Haug-Moritz, Gabriele 917 Haugwitz, Christian Heinrich Carl Graf von 270, 367, 375, 405, 666, 668 – 670 Hauptmann, Gerhart 1061 Hay, Francis 641 Haydn, Joseph 819 Haym, Rudolf 88

Heckel, Erich 1062 Heckmann, Dieter 480, 483, 486 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 757, 761, 818, 1034 Heimpel, Hermann 37, 928 Heine, Heinrich 446 f., 753, 757, 760, 818, 1035 Heinrich II., Kçnig von Frankreich 472, 480, 483, 1151 f. Heinrich III., Kçnig von Frankreich 473 f., 480, 482, 1152 Heinrich IV. Kçnig von Frankreich 132, 473, 1155 Heinrich VIII., Kng. von England 770 Heinrich, Prinz von Preußen 343 f., 376, 378, 589, 595, 598 f., 625, 649 f., 658, 660, 664, 672, 1009, 1023 Held, Hans von 654 Helene von Mecklenburg 716 Helv¤tius, Claude Adrien 614 Henning, Friedrich-Wilhelm 125 Henri, Jacques 636 Henry, Jean 1217 f. Herold, Friedrich Wilhelm 508 Herre, Franz 781 Hertz, Gustav 1090 f. Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von 15, 18, 346, 358, 374 – 377, 380, 633, 646, 649 Herwegh, Georg 718 Herz, Henriette 1035 Herzfeld, Hans 82 f. Hes, Louis 833 Heß, Moses 757 Hesse, Thierry Charles 636 Heuser, Wolfgang Heuser 453, 714, 715 Heydrich, Reinhard 1110 Heydt, August von der 824 Hildebrand, Ernst 628, 676 f. Hiller, Kurt 1084 Hinckeldey, Carl Ludwig Friedrich von 1043 f., 1066 Hindemith, Paul von 1084 Hindenburg, Paul von 847, 1073, 1086, 1088, 1096 Hinrichs, Carl 61, 69 f., 72–74, 79, 84, 246 f., 249, 500, 524, 536, 558, 583 Hinrichs, Ernst 310, 576 Hintze, Otto 16, 34, 46, 48–53, 59–61, 69 f., 75, 83–86, 92, 94, 133, 137,

Personenregister

143, 226, 228, 275, 333, 346 f., 369 f., 477, 554, 584, 591, 601, 613 f., 626 Hirsch, David 572 Hirt, Alois Ludwig 1027 Hitler, Adolf 70, 77, 81, 85, 1073, 1086–1088, 1090 f., 1093, 1095, 1101–1108, 1113 f., 1116 f., 1221 Hittorf, Jacques-Ignace 759 Hobbs, Emma 817 Hobrecht, Arthur 1067 Hobrecht, James 1048 Hofer, Karl 1084 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 362, 399, 403, 702, 818, 898, 1035 Hoffmann, Friedrich 508 Hohenzollern, Leopold von 803 Holborn, Hajo 85, 87 Holtz, Brbel 101 Holz, Arno 1061 Hossauer, Johann George 728, 732 Hoverbeck, Johann von 140 Hoym, Karl Georg Heinrich von 628 Hubatsch, Walther 34, 78, 95, 123 Huber, Viktor Aim¤ 761 f., 1071, Hîbner, Johann 14 Hugenberg, Alfred 1082 Hugo 718, 760, 830, 961 Hugo, Victor 756, 830 Humbert, Abraham de 1194 Humboldt, Alexander und Wilhelm 385, 626, 654 Humboldt, Alexander von 651, 715 Humboldt, Wilhelm von 20, 310, 355, 636, 651, 674, 690, 1022 f., 1031 Humphreys, Bauer von Dampfschiffen 726. 840 Huskisson, William 742 Ilgen, Heinrich Rîdiger von 237, 518, 551, 553, 562, 565, 575, 1165 Immich, Max 542 Isaacsohn, Siegfried 40, 540 Jablonski, Theodor 508 Jacobi, Kaufmann 637 Jacquemar, Jacques Charles 1204 Jagow, Matthias von, Bischof 971 Jahn, Friedrich Ludwig 215, 654, 672, 884, 896, 967, 1031

1233

Jarige, Josºphe Pandin de 1192 Jariges, Philippe Joseph de 1196 Jarvis, Jean 575 Jaurias, Aubin de 833 Jena, Friedrich von, Diplomat 501 Jena, Gottfried von 534, 882, 909 Jessner, Leopold 1084 Joachim Ernst, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 130, 145, 973 Joachim Friedrich, Kurfîrst 128, 131, 136 – 138, 477, 977 Joachim I. von Brandenburg 128, 470 Joachim II. von Brandenburg 127 – 129, 135, 180, 197, 472 f., 959, 965 f., 969, 971 f. Johann (Cicero), Kurfîrst 964 Johann Georg, schsischer Kurfîrst 197, 473, 475, 636, 902, 965, 976 – 978 Johann Kasimir, Pfalzgraf 473 – 475 Johann Moritz von Nassau-Siegen 494 – 496, 499 Johann Sigismund, Kurfîrst 138 f., 141 f., 150, 273, 898, 1163 Johann Wilhelm, Kurfîrst von der Pfalz 912, 914 f. Johnson, Samuel 622 Joiron, Berliner Manufakturunternehmer 627 Jordan & Mialon 573 Jordan, Charles Etienne 530, 580, 602, 604, 605, 619, 1042, 1071, 1193 f. Joseph I. 233 Joseph II. 341, 345, 356, 376, 599 f., 648, 919 Josephine, franzçsische Kaiserin 670, 676 Jost, Markgraf von Mhren 952 Jouin, Bankier 530 Junkers-Werke 1083 Kaeber, Ernst 1095 Kaehler, Siegfried August 77 Kafka, Franz 1084 Kaindl, Raimund Friedrich 62 f. Kalckstein, Christian Ludwig von 186, 190 Kalkum, Johann Friedrich von 162 Kampen, Jacob van 494 Kamptz, Karl Albert von 20, 1035

1234

Personenregister

Kant, Immanuel 465, 620, 641, 652, 661, 761, 818 Kanter, Johann Jakob 627 Kantzow, Thomas 12 Kapp, Friedrich 1056 Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach 377, 402 Karl der Große 14 Karl der Kîhne von Burgund 467 Karl II. von England 490 Karl III. von Spanien 630 Karl IX. von Frankreich 471, 479–481, 483–485, 488, 1152 f. Karl Philipp, Kurfîrst von der Pfalz 582 f., 915 Karl V. von Habsburg 470, 480, 488, 970 Karl VI. von Habsburg 328, 566, 915 f., 919, 921 Karl VII. von Bayern 331, 586, 921 f. Karl XI. von Schweden 498 Karl XII. von Schweden 239, 561 Katharina II. von Rußland 661 f. Katharina von Medici 479, 484 f., 1153 Katharina von Spanien 470 Katte, Hans Hermann von 19, 70, 321, 323, 579 Kaunitz, Wenzel Anton (Graf ) von 319, 335, 590–592, 919 Kraus, Hans-Christof 98 Keferstein, Albrecht Ludwig 627 Kehr, Eckart 64, 91 Kehr, Paul Fridolin 61 Keith, Gebrîder v. 607, 622, 630 Kempe, Martin 508 Kennan, George 1112 Kerautret, Michel 667 Kessel, Eberhard 81, 238 Keßler, Johann Daniel 575 Kirchner, Ernst Ludwig 1062 Kirschner, Martin 1067 Klausener, Erich 1113 Klee, Wolfgang 747, 843 f. Kleiber, Erich 1084 Klein, Ernst Ferdinand 352 Kleist, Heinrich von 367, 379, 673, 680, 689 f., 930 Klemperer, Otto 1084 Klepper, Jochen 73 f., 1084 Klimsch, Fritz 1084

Klçden, Karl Friedrich 20 Klopp, Onno 32 f., 37, 54, 77, 1000 Klopstock, Friedrich Gottlieb 651 Kluxen, Kurt 353, 595, 893 Knapp, Georg Friedrich 39, 45 Knobelsdorff, Georg Wenzeslaus von 610, 1008 Knyphausen, Freiherr von 197, 562 Koch, Robert 1063 Kçckritz, Karl Leopold von, Oberstleutnant 387 Koechlin, Andre 832 f. Kolbe, Georg 1084 Kollwitz, Kthe 1062, 1083, 1090 Konopczyn´ski, Władysław 107 Koreff, David Alexander 690 Kçrner, Carl Theodor 672 f., Kortner, Fritz 1084 Kos´ciuszko, Tadeusz 381, 651 Kçse, Johann 483 Koselleck, Reinhart 24 f., 59, 92 f., 870 Koser, Reinhold 17, 26, 37, 47 f., 56 f., 84, 97, 142, 150, 333 Kotzebue, August von 689, 1031 Krause, Karl Christian Friedrich 760 f. Krauske, Otto 45 Krausnick, Heinrich Wilhelm 1032, 1036, 1043, 1047 Krauss, Werner 1084 Krautt, Johann Andreas von 287, 290 Krebs, Konrad 969 Krenek, Ernst 1084 Kroker, Evelyn 826–828 Kroll, Frank-Lothar 64, 98 Krîger, Horst 101 Krîger, Johann 741, 991 Krum, Horsta 529 Krupp, Friedrich 732, 824, 826, 829, 833 Kuczynski, Jîrgen 101, 106 Kugler, Franz 21 Kunkel, Johann 993 Kunth, Gottlob Johann Christian 686 Kîntzel, Georg 212 Kutz, Martin 694, 737 L’Ain, Girod de 755 La Ch¤tardie, Marquis de 581 f. La Grange, Louis Henri Rivet de 685 La Hogue, Jacques Gilbert de 615

Personenregister

La Mettrie, Julien Offray de 606 La Motte-Fouqu¤, Heinrich August de 580 f. La Valette, Jean de 802 La Vigne, N. 993 Lafargue, Paul 575 Lafayette, Marie-Joseph Motier, Marquis de 624 Lagarde, FranÅois de 602 Lagny, Jean-Baptiste 506 Lagrange, Richard 1221 Lamartine, Alphcusi de 718, 722, 760 Lancret, Nicolas 608 Lange, Werner 577, 602 Langhans, Carl Gotthard 363, 1016 f., 1028 Languet, Hubert 472, 476 Laqueux, Jean 627 Lasker-Schîler, Else 1092 Laue, Max von 1063 Launay, Marcus Antoine la Haye de 614 f., 645 Lauzun, Armand-Louis de Geutant, duc de Biru, bis 1788 duc de Lauzun, der sptere General Biron 624 Lavisse, Ernest 84 Le Bachell¤, Louis 530 Le Chambrier, Jean-FranÅois 635 Le Clerc, Jean 1198 Le Cocq, Grafen von Heimbeck 627 Le Coq, Jean 642 Le Jeune, Andr¤ 530, 570, 1183 Le Nútre, Andr¤ 546 Lee, Pieter Fransen van der 496 Legay, Jean Laurent 609 Lehmann, Johann Gottlob 37, 54–58, 66, 68, 74, 76, 84, 87, 150, 207, 257, 259, 302, 349, 352, 605, 673, Lehmann, Max 37, 54–57, 66, 83, 207 Leibniz, Gottfried Wilhelm 1000, 1191 Leicester, Robert Xudley, First Earl of Leicester, 1532 – 1588 479 Leipziger, Leutnant August Wilhelm von 654 f., 1010, 1023 f., 1052, 1054, 1068 Leistikow, Walter 1062 Lejuge, Thomas 575 Lemoine-Lichtenberger 577 Lenfant, Jacques 546, 1192 f., 1198 Lenn¤, Peter Joseph 816, 1030

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Lenz, Max 34 f., 46, 53, 62, 207 Leopold I., Kaiser 213, 513, 649, 908, 910 f., 1001 Leopold II. , Kaiser 336, 376 f., 648 Leopold, Kçnig von Belgien 843 Lequine, FranÅois 728 Lessing, Gotthold Ephraim 58 f., 601, 818, 1012, 1050 Lesueur, Jean-FranÅois 608 Lette, W. A. 815 Leuchsenring, Franz Michael 653, 654, 665 Leuchtmar 160, 162 s. Kalkum Lewald, Theodor 1093 Lhuys, Drouyn de 797 f. Lichtenberg, Bernhard 1114 Lichtwark, Alfred 1051 Liebermann, Max 609, 1062, 1083, 1092 Liebknecht, Karl 1072–1074, 1076, 1088 Lier, Gysels van, Admiral 497 Lievens, Kînstler 550 Lippert, Julius 1096, 1105 Lipsius, Justus 86, 144, 493 Liselotte von der Pfalz 541, 545 f. Lisola, Franz(iskus) von 510 List, Friedrich 748, 839 Littr¤, Emile 818 Lobau, Georges Graf 711 Lçben, Johann von, Kanzler 138 Locke, John 1196 Locock, Sir Charles 817 Loerke, Oskar 1084 Lohn 171, 174, 210, 553, 684, 688 Lombard, Johann Wilhelm, Kabinettsrat 388 Longuelune, Zacharias 609 Louise Henriette von Oranien 493–495, 550 Louvois, FranÅois-Michel de Tellier 507, 514 Lucchesini, Girolamo 652, 668 Lîdecke, Gebhard Levin 508 Lîdecke, Urban Dietrich von 508 f. Ludwig d. øltere 950 Ludwig der Rçmer von Brandenburg 951 Ludwig Philipp von Frankreich 710, 715 f., 725

1236

Personenregister

Ludwig XII. von Frankreich 470 Ludwig XIII. von Frankreich 1156 Ludwig XIV. von Frankreich 27, 221, 226, 234, 240, 248, 319, 331, 498, 500, 503, 507, 511, 513 f., 518 f., 522–525, 527, 534 f., 541–543, 545 f., 549–551, 554, 556, 583, 617, 631, 695, 909, 913, 1158 f., 1164, 1171, 1221 Ludwig XV. von Frankreich 586, 593, 600, 613 Ludwig XVI. von Frankreich 598, 658 f., 708 Ludwig XVIII. von Frankreich 702, 707 Ludwig-Napoleon 725, 763, 765, 769 Luise Henriette von Oranien 217, 553, 994 Luise von Hessen-Darmstadt 363 Luise, Kçnigin von Preußen 386 f., 404, 630, 1019 Lumbres, de 498 Luther, Martin 81, 101, 123, 129, 252, 970 f., 976 f., 1150 Luxemburg, Rosa 1072, 1076 Lynar, Rochus Friedrich Graf zu 629 Maaßen , Karl Georg (1769 – 1834) 743 Mably, Gabriel Bonnet de 625 Mac Adam, John 839 Mac Mahon, Patrice de 777 Macaulay, Thomas Babington 33 Machiavelli, Niccolý 463, 514, 548, 796 Mackenzie, Sir Morell 817 Madison, James 651 Maillet, Antoine 484–487 Malettke, Klaus 500 Mangin, Louis 530 Mann, Heinrich 1083, 1090 Manteuffel, Otto von 98, 701, 710, 724, 725, 764–768, 771 f., 816 Marat, Jean-Paul 655 Marceau, FranÅois Severin (1769 – 1796) 655 Marcenado, Graf Santa Cruz de 616 March, Werner 1093 f., 1102 Marcks, Erich 28, 34 f., 56, 62, 65, 66, 133, 1052 Marguerite de Valois, genannt Margot 1153

Maria Theresia von Habsburg 330, 336 f., 356, 583, 589, 593, 596, 598, 613, 919, 921 f. Maria Theresia, Kçnigin von Spanien 503 Maria von Ungarn 479 Marie Antoinette von Frankreich 419 f., 598, 613, Marlborough, John Chardieu 241, 552, 560 f. Marwitz, Friedrich August Ludwig von 53, 148, 310, 355, 436 f., 646, 1201 Marx, Karl 59, 77, 101, 754, 757, 1037 Massonneau, Louis 530 Matiny, Fritz 398 Matthiesen, Matthias 66, 75 Matzerath, Horst 1100 Mauclerc, Paul Emile de 1192, 1199 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 604, 624 Maurenbrecher, Max 59 Maurer, Michael 618–620 Mauvillon, El¤azar de 623 Mauvillon, Jakob 625 Max, Prinz von Baden 1072 f. Maximilian II. Emanuel von Bayern 547 Maximilian, Kaiser 15, 137, 469, 470 Mazarin, Jules 497 f. Mediger, Walther 57, 330, 335 Mehring, Franz 58 f., 77, 100 Meier, Ernst von 40, 55 Meinardus, Otto 37 Meinders, Franz von 194, 200, 226, 501, 518 Meinecke, Friedrich 37, 62, 65, 68, 77 f., 87 f., 325, 535 Meitner, Lise 1063 Meitzen, August 38 f. Memhardt, Johann Gregor 494 f., 983, 986, 994 Mendelssohn, Abraham 753 f. Mendelssohn-Bartholdy, Felix 753 Mengin, Ernst 1220 Meny, Jves 639 Menzel, Adolph 594, 777, 1035, 1062 Mercier, Pierre 530 Merian, Johann Bernhard 1195 Merlio, Gilbert 656

Personenregister

Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 673, 695, 699, 704 f., 707, 711, 715 f., 725, 743, 768, 851 Mettra, Louis-FranÅois 602 Meyer, Arnold Oskar 69 Meyer, Daniel Christoph 637 Meyerbeer, Giacomo 752, 758, 776 f., 819, 825, 1035, 1045 Michaud, Daniel 1185 Michelet, Jules 756 Micraelius, Johannes 12 Mierendorff, Carlo 1114 Mijtens, Jan 550 Minton, Herbert 824 Mirabeau, Graf Gabriel de Riqueti 19, 625 Miranda, Francisco de 616 Mittenzwei, Ingrid 76, 106 f. Molin, Gerhard 551 Mçllendorf, Wichard Joachim Heinrich von, Generalfeldmarschall 382 Mçller, Horst 99, 645 Moltke, Helmuth Karl Bernhard von 58, 81, 718, 1069, 1112, 1114 Moltke, Helmuth James von 1112 Mommsen, Theodor 759, 1061, 1064 Mommsen, Wilhelm 63 Mommsen, Wolfgang J. 795 Monbrun, Seidenmanufaktur 575 Mondot, Jean 577, 656 Montbeil, Marthe de 1202 Montmorency, Anne de 479, 483 Moor, Jean Henri de 531, 626 Morand, Pierre 602 Moret, Edºme Nicolas 615 Morla, Toms 616 Mosse, Rudolf 1067, 1082, 1092 Motherby, Robert 641 Motz, Friedrich von 742 f. Moulines, Guillaume de 581, 665, 1195, 1203 Moustier, Cl¤ment-Edouard de 802, 848 Mozart, Wolfgang Amadeus 364, 819 Mîller, Ludwig, „Reichsbischof“ 1113 Mîller, Gestapochef 1110 Mîller, Hans Heinrich 103 Mundt, Bernhard 598 Muret, Eduard 1219 Musset, Alfred de 718, 760

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Mylius, Christian Otto 1178 Mylius, Christlob 621, 629 Nahl, Johann August 576 Nanin, Jules 756 Napoleon I. von Frankreich 763, 806, 848, 1019–1021, 1025, 1028 Napoleon III. von Frankreich 718, 765, 769, 773 f., 778, 797–799, 801 f., 825, 834, 837 Napoleon, Prinz von Frankreich 771 Natzmer, Dubislav Oneomar von, General 253, 328, 342, 581 f. Naud¤, Albert 54, 56, 366 Naud¤, Philippe 604, 1191 Neipperg, Adam Albert von 330 Nelson, Lord Horatio 1075 Nering, Johann Arnold 997, 1003 Nerval, G¤rard de 756, 760 Neugebauer, Wolfgang 456, 682, 853, 925 Neuville, Etienne 575 Newton, Isaac 1196 Nicolai, Friedrich 18, 354 f., 982, 1012, 1199 Nicolas, Racue 504, 1195, 1203 Niebuhr, Barthold Georg 16, 689, 1034, 1203 Niebuhr, Marcus 767 Niel, Adolphe 802 Niemçller, Martin 1113 Nikolaus V., Papst 959 Nikolaus, Zar 713 Nipperdey, Thomas 93 Nisard, D¤sir¤ 756 Noack, Karl-Heinz 76, 106 Nolde, Emil 1062 Northampton, William Parr (1513 – 1571)/Henry Campton(1538 – 1589) 479 Noske, Gustav 1076 Odoards, Fantin des 755 Oelsner, Konrad Engelbert 651 Oestreich, Gerhard 86 f., 90, 98, 135, 144, 230, 877 Offenbach, Jacques 819, 825 Oldenbarnevelt, Johan van 476 Ollivier, Emile 803, 805, 819

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Personenregister

Oncken, Hermann 62, 66, 69, 345, 743, 799, 925 Opgenoorth, Ernst 163, 187, 512, 516, 534 Oppenheim, Abraham 833 Oppermann, Heinrich 761 Oranier 143, 375, 489, 493–495, 499, 539 f., 543, 550, 612 Orleans, Philipp von 562 Orpheus 830 Ossietzky, Carl von 1084 Otto VIII. von Bayern 951 Owen, Jesse 1095 Pagºs, Louis 506 Paget, Henry William 479 f. Paine, Thomas 651 Pallenberg, Max 1084 Palmer, Alan 708, 720 Palmerston 702, 715, 720, 778, 798 Papen, Franz von 1085–1087 Papin, Denis 1192 Papritz, Johannes 135 f., 149, 1185 Parmentier, Antoine Augustin 643 Pascal, Jacques 627 Pastorius, Joachim 14 Pater, Jean-Baptiste 608 Patow, Robert von 780 Pauli, Carl Friedrich 17 f., 186, 1051 Paulin, Jules-Antoine 755 Paxton, John 822 Pelloutier, Jean Ulric 604, 635–637, 741 Pelloutier, Simon 605, 637, 1194 Pelloutier, Ulric Auguste 694 P¤rard, Jacques de 1199 Persigny, Jean Gilbert Victor Fralin 763, 848 Persius, Ludwig 1027, 1030, 1042 Pertz, Georg Heinrich 36 Pesne, Antoine 608 Peters, Jan 104 Pflanze, Otto 96, 783, 786, 793 f., 796 Pfuel, Kurt Bertram von 160 f. Philipp, Karl 564, 621, 915 f. Philipp, Prinz von Brandenburg-Schwedt 230 Philippe Jacques Lenfant 546, 1192 f., 1198 Philipps, James 641 Philippson, Martin 58

Philipp Wilhelm von Oranien, Prinz 487 Philipp-Wilhelm, Pfalzgraf von PfalzNeuburg 912 Philipsborn, Karl Alexander Wilhelm Maximilian 835 Piedboeuf, Jacques 728 Pigalle, Jean-Baptiste 613 Pinßfeldt, David 483 Piozzi, Gabriel 623 Pitra, Claude 573 Pitra, Samuel 602 Pitt, William der Jîngere 595 f., 660, 666, 696 Planck, Max 60, 1063 Platen, von 200 Platzmann, Wennemar 1184 Plotho, Freiherr von 594 Podewils, Heinrich Graf von 329 Poidevin, Raymond 703 f., 765, 834 Polignac, Jules Auguste Armand Xuc de 709 Pçllnitz, Carl Ludwig von 18, 560, 621, 625 Pçllnitz, Gerhard Bernhard von, Oberstallmeister 501 Pommer-Esche 835 Pompadour, Jean-Antoinette Poisson 593 Poniatowski, Stanisław August 341 f. Pçpping, Bernhard 487 Portzamparc, Christian de 775 Post, Pieter 494 Pr¤, Pierre du 505 Pregitzer, Johann Ulrich 14 Press, Volker 332, 921, 925 Preuß, Hugo 121, 1077, 1092 Preuß, Johann David Erdmann 19 f., 33, 35, 38 Preysing, Konrad, Bischof 1113 Prince-Smith, John 834 Printzen, Marquard Ludwig Freiherr von 562 Proudhon, Pierre-Joseph 718 Pîckler-Muskau, Fîrst Hermann Ludwig Heinrich von 753, 816 Pufendorf, Samuel (von) 15 f., 18, 191 f., 244, 465, 992, 1050, 1192, 1196 f.

Personenregister

Puy-Ferassiºre, Esp¤rance du 1202 Pyta, Wolfram 339, 701, 704 Quellinus, Artus 494 Quesnay, Abraham 1205 Quinet, Edgar 718, 756, 819 Raby, Lord 551 f., 996 Rachel, Hugo 135, 187, 290, 531, 543, 626, 627, 628, 631 Radowitz, Joseph Maria Ernst Christian Wilhelm von 718 f. Ranke, Leopold von 20–24, 26, 28, 33, 35, 40–42, 53, 70 f., 74, 155, 336, 345, 384, 388, 663, 717, 867, 925, 1034, 1065, Rathenau, Walther 1092 Rauch, Christian Daniel 826, 1034 Raule, Benjamin 493, 520 f., 526, 554, 556 Raumer, Friedrich von 753, 759 Raumer, Hans von 491, 648, 663, 666, 669 f. Raynal, Guillaume Thomas FranÅois 625 Real, Willy 382 R¤benac, Graf FranÅois de Pas de 514 R¤benac, Graf de 514 f., 518, 525, 534, 536, 539, 556, 848, Rebeur, Philippe 1202 Rebmann, Georg Friedrich 654 Reckerodt, Georg von 483 Reclam, Fr¤d¤ric 530, 1201 Reichardt, Johann Friedrich 611, 652, 758 Reichart, Johann Peter 560 Reinhardt, Max 1084, 1092 Rellstab, Ludwig 758 Renn, Ludwig 1084 Rentsch, Johann Wolfgang 14 Repgen, Konrad 27 Reuleaux, Franz 826 Reuter, Ernst 1082 Rheydt s. Bylandt Ribbeck, Johann Georg von 984 Ribbentrop, Joachim von 811 Richard, William 686, 688, 727 Richelieu, Armand-Jean I. du Plesois de 525, 705, 707, 1156

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Richelieu, Louis-FranÅois Armand du Plesois von, Marschall 595 Richmond, Gebrîder 730 Richter, Gînter 785 Richter, Werner 781, 795 Riedel, Adolf Friedrich 20, 46 Riehl, Axel 815 Riem, Andreas 654 Rieux, Madame de 626 Rigny, de, Admiral 717 Ringelnatz, Joachim 1084 Rio, Sanz del 761 Riß, August 1035 Ritter, Gerhard 66 f., 74, 78, 80–84, 89–91 Robespierre, Maximilieu de 652, 654 Robinson, George 623 Rochow, von 207 Rocoules, Madame de 577, 1202 Rçdenbeck, Karl Heinrich Siegfried 20 f., 35, 247, 341 Roger, John 482 Roger, Robert 1200 Rçhl, John 781, 795 Rohr, Ferdinand 833 Rollet, Henry 627 Romandon, Abraham 1205 Roon, Albrecht von 78, 778 f., 782–784, 786, 794, 801, 1069 Roos, Hans 220 Rçpke, Wilhelm 77 Rosenberg, Hans 87, 89 f., 92 – 96 Rossini, Gioachino 829 Roth, Hieronymus 185 Rother, Christian 734 Rothfels, Hans 67, 80, 87 Rothschild, Nathan 733 f., 833 Rottembourg, Conrad Alexandre de 562 Rouanet, Pierre 608, 812 Roubeaud, Frederic 615 Rouher, Engºne 802 Roumieux, Engºne 530 Rousseau, Jean-Jaques 611, 620, 622, 1148 f., 1194 Roussel, FranÅois 572 Rîchel, Ernst von, General 387 Rudersdorf, Manfred 142 Rudolf II., Kaiser 481, 895 Ruge, Arnold 757, 761 Ruiz, Alain 655, 687

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Personenregister

Russell, John 778, 849 Rust, Bernhard 1089 f. Ryckwaert, Cornelis 494, 496 Sack, August Friedrich Wilhelm 371, 729, 790 Saegert, Carl Wilhelm 767 Sagave, Pierre-Paul 603 Sagebiel, Emil 1101, 1103 Sahm, Heinrich 1085, 1096 Saint-Antoine, Faubourg 653 Saint-Gobain 825, 831–833 Salkins, William 482 Salomon, Fritz 482, 489, 505, 1050 Sand, Karl Ludwig 1031 Sarrat, Jean de 1200 Sarry & Keßler 575 Sarry, Pierre 575 Sassenay, Marquis de 833 Savigny, Friedrich Karl von 689 f., 1203 Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Wilhelm Fîrst zu 743, 1031 Schadow, Johann Gottfried 363, 967, 1016 f., 1020, 1034, 1074 Scharden, Friedrich Wilhelm von 508 Scharnhorst, Gerhard von 54, 81, 280, 407, 1023 Scheidemann, Philipp 1072 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 761, 1034, 1197 Scherl, August 1067, 1082 Schickler, Gebr. 635 f., 692 Schickler, Johann Ernst 636 Schieder, Theodor 56, 97, 244, 322, 332 Schill, Ferdinand von 1021 Schiller, Friedrich von 391, 651, 818, 1051 Schilling, Max von 1090 Schindling, Anton 142, 217 Schinkel, Karl Friedrich 731, 759, 967, 1026–1030, 1034, 1042, 1075, 1108 Schlabrendorf, Gustav von 652 Schlaf, Johannes 1061 Schlegel, Gebrîder 759 Schleicher, Kurt von 1086 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 761, 967, 1021, 1031, 1034 Schlîter, Andreas 243, 541, 609, 938 f., 996 – 998, 1053

Schmidt, Christoph 174 Schmidt-Ott, Friedrich 52 Schmidt-Rottluff, Karl 1062 Schmitt, Carl 72 f. Schmoller, Gustav von 41–47, 50, 53, 56, 59 f., 68, 75, 190, 294, 571, 626 Schnabel, Franz 67, 80 Schneckenburger, Max 718 Schoeps, Hans Joachim 78 Schçllgen, Gregor 451 f., 807 Schçn, Theodor von 69, 684 f., 689 Schoockius, Martin 14 Schoonjans, Anthoni 546 Schopenhauer, Arthur 657, 761 Schrçder & Schyler 693 f. Schroeder, Paul W. 701 Schrçtter, Hermann von 209 Schulenburg, Baron v. d. 602 Schulenburg, Graf Friedirch Wilhelm von der 1019 Schultze, Johannes 9, 61, 301 Schultze, Stephanus 629 Schulz, Johann Bernhard 993 Schulze, Hagen 9, 99 Schuster, Theodor 324, 731, 757 Schîtz, Caspar 8 f. Schwarzenberg, Adam Graf von 147, 154, 156–162, 190, 193 f., 725, 763–765, 797, 900, 981, 983 Schwarzendorf, Jean-Paul Egidius 653 Schweighofer 728 Schwerin von Krosigk, Johann Ludwig Graf 140, 225, 513 f., 500, 516, 523, 716, 780, 893 Schwerin, Kurt Christoph von, Feldmarschall 330 Schwerin, Otto von 186, 194 Sechs, Nelly 1084 Seckendorff, Graf Friedrich Heinrich von 319 – 321, 564 S¤gur, Anatole de 473, 657 Seidel, Paul 46 Seier, Hellmut 28 Sellin, Volker 97, 324 f. Selling, Andreas 508 f. Sello, Johann Samuel 610 Sevres 824 Seydel, Karl Theodor 1047, 1066 Shakespeare 607 Siegroth, Carl Ludwig von 303

Personenregister

Halske, Johann Georg 840 Siemens, Werner von 815, 828, 1060, 1081, 1090, 1116 Siemens, Wilhelm 812, 840 Sieyºs, Emmanuel Joseph 662 f., 667, 671, 848 Sigismund III., polnischer Kçnig 482 Sigismund, Johann, Kurfîrst von Brandenburg 128, 131, 138–143, 146, 165, 477, 976 f. Sigismund, Kçnig 466, 482, 952, 960 SinÅay, Saint-Paul de 833 Sintenis, Renee 1084 Smids, Michael Matthias 494 f. Smith, Adam 171, 296, 681, 732, 740 Soleymani, Dagmar 838, 846 Sonnino, Paul 507 Sontag, Henriette 758 Sophie Charlotte, Kçnigin 196, 232, 239, 244, 246 f., 538, 545–547, 551, 559, 577, 601, 999 f., 1205 Sophie Dorothea, Kçnigin 321, 564, 578 Soto, Domingo de 465 Soult, Nicolaus Jean-de-Xieu 719, 848 Spalding, Johann Joachim 371 Spanheim, Ezechiel v. 517, 525, 541 Speer, Albert 941 f., 1101, 1103, 1105, 1107 Spener, Jakob Karl 508 Spener, Philipp Jakob 251 f., 273 Spinoza, Baruch 761 Splitgerber und Daum 290 Splitgerber, David 290 f., 573 f., 635 Spontini, Goespare Luigi Pacifico 758 Stadelmann, Rudolf 81, 571, 787 Sta×l, Madame Anne Louise Germaine de 459, 672, 755, 759 f. Stalin, Josef 1117 Stangenberg, Wenzel Schack von 481 Stauch, Martin 714, 765, 767 f. Stauffenberg, Claus Graf von 1114 Steffens, Haye, aus Utrecht 494 Steibelt, Daniel 653 Stein, Freiherr vom 36, 54 f., 62, 66 f., 74, 95, 268, 349, 390, 403, 406, 929, 1022, 1024, 1031 Stein, Hertnidt vom 467 Stein, Lorenz von 757 Stein, Robert 395

1241

Steinbeis, Ferdinand von 821, 825 Steinberg, Siegfried 54, 166 Stendhal, Marie-Henri Blyle 755 Stengers, Isabelle 805 Stenzel, Gustav Adolf Harald 21 f. Stiebritz, Johann Friedrich 681 Stçcker, Adolf 1066 Stollberg-Rilinger, Barbara 234 f. Storck, Philipp Adam 687 Stossius, Friedrich Wilhelm Stosch 518 Stourdza, Michael 707 Strack, Johann Heinrich 1060 Straub, Eberhard 456 Straubel, Rolf 348 Strauß, David Friedrich 818 Streckeisen, Jean Gorges (Johann Georg) 636 Strousberg, Bethel Henry 842 Struensee, Carl August von 366 f., 386, 388, 390, 660, 681 Stryk, Samuel 508 Stuarts 490, 534 Stîler, Friedrich August 1027, 1029 f., 1103 Sturm, Johann Friedrich 508 Stutz, Ulrich 142 Surez, Francisco 465 Suffolk, Thomas Howard, First Earl of Suffolk 1561 – 1626 479 Svarez, Karl Gottlieb 95, 352 f., 371 Sybel, Heinrich von 26, 28–30, 32, 36 f., 39, 47, 54, 57, 60, 460, 875, 1044 Talleyrand, Charles-Maurice de 667, 671, 695, 697, 848 Tassaert, Jean Pierre 629 Taylor, Samuel 623 Teller, Wilhelm Abraham 371, 619 Tenison, Erzbischof von Canterbury 567 Tersmitten, Henri 506 Terwesten, Gebrîder Augustin und Matthus 546 Thadden, Rudolf von 532 f. Thassilo, Graf von Zollern 13 Theiß, Caspar 969 Thellusson Necker & Co. 636 Therbusch, Anna Dorothea 605, 609, 625 Th¤remin, David-Louis 530, 652, 1217 Thieriot, Nicolas-Claude 602

1242

Personenregister

Thiers, Adolphe 718, 745, 803, 819 Thomas, Edward 730 Thomas, G. A. 777 Thomasius, Christian 244, 465, 1001 Thouvenel, Edouard Antoine 774, 797 Thrale, Hester Lynch 623 Thurneißer, Leonhardt 976 Tieck, Friedrich 1035 Tieck, Ludwig 761 Titre, du 573, 1148 Tocqueville, Alexis de 644 Toland, John 546 Toulongeon, Hippolyte-Jean-Ren¤ 624 Tournau 628 Tourton & Ravel 636 Trabant, Jîrgen 759 Treitschke, Heinrich von 30–32, 36, 59, 460, 668, 714, 791, 875, 1061 Trenck, Freiherr von der 652 Treue, Wilhelm 9, 291, 784 f., 794, Tschech, Heinrich Ludwig 1038 Tuaillon, Louis 1062 Tucholsky, Kurt 1084, 1092 Tulard, Jean 645, 675 Turennes, Henri de 474 Turner, William 753 Uhland, Ludwig 818 Uhse, Erdmann 16 Ulbricht, Walter 1086 Ullstein, Leopold (Verleger) 1067, 1082 Ullstein, Gebrîder 1092 Urlsperger, Johann August 567 Vaillant, Jacques 545 Valentin, Veit 64 Vanselow, Johann Jacob 693 Varnhagen, Rahel 690, 1035 Vauban, Sebastien de Prestre de 617 Venedey, Jakob 754, 757 Vergennes, Charles Gravier de 599 f. Vetter, Klaus 106, Victoria, Kçnigin von England 770, 773, 776, 777, 792 f., 795, 813 – 817, 821, 823 Victoria, Kronprinzessin von Preußen 790, 794, 807 Viebahn, Georg v. 735 Vigne, Ingenieur N. La Vigue 530, 1187 Vignoles, Alphonse des 1191, 1198

Virchow, Rudolf 1061, 1063 Vogel, Barbara 616, 682 Vogler, Gînter 106 Voigt, Johannes 686 Volckart, Adrian Gottlieb 560 Voltaire, FranÅois Marie Arenet 19, 324, 326, 576, 578, 580, 585 f., 601–603, 605–607, 611, 620, 624, 673, 1194 f., 1198 Waddington, Albert 84 Wagner, Richard 819 Wahl, Adalbert 66 Waldburg, Graf Karl Heinrich Truchseß zu 312 Waldeck, Georg Friedrich von 26, 192, 194, 211 – 214, 218 f., 1161 Waldeck, Graf 194 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von 153–156, 882, 982 Wallich 135 f., 293 Wallot, Paul 1068 Walter, Bruno 1084 Wartenberg, Johann Kasimir, Graf Kolbe von 196, 237, 249, 998 Wartenburg, Peter Graf Yorck von 1114 Wartensleben, Leopold Alexander 576 Washington, George 68, 87, 651, 1043, 1118 Watteau, Antoine 608, 624 Weber, Carl Maria von 1035 Weber, Friedrich Benedikt 735 Weerth, Georg 754 Wehler, Hans-Ulrich 93 f., 96, 783 Weidling, Helmuth 1117 Weiler, Leonhard 472 Weinert, Erich 1084 Welfen 32, 538, 875, 893, 910 Wellington, Arthur 680, 705, 752 Wels, Otto 1076 Welskopp, Thomas 81, 93 Werff, Adriaen van der 561 Wermuth, Adolf 1067 Werner, Anton von 1062 Werner, Joseph 1000 Werther 695, 713, 715, 717 Werther, Heinrich Wilhelm von 713, 718, 742 Wettiner 883, 892, 917, 953 Wheatstone, Charles 840

Personenregister

Whitehouse, William 686, 688 Wichmann, Gebrîder 1035 Wieland, Christoph Martin 1050 f. Wienfort, Monika 357, 539, 665 Wilford & Partners 775 Wilhelm I. von den Niederlanden, Kçnig 711 – 713, 752 Wilhelm I. von Oranien 162, 217 Wilhelm I., Kçnig von Preußen, dt. Kaiser 29, 35, 61, 712, 724, 782, 772, 776, 779 – 780, 782 – 788, 791 f., 794 f., 797, 799, 802 – 805, 807 f., 847, 1167 Wilhelm II., Kçnig von Preußen, dt. Kaiser 774, 813 f., 817 f., 847, 1053, 1057 f., 1062 Wilhelm III. von Oranien 535, 537 – 539, 542, 549, 559 Wilhelm IV. von Holland und Hennegau 467 Wilhelmine von Preußen, Tochter von August Wilhelm von Preußen 597, 612 Wilhelmine, Prinzessin 590 Wilhelmine von Preußen, Tochter Friedrich Wilhelm I. von Preußen 578, 1202 Wilkinson, Williams 685 Wille, Johann Georg 652 Willeboirts, Thomas (Maler) 1613 – 1654 550 Willius, Faustinus 488 Willmann, Michael 510 Wilson, Thomas Weedrow 284, 620 Winkler, Heinrich August 489, 808

1243

Winnenthal, Herr von Wilich zu 188 Winterfeld, Xethard von 926 Wittelsbacher 416 f., 464, 466, 883, 891, 914, 921, 923 f., 926, 950 f., 953, 962 Witzleben, Job von 711 Woellner, Johann Christoph von 360, 361 f., 364 – 372, 378, 382, 387, 646 Wolbeer, Gerhard 551, 628 Woldemar, Markgraf von Brandenburg 950 Wolff, Christian 325 f., 1001, 1196 Wolff, Theodor 1092 Wordsworth, William 623 Workum, Wybrant von 519, 526 Wrangel, Friedrich von 1042 Wîstenberg 636 Wusterwitz, Engelbert von 10 York, Frederick von 612, 623 Zech, Paul 1084 Zechlin, Egmont 783 f. Zedlitz und Leipe, Freiherr Karl Abraham von, Minister 368, 1065 Zelle, Robert 1067 Zeller, Gaston 512, 542 Zelter, Karl Friedrich 1035 Zerboni, Joseph Johann Baptist Andreas von 654 Zernack, Klaus 335 Ziechmann, Jîrgen 611 Ziekursch, Johannes 46, 52–54, 63 f., 88, 96, 781, 795 Zille, Heinrich 1062 Zweig, Arnold 1084

Ortsverzeichnis Aachen 221, 511, 587, 590f., 655, 705–708, 710, 712, 727f., 748, 756f., 832f., 843, 886, 926, 942, 1054 Abukir 674 Adlershof 1059 Adrianopel 709 Afrika 205, 520f., 526, 555f., 758, 1160 øgypten 800 Alºs 1156 Altmark 149f., 152f., 170, 373f., 941, 949–951, 958, 1168 Altona 639 Altranstdt 912 Amerika 595, 599, 621, 643, 647, 759, 818, 1160 Amsterdam 472, 475, 483, 490, 493–495, 499, 505, 510, 531, 538, 544, 559–561, 574–576, 580, 609, 627, 632, 636, 639, 647, 741, 1015, 1132, 1139, 1165, 1197f., 1200 Andalusien 708 Anhalt-Dessau 501 Ansbach 123f., 128, 130, 344, 383, 404f., 670, 888, 960, 1161, 1174 Ansbach-Bayreuth 377, 402, 595, 859 Antwerpen 483, 485, 488, 510, 576, 659, 691, 747, 843f. Arguin, Insel 555f. Arneburg 958 Auerstedt 338, 389, 402, 406f., 671, 1019 Augsburg 141, 542, 796, 857–859, 869, 883, 889f., 896–899, 902, 919 Auneau 474 Auschwitz 1110 Austerlitz 404, 666, 669f., 768 Australien 736 Babelsberg 814, 816, 1119 Bad Ems 802, 1049 Bad Gastein 798

Baden 195, 345, 554, 561, 663, 723, 746, 821, 836, 876, 883, 888, 915, 924, 1072f., 1161 Baden, Großherzogtum 825 Baden-Baden 121, 774, 835, 1080 Balkan 1064, 1071 Bamberg, Stadt 887, 923, 1052, 1057 Bamberg, Hochststift 403 Barcelona 741, 1093 Barnim 167, 948 Basel 67, 370, 375, 378, 382–384, 389, 402, 437f., 487, 636, 647, 650, 653f., 660, 662, 665, 692, 928, 930, 1150 Baskenland 690 Bayern 15, 41, 209, 217, 236, 330f., 454, 457, 542, 547, 585, 655, 681, 705, 708, 746, 800, 871, 883, 902, 910, 1064 Bayonne 636, 741, 779 Belgien 241, 376, 448, 453, 464, 481, 647f., 659, 706, 710–712, 714, 715, 726, 728, 730f., 733, 741, 743, 747, 761, 837, 841–846, 848 Berg 24, 90, 131, 150, 162, 179, 195, 213, 263, 266, 303, 315, 319f., 328, 332, 378, 399, 450, 564–567, 581f., 584, 894, 899, 901, 905f., 937, 982, 1034, 1066 Berghaupten 728 Berlin 3–30, 32–61, 65–70, 72f., 75–78, 80f., 83, 85–88, 91, 96–99, 100, 101–104, 106–108, 113–142, 144f., 147–155, 158–160, 162–164, 166f., 169, 172–174, 176f., 180, 182–186, 188, 191f., 195f., 198, 202–208, 210f., 213, 224–227, 230f., 233, 235, 238f., 242–247, 250–257, 259–273, 275–278, 280–283, 285–297, 299–302, 308f., 311–314, 317–319, 322–329, 331f., 336–338, 340–343, 345–349, 351–371, 373–376, 379, 381, 384–387, 390–393, 395–401,

Ortsverzeichnis

403–407, 411–449, 452f., 456, 461, 464–467, 469, 471–473, 475, 477f., 487–490, 492–497, 505f., 508–512, 514f., 518, 520, 524–526, 528–533, 538–540, 545–549, 551f., 554, 558, 560, 562, 565, 568–574, 576–586, 590, 593f., 597f., 600–605, 607–617, 619–631, 633–639, 642, 646–648, 650f., 653–659, 663, 665–669, 671–677, 681–683, 685–692, 696f., 699, 702, 707–710, 713, 716f., 720–724, 726–728, 730, 733f., 740, 742, 744, 750, 752, 754–759, 761–764, 769, 771–777, 779f., 784, 787, 789, 791, 800, 803, 806–808, 810–818, 821, 826–830, 834f., 840, 843f., 846, 849, 851, 854–859, 861–866, 870–884, 887, 889, 891f., 900f., 904, 908f., 912, 915f., 918–920, 922–924, 926–930, 933–1123, 1125–1150, 1152, 1154, 1156, 1161–1165, 1167–1177, 1179, 1181f., 1184–1186, 1188–1208, 1210–1212, 1214–1221, 1223f., vgl. Groß-Berlin Bernau 934, 956 Beuthen 232, 744 Biarritz 770, 779, 798f., 1125, 1155 Bielefeld 92, 200, 370, 386, 874, 900, 906, 914, 1136 Birmingham 753, 821 Blois 485, 779 Boitzenburg 307 Bçhmen 130, 150, 331, 333, 338, 529, 586, 659, 920, 1128, 1131, 1139, 1162 Bonn 7, 9, 19, 28, 43, 48, 62, 70, 82, 105, 127, 134, 198, 201f., 214, 319, 346, 349, 384, 387, 391, 422f., 505, 514, 577f., 586, 632, 651, 655, 722f., 743, 757, 889, 893, 909, 915, 922, 934f., 937f., 941, 943f., 1037, 1079, 1118, 1123, 1128, 1140, 1145, 1170 Bordeaux 414f., 427f., 433f., 437f., 455, 511, 574, 606, 632, 636–640, 650, 656f., 690f., 693f., 735, 741, 744f., 755, 779, 1050 Bornstedt 816 Bçtzow 494, 968, 995

1245

Bçtzow, Amt 494, 984, 994f. Boulogne 674 Bourbon, Insel (Reunion) 637 Bourbon-Cond¤ 484 Bourgneuf 466, 502, 570 Brabant 337, 487, 647f., 922 Brandenburg an der Havel 203, 215, 572, 959, 965, 985, 1042 Brandenburg 9–17, 19f., 24, 26f., 40, 45–49, 51f., 59, 63, 71f., 79, 83, 86–88, 97–99, 104, 106, 113–123, 125–186, 188–190, 193–199, 201–206, 208–212, 214–239, 241, 243–245, 247f., 250–252, 254, 256f., 258f., 261, 263, 265f., 270f., 273, 276–283, 284f., 289, 293–296, 299–305, 307f., 310–315, 317–321, 325, 327f., 330–332, 336, 344–346, 349, 351f., 354, 358, 360, 362, 364f., 368, 377, 386, 391, 393–395, 397–401, 412–426, 430–432, 447–449, 451–454, 456, 460–467, 469–478, 488–513, 515–529, 531–540, 542–545, 547–551, 554–558, 560, 567, 569, 572f., 576, 580, 586, 594, 598, 604, 613, 620, 629, 638, 641, 672, 683, 691, 724, 740, 773, 785, 807, 851, 855f., 859–865, 867–869, 871–875, 877, 880–898, 900–904, 906f., 908f., 910f., 913–917, 920, 924f., 929, 931, 933–955, 956f., 959–966, 969–972, 974–978, 980–990, 994–996, 999f., 1003, 1005, 1009f., 1017, 1020, 1026, 1039, 1041, 1050, 1052f., 1064, 1067, 1069f., 1076, 1085–1087, 1096, 1098f., 1104, 1107, 1119, 1121f., 1126–1134, 1137–1149, 1155, 1158f., 1161–1176, 1179–1185, 1187, 1189–1191, 1193, 1199–1201, 1203–1212, 1215, 1218f., 1221, 1223 Braunschweig 109, 184, 213, 239, 246, 292, 324, 330, 337, 360, 378, 406, 506, 621, 638, 658f., 821, 888, 892, 939, 942, 964, 1125, 1130, 1161, 1170 Braunschweig-Lîneburg 545, 894, 1000, 1161

1246

Ortsverzeichnis

Bremen 18, 164, 213, 246, 450, 569, 619, 624, 630, 639, 676, 691, 888, 893, 1041, 1121, 1129, 1139 Bremen, Hochstift 164, 893 Breslau 12, 21, 47, 53f., 76, 140, 188, 197, 209, 232, 292, 303, 329, 331, 338, 362, 371, 373f., 584f., 616, 621, 628, 634, 639, 671, 688, 690, 694, 710, 757, 877, 886, 938, 976, 995, 1008, 1021, 1060, 1067, 1145 Brest 635, 674, 741 Bretagne 633, 694, 1198 Brieg 232 Britz 1082 Bromberg 186, 219, 280, 381, 744 Brîgge 466, 468f., 483, 532 Brîssel 483, 547, 550, 559, 580, 659, 711, 747, 754, 789, 843f., 846, 915, 1057 Buchholz 109, 236, 872, 1141, 1218 Bîlow 215, 219, 714f., 886f., 905, 1132 Bundesrepublik Deutschland 8, 879, 1120 Bunkersdorf 338 Bunzelwitz 338 Burgsteinfurt 899 Burgund 315, 467, 470, 474, 591 Cadix 634, 741 Calais 843 Campo Formio 664f. Caputh 968, 999 Cateau-Cambr¤sis 555 Cevennen 1159, 1171 Ch’lons 575, 606, 627 Champagne 474, 637, 671, 1172 Charenton 1207 Charlottenburg 242, 254f., 327, 363, 422–424, 431f., 449, 494, 538, 546, 549, 551, 564, 684, 934, 937, 939, 941, 969, 993, 997, 999f., 1005, 1007f., 1010f., 1020, 1029f., 1053, 1063, 1067, 1082, 1090, 1094, 1108 Charlottenhof 1035, 1042 Chaumont 679, 697, 699–701 Chicago 41, 1081 China 637, 642, 778, 1071 Chorin 956 Chotusitz 331, 585

Cleve 178f., 188, 313, 647, 670, 1131, 1223 Coburg 785, 789 Cognac 502 Cçlln an der Spree 13, 19f., 129, 148, 151, 160, 191, 206, 210f., 226, 239, 242, 492, 547, 883, 892, 896, 907, 908f., 934, 950f., 954–966, 971–974, 976, 978, 981f., 984, 987f., 991–994, 998, 1004, 1026, 1059 Cork 637, 639 Cottbus 302, 560, 1122, 1208 Coutras 474 Croisic 635 Crossen 593 Dahlem 37, 61, 76, 651, 936, 938, 1063, 1076, 1113 Dnemark 209, 218f., 239, 291, 483f., 505, 811, 893, 1046, 1160, 1164, 1183 Danzig 7, 9, 76, 166, 172, 289, 341, 343, 349, 380, 407, 484f., 498, 502, 504–506, 553, 568f., 609, 636, 640, 682, 694, 744, 789, 1085, 1143, 1174, 1206 Delft 496, 561, 1130 Den Haag 187, 417f., 466, 475, 479, 489, 500, 544, 546, 548, 1133, 1165, 1193 Dessau 1030 Deutsche Demokratische Republik 3f., 7, 10, 59, 65, 76f., 83, 85, 90, 92, 95, 99–108, 172, 259, 307, 347, 389, 393f., 396, 872, 939, 1026, 1118, 1120–1123, 1126–1128, 1130, 1134, 1137f., 1140, 1143, 1145, 1147–1149, 1162 Deventer 466 Doorn 1074 Dorotheenstadt 942f., 968, 989, 991, 997f. Dortmund 132, 270f., 764, 926, 939, 966 Draheim 219 Dresden 57, 282, 331, 336, 339, 474, 573, 587, 610, 628, 761, 764, 875, 912, 1001, 1009, 1077, 1083 Driesen 149

Ortsverzeichnis

Duisburg 832, 992, 1169 Dîppel 1069 Dîren 733, 843 Dîsseldorf 28, 30, 34f., 78, 81, 84, 91, 93, 99, 122, 127, 132, 188, 196, 198, 240, 251, 276, 362, 514, 582, 605, 720, 755, 757, 855f., 875, 905f., 909, 912, 914f., 935, 942, 1041, 1074, 1077 Eberswalde 290f., 300, 530f., 994, 1013 Eichsfeld 403, 929 Eisenberg 760 Elbe 137, 148, 153, 244, 248, 290, 339, 459, 465, 578, 671, 678, 698, 950f., 954, 989, 1030 Elbing 124, 128, 483, 489, 505, 636, 682, 694, 834, 956 Elsaß-Lothringen 462, 723, 806, 1050 Elten, Abtei 403, 929 Emden 205, 349, 450, 640, 642, 693, 698, 1204, 1216 England 33, 132, 238, 241, 268, 318–321, 335, 337, 339f., 342, 357, 375, 379, 402, 405, 416f., 427f., 431f., 434–436, 440–442, 445f., 448, 451, 461, 464–469, 471–473, 478–483, 485, 487, 489f., 499, 507–509, 511, 524, 526, 528, 536, 538f., 542–550, 552f., 555f., 558, 561, 563–568, 570, 572, 574, 583, 585, 587–591, 593–600, 605f., 610, 616–623, 626f., 632, 637, 640–642, 645, 647f., 654, 659f., 663f., 666–668, 671, 674–680, 682, 684–686, 688f., 691, 696–698, 700f., 705, 710–715, 720, 722–727, 729–731, 733, 735–738, 740–742, 746, 749f., 752–754, 761, 764–766, 770f., 774, 778, 789f., 792, 796, 798, 800, 807f., 810, 812–817, 822, 826, 834f., 837, 840–842, 844, 849, 893, 910, 1033, 1050, 1060, 1071, 1115, 1133, 1154, 1160, 1183, 1198 Epernay 844 Erfurt 403, 764, 929, 963, 1052 Erlangen 79, 162, 193, 232, 236, 239, 485, 569, 573, 729, 789, 910, 927, 1116, 1174, 1208

1247

Eschweiler 728 Essen 71, 389f., 402f., 405–407, 824, 829, 833, 929, 941, 973, 1112, 1134, 1188 Ãtats belgiques unis 648 Europa 9, 11f., 17, 22, 32, 34, 78, 82f., 86, 94, 96, 122, 131, 144, 153, 162, 180, 189, 210, 214, 216, 220, 225, 227, 230, 232, 234–237, 240, 254, 256, 259, 300, 314, 317–321, 323, 329f., 334f., 337, 340f., 356, 359f., 376, 378f., 383, 390, 401, 411–418, 420–424, 428–430, 435–437, 439–442, 444–447, 449, 451, 453, 464, 467, 469, 475, 487, 489, 498, 500, 503, 517, 522, 524–526, 528, 535, 543, 549, 554, 577f., 580, 585, 588–590, 592–595, 597f., 600f., 605, 609, 611, 620, 622, 628, 634, 643, 660, 666, 673–675, 677, 680–682, 686, 694, 697, 700f., 703, 708, 711f., 717–721, 725f., 728, 742, 746, 759, 768f., 772, 780, 782, 788, 796f., 805, 820, 829f., 832, 834f., 838, 842, 859–861, 866f., 870f., 874, 876, 879, 881, 884, 890, 895, 901, 908f., 911, 928, 935f., 940f., 980, 990f., 996, 1000, 1019, 1052, 1057, 1079, 1086, 1094, 1100f., 1109, 1113, 1119f., 1122, 1127f., 1131, 1135–1137, 1139–1142, 1144, 1146f., 1149, 1153, 1156, 1170, 1189, 1192, 1196, 1201, 1204, 1210 Fehrbellin 224, 512 Finowtal 1013 Flandern 465, 468, 471, 487, 552 Fontainebleau 525, 675, 1125f., 1134, 1144, 1155, 1158, 1164, 1171, 1175 Forbach 844 Francisco de Vitoria 465, 680 Franeker 509 Franken 128–130, 214, 300, 322, 377, 383, 696, 700, 704f., 856f., 890f., 923, 929, 961, 965, 1161 Frankfurt am Main 6f., 11, 19, 63, 93, 96f., 99f., 142, 151, 155f., 173, 181f., 204, 221, 237f., 243f., 253, 256, 287f., 293f., 332, 353f., 356,

1248

Ortsverzeichnis

358, 368f., 379, 384, 411–413, 416–419, 421–426, 434–436, 438–441, 445–447, 449, 460, 464, 467, 471, 473, 488, 491, 507, 510, 520, 544, 552, 560, 586, 611, 621, 630, 632, 636, 643, 645, 652, 659, 677, 681, 689f., 692, 704, 724, 733, 744, 746, 752, 756, 758, 769, 776, 781, 792, 800f., 806, 814, 823, 834, 843, 851, 854–857, 859f., 871f., 874, 881, 884f., 893, 895, 912, 918, 921, 928, 939–942, 969, 992, 994, 1028, 1031, 1041, 1051f., 1053, 1057, 1060f., 1077, 1083, 1112, 1127f., 1131, 1133f., 1141, 1143, 1146f., 1161, 1165, 1186, 1202 Frankfurt an der Oder 10f., 141, 144, 156f., 203, 295, 338, 352, 472, 508f., 954, 956f., 976, 977, 982, 985, 989f., 1147, 1180, 1188, 1208 Frnkischer Reichskreis 890f., 896 Frankreich 19, 29, 73, 132, 148, 194, 204, 220, 222–226, 234f., 237, 240, 278, 291, 293, 314, 318–320, 323, 330f., 335–337, 341, 344, 373, 375–379, 382, 384, 386, 393, 402–405, 411–421, 423–448, 451, 455, 458f., 461–464, 466–475, 478–481, 483–490, 494, 497–503, 505–514, 516f., 519–529, 533–545, 547f., 551–556, 561–564, 566, 568–570, 572f., 576–579, 581–602, 604–607, 609, 611–614, 616–618, 620, 623–626, 629, 631–639, 643–645, 647, 649–651, 653–668, 670–673, 675–682, 684, 686–690, 692–707, 709–713, 716–726, 728, 730f., 733f., 737–739, 741–748, 750–752, 754–756, 758–761, 763–765, 767–770, 772–775, 778f., 796–808, 812, 818, 826, 828–831, 834–839, 841, 843–845, 848, 851, 871, 882, 889, 904, 909f., 913, 927f., 930, 984, 990, 1017, 1038f., 1049f., 1055, 1058f., 1068, 1071, 1073, 1102, 1128, 1131–1133, 1135f., 1142–1145, 1148–1158, 1161, 1164–1167, 1171–1173, 1175, 1178, 1181, 1183, 1187, 1190–1192,

1196, 1200–1202, 1204, 1206f., 1209, 1212, 1215–1217, 1220, 1222 Freiburg im Breisgau 67, 74f., 81 Friedrichsfelde 994 Friedrichsruh 62, 69 Friedrichswerder 942, 968, 972, 986, 988, 991, 993, 998, 1205 Fulda 383 Geldern 146, 205, 241, 382, 553 Generalstaaten 179, 223, 495, 521, 527, 537, 540, 542, 544, 547, 563, 1132, 1164 Genf 472, 603, 1150f., 1153f., 1158, 1160, 1202–1204 Gesundbrunnen 1047, 1066 Glatz 593, 596, 643, 1062, 1084 Gçttingen 45 Goslar, Reichsstadt 403 Gramzow 1217 Greifswald 219, 318, 388 Griechenland 708, 800 Grimnitz 968 Groningen 200, 509, 571, 1133, 1157 Groß-Berlin 13, 942, 1047, 1060, 1067, 1069f., 1075, 1078f., 1097, 1115, 1125, 1132, 1195, vgl. Berlin Großbritannien 403, 405, 456, 543f., 568, 585, 594, 618, 620, 622f., 648, 660, 663, 665, 670f., 678–680, 684f., 705, 711, 720, 725, 730, 743, 746, 749, 753, 764, 766, 768, 771, 773, 779, 812–814, 827, 835, 841, 849, 924, 1068 Groß-Friedrichsburg 205, 522, 555–557 Groß-Ziethen 1218 Grunewald 455, 460, 968–970, 993–995, 1066, 1069 Guinea 522 Guinea-Kîste 521f., 526f., 557 Gumbinnen 298, 683 Hakenberg 224 Halberstadt, Hochstift 164, 228f., 893, 904 Halle an der Saale 17, 41f., 70, 137, 210, 244, 252f., 260, 273, 283, 295, 296, 302, 325, 354, 360, 374, 399, 406, 465, 508, 567f., 593, 681, 686, 1167, 1200

Ortsverzeichnis

Hallescher 252, 919 Hamburg 21, 28, 53, 63, 70, 73f., 113f., 168, 172, 183, 239, 251, 321, 346, 353, 357, 422f., 428f., 442f., 445f., 465, 495, 500, 505f., 569f., 572, 575, 577, 579, 632, 637–639, 674, 676, 691, 693, 695, 699, 715, 724, 740, 791, 834, 840, 843, 889, 919, 997, 1012f., 1051, 1060, 1065, 1095, 1110, 1112, 1116, 1126, 1128, 1138–1140, 1165, 1174 Hannover 47, 189, 246f., 321, 337, 345, 363, 402–405, 451, 454, 459, 538, 545f., 563f., 566, 587, 590f., 618, 632, 652, 663f., 666–671, 676, 678f., 698, 800, 836, 883, 888, 893, 911, 916, 922, 923, 924f., 938–940, 942, 1000, 1009, 1130, 1141f. Harderwijk 466, 509 Harlunger Berg 959 Havel 203, 247, 492, 816, 989, 1030, 1123 Havelberg, Hochstift 155, 179, 891 Havel-Spree-Gebiet 204 Haynau 654 Heegermîhle 291 Heidelberg 8, 92, 116f., 122f., 138, 203, 236, 285, 298, 324, 362, 397, 432f., 577, 601, 613, 618, 756, 760, 911f., 915–917, 941, 1063, 1091, 1109, 1120, 1141, 1204 Heiligengrabe, Kloster 179 Heiliges Rçmische Reich 9f., 13f., 17, 130, 137, 140, 145, 155, 165, 210–217, 225, 228, 235, 245, 294, 313, 332, 337, 344f., 352, 377, 383, 404f., 453, 469, 476, 855f., 858–861, 864–870, 873, 875, 880, 882f., 895, 897–900, 902f., 906, 910f., 913f., 916–919, 921–928, 930f., 1146 Heilsbronn 960 Hennigsdorf 1059 Herbesthal 844 Herrenhausen 564, 924 Herstal, Herrschaft 328, 583 Hessen 209, 213, 337, 473, 586, 763, 764, 800, 821, 883, 888, 902, 916, 924, 1129, 1142, 1157, 1161, 1164, 1208

1249

Het Loo 493, 598, 647 Hettstadt bei Halle 686 Hildesheim 164, 403, 893, 923, 929 Hinterpommern 164, 174, 189, 299, 302, 452, 568, 888, 892, 904, 1171, 1174 Hirschberg 654 Hochkirch 338, 607, 720 Hçchstdt 914 Hohenfriedberg 331, 587 Hohenlohe 917, 961, 1065 Holland 235, 238, 290, 320, 375, 418f., 465, 467f., 472, 487, 492–494, 507f., 514, 536f., 540, 547, 549, 551, 560f., 568, 570, 572f., 576, 586, 588, 597, 599, 620, 628–630, 637, 647f., 654, 659f., 675, 684, 711, 733, 735, 752, 835 Holstein 219, 510, 798, 850, 893, 1046 Hubertusburg 54, 303, 338, 341, 596, 924 Huddersfield 727 Hull 482, 766, 938, 1064 ¡le de France 1172 Insterburg 297, 842 Italien 41, 64, 468, 478, 502, 508, 588, 610, 620, 622, 632, 635, 644, 690, 706, 708, 710, 758, 774, 776, 939, 991, 1049 Jgerndorf 232f. Jalta 1120 Japan 778 Jemmapes 659 Jena 389, 402, 406f., 671, 1019, 1077 Jerusalem 720, 959 Jîlich 131f., 179, 211, 213, 220, 315, 319f., 328, 332, 378, 450, 475–477, 511, 564–567, 581, 584, 894, 905f., 977, 980 Jîtland 219 Kalisch 380, 679 Kammin 683, 904 Karlsbad 1031 Karlsruhe 67, 884 Kassel 622, 672, 674, 700, 1055, 1077, 1129, 1142, 1157, 1164 Kattowitz 727

1250

Ortsverzeichnis

Kay 157, 338 Kehl 845 Kesseldorf 331 Kiel 14, 24f., 180, 213, 220, 330, 966, 1072, 1075 Klein-Schnellendorf 330, 334, 584f. Kleve 88, 119f., 131–133, 163, 168, 178, 182, 187f., 198, 200, 202f., 242, 263, 277, 295, 313, 382, 405, 450, 476f., 494f., 499, 535, 542, 580, 583, 641, 652, 844, 884, 894, 896, 905, 918, 929, 936, 964, 977f., 980, 983f., 1168 Koblenz 69, 650f., 655, 659, 672, 758, 840 Kolberg 70, 407, 501, 504, 568f., 683, 694, 1169, 1205 Kolin 337, 595 Kçln 8, 12f., 18, 21, 25, 36, 47, 57, 63, 66, 75, 80, 82f., 87f., 90f., 100, 104, 106, 109, 114–118, 123f., 126, 147, 149f., 166, 170, 172, 174, 189, 233, 262, 284, 289, 301, 319, 322, 324f., 328, 330, 333, 335, 339, 344, 349, 358, 380, 392, 399, 401, 411–414, 416–419, 421–425, 434–436, 440–443, 445f., 452, 455, 467f., 472, 473, 476, 485, 496, 533f., 536–538, 540, 549, 594, 647, 655, 675, 680, 685, 687, 718, 729, 740, 747, 754–757, 759, 764, 769, 778, 781, 808, 815, 819, 833, 840, 843f., 846, 856–860, 862–864, 871, 874, 876–878, 881, 883, 891, 895f., 900, 912, 919f., 923, 925, 929, 933–936, 938, 941–943, 948–950, 970, 981, 986, 988f., 996, 1027, 1034, 1039, 1053, 1056f., 1083, 1085, 1112, 1121, 1127–1129, 1132, 1134f., 1137, 1139, 1141, 1143–1146, 1148, 1150, 1156, 1165, 1174, 1190 Kçniggrtz 710, 799 Kçnigs Wusterhausen 247, 254, 259, 261, 319, 558, 561, 565, 1005, 1011, 1029, 1059 Kçnigsberg in Preußen 9, 11, 16f., 21, 34, 45, 67–69, 71, 88, 124, 126, 150, 152, 158, 162f., 166, 175, 184f., 187, 194, 198, 203, 205, 217, 219, 239, 245, 253, 275, 304, 312, 341,

392, 395, 398, 407, 432f., 467–469, 477f., 482–489, 492f., 499, 501f., 504, 510, 519, 526f., 533, 569–571, 574f., 614, 627, 631, 633, 635–638, 640f., 643, 652f., 661, 665, 675, 677, 681f., 685, 691, 693f., 735–737, 744, 746, 766, 775–777, 788, 794, 819, 835, 911, 977, 980f., 992, 996, 1019, 1045, 1127, 1133, 1138, 1141, 1143–1145, 1168, 1171, 1180, 1208, 1220 Kçnigshorst 299, 300, 571 Konstanz 81, 466, 807, 902 Kopenhagen 485, 506, 531, 580, 628 Kçpenick 254, 968–970, 974, 994, 1029, 1031, 1069 Korsika 622 Krakau 8, 124, 381, 721, 955 Krefeld 493, 626, 637, 844 Kreisau 1113f. Kroatien 130 Kunersdorf 338 Kurfîrstendamm 969, 1082 Kurland 502, 900 Kurmark 135, 145, 168, 173, 177, 179f., 200, 215, 228, 245, 263, 265, 272, 288, 290, 301f., 304f., 311, 373f., 394, 400, 470, 620, 638, 643, 683, 966, 983, 1162, 1179 Kîstrin 149, 155, 162, 323, 406, 494, 579, 958f., 1029, 1205 La Rochelle 506, 606, 690, 1133, 1144, 1156 Labiau 218f. Laibach 706, 708 Landwehrgraben 1041 Langemarck 60 Languedoc 1133, 1146, 1159, 1172, 1184 Lateinamerika 761 Lauenburg 219, 452, 888 Le Havre 515, 741, 744, 755 Lehnin 956, 964, 974 Leiden 144, 163, 200, 263, 509, 561, 900, 1021, 1146 Leipzig 255, 505, 531, 638, 654f., 757 Leith 766 Letzlingen 162 Leuthen 338, 595, 619

Ortsverzeichnis

Levante 717, 800 Lichterfelde 324, 1059, 1111, 1114 Liegnitz 232, 338 Lietze 999 Lietzenburg 545–547, 551, 1000 Limerick 639 Lingen 196, 241, 539f., 553, 647, 894, 899, 920 Lissabon 482, 574f., 634, 741, 1050 Livland 224, 417 Livorno 615 Lobositz 337f. London 323, 481, 487, 538, 552, 564f., 567, 569, 574, 579f., 612, 619f., 628, 636, 639, 642, 675, 679, 699, 704, 706, 710, 714f., 718–720, 724, 730, 734, 741, 752, 754, 766f., 770, 777f., 786, 789, 791, 798, 809f., 813, 817, 820–825, 840, 842, 919, 924, 936f., 995, 999f., 1015, 1032, 1050, 1052, 1057, 1060f., 1081, 1115, 1118, 1130, 1200 Lorient 635 Los Angeles 336, 1093, 1146 Lothringen 378, 474f., 590, 598, 671 Luckau 472 Ludwigsburg 259 Ludwigshafen 844f. Ludwigslust 724 Lun¤ville 402, 666f., 928f. Lustgarten, Berlin 969, 983, 997, 1005, 1010, 1020, 1024–1028, 1036, 1046, 1062, 1067, 1107f. Lutter am Barenberge 152 Lîttich 290f., 328, 375f., 437–439, 568, 574, 583, 647–649, 659, 726, 728, 844 Lîttich, Hochstift 648, 894 Luxemburg 466, 647, 706, 796, 802 Lyon 487, 502, 573, 606, 656, 685, 755, 779, 1186, 1207 Maas 648 Maastricht 566, 728 Madrid 600, 607, 634, 805, 1015 Magdeburg, Erzstift und Stadt 11, 13, 137, 146, 164, 165, 168, 186, 189f., 204, 208, 210, 214f., 227, 228, 252, 260, 275, 288, 308, 311–313, 323, 336, 339, 386, 406, 452, 529, 593,

1251

636f., 639, 641, 703, 726, 750, 843, 862f., 875, 877, 884, 888, 893, 896, 899, 904, 963, 970, 982, 989, 1126, 1130–1133, 1147, 1167, 1168, 1170, 1174, 1177, 1180, 1182, 1183, 1184, 1188, 1208, 1211, 1223 Magenta 774, 777 Mhrisch-Neustadt 341 Maifeld 1093, 1102 Mailand 675, 1138 Mainz 345, 379, 455, 470, 883, 925 Malaga 634, 741 Malplaquet 248, 561, 565 Manchester 727, 730, 754, 1146, 1205 Mannheim 526, 564, 916, 1031 Marburg 28, 56 Marienburg 467f. Mariendorf 956 Marienfelde 956 Marienwerder 398 Mark Brandenburg s. Brandenburg Mark, #Grafschaft 133, 151, 168, 187f., 203, 242, 313, 450, 894, 896, 905, 918, 977, 980 Marseille 580, 606, 656, 741, 755, 1141 Martinique 637, 639 Mecheln 468, 844 Mecklenburg 198, 213, 301, 307, 328, 630, 636, 1161 Meißen 628, 891 Memel 7, 123, 152, 218, 248, 297, 407, 451, 493, 504, 570, 631, 635, 641, 683, 685, 717, 880 Metz 455, 530f., 586, 755, 844, 1128, 1172 Minden 137, 164, 178, 189, 203, 210f., 215, 229, 242, 288, 313, 452, 568, 877, 884, 888, 899, 918, 1132, 1169 Minden, Hochstift 164, 214, 229, 894, 904 Mittelamerika 690 Mitteleuropa 8f., 11, 125f., 162, 171f., 185, 211, 244, 253, 265, 270, 277, 329, 344, 375, 377, 392, 417f., 472, 523f., 536, 557, 655, 682, 686, 691, 694, 701, 705, 728, 763f., 794, 803, 843, 845, 871, 876, 895, 936, 967, 985, 1059 Mittelmark 167, 248, 254, 949–951, 962, 974, 981, 1126, 1168

1252

Ortsverzeichnis

Moers 241, 382, 540, 553, 764, 894, 899, 909 Mohnungen 398 Mollwitz 330, 584 Mongolei 778 Mons 659, 844 Montauban 616, 1155 Montpellier 741, 779, 1141, 1146, 1159 Morlaix 635 Mçrs 382 Mosel 753 Moskau 330, 335, 1120f. Moyland 580 Mîhlenbeck, Domnenamt 620, 974 Mîhlenhof, Amt 938, 962, 973–975, 999 Mîhlhausen, Reichsstadt 403 Mîncheberg 1208 Mînchen 28, 752, 761, 834 Mînchengrtz 713f., 769 Mînster, 62, 67, 83, 118f., 140, 145, 155, 177, 214, 216, 221, 383, 388, 403, 422f., 428f., 441f., 497, 511, 518, 560, 618, 630, 744, 753, 856–862, 867f., 873f., 878, 881–884, 886, 894, 898–901, 903, 905–907, 913, 917, 919, 924, 929, 937, 939, 943f., 1128, 1137, 1194 Namur 844 Nancy 606, 844 Nantes 525, 527f., 533, 631, 635–637, 639, 694, 708, 741, 910, 1125–1137, 1139, 1141–1146, 1148f., 1153, 1155–1158, 1160 Nassau 177, 268, 414–416, 420–422, 493, 590, 681, 700, 800, 851 Neapel 50, 666 Neiße 330, 341 Netzebruch 394 Netzedistrikt 350 Neubabelsberg 1082 Neuburg 211, 894, 905f. Neuch’tel (Neuenburg) 241, 315, 405, 553f., 602, 607, 670, 765, 770f., 869, 876, 1140, 1157, 1209 Neumark 146, 152, 158, 200, 302, 307, 381, 394, 400, 496, 941, 958, 1168 Neunkirchen 844

Neustadt an der Aisch 128, 891, 901, 960 Neustadt an der Dosse 531, 626, 1169, 1209 Neustadt in Brandenburg 203 Niederbarnim, Kreis 168, 1054 Niederlande 132, 138, 142, 148, 163, 204, 225, 234, 241, 293, 419f., 448, 464f., 472, 476, 479, 483, 491–493, 495–497, 499, 501, 510, 512, 525f., 534f., 538, 540, 550f., 555f., 558, 565f., 568, 570, 572, 577, 586, 598, 604, 629, 647, 730, 735, 761, 766, 777, 843f., 899, 907, 919, 983, 986, 1158, 1162, 1164, 1190, 1204 Niederrhein 12, 131f., 134, 211f., 315, 319f., 379, 451, 478, 538, 567, 881, 894, 899, 912, 936, 964, 985, 1163, 1174 Niederrheinisch-Westflischer Reichskreis 889–891, 894, 912, 923, 926 Niederschçnhausen 994 Nikolsburg/Prag 800 N‚mes 626, 1159 Nimwegen 512f., 844 Nizza 659, 774 Nordafrika 1071 Norddeutschland 359, 383, 402, 404, 661–663, 755, 840, 930, 997, 1021, 1047, 1049 Nordeuropa 503, 631, 663, 691 Nordhausen, Reichsstadt 403 Nçrdlingen 156, 341, 383 Nordsee 698, 894, 989, 1049 Nordwesteuropa 171, 466, 648, 907 Northumberland 622 Nîrnberg 323, 328, 383, 466, 652, 962, 967, 1052, 1077, 1092, 1105, 1143 Nymphenburg 332 Obergeldern 314, 593 Oberitalien 241 Oberpfalz 912, 914 Oderbruch 300f., 303, 560, 629 Odermîndung 164, 210, 317f., 563, 903 Oliva 185, 220, 222, 225, 490, 498f. Olmîtz 764, 775, 796 Orange, Fîrstentum 553, 1171, 1178

Ortsverzeichnis

Oranienburg 254f., 493, 495, 530, 550, 968, 984, 994f., 1005, 1029, 1089 Orlean 467, 485, 638, 716 Osborne 792, 814 Osnabrîck 151, 164, 214, 216, 242, 255, 349, 403, 497, 545, 854f., 858f., 874, 881, 883, 886, 887, 889, 893, 900–903, 905, 907, 920, 981 Ostdeutschland 7, 69, 184, 233, 264, 270, 967 Ostende 741, 844 Osterburg 17 §sterreich 8, 22, 32, 41, 48, 62f., 218, 237f., 256, 264, 270, 291, 301, 318–321, 328, 330f., 334–336, 338, 340–344, 356, 374–384, 450, 454, 461f., 470, 543, 562, 564, 581f., 584f., 587–590, 593–596, 599f., 646, 648–651, 657f., 661f., 664, 666f., 692, 695, 697, 703, 705, 707–715, 724, 733, 763, 765, 768f., 771, 773f., 791, 797–800, 837, 854f., 857f., 877, 895, 919f., 922, 924, 927, 930, 935, 983, 1013, 1030, 1046, 1049, 1068, 1146 §sterreichische Niederlande 648 Osteuropa 9, 11, 162, 171, 241, 244, 334, 417f., 452, 464, 472, 523, 536, 557, 578, 682, 686, 691, 701, 728, 794, 803, 845, 871, 876, 967 Ostfriesland 32, 233f., 313, 315, 332, 349, 450, 698, 888, 894, 899, 911 Ostmitteleuropa 11f., 52, 68f., 122, 166, 172, 185, 270, 285, 365, 923, 936 Ostpreußen 7–9, 12, 17, 30, 34, 76, 108, 122–127, 140, 152, 166, 175f., 184, 186, 200, 220, 245, 263, 297f., 304–306, 310, 312, 335f., 339f., 373, 391–395, 397, 407, 478, 489, 532, 593, 643, 682, 736, 918, 1140, 1149, 1168, 1171, 1174 Ostsee 151, 467, 692, 835, 1049 Paderborn 7, 64, 80, 83, 175, 219, 242, 281, 325, 338, 386, 403, 412–414, 434f., 439f., 449, 454, 466, 537, 673, 802, 805, 872, 879, 918, 923, 929, 1161 Padua 657

1253

Palstina 75, 720 Paretz 387, 1030 Paris 75, 134, 405, 431, 455, 457, 478f., 484f., 487, 502, 505f., 514f., 517, 525, 530, 538, 540f., 546, 558, 562, 565, 570, 577, 589, 591, 596, 599, 602, 605–611, 614, 616, 622, 635f., 638, 650–657, 659–661, 665–667, 670–676, 679, 685–687, 690, 696, 700, 704, 706f., 709, 712f., 716, 718, 721–723, 728, 746, 753–760, 767–772, 775, 777–779, 784, 791, 798–800, 804f., 810, 819–821, 824f., 827–832, 837, 839, 843–846, 851, 946, 995, 1000, 1015, 1020, 1032, 1037, 1041, 1048, 1050, 1055–1057, 1059–1061, 1153, 1155, 1164, 1200, 1207 Peene 317, 562 Peitz 149, 151, 158 Petersburg 343, 381, 593, 775, 778, 1135 Pfalz, Kurfîrstentum 137–139, 213, 224, 301, 473, 476, 541, 547, 564–566, 586, 654, 883, 911–917, 977, 1161, 1171 Pfalz-Neuburg 131–133, 179, 220, 905–907 Pfaueninsel 724, 993, 1030 Picardie 1172 Pillau 152, 205, 490, 519, 641, 735, 766 Pillnitz 378, 657 Pirmasens 379 Pirna 337 Polen 7–13, 28, 57, 71, 76, 99, 107f., 123, 128f., 134, 148, 151, 167, 185f., 218–222, 238, 291, 301, 317f., 328f., 336, 340, 342–344, 350, 353, 374, 377, 379–381, 450, 478, 480, 498, 502, 529, 549, 570, 576, 592, 597, 632, 641, 647, 658, 664, 671, 691, 710, 722f., 869, 880, 887, 910, 912, 926, 1039, 1109, 1114, 1128f., 1131, 1145, 1162, 1174 Pommern 12, 47, 104, 109, 129, 156–159, 163f., 173f., 178, 183, 188f., 195, 198, 200, 210–212, 214, 218f., 224, 226, 276f., 279, 299,

1254

Ortsverzeichnis

301f., 305f., 308, 333, 336f., 339, 351, 394, 399, 497, 512, 523f., 532f., 535, 563, 643, 884, 888, 892, 903, 1135, 1140, 1147, 1170 Pontchartrain 556 Port-Louis 635 Portugal 469, 487, 506, 570, 588, 597, 632f., 687, 691, 706, 708, 710, 741, 750, 761, 777, 841, 843, 850, 1050 Potsdam 18, 70, 74, 76, 81, 84, 100, 104, 188, 204, 226, 243, 254, 259, 261f., 283, 287, 290, 326f., 364, 404, 496, 524f., 527, 533f., 541, 558, 565, 572f., 607–611, 614, 616, 620, 622–624, 628, 630, 666, 669, 684, 767, 777, 816, 968, 974, 983, 985, 989f., 994f., 999, 1005–1012, 1019f., 1026, 1029f., 1032, 1034f., 1042, 1045, 1053, 1056, 1064, 1072, 1082, 1088, 1104, 1119–1123, 1160–1162, 1165–1168, 1171, 1176f., 1180, 1182, 1184, 1188, 1205, 1208, 1211, 1218f., 1221f. Prag 153, 156–158, 237, 337, 382, 567, 585, 595, 800, 910, 975 Pregel 7, 123f., 166, 880 Prembt 137 Preußisch-Eylau 407 Preußisch-Friedland 407 Prignitz 104, 147, 149, 153, 167–170, 179, 199, 301, 303, 307, 394, 949f., 958 Pyrenen 702, 709, 779 Quedlinburg, Abtei 403 Ragnit 297 Rambouillet 675 Rastatt 561, 645, 665f., 915 Rathenow 224, 638, 954, 1180 Ravensberg 133, 151, 163, 168, 178, 182, 187, 198, 200, 203, 229, 242, 450, 456, 495, 568, 894, 918, 977f., 980 Ravensbrîck 74 Regensburg 155, 189, 215f., 224, 236, 293, 357, 449, 514, 534, 594, 663, 857–862, 882, 885–887, 898, 905, 909–911, 914f., 921, 1158

Reichsstdte Goslar, Nordhausen und Mîhlhausen 403 Rhein 48, 66, 80, 132f., 138, 148, 218, 234, 284, 335, 376, 386, 439f., 474, 487, 540, 577, 581, 671, 698, 702, 710, 717f., 728, 734, 753, 763, 765, 774, 832f., 840, 844, 873, 890, 918, 926, 940, 976, 1065, 1100 Rheinland 132, 506, 653, 655, 681, 687, 697f., 709, 721, 729, 750, 753, 756 Rheinprovinz 451, 728, 733, 738 Rheinsberg 324, 326, 329, 579–581, 625, 672, 1008, 1029 Rhúne-Tal 635 Riga 681, 1026 Rijswijk 236, 543f., 556, 913–915, 1134 Rom 771, 903, 924, 959, 1000, 1015, 1093, 1153 Roßbach 338, 365, 373, 379, 384, 389, 405–407, 595, 619 Rostock 103, 638 Rouen 474, 485, 502, 504f., 606, 656, 741 Rîgen 224, 318, 523, 563, 757 Ruhr 728, 734, 832f., 844 Ruppin 950, 956, 1008 Rußland 7, 10, 12, 57, 99, 148, 241, 289, 291, 310, 317f., 330, 334–336, 339, 341–344, 376, 380, 384, 402–407, 443f., 450, 461, 502, 505, 543, 561, 568, 590, 592–594, 597, 662, 664, 666, 671f., 677, 679f., 692, 694, 697, 700, 709, 712–715, 722, 765f., 768, 770f., 773, 813, 815, 821, 840, 918, 1021, 1025, 1071, 1160, 1183 Saarland 734 Saarlouis 700 Sachsen, Kurfîrstentum 30, 56, 145, 157, 212, 214, 216, 329, 331, 333, 336–340, 345, 378, 454, 459, 470, 473f., 476, 572, 585, 593, 610, 654f., 705, 746, 800, 828, 883, 887f., 891f., 902, 910f., 916, 923, 925, 965, 970, 975, 1006, 1009, 1032 Sachsen-Coburg-Gotha 760

Ortsverzeichnis

Sachsen-Gotha 337, 888 Sachsenhausen 1089, 1092 Sadowa 799, 819, 830 Saint-Germain-en-Laye 513, 513-515 Saint-Malo 604, 635 Salzburg 11, 298, 571, 917 Salzwedel 146, 208, 465 San Sebastian 779 Santiago de Compostela 610 Sardinien 708 Savoyen 534, 543, 659, 774 Sayn-Altenkirchen, Grafschaft 894 Schlesien 21, 47, 130, 233, 263–265, 270, 272, 278, 285, 291, 302f., 308, 327–332, 334–336, 339, 341f., 348f., 353, 372–374, 396, 398–401, 407, 452, 461f., 537, 581, 584f., 587, 589–591, 593, 596, 598, 621, 628, 643, 685, 688f., 727, 734, 744, 758, 832, 909, 912, 920f., 974, 1013, 1114 Schleswig-Holstein 219, 789, 798, 800, 893 Schçnbrunn 259, 404, 590, 666, 670 Schçneberg 983, 1033, 1047 Schçnhausen 620, 1008, 1029 Schorfheide 267 Schottland 468f., 478f., 487, 607, 761 Schwbisch Hall 477 Schweden 134, 151f., 156–159, 164, 170, 210–214, 217–219, 224–226, 236, 239, 241, 290, 317f., 336f., 450, 461, 478, 495, 498f., 502, 505, 512, 523f., 542, 561–563, 599, 666, 679, 691, 776, 901, 903, 912, 981f., 985, 1183, 1216 Schwedt 231, 317, 1029, 1133, 1148, 1205, 1208 Schweiz 177, 241, 298, 339, 448, 532, 553, 572f., 575, 605, 629, 645, 656, 660, 733, 754, 763, 770f., 846, 935, 1000, 1075, 1106, 1127, 1135f., 1138, 1140, 1149, 1154, 1159f., 1165, 1171, 1174, 1194f., 1203, 1205 Schwiebus 233, 237, 330, 452, 535, 541, 911 Senegal 557 Sºte 636, 741 Siegen 619, 733, 774, 915, 941

1255

Solferino 774, 777 Solingen 290, 687 Sonnenburg/Neumark 495f. Soor 331, 587 Sophienstadt 989 Sowjetische Besatzungszone 76, 78, 103 Sowjet-Union 76, 84, 1091, 1111, 1120f. Spa 546 Spandau 149, 155, 207, 291, 573f., 628, 724, 934, 950f., 954, 956f., 968, 970f., 974, 981f., 984, 989, 999, 1006, 1025, 1041, 1059, 1126 Spanien 223, 225, 293, 319, 461, 465, 469, 475, 478, 481, 487, 490, 499, 519f., 527, 542–544, 549, 553–555, 564, 569, 588, 597, 600, 611, 616, 629f., 632, 634, 660, 678, 683, 690f., 705f., 708–710, 736, 741, 750, 761, 802, 841, 846, 850, 1153f. Speyer 352, 379, 659, 897 Spree 13, 191, 245, 247, 290, 538, 887, 936, 956, 959, 963, 965, 970, 989f., 1024, 1028, 1060, 1068, 1101, 1123 St. Germain en Laye 225, 909 St. M¤n¤hould 530 St. Petersburg 343, 624, 704, 849, 1032 Stendal 17, 170, 465, 951f., 1167 Stettin 12, 164, 210, 219, 224, 289, 317, 337, 485, 501f., 504, 510, 512f., 561–563, 576, 633, 635–638, 640f., 683, 693f., 735, 740, 744, 989, 1199, 1223 Stockholm 317f., 506, 561, 563, 937, 982 Stolberg 832f., 892 Stolpe 694, 1129f., 1136, 1140f., 1146–1148, 1174 Storkow 1038 Stralau 496, 989 Stralsund 318, 322, 485, 523, 563 Straßburg 41, 45, 138, 226, 455f., 475, 487, 521, 576, 653, 723, 753, 845 Stuhmsdorf 152, 166 Sîdamerika 690 Sîddeutschland 32, 81, 301, 402, 579, 607, 670, 750, 845, 926, 1049 Sudetengau 1116 Sîdeuropa 472, 691

1256

Ortsverzeichnis

Sîdpreußen 95, 380f., 384f. Sund 682, 735 Tajo 482 Takoradi 555 Tangermînde 934, 950–954, 958–960, 965 Targowica 380 Tauroggen 679 Tecklenburg 241, 553, 894, 899 Tegel 968, 1059, 1069 Teheran 840, 1120 Teltow 257, 1054 Tempelhof 942, 956, 1005, 1047, 1082f., 1089, 1101, 1103 Teschen 344, 599 Theresienstadt 1110 Thorn 9, 108, 123, 166, 343, 380 Thîringen 16, 290, 325, 821, 965, 1161 Tiergarten 970, 984, 1005, 1009, 1038, 1047, 1067, 1069, 1107 Tilsit 297, 405, 407, 436f., 668, 671, 678, 842, 1025 Torbay 539 Torgau 338, 474f. Toskana 660 Toulouse 608, 624, 672, 779, 812, 1132, 1138, 1142 Tours 502, 1133, 1152, 1169 Trafalgar 674 Treptow 155, 1058 Trianon 675 Trier 467, 648, 651, 757, 883, 1142 Troppau 706, 708, 711, 713 Tschechoslowakei 63, 1114 Turin 241, 616 Uckermark 149, 167f., 172–174, 177, 202, 248, 300f., 305, 374, 391, 394, 397, 1131, 1134, 1136, 1141, 1144, 1165, 1168–1170, 1174, 1182, 1214 Ungarn 123, 130, 659, 1068, 1130 Usedom 318, 767 Utrecht 241f., 314f., 357, 509, 537, 549, 553f., 561, 563, 569, 576, 647, 915 Valenciennes 844 Valengin 315

Valmy 379, 659 Vassy 1154 Vend¤e 655 Venedig 293, 660 Venlo 844 Verdun 474, 1205 Vereinigte Niederlande 134, 163, 223, 375, 476, 490f., 507, 511 Vereinigte Staaten von Amerika (USA) 87, 89, 599, 733, 754, 827, 842, 847, 1068, 1082, 1091, 1121 Verona 706, 708f., 712 Versailles 62, 259, 558, 590–593, 596, 599, 625, 656, 1050, 1052, 1056, 1081, 1108f., 1164 Verviers 726 Vervins 475 Viersen 844 Villafranca 774 Vimory 474 Virginia 634 Vivarais 1159, 1172 Vorderçsterreich 919 Vorpommern 189, 224, 307, 317, 328, 512, 523, 561–564, 593, 888, 892, 901, 1163, 1168 Vossem 220, 223, 226, 511 Waldhof bei Mannheim 825 Wannsee 1110 Warschau 7, 108, 122, 218f., 343, 381, 384 Warthe- und Netzebruch 301–303 Waterloo 680, 700 Wedding 688, 731, 1033, 1041, 1047, 1066 Wehlau 185, 219 Weichsel 7, 123, 166, 218, 343, 407 Weiden 728 Weimar 1077 Weißenburg 845 Werden, Abtei 403, 929 Werder 970, 972 Wernigerode 762 Wesel 405, 639, 661, 670, 844, 1133, 1205 Westdeutschland 78, 1118, 1140 Westeuropa 9, 33, 162, 171, 291, 328, 365, 417f., 446–449, 452f., 457, 460–469, 471f., 476, 478–481, 483,

1257

Ortsverzeichnis

487–491, 494, 501, 503, 507, 514f., 519, 523-524, 529, 534, 536f., 540f., 546, 548–550, 554, 557–559, 566, 568–572, 574–577, 581, 583, 586, 589, 594, 599f., 611f., 616f., 626–631, 635–640, 644f., 647, 649, 659, 662, 669, 679, 681–686, 687f., 691, 694, 696–699, 704, 706, 711, 716f., 725f., 728–734, 740f., 744f., 750–752, 758, 761f., 768, 771f., 775–778, 785, 787f., 790f., 793–795, 797, 801-803, 806, 808, 812f., 820, 822, 840f., 843, 845, 847, 871, 876, 967 Westfalen 83, 91, 284, 532, 687, 729f., 738, 771, 873, 881, 889, 894, 898f., 906, 918, 926, 929, 1056, 1132 Westindien 568, 632, 634 Westminster 335, 490, 543, 591–594, 618, 642 Wetter 143, 262, 730 Wetzlar 895, 897 Wien 31f., 212, 238, 240, 319f., 337, 478, 541, 548, 567, 591, 657, 675f., 695–702, 705, 707f., 710, 714, 716, 721, 725, 740, 747, 763, 764, 821, 826, 843, 908, 922, 928, 990, 1000, 1009, 1015, 1030, 1037, 1041, 1048, 1052, 1056f., 1156

Wight, Insel 792 Windsor 792 Wismar 638 Wittenberg 123, 186, 189, 252, 302, 360, 966, 970, 988, 1136 Wittstock 158, 203 Wohlau 232 Wolfswinkel 531 Wollin, Insel 318 Wçrlitz 1030 Worms 870, 921 Wuppertal 251, 730, 1143, 1220 Wîrzburg 1077 Wîrzburg, Fîrststift 403 Xanten Ypern

132, 477, 905 468

Zehdenick 291 Zevenaar 571 Zielenzig 473 Zorndorf 338 Zîrich 29f., 71, 77, 116f., 128, 133, 163, 247, 430f., 439f., 442f., 491, 500, 537, 602, 618, 645, 673, 696f., 754, 771f., 774, 877, 904, 943f., 983, 1060, 1108, 1113, 1125, 1136 Zweibrîcken 131, 1161

Sachregister Aachener Protokoll 706 Aachener Spiegelmanufaktur AG 833 Abendmahl 140, 971 Abgeordnetenhaus 780, 784, 791, 800, 1045f., 1054 Absolutismus 9, 18, 33, 38, 44, 48, 86–88, 98, 102, 105f., 114f., 120–122, 124, 160, 168, 180, 188, 190, 210, 217, 220, 232, 234, 243, 245, 247, 254, 256f., 259, 262, 264, 275, 277–279, 281, 292–294, 296f., 299, 301, 304f., 307f., 310–312, 324f., 327–329, 340, 345, 349, 351–356, 372, 391f., 400, 415f., 418f., 425–427, 429–431, 463, 493, 523, 536, 564, 572, 582, 592, 594, 596, 600, 613, 630, 640, 651, 853f., 861f., 871, 876f., 938–940, 975f., 980f., 984f., 994, 1009, 1014f., 1051, 1142f., 1156, 1190, 1203, 1213 Acad¤mie Royale 604f., 1191, 1193 Act of Settlement 910 Acta Borussica 38, 42–46, 50, 53, 60f., 69f., 85, 195, 204, 246, 253, 287f., 346f., 431f., 471, 568, 614, 626, 631, 704, 1125f., 1181, 1185 Adel 10, 42, 51, 59f., 88, 91, 104, 123, 125–127, 129, 140, 146, 148f., 159, 171–175, 180, 184, 189, 191, 195, 197, 209, 244, 279, 283f., 299, 306, 308f., 311–314, 322, 348, 350, 359, 362, 368, 384, 386f., 391–393, 397f., 455, 467, 491, 578, 606, 617, 625, 668, 683, 793, 808, 949, 952, 958, 960, 974, 978, 984, 987, 1016, 1024, 1036, 1042, 1065, 1157, 1166, 1191, 1210f., s. Junker Adelsbesitz 126, 307, 373 Adelsschutz 307f., 313f. Afrika-Kompanie 555 Agrargeschichte 9, 54, 103f., 125, 166, 172, 176, 303, 393f. Agrarkonjunktur 172, 300, 305, 397

Agrarmethoden 300, 393, 396 Agrarstaat 297 Agrarstruktur 283f., 683 Agrarverfassung 83, 171f., 175f., 395 Akademie der Kînste 243f., 540, 629, 654, 1000, 1019, 1034, 1206 Akademie der Wissenschaften 38, 44f., 49, 66, 69, 85, 101, 103, 115, 141, 244, 327, 345, 603, 605, 637, 653f., 690, 1001, 1007, 1016, 1026, 1034f., 1070, 1083, 1089f., 1091, 1125f., 1203, 1206 Akademieforschung 102 Akzise- und Zolladministration 1018 Akzise 160, 201f., 266, 276, 286, 308, 347, 364, 614f., 986f., 989 Akzisebeamte 201 Alexanderplatz 1026, 1064, 1084, 1092 Allgemeine Deutsche Gewerbeausstellung 1056 Allgemeines Gesetzbuch 353f., 358, 372f., 376 Allgemeines Landrecht 92, 352–354, 358, 370, 373, 399, 1173 Allianzvertrag von Herrenhausen 564 Allianzvertrag von Schçnbrunn 404 Alliierte 240f., 331, 340, 378f., 543, 700, 704, 944f., 1115, 1117, 1119–1121 Alliierter Kontrollrat 876, 1121 Allodifikationsstreit 313 ømterkauf 9, 278 Amtskammer 135f., 191, 197f., 245, 266, 269, 613, 971, 999 Anglikanismus 524 Annales 11, 85 Antimachiavell 324–326, 463, 580, 585, 601 Antisemitismus 54, 1061, 1070, 1094 Appellationsprivilegien 215, 352, 897 Arbeiter- und Soldatenrte 1072, 1075, 1078 Arbeiterbewegung 39, 1037, 1058, 1072, 1076

Sachregister

Arbeiterklub 1040 Arbeitslosigkeit 1037, 1041, 1080f. Aristokratie 90, 308, 325, 467, 1065 Armee 58, 81, 84, 133, 146–148, 153, 155, 161, 199, 206–209, 219, 223f., 235, 240, 243, 247, 249f., 255, 264, 271, 281–283, 286f., 292, 295, 316–318, 320, 329f., 337f., 340, 379, 384, 390, 404, 406, 474, 516, 529, 532f., 535, 543, 553, 560, 566, 575, 585, 588, 594f., 611, 616, 633, 655, 659, 671, 703, 718, 779f., 786, 794, 877, 939f., 981, 994f., 1002, 1004–1007, 1019f., 1023, 1025, 1156, 1186, s. Militr Armenwesen 1037 Armut 149, 1012, 1016, 1021 Artillerie 209, 218, 281f., 290, 503, 616f., 770, 1116, 1154, 1160 Assimilation 1157, 1164, 1221 „Aufgeklrter Absolutismus“ 324f. Aufklrung 9f., 12, 16, 18f., 220, 259, 273, 296, 310, 324–326, 351, 353–357, 359–362, 368–371, 385f., 426–430, 459, 463, 580, 601, 605, 613, 618, 620f., 623, 630, 651, 681, 751, 787, 871, 923, 990, 1012, 1014, 1016, 1127–1129, 1135f., 1156, 1190f., 1193f., 1196–1200, 1203, 1206, 1209 Augsburger Konfession 141, 896 Augsburger Liga 542 Augsburger Religionsfrieden 898, 919 Auswrtiges Amt 260, 272, 744, 811, 944 Autobahnbau 1104 Baiensalz 466, 469 Bankhaus Rothschild 733 Bartholomusnacht 472, 481, 1142f., 1153f. Baseler Friede 382f. Bauern 170f., 173, 175, 183, 187, 283, 303f., 306f., 309f., 373, 394, 396398, 496, 571, 1175 Bauernbefreiung 39, 54, 92, 125, 174, 303–307, 310, 394, 397–399 Bauernlegen 306f. Bauernschutz 306f.

1259

Bauernstand 174, 176, 306, 308, 395, 1149 Bayerische Erbfolgefrage 344 Bayerischer Erbfolgekrieg 344, 360, 599, 925 Beamte 12, 31, 40, 42f., 50, 86, 92, 124, 135, 142, 195, 201, 204, 274, 286, 296, 308, 311, 348, 355, 384, 394, 477, 500, 550, 562, 569, 611, 614ff., 620, 667, 676, 681, 684, 686, 688, 730f., 745, 789, 898, 959, 953, 965f., 972, 974, 986f., 988, 998, 1011, 1026, 1032, 1042, 1066, 1077, 1092, 1099, 1163, 1175 Befreiungskrieg 24, 62, 100, 646, 672, 679, 1027, 1030–1032, 1201 Bekennende Kirche 1113 Bergbau-Departement 1018 Berliner Konferenz 1119 Berliner Kongreß 811, 1064, 1068 Berliner Sezession 1062 Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen 327, 371, 1012 Berlinische Privilegierte Zeitung 1007 Berufsfeuerwehr 1043 Bibliothºque germanique 1198f. Bierakzise 974 Bildungsbîrgertum 60, 681, 791, 875 Binnensiedlung 302 Binnenwanderung 166 Binnenzçlle 390, 743 Bçrse 946, 1025, 1051, 1082, 1184 Borussismus 89, 143 Boysalz 570, 637 Brandenburgisch-africanisch-americanische Compagnie 556 Brandenburgischer Provinzialverband 1054 Brandenburgischer Rezeß von 1653 173, 182, 187, 305 Breittuchmacher 575 Budget 784 Bîdnersiedlung 303f. Bund der Gerechten 1037 Bund der Kommunisten 754 Bîrgerrecht 280, 988, 1045, 1160, 1162 Bîrgerschulen 1034 Bîrgerwehr 1039, 1042 Burgundischer Vertrag 919

1260

Sachregister

Calvinismus s. Kalvinismus Centralstelle fîr Gewerbe und Handel 825 Centralverein fîr das Wohl der arbeitenden Klassen 827 Centre de recherches germaniques 455 Charit¤ 1007, 1063, 1224 Chronistik 8, 12, 952 Cobden-Vertrag 835 Code Louis XIV. 1178 Collegienhaus 1004 Compagnie du Nord 506, 511, 514 Confessio Sigismundi 140 Corpus Evangelicorum 145, 216, 337, 859f., 881, 886–888, 896, 902, 905f., 913–917, 922–924 Corpus Juris Fridericianum 353 Dampfkesselfabriken 728 Dampfmaschinen 399, 687, 726, 730 Dampfschiffe 726, 766, 840 Dardanellenvertrag 719 Defensionswerk 145, 148 Demagogenverfolgung 1031 Demokratischer Klub 1040 Department der auswrtigen Affren 259 Deportation 1109–1111 Desertionen 282, 558 Deutsche Demokratische Gesellschaft 723 Deutsche Demokratischen Partei 1076 Deutsche Hochschule fîr Leibesîbungen 1102 Deutsche Legion 655, 723 Deutsche Tageszeitung 1067 Deutsche Volkspartei 1076 Deutscher Arbeiterverein 754 Deutscher Bund 31, 383, 454, 459, 700, 705, 710, 724, 733, 743, 764–766, 841, 871, 927, 945, 1030f., 1038, 1046 Deutscher Nationalverein 822 Deutscher Ritterorden 125 Deutscher Zollverein 699, 740, 742f., 747 Deutsches Sportforum 1102 Deutschlandhalle 1103 Deutschnationale Volkspartei 1076, 1096

Devolutionskrieg 500, 886, 904 Diplomatie 13, 57, 80, 134, 165, 211, 219, 238, 336f., 342, 427f., 441f., 462, 468, 479, 488, 498, 500f., 512f., 516f., 519, 524, 541f., 555, 561–563, 567, 583, 585, 592, 594f., 645, 697f., 702–705, 709, 720, 767, 769, 777, 797, 799, 801, 843, 851, 874, 900, 914, 924, 1135 „Diplomatische Revolution“ 57, 319, 334, 336, 592, 658, 768 Dispositio Achilea 964 Dispositionskasse 365f. Domnenadministration 176 Domnenmter 135, 174, 274, 295 Domnenbauern 304, 394f. Domnenland 148, 301, 304, 308, 310 Dominikanerorden 963 Donnersches Haus 1018 Dortmunder Rezeß 132 Dragonaden 1157 Dreifaltigkeitskirche 1021 Dreiklassen-Wahlrecht 1042, 1070 Dreißigjhriger Krieg 12, 132, 135, 146f., 158, 166, 168, 174, 176, 190, 251, 300, 302, 489, 532, 874, 882, 898, 900, 912f., 925, 957, 976f., 982, 995, 1161, 1179 Edikt von Fontainebleau 525, 1158 Edikt von Nantes 910, 1155 Edikt von Potsdam 226, 524f., 533, 989, 995, 1160-1162, 1165-1168, 1171, 1177, 1180, 1182, 1188, 1211 Eisenbahn 454, 726, 750f., 764, 777, 820, 839–846, 1034, 1052, 1059, 1060, 1101 Emigration 69, 74f., 77, 80, 87–89, 650, 754, 757, 917, 1144 Emser Depesche 803–805, 1049 Encyclop¤die 1197 „Endlçsung der Judenfrage“ 1109f. Entente cordiale commerciale 506 Eosanderportal 269 Erasmuskapelle 1035 Erbhuldigung 953 Erbuntertnigkeit 127, 175f., 304f., 362, 395, 398 Erster Weltkrieg 37, 45, 52, 57, 62, 533, 587, 704, 720, 771, 781, 783, 796,

Sachregister

832, 834, 879, 1068, 1071f., 1109, 1219 Europisches Gleichgewicht 376, 537, 696, 699f., 710, 809, 870 Evergeten 654 Exerzierreglement 617 Exportwirtschaft 737 Fachdepartements 347, 918 fallweiser Prunk 256, 285 Faschismus 54, 105 Februar-Revolution 1038 Fehdewesen 952 Festungsgîrtel 988 Feudalismus 28, 103, 149, 159, 171–174, 177, 248, 279, 293, 308, 1165 Finanzkollegium 1018 Fiskalismus 292, 302, 312, 356 Flaggengelder 742 Flotte 469, 481f., 487, 511f., 519, 633, 660 Flughafen Tempelhof 1005, 1083, 1101, 1103 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 45, 99 Fortschrittspartei 801, 1046f., 1055 Forum Fridericianum 609, 1009 Franckesche Stiftung 252, 567f., 1001 Freimaurer 359, 361, 364, 619f. Friede von Aachen 590f. Friede von Adrianopel 709 Friede von Baden 554 Friede von Basel 928 Friede von Nystad 318 Friede von St.-Germain 544 Friede von Stockholm 318, 563 Friede von Tilsit 678 Friede von Utrecht 241 Friede von Vossem 223 Friedensdiktat von Tilsit 671 Friedensvertrag von Nimwegen 512 Friedensvertrag von Versailles 1081, 1108 Friedrichs-Hospital 997 Friedrichswerdersches Gymnasium 992 Frondienste 170f., 174, 306, s. Bauern Frîhabsolutismus 190 Frîhklassizismus 1205 Fîrstenbank 881, 885

1261

Fîrstenbund 24, 213, 333, 345, 375f., 383, 475, 600, 648, 867f., 922, 924f., 928 Garnison 83, 151, 205f., 254, 282–284, 311, 384, 406, 558, 774, 944, 984f., 998, 1001, 1005, 1013, 1015, 1155 Gauleiter 1086, 1088, 1095, 1098–1100, 1108, 1110, 1116 Gegenaufklrung 361 Geheime Rats-Protokolle 37 Geheimer Rat 133–135, 138, 145, 154–156, 160, 181, 190, 192, 194, 196, 200, 212, 237, 247, 258, 265f., 272, 279, 476, 508, 613, 987, 1176 Geheime-Rats-Ordnung 192 Geheimes Staats- und Landesarchiv 1024 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz 14, 16, 31, 36f., 47, 61, 76, 99, 224, 252, 268, 371, 478, 548, 635, 651, 729, 937 Geheimpolizei 773 Geistliches Departement 272, 368 Gemeinnîtzige Berliner Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs GmbH 1082 Gendarmenmarkt 1010, 1012, 1028, 1034, 1038, 1041, 1206 General-, Oberfinanz-, Kriegs- und Domnen-Direktorium 47, 267–271, 274–276, 279, 347, 364f., 386, 390, 395, 613, 918, 1006 Generalfinanzdirektorium 266f., 274 Generalhubenschoß 312f. Generalkontrolleur der Kçniglichen Kassen 613 Generalkriegskommissariat 200, 204, 249, 265–267, 987, 1018, 1176 Generalrechenkammer 270 Generalstaatskasse 1024 General-Tabaks-Pachtungs-Gesellschaft 615 Germania Sacra 403, 959 Germanophobie 818 Geschichtsschreibung 5–12, 14–16, 21, 23–25, 29f., 33, 37, 43, 54, 63, 65, 71, 74, 80, 85, 91, 102, 106, 108, 212, 464, 557, 630, 764, 871f., 876, 901, s. Historiographie

1262

Sachregister

Gesellschaftsvertrag 325 Gesetz îber die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt 1098 Gesindezwangdienst 171 Gestapo 1089, 1109–1111, 1113f. Getreidekonjunktur 171, 744 Gewaltpolitik 451, 462, 698, 800, 807 Gewehr- und Blankwaffenfabrik 291, 573f. Gewerbefreiheit 94f., 681, 710, 740, 1023, 1033, 1061 Gewerbe-Institut 729–731, 733 Gewerbeordnung 294 Gewerbepolizei-Gesetz 1023 Gewerbesteuer-Edikt 1023 Gewerkschaft 1058, 1077, 1089, 1114 Glaubensflîchtlinge 477, 528, 531–533, 989, 1001, 1147f., 1164, 1191, 1212f. Glaubensfreiheit 1166 Glorious Revolution 510, 536–538, 787, 851 Gold- und Rosenkreuzer 359f., 362, 372 Goldene Bulle 215, 881, 896 Goldene Rose 959 Grand Empire 675–677 Großbîrgertum 1055, 1066 Große Allianz 542f., 548, 553, 555–557, 563 Großer Krieg 131, 143, 146f., 164f., 169, 177, 542 Großer Nordischer Krieg 238 Großindustrie 1059f. Grînderkrach 1059 Grundherrschaft 39, 125f., 148, 171f., 175, 187, 197, 284, 396, 471 Grundzins 124 Gutspflichtigkeit 398, s. Bauern Gutswirtschaft 104, 171f., 177, 283f., 395–398, 471, s. Bauern, s. Leibeigene Gymnasien 987 Hamburger Tor 1013 Handelsliberalismus 834 Handwerk 282, 286, 293–295, 374, 399, 487, 496, 509, 571, 621, 625, 687, 756, 828, 967f., 982, 986, 990, 1002f., 1006, 1024, 1037, 1057,

1066, 1167, 1175, 1180, 1182, 1187f., 1209 Hanse 47, 466, 468f., 502f., 954, 957f. Hansestdte 505, 738, 963 Harzburger Front 1086 Hauptbergwerks- und Hîttenkasse 1018 Hauptforstkasse 1018 Hauptwache 1018 Hauslegende 13 Hauspolitik 49, 121, 228, 230 Hedwigskirche 609, 708, 1009 Heeresverwaltung 198, 282, 365 Heidelberger Katechismus 915, 917 Heilige Allianz 445f., 692, 701, 709, 713f., 768f., 851 Heiliges Grab 959 Hetzgarten 997 Hexen 169 Historiographie 6–19, 25, 30, 32–34, 38, 41, 49, 53, 58, 62–64, 70, 72, 75, 77–79, 84, 87, 97, 100, 107f., 130, 143, 158, 221, 333f., 404, 449, 454, 460, 462, 537, 542, 631, 685, 691, 871f., 875, 1149, 1195, 1215, s. Geschichtsschreibung Historische Reichskommission 65 Historische Sozialwissenschaft 93 Historismus 16, 19f., 22, 24, 26, 34f., 41, 91, 460 Hochschule fîr Musik 1084 Hofburg 194, 212, 222, 230, 237f., 552 Hofgericht 957, 959, 962, 965, 1177 Hofkapelle 327, 987 Hofkultur 239, 254, 256, 327, 510, 545–547, 550, 987 Hofstaat 254, 286, 981, 986, 1008–1010 Hohenloher Osterstreit 917 Hollndischer Krieg 226, 511f., 537 Hubertusburger Frieden 338, 341 Hugenotten 12, 177, 209, 250f., 285, 322, 413f., 418f., 421–423, 425f., 464, 472–474, 525, 527–534, 604, 608f., 627, 646, 665, 990f., 995, 998, 1125–1157, 1159–1176, 1179–1182, 1184–1190, 1192f., 1195–1205, 1208–1222 Immediat-Militr-Organisationskommission 389f.

Sachregister

Immigranten 209, 495, 559, 571, 723, 757, 851, 1039, 1160, 1162, 1174f., 1180 Industrialisierung 99, 107, 250, 287, 295, 400, 673, 684f., 687, 692, 725f., 728–730, 732–734, 749, 761, 833–835, 841, 957, 1023, 1047, 1056, 1059 Industriespionage 684, 689, 729 Industriezeitalter 620, 935 Infanterie 209, 218 Integration 14, 36, 52, 97, 185, 189, 244, 251, 275, 312, 349, 353, 385, 529, 532, 681, 877, 880, 897, 920, 953, 995, 1181, 1188f., 1196 Jagdschloß Grunewald 969f., 993f. Joachimsthalsches Gymnasium 141, 646, 992 Junker 52, 60, 77, 89, 173, 180, 182, 308, 310, 471, s. Adel Jus foederis 229 Jus praesidii 229 Jus reformandi 898, 902 Jus territoriale 453 Justizkollegium 1018, 1177 Justizpolitik 351 Kabinett 18, 102, 193, 256–263, 265, 269, 273, 326f., 340, 346f., 349, 363, 367, 387f., 390, 583, 585, 654, 802, 983, 994, 1007, 1011f., 1034, 1042 Kabinettsministerium 103, 248, 257, 272, 346 Kabinettssekretre 260–262, 367 Kaiser 35, 61, 132, 137, 154–157, 159, 162, 194, 207, 209, 212f., 216f., 223, 225f., 230, 232, 237f., 242, 263, 319f., 323, 329, 331f., 365, 376, 403–405, 444–447, 453, 457, 466f., 480, 497, 513, 523, 534f., 541f., 544, 548, 552, 561, 563–567, 582, 658, 674, 772–774, 780f., 786f., 799, 813, 816, 818, 825, 829f., 834f., 855f., 859f., 865f., 871, 876, 878–880, 882–886, 889, 895, 902, 905, 908f., 911, 913, 915–917, 920–922, 924–928, 930, 934f., 937f., 940f., 943f., 951f.,

1263

982, 996, 1020, 1027, 1029, 1042, 1050, 1052–1054, 1062–1065, 1067, 1071–1073, 1075, 1077, 1090, 1123 Kaiserwahl 213, 225, 377, 498, 883f., 904, 921, 928 Kalter Krieg 1121f. Kalvinismus 51, 136–140, 142–144, 159, 195, 216, 250, 477f., 489, 525, 898–900, 987, 1220 Kameralmatrikel 897 Kammergericht 173, 191, 274, 351f., 613, 959, 962, 964f., 971, 979, 984, 1004, 1114, 1179 Kanalbau 163, 350, 1041 Kantonsystem 280–284, 301f., 306, 308, 557, 770, 1154, 1160 Kantonreglement 281 Kanzlei 12, 134, 257, 479, 720, 946, 949, 957, 959, 961f., 965, 978, 1017 Kaperkrieg 469, 519f. Kapitalismus 60, 103, 281, 393, 464, 714, 1051, 1181 Kapitulation 199, 208, 214, 764, 1102, 1117 Kapp-Putsch 1077 Karl-Liebknecht-Haus 1088 Kartoffel 393, 637, 643f., 1038 Kartographie 993 Katholische Aktion 1113 Katholizismus 32, 159, 216, 525, 912f., 970, 1155–1158 Kavalierstour 508f., 620, 622 Kavallerie 209, 218, 224, 248, 503, 572 Kellnerhaus 1018 Kgl. Eisengießerei 687, 727 Kirchenbauten 1009, 1207f. Kirchendirektorium 272 Kirchenlieder 991 Kirchenschulen 966f. Kirchenzucht 169, 178, 1150f. Klassizismus 358, 363, 847, 1016 Knobelsdorffsches Opernhaus 758 Koalitionskrieg 378, 382f., 402, 404, 659f., 664, 666f., 669, 671 Kollegialprinzip 192f., 269 Kolonialwaren 502, 570, 574, 633, 636f., 639, 675, 677, 691–694, 738f., 1183 Kolonisation 25, 176f., 297–302, 570f., 628

1264

Sachregister

Kommissar 198f., 201, 205, 207, 220, 265, 531, 1191f. Kommunistisches Manifest 754 Konfessionalisierung 140, 219, 897–899, 901, 903, 912, 976 Kongreß von Verona 708 Kongreßdiplomatie 163, 699, 702, 708f., 901 Kçnigliche Bank 1018 Kçnigliche Gobelinmanufaktur 519 Kçnigliche Porzellan-Manufaktur 628, 752, 1014 Kçnigliches Nationaltheater 1010 Kçnigskammer 1017, 1019f. Kçnigskrone 13, 227, 236, 244, 456, 547, 549f., 553, 944f., 996, 1049 Kçnigskrçnung 13, 196, 230, 236–240, 244, 491, 533, 549, 775, 881, 908, 911, 996 Kçnigswîrde 236, 238, 314, 470, 547, 549f., 553f., 560, 910f., 1044 Konkordienformel 977 Konservative Partei 1043, 1046, 1054, 1067 Konservativismus 66, 362, 369 Konsistorium 133, 136, 191, 272f., 972, 984, 1064 Konstitutionelle Monarchie 786, 808, 1033 Konstitutioneller Klub 1040 Kontinentalsperre 621, 671, 675–678, 694, 725, 737 Kontribution 159, 161, 181, 199, 266, 271, 308, 339, 672, 982, 986f., 1020 Konvent 652, 659–661 Konvention von Reichenbach 376f., 649, 652f., 679 Konzentrationslager 1088f., 1092, 1111 Korruption 274, 384, 614 KPD 1075f., 1079f., 1083, 1086, 1088 Krausismo 761 Kredit 183, 503, 1059 Kreisdirektorium 893f. Kreisstand 889–891 Kreistage 214, 229, 881, 891, 893 Krieg-in-Sicht-Krise 709 Kriegs- und Domnenkammern 13, 269, 274, 294, 296, 306, 311, 323, 613, 629, 918, 1006 Kriegskanzlei 984

Kriegskasse 530, 984 Kriegskommissariatshierarchie 198f., 266, 276 Kriegsrat 158, 160f., 205, 247f. Krimkrieg 706, 725, 762, 765–769, 771f. Krone 122, 127f., 220, 233, 236–240, 242, 245, 381, 402, 516, 548, 551f., 567f., 590, 632, 724, 775, 780, 783, 793, 808f., 815, 910, 919f., 944, 999, 1046, 1152f., 1156, 1159 Kronprinzenpalais 386, 1019, 1030 Kronprinzenprozeß 70, 321, 323, 565, 579 Kronsteuer 239 Krontraktat 238 Krçnungszeremonie 775f., 794, 819 Kryptokalvinismus 139f. Kulmisches Recht 183 Kulturtransfer 412–414, 435f., 458f., 464, 484, 487, 496, 508, 598, 602, 616, 623, 625, 651, 653, 671, 682, 751–755, 760f., 777, 812f., 817, 821, 826, 1142 Kultusministerium 53, 58, 67, 272 Kurfîrstenbank 881 Kurfîrstenkollegium 885, 930 Kurfîrstlich Brandenburgische Societt der Wissenschaften 603, s. Akademie Kurverein 882 Kurwîrde 883, 893, 914 Landboten 184f. Lndertausch 344, 382, 658 Lnderunion 122 Landesausstellung 821 Landesdefension 148 Landeseliten 146, 312, 348, 953, s. Adel, Patriziat Landesherr 9, 11, 125, 127f., 146, 176, 186, 188, 199, 203, 207f., 211f., 263, 306, 313, 930, 952, 954–959, 961, 967f., 971, 976–978, 983, 993 Landeskunde 11–13, 35, 45, 125, 167, 195, 205, 303, 361, 519, 876, 924, 944 Landesorganisation 51, 153, 181, 198 Landesteilung 228, 231, 950

Sachregister

Landesverwaltung 259, 295, 959, 966, 969 Landfrieden 10, 170, 890, 907 Landfriedensgesetz 952 Landkasten 187, 202 Landrte 184, 279, 306, 311, 348, 350, 643 Landreiterberichte 167 Landschaft 9, 39, 47, 123, 131, 137, 147–149, 168–170, 174f., 180, 183, 188, 199, 242, 269, 299, 305f., 308, 311f., 331, 407, 713, 948, 993, 1010, 1052, 1060 Landsknecht 149 Landstnde 105, 125, 127f., 136, 140f., 145f., 159, 162, 172f., 179–182, 190, 198, 202, 211, 219, 227, 263, 267, 308, 313, 339, 349, 353f., 393, 396, 907, 966, 974, 984, 1017, 1044, 1163, s. Stnde Landtag 91, 128, 179–182, 184–187, 189, 309f., 312f., 392, 949, 954, 974, 977, 983, 1024, 1038f., 1044, 1054, 1070, 1073, 1078, 1085 Landwehr 169, 250, 389, 901, 1025, 1045, 1141 Landwirtschaft 103, 299, 301, 303, 310, 360, 362, 393–396, 471f., 620, 682, 736, 968, 986f., 1013, 1182, 1187 Lange Brîcke 957, 979 Lehnsaufgebot 146, 148, 153, 206 Lehnskanzlei 368, 391, 984 Lehnsrecht 146 Leibeigene/Leibeigenschaft 173–176, 181, 304f., 361, 396, 399, 1014, s. Bauern, Gutswirtschaft Leinenfabrikation 399 Lesecaf¤s 1037 Liberalismus 24, 26, 71, 96, 399, 401, 444–446, 676, 723, 726, 740, 788, 795, 1033, 1042, 1066 Libertastradition 185 Londoner Friedenskonferenz 798 Londoner Konvention 718f. Londoner Protokoll 770, 1118 Londoner Weltausstellung 778, 817 Luthertum 143, 159, 533, 898, 970 Luxemburg-Krise 796

1265

„Machtergreifung“ 72, 721, 770, 1086f., 1089, 1092f., 1096 Malteserorden 570 Manufakturen 101, 184, 204, 285, 292, 347, 349, 399–401, 574, 626f., 676, 990f., 1006, 1014, 1176, 1180, 1182, 1185f., 1187, 1209 Marine 205, 503, 526, 570, 597, 692, 792 Markgrafenwîrde 954 Mrkische §konomische Gesellschaft 398 Marmorpalais 684 Martin-Gropius-Bau 1074 Mrzrevolution 722, 1039f. Maschinen 401, 627, 726, 729, 749, 826, 837, 839 Maschinenbau 726f., 1034, 1081 Maschinenspinnereien 401 Max-Planck-Gesellschaft 61, 1063 Mechanisierung 588, 726 Medizinalordnung 993 Meersalz 502, 637 Merkantilismus 43, 98, 135, 204f., 247, 250, 265, 285f., 288, 292, 296, 344, 349, 351, 392, 400f., 414f., 530, 564, 676, 726, 975, 990, 1014, 1033, 1162, 1180, 1184 Metallindustrie 1034 Metropolen 754, 820, 933–936, 946f., 1032, 1057 Militr 54, 83, 170, 178, 182, 194, 201, 205, 208, 232, 249, 253, 260, 266, 268, 275, 279–284, 295f., 300, 307f., 348, 365, 386, 389, 402, 559, 580, 608, 647, 682, 696, 712, 718f., 779, 781, 790, 792f., 808, 918, 946, 1005, 1014, 1022, 1024, 1028, 1038f., 1065, 1070, 1172, 1175, 1177, s. Armee Militrgerichtsbarkeit 282 Militrgeschichte 58, 83, 243, 284, 337, 529, 560, 608, 611, 710, 939f., 944, 994, 1005 Militrpartei 719, 780, 783f., 787, 789, 807, 816, 847 Militrregierung 1118 Militrverfassung 146, 206, 232, 617, 894 Militrwaisenhaus 283, 287

1266

Sachregister

Minderheit 12, 140, 419f., 458, 502, 533, 656, 899, 903, 987, 1158, 1213, 1219, 1221f. Ministerium des Innern 1064, 1097–1099 Monarch 35, 43, 48, 75, 90, 98, 134, 145, 154, 159, 179, 188, 191–194, 197, 203, 206–209, 222, 225, 228, 230, 239, 243, 246, 251, 256–259, 261–265, 269, 271–273, 277f., 286f., 290–292, 296f., 301, 305f., 308f., 312f., 315f., 324, 327f., 332, 346–349, 354, 357f., 366, 386–388, 391, 402, 537, 559, 570, 645, 651, 657, 667, 703, 715, 719f., 770, 773, 777, 786, 807, 814, 835, 880, 897, 909, 911, 916, 920–923, 927, 998, 1003, 1008, 1026, 1030, 1044, 1050, 1067, 1195 Monarchenkongreß von Troppau 708 Motorisierung 726 Mînzwesen 183 Nahrungssteuer 160, 986 Nassauer Denkschrift 681 Nationalgalerie 1029, 1106 Nationalismus 80, 759, 799, 1219 Nationalçkonomie 39, 41f., 98, 285, 295f. Nationalsozialismus 13f., 62, 64, 70f., 73, 78f., 82, 85, 947, 1074, 1080, 1086, 1088, 1094, 1096, 1103, 1112f., 1136 Nationalversammlung 652, 724, 1040–1042, 1050, 1077 Naturalisationsedikt 1167 Naturrecht 15, 144, 194, 228, 325, 353, 1190, 1192 Natzmer-Brief 342, 581f. Navigationsakte 641f., 736, 742f., 749, 834 Nebenresidenzen 243, 254, 946, 958, 965, 968, 981, 984, 993–995, 1000, 1005, 1056 Neue Mînze 1018 Neue Preußische Zeitung 1067 Neue Reichskanzlei 1103 Neue Rheinische Zeitung 754 Neues Kollegienhaus 1018

Neues Palais 603, 607, 1042, 1053, 1072 Neustoizismus 86, 144, 163 Neutralittspolitik 150, 154, 404f., 451, 663f., 666–669, 679, 766, 768f., 930, 1019 Niederlndersiedlung 163 Niederlndische Bewegung 86, 144, 217 Niederlndisch-Westindische Kompanie 521 Niederlassungsprivilegien 1166 Nobelpreis 1063f., 1090 Norddeutsche Allgemeine 1067 Norddeutscher Bund 405, 801, 809f., 847, 945, 1047, 1049, 1054, 1061 Nordischer Krieg 182, 199, 219, 222, 238, 241, 265, 317, 498 Normaljahr 857f., 902f., 905–907, 913 Nouvelle Bibliothºque germanique 1198f. Novemberrevolution 952, 1072, 1075 NSDAP 73, 75, 1080, 1086–1088, 1091, 1093, 1095f., 1099, 1108, 1112 Ober-Baudepartement 1018 Ober-Examinationskommission 348 Obergerichtskollegium 1177 Oberheroldsamt 1018 Oberhofbauamt 1016 Oberkonsistorium 272f., 371, 1223 Oberkriegskollegium 365, 386 Oberrechenkammer 270 Oberschulkollegium 385 Oderbruchkolonisation 301 Offizierskorps 43, 89, 208f., 249f., 283, 378, 588, 617, 703 Offizierspatent 208 Olympische Spiele 1093–1095, 1107f. Oper 363f., 610f., 755, 758, 825, 1009, 1016, 1023, 1035, 1065, 1084, 1088, 1106 Opernhaus 327, 610, 1009, 1045 Oranische Erbschaft 242, 540, 550, 553, 565 Osiandersche Auseinandersetzung 127 §sterreichischer Erbfolgekrieg 329, 587–590, 922 Ostindische Kompanie 492

Sachregister

Ostseehandel 289, 477, 487, 489f., 492, 641, 735, 746 Pactum Fridericianum 923 Palais des Prinzen Heinrich 1009, 1023 Pariser Botschafterkonferenz 704 Pariser Weltausstellung 804, 820, 825 Parlament 70, 93, 202, 485, 642, 709, 783, 787, 790, 794, 801, 886, 910, 946, 1041–1043, 1045f., 1053–1055, 1064, 1072, 1111, 1123 Patriotismus 458, 799, 925, 979, 1021, 1050, 1212, 1219–1221 Patriziat 955 Paulskirchen-Versammlung 1042 Pergamonmuseum 1029 Personalpolitik 193, 313, 348, 367 Personalunion 130, 178, 329, 488, 537, 550, 554, 618, 663, 689, 770, 800, 876 Perspektivplan 993 Pest 166f., 297, 967, 1171 Petersburger Teilungsvertrag 381 Peuplierung 299, 307, 567, 570, 1162, 1166, 1171 Pflzische Erbfolge 541f., 911, 913, 914, 1171 Pfarrer 11, 169, 360, 1129 Pfrînden 155, 208 Pietismus 61, 70, 79, 250–253, 273, 283, 322, 567, 919, 1140 Polen 220, 342, 350, 377, 380f., 597, 647, 926, 1174 Politischer Klub 1040 Politisches Testament 56, 162, 179, 193, 228, 264, 314f., 330, 333, 346, 387, 452, 455, 577, 588–590, 593, 597f., 601, 629, 637, 639, 649, 713, 904f. Polizei 133, 311, 1032, 1043, 1070, 1076, 1085, 1087 Polizeiordnung 973 Polizeiprsidium 1064, 1070, 1076, 1096, 1098 Polizeiwesen 1015 Polnischer Thronfolgekrieg 320, 566, 581 Post 15, 192, 266, 435f., 514, 602, 633, 690, 774, 1056, 1067, 1110 Postwesen 494, 615 Potsdamer Depeschendiebstahl 767

1267

Potsdamer Friedenskirche 1053 Potsdamer Garnisonkirche 404, 1088 Potsdamer Neues Palais 1072 Potsdamer Schloß 545, 1010 Potsdamer Vertrag 404 Prdestinationslehre 900, 1150 Prager Frieden 156-158 Pragmatische Sanktion 319, 328f., 921 Praxis pietatis 251 Pressefreiheit 1037, 1039, 1042, 1190 Preußenschlag 945, 1086f. Preußische Seehandlung 734, 740f., 824 Preußische Staatsbibliothek 992 Preußischer Landtag 1080 Preußisch-Niederlndische Verbindungsbahngesellschaft 844 Primat der Außenpolitik 373, 376, 463, 645 Prinz-Albrecht-Palais 1004 Prinzessinnenpalais 1019, 1030 Privilegium de non appellando 884 Privy Council for Trade 746 Propaganda 70, 100, 105, 373, 550, 655, 718, 885, 1058, 1076, 1087–1089, 1091, 1093, 1117 Prophetismus 1159 Protektionismus 400, 740 Protestantismus 216, 477, 906, 916, 1143f., 1149, 1151–1153, 1157, 1159, 1209, s. Kalvinismus Provinziallandtag 1054 Prussophobie 818 Pyrenenfrieden 498 Quadriga 672f., 1017, 1020 Quadrupelallianz 563, 699, 701, 706 Quartierbezirk 153 Rastatter Gesandtenmord 666 Rat der Volksbeauftragten 1075f. Rat fîr Geschichte 101 Reformation 26, 123, 129, 136, 139–141, 179, 222, 251, 470f., 477f., 533, 856f., 865–867, 869, 879, 885, 898–901, 907, 912, 970f., 973, 976–978, 1149–1151, 1155, s. Protestantismus, Kalvinismus Reformationsrecht 140f., 165, 903 Reformkatholizismus 1149

1268

Sachregister

Reformzeit 54, 59, 85, 92, 102, 175, 391f., 397, 673, 681, 728, 1020f., 1025, 1031, 1034f. R¤fugi¤s 487, 528f., 531–534, 573, 580, 604, 608, 626, 656, 1128f., 1132–1134, 1137f., 1142–1144, 1148f., 1160–1163, 1165, 1167f., 1171–1177, 1179, 1181–1193, 1195–1203, 1205, 1208–1215, 1218f., 1221 Regalien 125, 266, 295f., 971 Regiewesen 347, 365, 616 Regiment 135, 255, 279, 359, 565, 801, 961 Registratur 181, 1006f. Reichsacht 594, 922 Reichsarmee 337f., 378, 595, 890 Reichsbank 944, 1102 Reichsboten 1067 Reichsdeputationshauptschluß 403, 668, 860f., 883, 928-930 Reichserzkanzler 883 Reichsexekution 336f., 594 Reichsexekutionsordnung 907 Reichsfîrsten 345, 473, 476f., 914, 970 Reichsgerichtsbarkeit 215, 313 Reichsgeschichte 870, 872f., 880, 887, 915, 929 Reichsgesetz 345, 890, 907 Reichsgrîndung 29f., 32, 35, 53, 63f., 81, 96, 106, 213, 445–447, 454, 457, 749, 762, 780f., 783, 787, 796, 806, 820f., 847, 873, 1044–1047, 1051, 1057, 1060, 1063 Reichsheer 157, 595 Reichshofrat 215, 857–859, 884, 890, 894f., 906–908, 910, 917 Reichshofratsordnung 895 Reichskabinett 1076, 1087 Reichskammergericht 215, 864f., 867f., 884, 890, 892, 894–897, 908, 927, 930 Reichskanzleramt 1072 Reichskirche 891, 893, 922f., 929, 1141 Reichskonkordat 1113 Reichskreise 213–215, 229, 869, 880f., 885, 889–892, 893, 894, 896f., 923, 926, 930

Reichskrieg 221, 224, 337, 511, 542, 904, 927 „Reichskristallnacht“ 1092 Reichsprsident 1073, 1077, 1085, 1096 Reichsprsidentenpalais 1073 Reichssportfeld 1093f., 1102, 1107 Reichsstnde 156f., 163, 214, 238, 344f., 473f., 544, 648, 876, 878, 881, 883f., 886f., 895, 905f., 909, 914f., 917, 924, 927, 929, 931 Reichstag 140, 185, 189, 213f., 216, 224, 226, 229, 235f., 293f., 534, 541, 594, 809f., 854f., 857f., 867f., 870, 881f., 885–887, 902, 905–907, 909–911, 913–917, 921–923, 928–930, 1047, 1053–1055, 1062, 1067–1069, 1071–1074, 1077, 1079, 1086, 1088, 1106f. Reichstagsbrand 1088 Reichstagscorpus 914 Reichstags-Wahlrecht 1054 Reichsverfassung 121, 145, 344, 383, 594, 810, 870f., 875, 878, 882f., 886f., 891, 897f., 901, 905, 909, 919, 925, 928, 930, 1051, 1068, 1083, 1087, 1092, 1097 Reichswehr 78 Reichszunftordnung 294 Rekrutenkasse 278 Religionsfreiheit 370, 906, 977, 1141 Religionsunterricht 162, 1203 „Renversement des Alliances“ 538, 590, 592 Reservatrecht 453 Residenz 13, 155, 163, 167, 177, 192, 229, 234, 242f., 254f., 261, 286f., 291, 311, 327, 354, 398, 472, 495, 499, 529, 547, 558, 560, 611, 624, 638, 676, 915, 933–976, 978–988, 990f., 993–1003, 1005, 1007f., 1010–1012, 1016, 1018, 1020, 1024–1026, 1030, 1034f., 1043, 1067, 1072f., 1082, 1088, 1096, 1103, 1119, 1123, s. Nebenresidenzen Residenzgesellschaft 136 Residenzherrschaft 961 Residenzlandschaft 242f., 254f., 363, 558, 622, 938–940, 980, 986, 1000,

Sachregister

1005, 1009, 1015, 1029f., 1035, 1042 Residenzstadt 151, 196, 242, 248, 255, 259, 276f., 288, 294, 495, 559, 637, 651, 934f., 938–940, 948, 958f., 964, 968, 974, 976, 978, 982, 985, 996, 1002, 1007, 1009, 1011, 1022, 1027, 1032, 1048, 1168 Restitutionsedikt 155 Reunion 226, 331, 518, 521, 524, 541 Revidierte Stdteordnung 1032 Revolutionskriege 24, 437 Rheingrenze 654, 702, 709, 717, 799 Rheinische Bahn 840–844 Rheinlinie 132 Rigaer Denkschrift 681 Rijswijker Klausel 544, 915 Ritterschaft 146f., 170, 184, 467, 1036 Rçhm-Putsch 1113 Rosenkreuzer 359–362, 367, 368f., 372, 377, 646 Rote Armee 1116 Roter Adlerorden 694 Royal Air Force 1115 Royal Society of Arts, Manufactures and Commerce 605 Royal Society 507f., 630 Rîstungsindustrie 289–292, 1100 SA 1085, 1087f., 1092, 1108 Skularisation 122–124, 127, 403, 665, 860f., 885, 923, 928f. Sanssouci 250, 327, 528, 598, 606–608, 610, 612f., 623f., 992, 1010, 1029, 1042, 1119, 1133 Satisfaktionsgelder 211 S-Bahn 1048, 1094, 1101 Schatullgîter 266 Schillertheater 1091 Schlacht am Weißen Berg 150 Schloßbau 254, 287, 491, 956f., 962, 969, 983, 985f., 1000, 1074 Schmuggel 614, 628, 675, 748 Schollenbindung 127, 176, s. Erbuntertnigkeit Schçppenstuhl 351, 959, 965, 985 Schuldenlast 974, 1002, 1021 Schutzzollpolitik 742 Schwanenorden 960 Schwarzer Adlerorden 238, 776f.

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Schwerindustrie 749, 808 SED 100, 105, 1121, 1123 Seeblockade 671, 766 Seidenindustrie 204, 292, 347, 351, 502, 575, 626, 644, 1181f., 1186–1188 Sicherheitsmannschaft 1041 Siebenjhriger Krieg 12, 56f., 73, 97, 282, 301, 310, 325, 330, 333, 335–342, 347, 358, 373, 426–428, 583, 590, 594f., 597, 614, 639, 647, 663, 881, 917f., 922f., 1010 Siedlungspolitik 176, 285, 297, 301f., 347, 1063 Siegesallee 1062, 1069 Siegessule 1068f., 1107 Sklaven 166 Soci¤t¤ anonyme 832, 1193, 1198 Soci¤t¤ de la Vieille Montagne 832 Society for Promoting Christian Knowledge 567 Soldaten 72f., 83, 158, 183, 218, 229, 255, 281–284, 287, 340, 391, 406, 474, 543, 552, 566, 572, 581, 608, 621, 655, 659, 812, 909, 1002, 1004, 1038, 1072, 1076, 1157, 1177, 1211, 1214, s. Armee, Militr Sçldner 147, 207, 474 Sonderweg 78, 81, 88, 90f., 94, 96, 253, 460, 787, 797, 879, 902 Souvernitt 122, 124, 185, 212, 218–222, 234, 237, 271, 315, 498, 657, 743, 809, 874, 876, 1042, 1051 Sowjetische Militradministration 1120 Sozialdemokraten/SPD 1055, 1058, 1070, 1085, 1111, 1114 Sozialdisziplin 86f., 168f., 172, 178 Sozialgeschichte 13, 51, 55, 88–94, 96, 98, 100, 103, 107f., 136, 150, 270, 283f., 287, 303, 339, 353, 385f., 400, 440f., 471, 477, 528, 628, 635, 640, 643, 682, 722, 752, 834, 966, 988, 995, 1065, 1100, 1148 Sozialistengesetz 1058, 1061, 1067 Sozialstruktur 284, 304, 311, 1002, 1168, 1175, 1189 Spanische Tuchweber 572 Spanischer Erbfolgekrieg 238, 314, 543, 551–554, 557, 618, 890, 893, 910f., 914f., 919

1270

Sachregister

Spartakusbund 1072, 1076 Spthumanismus 144 SS 1088f., 1110 Staatsbildung 13, 55, 95, 98, 125, 159, 161, 182, 195, 201, 205, 227–246, 268, 296–298, 315, 877–879, 1143 Staatskirche 1027 Staatskommissariat 1098 Staatsrson 78, 137, 143, 148, 178, 250, 285, 297, 307, 325f., 328, 345f., 377, 384, 400, 463, 477, 514, 523, 533, 590, 594, 644, 650, 909, 1138 Staatsrat 192, 371, 390, 1022, 1024 Staatsregierung 346, 1087 Staatsschatz 256, 271, 329, 339, 365f., 377, 660, 1011 Staatsschuld 365, 591, 705, 734 Staatswirtschaft 197, 271, 276, 286, 293, 347, 365f., 400, 645 Stdteordnung 55, 727, 980, 994, 1015, 1022f., 1033, 1041, 1043, 1048, 1077, 1099, 1179 Stadtgericht 979, 998 Stadtmauer 201, 948, 957, 1004, 1017, 1033 Stadtrat 575, 926, 954, 979 Stadtregiment 1066 Stadtschreiber 8, 978 Stadtschulen 992 Stadtverordnetenversammlung 980, 1022, 1032, 1041, 1043f., 1054, 1066, 1097f. Stnde 12, 15, 40, 42, 45, 86, 88, 94f., 123–130, 136f., 140f., 143, 145–147, 151, 155, 157, 160, 164, 170, 176, 178–191, 197–199, 202f., 205, 213, 216, 220, 227, 239, 252, 279, 308–313, 349f., 353, 372, 398, 475, 483, 541f., 682, 877, 887, 894, 896, 911, 916, 918, 928, 953, 963–966, 971, 973, 976f., 984, 1026, 1036, 1038, 1040, 1097, 1151, 1163, 1210, s. Landstnde Standesschutz 307, 314 Stehendes Heer 182, 197, 205f., 265, 280, 287, 516, 617, 900, 984, 1163, s. Armee, Militr, Soldaten Steinkohle 574, 641, 749f. Stempelkammer 1018 Steuerkommissar 201, 276

Steuerpchter 614 Straßburger Bischofskrieg 475 Straßenbau 839 Strukturgeschichte 19, 38, 47, 91f., 96, 181, 283, 431 Strumpfmacherei 1181 Stuhmsdorfer Vertrag 152 Subsidien 223, 235, 238, 240f., 339, 379, 461, 476, 490, 505, 511, 514, 516f., 518–520, 522, 533, 535, 552, 543f., 548, 552, 554, 588, 593f., 596, 660, 678f., 909 Suezkanal 800 Sundzoll 683, 835 Tafelrunde 327, 606f., 616 Technische Hochschule Charlottenburg 1090 Telegraphen 840 Territorialpolitik 131 Terror 1085, 1088, 1095 Textilgewerbe 301, 400f., 573, 1013 Textilindustrie 204, 827, 1016 Thassilomythos 14 Tilsiter Frieden 406, 1025 Toleranzedikt 525, 533, 1155, 1160 Tonnengeld 635 Transitverkehr 846 Tripelallianz 556, 563, 647f. Tuchgewerbe 968 Tuchweber 531 Tîrkenkrieg 470, 649, 658, 904 U-Bahn 1082 Ultramontanismus 28 Universitt 20, 27, 41, 47, 200, 244, 295f., 354, 509f., 601, 681, 707f., 966, 987f., 992, 1031, 1056, 1063, 1090, 1155, 1190 Untertan 14, 140, 170, 172, 176, 185, 189, 192, 215, 220, 261, 263, 274, 297, 305, 362, 377, 380f., 383, 453f., 472, 482, 488, 508, 515, 539, 560, 638, 878f., 899, 903, 905, 913, 915f., 920, 970, 977, 1155, 1162, 1166f., 1171f. Usedom-Wedell-Mission 767 Utrechter Frieden 315, 554

Sachregister

Vereinbarung von Klein-Schnellendorf 584, s. Ortsregister Verfassungsgeschichte 14, 50f., 124, 137, 185f., 189, 199, 214–216, 256, 665, 855f., 870, 877, 879, 883, 885, 897, 948f., 983, 1071, 1143 Vernichtungslager 1110 Versailler Vertrag 587 Vertrag von Bartenstein 407 Vertrag von Chaumont 699 Vertrag von Nymphenburg 332 Vertrag von Wehlau 185, 219 Vertrag von Wusterhausen 565 Verwaltung s. Landesverwaltung Verwaltung Staatliche Schlçsser und Grten 1075 Vier-Mchte-Abkommen 1121 Vçlkischer Beobachter 73, 1094 Volksfrçmmigkeit 963 Volksgerichtshof 1111, 1114 Volksmagie 169, 354 Volksschulwesen 94, 1007, 1034 Vossische Zeitung 1007, 1012 Wahlkapitulation 345, 884, 921, 928 Wahlmonarchie 883 Whrungsreform 1081 Waisenhaus 252, 495, 559, 1018, 1205, 1216f., 1224 Waldbîhne 1093 Wannsee-Konferenz 1110 Wappenschild 999 Wehrpflicht 207, 682, 1003 Weimarer Koalition 1076, 1086, 1096 Weißer Saal (Schloß Berlin) 777, 1042, 1045, 1053, 1071, 1108, 1115 „Welthauptstadt Germania“ 1109, 1117

1271

Weltkrieg 45, 57, 61, 65, 69, 332, 336, 338, 725, 768, 1072, 1114, 1117, 1119 Weltwirtschaftskrise 1085 Westflischer Frieden 26, 49, 131, 139, 155, 158, 164f., 189, 210–213, 234, 314, 337, 345, 497, 500, 592, 855–857, 859–866, 869, 873f., 878–880, 882f., 885, 889f., 893f., 897, 900–906, 913, 916f., 919f., 1163, 1189 Westindische Compagnie 527, 555 Westminsterkonvention 25, 335, 591 Wiener Kongreß 696, 699 Wilhelminismus 1062, 1065f., 1083 Wollindustrie 45, 61, 70, 287–289, 399, 1185f. Wollmanufakturen 204, 572 Zeitschriften 255, 612, 819, 1199, 1218 Zensur 29, 327, 370f., 1012, 1016, 1032, 1035, 1040, 1046, 1190, 1193 Zentralkomitees fîr Arbeiter 1040 Zentrum 1076, 1078f. Zeremonial-Handbîcher 234 Zeughaus 290, 540, 997, 1034, 1041, 1205 Zoll 347, 737, 739, 748, 837, 1047 Zollverein 440f., 691, 709, 735f., 742–751, 762, 766, 817, 820–822, 831, 834–839, 845, 1034 Zunft 276, 293f., 468, 570, 973, 988, 990, 1006, 1180, 1188f., 1211 Zweiter Weltkrieg 46, 89, 107, 340, 805, 831, 871f., 997, 1095, 1106, 1108f., 1111, 1116–1122, 1208, 1222