Handbuch der Linguistik. Allgemeine und angewandte Sprachwissenschaft 978-3485035422

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Handbuch der Linguistik. Allgemeine und angewandte Sprachwissenschaft
 978-3485035422

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aus Beiträgen von Hans Arens Joseph M. Barone Werner Betz Stephan Braun Norbert Dittmar Reinhold Freudenstein Carl Friedrich Graumann Elisabeth Gülich Harald Gutschow Georg Heike Karl-Hermann Körner Hans Dieter Maas Willy Martin Gerhard Nickel Christoph Schwarze Gerhard Stickel Eike Thürmann Harald Weinrich Wolfram Wilß Harald Zimmermann

unter Mitarbeit von HildegardJanssen zusammengestellt von Harro Stammerjohann

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Handbuch der Linguistik Allgemeine und angewandte Sprachwissenschaft

Aus Beiträgen von Hans Arens • Joseph M. Barone • Werner Betz Stephan Braun • Norbert Dittmar Reinhold Freudenstein • Carl Friedrich Graumann Elisabeth Gülich • Harald Gutschow Georg Heike • Karl-Hermann Körner Heinz Dieter Maas • Willy Martin • Gerhard Nickel Christoph Schwarze • Gerhard Stickel Eike Thürmann • Harald Weinrich Wolfram Wilß • Harald Zimmermann unter Mitarbeit von Hildegard Janssen zusammengestellt von Harro Stammerjohann

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Nymphenburger Verlagshandlung

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© Nymphenburger Verlagshandlung GmbH, München 1975 Alle Rechte, auch die der photomechanisdien Vervielfältigung und des auszugsweisen Abdrucks, Vorbehalten. Druck: Presse-Druck- und Verlags-GmbH Augsburg Umschlagentwurf: Manfred Lüer ISBN 3-485-03541-6 (Paperback) ISBN 3-485-03542-6 (Leinen) Printed in Germany

Im Unterschied zu Werken, die in der einen oder anderen Hinsicht vergleichbar sind, ist es das besondere inhaltliche Ziel dieses Buches, theoretische und angewandte Linguistik zusammen darzustellen, um zu einer stärkeren Bezugnahme aufeinander beizutragen. Es richtet sich an Lin¬ guisten, Sprachdidaktiker und Übersetzer, an Studenten und Lehrer. Es ist ein Versuch, die ein¬ fache Darstellungsweise einer Einführung mit der Aktualität von Forschungsberichten zu ver¬ binden. Die lexikalische Organisation des Stoffes und ein Namenregister sollen es zudem als Nachschlagewerk benutzbar machen. Das Buch ist die gemeinsame Arbeit von 20 Autoren, die 17 Themen in der Form von Lexi¬ konartikeln dargestellt haben. Der für die Themen vereinbarte Gesamtumfang lag zwischen 5 und 60 Seiten. Bei der Gliederung ihres jeweiligen Stoffes nach Stichwörtern hatten die Mitar¬ beiter grundsätzlich freie Hand. Oftmals mußten durch Überschneidung entstandene oder sach¬ lich begründete Mehrfachbearbeitungen ein und desselben Stichworts miteinander kollationiert werden. Da in solchen Fällen keine individuelle Autorschaft mehr besteht, habe ich mit dem Einverständnis der Mitarbeiter überhaupt davon abgesehen, die Artikel namentlich zu zeichnen. Stattdessen führe ich hier die Themen und ihre Bearbeiter auf: 1. Geschichte der Sprachwissenschaft bis 1800 und der traditionellen grammatischen Termi¬ nologie: Hans Arens, Bad Hersfeld 2. Vergleichende historische Sprachwissenschaft: Werner Betz, München 3. Europäische Schulen des Strukturalismus: Karl-Hermann Körner, Braunschweig 4. Amerikanischer Strukturalismus: Gerhard Stickel, Mannheim 5. Textlinguistik und Pragmatik: Elisabeth Gülich und Harald Weinrich, Bielefeld 6. Generative Grammatik: Christoph Schwarze, Kiel 7. Phonetik: Georg Heike und Eike Thürmann, Köln 8. Semantik: Joseph M. Barone, New Brunswick, N. J., USA 9. Algebraische Linguistik, Algorithmische Linguistik: Stephan Braun, München 10. Quantitative Linguistik: Willy Martin, Löwen, Belgien 11. Soziolinguistik: Norbert Dittmar, Heidelberg 12. Psycholinguistik: Carl Friedrich Graumann, Heidelberg 13. Angewandte Linguistik (Übersichtsartikel), Kontrastive Linguistik: Gerhard Nickel, Stuttgart 14. (Human-)Ubersetzung: Wolfram Wilß, Saarbrücken 15. Maschinelle Übersetzung: Heinz Dieter Maas, Saarbrücken, und Harald Zimmermann, Regensburg 16. Geschichte und Methoden des Fremdsprachenunterrichts: Harald Gutschow, Berlin 17. Unterrichtsmittel und Medien im Fremdsprachenunterricht: Reinhold Freudenstein, Marburg . Diese Gliederung soll keine Systematik der linguistischen Wissenschaften widerspiegeln, son¬ dern beruht auf einer pragmatischen Auswahl und darüberhinaus auf der mit den Autoren ver¬ einbarten Arbeitsteilung. Die Themen sollen zwar Geschichte und Wissensstand der theoreti¬ schen und der angewandten Linguistik in wesentlichen Teilen umfassen, doch ist dieses Handbuch kein terminologisches Lexikon mit einem Anspruch auf Vollständigkeit, sondern eine Darstellung jener Themen in lexikalischer Form. Meine redaktionelle Aufgabe habe ich darin gesehen, auf eine gewisse Einheitlichkeit des Buches hinzuwirken, doch waren Mitarbeiter mit mir einig dann, daß es nicht wie aus einer Feder aussehen müsse. Bei der Abfassung des Typoskripts habe ich Verweise hergestellt, die nachträg¬ liche Bearbeitung m. E. unerläßlicher Stichwörter angeregt und auch von mir aus Lucken zu schließen versucht. Neben Kollationierungen mehrfacher Stichwortbearbeitungen schienen mir

S?6074

gelegentliche Umgliederungen, Vereinigungen mehrerer Artikel und Teilungen anderer und auch stilistische Eingriffe unvermeidlich zu sein. Insbesondere habe ich Termini, die von den Autoren nur im Zusammenhang größerer Übersichtsartikel behandelt worden waren, ausgeglie¬ dert und mit einer Kurzdefinition und dem Verweis auf den Übersichtsartikel versehen. Die Bei¬ träge von Herrn Barone mußten aus dem Englischen übersetzt werden. Bei allen redaktionellen Arbeiten hat Fräulein Hildegard Janssen, Studentin in Frankfurt, mitgewirkt. Vor der Drucklegung hatte jeder Mitarbeiter den gesamten Text des Buches zur kritischen Einsichtnahme zur Verfügung und die Möglichkeit zu Richtigstellungen, Änderungen und Ergänzungen. Außerdem hatte jeder Mitarbeiter Gelegenheit, sich bei den Druckkorrekturen zu beteiligen. Ständige Unterstützung, weit über die vereinbarten Beiträge hinaus, verdanke ich den Herren Arens, Gutschow, Martin, Schwarze, Stickel und Thürmann. Besonderen Dank schulde ich Herrn Dittmar dafür, daß er sehr kurzfristig bereit war, sich an dem Werk zu beteiligen und das Thema »Soziolinguistik« zu übernehmen. Frankfurt am Main Januar 1975

Harro Stammerjohann

Abbildung

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Abbildung. In der Mathematik eine Zuordnungsvorschrift, die jedem Element einer Menge U (>UrbildmengeBildmengeUrbild< von a, ein Element aus der Menge B heißt >Bild< von a. Ein Urbild kann immer nur ein Bild haben, jedoch können mehrere verschiedene Urbilder dasselbe Bild haben. Einem Urbild können also nie mehrere Bilder zugeordnet sein. Eine Abbildung, bei der mehrere Urbilder dasselbe Bild ha¬ ben können, wird auch als >mehr-eindeutig< bezeichnet. Wenn verschiedene Urbilder stets auch verschiedene Bilder haben, spricht man auch von >ein-eindeutiger< Abbildung. Es ist dann mög¬ lich, nicht nur jedem Urbild eindeutig sein Bild, sondern auch umgekehrt jedem Bild eindeutig sein Urbild zuzuordnen. Statt >ein-eindeutig< sagt man daher auch >umkehrbar eindeutige Für linguistische Anwendungen ist die Forderung nach Eindeutigkeit des Bildes gelegentlich scheinbar zu streng. In manchen Beispielen erscheint es notwendig, auch Zuordnungen zuzulas¬ sen, bei denen einem Urbild mehrere Bilder zugeordnet werden (>ein-mehrdeutige< oder auch >mehr-mehrdeutige< Zuordnungen). Jedoch ist es oft möglich, auch ein-mehrdeutige Zuordnun¬ gen in linguistisch sinnvoller Weise als Abbildungen zu formulieren, wenn man die Mengen U und B geeignet wählt. Zum Beispiel gilt für den Übergang vom Indogermanischen zum Sanskrit die Zuordnung qu ->k und que —>ca, was als ein-mehrdeutige Zuordnung qu -»k, c darstellbar wäre. Nimmt man als Urbildmenge U sowie als Bildmenge B aber nicht die Menge der einzelnen Phoneme, sondern die Phonemsequenzen, dann hat man (mit der Notation t für >nicht e ca und qu k£. Das Beispiel zeigt, daß man prüfen sollte, ob sich eine Zuord¬ nung in der Linguistik wirklich nicht als Abbildung formulieren läßt. Abbildungen werden grundsätzlich dadurch beschrieben, daß man für jedes Element aus U sein Bild in B angibt. Dies kann entweder durch Aufzählen geschehen, z. B. in einer Abbildung mit der anschaulichen Bedeutung »Zuordnung von Sohn zu Vater« als Hansi-»Peter, Ingei->Peter, Ottoi->Fritz,... (-»bezeichnet die Zuordnung von einzelnen Elementen, -» dagegen die Zuord¬ nung von Urbildmenge und Bildmenge) oder durch Angabe einer Rechenvorschrift, z. B. x2, 2h»4, 3•—»6,... Wichtige Spezialfälle von Abbildungen: a) Eine Abbildung heißt >injektiv< (auch: >eindeutigsurjektiv».b5

U4^>.b4 NA

U4*_*.b4

U4^.b4

U

B «i

U

B

U

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B

U

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B a4

2 ii

U2^b,

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uiv>.b1

u2X.b2 u3. .b3

c

U,. .b, *V>b2

a5

at: weder injektiv noch surjektiv (allgemeiner Fall); a2 injektiv, aber nicht surjektiv; a3: sur

jektiv, aber nicht injektiv; a4: bijektiv; a5: Abbildung >in sich Sprachinhaltsforschung) sprechen oder den Symbolcharakter wie folgt deuten: Der Mensch »baut sich ... in seinem Geist, auf dem Feld der Sprache, die Welt noch einmal als eine Welt symbolischer >Dinge< auf, und nun beginnt die Welt im System der Sprache Ordnung für ihn zu gewinnen« (Snell 1961, S. 61). Die Kritik an der Abbildungstheorie wählt häufig einen falschen Ansatz, indem sie z. B. darauf hinweist, alle Wörter außer den Eigennamen seien Abstraktionen und könnten daher nicht »abbilden«. Daß Wörter bzw. Begriffe Abstraktionen sind, wird jedoch von den Vertretern der Abbildungstheorie keineswegs geleugnet. Gemeint ist vielmehr, daß z. B. eine Aussage, die be¬ sagt, was ist, einen Sachverhalt abbildet, den Zugang zur objektiven Wirklichkeit erschließt. Demnach bildet etwa der Gebrauch von Wörtern wie Arbeitgeber, Demokratie, Freiheit in ent¬ sprechenden Kontexten in der BRD und DDR die dortige gesellschaftliche Wirklichkeit ab. Ver¬ ständlich ist die Abbildungstheorie nur im Zusammenhang mit der —*■ Widerspiegelungstheorie: »Wir verstehen also unter der Bedeutung eines Zeichens etwas Gedankliches, ein Abbild, das der Mensch in seinem Bewußtsein hat. Eine Aussage spiegelt Dinge, Eigenschaften von Dingen, Beziehungen zwischen Dingen wider... Das Gebiet, in dem diese Beziehungen untersucht wer¬ den, heißt die Semantik einer Sprache« (Klaus

1965,

S.

13).

Lit.. Albrecht, E. (1972). Bestimmt die Sprache unser Weltbild? Zur Kritik der gegenwärtigen bürgerlichen Sprachphilosophie. Berlin. Dazu siehe Gipper, H. (1972). Gibt es ein sprachliches Relativitätsprinzip? Unter¬ suchungen zur Sapir- Whorf-Hypothese. Frankfurt am Main. Klaus, G. (1965). Die Macht des Wortes. Ein erkenntnistheoretisch-pragmatisches Traktat. Berlin. Snell, B. (1961). Der Aufbau der Sprache. Hamburg.

Abbreviatoren (lat. brevis, >kurz Phrasenstrukturgrammatik.

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Abstufung

Ablativ. —» Kasus: 1. Ablaut. Begriff aus der germanischen Sprachgeschichte, von Jacob Grimm 1819 als Terminus für den regelmäßigen Vokalwechsel in verwandten Wortgruppen geprägt (vorher pejorativ für Lautunregelmäßigkeiten), so bei den starken Verben (binde, band, gebunden) und der Wortbil¬ dung (binden: Binde, Band, Bund) und im Gegensatz zum —* >UmlautAbtönungAbstufungVollstufe I< (e) und >Vollstufe II< (o): germ. werfen/warf bzw. binden/band. Beim quantitativen Ablaut unter¬ scheidet man >Vollstufe< (>NormalstufeNullstufe< (>SchwundstufeDehnstufe Formalen Sprachen. Eine -> Kette y heißt ableitbar aus einer Kette x, wenn sich x in der Form x = u • a • w, y in der Form y = u • b ■ w mit Ketten u und w schreiben läßt (der Punkt bezeichnet die Konkatenation) und wenn es eine -» Ersetzungs¬ regel a —» b gibt. —» Ableitung.

Ableitung (auch: >Derivation< von lat. derivatio, >AbleitungTransformakustischer HinweisBeobachtungsadäquatheitBeschreibungsadäquatheit< und >Erklärungsadäquatheitkorrekt< beschreibt. Sie ist beschreibungsadäquat, wenn sie Generalisierungen ausdrückt und Strukturbeschreibungen lie¬ fert, die die >Intuition< des Sprechers korrekt beschreiben. Eine Grammatik ist erklärungsadä¬ quat, wenn die von ihr ausgedrückten Generalisierungen universale Eigenschaften natürlicher Sprachen erfassen, d. h. wenn diese Generalisierungen in eine Theorie des Spracherwerbs einge-

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Adstrat

hen können. Da diese Adäquatheitskriterien am Begriff der —» Kompetenz orientiert sind, müs¬ sen sie bei einer Kritik des Kompetenzbegriffs revidiert werden. Eine Grammatiktheorie ohne Kompetenzbegriff wird Grammatiken daraufhin bewerten, ob sie in sinnvoller Weise mit anderen Theoriebereichen verbindbar und für die beabsichtigten Anwendungen geeignet sind. Lit.: Chomsky, N. (1965). Aspects ofthe Theory of Syntax. Cambridge, Mass.; dt. Aspekte der Syntax-Theo¬ rie. Frankfurt 1969. Ders. (1965). Current Issues in Linguistic Theory. The Hague. Schwarze, C. (1972). »Grammatiktheorie und Sprachvergleich«, Linguistische Berichte 21, S. 15-29. Stechow, A. v. (1970). »Aspekte zur Bewertung von generativen Grammatiken«, Linguistische Berichte 9, S. 18-28.

adaptation (frz., von lat. adaptare, >anpassenhinzufügenFundamentum< aufbauender Stoff für höhere Leistungsstufen. Näheres —» Differenzierung: 2, —* Durchlässigkeit. Adhortativ, der (lat. adhortari, >aufmunternmahnenjussiven< (iubere, >befehlenprohibitiven< (prohibere, >verbietenüberlegendubitativen< (dubitare,

»zweifeln«) Bedeutung: lat. eamus! >laßt uns gehen!« Adjektiv. —» Wortarten. Adjunkt, das (engl, adjunct von lat. adiungere, >hinzufügen String Analysis von Z. S. Harris Bezeichnung für die Teile eines Satzes, die nicht Bestandteile des >Zentrums< (center), d. h. des zentralen Elementarsatzes sind.

Adstrat, das (lat. ad, »hinzu«, + Stratum, »Schicht«). 1932 von Marius Valkhoff geprägter Termi¬ nus, der in Ergänzung zu vertikalem -» »Substrat« und »Superstrat« die horizontalen Einwirkungen einer Sprache auf eine benachbarte andere bezeichnen soll: »Es scheint mir, daß man neben Substrat und Superstrat Adstrat ein (linguistisches oder ethnisches) Substrat nennen kann, das ständig seine Wirkung auf eine Sprache oder ein Volk... ausübt, neben denen es fortbesteht.« Valkhoffs Beispiele waren das Illyrische (oder Thrakische), das zuerst Substrat des sich in Illyrien festsetzenden Lateinischen gewesen, dann in der Form des Albanischen Adstrat des Balkan-Romanischen und Slawischen geworden sei, ferner der germanisch-romanische Sprachkontakt in Belgien. »Die Wirkung des Adstrats ist immer intensiver als die des Substrats, da ihre Dauer nicht begrenzt ist« (1939, S. 50 f.). Nach E. Gamillscheg ist der Terminus überflüssig: »Versteht man darunter das Zuströmen einer fremdsprachigen Minorität zu einer bestehenden Sprachgemeinschaft, dann wird die sprachliche Einwirkung auf diese nur gering sein können. Ich denke dabei an die spätfränkische und flämische Zuwanderung in altromanische Städte wie Lüt¬ tich, oder die durch Jahrhunderte fortgesetzte Einwanderung in Paris, die sprachlich kaum ir¬ gendwelche Spuren hinterlassen hat. Handelt es sich dagegen um eine Zuwanderung einer zah¬ lenmäßig bedeutenden Bevölkerung zu einer anderssprachigen Gemeinschaft, die beide ihr eigenes Volkstum bewahren, dann ergibt sich aus dem Nebeneinander der beiden Bevölkerungen eine gewisse Zweisprachigkeit, die für beide Sprachgemeinschaften von Bedeutung werden kann.

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Adverb

Solche Fälle finden sich in Rumänien... Ist mit Adstrat eine solche Vorstellung verbunden, dann wird die Adstratwirkung nur eine Teilerscheinung des [—»] Bilinguismus. Ist aber für Adstrat die erste Definition zutreffend, dann liegt hier nur ein quantitativ eingeschränkter Sonderfall der Superstratwirkung vor« (1939, S. 53 f.). Lit.:

Gamillscheg, E. (1939). »Adstrat«, in: Reponses au Questionnaire du Ve Congres International des Linguistes. Bruges. Valkhoff, M. (1932). Latijn, Romaans, Roemoens. Ammersfort. Ders., (1939). »Ad¬ strat«, in: Reponses au Questionnaire du Ve Congres International des Linguistes. Bruges.

Adverb. —» Wortarten. Äquivalenz. Begriff aus der Theorie der —»Formalen Sprachen. Zwei Chomsky-Grammatiken heißen >schwach äquivalente, wenn sie dieselbe Satzmenge erzeugen; sie heißen >stark äquiva¬ lente, wenn sie nicht nur dieselbe Satzmenge erzeugen, sondern darüberhinaus jede terminale Kette gemäß den beiden Grammatiken auch noch denselben Strukturbaum besitzt. —»Kontext¬ freie Sprache: 5. Äquivalenzrelation. In der Mathematik Spezialfall einer zweistelligen —> Relation A e M X M auf einer Menge M. Die Relation A heißt Äquivalenzrelation, wenn sie sowohl reflexiv wie auch symmetrisch wie auch transitiv ist. Beispiel: M sei die Menge der (geschriebenen) Wörter des Deutschen. Die Relation A sei dadurch bestimmt, daß (x, y) 6 A »das Wort x hat denselben Anfangsbuchstaben wie das Wort y« bedeutet. Dann ist A reflexiv, denn jedes Wort hat densel¬ ben Anfangsbuchstaben wie es selber (die oben genannten Wörter x und y brauchen nicht ver¬ schieden zu sein); A ist symmetrisch, denn wenn x denselben Anfangsbuchstaben hat wie y, dann hat y auch denselben Anfangsbuchstaben wie x; und A ist transitiv, denn wenn x denselben Anfangsbuchstaben hat wie y und y denselben Anfangsbuchstaben wie z, dann hat auch x densel¬ ben Anfangsbuchstaben wie z. Eine Äquivalenzrelation A auf einer Menge M liefert stets eine Zerlegung von M in disjunkte (s. u.) >Äquivalenzklassenzu x äquivalent sind. Notation: [x] bedeutet »Äquivalenzklasse von x«. Das Element x gehört stets zu seiner eigenen Äquivalenzklasse [x]. Jedes Element aus M gehört zu einer Äqui¬ valenzklasse. Zwei verschiedene Äquivalenzklassen haben kein Element gemeinsam (sie sind >disjunktÄußerung< kann sowohl den Akt der Hervorbringung als auch das Hervorgebrachte bedeu¬ ten. Äußerungen (qua lautlicher Substanz) sind die primären —»Daten des amerikanischen —» Distributionalismus. Z. S. Harris (1951): »An utterance is any Stretch of talk, by one person, before and after which there is silence on the part of the person« (S. 14). Lit.:

Harris,

Z. S. (1951). Methods in Structural Linguistics. Chicago/London.

Affigierung. Verwendung von —* Affixen. Affix, das (lat. affigere, >anheftenPräfixSuffixInfixanreibentunhandelnPatiens >Agentiv Sprachstörung. Akkusativierung. Die nach Leo Weisgerber entwürdigende Versetzung des Menschen vom Dativ in den Akkusativ; Beispiel —» Sprachinhaltsforschung. Aktant, der (frz. actant). Inder Syntax L.Tesnieres (1953, 1959; —> Dependenzgrammatik) vom Verb abhängiger »Handlungsbeteiligter« (»Vorgangsbeteiligter«, »Mitspieler«) und zwar Sub¬ jekt (prime actant), direktes Objekt (second actant) und indirektes Objekt (tiers actant). Den actants gegenüber stehen die —* circonstants. - Der Aktantenbegriff wurde weiterentwickelt in der —> Kasusgrammatik. Lit.: Tesniere, L. (1953). Esquisse d’une syntaxe structurale, Paris. Ders. (1959). Elements de syntaxe structurale, Paris.

Aktionsart. Art der durch das finite Verb bezeichneten Handlung (Tätigkeit, Vorgang). Die Aktionsarten fallen jedoch nicht mit der semantischen Gliederung der Verben in Zustands-, Vorgangs-, Ereignis- (das sind subjektlose, also unpersönliche Vorgangsverben), Tätigkeits- und Handlungsverben (das sind transitive Tätigkeitsverben) zusammen, sondern verbinden sich mit diesen. Im Deutschen findet die Aktionsart im allgemeinen Ausdruck durch Ableitung (von Verb, Adjektiv, Substantiv usw.) und/oder Komposition mit Vorsilben. Man unterscheidet u. a. die folgenden Aktionsarten: a) >faktitivkausativGrunditerativ< oder >frequentativintensivornativprivativinchoativ< (>incohativingressivresultativ< oder >terminativpunktuell : durativ< wird teils ebenfalls zur Bezeichnung von Aktionsarten, teils von —» Aspekten verwendet. Lit.: Duchäcek, O. (1966). »Sur le probleme de l’aspect et du caractere de l’action verbale en fran$ais«, Le Franqais Moderne 34, S. 161-184. Renicke, H. (1950). »Die Theorie der Aspekte und Aktionsarten«, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Ost) 72, S. 150-193. Stobitzer, H. (1968). Aspekt und Aktionsart im Vergleich des Französischen mit dem Deutschen, Englischen und Italienischen. Phil. Diss. Tübingen. Vgl. auch unter —»Aspekt.

Aktionsquotient. Von dem Entwicklungspsychologen A. Busemann (1925, 1948) eingeführtes Maß. Es bestimmt das Verhältnis der innerhalb einer Sprachstichprobe vorhandenen »aktionalen« Aussagen (besonders Tätigkeitswörter) zu den »qualitativen« (besonders Eigenschaftswör¬ ter) - daher auch >Adjektiv-Verb-Quotient< (Boder 1940). Während Busemann glaubte, mit Hilfe des Aktionsquotienten über den Grad der emotionalen Stabilität Entwicklungsstufen und inter-individuelle Unterschiede bestimmen zu können, sollte die Abhängigkeit dieses Quotienten von der jeweiligen (sprachlichen) Aufgabe vor diagnosti¬ scher Verwendung warnen. So schwankt laut Miller (1951) das Verhältnis Verb : Adjektiv zwi¬ schen 9 : 1 bei Schauspieldialogen und 1,3 : 1 bei wissenschaftlichen Texten. Zur Verwendung dieses Maßes (-y- ■ 100) bei literarischen Untersuchungen vgl. Antosch (1969). - Vgl. auch —> Quantitative Koeffizienten. Lit.: Antosch, F. (1969). »The Diagnosis of Literary Style with the Verb-Adjektive Ratio«, in: Bailey, R./ Dole2el, L. (Hrsgg.), Statistics and Style, New York, S. 57-65. Boder, D. P. (1940). »The Adjective-Verb Quotient. AContribution to the Psychology of Language«, Psychological Review 3, S. 309-343. Busemann, A. (1925). Die Sprache der Jugend als Ausdruck der Entwicklungsrhythmik. Jena. Ders. (1948). Stil und Cha¬ rakter, Meisenheim. Miller, G. A. (1951). Language and Communication, New York.

Aktiv. —> Genus verbi.

Akustische Phonetik. Teilbereich phonetischer Forschungen, der ausschließlich durch den sub¬ stanziellen Untersuchungsgegenstand und, daraus folgend, die Untersuchungsmethodik definiert wird. Hinsichtlich der Fragestellung gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zur artikulatorischen (-^Artikulation) oder auch auditiven Phonetik. Der Untersuchungsbereich der akustischen Phonetik ist das akustische Signal, das mit den ge¬ eigneten Methoden der Elektroakustik und mathematisch-statistischer Behandlung der Meßda¬ ten auf eine gezielte Fragestellung hin untersucht wird. Akustische Untersuchungen können an drei Stellen der lautsprachlichen Kommunikationskette einsetzen: bei den mechano-akustischen Prozessen der Schallproduktion, am akustischen Signal selbst und bei den akustischen Prozessen der Umwandlung in Datensignale bei der Perzeption:

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Akustische Phonetik Der Messung zugängliche Untersuchungsbereiche der lautsprachlichen Kommunikation

Phonations- und Artikulationsbewegungen

Erzeugung eines Schallsignals

Physiologie, Motorik und Akustik der Produktion

Schallsignal

Schallsignal Umwandlung in ein Körper¬ schallsignal

Akustik des Schallsignals

Mechanik der Nerven¬ reizungen Nervenimpulssignale

Akustik und Physiologie der Perzeption

Aus: G. Heike (1972), S. 21 Zwischen den artikulatorischen Daten und dem akustischen Signal und seinen Eigenschaften be¬ steht kein einfacher Zusammenhang (—»Phonetik). Obwohl sich die Artikulationsvorgänge in einige voneinander mehr oder weniger abhängige Observablen zerlegen lassen, besteht kein ein¬ facher Zusammenhang der Art, daß eine artikulatorische Eigenschaft (z. B. die Frequenz der Stimmlippenschwingungen) eine eindeutige Entsprechung in ausschließlich einer akustischen Eigenschaft (z. B. der Periodizitätsfrequenz) hätte. In dem nachstehenden Schema werden be¬ kannte Observablen des Artikulationsprozesses und des Schallsignals einander gegenüberge¬ stellt. Mögliche Zuordnungen sind durch gestrichelte Verbindungslinien angedeutet. Zwischen Eigenschaften des Schallsignals und auditiven Eindrücken bestehen grundsätzlich beliebige Zuordnungsmöglichkeiten, d. h. jeder auditive Eindruck kann durch jeden akustischen Signalparameter bestimmt sein. Allerdings gibt es auch hier gewisse Prioritäten in der Zuordnung (z. B. zwischen Periodizitätsfrequenz und wahrgenommener Höhe):

Aus: G. Heike (1969), S. 41 Fragestellungen der akustischen Phonetik können - wie bereits gesagt - aus allen Bereichen des —* sphäriellen Analysemodells stammen. Besonders zu erwähnen ist jedoch eine Problemstel-

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Akustische Phonetik

lung, die auf eine modellhafte, technisch durchführbare Simulation des gesamten Produktions¬ und Perzeptionsprozesses lautsprachlicher Signale hinzielt. Es handelt sich um zwei bislang von¬ einander zum größten Teil unabhängige Forschungsrichtungen, nämlich die sogenannte automa¬ tische Spracherkennung und die elektronische Sprachsynthese. Während die Sprachsynthese ein mit den heutigen technischen Mitteln und wissenschaftlichen Voraussetzungen lösbar scheinen¬ des Problem ist, hat sich beim Vorhaben der automatischen Spracherkennung in den letzten For¬ schungsjahren herausgestellt, daß aufgrund der akustischen Signalinformation allein das Ziel nicht erreicht werden kann. Vielmehr müssen auch Informationen über syntaktische, gramma¬ tische und semantische Verhältnisse hinzugezogen werden. Hierbei zeigt sich besonders deutlich, daß das taxonomische Phonologiemodell, das eine Unabhängigkeit der phonologischen Ebene postuliert, versagt hat. Zu den apparativen Einrichtungen, die ein an der akustischen Seite der gesprochenen Sprache interessierter Linguist in einem phonetischen Laboratorium vorfinden müßte, gehören: >Oszillograph< mit Schirmbildspeicherung und einer photographischen Vorrichtung zur Aufzeichnung der Schalldruckschwankungen; >Pegelschreiber< oder >Intensitätskurvenschreiber< zur Registrie¬ rung der Schallintensität; >Grundfrequenzanalysator< mit Registrierung (>Melodieschreiber >SonagraphSpektrographSonagrammen< oder >SpektrogrammenBandbreiteFormantGrundfrequenzGrundton1. Harmonische«) ist mit der Periodizitätsfrequenz identisch, braucht aber als Resultat einer Spektralanalyse nicht objektiv vorhanden zu sein (>virtuelle GrundfrequenzHöheTonhöhe< ist quasi¬ synonym, wird jedoch oft für die physikalische Variable des Schallsignals (s. >GrundfrequenzIntensitätPeriodizitätsfrequenzResonanzSchallSchallanalyseSchallanalyse< bei E. Sievers. Hierbei soll es möglich sein, durch auditive und visuelle Beob¬ achtungen des Sprechvorgangs und der Körperbewegungen des Sprechers festzustellen, »unter welchen psychisch-physiologischen Bedingungen überhaupt geformte menschliche Rede zu¬ stande kommt und welche... spezifischen Eigenschaften sie besitzt« (1924, S. 70). >SchalldruckSchallanalyse< und w. u. »Spektrum«. »Spektrum«: Der Name »Spektrum« entstammt dem Sprachgebrauch bei der Zerlegung des Lichts in seine verschiedenfarbigen Bestandteile. Deshalb verwendet man vielfach die genauere Bezeichnung »Frequenzspektrum«. Das Resultat einer Spektralanalyse periodischer Signale wird auch Linienspektrum genannt, wobei die einzelnen Linien die Harmonischen oder Teiltöne nach Frequenz, Amplitude und gegebenenfalls Phase sind. Nichtperiodische Signale besitzen kontinu¬ ierliche Spektren, wobei die Amplitude eine kontinuierliche Funktion der Frequenz aufweist. Lit.: Fant, G. (1970). »»Analysis and Synthesis of Speech Processes«, in: Malmberg, B. (Hrsg ) Manualof Phonetics. Amsterdam/London (Nachdruck), S. 173-277. Flanagan, J. L. (1965). Speech Analysis, Synthe¬ sis, and Perception. Berlin. Heike, G. (1969). Sprachliche Kommunikation und linguistische Analyse HeidelD,cc' (,1972)' l>honolo8le- Stuttgart. Hermann, L. (1894). Pflügers Archiv der gesamten Physiologie

’ n 2 ,5' f°,0S’ M- (1948)- Acoustic Phonetics. Baltimore (= Language Monograph 23).

Lindner,

G.

(1969). Einführung in die experimentelle Phonetik. Berlin. Sievers, E. (1924). »Ziele und Wege der Schall¬ analyse«, in: Festschrift Streitberg. Heidelberg, S. 65-111. Ungeheuer, G. (1964). »Die Schallanalyse von Sievers«, Zeitschrift für Mundartforschung 31, S. 97-124.

Akut, der (lat. acutus, »spitz«, »scharf«). Ein -* Akzent ('). Im Französischen (accent aigu) auf e in offener Silbe zur Kennzeichnung geschlossener Aussprache. Akzent (lat. accentus von accinere wie griech. prosödia von prosädein, »dazusingen«, vgl. dt. »Beton-ungmusikalischem< oder >Tonhöhenakzent< (pitch accent); wird die Hervorhebung dem Merkmal »Intensi¬ tätsanstieg« zugeschrieben, kennzeichnet man die Erscheinung als >dynamischen< oder >exspiratorischen< Akzent. In der Regel sind jedoch mehr als ein Merkmal beteiligt. Substituierbaren Akzent, wie im deutschen Minimalpaar durchsetzen und durchsetzen, bezeichnet man als >WortakzentEpipher< (griech. epiphora), die einen mehrfach wiederholten Textschluß bezeichnet (H. Lausberg 1960, § 629 ff.). Abweichend von dieser Begriffsbedeutung, bezeichnet >Anapher< in der antiken Grammatik seit Apollonios Dyskolos (2. Jh. n. Chr.) die Verweisung im sprachlichen Kontext, in Unterschei¬ dung von dem Begriff der —> >DeixisAnaphoraKatapher< (auch: >Kataphoraanaphorisch< wird eine textuelle Verweisung angesehen, die auf die Vorinformation des voraufgehenden Textes zurückgreift und deren weitere Geltung bestätigt. In binärer Opposition dazu wird als >kataphorisch< die Bedeutung solcher Sprachzeichen be¬ zeichnet, die entweder negativ nicht auf die Vorinformation oder positiv auf die Nachinformation des folgenden Textes aufmerksam macht. Insofern dieser Text noch nicht geäußert ist, sind alle kataphorischen Signale Aufmerksamkeits-Instruktionen, wobei offen bleibt, ob die kataphorisch geweckte Aufmerksamkeit durch den tatsächlich folgenden Text erfüllt oder enttäuscht wird. Man unterscheidet semantische und syntaktische Anaphern (Kataphern). Eine einfache se¬ mantische Anapher liegt vor, wenn man sagt: »Im 1. Kapitel dieses Buches habe ich...«. Der Hinweis »... wie ich im Nachwort noch darlegen werde« ist demgegenüber eine einfache seman¬ tische Katapher. Wichtiger für die Linguistik, weil hochgradig rekurrent im Text, sind die syntak¬ tischen Anaphern und Kataphern. Anaphorische Anweisungen erhält der Hörer grundsätzlich von solchen syntaktischen Morphemen wie den bestimmten Artikeln, Demonstrativ-Pronomina, Possessiv-Pronomina, artikulierten Numeralia usw. Diese Anweisungen bedeuten dem Hörer, daß er zum Verständnis des anstehenden Textsegments die Vorinformation des voraufgehenden Textes berücksichtigen soll. Kataphorische Anweisungen gibt der Sprecher dem Hörer hingegen grundsätzlich durch solche syntaktischen Morpheme wie unbestimmte Artikel, unartikulierte Numeralia sowie einige Demonstrativa und Possessiva. Sie erzeugen eine Erwartung, die sich auf den Folgetext richtet. Anaphorische ebenso wie kataphorische Signale sind gewöhnlich nicht an Satzgrenzen gebunden. Sie sind textuelle Signale.

Lit.: Apollonios Dyskolos, Vier Bücher über die Syntax, übersetzt und erläutert von A. Buttmann, Berlin 1877. Bühler, K. (1934). Sprachtheorie. Jena, Nachdruck Stuttgart 1965. Halliday, M. A. K. (1962). »The Linguistic Study of a Literary Text«, in: Proceedings of the IXth International Congress of Linguistics, Cam¬ bridge, Mass. The Hague 1964, S. 302-307. Lausberg, H. (1960). Handbuch der literarischen Rhetorik. 2 Bände’, München. Raible, W. (1972). Satz und Text. Untersuchungen zu vier romanischen Sprachen. Tübin¬ gen. Ders. (1972). »Textlinguistische Überlegungen zu neutestamentlichen Texten«, in: Gerber, U./ Güttgemanns, E. (Hrsgg.), »Linguistische« Theologie. Bonn, S. 9-26. Weinrich, H. (1969). »Textlinguistik. Zur Syntax des Artikels in der deutschen Sprache«, Jahrbuch für internationale Germanistik I, S. 61-74.

Anaphora

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Anaphora. = —> Anapher. Anfangsunterricht. —> Unterrichtsphasen. Angelpunkt-Grammatik (engl, pivot grammar). Von Braine (1963) eingeführte Bezeichnung für die syntaktische Struktur der entwicklungspsychologisch frühesten sprachlichen Äußerungen von mindestens zwei Wörtern, die den —* Einwortsatz ablösen. Sie werden in Termini von zwei Klas¬ sen beschrieben: Angelpunktwörter (pivots, P) und offene Wörter (O). Ein Zweiwortsatz kann die Strukturen S-^O + O, S —>P + O oder S —>0 + P aufweisen. Die Angelpunktwörter sind in erster Linie, was man in der Erwachsenensprache als Funktionswörter bezeichnet (Artikel, Demonstrativa, Possessiva, Hilfsverben) oder was diesen entspricht; die Wörter der offenen Klasse umfassen im wesentlichen Inhaltswörter (Substantive, Verben). Die weitere Entwicklung der Syntax wird als Differenzierung der beiden Klassen verstanden (McNeill 1970). Lit.: Braine, M. D. S. (1963). »On Learning the Grammatical Order of Words«, Psychological Review 70, S. 323-348. Ders. (1963). »The Ontogeny of English Phrase Structure. The First Phase«, Language 39, S. 1-13. Mc Neill, D. (1970). The Acquisition of Language. The Study of Developmental Psycholinguistics. New York.

Angewandte Linguistik. Umfaßt die Übersetzungswissenschaft (—»• Übersetzen), Bereiche der Kommunikationsforschung, der Datenverarbeitung (—»Linguistische Datenverarbeitung), der Medizin (Sprachtherapie und Stimmschulung) u. a. m. Ihre Ergebnisse werden aber vor allem für den mutter- und fremdsprachlichen Unterricht nutzbar gemacht. (Zur Definition der Ange¬ wandten Linguistik vgl. u. a. Corder 1971; Hüllen 1970, S. 24ff.; Mackey 1966, S. 97 ff.; Malm¬ berg 1967, S. 1 f.; Nickel 1967, S. 24ff.) Die Bezeichnung >Angewandte Linguistik ist irrefüh¬ rend, insofern als es sich nicht einfach um die Anwendung linguistischer Theorien handelt; sie kommt eher einer Arbeitsdefinition gleich, da eine befriedigende theoretische Grundlegung bis heute fehlt. So zeigt der thematische Überblick bereits, daß es durchaus Gebiete innerhalb der Angewandten Linguistik gibt, die wenig mit Linguistik zu tun haben. Auch innerhalb des Sprach¬ unterrichts, der insgesamt von der Angewandten Linguistik erfaßt wird, gibt es viele Gebiete, die ihrerseits mit Linguistik wenig zu tun haben: u. a. die Unterrichtstechnologie unter Einschluß der Mediendidaktik, bei welcher z. B. die Bildfunktion eine besondere Rolle spielt, die zwar von der Semiotik, nicht aber von der reinen Linguistik theoretisch begründet wird. - Die Angewandte Linguistik ist ebensowenig wie die theoretische Linguistik etwas gänzlich Neues. Ihre Entwick¬ lung führt von antiken Schulen der Rhetorik über Philologen und Sprachwissenschaftler wie Comenius, Palmer, Sweet, Vietor bis zu den modernen linguistischen Schulen. Immer wieder zeigten Theoretiker, wenn auch in der Minderzahl, Interesse für Fragen des Sprachunterrichts. Laut S. P. Corder (1971) hat die Anwendung der Linguistik auf den Sprachunterricht den Zweck, »... to improve the efficiency of language teaching in whatever Situation, by basing decisions in planning the teaching Operation upon what is known as a result of scientific investigation into the nature of language, how it is learned and how it functions in the individual and in society. The series of ordered procedures within this branch of applied linguistics has as its output a syllabus and an associated set of teaching materials for any particular teaching Operation which have been validated by a set of appropriate tests. The set of procedures is logically structured in a hierarchically ordered series of operations such that the output from one Order of operations is the input to the next. At each order of application a different set of theoretical principles is called into play: this can be shown by a diagrammatic representation:

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Angewandte Linguistik Application

Theory

Process

First order

linguistic and sociolinguistic

description --> language utterances

Second order

linguistic and sociolinguistic

comparison and selection

descriptions of -^ languages

Third order

linguistic sociolinguistic and psycholinguistic

Organization and presentation

content of -^ syllabus

Data

1 i 4-

teaching materials Aus: S. P. Corder (1973), S. 156

Dieses Modell zeigt deutlich einen hierarchischen Aufbau, an dessen Spitze die Leistungsmes¬ sung und an dessen Basis linguistische bzw. soziolinguistische Daten stehen. Die Daten sind ab¬ hängig von der Theorie, aufgrund welcher sie gewonnen werden. Oft wird der Angewandten Lin¬ guistik das Fehlen einer grundlegenden Theorie zum Vorwurf gemacht, und es werden sowohl der Disziplin als auch der Bezeichnung eine Daseinsberechtigung abgesprochen. Corder (1973) sieht zur Verteidigung in der Angewandten Linguistik eine »Tätigkeit«: »The application of linguistic knowledge to some object - or applied linguistics as its name implies - is an activity. It is not a theoretical study. It makes use of the findings of theoretical studies. The applied linguist is a consumer, or user, not a producer, of theories. If we use the term >theory< as it is used in Science then there is no such thing as >theory of language teaching< or a >theory of speech therapy< or a >theory of literary criticismAngewandte Linguistik« in dem in der Praxis verbreiteten Sinn verstanden: als Überführung linguistischer Erkenntnisse in direkter oder indirekter Form in den Sprach-, be¬ sonders in den Fremdsprachenunterricht. Ein Beitrag der Linguistik liegt in den verschiedenen Grammatikmodellen vor. Sie können direkt zur Sprachreflexion, besonders im muttersprachli¬ chen Unterricht, verwendet werden, wie Richtlinien in einigen Bundesländern (u. a. NordrheinWestfalen, Hessen) bereits vorsehen. Diese Verwendung von Grammatikmodellen kann auch indirekt zumindest bei bestimmten Lernertypen Einfluß auf den Lernprozeß nehmen, da heute wieder stärker das kognitive Element, d. h. die Bewußtmachung von Regeln, in den Vordergrund gerückt wird. Grammatikmodelle, die oft mit unterschiedlichen philosophischen und lernpsycho¬ logischen Vorstellungen verknüpft werden, haben jedoch, zunächst einmal für den Lehrer und Lehrbuchautor, auch Bedeutung für die Präsentation von linguistischen Daten im Unterricht und im Lehrwerk: In der traditionellen Grammatik wird a) die Beschreibung der jeweiligen Einzelsprache in vielen Fällen dem Schema der lateinischen Sprache angepaßt; b) die Klassifizierung der Redeteile nach oft uneinheitlichen Prinzipien vorgenommen; c) die geschriebene Sprache als Grundlage der Analyse angesetzt; d) werden die synchrone und diachrone Ebene vermischt, indem man präskriptiv oft an über¬ holten Regeln festhält, die historisch begründet werden. Besonders das dritte Kriterium ist von Einfluß auf den Fremdsprachenunterricht. Nach heuti-

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ger Lernzielbestimmung und den entsprechenden Richtlinien soll vor allem der mündliche Sektor für Kommunikationszwecke dargestellt und gelernt werden. Bei einem an der traditionellen Grammatik orientierten Unterricht kommt sowohl phonetisch als auch idiomatisch die gespro¬ chene Sprache zu kurz. Beispielsweise werden bei der paradigmatischen Darbietung der frz. Konjugation die Personalformen oft anhand des Schriftbilds gelernt, statt bei den vielen gleich¬ lautenden Formen zunächst vom phonetischen Gesichtspunkt auszugehen. Außerdem sind in traditionellen neusprachlichen Grammatiken die Schwerpunkte oft von der klassischen Gram¬ matik her bestimmt, was u. a. dazu führt, daß man auf sprachlichen Erscheinungen beharrt, deren Bedeutung in heutiger Sprache abgenommen hat. Ein Beispiel wäre die Behandlung des Kon¬ junktivs in Grammatiken des Deutschen für Deutsche, aber auch für Ausländer, wo noch auf Unterschiede hingewiesen wird, die in vielen Fällen kaum mehr wichtig sind: Man vergleiche u. a. Man sagte, a) er sei krank; b) er wäre krank; und c) er ist krank. Hier kommt außerdem das Problem der Norm hinzu, das oft historisch gesehen wird. Andererseits wird bei der Normenfrage nicht durchgehend das historische Prinzip befolgt, sonst gäbe es z. B. gegen die austauschbare Verwendung von trotzdem und obgleich als Konjunktion keinen Widerstand, da beide Formen historisch abgesichert sind. Dagegen wird bei der Strukturalen Sprachwissenschaft (—> Strukturalismus) a) die Analyse der jeweiligen Einzelsprache nach den in ihrem System vorhandenen Gegeben¬ heiten vorgenommen; b) die Klassifizierung der Redeteile einheitlich nach formalen Prinzipien durchgeführt; c) die gesprochene Sprache als Grundlage der Analyse angesetzt; d) deskriptiv und rein synchronisch gearbeitet. Beispielhaft für die strukturale Methode ist das Werk The Structure of English von C. C. Fries (1952). Fries nimmt als Untersuchungsmaterial Tonbandaufnahmen von fünfzig Stunden Dauer, in denen Telefonunterhaltungen gebildeter Amerikaner gespeichert sind. Ausgangspunkt seiner Analyse ist also die gesprochene Sprache, wobei zudem der Dialogcharakter das stimulus-response-Prinzip widerspiegelt. Die Wahl dieses Materials gewährleistet auch, daß außerlinguisti¬ sche Faktoren wie Gestik und Mimik weitgehend ausgeschaltet werden, und es verbürgt gleich¬ zeitig, daß streng synchronisch beschrieben werden kann. Bei seiner formalen Analyse (Substitutionstechnik in Satzrahmen; —» Distributionalismus) kommt er auf vier Redeteile, die im großen und ganzen den traditionellen Kategorien >SubstantivVerbAdjektiv< und >Adverb< entsprechen. Um aber zu unterstreichen, daß sie auf formalem Wege gewonnen sind, nennt er sie Class 1, Class 2, Class 3 und Class 4 words. Hinzu kommt noch eine kleine Anzahl von Funktionswörtern (154 in seinem Material), die er ebenfalls mit Hilfe der Substitutionsme¬ thode in fünfzehn Gruppen einteilt. Bei der Interpretation von Sätzen geht er streng von der Form aus und gelangt über sie zur Bedeutung; in diesem Sinne hat er auch die Grammatik definiert: »The grammar of a language consists of the devices that signal structural meanings« (S. 56). Die Mittel zum Ausdruck der strukturellen Bedeutung sind für das Neuenglische: a) Wortstellung, b) Funktionswörter, c) formale Gegensätze (friend, friends, friendly, friendliness, befriend), d) suprasegmentale Faktoren (wie Sprechpause, Betonung, Intonation). Dabei wird die strukturelle Bedeutung eines Satzes meistens durch eine Kombination der angegebenen formalen Kriterien aufgezeigt. Vor allem geschieht dies durch Wortstellung und Funktionswörter (to, of u. dgl.). Zieht man z. B. das Lateinische als Vergleich heran, so fällt in dieser Sprache den Flexionsmor¬ phemen die Hauptaufgabe bei der Erschließung der strukturellen Bedeutung zu. Die Mittel, wel¬ che die strukturelle Bedeutung ausdrücken, sind also von Sprache zu Sprache verschieden. Im Deutschen unterstreicht die Großschreibung zusätzlich die strukturelle Bedeutung, die allerdings auch schon durch den Artikelgebrauch ausreichend charakterisiert wird.

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Nach W. N. Francis (1964) sind für eine strukturale Theoriebildung folgende vier Kriterien notwendig: 1. simplicity, 2. consistency, 3. completeness, 4. usefulness for predicting the behavior of phenomena not brought under immediate observation when the theory was formed. Auch Fran¬ cis sieht die Form als das entscheidende und objektive Kriterium an, auf das allein man sich ver¬ lassen kann. Eine dermaßen strikt formale Unterscheidung führt bei einem anderen strukturalen Grammatiker dazu, im Englischen z. B. Adjektive des Typs beautiful und des Typs big getrennt zu betrachten, da jene analytisch durch more und most und diese synthetisch durch Anhängungen von -er und -est gesteigert werden. Während die erste Kategorie adjectival genannt wird, wird die zweite als wirkliches adjective definiert. Dabei wird deutlich die Funktion gegenüber der Form vernachlässigt, was auch für deutsche Grammatiken gilt, wenn sie z. B. das prädikative Adjektiv mit dem Adverb zusammen sehen, da zwischen beiden kein formaler Unterschied be¬ steht. Sowohl theoretisch als auch vom didaktischen Standpunkt her ist dieses Zusammenfallen¬ lassen fragwürdig. - Der amerikanische Strukturalist H. A. Gleason (1965) hat in ähnlicher Weise versucht, den weiten Bereich des Adverbs im Englischen durch verschiedene Formkrite¬ rien zu unterteilen, wobei er als eigentliche Adverbien Formen wie very bezeichnet, die intensi¬ vierende Funktion gegenüber Adjektiven besitzen. Dazu kommen dann andere Klassen, die z. B. satzeinleitende und -verbindende Funktion haben (S. 129 ff.). Die Anwendung der strukturalen Methode im Sprachunterricht ist nicht ohne Nachteile ge¬ blieben, wie: a) Überbetonung des Mündlichen; b) Mangel an Präskriptivität; c) Verwirrung durch uneinheitliche Terminologie; d) zu starke Betonung von Oberflächenphänomenen, die es erschwert, oberflächlich ähnliche Konstruktionen voneinander zu trennen; e) Vernachlässigung der Kreativität des Sprechakts durch mitunter starren Glauben an behavioristische Lernprinzipien. Die Auseinandersetzung mit Unzulänglichkeiten der strukturalen Grammatik hat zur Ent¬ wicklung der Generativen —> Transformationsgrammatik durch N. Chomsky u. a. mit Rückwir¬ kungen auch auf den Sprachunterricht geführt. Während die strukturale Grammatik von einem —> Corpus Vorgefundenen sprachlichen Materials ausgeht, will die Generative Transformations¬ grammatik die Fähigkeit des Hörers erklären, eine beliebig große Anzahl von grammatischen Sätzen zu bilden und zu verstehen. Im Gegensatz zu Fries definiert Chomsky (1961) die Gram¬ matik einer Sprache als »an hypothesis about the principles of sentence formation in this language. It represents a factual Claim concerning the rules that underlie the data that have been collected. We judge the truth or falsity of this hypothesis by considering how well the grammar succeeds in organizing the data, how satisfying an explanation it provides for a wealth of empirical observations, how far-reaching are its generalizations, how successfully it accommodates new data« (S. 219). Der Strukturalismus ging in positivistischer Weise nicht über die physisch wahr¬ nehmbaren Gegebenheiten hinaus: Segmentierung und Klassifizierung einer Folge von Sprachlauten. Die Generative Transformationsgrammatik hingegen forscht in rationalistischer Weise nach abstrakten Regelmäßigkeiten, die den sprachlichen Gegebenheiten zugrundeliegen. Die Strukturalisten schließen vom konkreten Sprachmaterial auf das Sprachsystem. Die Generativen Transformationalisten hingegen gehen bei ihrem Bestreben, den Mechanismus der Bildung aller wohlgeformten (-grammatischen) Sätze zu beschreiben, vom Sprachsystem aus; bei ihrem Urteil über die Wohlgeformtheit von Sätzen berufen sie sich auf die Intuition des Muttersprach¬ lers. Die Generative Transformationsgrammatik ist eine Theorie der sprachlichen —> »Kompe¬ tenz«. Sie will erklären, wie mit einem offensichtlich endlichen Inventar an Regeln - denn das

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menschliche Gehirn kann keine unendliche Menge von Sätzen speichern - eine unendliche Menge von Sätzen produziert werden kann. Bei der Erklärung des der Sprachkompetenz zu¬ grundeliegenden Mechanismus geht sie vom Satz aus, den sie mit Hilfe von Regeln in kleinere Einheiten aufgliedert. Demgegenüber begann die Sprachbeschreibung des Strukturalismus ge¬ wöhnlich mit dem Phonem und hörte beim Satz auf (vgl. den Untertitel von Hill [1958] Front Sound to Sentence in English). Wesentliche Fortschritte der Generativen Transformationsgrammatik liegen in a) ihrem Systemcharakter, besonders in ihrer Verwandtschaft mit der Traditionsgrammatik; b) in ihrer Explizitheit; c) in ihrem regelmäßigen Aufbau; d) in ihrem Interesse am Satz als Ganzem, wobei oft auch Satzgrenzen überschritten werden, um grammatische Zusammenhänge aufzuzeigen; e) in ihrer Produktivität, die darin besteht, mit einer finiten Zahl von Regeln eine infinite Zahl von Konstruktionen zu erzeugen; f) in ihrer Unterscheidung zwischen —» Oberflächen- und —»Tiefenstrukturen, wodurch sie einen nicht unerheblichen Teil von —> Ambiguitäten erklären kann (etwa: Es wurde der Brief von Hans vorgelesen.)\ g) in ihrem Interesse an —» Universalien; h) in ihrem Bestreben um die Aufklärung der Beziehung zwischen Lexis und Grammatik; i) in ihrem besonderen Interesse an der Herstellung eines Bezugs zur Lernpsychologie. Da Lexis, Semantik und Syntax in engem Zusammenhang gesehen werden, ergeben sich mehr Möglichkeiten zu Subklassifizierungen, wie sie schon im Strukturalismus begonnen wurden (vgl. oben Gleason in Verbindung mit dem Adverb). So erweist sich z. B. im Englischen die traditio¬ nelle Unterscheidung von »statischen« und »dynamischen« Adjektiven und Verben als nicht ganz zutreffend, wie sich insbesondere anhand der Kategorie des Aspekts feststellen läßt: Lon¬ don lies on the Thames vs. She is lying in the grass bzw. She is beautiful vs. She is charming. Für den Schulunterricht ergibt sich daraus die Möglichkeit, die komplizierte Tatsache zu erklären, daß es einerseits Verben gibt, die nicht die erweiterte Form dulden (u. a. Zustandsverben), ande¬ rerseits Adjektive, die zum Ausdruck einer Aktivität in diese Form gesetzt werden können (vgl. Lyons 1968, S.330;und für weitere Subklassifizierungen S.l 53 ff.und 167 ff. ;ferner Nickel 1967). Aber den Vorteilen der Generativen Transformationsgrammatik und ihrer Anwendung im Sprachunterricht stehen ebenfalls Nachteile gegenüber, insbesondere a) ihr komplizierter und oft sehr abstrakter Regelapparat, der ihre direkte Überführung in die Unterrichtspraxis erschwert; b) Uneinheitlichkeit innerhalb dieser Theorie; c) vorwiegendes Interesse an der Kompetenz, wohingegen die Performanz immer noch stark vernachlässigt wird, die aber wiederum für praktische Zwecke besonders wichtig ist; d) die Vernachlässigung der Kommunikationskompetenz, die eine wesentlich konkretere Form der abstrakten allgemeinen Kompetenz darstellt und außerlinguistische Faktoren wie Gestik und Mimik usw. einschließt; e) die Tatsache, daß mit Hilfe dieses Grammatikmodells noch keine vollständige Beschreibung eines sprachlichen Systems abgegeben worden ist (vgl. Roulet 1972). Man darf jedoch nicht vergessen, daß die Generative Transformationsgrammatik nicht etwa beschreiben will, wie der Sprecher sein Regelwissen benutzt, um Sätze zu formulieren und zu interpretieren. Vielmehr handelt es sich um einen abstrakten Regelmechanismus, der zur -> Langue-Ebene gehört. Erst auf dieser Ebene sollte dann ein Modell aufgebaut werden, daß tatsächlich Bestandteil der Parole-Ebene ist.

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Mit der Transformationsgrammatik ist die —> Kasusgrammatik darin verwandt, daß sie anstelle von Oberflächeneinheiten wie >Subjekt< und >Objekt< semantische Tiefenstrukturelemente ein¬ führt. Die —* Valenztheorie (auch —> Dependenzgrammatik) untersucht insbesondere die Funk¬ tionen des Verbs (über ihre Bedeutung für den Sprachunterricht vgl. Heringer/Öhlschläger 1973). Kommunikationskonturen und -rhythmen innerhalb eines Satzes und darüberhinaus im Rahmen der Thema-Rhema-Theorie (—► Funktionale Satzperspektive) ermöglichen eine klare Darstellung des Artikelgebrauchs (vgl. Weinrich 1969) sowie des Wechsels zwischen Aktiv und Passiv vgl. Firbas 1959, Nickel 1968). Diese und andere Grammatikmodelle (—»Stratifikationsgrammatik, —»Tagmemik, usw.) haben z. T. nur wenig Eingang in den Sprachunterricht gefun¬ den. Je nach dem Modell, das man zugrundelegt, können Wortarten verschieden definiert, Unterscheidungen (Subklassifizierungen) von unterschiedlicher Genauigkeit getroffen und Regeln verschieden formuliert werden. Beziehungen zwischen Lexis und Syntax können ver¬ schieden dargestellt, —» Grammatikalität und —»Akzeptabilität unterschiedlich bestimmt, das grammatische Material in verschiedener Reihenfolge entsprechend den Zusammenhängen, die ein Grammatikmodell sieht, gebracht und der Satz sowie einzelne grammatische Probleme in einem größeren Kontext gesehen werden, usw. Aber auch die lernpsychologischen Grundlagen, die den Grammatikmodellen unterliegen, sind oft verschieden. Während bei der Generativen Transformationsgrammatik Kreativität den Vorzug erhält, ist es beim Strukturalismus mehr das behavioristische stimulus-response-Prinzip. Damit ist die Frage verbunden, ob die Schulgrammatik eine —* Signalgrammatik oder eine —► Regelgrammatik sein soll und wie weit folglich pattem drills eine zentrale Rolle innerhalb des Lehrmaterials spielen sollen oder ob mehr kreative Übungen wie z. B. bestimmte Transforma¬ tionsübungen vorzuziehen sind. Damit verbunden ist auch die Frage, welche Funktion der Gram¬ matik bzw. deren expliziter Darstellung und dabei wiederum der Verwendung der Mutter- bzw. Fremdsprache (—» Einsprachigkeit) zukommen soll. Ein grundsätzliches Problem der Angewandten Linguistik ist die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher Grammatik und pädagogischer Grammatik. Unter »pädagogischer Gram¬ matik« wird dabei eine Grammatik verstanden, die sich jeweils desjenigen Grammatikmodells oder in eklektischer Weise einer Kombination von Grammatikmodellen bedient, die in einer be¬ stimmten grammatischen Situation die einfachere Erklärung geben. Außerdem kann sich eine solche Grammatik auch überholter Vorstellungen bedienen, wenn sie didaktische Vorteile bie¬ ten. Dazu gehört z. B. die Unterscheidung in Kern- und Nicht-Kernsätze, wie sie in der ersten Phase der Generativen Transformationsgrammatik getroffen wurde. Auch Oberflächen- und Tiefenstrukturerklärungen, die z. T. längst wissenschaftlich überholt sind, können weiterhin bei der Erklärung grammatischer Phänomene (z. B. der Ambiguität) hilfreiche Dienste leisten (vgl. Thomas 1965). Im Gegensatz zu einer wissenschaftlichen Grammatik kann eine pädagogische Grammatik also auf wichtige Prinzipien wie das der Konsistenz und Einheitlichkeit verzichten. Dafür muß sie jedoch abgerundet und im didaktischen Sinne vollständig sein, zwei Qualitäten, die viele »wissenschaftliche Grammatiken« wiederum nicht aufweisen. Nicht nur Pädagogen, sondern auch Linguisten bezweifeln heute den Beitrag der theoretischen Linguistik, besonders ihrer Modellforschung, zum Sprach- und besonders zum Fremdsprachen¬ unterricht. Auf keinen Fall ist die von Theoretikern so oft vertretene Meinung heute noch halt¬ bar, wonach das beste theoretische Grammatikmodell kraft seiner linguistischen Qualität gleich¬ zeitig auch das beste für den Unterricht wäre. Es gibt genügend Beispiele dafür, daß hervorragend abstrakt und umfassend formulierte linguistische Regeln das Lernverständnis bei der praktischen Umsetzung nicht fördern. Wohl aber sollte eine Annäherung in mehrfacher Hinsicht zwischen muttersprachlichem und fremdsprachlichem Unterricht gefordert werden, die u. a. darin beste-

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hen kann, daß linguistische Erkenntnisse, die an der Muttersprache gewonnen wurden, auf neue Zielsprachen übertragen werden. Es muß dabei allerdings deutlich auf die unterschiedliche grundsätzliche Rolle von Grammatiken im muttersprachlichen und fremdsprachlichen Unter¬ richt hingewiesen werden. Der Muttersprachler hat von Anfang an seine Grammatik durch Beobachtung, Analyse, Synthese, Analogieschlüsse usw. aufgebaut und besitzt ein solides »Sprachgefühl«, das ihn die richtige Entscheidung in den meisten Fällen treffen läßt. Hier können also oft unbewußte Grammatikkenntnisse für Reflexionen verwendet und gleichzeitig dabei be¬ wußtgemacht werden (>Bewußtmachungsgrammatik< bzw. >Identifizierungsgrammatiktechnology< of language teaching« (S. 43). Einige Seiten weiter zeigt sich dann aber auch Chomskys Kompromißbereitschaft: »Teachers, in particular, have a responsibility to make sure [the linguists’] ideas and proposals are evaluated on their merits and not passively accepted on grounds of authority, real or presumed. The field of language teaching is no exception. It is possible - even likely - that principles of psychology and linguistics, and research in these disciplines, may supply useful insights to the language teacher. But this must be demonstrated and cannot be presumed. It is the language teacher himself who must validate or refute any specific proposal« (S. 45). b) Das jeweils beste wissenschaftliche Grammatikmodell ist automatisch auch die beste Grundlage für eine pädagogische Grammatik, da es nur eine Wahrheit geben kann: »If linguistics has any contribution to make to language teaching it is this: to make explicit in general and in particular what is learned. To the extent that transformational grammar provides the best description, it by definition also provides the best basis for application. It is incongruous to argue that some less adequate formulation can be successfully applied when a more adequate one can not« (Saporta 1967, S. 88). c) Keine linguistische Theorie steht in direktem Zusammenhang mit Sprachunterricht und kann ihn deswegen auch nicht beeinflussen. Daraus kann der linguistischen Theorie kein Vorwurf gemacht werden, da sie andere Zielsetzungen hat. Die praktische Zielsetzung des Sprachunter¬ richts erfordert sach- und zielbezogene Änderungen wissenschaftlicher Grammatiken. Keine der bestehenden Grammatiken ist vom pädagogischen Standpunkt aus gesehen eine ideale »pädago¬ gische Grammatik«. Deutlich wird hier der Gegensatz zur theoretischen Linguistik: »I am personally and professionally interested in the problems of teaching English and only peripherally interested in the problems of theoretical linguistics. To achieve my primary aim in the best way I know I must risk offending those whose Professional interest is in theory. I admire and respect them, but there is little I can do to enlighten them« (Thomas 1965, S. VII). Bisher wurde die Linguistik als eines in einer Reihe von Elementen herangezogen, um Frage¬ stellungen wie die der Darstellung linguistischer Daten und z. T. auch der linguistischen Progres¬ sion in Unterrichtsmaterialien zu erläutern. Im folgenden geht es um das Problem der Selektion von linguistischen Daten für den Sprachunterricht: Je nach Unterrichtsziel, Motivation, Richtli-

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nien, Altersgruppen usw. muß die Angewandte Linguistik das sprachliche Material auswählen. Dabei liegt der Beitrag der Linguistik darin, die sprachlichen Daten deskriptiv bereitzustellen und insbesondere auch soziolinguistische Momente, wie sie u. a. zur Klärung der Normfrage wichtig sind, zu berücksichtigen. Darüberhinaus sind auch außersprachliche Faktoren (Gestik, Mimik, Verhaltensformen im muttersprachlichen und fremdsprachlichen Bereich) einzubezie¬ hen. Besonders beim Fremdsprachenunterricht ist zu prüfen, welche Bedeutung dem Geschriebe¬ nen und welche Bedeutung hingegen dem Gesprochenen zukommen muß (s. o.). Beide Sprachformen unterscheiden sich voneinander durch Aussprache, Grammatik und Wortschatz, und da sich die Lernzielsetzung meistens auf beide Formen erstreckt, wird ein Ausgleich zwischen ihnen geschaffen werden müssen. Dabei ist zusätzlich zu beachten, daß nicht alle linguistischen und außerlinguistischen Daten des Zielsprachenbereichs in den Unterricht dieser Sprache als Fremd¬ sprache eingehen können, weil häufig die Gefahr besteht, daß soziolinguistische Normen verletzt werden (Argot bzw. Slang, Fluchwörter, institutionalisiertes Stottern innerhalb bestimmter eng¬ lischer Kreise u. dgl.; es kommt hinzu, daß der native Speaker seinerseits dazu neigt, den Gebrauch gewisser Sprachformen durch einen erkennbar nicht-muttersprachlichen Sprecher als ungehörig zu empfinden). Für didaktische Zwecke muß die Sprachrealität daraufhin gefiltert werden, das verwendete Corpusmaterial aber einwandfrei natürlich sein, wobei auch mögliche Hintergrundgeräusche erhalten bleiben müssen; die Beschäftigung mit zu stark aufbereitetem Material kann den Schüler nicht auf die Decodierung mündlicher Rede in natürlichen fremd¬ sprachlichen Situationen vorbereiten. Weiterhin muß eine corpusorientierte Grammatik den verschiedenen Stilebenen Rechnung tragen. Besonders im Fremdsprachenunterricht ist eine klare Zielbestimmung notwendig, weil Dialekte und Register durch ihre mitunter weite Gestreutheit eine zusätzliche Belastung für den Lernprozeß bedeuten und daher auf notwendig¬ ste Elemente zu beschränken sind. Als eine vor allem didaktische Hilfe ist deshalb auch das Phä¬ nomen der Received Pronunciation zu verstehen, jener neutralen überregionalen Form des Eng¬ lischen, die vor allem internationaler Kommunikation dienen soll und sich für diesen Zweck seit langem bewährt hat, auch wenn sie innerhalb der englischsprachigen Welt bzw. unter englisch¬ sprachigen Sprechern weitgehend eine Fiktion geblieben ist. Auch die »Fachsprachen« stellen eine wichtige Aufgabe der Angewandten Linguistik dar, kann sie doch für bestimmte Unter¬ richtszielsetzungen sowohl in der Lexis als auch in der Grammatik stark vereinfachtes und auf diese Zielsetzung orientiertes Material bereitstellen. Soziolinguistische Ergebnisse lassen sich in zweifacher Hinsicht auf die Produktion von Lehrmaterial anwenden: erstens für die Aufberei¬ tung und Darbietung sprachlichen Materials, zweitens in Verbindung mit der -> Psycholinguistik bei der Erkennung von Sprachbarrieren (—> Soziolinguistik: Historische Entwicklung und Para¬ digmen), die zunächst für den muttersprachlichen Bereich gelten. Da aber oft wenigstens teil¬ weise mit einem Transfer (-^dort: 1) muttersprachlicher Fähigkeiten auf fremdsprachliche Fer¬ tigkeiten gerechnet werden muß, ist dieser Faktor auch für den Zweitsprachenerwerb nicht gänz¬ lich unwichtig. (Versuche, Stilebenen, Situationen und Register zu unterteilen, von Halliday/McIntosh/Strevens 1972; vgl. auch Crystal/Davey 1969. Wegen soziologischer Aspekte vgl. Hymes 1964, Fishman 1969, Klein/Wunderlich 1971, Oevermann 1970, Rucktäschl 1972.) Zu den weiteren Aufgaben der Angewandten Linguistik im Dienste des Fremdsprachenunter¬ richts gehören u. a. Fragen der linguistischen

* Progression, die

* Kontrastive Linguistik und

—> Fehlerkunde sowie Probleme der —» Leistungskontrolle und der Lernpsychologie. Lit.: Chatman, S. (Hrsg.) (1971). Literary Style. A Symposium. London/New York S. 221-240. Chomsky, N. (1961). »Some Methodical Remarkson Generative Grammar«, Word 17, S. 219ff. Ders. (1966). »Linguistic Theory«, North East Conference on the Teachingof Foreign Languages;\gl. auch in: Corder (1973),

Anlaut

38

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Anlaut. Erster Laut, insbesondere einer Silbe oder eines Wortes; Gegensatz >Auslautabsoluten< An- oder Auslaut bezeichnet man den Beginn bzw. das Ende einer sprachlichen Äußerung nach bzw. vor einer Sprechpause. Anomalie (griech. anömalia >Ungleichheit Artikulation. Antonymie (griech. and, >gegenNameSynonymieunbestimmt Aspekt), nicht einfügen ließ. Der Aorist bezeichnete im wesentlichen aufeinanderfolgende Handlungen und entsprach daher in seiner Verwendung dem lateinischen perfectum und romanischen Historischen Perfekt (passe simple oder defini im Frz.). Apex, der (lat., >SpitzeGipfelWegnahmeBeraubungBedeutungserweiterung< hat sich der Anwendungsbereich eines Wortes ausge¬ dehnt. Schulbeispiel dafür ist das nhd. Wort Frau, das im Mhd. auf adlige frouwen beschränkt war. Umgekehrt bezeichnete mhd. höchzit jedes Fest, nhd. Hochzeit nur noch die Vermählungs¬ feier, was einer >Bedeutungsverengung< gleichkommt. Mit >Bedeutungsverbesserung< meint man die Aufwertung, mit >Bedeutungsversehleehterung< die Abwertung eines Wortes. So bezeichnete mhd. marschalc einen Pferdeknecht, nhd. Marschall dagegen einen hohen militärischen Rang, während umgekehrt mhd. wip dem heutigen Frau entsprach, nhd. Weib dagegen Schimpfwort sein kann. Begabungsdifferenzierung. Eine Möglichkeit der —> Differenzierung (2) in der Fremdsprachen¬ didaktik. Behaviorismus (engl, behavior, >VerhaltenVerhalten< wird von J. B. Watson (1878-1950), dem Begründer der behavioristischen Psychologie, verstanden und analysiert als >Reaktionen< (responses) von Organismen auf äußere und innere >Reize< (Stimuli). Die Analyse motorischer und viszeraler Reaktionen als Funktion von Reizen entspricht einer S(timulus)-R(esponse)-Theorie des Verhaltens (1913). Sprache wird seit Watson als (sprach-)motorische Reaktion bzw. bei B. F. Skinner (1957) als »verbales Verhalten« mit in die behavioristische Analyse einbezogen, wo¬ gegen N. Chomsky seinen kreativen Sprachbegriff gesetzt hat (vgl. insbesondere 1959; auch —> Transformationsgrammatik). Die Betonung der Umwelt-(Reiz-)Einflüsse auf das Verhalten (Empirismus) hat ihren Nie¬ derschlag in behavioristischen Lerntheorien gefunden, denen neuerdings ebenfalls wieder kogni¬ tivere Lerntheorien gegenüberstehen (-^Angewandte Linguistik). Lit.: Chomsky, N. (1959). Rezension über B. F. Skinner, Verbal Behavior (s. u.), Language 35, S. 26-58. Skinner, B. F. (1957). Verbal Behavior. New York. Watson, J. B. (1913). »Psychology as the Behaviorist Views It«, Psychological Review 20, S. 158-177. Ders. (1919). Psychology from the Standpoint of a Behavio¬ rist. Philadelphia (21924). Ders. (1924). Behaviorism. Chicago; deutsch: Behaviorismus, Köln 1968 (nach der 2. Auflage von 1930).

Bekräftigung (engl, reinforcement). Jede Bedingung oder Aktivität, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer (zu lernenden oder gelernten) Reaktion erhöht. Bei der klassischen —» Konditionierung< wird die bedingte Reaktion durch den unkonditionierten Reiz bekräftigt;

Beschränkungen

65

der Bekräftiger geht also der Performanz voran. Bei der >instrumentellen Konditionierung< be¬ kräftigt ein dem zu lernenden Verhalten folgendes Ereignis. Das bekräftigende Ereignis kann entweder dem Organismus zuträglich sein (>positive Bekräftigung«) oder aber in der Beendigung eines dem Organismus abträglichen Zustands bestehen (>negative Bekräftigung«), Beispiele für positive Bekräftigung sind Nahrung, Lob; für negative Bekräftigung Beendigung eines Schmer¬ zes, einer Behinderung. Für die Analyse sprachlichen Verhaltens ist die Unterscheidung zwischen primärer und sekun¬ därer Bekräftigung besonders wichtig geworden. >Primär< wird diejenige Bekräftigung genannt, deren Wirksamkeit von keiner vorangegangenen Erfahrung abhängig (biologisch bedingt) ist; Beispiel: die Nahrungsaufnahme des Nahrungsbedürftigen. Als >sekundär< gelten demgegenüber Bekräftiger, deren Wirksamkeit allererst gelernt werden muß. Dazu gehört die Fülle der sozialen, zumeist sprachlichen Bekräftiger wie Anerkennung, Hilfe, Lob, Zustimmung u. ä. Der konse¬ quenteste Vertreter einer Konzeption des Spracherwerbs durch Bekräftigung im Rahmen instrumenteller Konditionierung ist B. F. Skinner (vgl. 1957). Lit.: Skinner, B. F. (1957). Verbal Behavior. New York.

Beliebigkeit des Zeichens (auch: >Willkürlichkeit des Zeichens«). Deutsch für frz. arbitraire du signe; —»Zeichen. Benefaktiv. In der -> Kasusgrammatik derjenige Kasus, der die Person angibt, zu deren Gunsten eine Handlung geschieht, z. B. August in Fritz hat für August die Strafe auf sich genommen. Die Abgrenzung dieses Kasus zum Dativ ist unklar.

Beobachtungsadäquatheit. Neben >Beschreibungsadäquatheit< und >Erklärungsadäquatheit< ein Kriterium für die —> Adäquatheit von Grammatiken.

Beschränkungen (engl, constraints). Negativ formulierte Bedingungen für die Anwendung von Transformationsregeln. In neueren Arbeiten zur Transformationsgrammatik und besonders in der

Generativen Semantik wird vielfach so verfahren, daß die Eigenschaften von -» Phrase-

Markern, auf die bestimmte Transformationsregeln angewandt werden sollen, zunächst positiv »zu weit« formuliert und dann eingeschränkt werden. Beispiel: Die Pronominalisierungsregel er¬ laubt zunächst ganz allgemein die —* Pronominalisierung koreferentieller Nominalphrasen in den Phrase-Markern komplexer Sätze. So wird es möglich, das Auftreten von Personalpronomina in so unterschiedlichen Sätzen wie (1)—(4) zu erfassen: (1) Peter erkannte den Mann, der ihm zugewinkt hatte (2) Als er erwachte, wußte Peter nicht, wo er war (3) Peter erkannte Paul und begrüßte ihn (4) Peter erkannte Paul, trank sein Glas aus, stellte es ab, entschuldigte sich für einen Augen¬ blick und ging ihn begrüßen. Allerdings werden mit dieser allgemeinen Regel auch Sätze erzeugt wie (5): (5) *Peter erkannte ihn und begrüßte Paul. Solche Sätze werden nun durch die folgende Beschränkung ausgeschlossen: »Stehen die von der Pronominalisierung betroffenen Nominalphrasen in koordinierten Teilbäumen, so darf keine —> Rückwärtspronominalisierung stattfinden.« Lit.: Langacker, R. W. (1969). »On Pronominalization and the Chain of Command«, in: Reibel, D. A./ Schane, S. A. (Hrsgg.), Modern Studies in English. Readings in Transformational Grammar. Englewood

66

Beschreibungsadäquatheit

Cliffs, N. J., S. 160-186. York.

Perlmutter,

D. M. (1971). Deep and Surface Structure Constraints in Syntax. New

Beschreibungsadäquatheit. Neben >Beobachtungsadäquatheit< und >Erklärungsadäquatheit< ein Kriterium für die —» Adäquatheit von Grammatiken. besternte Form. Mit einem —»Asterisk gekennzeichnete unbelegte oder ungrammatische sprachliche Form. Betonung. —> Akzent. Bewußt-vergleichende Methode im Fremdsprachenunterricht. Von den sowjetischen Methodi¬ kern Schtscherba und Rachmanow vertretener Ansatz, der Grammatik und Übersetzung als Mit¬ tel zum Zweck betrachtet und die Fremdsprachenkenntnis durch Bewußtmachen der fremden Struktur und Rückgriff auf die Muttersprache aufbauen will. In der Praxis führte diese Methode zur Vernachlässigung der produktiven Sprachbeherrschung und stattdessen zur Betonung des Sprachwissens. Aus dem Gegensatz zu ihr entstand die -* Praktisch-bewußte Methode. —>Fremdsprachenunterricht, Geschichte: Sowjetunion. Bibelübersetzung. Besonders traditionsreiches Problem der Übersetzungstheorie, das seit dem sogenannten Aristeas-Brief (Bericht über die vermutlich im 3. vorschristlichen Jahrhundert in Ägypten entstandene Septuaginta, die früheste Übersetzung des hebräischen Alten Testaments in eine abendländische Sprache; vgl. Schwarz 1955) Antike, Mittelalter und Neuzeit mit wech¬ selnden Zielvorstellungen beschäftigt hat. Für die moderne Übersetzungswissenschaft sind vor allem die Untersuchungen von Nida (1947, 1959, 1964, 1969), Nida/Taber (1969) und Wonderly (1968) wichtig geworden. Die Autorengehören alle den United Bible Societies an und sind Mitarbeiter der seit 1950 in London erscheinenden Zeitschrift The Bible Translator. Ihre Hauptaufgabe sieht die bibelbezogene Übersetzungswissenschaft darin, unter Zuhilfe¬ nahme linguistischer, kommunikationswissenschaftlicher, anthropologischer und ethnographi¬ scher Erkenntnisse Methoden zu entwickeln, die ein Optimum an gleicher Wirkung (»equivalent response«: Nida/Taber 1969, S. 3) bei der jeweiligen Zielgruppe gewährleisten. Dahinter steht eine neue, soziokulturell »transplantatorische« Konzeption der Bibelübersetzung, die ihren äußeren Niederschlag in der Tatsache findet, daß Nida dem adressatenspezifischen Charakter der modernen Bibelübersetzung terminologisch durch die Ersetzung des Begriffs target language (>ZielspracheEmpfängersprachezweizwie-< + labium, >LippeGebrauchssprache< ent¬ spricht. An der Bildungssprache orientierter Unterricht tendiert dazu, -* Grammatikunterricht, Literaturbetrachtung und —> Kulturkunde zu betonen. Inhaltlich geht der Begriff auf das 19. Jahrhundert zurück, als die Befürworter des Unterrichts der neueren Sprachen vor der Aufgabe standen, die Gleichrangigkeit ihrer Fächer mit den alten Sprachen nachzuweisen (—> Reformbewegung). In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erwies er sich als hemmend, da er den Blick auf die kommunikative Zielsetzung des modernen Fremd¬ sprachenunterrichts verstellte und das Bemühen um einen Fremdsprachenunterricht für alle Schüler (-> Hauptschulgemäße Arbeitsweise) mit überhöhten Leistungserwartungen belastete. Lit.: Bohlen, A. (1957). Moderner Humanismus. Heidelberg. Mihm, E. (1972). Die Krise der neusprachli¬ chen Didaktik. Frankfurt am Main. Rülcker, T. (1969). Der Neusprachenunterricht an höheren Schulen. Frankfurt am Main.

Bilingu(al)ismus. In Abhängigkeit vom Forschungsschwerpunkt entweder die Praxis von Spre¬ chern, zwei Sprachen abwechselnd zu benutzen, oder die durch historische, sozioökonomische und kulturelle Faktoren bedingte Kontaktsituation zweier koexistierender Sprachen. Typische, den Bilingualismus fördernde Sprachkontaktsituationen sind z. B. in der Schweiz (Französisch, Schweizerdeutsch, Italienisch, Rätoromanisch) und Kanada (Englisch, Französisch) anzutreffen. In Ländern wie den USA, der Bundesrepublik und Frankreich wird im Zusammenhang sozioökonomischer Bedingungen die Entstehung von Bilingualismus durch Immigrantenbewegungen vorangetrieben. Trotz des Interesses verschiedener Disziplinen (Psychologie, Soziologie, Linguistik) gibt es keine geschlossene Theorie des Bilingualismus. Zentral befaßt sich die Bilingualismusforschung mit vier Problemen: 1. in welchem Grade Sprecher bilingual sind, d. h. mit welcher Fertigkeit sie zwei Sprachen sprechen; 2. in welchen Funktionen sie beide Sprachen benutzen, d. h. zu wel¬ chen Anlässen sie die eine bzw. andere Sprache gebrauchen; 3. unter welchen Bedingungen Bilinguale über zwei Sprachen unabhängig voneinander, d. h. als getrennt benutzte Systeme, ver¬ fügen (>sprachunabhängiger Bilingualen, engl, coordinate bilingual) oder die Zweitsprache auf der Basis des Systems der Erstsprache verwenden (>sprachinterdependenter Bilingualen, com¬ pound bilingual). Ausgehend von dem Forschungsinteresse an den Auswirkungen bilingualer Erziehung auf die intellektuelle Entwicklung, untersuchte die Psychologie den Grad der Bilingualität von Spre¬ chern mit dem Ziel, mittels Messungen reiner Sprachfertigkeit auf die Dominanz einer Sprache

68

Bilingu(al)ismus

gegenüber der anderen bzw. auf die Ausgewogenheit in der Beherrschung zweier Sprachen zu schließen. Dabei ging man von der Annahme einer kontextfreien Kompetenz bilingualer Spre¬ cher aus. Ähnlich kontextinvariant, d. h. unter weitgehender Abstraktion von sozialen Parame¬ tern wie Motivation, soziale Klasse, Erziehung, Interaktionsbeziehung usw., konzentrierte sich die linguistische Forschung auf die Analyse der Interferenzen zweier Sprachen im Kontakt, d. h. ausgehend von Vorkommen konkreter Sprechakte untersuchte sie unter dem Gesichtspunkt der Sprache als System die Übertragungen (Transfers) von Elementen einer Sprache X auf die Struktur einer Sprache Y und umgekehrt (vgl. Weinreich 1953). Beachtete demgegenüber die soziologische Forschung mehr die Kontextspezifität des Sprachgebrauchs, so verwendete sie zu unspezifische Kategorien der Sprachverwendung und korrelierte diese mit zu groben sozialen Parametern, um zur Erklärung des Bilingualismus Wesentliches beitragen zu können. Die kontextinvariante kompetenz- bzw. interferenzbezogene Forschung kann durch eine in¬ terdisziplinäre Theorie des Bilingualismus überwunden werden. Ihre Erklärungsstärke besteht darin, daß sie unter induktivem Vorgehen verwendungstypische Ausprägungen des Bilingualis¬ mus durch Konstrukte höherer und niederer Ordnung auf verschiedenen Analyseebenen be¬ schreibt, d. h. die disziplinspezifischen Aporien werden durch die Korrelation sprachlicher Mikromessungen mit sozialen und psychischen Parametern verschiedener Größenordnung auf¬ gelöst. In einem solchen integrierten Konzept ist vom Typ der —»Sprachgemeinschaft auszuge¬ hen, des weiteren sind spezifische Bereiche (Domänen) bilingualer Sprachverwendung zu isolie¬ ren (z. B. Familie, öffentliche Institutionen, Arbeitsplatz usw.), wobei die kontextspezifische Sprachverwendung in diesen Bereichen im Zusammenhang mit den Dimensionen sozialer Bezie¬ hungen (>offene< vs. geschlossene« interindividuelle Kommunikationsnetze) und den Typen so¬ zialer Interaktionen (z. B. statusorientierte oder familiäre Interaktionen) auf verschiedenen sprachlichen Niveaus zu spezifizieren ist. Insofern bilinguale Sprachverwendung somit als ein zu¬ sammenhängendes, mit bestimmten Kontextfaktoren systematisch variierendes verbales -» Stil¬ repertoire beschrieben werden kann, ist Bilingualismus Gegenstand der Analyse von —> Sprachvariationen im Rahmen der —» Soziolinguistik. Stadien bilingualen Spracherwerbs lassen sich im Rahmen dieser Theorie als ein nach Berei¬ chen differenziertes Profil einer Dominanzkonfiguration kennzeichnen (Fishman 1968). Gegen¬ über reinen Sprachfertigkeitstests (Wortbenennungs-, Wortassoziations-, Sprechgeschwindigkeits-, Übersetzungsgeschwindigkeitstests)

und groben soziologischen

Zensuserhebungen

(Fragebogendaten) setzen sich heute auf die Erklärung bilingualer Sprachverwendung abzie¬ lende kontextbezogene soziolinguistische Methoden durch. Die sozioökonomische und soziokulturelle Seite der Ausprägung von Bilingualismus in Sprachgemeinschaften (abhängig von den Sprachfunktionen in bilingualen Gruppen, von der Kongruenz linguistischer und soziokultureller Differenzen, von dem Standardisierungsgrad der involvierten Sprachen, von der Dauer des Kontaktes zwischen Sprachen, von Sprachverlust bzw. von dem Entstehen neuer Sprachen usw.), die Probleme sprachlicher Kolonialisierung und die Anwendung der Bilingualismusforschung für die -> Sprachplanung und die Organisation bilin¬ gualer Erziehung spielen eine bedeutende Rolle in der Sprachsoziologie. Als echter Bilingualismus sind nur die Fälle anzusprechen, in denen ein Sprecher eine zweite Sprache auf gleichem oder annähernd gleichem Niveau beherrscht wie seine Muttersprache. Deshalb erscheint es als überaus zweifelhaft, inwieweit Folgerungen aus der Erörterung des Bilingualismus in bezug auf den schulischen Fremdsprachenunterricht übernommen werden können. Andererseits macht der Bilingualismus auf gewisse Grundprobleme aufmerksam und könnte z. B. die Frage der Sprachbegabung einer Lösung näherbringen. Immer wieder aufgewor¬ fen wird im Zusammenhang des Bilingualismus die Frage möglicher intellektueller Schädigungen

Binarismus

69

bei gleichzeitigem Erlernen zweier Sprachen, die Frage der Entwicklungsverzögerung und ggfs, auch der Beeinflussung der Persönlichkeitsstruktur. Im allgemeinen ist dabei unbeachtet geblie¬ ben, daß üblicher Schulunterricht wohl bisher niemals die Effektivität und Effizienz hat erreichen können, die mit so weitreichenden Konsequenzen rechnen lassen müßte. Hinzu kommt, daß man es oft an der differenzierenden Betrachtung hat mangeln lassen, die etwa die Unterschiede zwi¬ schen sprachlich und nichtsprachlich bedingten Intelligenztestergebnissen hätte berücksichtigen können. Nach den bislang vorliegenden Ergebnissen muß der Wert der Bilingualismusforschung für den Schulunterricht jedenfalls in Zweifel gezogen werden. Sie liefert vielleicht eher biogra¬ phisch Interessantes als didaktisch Schlüssiges. Lit.: Dittmar, N. (1973). Soziolinguistik. Exemplarische und kritische Darstellung ihrer Theorie, Empirie und Anwendung. Frankfurt am Main. Fishman, J. (1968). »Sociolinguistic Perspective on the Study of Bilingualism«, Linguistics 39, S. 21-49. Weinreich, U. (1953). Languages in Contact. New York.

Binäre Merkmaltheorie. In einem weiteren Sinne die Anwendung des —> Binarismus in der Lin¬ guistik, in einem engeren Sinne die Theorie der phonetischen —>• Distinktiven Merkmale. Vgl. auch —> Phonologie: Merkmaltheorie. Binarismus. Arbeitsweise mit alternativen oder >binären< (lat. binarius, >zwei umfassendzwei enthaltende) Zahlensystem z. B. arbeitet nur mit den Ziffern 0 und 1. Information, die maschinell verarbeitet werden soll, muß binär codiert werden, z. B. mit dem Buchstabenpaar O und L, in einem Lochstreifen durch Vorhandensein oder Fehlen eines Loches, bei elektrischen Einrichtungen durch Schließung oder Öffnung eines Stromkreises (—»Computer). In die Linguistik hat der Binarismus durch R. Jakobson Eingang gefunden. Nach der von ihm seit 1939 begründeten Binären Merkmaltheorie oder Theorie der ^Distinktiven Merkmale (vgl. auch -> Phonologie: Merkmaltheorie) können die funktionalen Lautwerte aller Sprachen anhand eines Katalogs von 12 Merkmalen beschrieben werden, die jeweils vorhanden sind oder nicht. Zum Beispiel wäre b hinsichtlich des Merkmals >Stimmhaftigkeit< >merkmalhaltig< und die¬ ses Merkmal in einer Matrix >positiv besetzt« ( + ),/? dagegen >merkmaIlos< bzw. das Merkmal >negativ besetzt« (—). Schon vorher (seit 1932 und 1936 im Bereich des Russischen) hat Jakobson das BinarismusPrinzip oberhalb der phonologischen Ebene angewendet. Danach stehen auch in der Morpholo¬ gie merkmalhaltige und merkmallose Kategorien in binärer Opposition zueinander. Die merk¬ mallosen

Kategorien

erhalten

ihre

Bedeutung

erst

durch

die

Opposition

mit

einer

merkmalhaltigen »spezielleren« Kategorie, an deren Stelle sie treten können. So ist he kills nur deswegen Präsens, weil es Nicht-Perfekt (he has Mied) ist. Die Abwesenheit der speziellen Bedeutung im Präsens läßt es anstelle des Perfekts Vorkommen, das Perfekt hingegen kann nicht statt des Präsens stehen. Wie in der Phonologie ist jede morphologische Einheit eine (in einem Diagramm erläuterbare) Kombination mehrerer solcher Oppositionszüge. So ist das merkmal¬ lose Präsens he kills außer a) Nicht-Passiv (he is killed) auch: b) Nicht-Präteritum (he killed), c) Nicht-Perfekt (he has killed), d) Nicht-Progressiv (he is killing), e) nicht-potentiell (if he killed), f) nicht-assertorisch (wie: he does kill).

70

Binarismus

Das folgende Beispieldiagramm, in dem die merkmalhaltigen Glieder jeder binären gramma¬ tischen Kategorie (a, b, c usw. von oben) durch ein +, die merkmallosen durch ein — und dieje¬ nigen merkmallosen, denen kein positives Oppositionsglied gegenübersteht, durch ( —) gekenn¬ zeichnet sind, hat Jakobson (1959, S. 200, anläßlich eines Hinweises auf den Binarismus von Boas) zur Erfassung des englischen Tempussystems vorgeschlagen:

kills

a —

b —

c —

d —

e —

f —

killed











has killed had killed



+ —

+





(-)



(-)



+ —



will kill

+ —



+

(-)

would kill







+

(-)

will have killed



+ —

+



+

(-)

would have killed

— —

+ —



is killing

+ —

+

+ —

(-)

+ —



+



(-)

+

+



(-)

+ —

+ —

+



(-)

+

+

(-)

+ —



+

+

(-)

+

+

+

(-)

+ —

+

+

+

(-)

(-)

(-)

(-) +

+ —

(-) — —

(-) — —

(-)

+ —

(-) — —

+

(-)



(-)

+ —

+ —

(-)



(-)

(-)

+

(-)

+ —



(-)

+

(-)

+

(-)

+

(-)



was killing



has been killing



had been killing



will be killing



would be killing



will have been killing



would have been killing



does kill



did kill



is killed

+

was killed

+

has been killed had been killed

+

will be killed

+

would be killed

+

will have been killed

+

+

(-)

+ (-)

would have been killed

+ +

+ —

+ —

(-) +

+ —

(-)

is being killed was being killed

+

+



+



(-)

(-)

Im Bereich der Tempora wird der wegen seines Apriorismus umstrittene grammatische Binaris¬ mus auch von ausgesprochenen Syntagmatikern nicht geleugnet. Nach Weinrich (21971) ist das Tempussystem nach den drei »Dimensionen« a) Sprechhaltung, b) Sprechperspektive und c) Relief strukturiert, die alle die Form einer Dichotomie haben und daher eine Darstellung in der Art des Jakobsonschen Diagramms erlauben, in das man die aus seinem O : Tempus-Begriff folgende Anwesenheit oder Abwesenheit der folgenden Merkmale mit + bzw. — einträgt: a) Erzählen (: Nicht-Erzählen oder Besprechen), b) Perspektive (: Nicht-Perspektive) und c) Relief (: Nicht-Relief oder Vordergrund : Hintergrund), also:

blockiert

71 a

b

c

il chanta

+

-

-

il chantait

+

-

+

il chante

il a chante usw.

+

Besonders aktuell ist die Jakobsonsche Vorstellung von linguistischen Einheiten als Kombinatio¬ nen von positiven Gliedern aprioristischer binärer Oppositionen insofern, als man in ihr das Vor¬ bild der vor allem von Katz für die —»Generative Grammatik erarbeiteten Theorie der —»Semantischen Merkmale vermutet, so z. B. C. Heeschen (1972), von dem die folgende deutsche Beispielparallele stammt (S. 49):

Konsonant Vokal Verschluß Zungenspitze vorne Stimme

phonologisch

semantisch

dt./t/

dt. Rüde

+ —

abstrakt



belebt

+

menschlich

+ —

+

männlich

+

+ —

usw.

usw. Lit. zur Theorie der Distinktiven Merkmale —»dort. Ferner: Heeschen, C. (1972). Grundfragen der Lingui¬ stik. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz. Henrici, G. (1974). Betrifft: Binarismus-Problematik in der neueren Linguistik. Phil. Diss. Bielefeld. Jakobson, R. (1932). »Zur Struktur des russischen Verbums«, in: Charisteria Guilelmo Mathesio oblata, Prag, S. 74-84. Ders. (1936). »Beitrag zur allgemeinen Kasuslehre«, in: Travaux du Cercle Linguistique de Prague 6, S. 240-288. Ders. (1963). »Boas’ View of Grammatical Meaning«, französisch (»La notion de signification grammaticale selon Boas«) in: ders., Essais de linguistique generale. Paris, S. 197-206. Weinrich, H. (T971). Tempus. Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart, ('1964).

Bindevokal (auch: >Themavokalzwei-monophonematisch< (gricch. mono-, >ein-ZeichenMonosemie< (eine Bedeutung) und >Polysemie< (viele Bedeutungen). Ein sol¬ ches Wort ist >bisem Computer. Blockdiagramm. Graphische Darstellung eines -» Algorithmus. blockiert (auch: >unikal Funktion, die im allgemeinen mehrere Variablen hat, wobei die Variablen Aussagen sind, d. h. die Werte »wahr« oder »falsch« annehmen können, und wobei auch der Funktionswert nur »wahr« oder »falsch« sein kann (—> Aussagenlogik). Boolesche Funktionen treten in der —> Formalen Phonologie bei der Darstellung von Phonemmengen auf. Brechung. Begriff aus der germanischen Sprachgeschichte mit zwei Bedeutungen: 1. die Di¬ phthongierung kurzer Stammsilbenvokale durch ein a, u oder w der folgenden Silbe im Altnordi¬ schen: as. helpan/an. hialpa, *meku > mi miSenkung< oder >Öffnung< von i zu e und u zu o im Gotischen vor r, h und hv: lat. vir!got. wair, got. paurpura < lat. purpura. Britischer Strukturalismus. Obwohl es in England nicht im selben Maße wie in Genf, Prag oder Kopenhagen zur Institutionalisierung einer Schule kam, ist der britische Beitrag zur Entwicklung des Strukturalismus in Europa charakteristisch. Er zeichnet sich nach R. H. Robins (1963 und 1967) durch sein Bemühen um eine Theorie aus, die der lautlichen Wirklichkeit adäquat bleibt. Diese an Henry Sweet (1845—1912) und dessen Phonologisierung avant la lettre (besonders 1877, S. 100-108, 182; vgl. Robins 1967, S. 204) anknüpfende Tendenz wurde besonders von Daniel Jones (1914 und 1917), z. B. in der Unterscheidung einer broad (>weit< d. h. phonemischen) von einer narrow (>eng »Grenz¬ signale« beschrieben werden. Damit bereitete er über die —» Prosodie Analysis hinaus das später von den »Neufirthianern« als -> Scale-and-Ca/egory-Linguistik formulierte Modell vor, das ge¬ eignet ist, den europäsichen Strukturalismus als Ganzes von einigen Widersprüchen und über¬ flüssigen Schwierigkeiten zu befreien. Einen dritten wichtigen und eigenständigen strukturalistischen Beitrag stellt der -»• Kontextualismus (contextual theory of meaning; vgl. Robins 1967, S. 213) dar, den Firth (vgl. 1957) von den Studien des Anthropologen B. Malinowski (besonders 1935) her entwickelte, und im Zusammenhang mit dem Kontextualismus sein Begriff der Kollokation (collocation). In der den Kollokationen gewidmeten Disziplin des Kontextualismus ist Firth’ Ansatz, die Linguistik neu zu gliedern und die übliche Zweiteilung in Grammatik und Lexikologie zu überwinden, beson¬ ders deutlich.

Lit.: Firth, J. R. (1957). »Ethnographie Analysis and Language With Reference to Malinowski’s Views«, in: Firth, R. W. (Hrsg.), Man and Culture. London, S. 93-118. Jones, D. (1914). Outline of English Phone-

73

circonstant

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Bündel von Merkmalen, auch: >MerkmalbündelDurchzeichnungPausegenaue Nachahmung Teilzeitarbeit, reasonable price —> ver¬ nünftiger Preis, computer-assisted instruction —» rechnerunterstützter Unterricht, near-accident —* Beinaheunfall.

In der lateinischen Grammatik ein flektierter Fall, also Genitiv, Dativ, Akkusa¬ tiv oder Ablativ, im Gegensatz zum Casus rectus, dem unflektierten Nominativ; Näheres Casus obliquus.

—*

Kasus: 1. casus rectus. —» casus obliquus. Cercle Linguistique de Copenhague (frz.). »Linguistischer Kreis von Kopenhagen«; -> Kopenhagener Schule des Strukturalismus. Cercle Linguistique de Prague (frz.). »Linguistischer Kreis von Prag«, —»Prager Schule des Strukturalismus. chaine parlee (frz., gesprochene Kette«). Von Saussure eingeführte Bezeichnung für das hörbare Lautkontinuum der Parole. Chomsky-Grammatik. Begriff aus der Theorie der -» Formalen Sprachen. Man versteht darunter ein Gebilde aus a) einem >terminalen< —» Alphabet b) einem >nichtterminalen< Alphabet c) einer Menge von -> Ersetzungsregeln d) einem >Startsymboh, das Element des nichtterminalen Alphabets ist. circonstant (frz., >Umstand Dependenzgrammatik) vom Verb abhängiger Umstand der Handlung im Gegensatz zu den unabhängigen -> Aktanten (actants). Lit.: Tesniere, L. (1953). Esquisse d’unesyntaxestructurale. Paris. Ders. (1959). Elements de syntaxe structurale. Paris.

Clixe

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Clixe (engl, clicks). >Schnalzlaute|] (velar).-» Luftstromdy¬ namik. Cloze Procedure. Ein ursprünglich (von W. L. Taylor 1953, 1956) zur Bestimmung der —> Les¬

barkeit von Texten entwickeltes Verfahren, bei dem Probanden einen Text, aus dem jedes n-te Wort entfernt worden ist, wieder zu ergänzen haben. Die Bezeichnung dieses Verfahrens mit dem Kunstwort cloze erinnert an die Lückenschließungsaufgaben bzw. an die gelegentlich hypostasierte Tendenz zur Geschlossenheit bzw. Schließung (engl, closure) von lückenhafte Wahrneh¬ mungen. Weil das Verfahren geeignet ist, semantische, syntaktische und assoziative Komponenten des sprachlichen Verhaltens deutlich zu machen, konnte es später auch in der Persönlichkeitsdiagno¬ stik (Honigfeld etal. 1964) und für die Zwecke der psychopathologischen Forschung (Aphasie, Schizophrenie) eingesetzt werden (Fillenbaum/Jones 1962, Salzinger et al. 1964). Lit.: Fillenbaum, S./Jones, L. V. (1962). »An Application of >Cloze< Technique to the Study of Aphasie Speech«, Journal of Abnormal und Social Psychology 65, S. 183-189. Groeben, N. (1972). Die Verständ¬ lichkeit von Unterrichtstexten. Münster. Honigfeld, G./Platz, A./Gillis, R. D. (1964). »Verbal Style and Personality Authoritarianism«, Journal of Communication 14, S. 215-218. Salzinger, K./Portnoy, S./ Feldman, R. S. (1964). »Verbal Behavior of Schizophrenie and Normal Subjects«, Annals of the New York Academy of Sciences 105, S. 845—860. Taylor, W. L. (1953). »>Cloze ProcedureCloze ProcedureHäufungBefehl Pronominalisierung) wichtig ist. Die Relation liegt zwischen zwei Knoten A und B dann vor, wenn erstens weder AB noch BA dominiert und zweitens dasjenige S, das A am unmittelbarsten dominiert, auch B dominiert. Beispiel: In dem Baumdiagramm (1) »kom¬ mandiert« A den Knoten B, nicht jedoch in (2).

Lit.: Langacker, R. W. (1969). »On Pronominalization and the Chain of Command«, in: Reibel, D. A./ A. (Hrsgg.), Modern Studies in English. Readings in Transformational Grammar. Enelewood Cliffs, N. J„ S. 160-186. Schane, S.

Computer

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comment. Amerikanische Bezeichnung für das in einer Sprechsituation Neue, ähnlich dem >Rhema< in der Prager Theorie der —> Funktionalen Satzperspektive. Gegenteil: topic (>Thema Komplementierung. compound bilingual, (engl, compound, zusammengesetzt). >Sprachinterdependenter Bilingua¬ len (—» Bilingualismus), d. i. jemand, der eine zweite Sprache unter Bezugnahme auf die Mutter¬ sprache gelernt hat und dadurch über ein —> kombiniertes Sprachsystem< (compound language

System) verfügt. Gegensatz: coordinate bilingual oder >sprachunabhängiger Bilingualen mit einem koordinierten Sprachsysteme (coordinate language System). compound language System. = —» kombiniertes Sprachsysteme. Computational Linguistics (engl, to compute, >(be)rechnene). = Linguistische Datenverarbei¬ tung; vgl. auch —» Algorithmische Linguistik. Computer (engl., >Rechnen). Maschine mit mehreren hochkomplizierten elektronischen und mechanischen Bestandteilen. Ein Computer dient als Werkzeug zur Ausführung gewisser geisti¬ ger Tätigkeiten, ohne selbst im geringsten schöpferisch sein zu können. Ein Computer ist keine »denkende Maschine«, sondern kann nur arbeiten, wenn ihm in allen Einzelheiten gesagt wird, was er tun soll. Er kann nur solche geistigen Tätigkeiten ausführen, die nach festen Regeln ablau¬ fen, also alle schematischen Tätigkeiten wie das Addieren von Zahlen, das alphabetische Ordnen von Wörtern, das Nachschlagen in einem Wörterbuch, das Ableiten von terminalen Ketten einer Formalen Sprache, das Erstellen von Konkordanzen usw. Er arbeitet deshalb anhand einer Folge von >AnweisungenProgramm< für den Computer; das Anfertigen eines solchen Programms nennt man >Programmierenmaschinenorientierten< Programmiersprachen, die der Arbeitsweise des Computers angepaßt sind, und >problemorientierten< Programmiersprachen, die der Denkweise des Menschen angepaßt sind, dennoch aber zur Programmierung verwendet

Computer

76

werden können. Für den Linguisten kommt nur eine problemorientierte Programmiersprache in Frage. Es gibt eine Reihe verschiedener problemorientierter Programmiersprachen. Zur Ver¬ wendung für die Lösung linguistischer Probleme sind sie meist nicht oder nur schlecht geeignet, da sie für z. B. technische, mathematische oder kaufmännische Zwecke entwickelt wurden. Ein Beispiel einer für linguistische Zwecke entwickelten Programmiersprache ist die Sprache SNOBOL. Allerdings ist nicht jeder Computer in der Lage, Anweisungen in SNOBOL zu verarbeiten. Beispiele für technisch-mathematische Programmiersprachen sind ALGOL und FORTRAN, für kaufmännische Zwecke COBOL. Ein Linguist, der eine linguistische Aufgabe mit Hilfe eines Computers lösen möchte, braucht die technischen Einzelheiten der Maschine nicht zu kennen. Er benötigt lediglich einige wenige Kenntnisse, um die Wirkung der in einem Programm verwendeten Anweisungen zu verstehen. Für den Aufbau eines Computers genügt hierbei das folgende: Er besteht aus 1. dem Rechen¬ werk^ 2. dem >SpeicherInternspeicherHintergrundspeicherEin- und Ausgabegeräten< (>E/A-GeräteZeichenvorrat< genannt, das aus den Buchstaben des üblichen Alphabets, den Ziffern und aus Sonderzeichen wie dem Komma, dem Punkt usw. besteht. Zum Beispiel sind »ANTON«, »NR« oder »S. 17-22« Zei¬ chenketten. Der Internspeicher ist mit dem Rechenwerk fest verbunden. Er ist aufgeteilt in gleichgroße >ZellenAdresse< der Zelle. In einer Zelle ist Platz für eine feste Anzahl von Zeichen. Gebräuchliche Zeichenzahlen sind 1, 4 oder 6 Zeichen pro Zelle. Moderne Internspeicher haben ca. 30000 bis ca. 300000 Zellen. Die Adresse der Zelle dient dazu, die in der Zelle gespeicherten Daten wiederzufinden; man erreicht die Zeichen im Programm, indem man die Adresse der Zelle angibt. Zeichenketten mit z. B. mehr als 6 Zei¬ chen kann man in aufeinanderfolgende Zellen des Internspeichers speichern (Textspeicherung). Der Computer kann mit einer Zelle zwei elementare Operationen ausführen: a) »bringe eine Zeichenfolge in eine Zelle« (»Schreiben«), b) »hole eine Zeichenfolge aus einer Zelle« (»Lesen«), Dabei wird beim Schreiben in die Zelle der alte Inhalt der Zelle überschrieben und ist anschließend nicht mehr verfügbar. Beim Lesen aus der Zelle dagegen bleibt der Zelleninhalt erhalten; er wird lediglich kopiert. Die Zeichenfolgen in einer Zelle des Internspeichers können aus technischen Gründen nicht in ihrer für den Menschen üblichen Form, also als Folgen von Graphemen, gespeichert werden. Stattdessen wird jedes Zeichen intern dargestellt durch eine >BinärzahlBinärziffern< O und L, ähnlich wie eine Dezimalzahl aus den Dezimalziffern 0 bis 9 aufgebaut ist. Zum Beispiel sind LOLOO oder LLLLOL fünfstellige bzw. sechsstellige Binär¬ zahlen. Jede Ziffernstelle einer Binärzahl heißt »ein bit« (kurz für engl, binary digit;vgl. auch —* Information). Man gibt dann für jedes Zeichen des Zeichenvorrats eine (eindeutig bestimmte) Binärzahl an. Zur Darstellung einer Zeichenkette setzt man diese Binärzahlen hintereinander. Üblicherweise werden Binärzahlen fester Länge verwendet. Zum Beispiel kann man mit 6 Binär¬ stellen (mit 6 bit) maximal 64 verschiedene Zeichen darstellen. Beispiel: Sei das Zeichen A dar¬ gestellt durch OOLOLL, das Zeichen D durch OOLLLO und das Zeichen I durch OLOOLL. Dann ist OLOOLLOOLLLOOOLOLL Darstellung für IDA. Gelegentlich wird die Meinung vertreten, auch der programmierende Linguist dürfe nur mit zwei Zeichen arbeiten, weil der Computer intern nur mit zwei Zeichen arbeitet. Das trifft nicht zu; normalerweise sieht der Pro-

77

Computer Assisted Instruction

grammierer überhaupt nichts von der internen Binärzahldarstellung der Zeichen, mit denen er arbeitet.-Auch Anweisungen für den Computer haben intern die Form einer Binärzahl. Sie ste¬ hen, ebenso wie Daten, in gewissen Zellen des Internspeichers. Durch das Programm ist aller¬ dings eindeutig festgelegt, welche Binärzahl als Befehl und welche als Daten zu interpretieren ist, so daß Verwechslungen nicht möglich sind. Unter Hintergrundspeichern versteht man Speichergeräte großer Kapazität, die im Gegensatz zum Internspeicher nicht fest mit der Maschine verbunden sind, sondern an sie angeschlossen werden müssen. Beispiele für Hintergrundspeicher sind das Magnetband (es faßt ca. 20 Millionen Zeichen) und die Magnetplatte (sie faßt ca. 5 Millionen Zeichen). Hintergrundspeicher dienen zum Speichern sehr großer Datenmengen, z. B. längerer Texte oder größerer Wörterbücher. Daten auf Hintergrundspeicher können vom Rechenwerk nicht direkt verarbeitet werden; sie müssen zuvor in den Internspeicher gebracht werden. Falls nicht alle Daten des Hintergrundspei¬ chers in den Internspeicher passen, müssen sie abschnittsweise verarbeitet werden. Der Daten¬ transport zwischen Internspeicher und Hintergrundspeicher ist relativ langsam, verglichen mit der Verarbeitungsgeschwindigkeit von Daten des Internspeichers durch das Rechenwerk; zum Beispiel können pro Sekunde ca. 2000 Zeichen vom Hintergrundspeicher in den Internspeicher transportiert, jedoch ca. 2 Millionen Zeichen verarbeitet werden. E/A-Geräte sind Geräte, mit denen Daten aus einer für den Menschen lesbaren Form in eine für die Maschine lesbare Form (Eingabe) oder umgekehrt (Ausgabe) umgewandelt werden. Sie transportieren Daten in der Regel zu oder von einem Hintergrundspeicher. Typische Beispiele sind für die Dateneingabe der Lochkartenleser und für die Datenausgabe der Schnelldrucker. Alle Geräte und sonstigen technischen Einrichtungen eines Computers werden mit einem eng¬ lischen Fachausdruck gelegentlich als Hardware (wörtlich etwa >Eisenwarenrechnerunterstützter Unterricht). Sonderform des

—* Programmierten Lernens, bei der Steuerung und Kontrolle der Schülerarbeit durch Lehrauto¬ maten (Rechner) übernommen werden, an die eine beliebig große Anzahl von Schülerarbeits¬ plätzen (terminals) angeschlossen ist. Rechnergesteuerter Unterricht setzt voraus, daß die Adressaten die graphischen Fertigkeiten beherrschen und eine Schreibmaschine bedienen kön¬ nen, da Informationen, Aufgabenstellungen, Lösungen und Antworthilfen nur schriftlich gege¬ ben werden; die Ein- und Ausgabe von Programmen erfolgt über Tastaturen und Sichtschirme bzw. durch Maschinenausdruck. Aus diesem Grunde sind die Einsatzmöglichkeiten des rechner¬ gestützten Lernens im Sprachunterricht nur gering. Vollprogrammierte Computer-Lehrgänge fremder Sprachen konnten bisher noch nicht entwickelt werden. Künftige Verwendungsmöglichkeiten des Rechners im Fremdsprachenunterricht bestehen möglicherweise bei der ferngesteuerten Bereitstellung von Unterrichtsmaterialen auditiver und visueller Natur, die raum- und zeitunabhängig zur Verfügung stehen sollen. Computer könnten dabei die Aufgabe übernehmen, die an zentralen Orten gespeicherten Materialien auf Abruf im¬ mer dann anzuliefern, wenn sie im Verlauf des Unterrichts bzw. beim individuellen Lernvorgang benötigt werden (—» Dial-Access-System). Lit.: Allen, J. R. (1972). »The Use of a Computer in Drilling«, Die Unterrichtspraxis for the Teaching of German 5, S. 31-35. Ders. (1972). »Individualizing Foreign Language Instruction with Computers at Dart-

Computerlinguistik

78

mouth«, Foreign Language Annals 3, S. 348—349; Ertner, K. (1971). »Die Verwendung des Rechners zur automatischen Erzeugung von Programmen«, in: Lehren und Lernen nach 1970, München: Goethe-Institut, S. 73-89; Hertkorn, O. (1971). »Erstellen eines Sprachlehrprogramms mit Hilfe des Rechners«, in: Lehren und Lernen nach 1970, München: Goethe-Institut, S. 90-97; Lane, H./Buiten, R. (1966). »A Self-Instructional Device for Conditioning Accurate Prosody« in: Valdman, A. (Hrsg.), Trends in Language Teaching, New York, S. 159-174; Schestakow, A. W. (Hrsg.) (1965). Programmiertes Lernen und Lehrmaschinen. Berlin-Ost.

Computerlinguistik. = Linguistische Datenverarbeitung; vgl. auch —»Algorithmische Linguistik. consecutio temporum (lat., »Folge der Zeiten*). Die Zeitenfolge im Satzgefüge, frz. concordance des temps. Damit ist ein Kombinationszwang gemeint, wonach im Lateinischen, Französischen, Deutschen und anderen Sprachen mit bestimmten Tempora im Hauptsatz nur bestimmte Tem¬ pora im Nebensatz verbunden werden dürfen, z. B. mit einem Imperfekt im Hauptsatz nur ein Imperfekt, Plusquamperfekt oder Konditional im Nebensatz, mit einem Präsens nur ein Perfekt oder Futur. Content Analysis (engl.). = —»»Inhaltsanalyse* Contoid, das (Kunstwort aus lat. consonans, »Konsonant*, + Endung -id von griech. eidos, »Form*). Von Pike 1941 geprägte Bezeichnung für die eindeutig phonetische konsonantische Lauteinheit, während der Terminus »Konsonant* mehrdeutig ist und sowohl eine phonologische Einheit als auch ein konkretes phonetisches Lautelement bedeuten kann. Entsprechend: »Vocoid*. Lit.: Pike, K. L. (1943). Phonetics, Ann Arbor, Mich.

coordinate bilingual (engl, coordinate, »gleichgeordnet*). »Sprachunabhängiger* Bilingualer (-» Bilingualismus), d. i. jemand, der eine zweite Sprache ohne Bezugnahme auf die Mutterspra¬ che gelernt hat und dadurch über ein »koordiniertes Sprachsystem* (coordinate language System) verfügt. Gegensatz: compound bilingual oder »sprachinterdependenter Bilingualer* mit einem —► »kombinierten Sprachsystem* (compound language System). coordinate language System. »Koordiniertes Sprachsystem* im Gegensatz zum —» »Kombinierten Sprachsystem*. Corpus, das (PI. Corpora; lat., »Körper*). Abgegrenzte Menge sprachlicher —> Äußerungen, die auf Tonträgern (Tonband oder Schallplatte) oder durch schriftliche Aufzeichnung konserviert sind und das Material für eine linguistische Untersuchung bilden. Im amerikanischen Deskripti¬ vismus (—»deskriptive Linguistik) und z. T. auch in der traditionellen europäischen Sprachwis¬ senschaft ist ein Corpus eine geschlossene Textmenge, die als Grundlage einer Sprachbeschreibung benutzt wird bzw. aus der die Belege für bestimmte theoretische Annahmen über die betreffende Sprache genommen werden. So ist etwa eine Corpusgrammatik eine Grammatik, die auf Grund einer grammatischen Analyse eines Corpus gewonnen wurde. In einem engeren Sinne - vor allem des strengen —> Distributionalismus von Harris u. a. - ist sie eine Grammatik, deren Aussagen ausschließlich auf der Feststellung der -> Distribution der sprachlichen Einheiten in¬ nerhalb des Corpus beruhen und deren Gültigkeit nur für das Corpus behauptet wird. U. a. von Vertretern der -»Transformationsgrammatik wurde darauf hingewiesen, daß eine Sprachbeschreibung nicht ausschließlich auf Grund von Corpusanalysen gewonnen werden könne, da ein

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Dauerlaute

Corpus nur eine mehr oder weniger zufällige Manifestation sprachlicher Strukturen sei und das Sprachsystem nur indirekt und partiell erkennen lasse (—» Angewandte Linguistik). Um Einwän¬ den dieser Art zu begegnen, wird bei der Erarbeitung von Sprachbeschreibungen auf der Grund¬ lage von Corpusuntersuchungen mit einem erweiterbaren Corpus gearbeitet, wobei gramma¬ tische Gesetzmäßigkeiten zunächst

an einem Teilcorpus ermittelt und dann auf ihre

Angemessenheit an weiteren Teilen des Corpus oder an dem durch zusätzliche Datengewinnung erweiterten Corpus überprüft werden. counter-intuitive (engl.). >Gegen die Intuition gehende Innerhalb der Tradition der —» Transfor¬ mationsgrammatik wird in Diskussionen über die optimale grammatische Analyse nicht selten gegen formal einwandfreie Lösungen das Argument vorgebracht, sie stünden im Widerspruch zur Intuition des Linguisten. —» Phrasenstrukturgrammatik. Darstellungsfunktion. Neben >Appellfunktion« und >Ausdrucksfunktion« eine der drei Zeichen¬ funktionen der Sprache im Organon-Modell K. Bühlers; -»Funktionalismus: Funktionenmo¬ delle. Daten (engl, data, Plural von lat. datum, >das Gegebene«, im allgemeinen als Pluraletantum ge¬ braucht). Sprachliches Material, das als empirische Basis für linguistische Untersuchungen ver¬ wendet wird (—»Corpus). Je nach der Untersuchungsrichtung oder -ebene können die Daten sprachliche —»Äußerungen, Aufzeichnungen von Äußerungen (Tonbandaufnahmen oder Transkriptionen davon), physikalische Meßgrößen (z. B. Messungen der -» Experimentalpho¬ netik), statistische und andere anhand von Beobachtungen gewonnene objektivierbare Angaben sein. Gelegentlich wird unterschieden zwischen a) >primären< sprachlichen Daten (primary linguisticdata), d. h. den unmittelbar beobachteten sprachlichen Äußerungen, und b) sekundären« sprachlichen Daten (secondary linguistic data), die eine bestimmte Interpretation oder Organisa¬ tion der primären Daten voraussetzen. So sind z. B. für eine phonologische Untersuchung kon¬ krete Äußerungen die primären Daten, während nach bestimmten phonetisch-phonologischen Prinzipien hergestellte Transkriptionen dieser Äußerungen als sekundäre Daten zu gelten haben. In der —> Linguistischen Datenverarbeitung sind Daten die Eingabe- und Ausgabesignale, die kein Teil des Programms sind. Bei einem automatischen Textzerlegungsverfahren z. B. sind die Daten der auf Datenträgern eingegebene Text bzw. die ausgegebenen Ergebnislisten im Unter¬ schied zu den auf gleiche Weise eingegebenen Anweisungen an die Anlage, die den Zerlegungs¬ prozeß steuern. Datenverarbeitung, linguistische. = —* Linguistische Datenverarbeitung. Dativ. —*■ Kasus: 1 und —» Kasusgrammatik. Dauerlaute (auch: >Kontinuantenabrupt-kontinuierlich< (-»Distinktive Merkmale) erfaßt. Lit.:

Dieth, E.

(1950). Vademekum der Phonetik. Bern.

Deadjektiv(um)

80

Deadjektiv(um), das (PI. Deadjektiva). Von einem Adjektiv durch Prä- oder Suffix abgeleitetes Wort;

Wortbildung.

deduktive Grammatik. Darstellungsprinzip der Grammatik und dementsprechend methodisches Prinzip des älteren —»Grammatikunterrichts, bei dem Anwendungsfälle aus vorgegebenen Regeln abgeleitet werden. Gegenteil: —»induktive Grammatik. Defektivität (lat. deficere, >fehlenausgehenDefektivum dort) in Anlehnung an die

Linguistische

Relativitätshypothese die Annahme von der dürftigeren Verbalisierungsfähigkeit von Unter¬ schichtsprechern im Vergleich zu Mittelschichtsprechern, die durch das Sozialmilieu verursacht und kognitiv bedingt ist. deiktisch. Adjektiv von —* Deixis: >hinweisendZeigenZeigwörterpersonaler Deixis c

stärker lippengerundet als Grundwert schwächer lippengerundet (entrundet, gespreizt) als Grund¬

e>, i> 0, y

wert 2. Mai ginale und Grenzzeichen 20. 21. 22.

• /

e-, e:, e:: 'voRthak, tsenth

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hatn

23. 24. 25.

26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.

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Dial-Access-System

3

(engl.,

größere Dauer als Grundwert; halblang, lang, überlang hauptbetonte Silbe folgt nebenbetonte Silbe folgt Konsonant mit Silbendruck unsilbisches bzw. reduziertes Segment; auch durch Hoch¬ stellung notierbar, z. B. aös synchrone Bildung; hier zur Kennzeichnung von Affrikaten, r-gefärbten Vokalen (vgl. Nr. 2) und Doppelverschlußbil¬ dungen hoch tief hochsteigend ► tiefsteigend hochfallend tieffallend steigend-fallend (hoch).

Tonverlauf

steigend-fallend (tief) fallend-steigend (hoch) ► fallend-steigend (tief) .

Tonverlauf

>Anwählsystem Sprachlabors. Dabei können -> Tonbandübungsmaterialien von zentralen Programmspei¬ chern ferngesteuert abgerufen und brauchen nicht innerhalb eines Laborraums gelagert und an die Schülerarbeitsplätze überspielt zu werden. Der Abruf erfolgt entweder über den Lehrertisch für eine ganze Klasse oder individuell durch die Sprachschüler selbst. Auch die Aufzeichnung der sprachlichen Schülerleistungen kann bei diesem System über einen Zentralspeicher vorge-

Dialekt

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nommen werden. Die Fernsteuerung wird durch Wählscheiben oder Drucktasten betätigt. Abruf- und Anwählanlagen können innerhalb von Schulkomplexen oder Hochschulen, aber auch für größere Einheiten (Schulbezirke in Städten und Landkreisen) eingerichtet werden. Der Pro¬ grammspeicher wird jeweils an einer zentralen Stelle installiert und ist mit den angeschlossenen Programmempfängern verkabelt. Weiterentwicklungen sind von drahtlosen Funkverbindungen mit dem Zentralspeicher zu erwarten. Der Vorteil solcher Anlagen besteht in erster Linie in einer rationellen Ausnutzung vorhande¬ ner Übungsprogramme; Tonbandmaterialien brauchen nicht für jedes Sprachlabor gesondert beschafft zu werden, sondern stehen vielen Programmempfängern gleichzeitig zur Verfügung. Der Abruf ist jederzeit möglich, so daß die Materialien auch außerhalb der regulären Unter¬ richtsstunden zugänglich sind. Die Wartung der Geräte kann in einem zentralen Speicher leichter und schneller als bei anderen Systemen vorgenommen werden. Problematisch ist die technisch bedingte Tatsache, daß bei gleichzeitigem Abruf eines Ubungsprogramms nur der erste Adressat die Materialien von Anfang an empfangen kann; jeder weitere Abruf erfolgt erst an derjenigen Stelle des Programms, die der erste Adressat gerade erarbeitet. Lit.: Birnie, J. R./Johnson, I. R. (1964). »Fortschritte der Sprachlabortechnik«, Programmiertes Lernen 1, S. 178-180. Krumm, H.-J. (1972). »Gerätestrategien und Mediensysteme für den Sprachunterricht«, Pro¬ grammiertes Lernen 9, S. 242-246.

Dialekt (griech. dialektos, >Mundart >Isophon Corpus, —>• Daten) spezialisierte, von der übrigen linguistischen Forschung z. T. isolierte Dialekt¬ forschung gilt heute als integraler Forschungszweig auch der -> Soziolinguistik, wodurch sie ihre theoretischen und methodischen Aporien überwindet. — Synchronie) wie diachronisch. Aufgrund der Eigenart des Materials als einer freier entwickelten, weniger normierten Sprachform erfolgt die Betrach¬ tung unter insbesondere drei Gesichtspunkten: dem geographischen, dem soziologischen und dem psychologischen. Die Dialektgeographie hat die räumliche Verbreitung der Dialekte untersucht und aufgezeichnet (-»Sprachatlas) und in ihrer Entstehung zu erklären versucht (Stamm, Territorium, Verkehr usw.). Die soziologische Betrachtung untersucht Verbreitung und Anwendung der Dialekte nach sozialen Schichten, neuerdings unter stärkerer Berücksichtigung der eventuellen Wirkung (—» Soziolinguistik). Die psychologische Betrachtung versucht, aus dem

Differenz-Konzeption

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Dialekt das ihm zugrundeliegende Weltbild zu erschließen und umgekehrt, in noch weniger si¬ cherer Weise, die Prägung dieses Weltbilds und des Handelns durch den Dialekt. Wissenschaftliche Ergiebigkeit und nostalgischer Reiz der Dialekte beruhen auf ihrer stärke¬ ren Ursprünglichkeit, ihrer freieren, schrift- und regelferneren Entwicklung, die zugleich Älteres als die Schriftsprache bewahrt hat (etwa den Dual enk im Bayrischen) wie auch weiter Entwickel¬ tes eingeführt hat (etwa den Schwund des Genitivs: dem Vater sein Haus). Lit.: Bach, A. (21950). Deutsche Mundartenforschung. Heidelberg. Goossens, J. (1969). Strukturelle Sprachgeographie. Heidelberg. Schirmunski, V. (1962). Deutsche Mundartkunde. Berlin.

Dialem, das (Kunstwort aus -» Dialekt und -em wie in Phonem zur Kennzeichnung einer -> >emischen< Einheit). Bestimmtes phonetisches Klassenmerkmal, das ein Individuum als zuge¬ hörigzu einem Dialekt kennzeichnet und es von Individuen anderer Dialekte unterscheidet. Die dialematische Funktion wird dann ausgeübt, wenn ein Dialektsprecher sich mit Sprechern be¬ nachbarter Dialekte mehr oder weniger beeinträchtigt verständigt oder, was der häufigere Fall ist, eine durch seine dialektale Herkunft bestimmte Umgangssprache im Verkehr mit anderen Umgangssprechern verwendet. >Diale< wären die konkreten, Zufalls- und kontextbedingten Merkmale einer Äußerung zu einem bestimmten Zeitpunkt, die zur Klasse eines Dialems gehö¬ ren. Lit.: Hammarström, G. (1966). Linguistische Einheiten im Rahmen der modernen Sprachwissenschaft. Ber¬ lin/Heidelberg.

diastratal, diastratisch (griech. dia, >auseinanderSchichtauseinanderOrtin zwei Teile spalten Langue vs. Parole, —* Synchronie vs. Diachro¬ nie, Paradigmatik vs. —> Syntagmatik; in der Generativen Grammatik: —> Kompetenz vs. —> Performanz. Didaktik (griech. didaktike techne, >Lehrkunst Methodik oder ihr gegenübergestellt. Neben die Allgemeine Didaktik treten 1. stufen-, 2. bereichs- und 3. fachbezogene Didaktiken, z. B. Grundschuldidaktik (1), Sprachdidaktik, Fremd¬ sprachendidaktik, Literaturdidaktik (2), Didaktik des Englischunterrichts (3). Lit ' Blankertz, H. (1973). Theorien und Modelle der Didaktik. München. Kochan, D. C. (Hrsg.) (1970). Allgemeine Didaktik - Fachdidaktik - Fachwissenschaft. Darmstadt. Rohrs, H. (Hrsg.) (1971). Didaktik. Frankfurt am Main. Differenz-Konzeption. Bezeichnung für die traditionelle Vorstellung der deskriptiven und empi¬

rischen Linguistik von der funktionalen Äquivalenz sprachlicher Varietäten in bezug auf ihre Ausdrucksmöglichkeiten und ihre logische Analysekapazität. Näheres —»Soziolinguistik.

Differenzierung

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Differenzierung. 1. In der Psycholinguistik das auf verschiedene Merkmale auch unterschiedliche Reagieren; Gegenteil: —»Generalisierung: 2. Das zwischen Sprachgemeinschaften variierende Differenzierungsvermögen spielt in der Sprachwahrnehmung beim Erkennen phonologischer —> Distinktiver Merkmale eine entscheidende Rolle. Relativ benachbarte Phoneme werden um¬ so eher als verschieden wahrgenommen, je mehr distinktive Schallmerkmale sie unterscheiden (—»Phonemdistanz). Zur psychologischen Bestimmung von Bedeutungsunterschieden bzw. zur semantischen Dif¬ ferenzierung —»Semantisches Differential. 2. In der Fremdsprachendidaktik Konzeption, um unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler gerecht zu werden. Grundsätzlich bieten sich Differenzierungen nach dem Grad der Sprachbegabung (Begabungstest, —> Test), nach Interessen bzw. Neigungen, nach Persönlich¬ keitsmerkmalen und nach der erkennbaren Leistung an. Das Konzept der Begabungsdifferenzierung ist bisher für die Praxis folgenlos geblieben, zumal da der Begabungsbegriff in der heutigen Erziehungswissenschaft ohnehin umstritten ist. Vieles weist jedoch darauf hin, daß man mit einem spezifischen Potential für den Erwerb einer Fremd¬ sprache rechnen muß. Die Versuche, die an der Sprachbegabung beteiligten Faktoren eindeutig zu bestimmen, haben jedoch entweder noch keine abschließenden Ergebnisse zutage gefördert oder aber Ergebnisse erbracht, aus denen sich noch keine praxisbezogenen Schlußfolgerungen für die Methodenorganisation ziehen lassen. Die Interessen- oder Neigungsdifferenzierung ist erst im fortgeschrittenen Stadium des Fremdsprachenunterrichts (Sekundarstufe II) möglich, da der elementare Unterricht eine allen Spezialisierungen gemeinsame Grundlage vermitteln muß. Die persönlichkeitsspezifische Differenzierung wird in einigen Schulversuchen, vor allem in Gesamtschulen, erprobt. Die Breitenwirkung blieb diesem Ansatz bislang versagt, da er einen großen organisatorischen Aufwand erfordert und die Differenzierungskriterien und -formen noch nicht als gesichert betrachtet werden können. Unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität ist zur Zeit nur an die Leistungsdifferenzierung zu denken. Dabei wird allgemein anerkannt, daß die fachübergreifende Differenzierung (engl. Streaming) wirkungslos bleiben muß, weil es schon jeder Erfahrung widerspricht, daß Schüler sich in allen Fächern niveaugleich verhalten. Deshalb wird gegenwärtig die fachspezifische Diffe¬ renzierung (setting) bevorzugt. Sie erfolgt organisatorisch in der Form der »äußeren DifferenzierungBinnendifferenzierung< empfohlen, bei der der Klas¬ senverband erhalten bleibt und die Schüler individuell oder in Gruppen innerhalb der Klasse ge¬ fördert werden sollen. Die Befürworter der Differenzierung sehen in ihr eine Chance, die Lernmöglichkeiten der in heterogen zusammengesetzten Klassen entweder überforderten oder unterforderten Schüler zu verbessern und dem sonst unausbleiblichen Einpendeln auf ein Mittelmaß, das vielen Schülern nicht gerecht wird, zu begegnen. Die Gegner der Differenzierung, die sich häufig auf die im Aus¬ land gemachten Erfahrungen mit dem Streaming beziehen, befürchten die soziale Deklassierung und den Motivationsverlust vor allem der schwächeren Schüler, da das Verfahren dazu neige, die -» Durchlässigkeit von Jahr zu Jahr stärker einzuschränken. Stimmen, die der Differenzie¬ rung ablehnend oder skeptisch gegenüberstehen, fordern ihren möglichst späten Beginn, um eine vorzeitige Fixierung auf ein Leistungsniveau zu verhindern. Befürworter treten dafür ein, sie schon in den ersten Unterrichtsjahren (jedoch nicht im -> Frühbeginn) einzuführen, um Gele-

Diglossie

89

genheit zu erhalten, die bei schwächeren Schülern aufgrund von Sozialisationsbedingungen vor¬ handenen Behinderungen korrigieren zu können. In bezug auf die Organisation zeichnen sich zwei Schemata ab: Erstens der Wechsel zwischen differenzierten und nichtdifferenzierten Phasen, wobei erstere im wesentlichen dem Aufholen von Lernrückständen dienen und die Gruppeneinteilung sich an bestimmten Leistungsausfällen orientiert. Dieses Verfahren soll am besten geeignet sein, die Durchlässigkeit zu gewährleisten. Zweitens die durchgehende Differenzierung, in der die Voraussetzung für das Herbeiführen des größtmöglichen Förderungseffekts für den einzelnen Schüler gesehen wird und die in den höhe¬ ren Klassenstufen Einschränkungen der Durchlässigkeit in Kauf nimmt. Im Extremfall werden Differenzierung und Durchlässigkeit als unvereinbar angesehen. In der Praxis gibt es zahlreiche Varianten beider Grundschemata. Inhaltlich lassen sich ebenfalls zwei Grundformen unterscheiden. Die erstere sieht ein >Fundamentum< (lat., >GrundlageAddit(iv)a< (>Hinzufügungenzwei Sprachen sprechende). Relativ stabile Sprachsituation, in der primäre regionale Dialekte, die nach Ferguson (1959) sogenannte >Low-Varietät< (L) und die sie überlagernde streng codifizierte Sprachvariante, die >High-Varietät« (H), in funktional kom¬ plementären Kommunikationssituationen gebraucht werden. Die H-Varietät wird für die schriftliche Kommunikation und für formale Redekontexte benutzt (Rundfunknachrichten, öf¬ fentliche Institutionen, belletristische und wissenschaftliche Literatur, politische Reden, Gottes¬ dienste) und besitzt hohes Prestige, während die L-Varietät als Konversationssprache in infor¬ malen Kontexten gilt (Unterhaltung in der Familie, mit Freunden und Kollegen, als Instruktionssprache für Angestellte und Arbeiter) und als Muttersprache erworben wird. H und L wirken lächerlich, wenn sie nicht funktions- und kontextspezifisch verwendet werden. H und L unterscheiden sich in Grammatik (H besitzt eine größere grammatische Komplexität), Lexikon (für H und L weitgehend komplementär) und Phonologie (H und L haben eine einzige phonologische Struktur, in der die L-Phonologie das Basissystem darstellt und die abweichenden Merkmale der H-Phonologie ein Sub- bzw. Parasystem bilden). Typische Diglossie-Situationen sind im arabischen, schweizerischen, griechischen und kreoli¬ schen Sprachraum anzutreffen. Lit.:

Ferguson,

Ch. A. (1959). »Diglossia«, Word 15, S. 325-340.

Diminutiv ( um)

90

Diminutiv(um), das. Verkleinerungsform —» Wortbildung. Diphthong, der (griech. diphthongos, >ZwielautEinlauteallein Weib, müs > Maus, huite > heute. Synchronischer Natur ist der Wechsel von Mono¬ phthong und Diphthong je nach Endungs- oder Stammbetontheit in romanischen Sprachen, z. B. im Spanischen: contar, aber cuento. Direct-Eclectic Method. Im Fremdsprachenunterricht die Form, in der die europäische —»Reformbewegung in den USA rezipiert wurde. Statt die Reform in ungetrübter Gestalt zu übernehmen, gelangte man zu einem Kompromiß zwischen traditionellem Vorgehen und reformerischem Bestreben. Vgl. —*• Eklektische Methode, -» Vermittelnde Methode; —> Fremdspra¬ chenunterricht, Geschichte: USA. Direkte Methode im Fremdsprachenunterricht. Zusammenfassende Bezeichnung für Unter¬ richtsverfahren, die 1. auf den Gebrauch der Muttersprache verzichten oder 2. neben dem Ein¬ halten der -> Einsprachigkeit auch vom formalen —>• Grammatikunterricht absehen. Historisch mit gewissen Varianten der —> Reformmethode identisch, berührt sich die Direkte Methode heutzutage mit der -> Audio-lingualen Methode und der -»Audio-visuellen Methode. Direktunterricht (auch: >Kontaktunterricht Medienverbund ab, in dem der Direktunterricht nur einen Teil des Unterrichts abdeckt und Lehrerfunktionen von technischen Unterrichtsmitteln übernommen werden. disambiguierte Sprachen. Künstliche Sprachen, die im Unterschied zu natürlichen Sprachen keine —* Ambiguitäten haben. Disambigui(si)erung. Auswahl einer von mehreren möglichen Interpretationen einer sprachli¬ chen Äußerung aufgrund von Kontextinformation; -> Ambiguität. Disjunktion (lat. disiunctio, /Trennung«, >Verschiedenheit«). Begriff aus der -> Aussagenlogik. Die Disjunktion (auch: >Oder-Verknüpfung«, >inklusives Oder«) zweier Aussagen a und b ist wahr, wenn wenigstens eine der beiden Aussagen wahr ist, und ist falsch nur, wenn beide Aussa¬ gen falsch sind.

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Distinktive Merkmale

diskontinuierliches Morphem (engl, discontinuous morpheme; griech.-lat., Hinzusammenhän¬ gendes MorphemSonoritätsmerkmale< (sonority features), die sich auf die zeitlich-spektrale Energieverteilung und Gesamtenergie beziehen, und >Tönungsmerkmale< (tonality features), bei denen die Enden des Spektrums eine Rolle spielen:

Sonoritätsmerkmale 1. >vokalisch< (+) / >nicht-vokalisch< ( —) (vocalic/non-vocalic) akustisch: Anwesenheit/Abwesenheit einer scharf definierten Formantstruktur; genetisch: vorwiegende oder ausschließliche Erregung der Glottis mit freier Luftpassage durch das Ansatzrohr/Fehlen dieses Merkmals. 2. >konsonantisch< (+ )/>nicht-konsonantisch< (—) (consonantal/non-consonantal) akustisch: geringe/hohe Gesamtintensität genetisch: Anwesenheit/Fehlen eines Hindernisses im Ansatzrohr. 3. >kompakt< (+)/>diffus< (-) (compact/diffuse) akustisch: höhere/geringere Energiekonzentration in einer verhältnismäßig schmalen zen¬ tralen Region des Spektrums bei gleichzeitiger Vergrößerung/Verminderung der Gesamt¬ intensität und deren zeitlicher Erstreckung; der Laut mit dem kleineren Formantverhältnis R3i = F3/Fj ist der kompakte; genetisch: das Verhältnis des Volumens vor der artikulatorischen Verengung zum Volumen hinter der artikulatorischen Verengung ist groß/klein. 4. >gespanntungespannt< (—) (tense/lax) akustisch: mehr/weniger scharfe spektrale Resonanzgebiete mit größerer/geringerer Ener¬ gieerstreckung in Frequenz und Zeit; genetisch: größere/geringere Deformation des Ansatzrohres gegenüber der Ruhestellung (vielleicht mit Beteiligung der Muskelspannung von Zunge, Wand des Ansatzrohres und Glottis). 5. >stimmhaft< (+ )/>stimmlos< (-) (voiced/voiceless) akustisch: Anwesenheit/Fehlen einer tieffrequenten periodischen Komponente; genetisch: die Stimmlippen schwingen/schwingen nicht periodisch. 6. >nasaloral< (—) (nasal/oral) akustisch: Ausbreitung der verfügbaren Energie über breitere Frequenzgebiete durch Reduktion der Intensität meist des ersten Formanten und Einführung zusätzlicher (nasaler) Formanten bzw. Antiformanten/Fehlen dieses Merkmals; genetisch: Beteiligung von Mund- und Nasenraum/Beteiligung des Mundraumes allein. 7. >abrupt< (+ )/>dauernd< (-) (abrupt/continuant) akustisch: Unterbrechung, gegebenenfalls mit vorhergehender oder nachfolgender Ener-

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Distinktive Merkmale

gieausbreitung über ein weites Frequenzgebiet (Rauschimpuls oder schnelle Änderung von Vokalformanten)/kein abrupter Übergang zwischen Schallsignal und Unterbrechung; genetisch: rasches Ein- und Ausschalten der Schallquelle durch ein- oder mehrmaliges Öff¬ nen bzw. Schließen des Ansatzrohres/Fehlen dieses Merkmals. 8. >scharf< (+ )/>miId< (—) (strident/mellow) akustisch: höhere/geringere Geräuschintensität; genetisch: scharfe/milde Verengung im Ansatzrohr und dementsprechend Strömung mit hoher/niedriger Reynoldszahl. Die Reynoldssche Zahl ist definiert durch

(w = Strömungsgeschwindigkeit in der artikulatorischen Verengung, h = mittlerer Durchmesser der artikulatorischen Verengung, v = kinematische Zähigkeit der Luft; vgl. Meyer-Eppler 1953.) 9. >gehemmt< ( + )/>ungehemmt< (—) (checked/unchecked) akustisch: starke Energieabstrahlung in kurzer Zeit/geringe Energieabstrahlung in langer Zeit, d. h. geringere/höhere Schwingungsdämpfung; genetisch: globalisiert (d. h. Zusammenpressen oder Verschluß der Glottis)/nicht globali¬ siert. Tönungsmerkmale 10. >dunkel< ( + )/>hell< ( —) (grave/acute) akustisch: Energiekonzentration im unteren/oberen Teil des Spektrums; genetisch: peripher/medial; periphere (d. h. velare und labiale) Phoneme besitzen einen weiteren und weniger stark gegliederten Resonanzraum als die entsprechenden medialen (d. h. palatalen und dentalen) Phoneme. 11. >tiefnicht-tief< (—) (flat/plain) akustisch: Erniedrigung oder Schwächung höherer Frequenzkomponenten/Fehlen dieses Merkmals; genetisch: verringerter Minimalquerschnitt der Konstriktion am Ein- oder Ausgang des Mundraumes mit gleichzeitiger Velarisierung, die den Mundraum vergrößert/vergrößerter Minimalquerschnitt der Konstriktion. 12. >spitznicht-spitz< (—) (sharp/plain) akustisch: Erhöhung oder Verstärkung höherer Frequenzkomponenten/Fehlen dieses Merkmals; genetisch: vergrößerter Minimalquerschnitt der Konstriktion am pharyngalen Ausgang des Mundraumes bei gleichzeitiger Palatalisierung, die den Mundraum verkleinert und stärker gliedert/verkleinerter Minimalquerschnitt der Konstriktion. (Nach: Meyer-Eppler 1969, S. 404-406) Wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung »Es ist nur ein kleiner, aber folgenreicher Schritt, in einem Lautsystem nicht mehr die Phoneme, sondern die Oppositionen, also die Phonemmerkmale, als das Primäre zu betrachten und die Phoneme als Bündel von Merkmalen wie Stimmhaftigkeit, Nasalität, Verschluß usw. sekun¬ där einzuführen« (Bierwisch 1966, S. 87 f.). Dieser Schritt zu den Merkmalen und über sie zu einer vergleichenden Phonologie kommt zum erstenmal als kollektive Auffassung des Prager Strukturalismus in der berühmten 22. Haager These von 1928 (-> Prager Schule) dort zum Aus¬ druck, wo für die Korrelation besondere Aufmerksamkeit der Phonologen verlangt wird: »II est

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Distinktive Merkmale

surtout utile d’envisager comme une classe ä part de differences significatives les correlations phonologiques. Une correlation phonologique est constituee par une serie d’oppositions binaires definies par un principe commun qui peut etre pense independamment de chaque couple de termes opposes. La phonologie comparee a ä formuler les lois generales qui regissent les rapports des correlations dans les cadres d’un Systeme phonologique donne« (Actes, S. 33). Die eine Kor¬ relation bildende gemeinsame Merkmalopposition - z. B. von Stimmhaftigkeit und Stimmlosig¬ keit in der aus mehreren Paaren bestehenden Serie p : b, t: d, k: g - kann unabhängig von diesen Phonempaaren gedacht werden, doch bleibt der Merkmalbegriff binär. 1939 wurde die Theorie der binären Distinktiven Merkmale von Jakobson im Ansatz formuliert. Kritik und Leistung Das Modell der Distinktiven Merkmale ist in vielerlei Hinsicht kritisiert worden: z. B. der von Jakobson postulierte God’struth-Charakter der Binarität, die unterschiedliche logische Struktur der Polaritäten (polare vs. kontradiktorische Eigenschaften), die mangelnde Transgressivität der Segmenterfassung und insbesondere die »Unnatürlichkeit« binärer Erfassung auf natürlichen physikalisch-akustischen und artikulatorisch-genetischen Substanzkontinua sowie die Priorität akustischer Definitionen. Tatsächlich aber erwies sich das Modell in seinen Weiterentwicklungen als leistungsstark, so z. B. in der Generativen Phonologie (—»dort und -* Formale Phonologie), wo die Merkmale zu der klassifikatorischen Funktion eine nicht-binäre phonetische Darstel¬ lungsfunktion übernehmen und das Merkmalinventar beträchtlich erweitert wurde, oder bei Ladefoged (1971), der das Argument der »Natürlichkeit« für einige Merkmale in ternären Merkmalspezifikationen berücksichtigt, oder bei Fant (1968), der die substantiell-akustischen Definitionen verbessert. (Zur Übertragung der phonologischen Merkmaltheorie auf andere sprachliche Ebenen —> Binarismus, Phonologie: Merkmaltheorie). Für Aspekte der substanz-orientierten Phonetik muß betont werden, daß die Distinktiven Merkmale - trotz ihrer rein phonetischen Definitionen - ein Modell von beträchtlicher Abstrakt¬ heit darstellen. Sie sind im phonetischen Sinne keineswegs ultimate Einheiten, da psycho-akustische Tests ihre Zerlegbarkeit in

acoustic cues und/oder auditiv-essentielle Eigenschaften

nachgewiesen haben: Merkmale lassen sich selbst wieder als Aggregate redundanter Merkmale und/oder acoustic cues darstellen. Lit.: Actes du Premier Congres International de Linguistes, ä la Haye, du 10-15 avril 1928, Leiden 1929. Bierwisch, M. (1966). »Strukturalismus. Geschichte, Probleme und Methoden«, Kursbuch 5, S. 77-152. Cherry, C. (1961). On Human Communication. New York; deutsch: Kommunikationsforschung, Frankfurt am Main 1963. Chomsky, N./Halle, M. (1965). »Some Controversial Questions in Phonological Theory«, Journal of Linguistics 1, S. 97-138. Dies. (1968). The Sound Pattern of English. New York/Evanston/London. Delattre, P. (1968). »From Acoustic Cues to Distinctive Features«, Phonetica 18, S. 198-230. Fant, G. (1966). »Theory of Distinctive Features. A. The Nature of Distinctive Features«, Speech Transmission Laboratory: Quarterly Progress and Status Report, H. 4, S. 1-14, Stockholm. Ders., »Sound, Feature, and Perception«, Speech Transmission Laboratory: Quarterly Progress and Status Report, H. 2-3, S. 1-14, Stock¬ holm. Ders. (1968). »Analysis and Synthesis of Speech Processes«, in: Malmberg, B. (Hrsg.), Manual of Phonetics. Amsterdam, S. 173-277. Halle, M. (1954). »The Strategy of Phonetics«, Word 10, S. 197-209. Ders. (1957). »In Defense of Number Two«, in: Studies Presented to Joshua Whatmough on His 60th Birthday. s’Gravenhage, S. 65-72. Heike, G. (1964a). Zur Phonologie der Stadtkölner Mundart. Marburg ( = Deutsche Dialektgeographie 57). Ders. (1964b). »Die »distinctive features< - Theorie und Probleme der automatischen Erkennung gesprochener Sprache«, in: Proceedings ofthe 5th International Congress of PhoneticSciences, S. 344-347. Householder, F. W. (1965). »On Some Recent Claims in Phonological Theory«, Journal of Linguistics 1, S. 1-34. Ders. (1967). »Distinctive Features and Phonetic Features«, in: Festschrift R. Jakobson, Bd. 2, The Hague, S. 941-944. Jakobson, R. (1939). »Observations sur le classement phonolo¬ gique des consonnes«, Proceedings ofthe 3rd International Congress of Phonetic Sciences, S. 41-43. Ders./ Fant, G./Halle, M. (1951). Preliminaries to Speech Analysis. The Distinctive Features and Their Correlates.

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Distribution

Cambridge, Mass. Jakobson, R./Halle, M. (1956). Fundamentals of Language, The Hague; deutsch: Grundlagen der Sprache, Berlin 1960. Kucera. H. (1967). »Distinctive Features, Simplicity, and Descriptive Adequacy«, in: FestschriftR. Jakobson, Bd. 2, The Hague, S. 1114—1126. Ladefoged, P. (1971). Preliminaries to Linguistic Phonetics, Chicago/London (Kapitel 10, S. 91-111). Meyer-Eppler, W. (1953). »Zum Erzeugungsmechanismus der Geräuschlaute«, Zeitschrift für Phonetik und allgemeine Sprachwissenschaft, 7, S. 196-212. Ders. (21969). Grundlagen und Anwendungen der Informationstheorie. Heidelberg. Mol, H./ Uhlenbeck, E. M. (1954/55). »The Analysis of the Phoneme in Distinctive Features and the Process of Hearing«, Lingua 4, S. 167-193. Romportl, M. (1963). »Zur akustischen Struktur der distinktiven Merk¬ male«, Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 16, S. 191-198. Ungeheuer, G. (1959). »Das logische Fundament binärer Phonemklassifikationen«, Studia Linguistica 13, S. 69-97.

Distribution. »Verteilung«. Menge der verschiedenen Kontexte oder Textumgebungen (engl. environments), in denen eine sprachliche Einheit vorkommt (Distribution innerhalb eines —» Corpus) bzw. Vorkommen kann (innerhalb einer Sprache mögliche Textvorkommen). Zwei sprachliche Einheiten A und B (je nach Untersuchungsebene, z. B. Phone oder Phoneme, Morphe oder Morpheme) können aufgrund des Verhältnisses zwischen ihren Distributionen mitein¬ ander verglichen werden. Dabei werden folgende Relationen zwischen Distributionen unter¬ schieden: >Äquivalente Distribution«, wenn die Mengen der Kontexte von A und B sich völlig decken. (In jedem Kontext von A kann anstelle von A auch B Vorkommen, und in jedem Kontext von B kann anstelle von B auch A Vorkommen.) >Komplementäre Distribution«, wenn die Kon¬ textmengen von A und B disjunkt sind. (A kann in keinem Kontext von B Vorkommen und B in keinem von A.) >DistributionsinklusionOberlappende Distribution« (auch: >teilkomplementäre Distribution«), wenn die Kontextmengen von A und B zum Teil über¬ einstimmen, zum anderen Teil disjunkt sind. (A kann in einigen, aber nicht allen Kontexten von B Vorkommen, B in einigen, aber nicht allen Kontexten von A.) - Diese vier Arten von Relatio¬ nen zwischen den Distributionen zweier sprachlicher Einheiten lassen sich durch folgende Euler-Diagramme veranschaulichen:

c) Distributionsinklusion

d) Überlappende Distribution

Distributiv (um)

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Anstelle von äquivalenter Distribution ist auch die Bezeichnung >freie Korrelation« (free correlation) gebräuchlich. Distributionsinklusion und überlappende Distribution werden gelegentlich unter der Bezeichnung kontrastive Distribution« (contrastive distribution) zusammengefaßt. Distribution ist das entscheidende Kriterium für die Gewinnung und Klassifikation sprach¬ licher Einheiten im amerikanischen — Distributionalismus. Lit.: — Distributionalismus. Zur Distribution im Bereich der Phonologie: Bloch, B. (1948). »A Set of Postulates for Phonemic Analysis«, Language 24. Pilch, H. (1964). Phonemtheorie. I. Basel/New York.

Distributionalismus. Bezeichnung für eine Richtung des amerikanischen

* Strukturalismus, die

ihre Sprachbeschreibungen ausschließlich oder entscheidend durch die Untersuchung der —> Distribution sprachlicher Elemente gewinnt, am entschiedensten ausgeprägt in den Arbeiten von Z. S. Harris bis in die fünfziger Jahre. Ausgehend von der Überlegung, daß sprachliche Äußerungen keine willkürlichen Aneinan¬ derreihungen von Elementen sind, sondern jedes Element in seinen Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Elementen eingeschränkt ist, entwickelten die Distributionalisten eine Reihe von Analyseverfahren, die die Restriktionen der Kombinationsmöglichkeiten zum Kriterium für die Klassifikation sprachlicher Einheiten machen. Entscheidendes Motiv war, zu Sprachbeschrei¬ bungen möglichst ohne die Verwendung semantischer Kriterien zu gelangen, da, wie schon Bloomfield (1933) erklärt hatte, die mit sprachlichen Äußerungen verbundenen — Bedeutungen nicht exakt überprüfbar seien. Die wesentlichen Prozeduren einer distributionalen Analyse sind: Segmentation eines —* Corpus in minimale Elemente, Identifikation gleich erscheinender Ele¬ mente durch wechselseitige Substitution und Klassifikation der Elemente nach ihrer Distribution, d. h. der Menge der verschiedenen Umgebungen, in denen sie Vorkommen. Harris (1951): »The essential method of descriptive linguistics is to select these parts and to state their distribution to each other« (S. 6). Die distributioneile Klassifikation der minimalen Segmente führt zur Bestimmung der Pho¬ neme (— Phonologie: Phonem) der untersuchten Sprache. — Morpheme werden auf Grund der distributiven Eigenschaften minimaler Phonemketten ermittelt (hierzu Harris 1955). Mit der Bestimmung der Morpheme und der Feststellung ihrer Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Morphemen (Harris 1946) ist eine Beschreibung der Sprache im Sinne des Distributionalismus abgeschlossen. Die erforderlichen Prozeduren, einschließlich der zulässigen »Abkürzungen« (d. h. nicht vollständig durchgeführter Substitutionstests und Distributionsuntersuchungen), sind detailliert und exakt in Harris’ Methods in Structural Linguistics (1951), der Methodenlehre des Distributionalismus, beschrieben. Eine Theorie im strengen Sinne wurde von den Vertretern des Distributionalismus nicht entwickelt, da sie sich durch die Explizitheit und Nachprüfbarkeit ihrer Analyseprozeduren ausreichend gerechtfertigt sahen. In seinen späteren Arbeiten (— String Analysis) ermöglichte Harris eine teilweise Überwindung des rigorosen Distributionalismus, die schließlich von den Vertretern der Generativen — Transformationsgrammatik konsequent durchgeführt wurde. — Konstituente, — Konstituentengrammatik, — Taxonomie, — deskrip¬ tive Linguistik. Lit ' Harris Z. S. (1946). »From Morpheme to Utterance«, Language 22,161-183. Ders. (1951). Methods in Structural Linguistics. Chicago: University of Chicago Press (als Paperback unter dem TOel Strtrturd Linguistics, 1961). Ders. (1954). »Distributional Structure«, Word 10, S. 146-162. Ders. (1955). »From Phoneme to Morpheme«, Language 31, S. 190-222. Distributiv(um), das. Verteilungszahlwort wie je drei; ein — Numerale.

Diversifikation

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Diversifikation (lat. diversus, >verschiedenDiversifikationsquotienten< (engl, type-token ratio, TTR), der den Anteil der verschiedenen Wörter (types) an der Gesamtzahl der verwendeten Wörter (tokens) bestimmt. Das auf W. Johnson (1941) und I. W. Chotlos (1944) zurückgehende Maß korreliert in der Regel signifikant mit der Intelligenz des jeweiligen Sprachproduzenten, ist jedoch, als Quotient, abhängig von der Länge der jeweili¬ gen Sprachstichprobe, d. h. es nimmt mit wachsender Länge ab. Man hat daher auch versucht, stabile Werte für die Konzentration der Worthäufigkeit zu finden. Die bekanntesten Werte, um unabhängig von der Textlänge den Wiederholungsgrad eines Vokabulars anzugeben, sind der K-Faktor von Yule und vm von Herdan, d. i. der Variationskoeffizient der Mittelwerte, eine Kor¬ rektur zum K-Faktor (—► Quantitative Koeffizienten). Lit.: Carroll, J. B. (1938). »Diversity of Vocabulary and the Harmonie Series Law of Word Frequency Distribution«, Psychological Record 2, S. 379-386. Chotlos, J. W. (1944). »Studies in Language Behavior IV. A Statistical and Comparative Analysis of Individual Written Language Samples«, Psychological Monographs 56, S. 75-111. Herdan, G. (1966). The Advanced Theory of Language as Choiceand Chance. Berlin. Johnson, W. (1941). »Language and Speech Hygiene«, General Semantics Monographs 1. Yule, G. U. (1944). The Statistical Study of Literary Vocabulary. Cambridge.

Dokumentation, maschinelle. Versuche, angesichts des für den einzelnen nicht mehr überschau¬ baren Kenntnisstands den Informationsfluß, besonders im wissenschaftlich-technischen Bereich, zu systematisieren und zu mechanisieren. Bei der Erfassung und Beschreibung von Dokumenten (Büchern, Aufsätzen, Patenten, Urteilen...) - es handelt sich zum Teil bereits um Kurzfassungen (engl, abstracts) - ordnen menschliche Bearbeiter (in der Regel anhand eines Schlagwortver¬ zeichnisses, des sogenannten >ThesaurusDeskriptoren< zu, die begriffliche Inhalte (Themen) eines Dokuments charakterisieren. Die Dokumente lassen sich somit anhand der Deskriptoren klassifizieren und ordnen (indexing). Zum Auffinden der Dokumente bei einer Anfrage (retrieval) lassen sich nun ebenfalls die Deskriptoren verwenden. (Da die Indizierung nur von Fachkräften geleistet werden kann, werden bei der späteren Suche nach relevanten Dokumenten anhand der Deskriptoren kaum alle gefunden [mangelhafter recall] bzw. unter den gefundenen sind welche, die nicht relevant sind [mangelhafte precision].) Die Automatisierung des Information retrieval unter Ausklammerung der menschlichen Bearbeitung brachte in den USA (SMART-System) erste befriedigende Ergebnisse, ohne daß über den Wortlaut hinaus sprachliche Informationen herangezogen wurden. Eine weitergehende Mechanisierung des Dokumentationsprozesses auf der Basis der natürlichen Sprache ist bisher an den mangelhaften linguistischen Grundlagen gescheitert. Ähnlich wie in der Frage nach einer brauchbaren -» Maschinellen Übersetzung besteht gegenwärtig kaum Anlaß, an eine rasche Bewältigung dieses Problems zu glauben. Ohne Zweifel hat aber die Linguistik in den letzten Jahren (man vergleiche etwa die Ergebnisse der Generativen -^Transformationsgrammatik oder der jüngsten strukturalen Lexikologie; —► Semantik) genügend Fortschritte gemacht, um prak¬ tische Unternehmungen zur maschinellen Dokumentation auf natürlichsprachlicher Basis (ma¬ schinelles indexing, Frage-Antwort-Systeme) sinnvoll erscheinen zu lassen. Eine Dokumentationsstelle im Bereich des Fremdsprachenunterrichts ist das »Informations¬ zentrum für Fremdsprachenforschung« (IFS), 355 Marburg/Lahn, Liebigstraße 37, das eine seit 1970 erscheinende Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht (München: Hueber) be¬ treut. Die Arbeiten an dieser Bibliographie erfolgen auf der Grundlage von Regeln einer maschi¬ nellen Titelaufnahme, die eine automatisierte Verarbeitung der erfaßten Daten ermöglichen. Lit.: Borko, H. (1967). Automated Language Processing. New York. Körner, H. G. (T967). »Maschinelle Dokumentation«, in: Steinbuch, K. (Hrsg.), Taschenbuch der Nachrichtenverarbeitung, Berlin, S.

Dolmetschen

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1229-1268. Salton, G. (1969). A Comparison Between Manual and Automatic Indexing Methodes. Ameri¬ can Documentation. Ders./LESH, M. E. (1968). »Computer Evaluation of Indexing and Text-Processing«, Journal of the ACM, S. 8-36.

Dolmetschen (nicht-idg. Ursprungs). Folge von unidirektionalen, teils habitualisierten, teils ent¬ scheidungsbedingten Formulierungsprozessen, die von einem ausgangssprachlichen mündlichen Text konsekutiv oder simultan zu einem möglichst äquivalenten zielsprachlichen mündlichen Text hinüberführen und das reaktionsschnelle Erfassen und Umsetzen von mehr oder minder komplexen Textsegmenten erfordern. Grundsätzlich kann der Translationsakt auf verschiedene Weise, auf mündlichem Wege (Dol¬ metschen) oder über den schriftlichen Kanal (Übersetzen, -> dort) erfolgen. Hauptunterschei¬ dungsmerkmal ist die einmalige Darbietung des zu dolmetschenden Textes gegenüber der per¬ manenten, geistiges Zurückblättern - und damit Korrekturen - ermöglichenden Verfügbarkeit des zu übersetzenden Textes (Wirl 1958, Kade 1964, Kainz 1965). Graphisch läßt sich der Dolmetschprozeß - in vereinfachter Form - folgendermaßen darstel¬ len: S/AST

Input/Output-Invarianz (covariance)

(S = Sender, E = Empfänger, AST = ausgangssprachlicher Test, ZST = zielsprachlicher Text) Neben der Übersetzungswissenschaft (im engeren Wortsinn) und in ständiger Querverbindung zu ihr ist die Dolmetschwissenschaft im Entstehen begriffen, die sich vor allem die Klärung der kommunikationswissenschaftlichen und psycholinguistischen Voraussetzungen des Simultan¬ dolmetschvorgangs zum Ziel gesetzt hat und die gewonnenen Einsichten für dolmetschunterrichtliche Untersuchungen nutzbar zu machen versucht (Seleskovitch 1968, Kirchhoff 1971). Da Simultandolmetschen (mlat. simultanem, gleichzeitig«) immer in einem Zeitkontinuum vor sich geht und deshalb die Reflexionszeit für die interlinguale Decodierung und Encodierung eines Textsegments äußerst gering bemessen ist, ist die Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen des antizipatorischen Erkennens von syntaktischen Strukturen ein wichtiges Ziel dol¬ metschwissenschaftlicher Forschung. Hat sich der Simultandolmetscher erst einmal für einen be¬ stimmten Satzbauplan entschieden, kann er aus Zeitmangel entweder gar nicht mehr oder nur noch unter größten Schwierigkeiten auf eine andere als die im ersten Anlauf gewählte syntak¬ tische Strategie umschalten. Optimale Nutzbarmachung aller textuellen Hinweise für die Dekontextualisierung, Disambiguierung und syntaktisch-semantische Extrapolation eines Textseg¬ ments - normalerweise in der Größenordnung eines Satzes oder eines Teilsatzes - ist deshalb

Dominanz

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die Grundbedingung für die Bestimmung des günstigsten Zeitpunkts für den Beginn des Dol¬ metschprozesses und die Erzielung eines inhaltlich und stilistisch adäquaten Dolmetschresultats. Lit.: —»Übersetzen.

Dominanz (lat. dominari, >herrschenRückenQuasi-SymboldauernpunktuellFundamentumAddit(iv)um, zu genügen. -»Differenzierung:

2. Ebene (auch: >SchichtStratumRangDimensionEbene< und den jeweiligen als synonym oder quasisynonym intendierten Ausdrücken ist nur gemeinsam, daß Sprache oder sprachliche Erscheinungen in Abhängigkeit von den Voraussetzungen, Erklärungs- oder Beschreibungszielen der verschiedenen Linguisten als irgendwie in Teilbereiche zerlegbar ange¬ sehen werden, wobei nicht immer deutlich wird, ob eine Teilung bzw. Schichtung in Ebenen als »natürliche« Eigenschaft von Sprache behauptet wird oder aber nur eine aus irgendwelchen Gründen vorgenommene Unterteilung innerhalb der Sprachtheorie bzw. der Theorie einer Spra¬ che (= Grammatik qua Sprachbeschreibung) ist. Die im folgenden aufgeführten Hauptverwen¬ dungsarten von >Ebene< werden von einzelnen Autoren durch den Gebrauch entsprechender Heteronyme oder Komposita unterschieden, von vielen anderen jedoch nicht:

101

Ebene

a) Nach L. Weisgerber (zuletzt 1973), der sich dabei auf Saussure stützt, hat Sprache in einem umfassenden Sinne drei Ebenen oder Entfaltungsbereiche: die des menschlichen Daseins (Langage im Sinne Saussures), die des gemeinschaftlichen Lebens (—» Langue) und die der indi¬ viduellen Aktivität (Parole). b) Nach L. Hjelmslev (1954), der sich ebenfalls auf Saussure stützt, hat eine Sprache (als Zei¬ chensystem) zwei Ebenen: die >Inhaltsebene< (plan du contenu) und die >Ausdrucksebene< (plan de l’expression; -» Glossematik). Andere Autoren treffen die gleiche begriffliche Unterschei¬ dung mit Termini wie >Inhaltsseite< oder >Inhaltsdimension< bzw. >Ausdrucksseite< oder >Ausdrucksdimensiom. c) In Anlehnung an A.Martinets( 1960, Kap. 1) Annahme einer zweifachen Gliederung (dou¬ ble articulation) einer jeden Sprache sprechen einige Linguisten von zwei Gliederungs- oder Strukturebenen einer Sprache: der Ebene der minimalen zeichenunterscheidenden Einheiten (Phoneme; -» Phonologie) und der Ebene der minimalen bedeutungstragenden Einheiten (bei Martinet >MonemeAusdruckInhalt Stratifikationsgrammatik von S. M. Lamb, der für die Strukturbeschreibung einer Sprache bis zu 6 Ebenen (strata) annimmt, die übereinanderge¬ schichtet (vom >hypophonemischen< Stratum bis »hinauf« zum >hypersememischen< Stratum) und untereinander durch bestimmte Relationen verknüpft sind. g) In einem engeren Sinne spricht man von Ebenen bei der Struktur von Sätzen. Einige Struk¬ turalisten (u. a. Gleason 1961, S. 66 f.) verstehen die Struktur eines Satzes als Hierarchie aus Konstituenzebenen (—»Konstituente); die Einheiten einer »höheren« Ebene werden jeweils durch Einheiten der nächstniedrigeren Ebene konstituiert, absteigend von oben nach unten z. B. Ebenen mit den Einheiten Satz (Teilsatz), Satzteil, Wort, Morphem (sentence, clause, phrase, word, morpheme). M. A. K. Halliday (1961) spricht in diesem Zusammenhang nicht von level, sondern von rank (—» Scale-and-Category-Linguistik). h) Unmißverständlich ist die Verwendung von >Ebene< (level) bei N. Chomsky (u. a. 1966). Er macht keine Aussagen über Ebenen, die eine Sprache hat, sondern spricht nur von Beschreibungs-/Darstellungsebenen (levels of representation) innerhalb der Theorie von sprachlichen Ausdrücken, insbesondere von Sätzen. Ein und derselbe Satz kann im Rahmen der -» Generati¬ ven Grammatik auf verschiedenen Beschreibungsebenen dargestellt werden, wobei auf jeder Ebene nur bestimmte Eigenschaften des Ausdrucks beschrieben werden, von anderen abstrahiert wird. Jede Ebene ist durch eine Menge von elementaren theoretischen Einheiten (primitives, z. B. Symbole für grammatische Kategorien, lexikalische Einheiten oder Phoneme bzw. deren Merkmale) und bestimmte Regeln, welche die Einheiten zu einer Darstellung des Ausdrucks auf der betreffenden Ebene einander zuordnen, charakterisiert. Durch Abbildungsoperationen wird die Darstellung des Ausdrucks von einer Ebene auf eine andere überführt. Zum Beispiel wird die von den phonetischen Eigenschaften am stärksten abstrahierende Darstellung des Ausdrucks

Echo-Reaktion

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auf der Ebene der —»Tiefenstruktur über bestimmte Zwischenebenen (die innerhalb der Theorie zu begründen sind) schließlich auf die beobachtbare Form des Ausdrucks abgebildet. i) In einem völlig anderen Sinne bezeichnet auch die —* Soziolinguistik sprachliche Varietäten gelegentlich als >Sprachebenen< oder >Sprachschichten< und spricht die Stilistik von >Stilebenen Entwicklungspsycholinguistik gefunden, die sich mit der Rolle der Imitation beim kindlichen Spracherwerb befaßt. Das unwillkürliche Nachsprechenmüssen gehörter Wörter und Sätze (besonders bei Schizo¬ phrenen) bezeichnet die Sprachpathologie als >Echolalie< oder >Echophrasie< (griech. lalia bzw. phrasis, >SprechenMatrixsatz Transformationsregeln: Wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung) erfolgen Ein¬

bettungen durch generalisierte Transformationen; in Transformationsgrammatiken nach dem Aspects-Modell durch rekursive Regeln der -> Basis (-» Kontextfreie Sprache, 4). - Aus einge¬

betteten Sätzen werden außer Nebensätzen auch Gerundial- und Infinitivkonstruktionen (-* Equi-NP-Deletion) und gewisse Substantive mit »verbaler« bzw. »adjektivischer« Bedeu¬ tung abgeleitet (—> Nominalisierung). Einführungskurs im Fremdsprachenunterricht. Vorkurs als erste Stufe des Anfangsunterrichts (-> Unterrichtsphasen), bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als -*• Lautkurs konzipiert. Seine Aufgabe ist es, den Schüler anhand eines sinnvoll zusammengestellten Wortschatzes und ele¬ mentarer Strukturen in den situationsgerechten Gebrauch der Fremdsprache einzuführen und dabei die Grundlagen der Lautung, Betonung und Intonation zu schaffen. Ein gelungener Ein¬ führungskurs führt dem Lernenden die sofortige Anwendbarkeit des Gelernten vor Augen und macht ihn mit wesentlichen Arbeitsformen des neuen Faches vertraut. Während man sich anfangs für einen rein mündlichen Einführungskurs entschieden hatte, nehmen in letzter Zeit die Stirn-

103

Einschluß

men zu, die bereits im Einführungskurs die —*■ Fertigkeiten des Lesens und Schreibens berück¬ sichtigt sehen wollen. Lit.: Germer, E. (1970). Die Aussprache im Englischunterricht. Hannover/Dortmund. Piepho, H.-E. (1968). Die ersten Wochen Englischunterricht. Hannover/Dortmund.

eingebetteter Satz, In der Transformationsgrammatik ein in einem >Matrixsatz< enthaltener anderer Satz; —» Einbettung. Einschluß (brieflich mitgeteilter Übersetzungsvorschlag von P. Lorenzen für engl, entailment). Analytische Implikation (—* Analytizität). Mit >Einschluß< einer Aussage (A’) in eine andere (A) meint man im wesentlichen, daß A unter keinen Umständen wahr sein kann, ohne daß auch A’ wahr ist, das heißt, daß in einer gegebenen Situation ohne Rücksicht darauf, wie die Welt inter¬ pretiert wird, auf Tatsachenwissen u.dgl. nicht A wahr und A' falsch sein kann. So schließt z. B. die Aussage Diese Person ist eine alte Jungfer die Aussage Diese Person ist weiblich ein. Etwas formaler ausgedrückt kann man mit Horn (1969) sagen, daß A A einschließt, wenn die Wahrheit von A’ aus der Wahrheit von A und die Falschheit von A aus der Falschheit von A’ geschlossen werden kann. >Einschluß< ist zu trennen von »materieller Implikation«. Eine Aussage A impliziert eine andere Aussage A’ materiell, wenn in den Grenzen eines bestimmten Sachverhalts (wie un¬ serer augenblicklichen Kenntnis von der Beschaffenheit des Universums), wann immer A wahr ist, auch A’ wahr sein muß. So impliziert die Aussage X ist ein Metallgegenstand, der sich bewegt materiell die Aussage X bewegt sich mit einer langsameren Geschwindigkeit als das Licht (sie schließt sie nicht ein). Es gibt nach dem gegenwärtigen Stand der Erforschung natürlicher Sprachen keinen Grund, »Einschluß« und Folgerung im allgemeinen zu unterscheiden. Setzt man beide gleich, liegt die Bedeutung des Begriffs »Einschluß« für die Beschreibung natürlicher Sprachen auf der Hand. Ausgezeichnete Beispiele sind von G. Lakoff (1971) diskutiert worden, etwa der Satz The mayor is a Republican and the used-car dealer is honest too (wobei mayor und used-car dealer nicht koreferentiell sind). Dieser Satz hat die -> Präsupposition, daß alle Republikaner Ehrenmänner sind. Aus dem Satz und seiner Präsupposition kann somit durch eine einfache Reihe von Folge¬ rungen abgeleitet werden: The mayor is honest. Mit anderen Worten, The mayor is a Republican and the used-car dealer is honest too schließt The mayor is honest in genau dem oben beschriebe¬ nen Sinne ein, d. h. wenn der erste Satz wahr ist, dann muß der zweite wahr sein, und wenn der zweite falsch ist, dann muß der erste falsch sein. Da, wie Lakoff zeigt, die Grammatikalität des Satzes nur unter Bezugnahme auf den Einschluß bestimmt werden kann, ist die Bedeutung des Einschlusses für die linguistische Beschreibung unmittelbar erwiesen. Die Rolle des Einschlusses bei der Beschreibung natürlicher Sprachen ist sogar noch größer veranschlagt worden von Lightfoot (1972), der in der Tiefenstruktur kausaler und konditionaler Nebensätze ein abstraktes Verb einschließen annimmt. Danach sind die Sätze Wenn du Schoko¬ ladenkuchen magst, bist du ein Dummkopf und Weil du Schokoladenkuchen magst, bist du ein Dummkopf beide von (einschließen) (du magst Schokoladenkuchen) (du bist ein Dummkopf) abgeleitet mit dem einzigen Unterschied, daß die Präsuppositionen zu (du magst Schokoladen¬ kuchen) verschieden sind. Nach Meinung einiger sind Definitionen von »Einschluß« wie die oben gegebenen nicht streng genug, sondern muß zwischen einem Satz und den Aussagen, die er einschließt, eine Sinnrelation bestehen (vgl. die Kritik an dieser Auffassung bei Hughes/Cresswell 1972). Es ist nicht klar, ob eine solche Forderung Konsequenzen für die linguistische Semantik hat, aber zu einem etwas an¬ deren Ansatz führt sie. So definiert Katz (1966, S. 205 ff.; vgl. auch Quine 1963) »Einschluß« als die Beziehung, die zwischen den voraufgehenden und folgenden Sätzen eines Konditionalsat-

Einsprachigkeit

104

zes besteht, wenn dieser analytisch ist. Während der Aufweis der Analytizität von Konditional¬ sätzen ziemlich kompliziert und diese auch intuitiv keineswegs so offensichtlich ist wie z. B. die Analytizität von gewöhnlichen Aussagen, liegt es mehr oder weniger auf der Hand, daß Sätze wie Wenn jene Person eine alte Jungfer ist, dann ist die Person weiblich analytisch genannt wer¬ den dürfen (im Gegensatz zu Wenn jene Person eine alte Jungfer ist, dann hat die Person gute Aus¬ sichten, heiliggesprochen zu werden). In einem solchen Fall sagt man, daß das Voraufgehende (jene Person ist eine alte Jungfer) das Nachfolgende (die Person ist weiblich) einschließt. Infor¬ maler ausgedrückt kann man sagen, daß eine Menge von Aussagen von einer gegebenen Aus¬ sage eingeschlossen wird, wenn sie mit dieser Aussage nicht synonym sind und wenn ihre Wahr¬ heit aus dieser Aussage unmittelbar, d. h. allein aufgrund der Bedeutung dieser Aussage abge¬ leitet werden kann. Folglich schließt z. B. die Aussage Hans ist Junggeselle die Aussagen Hans ist männlich, Hans ist erwachsen usw. ein. Das Problem des Einschlusses ist auch bei Auseinandersetzungen über Quantifikation von Wichtigkeit gewesen (vgl. Horn 1969, Lakoff 1970, Partee 1970). Lit.: Horn, L. R. (1969). »A Presuppositional Analysis of Only and Even«, in: Binnick, R. I., etal.(Hrsgg.), Papers From the Fifth Regional Meeting. Chicago Linguistic Society. Chicago: University of Chicago, S. 98—107. Hughes, G. E./Cresswell, M. J. (1972). An Introduction to Modal Logic. London. Katz, J. J. (1966). The Philosophy of Language. New York; deutsch: Philosophie der Sprache. Frankfurt am Main 1969. Lakoff, G. (1970). »Repartee. Or a Reply to >Negation, Conjunction and Quantifiers Direkten Methode zu sprechen. Mit der Präzisierung des Methodenbegriffs (-* Methode) verbot es sich aber, einzelne Merkmale zu verallgemeinern und zur Methodenbe¬ zeichnung zu erheben. Der im Sinne der Einsprachigkeit durchgeführte Unterricht versucht, der -*• Interferenz von Muttersprache und Zweitsprache entgegenzuwirken, d. h. den Lernenden ge¬ gen die störenden Einflüsse der Muttersprache auf den Lernprozeß abzuschirmen. Bislang ge¬ hörte die Einsprachigkeit zu den hervorstechenden Merkmalen der Reformbestrebungen aus dem angloamerikanischen Raum, war aber auch schon in der deutschen -» Reformbewegung verankert. Nach der Auffassung gemäßigter Vertreter der Einsprachigkeit ist es gerechtfertigt, von ihr abzuweichen, wenn a) die Eindeutigkeit von Erklärungen es erfordert, b) eine Verständniskon¬ trolle auf anderem Wege nicht möglich ist, c) die Ökonomie der Darbietung das Abgehen von der Einsprachigkeit nahelegt, d) die Verständlichkeit von Arbeits- oder Prüfanweisungen ge¬ währleistet werden muß und e) Informationen vermittelt werden, die nicht unmittelbar der sprachlichen Schulung dienen, aber aus Motivationsgründen in den Lehrgang eingefügt werden, hauptsächlich solche aus dem Bereich der Landeskunde. Neuerdings haben sich Stimmen zu Worte gemeldet, die dem zweisprachig geführten Unter¬ richt höhere Erfolgschancen einräumen, weil sie in der Verwendung der Muttersprache eine Lernhilfe sehen. Diese Auffassung ist umstritten. Lit. Barter, A. R. (1970). Learning Languages. The Comparative Method. Newton Abbot. Butzkamm, W. (1973). Aufgeklärte Einsprachigkeit. Heidelberg. Dodson, C. J. (1967). Language Teaching and the Bilingual Method. London.

Elementarphonetik

105

Einwortsatz. Von C. und W. Stern (1907) eingeführte Bezeichnung für die »ersten wirklichen Sprachäußerungen« nach den Vorstadien des Gurrens und Lailens und der bloßen Nachahmung von Lauten. Wörter wie mama (~ >MutterspazierengehenSubstantiv< bzw. >Verb< zugeordnet werden, sondern gehören laut Stern über¬ haupt noch keiner Wortklasse an. Sie lassen sich am ehesten durch Satzeinheiten wie »Mutter, komm her«, »Mutter, gib mir« wiedergeben, bezeichnen aber auch ganze Situationen. Zur Weiterentwicklung zum Zweiwortsatz —» Angelpunktgrammatik. Lit.:

Stern,

C. und W. (1907). Die Kindersprache. Eine psychologische und sprachtheoretische Untersuchung.

4Darmstadt 1965.

Ejektive (lat. eicere, >ausstoßenImplosive< in den Bereich der glottalen Artikulation; es sind glottale Konsonanten (Catford 1939), d. h. sie unterscheiden sich von anderen Konsonanten durch den Ort der Luftstromproduktion (>glottal< vs. >pulmonal Luftstromdynamik, -> Implosive. J. C. (1939). »On the Classification of Stop Consonants«, Le Maitrephonetique 54, S. 2-5. A. C (1962). An Introduction to the Pronunciation of English. London. Greenberg, J. H. (1970). »Some GeneralizationsConcerningGlottalic Consonants«, International Journal of American Linguistics 36,

Lit.:

Catford,

Gimson,

S. 123-145.

Ladefoged,

P. (1971). Preliminaries to Linguistic Phonetics. Chicago/London.

Eklektische Methode. Das in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts vorherrschende Verfah¬ ren, eine Auswahl unter verschiedenen Methoden zu treffen und die Maßnahmen an unter¬ schiedlichen Kriterien auszurichten. Die Eklektische Methode kann positive und negative Aus¬ wirkungen haben, nämlich entweder Einseitigkeiten bestimmter Theorien oder Methoden auszugleichen oder durch Rückgriff auf unvereinbare Theorien oder Methoden Unsicherheit zu stiften und den Unterricht der Beliebigkeit auszuliefern. Elaborierter Code. Nach einer Dichotomie der —> Soziolinguistik (Näheres —«■ dort: Historische Entwicklung..., Defizit-Hypothese) die differenziertere Sprache des Mittelschichtsprechers im Gegensatz zum Restringierten Code■ Kom¬ paration.

Elektronisches Klassenzimmer (auch: >GruppenarbeitslaborH(ör)-S(prech)Labors Experimental- und Instrumentalphonetik, zu der man Rousselot, Chlumsky, Panconcelli-Calzia, Meyer, Scripture, Kaiser, v. Essen u. a. zählen kann (Literaturangaben —> Experimentalpho¬ netik). Die Elementar- oder Ohr(en)phonetik oder - wie Jespersen (1904) sie weniger polemisch be¬ zeichnet - »sprachliche Schule der Phonetik« konstituierte sich in der Folge des enthusiastisch geführten Methodenstreits in der Fremdsprachenpädagogik und der Auseinandersetzungen um eine an die lautsprachlichen Erscheinungen anknüpfende Reformorthographie in den Jahren 1885/86 in Paris und Stockholm. In Paris gründete man die FTA (The Phonetic Teachers’ Asso¬ ciation), die sich unter dem Vorsitz von P. Passy von einer regional französischen zu einer über¬ nationalen Gesellschaft von Fremdsprachenpädagogen ausweitete, die der phonetischen Methode verpflichtet waren: der Association Phonetique des Professeurs de Langues Vivantes (1889). Diese wurde wiederum 1897 zu einer internationalen phonetisch-wissenschaftlichen Gesellschaft unter der heute noch gültigen Bezeichnung Association Phonetique Internationale (API) umorganisiert, deren Geschäfte z. Z. vom traditionsreichen phonetischen Institut am University College in London geführt werden. Als Publikationsorgan erschien seit 1889 der Maitre phonetique, der die 1886 gegründete Zeitschrift Dhi Fonetik Titcer ablöste. 1971 wurde der Maitre phonetique wiederum durch das Journal of the IPA abgelöst. Im Maitre phonetique er¬ schienen sämtliche Beiträge in transkribierter Form. - Parallel zur Gründung in Paris vereinigten sich 1886 in Stockholm Fremdsprachenpädagogen und Phonetiker unter der Gruppenbezeich¬ nung Quousque tandem, die nach dem nom de guerre W. Vietors gewählt wurde, mit dem dieser 1882 seine Streitschrift Der Sprachunterricht muß umkehren unterzeichnet hatte. Neben den fremdsprachenpädagogischen Anliegen hatte sich Quousque tandem zur Aufgabe gemacht, die Interessen eines an den europäischen Hochschulen noch nicht mit Lehrstühlen vertretenen Faches >Phonetik< wahrzunehmen. Erstes Ziel der Elementarphonetik war die Entwicklung eines in Schule und (Sprachwissen¬ schaft universal verwendbaren Transkriptionssystems, an dem seit 1889 gearbeitet wurde und das nach vielen Modifikationen Pädagogen und Linguisten in den meisten Ländern der Welt heute als verbindliche Arbeitsgrundlage dient. Die Methodik der Elementarphonetik läßt sich als sprachbezogen-deskriptiv charakterisieren. Sie entbehrte zunächst der funktionalen Kategorien der strukturalen Linguistik, so daß die Abhör- und Transkriptionstätigkeit nicht selten lediglich zur Dokumentation der phänomenal¬ lautlichen Vielfalt bestimmter Sprachen und ihrer regionalen Varianten geführt hat. So kritisiert K. Bühler (1931): »Das impressionistisch geschulte Ohr der Dialektforscher und der anderen führenden Meister der lingustischen Phonetik, hat in den letzten zwei oder drei Menschenaltern im Wettbewerb mit der Apparatenanalyse der Experimentalphonetiker genau so geschwelgt in der Entdeckung von Lautnuancen wie das Auge des impressionistischen Malers in der Welt der neuentdeckten Farbwerte« (S. 43). Unpolemisch beurteilt ist das Vorgehen der sprachlich ori¬ entierten Ohrphonetik nicht so erkenntnistheoretisch naiv, wie es ihr die Experimentalphonetik und die Phonologie zum Vorwurf machten. U. a. Jespersen hat den Stellenwert des auditiven Urteils in einer am Kommunikationsmodell zu formulierenden Theorie der Phonetik erkannt. Er definiert Sprachlaut als » ... ein Erzeugnis der menschlichen Sprachorgane, die eine solche Bewegung in der Luft hervorbringen, daß man imstande ist, sie mittels des Ohres mit einer Bestimmtheit wahrzunehmen, die hinreicht, um den ganzen Prozeß als Mitteilungsmittel von dem einen Menschen zum andern benutzen zu können« (1904, S. 104). Tatsächlich ist nach der Inte¬ gration der Beschreibung des lautsprachlichen Verhaltens in eine Theorie der menschlichen Kommunikation - wie man sie aus Jespersens Zitat oder seiner Darstellung des phonetischen

107

Ellipse

Objektbereichs (ebendort, S. 75 f.) bereits ahnen kann -der Elementarphonetiker » ... diejenige kompetente Instanz, die allein darüber entscheidet, was äquivalentes kommunikatives Verhalten ist... Ohne diese heuristische Voraussetzung wäre eine Theorie der Phonetik in keiner Form möglich« (Tillmann 1971, S. 12). Aus extra-kommunikativem Aspekt kann der Elementarpho¬ netiker allein beurteilen, welchen Merkmalen und Eigenschaften des phonetischen Signals ver¬ haltensverändernde Funktion zukommt. Damit ist zugleich die methodologische Schwäche der Instrumentalphonetik aufgedeckt, die im allgemeinen entweder wegen des rein naturwissen¬ schaftlichen Vorgehens an einer auditiv operierenden heuristischen Instanz nicht interessiert ist oder - schlimmer noch - implizit diese in Form der Introspektion des Phonetikers dem eigenen instrumentalphonetischen Vorgehen vorgeschaltet hat. In der zeitgenössischen Phonetik ist der Schulenstreit zwischen Elementar- und Instrumen¬ talphonetik längst überwunden. Ansprüche auf methodische Exklusivität werden in der Regel nicht mehr gestellt, da in der Prozedur der phonetisch-phonologischen Sprachbeschreibung die auditive Phonetik der Aufstellung von Funktionsklassen durch die —»Phonologie vorausgeht. Die lingustische Phonetik kann keinesfalls die apparative Phonetik entbehren, wenn es um die Beschreibung und Isolierung funktionaler Merkmale des phonetischen Signals, in welchem Manifestationsbereich auch immer, geht. Lit.: Bremer, O. (1893). Deutsche Phonetik. Leipzig. Bühler, K. (1931). »Phonetik und Phonologie«, Travaux du Cercle Linguistique de Prague 4, S. 22-53. Gerhardt, D. (1950). »Die Fiktion der Phonetik«, Zeit¬ schrift für Phonetik und allgemeine Sprachwissenschaft 4, S. 56-89; 5 (1951), S. 181-199. Jespersen, O. (1904). Lehrbuch der Phonetik. Leipzig/Berlin. Ders. (1904). Phonetische Grundfragen. Leipzig/Berlin. Jones, D. (1918). An Outline of English Phonetics. Cambridge. Luick,K.(21923). Deutsche Lautlehre. Leip¬ zig/Wien. Menzerath, P. (1942). »Gedanken über Kern- und Wendepunkte in der Phonetik«, Archiv für vergleichende Phonetik 6, S. 89-102. Panconcelli-Calzia, G. (1907/08) »Instrumentalphonetik oder Experimentalphonetik. Eine methodologische Frage«, Die Neueren Sprachen 15, S. 121-127. Passy, P. (1887). Lessonsdufrangais, leurformation, leur combinaison, leurs representation. Paris. Ders. (1906). Petite phonetique comparee des principales langues europeennes. Leipzig. Rousselot, J. P. (1911) »>Phonetique experimentale< et >InstrumentalphonetikAusstoßungApokope dort) oder im Wort (>Synkopekontextueller Ellipse«. Die kontextuelle Ellipse, die von anderen Linguisten auch >anaphorische Ellipse« genannt wird (W. Dressier 1972), hängt von der Vorinformation des voraufgehenden Textes ab und setzt diese »stillschweigend« fort. Jede Grammatik enthält Ellipsen-Regeln, aus denen hervorgeht, welche Elemente eines Satzes im Folgesatz, etwa als Antwort auf eine Frage, weggelassen werden kön¬ nen. Verschiedene Ellipsen-Regeln haben etwa die deutsche und die englische Sprache in den folgenden Beispielen: Wer hat diese Frage gestellt? - Peter bzw. Who has asked this question? - Peter has (A. V. Isacenko 1965). Zu ausführlicherer Antwort stimuliert, stellen Informanten mit großer Regelmäßigkeit aus Ellipsen einen vollständigen, nichtelliptischen Text her. Im Hin¬ blick auf die Textualität eines Textes können Ellipsen als Null-Substantive oder Null-Anaphern aufgefaßt werden (I. P. Sevbo 1966). Methodisch können sie durch Tilgungsregeln dargestellt werden. Lit.: Bühler, K. (1934). Sprachtheorie. Jena, Stuttgart 1965. Chomsky, N. (1968). Language and Mind. New York; deutsch: Sprache und Geist, Frankfurt am Main 1970. Dressler, W. (1972). Einführung in die Textlinguistik. Tübingen. Gunter, R. (1963). »Elliptical Sentences in American English«, Lingua 12, S. 137-150. Isaöenko, A. V. (1965). »Kontextbedingte Ellipse und Pronominalisierung im Deutschen«, Bei¬ träge zur Sprachwissenschaft, Volkskunde und Literaturforschung (= Festschrift Steinitz), Berlin, S. 163-174. Lausberg, H. (1960). Handbuch der literarischen Rhetorik. München. Sevbo, I. P. (1966). »Ob izucenii struktury svjaznogo teksta«, Lingvisticeskie issledovani po obscej i slavjanskoj tipologii. Moskau, S. 16-31.

emisch und >etisch< (engl, ernte und etic). Von K. L. Pike in Anlehnung an die Ausdrücke phonemic (>phonem(at)ischdie Phoneme betreffend«) und phoneüc (>phonetisch«) geprägte Bezeich¬ nungen für die Gewinnung und Beschreibung von »wesentlichen« (»essential«) Struktureinhei¬ ten (»emic units«) gegenüber der Gewinnung und Beschreibung der konkreten Manifestationen und Varianten (»etic units«) der abstrakten Struktureinheiten. Emische Einheiten sind: Phonem, Morphem, Tagmem u. a.; etische Einheiten sind: Phon/Allophon, Morph/Allomorph, Tagma/ Allotagma (-► Tagmemik). Die etischen Einheiten sind also identisch mit den >Alloformen< (—»allo-). Empirismus. In der Psychologie die dem -> Nativismus entgegengesetzte Auffassung, daß der Erfahrung, d. h. Lernvorgängen, eine größere Bedeutung für die Herausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten zukommt als (angeborenen) Anlagen. In der Sprachpsychologie wird die empiristische Position vor allem von Vertretern des —* Behaviorismus eingenommen und aus dessen Lerntheorien hergeleitet, die jedoch heute bezüglich ihres Erklärungswertes für das Erlernen und Behalten sinnvollen sprachlichen Materials zurückhaltend beurteilt werden. Immerhin dürften empiristische Auffassungen vom Spracherwerb empirisch besser gestützt sein als nativistische. Lit. Dixon , T. R./Horton, D. L. (Hrsgg.) (1968). Verbal Behaviorand General Behavior Theory. Englewood Cliffs, N. J.

emprunt (frz., >EntIehnung terminale Kette. endozentrisch. Eigenschaft einer Konstruktion (Näheres —»• dort), die syntaktisch eine ihrer Konstituenten vertreten bzw. umgekehrt durch eine ihrer Konstituenten vertreten werden kann. Gegenteil: >exozentrischKonstriktive< von lat. constringere, >zusammenschnürenEngelaut< den artikulatorischen und >Frikativ< den auditiven Aspekt betont. Von Essen (41966) faßt die Laterale, die nicht notwendi¬ gerweise frikativ gebildet werden, in einer eigenen Klasse zusammen, die er >Lateralengenlaute< nennt. Man sollte jedoch bedenken, daß der Begriff >Engelaut< stets an phonetische Theorien gebunden und nur innerhalb dieser sinnvoll zu verwenden ist, da sonst offenbleibt, zu welchen anderen Lautklassen der Engebegriff differenziert. Normalerweise grenzt er zu den Lautklassen >Vokal< und >Verschlußlaut< ab. Es ist nicht sinnvoll, Nasale und Vibranten zur Klasse der Enge¬ laute zu zählen. —» Artikulation. Lit.: Dieth, E. (1950). Vademekum der Phonetik. Bern. Essen, O. v. (41966). Allgemeine und angewandte Phonetik. Berlin. enge Transkription. Übersetzung von engl, narrow transcription,^ Bezeichnung für pho¬ netische -»Transkription im Gegensatz zur >weiten< (broad) oder phonem(at)ischen Transkrip¬ tion. Enklise (griech. enklinein, >sich hinneigenEnklitikonenklitisch >Proklise< entailment. = —* >EinschlußAuffindungsprozeduren Generative Grammatik) sind vor allem wichtig: die -> Konstituentenanalyse, Umformungs¬ und Paraphrasetests sowie Weglassungstests. Die Konstituentenanalyse dient zur Auffindung von lexikalischen und syntaktischen Kategorien; die Weglassungstests dienen zur Auffindung der Distribution der lexikalischen Einheiten; die Umformungs- und Paraphrasetests (-» Para-

Entfaltungstheorie

110

phrase) decken transformationale Zusammenhänge auf: Die Sätze (1) und (2) scheinen hinsicht¬ lich ihrer syntaktischen Struktur gleich zu sein: (1) Franz versprach, den Baum zu fällen (2) Franz befahl, den Baum zu fällen Satz (1) ist formbar zu (1’), wobei (1’) eine Paraphrase von (1) ist: (1’) Franz versprach, er werde den Baum fällen. Eine analoge Umformung von (2) ergibt jedoch keinen Satz des Deutschen: (2’) *Franz befahl, er werde den Baum fällen. Diese Beobachtung legt nahe, daß eine Grammatik des Deutschen, die Tiefenstrukturen oder andere abstrakte Repräsentationen von Sätzen verwendet, die Sätze (1) und (2) nicht in dersel¬ ben Weise ableiten sollte. Zur Heuristik in der Transformationsgrammatik —>dort: Argumentationsart. Entfaltungstheorie. Von O. Höfler (1955/56) für die Zweite —> Lautverschiebung aufgestellte Theorie, die nicht - wie wohl immer noch wahrscheinlicher - eine Ausbreitung durch Wanderung (z. B. von Dichtern, Liedern und Kaufleuten) und Strahlung (z. B. von Sachen und Wörtern) annimmt, sondern die zeitlich und örtlich voneinander unabhängige »Entfaltung« einer gemein¬ samen Anlage zur Lautverschiebung. Auf die Frage, unter welchen ähnlichen Bedingungen die Entwicklung da und dort ja, da und dort nicht geschehen sei, antwortete Höfler (1957) und darauf wieder J. W. Marchand (1960): »Höfler möchte die Lv. auf etwas Gemeinsames >in der Eigenheit ihrer [der germanischen Stämme] historischen Lebensgestaltung, ihres geschichtlichen Schick¬ sal zurückführen, vielleicht eine >Intensivierung des LebensgefühlsIntensivierung des Lebensgefühls< zu danken, daß auch sie eine Lv. haben?« (S. 210). Lit.: Höfler, O. (1955). »Stammbaumtheorie, Wellentheorie, Entfaltungstheorie«, Pauls und Braunes Bei¬ träge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Tübingen) 77, S. 30-66 und 424^476; 78 (1956), S. 1-44. Ders. (1957). »Die zweite Lautverschiebung bei Ostgermanen und Westgermanen«, Pauls und Braunes Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (Tübingen) 79, S. 1-190; auch einzeln: Tübingen 1958. Marchand, J. W. (1958). Die zweite Lautverschiebung bei Ostgermanen und Westgerma¬ nen. Tübingen. Indogermanische Forschungen 65 (1960), S. 205-210.

Entlehnung. —» Lehn-, Entphonematisierung, Entphonologisierung. Verlust des Phonem-Status; Näheres —»Phonolo¬ gie: Diachronie. Entropie (griech. entrepein, >umkehrenInformation< und >Entropie< sind verwandte Begriffe, die durch analoge mathematische Formeln miteinander in Beziehung gebracht werden können. Während der Begriff >Information< aber der —»Informationstheorie entlehnt wurde und eigentlich der Nachrichtenübertragungstechnik entstammt, kommt der Begriff >Entropie< aus der Thermodynamik, wo er den Zustand eines Gases charakterisiert, nämlich die Größe der Unord¬ nung von Elementen (Gasmolekülen) in einem Raum. Je willkürlicher diese Elemente verstreut und vermischt sind, um so größer wird die Entropie. In diesem Fall nämlich ist der Zustand des Gases, der Platz seiner Elemente, weniger leicht vorhersagbar; diese Komplexion vorherzusagen kostet also mehr Mühe oder, wenn man so will: die Information eines jeden Elements ist größer.

Episemem

in

Man kann also den Zustand eines Gases (aus Gasmolekülen) mit dem einer Nachricht oder eines Textes (aus Zeichen) vergleichen: maximale Entropie korreliert mit maximaler Information und umgekehrt. Dieses Verhältnis wird auch aus der Formel für die Berechnung beider Größen deut¬ lich: - S (= Entropie) = k ln W (Boltzmann; k bezeichnet eine physikalische Konstante, ln W ist die thermodynamische Wahrscheinlichkeit des Zustands in natürlichen Logarithmen ausge¬ drückt) - H (= Information) = — log2 p(i) (Shannon) Entropie und Information werden daher in informationstheoretischen Arbeiten oft nebeneinan¬ der gebraucht; meistens aber gebraucht man dann für >Information< den Begriff >Negentropie< (negative Entropie), weil das Vorzeichen des mathematischen Ausdrucks für Information negativ ist. Bei aller Ähnlichkeit darf die Wesensverschiedenheit beider Begriffe (Information vs. Entro¬ pie bzw. Negentropie) nicht aus dem Auge verloren werden. Lit.: Klaus, G. (Hrsg.) (1968). Wörterbuch der Kybernetik. Berlin. und Anwendungen der Informationstheorie. Berlin.

Meyer-Eppler,

W. (1969). Grundlagen

Entwicklungspsycholinguistik. Psychologische Erforschung des Spracherwerbs, der Kinderspra¬ che und der ontogenetischen Sprachentwicklung. War schon die Analyse der Kindersprache eine der ersten empirischen und theoretischen Bemühungen der älteren Sprachpsychologie (C. und W. Stern), kommt auch der zeitgenössischen Entwicklungspsycholinguistik als dem Studium des Spracherwerbs besondere Bedeutung zu, denn in Fragen des Spracherwerbs bzw. der Sprachentwicklung stehen sich in besonderer Deut¬ lichkeit gegenüber: die theoretischen Positionen des -» Nativismus und des —> Empirismus, die Vertreter eines -»• Behaviorismus, die allgemeine lerntheoretische Prinzipien auch zur Erklärung des Spracherwerbs, etwa durch —>• Konditionierung, bemühen, und die Vertreter einer direkten Anwendbarkeit der -^Generativen Grammatik auf Probleme der Sprachbenutzung. For¬ schungsschwerpunkte der Entwicklungspsycholinguistik sind entsprechend Probleme

der

Genese von Bedeutung und des Erwerbs bzw. der Entwicklung von grammatischen Regeln. Während im Bereich des Bedeutungserwerbs die meisten empirischen Untersuchungen (noch) im Kontext der behavioristischen Lerntheorie stehen, ist die Analyse der Entwicklung der Syntax wesentlich durch die Generative Grammatik beeinflußt. Vgl. auch —* Pädophonetik, —* Phono¬ logie: Kindersprache,

Sprache und Denken, -»Transformationsgrammatik: Gegenstand.

Lit.: Chomsky, C. (1969). The Acquisition of Syntax in Children from 5 to 10. Cambridge, Mass. Jenkins, I. J. (1969). »The Aquisition of Language«, in Goslin, O. A. (Hrsg.), Handbook of Socialization Theory andResearch. Chicago, S. 661-686. McNeill, D. (1970). The Acquisition of Language. The Study of Developmental Psycholinguistics. New York. Menyuk, P. (1969). Sentences Children Use. Cambridge, Mass. Smith, F./Miller, G. A. (Hrsgg.) (1966). The Genesis of Language. Cambridge, Mass.

Epenthese (griech. epenthesis, >Einfügung >Elision< der Einschub eines Konsonanten zur Erleichterung der Aussprache, z. B. des d in Fähndrich, Spindel (wo es den artikulatorischen Übergang von n zu / in mhd. spinnet vermittelt), morgendlich, frz. feindre, peindre; des t in hoffentlich, geflissentlich, namentlich usw.; des p in lat. redemptor. Episemem, das. (griech. epi, >oberüberaufemischen< Einheit). BeiL. Bloomfield (1933, Kap. 10.5.) die mit einem —> >Tagmem< verbundene Bedeutung. Lit.:

Bloomfield,

drucke).

L. (1933). Language. New York/Chicago/San Francisco/Toronto (zahlreiche Nach¬

112

Equi-NP- Deletion

Equi-NP-Deletion (lat.-engl., >gleich-< und >Tilgung modulation. Erklärungsadäquatheit. Neben >Beobachtungsadäquatheit< und >Beschreibungsadäquatheit< ein Kriterium für die —» Adäquatheit von Grammatiken. Ersetzungsregel. Begriff aus der Theorie der —* Formalen Sprachen. Eine Ersetzungsregel ist ein Ausdruck der Form a—»b, wobei a und b Ketten über einem Alphabet sind. —■» Expansionsregel, —» Phrasenstrukturgrammatik. Erzähltextanalyse. Analyse von Erzähltexten (>Narrativik< von lat. narratio, >Erzählungnarrative Strukturen«, >ErzählstrukturenErzählung< wird dabei weder auf literarische noch auf geschriebene noch

113

Erzähltextanalyse

auch nur auf sprachliche Erzeugnisse beschränkt, sondern auch auf andere Medien wie Film, Pantomime, bildende Kunst usw. ausgedehnt: Erzählen wird als eine allgemeine semiotische Fähigkeit des Menschen angesehen. Im folgenden wird jedoch nur die linguistische bzw. lingui¬ stisch orientierte Analyse von sprachlichen Erzählungen berücksichtigt. Über eine Definition der Erzählung scheint allenfalls in den Punkten Einigkeit zu bestehen, daß 1. an den erzählten Ereignissen oder Handlungen belebte bzw. im allgemeinen menschliche Wesen beteiligt sein müssen, und daß 2. in einer Erzählung mindestens zwei in chronologischer und inhaltlicher Relation zueinander stehende Ereignisse oder Handlungen in der Weise aufein¬ ander folgen müssen, daß eine Veränderung des Ausgangszustands eintritt. Zum Beispiel defi¬ nieren van Dijk/Ihwe/Petöfi/Rieser (1972, S. 16 f.) die narrative Struktur als eine Ereignisse¬ quenz (d. h. eine Menge von Ereignissen, die durch eine Zeitrelation geordnet ist), die aus mindestens zwei Ereignissen besteht, so daß ein Ereignis die Folge eines anderen ist. Nach Bremond (z. B. 1970) besteht die elementare Erzählsequenz aus einer Abfolge von drei »Funktio¬ nen«: 1. Ausgangszustand der Handlung, 2. eigentlicher Handlungsprozeß, 3. Ergebnis der Handlung. Labov/Waletzky (1967/1973) nennen für mündliche Erzählungen fünf notwendige Funktionen: Orientierung, Komplikation, Evaluation, Auflösung, Coda. Die unterschiedliche Akzentsetzung bei der Analyse narrativer Strukturen läßt sich im we¬ sentlichen durch drei Forschungsansätze charakterisieren: einen strukturalen bzw. semiologischen, einen generativen bzw. textgrammatischen und einen kommunikationsorientierten Ansatz. Der entscheidende Anstoß für die gesamte neuere Entwicklung der Erzählforschung und insbesondere für den strukturalen Ansatz wurde durch Propps Morphologie des Märchens (1928 in russischer Sprache erschienen) gegeben, die 1958 durch die amerikanische Übersetzung zu¬ nächst in Frankreich bekannt wurde (vgl. dazu ausführlich Bremond 1964). Propp analysiert rus¬ sische Märchen als eine Folge von »Funktionen«, d. h. zahlenmäßig begrenzten, für das betref¬ fende Corpus konstanten und in fester Reihenfolge vorkommenden Handlungselementen (1972, S. 27 ff.) wie z. B. »Aufbruch des Helden« oder »Übertretung eines Verbots« u. ä. Diese Funk¬ tionsanalyse wurde von Dundes (1964) auf indianische Märchen angewandt und durch die Ein¬ führung linguistischer, großenteils von Pike entlehnter oder beeinflußter Begriffe weiterentwikkelt. Sie wurde dann vor allem von der sogenannten Pariser semiologischen Schule (Barthes, Bremond, Greimas, Kristeva, Todorov u. a.) aufgegriffen, auf komplexere Texte angewendet und theoretisch wie methodologisch ausgearbeitet. Wesentliche Neuerungen sind z. B. bei Greimas die Entwicklung eines Aktantenmodells (1966, S. 172-191; 1970), bei Todorov (z. B. 1966) die Berücksichtigung psychologischer Faktoren bei der Beschreibung von erzählten Handlungen oder bei Bremond (1970) die Konzeption einer Trias von Funktionen, die bei jedem Schritt Alternativen vorsieht, also z. B. »Bestrafung« oder »Nicht-Bestrafung«, »Erfolg« oder »Mißer¬ folg« usw., so daß an die Stelle des starren Schemas von Propp eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten tritt. Die durchaus verschiedenartigen Untersuchungen dieser Schule, die außer durch Propps Ein¬ fluß auch durch den der strukturalen Anthropologie von Levi-Strauss (1958) bestimmt wurden, lassen sich durch drei gemeinsame Grundsätze charakterisieren (vgl. Bremond 1972, S. 382). 1. die Definition der Erzählung als »message qui enonce le devenir d’un sujet«, derzufolge allge¬ mein eine Subjekt-Prädikat-Beziehung als grundlegend für die Erzählstruktur angesehen wird;

2. die Unterscheidung von zwei Ebenen der Erzählstruktur, einer zugrundeliegenden Struktur und einer Oberflächenstruktur, auf der sich die zugrundeliegende Struktur sprachlich manife¬ stiert (z. B. niveau immanent und niveau apparent bei Greimas, histoire und discours bei Todo¬ rov raconte und racontant bei Bremond); 3. die Annahme, daß die erzählten Handlungen uni¬ versale Strukturen menschlichen Handelns widerspiegeln. Ziel der verschiedenen Ansätze ist es,

Erzähltextanalyse

114

eine »Grammatik der Erzählung« (Todorov 1968) zu schreiben. Von einer »Grammatik« wird deshalb gesprochen, weil grammatische Kategorien wie Subjekt, Prädikat, Modus, Transforma¬ tion u. ä. - häufig allerdings eher in einem metaphorischen als in einem streng linguistischen Sinne - zur Beschreibung von Erzählstrukturen verwendet werden, wobei unter »Erzählstruk¬ tur« immer die zugrundeliegende Struktur verstanden wird. Die Vernachlässigung der Textoberfläche und der Beziehungen zwischen zugrundeliegender Struktur und Textoberfläche bei den Vertretern der semiologischen Schule ist besonders von Hendricks (1972, 1973) kritisiert worden. Hendricks fordert eine präzise Methodologie der Erzähltextanalyse, in der genau angegeben wird, wie mit Hilfe von zwei Hauptoperationen, »Normalisierung« und »Summarisierung«, aus dem Oberflächentext die abstrakte narrative Struktur abgeleitet wird. Der Versuch, die Erzähltextanalyse »linguistischer« zu machen, hat in den letzten Jahren zu einer Reihe von Neuansätzen geführt, die man zusammenfassend als »generative« und/oder »textgrammatische« Ansätze charakterisieren könnte. Generative Tendenzen lassen sich zwar auch schon in der strukturalen Erzähltextanalyse beobachten (z. B. bei Greimas, Kristeva und Todorov), aber erst Arbeiten wie die von van Dijk (1972), van Dijk/Ihwe/Petöfi/Rieser (1972), Pavel (1973) oder Vuillot (1971) beziehen sich ausdrücklich auf die Generative Transforma¬ tionsgrammatik (—» dort und —> Generative Grammatik), deren Anwendungsbereich allerdings auf die Domäne des Textes erweitert wird. Als Teil einer generativen Textgrammatik soll die Erzähltextgrammatik die der »narrativen Kompetenz« (z. B. van Dijk 1972, S. 284; Pavel 1973, S. 7 ff.) entsprechenden Regeln für die Produktion und Analyse wohlgeformter narrativer Texte angeben. Kennzeichnend für eine generative textgrammatische Beschreibung von Erzähltexten ist vor allem der Rekurs auf die Unterscheidung zwischen -> Oberflächen- und —» Tiefenstruktur und auf den Begriff der Transformation. Die spezifischen Charakteristika von Erzähltexten wer¬ den auf der Ebene der Texttiefenstruktur gesehen, d. h. der

»Makrostruktur« (van Dijk 1972)

oder der »Globalstruktur« (van Dijk/Ihwe/Petöfi/Rieser 1972). Zur Darstellung dieser Struktur wird, um einen möglichst hohen Abstraktionsgrad zu erreichen, eine erweiterte —» Prädikatenlogik benutzt. Aus der Makrostruktur, deren Regeln universal gelten, werden mit Hilfe von Trans¬ formationen verschiedenen Typs die Oberflächentexte bzw. bestimmte Untermengen von Erzähltexten, z. B. literarische Erzählungen, abgeleitet (vgl. van Dijk 1972, S. 297ff.; Pavel 1973, S. 24ff.; Vuillot 1971, S. 32ff.). Im Unterschied zu den vorwiegend an der Tiefenstruktur von Erzähltexten interessierten ge¬ nerativen Arbeiten sind in anderen, mehr empirisch orientierten textlinguistischen Arbeiten ein¬ zelne sprachliche Phänomene als Charakteristika von Erzähltexten auf der Ebene der Textober¬ fläche beschrieben worden, z. B. der Tempusgebrauch (Weinrich 21971), Satzverknüpfungen (Stempel 1964) oder Gliederungselemente (Rychner 1971, Gülich/Raible 1974; vgl. auchStammerjohann 1970). Sowohl im Rahmen des »semiologischen« als auch des »textgrammatischen« Ansatzes zur Erzähltextanalyse wird die Textkonstitution vornehmlich von der Seite des Text Produzenten aus betrachtet. Die Frage, welche Rolle ein erzählender Text im - alltäglichen oder literarischen Kommunikationsprozeß spielt, ist dabei - z. T. ganz bewußt (vgl. Pavel 1973, S. 9f.) - ausge¬ klammert worden (vgl. dazu z. B. Prince 1973). Sie läßt sich nur von einem kommunikationsori¬ entierten Ansatz her beantworten, wie er etwa von Bartoszynski und anderen polnischen For¬ schern oder von S. J. Schmidt und G. Wienold vertreten wird. Bartoszynski (1973) unterscheidet in narrativen Texten mindestens drei Niveaus von Sender-Empfänger-Relationen: 1. die Rela¬ tion zwischen Personen innerhalb der dargestellten Welt, 2. die zwischen Erzähler des Werks und Adressat der Erzählung und 3. die zwischen dem Subjekt des Werks als Ganzem und dem Adres-

Erzähltextanalyse

115

säten des Werks. Als entscheidend für die literarische Kommunikation sieht er die Existenz von »Stereotypen« an,d. h. Repertoires von Informationsmöglichkeiten (gesellschaftliche Kontexte, literarische Konventionen), durch die die einzelnen Elemente literarischer Übermittlung wieder¬ erkennbar werden. Während Bartoszynskis Ansatz mehr im Bereich der Literatursoziologie liegt, geht S. J. Schmidt (1972) von einem texttheoretischen Rahmen aus, in dem sich fiktionale Texte (und dazu gehört ja ein großer Teil der erzählenden Texte) von nicht-fiktionalen vor allem da¬ durch unterscheiden, daß beide in verschiedener Weise rezipiert werden. Die Textkonstituenten in fiktionalen Texten sind polyfunktional vertextet und können daher vom Rezipienten nicht in derselben Weise als direkte Handlungsanweisungen verstanden werden wie in nicht-fiktionalen Texten. Auch Wienold (z. B. 1972) sieht die spezifischen Charakteristika von Erzähltexten in der Art der Rezeption: Für die Rezeption von Erzähltexten ist kennzeichnend, daß der Rezep¬ tionsvorgang sich als ein fortlaufendes »Rearrangement« des Oberflächentexts durch den Rezi¬ pienten beschreiben läßt. Dabei arbeitet Wienold mit dem Konzept einer »Normalform« von Erzähltexten, von der aus Abweichungen in bestimmten Erzählungen erfaßt werden können. Einige für Erzähltexte typische Relationen zwischen Texteigenschaften und Rezipientenverhal¬ ten, z. B. Spannung und Horror, hat Wienold von diesem Ansatz her zu beschreiben versucht. Die drei hier skizzierten Ansätze sind nicht unabhängig voneinander entwickelt worden und stehen nicht unbedingt im Gegensatz zueinander, sie wären vielmehr geeignet, einander zu er¬ gänzen. Eine Weiterentwicklung der Erzähltextanalyse wäre vermutlich vor allem von einer Kombination des »textgrammatischen« und des »kommunikationsorientierten« Ansatzes zu er¬ warten, die es evtl, ermöglichen würde, ein textgrammatisches Modell von Erzähltexten im Rah¬ men einer Theorie der (literarischen) Kommunikation zu entwickeln. Lit.:

(1966). »Introduction ä l’analyse structurale des recits«, Communications 8, S. 1-27. K. (1973). »Das Problem der literarischen Kommunikation in narrativen Werken«, Sprache im technischen Zeitalter 47, S. 202-224. Bremond, C. (1964). »Le message narratif«, in Communications 4, S. 4-32; deutsch: »Die Erzählnachricht«, in: Ihwe, J. (Hrsg.) (1972). Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Bd. III. Frankfurt am Main, S. 177-217. Ders., (1970). »Morphology of the French Folktale«, Semiotica 2, S. 247-276. Ders. (1972)., »Le Modele ConstitutionneU de A. J. Greimas«, Semiotica 5, S. 362-382. Chabrol, C. (Hrsg.) (1973). Semiotique narrative et textuelle. Paris. Duk, T. A. van (1972). Some Aspects of Textgrammars. A Study in Theoretical Linguistics and Poetics. The Hague/Paris. Ders./lHWE, J./Petöfi, J. S./Rieser, H. (1972). Zur Bestimmung narrativer Strukturen auf der Grundlage von Textgrammatiken. Hamburg. Dundes, A. (1964). The Morphology of North American Indian Folktales. Helsinki. Greimas, A. J. (1966). Semantique structurale. Recherche de methode. Paris. Ders. (1970). Du Sens. Essais semiotiques. Paris. Gülich, E./Raible, W. (1974). »Überlegungen zu einer makrostrukturellen Text¬ analyse. J. Thurber, The Lover and His Lass« in: Gülich, E./Heger, K./Raible, W„ Linguistische Textana¬ lyse. Überlegungen zur Gliederung von Texten. Hamburg, S. 74-126. Hendricks, W. O. (1972). »The Structural Study of Narration. Sample Analysis«, Poetics 3, S. 100-123. Ders. (1973). »Methodology of Narrative Structural Analysis«, Semiotica 7,S. 163-184. Kristeva, J. (1969). Semiotike. Recherchespourunesemanalyse. Essais. Paris. Labov, W./Waletzky, J. (1967). »Narrative Analysis. Oral Versions of Personal Experience«, in: Helm, J. (Hrsg.), Essays on the Verbal and Visual Arts. Seattle/London, S. 12M4; deutsch: »Erzählanalyse Mündliche Versionen persönlicher Erfahrung«, in: Ihwe, J. (Hrsg.), (1973). Literaturwis¬ senschaft und Linguistik. Frankfurt am Main, S. 78-126. Levi-Strauss, C. (1958). Anthropologie structurale. Paris. Pavel, Th. G. (1973). »Some Remarks on Narrative Grammars«, Poetics 8, S. 5-30. Prince, G. (1973) »Introduction ä l’etude du narrataire«, Poetique 14, S. 178-196. Propp, V. (1928). Morfologija skazki. Leningrad; deutsch: Morphologie des Märchens, München 1972. Rychner, J. (1971). »Analyse d’une unite transphrastique. La sequence narrative de raeme sujet dans la Mort Artu« in: Stempel, W.-D. (Hrsg.), Beiträge zur Textlinguistik. München, S. 79-122. Schmidt, S. J. (1972). »Ist >Fiktionahtat< eine lin¬ guistische oder eine texttheoretische Kategorie?«, in: Gülich, E./Raible, W. (Hrsgg.), 7ex/i,wien D(//erf'«zierungskriterien aus linguistischer Sicht. Frankfurt am Main, S. 59-71. Stammerjohann H (1970 1966]). »Strukturen der Rede. Beobachtungen an der Umgangssprache von Florenz«, Studi difilologia italianal‘6, 5. 295-397. Ders. (1969). »Tempus und Negation«, Foiia Linguistica 3, S. 242-244. Stempel, W.-D. (1964). Barthes, R.

Bartoszynski,

116

erzeugen

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erzeugen. = —* generieren. Es-Insertion (engl, it-insertion). Begriff aus der Generativen Grammatik; Operation zur Erzeu¬ gung von es bei der —> >Extraposition >Extrapositionsein kommunikativen Kompetenz von Sprechern im Rahmen der —> Soziolinguistik. Lit.:

Hymes,

D. (1962). »The Ethnography of Speaking«, in:

Gladwin, T./Sturtevant,

W. (Hrsgg.), An-

thropology and Human Behavior. Washington, D. C., S. 13-53.

etisch. Nichtdistinktiv, Gegenteil von —> >emisch Phrase-Markern mit Sym¬ bolen wie S(atz), N(ominal)P(hrase), N(omen) usw.; -» Phrasenstrukturgrammatik. Etymologie. Wissenschaft von der Herkunft der Wörter nach Form und Bedeutung. Dabei sind häufig auch eingehende Sachstudien notwendig, wie sie z. B. als eigene Forschungsrichtung von R. Meringer (1859-1931) unter der Bezeichnung Wörter und Sachen (Name einer Zeitschrift) deklariert und zuletzt von J. Trier weitergeführt und differenziert wurden (Lehm 1951; Holz 1957; Venus 1963).

117

Etymologie

Der Begriff geht auf griech. etymos, >wahrVolksetymologie< bezeichnet man mit einem von Förstemann geprägten Terminus (vgl. Kuhns Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 1 [1892], S. 1-25 und 23 [1877], S.

375-384) eine vom Volksmund, jedenfalls vom sprachwissenschaftlichen Laien vorgenommene Deutung oder Umdeutung eines in seiner Herkunft, seinen Bestandteilen unverstandenen Wortes, meist durch lautliche Angleichung an ein bekanntes verstandenes Wort. So wurde einmal auswestind. hamaca über das Spanische und Französische niederl. hangmat, dt. Hängematte (seit Anfang des 17. Jahrhunderts); um 1500 aus dem nicht mehr verstandenen Seelhund (= engl. seal) der Seehund, was ja zu seinem Leben in der See paßte; aus dem nicht mehr verständlichen

mhd. weterleichen (zu leichen, >spielenhüpfenRiesenflutErdwerferBeiredeHinzufügungWegnahmeAuswechselungVertauschungUrsprung der WörterWahrspruchDenn wenn du die Herkunft eines Wortes kennst, verstehst du seine Kraft viel schneller. Jedes Ding läßt sich klarer erfassen, wenn man seine Etymologie kennt.< Da aber nicht alle Dinge nach ihrer >Natur< benannt sind, sondern manche nach Willkür, lassen sich nicht alle Wörter ety¬ mologisieren. Bei der etymologischen Forschung sind drei Prinzipien zu beachten: ex causa {rex kommt von regere und recte agere)\ ex origine (der Mensch heißt homo, weil aus humus beste¬ hend); excontrariis(so schon bei den Stoikern)-und da finden wir dann den uns noch bekannten lucus a non lucendo (Isidor sagt weniger pointiert: quia umbra opacus parum luceat)« (a.a.O., S. 53 f.). Etymologie war hier eine Denkform. Aus dem 9. Jahrhundert ist des Hrabanus Maurus De universo hervorzuheben, aus dem 12. Jahrhundert der Liber derivationum des Huguccio. Der berühmte Petrus Heliae (12. Jahrhun¬ dert) definierte: »Etymologie ist die Erklärung eines Wortes durch ein anderes oder mehrere an¬ dere, die besser bekannt sind, gemäß der Eigenschaft der Sache und der Ähnlichkeit der Buchsta¬ ben, z. B. lapis ~ laedens pedem [lat., >Stein< = >was den Fuß verletzt«] ... so daß Etymologie soviel wie Wahrspruch ist...« (Thurot 1869, S. 146f.).Im 16. Jahrhundert führte die Überzeu¬ gung, daß die älteste Sprache, von der alle anderen abstammen, das Hebräische sei, zu dem Ver¬ such, das Deutsche, Lateinische, Griechische vom Hebräischen herzuleiten, was seinen Nieder¬ schlag in polyglotten Wortlisten, sogenannten >SprachenharmonienGeflügelte Worte Vergleichende historische Grammatik, insbesondere A. F. Potts Etymologi¬ sche Forschungen auf dem Gebiete der Indo-Germanischen Sprachen (1833-36) wurde die Ety¬ mologie auf eine moderne sprachwissenschaftliche Grundlage gestellt. Lit.: Andresen, K. G. (1876). Über deutsche Volksetymologie, 61899. Curtius, E. R. (1967). Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern/München. Guiraud, P. (“1967). L etymologie, Paris. Klinck, R. (1970). Die lateinische Etymologie des Mittelalters. München. Leibniz, G. W. Die philosophischen Schriften, hrsg. von C. J. Gerhard, Berlin 1875-90. Malkiel, Y. (1968) »Etymology and General Linguistics« und wei¬ tere Aufsätze zur Etymologie in: ders., Essays on Linguistic Themes. Oxford, S. 175-198, 199-227, 229-256. Opelt, I. »Etymologie«, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. VI. Pisani, V. (1947). L’etimologia. Storia, questioni, metodo. Milano, 2Brescia 1967; deutsch: Die Etymologie. München 1974. Raumer, R. v. (1870). Geschichte der germanischen Philologie. München. Sanders, W. (1967). »Grundzüge und Wandlungen der Etymologie«, Wirkendes Wort 17, S. 361-384. Thurot, Ch. (1869). Extraits de divers manuscrits latinspour servir ä l’histoire des doctrines grammaticales au moyen äge. Paris. Wörter und Sachen, Zeitschrift hrsg. von R. Meringer und W. Meyer-Lübke, 1909-37, Heidelberg, neue Folge hrsg. von W. Wüst, 1938-44. Existenzquantor. In der Prädikatenlogik (Näheres — dort) ein Operator mit der Bedeutung »es

gibt mindestens ein«, »es existiert ein«. exozentrisch. Eigenschaft einer Konstruktion (Näheres -> dort), die syntaktisch keine ihrer Kon¬

stituenten vertreten bzw. umgekehrt durch keine ihrer Konstituenten vertreten werden kann. Gegenteil: >endozentrisch.< expandieren. Begriff aus der —* Generativen Grammatik: auf ein Symbol eine Phrasenstruktur¬

regel (>Expansionsregel Phrasenstrukturgrammatik. Expansionsregel (auch: >Verzweigungsregel Formalen Spra¬

chen; spezielle Art von -» Ersetzungsregel. Eine Expansionsregel ist ein Ausdruck der Form a _»b + c, wobei a, b und c Ketten über einem Alphabet sind. Vgl. -> Phrasenstrukturgrammatik. Experimentalphonetik. Spätestens seit der Jahrhundertwende Schulenbezeichnung für die lin¬

guistisch voraussetzungslose apparative Methode in der Phonetik, die an die Arbeiten der Laut-

Experimentalphonetik

120

Physiologen und Myokinetiker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts anknüpft. Zur Stigmatisierung der apparativ-positivistischen Haltung dieser Phonetiker wählte Jespersen (1904, S. 119) den Begriff >InstrumentalphonetikElementarphonetik Verschlußlaute. exspiratorischer Akzent. Hervorhebung durch Intensitätsanstieg im Unterschied zum musikali¬ schen Akzent< als einer Hervorhebung durch Tonhöhenanstieg; -»Akzent: 1. Extension. Bedeutungsumfang eines Wortes, Klasse der bezeichnten Begriffe, demgegenüber >Intension< sich auf die Menge der semantischen Merkmale dieses Wortes bezieht. Näheres —» Bedeutung. extrakommunikativ. Uber Kommunikation sprechend (ohne selbst in dieser Kommunikation zu stehen; vgl. dagegen —* >metakommunikativRedundanz< (vgl. auch -> dort, insbesondere: 2) wird dabei verstanden, daß die Besetzung gewisser Merkmale eines Phonems abhängig ist von der Besetzung gewisser anderer Merkmale, so daß die abhängi¬ gen Besetzungen gewissermaßen »überflüssig« sind. Beispiel: Im Deutschen sind nasale Pho¬ neme stets stimmhaft, was man durch eine Redundanzregel [ + nasal] —* [ -I- stimmhaft] ausdrückt. Eine Regel dieser Art wird genauer als >Phonemstrukturregel< (>P-RegelMorphemstrukturregeln< [>M-Regeln... ,akrk] —»a r Dies ist zu lesen als »wenn die phonematische Menge auf der linken Seite der Regel (diese phonematische Menge sei im folgenden mit a bezeichnet) Teilsymbol eines Phonems B aus & ist, dann ist das Merkmal r in B mit a besetzt«. Die Regel [ + nas] —>[ + voic] z. B. paßt in dieses Schema, sie lautet [a,r,] -»ar mit a, = + ,r, = nas, a= + ,r = voic. Die Forderung,daßaTeilsymbol von B sein soll, ist in der linguistischen Literatur als >Teilmatrix-Kriterium< (submatrix criterion) be¬ kannt. Daneben gibt es in der linguistischen Literatur auch noch ein >Unterscheidbarkeitskriterium< (distinctness criterion). Hiernach ist eine Regel der Form a —»ar verwendbar zur Beschrei¬ bung der Merkmalbesetzung eines Phonems B, wenn a und B verträglich sind. Dieses Unterscheidbarkeitskriterium führt jedoch zu Schwierigkeiten; z. B. könnte dann die Regel die Besetzung des Merkmals r im Phonem B ändern, was sicher nicht der Sinn einer Redundanzregel ist. An eine Redundanzregel stellt man die folgenden drei Anforderungen: 1 Die linke Seite a der Regel a —»ar muß Teilsymbol von wenigstens einem Phonem der Pho¬ nemmenge & sein. 2. Die Besetzung a des Merkmals r muß durch Angabe von a und r eindeutig festgelegt sein. 3 Wenn a -*otr eine Phonemstrukturregel ist, dann gibt es keine Phonemstrukturregel b -^ar, wobei b ein echtes Teilsymbol von a ist, d. h. die linke Seite einer Phonemstrukturregel soll mini¬ mal sein in dem Sinne, daß man keine der in ihr auftretenden Angaben fortlassen darf und dann die verbleibenden Angaben bereits genügen, um die Besetzung a des Merkmals r festzulegen. Die Forderungen (1) und (2) sind sicher sinnvoll, wenn man die Regel verwenden will, um Merkmalsbesetzungen festzulegen; insbesondere Forderung (2) legt fest, daß durch dieselbe linke Seite der Regel nicht einmal die Besetzung + und ein andermal die Besetzung - desselben Merkmals r vorhergesagt werden darf. Falls dies einträte, wäre die Besetzung von r gerade nicht redundant. Forderung (3) ist vielleicht nicht unbedingt notwendig, aber für die weitere mathema¬ tische Betrachtung sehr zweckmäßig. Falls nun nach Forderung (2) die Besetzung adurch Angabe von a und r eindeutig festgeleg ist, dann ist in einem Phonem aus der Phonemmenge fr, welches a als Teilsymbol enthalt, das Merkmal r sicher nicht mit dem Gegenteil von a (dieses sei mit ä bezeichnet) besetzt. Es gibt also kein einziges Phonem aus &, in dem die phonematische Menge H - Kr„... ,akrkarj a s Teilsymbol auftritt. Wenn man nun die Menge aller nicht zu & gehörenden voll spezifizierten phonematischen Mengen mit * bezeichnet, dann gehört also jede voll spezifizierte phonema¬ tische Menge, die H als Teilsymbol enthält, zu &. Anders ausgedrückt heißt dies: wenn man H (sofern es noch nicht voll spezifiziert ist) auf irgendeine Weise zu einer voll spezifizierten phone¬ matischen Menge A ergänzt, dann gehört A zu fc. Damit aber ist ein Zusammenhang hergestellt mit einem aus der Mathematik bekannten Begriff: eine phonematische Menge H mit der genann¬ ten Eigenschaft heißt >Implikant< von

Falls H außerdem noch minimal ist in dem Sinne, daß

bei Fortlassen einer einzigen Angabe aus H die Eigenschaft der beliebigen Ergänzbarkeit zu einer phonematischen Menge aus & verloren geht, dann heißt H >Primimplikant< von &; dies kann man auch so ausdrücken, daß es für jedes echte Teilsymbol X von H ein Phonem B aus der Ursprung!.-

136

Formale Phonologie

chen Phonemmenge & gibt derart, daß X Teilsymbol von B ist. Beispiel: Sei & wie oben die Menge der labialen Konsonanten des Englischen. Dann ist die phonematische Menge Hj = [ + strid, + nas, +cont] Implikant von &, da sowohl [ + strid, -t-nas, + cont, -l-voic] wie [T-strid, + nas, +cont, — voic] nicht zu&, d. h. aber zu & gehören. Hj ist jedoch kein Primimplikant, denn man kann Hj verkleinern zu H2 = [ + strid, + nas], und H2 ist ebenfalls Implikant von da keines der Phoneme aus & das H2 als Teilsymbol enthält. H2 seinerseits ist Primimplikant von

bei Verkleinern von H2 entsteht entweder [+ nas] oder [ + strid], und beides kommt

in Phonemen aus & vor, das eine z. B. in /m/, das andere in /f/. Der mathematische Zusammenhang zwischen phonologischen Redundanzregeln und dem mathematischen Begriff des Primimplikanten läßt sich exakt formulieren und beweisen. Das Ergebnis ist: Man erhält, wenn man die Phonemmenge & in Form voll spezifizierter phonematischer Mengen vorliegen hat, sämtliche Redundanzregeln für

wenn man

1. alle Primimplikanten für & berechnet, 2. aus jedem Primimplikanten [a,rj,..., amrm] der Reihe nach die folgenden m Regeln bildet: [a2r2, ..., amrj ^a,r„ talrp «3r3> •••> «mU ^®2r2’ Krl, •••>

^amrm>

d. h. man läßt jeweils ein Merkmal fort und bringt es mit umgekehrter Bezeichnung auf die andere Seite. Zur Berechnung aller Primimplikanten für & gibt es in der mathematischen Lite¬ ratur verschiedene Verfahren. Im erwähnten Beispiel der englischen Labiale lauten die Prim¬ implikanten für &: [ + strid, +nas], [ + strid, -cont], [-strid, +cont], [ + nas, +cont], [ + nas, -voic]. Aus jedem dieser fünf Primimplikanten entstehen zwei Phonemstrukturregeln für insgesamt also die zehn Regeln [— nas] [ +strid [ + strid] —* [ + cont] [ — strid] —» [ — cont] [ + nas] [+nas]

[+nas]

—» [ — strid]

[ — cont] —► [ — strid] [ + cont] —> [+strid]

—» [ — cont] -» [ + voic]

[ + cont] —> [— nas] [ — voic] —> [ — nas]

Dies sind sämtliche Phonemstrukturregeln für die gegebene Phonemmenge & der labialen Kon¬ sonanten des Englischen. Jede andere Redundanzregel ist nicht Redundanzregel für diese Pho¬ nemmenge. In diesem Beispiel sind jeweils die zwei Regeln einer Zeile aus demselben Primimplikanten abgeleitet. Regeln, die aus demselben Primimplikanten abgeleitet werden, heißen >äquivalent< (dies ist auch im mathematischen Sinne eine —> Äquivalenzrelation). Der Zusammenhang zwi¬ schen

äquivalenten

Phonemstrukturregeln

ist

leicht

zu

sehen:

Sei

z.

B.

die

Regel

[ + nas] -> [ + voic] gegeben. Dann ist sie abgeleitet aus dem Primimplikanten [ + nas, - voic], der entsteht, indem man die rechte Seite mit umgekehrter Besetzung verwendet. Die Regel [ — voic] ->[— nas], die zunächst scheinbar mit der anderen Regel nichts zu tun hat, liefert densel¬ ben Primimplikanten, drückt also genau denselben sprachlichen Sachverhalt aus. Ferner kann man mit Hilfe der Primimplikanten leicht nachprüfen, ob eine intuitiv gefundene Phonemstrukturregel wirklich zu einer Phonemmenge paßt. Hierbei entstehen leicht Fehler; z. B. wird in einer Arbeit von Stanley (1967) eine phonematische Menge [ -Ff, -g] als Teil eines Phonems erwähnt und dazu eine Regel [ + f ] -♦ [ + g]. Bei dieser Phonemstrukturregel, zu der der Primimplikant [ + fg] gehört, kann es jedoch kein Phonem geben, in dem [ + f,- g] als Teil auf-

137

Formale Sprachen

tritt. Möglicherweise lassen sich somit manche in der linguistischen Literatur behandelten Schwierigkeiten bei der Verwendung phonologischer Regeln als überflüssig erkennen. Morphemstrukturregeln sind für die Phonologie weit wichtiger als Phonemstrukturregeln. Sie beschreiben, welche Phonemsequenzen phonologisch zulässig sind; z. B. ist im Englischen die Sequenz /brik/ zulässig und auch vorhanden, die Sequenz /blik/ zulässig, aber nicht vorhanden, und die Sequenz /bnik/ unzulässig. Morphemstrukturregeln enthalten im Unterschied zu Pho¬ nemstrukturregeln Merkmale aus mehr als einem Phonem. Formal jedoch können Morphem¬ strukturregeln genauso wie Phonemstrukturregeln behandelt werden; insbesondere heißt dies, daß man auch Morphemstrukturregeln aus Primimplikanten berechnen kann: Sei z. B. BXB2 eine Sequenz zweier Phoneme. Dann kann man formal mit zwei Merkmalsmengen F = {fx,... ,fn} für B, und F' = {f'p ..., f'n} für B2 arbeiten. Linguistisch gesehen sind natürlich z. B. f, und f', dasselbe Merkmal. Formal aber kann man dann die Sequenz auffassen als ein »Phonem zweiter Stufe« mit 2 • n Merkmalen fp ..f'n. Sei z. B.B, = [ + f,, + f2] und B2= [ —fp + f2],dann kann man die Sequenz BXB2 auffassen als ein Phonem 2. Stufe [ + fx, +f2, — f'p + f'2] mit vier Merkma¬ len. Diese Darstellungsweise erlaubt es dann, die Morphemstrukturregeln für z. B. Zweierse¬ quenzen von Phonemen als die Phonemstrukturregeln für eine Menge von Phonemen 2. Stufe aufzufassen und genau wie für einzelne Phoneme aus den Primimplikanten herzuleiten. Dasselbe gilt für Sequenzen aus drei oder mehr Phonemen. Allerdings kann die Berechnung äußerst lang¬ wierig werden, selbst für moderne Computer, falls z. B. bei drei Phonemen mit je zehn Merkma¬ len »Phoneme« mit dreißig Merkmalen zu behandeln sind. Lit.:

Braun, S. (1969). Some Formal Properties of Phonological Redundancy Rules. International Conference on Computational Linguistics. Stockholm, preprint no. 6. Halle, M. (1964). »On the Bases of Phonology«, in: Fodor, J. A./Katz, J. J. (Hrsgg.), The Structure of Language. Englewood Cliffs, N. J. Jakobson, R./Fant, G./Halle, M. (1951). Preliminaries to Speech Analysis. The Distinctive Features and Their Correlates. Cam¬ bridge, Mass. Jakobson, R./Halle, M. (1959). Fundamentals of Language. The Hague; deutsch: Grundlagen der Sprache, Berlin 1960. Stanley, R. (1967). »Redundancy Rules in Phonology«, Language 43, S.

393-436.

Formale Sprachen. In der mathematischen Theorie der Formalen Sprachen wird eine exakte For¬

mulierung des Formalismus gegeben, der in der Linguistik für die Phrasenstrukturkomponente einer -> Generativen Grammatik verwendet wird (-» Phrasenstrukturgrammatik). Grundlage ist eine endliche Menge von Symbolen, die >Alphabet< genannt und im folgenden mit (X bezeichnet wird. Linguistische Beispiele für solche Symbole sind sowohl grammatische Kategorien wie Nominalphrase, Verbalphrase, als auch Wort-Kategorien wie Artikel, Substantiv, als auch ein¬ zelne Vokabeln einer natürlichen Sprache. Die Menge (X ist endlich. In der Theorie der Formalen Sprachen treten daneben auch unendliche Mengen auf, wobei >unendlichAlphabetKette übereinem Alphabet (engl, string). Eine Kette überOt ist eine Sequenz von Symbolen aus ÖL Sie entsteht, wenn man Symbole aus (X nebeneinander hinschreibt. Die Operation des Nebeneinander-Hinschreibens wird auch >Konkatenation< genannt. Beispiel: (X = {A,B}. Dann sind AB, AABAB, BBA, AAAAAAA, usw. Ketten über ÖL Ein Symbol aus (X kann in einer

138

Formale Sprachen

Kette über OL mehrfach oder gar nicht auftreten. Die Reihenfolge der Symbole in einer Kette ist von Bedeutung: die Ketten AAB, BAA, ABA,... sind alle voneinander verschieden. Dies entspricht der linguistischen Tatsache, daß die Reihenfolge von Wörtern eines Satzes nicht belie¬ big ist. Unter der >Länge< einer Kette versteht man die Anzahl ihrer Symbole, z. B. ist 3 die Länge der Kette AAB. Mathematischer Extremfall einer Kette über (X ist die sog. >leere Kette«, bezeich¬ net mit £ ; sie ist die Kette mit >null< Symbolen, hat die Länge O, und spielt eine ähnliche Rolle wie die >leere Menge« in der Mengenlehre. Man konkateniert Ketten genau wie einzelne Symbole, z. B. ergibt die Kette x = AB, konkateniert mit der Kette y = BA, die Kette z = x ■ y = ABBA (der Punkt bezeichnet hier die Konkatenation). Ferner gilt x

e = e ■ x = x für jede Kette x.

Eine Kette x heißt >Teilkette< einer Kette y, wenn man y in der Form u • x • w schreiben kann mit Ketten u und w, d. h. wenn y sich aus maximal drei nebeneinandergesetzten Ketten zusam¬ mensetzen läßt; falls u = e, also y — x • w, heißt x >linke Teilkette« von y, und falls w = e, also y = u x, heißt x >rechte Teilkette« von y. Der Spezialfall u = w = e, also y = x, ist ebenfalls mit eingeschlossen. Beispiel: AB ist linke Teilkette von ABBA. Zwei Ketten x und y heißen >gleich«, wenn sie gleich lang sind und elementweise übereinstim¬ men. 2. >Freie Halbgruppe überOf«. Unter der freien Halbgruppe über einem Alphabet, die mit (X* bezeichnet wird, versteht man die Menge aller Ketten über (X. OL* ist eine unendliche Menge. (Die Bezeichnung >freie Halbgruppe« stammt aus der Mathematik.) 3. >Ersetzungsregel« (auch: >Produktion< oder >ProduktionsregelNP VP (der Punkt möge die Konka¬ tenation bezeichnen). 4. >Ableitbar«. Sei x eine Teilkette über OL und a —»b eine Ersetzungsregel. Sei a Teilkette von x, d. h. x = u ■ a • w, wobei u und w irgendwelche Ketten sind (evtl. leer). Sei die Kette y gebildet als y = u ■ b • w, d. h. y entsteht aus x, indem die in x auftretende linke Seite a der Ersetzungsregel durch die rechte Seite b ersetzt wird. Dann sagt man »y ist direkt ableitbar aus x«, in Zeichen: x i- y. Beispiel: Sei x = NP • VP und sei VP —* V NP die Regel. Dann ist y = NP • V ■ NP direkt ableitbar aus x. (Es ist hier x = u a w mit u = NP [u ist eine Kette aus einem einzelnen Symbol] a = VP, w = e, und es ist y = u ■ b • w = NP V • NP e mit b = V ■ NP.) Eine Kette y heißt >ableitbar< aus einer Kette x, in Zeichen x £ y, wenn y entweder direkt ableitbar ist aus x oder wenn y über mehrere Zwischenschritte mit direkter Ableitbarkeit aus x entsteht. Für jeden der Zwischenschritte benötigt man eine Ersetzungsregel, wobei einzelne Regeln auch mehrfach verwendet werden können. Beispiel: Seien die Ersetzungsregeln S —»NP VP, VP —»V NP, und NP —»Art Subst gegeben. Dann gilt z. B. S £ Art Subst • V • NP, wobei

die

Kette

Art Subst V NP

aus

S

durch

die

direkten

Ableitungsschritte

ShNP VPi-NP V NPi-Art Subst V NP entsteht. Besonders wichtig ist der Fall, daß eine Kette z aus dem >Startsymbol< S abgeleitet ist. Bekanntlich betrachtet man in einer Phrasenstruk¬ turgrammatik nur solche Ketten. Formal heißt S *z, daß es Ketten w1;..., wn gibt derart, daß S

H

w,

H

w2

1- ... t-

wn

H

z. Die Folge (S, wp w2,..., wn, z) heißt dann >Ableitung von z aus S«.

Wesentlich für das Ableiten einer Kette z aus einem Symbol S ist das Vorliegen einer Regel¬ menge; diese Regelmenge sei mit R bezeichnet. Statt »z ist aus S abgeleitet« kann man genauer sagen »z ist aus S mit Hilfe der Regelmenge R abgeleitet«. Ob eine Kette ableitbar ist, hängt nur von ihr selber ab und nicht z. B. davon, wie sie ihrerseits durch Ableitung entstanden ist. 5. >Terminale Kette«. Bei den Ketten aus CL* unterscheidet man nichtterminale Ketten, aus

139

Formationsregeln

denen noch weitere Ketten (mit Hilfe der Regeln aus R) ableitbar sind, und terminale Ketten, aus denen keine weiteren Ketten mehr abgeleitet werden können (jedenfalls nicht mit Hilfe der Regeln aus R; durch z. B. Hinzunehmen weiterer Regeln zu R könnte man durchaus erreichen, daß auch diese Ketten noch weiter abgeleitet werden können). Die Symbole, die in terminalen Ketten auftreten, heißen >terminale Symbole V

NP, NP -» Art ■ Subst, mit dem Alphabet (X = {S, NP, VP, V, Art, Subst} istaN =

{S, NP, VP} und aT = {V, Art, Subst}. Aus S ableitbar sind die Ketten NP • VP, NP ■ V NP, Art Subst V NP, NP V Art Subst und Art • Subst V Art NP, von denen nur die letzte be¬ züglich R terminal ist. Würde man R ergänzen durch z. B. Art —* der, Subst —» Hund usw., so könnte man auch diese letzte Kette noch weiter ableiten. Es gibt im allgemeinen terminale Ket¬ ten, die nicht aus S ableitbar sind, z. B. Art • Art • V • Art im obigen Beispiel. 6. >SatzmengeSätze< aus der Satzmenge einer Formalen Sprache entsprechen den Sätzen einer natürlichen Sprache, sofern man annimmt, daß alle diese Sätze durch eine Phrasenstrukturgram¬ matik mit den Vokabeln der natürlichen Sprache als terminalen Symbolen erzeugt werden kön¬ nen. Einige der im Vorangehenden definierten Begriffe faßt man zu einer >Chomsky-Grammatik< zusammen. Darunter versteht man ein Gebilde mit den vier Bestandteilen a) einem terminalen Alphabet 0lT (endliche Menge von Symbolen) b) einem nichtterminalen Alphabet 0tN (endliche Menge von Symbolen) c) einer Regelmenge R (endliche Menge von Ersetzungsregeln der Form a -*b mit ae Öl und be CL, wobei Ot =0tT u 0tN die Vereinigung von (XT und 0lN ist. d) einem Startsymbol S, welches Element von(XN ist. Unter einer >Formalen Sprache< versteht man dann eine Chomsky-Grammatik zusammen mit der von ihr erzeugbaren Satzmenge. Lit.: Chomsky, N. (1963). »Formal Properties of Grammars«, in: Luce, R. D./Bush, R. R./Galanter, E. (Hrsgg.), Handbookof Mathematical Psychology, Bd. II. New York. Ginsburg, S. (1966). The Mathematical Theory of Context-Free Languages. New York. Gross, M./Lentin, A. (1967). Notions sur les Grammaires Formelles. Paris. Maurer, H. (1969). Theoretische Grundlagen der Programmiersprachen. Mannheim. Formant (lat. formare, >bilden Akustische Phonetik. Lit.:

Hermann,

L. (1894). »Phonophotographische Mitteilungen. V. Die Curven der Consonanten«, Pflü-

ger’s Archiv der gesamten Physiologie 58. S. 255-279. Formationsregeln. In formalen Grammatiken diejenigen Regeln, die Strukturen (z. B. —> Tiefen¬

strukturen in der —> Transformationsgrammatik, semantische Formeln in einer Grammatik mit

Formativ

140

semantischer Basis wie der —* Generativen Semantik) erzeugen, im Gegensatz zu Regeln, die solche Strukturen verändern (—»Transformationsregeln in der Transformationsgrammatik), in Beziehung zu anderen Strukturen stellen (z. B. semantische Äquivalenz und Implikationsregeln; -^►Semantik) oder interpretieren (z. B. die Regeln der semantischen Interpretation in einer Transformations- oder —» Phrasenstrukturgrammatik). Formativ, In der —> Generativen Grammatik Bezeichnung für eine lexikalische Einheit (Wort, Morphem usw.). Formator (engl, formator). Begriff aus der Semantik, der von Morris geprägt und von Weinreich (1963) übernommen wurde. Er bezieht sich auf diejenigen Zeichen einer Sprache, die eine Äußerung qualifizieren, ohne etwas zu ihrer Bezeichnungsfunktion hinzuzufügen. Formatoren liefern Information über die Nachricht, aber sie tragen nicht zur Bedeutung der Nachricht selbst bei. Weinreich unterscheidet vier Typen von Formatoren: 1. pragmatische Operatoren oder For¬ matoren, die angeben, ob eine Äußerung eine Aussage, eine Frage oder ein Befehl ist, oder sol¬ che, die die Haltung des Sprechers zu der Äußerung angeben, z. B. Er ist krank vs. Er sei krank; 2. deiktische Operatoren; Näheres dazu —» Deixis; 3. Satzoperatoren (propositional operators) oder Formatoren, die entweder eine explizite Anleitung geben, um den Wahrheitsgehalt einer Äußerung zu bestimmen, oder explizit zum Wahrheitsgehalt einer Äußerung Stellung nehmen oder aber die Beziehung zwischen Teilen einer Äußerung angeben, z. B. nicht, wenn... dann, und, oder (—»Aussagenlogik); 4. —»Quantoren (quantifiers) oder Formatoren, die den Grad oder das Ausmaß angeben, in welchem der Sprecher bejaht (oder verneint), daß ein bestimmtes Prädikat für eine bestimmte Klasse von Objekten zutrifft, z. B. Einige Menschen sind glücklich. Nur Hans ist größer als Fritz (—»Prädikatenlogik). Diese vier Kategorien von Formatoren kön¬ nen in ein und demselben Zeichen gemischt sein, z. B. in nur der pragmatische Formator »über¬ raschenderweise« mit dem Quantor »nicht mehr als«. Es ist auch möglich, in einem Zeichen For¬ matoren mit Begriffen zu mischen wie z. B. in hebr. silsom »vorvoriger Tag, vorgestern^ das einen bestimmten Tag bezeichnet (absolute Zeit) und zugleich diesen Tag auf die Sprechsituation be¬ zieht (Deixis). Die Rolle der Formatoren bei der Beschreibung natürlicher Sprachen und ihre Darstellung und Einbeziehung in eine Bezeichnungslehre sind in den letzten Jahren lebhaft diskutiert worden. Über Fragen vgl. Bach (1971) und R. Lakoff (1971), über pragmatische Operatoren und Deixis Fillmore (1966 und 1971), über Satzoperatoren McCawley (1972) und über Quantoren sowie zu allgemeinen Fragen der Formatoren G. Lakoff (1971,1972) und McCawley (1972). Eine aus¬ führliche Diskussion über die Rolle der Formatoren, insbesondere Quantoren und Satzoperato¬ ren, in einer semantischen Beschreibung liefert Leech (1970). Lit.: Bach, E. (1971). »Questions«, Linguistic Inquiry 2, S. 153-166. Fillmore, Ch. J. (1966). »Deictic Categories in the Semantics of Come«, Foundations of Language 2, S. 219-227. Ders. (1971). »Verbs of Judging. An Exercise in Semantic Description«, in: ders./LANGENDOEN, D. T. (Hrsgg.), Studies in Linguistic Semantics. New York, S. 272-289. Ders. (1971). »Subjects, Speakers, and Roles«, in: Davidson, DJ Harman, G. (Hrsgg.), Semantics of Natural Language. Dordrecht, S. 1-24. Lakoff, G. (1971). »On Generative Semantics«, in: Steinberg, D. D./Jakobovits,L. A. (Hrsgg.), Semantics. Cambridge, S. 232-296. Ders. (1972). »Linguistics and Natural Logic«, in: Davidson, D./Harman, G. (Hrsgg.), Semantics of Natural Language. Dordrecht, S. 545-665. Lakoff, R. (1971). »Ifs, And’s, and But’s About Conjunction«, in: Fillmore, Ch.J./LANGENDOEN,D.T. (Hrsgg.), Studies in Linguistic Semantics. New York, S. 114—149. Leech, G. N. (1970). Towards a Semantic Description of English. Bloomington. McCawley, J. D. (1972). »A Pro¬ gram for Logic«, in Davidson, D./Harman, G. (Hrsgg.), Semantics of Natural Language. Dordrecht, S. 498-544. Weinreich, U. (1963). »On the Semantic Structure of Language«, in: Greenberg, J. H. (Hrsg.), Universals of Language. Cambridge, Mass., S. 142-216.

141

Fourier-Analyse

Formklasse (engl, form-class). Von L. Bloomfield (1933, S. 146 f., 196 u. ö.) eingeführte und von vielen anderen Strukturalisten verwendete Bezeichnung für eine Menge sprachlicher Aus¬ drücke mit gemeinsamen formalen Eigenschaften wie z. B. gleiche oder teilweise gleiche phonologische oder morphologische Zusammensetzung, gleiche Vorkommensmöglichkeiten innerhalb größerer Ausdrücke. Bloomfield nahm an, daß mit einer Formklasse (z. B. substantivische Aus¬ drücke, substantive expressions) jeweils auch eine Klassenbedeutung (dass meaning) verbunden sei. Nida (‘1949), S. 107 ff.) unterscheidet: a) >Formklassen< im engeren Sinne, die nur aufgrund der phonologisch ähnlichen Zusammensetzung ihrer Mitglieder bestimmt sind, b) Sequenzklassen< (sequence classes), deren Mitglieder die gleiche morphologische Zusammensetzung (z. B. »Stamm + Flexionsendung)« haben, und >Distributionsklassen< (distribution classes), deren Mit¬ glieder jeweils die gleiche >interne< (internal) und >externe< (external) Distribution haben. »Gleiche interne Distribution« besagt hierbei, daß alle Ausdrücke das gleiche —» Morphem als eine ihrer unmittelbaren Konstituenten (—» Konstituentenanalyse) haben müssen; »gleiche ex¬ terne Distribution« bedeutet, daß alle Ausdrücke in den gleichen Umgebungen Vorkommen können. Lit.:

Bloomfield,

L. (1933). Language. New York (zahlreiche Neuauflagen).

Nida,

E. A. (21949). Morpho-

logy. Ann Arbor, Mich.

fortis (lat., >stark Fuftstromdynamik, genauer: durch gegenüber der Lenis-Artikulation erhöhten >subglottalen Drucke Chomsky/Halle (1968) wählen für ihr Merk¬ malsystem direkt die Bezeichnung »heightened subglottal pressure« (S. 326). Andere phone¬ tische Eigenschaften, die an Fortis-Produktionen beobachtet werden können, sind u. a. größere segmentale Dauer, festere Verschlußbildung und größere Intensität der Explosion bei den Ver¬ schlußlauten, intensiveres Reibungsgeräusch und Dauer bei den Frikativen. Nach der Konzeption von Merkmalsystemen für die systematisch-phonetische Ebene, u. a. von Fadefoged (1971) oder Chomsky/Halle (1968), ist ein differenzierter Gebrauch der Merkmalbezeichnung >fortis< - >lenis< in Abgrenzung zu Merkmalen wie >stimmhaft-stimmlosgespanntungespanntaspiriert-nichtaspiriert< und >scharf-mild< zu empfehlen, da diese Merkmale auto¬ nom kontrollierbare Aspekte der Fautbildung repräsentieren. Lit.: Chomsky, N./Halle, M. (1968). The Sound Pattern of English. New York, Kap. 7. Ladefoged, P. (1971). Preliminaries to Linguistic Phonetics. Chicago/London, S. 91 ff. Sievers, E. (1876). Grundzüge der Lautphysiologie. Leipzig. Winteler, J. (1876). Die Kerenzer Mundart des Kanton Glarus in ihren Grundzü¬ gen dargestellt. Leipzig.

Fourier-Analyse (auch: harmonische AnalyseGrund-< und >Obertöne< zer¬ legt, in >Harmonische dort, -> Sonagraph) wird die Schwingungsanalyse meist nicht auf rechnerischem Wege, sondern apparativ mit Analysatoren der Elektroakustik durchgeführt.

142

freie Form

freie Form. Im Amerikanischen Strukturalismus eine Form, die als abgeschlossene Äußerung Vorkommen kann; Gegensatz: >gebundene Forme Näheres —»Form: c. Freie Halbgruppe (über einem Alphabet). Begriff aus der Theorie der —» Formalen Sprachen. Man versteht darunter die Menge aller Ketten über dem Alphabet. freie Variante (auch: fakultative Variante«; Näheres —» dort). Nicht bedeutungsunterscheidende Realisation einer linguistischen Einheit, die in der Beliebigkeit des Sprechers liegt; Gegenteil: kombinatorische Variante«. freies Morphem. Im Amerikanischen Strukturalismus ein Morphem, das isoliert auftreten kann; Gegensatz: >gebundenes Morphem«. Näheres —»Morphem: 1. Fremdsprache. Mit Bildungsabsicht oder aus pragmatischen Gründen vermittelte Sprache eines anderen Volkes, die jedoch im betreffenden Inland weder Amts- noch allgemeine Verkehrsspra¬ che ist (im Gegensatz zu einer >Zweitsprache »Methodik«. Die Reformbewe¬ gung war didaktisch und methodisch akzentuiert, konnte aber von denen absorbiert, entschärft und teilweise überwunden werden, die didaktisch argumentierten (ohne daß man sich jetzt zu ihrer Didaktik bekennen müßte): den Vertretern der Kulturkundebewegung. Ihnen mangelte es wiederum an der realistischen Einschätzung der methodischen Möglichkeiten zum Durchsetzen ihrer Position, woraus sich später erneut Reformanstöße ergaben. Die Betrachtung des Fremdsprachenunterrichts muß bei der Stellung des Lateinischen im Mit¬ telalter ansetzen, da sich deren Nachwirkungen noch in der Gegenwart feststellen lassen. Die Einheit Europas gründete sich u. a. auf den Primat des Lateinischen, hinter das die Nationalspra¬ chen zurücktraten. Latein war die Sprache der Kirche, der Politik, der Wissenschaft und der geistigen Überlieferung. Das griechische Erbe war fast ausschließlich nur in lateinischem Gewand zugänglich; erst im Zeitalter des Humanismus ging man auf die griechische Urform zurück. Kir¬ che und Staat war daran gelegen, Latein als —> Bildungssprache und als —> Gebrauchssprache und Verkehrssprache zu vermitteln. Auf diese Weise kam es zur Institutionalisierung des Unterrichts. Daß er nur bestimmten Gruppen zugute kam, war eine Folge der mittelalterlichen Gesellschafts¬ ordnung. Entscheidend ist, daß Latein als lebende Sprache, und zwar nicht als Fremd-, sondern als Zweitsprache gelehrt wurde. Ziel des Unterrichts mußte die möglichst vollkommene Beherr¬ schung dieser Sprache in Wort und Schrift sein. Geleitet wurde er vom Prinzip der -* Stoffori¬ entierung. Das für die Gegenwart bedeutsame Prinzip der —* Schülerorientierung war noch nicht erkannt worden. Von einer psychologisch geschickten Aufbereitung des Stoffes und der Berück¬ sichtigung der Fassungskraft des Schülers konnte kaum die Rede sein. Methodisch zeichneten sich zwei Verfahrensweisen ab. Eine geht auf die Grammatiken von Donatus und Priscianus zu¬ rück (—»Sprachwissenschaft, Geschichte: Rom). Ihr liegt das Konzept zugrunde, daß Sprache nach Regeln verfertigt wird. Wörter werden nach Regeln zusammengestellt. Grundprinzip ist das Konstruktive im Zusammenhang mit dem Deduktiven (—» deduktive Grammatik). Dieser syn¬ thetisch-konstruktiven Methode steht die im Mittelalter ebenfalls verbreitete analytische Methode gegenüber, die auf Imitation und Reproduktion mit anschließender Beschäftigung mit der Grammatik beruhte. Im ersten Fall ging man von Elementen aus, die zusammengefügt wur¬ den, im zweiten von Texten, die durch Vorlesen, Übersetzen und Nachahmen erschlossen wur¬ den. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts trat der in Italien entstandene Humanismus in Erschei¬ nung. Gesellschaftskritik vermischte sich mit dem deutlicheren Verständnis der kulturellen Vergangenheit. In dem Maße, wie man sich von der erstarrenden mittelalterlichen Vorstellungs¬ welt abwandte, kam es auch zur Kritik an den mittelalterlichen Lehrverfahren, die weithin der Scholastik verpflichtet waren. Damit verbunden war die Korrektur der Zielvorstellungen. Der Aspekt der Bildungssprache wurde stärker betont: Latein und Griechisch sollten vornehmlich

144

Fremdsprachenunterricht, Geschichte

den Zugang zum kulturellen Erbe erschließen. Allmählich drängten jedoch die Nationalsprachen vor. Beachtenswert ist immerhin, daß die führenden Humanisten die schülergemäße Aufberei¬ tung des Stoffes forderten, ebenso seine Aufbereitung im Sinne einer —* Progression vom Leich¬ teren zum Schwereren und das Zurücktreten des Theoretisierens. Hiermit waren die stärkere Berücksichtigung der Sprachpraxis und der deutlichere Bezug auf die Muttersprache gemeint, womit vielleicht im Kern vorweggenommen wurde, was die heutige —» Kontrastive Linguistik in¬ tendiert. Die Stellung des Lateinischen wurde geschwächt, als im Zuge der geschichtlichen Entwicklung die Nationalsprachen ihr Recht beanspruchten, was allerdings nicht ausschloß, daß neue Leit¬ sprachen an die Stelle des Lateinischen traten. Bis nach Rußland hinein wurde Französisch die Sprache der Gebildeten und des Hofes. Überholt wurde es erst im 20. Jahrhundert, als Englisch sich als Weltsprache durchsetzte. Insgesamt hat die Entwicklung seit der Renaissance (dem Humanismus) dem Fremdsprachenunterricht neue Anstöße gegeben, wozu u. a. die Säkularisie¬ rung, der vom Humanismus ausgelöste Kulturaustausch, das Institut der Bildungsreise, das wachsende literarische Interesse und später die zunehmende Industrialisierung beitrugen. Im Hintergrund allerdings blieb das Lateinische wirksam. Im Humanismus war das Konzept der Bil¬ dungssprache ausgeformt worden; bis dahin konnte man das Lateinische vorwiegend als Gebrauchs-, Verkehrs- oder Amtssprache bezeichnen, womit ein Aspekt der heute üblichen Unterscheidung von >Fremdsprache< und >Zweitsprache< (Näheres —» dort) vorweggenommen wurde. Entscheidend war, daß die Lehrgepflogenheiten am letzten Stand des Lateinunterrichts ausgerichtet blieben. Der Schrifttext stand und blieb im Mittelpunkt. Das Bestreben der Huma¬ nisten, aus dem Lateinischen Anregungen für den bewußteren und wirkungsvolleren Gebrauch der Muttersprache zu gewinnen, trug sicher dazu bei, die Übersetzung als Unterrichtstechnik zu etablieren, und sollte den Fremdsprachenunterricht noch weiterhin beeinflussen. Bei dem Versuch, die Tradition zu überwinden und den aus den seinerzeit vorherrschenden Bedingungen abgeleiteten Anspruch der neueren Sprachen zu vertreten, waren deren Befürwor¬ ter, die Anhänger der Reformbewegunng, immer wieder gezwungen, ihre Ranggleichheit mit den alten Sprachen nachzuweisen und darzulegen, daß sie der gleichen bildenden Wirkungen fähig seien wie diese. Darin liegt einer der Hauptgründe, daß der Begriff der Bildungssprache auf die Gestaltung des neusprachlichen Unterrichts in den letzten Jahrzehnten Einfluß nehmen konnte, was sich auch darin zeigte, daß Lehrgepflogenheiten des altsprachlichen Unterrichts übernom¬ men wurden. Hierher gehört z. B. das Fortleben der lateinisch ausgerichteten Terminologie sogar bei der Vermittlung von Sprachen, die aus sprachgeschichtlich bedingten Gründen entspre¬ chende Erscheinungen gar nicht mehr aufweisen (vgl. den sog. Acl im Englischen). In der Folgezeit kristallisierten sich zwei Hauptströmungen des Fremdsprachenunterrichts heraus. Sie betrafen sowohl die Methode als auch die Sprachenwahl und die Zielsetzung. Für die Lateinschulen blieben die synthetische und die analytische Methode - in einer —»>GrammatikUbersetzungs-Methode< genannten Mischform - maßgebend. Dem bereits von den Humanisten geforderten Prinzip der Schülerorientierung wurde wenig Beachtung geschenkt. Gelehrt wurden Latein und Griechisch. Das Ziel des Unterrichts kann mit dem Stichwort »Gelehrsamkeit« um¬ schrieben werden: Erstrebt wurde die im Umgang mit den antiken Autoren zu erlangende ge¬ lehrte Bildung. Neben die Lateinschulen traten seit dem Ende des 16. Jahrhunderts die Ritter¬ akademien, die für die

Verbreitung der

neueren

Sprachen

bedeutsam

wurden.

Der

Fremdsprachenunterricht an den Ritterakademien und ähnlichen Einrichtungen wurde von sog. —* Sprachmeistern erteilt. Ihr Unterricht nimmt gewisse Elemente des heutigen —> Situativen Unterrichts vorweg, wenngleich er weder linguistisch abgesichert noch methodisch überdacht und begründet war.

145

Fremdsprachenunterricht, Geschichte

Die Periode der Sprachmeister näherte sich ihrem Ende, als der Ruf nach dem wissenschaftlich gebildeten Lehrer aufkam. Das Vorbild dafür gaben die Lehrer der alten Sprachen ab, womit wiederum eine methodische Entscheidung impliziert war. Wo es den neueren Sprachen gelang, ihren Platz im schulischen Kanon zu gewinnen, hatten sie sich zur Angleichung an das methodi¬ sche Vorgehen und die Zielsetzung des Unterrichts in den alten Sprachen verstehen müssen. Es muß aber beachtet werden, daß man sich um Verbesserungen bemühte und daß man diese nur aus den damaligen Umständen heraus beurteilen kann. Zwar hielt sich Meidinger (1783) an das konstruierende Verfahren des Donatus, aber daß er die Übersetzung hineinbrachte (die man heute meist ablehnt), muß angesichts der Zeitumstände als Fortschritt gewertet werden, da sie ein produktives Element in den Lehrgang einbrachte. Einen weiteren Fortschritt konnte Seiden¬ stücker (1811) erzielen, der sich von der Arbeit mit Satzfragmenten abwandte und den Übungen, die er nun auf vollständige Sätze gründete, mehr Gewicht beimaß. Fast sprichwörtlich bekannt wurde dann im deutschen Raum Ploetz (1849), der weitere Verbesserungen erarbeitete. Der bis¬ herigen Vernachlässigung der Aussprache wirkte er durch einen -» Lautkurs entgegen. Für die grammatische Arbeit entwarf er ein methodisches Schema, das sich nach Paradigma, Regel, Übung in Einzelsätzen und Übersetzung gliederte. Aus heutiger Sicht ist es leicht, Ploetz zu kriti¬ sieren und ihn als rückständig zu bezeichnen. Ihm muß aber zugestanden werden, daß er in seiner Zeit um die Methodisierung des Unterrichts bemüht war und zweifellos eine Spitzenstellung ein¬ nahm. - Eine Abwandlung des Übersetzungsverfahrens stellt die —> Interlinearmethode dar, die auf Du Marsais (1722) zurückgeht und dann vor allem von Hamilton (1816) wieder aufgegriffen wurde. Schulisch blieb sie ohne größere Bedeutung; zu neuer Geltung kam sie erst, als Toussaint und Langenscheidt ihre Unterrichtsbriefe konzipierten, die sich auf das von Hamilton und seinem Nachfolger Jacotot entwickelte Verfahren stützten. Hatten ursprünglich die Sprachmeister dem Verlangen nach der Kenntnis der neueren Spra¬ chen genügen können, stellten nun das aufstrebende Bürgertum, die Industrialisierung und die Ausweitung der Handelsbeziehungen größere Ansprüche an das öffentliche Schulwesen. Neben die humanistisch-akademische trat die Realbildung. Sprachliche Bildung konnte nicht mehr al¬ lein mit dem Studium der alten Sprachen umschrieben werden. Andererseits wußten sich deren Vertreter, gestützt auf die Tradition, im Besitz des Bildungsmonopols. Die Neusprachler mußten sich die Werte und Kriterien des altsprachlichen Unterrichts zu eigen machen, um Geltung erlan¬ gen zu können. Ihr Handicap war der Mangel an wissenschaftlich vorgebildeten Neuphilologen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hinzu kamen spezielle Einwände: Die neueren Spra¬ chen seien zu leicht, um Bildungsgewinn versprechen zu können; sie wichen nicht so sehr von der Muttersprache ab, um wahrhaft bildend zu wirken. Nach Meinung der Kritiker verfügten sie auch nur über eine mindere Literatur und trugen den Makel, nur nützlich zu sein. In dieser Zeit begann die Geringschätzung des Pragmatischen und Utilitaristischen, die gelegentlich bis heute im Fremdsprachenunterricht nachwirkt. Jedenfalls schlüpften die Neuphilologen in die Haut der Altphilologen, deuteten deren Motive um, übernahmen deren Begriffswelt und Argumentation und brachten es zustande, auf diesem Wege die Gleichwertigkeit der alten und der neueren Spra¬ chen in einem auf die damalige Zeit abgestimmten Schulsystem darzulegen. Diese Entwicklung fand ihren Niederschlag in der Schulorganisation. Die seit Mitte des 18. Jahrhunderts entstande¬ nen Realschulen wurden z. B. 1832 in Preußen anerkannt; an ihnen war Englisch seit 1859 ver¬ bindliches Fach. 1837 wurde Französisch zum Pflichtfach des Gymnasiums erklärt. Die anfangs als Fachschulen entworfenen, dann als Schulen einer gegenwartsbezogenen Bildung verstande¬ nen Realschulen nahmen die neueren Sprachen in ihren Kanon auf, weil sie sie für die Abrundung der Realbildung für erforderlich hielten. 1882 wurde die rein neusprachliche Oberrealschule staatlich anerkannt; 1892 wurde Englisch Wahlfach im Gymnasium. Einen vorläufigen Abschluß

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Fremdsprachenunterricht, Geschichte

fand die Entwicklung, als 1900 die Reifezeugnisse der verschiedenen Formen der Höheren Schule für gleichwertig erklärt wurden. Die neueren Sprachen hatten sich, jedenfalls administra¬ tiv und organisatorisch, durchgesetzt. Am Rande wurde die Auseinandersetzung um das Problem der Sprachenfolge geführt. Daß Französisch zuerst am Gymnasium und Englisch zuerst an der Realschule zum Pflichtfach erklärt wurde, beleuchtet die Einschätzung dieser Sprachen. Franzö¬ sisch war eher als Bildsprache zu verstehen; es war auch wegen seines Flexionssystems »schwieri¬ ger«. Das Englische hatte von vornherein einen pragmatischen Beigeschmack und schien sich von daher als Gebrauchssprache zu empfehlen. Die Frage des Verhältnisses zwischen den beiden Sprachen ist heute noch ein Thema, das sich in der Fachdiskussion auswirkt - zuletzt mit Bezug auf die Sprachenwahl im —> Frühbeginn. Mit dem Vordringen der neueren Sprachen verbanden sich Ansätze zur didaktischen und me¬ thodischen Neuorientierung, aus denen sich schließlich die —> Reformbewegung entwickelte. Die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Reform kamen zu einem vor¬ läufigen Abschluß mit der Herausbildung der —» Vermittelnden Methode, die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein den Fremdsprachenunterricht prägte. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg geriet der Fremdsprachenunterricht zunehmend in den Bannkreis der —>• Kul¬ turkundebewegung. Ihre negativen Aspekte verschärften sich nach 1933, als der Nationalsozia¬ lismus die ihm opportun erscheinenden Elemente in seine Ideologie einfügte. Die Ereignisse des Jahres 1945 brachten den entscheidenden Einschnitt in der Geschichte des deutschen Fremdsprachenunterrichts. Der Gang der politischen Entwicklung hatte Zweifel an der bisher vorherrschenden Fremdsprachendidaktik geweckt. Mit dem Ende der allgemeinen Abkapselung Deutschlands zwischen 1933 und 1945 wurde der Anschluß an die internationale Entwicklung zurückgewonnen, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Die Einführung des Russischen als erster Fremdsprache in der DDR brach mit der Vorherrschaft der traditionel¬ len Schulsprachen Englisch und Französisch und bahnte der Rezeption der sowjetischen Fremd¬ sprachendidaktik und -methodik den Weg. Diese Situation regte zahlreiche Forschungsarbeiten an, die u. a. in der weiten Verbreitung des Schulfernsehens ihren Niederschlag fanden. In der Bundesrepublik profitierte der Fremdsprachenunterricht von den Erfahrungen und Erkenntnis¬ sen der angloamerikanischen Methodik, wenngleich deren Auswertung durch das Weiterwirken traditioneller Konzeptionen berührt wurde. Einzelne Didaktiker bemühten sich um die Vermitt¬ lung der Arbeitsergebnisse osteuropäischer Fachleute. Als folgenreich erwiesen sich die Präzisie¬ rung des Begriffs der -»>Methode< und die stärkere Beachtung der

Übungssystematik, die sich

sowohl in der Gestaltung des —* Lehrbuchs als auch im Einsatz von —► Unterrichtsmitteln und Medien mit der Tendenz zum —> Medienverbund abzeichneten. Verbunden damit war das Wiederaufleben der Mehodendiskussion, die zuerst an die Erörterung der —> Hauptschulgemä¬ ßen Arbeitsweise anknüpfte und sich nun auf die -» Audio-linguale Methode konzentriert. Im Zusammenhang mit der Verbesserung der Methodenorganisation fanden überdies Fragen der —> Leistungskontrolle und der Differenzierung (->dort: 2) in steigendem Maße Beachtung. Gemeinsam ist den Bestrebungen zur weiteren Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts das Bemühen um wissenschaftliche Absicherung (-> Angewandte Linguistik, -» Kontrastive Lingui¬ stik, -» Psycholinguistik). Insgesamt läßt sich feststellen, daß der Anschluß an die internationale Entwicklung wiedergewonnen werden konnte und der deutsche Fremdsprachenunterricht Vari¬ anten entwickelt hat, die dem gegenwärtigen Stand der Theorie des Fremdsprachenunterrichts entsprechen. Weitere Verbesserungen werden von der Ausarbeitung von Curricula erwartet.

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Fremdsprachenunterricht, Geschichte

Entwicklungen in den Vereinigten Staaten Die Entwicklungsrichtungen des modernen Fremdsprachenunterrichts gingen von Mittel-, Westund Nordeuropa aus. So wie sich in diesem Gebiet in der Folgezeit unterschiedliche Konstellatio¬ nen ergaben, traten sie dann auch in anderen Teilen der Welt auf. Typische Verlaufsformen der Entwicklung lassen sich vor allem an den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion belegen, zu¬ mal von diesen beiden Ländern dann später weitreichende Wirkungen ausstrahlten. Inden Vereinigten Staaten hatte die europäische —* Reformbewegung in der —> Direct-Eclectic Method ihren Niederschlag gefunden. In starker Bindung an die Unterrichtstradition scheute man davor zurück, die Reformbestrebungen voll und ganz aufzugreifen, und suchte Kompromi߬ lösungen. Dennoch brachten Kritiker vor, die Förderung der Lesefertigkeit werde vernachlässigt. Die Auseinandersetzungen um die zweckmäßigste Methode führten zum Report ofthe Committee ofthe Modern Language Association of America (1898). Er hatte sich zwar zum Lehren der vier primären —»Fertigkeiten bekannt, aber doch zum Ausdruck gebracht, daß es kaum möglich sein werde, in der High School genügend Zeit für das Erreichen aller Zielsetzungen zu finden. Des¬ halb sei die Beschränkung auf die —> Reading Method angebracht, die der größten Zahl den grö߬ ten Vorteil bringe. Dabei wurde von einem 2-3jährigen Lehrgang ausgegangen, der sich auf Lesen und Übersetzen konzentrierte. Weiterverfolgt wurde die Konzeption in dem Modern Foreign Language Study(1924-28), das die Carnegie Corporation finanziert hatte. Sein wichtigstes Teil¬ ergebnis ist der sog. Coleman-Report, der von Algernon Coleman verfaßte Band The Teaching of Modern Foreign Languages in the United States (1929). Er empfiehlt die Reading Method, da die Lesefertigkeit die wichtigste sei. Bei der Betonung der Lesefertigkeit spielten neben der Kürze des Lehrgangs die Einschätzung der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Teilnehmer und die Frage der Verwertbarkeit des Lernergebnisses eine Rolle: Sprechfähigkeit werde in der Fremdsprache von vielen Schülern ohnehin nicht erreicht, könne u. U. die Entwicklung der Lese¬ fähigkeit behindern und werde in den Zulassungsbedingungen der Colleges und Universitäten auch gar nicht verlangt. Man erörterte, ob es nicht zweckmäßig sei, eine Abstufung der Lehr¬ gangsdauer, -gestaltung und -Zielsetzung je nach dem betroffenen Teilnehmerkreis einzuführen, wobei man offensichtlich an die Entwicklung der Lesefähigkeit als verbindlicher Grundlage dachte, also eine Gegenposition zum — Aktionsart. Ein Verb frequentativer Aktionsart heißt >Frequentativ(um) Häufigkeit sprachlicher Phäno¬ mene.

151

Frühbeginn

Frequenzwörterbuch. Häufigkeitsliste (Näheres —» dort) einer Sprache. Frikative (lat. fricare, >reiben >EngelauteSpirant< gebraucht, auch: >GeräuschlautKonstriktions-laminaren< Strömung verändert abrupt Strömungsge¬ schwindigkeit und -richtung aufgrund von Wirbelbildung. Die kurzzeitigen und unregelmäßigen Druckschwankungen werden hinter der Konstriktionsstelle resonatorisch überformt. Diese Signale haben auditiv den Charakter farbigen Rauschens (^>dort, —> Artikulation). Akustisch: Die spektralakustischen Merkmale der Frikative werden im wesentlichen durch Strömungsgeschwindigkeit und Querschnittfläche an der Engstelle sowie durch die geometrische Konfiguration des Resonanzraums bestimmt. Im Gegensatz zu den Vokalen und vokalähnlichen Lauten weisen die Frikative akustisch ein kontinuierliches Spektrum auf, d. h. akustisch definiert man Frikative durch Rauschbänder, also durch Angabe der unteren und oberen Begrenzungsfre¬ quenz, sowie durch die Intensitätsverhältnisse (>Energiedichteverhältnisse Differenzierung (—» dort: 2) in Form der äußeren Differenzierung und das Problem, ob der Einsatz technischer —» Unterrichtsmittel altersgebunden sei. Lit.:

Gompf, G. (1971). Englisch in der Grundschule. Weinheim. Kloss, H. (1967). FLES. Zum Problem des Fremdsprachenunterrichts an Grundschulen Amerikas und Europas. Godesberg. Stern, H. H. (1967). Foreign Languages in Primary Education. London. Ders. (Hrsg.) (1969). Languages and the Young School Child. London.

Fünf-Phasen-Drill. Form der Drill-Übung im Fremdsprachenunterricht; —* Vier-Phasen-Drill.

functional analphabetical symbolism. Analphabetisches Verschriftungssystem für phonetische Transkriptionen (Näheres —» dort).

Fundamentum, das. In einem differenzierenden Unterricht das allgemeinverbindliche Grund¬ pensum im Unterschied zu den >Addit(iv)a Differenzierung: 2, —» Durchlässigkeit. Funktion. 1. In der Linguistik bezeichnet >Funktion< die Leistung einer sprachlichen Form oder der Sprache insgesamt. Dieser Funktionsbegriff liegt dem -»Funktionalismus der Prager Schule zugrunde. Streng relational wie in der Mathematik ist dagegen der Funktionsbegriff in der —► Glossematik Hjelmslevs, wonach funktionale Beziehungen zwischen sprachlichen Elementen, und nicht diese Elemente selbst, der einzige Gegenstand der linguistischen Beschreibung sind. 2. In der Mathematik synonym zu —> Abbildung. Der Unterschied zwischen den mathemati¬

schen Begriffen >Funktion< und >Abbildung< ist historisch zu verstehen. Ursprünglich war eine Funktion eine durch eine Rechenvorschrift gegebene Abbildung, und man unterschied davon die durch Aufzählung gegebene Abbildung. Für Funktionen gibt es daher eine gegenüber der bei Abbildungen üblichen Sprechweise abweichende Terminologie: eine Abbildung a: U -» B mit der >Urbildmenge< U und der >Bildmenge< B wird als Funktion a mit >Argumentbereich< U und >Wertebereich< B bezeichnet. Die so definierte Funktion heißt genauer >Funktion einer Variablem, weil der Argumentbereich eine Menge ist. Daneben gibt es »Funktionen mehrerer Variablen. Bei ihnen ist die Urbildmenge ein kartesisches Produkt (-^Mengenlehre) mehrerer Mengen, z.B.U = FX G für zwei Mengen F und G. Beispiel: Gegeben sei eine Liste von Phone¬ men in der Darstellung der -» Generativen Phonologie durch —> Distinktive Merkmale. Gegeben sei dazu die Menge M = {m,, m2} von (der Einfachheit halber nur) zwei Merkmalen, die Menge P

=

{a,

ß, T}

der (hier nur drei) Phoneme sowie die Menge B

= {-I-, - }

der möglichen Beset¬

zungen eines Merkmals. Die übliche Darstellung der Phoneme als Tabelle, z. B.

153

funktionale (funktionelle) Phonetik

a

ß

Y

ml

+





m2



+



kann dann dargestellt werden als eine Abbildung cp: M X P —>B, die im einzelnen zu beschreiben ist durch die Aufzählung (mp«) i-» +, (m,,ß) M- —, (m,, y) i—> —, (m2,«) h>- —, (m2,ß) h* +, (m2,y) i—* —. Hier wird also z. B. dem geordneten Paar (m2,a) die Besetzung + zugeordnet, in Worten: Das Merkmal m, ist im Phonem « mit + besetzt. - Statt cp: A X B —»C schreibt man für eine Funktion von zwei Variablen auch y = cp (x,,x2), wobei x, ein Element der Menge A, x2 ein Element der Menge B und y ein Element der Bildmenge C bezeichnet, x, und x2 heißen auch die >Variablen< der Funktion Funktionswert< der Funktion cp. -^Formale Phonologie. Lit. zu 2: —> Mengenlehre

funktional. Funktion habend, distinktiv, relevant, im Sinne etwa der Prager Schule (-» Funktion: 1; Gegensatz: —»formale 2). Eine funktionale Grammatik, also eine Grammatik, die z. B. danach fragen würde, wie künfti¬ ges Geschehen im Englischen ausgedrückt werden kann und welche Faktoren auf die Entschei¬ dung für bestimmte Formulierungen Einfluß nehmen (können), gehört zu den Desiderata des Fremdsprachenunterrichts. Die Aufgabe, solche Grammatiken auszubauen, wird um so vor¬ dringlicher, je mehr man erkennt, daß der Fremdsprachenunterricht der Linie des -» Situativen Unterrichts zu folgen hat. funktionale Belastung. Ausnutzungsgrad einer phonologischen Opposition; Näheres -» Phono¬ logie: Diachronie. funktionale (funktionelle) Phonetik. Weitgehend der Bereich, der gegenwärtig auch mit den Begriffen -» >Phonologie< und >Phonem(at)ik< erfaßt wird (vgl. u. a. Martinet 1949). Diesen Dis¬ ziplinen ist die Beschreibung und Analyse der sprachzeichenunterscheidenden Einheiten (so Phonem, Segment, Distinktives Merkmal, Prosodem usw.) und ihrer Varianten (so Phon, Allo¬ phon, redundantes Merkmal, acoustic cueusw.) gemeinsam. In der Phonologie und Phonem(at)ik werden diese lautlichen Phänomene gesprochener Sprache nach funktionalen und formalen, in der

Phonetik nach substantiellen Eigenschaften untersucht. Der Begriff der funktionalen

Phonetik< subsumiert beide Aspekte — Form und Substanz — unter den Oberbegriff der Phonetik, die sich damit als Wissenschaft von der lautsprachlichen Kommunikation versteht. Die wissenschaftssystematische Trennung von Phonetik und Phonologie ist damit aufgehoben, was insofern angebracht erscheint, als diese Trennung für die Praxis phonetischer und phonologischer Arbeit kaum mehr Konsequenzen hat. Sie muß vielmehr unter wissenschaftsgeschichtli¬ chen Aspekten beurteilt werden, denn zur Zeit als sie vollzogen wurde (so u. a. von Trubetzkoy 1929), traf die strukturale Linguistik auf die die phonetischen Schulen und Disziplinen dominie¬ rende _> Experimentalphonetik, die programmatisch linguistische Bezüge ablehnte, um sich ih¬ rerseits von der damaligen linguistischen Phonetik (-> Elementarphonetik) methodisch abzu-

154

funktionale (funktionelle) Phonetik

grenzen. Mit der auf die Entpsychologisierung folgenden Phonetisierung der Phonemdefinition u. a. durch Jakobson (1939) undTrubetzkoy wurden die Attacken der Phonologie auf die zeitge¬ nössische Phonetik heftiger. Eine Vermittlung der Standpunkte wurde erst nach Aufgabe des Prinzips der natürlichen Segmentierbarkeit lautsprachlicher Äußerungen mit der Formulierung des —* Koartikulationskonzepts erreicht: »Das Sprechen erfolgt - weil es sinnvoll, ausdrucksvoll sein muß - nach den jeder Sprache eigentümlichen Formgesetzen. Die zwischen zwei Pausen fal¬ lenden Satzteile sind motorisch gestaltet, also artikulatorisch verflochten, als Ganzheit gewollt, und sie werden ebenso perzipiert, kurz: synkinetisch gestaltete Artikulationsganze und synthe¬ tisch apperzipierte, akustische (bzw. visuelle) Gebilde« (Menzerath/De Lacerda 1933, S. 61 f.). Das heißt, die Phonetik erkennt die Phonologie als heuristische Instanz an und setzt die von der Phonologie vorgegebenen funktionalen Einheiten der Lautsprache als Bezugsgrößen für die instrumentelle Datenerhebung am phonetischen Signal ein. Die Phonologie ihrerseits hat nach den bemerkenswerten Erfolgen mit der Theorie der —> Distinktiven Merkmale, der im übrigen der wissenschaftsgeschichtliche Stellenwert der Synthese von Phonologie und Phonetik in der Mei¬ nung mancher Phonetiker/Linguisten zukommt, die Beschränkung auf die Distinktiva aufgege¬ ben. Einflußreich für die Vermittlung der Standpunkte war das Konzept der redundanten Merk¬ male, gemäß welchem die distinktiven Merkmale der phonologischen Beschreibung bei der Realisierung von lautsprachlichen Einheiten nicht obligat und invariant vorfindlich sein müssen (—» Formale Phonologie). So kann z. B. Malmberg (1971) die Antithetik von Phonem und Reali¬ sierung, Phonologie und Phonetik durch die Hierarchisierung der Beschreibungsebenen auflösen, denen ein jeweils unterschiedlicher Grad von Abstraktheit zukommt, und der Phonologe H. Pilch (1968) kann behaupten, daß für die phonologische Analyse »die Kenntnis der Schall¬ merkmale, und zwar nicht nur der distinktiven, sondern sämtlicher Schallmerkmale« (S. 104) er¬ forderlich ist. Er will >Phonologie< und >Phonetik< terminologisch ersetzen durch den Begriff >Phonemtheoriepure phonetics< where the communicative function of language is not in any way taken into consideration simply does not exist« (S. 247) sind unscharf und verworren, ebenso wie die leicht kryptische Bemerkung von Pilch: »Sie, die >reine Phonetik«, könnte höchstens die überhaupt möglichen Artikulationen, Schallwel¬ len und Gehörseindrücke klassifizieren und damit die Arbeit der eigentlichen, linguistischen Phonetik vorbereiten« (S. 103). Die Wissenschaftspraxis weist phonetische Arbeit sowohl im Bereich der akustischen Statistik als auch in prä- und paralinguistischen Bereichen der Stimmphysiognomik, der emotiven Kom¬ munikation und der Mensch-Maschinen-Interaktion sowie der Tierphonetik nach. Für die Kom¬ petenzregelung zwischen Linguistik und Phonetik, die nahezu ausschließlich von Linguisten vor¬ genommen wurde, scheint es symptomatisch zu sein, daß die

Phonetik stets

in die

155

Funktionale (funktionelle) Satzperspektive

Dienstmagd-Position zur linguistischen Herrin gerät, ohne daß ihr bleibt, was selbst der Begrün¬ der der »Zweiheitslehre« — Trubetzkoy — ihr zugestanden hat: wissenschaftliche Autonomie. Lit.. Brondal, V. (1936). »Sound and Phoneme«, in: Proceedings of the 2nd International Congress of Phonetic Sciences. London, S. 40-45. Buhler, K. (1931). »Phonetik und Phonologie«, Travaux du Cercle Linguistique de Prague4, S. 22—53. Fischer-Jorgensen, E. (1959). »Die Bedeutung der funktionellen Sprachbeschreibung für die Phonetik«, Phonetica 4, S. 7-28. Groot, A. W. de (1931). »Phonologie und Phonetik als Funktionswissenschaften«, Travaux du Cercle Linguistique de Prague 4, S. 116—147. Hammarström, G. (1963). »Reflexions sur la linguistique structurale et la phonetique experimentale«, Phonetica 9, S. 11-16. Hjelmslev, L. (1938). »Uber die Beziehungen der Phonetik zur Sprachwissenschaft«, Archiv für verglei¬ chende Phonetik 2, S. 129-134 und 211-222. Jakobson, R. (1939). »Observations sur le classement phonologique des consonnes«, in: Proceedings of the 3rd International Congress of Phonetic Sciences (1938), Ghent, S. 34—41. Malmberg, B. (1961). »La linguistique structurale et la phonetique experimentale«, in: Acta Conventus Romani, Romae 1959, Kopenhagen, S. 67—85. Ders. (1971). »Levels of Abstraction in Phonetic and Phonemic Analysis«, in: Ders., Phonetique generale et romane, Den Haag, S. 231-248. Martinet, A. (1949). Phonology as Functional Phonetics. Oxford (Nachdruck 1955). Menzerath, P./Lacerda, A. de (1933). Koartikulation, Steuerung und Lautabgrenzung. Bonn. Otto, E. (1937). »Phonologie und Phonetik«, Indo¬ germanische Forschungen 55, S. 17-24. Pilch, H. ( '1968). Phonemtheorie. I. Basel/New York. (1931). »Pro¬ jet de terminologie phonologique standardisee«, Travaux du Cercle Linguistique de Prague 4, S. 309-323. Schmitt, A. (1938). »Überden Begriff des Lautes«, Archiv für vergleichende Phonetik2, S. 65, 77,161-176. Trubetzkoy, N. S. (1929). »Zur allgemeinen Theoriederphonologischen Vokalsysteme«, Travaux du Cercle Linguistique de Prague 1, S. 39-67. Ders. (1939). Grundzüge der Phonologie. Prag (= Travaux du Cercle Linguistique de Prague 7), "Göttingen 1971. Zwirner, E. (1939). »Phonologie und Phonetik«, Acta Linguistica 1, S. 29-47.

Funktionale (funktionelle) Satzperspektive. Terminus der Prager Schule (—»Funktionalismus: F. und die sprachlichen Ebenen) mit dem die Gliederung des Satzes in Ausgangspunkt und Kern der Aussage bzw. in >Thema< und >Rhema< oder engl, topic und comment bezeichnet wird. Die Lehre von der Funktionalen Satzperspektive (auch: >[funktionale] Mitteilungsperspektive« oder >aktuelle Satzgliederung«) wurde von V. Mathesius (1929,1939) begründet. Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen Wortfolge und Gedankenfolge sind allerdings auch schon vorher angestellt worden. Vor allem H. Weils (1844) Unterscheidung zwischen Ausgangspunkt und Ziel der Aussage und seine Beobachtung, daß in modernen Sprachen im Unterschied zu den alten Sprachen die Tendenz besteht, den Ausgangspunkt zum grammatischen Subjekt zu ma¬ chen, haben Mathesius nachhaltig beeinflußt. Mit der Konzeption der Funktionalen Satzper¬ spektive versucht Mathesius, die psychologisierende Unterscheidung zwischen psychologischem Subjekt und psychologischem Prädikat, wie sie sich etwa bei G. von der Gabelentz oder H. Paul findet, durch eine linguistische Unterscheidung, nämlich die zwischen Thema und Satzaussage bzw. Mitteilungskern (später: Rhema) zu ersetzen. Er sieht die Reihenfolge Thema-Mittei¬ lungskern als objektive, die Reihenfolge Mitteilungskern-Thema als subjektive Wortfolge an. Im Tschechischen und überhaupt in den slawischen Sprachen wird nach Mathesius die Wortstel¬ lung in entscheidendem Maße vom Prinzip der Funktionalen Satzperspektive bestimmt. Die Konzeption der Funktionalen Satzperspektive ist von zahlreichen, insbesondere tschechi¬ schen Linguisten aufgegriffen und weiterentwickelt worden, z. B. von E. Benes, F. Danes, J. Firbas, P. Sgall, F. Trävnicek u. a. (Über die Entwicklung der Funktionalen Satzperspektive ori¬ entieren z. B. Benes 1973, Danes 1973, Firbas 1973, Fries 1971, Sgall et al. 1973, Kap. I; zur Auseinandersetzung speziell mit Mathesius vgl. z. B. Trävnicek 1962, Firbas 1964.) Eine der Hauptfragen in der Diskussion über die Funktionale Satzperspektive als »Organisa¬ tion und Hierarchie der semantischen Einheiten entsprechend ihrem Mitteilungswert« (Benes 1973, S. 44) ist bis heute, wie dieser Mitteilungswert genau zu bestimmen ist und wie die grundle¬ genden Begriffe >Thema< und >Rhema< zu definieren sind. Seit Mathesius werden zwei verschie-

Funktionale (funktionelle) Satzperspektive

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dene Aspekte bei der Definition von Thema und Rhema berücksichtigt: 1. ein satzbezogener Aspekt, nämlich der der Gliederung der thematischen Struktur des Satzes; 2. ein kontextbezoge¬ ner Aspekt, nämlich der der Einbettung einer Äußerung in den sprachlichen oder situativen Kontext (vgl. dazu Benes 1970). Mit Rekurs auf den satzbezogenen Aspekt werden Thema und Rhema definiert als das, worüber etwas mitgeteilt wird, bzw. das, was darüber mitgeteilt wird. Mit Rekurs auf den kontextbezogenen Aspekt wird die im Satz enthaltene »bekannte« oder »ge¬ gebene« Information als >Thema< bezeichnet, die »neue« oder »unbekannte« Information als >Rhema< (vgl. zu diesen Begriffen ausführlich Danes 1973). In diesem Sinne wird das Thema eines Satzes z. B. durch den bestimmten Artikel, Possessiv-, Demonstrativ-Artikel oder Perso¬ nalpronominasignalisiert, das Rhema z. B. durch den unbestimmten Artikel. Firbas (z. B. 1964a, 1973) versucht das Problem der Definition von Thema und Rhema durch Einführung des Begriffs der »kommunikativen Dynamik« (communicative dynamism) zu lösen. Seine These besagt, daß die einzelnen Elemente im Satz in unterschiedlichem Maße zum Fortgang der Kommunikation beitragen; die Elemente, die vom Kontext unabhängig sind, also neue Information geben, weisen einen höheren Grad an kommunikativer Dynamik auf als die Elemente, die Träger bekannter Information sind. Thema und Rhema werden als Extremwerte mit dem niedrigsten bzw. höchsten Grad an kommunikativer Dynamik aufgefaßt, zwischen denen es eine ganze Skala von Über¬ gangswerten gibt. In diesem Zusammenhang schlägt Firbas (1965 u. ö.) daher auch vor, den Satz nicht nur in Thema und Rhema zu gliedern, sondern eine Dreiteilung vorzunehmen und zwischen Thema und Rhema noch ein Übergangselement, transition, anzusetzen. Einige Vertreter der Prager Schule haben sich diesem Vorschlag angeschlossen. Der Vorteil dieser Auffassung liegt nach Firbas (1973) darin, daß sich auf diese Weise eine deutliche Grenze zwischen dem themati¬ schen und dem rhematischen Bereich im Satz ziehen läßt: das finite Verb wird nicht als zum Thema oder zum Rhema gehörig, sondern als Übergangselement aufgefaßt. Eine Satzgliederung nach diesem Muster sieht bei Firbas (1973) folgendermaßen aus: There [Thema] was [transition] a cold bitter taste [Rhema] in the air [Thema]. - Aber auch die Einführung von Begriffen wie

»kommunikative Dynamik« und »Übergang« hat nicht zu einer allgemein akzeptierten Defini¬ tion von >Thema< und >Rhema< geführt (vgl. z. B. Sgall etal. 1973, S. 24 ff.; einen Überblick über die Definitionsprobleme gibt Fries 1971). Andere Definitionsversuche nehmen Unterscheidun¬ gen zu Hilfe wie die zwischen »Basis« (Ausgangspunkt, Eröffnungselement des Satzes) und Thema (Benes z. B. 1971) oder die in der Sache ähnliche, in der Terminologie aber abweichende Unterscheidung zwischen »Thema« als dem ersten Satzelement und given als dem gegebenen, bekannten Element (Halliday 1967). Eine Möglichkeit, zu einer präziseren Bestimmung der Thema-Rhema-Gliederung zu kom¬ men, sehen Sgall (z. B. 1967, 1973, Sgall et al. 1973), Dahl (1969, 1974) und andere in der Sprachbeschreibung nach dem Modell der Generativen -* Transformationsgrammatik bzw. der —» Generativen Semantik. Während in den an der Generativen Transformationsgrammatik orientierten Arbeiten die Konzeption der Funktionalen Satzperspektive vorwiegend in ihrem satzbezogenen Aspekt wei¬ terentwickelt wird, gehen die Bestrebungen anderer Prager Linguisten wie Danes, Benes oder Hausenblas dahin, aus dem kontextbezogenen Aspekt der Funktionalen Satzperspektive Konse¬ quenzen zu ziehen und die Thema-Rhema-Gliederung auch für die Beschreibung von Textstruk¬ turen fruchtbar zu machen, (vgl. dazu Benes 1973, Fries 1971). Nach Danes (1970, 1973) ist für die Textstruktur vor allem das Thema als Träger der bekannten Information relevant. Die thematische Struktur des Textes resultiert aus der Verkettung und Konnexität der Themen und ihren Beziehungen zu den Textabschnitten, zum Textganzen und zur Situation. Danes bezeichnet einen Komplex von thematischen Relationen als »thematische Progression« und unterscheidet

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Funktionalismus

drei Grundtypen: 1. die einfache lineare Progression (das Rhema der ersten Aussage wird zum Thema der zweiten usw.); 2. die Progression mit einem durchlaufenden Thema (eine Reihe von Aussagen enthält dasselbe Thema, zu dem jeweils ein neues Rhema hinzutritt); 3. die Progression mit abgeleiteten Themen (von einem Hyperthema werden verschiedene Themen abgeleitet). Die Anregungen von Danes wie überhaupt die Konzeption der Funktionalen Satzperspektive haben allerdings auf textlinguistische Untersuchungen bisher wenig Einfluß gehabt. Erst eine präzisere Definition der Begriffe >ThemaRhema< und kommunikative Dynamik< könnte ver¬ mutlich eine sinnvolle Übertragung des Konzepts der Funktionalen Satzperspektive auf Texte ermöglichen, die unter Umständen auch über die Berücksichtigung dieses Prinzips bei der Ver¬ knüpfung von Sätzen hinausgehen könnte. Lit.: Benes, E. (1970). »Uber zwei Aspekte der funktionalen Satzperspektive«, in: Actes du dixieme congres international des linguistes (Bukarest 28. 8. - 2. 9. 1967). Bukarest, II, S. 1021-1026. Ders. (1971). »Die Besetzung der ersten Position im deutschen Aussagesatz«, in: Fragen der strukturellen Syntax und der kontra¬ stiven Grammatik. Düsseldorf, S. 160—182. Ders. (1973). »Thema-Rhema-Gliederung und Textlinguistik«, in: Sitta, H./Brinker, K. (Hrsgg.) Studien zur Texttheorie und zur deutschen Grammatik. Düsseldorf, S. 42-62. Dahl, Ö. (1969). Topicand Comment. A Study in Russian and General Transformational Grammar. Stockholm. Ders. (Hrsg.) (1974). Topic and Comment. Contextual Boundness and Focus. Hamburg. Danes, F. (1973). »FSP and the Organisation of the Text«, in: Danes/Firbas. Ders. (1970). »One Instance of Prague School Methodology: Functional Analysis of Utterance and Text«, in: Garvin, P. (Hrsg.), Method and Theory in Linguistics.The Hague, S. 132-146. Ders./Firbas (1973). (Hrsgg.), Papers on Functional Sentence Perspective (Proceedings from the Symposium on FSP, Marianske Läzne 1970) Prag. Firbas, J. (1964). »On Defining the Theme in Functional Sentence Analysis«, Travaux linguistiques de Prague 1, S. 267-280. Ders. (1964a). »From Comparative Word-Order Studies«, Brno Studies in English 4, S. 111-128. Ders (1965). »A Note on Transition Proper in Functional Sentence Analysis, Philologica Pragensia 3, S. 170-176. Ders. (1973). »Some Aspects of the Czechoslovak Approach Towards Problems of Functional Sentence Perspec¬ tive«, in: DaneS/Firbas (1973). Fries, U. (1971). »Textlinguistik«, Linguistik und Didaktik 7, S. 219-234. Halliday, M. A. K. (1967/1968). »Notes on Transitivity and Theme in English«, Journal of Linguistics 3, S. 37-81 und 199-244; 4, S. 179-215. Mathesius, V. (1929). »Zur Satzperspektive im modernen Englisch«, Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen84,S. 202-210. Ders. (1939). »O tak zvanem aktualnim cleneni vety«, Slovo a SlovesnostS, S. 171-174. Palek, B. (1968). Cross-Reference. A Study from Hyper-Syntax. Prag. Sgall, P. (1967). »Functional Sentence Perspective in a Generative Description«, Prague Studies in Mathematical Linguistics 2, S. 203-225. Ders. (1973). »Zur Stellung der Thema-Rhema-Glie¬ derung in der Sprachbeschreibung«, in: Danes/Firbas (1973). Sgall, P./Hajicovä, E./Benesovä, E. (1973). Topic, Focus and Generative Semantics. Kronberg. Trävnicek, F. (1962). »O tak zvanem aktualnim cleneni vetnem«, Slovo a Slovesnost22, S. 163-171.Tyl, Z. (1970). A Tentative Bibliography of Studies in Functional Sentence Perspective (1900-1970). Prag. Vachek, J. (1960). Dictionnaire de linguistique de l’Ecole de Prague. Utrecht. Weil, H. (1844). De l’ordre des mots dans les langues anciennes comparees aux langues modernes. Paris.

Funktionalismus. An der Funktion (statt an der —> Form) sprachlicher Erscheinungen und der Sprache insgesamt orientierte Linguistik, insbesondere die Linguistik der —> Prager Schule. »Unter Funktion verstanden die Prager >AufgabeZweck »funktionale Phonetik«) hinausgehenden Funktionalismus wie folgt umschrieben: »Wollen wir diese Unterschiede zwischen der älteren und der neuen Linguistik auf einen gemeinsamen Nenner bringen, könnten wir ungefähr folgen¬ des sagen: die neue Linguistik faßt die Sprache als etwas Lebendes auf, hinter den Wörtern ver¬ spürt sie den Sprecher oder Schreiber, aus dessen Absicht diese Wörter hervorgingen, und sie ist sich auch dessen bewußt, daß diese Wörter in den allermeisten Fällen auf Hörer oder Leser

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Funktionalismus

eingestellt werden. Und erst nach dieser Überprüfung ihrer Probleme und durch ihre Bezug¬ nahme auf den Menschen als Sprecher/Schreiber gelangt die neue Linguistik wieder zu neuen Generalisierungen und zu neuen Versuchen, Gesetzmäßigkeiten festzustellen. Der prägnanteste Ausdruck für diese Annäherung der Linguistik an den Standpunkt des spre¬ chenden oder schreibenden Menschen ist die Hervorhebung des funktionalen Prinzips. Die ältere Linguistik, vor allem auf die Interpretation der Texte gestützt, ging von den fertigen Sprachstrukturen aus und fragte nach ihrer Bedeutung, indem sie also den Weg von der Form zur Funktion einschlug; die neue Linguistik dagegen, auf ihre Erfahrung mit der heutigen Sprache gestützt, geht von den Ausdrucksbedürfnissen aus und fragt, mit welchen Mitteln diese Ausdrucksbedürf¬ nisse in der jeweiligen Sprache erfüllt werden. Sie wählt also den Weg von der Funktion zur Form« (in: Vachek/Benes 1971, S. 2f).

Funktionenmodelle Die Gegenüberstellung von traditioneller und strukturaler Linguistik als funktional bzw. nicht¬ funktional ist insofern für keine Schule insbesondere charakteristisch, als sie dem Interesse Saussures (1916, z. B. S. 128) und auch sonst im europäischen Strukturalismus verbreiteten Vorstel¬ lungen entsprach. »L’idee de finalite est donc bien dans Fair« konnte der Genfer Strukturalist Henri Frei im Vorwort seines Hauptwerks mit dem bezeichnenden Untertitel Introduction ä la linguistique fonctionnelle (ebenfalls 1929; S. 21) feststellen. Außer Saussure wird man als eine weitere, gleichfalls gegen die traditionelle historische Linguistik gerichtete Vorstufe des Prager Funktionalismus die Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von A. Marty (1847-1914) konzipierte psychologische »Sprachphilosophie« ansehen dürfen, besonders seit Otto Funke (1924 und 1928, besonders S. 128 ff.) sie zugänglich gemacht und als empirisch-te¬ leologisch beschrieben hatte. Eine viel beachtete »neue Generalisierung« (vgl. oben Mathesius), die Sprecher und Hörer einschloß und Sprache als ein Mittel (griech. organon) ansah, schlug in¬ nerhalb des Prager Zirkels 1933 bzw. 1934 der Wiener Psychologe Karl Bühler mit seinem »Organonmodell« vor. Bühler unterscheidet drei Bezüge, in denen das sprachliche Zeichen als Mittel funktioniert: 1. im Bezug zum Sprecher als Symptom seines inneren Zustands (»Aus¬ drucksfunktion«), 2. im Bezug zum Hörer als Signal (»Appellfunktion«) und 3. im Bezug auf den Redegegenstand als Symbol für Dinge und Sachverhalte (»Darstellungsfunktion«). Entge¬ gen dem Eindruck, daß hier in die Psychologie ausgewichen werde, muß betont werden, daß Bühler die Darstellungsfunktion als die weitaus wichtigste aufgefaßt und analysiert hat, was als einer der ersten Beiträge innerhalb des europäischen Strukturalismus zur Semantik und zur Text¬ linguistik angesehen werden kann. (Während das Organon-Modell K. Bühlers reines Zeichen¬ modell ist - kritisch hierzu Hörmann 1967 -, entwickelt Heger 1971 das Modell zu einem Kommunikations- und Zeichenmodell weiter.) Die drei Bühlerschen »semantischen Funktionen« des (sprachlichen) Zeichens sind inzwi¬ schen von Jakobson (1960) bestätigt und um drei andere ergänzt worden: die »metasprachliche«, die »poetische« und die »phatische« Funktion. Die metasprachliche (griech. meta-, >(hin)überRedeÖkonomie< verwendet Martinet anders als Frei für das sich in der Sprache manifestie¬ rende Zusammenspiel der zwei genannten menschlichen Konstanten und zusätzlicher »Ein¬ schränkungen«: »Was man die Ökonomie einer Sprache nennen kann, ist dieses ständige Streben nach einem Gleichgewicht zwischen widerstreitenden Bedürfnissen, denen Genüge getan werden muß: Kommunikationsbedürfnisse auf der einen, Gedächtnisträgheit und Trägheit des Artikulierens - diese beiden in ständigem Konflikt - auf der anderen Seite, und alle diese Faktoren in ihrem Wirken eingeschränkt durch verschiedene Tabus, die die Sprache durch den Ausschluß jeder allzu deutlichen Neuerung zu fixieren streben« (§ 26-6, zitiert nach 1963, S. 165 f.).

Funktionalismus und die linguistischen Ebenen Um »Aufgabe, Zweck und Leistung« (Vachek/Benes 1971, S. XX) von Sprache hat sich der Pra¬ ger Funktionalismus nicht nur (außer in der Phonologie) in modellartigen Darstellungen des Verhältnisses von Sprachbenutzer und Zeichensystem als Ganzem bemüht wie bei Bühler und Jakobson. Von noch bleibenderem Interesse dürften die entsprechenden Klassifizierungen in¬ nerhalb der einzelnen linguistischen Ebenen und die Bestimmungen des Verhältnisses der Ebe¬ nen zueinander sein. Als wichtiges Beispiel für die Klassifizierung auf einer höheren Ebene verdient die von V. Mathesius seit 1929 vorgeschlagene Theorie und Praxis der »aktuellen Gliederung des Satzes« nach >Thema< (dem Bekannten) und >Rhema< (der neuen Information), die Lehre von der »funk¬ tionalen Satzperspektive« (Näheres —>dort), Beachtung. Auch die -* »Morphonologie« Trubetzkoys (1929), die die wechselnde phonologische Gestalt in ein und demselben Morphem un¬ tersucht, erweist sich als eine bleibende funktionalistische Konzeption. Der linguistische Binarismus (Näheres —» dort) hat sich zwar zuerst in der Theorie der phonetischen —> Distinkti¬ ven Merkmale durchgesetzt, ist aber von ihrem Begründer selbst, R. Jakobson (1932, 1936), schon vorher auf die Morphologie angewendet worden, und inzwischen wird sogar in der Syntax und vor allem in der Semantik mit binären Merkmalen gearbeitet (—► Phonologie: Merkmaltheo¬ rie, —» Semantische Merkmale). Das Interesse am Jakobsonschen Binarismus darf als ein wesentlicher Anstoß für das Bemühen der Prager Schule um das Verhältnis von phonologischer und morphologischer Ebene (über die Grundlegung der »Morphonologie« hinaus) angesehen werden. Seine Anwendbarkeit auf beide Ebenen zugleich veranlaßte insbesondere den (zwischen den »Pragern« und »Kopenhagenern« vermittelnden) polnischen Linguisten J. Kurylowicz (1949) zur Annahme eines regelmäßigen Parallelismus zwischen den Ebenen, für den er den Ausdruck >Isomorphie< (auch: >Isomorphis-

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