Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte: Theoretische Reflexionen und empirische Befunde [1. Aufl.] 978-3-658-25872-6;978-3-658-25873-3

Simone Ines Linke beschreibt die stereotype und stark ästhetisierte Konstruktion medialer Landschaften und geht darauf e

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German Pages XVII, 326 [336] Year 2019

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Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte: Theoretische Reflexionen und empirische Befunde [1. Aufl.]
 978-3-658-25872-6;978-3-658-25873-3

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVII
Einführung: Von Raumbildern, Ästhetik und Akzeptanz (Simone Ines Linke)....Pages 1-7
Grundsätzliche Begriffsannäherungen zu Postmoderne, Landschaft und Ästhetik (Simone Ines Linke)....Pages 9-43
Theoretische Grundlagen der Zugänge zu Ästhetik, Werten, Akzeptanz und visueller Kommunikation von Landschaftskonstrukten in der Postmoderne (Simone Ines Linke)....Pages 45-142
Methodische Operationalisierungen: Eine quantitative und qualitative Untersuchung an zwei Beispielen (Simone Ines Linke)....Pages 143-176
Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen in den Medien (Simone Ines Linke)....Pages 177-273
Interpretation, Zusammenfassung und Ausblick (Simone Ines Linke)....Pages 275-297
Back Matter ....Pages 299-326

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RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft

Simone Ines Linke

Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte Theoretische Reflexionen und empirische Befunde

RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft Reihe herausgegeben von Olaf Kühne, Tübingen, Deutschland Sebastian Kinder, Tübingen, Deutschland Olaf Schnur, Berlin, Deutschland

RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft | SpaceAffairs: City - Region – Landscape Im Zuge des „spatial turns“ der Sozial- und Geisteswissenschaften hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Forschungen in diesem Bereich deutlich erhöht. Mit der Reihe „RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft“ wird Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Forum angeboten, innovative Ansätze der Anthropogeographie und sozialwissenschaftlichen Raumforschung zu präsentieren. Die Reihe orientiert sich an grundsätzlichen Fragen des gesellschaftlichen Raumverständnisses. Dabei ist es das Ziel, unterschiedliche Theorieansätze der anthropogeographischen und sozialwissenschaftlichen Stadt- und Regionalforschung zu integrieren. Räumliche Bezüge sollen dabei insbesondere auf mikro- und mesoskaliger Ebene liegen. Die Reihe umfasst theoretische sowie theoriegeleitete empirische Arbeiten. Dazu gehören Monographien und Sammelbände, aber auch Einführungen in Teilaspekte der stadt- und regionalbezogenen geographischen und sozialwissenschaftlichen Forschung. Ergänzend werden auch Tagungsbände und Qualifikationsarbeiten (Dissertationen, Habilitationsschriften) publiziert.

Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne, Universität Tübingen Prof. Dr. Sebastian Kinder, Universität Tübingen PD Dr. Olaf Schnur, Berlin In the course of the “spatial turn” of the social sciences and humanities, the number of scientific researches in this field has increased significantly. With the series “RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft” scientists are offered a forum to present innovative approaches in anthropogeography and social space research. The series focuses on fundamental questions of the social understanding of space. The aim is to integrate different theoretical approaches of anthropogeographical and social-scientific urban and regional research. Spatial references should be on a micro- and mesoscale level in particular. The series comprises theoretical and theory-based empirical work. These include monographs and anthologies, but also introductions to some aspects of urban and regional geographical and social science research. In addition, conference proceedings and qualification papers (dissertations, postdoctoral theses) are also published. Edited by Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne, Universität Tübingen Prof. Dr. Sebastian Kinder, Universität Tübingen PD Dr. Olaf Schnur, Berlin

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/10584

Simone Ines Linke

Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte Theoretische Reflexionen und empirische Befunde Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne und Jun.-Prof. Dr. Florian Weber

Simone Ines Linke Landau an der Isar, Deutschland Dissertation Eberhard Karls Universität Tübingen, 2018 D 21 Erstgutachter: Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne Zweitgutachter: Jun.-Prof. Dr. Florian Weber Tag der Disputation: 21.11.2018

ISSN 2625-6991 ISSN 2625-7009  (electronic) RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft ISBN 978-3-658-25872-6 ISBN 978-3-658-25873-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25873-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort

In der vorliegenden Monographie in der Reihe „RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft“ des Verlages Springer VS befasst sich Simone Linke mit ästhetischen Fragestellungen rund um den Themenkomplex der sozialen und individuellen Konstruktion von Landschaft. Dabei geht sie neben der allgemeinen Frage nach der ästhetischen Konstruktion auch auf die Fragen ein, wie eigens medial Landschaft erzeugt und kommuniziert wird und wie diese medialen Konstrukte unser Raum- und Landschaftsverständnis prägen können. Die Autorin behandelt damit ein Themenfeld, das innerhalb der konstruktivistischen Landschaftsforschung bislang nur in Ansätzen beleuchtet wurde. Bemerkenswert ist zudem der breite Ansatz: Neben der humangeographischen Perspektive fließen auch philosophische und soziologische Erkenntnisse ein, die diese Arbeit zu einer vielseitigen und transdisziplinären Lektüre machen. Wir haben Simone Linke vor einigen Jahren an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in Freising als Mitarbeiterin kennengelernt und begleiten sie seitdem in ihrem wissenschaftlichen Werdegang. Bereits damals hatte sie ein großes Interesse an landschaftstheoretischen, philosophischen und auch soziologischen Fragestellungen, die sie nun erfolgreich durch die Tiefen und Untiefen eines Promotionsvorhabens in ein Gesamtwerk zusammengeführt hat. Für uns als Betreuer und Gutachter der Arbeit ist Simone Linke ein Glücksfall: hoch engagiert, wissbegierig und auf eine konsequente Diskussion und Umsetzung von Vorschlägen und Ideen ausgerichtet. Wir freuen uns bereits auf weitere Ergebnisse ihrer Arbeit. Die Leser*innen dürfen sich hier auf eine fundierte und gewinnbringende Lektüre freuen. Tübingen im Frühjahr 2019

Olaf Kühne und Florian Weber

Vorwort

Die vorliegende Veröffentlichung wurde im Sommersemester 2018 als Dissertation an der Eberhard Karls Universität Tübingen eingereicht und erfolgreich verteidigt. Es gibt eine Reihe von Personen, denen ich daher danken will – denn ohne sie könnte diese Arbeit nun nicht vorliegen. Zunächst gilt mein ganz besonderer Dank Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne. Er war es, der mich 2013 an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf ermutigt hat, mein Forschungsinteresse in ein Promotionsvorhaben zu lenken. Seitdem hat er mich ständig auf eine ausgesprochen positive Art und Weise gefördert, gefordert und begleitet. Dafür ein herzliches Dankeschön! Ebenfalls möchte ich auch Jun.-Prof. Dr. Florian Weber danken – für die vielen wertvollen fachlichen Anregungen, die aufbauenden Gespräche und ebenfalls für den Glauben an mich und meine Arbeit. Mein Dank gilt darüber hinaus auch Corinna Jenal, die mir bei Fragen stets weitergeholfen hat. Neben dem universitären ist es natürlich auch der familiäre Beistand, der eine bedeutende Rolle einnimmt. Ganz besonders danken möchte ich hier meinem Mann Rainer Spranz-Linke, der mit mir gemeinsam durch diese nicht immer einfache Zeit gegangen ist und mich immer wieder ermuntert hat, weiterzumachen. Sehr viel Zeit für unsere beiden Kinder hat sich auch meine Mutter Sylvia Linke genommen, sodass ich arbeiten konnte. Ohne sie wäre das Ende dieser Arbeit noch in weiter Ferne. Mein Dank gilt auch meinem Vater, Gerhard Linke, meinen Schwiegereltern Lieselotte und Klaus Spranz, die mir ebenfalls viel ihrer Zeit geschenkt haben, um sich um die zwei Kinder zu kümmern, und meinen Schwestern Nicole Theuerkorn und Anja Linke – danke auch für Eure Zeit und die stets aufbauenden Worte! Ein Dank geht auch an meine zwei kleinen Söhne Veit und Vinz, die auch wunderbar mitgespielt haben und mir durch ihr gesundes Schlafverhalten ausreichend Zeit für den Schreibtisch ließen. Darüber hinaus danke ich noch Dr. Bernd und Anne Wetzel, die sich die Mühe gemacht haben, meine Arbeit Korrektur zu lesen und mir darüber hinaus wichtige Anregungen gegeben haben. Zu guter Letzt bedanke ich mich auch beim Verlag Springer VS und Frau Göhrisch-Radmacher, die mir die Veröffentlichung der Arbeit in der Reihe „RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft“ ermöglicht haben.

Inhalt



Einführung: Von Raumbildern, Ästhetik und Akzeptanz ................... 1 



Grundsätzliche Begriffsannäherungen zu Postmoderne, Landschaft und Ästhetik ......................................................................... 9  2.1 

2.2 

2.3 

2.4 



Der gesellschaftliche Wertewandel: Die Postmodernisierung der Gesellschaft................................................................................... 10  2.1.1  Die Postmoderne: Begriffliche und zeitliche Einordnung ..................................................................... 10  2.1.2  Flexibilisierung, Pluralisierung und Individualisierung als Hauptmerkmale der Postmodernisierung .................. 11  2.1.3  Die Postmodernisierung der verschiedenen Lebensbereiche ............................................................... 14  Speziell konstruierte Räume: Der Begriff der Landschaft ............ 17  2.2.1  Die Geschichte der verschiedenen Begriffe von Landschaft ...................................................................... 17  2.2.2  Landschaften als Natur- und Kulturkonstruktion............ 20  Die soziale Konstruktion von Landschaften ................................. 21  2.3.1  Die verschiedenen theoretischen Zugänge zum Landschaftsbegriff .......................................................... 22  2.3.2  Landschaftskonstrukte aus verschiedenen Perspektiven der Gesellschaft ......................................... 25  Die sinnliche Wahrnehmung: Der Begriff der Ästhetik ................ 29  2.4.1  Die objekt- und subjektorientierte Perspektive der Ästhetik........................................................................... 29  2.4.2  Die unterschiedlichen Ausprägungen einer sinnlichen Wahrnehmung: die Hauptkategorien der Ästhetik .......... 32  2.4.3  Ästhetisches Erkennen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ....................................... 40 

Theoretische Grundlagen der Zugänge zu Ästhetik, Werten, Akzeptanz und visueller Kommunikation von Landschaftskonstrukten in der Postmoderne ...................................... 45 

X

Inhalt

3.1 

3.2 

3.3 

3.4 

3.5 

Postmoderne Entwicklungen von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen ................................... 45  3.1.1  Der Weg zu postfossilen Landschaften........................... 46  3.1.2  Postmodernisierung von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen als Forschungslücke ............................................................. 47  3.1.3  Postmodernisierung von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen in den einzelnen Lebensbereichen ............................................. 49  3.1.4  Raumentwicklung in der Postmoderne ........................... 56  3.1.5  Die Chancen der Postmodernisierung von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen ........................................................................... 65  Alltagsweltliche Konstruktion von Landschaft ............................. 67  3.2.1  Konstruktion von Landschaften gestern und heute ......... 68  3.2.2  Die Konstruktion von Landschaften in der alltäglichen Öffentlichkeit .................................................................. 70  3.2.3  Die Konstruktion der postmodernen Landschaft der Zukunft ........................................................................... 75  3.2.4  Spezielle Landschaftskonstrukte: Die stereotype Landschaft ...................................................................... 78  Ästhetik und Landschaft: philosophische Zugänge und ästhetische Konstruktionsprozesse................................................ 82  3.3.1  Landschaften als Gegenstand der philosophischen Ästhetik........................................................................... 82  3.3.2  Ästhetische Konstruktionen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen................................... 84  Die Bedeutung von Werten und Ethik im Zusammenhang mit Landschaftskonstrukten ................................................................ 91  3.4.1  Theoretische Grundüberlegungen zu Werten: Begriffsannäherung und philosophische Zugänge .......... 92  3.4.2  Theoretische Grundüberlegungen zur Ethik: Begriffsannäherung sowie philosophische und soziologische Zugänge.................................................... 96  3.4.3  Werte, Ethik und die Konstruktion von Landschaften .. 105  Akzeptanz von Landschaftskonstrukten ..................................... 107 

XI

Inhalt

Der Prozess von Annahme oder Ablehnung: die Akzeptanz ..................................................................... 107  3.5.2  Wann werden als Landschaft bezeichnete physische Räume akzeptiert? ........................................................ 110  Das Medium Internet als Informationsvermittler und prägende Instanz ......................................................................................... 111  3.6.1  Begriffliche und inhaltliche Annäherung zu Medien .... 112  3.6.2  Der Einfluss und die Macht der Medien ....................... 112  3.6.3  Medienkritik: Manipulationsvorwurf und Machtmissbrauch .......................................................... 114  Als Landschaft bezeichnete physische Räume als Werbe- und Kommunikationsgegenstand ....................................................... 116  3.7.1  Vorbemerkungen sowie begriffliche und inhaltliche Annäherungen ............................................................... 116  3.7.2  Werbung als öffentlich wirksame gesellschaftliche Kommunikation ............................................................ 117  3.7.3  Die Mittel der Werbung am Beispiel von Zeichen und Farben .................................................................... 123  3.7.4  Als Landschaften bezeichnete physische Räume in der Werbung und ihre Wirkungen ................................ 131  Bilder als sozialwissenschaftliche Daten und empirischer Gegenstand ................................................................................. 137  3.8.1  Die Marginalität des Bildes .......................................... 138  3.8.2  Die Macht des Bildes .................................................... 140  3.5.1 

3.6 

3.7 

3.8 



Methodische Operationalisierungen: Eine quantitative und qualitative Untersuchung an zwei Beispielen .................................... 143  4.1  4.2 

4.3 

Die Herleitung der Methoden: Die Untersuchung von abgebildeten Landschaftskonstrukten ......................................... 143  Eine Bildersuche im Internet: Erste methodologische Operationalisierung ..................................................................... 146  4.2.1  Einführende Bemerkungen ........................................... 146  4.2.2  Die Bilder der Bildersuchmaschine .............................. 149  4.2.3  Die Bilder auf den Startseiten niederbayerischer Kommunen ................................................................... 153  Die Beurteilung der Bildauswahl durch Expertinnen und Experten: Ergänzende methodologische Operationalisierung .... 157 

XII

Inhalt

Einführende Bemerkungen ........................................... 157  Überlegungen zum Gesprächsrahmen und zur Gesprächsführung ......................................................... 158  4.3.3  Die Durchführung der Datenerhebung.......................... 159  Analytisches Vorgehen ............................................................... 160  4.4.1  Analyse des Bildmaterials der Google-Bildersuche und der Startseiten niederbayerischer Kommunen ....... 160  4.4.2  Die Auswertung der Interviews .................................... 173  Grenzen und Einschränkungen der Untersuchung ...................... 174  4.3.1  4.3.2 

4.4 

4.5  5 

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen in den Medien ..... 177  5.1 

5.2 

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche.................................................................... 177  5.1.1  Die Senderinnen und Sender im Überblick – Die Bilder als Werbung in eigener Sache ............................ 178  5.1.2  Der Inhalt der Bilder der Google-Bildersuche: Als stereotyp bezeichnete physische Elemente und intensive Farben ............................................................ 179  5.1.3  Die Interpretation und ästhetische Feinanalyse der Bilder der Bildersuchmaschine ..................................... 193  5.1.4  Einzelbetrachtung ausgewählter Beispiele.................... 199  5.1.5  Zusammenfassung ........................................................ 212  Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume: Abgebildete Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen ........................ 215  5.2.1  Der Regierungsbezirk Niederbayern............................. 215  5.2.2  Die Senderinnen und Sender im Überblick – Die Bilder als Repräsentation der eigenen Kommune ......... 222  5.2.3  Von der Hemdsärmeligkeit bis zur Professionalität – Vertiefung mittels Interviews ....................................... 224  5.2.4  Der Inhalt der Bilder in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen: Als stereotyp, aber auch als störend bezeichnete physische Elemente und wenige intensive Farben ........................................ 227  5.2.5  Die Interpretation und ästhetische Feinanalyse der Bilder in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen ................................................................... 236 

XIII

Inhalt

5.3  6 

5.2.6  Einzelbetrachtung ausgewählter Beispiele.................... 244  5.2.7  Zusammenfassung ........................................................ 262  Vergleich der beiden Untersuchungen ........................................ 265 

Interpretation, Zusammenfassung und Ausblick .............................. 275  6.1  6.2 

6.3  6.4 

Die mediale Konstruktion von Landschaft – Theoretische Überlegungen .............................................................................. 275  Interpretation und Diskussion der theoretischen und empirischen Ergebnisse .............................................................. 277  6.2.1  Stereotypisierung und Ästhetisierung medialer Landschaftskonstrukte .................................................. 277  6.2.2  Diskussion und Interpretation der einzelnen Annahmen ..................................................................... 279  Zusammenfassung und Bewertung zentraler Ergebnisse ............ 290  Ausblick ...................................................................................... 294 

Literatur ........................................................................................................ 299

Abbildungen

Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26:

Supermarkt außerhalb des Ortsschildes einer schwach verdichteten Agglomeration ................................................. 50 Eine Kommune wirbt für billiges Bauland ........................... 52 Ehemaliger Bauernhof – heute reines Wohngebäude ........... 53 Solarfeld in der Gemeinde Hebertsfelden, Niederbayern ..... 73 Solarfeld mit Aussichtsturm in Gänsdorf, Niederbayern...... 74 Entwürfe von multistrukturierten Energielandschaften 1 ..... 77 Entwürfe von multistrukturierten Energielandschaften 2 ..... 78 Wasserschloss in einem Landschaftspark, Schönau, Niederbayern ........................................................................ 85 Isar bei Zulling, Niederbayern .............................................. 85 Lyse-Fjord, Norwegen......................................................... 86 Völklinger Hütte, Völklingen, Saarland ............................... 86 Solarfeld in der Gemeinde Hebertsfelden, Niederbayern ..... 87 Magnolienblüten im Frühling, Schönau, Niederbayern........ 89 Sonnenuntergang in Bergen, Norwegen ............................... 89 Bild Nr. 14 der Google-Bildersuche ................................... 180 Bild Nr. 36 der Google-Bildersuche ................................... 181 Bild Nr. 3 der Google-Bildersuche ..................................... 181 Bild Nr. 35 der Google-Bildersuche ................................... 182 Bild Nr. 14 .......................................................................... 199 Bild Nr. 36 .......................................................................... 204 Bild Nr. 3 ............................................................................ 208 Blick auf eine Einfamilienhaussiedlung der Stadt Landau an der Isar, Niederbayern ................................................... 217 Landwirtschaftliche Nutzflächen, Möding, Niederbayern . 218 Als Dorf bezeichnete Siedlung im Winter, Schönau, Niederbayern ...................................................................... 218 Landwirtschaftliche Nutzfläche mit Blick auf den Bayerischen Wald, Nähe Deggendorf, Niederbayern......... 219 Stadtplatz in Deggendorf, Niederbayern ............................ 219

Tabellen

Tabelle 1:  Tabelle 2:  Tabelle 3:  Tabelle 4:  Tabelle 5:  Tabelle 6:  Tabelle 7:  Tabelle 8:  Tabelle 9:  Tabelle 10:  Tabelle 11:  Tabelle 12:  Tabelle 13:  Tabelle 14:  Tabelle 15:  Tabelle 16:  Tabelle 17:  Tabelle 18:  Tabelle 19: 

Unterkategorien der Hauptkategorie 1. .............................. 164  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp bezeichnet werden............................................... 165  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als nicht stereotyp bis störend bezeichnet werden. .................. 166  Räumliche Zuschreibungen. ............................................... 167  Einzelne vorkommende Farben .......................................... 168  Bild- und Farbwirkung. ...................................................... 170  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp bezeichnet werden............................................... 183  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als nicht stereotyp bis störend bezeichnet werden. .................. 186  Räumliche Zuschreibung. ................................................... 188  Farben (sortiert nach aufsteigender Häufigkeit) ................. 189  Bild- und Farbwirkung. ...................................................... 191  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp positiv bezeichnet werden). ................................ 228  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als nicht stereotyp bis störend bezeichnet werden. .................. 231  Farben (sortiert nach absteigender Häufigkeit). ................. 233  Bild- und Farbwirkung. ...................................................... 235  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp positiv bezeichnet werden im Vergleich ............. 266  Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als störend bezeichnet werden im Vergleich............................ 268  Dargestellte Farben im Vergleich ....................................... 269  Bild- bzw. Farbwirkung im Vergleich ................................ 270 

1 Einführung: Von Raumbildern, Ästhetik und Akzeptanz Visualisierungen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen1 sind alltäglich, sei es als gedruckte Bilder auf Plakaten oder in Broschüren oder als digitale Darstellungen im Internet. In den meisten Fällen sind diese Visualisierungen inszeniert und zeigen eine stereotype, deutlich positiv ästhetisierte Konstruktion eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes – und in den wenigsten Fällen setzen sich die Betrachtenden damit auseinander, ob diese Darstellungen von als Landschaften bezeichneten physischen Räume künstlich ästhetisiert sind und ob sie mit den in den Umgebung vorgefundenen Landschaftskonstrukten übereinstimmen. Sie werden häufig als selbstverständlich unter dem Begriff Landschaft abgelegt und nicht hinterfragt (vgl. Bruns/Münderlein 2017). Das birgt die Gefahr, dass durch diese Inszenierungen eine Vorstellung zum Begriff Landschaft entsteht, die mit den vorgefundenen Räumen nicht zusammengehen. In diesem Kontext können verschiedene Fragen gestellt werden. Insbesondere handelt diese Arbeit davon, wie diese medialen Darstellungen ästhetisch konstruiert sind. Farben, Motive aber um Symbole und Mythen spielen eine Rolle. Es geht zudem auch um die Bearbeitung der Darstellungen durch die Produzierenden, um eine eventuelle Manipulation oder Beeinflussung der Rezipierenden und um die Absichten. Die Ästhetik, die in ihren verschiedenen Facetten seit jeher – und nicht nur in der Philosophie – eine große Rolle in der Geschichte der Menschheit spielt (unter vielen Adorno 2010 [1970]); Baumgarten/Peres 2016; Croce 1913; Kant 2011 [1790]); Liessmann 2009; Peres 2013; Pöltner 2008; Ritter et al. 2010; Rosenkranz 1996 [1853]; Schneider 2005; Tatarkiewicz/Loepf 1979-1987; Wicks 2013; Wittgenstein 1972 [1938])), gewinnt vor allem im Zuge 1

Der Begriff physischer Raum nimmt Bezug auf das Raumverständnis von Bourdieu (1991). Der physische Raum ist bestimmt durch die „wechselseitige Äußerlichkeit der Teile“ (1991, 26) und „lässt sich nur anhand einer Abstraktion (physische Geographie) denken, das heißt unter willentlicher Absehung von allem, was darauf zurückzuführen ist, dass er ein bewohnter und angeeigneter Raum ist, das heißt eine soziale Konstruktion und eine Projektion des sozialen Raumes, eine soziale Struktur in objektiviertem Zustand (zum Beispiel kabylisches Haus oder Stadtplan), die Objektivierung und Naturalisierung vergangener wie gegenwärtiger sozialer Verhältnisse“ so Bourdieu (1991, 28).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. I. Linke, Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte, RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25873-3_1

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Einführung: Von Raumbildern, Ästhetik und Akzeptanz

des postmodernen Wertewandels vermehrt an Bedeutung (siehe u. a. Appadurai 2008; Hasse 1993; Kühne 2012; Loesberg 2005; Lyotard 1987; Rancière 2004). Sie nimmt starken Einfluss auf die zugeschriebene Bewertung der Umwelt und lässt sich in verschiedene Kategorien einteilen. Auch wenn diese Einteilung in ästhetische Kategorien keine klaren Grenzen mehr zu haben scheint, sondern Kategorien ineinander verschwimmen und es deutlich mehr übergeordnete Ordnungsbereiche gibt als das Schöne und das Hässliche, sind ästhetische Kategorien dennoch Indikatoren des individuellen Gefallens und bestimmen die persönliche Akzeptanzhaltung. Mit dieser ästhetischen Auseinandersetzung von dargestellten Landschaftskonstrukten ergeben sich anschließend noch weitere Fragen: Haben ästhetische Raumbilder Einfluss auf die Vorstellung, die Konstruktion von Landschaften, haben sie eine sozialisierende Funktion? Prägen sie das Raumverständnis? Wirken sie sich vielleicht sogar auf die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz aus? Viele Autorinnen und Autoren schreiben Bildern eine Art Macht zu (vgl. u. a. Felgenhauer 2015; Fromme/Schäffer 2007; Hörschelmann 2015; Mitchell 2005; Schlottmann/Miggelbrink 2015c; Wintzer 2015). Denn vor allem auch als Landschaften bezeichnete physische Räume beziehen sich häufig nicht nur auf räumliche Objekte, sondern auf „soziokulturell angelegte Deutungen räumlicher Wirklichkeit“ (Schlottmann/Miggelbrink 2015a, 20). Somit können diese Bilder „Rückschlüsse auf zeitgenössische gesellschaftliche Konstruktionen“ zulassen (Schlottmann/Miggelbrink 2015a, 20). Die Ästhetik abgebildeter Landschaftskonstrukte steht auch in einem engen Verhältnis zu der aktuellen Diskussion über ästhetische Deutungen von als Landschaften bezeichneter physischer Räume (z. B. Bätzing 1998; Burckhardt 2008; Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur 2013; Fontaine 2017; Gailing/Leibenath 2013; Hasse 1999; Kost 2017; B. Kühne 2002; Kühne 2008b; 2018a; Kühne et al. 2017a; Kühne et al. 2017b; Linke 2018; 2017a; 2017b; Nohl 2015; Schöbel 2012; Seel 1996; Wöbse 2002). Diese Aktualität ist laut Kühne et al. (2017a, 1) u. a. auf die physischen Auswirkungen der Energiewende, die verschiedenen Infrastrukturgroßprojekte und auch auf den anhaltenden Trend der Reurbanisierung zurückzuführen. Das Interesse an den ästhetischen Aspekten von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen geht nicht ohne das derzeit wachsende politische, öffentliche und auch wissenschaftliche Interesse zu dem allgemeinen Thema Landschaft einher. In den vergangenen Jahren stieg die Bedeutung der Forschung rund um das Themenfeld Landschaft wieder an (vgl. u.a. Kühne 2018c; Pasqualetti 2001;

Einführung: Von Raumbildern, Ästhetik und Akzeptanz

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Pasqualetti et al. 2002; Rygg 2012; Schenk 2013; Stobbelaar/Pedroli 2011; Weber 2018; Wolsink 2007). Diese Arbeit soll nun ebenfalls einen Beitrag dazu leisten. Es geht auf übergeordneter Ebene um das Thema Landschaft – aus konstruktivistischer Perspektive – und um die ästhetische Deutung dieser Räume durch die Gesellschaft. Die konstruktivistische Perspektive ist seit wenigen Jahrzehnten – verstärkt seit etwa zwanzig Jahren – auch ein fester Bestandteil der Landschaftsforschung (siehe hierzu z. B. Aschenbrand 2017; Cosgrove 1998; DeLue 2008; Gailing 2013b; Kook 2009; Kühne 2006b; 2008a; 2018c; Leibenath 2013; Leibenath et al. 2013; Makhzoumi 2002; Micheel 2013; Schönwald 2013; Tilley 1994; Weber 2015b; 2017). Ferner handelt diese Arbeit jedoch auch davon, ob diese ästhetischen Konstruktionen eine Grundlage für die gesellschaftliche Akzeptanz darstellen. Die Diskussion über Akzeptanz von Räumen wurde bereits von verschiedenen Forschenden geführt, vor allem jedoch im Zuge von ästhetischen Deutungen von sogenannten Energielandschaften (Kühne/Weber 2016; Schöbel 2012; u. a. Hasse 2005). Die vorliegende Arbeit geht über die sogenannten Energielandschaften hinaus und zeigt einen neuen Zugang zu den Themenbereichen der medialen Konstruktion von Landschaft, der Ästhetik und auch der Akzeptanz im Sinne einer Multiperspektivität auf, der bisher kaum Beachtung gefunden hat. Um die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte als Grundlage für die gesellschaftliche Akzeptanz zu untersuchen, wird dieses Thema insbesondere auf theoretischer Grundlage intensiv aufgearbeitet. Dafür werden die Wechselwirkungen der grundlegenden Themenfelder der Ästhetik, Landschaft und Postmoderne betrachtet. Zunächst sollen gesellschaftliche und räumliche Entwicklungen und auch die Auswirkungen des postmodernen Wertesystems auf die alltagsweltliche Konstruktion von Landschaften eine erste Grundlage für die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte stellen. In diesem Zusammenhang werden auch die sogenannten stereotypen Landschaften betrachtet, denn diese speziellen Konstrukte dominieren die gesellschaftliche Idee des Landschaftsbegriffes. Nachdem die räumlichen und gesellschaftlichen Aspekte der Konstruktion von Landschaften dargestellt worden sind, rücken die ästhetischen Konstruktionsprozesse in den Vordergrund. Aus philosophischer Perspektive wird hier der Zugang zu einer Ästhetik von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen hergestellt. Im Anschluss steht die Frage im Mittelpunkt, wann ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum ästhetisch konstruiert wird. Dadurch werden erste Erkenntnisse zur Ästhetik von Landschaftskonstrukten gewonnen. Anschließend werden die

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Einführung: Von Raumbildern, Ästhetik und Akzeptanz

Bereiche Werte, Ethik und Akzeptanz untersucht und in den Kontext der Konstruktion von Landschaften gestellt. Da diese Arbeit von der medialen Konstruktion von Landschaften handelt, müssen auch das untersuchte Medium Internet sowie das Bild als empirischer Gegenstand aufgearbeitet und ein Zusammenhang mit der Konstruktion von Landschaften hergestellt werden. Mit diesem theoretischen Kenntnisstand folgt anschließend eine exemplarische empirische Untersuchung. Hier werden verschiedene Darstellungen bestimmter abgebildeter Landschaftskonstrukte im Internet genauer untersucht, interpretiert und mit den vorgefundenen physischen Räumen verglichen. Es stellt sich die Frage, ob eine Diskrepanz dieser verschiedenen Raumkonstruktionen (abgebildeter, inszenierter Raum und vorgefundener physischer Raum) ein Akzeptanzproblem der vorgefundenen Raumkonstruktionen hervorruft bzw. ob sich vorhandene Akzeptanzprobleme bestimmter Landschaftskonstrukte dadurch erklären lassen. Da Abbildungen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen wie bereits angesprochen allgegenwärtig sind, können diese im Rahmen dieser Arbeit Abbildungen nur in bestimmten Medien untersucht werden. Der Betrachtungsschwerpunkt liegt zunächst auf dem Medium Internet, da es eine zeitgenössische und bedeutende Form der Informationsgewinnung ist. Abbildungen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen tauchen aber in vielfältigster Art und Weise im Internet auf, deswegen muss auch hier weiter eingeschränkt werden. Eine gängige Methode, an Bildmaterial im Internet zu gelangen, ist die Bildersuche bestimmter Suchmaschinen. Daher wird die Internet-Bildersuche als eine von zwei Quellen für abgebildete Landschaftskonstrukte verwendet. Die zweite Methode, um an Abbildungen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen zu gelangen, sind Internetauftritte von Kommunen.2 Diese Methode ergänzt die allgemeine und offene Suche nach abgebildeten Landschaftskonstrukten um eine räumlich spezifischere Variante. Auch hier wurde aufgrund der großen Anzahl möglicher Kommunen eine weitere Einschränkung vorgenommen. Für diese Einschränkung wurde die politische Einheit eines Regierungsbezirkes gewählt. Diese Einheiten haben keinen direkten naturräumlichen3 Bezug, d. h. 2 3

Der Begriff Kommune ist in dieser Arbeit als Überbegriff für folgende Gebietskörperschaften zu verstehen: Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften, Märkte und Städte. Auch wenn der Begriff Natur, der laut Kühne (2018c, 48) sehr eng mit dem Begriff Landschaft konnotiert ist, aus konstruktivistischer Perspektive kein eindeutig definierbarer, physisch-materieller Raum sondern eine soziale und kulturelle Konstruktion ist (siehe auch Kapitel 2.3), wird hier der Begriff Naturraum bzw. naturräumliche Einheit verwendet. Diese Begriffe beziehen sich u. a. auf geologische und geomorphologische Einheiten.

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die Grenzen decken sich nicht mit naturräumlichen Einheiten und unterliegen damit nicht einer eventuellen subjektiven Vorauswahl bzw. einer speziellen ästhetischen Zuschreibung eines bestimmten Naturraumes. Untersucht werden alle Kommunen, die sich im Regierungsbezirk Niederbayern befinden. Dieser Regierungsbezirk wurde gewählt, da er fast flächendeckend in der alltagsweltlichen gesellschaftlichen Konstruktion als besonders ländlich geprägt gilt: Die Räume weisen einen sehr hohen Anteil an sogenannten peripheren Lagetypen auf sowie keine sogenannten Metropolregionen (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2012, 15). Zudem weist dieser Regierungsbezirk unterschiedliche naturräumliche Einheiten auf. Auch wenn Grenzen von Regierungsbezirken keine Grenzen für Raumtypologien sind und Raumtypologien aus konstruktivistischer Perspektive kritisch zu betrachten sind, werden aufgrund der begrenzten Rahmenbedingungen nur Räume in dieser Region betrachtet. Die bereits erwähnte konstruktivistische Perspektive ist in dieser Arbeit von grundlegender Bedeutung. Der Konstruktivismus wurde sprachlich bereits in den zunächst umständlich klingenden Beschreibungen von Landschaft deutlich: In dieser Arbeit wird nur von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen oder von Landschaftskonstrukten gesprochen. Denn aus der Perspektive des Konstruktivismus gibt es keine Landschaft als eindeutig definierbaren physischen Raum. Eine Landschaft ist eine Konstruktion, ein von Betrachtenden abhängiger Raum, der immer wieder erneut in einem komplexen Interpretationsprozess konstituiert wird. Auch die postmoderne Entwicklung der Gesellschaft, die eine Grundlage für diese Arbeit bildet, ist durch ihren multiperspektiven Ansatz von konstruktivistischer Grundhaltung. Das postmoderne Ideensystem, das stark vereinfacht durch Pluralisierung, Flexibilisierung und Individualisierung bzw. auch als „Nicht-Moderne“ (Kühne 2012, 24) oder als „radikale Selbstkritik der Moderne“ (Behrens 2008, 19) beschrieben werden kann, und die sozialkonstruktivistische Idee, die sich in den 1960er Jahren entwickelt hat, weisen enge Bezüge zueinander auf (Kühne 2018c, 8) und sind für die vorliegende Arbeit von großer Relevanz. Sie sind Voraussetzung und zugleich auch Hauptakteure, wenn es darum geht, die ästhetische Konstruktion von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen im Internet zu untersuchen. Zur Behandlung dieser Thematik gliedert sich diese Arbeit nach der Einführung in fünf weitere wesentliche Kapitel:

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Einführung: Von Raumbildern, Ästhetik und Akzeptanz

Kapitel 2: Grundsätzliche Begriffsannäherungen In Kapitel 2 werden die für diese Arbeit wichtigen und grundlegenden Begriffe dargestellt und im Kontext der Arbeit erläutert. Dabei handelt es sich um die Begriffe Postmoderne, Landschaft, die soziale Konstruktion der Landschaft und Ästhetik. Da diese Begriffe je nach (wissenschaftlichem oder alltagsweltlichem) Sprachgebrauch sehr unterschiedlich gebraucht und verstanden werden, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung, um sowohl die Hintergründe als auch die Bearbeitung richtig verstanden zu wissen. Kapitel 3: Theoretische Zugänge Kapitel 3 beschäftigt sich mit theoretischen Zugängen, die mit den eben dargestellten Hauptbegriffen zusammenhängen. Auf übergeordneter Ebene geht es um Landschaftskonstrukte, die aus verschiedenen Perspektiven erläutert werden: Zunächst werden die postmodernen Entwicklungen und die alltagsweltlichen Konstruktionen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen genauer untersucht. In diesem Zusammenhang werden sowohl bestimmte Landschaftskonstrukte wie sogenannte Agrar- oder Energielandschaften sowie auch stereotype Landschaftskonstrukte besprochen. Anschließend wird die Ästhetik von Landschaftskonstrukten, auch aus philosophischer Perspektive, betrachtet. Ein weiterer Teil dieses Kapitels behandelt Werte, Ethik und Akzeptanz von Landschaftskonstrukten. Hier werden ebenfalls philosophische, aber auch soziologische Theorien herangezogen, um die jeweiligen Zusammenhänge mit der ästhetischen Konstruktion von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen herzuleiten. Am Ende dieses Kapitels wird noch einmal genauer auf das Medium Internet, die Rollen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen in der Werbung und auf Bilder als sozialwissenschaftliche Daten eingegangen. Kapitel 4 und 5: Methodische Operationalisierungen und empirische Zugänge. Als Landschaften bezeichnete physische Räume in den Medien – eine quantitative und qualitative Untersuchung an zwei Beispielen Übergeordneter Gegenstand der Untersuchungen in Kapitel vier und fünf ist die exemplarische Untersuchung von abgebildeten Landschaftskonstrukten. Dafür

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wird zunächst die Methode genauer beschrieben. Neben der Herleitung, den methodischen Bestandteilen und dem analytischen Vorgehen werden auch die Grenzen und die Einschränkungen dieser Arbeit dargestellt. Anschließend erfolgt die empirische Untersuchung. Dazu werden Bilder im Internet, die als Landschaft bezeichnete physische Räume zeigen, analysiert und interpretiert. Schwerpunkt dieser Untersuchung ist die ästhetische Konstruktion der Abbildungen. Die Ergebnisse werden anschließend miteinander verglichen. Kapitel 6: Fazit In diesem letzten Kapitel werden in einem ausführlichen Fazit die medialen Landschaftskonstruktionen dargestellt. Hier werden die Ergebnisse dieser Arbeit bewertet und beurteilt. Dafür beginnt das Kapitel zunächst mit den theoretischen Erkenntnissen und der Interpretation und Diskussion der Ergebnisse der beiden Untersuchungen. Anschließend erfolgen eine Zusammenfassung und eine Bewertung der zentralen Ergebnisse. Am Ende schließt das Kapitel und auch diese Arbeit mit einem Ausblick, der darauf abzielt, die während der Bearbeitung aufgekommene Themenkomplexe anzusprechen, die sich während der Bearbeitung zeigten und die im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht aufgegriffen werden konnten. Diese Arbeit über als Landschaften bezeichnete physische Räume, Ästhetik, Medien, Postmoderne, Ethik und Akzeptanz kann nur transdisziplinär entstehen. Hauptsächlich bezieht sie sich auf Methoden und Erkenntnisse aus der Geographie, der Soziologie und der Philosophie, jedoch werden diese ergänzt und bereichert u. a. durch Raum- und Umweltplanung, Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur, Kommunikationsforschung, Psychologie und sogar Physik und Chemie. Auch Ipsen beschreibt das Thema Landschaft als interdisziplinäres  Projekt: „Das Spannungsfeld des Landschaftsbegriffs, das sich zwischen Materialität und der Bildhaftigkeit aufbaut, verweist darauf, dass Landschaft nur begriffen werden kann, wenn verschiedene Disziplinen aufeinander bezogen werden“ (Ipsen 2006, 75).

2 Grundsätzliche Begriffsannäherungen zu Postmoderne, Landschaft und Ästhetik

Im Titel und in der Einleitung sind bereits entscheidende Begriffe enthalten, die für diese Arbeit eine wichtige Grundlage darstellen und eine begriffliche Auseinandersetzung verlangen. Diese sind: Postmoderne – als Begriff für den gesellschaftlichen Wertewandel (Kapitel 2.1) Landschaft – als Begriff für als speziell konstruierte Räume (Kapitel 2.2) Ästhetik – als Begriff für die sinnliche Wahrnehmung (Kapitel 2.4) Diese drei wesentlichen Begriffe, auf denen diese Arbeit aufbaut, sind häufig im alltäglichen, aber auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch sehr unterschiedlich besetzt. Daher ist es gleich zu Beginn notwendig, die diese Arbeit konstituierenden Begriffe Postmoderne, Landschaft und Ästhetik im Kontext dieser Untersuchung thematisch einzugrenzen und zu erläutern. Darüber hinaus bedarf auch ein vierter Begriff einer Erläuterung: Konstruktion der Landschaft – als Begriff für ein sozialkonstruktivistisches Landschaftsverständnis (Kapitel 2.3) Dieses Verständnis von Landschaft hat einen entscheidenden Einfluss auf die theoretische wie auch auf die empirische Aufarbeitung der vorliegenden Forschungsfrage. Aus diesem Grund ist auch hier die Notwendigkeit einer Erläuterung gegeben. Somit stellt das Kapitel 2 dieser Arbeit eine grundlegende Begriffsklärung dar. Auf dieser Basis können anschließend die weiteren Kapitel der Arbeit aufgebaut werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. I. Linke, Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte, RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25873-3_2

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Grundsätzliche Begriffsannäherungen zu Postmoderne, Landschaft und Ästhetik

2.1 Der gesellschaftliche Wertewandel: Die Postmodernisierung der Gesellschaft Die Geschichte der letzten Jahrzehnte ist geprägt durch tiefgreifende Wandlungsprozesse, die Umbrüche in allen Lebensbereichen bewirkt haben. Dieses Kapitel behandelt diese Wandlungsprozesse, die als Postmodernisierung der Gesellschaft bezeichnet werden können. Dafür werden zunächst der Begriff der Postmoderne und die zeitliche Einordnung dargestellt, bevor auf die inhaltlichen Aspekte eingegangen wird. 2.1.1 Die Postmoderne: Begriffliche und zeitliche Einordnung Seit einigen Jahrzehnten „sind die entwickelten Industriegesellschaften an einen Wendepunkt angelangt und haben begonnen, sich in ein neues Trajekt zu bewegen, das wir als Postmoderne bezeichnen“, so Inglehart (1998, 18, Hervorh. i. O.). Das „wir“ in Ingleharts Zitat bezieht sich auf seine Forschungsgruppe und durchaus auch viele weitere Forschende – allerdings ist der Begriff Postmoderne keineswegs allgemein anerkannt. Es gibt unterschiedliche Kritiken zur Postmoderne: Die einen lehnen den Begriff ab, andere dessen Inhalte (vgl. Zima 2014). Zudem wurde laut Inglehart „der Begriff postmodern mit so vielen Bedeutungen besetzt, dass dadurch alles und nichts ausgesagt wird“ (Inglehart 1998, 24, Hervorh. i. O.). Auch Kühne schreibt dem Begriff eine gewisse Undeutlichkeit und „eine grobe Vereinfachung komplexer gesellschaftlicher Prozesse“ zu (Kühne 2012, 23). Klotz stellt in diesem Zusammenhang jedoch fest: „So sehr der Begriff der Postmoderne zu falschen Vorstellungen geführt hat, so wenig können wir ihn heute noch durch einen bessere ersetzen“ (1988, 102). Einig sind sich viele Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen, dass sich ein bedeutender und allgegenwärtiger Wandel vollzieht, der das Ideensystem der Moderne mit neuen Weltanschauungen zu ersetzen versucht (vgl. u. a. Bauman 1999; Huyssen/Scherpe 1997; Inglehart 1998; Kühne 2006b; 2012; Lyotard 1989; Vester 1993; Welsch 2008; Wood 2003). Ungefähr seit den achtziger Jahren versuchen diese und andere Autorinnen und Autoren, den Wandel in den verschiedenen Lebensbereichen zu beschreiben und die Prozesse zu analysieren. Dennoch scheint nicht genau klar zu sein, in welcher Phase sich die Postmoderne befindet. Inglehart schrieb Ende der neunziger Jahre, dass die Gesellschaft begonnen hat, sich in die Postmoderne zu begeben (1998, 18). Im Jahre 2002 sprach auch Bormann noch von postmodernen Tendenzen und dem Bestehen der modernen Strukturen

Der gesellschaftliche Wertewandel: Die Postmodernisierung der Gesellschaft

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(2002, 84). Ob die postmoderne Gesellschaft nun jedoch noch in den Anfangsstadien steckt oder bereits in ihrem eigenen post angelangt ist, wird erst in der Zukunft zu beantworten sein. Zima (2014, 11) verweist zwar in seinem Vorwort auf zahlreiche Publikationen, die die Postmoderne zwar bereits als beendet bezeichnen, stellt aber fest, dass die zugeschriebenen Merkmale der Postmoderne die Gesellschaft noch immer verändern, sie also noch nicht beendet sein kann. Dieser Beitrag folgt dem Ansatz, diesen „alles durchdringende[n] Wertewandel der Weltanschauung“ (Inglehart 1998, 14) mit dem Begriff der Postmoderne zu fassen, da laut Inglehart „diese Verschiebung […] so auffällig [ist], dass wir es in diesem Zusammenhang vorziehen, von Postmodernisierung anstelle von Modernisierung zu sprechen“ (1998, 23, Hervorh. i. O.). Weiterhin verdeutlicht dieser Begriff die Verbindung mit der Moderne, auch wenn diese Verbundenheit eine Abgrenzung bzw. Veränderung darstellen kann. Laut Bauman ist „die Postmoderne […] die Moderne, die die Unmöglichkeit ihres ursprünglichen Projektes eingestanden hat. Die Postmoderne ist die Moderne, die mit ihrer eigenen Unmöglichkeit versöhnt ist – und um jeden Preis entschlossen ist, damit zu leben“ (1992, 127). 2.1.2 Flexibilisierung, Pluralisierung und Individualisierung als Hauptmerkmale der Postmodernisierung Die Postmoderne lässt sich als eine Verschiebung der Grundwerte (Inglehart 1998, 14), aber auch allgemeiner als „Geisteszustand“ (Bauman 1995, 5) charakterisieren. Die komplexen gesellschaftlichen Prozesse des postmodernen Wertewandels lassen sich zwar nicht mit wenigen Worten beschreiben, jedoch mit wenigen Worten in einen Rahmen fassen: Flexibilisierung, Pluralisierung und Individualisierung. Allerdings gibt es laut Kellner nicht den einen fassbaren „postmodernen Geist, sondern vielmehr einen kompletten Satz postmoderner Perspektiven, die manchmal verschiedene Paradigmen zusammenfügen und oftmals einfach nebeneinander oder mit modernen Perspektiven koexistieren. Den postmodernen Geist auf eine Satz definierter Charakterisierungen (Relativismus, Irrationalität, Nihilismus, Zerstörung, Inkohärenz oder was auch immer) zu reduzieren, macht es den Kritikerinnen und Kritikern leicht, sich aus dem postmodernen Diskurs zu verabschieden, aber in Wirklichkeit ist das postmoderne Abenteuer komplexer und differenzierter als vielen seiner Verteidiger und Kritiker bewusst ist“ (2014, 262, Hervorh. i. O.). Die Komplexität des postmodernen Ideensys-

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Grundsätzliche Begriffsannäherungen zu Postmoderne, Landschaft und Ästhetik

tems ist auch der Grund dafür, dass es bei den wichtigen Denkern der Postmoderne wie z. B. Baudrillard, Derrida, Foucault, Lyotard, Bauman oder Rorty entscheidende Unterschiede in ihren Theorien gibt (Kellner 2014, 261). Trotzdem seien die Begriffe der Flexibilisierung, Pluralisierung und Individualisierung und andere allgemeinen Zuschreibungen in der vorliegenden Arbeit verwendet, um das postmoderne Gedankengut grob einzugrenzen. Darunter können beispielsweise die Auflösung gewohnter Dichotomien verstanden werden (vgl. auch Kühne et al. 2017b) oder das Entstehen neuer Spannungsfelder durch verschobene Machtverhältnisse, wie z. B. Tradition und Innovation oder Bewahrung und Erneuerung, denn nach Huyssen (1997, 41) wird heute Tradition und Bewahrung nicht wie in der Moderne abgelehnt (Linke 2017a, 34). Auch Jencks spricht angesichts dieser Entwicklung von einer Doppelkodierung und Spannungsfeldern beispielsweise zwischen elitär und populär, alt und neu (1986, 210), und Kühne von einer Hybridisierung der Systeme, also von Mischwesen (vgl. Kühne 2012). Diese aufgeführten Prozesse des Wertewandels halten in alle Lebensbereiche Einzug: in die Wirtschaft, die Politik, die Kultur und ganz allgemein in die Gesellschaft. Im Folgenden soll nun das postmoderne Ideensystem und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen genauer dargestellt werden. Der Begriff Postmoderne deutet an, dass sich dieser Wandel aus der Moderne entwickelt hat, und bleibt dadurch eng mit ihr verbunden. Jedoch drückt sich diese Verbundenheit durch eine Überwindung der starren Regeln der Moderne aus. Aus Standardisierungen4, Eindeutigkeit und Rationalisierung werden die bereits erwähnten Merkmale Flexibilisierung, Pluralisierung und Individualisierung. Die Pluralisierung nimmt eine besondere Stellung ein, da die Postmoderne durch Akzeptanz von Mehrdeutigkeit und Vielfalt in der Lage ist, das „Entweder-Oder“ (Kühne 2012, 24) der Moderne abzulösen. In diesem Zusammenhang beschreibt Jameson die Postmoderne als „eine Konzeption, die es ermöglicht, die Präsenz und die Koexistenz eines Spektrums ganz verschiedener, jedoch einer bestimmten Dominanz untergeordneten Elemente zu erfassen“ (1997, 49). Diese Inkohärenz, die Bauman als das „herausragendste Attribut der Postmoderne" (1995, 25) bezeichnet, macht es schwierig, die Postmoderne als ein System zu beschreiben. Weitere typische Zuschreibungen der Postmoderne sind 4

Standardisierungen sind ein wesentliches Merkmal der Moderne und stehen im sozialen Kontext für die Sicherung eines geregelten Ablaufes von Alltag und Lebenslauf; Beispiele für Standardisierung im Familienleben: das heterosexuelles Paar mit Kindern, Rollenverteilung in der Ehe; siehe Kühne (2018c, 72).

Der gesellschaftliche Wertewandel: Die Postmodernisierung der Gesellschaft

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die Verflüssigung von Grenzen (vgl. Bauman 1999; 2008), die Loslösung von Einschränkungen der Moderne (vgl. Welsch 1988) und das Ende der großen Erzählungen (Lyotard 1987). Diese Vorgänge der Postmoderne erscheinen oberflächlich betrachtet wie ein anything goes (Feyerabend 1986) bzw. wie ein Freibrief (Bauman 1995, 5), jedoch entstehen dadurch auch neue Konflikte, wie im Bereich der Individualisierung der Gesellschaft festgestellt werden kann: „Die ethischen Aufgaben der Individuen wachsen, während die sozialen Ressourcen, um sie z u erfüllen, sich verringern“ (Bauman 1995, 23). Die Unsicherheit wächst, da die starren Regeln und Autoritäten an Einfluss verlieren. Es entstehen Zwänge und Unsicherheiten, da Autorität und Regelkonformität an Bedeutung verlieren. Bauman spricht in diesem Zusammenhang von „Verführung und Repression“ (1995, 233, Hervorh. i. O.) als „deutlichste soziale Spaltung unter postmodernen Bedingungen“ (1995, 233) und verdeutlicht dies mit den Beispielen, dass die Gesellschaft „zwischen Wahlfreiheit und fehlender Wahlfreiheit, zwischen der Fähigkeit zur Selbstkonstitution und der Verweigerung einer solchen Fähigkeit, zwischen autonom entwickelten Selbstdefinitionen und aufgezwungenen Kategorisierungen […]“ steht (Bauman 1995, 233). Hier sei anzumerken, dass Bauman dazu neigt, die Postmoderne grundsätzlich als eine negative Entwicklung bzw. als einen Verlust zu sehen (Kellner 2014, 260). Jedoch war für ihn auch die Moderne, die in seinen Augen sogar den Holocaust ermöglichte5, grundsätzlich negativ geprägt (vgl. Bauman 2000). Die Moderne war in Baumans Augen „der unerlaubte Versuch, der Welt Ordnung aufzuzwingen, der logischerweise zum Genozid, zur Eliminierung alles Differenten, zur Schaffung einer homogenen Ordnung und eines Systems sozialer Herrschaft führte“ (Kellner 2014, 257). Bauman übersieht hier jedoch die positiven Entwicklungen der Moderne wie auch der Postmoderne. Die Moderne beispielsweise brachte auch „demokratische Partizipation, Recht, Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit“ hervor (Kellner 2014, 258). Die Postmoderne als Ideen- bzw. Wertesystem ist nicht so einfach als positiv oder negativ zu bewerten. Beispielsweise kann Wertevielfalt nicht als Verlust angesehen werden. Trotz seiner provokativen Version (Kellner 2014, 253) ist Bauman ein wichtiger Denker der Postmoderne, der dazu betragen kann, sich mit den Herausforderungen der heutigen Zeit auseinanderzusetzen

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Bauman (1992, 69): „Die Moderne machte den Genozid möglich, als sie das zweckgerichtete Handeln von moralischen Zwängen emanzipiert hatte. Die Moderne ist zwar nicht hinreichende Ursache des Genozids, aber ihre notwendige Bedingung.“

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(Kellner 2014, 267). Denn die Postmoderne bedeutet, egal aus welcher Theorie sie betrachtet wird, ein einschneidender Wandel in alle Lebensbereiche. 2.1.3 Die Postmodernisierung der verschiedenen Lebensbereiche Im Folgenden soll nun dargestellt werden, wie die Postmodernisierung der westeuropäischen Gesellschaft sich in den verschiedenen Lebensbereichen zeigt. Für Baudrillard, Jameson und Harvey zeigt sich die Postmoderne in einer „ganz neuen historischen, sozialen Konstellation […], die neue Formen der Ökonomie, Politik, Gesellschaft, Kultur und sogar der Psyche – geschaffen durch die Veränderungen in der Ökonomie, Technologie und Kultur – hervorbringt“ (Kellner 2014, 264). In der Ökonomie ist eine deutliche Veränderung der Wirtschaftssektoren festzustellen. Während Land- und Forstwirtschaft und Fischerei (primärer Wirtschaftssektor) sowie auch die Produktion (sekundärer Wirtschaftssektor) starke Bedeutungsverluste verzeichnen, steigt der Dienstleistungssektor (tertiärer Wirtschaftssektor) deutlich an. Hier wird häufig vom Begriff der Postindustrialisierung gesprochen, der von Bell (1976) geprägt wurde. Auch die Beschäftigungsverhältnisse lösen ihre starren Formen auf. Ein Wandel von „lebenslanger Ganztagsarbeit“ zu „fragmentierten Erwerbsbiographien“ (Kühne 2013d, 101) ist festzustellen; Beck verweist auf eine „flexibel-plurale Unterbeschäftigung“ (1986, 222), damit beschreibt er Teilzeitjobs, Minijobs oder freie Mitarbeit. Kühne spricht in diesem Zusammenhang auch von der Ausprägung eines globalen Konkurrenzsystems (Kühne 2018c, 72f.). Auch ein sinkender Einfluss der Nationalstaaten auf die Wirtschaft ist Gegenstand dieser postmodernen Entwicklung (Kühne 2018c, 73). Darüber hinaus verzeichnet die Politik allgemein einen Verlust an Macht und Autorität, Walter et al. (2013) sprechen hier von einer sogenannten Legitimations- und Partizipationskrise, die unter anderem daran zu erkennen sei, dass die Bevölkerung ihr Mitbestimmungsrecht mehr und mehr durch Beteiligungsprozesse und Protestbewegungen äußere. Solche Beteiligungsprozesse können durch einen erleichterten Wissenszugang in Bewegung gebracht und beschleunigt werden (sogenannte Wissensgesellschaft, Kühne 2013d) und die Politik auffordern, sich mit ihren Wünschen und Bedürfnissen zu beschäftigen. Darüber hinaus wird der Politik „die Regelung der öffentlichen Angelegenheit abgesprochen. Gerade eine Beteiligung von Bürgern, die eher auf der Ebene

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der Information ansetzt, während Entscheidungen bereits getroffen sind, wirkt legitimitätsmindernd“ (Kühne 2018c, 290). Auch wenn die Politik an Macht und Autorität verliert, hat sie durchaus noch Handlungsmacht, die sie im Zuge des postmodernen Wertewandels jedoch anderen Zielen unterstellt: Kommunen verlieren mehr und mehr Ihren Anspruch „zur Umverteilung von Ressourcen zu sozialen Zwecken“ (Wood 2003, 69). Sie handeln unternehmerisch und setzen ihre Ressourcen „zum Anlocken von mobilem, internationalem Kapital und Investitionen“ ein (Wood 2003, 69). Öffentliche Aufgaben werden zunehmend privatisiert bzw. es finden sich häufig Kooperationen zwischen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft (Public-Private-Partnership, Wood 2003, 69). Auch in der räumlichen Planung zeigt sich die Postmodernisierung: Während in der Moderne die Städte ganzheitlich geplant wurden und die öffentlichen Räume sozialen Zwecken dienten (Wood 2003, 69), bezeichnet Wood die postmoderne Raumplanung als „planerische[n] Inkrementalismus“ (Wood 2003, 69; vgl. auch Ganser et al. 1993) und als Planung von „räumliche[n] Fragmenten, die eher aus ästhetischen Motiven als zu sozialen Zwecken geplant werden“ (Wood 2003, 69, Hervorh. i. O.). Auch in der Kultur vollzieht sich ein Wandel, der sich in einer neuen Wertschätzung für historische Werte und Tradition zeigt: „Die Kultur der Postmoderne ist nicht eine Kultur des Neuen“ (Kühne 2006b, 41), sondern das vorhandene wird umgestaltet (Kühne 2006b, 41). Dieses Umgestalten deutet an, dass es nicht rein um eine Wiederherstellung der alten Werte und Traditionen geht, sondern um eine zeitgenössische Interpretation. So werden z. B. alte landwirtschaftliche Wohn- und Nutzgebäude in reine Wohngebäude ohne landwirtschaftliche Nutzung übergeführt oder ehemalige Industriehallen zu Einkaufszentren umgebaut. Auch in der Kunst lösen sich Grenzen auf: Die Dichotomie zwischen hoher Kunst und Massenkultur verschwindet (Huyssen 1997, 21; Kühne 2008b). Ein weiterer Bereich, der durch die Postmodernisierung tiefgreifende Veränderungen erfährt, ist ganz allgemein die Gesellschaft. Kühne spricht in diesem Zusammenhang von einer eine „durch Milieus geprägte[n] Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft“ (2012, 76), die die Schicht- und Klassengesellschaften sowie auch die Arbeits- und Produktionsgesellschaften der Moderne ablöst (Kühne 2012, 76). Die übergeordneten Begriffe der Postmodernisierung – Individualisierung, Pluralisierung und Flexibilisierung – lassen sich auch an den gesellschaftlichen Veränderungen anschaulich verdeutlichen: Während in der Moderne das heterosexuelle Paar mit Kindern als standardisierte Familienform galt,

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ist es in der Postmoderne weitaus differenzierter. Beispiele dieser neuen, häufigen Lebens- bzw. Familienformen sind homosexuelle Paare, sogenannte dinks (double income, no kids) oder Single-Haushalte (vgl. Hradil 1995). Eine große Rolle erhalten die gesellschaftlichen Ziele des Wohlstands, der persönlichen Freiheit und der Unabhängigkeit (Häußermann/Siebel 1993, 26). In diesem Zusammenhang sind auch die beiden Begriffe Angst und Unsicherheit anzuführen. Inglehart beschreibt in seiner ausführlichen Publikation das Ende der Angst in der Postmoderne (vgl. Inglehart 1998). Allerdings spricht er hier von einer existenziellen, lebensbedrohlichen Angst, die von Kriegen oder Hungersnöten ausgehen. Die postmoderne Gesellschaft ist durchaus mit Angst und Unsicherheit konfrontiert, jedoch ist es eine materialisierte Form der Angst und Unsicherheit (vgl. u. a. Bauman 1999; Kühne 2012). Die einzelne Person hat Angst um den individuellen materiellen Wohlstand. Konsum hat einen hohen Stellenwert in der postmodernen Gesellschaft. Laut Wood löst Konsum als „zentrales soziales Integrationsmoment“ die „Arbeit als gesellschaftliches Integrationsmoment ab“ (Wood 2003, 69). Daher ist die Befürchtung, die eigene Konsumfähigkeit zu verlieren, ein großer Unsicherheitsfaktor in der heutigen Wohlstandsgesellschaft. Eine weitere Tendenz der postmodernen Gesellschaft widerspricht im ersten Anschein der Konsumgesellschaft: die Postmaterialisierung. Inglehart (1998) spricht in seiner Untersuchung davon, dass sich die postmoderne Gesellschaft langsam von einer materialistisch geprägten zu einer postmaterialistischen Gesellschaft wandelt. Postmaterialität bedeutet, dass das Ziel der wirtschaftlichen Sicherheit vom Ziel der Selbstverwirklichung und der Lebensqualität abgelöst wird: „In der postmodernen Gesellschaft wird Wertschätzung ökonomischer Leistung als oberstes Ziel von einer zunehmenden Betonung der Lebensqualität abgelöst. In weiten Teilen der Welt haben die disziplinierenden, selbstverleugnenden und leistungsorientierten Normen der Industriegesellschaft einen wachsenden Freiraum hervorgerbacht, der einen individuellen Lebensstil und individuelle Selbstverwirklichung ermöglicht. Diese Verschiebung von materialistischen Werten, bei denen die ökonomische und physische Sicherheit im Vordergrund standen, hin zu den postmaterialistischen Werte, die individuelle Selbstverwirklichung und Lebensqualität stärker gewichten, ist der am besten untersuche Aspekt des Wandels; aber diese Verschiebung ist eben nur eine Komponente eines größeren Syndroms kulturellen Wandels“ (Inglehart 1998, 46, Hervorh. i. O.). Laut Klein und Pötschke ist es aber wahrscheinlicher, dass sich die Ge-

Speziell konstruierte Räume: Der Begriff der ‚Landschaft‘

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sellschaft nicht zu einer reinen Form der Postmaterialisten hin entwickelt, sondern zu einer Mischform (Klein/Pötschke 2000) bzw. zu einem Hybriden. Diese Vorstellung lässt sich auch mit der Konsumorientierung der postmodernen Gesellschaft vereinen: Denn der hybride post-/materialistische Mensch kann zum einen durchaus den Wunsch nach Selbstverwirklichung und Selbstbestimmtheit und zum anderen den Wunsch nach Konsumfähigkeit und finanziellem Wohlstand in sich tragen. Darüber hinaus können auch immaterielle Güter wie Freizeit und Kultur konsumiert werden. Nach Klein und Pötschke ist die Mischform „näher am postmaterialistischen Pol des latenten Wertekontinuums angesiedelt […] als die Materialisten“ (Klein/Pötschke 2000, 207). Letztendlich ist dieser nur scheinbare Widerspruch von Konsumorientierung und Postmaterialismus auch wieder ein Merkmal der Pluralisierung der Gesellschaft. Auch wenn die Konsumorientierung häufig mit Gesellschaften verbunden wird, die in städtisch bezeichneten physischen Räumen leben, lässt sich feststellen, dass die Postmodernisierung der Gesellschaft nicht nur dort zu finden ist. Denn auch wenn das Fortschreiten des Wertewandels je nach Räumen unterschiedlich ausgeprägt ist, lässt sich dieser auch in schwach verdichteten Räumen feststellen. Diese schwach verdichteten Räume, speziell die als Landschaften bezeichneten physischen Räume, werden nun auch einer Begriffsklärung unterzogen. 2.2 Speziell konstruierte Räume: Der Begriff der Landschaft Landschaft als maßgebliches übergeordnetes Thema dieser Arbeit soll in diesem Kapitel eine begriffliche Annäherung finden. Um auf den sehr unterschiedlich verwendeten Begriff aufbauen zu können, muss zunächst die Verwendung des Begriffes Landschaft im Kontext dieser Arbeit geklärt werden. Dafür wird die Geschichte des Landschaftsbegriffes betrachtet, um anschließend auf die gängigen Konstruktionen des Natur- und Kulturlandschaftsbegriffes einzugehen. 2.2.1 Die Geschichte der verschiedenen Begriffe von Landschaft Landschaft ist ein vielseitig gebrauchter Begriff, der neben einem alltagsweltlichen Sprachgebrauch auch häufig im planerischen oder raumwissenschaftlichen Kontext unterschiedliche Verwendung findet. Bis in die 1960er Jahre war Landschaft beispielsweise das konstituierende Thema der deutschsprachigen Geogra-

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phie (Schenk 2017, 678). Dann geschah ein Wandel, Schenk spricht von der „szientistischen Wende“ (2017, 678). Das Thema Landschaft stand stark in der Kritik und verlor seit den 1970er Jahren stetig an Relevanz – „bis zur nahezu vollkommenen Ablehnung des Terminus außerhalb historisch-geographischer und naturgeographischer Kontexte“ (Schenk 2017, 678). In den letzten Jahren ist jedoch wieder ein Bedeutungsanstieg zu verzeichnen (vgl. Schenk 2013). Auch außerhalb der geographischen Fachwelt ist der Umgang mit dem Begriff nicht weniger problemlos. Der Begriff Landschaft kann aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet und untersucht werden. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff Landschaft, die in diesem Kapitel geführt wird, kann hier aufgrund der Reichweite dieser Diskussion nur aus einigen bestimmten, für diese Arbeit relevanten Blickwinkeln geführt werden. Dazu gehören die allgemeine begriffliche Abgrenzung sowie die Auffassung der Landschaft als Kultur- oder Naturkonstruktion. Die folgenden Kapitel (Kapitel 3, 4 und 5) dieser Arbeit beschäftigen sich auf der Grundlage der nun geführten Begriffsbestimmung intensiv mit anderen, darauf aufbauenden – theoretischen und empirischen – Zugängen zu dem Thema der Landschaftskonstrukte. Die inhaltliche Abgrenzung des Begriffes kann aus sehr vielen verschiedenen Perspektiven erfolgen und wird je nach Kontext unterschiedlich gebraucht. Leibenath spricht hier von „unendlich vielen Bedeutungen“ (2013, 14). Demnach beschreibt der Begriff keine Wirklichkeit, sondern eine Hülle, die mit vielen Bedeutungen gefüllt werden kann (Linke 2017a, 34; vgl. auch Kühne et al. 2013). In diesem Zusammenhang sei kurz auch der linguistic turn angesprochen, denn „der kulturelle Aufbruch ist wesentlich auch ein sprachlicher“, so Hansen (1995, 49). Es wird davon ausgegangen, dass Sprache keine Wirklichkeiten beschreiben kann, sondern sie „als ein Instrument der Konstitution von Wirklichkeit konzipiert“ wird (Glasze/Pütz 2007, 2; vgl. auch Steinkrüger 2017; Weber 2015a). Somit ist die Bedeutung eines Begriffes abhängig von der Semantik und die Bedeutungs- und Sinnstruktur ist langfristig nicht statisch, sondern wandelbar (Leibenath 2013, 13f.). Das bedeutet nun, dass der Begriff bei jeglicher wissenschaftlichen Verwendung aufs Neue geklärt werden muss (vgl. Schenk 2017). Nur durch die intensive Auseinandersetzung und Klarstellung dieses Begriffs ist es möglich, ästhetische oder stereotype Konstruktionen von Landschaften abzuleiten. Wird der Gegenstand dieses kulturgebundenen Begriffes nicht geklärt, bleiben auch die Antworten ungenau. Daher wird zunächst der Begriff eingehend

Speziell konstruierte Räume: Der Begriff der ‚Landschaft‘

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betrachtet, um aufzuzeigen, wie der häufig gebrauchte Terminus in Zusammenhang mit dieser Arbeit zu verstehen ist. Die konstruktivistische Perspektive, von der dieser Beitrag ausgeht, wird in Kapitel 2.3 genauer erläutert. Hierzu sei bislang nur gesagt, dass ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum kein Gegenstand, sondern eine soziale Konstruktion ist, die aus unterschiedlich geprägten, komplexen Vorgängen entsteht (vgl. u. a. Kühne 2013d). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit von Landschaft als Konstruktion (bzw. als Landschaft bezeichnete physische Räume) und nicht von Landschaft als physischer Raum gesprochen. Im Zusammenhang der Begriffsklärung sei hier auf die Wortherkunft und die geschichtliche Bedeutung aufmerksam gemacht. Im Althochdeutschen wurde im 9. Jahrhundert der Begriff Land als allgemeines Raumordnungswort mit politischem Inhalt verwendet. Es stellte damals ein Geltungsgebiet mit einem bestimmten Recht dar. Parallel zur dem Begriff Land wurde auch schon zu dieser Zeit der Begriff Landschaft verwendet (althochdeutsch damals lantscap). Der Begriff Landschaft wurde jedoch dazu gebraucht, eine unpolitische Raumeinheit, eine Gegend oder eine Umgebung zu beschreiben (Piepmeier 1980, 11). Die Endung –schaft bedeutet Einheit, Zusammenhang oder Zusammengehörigkeit (vgl. Appenzeller 1947; Carol 1967; Hard 1970). Laut Kühne entsteht die Zusammengehörigkeit nicht auf natürliche Art und Weise, sondern durch den Eingriff des Menschen (Kühne 2013d, 39f.). Wie bereits erwähnt, sind als Landschaften bezeichnete physische Räume aus konstruktivistischer Perspektive nicht (nur) physisch, sondern auch ein Teil der Vorstellungskraft von Individuen (vgl. u. a. Burckhardt 2008; Kühne 2013d; Ipsen 2006). An dieser Stelle sei nun die inhaltliche Begriffsklärung angesprochen. Diese Arbeit geht von einem weiten und nicht von einem engen Landschaftsverständnis aus (vgl. u. a. Hofmeister/Kühne 2016; Hokema 2009). Der enge Landschaftsbegriff bezieht sich auf sogenannte Naturräume, auch kultivierte Naturräume, mit dem Ideal einer vorindustriellen bäuerlichen Naturlandschaft, der erweiterte schließt auch bebaute Räume ein, die im alltagssprachlichen Verständnis nicht naturnah erscheinen (vgl. Hokema 2009). Laut Hokema ist derzeit festzustellen, dass der erweiterte Landschaftsbegriff den engen ablöst (Hokema 2009, 239). „Die Erweiterung des Landschaftsbegriffes dient daher auch der disziplinären Profilierung. Die Ausdehnung der als Landschaft bezeichneter Konstruktion auf bebaute und naturferne Gebiete sowie der Ausschluss normativer Qualitäten bei gleichzeitiger Wahrung eines konstitutiven und normierenden Naturbezuges passen den Landschaftsbegriff an

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zeitgenössische physische Realitäten an“ (Hokema 2013, 296, Hervorh. i. O.). Ähnlich wie bei Hokema (2009) dient der Landschaftsbegriff in dieser Arbeit als Gegenstand einer ästhetischen Auseinandersetzung. Andere Bezüge, wie z. B. Ökologie und Politik, werden hier wissentlich vernachlässigt. 2.2.2 Landschaften als Natur- und Kulturkonstruktion Ungeachtet der übergeordneten Klärung des Landschaftsbegriffes werden im alltäglichen und auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch verschiedene Begriffe für als Landschaft bezeichnete physische Räume verwendet. Häufig werden die beiden Bezeichnungen Natur- und Kulturlandschaften gebraucht. Der Begriff Naturlandschaft bietet verschiedene Definitionen, je nach theoretischer Perspektive. Der Begriff Natur wird sehr unterschiedlich konstruiert. Häufig ist Konstruktion der Natur mit Ursprünglichem und Gutem verbunden, aber auch mit Bedrohlichkeit oder sogar Zerstörung. Im Gegensatz dazu steht häufig das künstliche und menschengemachte Gefüge der Kultur (Kühne 2013d, 226; vgl. auch Schönwald 2013). Das Bibliographische Institut in Deutschland definiert Naturlandschaft als „vom Menschen nicht veränderte, unberührte Landschaft“ (Duden 2013).6 Was aber bedeutet unberührt? Laut Lautensach ist eine Naturlandschaft beispielsweise das antarktische Festland, da es nicht direkt von Menschenhand beeinflusst ist (1973, 30). Schultze geht sogar so weit, dass er die Erdhülle in Natur- und Kulturlandschaften aufteilt: „die Naturlandschaften nehmen etwa 90 Mio. qkm = 60 % der festen Erdoberfläche ein, die Kulturlandschaften etwa 60 Mio. qkm = 40 %“ (1973, 210). Für Paffen wiederum hat die Naturlandschaft einen zeitlichen Charakter. Sie ist solange beständig, bis „der Mensch in die Naturlandschaft eintritt und zu wirken beginnt“ (1973, 85). Da der Mensch große Teile der Erdoberfläche direkt und häufig intensiv beeinflusst, ist der Schluss schnell gefasst, dass es kaum noch Naturlandschaften geben kann. Werden jedoch auch indirekte Einflüsse betrachtet, wie z. B. die Auswirkungen durch die erhöhte Konzentration von CO2 in der Atmosphäre, wird deutlich, dass es im 20. Jhd. sowohl aus konstruktivistischer sowie auch aus positivistischer Perspektive keine Naturlandschaften mehr gibt (vgl. Kühne 2013d). Die Schlussfolgerung aus der Bedeutung von Naturlandschaft würde für die Kulturlandschaft bedeuten, 6

Diese Ausführungen dienen nur als Anregungen. Der Duden wird als moderne Instanz der sozial verbindlichen Wortdeutung herangezogen, nicht jedoch als wissenschaftliche Quelle. Die Inhalte müssen jedoch hinsichtlich ihrer umfassenden Normativität aus postmoderner Perspektive hinterfragt werden.

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dass es sich hierbei um eine ehemalige Naturlandschaft handelt, die durch menschliche Einflüsse (z. B. landwirtschaftliche Nutzung) verändert wurde (vgl. auch Schöbel 2012; Wöbse 2002). Der Mensch erscheint in der Kulturlandschaft nicht als störender Faktor, sondern als wichtiger Bestandteil des als Landschaft bezeichneten physischen Raumes (vgl. Schenk 2008). Carol unterteilt in diesem Zusammenhang zusätzlich Zwischenstufen des Übergangs von Natur- zu Kulturlandschaft: „Ur-Kulturlandschaft (menschenbelebte Naturlandschaft) (z. B. Tundra mit Eskimos, Urwald mit Pygmäen); Halb-Kulturlandschaft (z. B. Höhen- und Trockenweiden mit geringer Veränderung der natürlichen Vegetation); Voll-Kulturlandschaft mit durchgehender und tiefgreifender Veränderung der Natur“ (1973, 148, Hervorh. i. O.). Diese Wortwahl ist heute jedoch nicht mehr aktuell, auch nicht im positivistischen Sprachgebrauch. Wird dieser Begriff aus sozialkonstruktivistischer Perspektive betrachtet, sind die Auffassungen zum Begriff Kulturlandschaft weitaus radikaler. Spanier behauptet: „Der Mensch kann, weil er ein Kulturwesen ist, Natur auch nur kulturell wahrnehmen“ (2001, 81). Seine Schlussfolgerung ist demnach: „Es gibt keinen Gegensatz zwischen Kulturlandschaft und Naturlandschaft. Es gibt nur Kulturlandschaft“ (Spanier 2001, 81). Da Kulturlandschaften ebenso wie Landschaften soziale Konstruktionen sind, in die der Mensch eingebunden ist, werden die Begriffe Kulturlandschaften und Landschaften in dieser Arbeit als Synonyme verwendet. 2.3 Die soziale Konstruktion von Landschaften Es gibt verschiedene wissenschaftliche Perspektiven, aus der als Landschaft bezeichnete physische Räume betrachtet werden können. In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass Landschaft konstruiert ist – und nicht einfach als Objekt existiert. „Die soziale Konstruktion von Welt (und damit auch von Landschaft) ist mit Wahrnehmung verbunden, also der Zusammenführung von Sinneseindrücken zu einem Gesamtbild“ (Kühne 2018c, 9). Für diese Annäherung wird vorerst eine Einordnung der theoretischen Zugänge vorgenommen, bevor auf das dieser Arbeit zugrundliegende Verständnis des Konstruktivismus genauer eingegangen wird.

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2.3.1 Die verschiedenen theoretischen Zugänge zum Landschaftsbegriff Derzeit gibt es übergeordnet drei wichtige theoretische Zugänge zum Landschaftsbegriff (vgl. Chilla et al. 2015; Kühne 2013d), die hier in einem kurzen Überblick dargestellt werden sollen: 2.3.1.1 Der positivistische Landschaftsbegriff Laut dem positivistischen Landschaftsbegriff ist Landschaft ein physischer Gegenstand. In dieser positivistischen Theorie lässt sich eine Landschaft durch empirische Methoden erfassen und als eine Wirklichkeit beschreiben (Kühne 2013d, 130). Das bedeutet, dass dieses Landschaftsverständnis von einer betrachterunabhängigen Wirklichkeit ausgeht (im Gegensatz zum konstruktivistischen Landschaftsverständnis). Das Ziel besteht darin, ein möglichst exaktes Abbild der Realität zu erzeugen. Dazu untersucht die positivistische Forschung bestimmter Einzelphänomene, wie z. B. Bevölkerungsverteilung, Flächennutzung, Landschaftsbild, und ordnet diese Phänomene Ebenen zu (Chilla et al. 2015, 16). „Die Konstruiertheit von Landschaft auf Grundlage empirischer Ergebnisse wird dabei (zumeist) nicht in Frage gestellt, doch wird davon ausgegangen, die empirischen Ergebnisse seien geeignet, den Verhältnissen der Wirklichkeit irgendwann gerecht zu werden“ (Kühne 2013d, 131, Hervorh. i. O.). Landschaft wird im positivistischen Verständnis als eine Art Behältnis oder Raumcontainer gesehen, das mit Objekten bzw. Merkmalen ausgestattet ist und sich genau abgrenzen lässt (Kühne 2013d, 131). Häufig ist diese Auffassung in der naturwissenschaftlichen Landschaftsforschung zu finden (Kühne 2013d, 131) und versteht sich als modernes Wissenschaftsverständnis. Die Forscherinnen und Forscher sind sich zwar häufig bewusst, dass ihre Ergebnisse „bestimmten Setzungen folgen und damit auch konstruiert sind“ (Chilla et al. 2015, 16), jedoch gehen sie trotzdem davon aus, dass es „eine beobachterunabhängige Realität Raum [gibt], die als Referenzebene ihrer Abstraktionen dienen könne“ (Chilla et al. 2015, 16, Hervorh. i. O.). 2.3.1.2 Der essentialistische Landschaftsbegriff Der Essentialismus geht – wie der Begriff vermuten lässt (essentia ist lateinisch und bedeutet Wesen) – davon aus, dass bestimmte Objekt über Eigenschaften verfügen, die ihr Wesen ausmachen. Somit ist aus dieser Perspektive eine Landschaft als Ganzheit zu sehen, die ein selbstständiges Eigenwesen darstellt. Wie

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auch der positivistische Landschaftsbegriff sind die Eigenschaften des essentialistischen Landschaftsbegriffes betrachterunabhängig (Chilla et al. 2015, 15). Dieses Wesen einer Landschaft erhält sie durch „eine spezifische wechselseitige Prägung von Kultur und Natur“ (Chilla et al. 2015, 15). Den Kern dieses Wesen können beispielsweise Gebäudeformen, Flurformen oder Nutzungsarten als wahrnehmbare Phänomene ausmachen (Chilla et al. 2015, 15) oder auch allgemeiner der Ökonomisierung und der Vereinheitlichung zugeschrieben werden (Kühne 2013d, 131). Häufig für eine essentialistische Landschaftsforschung sind „was ist…“ – Fragen. Die Tatsache, dass eine Region oder ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum ein Wesen hat, lässt zu, dass diese Räume klar voneinander abzugrenzen sind. Darüber hinaus sind essentialistische Ansätze stark normativ und lassen eine allgemeine Wertigkeit zu: Positiv bewertet ist das, was dieses Wesen des Raumes ausmacht, negativ (und damit zu unterlassen) ist das, was nicht diesem Wesen entspricht (Chilla et al. 2015, 15). Der essentialistische Landschaftsbegriff ist dem vormodernen Wissenschaftsverständnis zuzuschreiben (Kühne 2013d, 131). Positivistische Ansätze verstehen sich, wie bereits erwähnt, als modernes Wissenschaftsverständnis und grenzen sich häufig streng vom essentialistischen Landschaftsbegriff ab. Beide haben jedoch die Gemeinsamkeit, dass der physische Raum für die jeweilige Perspektive ausschlaggebend ist, „jedoch ist er für das essentialistische Verständnis nicht wie im positivistischen Verständnis lediglich eine Ansammlung von Objekten, deren relationaler Bezug oder deren Anordnung im Raum zu untersuchen ist, sondern er wird zum transzendierenden Medium des ansonsten verborgen bleibenden Wesens von Landschaft“ (Kühne 2013d, 131). 2.3.1.3 Der konstruktivistische Ansatz Nun zu dem Ansatz, dem diese Arbeit zugrunde liegt. Als Landschaften bezeichnete physische Räume sind bzw. bestehen nicht einfach, sondern sie werden gemacht. Sie entstehen durch Sinn- und Bedeutungszuschreibungen von den betrachtenden Personen und sind aus diesem Grund betrachterabhängig (Chilla et al. 2015, 16f.). Ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum ist aus konstruktivistischer Perspektive also kein Gegenstand. Was ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum alles sein kann und wie vielseitig der Begriff verwendet werden kann, wurde im Kapitel 2.2 angerissen. Der Konstruktivismus beschäftigt sich damit, wie bestimmte Objekte oder auch Räume von Personen

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als Landschaften konstituiert werden und was diese Prozesse beeinflusst. Landschaft steht in diesem Verständnis nicht für einen eindeutig definierbaren, physisch-materiellen Raum, sondern für eine sozial und kulturell erzeugte Konstruktion (vgl. u. a. Burckhardt 2008; Cosgrove 1998; DeLue 2008; Hokema 2013; Ipsen 2006; Kazig 2013; Kühne 2006b; 2012; 2013d; Kühne et al. 2013; Leibenath et al. 2013; Weber 2015b). Burckhardt und Ritter beziehen sich auf den sprachlichen Umstand und geben an, dass „mit diesem schrecklichen Wort […] nichts anderes gesagt sein [soll], als dass die Landschaft nicht in den Erscheinungen der Umwelt zu suchen ist, sondern in den Köpfen der Betrachter“ (2008, 33). Kühne verweist darauf, dass materielle Objekte wie Bäume oder Wiesen trotzdem nicht negiert werden (2013c, 109). Vielmehr werden sie „als Symbole, nach ihrem symbolischen Gehalt betrachtet, und diese Symbole als konkrete, materielle Verkörperungen von Sozialem, also z. B. von Ideen, sozialen Beziehungen, Gewohnheiten, Lebensstilen usf. interpretiert. Dabei wird das Soziale also aus seinen physischen Verkörperungen durch Interpretation erschlossen“ (Hard 1995, 52, Hervorh. i. O.). Objekte bzw. Gegenstände nehmen daher eine bedeutende Rolle ein, wenn es um die Vermittlung von sozialem Handeln geht, sie sind Bestandteil von Typisierungsprozessen (vgl. Kühne 2018c). Auch der Systemtheoretiker und Konstruktivist Luhmann spricht von einer Außenwelt bzw. von einer Realität. Jedoch spricht er von einer „Konstruktion real operierender Systeme“ (Luhmann 2005, 9). Das heißt, es gibt keine Realität in Form von Abbildungen, sondern immer nur eine von Beobachtenden konstruierte Realität (Berghaus 2011, 27). Diese vom Menschen individuell konstruierte Realität bzw. in Zusammenhang dieser Arbeit konstruierte Landschaft soll nun etwas genauer betrachtet werden. „Landschaft wird – aus sozialkonstruktivistischer Perspektive – durch soziale Prozesse definiert“ (Kühne 2013d, 265). Daher gibt es auch keine „vom Menschen unabhängige Wirklichkeit“ (Leibenath 2013, 16) bzw. unterliegt das, was als wirklich bezeichnet wird, aus sozialkonstruktivistischer Perspektive einer gesellschaftlichen Definition. Da die Gesellschaft es aber gewohnt ist, Landschaften nicht als einen Konstruktionsprozess zu sehen, sondern als eine Art von Gegenstand, empfindet die Gesellschaft Landschaften „nicht als soziale Konstruktion, sondern als Wirklichkeit“ (Ipsen 2006, 31). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass es zwar eine Wirklichkeit gibt, die jedoch durch soziale und kulturelle Prozesse konstruiert ist und sich je nach Person unterscheiden kann. Auch innerhalb der konstruktivistischen Perspektive gibt es verschiedene Ansätze, beispielsweise den radikalen Konstruktivismus, der sich um Übertragung

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der Systemtheorie Luhmanns auf die Thematik der Landschaft bemüht. Physische Objekte werden in diesem Ansatz – nicht wie in der vorhergehenden Beschreibung – negiert, das bedeutet, sie werden bedeutungslos und rein als Medien von Kommunikation benutzt (Kühne 2013d, 133). Da diese Arbeit nicht von diesem radikalen Ansatz ausgeht, wird weiterhin auch nicht näher darauf eingegangen. Eng mit der konstruktivistischen Perspektive verbunden ist auch der diskustheoretische Ansatz (vgl. Weber 2015b; Weber 2016), der folgende Fragen stellt: „Welche landschaftsbezogenen Eindrücke werden wie, aus welchen Gründen und durch welche Prozesse verfestigt? Und welche alternativen Vorstellungen werden damit marginalisiert und ausgeblendet?“ (Weber 2015b, 40). Die konstruktivistische Landschaftsforschung untersucht weder Eigenschaften noch Strukturen oder Funktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen (wie essentialistische bzw. positivistische Forschung). Sie zeigt Interesse an den Konstruktionsprozessen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen, „wer beispielsweise wie in der Lage ist, anhand welcher Kriterien von wem geglaubt zu definieren, was eine Region ist und wie sie sich von anderen unterscheidet“ (Chilla et al. 2015, 17). Es geht weniger um die Formulierung von Normen oder um räumliche Abgrenzungen, sondern es geht um die Prozesse, wie die verschiedenen Konstruktionen von beispielsweise Räumen, Ab- und Ausgrenzungen, Forderungen in Bezug auf Räume entstehen (Chilla et al. 2015, 17). 2.3.2 Landschaftskonstrukte aus verschiedenen Perspektiven der Gesellschaft Landschaft wird im gesellschaftlichen Verständnis meist als natürlich, ländlich, als Heimat, als wahr, gut und schön und als Gegenstand konstruiert. Darüber hinaus wird sie meist visuell und als durch eine stereotype Ansammlung von Elementen konstruiert, so das Ergebnis verschiedener Studien (vgl. Kühne 2018c, 48ff.). Wie die subjektive Konstruktion von Landschaften individuell ausfällt, ist von vielen verschiedenen Faktoren bestimmt, beispielsweise von Erfahrungen, Emotionen, Zeitstilen, Abstraktionsleistungen der Menschen, kulturellen Rahmenbedingungen und Lernprozessen (vgl. u. a. Burckhardt 2008; Kaufmann 2005; Kühne 2006b; 2013d). Die Fähigkeit der Konstruktion von Landschaft bedient sich der Übernahme verschiedener Muster im Prozess der Sozialisation, die auf der „Grundlage von Sekundärinformationen (aus Filmen, Büchern, Fernsehen), Aushandlungen (mit Gleichaltrigen, Eltern, Verwandten,

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Lehrern) im Abgleich mit direkten Erfahrungen (bei Wanderungen, Spiel, seltener: auf unmittelbare Transformation von Materialität bezogener Tätigkeit)“ (Kühne 2013c, 109) fußt. Diese Prozesse sind demnach stark von verschiedensten individuellen und gesellschaftlichen Aspekten geprägt. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass, auch wenn von Gesellschaft bzw. Gesellschaften gesprochen wird, nicht davon ausgegangen werden kann, dass als Landschaften bezeichnete physische Räume nur durch eine Gesellschaft auf eine eindeutige Art und Weise konstruiert werden bzw. auch nicht, dass eine Gesellschaft von Homogenität geprägt ist (Linke 2017b, 91). Denn laut Kühne entsteht „Landschaft […] im Schnittbereich von physischen Objekten, Person und Gesellschaft“ (2013d, 61). Eine Konstruktion durch die Gesellschaft spricht daher neben der gesellschaftlichen Konstruktion (geprägt durch beispielsweise kulturelle Rahmenbedingung) zudem auch die individuelle Konstruktion (geprägt durch beispielsweise Emotionen, individuelle Abstraktionsleistung) an (Linke 2017b, 91; vgl. auch die Dimensionen von Landschaft von Kühne 2013d, 61ff.). Die Bezeichnung Gesellschaft bezieht sich auf das Verständnis einer Mehrheitskultur (vgl. Hokema 2013, 266) und steht daher übergeordnet für Gesellschaft, Teilgesellschaft und einzelne Personen (Linke 2017b, 91). Auf die vorhandenen sozialisationsbedingten Abweichungen durch beispielsweise Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen (Hokema 2013, 266) kann in diesem Kapitel nur ausschnittsweise und beispielhaft eingegangen werden. Durch die Postmodernisierung ist eine Pluralisierung der Gesellschaft festzustellen. Damit geht auch einher, dass sich die „teilgesellschaftliche Konstruktion von Landschaft […] als zunehmend stark differenziert beschreiben [lässt], was in einem Milieu (z. B. dem traditionellen Arbeitermilieu) als schöne Urlaubslandschaft gilt, wird in einem anderen Milieu (z. B. dem hedonistischen Milieu) als relativ reizlos konstruiert“ (Kühne 2013d, 205f., Hervorh. i. O.). Bätzing erläutert diesen Zusammenhang am Beispiel der Alpen und stellt Ende der 90er Jahre fest: „In der Phase der Postmoderne zerfällt seit etwa 1980 das einheitliche Alpenbild der Moderne in tausend einzelne Alpenbilder spezialisierter Nutzer- und Interessentengruppen“ (1998, 4). Trotz dieser unterschiedlichen Milieus bzw. Nutzer- und Interessentengruppen lassen sich dennoch bestimmte Gemeinsamkeiten in der Konstruktion von Landschaften feststellen. Es sei die Schule als wichtige Vermittlungsinstanz für das Landschaftsverständnis zu nennen. Hier werden gemeinsame Deutungen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen kommuniziert.

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Aber auch die Familie, der Bekannten- und Freundeskreis nehmen einen wichtigen Einfluss auf die Sozialisation. Durch die Flexibilisierung und die Polarisierung der Gesellschaft kann in Bezug auf die Sozialisation jedoch heute nicht mehr von einem abgeschlossenen Prozess und somit einem statischen Verständnis ausgegangen werden (Kühne 2013d, 206). Auch die Sozialisation und dementsprechend auch die Landschaftsverständnisse sind dynamisch, sie sind „reflexive[…] Daueraufgabe[n]“ (Kühne 2013d, 206). Unabhängig von den unterschiedlichen Landschaftskonstrukten der verschiedenen Milieus lässt sich laut Kühne die landschaftsbezogene Sozialisation in zwei Kategorien einteilen. Zum einen die lebensweltliche Landschaft der Laien und zum anderen in eine sonderwissensbasierte Landschaft der Experten (Kühne 2013d, 206). Die lebensweltliche Landschaft wird, wir eben erwähnt, bereits im Kindesalter durch Familie und Schule geprägt, später im Jugendalter dann vor allem durch Gleichaltrige und Sekundärinformation wie z. B. Fernsehen und Zeitschriften. Mit der Zeit gliedert sich die „lebensweltliche Landschaft der Laien“ (Kühne 2013d, 206) dabei weiter auf: in die heimatliche Normallandschaft und in die stereotype Landschaft (Kühne 2013d; siehe auch Kühne 2009a; 2009b; 2011b). Die heimatliche Normallandschaft entsteht durch die „Dominanz von Aushandlungen und direkten Erfahrungen gegenüber Sekundärinformationen einerseits, sowie emotionaler Bezugnahme und der Möglichkeit individueller und kollektiver Aneignung gegenüber ästhetischen Anforderungen andererseits“ (Kühne 2013c, 109). Dieses Verständnis von Landschaft ist jedoch, wie bereits erwähnt, ein dynamisches. Die Erfahrungen in Hinsicht auf Landschaftskonstrukte können sich mit der Zeit intensivieren, aber auch beispielsweise durch einen Wohnortwechsel verändern. Ferner können heimatliche Normallandschaften im Laufe des Lebens auch kritisch hinterfragt werden. Ein wesentlicher Aspekt der Konstruktion einer heimatlichen Normallandschaft ist, dass diese Räume weniger ästhetisch positiv bewerteten Qualitäten unterliegen müssen. Wichtiger ist die Vertrautheit. Darin unterscheiden sie sich deutlich von den stereotypen Landschaftskonstrukten. Der Anspruch eines stereotypen Landschaftskonstruktes ist vor allem die ästhetisch positive Qualität, sie werden nach stereotypen Anforderungen konstruiert und bewertet und basieren hauptsächlich auf Sekundärinformationen (Kühne 2013c, 109): „Überspitzt gesagt, hat eine mediterrane Landschaft dem Stereotyp der Toskana zu ähneln, Wüsten haben wie die Sahara zu erscheinen und so weiter“ (Kühne 2013c, 109; mehr zur Kon-

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struktion stereotyper Landschaften siehe Kapitel 3.2.4). Einen Unterschied stellen auch potentielle Veränderungen der physischen Elemente von Landschaftskonstrukten dar: Während sie aus der Perspektive der heimatlichen Normallandschaft häufig als „Heimatverlust“ (Kühne 2013c, 109) empfunden werden, sind diese Veränderungen aus der Perspektive der stereotypen Landschaftskonstrukte „ästhetische Normabweichungen“ (Kühne 2013c, 110). Eine Veränderung der heimatlichen Normallandschaft kann darüber hinaus für Teile der Gesellschaft „als fundamental empfundene[r] Eingriff“ (Kühne 2013c, 110) festgestellt werden, da diese vorgefundenen Räume für gewöhnlich als normativ stabil konstruiert werden (Kühne 2013c, 110; siehe auch Kühne 2009a). Trotz dieser zugeschriebenen Stabilität unterliegt auch die heimatliche Normallandschaft Wandlungsprozesse, „weil jede Generation andere Arrangements der physischen Grundlagen von Landschaft vorfindet und als normal konstruiert“ (Kühne 2013c, 110; siehe auch Kühne 2011b). Neben der lebensweltlichen Landschaft der Laien wurde auch bereits die sonderwissensbasierte Landschaft der Experten erwähnt. Die Expertinnen und Experten sind beispielsweise Landschaftsarchitektinnen und –architekten, Landschaftsplanerinnen und –planer, oder Geographinnen und Geographen. Die Sozialisation hinsichtlich des Themas Landschaft entsteht hier in der Regel im Erwachsenenalter häufig durch ein landschaftsbezogenes Fachstudium oder eine landschaftsbezogene Ausbildung (z. B. Garten- und Landschaftsbau, Kühne 2013d, 209; siehe auch Kühne 2015a; 2018b). Das landschaftsbezogene Expertentum greift stärker kognitiv auf das zurück, was als Landschaft bezeichnet wird. Ästhetische und emotionale Aspekte der Landschaftskonstrukte bleiben zwar bestehen, werden aber je nach Schwerpunkt des Fachstudiums oder der Ausbildung strenger der Rationalisierung unterzogen (Kühne 2013c, 110). Eine strikte Grenze zwischen Laientum und Expertentum lässt sich nicht ziehen, „sie stellen vielmehr unterschiedliche Enden eines Kontinuums dar“ (Kühne 2013d, 210; siehe auch Roßmeier et al. 2018). Auch sogenannte Laien können im Zuge der Verbreitung höherer Bildung sowie der steigenden Verfügbarkeit von Informationen vor allem durch das Internet einen expertenhaften Status einnehmen (Kühne 2013d, 210; vgl. auch Jones/Cloke 2002; Kühne 2011a; Deming/Swaffield 2011). Kühne führt hier einige Beispiele an: „Der Windkraftgegner, der sämtliche relevante rechtliche Grundlagen zum Ausbau regenerativer Energien, landschaftsästhetische Bewertungsverfahren und Naturschutzaspekte kennt, oder der Liebhaber von Landschaftsgemälden, der sämtliche verfügbare Literatur zu

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Landschaftsmalerei studiert hat“ (Kühne 2013d, 210f.). Er fügt hinzu, dass sogenannte Laien im Kenntnisstand hier durchaus auch Experten überlegen sein können (Kühne 2013d, 211; siege allgemein auch Kühne 2015b; Weber et al. 2017). In diesem Kapitel wurde deutlich, dass Landschaftskonstrukte je nach gesellschaftlicher Perspektive das Ergebnis unterschiedlicher Vorrausetzungen und Absichten sind und sich somit häufig im Konstruktionsprozess unterscheiden. Hier sei jedoch angemerkt, dass als Landschaften bezeichnete physische Räume und Ästhetik in den meisten Fällen der gesellschaftlichen Konstruktion eine enge Verbindung eingehen. Denn „die soziale Konstruktion von Landschaft fußt neben kognitiven, dem Wissen über das, was Landschaft genannt wird, und emotionalen, der gefühlsmäßigen Bindung an physische Objekte, aber auch Ideen und Komponenten, zentral auf ästhetischen Kriterien und Deutungen“ (Kühne 2013c, 105). Mit diesem Hintergrund wird nun die Ästhetik der Begriffsklärung unterzogen und genauer beleuchtet, um später in dieser Arbeit die ästhetische Konstruktion von Landschaften aufgreifen zu können. 2.4 Die sinnliche Wahrnehmung: Der Begriff der Ästhetik Das vorhergehende Kapitel hat sich mit der Konstruktion von Landschaft auseinandergesetzt. Auch in diesem Abschnitt zur Ästhetik stellt sich zunächst die Frage, ob Ästhetik eine Eigenschaft oder eine Zuschreibung, also eine Konstruktion ist. Anschließend werden die drei Hauptkategorien der Ästhetik aufgeführt, und es wird dargestellt, wie Ästhetik in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bestimmt wird. 2.4.1 Die objekt- und subjektorientierte Perspektive der Ästhetik Die Frage, ob Ästhetik eine Eigenschaft oder eine Zuschreibung ist, lässt sich auch so stellen: Wird Ästhetik aus der objektorientierten oder der subjektorientierten Perspektive betrachtet? Die Objektorientierung setzt voraus, das Ästhetische sei eine Eigenschaft eines Objektes. Das ist aus konstruktivistischer Perspektive nicht evident. Auch die Ästhetik kann im Konstruktivismus nicht als Eigenschaft, sondern muss rein als Zuschreibung, also entsprechend dem subjektorientierten Ansatz, verstanden werden (Kühne 2018c, 157ff.). Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts spricht Croce von einem Irrtum, wenn die Kunst – und im weiteren Sinne damit auch die Ästhetik – als etwas Physisches bezeichnet

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Grundsätzliche Begriffsannäherungen zu Postmoderne, Landschaft und Ästhetik

wird (1913). Damit ist auch die Behauptung hinfällig, Ästhetik könne sich objektiv bewerten lassen. Um sich jedoch dem letzten diese Arbeit konstituierenden Begriff anzunähern, sollen hier nun zunächst der Begriff und anschließend die geschichtliche Entwicklung der philosophischen Ästhetik dargestellt werden. Am Ende dieses Kapitels wird noch einmal genauer auf die Subjektorientierung eingegangen, und es wird deutlich, warum die philosophische Disziplin im Zusammenhang dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielt. Die alltagssprachliche Aussage die Ästhetik einer Landschaft wird häufig synonym zu der Aussage die Schönheit einer Landschaft gebraucht. Das ist jedoch aus wissenschaftlicher Perspektive nicht evident (vgl. Peres 2013). In der Zuschreibung schön ist unmittelbar eine Wertung enthalten, im alltäglichen sowie auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch, auch wenn der Begriff schön im Allgemeinen sehr vielseitig und unterschiedlich verwendet wird. Der Begriff leitet sich von dem Wort scōni ab und bedeutet „schimmernd“, „hell scheinend“ (Schmitthenner 1837, 423). Im Duden7 wird schön auch mit „ansehnlich“, „was gesehen wird“ beschrieben. Damit wird auch eine Verwandtschaft zu dem Wort schauen hergestellt (Duden 2015) und der Begriff bezieht sich demnach auf einen visuellen Vorgang, der zudem grundsätzlich auch positiv bewertet ist. Im Gegensatz dazu steht der Begriff der Ästhetik. Er stammt aus dem Griechischen und steht für die Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung (vgl. Gilbert/Kuhn 1953). Diese Wortbedeutung der sinnlichen Wahrnehmung deutet darauf hin, dass Ästhetik mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann – und nicht nur mit dem Sinn des Sehens. In der alteuropäischen Vorstellung bildete die Ästhetik als Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung zusammen mit den Wissenschaften der Moral und des Denkens ein (komplementäres) Zusammenspiel. Diese drei Säulen standen in ihrer Einheit für das Wahre, das Gute und das Schöne (Kühne 2013d, 138). Auch Kant bezieht sich viele Jahrhunderte später darauf (Schneider 2005, 46). Die Einheit des Schönen, des Guten und des Wahren ist heute nicht mehr maßgeblich. Sowie auch der alleinige Bezug der Ästhetik zur Schönheit. Laut Peres handelt es sich bei dem Begriff Ästhetik um „die Theorie oder philosophische Disziplin, die auf einer Metaebene über schöne, hässliche, beeindruckende Phänomene und ihre entsprechende Erfassung und Bewertung sowie über künstlerische Werke als ihren Gegenstand reflektiert“ (2013, 16, Hervorh. i. O.). 7

Die Aussagen des Dudens dienen nicht als wissenschaftliche Quelle, sondern als Anregungen, siehe auch Ausführungen in Kapitel 2.2.2.

Die sinnliche Wahrnehmung: Der Begriff der ‚Ästhetik‘

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Ästhetik bezieht sich demnach auch beispielsweise auf hässliche Phänomene. Ähnlich steht es um die Verwendung des Adjektivs ästhetisch. Es kann nur auf der Objektebene korrekt verwendet werden und bedeutet in diesem Zusammenhang, dass diese Objekte in einer „sinnlich-emotional-rationalen und meistens auch valuativen Weise erfahrbar und/oder herstellbar sind“ (Peres 2013, 16). Falsch wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise der Ausdruck ästhetische Theorie, „denn nicht die Theorie ist ästhetisch, sondern das, worüber sie eine Theorie ist“ (Peres 2013, 16). Zusammengefasst kann hier gesagt werden, dass Ästhetik auf einer Metaebene, ästhetisch hingegen auf einer Objektebene (über die die Ästhetik auf theoretischer Ebene nachdenkt) zu finden ist (Peres 2013, 24f.). Die Ästhetik ist demnach eine philosophische Theorie über ästhetische Gegenstände (Peres 2013, 26). Diese Theorie hat übergeordnet drei methodische Verfahrensweisen: Sie versucht, übergreifende Strukturen und Begriffe zu ermitteln, sie verfährt also universal; sie stellt auf einer Metaebene die Frage, „ob und unter welchen Bedingungen Gegenstände überhaupt ästhetische Phänomene sind oder werden können“ (Peres 2013, 26), und sie erstellt keine Aussagen oder Interpretationen über einzelne Werke oder Gattungen, sondern „greift ggf. exemplifikatorisch auf sie [Aussagen, Interpretationen und Theorieansätze; Anmerkung SL] zurück, um die philosophisch herausgearbeiteten allgemeinen Strukturen und Begriffe am Einzelfall zu überprüfen und auch zu erläutern“ (Peres 2013, 26). Das Denken der Ästhetik bezieht sich somit auf die Generierung und die Erfahrung einer ästhetischen Kognition, auf die Konstruktion ästhetischer Werte und deren Beurteilung sowie allgemein auf die Konstruktion ästhetischer Phänomene in der Kunst, der Natur und der Lebenspraxis (Peres 2013, 27). Eine sinnliche Wahrnehmung in der heutigen Vorstellung ist ein individueller Prozess, in dem Informationen verarbeitet werden. Mit diesem Vorgang wird das Wahrgenommene aber zunächst nicht beurteilt (nur verarbeitet). Somit ist in der Zuschreibung ästhetisch aus wissenschaftlicher Sicht keine Wertung enthalten, im Gegensatz zur Zuschreibung schön. Häufig wird jedoch das Wahrgenommene unmittelbar nach der Informationsverarbeitung bewertet. Der Mensch denkt in diesen Kategorien, schreibt dem Wahrgenommenen zugleich eine Ästhetik zu und versucht diese zu verstehen: „Wie die Kinder nach der Seifenblase greifen, um den Regenbogen zu fassen, so wendet sich der menschliche Geist bei der Bewunderung der schönen Dinge spontan zur äußeren Natur, um die Ursachen zu erforschen und sucht gewisse Farben, gewisse Körperformen als schön, andere als hässlich zu denken oder glaubt sie so denken zu müssen“

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(Croce 1913, 7). Doch stehen der Prozess der Wahrnehmung und der Prozess der ästhetischen Bewertung beide für sich alleine. Dennoch wird die Zuschreibung ästhetisch im alltäglichen Sprachgebrauch meistens bereits als positive Wertung verwendet. Im wissenschaftlichen Kontext dieser Arbeit soll der Begriff Ästhetik jedoch weitgehend wertfrei verwendet werden, auf die Bewertung im Sinne von Akzeptanz wird in Kapitel 3.5 eingegangen und auf die moralische Wertung in Kapitel 3.4. Zur Darlegung des Begriffes findet nun eine philosophische Betrachtung der Ästhetik statt. Die Fachdisziplin der Philosophie hat sich im Gegensatz zur Geographie bzw. zur Landschaftsforschung sehr intensiv mit der Ästhetik auseinandergesetzt. Die jahrhundertelangen Auseinandersetzungen mit diesem Thema geben allgemeine Hinweise auf die ästhetische Konstruktion der als Landschaft bezeichneten physischen Räume durch die Gesellschaft. 2.4.2 Die unterschiedlichen Ausprägungen einer sinnlichen Wahrnehmung: die Hauptkategorien der Ästhetik Das Schöne, das Erhabene und das Hässliche – diese ästhetischen Kategorien werden häufig als die drei Hauptkategorien der Ästhetik genannt. In den folgenden Kapiteln sollen diese drei Hauptkategorien, sowie auch weitere Neben- bzw. Unterkategorien beschrieben werden. 2.4.2.1 Die Schönheit als ästhetische Zuschreibung für Ordnung und der Harmonie Die Ästhetikforschung in der Philosophie findet spätestens seit dem 18. Jahrhundert große Beachtung (vgl. Pöltner 2008; Schneider 2005). Die Anfänge dieser Teildisziplin gehen jedoch weiter zurück: Bereits im 13. Jahrhundert sprach Thomas von Aquin über Schönheit und versuchte zu definieren, was sie darstellt. Er sprach von drei Bedingungen: „Die Vollständigkeit“ – denn Unvollkommenheit und Mängel galten als unschön; „die richtige Proportion“ – mit dem Fokus Harmonie und Ausgewogenheit sowie „heller Glanz“ – womit strahlende und prächtige Farben gemeint sind. Schönheit war für Thomas von Aquin eng mit Ordnung und Reinheit verbunden, was damals ein weitverbreiteter Gedanke der mittelalterlichen Schönheitstheorie war (Schneider 2005, 97). Auch einige Jahrhunderte später hat sich die Vorstellung von Schönheit kaum gewandelt: Auch für Alexander Gottlieb Baumgarten war die Ordnung eine Voraussetzung für Schönheit und war mit Wahrheit und Reinheit verbunden (Schneider 2005,

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23ff.). Baumgarten gab der Ästhetik als philosophischer Disziplin durch sein bedeutendes Werk Aesthetica (1750) im 18. Jahrhundert ihren Namen. Für Kant, der sich ebenfalls sehr intensiv mit der Schönheit (aber auch mit der Erhabenheit) beschäftigte, war die Schönheit eng mit Wohlgefallen verbunden. Er brachte sie weniger mit einer subjektiven Empfindung in Verbindung, sondern bezeichnete den Vorgang des ästhetischen Werteurteils als überindividuell. Für ihn waren folgende vier Momente dafür entscheidend (Peres 2013, 37): 1. Die Betrachtenden dürfen über das Wohlgefallen am Schönen keine weiteren Interessen am Objekt haben. D. h. das ästhetische Urteil ist „frei von Begierden wie von praktischen Zwecken“ (Peres 2013, 37). 2. Das ästhetische Werturteil ist allgemeingültig, wenngleich in dem Sinne, dass sie „zwar allen gemein, aber nur subjektiv allgemeingültig [sind] und […] nur das Ansinnen stellen [können], für alle Subjekte zu gelten“ (Peres 2013, 37f., Hervorh. i. O.). 3. Das ästhetische Werturteil steht in Relation zu möglichen Zwecken. Das Wohlgefallen ist in einer „subjektiven Zweckmäßigkeit…ohne objektiven oder subjektiven Zweck“ (Peres 2013, 38, Hervorh. i. O.) begründet. „Die Ordnung auf einen Zweck hin, die allem Zweckmäßigen innewohnt, gefällt dem Subjekt in der Vorstellung des schönen Gegenstandes, ohne dass ein konkreter Zweck erkennbar wäre“ (Peres 2013, 38). 4. Ästhetische Werturteile sind „der Modalität nach notwendig“ (Peres 2013, 38, Hervorh. i. O.), wenn Verstand und Vorstellung harmonisch zusammenspielen. Dieser Ansatz ist aus konstruktivistischer Perspektive zwar nicht evident, trotzdem soll damit dargestellt werden, wie die Schönheit lange Zeit (bzw. zum Teil noch immer) betrachtet wurde: Schönheit als Eigenschaft. 2.4.2.2 Die Erhabenheit als ästhetische Zuschreibung für Bewunderung und Schrecken Während die Voraussetzung des Schönen für Kant ein harmonisches Zusammenspiel aus Verstand und Vorstellung war, stellt für ihn das Erhabene genau das Gegenteil dar: hier führt die Disharmonie des Zusammenspiels von Verstand und Vorstellung zu dieser Empfindung. Wenn etwas als erhaben bezeichnet wird, so ist es laut Kant durch die Vernunft alleine nicht fassbar (Peres 2013, 38f.). Es entsteht eine Diskrepanz „zwischen dem Ideenvermögen einerseits und dem empirischen Vermögen der Einbildungs- und Vorstellungskraft andererseits“ (Peres 2013, 38). Diese Gedankengänge hat später auch wieder der postmoderne Philosoph Lyotard aufgenommen. Er bezeichnete beispielsweise die Bilder des Künstlers Barnett Newman als Beispiele für das disharmonische Zusammenspiel von

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Sinnlichkeit und Ideenvermögen, sodass sich die Werke des Künstlers als erhaben bezeichnen lassen (Peres 2013, 39). Für Baumgarten, den Namensgeber der ästhetischen Disziplin, war die Erhabenheit allerdings noch kein Thema. Erst einige Jahre später wurde die Diskussion durch Kant, aber auch durch Burke um die Erhabenheit – von der schon Aristoteles gesprochen hat – erweitert. In seinem Werk Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen (1757) untersuchte er die beiden ästhetischen Kategorien, die sich seiner Meinung nach streng voneinander abgrenzen lassen. Laut Kühne schreibt Burke dem Erhabenen „große[…] und schreckliche[…] Objekte[…] (z. B. Vulkane[…])“ und dem Schönen „kleine[…] und angenehme[…] Objekte[…]“ (Kühne 2013d, 141) zu. Hierbei fasst Kühne die Hauptaussage von Burke wie folgt zusammen: „Während das Schöne zur Liebe anrege, sei das Erhabene mit Bewunderung verbunden“ (Kühne 2013d, 140f.). Eine ähnliche Auffassung wie Burke teilte auch Kant in seinem Werk Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, 1764. Er verband Schönheit mit Qualität und Erhabenheit mit Quantität und trennte die emotionale Wechselbeziehung zwischen den beiden Kategorien wie folgt: „Das Erhabene rührt, das Schöne reizt“ (zitiert nach Schneider 2005, 45). Weiterhin unterteilt Kant die Erhabenheit noch in die mathematische und die dynamische Erhabenheit, definiert beide aber mit einer großen Anzahl oder Menge bzw. mit einem großen Ausmaß (Schneider 2005, 55f.). Mehr jedoch als Burke beschäftigt er sich mit dem Landschaftsbegriff. Er geht davon aus, dass die Ästhetik der als Natur bezeichneten physischen Räume einen weitaus höheren Wert besitzt als die Ästhetik der Kunst, was auch auf die damalige Begeisterung für als Natur und Landschaft bezeichnete physische Räume zurückzuführen ist. Die Kunst besaß laut Kant jedoch die Fähigkeit, das Hässliche der Natur zu relativieren bzw. in ästhetisch positives Wohlgefallen umzuwandeln. Den Begriff der Hässlichkeit verwendet Kant jedoch nur in diesem kurzen Gedanken (Schneider 2005, 50ff.). Allgemein ist festzustellen, dass die Erhabenheit zu der Zeit nicht nur in der Philosophie eine immer positivere Zuschreibung erhalten hat, sondern auch in der gesamten Bevölkerung: „Die Vernunft wandelt die Angst vor der Natur in Erhabenheit um“ (Bartels 1989, 299).

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2.4.2.3 Die Hässlichkeit als ästhetische Zuschreibung für Disharmonie und Fehlerhaftigkeit Anders verhält es sich mit der Zuschreibung der Kategorie der Hässlichkeit. Lange wurde sie nicht als Teil der Ästhetik diskutiert. Rosenkranz änderte das mit seinem Werk Ästhetik des Hässlichen (1853): „Jede Ästhetik ist gezwungen, mit der Beschreibung der positiven Bestimmung des Schönen irgendwie auch die negativen des Hässlichen zu berühren“ (Rosenkranz 1996 [1853], 13). Erst seit Rosenkranz gilt auch die Hässlichkeit als Gegenstand der Ästhetik. Die philosophische Bedeutung der Hässlichkeit lässt sich zunächst von der griechischen Metaphysik ableiten. Hässlich ist, was als minderwertig, abstoßend oder ekelhaft empfunden wird und das „Selbstwertgefühl des Menschen deprimiert“ (Franke 1974, 1003). Im Mittelalter erhielt das Hässliche nur wenig Aufmerksamkeit, beispielsweise wurde es in der Kunst meist ignoriert. Etwas Fehlerhaftes (also Hässliches) sollte erst gar nicht abgebildet werden, sondern sollte durch den Kunstschaffenden ausgeglichen werden (Franke 1974, 1004f.). Die Diskussion über die Ästhetik der Hässlichkeit wurde erst ungefähr seit der Mitte des 19. Jahrhunderts geführt. Durch den Wertewandel der Moderne verlor zu dieser Zeit auch der bis dahin zentrale Wert der Schönheit an Gewicht (Peres 2013, 39). In der Kunst wurde negiert, dass die Schönheit irgendetwas mit der Kunst zu tun hätte und in der philosophischen Ästhetik wird der Begriff aufgrund seiner „idealistischen, objektiv-formalistischen und metaphysischen Ausprägungen“ (Peres 2013, 39) abgelehnt. Das Hässliche war jedoch zu dieser Zeit gesellschaftlich noch nicht anerkannt. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde die „deformierte, verzerrte, gebrochene Gestalt […] wegen ihrer abstoßenden, auch zerstörerischen Kraft“ für die Kunst relevant (Franke 1974, 1005). Ausschlaggebend für den Beginn der Diskussion über Hässlichkeit war, wie bereits erwähnt, Karl Rosenkranz. Er bezeichnete das Hässliche als das „Negativschöne“ und stellte somit die enge Verbindung zur Schönheit her (Rosenkranz 1996 [1853]). Für ihn hat das Hässliche in der Kunst die Funktion, das Schöne zu intensivieren (Franke 1974, 1005). Er stützte sich in seiner Aussage auf die Biologie und die Ethik, die sich auch mit Krankheiten bzw. mit dem Bösen beschäftige. Daher müsse sich die Ästhetik mit dem Hässlichen ebenso auseinandersetzen wie mit der „Idee des Schönen“ (Rosenkranz 1996 [1853], 5). Diese traditionelle Idee des Schönen, die sich in der Vollkommenheit, Ordnung und Reinheit zeige, bilde sich in der Hässlichkeit als

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Gegenteil davon ab: „Das Hässliche8 manifestiert sich als Inkorrektes, Defizitäres, das zur Formlosigkeit tendiert. Rosenkranz assoziiert es mit dem Moment der Unfreiheit [...]“ (Schneider 2005, 98f.). Für Rosenkranz war die Natur beispielsweise nicht durchgängig schön bzw. vollkommen. Er spricht ausgiebig über das „Naturhässliche“ (Rosenkranz 1996 [1853], 20). Obwohl Pflanzen seiner Meinung nach „fast durchgängig schön“ seien, können sie in Ausnahmefällen auch „sich überwuchern und so in selbsterzeugter Ungestalt sich verhässlichen“ (Rosenkranz 1996 [1853], 21). Demnach kann auch ein Tier „in seinem unmittelbaren Typus hässlich sein“ (Rosenkranz 1996 [1853], 21). Laut Rosenkranz wird die Ästhetik in verschiedene gleichwertige Kategorien unterteilt: Schönheit, Erhabenheit und Hässlichkeit. Darüber hinaus spricht er auch noch von der Kategorie des Komischen, das zwar der Schönheit und der Erhabenheit entgegensteht, aber auch eine „Aufheiterung des Hässlichen ins Schöne“ (Rosenkranz 1996 [1853], 49) darstellt. Somit ist das Komische, wie auch das Schöne, nicht ohne das Hässliche erlebbar. Mit dem Hässlichen wiederum verbindet Rosenkranz z. B. Inkorrektheit, Formlosigkeit oder Defiguration bzw. Verbildung (hier verweist er auf „Schweiß, Schleim, Kot, Geschwüre“, Rosenkranz 1996 [1853], 252). 2.4.2.4 Der Dreipol der Ästhetik und weitere ästhetische Kategorien Die drei Hauptkategorien der Ästhetik, die Schönheit, die Erhabenheit und die Hässlichkeit, wurden nun ausführlich dargestellt. Die Kategorie der Schönheit, die in der Zwischenzeit etwas an Aufmerksamkeit verloren hat, ist seit den 1990er Jahren vermehrt wieder auf die Bühne der ästhetischen Debatte zurückgekehrt (Peres 2013, 40). Laut Peres jedoch unter anderen Vorzeichen: „Sie wird vor allem im Rahmen von evolutionsästhetischen, sozialästhetischen, auch politisch motivierten und gendertheoretischen Fragestellungen ausgetragen“ (Peres 2013, 40). Seit dieser Zeit stehen nun alle drei Kategorien fast gleichberechtigt im Mittelpunkt des ästhetischen Diskurses. Am Ende des 20. Jahrhunderts verweist Seel in diesem Zusammenhang auf die ästhetische Dreiteilung bzw. auf ein „dreipoliges Urteil“ (Seel 1996, 132) der Schönheit, der Erhabenheit und der Hässlichkeit. Er betonte auch, dass die Pole dieses Dreiklanges ineinander übergehen können und offen sind für „Abstufungen aller Art“ (Seel 1996, 132f.): 8

Formaler Hinweis der Autorin: alle Zitate wurden ggf. an die neue deutsche Rechtschreibung angepasst und nicht weiter gekennzeichnet.

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„Natur kann nicht nur mehr oder weniger schön oder erhaben oder hässlich erscheinen, sie kann […] in ihrer Hässlichkeit erhaben oder in ihrer Erhabenheit schön sein“ (Seel 1996, 133). Abschließend können nun die drei Hauptkategorien der Ästhetik wie folgt zusammengefasst werden (Linke 2017a, 27f.; stark vereinfacht nach Carlson 2009; Kühne 2013d; Rosenkranz 1996 [1853]; Schneider 2005; Seel 1996):   

Das Schöne: Angenehm, geordnet, harmonisch, hochwertig, teilweise klein bzw. geringe Menge von etwas, sanft, reizend, hell scheinend bzw. glänzend, zarte und angemessene Farben Das Erhabene: Beängstigend, erschreckend, stark, beeindruckend, rührend, groß, viel bzw. große Menge von etwas Das Hässliche: Defizitär, inkorrekt, unfrei, ungeordnet, ekelerregend, nicht vollständig.

Neben diesen Kategorien gibt es jedoch noch viele weitere ästhetische Kategorien, die sich zum Teil einer der drei Kategorien als Unterkategorie zuordnen lassen oder sich als Kontinuum zwischen zwei oder allen drei Kategorien verstehen. Beispiele für weitere ästhetische Kategorien sind das Pittoreske9, der Kitsch, das Ekelerregende, die Anästhetik, das Romantische bzw. das Idyllische usw. Im Rahmen dieser Arbeit kann jedoch nicht auf alle eingegangen werden. Erwähnt werden sollen jedoch kurz die Anästhetik, der Kitsch und das Romantische, da sie im Zusammenhang mit dieser Arbeit eine Rolle spielen. Zunächst zur Anästhetik, die fälschlicherweise mit der Hässlichkeit verwechselt werden kann. Eine hässliche Zuschreibung ist jedoch nicht mit einer anästhetischen Zuschreibung gleichzusetzen. Die Anästhetik zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine Emotionen bzw. Empfindungen in den Betrachtenden auslöst. Sie entzieht sich demnach der Wahrnehmung und kann nicht als ästhetisches Erlebnis beschrieben werden (Welsch 1993). Laut Welsch beschreibt die Anästhetik „jenen Zustand, wo die Elementarbedingung des Ästhetischen – die Empfindungsfähigkeit – aufgehoben ist. Während die Ästhetik das Empfinden stark macht, thematisiert die Anästhetik die Empfindungslosigkeit – im Sinn eines Verlustes, einer Unterbindung oder der Unmöglichkeit von Sensibilität, und auch dies auf allen Niveaus: von der physischen Stumpfheit bis zur geisteigen Blindheit“ (Welsch 1993, 10). Ferner unterscheidet Welsch neben der Anästhetik noch drei weitere Kategorien, 9

Laut Carlson (2009, 3) ist das Pittoreske wie folgt zu beschreiben: „Picturesque items are typically in the middle ground between those that are beautiful and those that are sublime, being complex and eccentric, varied and irregular, rich and forceful, and vibrant with energy.“

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die in dieser Arbeit nur aufgelistet werden, ohne näher darauf einzugehen: Die Anti-Ästhetik, die keinen Anspruch an die ästhetischen Dimension stellt; die Nicht-Ästhetik, die „keinerlei Bezug zu ästhetischen Fragen“ hat (Welsch 1993, 10f.) und die Un-Ästhetik, „also das nach ästhetischen Kriterien als negativ Qualifizierte“ (Welsch 1993, 10). Trotz der durchaus vorhandenen Theorie der Ästhetik bezüglich des Themenkomplexes Landschaft ist das „Erleben von Landschaften“ (Kazig 2013, 225) in seiner Komplexität empirisch bislang nur unzureichend untersucht. Diese Lücke ist zu füllen, da das Erleben der als Landschaft bezeichneten physischen Räume durchaus einen wichtigen Beitrag für die Landschaftsforschung darstellen kann. Auch verweist er auf eine mögliche Anwendbarkeit in der Praxis, da eine Bewertung von Aufenthaltsqualitäten zu einer von der Bevölkerung akzeptierten Entwicklung von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen beitragen kann (Kazig 2013, 230). Eine weitere ästhetische Kategorie, die eine Bedeutung für diese Arbeit hat, ist der Kitsch. Gelfert spricht unter anderem auch von einem sogenannten Heimatkitsch: „Typisch für den Kitsch ist die Idealisierung der Heimat, allerdings nur der ländlich-idyllischen“ (2000, 44), hier zeigt sich bereits ein Zusammenhang von Kitsch und als Landschaften bezeichneten physischen Räumen. Laut Illing ist der Kitsch das „traditionsreichste und am meisten analysierte Etikett schlechten Geschmacks“ (2006, 219, Hervorh. i. O.). Zeitlich gesehen ist der Kitsch als ästhetisches Urteil ein Produkt der gesellschaftlichen Modernisierung (Kühne 2012, 61). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde es wohl zuerst in München verwendet, um billige Gemälde für Touristinnen und Touristen zu beschreiben. Anschließend wurde es auch in andere Sprachen übersetzt (Illing 2006, 219; vgl. auch Pross 1985) bzw. hat sich das Englische dieses Wort entlehnt, ohne es zu übersetzen (Gelfert 2000, 5). Inhaltlich gesehen gibt es – wie auch bei den eben beschriebenen Kategorien der Ästhetik – auch zu diesem ästhetischen Empfinden keine einheitliche Definition, jedoch viele Beispiele, so Gelfert: „Gartenzwerge, Nippesfiguren, schnulzige Schlager, Heimatfilme, […] Poesiealbumverse, der Röhrende Hirsch überm Sofa […]“ (2000, 5). Allgemein lässt sich über Kitsch sagen, dass diese ästhetische Zuschreibung bislang meist eine negativ konnotierte ist (Fontaine 2017, 115; vgl. auch Genz 2011). Im alltagsweltlichen Sprachgebrauch wird Kitsch häufig als schlechte Kunst verstanden (vgl. Reicher 2005); Pazaurek spricht von „geschmacklose[m] Massenschund“ (2007, 121) (im Gegensatz zur „künstlerisch durchgeistigten Qualitätsarbeit“ 2007, 121); der Philosoph Konrad Paul Liessmann bezeichnet Kitsch als

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trivial gewordene Kunst (vgl. Liessmann 2002) und Kühne spricht von einem herabwürdigenden ästhetischen Urteil sowie von der verworfenen Seite der Ästhetik (Kühne 2012, 60f.). Für Bourdieu stellt der Kitsch den Geschmack des Kleinbürgertums dar. In seinem Werk Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (1987) teilte er den Geschmack in drei Klassen ein: 1. 2. 3.

Der legitime oder der gute Geschmack. Oberflächlichkeit wird abgelehnt, die Form von kulturellen Gütern und Praktiken wird gegenüber dem Inhalt betont. Der Geschmack der Intellektuellen und des Großbürgertums. Der mittlere oder prätentiöse Geschmack. Geprägt durch erfolgloses Streben, den legitimen Geschmack zu imitieren. Der Geschmack des Kleinbürgertums. Der populäre Geschmack. Diese Ästhetik ist gezeichnet durch Motive, die sich an schöne oder wichtige Ereignisse anlehnen. Der legitime Geschmack wird akzeptiert, aber nicht imitiert. Der Geschmack der Volksklasse.

Der Kitsch ordnet sich dem mittleren Geschmack zu. Er ist laut Bourdieu Zeichen für ein erfolgloses Streben des Kleinbürgertums nach dem legitimen Geschmack. Diese Bemühungen sind durch „falsche Objektwahl, Missdeutung und fehlinvestierten Glauben geprägt“ (Kühne 2012, 61). In diesem Zusammenhang führt auch Gelfert an: „Als die schärfsten Kritiker des Kitsches gelten die Intellektuellen“ (2000, 123). Im Zuge der Postmodernisierung ändert sich allerdings diese Zuschreibung, der Kitsch wird relativiert, da sich die Dichotomie zwischen Hoch- und Trivialkultur auflöst (Kühne 2012, 62). Kitsch wird immer mehr als eine Erweiterung der Kunst betrachtet und nicht mehr gänzlich von vornherein abgelehnt (vgl. Fontaine 2017; Kühne et al. 2017b; Schmidt 2015). Demnach ist der Kitsch nicht mehr „falscher Ausdruck falscher Bedürfnisse auch nicht als Ausdruck richtiger Bedürfnisse, sondern Kitsch, so will es zumindest die Toleranzästhetik unserer Tage, gilt als richtiger Ausdruck richtiger Bedürfnisse“ (Liessmann 2002, 26f.). Kühne schreibt dem Kitsch folgende Funktionen zu: „Objekte, denen das Attribut Kitsch zugeschrieben wird, stellen den physischen Ausdruck einer Sehnsucht nach Sicherheit (im Sinne von certainty) insbesondere in einem arrondierten Privaten (das gegen das Eindringen des Öffentlichen in das Private gerichtet ist) gegen die überkomplexe Welt dar. Kitsch dient der Sublimierung von Unsicherheit (insbesondere als die Abwesenheit von security und unsafety) in einer perforiert gewordenen Öffentlichkeit“ (2012, 62, Hervorh. i. O.)

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Der Kitsch ist demnach gesellschaftsfähig geworden, er ist nicht mehr der rückständige Geschmack, sondern stellt den „fortschrittlichen und anspruchsvollen ästhetischen Geschmack unserer Tage“ (Liessmann 2007, 305). Auch Illing spricht von dieser veränderten Zuschreibung des Kitsches: „Der Umgang mit Kitsch ist zudem selbst zur Kunst geworden“ (2006, 225) und verweist auf beispielsweise Jeff Koons. Nun sei auch das Romantische erwähnt. Auch diese ästhetische Kategorie ist Ausdruck einer Sehnsucht. Laut Illing soll die „entzauberte Welt [der Aufklärung, Anmerkung SL] […] wieder verzaubert werden“ (2006, 48). Unter dem Romantischen wird in dieser Arbeit übergeordnet ein „gefühlsmäßig-ästhetische[s] Motiv“ (Franke 2017, 13), basierend auf Traum und Fantasie (Franke 2017, 4), verstanden. Aus etymologischer Sicht bedeutet das Adjektiv unwirklich, fantasievoll (Franke 2017, 11) und ist durch eine ausgesprochene Gefühlsbetontheit geprägt. Das Idyllische wiederum ist ein Teil des Romantischen. Da die Idylle im Gegensatz zu den bisher aufgeführten ästhetischen Kategorien eher als Raumzuschreibung und weniger als Objektzuschreibung konstruiert wird, wird auf diesen Spezialfall hier nicht genauer eingegangen. Zur Erläuterung der als idyllisch bezeichneten physischen Räume wird auf Kapitel 3.7.4.2 verwiesen. Diese verschiedenen angesprochenen Haupt- und Nebenkategorien der Ästhetik unterliegen ebenfalls komplexen Konstruktionsprozessen, die im folgenden Kapitel genauer angesprochen werden. Denn die Frage ist nach wie vor, wie ästhetische Urteile konstruiert werden. 2.4.3 Ästhetisches Erkennen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen Kann eine ästhetische Konstruktion wahr oder falsch sein? Diese Frage wird häufig gestellt. Peres nähert sich dieser Frage ex negativo, d. h. sie nähert sich der Antwort, in dem sie davon ausgeht, dass eine ästhetische Konstruktion nicht wahr oder falsch sein kann. Häufig wird ausgesagt, die Frage einer ästhetischen Erkenntnis könne nicht endgültig mit wahr oder falsch beantwortet werden, d. h. der Wahrheitswert sei weder verifizierbar noch falsifizierbar. Das ist nur zum Teil richtig. Würde diese Aussage stimmen, so könnte laut Peres kein ästhetisches Erfassen einen kognitiven Charakter haben (2013, 28). „Denn Erkennen ohne Wahrheitsanspruch, d. h. ohne wahr erkennen zu wollen oder im schlechtesten Falle zu falschen Erkenntnissen zu kommen, wäre unsinnig“ (Peres 2013,

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28). Übrigbleiben würde für ästhetische Prozesse dann nur extrinsische Bestimmungen, wie z. B. ihr „moralisch-sozialer Wert (sie wecken soziale Sensibilität); ihr psychotherapeutischer Wert (sie helfen bei depressiven Verstimmungen); der dokumentarische Wert von Kunstwerken (sie machen eine historische Epoche anschaulich), ihr hedonistischer (sie sind ein erfreulicher Zeitvertreib) bzw. dekorativer Wert (sie sind hübsch, passen gut zu…)“ (Peres 2013, 28, Hervorh. i. O.). Dann stellt sich allerdings zurecht die Frage: „Erfüllen ästhetische Phänomene dann ihren Begriff, d. h. das, was sie von anderen Phänomenen unterscheidet?“ (Peres 2013, 28). Laut Peres und auch aus der konstruktivistischen Perspektive ist es aber ebenso wenig evident zu sagen, eine ästhetische Erkenntnis sei wahr oder falsch in einem allgemeingültigen Sinne. Der Wahrheitsgehalt einer Erkenntnis unterliegt auch hier einer sozialen Konstruktion. Laut Liessmann ist die ästhetische Erfahrung das „Resultat eines komplexen Prozesses […], in den sinnliche und emotionale Eindrücke, Erinnerungen, bestätigte oder enttäuschte Erwartungen, Reflexionen, Urteile und Wissenspartikel eingeflossen sind“ (2009, 17). Diese soziale Konstruktion von ästhetischem Erkennen kann zwar von einer Mehrheit der Gesellschaft ähnlich konstruiert werden, allerdings kann ein zugeschriebener Wahrheitsgehalt keine allgemeine bzw. übertragbare Behauptung sein. Darüber hinaus gibt es auf dieser Ebene noch andere unterscheidbare Konzeptionen. Sie handeln davon, ob ästhetische Aussagen nur einen wertenden oder auch einen beschreibenden Charakter haben – und, wenn sie auch zusätzlichen beschreibenden Charakter haben, wie sie sich auf eine Wirklichkeit (die aus konstruktivistischer Perspektive nur sozial konstruiert sein kann) beziehen. Hier unterscheiden sich kognitivistische und nonkognitivistische Konzeptionen. Für nonkognitivistische Ansätze sind ästhetische Werte in der Theorie nicht relevant. Zusammengefasst sind sie nicht kognitiv, daher nicht wissenschaftlich evident und haben somit auch keinen theoretischen Status (Peres 2013, 43). Im Gegensatz dazu halten kognitivistische Ansätze Aussagen wie etwa diese Landschaft ist schön für prinzipiell wahrheitsfähig. Allerdings müssen innerhalb dieses Ansatzes wiederum zwei Tendenzen unterschieden werden: die objektivistische und die subjektivistische Tendenz. Die objektivistische Tendenz geht grundsätzlich von objektiv zuschreibbaren Eigenschaften aus (je nach Ausprägung mehr oder weniger radikal). Diese Eigenschaften sind nicht davon abhängig, ob sie von einem Subjekt wahrgenommen werden oder nicht (Peres 2013, 43). Die subjekti-

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vistische Tendenz geht – wie auch der Konstruktivismus – davon aus, „dass ästhetische Urteile zwar Aussagen über die Wirklichkeit machen, aber ausschließlich über die Wirklichkeit des bewertenden Subjekts“ (Peres 2013, 44). Auch Illing spricht davon, dass zwar „jeder beliebige Gegenstand und jedes beliebige Geschehen […] zum Träger der ästhetischen Funktion werden“ kann; aber „aus seinen materiellen Eigenschaften lässt sich dies nicht ableiten“ (Illing 2006, 79). Im Detail geht der Individualsubjektivismus davon aus, dass ein ästhetisches Urteil nur etwas über das individuelle Wohlgefallen aussagt. Das hieße jedoch dann, dass ästhetische Zuschreibungen „intersubjektiv nicht mehr mitteilbar“ (Peres 2013, 44) wären. Der Kollektivsubjektivismus geht davon aus, dass ästhetische Zuschreibungen eine „partielle Allgemeinheit [erreichen], denn sie sagen etwas über eine gruppenspezifische Einstellung aus. Sie sind damit intersubjektiv vermittelbar, zumindest in Relation auf das kollektive Subjekt und seine z. B. kulturellen oder zivilisatorischen Faktoren“ (Peres 2013, 44). Illing, der sich hier auf das strukturalistische Konzept von Jan Mukařovský bezieht, spricht ebenfalls davon, dass sich „die Verteilung der ästhetischen Funktion […] also in der Regel durch soziale Normen, durch das kollektive Bewusstsein (das Mukařovský im Anschluss an Durkheim einführte, also als soziale Tatsache versteht) reguliert“ (2006, 83, Hervorh. i. O.). Diese Arbeit geht gemäß dem Konstruktivismus auch im Hinblick auf das ästhetische Erkennen vorrangig von einem Kollektivsubjektivismus aus. Hier sei allerdings angemerkt, dass aus der Perspektive der Autorin Landschaftskonstrukte auch zumindest zum Teil emotionalen Zugängen unterliegen, demnach nicht ausschließlich kognitiv sind. Das Ästhetische ist daher nicht nur durch Rationalität erfassbar, sondern auch zum Teil nicht kognitiv – durch die emotionale und sinnliche Gebundenheit (Kühne 2013c, 107). Angesichts der ästhetischen Konstruktion soll an dieser Stelle die Frage von Peres aufgegriffen werden, ob auch „Naturphänomene […] ein gemeinsamer, interdisziplinär zu diskutierender Gegenstand der philosophischen Ästhetik und anderer Disziplinen sein können“ (Peres 2013, 46). Als Beispiel führt sie zwei unterschiedliche fachliche Perspektiven auf dasselbe Naturphänomen aus: einem Sonnenuntergang. Während der Ästhetiktheoretiker den Untergang der Sonne und damit die Erfahrung der Schönheit des Vergehens anspricht, bezieht sich der Astrophysiker auf die Umlaufbahn der Erde um die Sonne und impliziert somit, dass sich die Sonne nicht bewegt. Diese beiden Aussagen widersprechen sich.

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Der Ästhetiktheoretiker spricht vom Untergang der Sonne, sagt ihr also Bewegung zu – der Astrophysiker betont, dass sich nur die Erde bewegt. Jedoch stellt Peres fest, dass beide Aussagen innerhalb ihres theoretischen Bezugsrahmens „innerhalb der Terminologie ihres Zeichensystems korrekt sind“ (Peres 2013, 46). Die betrachtenden Perspektiven sind demnach immer an die jeweiligen Zeichensysteme gebunden. Verschiedene Personen bzw. Personen aus unterschiedlichen Disziplinen konstruieren jeweils ihre individuelle bzw. fachgebundene Wirklichkeit, was nicht bedeutet, dass die beiden Personen nicht über dasselbe Phänomen berichten. Gegenstände oder Phänomene können, müssen aber nicht zu ästhetischen Erfahrungen werden (Peres 2013, 47), wie hier gezeigt wurde. Auch diese Konstruktion ist individuell. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass bei unterschiedlichen Disziplinen bzw. auch einfach nur bei zwei unterschiedlichen Personen unterschiedliche Konstruktionen entstehen können. Deswegen ist es – vor allem im fachlichen Bezug – von Bedeutung, zunächst die „ontologische und semantische Metafrage zu klären, ob man überhaupt über denselben Gegenstand nachdenkt“ (Peres 2013, 47). Die vorliegende Arbeit verfolgt einen interdisziplinären Ansatz, auch die Ästhetik betreffend. Der Begriff der Ästhetik wird aus dem Blickwinkel der philosophischen Perspektive bestimmt und wird dann in eine geographisch-soziologische Perspektive übertragen (siehe auch Illing 2006). Das kann laut Peres in doppelter Hinsicht von Vorteil sein: Zum einen klärt die Philosophie die Metaebene der ästhetischen Semantik. Das bedeutet, sie „verankert […] die zentralen Begriffe der Sprache, in der über die gemeinsamen Themen nachgedacht wird in zugrundeliegenden ontologischen und semantischen Theorien“ (Peres 2013, 65). Zum anderen können die philosophischen Begrifflichkeiten sowie die allgemeinen philosophischen Theorien, die Methoden und auch die Analyseverfahren auf bestimmte Phänomene übertragen werden, um zu überprüfen, „ob und wie solche allgemeinen Ansätze fruchtbar für die Dinge selbst gemacht werden können“ (Peres 2013, 66, Hervorh. i. O.). Nach diesen begrifflichen und inhaltlichen Ausführungen sowie der Darstellung der inter-/disziplinären Zusammenhänge können nun weitere Ausführungen im Rahmen der ästhetischen Konstruktion von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen in der Postmoderne behandelt werden. Zunächst soll dargestellt werden, wie sich als Landschaften bezeichnete physische Räume und ländlich bezeichnete physische Räume unter dem postmodernen Wandel entwickeln.

3 Theoretische Grundlagen der Zugänge zu Ästhetik, Werten, Akzeptanz und visueller Kommunikation von Landschaftskonstrukten in der Postmoderne

In diesem Kapitel sollen nun die theoretischen Zugänge dargestellt werden. Diese Zugänge verstehen sich vor allem aus den Wechselwirkungen der grundlegenden Themenkomplexen der Postmoderne, des Landschaftsbegriffes, der konstruktivistischen Perspektive und der Ästhetik (Kapitel 3.1, 3.2 und 3.3). Darüber hinaus spielen aber auch weitere Bestandteile eine Rolle, wie etwa die Werte- und Ethikdiskussion (Kapitel 3.4), die Darlegung der Entstehungsprozesse von Akzeptanz (Kapitel 3.5) sowie auch eine Auseinandersetzung mit dem Medium Internet (Kapitel 3.6), das als Landschaft bezeichnete physische Räume als Werbe- und Kommunikationsgegenstand aufgreift (Kapitel 3.7). Das Kapitel schließt mit einer Auseinandersetzung mit Bildern als sozialwissenschaftlichen Daten (Kapitel 3.8). 3.1 Postmoderne Entwicklungen von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen Im Fazit seiner Arbeit Landschaft in der Postmoderne kommt Kühne zu dem Schluss, dass „zwischen physischem Raum und Gesellschaft […] ein intensives Rückkopplungsverhältnis [besteht]“ (2006b, 269). Das bedeutet, dass sich eine Veränderung bzw. Weiterentwicklung der Gesellschaft zum einen auch auf den physischen Raum, zum anderen aber auch auf die Wahrnehmung von Raum auswirkt (Kühne 2006b, 269). Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann stellt in diesem Zusammenhang fest, „dass die Umwelt immer mitwirkt und ohne sie nichts, absolut gar nichts geschehen kann“ (1998, 96).10 Aus diesem Grund kann der

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Mit Umwelt wird die „gesamte Welt“ (als soziale Konstruktion) bezeichnet, so Luhmann/ Baecker (1987, 164).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. I. Linke, Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte, RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25873-3_3

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gesellschaftliche Wandel nicht außer Acht gelassen werden, wenn von Landschaften oder Raumentwicklungen gesprochen wird. In diesem Kapitel sollen daher die Zusammenhänge der gesellschaftlichen Postmodernisierung mit der Entwicklung von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen genauer betrachtet werden. 3.1.1 Der Weg zu postfossilen Landschaften Als Landschaft bezeichnete physische Räume unterstehen seit jeher großen Veränderungen. Beginn einer ausgeprägten Einflussnahme des Menschen auf die als Landschaften bezeichneten physischen Räume waren die Jäger- und Sammlergesellschaften, die bis vor etwa 12.000 Jahren große Flächen für die Jagd in Brand setzten (Sieferle 1997, 28ff.). Dann begannen die Menschen, sesshaft zu werden und Landwirtschaft zu betreiben, indem sie größere Flächen bewirtschafteten. Diese sogenannten Agri-Kulturlandschaften waren durch eine deutlich intensivere Flächennutzung gekennzeichnet (Sieferle 1997, 98ff.). Im darauffolgenden sogenannten Hölzernen Zeitalter11 wurden dann auch Wind- und Wasserkraftanlagen errichtet, die eine weitere Veränderung der Räume mit sich brachten (Kühne 2013d, 83). Eine viel weitreichendere Veränderung trat jedoch erst mit der Industrialisierung ein, die Sieferle als Transformationszeitalter beschreibt. Dieses Zeitalter steht für den Rohstoffabbau und die Verwendung von nicht erneuerbaren Ressourcen. Hier spricht Sieferle von der totalen Landschaft (Sieferle 1997, 205ff.). Die fossilen Ressourcen sind zwar zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gänzlich verbraucht, allerdings ist in den letzten Jahrzehnten das Bewusstsein entstanden, dass diese Ressourcen durchaus endlich und in absehbarer Zeit aufgebraucht sind. Dieses Bewusstsein hat dazu geführt, dass sich die als Landschaften bezeichneten physischen Räume derzeit wieder in einem Wandel befinden: weg von totalen Landschaften und hin zu Landschaften der erneuerbaren Energien. Diese ressourcenschonenden Energien gewinnen stark an Bedeutung und verändern durch ihren großen Flächenverbrauch die als Landschaft bezeichneten physischen Räume. Prominski (2013, 21) spricht hier von der „postfossile[n] Landschaften“, also den sogenannten Energielandschaften, wie wir sie heute bereits kennen. Der Begriff Energielandschaften beschreibt

11

Zeitalter zwischen Mittelalter und Industriezeitalter, vgl. Kühne (2013d); Radkau/Schäfer (1987).

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spezielle Räume, und zwar die physisch-materiellen Auswirkungen der Energiewende auf die als Landschaft bezeichneten physischen Räume (Gailing 2013a, 208). Wird demnach in dieser Arbeit von als Landschaften und als Energielandschaften bezeichneten physischen Räumen gesprochen, wird auf ein erweitertes Landschaftsverständnis Bezug genommen. Ferner ist der Landschaftsbegriff hier nicht nur als ein wissenschaftlicher gesehen, sondern auch als eine alltagsweltliche Konstruktion, da er laut Schütz im „Sozialfeld von den Handelnden gebildet [wird]“ (Schütz 1972, 7). Das beschreibt keinen Widerspruch, da Alltag und Wissenschaft eng miteinander verbunden sind (vgl. Lehr 2002; Lippuner 2005; Micheel 2012). Der Fokus der später folgenden Internetsuche liegt auf dem Begriffen, die in der Alltagssprache ganz selbstverständlich gebraucht werden (vgl. Linke 2018). Sie stellen eine „selbstverständliche Wirklichkeit“ her und werden „im täglichen Umgang ständig und in der Regel nicht hinterfragt verwendet“ (Micheel 2012, 110; hierzu auch Weber 2015a; 2016). 3.1.2 Postmodernisierung von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen als Forschungslücke Obwohl als Landschaften und als ländlich bezeichnete physische Räume häufig als eben diese „selbstverständliche Wirklichkeit“ verstanden werden, sind sie sehr vielseitig und heterogen. Neben verschiedenen physischen Objekten, die diesen Räumen zugeordnet werden, unterscheidet sich auch die zugeschriebene Bedeutung, der zugeschriebene Wert. Diese Werte und Bedeutungen unterliegen, wie bereits ausgeführt, einem großen postmodernen Wandel, der sich in verschiedenen Bereichen äußert (Linke 2017c). Theoretische Überlegungen zur Postmoderne werden bereits seit Jahrzehnten von verschiedenen Disziplinen angestellt (siehe Kapitel 2.1). Weniger Beachtung finden jedoch die dadurch entstehenden räumlichen Auswirkungen. Eine Ausnahme stellen die Untersuchungen der Los Angeles School dar. Deren Vertreterinnen und Vertreter haben die Postmodernisierung einer verdichteten Agglomeration am Beispiel von Los Angeles beobachtet (vgl. Dear 1998; Dear/Flusty 1998; 2002a; 2002b; 2002c; Scott 1988; Keil 1993; 1998; Soja 1989; 1996). Die Studien zu Los Angeles, das als „Prototyp einer postmodernen Megastadt“ (Kühne 2012, 14) gilt, zeigen Ergebnisse auf, die auch auf den europäischen Raum übertragen werden können. Seitdem gibt es in Deutschland einige wenige Autorinnen und Autoren, die sich mit den räumlichen Auswirkungen der Postmodernisierung beschäftigen, genannt seien hier Basten (2005), Kühne (2006b; 2012) und Wood (2003). Alle beschäftigen

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sich mit verdichteten Agglomerationen und verdichteten Randgebieten, Kühne auch mit dem Thema Landschaft und dem Thema der als ländlich bezeichneten physischen Räume außerhalb von verdichteten Räumen oder Metropolregionen. Die Aufmerksamkeit für postmoderne Prozesse in der Raumplanung sowie räumliche Auswirkungen von postmodernen Prozessen gilt auch weiterhin den verdichteten Räumen. Das mag u. a. daran liegen, dass auch die Sozialforschung in ländlich bezeichneten physischen Räumen große Lücken aufweist. Laschewski und Neu stellen in diesem Zusammenhang fest, dass die Sozialforschung ländlich bezeichneter physischer Räume weder in der Geographie noch in der Ökonomie wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt. Berücksichtigung findet sie hauptsächlich in der Agrarwissenschaft (Laschewski/Neu 2004, 3). Obwohl die Grenzen zwischen ländlich bezeichneten physischen Räumen, dem sogenannten Land, und den städtisch bezeichneten physischen Räumen, der sogenannten Stadt, im Zuge der Postmodernisierung immer mehr verschwimmen, gibt es derzeit noch Unterschiede in den verschiedenen Lebensbereichen zwischen stark und schwach verdichteten Räumen. Die räumlichen und gesellschaftlichen Strukturen weisen „trotz einer allmählichen Nivellierung“ (Franzen et al. 2008, 9) Unterschiede auf, wie beispielsweise subjektive Schichteinstufungen, Bildungsabschlüsse, Haushaltsgrößen und –formen. Zudem sind die Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten in ländlich bezeichneten physischen Räumen begrenzt, bedingt durch die geringere Bevölkerungsdichte. Auch funktional unterscheiden sich unterschiedlich verdichtete Räume, u. a. hinsichtlich Bodennutzung, Erholungswert, Ressourcenbereitstellung sowie Schutzfunktion für die Natur (Franzen et al. 2008, 9). Diese durchaus noch bestehenden Abweichungen verweisen auf den Bedarf, postmoderne Prozesse auch in schwach verdichteten Räumen, also ländlich bezeichneten physischen Räumen und in als Landschaft bezeichneten physischen Räumen, zu untersuchen. Denn trotz der Unterschiede können postmoderne Prozesse auch in ländlich bezeichneten physischen Räumen und Gesellschaften festgestellt werden. „Wie in städtischen Kontexten führen Individualisierungstendenzen zu einer Pluralisierung von Lebensstilen und Lebensformen in den Dörfern und eine Angleichung der sozialen Wandlungsprozesse“ (Franzen et al. 2008, 11). Bezogen auf als Dorf bezeichnete Siedlungen stellt auch Hainz ähnliche Prozesse fest: „Jedes Dorf setzt sich aus einer sozialstrukturell hoch differenzierten Einwohnerschaft zusammen. Die Auffächerung (zum Beispiel nach Bildungsgrad, Wirtschaftsbereich, Stellung im Beruf und wirtschaftliche Lage […]) macht das überkommende Bild homogener

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Dorfgesellschaften obsolet“ (Hainz 1999, 264, Hervorh. i. O.). Der postmoderne Wertewandel beeinflusst demnach auch schwach verdichtete Räume – räumlich und gesellschaftlich. Eine Eindeutigkeit der sogenannten ländlichen Räume – sollte es sie je gegeben haben – ist somit obsolet, ebenso wie die Moderne und ihr Ziel der Eindeutigkeit. Die Vielzahl der als ländlich bezeichneten physischen Räume sowie die Auflösung der Dichotomie von Stadt und Land (vgl. Franzen et al. 2008; Kühne 2013d; 2016; Kühne et al. 2017b; Laschewski/Neu 2004) erfordern eine Loslösung der Raumkategorie ländlicher Raum. Diese Postmodernisierung von als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räumen bedarf aus wissenschaftlicher Perspektive mehr Aufmerksamkeit, denn auch schwach verdichtete Räume werden zu Mischwesen, zu Hybriden (Kühne 2012; Latour 1998), die Zuschreibungen von verschiedenen Raumkategorien beinhalten können.12 Diese Entwicklungen werden im folgenden Kapitel genauer dargestellt. 3.1.3 Postmodernisierung von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen in den einzelnen Lebensbereichen Im Kapitel 2.1 wurden bereits allgemeine Postmodernisierungstendenzen in den einzelnen Lebensbereichen Ökonomie, Politik, Kultur und Gesellschaft dargestellt. In diesem Kapitel liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung von als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räumen – also schwach verdichteten Räumen. Da es, wie bereits erwähnt (Kapitel 3.1.2), noch gewisse Unterschiede zwischen stark und schwach verdichteten Räumen gibt, ist es an dieser Stelle notwendig, auf die Postmodernisierungstendenzen in den einzelnen Lebensbereichen explizit von schwach verdichteten Räumen einzugehen. Im ökonomischen Bereich ist, wie bereits in Kapitel 2.1 angesprochen, eine deutliche Verschiebung der Wirtschaftssektoren festzustellen. Der primäre und der sekundäre Sektor verlieren an wirtschaftlichem Einfluss, während der tertiäre Sektor – ebenso wie in verdichteten Räumen – an Bedeutsamkeit gewinnt. Aus diesem Grund verändern sich auch in als ländlich bezeichneten physischen Räumen die Beschäftigungsverhältnisse, mit weitreichenden Folgen bzw. großen

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Ein Beispiel für die Hybridität von Räumen findet sich in der Architektur: „Physischer Ausdruck der Hybridisierung von Stadt und Land ist die an ländlichen Stereotypen orientierte Architektur im urbanen Umfeld, aber auch das Eindringen städtisch-funktionaler Architektur in ländlicher geprägte Gebiete“ (Kühne 2012, 167).

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Herausforderung vor allem für die Bevölkerung von ländlich bezeichneten physischen Räumen. Trotz einer geringeren Wahlmöglichkeit der Beschäftigung im Vergleich zu städtisch bezeichneten Räumen und einer begrenzten Flexibilität durch Besitz eines Einfamilienhauses (vgl. Bourdieu 1998) sind auch hier Tendenzen der „fragmentierten Erwerbsbiographien“ (Kühne 2013d, 101) und der „flexibel-plurale[n] Unterbeschäftigung“ (Beck 1986, 22) zu beobachten (Linke 2014, 114). Darüber hinaus ist auch in als ländlich bezeichneten physischen Räumen eine verstärkte Konsumorientierung festzustellen. Das zeigt sich u. a. im Bereich des Einzelhandels. Waren diese noch vor wenigen Jahrzehnten im jeweiligen Agglomerationszentrum angesiedelt, ist nun die Tendenz erkennbar, dass der Einzelhandel an den Rand der Agglomeration umzieht und sich deutlich in seiner Fläche vergrößert (siehe Abbildung 1). Der Grund ist die Ausweitung des Sortiments, um den Bedürfnissen der konsumorientierten Käuferinnen und Käufer gerecht zu werden. Dafür nehmen diese auch längere Wegstrecken in Kauf (Linke 2014, 114f.).

Abbildung 1:

Supermarkt außerhalb des Ortsschildes einer schwach verdichteten Agglomeration (eigene Aufnahme 2013)

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Im politischen Bereich ist auch in ländlich bezeichneten physischen Räumen eine steigende Anzahl von Bürgerbeteiligungsprozessen, aber auch von Protestaktionen festzustellen. Vor allem in Bezug auf Projekte zur Implementierung von Windkraft- oder Photovoltaikanalgen nutzt die Bevölkerung häufig ihr Recht auf Meinungsäußerung. In den genannten Fällen äußert die Bevölkerung häufig eine ablehnende Haltung (vgl. u. a. Bernhardt 2013; Kühne/Weber 2016; Leibenath/ Otto 2014). Das hat u. a. den Grund, dass Eigentümerinnen und Eigentümer durch die Nähe von Windkraftanlagen einen Wertverlust des Hauses und des Grundstückes befürchten (Linke 2014, 114). Zudem fühlen sich die Gegnerinnen und Gegner von diesen Projekten ihrer „„romantische[n] Projektionsfläche“ beraubt (Borries/Kasten 2013, 30); der als Landschaft bezeichnete physische Raum als „Zukunftsraum“ (Borries/Kasten 2013, 30) wird abgelehnt. Im Allgemeinen spielen hier also finanzielle und ästhetische Gründe eine Rolle für die ablehnende Haltung. Die Argumente der Befürwortenden haben meist einen anderen Hintergrund: sie sorgen sich im Zusammenhang mit der Atomkraft um ihre individuelle Sicherheit und Gesundheit oder sie sind sich der Endlichkeit der fossilen Ressourcen bewusst und sorgen sich um das Wohlergehen der kommenden Generationen (vgl. Agentur für Erneuerbare Energien 2015). Wie auch in verdichteten Räumen verändern sich die Zuständigkeiten der kommunalen Politik. Das Bereitstellen von Dienstleistungen durch öffentliche Einrichtungen (Wood 2003, 69) und das „Management zur Umverteilung von Ressourcen zu sozialen Zwecken“ (Wood 2003, 69) verlieren auch in ländlich bezeichneten physischen Räumen ihren wichtigen Rang. Auch als ländlich bezeichnete Kommunen handeln mehr und mehr unternehmerisch und werben aus finanziellen Gründen z. B. mit günstigem, neu ausgewiesenem Bauland für Einfamilienhausgebiete13 (siehe Abbildung 2), um Kapital und Investitionen zu gewinnen. Das wird insofern von einigen Fachleuten aus Forschung und Praxis14 kritisiert, da sich die Kommunen aus ökologischer Perspektive dem Flächensparen bzw. dem ressourcenschonenden Umgang mit Boden verschreiben sollten (Linke 2014, 115). Darüber hinaus sind häufig leerstehende Wohngebäude und Baulücken innerhalb der besiedelten Agglomerationen zu finden, die im Zuge 13 14

Einfamilienhäuser zielen auf Paare mit Kindern ab – was aber in der pluralen Postmoderne auch in ländlich bezeichneten physischen Räumen nicht mehr lange die hauptsächlich vorherrschende Familienform sein wird. Z. B. das Bündnis zum Flächensparen, gefördert vom Bayerischen Umweltministerium und der Obersten Baubehörde im Bayerischen Innenministerium.

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der Innenentwicklung vor einer Neuausweisung angeboten werden sollten (vgl. Bayerisches Landesamt für Umwelt 2017).

Abbildung 2:

Eine Kommune wirbt für billiges Bauland (eigene Aufnahme 2018)

Die Ausweisung von neuen Baugebieten ist auch häufig nicht Teil eines gesamten Ortsentwicklungsplanes, da dieser nicht verpflichtend zu erstellen ist, sondern folgen häufig mehrere Jahrzehnte alten Flächennutzungsplänen, die entstanden sind, als z. T. noch andere demographische Voraussetzungen herrschten. Daraus folgt, dass auch in als ländlich bezeichneten Agglomerationen die postmoderne Fragmentierung der räumlichen Planung festzustellen ist (Linke 2014, 115). Im Zusammenhang mit der Planung seien hier auch die Architektur und die Landschaftsarchitektur in als ländlich bezeichneten physischen Räumen angesprochen. In der Moderne wurde abgelehnt, was Zeuge der Vergangenheit war. Alte Bausubstanz wurde als rückständig bzw. unmodern bezeichnet und kaum wertgeschätzt. Die aktuelle postmoderne Entwicklung zeigt nun das Gegenteil: Das Historische15 erfährt eine positive Zuschreibung (Kühne 2013d, 101). Zum Teil werden historische Merkmale einer Region regelrecht inszeniert, um sie öffentlichkeitswirksam darzustellen (Kühne 2013d, 104f.). Jedoch zeigt diese In-

15

Elemente aus der Vormoderne bzw. aus der Anfängen der Moderne; vgl. Kühne (2013d, 105).

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szenierung häufig nur eine historische Hülle mit einer neuen Nutzung. Ein Beispiel hierfür sind ehemalige Bauernhöfe, die nun als reine Wohnhäuser fungieren. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Häuser pendeln dann häufig täglich zur Arbeitsstätte (siehe Abbildung 3). In diesem Zusammenhang spricht Kühne von einer „postmodernen Inszenierung von Ländlichkeit“ (2013d, 105).

Abbildung 3:

Ehemaliger Bauernhof – heute reines Wohngebäude (eigene Aufnahme 2013)

Auch in der Kultur16 und in der Gesellschaft der als ländlich bezeichneter physischer Räume kann diese Wiederentdeckung des Historischen festgestellt werden. Traditionelle Werte erhalten wieder einen neuen Stellenwert, jedoch muss hier die Deutung dieser Werte jeweils individuell vorgenommen werden und kann sich von der ursprünglichen Funktion gelöst haben (Linke 2014, 116). Kühne

16

In dieser Arbeit steht Kultur allgemein für „die Lebensweisen eines Kollektivs“, siehe Antweiler (2017, 899). Durch die Postmodernisierung setzt sich das Verständnis durch, „dass Kultur im Sinn von Bedeutung und Wissen konstitutiv für gesellschaftliches Leben ist statt nur eine Dimension unter anderen zu sein. Damit stehen Sprache und andere Formen der Repräsentation im Mittelpunkt der Betrachtung“, so Antweiler (2017, 904).

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stellt in diesem Zusammenhang fest, dass neben einer „inszenierten (da funktionslos gewordenen) Rückbesinnung auf (vermeintliche) örtliche Traditionen“ (2007, 143) auch die Inszenierung der „ländlichen landschaftlichen (im weiteren Sinne, also auch architektonischen) Formensprache“ (2007, 143) einhergeht. Darüber hinaus entwickeln sich auch die Gesellschaften dieser als ländlich bezeichneter physischer Räume zu Dienstleistungs- und Wissensgesellschaften (Kühne 2013d, 76). Eine andere Zuschreibung der postmodernen Gesellschaft ist die ausgeprägte Freizeit- und Erholungsorientierung (vgl. Schulze 1993). Dadurch steigt beispielsweise auch der kulturelle Wert der als Landschaften und der als ländlich bezeichneten physischen Räumen derzeit deutlich an (vgl. Kühne 2006a). Diese neuen Werte, die in Kapitel 3.4 noch einmal genauer behandelt werden, wirken sich auch auf die Entwicklung von als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räumen aus. Bätzing (2006) spricht in diesem Zusammenhang von einer Erlebnisgesellschaft, die versucht, sich diese Räume anzueignen und nach ihren Vorstellungen zu bewahren bzw. zu schützen. Hier stellt sich jedoch die Frage: „Wie aber soll man etwas schützen, von dem man nicht genau weiß, was es ist?“ (Burckhardt 2008, 84). Denn als Landschaft bezeichnete physische Räume unterliegen seit jeher Wandlungsprozessen und es ist daher nicht festzustellen, wann genau ein schützenswerter Zustand erreicht ist (Burckhardt 2008, 85). Aus konstruktivistischer Perspektive kann dieser Zustand auch aus dem Grund nicht hergestellt werden, da als Landschaft bezeichnete physische Räume individuelle Raumkonstruktionen sind und diese nicht allgemeingültig bewertet werden können. Einig sind sich jedoch viele Forschende darin, dass den als Landschaften und den als ländlich bezeichneten physischen Räumen aus ökonomischer Sicht häufig wenig Wertschätzung zugeteilt wird (vgl. u. a. Bätzing 2006; Franzen et al. 2008; Leber/Kunzmann 2006). Ferner wird von vielen Seiten vermutet, dass die wirtschaftliche Wertlosigkeit17 weiter ansteigen wird (vgl. u. a. Bätzing 2006; Henkel 1999; Kühne 2006b). „Der ländliche Raum verliert seinen eigenständig-dezentralen Charakter und wird strukturschwach“, so Bätzing

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Die Zuschreibung „strukturschwache Räume“ ist angesichts der negativen Konnotation kritisch zu betrachten, da er stigmatisierend wirkt vgl. Henkel (1996); (1999). Positive oder negative Zuschreibungen sind soziale Konstruktion der Gesellschaft und keine Eigenschaften. In diesem Zusammenhang diskutierte Bätzing, dass ländlich bezeichnete physische Räume seit dem Jahre 2002 erneut Entwertungen erfahren haben: „Allerdings nicht in dem Sinne, dass sich im Jahr 2002 plötzlich die Realität kurzfristig geändert hätte, sondern die deutsche Realität wurde jetzt nur anders wahrgenommen und bewertet“ (Bätzing 2006, 15).

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(1997, 44). Auch wenn diese Aussage eine essentialistische Perspektive vermuten lässt, wird hier die zugeschriebene Strukturschwäche deutlich. Neben der sinkenden Wirtschaftskraft des primären Sektors, die bereits angesprochen wurde, tragen sowohl der demographische Wandel als auch „leere öffentliche Kassen sowie eine stärkere Konzentration der Fördermittel auf Metropolregionen“ (Bätzing 2006, 16) zu dieser Entwicklung bei. Durch die geringe Bevölkerung in diesen Räumen stellt sich auch häufig die Frage, „ob der Staat hier noch teure Infrastruktur für vergleichsweise wenige Menschen bezahlen könne oder solle“ (Bätzing 2006, 16). Auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft befürchtet diesen Wertverlust. Im Jahre 2014 wollte das Ministerium mit einer Werbekampagne den Ruf der als ländlich bezeichneten physischen Räume verbessern und die Aufmerksamkeit auf diese Räume lenken. Auf großflächigen Plakaten waren folgende Sprüche zu lesen: „Ohne Land wärs [sic!] ganz schön eng. Ländliche Regionen: unsere Quelle für Lebensmittel, Energie und Erholung“. Auf den Plakaten war ebenfalls in kleinerer Schrift zu lesen, dass ca. 90 % der Fläche von Deutschland sogenannter ländlicher Raum ist. 90 % der Fläche von Deutschland als einen Raum zu betiteln ist aus konstruktivistischer Perspektive abzulehnen (vgl. Linke 2017c). Aber nicht nur aus konstruktivistischer Perspektive sind Räume nicht zu verallgemeinern: „Struktur- und einwohnerschwache Gebiete in Ostdeutschland sind zum Beispiel kaum zu vergleichen mit ländlichen Regionen im Speckgürtel von Großstädten. Im Osten Deutschlands ist der demographische Wandel schon jetzt spürbar, eine Entwicklung, die in vielen Teilen Westdeutschlands noch bevorsteht“, so Mortler (2013, 31). Die Ländlichkeit dieser Räume ist aus diesem Grund nur eine Zuschreibung der Gesellschaft. Diese Räume sind immer auch Hybride und können auch, mehr oder weniger stark ausgeprägt, durchaus auch als städtisch bezeichnete Elemente beinhalten (Kühne 2012). Auch umgekehrt lassen sich als ländlich bezeichnete Elemente in als städtisch bezeichneten physischen Räumen feststellen, daher wird derzeit von der Auflösung der Dichotomie zwischen Stadt und Land gesprochen (vgl. u. a. Franzen et al. 2008). Die Grenzen bzw. Ränder zwischen den damals noch verschiedenen Raumkategorien verschwimmen und sind häufig nur noch schwach ausgeprägt. Angesichts dieser Entwicklungen spricht Bätzing von der Auflösung des sogenannten ländlichen Raumes, und „neben dem Land löst sich auch die Stadt […] auf, und übrig bleibt eine monofunktional segmentierte Suburbanisationslandschaft“ (1997, 43). Trotzdem gibt es weiterhin Unterschiede in schwach

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verdichteten Räume, wie in Kapitel 3.1.2 bereits dargestellt wurde. Diese Unterschiede führen aus ökonomischer Perspektive zu einer geringen Wertschätzung der schwach verdichteten Räume. Auch in der sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung werden die Schwerpunkte meist auf die Kerngebiete der als städtisch bezeichneten, also stark verdichteten physischen Räume und Metropolregionen gerichtet (vgl. Leber/Kunzmann 2006). Hier ist häufig von Urbanisierung und/oder Verstädterung die Rede (vgl. Brake/Herfert 2012; Häussermann/Siebel 2004). Alle diese Prozesse führen zu einem als negativ angesehenen Strukturwandel in den als ländlich bezeichneten physischen Räumen (vgl. Henkel 1999; Schermer 2010). Die schwach verdichteten Räume – als Landschaften oder als ländliche Räume synthetisierte Objekt- und Symbolanordnungen – haben jedoch auch ökonomisch in Zukunft eine wichtige Bedeutung, u. a. im Zusammenhang mit der Fokussierung der Energiewende. Ebenso ist davon auszugehen, dass auch die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung im Zuge der weiteren Postmodernisierung weiterhin steigen wird und den als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räumen Aufmerksamkeit zukommen lässt, denn häufig werden diese Räume als „romantische Projektionsfläche“ (Borries/Kasten 2013, 30) konstruiert. Die Folge der Konstruktion von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen als romantische Projektionsfläche ist, dass bestimmte als Landschaften und als ländlich bezeichnete physische Räume in ihrem physischen Zustand bewahrt oder sogar regelrecht inszeniert werden (Linke 2017c, 286). In diesem Zusammenhang ist häufig von „intakten Landschaften“ (Burckhardt 2008, 85) die Rede – „als intakt empfinden wir eine Landschaft dann, wenn wir zu unserem hellen Entzücken noch Wiesenblumen im Gras sehen, Kornblumen und Klatschmohn im Getreide und wenn ein armes Bäuerchen noch ein Ross vor seinen Mistwagen gespannt hat“ (Burckhardt 2008, 86). Die negative Besetzung der Weiterentwicklung eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes ist laut Borries und Kasten darauf zurückzuführen, dass der Zukunftsraum Landschaft in der allgemeinen Vorstellung der Gesellschaft oft nicht positiv besetzt ist (2013, 30). Wie dieser Zukunftsraum, also die weitere Entwicklung von Räumen in der Postmoderne aussehen kann, soll nun das folgende Kapitel aufzeigen. 3.1.4 Raumentwicklung in der Postmoderne Drei spezielle Räume und ihre Entwicklungen sollen nachfolgend genauer dargestellt werden: Die Siedlungsentwicklung in schwach verdichteten Räumen, die

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Entwicklungen in der Landwirtschaft und die Veränderungen der als Landschaft bezeichneten physischen Räume durch die Energiewende. Dabei sollen nicht nur aktuelle und mögliche zukünftige Entwicklungen aufgezeigt werden, sondern auch die potentiellen Chancen. Bevor jedoch die Raumentwicklung in der Postmoderne behandelt werden kann, muss zunächst der Begriff des Raumes im Zusammenhang dieses Artikels geklärt werden. 3.1.4.1 Begriffliche und inhaltliche Annäherung zu Räumen Der Raumbegriff hat einen starken lebensweltlichen Bezug, wie seine etymologische Herkunft verdeutlicht: Raum bedeutet hier eine Lichtung, die der Nutzbarmachung bzw. der Kultivierung von Wildnis dient (Kühne 2013d, 25). Bis heute wurde verschiedene Raumverständnisse entwickelt, die zum Teil sehr unterschiedliche Auffassungen von Räumen und ihren Bedeutungen haben. Ein häufig in den Planungswissenschaften verwendetes Raumverständnis ist das positivistische Konzept des Behälterraumes bzw. das Konzept der räumlichen Abgrenzung (Kühne/Weber 2017, 16f.). Diese Konzepte beschreiben Raum als eine von Körpern unabhängige Realität, er wird dadurch zu einem Bestandteil der physisch-materiellen Welt (Kühne 2013d, 25): Raum ist hier „eine Art Behältnis, in das man etwas hineintun kann und [das] mit Objekten ausgestattet (möbliert) ist“ (Egner 2010, 98). Löw versteht dieses raumordnende Prinzip zwar als nur einen Aspekt in der Konstitution von Raum, allerdings hält sie es für eine „kulturell notwendige Leistung, um Gegenstände, sich selbst oder andere Menschen in ein Raster einordnen zu können“ (Löw 2011, 63). Auch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung ordnet Räume in abgrenzbare Kategorien, um sie für die Raumordnungspolitik des Bundes und der Länder zu analysieren. Die Erkenntnisse zeigen Herausforderungen auf, die wiederum in den Landes- und Regionalplanungen aufgegriffen werden. Aus konstruktivistischer Perspektive ist Landschaft als Behälterraum jedoch nicht haltbar. Landschaft ist „nicht einfach vorhanden. Zentral dafür ist die Ausgangsüberlegung, dass Realität sozial hergestellt wird und nicht einfach eindeutig objektiv besteht“ (Kühne/Weber 2017, 17, Hervorh. i. O.). Regionalplanung, -entwicklung und –management setzen jedoch eine Abgrenzung der Räume bzw. Grenzen voraus. Grenzen sind eindeutige Abgrenzungen, die unterschiedliche Einheiten voneinander trennen (Ipsen 2006, 116). Auch das postmoderne Ideensystem versteht Räume nicht als eindeutig abgrenzbar. Grenzen verschwimmen, gehen ineinander über, werden

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zu Rändern oder Übergangsräumen. Der Begriff Rand sei laut Ipsen in diesem Zusammenhang geeigneter als eine Grenze. Denn während eine Grenze eine klar definierte Linie ist, ist ein Rand eher ein breites Band (2006, 116). Durch die Postmodernisierung werden diese Bänder (als Übergangsräume) immer breiter und unbestimmter. Regionen sind keine absoluten physisch abgrenzbaren Räume, sondern ebenfalls Konstruktionen (vgl. Chilla et al. 2016). Um eine Grenze oder einen Rand ziehen zu können, ist es von Bedeutung, aus welcher Perspektive mit welchem Interesse bzw. mit welchem Hintergrund Räume betrachtet werden (Linke 2014, 117). Ipsen unterscheidet hier zwei Lager: Das eine Lager ist die Verwaltung, die Abgrenzung aufgrund der Funktion bemisst. Das andere Lager stellen die „Besucher und stellvertretend für die die Architekten“ (Ipsen 2006, 154) dar. Diese grenzen Raum aufgrund der ästhetischen Wahrnehmung ab. Räume sind demnach immer unterschiedlich konnotiert, je nachdem, welche Zuschreibungen von unterschiedlichen Personengruppen in einem Raum gesehen werden. Diese hybriden Räume sind also nicht eindeutig zuzuordnen, sondern lassen sich nur durch bestimmte Zuschreibungen aus bestimmten Perspektiven individuell einteilen. Wird demnach von Raumentwicklung gesprochen, muss auch das der Einteilung zugrundeliegende Interesse bzw. die Absicht der Betrachtung genannt werden (vgl. Linke 2014, 118). Denn neben den bereits genannten Verwaltungen und den Besuchenden gibt es auch andere Interessengruppen, die durch bestimmte Absichten geleitet versuchen, Räume einzuteilen bzw. abzugrenzen. Hier sind beispielsweise Naturschutzbewegungen anzuführen, die an einer ressourcenschonenden Entwicklung interessiert sind und daher Räume nach verschiedenen Schutzbedürfnissen einteilen. Auch Vertreterinnen und Vertreter ökonomischer Belange haben eigene Absichten: Sie grenzen Räume hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit ab. Diese teils konkurrierenden Ansprüche und Bedürfnisse scheinen nur schwer miteinander vereinbar zu sein (Linke 2014, 118). 3.1.4.2 Die Entwicklung von Siedlungen bzw. von schwach verdichteten Agglomerationen in der Postmoderne Die erste Raumentwicklung, die im Zusammenhang von als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räumen angesprochen werden soll, ist die Veränderung von schwach verdichteten Agglomerationen. „Das zentrale Charakteristikum des ländlichen Raumes – die räumliche Identität von Wohnen, Arbeiten, Freizeit usw. im Gegensatz zur funktionsräumlichen Ausdifferenzierung

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in der Stadt – ist heute meist verschwunden“ (Bätzing 2006, 34). Daher schreibt Bätzing als ländlich bezeichneten physischen Räumen „einen Strukturwandel hin zum suburbanen Raum, also seine Verstädterung und damit den Verlust seines ländlichen Charakters“ (2006, 33) zu. Im Betrachtungsgebiet Niederbayern ist festzustellen, dass es trotz nicht stark ansteigender Bevölkerungszahlen zu anhaltenden Erweiterungen der Wohngebiete kommt. Die Gebäudeflächen (inklusive der dazugehörigen Freiflächen) der gesamten Fläche in Niederbayern sind von 30.559 m² (1980) auf 57.914 m² (2012) angestiegen (Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2014, 12). Wie bereits erwähnt liegt es nicht an der wachsenden Bevölkerung, denn diese steigt entweder nur schwach an, stagniert oder schrumpft sogar in manchen Regionen (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2014). Es sinkt sogar die Anzahl der Personen, die in einem Haushalt leben (Statistisches Bundesamt 2014). Trotzdem nimmt der Flächenverbrauch weiterhin zu, in Form von einerseits neu errichteten Wohngebäuden und andererseits in Form von steigender Wohnfläche: die durchschnittliche Wohnungsgröße in Niederbayern lag 1995 noch bei 102,4 m², im Jahre 2012 schon bei 108,9 m² (Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2014, 11). Dieses Festhalten an der Ausweisung vieler neue Einfamilienhausgebiete18, das im ersten Anschein postmodernen Wertevorstellungen widerspricht, lässt sich trotzdem auch aus postmoderner Sicht erklären. Zwar werden häufig mit dem Bau eines Eigenheimes zugleich Wertevorstellungen aus der Moderne transportiert, wie die „Bindung der Familie an die Hausgemeinschaft“ (Bourdieu 1998, 52, Hervorh. i. O.) oder die Verpflichtung zu dem einen „Lebensplan“, den diese Entscheidung mit sich bringt (Bourdieu 1998, 52). In jüngerer Zeit sind jedoch auch hier trotz dieser scheinbar schwer widerrufbaren Entscheidung postmoderne Tendenzen zu erkennen. Zunächst ist auch ein Haus durchaus ein Konsumgut (Bourdieu 1998, 49), das immer häufiger auch nur als solches gesehen wird. Ändern sich die Lebensumstände (beispielsweise der Arbeitsplatz), wird das Konsumgut Haus verkauft, und ein neues Haus wird konsumiert (vgl. Bourdieu 1998). Darüber hinaus lassen beispielsweise die immer weiterwachsende 18

Die standardisierte Lebensform in einem Einfamilienhaus der Moderne ist ein heterosexuelles Ehepaar mit Kindern. In der postmodernen Gesellschaft ist diese Lebensform auf lange Sicht jedoch nicht mehr der häufigste Lebensstil, es mehren sich wie bereits erwähnt alternative Formen des Zusammenlebens (bzw. des Alleine-Lebens), die mit einem Einfamilienhaus oft nicht kompatibel zu sein scheinen (bzw. Singles, Paare ohne Kinder).

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Wohnfläche pro Person, die steigenden Wohlstandsansprüche und der eklektische Stil der Einfamilienhäuser durchaus auch postmoderne Tendenzen erkennen (vgl. Kühne 2012). Die Bewohnenden sehen im Bau und in der Ausgestaltung des Eigenheimes häufig eine Art (postmoderne) Selbstverwirklichung (vgl. Inglehart 1998). Kommunal- und Stadtverwaltungen stärken diese Entwicklung, indem sie ebenfalls postmodern reagieren: Sie verwalten ihr zuständiges Gebiet immer mehr unter unternehmerischen Gesichtspunkten und weisen neue Wohnund Gewerbegebiete aus, um weiteres Kapital zu erwirtschaften (durch steuerzahlende Bewohnerinnen und Bewohner sowie durch Gewerbetreibende, vgl. Linke 2017c; auch Kühne 2012; Wood 2003). Auch die postmoderne Tendenz zur Dienstleistungsgesellschaft und der damit einhergehende Bedeutungsverlust des primären und sekundären Wirtschaftssektors lassen sich in als ländlich bezeichneten Siedlungen feststellen. Viele handwerklich oder landwirtschaftlich genutzte Betriebe oder Hofstellen, die sich zum Teil auch sehr zentral in den dörflich bezeichneten Strukturen befinden, stehen heute entweder leer oder dienen dem reinen Wohnen (Linke 2017c, 289). Vor allem alte Hofstellen (zentral oder außerhalb von Agglomerationen) sind begehrte Wohnhäuser, da sie (zumindest äußerlich) der historischen Wertschätzung des postmodernen Individuums entsprechen. Diese Entwicklungen verändern dadurch die Zentren der als ländlich bezeichneten Agglomerationen, die Ortsmitten verlieren häufig an ökonomischer, kultureller und gesellschaftlicher Bedeutung. Diese Entwicklung wird verstärkt durch beispielsweise den Rückgang der Religiosität oder der Tendenz des Einzelhandels, an den Agglomerationsrand umzusiedeln (Siehe Kapitel 3.1.3). Die Kirche ist zwar laut Pfrang (2013) durchaus noch in der heutigen postmodernen Gesellschaft vertreten, jedoch erreiche sie mit ihren Angeboten einen immer kleiner werdenden Teil der Gesellschaft. Viele Menschen wenden sich von der Institution Kirche ab - zum einen, weil sich die Kirche der Pluralität der Glaubensformen und Glaubensausübung der postmodernen Gesellschaft nicht öffnet und zum anderen auch, da die teilweise sehr starren Regeln der Kirche oft nicht zur individualisierten, postmodernen Gesellschaft passen (Pfrang 2013, 12ff.). Somit verliert der Kirchplatz als Ort der Begegnung vor und nach Gottesdiensten seinen Stellenwert (Linke 2017c, 289). Die Attraktivität der sogenannten Dorfzentren kann angesichts dieser Entwicklungen häufig nur noch artifiziell hergestellt werden. Hier setzen Dorferneuerungsprogramme ein, die versuchen, sowohl das historische dörfliche Erscheinungsbild optisch wiederherzustellen als auch das Zentrum wieder zu beleben. Denn diese

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(meist bereits vergangenen) historischen Strukturen eines idealtypischen Dorfes werden von der Bevölkerung wie auch von Touristen als sehr positiv wahrgenommen. Auch andere Strukturen scheinen der Regierung bzw. der Bevölkerung zu stark anthropogen überformt. In diesem Zusammenhang wurde bereits von „fordistischen Landschaften“ (Ipsen 2006, 80ff.) gesprochen. Durch die Postmodernisierung der Gesellschaft wird in der heutigen Zeit wieder versucht, diese anthropogene bzw. technische Überformung wieder auf eine sogenannte natürlichere19 Struktur zurückzuführen. Auch diverse Renaturierungsprojekte versuchen, menschliche Eingriffe wieder zurückzunehmen. Beispiele hierfür sind (zum Teil außer- aber auch innerörtliche) Fluss- oder Bachrenaturierungen, die Begradigungsversuche oder technische Überformungen wieder rückgängig machen wollen (Linke 2017c, 287). Häufig ist in diesem Zusammenhang auch festzustellen, dass neben einer gewünschten Verbesserung der Lebensräume für Flora und Fauna auch eine Verbesserung für Menschen geplant ist – neue Erholungs- und Erlebnisräume begleiten oft Renaturierungsabsichten. Diese Projekte haben trotz der Vortäuschung von Natürlichkeit (Vortäuschung aus dem Grund, da Natur nicht durch Menschenhand hergestellt werden kann) jedoch häufig eine stark positive Bedeutung, da Räume, die als natürlich bezeichnet werden, in der Bevölkerung eine sehr hohe Akzeptanz haben (vgl. Küchler-Krischun et al. 2012). Kühne spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „postmodernen Inszenierung von Ländlichkeit. […] Die ländliche Formensprache repräsentiert zum einen die postmoderne Wertschätzung des Historischen, zum anderen aber auch den Abschied des modernen Prinzips Form follows Function zugunsten des postmodernen Prinzips Form follows Fiction: die Form der Siedlung suggeriert eine bäuerliche Einwohnerschaft, doch ist Landwirtschaft […] längst zu einer Randerscheinung geworden“ (Kühne 2013d, 105, Hervorh. i. O.). 3.1.4.3 Die Entwicklung der Landwirtschaft in der Postmoderne Diese Randerscheinung der Landwirtschaft wird in vielen Regionen Deutschlands immer noch als prägend für den sogenannten ländlichen Charakter wahrgenommen, obwohl sie keinen prägenden wirtschaftlichen Stellenwert mehr hat. So liegt in Niederbayern, einem als sehr ländlich wahrgenommenen Regierungsbezirk Bayerns, die Bruttowertschöpfung landwirtschaftlicher Produkte nur noch 19

Auch hier sei wieder angemerkt, dass es aus konstruktivistischer Perspektive keinen natürlichen oder ursprünglichen Zustand gibt, er wird nur von der Gesellschaft als solcher bezeichnet.

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bei 2,1 % (Frank et al. 2013, 22, Stand 2011). Trotzdem hält die Regierung an dieser Branche weiterhin fest: „Der Erhalt möglichst vieler wirtschaftlicher Betriebe ist ein Markenzeichen des bayerischen Weges“ (Brunner 2012, 41, Anmerkung der Verfasserin: mit wirtschaftlichen Betrieben sind agrarwirtschaftliche Betriebe gemeint). Heute können die landwirtschaftlichen Räume neben Produktionsräumen jedoch auch als Erholungsräume dienen. Das war nicht immer so. In der vormodernen Agrargesellschaft bis zum Ende der Industrialisierung waren landwirtschaftliche Nutzflächen eindeutig der Nahrungs- und Futtermittelproduktion zugeordnet. Im Zeitalter der fordistischen Moderne20 wurden diese Flächen einer Nutzungsintensivierung unterzogen. Große Monokulturen und geometrische Flächenzuschnitte ersetzten eine differenzierte Kleinteiligkeit, die noch in der Agrargesellschaft vorherrschte (Ipsen 2006, 82; vgl. auch Kühne 2005). Ipsen spricht hier von einer „radikale[n] Umstellung der Effizienzstandards und der Konsummuster“ (Ipsen 2006, 81), die sich in Maschinen- und Kunstdüngereinsatz zeigte. Aus diesem Grund spricht er auch von fordistischer Landschaft (Ipsen 2006). Trotz dieser Entwicklung ist die Relevanz des primären Wirtschaftssektors heute sehr gering, da dieses Zeitalter nicht nur die Landwirtschaft intensivierte, sondern vor allen Dingen einen Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft beförderte (Henkel 1999, 93). Die geringe wirtschaftliche Bedeutung der als ländlich bezeichneten physischen Räume ist auch der Grund, warum auch häufig von strukturschwachen Räumen die Rede ist (vgl. Henkel 1999; Kühne 2013d). Derzeit können jedoch (postmoderne) Entwicklungen festgestellt werden, wodurch als ländlich bezeichnete physische Räume Aufmerksamkeit erfahren: Ökologische Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Erholungsflächen. Diese Nutzungen sind begehrt und beanspruchen zum Teil sehr große Flächen. Als postmoderne Entwicklungen können sie deswegen bezeichnet werden, weil sie für Lebensqualität und Gesundheit stehen, also sind sie der Inbegriff einer postmodernen Wohlstandsgesellschaft (Linke 2014, 114). Auch strukturell steht erneut ein postmoderner Wandel der landwirtschaftlich genutzten Räume an. Nicht nur in verdichteten Räumen ist die Negierung großflächiger Planungen zu erkennen (vgl. Wood 2003). Die differenzierten hybriden Räume benötigen eine individuelle Betrachtung und fordern eine neue

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Hier sei angemerkt, dass die wirtschaftlichen Entwicklungen laut der Regulationstheorie eng mit den gesellschaftlichen Entwicklungen gekoppelt sind, vgl. Lipietz/Krebs (1998).

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Kleinteiligkeit. Im Zuge der Postmodernisierung wandelt sich auch die fordistische Landschaft (vgl. Ipsen 2006, siehe Kapitel 3.1.1) in eine postfordistische Landschaft, auch wenn diese Tendenzen bislang häufig nur visionär sind (Linke 2014, 120). Hermann stellt in diesem Zusammenhang als Landschaft bezeichnete physische Räume in Frage, die aus einer bloßen „Aneinanderreihung von Schutz, Nutzungs- und Entwicklungsräumen“ (2013, 77) besteht. Diese Herangehensweise führt häufig zu Nutzungskonflikten in den Randbereichen (Hermann 2013, 78). Eine angemessenere Lösung für die unterschiedlichen Nutzungsansprüche stellen postmoderne Raumkonstruktionen dar, in Form von multistrukturierten Räumen. Diese neuen Ideen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen entstehen derzeit in verschiedenen Forschungsprojekten (siehe z. B. BTU Cottbus, Projekt: Alley-Cropping, Brandenburgische Technische Universität 2016). Multicodierte bzw. hybride Räume weisen hier durch kleinteilige Nutzungen neben einem funktionalen auch einen hohen ästhetischen Anspruch auf (Hermann 2013). Abgesehen von möglichen Veränderungen der landwirtschaftlichen Struktur zeichnet sich eine weitere Veränderung in der Flächennutzung ab. Dieser Wandel vollzieht sich aufgrund des Konsumverhaltens der Gesellschaft (Linke 2014, 120). Eine Studie der Universität Göttingen und Hohenheim besagt, dass der allgemeine Fleischkonsum deutlich abnimmt. Auch der Prozentsatz der Vegetarier hat sich innerhalb von sieben Jahren verdoppelt. Als Motive werden meist Gesundheit oder Umweltschutz genannt (Cordts et al. 2013). Laut Wehde entsteht dadurch ein großes Flächenpotential: „Mit der Halbierung des Fleischverzehrs […] würde […] fast ein Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland für andere Nutzungen zur Verfügung stehen“ (2012, 98). Dieses Flächenpotential kann die vorhandene Flächenkonkurrenz zwischen Landwirtschaft und Energiewende mindern. 3.1.4.4 Die Entwicklung der Energielandschaften in der Postmoderne Durch die 2011 beschlossene Forcierung der Energiewende in Deutschland sollen die totalen Landschaften (geprägt von der Energiegewinnung durch fossile Ressourcen, vgl. Sieferle 1997) in postfossile Landschaften (geprägt von der Energiegewinnung durch erneuerbare Ressourcen, vgl. Prominski 2013) umstrukturiert werden. Postfossile Landschaften verändern die vorgefundenen als Landschaften bezeichneten physischen Räume in einem deutlichen Ausmaß, da erneuerbare Energien einen sehr großen Flächenverbrauch aufweisen und visuell

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deutlich wahrzunehmen sind (Prominski 2013). Diese neuen als Landschaften bezeichneten physischen Räume sind stark umstritten. Manche Personen begrüßen den nachhaltigen Ausbau erneuerbarer Energien, da dies die als einzige Möglichkeit gesehen wird, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Andere befürchten einen Verlust des zugeschriebenen ökologischen Wertes der Räume, da beispielsweise Windkraftanlagen in Verdacht stehen, bestimmte Vogelbestände zu dezimieren (vgl. Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten 2014; mehr zu diesem Thema siehe Moning 2018). Wieder andere sehen die kulturellen und ästhetischen Werte ihrer romantischen Projektionsfläche (Borries/Kasten 2013, 30) gefährdet und sprechen sogar von einer sogenannten Zerstörung der als Landschaften bezeichneten physischen Räume (vgl. Fassl 2013). Woltering schreibt in diesem Zusammenhang: „Großflächige Solaranlagen bereiten Probleme […] wegen der technischen Überformung der Landschaft“ (2013, 104). Diese Haltung ignoriert die Tatsache, dass die heutigen sogenannten Kulturlandschaften seit je her grundlegend durch technische Modernisierung geprägt werden und bislang zu keiner Zeit „ausschließlich die Aufgabe [hatte], vom Betrachter als schön empfunden zu werden“ (Hermann 2013, 77). Für Gegnerinnen und Gegner der Energiewende scheint Landschaft eine Tatsache zu sein, die sich von selbst eingestellt habe und daher auch nicht mehr verändert werden dürfte (Ipsen 2006, 90). Ähnlich wie andere technische Entwicklungen (z. B. Strommasten) sind jedoch auch die Anlagen der erneuerbaren Energien Teil der heutigen Landschaftskonstrukte. Kühne verweist in diesem Zusammenhang auf zwei Möglichkeiten, die zur Akzeptanz der Energiewende beitragen können (Kühne 2013a, 19). Die erste Möglichkeit adressiert er an die gestalterische bzw. ästhetisch positive21 Einflussnahme in der Planung von Anlagen erneuerbarer Energieanlagen. Die Planungsschwerpunkte der Moderne lagen in der Funktionalität, der Fokus der Planung der Postmoderne richtete sich auf ästhetisch positive Merkmale (Kühne 2013d, 101). Auch Borries und Kasten fordern von der Planung und der Architektur, eine „ästhetische Form für die Energielandschaften“ zu finden (2013, 30). Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch eine Besinnung auf eine positiv ästhetische Planung den Widerstand gegen beispielsweise Windenergieanlagen nicht gänzlich ausräumen wird. Die Ablehnung wird in Teilen der Be-

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Dass die Ästhetik auch als negativ bezeichnete Zuschreibungen enthalten kann, wurde in Kapitel 2.4 diskutiert.

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völkerung weiterhin vorhanden sein, laut Kühne und Weber vor allem von älteren, konservativen Männern (Kühne/Weber 2016, 208). Die zweite Möglichkeit, die Kühne benennt, bezieht sich auf die veränderte Wahrnehmung bzw. Interpretation der als Landschaft bezeichneten physischen Räume durch das neue postmoderne Ideensystem. Kühne fordert, „die Ästhetik des Erhabenen im Kontext der Landschaftsdeutung zu stärken“ (Kühne 2013a, 19). Denn das Erhabene hat in der heutigen Zeit eine durchaus positive Zuschreibung erhalten (siehe Kapitel 2.4), laut Lyotard bedeutet die Erhabenheit etwas Wunderbares bzw. etwas Beeindruckendes (Lyotard 1987, 258). Er fügt jedoch hinzu, dass diese positive „Lust“, die das Erhabene ausdrückt, auch „mit Unlust vermischt ist“ (Lyotard 1987, 259). Diese Unlust ist beherbergt demnach auch „Unvollkommenheiten, Geschmacksverwirrungen [und] das Hässliche [...]“ (Lyotard 1987, 258). Am Beispiel der Windenergieanlagen kann diese Gegensätzlichkeit veranschaulicht werden: Hier stellt sich die sogenannte Unlust bzw. das Hässliche als Windenergieanlage dar, die von großen Teilen der Gesellschaft als dominante und häufig auch ästhetisch negative Fremdkörper konstruiert wird. Die Lust bzw. das Beeindruckende zeigt sich in der Form der inhaltlichen Bedeutung: die Loslösung von fossiler Energie. Somit können Räume mit Windenergieanlagen also mit der Ästhetik des Erhabenen konstruiert werden. Ein Beispiel aus der Praxis, das diesem Deutungsversuch Rechnung trägt, ist ein Projekt in Gänsdorf, Landkreis Deggendorf, Niederbayern (siehe Abbildung 5 auf Seite 74). Die Freianlagen um die Solarfelder haben eine Aussichtsplattform in Gestalt eines Hügels, der einen Blick auf die Solarpaneele ermöglicht. Somit können die weiten Solarfelder als erhabene Elemente der als Landschaft bezeichneten physischen Räume direkt wahrgenommen werden. Das Projekt zeigt den Versuch, eine Akzeptanz der Gesellschaft durch eine Neuinterpretation zu erreichen (Linke 2014, 119). Für die Zukunft der Energiewende ist es wichtig, dass die Lust-Komponente der Erhabenheit an Bedeutsamkeit gewinnt. 3.1.5 Die Chancen der Postmodernisierung von als Landschaften und ländlich bezeichneten physischen Räumen Dieses Kapitel hat zunächst verdeutlicht, wie es um die verschiedenen als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räume derzeit steht und wie sie sich im Zuge der Postmodernisierung weiter entwickeln können. Es hat sich deutlich gezeigt, dass die steigende Individualisierung, die Flexibilisierung und die Pluralisierung der Gesellschaft als Zeichen des postmodernen Wertewandels

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sich auch maßgeblich auf die räumliche Entwicklung von als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räumen auswirken. Es können angesichts dieser Veränderung viele zunächst als negativ bezeichnete Folgen festgestellt werden: die stärkere Konsumorientierung, der erhöhte Flächenverbrauch oder die negative Besetzung der als Landschaft und der als ländlich bezeichneten physischen Räume als Zukunftsraum (Linke 2017c, 290). Jedoch können durchaus auch Chancen gesehen werden. Durch die Pluralisierung und Hybridisierung von Räumen, z.B. von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen als Erholungs- und gleichzeitig Funktionsräume, kann durchaus eine Vielfalt entstehen, die eine breitere Akzeptanz der Bevölkerung mit sich bringen kann: „Die Uniformität und Hierarchie, die die Moderne geprägt hat, wird von einer zunehmenden Akzeptanz der Vielfalt abgelöst“ (Inglehart 1998, 38). Oder wie Vogt sagt: „Leben braucht Vielfalt, die Schönheit und der ästhetische Wert von Landschaften wächst mit der Vielfalt“ (2014, 19). Für viele Forschende steht fest, dass sich die Gesellschaften und auch schwach verdichtete Räume weiter in Richtung Postmoderne entwickeln und die Homogenität der Moderne immer weiter zurücklassen (Linke 2017c, 291). Die Grenzen zwischen Stadt und Land werden immer weiter verschwimmen (vgl. Bauman 1999; 2008; Kühne 2012), auch wenn einige Forschende aussagen, dass eben diese Dichotomie zwischen Stadt und Land eine zukunftsfähige Entwicklung sei (Bätzing 1997, 45). Die Räume der verlandschafteten Stadt bzw. der verstädterten Landschaft (Sieverts 2001; vgl. auch Hofmeister/Kühne 2016) entsprechen vielleicht nicht den idealisierten Räumen unserer Vorstellung, doch es ist nun von Bedeutung, diesen Räumen eine neue Wertschätzung zuzumessen und die weitere Entwicklung positiv zu konstruieren. In welchem Ausmaß diese Entwicklungen in Zukunft steuerbar sind, darüber lässt sich aus postmoderner Perspektive kontrovers diskutieren. Schließlich entstehen Räume nicht ausschließlich durch Planungen, denn Planerinnen und Planer sind bei weitem nicht die einzigen Personen, die die Raumentwicklung beeinflussen. Eine Planung wird diesem Prozess auch nicht gerecht. Laut Sinning beschreibt der Begriff Planung rein die Erarbeitung von Plänen und Konzepten und nicht auch die „Gestaltung, Leitung und Organisation“, derer es bedarf (2006, 404).22 Beteiligt sind neben den Planenden viele weitere Akteurinnen und 22

Auch der Begriffswandel von Regionalplanung zu Regionalentwicklung bzw. Regionalmanagement, der sich in den letzten Jahrzehnten in der Raumplanung beobachten lässt, zeugt von dieser Entwicklung; siehe Linke (2014, 121).

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Akteure und deren Einflüsse wie die Politik, die Ökonomie, die Kultur und vor allen Dingen die Gesellschaft. Denn Räume entstehen letztendlich durch soziale Konstruktionen. Diese Konstruktionen fallen selten einheitlich aus, sie sind vielmehr wandelbar, individuell und von unterschiedlichsten Aspekten abhängig. Politik, Ökonomie, Kultur und Gesellschaft sind nur die übergeordneten Begriffe vieler verschiedener Prozesse, an denen auch der Zeitstil, die persönliche Erfahrung und die Sozialisation beteiligt sind. Denn neben den beteiligten Personen in der Raumentwicklung haben sich auch die Schwerpunkte und die Aufgaben vervielfältigt. Die übergeordnete Aufgabe liegt darin, einen Weg zu finden, den unterschiedlichen Nutzungsansprüchen der verschiedenen beteiligten Personen gerecht zu werden bzw. die Akzeptanz der postmodernen hybriden Räume zu stärken. Die Chance in der Postmodernisierung ist daher darin zu sehen, wie mit diesen Entwicklungen umgegangen werden kann, bestenfalls in einer reflektierten Weiterentwicklung (Kühne 2006a) der Strukturen bzw. deren Neuinterpretation (vgl. Ipsen 2006). Die Hoffnung liegt nahe, dass durch den postmodernen Wertewandel der Gesellschaft die Akzeptanz von hybriden Räumen gestärkt wird. Dieses Kapitel zur Postmodernisierung von als Landschaften und als ländlich bezeichneten physischen Räumen beschreibt zwar nur eine skizzenhafte Annäherung an diesen Wertewandel, als theoretische Grundlage für gesellschaftliche Prozesse, die für diese Arbeit von Bedeutung sind, ist diese Tiefe jedoch ausreichend. Das folgende Kapitel nimmt nun mit diesem Hintergrundwissen das Thema Landschaft aus einer anderen Perspektive in den Fokus: die alltagsweltlichen Konstruktionen von Landschaften. 3.2 Alltagsweltliche Konstruktion von Landschaft Obwohl sich der Alltag und somit auch die alltagsweltliche Konstruktion einer Landschaft eines jeden Menschen unterscheidet, können allgemeine Überlegungen dazu angestellt werden. Der Alltag bezeichnet laut Werlen „jenen Wirklichkeitsbereich, der in natürlicher Einstellung erfahren wird“ (2001, 39). Dabei kann diese natürliche Einstellung als nicht hinterfragte Erfahrung der individuell konstruierten Wirklichkeit und als selbstverständliche Grundlage des Denkens und Handelns verstanden werden (Micheel 2012, 108f.; siehe allgemein auch Berger/Luckmann 1980). Auch Berger/Luckmann sprechen von der Alltagswelt als einer Wirklichkeit, die gesellschaftlich konstruiert wird: „Die Alltagswelt wird ja nicht nur als wirklicher Hintergrund subjektiv sinnhafter Lebensführung von

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jedermann hingenommen, sondern sie verdankt jedermanns Gedanken und Taten ihr Vorhandensein und ihren Bestand“ (1980, 21f.). Der selbstverständliche Begriff der Landschaft bezieht sich hier auf alltagsweltliche und ggf. auch auf berufsplanerische Haltungen, die die Konstruktion Landschaft nicht ausdrücklich fachspezifisch hinterfragen, sondern sie als natürliche Einstellung erfahren. Dieses Kapitel nähert sich dieser durchschnittlichen23 alltagsweltlichen Konstruktion von Landschaften an, indem vergangene, aktuelle und potentiell zukünftige alltägliche sowie stereotype Landschaftskonstrukte genauer untersucht werden. Die Ergebnisse sind für die Auswertung der Bildersuche relevant. 3.2.1 Konstruktion von Landschaften gestern und heute Die Konstruktionen von Landschaften im Laufe der Zeit unterscheiden sich deutlich und unterliegen je nach gesellschaftlichem Wertesystem verschiedensten Bewertungen. Während der Agrargesellschaft wurden als Landschaften bezeichnete physische Räume, wenn sie zugänglich und zu bewirtschaften waren, als funktionale Räume betrachtet. Sie dienten der existentiellen und wirtschaftlichen Befriedigung der Bedürfnisse der Landwirtschaft. Diese wiederum stellte das Überleben der Menschen sicher, somit ist die Befriedigung der Bedürfnisse der Landwirtschaft auch allgemein eine Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse. Diese Konstruktion als rein funktionale Räume änderte sich mit dem ständigen Rückgang des primären Wirtschaftssektors ab dem Zeitalter der Industrialisierung. Seitdem haben sich die Ansprüche an als Landschaften bezeichnete physische Räume vervielfacht, z. B. dienen sie nun auch der heutigen Wohlstandsgesellschaft als Erholungs- oder Freizeiträume. Diese Mehrfachbesetzung bzw. die Hybridität dieser Räume führt häufig zu Nutzungskonflikten, vor allem auch in Hinblick auf die Energiewende, die aufgrund ihrer Flächenintensivität einen großen Raumbedarf aufweist (Linke 2017b, 91f.). Ein weiterer Konflikt besteht in diesem Zusammenhang mit Monokulturen. Diese Räume, die jeden Anspruch außerhalb der Funktionalität negieren, haben derzeit große Akzeptanzprobleme (Linke 2017b, 92; vgl. auch Burckhardt 2008; Kühne 2013d). Das Problem der Akzeptanz ist eine große Herausforderung der heutigen Zeit. Die

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Es wird hier von einer europäischen Perspektive ausgegangen, genauer genommen der deutschsprachige Raum.

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Mehrfachbesetzung der Räume sowie die zum Teil sehr unterschiedlichen Ansprüche einzelner Gesellschaftsgruppen an ihr Umfeld führen dazu, dass vorhandene Räume bzw. geplante Raumentwicklungen nicht akzeptiert werden. Diese fehlende Akzeptanz drückt sich in verschiedener Art und Weise aus. Beispielsweise versuchen sogenannte Naturschützerinnen und Naturschützer, bestimmte als Landschaften bezeichnete physische Räume vor einer Weiterentwicklung zu schützen, was meist bedeutet, dass sie diese Räume vor jeglicher Veränderung bewahren wollen.24 Oder es wird versucht, sich diese Räume anzueignen und diese nach den individuellen Bedürfnissen zu verändern (beispielsweise mit der Errichtung von Monokulturen, wie eben angesprochen), ohne auf die Bedürfnisse anderer Gesellschaftsgruppen Rücksicht zu nehmen. In den als Landschaften bezeichneten physischen Räumen, die primär als Erholungsräume dienen sollen, ist häufig eine romantische Inszenierung eines zum Teil bereits vergangenen Landschaftskonstruktes zu beobachten. Denn wir bereits erwähnt, wird im Zuge der Postmodernisierung das Historische wieder mehr wertgeschätzt und erlangt dadurch den Status einer idealen Landschaft (Linke 2017b, 92). Diese Räume werden aufgrund der historischen Inszenierung von der postmodernen Gesellschaft akzeptiert und daher häufig als schützenswert konstruiert (Kühne 2013d, 105). Als Beispiel sind hierfür wieder die alten Hofstellen anzuführen, bei denen zwar die alte Fassade aus ästhetischen Gründen erhalten bleibt, die Nutzung sich aber (meist zu einer Wohnnutzung hin) verändert. Von Landwirtschaft fehlt häufig jede Spur. Somit ist anzunehmen, dass das akzeptiert und wertgeschätzt wird, was positiv bezeichnete Gefühle in uns hervorruft. Diese Entwicklung scheint Herausforderungen mit sich zu bringen, aber im Zusammenhang mit der Postmodernisierung lassen sich auch Chancen für eine zukünftige Entwicklung erkennen: Durch die Ästhetisierung der Planung kann dieser Effekt verstärkt werden, denn eine rein funktionale Planung wie noch in Zeiten der Agrargesellschaft und auch zum Teil in der Moderne wird abgelehnt (vgl. Kühne 2013d, 101). Darüber hinaus zeigt sich jedoch auch allgemein eine steigende Aufmerksamkeit in Hinblick auf die Ästhetik. Die postmoderne Gesellschaft schreibt nicht mehr nur dem Schönen eine positiven Wert zu, sondern auch anderen Kategorien der Ästhetik,

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Aus konstruktivistischer Perspektive gibt es jedoch keinen schützenswerten Idealzustand eines Raumes, da ein Raum an sich nicht bewertbar ist. Die Bewertung wird ihm durch die Betrachtenden zugeschrieben. Jede Zuschreibung ist somit auch nur eine Konstruktion.

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beispielsweise der Erhabenheit (siehe Kapitel 2.4). Vor allem das Erhabene erhält einen neuen, positiven Stellenwert: „Während die Modernisierung der Gesellschaft mit ihrer Rationalisierung eine Zuwendung zum Schönen einleitete, ist mit dem Einsetzen der Postmodernisierung, mit ihrer Akzeptanz des Hybriden und Emotionalen, eine Wiederzuwendung zum Erhabenen festzustellen“ (Kühne 2013a, 18). Das Voranschreiten der Postmodernisierung kann also z. B. dazu führen, dass Windkraftanalagen zu einem ästhetisch positiven Erlebnis werden und somit in Zukunft als selbstverständliche Bestandteile der als Landschaften bezeichneten physischen Räume werden, denn wie Kühne anmerkt: „Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien muss man nicht schön finden, aber man kann durch ihre Erhabenheit beeindruckt werden“ (Kühne 2013a, 20). 3.2.2 Die Konstruktion von Landschaften in der alltäglichen Öffentlichkeit In der nicht explizit fachspezifischen Öffentlichkeit wird der Begriff der Landschaft auf ganz unterschiedliche Weise besetzt und verwendet, je nach Perspektive oder Anliegen unterscheiden sich die Inhalte oder Bewertungen dieses Überbegriffs. Nachfolgend sollen zwei Betrachtungsschwerpunkte genauer dargestellt werden, da sie in Hinblick auf das Thema Landschaftsästhetik interessant sind und häufig öffentlich diskutiert werden, wenn über als Landschaft und als ländlich bezeichnete physische Räume gesprochen wird: landwirtschaftlich bewirtschaftete Räume und sogenannte Energielandschaften (siehe auch Linke 2017b). 3.2.2.1 Spezielle Landschaftskonstrukte in der öffentlichen Kommunikation: die Landwirtschaft In Deutschland sind mehr als die Hälfte der Flächen landwirtschaftlich bewirtschaftet (Umweltbundesamt 2013). Zum Teil sind die Räume durch monostrukturierte Bewirtschaftung gekennzeichnet.25 Diese Räume können sich häufig der Wahrnehmung entziehen und als anästhetisch konstruiert werden (Sieverts 2001, 108). In diesem Zusammenhang sei auch das Konzept der De-Sensualisierung (Kühne 2013c) angesprochen, das bedeutet, „Unerwünschtes der sensorischen Wahrnehmung zu entziehen“ (Kühne 2013c, 101). Für die soziale Konstruktion

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Diese Zuschreibung des sogenannten monostrukturellen Raumes entsteht hier aus europäischer Perspektive, nicht etwa aus amerikanischer.

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von Landschaften bedeutet das, dass die als unerwünscht bzw. als störend geltenden Objekte nicht mehr integriert werden, „sie fallen sozusagen aus der Normalität heraus“ (Kühne 2013c, 115). Der Grund für die Anästhetik bzw. die DeSensualisierung von landwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen liegt in der Vergangenheit: In der Agrargesellschaft bestand keine Notwendigkeit, durch bewirtschaftete Flächen ein ästhetisch positives Erlebnis hervorzurufen. Damals stand nicht der als ästhetisch positive Landschaft bezeichnete physische Raum im Vordergrund, sondern häufig noch die materielle Knappheit. Dieser Mangel führte dazu, dass der Schwerpunkt auf ökonomische bzw. existenzielle Bedürfnisse gelegt war. Erst durch die finanzielle Sättigung und die ansteigende Wohlstandsund Erlebnisorientierung im Zeitalter der Postmodernisierung veränderten sich diese Bedürfnisse an die als Landschaften bezeichneten physischen Räume – somit jedoch auch die Ansprüche an diese Räume (Linke 2017b, 93). Im Jahr 2008 versuchte Heissenhuber die Kosten eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes zu quantifizieren und zu vergleichen. Dieser Versuch ist zwar aus konstruktivistischer Perspektive nicht evident, da einem Raum kein allgemeingültig quantifizierter Wert zugewiesen werden kann. Trotzdem wird dieser Gedanke hier angesprochen, da der Zusammenhang zwischen zugeschriebenem materiellem und ästhetischem Wert in Beziehung zueinander gestellt wird. Heissenhuber kam zu dem Ergebnis, dass die Bewirtschaftung einer monostrukturellen (von großen Teilen der Gesellschaft als langweilig bezeichneten) Landwirtschaftsfläche ca. 150 € pro Hektar koste. Im Gegensatz dazu koste die Bewirtschaftung einer vielseitig strukturierten (und dadurch von großen Teilen der Gesellschaft als interessanter bezeichneten) Landwirtschaftsfläche etwa 250 € pro Hektar (hier ist anzumerken, dass die vielseitig strukturierte Landwirtschaftsfläche verschiedenen Hecken- und Baumstrukturen sowie eine differenzierte Ackerbewirtschaftung aufweist). Diese Untersuchung zeigt, dass hier häufig ökonomische Gründe ausschlaggebend sind, wie diese Felder bestellt und strukturiert werden. Eine monostrukturierte Landwirtschaftsfläche ist im Unterhalt deutlich günstiger als eine vielseitig strukturierte Fläche. Diese monostrukturierten Flächen werden von der Bevölkerung, wie bereits erwähnt, jedoch häufig als langweilig (da wenig vielseitig, vgl. Vogt 2014) bezeichnet. Hier zeigt sich, dass die Dominanz der ökonomischen Werte für unattraktive Landschaftskonstrukte verantwortlich sein kann (vgl. hierzu auch die Komplexitätstheorie von Ipsen 2006, 23).

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3.2.2.2 Spezielle Landschaftskonstrukte in der öffentlichen Kommunikation: Energielandschaften Die Energiewende und die sogenannten Energielandschaften werden nicht erst seit ihrer Forcierung durch die Regierung im Jahr 2011 sehr kontrovers diskutiert. Beide Pole der Diskussion finden laute Befürwortungen. Neben bedingungsloser Bejahung der Energiewende gibt es auch vehemente Kritik. Häufig wird hier eine als negativ bezeichnete räumliche Entwicklung gesehen, beispielsweise weil die „Umgebungsqualität emotional als bedroht empfunden wird“ (Hasse 2005, 41). In diesen Diskussionen wird gelegentlich von einer sogenannten Zerstörung der als Landschaft bezeichneten physischen Räume gesprochen (vgl. Dombrowsky 2013; Fassl 2013; Woltering 2013). Diese Aussage ist nicht haltbar, da ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum sowohl aus positivistischer (Landschaft als von Menschen veränderter Kulturraum) als auch in konstruktivistischer (Landschaft als Konstruktion) Perspektive nicht von Menschenhand zerstört werden kann. Sie wird wie schon seit Jahrtausenden von Menschenhand verändert (in diesem Zusammenhang wurden bereits die Jägerund Sammlergesellschaften angesprochen, die bereits vor 12.000 Jahren in die Natur eingriffen, vgl. Sieferle 1997, 28). Daher ist die Entwicklung der sogenannten Energielandschaften ein weiterer Schritt in der Entwicklung der als Landschaften bezeichneten physischen Räume. Die explizite Weiterentwicklung – nicht die Bewahrung – von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen ist seit Ende 2008 auch im Raumordnungsgesetz verankert „und neben den explizit genannten historisch geprägten und gewachsenen Kulturlandschaften werden die unterschiedlichen, also im Prinzip alle, Landschaftstypen angesprochen“ (Overbeck/Schenk 2012, 3, Hervorh. i. O.). Eine sogenannte Energielandschaft fällt demnach auch in die Kategorie der Landschaftskonstrukte, wie beispielsweise auch eine sogenannte Agrarlandschaft. Nur die ästhetische Zuschreibung durch verschiedene Gesellschaftsgruppen unterscheidet sich (vgl. Linke 2017b).

Alltagsweltliche Konstruktion von Landschaft

Abbildung 4:

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Solarfeld in der Gemeinde Hebertsfelden, Niederbayern (eigene Aufnahme 2018)

Bei Betrachtung der Abbildung 4 ist es gegebenenfalls nachzuvollziehen, dass Betrachtende26 die Errichtung einer Photovoltaikanlage als negativ konstituieren können. Dieser Raum wirkt monostrukturiert, und der Metallzaun sowie auch der Stacheldraht begünstigen eine unfreundliche bzw. abweisende Interpretation. Als mögliche Zuschreibungen dieses Raumes kommen sowohl „hässlich“, aber auch „anästhetisch“ in Frage: Hässlich aus dem Grund, da hier gegebenenfalls stereotype landschaftliche Elemente vermisst werden und anästhetisch dann, wenn er als ein monokultureller Raum (nicht) wahrgenommen wird und keine Gefühlsregungen hervorruft27 (mehr zu der ästhetischen Zuschreibung unter Kapitel 2.4). Diese Bilder dienen Kritikerinnen und Kritikern dazu, ihre Meinung aufgrund ästhetischer Gründe zu rechtfertigen. Das Problem der Akzeptanz ist jedoch nicht 26 27

Hier ist von Personen die Rede, die den abgebildeten, als Landschaft bezeichneten physischen Raum durch eine außenstehende Perspektive wahrnehmen und z.B. persönlich keine finanziellen Vor- bzw. Nachteile von diesem Solarfeld haben. Die Einordnung in ästhetische Kategorien erfolgt immer nach dem persönlichen Adaptionsniveau des Betrachtenden. Es kann hier nur von der Konstruktion eines als durchschnittlich bezeichneten Betrachtenden ausgegangen werden; Linke (2017b, 95).

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in den Raumkonstruktionen der Energiewende zu finden, sondern das Problem wird durch die Dominanz der monetären Werte verursacht. Die ästhetisch positive Gestaltung hat demnach einen geringeren Stellenwert als die Gewinnoptimierung. Daraus folgen ästhetisch negative Raumkonstruktionen, die häufig von großen Teilen der Gesellschaft nicht akzeptiert werden (Linke 2017b, 95). Habermas spricht hier von der Entkoppelung von System und Lebenswelt, wobei Geld und Macht der Systemintegration (System), Einfluss und Wertbindung der Sozialintegration (Lebenswelt) zugeordnet werden (Miebach 2014, 194).

Abbildung 5:

Solarfeld mit Aussichtsturm in Gänsdorf, Niederbayern (Aufnahme Klaus Leidorf 2011)

Abbildung 5 zeigt ein Projekt von Landschaftsarchitekten, die versuchen, die Betrachtenden mit in die sogenannte Energielandschaft einzubinden. Der Mensch wird somit Teil des Raumes, er wird eingebunden. Stehen Betrachtende auf dem Aussichtshügel inmitten der Solarfelder, werden sie direkt mit der Thematik der neuen Landschaft konfrontiert. Der unmittelbaren Konfrontation mit den vielleicht noch ungewohnten Raum folgt eine persönliche Auseinandersetzung. Das Solarfeld kann eine positive Konnotation dadurch erhalten, da ein Aussichtsturm immer einen Blick auf eine Besonderheit verspricht. Die Betrachtenden werden mit der Größe und Weitläufigkeit der Anlage konfrontiert und können somit zu

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der Erkenntnis gelangen, sie befänden sich in einem als erhabene Landschaft bezeichneten physischen Raum28 (Linke 2017b, 96; siehe auch Kapitel 2.4.2.2). Und diese Erhabenheit wird, wie bereits erwähnt, durch die Postmodernisierung einer Gesellschaft als ästhetisches Erlebnis zunehmend akzeptiert (vgl. Kühne 2013a). 3.2.3 Die Konstruktion der postmodernen Landschaft der Zukunft Die Entwicklungen der als Landschaft bezeichneten physischen Räume in der Vergangenheit wurden in Kapitel 3.1 angesprochen. Bereits im Jäger- und Sammlerzeitalter war der Mensch an diesen Entwicklungen beteiligt. Die Eingriffsintensität jedoch stieg seitdem deutlich an. Während Jäger und Sammler sich von dem ernährten, was ihnen ihre Umwelt zur Verfügung stellte29 (Sieferle 1997, 28), kennzeichnet die Agrargesellschaft eine deutlich intensivere Flächennutzung in Form von Feldbewirtschaftung (Sieferle 1997, 98ff.). Ein weiterer Anstieg der Eingriffsintensität konnte dann in der Industrialisierung festgestellt werden: der Übergang zur totalen Landschaft. Diese Phase ist gekennzeichnet durch Rohstoffabbau und den Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen (Sieferle 1997, 205ff.). „Diese neue Landschaft ist allerdings nicht stabil und sie steuert auch keinem erkennbaren stabilen Endzustand zu. Sie bildet vielmehr einen hochdynamischen Prozess, der andauern wird, solange die industrielle Expansion von ihren energetischen Grundlagen gespeist wird“ (Sieferle 1997, 205). Diese nicht erneuerbaren Ressourcen sind zwar heute noch vorhanden, doch das Bewusstsein wächst, dass diese Ressourcen endlich sind und nicht ewig zur Verfügung stehen werden. Durch dieses Bewusstsein stehen wir derzeit erneut vor einem Wandel, der Energiewende. Die totale Landschaft entwickelt sich zur postfossilen Landschaft, die durch die flächenintensive Verwendung von erneuerbaren Energiesystemen geprägt ist (vgl. Prominski 2013). Die Notwendigkeit dieser neuen Energiesysteme ist unumstritten, die Implementierung in die vorgefundenen als Landschaften bezeichneten physischen Räume jedoch schon. Spätestens hier stellt sich die Frage, wie dieser Wandel gestaltet werden muss, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Eine große Bedeutung in diesem Zusammenhang hat die Ästhetik bzw. die ästhetische Gestaltung (Linke 2017b, 97). Die steigende Ästhetisierung durch den postmodernen Wertewandel ist einerseits 28 29

Merkmale der Erhabenheit: u. a. erschreckend, große Menge von etwas, siehe Kapitel 2.4. Eingriffe des Menschen bestanden zusätzlich darin, Flächen in Brand zu setzen.

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die Basis für eine Bewältigung dieser Herausforderung, andererseits jedoch auch ein Grund dafür. Die Schlussfolgerung ist nun aber nicht, dass abgewartet werden kann, bis sich das Akzeptanzproblem von alleine löst, da die Ästhetisierung in der Planung von alleine voranschreitet. Aktiv müssen die Handlungsmöglichkeiten von Politik und Planung genutzt werden, um die Energiewende und ihre Räume auf einen positiven Weg zu bringen (Linke 2017b, 97). Eine Chance kann sogar in der Dominanz der ökonomischen Werte stecken: „Erfolgt eine individuelle, direkte wirtschaftliche Beteiligung von Anwohnern (etwa durch Eigentumsanteile) oder eine kollektive Beteiligung mit individuellen Mehrwert (zum Beispiel durch die Gemeinde, so dass das Freibad erhalten bleiben kann) an Anlagen zur Erzeugung oder Verteilung regenerativer Energien, steigt auch deren Akzeptanz“ (Kühne 2013a, 20). Wird zudem noch ein positives Bewusstsein für den Nutzen von sogenannten Energielandschaften und ihre ästhetische Erhabenheit geschaffen bzw. gestärkt, können sich postfossile Landschaften zu zukunftsfähigen und gesellschaftlich akzeptierten Räumen entwickeln (Linke 2017b, 97). Ein weiteres großes Entwicklungspotential ist in der Landwirtschaft zu sehen. Der rein wirtschaftliche Nutzen der Landwirtschaft ist derzeit gering. Als Beispiel ist die Bruttowertschätzung der Landwirtschaft in Niederbayern, die bei nur 1,9 % liegt (Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung 2014), obwohl mehr als die Hälfte der Gesamtfläche des Regierungsbezirkes Landwirtschaftsfläche ist. Viele Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Relevanz zunächst weiter sinkt (siehe Kapitel 3.1.1; vgl. Bätzing 2006; Henkel 1999; Kühne 2006b).30 Daraus lässt sich die Folgerung ableiten, dass ein Teil der ehemaligen Landwirtschaftsfläche nicht mehr für diese Nutzung benötigt wird und große Flächenpotentiale entstehen. Diese Flächen können für verschiedene andere Nutzungen gebraucht werden. Ein Beispiel hierfür ist die Wiederbewaldung. Diese andere Nutzung scheint aus zwei Gründen zukunftsfähig: Das Produkt des Waldes, das Holz, ist ein nachwachsender Rohstoff (Heissenhuber 2008, 52), dessen erneuerbare Ressource zur Energiegewinnung genutzt werden kann, und der Wald weist eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung auf (vgl. Kühne 2006b).

30

Hier sei angemerkt, dass diese Einschätzungen vor der Forcierung der Energiewende durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima getroffen wurden. Seitdem ist die wirtschaftliche Relevanz der Landwirtschaftsfläche u.a. durch Biomasseanlagen wieder angestiegen. Jedoch werden diese Einschätzungen auch dadurch nicht grundlegend revidiert.

Alltagsweltliche Konstruktion von Landschaft

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Auch in Bezug auf die sogenannten Energielandschaften lassen sich Ansätze für eine weitere postmoderne Entwicklung erkennen. Dass vielseitig strukturierte Räume in der Gesellschaft häufiger akzeptiert werden als monostrukturierte, wurde bereits angesprochen (vgl. hierzu auch Vogt 2014). Vor allem Forschungseinrichtungen und Universitäten suchen derzeit nach Gestaltungslösungen, wie sogenannte Energielandschaften aussehen können. Diese multistrukturierten Räume sollen neben der Produktion erneuerbarer Energieträger auch einem ästhetisch positiven Anspruch genügen (siehe Abbildung 6 und 7). Dieser doppelte Anspruch an materieller und immaterieller Qualität kann somit den Bedürfnissen der Energiewende gerecht werden sowie auch den steigenden ästhetischen Ansprüchen der Gesellschaft. Mit diesen erhabenen Landschaftskonstrukten31 kann gegebenenfalls verhindert werden, dass es durch sogenannte monostrukturierte Räume zu einer „ästhetischen Verarmung“ kommt (Ipsen 2006, 28).

Abbildung 6:

31

Entwürfe von multistrukturierten Energielandschaften 1 (ARGE hochC Landschaftsarchitektur www.hochC.de/Horst Schumacher/Lenné 3D Auftraggeber: IBA Fürst-Pückler-Land)

Erhabenheit ist auch ein Ausdruck von Heterogenität, vgl. Kühne (2013a); Welsch (1993).

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Abbildung 7:

Entwürfe von multistrukturierten Energielandschaften 2 (ARGE hochC Landschaftsarchitektur www.hochC.de/Horst Schumacher/Lenné 3D Auftraggeber: IBA Fürst-Pückler-Land)

Abbildungen 6 und 7 zeigen Beispiele dieser postmodernen Entwürfe, die jedoch noch nicht in die Praxis umgesetzt wurden. Diese Bilder vermitteln eine Vielseitigkeit, die auf den ersten Blick wohl eher mit interessant als mit langweilig beschrieben werden können. Jedoch bleibt die Frage offen, ob diese Räume von Großteilen der Bevölkerung als positiv ästhetische Räume wahrgenommen und dadurch auch akzeptiert werden können.32 3.2.4 Spezielle Landschaftskonstrukte: Die stereotype Landschaft Wird eine Person gebeten, sich etwas unter dem Begriff Landschaft vorzustellen und diese zu beschreiben, wird meist ein Raum mit stark idealisierten Elementen dafür verwendet. So ist laut Hard „die (wahre) Landschaft […] weit und harmonisch, still, farbig, groß, mannigfaltig und schön“ (1970, 135). Diese Vorstellungen können als stereotype Landschaftskonstrukte bezeichnet werden. Sie haben

32

Darüber hinaus bleibt bisher auch die Frage offen, wie sich der Ertrag in Relation zu den Kosten der Bewirtschaftung verhält und wie im Vergleich dazu diese Relation der fordistischen Landwirtschaft.

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die Eigenschaft, dass sie sich häufig unterscheiden von den vorgefundenen Landschaftskonstrukten, also von den Räumen, die wir konstruieren, wenn wir uns in den von uns als Landschaft bezeichneten physischen Räumen aufhalten. Ein bedeutender Unterschied besteht vor allem in der ästhetischen Besetzung. Die Konstruktion einer stereotypen Landschaft wird in den meisten Fällen grundsätzlich als positiv besetzt. Die Konstruktion einer vorgefundenen Landschaft ist jedoch weitaus weniger eindeutig. Je nachdem, welche Elemente dieser Raum aufweist bzw. ihm zugeschrieben werden, kann die Konstruktion auch eine negativ besetzte sein (Linke 2018, 415ff.). Denn der Konstruktion dieser beiden Landschaftssysteme geht ein sehr komplexer Prozess voraus, der von unterschiedlichen einflussnehmenden Aspekten begleitet ist. Kühne spricht hier von einer „individuellen Zusammenschau von Gegenständen auf Grundlage sozial definierter Standards“ (2013b, 183). Somit ist dieser Prozess neben den physischen Elementen auch vor allem durch gesellschaftliche bzw. individuelle Vorstellungen geprägt. Das, was wir sehen, ebenso wie das, was wir uns in unserem Kopf vorstellen, wird beides erst durch einen soziokulturell beeinflussten Prozess zu einem Bild. Das Ergebnis ist meist emotional und vor allem auch ästhetisch konnotiert. Der ästhetische Bezug spielt eine wichtige Rolle, da die bereits erwähnte Ästhetisierung durch die Postmodernisierung der Gesellschaft deutlich zunimmt und dadurch die Akzeptanz beeinflusst. Derzeit lässt sich ein Abnehmen der Akzeptanz der Bevölkerung in Hinblick auf die Veränderung der als Landschaften bezeichneten physischen Räume feststellen. Eine repräsentative Umfrage von TNS Emnid besagt zwar, dass 93 % der befragten Personen den Ausbau erneuerbarer Energien befürworten (Agentur für Erneuerbare Energien 2015). Trotzdem werden konkrete Planungen häufig kritisiert und abgelehnt (vgl. u. a. Bernhardt 2013; Kühne/Weber 2016; Leibenath/Otto 2014; Pohl et al. 2014). Das liegt u. a. daran, dass oktroyierte Veränderungen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen von der ansässigen Bevölkerung nicht einfach hingenommen werden. Dieser Widerstand kann durch das neue postmoderne Selbstverständnis der Gesellschaft erklärt werden: „Dem politischen System wird die Fähigkeit zur Regelung der öffentlichen Angelegenheiten abgesprochen“ (Kühne 2018c, 290). Darüber hinaus stimmen in solchen Fällen die Konstruktionen der stereotypen Landschaften mit denen der vorgefundenen Energielandschaften nicht überein. Um diese Differenz genauer zu betrachten, muss zunächst die Konstruktion stereotyper Landschaften dargestellt werden. Bereits 1970 stellte Hard fest, dass die

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allgemeine Assoziation mit dem Begriff Landschaft meist durch positiv besetzten Begriffe verbunden ist. Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch Kühne (2006b). Er untersuchte die gesellschaftliche Konstruktion von Landschaften am Beispiel des Saarlandes. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung standen Wahrnehmungen und Interpretationen von Landschaftskonstrukten in der gesellschaftlichen Postmodernisierung. Er entwickelte einen Stereotypizitätsindex, der die stereotype Landschaftsvorstellung der durchschnittlichen saarländischen Bevölkerung aufzeigen soll. Demnach „gehören zu einer stereotypen Landschaft (mindestens, die Aufzählung ist nicht abschließend): Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre (im Sinne von Stimmung), Gebirge, Wolken und Landstraßen“ (Kühne 2006b, 154f.; vgl. auch Kühne et al. 2013). Diese stereotypen Landschaftskonstrukte werden von den befragten Personen auch überwiegend als schön bezeichnet (Kühne 2006b, 158). In einer vergleichbaren Studie kommt auch Micheel zu einem ähnlichen Ergebnis. Als Landschaften bezeichnete physische Räume werden in dieser Arbeit meist mit folgenden Begriffen beschrieben: „Grün“, „große Bäume“, „Wald“, „Hügel“, „Ruhe“, „Schönheit“, „Harmonie“ (Micheel 2012, 113). Die Kategorien der Ästhetik werden in den folgenden Kapiteln noch genauer dargestellt, hier sei jedoch erwähnt, dass einige dieser Begriffe, wie z. B. „Gebirge“ oder „große Bäume“, nicht nur den Zuschreibungen des Schönen entlehnt sind, sondern auch des Erhabenen. Diese Erkenntnis wiederum führt zurück auf die Postmodernisierung, da die Erhabenheit durch diesen Wertewandel eine positivere Besetzung erhält (vgl. Kühne 2012). Anders verhält es sich mit der Kategorie der Hässlichkeit. Im Allgemeinen als hässlich bezeichnete Objekte werden weiterhin negativ besetzt und finden sich nicht in den Aufzählungen wieder. Werden als Landschaften bezeichnete physische Räume als hässlich beschrieben, fehlt entweder die Zuschreibung von stereotypen landschaftlichen Elementen oder es werden diesen Räumen als störend bezeichnete Elemente zugeschrieben.33 Zu diesen nicht stereotypen bzw. störenden Elementen gehören laut Kühne folgende: „Regenschauer, einzelne Blumen, kleinere Städte, einzelne Menschen, Geräusche, Gruppen von Menschen, Industriebetriebe, Windräder, Autobahnen, Großstädte und Autos“ (2006b, 155). Weitere Elemente sind Lärm (Micheel 2012, 113), Neubaugebiete, 33

Die Zuschreibungen „stereotype landschaftliche Elemente“ bzw. „störende Elemente“ sind nicht statisch. Durch die gesellschaftliche Postmodernisierung lassen sich Tendenzen erkennen, die eine positivere Besetzung der mit Hässlichkeit in Verbindung gebrachten Begriffe vermuten lassen, vgl. Linke (2017a).

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Hochhäuser, große Strukturen oder Straßenbau (Kook 2009, 163). Je weniger als stereotype und je mehr als störende bezeichnete Elemente einem als Landschaft bezeichneten physischen Raum zugeschrieben werden, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass dieser Raum als schön oder erhaben konstruiert wird: „Je mehr störende […] Elemente eine Landschaft aufweist, desto weiter entfernt sie sich von der wirklich schönen Landschaft“ (Hokema 2013, 252, Hervorh. i. O.). Das Ergebnis ist eine steigende Unzufriedenheit mit dem vorgefundenen Raum, die häufig dazu führt, dass dieser Raum letztendlich nicht akzeptiert wird. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass im Vergleich dazu das gedankliche Bild eines stereotypen Landschaftskonstruktes positiv besetzt ist und es würde, wäre dieses Bild ein vorgefundener physischer Raum bzw. ein vorgefundenes Landschaftskonstrukt, auch akzeptiert werden (Linke 2018, 416). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass bislang nur die positiv besetzten Kategorien der Schönheit und Erhabenheit akzeptiert werden (vgl. Hasse 1997, 159ff.). Die Konstruktionen der vorgefundenen Landschaften entsprechen jedoch häufig nicht den reinen stereotypen Landschaftskonstrukten und werden deswegen auch nicht immer akzeptiert. Dieser Zustand ist aber nicht festgeschrieben, sondern wandelbar. Wie in Kapitel 3.5 noch genauer erläutert wird, ist Akzeptanz bzw. fehlende Akzeptanz revidierbar. Es ist sogar denkbar (wenn nicht sogar wahrscheinlich), dass in Zukunft beispielsweise derzeit teilweise als störend bezeichneten Windkraftanlagen sich zu akzeptierten und vielleicht sogar zu stereotypen Elementen von Landschaftskonstrukten wandeln (Linke 2018, 417). Folgende Umstände können diese Entwicklung beeinflussen: z. B. eine finanzielle Beteiligung der anwohnenden Bevölkerung an der Windkraftanlage (Kühne 2013a) oder (bzw. und) die weiterhin steigende positivere Besetzung der Ästhetik der Erhabenheit. Letzteres ist wieder auf die Postmodernisierung bzw. im Speziellen auf die Pluralisierung der Werte zurückzuführen. Dieser Wertepluralismus kann zu einer aufgeschlosseneren und offeneren Gesellschaft führen, die auch die derzeit von Teilen der Bevölkerung34 als hässlich bezeichneten Elemente akzeptiert bzw. sie positiv besetzt (Linke 2018, 417; vgl. auch Linke 2017a; 2017b). Bevor jedoch genauer auf die bewertende Konstruktion von Landschaftsbestandteilen eingegangen

34

Hier sei angemerkt, dass es durchaus soziodemographische Unterschiede in der ästhetischen Konstruktion von sogenannten Energielandschaften gibt: Vor allem für Jugendliche gehören Windkraftanlagen zum Teil zur heimatlichen Normallandschaft und werden daher nicht explizit als hässlich bezeichnet, vgl. Kost (2017); Weber et al. (2017).

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wird, sollen nun zunächst die Ästhetik und ihre Kategorien genauer untersucht werden. 3.3 Ästhetik und Landschaft: philosophische Zugänge und ästhetische Konstruktionsprozesse Der Begriff Ästhetik, wie er in dieser Arbeit verstanden wird, wurde bereits im Kapitel 2.4 dargelegt. Im folgenden Kapitel wird die Frage behandelt, welche Beziehung die Begriffe Landschaft und Ästhetik eingehen und wie als Landschaften bezeichnete physische Räume ästhetisch konstruiert werden. Schließlich ist Landschaft laut Hard „ein primär ästhetisches Phänomen, dem Auge näher als dem Verstand, dem Herzen, der Seele, dem Gemüt und seinen Stimmungen verwandter als dem Geist und dem Intellekt“ (1970, 135). Diese enge Verbindung von Landschaft und Ästhetik wird auch bei der Betrachtung des modernen Verständnisses von Landschaft deutlich. Dieses Verständnis entwickelte sich vornehmlich aus der ästhetisch-künstlerischen Befassung (Kühne 2013d, 138). Die ästhetischen Erfahrungen der Alltagswelt – in diesem Falle die ästhetischen Erfahrungen der Landschaften als physischer Raum (vorgefundene Landschaftskonstrukte) – weisen laut Kühne eine zentrale Relevanz auf: Zum einen werden ästhetisierte Objekte in das Bewusstsein gerückt, und zum anderen hilft die ästhetische Konstruktion bei der alltagsweltlichen Orientierung (Kühne 2013d, 138f.). Die ästhetischen Zuschreibungen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen stehen in enger Abhängigkeit dazu, wie Landschaftskonstrukte bewertet werden und wie bzw. ob sie akzeptiert werden. Bevor nun deshalb auf den ästhetischen Konstruktionsprozess von Landschaften eingegangen wird, sollen zunächst Landschaften als Gegenstand der philosophischen Ästhetik betrachtet werden. 3.3.1 Landschaften als Gegenstand der philosophischen Ästhetik Trotz der bisher jahrhundertelangen Beschäftigung mit der Ästhetik ist ihre Definition und ihre Gegenstandsfrage bis heute noch nicht endgültig geklärt (Pöltner 2008, 13). Diese Frage war vor allem für viele Philosophinnen und Philosophen der Vergangenheit eindeutiger zu beantworten. Hier wird häufig auf die Kunst als Hauptgegenstand der Ästhetik verwiesen. Baumgarten geht so weit, dass er die Ästhetik als Theorie der freien Künste bezeichnet (Schneider 2005,

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23) und auch Rosenkranz (Schneider 2005, 23) spricht im Kontext der Ästhetik hauptsächlich über Kunst. Rosenkranz unterteil den Begriff Ästhetik nicht nur in die Kategorien der Schönheit, Erhabenheit und Hässlichkeit, sondern darüber hinaus auch in drei Klassen: in die Klasse der Idee des Schönen, der Kunst als Produktion des Schönen und des Systems der Künste, also die dargestellte Idee des Schönen (Rosenkranz 1996 [1853], 5). Sehr auf die Künste bezog sich auch Hegel (Michel/Moldenhauer 1986). Er depotenziert das Naturschöne laut Piepmeier (1980, 23). Diese Arbeit legt ihren Schwerpunkt jedoch nicht in den Gegenstand der Kunst. Vielmehr steht die ästhetische Konstruktion der Landschaft im Vordergrund. Dieses Thema wurde auch in der Vergangenheit immer wieder einmal von einigen Philosophinnen und Philosophen aufgegriffen, jedoch fanden als Landschaft bezeichnete physische Räume dann häufig nur als Teilbereich der allgemeinen Ästhetik Erwähnung. Die Beispiele hierfür gehen weit zurück: Bereits Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux und die ästhetische Bedeutsamkeit seiner Unternehmung steht laut Piepmeier in der Tradition der Philosophie (Piepmeier 1980, 16, mehr dazu siehe Kapitel 4.1). Auch Kant beschäftigte sich wie bereits erwähnt mit Schönheit und Erhabenheit von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen. Er wies dem Naturschönen durchaus einen höheren Stellenwert als dem Kunstschönen zu (Schneider 2005, 49). Auch Vischer und Croce beschäftigten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Ästhetik von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Für Vischer kann Schönheit nicht als Objekt, sondern nur als Akt und damit als soziale Konstruktion verstanden werden. Sie ist demnach keine Eigenschaft, sondern eine Zuschreibung (Vischer 1922; vgl. auch Piepmeier 1980, 23f.). Auch für Croce stellt die Schönheit keine Eigenschaft dar, er spricht von Schönheit als Ausdruck und stellt dadurch ihre Objektivierung in den Vordergrund (Croce 1930). Adorno (Schneider 2005, 199f.) und Ritter (Ritter et al. 2010) sprechen in ihren Werken über die Ästhetik von Natur bzw. von Landschaft. Ritter beschreibt eine Landschaft „als Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist“ (Ritter 1996 [1962]), 35). Die in der Vergangenheit häufig betitelte Naturschönheit kann in der heutigen Zeit mit dem Begriff Landschaftsästhetik übersetzt werden. Hier sei jedoch vorausgesetzt, dass die Entwicklung der Ästhetik (von der Schönheit zur Schönehit, der Erhabenheit und der Hässlichkeit) in die moderne Begriffsübersetzung mitgedacht wird (Linke 2017a, 29).

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3.3.2 Ästhetische Konstruktionen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen Um den Begriff Landschaftsästhetik in dieser Arbeit aus seiner philosophischen Abstraktion zu lösen, ist es hilfreich, diesen Begriff aus dem Blickwinkel der Thematik Landschaft zu betrachten. Ritter beschreibt eine Landschaft als „Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist“ (1996 [1962]), 35). Auch wenn das aus konstruktivistischer Perspektive nicht evident ist, wird aus diesem Zitat deutlich, wie eng auch der Begriff Landschaft an sich bereits mit dem Begriff Ästhetik verbunden sein kann.35 Die Vermutung, dass die Konstruktion der Landschaft durch die Gesellschaft häufig sogleich mit der Konstruktion einer Ästhetik verbunden ist, lässt sich auch in der positivistischen Beschreibung vom Schutzstatus der Landschaft36 beobachten: „Das Naturschutzgesetz fordert den Erhalt, die Pflege und Entwicklung der Eigenart, Vielfalt, Schönheit der Landschaft, […] weil es davon ausgeht, dass Schönheit und der – ebenfalls geschützte – Erholungswert von Natur und Landschaft unmittelbar zusammenhängen“ (Schöbel 2012, 17, Hervorh. i. O.). Auch dieser Ansatz stellt keine konstruktivistische Perspektive dar, trotzdem ist er in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Wöbse geht hier sogar weiter. Er behauptet, jede Naturschutzbewegung habe einen ästhetischen Hintergrund, „da es ihr zunächst darum ging, die Zerstörung landschaftlicher Schönheit zu verhindern“ (2002, 14). Abgesehen von diesen Naturschutzbewegungen findet die Landschaftsästhetik als Bindeglied zwischen Ästhetik und Landschaftswissenschaften erst in den letzten wenigen Jahren durch die Forcierung der Energiewende vermehrt Beachtung. Wenn nun die Kategorien der ästhetischen Philosophie auf die verschiedenen Kategorien der konstruierten Landschaft übertragen werden (siehe hierzu auch Kapitel 2.4), ergeben sich folgende Landschaftskonstrukte (Linke 2017a, 29ff.; nach Rosenkranz 1996 [1853]; Schöbel 2012, 27; ergänzt durch Carlson 2009, 3):

35 36

Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich bereits Croce (1930) und Vischer (1922) mit der ästhetischen Konstruktion von Natur bzw. Landschaften beschäftigt. Aus konstruktivistischer Perspektive hat Landschaft keinen Schutzstatus bzw. Wert an sich, da Landschaft kein Objekt ist, das durch eine Eigenschaft bewertet werden kann.

Ästhetik und Landschaft: philosophische Zugänge und ästhetische Konstruktionsprozesse

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Das Schöne Als schöne Landschaft bezeichneter physischer Raum ist angenehm, geordnet, harmonisch, malerisch, sanft, farbig, hell, glänzend, die Farben sind allgemein zart und angemessen. Beispiele:

Abbildung 8:

Wasserschloss in einem Landschaftspark, Schönau, Niederbayern (eigene Aufnahme 2011)

Abbildung 9:

Isar bei Zulling, Niederbayern (eigene Aufnahme 2018)

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Das Erhabene Als erhabene Landschaft bezeichneter physischer Raum ist unendlich, beeindruckend, gewaltig, rührend. Beispiele:

Abbildung 10:

Lyse-Fjord, Norwegen (eigene Aufnahme 2014)

Abbildung 11:

Völklinger Hütte, Völklingen, Saarland (eigene Aufnahme 2014)

Ästhetik und Landschaft: philosophische Zugänge und ästhetische Konstruktionsprozesse

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Das Hässliche Als hässliche Landschaft bezeichneter physischer Raum ist defizitär, inkorrekt, ungeordnet, ekelerregend, nicht vollständig; enthält störende bzw. unerwünschte Elemente; stereotype landschaftliche Elemente fehlen. Beispiel:

Abbildung 12:

Solarfeld in der Gemeinde Hebertsfelden, Niederbayern (eigene Aufnahme 2014)

Wird die Abbildung 12 von Betrachtenden als hässlich konstruiert, kann das im Fehlen von stereotypen landschaftlichen Elementen gesehen werden (Linke 2017a, 31). Aber auch der Anästhetik kann eine Kategorie zugeschrieben werden: beispielsweise Monokulturen, die von Thomas Sieverts bezeichneten physischen Räume der Zwischenstadt (Sieverts 2001) oder auch Stadtlandhybride (vgl. Kühne 2012; Kühne et al. 2017b; Weber 2017) werden von außenstehenden Betrachtenden37 zum Teil als anästhetische Räume konstruiert bzw. „entziehen [sie] sich einer einfachen ästhetischen Bezugnahme“ (Kühne et al. 2017b, 178, Hervorh. i. O.). Durch diese Betrachtung ist es vorstellbar, dass das als hässlich bezeichnete Landschaftskonstrukt in Abbildung 12 auch als eine anästhetische Landschaft konstruiert werden kann, je nach Adaptionsniveau des Betrachtenden (Linke 2017a, 31): Werden bei diesem Bild Verlustängste hervorgerufen, steht 37

Bewohnerinnen und Bewohner von sog. Zwischenstädten oder Stadtlandhybriden „finden hier durchaus Orte und Situationen positiver ästhetischer Wahrnehmungen“, Kazig (2016, 227).

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Theoretische Grundlagen der Zugänge zu Ästhetik, Werten, Akzeptanz und Kommunikation

die Hässlichkeit als Zuschreibung im Raum. Wird der Raum der Abbildung als eine Art der Monokultur (nicht) wahrgenommen und ruft somit keine persönlichen Verlustängste hervor, wird wohl eher ein anästhetischer Raum konstruiert (Linke 2017a, 31). Somit folgt: Das Anästhetische Als anästhetische Landschaft bezeichneter physischer Raum wird kaum wahrgenommen, direkte ästhetische Bezugnahme fehlt; stereotype landschaftliche Elemente fehlen wie bei einem als hässlich bezeichneten Landschaftskonstrukt. Beispiel: siehe auch Abbildung 12. Es ist jedoch aus postmoderner Perspektive zu bezweifeln, ob eine absolute ästhetische Empfindungslosigkeit überhaupt (noch) existiert oder ob nicht bereits alles der Ästhetisierung unterliegt (Linke 2018, 413f.). Die postmoderne Ästhetisierung von Räumen leitet zur nächsten und letzten hier aufgeführten Kategorie der Ästhetik: dem Kitsch. Kitsch und als ländlich bzw. als Landschaften bezeichnete physische Räume haben seit jeher eine enge Verbindung (Stichwörter Heimatfilme - Gelfert 2000, 5; Idealisierung der sogenannten ländlich-idyllischen Heimat - Gelfert 2000, 44). Ein als kitschig bezeichneter physischer Raum spielt jedoch im Zuge der Postmodernisierung eine besondere Rolle. Laut Kühne haben „Verkitschungen […] eine zentrale Bedeutung in Bezug auf die soziale Konstruktion von Landschaft: Verkitschungen dienen als Entkomplexisierung von Welt“ (2012, 139) und dienen damit der „Aufrechterhaltung alltagspraktischer Handlungsfähigkeit“ (Kühne 2012, 139). Die postmoderne Gesellschaft bekennt sich – anders als noch die moderne Gesellschaft – zum Kitsch, dazu gehört „eben auch romantisierte liebliche, pittoreske und/oder erhabene Landschaft“ (Kühne 2012, 140).

Ästhetik und Landschaft: philosophische Zugänge und ästhetische Konstruktionsprozesse

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Das Kitschige Als kitschige Landschaft bezeichneter physischer Raum ist eine überzeichnetes bzw. sogar übertriebenes als schön bezeichnetes Landschaftskonstrukt, romantisiert, idyllisch, lieblich, pittoresk; stereotype landschaftliche Elemente sind deutlich vorhanden und werden ggf. überzeichnet. Beispiele:

Abbildung 13:

Magnolienblüten im Frühling, Schönau, Niederbayern (eigene Aufnahme 2011)

Abbildung 14:

Sonnenuntergang in Bergen, Norwegen (eigene Aufnahme 2014)

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Hierbei ist anzumerken, dass die Konstruktion stets sehr individuell geprägt ist, auch wenn bei einem Großteil der Bevölkerung Einigkeit darüber bestünde, welcher Kategorie diese Abbildungen zuzuordnen seien. Das hat seinen Grund darin, dass sowohl einzelne physische Elemente wie auch die Zusammenschau der physischen Elemente sowohl einer bzw. mehreren ästhetischen Kategorien als auch unterschiedlichen Kategorien zugeschrieben werden. Eine absolute Zuordnung zu einer einzigen ästhetischen Kategorie ist daher nicht zu erwarten. Unabhängig von den ästhetischen Kategorien ist die Attraktivität laut verschiedenen Forschenden auch an die Komplexität gebunden, die hier nur kurz angesprochen werden soll. Die Komplexitätstheorie, die Ipsen auf das Thema Landschaft übertragen hat, besagt, dass Räume mit steigender Komplexität (Abwechslungsreichtum) an Attraktivität gewinnen. Wird die Komplexität zu hoch, nimmt die Attraktivität jedoch wieder ab, da sie die Betrachtenden überfordert (mehr dazu Ipsen 2006; siehe auch Kühne 2018c, 172ff.). Konstruierte Landschaften in der Postmoderne sind jedoch weder eindeutig noch statisch, und eine sogenannte Bewertung der Landschaftsästhetik kann nicht allgemeingültig sein (Linke 2017a, 31; vgl. Bruns/Kühne 2013; Kühne et al. 2017a). Abschließend kann zusammengefasst werden, dass ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum dann als ästhetisch konstruiert wird, wenn „ein atmosphärischer Überschuss zur reinen Sachlichkeit der Dinge [hinzukommt]“ (Hasse 1997, 14, Hervorh. i. O.), wenn sie uns emotionalisierend trifft (Hasse 1997, 15) oder wenn die Betrachtenden emotional mit diesem Raum verbunden sind (Kazig 2016; vgl. auch die Konstruktion heimatlicher Normallandschaft von Kühne 2013d). Aber nicht nur schön ist eine ästhetische Zuschreibung, sondern auch erhaben oder hässlich. Obwohl alle diese Kategorien eine ästhetische Zuschreibung darstellen, ist die emotionale Besetzung allerdings unterschiedlich. Ein als schöne Landschaft bezeichneter physischer Raum erfährt seit jeher eine positive Besetzung. Aber auch das Erhabene wird seit ca. dem 18. Jahrhundert (vgl. Hammerschmidt/Wilke 1990), aber auch vor allem durch die Postmodernisierung (vgl. Kühne 2012) immer positiver besetzt. Im Gegensatz dazu bleibt ein als hässliche Landschaft bezeichneter physischer Raum bislang immer noch negativ konnotiert. Liessmann (2009) betont jedoch, dass das Schreckliche (eine Steigerung des Hässlichen) bei einer gewissen Distanz, also wenn keine persönliche Betroffenheit besteht, auch „ästhetisch genossen werden kann“ (Liessmann 2009, 72). Hierbei sei angemerkt, dass das Schreckliche auch erhabene Zuschreibungen enthalten kann und es aus diesem Grund zu der ästhetisch positiven

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Wahrnehmung führen kann. Darüber hinaus stellt Liessmann folgende These auf: Nicht die reine Form einer ästhetischen Kategorie, sondern gerade die Hybridität bzw. sogar die Hybridität der sich widersprechenden Kategorien üben einen positiven Reiz aus und enthalten eine besondere (positive) Qualität (Liessmann 2009, 33f.). Hier ist nun die Frage zu stellen, welche ästhetischen Kategorien zur Konstruktion der Landschaften herangezogen und welche dieser Kategorien akzeptiert werden. Des Weiteren ist es bedeutsam, ob sich die positiven oder negativen Besetzungen bestimmter Landschaftskonstrukte durch den Betrachtenden verändern. Denn obwohl die ästhetischen Bezüge in der Theorie bereits umfassend untersucht wurden, bleibt die aktuelle ästhetische Konstruktion von Landschaften in ihrer Komplexität bislang noch weitgehend unbekannt (vgl. Kazig 2013, 225). Diese Forschungslücke mag in Zeiten der totalen Landschaften noch nicht als Defizit angesehen worden sein. Im Zeitalter der postfossilen Landschaften ist es jedoch von Bedeutung, sich diesen Fragen zu stellen. Durch Forcierung der Energiewende ist das gesamtgesellschaftliche Interesse an der Landschaftsästhetik wie auch an der Akzeptanz von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen gestiegen. 3.4 Die Bedeutung von Werten und Ethik im Zusammenhang mit Landschaftskonstrukten Wird von Landschaftsästhetik sowie von Akzeptanz von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen gesprochen, ist häufig sogleich auch die Konstruktion der Bewertung dieser Räume relevant. Es fallen Aussagen wie der Wert der Natur bzw. der Wert der Landschaft. Mit diesen Aussagen werden Zuschreibungen, soziale Konstruktionen beschrieben. Laut Vogt sind Werte Ausdruck von Anerkennung oder Zustimmung (2014, 15). Im Allgemeinen werden bestimmte Wertesysteme innerhalb einer Gesellschaft zum Großteil akzeptiert. Durch die Postmodernisierung kommt es, wie bereits angesprochen, zu einem umfassenden Wertewandel, bei dem sich die Gesellschaft nicht mehr auf das vorhandene Wertesystem beruft, sondern neue Werte definiert (Linke 2017a, 25). Der erste Teil dieses Kapitels beschäftigt sich mit eben diesen Werten und Wertvorstellungen. Zunächst werden der Begriff und die soziologische Differenzierung zu Normen dargestellt. Anschließend wird untersucht, wie Werte konstruiert werden, welche Orientierungskraft sie haben und wie sie sich im Zeitalter

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der Postmodernisierung verändern. Auch hier erfolgt eine Annäherung aus philosophischer Perspektive, da viele Antworten geliefert werden, die auf das Thema dieser Arbeit übertragen werden können. Der zweite Teil dieses Kapitels behandelt ethische Grundsätze. Die Ethik, die als Wissenschaft der Moral zu verstehen ist, beeinflusst Landschaftskonstrukte und damit auch positive und negative Zuschreibungen von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen. Auch hier wird zunächst der Begriff erläutert und die inhaltliche Bedeutung zunächst aus philosophischer, anschließend auch kurz aus soziologischer Perspektive dargelegt. Am Ende wird die Frage gestellt, ob sich Werte, Ethik und speziell die öffentliche Moral auf die Konstruktion von Landschaften auswirken. 3.4.1 Theoretische Grundüberlegungen zu Werten: Begriffsannäherung und philosophische Zugänge In diesem Kapitel werden – nach einer kurzen begrifflichen und inhaltlichen Annäherung und einer Begriffsdifferenzierung von Werten und Normen – die theoretischen Grundlagen der Werte in der Philosophie gesucht. Laut Pauer-Studer kennt die Philosophie zwar keine einfachen Antworten, aber sie ist in der Lage, eine Richtung zu weisen und zum Nachdenken anzuregen (2010, 9). 3.4.1.1 Begriffliche und inhaltliche Annäherung zu Werten Mit der Aussage Etwas hat einen Wert verhält es sich wie mit der Aussage, dass etwas schön sei: Es wird damit sogleich eine positive Zuschreibung transportiert. Diese positive Konnotation des Wertes ist im Gegenzug zur Ästhetik (siehe Kapitel 2.4) an dieser Stelle auch aus wissenschaftlicher Sicht evident. Der Begriff Wert stammt ursprünglich aus der Ökonomie. Er ist von dem althochdeutschem Begriff Werd abgeleitet und bedeutet „Preis“ oder „Kaufsumme“, im übertragenen Sinn jedoch auch „Geltung“, „(Wert-) Schätzung“, oder „Güte der Qualität“ (Hügli 2004, 556). Der Begriff wird jedoch nicht nur in der Ökonomie, sondern auch von vielen anderen Fachdisziplinen, wie beispielsweise von der Philosophie oder Soziologie, gebraucht oder im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet. In diesem Kapitel sollen die theoretischen Grundlagen von Werten aus soziologischer und philosophischer Perspektive dargestellt werden. Die Erkenntnisse können Hinweise darauf geben, welche Bewertungen den konstruierten Landschaften in der heutigen Zeit durch die Gesellschaft zugeschrieben werden.

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3.4.1.2 Werte und Normen – Begriffsdifferenzierung Der Begriff Norm stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Winkelmaß, Richtschnur oder Regel. Normen finden sich in der Ethik, allgemein im Sozialverhalten, in der Ästhetik, in der Technik und in der Alltagspraxis. Entspricht ein Objekt oder ein Verhalten einer Norm, wird es als normal bezeichnet, weicht es davon ab oder widerspricht der Norm, ist es abnormal oder anormal (Schäfers 2016, 30). Normen sind „explizit gemachte Verhaltensregeln, die Standardisierungen – und damit Handlungswiederholungen und -erwartungen – ermöglichen (Schäfers 2016, 32). Der Soziologe Émil Durkheim hat sich sehr intensiv mit der Normativität des Sozialen beschäftigt. Er bezeichnet den sozialen Tatbestand als eine „mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereich einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt, wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben besitzt“ (Durkheim 1984, 114). Dieser Zwang des Menschen zur Gestaltung bzw. zur Normierung – also zur Erstellung von Normen – ist der Versuch, die Willkür der zwischenmenschlichen Beziehungen zu begrenzen (Schäfers 2016, 32). Es gibt eine Vielzahl an Normen, die zu differenzieren sind. Beispielsweise weisen Normen häufig einen unterschiedlichen Grad der Bewusstheit auf, sie haben unterschiedliche Verbindlichkeiten oder betreffen verschiedene Adressaten oder Handlungszusammenhänge. Normen können sich auch in ihrem subjektiv gemeinten Sinn unterscheiden, Normen können Werte darstellen, aber auch ein „leidiges Muss“ (Schäfers 2016, 33). Normen können sich ebenfalls zu sozialen Rollen verfestigen, wenn das sogenannte rollenkonforme Verhalten beispielsweise als Familienvater oder als Verkehrsteilnehmender erwartet wird. Schäfers teilt die soziale Rolle in zwei Kategorien ein: einerseits die Verfestigung einer Reihe von Normen zu einem Verhaltenskomplex, andererseits die Summe der Erwartungen, die an andere an das eigene Verhalten richten (Schäfers 2016, 35–36; Dahrendorf 1977). Normen unterschieden sich jedoch ganz klar von Werten (vgl. Joas 1997). Joas spricht in diesem Zusammenhang von Werten als dem Guten und von Normen als dem Rechten (1997, 252). Während Normen Verhaltensregeln darstellen, sind Werte sind im Unterschied dazu grundsätzlich allgemeine Grundprinzipien der Handlungsorientierung und Ausführung bestimmter Handlungen (Schäfers 2016, 39.). „Werte sind Vorstellungen vom Wünschenswerten, kulturelle und re-

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ligiöse, ethische und soziale Leitbilder, die die gegebene Handlungssituation sowohl steuern als auch transzendieren. Die in einer Gesellschaft vorherrschenden Wertorientierungen sind das Grundgerüst der Kultur“ (Schäfers 2016, 39). Werte sind sehr allgemein, deswegen sind sie häufig nicht verhaltenswirksam. Um diese Wirkung zu erreichen, werden sie in bestimmten Situationen in soziale Normen operationalisiert. Wie sich Werte aus philosophischer Perspektive entwickelt haben, soll nun im folgenden Kapitel genauer dargestellt werden. 3.4.1.3 Philosophische Grundlagen von Werten Wie bereits angesprochen, stammt der Begriff aus der Ökonomie. Erst Ende des 19. Jahrhunderts bekommt der Begriff auch philosophische Bedeutung, obwohl Werte bereits in der stoischen Philosophie der Antike diskutiert wurden. Damals gab es drei Bedeutungen für den Begriff Wert: „Die Schätzung und Ehre an sich“, „der Schätzwert des sachkundigen Prüfers“ oder „der Auswahlwert oder Vorzugswert“ (Hügli 2004, 556). In unserer heutigen Zeit haben Werte ihren Ursprung nicht mehr in der Welt, sondern im Menschen. Vor allem für (Neo-)Pragmatikerinnen und (Neo-)Pragmatiker sind Werte nicht rein subjektiv oder objektiv, sie sind als eine soziale Interaktion zu verstehen (Hügli 2004, 571f.; vgl. auch Joas 1997). Laut dem Philosophen Max Scheler beschreiben Werte häufig eine materielle Qualität, die unabhängig von Gütern besteht (Schaber 2004, 568). Auch der Philosoph Alfred Jules Ayer betont, dass Werte Gefühle transportieren bzw. hervorrufen und „darin seien sie in der Verwendung von Ausrufezeichen vergleichbar“ (Roughley 2004, 578). Somit sind Werte, wie auch Landschaften, soziale Konstruktionen, die durch komplexe individuelle und gesellschaftliche Prozesse entstehen. Das unterstreicht auch die Tatsache, dass Werte nicht statisch, sondern flexibel, wandelbar sind. Beispielsweise waren die sechziger Jahre geprägt von „politischer Autoritätsgläubigkeit, eindeutiger Religionsausübung (kollektiver regelmäßiger Kirchengang), hoher Wertschätzung von Berufspflicht, Leistung mit sicherem Einkommen, Selbstverständlichkeit von Ehe, ehelicher Treue, Familie mit Kindern“ (Oesterdiekhoff/Jegelka 2001, 7). Diese Werte sind laut Hillmann auf „Autorität, Hierarchie, Konformität, Rationalität, Technologie und Wirtschaftswachstum“ ausgerichtet (2001, 23). Das Wertesystem der Postmoderne hingegen ist dominiert von „Autonomie und Selbstverwirklichung des Individuums, auf Lebensqualität und subjektives Wohlbefinden, auf soziokulturelle Vielfalt, auf die Wiederbelebung von Traditionen, auf größere

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Toleranz gegenüber ethnischen, kulturellen und sexuellen Unterschieden“ (Hillmann 2001, 23). Auch der Philosoph John Dewey hebt in seinem Werk Experience and Nature die Wandelbarkeit der Werte hervor: „Values are as unstable as the forms of clouds“ (1958, 399). Der Wandel der Werte ist in der menschlichen Umwelt, aber vor allem auch im gesellschaftlichen und individuellen Wandel festzustellen: „Good things change and vanish not only with changes in the environing medium but with changes in ourselves“ (Dewey 1958, 399). Werte entstehen also im menschlichen Dasein und sind Ausdruck von Anerkennung. Sie entstehen in der Kommunikation und beinhalten eine handlungsbezogene Deutung und eine Aufforderung (Linke 2017a, 33): ist etwas wertvoll ist, ist es somit direkt oder indirekt schützenswert (Vogt 2014, 15). „Nicht deswegen begehren wir die Dinge, weil wir jene mystische, unfassbare Essenz Wert in ihnen erkennen, sondern deswegen sprechen wie den Dingen Wert zu, weil wir sie begehren“ so der Philosoph Christian Freiherr von Ehrenfels (1897, 2, Hervorh. i. O.). Auch wenn die Konstitution von Werten hinsichtlich Entstehung, Wandelbarkeit, Subjektivität und Objektivität durchaus umstritten ist, ist es aus philosophischer (und auch aus konstruktivistischer) Perspektive unumstritten, dass Werte einen gesellschaftlichen und kulturellen Ursprung und kein statisches Wesen haben (Linke 2017a, 33; vgl. auch Dewey 1958; Ehrenfels 1897; Vogt 2014). Da Werten häufig ein ausgeprägter subjektiver Charakter zugeschrieben wird, haben sie in der heutigen Wissensgesellschaft wenig Orientierungskraft und daher auch wenig Bedeutung. Vogt spricht hier von einem „positivistischen Aberglaube[n]“ (Vogt 2014, 15), der dazu führt, dass Werte als „außerwissenschaftliche Angelegenheit“ (Vogt 2014, 15) betrachtet werden. Der Philosoph Hilary Putnam geht davon aus, dass Werte nicht nur subjektiv, sondern zu einem bedeutenden Teil auch objektiv beschreibend sein können: „Today we tend to be too realistic about physics and too subjectivistic about ethics, and these are connected tendencies“ (1981, 143). Von einigen Forschenden der Gesellschafts- und Geisteswissenschaften wird derzeit ein höherer Stellenwert von Werten gefordert, da eine ausschließlich rechtliche Regelung gesellschaftlichen Verhaltens nicht ausreichend ist (Vogt 2014, 17), auch angesichts dessen, dass religiöse Werte zunehmend an Wichtigkeit verlieren. Laut Peuckert dienen Werte „den durch Instinktreduktion und Verhaltensunsicherheit gekennzeichneten Men-

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schen als generelle Orientierungsstandards“ (1995, 397), und je widerspruchsfreier sie sind, desto mehr fördern sie damit die Integration und Stabilität einer Gesellschaft (Peuckert 1995, 397). Auch wenn Werte bislang eine eher geringe Orientierungskraft haben, lassen sich innerhalb der Wertehierarchie in der Gesellschaft jedoch deutliche Unterschiede der zugeschriebenen Geltung feststellen. Finanzielle bzw. materielle Werte haben häufig gegenüber moralischen, kulturellen oder ästhetischen Werten eine deutlich höhere Orientierungskraft (Linke 2017a, 33; Vogt 2014). Diese finanziellen Werte dominieren häufig also die Wertesysteme, verdrängen nichtmonetäre Werte und verhindern somit eine Wertevielfalt (vgl. Vogt 2014). Laut Vogt ist Vielfalt allerdings ein wichtiger Bestandteil im Zusammenhang mit Wertesystemen. Die Relevanz von Vielfalt kann sich auf verschiedenen Ebenen zeigen: zunächst auf einer übergeordneten Ebene. Diese Ebene bedeutet ein gleichwertiges und ausgeglichenes Nebeneinander von allgemeinen Wertekategorien, wie z. B. moralische, kulturelle, ästhetische und ökonomische Werte. Darüber hinaus kann Vielfalt auch innerhalb einer Wertekategorie von Bedeutung sein (Linke 2017a, 33). In Zusammenhang mit konstruierten Räumen äußert sich das beispielsweise in der Ästhetik. Laut Vogt wächst der ästhetische Wert eines Raumes mit der Vielfalt der Lebens- oder Strukturformen, Monokulturen sind seiner Meinung nach fragil (2014, 19). Er behauptet, dass vielseitige und abwechslungsreiche Räume häufiger als schön bezeichnet werden und der ästhetische Wert somit steigt. Bevor erläutert wird, welchen Einfluss Werte auf die Konstruktion von Landschaften haben, soll nun zunächst der Rahmen der Werte und der Moral – die Ethik – im Zusammenhang mit dieser Arbeit genauer dargestellt werden. 3.4.2 Theoretische Grundüberlegungen zur Ethik: Begriffsannäherung sowie philosophische und soziologische Zugänge Auch in diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen der Ethik, nach einer kurzen begrifflichen und inhaltlichen Annäherung und einer Begriffsdifferenzierung von Ethik und Moral, in der Philosophie gesucht. Darüber hinaus werden hier jedoch auch soziologische Zugänge dargestellt, da sie im Zusammenhang dieser Arbeit wichtige Erkenntnisse bringen.

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3.4.2.1 Begriffliche und inhaltliche Annäherung zur Ethik Ethik ist die Suche nach Antworten auf die Frage „Was sollen wir tun?“ (Vogt 2004, 14) oder „Was soll gelten?“ (Gethmann 2013, 51). Ethik ist eine philosophische Subdisziplin und hat die Moral als Gegenstand (Gethmann 2013, 51). Sie kann somit ganz allgemein als die Suche der Antwort auf die Frage nach dem Guten und Rechten verstanden werden. Diese Frage beschäftigt die Gesellschaft seit langer Zeit und ist vor allem durch die derzeitigen großen globalen Herausforderungen, wie z. B. dem Klimawandel, wieder in den Vordergrund getreten. Dabei wurde die häufig der Philosophie zugeschriebenen Angelegenheit immer mehr auch durch die genannten außerphilosophischen Herausforderungen wiederentdeckt (vgl. Berr 2017). Die Ethik wird aus dem Grund in dieser Arbeit genauer betrachtet, da sie sich mit Fragen und Antworten auf „auf dringende moralische Fragen im Umgang mit Natur“ auseinandersetzt, „insbesondere vor dem Hintergrund völlig neuer oder bislang nicht oder wenig gekannter wissenschaftlicher, technischer oder sozialer Handlungs-Möglichkeiten in unterschiedlichen Lebens- und Handlungsbereichen“ (Berr 2017, 1). Das soll nicht bedeuten, dass am Ende dieser Arbeit eine moralische Einordnung bzw. Bewertung der Ergebnisse erfolgt. Auch kann nicht geklärt werden, wie die Gesellschaft als Landschaften bezeichnete physische Räume oder einzelne Aspekte eines als Landschaft bezeichneten physischen Raums moralisch bewertet, da auch die Bewertung von Landschaftskonstrukten ein komplizierter individueller Prozess ist. Hier soll vielmehr die Frage gestellt werden, ob Werte- und Moralvorstellungen einen Einfluss auf die Konstruktion der Landschaften haben. Da die Ethik als Wissenschaft der Moral über moralische Urteile reflektiert, wird auch nachfolgend näher drauf eingegangen. Ferner spielt die Ethik im Zusammenhang mit der Ästhetik eine wichtige Rolle und kann somit auch nicht vernachlässigt werden. Beide sind Reflexionsdisziplinen: die Ästhetik des ästhetischen Urteils und die Ethik des moralischen Urteils (vgl. Berr 2017). Zusätzlich gehen sie eine spannungsvolle und bisweilen immer noch nicht zufriedenstellend beschriebene Beziehung miteinander ein. Häufig sind beide Begriffe weder einfach voneinander abzugrenzen noch kann ihre Zusammengehörigkeit in Gänze beantwortet werden (Berr schreibt hier von einer Überschneidungs- und Abgrenzungsproblematik; 2017, 5). Das Gute (die Ethik) und das Schöne (die Ästhetik) stehen seit jeher eng miteinander in Verbindung (Berr 2017, 4f.).

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Der Gegenstand der Ethik ist die Moral bzw. moralische Fragestellungen, die sich im Zusammenhang mit „Verletzbarkeit, Schmerz, Leid, Ungleichbehandlung und Unterdrückung“ (Pauer-Studer 2010, 12) ergeben. Demnach sind wichtige moralische Kategorien u. a. die „menschliche Würde, Achtung, Universalität, gleiche Berücksichtigung und grundlegende Rechte“ (Pauer-Studer 2010, 12). Äquivalent dazu kann der Gegenstand der Ästhetik das Geschmacksurteil darstellen, das vereinfacht ausgedrückt laut Illing als „ästhetisch begründete Präferenz für oder gegen bestimmte Objekte“ (2006, 12) verstanden werden kann. 3.4.2.2 Ethik und Moral – Begriffsdifferenzierung und weitere Kategorien Da Ethik und die dazugehörige Moral immer wieder kontrovers verwendet werden, ist es auch hier von Bedeutung, die beiden Begriffe in Zusammenhang dieser Arbeit ein- bzw. voneinander abzugrenzen. Zunächst zur etymologischen Herkunft. Der Begriff Ethik stammt vom altgriechischen Wort ēthos und hat die ursprüngliche Bedeutung Wohnort, gewöhnlicher Aufenthalt. Es haben sich hier jedoch auch zwei weitere Verwendungsweisen entwickelt, die für die heutigen Zusammenhänge ausschlaggebender erscheinen: Sitte, Gewohnheit und Brauch auf der einen, Charakter, Denkweise und Sinnesart auf der anderen Seite (Hübner 2014, 11). Keine der beiden Verwendungsweisen impliziert sogleich eine Wertung – auch wenn im alltagssprachlichen Gebrauch bei beispielsweise einem ethischen Verhalten eine positive Beurteilung vorausgesetzt wird (Hübner 2014, 11). Der Begriff Moral stammt vom lateinischen Wort mos ab. Auch dieser Begriff bedeutet zunächst auf der einen Seite Sitte, Gewohnheit, Brauch, aber auch Einrichtung, auf der anderen Seite auch Charakter, Denkart, Gesinnung, Wesen, Wille und Eigenwille (Hübner 2014, 12). Aus etymologischer Sicht sind die beiden Begriffe Ethik und Moral trotz geringfügiger Abweichung demnach annähernd synonym. Jedoch ist das im heutigen wissenschaftlichen (auch im allgemeingültig korrekten alltagsweltlichen) Sprachgebrauch nicht der Fall, was nun genauer erläutert werden soll. Grundsätzlich ist Ethik die Wissenschaft der Moral, somit ist die Moral der Gegenstand der Ethik (Gethmann 2013, 51). Eine Moral ist ein Normensystem (siehe Kapitel 3.4.1.2), also eine Sammlung von Üblichkeiten, Gepflogenheiten, Werten, Konventionen, Prinzipien, Regeln oder Traditionen, die für gesellschaftliche Gruppen allgemein geteilt werden (Berr 2018, 58). Sie bezieht sich auf menschliche Haltungen und Aktionen

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und ist je nach gesellschaftlicher Aushandlung verbindlich – sie hat einen Unbedingtheitscharakter (Hübner 2014, 13). Es kann auch nur menschliches Verhalten Gegenstand der Moral sein, nicht etwa tierisches Verhalten oder ein Umweltereignis. Somit ist der Mensch zwar das einzige Moralsubjekt, aber nicht das einzige Moralobjekt, denn auch das Verhalten gegenüber Tieren oder der Umwelt kann Gegenstand der Moral sein (Hübner 2014, 15). Die Ethik hingegen ist eine akademische Fachrichtung, die Wissenschaft von der Moral, die vor allem in der Philosophie auftritt38 (Hübner 2014, 17). „Moral ist ein Normensystem, Ethik ist dessen Reflexion. Moral ist der Gegenstand, Ethik die Wissenschaft. Moralisch bezieht sich auf die Normebene (der betrachteten Person oder der sprechenden Person), ethisch kennzeichnet die Reflexionsebene (ihre Objekte oder ihre Konzepte). Moralisch heißt so viel wie sittlich (aus jemandes Normen entspringend oder mit den eigenen Normen übereinstimmend), ethisch heißt so viel wie sittenwissenschaftlich (in jener Reflexion thematisch oder zu jener Reflexion gehörig). Moralische Ansichten sind ethische Themen.“ (Hübner 2014, 19, Hervorh. i. O.). Soweit zur Abgrenzung von Ethik und Moral. Aber auch innerhalb dieser begrifflichen Systeme gibt es Unterschiede bzw. Kategorien. Zunächst zur Moral. Moralische Ansichten prägen die privaten sowie auch die öffentlichen Bereiche des Lebens. Zwischen der Individualmoral und der öffentlichen Moral bzw. der Sozialmoral gibt es jedoch Unterschiede. Die Individualmoral beschäftigt sich mit der Frage, wann eine Person im moralischen Sinne gut39 handelt, also mit dem persönlichen, individuellen Handeln. Auch wenn diese Moral internalistischer Art ist, sie also aus der persönlichen, vernunftbasierten Einsicht einer Person entsteht, ist sie keine private Moral, da sie auch immer vor anderen Personen gerechtfertigt werden muss (Pauer-Studer 2010, 15). Pauer-Studer spricht hier von der Intersubjektivität der persönlichen Moral (2010, 15). Die öffentliche Moral hingegen beschäftigt sich nicht mit der einzelnen Person, sondern mit Gesellschaften oder gesellschaftlichen Institutionen. Es handelt häufig von der Frage von Gerechtigkeit oder Gleichheit. Für die vorliegende Arbeit ist vor allem die öffentliche Moral interessant. Die Frage ist hier, 38 39

Die Ethik wird jedoch auch in anderen Fachdisziplinen behandelt, wie u. a. in der Medizin, Psychologie oder auch in der Soziologie. Die Zuschreibung gut und nicht gut bzw. böse sind aus konstruktivistischer Perspektive individuell und gesellschaftlich auszuhandeln. Daher versucht die normative Ethik zunächst, diese moralische Richtigkeit zu definieren, siehe Pauer-Studer (2010, 193). Die Methaethik hingegen untersucht die Bedeutungen und Gültigkeiten moralischer Begrifflichkeiten und führt eine philosophische Reflexion der Sprache der Moral durch, siehe ebenfalls Pauer-Studer (2010, 193).

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ob die moralischen Grundsätze einer Gesellschaft in Bezug auf (nachhaltige Generationen-) Gerechtigkeit eine Rolle in der Bewertung von Landschaftskonstrukten spielen. Auch im Bereich der Ethik gibt es verschiedene Kategorien bzw. Theorien. Zunächst kann zwischen normativ-ethischen Theorien und der angewandten Ethik unterschieden werden. Die wichtigsten normativ-ethischen Theorien können wiederum in folgende Theorien unterschieden werden: deontologische (dentos = Pflicht) und teleologische (telos = Ziel) Theorien. Die deontologischen Ansätze betrachten die Art der Handlung an sich, ohne die Folgen miteinzubeziehen (Baggini 2014, 156). Beispiele für diese Theorien sind beispielsweise die kantische Ethik oder die Diskursethik. Im Gegenzug dazu beschäftigen sich die teleologischen Ansätze mit dem Ziel und den Folgen des Handelns, hier kann als Beispiel der Utilitarismus angeführt werden (Pauer-Studer 2010, 13). Die angewandte Ethik hingegen versucht, Lösungen zu konkreten moralischen Problemen des alltäglichen Lebens zu finden. Hier wird in die verschiedenen sogenannten Bereichsethiken unterteilt, wie z. B. Umweltethik oder Wirtschaftsethik (Nida-Rümelin 2005). Die Schwierigkeit liegt darin, aus den vielen verschiedenen ethischen Theorien auszuwählen. Pauer-Studer stellt zurecht die Fragen: „Welche dieser Theorien aber vermag Gültigkeit oder vorrangige Verbindlichkeit zu beanspruchen? Finden sich nicht in all diesen Ansätzen bedenkenswerte Standards ethischen Denkens und Überlegens?“ (2010, 26). In der Praxis geht es daher seltener um die Anwendung einer ethischen Theorie, sondern darum, aus den verschiedenen Ansätzen Regelungen zu erarbeiten, die mit grundlegenden Werten der Gesellschaft in Einklang stehen (Pauer-Studer 2010, 33). Im folgenden Kapitel 3.4.2.3 werden die ethischen Theorien, die für diese Arbeit von Interesse sind, noch einmal genauer dargestellt. 3.4.2.3 Philosophische Grundlagen der (europäischen) Ethik Vergangene und heutige Gesellschaften waren immer schon auf grundlegende Werte bzw. auf Regeln und Grundsätze angewiesen. Daher hat die Ethik als die Disziplin, die sich mit moralischen Fragen beschäftigt, eine sehr lange Geschichte. Moralische Fragen wurden auch schon gestellt, als es die wissenschaftliche bzw. philosophische Disziplin der Ethik noch gar nicht gab. Besonders seit der Antike erlangte die Ethik einen hohen Stellenwert. Zusammenfassend kann sie zu dieser Zeit als eine Ethik des guten und gelungenen Lebens beschrieben

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werden (Sturma 2017, 1325). Es ging nicht darum, welche Pflichten eine Person gegenüber einer anderen Person zu erfüllen hat, sondern wie eine Person leben muss, um ein erfülltes, glückliches Leben zu führen. Darum bezeichnet Aristoteles das Gute bzw. das Glück in seiner Nikomachischen Ethik auch als das höchste erstrebenswerte Ziel (Aristoteles et al. 2013). Um dieses Ziel zu erreichen, braucht der Mensch Tugenden. Tugenden sind laut Aristoteles dem Menschen angeboren, jedoch muss er sie im Laufe seines Lebens weiterentwickeln. Er unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Tugenden: den dianoёtischen Tugenden (Verstandestugenden, z. B. Weisheit, Klugheit und wissenschaftliches Denken, Burkard 2014, 42) und den ethischen Tugenden (Haltungen, „bei denen der Einzelne die richtige Harmonie zwischen seinen Affekten, Willensstrebungen und der vernünftigen Einsicht hergestellt hat“, Burkard 2014, 42). Diese Tugenden, die zur Erreichung des Endzieles eines glücklichen und erfüllten Lebens dienen, beruhen auf gesellschaftlicher Erfahrung, aus dem Leben in der Gemeinschaft. Sie können nicht durch Theorien abgeleitet werden (Burkard 2014, 42). In der Spätantike und im Mittelalter wird die abendländische Ethik stark durch christliche Einflüsse geprägt. Die weiterhin vorhandenen antiken Tugenden werden durch religiöse Tugenden, wie z. B. Demut, Hoffnung und Nächstenliebe, ergänzt. Was sich entscheidend ändert, ist das erstrebenswerte Ziel des Lebens: nicht mehr das Glück, sondern die Ausrichtung auf Gott steht nun an oberster Stelle. Es geht um die Erlangung des „jenseitigen Heils durch die Erlösung von Sünden“ (Burkard 2014, 43). Das bedeutet, dass nicht mehr der Mensch alleine zu seiner Vervollkommnung fähig ist, sondern er dafür auf Gottes Einwirken angewiesen ist. Diese nun vornehmlich christliche Ethik ist immer noch eine Strebensethik, die jedoch auf Gottes Gebote ausgerichtet ist (Burkard 2014, 43). Die Ethik der Neuzeit wurde vor allem von Kant geprägt. Sie entfernt sich wieder von der christlichen bzw. religiösen Ethik und auch vom Streben nach Glück. Kants Ansatz lautete: „Das moralische Gesetz soll von allen subjektiven Strebungen und Interessen frei sein sowie in seiner Geltung unabhängig sein von faktischen Normvorstellungen einer Gesellschaft und Einflüssen der Religion“ (Burkard 2014, 43). Ethik sollte von der philosophischen Spekulation freigehalten werden und Gebote und Forderungen der Moral sollten objektiv gültig sein (Pauer-Studer 2010, 35). Kant argumentiert, dass der Mensch nicht nur ein Naturwesen sei und deshalb auch nicht nur biologischen und physikalischen Gesetzlichkeiten und natürlichen Neigungen unterstehe (Burkard 2014, 43f.; sowie

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Rommerskirchen 2015, 104). Der Mensch sei geprägt durch die sogenannte sittliche Vernunft (Rommerskirchen 2015, 104) und könne sich aus diesem Grund selber Gesetze geben, die durch seine Vernunft entstehen (Burkard 2014, 43f.). Laut Kant lebt der Mensch „im andauernden Zwiespalt, ob er seinen Gefühlen und Trieben folgen oder der vernünftigen Überlegung gehorchen solle“ (Rommerskirchen 2015, 104). Die moralischen Gesetze, die sich der Mensch selber auferlegt, müssen laut Kant zwei Kriterien erfüllen: Sie dürfen keinen Selbstwiderspruch enthalten, und sie müssen von allen Personen befolgt werden können, da sie für alle Personen gleichermaßen verbindlich sein sollen. Grundlage für diese moralischen Gesetze ist der kategorische Imperativ. Somit ist für Kant das Prinzip der Universalisierbarkeit ausschlaggebend für die Moral (Burkard 2014, 43f.). Die Ethik des Utilitarismus verfolgte wieder andere Kriterien als die kantische Ethik. Kant lehnte sowohl Glückbestrebungen wie auch die Folgen einer Handlung als Beurteilungskriterium für seine Ethik ab (Burkard 2014, 44; vgl. auch Baggini 2014, 156). Der Utilitarismus führte beide Kriterien wieder ein und gilt somit als klassische Gegenposition zur kantischen Ethik. In dieser ethischen Auffassung ist die moralische Qualität von den Handlungsweisen und ihren Folgen abhängig – dementsprechend wichtig ist der Beitrag zum allgemeinen Wohlbefinden (Pauer-Studer 2010, 59; vgl. auch Bentham 1988; Mill 2010 [1863]); Frankena 2017b). Die Fokussierung dieser Ethik auf die Folgen einer Handlung oder Entwicklung ist Grund dafür, dass sie auch noch heute in der angewandten Ethik herangezogen wird. Das Grundprinzip des Utilitarismus ist folgendes: „Moralisch richtige Handlungen erscheinen als Resultat einer rationalen Wahl zwischen alternativen Möglichkeiten. Dabei werden folgende Kriterien zugrundegelegt [sic]: Gesinnungen oder Handlungen werden anhand ihrer Folgen beurteilt; die Folgen werden nach ihrem Nutzen bewertet (daher der Name Utilitarismus); dieser Nutzen muss einen Wert in sich darstellen (d. h. dem menschlichen Glück dienen) und schließlich kommt es nicht auf den Glückswert des Handelnden allein an, sondern auf den aller von der Handlung betroffenen (Universalitätsprinzip)“ (Burkard 2014, 45). Die Maxime des utilitaristischen Prinzips lautet daher folgendermaßen: „Wähle diejenige unter den zur Verfügung stehenden Handlungen, die das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl von Betroffenen zur Folge hat“ (Burkard 2014, 45). Die Schwierigkeit dieser Ethik liegt jedoch u. a. darin, dass häufig nicht alle Folgen zum Zeitpunkt der Handlung absehbar sind (mehr zu den Herausforderungen des Utilitarismus siehe Frankena

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2017a, 35ff.). Die letzte hier kurz vorgestellte Ethik im Zusammenhang mit dieser Arbeit ist die Diskursethik von Habermas. Er hat einen neuen Gedanken aufgenommen – und zwar den, dass moralische Konflikte nur mit Kommunikation gelöst werden können. Um einen erfolgreichen ethischen Diskurs durchzuführen, bedürfe es folgender Regeln: Die Sprache müsse verständlich sein, die Intention aufrichtig, die Aussagen wahr, und es müsse von allen beteiligten Personen ein Konsens angestrebt werden (Burkard 2014, 45f.). Habermas geht davon aus, dass Normvorstellungen einer Gesellschaft nicht statisch, sondern wandelbar sind. Er hat in seiner Ethik ein Verfahren untersucht, um Interessenskonflikte positiv zu lösen (Burkard 2014, 46). Jedoch gibt es nicht nur auf philosophisch-theoretischer Ebene verschiedene Vorstellungen von Ethik, auch auf gesellschaftlicher Ebene gibt es Abweichungen. Moralische Wertvorstellungen unterscheiden sich nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch zum Teil innerhalb einer Kultur. Burkhard verweist darauf, dass sich der Kontakt mit anderen moralischen Wert- und Lebensvorstellungen positiv, aber auch negativ auswirken kann. Positiv dann, wenn die Begrenztheit der eigenen Vorstellungen deutlich wird, wenn Selbstverständliches in Frage gestellt wird und somit ein Prozess bzw. eine Dynamik in Gang gebracht wird. Negative Auswirkungen kann der Kontakt verschiedener moralischer Wertvorstellungen dann mit sich bringen, wenn eine Seite versucht, ihre Vorstellungen auf andere zu übertragen und durchsetzen zu wollen (Burkard 2014, 47). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es trotz (oder gerade wegen) der langen und intensiven Beschäftigung mit Ethik und Moral kaum Normen gibt, die für alle verbindlich sind. Nicht einmal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinigten Nationen von 1948 wird kritiklos von der Weltgesellschaft anerkannt (Burkard 2014, 47). Auch Normen unterliegen der persönlichen und gesellschaftlichen Konstruktion, dem Zeitstil und vielen weiteren Aspekten. Trotzdem gibt es im europäischen Kontext beispielsweise in der öffentlichen Moral mehr oder weniger verbindliche Vorstellungen von Werten, wie z. B. der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit spielt im Rahmen der vorliegenden Arbeit ebenfalls eine Rolle, vor allem im Hinblick auf Generationengerechtigkeit. Der heutige Umgang mit unseren Ressourcen – und daher auch mit der Entwicklung der als Landschaft bezeichneten physischen Räume – entscheidet, wie die zukünftigen Generationen leben werden (vgl. Rommerskirchen 2015). Hier ist entscheidend, gemäß dem Utilitarismus die Folgen des derzeitigen Handels zu beurteilen, soweit es jeweils möglich ist. Ganz im Sinne des vom Philosophen Hans

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Jonas formulierten ökologischen Imperativs: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“ (1984, 36). 3.4.2.4 Soziologische Überlegungen zur modernen und postmodernen Ethik Eine andere Perspektive, aus der die Ethik im Zusammenhang mit dieser Arbeit noch einmal betrachtet werden soll, ist die soziologische. Bauman hat sich sehr intensiv mit der Ethik der Moderne und der Postmoderne auseinandergesetzt. Auch wenn die Autorin Bauman nicht in Gänze zustimmt, da seine Thesen eine zum Teil einseitige und pessimistische Sichtweise einnehmen, sollen die wichtigsten Grundüberlegungen hier dargestellt werden, da sie im Hinblick auf diese Arbeit interessante Gedanken aufwerfen. Bauman versteht die Moderne zunächst als ein Zwangssystem, „das seiner eigenen totalitären Vision der Regelbarkeit unterliegt“ (Rommelspacher 2014, 327). Er liest die Moderne vom Holocaust her und schreibt der modernen Gesellschaft eine zerstörerische Kraft zu. Die Moderne versuche unaufhörlich, die Gesellschaft umzuwälzen und in ihr Regelsystem zu zwängen. Alles, was sich nicht in dieses System passte, werde ausgegrenzt. Dadurch sei auch der systematische Massenmord möglich geworden. Laut Baumann hat die Moral in der Moderne versagt (Rommelspacher 2014, 327f.). Rommelspacher spricht Bauman hier einen großen Verdienst zu, da er gezeigt habe, „wie sehr der für die Moderne typische Größenwahn einer totalen Rekonstruktion der Gesellschaft mit dem Ziel, sie zu verbessern, zu Grausamkeiten in immer größerem Stil geführt hat und insofern die Barbarei also als ein durchaus typisches Moment der Moderne zu verstehen ist“ (2014, 328). Trotzdem verweist sie auch darauf, im Gegensatz zu Bauman, dass die Moderne auch eine bedeutende Ethik hervorbringen konnte. Sie spricht von Selbstbestimmung, sozialer Gerechtigkeit und den universellen Menschenrechten (Rommelspacher 2014, 329). Die Ethik in der Postmoderne ist für Bauman ähnlich einseitig. War die moderne Ethik geprägt von Zwängen und Pflichten, sei das Problem der postmodernen Ethik die Morallosigkeit. Er spricht vom Verschwinden des Ethischen, da es keine Ideale, Utopien und Zwänge mehr gebe und jede Person nur noch nach einem guten Leben, nach Lust und nach aufregenden Erlebnissen strebe. Interessant ist, dass Bauman davon spricht, dass die Ethik in der postmodernen Gesellschaft durch die Ästhetik ersetzt wird (Rommelspacher 2014, 329). Das zeigt sich für Bauman u. a. dadurch, dass aus dem sozialen in der Postmoderne

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ein ästhetischer Raum wird (Bonacker 2014, 175). Im ästhetischen Raum wird erlebt und nicht gehandelt: „Wer sein Leben selbst bestimmen will, versucht nicht, auf Entscheidungsprozesse in Organisationen einzuwirken, sondern er such nach Vergnügen. Statt der Wiederholbar- und damit der Erwartbarkeit in Interaktionen im sozialen als kognitiver Raum zählt im ästhetischen Raum ihr Überraschungs- und Erlebniswert“ (Bonacker 2014, 175f.). In Rahmen dieser Untersuchung würde das bedeuten, dass die ästhetischen Werte mehr Orientierungswerte als die moralischen Werte haben und die Gesellschaft mehr auf ästhetisches Wohlgefallen als auf moralische Werte abzielen würde. 3.4.3 Werte, Ethik und die Konstruktion von Landschaften Trotz der Ästhetisierung der Werte bleibt die Frage, ob die öffentliche Moral einen Einfluss auf die Konstruktion von Landschaften hat. Wird die öffentliche Moral in diesem Fall als ein Thema der Gerechtigkeit verstanden, so kann hier ganz konkret die Frage gestellt werden, ob die moralischen Grundsätze einer Gesellschaft in Bezug auf Gerechtigkeit in der Bewertung von Landschaftskonstrukten von Belang sind. Im Falle von sogenannten Energielandschaften führt Berr beispielsweise die „umweltethischen Aspekte[…] der Schonung und Bewahrung der menschlichen Lebensgrundlagen (Schonung der Energie-Ressourcen, Klimastabilität, Endlagerung nuklearer Abfälle)“ (Berr 2018, 59f.) an oder die „wirtschaftsethischen Gesichtspunkt[e] eines vernünftigen Umgangs mit knappen Gütern, wie die fossilen Ressourcen […]“ (Berr 2018, 60). Demzufolge müssten die sogenannten Energielandschaften, da sie für Nachhaltigkeit im Sinne der Brundtland-Kommission von 1987 und demnach für Generationengerechtigkeit40 stehen können, einen hohen positiven Wert zugeschrieben bekommen. Aus Baumans Perspektive jedoch hätte das zugeschriebene ästhetische Erscheinungsbild einen unabhängigen bzw. höheren Wert als die moralischen Zuschreibungen. Einige Untersuchungen, die im Bezugsrahmen ästhetischer Konstruktionen entstanden sind, deuten darauf hin, dass bei sogenannten Energielandschaften 40

Der Umstieg auf erneuerbare Energien soll zu einer „intergenerationell gerechten Entwicklung“ Kühne (2018c, 285) beitragen. Das bedeutet, kommende Generationen müssen gemäß dem Gleichheitsprinzip (Egalitarismus) zumindest über die Lebensqualität verfügen, wie sie heute vorzufinden ist Kühne (2018c, 285). Das Verständnis von Gerechtigkeit ist jedoch nicht durch den Egalitarismus definiert, es gibt verschiedene Antworten auf die Frage, was eine intra- bzw. intergenerationelle Gerechtigkeit ist, vgl. hierzu Kühne (2018c, 284ff.). Auch der Begriff Nachhaltigkeit unterliegt einer teils kontroversen Diskussion, auf die hier nicht eingegangen werden kann; vgl. hierzu u. a. Grunwald/Kopfmüller (2012).

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zumindest ästhetisch keine eindeutigen positiven Zuschreibungen zu erkennen sind. Hier sind beispielsweise die Befragungen von Kühne (2006b; Kühne/Weber 2016) zu nennen, der zu dem Ergebnis kommt, dass Elemente der Energiewende in als Landschaften bezeichneten physischen Räumen von großen Bevölkerungsgruppen als störend konstruiert werden, oder die bereits durchgeführte Bildanalyse der Autorin (Linke 2018), die aufzeigte, dass Bildern von sogenannten Energielandschaften häufig mehr störende als positiv stereotype Elemente zugeschrieben werden. Auch wenn festzustellen ist, dass die ästhetisch negative Konstruktion dieser Landschaften meist deutlich ausgeprägt ist, lässt sich auch die Tendenz bemerken, dass sogenannte Energielandschaften vor allem von jüngeren und gebildeteren Bevölkerungsgruppen immer häufiger als ästhetisch positiv konstruiert werden (vgl. Kühne/Weber 2016). Demnach könnte hier, wenn auch bisher in geringem Umfang, durchaus ein Einfluss der Werte und der Moral auf die Konstruktion der Landschaften festgestellt werden. Dieser Einfluss bzw. dieser Wertewandel lässt sich auch durch die Postmodernisierung der Gesellschaft erklären. Laut Vogt ergibt sich der Bedarf an einer ethischen Reflexion vor allem in Umbruchsituationen. „Eine solche Umbruchsituation ist angesichts des tiefgreifenden Wertewandels sowie der globalen, nationalen und regionalen Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung heute gegeben“ (2004, 15). Die ethische Reflexion dieses Wandels zeigt sich u. a. in einer Pluralisierung der Werte. Diese neue Wertevielfalt spiegelt sich auch in werthybriden Räumen wieder: Neben der monetären Bedeutung, die bislang die höchst Orientierungskraft hatten (vgl. Vogt 2014), haben Räume nun vermehrt auch kulturelle, soziale und ästhetische Wertzuweisungen. Diese Tendenzen lassen sich auch in als Landschaften oder als ländlich bezeichneten physischen Räumen erkennen, beispielsweise durch die Wertschätzung von historischen Bausubstanzen, die ästhetische Konstruktion von als erhabenen Energielandschaften bezeichneten physischen Räumen (Linke 2017c, 291) oder auch das wachsende ökologische Bewusstsein von postmodernen Gesellschaften (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) 2015; Spaemann 1986, 30f.). Diese und andere Tendenzen bezogen auch auf die Raumordnung reichen aber laut Vogt nicht aus, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die heutige Gesellschaft benötigt ein gestärktes moralisches Bewusstsein sowie ein zusätzliches Verantwortungsbewusstsein, wenn es beispielsweise um die globale und intergenerationelle Gerechtigkeit geht (Vogt 2004, 16). Angesichts der Konstruktion

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von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen bedeutet das, den öffentlichen moralischen Wert bestimmter neuer Landschaftskonstrukte (beispielsweise der Energielandschaften) zu stärken. Inwiefern diese Räume derzeit zumindest akzeptiert werden, soll im folgenden Kapitel behandelt werden. 3.5 Akzeptanz von Landschaftskonstrukten Verstärkt durch die Postmodernisierung ist gesellschaftliche Akzeptanz ein wichtiger Faktor in Bezug auf die Durchsetzung räumlicher oder struktureller Entwicklungen oder Veränderungen geworden. Fehlt die Akzeptanz, also die gesellschaftliche Zustimmung, wird es oft schwierig, ein Projekt durchzusetzen. Die jüngsten Großprojekte wie Stuttgart 21 oder auch die Forcierung der Energiewende haben gezeigt, welche Auswirkungen fehlende Zustimmung mit sich bringen kann. Angesichts dieser Entwicklung stehen Akzeptanzumfragen in der Bevölkerung zu bestimmten Themen hoch im Kurs. Häufig stehen sie in Verbindung mit der Energiewende. Die Umstellung auf erneuerbare Energien kann nur mit der Zustimmung der Bevölkerung geschehen. Aus diesem Grund spielt die Akzeptanz und die Entstehung von Akzeptanz eine große Bedeutung für die Konstruktion der Landschaft und wird in diesem Kapitel genauer behandelt. Wie auch bei den Begriffen Postmoderne, Landschaft und Ästhetik bedarf auch der Begriff Akzeptanz zunächst jedoch eine Klärung und inhaltliche Eingrenzung im Kontext dieser Arbeit. Abschließend sollen dann die Fragen beantwortet werden, wann als Landschaften bezeichnete physische Räume akzeptiert werden und welchen Einfluss die Medien auf die gesellschaftliche Akzeptanz haben. 3.5.1 Der Prozess von Annahme oder Ablehnung: die Akzeptanz Das Verb akzeptieren kommt von „acceptare“ (lat.) und bedeutet „annehmen“ bzw. „empfangen“. Trotz der eindeutigen Wortherkunft gibt es viele verschiedene Definitionen des Begriffes. Finck (2013) stellt einige Gemeinsamkeiten der zahlreichen Definitionen auf: Akzeptanz wird mehrheitlich als eine wohlmeinende Haltung eines Subjekts gegenüber einem Objekt bestimmt (2013, 30); es handelt sich um eine subjektive Bewertung; die Voraussetzung für Akzeptanz ist Freiwilligkeit, und – wichtig in diesem Kontext – Akzeptanz ist das Ergebnis einer Auseinandersetzung (Finck 2013, 27f.). Es handelt sich also um einen Prozess: Dem Zustand der Akzeptanz geht der Prozess des Akzeptieren voraus

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(Finck 2013, 55). Um diesen Prozess in Gang zu bringen bzw. um vom Akzeptanzsubjekt überhaupt wahrgenommen zu werden, muss zuvor etwas angeboten werden – in Form von Informationen. Während des Akzeptierens müssen diese Informationen verarbeitet werden (Akzeptanzkontext). Sie werden dabei subjektiv ausgewertet (das Akzeptanzsubjekt konstruiert seine persönliche soziale Wirklichkeit), d. h. es werden die „eigenen Perspektiven und Bedürfnisse“ in den Prozess miteingebracht (Sting 2004, 139). Zusammengefasst bedeutet das, dass Akzeptanz am Ende eines Prozesses steht: Das Akzeptanzsubjekt ist zufrieden oder, bei fehlender Akzeptanz, unzufrieden mit dem Objekt bzw. einem System. Nicht nur die Änderung des Systems (hier: Landschaftskonstrukte) eröffnet einen Prozess des Akzeptierens, auch die Veränderung des Akzeptanzkontextes41 (beispielsweise die Veränderung der auszuwertenden Informationen42, der persönlichen Bedürfnisse oder der eigenen Perspektiven), kann diesen Prozess erneut ins Gang setzen, und das Ergebnis kann ein anderes sein. Persönliche Bewertungen von Landschaftskonstrukten sind daher revidierbar (vgl. Corner 1999). In Kapitel 3.1.4.4 wurde bereits angedeutet, dass die Akzeptanz unterschiedlich ausfällt, wie am Beispiel der sogenannten Energielandschaften in den Gesellschaften zu sehen ist. Diese Kreisläufe der Akzeptanz (mit dem dynamischen Resultat der Annahme oder Ablehnung) sind nicht neu, auch in der Vergangenheit haben sich als Landschaften bezeichnete physische Räume immer wieder verändert und unterlagen dadurch gesellschaftlichen Konflikten (vgl. Weber 2018). Ein Beispiel sind die großen Windmühlen im hölzernen Zeitalter (siehe Kapitel 3.1.1). Die enormen Eingriffe in diese Räume wurden sogar später zu idealisierten Elementen in der Landschaftsmalerei (Beispiel: „Ebene mit Windmühlen" von Jan Brueghel der Ältere). Innovationen werden zunächst meist kritisch betrachtet (oder zunächst sogar abgelehnt), später akzeptiert und anschließend zum Teil sogar als idealtypische Stereotype angesehen. Grundsätzlich ist es häufig der Fall, dass eine durchschnittliche, deutsche Person eher

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„Akzeptanzkontexte enthalten Informationen über Sach- und Situationszusammenhänge, sie geben mehr oder minder detailliert Auskunft über den Anbieter, dessen Angebot und die interne Struktur des Angebots, wie sie ebenfalls Auskunft geben können über Qualität der Überzeugung des Akzeptanzsubjekts, das Akzeptanzsubjekt selbst oder die Gründe, die zu dieser Überzeugung geführt haben.“ Finck (2013, 79). Auszuwertende Informationen erhalten die Bürgerinnen und Bürger (Akzeptanzsubjekte) beispielsweise über Medien oder Kommunikation mit anderen Personen.

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ängstlich gegenüber Innovationen eingestellt ist. Das bedeutet, dass eine Veränderung zunächst meist mit Skepsis betrachtet wird (Plenk 2015), bevor sie sich gegebenenfalls bewähren kann. Allerdings gibt es neben dieser Skepsis gegenüber Innovation noch einen weiteren Aspekt, der die Akzeptanz bzw. das Akzeptieren beeinflusst: der Wertewandel der Gesellschaften bzw. der Wandel von der Moderne zur Postmoderne (siehe Kapitel 2.1). Denn wie bereits angesprochen, ist die Ästhetisierung ein Merkmal der Postmodernisierung der Gesellschaften: „Nie hat man sich so sehr um die Ästhetik der Umwelt gekümmert wie heute“ (Burckhardt 2008, 251; vgl. auch Kühne 2012; Wöbse 2002). Es steigt also auch der ästhetische Anspruch an die neuen Landschaftskonstrukte. Das ist aus dem Grund neu, da sich die Gesellschaften erst seit diesem Umbruch vermehrt mit der Ästhetik von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen beschäftigt. Vor dieser Zeit wurde ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum als funktionaler Raum betrachtet und die Gestaltung war meist den existentiellen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Landwirtschaft geschuldet. Vor allem in der Agrargesellschaft wurde meist kein ästhetischer Anspruch an die als Landschaften bezeichneten physischen Räume gestellt, da die materielle Knappheit im Vordergrund stand. Während der Industrialisierung wurde den Menschen langsam bewusst, dass diese Räume auch als Erholungsräume dienen können (auch wenn es zu der Zeit auch nur wenige Parkanlagen im Stil von englischen Gärten waren, die der Erholung dienten). Mit dem weiteren Rückgang der primären und sekundären Wirtschaftssektoren bzw. parallel dazu mit der zunehmenden materiellen Sättigung und der ansteigenden Wohlstands- und Erlebnisorientierung veränderten sich die Ansprüche an diese Räume weiterhin. Als Landschaft bezeichnete physische Räume sind nun meist nicht mehr nur Funktions- oder Erholungsräume, sondern dienen auch der Befriedigung ästhetischer und erlebnisorientierter Bedürfnisse (vgl. Burckhardt 2008; Kühne 2013d). Beide genannten Aspekte, die Skepsis gegenüber Innovationen sowie der Wertewandel, bieten Erklärungsansätze für heutige Akzeptanzprobleme. Es stellt sich nun die Frage, unter welchen Umständen ein Landschaftskonstrukt akzeptiert wird und ob sich die positiven oder negativen Besetzungen durch die Betrachtenden verändern.

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3.5.2 Wann werden als Landschaft bezeichnete physische Räume akzeptiert? Nach diesen Ausführungen kann somit folgendes gelten: ein Landschaftskonstrukt als Bild im Kopf eines Individuums ist demnach meist ästhetisch positiv besetzt und besteht weitgehend aus stereotypen Elementen. Dieses Bild entspricht aber selten den vorgefundenen Landschaftskonstrukten. Je mehr „störende“ Elemente ein vorgefundenes Landschaftskonstrukt aufweist beziehungsweise je mehr stereotype Elemente fehlen, desto unzufriedener werden die Betrachtenden mit dem System Landschaft. Entspricht also ein vorgefundenes Landschaftskonstrukt nicht den stereotypen Vorstellungen bzw. entfernt es sich zu stark von dieser Vorstellung, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Konstruktion nicht akzeptiert wird. Anders formuliert: Wenn die Konstruktion von Landschaften in Verbindung mit ästhetisch positiv besetzten Begriffen bzw. Gedanken steht, dann muss auch das vorgefundene Landschaftskonstrukt zu dieser Vorstellung passen, um akzeptiert zu werden. Der Gegenstand der Akzeptanzdiskussion liegt also darin, dass die akzeptierte Ästhetik auf die positiv besetzten Kategorien, das Schöne und zum Teil das Erhabene, reduziert wird (vgl. Hasse 1997, 159ff.). Wie bereits erläutert, ist dieser Zustand der Akzeptanz jedoch nicht statisch. Ändern sich die Akzeptanzkontexte, kann der Prozess des Akzeptierens wieder erneut beginnen und zu einem anderen Ergebnis führen. Ein Beispiel zur Änderung des Akzeptanzkontextes schildert folgendes Szenario: Windräder im direkten persönlichen Umfeld werden derzeit von großen Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert.43 Kühne deutet jedoch darauf hin, dass die Windenergie mit Fortschreiten der Postmodernisierung mehr und mehr eine positive Besetzung erhält. Einerseits geschieht dies durch die immer positivere Besetzung der Ästhetik der Erhabenheit. Andererseits ist es auch möglich, die Akzeptanz durch Anreize bzw. durch die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse zu steuern, beispielsweise durch finanzielle Anteile der Bevölkerung an einem Windpark (Kühne 2013a). Diese Änderung des Akzeptanzkontextes führt zu einem erneuten Prozess des Akzeptierens und letztendlich

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Diesem Widerstand ist sogar die bayerische Staatsregierung gefolgt und hat 2015 die umstrittene 10H-Regelung eingeführt. Diese besagt, dass Windenergieanlagen einen Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu geschützten Wohngebäuden einhalten müssen, vgl. Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (2016). Diese Regelung erschwert den Bau von Windenergieanlagen deutlich.

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möglicherweise zur Akzeptanz. Auf lange Sicht ist es vorstellbar, dass ein Windrad zu einem stereotypen Element eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes wird. Wie bereits angedeutet, sorgt die Postmodernisierung dafür, dass sich der Akzeptanzkontext ändert. Die Gesellschaften befinden sich in einem Wandel, Schlagwörter hierfür sind u. a. Individualisierung, Flexibilisierung und Pluralisierung. Ferchhoff und Neubauer sprechen in diesem Zusammenhang auch von der „Risiko-, Nonstop-, Sensations- und Erlebnisgesellschaft“ (1997, 22). Postmoderne Gesellschaften sind vielseitiger und aufgeschlossener als noch die Gesellschaften der Moderne. Es ist vorstellbar, dass die zukünftigen postmodernen Gesellschaften offen und plural genug sind, um auch die beiden weiteren Kategorien der Ästhetik zu akzeptieren: das Erhabene und sogar das Hässliche. Denn Landschaft kann nicht nur als schön oder nicht schön konstruiert werden. Sie kann auch beispielsweise eine beindruckende Erhabenheit, eine erhabene Hässlichkeit oder sogar eine langweilige Schönheit zugeschrieben bekommen. Diese Konstruktionsmuster werden sich weiterhin irgendwo zwischen Akzeptanz und Ablehnung bewegen, jedoch bewegen sie sich vielleicht im Zuge der Pluralisierung der Werte weiter in Richtung Akzeptanz (Linke 2017a, 36). Im folgenden Kapitel soll nun mit diesem Hintergrundwissen auf die Bedeutung der Medien in diesem Kontext eingegangen werden. Es geht darum, welchen Einfluss Medien auf die Konstruktionen von Landschaften haben können und wie sie sich letztendlich auf die gesellschaftliche Akzeptanz auswirken. 3.6 Das Medium Internet als Informationsvermittler und prägende Instanz Luhmann sagte bereits vor einigen Jahren: „Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (1995, 5). Auch wenn er diese Aussage angesichts der individualisierten Kommunikation heute vielleicht nicht mehr treffen würde, verdeutlicht sie trotzdem den besonderen Stellenwert von Medien bzw. Massenmedien, zu denen auch das Internet gehört. Zunächst erfolgt in diesem Kapitel eine inhaltliche und begriffliche Klärung, bevor auf Macht und Machtmissbrauch der Medien eingegangen wird.

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3.6.1 Begriffliche und inhaltliche Annäherung zu Medien Der Begriff Medium kommt aus dem Lateinischen und bedeutet zunächst Mitte oder Mittelpunkt. Darüber hinaus umfasst der Begriff drei semantische Aspekte: als Mittel der Vermittlung, als eine lokale Mitte und als religiös-spiritueller Mittler im Sinne einer Zwischeninstanz (Wetzel 2017, 468). Was aber im heutigen Sprachgebrauch unter einem Medium verstanden wird, ist nicht einfach zu beschreiben, es gibt – wie auch schon bei dem Begriff Landschaft – sehr viele verschiedene Antworten. Laut Wetzel sind es „symbolische Konfigurationen von Zeichenträgern, die der Aufbewahrung, Übertragung und Berechnung von empirischen Daten menschlichen Daseins dienen“ (2017, 467). In den Kommunikationswissenschaften werden Medien heute vorrangig als Massenmedien gesehen, wie z. B. Pressewesen, Fernsehen und Internet. In dieser Disziplin wird versucht, die Prozesse der Informationsvermittlung zwischen Sender und Empfänger zu untersuchen und zu beschreiben. In den Kulturwissenschaften wiederum ist der Medienbegriff weiter gefasst. Hier fallen nicht nur die Massenmedien unter den Begriff der Medien, sondern auch Kleidung, Technik, Sprache, Schrift oder Bilder (Wagner 2014, 17). Ein besonderer Teil der Massenmedien, die Werbung, wird in Kapitel 3.7 gesondert behandelt. Diese Arbeit geht davon aus, dass das Internet, das die Grundlage für die Untersuchung darstellt, ein Massenmedium ist, das zwar auch, aber nicht nur Informationen zwischen Sender und Empfänger vermittelt. Dieses sehr weit verbreitete Medium ist auch in der Lage, sich auf soziale Prozesse auszuwirken und soziale Praktiken zu verändern (vgl. Wagner 2014). Medien verändern jedoch nicht nur die Informationen und wirken sich auf soziale Prozesse und soziale Praktiken aus, sondern sie entstehen auch erst durch soziale Prozesse. Laut Kühne sind Medieninhalte kein Abbild der Wirklichkeit (2012, 376), sondern das Ergebnis von „Selektion, Bewertung, Verarbeitung und Interpretation sozialer Ereignisse“ (Werlen 1997, 383; siehe auch Anders 1980; Liessmann 2013. 3.6.2 Der Einfluss und die Macht der Medien Die Medientheorie der Kulturwissenschaften geht von einer Generativität der Medien aus. Das bedeutet, dass Medien Informationen nicht einfach nur vermitteln, sondern sie auf eine ganz spezifische Art und Weise prägen und einer Botschaft etwas hinzufügen. Sie sind demnach keine neutralen Vermittler, sondern sogenannte Prägeinstanzen (Wagner 2014, 17). So verhält es sich auch mit dem

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Massenmedium Internet. Laut Thimm hat das Internet wie nur wenige andere globale Veränderungen die individuellen, sozialen und politischen Kommunikations- und Handlungsformen geprägt (2017, 433). Als Beispiele dafür nennt sie u. a. die Rolle von Twitter und Facebook im politischen Umbruch der arabischen Staaten 2011 oder Wikileaks. Aber auch das alltägliche Leben wird von Medien durchdrungen und dadurch verändert (Thimm 2017, 433). Krotz spricht sogar von der Mediatisierung der Gesellschaft und schreibt diesem Entwicklungsprozess einen ähnlichen Einfluss wie der Industrialisierung oder der Globalisierung zu. Ganze Kulturen und Gesellschaften sind durch die Medienkommunikation geprägt (2007, 27). Somit beschreibt die Mediatisierung „die wachsende Bedeutung der Medien für Arbeit, Alltag, soziale Beziehungen oder Politik“ (Thimm 2017, 434). Darüber hinaus beschreibt das Konzept Handlungsfelder und Sozialwelten, worin gesellschaftliches Handeln und kulturelle Sinnkonstruktionen unzertrennlich mit Medien verbunden sind. „Das Konzept soll insbesondere ausdrücken, dass damit nicht nur einseitige Wirkungen oder reziproke Effekte der Medien auf Personen(-gruppen) gemeint sind, sondern dass sich die Strukturen, Abläufe und Prozesse von Öffentlichkeit, Politik und (Arbeits)-Organisationen [sic], von Alltag und Identität, sozialen Beziehungen, Erwerbsarbeit und Konsum sowie gesellschaftlichen Institutionen und Geschlechterverhältnissen zusammen mit den Medien und der darauf bezogenen Kommunikation immer weiter entwickeln. Aus dieser Perspektive können heute Gesellschaft und Kultur als Ganzes sowie in ihren relevanten Teilen nur noch im Zusammenhang mit Medien theoretisiert und verstanden werden“ (Thimm 2017, 434). Die Geltung und der Einfluss der Medien sind jedoch nicht statisch, sondern wandeln sich stets und schreiten schnell voran. Diese Entwicklung wurde bereits in den letzten Jahren deutlich. War das Internet noch zu Beginn der 2000er Jahre dadurch gekennzeichnet, dass die meisten Nutzerinnen und Nutzer passiv rezipierten, hat es sich heute bereits zu einem user-generated content entwickelt, d. h. viele Nutzerinnen und Nutzer produzieren Inhalte aktiv (Thimm 2017, 435). Weitere Entwicklungsszenarien lassen sich nur schwer vorhersagen, jedoch stimmen die meisten Prognosen darin überein, dass noch weitere gesellschaftliche Veränderungen anstehen und die Geschwindigkeit dieser Veränderungen weiter steigen wird (Thimm 2017, 442). Wie diese Veränderungen aussehen und welchen Einfluss sie auf verschiedene gesellschaftliche, kulturelle, ökonomische oder politische Prozesse haben werden, kann nur vermutet werden. Wichtig wird

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jedoch weiterhin die Fähigkeit der einzelnen Personen sein, sich auf neue technologische Entwicklungen einzulassen. Denn nur dadurch kann die Teilnahme an der globalen Informations- und Mediengesellschaft und damit die gesellschaftliche Teilhabe gesichert werden. Die offenen Fragen der mediatisierten Welt sind somit als Zukunftsaufgabe und globale Herausforderung unserer Zeit zu verstehen (Thimm 2017, 441f.). Das Internet als ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe ist demnach ein wichtiger Bestandteil unserer heutigen Gesellschaft. Es trägt dazu bei, dass wir uns als selbstbestimmte Menschen verstehen: „Das Internet vermittelt uns Tag für Tag, dass wir zu jedwedem Thema alles Mögliche schreiben können“ (Wagner 2014, 39). Laut Luhmann suggerieren Informationen, die durch Massenmedien geschaltet werden, dem Menschen die Teilnahme an einer gemeinsam geteilten Realität, die jedoch nur fiktiv ist (Wagner 2014, 88). Somit entsteht über die Massen- bzw. Verbreitungsmedien ein „gemeinsam geteiltes Wissen – mit einem gemeinsamen thematischen Rahmen und einem gemeinsamen Zeitverständnis“ und dadurch auch „eine gemeinsam geteilte Aktualität“ (Wagner 2014, 88). Diese von der Gesellschaft konstruierte Wissensgenerierung mithilfe des Internets ist daher ein Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung in Bezug auf das Thema Landschaft stellen Konstruktionen der Gesellschaft dar. Da es keine absolute Realität bzw. nicht die eine Landschaft gibt, sondern nur persönliche Landschaftskonstrukte, können die Ergebnisse weder als falsch noch als richtig beurteilt werden. Dennoch stellen sie die Landschaftskonstrukte in ihrer Summe als gemeinsam geteilte Aktualitäten dar, die von großen Teilen der Bevölkerung als Landschaften konstruiert werden. 3.6.3 Medienkritik: Manipulationsvorwurf und Machtmissbrauch Luhmann wies bereits darauf hin, dass Massenmedien zwar Wissen verbreiten, sie aber auch gleichzeitig häufig einem Manipulationsverdacht unterliegen. Medien seien damit stets anzweifelbar (Luhmann 1995, 9). Vor allem auch die großen Medienkonzerne wie Google, Amazon oder Facebook stehen unter Verdacht, zu viel Macht und damit Manipulationsmöglichkeiten zu besitzen (Thimm 2017, 440). In diesem Bezugsrahmen kann von einer datensetzenden Macht technischer Systeme (Popitz 1992, 30) gesprochen werden. Diese Machttheorie von Popitz besagt, dass zwar nicht jedes technische Handeln weitreichende Folgen

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hat, „doch jedes Artefakt fügt dem Wirklichkeitsbestand der Welt eine neue Tatsache hinzu, ein neues Datum. Wer für dieses Datum verantwortlich ist, übt als Datensetzer eine besondere Art von Macht über andere Menschen aus, über alle Datenbetroffenen. Die Macht des Datensetzens ist eine objektvermittelte Macht. Sie wird gleichsam in materialisierter Form auf die Betroffenen übertragen. Das heißt: sie ist keineswegs eine Macht der Dinge über den Menschen – obwohl sie die Ideologie verdinglichter Macht nahelegt –, sondern eine Macht des Herstellens und der Hersteller; eine vom Hersteller in das Ding eingebaute, häufig längere Zeit latente Macht, die jederzeit manifest werden kann“ (Popitz 1992, 30f., Hervorh. i. O.). Speziell in Anbetracht der Manipulationsmöglichkeiten des Internets schreibt Thimm: „Die Kontrolle über die Algorithmen der Suche, die den Zugang zu Wissen steuert, ist heute ein Kern der Technologiekritik. Nicht nur die massive Nutzung privater Daten, als Geschäftsmodell von Facebook perfektioniert, sondern auch die Steuerung von Wissensprozessen durch die Algorithmisierung der sozialen Umwelt ist Element einer neuen Machtstruktur der Internetökonomie“ (2017, 440). Laut Thimm haben diese intransparenten Filterprozesse einen Einfluss auf die Konstruktion der sozialen Realität sowie auch auf unsere Meinungsbildung. Damit ist in diesem Punkt auch die ethische Relevanz der neuen Macht der Medien zu berücksichtigen, zumal Medien früher nur als Meinungsmacher kritisiert wurden, ihnen heute jedoch durchaus auch Kontrollfunktion zugeschrieben werden kann (Thimm 2017, 440f.). „Allzu häufig wird das Netz nämlich als Ort der Freiheit und der politischen Partizipationsoption gesehen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass diese Wahrnehmung unter Umständen hochgradig selektiv und technisch gesteuert ist“ (Thimm 2017, 441). Nach diesen Ausführungen wird deutlich, dass Medien zum einen als Wissensgenerator dienen, aber durchaus auch die Möglichkeit der Manipulation bereitstellen. Dieses Bewusstsein von Nutzen und Gefahr der Medien muss stets gegeben sein. Im folgenden Kapitel soll der Werbe- und Kommunikationsaspekt von Medien in Bezug auf das Thema Landschaften noch einmal genauer dargestellt werden.

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3.7 Als Landschaft bezeichnete physische Räume als Werbe- und Kommunikationsgegenstand Wie bereits angesprochen ist Werbung ein „Teil der Öffentlichkeit und der massenmedialen Spektrums“ (B. Kühne 2002, 26). Dieses Kapitel widmet sich, neben anderen Werken und Quellen, der Dissertation von Bärbel Kühne (2002), die sich mit dem Thema Das Naturbild in der Werbung befasste. Dabei wird auf das Werk selber, auf die öffentlich wirksame Kommunikation sowie auf die Stilmittel und die Wirkung der Werbung in Bezug auf Landschaftskonstrukte eingegangen. 3.7.1 Vorbemerkungen sowie begriffliche und inhaltliche Annäherungen In ihrem Werk spricht B. Kühne über das gedankliche sowie das werbewirksame Konstrukt Natur. Erörtert werden abgebildete Landschaftskonstrukte in damals aktuellen Werbekampagnen (also nur die in Bildform vorliegende Werbung, nicht etwa rein textliche Werbung) sowie auch der Einfluss der Werbung, die Konstruktion von Landschaften zu prägen. Obwohl vor allem kommerzielle Werbung nicht Hauptgegenstand dieser Arbeit ist, sind ein Teil der Analysen der nachfolgenden Untersuchung ebenfalls indirekt als eine Art Werbung zu verstehen. Darüber hinaus untersucht Kühne den Einsatz von abgebildeten Landschaftskonstrukten und gibt auch Hinweise auf die ästhetische Konstruktion von Landschaften. Somit können Erkenntnisse der Arbeit von Bärbel Kühne aus dem Jahre 2002 auch für diese Untersuchung interessant sein. B. Kühne spricht als Kommunikationsdesignerin in ihrem Werk von dem Begriff Natur, der in dieser Arbeit mit der Bezeichnung als Landschaft bezeichnete physische Räume ersetzt werden soll. Nach eingehender Prüfung ihres Naturverständnisses ist davon auszugehen, dass diese beiden Begriffe inhaltlich eine sehr ähnliche Bedeutung haben. Sie spricht zwar ebenfalls von Landschaft und bezeichnet diese als einen Teil der Natur, trotzdem versteht sie auch unter Natur bzw. auch unter Landschaft eine soziale Konstruktion (B. Kühne 2002, 11ff.). Der Begriff Natur in Bärbel Kühnes Werk Das Naturbild in der Werbung kann demnach gleichbedeutend mit dem Begriff Landschaft im erweiterten Verständnis (siehe Kapitel 2.2) in der vorliegenden Arbeit verwendet werden.

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3.7.2 Werbung als öffentlich wirksame gesellschaftliche Kommunikation Die Arbeit von Kühne untersucht hauptsächlich die Werbewirksamkeit und den Werbeeinsatz von als Natur bzw. als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Der Begriff Werbung ist allerdings sehr unscharf und bedarf einer Klärung. Behrens schreibt dazu: „Im weitesten Sinne ist Werbung eine bestimmte Form der Beeinflussung im zwischenmenschlichen Bereich; sie stellt also kein spezifisch ökonomisches, sondern ein allgemein soziales Phänomen dar“ (1976, 11, Hervorh. i. O.). Häufig wird unter Werbung die ökonomisch motivierte Werbung, die sogenannte Absatz- oder Wirtschaftswerbung, verstanden (Lehn 2010, 42). Laut Borchers ist diese Werbeform stark vereinfacht und – übergeordnet ausgedrückt – eine „bezahlte, unpersönliche, ihre Werbeabsicht offenlegende, massenmedial verbreitete Kommunikation“ (2014, 16), wobei er auch von sehr unterschiedlichen Erscheinungen spricht, die nur schwer verallgemeinert werden können. Mit Werbung ist laut Kühne jedoch nicht immer nur die Wirtschaftswerbung gemeint, d. h. Werbung mit ausschließlich materiellem Konsumcharakter, sondern es gibt ebenso beispielsweise gesundheitspolitische Werbung, Werbung von Stiftungen oder gemeinnützigen Einrichtungen bzw. – im Falle dieser Arbeit auch sehr relevant – Sozialmarketing. Sozialmarketing als zweitgrößter Bereich nach der Wirtschaftswerbung steht u. a. für Werbung von Regionen oder Städten, Parteien oder kulturelle Institutionen (B. Kühne 2002, 21). Obwohl alle drei genannten Bereiche der Werbung sich zum Ziel setzen, potentielle Konsumierende (nicht nur im materiellen Sinne) anzusprechen oder sogar von etwas überzeugen zu wollen (B. Kühne 2002, 22; vgl. auch Borchers 2014, 61ff.), ist die maßgebliche Absicht der Werbung unterschiedlich. Während die Wirtschaftswerbung auf Markenerinnerung, Absatzsteigerung und Verkaufsförderung abzielt (Lehn 2010, 53), ist die Aufgabe des Sozialmarketings eine andere: Sie soll informieren und gegebenenfalls einen Bewusstseinswandel der Betrachtenden erwirken (B. Kühne 2002, 21f.). In diesem Kapitel sollen zunächst die allgemeinen Bedürfnisse und Ideale, die Funktionen und die Absichten der Werbung beschrieben werden, um dann darauf einzugehen, was für die Konstruktion von Landschaften in der Werbung von besonderem Belang ist. Bedürfnisse und Ideale der Werbung (die Werte der Werbung) sind soziale Konstruktionen und sehr kultur- und zielgruppenspezifisch (Lehn 2010, 173). Hier finden sich u. a. hedonistische Werte (Lebensfreude, Erfolg, Schönheit, Jugend und Gesundheit), altruistische Werte (Verantwortung, Partnerschaft und

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Familie), aber auch Werte als gesellschaftliche Modeerscheinungen, wie z. B. Erlebnis- und Genussorientierung, Gesundheits- und Umweltbewusstsein oder Betonung der Freizeit (Lehn 2010, 173). Auch wenn diese Wertekonstruktionen nie allgemeingültig sind, hat eine Studie von Wehner im Jahre 1996 untersucht, welche Werte in Werbeanzeigen im 20. Jahrhundert (von 1900 bis 1992) am häufigsten vorkommen (Wehner 1996, 104): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Schönheit (Jugend, Gepflegtsein) Gesundheit (Vorsorge, Heilung) Geschmack, Bekömmlichkeit (Nahrungsmittel) Qualität (Hochwertigkeit/Premiumkategorie) Convenience (Bedienungskomfort) Leistungsfähigkeit (Zuverlässigkeit) Lebensfreude (Hedonismus, Lifestyle) Physisches Wohlbefinden (Komfort, Vitalität) Wirtschaftlichkeit (Preis-Leistungs-Verhältnis) Genuss (Nahrungsmittel und Getränke) Sicherheit (materiell/immateriell, Zukunft) Anerkennung (Erfolg, Status, Bewunderung) Soziale Beziehungen (Freunde, Partnerschaft) Lebensart (Stil, Anspruch, Kultiviertheit) Technikorientierung (moderne Technologie) Ästhetik (schöne Dinge, gute Form) Naturnähe/Ökologie (Umweltbewusstsein) Sauberkeit (Reinheit, Glanz, Hygiene)

Sie kam zu dem Ergebnis, dass sich die Überzeugungsstrategien der Werbung im Laufe des Untersuchungszeitraumes nur wenig geändert haben. Darüber hinaus kommt sie zu dem Ergebnis, dass es eine relativ stabile veränderte Prioritätenliste von Idealen in den Werbeversprechen44 von 1970 bis zum Jahr 1992 gegeben hat (Wehner 1996, 113). Allgemein wurden Werte in 98 % der untersuchten Anzeigen kommuniziert, die restlichen Werbeanzeigen verzichteten darauf, einen Nutzen oder Wert zu vermitteln (Wehner 1996, 101). Diese Liste hat laut Lehn auch heute noch eine „topische Argumentkraft“ (2010, 174), d. h. sie ist weiterhin relevant. Hinsichtlich der Funktion werden der Werbung fünf übergeordnete Kategorien zugeschrieben: erstens eine Informationsfunktion (Werbung soll Anbietende und Angebot identifizieren), zweitens 44

Wehner spricht hier von Werten, die „Einfluss auf das Konsumentenverhalten haben“ (1996, 101).

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eine Motivationsfunktion (Werbung soll überzeugen), drittens eine Verstärkungs- bzw. Verstärkerfunktion (Werbung soll dazu führen, dass die Konsumierenden das Angebotene positiv assoziieren), viertens eine Sozialisierungsfunktion (Werbung soll Normen und Modelle für das Konsumverhalten bereitstellen) und fünftens eine Unterhaltungsfunktion (Werbung soll unterhalten; Borchers 2014, 62; siehe auch B. Kühne 2002, 27f.). Für die Konstruktion von Landschaftsbildern in der Werbung spielen für Kühne folgende drei Funktionen eine besondere Rolle, die nachfolgend noch einmal näher betrachtet werden sollen (B. Kühne 2002, 28): Information: Wie wird ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum dargestellt? Motivation: Auf welche Weise wird die Aufmerksamkeit der Betrachtenden gewonnen? Sozialisation: Inwieweit lassen Bilder in der Werbung Aussagen über kollektive Konstruktionen von Landschaften zu? Information Wird der Begriff der Information losgelöst „von seiner allgemeinen Bedeutung des sachlichen, rational fassbaren, reines Faktenwissen vermittelnden Inhalts“ und um „Reize, die Stimmungen auslösen und Anmutungen und Atmosphären erzeugen“, erweitert (B. Kühne 2002, 29), ist auch Werbung ein bedeutender Informationsvermittler. Diese Ästhetik, also die sinnliche Wahrnehmung (siehe Kapitel 2.4) von Werbung, ist ebenfalls ein subjektiver Informationsverarbeitungsprozess, der sehr bedeutend ist für die Werbung. Denn Werbung muss laut Bärbel Kühne nicht nur auf sachlicher, sondern gerade auch auf emotionaler Ebene wirksam sein, d. h. unter anderem auch, sie muss Aufmerksamkeit erregen (2002, 29). „Unter Information versteht man also nicht nur rein rational fassbare, sondern auch emotional erfahrbare Inhalte“ (B. Kühne 2002, 29). In Bezug auf diese unterschiedlichen Informationen wird zwischen zwei verschiedenen Kategorien unterschieden: Thematische Informationen werden vorwiegend rational erfasst. Für die Werbung bedeutet das, dass diese Informationen eine Aussage

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über das Produkt und seine Vorteile treffen (z. B. Eigenschaften, Preis, Gebrauch usw.). Unthematische Informationen erzeugen jenseits der bewussten Wahrnehmung Stimmungen und Gefühle bei den adressierten Personen. Grundsätzlich ist jede Werbebotschaft auch ästhetisch wahrnehmbar, d. h. sie beinhaltet thematische und immer auch unthematische Informationen. Da sich die heutige (europäische) Gesellschaft in der Zeit der Massenproduktion befindet, unthematische Informationen eine immer größer werdende Rolle. Diese vorwiegend emotionale Ebene der unthematischen Informationen ist deshalb von Bedeutung, da laut Lehn die Märkte gesättigt, die Konsumbedürfnisse befriedigt sind und die Aufmerksamkeit gegenüber Produktinformationen gering sind. Nur eine zugeschriebene emotionale Qualität kann hier noch Produkte von anderen Produkten abgrenzen und zum Konsum anregen (Lehn 2010, 54). Darüber hinaus werden Produkte auch immer ähnlicher. Somit wird weniger über die sachlichen Aspekte (wie z. B. die Beschaffenheit) eines Produktes berichtet als über die emotionalen Aspekte (wie z. B. Image, gesellschaftliches Ansehen, Lebensgefühl). Sie werden sogar von Ihnen überlagert (B. Kühne 2002, 30). Motivation Der Grund für die stärkere Gewichtung der unthematischen Informationen im Vergleich zu den thematischen ist laut einiger Autorinnen und Autoren in der Bedürfnishierarchie von Maslow zu finden und leitet zur Motivationsfunktion über. Laut Maslow gibt es verschiedene Bedürfnisebenen, die er anhand einer Pyramide darstellt. Dieses Modell besagt, dass zuerst die Bedürfnisse der niederen Gruppe befriedigt werden müssen, bevor ein höheres Bedürfnis angeregt wird und das Handeln bestimmt (Heckhausen/Heckhausen 2010, 57). Die unterste Ebene stellen die physiologischen Bedürfnisse dar (z. B. Hunger, Durst). Die zweite Ebene ist das Bedürfnis nach Sicherheit (z. B. Geborgenheit, Schutz), die dritte ist das Bedürfnis nach sozialen Bindungen (z. B. Zuneigung, Liebe), die vierte Ebene ist das Bedürfnis nach Selbstachtung (z. B. Geltung, Status) und die fünfte und oberste Ebene ist das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung bzw. Selbstaktualisierung. Diese oberste Ebene kann nur dann befriedigt werden, wenn alle unteren Befriedigungen erreicht sind (Heckhausen/Heckhausen 2010, 57f.; siehe auch B. Kühne 2002, 31). Im Hinblick auf die Werbung sind vor allem die oberen Bedürfnisstufen relevant, da es in der westlichen Gesellschaft keine

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grundlegenden Bedürfnisse nach Nahrung und Schutz45 gibt. Ferner ist die allgemeine und flächenübergreifende Sicherstellung von Nahrung und Sicherheit kein Thema der Werbung. Es gibt allerdings Stimmen, die diese Bedürfnisbefriedigung eines sogenannten Mangels anzweifeln. So sagt Felser, dass „es der Werbung fast nie um elementare und grundlegende Bedürfnisse geht. Menschen, die Werbung sehen, denken fast gar nicht mehr an das Überleben. Sie denken daran, gut zu leben“ (2015, 102). Bärbel Kühne fügt hinzu: „Der motivationale Aspekt äußert sich also nicht in dem Versprechen, einen Mangel zu beheben, denn in einer Überflussgesellschaft kann man von tatsächlichen Mängeln nicht ausgehen, sondern in der Bereitstellung eines Besseren im Vergleich zum bisher Guten“ (2002, 32). Die Motivation entsteht somit weder in der Beseitigung von Mängeln, noch in der Generierung von Wünschen, die vorher gar nicht existierten, sondern um die „Aktivierung latenter und passiver Wünsche. Unter latenten Wünschen versteht man bereits vorhandene Dispositionen, die sich noch nicht zu einem direkten Wunsch geformt haben. […] Passive Wünsche sind realisierbare Wünsche, die aufgrund zu hoher Kosten (finanzieller, sozialer oder anderer Art) nicht erfüllt werden. Ein Motivationskonzept setzt hier entweder an der Steigerung der Wünsche oder der Beseitigung bzw. Aufhebung der als negativ erlebten Begleiterscheinungen an“ (B. Kühne 2002, 32f., Hervorh. i. O.). Die Bedingungen der Motivation müssen somit schon vor der Information gegeben sein. Sozialisation Die letzte für die Werbung bedeutende Funktion ist die Sozialisation. Werbung kann eine ausgeprägte sozialisierende Funktion einnehmen, sie wirkt laut Bärbel Kühne „meinungs- und geschmacksbildend“ (2002, 34). Das wird beispielsweise dadurch erreicht, dass Werbung sich Multiplikatoren bzw. potentieller Idole bedient (Schauspielerinnen und Schauspieler, Sportlerinnen und Sportler). Dadurch erfüllt die Werbung „sozialisierende[…] Funktionen, indem sie Konventionen und Rollenerwartungen bestätigt oder aufbricht und neue Verhaltensweisen propagiert“ (B. Kühne 2002, 34). In einer komplexen und vielschichtigen Gesellschaft, die auch von Unsicherheit geprägt ist, bietet die Werbung somit eine Art Halt: „Sie zeigt Bilder der idealen Familie, der idealen Frau, des idealen Mannes, 45

Die aktuellen Unsicherheiten in Zusammenhang mit z. B. der Terrorismusgefahr werden hier vernachlässigt, da sie derzeit keinen flächenübergreifenden Sicherheitsmangel darstellen.

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eine schöne Kindheit, Erfolg im Beruf und ein sorgenfreies Alter. Und so auch Bilder einer idealen Natur. Werbung bietet damit ein Stück weit Orientierung und den so genannten roten Faden durch eine schneller und unübersichtlicher werdende Gesellschaft, sie hat geschmacksbildende Funktion“ (B. Kühne 2002, 36). Werbung stellt allerdings mehr dar als nur die bisher aufgeführten Funktionen. Sie besteht aus „visuellen Zeichensystemen, die sensibel und vielschichtig eingesetzt werden, um eine gelungene, erfolgreiche Kommunikation zu erzielen. Diese Systeme enthalten einen Pool aus Bildern, Symbolen, Worten, Slogans, die auf kulturell gelernten Vereinbarungen beruhen und kollektive Bilder, Vorstellungen und Ideale sichtbar machen und transportieren“ (B. Kühne 2002, 24). Dabei werden häufiger Bilder als Texte verwendet, da sie „gewohnheitsmäßig als Erstes fixiert und meistens länger betrachtet werden“ (Kroeber-Riel/Weinberg 2003, 256). Durch die Auseinandersetzung mit Werbung lassen sich daher auch Rückschlüsse auf die soziale Wirklichkeit ziehen, und können somit durchaus auch als Indikator für sozialen Wandel betrachtet werden (Borchers 2014, 100). „Werbung ist von den gesellschaftspolitischen, ökonomischen, technologischen, soziokulturellen und medialen Entwicklungen der Medien- und Informationsgesellschaft betroffen, wirkt aber ihrerseits an diesen mit. […] Auch der Einblick in die Geschichte belegt, dass Werbung ein wichtiger Indikator für den gesellschaftlichen Wandel ist, wenn die entsprechenden Selektionslogiken berücksichtigt werden“ (Siegert/Brecheis 2017, 319). Werbung ist auch kein klar abgegrenztes Phänomen (mehr), wie auch in anderen Bereichen sind hier Hybridisierungstendenzen zu erkennen. Siegert/Brecheis stellen fest, „dass sich Werbung immer mehr anderen Formen der Kommunikation annähert, ebenso wie diese sich den werblichen Formaten angleichen. Begriffe wie Infotainment, Advertainment, Infomercials, Advertorials und Native Advertising können dafür als Beispiele dienen – und in Zeiten von Social Media gilt dies mehr denn je“ (Siegert/Brecheis 2017, 323). Rezipierende werden mit diesen hybriden Inhalten konfrontiert und können die Ziele, die Interessensgebundenheit und die Authentizität häufig nicht mehr eindeutig einschätzen (Siegert/Brecheis 2017, 323). Werbung mischt sich also auch in die allgemeine Kommunikation, der Wunsch nach einer Generierung von Aufmerksamkeit lässt sich in vielen Formen der Kommunikation ablesen und somit steht auch „die der Erlebnisorientierung verpflichtete Inszenierung im Mittelpunkt“ (Siegert/Brecheis 2017, 324).

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Dieser Abschnitt hat gezeigt, dass Werbung – auch wenn sie nicht Hauptgegenstand dieser Arbeit ist –auch Hinweise für allgemeine Medien, in diesem Fall speziell für das Medium Internet, geben kann. Denn auch das Internet ist der werblichen Hybridisierungstendenz unterworfen und lässt darüber hinaus eine Inszenierungstendenz erkennen. 3.7.3 Die Mittel der Werbung am Beispiel von Zeichen und Farben Werbung ist ein komplexes Informationssystem und lässt nicht nur Informationen über das Produkt zu, sondern auch über die Sprache und den Zustand der Gesellschaft (B. Kühne 2002, 47). Diese Informationen – egal welcher Art sie sind, thematisch oder unthematisch – werden mit bestimmten Mittel transportiert. Dieser Abschnitt geht genauer auf diese Mittel ein. Zunächst werden die Zeichen und deren unterschiedliche Bedeutungszuweisung dargestellt. Anschließend werden auch die verschiedenen Farben untersucht, da sie auch eine sehr wichtige Symbolwirkung für Landschaftskonstrukte in der Werbung besitzen. 3.7.3.1 Zeichen: Bedeutung und Mythos Die Konstruktionen bestimmter Objekte haben häufig nicht ausschließlich einen Bezug zu den konstruierten Objekten an sich. Vielmehr verweisen sie auf sozial und kulturell erzeugte Symbole: „Der Baum, der Wassertropfen, die Farbe Grün stehen beispielsweise für den Begriff Leben. Sie verweisen nicht mehr auf sich selbst, sondern sind über Objekt- und Interpretantenbezug zum Symbol geworden und erfüllen die semanteme Identifikation als Chiffren für den Begriff Leben“ (B. Kühne 2002, 48, Hervorh. i. O.; siehe allgemein auch Morenz 2017). Landschaftskonstrukte werden somit instrumentalisiert und dazu verwendet, „deren übergeordnete Bedeutung zu nutzen, um Inhalte emotional aufzuladen“ (B. Kühne 2002, 48). Die Konstruktion Baum verweist also nicht auf das Objekt, sondern auf die zugeschriebene Bedeutung wie beispielsweise Wachstum, Stärke, Dauerhaftigkeit, Leben oder Kraft (B. Kühne 2002, 48). Bärbel Kühne spricht in ihrer Arbeit auch den Begriff Mythos an, der neben der einen Bedeutung als Legende oder überlieferte Erzählung auch als Lüge oder Übertreibung zu verstehen ist, was für die Landschaftskonstrukte der Werbung aber auch allgemein für Landschaftskonstrukte eine Rolle spielt. Mythen sind eine gesellschaftliche Konstruktion und dienen der Ver- und Bearbeitung sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart und der Zukunft (Blumenberg 2006). Der

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Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutete Sage, Rede oder Erzählung. Auch laut dem neuen Handbuch philosophischer Grundbegriffe hat der Mythos eine narrative Struktur, in der „bestimmte wiederholbare Ereignisse [erzählt werden], die außerhalb von Raum und Zeit liegen und ansetzen an bestimmten Kontenpunkten der menschlichen Existenz“ (Jamme 2013, 1552). Diese narrative Struktur ist von Beständigkeit, da Mythen für lange Zeit wieder und wieder erzählt werden und dadurch nicht in Vergessenheit geraten: „Mythen sind Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit. Diese beiden Eigenschaften machen Mythen traditionsgängig: ihre Beständigkeit ergibt den Reiz, dies auch in bildnerischer oder ritueller Darstellung wiederzuerkennen, ihre Veränderbarkeit den Reiz der Erprobung neuer und eigener Mittel der Darbietung“ (Blumenberg 2006, 40). Von dieser Beständigkeit spricht auch Barthes: „Wir sind hiermit beim eigentlichen Prinzip des Mythos: er verwandelt Geschichte in Natur“ (Barthes 1964, 113). Aus der heutigen Perspektive ist der Mythos von einer bloßen Erzählung kaum mehr zu unterscheiden, allerdings ist der Begriff sehr populär, um ein „zeitloses, methodisch-wissenschaftlichem Zugriff entzogenes Phänomen“ (Jamme 2013, 1552) zu beschreiben. Auch nach Barthes, der sich dem Begriff aus linguistischer Perspektive näherte, ist ein Mythos zunächst eine Aussage (vgl. dazu auch Coupe 1997; Magdanz 2012). Jedoch eine besondere Art von Aussage, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, um ein Mythos zu werden (Barthes 1964, 85). Ein Mythos ist demnach auch kein Objekt oder eine Idee – er ist „eine Weise des Bedeutens, eine Form“ (Barthes 1964, 85). Da es keine Grenzen des Bedeutens gibt, kann daher auch theoretisch alles ein Mythos sein oder werden. Ein Mythos ist eine Zuschreibung, eine Konstruktion, die zwar beständig, aber nicht statisch ist. „Als Urtexte der Zivilisation (Horkheimer/Adorno) können Mythen nicht übertroffen, sondern immer nur neu ausgelegt werden. Die Arbeit am Mythos (Blumenberg) ist Hermeneutik und Mimesis, das heißt Wiederholung und Nachahmung“ (Stephan 1997, 10f., Hervorh. i. O.). Daher ist sie auch keine Eigenschaft, die ewig mit einem Objekt verbunden ist. Der Mythos lebt von der Geschichte des Menschen, denn „sie allein bestimmt über Leben und Tod der mythischen Sprache“ (Barthes 1964, 86; siehe auch Blumenberg 2006; Stephan 1997). Der Mythos ist eine besonders bedeutende Aussage, die als semiologisches System zu betrachten ist (vgl. Champagne 1992; Magdanz 2012). Ein semiologisches System besteht aus drei Dimensionen, dem Bedeutenden, dem Bedeuteten und dem Zeichen. Zur Verdeutlichung dieser Dimensionen

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verwendet Barthes das Beispiel eines Rosenstraußes. Die Rose ist zum einen das Bedeutende und zum anderen durch die häufige Zuschreibung der Leidenschaft (das Bedeutete) auch ein Zeichen (Barthes 1964, 90f.). Der Mythos ist ein Spezialfall dieses Systems. Da seine semiologische Kette bereits vor dem Mythos existiert, wird in diesem Fall von einem sekundären semiologischen System gesprochen (mehr dazu Barthes 1964, 88f.). Im Falle des Mythos wird das Bedeutende zur Form, das Bedeutete zum Begriff und das Zeichen (die Korrelation von Form und Begriff) zur Bedeutung (Barthes 1964, 90f.). Ist ein Mythos gegeben, wird der Begriff deformiert bzw. in „Gesten verwandelt“ (Barthes 1964, 103). Der Begriff entfremdet somit den Sinn. Jedoch bleiben der Sinn und die Geschichte des Begriffes, die durch den Mythos überschrieben werden, bestehen. Sie treten nur zurück (Barthes 1964, 103). Es gibt laut Barthes drei verschiedene Arten, einen Mythos zu lesen. Die erste Art des Lesens stellt sich auf ein leeres Bedeutendes ein und füllt diese Bedeutung mit einem Beispiel für etwas. „Diese Art und Weise des Sicheinstellens ist die des Erzeugers von Mythen, des Zeitungsredakteurs etwa, der von einem Begriff ausgeht und dafür eine Form sucht“ (Barthes 1964, 111). Die zweite Art stellt sich auf ein erfülltes Bedeutendes ein, es werden Sinn und Form unterschieden. Der Mythos wird als entziffert (als Alibi entblößt) und als Betrug aufgefasst. Die dritte Art des Lesens geht davon aus, dass Form und Sinn ein „unentwirrbares Ganzes“ (Barthes 1964, 111) darstellen und den Mythos somit bestehen lassen – im Gegensatz zu den ersten beiden Arten des Lesens, diese beiden demaskieren, zerstören den Mythos (Barthes 1964, 111). Barthes betont in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Mythos (auch wenn er demaskiert oder entblößt werden kann) weder etwas verbirgt noch zur Schau stellt. Er deformiert zwar, ist jedoch weder Lüge noch Geständnis (1964, 112): „Er ist eine Abwandlung“ (Barthes 1964, 112). Im gegenwärtigen philosophischen Verständnis liegt im Mythos die „Möglichkeit eines erweiterten Erklärungsmotvis des Wesens von Rationalität, letztlich menschlicher Kultur überhaupt“ (Jamme 2013, 1557). Dazu schreibt Jamme: „Der Mythos wird zum Zeichen einer Selbstkritik moderner Philosophie und der sie tragenden Rationalitätskonzepte; diese Kritik mündet zum Teil in eine anarchistische Revolte gegen die Vernunft, die mit der Herrschaft gleichgesetzt wird (Postmoderne), und in den Versuch, zu Totalität und Unmittelbarkeit zu gelangen“ (2013, 1557). Somit kann der Mythos heute als Aufklärung verschiedener gesellschaftlicher Werte verstanden werden. Jamme betont jedoch hier auch,

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dass der Begriff Mythos in den Medien und auch in der politisch-kulturellen Diskussion inflationär und häufig auch mit unterschiedlichen Assoziation gebraucht wird. Wird er positiv besetzt, steht er oft in Bezug zu sogenannten Legenden (z. B. Titanic). Wird der Mythos negativ besetzt, wird er als eine Art Illusion verstanden (Jamme 2013, 1557) und kann im Sinne von Barthes als Betrug aufgefasst werden (Barthes 1964, 111). Kühne stellt in diesem Kontext fest, dass auch die erzeugten Mythen in der Werbung eng mit der Emotionalisierung von Marken und Botschaften verbunden sind (B. Kühne 2002, 56). Die Botschaften der Werbung entfernen sich dadurch immer mehr von dem angeworbenen Produkt und „werden zu einem Prinzip, einer Idee oder einer Emotion. Die Entwicklung und Formulierungen ganzer Welten, die ein Gefühl oder ein Ideal typisierend darstellen, gehen mit der Kommunikation von imaginären Produkteigenschaften einher“ (B. Kühne 2002, 56). Hinsichtlich der abgebildeten Landschaftskonstrukte in der Werbung oder auch in der nachfolgenden Internet-Bildersuche können die Ausführungen von Barthes über den Mythos einen wichtigen Beitrag liefern. Denn auch diese speziellen Landschaftskonstrukte können als Mythen bezeichnet werden, die in unserer Gesellschaft unterschiedlich konstruiert bzw. gelesen werden. Auch sie deformieren – und zwar die Konstruktion der vorgefundenen Landschaft, indem sie sie überschreiben. 3.7.3.2 Farben: Bedeutung und Symbol

«Farben sind das Lächeln der Natur.» James Henry Leigh Hunt (1784 – 1859)

Wenn ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum in irgendeiner Art kommuniziert wird, ist in den meisten Fällen auch Farbe im Spiel. Kühne hat sich in ihrem Buch auch ausführlich mit der Farbsemiotik von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen beschäftigt, auf die auch hier eingegangen werden soll. Sie geht allerdings auch kurz darauf ein, dass die Farbpsychologie nicht wissenschaftlich gesichert bzw. nicht allgemein gültig ist. Auch Felser beklagt die „vergleichsweise geringe Ausbeute an wissenschaftlich belastbaren Aussagen zur psychologischen Wirkung von Farben – sei es nun in der Werbung und

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Konsum oder in anderen Bereichen“ (2015, 339). Einige der wenigen Farbforschenden wie Elliot et al. (2007) gehen davon aus, dass Farben im Allgemeinen keine absolute Wirkung haben. Die Wirkung entsteht erst mit dem Kontextbezug. Das bedeutet allerdings nicht, dass bestimmte, den Farben zugeschriebenen Stimmungen komplett ungültig sind, nur dass sie keine absolute bzw. allgemeine Gültigkeit aufweisen und sich dieser Tatsache bewusst gemacht werden muss. Fest steht, dass Farben eine sehr emotionale Zuschreibung aufweisen (B. Kühne 2002, 74). Die Assoziationen zu bestimmten Farben sind jedoch nicht biologisch verankert oder vererbt, sondern hauptsächlich kulturinduziert und erlernt (Felser 2015, 341). Diese kulturellen Unterschiede kann an der Farbe Grün kurz erläutert werden: Während Grün in unserem Kulturkreis u. a. mit Leben, Wachstum, Hoffnung assoziiert wird (B. Kühne 2002, 174), steht die Farbe im indischen Kulturkreis für Liebe und Luft (Welsch/Liebmann 2012, 65). Farbassoziationen sind daher – wie auch die als Landschaften bezeichneten physischen Räume – konstruiert und individuell bzw. stark gesellschaftlich geprägt. Im Allgemeinen weckt der Farbeieinsatz „Aufmerksamkeit und Sympathien, liefert Informationen zur Produktart und unterstützt durch sein emotionales Assoziationspotential das Produktversprechen oder die Hervorhebung von Sendereigenschaften“ (Lehn 2010, 252). Die häufige zusätzliche Abweichung der natürlichen Farbgebung dient als „visueller Schmuck nach den Prinzipien rhetorischer tropen und Figuren, was nicht nur die Auffälligkeit des Werbemittels, sondern auch die Wiedererkennung der Marke begünstigt“ (Lehn 2010, 252, Hervorh. i. O.). Die Farbe Grün ist, wie zu erwarten war, die bestimmende Farbe der als Landschaft bezeichneten physischen Räume bzw. des Pflanzenreiches. Sehr prägend sind jedoch auch die Farben Blau sowie auch das Farbspektrum Rot/Orange/Gelb (B. Kühne 2002, 170). Farben haben eine große Symbolkraft (vgl. Küthe/Venn 1996), die nachfolgend für die einzelnen Farbtöne kurz dargestellt werden soll. Die Farbe Grün Durch die Vegetation wird der Mensch ständig mit der Farbe Grün in verschiedensten Abstufungen konfrontiert. Sie ist die vierte Farbe im Regenbogen und gehört somit zu den primären Spektralfarben. (Welsch/Liebmann 2012, 64). Laut Welsch/Liebmann leitet sich der Begriff Grün aus dem indogermanischen Wortstamm grho ab und bedeutet wachsen und gedeihen (2012, 64). Auch in den

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Ausführungen von Bärbel Kühne wird der Farbe Leben und Entstehung zugeschrieben (2002, 173). Auf der psychologischen und metaphorischen Ebene ist Grün demnach zunächst ein Symbol für die als Landschaft bezeichneten physischen Räume und für Vegetation, aber auch für Neubeginn, Wachstum, Leben und Hoffnung (B. Kühne 2002, 174; Welsch/Liebmann 2012, 64f.). Darüber hinaus wird der Farbe jedoch auch die Bedeutung von Spiritualität und körperlicher und geistiger Gesundheit zugeschrieben (B. Kühne 2002, 174), und steht für „Bekämpfung von Geiz, Gefühlskälte, Selbsthass und Unmusikalität, sie soll eine Hinwendung zum Natürlichen, Künstlerischen und Weichen bewirken können“ (Welsch/Liebmann 2012, 65). In einer Befragung von Welsch/Liebmann wurde die Farbe mit „Jugend, Großzügigkeit, Zuversicht, Frische und Natur“ (2012, 65) verbunden, „im negativen Sinne mit Unreife, Gleichgültigkeit, Stagnation, Gift (Giftgrün), Neid und Dämonischem“ (2012, 65). Trotz der auch negativen Assoziationen (nach denen nach Auffassung der Autorin explizit gefragt wurde) ist die Farbe Grün hauptsächlich mit positiven Assoziationen besetzt. In der Werbung wird die Farbe häufig eingesetzt, vor allem um Naturnähe bzw. Naturverbundenheit und „Leben, Wachstum, Neubeginn, aber auch Schutz, Unerreichbarkeit und Ferne“ zu transportieren (B. Kühne 2002, 177). Die Farbe Blau Blau ist die fünfte Farbe im Regenbogen und laut Welsch/Liebmann die „Farbe der Ferne und der Sehnsucht“ (2012, 68). Die Wortherkunft ist nicht ganz eindeutig und soll vom lateinischen Wort für Gelb (flavus) – der Gegenfarbe – abstammen (Welsch/Liebmann 2012, 68). Die Farbe bezieht sich als Urerfahrung zunächst auf den Himmel und das Wasser, und viele Bedeutungen ergeben sich aus eben diesem Gegenwert: „Blau ist die Farbe der Nacht, des Traums, der Sinnlichkeit, es symbolisiert Sehnsucht, Reinheit, Ewigkeit und steht auch für Melancholie, Trauer und Schwermut“ (B. Kühne 2002, 182). Laut Welsch/Liebmann steht sie außerdem auch für das Unbewusste, für Tiefe, aber auch „für die Klugheit, die Genauigkeit, die Pünktlichkeit, die Leistung, den Mut, die Wahrheit und die Treue“ (2012, 70). Blau ist auch eine zumeist positiv konstruierte Farbe, die beruhigend wirkt (Welsch/Liebmann 2012, 70). Im Kombination mit den Farben Grün und Weiß signalisiert sie laut Bärbel Kühne „die freundliche, geordnete Natur und steht für Entspannung, Klarheit und Stille“ (2002, 186). Jedoch werden auch negative Assoziationen mit dieser Farbe verbunden, wie z. B.

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„Träumerei [Anmerkung der Verfasserin: Träumerei kann sowohl negativ als auch positiv assoziiert werden], Realitätsverlust, Angst und Zauberei“ (B. Kühne 2002, 183) oder auch „Kälte, Lüge, Trunksucht“ (Welsch/Liebmann 2012, 70). Die Werbung bedient sich häufig der Farbe Blau. Die Farbe wirkt auf den Konsumierenden freundlich und sanft und wird auch häufig für Hygieneartikel verwendet (Welsch/Liebmann 2012, 70). Bärbel Kühne beschreibt die Werbewirkung so: „Zwischen wilder Kraft und kühler, vergeistigter Transzendenz – der Farbe Blau ist ein weiter Interpretationsraum immanent“ (2002, 185). Die Farben Rot/Orange/Gelb Gelb ist die dritte wahrnehmbare Farbe im Regenbogen und die hellste sowie auch die leuchtkraftstärkste aller Farben (Welsch/Liebmann 2012, 75). Auch Orange und Rot sind auffällige (Warn-)Farben (Welsch/Liebmann 2012, 89). Nach ihrer Urerfahrung beziehen sich diese Farbtöne auf „die Sonne, ihre Wärme und strahlende Kraft und auf das Feuer und seine Energie“ (B. Kühne 2002, 178). Vor allem die Farbe Gelb steht laut Bärbel Kühne für „Optimismus, Lebensfreude, Heiterkeit, Reichtum und Luxus“ (2002, 178), Orange und Rot stehen der Farbe Gelb sehr nahe und verkörpern ähnliche Bedeutungen, z. B. „Aktivität, Energie, Geselligkeit, Lebens- und Kontaktfreude, Wandel, Jugend und Herbst“ (Welsch/Liebmann 2012, 89). Orange- und Rottöne wirken demnach noch etwas wärmer und aktiver als Gelb (B. Kühne 2002, 178f.). Trotz dieser überwiegend mit positiven Assoziationen besetzten Farben erzeugt vor allem die Farbe Geld auch negative Assoziationen. Von Welsch/Liebmann wird sie, um ihre gegensätzlichen Bedeutungen zu verdeutlichen, als die „Farbe der Gottheit und der Schande bezeichnet“ (2012, 74). Die Farbe der Schande aus dem Grund, da die Farbe (da sie auch bei Nacht gut zu sehen war) im europäischen Mittelalter dafür verwendet wurde, um ausgestoßene Gesellschaftsmitglieder, wie z. B. wie Prostituierte, herumziehende Spieler, Verräter usw. zu kennzeichnen. In anderen Kulturen hingegen war Gelb meist eine hochangesehene, positiv assoziierte Farbe (Welsch/Liebmann 2012, 75). „Zu den negativen Assoziationen der Farbe Orange gehören Aufdringlichkeit, Unseriosität und Leichtlebigkeit. Dank billiger orangefarbener Kunststoffprodukte haftet Orange seit den letzten Jahrzehnten auch etwas Minderwertiges an.“ (Welsch/Liebmann 2012, 89). Trotz dieser deutlich negativen Zuschreibungen haben diese Farbtöne vor allem im Hinblick auf die Natur bzw. auf als Landschaft bezeichnete physische Räume eine positive

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zugeschriebene Bedeutung. Sie vermitteln „einerseits Nähe und Intimität der Menschen im direkten Gegensatz zu einer übermächtigen Natur […], oder eindeutig als Farbe der Abendsonne oder der Morgendämmerung die Nähe zu Natur“ (B. Kühne 2002, 179). Diese durchaus unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen führen dazu, dass die Farben Gelb/Orange/Rot selten flächig in der Werbung eingesetzt werden. Sie dienen eher der besonderen Hervorhebung oder Markierung (B. Kühne 2002, 179). Im Alltag werden die Farben auch gerne als Warnfarbe eingesetzt, wie z. B. bei „Verkehrszeichen wie Ampeln, Blinkern an Autos oder Gefahrenquellen für die menschliche Gesundheit“ (Welsch/Liebmann 2012, 76). Welsch/Liebmann verweisen aber auch auf die Bedeutung für Reife und Herbst (z. B. Herbstfärbung der Blätter, reife Äpfel, Getreidefelder, Käsesorten). Diese (appetitanregende) Wirkung macht sich die Werbung ebenfalls zunutze, um auf bestimmte Produkte aufmerksam zu machen (2012, 76). In Bezug auf Natur bzw. als Landschaften bezeichnete physische Räume können Gelb-, Orange- oder Rottöne jedoch durchaus auch für das „Eins-sein-mit-der-Natur“ stehen (B. Kühne 2002, 182). Die Farben von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen spielen eine große Rolle, vor allem wenn über das Thema Landschaft kommuniziert werden soll. Sie vermitteln Stimmungen und Gefühle (B. Kühne 2002, 190). Laut Bärbel Kühne „ordnet sich [der Mensch; Anmerkung S. L.: in Bezug auf die als Landschaft bezeichneten physischen Räume] ein oder nimmt eine gegensätzliche Position ein, ist zugehörig und Teil der Natur, oder steht außen und entgrenzt sich. Die Farben machen diese Beziehungen am deutlichsten sichtbar und nachvollziehbar“ (2002, 190). Nach Sichtung verschiedener Untersuchungen zu Farben in der Werbung kommt auch Felser zu dem Schluss, dass Farben eine wichtige Rollen spielen und ihre Funktion sich drei Bereichen zuordnen lässt: Sie beeinflussen die Aufmerksamkeit, sie werden ästhetisch bewertet und ihnen kann eine Information über das Produkt entnommen werden (2015, 343). Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend noch einmal allgemeiner auf die Rolle von Landschaftskonstrukten in der Werbung eingegangen werden, da sich hier wichtige Erkenntnisse für die Untersuchung abgebildeter Landschaftskonstrukte ergeben.

Als Landschaft bezeichnete physische Räume als Werbe- und Kommunikationsgegenstand

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3.7.4 Als Landschaften bezeichnete physische Räume in der Werbung und ihre Wirkungen Dieses Kapitel widmet sich nun der multifunktionalen und emotionalen Wirkung der Werbung in Bezug auf unterschiedliche Landschaftskonstrukte. Dabei wird zunächst auf die unterschiedlichen Funktionen eingegangen, bevor spezielle als Landschaften bezeichneten physischen Räume und ihre Wirkungen dargestellt werden. 3.7.4.1 Die Multifunktionalität der Werbung Das Buch von Bärbel Kühne „Das Naturbild in der Werbung“ (2002) hat die Zielsetzung, „die Bilder von Natur zu suchen und zu untersuchen, um daran gegenwärtige kulturelle Muster der Natur ablesbar zu machen und den Boden zu bereiten für eine neue Ästhetik und ihre Bilder“ (B. Kühne 2002, 20). Sie spricht der Werbung allgemein eine mentalitätsverweisende und wirklichkeitsspiegelnde Funktion zu (siehe Kapitel 3.7.2), somit kann aus ihren Bildern auch auf „kollektive Vorstellungen, Anschauungen und Einsichten von Natur geschlossen werden. […] Die Werbung gilt in diesem Zusammenhang als Indikator, aber auch als Mittler und Initiator dieser gesellschaftlichen Muster und damit als ideales Instrument Hinweise auf die Natur im Kopf zu erhalten“ (B. Kühne 2002, 23, Hervorh. i. O.). Auch Weber spricht diese Multifunktionalität an, sie bezieht sich allgemein auf Medien, was jedoch auch auf die Werbung als Teil der Medien übertragen werden kann: „Medien sind im Foucaultschen Sinne also nicht nur ein Akteur, der um eine bestimmte Bedeutungskonstruktion im Diskursfeld kämpft, sondern sie bestimmen darüber hinaus maßgeblich über die Regeln des Diskurses, indem sie filtern wenn wann in welchem Maße kommunizieren darf. Sie sind also entscheidend an der Kontrolle, Selektion und Kanalisation der Information beteiligt. Schließlich haben […] nach Luhmanns systemtheoretischen Ansatz alle Umweltveränderungen keine Relevanz, solange nicht darüber kommuniziert wird“ (2008, 82). In Bezug auf als Landschaft bezeichnete physische Räume bedeutet das, dass die Darstellungen in den Medien bzw. in der Werbung die Konstruktion dieser Räume beeinflussen. Die dargestellten Inhalte werden mit diesen Räumen assoziiert, nicht dargestellte Inhalte werden von der Raumkonstruktion ausgeschlossen. Das kann einen Einfluss auf die alltagsweltliche Konstruktion der als Landschaften bezeichneten physischen Räume haben. Für

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ihre Untersuchung hat Bärbel Kühne (2002) eine Auswahl aus den größten deutschen Publikumszeitschriften getroffen, u. a. aus den Zeitschriften Stern, Der Spiegel und Fokus. Der Untersuchungszeitraum liegt zwischen 1993 und 1998. Der Auswahlrahmen des Untersuchungsmaterials war weit gefasst, es wurden alle Anzeigen ausgewählt, die als Landschaften bezeichnete physische Räume (Kühne spricht von Natur oder natürlichen Erscheinungen) in einer direkten oder indirekten Weise visuell und/oder verbal thematisieren bzw. betonen (B. Kühne 2002, 58). Nach einer ersten Sichtung des Materials nimmt Kühne eine Unterscheidung in Thematisierung und Instrumentalisierung von Natur vor. Thematisierung der abgebildeten Landschaftskonstrukte: Vor allem nicht-kommerzielle Anzeigen nutzen Abbildungen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen dazu, um eben diese Räume und ihre Belange anzusprechen. Häufig greifen diese Anzeigen Umwelt- und Naturschutzbelange auf. Die Informationen der Anzeige ergeben sich hauptsächlich direkt aus dem Bildinhalt, die Instrumentalisierung dieser Räume ist nachgeordnet (B. Kühne 2002, 59). Die Thematisierung im Allgemeinen ist eine grundlegende Funktion der Medien (somit auch der Werbung) und ist eine wichtige Aufgabe für das öffentliche Problembewusstsein hinsichtlich des Umwelt- und Naturschutzes. Je häufiger Bericht über bestimmte Themen erstattet wird, desto mehr Aufmerksamkeit erfährt die Thematik, und die Öffentlichkeit wird sensibilisiert (Weber 2008, 82). Die Themen unterliegen jedoch einem Selektionsprozess, d. h. es wird nicht ungefiltert über ein bestimmtes Thema in den Medien bzw. in der Werbung kommuniziert. Diese Mechanismen werden häufig durch „Komplexitätsreduktion, Personalisierung und Sensationalisierung“ (Weber 2008, 85) bestimmt. Auch bezogen auf das Thema Landschaft bedeutet das, dass als Landschaft bezeichnete physische Räume nur selektiv dargestellt werden. Instrumentalisierung der abgebildeten Landschaftskonstrukte: Die meisten Anzeigen des kommerziellen Bereichs gehen einen Schritt weiter und nutzen abgebildete Landschaftskonstrukte dazu, um ein Produkt mit unthematischen Informationen zu bereichern. Das Bild eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes „dient dabei der Legitimation einer Botschaft (Beweis

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oder Verharmlosung), der Projektion einer Aussage oder Anmutung (Vorbildfunktion oder Imagetransfer) oder der atmosphärischen Überhöhung bzw. Kompensation“ (B. Kühne 2002, 59). Diese Kategorie der Instrumentalisierung ist für die Untersuchung von Kühne weitaus interessanter: „Denn da, wo das Naturbild inhaltlich wenig oder gar nichts mit der Botschaft einer Anzeige zu tun hat, wird deutlich, welche Bilder ansprechen und über die Bildaussage hinaus kollektiv wirksam sind“ (B. Kühne 2002, 59). Auch in dieser Kategorie wird selektiert – denn die Bereicherung der Produkte geschieht nur durch die spezifische Auswahl der Informationen. Hier werden bestimmte Themenbereiche beispielsweise selektiv hervorgehoben oder besonders inszeniert – die Inhalte sind demnach deutlich interessensgeleitet (Weber 2008, 83). Beide Aspekte, die Thematisierung sowie auch die Instrumentalisierung, sind auch für die vorliegende Arbeit von großem Interesse. Ferner lässt sich laut Bärbel Kühne in der ersten Sichtung erkennen, dass es sich bei diesem Thema hauptsächlich um visuelle Bezüge handelt, die in vielen Fällen verbal unterstützt werden. Bilder eignen sich besser als Text dazu, unthematische Informationen zu vermitteln (2002, 59ff.). Für ihre weitere Untersuchung kategorisiert Kühne die Bilder in verschiedene Kategorien: Das Pflanzenund das Tierreich – Modelle und Analogien; Die Landschaft und der Mensch – Umraum und Symbolraum Natur; Das große Alles – Zeichenvorrat Natur (B. Kühne 2002, 77). Für diese Arbeit sind vor allem zwei Aspekte der Kategorie Die Landschaft und der Mensch – Umraum und Symbolraum Natur von Bedeutung: die Idylle und die Erhabenheit. Aus diesem Grund wird hier noch einmal genauer auf diese beiden Aspekte eingegangen. In der Kategorie die Landschaft und der Mensch werden als Landschaft bezeichnete physische Räume behandelt, die dann häufig als idyllisch oder als erhaben dargestellt werden. 3.7.4.2 Als idyllische Landschaft bezeichneter physischer Raum Ein als idyllische Landschaft bezeichneter physischer Raum ist ein Sonderfall eines als romantische Landschaft bezeichneten physischen Raumes. Wie bereits in Kapitel 2.4.2.4 angeführt wurde, basiert ein als romantische Landschaft bezeichneter physischer Raum auf Motiven, die hauptsächlich von Gefühlen und einer positiven Ästhetik geprägt sind (vgl. dazu Franke 2017). Eine Idylle als Sonderform eines romantischen Raumes kann laut Bärbel Kühne mit Ruhe, Beschaulichkeit, Gelassenheit und Harmonie assoziiert werden (2002, 125) und

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kommt nur selten ohne den sogenannten locus amoenus (lateinisch für lieblicher Ort) aus (Zeller 2013, 21). Bärbel Kühne (2002) schreibt einem idyllischen Landschaftskonstrukt folgende Kriterien zu: Raumzeitlicher Stillstand: Verbindung aus Vergangenheit und Zukunft; Zeitlosigkeit (B. Kühne 2002, 127). „Eine Idylle beschreibt aber nicht nur einen zeitlichen Stillstand, sondern auch einen Stillstand des Raumes. Sie zeigt einen überschaubaren Raum, der Geborgenheit und Sicherheit verspricht, in sich geschlossen, fast abgeschottet gegen die Außenwelt: eine eigene, kleine, heile Welt“ (B. Kühne 2002, 127). Kleinräumigkeit: Räumliche Überschaubarkeit sowie deren inhaltlicher Entsprechung der Bescheidenheit, Einfachheit und Natürlichkeit (B. Kühne 2002, 127). „Nicht nur die formal/inhaltliche Überschaubarkeit ist Gegenstand der Idylle, sondern die deutliche Grenze zu einem unübersichtlichen, unsicheren Anderen“ (B. Kühne 2002, 127). Ausblendung der Wirklichkeit: Abgrenzung zu einer bedrohlichen und unsicheren Welt (B. Kühne 2002, 127). „Heraustreten aus der eigenen Situation in die Sicherheit eines zeitlich und räumlich Unveränderlichen“ (B. Kühne 2002, 128). Die Idylle als kunsthistorische Gattung fand zunächst Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Ende (B. Kühne 2002, 125), in der Werbung bzw. in den Massenmedien lebt die Idylle weiter bzw. überdauerte und lebt derzeit wieder auf: „Fest verhaftet in Träumen und Klischees nährt sie sich von gesellschaftlichen Missständen und überdauert, jeweils nuancenhaft anders, die Zeit“ (B. Kühne 2002, 129). Idyllen werden demnach hauptsächlich dann wichtig für eine Gesellschaft, wenn sie sich in einem Wandel befindet, denn eine Veränderung der Alltagswelt löst häufig Gefühle der Unzufriedenheit, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit hervor (=gesellschaftliche Missstände). Idyllen geben in einer solchen Situation die

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Hoffnung auf eine bessere und sichere Welt. Demnach liegt die besondere Bedeutung einer dargestellten Idylle in der Konstruktion einer Gegenwelt (B. Kühne 2002, 128). Heller beschreibt die Idylle wie folgt: „Die Idylle ist somit die Konstruktion eines im beschränkten Rahmen gewahrten Gegenbildes zu den herrschenden Umständen, im Ideal betreibt sie implizite Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung“ (2018, 75). Die Bedeutung einer Idylle – die laut Bärbel Kühne (2002) in ihrer Untersuchung häufig Gegenstand der abgebildeten Landschaftskonstrukte war - kann demnach auch mit dem derzeitigen Wertewandel der Gesellschaft erklärt werden. Wie in Kapitel 2.1 bereits dargestellt wurde, ist die Postmodernisierung gekennzeichnet durch eine Verschiebung der Grundwerte (Inglehart 1998, 14), d. h. einem alles umfassenden Wandlungsprozesses bzw. eine Veränderung der gesamten Alltagswelt. Die wiederentfachte Wertschätzung von als Idyllen bezeichneten physischen Räume (als Spezialfall der als romantisch bezeichneten physischen Räumen, die in der Epoche der Romantik ihren Ursprung haben) entspricht ganz im Sinne der Postmodernisierung einem Aufleben vergangener Werte (vgl. Kühne 2006b). Um die Hoffnung auf eine bessere und sichere Welt zu erhalten, müssen diese Bilder jedoch immer an vertraute Situationen oder Ereignisse erinnern. Somit stellen sie keinen unerfüllbaren Traum, sondern eine mögliche Annäherung an die als wirklich konstruierte Welt dar (B. Kühne 2002, 129). 3.7.4.3 Als erhabene Landschaft bezeichneter physischer Raum Neben der Idylle wird in der Werbung häufig auch ein fast konträres Landschaftskonstrukt gezeigt: ein als erhabene Landschaft bezeichneter physischer Raum. Wie die Philosophie (siehe Kapitel 2.4) beschreibt auch Bärbel Kühne die Erhabenheit mit ähnlichen Zuschreibungen: „Mit dem Begriff Erhabenheit werden Begriffe wie Größe, Herausforderung, Abenteuer, Grenzerfahrung und Angst assoziiert. Seit der Entdeckung der Unendlichkeit werden diese Empfindungen durch einige wenige, aber prägende Naturerscheinungen ausgelöst: das Gebirge, das Meer, die Wüste, der Himmel, der Horizont, bei deren Betrachtung und Erfahrung der Mensch an die Grenzen seines Wahrnehmungs- und Erfahrungsvermögens stoßen kann und deren Abbilder gewisse Ersatzerfahrungen bieten. […] Das Gefühl des Erhabenen besteht bei der Wahrnehmung einer unbegrenzten, großen Naturerscheinung“ (B. Kühne 2002, 143; vgl. auch u. a. Bartels 1989; Burke 1989 [1757]; Kühne 2012; Lyotard 1987; Pries 1989a; Seel 1996).

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Die Erhabenheit ist gekennzeichnet durch Dichotomien bzw. wird sie durch „zwei gegensätzlich erscheinenden Gefühlsregungen“ (B. Kühne 2002, 147) bestimmt. So stehen sich z. B. die Gegenpole Lust und Unlust gegenüber (siehe Kapitel 2.4), ebenso Natur und Kultur, Passivität und Aktivität, Abgrund und Übergang, Chaos und Ordnung gegenüber und machen somit den ästhetischen Reiz aus (B. Kühne 2002, 144; vgl. auch Liessmann 2009, 33ff.; Pries 1989b, 3). „Man kann sich nicht für eines der beiden entscheiden, denn das Erhabene aktiviert weder das eine noch das andere, sondern beide zugleich. Es markiert die Grenze zwischen den Extremen“ (B. Kühne 2002, 144). Für die als erhaben bezeichneten Landschaftskonstrukte in der Werbung legt Kühne schlussfolgernd zwei Kriterien zugrunde: 1. „Die Größe und Grenzenlosigkeit der Naturerscheinung“ und 2. „Gegensätzlichkeit von Mensch und Natur“ (B. Kühne 2002, 147). 3.7.4.4 Emotionalisierte Landschaftskonstrukte in der Werbung: Die Aufmerksamkeit des Stereotyps Während als idyllische Landschaften bezeichnete physische Räume in der Werbung für Sehnsucht, Ruhe, Sicherheit, Zeitlosigkeit u. a. (B. Kühne 2002, 140) stehen, stehen als erhabene Landschaften bezeichnete physische Räume in der Werbung für Stärke, Grenzenlosigkeit, Dominanz u. a. (B. Kühne 2002, 169). Häufig stehen sie in dem Zusammenhang des angeworbenen Produktes für den persönlichen Erfolg, „als Symbol für die eigenen Grenzen und die mit dem Produkt in Beziehung gesetzten Möglichkeiten ihrer Überwindung“ (B. Kühne 2002, 169). Neben den genannten beiden Landschaftskonstrukten gibt es weitere Symbole, die in der Werbung gerne verwendet werden, wie z. B. Tiere, Pflanzen und den Planeten Erde. Diese Symbole wurden im Zuge der Arbeit nicht genauer dargestellt, verfolgen aber – wie die idyllischen und die erhabenen Landschaftskonstrukte – ein ähnliches Ziel: Sie dienen weniger dazu, einen direkten Bezug zwischen Werbung und diesen symbolisierten Objekten bzw. Räumen zu erzeugen, als dass sie die Werbebotschaft emotional aufzuladen versuchen (B. Kühne 2002, 215). Das Stilprinzip der Werbung, das die Botschaft emotionalisiert, bezeichnet Lehn als den „schmuckreiche[n] Stil“ (2010, 249). Dieses auffälligste Stilmerkmal der Werbung ist mit einer großen Aufmerksamkeit der Rezipierenden verbunden, „jedoch um den Preis eines artifiziellen und oftmals stereotypen Ausdrucks, dessen Beeinflussungsabsicht offensichtlich wird“ (Lehn 2010, 251).

Bilder als sozialwissenschaftliche Daten und empirischer Gegenstand

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Letztendlich kommt Kühne zu dem Schluss, dass die Werbung zwar glaubt, sich der Innovation zu verpflichten, aber im Falle der Natur bzw. der als Landschaft bezeichneten physischen Räume ist dies nicht der Fall. Ihre Untersuchungen ergeben, dass die Werbung hier keine neuen Bilder zeigt, sondern nur „altbekannte Sujets, die die Natur als eine intakte Natur formulieren, groß und erhaben, klein und idyllisch, im Kleinen wie im Großen durchschaubar und überschaubar“ (B. Kühne 2002, 218). Vor allem die kommerzielle Werbung versucht erst gar nicht, „Brüche und Störungen der Mensch-Natur-Beziehung mit aufzugreifen“ (B. Kühne 2002, 219), die der Mensch selber verursacht hat. Dargestellt werden meist nur idealisierte Konstruktionen, da laut Werbeindustrie nur diese eine erfolgversprechende Botschaft senden können. Bärbel Kühne beschreibt die Bilder zum Teil als beliebig und belanglos und nicht dazu imstande, Bewusstsein oder gar ein Umdenken hervorzurufen. Da Werbung, wie aber bereits erläutert, eine orientierende und geschmacksbildende Funktion hat, ist diese Tatsache kritisch zu betrachten. Ohne nun weiter darauf einzugehen, soll nun, nachdem das Thema des Bildes als sozialwissenschaftliche Datengrundlage beleuchtet wird, die eigene Untersuchung dargestellt werden. Dafür wird Kapitel 4 und 5 u. a. untersucht, ob die Aufgabe des Werbebereiches des Sozialmarketings, die ja, wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erläutert, nicht als direkte kommerzielle Werbung zu betrachten ist, diese orientierungs- und bewusstseinsbildende Funktion übernimmt oder ob sie die Muster der eben dargestellten Wirtschaftswerbung verfolgen. 3.8 Bilder als sozialwissenschaftliche Daten und empirischer Gegenstand Die Gesellschaft lebt in einer Welt, die den meisten Menschen „optisch vertraut“ ist (Harper 2008, 402). Sie ist den Menschen nicht nur vertraut, auch gesellschaftlich hat das Bild heutzutage einen hohen Stellenwert (Bohnsack 2011, 25). Anders verhält es sich in den Sozialwissenschaften. Visuelle Information in Form von Fotografien oder Bilder kommen im sozialwissenschaftlichen Denken nur selten vor (Harper 2008, 402), und ein sozialwissenschaftlicher Zugang zu Bildern ist derzeit kaum vorhanden. Die Einsicht, dass hier eine Forschungslücke besteht, ist laut Bohnsack zwar vorhanden, allerdings steht der Diskurs dazu noch ganz am Anfang (Bohnsack 2011, 25). In diesem Kapitel wird zunächst dieses Fehlen der Bilder als empirischer Gegenstand thematisiert. Anschließend wird darauf eingegangen, welche Macht von Bildern ausgeht.

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3.8.1 Die Marginalität des Bildes Bohnsack führt folgende Gründe für die Marginalisierung der Bilddateien als Forschungsgegenstand an (2011, 26f.): Erstens den linguistic turn (zuerst von Rorty 1967). Diese sprachwissenschaftlich fundierte Wende (die zu einer Bedeutungsanhebung der sprachlichen Kommunikation führte) führte zu einer methodischen Marginalisierung des Bildes. Die Bedeutung der Sprache im Zuge des linguistic turn beschreibt Mitchell wie folgt: „Society is a text. Nature and its representations are discourses. Even the unconscious is structured like a language“ (1992, 89, Hervorh. i. O.). Zweitens war schon vor dem linguistic turn die Auffassung weit verbreitet, dass die wissenschaftlich relevante Konstruktion sozialer Wirklichkeit in Form von Texten vorliegen muss. Drittens, so schließt die Sozialwissenschaft in diesem Zusammenhang an, soll im Bereich der qualitativen Sozialforschung, wenn der wissenschaftlichen Relevanz ein Text zugrunde liegt, auch immer der Originaltext herangezogen werden. Forschungsgegenstand soll also der von den Erforschten erstellte Text sein, nicht der Text der Forschenden. Bilder scheinen in den Sozialwissenschaften weniger valide und sollten zunächst in Beobachtungssätze bzw. –texte umformuliert werden (Bohnsack 2011, 26f.). Viertens und letztens spricht Bohnsack einen weiteren Grund an, der zunächst oft übersehen wird: „Nicht mehr nur allein die wissenschaftlich relevante Wirklichkeit sollte textförmig sein. Vielmehr wurde – vor allem von Seiten der objektiven Hermeneutik – schließlich die Sprach- und somit auch die Textförmigkeit jeglicher Verständigung behauptet, also auch der alltäglichen, der außerwissenschaftlichen Verständigung. Damit wurde das Bild bzw. die Bildhaftigkeit, die Ikonizität als ein Medium der Verständigung in seiner Eigenlogik und Eigensinnigkeit gegenüber dem Text dann grundsätzlich in Frage gestellt“ (Bohnsack 2011, 27, Hervorh. i. O.). Er spricht hier jedoch auch zurecht an, dass diese Strömung der qualitativen Forschung auch schon vor einigen Jahren kritisiert wurde (Bohnsack 2011, 27; vgl. auch Reichertz 1992). Nicht nur Bohnsack, auch weitere Forschende bestehen seit Jahren darauf, das Bild vermehrt in den Fokus sozialwissenschaftlichen Denkens zu rücken (vgl. u. a. Belting 2001; Mitchell 1995). So fordert Belting beispielsweise, „Bilder nicht mehr nur mit Texten zu erklären, sondern von Texten zu unterscheiden“ (2001, 15). Hier allerdings führt Mitchell folgende Problematik an: „[…] we still do not know exactly what pictures are, what their relation to language is, how they operate on observers and on the world, how their history is to be understood, and

Bilder als sozialwissenschaftliche Daten und empirischer Gegenstand

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what is to be done with or about them“ (1992, 90). Trotz oder eben genau wegen dieser Ungewissheit in Bezug auf Bilder spricht Mitchell im Jahr 1992 von einer weiteren Wende: dem pictorial turn. Während der linguistic turn auch Bilder als lingusitic occurrences (Boehm/Mitchell 2013, 10) beschreibt, versteht der pictorial turn Bilder als eigenständige Kommunikation, Mitchell spricht sogar von der Analogie des Bildes als Organismus (2005). Er setzt diesen (auch ikonische Wende46 genannten) Prozess in Bezug zur Postmodernisierung: „it is not a return to naive mimetic theories of representation, or a renewed metaphysics of pictorial presence: it is, rather, a postlinguistic, postsemiotic rediscovery of the picture as a complex interplay between visuality, apparatus, discourse, bodies, and figurality“ (Mitchell 1992, 91, Hervorh. i. O.). Auch die gegensätzlichen Zugänge zum Bild sind postmodern. Deutlich ist einerseits das Bedürfnis nach und andererseits aber auch die Angst vor dem Bild: „On the one hand, it seems overwhelmingly obvious that the era of video and cybernetic technology, the age of electronic reproduction, has provided unprecedented means of visual simulation and illusionism. On the other hand, the fear of the image, the anxiety that the power of images may finally destroy even their creators and manipulators, is as old as image making itself“ (Mitchell 1992, 90f., Hervorh. i. O.). Der pictorial turn ist ein Paradoxon, und das ist genau die Besonderheit an dieser Wende. Diese ikonische Wende ist bisher aber nur unzureichend in der sozialwissenschaftlichen Forschung angekommen. Nur wenige Autorinnen und Autoren greifen diese Thematik bislang auf, wie u. a. Cosgrove (1990), Curtis (2013), Bärbel Kühne (2002), Rees (2008) oder Thornes (2004). Auch in der Sozial- und Kulturgeographie sind Bilder zwar ein wichtiger Bestandteil, jedoch stellt die Auseinandersetzung mit der Erzeugung und der Aneignung dieser Bilder ein noch recht junges Forschungsfeld dar (vgl. Schlottmann/Miggelbrink 2015c). Diese Arbeit greift diese Forschungslücke auf. Bilder werden als sozialwissenschaftliche Daten verwendet und ihr weitreichender Informationsgehalt wird untersuch. Aufschlussreiche Informationen zu diesem Thema leistet auch Harper. In seinem Beitrag „Fotografien als sozialwissenschaftliche Daten“ (Harper 2008) spricht Harper ausschließlich über Fotografien. In dieser Arbeit wird bevorzugt von Bildern gesprochen, da es sich zwar in den meisten Fällen um Fotografien handelt, deren Darstellungen jedoch häufig durch Bearbeitungen verändert wurden. Darüber 46

Pictorial turn und iconic turn werden zwar häufig synonym verwendet, jedoch gibt es hier auch Autorinnen und Autoren, die auf einen Unterschied verweisen, siehe Boehm/Mitchell (2013).

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hinaus gibt es auch Fälle, bei denen es sich nicht um Fotografien handelt. Die Gedanken von Harper zu Fotografien als sozialwissenschaftliche Daten lassen sich jedoch trotzdem auch auf Bilder übertragen, so wie sie in dieser Arbeit gesehen werden. 3.8.2 Die Macht des Bildes Eine Fotografie ist ein empirischer Gegenstand. Es wird festgehalten, was die Augen des Fotografierenden zu dem Zeitpunkt der Aufnahme wahrgenommen haben (Harper 2008, 403). Trotzdem ist diese Abbildung vom sogenannten original Wahrgenommenen zu unterscheiden. „Das im Bild Sichtbare ist nicht mit dem Abgebildeten identisch, und es ist von einer anderen Seinsweise als das Abgebildete“ (Hasse 2015, 35). Das erklärt sich u. a. daraus, dass das Bild immer in dem Kontext verstanden werden muss, in dem es betrachtet wird. Dieser Kontext kann sich bei Aufnahme des Bildes und bei Betrachtung des Bildes unterscheiden (so wie sich in dieser Untersuchung auch bildaufnehmende und bildbetrachtende Personen unterscheiden; vgl. dazu Schlottmann/Miggelbrink 2015a, 15). Eine Fotografie bietet sich in vielen Fällen als nützlicher Datenträger an, z. B. „wenn ein Feldforscher Informationen über die Behausung von Leuten, die Dichte des Straßenverkehrs oder die statusabhängige Kleidung von Menschen aufzeichnen will“ (Harper 2008, 403). Eine Fotografie wie auch ein Bild tragen eine große Menge an Informationen zusammen, die auch komplexe Situationen festhalten, für die ansonsten ein langer Text zur Beschreibung dieser Situation anfallen würde. Text und Bild können somit von derselben Situation berichten, sie sind aber nie gleichwertig (Harper 2008, 403f.). Gemeinsam haben Text und Bild bzw. Fotografie aber, dass sie immer unter Einfluss der Urheberinnen bzw. Urheber stehen. Auch unbearbeitete Fotografien bezeichnet Harper eher als „subjektiv gefärbte Repräsentationen als objektive Dokumente“ (2008, 406). Werden diese Repräsentationen zudem noch überarbeitet oder ganz gezielt zu einem bestimmten Zweck eingesetzt (siehe die untersuchten Bilder in Kapitel 5), ist eine Objektivität kaum noch vorhanden. Es ist somit hinsichtlich des Bildmaterials wichtig, sich über Bedeutung, Konstruktion bzw. Einflussnahme des Fotografierenden bzw. Gestaltenden und des abzubildenden Raumes bewusst zu sein, nur dann können sie als sozialwissenschaftliche Daten verwendet werden (Harper 2008, 406). Harper spricht ein Beispiel aus einer eigenen Studie an, bei der in

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den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts männliche und weibliche Fotografen jeweils andere Situation bzw. Themen fotografierten (Harper 2008, 407f.). Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine Fotografie bzw. ein Bild keinesfalls ein objektiver Datenträger ist, sondern immer durch verschiedene Einflussfaktoren geprägt ist. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der Fokus der Bilder der nachfolgenden Bildersuche immer der Perspektive der aufnehmenden Person geschuldet ist. Jede Person, die ein Bild erstellt (in Form einer Fotografie oder Bearbeitung eines vorhandenen Bildes) und wie im nachfolgenden Fall im Internet freigibt, hat eine individuelle Absicht. Diese Absicht kann zwar in der nachfolgenden Suche nicht im Einzelfall dargelegt werden. Trotzdem ist diese subjektive Vorstellung von einem als Landschaft bezeichneten physischen Raum aufschlussreich. Jede Person sieht etwas anderes in dem abgebildeten Raum – aufschlussreich ist die Zusammenschau der vielen verschiedenen Bilder. Dominiert hier der individuelle Fokus oder lässt sich durch Vielzahl an Bildern eine zeitgenössische gesamtgesellschaftliche Konstruktion ableiten? Stehen diese Bilder alleine für die räumlichen Objekte oder sind sie symbolische (Bild-)Zeugen von weitaus mehr? Viele Forschende gehen davon aus, dass Bilder wie auch das Internet (siehe Kapitel 3.6.2) und die Werbung (siehe Kapitel 3.7.2) Sachverhalte verdeutlichen und diese sogar auch prägen. Felgenhauer stellt fest, „dass es [das Bildliche; Anmerkung S. L.] in vielfältiger Hinsicht sowohl ein Produkt als auch ein zentrales Konstruktionselement gesellschaftlicher und räumlicher Wirklichkeiten ist“ (Felgenhauer 2015, 67). Seiner Meinung nach ist das Bild (zunächst) nicht Repräsentation, sondern eine soziale Artikulation, die sich auch auf das Thema Landschaft beziehen kann (Felgenhauer 2015, 67). Speziell in Bezug auf Abbildungen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen spricht auch Gailing über die Macht der Bilder: „Raumbilder haben große Suggestionskraft und als informelle Institutionen maßgeblichen Einfluss auf kollektives Handeln“ (Gailing 2013b, 238). Er bezieht sich dabei auf Bohnsack, der Bilder als handlungsleitend beschreibt (2003, 18). Auch Wintzer spricht bestimmten Bildern eine wichtige Rolle zu, die „Deutungsmacht über Individuen und Räume entfalten können“ (2015, 119) und Schneider geht davon aus, dass Bilder als Medium eine große Bedeutung in Bezug auf das allgemeine Lernen haben können, wenn ihre vermittelnden Funktionen erkannt werden (Schneider 2015, 102). Bilder können demnach bestimmte (soziale und räumliche) Konstruktionen nicht nur darstellen, sondern sie können sie auch herstellen (Schlottmann/Miggelbrink

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2015b, 87). Durch diese Ausführungen können Bilder durchaus als ein Ausdruck der Gesellschaft verstanden werden und es stellt sich die Frage, zu welchen alltagsweltlichen Konstruktionen diese Bilder beitragen und welche Auswirkungen diese Konstruktionen mit sich bringen (vgl. Schlottmann/Miggelbrink 2015a). Mit diesem Hintergrund des diese Arbeit konstituierenden Datenträgers „Bild“ soll nun das Internet als Instrument für die Untersuchung zur ästhetischen Konstruktion von als Landschaft bezeichneter physischer Räume dienen.

4 Methodische Operationalisierungen: Eine quantitative und qualitative Untersuchung an zwei Beispielen

Wie in Kapitel 3.8.1 bereits angedeutet wurde, stellt die Auseinandersetzung mit der visuellen Kommunikation – insbesondere Erzeugung und Aneignung von Bildern – ein recht junges Forschungsfeld dar, mit dem sich jedoch immer mehr Forschende beschäftigten (vgl. Schlottmann/Miggelbrink 2015c). Im folgenden Kapitel zur methodischen Operationalisierung wird dargestellt, auf welche Methoden im Rahmen des empirischen Analyseteils zurückgegriffen wird und warum genau diese Methoden verwendet wurden (Kapitel 4.1). Anschließend werden die einzelnen Bestandteile und das analytische Vorgehen genauer dargestellt (Kapitel 4.2, 4.3, 4.4). Am Ende des Kapitels wird auf die Grenzen und Einschränkungen der Untersuchung verwiesen (Kapitel 4.5). 4.1 Die Herleitung der Methoden: Die Untersuchung von abgebildeten Landschaftskonstrukten Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu eruieren, wie eine Gesellschaft als Landschaft bezeichnete physische Räume jeweils ästhetisch konstruiert hat. Eine bewährte Methode ist die quantitative oder die qualitative Befragung, wie auch schon die Untersuchungen von beispielsweise Hard (1970), Hokema (2013), Kühne (2006b) und Micheel (2012) gezeigt haben (siehe allgemein dazu auch u. a. Bell 2012; Demmler-Mosetter 1993; Kost 2017; Stemmer/Bruns 2017; Stroh/Megerle 2017). Es können jedoch nur aktuelle Landschaftskonstrukte abgefragt werden, Landschaftskonstrukte von vergangenen Gesellschaften sind in dieser Form nicht mehr zu ermitteln. Hier besteht die Möglichkeit, auf Erzählungen oder vorhandene Bilder zurückzugreifen. Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux im Jahre 1336 gilt als das erste überlieferte Beispiel im Zusammenhang mit einer ästhetischen Konstruktion einer Landschaft. Seine schriftliche Über-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. I. Linke, Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte, RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25873-3_4

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

lieferung schildert den Ausblick vom Gipfel des Berges und war zu damaliger Zeit eine Neuheit: Zum ersten Mal wird eine landschaftlich als erhaben bezeichnete Erfahrung als etwas Positives beschrieben, auch wenn es zu dieser Zeit noch kein idealisiertes Landschaftskonstrukt darstellte (Petrarca/Steinmann 2015; vgl. auch Piepmeier 1980, 15ff.). Wie die Ästhetik von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen in der Vergangenheit konstruiert wurde, kann auch sehr gut in den Bildenden Künsten beobachtet werden. Ein als Landschaft bezeichnetes Motiv in der Kunst ist meist nicht nur eine Ansammlung von physischen Objekten durch die Künstlerinnen und Künstler. Ganz häufig geht es in den Bildern darum, was die Kunstschaffenden in einem als Landschaft bezeichneten physischen Raum sehen – also ihre soziale Konstruktion von Landschaft, die einerseits durch die Künstlerinnen und Künstler, aber auch durch den damaligen Zeitstil geprägt ist (vgl. Hokema 2013, 36ff.). Es ist also in einem gewissen Umfang möglich, anhand von abgebildeten Räumen abzulesen, wie die Menschen (und damit auch die Gesellschaften) ihre damaligen, aber auch ihre heutigen Landschaften konstruieren. In dieser Arbeit stehen eben erwähnte abgebildete Landschaftskonstrukte im Fokus der Untersuchung. Es geht darum, im Sinne einer methodischen Multiperspektivität, Ergebnisse zu erheben, die nicht bzw. nur schwer über eine Befragung erzielt werden können. Eine zeitgenössische Möglichkeit besteht darin, sich auf aktuelle Medien zu berufen: Bilder bzw. Fotografien im Internet. Diese Methode berücksichtigt die mittlerweile stark entwickelte gesellschaftliche Informationsaneignung über das Internet. Die Bildersuche im Internet kann hier einen Hinweis auf die alltagsweltliche Bild-Sprache geben. Denn auch sie sind als eine Art Sprache zu verstehen, und zwar als eine Sprache, die nicht bloß eine spezielle Art von Zeichen darstellt, sondern auch immer einen historischen oder eben aktuellen Zusammenhang aufzeigt (Mitchell 1990, 18). Kühne bemerkt in diesem Kontext, dass „Landschaften in medialen und virtuellen Welten […] eine Erweiterung des im physischen Raum verankerten architektonischen Hyperspace47 (Jencks 1977) in der Dimension des secondspace48 von Soja (1996) 47

48

Jameson (1991) erklärt den Begriff Hyperspace anhand des postmodernen Bonaventure Hotels in Los Angeles. Es beschreibt die Raumwahrnehmung des Hotels als totalen Raum, als eine eigene Welt. „Verloren geht die herkömmliche zur Wahrnehmung von Perspektive und Volumen notwendige Distanz. Man steht bis zum Hals (und bis zu den Augen) in diesem Hyperraum“ (1997, 88). Laut Soja gibt es drei Dimensionen von Räumen: Firstspace als physischer Raum, „the real material world“ (1996, 6); Secondspace als emotionaler Raum, „a Secondspace perspective

Die Herleitung der Methoden: Die Untersuchung von abgebildeten Landschaftskonstrukten

145

dar[stellen]“ (Kühne 2012, 375, Hervorh. i. O.). Kühne spricht zwar von Filmen, aber auch Bilder erschaffen Landschaftskonstrukte und tragen wesentlich zu ihrem Branding bei (Kühne 2012, 375). Im Fokus steht ebenso die Ästhetik. „Das Anschauen – nicht nur von Bildern, sondern auch von wirklich vor uns erscheinenden Dingen – beansprucht die gesamte Sinnlichkeit“ (Hasse 2015, 32, Hervorh. i. O.). Diese sogenannte gesamte Sinnlichkeit erinnert an die Bedeutung der Ästhetik, die als eine sinnliche Wahrnehmung zu verstehen ist. Somit hat das Betrachten von Bildern (und auch von vorgefundenen Landschaftskonstrukten) zugleich mit Ästhetik zu tun und kann somit zur Beantwortung der Frage dienen: Wie werden als Landschaften bezeichnete physische Räume im Internet in der heutigen Zeit – der Postmoderne – ästhetisch konstruiert? Diese Frage kann nicht nur mit dem Sehen von physischen Objekten erklärt werden, die Antwort geht weit darüber hinaus und spricht einen komplexen Konstruktionsprozess an. Dieses die vorliegende Arbeit konstituierende Thema soll nun im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Daraus ergeben sich weitere Fragen in dieser Hinsicht: Zeigen die abgebildeten Landschaftskonstrukte eher positiv besetzte Stereotype oder vielleicht sogar auch negativ besetzte Räume? Wie unterscheiden sich die abgebildeten Landschaftskonstrukte im Internet von den Landschaftskonstrukten im vorgefundenen Raum? Kühne stellt hier fest, dass als Landschaft bezeichnete physische Räume im Film (im übertragenen Sinn kann hier auch allgemein von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen im virtuellen Raum ausgegangen werden) „zwar ikonographisch, indexikal und symbolisch auf alltagsweltliche gesellschaftliche Landschaften [verweisen], die wiederum rekursiv durch die Darstellung in der Regel verfestigt, bisweilen auch erweitert werden, jedoch vollziehen sich diese Verweise und Erweiterungen zumeist in stereotypisierendem und idealtypisierendem Kontext“ (2012, 376). Die Antworten darauf, wie Landschaften im Internet konstruiert werden und ob sie in diesem Kontext auch stereotypisiert und idealtypisiert werden, soll eine Untersuchung an zwei Beispielen im Rahmen einer Internetsuche zeigen.

that interprets this reality through imagined representations of spatiality (1996, 6) und Thirdspace „as creative recombination and extension, one that builds on a Firstspace perspektive […] and a Secondspace perspective […]“ (1996, 6).

146

Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

4.2 Eine Bildersuche im Internet: Erste methodologische Operationalisierung Der Schwerpunkt der empirischen Analyse liegt auf Bildmaterial, genauer gesagt auf abgebildeten Landschaftskonstrukten, die aus dem Internet generiert wurden. Im folgenden Kapitel soll diese Methode genauer aufgezeigt werden. Dafür wird die Untersuchung von zwei Beispielen jeweils in Bezug auf Herleitung, Durchführung und Auffälligkeiten dargestellt. 4.2.1 Einführende Bemerkungen Eine Internet-Bildersuche kann als Methode dienen, Konstruktionen von Landschaften zu ermitteln. Im Sinne des Konstruktivismus ist das „Wissen über die Welt […] nicht die einfache Abbildung gegebener Fakten“ (Hokema 2013, 22). Das soll auch mit dem untersuchten Datenträger Bild nicht suggeriert werden. Ein Bild scheint nur auf dem ersten Blick eine Ansammlung von physischen Objekten zu zeigen. Es setzt Vorgänge der „Einbildungskraft […] Phantasie, Intuition und Kontemplation“ (Hasse 2015, 32) in Gang. Bilder sind laut Hasse „als imaginäres Bild einer Situation auch sinnlich und leiblich spürbar“ (2015, 47). Sie sind demnach ausgewählte räumliche Ausschnitte, die einem Konstruktionsprozess unterliegen und wiederum einen Konstruktionsprozess auslösen. Der Bildinhalt wird bewusst selektiert und als Landschaft konstruiert, Gailing spricht in diesem Zusammenhang auch von einer interessengesteuerten Auswahl der Bilder (2013b, 229). Um es mit Hokemas Worten zu verdeutlichen: „Reine oder einfache Tatsachen gibt es nicht, vielmehr sind diese immer schon in den Konstruktionen über den Charakter eines Gegenstandes eingebettet und erhalten vor solchen Hintergrund spezifische Gestalt“ (2013, 22, Hervorh. i. O.). Das bedeutet, dass auch Bilder keine bloße Ansammlung von physischen Objekten sind, denn die vorkommenden Objekte unterliegen bereits Konstruktionsprozessen. In der Zusammenschau werden diese Objekte dann als Ganzheit, als eben eine Landschaft konstruiert und bewertet. Somit stellt auch die Untersuchung von Bildmaterial einen wichtigen Beitrag für die konstruktivistische Landschaftsforschung dar. Die Negierung einer rein objektiven Wirklichkeit bedeutet auch nicht, dass die Auswertung und die Interpretation des Bildmaterials einer Beliebigkeit unterliegen. Durch die Rekonstruktion der verschiedenen (z. B. materiellen oder gesellschaftlichen) Zusammenhänge kann der Beliebigkeit entgegengewirkt werden (Hokema 2013, 22).

Eine Bildersuche im Internet: Erste methodologische Operationalisierung

147

Die Bildersuche ergänzt schriftliche und mündliche Befragungen um eine visuelle Komponente. „Bilder sind gewiss keine Texte, und sie sollen auch nicht semiotisch wie Texte behandelt werden. Gleichwohl verdienen sie als Medien komplexer Kommunikation eine den Texten vergleichbar wertschätzende und in besonderer Weise kritische Aufmerksamkeit“ (Hasse 2015, 47). Darüber hinaus berücksichtigt diese Methode die derzeit ausgeprägte gesellschaftliche Informationsaneignung über das Internet. Wie bereits erwähnt, sind laut Mitchell Bilder als eine Art Sprache zu verstehen. Sie sind nicht nur Zeichen, sie müssen als „Schauspieler auf der Bühne der Geschichte“ (1990, 18) verstanden werden und haben demnach auch immer einen historischen oder aktuellen Bezug. Interessant ist die Suche im Internet aus dem Grund, da vor allem die Ergebnisse von Suchmaschinen als ein „user-generated content“ (Thimm 2017, 435) angesehen werden können, was bereits in Kapitel 3.6 angesprochen wurde. Das bedeutet, dass die Inhalte von einem Teil der Konsumierenden aktiv produziert werden und daher einen aufschlussreichen Einblick in Konstruktion von Landschaften der Nutzerinnen und Nutzern geben. Für die ästhetische Konstruktion von Landschaften im Internet wurden folgende Untersuchungen an zwei Beispielen durchgeführt. Diese Untersuchungen umfassen zum einen abgebildete Landschaftskonstrukte in der InternetBildersuche (siehe dazu Kapitel 5.1) und zum anderen abgebildete Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen (siehe dazu Kapitel 5.2). In beiden Beispielen geht es in einer Meta-Ebene um die Gewinnung von Informationen aus dem Internet. Die abgebildeten Landschaftskonstrukte, die aus der Bilder-Suchmaschine generiert wurden, zeigen zunächst allgemeine Ergebnisse zu dem Thema Landschaft. Zur Ergänzung dieser räumlich unspezifischen Untersuchung wurden darüber hinaus auch die Bilder der Startseiten niederbayerischer Kommunen betrachtet und analysiert. Diese Untersuchung zielt auf räumlich spezifische Ergebnisse ab. Die Ergebnisse der beiden Untersuchungen werden am Ende des fünften Kapitels (Kapitel 5.3) miteinander verglichen. Die Abbildungen der beiden Beispiele wurden quantitativ und qualitativ ausgewertet. Zunächst erfolgt eine Inhaltsanalyse. Laut Früh ist die Inhaltsanalyse eine „empirische Methode zur systematischen und intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen, meist mit dem Ziel einer darauf gestützten interpretativen Inferenz auf mitteilungsexterne Sachverhalte“ (2015, 129). Diese Methode ist zusätzlich

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

als „offengelegter Vorschlag des Forschers zur theoretisch relevanten Strukturierung bzw. Gruppierung von Bedeutungen“ (Früh 2015, 130) zu verstehen und ermöglicht somit umfassende Erkenntnisse über die ästhetische Konstruktion der verschiedenen Bilder. Der quantitative Teil der Inhaltsanalyse erfolgt durch eine Ermittlung und Auswertung der Bildinhalte und der Farben, um quantifizierbare Bestandteile der Landschaftskonstrukte zu ermitteln. Der zweite Teil der Inhaltsanalyse besteht darin, die quantitativ ausgewerteten Bildinhalte auch qualitativ auszuwerten. Vertiefend zu dieser Inhaltsanalyse werden eine Bildinterpretation und eine ästhetische Feinanalyse auf qualitativer Basis durchgeführt. Die Ergebnisse sind zu einem gewissen Grad abhängig von der Interpretationsweise der Autorin. Die Untersuchung enthält einen Interpretationsspielraum, da nicht nur harte Indikatoren49 herangezogen werden, die „eine mechanistische und damit sichere 1:1-Zuordnung von materialem Zeichenträger und dem gemeinten Bedeutungsgehalt zulassen“ (Früh 2015, 122). Es werden auch weiche Indikatoren50 berücksichtigt, also Indikatoren, deren Bedeutung nicht grundsätzlich determiniert bzw. konventionalisiert sind (Früh 2015, 117). Das hat zur Folge, dass zwar die Reliabilität darunter leidet, aber es werden auch mehr relevante Inhalte erfasst, und es wird somit die Gültigkeit verbessert (Früh 2015, 122). Um den Interpretationsspielraum enger zu fassen, wird der Untersuchungsvorgang möglichst transparent gehalten und die theoretische Ableitung von bestehenden Erkenntnissen genau dargestellt. Dadurch wird die Wissenschaftlichkeit dieser Arbeit gewährleistet. Die Ergänzungen der quantitativen Methoden mit qualitativen Methoden haben laut Lamnek/Krell (2010, 216ff.) den Vorteil, die zwei verschiedenen Denktraditionen des Erklärens und des Verstehens zu verknüpfen (naturwissenschaftlich versus geisteswissenschaftlich; Objekt versus Subjekt). Denn quantitative bzw. standardisierte Methoden haben nicht die Absicht, „subjektbezogen zu verstehen, während das qualitative Paradigma als interpretativer Ansatz das Verstehen im Vordergrund sieht und das Erklären im naturwissenschaftlichen Sinne als sekundär betrachtet“ (Lamnek/Krell 2010, 218). Da der Mensch in der Konstruktion von Landschaften nicht nur als reagierendes Wesen, sondern hauptsächlich als schaffendes Wesen angesehen wird (vgl. Lamnek/Krell 2010, 216), 49 50

Beispiel für harte Kriterien: Anzahl der Bilder, die Wasser in Form von Bächen, Flüssen, Seen oder Meer abbilden. Beispiel für weiche Kriterien: Anzahl der Bilder, die als stark bearbeitet bezeichnet werden können.  

Eine Bildersuche im Internet: Erste methodologische Operationalisierung

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ist der interpretative bzw. der erklärende Ansatz hier von entscheidender Bedeutung, denn „wenn soziale Tatsachen durch Menschen konstituiert und interpretiert werden, so sind sie nicht als naturgegebene Fakten, sondern als mit spezifischen Bedeutungen versehene Phänomene zu betrachten“ (Lamnek/Krell 2010, 216). Nachfolgend werden die beiden untersuchten Beispiele einzeln noch einmal dargestellt. Vorbemerkung zu Untersuchung abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche: Eine ähnliche Internet-Bildersuche wurde von der Autorin bereits durchgeführt (vgl. Linke 2018). Jedoch sollen diese Ergebnisse durch die Ergebnisse der Suche nach Bildern von Landschaftskonstrukten in Internetauftritten bayerischer Kommunen ergänzt werden. Da die Bildersuche bereits im September 2016 durchgeführt wurde und die Informationen im Internet sehr kurzlebig und schnell veränderbar sind, wurde sie im Zuge der vorliegenden Arbeit noch einmal wiederholt und vertieft, denn der nahe zeitliche Bezug zur Untersuchung der Landschaftskonstrukte in Internetauftritten bayerischer Kommunen spielt eine wichtige Rolle. Ferner kann die Suche über ein Jahr später auch Aufschluss darüber geben, wie sich diese Internet-Bildersuche in dieser Zeit verändert hat (Testwiederholung im Sinne der Reliabilität). 4.2.2 Die Bilder der Bildersuchmaschine Ausgangspunkt für diesen Teil der Untersuchung sind die Ergebnisse einer Bildersuchmaschine. Um diese Methode genauer darzustellen, wird zunächst allgemein auf die Suchmaschine und die methodische Operationalisierung eingegangen (Kapitel 4.2.2.1), dann auf die Durchführung (Kapitel 4.2.2.2) und am Ende auf Besonderheiten und Auffälligkeiten bei der Datenerhebung (Kapitel 4.2.2.3). 4.2.2.1 Überlegungen zur Suchmaschine und zur methodischen Operationalisierung Für die Internet-Bildersuche wurde der Begriff Landschaft in die Google-Bildersuchmaschine eingegeben. Die Suchmaschine des Betreibers Google wurde verwendet, da das Unternehmen die derzeit weltweit größte und meistbenutzte Suchmaschine stellt. In Deutschland hat Google einen Marktanteil von über 94 % (statista 2017). Für die Bildersuche untersucht Google die Bedeutung der Bilder (u. a. durch die Besucherzahlen) und verarbeitet diese Informationen mit Hilfe

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

von Algorithmen. Aus diesen Informationen wird anschließend eine priorisierende Reihenfolge erstellt. Auch wenn diese Algorithmen im Detail geheim sind und nicht veröffentlicht werden, ist laut dem Unternehmen die hierarchische Rangfolge nicht käuflich, gekaufte Anzeigen werden als solche gekennzeichnet (vgl. google.de). Für die vorliegende Untersuchung wurden die Bilder der ersten Ergebnisseiten der Internetsuche genauer betrachtet. Die Bilder wurden anschließend einer Inhaltsanalyse unterzogen (vgl. Früh 2015). Laut Früh erlaubt die Inhaltsanalyse Aussagen über Kommunikatorinnen und Kommunikatoren und Rezipientinnen und Rezipienten, die (in der Form bzw. Menge) nicht erreichbar sind. Somit war die Forscherin nicht auf die Kooperation von Versuchspersonen angewiesen. Darüber hinaus trat keine Veränderung des Untersuchungsobjektes durch die Untersuchung ein, und sie ist, zumindest in ihrem quantitativen Teil, beliebig reproduzierbar (Gütekriterium der Reliabilität) und auch mit modifizierten Analyseinstrumenten wiederholbar (Früh 2015, 43f.). Um die Reliabilität zu prüfen, wurden zwei Testwiederholungen durchgeführt. Eine Wiederholung wurde im Januar 2018 durchgeführt, ohne dass sich die zu messenden Merkmale verändert haben.51 Die zweite Testwiederholung bezieht sich auf die in Kapitel 4.2.1 erwähnte bereits abgeschlossene Untersuchung im September 2016. Auch wenn sich das zu untersuchende Bildmaterial nach einem Jahr geringfügig verändert hatte, bot diese Testwiederholung einen zusätzlichen Vergleich, um das Maß für die Zuverlässigkeit zu untersuchen (Lamnek/Krell 2010, 150).52 Die Reliabilität der qualitativen Ergebnisse ist allerdings getrennt davon zu betrachten. Eine beliebige Reproduzierbarkeit der Untersuchung mit den exakt denselben Ergebnissen ist im Unterschied zu einer quantitativen Methode durch den hohen Subjektivitätsgrad nicht zu erreichen (Kühne 2006b, 141). Jedoch lassen sich diese Nachteile durch die Vorteile des Gütekriteriums der Validität, dem Grad der Genauigkeit, kompensieren (Lamnek/Krell 2010, 154). Der Grad der Validität lässt sich in der quantitativen wie auch in der qualitativen Methode durch verschiedene Verfahren prüfen. In der vorliegenden Arbeit wurden dafür Pretests, Plausibilitätsuntersuchungen und die argumentative Validierung (Offenle-

51 52

Es wurden die bereits vorhandenen Bilder noch einmal untersucht. Dabei gab es keine signifikanten Unterschiede zu den vorhandenen Ergebnissen. Auch hier konnten keine signifikanten Unterschiede zur vorliegenden Untersuchung festgestellt werden.

Eine Bildersuche im Internet: Erste methodologische Operationalisierung

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gung der regelgeleiteten und nachvollziehbaren Vorannahmen führt zu einer Intersubjektivität des Interpretationsprozesses; Lamnek/Krell 2010, 140) verwendet. Der Kommunikationsvorgang von untersuchten Inhalten bezieht sich, wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt, entweder auf die Kommunikatorin bzw. auf den Kommunikator (die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des jeweiligen Autors) oder auf die Rezipientinnen bzw. Rezipienten (die Interpretation der Mitteilung, Früh 2015, 45). Diese Untersuchung fokussierte beide Kommunikationsvorgänge, die Mitteilungsabsichten der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren und die Verstehensprozesse der Rezipierenden (Früh 2015, 46; vgl. auch Luhmann 1987). Denn zum einen werden die Bilder einer Internetsuche als usergenerated content (siehe Kapitel 3.6.2) von den verschiedenen Personen der Gesellschaft selbst produziert, und zum anderen werden die Bilder in ihrer Gesamtheit von der Gesellschaft als Bilder von Landschaften (als Konstruktionen) verstanden. Die Ergebnisse einer Bilder-Suchmaschine verschaffen somit einen allgemeinen Einblick darüber, was sich die durchschnittlichen Informationssuchenden im deutschsprachigen Raum im Internet unter dem Begriff Landschaft vorstellen bzw. wie der Begriff Landschaft von Individuen oder bestimmten Gesellschaftsgruppen als etwas Bedeutungsvolles konstruiert wird. 4.2.2.2 Die Durchführung der Datenerhebung Für diesen Teil der Untersuchung wurden die ersten 100 Bilder genauer betrachtet und einer Inhaltsanalyse (nach Früh 2015) sowie einer ergänzenden Bildinterpretation und einer ästhetischen Feinanalyse unterzogen. Das bedeutet, es lag ein Stichprobenumfang von n = 100 vor. Die Bilder wurden am 03.11.2017 aufgerufen und abgespeichert. Für die Internet-Bildersuche wurde der Begriff Landschaft von Deutschland aus (genauer Standort: Landau a. d. Isar, Niederbayern) in die Google-Bildersuche eingegeben. Dafür wurden alle gespeicherten Einstellungen, die eventuelle vorgehende Internetsuchen betreffen, gelöscht. Darüber hinaus wurden keine weiteren Suchfunktionen eingestellt, auch die personenbezogene Datenerhebung wurde deaktiviert. Auch an anderen Computern an anderen Standorten in Deutschland (München und Berlin) wurde der Begriff Landschaft in die Google-Bildersuche eingegeben, im Vergleich konnten keine auffallenden Änderungen der Ergebnisse bzw. der gezeigten Bilder festgestellt werden. Es handelte sich weitgehend um identisches Bildmaterial. Zunächst erfolgte

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

auch die Sichtung weiterer 100 Bilder, jedoch konnte die Autorin durch Stichproben feststellen, dass die weiteren Bilder keine neuen Erkenntnisse bringen würden. Bei der Inhaltsanalyse wurden zunächst die Frequenz der dargestellten Objekte und der Farben analysiert. Die dargestellten Objekte wurden in Kapitel 4.4.1.2 in als stereotype und störend bezeichnete Elemente kategorisiert, die Farben wurden zum einen nach den häufig auftretenden Farben der Stichprobe und zum anderen anhand der Erkenntnisse der Untersuchung von Bärbel Kühne (2002) ausgewählt (siehe ebenfalls Kapitel 4.4.1.2). Wichtig ist dabei, ob diese Objekte von der durchschnittlichen deutschsprachigen Gesellschaft als stereotyp oder störend bezeichnet werden (siehe Kategorienbildung anhand vorhergehender Untersuchungen in Kapitel 4.4.1.2), wie stark die Bilder bearbeitet sind, ob sie einen zugeschriebenen Symbolcharakter und bestimmte Farben aufweisen. Im Anschluss wurde die inhaltliche bzw. ästhetische Interpretation vorgenommen. 4.2.2.3 Über Auffälligkeiten der Datenerhebung Vor der Hauptuntersuchung wurde ein Pretest durchgeführt. Für diese Voruntersuchung wurden zunächst alle 100 Bilder auf die zu untersuchenden Merkmale hin gesichtet. Dabei ergaben sich Ergänzungen der physischen Elemente sowie auch der Farben. Ergänzung der stereotypen physischen Elemente (alle ergänzten physischen Elemente wurden dieser Kategorie zugeordnet):   

‚Gebirge, Berge oder Hügel‛ wurde noch einmal durch die Kategorie ‚davon große Gebirge bzw. Gletscher‛ ergänzt Die Kategorie ‚Felsen oder Klippen‛ wurde ergänzt Die Kategorie ‚Bauernhof/einzelnes (bedeutendes) Gebäude‛ wurde durch die Kategorie ‚davon Leuchttürme‛ ergänzt

Ergänzung der auftretenden Farben:    

Braun Grau Schwarz Weiß

Eine Bildersuche im Internet: Erste methodologische Operationalisierung

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Diese zusätzlichen Kategorien der dargestellten physischen Elemente waren für die zweite Untersuchung der abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten der Kommunen zwar nicht relevant, wurden aber für die InternetBildersuche trotzdem hinzugefügt und ausgewertet. 4.2.3 Die Bilder auf den Startseiten niederbayerischer Kommunen Ausgangspunkt für diesen Teil der Untersuchung waren die Bilder auf den Startseiten niederbayerischer Kommunen. Um diese Methode genauer darzustellen, wird zunächst, wie im vorhergehenden Kapitel zu den Bildern der Suchmaschine, allgemein auf die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes und die methodische Operationalisierung eingegangen (Kapitel 4.2.3.1), dann auf die Durchführung (Kapitel 4.2.3.2) und am Ende auf Besonderheiten und Auffälligkeiten bei der Datenerhebung (Kapitel 4.2.3.3). 4.2.3.1 Überlegungen zur Auswahl des Untersuchungsgegenstandes und zur methodischen Operationalisierung Die zweite Variante, die Untersuchung abgebildeter Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen, ist aus methodischer Perspektive wie die erste Variante zu betrachten. Auch hier gelten die bereits aufgeführten Ausführungen zu Reliabilität, Validität und Kommunikationsvorgängen. Inhaltlich soll diese Variante der Untersuchung weniger allgemeine, sondern speziell raumbezogenen Ergebnisse liefern. Daher werden hier Darstellungen von Landschaftskonstrukten in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen53 ausgewertet. Der Regierungsbezirk Niederbayern wurde gewählt, da er häufig von Außenstehenden und Bewohnerinnen und Bewohnern als stereotyp ländlich bzw. landschaftlich geprägt konstruiert wird (vgl. Fehn 1983). Es wurden dazu die Internetauftritte aller niederbayerischen Städte, Märkte54, Gemeinden oder Verwaltungsgemeinschaften gesichtet. Anschließend wurden die Bilder der 53 54

Der niederbayerische Regierungsbezirk wird in Kapitel 5.2.1 genauer dargestellt. Märkte oder Marktgemeinden sind spezielle Ortskategorien in Bayern, die zumeist mit einem historischen Marktrecht zusammenhängen. Laut der Gemeindeordnung des Freistaates Bayern in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998, Artikel 3 darf die „Bezeichnung Stadt oder Markt […] nur an Gemeinden verliehen werden, die nach Einwohnerzahl, Siedlungsform und wirtschaftlichen Verhältnissen der Bezeichnung entsprechen“ so Bayerische Staatskanzlei (2017). Für gewöhnlich ist eine Marktgemeinde in Bezug auf Einwohnerzahl, Siedlungsform und wirtschaftlichen Verhältnissen zwischen den amtlichen Kategorien Stadt und Dorf einzuordnen. 

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

Landschaftskonstrukte, die in dem Internetauftritt zu sehen sind, inhaltlich analysiert. Diese Analyse lehnte sich an die Analyse der Internet-Bildersuche an. Zusätzlich wurden jedoch auch die Einbindung bzw. die Kontextualisierung der Bilder in den gesamten Internetauftritt betrachtet (durch Bildunterschriften oder die zugehörigen Texte zu den Bildern). Hier stellte sich die Frage, um welche Einbindung es sich handelt und welche Funktion sie einnehmen sollen. Darüber hinaus wurden zu dieser Untersuchung sechs qualitative Interviews mit Verwaltungsangestellten der Kommune bzw. den grafisch Verantwortlichen der Internetauftritte geführt. Diese Interviews sollen die Fragen beantworten, warum und wozu die gezeigten Bilder ausgewählt wurden. In Kapitel 5.1.5 und 5.2.7 werden die ausgewerteten Ergebnisse dargestellt (vor allem im Hinblick auf ästhetische Konstruktionsmerkmale) und in Kapitel 5.3 miteinander verglichen. Mit diesen Erkenntnissen geht es in die Diskussion, u. a. mit der Frage, ob sich die ästhetische Konstruktion von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen im Internet auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Gesellschaft auswirkt. 4.2.3.2 Die Durchführung der Datenerhebung Es wurden zunächst alle Internetauftritte niederbayerischer Städte, Märkte, Gemeinden oder Verwaltungsgemeinschaften gesichtet (Erklärung der Kategorie Markt siehe Kapitel 4.2.3.1). Auf der Homepage der Regierung von Niederbayern (Regierung von Niederbayern 2018) sind alle Städte, Märkte und Gemeinden zu finden, die es im Regierungsbezirk gibt. Insgesamt sind es 243 an der Zahl. Untersucht wurden allerdings 248 Internetauftritte. Das liegt daran, dass einige Kommunen zu einer Verwaltungsgemeinschaft zusammengeschlossen wurden und sowohl einen eigenen, als auch einen gemeinsamen Internetauftritt mit der Verwaltungsgemeinschaft vorweisen können. Es gibt auch einige wenige Fälle, bei denen eine Gemeinde keinen eigenen Internetauftritt pflegt, sondern nur den gemeinsamen Internetauftritt der Verwaltungsgemeinschaft betreibt. Das bedeutet, dass zu Beginn für die Untersuchung ein Stichprobenumfang von n = 248 vor. Die Bilder wurden im Zeitraum von Mitte August bis Anfang November 2017 aufgerufen und abgespeichert. Die 248 Internetauftritte der Kommunen wurden gesichtet und nach Abbildungen von Landschaftskonstrukten durchsucht. Insgesamt hatten zehn Internetauftritte auf der Startseite keine Abbildungen von Landschaftskonstrukten (im erweiterten Sinne) und wurde nicht in die

Eine Bildersuche im Internet: Erste methodologische Operationalisierung

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Untersuchung aufgenommen. Daher reduzierte sich der Stichprobenumfang auf n = 238. 4.2.3.3 Über Auffälligkeiten der Datenerhebung Da sich die Untersuchung der Internetauftritte nach einem Pretest komplexer erwies als die Untersuchung der abgebildeten Landschaftskonstrukte der InternetBildersuchmaschine, wurden folgende Regeln befolgt, um eine Transparenz und Vergleichbarkeit der beiden Untersuchungen herstellen zu können:  



Grundsätzlich wurden nur die Abbildungen untersucht, die auf der Startseite abgebildet sind. Weitere Bilder nachfolgender Seiten bzw. einzelner anderen Rubriken wurden nicht in die Untersuchung miteinbezogen. Es wurden nur die Bilder für die Untersuchung verwendet, die dauerhaft auf der Startseite zu sehen sind. Das bedeutet, dass Bilder von temporären Einträgen, beispielsweise Bilder eines aktuellen Weihnachtsmarktes oder Gebrauchtwarenmarktes, nicht verwendet wurden. Es wurde auch hier das erweiterte Landschaftsverständnis herangezogen, d. h. auch Bilder von bebauten oder naturfernen Räumen (Hokema 2013, 296) wurden verwendet. Das impliziert auch Abbildungen von Innenstädten oder reine Gebäudeansichten von außen. Nicht in die Untersuchung miteingeschlossen wurden jedoch Bilder, die beispielsweise das Innere eines Gebäudes oder einer überdachten Anlage (z. B. Therme) zeigen.

Folgende Sonderfälle traten auf und wurden einheitlich wie hier beschrieben behandelt: 



Bei einigen Startseiten ist eine dynamische Bilderfolge zu sehen. Das bedeutet, das Bild wechselt nach einigen Sekunden. Für die Untersuchung wurde das erste Bild bei Erscheinen der Internetseite genommen – der Screenshot erfolgte unmittelbar nach Aufrufen der Seite. Viele Startseiten zeigen mehrere abgebildete Landschaftskonstrukte. In diesen Fällen wurde ebenfalls der Screenshot der ganzen Seite gemacht. Das bedeutet, dass alle gezeigten Bilder in die Untersuchung miteinbezogen wurden, da die Kommune mit jedem dieser Bilder versucht, die Kommune und damit auch das dazugehörige Landschaftsverständnis zu repräsentieren. Wenn daher nachfolgend beispielsweise davon gesprochen wird, dass ein blauer Himmel auf 84,6 % der Bilder auf den Internetauftritten zu sehen ist, bedeutet das, dass 84,6 % der Internetauftritte jeweils ein oder mehrere Bilder mit blauem Himmel auf ihrer Startseite zeigen. Dabei wurden die abgebildeten physischen Elemente und auch die vorkommenden Farben jeweils

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

nur einmal gezählt. Da die Bilder jeweils eine ähnliche Farbqualität bzw. Farbintensität besaßen, ist die Farbuntersuchung durch mehrere Bilder pro Kommune auch nicht verfälscht. Durch diesen Sachverhalt ergibt sich auch die Tatsache, dass die Untersuchung nicht von einem prozentualen Anteil der Bilder, sondern von einem prozentualen Anteil der Startseiten spricht. Es heißt demnach nicht „Der Himmel ist auf 84,6 % der Bilder zu sehen“, sondern: „Der Himmel ist auf 84,6 % der Internetauftritte zu sehen“. Zum Teil war auf den Internetauftritten zusätzlich ein physischer Raum als ganzflächiges Hintergrundbild zu erkennen. Falls diese Abbildung ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum zu erkennen war, wurden diese in die Untersuchung mitaufgenommen. Bei gänzlich unkenntlichen Abbildungen (z. B. stark verschwommene Motive) wurde das Bild vernachlässigt. Abbildungen in Schwarz-Weiß wurden bei der Farbauswertung extra gekennzeichnet und flossen nicht in die allgemeine Farb-Untersuchung mit ein, die physischen Elemente hingegen wurden jedoch aufgenommen.

Für die vorliegende Untersuchung wurden demnach insgesamt 238 Internetauftritte unter eben genannten Regeln genauer betrachtet und einer Inhaltsanalyse (nach Früh 2015) sowie einer qualitativen Bildinterpretation unterzogen. Für diese Teil-Untersuchung mussten keine weiteren Einstellungen oder Suchfunktionen deaktiviert bzw. gerändert werden, um ein transparentes Ergebnis zu liefern. Die Internetauftritte sind für alle Besuchenden gleich und unterliegen nicht der personenbezogenen Datenerhebung. Daher waren auch keine vergleichenden Testdurchläufe an anderen Computern notwendig. Wie bei der vorangehenden Teil-Untersuchung wurde zunächst die Frequenz der dargestellten Objekte und der Farben analysiert. Die dargestellten Objekte wurden als stereotype und störend bezeichnete Elemente kategorisiert (siehe Kapitel 4.4.1.2), die Farben nach den häufig auftretenden Farben der Stichprobe und der Untersuchung von Bärbel Kühne (2002) ausgewählt (siehe ebenfalls Kapitel 4.4.1.2). Auch hier lag der Fokus darauf, welche Objekte auf den Abbildungen zu sehen sind, wie stark die Bilder bearbeitet sind, ob sie einen zugeschriebenen Symbolcharakter und bestimmte Farben aufweisen.

Die Beurteilung der Bildauswahl durch Expertinnen und Experten

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4.3 Die Beurteilung der Bildauswahl durch Expertinnen und Experten: Ergänzende methodologische Operationalisierung Ergänzend zur Erfassung des Bildmaterials wurden auch Leitfadeninterviews geführt. Im folgenden Kapitel soll diese zusätzliche Methode aufgegriffen werden. Dabei wird die Methode in Bezug auf Durchführung und Auffälligkeiten genauer dargestellt. 4.3.1 Einführende Bemerkungen Die Interviews wurden geführt, um Begründungszusammenhänge zwischen der Auswahl und der Absicht der abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen zu erhalten. Diese zusätzliche qualitativ-empirische Untersuchung ergänzt und unterstützt die Untersuchung der abgebildeten Landschaftskonstrukte mit dem Ziel, subjektive Sachverhalte wie Interpretationen, Absichten und (Selbst-)Wahrnehmungen aufzuzeigen (vgl. Kühne 2006b, 140). Die Interviews wurden nur in dieser einen Untersuchung und nicht im Zuge der Untersuchung der Internet-Bildersuche geführt. Das ist dadurch zu begründen, dass die Absichten und Wahrnehmungen der Ergebnisse der Internet-Bildersuche durch die Darstellung der Senderinnen und Sender einerseits in Kapitel 5.2.2 dargelegt werden (Beispiele: abgebildete Landschaftskonstrukte im Rahmen eines Internetauftritts eines Fotografen bzw. einer Fotografin oder abgebildete Landschaftskonstrukte im Rahmen eines Internetauftritts eines Reiseanbieters: Verkauf einer Dienstleistung, daher stark ästhetisiertes Bild; mehr dazu siehe Aschenbrand 2017). Andererseits sind die Senderinnen und Sender zum Teil eine sehr heterogene Personengruppe mit unterschiedlichsten Absichten (z. B. Reiseanbieterinnen und -Reiseanbieter, Fachportale, OnlineZeitschriften, Bildungseinrichtungen). Hier kann auch durch ausgewählte qualitative Interviews keine gültige bzw. übergreifende Aussage getroffen werden. Im Fall der abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten von Kommunen stellen die Senderinnen und Sender eine ähnliche Personengruppe dar (Bürgermeisterinnen bzw. Bürgermeister oder Verwaltungsangestellte einer Kommune). Die Aussagen der Interviews können somit gegebenenfalls übertragen werden und sind somit auch für die restlichen Untersuchungsgegenstände dieser Suche relevant.

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

4.3.2 Überlegungen zum Gesprächsrahmen und zur Gesprächsführung Die Interviews dienen der Ermittlung des Wissens von Expertinnen und Experten (Hopf 2008, 350) und sollen die Fragen beantworten, warum die dargestellten Bilder der Internetauftritte ausgewählt wurden und welchen Zweck sie erfüllen sollen. Dafür wurden Personen ausgewählt, die am Auswahlprozess der Bilder beteiligt waren oder über diesen Prozess Bescheid wissen. Das waren in diesem Fall Verwaltungsangestellte oder die zuständigen Personen der ausführenden Grafikbüros bzw. Mediendesigner. Das Interview verfolgte eine teilstandardisierte Struktur. Das heißt, die entscheidenden Fragen, warum die dargestellten Bilder der Internetauftritte ausgewählt wurden und welchen Zweck sie erfüllen sollen, sollten beantwortet werden. Allerdings wurde auf eine festgelegte Reihenfolge bzw. Struktur verzichtet. Die Autorin entschied im Verlauf des Interviews, wann sie vom Leitfaden abweichen musste, wann sie eventuell intensiver nachfragen musste oder wann es bedeutsam sein konnte, weniger intensiv nachzufragen und den befragten Personen „breite Artikulationschancen“ (Hopf 2008, 358) einzuräumen. Bewusst wurde darauf geachtet, auf einen dominierenden Kommunikationsstil zu verzichten, keine Suggestivfragen zu stellen, Geduld beim Zuhören zu zeigen und die Freiheit beim Umgang mit dem Frageleitfaden zu bewahren (Hopf 2008, 359). Auch zu den befragten Personen gibt es aus wissenschaftlicher Perspektive Aspekte, die zu einer Verfälschung der Ergebnisse führen können. So raten beispielweise Froschauer/Lueger (2003, 33), keine persönlich bekannten Personen zu interviewen. Das Interview mit bekannten Personen kann von den Interviewenden dazu gebraucht werden, das Gespräch als Absicherungsstrategie zu benutzen. Im Rahmen der Interviews wurde insgesamt eine der Autorin bekannte Person befragt. Es wurde daher bereits bei der Vorbereitung sowie auch bei der Durchführung des Interviews sorgfältig darauf geachtet, möglichst offene Fragen (und keinesfalls Suggestivfragen) zu stellen, die zu keiner von der Interviewerin beabsichtigten Antworten führen konnten. Die Interviews wurden aus organisatorisch-räumlichen Gründen telefonisch durchgeführt. Damit nahm die Interviewerin in Kauf, nur den verbalen, auditiven Kommunikationskanal in Form von stimmlichem Ausdruck und gesprochenem Text auswerten zu können (Allhoff/Allhoff 2016, 21). Vor allem der visuelle Kommunikationskanal in Form von Körpersprache und räumliches Verhalten so-

Die Beurteilung der Bildauswahl durch Expertinnen und Experten

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wie auch der taktile Kommunikationskanal in Form von körperlicher Kontaktaufnahme (Allhoff/Allhoff 2016, 21) mussten aufgrund der gewählten Interviewform vernachlässigt werden, was aufgrund der relativ einfachen Fragestellungen jedoch hinnehmbar war. Den Schwerpunkt der Interviews stellt die Interpretation des gesprochenen Materials dar. Da Fehler häufig nicht durch mangelndes Material, sondern häufig durch die fehlende sorgfältige Auslegung entstehen, wurde besonders auf die gewissenhafte Interpretation geachtet (Froschauer/Lueger 2003, 33). 4.3.3 Die Durchführung der Datenerhebung Insgesamt wurden sechs Personen zu den Auswahlgründen der gezeigten Bilder auf den Internetauftritten befragt. Die Auswahl war zufällig, es wurde jedoch darauf geachtet, dass die befragten Personen Kommunen unterschiedlicher Regionen angehören. Da sich die Regionen in ihrer touristischen Attraktivität unterscheiden55, konnte somit sichergestellt werden, dass jeder als prägend bezeichneter physischer Raum durch mindestens eine Kommune beschrieben wurde, wie z. B. der Bayerische Wald oder das Niederbayerische Hügelland. Aus daten- und personenschutzrechtlichen Gründen werden die Kommunen bzw. befragten Personen in dieser Arbeit nicht namentlich genannt. Zwei der befragten Personen waren zum Zeitpunkt der Befragung Mitarbeiter der jeweiligen Kommunalverwaltung (Abkürzung der befragten Personen: K1 und K2), die restlichen vier befragten Personen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des jeweilig zuständigen Grafikbüros (Abkürzung der befragten Personen: G1, G2, G3, und G4). Die Interviews fanden am 24. und 25.01.2018 statt und dauerten je zwischen 10 und 15 Minuten. Es standen die Fragen im Mittelpunkt, unter welchen Aspekten die Bildauswahl erfolgt, welche Gedanken, Ziele und Absichten die Auswahl der Bilder beeinflussten und ob es darüber hinaus auch schon Rückmeldung seitens der Bevölkerung zu den Bildern auf der Homepage gegeben habe.

55

Die touristische Attraktivität wird in diesem Zusammenhang anhand verschiedener Aspekte wie z. B. Ausflugsziele, Museen, kulturelle Einrichtungen, Burgen, Schlösser, Kirchen, Denkmäler, berühmte Bauwerke, Thermen, Bäder und Golfplätze gemessen, siehe Tourismusverband Ostbayern e.V. (2018).

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

4.4 Analytisches Vorgehen Im Vordergrund stehen die Fragen, wie als Landschaften bezeichnete physische Räume im Internet ästhetisch konstruiert werden und welche Auswirkungen diese Konstruktionen haben. Um diese Aufgabenstellung zu bearbeiten, ist eine methodische Triangulation notwendig (vgl. Flick 2008): Angewendete Methoden sind die Inhaltsanalyse, die Bildinterpretation bzw. die ästhetische Feinanalyse sowie begleitend dazu qualitative Interviews. Das analytische Vorgehen dieser Methoden wird nachfolgend genauer beschrieben. Die Inhaltsanalyse weist quantitative und qualitative, die Bildinterpretation bzw. die ästhetische Feinanalyse und die Interviews weisen ausschließlich qualitative Merkmale auf. Zu Beginn der Untersuchung ist es für die weiteren Schritte von Bedeutung, die Fragestellung zu konkretisieren, um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen. Dafür werden eindeutige Motive und Ziele eruiert, die anschließend in prüfbare Annahmen übertragen werden (Früh 2015, 141). 4.4.1 Analyse des Bildmaterials der Google-Bildersuche und der Startseiten niederbayerischer Kommunen Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Inhaltsanalyse, die quantitative und qualitative Merkmale aufweist, sowie auf der Bildinterpretation und der ästhetischen Feinanalyse. Diese Analysemethoden dienen in diesem Fall dazu, bildliches Kommunikationsmaterial systematisch zu bearbeiten und auszuwerten (Mayring 2008, 468). Die Inhaltsanalyse hat den Vorteil, dass das Verfahren „transparent, nachvollziehbar, leicht erlernbar und gut auf neue Fragestellungen übertragbar“ ist (Mayring 2008, 474). Bei der Inhaltsanalyse wurde strukturiert vorgegangen, das bedeutet in diesem Fall, es wurden bestimmte Kategorien aus dem Bildmaterial erarbeitet, aus diesen wurde ein Querschnitt gebildet und die Ergebnisse wurden anschließend unter ästhetischen Gesichtspunkten eingeschätzt (vgl. Mayring 2008, 473). Die vertiefende Bildinterpretation und die ästhetische Feinanalyse behandeln noch einmal genauer die Fragen, was auf dem Bild dargestellt und wie diese Darstellung hergestellt wird (nach Bohnsack 2011). Zusätzlich zur Analyse der Bilder wurden ebenfalls die geführten Interviews ausgewertet. Wie nachfolgend anhand der einzelnen Schritte genauer dargestellt wird, beziehen sich diese Analysemethoden nicht nur auf den Inhalt des bildlichen Materials, sondern machen auch den Sinngehalt zu ihrem Gegenstand (Mayring 2008, 469).

Analytisches Vorgehen

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4.4.1.1 Bildung der ersten Annahmen Nach den theoretischen Vorüberlegungen und der Sichtung bereits vorhandener Untersuchungen (u. a. Hard 1970; Hokema 2013; Kühne 2006b; Micheel 2012; siehe auch Kapitel 3.2, besonders Kapitel 3.2.4) ergab sich die Bildung von Annahmen aus theoriegeleiteter Perspektive (Früh 2015, 142): Annahme 1 Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von Landschaften. Annahme 2 Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d. h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Annahme 3 Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefundenen Landschaftskonstrukten. Diese Annahmen wurden durch eine empiriegeleitete Annahme ergänzt. Diese Annahme entstand durch die Sichtung einer Stichprobe der abgebildeten Landschaftskonstrukte der Internet-Bildersuche. Hier wurden Auffälligkeiten untersucht und als eine zusätzliche Annahme formuliert: Annahme 4 Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um ästhetisch noch positiver zu erscheinen. Hier ist die Wortwahl „ästhetisch positiver“ anzusprechen. Wie bereits in Kapitel 2.4 erläutert wurde, ist die Ästhetik zunächst wertfrei. Es gibt negativ und positiv bezeichnete ästhetische Kategorien. Mit „ästhetisch positiver“ soll ausgesagt werden, dass es sich um eine Steigerung einer als positiv bezeichneten ästhetischen Zuschreibung handelt, z. B. die Zuschreibungen „schöner“, „erhabener“

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

oder „pittoresker“. Diese gesteigerten Zuschreibungen ästhetischer Kategorien auf die abgebildeten Landschaftskonstrukte beziehen sich auf vergleichbare Abbildungen ohne Bildüberarbeitung. Eine weitere aufgestellte Annahme wird zusätzlich am Ende von Kapitel 4.4.1.3 vorgestellt. Demnach sind es zusammengefasst fünf theorie- und empiriegeleitete Annahmen, die in Kapitel 1 interpretiert und diskutiert werden. 4.4.1.2 Bildung von Haupt- und Unterkategorien Auf Grundlage dieser theorie- und empiriegeleiteten Annahmen werden nun Kategorien gebildet, die für die Inhaltsanalyse relevant sind. Es lassen sich zwei Hauptkategorien ableiten: zum einen die Kategorie der dargestellten physischen Elemente und zum anderen die Kategorie der Bild- bzw. Farbwirkung. In der ersten Phase der jeweiligen Hauptkategorie werden die Bildbotschaften paraphrasiert, anschließend erfolgt eine Deskription der Bilder (Jung et al. 1992, 257). HAUPTKATEGORIE 1 Dargestellte physische Elemente HAUPTKATEGORIE 2 Bild- bzw. Farbwirkung Es werden nun nachfolgend zuerst die einzelnen Schritte der Hauptkategorie 1 und anschließend der Hauptkategorie 2 erläutert und die Vorgehensweise für die beiden untersuchten Beispiele dargestellt. Der Vorgang wird allgemein beschrieben, auf eventuelle Unterschiede in den beiden Untersuchungen wird in diesem Kapitel nur kurz eingegangen. Die erste Hauptkategorie lautet:

Analytisches Vorgehen

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HAUPTKATEGORIE 1 Dargestellte physische Elemente Zu dieser Hauptkategorie lassen sich mehrere Unterkategorien ableiten. Diese einzelnen Begriffe wurden abgeleitet, wie auch die theoriegeleiteten Annahmen aus den theoretischen Vorüberlegungen. Die Ableitung der Begriffe erfolgt zum einen durch die Sichtung bereits vorhandener Untersuchungen (abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012), sowie zum anderen durch die Stichproben der abgebildeten Landschaftskonstrukte der Internet-Bildersuche und der Internetauftritte niederbayerischer Kommunen (siehe Tabelle 1). Hier sei anzumerken, dass sich durch die Sichtung der abgebildeten Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche weitere Kategorien ergeben haben, die für die Suche der abgebildeten Landschaftskonstrukte der Internet-Bildersuche nicht relevant sind. Das lässt sich dadurch erklären, dass die allgemeine Bildersuche Landschaft (die nicht regional begrenzt ist) viele physische Elemente aufwies, die in den Landschaftskonstrukten niederbayerischer Kommunen nicht vorhanden waren bzw. aus geographischen Gründen nicht vorhanden sein können (z. B. Palmen, Leuchttürme). Nachfolgend werden diese Kategorien in kursiver Schrift dargestellt.

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

Tabelle 1:

Unterkategorien der Hauptkategorie 1 (eigene Zusammenstellung, abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012. Alphabetisch sortiert).56 Asphaltierte Straße Auto / Verkehr Autobahn Bauernhof / einzelnes (bedeutendes) Gebäude Davon Leuchttürme Dorf Einzelne Bäume oder Sträucher Einzelne Personen Feldwege, wassergebundene Wegedecke Felsen, Klippen

Dargestellte physische Elemente

Gebirge, Berge oder Hügel Davon große Gebirge bzw. Gletscher Großstadt Gruppen von Personen Himmel Hochhaus Industriebetrieb Kirche Kleinstadt Landwirtschaftliche Nutzung / Ackerfläche Landwirtschaftliche Nutzung / Viehwirtschaft Neubaugebiet Regenschauer Sonne (direkt oder indirekt in Form von Sonnenstrahlen bzw. Schattenwurf) Stauden- oder Blumenbeete Strommasten Wald oder Gruppe großer Bäume Wasser in Form von Bächen, Flüssen, Seen oder Meer Wiese Windrad Wolken

56

Anmerkung: Regenschauer lassen sich nicht nur in Form von Regen, sondern auch in Form von stark bewölktem, dunklem Himmel erkennen.

Analytisches Vorgehen

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In einem zweiten Schritt werden die einzelnen Begriffe stereotypen oder nicht stereotypen bzw. störenden Elementen zugeordnet (Tabelle 2 und 3). Diese Unterscheidung basiert ebenfalls auf bereits vorhandene Untersuchungen (abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012). Tabelle 2:

Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp bezeichnet werden (eigene Zusammenstellung, abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012. Alphabetisch sortiert).

Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp positiv bezeichnet werden

Bauernhof / einzelnes (bedeutendes) Gebäude Davon Leuchttürme Dorf Einzelne Bäume oder Sträucher Feldwege, wassergebundene Wegedecke Felsen, Klippen Gebirge, Berge oder Hügel Davon große Gebirge bzw. Gletscher Himmel Kirche Landwirtschaftliche Nutzung / Ackerfläche Landwirtschaftliche Nutzung / Viehwirtschaft Sonne (direkt oder indirekt in Form von Sonnenstrahlen bzw. Schattenwurf) Stauden- oder Blumenbeete Wald oder Gruppe großer Bäume Wasser in Form von Bächen, Flüssen, Seen oder Meer Wiese Wolken

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

Dargestellte physische Elemente, die

Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als nicht stereotyp bis störend bezeichnet werden (eigene Zusammenstellung, abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012. Alphabetisch sortiert). überwiegend als störend bezeichnet werden

Tabelle 3:

Asphaltierte Straße Auto / Verkehr Autobahn Einzelne Personen Großstadt Gruppen von Personen Hochhaus Industriebetrieb Kleinstadt Neubaugebiet Regenschauer Strommasten Windrad

Anhand der Tabellen 2 und 3 wurden die einzelnen dargestellten physischen Elemente der einzelnen Abbildungen gezählt und auch beschrieben. Dadurch wird den Bildern eine Bedeutung zugeschrieben, die sich auf die abgebildeten Objekte, auf Personen sowie auch auf deren Anordnung bezieht (vgl. Jung et al. 1992). Darüber hinaus wurde in der Teiluntersuchung der abgebildeten Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche noch untersucht, welche räumliche Zuschreibung den abgebildeten Landschaftskonstrukten zugeordnet werden kann (Tabelle 4). Diese Untersuchung bezog sich auf spezielle abgebildete physische Elemente, die Rückschlüsse über die räumliche Zugehörigkeit geben können (beispielsweise bestimmte Vegetation wie Palmen, bestimmte physisch-geografische Gegebenheiten wie Gebirge). Es wurden nur abgebildete Landschaftskonstrukte gezählt, die eindeutig nicht den genannten Raumkategorien zugeordnet werden können. Wird an einer Zuordnung zu den nicht-europäischen Landschaftskonstrukte oder den nicht-niederbayerischen Landschaftskonstrukte auch nur im Ansatz gezweifelt bzw. ist die Zuordnung für die Betrachtende nicht deutlich zu erkennen, wird die Abbildung zur Kategorie nicht eindeutig zuzuordnende Landschaftskonstrukte gezählt. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber,

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Analytisches Vorgehen

ob allgemein als Landschaft bezeichnete physische Räume einen regionalen Bezug haben oder ob diese Konstruktionen sich den Konstruktionen räumlicher Grenzen widersetzen. Tabelle 4:

Räumliche Zuschreibungen (eigene Zusammenstellung). Nicht-europäische Landschaftskonstrukte

Räumliche Zuschreibung

Nicht-niederbayerische Landschaftskonstrukte Nicht eindeutig zuzuordnende Landschaftskonstrukte

Die zweite Hauptkategorie bezieht sich auf die Farben der Bilder und die Bildbzw. Farbwirkung (Bedeutung von Farben siehe Kapitel 3.7.3.2). Diese Kategorie ist deshalb von großer Bedeutung, da sich viele Autorinnen und Autoren in Hinsicht auf Ästhetik und Landschaftsästhetik auf die Farbigkeit oder auch den Glanz von Farben beziehen (vgl. Hard 1970; Schmitthenner 1837; Schneider 2005; siehe auch Kapitel 2.4 und 3.3.2). HAUPTKATEGORIE 2 Bild- bzw. Farbwirkung Die Unterkategorien teilen sich zunächst in die einzelnen auftretenden Farben auf (Tabelle 5). Auch Jung et al. beschreiben in der ersten Phase der Bildanalyse zunächst eine „präzise Wiedergabe von Farben, Farbnuancen, Farbkontrasten“ (1992, 257). Die kategorisierten Farben ergaben sich zunächst aus der Untersuchung von Bärbel Kühne (2002, 170ff., siehe auch Kapitel 6.3: Die Farben der Natur). Bei der ersten Stichprobe der untersuchten Bilder der Internet-Bildersuche ergaben sich jedoch die weiteren Farben Braun, Grau, Schwarz und Weiß, die anschließend ergänzt wurden. Zu den Farben Schwarz, Weiß und auch Grau als Mischfarbe von Schwarz und Weiß sei gesagt, dass es sich hier um achromatische (sogenannte unbunte) Farben handelt. Auch wenn sich diese beiden Farben in vielen Farbkreisen nicht wiederfinden bzw. häufig als Nicht- oder Unfarben bezeichnet werden (Welsch/Liebmann 2012, 96), werden sie in dieser Arbeit als Farben bezeichnet und auch so behandelt. Laut Welsch/Liebmann bedeutet Schwarz die Abwesenheit aller Farben und besitzt demnach den Farbwert 0. Ein schwarzer Körper absorbiert theoretisch 100 % des Lichts und reflektiert 0 % davon (Welsch/Liebmann 2012, 96). Die Farbe Weiß stellt das Gegenteil dar.

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

Welsch/Liebmann bezeichnen Weiß als einen Farbeindruck, der entsteht, „wenn alle eingestrahlten Wellenlängen des Lichts (zu 100 %) reflektiert und gestreut werden“ (Welsch/Liebmann 2012, 102). Weiß ist auch die Farbe mit der geringsten Farbreichweite, das bedeutet, dass schon eine geringe Beimischung anderer Farben den Farbcharakter verändert. Die beiden Farben Schwarz und Weiß in einer laut Welsch/Liebmann idealen und absoluten Form gibt es nicht, da bei beiden Farben immer entweder ein paar Prozent nicht oder eben schon reflektiert werden. Beispiel: „Von einer Platte aus Bariumsulfat werden ca. 95 % des Sonnenlichts reflektiert, von frisch gefallenem Schnee ca. 90 %“ (Welsch/Liebmann 2012, 102). In diesem Kontext sei angemerkt, dass die Farben in den Bildern nur so gewertet wurden, wie es das menschliche Auge zulässt. Es kann demnach nicht ausgeschlossen werden, dass die Farbe Grau, Schwarz oder Weiß oder auch andere Farben einen gewissen Anteil an wiederum anderen Farbe in geringsten Mengen aufweisen. Da die abgebildeten Landschaftskonstrukte in jedem Fall mehr als eine Farbe aufweisen, wurden alle auftretenden Farben gezählt, auch wenn es sich nur um kleine Farbflächen handelte. Ausgenommen von der einzelnen Farbbetrachtung wurden die Fassaden- und Dachfarben der Gebäude, die vorwiegend in den abgebildeten Landschaftskonstrukten der Internetauftritte der Kommunen vorkamen. Es wurde dann zwar jeweils vermerkt, dass sich durch Fassaden- und Dachfarben der Gebäude zusätzliche Farben ergeben, diese wurden aber nicht mitgezählt. Tabelle 5:

Einzelne vorkommende Farben (eigene Zusammenstellung). Farbe Blau Farbe Grün

Farben

Farbe Gelb Farbe Rot Farbe Orange Farbe Braun Farbe Grau Farbe Schwarz Farbe Weiß

In einem zweiten Schritt wurde die Bild- bzw. die Farbwirkung untersucht. Laut Untersuchungen von Gorn et al. (1997) und Camgöz et al. (2002) werden helle

Analytisches Vorgehen

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und gesättigte Farben positiver bewertet. Beide genannten Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass Helligkeit und Farbsättigung sogar bedeutender seien als der Farbton an sich. Die Wirkungen von Helligkeit und Sättigung sind zwar unterschiedlich: Helligkeit wird mit Entspannung assoziiert, Sättigung mit Erregung. Beide Wirkungen haben jedoch eine positive Zuschreibung (Felser 2015, 340). Auch wenn der Farbton in Bezug auf Helligkeit und Sättigung eine untergeordnete Bedeutung hat, soll in dieser Arbeit auch auf die symbolische Zuschreibung der Farben eingegangen werden. Denn Farben stehen nicht nur für sich selber, sondern haben darüber hinaus eine bestimmte zugeschriebene kulturelle Bedeutung. Auf die symbolischen Zuschreibungen der einzelnen Farben wird in den Kapiteln 5.1.4 und 5.2.5 detailliert eingegangen. Es war jedoch nicht nur Helligkeit, Farbsättigung und der Farbton von Bedeutung, sondern auch, ob und in welchem Ausmaß eine Bild- bzw. Farbbearbeitung stattgefunden hat (Tabelle 6). Jung et al. sprechen in dieser zweiten Phase von der Bedeutung von Farbstimmungswerten (1992, 257). Die Bearbeitung der Bilder kann durch spezielle Kameraeinstellungen erfolgen oder nachträglich digital mit einem speziellen Computerprogramm. In beiden Fällen lässt sich die Bearbeitung in zwei verschiedene Stufen unterteilen. Zunächst gibt es die Bildoptimierung. Hier ist das Ziel, die Bilder zu optimieren, d. h. die zu erkennenden Motive sollen so aussehen, wie sie auch in der vorgefundenen Umwelt aussehen bzw. sogar ein bisschen besser. Darunter fallen z. B. das Entfernen von roten Augen, Änderungen der Helligkeit, der Farbsättigung oder auch der Weißabgleich. Ein Weißabgleich wird vorgenommen, wenn ein nichtgewollter Farbstich auf dem Bild zu sehen ist. Ein Farbstich kann entweder neutralisiert oder auch verstärkt werden. Einen Schritt weiter geht die Bildbearbeitung. In diesem Fall werden die Bilder stärker verändert bzw. optimiert. Darunter fallen z. B. das Kompositing oder die Retusche. Das Retuschieren kann bedeuten, dass eventuell als störend bezeichnete Gegenstände entfernt wurden. Da diese Form der Überarbeitung teilweise nur schwer nachvollziehbar und nicht eindeutig nachweisbar ist, liegt der Schwerpunkt in diesen Untersuchungen vermehrt auf der Bildoptimierung bzw. auf der farblichen Bearbeitung, die für das menschliche Auge sichtbar ist. Aber auch eine vorgenommene Bildoptimierung ist zum Teil nicht eindeutig von einem unbearbeiteten Bild abzugrenzen. Künstlich erzeugte Bildoder Farbwirkungen gehen ein Kontinuum zwischen den Stufen der Bearbeitung ein und verstehen sich daher eher als Richtwert. Aus diesem Grund wurden keine

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streng abgrenzbaren Kategorien, sondern vielmehr ein Kategorienverlauf der Bearbeitung genannt. Die Einteilung in die verschiedenen Kategorien ergab sich durch den Vergleich der einzelnen Bilddateien. Insgesamt entstanden vier Kategorien (siehe Tabelle 6), von der Kategorie der nicht vorhandenen Bildbearbeitung bzw. Bildoptimierung zur höchsten Kategorie der stark auffälligen Bildbearbeitung bzw. Bildoptimierung. Darüber hinaus gab es noch eine weitere Unterkategorie der ersten Kategorie (stark auffällige Bildbearbeitung): Bilder mit einer als unnatürlich bezeichneten Bild- bzw. Farbbearbeitung. Darunter fallen Bilder von als Landschaften bezeichneter physischer Räume, die u. a. als übertrieben bzw. unnatürlich bezeichnete Farben aufwiesen (z. B. Neonfarben für Himmel oder Wiesen) oder stark abgeänderte Oberflächentexturen (z. B. Wasser erhält durch Weichzeichnungswerkzeuge von Bildbearbeitungsprogrammen eine Oberfläche, die als samtig bezeichnet werden kann). Tabelle 6:

Bild- und Farbwirkung (eigene Zusammenstellung auf Grundlage von Camgöz et al. 2002, Felser 2015, Gorn et al. 1997 und Jung et al. 1992).

Bild- bzw. Farbwirkung

Kategorie 1: Stark auffällige Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Stark künstlich erhöhte Farbsättigung, nachträglich hinzugefügte Lichtquelle, stark auffällige Veränderung der Farben. Davon als unnatürlich bezeichnete Bild- bzw. Farbbearbeitung Beispiele: Überaus grelle Farben, die für gewöhnlich nicht den Farben von Landschaftskonstruktionen zugeschrieben werden. Kategorie 2: Auffällige Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Künstlich erhöhte Farbsättigung, nachträglich hinzugefügte Lichtquelle, Veränderung der Farben. Kategorie 3: unauffällige bis nicht vorhandene Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Keine künstlich erhöhte Farbsättigung, keine nachträglich hinzugefügte Lichtquelle oder Veränderungen der Farben. Kategorie 4: nicht vorhandene Bild- bzw. Farbbearbeitung sowie schlechte Bildbzw. Farbqualität. Beispielhafte Merkmale: Keine künstlich erhöhte Farbsättigung, schlechte Bildauflösung, blasse Farben.

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Um den Interpretationsspielraum möglichst gering zu halten, wurde hier das Fachwissen eines Fotografen und Kameramannes eingeholt.57 Die Bilder der beiden Untersuchungen wurden jeweils anhand dieser Hauptund Unterkategorien untersucht und ausgewertet. Die anschließende Vorgehensweise der Interpretation der untersuchten Bilder soll nun im Folgenden dargestellt werden. 4.4.1.3 Vertiefende Bildinterpretation und ästhetische Feinanalyse Der nächste Teil der Untersuchung zielt zunächst darauf ab, eine Bildinterpretation und eine ästhetische Feinanalyse auf qualitativer Basis vorzunehmen. Bohnsack differenziert die Arbeitsschritte der Bildinterpretation in zwei Teile: die formulierende und die reflektierende Interpretation. Die formulierende Interpretation behandelt, was auf dem Bild dargestellt ist; die reflektierende Interpretation geht der Frage nach, wie die Darstellung hergestellt wird (Bohnsack 2011, 56). Die formulierende Interpretation ist wiederum in zwei Teile differenziert. Hier gibt es laut Bohnsack (angelehnt an Panofsky 1975) die vor-ikonografische Ebene und die ikonografische Ebene. Die vor-ikonografische Ebene bezieht sich auf die auf dem Bild sichtbaren Gegenstände und Phänomene. Diese Ebene wurde bereits in der Inhaltsanalyse behandelt. Relevant ist hier die ikonografische Ebene, die sich auf die identifizierbaren Handlungen bezieht. Um diese Handlungen zu identifizieren, müssen Motive unterstellt werden: die Um-zu-Motive (Bohnsack 2011, 56). Bohnsack greift hier das Beispiel von Panofsky auf: Die Handlung des Hutziehens wird als ein Grüßen interpretiert – das Hutziehen um zu grüßen (Panofsky 1975, 38). Im Zusammenhang mit diesen Zuschreibungen von Motiven verweist Bohnsack auf die Problematik der Subjektivität: „Motivunterstellungen sind nur dort unproblematisch, wo wir es mit institutionalisierten oder (wie es in der dokumentarischen Methode genannt wird) kommunikativ-generalisierten Bedeutungen zu tun haben, wie beispielsweise im Falle der Interpretation des Hutziehens als Grüßen. Hierzu gehört auch das Wissen um 57

Die Befragung des Experten wurde im November 2017 durchgeführt und bezog sich auf die Sicht- und Erkennbarkeit einer Bildbearbeitung. Eine Bearbeitung lässt sich u. a. daran erkennen, wenn ein zweiter Lichteinfall, auffällig intensive Farben, verstärkte Farbsättigung oder Kontraste (z. B. fast rein schwarze Wolken, hellgelbe Sonne, tiefblauer Himmel) zu erkennen sind. Dabei wurden die Bilder durch den Experten stichprobenhaft auf eine Überarbeitung hin überprüft.

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gesellschaftliche Institutionen und Rollenbeziehungen […]“ (2011, 56, Hervorh. i. O.). Die reflektierende Interpretation handelt von der formalen Komposition. Es geht vor allem darum, welche Objekte und welche Szenerien ins Zentrum des Bildes gestellt werden und welchen Eindruck bzw. welche Symbolik das Bild dadurch erweckt (Bohnsack 2011, 57). In Bezug auf diesen Teil der Arbeit ist vor allem die ikonografische Ebene der formulierenden Interpretation und zum Teil auch die reflektierende Interpretation von Bedeutung. Diese Interpretation der Handlungen und Motive wurde vor allem aus ästhetischer Perspektive behandelt. Folgende Fragen stehen hier im Mittelpunkt: Welche als Landschaft bezeichneten physischen Räume werden konstruiert? Ein Landschaftskonstrukt kann beispielsweise eine romantisierte Idylle oder auch eine sogenannte neue Energielandschaft sein. Es geht auch um die Frage, welche Elemente bei den verschiedenen Landschaftskonstrukten eine wichtige Rolle spielen (Bildkomposition). Anschließend wird ergänzend untersucht, welche dieser Konstruktionen häufig vorkommen. Ist es wie in der Werbung, wo laut Bärbel Kühne vor allem altbekannte Sujets zu sehen sind und keine neuen Bilder (2002, 218)? Wie werden Landschaftskonstrukte ästhetisch dargestellt? Hier geht es um die einzelnen Elemente wie auch um deren Zusammenschau. Es geht darum, welcher ästhetischen Kategorie sich die Konstruktionen bedienen. Im Fokus stehen die genauer behandelten Kategorien der Schönheit, der Erhabenheit, der Hässlichkeit sowie auch der Anästhetik und des Kitsches. Welchen Zweck verfolgt die ästhetische Darstellung? Hier werden potentielle Um-zu-Motive aufgezeigt und analysiert. Die Frage ist, welche bildästhetische Bedeutung die Darstellungen bewirken. Es soll auch gezeigt werden, welche Gefühle die Bilder hervorrufen sollen und wie sie das erreichen.

Analytisches Vorgehen

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Beeinflusst die ästhetische Konstruktion der als Landschaft bezeichneten physischen Räume im Internet die gesellschaftliche Akzeptanz? Ein weiteres, übergeordnetes Thema der Bild-Interpretation ist darüber hinaus die Frage, ob die ästhetische Konstruktion der Landschaften im Internet die gesellschaftliche Akzeptanz beeinflusst. Diese Frage lässt sich ebenfalls durch die interpretative Auswertung beantworten. Die Interpretation bezieht sich auf die Bedeutungen der Bilder, die durch die Inhaltsanalyse erarbeitet werden konnten. Auch für diese Frage lässt sich eine Annahme aufstellen:

Annahme 4 Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Die interpretative Auswertung wird jeweils im Anschluss an die Inhaltsanalysen dargestellt, und die verschiedenen Auswertungen werden in Kapitel 5.3 miteinander verglichen. 4.4.2 Die Auswertung der Interviews Die ergänzenden Interviews, die in Kapitel 4.3 genauer dargestellt sind, wurden einer Themenanalyse unterzogen (vgl. Froschauer und Lueger 2003). Hier wurden Meinungen und Einschätzungen der Expertinnen und Experten eingeholt, die sich speziell den Fragen widmeten, warum die dargestellten Bilder der Internetauftritte ausgewählt wurden und welchen Zweck sie erfüllen sollen. Es standen demnach die zusammenfassende Aufbereitung der Inhalte und der „manifeste Gehalt von Aussagen im Zentrum“ (Froschauer und Lueger 2003, 158). Für die Themenanalyse wurden zunächst die übergeordneten Themenkategorien identifiziert: Wie und durch wen erfolgte die Bildauswahl; welchen Zweck verfolgen die Bilder. Anschließend wurden charakteristische Komponenten herausgearbeitet, die den Themen zugeordnet werden konnten. Die für die Bearbeitung der Forschungsfragen besonders bedeutenden Textpassagen wurden der Interpretation unterzogen und unterstützen bzw. ergänzen die Analyse des Bildmaterials.

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Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

4.5 Grenzen und Einschränkungen der Untersuchung Dieses Kapitel soll nicht nur die methodischen Operationalisierungen aufzeigen, sondern auch die Grenzen und Einschränkungen der Untersuchung. Diese gehen zu einem großen Teil von dem untersuchten Medium, dem Internet, aus. Allgemeine Aussagen zur Kritik an den Medien wurden bereits im Kapitel 3.6.3 dargelegt. Nun soll genauer darauf eingegangen werden, welche Auswirkungen Grenzen und Einschränkungen des Internets auf die Ergebnisse dieser Arbeit haben können. Eine große Einschränkung besteht darin, dass der Zugang zum Internet derzeit nicht allen Personen offensteht. Es wurde bereits in Kapitel 3.6 erwähnt, dass sich die Rolle der Internetnutzerinnen und -nutzer vom „passiven Rezipienten hin zum aktiven Produzenten“ (Thimm 2017, 435) entwickelt hat, hier wird von einem sogenannten user-generated content gesprochen (Thimm 2017, 435). Da aber nicht alle Personen Zugang zu Internet haben, kann diese aktive Produktion von Inhalten nur von bestimmten Bevölkerungsteilen geschehen. So Thimm: „Auch in Deutschland verfügt jedoch nicht jede Person über Zugang zum Netz. Die Gründe sind vielschichtig – so geht es um den technischen Zugang, also die Frage der technischen Ausstattung und der finanziellen Möglichkeiten, aber auch der Wohnort spielt eine Rolle, denn längst nicht alle Orte in Deutschland verfügen über die erforderlichen Zugänge. Auch die Präsenz spezifischer sozialer Gruppen betreffend zeigt sich ein deutliches Ungleichgewicht. Besonders bei älteren Frauen, aber auch bei Migrantinnen und Migranten sind die Nutzerzahlen noch deutlich geringer. Neben dem Bildungsstand erweist sich besonders ein höheres Lebensalter als wichtige Kategorie zur Differenzierung zwischen onlinern und offlinern. Auch bei Berücksichtigung weiterer Faktoren wie Einkommen, Geschlecht und Herkunftsland bleibt das Alter ein bestimmender Einflussfaktor. Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede hinsichtlich der Kombination der Variablen Alter und Migrationshintergrund: Nur 3,8 Prozent der Frauen über sechzig Jahren mit Migrationshintergrund haben Zugang zum Netz“ (2017, 437f.). Somit sind die Gruppen von beispielsweise älteren Frauen sowie Migrantinnen und Migranten untervertreten und die Ergebnisse stellen somit nicht die durchschnittliche Konstruktion des Begriffes Landschaft dieser Bevölkerungsgruppen dar. Thimm verweist hier auf den „ausgrenzenden Charakter“ (Thimm 2017, 438) des Internets: „Gemeint ist eine digitale Spaltung aufgrund von sozialem Status, Bildung, Alter und Chancengleichheit. Als digitale Kluft (digital

Grenzen und Einschränkungen der Untersuchung

175

gap) oder digitale Spaltung (digital divide) wird entsprechend die Spaltung zwischen Menschen bezeichnet, die das Internet nutzen, und denen, die es nicht nutzen“ (Thimm 2017, 438, Hervorh. i. O.). Diese Einschränkung hinsichtlich der aktiven Produktion von Inhalten im Internet durch bestimmte untervertretene Bevölkerungsgruppen kann nicht ausgeglichen werden, muss jedoch offen dargelegt werden. Eine weitere Herausforderung der Untersuchung stellt das Unternehmen Google dar. Zum einen in Bezug auf die Sammlung von Daten der Nutzerinnen und Nutzer. Google speichert Suchanfragen und Seitenaufrufe und wertet diese Daten aus, um anschließend vorwiegend personalisierte, interessensbezogene Inhalte anzubieten (mehr dazu siehe Frosch-Wilke/Raith 2002; Siegert/Brecheis 2017). Diese Einstellung würde die Ergebnisse stark beeinflussen bzw. fälschen. Aus diesem Grund wurde die Einstellung für interessensbezogene Werbung und Inhalte deaktiviert und die Chronik, also der gespeicherte Suchverlauf, wurde regelmäßig komplett gelöscht. Darüber hinaus wurden die Bildersuchen mit Suchen von externen Computern verglichen. Somit soll eine neutrale Ausgangssituation hergestellt werden, die auch von anderen Forschenden reproduziert werden kann. Zum anderen können auch die Ergebnisse der Bildersuche bzw. die Priorisierung der Bilder nicht exakt nachvollzogen werden, da das Unternehmen die Algorithmen der Suche nicht freigibt. Algorithmen gewinnen immer mehr an Bedeutung, Siegert/Brecheis (2017, 62) sprechen in diesem Zusammenhang von einer Algorithmisierung. Algorithmen haben verschiedene Anwendungsgebiete, sie können z. B. „suchen, sammeln, überwachen, voraussagen, filtern, empfehlen, bewerten, Inhalte produzieren und vertreiben“ (Siegert/Brecheis 2017, 62; siehe auch Latzer et al. 2014, 6). Google nennt zwar einige Parameter, wie zum Beispiel die Besucherzahlen auf Internetseiten, aber nicht die genaue Funktionsweise der Suche durch Algorithmen. Die letzte Einschränkung im Hinblick auf das Internet, die an dieser Stelle anzuführen ist, ist die Schnelllebigkeit bzw. die Geschwindigkeit der Veränderung von Informationen im Internet. Die ausgegebenen Inhalte von Suchmaschinen bzw. auch (in abgeschwächter Form) die Inhalte von Internetauftritten von Kommunen ändern sich häufig. Somit sind die Ergebnisse häufig zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr exakt nachzuvollziehen. Die Autorin hat daher die Suchergebnisse jeweils als Screenshots gespeichert. Auch hat sie die Suchen zu verschiedenen Zeitpunkten wiederholt, um sicherzustellen, dass sich nur einzelne Bilder geändert haben und diese trotzdem ein ähnliches, vergleichbares Ergebnis liefern. Trotzdem ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass die Suche nach den Inhalten in Bezug zum Thema

176

Methodische Operationalisierungen: Quantitative und qualitative Untersuchung

Landschaft explizit zu der angegebenen Zeit stattgefunden hat und sich die Ergebnisse nach einem gewissen zeitlichen Abstand ändern können. Hier wäre es interessant, diese Suche in einigen Jahren zu wiederholen und einen Vergleich anzustellen. Dieser Vergleich sprengt jedoch den Rahmen dieser Arbeit, daher werden die genannten Methoden nur zu einem Zeitpunkt durchgeführt. Auch die gewählte Methodik der Inhaltsanalyse weist Grenzen auf. So erwähnt Früh, dass Forschende die Mitteilungen des Mediums (hier: Bilder) so beschreiben, „wie sie einem Rezipienten evident erscheinen“ (2015, 47). Es kann hier jedoch zu Unterschieden der Interpretationsweisen kommen, somit ergibt sich durch die – trotz Definitionen und Codierregeln - verbleibende Interpretationsvarianz eine „begrenzte und kontrollierte Streuung, welche an der Abweichung des Reliabilitätskoeffizienten vom Maximalwert 1,0 ersichtlich ist “ (Früh 2015, 47). Die Mitteilungs- und Wirkungsabsichten unterliegen somit der Interpretationsweise des Forschenden (Früh 2015, 50). Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Bedeutung eines Bildes sich nicht aus den Bildern selbst ergibt, sondern „stets im Kontext ihres Gebrauchs, d. h. nicht separiert vom Prozess des Betrachtens und von der Person des Betrachters“ (Schlottmann/Miggelbrink 2015a, 15). Dem wird entgegengewirkt, indem der Kontext so genau wie möglich dargelegt wird und die Methoden offengelegt werden. Dieses Kapitel hat gezeigt, welche nicht vernachlässigbaren Grenzen und Einschränkungen die Verwendung des Internets und der gewählten Methoden aus wissenschaftlicher Perspektive haben (vgl. Lüders 2008). Jedoch ist das Medium Internet in der heutigen Zeit zu bedeutend, um es aus eben genannten Gründen zu vernachlässigen (unter vielen Huysman/Wulf 2004; statista 2018; Warf 2013). Daher wurden Vorkehrungen getroffen, die diesen Einschränkungen entgegenwirken bzw. – falls die Einschränkungen weiterhin bestehen – diese transparent gestalten. Auch die Grenzen und Einschränkungen der methodischen Operationalisierung sind durch den erweiterten Zugang hinnehmbar: Die methodische Triangulation führt zu einer gegenseitigen Absicherung der Ergebnisse. Ferner stellt diese Untersuchung einen neuen möglichen Zugang zu einem jungen Forschungsfeld dar, den es in dieser Form noch nicht gibt (siehe Einführung, Kapitel 1).

5 Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von als Landschaften bezeichneten physischen Räumen in den Medien

Die Frage nach den medialen, ästhetischen Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen rückt im folgenden Kapitel in den Fokus. Zunächst wird diese Frage auf die abgebildeten Landschaftskonstrukte der InternetBildersuche geleitet (Kapitel 5.1). Dabei geht es u. a. um die Senderinnen und Sender, um die Inhalte der Abbildungen und um die Interpretation bzw. die ästhetische Feinanalyse. Die Untersuchungsergebnisse werden anschließend anhand von Einzelbetrachtungen ausgewählter Beispiele verdeutlicht. Nach einer Zusammenfassung der Erkenntnisse wird die eben gestellte Frage auf die abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen bezogen (Kapitel 5.2). Die Vorgehensweise ist ähnlich, jedoch kommt hier noch die Auswertung der geführten Interviews hinzu. An Ende dieses Kapitels werden die Unterschiede und auch die Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und in einem Vergleich dargestellt (Kapitel 5.3). 5.1 Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche Grundlegend für diese Arbeit ist zunächst die Frage, wie der Begriff Landschaft allgemein aber auch ästhetisch konstruiert wird. Eine häufige Methode, diese Frage zu beantworten, ist die Befragung. Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, diese Fragen nicht über die gesprochene Sprache, sondern über die Bild-Sprache zu beantworten. In diesem Kapitel steht zunächst im Mittelpunkt, was die durchschnittliche Gesellschaft unter dem allgemeinen und alltäglichen Begriff Landschaft versteht bzw. wie sie diesen Begriff visuell konstruiert. Anhand der abgebildeten Landschaftskonstrukte soll anschließend auch die Frage geklärt werden, wie dieses Verständnis von Landschaft ästhetisch konstruiert wird. Der Begriff Landschaft wird in diesem Teil der Untersuchung vorerst explizit von möglichen weiteren (z. B. räumlichen) Einschränkungen losgelöst, d. h. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. I. Linke, Die Ästhetik medialer Landschaftskonstrukte, RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25873-3_5

178

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

es geht übergeordnet um dem allgemeinen Begriff Landschaft. Die Suche bleibt offen. Dafür wird der Begriff in eine Internet-Suchmaschine eingegeben, wie in Kapitel 4.2 genauer dargestellt wurde. Anschließend erfolgen eine Analyse der Senderinnen und Sender, eine Inhaltanalyse und eine qualitative Bildinterpretation. Nach einer Zusammenfassung der Teil-Untersuchung wird der zweite Teil der Empirie, die Untersuchung der abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen, in derselben Vorgehensweise dargestellt. 5.1.1 Die Senderinnen und Sender im Überblick – Die Bilder als Werbung in eigener Sache Wie in Kapitel 4.2 dargestellt, fokussiert diese Arbeit beide Kommunikationsvorgänge, die Mitteilungsabsichten der sendenden Personen, also den Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, und die Verstehensprozesse der Rezipierenden (Früh 2015, 46). Da die Ergebnisse der Internetsuche als user-generated content verstanden werden (vgl. Thimm 2017), geben sie Zeugnis darüber ab, was sich die durchschnittlichen Informationssuchenden im deutschsprachigen Raum im Internet unter dem Begriff Landschaft vorstellen bzw. wie der Begriff Landschaft von Individuen oder bestimmten Gesellschaftsgruppen als etwas Bedeutungsvolles konstruiert wird (siehe Kapitel 3.6.2). Zusätzlich wurden aber auch die Senderinnen und Sender der jeweiligen Bilder der Internet-Bildersuche betrachtet. Hierzu wurden die Bilder auf ihre Absenderinnen und Absender hin überprüft. Das erste Bild stammt von einem Artikel der freien Internet-Enzyklopädie Wikipedia, das zweite vom Online-Auftritt des Rechtschreibwörterbuches Duden. Die nächsten untersuchten Bilder entstammen den Internetauftritten von verschiedenen Anbieterinnen und Anbietern. Folgende Kategorien können genannt werden:       

Fotografinnen und Fotografen Anbieterinnen und Anbieter von Reisen oder Unterkünften Blogs Bilderdatenbanken, die ihre Bilder entweder kostenlos zur Verfügung stellen oder verkaufen Online-Zeitschriften Fachportale und Verbände, die der allgemeinen Information dienen (Gesundheit, Naturschutz) Bildungszentren/Universitäten

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

179

Etwas mehr als die Hälfte der untersuchten Internetauftritte bieten Produkte oder Dienstleistungen zum Verkauf an, die anderen bieten kostenlose Information oder Bilder an. Die Internetauftritte ohne direkte Verkaufsabsichten wiederum finanzieren sich bis auf einige wenige Ausnahmen (Wikipedia, Bildungseinrichtungen) durch Werbung, die auf den Internetseiten dargestellt ist. Sie sind somit auch auf einen großen Besucherkreis angewiesen, um Werbeeinnahmen generieren zu können. Die angesprochenen wenigen Ausnahmen mit dem Auftrag der Bildungs- und Wissensvermittlung zeigen jeweils ein abgebildetes Landschaftskonstrukt, das nicht auffällig überarbeitet zu sein scheint. Die gezeigten Landschaftskonstrukte wirken neutral. Der Großteil der restlichen abgebildeten Landschaftskonstrukte zeigt auffällig überarbeitete Bilder, deren Ziel es ist, ein als besonders ästhetisch positiv bezeichnetes Landschaftskonstrukt zu zeigen, um Aufmerksamkeit zu erzielen oder die Verkaufszahlen zu erhöhen – seien es die Bilder, die verkauft werden sollen (z. B. bei Fotografinnen oder Fotografen), oder die Räume, die diese Bilder repräsentieren (z. B. bei Anbieterinnen und Anbieter von Reisen oder Unterkünften). Die Bilder haben somit einen Werbecharakter (sind demnach Werbe- bzw. Kommunikationsgegenstand) und unterliegen damit den Prozessen der Werbebranche (siehe Kapitel 3.7). Wie bereits in Kapitel 3.7 erläutert, setzt sich die Werbung zum Ziel, potentielle Konsumentinnen und Konsumenten (von materiellen und immateriellen Produkten oder Dienstleistungen) anzusprechen oder diese sogar überzeugen wollen, z. B. vom Kauf eines Produktes oder Dienstleistung, vom Schutz eines bestimmten als Landschaft bezeichneten physischen Raumes usw. (B. Kühne 2002, 22; vgl. auch Borchers 2014, 61ff.). In der folgenden Inhaltsanalyse geht es nun darum, wie die Senderinnen und Sender Landschaftskonstrukte für ihre Zwecke konstruieren. 5.1.2 Der Inhalt der Bilder der Google-Bildersuche: Als stereotyp bezeichnete physische Elemente und intensive Farben Für die Inhaltsanalyse wurden die Bilder auf die Begriffe hin untersucht, die bereits in Kapitel 4.4.1.2 erläutert wurden. GOOGLE-BILDERSUCHE SUCHBEGRIFF: LANDSCHAFT DATUM DER BILDERSUCHE: 03.11.2017 DETAILLIERTE ANALYSE DER ERSTEN 100 BILDER; N = 100

180

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Es können aus lizenzrechtlichen Gründen nicht alle untersuchten Bilder der Google-Bildersuche gezeigt werden. Bevor die detaillierte textliche Beschreibung der einzelnen Untersuchungen erfolgt, werden zunächst vier kennzeichnende Bilder dargestellt (Abb. 15-18), die viele der restlichen einhundert Bilder repräsentieren. Daran anschließend werden jeweils die Auswertungen in Form von Tabellen und textlichen Ausführungen dargestellt. Anmerkungen zu dem repräsentativen Auszug der Ergebnisse der Bildersuche: Es werden vier Bilder gezeigt58, die typische Motive und häufig dargestellte physische Elemente aufweisen. Es können hier nur die Bilder dargestellt werden, die frei zu nutzen und weiterzugeben sind. Um diese Bilder aus der Menge der anderen Bilder zu filtern, wurde zusätzlich die erweiterte Suche der Google-Bildersuche genutzt, um sichtbarzumachen, welche Bilder der ursprünglichen Suche in dieser Arbeit dargestellt werden können. Hier kann unter der Rubrik Nutzungsrechte die Kategorie frei zu nutzen oder weiterzugeben eingestellt werden. Die erweiterte Suche erfolgte am 14.11.2017.

Abbildung 15:

58

Bild Nr. 14 der Google-Bildersuche (www.pixabay.com/de/landschaftbaum-sonnenlicht-natur-2175353/; freie kommerzielle Nutzung)

Die Abbildungen sind nur im EBook farbig, können aber auch unter der angegeben Quelle in Farbe eingesehen werden.

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

181

Abbildung 16:

Bild Nr. 36 der Google-Bildersuche (www.commons.wikimedia.org/wiki/File:Landschaft_bei_Kürten.JPG; freie kommerzielle Nutzung)

Abbildung 17:

Bild Nr. 3 der Google-Bildersuche (www.pixabay.com/de/neuseeland -landschaft-landschaftlich-1805939/; freie kommerzielle Nutzung)

182

Abbildung 18:

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Bild Nr. 35 der Google-Bildersuche (www.commons.wikimedia.org /wiki/File:Landschaft_oestlich_von_Rostock.jpg; freie kommerzielle Nutzung)

Allgemein ist festzustellen, dass diese vier Beispielbilder und auch die restlichen 96 Bilder (sowie auch die weiteren Bilder) der Suche fast ausnahmslos Bilder zeigen, auf denen als romantisierte und idyllische Landschaft bezeichnete physische Räume zu erkennen sind. Das lässt sich daraus schließen, dass bis auf sehr wenige Ausnahmen keine als störend bezeichnete Elemente auf den Bildern abgebildet und die Bilder in besonders intensiven, farbkräftigen Tönen dargestellt sind. Auffällig ist auch die Häufung der als stereotyp bezeichneten Elemente, wie in der quantitativen Auswertung zu erkennen ist. Der quantitative Teil misst zunächst nur die Anzahl der vorkommenden physischen Objekte und die vorkommenden Farben. Da die physischen Objekte vorab bereits in überwiegend als stereotyp oder störend bezeichnete Elemente unterteilt wurden, ergibt sich aus dieser Messung bereits eine erste Einschätzung. Die qualitative Auswertung der Bildinhalte erfolgt unmittelbar im Anschluss an die quantitative Zählung und bezieht sich hauptsächlich auf die Bildwirkung. Tabelle 7 zeigt zunächst die Zählung der in den untersuchten Bildern dargestellten physischen Elemente, die von der Gesellschaft überwiegend als positiv bezeichnet werden.

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

Tabelle 7:

183

Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp bezeichnet werden (eigene Zusammenstellung, abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012. Sortiert nach absteigender Häufigkeit).

Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp positiv bezeichnet werden

Vorkommen in Prozent

Himmel

97,0%

Sonne (direkt oder indirekt in Form von Sonnenstrahlen bzw. Schattenwurf)

97,0%

Wolken

81,0%

Wiese

75,0%

Wald oder Gruppe großer Bäume

68,0%

Einzelne Bäume oder Sträucher

66,0%

Gebirge, Berge oder Hügel

63,0%

Davon große Gebirge bzw. Gletscher

22,0%

Wasser in Form von Bächen, Flüssen, Seen oder Meer

51,0%

Landwirtschaftliche Nutzung / Ackerfläche

18,0%

Bauernhof / einzelnes (bedeutendes) Gebäude

18,0%

Davon Leuchttürme

3,0%

Felsen, Klippen

17,0%

Feldwege, wassergebundene Wegedecke

15,0%

Dorf

6,0%

Landwirtschaftliche Nutzung / Viehwirtschaft

3,0%

Stauden- oder Blumenbeete

1,0%

Kirche

1,0%

Die am häufigsten auftretenden Elemente in der Internet-Bildersuche sind Himmel und Sonne (in direkter oder indirekter Form) mit jeweils 97,0 %. Knapp dahinter folgen Wolken mit 81,0 % und Wiesen mit 75,0 %. Auch Wald bzw. eine Gruppe von größeren Bäumen (68,0 %), einzelne Bäume oder Sträucher (66,0 %) und auch Gebirge, Berge oder Hügel (63,0 %) finden sich auf mehr als zwei Drittel der untersuchten Bilder wieder. Da die Kategorie Gebirge, Berge oder Hügel auch nur leicht hügelige Raumstrukturen in die Zählung aufnimmt, wurden hier noch einmal speziell die Bilder gezählt, auf denen große Gebirge bzw. Gletscherformationen zu sehen sind. Bilder mit diesen Motiven sind mit 22,0 % vertreten. Auf 17,0 % der Bilder sind Felsenformationen bzw. Klippen

184

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

zu sehen. Wasser spielt in knapp mehr als der Hälfte der Bilder eine Rolle (51,0 %). Nur 7,0 % der Bilder zeigen eine bewegte Wasseroberfläche, in Form von Wellen oder Wasserfällen, die restlichen abgebildeten Wasserflächen in Form von Bächen, Flüssen, Seen oder Meeren zeigen eine ruhige Wasseroberfläche ohne sichtbare Bewegung. Elemente der landwirtschaftlichen Nutzung sind ebenfalls jeweils auf knapp einem Fünftel der Bilder zu sehen: landwirtschaftliche Ackerflächen befinden sich auf 18,0 % der Bilder. Landwirtschaftliche Weideflächen bzw. Viehwirtschaftliche Nutzung sind auf 3,0 % der Bilder zu sehen. Im Zusammenhang mit der Landwirtschaft sind auch die Feldwege anzusprechen, die auf 15,0 % der Bilder zu erkennen sind, sowie auch einzelne Bauernhöfe bzw. einzelne Gebäude, die auf 18,0 % der Bilder zu sehen sind. Der Großteil der einzelnen Gebäude sind Bauernhöfe, jedoch sind auch auf insgesamt drei Bildern Leuchttürme zu erkennen. Auf 6,0 % der Bilder lassen sich als dörflich bezeichnete Strukturen erkennen, auf einem davon zudem auch eine Kirche. Künstlich angelegte Stauden- oder Blumenbeete sind nur auf 1,0 % der Bilder zu sehen. Ein häufig dargestellter Bildaufbau ist der folgende: Der Bildvordergrund (meist der untere Bildteil) stellt eine grüne Wiese dar. Im Bildmittelgrund (meist an der Seite des Bildes oder im mittleren Teil) sind Bäume platziert, und im Bildhintergrund ist meist ein sonniger, strahlend blauer Himmel mit ein paar weißen Wolken zu erkennen, manchmal ergänzt durch Bergsilhouette. Der Blick wird in einen scheinbar unendlich reichenden Raum gelenkt. Diese Darstellung bedient sich der Kategorie der Erhabenheit. Die Bilder versuchen auch zum Großteil, Räume darzustellen, die kaum oder gar nicht von Menschenhand beeinflusst zu sein scheinen. Landschaft als allgemeine Konstruktion ist ein als natürlich bezeichneter physischer Raum, ein Raum, der zunächst auf den ersten Blick ohne den Menschen existiert. Die einzigen Elemente, die direkten menschlichen Einfluss auf den Bildern erkennen lassen, sind dargestellte einzelne Gebäude oder landwirtschaftlich genutzte Flächen. Diese Gebäude sind meist Landhäuser, Bauernhöfe oder Leuchttürme, die ein sogenanntes einfaches bzw. ursprüngliches menschliches Dasein suggerieren. Auch diese physischen Elemente lassen auf ästhetische Kategorien schließen: hauptsächlich auf die Kategorie der Schönheit, der Pittoreskheit und des Kitsches. Vor allem die letztere Kategorie ist ein deutlicher Indikator einer postmodernen Ästhetik. Landwirtschaftliche Ackerflächen oder Flächen der Viehwirtschaft sind ausschließlich ohne technische Geräte oder Fahrzeuge dargestellt. Auch diese Form der Landwirtschaft symbolisiert die

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

185

ursprüngliche, noch wenig technisierte Form der Agrarwirtschaft. Diese Darstellung verweist auf die Wertschätzung des Historischen, ein prägendes Merkmal der Postmodernisierung. Als Dörfer bezeichnete Agglomerationen und Landstraßen bzw. Feldwege sind kein häufig zu sehendes Motiv, obwohl sie in der Studie von Kühne (2006b) als physische Bestandteile eines stereotypen Landschaftskonstruktes genannt wurden. Die als Landschaften bezeichneten physischen Räume in dieser Bilder-Suche sollen keine größeren Menschenansammlungen suggerieren (wie sie in einem als Dorf bezeichneter Agglomeration vorkommen würden). Das verdeutlicht wieder das Motiv der von Menschen unbeeinflussten Räume. Selbst gezeigte landwirtschaftliche Motive zeigen keine Personen auf den Darstellungen. Die als Landschaft bezeichneten Abbildungen scheinen auch nicht nur von Menschenhand unberührt zu sein. Es sind auch kaum Tiere zu sehen. Auf einem Bild ist eine Schafsherde dargestellt, auf einem anderen ein Seehund. Nicht einmal Vögel sind auf den Bildern zu erkennen. Zwei weitere Bilder zeigen zwar eine umzäunte Weidefläche, aber ohne Tiere. Das heißt, auch Tiere sind in diesem Fall keine wichtigen Elemente von Landschaftskonstrukten. Auch die fachspezifischen Studien, z. B. von Kühne (2006b), führen keinen Beleg an, dass Tiere in Bezug auf Landschaftskonstrukte eine Rolle spielen. Die Stimmung auf den Bildern kann übergeordnet mit harmonisch und ruhig beschrieben werden. Die harmonische Wirkung entsteht dadurch, dass die Bilder keine störenden, fremdartigen, unpassenden oder nicht proportionalen Elemente enthalten. Die Zuschreibung ruhig ist davon abzuleiten, dass kaum ein Bild potentielle Geräuschquellen (z. B. Menschen, Tiere oder Maschinen) aufweist. Die Wasseroberflächen sind bis auf wenige Ausnahmen glatt und dementsprechend ruhig, auch die bewegungslose Vegetation zeigt an, dass auf den meisten Bildern kein Wind weht. Die folgende Tabelle 8 soll nun im Gegensatz zeigen, inwieweit störende bzw. nicht stereotype Elemente in der Internet-Bildersuche zu sehen sind.

186

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Tabelle 8:

Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als nicht stereotyp bis störend bezeichnet werden (eigene Zusammenstellung, abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012. Sortiert nach absteigender Häufigkeit).

Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als störend bezeichnet werden

Vorkommen in Prozent

Asphaltierte Straße

6%

Einzelne Personen

1%

Regenschauer

1%

Strommast

1%

Auto / Verkehr

0%

Autobahn

0%

Großstadt

0%

Gruppen von Personen

0%

Hochhaus

0%

Industriebetrieb

0%

Kleinstadt

0%

Neubaugebiet

0%

Windrad

0%

In Tabelle 8 ist deutlich zu erkennen, dass es auf den Bildern kaum physische Elemente gibt, die nicht als stereotyp zu bezeichnen sind. Das am häufigsten gezeigte physische Element, das von der durchschnittlichen Bevölkerung nicht als stereotyp für den Begriff Landschaft angesehen wird, sind asphaltierte Straßen. Jedoch ist dieses Motiv auch nur auf 6,0 % der Bilder zu sehen. Darüber hinaus ist jeweils ein Bild mit stark bewölktem Himmel bzw. Regenschauer zu erkennen, eins mit einer einzelnen Person und eins mit einem Strommast. Alle anderen überwiegend als störend bezeichneten Elemente sind aus den abgebildeten Landschaftskonstrukten ausgeblendet. Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob einzelne Elemente dieser Motive nie vorhanden waren oder durch Retuschieren entfernt wurden. Werden die die einzelnen Elemente genauer betrachtet, die vom Großteil der Gesellschaft als störend bezeichnet werden, lässt sich erkennen, dass diese häufig ästhetisch positiv dargestellt sind. Das einzige Bild, das auf Regen, zumindest jedoch auf einen sehr stark bewölkten Himmel schließen lässt, steht in Verbindung mit einem Leuchtturm. Dieses Bild suggeriert ein stereotyp raues,

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

187

windiges Wetter an einer stürmischen Küste, das in diesem Zusammenhang eher stereotyp positiv als störend zu sein scheint. Die einzelne Person, die in einem der dargestellten Landschaftskonstrukte zu sehen ist, ist das Ergebnis eines Kunstprojektes einer Schulklasse. Die Pose der dargestellten Person erinnert an das berühmte Werk von Caspar David Friedrich Der Wanderer über dem Nebelmeer (um 1817). Auch hier wird das vermeintlich störende Element in Beziehung zum Bildkontext (auch ohne Wissen um das Kunstprojekt) nicht als störend konstruiert. Der Strommast ist nur bei genauerem Hinsehen zu erkennen, steht sehr im Hintergrund und wird daher nicht als auffallend störend wahrgenommen. Auch die asphaltierten Straßen stehen in keinem der sechs Bilder im Vordergrund und fallen nicht weiter negativ auf. Alle der abgebildeten, als störend bezeichneten Elemente verhalten sich demnach entweder unauffällig oder werden in einer positiv ästhetisierten Form dargestellt. Somit sind auch die wenigen als störend bezeichneten Elemente kaum als solche zu bezeichnen. Deutlich zeigt sich das Fehlen von überwiegend als störend bezeichneten Elementen auch hinsichtlich des Themenbereichs der Energiewende: Keines der ersten 100 Bilder zeigt Elemente, die auf eine Energiewende hindeuten, es wird keine postfossile Landschaft dargestellt. Auf den ersten 300 Bildern sind nur auf Bild Nummer 228 Windräder zu sehen. Ein Einfluss der Werte und der Moral in Bezug auf die Konstruktion der Landschaften hinsichtlich umweltethischer Aspekte, wie es in Kapitel 3.4.3 dargestellt wurde, ist hier demnach nicht zu erkennen. Im Unterschied zu der Untersuchung der abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen lässt sich auch eine weitere Kategorie untersuchen, und zwar die räumliche Zuschreibung der Landschaftskonstrukte. Die niederbayerischen Kommunen zeigen ausnahmslos Abbildungen der sie umgebenden Räume, die als Landschaft bezeichnet werden. In der Internet-Bildersuche gibt es diese räumlichen Einschränkungen nicht. Er erscheint demnach interessant, welche als Landschaft bezeichneten physischen Räume hier dargestellt werden bzw. wie sie sich räumlich einordnen lassen (siehe Tabelle 9). Für diese Teiluntersuchung konnten jedoch nur Bilder verwendet werden, die sich eindeutig einer der beiden nachfolgenden Kategorien zuordnen lassen.

188

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Tabelle 9:

Räumliche Zuschreibung (eigene Zusammenstellung. Sortiert nach absteigender Häufigkeit).

Räumliche Zuschreibung

Vorkommen in Prozent

Nicht eindeutig zuzuordnende Landschaftskonstrukte

47,0%

Nicht-niederbayerische Landschaftskonstrukte

45,0%

Nicht-europäische Landschaftskonstrukte

8,0%

Hier lässt sich erkennen, dass sich fast die Hälfte der abgebildeten Landschaftskonstrukte nicht im Regierungsbezirk Niederbayern befindet. Der Grund für diese Annahme sind physisch-geographische Gegebenheiten. Ausschlaggebende Kriterien dafür sind abgebildete physische Elemente, die im Regierungsbezirk Niederbayern nicht vorkommen können. Beispiele dafür sind: große Gebirge oder Gletscher, größeren Seen oder Ozeane, bestimmte Pflanzen wie tropische Palmen oder tropische Obstbäume oder auch Leuchttürme. Insgesamt 8,0 % der Bilder zeigen Landschaftskonstrukte, die sich nicht nur außerhalb des Regierungsbezirks Niederbayern befinden müssen, sondern eindeutig nicht in Europa, da sie tropische Pflanzenarten zeigen, die aufgrund ihrer physisch-geographischen Gegebenheit hier nicht beheimatet sind. Knapp die Hälfte der Abbildungen lassen sich jedoch nicht eindeutig zuordnen, d. h. sie können den niederbayerischen, den europäischen, aber auch den nicht-europäischen Landschaftskonstrukten zugeordnet werden. Das liegt daran, dass sich keine eindeutig zuzuordnenden physischen Elemente in den Abbildungen erkennen lassen. Ein Beispiel hierfür ist eine Abbildung nur mit einer grünen Wiese und einem blauen Himmel. Darüber hinaus können aber auch bestimmte Pflanzenarten, selbst wenn sie nicht als heimische Pflanzenarten des europäischen Raums gelten, kein eindeutiges Indiz dafür sein, dass sich die abgebildeten Landschaftskonstrukte außerhalb Europas befinden. Während beispielsweise bestimmte tropische Palmenarten (z.B. Cocos nucifera - Kokosnusspalme) oder Obstarten (Bromeliaceaen – Ananasgewächse) aufgrund der klimatischen Bedingungen im europäischen Raum nicht wachsen können bzw. nur als Zimmerpflanzen überleben, verhält es bei anderen nicht-heimischen Pflanzenarten (z. B. Acer japonicum – Japanischer Ahorn) anders. Diese können unter bestimmten klimatischen Bedingungen auch im europäischen Raum überleben. Solche nicht eindeutigen Fälle werden daher der Ka-

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Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

tegorie nicht eindeutig zuzuordnende Landschaftskonstrukte zugewiesen. Trotzdem bilden bis auf wenige Bilder (8,0 % der Kategorie nicht-europäische Landschaftskonstrukte) die Mehrzahl der Landschaftskonstrukte einen mehr oder weniger bekannten räumlichen Kontext ab (da sie auch den niederbayerischen bzw. europäischen Landschaftskonstrukten zugewiesen werden könnten, jedoch nicht eindeutig). Dass kann bedeuten, dass als Landschaft bezeichnete physische Räume häufig einen Bezug zu bekannten Räumen aufweisen, demnach etwas mit dem Begriff Heimat zu tun haben. Im Rahmen dieser Arbeit kann jedoch nicht weiter darauf eingegangen werden. In diesem Zusammenhang seien jedoch die Veröffentlichungen von Kühne/Spellerberg (2010) genannt, die sich mit dem Themenkomplex Landschaften und Heimat genauer auseinandersetzen. Der Fokus der nächsten Teil-Untersuchung richtet sich auf die Farbzusammensetzung der einzelnen Bilder. Tabelle 10 zeigt, welche verschiedenen Farben in den Bildern vorkommen. Tabelle 10: Farben (eigene Zusammenstellung. Sortiert nach absteigender Häufigkeit). Farben

Vorkommen in Prozent

Farbe Blau

91,0%

Farbe Grün

83,0%

Farbe Braun

58,0%

Farbe Weiß

56,0%

Farbe Gelb

34,0%

Farbe Grau

32,0%

Farbe Orange

26,0%

Farbe Rot

25,0%

Farbe Schwarz

19,0%

Die Farben der abgebildeten Landschaftskonstrukte sind deutlich durch die Farbspektren Blau und Grün geprägt. Die Farbe Blau, die auf 91,0 % der Bilder zu identifizieren ist, kann zum einen der Himmel aber auch eine Wasseroberfläche sein. Die Farbe Grün, die allgemein für Vegetation und die Begriffe Natur und Landschaft steht (vgl. B. Kühne 2002, 170), ist auf 83,0 % der Bilder zu sehen. Auf jeweils fast zwei Drittel der Bilder sind auch die achromatische (unbunte) Farbe Weiß (56,0 %, Farbe der Wolken; Anmerkungen zu den Farben Weiß,

190

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Schwarz und Grau siehe Kapitel 4.4.1.2) und der Farbbereich Braun zu sehen (58,0 %). Braun ist ebenso wie die Farbe Grün prägend für Vegetation, vor allem der herbstlichen Vegetation und Holz sowie auch der Erde und des Bodens. Die Farbe Braun kann indirekt – bei entsprechend warmen bzw. rötlichen Farbton – zu dem Farbspektrum Gelb/Orange/Rot gezählt werden, das laut Bärbel Kühne ebenfalls die Kategorie Landschaft prägt (2002, 170). Das Farbspektrum der eben genannten Gelb-, Orange- und Rottöne ist auch ein häufiger Bestandteil der Bilder. Während die Farbe Gelb bei gut einem Drittel der Bilder auftaucht (34,0 %, Sonnenauf- oder -untergänge, Blumen, Getreidefelder), finden sich die intensiveren bzw. leuchtkräftigeren Farben Orange (mit 26,0 %) und Rot (25,0 %) etwas weniger in den Bildern wieder. Diese Farben werden häufig für Sonnenauf- oder -untergänge sowie für Blumen verwendet. Des Weiteren sind auch die achromatischen (unbunten) Farben Grau und Schwarz anzusprechen. Grau findet sich noch zu gut einem Drittel in den Bildern wieder (32,0 %), z. B. bei Wolken oder Nebelfeldern. Da die Farbe Grau in sehr unterschiedlichen Intensitäten auftritt, ist es hier besonders schwierig, eine Interpretation abzuleiten. Der Farbton kann von fast weiß bis hin zu fast schwarz tendieren und lässt somit keine eindeutigen Aussagen zu. Die Farbe Schwarz ist auf 19,0 % der Bilder zu erkennen, hauptsächlich bei Sonnenauf- oder Untergängen, Nachtaufnahmen oder bei größeren Schattenflächen. Die dominierenden Farben der untersuchten Bilder, Grün und Blau, werden eher den kühlen Farben zugesprochen (vgl. Welsch/Liebmann 2012). Auf manchen Bildern hat die Farbe Grün jedoch einen erhöhten Gelbanteil, was dann eher einem warmen Farbtoneindruck entspricht. Die Farben Gelb/Orange/Rot (Braun) werden grundsätzlich als warme Farben wahrgenommen. Nur auf sehr wenigen Bildern ist ein kaltes Rot zu finden (erhöhter Blauanteil). Diese Gegenüberstellung der kalten Farben Grün/Blau und der warmen Farben Gelb/Orange/Rot (Braun) ist auf vielen Bildern deutlich zu erkennen und wird als Kalt-WarmKontrast bezeichnet (Welsch/Liebmann 2012, 37f.). Kontraste sind ein häufig verwendetes Ausdruckmittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und das Interesse bei den Betrachtenden zu wecken (Welsch/Liebmann 2012, 36). Laut Welsch/Liebmann lassen sich dadurch „eine Vielzahl von zweipoligen Erscheinungen und Empfindungen, wie sonnig – schattig, fern – nah, feucht – trocken, vermitteln“ (2012, 38). Vor allem auch der Kontrast bzw. der Gegensatz fern – nah scheint die abgebildeten Motive zu prägen. Der abgebildete Raum beginnt da, wo sich die Betrachtenden aufhalten – und scheint aber kein Ende, keine

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Grenze zu haben. Der Raum ist nah, aber gleichzeitig auch unendlich. Andere Kontraste werden fast ausschließlich durch Farben geschaffen, vor allem durch Farben, die für diese Räume als typisch bezeichnet werden. Die meisten Bilder beziehen ihre Farben aus dem oben genannten Farbspektrum. Nur ein Bild zeigt einen rosa und lila eingefärbten Himmel, der durch diese als unnatürlich bezeichneten Farben (in Bezug auf die Konstruktion Landschaft) fremdartig wirkt. Zu dieser Fremdartigkeit trägt zusätzlich auch die perspektivische Verzerrung bei. Dieses Bild wirkt stark überzeichnet. In Zusammenhang mit den einzelnen Farben soll in einem nächsten Schritt genauer auf die Bild – bzw. Farbwirkung eingegangen werden. Dazu wird, wie in Kapitel 4.4.1.2 beschrieben, die sichtbare Bildoptimierungs- bzw. Bildbearbeitungsintensität untersucht und analysiert. Hier sei angemerkt, dass nur die Überarbeitungen gezählt werden können, die für die Augen der Betrachterin eindeutig als solche einzuordnen sind. Tabelle 11: Bild- und Farbwirkung (eigene Zusammenstellung auf Grundlage von Camgöz et al. 2002, Felser 2015, Gorn et al. 1997 und Jung et al. 1992. Sortiert nach Kategorien). Bild- bzw. Farbwirkung

Vorkommen in Prozent

Kategorie 1: Stark auffällige Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Stark künstlich erhöhte Farbsättigung, nachträglich hinzugefügte Lichtquelle, stark auffällige Veränderung der Farben.

48,0%

Davon als unnatürlich bezeichnete Bild- bzw. Farbbearbeitung Beispiele: Überaus grelle Farben, die für gewöhnlich nicht den Farben von Landschaftskonstruktionen zugeschrieben werden.

13,0%

Kategorie 2: Auffällige Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Künstlich erhöhte Farbsättigung, nachträglich hinzugefügte Lichtquelle, Veränderung der Farben.

35,0%

Kategorie 3: Unauffällige bis nicht vorhandene Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Keine künstlich erhöhte Farbsättigung, keine nachträglich hinzugefügte Lichtquelle oder Veränderungen der Farben.

17,0%

Kategorie 4: Nicht vorhandene Bild- bzw. Farbbearbeitung sowie schlechte Bild- bzw. Farbqualität. Beispielhafte Merkmale: Keine künstlich erhöhte Farbsättigung, schlechte Bildauflösung, blasse Farben.

0,0%

192

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Tabelle 11 zeigt den Anteil der untersuchten Bilder, die bezüglich Bild- bzw. Farbwirkung überarbeitet wurden. Wie bereits in Kapitel 4.4.1.2 erwähnt wurde, sind diese Kategorien als eine Art Kontinuum anzusehen, da eine strikte Grenze zwischen den einzelnen Kategorien kaum möglich ist. Die Einordnung in die einzelnen Kategorien wurde hauptsächlich durch den Vergleich der Bilder untereinander vorgenommen. Vor allem die Farbsättigung der einzelnen Bilder konnte so gut voneinander unterschieden werden. Deutlich ist die hohe Anzahl der Bilder zu erkennen, die stark überarbeitet wurden. Das zeigt sich vorwiegend an der künstlich erhöhten Farbsättigung. Knapp die Hälfte der Bilder weist dieses Merkmal auf (48,0 %). Darüber hinaus können von diesen 48,0 % der stark überarbeiteten Bilder insgesamt sogar 13,0 % der Bilder als unnatürlich bezeichnet werden. Das zeigt sich daran, dass die Bilder entweder besonders grelle Farben aufweisen (extrem hohe Farbsättigung; beispielsweise der Farben Blau, Gelb oder Rot), die abgebildeten Farben für gewöhnlich nicht den Farben von Landschaftskonstrukten zugeschrieben werden (beispielsweise grelles Pink oder Violett, sogenannte Neonfarben), oder dass z. B. auch stark abgeänderte Oberflächentexturen zu sehen sind (beispielsweise erhält Wasser durch Weichzeichnungswerkzeuge von Bildbearbeitungsprogrammen eine Oberfläche, die als samtig bezeichnet werden kann). 35,0 % der Bilder zeigen eine Bild- bzw. Farbbearbeitung, die unauffälliger ist. Das zeigt sich darin, dass die Bilder bei genauerer Betrachtung bzw. im Vergleich mit den anderen Bildern eine erhöhte Farbsättigung aufweisen, jedoch weniger auffällig als in der Kategorie der sehr auffälligen Bearbeitung. Die restlichen 17,0 % der Bilder zeigen im Vergleich mit den anderen Bildern keine bzw. eine nicht sichtbare Bild- bzw. Farbbearbeitung. Diese Bilder wirken zwar trotzdem farbig bzw. bunt, jedoch wurde hier nicht ersichtlich mit Kameraeinstellungen oder nachträglichen mit Bildbearbeitungsprogrammen nachgeholfen. Keines der Bilder ohne ersichtliche Bild- bzw. Farbbearbeitung kann jedoch mit den Zuschreibungen wie blass, unbunt oder eintönig bezeichnet werden; auch gibt es kein Bild, das eine schlechte Bildqualität aufweist. Eine schlechte Bildqualität kann folgende Merkmale aufweisen: das Bild ist verwackelt, unscharf, hat eine schlechte Bildauflösung; es herrschten unzureichende Lichterverhältnisse (entweder zu dunkel oder zu hell); die Sonne hat bei der Aufnahme geblendet etc.

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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5.1.3 Die Interpretation und ästhetische Feinanalyse der Bilder der Bildersuchmaschine Wie in Kapitel 4.4.1.3 dargestellt wurde, werden anschließend an die Inhaltsanalyse die qualitative Bildinterpretation und die ästhetische Feinanalyse durchgeführt. Die Fragen, die bereits im eben erwähnten Kapitel in den Mittelpunkt gestellt wurden, werden nun nacheinander für die Internet-Bildersuche beantwortet. Welche als Landschaft bezeichneten physischen Räume werden konstruiert? Es werden fast ausschließlich Bilder von Landschaftskonstrukten gezeigt, die stark idealisiert sind. Diese Bilder decken sich mit den Beschreibungen oder vermeintlichen Definitionen, die von vielen verschiedenen Autorinnen und Autoren über einen als stereotype bzw. idealtypische Landschaft bezeichneten physischen Raum erstellt wurden. Beispielhafte Beschreibungen eines als idealtypische Landschaft bezeichneten physischen Raumes aus positivistischer Perspektive:  

„Vielfältig strukturierte Kulturlandschaft, […] klimatisch günstig gelegen auf fruchtbaren Böden im Wechsel von Obst- und Weingärten, Äckern, Grünland, Feldgehölzen und Wald (Wöbse 2002, 21). „[…] ein in Obstgärten gebettetes Dorf am Rande einer mit Kuhweiden erfüllten Quellmulde, mit Ackerzelgen und ein paar Wegen auf der angrenzenden Hochfläche, Niederwald auf dem Grauwackenfels steilhängigen Tälchen, mit Wiesenstreifen im Grund und einem Touristengasthaus in einer ehemaligen Lohmühle am erlenumsäumten Bach, dieses zusammen kann schon die wesentlichen Züge einer Landschaft ausmachen“ (Schmithüsen 1964, 11).

Beispielhafte Beschreibungen eines als idealtypische Landschaft bezeichneten physischen Raumes aus konstruktivistischer Perspektive: 

Der als schöne Landschaft bezeichnete physische Raum als der liebliche Ort: „Als intakt empfinden wir eine Landschaft dann, wenn wir zu unserem hellen Entzücken noch Wiesenblumen im Gras sehen, Kornblumen und Klatschmohn im Getreide und wenn ein armes Bäuerchen noch ein Ross vor seinen Mistwagen gespannt hat“ (Burckhardt 2008, 86).

194 



Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

„Als schön empfundene Landschaften weisen weitgehend jene landschaftselementare Zusammensetzung stereotyper Landschaften auf: Wälder, Wiesen, Bäche, Dörfer, Bauernhöfe, Düfte, Atmosphäre (im Sinne von Stimmung), Gebirge, Wolken und Landstraßen“ (Kühne 2006b, 158). „Das alltagsweltliche Landschaftsverständnis ist mit Vorstellungen von Grün, Bäumen, Wiesen, Wald und Vogelgezwitscher etc. verknüpft“ (Micheel 2013, 120).

So stereotyp diese Konstruktionen von Landschaft und auch die Vorstellung der darin vorkommenden physischen Elemente aus positivistischer wie auch aus konstruktivistischer Perspektive beschrieben sein mögen – die Internet-Bildersuche bestätigt diese alltagsweltliche Konstruktion des Begriffes Landschaft, sei sie auch noch so selten als vorgefundenes Raumkonstrukt in der Reinform. Wie auch in der Werbung (siehe Kapitel 3.7) werden hier „altbekannte Sujets“ (B. Kühne 2002, 218) gezeigt: romantisierte59, zum Teil idyllische60 und vor allem ganz allgemein stereotypisierte Vorstellungen eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes – ganz im Sinne der postmodernen Sehnsucht nach historischen bzw. zum Teil bereits vergangenen Werten. Neue Landschaftskonstrukte, deren Entstehen ebenfalls auf das postmoderne Ideensystem zurückzuführen ist, wie z. B. neue Energielandschaften, sind in dieser Suche nicht zu finden. Wie werden Landschaftskonstrukte ästhetisch konstruiert? Zwei wesentliche Merkmale prägen die ästhetische Darstellung der Landschaftskonstrukte: zum einen die dargestellten physischen Elemente und zum anderen die Farbwirkung der Darstellungen. Die dargestellten physischen Elemente bedienen sich bis auf sehr wenige Ausnahmen nur der Elemente, die von einem Großteil der Gesellschaft von vornherein als ästhetisch positiv angesichts des Themas Landschaft bezeichnet werden. Die ästhetisch positiven Kategorien, auf die in der Darstellung häufig Bezug genommen wird, sind die Kategorien der Schönheit und der Erhabenheit, jedoch auch die Kategorien des Kitsches und des Romantischen, was auf eine postmoderne Ästhetik verweist. Elemente, die der Kategorie der Schönheit zugeschrieben werden und die häufig in der Bildersuche zu sehen sind, sind z. B. (Blumen-)Wiesen, einzelne Bauernhöfe oder Holzhütten, einzelne Bäume oder Sträucher, Sonnenschein oder Sonnenuntergänge, 59 60

Mehr zur Romantisierung siehe Kapitel 3.3.2. Mehr zu als idyllische Landschaften bezeichneten physischen Räumen siehe Kapitel 3.7.4.2.

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Wasser in Form von Bächen, Flüssen etc. Sehr häufig sind auch erhabene Elemente abgebildet, wie z. B. Gebirge, steile Klippen, große Seen oder das Meer, große Bäume, weite Waldflächen oder scheinbar unendliche Fluren. Im Hinblick auf die Kategorien des Kitsches und des Romantischen sind Elemente zu nennen, die auch in der Kategorie der Schönheit und der Erhabenheit vorkommen, die allerdings dann häufig – je nach Kategorie – überzeichnet und stark idealisiert dargestellt werden (vgl. Gelfert 2000). Das sind z. B. stark romantisierte Sonnenuntergänge oder Regenbogen in Kombination mit weiteren stereotypisierten Elementen. Hier spielt auch häufig eine überzeichnete Farbwirkung eine Rolle, das zweite wesentliche Merkmal der ästhetisierten Landschaftskonstrukte. Nicht nur die als kitschig bezeichneten Bilder, sondern auch die meisten anderen Bilder der Internet-Bildersuche scheinen entweder durch Kameraeinstellungen oder nachträgliche Bearbeitung künstlich optimiert zu sein. Das bedeutet, dass die Kontraste und die Helligkeit, vor allem aber die Farbsättigung verstärkt wurden, um ein ästhetisch positiveres Bild zu erzeugen. Durch die erhöhte Farbsättigung wirken die Farben weitaus intensiver und strahlender. Dieser Effekt führt dazu, dass die Bilder als ästhetisch positiv wahrgenommen werden (siehe Kapitel 2.4 und 3.7.3.2). Eine starke Überzeichnung der Farbsättigung bzw. eine übertriebene Darstellung der Farben (Sonnenuntergänge in grellen Pink- und Violetttönen) kann als Kitsch bezeichnet werden61 und dient auch der nachträglichen und bewusst gewollten Ästhetisierung des Bildes (vgl. Gelfert 2000; Kühne 2008b; Liessmann 2002). Auch wurde bei vielen Bildern eine nachträgliche Lichtquelle hinzugefügt. Dieser Effekt beleuchtet einzelne physische Elemente, macht sie somit wirkungsvoller und hebt sie positiv hervor. Dass es sich um eine nachträglich hinzugefügte Lichtquelle handelt, lässt sich daran erkennen, dass diese Lichtquelle nicht mit dem Lichteinfallswinkel der Sonne und dem dadurch hervorgerufenen Schattenwurf übereinstimmt. Bis auf wenige Ausnahmen sind keine als hässlich bezeichneten physischen Elemente zu sehen. Die wenigen Ausnahmen beziehen sich hauptsächlich auf asphaltierte Straßen, die meist nur im Hintergrund zu sehen sind und kaum auf-

61

Ackerknecht spricht im Zusammenhang von Kitsch auch von einer „gewisse[n] Glätte und Gefälligkeit der Form“ und einer „bedeutsame[n] stimmungsvolle[n], meist ausgesprochen süßliche[n] Sinnigkeit des Bildinhaltes“ (2007, 137), diese Aussage lässt sich auch auf eine als kitschig bezeichnete Farbgestaltung beziehen.

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

fallen. Wie schon im Kapitel 5.1.2 beschrieben, werden die gemeinhin als hässlich geltenden Elemente jedoch nicht ästhetisch negativ dargestellt. Entweder, weil sie, wie gesagt, in den Hintergrund treten und kaum wahrgenommen werden oder weil sie eine positive Bedeutung erhalten, wie z. B. die einzelne Person auf einem Bild, die der Figur des Malers Caspar David Friedrich zugeschrieben wird und damit eine künstlerische Komponente erhält, die als positiv gewertet werden kann. Ebenfalls fehlen meist auch physische Elemente bzw. Gesamteindrücke von Bildern, die der Anästhetik zugeschrieben werden können. Die Anästhetik zeichnet sich dadurch aus (siehe Kapitel 2.4.2.4), dass sie keine Emotionen bzw. Empfindungen in den Betrachtenden auslöst. Sie entzieht sich der Wahrnehmung. Da in dieser Arbeit immer das gesamte Bild als Beobachtungsgegenstand untersucht wurde, kann sich das Bild nur schwer der Wahrnehmung entziehen. Allerdings können sich einzelne dargestellte physische Elemente des Bildes der Wahrnehmung entziehen. Da die meisten dargestellten physischen Elemente auf den Bildern positiv hervorgehoben wurden, sind kaum als anästhetisch bezeichnete Elemente zu sehen. Jedoch können die wenigen für gewöhnlich als hässlich bezeichneten Elemente wie asphaltierte Straßen oder ein Strommast als anästhetisch bezeichnet werden, da sie, wie bereits erwähnt, stark in den Hintergrund treten und nur bei genauerem Betrachten wahrgenommen werden. Welchen Zweck verfolgt die ästhetisierte Darstellung? Die Darstellung der einhundert Bilder verfolgt fast ausnahmslos den Zweck, ästhetisch positiv zu wirken. Die ästhetischen Kategorien, die hier angesprochen werden, sind meist die Schönheit und die Erhabenheit, zudem auch der Kitsch. Im Detail können verschiedene Um-zu-Motive62 (Bohnsack 2011, 56f.) dargestellt werden: 

Leuchtende und kräftige Farbgebung: Die intensiven Farben soll als schön gelten. Sie sollen – je kräftiger und intensiver, desto mehr - auch eine Traumwelt suggerieren, die eine Auszeit vom Alltag verspricht (vgl. hierzu B. Kühne 2002, 170ff., siehe auch Kapitel 3.7.3.2). Besonders leuchtende

62

Die Problematik dieser Um-zu-Motive wurde bereits in Kapitel 4.4.1.3 angesprochen. Die Grundlagen für die folgenden Motivunterstellungen entstehen daher zum einen aus der theoretischen Ausarbeitung und den empirischen Ergebnissen und sind zum anderen zusätzlich durch zusätzliche Quellen belegt. Darüber hinaus handelt es sich in den meisten Fällen um „kommunikativ-generalisierte[n] Wissensbestände“, so Bohnsack (2011, 57).

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 

197

und satte Farben verweisen auch auf die ästhetische Kategorie des Kitsches (Gelfert 2000, 42f.). Große oder sogenannte unendlich wirkende physische Elemente (z. B. Gebirge, Bäume, weite Fluren, weites Meer, grenzenloser Himmel): Diese Größe soll beeindrucken und erhaben wirken. Die Dimension der als Landschaft bezeichneten physischen Räume übersteigt damit unsere Vorstellungskraft und ist unendlich (siehe hierzu Kapitel 2.4.2.2 und 3.3.2). Strukturierter Bildaufbau: Der geordnete und übersichtliche Aufbau soll harmonisch und ruhig bzw. beruhigend wirken – eine Zuschreibung zur Kategorie der Schönheit (vgl. hierzu B. Kühne 2002, 125ff.). Fehlen von Geräuschquellen: Die Abwesenheit von Lärm soll Ruhe suggerieren – ebenfalls eine Zuschreibung zu einem idealisierten Landschaftskonstrukt (Kategorie der Schönheit oder auch des Kitsches, Gelfert 2000, 42f.). Wie auch durch den strukturierten Bildaufbau soll hier eine beruhigende Wirkung entstehen. Der oft stressige und laute Alltag wird ausgeblendet („Ausblendung der Wirklichkeit“ vgl. hierzu B. Kühne 2002, 127f.).

Die Bilddarstellungen dieser als Landschaft bezeichneten physischen Räume sollen demnach sehr deutlich ästhetisch positive Räume zeigen, die idealisiert und zum Teil romantisiert dargestellt sind. Teilweise wirken die Darstellungen fiktiv, hier soll die Flucht in eine idealisierte Traumwelt suggeriert werden. Da eine romantisierte Darstellung immer auch eine stark gefühlsbetonte Komponente enthält, spielen hier auch hervorgerufene Gefühle eine wichtige Rolle. Diese hervorgerufenen Gefühle, die diese Bilder auslösen können, sind überwiegend als positiv zu werten. Beispiele für die Gefühle können sein:  

 

Entspannung, Loslösung, Ausgeglichenheit: durch z. B. helle Farben wie Gelb, Orange, Weiß; siehe hierzu Felser 2015, 340. Geborgenheit, Sicherheit: durch abgebildete physische Elemente, die altbewährt und bekannt sind und dadurch Sicherheit suggerieren – Innovationen verursachen häufig Ängste, siehe Kapitel 3.5.1 sowie Plenk (2015) – aber auch durch Abbildungen, die als Idylle bezeichnet werden können; siehe hierzu B. Kühne 2002, 125ff. Glück, Freude: durch gesättigte Farben, die anregend wirken und positiv bewertet werden; siehe hierzu Felser 2015, 340. Ehrfurcht, Überwältigung: durch Abbildungen, die als erhaben bezeichnet werden können; siehe hierzu Kapitel 2.4.2.2.

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Diese emotional bewegende Wirkung, die vor allem von Bildern und weniger von Texten ausgeht (Lehn 2010, 128ff.), kann hier deutlich durch die ästhetische Darstellung herausgestellt werden. Beeinflusst die ästhetische Konstruktion der als Landschaft bezeichneten physischen Räume im Internet die gesellschaftliche Akzeptanz? Es lässt sich feststellen, dass es eine große Diskrepanz zwischen den abgebildeten und den vorgefundenen als Landschaft bezeichneten physischen Räumen gibt. Die in der Internet-Bildersuche dargestellten Räume sind zum Teil stark stereotypisierte, idealisierte oder auch romantisierte Räume. Manche vorgefundenen als Landschaft bezeichneten physischen Räume werden in der Alltagswelt – vorausgesetzt, es handelt sich nicht um Heimat (siehe hierzu Kapitel 2.3.2) – von den Betrachtenden weniger ästhetisch positiv konstruiert (ein Beispiel sind die sogenannten neuen Energielandschaften, siehe auch Kapitel 3.5.2) und entsprechen damit nicht den untersuchten abgebildeten Landschaftskonstrukten der Internet-Bildersuche. Daher zeigen die Internet-Bildersuche, aber auch die vorausgegangenen Befragungen, dass sich die Inhalte bzw. die Zusammenschau der physischen Elemente dieser beiden Konstruktionsmuster (abgebildete und vorgefundene physische Landschaftskonstrukte) vor allem durch die unterschiedliche ästhetische Besetzung bzw. die Bewertung dieser Besetzung unterscheiden. Diese Diskrepanz kann dazu führen, dass die Betrachtenden mit dem Anblick bzw. mit der alltagsweltlichen Konstruktion vorgefundener Landschaften nicht zufrieden sind und diese nicht akzeptieren. Da zur Konstruktion stereotyper Landschaften werden meist nur die ästhetischen Kategorien der Schönheit und Erhabenheit herangezogen werden, werden bislang auch häufig nur diese beiden Kategorien akzeptiert. Die Besetzung der Erhabenheit hat sich im Laufe der Geschichte von einer negativen in eine positive gewandelt. Als hässlich oder als störend bezeichnete Elemente werden hingegen ausschließlich negativ konnotiert und erfahren dadurch häufig Ablehnung. Die Akzeptanzprobleme können sich also aus der Folge der ästhetischen alltagsweltlichen Konstruktion stereotyper Landschaftsbilder ergeben, da sich diese diskrepant zur Konstruktion vorgefundener Landschaften verhalten.

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

199

5.1.4 Einzelbetrachtung ausgewählter Beispiele Die Annahmen, die in Kapitel 4.4 getroffen wurden, werden nun anhand von drei exemplarischen Abbildungen der Suche tiefergehend analysiert. Durch diese Beleuchtung ausgewählter Beispiele lässt sich die Untersuchung des Bildmaterials im Detail verdeutlichen und vertiefen. In der Zusammenschau führen diese Erkenntnisse zu den einzelnen Bildern, die sich aus der Inhaltsanalyse und der Bildinterpretation bzw. der ästhetischen Feinanalyse ergeben, am Ende zu allgemeinen Aussagen über diese Untersuchung. Die einzelnen Schritte der Inhaltsanalyse und der Bildinterpretation bzw. der ästhetischen Feinanalyse werden hier nicht im Detail ausgeführt, sind aber Grundlage für die Einzelbetrachtungen und fließen maßgeblich in die Analyse mit ein. Die ausgewählten Bilder, die nun einer Detailbetrachtung unterzogen werden, stehen für Abbildungen, die möglichst dem Durchschnitt der Untersuchung entsprechen. Einzelbetrachtung von Bild Nr. 14

Abbildung 19:

Bild Nr. 14 (www.pixabay.com/de/landschaft-baum-sonnenlicht-natur2175353/; freie kommerzielle Nutzung)

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Dieses Bild folgt der Annahme fast ausnahmslos. Die grüne Wiese, der blaue Himmel mit Wolken, der große, alleinstehende Baum – all das sind physische Elemente, die u. a. bei der Befragung von Kühne (2006b) als typisch und daher stereotyp für als Landschaften bezeichnete physische Räume genannt wurden. Auch der Bildaufbau entspricht der typischen Darstellung von Landschaftskonstrukten: unten die grüne Wiese, oben der blaue Himmel und in der Bildmitte ein weiteres typisches Element einer als Landschaft bezeichneten physischen Raum: der Baum. Keine als hässlich (bzw. störend) oder als anästhetisch bezeichneten physischen Elemente werden dargestellt. Die dunklen Wolken stehen zwar für aufkommenden oder gerade beendeten Regen bzw. für ein Gewitter, jedoch ist auf dieser Abbildung kein Regen oder Gewitter zu sehen. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Auch diese Annahme trifft im Falle dieser Abbildung zu, da hier ausnahmslos als schön und erhaben bezeichnete physische Elemente herangezogen werden. Der blaue Himmel, die Sonnenstrahlen und die grüne Wiese können der Kategorie der Schönheit zugeschrieben werden. Auch der geordnete Bildaufbau und die angemessenen Proportionen fallen unter diese Kategorie (siehe Kapitel 2.4.2 und 3.3.2). Der Erhabenheit zugeordnet werden können der große, alleinstehende Baum (der auch als pittoresk bezeichnet werden kann) sowie die dunklen Regenbzw. Gewitterwolken, die am Himmel zu sehen sind. Diese Wolken lassen einen (bevorstehenden oder bereits vergangenen) Wetterumschwung erahnen, der in seinem Ausmaß eine Unbekannte darstellt und als beeindruckend oder gewaltig beschrieben werden kann (siehe Kapitel 3.3.2). Diese Darstellung bedient sich der Kategorie der Erhabenheit (siehe Kapitel 2.4.2.2). Auch die Farbsättigung spricht für eine ästhetisch positive Konstruktion. Die Farben setzen sich zusammen aus kräftigem Grün und Blau (eine starke Farbsättigung wird mit positiver Erregung assoziiert) und leuchtendem Gelb (auffallend hellstrahlende Sonne, wird mit Entspannung assoziiert; Felser 2015, 340). Diese Wirkungen werden als besonders positiv konstruiert (vgl. auch Camgöz et al. 2002; Gorn et al. 1997).

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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In diesem Kontext soll auch die Thematik der Zeichen, also das Symbol und der Mythos, angesprochen werden (siehe Kapitel 3.7.3.1). Es geht um die Frage, worauf die Abbildung verweist. Diese Frage bezieht sich auf die ikonographische Analyse, die in Kapitel 4.4.1.3 beschrieben wurde (vgl. hierzu Panofsky 1975). Wie Kühne ausführt, verweisen physische Objekte und Farben häufig nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf die zugeschriebene Bedeutung sowie auf sozial und kulturell erzeugte Symbole, wie etwas das abgebildete Grün und der Baum. Diese beiden symbolischen Konstruktionen stehen für den Begriff Leben: „Sie verweisen nicht mehr auf sich selbst, sondern sind über Objekt- und Interpretantenbezug zum Symbol geworden und erfüllen die semanteme Identifikation als Chiffren für den Begriff Leben“ (B. Kühne 2002, 48, Hervorh. i. O.). Der Baum steht darüber hinaus ebenfalls für Wachstum, Stärke, Dauerhaftigkeit oder Kraft (B. Kühne 2002, 48). Die Alleinstellung des Baumes bekräftigt diese Wirkung zusätzlich, da einem einzelnen Baum mehr Aufmerksamkeit zuteilwird als einer Gruppe von Bäumen. Die grüne Farbe des Baumes und der Wiesen stehen für Leben und auch für Wachstum (Heller 2015, 72; Welsch/Liebmann 2012, 65) auch für Harmonie, Beruhigung, Freundlichkeit (B. Kühne 2002, 173), Hoffnung und Milde (Häberle 1999, 105; Heller 2015, 75). Weitere symbolaufgeladene Farben in dieser Abbildung sind Schwarz (Dunkelgrau), ein warmes Gelb und Blau. Die achromatische Farbe Schwarz ist sehr ambivalent. Sie steht zum einem für den Tod, Härte, Unheil, Angst, meist für etwas Negatives oder Böses (Häberle 1999, 105ff.; Heller 2015, 89ff.). Die dunkelste aller Farben steht zum anderen auch für Individualität und Stärke (Heller 2015, 101; Welsch/Liebmann 2012, 97f.). Sie verkörpert somit sehr deutlich die ästhetische Kategorie der Erhabenheit. Das warme Gelb ist Symbol für Heiterkeit und Lebensbejahung (B. Kühne 2002, 178; Häberle 1999, 105; Heller 2015, 129f.), und Blau steht für Reinheit, Sehnsucht, Ursprung sowie für Sanftheit, ebenfalls Beruhigung und Entspannung (Häberle 1999, 105; Heller 2015, 23ff.; B. Kühne 2002, 182; Welsch/Liebmann 2012, 70). Diese Art und Weise der Darstellung dieser Landschaftskonstrukte wird stark instrumentalisiert und dazu verwendet, „deren übergeordnete Bedeutung zu nutzen, um Inhalte emotional aufzuladen“ (B. Kühne 2002, 48). Auch der Begriff Mythos spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Der Mythos ist zum einen als eine besondere Aussage, als Zuschreibung oder Konstruktion zu verstehen, der einen Begriff deformiert bzw. in „Gesten verwandelt“ (Barthes 1964, 103),

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

und zum anderen als Übertreibung (siehe Kapitel 3.7.3.1). Die besondere Bedeutung der Symbolkraft dieser Abbildung ist hier als ästhetisch positiver Mythos zu interpretieren. Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Diese Annahme trifft in diesem Beispiel nur teilweise zu. Das auf der Abbildung gezeigte Landschaftskonstrukt entspricht nur selten der Konstruktion einer vorgefundenen Landschaft. Die Abwesenheit von als störend, hässlich oder anästhetisch bezeichneten physischen Elementen ist eine seltene Konstruktion der vorgefundenen Landschaften. Ebenfalls unterscheidet sich die Farbsättigung auf der Abbildung von der Farbsättigung der vorgefundenen Landschaftskonstrukte. Die Farbsättigung der vorgefundenen Landschaftskonstrukte ist je nach Wetterlage und Intensität der Sonneneinstrahlung deutlich geringer. Farben werden daher in den meisten Fällen weniger intensiv konstruiert. Da sich wie bereits erwähnt die Zunahme der Farbsättigung auf eine positivere Bewertung durch die Betrachtenden auswirkt, werden weniger intensive Farben dadurch auch weniger ästhetisch positiv bewertet. Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Diese Annahme trifft auf das Bild zu. Die Abbildung ist auf verschiedenen Ebenen überarbeitet, um ästhetisch positiver konstruiert zu werden. Wie bereits angesprochen, wurde die Farbsättigung erhöht, was anregend wirkt und ästhetisch positiver bewertet wird als weniger gesättigte Farben (vgl. Camgöz et al. 2002, Felser 2015, Gorn et al. 1997). Auch die Kontraste sind hier sehr deutlich herausgearbeitet, was sich zum einen durch die erhöhte Farbsättigung erklären lässt, zum anderen aber auch durch die Bildkomposition. Das bedeutet, die Fotografierenden wählen ihr Bildmotiv gewissenhaft aus, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen. Diese bewusst getroffene Auswahl fällt indirekt auch unter die Bildbearbeitung. Zwei KontrastArten lassen sich in dieser Abbildung herausstellen (Welsch/Liebmann 2012, 36ff.). Auffällig ist zunächst der Hell-Dunkel-Kontrast, der sogenannte Ton-

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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wert-Kontrast. Hier wird der polare Kontrast zwischen der Helligkeit des Himmels und der Sonne (wird besonders positiv bewertet und steht für Tag und Licht; siehe Camgöz et al. (2002), Felser (2015), Gorn et al. (1997), Welsch/Liebmann (2012)) und der Dunkelheit der Wolken und der Wiese (steht laut Welsch/Liebmann (2012) für Nacht oder Finsternis) deutlich herausgearbeitet. Dieser Kontrast dient der Aufmerksamkeitserregung (Welsch/Liebmann 2012, 36). Auch der Kalt-Warm-Kontrast ist deutlich festzustellen. Das warme, leuchtende Gelb der Sonnenstrahlen steht dem kühlen Blau des Himmels und dem kühlen Grün der Wiese gegenüber. Laut Welsch/Liebmann lassen sich durch diese Kontraste „eine Vielzahl von zweipoligen Erscheinungen und Empfindungen […] vermitteln“ (2012, 38); die Kontraste gelten als sehr ausdrucksstark (2012, 38). Ein weiterer Kontrast, der hier anzusprechen ist, ist der bezüglich des Wetters. Die Sonnenstrahlen vermitteln das sogenannte gute Wetter, die dunklen Regen- bzw. Gewitterwolken verheißen sogenanntes schlechtes Wetter. Diese Gegensätzlichkeit generiert ebenfalls Aufmerksamkeit und stellt darüber hinaus auch den Kontrast zu den ästhetischen Kategorien der Schönheit und der Erhabenheit heraus. Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Auch dieses Bild leistet einen Beitrag zur Entstehung eines Akzeptanzproblems der vorgefundenen Landschaftskonstrukte. Jedoch ruft nicht dieses einzelne Bild ein solches Akzeptanzproblem hervor, wohl aber die Zusammenschau aller Bilder. Der Grund liegt in der bereits genannten Abwesenheit nicht stereotyper physischer Elemente. Die angesprochene Diskrepanz zwischen vorgefundenen und stereotypen Landschaftskonstrukten wird auch anhand dieser Abbildung bestätigt. Auch hier wird das idealisierte Landschaftskonstrukt gestärkt, und neue Entwicklungen (z. B. die sogenannten neuen Energielandschaften) werden nicht in die Abbildungen aufgenommen. Hier werden die ästhetischen Wertzuschreibungen über die moralischen gestellt (siehe dazu die Ausführungen zu moralischen Wertzuschreibungen aus umweltethischer Perspektive in Kapitel 3.4.3).

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Einzelbetrachtung von Bild Nr. 36

Abbildung 20:

Bild Nr. 36 (www.commons.wikimedia.org/wiki/File:Landschaft _bei_Kürten.JPG; freie kommerzielle Nutzung)

Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Die Annahme trifft auf dieses Bild zu. Eine grüne Wiese, ein blauer Himmel mit weißen Wolken, vereinzelte Bäume – das sind ebenfalls ausnahmslos physische Elemente, die u. a. bei der Befragung von Kühne (2006b) als typisch und daher stereotyp für als Landschaften bezeichnete physische Räume genannt wurden. Wie auch in der eben behandelten Abbildung 19 entspricht der Bildaufbau der typischen Darstellung von Landschaftskonstrukten: unten die grüne Wiese, oben der blaue Himmel und in der Bildmitte ein weiteres typisches Element eines als Landschaft bezeichneten physischen Raums, nämlich Bäume in einer geordneten Reihe. Keine als hässlich bzw. störend oder als anästhetisch bezeichneten physischen Elemente werden dargestellt.

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Auch diese Annahme trifft im Falle dieser Abbildung zu. Für die vorliegende Abbildung werden ausnahmslos als schön und zu einem geringen Anteil als erhaben bezeichnete physische Elemente herangezogen. Der blaue Himmel, die weißen Wolken, die durch die (nicht abgebildete) Sonne angestrahlt werden, die grüne Wiese in gesättigten Farben, die geordnete Reihe der Bäume sowie auch der geordnete Bildaufbau können der Kategorie der Schönheit zugeschrieben werden (siehe Kapitel 2.4.2 und 3.3.2). Die Wirkung einer räumlichen Weite kann der Erhabenheit zugeschrieben werden (siehe Kapitel 3.3.2). Auch hier spricht die Farbsättigung für eine ästhetisch positive Konstruktion. Die satten und kräftigen Farben Grün und Blau wirken positiv erregend, die hellen Farben Weiß (Wolken) und Hellblau (Himmel, Großteil des Bildes) wirken beruhigend und entspannend (Felser 2015, 340). Diese Wirkungen werden als besonders positiv konstruiert (vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997). Werden Symbolbedeutung und Mythos in diesem Bezug betrachtet, sind vor allem die Farben Grün, Blau und Weiß hier ausschlaggebend, die idealtypisch überhöht sind und dadurch eine noch intensivere Leuchtkraft besitzen als in der Abbildung 19 (Seite 199). Auch hier verweisen die Farben nicht nur die auf die Farbigkeit des Objektes, sondern auch auf eine Symbolbedeutung, die durch die erhöhte Farbsättigung noch deutlicher hervorgehoben werden kann. Grün hat in unserem europäischen Kulturkreis eine vorwiegend harmonisierende, beruhigende und freundliche Wirkung (B. Kühne 2002, 173; Häberle 1999, 105; Heller 2015, 71ff.) und steht für Leben und Wachstum (Heller 2015, 72; Welsch/Liebmann 2012, 65). Durch die Intensivierung der Farbsättigung wird auch die Symbolkraft dieser Farbe hervorgehoben. Die Farbe Blau steht für Sehnsucht, Reinheit und Ewigkeit (B. Kühne 2002, 182; Heller 2015, 23ff.) aber auch für Wahrheit, Treue, Sanftheit und wirkt beruhigend und entspannend (Welsch/Liebmann 2012, 70; Häberle 1999, 105; Heller 2015, 28). Der Farbe Weiß wird ebenfalls eine positive Bedeutung zugewiesen (Felser 2015, 339f.; Heller 2015, 145). Sie steht für Weisheit63, Unschuld, Freiheit, Frieden und Reinheit (Welsch/Liebmann 2012, 102ff.; Häberle 1999, 105; Heller 2015, 145ff.).

63

Etymologisch hängt der Begriff Weisheit mit dem Farbbegriff zusammen; Welsch/Liebmann (2012, 103).

206

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Aufgrund der farblichen Zusammensetzung und der ruhigen und harmonischen Anordnung der Bildelemente (geordneter, ruhiger Bildaufbau) kann diesem Bild ein sehr beruhigender und entspannender Eindruck zugeschrieben werden, der als deutlich ästhetisch positiv zu bezeichnen ist. Auch dieses Bild kann somit in eine Geste verwandelt werden (Barthes 1964, 103) und kann – aufgrund der farblich überspitzen Darstellung – ebenfalls als Übertreibung, Mystifikation oder sogar als eine Art Lüge konstruiert werden (B. Kühne 2002, 49). Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Diese Annahme trifft auf diese Abbildung teilweise zu, wie auch bei dem vorhergehenden Beispiel. Das abgebildete Landschaftskonstrukt ist in dieser Reinform als vorgefundenes Landschaftskonstrukt nur selten vorzufinden. Der Grund dafür ist zum einen die Abwesenheit von als störend, hässlich oder anästhetisch bezeichneten physischen Elementen. Diese absolute Abwesenheit ist selten in vorgefundenen Landschaftskonstrukten. Zum anderen liegt es auch hier – noch deutlicher als im eben untersuchten Beispiel – an der erhöhten Farbsättigung der Abbildung. Die Farbsättigung der vorgefundenen Landschaftskonstrukte ist je nach Wetterlage und Intensität der Sonneneinstrahlung deutlich geringer. Farben werden daher in den meisten Fällen weniger intensiv konstruiert. Da sich, wie bereits, erwähnt die Zunahme der Farbsättigung auf eine positivere Bewertung durch die Betrachtenden auswirkt, werden weniger intensive Farben dadurch auch weniger ästhetisch positiv bewertet. Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Auch diese Annahme trifft zu. Diese Abbildung ist deutlich überarbeitet, um ästhetisch positiver konstruiert zu werden. Wie bereits angesprochen, wurde einerseits die Farbsättigung erhöht, was anregend und ästhetisch positiver bewertet wird als weniger gesättigte Farben; vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997). Andererseits werden Kontraste eingesetzt, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Auch dieses Stilmittel kann indirekt als Überarbeitung bewertet werden, da die Fotografierenden ihr Bildmotiv bewusst aussuchen und in Szene setzen.

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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Der Hell-Dunkel-Kontrast ist auch hier anzusprechen (Welsch/Liebmann 2012, 36). Hier verläuft der Übergang zwischen hellem und dunklem Bildbereich jedoch nicht nach Farben, sondern folgt dem Bildaufbau: Während die Wiese im Vordergrund dunkler wirkt, wird sie in Richtung Bildmittelgrund heller. Auch der blaue Himmel mit den weißen Wolken im Bildhintergrund wirkt deutlich heller. Somit entsteht ein Hell-Dunkel-Verlauf im Bildaufbau und nicht in Bezug auf die Farben. Auch dieser Kontrast erhöht die Aufmerksamkeit und die positive Ästhetisierung. Der Blick wird in die Ferne geleitet, den hellen Farben in dieser Ferne kann eine zunehmend positive Ästhetik zugeschrieben werden (vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997). Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Ja, auch dieses Bild kann einen Beitrag dazu leisten, dass es teilweise ein Akzeptanzproblem der vorgefundenen Landschaftskonstrukte gibt. Wie im vorgehenden Beispiel ist es jedoch nicht dieses einzelne Bild, das ein Akzeptanzproblem der vorgefundenen Landschaftskonstrukte auslösen kann. Die Gesamtheit der Ergebnisse führen zur Bestätigung dieser Annahme. Auch in diesem Bild fehlen nicht stereotype physische Elemente, und auch die Farbsättigung unterscheidet zwischen den Mustern der stereotypen und der vorgefundenen Landschaftskonstrukte. Diese Diskrepanz kann dadurch auch anhand dieser Abbildung bestätigt werden. Auch hier wird das idealisierte Landschaftskonstrukt gestärkt, und neue Entwicklungen (z. B. die sogenannten neuen Energielandschaften) werden nicht in die Abbildungen aufgenommen.

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Einzelbetrachtung von Bild Nr. 3

Abbildung 21:

Bild Nr. 3 (www.pixabay.com/de/ neuseeland-landschaftlandschaftlich-1805939/; freie kommerzielle Nutzung)

Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Das Bild zeigt stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Bis auf eine Ausnahme werden ausschließlich stereotype physische Elemente gezeigt: eine grüne Wiese, die strahlende Sonne, ein Feldweg, bläulicher Himmel mit wenigen Wolken und große Bäume. Auch das Gebäudeensemble, das als eine landwirtschaftliche Hofstelle bezeichnet werden kann, sowie die landwirtschaftliche Ackerfläche (Bildmittelgrund links) und die landwirtschaftliche Weidefläche (Bildvordergrund rechts und links, eingezäunte Weidefläche) können hier als stereotype landschaftliche Elemente bezeichnet werden (siehe hierzu Kapitel 4.4.1.2). Anzusprechen ist wieder der typische Bildaufbau eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes in dieser Suche: unten die grüne Wiese, oben der bläuliche Himmel und in der Bildmitte weitere typische Elemente der als Landschaft bezeichneten physischen Räume. Auffällig ist bei genauerer Betrachtung, dass diese Abbildung ein als störend bezeichnetes physisches Element aufweist: einen Strommasten. Diese Abbildung ist die einzige der 100 Bilder, die dieses als störend bezeichnete

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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Element zeigt. Wie jedoch in Kapitel 5.1.2 beschrieben, wird es in der Zusammenschau der Abbildung weniger als störend wahrgenommen. Der Strommast ist nur bei genauerem Hinsehen zu erkennen, da er am rechten Bildrand steht, somit fast verschwindet und nicht weiter als auffallend störend wahrgenommen wird. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Die Annahme trifft auf diese Abbildung zu. Bis auf die eben erwähnte Ausnahme werden als schön und erhaben bezeichnete physische Elemente herangezogen, darüber hinaus bedient sich diese Abbildung auch der Kategorie des Kitsches und des Pittoresken. Der Himmel, die strahlende Sonne, die grüne Wiese und die landwirtschaftlichen Elemente können der Kategorie der Schönheit zugeschrieben werden. Auch der geordnete Bildaufbau und die angemessenen Proportionen fallen unter diese Kategorie (siehe Kapitel 2.4.2 und 3.3.2). Der Erhabenheit zugeordnet werden kann die mächtige Baumgruppe (siehe Kapitel 2.4.2.2 und 3.3.2). Diese wirkt auch pittoresk, wie ebenfalls der Feldweg, der in eine große Weite durch eine Art Tor führt, dass von der Baumgruppe gebildet wird. Der Kategorie des Kitsches zugeordnet werden kann der Sonnenuntergang64, der durch die Farbintensivierung deutlich herausgestellt wird. Auch die erhöhte Farbsättigung spricht für eine ästhetisch positive Konstruktion. Die Farben sind wie auch in den beiden vorausgehenden Beispielen satt und leuchtend: die kräftigen Grün- und Orangetöne wirken erregend, die auffallend hellstrahlende Sonne wirkt entspannend (Felser 2015, 340). Diese Wirkungen werden als besonders positiv konstruiert (vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997). Dem Symbol und dem Mythos können auch in dieser Abbildung einen hohen Stellenwert zugeschrieben werden. Farben und physische Elemente spielen hier eine Rolle. Auffällig sind die warmen Farben der Abbildung. Vor allem die

64

Es lässt sich nicht sicher bestimmen, ob es sich in diesem speziellen Fall um einen Sonnenunter- bzw. aufgang handelt, auch der Kontext der Internetseite lässt keine Aussage darüber zu. Die Autorin geht in diesem Fall jedoch von einem Sonnenuntergang aus. Da eine gewisse Unsicherheit weiterhin bestehen bleibt, verzichtet die Autorin auf eine Ausführung zu Symbolbedeutung von Sonnenauf- oder –untergängen.

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Nuancen der Farben Rot, Orange und Gelb treten in den Vordergrund. Zur Verdeutlichung werden auch hier die Symbolbedeutungen der einzelnen Farben noch einmal wiederholt. Die Farbe Rot steht für Licht, Wärme, Lebhaftigkeit, Kraft und wird häufig als energisch und impulsiv beschrieben (Welsch/Liebmann 2012, 58; Häberle 1999, 104; Heller 2015, 51ff.). Die Farbe Orange ist die wärmste im Farbspektrum (B. Kühne 2002, 137) und steht kulturgeschichtlich für Aktivität, Energie und Geselligkeit (Heller 2015, 262f.; Welsch/Liebmann 2012, 89). Im Zusammenhang mit den Begriffen Landschaft und Natur steht Orange jedoch auch für den Herbst, für Freude, Wärme und Erregung. Sie wirkt wärmer und auch aktiver als die Farbe Gelb (B. Kühne 2002, 179). Die Farbe Gelb ist die hellste und auch leuchtkräftigste Farbe überhaupt (Welsch/Liebmann 2012, 75). Die Bedeutung dieser Farbe ist vielseitig (Heller 2015, 130). Grundsätzlich kann die Farbe Gelb in der kulturgeschichtlichen Symbolik sogar eine gegenteilige Bedeutung haben als in der Symbolik, wenn von den Begriffen Landschaft oder Natur die Rede ist. Während Gelb in der kulturgeschichtlichen Symbolik häufig als Warnfarbe oder Farbe des Lichts gilt und auch für Optimismus, Lebensfreude, Vergnügen aber auch Eifersucht und Neid steht (Welsch/Liebmann 2012, 76; Häberle 1999, 105; Heller 2015, 129ff.), wird sie in Anbetracht der Thematik Landschaft und Natur häufig mit Reife, dem Herbst (Welsch/Liebmann 2012, 76) aber auch mit der Sonne assoziiert (B. Kühne 2002, 176; Heller 2015, 129). Hier wird der Farbe eine grundsätzlich positive, heitere und lebensbejahende Bedeutung zugeschrieben (B. Kühne 2002, 178; Häberle 1999, 105). Die gemeinsame Wirkung dieser warmen Farbzusammensetzung steht demnach für „Freude, Sorglosigkeit, Harmonie und Freundschaft, Nähe, Geborgenheit“ (B. Kühne 2002, 179). Auch die ruhige Bildanordnung und der geordnete Bildaufbau tragen zu einem beruhigenden und entspannenden Eindruck bei, der eine ausgeprägt positive Ästhetik aufkommen lässt. In Bezug auf die physischen Elemente dieser Abbildung sind vor allem die mächtigen Bäume und die landwirtschaftliche Nutzung anzusprechen. Bäume stehen für Leben, Wachstum, Stärke, Dauerhaftigkeit und Kraft (B. Kühne 2002, 48). Die landwirtschaftliche Nutzung in Form von landwirtschaftlichen Gebäuden, einer Maisanbaufläche und einer Viehweide können hier (trotz der Abwesenheit von Menschen) eine harmonische Beziehung zwischen Mensch und der als Natur bezeichneten physischen Räume darstellen. Die Abbildung kann dann ein Symbol für Ruhe, Sicherheit, Gelassenheit, aber auch als Symbol für die Verheißung einer heilen Welt darstellen (B. Kühne 2002, 130; vgl. auch Gelfert

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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2000). Mensch und als Natur bezeichnete physische Räume befinden sich hier in einem harmonischen Einklang (B. Kühne 2002, 133). Hier wird die Abbildung in einen Mythos, also in eine Geste, eine Geschichte verwandelt (vgl. Barthes 1964). Auch wenn es sich hier nur bedingt um eine Übertreibung bezüglich der Farbdarstellung handelt, kann von einer Mystifikation gesprochen werden: die Abbildung als Verheißung einer sogenannten heilen Welt. Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Ja, das auf dem Bild gezeigte Landschaftskonstrukt unterscheidet sich von vorgefunden Landschaftskonstrukten. Auch wenn einzelne Elemente der Darstellung durchaus auch der Konstruktion vorgefundener Landschaften zugeschrieben werden können (wie z. B. der Strommast und die Maisanbaufläche), scheint dieses Bild doch nicht einer häufigen Konstruktion vorgefundener Landschaften zu entsprechen. Als störend oder nicht stereotyp bezeichnete physische Elemente fehlen hier oder werden an den Bildrand gerückt, um nur eine geringe Aufmerksamkeit zu erregen. Die Farben sind deutlich überarbeitet, und die idyllische Darstellung der Landwirtschaft (unbefestigte schmale Feldwege, große Weideflächen) entspricht nur in Ausnahmenfällen der Konstruktion der vorgefundenen, als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Die Abbildung zeigt, dass diese Annahme zutrifft. Auch dieses Bild ist auf verschiedenen Ebenen überarbeitet, um ästhetisch positiver konstruiert zu werden. Wie bereits angesprochen, wurde die Farbsättigung erhöht, um anregender zu wirken uns als ästhetisch positiver bewertet zu werden (vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997). Die Farben der Abbildung sind durchgehend warm, sogar die ansonsten kühle Farbe Grün scheint in ein warmes Licht getaucht zu sein. Daher entsteht hier kein Kalt-Warm-Kontrast. Das soll nicht heißen, dass dieser fehlende Kontrast eine negative Ästhetik auslöst: die Farbstimmung spiegelt durch die einheitliche Orange-Gelb-Färbung den Sonnenuntergang wider. Das Bild wirkt aufgrund der Farben harmonisch und einheitlich. In Bezug auf Kontraste kann der

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Hell-Dunkel-Kontrast aufgegriffen werden. Die Helligkeit von Sonne und Himmel steht in einem polaren Kontrast zum dunklen Farbton der Bäume und des Baumschattens. Dieser einzige Kontrast zwischen Licht und Dunkel (symbolisch für Tag und Nacht) dient der Aufmerksamkeitserregung (vgl. Welsch/Liebmann 2012). Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Auch dieses Bild kann einen Beitrag dazu leisten. Die vorhandene Diskrepanz der beiden Muster vorgefundene und stereotype Landschaftskonstrukte lässt die beiden Konstruktionen sich voneinander entfernen. Auch hier wird das idealisierte Landschaftskonstrukt gestärkt, die Konstruktion der vorgefundenen Landschaften mit auch als störend bezeichneten physischen Elementen wird zum Teil ignoriert. Neue Entwicklungen (sogenannte Energielandschaften oder beispielsweise auch eine technisierte Form der Landwirtschaft) werden hier ausgeblendet. Wie in den vorgehenden Beispielen ruft nicht dieses einzelne Bild ein Akzeptanzproblem hervor. Die Gesamtheit der Ergebnisse kann jedoch dazu beitragen, dass unter dem Begriff Landschaft nur die Kategorie der stereotypen Landschaftskonstrukte verstanden wird – und dadurch zu einem Akzeptanzproblem führen. 5.1.5 Zusammenfassung Im Zuge der Zusammenfassung werden hier die in Kapitel 4.4 aufgeführten Annahmen noch einmal aufgeführt und einzeln besprochen. Zunächst ein Überblick der fünf aufgestellten Annahmen:

Endlose Stereotype: Abgebildete Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche

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Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Zu Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Diese Annahme trifft fast ausnahmslos zu, wie auch schon bereits abgeschlossene Befragungen feststellen konnten. Bis auf vereinzelte Ausnahmen werden nur stereotype, als schön oder erhaben und zum Teil auch als kitschig oder pittoresk bezeichnete physische Elemente in den Abbildungen gezeigt. Als hässlich bzw. störend oder als anästhetisch bezeichnete physische Elemente werden nicht oder nur sehr selten dargestellt.

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Zu Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Auch diese Annahme trifft zu. Für die Darstellung der Abbildungen werden hauptsächlich als schön und als erhaben bezeichnete physische Elemente herangezogen, vereinzelt werden auch als kitschig oder pittoresk bezeichnete physische Elemente bzw. Motive verwendet. Zu Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Dieser Annahme kann ebenfalls zugestimmt werden. Die Diskrepanz der beiden Konstruktionsmuster ist hoch. Eine Reinform von stereotypen als Landschaft bezeichneten physischen Räumen ist in den alltäglichen Räumen meist nicht vorzufinden. Vorgefundene als Landschaft bezeichnete physische Räume enthalten meist auch als störend oder zumindest als anästhetisch bezeichnete physische Elemente. Zu Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Auch dieser Annahme kann bei einem großen Teil der Bilder zugestimmt werden. Die Untersuchung zeigt, dass fast die Hälfte der Abbildungen auffällig überarbeitet wurde, ein weiteres Drittel ebenfalls zumindest überarbeitet wurde, wenn auch weniger auffällig. Somit sind über 80,0 % der Bilder so überarbeitet, dass die Überarbeitungen durch einfaches Betrachten der Bilder zu erkennen sind. Zu Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Ja, sie können einen Beitrag dazu leisten, denn durch die ausgeprägte Diskrepanz der beiden Konstruktionen (abgebildete und vorgefundene Landschaftskonstrukte) entstehen zwei verschiedene Konstruktionen, die weit voneinander ent-

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

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fernt sind. Das idealisierte Landschaftskonstrukt wird gestärkt, neue Entwicklungen (z. B. die sogenannten neuen Energielandschaften) werden nicht in die Abbildungen aufgenommen, also werden sie dort auch nicht unter dem Begriff Landschaften geführt. In den vorgefundenen als Landschaft bezeichneten physischen Räumen kann die Anwesenheit nicht stereotyper physischer Elemente dann zu einem Akzeptanzproblem führen. 5.2 Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume: Abgebildete Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen Nachdem in Kapitel 5.1 die visuelle Konstruktion des allgemeinen und alltäglichen Begriffs der Landschaft untersucht wurde, geht es in diesem Teil der Untersuchung darum, den Landschaftsbegriff räumlich einzugrenzen. Hier geht es darum, ob es Unterschiede zwischen einem allgemeinen und einem raumbezogenen Verständnis von Landschaft gibt und wie sich die Darstellungen ästhetisch unterscheiden. Dafür werden abgebildete Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten der Kommunen von als ländlich bezeichneten physischen Räumen untersucht. Zunächst wird darauf eingegangen, warum der Regierungsbezirk Niederbayern als Untersuchungsraum ausgewählt wurde und für welche Besonderheiten diese politisch-physische Raumkategorie steht. Anschließend erfolgen, wie auch in Kapitel 5.1, eine Analyse der Senderinnen und Sender, eine Inhaltanalyse und eine qualitative Bildinterpretation. Nach einer Zusammenfassung dieser TeilUntersuchung werden die beiden Teile der Untersuchung miteinander in Beziehung gesetzt. 5.2.1 Der Regierungsbezirk Niederbayern Der Name des Regierungsbezirkes ist auf das Jahr 1255 zurückzuführen, als die damaligen bayerischen Herzöge das Land teilten. Dabei wurde der westliche Teil zu Oberbayern und der östliche Teil, damals das bayerische Unterland genannt, zu Niederbayern. Die politischen Grenzen dieser Region änderten sich mehrfach und haben erst seit 1808 die heutige Form. Seit 1956 ist Landshut Sitz der Bezirksregierung (Regierung von Niederbayern 2017). Wie bereits in Kapitel 4.2 erwähnt, wurde der Regierungsbezirk Niederbayern ausgewählt, da diese Region

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

als eine sehr ländlich geprägte bezeichnet wird (vgl. u. a. Fehn 1983; Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit 1999). Das ist aus dem Grund von Bedeutung, da hier die schwach verdichteten, als Landschaft bezeichneten physischen Räume einen höheren Stellenwert einnehmen als die stärker verdichteten, als städtisch bezeichneten physischen Räume, auch wenn von einem erweiterten Landschaftsverständnis ausgegangen wird. Mit ca. 10.330 km² ist der Regierungsbezirk der flächenmäßig zweitgrößte in Bayern (Regierung von Niederbayern 2017). Im Jahr 2015 lebten hier 1.212.119 Menschen, also ungefähr 10 % der bayerischen Bevölkerung. Es ist nach dem Regierungsbezirk Oberpfalz (113 Einwohnerinnen und Einwohner je km²) mit 117 Einwohnerinnen und Einwohner je km² der am wenigsten dicht besiedelte Regierungsbezirk in Bayern (Auberger et al. 2016, 6). Die Anzahl der Kommunen beläuft sich auf 258. Davon sind 3 Kommunen kreisfreie Städte (Landshut, Passau und Straubing), die restlichen 255 Kommunen sind auf die neun Landkreisen verteilt: Deggendorf (26 Kommunen), Dingolfing-Landau (15 Kommunen), Freyung-Grafenau (25 Kommunen), Kehlheim (24 Kommunen), Landshut (35 Kommunen), Passau (38 Kommunen), Regen (24 Kommunen), Rottal-Inn (31 Kommunen) und Straubing-Bogen (37 Kommunen; Auberger et al. 2016, 4). Die physisch-geografischen Gegebenheiten werden wie folgt beschrieben: „Die Landschaft wird vom Mittelgebirge und Nationalpark Bayerischer Wald im Nordosten, vom Hügelland zwischen Isar und Inn im Süden und vom weiten Donautal dazwischen geprägt. Die Donau fließt in Niederbayern durch die spektakuläre Weltenburger Enge bei Kelheim, durch den fruchtbaren Gäuboden (Bayerns Kornkammer) bei Straubing und die Dreiflüssestadt Passau“ (Regierung von Niederbayern 2017, Hervorh. i. O.). Der Regierungsbezirk Niederbayern grenzt im Nordwesten an die Oberpfalz, im Südwesten an Oberbayern, im Nordosten an die Tschechische Republik und im Südosten an Österreich (Regierung von Niederbayern 2017). Die Bodenflächen nach Nutzungsarten sind vom Bayerischen Landesamt für Statistik wie folgt eingeteilt (Auberger et al. 2016, 16, Stand 2015):  

Landwirtschaftsfläche: 51,6 % Waldfläche: 33,9 %

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

   

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Siedlungs- und Verkehrsfläche: 11,1 % Wasserfläche: 1,4 % Flächen anderer Nutzung (ohne Friedhöfe): 1,7 % Abbauland: 0,2 %

Die Siedlungs- und Verkehrsfläche (11,1 %; 114.225 ha) wiederum ist wie folgt unterteilt:    

Gebäude- und Freifläche (einschl. Friedhöfe): 61.955 ha Verkehrsfläche: 44.313 ha Erholungsfläche: 4.930 ha Betriebsfläche (ohne Abbauland): 3.028 ha

Hier einige charakteristische Fotos des Regierungsbezirkes Niederbayern:

Abbildung 22:

Blick auf eine Einfamilienhaussiedlung der Stadt Landau an der Isar, Niederbayern (eigene Aufnahme 2018)

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Abbildung 23:

Landwirtschaftliche Nutzflächen, Möding, Niederbayern (eigene Aufnahme 2018)

Abbildung 24:

Als Dorf bezeichnete Siedlung im Winter, Schönau, Niederbayern (eigene Aufnahme 2010)

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

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Abbildung 25:

Landwirtschaftliche Nutzfläche mit Blick auf den Bayerischen Wald, Nähe Deggendorf, Niederbayern (eigene Aufnahme 2018)

Abbildung 26:

Stadtplatz in Deggendorf, Niederbayern (eigene Aufnahme 2018)

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Die Wirtschaft in der Region ist hauptsächlich durch die Automobilindustrie geprägt. Darüber hinaus spielt auch der Tourismus (vor allem im Bayerischen Wald und in der Thermenregion Bad Füssing) eine große Rolle. Die Landwirtschaft hat ebenfalls noch eine große Bedeutung (Regierung von Niederbayern 2017). Sie ist jedoch, bezogen auf die Flächeninanspruchnahme, geringer als zunächst angenommen. Denn auch im als ländlich bezeichneten physischen Raum ist im Zuge der Postmodernisierung eine große Veränderung der Wirtschaftssektoren bzw. eine Verschiebung der Arbeitsleistung hin zur Dienstleistung zu verzeichnen, wie ein Blick auf die Verteilung der erwerbstätigen Personen65 zeigt (Auberger et al. 2016, 21, Stand 2015):   

Erwerbstätige Personen im primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei): ca. 25.000 Personen, entspricht ca. 3,8 % der erwerbstätigen Personen Erwerbstätige Personen im sekundären Sektor (produzierendes Gewerbe): ca. 215.000 Personen, entspricht ca. 33,2 % der erwerbstätigen Personen Erwerbstätige Personen im tertiären Sektor (Dienstleistungsbereich): ca. 408.200 Personen, entspricht ca. 63 % der erwerbstätigen Personen

Auch die Bruttowertschöpfung66 zeigt die sinkende Bedeutung der Landwirtschaft (Auberger et al. 2016, 32, Stand 2014):   

Primärer Sektor: Anteil der Bruttowertschöpfung im Jahr 2014: 1,6 % (relative Veränderung seit 2004: -24,2 %) Sekundärer Sektor: Anteil der Bruttowertschöpfung im Jahr 2014: 42,8 % (relative Veränderung seit 2004: +49,8 %) Tertiärer Sektor: Anteil der Bruttowertschöpfung im Jahr 2014: 55,6 % (relative Veränderung seit 2004: +30,0 %)

Die Altersstruktur der niederbayerischen Bevölkerung ist im gesamtbayerischen Vergleich durchschnittlich: 5,0 % sind unter fünf Jahre alt; 11,4 % sind zwischen sechs und 18 Jahre alt; 63,8 % sind zwischen 18 und 65 Jahre alt, und 19,8 % sind 65 Jahre alt und älter. Das verfügbare Einkommen67 je Einwohnerin bzw. 65

66 67

„Als Erwerbstätige werden alle Personen gezählt, die als Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis stehen, als Selbständige ein Gewerbe bzw. eine Landwirtschaft betreiben, einen freien Beruf ausüben oder als mithelfende Familienangehörige tätig sind“ so Auberger et al. (2016, 21). „Die Bruttowertschöpfung ist der Bruttoproduktionswert abzüglich der Vorleistungen“ so Auberger et al. (2016, 32). „Bezogen auf private Haushalte, einschl. private Organisationen ohne Erwerbszweck“ so Auberger et al. (2016, 28).

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

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Einwohner68 ist im bayerischen Vergleich an letzter Stelle, auch wenn es von 2009 bis 2014 um 13,3 % zugenommen hat: Im Schnitt hat eine niederbayerische Person 20.981 € zur Verfügung (im Vergleich dazu der gesamtbayerische Durchschnitt: 23.080 €; Auberger et al. 2016, 28, Stand 2014). Die Arbeitslosenquote lag durch saisonbedingte Schwankungen im Januar 2016 bei 4,7 % und im September 2016 bei 3,2 % (Auberger et al. 2016, 20). Das Einkommen hängt u. a. auch vom Bildungsstand ab. Hier ist festzustellen, dass Niederbayern auch in Hinsicht auf die prozentuale Verteilung der Schulbesucherinnen und Schulbesucher von Gymnasien auf dem letzten Platz liegt: 25,9 % der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 8 besuchten ein Gymnasium (im Vergleich dazu Oberpfalz mit 28,3 % und Oberbayern mit 34,9 %; Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 2017, 177). Aus politischer Perspektive ist die Bevölkerung in Niederbayern sehr konservativ geprägt. Bei der Bundestagswahl 2017 ergab sich die folgende Zweitstimmenverteilung: 40,9 % CSU; 16,7 % AfD; 13,7 % SPD; 8,9 % FDP; 5,8 % GRÜNE; 4,9 % DIE LINKE und 9,1 % Sonstige (Bayerisches Landesamt für Statistik 2017). Diese Ausführungen über die Region und die Bevölkerung von Niederbayern zeigen, dass die Auswahl des Untersuchungsraumes nicht stellvertretend für den deutschsprachigen Raum ist. Das ist jedoch auch nicht die Absicht dieser Auswahl. Wie bereits erwähnt, ist es von Interesse für diese Arbeit, eine Region zu untersuchen, die als überwiegend ländlich bezeichnet wird und in der als Landschaft bezeichnete physische Räume einen großen Teil in Anspruch nehmen. Die Zusammensetzung und die Merkmale der Bevölkerung hängen von vielen verschiedenen Faktoren ab, u. a. auch von der räumlichen Prägung, waren aber in diesem Fall keine Voraussetzung für die Region Niederbayern. Ein weiterer Grund für die Auswahl dieses Regierungsbezirkes ist der enge Bezug der Autorin. Sie ist in diesem Regierungsbezirk geboren und aufgewachsen und mit der Region und der Gesellschaft in Niederbayern vertraut. Das hat den Vorteil, dass es kaum kulturelle Differenzen gibt bzw. sind der Autorin die vorhandenen kulturellen Differenzen, die durch die kulturelle Pluralität der Postmodernisierung durchaus vorhanden sind, bekannt. Denn die Forschenden sind in ihrem persönlichen „sozio-kulturellen Kontext verhaftet“ (Kleemann et al. 2009, 18),

68

„Jahresdurchschnittliche Einwohnerzahl, berechnet aus Quartalsstichtagen“ so Auberger et al. (2016, 28).

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

und „nur wenn die Forschenden ebenfalls exakt dem beforschten sozialen Kontext entstammten, gäbe es diese kulturellen Differenzen nicht [Anmerkung S. L.: es gibt durchaus kulturelle Differenzen, diese können aber durch Verhaftung im sozio-kulturellen Kontext besser eingeordnet werden]“ (Kleemann et al. 2009, 18). 5.2.2 Die Senderinnen und Sender im Überblick – Die Bilder als Repräsentation der eigenen Kommune Auch in dieser Untersuchung wurden beide Kommunikationsvorgänge betrachtet (siehe Kapitel 4.2). Neben dem Verstehensprozess der Rezipierenden somit auch die Mitteilungsabsichten der sendenden Personen (Früh 2015, 46). Anders als bei der Internet-Bildersuche ist die Gruppe der Senderinnen und Sender weitaus homogener. Es handelt sich in dieser Untersuchung ausschließlich um die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften, Märkte und Städte bzw. um deren Verwaltungen. Auch wenn die Bilder in einigen Fällen von beauftragten Büros (z. B. durch Grafikerinnen und Grafiker) produziert und ausgewählt wurden, hat die Verwaltung trotzdem das letzte Wort und muss der Auswahl zustimmen. Die Absichten und Ziele der Internetauftritte der Kommunen unterscheiden sich deutlich von den untersuchten Internetauftritten der Google-Suche. Die Internetseiten der Verwaltungen sind zunächst dazu da, die Bevölkerung sowie auch Interessierte und Gäste der Kommune kostenlos zu informieren. Vor der Information über die jeweilige Kommune werden die Besucherinnen und Besucher der Internetseite zunächst jedoch begrüßt. Der Großteil der Internetauftritte ist mit der Überschrift „Willkommen in…“ oder „Grüß Gott in…“ versehen. Häufig lassen sich einzelne Textpassagen auf den Startseiten finden, die Besonderheiten der Kommune hervorheben. Auffällig ist, dass es sich häufig auch um Beschreibung der unbebauten Umgebung handelt und nicht ausschließlich um die der bebauten Agglomeration. Hier einige Beispiele:   

„Die schöne, bäuerlich struktuierte [sic] Landschaft mit ihren umliegenden Dörfern und Weilern bietet beschauliche Erholungsmöglichkeiten“ (Gemeinde Haarbach 2017) „Das aufstrebende, einladende Dorf“ (Gemeinde Niederalteich 2017) „Vom Höhenrücken von Hohenau aus erschließt sich im Norden ein herrlicher Ausblick auf das Gebiet des Nationalparks vom Lusen über den Rachel bis zum Arber und im Süden ist bei entsprechender Witterung sogar das

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume





 

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gewaltige Alpenmassiv erkennbar. Der weitere Hauptort Schönbrunn a. Lusen liegt wie eine Oase inmitten ausgedehnter Wälder in unmittelbarer Nähe der Felswanderzone nahe dem Lusen (1373m) mit seiner wildzerklüfteten Felskuppe“ (Gemeinde Hohenau 2017) „Erholsame Wanderungen auf 70 km gut markierten Wegen führen auf luftige Höhen mit herrlichem Blick auf die Bayerwaldberge oder auf den Pandurensteig hinunter ins romantische Ilztal. Ein besonderes Badevergnügen erwartet Sie in unserem beheizten Freibad mit Kinderspielplatz. Dem Aktivurlauber bieten wir Tennis, Reit- und Angelmöglichkeiten sowie Wassersport auf der Ilz“ (Gemeinde Perlesreut 2017) „Eingebettet wie ein Juwel zwischen den schönsten Bayerwaldbergen liegt die Nationalparkgemeinde Lindberg. Einzigartige Naturschönheiten und die reichhaltige Palette an Freizeitmöglichkeiten machen Lindberg zu einem beliebten Ferienziel. Man atmet bei uns im Nationalpark Bayerischer Wald frei und gut und jeder kann unsere Berge leicht ersteigen. Es ist ein Erlebnis, wunderschöne Fernblicke zu haben; der Besucher hat ein weithin wallendes Waldmeer vor sich.“ (Gemeinde Lindberg 2017) „Simbach am Inn – die junge, weltoffene Stadt“ (Stadt Simbach am Inn 2017) „Wittibreut […] liegt eingebettet im landschaftlich reizvollen Hügelland zwischen Rott und Inn. Auf einer Vielzahl von Rad- und Wanderwegen können Sie die Ruhe und Schönheit unserer Gegend und oftmals auch den Fernblick in die Alpen und den Bayerischen Wald genießen. Durch die Höhenlage, zum Teil über 500 m, sind wir von der Sonne begünstigt und trübe Nebeltage viel seltener als in den Tallagen von Rott und Inn“ (Gemeinde Wittibreut 2017)

Wenn sich auf der Startseite des Kommunenauftrittes keine Beschreibung von besonderen Landschafts- oder Agglomerationskonstruktionen findet, kann häufig dieser oder ein ähnlicher Satz gelesen werden: „Sie finden auf diesen Seiten viele nützliche Informationen über die Gemeinde und die Gemeindeverwaltung und das Urlaubsangebot unserer Gemeinde […]“ (Gemeinde Bischofsmais 2017). Aber auch Stellenangebote der Kommune (wie z. B. Erzieherinnen oder Erzieher, Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des kommuneneigenen Bauhofes) oder aktuelle Meldungen (z. B. Christkindlmarkt, Warnungen, beispielsweise vor einer Häufung von Hauseinbrüchen) werden oft auf die Startseite gestellt. Darüber hinaus gibt es verschiedene dauerhafte Rubriken, die angeklickt werden können, wie z. B. Infos, Gemeinde, Aktuelles, Leben, Tourismus, Freizeit, Service, Politik, Veranstaltungen, Rathaus, Kultur oder Impressum. Meist werden

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

auf diesen Seiten dann die zugehörigen Informationen angeboten. Häufig sind auch aktuelle bzw. kurzfristige Nachrichten, wie z. B. außergewöhnliche Schließzeiten des Rathauses, besondere Veranstaltungen oder ein Grußwort der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters auf der Startseite zu sehen. Es werden vordergründig keine Produkte oder Dienstleistungen zum Verkauf angeboten. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Internetauftritte keine Werbeabsichten verfolgen. Häufig ist das Ziel neben der Information durchaus die Werbung – für die eigene Kommune. Diese Werbung hat häufig die Absicht, Wachstum zu generieren: Im Sinne von zusätzlichen Einwohnerinnen und Einwohnern, Gewerbe und Handel, Arbeitsplätzen sowie von steigenden Tourismuszahlen. Es geht in vielen Fällen darum, Kapital und Investitionen zu steigern (die unternehmerische Kommune; siehe Kapitel 3.1.2, vgl. Linke 2014). Nicht nur die Startseiten selber, sondern auch die Bilder auf diesen Startseiten haben demnach häufig einen Werbecharakter (siehe Kapitel 3.7) und wollen überzeugen und die Besucherinnen und Besucher des Internetauftrittes ästhetisch ansprechen. Die nachfolgenden qualitativen Interviews gehen noch einmal genauer auf die Frage ein, warum die abgebildeten Landschaftskonstrukte für die Startseite ausgewählt wurden und was sie genau bezwecken sollen. 5.2.3 Von der Hemdsärmeligkeit bis zur Professionalität – Vertiefung mittels Interviews Im Rahmen der Interviews stellte sich heraus, dass sich die Auswahl des Bildmaterials grundsätzlich in jeder befragten Kommune ähnliche Absichten und Zielen verfolgt, es gibt allerdings Unterschiede hinsichtlich der Zielgruppe und der Voraussetzungen. Die Voraussetzungen unterscheiden sich in Bezug auf das vorhandene oder eben nicht vorhandene Bildmaterial. Der Mitarbeiter eines Grafikbüros G169, der mehrere kommunale Internetauftritte betreut, erwähnte im Interview, dass das Bildmaterial meistens von den Kommunen stammt. Dieses Material ist zum Teil von durch die Kommune beauftragten Fotografinnen oder Fotografen erstellt worden oder weniger professionell vom eigenen Personal der Kommune. Die Grafikbüros bieten zwar auch die Dienstleistung an, professionelle Fotografien speziell für den Internetauftritt zu erstellen, jedoch nutzen das

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Interview mit einem Mitarbeiter eines Grafikbüros. Interview telefonisch geführt am 24.01.2018. G steht für Grafikbüro und die Ziffer 1 für die chronologische Reihenfolge der geführten Interviews.

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

225

nur wenige Kommunen, u. a. auch aus finanziellen Gründen. Auch G270 bestätigte diese Aussage, fügte jedoch hinzu, dass den Kommunen häufig empfohlen wird, neue Bilder zu machen. Diese Leistung wird jedoch seltener beauftragt, denn häufig werden hierfür bereits vorhandene Bilder verwendet. G471 erwähnte in diesem Bezugsrahmen, dass es hier die „unterschiedlichsten Facetten“ gibt, von „super hemdsärmelig bis sehr professionell“. Die Zielgruppe betreffend gibt es laut der Aussagen von G1 und G4 Unterschiede. Zunächst ist es von Bedeutung, ob die Kommune touristisch geprägt ist oder nicht. Hat die Kommune touristische Ziele, wird der Internetauftritt neben der Information für die Bevölkerung auch die entsprechende Zielgruppe berücksichtigen. Das bedeutet, es werden eher touristische Attraktionen und auch Unterkunftsmöglichkeiten dargestellt. Hat eine Kommune wenig Tourismus, besteht die Zielgruppe vorwiegend aus der Bevölkerung und potentiellen neuen Bewohnerinnen und Bewohnern. Zwar sollen auch hier die besonderen Merkmale einer Kommune ästhetisch positiv dargestellt werden, aber von größerer Bedeutung ist dann das alltägliche Leben. Hier ist es beispielsweise von Bedeutung, Bildungs- oder Einkaufsmöglichkeiten darzustellen. Trotz der unterschiedlichen Zielgruppen sind Absichten und Ziele eines Internetauftritts häufig ähnlich. In diesem Zusammenhang sprechen die befragten Personen beispielsweise davon, die positiven Alleinstellungsmerkmale und die Attraktivität der Kommune herauszustellen (G1: „In der Region vom Chiemsee würde man den Chiemsee in den Vordergrund stellen“; G1: „Das erste Bild muss ein Eyecatcher sein“; G2: „Das Motto ist häufig: das können wir alles, das bieten wir“; G2: „Es sollen ja auch neue Bürger herziehen“; G372: „Wichtig waren Sehenswürdigkeit wie die Kirche oder der Park“). Neben der Darstellung der attraktiven Merkmale der Kommune geht es um die Informationsvermittlung, darüber sich die befragten Personen alle einig (G2: „Es geht um die Informationen,

70 71 72

Interview mit einer Mitarbeiterin eines Grafikbüros. Interview telefonisch geführt am 24.01.2018. Interview mit einem Mitarbeiter eines Grafikbüros. Interview telefonisch geführt am 25.01.2018. Interview mit einem Mitarbeiter eines Grafikbüros. Interview telefonisch geführt am 24.01.2018.

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

aber auch darum, die Gemeinde schmackhaft zu machen“). Ein kommunaler Mitarbeiter (K173), dessen Kommune sich nicht direkt in einer touristischen Region befindet, gab darüber hinaus an, dass es auch das Ziel des Internetauftritts seiner Kommune sei, „die Gemeinde nicht nur im Sonntagsgewand“ darzustellen, „es soll schon so sein, wie es auch im Alltag ist“. Das bedeutet, es soll durch die Internetseite ein möglichst vielfältiger Eindruck der Kommune entstehen. Seine Kommune gab dem zuständigen Grafikbüro explizit den Auftrag, möglichst alle Bereiche der Gemeinde abzudecken, nicht nur die besonders attraktiven. Trotzdem gab er an, dass die Besonderheiten der Kommune natürlich abgebildet werden müssen. Was genau in einer Kommune als attraktiv bezeichnet wird, ist zwar in manchen Fällen unumstritten (in einer Kommune ist beispielsweise ein Wasserschloss mit Parkanlage vorhanden, hier wird die Attraktivität der Anlagen beispielsweise nicht hinterfragt). Jedoch gibt es durchaus Unterschiede: K274 gibt an, dass die Bildauswahl alleine dem Geschmack des derzeitigen Bürgermeisters unterliegt und verweist dadurch auf die Subjektivität der Ästhetik bzw. auf die individuelle ästhetische Konstruktion. Auch G1 betont, dass es das allgemein als Schön bezeichnete nicht gibt: „Jeder denkt anders und hat andere Vorlieben“. Daher kann es laut seiner Erfahrung auch vorkommen, dass es gewünscht ist, ein Gewerbegebiet auf der Startseite darzustellen. Häufig genannte Motive sind laut den Aussagen der befragten Personen beispielsweise kulturelle Objekte, architektonische Besonderheiten, Sportmöglichkeiten, Parks, Kirchen oder einzelne Ortsteile neben dem sogenannten Hauptort. Unterschiede gibt es dahingehend, welche Räume hauptsächlich abgebildet werden. Während K2 angibt, dass in ihrem Fall vorwiegend der unbebaute Raum („die Landschaft“) und weniger der bebaute Raum („das Dorf“) abgebildet ist, gibt G2 an, dass häufiger der bebaute Raum und nicht der unbebaute Raum im Fokus der Internetseite steht. Das liegt daran, dass es immer darauf ankommt, welcher dieser Räume mehr „Alleinstellungsmerkmale“ aufweist. In Bezug auf die Perspektive der Aufnahmen wurde in zwei Interviews (mit G1 und G2) darauf verwiesen, dass viele Gemeinden eine Aufnahme von oben bevorzugen, entweder Luftaufnahmen oder den Blick von

73 74

Interview mit einem Mitarbeiter einer Kommunalverwaltung. Interview telefonisch geführt am 24.01.2018. K steht für Kommunalverwaltung und die Ziffer 1 für die chronologische Reihenfolge der geführten Interviews. Interview mit einem Mitarbeiter einer Kommunalverwaltung. Interview telefonisch geführt am 25.01.2018.

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

227

einem naheliegenden Berg. Die befragten Personen begründen es damit, dass die Betrachtenden somit einen Eindruck von der Größe der Kommune gewinnen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es auch in dieser Untersuchung der Internetseiten der Kommunen um einen Werbeeffekt geht, auch wenn dieser neben der ebenfalls sehr bedeutenden Informationsabsicht für Bürgerinnen und Bürger sowie für interessierte Personen steht. Dargestellt werden sollen möglichst Räume und physische Objekte, die von einem Großteil der Bevölkerung, potentieller zukünftiger Bevölkerung sowie von Touristinnen und Touristen als ästhetisch positiv bezeichnet werden. Ausschlaggebend für die Qualität der Aufnahmen und damit auch der Internetseiten ist jedoch die finanzielle Bereitschaft der Kommunen. 5.2.4 Der Inhalt der Bilder in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen: Als stereotyp, aber auch als störend bezeichnete physische Elemente und wenige intensive Farben Für die Inhaltsanalyse der abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen wurden die Bilder auf die Begriffe hin untersucht, die in Kapitel 4.4.1.2 erläutert wurden. BILDERSUCHE IN DEN INTERNETAUFTRITTEN NIEDERBAYERISCHER KOMMUNEN SUCHE BESCHRÄNKT SICH AUF: ABGEBILDETE LANDSCHAFTSKONSTRUKTE (IM ERWEITERTEN SINNE) AUF DEN STARSEITEN NIEDERBAYERISCHER KOMMUNEN

ZEITRAHMEN DER BILDERSUCHE: 15.08. BIS 01.11.2017 DETAILLIERTE ANALYSE DER BILDER DER STARTSEITE VON 247 INTERNETAUFTRITTEN; N = 247

In dieser Untersuchung ist festzustellen, dass weitaus weniger Abbildungen zu erkennen sind, die romantisierten und idyllischen Landschaftskonstrukten zuzuordnen sind. Das liegt u. a. daran, dass deutlich mehr als störend bezeichnete Elemente auf den Bildern zu sehen sind und auch die Farbwirkung häufig weit weniger intensiv erscheint. Der quantitative Teil misst zunächst, wie bei der Internet-Bildersuche, nur die Anzahl der vorkommenden physischen Objekte und die vorkommenden Farben. Die qualitative Auswertung der Bildinhalte erfolgt unmittelbar im Anschluss an die quantitative Zählung und bezieht sich hauptsächlich auf die Bildwirkung. Tabelle 12 zeigt zunächst die Zählung der in den

228

Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

untersuchten Bildern dargestellten physischen Elemente, die von der Gesellschaft überwiegend als positiv bezeichnet werden. Tabelle 12: Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp positiv bezeichnet werden (eigene Zusammenstellung, abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; Kühne et al. 2013; 2017; Linke 2018; Micheel 2012. Sortiert nach absteigender Häufigkeit). Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als stereotyp positiv bezeichnet werden

Vorkommen in Prozent

Sonne (direkt oder indirekt in Form von Sonnenstrahlen bzw. Schattenwurf)

93,1%

Einzelne Bäume oder Sträucher

91,1%

Himmel

84,6%

Wald oder Gruppe großer Bäume

84,2%

Wiese

75,7%

Wolken

71,3%

Dorf

49,0%

Kirche

46,6%

Landwirtschaftliche Nutzung / Ackerfläche

44,5%

(Gebirge,) Berge oder Hügel

43,7%

Bauernhof / einzelnes (bedeutendes) Gebäude

34,8%

Stauden- oder Blumenbeete

18,6%

Wasser in Form von Bächen, Flüssen, Seen oder Meer

18,6%

Feldwege, wassergebundene Wegedecke

11,3%

Landwirtschaftliche Nutzung / Viehwirtschaft

2,8%

Die am häufigsten auftretenden Elemente der abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen in Tabelle 12 unterscheiden sich in einem geringen Ausmaß von der Internet-Bildersuche. Am häufigsten sind die Motive Sonne (93,1 %) und einzelne Bäume oder Sträucher (91,1 %) zu erkennen. Der Himmel ist auf 84,6 % der Bilder auf den Internetauftritten zu sehen. Die meisten anderen Bilder ohne Darstellung des Himmels sind Luftaufnahmen oder Detailaufnahmen von beispielsweise Gebäuden. Wald oder eine Gruppe großer Bäume sind auf 84,2 % der Internetauftritte, Wiese auf

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

229

75,7 % zu sehen. Wolken werden auf 71,3 % der Internetauftritte dargestellt. Stark unterscheidet sich in den beiden Untersuchungen die Darstellung der Agglomerationsräume bzw. -strukturen. Während die Internet-Bildersuche auf nur 6,0 % der Bilder als Dorf bezeichnete Strukturen zeigt, sind es in dieser Untersuchung 49,0 %. Auch die Darstellung von Bauernhöfen bzw. einzelner Gebäude und die Darstellung einer Kirche ist deutlich geringer: Während die InternetBildersuche nur auf 1,0 % der Bilder eine Kirche und auf 18 % der Bilder einen einzelnen Bauernhof bzw. ein einzelnes Gebäude zeigt, zeigen die abgebildeten Landschaftskonstrukte der Internetauftritte niederbayerischer Kommunen auf 46,6 % der Startseiten eine Kirche und auf 34,8 % der Startseiten einzelne Bauernhöfe bzw. einzelne Gebäude. Die Erklärung hierfür ist darin zu suchen, dass die Internetauftritte der Kommunen, die ja auch Agglomerationsräume sind, sich zum Großteil auch selber repräsentieren und daher auch nicht nur die sie umgebenden Landschaftskonstrukte abbilden, sondern auch die bebaute Agglomeration selber. Ebenfalls ein deutlich seltener abgebildetes Motiv ist die Kategorie Berge oder Hügel mit 43,7 %. Im Vergleich dazu lag dieser Wert bei der InternetBildersuche bei 63,0 %. Für diesen geringeren Wert kann die Erklärung der physisch-geographischen Gegebenheiten herangezogen werden. Der als Niederbayern bezeichnete physische Raum beinhaltet keine Gebirge. Viele Regionen werden von der Bevölkerung maximal als Hügelland bezeichnet, das sagt aus, dass diesen Regionen auch keine Berge zugeschrieben werden. Die landwirtschaftlichen Ackerflächen sind auf 44,5 % der Startseiten zu sehen, landwirtschaftliche Weideflächen bzw. viehwirtschaftliche Nutzung dahingegen nur auf 2,8 %. Aufgrund der hohen Darstellung von Agglomerationsstrukturen lassen sich auch die künstlich angelegte Stauden- oder Blumenbeete im Agglomerationsgebiet erklären, die auf 18,6 % der Startseiten zu sehen sind. Ebenfalls auf fast einem Fünftel der Startseiten ist Wasser in Form von Bächen, Flüssen oder Seen (18,6 %) zu erkennen. Feldwege bzw. wassergebundene Wegedecken sind auf 11,3 % der Startseiten abgebildet. Der Bildaufbau dieser Bildersuche ist nicht einheitlich zu beschreiben. Der Bildhintergrund ist häufig ein sonniger, blauer Himmel, in den meisten Fällen mit Wolken. Aber schon der Bildmittelgrund und vor allem der Bildvordergrund unterscheiden sich deutlich voneinander. So kann der Bildvordergrund beispielsweise ein einzelnes Gebäude (Rathaus), einen See oder auch eine Wiese mit Sträuchern sein. Auch der Bildmittelgrund unterscheidet sich stark je nach Kom-

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

mune: Hier können eine ganze Agglomeration, Wald oder auch landwirtschaftliche Ackerfläche dargestellt sein. Somit ist der Bildaufbau sehr heterogen und kann keiner übergeordneten ästhetischen Kategorie zugeordnet werden. Einige wenige Abbildungen verweisen auf die ästhetische Kategorie der Erhabenheit (weite als Landschaft bezeichnete physische Räume), deutlich mehr auf die ästhetische Kategorie der Schönheit, der Pittoreskheit (weiche als Hügellandschaften bezeichnete physische Räume, idyllische Seen, Blumenwiesen) oder sogar des Kitsches (beispielsweise Trachtenumzüge oder mit bunten Blumenkästen verzierte Fassaden; siehe Gelfert 2000, 44). Diese ästhetischen Kategorien werden jedoch weniger deutlich hervorgehoben wie in der vorhergehenden Suche, was durch die fehlende Alleinstellung dieser Motive bzw. physischen Elemente zu erkennen ist oder auch im Zuge der wenigen intensiven Farbwirkung der Abbildungen. Auffallend ist ebenfalls, dass die Bilder auf den Startseiten der Kommune sehr häufig als deutlich von Menschenhand beeinflusste Räume zu erkennen sind. Es gibt kaum Bilder, die den Betrachtenden suggerieren sollen, dass diese Raumkonstruktionen als natürlich bezeichnet werden sollen bzw. von Menschenhand unberührt sind. Der direkte und unmittelbare menschliche Einfluss ist auf sehr vielen der abgebildeten Raumkonstruktionen deutlich zu erkennen. Eine wichtige Rolle spielt hier die Landwirtschaft, die auf mehr als der Hälfte der Startseiten zu sehen ist. Die abgebildeten Objekte stehen demnach in enger Beziehung mit einem von Menschen bewohnten Raum. Der Mensch und seine Handlungen sind in dieser Suche ein Teil der Landschaftskonstrukte. Sie werden nicht ausgeklammert, sondern häufig sogar hervorgehoben. Jedoch lässt sich auch hier feststellen, dass die Landwirtschaft auf den Abbildungen nicht durch Massentierhaltung oder stark mechanisierte Landwirtschaft geprägt ist. Auch hier scheinen die Kommunen bemüht zu sein, eine moderat technisierte Form der Agrarwirtschaft zu zeigen. Die Stimmung auf den Bildern kann grundsätzlich nicht einheitlich beschrieben werden. Weder Harmonie noch Ruhe ist eine Zuschreibung, die auf eine deutliche Mehrheit der Bilder zutrifft. Häufig kann den Bildern eine neutrale bis positive Stimmung zugeschrieben werden, die jedoch bei den Betrachtenden keine übermäßigen Gefühlsregungen hervorrufen. Geräuschquellen, die im Zuge der Internet-Bildersuche als störend dargestellt wurden, sind in dieser Bildersuche häufiger zu beobachten. Die Geräusche werden auf den Bildern jedoch relativiert. Wie bereits erwähnt, ist der Mensch bzw. die Agglomeration hier durchaus Teil der Landschaftskonstrukte – somit sind es auch die Geräusche, die

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Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

dadurch entstehen. Obwohl hier Geräuschquellen vorhanden sind, können diese nicht grundsätzlich als störend bezeichnet werden. Die folgende Tabelle 13 geht nun auf die Elemente genauer ein, die im Zuge der methodischen Überlegungen überwiegend als störend bezeichnet werden, und analysiert diese. Tabelle 13: Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als nicht stereotyp bis störend bezeichnet werden (eigene Zusammenstellung, abgeleitet von Hokema 2013; Kook 2009; Kühne 2006b; 2017; Kühne et al. 2013; Linke 2018; Micheel 2012. Sortiert nach absteigender Häufigkeit. Die spezielle Ortskategorie Markt wurde bereits in Kapitel 4.2.3.1erläutert). Dargestellte physische Elemente, die überwiegend als störend bezeichnet werden Asphaltierte Straße Auto / Verkehr Kleinstadt / Markt Einzelne Personen Gruppen von Personen Industriebetrieb Strommasten Neubaugebiet Regenschauer Windrad Autobahn Hochhaus Großstadt

Vorkommen in Prozent 56,7% 27,1% 20,2% 18,2% 14,6% 12,1% 5,7% 2,0% 1,2% 0,4% 0,4% 0,4% 0,0%

Hier in Tabelle 13 ist der Unterschied zu vorhergehenden Suche der Suchmaschinen-Bildersuche deutlich größer. Sind in der Internetsuche kaum physische Elemente vorhanden, die überwiegend als störend bezeichnet werden, sind es in dieser Untersuchung deutlich mehr. Das am häufigsten gezeigte physische Element, dass von der durchschnittlichen Bevölkerung nicht als stereotyp für den Begriff Landschaft angesehen wird, sind – wie auch in der vorhergehenden Untersuchung – asphaltierte Straßen. Jedoch ist dieses Motiv deutlich häufiger zu sehen, und zwar auf 56,7 % der Startseiten im Gegensatz zu 6,0 % der Bilder der Internet-Bildersuche. Auch Fahrzeuge bzw. allgemein Verkehr sind auf 27,1 % der Startseiten zu sehen, jedoch nur eine Autobahn (0,4 %).

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Auch wenn der Übergang zwischen einer als Dorf bezeichneten und einer als Markt oder Stadt bezeichneten Struktur fließend ist und aus konstruktivistischer Perspektive kaum voneinander abgegrenzt werden kann, werden sogenannte Märkte und Städte in diese Kategorie aufgenommen. Der Autorin ist jedoch bewusst, dass diese Kategorie eine besondere Stellung einnimmt. Die Unterscheidung zwischen Dorf und Stadt/Markt wurde aufgrund der amtlichen Bezeichnung der zu untersuchten Agglomerationen getroffen. Sogenannte Kleinstädte bzw. Märkte sind auf 20,2 % der Startseiten abgebildet. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass diese Motive in Verbindung mit dem Internetauftritt der einzelnen Gemeinde-, Markt bzw. Stadtverwaltung nicht zwingend als störend bezeichnet werden müssen. Es kann hier durchaus einen positiven bzw. repräsentativen Charakter besitzen, die aufgerufene Agglomeration, über die informiert werden soll, auch auf der Startseite sehen zu können. Es geht in dieser Arbeit jedoch um die nicht-stereotype Darstellung von einem als Landschaft bezeichneten physischen Raum, danach richtet sich die Zuordnung. Eine Großstadt im Sinne eines sehr stark verdichteten Raumes (Merkmale in diesem Kontext: viele Hochhäuser, sehr hohe städtebauliche Dichte) ist auf keiner der Startseiten zu erkennen. Auf gut einem Drittel der Internetauftritte sind Personen abgebildet: Einzelne Personen auf 18,2 % und Gruppen von Personen auf 14,6 % der Startseiten. Industrie- bzw. größere Gewerbebetriebe oder –anlagen sind auf 12,1 % der Startseiten zu erkennen, Strommasten auf 5,7 % und Neubaugebiete auf 2,0 %. Auf insgesamt drei Startseiten ist der Himmel auf den abgebildeten Landschaftskonstrukten stark bewölkt oder regnerisch (1,2 %). Sehr selten bzw. jeweils auf nur einem Bild der Startseite abgebildet sind ein Hochhaus und auch nur ein Windrad (jeweils 0,4 %). Es kann davon ausgegangen werden, dass die als störend bezeichneten Elemente wie z. B. Windräder, Industrie- und Gewerbebetriebe oder Neubaugebiete in mehr Agglomerationen vorhanden sind, als in der Bildersuche gezählt wurden. Daraus lässt sich folgern, dass diese Elemente bewusst nicht auf der Startseite gezeigt werden, da ihnen keine positive Ästhetik zugeschrieben wird. Trotz dieser Annahme ist auch hier eine genauere Betrachtung der restlichen als störend bezeichneten Elemente notwendig. Die Konstruktion Landschaft ist in dieser Suche, wie bereits erwähnt, eng mit dem Menschen und der Agglomeration verbunden. Aus diesem Grund treten die als störend bezeichneten Elemente in dieser Suche weniger in den Vordergrund bzw. fallen häufig nicht negativ auf, denn der Mensch und dadurch auch der menschliche Einfluss ist Teil

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Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

der Landschaftskonstrukte. Die häufigsten Elemente, die hier gezählt wurden, sind Personen, Agglomerationen und die verkehrliche Infrastruktur mit dem dazugehörigen Verkehr. Werden einzelne Gebäude sowie auch ganze Gebäudegruppen (wie z. B. bei einer Agglomeration) gemeinsam betrachtet, lässt sich feststellen, dass auf 83,4 % der Startseiten Gebäude zu sehen sind. Diese Elemente sind typisch für Agglomerationsräume und müssen daher anders bewertet werden als in der Bildersuche der Internetsuchmaschine Google. Sie wirken weitaus weniger störend, als wenn diese Elemente in der Internetsuche auftauchen würden. Aber es lässt sich feststellen, dass diese Elemente – anders als in der vorhergehenden Suche – häufig nicht positiv ästhetisiert dargestellt werden. Sie scheinen fester Bestandteil der Landschaftskonstrukte zu sein, und es wird von den Senderinnen und Sendern häufig keine Notwendigkeit gesehen, diese Elemente in einer positiv ästhetisierten Form darzustellen. Auch wenn die Kommunen bzw. Verwaltungen mit den Bildern ihrer umgebenden Räume Werbeabsichten haben, wirken diese weitaus weniger kommerzialisiert. Das bedeutet, die Bilder werden nicht künstlich positiv ästhetisiert. Auch die untersuchte Bild- und Farbwirkung bestätigt diese Aussagen. Zunächst werden die vorkommenden Farben untersucht. Tabelle 14: Farben (eigene Zusammenstellung. Sortiert nach absteigender Häufigkeit). Farben

Vorkommen in Prozent

Farbe Grün

91,5%

Farbe Blau

83,4%

Farbe Weiß

50,6%

Farbe Braun

44,1%

Farbe Grau

32,4%

Farbe Gelb

23,5%

Farbe Rot

7,7%

Farbe Orange

3,6%

Farbe Schwarz

3,2%

Tabelle 14 zeigt die verschiedenen Farbbereiche der abgebildeten Landschaftskonstrukte. Sie sind wie auch in der Internet-Bildersuche deutlich durch die Farbspektren Blau und Grün geprägt. Auch hier kann die Farbe Blau mit 83,4 % zum

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

einen den Himmel, zum anderen aber auch Wasser darstellen. Die Farbe der Vegetation, Grün, ist sogar auf 91,5 % der Startseiten zu erkennen. Ähnlich wie in der vorgehenden Untersuchung ist die Farbe Weiß auf über der Hälfte der untersuchten Seiten abgebildet (50,6 %). Meistens ist Weiß die Farbe von Wolken, aber auch von Blüten. Auch sind häufig die Hausfassaden in weißer Farbe gehalten. Allerdings wurden die Farben der Fassaden und Dächer von Gebäuden, die auf 83,4 % der Startseiten vorkommen, nicht mitgezählt, wie in Kapitel 4.4.1.2 bereits dargestellt wurde. Das Spektrum um die Farbe Braun ist auf 44,1 % der Startseiten zu erkennen. Braun ist häufig die Farbe der Vegetation, vor allem der herbstlichen Vegetation, aber auch die Farbe des Holzes und des Bodens. Die Farbe Braun wird auch hier im erweiterten Sinne zu dem Farbspektrum Gelb/Orange/Rot gezählt. Dieses Farbspektrum der eben genannten Gelb-, Orange- und Rottöne ist in dieser Untersuchung weniger häufig Bestandteil der Bilder. Während die Farbe Gelb (34,0 %), Orange (26,0 %) und Rot (25,0 %) immer in mindestens einem Viertel der Bilder vertreten waren, ist dies in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen weniger oft der Fall: Gelb ist auf 23,5 % der Startseite vertreten (meist in Form der Sonne oder von Getreidefeldern), Orange auf 3,6 % und Rot auf 7,7 %. Die beiden anderen achromatischen (unbunten) Farben Grau und Schwarz sind unterschiedlich stark vertreten: Grau ist zu gut einem Drittel in den Startseiten abgebildet (32,4 %), z. B. bei Wolken oder Nebelfeldern. Auch hier sei erneut auf die schwierige Interpretation der Farbe Grau hingewiesen. Die Wirkung hängt stark von der Intensität bzw. Farbstärke ab, die je nach Bild unterschiedlich zu werten ist. Der Farbton kann, wie bereits erwähnt, von fast weiß bis hin zu fast schwarz tendieren und lässt somit meist keine eindeutigen Aussagen über eine ästhetisch positive oder negative Zuschreibung zu. Die Farbe Schwarz ist nur auf 3,2 % der Bilder auf den Startseiten zu erkennen (im Gegensatz zu 19,0 % der vorgehenden Untersuchung). Die dominierenden Farben der untersuchten Startseiten sind, abgesehen von den Farben der Gebäude, ebenfalls Grün und Blau. Wie bereits erwähnt, werden diese Farbspektren den kühlen Farben zugeschrieben (vgl. Welsch/Liebmann 2012). Nur sehr selten hat die Farbe Grün einen künstlich erhöhten Gelbanteil, der dadurch einen warmen Farbtoneindruck zulässt. Die kontrastierenden warmen Farben Gelb/Orange/Rot kommen weitaus seltener vor (Gelb: 23,5 %, Orange: 3,6 %, Rot: 7,7 %). Der in der Internet-Bildersuche bereits angesprochene Kalt-Warm-Kontrast ist demnach weniger häufig zu sehen, und somit ist

Das Ausklammern der als hässlich bezeichneten physischen Räume

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hier auch die bewusste Inszenierung der sogenannten „zweipoligen Erscheinungen und Empfindungen, wie sonnig – schattig, fern – nah, feucht – trocken“ (Welsch/Liebmann 2012, 38) nur selten vorhanden. Alle Bilder der Suche beziehen ihre Farben aus dem oben genannten Farbspektrum. Kein Bild zeigt für ein Landschaftskonstrukt als unnatürlich bezeichnete Farben. Diese möglichst realistisch bezeichnete Darstellung lässt sich auch im nächsten Untersuchungsschritt feststellen. Auch die Bild- bzw. Farbwirkung scheint eher einer sogenannten naturnahen Darstellung zu entsprechen, wie Tabelle 15 zeigt. Tabelle 15: Bild- und Farbwirkung (eigene Zusammenstellung auf Grundlage von Camgöz et al. 2002, Felser 2015, Gorn et al. 1997 und Jung et al. 1992. Sortiert nach Kategorien). Bild- bzw. Farbwirkung Kategorie 1: Stark auffällige Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Stark künstlich erhöhte Farbsättigung, nachträglich hinzugefügte Lichtquelle, stark auffällige Veränderung der Farben. Davon als unnatürlich bezeichnete Bild- bzw. Farbbearbeitung Beispiele: Überaus grelle Farben, die für gewöhnlich nicht den Farben von Landschaftskonstruktionen zugeschrieben werden.

Vorkommen in Prozent

14,2%

0,0%

Kategorie 2: Auffällige Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Künstlich erhöhte Farbsättigung, nachträglich hinzugefügte Lichtquelle, Veränderung der Farben.

40,0%

Kategorie 3: Unauffällige bis nicht vorhandene Bild- bzw. Farbbearbeitung. Beispielhafte Merkmale: Keine künstlich erhöhte Farbsättigung, keine nachträglich hinzugefügte Lichtquelle oder Veränderungen der Farben.

42,5%

Kategorie 4: Nicht vorhandene Bild- bzw. Farbbearbeitung sowie schlechte Bild- bzw. Farbqualität. Beispielhafte Merkmale: Keine künstlich erhöhte Farbsättigung, schlechte Bildauflösung, blasse Farben.

3,3%

Tabelle 15 zeigt die Bild- bzw. Farbwirkung der untersuchten Bilder der Internetauftritte niederbayerischer Kommunen. Auch hier kann, wie in Kapitel 4.4.1.2 geschildert, nur eine Bildoptimierung bzw. eine Bildbearbeitung untersucht werden, die auch vom menschlichen Auge wahrgenommen werden kann. Wie auch bei der Internet-Bildersuche ist das hauptsächlich anhand der farblichen Überar-

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beitungen zu erkennen. Die Einordnung in die einzelnen Stufen der Bildbearbeitung wurde auch hier durch den Vergleich der Bilder untereinander vorgenommen. Deutlich ist der Unterschied zur vorgehenden Untersuchung zu erkennen. Die Anzahl der auffällig überarbeiteten Bilder ist deutlich geringer. Nur 13,8 % der Startseiten der Internetauftritte stellen Bilder dar, die auffällig überarbeitet sind, gar keine Bilder weisen eine Überarbeitung auf, die als unnatürlich bezeichnet werden kann. Die starke Überarbeitung ist überwiegend an der stark künstlich erhöhten Farbsättigung zu erkennen. Jedoch ist keines dieser Bilder so auffällig überarbeitet, dass es als unnatürlich bezeichnet werden kann (beispielsweise durch ungewöhnliche Farben wie etwas Lila oder Rosa oder durch extrem erhöhte Farbsättigung). 38,9 % zeigen ebenfalls eine Bild- bzw. Farbbearbeitung, die jedoch weitaus unauffälliger ist. Das lässt sich daran erkennen, dass die Bilder im Vergleich zu den anderen Bildern eine erhöhte Farbsättigung aufweisen, jedoch weniger auffällig als die vorgehende Kategorie. 41,3 % der Startseiten der Internetauftritte zeigen im direkten Vergleich zu den anderen Bildern keine bzw. eine nicht sichtbare Bild- bzw. Farbbearbeitung. Diese Bilder wirken zwar trotzdem farbig bzw. bunt, aber es wurde nicht ersichtlich mit speziellen Kameraeinstellungen oder nachträglichen Bildbearbeitungsprogrammen nachgeholfen. Insgesamt 3,2 % der Bilder der Startseiten fallen in die vierte Kategorie, diese Bilder wurden weder optimiert noch bearbeitet, wirken zudem blass, unbunt oder eintönig oder sie weisen eine schlechte Bildqualität auf. 5.2.5 Die Interpretation und ästhetische Feinanalyse der Bilder in den Internetauftritten niederbayerischer Kommunen Wie auch in der vorhergehenden Untersuchung wird hier anschließend an die Inhaltsanalyse die qualitative Bildinterpretation und die ästhetische Feinanalyse durchgeführt. Dieselben Fragen werden nun nacheinander für die abgebildeten Landschaftskonstrukte in den Internetauftritten niederbayerischer Kommen gestellt und einzeln beantwortet. Welche als Landschaft bezeichneten physischen Räume werden konstruiert? Es werden selten Bilder von Landschaftskonstrukten gezeigt, die durch die Bildbearbeitung stark idealisiert sind. Die Bilder nähern sich vielmehr der vorgefundenen Raumkonstruktionen an. Das bedeutet, dass die Räume abgebildet werden,

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die in der Umgebung der jeweiligen Kommune vorzufinden sind. Hier sei auf Harper verwiesen, der trotz der Tatsache, dass vorgefundene Räume abgebildet werden, das Bild immer eher eine „subjektiv gefärbte Repräsentation“ beschreibt und nicht als objektives Dokument gelten kann (Harper 2008, 406; siehe auch Kapitel 3.8). Meist sind es Räume oder Raumausschnitte, die besonders prägend für die Kommune sind oder einen hohen Wiedererkennungswert besitzen. Diese Abbildungen können in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Zunächst gibt es die Kategorie der Bilder, die bebaute Räume, also einen als Landschaft bezeichneten physischen Raum in erweitertem Verständnis, abbilden. Das kann z. B. ein sogenannter Dorf- oder Marktplatz sein, ein Luftbild von oben oder auch nur ein einzelnes Gebäude, häufig das Verwaltungszentrum der Kommune, das Rathaus, oder eine Kirche, wie es bei fast der Hälfte der Bilder der Fall ist. Die andere Kategorie der Bilder zeigt Ausschnitte der umgebenden unbebauten Räume, in denen häufig die Vegetation im Vordergrund steht. Das sind z. B. (zum Teil hügelige) Wald- und Wiesenräume, landwirtschaftliche Ackerflächen oder auch Gewässer. Liegt eine Kommune innerhalb oder in der Nähe eines Schutzgebietes, wie z. B. der Nationalpark Bayerischer Wald, dann wird in allen Fällen dieses Motiv (alleine oder zusätzlich zu anderen Motiven) gewählt. Gibt es besondere Freizeitanlagen, sind diese oft Gegenstand der abgebildeten Räume, beispielsweise Naturschwimmbäder, Wildgehege oder Thermen. In den meisten Fällen werden demnach die Raumausschnitte, die als besonders positiv von der Bevölkerung bezeichnet werden, auf den Startseiten des Internetauftrittes dargestellt. Das geschieht in der Hoffnung, einen möglichst positiven Eindruck zu hinterlassen und positive Aufmerksamkeit zu erzeugen. Denn auch ein Internetauftritt einer Kommune hat einen (wenn auch indirekten) Werbeauftrag (siehe Kapitel 5.2.2). Auch wenn die abgebildeten Räume häufig der vorgefundenen Raumkonstruktionen entsprechen, werden trotzdem häufig als störend bezeichnete Elemente ausgeblendet. Industrie- und Gewerbegebiete werden nur auf gut einem Zehntel der Startseiten abgebildet, Neubaugebiete sogar nur auf einem Bruchteil der Bilder (2,0 %), obwohl fast jede Kommune mindestens eines der beiden Motive in ihrem Kommunalgebiet besitzt. Diese typisch postmodernen räumlichen Entwicklungen von Siedlungsgebieten (z. B. ebenso der Supermarkt am Ortsrand, siehe Kapitel 3.1.3) fehlen meist auf den Bildern. Auch Windräder oder Photovoltaikanlagen sind bis auf eine Ausnahme (Windräder im Hintergrund)

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nicht auf den Abbildungen zu sehen. Es geht also nicht darum, einen als besonders idealisierten Raum darzustellen, sondern darum, einen möglichst als positiv bezeichneten physischen Raumausschnitt auszuwählen, der sich im eigenen Kommunalgebiet befindet. Es lässt sich demnach feststellen, dass die Abbildungen der Landschaftskonstrukte der Internetauftritte niederbayerischer Kommunen weitaus weniger stereotyp sind als die konstruierten Landschaften der Internet-Bildersuche. Trotzdem wird versucht, die vorgefundenen Raumkonstruktionen als besonders positiv erscheinen zu lassen – indem als störend bezeichnete Elemente möglichst nicht dargestellt werden. Auch hier gilt zusammenfassend, dass die Bilder der Landschaftskonstrukte hauptsächlich Altbekanntes und zum Teil durchaus auch stereotypisierte physische Elemente zeigen: als Dorf bezeichnete Agglomerationen, Kirchen und Landwirtschaft. Neue Landschaftskonstrukte in Form von sogenannten Energielandschaften oder auch aktuelle Entwicklungen von Agglomerationen, wie z. B. großflächige Gewerbegebiete mit Einkaufszentren am Agglomerationsrand, Neubaugebiete oder leerstehende Agglomerationskerne, werden ausgeblendet. Auch hier werden die ästhetischen über andere Wertzuschreibungen (z. B. moralische Werte bzw. umweltethische Aspekte der sogenannten Energielandschaften, siehe Kapitel 3.4.3) gestellt. Wie werden Landschaftskonstrukte ästhetisch konstruiert? Die wesentlichen Merkmale, die in dieser Arbeit für die ästhetische Konstruktion der als Landschaft bezeichneten physischen Räume betrachtet werden, sind die dargestellten physischen Elemente und die Farbwirkungen der Darstellungen. Die dargestellten physischen Elemente bedienen sich meist der in der Umgebung vorhandenen Elemente. Jedoch werden die Elemente zur Darstellung ausgewählt, die von der Bevölkerung meist eine positive Zuschreibung bzw. eine positive Symbolwirkung erhalten: intakte als Dorf bezeichnete Agglomerationen, zum Teil mit historischen Gebäuden oder alten, geschmückten Bauernhäusern; Kirchen als Symbol für eine christliche, wertorientierte Gemeinschaft, eine intakte Landwirtschaft und intakte als Landschaft bezeichnete physische Räume, die vielseitig strukturiert sind. Diese zum Teil historischen Motive, „die sich auf vergangene Zustände der physisch-materiellen Umwelt beziehen“ (Gailing 2013b, 229) und ihre positiven Symbolwirkungen sind auf der gesellschaftlichen Ebene ein Zeichen für ein postmodernes Ideensystem. Auf der ästhetischen

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Ebene sind sie Zeichen für deutlich positive Empfindungen. So stellte bereits Gailing fest: „Kollektive regionale Raumbilder tendieren zu einer Stilisierung regionaler Traditionen von beträchtlicher historischer Tiefe. Sie gewährleisten Erfahrungen von Sicherheit, Verlässlichkeit und Konstanz“ (2013b, 229). Diese stilisierten Elemente werden häufig der Kategorie der Schönheit zugeschrieben. Als erhaben bezeichnete Elemente finden sich seltener in den abgebildeten Landschaftskonstrukten, was aber auch mit der vorgefundenen Umgebung zu tun hat. Im Regierungsbezirk Niederbayern gibt es keine Gebirge, nur selten steile Klippen, nur wenige große Seen und kein Meer. Was aber häufig abgebildet wird, sind alte Bäume, große Waldflächen und weite Feldfluren. Hinsichtlich der Kategorie des Kitsches und des Romantischen sind Elemente zu erkennen, die hauptsächlich auch in der Kategorie der Schönheit vorkommen, jedoch zum Teil überzeichnet dargestellt sind und nicht das alltägliche Bild der Kommune darstellen: mit Blumen geschmückte alte Gebäude oder Bauernhäuser, historische Festumzüge und üppig blühende Staudenbeete oder Obstbäume (vgl. Gelfert 2000). Zwei ästhetische Motive der dargestellten Landschaftskonstrukte lassen sich aufzeigen: zum einen große, weite Räume, die häufig durch eine Luftaufnahme dargestellt sind, und zum anderen die Idylle als Sonderform eines als romantische Landschaft bezeichneten physischen Raumes: überschaubare Räume, die – wie Bärbel Kühne sagt – als Symbol für Geborgenheit und Sicherheit stehen und „eine eigene, kleine, heile Welt“ darstellen (2002, 127). Darüber hinaus stehen Idyllen auch für die zeitliche und räumliche Unveränderlichkeit (B. Kühne 2002, 128). Stark romantisierte bzw. stark gefühlsbetonte Darstellungen, wie z. B. Sonnenuntergänge oder Regenbögen, sind in dieser Suche kaum vorhanden. Auch die Farbwirkung bzw. die Farbintensitäten der Darstellungen sind dezenter als in der vorhergehenden Suche. Eine überzeichnete und auffällige Farbsättigung wie auch eine deutliche Bildbearbeitung ist nur auf knapp 14,0 % der Startseiten zu erkennen. Damit sind als die als kitschig oder als romantisch bezeichneten Bilder häufiger durch die Auswahl der physischen Elemente geprägt als durch eine überzeichnete Farbsättigung. Die Farben der dargestellten Landschaftskonstrukte wirken weitaus weniger intensiv und strahlend als die Bilder der Internet-Suche. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Bilder zwingend als negativ wahrgenommen werden müssen. Auch wenn die dargestellten Farben der Bilder weniger auffällig gesättigt sind, sind sie trotzdem häufig überarbeitet und wirken farbig und bunt. Dazu trägt auch die Sonneneinstrah-

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lung bei, die auf über 90,0 % der Startseiten vorhanden ist. Die Sonneneinstrahlung ist zwar ein natürliches Phänomen, jedoch kann der Zeitpunkt der Aufnahme je nach Wetter gewählt werden. Ein stark bewölkter Himmel bzw. ein Bild, auf dem Regen zu erkennen ist, ist nur auf drei von 247 Startseiten zu erkennen. Somit trägt das Wetter zur Ästhetisierung des Bildes bei. Eine nachträgliche Lichtquelle ist jedoch kaum zu erkennen. Als hässlich oder anästhetisch bezeichnete Elemente sind deutlich häufiger als in der vorhergehenden Untersuchung zu sehen. Allerdings müssen diese auch hier unter anderen Gesichtspunkten betrachtet werden. Auf gut 20,0 % der Startseiten sind verdichtete Agglomerationen zu sehen, die aber in dem Kontext nicht zwingend als hässlich bzw. störend zu bezeichnen sind, wie schon in Kapitel 5.2.4 erläutert wurde. Auch asphaltierte Straßen (auf über der Hälfte der Startseiten) oder Autos bzw. allgemein der Verkehr (auf knapp einem Drittel der Startseiten) werden im Allgemeinen in Bezug auf das Thema Landschaft eher als störend bezeichnet, aber in dem Zusammenhang der dargestellten Kommunen wirken sie zugehörig und scheinen nicht weiter zu stören. Die für gewöhnlich als störend bezeichneten Elemente wirken in diesem Kontext eher als anästhetisch, also sie lösen als einzelne Elemente an sich kaum eine ästhetische Empfindung aus. Erst in der Zusammenschau ergibt sich die ästhetische Empfindung, die in dieser Untersuchung als weniger intensiv, weniger ästhetisch positiv zu sein scheint, aber häufig auch nicht zwingend als ästhetisch negativ. Als hässlich oder störend wirken die Bilder auf den Startseiten vielmehr dann, wenn sie eine mittelmäßige oder geringe Bildqualität aufweisen. Die Startseiten lassen erkennen, dass es deutliche Qualitätsunterschiede bei der Erstellung der Internetauftritte gibt. Es wird deutlich, dass einige Kommunen mehr finanzielle Mittel für die grafische Bearbeitung der Internetauftritte zu Verfügung stellen, was sich auch in der Professionalität der Fotografien widerspiegelt. Eine auffallend schlechte Bildqualität weisen jedoch nur sehr wenige Bilder auf den Startseiten auf. Im Vergleich mit der vorhergehenden Untersuchung sind die Bildqualitäten im Hinblick auf Bildoptimierung und Bildbearbeitung jedoch auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Ferner gibt es jedoch auch Bilder, die weniger aufgrund ihrer Bildqualität, sondern vielmehr aufgrund ihrer Motivauswahl weniger als ästhetisch positiv konstruiert werden. Das sind hauptsächlich die Bilder, auf denen ein einzelnes Gebäude in einer Großaufnahme abgebildet ist, ohne dass dieses Gebäude besondere architektonische Merkmale aufweist. Die meisten dieser abgebildeten Gebäude können als das jeweilige Rathaus der Kommune identifiziert

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werden. Hier sind häufig fehlende finanzielle Mittel ausschlaggebend, die weitere (positiv ästhetisierte) Abbildungen ermöglichen. Welchen Zweck verfolgt die ästhetisierte Darstellung? Die Darstellungen der Bilder auf den Startseiten sollen einen visuellen Eindruck der Kommune verschaffen. Dieser Eindruck soll möglichst positiv sein, was jedoch, wie gerade angesprochen, von verschiedenen Faktoren abhängig ist (dargestellte physische Elemente, Farbwirkung, Qualität der grafischen Aufbereitung). Abgesehen von der Qualität der grafischen Aufbereitung lassen sich jedoch verschiedene Absichten, die sogenannten „Um-zu-Motive“75 (Bohnsack 2011, 56f.) der ästhetischen Darstellung ableiten: 

 



75

Leuchtende und kräftige Farbgebung: Auch wenn die Farbgebung weniger intensiv und kräftig erscheint, dienen die Farben dazu, dass das Dargestellte als Schön bezeichnet werden kann. Hier ist besonders die Sonneneinstrahlung zu nennen, die einen positiven Eindruck erwecken soll (vgl. hierzu Kühne 2002, 170ff., siehe auch Kapitel 3.7.3.2). Große bzw. unendlich wirkende Landschaftskonstrukte (z. B. große Wälder, weiter Blick in den Raum): Diese Größe soll beeindrucken und als erhaben bezeichnet werden (siehe hierzu Kapitel 2.4.2.2 und 3.3.2). Kleinräumigkeit bzw. Kleinmaßstäblichkeit (z. B. sogenannte Dorfkerne bzw. Dorfplätze, einzelne Gebäude wie z. B. Rathäuser oder Kirchen): diese Darstellung soll Ordnung, Sicherheit und einen zeitlichen Stillstand darstellen. Sie suggeriert eine intakte Gemeinschaft, in der noch alles nach den alten Regeln abläuft. Konzentrierte Einzelhandelszentren oder leerstehende Gebäude im Zentrum werden nicht dargestellt (vgl. hierzu B. Kühne 2002, 125ff.). Agglomerationen: Hier wird beabsichtigt, das gesellschaftliche Zusammensein und zum Teil auch kulturelle Angebote darzustellen (Werbeeffekt, siehe hierzu Kapitel 3.7). Auch können unbebaute und weitläufige als Landschaften bezeichnete Räume den Betrachtenden die Vorstellung einer intakten Landschaft vermitteln, die zudem auch für Erholung und Gesundheit der

Die Problematik dieser Um-zu-Motive wurde bereits in Kapitel 4.4.1.3 angesprochen. Die Grundlagen für die folgenden Motivunterstellungen entstehen daher zum einen aus der theoretischen Ausarbeitung und den empirischen Ergebnissen und sind zum anderen zusätzlich durch zusätzliche Quellen belegt. Darüber hinaus handelt es sich in den meisten Fällen um „kommunikativ-generalisierte[n] Wissensbestände“ so Bohnsack (2011, 57).

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 

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Bevölkerung genutzt werden kann (vgl. hierzu B. Kühne 2002, 218, siehe auch Kapitel 3.1). Landwirtschaft: Die Landwirtschaft soll einen konservativen, fleißigen Lebensstil zeigen; die Angst vor potentiellen gesellschaftlichen Umbrüchen soll somit genommen werden. Die Sicherheit von Altbewährtem und Ursprünglichem soll hier dargestellt werden (siehe hierzu Kapitel 2.1 und 3.1). Darüber hinaus steht eine harmonische Beziehung des Menschen zu als Natur bezeichneten physischen Räumen (in Form der meist traditionell dargestellten Landwirtschaft) für Gelassenheit, Sicherheit, einfaches Leben, Glück und für eine heile Welt (B. Kühne 2002, 130). Strukturierter Bildaufbau: Auch in dieser Untersuchung soll der geordnete und übersichtliche Aufbau harmonisch und ruhig wirken – eine Zuschreibung zur Kategorie der Schönheit (vgl. hierzu B. Kühne 2002, 125ff.). Fehlende oder vorhandene Geräuschquellen: Die Abwesenheit von Lärm soll Ruhe suggerieren – ebenfalls eine Zuschreibung eines idealisierten Landschaftskonstruktes. Es sind aber auch (häufig im Zusammenhang mit Agglomerationen) durchaus Geräuschquellen zu sehen. Diese sollen aber nicht negativ wirken, sondern ein gesellschaftliches Treiben suggerieren, ein aktives Leben in der Gemeinschaft mit Ausweichmöglichkeiten in einen als ruhige Landschaft bezeichneten physischen Raum. Geräusche spielen also eine wichtige Rolle, jedoch nicht nur das Fehlen, sondern auch das Vorhandensein der Geräusche (vgl. hierzu B. Kühne 2002, 127f.)

Auffällig sind die vielen Kontraste, die dargestellt werden. Häufig sind auf einer Startseite viele Gegensätze dargestellt: Lärm – Ruhe; Arbeit – Erholung; Naturverbundenheit – Kultur; bebauter – unbebauter Raum; weite Räume – kleinräumige Agglomerationen. Hier sollen die Möglichkeiten aufgezeigt werden: als ländlich bezeichnete physische Räume bieten beides. Sie bieten auf der einen Seite die Nähe zur sogenannten Natur und auf der anderen Seite die gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe. Häufig verzichten nur die größeren bzw. stärker verdichteten Agglomerationen der Suche (z. B. Die Städte Passau und Deggendorf) auf die Darstellung von unbebauten Räumen.  Die Darstellungen der als Landschaft bezeichneten physischen Räume sollen weniger aufgrund ihrer Farb- bzw. Bildwirkung, sondern eher aufgrund ihrer transportierten Inhalte ästhetisch positiv wirken. Diese Inhalte (und weniger die Farben) führen dazu, dass auch diese Suche idealisierte und zum Teil romantisierte Bilder zeigt. Auch hier werden die Gefühle der Betrachtenden angesprochen:

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Vertrautheit, Sicherheit: durch den Heimatbezug der abgebildeten physischen Elemente, die altbewährt, traditionell und bekannt sind und dadurch Sicherheit suggerieren, wie z. B. Trachtenumzüge, Bauernhöfe, landwirtschaftliche Betriebe – Innovationen verursachen häufig Ängste, siehe Kapitel 3.5.1 sowie Plenk (2015); auch durch Abbildungen, die als idyllisch bezeichnet werden können, siehe hierzu B. Kühne 2002, 125ff. Zusammengehörigkeit, Gemeinschafts- und Heimatgefühl: durch Personengruppen, wie z. B. Trachtenumzüge, Volksfeste; aber auch durch traditionelle Landwirtschaft – „wie es früher war“. Siehe hier die neue Wertschätzung des Historischen durch die Postmodernisierung, Kapitel 2.1. Ausgeglichenheit, Einklang: durch Ordnung, saubere, aufgeräumte öffentliche Räume.

Deutlich ist die emotionalisierende Wirkung der Bilder zu erkennen. Diese Wirkung wird weniger durch die Farben hervorgerufen als durch die abgebildeten physischen Elemente, die die Aufmerksamkeit des Betrachtenden einfordern. Beeinflusst die ästhetische Konstruktion der als Landschaft bezeichneten physischen Räume im Internet die gesellschaftliche Akzeptanz? Es lässt sich auch in dieser Untersuchung feststellen, dass es eine Diskrepanz zwischen den abgebildeten und den vorgefundenen als Landschaft bezeichneten physischen Räumen gibt – auch wenn sich die Diskrepanz auf andere Aspekte bezieht. In dieser Suche sind es die Inhalte, die zum Teil etwas versprechen, was in den konstruierten vorgefundenen Räumen in der Reinform so nicht zu finden ist. Die Darstellungen entsprechen zwar häufig der Konstruktion vorgefundener Landschaften, jedoch werden meist nur die Konstruktionen abgebildet, die von einem Großteil der Bevölkerung als positiv bewertet werden. Störende physische Elemente werden häufig ausgeblendet bzw. ignoriert. Auch als Landschaft bezeichnete physische Räume im erweiterten Sinne bzw. Agglomerationsräume werden in der Alltagswelt nicht durchgehend als positiv bewertet, vor allem, wenn es sich um aktuelle Veränderungen handelt (siehe Kapitel 3.1 und 3.5). Großflächige Gewerbegebiete, leerstehende und zum Teil auch verfallene Gebäude bzw. Zentren oder landwirtschaftliche Monokulturen oder Großbetriebe werden häufig als störend bzw. zumindest als nicht stereotyp für als Landschaften oder allgemein für als ländlich bezeichnete physische Räume angesehen. Hier sind die als Heimat bezeichneten physischen Räume jedoch wieder ein Sonderfall, wie bereits in Kapitel 2.3.2 erläutert wurde. Daher

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zeigt auch diese Untersuchung der abgebildeten Landschaftskonstrukte der Internetauftritte niederbayerischer Kommunen, dass sich die Inhalte bzw. die Zusammenschau der physischen Elemente dieser beiden Konstruktionsmuster (abgebildete und vorgefundene physische Landschaftskonstrukte) vor allem durch die unterschiedliche inhaltliche Besetzung unterscheiden. Damit kann auch hier diese Diskrepanz dazu führen, dass die Betrachtenden mit dem Anblick bzw. mit der alltagsweltlichen Konstruktion vorgefundener als Landschaft bezeichneter physischer Räume und Agglomerationen nicht zufrieden sind und diese nicht akzeptieren – auch wenn diese Diskrepanz weitaus weniger auffällig ist wie bei der vorhergehenden Untersuchung. Denn, wie schon erwähnt, werden bei der Konstruktion stereotyper als Landschaft bezeichneter physischer Räume und Agglomerationsräume meist nur die ästhetischen und inhaltlichen Kategorien der Schönheit und der Erhabenheit herangezogen. Somit werden meist nur diese beiden ästhetischen Kategorien vollends akzeptiert. Potentielle Akzeptanzprobleme ergeben sich also auch hier infolge der ästhetischen und inhaltlichen alltagsweltlichen Konstruktion stereotyper Landschafts- und Agglomerationskonstruktionen, da sich diese diskrepant zur Konstruktion vorgefundener Landschafts- und Agglomerationskonstruktionen verhalten. 5.2.6 Einzelbetrachtung ausgewählter Beispiele Die Annahmen, die in Kapitel 4.4 getroffen wurden, werden nun anhand von vier exemplarischen Abbildungen (Beispiele 1-4) der Suche tiefergehend analysiert. Wie auch in der vorhergehenden Untersuchung soll diese Beleuchtung der ausgewählten Beispiele die Untersuchung des Bildmaterials im Detail verdeutlichen und vertiefen. In der Zusammenschau sollen diese Erkenntnisse zu den einzelnen Bildern, die sich aus der Inhaltsanalyse und der Bildinterpretation bzw. der ästhetischen Feinanalyse ergeben, dann am Ende zu allgemeinen Aussagen über diese Untersuchung führen. Die einzelnen Schritte der Inhaltsanalyse und der Bildinterpretation bzw. der ästhetischen Feinanalyse werden hier nicht im Detail ausgeführt, sind aber Grundlage für die Einzelbetrachtungen bzw. fließen bei der Analyse der Annahmen mit ein. Die ausgewählten Bilder, die nun einer Detailbetrachtung unterzogen werden, stehen für Abbildungen, die in ähnlicher Form möglichst häufig in der Untersuchung vorgekommen sind. Da die Abbildungen

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aus lizenzrechtlichen Gründen nicht dargestellt werden können, werden sie zunächst ausführlich beschrieben, bevor genauer auf die Annahmen eingegangen wird. Einzelbetrachtung Beispiel 1 Beschreibung der Startseite des Internetauftrittes: Die Startseite des Internetauftrittes dieser Gemeinde besteht aus einem großen Bild im oberen Drittel des Startseite, das einen als Landschaft bezeichneten physischen Raum darstellt. Auf dem Bild sind im Hintergrund ein blauer Himmel mit weißen Wolken zu sehen sowie Wald, der hauptsächlich aus Nadelbäumen besteht. Der Wald wird in überwiegend dunklen, vereinzelt auch hellen Grüntönen wiedergegeben. Die Farbe des Himmels ist hellblau, die Wolken sind strahlend weiß. Im Bildmittelgrund befinden sich ein Kleinbaum bzw. ein Strauch (hellgrün) und ein Zaun (dünne Holzpfosten mit dünnem Drahtseil oder Kunststoffseil, eventuell führt dieses Seil Strom, um das nicht zu sehende Weidevieh einzugrenzen). Im Bildvordergrund ist eine Blumenwiese zu sehen, die bis in den Bildmittelgrund reicht. Die Blumenwiese zeigt verschiedene mittelhohe braunrote und grüne Gräser, sowie gelbe Hahnenfußgewächse. Am linken vorderen Bildrand ragen dunkel- und hellgrüne Zweige eines mittelgroßen Baumes in das Bild hinein. Die Sonne ist auf der Abbildung nicht zu sehen, anhand des Schattenwurfes kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Sonne scheint. Unter der Abbildung, am rechten und am linken Rand der Starseite, sind verschiedene Rubriken mit Bezeichnungen wie z. B. Nationalpark, Familienspaß, Veranstaltungen oder Gastgeber aufgeführt, die angeklickt werden können. Innerhalb dieser Rubrikenzeilen und –spalten steht ein Text mit der Überschrift: Ein herzliches „Grüß Gott“ aus der Ferienregion […]“. Der Text beinhaltet eine Beschreibung der Region, auffallende Wörter bzw. Wortabfolgen sind beispielsweise „Juwel“, „zwischen den schönsten […]-Bergen“, „reichhaltige Palette an Freizeitmöglichkeiten“, „Erlebnis“, „wunderschöne Fernblicke“, „Lust“ usw. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass der Internetauftritt der Gemeinde eher mit unbebauten Räumen und nicht mit der bebauten Agglomeration wirbt.

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Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Die Abbildung zeigt stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Es werden hier ausschließlich physische Elemente gezeigt, die von einem Großteil der Gesellschaft als stereotype Elemente für einem als Landschaft bezeichneten physischen Raum zugeordnet werden (siehe Kapitel 4.4.1.2): der Wald, die grüne (Blumen-)Wiese, der blaue Himmel mit weißen Wolken und ein Zaun, der für eine landwirtschaftliche Weidenutzung stehen kann. Auch der geordnete, typische Bildaufbau spricht für ein stereotypes Landschaftskonstrukt: die Blumenwiese in der unteren Bildhälfte, der Wald und der Himmel in der oberen Bildhälfte. Im Bildmittegrund befinden sich die weiteren typischen Elemente eines als Landschaft bezeichneten physischen Raumes: Ein Kleinbaum bzw. ein Strauch und der Zaun. Auf dieser Abbildung ist kein als störend bezeichnetes physisches Element zu sehen. Auch der dazugehörige Text unterstreicht die stereotype Konstruktion dieses Raumes. Der als Landschaft bezeichnete physische Raum wird so beschrieben, wie er auf den stereotypen Konstruktionen der Internet-Bildersuche zu sehen ist: Ausnahmslos als positive bezeichnete Formulierungen, die Adjektive sind zum Teil in gesteigerter Form als Superlativ („zwischen den schönsten […]“) angegeben. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. In diesem Fall kann dieser Annahme zugestimmt werden. Für die Abbildung werden ausnahmslos als schön und zu einem geringen Anteil als erhaben bezeichnete physische Elemente herangezogen. Der blaue Himmel, die weißen Wolken, Sonnenstrahlen, die bunte Blumenwiese, der Wald sowie auch der geordnete Bildaufbau können der Kategorie der Schönheit zugeschrieben werden (siehe Kapitel 2.4.2 und 3.3.2). Die Wirkung der mächtigen Nadelbäume im Bildhintergrund kann der Erhabenheit zugeschrieben werden (siehe Kapitel 3.3.2). Die Farben der Abbildung sprechen auch für eine ästhetisch positive Konstruktion. Allerdings ist die Farbsättigung im Vergleich zu den meisten Bildern der Internet-Bildersuche deutlich geringer. Die Farbintensität scheint nicht auffällig künstlich überhöht zu sein. Das Bild wirkt trotzdem farbig, vor allem durch

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die gelben Farbtupfer der Hahnenwuchsgewächse, die verschiedenen Grüntöne der Wiese und der Bäume und der rotbraunen Gräser. Die hellen Farben (gelbe Blumen, hellgrüne Wiese und vereinzelt hellgrüne Bäume), die als besonders positiv konstruiert werden und entspannend wirken (Felser 2015, 340; vgl. auch Camgöz et al. 2002; Gorn et al. 1997), tragen dazu bei, dass diese Abbildung trotz der geringen Farbsättigung ästhetisch positiv wirkt. In Bezug auf die Symbolbedeutung dieser Abbildung sind hier vor allem die Farben ausschlaggebend, auch wenn diese nicht idealtypisch überhöht sind. Auch hier können die Farben nicht nur auf die Farbigkeit des physischen Elementes verweisen, sondern auch auf eine Symbolbedeutung, die die rein visuelle ästhetische Konstruktion der Abbildung unterstreichen und sogar verstärken kann. Wie bereits erwähnt, hat die Farbe Grün im europäischen Kulturkreis eine vorwiegend harmonisierende, beruhigende und freundliche Wirkung und steht für Leben und Wachstum (Häberle 1999, 105; Heller 2015, 71ff.; Kühne 2002, 173; Welsch/Liebmann 2012, 65); Blau steht für Sehnsucht, Reinheit und Ewigkeit, aber auch für Wahrheit, Treue, Sanftheit und wirkt ebenfalls beruhigend und entspannend (Häberle 1999, 104; Heller 2015, 23ff.; Kühne 2002, 182; Welsch/Liebmann 2012, 70). Dem Weiß der Wolken wird ebenfalls eine positive Bedeutung zugewiesen (Felser 2015, 339f.; Heller 2015, 145). Sie steht für Unschuld, Weisheit, Frieden und Reinheit (Häberle 1999, 105; Heller 2015, 145ff.; Welsch/Liebmann 2012, 102ff.). Auch die Farbe Gelb ist sehr präsent und hat eine bestimmende Wirkung auf die Konstruktion dieser Abbildung. Sie ist die hellste und auch leuchtkräftigste Farbe im Farbspektrum (Welsch/Liebmann 2012, 75). Diese Farbe ist, wie bereits erwähnt, sehr unterschiedlich besetzt (Heller 2015, 129). Kulturgeschichtlich gilt diese Farbe häufig als Warnfarbe, sie steht aber auch für Optimismus, Lebensfreude, Vergnügen sowie für Eifersucht und Neid (Heller 2015, 129ff.). Aus der Perspektive der Thematik Landschaft und Natur wird Gelb häufig mit Reife, dem Herbst (Welsch/Liebmann 2012, 76), aber auch mit der Sonne assoziiert (B. Kühne 2002, 176; Heller 2015, 129). Hier wird der Farbe eine grundsätzlich positive, heitere und lebensbejahende Bedeutung zugeschrieben (B. Kühne 2002, 178). Aufgrund dieser Ausführungen zur farblichen Zusammensetzung, den physischen Elementen und dem geordneten Bildaufbau kann dieser Abbildung in der Zusammenschau eine freundliche, beruhigende und entspannende Wirkung zugeschrieben werden. Daher ist dieses Bild durchaus als ästhetisch positiv zu be-

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zeichnen, trotz der geringen Sättigung der Farben. Auch dieses Bild stellt demnach nicht nur den Ausschnitt eines Raumes dar, sondern steht darüber hinaus für mehr. Es sagt - auch in Relation zu dem darunter stehenden Text – etwas aus über Empfindungen aus, die durch den Anblick dieser Darstellung geweckt werden sollen. Es ist also durchaus auch als eine Art Mythos zu verstehen, wenngleich auch ohne dessen konstruierten Aspekt der Übertreibung, der Lüge (vgl. Barthes 1964; B. Kühne 2002). Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Auch wenn diese Annahme in der Gesamtheit der Ergebnisse nicht eindeutig zutrifft, ist es in diesem Fall zutreffend. Auch wenn die Farbigkeit der Abbildung durchaus der Farbigkeit der vorgefundenen Landschaftskonstrukte ähnelt, so ist hier trotzdem eine Diskrepanz festzustellen. Dieses Bild scheint nicht der durchschnittlichen Konstruktion einer Landschaft zu entsprechen. Die bunte Blumenwiese und die Abwesenheit von als störend oder auch als anästhetisch bezeichneten physischen Elementen deuten auf eine stark idealisierte Raumkonstruktion hin, die in Reinform nur selten vorzufinden ist. Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Diese Annahme trifft sowohl in der Gesamtheit der Ergebnisse sowie auch in diesem Einzelfall bezugnehmend auf die Bildbearbeitung nicht eindeutig zu. Auch diese Abbildung ist nicht auffällig überarbeitet: Weder sind die Farben intensiviert oder verändert worden, noch fanden weitere Bearbeitungen statt, wie z. B. ein Weißabgleich oder eine zusätzliche Lichtquelle. Anzusprechen sind hier jedoch die vorhandenen Kontraste, die aber nur indirekt beabsichtigt sein können (vor allem, wenn aufgrund der wenig auffälligen Überarbeitung nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass die Aufnahme von einer professionellen Fotografin bzw. einem professionellen Fotografen erstellt wurde). Trotzdem tragen sie – ob unbeabsichtigt oder nicht – zu einer größeren Aufmerksamkeit bzw. einer positiveren Ästhetik bei und wurden wahrscheinlich aufgrund dieser positiven Ästhetik von den zuständigen Personen für den Internetauftritt ausgewählt. Ein auffälliger Kontrast in diesem Bild ist der Hell-Dunkel-Kontrast, der sogenannte

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Tonwert-Kontrast. Der Kontrast zwischen der Helligkeit des Himmels, der hellgrünen Wiese und der gelben Blumen (Helligkeit wird besonders positiv bewertet, vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997) und der Dunkelheit der mächtigen Nadelbäume symbolisiert die Polarität zwischen Tag und Nacht, Licht und Finsternis und dient der Aufmerksamkeitserregung (vgl. Welsch/Liebmann 2012). Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Ja, auch dieses abgebildete Landschaftskonstrukt kann dazu beitragen, dass die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem führt. Die ruhige, sogenannte heile Welt dieser Abbildung steht der vorgefundenen Landschafts- bzw. Agglomerationskonstruktion gegenüber und zeigt deutlich die Unterschiede auf. Diese Unterschiede zeigen sich in den fehlenden störenden physischen Elementen und können in den vorgefundenen Raumkonstruktionen daher zu einem Akzeptanzdefizit führen. Denn die Konfrontation mit den vorgefundenen Raumkonstruktionen lässt die Unterschiede zu den abgebildeten Raumkonstruktionen im Internet auch in dieser Untersuchung deutlich werden. Hier sei erneut angemerkt, dass nicht diese einzelne Abbildung zu einem Akzeptanzproblem führen kann, sondern die Gesamtheit der Abbildungen der Untersuchung. Einzelbetrachtung Beispiel 2 Beschreibung der Startseite des Internetauftrittes: Auch diese Startseite eines Internetauftrittes einer niederbayerischen Gemeinde besteht aus einem größeren Bild im oberen Drittel der Startseite, auf dem ein als Landschaft bezeichneter physischer Raum dargestellt ist. Die Abbildung zeigt ein Schrägluftbild, auf dem zunächst der bebaute Raum der Gemeinde (nachfolgend als Agglomeration bezeichnet) und die unbebaute Umgebung zu sehen sind. Der Himmel ist aufgrund des Aufnahmewinkels der Fotografie nicht zu sehen. Die kleine Agglomeration besteht hauptsächlich aus Einfamilienhäusern. Die Struktur der Bebauung (Dichte und Anordnung der Gebäude) ist typisch für diese Struktur: Lockere Bebauung mit viel Grün (Wiesen und Bäume) zwischen den

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Häusern. In der Mitte der Agglomeration ist deutlich eine Kirche mit einer großen Gebäudeanlage zu erkennen (laut dem dazugehörigen Text handelt es sich um ein Kloster). Am rechten oberen Rand des Bildes ist eine kleine Gewerbeeinheit zu sehen, die aus mehreren Hallen besteht. Weitere einzelne, herausragende Gebäude sind nicht zu erkennen. Der Kern der Agglomeration ist fast vollständig abgebildet. Im Zuge der Recherche zu dieser Agglomeration konnte festgestellt werden, dass ein größeres Gewerbegebiet in der nahen Umgebung nicht auf diesem Bild dargestellt ist. Am Rande der Agglomeration, von der unteren Bildmitte bis hin zum linken Bildrand, ist ein breiter Fluss zu sehen. Das Ufer auf der Seite der Agglomeration lässt eine parkähnliche Anlage mit Fußgängerwegen erkennen, die bis zum Wasser führen, sowie Boots- und Schiffsstege. Das Ufer auf der anderen Seite der Agglomeration ist mit großen Bäumen bewachsen und lässt aufgrund der Perspektive keinen Blick auf das direkte Ufer zu. Die bebauten Flächen der Agglomeration grenzen also auf der einen Seite an diesen Fluss, auf den anderen Seiten jeweils an landwirtschaftlich genutzte Ackerflächen. Zwischen diesen Ackerflächen finden sich vereinzelt auch bebaute Flächen. Farblich dominieren auf diesem Bild die weißen Fassaden der Gebäude, die roten Ziegeldächer, das dunkle Blau des Flusses, die hellen und dunklen Grüntöne der Bäume und Wiesen sowie die bräunlich-ockerfarbenen Äcker. Aufgrund des Schattenwurfes der Bäume und der Gebäude ist ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme die Sonne schien. Unter dieser Abbildung sowie auch am rechten und am linken Rand des Internetauftrittes sind verschiedene Rubriken zu sehen, die für weitere Informationen angeklickt werden können. Diese Rubriken sind z. B. „Aktuelles“, „Gemeinde“, „Geschichte“ und „Tourismus“. Innerhalb dieser Rubrikenzeilen und – spalten steht auch hier ein Text, der zum Ziel hat, die Gemeinde zu beschreiben. Die Überschrift lautet: „Herzlich Willkommen in der Gemeinde […]“. Auffallende Wörter bzw. Wortabfolgen sind beispielsweise: „aufstrebend“, „einladend“, „markant“, „hoheitsvoll“, „[…] eines der ältesten und bedeutendsten Bayerns“, „altehrwürdig“, „[…] überschaubaren, gepflegten und geschichtsträchtigen Ort […]“, „positive Eindrücke“ usw. Im Gegensatz zum vorhergehenden Beispiel wirbt diese Gemeinde eher mit den bebauten Räumen und nicht mit der als Landschaft bezeichneten physischen Umgebung.

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Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Das Bild zeigt stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Zunächst lässt sich feststellen, dass diese Abbildung den bebauten Raum der Agglomeration in den Fokus rückt. Wie Kühne in seiner Untersuchung jedoch bestätigen konnte, werden bei der Frage: „Was gehört Ihrer Meinung nach zu einer Landschaft?“ zu 83,08 % auch Dörfer genannt (2006b, 151). Daher ist die abgebildete Agglomeration in diesem Bild nicht als störend, sondern als vielmehr als stereotyp für einen als Landschaft bezeichneten physischen Raum zu betrachten. Auch der Fluss und die landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen werden von einem Großteil der Gesellschaft als stereotyp für als Landschaft bezeichnete physische Räume eingeordnet (siehe Kapitel 4.4.1.2). Darüber hinaus beschreibt auch der dazugehörige Text durch die vielen, ausschließlich positiven Formulierungen einen stereotypen Raum. Allerdings sind auf der Abbildung auch physische Elemente zu sehen, die von einem Großteil der Gesellschaft grundsätzlich als störend bezeichnet werden (in Bezug auf für als Landschaft bezeichnete physische Räume). Das sind in diesem Fall asphaltierte Straßen und die Gewerbeanlage (Fahrzeuge und größere Menschengruppen können aufgrund des kleinen Maßstabes nicht erkannt werden). Diese beiden Elemente sind jedoch unauffällig dargestellt. Die asphaltierten Straßen sind aufgrund des kleinen Maßstabes nur bei genauerem Hinsehen zu erkennen, und die Gewerbeanlage liegt am rechten oberen Rand der Abbildung und ist daher kein zentrales Element der Darstellung. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Diese Annahme trifft im Falle dieser Abbildung bedingt zu. Die physischen Elemente betreffend ist festzustellen, dass bis auf wenige Ausnahmen nur als schön bezeichnete Elemente dargestellt sind. Eine als Dorf bezeichnete Agglomeration, ein Fluss, Bäume, Wiesen und landwirtschaftlich genutzte Ackerflächen fallen unter diese Kategorie. Durch die Vogelperspektive lässt sich die als Dorf bezeichnete Agglomeration als ein fast abgeschlossener physischer Raum konstruieren, der als Idylle bezeichnet werden kann. In Kapitel 3.7.4.2 wurde bereits dargestellt, dass eine Idylle für verschiedene Zuschreibungen steht: zum einen

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für den raumzeitlichen Stillstand, der für die Verbindung aus Vergangenheit und Zukunft steht (B. Kühne 2002, 127). Kühne beschreibt diese Zuschreibung wie folgt: „Sie [die Idylle, Anmerkung S.L.] zeigt einen überschaubaren Raum, der Geborgenheit und Sicherheit verspricht, in sich geschlossen, fast abgeschottet gegen die Außenwelt: eine eigene, kleine, heile Welt“ (B. Kühne 2002, 127). In diesem Internetauftritt deuten das Kloster und die traditionelle Einfamilienhausstruktur auf die Vergangenheit, Teile der textlichen Beschreibung (z. B. die Formulierung „das aufstrebende […] Dorf“) und zu einem kleinen Teil auch die Gewerbeanlage auf die Zukunft hin. Zum anderen steht die Idylle für Kleinräumigkeit (überschaubare Größe und Grenzen der Agglomeration auf der Abbildung) und Ausblenden der Wirklichkeit, was sich in einer zeitlichen und räumlichen Unveränderlichkeit zeigt (B. Kühne 2002, 127f.). Diese Unveränderlichkeit zeigt sich in dieser Abbildung in der Dauerhaftigkeit des alten Klosters (in der Beschreibung ist von einem der ältesten und bedeutendsten in Bayern die Rede) und der kleinteiligen Struktur der Bebauung ohne größere Gewerbegebiete. Die beiden Elemente (die asphaltierten Straßen und die Gewerbeanlage), die nicht den ästhetisch positiven Kategorien zuzuordnen sind, werden von einem Großteil der Gesellschaft für gewöhnlich als störend oder zumindest anästhetisch konstruiert und tragen daher nicht zu einer ästhetisch positiven Konstruktion bei. Wie bereits erwähnt, sind diese Elemente jedoch nicht im Fokus der Abbildung und beeinträchtigen die positive ästhetische Konstruktion dieser Abbildung nur bedingt. Werden die Farben der Darstellung betrachtet, ergibt sich allerdings ein anderes Ergebnis in Hinsicht auf die ästhetische Konstruktion. Die Intensität der Farben lässt auf keine auffällige Bearbeitung schließen. Das bedeutet, dass die Farbsättigung nicht sichtbar künstlich erhöht wurde und die Farben daher wenig intensiv wirken. Diese fehlende Farbintensität wirkt sich auf die positive Konstruktion aus. Gesättigte Farben werden positiver bewertet als nicht gesättigte (vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997). Die Wirkung der Farben auf den meisten Bildern der Internet-Bildersuche hat demnach einen weitaus positiveren Effekt auf die Betrachtenden als die abgebildeten Farben dieser Abbildung. Die Symbolbedeutung der Farben wird aufgrund des fehlenden Sättigungsgrades hier nicht weiter angesprochen. Für die Bedeutung der Farben siehe hierzu die Ausführungen der einzelnen Beispiele unter Kapitel 5.1.4. Zusammenfassend ist trotz der Diskrepanz der ästhetischen Zuschreibung von Farben und physischen Elementen von einer grundsätzlich positiven Konstruktion auszugehen. Die physischen Elemente und auch der dazugehörige Text

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stehen nicht nur für sich selbst, sondern vermitteln eine weiterreichende Bedeutung. Die abgebildeten physischen Elemente stehen hier symbolisch demnach für Sicherheit, Geborgenheit und das Leben in einer sogenannten heilen Welt. Die wenig intensiven Farben ändern nichts an dieser Symbolbedeutung, schwächen aber die ästhetisch positive Konstruktion ab. Auch hier werden Empfindungen bzw. wird ein Mythos angesprochen, der auch wie das vorhergehende Beispiel nicht mit einer Übertreibung einhergeht, das Bild aber in eine Erzählung, in eine positive Vorstellung von Leben verwandelt (vgl. Barthes 1964; B. Kühne 2002). Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Diese Annahme kann in der Zusammenschau der Ergebnisse nicht eindeutig beantwortet werden. Auch dieses Beispiel lässt keine eindeutige Antwort zu. Zunächst ist die Perspektive anzusprechen. Das Bild ist ein Schrägluftbild und demnach keine gewöhnliche Betrachtungsperspektive einer durchschnittlichen Person. Daher bedarf es einer gedanklichen Transferleistung, sich diese abgebildeten Landschaftskonstrukte in eine gängige Fußgängerperspektive zu übertragen. Jedoch ist auch trotz dieser Transferleistung keine eindeutige Antwort auf diese Annahme zu finden. Die abgebildeten physischen Elemente deuten auf eine Diskrepanz zu den durchschnittlichen Agglomerationen hin (die idyllische Konstruktion der Agglomeration), die dargestellten Farben wiederum werden mit geringer Sättigung dargestellt; diese Farbintensität kann in dieser Form auch in den vorgefundenen Landschaftskonstrukten wahrgenommen werden. Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Dieser Annahme kann in diesem Fall nicht zugestimmt werden. In Bezug auf die Farbintensität ist auch dieses Beispiel nicht überarbeitet. Auch weitere Bearbeitungen sind nicht ersichtlich. Auch bereits angesprochene Kontraste, die die Aufmerksamkeit erhöhen können, sind in dieser Abbildung nicht deutlich festzustellen. Das führt zum einen dazu, dass diese Abbildungen als realitätsnäher konstruiert werden können, aber zum anderen auch dazu, dass die Konstruktion weniger positiv ausfallen kann.

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Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Wenn auch in einem geringeren Ausmaß als die Beispiele der Internet-Bildersuche kann auch dieses Landschaftskonstrukt zusammen mit den anderen Ergebnissen zu einem Akzeptanzproblem der vorgefundenen Landschaftskonstrukte beitragen. Die als Idylle zu bezeichnete Konstruktion steht der vorgefundenen Landschafts- bzw. Agglomerationskonstruktion gegenüber. Die Abbildungen auf den Startseiten zeigen sich somit zum Teil als eine lückenhafte Konstruktion, u. a. auch deshalb, da als störend bezeichnete Elemente (wie das angrenzende Gewerbegebiet) ausgeblendet werden. Diese lückenhafte Konstruktion bezieht sich in diesem Fall ausschließlich auf störende physische Elemente und kann in den vorgefundenen Räumen daher zu einem Akzeptanzdefizit führen. Der Vergleich der beiden Konstruktionen (der vorgefundenen und der abgebildeten Konstruktion) lässt die Unterschiede deutlich werden. Einzelbetrachtung Beispiel 3 Beschreibung der Startseite des Internetauftrittes: Diese Startseite ist anders aufgebaut als die beiden bereits beschriebenen Beispiele. Die größte Fläche nimmt eine Abbildung in der Mitte der Seite ein, auf der ein Schrägluftbild der als Stadt bezeichneten Agglomeration und der unbebauten Umgebung zu sehen ist. Über der Abbildung sind zwei schmale Zeilen zu sehen. Die obere schwarz hinterlegte Zeile zeigt die Kontaktdaten der Verwaltung und die Rubriken Impressum, Kontakt und Datenschutz. Die Zeile darunter, die weiß hinterlegt ist und das Logo der als Stadt bezeichneten Agglomeration zeigt, stellt weitere Rubriken zu Verfügung, wie z. B. Home, Aktuelles, Tourismus oder Stadtwerke. Unter der großflächigen Abbildung ist eine weitere, weiß hinterlegte Zeile zusehen, auf der das Motto der Als Stadt bezeichneten Agglomeration zu sehen ist. Dieses Motto: „[Name der Gemeinde] – einfach. schön.“ ist zudem noch einmal auf der Abbildung in weißer Schrift auf blauem Hintergrund zu sehen. Weitere textliche Ausführungen sind nicht vorhanden. Die Abbildung auf der Startseite lässt sich wie folgt beschreiben: Es handelt sich um ein Schrägluftbild. Der Winkel der Aufnahme wurde, im Gegensatz zur vorhergehenden Fotografie, so gewählt, dass auch der Himmel und ein weiter

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Blick in die Ferne abgebildet sind. Der blaue, sonnige Himmel mit den weißen Wolken nimmt ca. ein Viertel des Bildes ein, auf der restlichen Fläche sind verschiedene Räume zu sehen. Im Fokus der Aufnahme steht die Agglomeration, die sich hauptsächlich vom unteren Teil bis fast hin zur Mitte des Bildes erstreckt. In der Mitte des etwas dichter bebauten Bereiches ist eine Kirche zu sehen. Um die Kirche herum sind Gebäude verschiedener Größe angesiedelt. Auch wenn es sich nicht nur um kleinere Einfamilienhäuser handelt, die Höhe der Gebäude ist relativ gering und geht meist nicht über drei, maximal vier Stockwerke hinaus. Um den dichteren Kern dieser Agglomeration lockert sich die Bebauungsdichte auf, immer mehr Bäume und Grünflächen erscheinen zwischen der Bebauung. Die Agglomeration geht dann in einigen Bereichen in landwirtschaftliche Ackerflächen über, die immer wieder von Straßen, Baumgruppen und einzelnen Gebäuden oder Gebäudegruppen durchsetzt sind. Diese flachen Räume gehen dann in ein hügeliges Waldlandschaftskonstrukt über, das bis weit in die Ferne zu sehen ist. Über diesen Bergen ist der Himmel zu sehen. Die Farben der Abbildung wirken hell und intensiv, eine Überarbeitung der Farben ist anzunehmen. Dominante Farben sind die hellroten Dachflächen und die weißen Fassaden der Gebäude, die hellgrünen und ockerfarbenen Wiesen- und Ackerflächen, die dunkelgrünen bewaldeten Hügel bzw. Berge und der hellblaue Himmel mit weißen Wolken. Auch hier ist aufgrund des Schattenwurfes von einem sonnigen Tag zum Zeitpunkt der Aufnahme auszugehen. Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Die Annahme trifft auf die Abbildung dieser Startseite zum Großteil zu. Es werden fast ausschließlich physische Elemente und Räume dargestellt, die von den Betrachtenden vorwiegend als schön oder auch als erhaben konstruiert werden. Die vorhandenen asphaltierten Straßen, die von einem Großteil der Gesellschaft als störend in einem als Landschaft bezeichneten physischen Raum angesehen werden, treten in Anbetracht des Agglomerationsraumes in den Hintergrund bzw. verlieren ihre störende Wirkung. In Kapitel 4.4.1.2 wurde angeführt, dass eine als Stadt oder Markt bezeichnete Agglomeration auch vorwiegend als störend oder zumindest anästhetisch konstruiert wird. In diesem Fall lässt sich vermuten, dass die als Stadt bezeichnete Agglomeration nicht zwingend als störend bezeichnet werden muss. Das lässt sich daraus ableiten, dass die ersichtliche

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Größe der Kommune und auch deren städtebauliche Dichte auf der Abbildung vergleichsweise klein bzw. gering erscheinen. Auch die Tatsache, dass die Agglomeration in Hinsicht auf die farblichen Aspekte hell und intensiv dargestellt wird, spricht für eine positive Ästhetik (vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997) bzw. Stereotypisierung. Allgemein sprechen die Farben in diesem Fall für eine ästhetisierte bzw. stereotypisierte Darstellung. Es fehlt ein Text, aber das Motto der Kommune „einfach. schön.“ entspricht auch dieser Annahme. Die Adjektive einfach und schön tragen zu einer weiteren Stereotypisierung diese Darstellung bei, über den visuellen Eindruck des Bildes hinaus. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Dieser Annahme kann in diesem Fall in beiderlei Hinsicht (physische Elemente und Farben) zum Großteil zugestimmt werden. Die physischen Elemente sowie die verschiedenen Räume können in den meisten Fällen der Kategorie der Schönheit oder der Erhabenheit zugeordnet werden. Als schön zu bezeichnen sind beispielsweise die Agglomeration, die Bäume, Wiesen und landwirtschaftlich genutzte Ackerflächen, die auf die eine funktionierende Agrarwirtschaft verweisen. Als erhaben bezeichnet werden können beispielsweise der weite Fernblick bzw. die scheinbare Unendlichkeit des abgebildeten Raumes, die Hügelketten oder die große Kirche. Wie bereits erwähnt, kann auch die als Stadt bezeichnete Agglomeration als ästhetisch positiv bezeichnetes Element konstruiert werden, da sie aufgrund der fehlenden Dichte und geringen räumlichen Ausprägungen eher als pittoresker, idyllischer Ort bezeichnet werden kann und nicht als eine sogenannte Großstadt. Auch hier lässt sich die Agglomeration durch die Perspektive als ein eigener physischer Raum konstruieren, der aufgrund seiner geringen räumlichen Größe als idyllisch bezeichnet werden kann. Wie in Kapitel 3.7.4.2 und im vorhergehenden Beispiel dargestellt, steht eine sogenannte Idylle für vorwiegend drei Zuschreibungen: für den raumzeitlichen Stillstand (Verbindung aus Vergangenheit und Zukunft), für die Kleinräumigkeit und für das Ausblenden der Wirklichkeit. Ein Beispiel, das diesen Zuschreibungen zugeordnet werden kann, ist der scheinbar kleine, abgrenzbare Agglomerationsraum im Gegensatz zur Weite des umgebenden Raumes. Dieser Gegensatz verweist auf die Vergangenheit in Bezug auf den raumzeitlichen Stillstand, da die Postmodernisierung der Gesell-

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schaft für fließende Übergänge ohne sichtbare Grenzen steht. Ein weiteres Beispiel zeigt sich in der Kleinräumigkeit der Agglomeration und dem Ausblenden der Wirklichkeit, dass sich in einer sogenannten kleinen, heilen Welt zeigt (vgl. B. Kühne 2002, 125ff.). Diese sogenannte kleine, heile Welt, spiegelt sich auch in dem Motto der Kommune wieder: einfach und schön. Das einfache Leben wirkt vielversprechend und beruhigend in einer komplexen Welt und schön als Kategorie lasst sich, wie Kapitel 2.4.2 und 3.3.2 zeigen, mit angenehmen, geordneten, harmonischen, malerischen, sanften Assoziationen in Verbindung bringen. Die asphaltierten Straßen, die nicht den ästhetisch positiven Kategorien zuzuordnen sind, werden von einem Großteil der Gesellschaft für gewöhnlich als nicht stereotyp und daher nicht als ästhetisch positiv konstruiert. Wie bereits erwähnt sind diese Elemente jedoch in der Abbildung untergeordnet und beeinträchtigen die positive ästhetische Konstruktion dieser Abbildung nur bedingt. Auf die als Stadt bezeichnete Agglomeration wurde in diesem Zusammenhang bereits eingegangen. Die abgebildete, als Idylle bezeichnete Agglomeration steht demnach als Zeichen oder Symbol für Sicherheit, Geborgenheit und dem Leben in einer sogenannten heilen Welt (vgl. B. Kühne 2002, 127) – im Gegensatz zu der weiten, unendlichen Ferne, die ebenfalls auf der Abbildung zu sehen ist. Auch die Farben in dieser Abbildung ermöglichen eine deutlich positive ästhetische Konstruktion. Wie bereits angedeutet, sind die Farbtöne hell (heller als in den beiden vorher untersuchten Beispielen, helle Farben haben eine beruhigende Wirkung; Felser 2015, 340) und intensiv (gesättigte Farben haben eine positiv erregende Wirkung; Felser 2015, 340), es ist daher von einer nachträglichen Bearbeitung in Sinne einer erhöhten Farbsättigung und Farbaufhellung auszugehen. Beide Zuschreibungen werden von Betrachtenden als sehr positiv bewertet (vgl. Camgöz et al. 2002; Felser 2015; Gorn et al. 1997). Die Farben verweisen auch hier auf eine über die einzelnen Farben hinausgehende Symbolbedeutung. Diese Symbolbedeutungen wurden zwar bereits mehrfach dargestellt, werden hier trotzdem erneut aufgeführt. Die verschiedenen Grüntöne stehen für Leben, Wachstum, Hoffnung und Natur (Häberle 1999, 105; Heller 2015, 71ff.; Welsch/Liebmann 2012, 65) und zeigen eine harmonisierende, beruhigende und freundliche Wirkung (Heller 2015, 71ff.; B. Kühne 2002, 173); das helle Blau steht für Sehnsucht, Reinheit und Ewigkeit (B. Kühne 2002, 182; Heller 2015, 23ff.) sowie für Sicherheit, Harmonie Wahrheit, Treue, Sanftheit und wirkt ebenfalls beruhigend und entspannend (Häberle 1999, 104; Heller 2015, 28; Welsch/Liebmann 2012, 70). Ebenfalls zumeist positiv konstruiert wird die

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Farbe Weiß, die viele Fassaden und die Wolken zeigen (Felser 2015, 339f.; Heller 2015, 145). Diese Farbe steht für Unschuld, Weisheit, Freiheit, Frieden und Reinheit (Häberle 1999, 105; Heller 2015, 145ff.; Welsch/Liebmann 2012, 102f.). Das helle Orange-Rot der Dächer kann für Licht, Wärme, Impulsivität und Kraft sowie für Aktivität, Energie und Geselligkeit (Häberle 1999, 104; Heller 2015, 51ff., 260ff.; Welsch/Liebmann 2012, 58, 89) stehen. Abgeleitet von diesen Ausführungen zur farblichen Zusammensetzung und den physischen Elementen kann dieser Abbildung in der Gesamtheit eine freundliche, beruhigende und entspannende Wirkung zugeschrieben werden. Es wird durch die Betrachtung der Abbildung nicht nur ein Bild konstruiert, sondern es werden auch Empfindungen provoziert, die überwiegend positiv bezeichnet werden können. Daher ist dieses Bild durchaus als ästhetisch positiv zu bezeichnen, auch wenn es Elemente enthält, die einer eher negativen Ästhetik zugeschrieben werden können. Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Auch in diesem Fall trifft die Annahme zu, wenn auch nicht eindeutig. Die Aufnahme erfolgt aus der Vogelperspektive, wie im vorherigen Beispiel, und kann daher nicht direkt auf eine gängige Betrachtungsperspektive übertragen werden. Die Zusammenschau von Agglomeration und der weitläufigen Umgebung ist durch die am häufigsten eingenommene Fußgängerperspektive nicht zu generieren. Daher unterscheiden sich die beiden Konstruktionsmuster (vorgefundene und abgebildete Landschaftskonstrukte) deutlich voneinander. Ferner zeigt die Abbildung auch keine großflächigeren physischen Elemente, die von einem Großteil der Gesellschaft als störend bezeichnet werden. Darunter fallen z. B. Gewerbegebiete (die laut Recherche in dieser Kommune durchaus vorhanden aber nicht auf der Abbildung zu sehen sind). Trotz dieser Ästhetisierung und Idealisierung der Kommune ist die Abbildung näher an der vorgefundenen Raumkonstruktion als es die Beispiele der Internet-Bildersuche sind.

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Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. In diesem Fall trifft die Annahme zu, hinsichtlich der Farben sowie auch der dargestellten physischen Elemente. Das Bild wurde auffällig überarbeitet und weist durch die Bearbeitung hellere und intensivere Farben auf, die sich positiv auf die Ästhetik auswirken. Auch die bewusste Abwesenheit von als störend bezeichneten physischen Räumen (z. B. Gewerbegebieten) kann hier als beeinflussende Motivwahl gewertet werden, die sich ebenfalls ästhetisch positiv auswirkt. Darüber hinaus sind auch die vorhandenen Kontraste anzusprechen, die zusätzliche Aufmerksamkeit generieren: Die kleinräumige Idylle steht der weitläufigen Ferne gegenüber, hier ist also ein deutlicher Kontrast zwischen nah und fern, abgegrenzt und offen bzw. Schönheit und Erhabenheit ersichtlich. Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Dieser Annahme kann auch anhand dieses Beispiels beigestimmt werden, wenn die Zusammenschau mit den anderen Untersuchungsgegenständen erfolgt. Die als idyllisch bezeichnete Agglomeration in Relation mit der Erhabenheit der scheinbar unendlichen Weite steht einer vorgefundenen Raumkonstruktion gegenüber, die sich nicht in allen Einzelheiten deckt. Die Abbildung zeigt auffällig gesättigte Farben und eine lückenhafte Darstellung der Agglomeration (in Bezug auf als störend bezeichnete physische Elemente oder Räume), um gewollt ästhetisch positiver konstruiert zu werden. Im Vergleich der beiden Konstruktionen (der vorgefundenen und der abgebildeten Konstruktion) erweist sich das Akzeptanzproblem zwar als geringer als im Zusammenhang der Internet-Bildersuche, aber es trägt auch hier zu einem Akzeptanzproblem bei. Diese als Idylle zu bezeichnende „heile-Welt“-Konstruktion steht der vorgefundenen Landschaftsbzw. Agglomerationskonstruktion gegenüber. Einzelbetrachtung Beispiel 4 Beschreibung der Startseite des Internetauftrittes: Die Startseite des Internetauftrittes dieser Kommune ist ähnlich wie die beiden ersten Beispiele dieser Teil-Untersuchung aufgebaut. Das obere Drittel besteht

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aus einer größeren Abbildung, nur ist links von dieser Abbildung das Logo der Kommune zu sehen, das Bild erstreckt sich demnach nicht über die gesamte Breite der Internetseite. Die Fotografie ist aus der Fußgängerperspektive aufgenommen und wirkt darüber hinaus etwas schief bzw. gekippt. Das ist daran zu erkennen, dass eine abgebildete Mauer und ein Gebäude nicht parallel zu den Rahmen und Zeilen der Internetseite verlaufen. Auf der rechten Bildhälfte der Abbildung ist ein zweistöckiges Gebäude mit ausgebautem Dach zu sehen, am Gebäude entlang verläuft eine Mauer, die bis zum Ende des linken Bildrandes verläuft. Das Gebäude ist nicht beschriftet, sodass keine Rückschlüsse auf die Funktion oder Bedeutung des Gebäudes gezogen werden können. Es könnte sich um das Rathaus der Kommune handeln. Die Fassade des Gebäudes ist gelblichockerfarben, die Fenster sind weiß umrandet. Das Dach des Gebäudes ist dunkelbraun. Die Mauer ist ebenfalls gelblich-ockerfarben gestrichen, und etwa in der Mitte der Mauer (entspricht der unteren Bildmitte) befindet sich ein weißes Tor. Auf der linken Bildseite sind vor der Mauer eine steinerne Statue in Form eines Löwen zu sehen sowie zwei Fahnenmasten (ohne Fahne), hinter der Mauer sind mehrere kleine und mittelgroße Bäume zu erkennen. Der Himmel ist gräulich. Am linken Rand der Startseite sind untereinander mehrere Rubriken aufgeführt, wie z. B. Bürgermeister, Mitarbeiter, Grußwort oder Gemeinderat. Am rechten Rand befinden sich mehrere Links mit weitergehenden Informationen beispielsweise zu Rad- oder Wanderwegen. In der Mitte der Startseite, zwischen dem Bild oben und den beiden Spalten am Rande der Internetseite, sind textliche Ausführungen zu lesen. Die Überschrift lautet: „Herzlich Willkommen auf der Internetseite der Gemeinde […] [nächste Zeile] Wir freuen uns über Ihren Besuch und hoffen, dass Sie viel Informatives auf den folgenden Seiten erfahren“. Darunter stehen untereinander mehrere Überschriften wie etwa Ferienprogramm oder Breitbanderschließung, unter denen ein kurzer Text und ein Link zur weiteren Informationen zu sehen ist. Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Diese Annahme trifft nicht auf die Abbildung zu. Die Darstellung ist kaum stereotypisiert, bedient sich also auch keiner auffällig als schön oder erhaben be-

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zeichneten physischen Elemente. Als schön zu bezeichnende physische Elemente können nur die Bäume bzw. auch die steinerne Statue wahrgenommen werden. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Auch dieser Annahme kann anhand des vorliegenden Beispiels nicht eindeutig zugestimmt werden. Die abgebildeten physischen Elemente können nicht der Kategorie der Schönheit oder Erhabenheit zugeordnet werden. Auch wenn einzelne Gebäude in einem als Landschaft bezeichneten physischen Raum häufig als ästhetisch positiv bezeichnet werden, fällt dieses Gebäude mit großer Wahrscheinlichkeit nicht darunter. Das Gebäude ist weder historisch (kann einen Grund für eine ästhetische Wertschätzung darstellen, siehe Kapitel 2.1.3) noch auffällig mit beispielsweise Blumenkästen geschmückt. Es kann als gewöhnlich und unauffällig bezeichnet werden und weckt keine Empfindungen aus ästhetischer Perspektive (weder negative noch positive Ästhetik). Daher kann diese Abbildung der Kategorie der Anästhetik zugeordnet werden. Für diese Kategorie sprechen auch die Farben des Gebäudes, sie sind blass und unscheinbar wie ebenso die restlichen Farben der Abbildung. Die Farbsättigung ist sehr gering, und die Farben wirken im Allgemeinen dunkel. Der Himmel ist farblos grau. Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Diese Annahme trifft nicht zu. Das auf der Abbildung gezeigte Landschaftskonstrukt unterscheidet sich kaum von den vorgefundenen Landschaftskonstrukten. Das Bild auf der Startseite des Internetauftrittes der Kommune ist deutlich an einem vorgefundenen Landschaftskonstrukt orientiert, und weder ästhetisiert das Bild dieses Landschaftskonstrukt noch verbirgt es als störend bezeichnete physische Elemente bzw. Teilräume.

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Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Dieser Annahme kann in diesem Beispiel nicht zugestimmt werden. Die Abbildung zeigt keine ersichtliche Bildbearbeitung. Weder wurden die physischen Elemente bzw. die Motive nach ästhetisch positiven Merkmalen ausgewählt noch wurden die abgebildeten Farben überarbeitet, um ästhetisch positiver konstruiert zu werden. Die Farben der Abbildung können als blass beschrieben werden. Zudem ist das Bild, wie in der Beschreibung bereits geschildert, schief. All diese Merkmale führen dazu, dass die Abbildungen als realitätsnäher konstruiert werden, aber dadurch auch als weniger ästhetisch positiv. Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Dadurch, dass in diesem Beispiel kein stereotypisiertes Landschaftskonstrukt vorliegt, kann auch nicht von einer Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten gesprochen werden. Ohne eine Diskrepanz zwischen den beiden Konstruktionsmustern ergibt sich auch kein Akzeptanzproblem. 5.2.7 Zusammenfassung Im Zuge der Zusammenfassung werden hier auch wie in Kapitel 4.4.1.1 und 4.4.1.3 aufgeführten Annahmen noch einmal aufgeführt und anschließend einzeln besprochen. Zunächst ein Überblick der fünf aufgestellten Annahmen: Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten.

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Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Zu Annahme 1: Die Bilder zeigen stereotypisierte Vorstellungen bzw. Konstruktionen von als Landschaft bezeichneten physischen Räumen. In dieser Untersuchung trifft auch diese Annahme zu, allerdings weniger eindeutig. Die Darstellungen sind zwar zum Teil durchaus stereotypisiert und spiegeln nur geringfügig die aktuellen postmodernen räumlichen Entwicklungen, jedoch nicht in dem Ausmaß wie in der vorhergehenden Internet-Bildersuche. Das bedeutet, dass nicht ausschließlich stereotype physische Elemente auf den Abbildungen zu sehen sind, sondern auch viele grundsätzlich als störend bezeichnete Elemente. Auf den Startseiten der Internetauftritte der Kommunen sind somit nicht nur als schön, erhaben oder auch kitschig bezeichnete Elemente zu sehen, sondern auch als hässlich oder anästhetisch bezeichnete Elemente. Zu Annahme 2: Die Konstruktionen werden ästhetisch positiv konnotiert, d.h. sie bedienen sich schöner bzw. erhabener Elemente und intensiver Farben. Dieser Annahme kann nicht allgemein zugestimmt werden. Zwar bemühen sich die meisten Kommunen um eine positiv ästhetisierte Darstellung, jedoch sind auf den Abbildungen alle Kategorien der Ästhetik, demnach auch die als negativ bezeichneten Kategorien, zu sehen. Auch die farbliche Darstellung ist sehr heterogen. Neben Darstellungen mit intensiven, leuchtenden Farben gibt es auch viele, die keine erhöhte Farbsättigung aufweisen. Die Abbildungen sind demnach zum Großteil, aber nicht ausschließlich als ästhetisch positiv konstruiert.

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Empirische Zugänge: Ästhetische Konstruktion von ‚Landschaften‘ in den Medien

Zu Annahme 3: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich deutlich von den vorgefunden Landschaftskonstrukten. Diese Annahme trifft nicht vollständig zu. Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte unterscheiden sich in manchen Aspekten durchaus von den vorgefundenen Landschaftskonstrukten der Postmoderne, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie die Internet-Bildersuche. Die Abbildungen auf den Startseiten der Internetauftritte der Kommunen sind zwar deutlich an die vorgefundenen Landschaftskonstrukte angelehnt, jedoch verbergen sie auch häufig als störend bezeichnete physische Teilräume wie z. B. leerstehende Gebäude, Gewerbe- und Industriegebiete oder Flächen mit erneuerbaren Energiesystemen. Den vorgefundenen Agglomerationsräumen werden diese physischen Elemente bzw. Teilräume jedoch häufig zugeschrieben. Zu Annahme 4: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte sind in den meisten Fällen überarbeitet, um noch ästhetisch positiver zu erscheinen. Dieser Annahme kann nicht eindeutig beigestimmt werden. Nur bei knapp 14 % konnte eine auffällige Überarbeitung und bei knapp 40 % eine unauffällige, aber vorhandene Überarbeitung festgestellt werden. Somit sind auf knapp 50 % der Startseiten keine ersichtlichen Bildbearbeitungen festzustellen. Das führt dazu, dass die Abbildungen einerseits als weniger ästhetisch positiv, andererseits aber als den vorgefundenen Räumen näher wahrgenommen werden. Ein kleiner Prozentsatz der Internetauftritte fällt sogar dadurch auf, dass die Bilder auf den Startseiten blass und eintönig wirken und durch die mittelmäßige bis schlechte Bildqualität hervorstechen (Ausführungen zur Bildqualität siehe Ende des Kapitels 5.1.2) Zu Annahme 5: Die auf den Bildern gezeigten Landschaftskonstrukte führen durch die Diskrepanz zwischen stereotypen und vorgefundenen Landschaftskonstrukten zu einem Akzeptanzproblem. Auch wenn die Diskrepanz zwischen den abgebildeten und den vorgefundenen Landschaftskonstrukten in dieser Untersuchung weniger deutlich ausfällt, kann sie auch hier zu einem Akzeptanzproblem beitragen. Die zum Teil ausgeprägte Heile-Welt-Konstruktion auf den Internetstartseiten steht der vorgefundenen

Vergleich der beiden Untersuchungen

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Landschafts- bzw. Agglomerationskonstruktion gegenüber. Die Abbildungen auf den Startseiten zeigen sich somit zum Teil als eine lückenhafte Konstruktion. Diese Lücken der Konstruktion beziehen sich auf störende physische Elemente und können in den vorgefundenen Räumen daher zu einem Akzeptanzdefizit führen, denn die Konfrontation mit dem als Wirklichkeit konstruiertem Raum lässt die Unterschiede zu den Raumkonstruktionen im Internet deutlich werden. 5.3 Vergleich der beiden Untersuchungen Nach Abschluss der beiden Untersuchungen fällt zunächst auf, dass sich die Ergebnisse angesichts ihrer Einheitlichkeit stark unterscheiden. Während die abgebildeten Landschaftskonstrukte in der Internet-Bildersuche sehr homogen wirken, zeigt sich in den abgebildeten Landschaftskonstrukten in den Internetauftritten von niederbayerischen Kommunen eine deutliche Heterogenität. In diesem Kapitel sollen diese Unterschiede zunächst anhand der Inhaltsanalyse und der qualitativen Bildinterpretation sowie der Feinanalyse verdeutlicht werden. Anschließend werden auch die zu Beginn getroffenen Annahmen in Bezug auf die beiden Untersuchungen gegenübergestellt. Tabelle 16 zeigt die dargestellten physischen Elemente, die von einem Großteil der Bevölkerung als stereotyp im Hinblick auf Landschaftskonstrukte bezeichnet werden, im Vergleich. Während einige physische Elemente wie beispielsweise Himmel, Wolken, Sonne und Wiesen in einer ähnlichen Anzahl sehr häufig auf den untersuchten Abbildungen vorkommen, gibt es andere physische Elemente, deren Vorkommen sich deutlich bzw. sehr deutlich unterscheidet. Das sind z. B. landwirtschaftliche Nutzflächen, Bauernhöfe, Kirchen, als Dorf bezeichnete Siedlungen, aber auch Stauden- bzw. Blumenbeete oder Wald bzw. Bäume. In der nachfolgenden Tabelle 16 zeigen die grau unterlegten Zeilen diejenigen einzelnen physischen Elemente, die in einem der beiden Untersuchungsbeispiele signifikant häufiger vorkommen.76 Dabei ist festzustellen, dass ein Großteil (13 von 18) der überwiegend als stereotyp positiv bezeichneten physischen Elemente in den Bildern der Bildersuchmaschine signifikant häufiger vorkommt. 76

Zur Überprüfung der Signifikanz wurde der Chi-Quadrat-Test herangezogen, gemäß Döring/Bortz (2016). Das Signifikanzniveau der 5 %-Grenze wurde in den grau unterlegten Zeilen deutlich unterschritten, die Irrtumswahrscheinlichkeit ist in allen Fällen sehr klein (p