Die Schillerverehrung in der Sozialdemokratie vor 1914 Zur ideologischen Formation proletarischer Kulturpolitik vor 1914, 3476003728

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Die Schillerverehrung in der Sozialdemokratie vor 1914  Zur ideologischen Formation proletarischer Kulturpolitik vor 1914,
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DIE SCHILLER-VEREHRUNG IN DER SOZIALDEMOKRATIE Zur ideologischen Formation proletarischer Kulturpolitik vor 1914

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin

Vorgelegt von Wolfgang Hagen aus Kleve/NRW

Referent: Prof. Dr. Margherita von Brentano Korreferent: Prof. Dr. Helga Gallas Tag der mündlichen Prüfung: 24.11.1977

8. 5. ( Das Glück zu fangen, mit den Ornamenten der Kirchenfenster des Notre-Dames, wo sie Gott hineingewebt haben für ein Fest von licht, dort, bei der Scheu der Kerzen, dem Tribut der Verlegenen, deren Furcht den kleinen Schein nicht verlassen kann bis sie nicht mehr mögen und sich ergeben. Die Furcht zu sehen und sie zu grüßen wie etwas Altes, Vertrautes, das die Macht verloren hat, — das Verlorensein in der Starre der Gesetze aus den Gesichtern der alten Götter, von den winzigen Männchen mit Bäuchen, die wohlwollend und mild das Böse unbeachtet lassen. Die Dinge können noch sagen und ich finde sie wieder. Jetzt brauche ich nur zu schauen, denn jetzt habe ich Geduld, die eiternden Wunden wollen schnell heilen und drängen mich, vorbereitet zu sein. Die Regeln des Glücks: Gibt es gültige Systeme? Die Harmonie des Innen und Außen. Warum beginnt es mit den Augen? Das Physische und das Bildermachen des Selbst, die Farben sind grün, lila, wie das Erinnern in sehnsuchtsvo Her Gleichmut. (Gerlinde Koch * 8. 9. 19

Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit beruht auf der vom Verfasser besorgten Sammlung von über 30 sozialdemokratischen Tages- bzw. Wochenzeitungen aus dem Zeitraum Mai 1905 und der Zusammenstellung der in ihnen abgedruckten Texte zur Schillerfeier 1905. Diese Ausschnittsammlung, zuzüglich der Ausschnitte aus einigen bürgerlichen Zeitungen und einem detaillierten Bericht über die Quellenlage und die Standortrecherchen, in diese Arbeit aufzunehmen, hätte deren Rahmen bei weitem gesprengt und dürfte überdies nur für unmittelbar in der Forschung Tätige von Interesse sein. Aus dieser Sammlung wurden 17 signifikante Texte ausgewählt und als »Dokumentarischer Anhang« in diese Arbeit aufgenommen. Die Ausschnittsammlung wurde dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte (»IISG«) in Amsterdam übereignet, wo sie frei zugänglich ist. Besonderen Dank möchte ich sagen Götz Lankau von IISG, ohne dessen Rat und Hilfe die oft mühselige Suche nach den schwer zugänglichen und oft sehr ungenau nachgewiesenen sozialdemokratischen Tages- und Wochenblättern erfolglos geblieben wäre; ferner Herrn Hüser (Dortmund) und Herrn Prof. Dr. Koszyk (Dortmund) und ganz besonders Frau Prof. Dr. Margherita von Brentano und Frau Prof. Dr. Helga Gallas, die in einer ungewöhnlichen und schwierigen Situation die Betreuung der Arbeit übernommen haben. In diesen Dank eingeschlossen sei auch mein Freund Werner Hamacher, der methodologische Anregungen gab und die beiden Methoden-Abschnitte der Einleitung sorgfältig annotierte. Und nicht zuletzt Dank auch Frau Kaienberg und Christine Heimerl für die Abschrift und Tonki Hagen und Manuela Reichart für die mühevolle Korrektur des Textes.

Zur Zitierweise

Auf einen speziellen Anmerkungsapparat wurde im Interesse des Umfanges verzichtet; stattdessen folgt die Zitierweise unmittelbar der Bibliographie bzw. dem Zeitungs- und Zeitschriften-Verzeichnis. In Klammern wird in der Regel Bibliographienummer und darauffolgend Seitenzahl angegeben, zur gelegentlichen Verdeutlichung wird zuweilen auch der Verfassername vor die Bibliographienummer gesetzt. Bei Zeitungen und Zeitschriften wird das im bibliographischen Anhang aufgelöste Sigel benutzt. Sammelwerke, Gesamtausgaben, Teilsammlungen etc., alle die Werke also, bei denen unter einer Bibliographienummer mehrere Bände zusammengefaßt sind, werden durch den Verfassernamen und die Nummer des Bandes der entsprechenden Ausgabe zitiert (z. B. Luxemburg, Bd. 1/1, S. 504) = Rosa Luxemburg, Bibliographie Nummer 139, Band 1/1, S. 504).

Inhalt

Vorbemerkung

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Einleitung XIII 1. Die »Randerscheinung«. — Bemerkungen zum Forschungsstand XIII 2. »Er wird auf unseren Lippen schweben«. Zur Tradition der Schill er-Verehrung in Deutschland XVII 3. »Die strebende Kokospalme, scheinbar dürr, doch strotzend von Mark« — die nationalen Schillerfeiern 1905 ., XXIV 4. »Blinkende Glasperle« oder »Verkünder kommender Herrlichkeiten«? — die sozialdemokratische Schiller-Verehrung aus zeitgenössischer Sicht XXVII 5. Zum Begriff des »ideologischen Diskurses« XXX 6. Zum Gang der Analyse XXXVII I. Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß« 1. Stichwort: »In der Sonne der Gesetzlichkeit« 2. »Die Arbeitersozialisten kennen die Fehler ihrer Klasse« (Bernstein) 3. Die Menge und das Weib: die »Potenz, die alles sein kann« . . 4. Der doppelte Blick des eisernen Mannes (Luxemburg) 5. Die »Sozialdemokratie als Prozeß«. Das Paradigma der Einheitlichkeit 6. Klassenbewußtsein exogen, — der überlesene Kautsky in Lenins Text 7. »Einigkeit ist nicht Einheit«. Die Kontroversen nach der »Millionenwahl« von 1903 8. Der »Vorwärts-Konflikt« oder die vier »Arten des Revisionismus« 9. »Die Arbeiterbewegung eine Kultur/macht«

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Inhalt

X

II. Organisation und Zusammensetzung der Klasse 1. Bildungsarbeit in den »Freien Gewerkschaften« 2. Bildungsarbeit der Partei. Das »Ideal der Versammlung ohne Diskussion« 3. Soziale Zusammensetzung der Wähler und Mitglieder. Die Fragen Max Webers 4. Exkurs: Zur Problematik, Problemgeschichte und Theorie des Begriffs der Zusammensetzung der Arbeiterklasse a) Lukäcs' singulärer Arbeiter-Warenbesitzer b) Der >innere Bruch< der Klasse (M. Tronti) 5. Zusammensetzung der Klasse in den fortgeschrittenen Industrien. Die Enquete des »Vereins für Sozialpolitik« III. Der Ruhrstreik 1905. »Heißer ist dem Großen nie gehuldigt worden!« 1. Klassenzusammensetzung und Arbeitergeschichte des Ruhrbergbaus 2. Der Ruhrstreik 1905 3. Die sozialdemokratische Kritik an der Gewerkschaftsführung. Zur Archeologie der sog. »Massenstreikdebatte« IV. Zur ideologischen Formation der Schiller-Verehrung 1. Mehrings Schiller-Bild 2. Keine Debatte um die Schiller-Verehrung: die »SchillerDebatte« 3. »Wo ist Schiller?!« — Notiz zum Problem des ideologischen shifters< Dokumentarischer Anhang Text Text Text Text Text Text Text Text Text Text Text Text Text

1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8: 9: 10: 11: 12: 13:

Eine Schillerfeier der Berliner Arbeiter Bericht über die Schillerfeier Zur Schillerfeier (Gedicht) Schiller (Gedicht) Die Arbeiter an Schiller (Gedicht) Friedrich Schiller (Gedicht) Schillerfeier Der Schillertag Schiller und die Arbeiter Schillers Volkstümlichkeit Schiller/Gegen sozialdemokratische Juliane Schiller als Agitator Über Schillers Idealismus

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111 113 124 138 152 155 164 179 184 184 186 189 192 193 194 195 199 200 202 208 214 216

Inhalt

Text 14: Schillers Einfluß auf die Agitation der Sozialdemokratie Text 15: Die Rebellion in Schillers Dramen Text 16: Mehring Rezension Text 17: Schiller und die Arbeiter Bibliographischer Anhang

XI

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Zeitungs- und Zeitschriftenverzeichnis

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Bibliographie A. Schiller und die Schiller-Verehrung B. Zeitgenössische Bücher und Aufsätze C. Neuere Literatur zur SPD-Forschung und Allgemeines

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Register

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Einleitung

1. Die »Randerscheinung«. — Bemerkungen zum

Forschungsstand

Berlin ist begeistert, feierlich gestimmt; offiziell wie inoffiziell wird das Andenken Schillers gefeiert. (...) Frommgläubige Seelen, die sonst jede Toleranz für sündhafte Schwäche halten, verehren heute Schiller, der sich zu keiner Religion bekennen wollte. Bezopfte Gelehrte, Bändiger der freien Kunst, Spießbürger aller Art, ordenbehängte und -besternte Beamte mit wichtiger Büromiene schwärmen für Schiller; sogar hohe Militärs sind nicht abgeneigt, - war ja von Adel, versteht sich! Berlin ist aus Rand und Band seit Wochen schon. Keine Zeitung, keine Schrift ohne Schiller-Artikel, fast keine Rede ohne Schiller-Erinnerungen, keine Bühne ohne Schiller-Dramen, keine Stammtischrunde ohne Schiller-Zitate. —Und da gibt es Menschen, die auf all die Aufregung spöttisch blicken und von einem Schiller-Rummel reden. Unglaublich. [Vorwärts 3. Beilage, 9. 5. 1905] »Spöttisch« blickten und von »Rummel« sprachen: Die Sozialdemokraten. Doch besagt diese ironische und sarkastische Geste nicht, daß nicht auch sie selbst an dem »Rummel« Anteil nahmen. Ein Beobachter notiert: Die Schillerfeier des Jahres 1905 ist noch allgemeiner gewesen als diejenige des Jahres 1859. Damals ist sie doch im wesentlichen eine Feier des städtischen Bürgertums gewesen. Diesmal ist innerhalb der Grenzen des deutschen Reichs kaum die entlegenste Ortschaft ganz unberührt geblieben, denn auch das kleinste Winkelblättchen brachte seinen Schillerartikel; in weit höherem Maße ist ferner durch die Schule die Jugend hereingezogen worden; vor allem aber: eine Bevölkerungsgruppe, der im Jahre 1859 überhaupt noch keine selbständige Bedeutung zukam, die Arbeiterklasse, hat so kräftig eingegriffen, daß ihre Beteiligung der Schillerfeier auf einer weiten Strecke geradezu ein besonderes Gepräge gab. [Dörrfuß, 7, 2] In allen sozialdemokratischen Tageszeitungen und fast allen ihren Zeitschriften (die Partei besaß oder beeinflußte um 1905 etwa 90 Organe) erschienen um den 9. Mai 1905, Schillers 100. Todestag, unzählige Artikel, Gedenkreden, Würdigungen, Gedichte etc., die, wenn auch mit Unterschieden in der Akzentuierung, den selbständigen sozialdemokratischen Beitrag zur Schillerfeier unterstrichen: »Denn er war unser!« Nein, ein größer Wort, Ein heiliges, soll uns vom Munde gehen, Das reißt die Kühlen und die Kleinen fort, Das soll im Kampf wie Scharlachfahnen wehen, Machtvoll erbrausend hallt's die deutsche Erde: Steht auf und ringt, daß Schiller euer werde! (...)

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Einleitung

Oh bleibe mit uns, die im Schatten sind, Und doch nach Licht mit allen Fibern ringen, Hilf uns und segne unser Enkelkind, Daß es den Enkel-Enkeln darf gelingen, Dann geht dein großes Volk auf deiner Erde. Steht auf und ringt, daß Schiller unser werde. [VF, 6. 5. 1905] Vereinzelt finden sich auch kritische Stimmen: Doch über diese Phase des politischen Wachstums, wo die gärende Begeisterung, das halbdunkle Streben zu den lichten Höhen des »Idealen« den Anbruch der geistigen Wiedergeburt der deutschen Arbeiterschaft ankündigte, sind wir beträchtlich hinaus. (...) Auch Schiller kann und muß die deutsche Arbeiterschaft heute ganz wissenschaftlich-objektiv als einer mächtigen Erscheinung der bürgerlichen Kultur gegenüberstehen, statt in ihm subjektiv aufzugehen oder richtiger, ihn in eigener Weltanschauung aufzulösen. [Luxemburg, Bd. 1/2, 534]

Die neuere Forschung hat sich bislang wenig damit befaßt, die sozialdemokratische Schillerverehrung und somit auch jene sogenannte »Schilierdebatte«, zu der die Feiern den Anlaß gaben, zu untersuchen. Grund dafür mag der befremdliche Gegenstand selber sein, mit dem sich zu konfrontieren keiner der vereinzelten Disziplinen der historischen Wissenschaften umstandslos zukommt. Weder ist das Schiller-Feiern von Sozialdemokraten ein Thema politischer Geschichte als solcher, — dazu hätte es Folgenreicheres geben müssen als diese Festreden und Gedenkstunden; auch ist es keines der - immer noch durchweg national orientierten - Kulturgeschichtsschreibung [einzig hier Cruse, 6], wo es doch nur um die »Kultur« einer Partei, der Sozialdemokratie, geht. Wenn auch die Sozialdemokratie gerade vor 1914 sich selbst als »Kulturbewegung« [Bebel, in 191, 210] verstand, und zwar über die Grenzen ihres parteimäßig organisierten Wirkens hinaus, so wurde doch dieses Selbstverständnis bislang nicht als solches konstitutiv für die Themenstellung historischer Forschung, sondern allein unter der Frage der »Ideologie der Partei« [vgl. Ritter, 3 70; zuletzt Steinberg, 404] abgehandelt. Hier finden sich wenige Arbeiten, die en passant auch das sozialdemokratische Schillerbild erwähnen [Miller 340, 64, N. 57]. Anathema für die politische Geschichte des Kaiserreichs [Wehler 426, Saul 379], verdrängt durch die dogmengeschichdiche Fixierung der SPD-Forschung an einzelne ideologische »Köpfe« [Kautsky, Bernstein, Luxemburg; vgl. Steinberg, 404] verschwand das Phänomen sozialdemokratischer Schiller-Verehrung in den Falten der rubrizierten Forschungssektoren. Nicht anders in der DDR: zwar gilt es für die SED, die SPD vor 1914 als Organisation zu begreifen, in der jene spätere von dem Spartakusbund, der KPD und dann der SED getragene marxistische Weltanschauung von der »Linken« um Luxemburg, Mehring und Bebel schon keimhaft ausgebildet wurde [z. B. Laschitza, 323 ]. Aber unter all den traditionsbewußten Analysen regionaler Massenkämpfe, Analysen des Einflusses der Russischen Revolution von 1905 auf die deutsche Arbeiterbewegung, des Verhältnisses von Sozialdemokratie und Gewerkschaften, ideo-

Bemerkungen zum Forschungsstand

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logischen Strömungen in der Partei, Analysen der Konterrevolution u. a. finden sich kaum Arbeiten, die »Inhalt und Methoden der ideologischen Beeinflussung der Volksmassen vor dem I. Weltkrieg« [Gutsche, 271, 494] zum Thema haben, — keine einzige zur Schill er-Verehrung der Sozialdemokratie. Die Erforschung der literaturpolitischen Aktivitäten der SPD vor 1914 ist in der DDR immer noch, kaum anders als hierzulande, ausgerichtet nach »Köpfen«. In diesem monographischen Rahmen finden sich Hinweise auf Schiller vor allem in Studien über Franz Mehring [schon Lukäcs 330 a; Höhle 279; Koch304]. Ursula Münchow hat zur Zeit des »Bitterfelder Weges«, d. h. Anfang der 60er Jahre, als das Verhältnis von industrieller und literarischer Produktion (»Kumpel, greif zur Feder«) sogar anfangs mit kulturrevolutionärer Ausrichtung diskutiert wurde, an ähnliche »Literaturdebatten« in der Vorkriegs-SPD erinnert und eine Arbeit über die sogenannte »Naturalismus-Debatte« (1896) veröffentlicht [346]. Doch wie der »Bitterfelder Weg« auf der Strecke blieb [Gerlach, 257 a], so auch die weitere Beschäftigung der DDR-Forschung mit den anderen Literaturbewegungen der Vorkriegs-SPD. So ergibt sich der erstaunliche Umstand, daß der 9. Band der Geschichte der deutschen Literatur, der 1974 in der DDR erschien, seine Erwähnung der »Kontroverse« »aus Anlaß des Schiller-Jubiläums von 1905« [259, 57ff.] durchgängig auf eine Quelle stützen muß, die aus der BRD stammt: Georg Fülberth's Arbeit Proletarische Partei und bürgerliche Literatur. Auseinandersetzungen in der deutschen Sozialdemokratie der II. Internationale über Möglichkeiten und Grenzen einer sozialistischen Literaturpolitik \253]. Fülberth erklärt den Tatbestand sozialdemokratischer Schillerverehrung so: Allerdings kann die rückhaltlose Schillerverehrung breiter Teile intellektuell angeregter Schichten des Proletariats nicht allein auf den Einfluß revisionistischer Feuilletonisten zurückgeführt werden, sondern sie zeigt vor allem das Fortwirken der zeitgenössischen bürgerlichen Schiller-Rezeption (die durch die vorangegangenen Gegenwirkungen des Naturalismus nicht gebrochen war) auch in der Arbeiterklasse. [253, 83] Die naheliegende Frage, wie denn der Einfluß jener »zeitgenössischen Schiller-Rezeption« auf jene »breiten Teile intellektuell angeregter Schichten des Proletariats« zu erklären wäre, beantwortet Fülberth nicht. Offen bleibt, worin die historischen Bedingungen zu suchen sind, die dies »rückhaltlose» Verehren Schillers möglich machten und fraglich bleibt auch, ob die »Schiller-Debatte« eine Debatte um das >angemessene< Schillerbild oder um die Teilnahme an der Schiller-Verehrung selbst war. Für die Autoren der Geschichte ..., wie für Fülberth, ist die Debatte zwischen Vorwärts (dem Zentralorgan) und der Neuen Zeit (das theoretische Organ) um das sozialdemokratische Schillerbild - Fülberth reduziert, wie wir noch sehen werden, fälschlich die verschiedenen »Strömungen« der sozialdemokratischen Schillerverehrung auf eine Konfrontation zwischen diesen beiden Gruppen — schon eine Auseinandersetzung zwischen »Revisionisten« (Vorwärts) und » marxistischen Kritikern «(Neue Zeit). Letztere setzten, so heißt es, » die anti-

XVI

Einleitung

revisionistischen Akzente bereits energischer« [259, 57]. Ob aber die Teilung zwischen diesen beiden politischen Strömungen der Sozialdemokratie (Revisionisten — Marxisten) literaturpolitisch überhaupt Gültigkeit hat, wird erst gar nicht infrage gestellt. So entschlägt sich die Analyse, auch schon bei Fülberth, des Problems, das Verhältnis von Literatur (Kultur, Ästhetik) und Politik überhaupt in einer konkreten historischen Situation konkret zu analysieren. Was »Revisionismus« auf dem Boden der Literaturtheorie heißen mag, zu eruieren, erfordert indessen ein Eingehen auf die Ereignisse, Diskurse und Inhalte der Schillerfeier in ihrer politischen Konjunktur und auf dem Hintergrund ihrer historisch sozialen Bedingungen. Von da aus, im Lichte ihrer praktischen Schiller-Rezeption, muß die Ideologie der Sozialdemokratie, muß »Revisionismus«, »Reformismus« und Revolutionstheorie der Linken verdeutlicht werden. Es muß die Sprache der Schill er-Verehrung, als Exempel kulturpolitischer Praxis, als in die Sprache der Politik, in die Sprache der Revolutionstheorie, transformierbar gezeigt werden; erst im konkreten Aufweis dieses Zusammenhangs liegt der Sinn der Analyse. Die folgende Untersuchung ist diesem Vorhaben verpflichtet und versteht sich, vom historischen Beispiel ausgehend, als material orientierter Beitrag zur Theorie der Ideologie. Fülberth macht sich die Sache einfach: »Das Bekenntnis sozialdemokratischer Intellektueller zu Schiller ist seinerseits lediglich eine — >sozialistisch< umformulierte - Randerscheinung des Schillerkults der bürgerlichen Publizistik«. [253, 83] Das Schiller-Bekenntnis zur Randerscheinung bürgerlicher Schillerverehrung zu machen, heißt doch, eine eigenständige Schiller-Verehrung habe die Sozialdemokratie nicht entwickelt. Das aber ist, wie wir sehen werden, ein Irrtum. Fülberth mag aber auch gemeint haben, die sozialdemokratische Schillerverehrung sei im Grunde eine Randerscheinung der bürgerlichen, abgesehen von irgend einer taktischen Profilierung. Dies suggeriert, jene Schiller-Verehrung sei so bedeutungslos wie diese, eine Randerscheinung, wie vieles in der bürgerlichen Kultur, das die Revolution hinwegfegen wird. Abgesehen davon, daß Schiller-Feiern bis in die jüngsten Tage hinein in beiden deutschen Staaten ein zähes Leben führen, hieße das nur, eine einfache Verdrängung zu vollziehen. Denn daß die Arbeiterbewegung in Schiller auf eine noch zu eruierende Weise sich wiedererkannte, sollte jedenfalls nicht als Randerscheinung »bürgerlicher Publizistik« abgetan werden, solange offen ist, welches historische Gewicht dieses Wiedererkennen hat, das zu entscheiden auch Fülberth wohl nicht in die Hände »bürgerlicher Publizistik« legen will. Randerscheinung aber bleibt die Schiller-Verehrung und »Schiller-Debatte« in einem gewissen Sinne dennoch: Sie hatte keine unmittelbaren politischen Folgen, half den innerparteilichen, strategischen und taktischen Kontroversen der Partei keinen Schritt weiter, brachte der Partei auch keine besondere Niederlage oder Sieg, sie bildete gleichsam einen völlig ungefährlichen spannungslosen Ort des status quo. Schiller selbst, der 100 Jahre tot war, konnte ungefährlich bleiben für die Arbeiterbewegung. Randerscheinung ist der historische Augenblick der Schiller-

Zur Tradition der Schillerverehrung in Deutschland

XVII

Feier. Vom Sterbedatum Schillers vorgegeben, zieht somit die Schiller-Verehrung einen synchronischen Schnitt durch Ideologie, politische Lage, organisatorischen Zustand und revolutionäre Perspektive der Sozialdemokratie, weil sie auf eine praktische Weise die Frage nach der politischen Bedeutung Schillers für die Arbeiterbewegung stellt. Doch nicht nur das Sterbedatum, sondern schon das Vermächtnis, das daran bewahrt werden konnte, war ihr vorgegeben: die Tradition der Schiller-Verehrung in Deutschland. Nicht Schiller selbst, sofern man überhaupt davon reden kann, es gäbe solch ein historisch-authentisches Dichter-Subjekt, sondern die Tradition deutscher Schiller-Verehrung war es, mit der die Sozialdemokraten in Artikulation traten; am Rande dieser Tradition versuchten sie, der Arbeiterbewegung für Schiller Stimme zu geben.

2. »Er wird auf unseren Lippen schweben« Zur Tradition der Schiller-Verehrung in Deutschland Die Tradition deutscher Schiller-Verehrung, Prätext des sozialdemokratischen Schiller-Bildes, wurde praktisch an seinem Grab gestiftet. Am 10. August 1805, drei Monate nach Schillers Tod, fand in Lauchstädt jene von Goethe geleitete Gedenkfeier statt, die Vorbild werden sollte für 11/2-Jahrhunderte Schiller-Gedenken. Es wurden die drei letzten Akte von Maria Stuart aufgeführt und eine dramatisierte Fassung des Lieds von der Glocke rezitiert. Goethes Epilog zu Schillers Glocke schloß sich an: Denn er war unser! Mag das stolze Wort Den lauten Schmerz gewaltig übertönen! Er mochte sich bei uns im sichern Port, Nach wildem Sturm, zum Dauernden gewöhnen. Indessen schritt sein Geist gewaltig fort Ins Ewige des Wahren, Guten, Schönen, Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine. [in 20, 484]

Diese vierte Strophe des Goetheschen Gedichts ist in der sozialdemokratischen Presse unzähligemale zitiert worden, und es wird zu prüfen sein, warum. Goethe hat in diesem Gedicht—absichtslos — die Motive vorgezeichnet, die seither konstitutiv sind für die Schill er-Verehrung, von der genau unterschieden werden muß, was (auch bei Goethe selbst) als Rezeption Schillers (vor allem in dem literaturwissenschaftlich bedeutenden Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller) gelten kann. Schillers ideelle Vita selbst wird zum literarischen Gegenstand, — auch dafür hat Goethe das Vorbild gegeben im anläßlich des »wiederaufgefundenen« Schiller-Schädels entstandenen Gedicht Bei Betrachtung von Schillers-Schädel; 1912 stellte sich heraus: es war der falsche Schädel, den man gefunden hatte — und als

XVIII

Einleitung

solcher treten Schillers Biographie, ästhetische Praxis und Philosophie in den Rang einer eigenen literarischen Metaphorizität, die nicht mehr beansprucht, historisch-kritischer Überprüfung Stand zu halten. Der das irdisch-bändigende Gemeine »hinter sich lassende« Geist, das Ideale, ist eines der Motive dieser Literarisierung. Er hatte früh das strenge Wort gelesen, Dem Leiden war er, war dem Tod vertraut. So schied er nun, wie er so oft genesen, Nun schröckt uns das, wofür uns längst gegraut. Doch jetzt empfindet sein verklärtes Wesen Nur einen Wunsch, wenn es herüberschaut. O! möge doch den heil'gen, letzten Willen Das Vaterland vernehmen und erfüllen! [zit. nach 20, 486]

»Vaterland« darf freilich nicht im nationalistischen Sinne verstanden werden; doch neben dem Motiv des kranken, todvertraüten Menschen, spielt das des Künders der Nation in der folgenden Verehrungstradition die größte Rolle. Nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehört all' das, was mit Goethe an Schiller-Verehrung beginnt, die oft wiederholten Feierstunden unter seiner Leitung (1806, 1810, 1815), die von ihm initiierte Umwandlung von Schillers Jenaer Gartenhäuschen in eine Gedenkstätte, oder die großen Maskenzüge vor der Russischen Kaiserin 1818, die eine Fülle Schillerscher Dramenfiguren lebendig machten, — historisch zu erklären. Natürlich läge es nahe, die historische Situation, napoleonische Bedrückung, »Mediatisierung» und Zerfall des Reichs, Preußens Wiederaufstieg und die Befreiungskriege, für das Pathos des »Vaterland«-Rufs verantwortlich zu machen; die in Gärung befindliche Neuordnung des Reichs, die mit dem Frieden von Luneville (1801) beginnt, schuf sicher Boden für die Verehrung Schillers als Künder des neuen Geistes in freier Nationalität, doch den Status und die politische Struktur dieser pathetischen Metaphorik erklärt der historische Rekurs als solcher nicht. » Die Schiller-Verehrung ist—jedenfalls bis zum Jahre 1914 — ein Bestandteil der politischen Geschichte geblieben« [18, 702], bemerkte Hans Mayer zurecht. Tatsächlich entsprechen die Wellen der Schiller-Verehrung dem Auf- und Abflauen der politisch-nationalen Tendenzen des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Dies kann hier nur angedeutet werden: Nach dem Tode Goethes — der selbst keineswegs als uneingeschränkter Schiller-Verehrer angesehen werden darf, sondern mit dem Tode Schillers, der zeitlich mit der Auflösung des alten Reichs zusammenfiel, eher Resignation über das Ende einer geistigen Epoche verband [vgl. 20, 487] — sind es die Volkserhebungen in Kurhessen, Braunschweig, Hannover und Sachsen, die im Gefolge der Juli-Revolution von 1830 der Bewegung des »Jungen Deutschland« politische Wirkung geben. Und obwohl die konsequenten Verfechter des »Jungen Deutschland« (Börne, Wienbarg, Gutzkow) kritische Distanz zu Schiller zu wahren versuchen, beginnt in ihrem Gefolge die Schiller-Verehrung In-

Zur Tradition der Schillerverehrung in Deutschland

XIX

stitution zu werden. In domestizierter Form — die Jungdeutschen waren seit 1833 der Metternichschen »Demagogenverfolgung« zum Opfer gefallen —griff das Stuttgarter Schillerfest von 1839 nur noch sehr vage die Ideen des »Hambacher Festes« wieder auf; »Tageszeitungen, Unterhaltungsblätter und kritische Journale berichteten ausführlich über das lokale Ereignis und machten es zu einer nationalen Angelegenheit« [20, 571 f.], so beschreibt es der gründliche Historiker der Schill er-Verehrung, Norbert Oellers. Seiner Dokumentation entnehmen wir einen zeitgenössischen Bericht über dies Stuttgarter Schillerfest von 1839: Fragen wir vorerst, wer dieses Fest gefeiert habe, — so ist die Antwort: das Volk, und um es noch deutlicher zu sagen, der dritte Stand, eben derjenige, welchen das 19. Jahrhundert zu seinem Rechte gebracht hat (...). Nicht die Kunstbegeisterung, sondern ein allgemein menschliches Interesse, der Drang nach geistiger Freiheit war es, was in Schiller seinen Repräsentanten erkannte und seinen mächtigen Gehalt in die Verehrung des Dichters legte (...). Von allen Seiten, selbst aus der Schweiz, strömten die Liederkränze mit wehenden Fahnen herbei, und ein Zug von 1.500 Sängern war es, der, einen reichen Flor von Frauen und Mädchen in der Mitte, auf den Platz trat, um dem enthüllten Bilde den ersten Gruß zuzurufen (...). Die Nähe des Ewigen ließ sich spüren, der sich in jedem echten Genius offenbart (...) — die Gewissheit, daß Gott nicht in einem unnahbaren Jenseits, in eifersüchtiger Abgeschlossenheit wohne, sondern daß er in jedem echten Streben und Handeln für Ideen sich sichtbar mache, vor allem aber in dem Handeln derjenigen Menschen, welche wir Genien nennen (...). Wie man nun sonst über Schiller denken, wie man seine Poesie beurteilen möge, — daß er zu den Genien gehöre, mußte jedem klar sein, der dem Leben des herrlichen Mannes irgend einmal eine vernünftige Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Denn das wußte oder fühlte jeder, daß Schiller wenigstens eine Idee zur herrlichsten Entfaltung gebracht hat, die Idee der reinen, echten Menschlichkeit gegenüber allen Konventionen und Konflikten der Gesellschaft, die Idee der echten Menschlichkeit als der seligsten Versöhnung von Notwendigkeit und Freiheit, von Sittlichkeit und Sinnlichkeit, als die Einigung von Anmut und Würde zur gehaltvollsten Schönheit. (...) Wer hat das politische Ideal unseres Jahrhunderts so scharf bestimmt und so begeistert ausgesprochen, und wer hat es zugleich mit so edler Mäßigung von allen Auswüchsen freigehalten, als er? Ja, er selbst war sein Marquis Posa, ein zu früh gekommener Prophet, der sich zur Besiegelung der Wahrheit seines Evangeliums selber opferte. Aber so sehr er (...) gegen seine unter dem Joch des gemeinen Bedürfnisses und der toten Materie gebeugte und dem Ideale abgewandte Mitwelt eiferte, so unermüdlich er aufforderte, diese schmähliche Knechtschaft abzuwerfen, das Weltbürgertum in sich auszubilden, zu Menschen in der Idee sich zu veredeln, das Individum zur Gattung zu steigern und dem Staat zum Bilde eines schönen menschlichen Organismus zu erheben: so sagte er es doch laut, daß er in keinem anderen Jahrhundert leben, für kein anderes gearbeitet haben möchte. Er besang nicht allein das entflohene Ideal, sondern zeigte auch, wie es zurückgeführt werden könne (...) Würdig also und großartig war die Feier, und umso großartiger, je seltener ein Fest dieser Art möglich ist. Erfreuen wir uns also der erhebenden Gedanken, der schönen Gefühle, die sie uns erregt, der kräftigen Entschließungen, die sie in uns hervorgerufen oder gestärkt hat! Rühmen wir uns vor dem deutschen Vaterlande, daß wir sein Geschenk dankbar und würdig angewandt, daß wir den Sinn dieses Nationalfestes richtig verstanden und denselben keine gemeinen und partikulären Interessen untergeschoben haben! [20, 348—361] Der Rezensent der Feier vergißt nicht, das Volk »zu rühmen«, daß es »trotz mancher Gelegenheit zur Ausschweifung doch den ganzen Tag hindurch ohne po-

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Einleitung

lizeiliche Aufsicht aus eigenem Triebe sich in musterhafter Ordnung und edler Haltung erhielt« [ebd., 352], dadurch es eben beweise, daß es »ein Fest der edelsten Güter der Menschheit feiere«. Auch hieran werden die Sozialdemokraten anknüpfen. Am Beispiel des Stuttgarter Schillerfestes von 1838 zeigt sich überdeutlich die Trennung von Schiller-Rezeption und Schiller-Verehrung, die - bis 1914 und teilweise auch heute noch - die Geschichte der Schillerfeste prägt. Norbert Oellers spricht von »ganz und gar unliterarischer Begeisterung« in den Jahren »zwischen der Juli- und Februar-Revolution. Das Gedenkjahr 1859 nahm dieses Bild noch einmal auf und trug es um die ganze Welt«, [ebd., 42] 1859 ist in der Tat das Jahr des gewaltigsten Schillerfeierns, einer über ganz Deutschland ausgedehnten mächtigen politischen Demonstration, die sogar Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat. Unzählige Festreden, Feiern in allen Winkeln des Landes, in Schulen, Universitäten, Handwerksbetrieben, — eine »Volksbewegung« der nationalen Einheit, die am Anfang der sogenannten »neuen Ära« der Entwicklung Preußens stehen (Übernahme der Macht durch Prinz Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm I.) und ins Jahr der Gründung des »deutschen Nationalvereins« fallen; begleitet vom politischen Aufschwung der Liberalen, deren Auseinandersetzung mit dem preußischen König in den folgenden Jahren zum sogenannten »Verfassungsstreit« um die Länge des Heeresdienstes führen, dem Bismarck 1862, bereit, auch gegen die liberale Parlamentsmehrheit die Regierung zu führen, ein Ende macht. Die Schiller-Feiern des Jahres 1859 wurden zur machtvollen Demonstration der machtlosen liberalen Ideologie nationaler Einheit in bürgerlicher Freiheit; was Berthold Auerbach im Selbstverständnis der Zeit so umschrieb: »Die gesamte deutsche Nation (hat) Zeugnis abgelegt, wie sie sich zum deutschen Geiste bekennt, und Schiller ist und bleibt der Fahnenruf zur schönen Menschlichkeit, zur deutschen Brüderlichkeit und nationalen Kraft«, [zit. nach Oellers, 20, 51 f.] Von den anderthalbtausend eingegangenen Gedenkbeiträgen konnten bei der im folgenden Jahr veranstalteten Sammlung »Schiller-Denkmal« nur gut 340 Reden, Gedichte und Sprüche aufgenommen werden [Hilscher, 12, 350]. Eduard Mörike, Georg Herwegh, Friedrich Hebbel, Theodor Fontane, Gottfried Keller, Friedrich Theodor Vischer, Jacob Burckhardt, - alle Festredner und Poeten, die den Feierstunden literarisches Gepräge gaben, können hier nicht aufgezählt, sondern nur einige typisierende Beispiele herangezogen werden: Jakob Grimm, dessenRede auf Schiller als die berühmteste des Schiller-Jahres 1859 galt, markiert ganz ohne Pathos deren Grundlinie: Schiller ist und bleibt hauptsächlich auch darum populärer (als Goethe, W. H), weil (...) seine Schauspiele dramatisch mehr ergreifen und auf der Bühne öffentlich wirken, weil sie Rechte und Freiheiten des Volkes sichtbar darstellen und weil seine Lieder, die Würde unserer Natur erhebend, allen Menschen die Brust erwärmt und ideale Bilder des Lebens geschaffen haben. Er ist zum hinreißenden Lieblingsdichter des Volkes geworden und geht ihm über alle anderen. (...) Für deutsche Freiheit war »Wallenstein« und »Teil« entworfen. (...) Der

Zur Tradition der Schillerverehrung in Deutschland

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allgemeine menschliche Jubel, den die Chöre des Liedes »An die Freude« anfachen, wird nie erlöschen. [Oellers, 20,451 u. 449]

Moriz Carriere, Philosoph und Professor der Kunstgeschichte in München, hat in seiner Rede die Topoi der »Verehrung«: dramatische Individualität, Pathos der Humanität, Popularität, Nationalität, zusammengefügt: Das Ideal dem Schiller nachtrachtete, das er veranschaulichte, war nicht die Schönheit der körperlichen Gestalt, der ruhenden Form, sondern das geistige Leben in seinem Werden, der Wille in seiner Vollführung durch die Tat; so ward er Dichter und wesentlich Dramatiker. Und hier war es wiederum nicht die sinnige Entfaltung des Individuellen, die Offenbarung der Herzensgeheimnisse, der Gemütsinnerlichkeit, was ihn anzog und ihn gleich Goethe zum Seelenmaler gemacht hätte, sondern es sind die allgemeinen Gedanken, welche die ganze Menschheit berühren, es sind die weltbewegenden Fragen des öffentlichen Lebens, denen er sich zuwendet. (...) Ist uns nicht in Schiller und seiner Kunst bei aller staatlichen Verschiedenheit ein vaterländischer, ein allgemeindeutscher Einheitspunkt geworden, ein hohes geistiges Gut, in dessen Verehrung und Genuß Nord und Süd über die Spaltung der Konfessionen und Zerklüftung der Parteien hinaus sich die Hände reichen? (...) Weil sie sich ein Volk fühlen, weil sie diesem Vaterlandsgefühl einen freudigen Ausdruck geben wollen, weil sie den Rütlibund der deutschen Eintracht schließen wollen und die Hände erheben mit den Worten: »Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, In keiner Not uns trennen und Gefahr. Wir wollen frei sein wie die Väter waren Eher den Tod als in der Knechtschaft leben. Wir wollen trauen auf den höchsten Gott Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen«. Das ist die rechte Schillerfeier, das ist mehr als der Dichter selbst in begeisterter Stunde geahnt (...) [zit. nach 20, 432 und 438 f]

Noch deutlicher als bei Carriere kommen in der Rede Friedrich Theodor Vischers, des nach Hegel bedeutendsten Ästhetikers des 19. Jahrhunderts, die Züge des Schillerbildes von 1859 zutage: In den »Räubern«, in »Kabale und Liebe« hat er (Schiller, W. H.) die französische Staatsumwälzung, im »Fiesco«, mit wunderbarem Blick in Gang, Getriebe eines politischen Ereignisses, wovon ihm jede Anschauung fehlte, im »Wallenstein«, im Geßler hat er ihre Wendung zur Alleinherrschaft, ihren Bändiger, ihren abgefallenen Sohn, der zum Tyrannen und blutigen Eroberer wurde, geahnt und gemeint. Und während rings um ihn noch keine Spur das Kommende verriet, hat er im »Teil «die Erhebung seines Volkes gegen diese seine Geißel geweissagt. Als wir, — ja ich darf es sagen: wir den Gewaltigen zertrümmerten: Tausende von jenen, die nicht zitterten, als die Erde unter der Wucht seiner gepanzerten Reiter dröhnte, die dem Donner seiner Geschütze die Brust boten, Tausende von jenen Tausenden, die jene Walstätten, jenes blutgedüngte Feld der Völkerschlacht mit ihren Leichen deckten: sein Lied hat auf ihren Lippen geschwebt, sein Geist hat ihre Schlachten mitgeschlagen. Und wenn es wieder gilt, und wenn wir wieder blutig ringen sollen um Vaterland, Sitte, Recht, Wahrheit: sein Lied wird auf unseren Lippen schweben, seineflammendenWorte werden der Schlachtruf sein. [zit. nach Oellers, 20, 426f. ]

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Einleitung

»Vaterlandsgefühl«, im »Geiste der Wahrheit und der Liebe«, im Geiste der »Gedanken, welche die ganze Menschheit bewegen« usw., — dies wird bei Vischer um eine Dimension bereichert und konkretisiert: um die des Kampfes. Bedeutungslos dabei bleibt, daß die »Befreiungskampfer « (1813—15) keineswegs Schiller auf die Fahne geschrieben oder auf ihren »Lippen« schweben hatten; denn gerade das nachträgliche Darstellen »Schillers« als Präfiguration historischen national-freiheitlichen Bewußtseins ist die Struktur der Verehrung, wenn auch bereits als selbst schon vermitteltes Produkt. Daß Schiller nämlich, die Reden zum 100. Geburtstag zeigen das deutlich, zu der bündigen homogenen Figur eines nationalen Propheten stilisiert wird, war nur möglich aufgrund seiner vorgängigen Popularität. Schon zu Lebzeiten war Schiller populär, so bei seiner Antrittsvorlesung an der Jenaer Universität, als ihn eine Anhängerschar als Dichter der Räuber mit Hoch-Rufen empfing. Oellers konnte nachweisen, daß noch bis zu Goethes Tod, 1832, also vor Beginn der durch Gründung mehrerer Schiller-Vereine und -Liederkreise beginnenden »institutionellen« Schiller-Verehrung, die öffentlichen Ehrungen Schillers in einem »krassen Mißverhältnis zu (seiner) Popularität« standen [20, 312]. »Wie bekannt die Schillerschen Sentenzen im Publikum gewesen sein müssen, geht daraus hervor, daß sie in den Journalen immer wieder gebraucht wurden, ohne daß es nötig war, Schiller als Autor zu nennen. Verfolgt man diese Erscheinung aufmerksam, dann ergibt sich, daß gewöhnlich dieselben Sätze zitiert wurden, die auch heute noch wie Sprichwörter... hergesagt werden. Daß heute Schiller als Urheber der gebrauchten Wendungen nicht mehr immer bekannt ist, liegt in der Natur sprichwörtlicher Reden«, [ebd., 419, Anm. 20] Die Bekanntheit des Namens, die schon hinter die des Werks zurücktritt, (nicht seiner Stücke selbst, die wegen der Standes- oder Klassenschranken gegenüber dem Theater nicht »im Volk« populär werden konnten, sondern) aus seinen Stükken herausgelöste Sentenzen, kurze Passagen, aus Teil, Kabale und Liebe, Räuber etc., die verselbständigt sprichwörtliche Bekanntheit erlangten, sind der schwer faßbare Boden für die eigentliche Schiller-Verehrung, bilden die Möglichkeit, daß Vischer von den Räubern bis zum Teil einen Bogen schlagen kann: Aufstieg und Fall der Französischen Revolution, deren revolutionär-freiheitliches Erbe gleichsam »die deutschen« Befreiungskriege vollziehen, als eine Bewegung im Schaffen des national-patriotischen »Weissagers« Schiller. Schillers Leben selbst, sein »Ungestüm« der jugendlichen Auflehnung, seine »Läuterung« (»edle Frauen wirken mildernd, hilfreich ein ...« [20, 421]) zum Manne (»die ernste Forschung tritt hinzu. Zuerst Forschung der Geschichte. Der handelnde Mensch, das öffentliche Leben ist der Schauplatz, worauf dieser Männliche sich zuhause fühlt. Große Männer und Taten waren schon die Freude des Knaben gewesen« [ebd.]), seine körperliche Gebrechlichkeit und früher Tod — alles dies wird jetzt zu dramatischtragischer Individualität stilisiert. Ja, das ist ein Mensch, straff gespannt, kämpfend, ringend, strebend, unablässig fortschreitend, sich erneuernd; lang von Not verfolgt und heimatlos irrend, nie weich gebettet,

Zur Tradition der Schillerverehrung in Deutschland

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früh gebrochen an Leibeskraft und noch immer frisch, dem gedrückten Nerv Schwung abzwingend, — ein Mensch, an dem Tausende sich aufgerichtet haben und Tausende sich aufrichten werden. [20, 420].

In diesen Sätzen ist der Kern der Schiller-Verehrung getroffen: Schiller selbst wird in den Kreis jener dramatischen Figuren eingereiht, die er gestaltete. Schillers Person selbst wird zum Heros der Freiheit und der Nation. Damit aber ist ein Kapitel der Schiller-Verehrung angesprochen, das zum dunkelsten ihrer Geschichte gehört: die Legenden um Schillers Leben. Die dramatische Stilisierung seiner Person, die Kreation »des Schiller« (der schon als Knabe mit den Großen der Geschichte umgeht, um im Alter dann selbst in den Kreis der Ewigen einzukehren) beruhte lange Zeit auf bloßen Fälschungen von Geschäftemachern. Damit begonnen hatten, praktisch noch an Schillers Grab, ein gewisser Johann Gottfried Gruber und ein gewisser Christian Wilhelm Oemler, der gleich 2 Bücher mit völlig erdichtetem biographischen Material herausgab (1805 und 1806): sowohl Gruber wie Oemler gaben vor, in ständigem Umgang mit Schiller gestanden zu haben. Oemler erfindet zahllose Briefe Schillers an ihn und an andere, von denen tatsächlich einer sogar in die kritische Gesamtausgabe der Briefe (von Fritz Jonas, Stuttgart 1892ff.) Eingang gefunden hat. Eine von Oemler erfundene Anekdote findet sich noch in Thomas Manns Schiller-Rede von 1955 [vgl. Oellers, 20, 99, Anm. 62], ein Beweis, wie lange sich die aus bloßer Geschäftemachern mit der Popularität Schillers erklärenden Fälschungen Grubers und Oemlers halten konnten. Die Draperie des Schiller-Bildes, von Anfang an einzig dem, was das Publikum hören wollte, eifrig-geschäftig nachgebend, büßte auch später, als mit Carlyle, Wolzogen und Körner die ersten ernsthaften Schiller-Biographien erschienen waren, nichts von ihrer überzeichneten Idealisierung ein. Was Vischer in jenem zitierten Abschnitt seiner Rede unternimmt, die Stilisierung der Person »Schiller«, hat somit eine lange Vorgeschichte, wozu überdies zahllose Bühnenwerke gehören, kurze Szenen, Einakter oder abendfüllende Dramen, in denen Schiller Hauptfigur ist (von Bernhardis und Fouque's Totenspiel 1806 bis zu Walter von Molos Drama Der Infant der Menschheit 1912). Schiller selbst wird vereinnahmt, nicht nur sein Werk, die Dramen, die bekannten Gedichte, die herausgelösten Sentenzen, sondern auch er selbst wird als historische Figur stilisiert. Mag sein, daß diese national-patriotisch-humanistische Führerfigur Schiller 1859 den Liberalen Deutschlands tatsächlich ihre reale politische Schwäche kompensieren konnte; sie bleibt Zeichen jener Philistrosität, die das deutsche Bürgertum nach 1860, jedenfalls in den Augen Nietzsches, aber auch Wilhelm Raabes und anderer, kennzeichnete. Ohne das allzu nachdrückliche nationale Pathos werden die Sozialdemokraten die Grundzüge dieser Schiller-Verehrung reproduzieren. Franz Grillparzer war einer der wenigen, die den Feierlichkeiten, selbst auf die Gefahr hin, als Reaktionäre angesehen zu werden, ihre Stimme versagten. Die Feier werde, so Grillparzer, nicht um des Dichters willen begangen, sondern An-

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deres spiele die Rolle. »Etwa das deutsche Bewußtsein, die deutsche Einheit, die Kraft und Machtstellung Deutschlands. Das sind schöne Dinge, aber derlei muß sich im Rat und auf dem Schlachtfelde zeigen. Es ist nichts gefährlicher, als wenn man glaubt, etwas zu haben, was man nicht hat, oder etwas zu sein, was man nicht ist«, [zit. nach20,428] Tatsächlich erwies sich dann, daß die deutsche Einheit eine Sache des Schlachtfeldes wurde; und nach der Reichsgründung im Gefolge des deutsch-französischen Krieges 1870/71, sank Schillers Ansehen beträchtlich, »und neben Otto von Bismarck begann Friedrich Schiller in den Schatten zu treten« [Ludwig, 14, 482]. Tatsache ist, daß seit 1859 bis 1905 niemals wieder die Schiller-Verehrung breitere Kreise erfaßte. Darwinismus, Naturalismus, und »das Soziale« als »Programmatik der Moderne« [vgl. Brauneck, 217], Ibsen, Zola, Taine, Leo Tolstoi schienen tatsächlich die deutsche Klassik und Romantik in jener Gründerzeit abzulösen, wie Arno Holz, jener erste konsequente Naturalist, es im »Erbauungsbuch für seine Freunde«, 1885, schrieb: »Zola, Ibsen, Leo Tolstoi, / eine Welt liegt in den Worten / eine, die noch nicht verfault / eine, die noch kerngesund ist!... Unsere Welt ist nicht mehr klassisch / unsere Welt ist nicht romantisch, / unsere Welt ist nur modern!«, [zit. nach 14, 556] Kein Klima, das einer Schiller-Verehrung gedeihlich gewesen wäre. Jenen 59er Schiller-Feiern hatte in den Kriegsjahren 70/71 schon Wilhelm Raabe ein satirisches Denkmal gesetzt. Selbst ein Teilnehmer einer Schillerfeier in Wolfsburg 1859, verlegte Raabe diese Feier in seiner Erzählung Der Dräumling nach Paddenau, um in minutiöser Schilderung dieses kleinbürgerlichen Fleckchens und seiner Schillerfeier, deutsche Obrigkeit und deutsches Philistertum anzuprangern. 1905 erlebte diese Erzählung neue Popularität; 1905 ist nach 1859 das letzte »große« Schillerjahr der deutschen Geschichte, das erste aber, an dem Sozialdemokraten teilnahmen.

3. »Die strebende Kokospalme, scheinbar dürr, doch strotzend von Mark« — die nationalen Schillerfeiern 1905 »1905, beim 100. Todestag, dröhnte um den Dichter die imperialistische Blechmusik des Nationalismus« schrieb Ernst Bloch in seinem bemerkenswerten Gedenkartikel zum 150. Todestag 1955 [Bloch, 2, 161]. Daß in der Tat nur ein platter und verbogener Neuaufguß jener Feiern von 1859 am 100. Todestag, dem 9. Mai 1905, zu erwarten war, vermuteten die, die Zweifel am Sinn dieser erneuten Schiller-Euphorie äußerten: Die Frankfurter Zeitung, Jacob Minor, der die vielbeachtete Schiller-Biographie herausgegeben hatte, die Kritiker Maximilian Harden, Heinrich Hart, Richard Dehmel und Alfred Kerr hielten nichts von Schiller-Feiern, sprachen von »banausischem Lärm«, der sich erheben würde, Lippenbekenntnisse allenthalben gegenüber einer Wirklichkeit, die »so unschillerisch sei wie möglich« [Ludwig, 14, 634f.]. Die Tage gerieten denn auch zum politischen

Die nationalen Schillerfeiern 1905

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Spektakel, das treffender nicht bezeichnet werden könnte, als in jener Karikatur der Schiller-Nummer der Jugend: ein großer Jahrmarkt, mit vielen Jahrmarktbuden, je eine für eine Partei: Sozialdemokraten, Nationalliberale, Agrarier, Deutsche Volkspartei, Königlich-Preußische und das Zentrum: »Immer ran, meine Herrschaften! Nur bei uns der einzig wahre Schiller! Alles andere ist Schwindel!« [Jugend, 1905, Heft 19, 347] »Es ist gut, daß Schiller tot ist« schreibt ein »Pessimus« in der Wochenschrift Europa: »Wer feiert Schiller nicht?... Jede Richtung, jede Partei, jeder Stand, jede Strömung, alles entdeckt Schiller als Vorläufer, Vorbild und Schrittläufer der eigenen Bestrebungen und Interessen — also feiert man ihn«. [1. Jg., Heft 16, 1905, 779] Quantitativ stellten die Schiller-Feiern 1905 einen »Rekord über alle noch so bengalisch beleuchteten Literatenfeste der letzten Jahrzehnte« dar [LE, 1251], auch gemessen an der Anzahl und Verbreitung der Aktivitäten des Schiller-Jahres 1859 [vgl. Dörrfuß, 2, 7]. Wenn die Sozialdemokraten, wie eingangs erwähnt, von einem bürgerlichen »Schillerrummel« sprachen, so meinte dies nicht nur das, was in der kaiserlichdeutschen Presse in jenen Tagen zu lesen war. Es galt desgleichen den zahllosen Festveranstaltungen, die überall im Reich, in jeder kleineren Stadt, selbstredend in solchen mit eigener Bühne, aber auch in noch kleineren, stattfanden. Umzüge gab es zu den jeweiligen Denkmälern; Pflanzungen von Schiller-Linden in Göttingen, Heilbronn, Leipzig, Liegnitz, Marbach, Nordhausen, Thorn und in Würzburg; und in Stettin die Pflanzung einer Schiller-Ei ehe. Getragen wurden die Aktivitäten von den zahllosen Kultur- etc. Vereinen; vielfach waren Sozialdemokraten in solchen kulturellen Vereinen organisiert, ohne diese Vereine selbst politisch zu dominieren. Wenn uns also nur aus relativ wenigen Städten (Darmstadt, Dessau, Dresden, Frankfurt, Karlsruhe, Berlin, Dortmund) eigene Schiller-Feiern der Arbeiter gemeldet werden [Quellen siehe27 und30], so liegt der Grund darin, daß die Schiller-Feiern unter der Ägide von Vereinen stattfinden, deren neutraler kultureller Bildungszweck keine besondere Erwähnung politischer Richtungen gestattete. Das kurze Streiflicht, das wir auf die nicht-sozialdemokratische Szene der Schillerfeiern werfen wollen, wäre nicht abgerundet, würde die Satire nicht erwähnt, für die dieser Tag reichlich Anlaß bot. Da man aus Schiller >alles ziehen< konnte, Standpunkte der äußersten Rechten (»Wenn sich die Völker selbst befreien, da kann die Wohlfahrt nicht gedeihen«) und der äußersten Linken (»Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden ...«), war das satirische Spiel gleichsam vorgegeben, und nicht Unrecht hat die Stimme des distanzierten Beobachters Albert Ludwig, der hier »die Wirklichkeit wieder einmal« für »den besten Satiriker« hielt [14, 635]. Gleichfalls in satirischem Rahmen erschien jene kurze Prosaskizze des Friedrich Schiller, die als einzige von all den tausend Schiller-Arbeiten jener Woche Literaturgeschichte ma-

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chen sollte: Thomas Manns Schwere Stunde im Simplizissimus [Jg. 10, Heft 6, München 1905]. Manns Darstellung des namentlich ungenannten, der unter qualvoller Anstrengung sein »Leidenswerk« [IS, 379] gleichsam aus sich herausringt, bietet eine literarische Aneignung Schillers, die querständig zur Verehrung, » dem damals beliebten Bild vom siegreichen Lichtgenius die Wirklichkeit des hart arbeitenden, schwerkranken, in Zweifel und Ungenügen verstrickten Künstlers gegenüber (stellt)« [Mayer, 18, 713]. Hans Mayer stellt mit Recht diese Skizze Manns in die Reihe des in den 20er Jahren von Hoffmannsthal herausgebrachten Textbandes Schillers Selbstcharakteristik, der Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit von Schillers Werk andeuten will, und hierin eine Tradition der Schiller-Rezeption eröffnet, die bis heute von nicht erschlossener Produktivität erscheint. Zur Schiller-Feier selbst äußerte sich Hugo von Hofmannsthal betont zurückhaltend; Schiller wirke mehr »durch die architektonische Kraft des Szenariums, als durch die direkten Ideen und Reflexionen« [LE, 1068]. Diese Äußerung Hofmannsthals ist der Sammlung individueller Stimmen entnommen, die das Schillerheft des Literarischen Echo (LE) gesammelt hat. Eine reichhaltige Liste unterschiedlichster Stellungnahmen, in der Eduard Bernstein (»Als 13jähriger Knabe las ich zum ersten Mal »Die Räuber« und wurde von ihnen so ergriffen, daß ich einen Ohnmachtsanfall erlitt« [1048]) so wenig fehlt, wie die oben genannten Kritiker der offiziellen Schiller-Verehrung, Kerr, Harden und Richard Dehmel. Letzterer hat Schiller für sich so gesehen: (Ich) halte ihn zwar immer noch für einen mehr gewaltsamen als gewaltigen Dichter, aber für den einsichtigsten, gewissenhaftesten und maßvollsten Künstler in deutscher Sprache... Selbst an Goethe gemessen, menschlich wie künstlerisch, ist seine Willenskraft von überragender Erhabenheit: Goethe der immer trächtige, Schiller der ewig trachtende. Sie stehen mir stets im Bilde zweier, paradiesischer Bäume vor Augen: Goethe, der stattliche, breit sich hebende, reichbelaubte Brotfruchtbaum — Schiller, die strebende Kokospalme, scheinbar dürr, doch strotzend von Mark — bis zu den Früchten hinauf paßt das Sinnbild. [LE 1054].

Dies scheint indes insgesamt eine passendere politische Metaphorisierung des deutschen Schiller, als manches andere Wort: Kokospalme, ein Sinnbild des deutsch-imperialen Kolonialismus, der schon 1905, wie jene Schillerpalme, von Mark strotzen will. Scheinbar dürr.

4. »Blinkende Glasperle« oder »Verkünder kommender Herrlichkeiten«? — die sozialdemokratische Schiller-Verehrung aus zeitgenössischer Sicht. »... vor allem aber: eine Bevölkerungsgruppe, der im Jahre 1859 überhaupt noch keine selbständige Bedeutung zukam, die Arbeiterklasse, hat so kräftig eingegriffen, daß ihre Beteiligung der Schiller-Feier auf einer weiten Strecke geradezu ein besonderes Gepräge gab« [7, 2]. Dieses zeitgenössische Urteil, zumal von je-

Die sozialdemokratische Schillerverehrung aus zeitgenössischer Sicht

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nem Schiller-Forscher Alfred Dörrfuß abgegeben, dem alle anderen Neigungen als sozialdemokratische nachzusagen wären, hat, wie unsere Durchsicht der sozialdemokratischen Presse ergeben hat, viel für sich. Tatsächlich hat die Sozialdemokratie >eingegriffenEinsatz< für einen klassischen Dichter seinesgleichen suchen. Im Jahre 1905 verfügte die SPD im deutschen Kaiserreich über 91 Presse-Organe. Was deren publizistische Beteiligung an den Schiller-Feiern betrifft, so wäre der Negativ-Beweis anzutreten: welches beteiligte sich nicht? Außer den Sozialistischen Monatsheften (die im eigentlichen Sinne auch den sozialdemokratischen Organen nicht zuzurechnen sind) wurde vom Verfasser keines gefunden, das nicht einen, meist mehrere Gedenkbeiträge enthielt; und der ständige Mitarbeiter der SM, Eduard Bernstein, schrieb auch einen Schiller-Artikel, nur veröffentlichte er ihn andernorts. Reine Schiller-Nummern brachten dieNeue Welt, der Wahre Jakob, also die beiden Unterhaltungsblätter der Partei heraus, ebenso der Vorwärts und die Neue Zeit, also das »Zentralorgan« und die führende theoretische Zeitschrift der Partei. Selbständig gestaltete Sondernummern oder eigene Beilagen fanden sich darüberhinaus u. a. im Hamburger Echo, Jenaer Volksblatt, Braunschweiger Volksfreund, Volkswacht Bielefeld, Pfälzische Post. In ihrer Presse agitierte die Sozialdemokratie ihre Leser, die von der Partei organisierten Festveranstaltungen zu besuchen. Das Programmheft des »sozialdemokratischen Vereins« des Sächsischen Reichstags Wahlkreises sah folgenden Ablauf der Feierlichkeiten vor: Erste Abteilung 1. Orchester: Symphonie in C-Dur (Jupiter-Symphonie). 1. Satz von W. A. Mozart. 2. Rezitation: Die Künstler 3. Über Friedrich Schiller und die Gegenwart. Rede von Dr. Franz Diedench. 4. Orchester: Symphonia eroica. 1. Satz. Von Ludwig van Beethoven. 10 Minuten Pause. Zweite Abteilung 5. Chor: Der Alpenjäger. Von E. Pfusch. - Reiterlied. Männerchor mit Klavier von Karl Hirsch. 6. Rezitation: Weltstimmungen. 5 Gedichte. 7. Orchester: Ouvertüre zur Oper >Iphigenie< von Ch. W. Gluck. 8. Rezitation: Die Weltweisen. — Der Alpenjäger. — Aus Schillers politischem Vermächtnis. — Die Kraniche des Ibicus. 9. Chor: Die Deutsche Muse. Von Bluhm. — An die Freude. — 10. Melodrama: Das Eleusische Fest. Von Max Schillings. [Nachlaß Diederich]

Man darf bei der Person des Festredners, Franz Diederich, anerkannter Feuilletonist der Partei (er schrieb den Schiller-Artikel der Neuen Welt) vermuten, daß es

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sich bei dieser Feier um eine typische kulturpolitische Veranstaltung der Partei handelte. Das weihevolle Andachtsklima, das schon die Titel vermitteln, wird noch durch eine Notiz im Programmheft unterstrichen: Es wird gebeten, vom Beifallklatschen nach den einzelnen Nummern der beiden Gruppen des Programms abzusehen, um die beiden Gruppen als Ganzes zur Wirkung kommen zu lassen. — Man vermeide, den Text der Lieder während des Gesanges mitzulesen, da dem Lesenden der wesentliche Teil des Genusses — nämlich der musikalische — verkümmert wird. [Nachlaß Diederich]

Adolf Dörrfuß schreibt: »Die Presse und die Redner der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung haben nicht selten Schiller so ausschließlich für sich in Anspruch genommen, daß sie jegliche andere Feiern als >LeichenpredigtenHeucheleiFirlefanzeitle SelbstbespiegelungZweckessereiSchillerrummel< und dergleichen abtun zu dürfen glaubten.« [7, 3 f.] Der sorgsame Marbacher Schillerverwalter Dörrfuß hat indes zuviel unverhohlene Genugtuung über die »mitfeiernden« Sozialdemokraten, als daß er solche »Ausfälle« [7, 78] maßgeblich nähme. Den sozialdemokratischen Alleinvertretungsanspruch pariert der bürgerliche Schillerforscher listiger: »Überall aber tritt eine höchst merkwürdige Verkuppelung idealistischer Gedankengänge mit den materialistischen zutage, die auch einmal so weit gehen kann, daß die >innere Grundstellung Schillers zum Lebern, der >die Seele Schillers mit ausschließender Macht durchwaltende Idealismus< dem Proletariat in seiner Gesamtheit als innerlichstes Wesensmerkmal zugesprochen und damit der ganze ökonomische Geschichtsmaterialismus auf den Kopf gestellt wird«. [7, 80] Man mag diesem zeitgenössischen Beobachter die Kompetenz absprechen, das zu beurteilen; seine Behauptung aber, die sozialdemokratische Identifizierung mit Schiller verkehre ihre ideologisch-politischen Grundanschauungen, geht schon weit über das hinaus, was in der »Debatte« um Schiller innerhalb der Partei selbst zum Ausdruck gekommen war. Diese sozialdemokratischen Kontroversen waren dem zeitgenössischen Beobachter nicht verborgen geblieben: er verweist auf »zwei Richtungen«, deren Positionen auf der einen von Kautsky und Mehring (der Redaktion der Neuen Zeit) und auf der anderen Seite von Diederich, Pernersdorfer und Stampfer (der Vorwärts-Redaktion und ihrem Kreis), bezogen würden [7, 6f.]. Die Richtung der Neuen Zeit stehe den Feiern zurückhaltend gegenüber, weil, nach Mehrings Wort, Schillers Idealismus »für die moderne Arbeiterklasse nur den Wert einer blinkenden Glasperle« habe, denn, so Mehring, »diese Klasse braucht sich kein Reich in den Wolken zu bauen, da sie ihr Reich auf der festen Erde gründen kann und gründet« [Mehring, Bd. 10, 282f.]. Dagegen stünde auf der anderen Seite eine Richtung, die Schiller für den »großen Verkünder kommender Herrlichkeiten menschheitlicher Kultur« [zit. nach 7] halte und ungebrochen den von Schiller gezeichneten »ästhetischen Menschen« für die Gestaltung des kommenden in der »organisierten sozialistischen Gesellschaft« halte [7, 8]. _ An dieser Darstellung — in den Grundzügen halten sowohl Fülberth wie die

Die sozialdemokratische Schillerverehrung aus zeitgenössischer Sicht

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DDR-Literaturgeschichtsschreibung bis heute an ihr fest — ist so viel richtig wie falsch. Wie wir in Teil IV dieser Arbeit zeigen können, richtete sich weder die Position der >Linken< (die Gruppe um die Neue Zeit) gegen die sozialdemokratische Schill er-Verehrung als solche, noch plädierten die >Rechten< (die Gruppe um den Vorwärts) für eine absolute Vereinnahmung Schillers in sozialdemokratischem Sinne; ohne der detaillierten Darstellung des IV. Teils vorzugreifen, sei hier schon festgehalten: die >Fronten< gingen quer durch. Doch unterschiedliche Richtungen sozialdemokratischer Schill er-Verehrung zu markieren, bliebe ein äußerlicher Befund, solange die Frage nicht gestellt und beantwortet ist, auf was die verschiedenen Richtungen — und seien es auch nur die zwei von Dörrfuß beschriebenen - reagieren oder antworten. Handelt es sich nämlich, was im IV. Teil am Material bewiesen und hier schon vorausgesetzt werden kann, bei der von Dörrfuß registrierten >Debatte< nicht um eine Kritiköw, sondern um eine Kritik innerhalb der Schiller-Verehrung, dann muß diese selbst zum Thema werden. Es kann sich daher auch nicht darum handeln, nachträglich das zu leisten, was Mehring an fundamentaler politischer Kritik der sozialdemokratischen Schiller-Verehrung versäumt haben mag, sondern allein darum, den >Stellenwert< der sozialdemokratischen Schiller-Verehrung innerhalb der sozialdemokratischen Ideologie zu klären. Die Schillerverehrung wird als spezifisches Moment der sozialdemokratischen Ideologie aufgefaßt, deren Darstellung voraussetzt, sie von ihren sozial-ökonomischen Bedingungen her zu begreifen; Bedeutung und Funktion der sozialdemokratischen Ideologie innerhalb des Klassengefüges des wilhelminischen Reichs und innerhalb der Klassenzusammensetzung der Arbeiterklasse, als deren politische Ausdruckskraft sie sich versteht, sind zu eruieren. Im übernächsten Abschnitt werden wir den thematischen Aufriß und die einzelnen Analyseschritte der Arbeit näher skizzieren. Für diese Einleitung in das Thema »Schiller-Verehrung« war zunächst wichtig, eine Art Rückblick auf das zu geben, was die Tradition deutscher Schiller-Verehrung dem Dichter selbst gegenüber bedeutet. Nicht zum wenigsten basiert sie auf der Zertrümmerung von Werk- und Werkgeschichte, auf Halb- und Viertelsentenzen, die isoliert zu weltanschaulicher Spruchweisheit erstarren; eine Praxis der Verdrehung und >PopularisierungimmanentIdeen-Aggregat lenkt sie das Augenmerk eher auf die Art und Weise des Zustandekommens, auf die Produktionsweise von ideologischen »Ideen« (Gedanken, Vorstellungen, Plänen etc.), als auf deren begrifflich-ideellen Gehalt. Die Frage allerdings stellt Roth nicht, wie dieses Aggregat, obwohl es doch offenbar die Konsistenzvorschrift, den Satz vom Widerspruch und den Satz vom Grund außer Kraft setzen kann, von seiner inneren Beschaffenheit her zu verstehen sei. Unserer Arbeit indessen stellt sich diese Frage mit dem Problem des »ideologischen Diskurses«, den wir in der Analyse verwenden und hier kurz erläutern wollen. Der Begriff des »Diskurses« (von lat. dis-currere auseinanderlaufen, sich zerstreuen, sich verbreiten, - teilen) bezeichnet für unseren Zusammenhang die »Ebene« (»level«) der Ideologie, d. h. nicht so sehr deren sinnhaft rekonstruierbare Bedeutungselemente als vielmehr ihre >Sprechweiseintuitiven< Erfassen von Gedanken oder der »reinen Anschauung« (Kant) entgegensetzt. »Discursus est transitus cogitantis a sententia ad sententiam ordine quadam, sive consequentiarum, sive alio, ut in methodo.« [Leibniz, opuscules et fragments inedits, ed. Couturat, 495] Von daher wird im traditionellen philosophischen Sprachgebrauch unter diskursivem Denken ein solches verstanden, das von einer Vorstellung, einer »sententia« (Gedanke, Begriff, Urteilssatz) zu einer anderen in logischer Linearität übergeht und von daher die Einheit und Logizität des Denkens garantiert. Der

Zum Begriff des »ideologischen Diskurses«

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Diskurs der Ideologie beansprucht nicht weniger als eine solche logische Verbindlichkeit und Einheit eines Vorstellungssystems her- oder vorzustellen, jedoch auf eine Weise, die das spezifisch Diskurrente jenes »transitus« (Übergangs) von einer zur anderen »sententia« in Gang bringt. Denn der »transitus«, als spezifische Bewegungsform des Diskursiven, hat noch Teil an der Digression von der linear-systematischen Folge, die der Diskurs ebenso ermöglicht wie die Garantie der Linearität. Diskurs nämlich meint, nach der gängigen Formel des Thomas [»discursus est quidam motus intellectus de uno in aliud«; Quaest. disp. De Anima, art. 7, ob. 3] nichts anderes als die (ganze) Bewegung des Denkens selbst. Daß Diskursivität des Denkens schließlich, etwa bei Wundt [Logik, 1880, Bd. 1, 139], nur das Verbinden einer einzigen Vorstellung mit einer einzigen anderen in einem einzigen Akt meint, also allein die Bewegung eines linear-logischen Übergangs bezeichnet, heißt gerade nicht, daß der Diskurs selbst, als das Mittel der Darstellung linearer Denkbewegung, selber Linearität, Folgerichtigkeit oder Konsequenzlogik ist oder in ihr besteht. Vielmehr ermöglicht der Diskurs, als das Auseinanderlaufende, Zerstreute und Vielschichtige eines materialen sprachlichen Bewegunsprozesses diese Linearität als einen Effekt. Wenn also, um zur Leibniz'schen Definition zurückzukehren, der »discursus« ein »transitus« nach irgendeiner gewissen Ordnung (ordine quadam) ist, dann ist nicht schon der Diskurs selbst von dieser Ordnung, sondern als Bedingung ihrer Möglichkeit ein Anderes: Vielheit, Auseinanderlaufendes, Polysemie und Digression der signifikanten Kette, durch welche der »transitus«, die Möglichkeit des Übergangs und mit ihr die Ordnung erst entstehen kann. Insofern muß zu der lateinischen Wortbedeutung von Diskurs zurückgegangen werden, schon um die traditionelle, philosophische Bedeutung des »Diskursiven« zu verstehen. Von dieser ursprünglichen Wortbedeutung wird auch der Sinn unserer Verwendungsweise des Begriffs »ideologischer Diskurs« angezeigt. Der »ideologische Diskurs« bezeichnet diejenige »Ebene« der Ideologie, die ihre Inhalte, Paradigmen, Begriffe und Argumentationsketten etc. entstehen läßt, ihre Materialität, Diskontinuität und Rhetorizität. Diskursanalyse von Ideologien, wie wir sie verstehen, untersucht, indem sie auf die >Übergänge< oder Verknüpfungen ideologischer Inhalte und Elemente Gewicht legt, nicht sprachliche Zeichenverhältnisse allein, sondern zugleich die spezifisch »verräumlichte Struktur« [vgl. Rodolphe Gasche, Die hybride Wissenschaft, Stgt. 1973, 9 Anm] der ideologischen Sprache. Zum Gegenstand wird die Materialität ideologischer Prozeduren in theoretischen Aufsätzen, Zeitungsglossen, Aufrufen, Manifesten, Flugblättern, Parteitagsreden und -resolutionen, um in diesen verschiedenen literarischen Formen der Ideologie und ihren Divergenzen untereinander, Einschnitte von einem >Geschehen< sichtbar zu machen, das von ihr sowohl verdeckt wie ausgesprochen wird: die Klassenwirklichkeit des Proletariats, seine Stellung im Produktionsprozeß und seine Situation im Klassenkampf. Wir räumen damit einer Vermutung Jacques Rankeres ihren Platz ein, der die Überlegung notierte, daß die »Funktion

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eines theoretischen Diskurses« —und um solche handelt es sich bei ideologischen Texten beinahe durchweg — »auf einer anderen Szene sich abspielt als der seiner Beziehung zu >seinem Gegenstands, und daß in ihm »gewisse Begriffe eher Ereignisse - und wären es sprachliche oder gesprochene — repräsentieren, als daß sie Gegenstände bezeichnen« [»que certains concepts representent des evenements -fussent-ils des parole-plus qu' ils ne designet des objets«; zit. nach: J. R., Wider den akademischen Marxismus, Bin 1975 Nachwort, 104 u. 106]. Den ideologischen Diskurs lesen heißt, jene Spuren, Einschnitte, Reste etc. wiederauffinden, die die »Ereignisse« ihm einräumen. Welche »Ereignisse« sind gemeint? Um diese Frage zu beantworten, muß die theoretische Perspektive des Zugangs zum Ideologienproblem präzisiert werden. Zu klären ist, in welcher Perspektive der Begriff der Ideologie im Rahmen seiner Diskursanalyse verwandt wird. Wir versuchen die Klärung im Rückgang auf seine Geschichte zu erreichen. Die Geschichte des Ideologiebegriffs legt seine Verwendung zunächst in einem vor allem pejorativen Sinne nahe. Schon Napoleon hielt »Ideologie«, wie sie von den »Ideologen« um Destutt de Tracy mit großem Einfluß auf Unterricht und Erziehung im nachrevolutionären Frankreich als areligiöse, empiristisch-physiologische Lehre vom Menschen propagiert worden war, nach anfänglichem Wohlwollen für eine »tenebreuse metaphysique« und weltfremde Träumerei, ein Sprachgebrauch, der dann vor allem von Marx fortgeführt wurde. Marx zufolge erscheinen in der »Ideologie«, und d. h. in der ganzen »geistigen Produktion« der Gesellschaft, »in der Sprache der Politik, der Gesetze, der Moral, der Religion, Metaphysik usw.« ihre wirklichen produktionsgeschichtlichen Entstehungsverhältnisse »wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt« [MEW, Bd. 3, 26]. Doch diese Verkehrung ist eine historisch notwendige. Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen, pp. aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu seinen weitesten Formationen hinauf. [ebd.] Müssen Ideologien somit von der sie bedingenden Basis produktionsgeschichtlicher Epochen aus begriffen werden, so verlieren sie ihre eigene Geschichtlichkeit und den »Schein der Selbständigkeit« [ebd., 27]. Engels, der in seiner MehringKritik an die frühe gemeinsame Ideologiekonzeption anknüpft, brachte dieses Konzept der von einer geschichtsmaterialistisch dargestellten Entwicklung der Produktionsweisen entfalteten Ideologiekritik auf die berühmte Formel: Die Ideologie ist ein Prozeß, der zwar mit Bewußtsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewußtsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt; sonst wäre es eben kein ideologischer Prozeß. Er imaginiert sich also falsche resp. scheinbare Triebkräfte. [MEW, Bd. 39, 97]

Hier ist programmatisch ein >negativer< Ideologiebegriff begründet, der aber für die marxistische Theoriengeschichte keineswegs der allein verbindliche geblieben

Zum Begriff des »ideologischen Diskurses«

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ist. Bei Lenin, aber auch schon, wie unsere Analyse im I. Teil der Arbeit zeigen wird, bei Kautsky und Luxemburg, findet sich eine >positive< Verwendung des Ideologiebegriffs als Bezeichnung des »Sozialismus, als Ideologie des proletarischen Klassenkampfes«. [Lenin, Werke, Bd. 6, 155] Das »Klasseninteresse« zwingt die Proletarier, sich zu vereinigen, gegen die Kapitalisten zu kämpfen, über die Bedingungen ihrer Befreiung nachzudenken. Das »Klasseninteresse« macht sie für den Sozialismus empfänglich. Aber der Sozialismus, als Ideologie des proletarischen Klassenkampfes, ist den allgemeinen Bedingungen der Entstehung, Entwicklung und Festigung einer Ideologie untergeordnet, d. h. er fußt auf dem gesamten Rüstzeug des menschlichen Wissens, setzt eine hohe Entwicklung der Wissenschaft voraus, erfordert wissenschaftliche Arbeit usw. usf. In den Klassenkampf des Proletariats, der sich auf dem Boden der kapitalistischen Verhältnisse spontan entwickelt, wird der Sozialismus von den Ideologen hineingetragen. [ebd.]

Weniger die Konzeption des >exogenen Klassenbewußtseins^ die hier entwickelt ist, und der weiter unten ein eigener Abschnitt gewidmet wird, ist in diesem Zusammenhang interessant, als vielmehr der Ideologiebegriff, der sich durch sie ergibt. Ideologie wird von Lenin als der Kanon der wissenschaftlich begründeten, aus der theoretischen Einsicht in die bestehenden Verhältnisse erwachsenen Lehre des »Sozialismus« begriffen und dies, wie hinzuzusetzen wäre, als entwickeltstes Bewußtsein jener Partei-»Ideologen«, die die Lehre »in den Klassenkampf des Proletariats« hineintragen. An dieses leninistische Konzept der Ideologie knüpfen wir in dieser Arbeit an, nicht, weil wir ihm zustimmen, sondern weil allein an ihm die strategische Perspektive der Ideologiekritik, die wir im Auge haben, produktiv werden kann. Für Lenin, wie schon für Kautsky und Luxemburg, die denselben Begriff diskutieren, ist das Problem der Ideologie wesentlich eines der Zusammensetzung der Klassenartikulation der revolutionären Klasse. »Von außen« soll die Ideologie den Kämpfenden beigebracht werden: Wir fragen weniger nach der allgemeinen Legitimität oder Wahrheit einer solchen Konzeption, wenden auch nicht noch einmal, was gleichwohl durch Marx nahegelegt ist, das Ideologieproblem zurück auf die Frage eines richtigen oder »falschen Bewußtseins«, sondern befragen das durch den Ideologiebegriff gesetzte Verhältnis von Ideologie und Klassenwirklichkeit auf seine reale Struktur und Entwicklungsdynamik hin. Das Verhältnis zwischen Ideologie und Klassenwirklichkeit kann nämlich sowohl als ideologisches, d. h. von der Ideologie selbst benanntes, wie auch als kritisches, d. h. von den ökonomischen Bedingungen und der Struktur der Arbeiterklasse her dargestelltes begriffen werden. Diesen doppelten Aspekt des Verhältnisses von Ideologie und Klassenwirklichkeit wird die Analyse vornehmlich im Auge behalten und so an der Darstellung des Verhältnisses selbst die Kritik zu leisten haben. Die einzelnen Analyseschritte werden wir im folgenden Abschnitt erläutern. Vorerst wäre zu fragen, ob in der marxistischen Theorientradition in der Tat zwei konkurrierende Ideologienkonzeptionen existieren. Dann stünde auf der ei-

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nen Seite Engels Konzeption, die gerade die Kritik der Ideologie, d. h. verselbständigter, an bloßem »Gedankenmaterial« orientierter Denkprozesse, für das Konstituens der revolutionären Wissenschaft nimmt; und auf der anderen Seite Lenin, der diese Wissenschaft der Kritik selber als Instanz sozialistischer oder proletarischer Ideologie begreift. Doch wir sehen schon an dieser Formulierung, daß es sich weniger um einen Gegensatz, als um einen Übergang handelt. Denn wenn die Position der vormalig als ideologiekritisch verstandenen »Wissenschaft« in Lenins Verständnis nunmehr selber als »Ideologie« begriffen wird, tritt sie in ein neues Verhältnis ein, dessen Elemente kaum mehr nach Maßgabe des alten Verhältnisses zwischen Ideologie und »wirklichem Lebensprozeß« [Marx, MEW, Bd. 3, S. 26] gedacht werden können. Das Leninsche Verhältnis von Ideologie und Klassenwirklichkeit ist ungleich konkreter gefaßt. Lenins Ideologiebegriff ist nur noch Behauptung und zugleich schon praktischer Einsatz dessen, was die Marx-Engelssche Ideologiekritik immer schon zu sein beanspruchte: Stimme des um seine Emanzipation kämpfenden Proletariats. Allein aber die Ideologie als behauptetes und seinen Einsatz reflektierendes Wissen räumt die Frage ein, wie das Proletariat zu jenem, ihm von der absoluten Ideologiekritik immer schon prädizierten Wissen gelangen kann. Sie hebt die Differenz zwischen ihr selbst und dem sie bedingenden Verhältnis (»von außen«) hervor, um sie gleichwohl als überbrückt und aufgehoben zu postulieren. Diese Differenz, die nicht einfach eine zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist (vgl. unten S. 48ff.), erlaubt nicht, diesem, seine Positivität behauptenden Ideologiebegriff einen >negativenpositive< behaupten kann, wird der Ort nicht sichtbar werden, von wo aus die Kritik der Ideologie ansetzen kann. Der Ort, von dem aus die Ideologiekritik möglich wird, kann daher nicht immer schon als die Instanz eines (richtigen, falschen, philosophischen, »spontanen« usw.) »Bewußtseins« angesprochen werden und auch nicht als der einer abermaligen Ideologie. Vielmehr hätte Ideologiekritik das spezifisch die Ideologie konstituierende Klassenverhältnis aus der inneren Artikulation der Klasse heraus darzustellen. Ideologie als der Klasse äußeres Verhältnis muß zugleich als die der Klasse eigene Äußerung, die ihrer inneren Zusammensetzung entspricht, begriffen werden, muß so die Ebene der Ideologie als Diskurs eines zwiefachen Sprechens oder Zur-Sprache-Kommens durchsichtig machen: nicht nur als behauptetes äußerliches, durch philosophisch-wissenschaftliche Tradition und »Ideologen« »Hineingetragenes«, sondern zugleich als aus ihrem inneren Verhältnis nach außen >Gebrachtesinnere Bruch< der Klasse« (vgl. untenS. 79 ff), ist keineswegs eine soziologische Besonderung eines »an sich« einheitlichen Klassengefüges, sondern entspricht dem Begriff der Arbeiterklasse überhaupt, die, um politisch sich als solche gegen das sie beherrschende und ausbeutende Verhältnis ihrer kapital-fixierten Produktionsbedingungen zu setzen, sich von sich als Ensemble der >Gesamtarbeitskraft< unterscheiden muß. Dieses Sich-Unterscheiden der Klasse von sich selbst geschieht faktisch immer schon, ist der Grund der soziologisch bestimmbaren Klassenteilungen, aber es ist kein einheitlicher Prozeß. Die Klasse teilt sich in nach Ausdrucksmöglichkeit und politischer Perspektive völlig unterschiedliche Klassenteile: Grob skizziert in die »Facharbeiter« (wir beziehen uns hier auf das durch unser Thema begrenzte geographische und zeitliche Feld) auf der einen, die, ihrer beherrschenden Stellung im Produktionsprozeß verlustig gehend, diesen Mangel kompensieren, indem sie ihre Perspektive auf die außerhalb des Produktionsprozesses gelagerte Ebene der parlamentarischen Verhandlungen projizieren; — und in die Masse unqualifizierter, immigrierter, am meisten ausgebeuteter, den traditionellen Kampfformen fernstehender Arbeiter auf der anderen Seite, deren Interesse unmittelbar in der Abschaffung der kapitalistischen Arbeitsorganisation selbst liegt. So wenig aber diese militante und kämpferische Arbeiterschicht an den traditionellen Kampfformen Anteil hat, so gering ist auch ihr Einfluß auf das Ausdrucksverhältnis der Klasse in der Ideologie, das im Namen der Einheitlichkeit der Klasse schon deren inneres Verhältnis verkehrt und die Schicht der »Facharbeiter« (der »Gelernten«), den objektiv »passiven« und in den Klassenauseinandersetzungen retardierenden, aber einzig organisierten Klassenteil, zum Sprecher der Klasse insgesamt erhebt. Als Ebene des Klassenausdrucks begriffen, erweist sich die sozialdemokratische Ideologie (ihre Strategien, Programme und ihre Rhetorik) schon als das Produkt einer zwiefachen Verkehrung, zum einen der Verkehrung des >passiven< Klassenteils in den Repräsentanten der Klasse als Ganze und zum anderen der Verkehrung dieser Repräsentation auf die Ebene eines von außen, noch an die »Facharbeiter«-Schicht selbst herangetragenen Diskurses durch die »Ideologen«, d. h. die Führer von Partei und Gewerkschaften. Wir wollen an dieser Stelle den in Teil II und III zu leistenden materialen und historischen Konkretisierungen dieser doppelten Verkehrung des Klassenverhältnisses nicht vorgreifen, umso nachdrücklicher aber betonen, daß diese Verkehrung nicht aus der Summation soziologischer oder historischer Daten sich erschließt, sondern daß es sich bei der Verkehrung des Klassenverhältnisses in die Sprache einer einheitlichen Klassenideologie um die spezifische diskursive Forma-

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tion eines Klassenereignisses innerhalb der Arbeiterklasse selbst handelt: ihren »inneren Bruch«, der konstitutionell durch das Kapitalverhältnis selbst gesetzt ist (vgl. unten S. 79 ff). Als spezifische Formation dieses Ereignisses läßt die Ideologie infolge der inneren Verkehrung des Klassenverhältnisses als ideelles Verhältnis der Klasse zu sich als Einheit dieses Ereignis fast gänzlich verschwinden, doch nicht ohne Rest. Der ideologische Diskurs ist nämlich, noch im Status seiner Verkehrtheit, getragen und geprägt von einem »Willen« (oder Drängen) zum Klassenausdruck, der durch nichts anderes als eben die militante Aktion und Aktionsbereitschaft des unqualifiziertem Klassenteils in den ideologischen Diskurs gelangt, ohne daß er dort »wirklich«, d. h. begrifflich oder in wörtlicher Rede zur Sprache käme. Vielmehr bleibt er unausdrückliches, unthematisches Element des ideologischen Diskurses, allein rekonstruierbar aus seinen Brüchen, seiner >seltsamen< Rhetorik. Er bestimmt Gestus und Sprechweise des Diskurses, seine Literarizität, nicht jedoch seine theoretisch-rekonstruierbare Begrifflichkeit oder seinen paradigmatischen Gehalt. Indem wir also die Verdeckung des die Artikulation der Klasse konstituierenden Klassenereignisses in der Verkehrung des ideologischen Diskurses aufzuweisen suchen, erschließt sich der Ort der Kritik an diesem Verhältnis zugleich mit. Aber er erschließt sich als verschlossener, denn weiter als bis zu diesem Punkt, wo durch die Analyse der spezifischen Räumlichkeit des Diskurses der Ideologie das ihr zugrundeliegende Klassenereignis erörtert werden kann, kann unsere Arbeit kaum führen. Es wäre völlig verfehlt, ex post zu versuchen, diese verdeckte, verkehrte und historisch ebenso wie historiographisch unterdrückte Ausdrucksebene des militanten Klassenteils der Arbeiterklasse zu reaktualisieren. Schon aber eine nur bis hierin geführte Untersuchung unterstreicht, daß die Geschichte der Arbeiterbewegung« und ihrer Ideologien nicht anders denn als Arbeitergeschichte und das heißt: als Geschichte der spezifischen Formationen dieses Klassenereignisses begriffen werden kann. Doch dies ist keine eigentliche These dieser Arbeit mehr, sondern eher deren unausgesprochen politisch-aktuelle Pointe: Es geht darum, jenseits der eingefahrenen Organisationsgeschichtsschreibung der Arbeiterbewegung, sei sie von SPD-Forschern, DDR-Historikern oder Neo-Leninisten betrieben, ein neues Verhältnis zur Arbeiter-Geschichte und ihren ideologischen Traditionen zu gewinnen.

6. Zum Gang der Analyse Das Thema dieser Arbeit ist die Darstellung der (vom Verf. in ihrem ganzen Umfang erst material erwiesenen) Schiller-Verehrung von ihren historischen, ökonomisch-materiellen und ideologischen Bedingungen her. Die Methode, in der die Darstellung — ein Darstellungsbegriff, der Erklärung des Dargestellten und Kritik desselben einschließt — verfährt, ist die einer materialen und strukturalen Diskurs-

Zum Gang der Analyse

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analyse von Ideologien (vgl. Abschn. 5). Das Erkenntnisziel der Analyse ist, Stellenwert, Funktion und Status der Schill er-Verehrung, und darüberhinaus ihr verwandter kulturalen Metaphorik, innerhalb der politischen Ideologie der Sozialdemokratie zu klären. Im Gang der Untersuchung soll sich erweisen, daß eine solche kulturale Metaphorik innerhalb des ideologischen Diskurses nicht ornamentale, sondern systematische Funktion erfüllt, und zwar genau die, der Figur der Klasse*) als historischem Subjekt zum Ausdruck zu verhelfen. So erscheint dann die theoretische Begründung des Konzepts des historischen Subjekts, wie sie z. B. Mehring, Luxemburg oder Kautsky geben, als nachträgliche Radikalisierung und Synthesierung eines in dem ideologischen Diskurs schon vorfindlichen Elements auf rein immanent-ideologischer Ebene. Zu zeigen ist in dieser Arbeit also, auf welche Weise eine kulturale Metaphorik in den ideologischen Diskurs gelangt. Sofern aber diese fragliche Beziehung von Metaphorik und Ideologie durch die Analyse dieser Arbeit schon als Resultante mehrerer, die Klassenverhältnisse selbst einbeziehender Verhältnisbestimmungen aufgefaßt wird, verbietet ihre Darstellung eine nur äußerlich begründete Trennung von Methode und Sache. Verlangt ist vielmehr, wie dies jeweils intermittierend im Text selbst geschieht, im Zuge der Darstellung selbst die methodischen Fingerzeige zum Fortgang der Untersuchung aufzugreifen. Aufs Ganze gesehen vollzieht sich die Arbeit in drei großen Schritten: Zunächst wird die Beschaffenheit des ideologischen Diskurses der Sozialdemokratie (hier immer für den Zeitraum 1890—1914, im engeren Sinn zumeist den von 1896—1905) erörtert, um den Status ihrer struktural unterscheidbaren Elemente zu klären. — Im zweiten Schritt wird der ideologische Diskurs als Ausdrucksverhältnis der Klasse aufgefaßt; das heißt: Das Verhältnis der Arbeiterklasse zu sich selbst und ihr Verhältnis zum Kapital als das sie beherrschende Verhältnis werden als Ausdrucksverhältnisse verstanden und es wird untersucht, welche Ausdrucksmöglichkeiten die Klasse oder bestimmte Klassenteile auf der Ebene des Produktionsprozesses und auf der Ebene der Klassenauseinandersetzung in ihnen gewinnen können. Hier hat die Ideologie immer schon ihren Ort, insofern sie von der »Basis« her gesehen, d. h. von den Verhältnissen der Arbeiterklasse her als privilegierter Diskurs des Arbeiterausdrucks erscheint, als das, worin die Arbeiter, im Produktionsprozeß zu stummen Werkzeugen der Kapitelverwertung gemacht, allererst ihre Sprache und Ausdrucksfähigkeit wiederfinden können. Durch diese Untersuchung erweist sich, daß schon das >unmittelbare< Ausdrucksverhältnis der Klasse zu sich selbst insofern ein Verhältnis der Verkehrung ist, als derjenige Klassenteil, der im Produktionsprozeß der tendenziell schwindende und in den Klassenauseinandersetzungen der >passive< ist, der einzige Klassenteil ist, der — sich *) Wenn in dieser Arbeit der einfache Singular »Klasse« verwandt wird, so ist darunter durchweg die »Arbeiterklasse» zu verstehen.

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fürs Ganze erklärend — zur Sprache und zu seinem Ausdruck kommt, während jener andere, im Produktionsprozeß an Masse und Bedeutung zunehmende, in der Klassenauseinandersetzung einzig militante Klassenteil in seiner Stummheit und Ausdruckslosigkeit belassen bleibt (Teil II und III). — Als Symptom dieser Verkehrung werden dann im dritten Schritt der Analyse die Spuren verfolgt, die das verkehrte Ausdrucksverhältnis der Klasse im ideologischen Diskurs hinterlassen hat, zu welchen generell seine spezifische Rhetorizität gehört (für welche diese Arbeit den Begriff »shifter-Struktur« vorschlägt) und in die, konkret, der Diskurs der Schiller-Verehrung eingeschrieben ist. Dieser Verkehrung, über ihre >metaphorischen< Spuren im ideologischen Diskurs vermittelt, ist dann auch die revolutionstheoretische Synthesierung dieser kulturalen Metaphorik in der Konzeption der Klasse als quasi-dramatischem, revolutionären Subjekt der Geschichte geschuldet. Im folgenden zeichnen wir, zum besseren Verständnis der oft weitgespannten Argumentationsbögen, den Gang der Analyse Teil für Teil nach. Um die spezifische >Beschaffenheit< des ideologischen Diskurses der Sozialdemokratie zu untersuchen, beschäftigen wir uns mit dem Selbstverständnis der führenden sozialdemokratischen Theoretiker, mit ihren Interpretationen des Verhältnisses von Ideologie, Partei und Klassenbasis. Die Ideologie thematisiert, auf die Interpretamente ihres Selbstverständnisses hin befragt, ihren spezifischen Selbstbezug, der uns doppelt wichtig ist; nicht nur, weil Selbstbezug das den sozialdemokratischen (und leninistischen) Ideologiebegriff auszeichnende Verhältnis ist (vgl. Abschn. 5), sondern vor allem deshalb, weil in der sozialdemokratischen Schiller-Verehrung, wie schon ein erster Überblick über die dokumentierten Texte zeigt, eine Tendenz der Selbstinterpretation der Sozialdemokratie an >ihrem< Schillerbild unverkennbar ist. Das ideologische Selbstverständnis der Sozialdemokratie muß expliziert werden, um die spezifische Form des über die Schiller-Verehrung vermittelten Selbstbezugs verständlich zu machen. Welchen >Begriff< hat die Sozialdemokratie von sich? Auf diese Leitfrage antworten die 9 Abschnitte des ersten Teils. Der erste exponiert sichwortartig die Ausgangslage: das Problem der parlamentarischen Taktik< nach der Aufhebung der Sozialistengesetze. Die faktische Wählermassenbasis der Partei wird von Luxemburg, im Einklang mit den »orthodoxen« Theoretikern der Partei (Mehring, Kautsky, Bebel) als homogene Klassenbasis eines klassenbewußten Proletariats verstanden. Im »Revisionismus-Streit« ist es genau diese These, von der homogenen Klassenbasis der Partei, gegen die Bernstein Einwände erhebt. Er identifiziert in der Arbeiterschaft Teile, die nicht gewerkschaftlich organisierbar seien und auf welche sozialdemokratische Politik nicht rechnen dürfe. Diese Differenzierung verbindet sich bei ihm mit einer desavouierenden Abwehr der militanten Aktionsfähigkeit dieser unorganisierten Massen. Damit ist indirekt und explizit das Mittel des >Barrikadenkampfes< angesprochen, das keineswegs nur von Bernstein, sondern ebenso von Parvus und Luxemburg schon in den 90er Jahren für obsolet er-

Zum Gang der Analyse

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klärt wird; an seine Stelle sei die gewerkschaftliche, die isolierten Arbeiter zum >Klassenbewußtsein< und zur Streikfähigkeit >emporhebenden< Organisation getreten. Dem Begriff des »Klassenbewußtseins«, das schon die gewerkschaftliche Organisierung als solche produziere, wird in den folgenden Abschnitten nachgegangen (4.-6.). Luxemburgs und Kautskys Klassenbewußtsein-Konzeptionen stehen absolut konträr zueinander: Während Luxemburg Klassenbewußtsein für allein aus der faktischen Koalition, bzw. (nach 1905) aus der spontan-selbsttätigen Aktion des Proletariats konstituierbar hält, seine Inhalte (Strategien, Wissen um Kampfformen, Emanzipationsgehalte etc.) daher nicht voraussetzbar seien, entwickelt Kautsky dezidiert und nachdrücklich das Konzept eines >exogenen Klassenbewußtseins^ >Exogenesvon außen< den Arbeitern beigebracht werden. Kontrovers ist daher die Stellung des Ideologen und damit der Ideologie in Kautskys und Luxemburgs Position; indessen konvergieren beide Positionen in der Auffassung von der Klassenbewegung des Proletariats als »einheitlicher«, die auch für Luxemburg unumstößliches, d. h. durch keine politische Aktion infrage gestelltes >Prinzip< bleibt. Gegen dieses >Einheitlichkeitsrein proletarischem Wähleragitation, um linksbürgerliche Schichten auf Dauer zu gewinnen. Dennoch formuliert ihre Gegenübersetzung von »Einigkeit« und »Einheit« kein neues Paradigma sozialdemokratischen Selbstverständnisses. Ihre Anfragestellung der Homogeneität der sozialdemokratischen Klassenbasis bleibt so letztlich nur unthematisch bezogen auf das Problem des theoretischen Selbstverständnisses der Sozialdemokratie als proletarischer KlassenbewegungEntstehungsgrundAlteäußeredann sind wir ja einig!Parteiwissenschaft< oder, richtiger, von einer Klassenwissenschaft, ebensowenig von einem Klassenliberalismus, einer Klassenmoral hören. Er meint eine allgemeinmenschliche, abstrakte Wissenschaft, abstrakten Liberalismus, abstrakte Moral zu vertreten. [Luxemburg, Bd. 1/1, 438]

Bernstein gab zwar nicht den Terminus Klasse, wohl aber das Klassenkonzept auf, verwarf jegliche geschichtsphilosophische oder geschichtstheoretische Dynamik von Gesellschaftsformationen, welche allein einen Klassenbegriff theoretisch und politisch sinnvoll machen könnte; der Bernsteinsche Klassenbegriff ist letztlich in der Tat, wie Luxemburg bemerkte, diffus. »Aus einem Proletarier«, schreibt er in den Voraussetzungen, solle »durch den Einfluß der Sozialdemokratie ... ein Bürger« werden [53, 204]. »Der Arbeiter, der in Staat, Gemeinde usw. gleichberechtigte Wähler und dadurch Mitinhaber am Gemeingut der Nation« [ebd.] — dies ist die Idealvorstellung, das politische Ziel, das die Sozialdemokratie lediglich zu einer Art Interessenvertretung der Arbeiter reduziert. Für unsere Fragestellung aber, die Selbstinterpretation der Sozialdemokratie, sind jene folgenreichen Kontroversen weniger von Interesse, die sich aus Bernsteins Negation einer homogenen Klassenbasis der Ideologie ergaben: Ablehnung jeder ökonomischen Gesetz-

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lichkeit, die noch der erste Teil des »Erfurter Programms« behauptet hatte (Kritik der Konzentrationstendenz, Verproletarisierung, Verpauperisierung, Krisentheorie etc.); Propagierung des politischen Ziels der Produktiv- und Konsumgenossenschaften etc. Orientiert an der Frage nach Bernsteins Selbstverständnis der Sozialdemokratie, wollen wir im folgenden seiner Beobachtung von der >Klassenspaltung< nachgehen, um ihre ideologischen Implikationen zu eruieren.

3. Die Menge und das Weih: Die «Potenz, die alles sein kann« In einem kaum beachteten Aufsatz Bernsteins, Die Menge und das Verbrechen {Neue Zeit, 1898), der nicht zufällig zwischen seine Aufsatzfolge Probleme des Sozialismus eingestreut war, welche den Revisionismusstreit entfacht hatte, gibt Bernstein ein wenig Licht auf den Hintergrund jener These von der »Unreife« des Proletariats. Dies geschieht — Bernstein kommentiert S. Sigheles Psychologie des Auflaufs und der Massenverbrechen — von einer Seite her, die kaum den Zusammenhang mit Problemen des Revisionismusstreits erkennen läßt, ja kaum einen Zusammenhang mit Problemen der Sozialdemokratie überhaupt, so daß sich die Redaktion der Neuen Zeit bemüßigt fühlte, dem Aufsatz eine erklärende Fußnote beizustellen. Es sei uns hier eine Bemerkung gestattet. Sigheles Beobachtungen der »Menge« gelten, wie Bernstein schon oben erwähnt, vornehmlich der zusammengelaufenen Menge, die sich zumeist aus den gedankenlosen Gaffern und den verkommenen Lumpenproletariern der Großstadt zusammensetzt. (...) Sigheles Beobachtungen gelten aber nicht für die organisierte, disziplinierte Menge des arbeitenden Proletariats. Wo es diesem gelungen, sich eine feste Organisation zu geben, da hat es sich (...) stark genug gezeigt, (...) die zusammengelaufene Menge der Gaffer und Lumpenproletarier im Zaume zu halten, [vgl. 44, 235, Anm. 1]

»Ein fast mythischer Glaube an die namenlose Menge« bestehe, so hatte Bernstein geschrieben, »bei vielen Sozialisten und vor allem bei der Schule der französischen Sozialrevolutionäre« [ebd., 229], und auch bei den deutschen Sozialdemokraten. Bernstein geht es in dem Bericht über dieses Buch vorderhand um Aufklärung einiger »massenpsychologischer« Mechanismen »hinsichtlich der Welt der gesellschaftlichen Elementarkräfte, der Seele der Massen« [ebd., 230]. Man weiß, welch großen schöpferischen Anteil die ungenannte Menge an den bedeutungsvollsten Ereignissen der Revolutionsgeschichte Frankreichs hat. (...) Schon der Bastillesturm in der ersten französischen Revolution ist ein solches Produkt der Entschließung der Menge. Im Februar 1848 war es die Menge, welche eine mit halbem Herzen eingeleitete Reformdemonstration wider Erwarten selbst der revolutionären geheimen Gesellschaften in einen Aufstand verwandelte, der den Julithron zertrümmern sollte, [ebd., 229]

Die »Menge« ist also nicht weniger als die militante Trägerin zumindest der jüngst vergangenen Revolution des 19. Jahrhunderts. Dieser Beobachtung, daß die »geheimnisvolle« Kraft der »Menge« immerhin die bürgerlichen Revolutionen im 18.

Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß« und 19. Jahrhundert ausfocht, folgt aber nun nicht eine revolutionstheoretische Überprüfung ihrer möglichen Gültigkeit auch noch für kommende Revolutionen, sondern eine Anthropologie der Masse, orientiert an Sigheles Buch. Dessen These sei es, daß die »zusammengelaufene Masse in der Mehrheit der Fälle eher zu schlechten als zu guten Handlungen, eher zum Zerstören als zum Schaffen, eher zur Hinopferung als zur Aufopferung veranlagt ist«, [ebd., 230] Und dieser Tendenz der Masse zum »Bösen« [ebd., 231] stimmt Bernstein zu. (...) es (wird) kaum zu bestreiten sein (...), daß wir in der Erregung, welcher Natur sie auch sei, zunächst geneigt sind, nach Art der Wilden zu handeln. Es bedarf immer erst einer gewissen Reflexion, um uns davon abzuhalten; lassen es die Umstände nicht zu einer solchen kommen, so werden wir uns ähnlich wie der Wilde benehmen, oder mindestens uns auf Gelüsten dazu ertappen: je nach dem beißen, schlagen, schreien, tanzen wollen, [ebd., 232] »Niedere« und »höhere« Triebregungen des Menschen sind dem niederen und »besseren Element« in der Masse analog; doch gilt dies nicht umstandslos, Momente der nationalen Verschiedenheit, Mentalitätsunterschiede wirken sich aus, Frankreich ist nicht England, Rom nicht London. Zudem herrscht bei großen Volksaufständen ohnehin ein gewisser Kommunismus. Die Gelüste der zu Gewalttätigkeit neigenden Elemente wiederum werden, solange der Straßenkampf währt, in legitime Kanäle geleitet und dadurch dem regelnden Einfluß der Kriegssatzungen unterworfen. Daß aber selbst in einer so von politischen Ideen beherrschten Bewegung, wie es die Pariser Februarrevolution war, die Masse nicht davor geschützt ist, in Momenten höherer Erregung zu Akten wilder Grausamkeit hingerissen zu werden, zeigen die Vorgänge, die sich am dritten Kampfestag bei der Belagerung des Chateau de' Eu abspielten. Daß die Menge an dies, von einem Posten Soldaten tapfer verteidigte Gebäude Feuer legte, war an sich entschuldbar, obwohl es in jenem Augenblick nicht unbedingt durch den Kampf geboten war. Aber man fuhr mit der Brandstiftung noch fort, als die Besatzung schon das Feuern eingestellt hatte. Es dauerte eine lange Weile, bis die besseren Elemente in der Masse wieder die Oberhand gewannen und man daran ging, das Feuer zu löschen. 29 fast völlig verkohlter und eine Anzahl noch röchelnder Soldaten wurden nachher in dem halb zerstörten Gebäude gefunden, und von welcher Art ein Teil der in jenem Stadtteil agierenden Menge war, zeigten die zur selben Zeit im benachbarten Palais Royal sich abspielenden Verwüstungsszenen, wo sinnlos tobende Menschen — »Kanaillen, die gar nicht gekämpft hatten« schreibt der Sozialist H. Castille — ihre Zerstörungswut an Bildern und Statuen ausließen und in den erstürmten Kellereien Orgien des Suffs aufführten, [ebd., 235] Hier beginnt es im eigentlichen Sinne ein Text zu werden, eine Textur, ein Geflecht, das Anthropologisches, Elemente einer Massenpsychologie, voyeurhafter Erzählsequenzen (»eine Anzahl röchelnder (...)«) und politische Geschichte vermengt; der Text Bernsteins wandelt sich so dem an, was er beschreibt. Frauenschänder, Brandschatzer, Säufer, Bilderstürmer, Tagediebe, und doch: »ein gewisser Kommunismus«; wilde »Gelüste«, denen das Subjekt fehlt? Und doch wird das Verhalten der Menge nach dem Bilde des Verhaltens von Subjekten begriffen, von Menschen, Personen, aber eher »Weib« als Mann. Jeder Einzelne in der Menge ist befangen, er ist der äußeren Eingebung zugänglicher als im gewöhnlichen Leben, wenn auch entsprechend seiner Charakteranlage in verschiedenem

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Grade. Aber da die Mehrheit in der Menge aus leicht erregbaren, willensschwachen Individuen besteht, entwickelt sie alle Eigenschaften, die man als die des Weibes bezeichnet: große Reizbarkeit und Neigung zu extremen Handlungen: zu übertriebener Aufopferung, aber auch zu übertriebener Wildheit und Grausamkeit. Die zusammengelaufene Menge und jeder Einzelne in ihr — die passiv gutmütigen Naturen nicht ausgenommen — sind sehr viel leichter zum Verbrechen zu bewegen, als der Durchschnitt der sie konstituierenden Personen es an sich ist. [ebd., 236]

Den Text, der sich hier decouvriert, öffnet und verschließt in der phallozentrischen Faszination, als Blödsinn, Entgleisung, als bloß literarisch abzutun, würde vergessen machen, daß Bernstein nicht bloß über ein Buch redet: die Rezension gibt nur den äußeren Anlaß her für die revisionistische Thematisierung des Problems des revolutionären Subjekts. Dieses Problem ist immer mit gesetzt, wenn von der »Straße« oder der »zusammengelaufenen Menge« die Rede ist; Bernstein beendet seinen Essay damit, daß er dieses Problem anspricht, in aller Ambivalenz, [vgl. hierzu auch 270, II, 375] Der Haufen, die zusammengelaufene Menge, das »Volk auf der Straße«, ist soweit eine Potenz, die alles sein kann, revolutionär und reaktionär, heroisch und feige, human und bestialisch, in der Mehrheit der Fälle aber eher zum Zerstören als zum Schaffen angelegt ist. Gewiß, in Paris, der Stadt des Lichtes, hat sie Vive la Revolution! und Vive la Commune! gerufen, aber auch Vive 1' Empereur! und ä Berlin! ä Berlin! Wir mögen sie achten, aber wenn wir sie anbeten sollen, dann wollen wir doch lieber gleich Feueranbeter werden, [ebd., 237]

Woraus die Menge zusammengesetzt ist, haben wir erfahren: »Neben den von Hause aus zu Unfug und Gewalttätigkeit bestimmten vorwiegend die gedankenlosen, unerfahrenen Elemente«. Letztere sind eben die, welche Bernstein in seinem Buch »die Unsteten, heimat- und familienlosen Proletarier« nannte, mit denen »keine solide Gewerkschaftsbewegung möglich« wäre (s. o.). Aber weil Bernstein sich so durcheinander, so affektioniert wie die Menge eben selbst geäußert hatte, »gestattete« sich die Redaktion der Neuen Zeit jene Anmerkung, die klarmachen sollte, um welche Elemente es sich in Wirklichkeit handelt: »verkommene Lumpenproletarier der Großstädte«. Diese aufklärende Bemerkung war ebenso falsch wie notwendig. Denn weder waren die Revolutionäre von 1848 in Paris, die Bernstein anführt, verkommene Lumpenproletarier [vgl. Marx, 334 b], noch gilt, daß Bernstein mit seiner Charakterisierung der großstädtischen Haufen die klassentheoretisch abschätzbare Masse der »Deklassierten«, der aus dem Arbeitsprozeß Geworfenen allein hatte anzielen wollen. Wie unschwer aus dem Zitierten zu entnehmen ist, muß unklar bleiben, wie Bernstein die »zusammengelaufene Menge« klassenmäßig oder ökonomisch bestimmt, weil sein Text selbst allein durch die Unbestimmtheit dieses Phänomens funktioniert. Notwendig war die redaktionelle Anmerkung also, um diese Unbestimmtheit gar nicht erst fraglich werden zu lassen. Die Fragen, die sich ergäben, wären gefährlich geworden: welche militanten Kräfte sind die Träger vergangener und welche die kommender Revolutionen? Wie steht die organisierte Klasse, wenn das unorganisierte Element erst die Mili-

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß«

tanz und Gewaltförmigkeit produziert, zu ihrer unorganisierten,-auf der Straße zusammengelaufenen revolutionären >Basis< ? Wie ist eine Sprache, ein rationaler, überprüfbarer Diskurs über dies revolutionäre Element, das zunächst unberechenbar und geheimnisvoll erscheint, überhaupt möglich? Kann die Theorie diese Praxis revolutionärer Aktionen beschreiben, ohne sie zu mystifizieren und diesem Mystizismus dann zu erliegen? Die Antwort der Redaktion der Neuen Zeit ist klar, insofern sie solche Fragen nicht zuließ. Ordnung, Disziplin und Organisiertheit der Klasse galten der Redaktion nunmehr als jene revolutionäre Kraft, die vormals, wie Marx und auch Bernstein zeigten, das unorganisierte, ungefüge und spontane Element der Straße und auf den Barrikaden bewiesen hatte. Barrikadenkampf, so wie ihn die 48er Revolution gesehen hatte, wurde zum negativen Bezugspunkt aller strategischen Reflexionen, die seit Mitte der 90er Jahre die Parteidiskussionen beherrschten [vgl. Gustafsson,270,1, 68 ff.]. Am deutlichsten ist diese Aufhebung des revolutionären Elements der Barrikade in » Organisation« bei einem linksradikalen Theoretiker, Parvus, ausgeführt, in dessen 1896 erschienenen Artikel Staatsstreich und politischer Massenstreik es heißt: Die Revolution hatte ihr mechanisches Bindemittel: die Barrikade. Nun ist die Barrikade zum Boden geschleift. Daraus ergibt sich, daß alle jene zusammenhanglosen Volkselemente, die nur auf diese mechanische Weise vereinigt werden konnten und deren ganze Widerstandskraft in der Barrikade lag, politisch widerstandslos gemacht worden sind. Dadurch ist die revolutionäre Macht des Kleinbürgertums total gebrochen. Dadurch büßt es auch seine Rolle als Leiter der unorganisierten Proletariermassen während des revolutionären Kampfes ein. (...) Wie die Arbeiter ohne mechanische Bindemittel zusammenhalten können, zeigen die Streiks. (...) Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, daß die ersten Streiks mit Gewalttätigkeiten gegen die Kapitalisten, mit Demolierungen der Maschinen und Brandstiftungen verbunden waren. Das war keineswegs bloß der Ausfluß der Brutalität und des Unverstandes. Aber damals, als das klassenbewußte Zusammenhalten der Arbeiter noch so wenig entwickelt war, mußten ihre Aufmerksamkeit, ihr Zorn auf etwas Handgreifliches gelenkt werden, mußte ihnen eine Tätigkeit gegeben werden, damit sie sich als Masse fühlen und als Masse handeln konnten. Nunmehr ist dieses brutale Hilfsmittel der Organisation durch das Klassenbewußtsein ersetzt worden. Die Losungen während des Streiks ist jetzt die gerade entgegengesetzte: »Nur keine Gewalttätigkeiten!« Deshalb haben die Streiks noch nicht aufgehört, zu existieren, im Gegenteil, erst jetzt ermöglichen sie eine Massenentfaltung. Mag die Arbeiterschaft in Gewerkschaften oder als politische Partei organisiert sein — es genügt schon, daß sie es ist. [zit. nach 268, 84]

An die Stelle der »unorganisierten Proletariermassen« — den Akteuren der Junischlacht 1848 —, die lediglich für die Dauer der Barrikade an sie als »mechanisches Bindemittel« gebunden sind, tritt die »Organisation durch das Klassenbewußtsein«. »Die Macht des Klassenbewußtseins des Proletariats« war für Rosa Luxemburg, wie wir oben sahen, ein »direktes Kampfmittel«. Es ist mehr: ideologisches Konzept der Selbstverständigung über Kampfform und Subjekt des Kampfes, durch das es angesprochen wird, indem es sich selbst zugleich darin anspricht. Es ist Ort der Homogeneität der Klasse, die alle ihre verschiedenen Schichten und

Der doppelte Blick des »eisernen Mannes« (Luxemburg)

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Divergenzen einigt und zentriert. Doch dieser Ort ist zugleich unbestimmt — Luxemburgs Metaphern sollten nicht vergessen werden: »Leblos«, »ungreifbar«, »imaginär« für den Pragmatiker -, eine »unsichtbare Potenz« (s.o.).

4. Der doppelte Blick des eisernen Mannes Die Klasse ist, in der Perspektive der Klassenbewußtseinskonzeption, Subjekt und somit fähig, mit einer Stimme zusprechen und eigenen Augen zusehen; sie ist substituierbar durch eine Person. Rosa Luxemburg hat dafür ein aufschlußreiches Beispiel gegeben, in einer ihrer seltenen »sozialkritischen« Glossen, Nur ein Menschenleben! überschrieben. Luxemburg geht aus von einer Zeitungsnotiz über die Mordtat eines Mannes, der seine sechs und acht Jahre alten Töchter und dann sich selbst umgebracht hatte, weil er, arbeitsunfähig durch fortschreitende Erblindung, seinen Kindern und sich »ein besseres Jenseits« geben wolle, »um niemand die Last ihrer Erhaltung aufzuerlegen« [zit. nach Luxemburg, Bd. 1/1, 467]. Die Anonymität dieses Selbstmords - niemand bemerkte ihn, alles ging seinen alltäglichen Gang — entspreche dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft, die, so Luxemburg, »über ihre Verbrechen den Schleier der Unsichtbarkeit (breite)«. Erst (die bürgerliche Gesellschaft) sprengte alle Bande zwischen den Menschen und überließ den einzelnen seinem Schicksal, seinem Elend und seinem Verderben, um sich seiner erst nach seiner Entmenschung — geistigen oder leiblichen, durch Mord oder Selbstmord — zu erinnern. Erst sie zwang den Menschen, sich selbst zu entleiben und seine Kinder zu morden — im hellen Sonnenlicht, mitten auf lärmender Marktgasse, mitten im eintönigen stumpfsinnigen Gepolter und Gerassel der Alltäglichkeit, die nicht eine Sekunde bei dem Gefallenen hält, die nicht eines Blicks seine Leiche würdigt, [ebd., 469]

Die Erfahrung der gefühllos machenden, die Sinne abstumpfenden bürgerlichen Gesellschaft ist eine Erfahrung des Leids, die sich grundsätzlich von der des Sklaven oder Leibeigenen vergangener Gesellschaftsformen unterscheide — »da lag wenigstens das Verbrechen des Menschen am Menschen, der Gesellschaft am einzelnen offen, entblößt, schrecklich in seiner Nacktheit, himmelschreiend in seiner Brutalität« [ebd.]. Leid, Unterdrückung, soziales Elend und Tod geschieht nunmehr stumm, sprachlos, unbemerkt, in der Anonymität; die unmenschliche Qualität des Systems wird von Rosa Luxemburg hier, keineswegs typisch für die sozialdemokratische Sozialkritik vor 1914, schon in der Nähe der späteren »Verdinglichungs «-Kritik des frühen Lukäcs oder Marcuse gebracht; die sprachliche Ausdruckskraft selber ist gegen das Vergessen und die Abgestumpftheit aufgeboten, um in intensivierter Literarizität der gleichgültigen Berliner Lokalnotiz, die von dem dreifachen Mord berichtete, ihren grausamen Inhalt zu entreißen. Die uneinholbare Sinnlosigkeit des Todes vonNur einem Menschenleben in der bürgerlichen Gesellschaft verstellt jede höhere Allgemeinheit, die noch sinnstiftend und erklärend sein könnte: »die >Gesellschafthöheren Einheitorganische Ganzedie Gesellschaft« [ebd., 468]. Luxemburgs subtile Darstellungskraft produziert eine sozialkritische Radikalität, die, gerade weil sie nichts an Aktualität eingebüßt hat, die Frage nahelegt, wie die Theoretikerin einer Sozialdemokratie, welche sich doch selbst als ein »organisches Ganzes«, als Organisation des klassenbewußten Proletariates nämlich verstand, politisch Stellung nimmt, ohne durch zynische Belehrung von oben herab ihren vorangehenden, die Unaufgelöstheit einer unmittelbaren Erfahrung radikalisierenden Diskurs herabzusetzen. Luxemburg beschließt ihren Artikel mit einer politischen Stellungnahme, die die literarische Form ihres Diskurses beläßt: mit einer Allegorie. Wir wollen diese »Sage vom Wij«, die den Beschluß ihres Artikels bildet, in voller Länge zitieren; ein Allegorismus des Klassenbewußtseins: Es gibt eine unheimliche slawische Volkssage vom Wij, die also lautet: Es war einmal eine menschenbewohnte Stätte, in der böse Geister sich eingenistet hatten. Unsichtbar und nur wie leichte Schatten unter den Menschen huschend, trieben sie ihr Unwesen, schändeten und töteten und tranken Menschenblut. Unzählig und furchtbar waren ihre Verbrechen, so furchtbar, daß man sie einander nicht zu erzählen wagte, und denjenigen, denen man sie flüsternd berichtete, wurden die Haare weiß vor Grauen, und sie selbst wurden zu Greisen. Und kein Mittel, keine Rettung gab es gegen die bösen Geister, da man sie nicht sah und nicht treffen konnte, ob man sie wohl um sich fühlte und ihren unheimlichen Flug, ihre schreckliche Berührung spürte. Da verlautete es, nur eins könne die Macht der bösen Geister brechen, wenn der Wij, der im tiefsten Erdengrund verborgen lebende eiserne Mann mit den langen Augenlidern bis zum Boden, die bösen Geister erblicken und zeigen würde. Man ging den Wij suchen, fand ihn und führte den eisernen Mann mit schwerem Schritt und geschlossenen Augen zu der Wohnstätte der Bösen. »Hebt mir die Augenlider«, sagte Wij, und seine Stimme war wie das Knarren von verrostetem Eisen. Man hob mit Mühe seine schweren eisernen Augenlider, die bis zu seinen Füßen herabhingen, er blickte auf und zeigte mit seinem eisernen Finger auf die böse Geisterschar, die im selben Augenblick sichtbar wurde und mit erschrockenem Flügelschlagen gebrochen zu Boden fiel. Der »eiserne Mann«, der Mann der eisernen Muskeln, des eisernen Pfluges, des eisernen Hammers, des eisernen Rades — der Mann der Arbeit ist gefunden, er ist aus dem dunklen Erdengrund, wohin ihn die Gesellschaft verbannt hat, an die sonnige Erdoberfläche getreten. Man muß ihm nur die schweren Augenlider heben, auf daß er sieht, und seine eiserne Hand streckt, damit die unsichtbaren bösen Geister, die die Menschheit seit Jahrtausenden plagen, ohnmächtig zu Boden sinken, [ebd., 470]

Auch hier drängt sich wieder die Beobachtung auf, daß an literarischen Texten, die gleichsam dem Zwang theoretischer Stringenz entzogen bleiben, sich Motive, Hintergründe und Perspektiven eröffnen, die, wenn auch nicht unverstellt, das Bild des ideologischen Selbstverständnisses der Sozialdemokratie ungleich schärfer zu zeichnen in der Lage sind, als jede theoretische Stringenz. Der »eiserne Mann der Arbeit«, dem man seine schweren Lider heben muß, um ihm die Augen zu öffnen — daß er sieht und zeigt, ein Zeigen, das Unsichtbares sichtbar macht: viel differenzierter als ihre Konzeption des Klassenbewußtseins vor 1905 theore-

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tisch schon formuliert war, offenbart sich hier Luxemburgs politische Theorie des Klassenbewußtseins. Nicht die sind sehend, die die Lider heben, also die Sozialdemokratie oder, nach ihrem Wort, »die sozialistische Aufklärung der Arbeiterklasse im alltäglichen Kampf« (s. o.), sondern sie helfen nur dem, der sehen wird, der, wenn er hinzeigt, das Unsichtbare sichtbar werden läßt. Ein politisches Verständnis des proletarischen Klassenkampfs, das Luxemburg später, nach der Erfahrung der Russischen Revolution von 1905, als die »erzieherische« und organisationsbildende Wirkung »revolutionärer Perioden« [Luxemburg, Bd. 2, 144f.] beschreiben wird, deutet sich hier schon an, insofern die Partei, d. h. die Ebene des sozialdemokratischen Selbstverständnisses, nicht schon das Bewußtsein derer präsuppomert, denen es zugesprochen werden muß, der Arbeiterklasse selbst. Dieser Allegorie des sichtbar machenden Sehens des eisernen Wij, sein gleichsam verdoppelnder Blick, entspricht der später geprägte Begriff des »praktischen aktiven Klassenbewußtseins«, das sich fundamental von Lenins, Kautskys und Lukäcs' Theorie absetzt, insofern nicht die Partei des Proletariats »der organisatorische Ausdruck« und »Verkörperung« (Lukäcs) des Klassenbewußtseins ist [332], sondern lediglich Dienerin: sie öffnet die Augen, damit sich die Augen öffnen, ohne selbst Augen zu haben. Auch für den Kontext des zitierten Artikels war es entscheidend, daß der Ort des Wij nicht der der Partei (und also Luxemburgs) war. Nur so nämlich kann Rosa Luxemburg die Differenz zwischen ihrem Wissen und der Unsagbarkeit des einzelnen Leids offenhalten. Anders als in der leninistischen Konzeption des Klassenbewußtseins von 1903 ist Luxemburg für das Problem und die Sache der historischen Konstitution des Klassenbewußtseins offen. Daß Klassenbewußtsein praktisch wird, ist eine Sache revolutionärer Aktionsperioden, denen nie die Gewähr ihres Sieges und immer ein hoher Preis ihrer Niederlage beigegeben ist. Der Allegorismus vom doppelten Blick des eisernen Mannes erlaubt es Luxemburg gleichwohl, Klassenbewußtsein als faktisch daseiende, hegemoniale, weil unbesiegbare Macht, »Unsichtbares« —Bindemittel und »geistiges Band« anzusprechen, wie ja auch die »Präsenz« des Wij außer Frage steht. Als zentrales Selbstverständniskonzept der führenden Parteitheoretikerin bleibt ihr Klassenbewußtseinsbegriff vor allem darin folgenreich, daß er sich der Untersuchung seiner materiellen Voraussetzung verschließt. Die implizite Voraussetzung nämlich, daß die Klasse überhaupt als homogen angesprochen werden kann, ist innerhalb dieses Konzepts schlechthin unüberprüfbar. Sozialdemokratie und Klasse selbst werden in eins gesetzt, das identische Subjekt ein und derselben »Bewegung«. »Tatsächlich ist die Sozialdemokratie aber nicht mit der Organisation der Arbeiterklasse verbunden, sondern sie ist die eigene Bewegung der Arbeiterklasse.« [Luxemburg, 1/2, 429], schrieb Luxemburg 1904 gegen Lenin, und die behauptete Identität beansprucht faktische Geltung. Dieselbe Faktizitätsbehauptung der sozialdemokratischen Ideologie findet sich in ihrem Verhältnis zu den Gewerkschaften wieder, zumindest bis in das Jahr 1905, das dann durch die Erfahrung der

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Russischen Revolution eine Änderung ihrer Haltung bewirken sollte. »Koalition«, Vereinigung der Arbeiter in die gewerkschaftliche Organisation, verstand sie als unmittelbar Klassenbewußtsein erzeugend: Der gewerkschaftliche Kampf hat aber zugleich mit der materiellen Hebung auch eine geistige Wiedergeburt der Arbeiterschaft herbeigeführt. Schon in seinen Anfängen weckt er das Ehrgefühl der Ausgebeuteten und läßt sie für die vom Protzenkapital mit Füßen getretenen Menschenwürde des Arbeiters kämpfen. Bereits in den 70er Jahren, gleich bei den ersten Regungen der Gewerkschaften, wird u. a. Forderungen die der Anrede mit »Sie« gestellt, so bei den Bäckern, Schlächtern u. a. Ferner sieht die Gewerkschaft auf moralische Unbescholtenheit ihrer Mitglieder, sogar auf deren Berufstüchtigkeit. In den Statuten des Fachvereins der Zigarrensortierer z.B. heißt es, daß, wer dreimal hintereinander wegen nachlässiger, schlechter Arbeit oder unmoralischen Betragens entlassen worden sei, sein Mitgliedsrecht verliere. Die eigentliche geistige Regeneration der Arbeiterschaft wird aber vor allem dadurch von den Koalitionen verwirklicht, daß sie die zersplitterten, in der Trübsal des Einzelloses verkümmerten, vielfach einander bekämpfenden Arbeiter vereinigt und zum Klassenbewußtsein emporhebt. [Bd. 1/1, 603] Die positive Unterstreichung der disziplinierenden Funktion, des moralischen Anspruchs und einer »vereinigenden« Wirkung der Gewerkschaften, die auf Ausgrenzung anderer, unzuverlässiger Schichten der Klasse beruht (eine Ausschließungsbewegung ähnlich der oben besprochenen von Bernstein), war der ausgesprochene Konsens innerhalb der sozialdemokratischen Partei bis 1905 [vgl. Be~ bel, 3 6a]. Während Bernstein zwar noch die »ganze Hierarchie differenzierter Arbeiter« [53, 135] auch innerhalb der Gewerkschaften im Auge behielt, aber in Ersetzung jeglicher revolutionären Strategie durch allgemein demokratisch-sozialreformerische Aufgaben diese Differenzierung in die allgemeine »des Volkes« auflöste, und ein homogenes Klassensubjekt somit für inexistent hielt (was nichts an seiner Unterstützung der gewerkschaftlichen Praxis änderte), hielten die übrigen Theoretiker der SPD (Parvus, Luxemburg, Kautsky, Mehring) an der im »Jahrzehnt der Gewerkschaften« [Mehring, Bd. 2, 692ff.] erstarrten Gewerkschaftseinheit als faktischem Ausdruck eines Klassensubjekts fest. Entscheidend war für sie das reine Faktum der Organisation; Parvus schreibt: Wenn nun speziell in Deutschland die politische Organisation der gewerkschaftlichen gegenüber den Vorzug hat, daß sie viel allgemeiner ist, so die gewerkschaftliche der politischen gegenüber, daß sie durch viel innigere Bande verbindet. Die politische Organisation ist lose und flüchtig und hängt von der politischen Stimmung ab, aber die gewerkschaftliche ist zähe und faßt den Arbeiter an der Grundlage seiner ökonomischen Stellung selbst, an der Ausbeutung, [zit. nach 268, 85] Die Gewerkschaft, als reine »Koalition« der Ausgebeuteten, ist als solche schon »geistige Wiedergeburt«, »geistiges Band« der Arbeiter und Klassenbewußtsein erzeugend. Dabei bleibt völlig außer acht, daß seit Mitte der 90er Jahre innerhalb der Entwicklung der »Zentralverbände« der »Freien Gewerkschaften« eine entpolitisierende Tendenz strikter parteipolitischer Neutralität sich durchgesetzt hat-

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te, im erbitterten Kampf gegen die sogenannten Lokalisten, die jenem politischen Verständnis der Gewerkschaften Luxemburgs oder Parvus', obgleich zahlenmäßig nahezu bedeutungslos, mehr entsprochen hätten. Aber daß innerhalb der »Zentralverbände« nunmehr »nur unmittelbare Gegenwartsinteressen der Arbeiter« vertreten würden [Luxemburg, Bd. 1/1, 780], hielten sie für »keine Gefahr« [Mehnng, Bd. 2, 699], weil »die Gewerkschaften (...) auf demselben Boden der allgemeinen sozialen Entwicklung stehen, deren Schlußergebnis die Sozialdemokratie in ihrem Endziele formuliert« [Luxemburg, Bd. 1/1, 781]. Diese Einschätzung, vielleicht weniger ihre geschichtsobjektivistische Implikation, sollte sich für Luxemburg ab 1905, im Streit mit den Gewerkschaften um die politische Bedeutung des Massenstreiks, grundlegend ändern.

5. Die »Sozialdemokratie als Prozeß«. Das Paradigma der Einheitlichkeit 1904, im Rahmen ihrer ersten Auseinandersetzung mit Lenin, kam Luxemburg auf diesen Artikel Parvus' mit der Bemerkung zurück, er sei einer der wenigen aber vergeblichen Versuche, innerhalb der Partei eine Debatte um »weitere Horizonte« als die durch die parlamentarische Taktik gesteckten zu provozieren. Vergeblich sei dieser Versuch gewesen, weil (...) sich auch schwer in der leeren Luft der abstrakten Spekulation die Konturen und greifbaren Formen einer noch nicht existierenden, also imaginären politischen Situation darstellen lassen. Wichtig ist auch für die Sozialdemokratie jedesmal nicht das Vorausahnen und Vorauskonstruieren eines fertigen Rezepts für die künftige Taktik, sondern die lebendige Erhaltung in der Partei der richtigen historischen Wertschätzung für die jeweilig herrschenden Kampfformen, das lebendige Gefühl für die Relativität der gegebenen Phase des Kampfes und für die notwendige Steigerung der revolutionären Momente vom Standpunkt des Endziels des proletarischen Klassenkampfes. [Bd. 1/2, 433]

Dies ist eine Antwort auch auf Parvus' Klassenbewußtseinsvorstellungen von unerwarteter Seite her: Vorstellungen vom Massenstreik (den Parvus gleichsam nur als die »tätige Seite« jenes >daseienden< Klassenbewußtseins begriffen hatte) müssen abstrakt spekulativ bleiben, weil sie einem falschen Vorgriff entstammen, einen unmöglichen Gedanken denken. Das gilt natürlich auch für eine je ausführbare Theorie des Klassenbewußtseins. Der mögliche taktische und strategische Diskurs der Partei bleibt in seinem Status an die historische »Phase« der Kämpfe selber gebunden, denen gegenüber sich die Perspektive des Endziels ebenso zu bestätigen wie zu kritisieren hat. Die proletarische Bewegung ist (...) nicht auf einmal, auch in Deutschland nicht, sozialdemokratisch geworden, sie wird sozialdemokratisch mit jedem Tage, sie wird es auch während und indem sie fortwährend die extremen Seitensprünge ins Anarchistische und ins Opportunistische überwindet, beides nur Bewegungsmomente der als Prozeß aufgefaßten Sozialdemokratie. [Bd. 1/1, 444 f.]

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Die Folgen für den möglichen taktischen oder strategischen Diskurs wird Rosa Luxemburg später in ihrer Auseinandersetzung mit Lenin konkretisieren: Die Kampftaktik der Sozialdemokratie wird in ihren Hauptzügen überhaupt nicht »erfunden«, sondern sie ist das Ergebnis einer fortlaufenden Reihe großer schöpferischer Akte des experimentierenden, oft elementaren Klassenkampfes. Auch hier geht das Unbewußte vor dem Bewußten, die Logik des objektiven historischen Prozesses vor der subjektiven Logik seiner Träger. Die Rolle der sozialdemokratischen Leitung ist dabei wesentlich konservativen Charakters, indem sie erfahrungsgemäß dazu führt, das jedesmalige neugewonnene Terrain des Kampfes bis in die äußersten Konsequenzen auszuarbeiten und es bald in ein Bollwerk gegen eine weitere Neuerung größeren Stils umzukehren. [Bd. 1/2, 432f.]

Daß das »Elementare« wirklicher Klassenkämpfe »schöpferisch« die neuen »Kampftaktiken« hervorbringt und nicht theoretische Spekulation eines »ultrazentralistischen« Leitungsgremiums der Partei (gegen dies wie immer falsch oder richtig von ihr verstandene Parteimodell Lenins richtet sich Luxemburg), mag im Groben eine angemessene Interpretation dieser Zeilen sein. Sie würde aber die sehr viel differenziertere Ortsbestimmung der Partei überlesen, die gleichfalls hier vorliegt. Denn ebensoviel, wie aus dem obigen Zitat ein »Spontaneismus« gelesen werden kann, gilt das Gegenteil: » die lebendige Erhaltung (...) der richtigen historischen Wertschätzung für die jeweilig herrschenden Kampfformen (...) die notwendige Steigerung der revolutionären Momente vom Standpunkt des Endziels des proletarischen Klassenkampfes«, - sind dies nicht gleichfalls »konservative« Bewegungen? Luxemburg beschreibt einen Mechanismus der Entstehung »neuer Kampftaktiken« (wobei »Taktik«, insofern es um neue »Kampfformen« geht, fast strategischen Rang hat) und somit die strukturelle Bedingung eines nichtspekulativen Diskurses der Theorie. »Das Unbewußte geht vor dem Bewußten, die Logik des objektiven historischen Prozesses vor der subjektiven Logik seiner Träger.« Das Vorbrechen des Unbewußten aus der Logik des Bewußten ist so gleichsam das Kennzeichen klassenkämpferischer Aktionsperioden, doch dies Hervorbrechen, geschieht wie das, was Freud »schizophrene Ersatzbildung« [237a, 290] nannte, auf der Ebene des Bewußten selbst: durch Überdetermination eines Wortes, Zerfall alter Wort/Sach-Beziehungen und Schaffung neuer, bislang verdrängter, unterdrückter oder vergessener Themen, Sprachregelungen, Selbstverständnisse usw. Ein solches Thema/Wort/Strategem usw. wird Monate später, in dem Frühjahr der Russischen Revolution 1905, für Rosa Luxemburg der »Massenstreik« werden; ein altes Thema, das bis dahin, wie sie anläßlich des Parvus-Artikels sagte, eher mit »Trägheit« in »leerer Luft abstrakter Spekulationen« dahin sich schleppte, bekommt höchste Aktualität durch die politischen Massenstreiks in Petersburg. Im darauffolgenden Jahr sollte Luxemburg tatsächlich dies zu schaffen machen: der »wesentlich konservative Charakter« der Partei, die sich in nur sehr zwiespältiger Weise gegenüber dem Problem des Massenstreiks verhielt (s. Teil IV). Von

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Luxemburg selbst aber ist die Rolle der Partei (und damit ist immer auch eine Funktionsbestimmung des Theoretikers in der Partei gegeben) widersprüchlich bestimmt: Auf der einen Seite notwendig bewahrend (»lebendige Erhaltung der richtigen historischen Wertschätzung ...«), auf der anderen Seite die einer »notwendigen Steigerung der revolutionären Momente«. Doch die Widerspruchsbeziehung ist eine einfache: hat sich in »elementaren« Kämpfen als »Ergebnis einer fortlaufenden Reihe« eine »neue Kampftaktik« gebildet, so tritt sie in Widerspruch zum »konservativen Charakter« der Partei, der indes entweder zu einem »Bollwerk« gegen eine solche »Neuerung größeren Stils« sich verfestigen, oder aber auf der Basis einer »richtigen historischen Wertschätzung für die jeweilig herrschenden Kampfformen« zum steigernden Faktor werden kann. Die entscheidende Lösung dieses Widerspruchs ist somit jener »fortlaufenden Reihe« »elementarer Klassenkämpfe« aufgegeben und fällt nicht in die Kompetenz der Ideologie oder der Partei. Somit wird die Partei zur Bewegung selbst, eine Theorie der Partei im eigentlichen Sinne kann demnach nicht bestehen, vielmehr löst sich das, was über die Partei gesagt werden kann, auf in Annahmen über den Charakter, die Struktur und die Dynamik der »Bewegung«. Diese offenbare Amphibolie steht indessen unter einem zentralen Prinzip, dem der homogenen Organisation. Die Partei repräsentiert gegenüber der Bewegung immer den »Geist der Organisation«. Was sich aber aus der allgemeinen Auffassung des sozialdemokratischen Organisationstypus ableiten läßt, das sind die großen Grundzüge, das ist der Geist der Organisation (...) [Bd. 1/2, 434]

Innerhalb dieses »Geist der Organisation« (»und dieser bedingt, namentlich in den Anfängen der Massenbewegung, hauptsächlich den koordinierenden, zusammenfassenden (...) Charakter des sozialdemokratischen Zentralismus« [ebd.]) spielt die Zweideutigkeit oder Amphibolie zwischen der Ebene der Partei und der der Bewegung, welch letzterer freilich erst konkrete Kampfformen und die Taktik hervorbringen kann: Wird die sozialdemokratische Taktik nicht von einem Zentralkomitee, sondern von der Gesamtpartei, noch richtiger, von der Gesamtbewegung geschaffen, so ist für einzelne Organisationen der Partei offenbar diejenige Ellenbogenfreiheit nötig, die allein die völlige Ausnutzung aller von der jeweiligen Situation gebotenen Mittel zur Potenzierung des Kampfes sowie zur Entfaltung der revolutionären Initiative ermöglicht, [ebd., 433] Somit ist, dialektisch scheinbar, der »Geist der Organisation« zugleich »Geist der politischen Bewegungsfreiheit«, »gepaart mit scharfem Blicke für die prinzipielle Festigkeit der Bewegung und für ihre Einheitlichkeit«. Alle anderen Fragen, so auch die von Lenin forcierten Statutenprobleme, sind demgegenüber untergeordnet. Hat aber dieser Geist der politischen Bewegungsfreiheit, gepaart mit scharfem Blicke für die prinzipielle Festigkeit der Bewegung und für ihre Einheitlichkeit, in den Reihen der Partei

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Platz gegriffen, dann werden die Schroffheiten eines jeden (...) Organisationsstatus sehr bald durch die Praxis selbst eine wirksame Korrektur erfahren. [Bd. 1/2, 434]

Luxemburgs Vorstellung der absoluten »Einheitlichkeit« der proletarischen Bewegung, die aller ihrer möglichen »Kampftaktiken« immer vorgeordnet bleibt, kann als für das nichtrevisionistische Selbstverständnis der Sozialdemokratie generell maßgebende »Paradigma« angesprochen werden. Dieser Begriff sei hier gemäß einer Definition verwandt, die H. Blumenberg im Rahmen der Diskussion um die Theorie Thomas S. Kuhns [vgl. 319] gegeben hat. »Das Paradigma ist ein latenter Komplex von Prämissen, die als Implikationen der wissenschaftlichen Praxis gar nicht ausdrücklich formuliert werden müssen, sondern in die Methoden und Fragestellungen bereits eingegangen sind.« [209a, 196] Vergleichbar den naturwissenschaftlichen Weltauffassungen, die, Kuhn zufolge, durch diesen Paradigmabegriff in ihrer Geschichte konfrontiert werden sollen, scheinen uns auch Ideologien ihrer Struktur nach von Paradigmen geleitet zu sein, wobei sicherlich der Status der Präsenz dieses Paradigmas (»latenter Komplex«) in allen Elementen der Ideologie zu klären sein wird. Das ideologische Paradigma der »Einheitlichkeit« impliziert gleichermaßen einen »Prämissenkomplex«, zu dem einerseits die Annahme einer »unbewußt«-»elementaren« Qualität kämpferischer Aktionsperioden gehört, die die »Latenz« des Status dieser Prämisse gleichsam im Argument selber artikuliert. Andererseits enthält das Paradigma eine dezidiert geschichtsphilosophische Dimension: Der Satz, daß die Sozialdemokratie, eine Klassenvertreterin des Proletariats, doch gleichzeitig die Vertreterin der gesamten Fortschnttsmteressen der Gesellschaft und aller unterdrückten Opfer der bürgerlichen Gesellschaftsordnung ist, (...) dieser Satz wird zur Wahrheit in Gestalt des geschichtlichen Entwicklungsprozesses, kraft dessen die Sozialdemokratie auch als politische Partei nach und nach zur Zufluchtsstätte der verschiedensten unzufriedenen Elemente, daß sie wirklich zur Partei des Volkes gegen eine winzige Minderheit der herrschenden Bourgeoisie wird. (...) Die Vereinigung der großen Volksmasse mit einem über die ganze bestehende Ordnung hinausgehenden Ziele, des alltäglichen Kampfes mit der revolutionären Umwälzung, das ist der dialektische Widerspruch der sozialdemokratischen Bewegung, die sich auch folgerichtig auf dem ganzen Entwicklungsgang zwischen den beiden Klippen: zwischen dem Preisgeben des Massencharakters und dem Aufgeben des Endziels, zwischen dem Rückfall in die Sekte und dem Umfall in die bürgerliche Reformbewegung, vorwärtsarbeiten muß. [Luxemburg, Bd. 1/2, 441 f.]

Der Ort der Partei, die »Zufluchtsstätte«, ist hier zugleich als Repräsentation einer einheitlichen, geschichtlichen Bewegung (»der verschiedensten unzufriedenen Elemente«), wie auch als programmatische Instanz der Herstellung von Einheit (jenes » dialektischen Widerspruchs « zwischen Tagespolitik und Endziel) verstanden. Die Möglichkeit eines Bruchs mit dem Paradigma der »Einheitlichkeit« erscheint sowohl auf der Ebene der Partei, wie auf der Ebene der Kämpfe selbst ausgeschlossen. Die schon vorhandene Basis, die erstarkende Gewerkschaftsbewegung der Zentralverbände, die Zunahme der Wählerstimmen und Parteimitglied-

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Schäften, wird von Luxemburg als faktisch einheitliche verstanden. Daß die Wählermassenbasis, ohne größere Agitation und Propaganda, und trotz des Verbotes der Partei, 1890 schon mit IV2 Millionen Stimmen vorhanden war, mußte gleichsam als historischer Beweis für die Gültigkeit des Einheitlichkeitsparadigmas (das ja auch die Einheitlichkeit von Ideologie/Partei und realer Bewegung einschließt) verstanden werden. »Der als Prozeß aufgefaßten Sozialdemokratie« wurde unter diesen Prämissen der »Einheitlichkeit« schier nichts »unverdaulich«; es komme nur darauf an, meinte Luxemburg bezüglich der »verschiedensten unzufriedenen Elemente«, die der Partei aus dem Kleinbürgertum oder der Bourgeoisie (wie wir noch sehen werden, tatsächlich) zuliefen — daß die Partei, gleich einem Organismus, , (...) die Gegenwartsschmerzen dieser bunten Schar von Mitläufern nachhaltig den Endzielen der Arbeiterklasse zu unterordnen, den nichtproletarischen Oppositionsgeist der revolutionären proletarischen Aktion einzugliedern, mit einem Worte, die hier zufließenden Elemente sich zu assimilieren, sie zu verdauen versteht, [ebd., 441]

Auch nicht Bernsteins antirevolutionäre Revision sämtlicher Positionen des Endziels und selbst nicht seine eben die »Einheitlichkeit« der Sozialdemokratie aufwiegelnde Infragestellung einer homogenen Klassenbasis, konnten Luxemburgs »Sozialdemokratie als Prozeß« zuwiderlaufen. »Denn nur die Dialektik und die materialistische Geschichtsauffassung« heißt es zum Beschluß von »Sozialreform oder Revolution« (1898), »hochherzig, wie sie sind, lassen ihn (Bernstein, W. H.) als berufenes, aber unbewußtes Werkzeug erscheinen, wodurch das vorwärtsstürmende Proletariat seinen augenblicklichen Wankelmut zum Ausdruck gebracht hat, um ihn, bei Lichte besehen, hohnlachend und lockenschüttelnd weit von sich zu werfen« [Bd. 1/1, 445]. Möglich, daß diese »Verdaulichkeit« Bernsteins die überwältigenden Parteitagsmehrheiten gegen Bernstein (1899 und 1903) Luxemburg leicht gemacht haben. Der Kern des »Einheitlichkeits«-Paradigmas aber bleibt, bei Luxemburg, Parvus und Mehring, die Konzeption der Klasse als quasi personales, homogenes Subjekt der Geschichte. Bis 1905 galt Luxemburg die Gewerkschaft als Organ dieses Subjekts, als Organismus des Klassenbewußtseins. Denn nicht der Annahme des in der »Koalition« verwirklichten Klassenbewußtseins und »geistigen Bandes« trat sie in ihrer Parvus-Kritik entgegen, sondern allein den taktischen Folgerungen, dem politischen »Massenstreik«, der so lange notwendig abstrakte Vorstellung bleiben mußte, bis nicht elementare Kämpfe selbst ihn bewiesen. In Frage stand nicht die Annahme des faktischen Klassenbewußtseins selbst, eher wurde sie noch bestärkt durch die Behauptung jener elementaren, endogenen Kraft des »Massen-Ich der Arbeiterklasse (...) das sich partout darauf versteift, eigene Fehler machen und selbst historische Dialektik lernen zu dürfen« [Bd. 1/2, 444]. Klassenbewußtsein ist bei Luxemburg nicht so sehr das theoretisch geschulte und von Wissen und Einsicht getragene Bewußtsein, als vielmehr ein »Klasseninstinkt«.

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß«

Bei Luxemburg ist Klassenbewußtsein des Proletariats im Unterschied zum Bewußtsein des sozialistischen »Akademikers« oder Intellektuellen kein Reflexionsbegriff. Der »Akademiker«, als ein seiner Herkunft nach dem Proletariat fremdes, von der Bourgeoisie abstammendes Element, (kann) nicht im Einklang mit dem eigenen Klassenempfinden, sondern nur durch dessen Überwindung, auf dem Wege der Ideologie zum Sozialismus gelangen (...) und (ist) deshalb eher zu opportunistischen Seitensprüngen prädisponiert (...) als der aufgeklärte Proletarier, dem — wofern er den lebendigen Zusammenhang mit seinem sozialen Mutterboden, mit der proletarischen Masse, nicht verloren hat — sein unmittelbarer Klasseninstinkt einen sicheren revolutionären Halt gibt. [Bd. 1/2, 436f.] Bei Luxemburg also ist die Gewähr der »Einheitlichkeit« der sozialdemokratischen Bewegung, die ja das Proletariat anleitet, durch eine Art instinktiver Einheit des Klassenbewußtseins »unmittelbar« gegeben.

6. Klassenbewußtsein exogen. - Der überlesene Kautsky in Lenins Text Ein bezüglich des Klassenbewußtseins gerade entgegengesetztes Selbstverständnis—Paradigma der »Einheitlichkeit der proletarischen Bewegung« —finden wir bei Kautsky. 1902, anläßlich einer Programmrevision der österreichischen Sozialdemokraten, verfaßte Kautsky eine scharfe Antwort auf einen neuen Programmentwurf der SPÖ, der in seinem ersten, »prinzipiellen Teil« erheblich dem geltenden »Heinfelder Programm« die radikale Schärfe nahm. Dies nahm Kautsky zum Anlaß, Sinn und Zweck solcher »Prinzipienerklärungen« zu erwägen: Nicht die einzelnen Forderungen, sondern diese Prinzipienerklärungen sind es, was unsere Programme von allen bürgerlichen unterscheidet. Sie enthalten das »Endziel« und die Gründe, aus denen wir es anstreben. Dieses hat aber nicht bloß dekorative (...) Funktionen (...); es hat vielmehr die große praktische Aufgabe, die Einheitlichkeit der proletarischen Bewegung zu erhalten. [121, 69] Nach Kautsky hat »das Bewußtsein vom Endziel« [ebd., 79] »Einheitlichkeit zu bringen nicht nur in das Nebeneinander, sondern auch in das Nacheinander der proletarischen Bewegungen«. Je mehr die proletarische Bewegung anwächst, desto mehr entwickelt sich in ihr die Arbeitsteilung, die einzelnen Funktionen fallen einzelnen Personen zu, die sich ausschließlich damit beschäftigen und denen das Mittel zum Zwecke nur zu leicht zum Selbstzweck wird. Je mehr die einzelnen Arten der proletarischen Bewegung sich verselbständigen, desto eher kommt es zwischen ihnen zu Friktionen, zu Widersprüchen, die die Kraft der Gesamtbewegung oft sehr beeinträchtigen können, die sich aber um so leichter überwinden lassen, je mehr bei allen Beteiligten der Gedanke an das Endziel lebendig ist, (...) und je einheitlicher die Auffassung vom Endziel. [S. 69]

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Es ist unschwer zu erkennen, daß diese Bemerkungen jenem oben genannten »opportunistischen« Flügel der Partei galten, bei dem sich die »parlamentarische Taktik« in der Tat mehr »verselbständigte«. Schon im Mai 1900 hatten die sozialdemokratischen Vertreter im Badischen Landtag — entgegen dem Bebeischen Wort: »Diesem System keinen Mann und keinen Groschen« — dem Budget der bürgerlichen Regierung zugestimmt. Max Schippel, ein führender Reformist der Partei, begrüßte gar die Zollpolitik der kaiserlichen Regierung oder er weigerte sich zumindest, »um die deutsche Industrie nicht zu benachteiligen«, dagegen zu sprechen [158a, 12f.]; er trat im übrigen für die Bewilligung von Mitteln für die »Vaterlandsverteidigung« ein, was gegen den antimilitaristischen Konsens der Partei verstieß. Georg Gradnauer, Wolfgang Heine und Georg von Vollmar waren die Hauptverteidiger dieser Tendenzen auf dem Parteitag 1898 in Stuttgart gewesen, Richard Fischer aus Berlin schloß sich ihnen später an. Vollmar, der Vorsitzende der Bayerischen Sozialdemokratie, galt seit den Debatten um das Parteiprogramm 1890 und 1891 in seinen sogenannten »Eldorado«-Reden als Protagonist dieses opportunistischen Flügels [vgl. 404, 109 ff.]. Im Wahlkreis München und Rheinpfalz hatten 1899, entgegen klarem Parteibeschluß, Vollmars bayerische Sozialdemokraten und das Zentrum gemeinsame Listen ihrer Wahlmänner erstellt. 1894 hatten auch die bayerischen Sozialdemokraten schon dem Regierungsbudget zugestimmt. Gelegentliche Artikel im Vorwärts, wie der von Conrad Schmidt, der das »Endziel« bestritt und den »friedlichen Weg« proklamierte, gelegentliche Reden, wie die von Heine, der der preußischen Regierung den Kompromiß: Zugeständnisse in Sachen Militärforderungen gegen »Volksfreiheiten«, angeboten hatte - sie begleiteten die parlamentarischen Aktionen des reformistischen Flügels. Das »Mittel zum Zwecke«, die parlamentarische Taktik, die ausschließlich zu propagandistischen Zwecken hatte angewandt werden sollen, wurde innerhalb dieser reformistischen Gruppe zum »Selbstzweck«, und Kautsky spricht ihr gegenüber nur das theoretisch aus, was praktisch auf Parteitagen immer geschah: Resolutionen wurden verfaßt, die diese Politik indirekt dadurch verurteilten, daß sie die Positionen des »Endziels« abermals formulierten. So 1899 die von Bebel formulierte Resolution: Die bisherige Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft gibt der Partei keine Veranlassung, ihre Grundanschauungen über dieselbe aufzugeben. Die Partei steht nach wie vor auf dem Boden des Klassenkampfes, wonach die Befreiung der Arbeiterklasse nur ihr eigenes Werk sein kann, und betrachtet es demzufolge als geschichtliche Aufgabe der Arbeiterklasse, die politische Macht zu erobern, um mit Hilfe derselben durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Einführung der sozialistischen Produktions- und Austauschweise die größtmögliche Wohlfahrt aller zu begründen, [zit. nach 258, 36] Diese Resolution und etliche ähnliche erhielten überwältigende Mehrheiten. So konnten gegenüber der verselbständigten Praxis auf regionaler und lokaler Ebene die »Prinzipien« des »sozialistischen Bewußtseins« [121, 79] weiter in Geltung

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bleiben, und was Kautsky von dem Programm als »Einheitlichkeit in dem Emanzipationskampf des Proletariats« bringend sagte, war gleichsam nur eine Ausdeutung dieses lange geübten Verfahrens der Parteitage. Kautsky indessen geht einen Schritt weiter und projiziert dies Problem der reformistischen, die Mittel zum Selbstzweck machenden Tendenz auf die Ebene einer allgemeinen Theorie des Klassenbewußtseins. Diese antwortete auf ein stets durch die Praxis des »opportunistischen Flügels« aufgeworfenes Problem der Verbindlichkeit und Legitimation der Theorie des »Endziels«. Wo lag die Basis für das revolutionäre Programm, wenn die Parteibasis selbst reformistische Tendenzen zeigte? Kautskys Antwort findet sich in einer Passage dieses Textes, die, wie kaum eine andere in Kautskys Werk, für die marxistische Theoriengeschichte folgenreich werden sollte: Manche unserer revisionistischen Kritiker nehmen an, Marx hätte behauptet, die ökonomische Entwicklung und der Klassenkampf schüfen nicht bloß die Vorbedingungen sozialistischer Produktion, sondern auch direkt die Erkenntnis ihrer Notwendigkeit, und da sind die Kritiker gleich fertig mit dem Einwand, daß das Land der höchsten kapitalistischen Entwicklung, England, von allen modernen Ländern am freiesten von dieser Erkenntnis sei. Nach der neuen Fassung könnte man annehmen, daß auch die österreichische Programmkommission den auf diese Weise widerlegten angeblich »orthodox-marxistischen« Standpunkt teile. Denn es heißt da: »Je mehr die Entwicklung des Kapitalismus das Proletariat anschwellen macht, desto mehr wird es gezwungen und befähigt, den Kampf gegen ihn aufzunehmen. Es kommt zum Bewußtsein« der Möglichkeit und Notwendigkeit des Sozialismus etc. In diesem Zusammenhang erscheint das sozialistische Bewußtsein als das notwendige direkte Ergebnis des proletarischen Klassenkampfes. Das ist aber falsch. Der Sozialismus als Lehre wurzelt allerdings ebenso in den heutigen ökonomischen Verhältnissen, wie der Klassenkampf des Proletariats, entspringt ebenso wie dieser aus dem Kampf gegen die Massenarmut und das Massenelend, das der Kapitalismus erzeugt; aber beide entstehen nebeneinander, nicht auseinander, und unter verschiedenen Voraussetzungen. Das moderne sozialistische Bewußtsein kann nur erstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht. In der Tat bildet die heutige ökonomische Wissenschaft ebenso eine Vorbedingung sozialistischer Produktion, wie etwa die heutige Technik, nur kann das Proletariat beim besten Willen die eine ebensowenig schaffen wie die andere; sie entstehen beide aus dem heutigen gesellschaftlichen Prozeß. Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz; in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist denn auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden, die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen, wo die Verhältnisse es gestatten. Das sozialistische Bewußtsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes. [121, 79 f.]

Ein berühmt gewordenes Kautsky-Zitat; doch berühmt durch einen anderen Text: - Lenins Was tun?. In jenem 1902 veröffentlichten Buch Lenins, das »von allergrößter Bedeutung (war) in dem Kampf für die Schaffung der Partei neuen Typus« [in 128, 10] und dessen Leitsätze zur Organisationstheorie die Grundlage der bolschewistischen Partei und aller kommunistischen Parteien des staatssozialistischen Lagers bis heute bilden [vgl. Schapiro, 385, 52ff.], findet sich dieses Zitat Kautskys an zentraler Stelle. Deshalb auch kann es in der Tat zunächst kaum

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anders als im Leninschen Kontext stehend rezipiert werden, so sehr hat die Konzeption der Kaderpartei, des Berufsrevolutionärs, des »demokratischen Zentralismus« etc. das Verständnis eines Kautsky zufolge »von außen hineingetragenen« »sozialistischen Bewußtseins« geprägt. So sehr wir Kautsky durch Lenin zu verstehen geneigt sind, sosehr muß betont werden, daß Kautsky niemals jene Leninistische Konsequenz, die Begründung einer revolutionären Theorie der Organisation, aus seiner Konzeption des exogenen Klassenbewußtseins gezogen hat. Was sie bei Kautsky meint, mag aus einem Brief deutlich werden, den Kautsky im selben Jahr wie die Programmkritik an den österreichischen Sozialdemokraten Victor Adler schrieb: Was das von Außen hineintragen des Soz(ialismus) in die Massen anbelangt, so läßt sich darüber viel sagen. (...) Sozialistischer Trieb oder Instinkt oder Disposition oder wie man es nennen will, wird natürlich in den Massen durch ihre Klassenlage erzeugt. Das kann nicht von uns geschaffen werden. Aber hier ist die Rede vonBewußtsein, i. e. v(on) wissenschaftlicher Erkenntnis, und die ist in die Massen von außen hineingetragen worden. Die Klassenlage des Proletariats erzeugt sozialistisches Wollen, nicht aber sozialistisches Erkennen. [34, 375]

Begriffe, eher Termini »oder wie man es nennen will«, die uns z.T. bei Luxemburg schon begegnet sind. »Unserepolitische Macht liegt in dem Klassenbewußtsein, in dem Willen der Massen«, hatte Luxemburg 1899 geschrieben [Bd. 1/1, 495f.]. Nimmt man Luxemburgs Konzeption des »akademischen Bewußtseins« indes hinzu, so kann kein schärferer Gegensatz zwischen Kautskys und Luxemburgs Klassenbewußtseinskonzeption denkbar sein. Hier ist die »bürgerliche Intelligenz« Stätte der Ausbildung des von außen an die Massen zu tragenden sozialistischen Bewußtseins, dort die Intelligenz, nur » auf dem Wege der Ideologie zum Sozialismus« (s.o.) gelangt, gerade deshalb zu »opportunistischen Seitensprüngen prädisponiert«. Dort ist der »unmittelbare Klasseninstinkt« das einzige, was »sicheren Halt gibt«, hier ist es »>Nur-Gewerkschaftlereinegativen Integration geprägt [vgl. Roth, 373, 8]. Wie indessen schon an einzelnen Zeugnissen der »Schiller-Verehrung« sichtbar wird, versuchten die Sozialdemokraten ihren »negativ-integrierten« Status ins Wilhelminische Reich durch betonte Hervorhebung ihrer gesellschaftlichen Funktion und quasi nationalen Aufgabe entgegenzuarbeiten. Karl Kautsky ging in seiner Wahleinschätzung in dieselbe Richtung, wenn er die Tatsache, daß der Wahlsieg der SPD vor allem auf Kosten der »Freisinnigen«, d. h. der liberalen Parteien errungen wurde, als einen Auftrag verstand, die Sozialdemokratie habe das Erbe des Liberalismus anzutreten: Der Liberalismus ist tot und eine starke Sozialdemokratie allem bietet noch die Möglichkeit, die deutsche Nation vor den tollsten Experimenten zu schützen und den dringendsten Bedürfnissen ökonomischer und kultureller Entwicklung wenigstens einigermaßen gerecht zu werden. [114, 396]

Die »Freisinnigen«, also die beiden linksliberal-bürgerlichen Parteien, hatten in der Tat schwere Stimmeneinbußen hinnehmen müssen und 13 Mandate verloren. Bebel und Kautsky rechneten ihre Verluste dem sozialdemokratischen Stimmengewinn, wie wir sehen werden z. T. mit Recht, zu, woraus sich für Kautsky die »gewaltige Tatsache« ergab, »daß, so sonderbar es klingt, tatsächlich die revolutionäre Sozialdemokratie in dem Maße, in dem der Liberalismus zurückgeht, immer mehr zu einer Staatsnotwendigkeit wird« [ebd.]. Das aber bedeute nicht, die »Taktik des Nationalsozialismus (zu) akzeptieren und sich den Regierungen als Regierungspartei zur Verfügung (zu) stellen«. Denn der Regierungsmecha'nismus dient einmal zur Niederhaltung und Ausbeutung des Volkes, die historische Aufgabe der Sozialdemokratie als Vertreterin des Proletariats besteht aber in der Abwehr jeder Ausbeutung, auch der staatlichen; besteht in dem Kampfe gegen Steuerdruck und Militarismus, gegen Eroberungspolitik nach außen und Polizeiwirtschaft im Inneren. In dem rücksichtslosen Kampfe gegen alle diese Erscheinungen beruht nicht zum mindesten die Ursache ihrer Größe und ihres unwiderstehlichen Wachstums, und sie würde selbst die Wurzeln abhauen, aus denen sie ihre beste Kraft zieht, sie würde das Vertrauen der Volksmassen verscherzen und dem jammervollen Ende des Liberalismus entgegengehen, wollte sie zur Regierungspartei werden, ehe sie imstande ist, die regierende Partei zu werden, wollte sie versuchen, die Macht zu erschleichen, durch, wenn auch der Absicht nach nur teilweisen und vorübergehenden, Verzicht auf ihr Programm, statt sie zu erobern zur Durchführung ihres Programms. Die Sozialdemokratie ist unüberwindlich als Volkspartei; sie wird in jeder Beziehung haltlos und lebensunfähig als Regierungspartei, [ebd., 397]

Das Problem, auf das Kautsky hier antwortet, war, daß die reaktionär-konservative Politik der Ablehnung jeglicher Arbeiterrechte, beim gleichzeitigen Anwachsen einer »Volks«-Bewegung für diese Rechte, langfristig zur Paralyse der staatlichen Macht führen mußte, die zwar noch legal, aber ihrer historischen Legitimität beraubt wäre. An eine unbeschränkte Fortdauer des reaktionären »Regime(s)

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dauernder Entrechtung und gewaltsamer Niederhaltung der proletarischen Bewegung« zu glauben, sei »Utopie«, [ebd., 398] Andererseits, so schätzte Kautsky richtig ein, sei auch eirf-»Regime großer politischer und ökonomischer Reformen (...) durch die ganze heutige Situation ausgeschlossen« [ebd.]. Übrig bleibe der »wahrscheinlichere Fall, daß wir einer verstärkten Auflage des Zickzackkurses entgegengehen«, eben jener Bülowschen Politik der »gewaltigen Versprechungen und Drohungen« [ebd., 397]. Beidem aber, so schloß Kautsky, der preußischen Reaktion und dem »Zickzackkurs«, sei der Untergang gewiß: sollten die Reaktionäre ein »Regime« des »starken Mannes« errichten »und sollte es ihm gelingen, die Sozialdemokratie wenigstens in manchen Lebensäußerungen für eine kurze Zeit zurückzudrängen, so könnte es nur ein Regime sein, das den Bedürfnissen des modernen Lebens so absolut verständnislos gegenübersteht, das so verbohrt und stupid ist, daß es bald Deutschland in Grund und Boden regiert und einer Katastrophe zugeführt haben müßte, aus der die Sozialdemokratie um so glänzender nicht bloß als Sieger, sondern auch als Eroberer der politischen Macht hervorginge«, [ebd., 398] Nicht »tröstlicher« seien die Aussichten des »Zickzackkurses«: er werde »vielleicht nach geringerer Erbitterung, aber an größerer Respektlosigkeit in einem großen Kampfe der wachsenden Gegensätze zugrundegehen, die zu meistern (er) nicht verstand« [ebd.]. Und es folgen zwei gesperrt gedruckte Sätze: In dem einen wie in dem anderen Falle ist der Sieg der Sozialdemokratie in absehbarer Zeit gewiß. Und dann vor allem liegt die weltgeschichtliche Bedeutung des 16. ]uni 1903. Er hat die Sozialdemokratie in Deutschland zu dem gemacht, was in 3At des 19. Jahrhunderts der Liberalismus- gewesen: zur großen Partei der nationalen Zukunft, [ebd.] Offen zutage tritt hier die Verbindung zur Schiller-Verehrung, die kaum 2 Jahre später stattfindet und ihrerseits, wie noch genauer gezeigt werden soll, auf die »liberale« deutsche Tradition ausdrücklich sich berufend ihre Nachfolge anzutreten beansprucht. Aber politisch das Erbe des Liberalismus anzutreten, »große Partei der nationalen Zukunft« zu werden, war in Kautskys Vorstellung nur über den Weg der Katastrophe, über den Zusammenbruch des bestehenden Systems erreichbar, innerhalb der Verhältnisse des Kaiserreichs konnte die Sozialdemokratie auch in der Ära Bülow nichts ausrichten: »Die Feindmarkierung« Sozialdemokrat »bildete eine der wichtigsten Konstanten der Innenpolitik des Reiches von seiner Gründung bis zum 1. Weltkrieg (...)« [341, 62], und mit dieser Feindmarkierung, mit der die Arbeiterklasse als ganze getroffen werden sollte, operierte das bis 1914 ungebrochen herrschende »Bündnis von Stahl und Roggen« [Groh, 266, 82], die führende Fraktion des deutschen Kapitals, angeführt vom »Bund der Landwirte« (BDL) und »Zentralverband der deutschen Industrie« (ZDI). Ausgrenzung der Sozialdemokratie war hier nicht Selbstzweck, sondern Mittel innerhalb der »Sammlungsbewegung« dieses Rechtsblocks, jener von der Schwerindustrie und den ostelbischen Großagrariern betriebenen »Integration auseinanderstrebender

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wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und/oder politischer Interessen mit dem Ziel der Erhaltung des Status quo im Rahmen des konstitutionellen Systems« [Groh, 266, 83]. Um die Sozialdemokratie regierungs- oder koalitionsfähig zu machen, hätte es der Verfassungsreform, und damit der Beendigung dieser verfassungsgeschichtlich vom Reichsgründungskompromiß zwischen preußischer Monarchie und liberalem Bürgertum herrührenden Status quo bedurft. Doch eben dieser Status quo nützte dem Bündnis der von BDL und ZDI angeführten Kapitalgruppen, d. h. den ökonomisch maßgeblichen Kräften der preußischen Regierung und deren »primär auf Herrschaftssicherung zum Zweck besserer Ausbeutung der Industriearbeiter und zum Zweck besserer Ausnützung staatlicher Politik für Klasseninteressen« [Groh, 266, 98] beruhender Politik. Wir können für unseren Zusammenhang nur auf die fundierenden Untersuchungen zur politischen Geschichte des Wilhelminischen Reichs verweisen, die Groh, Wehler [426], Saul u. a. in den letzten Jahren vorgelegt haben; hier war für das Verständnis der Wahl von 1903 aus sozialdemokratischer Sicht nur dies wichtig: als »Reichsfeinde«, »Vaterlandslose« oder »Antinationale« [341, 62] im klaren Machtkalkül der Herrschenden ausgegrenzt, konnte die Sozialdemokratie positiv auf die herrschenden Verhältnisse sich nur beziehen, indem sie sie negierte, heißt: sich zu einer »Staatsnotwendigkeit« nur dadurch verstehen, daß sie den herrschenden Staat ablehnte, bzw. seinen Untergang prophezeite, um bis dahin den Status quo ihrerseits zur Stimmensammlung auszunützen. Kautskys unter dem Titel Was nun? veröffentlichten Überlegungen drücken sehr gut das paradoxe Selbstverständnis der Sozialdemokratie gegenüber ihrer Stimmen-Macht/Ohnmacht aus, das sie, als weitaus stärkste Partei im Reich, politisch völlig machtlos, zu einer Art projektiver Staatsbejahung bei gleichzeitig »negierender Haltung« [Bebel, in 191, 183] des Bestehenden verleitete, ohne jedoch einen politischen Begriff von jener »Katastrophe« zu haben, in die Kautsky und Bebel ja völlig zu Recht, wie die Geschichte lehrt, das Wilhelminische Reich steuern sahen. Kautskys Überlegungen blieben abstrakt, weil sie den Klassencharakter derjenigen politischen Kräfte, die »bald Deutschland in Grund und Boden regiert und einer Katastrophe zugeführt« (s. o.) haben sollten, maßlos unterschätzten und einen eher dramatischen Begriff der »Katastrophe« privilegierten (der freilich in der Marxistischen Theorie seine Geschichte hat [vgl. 271 a]), um an ihn eine politische Katharsisvorstellung anzuschließen. Dies impliziert eine schier unzerstörbare Selbstgewißheit eines historischen Subjekts, das durch keine reale Niederlage besiegt werden kann; dementsprechend liegt auch bei Kautsky das Gewicht eindeutig darauf, daß die Sozialdemokratie »als Vertreterin des Proletariats« (s.o.) die Erbschaft des Liberalismus anzutreten habe, und nicht etwa dadurch, wie die Revisionisten um Bernstein meinten, daß sie real den linksliberal bürgerlichen Schichten sich öffne. Kautskys Überlegungen zum »Liberalismus« und seinem sozialdemokratischen Erbschaftsantritt waren vor allem darin abstrakt, daß sie praktisch folgenlos blie-

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ben. Bebel meinte auf dem Dresdener Parteitag im September, der Artikel enthalten »ganz brillante Stellen, aber am Ende desselben war ich doch nicht viel klüger als vorher, was mir sonst sehr selten bei Kautskyschen Artikeln passiert« [Bebel, in 191, 184]. Bebel hatte sich, und dieses war der Grund seiner Bemerkung, auf diesem Parteitag mit einer sehr praktischen Folgerung auseinanderzusetzen, die von Bernstein gezogen und von Wolfgang Heine programmatisch begründet worden war: der sogenannten »Vizepräsidentenfrage«. Die Frage ging aus von Bernsteins Vorschlag, daß die Partei das Recht wahrnehmen solle, als zweitstärkste Fraktion im Reichstag auch den Vizepräsidenten zu stellen [Bernstein, 46]. Daran schloß sich eine die sozialdemokratischen und bürgerlichen Zeitungsspalten füllende Debatte um den Umstand, daß der Vizepräsident einen »Gang zu Hofe« [ Bebel,37, 716] machen müsse, um sich beim Kaiser beglaubigen zu lassen. Hinter der Frage der Vizepräsidentschaft — die nur die Rechte bei Geschäftsordnungsfragen verbessert hätte — stand eine vor allem von Wolfgang Heine programmatisch in den »Sozialistischen Monatsheften« entwickelte Absicht, den Charakter der Partei nach außen hin »zu liberalisieren«. Das ungeheure sprungartige Anschwellen der sozialdemokratischen Stimmen kann den bürgerlichen Politikern und der Regierung ein Licht aufstecken und ihnen zeigen, daß man nicht ungestraft die Verteuerung der Lebensmittel des Volkes betreibt und seine wirtschaftliche Wohlfahrt, seine Industrie und seinen Handel bedroht. [Heine, 91, 475] Noch in der heutigen Forschung wird diese Diagnose geteilt [vgl. Groh, 266, 98]: Die einzig den preußischen Agrariern nutzende Hochzollpolitik der Getreidezölle, die die Lebensmittelpreise verteuerten und die z.T. von den linksbürgerlichen Freisinnigen durch ihr »mindestens gleichgültige(s) Verhalten« [Heine, 91, 476] toleriert worden war, brachten der energisch opponierenden Sozialdemokratie große Sympathie und den Wahlerfolg von 1903 ein. So ist der Ausfall der Wahl, namentlich in Berlin, (...) ein neuer Beweis dafür, daß die Sozialdemokratie nicht nur als Klassenvertretung der Arbeiter, sondern darüber hinaus als die Partei anerkannt wird, die vor allem berufen ist, die Gedanken geistiger und staatsbürgerlicher Freiheit im deutschen Volke zu vertreten und ihnen Geltung zu verschaffen, [ebd., 477] Die Frankfurter Zeitung und andere bürgerliche Blätter hatten der sozialdemokratischen Wahlkampfführung vorgeworfen, »ihr eigenes Programm in die Tasche« gesteckt und »mit zusammengerolltem Banner und unter Verhüllung ihrer Ziele gekämpft« [36, 422] zu haben, was Bebel heftig bestritt, jedoch Heine bestätigte: Die Aufgaben und Ziele dieses Wahlkampfes gingen weit über die augenblicklichen Klassenmteressen des sozialdemokratischen Proletariats hinaus, sie umfaßten das wirtschaftliche Wohl aller Kreise, die keine unmittelbaren Gewinne von der Hochzollpolitik erwarten können, also aller Arbeiter und im Privat- oder Staatsdienst angestellten Personen, der ländlichen Klein- und Mittelbesitzer, des städtischen gewerbetreibenden Mittelstandes und des größten Teils von Industrie und Handel. Außerdem aber galt der Kampf der Erhaltung und Stärkung der Freiheit auf allen Gebieten. [91, 477]

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Das war eine klare Sprache: die Partei solle über das »sozialdemokratische Proletariat« hinaus Einzugsbereiche in kleinbürgerliche, gewerbetreibende Mittelschichten der größeren Städte suchen, die bislang die Domäne der »Freisinnigen« waren und darüber hinaus Teile des Handels, der Leicht- und Konsumindustrie ansprechen, jene mittleren Kapitalgruppen somit, die 1900 sich im »Handelsvertragsverein« [vgl. 352a, 15lf£.] und später im »Hansabund« [403, 176ff.] zusammengeschlossen hatten und ihrerseits in Opposition zum »Solidarprotektionismus« der Schwer- und Agrarindutriellen standen [vgl. auch87a, 63 ff.]. Heine begründet diese Ausweitung folgendermaßen: Was schon die Begründer der Partei vorausgesehen haben, je mehr die wirtschaftliche Entwicklung die Zahl derer vermehrt hat, die dem Kapitalismus ebenso oder ähnlich gegenüberstehen, wie die Arbeiter, je mehr ferner die Geisteskultur zugleich Besitz, Waffe und Panier der aufstrebenden Arbeiterschaft geworden ist, um so mehr hat sich die Sozialdemokratie zu der Partei entwickelt, die die Zukunft der gesamten Nation vertritt. Immer klarer tritt ihre Aufgabe hervor, die liberalen Parteien nicht einfach abzusetzen, sondern zu ersetzen, indem sie es übernimmt, die Ideen der staatsbürgerlichen und geistigen Freiheit nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen. Unter diesem Zeichen hat die Sozialdemokratie einen erheblichen Teil ihres diesmaligen Stimmenzuwachses errungen. Die sozialdemokratische Partei wird es als ihre stolze Pflicht betrachten, sich diese ihr zugefallene Führung im öffentlichen Leben der Nation zu erhalten. [91, 477] Auffallend die Nähe von Heines und Kautskys Wahleinschätzung, die bis in die Begnfflichkeit hineinreicht: die »weltgeschichtliche« (Kautsky) Bedeutung des 16. Juni liege darin, daß die Sozialdemokratie »zur großen Partei der nationalen Zukunft« (Kautsky) geworden sei, »zu der Partei (...), die die Zukunft der gesamten Nation vertritt« (Heine). Und daß sie »die liberalen Parteien (...) zu ersetzen« hätte (Heine), entspricht ebenso Kautskys These von der Erbschaft des »Liberalismus«. Dies alles war bei Heine mit einer indirekten, aber deutlichen Forderung an die Partei verknüpft, die langfristig auf eine Revision des Programms hinauslaufen mußte. Sollte nämlich jene »Liberalisierung« nach außen hin gelingen, so mußte sie sich nach außen zeigen: die Partei müsse eine »Freiheit der Grundsätze anerkennen«. Einigkeit heißt nicht Einheit; eine Partei, deren Anhänger rund 3 Millionen zählen, darf nicht engherzig sein, muß die Freiheit der Grundsätze anerkennen und sich neuen Aufgaben gegenüber fähig erweisen, ihre Praxis fortzubilden. Wodurch wir so große Erfolge errungen haben, das müssen wir bewahren: Einigkeit im Handeln, Freiheit im Denken. [91, 478] Nichts weniger als die Revision des orthodoxen Paradigmas von der einheitlichen Klassenbasis der sozialdemokratischen Ideologie stellte Heine zur Diskussion. »Geisteskultur«, die »Ideen der staatsbürgerlichen und geistigen Freiheit«, sollten nunmehr das »brüderliche Zusammenwirken« [ebd., 477] innerhalb der Partei bestimmen; »Einigkeit« einer bloßen Gesinnung statt »Einheit« als Ausdruck oder Programm einer homogenen Klassenbewegung. Aber obwohl diese Alternative zweifellos den Nerv des programmatischen und

Der »Vorwärts-Konflikt« oder die »vier Arten des Revisonismus«

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ideologischen Selbstverständnisses der Orthodoxen traf, führte sie dennoch nicht zu einem programmatischen Vorstoß seitens der Reformisten; welche Chancen einem solchen Revisionsversuch zuzumessen gewesen wären, ist kaum abschätzbar, weil im Vordergrund nicht der Versuch einer allgemeinen Programmrevision, sondern die Vizepräsidentschaftsfrage stand. Diese bot erheblichen psychologischen Sprengstoff, insofern die Einsetzung eines sozialdemokratischen Vizepräsidenten im kaiserdeutschen Reichstag die Geste oder das Symbol einer Teilakzeptierung des herrschenden Systems bedeutet hätte, ohne dafür weitere materiale Rechte zu erlangen; dies war für weite Teile der Partei inakzeptabel. Heine selbst hatte zunächst sogar Bernstein für diesen Vizepräsidentenvorschlag »gänzliche politische Unfähigkeit« bescheinigt, »daß er über diese Frage wohlweises Zeug zusammenschwätzt (...) anstatt erst eine Verständigung für gemeinsames Handeln zu suchen. Der hat schon so viel geschadet und wird uns noch mehr verderben« [zit. in 404, 111]. Daran wird überdies deutlich, daß — anders als später die durchweg an der Gewerkschaftsführung orientierten Reformisten — die Revisionisten noch 1903 keine Fraktion bildeten, die Absprachen oder Pläne über ihr Vorgehen entwickelte. Noch 1914, als die Gewerkschaften bereits eine Fraktion in der Reichstagsfraktion organisierten [vgl. in Groh, 266, 682ff.], bezeichnet Bernstein die »Revisionisten« als fraktionslose Strömung: Es gibt in der Sozialdemokratie Deutschlands keine abgeschlossene Fraktion, die sich als revisionistisch bezeichnete, noch gibt es eine genau umgrenzte Theorie oder ein ausgearbeitetes Programm, die diesen Titel führten. Revisionismus ist vielmehr der Name für eine Strömung, der Sozialisten angehören oder zugerechnet werden, die in vielen Punkten wiederum unter sich differieren (...) Das Wort zeigt nur das Bedürfnis oder Verlangen nach Änderungen an, ohne diese Änderungen schon genau zu umgrenzen. Lediglich ihre Richtung steht außerhalb allen Zweifels. Revisionismus heißt Weiterbildung von Theorie und Praxis der Sozialdemokratie im evolutionistischen Sinne. [87a, 55] Zu einer Programmatik, die für Kautsky Grund zur Parteispaltung gegeben hätte, ist der »Revisionismus« (der seinen Namen dem Buch des NichtSozialdemokraten Nossig, »Revision des Sozialismus«, 1901, verdankt, das im übrigen selbst die meisten Revisionisten [ebd., 57] ablehnten) nie gelangt. Die Erklärung dieses vielleicht erstaunlichen Umstands ist an Heines programmatischem »Vorstoß« deutlich abzulesen: die Revisionisten brachen zwar mit dem Einheitlichkeitsparadigma des sozialdemokratischen Selbstverständnisses, ohne jedoch einen Paradigmawechsel wirklich zu vollziehen und ohne die Konzeption eines anderen Typus Partei oder Organisation zu entwickeln.

8. Der »Vorwärts-Konflikt«

oder die vier »Arten des Revisionismus«

Der revisionistische Vorstoß Heines und Bernsteins beschäftigte den Parteitag im September 1903 in Dresden. Zum Beschluß der Debatte wurde von Kautsky,

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß«

Singer und Bebel eine Resolution eingereicht, die alle »revisionistischen Bestrebungen« »auf das entscheidenste« verurteilte und vom Parteitag mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde [vgl. 258, 68 ff.]. »Ganze 11 Stimmen wurden gegen unsere Resolution abgegeben« [115, 810], meinte Kautsky in einer Nachbetrachtung, »darunter einige von Genossen, denen sie nicht scharf genug war«; 288 Stimmen waren dafür. Wo waren die »Revisionisten« geblieben? —Sie verkrochen sich, sit venia verbis, hinter die Worte: Vollmar, Auer, Kolb, Heine u. a. - sie stimmten in der namentlichen Abstimmung dafür, als hätte es eine vierstündige Rede Bebeis, voll von eindeutigen Verurteilungen Bernsteins und Heines, und als hätte es keine hitzige Auseinandersetzung zuvor gegeben. »Man setzte (...) das Komödienspiel fort, >immer wieder von Einigkeit und Einheit in der Partei zu reden, wo von Einheit und Einigkeit keine Rede mehr istGesinnungsgemeinschaft< bot überdies immer wieder Möglichkeiten für die verwirrende Praxis der Verstellung, die die Revisionisten an den Tag legten: mal betonten sie nachdrücklich den Gegensatz zwischen Revisionisten und »Radikalismus« [vgl. Kolb, 124], mal bestritten sie diesen ebenso nachdrücklich: so Stampfer in einem im Frühjahr 1906 veröffentlichten Artikel Richtung und Partei: In allen Ausführungen, die Kautsky über den Vorwärtskonflikt gemacht hat, ist er von der Voraussetzung ausgegangen, daß die deutsche Sozialdemokratie aus zwei Richtungen bestände, die einander geschlossen und vom Kopfe bis zum Fuße bewaffnet gegenüberstehen, nämlich aus der revisionistischen und aus der radikalen Richtung (...) Wie steht es in Wahrheit mit der Existenz dieser Richtungen? Die ungeheure Mehrheit der Parteigenossen wird auf die Frage, welcher »Richtung« sie angehöre, gar einfach antworten: der sozialdemokratischen. (...) Die Redakteure waren keine Gegner der naturgemäß radikalen und naturgemäß marxistischen Sozialdemokratie, sondern sie waren nur keine Anhänger der, wenn ich so sagen darf, »Obendrein-Radikalen« und »Obendrein-Marxisten«.

Der »Vorwärts-Konflikt« oder die »vier Arten des Revisonismus«

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Diese »Obendrein-Radikalen« bilden keine Richtung in der Partei, sondern nur eine kleine Gruppe — eine Gruppe, die als Hüterin der Parteigrundsätze eine an und für sich höchst nützliche und ehrenvolle persönliche Mission übernommen, in Ausübung dieser Mission aber die schwersten und verhängnisvollsten Fehler begangen hat (...) Wer aber sind die sogenannten Revisionisten? Die, die man als solche von obendrein-radikaler Seite zu bezeichnen pflegt, sind eine aus den verschiedensten Elementen bestehende Masse, zu der unterschiedslos alle geworfen werden, die mit jener Gruppe in irgendwelche Differenzen geraten sind. Und indem man so verschiedenartige Elemente unterschiedlos zu den Revisionisten zählt, hat man im Namen der prinzipiellen Aufklärung eine Verwirrung in die Arbeitermassen getragen, wie sie sich schlimmer kaum denken läßt. [278, 292] Kautsky antwortete auf diese sehr geschickt vorgetragene Verstellung, die die theoretische Inkonsistenz der revisionistischen Ideologie den Orthodoxen anlastete, in einem längeren Artikel, den wir zum Abschluß kurz besprechen wollen, weil er das »orthodoxe« Selbstverständnis gegenüber den revisionistischen Strömungen sehr präzise auf den Begriff bringt. Kautsky war in einem mit gewissem Recht getroffen, wo Stampfer ihm eine unterschiedslose Gleichmacherei der verschiedensten Elemente unter dem Namen des »Revisionismus« vorwarf. Der wesentliche Teil seines Artikels versucht daher auch, eine Einteilung der revisionistischen Strömungen zu geben: Kautsky unterscheidet vier Arten des Revisionismus: 1. Der theoretische: Die »Publikationen Bernsteins« und Davids Rede auf dem Hannover-Parteitag (1899); theoretische Kritik der »Marxschen Theorien der Verschärfung der Klassengegensätze, der Konzentration des Kapitals, der Krisen, der Eroberung, der politischen Macht (...)« [119, 315]; 2. der politische: der »Ministerialismus« oder »Millerandismus«; Und erst recht stieg der Jubel im Lager der Revisionisten, als ein bürgerliches Ministerium in Frankreich einen sozialistischen Minister in seinem Schöße aufnahm. Die Frage des Ministerialismus brachte einen tiefen Riß in die ganze internationale Sozialdemokratie, einen Riß, der in Frankreich selbst so stark wurde, daß er die Partei spaltete (...) Der »Vorwärts« machte damals ebenfalls nach Kräften für den Ministerialismus Propaganda. Auch in der Neuen Zeit [Nr. 42, 1901] veröffentlichte Eisner einen Artikel über Parlamentarismus und Ministerialismus, indem er nachzuweisen versuchte, daß unsere Teilnahme an bürgerlichen Ministerien ebenso notwendig sei wie unsere Teilnahme am Parlamentarismus, und daß der Ministerialismus die unvermeidliche Konsequenz des Parlamentarismus wenigstens in parlamentarisch-demokratischen Staaten bilde, [ebd., 315]

Jene legendäre Besprechung Georg von Vollmars mit dem Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow hatte gleichfalls die Frage der Ministertätigkeit von Sozialdemokraten zum Inhalt, die sich, folgt man Bülows Denkwürdigkeiten, nur deshalb nicht realisierte, weil Parlamentarier »aus verschiedenen Parteien zu Ministern« zu ernennen, »der Kaiser (sich) (...) nicht entschließen konnte« [Bülow, 2. Bd., 600];

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß« 3. der gewerkschaftliche:

Dieser Revisionismus predigte unter der Flagge der Neutralität ein Abrücken von der Sozialdemokratie. Er betrachtete diese nicht als die Arbeiterpartei, sondern als eine Partei wie jede andere. Nicht als die Partei, die das Proletariat vereinigt, sondern als eine von den vielen Parteien, in die das Proletariat sich spaltet. Die Sozialdemokratie wurde als ein die organisatorische Vereinigung des Proletariats hemmender Faktor angesehen. Wollte man die ultramontanen, konservativen und liberalen Arbeiter mit den sozialdemokratischen in einer Gewerkschaft vereinigen, so sollte das nicht dadurch geschehen, daß man jenen die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Sozialdemokratie begreiflich machte, sondern dadurch, daß die Gewerkschaft auf allen sozialdemokratischen Geist verzichtete, aus dem sie geboren worden, [ebd., 316 f.] Kaum nötig, dem weiteres hinzuzufügen. »Seine Stütze« findet dieser »gewerkschaftliche« Revisionismus »in einem Teil der gewerkschaftlichen Bürokratie«, [ebd., 316] 4. der »stille, unausgesprochene«; Er besteht aus Genossen, die nicht die bestimmte Absicht haben, die proletarische Bewegung umzuformen, ihr neue Grundlagen zu geben oder neue Wege zu weisen, die sich aber in der Partei, wie sie ist, nicht recht behaglich fühlen, sich in das proletarische Fühlen und Denken nicht hineinfinden können oder durch die proletarische Disziplin beengt werden. In ihren Anschauungen den ausgesprochenen Revisionisten meistens nahestehend, fühlen sie sich vor allem dadurch mit ihnen verwandt,'daß diese, daran verzweifelnd, die Majorität in der Partei zu erobern, nur noch dadurch glauben sich behaupten zu können, daß sie für Vergrößerung der »Meinungsfreiheit« in der Partei eintreten, d.h. nach möglichster Unabhängigkeit der Vertrauensleute — Abgeordnete, Redakteure u. dgl. — von der Partei, und nach möglichster Unabhängigkeit der einzelnen lokalen Organisationen von der Gesamtorganisation hinstreben. In diesem Strebenfindensich schließlich alle vier Arten des Revisionismus, jede von ihnen begünstigt aber auch sonst die anderen Unterarten ihrer Richtung, wo sie kann, [ebd., 317] Wir werden diese Einteilung des Revisionismus, die die verschiedenartigen Strömungen in der Partei gut voneinander abhebt, im vierten Teil dieser Arbeit, in der Besprechung der Gruppierungen der Schiller-Verehrung, bestätigen können. Obwohl es sich also um ein facettenreiches Bild politischer Fraktionierung handelt, hält Kautsky den Revisionismus in der Partei für unbedeutend: »vom Kampfe mit dem Revisionismus haben wir aber in unserer Partei eine Spaltung nicht zu fürchten (...) die Masse der Partei ist einig [ebd., 326]. Das hatte kein Revisionist bestritten, noch war in ihren Reihen letztlich angestrebt, ein neues Programm durchzusetzen. Sie hatten nur ein neues Prinzip der »Einigkeit« formuliert, das Kautsky sehr richtig in seiner vierten Revisionismusart als allen übrigen Arten gemeinsames »Gefühl« anspricht. Wenn aber so das Verständnis der »Einigkeit« der Partei das Problem des Revisionismus wurde, ist es um so erstaunlicher, daß Kautsky mit diesem unhinterfragten Begriff selbst operiert, als wäre er nicht gerade von den revisionistischen Apparaten, der Presse und den Versammlungen in einem anderen Sinne propagiert worden.

»Die Arbeiterbewegung eine Kultur(/)macht«

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9. »Die Arbeiterbewegung eine Kultur/macht« Dem Paradigma der Einheitlichkeit, das die Selbstinterpretation der Klasse in Luxemburgs und Kautskys, also dem »orthodoxen« Diskurs bestimmte, steht auf Seiten der Revisionisten kein Paradigma der »Einigkeit« entgegen. »Einheit« oder »Einheitlichkeit« sind offenbar Ideologeme von einem ganz anderen Status als »Einigkeit«; während das eine Paradigmen, also Vorstellungsbilder, sinnhafte, diskursive Argumente in einem Begriff zusammenschließt und eine gleichsam konstative Aussage über die sozialdemokratische Vorstellung von der in der Partei organisierten und die Partei tragenden Klasse impliziert, werden wir durch den Kontrast »Einigkeit« weniger vor eine Alternative als vor ein grundlegendes ideologientheoretisches Problem gestellt: »Einigkeit« - das meint offenbar keine Faktizität realer Strukturen, sondern stellt, in der Sprache der Sprechakttheorie gesprochen, einen »perfomativen« Akt dar; eine Forderung vielleicht, ein Ruf, eine Frage, eine Feststellung, eine Antwort? Denn wenn wer einig sein soll, was heißt dann Einigkeit? Nicht im sterilen Raum der Universalpragmatik befinden wir uns, sondern inmitten des ideologischen Diskurses selbst: sind daher geneigt, auf das »Gerede« von der »Einigkeit« mit der — paradigmatisch an der Einheitlichkeit des theoretischen Diskurses orientieren — Diagnose zu antworten, die Reformisten und Revisionisten wollten mit dieser verschwiemelten Spruchblase Verwirrung stiften, ablenken, um bürgerliche Bewußtseinselemente unter die Arbeiterschaft zu tragen — alles Einwände, die ihre Schwäche darin haben, sich mit der von ihnen analysierten Ideologie und vor allem ihren Paradigmen rhetorisch unbemerkt zu identifizieren. Ideologien haben, dies konnten die vorangestellten Analysen und Zitate wohl anschaulich machen, keinen nur stringent-theoretischen Charakter und die Schwäche mancher marxistischen und ideengeschichtlich verfahrenden Ideologienanalyse ist, ihnen durch die Analytik selbst einen solchen umstandslos zu unterstellen. Was aber, wenn theoretische Stringenz schon als ein spezifisches Produkt ideologischer Formationen begriffen werden muß, die in ihrer Struktur eher nichtstringent, d. h. spezifisch rhetorisch, metaphorisch, fragmentarisch oder gestisch organisiert sind? Ein alter Praktiker der Ideologie der Sozialdemokratie, Carl Landauer, hat es bemerkt: »Die Ideologie einer Bewegung kann auch ohne logische Geschlossenheit sehr wirkungsvoll sein« [321, 27]. Wie ist aber solche logische Nichtgeschlossenheit theoretisch zu beschreiben? Die »geringfügige Verschiebung«, die Michel Foucault für die »Geschichte der Ideen« vorgeschlagen hat, mag auch für die Beantwortung dieser Frage gelten: Die geringfügige Verschiebung (decalage), die hier für die Geschichte der Ideen vorgeschlagen wird und die darin besteht, daß man nicht Vorstellungen (representations) hinter den Diskursen behandelt, sondern Diskurse als geregelte und diskrete Serien von Ereignissen — in dieser geringfügigen Verschiebung, fürchte ich, kann man so etwas wie eine kleine (viel-

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß«

leicht hassenswerte) Maschinerie wiedererkennen, die es erlaubt, an die Wurzel des Denkens selbst den Zufall (hasard), die Diskontinuität und die Materialität heranzuführen. Drei Gefahren, die eine bestimmte Form der Historie zu bannen versucht, indem sie das kontinuierliche Ablaufen einer idealen Notwendigkeit erzählt, [vgl. 236, 61]

So wie der Diskurs der Notwendigkeit ist auch der der Paradigmen, den wir in den ersten Abschnitten dieses Kapitels entwickelt haben, ein solcher, der »Vorstellungen« hinter den konkreten Texten, Reden, Artikeln etc. extrapoliert. Offenbar aber läßt nicht alle Sorte Text oder Artikel, Rede oder Schrift, die die Ideologie uns bietet, eine solche Rekonstruktion von »Vorstellungen« zu. Gerade der Diskurs der vier »Revisionismusarten«, von Bernstein bis Stampfer, lassen keine distinkten Vorstellungsbilder erkennen. Solche Diskurse, die wegen ihrer theoretischen Inkonsistenz gern von der Forschung gemieden werden, führen uns indessen näher an die ideologische Realität heran: Dort nämlich, wo die Revisionisten saßen, in der Parteipresse, sind sie die Regel. Ihre Rhetorik ergoß sich täglich unter den Massen, während die kritischen Beiträge Kautskys, Luxemburgs und Mehrings in den wenigen tausend Exemplaren der Neuen Zeit verschwanden, weniges vielleicht noch in der Leipziger Volkszeitung erschien, dem traditionellen Blatt der Linken. Um solche Elemente des ideologischen Diskurses, die wie »Einigkeit«, »Geisteskultur« etc. eine unauflösbare Materialität und Inkonsistenz aufweisen, zu bezeichnen, schlagen wir vor, den Terminus ideologische »shifters« einzuführen. Roman Jakobson hat diesen Term geprägt und als Figur der »Wechselwörter« (290, 35ff.) im sprachlichen Kode definiert. Ein solches Wort (z.B. das Personalpronomen »ich«), das seine »generelle Bedeutung« nicht ohne den Bezug auf die Mitteilung als ganze gewinnt, sowohl Symbolstruktur (konventionell festgelegte Bedeutung) als auch Indikationsstruktur (hinweisende Relation) aufweist und seinen Bedeutungswert durch die permanente Verschiebung (shiftung) zwischen beidem erhält, ist der ideologische »shifter« »Einigkeit« oder »Geisteskultur«.* »Geisteskultur«, nach ihrer »konventionellen« Bedeutung hin untersucht, könnte etwa in die Geschichtsphilosophie der Aufklärung zurückbezogen werden, doch müßte das Wort dazu gänzlich aus seinem diskursiven ideologischen Kontext gelöst werden. Dieser Kontext aber, vergleichbar der Kode-Situation (d.h. »der Pragmatik«) eines Sprechakts, schließt als der konkrete wirkliche Raum der Ideologie Bezüge ein, die bislang unthematisch geblieben sind, nämlich die ökonomisch-sozialen Verhältnisse der Klasse, ihre Lage im Produktionsprozeß und ihre * Die Wahl dieses Terminus, der sowohl für die Begründung psychoanalytischer Texttheorie [vgl. J. Lacan, Schriften II, Ölten 1975, 19 ff.] als auch für Jakobsons eigene literaturwissenschaftliche Analysen [vgl. 293, 80 f.] wichtig geworden ist, haben nicht unwesentlich die Gespräche mit W. Hammacher bestimmt. Dem materialen Ansatz unserer Arbeit folgend, werden wir im Rahmen von Teil III und IV am Gegenstand selbst die methodologischen Aspekte zu konkretisieren versuchen. — shifter: (engl.) 1. eine Person oder Vorrichtung, die die Lage eines1 Dinges verändert; z. B. a scene shifter, Kulissenschieber; 2. der verschmitzte Mensch, Schlaukopf, Ränkemacher.

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Gliederung im Verhältnis zu ihrer Organisation etc.; über sie geben, soweit es den ideologischen Diskurs selbst betrifft, die Paradigmen und die in ihnen implizierten Argumente und Begriffe gerade auf eine Weise Aufschluß, die die »shifters« in ihrem Diskurs ausschließt, verdrängt, beseitigt. Will also die Untersuchung die Herkunft dieser »shifters« begreifen, kann sie sich nicht an ihrem Ausschluß beteiligen, sondern muß die Materialität und diskontinuierliche Realität des Diskurses der Ideologie wieder instand setzen. Die duplexe Struktur der »shifters« hat Jakobson für sein thematisches Feld im wesentlichen der Wortgruppe der Personalpronomina zugewiesen. Dem entspricht die Selbstverständigungsperspektive, in welche die ideologischen Wendungen, die mit diesem Terminus gemeint sind, eingeschrieben sind. Zumal im Diskurs der Revisionisten/Reformisten drückt sich deren Selbstverständnis durchgängig in »shifters« aus, die an paradigmatische Ketten geknüpft scheinen, und die die Funktion haben, das, wer oder was die Partei ist, wie sie sich selbst verstehen soll, auf einer Ebene sinnschwerer Metaphern aus der bürgerlich-klassischen Philosophie zu fixieren und gleichwohl den situativen, kodalen Aspekt des Ideologems, somit den, welcher erst ihren konkreten Sinn festlegen würde, in der Schwebe zu lassen. »Die Sozialdemokratie (...) ist die Partei des Arbeitsadels, der Neuwertung der Arbeit.« »Ein aristokratisches Arbeitsprinzip, eine besondere Wertschätzung der geistig-körperlichen Arbeit hat die Sozialdemokratie auf ihre Fahne geschrieben.« [Kampffmeyer, 102, 40 f.] Zwei Sätze zur Selbstverständigung von Kampffmeyer, die ein gutes Beispiel für »shifters« geben: »Arbeitsadel, Neuwertung der Arbeit, aristokratisches Arbeitsprinzip« sind, rhetorisch gesehen, Metaplasmen und Katachresen, die amplifizierende Funktion erfüllen sollen, ohne daß aus den Begriffen selbst mehr Inhaltliches sich schlüssig erschließt. Sie drücken eher die Bewegung des Sinns als einen Sinn aus, wie alle Rhetorik »wollen sie etwas sagen...«, ohne es zu sagen; die verschiebende, »shifter«-, Bewegung in diesen Begriffen selbst ist spürbar, doch ihre Bildung ist nicht beliebig, nicht arbiträr, nicht zufällig, sondern gehört einer diskontinuierlichen Serie an, die nicht durch ein »Paradigma«, ein geschlossenes Vorstellungsbild also, sondern durch eine assoziative Kette geregelt wird. Kampffmeyers Rede vom Arbeitsadel schließt rhetorisch und ideologisch an eine Tradition an, die in der deutschen Arbeiterbewegung durch Ferdinand Lassalle gestiftet wurde; die ideologischen »shifters« der Revisionisten/Reformisten können nur in dieser Tradition des Lassalleanismus, die weniger eine ideologischtheoretische als eine ideologisch-assoziative ist, gesehen werden. Auf die Spur dieser Tradition führt Kampffmeyer uns selbst; er schreibt 1903: Die Emanzipation des Arbeiters bedeutete für Ferdinand Lassalle die Befreiung der schaffenden Kulturarbeit überhaupt, die Befreiung der Arbeit in der Fabrik und in der Werkstatt des Geistes. Deshalb prägte Lassalle auch das sozialpolitisch so bedeutsame, ein ganzes Programm enthaltende Wort die Wissenschaft und die Arbeiter. Indem die Arbeit, in dem gro-

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß«

ßen Sinn eines Lassalle aufgefaßt, aus den eisernen Fesseln der Lohnarbeit gelöst wurde, entfalteten sich zahlreiche schöpferische Kräfte frei, und eine neue Kulturepoche brach an. In der Tat, vertiefte und erweiterte man den Begriff des Arbeiters in der Weise Lassalle, so fiel die Arbeiterfrage mit der Kulturfrage überhaupt zusammen. [Kampffmeyer, 103, 668]

Daraus leitete Kampffmeyer die »Kulturmission« der deutschen Sozialdemokratie ab, die über »die kleinen politischen Kämpfe des Augenblicks hinweg« immer »das herrliche Ziel einer allgemeinen kulturellen Hebung der Menschheit«, die »körperliche, geistige und sittliche Widergeburt der Gesellschaft« im Auge habe. »Die Allianz der Wissenschaft und der Arbeiter, dieser beiden entgegengesetzten Pole der Gesellschaft, die, wenn sie sich umarmen, alle Kulturhindernisse in ihren ehernen Armen erdrücken werden — das ist das Ziel, dem ich, solange ich atme, mein Leben zu weihen entschlossen habe!« [Lassalle, 26, 144] Auf dieses Wort Lassalles bezieht sich Kampffmeyer, um die Trinität von Wissenschaft, Kulturideal und Arbeitsethos, die die Revisionisten auf ihr Schild hoben, an einer »anerkannten Autorität« zu legitimieren. Und Lassalle war eine solche. Noch 1913, also gut ein Jahrzehnt Parteientwicklung später, schreibt Bebel an Kautsky: Zeige in deinen Artikeln noch so klar, wie falsch Lassalle in seinen ganzen theoretischen Auffassungen handelte, für die Massen ist er der Gründer der Partei, der Rufer im Kampf. Seine Fehler sind vergessen oder werden verziehen, und die Massen fragen ganz einfach: Ja, wo wäre die Partei geblieben, wenn nicht Lassalle sie gründete; die M und E in ihrer Londoner Isoliertheit hätten sie nicht gegründet. Und das stimmt. [41, 333 f.]

Zwar mag Kautsky mit seiner Entgegnung Recht haben, Lassalle sei vor allem »der alten Generation« »ans Herz gewachsen«, der »jüngeren weniger«, die Lassalles Schriften kaum noch lese, »die für uns Offenbarungen gewesen waren zu einer Zeit, wo es etwas anderes nicht gab « [ebd., 336]; die noch erhaltenen Angaben über das Leseverhalten der sozialdemokratischen Bibliotheksbenutzer bestätigen das durchaus [vgl. 253, llOff.]; indessen gab Kautsky selbst den Grund dafür an, wenn er schrieb, daß Lassalles Schriften für die jüngere Generation unverständlich seien, »weil sich die Zeiten seitdem gewaltig geändert haben« [ebd.], Lassalles wichtigste Publikationen aber auf unmittelbare Zeitereignisse reagieren. Jedoch das Leseverhalten fällt gegenüber Texten von Marx noch viel schlechter aus und es ist von Bebel auch nicht gemeint. Für Bebeis Ansicht ist Lassalle der Sozialdemokratie »der Rufer im Kampf«, d.h. er hat eine Präsenz innerhalb der Praxis der Partei, innerhalb ihrer Ideologie sowohl wie innerhalb ihrer konkreten parlamentarischen Aktionen, die ihn in jenen imaginären Raum verschiebt, der durch die politische Metapher eröffnet wird. Daß Lassalle nicht (mehr) gelesen wurde, verstellt nur das Problem, den Status des »Rufers« innerhalb einer ideologischen Praxis zu untersuchen. — Lassalle selber ist als Autor der Schriften zum »ehernen Lohngesetz« oder als Protagonist von »Produktivassoziationen der Arbeiter mit Staats-Kredit« [Mehring, Bd. 2, 51] innerhalb der Sozialdemokratie des »Erfurter Programms«, das gründlich mit allen Lassalleanischen Traditionen auf der Ebene des Programms abschloß, nicht mehr gegenwärtig. Am ehesten noch hat Bernstein

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den Revisionismus in die Nähe Lassalles als Autor gebracht, in einem Aufsatz »Der Klassenkampf und der Fortschritt der Kultur«, in dem er den Unterschied zwischen dem Kommunistischen Manifest und dem Lasalleschen Arbeiterprogramm so kennzeichnet: (...) so stellt sich der Unterschied so dar, daß das Manifest zwar aus dem Klassenkampf des modernen Proletariats eine neue und höhere Kultur hervorgehen läßt, den Kampf selbst aber durchaus ohne jede ethische Beimischung vorzeichnet, während Lasalle im Arbeiterprogramm eine neue Kulturidee predigt und die Arbeiter auffordert, für ihren Kampf sich mit dem Bewußtsein dieser Kulturidee zu erfüllen und als Träger der aus ihr sich ergebenden ethischen Folgerungen zu verhalten. [50, 1164]

Diese Umdeutung des Klassenkampf als Kampf um eine »Kulturidee« (ein weiterer »shifter «) wird hier zwar offen als lassalleanische Tradition proklamiert, doch dieser Rekurs gilt nicht unbedingt; es finden sich auch Stellen im revisionistischen Schrifttum, die sogar im Rückgriff auf Marx selbst die Klassenkampftheorie des Kommunistischen Manifests bestreiten: so der folgende Passus Kampffmeyers, der auf den ersten Satz des Kommunistischen Manifests anspielt: Die Geschichte umfaßt mehr, als nur eine Geschichte der Klassenkämpfe. Jahrtausende über Jahrtausende gingen dahin, ohne daß sich die Erde von den Blutströmen der Klassenkämpfe rötete (...) Wir werden aus der ökonomischen Geschichtsauffassung von Marx und Engels selbst ersehen, daß der Klassenkampf nicht die eigentliche Triebfeder des gesellschaftlichen Fortschritts, sondern nur eine Begleiterscheinung desselben ist. (...) Nach Marx ist die eigentliche Triebfeder des kulturellen Fortschritts die Entwicklung der Produktivkräfte, die technische Steigerung der Leistungsfähigkeit der menschlichen Arbeit. (...) Die Technik ist die Schöpferkraft, die stets neues soziales Leben weckt. (...) Eine weitsichtige Förderung der Wissenschaft als des wirksamsten Faktors der Steigerung der Produktivkräfte steht sicher in der ersten Reihe des taktischen Programms der deutschen Sozialdemokratie. Diese Forderung ist allerdings keine einseitige Forderung einer zur politischen Partei organisierten Klasse, sie ist darum nichtsdestoweniger der wesentlichste Programmpunkt der Sozialdemokratie als der führenden Kulturpartei Deutschlands. [103, 668—671]

Wir sollten dies eher als symptomatische Mißlektüre von Marx lesen denn zu versuchen, sie etwa vom Kapital her zu widerlegen; umstandslos schreibt Kampffmeyer hier Marx in den, wie Brauneck materialreich belegt hat, nicht nur in der Sozialdemokratie verbreiteten technologischen «Fortschrittsglauben« [vgl. 217, 141; auch 404, 74] ein. Diese, die Ideologie der Partei durchziehende, darwinistisch geprägte, auf Natur und Gesellschaft angewandte »Evolutionslehre« [404, 53] ist in der Forschung weitgehend analysiert und dargestellt, worauf wir hier nur verweisen können. Wenn man, wie Steinberg [404, 118 f., Anm. 54] im Anschluß an Na'amann, den Lassalleanismus »seit dem Fall des Sozialistengesetzes« für irrelevant in der Partei erklärt, so mag dies gelten, solange unter »Lassalleanismus« immer nur eine Art direkter Anhängerschaft an einen politischen Autor verstanden wird. Doch würde das über das Phänomen der ideologischen Wirksamkeit modifizierter Formeln Lassalles, die den Autor gleichsam »vergessen« (Bebel) macht, dunklen

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß«

Schatten legen; daß gerade sie aber in der Presse der Partei die größte Verbreitung hatten, beweist nicht zuletzt unsere Textsammlung zur Schill er-Verehrung. Von einem Lassalleanismus (ohne Lassalle) zu sprechen, gebietet der Umstand, daß die Formel von der Sozialdemokratie als »Kulturbewegung« in keiner Weise auf Marx, vielleicht noch auf den für Kautsky, Bernstein und Liebknecht einflußreichen Henry Thomas Buckle [vgl. Bernstein, SO; Holzheuer, 284, 15 f.], zwingend aber auf Lassalle verweist, gerade dann, wo ihm »seine Fehler (...) vergessen und (...) verziehen« sind. Wie gewichtig auch noch für Bebel der ideologische »Shifter« der »Kulturbewegung« war, zeigt seine Rede auf dem Dresdener Parteitag 1903, als er den Zigarrenmacher Antrick (der im Personenverzeichnis des Vereins Arbeiter-Presse 1914 [88] als »Zigarrenfabrikant« firmiert) herausstreicht, der im Reichstag »über eine Reihe der schwierigsten chemischen Fragen in einer Weise referiert« habe, »daß die Regierungsvertreter Mund und Augen aufsperrten«. Also, was wißt ihr denn von der Intelligenz in den Massen? Ihr habt ja gar keine Ahnung davon! (Sehr gut) Noch in jeder großen Volksbewegung haben sich zur rechten Stunde auch die rechten Männer gefunden. Und wenn es je eine große Kulturbewegung in der Welt gegeben hat, die ihre rechten Männer und auch ihre Frauen zeugte, so ist es die Sozialdemokratie (stürmischer Beifall), [zit. in 191, 210] Daß hier eine bloß rhetorische Legitimation der parlamentarischen Vorlagen der zahlreichen mandatstragenden Parteigenossen »lassalleanisch« versucht wird, daß der parlamentarische Kampf der Partei selbst gerade in der Defizienz politischer Perspektive eine gefährliche Nähe zur kompensatorischen Kulturparole hatte, erscheint an dieser Stelle offensichtlich. Damit war aber ein vorpolitisches Bewußtsein angesprochen, dem die politische Konstitution, politische Erfahrung und Entfaltung fehlte, das jedoch strukturell zum Surrogat für jedes politische Bewußtsein selbst werden konnte. »Einigkeit« besagte dann nichts anderes als »Einigkeit« im »Kulturideal« — Klassenbewußtsein kaum mehr als »ArbeiterSein« oder Mitgliedschaft. So Auer auf dem Dresdener Parteitag: Unsere Stärke liegt im Klassenbewußtsein und in der Klasse, aus der wir unseren Anhang rekrutieren. Das wurde mir in drastischer Weise klar, als ich als junger Parteigenosse nach Hamburg kam. Was war dort bei den Wahlen das wirksamste Mittel, um Stimmen für uns zu gewinnen? Es war die Frage: Nu segg mal, büscht du nich' ook 'n Arbeeter? Ja. Denn mößt ook een Arbeeterkandidaten wählen. Über die Begriffe ehernes Lohngesetz, Mehrwertstheorie etc., die ja ihre große Bedeutung haben, ist viel schwerer zu reden; die einfache Rede vom Arbeiterkandidaten geht dem Arbeiter viel mehr zu Herzen. Das Wort Arbeiterkandidat haben wir in jenen Jahren in Süddeutschland noch gar nicht gekannt, ich habe es erst in Hamburg kennengelernt. Da ging es mir so nach und nach auf, was es heißt: Klassenbewußtsein, was es heißt, die stärkste, zahlreichste Klasse im Staatswesen zu verbinden, zu vereinigen und für das, was sie an materiellen Machtmitteln nicht hat, an moralischen Machtmitteln in die Waagschale zu werfen. [158a, 368f.]

Diesem Begriff des »Klassenbewußtseins« entsprechend erschien gelegentlich im Vorwärts eine Notiz Statistik des Klassenbewußtseins [vgl. 146, 494], worunter

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z. B. nichts mehr als die erfreuliche Meldung verzeichnet war, daß in Hannover 50% der im »Verband der berggewerklichen Hilfsarbeiter« Organisierten auch der Partei angehörten. Das bloße Indizieren einer Zugehörigkeit - mehr besagt hier Klassenbewußtsein nicht —konstituiert bestenfalls ein vorpolitisches Bewußtsein; die Kette der Kulturmetaphern erweitert sich um die Begriffe »Organisation«, »Disziplin«, »Klassenbewußtsein« etc. Wir haben schon darauf verwiesen, daß auch Rosa Luxemburg dem Organisiertsein eine Art kulturifizierender Charaktere beimaß: jene gewerkschaftlichen Organisationen, die eine »geistige Wiedergeburt« der Arbeiterschaft herbeigeführt, ihr »Ehrgefühl« geweckt hätten, begreift sie gerade darin als wesentlich, daß sie auf die » moralische Unbescholtenheit« (s. o.) ihrer Mitglieder sähen und so »zum Klassenbewußtsein« emporhöben. Gerade Rosa Luxemburg, so verwunderlich dies angesichts einer Forschung sein mag, die sie durchweg in die striktmarxistische, linksradikale Linke der SPD einreiht, hatte ein gleichermaßen positives Verhältnis zu Lassalle wie etwa auch Mehring, das eher noch bekannt ist durch die diesbezüglichen Polemiken Georg Lukäcs'. Luxemburg schrieb zwei Gedenkartikel zum 40. bzw. 50. Todestag Lassalles und darüber hinaus einen längeren Aufsatz, der sich mit dem Verhältnis Lassalles zu Marx aus der Perspektive der damals erst erschienenen Briefwechsel zwischen Marx, Engels und Lassalle beschäftigt. Luxemburg zieht hier aus der Kontroverse zwischen Marx und Lassalle um dessen Drama Franz von Sickingen, die im einzelnen hier nicht dargestellt werden können [vgl. 271a], folgenden Allgemeinschluß: Was hier zwischen Lassalle und Marx ausgefochten wird, ist — scheint es uns — nicht der Gegensatz der idealistischen und materialistischen Geschichtsauffassung, sondern vielmehr eine Differenz innerhalb der letzteren, welche die beiden bei ihren verschiedenen Momenten packten. Die Menschen machen ihre eigne Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken — sagten Marx und Engels, indem sie ihr Lebenswerk, die gesetzmäßige materialistische Geschichtserklärung, verfochten. Die Menschen machen die Geschichte nicht aus freien Stükken, aber sie machen sie selbst — betonte Lassalle, indem er sein Lebenswerk, den »individuellen Entschluß«, die »kühne Tat« verfocht. [Luxemburg, Bd. 1/2, 155]

Aus Lassalle also, nicht etwa aus Marx, bezieht Rosa Luxemburg das aktionistische Pathos. In Lassalle und die Revolution heißt es: Aber um so mehr tut der heutigen proletarischen Massenbewegung jene »glühende Seele« not, die in Lassalle lebte und in jedem seiner geschriebenen Worte noch atmet, jene glühende Seele, die es allein verstehen wird, nach Lassalles Ausdruck, »die ganze Macht in eine Faust geballt«, im entscheidenden Augenblick die bürgerliche Gesellschaft zu überwinden und zu siegen, [ebd., 421]

Offenbar wird hier, daß sowohl die revisionistische »gewisse Stimmung« der »Einigkeit« im »Kulturideal« als auch das politisch absolut entgegengesetzte Aktionspathos Rosa Luxemburgs aus derselben Quelle sich nähren. Beiden entgegengesetzten Strömungen ist Sozialdemokratie und Sozialismus, wie Rosa Lu-

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Ideologie als Selbstinterpretation: die »Sozialdemokratie als Prozeß«

xemburg schrieb, »nicht eine Messer- und Gabelfrage, sondern eine Kulturbewegung, eine große und stolze Weltanschauung« [zit. in 304, 9]. Übereinstimmung zeigen die beiden politisch so konträren Strömungen der Sozialdemokratie offenbar darin, daß in ihrem Selbstverständnis Sozialdemokratie und Arbeiterklasse als quasi-personales, kulturales Subjekt ansprechbar sind; die Unterschiede liegen im unerhört weitgespannten Werk Rosa Luxemburg selbst versammelt, wo sowohl die, von den Revisionisten verfochtene Konzeption der bloßen Koalition als Kulturmacht sich findet, als auch die linksradikal-aktionistische der notwendigen historischen Klassenaktion als die, welche erst Kultur macht. Der Lassalleanismus der »Sozialdemokratie als Kultur/macht« bestätigt seinen Status als ideologischer »shifter« gerade darin, daß er auf der Linken wie der Rechten der SPD zu finden ist. Ein durchgängiges Charakteristikum, gleichfalls auf beiden Parteiflügeln, eignet ihm in der Geste der Abwehr des Unmoralischen, Disziplinlosen, »Wilden«, die wir schon ganz zu Anfang durch Bernstein als »weibische« Charaktere definiert fanden. Zitieren wir einen >ehemals< »lassalleanischen« Arbeiter, Maschinenbauer, seit den 90er Jahren mit Bios und Geier zusammen die »rechte« Gruppe in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion bildend, Karl Frohme. In seinem vor der Mitgliederversammlung des »Zentralverbandes der Zimmerer Deutschland« gehaltenen Vortrag Die Arbeiterbewegung eine Kulturmacht sagt er: Wilde Gedanken von Haß und Rache werden durch nichts so sicher gebannt, als durch geistige Arbeit, die mit freiem Sinn die Verhältnisse des Lebens durchdenkt und sich mit männlicher Offenheit der Erreichung eines bestimmten Zieles widmet (...) >Es ist der Mensch !< Diese Lösung des >großen Rätsels< unserer Zeit rufet Euch, Freunde und Genossen, immer wieder aufs neue ins Gedächtnis! Erfüllet Euch mehr und mehr mit dem Bewußtsein Eures Menschenrechts und Euerer Menschenwürde, mit der Erkenntnis der gewaltigen Kulturaufgaben, die das geeinte, solidarisch verbundene Proletariat zu erfüllen hat, und seid getrost und seid getreu in dem immer härter entbrennenden Kampfe für die Verwirklichung der geschilderten hohen Ideale; seid stark und unüberwindlich in dem großen heiligen Glauben, daß das Recht der Arbeit siegen muß. In Eurer, in des Sozialismus Sache, mit ihr und durch sie siegt der Mensch! [79, 31 f.]

Dieses Zitat demonstriert die Unmöglichkeit sehr gut, die einzelnen aneinandergereihten rhetorischen Figuren, die Frohme hier aufführt, durch einen einigenden Begriff zu systematisieren. Jeder Satz scheint neue, grundsätzlichere, das Vorherige steigernde Begriffe und Formeln nennen zu wollen, doch die Reihung bleibt unaufhörlich und erscheint von bloßer rhetorischer Dramaturgie bestimmt. Wir entnehmen dem Grundsätzliches: die ideologischen »shifter«, die dieser Abschnitt eher stichworthaftig aufzuzeigen versuchte: »Einigkeit«, »Kulturbewegung«, »Arbeitsadel«, »Klassenbewußtsein«, >heiliger Glaube, daß das Recht der Arbeit siegen muße

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üä technische< Betriebseinheiten bestimmter Größen) und für die >organische< Zusammensetzung des erforderlichen Kapitals, das Verhältnis also von Gebäude- und Maschinenkapital einerseits, Rohstoffkosten und Lohnkosten andererseits zu beschaffen, [ebd., 5 f.]

Der Anspruch der Wissenschaft reicht ins Innere des Betriebes hinein: Der »Bearbeiter« soll das Gesetz des Betriebes kennen, soll seine technischen und ökonomischen Bedingungen wissen, »Umschlagszeiten der Kapitalien« eruieren und ihre Veränderung im Laufe der technischen und ökonomischen Entwicklung der betreffenden Industrie in der letzten Zeit »registrieren«. In sachlicher Hinsicht interessieren jene ökonomischen Grundlagen der Kapitalverwertung und ihre Wandlungen (...) für die Frage: inwiefern haben jene Eigenarten der Zusammensetzung des Kapitals, der Entwicklung des Kapitalumschlags und der >Standardisierung< in den einzelnen Industrien in absehbarer Vergangenheit zu Änderungen in der inneren Gliederung der Arbeiterschaft, in deren Berufsschicksal und ihren beruflichen und >menschlichen< Qualitäten geführt? [ebd., 9]

Die Enquete des »Vereins für Sozialpolitik«

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Bei alledem, obwohl es durchweg Marxsche Begriffe sind, die Weber verwendet (»Umschlag«, »organische Zusammensetzung« etc.), gibt es keinen Rekurs auf Marx, denn offenbar Vorrang hat die angestrebte »wissenschaftliche Unbefangenheit« [ebd., 3] der Untersuchung, die keinen Einschub der Kritik der dargestellten Verhältnisse selbst gestatte. Die kapitalistische Industrie vollziehe, so Weber, rein objektiv nach den Gesetzen ihrer ökonomischen Dynamik [vgl. 6 f.] eine »Auslese« unter der Arbeiterbevölkerung, was Weber an anderer Stelle geradezu als differentia spezifica des modernen Kapitalismus gegenüber früheren Gesellschaftsformationen ansieht, [vgl. 186, 501] Daneben aber vollziehe sich, gemäß den Gesetzen der Kapitalzusammensetzung, eine »Anpassung« der vorhandenen, ins Kapitalverhältnis integrierten Arbeiterklasse an die jeweils neuen Produktionsstandards. — Die Fabrik selbst ist damit, wie vorläufig dies im einzelnen bei Weber auch gefaßt sein mag, zum uneingeschränkten Feld der »Wissenschaft« erklärt, und damit zum in sich geschlossenen inneren System, das in seiner Rationalität jenseits der Perspektive »Kapitalismus« oder »Sozialismus« steht. Alle diese Untersuchungen vereint erst würden ein Bild von der Kulturbedeutung des Entwicklungsprozesses, den die Großindustrie vor unseren Augen durchmacht, geben können. Die Kulturprobleme, welchen damit letzten Endes nachgegangen wird, sind von ganz gewaltiger Tragweite. In einer (...) Denkschrift für den Unterausschuß hob A. Weber — in Übereinstimmung mit der Auffassung vieler von uns — hervor, daß die Struktur jenes eigentümlichen Apparates, welchen die großindustrielle Produktionsorganisation der Bevölkerung >über den Kopf gestülpt< habe, in ihrer schicksalsvollen Bedeutung selbst die Tragweite der Frage nach kapitalistischem oder sozialistischem Organisation der Produktion übertreffe, weil das Bestehen dieses >Apparates< als solchen von dieser Alternative unabhängig sei. In der Tat: die moderne Werkstatt mit ihrer amtlichen Hierarchie, ihrer Disziplin, ihrer Kettung der Arbeiter an die Maschine, ihrer Zusammenhäufung und doch zugleich (im Vergleich etwa mit den Spinnstuben der Vergangenheit) Isolierung der Arbeit, ihren ungeheuren, bis in den einfachsten Handgriff des Arbeiters hinabreichenden Rechnungsapparat, ist — begrifflich — davon unabhängig. [187, 59 f.]

Es ist uns hier nicht um eine Weber-Kritik-Darstellung o. ä. zu tun; die Frage also muß offen bleiben, ob Weber, vergleichbar zu Keynes oder Taylor, in seinem Diskurs den Status des »kapitalistischen Plans« (im Sinne Trontis) erreicht oder nicht. Allein wichtig ist festzuhalten, daß Weber in den die subjektive Lage der Klasse bestimmenden, die Struktur der Klasse konstituierenden und somit die Perspektive einer proletarischen Ideologie begründenden Mechanismen von »Auslese« und »Anpassung« zentrale Mechanismen der kapitalistischen Produktionsweise aufgreift, demgegenüber die Theorie der Sozialdemokratie und ihre ideologischen Paradigmen geradezu blind erscheinen. Bei Weber ist der Stand der theoretischen Reflexion erreicht, an den kritisch anzuknüpfen gerade für eine historische Analyse, die nicht äußeres Wissen auf vergangene Epochen applizieren will, verpflichtend ist. Ein knappes Dutzend Erhebungen wurden bis zum Jahre 1911 durchgeführt. Untersucht wurden Betriebe in der feinmechanischen, Maschinenbau-, Kabel-,

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Auto-, Textil- und Steinzeugindustne; somit fehlen in der Enquete im wesentlichen nur drei industrielle Bereiche: Chemie-, Schwer- und Bergbauindustrie. Unsicherheiten, was die Verallgemeinbarkeit ihrer Ergebnisse betrifft, bestehen somit einzig in der Bewertung der Chemie- und Teilen der Hüttenindustrie, insofern hier stichhaltige Untersuchungen nicht vorliegen; die industrielle Struktur des Bergbaues wird im Teil III dieser Arbeit thematisch werden. Maschinen-, Auto •, Apparate- und Instrumentenbau (sowohl elektrotechnische als auch optische) waren die im technischen Standard—und, wie das Beispiel Bosch zeigt, auch in der ökonomischen Gliederung des Arbeitsprozesses die avanciertesten Industrien des Wilhelminischen Reichs. Sechs umfangreiche Arbeiten, die im Rahmen der Enquete entstanden, betreffen diese Industrien. Die Einzelheiten der Erhebungstechnik, Fragebögen etc. lassen wir hier beiseite, um uns auf zwei durch die Enquete beantwortete Fragen zu konzentrieren: 1. Bestimmung der Arbeiterkategorien 2. geographische und Berufsprovenienz der Arbeiterkategorien. Der Reichsstatistik von 1907 nach hatte der Anteil der »gelernten Arbeiter« um 28%, der Anteil der »ungelernten Arbeiter« dagegen um 75% gegenüber der letzten Zählung 1895 zugenommen [nach Herkner, 182, 129]. Insgesamt aber bildeten mit 58% die »Gelernten« immer noch die Mehrheit der gewerblichen Arbeiterkategorien, allerdings mit deutlich abnehmender Tendenz [vgl. ebd., 124] gegenüber einer relativen Zunahme der »Ungelernten«. Herkner, der 1911 eine erste Übersicht über die Ergebnisse der Enquete gab, macht hierzu folgende Anmerkung: Auf der Wiener Tagung unseres Vereins hat uns Geheimrat Kammerer in überaus eindrucksvoller Weise vorgeführt, daß die modernste Technik gerade den ungelernten Arbeiter in großem Umfang entbehrlich mache. Wem sollen wir nun glauben, den amtlichen Statistikern oder den Ingenieuren? [ebd., 129] Eine Fülle technischer Neuerungen brachten um die Jahrhundertwende den Ersatz der reinen Handlangerarbeit des Tagelöhners durch Maschinenkraft mit sich: Die Entwicklung neuer Fördermaschinen in der Hüttenindustrie, das »Birnenverfahren« in der Stahlerzeugung, Automatenbänke in der Werkzeugmaschinenfabrikation, Einführung der Schaufelbagger in der Erdarbeit, Brücken-, Kai- und andere elektrisch betriebene Ladekräne im Umschlagverkehr usw. [vgl. Kammerer, 181, 371 ff.] schienen die zynische Prophetie des Ingenieurs Wirklichkeit werden zu lassen, daß in der Zukunft »eine Fachausbildung (...) wertvoller« sei als »irgendeine Kranken- oder Altersversicherung, denn der ungelernte Arbeiter wird so wenig zu brauchen sein wie der ungesunde«, [ebd., 425] Tatsächlich aber sprachen nicht nur die Statistik der Ungelernten gegen diese Annahme, sondern schließlich auch die Ergebnisse der Enquete. Vorerst aber zeigte sich, daß unter der reichsstatistischen Rubrik »Ungelernte« auch »Angelernte«, d. h. Arbeiter subsumiert waren, die gerade in der Bedienung der neuartigen Maschinerie, der Halb- und Teilauto-

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maten in der Maschinenindustrie etc. angewandt wurden. Dieser Kategone der »Angelernten« sei, so Herkner, der Zuwachs der »Ungelernten« zuzuschreiben. »Wir haben aber alle Veranlassung, uns gerade mit dieser sozialen Gruppe, die in gewisser Hinsicht die modernste Gruppe unserer Arbeiterschaft bildet, näher zu beschäftigen.« [182, 129] Im Anschluß an Alfred Weber hat Marie Bernays in ihrem Abschlußbericht über die Enquete folgende vier Arbeiterkategorien unterschieden: Extensiv gelernte Arbeiter, d.h. solche, die eine mehrjährige, der Handwerkslehre gleichende Lehrzeit für einen ganzen Beruf durchgemacht haben; Typus: Schlosser, Schreiner etc. Intensiv gelernte Arbeiter, d. h. solche, die vorwiegend auf eine Spezialleistung, die Intelligenz und Verständnis verlangt, eingestellt sind, aber zur Ausführung derselben ebenfalls eine längere Lehrzeit durchmachen müssen. Typus: Weber, Mechaniker. Extensiv gelernte Arbeit ist vorwiegend Werkzeugarbeit, intensiv gelernte Maschinenarbeit. Letztere wird vorwiegend im Akkordlohn, erstere im Zeitlohn ausgeführt. Der intensiv gelernten Arbeit sehr nahe steht die angelernte Arbeit in ihrer höchsten Form; doch ist sie noch weit mehr Teilarbeit als erstere und es bedarf zu ihrer Erlernung keiner Lern-, sondern nur einer Übungszeit, die wohl nie länger als ein Jahr, in manchen Fällen nur ein paar Wochen dauert. Der Begriff der ungelernten Arbeit ist klar. (Anm.:) Diese technischen Kategorien haben auch eine soziale Bedeutung, als sie sämtlich einer verschiedenen großen Warte- oder Karenzzeit entsprechen, die durchzumachen die Eltern imstande sein müssen, ehe der Sohn verdient. Bei der extensiv gelernten Arbeit dauert diese Karenzzeit 2 - 3 Jahre, meist ohne jeden Verdienst des Sohnes. Bei der intensiv gelernten Arbeit (Fabriklehre) ist meist eine kleine Vergütung von Anfang an üblich, die bei steigenden Leistungen des Lehrlings zunimmt, freilich nie die Höhe eines Vollverdienstes erreicht. Bei der angelernten Arbeit handelt es sich meist um kurze Anlernzeit im Tagelohn, dann um eine kürzere Übungszeit bei stetig steigendem Verdienst. Die ungelernte Arbeit verlangt selbstverständlich keine Karenzzeit. —Bei den weiblichen Arbeitern fehlt die extensiv gelernte Arbeit ganz. Es überwiegt die angelernte und ungelernte Arbeit mit einzelnen Fällen intensiv gelernter Arbeit. [43, 132]

Diese Einteilung reflektiert einen Prozeß des rapiden Übergangs von traditionellen »extensiv gelernten« Berufsrollen zu solchen, in welchen die fabrikmäßige Anwendung der Arbeitskraft, die kapitalistische Organisation der Arbeit neue »Berufe« produziert. Die Tendenz dieser Zerstörung und Neubildung alter Qualifikationen geht auf immer weitere Zerlegung der einzelnen Arbeitsschritte, die teils die halb maschinelle, halbmanufakturelle Teilung der Arbeit bis aufs äußerste steigert, teils den Arbeiter immer mehr »als lebendiges Anhängsel« [Marx, 334s, 445] an die Maschine kettet. Inwieweit Berufsnamen für diese Teilarbeiter nur mehr Schein, Schall und Rauch sind, wird deutlich, wenn auf das Ende der Stufenfolge, die unqualifizierteste Schicht, das Augenmerk fällt: die Frauen. Dora Lande, deren Untersuchung über die Berliner Maschinenindustrie wir im folgenden exemplarisch behandeln wollen, schreibt: Dieselbe Maschine, die den gelernten Schlosser, Mechaniker, Drucker usw. von ihren Schraubstöcken verdrängt und sie entweder zu Bediensteten von Spezialmaschinen herabsetzt oder anstatt ihrer die Berufe Bohrer, Fräser, Hobler, Stanzer, Schleifer, Schrauben- und Revolverdreher haben aufkommen lassen — dieselben Maschinen werden mit Hilfe einiger sogenannter >Einrichter< oder Vorarbeiter von Tag zu Tag mehr durch Frauen und Mädchen bedient. [173, 459] (...) Die Frau (genießt) jedoch nicht einmal die äußere Anerkennung wie

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der Mann, nach ihrem Spezialberuf bezeichnet zu werden. Man nennt sie z.B. nicht Bohrenn, Fräserin, Stanzerin usw., sondern überall schlechtweg >ArbeiterinArbeiterin< und soll nicht den Anspruch erheben, als etwas anderes zu gelten oder bezahlt zu werden, [ebd., 463]

Frauenarbeit als die traditionell (auch heute noch) schlecht entlohnteste in der ganzen Lohngruppenhierarchie der Fabrik gab es freilich auch schon im England des Marxschen Kapital, [vgl. 334a, 419] Indes zum realen Ausdruck der technologischen Neuzusammensetzung der Klasse, zum Prototyp des neuen berufslosen, mobilen, jederzeit ersetzbaren, bloß repetitive Teilarbeit verrichtenden »Arbeiters« wird Frauenarbeit erst im entfalteten »imperialistischen Stadium« (Lenin) des Kapitalismus. Die Zunahme der Arbeiterinnen von 1901—1907 in der Berliner Metallindustrie [nach Lande, 173, 455] um 110% gegenüber einem Wachstum der Gesamtarbeiterschaft von 35,4%, die Zunahme somit des relativen Frauenanteils an der Metallarbeiterschaft von 11% auf 17,1%, spricht hier deutliche Sprache, insofern sie unmittelbar mit der Anwendung neuer Maschinerien zusammenfällt. Neben dem traditionellen Anwendungsbereich der Frauenarbeit, der Textilindustrie, tritt nun ihre Verwertung in der elektrotechnischen und optisch-feinmechanischen Industrie, wo ihr »vorzugsweise Arbeit, die derjenigen in der Textilindustrie ähnlich ist, nämlich das Spulen, Weben, Wickeln usw. des elektrischen Installationsmaterials« [ebd., 457] zufällt. Aber auch (...) die Zusammensetzung feiner und feinster Instrumente, z.B. elektrischer Meßinstrumente, Telefone, Schalttafeln usw. wird dem Elektromonteur genommen und mehr und mehr Frauenhänden anvertraut. Zu diesem Zweck zerlegt man die Arbeit in möglichst kleine Teiloperationen und läßt Arbeiterinnen gruppenweise von Meistern und Vorarbeitern dazu anlernen. Die Arbeitsteilung ist hierbei stellenweise eine so subtile, daß jedes Kind zu derartigen Teilvorrichtungen herangezogen werden könnte. Und es sind auch meist 16—20-, ja 14—16jährige Mädchen, die zu Hunderten und Tausenden in die Industrie der elektrischen Instrumente und Apparate einströmen (...). Doch bewirkt, stellenweise sogar in ganz modernen Großbetrieben, die Billigkeit weiblicher Arbeit, daß noch ganz veraltete Maschinen mit Fuß- oder Handbetrieb verwendet werden — bekanntlich eine für den weiblichen Organismus sehr schädliche Arbeitsart —, obwohl dieselben Werke in allen anderen Abteilungen längst zu elektrischem Antrieb ihrer Maschinen übergegangen sind, [ebd., 457f.]

Dora Lande fand Frauenarbeit nicht nur an diesen, traditionell noch der Frauenrolle zugerechneten Tätigkeitsfeldern, sondern »in allen Fabrikationszweigen der Maschinenindustrie, mit Ausnahme des Lokomotivbaues (...) an großen und kleinen Schleif-, Bohr- und Fräsmaschinen, an riesigen Stanzen und Pressen, an Hobel- und Revolverdrehbänken«, [ebd., 459] In einer Apparatefabrik, wo ich in einem tiefen Keller bei andauernd künstlicher Beleuchtung Mädchen an großen, schweren Stanzen neben einigen angelernten Arbeitern fand, wurde mir gesagt, daß dort Mädchen und Männer, bei gleicher Hilfeleistung von seiten gelernter Arbeiter, in der Zeiteinheit dieselbe Anzahl von Stücken lieferten. Doch war der Stücklohn für beide Geschlechter so eingerichtet, daß Mädchen auf 30 Pf, Männer dagegen auf 55 Pf/Stunde gelangen konnten, [ebd., 460]

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Dieses drastische Beispiel wirft taghelles Licht auf das Prinzip, das in der Zusammensetzung der Klasse Frauenarbeit objektiv als Mechanismus der Zersetzung der Klasse fungierte, der den männlichen Arbeiter zudem noch an seiner sozusagen schwächsten Stelle traf. Die Frauen, die unterste Arbeiterkategorie, ohne Hoffnung oder Anspruch auf ein Emporkommen, gleichgültig gegenüber ihrer Arbeit, ohne Identifikation mit dem Produktionsprozeß oder der Fabrik, bilden überdies die gesellschaftlich am meisten deklassierte Schicht, ohne Wahlrecht und Recht der politischen Betätigung, was der sozialdemokratischen Frauenagitation große Hindernisse in den Weg legte. So stieg zwar der relative Anteil der im Metallarbeiterverband organisierten Frauen von 2,6% im Jahre 1902 auf 4,8% im Jahre 1906, stagnierte jedoch auf diesem Stand bis 1913 (4,9%) [Zusammengestellt nach eigenen Berechnungen aus CG, Nr. 33 1903, Nr. 27 1904, Nr. 21 1905, Nr. 311906, statistische Beilage Nr. 3 1907, Anhang 1908, S. 176 f., Anhang 1909, S. 176f., Anhang 1911,S. 169, Anhang 1914, S. 183], während immerhin der Anteil der sozialdemokratisch organisierten Frauen an der gesamten Mitgliedschaft von 5% 1908, dem Jahre des neuen Vereinsgesetzes, auf 16% im Jahre 1914 anstieg [vgl. 246, 326]. Als gesellschaftlich deklassierteste Schicht konnten die Frauen leicht als willfähriges Objekt der Durchsetzung jenes neuen Typus des »angelernten« Arbeiters dienen, die nicht nur alle Berufsrollen und gewerblichen Bildungsgänge über den Haufen warf, sondern ebenso einen rapiden technischen Erneuerungsprozeß: Zerlegung der Arbeitsfunktionen in kleine und kleinste Einheiten ökonomisch erzwang, so daß die Einführung des Fließbandes und der taylorisierten Arbeitsvorbereitung in den 20er Jahren, die diesen Arbeitertypus auf breiter Ebene anwenden werden, wären sie nicht aus Amerika importiert worden, in Deutschland hätten erfunden werden müssen. Die massenhafte Anwendung der Frauenarbeit in den hochspezialisierten und fortgeschrittensten Industrien verhalf einem Arbeitertypus und einem Grad kapitalistischer Arbeitsorganisation zur Durchsetzung, dem, einmal gegenständlich geworden, die Klasse insgesamt sich nicht mehr aus eigener Kraft entziehen konnte. Daß — notabene - bezüglich der Frauenarbeit die Erhebungskategorien »Auslese« und »Anpassung« unsinnig erscheinen müssen, weil die »Auserlesenen« eine Arbeit verrichteten, die niemand anderem »gepaßt« hätte (so etwa in der elektrotechnischen Massenproduktion) und erst mit den Frauen aufkam, läßt Webers Voraussetzungen problematisch erscheinen, die offenbar meinen, der kapitalistische Reproduktionsprozeß sei ein »Apparat«, dem gegenüber die lebendigen Agenten das Reservoir der »Auslese« oder »Anpassung« darstellten; dies ebenso wie auch der umgekehrte von Weber vorgesehene Fall, daß »gegebene Qualität« der Arbeiterschaft die »Art der Kapitalverwertung« (hemmend oder befördernd) [187, 9] beeinflussen könnten, hieße auf Frauen angewandt, ihre absolute ökonomische und politische Knechtschaft für eine »gegebene Qualität« oder ein auslesbares Merkmal anzusehen. Diese Durchsetzung des neuen Arbeitertypus durch die Frauenarbeit fundierte vielmehr ihre gesellschaftliche Unterdrückung auf der

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Ebene der Fabrik und modifizierte sie zugleich. Es trat ein Funktionswandel der Unterdrückung der Frau ein, der zum Ausgangspunkt der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung werden sollte, insofern die formelle Gleichstellung im Arbeitsprozeß den Frauen das stärkste Argument für ihre rechtliche Gleichstellung gab. Umgekehrt aber verschärfte erst diese Ausdehnung der gesellschaftlichen Repression der Frau auf die Ebene der Fabrik den spezifischen Ausbeutungscharakter ihrer Arbeit, und dies nicht nur insofern sie das Verhältnis zum Meister oder Akkordnehmer (»Einrichter« etc.) auf eine Stufe der Schikane und Willkür zurückschob, von der Lande Beispiele die Menge gibt: Andererseits kommt es in manchen Betrieben vor, daß den Mädchen, die nicht auf einen bestimmten Lohnsatz gelangen, vom Meister eine Summe zugelegt wird, was sie als besondere Güte empfinden, während es nur den Zweck hat, die Akkordpreise niedrig zu halten. Männliche gut organisierte Arbeiter lassen ein derartiges Verfahren gar nicht aufkommen, sondern arbeiten in solchen Fällen daraufhin, daß der Akkordsatz allgemein erhöht werde. [173, 466]

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Dies als Surplus-Repression ansehen, hieße verkennen, daß die doppelte Unterdrückung der Frau als die unmittelbar sichtbare Oberflächenerscheinung in einer ökonomischen und technologischen Neuzusammensetzung des Kapitals begriffen werden muß, die nicht anders als in der Durchsetzung der Klasse mit einer spezifischen Pariaschicht sich durchsetzen konnte. Dora Lande hebt zwar bewußt die Darstellung der Frauenarbeit vom übrigen ab, doch besagt dies gerade nicht, daß Frauen, an der untersten Stufe der Lohnskala stehend, im Arbeitsprozeß (nehmen wir die gesonderten »Frauenhallen« der feinmechanischen und elektrotechnischen Industrie einmal aus) gesondert dastünden. Frauenarbeit tritt prinzipiell überall dort auf, wo der neue Typus des »angelernten« Arbeiters expandiert. So an den automatischen Revolverbänken, Stolz der deutschen Ingenieure [vgl. 132, 395]; schon 1902 wies die Metallarbeiter zettung darauf hin, daß die Frauenarbeit hier eine »große« Rolle spiele, [in 173, 390] Der »angelernte« Arbeiter tut hier, wie schon bei den anderen Verrichtungen (Hobeln, Bohren, Fräsen, Schleifen, Gußputzen etc.) repetitive Teilarbeit, meist an mehreren Maschinen zugleich, deren Bedienung sich, in großer Geschwindigkeit, auf das Einlegen etc. von Werkstücken beschränkt. Der »angelernte« Arbeiter ist ungelernt, denn die Arbeit bedarf keiner Lehre, sondern nur kurzer Anlernzeit und der Einrichtung. Im Rahmen der Erhebung aber wird unter der Kategorie »ungelernte Arbeiter« nur der »klassische« Handlanger, der im Tagelohn stehende Hilfs-, Lager-, Transportarbeiter etc. verstanden. Die Schar der ungelernten Arbeiter setzt sich teils aus jüngeren kräftigen Leuten zusammen, die bei höherer Intelligenz doch eine Möglichkeit des Aufsteigens vor sich haben, teils aus älteren Elementen, die des Aufsteigens niemals fähig gewesen, oder die bereits aus den Reihen der gelernten und angelernten Arbeitskräfte ausgeschieden worden sind. Endlich, wie bei der vorigen Kategorie, aus gescheiterten Existenzen aller Berufe, besonders der Handwerker, Bäcker, Schlächter, Schuhmacher, Weber usw., in neuerer Zeit auch beson-

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ders- aus den Reihen derjenigen, die persönliche Dienstleistungen verrichten, wie Diener, Kutscher, Kellner usw. [ebd., 393]

Ungelernte Arbeiter stellen in der Terminologie der kapitalistischen »Lohnlisten«, die nicht die Marxsche ist, »unproduktive« Arbeiter dar: besonders Transportarbeiter, Reinigungsarbeiter, Forträumungs-, Heizungs-, Beleuchtungsarbeiter usw. [173, 325]. Daß, wie Lande behauptet, diese Arbeiter keineswegs »Lumpenproletarier«, sondern eine spezifische, gesellschaftlich verproletarisierte Schicht repräsentieren, paßt gut mit ihrem relativen gewerkschaftlichen Organisationsgrad u.a. in den zahlreichen »Hilfsarbeiter-Gewerkschaften« zusammen. Sie haben z. T. bessere Zeiten gesehen. Der kritische Punkt also der Klassenzusammensetzung ist, neben dem Verhältnis der Männer- zur Frauenarbeit auf der Ebene des »Angelernten« selbst, der Übergang zwischen »gelernter« und »angelernter« Arbeit. Klassische gelernte Arbeiter, die Scheidung zwischen »extensiv—intensiv« wird in den Erhebungen kaum praktiziert, sind, in der Maschinenindustrie, die »Schmelzer« und »Former« in der Gießerei, die Schmiede in der Hammer- und Kesselschmiede, die Schlosser und Dreher in den mechanischen Werkstätten etc. Aus dieser Arbeiterkategorie rekrutieren sich die Meister [Bienkowski, 173, 20], die Einrichter ebenso wie die Monteure, Mechaniker etc. Sie verdienen die höchsten Löhne, 1200-1800 Mark [ebd., 385] im Jahr, gegenüber den angelernten Arbeitern 900-1500 Mark [ebd., 391], den ungelernten 900-1200 Mark [394] und den Frauen 500—800Mark. Kaum ein Drittel der in einem Jahr beschäftigten Arbeiter wat länger als 280 Tage beschäftigt: diese Fluktuation (Lande sieht diese besonders in der Kategorie der Angelernten stark ausgeprägt [vgl. ebd., 366]) der Arbeitskräfte bedeutete für den einzelnen Arbeiter oft über längere Zeit Arbeitslosigkeit, die einem Lohnausfall gleichkam. Deshalb sind obige Angaben über die Lohnhöhe auch nicht den offiziellen betrieblichen Lohnlisten entnommen, sondern Fragebögen, die Lande verteilte und die durchweg von gewerkschaftlich organisierten Arbeitern beantwortet wurden. Daß aber die Gelernten sowohl die höchsten Löhne als auch die besten »Aufstiegs«-Chancen besaßen, bedeutete, wie Lande hervorhebt, nicht, daß nicht auch sie der allgemeinen »Akkordhetze« unterworfen gewesen wären. So vor allem die »Former« in den Gießereien. Strafabzüge trafen bei schlecht gegossenen Eisenstücken ihn ebenso wie den einfachen Hilfsarbeiter, [vgl. ebd., 349] Es liegt auf der Hand, daß bei diesen höchsten Lohngruppen der »Gelernten« größerer Widerstand gegen das Akkordlohnsystem bestand als auf Seiten der Angelernten oder der Hilfsarbeiter. Erhebungen bei Daimler, in der Offenbacher Lederwarenindustrie und in der Berliner Feinmechanik bestätigten dies vollauf, [vgl. Bernays, 43, 164] Andererseits aber besaßen die »Gelernten« und hier vor allem die extensiv Gelernten die Möglichkeit zu beruflicher Mobilität: So berichtet Heiß in seiner Untersuchung der Berliner Feinmechanik, daß die 62 befragten Mechaniker (durchweg Organisierte im deutschen Metallarbeiter-Verband [vgl. 173, 112])

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verschiedener Altersstufen »an 411 Stellen oder durchschnittlich 6V2 Stellen beschäftigt« waren, [ebd., 141] Am häufigsten gab Veranlassung zum Stellenwechsel die Absicht, sich zu verbessern, weiterzubilden oder zu verändern. (...) Aus diesem Grunde wurde die Stellung 77mal gewechselt. Es folgt sodann unmittelbar der Stellungswechsel wegen Arbeitsmangel oder >weil nichts mehr zu tun warKalkulation< als Inbegriff dessen, was Lukäcs unter >Verdinglichung< faßt, ansetzt, [vgl. 331, 99] Daß er diesem >Prinzip der Kalkulierbarkeit< gegenüber die Perspektive des Klassenbewußtseins als eines seine Subjektzernssenheit selbsterkennenden, quasi-personalen Bewußtseins vorschlägt, fällt hinter Weber zurück, der immerhin erkannte, daß auf der Ebene des entwickelten industriellen Produktionsprozesses alle >klassisch< personalen, subjektbezogenen >Werte< und Erkenntnisse durch die Struktur der Arbeitsorganisation destruiert worden sind, und auf der Ebene außerbetrieblichen Sozialisation, im »Idealismus« der Gewerkschaften rekonstruiert werden müssen. Lukäcs kann dieser unausgesprochenen Logik des Weberschen Begriffs nicht entrinnen; sein Vorschlag mündet schließlich in der Konzeption nicht so sehr eines Klassen- als vielmehr eines Klassen- als Parteibewußtseins. Dies erweist sich so als nachträgliche Umdeutung und Radikalisierung eines Weberschen Konzepts, dessen fundamentale Voraussetzungen indes Lukäcs unberührt lassen muß.

III. Der Ruhrstreik 1905. »Heißer ist dem Großen nie gehuldigt worden!«

Die Zufälligkeit eines kalendarischen Datums, mehr nicht, will es, daß der Ruhrstreik im Januar und Februar 1905 wenige Monate vor dem uns beschäftigenden Datum der Schiller-Feiern im Mai liegt; um so mehr aber muß es darum gehen, beides aufeinander zu beziehen, d.h. die Schill er-Verehrung, die als Exempel der sozialdemokratischen Kulturpraxis in unserer Textsammlung vorgeführt ist, in ihren inneren Bezügen zur politischen Praxis der S ozialdemokratie im Ruhrstreik zu begreifen: Ein Exempel der Kampfgeschichte der Klasse vor 1914 allerdings, das den »fortgeschrittensten Pol in der Klassenzusammensetzung« [Bologna, 213, 18] in seiner historischen Aktion manifestiert. Methodisch fungiert der Ruhrstreik somit als ein Kristallisationspunkt mehrerer Bezüge und interferierender Ebenen der Ideologie (politische Theorie der Strategie und Taktik; assoziative Serien der ideologischen Praxis) und der Klassenstruktur (Zusammensetzung der Klassen; Klassenartikulation als Gliederung und Ausdrucksverhältnis; Widerstandsformen, -Perspektiven, -geschichte) ein Kristallisationspunkt, der als solcher erst die entwickelte »Referenz« zu Diskurs und Paradigmen der Schill er-Verehrung ermöglicht. Vielmehr handelt es sich dann schon nicht mehr um einfache »Referenz«, sondern um einen strukturellen Prätext dessen, was die Schiller-Verehrung, als »Palimpsest« der Arbeitergeschichte gelesen, zum Ausdruck bringt: in der Schiller-Verehrung werden wir das wiederzuerkennen suchen, was der Ruhrkampf als eine solche Kristallisation dargestellt, schon enthielt, freilich in anderer Diskursivität, anders zusammengestellt, in anderer Ordnung des ideologischen Diskurses. Der Klassenkampf und die Schiller-Verehrung - eine ungehörige, unzulässige Vermischung und Verwischung der Themen? Eine verwirrte Darstellung? — nicht so für die Bergarbeiter-Zeitung, das Organ des Bergarbeiterverbandes, in ihrer ersten Nummer nach Ausbruch des Streiks, der gegen den Willen der Gewerkschafter ausgebrochen war und bereits über 60000 [vgl. 305, 143] Streikende umfaßte: Der Sturm braust >Ja, eine Grenze hat Tyrannenmacht !< An dieses mächtige Wort Schillers, dessen Gedächtnis das Jahr 1905 gewidmet ist, mögen sich die Schuldigen erinnern, wenn ihnen die Nachricht von dem am 7. Januar ausgebrochenen Streik auf Zeche Bruchstraße an die Ohren schlägt. Der Bogen war zu straff gespannt, er zersprang. Was der einsetzenden Bewegung die besondere Bedeutung verleiht, ist, daß alle Welt weiß: die Arbeiter sind nicht die Schuldigen!!! Nicht einmal die anerkannte Werks-

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presse hat bisher gewagt, in der früheren Weise mit Hinweis auf die Arbeiterführer von >Hetzern< zu sprechen. Im ganzen Volke (...) ist man empört über die Zechenstillegungen, die Vergeudung des Nationaleigentums durch das internationale Kapital, dessen Profitsucht auch die Arbeiterentlassungen, das Drangsalieren der Arbeiter, die Lohnreduzierungen, die schwere Schädigung der Volksgesundheit verschuldet. Nun soll auch noch eine Verlängerung der Schicht durchgedrückt werden, und damit kam das Maß zum Überlaufen. Hinweggefegt sind die Differenzen zwischen den Verbänden, genauso wie wir leicht prophezeien konnten. Neben unserem Vorsitzenden Sachse traten in Langendreer auf Kamerad Efforts, Sekretär des Christlichen Gewerkvereins, Kamerad Breskott, Sekretär der PolenVereinigung; alle drei erklärten mit Entschiedenheit: Gegen eine Schichtverlängerung wird der Kampf aufgenommen! >Eine Grenze hat Tyrannenmacht !< Der Kampf ist uns aufgezwungen worden, das weiß alle Welt. Nicht wir wollen den Kampf, wir wollen den Frieden. Die Arbeiter haben sich in beispielloser Weise um den Frieden bemüht. Er sollte aber nicht sein, Diktator (sc. Kapital; W.H.) will den Kampf. Jetzt ist er da. Und nun heißt es entschieden handeln! Mag der Streik auf >Bruchstraße< Wochen und Monate dauern, die Würfel sind gefallen, nun heißt es, den uns aufgezwungenen Kampf mit unerschütterlicher Ruhe und kameradschaftlicher Zähigkeit ausfechten. [BZ, 14.1.1905]

Diese Glosse, wahrscheinlich verfaßt vom Redakteur Otto Hue, der auch später im Reichstag Schiller für die Legitimität des Streikausbruchs in die Pflicht nahm, versammelt alle Elemente der Sprache gewerkschaftlicher* Streikideologie. Die moralische »Schuld«-Frage, die der politischen Feindmarkierung, daß hier die sozialdemokratischen »Hetzer« am Werk seien, zuvorkommen will; die Idealisierung dieser »Schuldfrage« zu einer historisch-schicksalhaften; gleichzeitig aber, für den unbefangenen Leser kaum spürbar, die Tendenz, den Streik auf die Zeche »Bruchstraße« begrenzen zu wollen, was längst schon nicht mehr den Tatsachen entsprach — dies wird man unmittelbar extrapolieren können, doch kaum deshalb schon verstehen. Der Massenstreik selbst, den wir in diesen Zeilen kaum mehr wiederfinden, bewies in seinem Ausbruch eine nie dagewesene, flächenbrandartige Ausdehnungskraft: Am Samstag, dem 7. Januar, fuhr die Morgenschicht auf die Zeche »Bruchstraße« nicht mehr an, am 9. 1. befanden sich bereits über 12000 Bergleute im Ausstand, am 12. 1. 64000, am 16. 1. bereits 108000, am 19. 1. dann 217000, gut 87% der unter Tage beschäftigten Gesamtbelegschaft des Reviers, [vgl. Koch, 305, 144] Die Klasse zwang ihren Führern aus dem Lager des christlichen und sozialdemokratischen Verbandes den Zeitplan auf und traf sie völlig unvorbereitet, [vgl. Hänisch, LVZ, 18. 2. 1905; s. o.] Am 12. trafen sie sich, Forderungen aufstellend und die »wild« Streikenden stark verurteilend, um am 17. einer trotz allem Versammlungs- und Streikverbot um fast das Doppelte angeschwollenen Streikbewegung sich gegenüberzusehen — ihre Forderungen waren allesamt unbeantwortet geblieben -, woraufhin sie nur den allgemeinen Streik proklamieren konnten, was zwei Tage später die Zahl der Streikenden abermals verdoppelte, eine nie dagewesene, riesenhafte Streikfront schuf, die geschlossen blieb, bis am 9. Februar, »wie ein Blitz aus heiterem Himmel« [DAZ, 11. 2. 1905], Das heißt >verbändlerischerVerbändeZuchthausvorlageschwarzer Winkels in welchem die Arbeiter unseren Organisationsversuchen wie auch unserer Presse gleichgültig oder feindlich gegenübertreten. Desto mehr mögen die Arbeiter der übrigen Gebiete unsere Stimme hören. [Volksblatt, 29. 6. 1899]

Aus der Sprache dieses Aufrufs folgt, daß einzig ein gewerkschaftlich organisierter Arbeiter ein Arbeiter ist. Die übrigen Unorganisierten, sie mögen noch so sehr » durch ihre Lage gedrängt« werden zu streiken, zu kämpfen, zu Dutzenden verwundet oder verhaftet, einige sogar dabei ermordet werden — sie stehen der Organisation fern und deshalb hat die »Sozialdemokratie kein Interesse« an ihrem »unüberlegten Vorgehen«. Für die Straßenschlachten von Herne zwischen »Schutztruppen« und Arbeitern hat der Aufruf nur folgenden Satz parat: »In Herne sind die Zustände so weit gediehen, daß die Flinte schießt und der Säbel haut.« [ebd.] Wer hier schießt und »Säbel haut« — die Arbeiter verfügten über keinerlei Waffen - ist der Sozialdemokratie gleichgültig. - Klar wird daran die gewerkschaftliche Linie in dieser Phase der »Rekonsolidierung« der Orgamsationsbewegung: Aufbau der Organisation unabhängig vom konkreten Feld der Klassenantagonismen und der Streiks, die zwar als verbale Drohung gegenüber dem »Unternehmertum«, nicht jedoch als Feld der Erfahrung der Kämpfenden und Am nächsten Tag räumte man ein, daß doch ein Teil der Organisierten mitgemacht haben. [Volksblatt, 30. 6. 1899]

Klassenzusammensetzung und Arbeitergeschichte des Ruhrbergbaus

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Gewinnung ihres Bewußtseins begriffen werden. Hue hat es in einem Artikel in der Neuen Zeit, überschrieben: Die Krawalle von Herne, klar benannt: »Aus dem Selbsterhaltungstrieb heraus hat sich die sozialdemokratische Partei des Ruhrbekkens bei der Wiederherstellung der Ruhr große, sogar von der Bergspresse anerkannte Verdienste erworben.« [98, 539] Daß die Sozialdemokratie diese Verdienste mit Hilfe der Polizei, streikbrecherischer Aufrufe und Entziehung jeglicher späteren Hilfeleistung an die Verurteilten und Gemaßregelten (denn das bedeutete ihr » kein Interesse« konkret) erwarb, verschweigt Hue dem Leser der NZ ebenso wie die Tatsache und Zahl der Opfer, die freilich auch seinen Titel »Krawall« sehr fragwürdig hätten erscheinen lassen. In beiden Verbänden, dem christlichen wie dem sozialdemokratischen, ging es in ihrer Strategie um »Anerkennung« als Gesprächspartner auf Werks- und auf staatlicher Ebene. Im Anschluß an die oben zitierte, gewiß zutreffende Bemerkung, die beiden Verbände hätten im Falle einer Unterstützung leicht den Streik auf das Revier ausdehnen können, schreibt der Bergknappe: »Statt dessen haben aber beide Verbände vor dem Streik gewarnt und waren bemüht, denselben zu beseitigen, soweit ihnen hierzu Spielraum gelassen wurde. Ob man dieses auch auf Seiten der Unternehmer und Behörden anerkennen wird? Vorläufig bezweifeln wir das.« [Bergknappe, Nr. 23, 1899] Schon in dem Aufruf An die Bergleute war von der »Zuchthausvorlage« die Rede und Hues Aufsatz in der Neuen Zeit diente allein dazu, diesen Zusammenhang zwischen der in diesem Jahr 1899 vom Kaiser vorgelegten »Zuchthausvorlage«, die alle zum Streik aufrufenden, Agitatoren oder »Rädelsführer«, mit Zuchthaus zu bestrafen suchte, und dem Herner Polenstreik bzw. der sozialdemokratischen Haltung ihm gegenüber klarzustellen: »Dieser Mortimer starb euch sehr gelegen«, ein weiteres Schiller-Zitat [Maria Stuart, IV, 6], bildete das Motto des Aufsatzes. Tatsächlich hatte die Sozialdemokratie sich als »würdig« erwiesen, den Streik zu verhindern gewußt und muß nur jetzt noch das falsche Spiel der preußischen »Scharfmacher« entlarven, das aus dem Herner Polenstreik, wie Leceister aus Mortimers Freitod, Vorteil zu schlagen versucht. Doch um dies zeigen zu können, müssen die wirklichen Ermordeten, Chioslacyk, Stachowitz, Keßler, Köster, Prasmi, Goszeniak, Caspar, Nowakowski, Brill undDettling [vgl. Volksblatt, 29. 6. 1899] zur idealisierten Figur des sich seinen Schergen durch Selbstmord entledigenden Mortimers umgedeutet werden. Vielleicht an keiner Stelle so plastisch wie hier tritt die substitutive Funktion zutage, die das Schiller-Zitat im ideologischen Diskurs der reformistischen Strategie erfüllt: Es wird zum vollständigen, weil strukturell gelungenen Ersatz für den Diskurs der realen Ereignisse, die nicht in ihm verschwinden, sondern durch seinen vollständigen Sinn absolut ausgelöscht, vernichtet und auf ideologischer Ebene völlig neu produziert werden, keine Bruchstelle mehr übrig lassend, außer denn, es spräche einer den Satz nach und fragte stakkatierend: »Wer ist Mortimer? Wer ist Mortimer? Wer ist (...)« - man würde ihn für wahnsinnig halten.

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2. Der Ruhrstreik 1905 Das Resultat des Herner Polenstreiks verfestigte nur dessen Voraussetzungen und dessen Verlaufsstruktur. Die Klassenspaltung, die die kapitalistische Organisation der Zechen nicht nur in der bergbaulichen Arbeitsteilung und in der Lohnskala, sondern auch erweitert auf den Wohn- und Lebensbereich der »fremdsprachigen« Pariarschicht reproduzierte, indem sie für sie eigene »Wohnkolonien« und Polen-Ghettos errichteten und so eine doppelte Abhängigkeit schufen - daß Kommunal Verwaltungen, Bürgermeistereien und örtliche Schutztruppen vom Grubenkapital kontrolliert wurden, hatte schon der Herner Streik bewiesen -, diese Spaltung war nun auch von den Arbeiterorganisationen selbst akzeptiert worden, und somit konnten potentiell diese selbst als Funktionselemente innerhalb der kapitalistischen Entwicklung aufgefaßt werden. Freilich nur der Möglichkeit nach, denn solange die Gewerkschaft diejenigen Klassenteile, die das militante und entschieden kämpferische Moment in der Klassengliederung darstellten, nicht kontrollierte, war auch sie für das Kalkül der kapitalistischen Planung wertlos. In dieser, politisch irrealen Zwitterposition, einerseits nicht die wirklich militante und kämpferische Klassenschicht kontrollieren zu können, andererseits nicht von dem »Unternehmertum« als Teil und Element des Plans akzeptiert zu werden, befinden sich die Gewerkschaften bis in den 1. Weltkrieg hinein, wo die kriegswirtschaftlichen Ordnungsaufgaben ihnen schließlich »realere« Tätigkeitsfelder erschließt [vgl. Roth, 375, 39ff.]. Die Lage im Revier war somit durch einen Status quo der Kräfte gekennzeichnet; wie Herne gezeigt hatte, war die Kraft und Ausdehnungsfähigkeit des von den jungen, schlecht bezahltesten fremdsprachigen Schleppern und Pferdetreibern ausgehenden Widerstands, der schon den Streik von 1889 ausgelöst hatte, längst nicht gebrochen; auch waren in Herne sehr schnell » Organisierte« mit aktiv gewesen, was das sozialdemokratische »Volksblatt« schon am nächsten Tag einräumen mußte. Der massive Terror der Schutztruppen zur Verhinderung des einfachen Rechts auf Versammlung löste selbst bei älteren, dem christlichen Verband nahestehenden Arbeitern Solidaritätsaktionen aus [vgl. Bergknappe, Nr. 22, 1899]. Dem Grubenkapital blieb somit nur ein enger Handlungsspielraum, der zwischen absoluter Repression der ökonomischen und sozialen Forderungen der Arbeiter einschließlich ihrer politischen Nichtanerkennung einerseits, und dem Gewährenlassen bestimmter gewerkschaftlicher Aktivitäten und Organisationsbildungen andererseits, einen schmalen Grad offenließ. In dem folgenden Jahrfünft kam dem die schwere Depression der Jahre 1901 — 1903 entgegen, die bei stagnierender Belegschaftszahl einen absoluten Rückgang der Kohleförderung mit sich brachte und die Arbeiterlöhne, bedingt durch Massenarbeitslosigkeit und Arbeiterüberangebot, um mehr als 10% sinken ließ [vgl. Koch, 305, 149]. Zu dieser, die Labilität und Paralyse der inneren Klassenzusammensetzung steigernden ökonomischen Lage der Klasse kam die sogenannte »Wurmseuche«, eine schwe-

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re, durch die dunklen, warmen und feuchten Verhältnisse unter Tage und die miserablen sanitären Bedingungen in den Waschkauen geförderte Epidemie, die nach der amtlichen Erhebung von 1903 über 10% der Belegschaften erfaßt hatte. Die »Wurmkrankheit«, deren Heilung eine monatelange Kur erforderte und dem betroffenen Arbeiter so den Arbeitsplatz raubte, wirkte in dieser Phase der Massenarbeitslosigkeit als zusätzliches inneres Druck- und Zersetzungsmoment innerhalb der Klasse. Die kapitalistische Antwort auf die Kirse hieß: forcierte Konzentration. Hugo Stinnes, der sich immer mehr zum Strategen des Kohlesyndikats profilierte, erhielt in diesem Zusammenhang im Volksmund den Namen »Zechentöter« [vgl. DAZ, 9. 1. 1905], weil vor allem er es war, der das Stillegen alter, weniger förderstarker Zechen, die dennoch nicht erschöpft waren, betrieb, um die so freigewordene Kohleförderungskontingente auf relativ rentablere, produktivere Zechen zu übertragen. Deren Ausbeute versuchte er gleichzeitig durch die Intensifikation der Arbeit zu steigern, vor allem durch das »Stinnes-System«, das eine differenzierte und ausgeklügelte Rangfolge der Steiger und Fahrsteiger,' Oberund Zwischenbeamte etc. einführte [vgl. Werner, 427a, 99f.], wodurch die Produktionskontrolle erheblich verbessert und Produktionsanreiz gegeben werden sollten. Für die Arbeiter bedeutete dies größere Schikane und Lohnabzüge durch ungerechte »Gedingeabrechnungen« und das zunehmende »Wagennullen«. Auf der Zeche »Bruchstraße« kam es dann zum Ausstand, weil Stinnes, Eigentümer dieser Zeche, die »Seilfahrt« verlängert hatte, wodurch die Schicht um zwei Stunden auf zehn Stunden ausgedehnt wurde. Als die Werksleitung den Bergleuten auch noch die obligatorische Brandkohle verweigerte, warf die Morgenschicht des 7. Januar »die Brocken hin«. Der sozialdemokratische Verband versuchte von Anfang an den Konflikt auf diese eine Zeche zu lokalisieren. Auf einer von den Gewerkschaftlern dominierten Versammlung am Abend vor Streikbeginn lautete der vierte Punkt der Forderungen: »Die Versammlung ersucht alle Kameraden der Nachbarzechen und des ganzen Ruhrreviers, nicht in einen allgemeinen Streik einzutreten, weil dadurch der Sieg unserer gerechten Sache sehr in Frage gestellt wird. Auf anderen Zechen sollen die Kameraden erst dann Forderungen stellen, oder sich anschließen, wenn ihre Verwaltung die Zeche »Bruchstraße« direkt oder indirekt unterstützt.« [DAZ, 6. 1. 1905] Noch am 14., als bereits weit über 60000 Arbeiter im Ausstand waren, schrieb die Bergarbeiter-Zeitung, daß »um die jetzige Zeit« »ein allgemeiner Streik ein Unheil für die Bergleute« wäre, »die Unternehmer nur hätten Nutzen«. [BZ, Nr. 2, 14. 1. 1905] Die Dortmunder Arbeiterzeitung, die durch ihren, den Linksradikalen innerhalb der Gesamtpartei zuzurechnenden Redakteur, Konrad Hänisch, für eine sehr gewissenhafte und engagierte Berichterstattung über das Streikgeschehen sorgte, berichtete in den Tagen bis zur Proklamation des Generalstreiks am 17. 1. von zahlreichen Versammlungen, in denen die Vertreter des »alten Verbandes« (des sozialdemokratischen) und des »christlichen Verbandes« heftig we-

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gen ihres »Bremsens « angegriffen wurden. Wir zitieren den Bericht über die Belegschaftsversammlung »Neumühl« am 6. 1. 1905, der typisch für die wohl über hundert Belegschaftsversammlungen, die in jenen Wochen stattfanden, stehen kann. Eine große von über zweitausend Personen besuchte Bergarbeiterversammlung, der zwei königliche Kommissare beiwohnten, fand heute hier statt (...) Als erster Redner trat ein Kamerad auf, der bekundet, daß er bei 1V2 Fuß Wasser nackend arbeiten muß und dabei nur 4,60 Mark verdient hat. Der nächste Redner führte verschiedene Mißstände an und forderte die Vorstände der Verbände auf, die Bremse loszulassen, (lang anhaltender Beifall) (...) Ein anderer Kamerad beklagt sich, daß er, trotzdem er schwerkrank und zum Arbeiten unfähig war, vom Steiger seinen Schein zum Abfahren bekam und als er, nachdem er jetzt aus dem Krankenhause entlassen worden ist, auch zu gleicher Zeit seine Abkehr ausgehändigt bekam, sagte er ganz resigniert: »Wo soll ich jetzt hin mit Frau und Kindern; habe keine Arbeit und muß jetzt auch noch die Wohnung verlassen.« Der nächste Kamerad beklagt sich über den übergroßen Mangel an leeren Wagen und führt das darauf zurück, daß die einzelnen Wagen nicht richtig verteilt werden. (...) Ein weiterer Redner beklagt sich darüber, daß die Steiger alle Beschwerden nur mit Grobheiten beantworten, führte Beschwerden über zuwenig Holz. (...) Ein weiterer führt aus, wenn sich einer beim Beamten beschwert über das Gedinge, dann wird einem die Antwort zuteil: »Wenn es Ihnen nicht paßt, dann können Sie ja gehen, wir haben Arbeitslose genug, die froh sind, wenn sie nur etwas verdienen.« (...) Hierauf ergriff Kamerad Hue, Essen, das Wort. Hue (...) (schilderte) den Belegschaftswechsel im Ruhrgebiet. Während im Ruhrgebiet insgesamt pro hundert Mann 106 die Arbeit wechselten, im Oberhausener Revier pro 100 Mann 142, entfielen auf Neumühl pro 100 Mann 193, während auf das ganze Ruhrgebiet pro 100 Mann von der Belegschaft 17 Unfälle vorkamen, entfallen auf Neumühl 29 pro Woche. Von 4470 Belegschaftsmitgliedern feierten 1903 5082 krank, während auf das ganze Ruhrgebiet pro 100 Mann nur 71 krankfeiernde Bergleute kämen, so entfielen auf Neumühl pro 100 Arbeiter 113 Krankheitsfälle, von 1901—1903 sind die Krankheitsfälle auf Neumühl von 41 auf 113 gestiegen. Sodann bespricht Hue die Vorgänge auf »Bruchstraße« und erklärt, die Vorstände der Verbände ließen sich auf keinen Fall auf eine Verlängerung der S chichtzeit ein, möge es kommen wie es wolle (tosender Beifall). Redner ermahnt, wenn es zum Streik komme, daß sich alle ruhig verhalten und soviel wie möglich dann die geistigen Getränke vermeiden und führt weiter aus: »Wenn Herr Stinnes stärker ist als die Regierung, diese nicht eingreift und wir zum Streik gezwungen werden, dann wollen wir den Kampf mit Herrn Stinnes aufnehmen.« Er ermahnte alle, wenn es zum Kampf kommen sollte, ruhig die Parole der Verbandsvorstände abzuwarten und vor allen Dingen keine Überschichten mehr zu verfahren (stürmische Rufe: »>Hue, das ist bremsen^ >damit hören wir endlich aufalter Verband^ W. H.) erklärt, daß nicht einzelne Personen die Sache arrangiert hätten. Ich bin gestern morgen aus dem Bette geholt worden. Es wurde mir die überraschende Mitteilung: auf Kaiserstuhl ist der Streik ausgebrochen, da war es meine Pflicht, nach Möglichkeit für Ruhe und Ordnung zu sorgen, die Leute zusammenzuholen, die Einberufung der Versammlung war notwendig. (Bravo!)« [DAZ, 11. 1. 1905] Die für alle bestehenden Organismen (die vier Verbände, den sozialdemokratischen Verein, das Gewerkschaftskartell) überraschende Dynamik der Streikausweitung zeigt sehr deutlich den politischen Charakter der Klassenzusammensetzung an der Ruhr: zwar lassen sich aus Lohndifferenz und Provenienz, Qualifikation und »Berufsschicksal« beträchtliche Divergenzen zwischen den Arbeiterkategorien aufweisen; indessen wirkt dem die »gleichmachende« Schikane der organisierten Zechenleitungen ebenso entgegen wie die daraus resultierenden Stellenwechsel, die

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der Klasse an der Ruhr eine alle Kategorien umfassende, große Fluktuation und Mobilität verschafften; denn das einzige Mittel, einem unerträglichen Arbeitszustand zu entrinnen, war die »Abkehr« (Kündigung) und der Neuantritt einer anderen Arbeitsstelle. Hue hat in seinem Bericht die entsprechenden Zahlen gegeben. Fluktuation und Mobilität ließen, da überall technologisch und ökonomisch gleiche Arbeitsverhältnisse herrschten, den Arbeiter das Revier als Gesamtheit seiner Arbeitsbedingungen erfahren. Genauso jedenfalls handelten die Arbeiter in der Phase der Entstehung des Ruhrstreiks 1905. Wie wenig die sozialdemokratischen Verbandsführer von diesen Prozessen verstanden, beweist ihr Versuch, durch die Einschaltung der Reichstagsfraktion in Berlin auf die »linke« Redaktion der Dortmunder Arbeiterzeitung Einfluß zu nehmen, sie solle in ihren Berichten über das Streikgeschehen, die in Extrablättern und Flugzetteln neben der normalen, täglichen Berichterstattung einhergingen, sich streng der gewerkschaftlichen Streikleitung, der »Siebenerkommission«, unterordnen, als wäre die Redaktion dafür verantwortlich gewesen, daß der Streik sich ausgebreitet hatte. Molkenbuhr schrieb in diesem Sinne an Konrad Hänisch, der sich in seiner Antwort schärfstens gegen die »Einschränkung in der Agitation für unsere Partei oder unsere Presse« verwahrte [vgl. 244, 284ff.]. Im übrigen erschien es den Verbandsführern nur als Zeichen von Disziplinlosigkeit und »Mißachtung der Organisationsbeschlüsse, wenn die einzelnen Belegschaften sich blindlings in den Streit stürzen« [BZ, 14. 2. 1905]. Obwohl sie also den Streik nicht wollten, seine Mechanismen nicht verstanden und von ihm tagelang in Zugzwang gesetzt wurden, verstanden es die Berufspolitiker in der Siebenerkommission schließlich doch, die Führung des Geschehens an sich zu reißen, freilich um den Preis, erst den Generalstreik ausrufen zu müssen. Der Generalstreik aber versetzte sie in die Lage, die nunmehr entscheidenden Mechanismen und Organismen des Kampfes, die Unterstützungskassen, die Verhandlungen und die Versammlungen zu kontrollieren. Sachse, der Vorsitzende des sozialdemokratischen Verbandes, setzte zudem die Einrichtung von »Ordnungskolonnen« durch, die er mit den vielsagenden Worten auf der den Generalstreik ausrufenden Konferenz begründete: »Wenn uns der Volkswille auch die Zügel entrissen hat, die Ordnung werden wir aufrechterhalten.« Sie. In dem Aufruf hieß es dann: »Kameraden, (da) nun der organisierte Kampf von den Organisationen geführt wird, heißt es strenge Disziplin halten, jede, auch die geringste Ausschreitung verhindern! Belästigt keine Arbeitswilligen, haltet streng die öffentliche Ordnung aufrecht, keinerlei Ansammlung vor den Zechen und auf den Straßen! Meidet strenge den Alkohol, denn er ist unser schlimmster Feind! Bildet selbst eure Polizei, sorgt überall für Ordnungsmannschaften zur Unterstützung der Behörden. Je ruhiger wir den aufgezwungenen Kampf führen, desto mehr sympathisiert die Öffentlichkeit mit uns. [DAZ, 17. 1. 1905]« Besetzungen der Zechenplätze und Straßenversammlungen waren im Streik von 1889 und 1899 die wirksamsten Kampfformen der Militanten; sie waren es auch,

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wo ihnen der stärkste staatliche Widerstand entgegentrat und es zu den schwersten »Ausschreitungen« gekommen war. Sei es infolge ihrer absolut quietistischen Ideologie der »Verhandlungen«, sei es mit dem bewußten Kalkül, daß mit den Straßen und den Plätzen der Arbeit den Massen alles genommen sei, was ihnen spontane Aktionsmöglichkeit geben könnte, — die Gewerkschaften verstanden es jedenfalls, diese Beschlüsse, nachdem der allgemeine Generalstreik ausgerufen war, durchzusetzen. Daß nun die »Siebenerkommission« die Lage völlig kontrollierte, verschaffte den Führern größten Handlungsspielraum, den sie sofort nutzten, um hinter dem Rücken der Delegierten und auch der Belegschaften selbst am 5. Februar, nach 2V2WÖchigem Generalstreik, die Forderungen auf ein Minimum zu reduzieren, und als Bedingung für die Wiederaufnahme der Arbeit lediglich eine 15%ige Lohnerhöhung zu fordern, keine Maßregelungen nach Ende des Streiks und gute »Deputatkohle« für den Eigenverbrauch der Bergleute [vgl. 35, 72]. Von der Schichtverlängerung, dem eigentlichen Anlaß des Massenstreiks, war keine Rede mehr. Auch dieses Angebot wurde von dem »Bergbaulichen Verein« nicht einmal zur Kenntnis genommen; dieser lehnte prinzipiell jede »Verhandlung von Gesamtheit zu Gesamtheit« ab und stellte sich strikt auf den Standpunkt des individuellen Arbeitsvertrages. Die »Siebenerkommission« versuchte trotz dieser starren und eindeutig machtpolitischen Weigerung der Unternehmer, die Arbeiter als Kollektivsubjekt und ihre Repräsentanten anzuerkennen, die alte Politik der Verhandlungen zu forcieren und den Reichskanzler, d. h. also den Staat, zu bewegen, Druck auf die Unternehmer im Sinne einer Anerkennung der Arbeiterorganisationen auszuüben.* Den Katalog der drastisch reduzierten Forderungen telegrafierten sie auch Kanzler Bülow, der jedoch, gleich wie die Unternehmer, die Wiederaufnahme der Arbeit zur Vorbedingung jeglicher Verhandlungen machte. Somit war, außer einer von Regierungsseite unverbindlich gegebenen Zusage, man werde eine Novelle zum preußischen Berggesetz einreichen, trotz dieser riesigen geschlossenen und entschlossenen Streikbewegung Anfang Februar kein nennenswerter Erfolg erzielt. Das Echo in der Öffentlichkeit war groß, Spendenaufrufe erbrachten ca. 1,2 Millionen Mark — viel zu wenig freilich für 200 000 streikende Bergleute, für die es, wenn man nur 1,50 Mark pro Mann und Tag rechnet, einer Streikunterstützung von 2 Millionen Mark pro Woche bedurft hätte. Dennoch verzeichnet die Dortmunder Arbeiter-Zeitung in ihren Versammlungsberichten nichts von einer Streikmüdigkeit, und auch die Zahlen zeigen nichts von einer solchen Tendenz. Laut Statistik streikten am 9. Februar noch 210000 Mann; am 9. Februar setzte Eine weitere Taktik war, mit einzelnen Zechen Sonderregelungen zu vereinbaren. Mit der Zeche >Freier Vogel< gelang dies auch, doch die Belegschaftsversammlung stimmte einhellig gegen die von der >Siebenerkommission< mit der Zechenleitung ausgehandelten Vereinbarungen. Ein weiteres Zeichen für die Solidarität und Radikalität der im Streik erreichten Politisierung der Massen, [vgl. DAZ, 26. 1. 1905]

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die »Siebenerkommission« den Streikabbruch auf einer (»übrigens nicht etwa aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen, sondern durch eine einigermaßen unklare und komplizierte Auslese zusammengebrachten«) »Revierkonferenz« [Hänisch, in LVZ, 18. 2. 1905] durch, ein Beschluß, der von der »Siebenerkommission« schon gefaßt war und von den christlichen und Hirsch-Dunkerschen Delegierten einhellig unterstützt wurde; nur von wenigen Vertretern des sozialdemokratischen Verbandes, vor allem aus dem Essener und Dortmunder Revier, kam heftiger Widerspruch. Man berief sich seitens der »Siebenerkommission« auf jene unverbindlichen Versprechungen einer Berggesetznovelle und wollte sich faktisch der Bülowschen Forderung fügen, erst die Arbeit wieder aufzunehmen, bevor verhandelt werde. Im Hinblick darauf, daß nahezu die gesamte öffentliche Meinung auf Seiten der streikenden Arbeiter steht und die Regierung, gedrängt durch die imposante Kundgebung der Bergarbeiter, im Reichstag bereits Gesetzentwürfe betreffend Arbeiterkammern und die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine angekündigt sowie die seit Jahrzehnten versprochene Reform der Berggesetzgebung auf das bestimmteste zugesagt hat, in welcher 1. die Schichtzeit gesetzlich geregelt, 2. das Überschichtenwesen verboten bzw. eingeschränkt, 3. die Knappschaftskassen verbessert, 4. das Wagennullen verboten, 5. die vielen und hohen Strafen beseitigt, 6. die Arbeiterausschüsse allgemein eingeführt werden, beschließt die Konferenz der Delegierten der vier Verbände, die Arbeit morgen wieder aufzunehmen. Sollten die Versprechungen, die man Bergleuten während des Kampfes seitens der Staatsregierung gegeben hat, nicht erfüllt, die Beschwerden unbeachtet bleiben, die Mißstände im Bergwerksbetriebe in alter Weise fortbestehen bleiben, dann behält sich die Bergarbeiterschaft vor, so einmütig, wie sie diesen Kampf geführt, aufs neue wieder den Kampfplatz zu betreten, um die Erfüllung ihrer berechtigten Forderungen zu erzwingen. [DAZ, 10. 2. 1905]

150, nur teilweise von den Belegschaften bestätigte, von den Verbänden bestimmte »Delegierte« der 220000 Streikenden beschlossen also den Streikabbruch, offenbar gegen den Willen der Massen. Noch am selben Tag fanden in wenigstens fünfzehn Städten des Reviers Versammlungen statt, die entweder ohne Beschluß blieben oder einmütig für die Fortsetzung des Streiks plädierten. In Essen selbst, wo die Konferenz stattgefunden hatte, kam es zu starken Auseinandersetzungen; die zuvor schon gedruckten 250000 Flugblätter, die zum Wiederanfahren aufriefen, wurden von aufgebrachten Arbeitern zerstampft und zerrissen, die »Delegierten« wütend beschimpft; am darauffolgenden Tag fuhren »ganze 12739 Mann« von den 210 000 wieder ein, während in zahlreichen Versammlungen neue Delegierte gewählt wurden, die auf einer weiteren Revierkonferenz, »deren Einberufung man stürmisch forderte« [DAZ, 11. 2. 1905], den Beschluß rückgängig machen sollten. Mit den Ausdrücken »Verräter«, »Lumpen«, »Feiglinge«, »bezahlte Subjekte«, »Spitzel« usw. wurde nicht gespart, [ebd.]

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Die Unternehmer nutzten die von den Arbeiterführern produzierte Verwirrkung und Schwäche, die zunächst ja überall Ratlosigkeit verbreiten mußte, indem sie auf manchen Zechen die Belegschaften »maßregelten« und ihnen die Kündigung (»Abkehr«) gaben. Nunmehr beschloß der sozialdemokratische Verband, solange die »Siebenerkommission« nicht entschieden habe, daß »weiter im Streik verharrt werden solle« (Hue auf »Boroussia« [DAZ, 11. 2. 1905]) und für einen Moment sah es so aus, als ob die Militanten in der Aufrechterhaltung des Streiks gesiegt hätten; jedoch die Siebenerkommission bekräftigte ihren Abbruchbeschluß wenige Tage später: Nun die Arbeit wieder aufgenommen, können aus technischen Gründen zunächst viele tausend Bergleute noch nicht anfahren. Wie viele davon gemaßregelt sind, steht noch nicht fest, aber ihre Zahl ist nicht gering. Die betreffenden Zechenverwaltungen glauben >edel< zu handeln, wenn sie rachsüchtig Familienväter auf die Straße setzen. Hätte sich der Streik noch länger hingezogen, dann (sc. wäre) die Zahl der Gemaßregelten noch größer, denn der Bergbauliche Verein erklärte immer wieder, nicht mit zu verhandeln. Man sieht, soweit ist es schon gekommen, daß ein paar Dutzend Millionäre über das Wohl und Wehe unseres Volkes entscheiden. [DAZ, 15. 2. 1905]

Wir zitieren diese Resolutionstexte der Siebenerkommission, um ihre demagogische Rhetorik zu demonstrieren: Zuerst sind es nur »technische« Gründe, die die Wiederanfahrt blockieren, dann werden geschickt die »Maßregelungen« angesprochen (die ja der wirkliche Grund der Aussperrung waren), um die Drohung anzufügen, es wären mehr geworden, hätte der Streik länger gedauert! Das Lamento »Man sieht, soweit ist es schon gekommen«, krönt die geschickt zerfaserte Sinnstruktur dieses Passus mit einer kleinbürgerliche Enteignungsfiktionen ansprechenden Floskel, hinter der sich das ideologische Paradigma des wirtschaftlich gut gestellten, staatlich quasi beamteten »Bergmanns« verbirgt, der durch die kapitalistische Regie der Gruben heruntergekommen sei. Dieses Erklärungsmuster ist analog dem des Facharbeiters der Großindustrie im Metallbereich konstruiert, der seinen Existenzverlust im Produktionsprozeß als fatales Einzelschicksal erfährt und es auf die »höhere« Ebene des Staats, der Institutionen und der Parlamente projiziert, wohin er sein Schicksal delegiert und von Repräsentanten als kollektives verhandelt sehen will. In der Epoche der Arbeiterbewegung, die uns beschäftigt, existiert eine eigenständige Artikulation des Facharbeiters oder gelernten Hauers diesseits dieser Projektions- und Repräsentationsebene kaum; für ihn spricht von vornherein die Gewerkschaft (d. h. die Führer, Funktionäre oder Redakteure), sie weist die Richtung, während der »Kamerad« bestenfalls zur Schilderung der schlechten Zustände das Wort ergreift. Alle Versammlungsberichte, die die Arbeiterzeitung brachte, zeigen diese Struktur. Diesem Befund entspricht das, was Adolf Braun das »Ideal« sozialdemokratischer Bildungsarbeit genannt hatte: Die, die sich »bilden« sollen, kommen nicht zu Wort. Wie tiefgehend und starr dieser Mechanismus der ideologischen Repräsentanz der Facharbeiterartikulation durch den gewerkschaftlich-institutionalisierten Diskurs ist, zeigen die Ereignisse um den Coup des Streikabbruchs. Obwohl sich schon beim

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Streikausbruch die Verkehrung der gewerkschaftlichen Repräsentanz in ein Hindernis und Hemmnis des Streiks gezeigt hatte und die Massen selbst, meist sprachund artikulationslos die »Brocken hingeworfen« hatten, gegen den Willen der Gewerkschaft, konnte sich dennoch die Siebenerkommission, in der nur Leute saßen, die den Streik nie gewollt hatten, als absolute Autorität der dann durchgesetzten Streikbewegung befestigen. Die Gegensätze waren kräftig genug, um in jeder Streikversammlung zutage zu treten, aber ohne jede Entwicklungsdynamik, um das erstarrte gegensätzliche Verhältnis zwischen einem zwar von dem traditionellen, militanten Klassenteil provozierten, dann aber einheitlichen Arbeiterblock gegenüber den abwiegelnd reformistischen Gewerkschaftsführern aufzulösen. Der Grund für diese Starrheit der inneren Kampffront des Streiks liegt darin, daß der gelernte Hauer in seiner klassenmäßigen Artikulation gemäß seiner deprivilegiert-individualisierten Stellung im Produktionsprozeß die gewerkschaftliche Ideologie als die Repräsentation seines ökonomischen Standes und seiner politischen Perspektive anerkennt, während seine Stellung im Kampf, eingereiht in die Front der das System selbst bekämpfenden Militanten, diese Repräsentation durchkreuzt, weil sie sie zum unmittelbaren Instrument ihres eigenen Willens machen müssen. Der Versuch aber, die innere Logik der gewerkschaftlichen Ideologie und Institution im Moment des Kampfes umzudeuten und zum bloßen Mittel herabzusetzen, bleibt solange widersprüchlich, wie sie strukturell in seiner zentrifugalen Stellung im Produktionsprozeß fundamentiert ist. Der Widerspruch der Klasse in sich, der im Produktionsprozeß konstituiert ist, tritt so in der Phase des Kampfes als äußerer Widerspruch zwischen der Klasse und ihren Repräsentanten zutage. Die Artikulation der Klasse, dies zeigt der Ruhrstreik, bleibt ambivalent und labil — sowohl hinsichtlich des Widerspruchscharakters zwischen den wesentlichen Klassenteilen, der im Kampf auflösbar ist, als auch hinsichtlich des Ausdrucks und des Willens der Klasse, der gerade bei ihren traditionellen Sprechern flexibel und wandelbar sich den neuen Gegebenheiten des Kampfes anzupassen vermag. Daß die Artikulation der Klasse sich in ihre institutionelle gewerkschaftliche Ideologie übersetzt, ist also ein durch den Klassenkampf tendenziell revozierbarer Vorgang. Dies aber letztlich nur folgenreich, wenn die Artikulation der Klasse ein neues Terrain gewinnt, neue Kampfformen und neue Diskurse konstituiert: Dies aber war es, was die Gewerkschaftsführer, die institutionalisierten Agenten der traditionellen Klassenartikulation, um jeden Preis zu verhindern suchten, weil es in ihren Augen in der Tat als »Disziplinbruch« und »Aufrührerei« erscheinen mußte. Sie gaben sich vielmehr zum Schein als tatsächliche Ausführungsorgane des Massenwillens aus — eine für sie tendenziell ruinöse Taktik (denn ihre Seele war die Gewerkschaftskasse) —, um hinterrücks und ohne Mandat eigene (und in ihrer Logik »wirkliche«) Politik zu machen. Diese Vermischung der reformistischen Logik der Repräsentation und dem, als unmittelbar führendes Organ der Klasse gesetzt zu sein, dringt bis in die Sprache ihrer Resolutionen herein, wenn etwa die Siebener-

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kommission schrieb, die »Bergarbeitergewerkschaft behalte sich vor, so einmütig, wie sie diesen Kampf geführt, aufs neue wieder den Kampfplatz zu betreten« (s. o.). Hier sprechen die Sieben, als könnten sie morgen einen neuen Streik proklamieren (was weder in ihrem Sinn noch in ihrer Macht lag), und sprechen gerade so, als handele es sich um einen Geschäftsvorgang aus dem kommerziellen Handelsverkehr (was der Ideologie ihrer Institution entspricht). Die durch die militanten Unorganisierten erzwungene Klasseneinheit in der Aktion produziert auf der Ebene des verbändlerischen Diskurses ein shifting zwischen seiner Bestimmung, unmittelbares Organ des Kampfwillens zu sein, und seiner Aufgabe, Exekutorin der berufsständischen Sicherungspolitik des Gelernten zu sein; hier liegt der materielle, aus den ökonomischen und Kampfbedingungen an der Ruhr resultierende Grund dafür, daß in der Ideologie des Verbandes nicht theoretische Paradigmen, klare Strategeme und Perspektiven, sondern die Rhetorik des ideologischen »shifters« — nichts weniger ist der Satz von dem »sich vorbehalten« —vorherrscht; denn nur in der Rhetorik der Wechselwörter, deren Struktur noch genauer zu untersuchen sein wird, konnte das doppelte Spiel der Verbandsideologie Ausdruck finden. Fassen wir zusammen: Der Ruhrstreik 1905 zeigt die Artikulation der Klasse als auf dem politisch-ideologischen Feld wirksame Vertauschung/Enteignung der wesentlichen Kräfte und Eigenschaften der Klassenteile. Die »neuen« Militanten an der Ruhr, das >fremdsprachigeSklaverei ist niedrig, aber eine sklavische Gesinnung in der Freiheit ist verächtlich; eine sklavische Beschäftigung hingegen ohne eine solche Gesinnung ist es nicht, vielmehr kann das Niedrige des Zustands, mit der Hoheit der Gesinnung verbunden, ins Erhabene übergehen^ (Schiller) Diese Worte Schillers, die auf den proletarischen Klassenkampf der Gegenwart wie gemünzt erscheinen, gehören mit gleichem Recht an die Spitze einer Darstellung, die den deutschen Arbeitern ein Bild seines Lebens entwerfen will. Ein Bild seines Lebens nur, keine ausführliche Biographie, wie es deren nachgerade unzählige gibt. Ein Bild seines Lebens, wie es sich 100 Jahre nach seinem Tode darstellt, von der sicheren Warte einer Klasse, die sich >in der kriechenden LohnkunstFesseln der Leibeigenschaft, von denen Schiller spricht, die Hoheit der Gesinnung gerettet hat. Sie steuert heute auf hoher See der neuen Welt entgegen, deren Ufer sich von Jahr zu Jahr deutlicher am weltgeschichtlichen Horizont abzeichnen, während der Jüngling Schiller nach seinem eigenen Wort wie Kolumbus >die bedenkliche Wette mit einem unbefahrenen Meer emgingNeuen Welt< gestanden hatten, war die Debatte 1896 überhaupt erst ausgebrochen; W. H.) erregen sie herzhaften Widerwillen. (...) Wir können es nicht als zutreffend erachten, wenn auf dem Parteitag gesagt worden ist, die moderne Kunst lebe in einer Periode des Verfalls und könne deshalb auch nur den Verfall schildern. Die Periode des Verfalls, in der wir leben, ist zugleich eine Periode der Wiedergeburt. So ehrlich und wahr die moderne Kunst die Ruine schildern mag, so wirkt sie doch un-

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ehrlich und unwahr, indem sie das neue Leben übersieht, das aus den Ruinen blüht. Wie soll sich das Proletariat für eine Kunst begeistern, die in der unkünstlerischen Tendenz nichts von dem wissen will, was sein eigenstes und ursprünglichstes Leben ist! [Mehring, Bd. 11, 137 f.]

Ein weiteres Mal ein spürbares Plädoyer für eine autonome proletarische Kunst? »So paradox es scheint, so wahr ist es doch«, schrieb der Mehring-Forscher Hans Koch, »der Mann, (...) dem Tausende und aber Tausende Arbeiter literarische Bildung und Urteilsfähigkeit verdanken, dem der Ehrenname eines Pioniers der marxistischen Literaturforschung in Deutschland gebührt, (...) — dieser Mann hatte theoretisch unrichtige Vorstellungen von der Rolle der Literatur im Klassenkampf.« [304, 170] Das Paradox: Mehring kritisiert die naturalistische Abschilderung der versatzstückhaft zersprengten Wirklichkeit in Hauptmanns Dramen und statt der proletarischen Realität angemessene Schilderungen und Darstellungen zu fördern, lehnt er das Konzept einer proletarischen Kunst überhaupt ab: Die Kunst darf ihre Wiedergeburt erst von dem ökonomisch-politischen Siege des Proletariats erwarten; in seinen Befreiungskampf vermag sie nicht tief einzugreifen. [Mehring, Bd. 11, 449]

Von den —vereinzelten — »proletarischen« Dichtern hielt Mehring nicht viel, d. h. er sprach ihnen ab, »eine neue Ära der Kunst zu eröffnen«. [Bd. 11,445 f.] Schleifstein, neben Koch der zweite bedeutende Mehring-Forscher in der DDR, hat die Vermutung beigetragen, das »Paradox« erkläre sich aus Mehrings »Resignation« den »zaghaften Versuchen einer proletarischen Literatur« gegenüber [391, 157], doch in Wirklichkeit ist an Mehrings Position nichts Paradoxes, bei ihm herrschen keine falschen Vorstellungen von der Rolle der Literatur im Klassenkampf vor im Gegenteil: daß Mehring den Naturalismus ablehnte, hat seinen Grund nicht so sehr in der Kritik an einem verfehlten Wirklichkeitsgehalt dieser Kunstrichtung, sondern in der Kritik an der Verletzung der Gesetzlichkeit der Kunstformen, zwei Momente freilich, die Mehring in eins verschmolzen zusammendenkt. Schleifstein hat dies im Anschluß an die verstreuten Stellen bei Mehring [z. B. Bd. 11, 263, 311] richtig erkannt: In der Kritik des Naturalismus wandte sich Mehring auch gegen die für die bürgerliche Philosophie kennzeichnende Auflösung der künstlerischen Gattungen, gegen die Verletzung ihrer Gesetze. Auch darin war er nicht nur ein standhafter Verteidiger der klassischen Traditionen, sondern auch der Verfechter echter realistischer Prinzipien. Die Gesetze der Kunstgattungen waren für ihn objektive, aus der Natur selbst hervorwachsende Gesetze, die bei aller historischen Wandlungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeit, die Mehring stets hervorhob, in ihrem Fundament nicht angetastet werden dürften. [391, 155£]

In seiner Naturalismuskritik stellt Mehring sich als Bewahrer der klassischen Dramaturgie vor; er will »rechtzeitig einer Verwirrung des ästhetischen Geschmacks vor (...) beugen, von der namentlich nicht zu wünschen wäre, daß sie in die arbeitenden Klassen dränge«. [Bd. 11, 222] Doch diese Bemühung um den künstlerischen Geschmack ist alles andere als eine ästhetische; sie folgt bei Mehring einem geschichtsphilosophischen Argument, das, indem es den Zusammenhang von bürgerlicher Politik und klassischer Ästhetik festhält, dem Proletariat

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Zur ideologischen Formation der Schiller-Verehrung

eine relative Kunstlosigkeit und zugleich eine indirekte Gebundenheit an die bürgerliche Philosophie dekretiert: Man muß sich auch davor hüten, die Bedeutung der Kunst für den Emanzipationskampf des Proletariats zu überschätzen. Die Versuchung dazu liegt ja sehr nahe, wenn man die hohe Bedeutung erwägt, welche die Kunst für den Emanzipationskampf ganz besonders auch des deutschen Bürgertums gehabt hat. Indessen, wenn die bürgerliche Klasse in Deutschland ihr Heldenzeitalter auf künstlerischem Gebiete gehabt hat, so doch nur, weil ihr der ökonomische und politische Kampfplatz verschlossen war. Dagegen steht dieser Kampfplatz dem modernen Proletariat wenigstens bis zu einem gewissen Grade offen, und es ist ebenso natürlich wie notwendig, daß es hier seine Kräfte zusammenfaßt. Solange es in diesem heißen Kampfe steht, kann und wird es keine große Kunst aus seinem Schöße gebären. [Bd. 11,139] Unverkennbar ist, daß Mehring das Proletariat bzw. sein Verhältnis von politischem Kampfe und Ästhetik, von politischer und künstlerischer Praxis, in einer Rückprojektion aus dem klassischen Verhältnis von Ästhetik und Geschichtsphilosophie begreift: Nunmehr macht das Proletariat als historisches Subjekt - in einer »aufsteigenden« Bewegung — Geschichte, die sich der deutsche Idealismus nur auf den spekulativen Höhen der Ästhetisierung und der Philosophie der Geschichte vorspiegeln konnte. Wo die Bourgeoisie, vereinfacht gesagt, nicht wirklich handelnde sein konnte (»weil ihr der ökonomische und politische Kampfplatz verschlossen war«), wird das Proletariat nun tätig, indessen um den Preis, seine Handlungen nicht mehr ästhetisch darstellen zu können: die Geschichte selbst ist das Schauspiel, die »Weltgeschichte ist das Weltgericht« [nach DAZ, 9. 5. 1905], das vordem nur ästhetisierbare, idealische Subjekt ist Wirklichkeit geworden. Es ist sinnlos, den modernen Proletariern ästhetische Rückständigkeit oder dergleichen vorzuwerfen, weil sie an unserer klassischen Literatur, an der Literatur der Aufsteigenden, größeren Geschmack finden als am modernen Naturalismus, einer Literatur der Absteigenden. (...) Mit anderen Worten: Wenn die absteigende Bürgerklasse keine große Kunst mehr schaffen kann, so kann die aufsteigende Klasse noch keine große Kunst schaffen, mag auch immer in den Tiefen ihrer Seele eine heiße Sehnsucht nach der Kunst leben. [ Bd. 11, 224f.] Wie wenig seine (d.h. des modernen Proletariats; W.H.) Abneigung gegen die moderne Kunst mit einer unkünstlerischen Tendenz zu tun hat, beweist seine Begeisterung für die Klassiker, in denen es keine Spur seines Klassenbewußtseins, aber wohl jenes freudige Kampfelement findet, das es an der modernen Kunst vermißt, [ebd., 136] Eine tiefe Sehnsucht nach der Kunst lebt unausrottbar in dem klassenbewußten Proletariat, das alle großen Vermögen gesitteter Menschheit für sich zu erobern entschlossen und fähig ist. Aber die Arbeiter erkannten schnell genug die unheilbaren Schwächen des dichterischen Naturalismus und kehrten lieber zu den bürgerlichen Klassikern zurück, in denen sie fanden, was ihnen die Modernen nicht geben konnten: den vorwärtsstürmenden Kampf wirklicher Kultur, [ebd., 448] Die Mehringsche Geschichtsphilosophie, die dem proletarischen Kampf eine »aufsteigende« Bewegung zuweist, impliziert eine Annahme eines faktischen Kunstinteresses, nämlich die »Begeisterung für die Klassiker«, indem sie gleichzeitig in Begriffen reflektiert, die schon immanent ästhetisch gedacht sind. Dennoch aber ist das Denken eines Kampfes nicht der Kampf selbst, bildet das Denken und

Mehnngs Schillerbild

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sein Begriff den Kampf nicht ab, sowenig wie dieser umgekehrt abgebildet oder dargestellt werden kann: auf der Bühne, in der Literatur, in der Kunst hat das » klassenbewußte Proletariat« noch nicht sein Terrain, der Klassenkampf ist Ende und Anfang einer Kunstperiode zugleich. Wenn wir von einer Junker-, einer Bürger-, einer Arbeiterklasse sprechen, sprechen wir von Begriffen, die wir uns gemacht haben, von Ideen als Individuen, von Idealen, und diese Ideale in natürliche Erscheinungen zurückzuverwandeln ist die Aufgabe der schönen Kunst, [ebd., 182] Doch den Arbeiter als individuiertes Ideal in künstlerische Erscheinungen zu verwandeln, hielt Mehring für »noch« nicht möglich, weil »er« als solcher erst handeln muß, bzw. schon handelt. So widersprüchlich diese Konzeption erscheinen mag, so konsequent ist sie doch gedacht: Wenn der Arbeiter tatsächlich ein individuiertes Ideal in dem Sinne ist, wie wir es aus der geschichtsphilosophischen Ästhetik der »aufsteigenden« Bourgeoisie kennen, dann muß seine Ästhetisierung so lange unmöglich sein, als er seine Existenz in die Wirklichkeit gesetzt hat. Solange aber hat das Proletariat nur Nähe zu dem, nur »Begeisterung«, nur »eine heiße Sehnsucht« nach dem, was es nicht ist, sondern erst werden muß. Je unmöglicher sich aber aus dem proletarischen Klassenkampfe ein neues Zeitalter der Kunst entwickeln kann, um so sicherer ist es, daß der Sieg des Proletariats eine neue Weltwende der Kunst herbeiführen wird, eine edlere, größere, herrlichere als Menschenaugen je gesehen haben. Besteht das ästhetische Wohlgefallen in der freien und ruhigen Betrachtung der Dinge, so wird es sich am höchsten und reinsten entfalten, wenn >die beschämenden Spuren der Dienstbarkeit< verschwunden sein werden, die >unserer verstümmelten Natur< durch die Sklavenarbeit einiger Jahrtausende eingedrückt worden sind, wenn das menschliche Geschlecht >den freien Wuchs seiner Menschheit entfesseln kannvermißtlinken< Theoretikers, die praktische Kulturarbeit völlig in kulturkonservativem Sinne der Gewerkschaften legitimiert werden konnte.

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Zur ideologischen Formation der Schiller-Verehrung

2. Keine Debatte um die Schiller-Verehrung: Die »Schiller-Debatte« Eine Schiller-Debatte, wie sie von Fülberth als »Konfrontation« »zwischen marxistischer und revisionistischer Literaturkritik« gezeichnet wurde, hat es nicht gegeben. [253, 74] Doch führt uns diese irrige Annahme, die auch in ihren einzelnen Argumenten (z.B. »Abgrenzung historisch-materialistischer Argumentation von der Milieutheorie«) dem einfachen Textbestand nicht standhält, auf die hoch wichtige Frage, ob »Marxismus« und »Revisionismus« als die polaren Fronten innerhalb der ideologisch-strategischen Krise der Sozialdemokratie auch gleichermaßen die polare Stellung innerhalb der kulturpolitischen Auseinandersetzung bezeichnen können, eine Übertragung, die in der DDR-Forschung durchweg umstandslos gemacht wird. Am Beispiel der Schill er-Verehrung wird man indes schnell eines besseren belehrt. Nimmt man z.B. diejenige »revisionistische« Fraktion, die im sogenannten »Vorwärts-Konflikt« (die Qualität des Fülberthschen Buches wird nicht zuletzt daran sichtbar, daß er den im Oktober virulenten »Vorwärts-Konflikt« für die im Frühjahr auftretenden Differenzen um das Schiller-Bild maßgeblich machen will) energisch die gekündigten, »revisionistischen« Vorwärts -Redakteure unterstützt, die Redaktion der Neuen Gesellschaft [vgl. in NG, 1905, Nr. 32, 33, 34], so wird gerade an ihrer sehr reservierten Position zu den Schiller-Feiern, die sich ausschließlich in Fragen darstellt, die Umkehrung des Verhältnisses sichtbar; gemessen an ihren nüchternen, lediglich 1V2 schlichte Artikel skeptischer Tendenz umfassenden Schiller-Beiträgen nehmen sich die Schiller-Nummern der dezidiert »linken« Organe, also etwa der Leipziger Volkszeitung, der Neuen Zeit oder der Dortmunder Arbeiter-Zeitung geradezu als rein affirmativ aus. Einmütig feiert das ganze deutsche Volk seinen Schiller! Das ist zweifellos richtig: begeistert klingen im Offizierskasino die Sektgläser zu seinem Gedächtnis aneinander, denn der Kommandeur schloß seine säbelrasselnde Rede mit den Worten: >Für seinen König muß das deutsche Volk sich opfern, das ist das Schicksal und Gesetz der Welt!< Behaglich schlürfen nationalliberale Mannesseelen ihm zu Ehren das kühle, schäumende Naß und singen: Freiheit ist nur in dem Reich der Träume!< — (...) selbst auf dem Polizeipräsidium tönt Festmusik zu dem herrlichen Text: >Herrliche Ordnung, segensreiche Himmelstochterdie eintrat in der Menschen Hütten und sie gewöhnt zu sanften Sitten.< (...) >Wenn sich die Völker selbst befreien, da kann die Wohlfahrt nicht gedeihen !< lautet der Refrain ihrer Tafelreden mit düsterem Seitenblick auf Rußland (...) Währenddessen feiert das Proletariat sein Schiller-Fest und ruft >Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, wenn unerträglich wird die Last, greift er hinauf getrosten Mutes in den Himmel und holt herunter seine ewigen Rechte< - Wo ist Schiller?< [NG, Nr. 6, 1905, 61]

So lautet die kurze Glosse auf der ersten Seite der Mai-Nummer der Neuen Gesellschaft, die in ihrer ganzen Diktion eher den skeptisch-satirischen Beiträgen des Literarischen Echo oder der Jugend (vgl. Einleitung), bürgerlich-naturalistischen Zeitschriften also, entspricht, als dem Gros der sozialdemokratischen Publizistik.

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Die Erklärung ist einfach: Tatsächlich gehören die Redakteure und Mitarbeiter dttNeuen Gesellschaft, herausgegeben von Heinrich und Lilly Braun, Wolfgang Heine, Karl Leuthner, Hermann Wendel u.a., theoretisch durchaus zu den Anhängern einer im weitesten Sinn »naturalistischen« Kulturansicht, was nicht den zum Teil minderen Wert ihrer Artikel aufwerten kann, indessen ihre spezifischen Themen, z.B. das Problem des »Großstadtlebens« als eines zentralen sozialen Phänomens, erklärt. Die Mitarbeiter dieser Zeitschrift waren durchweg auch Mitarbeiter der Sozialistischen Monatshefte, die keinen Schiller-Artikel brachten. Kautsky hatte vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn er diese Gruppe der revisionistischen Parteiliteraten die Kaffeehäuser von Berlin als soziale Basis zusprach, [vgl. Kautsky, 115, 812] Bernstein, freier Schriftsteller und sozialdemokratisches Reichstagsmitglied, gehört diesem »theoretisch-literarischen« Revisionistenzirkel im Grunde auch an, wenngleich sein Alter und seine besondere theoretische Position ihn hier vereinzeln mußte. Er veröffentlicht seinen Schiller-Artikel an entlegenster Stelle, in der Zeitschrift Europa, die kein Arbeiter in die Hand bekam: einem jener politisch-literarischen Revuen jener Zeit, die ebenso schnell entstanden wie verschwanden. Bernstein, der überdies als einziger Sozialdemokrat an der »Persönlichkeiten «-Umfrage: Wie hat Schiller auf Sie gewirkt? des bürgerlichen Literarischen Echo teilgenommen hatte und dort von seinem Ohnmachtsanfall anläßlich seiner ersten Räuber-Lektüre berichtet hatte (s. o., Einleitung), bemüht sich denn auch nicht, Schiller für die Arbeiter einzunehmen, oder Schiller für die Arbeiterbewegung zu aktualisieren. Die Ideologie, die ihn erfüllte, entsprach keiner der Gesellschaftsklassen, die er vor sich sah. Man hat sie — und kann sich dabei auf Äußerungen von ihm selbst berufen — zeitlos genannt. Völlig richtig ist das nicht, aber was daran richtig ist, ist es deshalb, weil diese Ideologie in ihrem Wesen klassenlos war (...) Schelte man Schiller nicht Spießbürger, weil er den Kultus der Masse verwarf. Die Masse, die er vor sich sah, war keines Kultus würdig. Sie nahm die Reaktionsmaßregeln der deutschen Regierungen, die Zensurverschärfungen usw. mit stumpfem Gleichmut auf, sie begeisterte sich an Schundromanen und jubelte auf dem Theater Kotzebue und Schlimmeren zu (...) Nicht weil er spieß- oder kleinbürgerlich dachte, sondern weil er das Spieß- und Kleinbürgertum verachtete, hielt er nichts von der Masse. Und weil er von der Zeit keine Verwirklichung dessen erhoffen konnte, was er erstrebte, flüchtete er in die Welt des Ideals, die man sich indes nicht als Wolkenkuckucksheim vorstellen darf. Das Schillersche Ideal war keine phantastische Utopie, es war das Reich der großen, die Menschheitsziele ausdrückenden Ideen. Schiller war kein Schwärmer, sondern eine durchaus kritisch angelegte Natur. Er arbeitete sich mit Riesenfleiß in die kritizistische Philosophie eines Kant hinein, der er, ohne sich ihrer bedingungslos zu unterwerfen, poetischen Ausdruck verlieh, er bewahrte sich stets einen starken geschichtlichen Blick, ein lebhaftes Verständnis für die Realitäten des Lebens. Daß er durch die ästhetische Erziehung herbeizuführen versuchte, wozu eine völlige Veränderung der gesellschaftlichen Struktur erforderlich war, war mehr einseitig als es falsch war. Denn ohne ästhetische Erziehung kein Fortschritt, der der Mühe wert wäre. Was Lassalle in dieser Hinsicht den deutschen Arbeitern zurief, ist nur die auf moderne Verhältnisse übertragene Anwendung der Grundidee Schillers, dessen Andenken denn auch Lassalle stets besonders hoch hielt. Im Reich der Idee gilt weder Zeit noch Landesgrenze. Aber die Idee vermag jedem Streben Kraft und Weihe zu verleihen. Und

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niemand war mehr geeignet, den Strebungen der Völker, den Kämpfen des unterdrückten Menschenrechts Ausdruck zu verleihen, wie Schiller, der die Sprache in unübertroffener Meisterschaft beherrschte (...) >Glühend für die Idee der Menschheit, gütig und menschlich gegen den einzelnen Menschen, und gleichgültig gegen das ganze Geschlecht, wie es wirklich ist, das ist mein Wahlspruch — so schrieb er am 5. Mai 1795 an Benjamin von Erhard, und diese Glut für die Idee der Menschheit war es, die seinen Dichtwerken eine nie verblassende Eindruckskraft verliehen, ihn zum ewig jungen Sänger alles dessen gemacht hat, was die Menschen zu den verschiedensten Zeiten auf ihrem Wege zur Vervollkommnung sich als Ziel gesetzt haben und setzen. [Europa, 1905, 755f. und 759]

Schillers »Ideologie« ist »klassenlos«, seine Ideale sind Allgemeingut einer spezifischen Rhetorik der Humanität, der »Menschheitsziele«; daß er kein Revolutionär war, rührt daher, daß damals eben mit den Massen nichts anzufangen war, so daß er keiner sein konnte; ein Artikel, nicht für Arbeiter geschrieben, der somit, wäre er nicht von Bernstein, gar nicht in unser Thema fiele. Die einzige Stelle, in der die Arbeiterbewegung angesprochen ist, gibt uns Anlaß, Bernstein zuzustimmen. Tatsächlich war nämlich Lassalle der Popularisator Schillers auf dem Boden der deutschen Arbeiterbewegung; seine Assisenrede, Lassalles Verteidigungsrede vor Gericht 1849, angeklagt, auf Volksversammlungen das Volk »verhetzt« zu haben, die im 19. Jahrhundert weit größere Popularität hatte, als etwa die zur selben Zeit von Marx geschriebenen Texte über die französischen Klassenkämpfe, hat ihre Pointe in einem Schiller-Zitat, das tausendfach in den Schiller-Tagen 1905 wiederholt werden sollte: »Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht (...)« [vgl. Lassalle, Bd. 1, 289]. Und schließlich Lassalles im Schiller-Jahr 1859 fertiggestelltes Drama Franz von Sickingen stellt sich explizit literarisch in die Tradition der »historischen Dramen« Schillers, über die hinauszugehen, und nun Geschichte selbst, als in ihren wesentlichen Bezügen dramatisch sich vollziehend, zu dramatisieren, Lassalle sein Drama über den Adelsaufstand im Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts konzipiert hatte. Lassalleanismus und Schiller-Verehrung hängen miteinander zusammen, insofern in Lassalles Reden und Schriften selbst schon die beginnende Schill er-Verehrung des 19. Jahrhunderts, die auf Seiten der politischen Liberalen 1859 ihren Höhepunkt fand, sich reflektiert und so auf die früheste Rhetorik der deutschen Arbeiterbewegung, die eben durch Lassalle wesentlich geprägt wurde, ihren Einfluß ausüben konnte. Bernstein aber reklamiert dieses Bildungsideal der »nationalen Kulturbewegung« [Lassalle, 326, 421] des »Arbeiterstandes« [ebd., 58], sowie Lassalle es proklamierte, nicht einmal mehr für die Arbeiterbewegung: »ohne ästhetische Erziehung kein Fortschritt, der der Mühe wert wäre«: Allgemeiner Kulturanspruch, der nicht einmal mehr auf seinen politischen oder ökonomischen Bedingungen hin befragt ist. In denselben Zusammenhang der eher reserviert-verhaltenen revisionistischen Schiller-Artikel gehören im Grunde auch die aus der Festschrift der Vorwärts-Redaktion, die für 25 Pf im ganzen Reich angeboten wurde. Dieses, mit üppigen Illustrationen ausgestattete Heft enthielt Artikel von Stampfer, Braun, Eisner, Schikowski, David und Molkenbuhr, von denen keiner den Anspruch einer ideologi-

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sehen »Vereinnahmung« formulierte und deren Grundtendenz, freilich auf theoretisch höchst zweifelhaftem Niveau vorgebracht, eher die einer kulturtheoretisch-allgemeinen, kritischen »Würdigung« Schillers war. So etwa Lilly Brauns Artikel über Charlotte von Kalb, in der sie, Schillers widersprüchliche Beziehung zu ihr streifend, das »lebendige Vorbild« der wenigen Frauengestalten in Schillers Dramen sah (z.B. Jungfrau von Orleans, die Frauengestalten des Wallenstein), während sie an Schillers eigenem Verhältnis zu Frauen, ähnlich wie Mehring in der »Gleichheit«, herbe Kritik übte: Charlotte von Lengefeld, das junge, weltfremde, schwärmerische Mädchen, bot ihm das, was Charlotte von Kalb, die reife Frau mit der starkgeistigen Individualität, nicht bieten konnte. Schiller schrieb seiner Braut: >Deine Seele muß sich in meiner Seele entfalten und mein Geschöpf mußt Du seineinzigen Beruf des Weibes< ihr das Recht auf Freiheit der Entwicklung absprechen. [24, 6]

Über Schillers Idealismus, Kurt Eisners, des späteren Führers der Münchener Räterepublik, Aufsatz enthält gleichfalls keine besondere Vereinnahmungsgeste; Eisner thematisiert Schillers Verhältnis zur Französischen Revolution: Schiller hat die beiden einzigen großen Revolutionsdramen unserer Literatur geschrieben, die Revolutionstragödie des Zusammenbruchs in Kabale und Liebe und das Revolutionsdrama der Erfüllung in Wilhelm Teil. Das eine kam in die Welt vor der großen Französischen Revolution, das andere, als sie bereits im Bonapartismus gestrandet. Während aber sein revolutionäres Ideal zur Wirklichkeit sich durchrang, war Schiller verständnislos, fast feindselig. Als seine Dichtung ins Leben zu treten schien, flüchtete sich Schiller, der Ehrenbürger der Französischen Republik, in die Welt des >IdealsDenn er war unser !< nein, ein größer Wort, Ein Heiliges, soll uns vom Munde gehen, Das reißt die Kühlen und die Kleinen fort, Das soll im Kampf wie Scharlachfahnen wehen, Machtvoll erbrausen hallt's die deutsche Erde: Steht auf und ringt, daß Schiller Euer werde! —

Text 9 Bremer Bürger-Zeitung, gegründet 1890, Auflage 1906: 13 500, 9. 5. 1905. Schiller und die Arbeiter Die Tausende von bürgerlichen Festrednern, die am heutigen Tage das Lob Schil-

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lers mit vollen Backen preisen, um von morgen ab wieder in gewohnter Trägheit ihres Daseins enge Kreise weiter zu vollenden, finden bei der Verschiedenartigkeit der Person und Situation in Dramen und sonstigen Werken Schillers wohl das eine oder andere Wort, bei dem sie anknüpfen können. Aber keiner der bürgerlichen Festredner und Schriftsteiler kann Schiller voll gerecht werden. Sie alle kennen entweder den tiefen Gehalt des Schillerschen Wesens und Dichtens nicht oder sie schleichen scheu und ängstlich daran vorbei: das ist seine glühende Liebe zur Freiheit, sein rebellischer Trotz gegen Unterdrückung und Willkür, sein unversieglicher Glaube an die Aufwärtsentwicklung der Menschheit. Wenn ein bürgerlicher Redner von Freiheit und Menschenwürde spricht, so verkündet er damit überlebte, tote Begriffe, so schaut er dabei mit sentimentalem Seufzen rückwärts in die Vergangenheit. Nur dort, wo klassenbewußte revolutionäre Arbeiter zur Ehrung Schillers sich versammeln, nur dort ist Schillers Geist mitten unter ihnen, nur dort wird Schiller gegeben, was ihm zukommt, nur dort bleibt er bewahrt vor dem phrasengeschwollenen kritiklosen Überschwang des Lobes, nur dort bringt auch die Erinnerung an Schiller die Wirkung hervor, die allein das Aufgebot solcher Feierlichkeiten rechtfertigt: Das Gelöbnis zur Weiterarbeit in seinem Geist, die Anfeuerung des revolutionären Fühlens und Wollens. Schon als kaum 16jähriger Jüngling schrieb Schiller an einen Freund: »So lange sich mein Geist frei erheben kann, wird er sich in keine Fesseln schmiegen. Dem verhaßten Manne ist schon der Augenblick der Sklaverei verhaßt — und er solle geduldig die Fesseln tragen, die man ihm schmiedet? O Karl! Wir haben eine ganz andere Welt in unseren Herzen als die wirkliche Welt ist.« In diesen rührend-ernsten Worten ist schon das Programm des späteren Dichters enthalten. Schon hier bekennt er sich zu demselben Evangelium der Freiheit, dem er in seinem letzten großen Drama, im »Teil«, einen so gewaltigen dichterischen Ausdruck gegeben hat. Und schon als Jüngling ist er der edle Idealist und Utopist, der in seinem Herzen eine Welt sieht, die so ganz anders ist als die wirkliche Welt, und der er nacheifert mit allen Fasern seiner Seele. Wenn das Freiheitsideal Schillers unklar und nebelhaft ist, wenn Schiller sogar den einzigen ernsthaften Versuch seiner Zeit, dieses Freiheitsideal in die Wirklichkeit umzusetzen, wenn er die Französische Revolution mit den erschreckten Augen eines ängstlich gewordenen Philisters ansieht, so tragen die revolutionären Arbeiter unserer Zeit, obwohl sie im gewissen Sinne die Testamentsvollstrecker der großen Revolution sind, Schiller diese Menschlichkeit nicht nach. Wir können uns diese Gegnerschaft hinlänglich aus dem gesamten Milieu der bürgerlichen Klasse in Deutschland zur Zeit Schillers erklären. In Deutschland fehlten damals alle Vorbedingungen, um eine selbstbewußte bürgerliche Klasse mit politischem Blick und politischer Tatkraft heranzubilden. Man lese die feinsinnigen, vortrefflichen Ausführungen Kautsky's über »Die Rebellionen in Schillers Dramen«, und man wird am heutigen Tage mit verständnisvollem Schweigen über die Tatsache

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zur Tagesordnung übergehen, daß auch Schiller der Enge, Rückständigkeit und Unerfahrenheit seiner Umwelt seinen Tribut hat entrichten müssen. Wir halten uns an dem Schiller, der uns dann noch bleibt. Und dann haben wir das Beste und Schönste von ihm, dann bleibt uns noch der geniale, kraftvolle, freiheitsdurstige, Schöpfer der Räuber, desFiesco, der Kabale und Liebe, des Wallenstein, des Teil; dann bleibt uns noch der ernst grübelnde Historiker, der feinsinnige Ästhetiker, der formvollendete Lyriker, der bei allem Denken und Schaffen immer die Würde und die Veredlung des Menschengeschlechts im Auge hat; dann bleibt uns vor allen Dingen auch noch der große, charaktervolle Mensch, der trotz drückender Enge, trotz quälender wirtschaftlicher Sorgen, trotz steter körperlicher Krankheit und Schmerzen sich doch den Adel der Seele und die Hoheit der Gesinnung treu bewahrt hat. Arm und dürftig, wie er gelebt hat, ist er heute vor 100 Jahren gestorben. Der zehnte, vielleicht der hundertste Teil der Aufwendungen, die am heutigen Tage zu seiner Erinnerung gemacht werden, hätten hingereicht, um ihn für sein ganzes Leben vor Sorge und Not sicherzustellen. Statt dessen hat ihn die nie rastende Sorge um das tägliche Brot vor der Zeit geknickt. So arm ist er gestorben, daß nicht einmal ein stattlicher Sarg, wie ihn jeder Gewürzkrämer der damaligen Zeit beansprucht hätte, gekauft werden konnte, sondern ein armseliger Kasten genommen werden mußte. Nicht mit Unrecht hat man die große Liebe, die das arbeitende Volk heutzutage für Schiller im Herzen trägt, mit darauf zurückgeführt, daß sie wie er mit ewigen wirtschaftlichen Sorgen zu kämpfen hat, aber auch wie er sich dabei die Hoheit der Gesinnung und das Streben nach der Befreiung und der Veredlung des Menschengeschlechts rein und lauter im Herzen bewahrt.

Text 10 Die Neue Welt, Unterhaltungsblatt (meist Gratisbeilage der Tageszeitung), gegründet 1876, wo, Auflage 1906: 401500, Nr. 19, 1905, Seite 145 ff.

Schillers Volkstümlichkeit von Franz Diederich In Schiller gipfelte die deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts. Wir dürfen uns nicht durch die Emsigkeit, mit der Schule und Bühne des Dichters Schaffen als Gegenwartswert zu betonen suchen, über diese geschichtliche Tatsache täuschen lassen. Die Tatsache aber bedeutet auch nicht, daß Schiller nur dem 18. Jahrhundert gehöre und das alles Lebendigsein im jüngst verflossenen Säculum etwa künstliche Mache gewesen sei. Denn dieses 18. Jahrhundert - seine zweite Hälfte — schloß nicht nur eine deutlich zu umschreibende Kultur ab, sondern formte hoch und frei das Portal einer neuen Kultur: Die Geschichte der Gegenwart beginnt in dieser Zeit. Wir sind gewohnt, in Schärfe auszusprechen, daß wir uns von der klassischen Periode deutscher Kunst durch starke Gegensätze unterschieden fühlen. Dies Ge-

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fühl ist gut begründet, aber es wäre sehr verkehrt, sich seiner mit Geringschätzung jener Vergangenheit bewußt zu sein. Denn diese klassische Periode war kein stagnierender Sumpf, sondern ein Strom, dessen Wogen mit gläubiger Hoffnungsfreude der Zukunft große Gefühle und Gedanken entgegen trugen. Und gerade Schiller war mehr als irgendein anderer der führenden Geister neben ihm ein großer Verkünder kommender Herrlichkeiten menschheitlicher Kultur. Schiller, der die peinvolle Enge seiner Zeitgegenwart mit Leib und Seele schwer gespürt, hatte nicht das Zeug, geistig zu unterliegen. Er ist ein lebendiges Beispiel, wie jede Zeit ihren Gegensatz im eigenen Schöße reift. Aus der Unfreiheit der Wirklichkeit, die ihn und seine Zeitgenossen umgab, rettete er sich in die Freiheitwelt großer Gedanken. Nicht als ein müder Wirklichkeitsflüchter! Nein, er war ein Mensch mit den stärksten Wirklichkeitsorganen, ein Mensch mit großbeflügeltem Geschichtsbewußtsein, der, wenn er sich ins Reich der Ideale erhob, im persönlichen Sehnen immer das Sehnen der Menschheit lebendig empfand. Dem Jüngling schon erschien das Gefühl, ein Dichter zu sein, als menschheitlicher Beruf; es zeigte ihm den persönlichen Wert eng verschmolzen mit großen, ins allgemeine abzielenden Aufgaben. »Größe, Hervorragung, Einfluß auf die Welt und Unsterblichkeit des Namens -«, so heißt es 1787, und gleich der erste dramatische Keulenschlag hatte diesen weit gespannten Zielen absichtskühn gedient. Als die Verehrer Körners und der Seinigen sich ihm zum ersten Mal mit liebendem Angebinde namenlos genähert, brach dieflammendeSehnsucht, in die Welt und in die Zukunft zu wirken, in reinem, großem, ewig denkwürdigem Aufleuchten aus: »So ein Geschenk von ganz unbekannten Händen, durch nichts als die bloße reinste Achtung hervorgebracht, ein solches Geschenk ist mir größere Belohnung, als der laute Zusammenruf der Welt, die einzige süße Entschädigung für tausend trübe Minuten. Und wenn ich das nun weiter verfolge und mir denke, daß in der Welt vielleicht mehr solche Zirkel sind, die mich unbekannt lieben und sich freuen, mich zu kennen, daß vielleicht in hundert und mehr Jahren — wenn auch mein Staub schon lange verweht ist, man mein Andenken segnet und mir noch im Grabe Tränen und Bewunderung zollt, —dann freue ich mich meines Dichterberufes und versöhne mich mit Gott und meinem oft harten Verhängnis.« Dieses Gefühl, im Boden der Gegenwart mit dem dichterischen Schaffen Wurzel zu schlagen, hat in Schiller die Kraft des Gedeihens wunderbar genährt und gesteigert. Die beiden Freundschaften mit den groß entwickelten Menschen Körner und Goethe trieben den Baum dieses Menschenlebens fest und fruchtgesegnet empor, und der Dichter gedieh, weil der Mensch gedeihen konnte. Schiller besaß den Optimismus der Kämpfernatur, die immer die unzulängliche Wirklichkeit um sich her sah, aber alles Gemeine in wesenlosem Scheine hinter sich lassend, ohne Ermatten die Zukunft lichtgebreitet aus dem Dunkel drückender Unvollkommenheit heraushob. Der Glaube seiner starken, suchenden, spornenden Gedanken half ihm als wahrer Wunderarzt über das Elend seines früh zerfallenden Körpers lange sieghaft hinweg. Bewundernd hat einst Hebbel von ihm gesagt: »Dieser hei-

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lige Mann! Wann hätte er auch nur in einem einzigen Vers das persönliche Leiden seines Lebens berührt. Immer hat das Schicksal geflucht, und immer hat Schiller gesegnet.« In dieser heilenden Gläubigkeit ruht im Keime all die über ein Jahrhundert und mehr ausgesäte Hilfe, die aus der Gedankenwelt Schillers für die Menschen einer werdenden Kultur entsprang. Hier wurzelt recht eigentlich alle Volkstümlichkeit dieses begeistert begeisternden Dichters, hier, in ihm selbst, wurzelte die Möglichkeit der Erfüllung seiner heiligsten Wünsche. Dichterische Größe bedeutet durchaus nicht immer und durchaus nicht fortdauernd Volkstümlichkeit. Am besten versinnlicht die Richtigkeit dieses Satzes das Verhältnis des Volkes zu Goethe. Die Hinkehr größerer Massen des Volkes zu diesem bedeutendsten Geiste der Weltliteratur beginnt erst in unserer Gegenwart. Volkstümlichkeit hängt eben nicht von der dichterischen Leistung allein ab: Bestimmte Kulturströmungen, die das Volk ergreifen, bringen sie hervor, wenn der Dichter oder Denker Dinge schuf oder Gedanken gab, die der Verwirklichung eines Zeitstrebens gewichtvoll dienen können. Worte, Gestalten, Lebensschicksale, Persönlichkeitszüge — Dichtung und Wahrheit —, alles kann zeitweilig oder auf längere Dauer Volkstümlichkeit bewirken, wobei nicht vergessen werden darf, daß Zuneigung, Gleichgültigkeit und ausgesprochene Befehdung, auf breite Schichten verteilt, nebeneinander herlaufen können. Die bestimmte geschichtliche Situation entscheidet hier. In Schiller ist die Verbindung mit der geschichtlichen Situation seiner Gegenwart zeitlebens die denkbar innigste gewesen. Er münzte sich das Leitwort fort: »Denke dir die Menschen, wie sie sein sollten, wenn du auf sie zu wirken hast; aber denke sie dir, wie sie sind, wenn du für sie zu handeln versucht wirst.« Dieser Grundsatz praktischen Handelns im Kampfe um Kultur wirft helle Lichter in die Lebensarbeit des Dichters. Weil er so genau wußte, »wie sie sind«, eben deshalb konnten sich die Energien seiner Beredsamkeit so stark im Ringen um den Gegensatz »wie sie sein sollten« auslösen, und eben deshalb fiel den meisten seiner Werke so unmittelbar eine jubelnde Volkstümlichkeit zu. Seine Gedanken begleiten in lautem Widerhall die Geschichte seiner Tage, und diese antworteten seinen Werken wie ein gewaltiges Echo. Goethe empfand Schiller bei der ersten Berührung »wie einen neuen Frühling« —, so aber wirkte das Wort Schillerschen Schaffens auf Tausende und aber Tausende. Und weil Schiller in allem geschichtlichen Geschehen den ringenden Menschen und den Gang des Freiheitsgedankens sah und deutete, deshalb wuchs seinen Werken diese Lebenskraft zu, deren Pulsschlag allen um ein Aufatmen von ererbter kulturwidriger Bedrückung ringenden Menschen über die Lebenszeit des Dichters hinaus bis auf den heutigen Tag wunderbar verständlich war. Will man die Rolle, die Schiller zufiel, recht verstehen, so ist es notwendig, zu beobachten, daß das 18. Jahrhundert nicht nur von den heutigen Mitteln des wirtschaftlichen Verkehrs, sondern ebensosehr von den uns heute gegebenen Mitteln geistigen Verkehrs nichts wußte. Die Tagespresse lag in den Windeln, vom freien Worte der parlamentarischen Rednertribüne besaß man noch

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nichts: Bedrückung überall und nirgends ein organisiertes politisches Leben. Hundedemut statt offener Auflehnung! Höchstens versteckte, unklare Sehnsucht und ein Ballen der Faust im Sack wagte der dem fürstlichen Dispotismus ausgelieferte rechtlose Bürger. Aber seit der Mitte des 18. Jahrhunderts erstehen Prüfer und Mahner, die das Wort öffentlich zu handhaben wagen. Lessings weckende Lebensarbeit beginnt. Der Einfluß Rousseaus, des großen öffentlichen Anklägers der Schwäche und naturwidrigen Verkommenheit der Zeit, dringt von Westen herüber. Der Sturm und Drang ergreift mit wildem Brausen die Literatur Deutschlands; die Leidenschaft der Jugend fordert ihre Rechte, das erwachte Selbstbewußtsein packt die Plattheit und feige Selbstbescheidung am Schöpfe und rüttelt sie auf mit dem Rufe nach starken Menschen, nach Männern, Helden. Groß wie der Einfluß Rousseaus wird der Einfluß des alten griechischen Geschichtsschreibers Plutarch. An seinen Heroenbildern berauscht man sich: »Der erhebt über diese platte Generation und macht uns zu Zeitgenossen einer besseren, kraftvolleren Menschenart.« So sprach 1788 der Mann, der dem Sehnen der zur Mannheit erwachenden besten Volkselemente erstanden war. Ein großes Messiashoffen ergriff diese Elemente des Bürgertums. Des eingekerkerten Schubart Stimmung gehörte der Jugend, die sich regte und äußerte. Die Begeisterung, die dem Goetheschen Götz zuflog, enthüllte zuerst die weite Verbreitung und kräftige Art dieser Stimmung. Und nun kam Schillers jugendgewaltiger Erstling: Die Räuber. In Tyrannos! Da war der Messias, den die Zeit brauchte. Er war's, weil er den Gedanken der Zeit die hinreißende Wucht des himmelstürmenden Wortes in heißen Fluten einzugießen vermochte. Die Gedanken brauchten ihren Redner. Hier war der Tribun. Wilhelm von Humboldt rief, als der Dichter jählings stark: »seine Kraft lag ganz in den Ideen und in der Beredsamkeit. Das Wort war das einzige Werkzeug, das ihm die Natur gegeben hatte; in ihm lebte er ganz und sicher hat niemals ein Mensch einen solchen Gebrauch von ihm zu machen gewußt, keiner gewußt, es so zu Geltung und Glanz zu bringen.« Die Geschichte Deutschlands hatte sich in ihm das Organ geschmiedet, dessen sie dringend bedurfte und dessen Kraft ihr über Jahrzehnte hin Fanfarendienste zu leisten vermochte. Der Emanzipationskampf der bürgerlichen Klasse Deutschlands fand bei Schiller die Schlagworte, die er brauchte, und das Auf und Ab Schillerschen Einflusses bezeichnet in treulicher Spiegelung den Aufstieg und Absturz, der dem Bürgertum als Bannerträger der großen freiheitlichen Ideale der Menschheit beschieden war. Freiheitsgedanken, Freiheitsgestalten. In Wort und Symbol griff Schiller tief in das Gefühlsleben der breiten Schichten des Volkes. Er war nicht der rhythmenreiche Poet wie Goethe, sein rhythmisches Fühlen war begrenzt. Und ebenso quoll nicht ein reicher Strom reiner Gefühlslyrik aus seiner Brust. Er war im Grunde genommen ein Verstandesmensch, in dem aber das eine Gefühl und der eine Rhythmus, die klärenden Errungenschaften des Verstandes zu verkünden und für sie zu werben, übermächtig war. Damit aber drang er gerade in die breiten Schichten des

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Volkes seiner Zeit ein. Der Unentwickelte ist dem Pathos und seinen bekannten Rhythmen noch am ehesten zugänglich, die feineren Saiten des Gefühls schwingen noch nicht in seiner Seele. Das Zeitalter der Aufklärung war ein Zeitalter nüchternen Verstandesmenschentums, es war ein Zeitalter politischer Unreife der Massen. Aber die politischen Umstände, die ganze geschichtliche Situation mit ihrer Anhäufung von Revolutionsstoff und ihrer revolutionären Explosion in Frankreich entwickelten die Bereitschaft zur Reife. So traf der Rhythmus des Schillerschen Stils, der im Kerne revolutionär war, auf die rechte Empfänglichkeit in den Massen. Es ist eine aus der Geschichte bekannte Erscheinung, daß die Ruflyrik, die knapp und feurig die Sturmgedanken der geschichtlichen Bewegung zu formen weiß, heiß und feurig von den aufsteigenden Klassen aufgesogen wird. Es ist aber auch bekannt, daß der schlichte Verstand sich an das Anschauliche hält. Schiller selbst, aus kleinen bürgerlichen Verhältnissen entsprossen, wußte, daß er kein Lyriker war, und fühlte auch keine fortreißende Neigung für lyrisches Schaffen. Aber zum Drama riß es ihn mit der Gewalt eines Naturtriebes. Begeisterung band ihn an die führenden Gestalten seiner Dramen, gedankenmächtig baute er sie, große, gewaltige Menschen, Spiegelbilder ganzer Zeiten, Führer bewegter Massen, echte starke Helden, die zu kämpfen und für ihren Glauben und Willen zu sterben wissen. Das alles war aus dem sicheren Gefühl für die Gegenwart entsprungen, und so war die geistige und gefühlsmäßige Verbindung mit den Massen der Gegenwart und auf Jahrzehnte hinaus natürlich gegeben. Das Pathos der lehrenden Lyrik, ihr moralistischer Grundton, die Theatralik der Dramen, und auch hier die idealisierte bürgerliche Moral, das zu größter künstlerischer Höhe gestaltete Geschick anschaulichster Versinnlichung von Geschehnissen in Balladen und szenischen Vorgängen, das alles sind Züge einer ganz bestimmten Kultur, und eben deshalb konnten diese Dichtungen bis zur Volkstümlichkeit Einfluß gewinnen. Aus dem gleichen Grunde aber mußte diese Volkstümlichkeit mit der Wandlung dieser Kultur und ihrer Menschen auch Veränderungen erfahren, und so besteht im Bürgertum die Volkstümlichkeit Schillers als Dichter der Freiheit in der Tat heute kaum mehr dem Namen nach. Der alten Herrlichkeit des Volksdichterruhms sucht man mit ein paar spärlichen Zitatenresten das Leben zu sichern. Von dem Dichter der Freiheit, der Freiheit durch Einigkeit, der Freiheit und Menschenmächtigkeit durch Sittlichkeit, der Sittlichkeit und Freiheit durch Schönheit blieb als Kulturhelfer nicht mehr als ein vaterländischer Mahner zur nationalen Einigkeit, ein Verherrlicher engen bürgerlichen Haus- und Familienglückes, ein wehrloser Eideshelfer jener idealisierend verlogenen Beschönigungsdichtung, die der Wahrheit grundsätzlich das Gesicht verhängt. Gerade das, was Schiller als das Geringe galt, wurde zur Hauptsache gestempelt, die bedeutsamsten Merkmale seiner geistigen Höhe aber überging die bürgerliche Welt, und sie fielen geradezu in Vergessenheit. Dieser Welt aber muß ein (natürlich auch sehr totgeschwiegenes) Schillerwort aus den Briefen an Körner laut ins Gedächtnis gerufen werden, das

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Wort: »Das vaterländische Interesse ist überhaupt nur für unreife Nationen wichtig, für die Jugend der Welt. Es ist ein armseliges, kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geiste ist diese Grenze durchaus unerträglich. Er kann sich für das Nationelle nicht weiter erwärmen, als soweit ihm die Nation und Nationalbegebenheit als Bedingung für den Fortschritt der Gattung wichtig ist.« Schiller ging aus von dem Kampfe um individuelle Freiheit: Rousseaus Gedanken erfüllten seine Jugend und münden in das Jugenddrama Die Räuber. Ein Rütteln am knebelnden, bedrückenden Absolutismus sind die übrigen Dramen der ersten Periode: Fiesko, Kabale und Liebe, Don Carlos. Vom Blut der Zeit genährt, rissen sie — Fiesko ausgenommen — zur Begeisterung hin. Und so wirken auch fast alle Dramen der zweiten dramatischen Periode: Wallenstein, Jungfrau von Orleans, Wilhelm Teil. Auch in diesen pulsiert Schillers Gegenwart, die Zeit großer persönlicher Energien und großen Hoffens auf starke, neue und zum Neuen führende Männer, die Zeit der Revolution und des Kriegsgetöses, wo Staaten mit dem Seh werte zerschlagen und mit einem Federstrich, morgen neu geschaffen wurden. Hier ging die Gegenwart und das folgende halbe Jahrhundert mit. Aber das deutsche, zur Politik drängende Bürgertum sah immer nur Schillers politisches Vermächtnis. Daß Schiller ein Menschengestalter sein, daß er für den »Fortschritt der Gattung« ringen wollte, das begriff man nicht und sollte man nie begreifen. Die Befreiungskriege und die Periode bis 1848 brachte den politisch-ideellen Einfluß Schillerscher Schlagworttendenzen zur höchsten Blüte. Die Feier der hundertsten Wiederkehr des Schiller-Geburtstages ließ noch einmal den nationalen Ruhm des Dichters in riesiger Mächtigkeit aufflammen; aber schon damals war die Abwendung von Schiller in den Kreisen der »Gebildeten« so auffällig, daß Gottschall diese Tatsache zum Thema eines Festvortrages wählte. Der ausbrechende Profitmaterialismus der Bourgeoisie verwies die Dichter spottend in den Winkel, und Schiller wurde den Schulkindern als geeigneter Lesestoff zugewiesen; die Erwachsenen glaubten ihn entbehren zu können. Die Aufführungen Schillerscher Dramen verrotteten, und im politischen Kampfe begann nun die sich organisierende sozialdemokratische Anhängerschaft mit Schillerschen Gedanken und Worten dem Liberalismus, der seiner radikalen Ideale müde war, den goldenen Himmel höllenheiß zu machen. Die ernsthaften Versuche, Schiller auf der Bühne wieder zu einer Macht werden zu lassen, konnten nicht hindern, daß die in den 80er Jahren laut einsetzende Ära des literarischen Naturalismus der äußerlich behaupteten Vorherrschaft Schillers und seiner schwächlichen oder hohl-pathetischen Epigonen rücksichtslos zu Leibe ging. Das Ringen, ihn durch ein neues, großes, der Gegenwart entwachsendes Drama zu ersetzen, dauert auch heute noch an. Heute aber, wo die praktische Arbeit einer neuen Kulturströmung Tag um Tag das Pflugeisen tiefer in die Scholle drückt, scheint es auf einmal, als sollten wir Schiller von einer ganz neuen Seite entgegen wachsen. Das Thema »Schiller als Erzieher« beginnt in der Diskussion des Tages Raum zu erobern.

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Schillers Hoffnung, die französische Revolution werde die Ideale der Menschlichkeit und Menschenwürde vor den Augen der Zeit verwirklichen, schlug fehl. Aber er sank nicht in Pessimismus, sondern wandte sich den Gedanken zu: Zunächst müsse der Einzelne als solcher eine Entwicklung zur Kraft und Würde durchmachen, ehe er reif sei, Gesellschaftsordner zu werden. Schiller wußte wohl, daß die Würde des Menschen von der Befriedigung der Lebensnotdurft abhänge: »Zu essen, gebt ihnen zu wohnen! Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde Von selbst.« Aber er konnte nicht wissen, was heute so leicht zu wissen ist: daß nicht von oben, sondern von unten her die Kräfte drängen, die die Neuentwicklung der Menschengattung fundamentieren werden. Er konnte auch das Mittel des Klassenkampfes noch nicht erkennen: Die deutschen Verhältnisse, die sein Denken bestimmten, waren gänzlich zurückgeblieben. Er sann einer ästhetischen Erziehung des Menschen nach, und die Ergebnisse seiner Gedankenarbeit sind derart, daß sie Ausblick geben auf die Zeit, wo die Vorbedingungen sozialökonomischer Art soweit erfüllt sein werden, daß der äußere Druck von den Menschen schwinden und die Arbeit der inneren Befreiung des Menschen von Zwangsqual und gesellschaftsschädlicher Engherzigkeit die letzten Reste einer dunklen Vergangenheit überwinden kann. Die ästhetische Kultur, die Schiller fordert, ist nicht erschöpft in den Gedanken der Erziehung der Menschen zu Kunst und Kunstverständnis. Schillers Schönheitsziel will die innerste harmonische Entwicklung des ganzen Menschen, die eine Sittlichkeit herbeiführt, in der das Gute ohne Berechnung und Dünkel ganz um seiner selbst willen geschieht. Die Entwicklung der Persönlichkeit, die heute geschieht und von einem gereinigten sozialen Fühlen neuer Art gekennzeichnet ist, wird die Augen für den Sinn des ästhetischen Wollens Schillers öffnen. Schillers Gedanken übersprangen gleichsam eine Staffel geschichtlichen Ringens und Werdens, und wurden deshalb nicht verstanden und mißachtet. Nun aber ist die Kulturmenschheit seinen zukunftsgläubigen, fliegenden Gedanken nachgeklommen und wie in eine Welt von Offenbarungen wächst sie in ihren Kreis hinein.

Text 11 Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden), gegründet 1889, Auflage 1906: 34500,16. 5. 1905. Rosa Luxemburg: Gegen sozialdemokratische Juliane und Volksbote Stettin, gegründet 1884, 9. 5. 1905. Friedrich Stampfer: Schiller Anmerkung: Rosa Luxemburg schrieb wenige Tage nach den Schiller-Feiern einen Artikel, der sich kritisch mit dem wohl am meisten in der sozialdemokratischen Tagespresse ver-

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breiteten Artikel von Friedrich Stampfer, »Schiller«, beschäftigte. In diesem Artikel zitierte sie Stampfer über weite Strecken noch einmal und versah seinen Text mit eingeschobenen Ausrufungszeichen. Wir übernehmen im folgenden Rosa Luxemburgs Artikel, indem wir gleichzeitig durch Schrägstriche die von ihr ausgelassenen Passagen des Stampferschen Artikels ergänzen.

Unsere Parteipresse hat in verschiedenen Tonarten den Schöpfer Teils und Wallensteins gefeiert, und gewiß, jedes von den sozialdemokratischen Blättern Schiller gespendete Wort der Begeisterung und des Dankes, mag es hie und da auch etwas unbeholfen ausgefallen sein, war unvergleichlich aufrichtiger und ehrlicher gemeint als die prunkvollen, verstiegenen und gelahrten Hymnen, die sich die bürgerliche Presse geleistet hat. Allein auch bei dieser Gelegenheit sollte es in unseren Blättern nicht an Leistungen fehlen, die von gutem Willen zeugen mögen, jedoch im Interesse Schillers wie des lesenden Arbeiterpublikums lieber hätten unterbleiben sollen. So ist uns z.B. ein Schiller-Artikel aufgefallen, der seltsamerweise sogar durch einen beträchtlichen Teil der Parteipresse die Runde gemacht hat, der aber - um es rundheraus zu sagen — ein so konfuses Wortgebimmel von Anfang bis zu Ende darstellt, daß man geneigt wäre, seine Veröffentlichung einfach auf ein Versehen der Redaktion zurückzuführen, wenn dies »Versehen« leider nicht einer so großen Anzahl unserer Blätter passiert wäre. Jede sachliche und stilistische Kritik dieser merkwürdigen Leistung verbietet sich von selbst, und es bleibt nur übrig, einige Proben hier leibhaftig abzudrucken. Gleich der Anfang des Artikels ist eine Perle in jeder Hinsicht: »Heute vor 100 Jahren starb er, 45 Jahre alt. Er hatte das Schicksal aller großen Wahrheiten — bisher —, er starb zu früh. Alle menschliche Kultur- und Geistesgeschichte — bisher — ist eine Geschichte vom vorzeitigen Sterben.« Und nach diesem Generalbegräbnis der »großen Wahrheiten« geht es mit Grazie fort: »Die glänzenden Wahrheiten antiker Weisheit waren längst veraltet, als das Volk des Mittelalters in starrer Unwissenheit dahinlebte, dem Bettler gleich, unter dessen elender Hütte ein köstlicher Kronschatz vergraben liegt (!!); er aber weiß es nicht und siecht kümmerlich dahin; ein undurchdringlicher Bodensatz von Schmutz und Unflat trennt ihn von Glanz und Glück. Dann kamen zur Zeit der Reformation die Humanisten, die den Kampf wider die Dunkelmänner aufnahmen und mühsam den Schutt hinwegzuräumen begannen. Jetzt drang ein Strahl des aufgehenden Lichts auch in die Werkstatt des schaffenden Volkes, und Sachs, der Schuhmacher, jubelte der rotbrüstigen Morgenröte entgegen (!!). Vorbei! Der Dreißigjährige Krieg, die Gegenreformation, der ersterbende Monarchismus zertrümmerten die Anfänge einer neuen menschlichen Kultur (!!), und wie im tiefsten Mittelalter decken dichte Schleier der Unwissenheit das weite Land. Seit dem Ende des furchtbarsten aller Kriege waren drei Menschengeschlechter gekommen und gegangen; das vierte aber, dem Friedrich Schiller entsproß, ward ein Geschlecht

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der Befreier, das erste in einer Reihe, die noch nicht abgeschlossen ist und deren Glieder nach der Zukunft weisen. Aber auch hier noch wiederholt sich das ewige traurige Motiv der menschlichen Geschichte: Der Frühtod der Wahrheit! (!!) Vor 100 Jahren starb Schiller; der ganze Geistesschatz eines Lebens wurzelt in einer Zeit, die uns fremd geworden ist — selbst seine Sprache ist nicht mehr ganz die unsere. Aber Friedrich Schillers Wahrheit ist in den 45 Jahren seines Lebens und in den 100 Jahren seit seinem Tode keinen einzigen Tag das geistige Gemeineigentum der deutschen Nation gewesen: noch ehe sie sich zur Vollkraft entwickelte, alterte sie und schwand stückweise dahin (!!). Freilich, ein leuchtender Stern blieb. (!!)« Wenn die bürgerliche Gesellschaft die Schillerfeier als eine »Nationalfeier« zu begehen vorgibt — ja, wer ist die deutsche Nation? Es ist eine heuchlerische gleißende Lüge, wenn man schlechtweg sagt, daß Friedrich Schiller der Dichter des Volkes sei. Das deutsche Volk hat keinen Dichter \ (!!) Man kann keinen Dichter haben, wenn man, nachdem einem in der Volksschule der Kopf mit Religion und Patriotismus vollgetrichtert worden ist, mit rauher Hand in den Lebenskampf hineingestoßen wird, vom frühen Morgen bis zum späten Abend an der Maschine steht und kärgliche Arbeitspausen mit Schlaf und der Sorge um Morgen ausfüllt! (!!) / Wohl mag es Millionen Deutscher geben, denen der Klingklang einiger Verse Schillers im Ohre hallet—wie viele aber gibt es, denen es vergönnt war, in liebevollem Bemühen zu seinem Wesen vorzudringen und sich ihn geistig ganz zu eigen zu machen? Mehr als einmal in hundert Jahren tobte der Streit der Gelehrten für Schiller, gegen Schiller; aber die Masse vernahm kaum ein Geräusch davon und hatte keine Gelegenheit, ihr Urteil im Streite abzugeben — weil sie keines hatte, keines haben konnte. Dieselbe Gesellschaft, die heute den Dichter des deutschen Volkes preist, übergoß vor 8 Tagen die Maidemonstration der Arbeiter, die dem Achtstundentag gilt, mit ätzendem Hohn. Ein Volk aber, das um den achtstündigen Arbeitstag erst kämpfen muß, kann keine Dichter haben, und wenn trotzdem ein starkes Band den großen Toten mit den Millionen des Volkes verbindet, so ist es nicht das Band des Besitzes, sondern das mächtigste der Sehnsucht. (...) Zunächst das einfachste: Schiller war ein Dichter, das heißt ein Mann, der aus Worten Kunstwerke schuf. (!) Der Genuß von Kunstwerken verschafft, ungeachtet ihres besonderen geistigen Inhalts, ein reineres, tieferes, echteres Glück, als der begreifen kann, der solches Glück nicht kennt. (!) In diesem Sinne (!) sind Schillers Werke dazu bestimmt, das geistige Gemeingut des ganzen Volkes zu sein, ohne Rücksicht auf Stand, Klasse und Parteiung. Soweit es sich um ihren abstrakten Schönheitswert (!) handele, steht ihnen der am nächsten, der die größte Genußfähigkeit besitzt sowie nicht der die größte Freude an Homer hat, der an griechische Götter glaubt, sondern vielmehr jener, der die beste Kenntnis der griechischen Sprache mit der stärksten Vorstellungskraft verbindet. (!) Schiller hat Dramen und Gedichte geschrieben, die einfach schön sind (!), so daß die Freude an ihnen auch nicht beeinträchtigt werden kann, wenn man mit den Gedanken, die in ihnen aus-

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gedrückt sind, etwa gar nicht einverstanden sein sollte. Schiller, so lautet die marktgängige literarische Phrase, hat »uns« das deutsche Drama gegeben, er hat das deutsche Theater belebt, das sich ohne seine Werke heute nicht mehr denken ließe. Aber wem gehört das deutsche Theater? Etwa »uns«? (!!) Und wenn Schillers Dramen zeitweilig stark von der Bühne verdrängt wurden, um plattem Alltagstand Platz zu machen — war es der Geschmack des deutschen »Volkes«, der sie von da verdrängte? Allüberall, in den größeren Städten, in denen die breiten arbeitenden Massen auf irgendwelche Weise dazu kamen, einigen Einfluß auf den Spielplan der Schaubühne auszuüben, vollzog sich auch die Einsetzung Schillers in seine Rechte. Denn diese Massen empfanden die allbezwingende Macht des Gesanges (!!), fühlten die Schönheit der großen Dichtung. Mit allen großen Dichtern hat Schiller das gemein, daß er keine übertriebenen Ansprüche an die gelehrte Bildung seiner Hörer stellt (!). Wenn früher gesagt worden ist, das deutsche Volk habe keine Dichter, so muß hinzugefügt werden: es könnte seine großen Dichter haben, ohne ein Volk von Professoren werden zu müssen. (!!) Es braucht dazu nur ein wenig Muße, ein wenig Sorglosigkeit, ein wenig Zeit und ein wenig Geld (!!) / Von der künstlerischen Kultur trennt es keine unübersteigliche Schranke, sofern man nicht die gegenwärtige Gesellschaftsordnung für unüberwindlich hält. Nicht die Arbeit an sich drückt die Masse unter das Niveau künstlerischer Genußfähigkeit herab, sondern die kapitalistische Organisation der Arbeit. Sie erniedrigt den Menschen zum Lasttier, stumpft alle feineren Empfindungen in ihm ab und verstümmelt die Organe seiner höchsten, d. h. seiner rein geistigen Freuden. Wenn es darum irgendeine Bewegung gibt, die dahin drängt, Schiller wahrhaft volkstümlich werden zu lassen, so ist es jene, die die kapitalistische Ausbeutung des Volkes bekämpft, die Arbeiterbewegung. Schon aus diesem Grunde gebührt ihr bei jeder Nationalfeier des Dichters — gleichgültig, wie sich sonst ihr geistiger Gehalt zu jenem des Dichters stellen mag — die entscheidende Rolle. Schillers Bedeutung beruht aber nicht allein auf dem rein künstlerischen. Er ist eine Ziffer in der Summe der Wissenschaft vom menschlichen Geiste in der Philosophie, er ist ein Faktor in der deutschen Politik. (...) Dabei ist Schiller keineswegs ein originaler Denker gewesen. Seine Bedeutung beruht vielmehr darauf, daß er die größten und fruchtbarsten Ideen seiner Zeit in sich aufnahm und sie dichterisch verlebendigte. Wie auf den Jüngling Rousseau, so wirkte auf den reiferen Mann Kant ein. Die Räuber, Fiesko, Kabale und Liebe, Don Carlos tragen die deutlichen Spuren des französischen Einflusses an sich, die bürgerliche Revolution wetterleuchtet in ihnen. In Wallenstein, Maria Stuart, der Jungfrau von Orleans, der Braut von Messina tritt dieses revolutionär-tendenziöse Element zurück, um sich schließlich im Teil aufs neue zu entfalten. In der Zeit der tendenzlosen Dramatik aber fällt auch die Schaffung der großen philosophischen Lehrgedichte und der wichtigsten prosaischen Schriften, so daß Schiller eigentlich in keinem Zeitpunkt seines Lebens seinen großen Lehrberuf versäumte,

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und seine hinreißende Darstellungskunst immer im Dienste der zeitgenössischen Weltanschauung stand. / Die große geistige Tat aber, die das 18. Jahrhundert vollbrachte, war die Entthronung der Gottheit und die Inthronisation des Menschen. (!!) Was immer man von der Wiedereinsetzung des Gottesbegriffes durch Kants Kritik der reinen Vernunft (!!) halten mag — so viel ist gewiß, daß dieser neu geschaffene Gott nichts mehr mit jenem der positiven Religion gemein hat. Die Kritik der reinen Vernunft hat zwischen alter und neuer Zeit in revolutionärer Weise jedes Bindeglied zerrissen. Gott hat nicht den Philosophen geschaffen, sondern der Philosoph Gott. Die Religion erschien kulturhistorisch als ein Hebel des menschlichen Fortschritts, aber sie hatte aufgehört, als die eine absolute Wahrheit zu gelten; die denkende Vernunft und die moralische Gesetzlichkeit waren die neuen Herren einer neuen Welt. Solche Gedanken hat Schiller wohl nicht selbst gefunden (!!), aber in ewig klare Formen geprägt (!!)/: Nehmt die Gottheit auf in euren Willen Und sie stürzt von ihrem Weltenthron. Des Gesetzes strenge Fessel bindet Nur den Sklavensinn, der es verschmäht. Mit des Menschen Widerstand verschwindet Auch des Gottes Majestät. /

An die Stelle eines tyrannischen Pfaffengottes tritt der selbst gewollte Gott (!) des »ewigen Willens«, an die Stelle einer abergläubischen Vorstellung eine philosophische Abstraktion, die dem menschlichen Fortschritt zu Wahrheit und Freiheit nicht mehr hemmend im Wege steht. Das Gesetz aber, das Schiller gegen die Schmähungen des »Sklavensinnes« verteidigt, ist nicht das kirchliche noch das staatliche, sondern das moralische Gesetz, das in der Brust des Menschen lebt. Gegenüber dem trügerischen Materialismus der Dogmenreligion (!!), die mit grob-sinnlichen Vorstellungen arbeitet, erhebt sich das revolutionäre System des Idealismus, das die menschliche Vernunft in den Mittelpunkt der Welt stellt. Das menschliche Denken erkennt die Begrenztheit seiner Erkenntnisfähigkeit / und erfaßt zugleich die Größe seiner praktischen Macht. Der erwachende Geist der bürgerlichen Klasse rodete den Urwald der feudalistischen Vorurteile aus, um ein Feld für seinen Pflug zu gewinnen. Es kam nicht bloß darauf an, die Welt zu begreifen, sondern auch darauf, sie zu verändern, zu verbessern. Nachdem der 18jährige Schiller in den Räubern der staatlichen Ordnung überhaupt den Krieg erklärt hatte, riß er im Fiesko die Laster der Monarchie auf die Schaubühne, zeigte in Kabale und Liebe den furchtbaren Widerspruch zwischen dem bestehenden Ständestaat und den elementarsten Forderungen menschlicher Sittlichkeit, führte im Don Carlos den Feldzug wider die Despotie des Dunkelmännertums. »Wir haben lange genug geliebt und wollen endlich hassen!« Dieses Wort Herweghs dürfte als Motto über Schillers Jugenddramen gesetzt werden. Denn ein unbändiger großer Zerstörerhaß treibt in ihnen sein Wesen — jener Haß,

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der aus der heiligsten sittlichen Leidenschaft geboren ist. Die Schaubühne war eine moralische Anstalt geworden; sie übernahm Schwert und Waage und riß die Laster vor ihren gräßlichen Richterstuhl. Man macht heute der Sozialdemokratie den Vorwurf, sie wollte nur zerstören und wüßte nicht, was an die Stelle des Bestehenden zu setzen sei. Wußte der Zerstörer Schiller, was er an die Stelle des Bestehenden, das er bekämpfte, setzen wollte? Sicher besaß er davon eine viel undeutlichere Vorstellung als die Sozialisten. In seiner Sturm- und Drangzeit hat er sein politisches Ziel überhaupt nicht formuliert;später in den Briefen üb er die ästhetische Erziehung des Menschen bekannte er, daß er an die Stelle des urwüchsig gewordenen Naturstaats der Menschen einen Vernunftstaat gesetzt wissen wolle und bezeichnete den Bau einer wahren politischen Freiheit als das höchste Kunstwerk. Damit war nur die allgemeine grundsätzliche Forderung ausgesprochen, daß sich die Menschheit aus den Fesseln einer unvernünftigen, den höchsten Menschheitszielen widersprechenden Staatsform zu einer höheren Stufe der gesellschaftlichen Organisation erheben möge, die nicht von der brutalen Gewalt beherrscht ist und an trägen Gewohnheiten klebt, sondern von der menschlichen Vernunft regiert wird. Auch der Teil, das Drama der revolutionären Siegeszuversicht zeigt die Freiheit nur als das Abhandensein oder die Zerstörung einer tyrannischen fremden Regierung und die Aufhebung der Leibeigenschaft. (...) Die Sozialdemokratie hat es niemals unternommen, die Richtigkeit ihrer politischen Auffassungen durch willkürlich aus den Werken berühmter Männer zusammengeraffte Zitatenhaufen zu erhärten. Sie ist sich zu klar dessen bewußt, daß die Wahrheit jederzeit ihr eigenes Kleid trägt und ihre eigene Sprache redet. Aber je deutlicher unsere Weltanschauung den klassischen Idealismus, dessen glänzendster Vertreter Schiller war, in seiner geschichtlichen Begrenztheit erkennt, mit desto gerechterem Stolze dürfen wir ihn als einen großen Lehrmeister der Menschheit erkennen, der sowenig unfehlbar war wie irgendein anderer, aber uns doch auch Wahrheiten gegeben hat, die nicht verloren werden dürfen, ohne daß die menschliche Kultur sich selbst verliert. Ein Volk, das in liebevoller Verehrung in Schillers Welt und Wesen eindringt, beweist, daß das Urteil, das Schiller über die zeitgenössische Masse fällte, so richtig oder so falsch es gewesen sein mag, immer doch ein geschichtlich vergängliches gewesen ist. Damit zugleich verschwindet der dunkle Fleck aus dem leuchtenden Bilde, aus dem kommende Jahrhunderte von ferne aufdämmern. Zurück zu Schiller? Nein! Vorwärts zu Schiller, vorwärts mit ihm! (...) Es wäre wahrhaftig ein zu billiges Vergnügen, einen schwachen und verfehlten Artikel aus einem sozialdemokratischen Provinzblatt herauszugreifen, um daran herumzumäkeln. Unsere Provinzredakteure sind gewiß geplagte Wesen, und ihre Arbeitsbedingungen sind beschwerlich genug, um eine übermäßige Strenge im Ur-

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teil und ein übertriebenes Maß von Anforderungen speziell an literarische Artikel zu stellen. Aber abgesehen davon, daß es sich bei der Schiller-Feier doch gewissermaßen um einen »Extrafall« handelte, bei dem auch eine extra Portion von Fleiß und Mühe seitens unserer Redakteure sehr wohl angebracht war, liegt das Empörende in der Leistung, von der wir hier ausreichende Proben gegeben haben, nicht in dem unzureichenden Inhalt, sondern in der so vielseitigen totalen Unwissenheit, die sich aber zugleich in prätentiösester Weise mit dem Schein der Bildung zu schmücken sucht. Dieses alberne Geschwätz über Homer, Kant, Materialismus, Idealismus, Feudalismus, Religionsphilosophie, Hans Sachs, Humanisten und Gott weiß was noch, dieses Umsichwerfen mit hohlen und verstiegenen Redensarten, von denen wohl auch die Sieben Weisen von Griechenland mit vereinten Kräften nicht ein Sterbenswort verstehen würden, das ist viel schlimmer als einfaches geistiges Nichtkönnen, es ist — geistige Korruption. Und die Tatsache, daß gerade auf diesen klingenden Wortschwall so viele unserer Provinzredakteure hereingefallen sind, zeugt von einer ganz verfehlten geistigen Geschmacksrichtung ihrerseits. Man sollte meinen, daß im Lande, wo Lassalle an dem Literaturhistoriker Julian Schmidt seine unsterbliche Exekution ausgeführt hat, am allerwenigsten in den Reihen von Lassalles eigenen Jüngern das julianische Unkraut aufschießen dürfte. Mag unsere Parteipresse den Arbeitern hie und da — wenn sie es nicht besser kann — nur eine magere Kost servieren. Aber echt und gesund und unverfälscht muß sie sein, darauf hat unsere Arbeiterschaft einen unbestreitbaren Anspruch! Und gegen die ganze jetzt leider aufkommende Richtung in unseren Literatenkreisen, die zur äußerlich prätentiösen überladenen Ausschmückung einer schillernden Gedanken- und Wissensarmut neigt, muß im Interesse der geistigen Hebung der proletarischen Massen, die nur auf uns angewiesen sind, mit aller Entschiedenheit Front gemacht werden. Text 12 Volksstimme, Frankfurt, gegründet 1890, Auflage 1906: 22800, 10. 11. 1909.

Schiller als Agitator Wie gehen sie auch jetzt wieder alle um die Wahrheit herum, die großen und kleinen Festredner der bürgerlichen Klasse, die zum Preis des Dichters gerufen werden, aber so oft nicht dazu berufen sind: Daß Friedrich Schiller der gewaltigste Agitator für die bürgerliche Revolution war, die Deutschland im Gegensatz zu England, Frankreich, Belgien, Skandinavien und Amerika heute noch nicht vollzogen hat! Schiller war der Lassalle der Rebellion des 18. Jahrhunderts gegen Junkertum und Kirchenherrschaft, und weil wir in Preußen-Deutschland von der Vergewaltigung durch diese Mächte jetzt noch nicht frei sind, deshalb ist uns, und namentlich dem arbeitenden Volke, der einzig revolutionären Klasse von heute, Schiller immer noch so lebendig und so teuer.

Artikel der Vorwärts-Redaktion und aus der Neuen Zeit

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Schiller war ein gewaltiger Agitator im besten und höchsten Sinne des Wortes durch seine Taten und durch seine Werke. (...) Als er vom Herzog in die Karlsschule zum Feldscher gepreßt wird, wirkt er unablässig auf die Kameraden ein, um sie aufzuwiegeln und aufzurütteln gegen den sozialen Druck des Kleinfürstentums, unter dem sie mit ihm seufzen. Er berichtet ihnen von dem Evangelium der bürgerlichen Freiheit, das er aus der Lektüre von Rousseau, Montesquieu und Voltaire gelernt hat und dessen Notwendigkeit ihm die deutschen Verhältnisse hundertmal beweisen. Er liest ihnen sein Rebellendrama »Die Räuber« vor, um sie aufzustacheln. Und als er deshalb gemaßregelt werden soll, ist er der erste, der das mutige Beispiel der Auflehnung gibt und einer Umgebung den Rücken kehrt, die seinen freien Geistesregungen nur brutale Unterdrückung entgegenzusetzen hat. Er agitiert inzwischen für die Aufführung seines Räuber-Dramas, damit es den Ruf der Rebellion in weite Kreise trage. Und als er diese Aufführung in Mannheim durchgesetzt hat, nimmt er Entbehrungen und Heimatlosigkeit, die damals viel mehr bedeuteten als heute, ohne weiteres auf sich, um einen neuen Beruf und eine neue Stelle zu suchen, von der aus er der Welt die frohe Botschaft der Befreiung verkünden kann. Jahre bitterster Not macht er durch, weil er sich nicht beugen mag. Diese Jahre pflanzen den Keim des frühen Todes in den schwächlichen Körper, aber sie brechen den agitatorischen Geist nicht. (...) So wenig Schiller ein Dichter für die höhere Tochter war, so bedenklich nähert er sich damit den Künstlern, die »Gosse und Rinnstein« malen! Vor allem ist ihm die Bühne, wie er in seiner Mannheimer Rede über die Schaubühne als moralische Anstalt sagt, der Ort, wo »die Großen der Welt hören, was sie nie oder selten hören — Wahrheit; sehen, was sie nie oder selten sehen - die Menschen«. Und der Appell an die Oberen, zu reformieren, den der jugendliche Schiller erscheinen läßt und der auch in Don Carlos noch nachklingt, formt sich für den reifen Mann um in die agitatorisch-künstlerische Tat, mit »Teil« ein ganzes Volk auf die Bühne zu stellen, das sich seihst hilft. Der Wille macht den Menschen groß und kleine, Es wächst der Mensch mit seinem höheren Ziele. Solche treffsicheren Worte und tausend andere, die mit dem Rebellenaufruf der Schweizer gegen die »Grenzen, die Tyrannenmacht haben«, abschließen, sind zwar durchaus im Geiste der individuellen liberalen Geschichtsanschauung und Philosophie gehalten. Aber sie schlugen eben deshalb so zündend ein, als nur irgend Dichterworte eingeschlagen haben, weil sie die geschichtlich notwendige, agitatorische Reaktion gegen den Feudalismus waren, und sie dienen uns auch heute noch als aufmunternde und flammende Wegzeichen in einem Kampfe, der ein Jahrhundert später gegen denselben Feind, freilich unter ganz anderen sozialen Voraussetzungen, geführt werden muß. Und daß darüber hinaus das menschliche

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Streben unablässig aufwärts und vorwärts gehen muß, daß es nicht halt machen darf vor dem bereits Erreichten und Errungenen, diese große Lehre hat Schiller in seinem Drama Der Menschenfeind insbesondere den Lohn- und Fronsklaven gegeben. Da ist ein reicher humaner Herrschaftsbesitzer. Er hat die unmenschliche Last der Leibeigenschaft aufgehoben, die Fesseln der Knechtschaft aus eigenem Antriebe zerbrochen, aus seinen Leibeigenen freie Menschen gemacht, die der Pflicht der Selbstsorge überantwortet sind. Und der Segen stieg herab auf ihre Fluren, weil die Freiheit und die Hoffnung den Pflug regierten. Sie leben im Wohlstande, die ehemaligen darbenden Knechte; sie preisen sich glücklich. Und nun kommen sie, dem edlen Manne anläßlich seines 50. Geburtstages zu danken, und das Beste, was sie ihm nach ihrer Meinung sagen können, ist: »Sie haben uns zu Menschen gemacht.« Er aber antwortet ihnen in mitleidsvoller Trauer: »Ja, ja - das Erdreich war gut, und es fehlte nicht an der milden Sonne, wenn sich der kriechende Busch nicht zum Baume aufrichtete. Es ist meine Schuld nicht, wenn ihr da liegen bleibt, wo ich euch hinwarf. Euer eigen Geständnis spricht euch das Urteil. Diese Genügsamkeit beweist mir, daß meine Arbeit an euch verloren ist. Hättet ihr etwas an eurer Glückseligkeit vermißt, es hätte euch zum ersten Mal meine Achtung erworben.« Hier haben wir auch für die modernste Entwicklung... den großen Gedanken ewiger Entwicklung und ewigen Entwickelnwollens. Träges Beharren auf einer bestimmten Existenz- und Kulturstufe ist kulturwidrig und ist kein echtes Glück. Begehrlichkeit, Vermissen — das steigert die Kultur und entspricht der Würde des Menschen (...) Text 13 Vorwärts-Sonderhek, Friedrich von Schiller, Festschrift, Berlin o.J., Seite 7ff.

Über Schillers Idealismus (...) Es ist eine edle Legende, daß unsere klassische Kunst den freien Höfen aufgeklärter, verständnisvoller Despötchen ihre Blüte verdankte. Sie verdankt ihnen vielmehr die verhängnisvolle Akklimatisation, die den Anfang bildete jener schlimmeren Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft, der unsere Größten nach ihrem Tode dann wehrlos ausgeliefert wurden, mit Episoden der Wiedergeburt und Erneuerung, bis auf diese Tage. Mag immer Sachsen-Weimar nicht die schlimmste Heimstätte deutscher Kunst und deutschen Denkens gewesen sein, es blieb doch Frondienst, hier zu wirken. So kam es, daß Friedrich Schiller in dem gewaltigsten Augenblick der menschlichen Geschichte, da das von ihm nicht nur geträumte, sondern als notwendig erkannte und geforderte Vernunftreich der Freiheit den Riesenschritt zur Wirklichkeit tat, blind vorüberging, ja ängstlich vor ihm flüchtete, indem er die heranstürmende Zukunft, die Zukunft seines Ideals,

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scheu beschwor, wieder in die Ferne zu verdämmern. Diese Flucht vor der Tat war das Verhängnis seiner Wirkung im deutschen Volk, im deutschen Bürgertum, das er, zwar mißverstanden, doch das Mißverständnis durch eigene Zweideutigkeit nährend, vielleicht mehr gegen seine Ideale erzog als daß er es ihnen näherte. Schillers revolutionärer Idealismus erlitt in seinem Blutumlauf unter dem höfischen Druck der deutschen Kleinstaaterei eine Stockung, die seine Gewalt lähmte und am Ende wie eine Geisteskrankheit erscheinen ließ. (...) Schiller hat die beiden einzigen großen Revolutionsdramen unserer Literatur geschrieben, die Revolutionstragödie des Zusammenbruchs in Kabale und Liebe und das Revolutionsdrama der Erfüllung in Wilhelm Teil. Das eine kam in die Welti>or der großen Französischen Revolution, das andere, als sie bereits im Bonapartismus gestrandet. Während aber sein revolutionäres Ideal zur Wirklichkeit sich durchrang, war Schiller verständnislos, fast feindselig. Als seine Dichtung ins Leben zu treten schien, flüchtete sich Schiller, der Ehrenbürger der französischen Republik, in die Welt des — Ideals. Zeuge des gewaltigsten Ereignisses der Weltgeschichte, verstummt und erblindet er. Keine seiner Schriften, nicht einmal seine Briefe, ahnen einen Hauch der unermeßlichen Zeit. Wenn Schiller auch nicht wie Goethe die Revolution mit platten Possen und stumpfen Stachelversen höhnte, so hatte er doch nichts für sie übrig wie schulmeisternde Worte des Grauens. In seinen kleinen Bemerkungen über den Wert der Ordnung, über die Weiber, die zu Hyänen werden, über die Tigerin, die das eiserne Gitter durchbrochen, entwurzelte er die Wurzeln seiner eigenen revolutionären Kraft und warf sich dem Philistertum zur Beute hin. Seltsam, fast unbegreiflich: Wenn Schiller schon über den »Greueln« der Revolution nicht ihr Wesen erkannte, wie konnte der Schöpfer des Karl Moor so völlig auch die Einsicht in die Würde des »Verbrechens« verlernen, das die Fesseln der Tyrannei zerbricht! Hier wird die Anschmiegung an die Bedingungen der Gesellschaft, in der er zu leben gezwungen war, sichtbar. Freilich, indem Schiller zur Welt, in der und vor der er existierte, hinabglitt, brachte er das Fallen selbst in ein gewaltiges System, ohne doch den Sturz verheimlichen zu können. Es ist kein Zufall, daß sich die Weimaraner so unendlich verständnislos gegenüber der Revolution zeigten, als etwa die Königsberger. Die höfische Akklimatisation hatte ihre Opfer gewonnen. (...) Zur gleichen Zeit etwa, als er dem Bann der Höfe verfiel, fand er Kant, dessen Ästhetik ihm die systematische Vertiefung und gedankliche Veredelung auch seines Abwegs lieh. Er ward Kants Schüler und Prophet. So innig verschmolz er seinem Wesen die Weltanschauung des Philosophen—die niemand besser verstanden hat als Schiller —, das er mit dem erworbenen wie mit eigenem freien Eigentum fruchtbar zu schaffen und zu gestalten vermochte. (...)

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Schillers wie Kants sittlich-politischer Idealismus, der die Loslösung des auf sich selbst gestellten menschlichen Handelns von aller offenbarten Religion, als niedriger Polizeianstalt zur Züchtigung moralischer Sklaverei, voraussetzt, empfängt Licht und Richtung von dem Endziel eines Zukunftsstaates, der die freie Gemeinschaft gleicher, zur Persönlichkeit entwickelten Weltbürger vollendet. Aus dieser Aufstellung eines revolutionären Ziels ergibt sich die grundsätzliche Verneinung des historisch gewordenen Staates der Willkür und Gewalt, dieses - im Sinne der zielweisenden Vernunft— »Notstaates«, den Schiller im Gegensatz zu seinem idealen Vernunftsstaat den Naturstaat nennt, dessen Überwindung ihm die eigentliche Aufgabe der Kulturarbeit der Menschheit ist. Die Kunst nun schafft im freien Spiel der Phantasie dieses Reich der sittlichen Freiheit als eine Art naturgesetzlicher Notwendigkeit, als Naturerscheinung. Schillers ästhetische Anschauungen waren von Anfang an vorbereitet für die Ästhetik Kants. Ihm war die Kunst niemals eine leere Belustigung, sie war ihm Anklägerin der Gesellschaft, Rächerin der beleidigten Menschheit, Verkünderin der Freiheit. (...) Schiller hatte trotzdem ein lebendiges Gefühl, daß er mit der Beschränkung auf die ästhetische Welt eine anstößige Flucht aus einer großen Zeit vollzog. In seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen rang er deutlich damit, diesen inneren Zwiespalt zu überbrücken. Er bog Kants Ästhetik ganz unkantisch um. Kant hat niemals die ästhetische Bildung als eine Vorschule des politisch-sittlichen Handelns aufgefaßt. Gegen alle Bedenken, ob die Menschheit schon reif sei für den Vernunftsstaat, richtete er die schlichte tapfere Erkenntnis: der Mensch müsse zuförderst in Freiheit gesetzt werden, wenn er die Freiheit gebrauchen lernen solle. Schiller aber fand in dem Mißtrauen gegen die Freiheitsreife der handelnden Menschen — sie durften nicht reif sein in einem Lande des despotisch-patriarchalischen, bürokratisch-polizeilichen Regiments — das Mittel, um die Notwendigkeit seiner gesellschaftlichen Existenz mit seinem revolutionären Idealismus zu versöhnen: Wenn denn die Kunst ahnende Schöpferin des Lebens sein sollte, mußte Erziehung durch sie nicht die Voraussetzung revolutionärer Wirklichkeit sein? So wurde der revolutionäre Idealismus der Tat vertagt, und die Menschheit zunächst in die Schule der Kunst geschickt. Statt der gemeinsamen, in Wechselwirkung sich ergänzenden sittlich-politischen und künstlerischen Arbeit, verdrängte die Ästhetik die in der Praxis unerlaubte revolutionäre Handlung auch grundsätzlich. Die Kunst wurde die Betätigung des revolutionären Idealismus. (...) Zugleich zog sich die Kunst selbst aus der Unmittelbarkeit des Lebens zurück. Durch Schleier und Hüllen sprach sie in den Bildern einer phantastischen Vergangenheit zur Zukunft. Nicht als ob Schiller kein Auge für das lebendige Dasein seiner Zeit gehabt hätte. In den philosophischen Gedichten gestaltet er die Zustände seiner Zeit zur klarsten Anschaulichkeit. Er plant sogar einen Epos unmittelbarer Gegenwart, eine

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Friedridade; an der Idee zog ihn an, daß »unsere Sitten, der feinste Duft unserer Philosophie, unsere Verfassungen, Häuslichkeit, Künste« aufgrund eines »tiefen Studiums unserer Zeit« dargestellt werden könnten. (...) Er gibt den Gedanken auf aus dem Grunde, weil er den Charakter Friedrichs II. nicht liebgewinnen könne; »er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisierung an ihm vorzunehmen.« Der Zwang der Umstände, unter denen Schiller leben mußte, lenkt schließlich selbst unbewußt die Forderungen seines künstlerischen Stils. So ward die Bahn frei für die Schiller-Schändung der bürgerlichen Epigonen. Auf ihn beriefen sich die blutarmen Schwächlinge, welche aus der Hoheit der Politik in die Stille der Kunst naserümpfend retirierten. Der revolutionäre Idealismus, der die Zukunftsgesellschaft gebieterisch fordert, wurde zur gaukelnden, unverbindlichen Phrase. Seine welthämmernde Ethik wurde zu platter moralisierender Heuchelei. (...) In Schiller vereinigt sich alles, was das deutsche Bürgertum an revolutionärer Kulturkraft aufgebracht hat. Die deutsche bürgerliche Kultur erschöpft sich in der deutschen Kunst, die zwar gerade deshalb sich so mächtig entfaltete, weil sie eben der Ersatz einer Kultur der Wirklichkeit war; die aber andererseits, in sich genügsam und isoliert, schließlich nicht, wie gedacht, Erziehung zur Wirklichkeit, sondern Ablenkung von ihr ward. In dem Geschick der bürgerlichen Revolution in Deutschland wiederholt sich der Bruch, der Schillers Kraft und Wirkung spaltete. Die Höhe erreicht Schillers Mission in den Frühlingsstürmen von 1848, und noch einmal in der tiefen Reaktionszeit ward die Jahrhundertfeier seiner Geburt — 1859 — zu der packenden Demonstration aller Deutschen, die in seiner Kunst die Freiheit und Einheit Deutschlands verwirklicht sahen. Schillers Ruhm wäre sicherer gewahrt, wenn man ihn unter den Märzgefallenen verachtet beseitigt hätte. Die Märzfeier ist die Huldigung, die er verdiente. Wenn an diesem Mai aber die offizielle deutsche Welt den Namen des Großen vor ihre Blöße zerrt, so hat diesen Verehrern Schiller selbst das Brandmal aufgedrückt: O wieviel neue Feinde der Wahrheit! Mir blutet die Seele, Seh ich das Eulengesicht, das zu dem Lichte sich drängt. Kurt Eisner

Text 14 Beilage zur Mecklenburgischen Volkszeitung (Rostock), Auflage 1906: 6900, gegründet 1892, 9. 5. 1905. Schillers Einfluß auf die Agitation der Sozialdemokraten. Das Jahr 1859 hatte mit Schillers lOOjährigem Geburtstag eine in Deutschland seltene Feier gebracht. Wenn es auch in erster Linie galt, den gewaltigen Dichter zu

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feiern, so hat die Feier doch einen politischen Beigeschmack. Die Feier war ein Protest gegen die Kleinstaaterei. In der Verehrung Schillers waren alle Deutschen einig. Die Schiller-Feier hatte den Dichter auch dem Volke näher gebracht. In Großstädten, wie z. B. in Hamburg, hatte man große Umzüge veranstaltet; alle Handwerker waren mit Fahnen und Emblemen ausgezogen; keine Krankenkasse und kein Gesangverein war zurückgeblieben. Schiller war der Dichter des Volkes. Seine Werke aber waren in Arbeiterkreisen weniger bekannt. Zwar hatten die meisten Arbeiterkinder in der Schule einige Balladen: Der Taucher, Die Bürgschaft, Der Kampfmit dem Drachen usw. gelesen, manche auch später im Theater einige Stücke von Schiller gesehen, aber die sämtlichen Werke waren den Arbeitern unbekannt. Hierin trat Anfang der 60er Jahre eine Änderung ein. Einige billige Ausgaben von Schillers sämtlichen Werken waren erschienen und auch teilweise von Arbeitern gekauft worden. Jetzt kam die Lassallesche Agitation, die einige bei der Schiller-Feier gepflanzte Keime zum Wachsen brachte, und der bei dieser Feier gepredigte Idealismus bekam neue Nahrung. Lassalle hatte in seiner Schrift Die Feste, die Presse die liberalen Zeitungen verurteilt, in seinem Julian Schmidt hatte er die liberalen Plattheiten bekämpft. Die eifrigen Anhänger Lassalles folgten seinen Weisungen und verschmähten es, solche Schriften zu lesen, die Lassalle als minderwertig oder gar als Gift bezeichnet hatte. Das Lesebedürfnis aber sollte befriedigt werden, und nun griff man zu Schiller, den ja auch Lassalle als einen der besten bezeichnet hatte. Durch Lassalle war Schiller auch den Arbeitern näher gebracht. Mit heißem Bemühen hatten viele Arbeiter das »Arbeiterprogramm« wiederholt durchstudiert. Hierdurch hatte man sich daran gewöhnt, Geschichtsphilosophie zu treiben. Nun fanden die Arbeiter in Schillers kleinen Aufsätzen eine ganze Anzahl Schriften, die zum Nachdenken anregten. Von den kleinen Aufsätzen ging man dazu über, die größeren Geschichtswerke zu studieren. In verschiedenen Zigarrenfabriken wurden die Werke des großen Dichters vorgelesen, und über die Sätze, die man nicht verstanden hatte, oft stundenlang diskutiert. Dieses Studium brachte es mit sich, daß nun auch die Dramen mit ganz anderen Augen angesehen wurden. Hatte früher das spannende Sujet das größte Interesse wachgerufen, so fand man jetzt eine große Anzahl für die Agitation brauchbare Stellen. Schiller wurde nun der Apostel der Unterdrückten, der Dichter des nach Freiheit strebenden Volkes. Man begriff nun, weshalb Lassalle im Bastiat-Schulze gesagt hatte, daß die Herrschenden Schillers Werke verbrennen würden, wenn sie dieselben gelesen hätten. Den Umschwung in der Denkweise der Arbeiter konnte man am besten ermessen, wenn man die Darstellung nebeneinanderstellte, die vor Eindringen des Sozialismus und nachher einen Arbeiter von einem Schill ersehen Drama gab. Hatte früher jemand einen Freund für Die Räuber, Fiesco, Kabale und Liebe oder sonst ein Stück zu begeistern gesucht, dann schilderte er wohl recht anschaulich das Aufre-

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gende der Handlung. Ganz anders machten es die zum Sozialismus bekehrten Arbeiter. Sie vergaßen keinen Satz, der sich gegen die Unterdrücker wendete. Die Schufte Franz Moor, Spiegelberg, Wurm usw. waren ihnen jetzt weit gleichgültigere Personen geworden. Jetzt hatte sich jeder eine Anzahl Sätze gemerkt, die er wörtlich widergab, um zu beweisen, daß auch Schiller schon dem großen Ideale zustrebte, für welches die Sozialdemokraten kämpften. Durch das Studium von Kabale und Liebe erkannte man jetzt, wie man in den Kreisen der Herrschenden über das Volk denkt. In der prächtigen Schilderung, die Max Piccolomini von den Greueln des Krieges und den Segnungen des Friedens gibt, fand man Waffen zur Bekämpfung des Militarismus. Don Carlos lieferte Waffen zur Bekämpfung der Pfäfferei und für das Streben nach Gedankenfreiheit, und im Teil erkannte man, daß der Dichter auch dem Volke das Recht gibt, sich vom Druck zu befreien. Der Idealismus wurde durch Schiller angeregt und gehoben. Diesen bedurften die ersten Sozialisten mehr als jetzt. Vorläufig war es nötig, die Massen zu begeistern für das große Werk. Die scharfe Kritik der bestehenden Zustände trat weniger hervor. Marx' Kapital war noch nicht erschienen, der Kapitalismus war noch nicht soweit entwickelt und der Klassencharakter der Gesetzgebung war noch nicht so ausgeprägt wie jetzt. Zwar fühlte man den politischen und wirtschaftlichen Druck und darum war die ganze Agitation mehr ein Appell an das Empfinden als an den Verstand. Wollte man die Massen begeistern, dann mußte man bei jenem gewaltigen Dichter lernen, der schon vor einem Jahrhundert die Massen begeistert hatte. Man kann die Anfänge der sozialistischen Agitation als Schule des Idealismus bezeichnen. Die Massen, die sonst ein Dasein wie Lasttiere geführt hatten, fingen an, sich für höhere Dinge zu interessieren. Was lag näher als die Tatsache, daß der größte Idealist nun auch den größten Eindruck auf die Massen machte. Er wirkte als Apostel des Idealismus. Darin liegt eben die Größe jener Dichter, daß sie noch modern erscheinen, wenn sie längst verstorben sind und im Laufe der Zeit ganz andere politische und soziale Verhältnisse entstanden sind, als sie in der Zeit waren, in denen der Dichter lebte. Schiller suchte den Idealismus zu pflegen, und wohl nie ist der Idealismus heller emporgelodert, als in den Anfängen der sozialistischen Bewegung. Hier fand der Idealismus Vertreter in den breiten Schichten des Volkes. Es war ganz jungfräulicher Boden, auf den er angepflanzt wurde, und darum zeitigte er so schöne Früchte. H. Molkenbuhr (Dieser Artikel erschien auch in der Schiller-Festschrift des »Vorwärts«).

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Text 15 Beilage zum Volksblatt für die Herzogtümer Coburg und Gotha, gegründet 1898, Auflage 1914: 8500.

Die Rebellion in Schillers Dramen von K. Kautsky I. Schillers Dramen vor der Revolution Wenn am nächsten 9. Mai Schiller von allen Klassen und Parteien Deutschlands — abgesehen von ein paar verbohrten Zeloten — einmütig und begeistert gefeiert wird, so liegt darin sicher viel Gemachtes und Geheucheltes; der Enthusiasmus, den die deutsche Bourgeoisie am hundersten Todestag Schillers entfaltet, ist weit mehr künstliches Gewächs als jener, mit dem sie seinen hundertsten Geburtstag beging. Um 1859 stand sie vor dem Höhepunkt ihres politischen Aufstiegs, wo sie den Triumph jener Ideale, deren beredtesten Herold sie in Schiller sah, sich am nächsten glaubte. Seitdem aber hat sie eines dieser Ideale nach dem anderen als hindernden Ballast von sich abgeworfen, hat sie sich zur »Realpolitik« bekehrt, zu jener Politik, die sich nur um das Morgen kümmert und die Frage nach dem Übermorgen schon als eine unbequeme und überflüssige abweist: DierichtigePolitik für eine Klasse, die keine großen Ziele mehr hat, an ihre eigene Zukunft nicht mehr glaubt. (...) So rechnet der »aufgeklärte«, »moderne« Bourgeois heute Schiller zu den Nationalheiligen, an die er selbst nicht mehr glaubt, deren Kultus er aber gewohnheitsmäßig fortsetzt, zum Teil in der Erwartung, daß sie gut sind für Kinder und für das Volk, die aus ihnen Vertrauen in die sittliche Weltordnung und den Glauben an die jugendliche Kraft der Schlagworte des Liberalismus saugen sollen. Aber je mehr man sich unter den gesellschaftlichen Klassen Deutschlands dem denkenden und kämpfenden Proletariat nähert, desto wahrer, desto lebendiger wird die Begeisterung der Schiller-Feier. Es gibt sicher keinen deutschen Dramatiker, der so volkstümlich geworden ist wie Schiller. Daß er dieses wurde, verdankt er aber vor allem dem rebellischen Inhalt so vieler seiner Dramen, der den rebellischen Neigungen der arbeitenden Klassen so vortrefflich entspricht. Von ihrem rebellischen, nicht ihrem revolutionären Inhalt ist hier die Rede (...) Nur eine Frage sei hier noch berührt, bevor ich an diese Untersuchung gehe, die Frage, ob das dramatische Genie bei Schiller nicht auch in einem Zusammenhang mit seinem revolutionären Temperament steht. Das Drama und die Revolution sind einander insofern verwandt, als beide Katastrophen darstellen, die sich unmerklich, aber unwiderstehlich vorbereiten, um dann jäh hereinzubrechen. Je mehr das katastrophale Empfinden und Denken in einem Dichter entwickelt ist, desto besser muß ihm die dramatische Form gelingen, desto stärker muß die Wirkung seiner Dramen werden — natürlich bei sonst gleicher künstlerischer Begabung (...)

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In meiner Broschüre über die soziale Revolution habe ich auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß in den Naturwissenschaften die Katastrophentheorien vorherrschten, solange die Bourgeoisie revolutionär war; daß sie durch die Theorien der unmerklichen Entwicklung abgelöst wurden, als die Bourgeoisie in konservative Bahnen einlenkte. Dieser Zusammenhang wird niemanden überraschen, der weiß, wie sehr die gesellschaftlichen Bedürfnisse und Empfindungen nicht nur die gesellschaftlichen, sondern auch die naturwissenschaftlichen Theorien, das ganze Weltbild beeinflussen (...) So wie die Wissenschaft muß auch die Kunst durch die sozialen Stimmungen und Bedürfnisse beeinflußt werden. Das ist ganz selbstverständlich, sobald es den Inhalt der Kunst anbelangt, aber es gilt auch für ihre Form. Und da ist es kein Zufall, daß jene Kunstgattung, die am meisten eine katastrophale Entwicklung darstellt, ihren Höhepunkt im Zeitalter der Revolution erlangte — allerdings in Deutschland, das die große bürgerliche Revolution philosophisch und künstlerisch reflektierte, nicht in England und Frankreich, die sie machten und ihre ganze intellektuelle Kraft in der Politik und im Kriegswesen aufbrachten, so daß für Kunst und Philosophie nur wenig übrig blieb. Und ebensowenig dürfte es Zufall sein, daß die dramatische Produktion an Kraft und Tiefe in Deutschland in demselben Maße zurückgeht, in dem seine Bourgeoisie konservativer wird; daß aber auch in demselben Maße das Drama seinen Charakter ändert; das katastrophale Element wird aus ihm immer mehr ausgeschieden; das Drama wird immer mehr aus der Schilderung einer Handlung, einer Entwicklung, die Schilderung eines Zustandes, der nicht vom Flecke kommt. Anstelle eines kraftvollen Kampfes tritt müde Ergebenheit, schmerzvoller Pessimismus oder zynischer Hohn, die aber alle das gleiche Thema variieren: es bleibt alles beim alten. Freilich, das Wesen des Dramas schreit gebieterisch nach Handlung, nach Katastrophen; das Milieudrama kann nie die Form des Dramas überhaupt werden; aber was heute noch an katastrophalem Drama daneben erzeugt wird, entspringt nicht dem modernen bürgerlichen Denken, sondern nur seinen Überlieferungen, wird immer mehr konventionell, verliert den Pulsschlag des warmen Lebens. Ganz anders war die Zeit, zu der Schiller schrieb. Sie lechzte nach Kampf, nach rasch fortschreitender Handlung, nicht nach tatloser Stimmung. Kein dichterischer Genius kam diesen Bedürfnissen mehr entgegen als Schiller. Darin wurzelt seine mächtige Wirkung, darin seine Popularität. Und sie bleibt lebendig für das Proletariat, das auch heute nach Kampfund Handlung begehrt; sie läßt ihm Schiller auch an seinem hundertsten Todestag noch ewig jung erscheinen und wird ihn als populärsten deutschen Dramatiker fortleben lassen, solange nicht ein neues Genie erstanden, das ihm gewaltige Katastrophen lebendig vor die Augen führt. (...) Der erste Rebell, den Schiller zeichnete, war Karl Moor, an dem er 1777 bis 1781 arbeitete. Noch haben wir es hier mit keiner politischen Rebellion zu tun,

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keinem Versuch, den Staat umzumodeln, sondern nur einer persönlichen Auflehnung gegen die Gesetze des Staates — einer Auflehnung, die selbst wieder nicht einmal durch schlechte Gesetze, sondern nur durch den persönlichen Schurkenstreich eines Halunken provoziert wird: »Mörder, Räuber durch spitzbübische Künste!« Aber der edle Räuber ist keine phantastische Personifizierung der Auflehnung gegen Staat und Gesellschaft; er ist keine Erfindung Schillers. Dieses Räuberwesen ist vielmehr eine Erscheinung, die mit gewissen sozialen Verhältnissen untrennbar verknüpft ist. Der Räuber der Wälder, der dem Einbrecher oder Raubmörder der modernen Großstadt nicht gleichzurechnen ist, entspringt aus der Auflösung des urwüchsigen Bodenkommunismus. Er tritt dort auf, wo dieser Kommunismus unfähig wird, allen Dorfbewohnern ihre Existenz zu sichern, wo namentlich das Latifundienwesen Bauern und auch kleine Adlige expropriiert, andererseits aber noch keine starke kapitalistische Industrie entstanden ist, die in der Lage wäre, die Expropriierten aufzusaugen, aber auch eine starke zentralisierte Staatsgewalt zu schaffen, wodurch jede gewaltsame Auflehnung gegen die Gesetze sofort niedergeschlagen werden könnte. Die Schwächlinge unter den Expropriierten werden da Landstreicher und Bettler; die starken Naturen greifen zu den Waffen, um sich als Söldner zu verdingen, wenn Nachfrage nach solchen vorhanden. Wo diese fehlt, werden sie Räuber; wo es eine politische Empörung gibt, schließen sie sich ihr an. In unseren Tagen noch sehen wir im Balkan, wie die Grenze zwischen dem Räuber und dem Freiheitskämpfer eine verschwimmende ist; wie je nach der Konstellation der Räuber von heute zum nationalen Helden von morgen und dieser wieder zum Räuber von übermorgen wird. Das Volk liebt ihn und verehrt ihn als Bekämpfer seiner Unterdrücker und Ausbeuter. In den serbischen und bulgarischen Volksliedern spielen die Heiducken, die Räuber, eine gefeierte Rolle. Nichts irriger als zu glauben, erst Schiller habe den Räuberkultus aufgebracht. Nicht bloß im Balkan, auch in Süditalien gilt der Räuber als ein edler Held; nicht minder war dieses bis in die 60er Jahre in Ungarn und Irland der Fall. Schiller konnte selbst aus dem Volksempfinden Süddeutschlands schöpfen, wo zu seiner Zeit der Räuber der Wälder noch eine lebhafte Praxis übte. Wir erinnern nur an den Schinderhannes und den bayerischen Hiesel. Ein württembergischer Räuber, der Sonnenwirt, wurde von Schiller in einer seiner Prosaschriften, dem Verbrecher aus verlorener Ehre, 1787, gerechtfertigt. In einem ökonomisch rückständigen, agrarischen Lande, wo keine starke Bourgeoisie, kein trotziges Kleinbürgertum, kein kampffähiges industrielles Proletariat dem Absolutismus und der Feudalherrschaft entgegentreten, erscheint rebellischen Gemütern leicht das Räubertum als die einzig mögliche Form der Auflehnung gegen Staat und Gesellschaft. Noch 1869 schrieb Bakunin: »Das Räubertum ist eine der ehrenhaftesten Formen des russischen Volkslebens. Der Räuber ist der Held, der Schirmer und Rächer des Volkes, der unver-

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söhnliche Feind des Staates und jeder vom Staat begründeten sozialen und bürgerlichen Ordnung. (...) Die in den Wäldern, Städten und Dörfern von ganz Rußland zerstreuten und in den zahllosen Kerkern des Reichs eingesperrten Räuber bilden eine einige und selbstverbundene Welt, die Welt der Russischen Revolution (...) Wer in Rußland eine ernstliche Verschwörung will, wer die Volksrevolution will, muß in diese Welt gehen.« (Zitiert in Ein Komplott gegen Internationale, Braunschweig 1874, Seite 56, 57.) So führt von der Schillerschen Räuberromantik ein direkter Weg zum bakunistischen Anarchismus, zur Propaganda der Tat. Aber so modern in dieser Form die Rebellion erscheinen mag, sie ist eine der primitivsten; indes, wie gesagt, keineswegs eine rein phantastische, sondern eine sehr reale Form der Auflehnung gegen Staat und Gesellschaft. Politisch viel höher als die Räuber des 21jährigen Schiller steht schon sein nächstes Drama, der Fiesco des 23jährigen (gedruckt 1783). Hier handelt es sich nicht mehr um die verzweifelte Auflehnung eines deklassierten Edelmanns gegen die Staatsordnung, ohne jedes positive Ziel, sondern um eine wohl überlegte Aktion zur Umwälzung dieser Ordnung, zur Begründung einer neuen Staatsgewalt. Aber immerhin weist Schiller selbst in seiner Vorrede auf seine völlige politische Unwissenheit hin, und es gibt kaum eine Szene des Stückes, die sie nicht bezeugte. Ein »republikanisches Trauerspiel« hat Schiller das Drama genannt. In der Tat ein Spiel, das jeden Republikaner traurig stimmen muß. Denn wo sind die Republikaner, die diese Republik lebensfähig machen sollen? Das Volk spielt hier in jedem Sinne des Wortes nur eine Statistenrolle; es ist nur unartikulierter Zurufe fähig und wechselt seine politischen Ansichten — soweit man von solchen sprechen kann — im Handumdrehen auf die erste beste demagogische Rede hin. Ein paar Worte Fiescos genügen, es zu überzeugen, daß die Demokratie, in der die Mehrheit entscheidet, verderblich sei, denn »der Feigen sind mehr, denn der Streitbaren, der Dummen mehr, denn der Klugen«. Aber nicht minder traurig als um die Demokraten sieht es um die Aristokraten in der Republik Genua aus. Fast lauter gedankenlose und unselbständige Gecken, deren ganze Politik in einem tatenlosen Mißvergnügen besteht, deren ganzen Republikanismus der Widerwillen gegen die Subordination bildet. Der einzige tatkräftige und weiterdenkende Politiker — neben Verrina — unter den Republikanern ist Fiesco. Er leitet nicht nur die Revolution, er macht sie von Grund aus, erschafft alle ihre Elemente, er ist die Revolution und mit ihm geht sie zugrunde. Besonders naiv ist es, daß Schiller diesem, alle anderen nicht bloß an Begabung, sondern auch an Kenntnis der Menschen und der Verhältnisse so riesenhaft überragenden Staatsmann sein eigenes jugendliches Alter von 23 Jahren verlieh. Wenn wir daran, daß Schiller die republikanische Umwälzung Genuas zum Werk eines einzigen Mannes macht, einen Beweis seiner Verständnislosigkeit für

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das Wesen einer politischen Revolution — und sei es nur eine aristokratische Verschwörung — sehen, so soll damit natürlich nicht etwa gesagt sein, daß wir an Schiller die lächerliche Forderung stellten, sich von den Grundsätzen der materialistischen Geschichtsauffassung leiten zu lassen. Ganz abgesehen davon, daß von einer solchen Auffassung zu Schillers Zeit noch keine Rede war, so sind gerade vom Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung die Aufgaben des Dramatikers ganz andere als dit des Geschichtsforschers. Nach der herkömmlichen Auffassung stimmen sie insofern überein, als beide außergewöhnliche Einzelschicksale zu erforschen und darzustellen haben, für beide der hervorragende Mensch oder ein hervorragendes Menschenschicksal das Objekt ihres Schaffens ist. Die materialistische Geschichtsauffassung sieht aber das die gesellschaftliche Entwicklung beherrschende Element im gewöhnlichen, alltäglichen, nicht im außergewöhnlichen; in den gesellschaftlichen Verhältnissen der Menschen und nicht im Einzelmenschen (...) Wenn nun heute zeitweise der Schein entsteht, als suchte die dramatische Kunst die Alltäglichkeit darzustellen, so ist dies teils gerade dem Suchen nach etwas Unerhörtem auf der Bühne zuzuschreiben: Ist die Darstellung der platten Alltäglichkeit auf der Bühne etwas Neues, Unerhörtes, so kann diese Tatsache eine Zeitlang als ein kühnes Experiment interessieren. Aber die Darstellung der Alltäglichkeit muß langweilen, wenn sie aufhört, ein vereinzeltes Experiment zu sein und auch auf der Bühne alltäglich wird. (...) Weder das Aufkommen des Milieu-Dramas noch die Vorliebe für Erscheinungen und Ausdrucksformen der Alltäglichkeit hat etwas mit der materialistischen Geschichtsauffassung zu tun, die vielleicht noch jedem der modernen Dichter ein Buch mit sieben Siegeln ist. Sie stehen nur insofern in einem inneren Zusammenhang, als sie alle Kinder der gleichen gesellschaftlichen Entwicklung sind. Aber zu Schillers Zeit herrschten andere Bedingungen; und wie Dichter und Publikum im Drama nach Handlung suchten und nicht nach Stimmung, nach einer Handlung, die in einer Katastrophe mündet und nicht in einem Fragezeichen, so forderten sie auch einen Helden als Mittelpunkt des Dramas, der über seinem Milieu und im Kampf dagegen steht, keinen seufzenden Schwächling, der seine kleine Umgebung langsam zermürbt. Daß Fiesco so grandios dasteht, ist also kein Fehler, ist ein Vorzug des Dramas. Daß aber das Milieu, über welches er so kolossal emporragt, ein politisch so zwerghaftes und impotentes ist, das ist es, was beweist, wie fern Schiller allem politischen Denken stand. (...) Von Schiller kann man leider nicht sagen, daß so rasch wie seine dichterische Reife sein politisches Verständnis wuchs. Freilich, der Rebell blieb er noch lange. Durch und durch rebellisch ist das dem Fiesco folgende Werk, Kabale und hiebe (1784), wohl neben dem Wallenstein seine größte dramatische Leistung, von einer zermalmenden Wucht. Indessen haben wir es hier nur mit jenen seiner Dramen zu tun, in denen nicht bloß durch ihren Inhalt zur Rebellion aufgereizt, sondern diese

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auch bestätigt wird. Zu einer solchen kommt es jedoch in Kabale und Liebe nicht, wohl aber in seinem nächsten Trauerspiel, dem Don Carlos, der 1787 fertig wurde. Gegenüber dem Fiesco bedeutet dieser einen Fortschritt nach der politischen Seite insofern, als die Politik hier nicht mehr bloß als »kalte, unfruchtbare Staatsaktion« betrachtet wird. Schiller empfindet nun doch, daß neben dieser Art von Politik noch eine andere möglich ist, durch die das Glück der Völker begründet werden kann. Indes, auch in diese Politik mischt das »menschliche Herz« sich bedenklich ein. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß der rebellische Kronprinz weit weniger rebellisch wäre, hätte ihm nicht sein Vater die Braut weggefischt, Elisabeth von Valois, die für eine französische Prinzessin auffallend liberal ist. »Ich bin entschlossen«, ruft Carlos, »Flandern sei gerettet.« »Sie (Elisabeth) will es — das ist mir genug.« Hätte Carlos seine Elisabeth heimgeführt und hätte diese jene reaktionären Gesinnungen besessen, die einer Königin ziemen, so wäre Posas Freund kaum in Konflikt mit der Inquisition gekommen. Die Politik der Völkerbeglückung selbst aber, die Carlos und Posa entwickeln, war keineswegs die der Gesetzgebung und Regierung durch das Volk. Von oben herab, durch die Monarchen soll den Völkern die Freiheit gebracht werden. Der Erfolg der Rebellion der flandrischen Provinzen wird abhängig gemacht von der Entschließung des Kronprinzen. Posa ruft ihm zu? Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit Umarm ich sie — es sind die Flandrischen Provinzen, die an ihrem Halse weinen Und feierlich um ihre Rettung sie bestürmen (...) Auf Kaiser Karls glorwürdgem Enkel ruht Die letzte Hoffnung dieser edlen Lande. Sie stürzt dahin, wenn sein erhab'nes Herz Vergessen hat, für Menschlichkeit zu schlagen. Das Trugbild, das seit einem Jahrhundert den deutschen Liberalismus äfft, der liberale Kronprinz, der dem reaktionären Vater entgegentritt, wird hier zum Mittelpunkt des Dramas, zum Hort der Rebellion. Natürlich wußte Schiller sehr wohl, daß die Niederlande des liberalen Kronprinzen in Wirklichkeit nicht bedurften, um sich zu befreien. Aber ohne einen liberalen Prinzen ging es bei ihm einmal nicht. So schrieb er denn auch in seiner Geschichte des Abfalls der Niederlande, nachdem er gezeigt, wie Philipp seine getreuen Untertanen zum Aufstand förmlich zwang: »Noch fehlt die letzte vollendende H a n d - der erleuchtete unternehmende Geist, der diesen großen politischen Augenblick haschte und die Geburt des Zufalls zum Plane der Weisheit erzöge. Wilhelm der Stille weiht sich, ein zweiter Brutus, dem großen Anliegen der Freiheit.« Und er zeigt dann, wie die Rebellen nicht

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zum wenigsten deshalb siegten, weil die Vertreter Philipps und ihre Verwaltungsgrundsätze rasch wechselten und dem Kriege »ebensoviel entgegengesetzte Richtungen gaben, während daß der Plan der Rehellion in dem einzigen Kopfe, worin erklär und lebendig wohnte, immer derselbe blieb «, nämlich in dem Wilhelms von Oranien. Also nicht bloß im Überschwang des Dramas, sondern auch in der nüchternen geschichtlichen Darstellung erscheint Schiller der Volksaufstand als eine »Geburt des Zufalls«, die erst im Kopfe eines Prinzen zu einem planvollen Tun und dadurch zu einer lebensfähigen Erhebung »erzogen« wird. Prinz Wilhelm von Oranien ist hier derselbe »rettende Engel« der Rebellion, zu dem der Marquis Posa den spanischen Kronprinzen machen will. Um die Völker zu befreien und glücklich zu machen, bedarf es nur des guten Willens ihrer Herrscher, die ihnen von oben herab alles mühelos schenken können, was sie brauchen. Der Freiheitsmann Posa ruft dem König zu: Ein Federzug von dieser Hand Und neu erschaffen wird die Erde. Er denkt nicht daran, das Volk durch das Volk zu befreien: Die lächerliche Wut Der Neuerung, die nur der Ketten Last, Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert, Wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahrhundert Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe, Ein Bürger derer, welche kommen werden.

Und dieses Ideal der kommenden Jahrhunderte? Sanftere Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten; Die bringen mildere Weisheit; Bürgerglück Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln.

Schließlich beschwört der »sonderbare Schwärmer« den spanischen Despoten: Weihen sie Dem Glück der Völker die Regentenkraft, Die — ach so lang — des Thrones Größe nur Gewuchert hatte — stellen sie der Menschheit Verlorenen Adel wieder her! Der Bürger Sei wiederum, was er zuvor gewesen, Der Krone Zweck — ihn binde keine Pflicht, Als seiner Brüder gleich ehrwürdge Rechte. Und früher schon: Geben sie Gedankenfreiheit!

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Nach wie vor ist das Freiheitsideal Schillers kein demokratisches, sondern ein rein persönliches, anarchistisches; nicht die Forderung der Selbstregierung des Volkes, sondern die der Freiheit für den einzelnen, zu tun, was ihm behagt; bloß ist sie aus der wild überquellenden Gewalttätigkeit des Räubers Moor, der für sich das Recht in Anspruch nimmt, auf eigene Faust aller Niedertracht ein Ende zu machen, nun zu dem frommen Wunsche des »Abgeordneten der Menschheit« »abgeklärt«, jeder möge frei reden und schreiben dürfen, was ihm gefällt. Und diese sanfte Abklärung des ursprünglich wilden Anarchismus ist aufgepfropft auf die Idealisierung einer Monarchie, die bei Lichte besehen nichts anderes ist als der aufgeklärte Despotismus des 18. Jahrhunderts, oder vielmehr die Legende von seinem deutschen Heros, Friedrich II., die sich der liberale deutsche Bürger zu seiner Erbauung zurechtgemacht: Hatte doch der Große Friedrich erklärt, der Fürst sei der erste Diener des Staates, und er hatte verfügt, »Gazetten sollten nicht geniert« und jeder nach seiner Fasson selig werden. War da nicht schon in den »kommenden sanfteren Jahrhunderten« Posas Vision verwirklicht, die Gedankenfreiheit gegeben, der Bürger zum Zwecke der Krone geworden und das Bürgerglück mit Fürstengröße versöhnt? Der Marquis Posa kommt eben aus den usurpierten flandrischen Provinzen, wo er »ein kräftiges, ein großes Volk und auch ein gutes Volk« sah; aber keinen Moment kommt ihm die Idee, wie herrlich es wäre, wenn dieses empörte Volk sich selbst befreite und selbst regierte. Nein: Vater dieses Volks Das dachte ich, das muß göttlich sein. So dachte Schiller noch am Vorabend der großen Revolution. Aber auch der kolossale Anschauungsunterricht, den diese erteilte, ging spurlos an ihm vorüber; ja, statt ihm tiefere Einsicht in das Wesen der Demokratie der bürgerlichen Revolution zu verschaffen, entfernte ihn das große französische Schauspiel weiter davon als je. II. Schillers Dramen nach der Revolution Im Mai 1789 traten in Frankreich die Reichsstände zusammen und bezeugten der Welt, daß ein großes Volk im Begriff stehe, das Joch des absoluten Herrentums abzuwerfen. In demselben Mai trat Friedrich Schiller seine Professur in Jena an und verzichtete auf seine bisherige Freiheit, um das Joch des Herrendienstes auf sich zu laden. Damit vollzog sich eine große Wendung in der Lebenslage Schillers, aber es scheint mir, als überschätze man, z. B. Kurt Eisner in der März-Schillernummer des Berliner Parteiverlags, die Wirkung dieser Wendung — des Eintritts in den Weimaraner Kreis — auf die Anschauungen Schillers. Man darf sich die Beeinflussung des einzelnen durch die gesellschaftlichen Bedingungen nicht rohmaterialistisch als ein bloßes »Anschmiegen an die Bedingungen der Gesellschaft, in der

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man zu leben gezwungen ist« vorstellen. Nicht bloß das Anschmiegen an, auch das Kämpfen gegen die Bedingungen der Gesellschaft, in der man zu leben gezwungen ist, gehört zu den Wirkungen des gesellschaftlichen Milieus. Gerade bei einem gereiften Manne von Charakter dürfen wir nicht erwarten, daß er seine Überzeugungen aus dem rein äußerlichen Grunde wandelt, weil der Kampf ums Brot ihn in eine Gesellschaft bringt, die seinen bisherigen Anschauungen zuwider ist. Bei der Ehrlichkeit, Überzeugungstreue und Leidenschaftlichkeit Schillers wäre es vielmehr nahe gelegen, daß er sich gegen die Anschauungen des Weimarer Kreises ebenso aufgelehnt hätte, wie ehedem gegen die Disziplin der Stuttgarter Karlsschule, wenn sie ihn beengt hätten und mit seinen Überzeugungen unverträglich gewesen wären. Die persönlichen Lebensbedingungen des einzelnen sind von der größten Bedeutung für sein ganzes Empfinden und Denken, sein Weltbild, seine politischen und philosophischen Überzeugungen, solange er noch ein werdender ist, den jeder persönliche Eindruck aufs tiefste bewegt. Aber bei jedem einigermaßen starken und tiefen Charakter tritt der Einfluß der persönlichen Bedingungen auf die Überzeugungen, zu denen er sich durchgerungen, in dem Maße immer mehr zurück, je gereifter und gefestigter er wird. Nur kleine und schwache Charaktere wechseln ihre Überzeugungen im Mannesalter unter dem bloßen Einfluß veränderter persönlicher Umstände. Dagegen kann sich auch der stärkste Charakter nicht den Veränderungen entziehen, die gewaltige historische Ereignisse in der gesamten gesellschaftlichen Atmosphäre bewirken. Ein solches Ereignis war nicht die Übernahme der Jenenser Professur durch Schiller, wohl aber die andere Veränderung, die im Mai 1789 eintrat: der Umsturz des französischen Feudalabsolutismus. Von diesem welthistorischen Ereignis und nicht von der Veränderung seiner Einkommensquellen ist die Wandlung Schillers zu datieren. Man kann von dieser persönlichen Veränderung höchstens sagen, daß sie den Einfluß des historischen Ereignisses verstärkte, weil sie beide in gleicher Richtung auf ihn wirkten. Also umgekehrt wird ein Schuh daraus. Nicht weil er sich dem neuen höfischen Milieu im Gegensatz zu seinen Überzeugungen anschmiegte, verlor er seine Sympathien für die Französische Revolution; sondern vielmehr weil diese ihn abstieß, entwickelte sich in ihm aus seiner von Anfang an großen Verständnislosigkeit für das Wesen der Demokratie eine Stimmung, die es ihm ermöglichte, sich in den Weimarer Ton einigermaßen hineinzufinden. Schiller war als Charakter zu groß, als daß wir die gegenteilige Entwicklung bei ihm annehmen dürften. Die Französische Revolution bedeutete ihm nicht die Verwirklichung, sondern den Zusammenbruch des revolutionären Ideals nicht bloß Schillers, sondern vieler seiner Zeitgenossen (...) Sie sahen in der Revolution nur den Zusammenbruch ihrer Illusionen, begriffen nichts von dem, was sie wirklich erfüllte und leistete. Feindselig oder im besten Falle gleichgültig traten sie ihr gegenüber, und soweit sie auch weiterhin das Bedürfnis empfanden, der unbefriedigenden wirklichen Welt das Idealbild einer schöneren gegenüberzustellen, suchten sie es nicht mehr in der

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Zukunft, sondern in der Vergangenheit, im Mittelalter, das sie nun ebensosehr mit einem verklärenden Strahlenkranz umgaben, wie früher das erhoffte Zukunftsreich der Freiheit. Gerade bei den überschwenglichsten Gemütern trat anstelle des revolutionären Sturmes und Dranges die Romantik, und einige der letzten Werke Schillers zeigen sich schon von ihrem Mystizismus infiziert, so die katholisierende Maria Stuart (1800), Jungfrau von Orleans (1801), Braut von Messina (1803). Aber das rebellische Interesse bricht immer wieder durch und zeugt noch zwei große Dramen und das Fragment eines dritten: Wallenstein (1799), Wilhelm Teil (1804) und den Demetrius. Wenn man nicht wüßte, daß Schiller die Idee zum Wallenstein schon 1792 faßte, könnte man glauben, Napoleon habe ihm den Anstoß dazu gegeben. Der Schluß der Trilogie, Wallensteins Tod, wurde am 20. April 1799 aufgeführt, der Staatsstreich des 18. Brumaire im November des gleichen Jahres. Schiller führte auf der Bühne noch vorher vor, was sich wenige Monate darauf im Leben vollzog, allerdings mit besserem Erfolg für den Helden der Aktion: Die Vorbereitung zum Staatsstreich eines glücklichen Generals, dessen Armee durch eine lange Periode des Krieges zum entscheidenden politischen Faktor gemacht worden war. Wie Kabale und Liebe ist auch die Wallenstein-Trilogie aus der Zeit geboren; gleich jener ist auch diese so realistisch, wie es für Schiller möglich war; beide Werke zusammen stellen das Bedeutendste dar, was Schiller geleistet. Und ist Kabale und Liebe eine leidenschaftliche Anklage gegen die Fürsten-, Maitressen- und Beamtenwirtschaft des ancien regime, so der Wallenstein eine, wenn auch nicht so leidenschaftliche, so doch eindringliche und machtvolle Anklage gegen die Greuel des Krieges und des Soldatenregimentes, unter dem Europa seit dem Ausgang der Revolution seufzte. Die Rebellion wie die Rebellen, die Schiller diesmal zeichnet, besitzen nicht mehr seine Sympathie. Mit der Freiheit haben sie nicht das mindeste mehr zu tun. Und das gleiche gilt von der Rebellion des falschen Demetrius (...) Das ganze Drama läuft auf eine Verherrlichung des Zarengeschlechtes hinaus, und ihm gilt auch das letzte dramatische Produkt, das Schiller fertig stellt, »Die Huldigung der Künste, ein lyrisches Spiel, ihrer Kaiserlichen Hoheit, der Frau Erbprinzessin von Weimar, Maria Paulowna, Großfürstin von Rußland, in Ehrfurcht gewidmet«. Gerade jetzt wird diese Huldigung höchst humoristisch, wenn man liest, wie darin das »große Herz der Brüder«, der russischen Fürsten, gepriesen wird, sowie die siegreichen Waffen Rußlands: Dieses Siegesbild (die Viktoria), Das ich (die Skulptur) erschaffen, Dein hoher Bruder schwingt in mächtger Hand; Es fliegt einher vor Alexanders Waffen, Er hat's auf ewig an sein Heer gebannt. Diese Ewigkeit war freilich sehr kurz bemessen. Am 1. Dezember 1805 schlug Napoleon seinem russischen Kollegen Alexander bei Austerlitz das Viktoriabild

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so gründlich aus der »mächtigen Hand«, daß es in tausend Scherben zerschellte. Wenn Nikolaus II. Glück hat, kann er die hundertste Wiederkehr dieses Tages im Jahre der Schlacht von Mukden noch höchst eigenhändig feiern. (...) Wie stimmt aber zu allen diesen Daten der letzten Periode Schillers sein »Wilhelm Teil«, dieses hohe Lied der Selbstbefreiung des Volkes, der Zerschmetterung der Tyrannen? In der Tat, es wäre unbegreiflich, wenn wir annähmen, auf Schiller hätte seine höfische Umgebung abgefärbt und ihm allen Freiheitsdrang verekelt. Dagegen erklärt es sich unschwer, wenn wir Schillers Wandlung aus den Wirkungen der Französischen Revolution erklären. Sein Drang nach Freiheit, sein Haß gegen die Tyrannei blieb nach wie vor in ihm lebendig. Wohl erschien ihm die Revolution nach französischem Muster als ein verderblicher Abweg, aber um so stärker mußte er das Bedürfnis empfinden, der schlechten, der abscheulichen Revolution das Bild der schönen Revolution, der Revolution wie sie sein sollte, gegenüberzustellen. Eine solche Revolution hatte Schiller selbst erlebt, es war der Unabhängigkeitskrieg der Nordamerikaner gewesen. Was hatte aber diesen dem gesamten europäischen Publikum so sympathisch gemacht? Es war kein Klassenkampf gewesen, sondern ein nationaler Kampf; er entsprang nicht dem Streben, eine neue soziale Ordnung einzuführen, eine ausbeutende Klasse zu expropriieren, sondern dem Streben, das drückende Joch eines auswärtigen Herrschers abzuschütteln. Der Unabhängigkeitskrieg änderte nichts an den sozialen Verhältnissen des Landes. Er brachte die Phrase der »Freiheit« zu Ehren, er veranlaßte die erste Erklärung der Menschenrechte. Aber die Verfasser der Menschenrechte erkannten die Negersklaverei als eine notwendige Einrichtung an, waren zum Teil selbst Sklavenhalter. Das war eine »schöne« Revolution! (...) III. Die Ursachen von Deutschlands politischer Rückständigkeit Man sage nicht, daß Schiller ein Künstler war und kein Politiker, und daß dem Künstler diese Rebellionen dankbarere Stoffe boten als die Revolutionen der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums. Sein auch vom künstlerischen Standpunkt aus großartigstes Werk ist gerade jenes, in dem er sich am meisten der Atmosphäre der bürgerlichen Empörung gegen den Feudalabsolutismus nähert, am meisten aus dem revolutionären Inhalt seiner Zeit schöpft, ist Kabale und Liebe. Weit mächtiger wirkt dieses Drama als irgendeines der anderen, in denen er die Träger seiner Ideen und ihrer Konflikte in die Kostüme einer vergangenen Zeit steckte. Die Wirkung bildet aber schließlich den Maßstab auch für den ästhetischen Wert eines Kunstwerkes. Indes, wenn das wirklich bloß künstlerische Rücksichten gewesen wären, die Schiller mehr zu anderen Formen der Rebellion zogen, als denen der demokratisch-bürgerlichen Revolution, hätte sich in der Behandlung seiner Stoffe doch irgendwie ein Verständnis für die Bedingungen einer bürgerlichen Re-

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volution zeigen können, ja müssen, wenn er eines besessen hätte. Aber alles was er sagt, deutet auf das Gegenteil: Sonderbares Verhängnis, das Schiller drängte, immer wieder politische Themata zu behandeln, und das ihm doch alles politische Verständnis versagte; das ihn immer wieder trieb, Rebellionen zu malen, und ihn blind machte für die größte, furchtbarste Rebellion, die sich vor seinen Augen abspielte. (...) Wenn wir aber den Ursachen nachgehen, die die erwähnten Widersprüche herbeiführten, so finden wir vor allem, daß diese den Zeitgenossen Schillers nicht auffielen — soweit mir bekannt. Sie lagen also nicht in persönlichen Eigentümlichkeiten des Dichters begründet, sondern in allgemeinen Zeitverhältnissen, die auf sein Publikum ebenso wirkten wie auf ihn selbst. Und im allgemeinen sind diese Verhältnisse ja auch früher schon erkannt worden (...) In Deutschland fehlte die Großstadt und damit die belebende politische Wirkung, die sie üben konnte. Die hemmende Wirkung der Kleinstädterei Deutschlands wurde noch verstärkt durch seine Kleinstaaterei, zwei Faktoren, die sich gegenseitig bedingten und verstärkten. Ausgenommen in Berlin und Wien, die damals sowenig für die deutsche Kultur bedeuteten, wurde mit der wachsenden Souveränität der Kleinstaaterei und dem Schwinden der kaiserlichen Zentralgewalt das Treiben der Höfe selbst immer kleinlicher, engherziger, unpolitischer. Das Amüsement spielte bei allen fürstlichen Höfen des 18. Jahrhunderts eine große Rolle, bei den meisten deutschen Höfen wurde es der einzige Lebenszweck, und das Volk konnte noch von Glück sagen, wenn der Drang nach Amüsement sich auf ästhetische Gebiete wandte, wenn das Theater der Mittelpunkt des Staates wurde und nicht die Kaserne und der Wildpark. Wenn der Ehrgeiz des Landesvaters dahinging, ein vortrefflicher Theaterdirektor zu sein, und nicht dahin, einen tadellosen Feldwebel, Militärschneider und Waidmann vorzustellen; wenn nur Schauspielerinnen und Ballerinen und nicht auch Kavalleriepferde, Hirsche und Eber Bürger und Bauern auspowerten. Im ersten Falle fielen doch auch gelegentlich ein paar Brocken für einen Dichter ab. Aus der Kleinstaaterei und Kleinstädterei entsprang das politische Elend Deutschlands, das nicht bloß in seiner Unfreiheit bestand, sondern auch in seiner Unfähigkeit, eine Bourgeoisie mit politischem Verständnis und politischer Selbständigkeit hervorzubringen. Gegen die Unfreiheit vermochte sich die Schillersche Feuerseele zu empören. Der allgemeinen Atmosphäre kleinstädtischen Philistertums erlag sie. Und weit entfernt, ihm das vorzuwerfen, muß man noch erstaunen über die sieghafte Kraft, mit der er in diesem trostlosen politischen Milieu sein Rebellentum zu entwickeln und so lange zu behaupten vermochte. (...) Für unser politisches Denken kann uns Schiller nur wenig geben. Für die Bildung des politischen Charakters ist jedoch sein Einfluß unschätzbar. Dadurch wird er vor allem als Politiker der Dichter der heranwachsenden Jugend, jenes Zeitalters, in dem es mehr die Bildung des politischen Charakters als des politischen Verstandes, mehr die des Empfindens als des Analysierens gilt; wo es heißt,

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die Fähigkeit der Begeisterung für hohe Ziele entwickeln, aller dekadenten Altklugheit und selbstsüchtigen Weltklugheit vorbeugen. Er bleibt aber durch sein revolutionäres Temperament auch der Dichter jeder revolutionär aufstrebenden Klasse, auf die er gerade durch die Unbestimmtheit seines revolutionären Ideals noch ein Jahrhundert nach seinem Tode anfeuernd einwirken kann, da er ihr erlaubt, sein Freiheitsideal im Sinne ihrer besonderen, von denen seiner Zeit ganz verschiedenen Ziele zu deuten und sich aus seinem Schwung, seinem Trotz, seiner Kühnheit Zuversicht und Hoffnungsfreudigkeit zu holen. So ist Schiller der Dichter der deutschen Arbeiterklasse geworden, gibt es bisher keinen Dramatiker, der ihn überholen und aus ihrem Herzen verdrängen könnte, hat gerade das Proletariat das Recht, ihn zu feiern. Denn dieses Recht steht nur der Jugend zu und jungen Klassen mit hohen Zielen, nicht aber Klassen, für deren Greisenhaftigkeit das politische Ideal nichts mehr ist als eine Erinnerung an längst vergangene Tage. (erschienen in den Beilagen am 8., 10., 11. 12., 16. 5. 1905; ursprünglich erschienen in »Neue Zeit«, 23. Jahrgang, II. Band, 1904/05, Seite 133-154)

Text 16 Die Neue Zeit, gegründet 1883, Auflage 1905: 6400, 23. Jahrgang 1904/05, 2. Band, Seite 164-165. Rosa Luxemburg: Mehring-Rezension Schillers Dichtung ist nicht bloß zum ehernen Bestandteil der deutschen klassischen Literatur, sondern auch zum geistigen Hausschatz speziell des aufgeklärten kämpfenden Proletariats geworden, die Worte und Sprüche, die er geprägt, wurden zur Form, in der die deutsche Arbeiterschaft mit Vorliebe ihre revolutionären Gedanken und ihren Idealismus zum schwungvollen Ausdruck bringt. Die Verbreitung der Schillerschen Poesie in den proletarischen Schichten Deutschlands hat zweifellos zu ihrer geistigen Hebung und auch zur Revolutionierung beigetragen, insofern also gewissermaßen ihr Teil an dem Emanzipationswerk der Arbeiterklasse gehabt. Allein, es unterliegt keinem Zweifel, daß Schillers Rolle in dem geistigen Wachstum des revolutionären Proletariats in Deutschland nicht sowohl darin wurzelt, was Schiller mit dem Gehalt seiner Dichtungen in den Emanzipationskampf der Arbeiterschaft hineintrug, als umgekehrt darin, was die revolutionäre Arbeiterschaft aus eigener Weltanschauung, aus eigenem Streben und Empfinden in die Schillerschen Dichtungen hineinlegte. Es hat hier ein eigenartiger Assimilierungsprozeß stattgefunden, indem sich das Arbeiterpublikum nicht den Schiller als ein geistiges Ganzes, so wie er in Wirklichkeit war, aneignete, sondern sein geistiges

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Werk zerpflückte und es unbewußt in der eigenen revolutionären Gedanken- und Empfindungswelt umschmolz. Doch über diese Phase des politischen Wachstums, wo die gärende Begeisterung, das halbdunkle Streben zu den lichten Höhen des »Idealen« den Anbruch der geistigen Wiedergeburt der deutschen Arbeiterschaft ankündigte, sind wir beträchtlich hinaus. Was die Arbeiterschaft heute vor allem braucht, ist: alle Erscheinungen der politischen und der ästhetischen Kultur in ihren klaren, strengen objektiven historisch-sozialen Zusammenhängen als Glieder jener allgemein-sozialen Entwicklung aufzufassen, deren mächtigste Triebfeder heutzutage ihr eigener revolutionärer Klassenkampf ist. Auch Schiller kann und muß die deutsche Arbeiterschaft heute ganz wissenschaftlich-objektiv als einer mächtigen Erscheinung der bürgerlichen Kultur gegenüberstehen, statt in ihm subjektiv aufzugehen oder richtiger ihn in eigener Weltanschauung aufzulösen. So war gerade jetzt, aus Anlaß der 100jährigen Schiller-Feier, offenbar der passendste Moment gegeben, die gegenseitige Stellung Schillers zur Arbeiterklasse, seine Dichtung vom Standpunkt der sozialdemokratischen Gedankenwelt einer Revision zu unterziehen. Jedoch gerade diejenigen Kreise, die jederzeit bereit sind, an allen möglichen Revisionen der »wunden Punkte« der Marxschen Lehre tapfer mitzumachen, zeigen nicht die geringste Lust, die landläufigen kritiklosen Urteile über Schiller zu revidieren. Es ist allerdings viel bequemer, Schiller nach abgebrauchtem Schema als den großen, von der Bourgeoisie verleugneten Apostel der bürgerlichen Revolution für das Proletariat in Anspruch zu nehmen, was jedoch höchstens auf eine gleichmäßige Verständnislosigkeit für den historischen Gehalt der Märzrevolution wie der Schillerschen Dichtung deutet. Das Feiern Schillers als eines revolutionären Dichters par excellence verrät schon an sich einen Rückfall von der durch die Marxsche Lehre, durch den dialektischen Geschichtsmaterialismus vertieften und geadelten Auffassung vom »Revolutionären« in jene spießbürgerliche Auffassung, die in jeder Auflehnung gegen die bestehende gesetzliche Ordnung, also in der äußeren Erscheinung der Auflehnung einer »Revolution« sieht, ungeachtet ihrer inneren Tendenz, ihres sozialen Gehaltes. Nur von diesem letzteren Standpunkt gelangt man dazu, in Karl Moor den Vorläufer Robert Blums, in der »Luise Millerin« »die Revolutionstragödie des Zusammenbruchs« und im Wilhelm Teil »das Revolutionsdrama der Erfüllung« — mögen die Götter immerhin wissen, was dieser begeisterte Galimathias bedeutet — zu sehen. Durch dieselbe Auffassung wird man alsdann dazu geführt, einen künstlichen Widerspruch zwischen dem »revolutionären Idealismus« der Schillerschen Dramen und seinem Verhalten der Großen Französischen Revolution gegenüber, zwischen seiner »Revolution des Handelns« und seiner Flucht in den »ästhetischen Erziehungsstaat« zu konstruieren und schließlich zur Erklärung dieses vermeintlichen Widerspruchs mitten im geistigen Leben Schillers einen Bruch, einen tiefen Riß zu entdecken, der auf die »höfische Akklimatisation«

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Schillers durch den kleinstaatlichen Despotismus zurückgeführt wird. (...) Gegen diese »materialistische« Mißhandlung durch eine überschwengliche Begeisterung findet der Schöpfer »Wallensteins« eine Ehrenrettung bei dem kühlen »orthodoxen« Materialisten Mehring, der bereits in dem Erstling Schillers, in denRäubern, jenen tiefen Zwiespalt, jenen Dualismus der Weltanschauung aufzeigt, der durch das ganze Leben und Schaffen Schillers geht und im »ästhetischen Staat« einen ganz konsequenten Abschluß findet—die Flucht aus dem sozialen Elend in das abgeklärte Reich der Kunst am Ende einer geistigen Laufbahn, die mit der Flucht in den Wald eines kraftgenialischen Räubertums begonnen hatte. Der »revolutionäre Idealismus« ist eben, losgelöst von der Grundlage der materialistischen Weltanschauung, auf der er z. B. heute in klassischer Weise in dem modernen Proletariat beruht, ein gar zwiespältig Ding, und um Schiller als Philosoph zu verstehen, muß man eben vor allem — Karl Marx verstehen. Begreift man die Schillersche Dichtung von dieser Seite, so hat man auch nicht nötig, durch eine gewaltsame Konstruktion das einigende Grundelement seiner Dramen in den verschiedenen Erscheinungsformen der geschichtlichen Revolution zu suchen. Schiller war vor allem ein echter Dramatiker größten Stils, als solcher aber brauchte und suchte er gewaltige Konflikte, gigantische Kräfte, Massenwirkungen, und er fand seine Stoffe in den Kämpfen der Geschichte, nicht weil und insofern sie revolutionär waren, sondern weil sie den tragischen Konflikt in seiner höchsten Potenz und Wirkung verkörpern. Mehring hat dieses ganze Problem in zwei Sätzen gelöst, indem er sagte: »Als Dichter brauchte er den großen historischen Stoff« und »als Dramatiker war Schiller auch ein großer Historiker.« * Die große Französische Revolution, die ihn gerade als »Revolution« abstieß, würde sicher, wenn er sie aus der Perspektive eines oder zweier Jahrhunderte hätte sehen können, als gewaltiges Schauspiel, als eine Riesenschlacht des historischen Geistes seine dramatische Ader gepackt haben, und er hätte ihr dann wahrscheinlich als Dramatiker, durch den einfachen Künstlerinstinkt geleitet, ebensoviel Gerechtigkeit widerfahren lassen wie der historischen Rolle des Friedländers oder dem Unabhängigkeitskampf der schweizerischen Bauerndemokratie, obwohl er mit der bürgerlichen Revolution geistig genausowenig zu tun hatte wie Wallenstein oder Wilhelm Teil. (...) Text 17 Leipziger Volkszeitung, gegründet 1894, Auflage 1905: 36000, 8. 5. 1905.

Schiller und die Arbeiter Am Vorabend der Schlacht bei Jena, die den friederizianischen Preußen ein ebenso verdientes wie ruhmloses Ende bereitete — im nächsten Jahre werden wir Mehring, Bd. 10. Seite 174.

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ihren Säkulartag feiern —, wetzten die Berliner Gardeleutnants, sozusagen die Creme des ostelbischen Junkertums, ihre Degen auf den Steinstufen, die zum Hotel des französischen Gesandten hinaufführten, und sangen dazu das Reiterlied aus Wallensteins Lager. Auf der einen Seite ist diese Tatsache überaus charakteristisch für die überragende Dichtergröße Schillers; konnte er einst eine verkommene und verrottete Klasse begeistern, die längst in dem Grabe der Schande verwest, das ihr die Geschichte geschaufelt hat, so begeistert er heute noch das deutsche Proletariat, die revolutionärste aller modernen Klassen. Auf der anderen Seite zieht jedoch die Erinnerung an den taumelnden Rausch, den Schillers Pathos einst in den Jammerhelden von Jena entzündete, der proletarischen Begeisterung für Schiller eine bestimmte Grenze. Eine bestimmte Grenze nicht in dem Sinne, als ob der moderne Arbeiter sich für Schiller nur bis zu einem gewissen Grade begeistern dürfe; so wenig sich die Begeisterung für lange Jahre einpökeln läßt, so wenig läßt sie sich literweise abmessen. Die Grenze liegt nicht in dem wie oder wieviel, sondern in dem was und bis wohin. Die Bourgeoisie feiert den ganzen Schiller, wie er leibte und lebte; sie nimmt unbesehen seine sämtlichen Werke in ihr geistiges Inventar auf; sie verhimmelt gleichermaßen das Große und das Kleine an ihm, und beweist eben dadurch, daß sie jede innere Beziehung zu ihm verloren hat. Denn wenn sie wirklich noch seines Geistes einen Hauch spürte, so würde sie lebhaft empfinden, daß sie in einer völlig anderen Welt lebt als in der Schiller lebte, daß sie die Dinge mit ganz anderen Augen nicht nur ansieht, sondern auch ansehen muß, als er sie angesehen hat. In einen gleichen Fehler kann die Arbeiterklasse nicht verfallen, nicht weil sie um soviel genauere und reichere Hilfsmittel zum Studium Schillers besäße, als die Bourgeoisie — vielmehr steht sie ihr in dieser Beziehung unendlich nach —, sondern weil sie noch eine innere Beziehung zu Schiller hat. Wenn Goethe gesagt hat, der Gedanke der Freiheit sei in Schillers ganzem Leben und Schaffen lebendig, so ist es dieser Gedanke, der den Dichter der Räuber und des Teil der Bourgeoisie ebenso entfremdet hat, wie er die Arbeiterklasse immer wieder zu ihm heranzieht. Daraus ergibt sich aber zugleich, daß die Bourgeoisie — da sie sich nun einmal für Schiller begeistern muß und will, um den Schein zu erwecken, als kenne sie noch höhere Interessen als die praktisch-nüchterne Geldmacherei —, Schillers Freiheitsidee möglichst ins Unbestimmt-Verschwimmende verwischen muß, während die Arbeiterklasse gerade diese Freiheitsidee so konkret wie möglich zu erfassen bestrebt ist, wobei sie dann eben auf eine bestimmte Schranke stößt. Um noch einmal an die historische Reminiszenz anzuknüpfen, womit wir diese Zeilen eröffneten, so darf kein Arbeiter, der sich für Schiller begeistert, auch nur einen Augenblick vergessen, daß Schiller starb, noch ehe die Schlacht bei Jena geschlagen war, oder mit anderen Worten, daß seit Schillers Tod die deutsche Welt von Grund aus umgestaltet worden ist. Eine ganz andere Welt, als wir sehen, stand vor Schillers Augen, als er seine unsterblichen Werke schuf, die jedoch niemals den

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Rang unsterblicher Werke erreicht haben würden, wenn sie nicht tief und unlöslich eben in ihrer Zeit gewurzelt hätten. Gerade dies meinte Schiller selbst, als er sagte: Denn wer den Besten seiner Zeit genug Getan, der hat gelebt für alle Zehen. Um diesen ganzen Zusammenhang noch mit einem Beispiele zu erläutern, so wählen wir den Idealismus Schillers, den die Bourgeoisie für ihr Leben gern dem »rohen Materialismus« des-klassenbewußten Proletariats aufschwatzen möchte. Die Voraussetzung von Schillers Idealismus war der unversöhnliche Widerspruch zwischen dem Guten und dem Wirklichen, zwischen einem menschenwürdigen Dasein der Massen und der unheilbaren Verrottung, die in dem Deutschland seiner Zeit bestand; eine Versöhnung dieses Widerspruchs fand Schiller, wenn auch nur für einen kleinen Kreis auserlesener Geister, im Reiche der Kunst oder der gleichbedeutenden Begriffe, unter denen er sie darstellte: des Scheins, der Gestalt, der Form, des Bildes, des Gesanges. Das war für Schillers Zeit, der jede praktische Möglichkeit auch nur des bürgerlichen Klassenkampfes fehlte, eine bedeutsame und in ihrer Art großartige Anschauung, aus der die edelsten und erhabendsten Früchte unserer klassischen Literatur erwachsen sind. Aber diese Anschauung brach zusammen oder wirkte doch unheilvoll, soweit sie künstlich aufrecht erhalten wurde, von dem Augenblick an, wo ein bürgerlicher Klassenkampf in Deutschland möglich wurde. Nun gar seitdem der proletarische Klassenkampf entbrannt ist, der, im schroffsten Gegensatz zu dem Schillerschen Idealismus, von der Voraussetzung ausgeht, daß durchaus kein unversöhnlicher Widerspruch zwischen dem Guten und dem Wirklichen, zwischen dem menschenwürdigen Dasein der Massen und dem Zwange der gesellschaftlichen Einrichtungen besteht, sondern daß dieser Widerspruch durch die Beseitigung aller herrschenden und unterdrückenden Klassen alsbald aufgehoben sein würde, seitdem ist der Idealismus Schillers nur eine wertlose Scherbe, an der sich der proletarische Klassenkampf wohl die Finger zerschneiden, aber in der sich niemals seine eigentümliche Größe widerspiegeln kann. Man sage nicht, daß eine Herabsetzung Schillers darin liege, wenn die moderne Arbeiterklasse sein geistiges Erbe noch mit kritischem Vorbehalt antritt. Im Gegenteil ! Sie erweist dem Genius die höchste und würdigste Ehre, wenn sie an ihm trennt, was noch lebendig und was schon abgestorben ist. Despotischer Größenwahn mag sich an der unmenschlichen Vorstellung ergötzen, daß sein Ruhm in Ewigkeit dauere, wenn alles so bleibe, wie es von ihm dekretiert und reglementiert worden sei. Große Denker und Dichter aber huldigen einem schöneren Ehrgeiz. Ihre Werke sollen nur eine Stufe auf dem Vollendungsgange der Menschheit sein, und je schneller die Menschheit auf dieser Stufe zu höheren Zielen emporsteigt, um so herrlicher sehen sie die Arbeit ihres Lebens gekrönt. Schiller selbst, wenn er heute sprechen könnte, würde sein Dasein für verloren erklären, wenn die deutsche Welt seit seinem Tode nicht unendlich vorwärts gekommen wäre.

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In diesem Sinne dürfen auch die modernen Arbeiter von Schiller sagen: Denn er war unser! Sie ehren ihn, wie es seiner und ihrer würdig ist, indem sie ihn aus seiner Zeit heraus begreifen. Ihn an unserer Zeit zu messen, hieße ihm unrecht tun, oder unserer Zeit. Schafft man hier oder da eine scheinbar vollkommene Harmonie, so klaffen an hundert anderen Stellen um so tiefere Risse. Freilich, um Schiller und Schillers Lebenswerk historisch zu begreifen, dazu bedarf es ernsten Lernens und Nachdenkens. Aber das ist eine genußreiche Arbeit, der moderne Proletarier ihre Mußestunden nicht fruchtlos opfern werden. Denn wenn sie, um über die Bourgeoisie zu siegen, ihr auch geistig überlegen sein müssen, so gibt es für sie kein Bildungsmittel, das sie so reich und schnell fördern kann, wie unsere klassische Literatur. Für die Bourgeoisie wird das Gedächtnis Schillers nach dem eitlen Klingklang einiger Wochen wieder verrauscht sein; für die Arbeiterklasse aber wird es — so hoffen und wünschen wir — dauern, im Geiste des klassischen Wortes: Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen. (Franz Mehring)

(erschien u. a. auch in der Oberfrankischen Volkszeitung, 20. 05. 1905).

Bibliographischer Anhang

In das Zeitungs- und Zeitschriftenverzeichnis wurden nur häufig zitierte aufgenommen; eine vollständige Inhaltsangabe der aufgefundenen Artikel zur sozialdemokratischen Schiller-Verehrung findet sich in der dem IISG zur Verfügung gestellten Ausschnitt-Sammlung (vgl. »Vorbemerkung«). Der vorstehend erwähnte »Nachlaß Diederich« findet sich im IISG. Zeitungs- und AfSS Ameise Bergknappe BF BZ BV CG Europa FPE HE Jugend LE LVZ MZ NZ SF SM ST NG VF VG Volksblatt VST WB WJ ZfG ZGD

Zeitschriftenverzeichnis Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Die Ameise. Organ des Verbandes der Porzellan- und verwandten Arbeiter beiderlei Geschlechts, 32. Jg. 1905 Der Bergknappe. Zeitschrift für christliche Bergleute. Organ und Eigenthum des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter Deutschlands. 4. Jg. 1899 Braunschweiger Volksfreund, Jg. 1905 Bergarbeiter-Zeitung, verbunden mit Glückauf. Organ zur Förderung der Bergarbeiter und verwandten Berufe. 17. Jg. 1905 Braunschweiger Volksfreund, Jg. 1905 Correspondenzblatt der Generalcommission der Gewerkschaften Deutschlands Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik 1. Jg. 1905 Freie Presse Elberfeld (Barmen) Hamburger Echo, Jg. 1905 Die Jugend, Jge. 1903 u. 1905 Das Literarische Echo, 7. Jg. 1904/05 Leipziger Volkszeitung. Organ für die Interessen des gesamten werktätigen Volkes, 12. Jg. 1905 Metallarbeiter-Zeitung. Organ für die Interessen der Metallarbeiter 23. Jg. 1905 Die Neue Zeit Sinn und Form Sozialistische Monatshefte Schwäbische Tagwacht (Stuttgart) Die Neue Gesellschaft, Jge. 1905 u. 1906 Volkszeitung Frankfurt, Jg. 1905, 1909 Volksblatt für die Herzogtümer Coburg und Gotha Volksblatt für den Wahlkreis Bochum und Umgegend 1. Jg. 1899 Volksbote Stettin, Jg. 1905 Weimarer Beiträge Der Wahre Jacob, Jg. 1905 Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften Deutschlands. 5. Jg. 1905

Bibliographie

A. Schiller und die Schiller-Verehrung: 1 Abusch, Alexander: Schiller. Größe und Tragik eines deutschen Genius, Berlin und Weimar 1975. 2 Bloch, Ernst: Schiller und Weimar als seine Abbiegung und seine Höhe, in SF 7. Jg. 1955, S. 157ff. 3 Bloch, Ernst: Die Kunst, Schiller zu sprechen, Fft. 1969. 4 Buchwald, Reinhard: Schiller in seiner und in unserer Zeit, WB 1955, S. 87ff. 5 Cruse, Paul: Die Kieler Schillerfeier 1905, in: Schleswig-Holstein 17 (1965) S. 306-308. 7 Dörrfuß, Adolf: Die Schillerfeier 1905. Ihre Stellung in der geistigen Bewegung der deutschen Gegenwart, in: Marbacher Schillerbuch, 2. Bd. hg. von Otto Günter, Stuttgart und Berlin 1907. 8 Gedanken zur Schillerehrung 1955, WB 1960, S. 324ff. 9 Grotewohl, Otto: Wir sind ein Volk. Rede anläßlich der Schillerehrung der deutschen Jugend in Weimar am 3. April 1955, in: Schiller in unserer Zeit. Beiträge zum Schillerjahr 1955, hg. vom Schiller-Komitee 1955, Weimar 1955. 10 Haenisch, Konrad: Schiller und die Arbeiter, Dresden 1912. 11 Härtung, Gunter: Brecht und Schiller, in SF 18. Jg. 1966, S. 743 ff. 12 Hilscher, Eberhard: Schiller in der deutschen Dichtung, WB 1956, S. 343 ff. 13 Hundert Jahre nach Schillers Tode. Stimmen und Bekenntnisse, in: Das Literarische Echo, 7. Jg. 1904/05, S. 1043 ff. 14 Ludwig, Albert: Schiller und die deutsche Nachwelt, Berlin 1909. 15 Mann, Thomas: Schwere Stunde (1905), in: Gesammelte Werke Bd. VIII, Frankfurt 1974, S. 371 ff. 16 Mann, Thomas: Versuch über Schiller. Zum 150. Todestag des Dichters — seinem Andenken in Liebe gewidmet (1955), in: Gesammelte Werke Bd. IX, Frankfurt/M. 1974, S. 870ff. 16a Marbacher Schillerbuch. Zur hundertsten Wiederkehr von Schiller's Todestag hg. vom Schwäbischen Schillerverein Stuttgart-Berlin 1905. 17 Marcuse, Herbert: Schiller Biographie. Berlin 1925. 18 Mayer, Hans: Schillers Nachruhm. SF 11. Jg. 1959, S. 701 ff. 19 Oellers, Norbert: Schiller. Geschichte seiner Wirkung bis zu Goethes Tod 1805—1832, Bonn 1967. 20 Oellers, Norbert (Hg.): Schiller - Zeitgenosse aller Epochen. Teil 1, Frankfurt 1970 Teil 2, Frankfurt 1976. 21 Sautermeister, Gert: Idylle und Dramatik im Werk Friedrich Schillers: Zum geschichtlichen Ort seiner Klassischen Dramen, Stuttgart-Berlin 1971. 22 Schillers Werke, Nationalausgabe. Philosophische Schriften Bd. 20, Weimar 1962. 23 Friedrich Schiller. Leben Werk und Dichtung. Ausstellung zum Gedächtnis der 200. Wiederkehr seines Geburtstages. Schiller National-Museum Marbach. 9. 5.—31. 12. 1959, Stuttgart o. J.

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Bibliographischer Anhang

24 Friedrich von Schiller, Eine Festschrift, Berlin o. Jg. (März 1905, Buchhdlg. »Vorwärts«) 25 Schiller, Reden im Gedenkjahr 1955, Stuttgart 1955, Mann, Heuss, Carlo Schmidt, Hans Mayer, Wilh. Emrich u. a. 26 Schiller, Reden im Gedenkjahr 1959, Stuttgart 1961, Dürenmatt, Heuss, Golo Mann, Hans Mayer, W. Mugsch, Emil Staiger, Benno v. Wiese u. a. 27 Die Schillerfeiern, LE 7. Jg. 1904/05, S. 1297ff. 28 Schiller in unserer Zeit. Beiträge zum Schillerjahr 1955, s. Ziffer 9. 29 Schiller/Heyme: Wallenstein. Regiebuch der Kölner Inszenierung. Hg. von Volker Canaris, Frankft. 1970. 30 Stimmen zur Schillerfeier. LE 7. Jg. 1904/05, S. 1251 ff. 31 Wiese, Benno von; Schiller, Stuttgart 1963. 32 Wolff, Eugen: Schiller im Urteil des 20. Jahrhunderts. Jena 1905. B. Zeitgenössische Bücher und Aufsätze: 33 Adler, Georg: Franz Mehring als Historiker. Kiel und Leipzig 1903. 34 Adler, Victor: Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky. ges. und erläutert von F. Adler, Wien 1954. 35 Aufsätze über den Streik der Bergarbeiter im Ruhrgebiet, Jena 1905. 36 Bebel, August: Das Fazit des Wahlkampfes. NZ 21. 2. 1903, S. 420 ff. 36a Bebel, August: Gewerkschaftsbewegung und politische Parteien. Stuttgart 1900. 37 Bebel, August: Ein Nachwort zur Vizepräsidentenfrage und Verwandtem. NZ 21. 2. 1903, S. 708 ff. 38 Bebel, August: Die soziale Zusammensetzung der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands. NZ 23. 2. 1905, S. 332ff. 39 Bebel, August: Aus meinem Leben. Berlin (Ost) 1961. 40 August Bebeis Briefwechsel mit Friedrich Engels. Hg. von W. Blumenberg. The Hague 1965. 41 August Bebeis Briefwechsel mit Karl Kautsky. Hg. von K. Kautsky (jr.) Assen 1971. 42 Bergmanns Lieder. NZ 23. 1. 1905, S. 562ff. 43 Bernays, Marie: Berufswahl und Berufsschicksal des modernen Fabrikarbeiters. AfSS 35. Jg. Tübingen 1912, S. 123ff. und 36. Jg. Tübingen 1913, S. 888ff. 44 Bernstein, Eduard: Die Menge und das Verbrechen. NZ 16. Jg. 1. Bd. Stuttgart 1898. 45 Bernstein, Eduard: Was folgt aus dem Ergebnis der Reichstagswahlen? SM 1903, 2. Bd., S. 478 ff. 46 Bernstein, Eduard: Der neue Reichstag und die Aufgaben der Sozialdemokratie. SM 1903, 2. Bd., S. 641 ff. 47 Bernstein, Eduard: Wird die Sozialdemokratie Volkspartei? SM 1905, 2. Bd., S. 663 ff. 48 Bernstein, Eduard: Die Arbeiterbewegung. Frankfurt/M. 1910. 49 Bernstein, Eduard: (Hg.): Die Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung. Bd. III, Berlin 1910. 50 Bernstein, Eduard: Der Klassenkampf und der Fortschritt der Kultur. SM 1911, S. 1164 ff. 51 Bernstein, Eduard: Von der Sekte zur Partei. Jena 1911. 52 Bernstein, Eduard: Der Revisionismus in der Sozialdemokratie. Handbuch der Politik Bd. II, Berlin 1914. 53 Bernstein, Eduard: Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin 1921 (Nachdruck 1973). 54 Blank, R.: Die soziale Zusammensetzung der sozialdemokratischen Wählerschaft

Zeitgenössische Bücher und Aufsätze

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Deutschlands. Nebst einer Bemerkung von Max Weber, in: AfSS 20. Bd. 1905, S. 507 ff. 55 Braun, Adolf: Bildungsprobleme in der Arbeiterbewegung, in: Der Kampf 8,1915, S. 241 ff. 56 Bröder, Paul: Die Arbeitnehmerbewegung. Eine Darstellung ihrer geistigen Entwicklung und kulturellen Macht. Hamburg 1919. 57 Broda, R. und Deutsch, Jul.: Das moderne Proletariat. Eine sozialpsychologische Studie. Berlin 1910. 58 Brunhuber, Robert: Die heutige Sozialdemokratie. Eine kritische Wertung ihrer wissenschaftlichen Grundlagen und eine soziologische Untersuchung ihrer praktischen Parteigestaltung. Jena 1906. 59 Brunhuber, Robert: Das moderne Zeitungswesen. Leipzig 1907. 60 Crimmitschau: 1903—1928. Blätter der Erinnerung an Sachsens bedeutsamsten Arbeitskampf. Hg.: Hauptvorstand des deutschen Textilarbeiterverbandes, Berlin o. J. 61 Crimmitschau unterm Belagerungszustand. Centralverband deutscher Textilarbeiter und Arbeiterinnen. Berlin 1903. 62 Der Crimmitschauer Kampf um den Zehnstundentag. Berlin 1905. Hg. Carl Hübsch. 63 Danneberg, Robert: Die Ergebnisse sozialdemokratischer Bildungsarbeit. Der Kampf 8. Kg. 1915. 64 David, Eduard: Referentenführer. Anleitung für sozialistische Redner. Berlin 1907. 65 Dikreiter, Heinrich G.: Sozialdemokratie und Sozialismus im Lichte bürgerlicher Kritik. Altenberg 1911. 66 Drahn, Ernst: Zur Entwicklung und Geschichte des sozialistischen Buchhandels und der Arbeiterpresse. Leipzig 1913. 67 Drahn, Ernst: Die Deutsche Sozialdemokratie. München 1926. 68 Duncker, Käthe: Bildungsbestrebungen und Sozialdemokratie in: Der Freie Bund. 3. Jg. Nr. 4, Leipzig, April 1901. 69 Eisner, Kurt: Tagesgeist. Kulturglossen 1901. 70 Eisner, Kurt: Gesammelte Schriften, Bd. 1 und 2, Berlin 1919. 71 Eisner, Kurt und Kautsky, Karl: Sozialdemokratie und Staatsform. Eine öffentliche Diskussion zwischen E. und K. in: Aus der Waffenkammer des Sozialismus, Frankfurt 1904. 72 Emmerich, Wolfgang: Proletarische Lebensläufe. Autobiographische Dokumente zur Entstehung der Zweiten Kultur in Deutschland. Bd. 2, Reinbek bei Hamburg 1975. 73 Engel: Zum Ausstand der Bergarbeiter im Ruhrbezirk. Berlin 1905. 74 Erdmann, August: Die Sozialdemokratie im Urteil ihrer Gegner. Berlin 1911. 75 Fendrich, Anton: Sport und Kultur. SM 1911, S. 1245ff. 76 Feyl, Othmar: Arbeiterbildung und Arbeiterbibliotheken. Zum 50. Jahrestag des Mannheimer Beschlusses von 1906. in: Der Bibliothekar, 10. Jg. Stuttgart, Heft 9/1956. S. 503-511. 77 Friedeberg, Raphael: Parlamentarismus und Generalstreik, o. O. 1904. 78 Frohme, Karl: Arbeit und Kultur. Eine Kombination naturwissenschaftlicher, anthropologischer, kulturgeschichtlicher und sozialpolitischer Studien. Hamburg 1905. 79 Frohme, Karl: Die Arbeiterbewegung eine Kulturmacht. Berlin 1910. 80 Georgi, Elisabeth: Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung. Jena 1908. 81 Gerhard, Adele: Konsumgenossenschaft und Sozialdemokratie. Nürnberg 1895. 82 Gerlach, Hellmuth: August Bebel. Ein biographischer Essay, München 1909. 83 Geueke, Franz: Die Bergarbeiterstreiks im Ruhrkohlenrevier. Breslau 1912. 84 Göhring, Heinrich: Die Entwicklung der modernen Arbeiterbewegung. (Kultur und Fortschritt), Gantzsch 1912.

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Bibliographischer Anhang

85 Hänisch, Konrad: Statistisches zur Neutralitätsfrage. NZ 18. Jg. 2. Bd. Stuttgart 1900. 86 Hänisch, Konrad: Was lesen die Arbeiter? NZ 1899-1900. 18. Jg. 2. Bd. S. 691 ff. 87 Hänisch, Konrad: Parvus. Berlin 1925. 87a Handbuch der Politik. Hg. von P. Laband u. a. 2 Bd. Leipzig und Berlin 1914. 88 Handbuch des Vereins der Arbeiterpresse. Hg. vom Vorstand des Vereins Arbeiterpresse. 3 Jg. 1914, Berlin 1914. 89 Heilbron Otto: Die »freien« Gewerkschaften seit 1890. Jena 1907. 90 Heine, Wolfgang: Ideale der Sozialpolitik. NZ 15 Jg. 2. Bd. Stuttgart 1897. 91 Heine, Wolfgang: Der 16. Juni. SM 1903, 2. Bd., S. 475 ff. 92 Heritier, Louis: Geschichte der französischen Revolution von 1848 bis zur Zweiten Republik. Mit einem Nachtrag von E. Bernstein. Stuttgart 1897. 93 Herkner, Heinrich: Die Arbeiterfrage. Eine Einführung 1908. 94 Hilferding, Rudolf: Organisierter Kapitalismus. Sozialdemokratischer Parteitag 1927 in Kiel. (Raubdruck). 95 Hirsch, Paul: 25 Jahre sozialdemokratische Arbeit in der Gemeinde. Die Tätigkeit der Sozialdemokraten in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung. Berlin 1908. 96 Hirsch, Paul u. Borchardt, Bruno: Die Sozialdemokratie und die Wahlen zum deutschen Reichstag. Berlin 1912. 97 Hirschfeld, P.: Die freien Gewerkschaften in Deutschland. Jena 1908. 98 Hue, Otto: Die Krawalle von Herne, NZ 17. Jg., 2. Bd., Stuttgart 1899. 99 Hue, Otto: Moderne Völkerwanderung. NZ 22, 1. Jg. 1904, 271 ff. 100 Imperto, Michael: Akademiker und Proletarier. NZ 20. Jg. 1. Bd., Stuttgart 1902. 101 Kampfmeyer, Paul: Das moderne Proletariat. Berlin o. J. 102 Kampfmeyer, Paul: Die Intellektuellen und die Sozialdemokratie. SM 12. Jg., 1. Bd., Berlin 1908. 103 Kampfmeyer, Paul: Der Klassenkampf und der Kulturfortschritt. SM 1903, 2. Bd., S. 667ff. 104 Kampfmeyer, Paul: Vom Klassenbewußtsein und vom Klassenkampf. SM 1903, 2. Bd., S. 825ff. 105 Kampfmeyer, Paul: Die Sozialdemokratie im Licht der Kulturgeschichte. Eine Führung durch die sozialdemokratische Bewegung und Literatur. Berlin 1907 und 1920. 106 Kampfmeyer, Paul: Vom Frankfurter Zunftgesellen zum klassenbewußten Arbeiter. Aus der Waffenkammer des Sozialismus. Berlin 1904. 107 Kampfmeyer, Paul: Wandlungen in der Theorie und Taktik der Sozialdemokratie. München 1904. 108 Kampfmeyer, Paul: Weltanschauung und Sozialdemokratie. München (1911). 109 Kampfmeyer, Paul: Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie. Berlin 1919. 110 Katzenstein, Simon: Arbeiterschaft und Bildungswesen. SM 1903, 2. Bd., S. 510ff. 111 Kautsky, Karl (K. K.): Akademiker und Proletarier, NZ 19. Jg., Bd. 2, Stuttgart 1901. 112 Kautsky, Karl: Bernstein und das sozialdemokratische Programm. Stuttgart 1899, Nachdruck: Berlin-Bonn 1976. 113 Kautsky, Karl: Zum Parteitag. NZ 21. Jg., Bd. 2, S. 729ff. 114 Kautsky, Karl: Was nun? NZ 21. Jg., Bd. 2, S. 389ff. 115 Kautsky, Karl: Der Dresdener Parteitag. NZ 21. Jg., Band 2, 1903. 116 Kautsky, Karl: Die Lehren des Bergarbeiterstreiks. NZ 23. Jg. Bd. 1, S. 772ff., 1905. 117 Kautsky, Karl: Die Freiheit der Meinungsäußerung. NZ 24. Jg., Bd. 1, S. 153 ff., 1906. 118 Kautsky, Karl: Der Journalismus in der Sozialdemokratie. NZ, 24. Jg., Bd. 1, S. 216f£, 1906. 119 Kautsky, Karl: Eine Nachlese zum Vorwärtskonflikt. NZ 24. Jg. Bd. 1, S. 313 ff., 1906. 120 Kautsky, Karl: Der Weg zur Macht. 1909, Nachdruck Frankfurt/M 1972.

Zeitgenössische Bücher und Aufsätze

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121 Kautsky, Karl: Die Revision des Programms der Sozialdemokratie in Österreich. NZ 20. Jg., Bd. 1, Stuttgart 1902. 122 Kautsky, Karl: Der politische Massenstreik. Berlin 1914. 123 Der Klassenkampf im Ruhrrevier. Berlin 1905. 124 Kolb, Wilhelm: Theorie der Taktik. SM 1903, 2. Bd., S. 902ff. 125 Langenberg, Heinrich: Geschichte der Arbeiterbewegung in Hamburg, Altona und Umgegend. Hamburg 1911. 126 Ledebour, G.: Eine Literaturrevolte. NZ 24. Jg., 1. Bd., S. 189ff., 1906. 127 Legien, Carl: Ein Jahrzehnt der gewerkschaftlichen Entwicklung. NZ 23. Jg., Bd. 1, 1905. 128 Lenin, W. I.: Ausgewählte Werke, Bd. 1, Berlin 1969; darin: »Was tun?« und »Zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück«. 128a Lenin, W. I.: Eine rückläufige Richtung in der russischen Sozialdemokratie. Werke, Bd. 4, S. 249 ff. 129 Leusch, Paul: Sozialistische Literatur. 2 Vorträge, Leipzig 1907. 130 Leuthner, Karl: Wandlungen der Journalistik. SM 1910. Bd. 14, 1, S. 488 ff. 131 Levenstein, A. (Hg.): Aus der Tiefe. Arbeiterbriefe, Berlin 1909. 132 Levenstein, Adolf: Arbeiter-Philosophen und -Dichter, Berlin 1909, Band I. 133 Levenstein, Adolf: Die Arbeiterfrage. Mit besonderer Berücksichtigung der sozialpsychologischen Seite des modernen Großbetriebes und der psychophysischen Einwirkungen auf die Arbeiter. München 1912. 134 Levenstein, Adolf: (Hg.): Proletariers Jugendjahre Berlin o. J. 135 Liebknecht, Wilhelm: Wissen ist Macht—Macht ist Wissen und andere bildungspolitische Äußerungen. 136 Ludwig, Fr.: Die Reichtagswahlen von 1907 und die Sozialdemokratie. Bd. 1, Berlin 1907. 137 Luxemburg, Rosa: Briefe an Leon Jogiches. Frankfurt 1971. 138 Luxemburg, Rosa: Briefe an Karl und Luise Kautsky, hg. von L. Kautsky, Berlin 1923. 139 Luxemburg, Rosa: Gesammelte Werke. Bd. 1-5, Berlin 1970ff. 141 142 143 144 145

Luxemburg, Rosa: Briefe an Freunde, hg. von B. Kautsky, Köln 1950. Luxemburg, Rosa: Schriften über Kunst und Literatur, Dresden o. Jg. Maurenbrecher, Max: Massenbildung. SM 1909, Bd. 3, S. 1369. Mehring, Franz: Über den historischen Materialismus. Berlin 1952. Mehring, Franz: Gesammelte Schriften. Bd. 10, 11, 14, 15, Berlin 1962 ff.

146 Michels, Robert: Die deutsche Sozialdemokratie. I. Parteimitgliedschaft und soziale Zusammensetzung. Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 23. Bd. 1906, S. 471 ff. 147 Most, Johann: Der Kleinbürger und die Sozialdemokratie, Augsburg 1876. 148 Mühsam, Erich: Von Eisner bis Levine. Persönlicher Rechenschaftsbericht von Erich Mühsam. Berlin-Britz 1929. 149 Müller, Theodor: Die Geschichte der Breslauer Sozialdemokratie. 1. und 2. Teil. Breslau 1925. 150 Mulert, Oskar: Vierundvierzig ostpreußische Arbeiter und Arbeiterfamilien. Ein Vergleich ihrer ländlichen und städtischen Lebensverhältnisse. Jena 1908. 151 Noack, Victor: (Hg.): Der deutsche Arbeitersängerbund. Berlin 1911. 152 Die Organisation des Generalstreiks in Belgien. Berlin 1913. 153 Parvus (Helphand, A. L.): Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie. Dresden 1896. 154 Parvus (Helphand, A. L.): Der Opportunismus in der Praxis, NZ, 19. Jg., Bd. 2. 155 Parvus (Helphand, A. L.): Die Handelskrisis und die Gewerkschaften. München 1901.

Bibliographischer Anhang

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156 Pfannkuch, August H. Th.: Was liest der deutsche Arbeiter? Aufgrund einer Enquete beantwortet. Tübingen/Leipzig 1900. 157 Pieper, Lorenz: Die Lage der Bergarbeiter im Ruhrrevier. Stuttgart und Berlin 1903. 157a Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Jena 1905, Berlin 1905. 157b Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Nürnberg 1908. Berlin 1908. 158 Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Dresden 1903. 158a Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Hamburg 1897. 158b Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Köln 1893. 159 Zu den Reden Kaiser Wilhelms des II. Zusammengestellt von Axel Matthes. München 1976. 160 Renner, Karl: Karl Kautsky. Berlin 1929. 161 Roland-Holst, Henriette: Generalstreik und Sozialdemokratie Vorwort K. Kautsky. Dresden 1905, 1906 erw. u. rev. 162 Roland-Holst, Henriette: Rosa Luxemburg. Ihr Leben und Wirken. Zürich 1937. 163 Sassenbach, Johann: Bildungsbestrebungen und Bibliothekswesen in den Gewerkschaften. SM 1911, S. 764 ff. 164 Siemering, Hertha: Arbeiterbildungswesen in Wien und Berlin. Eine kritische Untersuchung. Karlsruhe 1911. 165 Söhngen, Ernst: Moderne Arbeiter. Soziales Zeitgemälde aus der Gegenwart. Leipzig

o.J. 166 Sombart, Werner: Ein Beitrag zur Bibliographie des Marxismus, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Bd. 20, 1905, S. 413-430. 167 Sombart, Werner: Das Proletariat, Frankfurt 1906. 168 Sombart, Werner: Sozialismus und soziale Bewegung, Jena 1919. 169 Sombart, Werner: Der proletarische Sozialismus. Jena 1924. 170 Schönhals, Paul: Über die Ursachen der Neurasthenie und die Hysterie bei Arbeitern. Berlin 1906. 171 Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 135. Bd., Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in der Automobilindustrie und in einer Weidener Maschinenfabrik. 135. Bd. 2. Das Leben der jungen Fabrikmädchen in München von Dr. Rosa Kempf. 135. Bd., 3 Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in der Lederwaren-, Steinzeug- und Textilindustrie. 135. Bd., 4. Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in der geschlossenen Großindustrie, dgst. an den Verhältnissen einer Luckenwalter Wollhutfabrik, von Elise Hermann, Leipzig 1911. 172 Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 153. Band. Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in der Schuhindustrie und in einem oberschlesischen Walzwerk. München und Leipzig 1915. 173 Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Band 134. Untersuchung über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiter in den verschiedenen Zweigen der Großindustrie. Leipzig 1910. darin: von Bienkowski: Untersuchungen über Arbeitseignung und Leistungsfähigkeit der Arbeiterschaft in einer Kabelfabrik. — Hans Hinke: Auslese und Anpassung der Arbeiter im Buchdruckergewerbe mit besonderer Berücksichtigung auf die Setzmaschine. C/. Heiß: Auslese und Anpassung der Arbeiter in der Berliner Feinmechanik. Julius Deutsch: Auslese und Anpassung der Arbeiter in den österreichischen Siemens-Schuckert-Werken in Wien. Dora Lande: Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Berliner Maschinenindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Neuere Literatur zur SPD-Forschung und Allgemeines

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173a Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Band 133. Untersuchung über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschiksal) der Arbeiter in den verschiedenen Zweigen der Großindustrie. Leipzig 1910. Darin: Bernays, Marie: Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft in der geschlossenen Großindustrie. (Bd. 1). 174 Schröder, Hans-Christoph: Sozialismus und Imperialismus. Die Auseinandersetzung der deutschen Sozialdemokratie mit dem Imperialismusproblem und der Weltpolitik vor 1914. Hannover 1968. 175 Schröder, Wilhelm: Geschichte der sozialdemokratischen Parteiorganisation in Deutschland, Dresden 1912. 176 Stampfer, Friedrich: Richtung und Partei. NZ 24. Bd. 1, 1906. 177 Stampfer, Friedrich: Erfahrungen und Erkenntnisse. Köln 1957. 178 Tews, Johannes: Sozialdemokratie und öffentliches Bildungswesen. Langensalza 1919. 179 Umbreit, Paul: Die gegnerischen Gewerkschaften in Deutschland. Berlin 1907. 180 Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik. 1905, in: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 116, Leipzig 1906. 181 Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik Wien 1909. in: Schriften des Vereins für Sozialpolitik Bd. 132, Leipzig 1910. 182 Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik Nürnberg 1911. in: Schriften des Vereins für Sozialpolitik Bd. 138, Leipzig 1912. 183 Der Vorwärts-Konflikt. Gesammelte Aktenstücke. München 1905. 184 Zum Vorwärts-Konflikt. Eine Darstellung aufgrund der vorliegenden Dokumente und Protokolle. Berlin 1916. 185 Weber, Max: Adresse an den Verein für Sozialpolitik, in: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 125, S. 296-297, 1908. 186 Weber, Max: Der Sozialismus, in: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik. Tübingen 1924. 187 Weber, Max: Methodologische Einleitung für die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der geschlossenen Großindustrie (1908). in: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik. Tübingen 1924. 188 Wittwer, M.: Das deutsche Zeitungswesen in seiner neueren Entwicklung. Halle 1914. 189 Zetkin, Clara: Über Literatur und Kunst. Berlin 1955. 190 (Zeuner, R.): Die Not des vierten Standes, von einem Arzt. Leipzig 1894.

C. Neuere Literatur zur SPD-Forschung und Allgemeines: 191 Abendroth, u. a.: Sozialdemokratie und Sozialismus. August Bebel und die Sozialde, mokratie. Köln 1974. 192 Abendroth, Wolfgang: Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie. 193 Ackermann, K.: Organisatorische Steitigkeiten in der deutschen Sozialdemokratie 1890-1914, Heidelberg 1946. 194 Adelmann, Gerhard: Quellensammlung zur Geschichte der sozialen Betriebsverfassung. Bd. 1, Bonn 1960. 195 Adelmann, Gerhard: Die soziale Betriebsverfassung des Ruhrbergbaus vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum I. Weltkrieg. Bonn 1962. 196 Adolph, Hans J. L.: Otto Wels und die Politik der deutschen Sozialdemokratie 1894-1939. Eine politische Biographie. Berlin 1971. 197 Ahrens, W.: Das sozialistische Genossenschaftswesen in Hamburg 1890-1914. Diss Hamburg 1970.

248

Bibliographischer Anhang

198 Alquati, Romano: Klassenanalyse und Klassenkampf. Arbeiteruntersuchungen bei FIAT und Olivetti. Frankfurt 1974. 198a Althusser, Louis: Für Marx. Frankfurt 1968. 198b Althusser, Louis, Balibar, Etienne: Das Kapital Lesen, Bd. 1 und 2, Reinbek bei Hamburg 1972. 199 Althusser Louis: Ideologie und ideologische Staatsapparate, in: ders. Marxismus und Ideologie, Berlin 1973. 200 Anderson, Evelyn: Hammer oder Amboß. Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Nürnberg 1948. 201 Aufsätze über den Streik der Bergarbeiter im Ruhrgebiet. Jena 1905. 202 Bartel, Walter: Die Linken in der deutschen Sozialdemokratie im Kampfe gegen Imperialismus und Krieg. Berlin 1958. 203 Barth, Ernst: Entwicklungslinien der deutschen Maschinenbauindustrie, 1870—1914. Berlin 1973. 204 Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt 1974. 205 Berger, Michael: Arbeiterbewegung und Demokratisierung. Die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung des Arbeiters der katholischen Arbeiterbewegung im Wilhelminischen Deutschland zwischen 1890—1914. Diss. — Phil. Freiburg 1970. 206 Bernhard, H. J., Fricke, Dieter: Forschungen zur Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung von 1900 bis 1917/18 in: ZfG, Sonderheft, 8. Jg., Berlin 1960, S. 300ff. 207 Bertlein, Hermann: Jugendleben und soziales Bildungsschicksal. Reifungsstil und Bildungserfahrungen werktätiger Jugendlicher 1860—1910, Hannover 1966. 208 Bieligk, Fritz: Die Entwicklung der sozialdemokratischen Organisation in Deutschland. Berlin o. J. 209 Bleiber, Helmut: Die Moabiter Unruhen 1910, in: ZfG 3, 1955, S. 173 ff. 209a Blumenberg, Hans: Beobachtungen an Metaphern, in: Archiv für Begriffsgeschichte Bd. 15, Hft 2, Bonn 1971. 210 Blumenberg, Werner: Das literarische Werk Kautsky's. Ein bibliographisches Apercu. S'Gravenhage 1960. 211 Bock, Hans-Martin: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923.Meisenheim am Glan 1969. 212 Böhme, Helmut: Prolegomena zu einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt 1969. 213 Bologna, Sergio, Cacciari, Massimo: Zusammensetzung der Arbeiterklasse und Organisationsfrage. Berlin 1973. 214 Born, Karl-Erich: Staat und Sozialpolitik seit Bismarks Sturz. Wiesbaden 1957. 215 Brachmann, Botho: Russische Sozialdemokraten in Berlin 1895-1914. Berlin 1962. 216 Brandis, Kurt: Der Anfang vom Ende der Sozialdemokratie. Die SPD bis zum Fall des Sozialistengesetzes. Berlin 1975 (Nachdruck). 217 Brauneck, Manfred: Literatur und Öffentlichkeit im ausgehenden 19. Jahrhundert. Stuttgart 1974. 218 Brockhaus, Eckhard: Zusammensetzung und Neustrukturierung der Arbeiterklasse vor dem ersten Weltkrieg. München 1975. 219 Bronder, D.: Organisation und Führung der sozialistischen Arbeiterbewegung im deutschen Reich 1890-1914. Diss Göttingen 1952. 221 Brückner, Peter: Ricke Gabriele: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in der Arbeiterbewegung, in: Brückner u. a., Das Unvermögen der Realität, Berlin 1974. 222 Bry, Gerhard: Wages in Germany 1871-1945, Princeton 1960.

Neuere Literatur zur SPD-Forschung und Allgemeines

249

222a Bülow, Bernhard Fürst von: Denkwürdigkeiten, hg. von F. v. Stockhammern, 4 Bde. 1930-31. 223 Cacciari, Massimo: Qualifikation und Klassenbewußtsein Frankfurt 1970. 223a Dang, Anton: Die sozialdemokratische Presse Deutschlands, Frankfurt Diss 1928. 224 Deutsche Sozialgeschichte. Dokumente und Skizzen. Bd. 2,1870-1914. Hg. von G. A. Ritter und Jürgen Kocka. München 1974. 225 Domann Peter: Sozialdemokratie und Kaisertum unter Wilhelm II, Wiesbaden 1974. 226 Dornemann, Luise: Klara Zetkin. Leben und Werken. Berlin 1973. 227 Ebert, Traude: Das Verhältnis der Arbeiterklasse zur Instrumentalmusik, dargestellt bis zum Jahre 1933. Diss Berlin(Ost) 1972. 228 Ehrenfeuchter, B.: Politische Willensbildung in Niedersachsen zur Zeit des Kaiserreichs. Diss Göttingen 1951. 228a Engels, Friedrich: Vorwort zu K. Marx, Klassenkämpfe in Frankreich 1848—1850, in: MEW Bd. 7. 229 Engelsing, Rolf: Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten. Göttingen 1973. 230 Farwig, F.: Der Kampf um die Gewerkschaften. Moskau/Berlin 1929. 231 Festschrift: 80 Jahre Fürther Sozialdemokratie 1872-1952, o. O., o. J. 232 Festschrift: für Carl Grünberg. Leipzig 1932. 233 Festschrift: für Hans Rosenberg, Berlin 1970. 234 Fischer, Wolfram: Arbeitermemoiren als Quelle für Geschichte und Volkskunde der industriellen Gesellschaft in: Soziale Welt, 9. Jg. (1958). 235 Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. München 1974. 236 Foucault, Michel: L'ordre du discours. Paris 1971. 237 Franz, Rudolf: Theater und Volk. München o. J. 237a Freud, Sigmund: Gesammelte Werke Bd. 10, London 1942ff. 23 8 Fricke, Dieter: Der Aufschwung der Massenkämpfe der deutschen Arbeiterklasse unter dem Einfluß der russischen Revolution von 1905. in: ZfG, 5. Jg. Berlin 1957, S. 70ff. 239 Fricke, Dieter: Zum dialektischen Wechselverhältnis von Partei und Klasse in der deutschen Arbeiterbewegung vor dem ersten Weltkrieg, in: ZfG, 1973, S. 524ff. 240 Fricke, Dieter: Eine Denkschrift Krupps aus dem Jahre 1912 über den Schutz der »Arbeitswilligen«, in: ZfG 5. Jg. 1957, S. 241 Fricke, Dieter: Der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie von seiner Gründung bis zu den Reichstagswahlen von 1907. in: ZfG 7. Jg., 1959, S. 237ff. 242 Fricke, Dieter: Die sozialdemokratische Parteischule (1906-1914) in: ZfG, 1957, S. 229 ff. 243 Fricke, Dieter: Friedrich Stampfer und der »demokratische Sozialismus«, in: ZfG (Sonderdruck) 1958, S. 749ff. 244 Fricke, Dieter: Parteivorstand und reformistische Gewerkschaftsführung zu Beginn des Ruhrbergarbeiterstreiks 1905 in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 16. Jg., 1974, S. 282ff. 245 Fricke, Dieter: Zur Organisation und Tätigkeit der deutschen Arbeiterbewegung (1890-1914). Leipzig 1962. 246 Fricke, Dieter: Die deutsche Arbeiterbewegung 1869-1914. Berlin 1976. 247 Fricke, Dieter: Der Ruhrbergarbeiterstreik von 1905. Berlin 1955. 248 Friedrich, Cäcilia: Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Berlin (Ost), 1966. 249 Fritsch, Johann: Eindringen und Ausbreitung des Revisionismus im deutschen Bergarbeiterverband (bis 1914). Leipzig 1967. 250 Fülberth, Georg: Sozialdemokratische Literaturkritik vor 1914 in: Alternative, 14. Jg., 1971, S. 2 ff.

250

Bibliographischer Anhang

251 Fülberth, Georg: Zur Genese des Revisionismus in der deutschen Sozialdemokratie vor 1914. in: Argument Hft 63, 1971, S. 18 ff. 252 Fülberth Georg: Harrer, Jürgen: Die deutsche Sozialdemokratie 1890-1933. Darmstadt und Neuwied 1974. 253 Fülberth, Georg: Proletarische Partei und bürgerliche Literatur. Neuwied und Berlin 1972. 254 Fürstenberg, Friedrich: Industriesoziologie. Vorläufer und Frühzeit 1835—1934. Neuwied 1959. 255 Gay, Peter: Das Dilemma des demokratischen Sozialismus. Eduard Bernsteins Auseinandersetzung mit Marx. Nürnberg 1954. 256 Geiger, Theodor: Die soziale Schichtung des deutschen Volkes. Stuttgart 1932. 257 Geißner, Helmut: Zum Fünfsatz, in: Dyck, Joachim (hg.), Rhetorik in der Schule. Kronberg Taunus 1974. 257a Gerlach, Ingeborg: Bitterfeld. Kronberg 1974. 258 Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Kapitel IV. Berlin 1967. 259 Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 9. Berlin 1974. 260 Geschichte und Klassenbewußtsein heute. Diskussion und Dokumentation. Amsterdam 1971 (Schwarze Reihe Frankfurt). 261 Goldenberg, Boris: Beiträge zur Soziologie der deutschen Vorkriegssozialdemokratie. Diss Heidelberg 1932. 262 Gramsci, Antonio: Philosophie der Praxis. Frankfurt 1967. 263 Griep, Günter: Die deutsche Sozialdemokratie und die Freien Gewerkschaften 1905/06. Diss Jena 1964. 264 Griep, Günter: Über das Verhältnis der Sozialdemokratie und den Freien Gewerkschaften während der Massenstreikdebatte 1905/06 in Deutschland, in: ZfG, 11. Jg., 1963, S. 915 ff. 265 Griep, Günter: Die Entwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung in der Zeit vom Fall des Sozialistengesetzes bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges. Berlin 1960. 266 Groh, Dieter: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Frankfurt - Berlin - Wien 1973. 267 Gruhle, Hans-W.: Die Selbstbiographie als Quelle historischer Erkenntnis, in: Melchior Palyi (hg): Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber Bd. 1. München-Leipzig 1923, S. 157 ä. 268 Grunenberg, Antonia (Hg.): Die Massenstreikdebatte. Frankfurt 1970. 269 Gumpert, Fritz: Die Bildungsbestrebungen der Freien Gewerkschaften. Jena 1923. 270 Gustafsson, Bo: Marxismus und Revisionismus, I. u. II. Frankfurt 1972. 271 Gutsche, Willibald; Laschitza, Anneliese:Forschungen zur deutschen Geschichte von der Jahrhundertwende bis 1917. in: ZfG, 18. Jg., 1970, Sonderheft, S. 476ff. 271a Hagen, Wolfgang: Zur Archeologie der marxistischen Geschichts- und Literaturtheorie, in: Schlaffer, H. (Hg.), Erweiterung der materialistischen Literaturtheorie durch Bestimmung ihrer Grenzen. Stuttgart 1974. 272 Haupt, Georges: Programm und Wirklichkeit. Die internationale Sozialdemokratie vor 1914. Neuwied und Berlin 1970. 273 Hegel. G. W. F.: Die Wissenschaft der Logik, Werke Bd. 6, hg. von Moldenhauer/Michel, Frankfurt 1969. 274 Heidegger, Herrmann: Die deutsche Sozialdemokratie und der nationale Staat. Göttingen-Berlin-Frankfurt (1956). 275 Henning, F.-W.: Die Industrialisierung in Deutschland 1800-1914. Paderborn 1973. 276 Herrmann, Ursula: Der Kampf der Sozialdemokratie gegen das Dreiklassenwahlrecht in Sachsen im Jahre 1905/06. in: ZfG, 3. Jg., 1955, S. 856ff. 277 Herrnstadt, Rudolf: Die Entdeckung der Klassen. Berlin 1965.

Neuere Literatur zur SPD-Forschung und Allgemeines

251

278 Hirschberg, Susanne: Das Bildungsschicksal des gewerblichen Proletariats im Lichte der Arbeiterautobiographien. Diss Köln 1928. 279 Höhle, Thomas: Franz Mehring. Sein Weg zum Marxismus 1869-1891. Berlin 19582. 280 Höhn, Reinhard: Die vaterlandslosen Gesellen. Der Sozialismus im Licht der Geheimberichte der preußischen Polizei 1878-1914. Bd. 1 u. 2, Köln und Opladen 1964. 281 Hoffmann, Ludwig; Hoffmann-Ostwald, Daniel: Deutsches Arbeitertheater 1918-1933. Bd. 1 und 2. München 1973. 282 Holtferich, Carl-Ludwig: Quantitative Wirtschaftsgeschichte des Ruhrkohlenbergbaus im 19. Jahrhundert, Dortmund 1973. 284 Holzheuer, Walter: Karl Kautskys Werk als Weltanschauung. München 1972. 285 Irrlitz, Gerhard: Bemerkungen über die Einheit politischer und theoretischer Wesenszüge des Zentrismus in der dtsch. Sozialdemokratie, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 1966, Heft 1. 286 Jacobeit, Wolfgang; Möhrmann, Ute (Hg.): Kultur und Lebensweise des Proletariats. Kulturhistorisch-volkskundliche Studien und Materialien. Berlin 1973. 289 Johannsen, Harro: Der Revisionismus in der deutschen Sozialdemokratie 1880-1914. Diss Hamburg 1954. 290 Jakobson, Roman: Form und Sinn. München 1974. 291 Jakobson, Roman: Selectet Writings. Vol 2, The Hague 1971. 292 Jakobson, Roman: Aufsätze zur Linguistik und Poetik. München 1974. 293 Jakobson, Roman: Hölderlin, Klee, Brecht. Zur Wortkunst dreier Gedichte. Frankfurt 1976. 294 Jansen, Reinhard: Georg von Vollmar. Eine politische Biographie. Düsseldorf 1958. 295 Jantke, Carl; Hilger, Dietrich (Hg.): Die Eigentumslosen. Der deutsche Pauperismus und die Emanzipationskrise in Darstellungen und Deutungen der zeitgenössischen Literatur. Freiburg München 1965. 297 Kantorowicz, Ludwig: Die sozialdemokratische Presse Deutschlands. Tübingen 1922. 298 Karsz, Saül: Theorie et politique: Louis Althusser. Paris 1975. 299 Kirchhoff, Hans-Georg: Die staatliche Sozialpolitik im Ruhrbergbau 1871-1914. Köln und Opladen 1958. 300 Klein, Fritz: Deutschland von 1897/98 bis 1917. Berlin 1963. 301 Knilli Friedrich; Münchow, Ursula: Frühes deutsches Arbeitertheater 1847-1918. München 1970. 303 Koch, Adalbert: Arbeitermemoiren als sozialwissenschaftliche Erkenntnisquelle, in: AfSS 1929, S. 128 ff. 304 Koch, Hans: Franz Mehrings Beitrag zur marxistischen Literaturtheorie. Berlin 1959. 305 Koch, Max Jürgen: Der Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet. Düsseldorf 1954. 306 Köllmann, Wolfgang: Bevölkerung in der industriellen Revolution. Göttingen 1974. 307 Kolb, Eberhard (Hg.): Vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Köln 1972. 308 Koller, Phillip-Alexander: Das Massen- und Führerproblem in den Freien Gewerkschaften, in: AfSS Ergänzungsheft 17. Tübingen 1920. 309 Korn, Karl: Die Arbeiterjugendbewegung. Einführung in ihre Geschichte. Berlin 1922. 310 Korsch, Karl: Die materialistische Geschichtsauffassung und andere Schriften. Frankfurt 1971. 311 Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Geschichte der deutschen Presse Teil II. Berlin 1966. 312 Koszyk, Kurt: Zwischen Kaiserreich und Diktatur. Heidelberg 1958. 313 Koszyk, Kurt: Die Presse der deutschen Sozialdemokratie. Hannover 1966. 313 Koszyk, Kurt: Anfänge und frühe Entwicklung der sozialdemokratischen Presse im Ruhrgebiet. Dortmund 1953. 316 Kramer, Dieter: Sozialkulturelle Lage und Ideologie der Arbeiterschaft im 19. Jahr-

252

Bibliographischer Anhang

hundert, in: Kultureller Wandel im 19. Jahrhundert, hg. von G. Wiegelmann. Göttingen 1973. S. 112ff. 317 Kuczynski, Jürgen: Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus. Bd. 4 und Bd. 14. Berlin 1947ff. 318 Kuczynski, Jürgen: ökonomische Basis und Zusammensetzung der Arbeiteraristokratie im Wandel eines Jahrhunderts, in: ZfG 2. Jg. 1954, S. 666 ff. 319 Kuhn, Thomas. S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt 1967. 320 Krumpmann, Walter: Franz Mehring als Vertreter des historischen Materialismus. Wiesbaden 1966. 321 Landauer, Carl: Die Sozialdemokratie. Geschichtsabriß und Standortbestimmung. Hamburg 1972. 322 Langerhans, Heinz: Partei und Gewerkschaft. 1890-1914, Berlin 1972. 323 Laschitza, Annelies: Deutsche Linke. Ein Kampf für eine demokratische Republik. Berlin 1969. 324 Laschitza, Annelies; Radzun, Günter: Rosa Luxemburg. Ihr Wirken in der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt 1971. 325 Lassalle, Ferdinand: Arbeiterlesebuch und andere Studientexte. Hg. von Wolf Schäfer. Reinbek bei Hamburg 1972. 325a Lassalle, Ferdinand: Reden und Schriften Bd. 1-3. Hg. von E. Bernstein, Berlin 1892/93. 326 Lassalle, Ferdinand: Reden und Schriften. Hg. von F. Jenaczek, München 1970. 327 Lenk, Kurt (Hg): Ideologie. Ideologiekritik und Wissenssoziologie. Neuwied 1961. 328 Lexikon sozialistischer deutscher Literatur von den Anfängen bis 1945. (Nachdruck S'Gravenhage 1973). 329 Lipinski, Richard: Die Sozialdemokratie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. 2 Bde. 1875-1913, Berlin 1928. 330 Lucas, Erhard: Zwei Formen von Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung. Frankfurt 1976. 330 a Lukäcs, Georg: Franz Mehring, in: Probleme der Ästhetik, G. Lukäcs Werke, Bd. 10. Neuwied und Berlin 1969. 331 Lukäcs, Georg: Geschichte und Klassenbewußtsein. Berlin 1923 (Nachdruck Amsterdam 1967). 331 a Lukäcs Georg: Lenin. Neuwied und Berlin 1967. 332 Lukäcs, Georg: Die moralische Sendung der Kommunistischen Partei, in: Kommunismus 1/16-17, 1920. 332 a Lukäcs, Georg: Theorie des Romans. Neuwied und Berlin. 333 Marcuse, Herbert: Über den affirmativen Charakter der Kultur, in: ders. Kultur und Gesellschaft 1. Frankfurt 1965. 334 Marx, Karl: Zur Kritik des Gothaer Programms, in: MEW Bd. 19. 334 a Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW Bd. 23. 334 b Marx, Karl: Das Kapital, 1. Auflage von 1867. Nachdruck Tokyo, Japan, 1959. 334 c Marx, Karl: Kapital Bd. 3, in: MEW Bd. 25. 334 d Marx, Karl: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850, in: MEW Bd. 7. 335 Matthias, Erich: Kautsky und der Kautskyanismus, in: Marxismusstudien, 2. Folge, Tübingen 1957. 336 Matthias, Erich und Pikart, E. (Hg.): Die Reichstagsfraktion der deutschen Sozialdemokraten 1898-1918, Düsseldorf 1966. 337 Mauke, Michael: Die Klassentheorie von Marx und Engels. Frankfurt 1970. 338 Mayer, Peter: Bruno Schönlank 1895-1901. Reformer der sozialdemokratischen Tagespresse. Hannover 1971. 339 Miller, Susanne: Das Problem der Freiheit im Sozialismus, Frankfurt 1964.

Neuere Literatur zur SPD-Forschung und Allgemeines

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340 Miller, Susanne: Critique litteraire de la Social-Democratie allemande ä la fin du siecle dernier, in: Mouvement Social, No. 59 (1967) S. 50ff. 341 Mommsen, Hans (Hg.): Sozialdemokratie zwischen Klassenbewegung und Volkspartei. Frankfurt 1974. 342 Moring, Karl-Ernst: Die Sozialdemokratische Partei in Bremen 1890—1914. Hannover 1968. 343 Mottek, Hans: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriß. Bde. 2 und 3, Berlin 1974. 344 Münchow, Ursula: Aus den Anfängen sozialistischer Dramatik. Berlin 1964. 345 Münchow, Ursula: Frühe deutsche Arbeiterbiographie. Berlin 1973. 346 Münchow, Ursula: Naturalismus und Proletariat, in WB, 1964. 347 Münchow, Ursula: Das Bild des Arbeiters in der proletarischen Selbstdarstellung. Zur Bedeutung der frühen Arbeiterbiographie, in: WB, 19. Jg. 1973, S. 110 ff. 347a Negri, Antonio: Zyklus und Krise bei Marx. Berlin 1972. 347b Negri, Antonio: Krise des Plan-Staats. Kommunismus und revolutionäre Organisation. Berlin 1973. 348 Negt, Oskar: Marxismus als Legitimationswissenschaft. Zur Genese der stalinistischen Philosophie, in: Deborin/Bucharin, Kontroversen über dialektischen und mechanistischen Materialismus, hg. von O. Negt, Frankfurt 1969. 348a Nestriepke, Siegfried: Geschichte der Volksbühne. Teil 1, 1890-1914. Berlin 1930. 349 Nestriepke, Siegfried: Die Gewerkschaftsbewegung. Bd. 1. Berlin o. J. 350 1907-1945. Neue Probleme der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Berlin 1965. 351 Nicolai, W.: Nachrichtendienst. Berlin 1920. 352 Nipperdey, Th.: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918. Düsseldorf 1961. 353 Obermann, Karl: Der Ruhrbergarbeiterstreik 1889, in: ZfG, 4. Jg., 1956, S. 335 ff. 354 Oertzen, Peter von: Die großen Streiks der Ruhrbergarbeiterschaft im Frühjahr 1919, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 6. Jg. 1956, S. 231 ff. 355 Oschilewski, Walther G.: Werden und Wirken. Ein Gang durch die Geschichte der Berliner Sozialdemokratie. Berlin 1954. 356 Osterroth, Franz: Biographisches Lexikon des Sozialismus Bd. 1. Verstorbene Persönlichkeiten. Hannover 1960. 357 Osterroth, F.: 100 Jahre Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein. Kiel 1963. 358 Osterroth, Franz; Schuster, Dieter: Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Hannover 1963. 360 Peukert, Willi-Erich: Volkskunde des Proletariats. Bd. I. Aufgang der proletarischen Kultur. Frankfurt 1931. 361 Piscator, Erwin: Schriften, 2. Bde. Berlin 1968. 362 Polte, Walter: Die Wahlrechtskämpfe 1906/10 in Görlitz, in: Beiträge zur Geschichte der Görlitzer Arbeiterbewegung III. Görlitz 1968. 363 Poth, Ludwig: Die Stellung des Steinkohlebergbaus im Industrialisierungsprozess unter besonderer Berücksichtigung des Ruhrgebietes. Berlin 1971. 364 Poulantzas, Nicos: Zum marxistischen Klassenbegriff. Berlin 1973. 365 Pozzoli, Claudio (Hg.): Spätkapitalismus und Klassenkampf. Eine Auswahl aus den »Quaderni Rossi«. Frankfurt 1972. 366 Die Preußische Volksschule 1870-1914. Marburg 1975. 367 Ranciere, Jacques: Wider den akademischen Marxismus. Berlin 1976. 368 Reichard, Richard. W.: The German working class and the Russian Revolution of 1905, in: Journal of Central European Affairs, Bd. 13, S. 136ff. 369 Reisig, Hildegard: Die Rolle der Bildung für die Befreiung des Proletariats im politischen Denken der deutschen Arbeiterbewegung. Diss. Leipzig 1933.

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370 371 372 373 374

Bibliographischer Anhang

Ritter, Gerhard A.: Die Arbeiterbewegung im wilhelminischen Reich. Berlin 1959. Rosenberg, Arthur: Geschichte der Weimarer Republik. Frankfurt 1961. Rosenberg, Arthur: Entstehung der Weimarer Republik. Frankfurt 1961. Roth, Günter: The Social Democrats in Imperial Germany. Totowa 1963. Roth, Günter: Die kulturellen Bestrebungen der Sozialdemokratie im kaiserlichen Deutschland, in: Wehler (Hg.), Moderne Deutsche Sozialgeschichte, Köln und Opladen 1966. 375 Roth, Karl-Heinz: Die »andere« Arbeiterbewegung. München 1974. 377 von Rüden, Peter: Sozialdemokratisches Arbeitertheater (1848-1914), Frankfurt 1973. 378 Sauerland, Kurt: Der dialektische Materialismus. I. Buch. Berlin 1932. 379 Saul, Klaus: Staat, Industrie und Arbeiterbewegung 1903-1914. Diss. Hamburg 1971. Düsseldorf 1974. 379a Saussure, Ferdinand de: Cours de linguistique generale. Paris 1973. 380 Seidel, Helmut: Streitkämpfe der mittel- und ostdeutschen Bergarbeiter von 1890-1914. Leipzig 1964. 381 Semjonow, W. S.: Kapitalismus und Klassen. Berlin 1972. 384 Schäfers, Hans-Joachim: Zur sozialistischen Arbeiterbildung in Leipzig 1890-1914. Leipzig 1961. 385 Schapiro, Leonhard: Die Geschichte der KPDSU. Frankfurt 1961. 386 Scharlau, W. B.; Zeman, Z. A.: Freibeuter der Revolution. Parvus-Helphand. Köln 1964. 387 Scharrer, Manfred: Arbeiterbewegung im Obrigkeitsstaat. Berlin 1976. 388 Schena, Rudolf: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910. Frankfurt 1970. 389 Scherer, Herbert: Bürgerlich-oppositionelle Literaten und sozialdemokratische Arbeiterbewegung nach 1890. Stuttgart 1974. 390 Schiller, F. P.: Mehring und die marxistische Literaturwissenschaft, in: Internationale Literatur 1932, Hft. 2, S. 77ff. 391 Schleifstein, Josef: Franz Mehring. Sein marxistisches Schaffen 1891-1919. Berlin 1959. 392 Schorske, Carl. E..- German Social Democracy 1905—1917. The development of the great Schism. Cambridge/Mass. 1955. 394 Schröder, Gustav (Hg.): Friedrich Bosse. Frühes Leipziger Arbeitertheater. Berlin 1972. 395 Schüddekopf, Otto-Ernst: Der Revolution entgegen: Materialien und Dokumente zur Geschichte des linken Flügels der deutschen Sozialdemokratie vor dem I. Weltkrieg, in Archiv für Sozialgeschichte. Hannover 1969. 396 Schult, J.: Geschichte der Hamburger Arbeiterbewegung. Hannover 1967. 397 Schulz, H.: Politik und Bildung. Hundert Jahre Arbeiterbildung. Berlin 1931. 398 Schumacher, Horst: Sie nannten ihn Karski. Berlin 1964. 399 Schuster, D.: Das preußische Dreiklassenwahlrecht, der politische Streik und die deutsche Sozialdemokratie. Diss. Bonn 1958. 400 Schuster, H.: Arbeiterturner im Kampf um die Jugend. Berlin 1962. 401 Schwerin von Krosigh, Lutz Graf: Die große Zeit des Feuers. Der Weg der deutschen Industrie. 3 Bde. Tübingen 1957-59. 402 Staffelberg, Müller: Der Klassenkampf und die Sozialdemokratie. Raubdruck 1969. 403a Stegmann, Dirk: Vom Kaiserreich zur Republik, in Archiv für Sozialgeschichte 15. Bd. Bonn-Bad Godesberg 1975, S. 507ff. 404 Steinberg, Hans-Josef: Sozialismus und deutsche Sozialdemokratie. Zur Ideologie der Partei vor dem I. Weltkrieg. Bonn-Bad Godesberg 1972.

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Neuere Literatur zur SPD-Forschung und Allgemeines

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405 Stenkewitz, Kurt: Gegen Bajonett und Dividende. Berlin 1960. 407 Stieg, Gerald; Witte, Bernd: Abriß einer Geschichte der deutschen Arbeiterliteratur. Stuttgart 1973. 408 Stolper, Gustav: Deutsche Wirtschaft seit 1870. Tübingen 1964. 409 Striemer, Alfred: Der Industriearbeiter. Breslau 1923. 410 Strobel, Georg, W.: Die Partei Rosa Luxemburgs, Lenin und die SPD. Wiesbaden 1974. 411 Tänzler, Fritz: Die deutschen Arbeitgeberverbände 1904-1929. Berlin 1929. 412 Thier, Erich: Gestaltwandel des Arbeiters im Spiegel seiner Lektüre. Leipzig 1939. 413 Timmermann, Heinz: Geschichte und Struktur der Arbeitersportbewegung 1893-1933. Diss. Marburg 1969, auch Ahrensburg 1973. 415 Tormin, W.: Geschichte der deutschen Parteien seit 1848. Stuttgart 1966. 416 Tronti, Mario: Extremismus und Reformismus. Berlin 1971. 417 Tronti, Mario: Operaio e Capitale. Turin 1966. 418 Tronti, Mario: Arbeiter und Kapital. Frankfurt 1974. 419 Trunz, Cäcilia: Die Autobiographien von deutschen Industriearbeitern. Diss. Freiburg 1934. 420 Uhen, Leo: Gruppenbewußtsein und informelle Gruppenbildungen bei deutschen Arbeitern im Jahrhundert der Industrialisierung. Berlin 1964. 421 Umbreit, Paul: 25 Jahre deutscher Gewerkschaftsbewegung 1890-1915. Berlin 1915. 422 Völkerin, Klaus: Der Crimmitschauer Textilarbeiterstreik von 1903/04 in der frühen sozialistischen Literatur und im revolutionären Arbeiterlied, in: WB 8. Jg., 1962, S. 614ff. 425 Wagner, Waldemar: Zu einigen Fragen des Crimmitschauer Textilarbeiterstreiks von 1903/04, in: ZfG 1953, Fft 4. 426 Wehler, Hans-Ulrich: Das deutsche Kaiserreich 1871-1918. Göttingen 1973. 427 Weiss, Andreas von: Die Diskussion über den historischen Materialismus in der deutschen Sozialdemokratie 1891-1918. Wiesbaden 1965. 427 a Werner, Georg: Meine Rechnung geht in Ordnung. Berlin 1958. 428 Wiersing, Klaus: Der Revisionist Bernstein als Historiograph Diss. Würzburg 1971. 429 Wittfogel, Karl-August: Franz Mehring als Literaturwissenschaftler, in: Der Rote Aufbau, 5. Jg., 1932, S. 130ff und 180ff. 430 Woldt, Richard: Die Lebenswelt des Industriearbeiters. Leipzig 1926. 431 Zipfel, Friedrich: Kritik der deutschen Öffentlichkeit an der Person und an der Monarchie Wilhelms II. bis zum Ausbruch des I. Weltkriegs. Diss. Berlin 1952.