Die Kunstschätze des Vatikan

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  • Aus dem Italienischen von Brigitte Kahr
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Die berühmten Gemäldegalerien der Welt

Die berühmten Gemälde­ galerien der Welt



Rom: Zentrum der antiken und diristlidien Kultur. Rom - das ist der Vatikan, Herz und Mit­ telpunkt des Abendlandes, ein auf der Welt einmaliges lebendes Denkmal des Geistes, der Kul­ tur, des Glaubens von Jahrhun­ derten. In diesem Buch erleben wir in Wort und Bild die Geschichte der einzigartigen Architekturen, die den Rang des „Stuhles Petri“ be­ stätigen und sichtbarlich bewei­ sen: Allen voran die Basilika von Sankt Peter, an der Genera­ tionen arbeiteten, Gemeinsdiaftswerk der Bramante, Michel­ angelo, Bernini. Dann die „Six­ tinische Kapelle“, beherrscht von den genialen Fresken Michel­ angelos mit dem Wunder seines „Jüngsten Gerichts“. Oder die „Stanzen des Raffael“, noch heute eine „Heilige Schrift“ der Malerei. Über den architektonischen und bildnerischen Glanzstücken der päpstlichen Residenz dürfen nicht vergessen werden die Sammlun­ gen des Vatikans: die Fülle der hier vereinigten Werke antiker Kunst, des Frühchristentums, der (Fortsetzung letzte Umsdilagseite)

SOMOGY • PARIS

Renaissance. Dieses Buch zeigt, berichtet, erklärt mit Sachver­ stand, gibt Zeugnis von der un­ gebrochenen Faszination einer kulturellen und geistigen Metro­ pole.

In der Reihe „Die berühmten Gemäldegalerien der Welt“ sind in gleicher Ausstattung bereits folgende Bände erschienen: „LOUVRE“ „PRADO“ „FLORENZ“ „HOLLÄNDISCHE MUSEEN“ „DIE NATIONAL-GALERIE LONDON“ „DAS IMPRESSIONISTEN­ MUSEUM IM LOUVRE“ „ALTE PINAKOTHEK M ÜNCHEN“ „DIE NATIONAL-GALERIE WASHINGTON“

SOMOGY- PARIS

D IE K U N ST SC H A T Z E DES VATIKAN*

DIE K U N S T S C H Ä T Z E DES VATIK AN VON O RESTE FERRARI

S OMOGY • PARI S

Aus dem Italienisdien von Brigitte Kahr

Lizenzausgabe mit Genehmigung der Editions Aimery Somogy, Paris, für Bertelsmann, Reinhard Mohn OHG, Gütersloh, den Europäischen Buch- und Phonoklub Reinhard Mohn, Stuttgart, und die Buchgemeinschaft Donauland Kremayr & Scheriau, Wien. Diese Lizenz gilt auch für die Deutsche Buch-Gemeinschaft C. A. Koch’s Verlag Nachf., Berlin-Darmstadt-Wien Druck: K. G. Lohse, Frankfurt am Main Printed in Germany Buch-Nr. 2183

Inhaltsverzeichnis

V o rw o rt..................................................................................... 7 Die Ursprünge: Die Basilika Konstantin des G ro ß e n ................ 11 Erster Gestaltwandel der Basilika. Die päpstlichen Paläste . . . 17 Der Vatikan zur Zeit der Renaissance....................................... 27 Die große Zeit der Renaissance: Vom Pontifikat Julius II. bis zum Tod des Michelangelo.................................................. 39 Das Erbe des M ichelangelo...................................................... 63 Im Zeichen von Lorenzo B ern in i.............................................. 73 Von der Aufklärung bis in unsere Z e i t ....................................... 85 Der St. Petersplatz...................................................................... 95 Basilika von St. P eter......................................................................102 Grotten von St. P e te r ......................................................................141 Die Sixtinische K ap elle..................................................................153 Die Stanzen R affaels......................................................................191 Die Loggien R affaels..................................................................... 215 Der Belvedere................................................................................. 221 Pinakothek des Vatikans..................................................................224 Vatikanisdie M u seen ..................................................................... 253 Verzeichnis der Abbildungen........................... 271 Namenregister ............................................................................. 283

Vorwort

Kein anderes Gebilde von monumentalem Rang kann sich einer so starken, von so mannigfaltigem Sinn erfüllten steten „Präsenz“ in der Geschichte rühmen, wie sie dem Vatikan eigen ist. Zahllos und häufig nicht minder großartig sind die Denkmäler, die aus wesentlich früheren Epochen stammen: die Pyramiden Ägyptens und des präkolumbianischen Amerika; die Mauern Trojas und der alten italischen Städte; die Paläste Assyriens und Meso­ potamiens, Kretas und Mykenes; die Nekropolen der Etrusker und die „Nuragen“ auf Sardinien; die Tempel und die kolossalen Profanbauten im Persien der Achämeniden, im Vorderen Orient und im Fernen Osten; oder denken wir an die Zeugnisse Griechenlands, an Rom und sein Imperium. Doch all diese Monumente und eine Unzahl anderer, die über unsere Welt verstreut, in ihrer Gesamtheit einem wunderbaren Sternbild gleichen, sind nichts weiter als letzte Zeugen von Kulturen, deren Lebenskraft seit langem erloschen ist: jede von ihnen bleibt einer bestimmten historischen Epoche von längerer oder kürzerer Dauer verhaftet, einer Phase der Geschichte, die nur in ihren fernen Auswirkungen auf unsere Kultur und im kunsthistorischen Verständnis der modernen Menschen zu neuem Leben erwacht. All dies lebt nur noch als Erinnerung, verklärt vom unfaßlichen, geheimnisvollen und häufig nur imaginären Zauber, der Erinnerungen eigen ist. Der Vatikan aber lebt - nicht in der Erinnerung, oder nicht nur in ihr, sondern in der immanenten Gegenwart -, lebt seit siebzehn Jahrhunderten; und im Verlauf dieser gewaltigen Zeitspanne blieben seine vitalen Funk­ tionen nicht nur erhalten, sondern erneuerten sich beständig und gewannen an Kraft. Dieser Dimension in der Zeit entspricht eine zweite im Raum: der Vatikan verstand sich nicht allein als Zentrum eines Glaubens, der zur christ­ lichen und katholischen Weltreligion wurde, vielmehr fand das gesamte Abendland in ihm seinen kulturellen Mittelpunkt. In den vergangenen Jahr­ hunderten und bis auf den heutigen Tag hat sich der Vatikan geistig und ideologisch mit Rom identifiziert und auf diese Weise die Grenzen seiner

besonderen Bedeutung als eines Zentrums des Katholizismus überschritten, um in sich auch das große Erbe der Antike aufzunehmen: ein Erbe, das gleichsam der Boden ist, in dem die Moderne wurzelt und aus dem sie sich nährt. Roms Wesen einer „communis patria“ hat sich der Vatikan auf seine Art zu eigen gemacht, und aus diesem beseligenden Wissen, Heimat der Menschheit zu sein, auch die Kraft geschöpft, die Lasten großer Verantwortung zu tragen und Leid zu erdulden: dem Vatikan galten leidenschaftlichste Inbrunst und Ver­ ehrung ebenso wie glühendster Haß. Für dieselbe Christenheit und dasselbe Abendland waren und sind neben Rom auch andere Orte Zentren des Geistes, in denen sich die vielfältigsten Strömungen sammeln. Doch auch jenseits der Grenzen der abendländischen Kultur, für den Nichtkatholiken und selbst für den Gegner der katholischen Kirche, ist der Vatikan Symbol und unleugbare Realität. Wer immer über den Vatikan spricht oder schreibt, muß, unabhängig vom jeweiligen Gesichtspunkt, dieser einzigartigen und im eigentlichen Sinn un­ vergleichlichen historischen Beschaffenheit Rechnung tragen und mit Geist wie Herz das Werden des Vatikans von den Uranfängen an nachempfinden. Selbst wenn wir den Vatikan lediglich als eine künstlerische und monu­ mentale Gesamtheit betrachten, die Basilika von Sankt Peter, die Gebäude und Museen rings um den Dom und die Kunstwerke in den Sammlungen, müssen wir zwangsläufig so gut wie das gesamte Panorama zweitausend­ jähriger abendländischer Kulturtradition in unserer Vision umfassen. Der Vatikan, wie ihn heute der fromme Pilger erlebt oder der nur kunst­ beflissene Besucher, ist das Ergebnis der Gesamtheit historischer Entwick­ lungen, die sich hier vollzogen - mit immer neuen Taten, immer großartigeren Errungenschaften, aber auch mit Unbill und Zerstörung -, jener Geschichte, die unablässig, Jahr für Jahr, Tag für Tag, wurde und wirkte. Wer heute Sankt Peter betritt, wer die Apostolischen Paläste durchwandelt, findet sich unversehens umgeben von der fühlbaren Allgegenwart dieser Ge­ schichte, die mit der Stimme der Jahrhunderte zu ihm spricht, von glorreichen und schmerzensreichen Zeitläuften, mit solcher Eindringlichkeit, daß Antike und Moderne eins werden in seinem Erleben. Für den Gläubigen wie für den Ungläubigen, für den einfachen Mann aus dem Volk wie für den Hochgebildeten, bedeutet ein Besuch des Vatikans ein Erlebnis, das, obschon je nach Persönlichkeit und individueller Empfindungs­ fähigkeit verschieden gefärbt, immer den Stempel des Außergewöhnlichen trägt, erfährt der Besucher doch die unmittelbare Konfrontation mit einer unauslotbaren historischen Dimension. Dieses Buch soll keine Abhandlung über die Geschidite des Vatikans sein, nicht einmal ein historischer Abriß. Doch geht sein Anliegen über die Zwecke eines anthologischen Illustrationsbandes hinaus, in dem sich nichts weiter findet als Abbildungen der berühmtesten Kunstwerke und Monumente, deren

Gesamtheit die äußere Erscheinungsform des Vatikans darstellt. Noch weniger aber will dies Buch ein „Führer“ sein, der den Touristen auf seinem ob­ ligaten Rundgang durch den Vatikanstaat begleitet und ihm leichtfaßliche Erklärungen zu Kunstwerken und Denkmälern liefert. Vielmehr wollten wir dem Leser ein Vademecum in die Hand geben, jenem, der den Vatikan noch nie besucht hat und sich nun zum Aufbruch rüstet, wie jenem, der, von ein- oder mehrmaligem Besuch heimgekehrt, das Bedürfnis empfindet, in der Erinnerung von neuem zu erleben, was ihm begegnet und die Vielzahl der Eindrücke, die ihn bestürmten, zu sichten und zu ordnen. Beiden Arten von Vatikanbesuchern ein Weggefährte, will unser Buch allen Lesern Pfade ins unendlich weite Land der Geschichte weisen und dessen Topographie erläutern. Deshalb werden wir der Sternstunde in der Ge­ schichte des Vatikans und insbesondere seiner Kunst gedenken, die nicht immer auch Sternstunden in der Geschichte des Papsttums waren. Wir werden sehen, wie sie die schöpferischen Kräfte unmittelbar und auch in Zukunft inspi­ rierten, die großen Meister wie die minder berühmten, die hier ihr Werk schufen, im Bewußtsein der Ehre wie auch der Last der Verantwortung, die ihnen gleichermaßen erwuchs; Jahrhunderte lang arbeiteten sie in dieser außergewöhnlichsten aller Werkstätten, nach den Anweisungen fordernder und despotischer Mäzene, unter den Augen der Menschheit, und da sie dies wußten, fühlten sie sich unablässig angehalten, ihre Talente bis zur Neige zu erschöpfen. So wollen wir denn aufbrechen zu unserer Reise durch die Zeit, und den Fahrplan durch die großen historischen Epochen bestimmen lassen. Wenn wir dabei auch im wesentlichen innerhalb des Vatikans verbleiben, so werden wir doch zuweilen hinausblicken auf das Rom jenseits der Mauern, das Rom der Päpste, dessen Wachsen und Werden untrennbar mit dem Vatikan verbunden bleibt; und manchmal werden wir sogar Rom verlassen.

Die Ursprünge: Die Basiiika Konstantin des Großen

Die Ursprünge des Vatikans ln seiner konkret-architektonisdien und spirituell­ religiösen Einheit sind untrennbar mit dem Leben eines Mannes verbunden, den das Schicksal aus dem fernen Galiläa nach Rom führte. Dieser Mann war der Apostel Simon, Jonas Sohn, ein einfacher, ungebildeter Fischer, dessen menschliche Schwäche so groß war, daß er seinen Herrn Jesus nach der Gefangennahme auf dem ölberg verleugnete (Matthäus XXVI, 69-75), ob­ wohl er wenige Tage zuvor von Ihm zum Haupt der erwachenden Christen­ heit und ihrer Kirche eingesetzt worden war: „Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Auch will ich dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; und was du auf Erden binden wirst, das soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöst sein“ (Mat­ thäus XVI, 18-19). Den ersten Kirchenhistorikern zufolge - Eusebius (um 260-340) und St. Hieronymus (um 342-420) - kam Petrus zu Beginn der Regierungszeit des Kaisers Claudius, also etwa im Jahre 42, nach Rom und verbrachte dort den Rest seines Lebens, ausgenommen vielleicht die Jahre 49 bis 56, als alle Juden und auch jene, die sich zum christlichen Glauben bekannten, aus der Stadt vertrieben wurden. Petrus war das Haupt der kleinen Gemeinschaft, zu der sich die Anhänger der neuen Lehre zusammengeschlossen hatten und die beständig wuchs, traten ihr doch nicht allein in Rom lebende Juden bei, sondern auch Römer und darunter solche von adliger Geburt. Diese kleine Gemeinschaft, die ein reges geistliches Leben führte, im Jahre 59 den ersten Besuch des heiligen Paulus empfing und in ständigem Kontakt mit den anderen vorchristlichen Gemeinden in Palästina und im Orient stand, erntete freilich Mißtrauen und offene Ablehnung; sie galt als subversive Sekte, die sich weigerte, die religiöse Autorität des Kaisers und damit die moralische Autorität des Staates anzuerkennen. In ihren Anfängen gerade noch geduldet - wie die Vielzahl orientalischer Gemeinden, die ihre Kulte, 11

etwa den Mithraskult oder den Isiskult, aus den Heimatländern mitgebracht hatten -, widerfuhr der christlichen Gemeinde eine erste grausame Ver­ folgung durch Nero, der damit mehrere, vornehmlich innenpolitische Ziele verfolgte: so beispielweise die Wut der Plebs ob der Einäscherung der römi­ schen Elendsviertel, die er im Jahre 64 selbst in Brand gesteckt hatte, von sich abzulenken, indem er die Christen öffentlich der Brandstiftung bezich­ tigte. Und er fand um so eher Glauben, als auf diesen bereits der Verdacht lastete, blutrünstige und verbrecherische Riten zu vollziehen. Dieser Verfolgung, die im Jahre 67 ihren Höhepunkt erreichte, fiel der heilige Paulus - der als römischer Bürger nahe der Via Ostiense enthauptet wurde - ebenso zum Opfer wie der heilige Petrus. Dieser wurde mit dem Kopf nach unten gekreuzigt, wie er selbst es sich ausbedungen hatte, da er, als einfacher Jünger Jesu, sich zu gering dünkte, denselben Tod zu erleiden wie der Herr. Wie die meisten seiner Glaubensbrüder wurde Petrus in jenem Zirkus hin­ gerichtet, dessen Bau Caligula begonnen hatte und zu dessen Schmuck er einen großen, aus Heliopolis stammenden Obelisken errichten ließ. Vollendet aber wurde das Amphitheater von Nero, der dort persönlich an den Wagen­ rennen teilzunehmen pflegte. Der Zirkus befand sich jenseits des Tiber, an der Via Cornelia, zu Füßen des damals schon „Mons Vaticanus“ benannten Hügels, in einer als ungesund verrufenen Gegend, die dem orgiastischen Kult der Göttin Kybele geweiht war. Die überlebenden Christen bargen die Leichname ihrer Märtyrer und be­ gruben sie in der Nähe des Zirkus des Caligula. Auf diese Weise begründeten sie eine Totenstadt, die in der Folge beträchtlich wuchs und letzte Ruhestätte auch manches Nichtchristen wurde. Aus der Zeit zwischen 125 und 150 stam­ men zahlreiche Mausoleen und Grabmäler, darunter auch solche von Patri­ zierfamilien wie der Valerier und Caetennier, die erst bei den jüngsten Aus­ grabungen in den letzten Jahrzehnten ans Licht gebracht wurden. Einige dieser Gräber zählen zu den frühesten Zeugnissen christlicher Kunst in Rom: im Grabgewölbe der Julier, einem ursprünglich heidnischen Monument, findet sich ein Mosaik, das inmitten eines typisch klassischen Ornaments und Ran­ kenmotiven die Darstellung Christi als Apoll oder Helios auf dem Streit­ wagen zeigt, das Haupt von einem Strahlenkranz umgeben, ein deutlicher Hinweis auf die symbolische Gleichsetzung Christi mit dem wahren Licht des Geistes. In dieser Nekropole wurde der Leichnam Petri beigesetzt. Sein bescheide­ nes Grab, Gegenstand der Verehrung für die nachfolgenden Generationen von Christen, bauten die Gläubigen zu einem ersten Denkmal aus: in einem irgendwann zwischen 199 und 217 verfaßten Brief erwähnt bereits der römische Priester Gaius das „tropaion“ des Heiligen, also eine Gedächtnis­ stätte, und die jüngsten Ausgrabungen haben uns enthüllt, daß es sich hierbei 12

um einen zweigeschossigen, tempelartigen Bau handelt, den wohl Bischof Anaklet zwischen 155 und 166 unmittelbar an der nach ihrem Anstrich so benannten „roten Mauer“ errichten ließ, die dem Mausoleum etwas Schutz gewährte, so daß es im Gegensatz zu den übrigen Monumenten des Friedhofs mit seinen beiden Säulen an der Vorderfront erhalten blieb. Im Inneren deckte eine quer in die Fliesen eingelassene Platte das eigentliche Grab, in dem die sterbliche Hülle des Apostels ruhte. Die tiefe Ehrfurcht, die im alten Rom unterschiedslos allen Friedhöfen ent­ gegengebracht wurde, schützte das Grab des Apostels lange Zeit vor Frevel und Zerstörung, obschon die Christengemeinschaft immer wieder den grau­ samsten Verfolgungen ausgesetzt war, vor allem unter der Herrschaft der Imperatoren Domitian, Marc Aurel und Diokletian. Zu anderen Zeiten wieder wurden die Christen mehr oder minder geduldet, aber selbst dann hielten sie, um Spitzeln und mannigfacher Bedrohung zu entgehen, ihre Gottesdienste im Verborgenen, in Privathäusern oder häufiger noch in den unterirdischen Totenstädten, den Katakomben, die eben dank der unver­ letzlichen Immunität der Gräber den Gläubigen sichere Zuflucht gewährten: mit der Zeit gewannen die Katakomben immer mehr an Raum, bis sie ein weitausgedehntes unterirdisches System bildeten, ein mehrgeschossiges Laby­ rinth, dessen viele Kilometer lange Wege durch die unterschiedlichsten Tiefen­ schichten führten. Häufig zeigten die Gänge, Grabkammern und Nischen, die man in den Tuff gegraben hatte, Ansätze zu architektonischer Gestaltung, und jetzt überzogen sich die Gewölbe mit Fresken, Mosaiken und Reliefs, die, obschon noch mit der Stilistik spätrömischer Tradition verbunden, dennoch die Geburtsstunde einer im eigentlichen Sinn christlichen Kunst künden. Jählings aber nahm das Geschidc der christlichen Gemeinden in Rom und im Gesamtgebiet des römischen Imperiums einen anderen Lauf, als im Jahre 306 in Britannien, im heutigen York, Konstantin zum Imperator er­ hoben wurde. Unverzüglich eilte er nach Rom, um dort jenen Thron in Be­ sitz zu nehmen, den mittlerweile sein Rivale Maxentius usurpiert hatte. Auf dem Zug über die Alpen erschien ihm nach der Legende das Kreuz Christi, umstrahlt von den Worten: In hoc Signo vinces, „In diesem Zeichen wirst du siegen“. Konstantin ließ Schilde und Banner seines Heeres mit dem Kreuz­ zeichen und den Anfangsbudistaben des Namen Christi - dem griechischen khi = X und dem rho = P - schmücken und begründete auf diese Weise jenes typische Zeichen, das „Labarum“ genannt wird. Und unter diesem Zeichen be­ gegneten im Jahre 312 vor den Toren Roms, an der Milvischen Brücke, Kon­ stantins Soldaten dem Heer des Maxentius und schlugen es vernichtend. Noch bekannte sich Konstantin nicht öffentlich zum neuen Glauben, doch sobald er den Kaiserthron bestiegen hatte, brachte er dem Christentum inbrünstige Verehrung und Dankbarkeit entgegen; schon im Jahre 313 setzte er mit dem berühmten Mailänder Toleranzedikt, das die Duldung jeglicher Religion 13

verbriefte, den Christenverfolgungen von Seiten der staatlichen Autorität ein Ende; noch größeren Anteil aber nahm er persönlich am Leben der christlichen Gemeinde in Rom, die damals unter ihrem Oberhirten Sylvester den Irrglauben der Donatisten zu bekämpfen suchte und in diesem Kampf der Unterstützung durch den Kaiser sicher war. Dieser berief im Jahre 325 das erste ökumenische Konzil zu Nicaea ein, das für die Lehre des Athana­ sius, nämlich die Wesensgleichheit Christi mit Gottvater entschied, und da­ mit gegen Arius, der lediglich eine Wesensähnlichkeit zwischen Christus und Gottvater vertrat. Schließlich erhob Konstantin das Christentum zur offi­ ziellen Staatsreligion des Imperiums. Diesen Akt vollzog Konstantin in einem Augenblick, da es der römischen Kirche noch an einer festen organisatorischen Struktur ermangelte, die Ge­ meinschaft der Gläubigen noch an den Wunden litt, die ihr die letzte und grausamste aller Verfolgungen (unter Diokletian) geschlagen hatte und die junge Kirche überdies bedroht war von Zwiespalt und inneren Zwistigkeiten ob des Überwucherns häretisdier Tendenzen; die offizielle Anerkennung des Christentums durch den Kaiser aber verschaffte der römischen Kirche eine Vorrangstellung gegenüber den anderen christlichen Kirchen und insbeson­ dere gegenüber der Ostkirche; und eben dieser Akt bedeutete für die Kunst einen Impuls, der lange Zeit gewaltsam Unterdrücktem gleichsam in schöpfe­ rischer Explosion zum Durchbruch verhalf. Fast über Nacht, innerhalb weniger Jahre, fand das Christentum, das sich zur Dekoration der geheimen Kultstätten im Gräberlabyrinth der Kata­ komben vorerst nur des Formenschatzes der klassischen Tradition und ins­ besondere der griechischen Figuraldarstellung bedient hatte, nun zu einem völlig eigenständigen künstlerischen Ausdruck; zwar wurzelte dieser immer noch in der antiken Tradition, doch unterschied er sich von dieser durch eine ursprüngliche und gänzlich neuartige Geistigkeit sowohl in der Ikonographie wie in Malerei und Architektur. Gerade in der Architektur bewies die christ­ liche Kunst von Anfang an ihre Eigenständigkeit und ihre Vitalität: binnen kurzem entstanden, über das gesamte Gebiet des römischen Reiches verstreut, zahllose und häufig grandiose Sakralbauten, deren architektonisches Konzept sich auf zwei Grundformen römischer Baukunst zurückführen läßt: die Basi­ lika und den Zentralbau. Während die eine die Struktur der römischen pro­ fanen Basiliken übernahm, die als Tribunale oder Versammlungsstätten ge­ dient hatten, sie im Dienste einer Liturgie, die bereits die Formen eines festen Rituals annahm, bestimmten Veränderungen unterzog, leitet sich der Zentral­ bau von den Mausoleen oder der Architektur der heidnischen Bäder ab. Die frühchristliche Architektur wandelte ihn zur Taufkapelle (Baptisterium) oder zur Stätte der Reliquienverehrung (Martyrium). Von dieser lebhaften und aus der Inbrunst des Glaubens inspirierten Bau­ tätigkeit schloß sich auch Konstantin nicht aus: bereits im Jahre 312, kurz 14

nach seinem siegreichen Einzug in Rom, befolgte er den Rat des Oberhauptes der Kirche, Sylvester, zur Sühne für die Blutschuld, die er mit der Ermor­ dung seiner zweiten Gemahlin Fausta auf sich geladen hatte, zwei Basiliken zu bauen, die Basilika des Erlösers, die spätere „Kathedrale des Bischofs von Rom“ San Giovanni in Laterano, und Sankt Peter, die Basilika, die sich über dem Grab des Apostels erhebt. Doch beschränkte sich Konstantins Bautätigkeit im Dienste des Glaubens bei weitem nicht auf diese beiden Gotteshäuser, obschon schwierige militä­ rische und politische Missionen im Orient seine ganze Aufmerksamkeit erfor­ derten. Auf Initiative des Kaisers entstanden weitere bedeutende Kirchen in Rom, die Basilika Santa Croce in Gerusalemme (die dazu bestimmt war, die Reliquien des Wahren Kreuzes, die Konstantins Mutter, die heilige Helena, aus dem Heiligen Land nach Rom gebracht hatte, aufzunehmen), ferner die Basiliken St. Agnes, St. Paulus und St. Laurentius, die Basilika Santa Restituta in Neapel, die Geburtskirche in Bethlehem und die Heilige Grabeskirche in Jerusalem; gleichfalls aus der Epoche Konstantins stammt das Grabmal der Constantina, nahe St. Agnes, ein runder Zentralbau, wo die Töchter des Kaisers ihre letzte Ruhestätte fanden. In der Entstehungsgeschichte von Sankt Peter spielte zunächst wohl der Um­ stand eine Rolle, daß sich das Grab des Apostels auf halber Höhe des Vati­ kan-Hügels befand. So dachte man fürs erste nur daran, der Gedenkstätte mit der schon erwähnten kleinen Grabkapelle an der „roten Mauer“ einen würdigeren und zweckmäßigeren Rahmen zu verleihen. Deshalb wollte man das den Wetterunbilden ausgesetzte Oratorium, wie der „Liber Pontificalis“ erzählt, mit Porphyrpfeilern und sechs „columnas vitineas quas de Graecia perduxit“ - aus Griechenland herbeigeschafften Säulen mit Weinranken­ relief - umgeben und zusätzlich überdachen. Doch kaum war das Bauvorhaben in Angriff genommen, nahm das Pro­ jekt eine völlig andere Gestalt an: unter Verzicht auf die ursprünglichen Pläne entstand eine echte Basilika, deren Errichtung umfangreiche Erd­ arbeiten bedingte, mußten doch die Hügelflanke oberhalb des Apostelgrabes planiert und ein riesiges Fundament errichtet werden. Auf dieser ausgedehnten Plattform, unter der ein Großteil des alten Fried­ hofs verschwand, wuchs ab 322 die Basilika empor, einem gigantischen Reliquienschrein gleich, der das Grab Petri in sich schloß. Dieses Gotteshaus war, wie wir aus den erhaltenen Fundamenten, aus alten Darstellungen und schriftlichen Zeugnissen schließen können, eine einfache Basilika mit recht­ eckigem Grundriß und fünf Schiffen, die durch vier Säulenreihen vonein­ ander getrennt waren. Diese Säulen stammten in der Mehrzahl von den ver­ schiedensten klassischen Bauwerken und waren deshalb völlig uneinheitlich. Die Wände des Mittelschiffs, das nicht nur breiter, sondern auch wesentlich höher als die Seitenschiffe war, stützten sich nicht auf Bogen, sondern auf 15

einen Architrav, einen über die Säulenkapitelle waagerecht gelegten Balken, eine Konstruktionsform, die im heutigen Rom nur mehr in der Basilika Santa Maria Maggiore erhalten ist. Das stark überhöhte Mittelschiff wurde durch ein Satteldach überdeckt, das auf einem offenen Sparrendachstuhl ruhte. Den Abschluß des Mittelschiffs bildete das Grabmal des heiligen Petrus mit einem Altar, hinter dem sich eine halbkreisförmige Apsis öffnete. In ihrer Mitte erhob sich der Bischofsstuhl für den Oberhirten von Rom, der niemand anderer war als der Papst selbst. Nach Meinung zahlreicher Kunsthistoriker besaß die alte Basilika von Sankt Peter kein Querschiff, hingegen eine Vorhalle oder Narthex an der Eingangsseite, wo alle jene Aufnahme fanden, die noch nicht die heilige Taufe empfangen hatten und deshalb das Innere der Kirche selbst nicht be­ treten durften. Die fünfschiffige Langhausbasilika von Sankt Peter war demnach ein Bau von äußerster struktureller Einfachheit, dessen monumentale Wirkung gerade von der nüchternen Strenge seiner Formen herrührte; diese, gänzlich im Dienste des Kultus und der heiligen Riten, wiesen Sankt Peter als Prototyp des christlichen Gotteshauses aus, als Ecclesia schlechthin, und dies auch in symbolischem Sinn, barg die Basilika doch das Grab dessen, der erstes Ober­ haupt der Christenheit gewesen war. Einmal in Angriff genommen, schritt der Bau schnell voran; Konstantin, der im Jahre 337 starb, war es vergönnt, die Basilika nahezu vollendet zu sehen und ihrer Einweihung beizuwohnen. Von Anfang an war Sankt Peter für alle Gläubigen, mochten sie in Rom ansässig sein oder auf Pilgerfahrt von ferne her kommen, steingewordenes Symbol ihres Glaubens und heilige Stätte inbrünstiger Verehrung für die Gebeine Petri.

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Erster G estaltw andel der Basilika Die päpstlichen Paläste

Schon in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens erfuhr die Basilika Kon­ stantins umfassende Veränderungen: üppige Dekorationen umkleideten bald die vormals kahlen und strengen architektonischen Strukturen, und sowohl im Inneren der Kirche als auch rund um die Basilika entstanden neue kon­ struktive Elemente. Kurz nach Konstantins Tod wurde das Gewölbe der Apsis mit Mosaiken ausgeschmückt, und dies nach einem Brauch, der sich allenthalben in den früh­ christlichen Kirchen verbreitete. Heute nodi kann man in Rom zahlreiche und berühmte Beispiele dieser Dekorationen - etwa in den Kirchen S. Pudenziana und SS. Cosma e Damiano - bewundern. Das Mosaik in der Apsis von St. Peter zeigte den Kaiser, der die von ihm erbaute Kirche dem Erlöser und dem heiligen Petrus darbringt. Einen Höhepunkt in der Entstehungsgeschichte der vatikanischen Basilika bedeutete das Pontifikat von Papst Symmachus (498-514), der an der linken Seite des Gebäudes ein kreisförmiges Mausoleum errichten ließ, das dem heiligen Andreas geweiht wurde. Unmittelbar darauf entstand ein zweiter, völlig gleichartiger Bau, in dem die Adoptivtochter Petri, die heilige Petronella, ihre letzte Ruhestatt finden sollte. Insbesondere aber verdankte man Papst Symmachus Ausbau und Neuordnung des Atriums der Basilika, das sich als von vier rundbogigen Säulengängen umschlossener Hof vor dem Ein­ gang über die von Konstantin geschaffene Plattform erstreckte, die Sym­ machus vielleicht noch zusätzlich vergrößern ließ. Empor zu dieser Plattform führte eine breite, 35 Stufen zählende Treppe, auf der sich die Gläubigen versammelten und hohe Würdenträger und illustre Besucher vom Klerus empfangen wurden. Über diese Treppe erreichte man das Atrium, dessen An­ nehmlichkeiten ihm den Namen „Paradies“ eintrugen, prangte es doch im Schmuck üppiger Vegetation, in deren Mitte sich zwei große Brunnen er­ hoben. Der eine der beiden hatte die Form eines Pavillons: acht Porphyr­ säulen trugen eine mit vergoldeter Bronze gededtte Kuppel, die in ihrem 17

Inneren einen großen bronzenen Pinienzapfen, die bis auf den heutigen Tag erhaltene „Pigna“, barg, ursprünglich „Laterne“ auf der Kuppel des nahe­ gelegenen Mausoleums von Kaiser Hadrian. Von dort entführt und dem früheren Zweck eines Kuppelaufsatzes entfremdet, deckte der gigantische Zapfen nunmehr ein großes Marmorbecken, den Rcinigungsbrunnen oder „Kantharus“, in dem das Wasser für die rituellen Waschungen der Pilger ge­ sammelt wurde. Den übrigen Schmuck des prachtvollen Brunnens bildeten vier Delphine aus Bronze, die der Zerstörung anheimfielen, und vier Pfauen aus demselben Material, die sich heute ebenso wie die „Pigna“ vor der großen Nische im Prunkhof des „Cortile del Belvedere“ befinden, ein originelles Dekorationsensemble vor der klarlinigen Fassadenschöpfung des Haupt­ meisters der italienischen Hochrenaissance-Architektur, Donate Bramante. Der zweite Brunnen im „Paradies“ vor Sankt Peter war wesentlich einfacher gehalten und ohne Aufbau. Zur selben Zeit schmückte man die Ostwand des Atriums mit Mosaiken. Dank all dieser Bemühungen um Ausbau und Schmuck der Basilika wurde St. Peter zu einem Prunkstück, das freilich etwas verloren in der offenen Landschaft stand. Als Symmachus, vom Gegenpapst Laurentius aus dem Lateran vertrieben, Zuflucht in der Einsamkeit von St. Peter suchte, war er gezwungen, sidi in aller Eile eine Bleibe zu schaffen. Die gleichsam aus dem Boden gestampften Wohngebäude, bescheidene Notunterkünfte, die dennoch hochtrabend als bischöfliche Residenz bezeichnet wurden, bestanden nur wenige Jahrzehnte. Bedeutende Veränderungen im Inneren der Basilika wurden erst unter Papst Gregor dem Großen (590-604) vollzogen, während sich Papst Leo I. (440-461) vor ihm damit begnügt hatte, das Interieur nach einem Erdbeben zu restaurieren. Gregor wußte, und hatte es selbst noch erlebt, daß die Reli­ quien Petri nur wie durch ein Wunder vor der Zerstörungswut der Barbaren verschont geblieben waren, die zu wiederholten Malen in Rom einfielen: Alarich im Jahre 410, Attila 452, Geiserich 455, Rikimer 472, Totila 535, Beiisar 553 und schließlich die Langobarden im Jahre 578. Deshalb beschloß der große Papst, die Rettung der Gebeine Petri in Zukunft nicht allein dem Wunder zu überlassen, sondern für einen ausreichenden Schutz der Grab­ kapelle zu sorgen: er ließ das Fundament der Basilika überhöhen und den Fußboden des Innenraumes so weit anheben, daß sich das Grabmal nunmehr in einer Art Krypta, der unterirdischen „Confessio“ befand, zu der man über schmale Seitentreppen hinabstieg. Über dem Grabgewölbe der Confessio ließ Gregor einen Altar mit Tabernakel errichten. Im Zusammenhang mit den weiteren Ausbauten und Veränderungen, die im frühen Mittelalter durchgeführt wurden, seien hier noch die Schenkung der silbernen Torflügel erwähnt, mit denen Papst Honorius I. (625-638) das Haupttor bedachte, ferner der Bau des Oratoriums unter Papst Johannes VII. 18

(705-707), eines Juwels der Mosaikkunst, dessen Dekorationen orientalische Goldschmiede schufen. Der Wandschmuck zählt zu den frühesten Beispielen erlesener byzantinischer Malerei in Rom. Heute sind hiervon nur mehr zwei Fragmente erhalten; eines, mit der Porträtdarstellung des Papstes, befindet sich gegenwärtig in den Vatikanischen Grotten, das andere, die Anbetung der Heiligen Drei Könige, in Santa Maria Maggiore. Stefan III. (768-772) be­ schloß schließlich, an einer Seite des Atriums einen viereckigen Glockenturm zu errichten, der erst unter Stefans Nachfolger Hadrian I. (772-795) fertig­ gestellt werden konnte. Als im Jahre 800 Karl der Große von Papst Leo III. in Sankt Peter empfangen und zum Kaiser gekrönt wurde, stellte die Basilika mit ihrem Atrium und der diesem mittlerweile vorgebauten Säulenhalle, von wo aus der Papst der Menge der Gläubigen seinen Segen zu spenden pflegte, bereits einen Monumentalkomplex von beträchtlicher Ausdehnung dar. Im Verein mit zahlreichen Nebengebäuden und Zubauten, die im Laufe der Zeit ent­ standen, war St. Peter zur größten architektonischen Anlage des damaligen Rom geworden, ein Ort, an dem sich die Scharen der Gläubigen sammelten, obschon er immer noch nicht in das Stadtgebiet einbezogen war und sich ein gutes Stück Weges außerhalb der Stadtmauern befand. So kam es, daß die unbefestigte und schutzlos den Invasoren preisgegebene Basilika im römischen Hügelland den Sarazenen 846 zum Opfer fallen mußte, obschon Papst Sergius II. vor ihrem Ansturm gewarnt worden war. Die Heiden plünderten die Basilika, zerstörten das Grab des Apostels und schän­ deten die heiligen Reliquien. Diese ruchlose Tat, die in der christlichen Welt tiefe Erschütterung und Empörung auslöste, bestimmte den Nachfolger von Sergius IL, Papst Leo IV. (847-855) dazu, die Gesamtanlage von Sankt Peter mit einer Befestigungs­ mauer zu umgeben, die vom Tiber und dem Mausoleum Hadrians ausgehend auch den hinter der Basilika aufragenden vatikanischen Hügel umschloß. Überdies war das Mausoleum des römischen Imperators in der Zwischenzeit zu einer Festung umgebaut worden, die, dem Schutz der Brücke über den Tiber dienend, den Namen Castel Sant’Angelo - „Engelsburg“ - erhielt. Mauer und Befestigungsanlagen bedeuteten gleichzeitig eine eindeutige Ab­ grenzung des vatikanischen Territoriums, das nunmehr unter dem Namen „Gitta Leonina“ als „Stadt des Papstes Leo“ jene Ausdehnung erfahren hatte, die in etwa der Größe des heutigen Vatikanstaates entspricht. Mauer und Verteidigungsanlagen sollten sich freilich als völlig unzurei­ chend erweisen, als es galt, Sankt Peter vor den Normannen zu schützen. 1084 plünderten und schändeten sie die Basilika gleich den Sarazenen kaum 240 Jahre zuvor. Deshalb betrachteten es die Päpste in den darauffolgenden Jahrhunderten als eines ihrer vordringlichen Anliegen, sowohl die Vertei­ digungsanlagen als auch das gesamte vatikanische Gebiet, auf dem immer 19

neue sakrale und profane Bauten und Paläste entstanden, deren Gesamtheit die päpstliche Residenz bilden sollten, einer großzügigen architektonischen Neuordnung und Sanierung zu unterziehen. Um dieses Werk erwarb sich insbesondere der große Papst Innozenz IIL (1198-1216) hervorragende Verdienste. Unablässig nidit nur um die Festi­ gung der geistigen Autorität der Kirche, sondern auch um Bestätigung und Vergrößerung ihrer politischen und moralischen Macht bemüht, um die auch weltliche Oberherrschaft der von ihm so benannten „ecclesia imperialis“, ließ er überdies im Norden der vatikanischen Basilika ein mächtiges Bauwerk mit trutzigem Turm ausführen. Dieser Komplex, in dem sich das Konzept jener Wohntürme wiederholte, die im Mittelalter den Erfordernissen der unruhigen Zeiten gehorchend in Rom und anderen großen Städten einen wesentlichen Typus des damaligen Wohnbaues repräsentierten, glich einer militärischen Anlage und wurde tatsächlich zum Kernstück eines zweiten Verteidigungssystems, dessen Mauern die Vatikanstadt in ihrem Inneren durchzogen. Unbeschadet ihres militärischen Charakters können diese Ge­ bäude als Keimzelle der Apostolischen Paläste gelten. Einige Jahrzehnte später entstanden auf Anordnung von Nikolaus III. (1277-1280), der als erster Papst den Vatikan zur ständigen Residenz erkor, um sich nur während des Sommers aus dem Umkreis der Metropole zu entfernen, weitere groß­ artige Bauten. Nikolaus III. ist der „neue Palast“ - das „palatium novum“ - zu ver­ danken, zwei getrennte Baukörper, die eine organische Vergrößerung des unter Innozenz III. errichteten festungsartigen „Kerns“ darstellten. An des­ sen Ostseite ließ Nikolaus nunmehr eine riesige Halle errichten, die eine Art Zubau an das größere der beiden unter Innozenz errichteten Gebäude dar­ stellte und damit den zweiten Raum der späteren „Sala Ducale“; quer zu dieser Halle entstand eine zweite mit unteren Geschossen und mächtigen Strebepfeilern, die spätere „Sala Regia“, die den eigentlichen Residenztrakt des „palatium novum“ vervollständigte. Auf der Westseite jedoch, dicht an dem schon erwähnten „Wohnturm“, der damals saniert und für Wohnzwecke neu gestaltet wurde, wuchsen zwei weitere Bauten empor, die sich eindeutig als Nutzgebäude auswiesen. Hier wurden Bedientenquartiere, Werkstätten, Lagerräume, die Kornkammer und Wasserbehälter untergebracht. Obgleich der Gesamtanlage immer noch Reste des strategischen Charakters eines Bollwerks anhafteten, wies sie sich dennoch in der Hauptsache als höfische Residenz aus, wozu in der Folge durchgeführte Dekorationsarbeiten wesentlich beitrugen. Vom reichen Freskenschmuck sind heute nur mehr Frag­ mente erhalten, die erst vor kurzem wieder entdeckt werden konnten. Ursprünglich hatte sich Nikolaus III. mit einem noch weit umfassenderen Bauvorhaben getragen, doch war es dem Papst verwehrt, das große Projekt 20

zu beenden, betrug doch die Gesamtdauer seines Pontifikats ganze drei Jahre. Was von ihm begonnen worden war, führten seine Nachfolger in den letzten beiden Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts und im 14. Jahrhundert fort. An­ schließend an die erwähnten Wirtschaftsgebäude entstanden Wohn- und Repräsentationsräumc der Päpste, die sogenannten „Aulae pontificum“, und eine „turris scalarum“ an der Südecke, ein mit dem Bau verbundener Trep­ penturm. Auf diese Weise schloß sich der Gesamtkomplex zusehends zu einem Vierkantbau mit Innenhof, der später „Cortile del Pappagallo“ („Papageien­ hof“) genannt wurde. Die Stirnseite des Palastes, die nach Rom hinblickte, wurde von Türmen flankiert. Ein halboffener Bogengang oberhalb der Strebepfeiler verlieh ihr das Aussehen einer monumentalen Fassade. Es ist wahrscheinlich, daß die genannten baulichen Veränderungen auch dazu bestimmt waren, den so verschiedenartigen architektonischen Einzel­ elementen der Gesamtanlage, die, wie erläutert, in großen zeitlichen Abstän­ den voneinander entstanden waren und die einzelnen Perioden der roma­ nischen Profanarchitektur verkörperten, eine gewisse formale Einheitlichkeit zu verleihen: daß Nikolaus III. ein großzügiges Projekt für die Gesamt­ gestaltung des Vatikan im Sinn gehabt haben dürfte, wurde bereits erwähnt. Nach ihm freilich fehlte es an einer Persönlichkeit, die imstande gewesen wäre, sowohl ein derart komplexes Bauvorhaben durchzuführen als auch koordinativ den neuen Erfordernissen Rechnung zu tragen, die sich aus den immer umfassenderen Funktionen des Papsttums ergaben, mußte doch der Vatikanpalast nicht allein Residenz sein, sondern darüber hinaus für Kurie und Verwaltung zweckentsprechenden Raum bieten. In Fortführung und Ergänzung des Projekts von Nikolaus III. entstand, gleichsam als Nachzügler gegen Ende des 13. Jahrhunderts, eine dem hei­ ligen Nikolaus geweihte Kapelle, die „Capella parva Sancti Nicolai“, die Bonifaz VIII. (1295-1303) im freien Raum zwischen „Sala Ducale“ und „Sala Regia“ errichten ließ; damit hatte der Palast sein eigenes Gotteshaus und war, zumindest für die kultischen Belange, unabhängig von der Basilika und dem Gesamtkomplex von Sankt Peter geworden. Wenn wir uns hier der kraftvollen Persönlichkeit von Bonifaz VIII. und seinem in mancher Beziehung dramatischen Pontifikat zuwenden, so ge­ schieht dies weniger um der Nikolaus-Kapelle willen, sondern vielmehr, weil er in der Basilika selbst umfassende Arbeiten durchführen ließ. In einem Augenblick schwerster Besorgnis ob der erbitterten Kämpfe zwischen dem Kaisertum und der Kirche und unter dem Eindruck der Ab­ dankung seines Vorgängers, des Papstes Coelestin V., empfand Bonifaz VIII. den Wunsch, Autorität und Macht der Kirche augenfällig unter Beweis zu stellen. Deshalb erklärte er das Jahr 1300 zum ersten „Jubeljahr“ und rief die Scharen der Gläubigen nach Rom. Aus allen Teilen der christlichen Welt strömten die Pilger herbei, überquerten in unabsehbarem Zug die Tiberbrücke 21

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Restauration der alten Basilika von St. Peter

unterhalb der Engelsburg, ein Schauspiel, dessen sich Dante im XVIII. Gesang (Verse 28-33) des „Inferno“ seiner „Göttlichen Komödie“ mit fol­ genden Versen erinnert: „So wie zu Rom im Jubiläumsjahr der großen Menge halb die Brückenbreite auf solche Art zwiefach geschieden war, daß mit dem Antlitz nach dem Schlosse schreite, wer nach Sanct Peter ging im Pilgerzug, und auf den Berg zu von der andren Seite.“ (Die in der deutschen Übertragung von Otto Gildemeister wieder­ gegebene Stelle ist so zu verstehen, daß sich die Pilgermenge auf der Engelsbrücke in zwei einander entgegengesetzten Zügen bewegte; während der eine dem „Schloß“, nämlich der Engelsburg entgegen­ 22

schritt, strömte der andere dem „Berg“, nämlich den Janiculum zu, eine heute selbstverständliche Verkehrsregelung, die Dante dennoch so bemerkenswert schien, daß er die Seelen der Verdammten im Höllenschlund Malebolge das Schauspiel „so wie zu Rom im Jubi­ läumsjahr“ wiederholen ließ.) Papst Bonifaz ordnete ferner an, daß die größten und berühmtesten Kir­ chen Roms im Jubeljahr im Glanz neuer Dekorationen erstrahlen sollten und verpflichtete für diese Aufgabe die bedeutendsten zeitgenössischen Künstler. Aus Florenz etwa rief er Giotto herbei, der in San Giovanni in Innenansicht der alten Basilika. Die aus dem 16. Jahrhundert stammende Freske, heute in den Grotten von St. Peter, zeigt die Basilika einige Jahre vor der Zerstörung des Kirchenschiffs.

Laterano das berühmte Fresko der Eröffnung des Jubeljahres durch den Papst schuf. Die Basilika von St. Peter selbst vertraute er dem Architekten und Bild­ hauer Arnolfo di Cambio an, der den Hauptaltar mit einem neuen Taber­ nakel bedachte. (Dieser glich dem ebenfalls von Arnolfo geschaffenen und bis auf den heutigen Tag erhaltenen Tabernakel in den Kirchen S. Paolo und S. Cecilia in Trastevere.) In der Bronzestatue des Apostels, die der Künstler ebenfalls auf Geheiß des Papstes ausführte, verbanden sich naive Frömmig­ keit und eine in gotischer Sensibilität neu interpretierte ideale Antike zu einer erhabenen Schöpfung hochmittelalterlicher Sakralkunst. Die Gunst, deren sich Arnolfo zu Recht bei Bonifaz erfreute, trug ihm schließlich den Auftrag ein, für diesen eine Grabkapelle zu bauen. Im Kampf mit der weltlichen Macht unterlegen und an den Mißhandlungen, die er im Kerker erdulden mußte, verstorben, ruht der Widersacher Philipps des Schönen heute in der vatikanischen Grotte. Das ganze lange Jahrtausend, das zwischen der Gründung der Basilika Konstantins und dem Erstehen der päpstlichen Paläste innerhalb der von Papst Leo IV. gezogenen Mauergrenzen verging, scheint unter dem Aspekt einer historischen Gesamtschau ein einziger Augenblick, eine einzige große Wachstumsphase, da Bauwerk sich zu Bauwerk fügte, mochte Neues auch häufig aus schon Vorhandenem entstehen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts stellten die alte Basilika und die um­ liegenden Bauten eine monumentale Einheit dar, die bei aller stilistischen Unterschiedlichkeit dennoch die Harmonie des organisch Gewachsenen besaß. Nach der uns am leichtesten zugänglichen Rekonstruktion von Brewer-Crostarosa hatte der Vatikan damals praktisch zwei Zentren oder Brennpunkte, die Basilika und die Apostolischen Paläste, um die sich innerhalb der von Papst Leo IV. geschaffenen Mauern die Anlagen einer „heiligen Zitadelle“ scharten. Nicht allein topographisch, sondern auch politisch hatte sich die Vatikanstadt eine gewisse Unabhängigkeit von Rom gesichert und trat gerade zur Zeit von Bonifaz VIII. in offenen Widerstreit zur Metropole, dem römischen Magistrat und dem zwar gläubigen, doch zu jeder Zeit auf die eigenen Rechte bedachten Feudaladel. Dennoch gelang es dem Papsttum, seine absolute Vorrangstellung un­ beschadet der lokalen parteipolitischen Zwistigkeiten in Rom zu behaupten und das kulturelle Leben der Stadt entscheidend und initiativ zu beeinflussen, insbesondere im Bereich der bildenden Künste und der Architektur. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war nicht der Adel, sondern die Kirche hauptsächlicher Auftraggeber und Mäzen der Künstler, spendete ihnen geist­ liche Inspiration, wies ihrem Ausdruckswillen die Richtung und begann da­ mals schon auf Grund direkter Aufträge, Legate und Schenkungen jenen 24

unvergleichlichen Schatz an Kunstwerken zu sammeln, die in späteren Jahr­ hunderten und bis auf den heutigen Tag die Reichtümer der Museen des Vatikans darstellen. Wenn Bonifaz VIII. versudite, hinter der Fassade liturgischen Gepränges die große Krise zu verbergen, die das Papsttum als politische Macht und die Kirche als geistigen Organismus bedrohte, so trug er mit seiner despotischen, egozentrischen und unbeherrschten Haltung selbst nur zur Verschärfung dieser Krise bei. Verhaßt, verachtet und auch von den ehemals Getreuen an­ gefeindet, endete Bonifaz VIII., der Gefangenschaft in Anagni entronnen, seine Tage im Vatikan, der ihm gleicherweise zum Kerker wurde. Wenige Jahre nach seinem Tod erreichte die Krise ihren dramatischen Höhepunkt: 1309 verließ der neue Papst, Clemens V., Rom und zog nach Avignon in Südfrankreich, wohin ihm sein Hof folgte. Bis 1377 blieb die Stadt an der Rhone Sitz des Papsttums. Fern jener Stätte, die ein Jahrtausend lang reales und ideales Zentrum der Christenheit und Hochburg des Glaubens gewesen war, verstrickt in die Fäden eines immer undurchschaubareren, immer gefährlicheren politischen Spiels, zusehends der religiösen Autorität, die sich weltlichen Interessen unterordnen mußte, verlustig, in „babylonischer Gefangenschaft“ dem fran­ zösischen König untertan, hatten Clemens V. und seine Nachfolger in Avignon kaum die Möglichkeit, sich um den Vatikan und um Sankt Peter zu kümmern. Unendlich fern dünkten ihnen das vom Streit der lokalen Par­ teien widerhallende Rom, das Italien, wo ihnen kaum ein Freund geblieben war, unendlich fern und ungewiß auch der Tag der Rückkehr. Gleichwohl geriet der Vatikan nie in Vergessenheit, wenn sich das Inter­ esse für den alten Sitz der Päpste auch auf episodische Maßnahmen bezog: meist handelte es sich um Geldspenden zur Erhaltung der Basilika und der Paläste. Zumindest für die erste Zeit der Abwesenheit der Päpste von Rom stand der Vatikan unter der fürsorglichen Obhut eines Mannes, dessen Kunstverstand weit ausgeprägter war als das kulturelle Interesse der zeitgenössischen Päpste: Kardinal Jacopo Stefaneschi, vormals Professor der Jurisprudenz an der Sorbonne, war durchaus kein trockener Gelehrtentyp, sondern im Gegen­ teil ein Freund der schönen Künste, von sicherem Urteil und einem seiner Zeit vorauseilenden Geschmack. Dem kunstsinnigen Kardinal ist vor allem das wiederholte Wirken des großen Florentiners Giotto in Sankt Peter zu verdanken: bekanntlich hatte der Maler zu Beginn des 14. Jahrhunderts für Papst Bonifaz VIII. in San Giovanni in Laterano gearbeitet. Jetzt, da der päpstliche Hof in Avignon weilte, rief Kardinal Stefaneschi den Toskaner wiederum nach Rom, um ihn mit der Innendekoration des Atriums zu beauftragen: Giotto schuf das große 25

Mosaik des „Petrus-SchifFleins“ an der dem Haupteingang der Basilika gegenüberliegenden Seite. Obgleich keine dokumentarischen Beweisstücke vorhanden sind, kann mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, daß das Mosaik im Jahre 1310 oder kurz darauf entstand. Dies erhellt überdies aus der stilistischen Untersuchung jener wenigen Partien, die nicht durch die wiederholten Restaurierungen verfälscht wurden; besonders aufschlußreich sind jene beiden Randfragmente, die zwei Engelsfiguren zeigen; eines der Fragmente befindet sich heute in den Grotten von St. Peter, das andere in der kleinen Kirche S. Pietro Ispano von Boville Ernica, einem Städtchen in der Nähe von Prosinone. Rund zwanzig Jahre später beauftragte Stefaneschi den Florentiner mit der Schaffung des Hochaltars der Basilika, eines großen, erhaben-strengen Werkes, zu dessen Ausführung Giotto in großem Umfang Schüler und Ge­ hilfen heranzog; doch drückte er der Komposition unmittelbar und unver­ kennbar den Stempel seines reifen Stils auf, einer knappen und ausdrucks­ intensiven Formensprache, einer kompositorischen Struktur, die vor allem im Mittelbild des Triptychons mit dem thronenden Christus und in einigen Details des Unterhaus, der „Predella“, eine neue „Klassik“ kündet. Der Nekrolog des Kardinals, eine kurz nach seinem Tode im Jahre 1343 verfaßte Schrift, verrät uns, daß Stefaneschi ihm zu jener Zeit, da Giotto am Triptychon für St. Peter arbeitete, auch die Innendekoration der Apsis an­ vertraute, fünf Fresken und Szenen aus dem Leben Jesu. Heute sind davon nur mehr zwei kleine Fragmente erhalten, Brustbilder zweier Apostel, ver­ mutlich Petrus und Paulus; diese letzten und bescheidenen Überreste befinden sich im Besitz einer privaten Sammlung in Assisi.

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Der Vatikan zur Zeit der Renaissance

Wie bedeutsam und in vieler Hinsicht auch konkurrenzlos die Funktion des Vatikans als Initiator des kulturellen Lebens in Rom geworden war, zeigte sich gerade in jener Zeit, als der päpstliche Hof in Avignon weilte: während die Bauarbeiten und im allgemeinen auch die künstlerische Tätigkeit im Vatikan ruhten, lagen auch in Rom Architektur und Kunst brach. Tatsächlich bescherte das vierzehnte Jahrhundert der Ewigen Stadt nur wenige bedeut­ same Schöpfungen; die wichtigste von ihnen war die Treppenanlage, die über den Abhang des Campidoglio zum Eingang der Kirche Aracoeli führt. 1348 hatte der Tribun Cola di Rienzo der Heiligen Jungfrau diese Anlage zum Zeichen seiner Dankbarkeit für das Erlöschen einer Seuche gestiftet. Doch selbst als Gregor XI. im Jahre 1377 den päpstlichen Hof wieder heimgeführt hatte nach Rom, gab es wenig Hoffnung für die Kunst. Die Rückkehr der Kirche an ihren angestammten Sitz bedeutete keineswegs das Ende ihrer Prüfungen. Im Gegenteil: vier Jahrzehnte lang, von 1378 bis 1417, war sie in zwei Parteien gespalten. Papsttum stand wider Papsttum, Rom gegen Avignon, wo sich Gegenpäpste etabliert hatten, und eine Zeit­ lang, zu Beginn des 15. Jahrhunderts, residierte sogar ein dritter Papst in Pisa. In dieser Zeit des Großen Schisma lagen in Rom und im Vatikan weiterhin die Künste darnieder. Zu den wenigen erwähnenswerten bildnerischen Lei­ stungen jener Zeit zählt die Dekoration der Kapelle der heiligen Katharina in der Kirche S. Clemente, ein Werk des Masolino, dessen Mitarbeiter zu­ mindest zeitweilig Masaccio war. Derselbe Masolino führte zwischen 1425 und 1428 für Papst Martin V. aus dem Fürstengeschlecht der Colonna ein großes Flügelaltarbild aus, an dem ebenfalls Masaccio beteiligt war. Das für die Familienkapelle der Colonna in S. Maria Maggiore bestimmte Trip­ tychon, das erste Beispiel für authentische Renaissancemalerei in Rom, befin­ det sich heute, in Einzelstücke zerteilt, in den Museen von Neapel und Phila­ delphia und in der Londoner Nationalgalerie. 27

Eine völlige Änderung der Lage ergab sich unter dem Pontifikat von Eugen IV. (1431-1447), als die Westkirche nach Beendigung des Schismas durch das Konzil zu Konstanz (1414-1418) wieder geeint war. Auch Eugen IV. entstammte gleich Martin V. einem adeligen Geschlecht, den venezianischen Condulmer. Ein längerer Aufenthalt in Florenz hatte ihn die inbrünstige Liebe der Toskaner zu den Künsten gelehrt, und, einmal in Rom, zögerte er nicht, die berühmtesten Künstler der Zeit in den Vatikan zu be­ rufen. Schon zu Anfang seines Pontifikats ließ er Pisanello nach Rom kom­ men, um die von Gentile da Fabriano begonnenen Fresken in S. Giovanni in Laterano zu vollenden; ihm folgte Donatello, der gemeinsam mit seinem Schüler Michelozzo jenen berühmten Tabernakel „del Sacramento“ schuf, dessen ursprünglicher Standort die von Bernardo Rossellino gebaute Privat­ kapelle im Vatikanpalast war; schließlich beauftragte der kunstsinnige Papst den Architekten und Bildhauer Filarete, Bronzetüren für das Haupttor der Basilika auszuführen, ein Werk, das den Künstler ganze zwölf Jahre, von 1433 bis 1445, in Anspruch nahm. Sein Nachfolger Nikolaus V. (1447-1455) machte sich besonders durch seine Förderung des Bauwesens verdient. Mit Leon Battista Alberti befreundet, der ihm seine Abhandlung über die Baukunst „De re aedificatoria“ widmete, entwarf Nikolaus V. einen groß angelegten Plan für den Umbau des Vati­ kans, wobei er sidi von drei hauptsächlichen Erwägungen leiten ließ: der Verstärkung der Befestigungsanlagen, der Vergrößerung der Apostolischen Paläste und der Umgestaltung der Basilika von St. Peter. Die Verstärkung der Befestigungsanlagen hatte sich als unumgänglich notwendig erwiesen, vor allem, weil die alten Umfassungsmauern der „Stadt Leos“, die bereits im 13. Jahrhundert restauriert worden waren, den Techniken der modernen Kriegsführung in keiner Weise mehr entsprachen, hatte sich mittlerweile doch auf strategischem Gebiet mit der Entwicklung der Feuerwaffen und der schweren Artillerie eine Revolution vollzogen. Der Papst ließ deshalb ein neues System von Bastionen entwickeln, einen Befestigungsgürtel, der teil­ weise dem Verlauf der alten Mauern folgte und eine architektonische Einheit mit der Engelsburg bildete. Stützen und strategische Schwerpunkte der An­ lage waren vier massive Rundtürme, von denen zwei bis auf den heutigen Tag erhalten sind: der Turm am Tor der Porta S. Anna und das Funkhaus von Radio Vatikan. Die Gesamtheit der strategischen Bauten war so an­ gelegt, daß sie der päpstlichen Residenz vornehmlich von der Nordseite her Schutz boten und damit von jener Seite, wo die Angriffe fremder Invasoren zu erwarten waren. Die Absicherung der Ostflanke entsprach der klugen Überlegung, daß die nicht minder gefährlichen Angriffe der römischen Volks­ wut und der Streitkräfte des städtischen Adels von Osten her geführt werden mochten. Die Vergrößerung des Vatikanpalastes bestand hauptsächlich in der Errichtung eines dritten großen Flügels, der den unter Nikolaus III. auf­ 28

geführten Bauten hinzugefügt wurde, so daß der „Papageienhof“ nunmehr hufeisenförmig auf drei Seiten umschlossen war. Im Gegensatz zum weiter­ hin bestehenden alten Baukörper des unter Innozenz geschaffenen Palastes wird diese Anlage nun als „Palatium novum“ bezeichnet. Der „neue Palast“, dessen Planung und Durchführung mit ziemlicher Sicherheit Bernardo Rossellino zu verdanken ist, fügt sidi in der Fassadengestaltung bruchlos den an­ schließenden Bauten aus dem 13. Jahrhundert an, weist sich jedodi in seinen weitläufigen monumentalen Interieurs einer prunkvollen Residenz als idealer Vertreter der profanen Renaissance-Architektur aus. Dieses Wohngebäude umfaßt Keller, Erdgeschoß und zwei Obergesdiosse, deren jedes drei Säle enthält; die Säle der ersten Etage wurden später zu den „Borgia-Apparte­ ments“ umgebaut, während die Räumlichkeiten im Oberstodt die heutigen „Stanzen des Raffael“ bilden. Die ursprünglich planen Decken wurden später zu Muldengewölben gehöht, ein drittes Geschoß erst unter Leo X. aufgestockt. Ebenso umfassend wie die architektonischen Arbeiten waren die Deko­ rationsvorhaben, vorwiegend bildnerischer Art, die in den Palästen von Papst Nikolaus V. durchgeführt wurden. Aus der ersten Zeit seines Ponti­ fikats stammt das schöne Fries im Stil des Pisanello, das vor kurzem erst im heutigen „Alten Schweizersaal“ wiederentdeckt wurde. In der Folge schuf Beato Angelico sein umfassendes Dekorationswerk. Bereits von Eugen IV. nach Rom gerufen, um seine Kunst in den Dienst der Basilika zu stellen, wurde der Florentiner nun beauftragt, zwischen 1448 und 1451 die so­ genannte „Capella parva superior“ mit Freskendarstellungen aus dem Leben der Heiligen Stephanus und Laurentius auszuschmücken. Den Innenraum der „kleinen Kapelle“ konnte man durch Umbauten im Obergeschoß des alten Turms, den Innozenz III. hatte aufführen lassen, gewinnen; ihr Fresken­ schmuck ist das einzige heute noch im Vatikan erhaltene Werk des Fra Angelico, wärend die von ihm geschaffenen Dekorationen in der „Capella parva sancti Nicolai“, die unter Bonifaz VIII. errichtet und zur Zeit von Paul III. zerstört wurde, gemeinsam mit dem Bauwerk zugrunde gingen. Auch von den Dekorationen im privaten Arbeitszimmer des Papstes ist keine Spur mehr erhalten, nicht einmal die Erinnerung an die von Fra Angelico gestalteten Themen und die von ihm gewählte kompositorische Struktur. Das dritte Vorhaben, mit dem sich Nikolaus trug, war noch großartiger und schwieriger als die beschriebenen. Einem ausführlichen Bericht von Leon lottista Alberti über die desolaten statischen Verhältnisse der tausendjäh­ rigen Basilika entnahm der Papst, daß die unumgänglich notwendigen Restaurationsarbeiten ihn vor schier unlösbare Probleme stellen würden. Des­ halb beschloß er, das alte Bauwerk niederreißen zu lassen und an seiner Stelle eine neue und prunkvollere Basilika zu errichten. Mit dieser Ent29

Scheidung bürdete er sich eine unermeßliche Verantwortung auf, war doch die Basilika Konstantins nicht allein seit Jahrhunderten ideel und symbolisch Schrein des Allerheiligsten, sondern konkret als Bauwerk eine überaus kom­ plexe, gewachsene Einheit von organisch integrierten Kunstwerken der ver­ schiedensten Epochen. Unter beiden Gesichtspunkten, dem ideellen wie dem kunsthistorischen, wäre eine solche Entscheidung, wie Nikolaus sie faßte, heute kaum denkbar, und in der Tat stieß sie auch damals in weiten Kreisen auf baldige Ablehnung. Dennoch scheute der Papst nicht davor zurück, sein kühnes, unpopuläres und verantwortungsschweres Vorhaben unverzüglich in Angriff zu nehmen. Er beauftragte Bernardo Rossellino, ein Projekt für das neue Gebäude zu entwerfen, das in großen Zügen, jedoch völlig im Geiste der Renaissance und im besonderen im Sinne der maßvollen und heiteren Weitläufigkeit eines Brunelleschi, das Konzept der konstantinischen Basilika wiederholte: auch die neue Basilika sollte fünf Schiffe aufweisen, die durch Säulenarkaden voneinander zu trennen waren; neu waren hingegen ein Querschiff, eine Kuppel über der „Confessio“ und eine sehr tiefe Apsis, zu deren Seiten sich zwei Sakristeien und kleine Kapellen öffnen sollten. Rossellino plante, dem Hochtor der Basilika ein neues Atrium mit viel seitlichen Arkaden vorzulagern; während der alte Brunnen mit dem charak­ teristischen Pinienzapfen, der bereits beschriebenen „Pigna“, als Mittelpunkt des Atriums erhalten bleiben sollte, war beabsichtigt, der Außenfassade durch die Errichtung zweier seitlicher Glockentürme grundsätzlich ein anderes Aussehen zu verleihen. Doch blieb es bei der Planung. Die außenpolitischen und innerkirchlichen Krisen, die Nikolaus V. in den letzten Jahren seines Pontifikats zu bewäl­ tigen hatte, die Folgen, die sich aus der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 durch die Türken ergaben und ein neues Schisma, das die Ostkirche endgültig von Rom losriß, beschäftigten den Papst so ausschließlich, daß an eine Verwirklichung von Rossellinos Projekt nicht mehr zu denken war. Ein erster Schritt wurde immerhin getan: man zerstörte die alte Apsis und riß auch den dahinterliegenden „Probustempel“ nieder, mit minder heidnischem Namen „Haus des heiligen Petrus“ genannt, eine frühmittelalterliche Kapelle, die aus der Ruine des Mausoleums der römischen Patrizierfamilie der Anicii entstanden war. Gleichzeitig schuf man das Fundament der neuen Apsis oder Tribuna, deren Mauern freilich kaum meterhoch über den Erdboden ge­ wachsen waren, als die Bauvorhaben eingestellt werden mußten. Das Pontifikat Nikolaus’V. bezeichnete demnach eine entscheidende Wende in der künstlerischen Geschichte des Vatikans, vollzog sich doch unter der Ägide dieses Papstes jene vollkommene Wandlung des kulturellen Klimas, die Eugen IV. angebahnt hatte: diese tiefgreifende Veränderung stand ein­ deutig im Zeichen des Humanismus und der Renaissance, deren beherr­ schende Einflüsse nunmehr in ganz Rom fühlbar wurden. Ihren Niederschlag 30

fanden sie unter anderem in einem umfassenden Kirchenrestaurationspro­ gramm ebenso wie in der vom Papst initiierten städtischen Sanierungs­ campagne, in deren Rahmen etwa die Wasserleitung Acqua Vergine gebaut wurde. Die entscheidendste und auch für die Zukunft bedeutsamste Maß­ nahme, die Nikolaus V. traf, war zweifellos die Initiative zu Abbruch und Wiederaufbau der alten Basilika von St. Peter. Seine Nachfolger ließen es zunächst dabei bewenden und unternahmen nur wenig, um die ihnen hinterlassenen Pläne auszuführen. Clemens III. (1455-1458) war in der Tat vollauf mit der vom Orient drohenden Türkengefahr beschäftigt. Der große Humanist und Dichter Aeneas Sylvius Piccolomini, der als Pius II. die Papstwürde von 1458 bis 1464 innehatte, berief wohl 1459 den umbrischen Meister der Frührenais­ sance, Piero della Francesca, in den Vatikan, um einige heute nicht mehr erhaltene Dekorationsarbeiten durchführen zu lassen, wie er auch den Auf­ trag zum Bau einer neuen Loggia delle Benedizioni an der Vorderseite des Atriums und eines schönen Portals im Palast gab, einer Giovanni Dalmata zugeschriebenen architekturplastischen Schöpfung, die mit den Insignien des Papstes geschmückt und mit der Jahreszahl 1460 versehen ist; doch galt das Interesse des päpstlichen Bauherren vornehmlich der Sanierung und dem Ausbau seines Heimatortes, des Städtchens Corsignano nahe Siena, dem der illustre Sohn nicht nur zum Namen „Pienza“, sondern auch zu Dom - einem Werk von Bernardo Rosselino - und Schloß - dem Palazzo Piccolomini verhalf. Auch Paul II. (1464-1471) ließ im Vatikan nur Arbeiten bescheidenen Ausmaßes durchführen, darunter den Bau eines dreistöckigen Wirtschafts­ gebäudes zwischen dem Flügel, den Nikolaus V. hatte errichten lassen, und dem „Herzogsaal“, wodurch auch die vierte Seite des „Papageienhofes“ ge­ schlossen wurde. Das eindrucksvollste Zeugnis für die künstlerischen Interes­ sen des Papstes, der lieber in der Stadt als im Vatikan wohnte, bietet die spätere ständige Residenz der Botschafter der Republik Venedig: der Palazzo Venezia, eines der schönsten Gebäude Roms aus dem 15. Jahrhundert. Erst im letzten Jahr seines Pontifikats faßte er den Entschluß, Nikolaus V. nachzueifern und den Neubau der Basilika von St. Peter in Angriff zu nehmen. Zu diesem Zwecke beauftragte er einen jungen und fast unbekann­ ten Architekten, den erst 26jährigen Florentiner Giuliano da Sangallo, mit der Ausarbeitung eines neuen Projekts anstelle der alten Pläne des Rossellino; doch da der Papst noch im selben Jahr 1471 starb, blieben die Pläne Giulianos Papier; obgleich keiner von ihnen jemals Wirklichkeit wurde, sollte der Architekt, der sein aufstrebendes Talent vergeblich in den Dienst von Sankt Peter gestellt hatte, nach Jahren in den Vatikan zurüchkehren. Auf Paul II. folgte Sixtus IV., Ligurer gleich Nikolaus V., ein gelehrter, belesener und kunstbeflissener Mann, der vom Wunsch beseelt war, seinen 31

Namen und jenen der Patrizierfamilie, aus der er stammte - den della Rovere -, auf immer an architektonische und künstlerische Großtaten zu knüpfen. Unter seinem Pontifikat (1471-1484) erfuhren Rom und ganz Italien innerhalb kürzester Zeit eine kräftige Belebung auf künstlerischem Gebiet. Die berühmtesten Maler und Architekten der Epoche eilten in die Ewige Stadt, die zum erstenmal seit Jahrhunderten Geburt und Blüte einer eigenen lokalen Schule der Malerei erlebte, deren hervorragendste Vertreter Lorenzo da Viterbo und Antoniazzo Romano sind. Im Kirchlein San Luca auf dem Esquilino etablierte sich erstmals eine eigene „Maleruniversität“, deren Statuten am 17. Dezember 1478 genehmigt wurden: dies waren die Anfänge der berühmten Accademia di San Luca. Eine ähnliche und ebenso bedeutende Initiative des Papstes war die Wiedereröffnung der literarischen „Accademia Romana“ des Pomponio Leto, einer Institution, welcher der furchtsame und mißtrauische Papst Paul II. wenige Jahre zuvor jegliche Tätigkeit untersagt hatte. Die Leidenschaft, mit der Sixtus IV. immer neue Projekte in Angriff nahm, kam der ganzen Stadt zugute; unweit der Isola Tiberina wurde eine weitere Brücke über den Tiber gebaut und nach dem Papst „Ponte Sisto“ benannt, neue Kirchen - S. Maria del Popolo und S. Maria della Pace - entstanden, alte Gotteshäuser wie S. Pietro in Montorio und die SS. Apostoli wurden restauriert, der Bau des schönsten Renaissance-Palastes Roms, der sogenannten „Cancelleria“, begonnen; desgleichen erhielt die Stadt großangelegte Sozial­ bauten wie das Hospiz „Ospedale di S. Spirito in Sassia“, das eine der voll­ kommensten Schöpfungen der zeitgenössischen Profanarchitektur ist, und erfuhr eine umfassende Modernisierung, in deren Rahmen das Netz der Wasserleitung Acqua Vergine weiter ausgebaut wurde. Als Initiator der geradezu hektischen Bautätigkeit, die der Papst mit sol­ chem Interesse verfolgte, daß er höchstpersönlich die Baustellen aufsuchte, um sich vom Fortschreiten der Arbeiten zu überzeugen, vertraute Sixtus die Ge­ samtheit der Projekte einem einzigen Architekten an, dem zwar nicht genia­ len, jedoch mit gesundem Stilempfinden und bautechnischem Können aus­ gerüsteten Praktiker Baccio Pontelli. Ihm erteilte er auch den Auftrag, das größte aller seiner Projekte zu verwirklichen, dessen Pläne wahrscheinlich von Giovannino de’ Dolci stammen: den Bau jener Kapelle, die - nach ihrem Bauherrn - die „Sistina“ genannt wird. Die Sixtinische Kapelle, die anschließend an den Prunksaal der „Sala Regia“ an Stelle der bereits baufälligen „Capella Magna“ als päpstliche Hauskapelle errichtet wurde, zeigt sich von außen als wuchtiger, kahler Bau, der eher einer Kaserne als einem Gotteshaus gleicht. Trutzig wie eine Bastion lagert sich der große Steinquader dem Vatikanpalast vor, angebaut an eine der Ecken des damals wiederum im Wachsen begriffenen Komplexes, der neben der Sixtina noch eine Reihe anderer Zubauten erhielt. Doch auch der 32

ursprüngliche Kern wandelte sich, wurde restauriert und umgestaltet und erfuhr, gleichsam aus sich selbst, die permanenten Metamorphosen eines sich regenerierenden Organismus. Denn keiner der Renaissancepäpste verfiel auf den Gedanken, die alten Paläste, dem Zeitgeschmack folgend, von Grund auf neu zu bauen. Der einschiffige Innenraum der Sixtinischen Kapelle, das schlichte Langhaus mit dem flachen Muldengewölbe, mißt 40,23 mal 13,41 m und weist somit jene Dimensionen auf, die nach biblischer Überlieferung der Tempel Salomos in Jerusalem besaß. Allein schon aus dieser Tatsache erhellt die symbolische Bedeutung, die man der Kapelle verleihen wollte, und eben diesem Symbolgehalt entsprechen die später geschaffenen Wandmalereien, die das Langhaus beidseitig mit inhaltlich korrespondierenden Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament säumen. Über den Symbolcharakter der dargestellten Episoden hinaus sind die Träger eines tieferen Sinnes spezi­ fischer Art: Moses und Christus repräsentieren die Kontinuität einer pastoralen „Auctoritas“, deren legitimer Erbe der römische Oberhirte ist. Bedenkt man ferner die mannigfachen Bedrohungen, denen die Kirche gerade damals ausgesetzt war, so nimmt eine derartige, auch in den lateinischen Bildlegen­ den oder „tituli“ manifestierte ausdrückliche Bestätigung ihrer Autorität eine zusätzliche politische Bedeutung an. Schon 1481 verpflichtete Sixtus IV. zur Innendekoration der Kapelle die Maler Pietro Perugino, Domenico Ghirlandaio und Cosimo Rosselli, zu denen sich bald Botticelli, Luca Signorelli mit Bartolomeo della Gatta, Pinturicchio und Piero di Cosimo - hier allerdings nur als Mitarbeiter von Rosselli - gesellten; mit der Ausführung der idealisierten Porträts der Päpste, denen die Fensterzwischenräume Vorbehalten blieben, wurde Fra’ Diamante betraut, während Pier Matteo d’Amelia dem Deckengewölbe ein Sternenfirmament bescherte und Antoniazzo Romano die Verbindungstür zur „Sala Regia" dekorierte. Im weiteren Verlauf unserer Darstellung werden wir im einzelnen die meisterliche Kollektivschöpfung dieser Malerelite zu würdigen wissen, die in wechselseitiger Inspiration ein Dekorationsensemble von außerordentlicher Einheitlichkeit verwirklichte; für den Augenblick begnügen wir uns mit der Betrachtung der nebenstehenden Rekonstruktionskopie des Gesamtkunst­ werkes, das seine ideale Ergänzung im schwerelos anmutenden marmornen Gitterwerk der Schranken zwischen Vorraum und Haupthaus und der „can­ toria" - der Sängertribüne - fand. Beide architekturplastischen Einheiten werden Mino da Fiesole zugeschrieben, der sie in Zusammenarbeit mit Antonio Bregno und Giovanni Dalmata schuf. Wenn wir uns eingehender mit der Entstehungsgeschichte und der frühe­ sten Gesamtdekoration der Sixtinischen Kapelle beschäftigt haben, so zu­ nächst deshalb, weil sie im Vatikan am eindringlichsten die Erinnerung an Sixtus IV. wachhält; zum anderen aber sollte dem Freskenschmuck der 33

A le ssa n d r o S t r o z z i Ansicht des Vatikans um 1474

Sixtina ein paar Jahrzehnte später eine noch glanzvollere Fortentwicklung beschieden sein, die dem zweimaligen Wirken von Michelangelo zu ver­ danken ist. Als Repräsentant und Inspirator humanistischer Geisteshaltung erwarb sich der große Papst besondere Verdienste um die Vatikanische Bibliothek: hatte die Sammlung noch zur Zeit Nikolaus’ V. ganze tausend Codices be­ sessen, so vermehrte sie ihren Bestand nunmehr auf 2527 Bände und wurde zudem nach heute noch gültigen Gesichtspunkten erstmals systematisch ge­ ordnet. Dies war das Werk des humanistischen Gelehrten und Geschichts­ schreibers der Päpste, Bartolomeo Platina, der, von Paul II. verfolgt, jetzt rehabilitiert und im Jahre 1475 zum Direktor der Bibliothek bestellt wurde. Aufbau und Verselbständigung der bedeutenden bibliographischen Sammlung unter Leitung des namhaften Historikers setzten unter anderem voraus, daß die Bibliothek als Institution einen eigenen Sitz erhielt, was unter Nutzung und Vergrößerung bereits vorhandener Räumlichkeiten des Palastes geschah. 34

die zudem verschwenderisch mit Fresken ausgeschmückt wurden; einige von ihnen konnten erst in jüngster Zeit wiederentdeckt werden; sie stellen Philo­ sophen des klassischen Altertums und Kirchenväter dar, Figuralkompositionen, welche die endlich vollzogene Vermählung zwischen weltlicher und reli­ giöser Kultur symbolisieren, und mit gutem Grund den Brüdern Ghirlandaio, Domenico und David, zugeschrieben werden. Andere Dekorationen, wie der Deckenschmuck eines der kleineren Räume - ein dichtes Ornamentwerk aus pflanzlichen Motiven - stammen von Melozzo da Forli und Antoniazzo Romano; Melozzo ist auch jenes zwischen 1475 und 1477 geschaffene und heute in der Vatikanischen Pinakothek befindliche Fresko zu verdanken, das die Szene der Einsetzung Platinas in das Amt eines „Apostolischen Biblio­ thekars“ durch Sixtus IV. wiedergibt. Während im Vatikanpalast kurzfristig derart umfassende architektonische und künstlerische Arbeiten durchgeführt wurden, beschränkte man sich in der Basilika selbst auf äußerst bescheidene Maßnahmen; Neuanfertigung des Baldachins über der „Confessio“, Dachsanierung und Restaurierung des Mausoleums der heiligen Petronella. Bedenkt man, daß der Papst zur selben Zeit sein Grabmal in einer eigenen Kapelle errichten ließ, das berühmte Bronzemonument, das Antonio del Pollajolo innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne von zehn Jahren schuf, und daß Sixtus auch der kostspieligen Neugestaltung des Grabmals Pauls II. durch Mino da Fiesole und Giovanni Dalmata zustimmte, so gelangt man unschwer zu dem Schluß, der Gründer der Sixtina habe sich keinen Augenblick lang mit dem Gedanken an einen Neubau der Basilika „von Grund auf“ getragen. Er ließ Reparaturen und Ausbesserungsarbeiten durchführen, soweit ihm diese notwendig schienen, und im übrigen meinte er, Sankt Peter sei wohl imstande, den Stürmen der Zeit noch für eine Weile zu trotzen. Die kraftvollen Impulse, die Sixtus IV. im Vatikan und in Rom dem Bau­ wesen, der Architektur und den Künsten im allgemeinen verliehen hatte, sollten unaufhaltsam weiter fortwirken. Sixtus’ Nachfolger empfanden samt und sonders das Bedürfnis, es ihm gleichzutun und große Projekte zu ver­ wirklichen, obschon sie durchaus nicht alle mit dem ästhetischen Empfinden des großen Vorgängers ausgestattet waren. Der erste in der Nachfolge Sixtus’, Innozenz VIIL, war es, der sich, kaum in sein hohes Amt eingesetzt, an ein einigermaßen neues Vorhaben wagte; er ließ im Norden des Vatikanpalastes, didit an der mittelalterlichen Um­ fassungsmauer, ein sogenanntes „Belvedere“ erriditen, ein Bauwerk, das sich in Stil und Bestimmung gänzlich von den alten Residenzgebäuden unter­ schied. Ursprünglich als Lusthaus mit offener Säulenhalle inmitten der Gär­ ten geplant, wurde der Pavillon unverzüglich zu einer Villa nach dem Vor­ bild der prunkvollen Landhäuser im Weichbild der toskanischen Städte 35

ausgebaut. In mancher Hinsicht freilich gemahnte die päpstliche Villa an ein militärisches Bauwerk, wozu die Zinnenbekrönung nicht unwesentlich bei­ trug. Die Pläne stammten, wie Vasari angibt, von Pollajolo, der damals den Bronzeguß des erwähnten Grabmals für Sixtus IV. überwachte, doch besorgte ein anderer, nämlich Jacopo da Pietrasanta, die Durchführung der Bauarbei­ ten, die er bereits 1487 abschließen konnte; unmittelbar darauf wurde die Innendekoration der „Villa“ Pinturicchio, Bonfigli und in weiterer Folge Mantegna anvertraut, der eigens nach Rom berufen wurde, um zwischen 1488 und 1490 die Hauskapelle des „Belvedere“ auszuschmücken. Von all diesen Fresken ist heute kein einziges mehr erhalten, da sie späteren Umbau­ arbeiten zum Opfer fielen; auch fehlen ikonographische Zeugnisse über den Zyklus Mantegnas, der, obgleich er in den kulturell interessierten Kreisen Roms Aufsehen erregte, dennoch weder reproduziert noch von den zeitgenös­ sischen Kunsthistorikern beschrieben wurde. Mit dem Nachfolger Innozenz’ VIII., dem Spanier Rodrigo Borgia, der als Alexander VI. im Jahre 1492 den päpstlichen Stuhl einnahm, begann eines der unglückseligsten Kapitel in der Geschichte der Kirche. Und doch erwarb sich der Borgia, dessen Namen gleichbedeutend ist mit Intrige, Gewalt, Zügel­ losigkeit, Korruption und Blutschuld, mit Verbrechen, deren Gesamtheit - gleichgültig ob begangen oder nur zugeschrieben - die Legende des Anti­ christen auf dem Papstthron ausmacht, Verdienste zumindest um die Ver­ mehrung und Bereicherung des künstlerischen Besitztums des Vatikans. An der Westflanke des Palastes, parallel zur Sixtinischen Kapelle, ließ er einen Turm errichten, der seinen Namen trägt, die „Torre Borgia“, ein düste­ res, unheilvoll anmutendes Befestigungsbauwerk, in dem er samt seiner Familie wohnte. Die Borgia Appartements reichten mit drei Sälen hinüber in den anschließenden Flügel des Palastes, den Nikolaus V. hatte errichten lassen; den Abschluß bildete die alte „Aula Pontificum“. Die Dekoration der „Appartamenti Borgia“ führte zwischen 1492 und 1495 Pinturicchio durch. Daß die Wahl Alexanders gerade auf diesen Künst­ ler fiel, ist bezeichnend für den ästhetischen Geschmack des spanischen Papstes. Pinturicchio vertrat damals in seinen Darstellungen sakraler und mythologischer Motive das manieristische Konzept der ausgehenden Früh­ renaissance, die bereits an Vitalität verloren hatte. Die Malerei dieser sich nur mehr aus sich selbst speisenden Strömung befrachtete sich mit einem

A n t o n io d el P o l l a jo l o Grabmal Innozenz VIII. \ Der Papst ist thronend, den Segen erteilend, dargestellt. In der linken Hand hält er die Lanze des heiligen Longinus. In der Lünette sind die drei diristlidien Tugenden wiedergegeben, während die vier Kardinaltugenden seitlich des Papstes figurieren.

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komplizierten esoterischen Symbolismus, schwelgte in üppigen Ornamenten und erlag sogar der Versuchung des Exotischen: die Szenen aus dem Leben der heiligen Katharina von Alexandria schmückte Pinturicchio mit Figuren in orientalischen Kostümen, märchenhaft anmutenden Gestalten, die er den­ noch nach realen Vorbildern schuf; denn zweifellos ließ er sich von den prunkvollen und eigenartigen Gewändern der türkischen Abordnung in­ spirieren, die nach Rom gekommen war, um die Freilassung des Prinzen Jem, Bruder des Sultans Bajazet IL, zu verlangen; als Unterpfand für den fürstlichen Gefangenen, der auf Rhodos in die Hände der Christen gefallen war, brachten die Muselmanen nebst allerlei Kostbarkeiten auch die Reliquie der Lanze des Longinus nach Rom. Mochte auch die manieristische Dekoration der Borgia-Appartements dar­ auf hinweisen, daß der Vatikan vorübergehend den Kontakt zur damaligen Moderne und im besonderen zur zeitgenössischen Avantgarde unter den Malern verloren hatte, so bot dennoch das Rom Alexanders VI. einem der größten Architekten der Zeit die Chance, die mit Erfolg begangenen Wege der Tradition zu verlassen und das Neuland der Hochrenaissance zu er­ schließen. Dieser Mann, der als schon fünfzigjähriger gegen 1500 nach Rom gekommen war und dessen Wirken bestimmend für die spätere kunsthisto­ rische Entwicklung des Vatikans werden sollte, war der aus Urbino stam­ mende und in der Mailänder Frührenaissance bewährte Bramante. Auf Ge­ heiß des Papstes errichtete er 1502 den berühmten „Tempietto“ im Klosterhof von San Pietro in Montorio auf dem Janiculus, erlesenes Beispiel eines bereits völlig neuartigen architektonischen und plastischen Konzepts und als solches Vorbote und schon Vertreter der Hochrenaissance-Architektur in ihrer Ge­ samtheit; mehr noch - Bramantes „Kleiner Tempel“ nimmt bereits, wie wir sehen werden, jene Idee des Zentralbaus vorweg, die in der neuen Basilika von St. Peter ihre krönende Vollendung erfahren soll. Fast gleichzeitig mit dem schon reifen Bramante hatte ein blutjunger Mann Anfang der Zwanzig nach St. Peter gefunden, ein Künstler, dessen Namen das Schicksal auf immer untrennbar mit dem Vatikan verschmelzen wird: Michelangelo. Im Mai 1499 hatte der erst vierundzwanzigjährige Toskaner die Marmorgruppe der P ie tà vollendet, mit deren Schöpfung ihn ganze 21 Monate vorher der Botschafter Karls VIII., Kardinal Jean de la Groslaye de Villiers beauftragt hatte, um den Altar des Mausoleums der heiligen Petronella zu schmücken. Mit Bramante und Michelangelo, die den Ausklang des 15. Jahrhunderts im Vatikan erleben, hat sich St. Peter bereits jener versichert, die ihm zu Beginn der Neuzeit Funktion und Anziehungskraft eines Zentrums im Uni­ versum der Künste schenken.

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Die große Zeit der Renaissance: Vom Pontifikat Julius II. bis zum Tod des Michelangelo

Die Frühzeit des 16. Jahrhunderts war eine Periode der Neuorientierung, des plötzlichen Aufbruchs. Die abendländische Kultur, die während des ge­ samten Verlaufs des 15. Jahrhunderts eine kontinuierliche Entwicklung er­ fahren hatte, eine stetige Entfaltung nicht allein der bildenden Künste, sondern jeglichen Bereichs des Wissens und des Schöpferischen, war immer höheren Zielen zugestrebt und hatte am Ende einen idealen Gipfel erreicht, der gleichzeitig den Abschluß der Evolution bedeutete. Es war ein Augen­ blick geistiger Hochspannung, denn mit einem Male schien das heitere Selbst­ vertrauen einer Menschheit, die all ihre Möglichkeiten erkannt zu haben glaubte, gefährdet. In eben jenem historischen Moment, da der Humanismus stolz die Bilanz seiner Errungenschaften zieht und Selbstbespiegelung übt, erfaßt ihn die Krise, wird er sich dessen bewußt, daß das traditionelle Gleich­ gewicht zwischen geoffenbartem Glauben und nach neuen Erkenntnissen strebendem Geist unwiederbringlich dahin ist, ja, daß sich zwischen ihnen ein Abgrund geöffnet hat, der immer weiter gähnt; der zunehmenden Einsicht in die Unversöhnlichkeit von Dogmenglauben und Erkenntnisdrang folgen tiefe Bestürzung und jene tragische Verwirrung, deren Symbol das tragische Geschick des Gerolamo Savonarola ist. Der geistige Aufruhr, der den Abschluß der humanistischen Entwicklung bezeichnete, bedeutete gleichwohl kein Ende in chaotischer Auflösung, son­ dern rief im Gegenteil eine um so heftigere Gegenreaktion hervor, ein Hin­ stürmen nach neuen Zielen, ein Suchen nach neuem Gleichgewicht zwischen Geist und Glauben, ein Ringen um eine neue Weltansdiauung. Und als sie gefunden war, erwies sie sich als eine skeptische, problemgeladene, jeglichen Idealen abholde Interpretation einer verunsicherten, von Ängsten heimge­ suchten Existenz. Auf eine lichtvoll heitere Epoche, wie sie das 15. Jahrhundert gewesen war, folgte ein Zeitalter stürmischer Neuorientierung, deren Hauptträger die Kunst wurde. Ausschließlicher und unumstrittener als bisher sind der 39

Vatikan und mit ihm Rom Bastionen der schöpferischen Revolution; Rom, und nicht mehr Florenz, ist die Kapitale der Künste, das neue Athen. Als hätte die Vorsehung ihre Hand im Spiel, tragen die historischen Ge­ gebenheiten allesamt dazu bei, mit Hilfe außergewöhnlicher Persönlichkeiten eine an sich einzigartige Situation zu schaffen. Die erste dieser außergewöhnlichen „Personen der Handlung“ ist der neue Papst selbst, Kardinal Giuliano della Rovere, Neffe von Sixtus IV. Kurz vor Ende des Jahres 1503 gewählt, bestieg er als Julius II. den Thron Petri. Ein leidenschaftlicher, unbeugsamer Charakter, ein Leiderprobter, den das französische Exil unter Alexander VI. geprägt hatte, ein scharfer Intellekt und ein Mann von hohem Ethos, fühlte Julius II. sich vom Schicksal aus­ ersehen, Taten zu setzen, die vor ihm keiner zuwege gebracht. In ihm ver­ körperten sich die Ideale eines Beherrschers der christlichen Welt, eines Poli­ tikers, eines Heerführers und eines Mäzens. Julius II. war die Inkarnation selbst des Renaissancefürsten, und so sehr auch „condottiere“, daß er das modernste Heer der damaligen Welt aufbaute, in der Schweizergarde eine eigene Streitmacht schuf und persönlich seine Mannen gegen Bologna führte, um die Herrschaft der Bentivoglio zu zerschlagen. Allein aus der Tatsache, daß er den päpstlichen Thron bestieg, als er bereits die Sechzig überschritten hatte, schöpfte er neue Kraft; denn Julius II. wußte wohl, daß es für ihn keine Zeit zu verlieren gab. Rastlos schmiedete er Pläne, entwarf grandiose Projekte, deren Verwirklichung er kaum mehr erleben konnte, und die doch untrennbar mit seinem Namen verbunden bleiben mußten. Denn nicht allein der Geschichte seinen Stempel aufdrücken wollte er, sondern auch seine Nachfolger zwingen, die von ihm gewiesenen Wege zu gehen; selbst darin erwies sich Julius II. als ein typischer Vertreter seiner Zeit: sein Blick verfing sich nicht an den allzu eng gezogenen Grenzen seiner irdischen Existenz, sondern war auf die Nachwelt gerichtet. Julius II. hatte überdies die seltene Gabe, unmittelbar zu erkennen, daß es zur Durchführung seiner hochfliegenden Pläne einer Elite von Künstler­ persönlichkeiten bedurfte, die ihm wesensgleich waren, starker Charaktere, die sich durch allzu strenge Anweisungen nicht einschüchtern, sondern im Gegenteil zur Entfaltung ihrer schöpferischen Gaben anspornen ließen. Wenn Julius II. diese Künstler tatsächlich fand, so war dies weniger eine glückliche Fügung als vielmehr ein weiterer Beweis für seine außerordentlichen Fähig­ keiten; denn aus der Unzahl von Künstlern, die im damaligen Italien lebten und arbeiteten, wählte er mit sicherem Blick Bramante, Michelangelo und Raffael. Schon wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst verpflichtete Julius II. Bramante für eine Aufgabe von besonderem Format; der Architekt sollte den Vatikanpalast mit der Villa Belvedere verbinden, die Innozenz VIII. auf einem Hügel nördlich der Gesamtanlage hatte errichten lassen. Bramantes 40

Aufgabe war es, den großflächigen freien Raum zwischen Palast und Villa baulich zu gestalten und damit eine Phase organischen Wachstums der päpst­ lichen Residenz in ihrer Gesamtheit einzuleiten. Gleichzeitig sollte die ob ihrer ungünstigen topographischen Lage bis dahin vernachlässigte Villa zur Unterbringung der bedeutendsten Stücke der berühmten päpstlichen Antiken­ sammlung genutzt werden. Zu diesen zählte der „Apoll“ (von Belvedere), die „Venus Felix“, das als „Torso“ bekannte Fragment einer Herkulesstatue des Athener Bildhauers Apollonios, „Meleager“, Sohn des Königs von Kalydon, die „Schlafende Ariadne“ und die Skulpturengruppen des „Tiber“ und des „Nil“, zu welchen sich unmittelbar nach ihrer Ausgrabung im Jahre 1506 die wohl berühmteste Marmorgruppe der Antike - „Laokoon“ - gesellte. Auf diese Weise war ein erstes vatikanisches Museum geschaffen, zu dem frei­ lich nur Künstler und Gelehrte Zutritt hatten, während das „gemeine Volk“ gebieterisch von der Schwelle gewiesen wurde, hatte dort doch Papst Julius selbst die Inschrift einmeißeln lassen: „Procul esto prophani“, zu deutsch etwa: „Eintritt verboten für Unwissende“. Bramante, der sich eingehend mit der römischen Antike befaßt und dabei auch seine statischen und bautech­ nischen Kenntnisse erweitert hatte, projektierte einen monumentalen Kom­ plex, der sich mit den erhabensten Bauwerken des Altertums messen konnte: zwei lange zweigeschossige Flügel oder Galerien, deren Flachdächer als Ter­ rassen gestaltet waren und auf diese Weise zwei Hochstraßen bildeten. Da­ mit schloß Bramante ein großes Viereck, dessen Längsseiten die beschriebenen Galerien waren, an die sich - als Breitseiten - weitere Bauten mit halbkreis­ förmigen Nischen im Inneren fügten. Den vom Geviert umschlossenen Bin­ nenhof gestaltete der Künstler als prunkvollen Terrassengarten, der sich, den natürlichen Bodenverhältnissen gehorchend, über drei Geländestufen er­ streckte, und den idealen Rahmen für Lustbarkeiten aller Art, Theaterauf­ führungen, Empfänge, Prozessionen und selbst Turniere bot, denen man von den Loggien der Galerien aus beiwohnte. Zur selben Zeit, da Bramante den Bau eines ersten Teilstücks der „Kor­ ridore“ leitete und dabei eine verhängnisvolle Hast an den Tag legte Vasari berichtet von drohender Einsturzgefahr noch während der Bauarbei­ ten und dem Zusammenbruch der Galerien wenige Jahre später -, sanierte er auch die Villa Belvedere und verfügte den Zubau einer fünfgeschossigen Wendeltreppenanlage mit toskanischen, dorischen, ionischen und korinthischen Säulen aus Granit. Diese Wendeltreppe birgt in ihrem Inneren keine feste „Spindel“, um die sie schneckenförmig aufsteigt, sondern windet sich um einen Hohlraum - eine technische Leistung, die dem Architekten den Ruf eines hervorragenden Baupraktikers eintrug und später immer wieder kopiert wurde. Mittlerweile - im März des Jahres 1505 - hatte Julius II. Michelangelo, der sich damals in Florenz aufhielt, nach Rom beordert, um ihm einen nicht 41

minder bedeutsamen Auftrag zu erteilen, nämlich die Schöpfung seines Grab­ mals. Das Monument, dazu bestimmt, dereinst die sterbliche Hülle des Pap­ stes aufzunehmen, konzipierte Michelangelo zunächst als ein grandioses zwei­ geschossiges Bauwerk, dessen hochragende Fassaden von vierzig überlebens­ großen Statuen geschmückt werden sollten, eine letzte Ruhestätte, wie kein Papst sie bislang sein eigen nennen konnte. In dieses Projekt setzte der Künstler seinen ganzen Ehrgeiz, ersann und verwarf immer neue Lösungen, opferte ihm Tage und Nächte und brachte acht Monate in den Steinbrüchen von Carrara zu, um nach geeigneten Marmorblöcken zu suchen - doch als er nach Rom zurückkehrte, hatte sich des Papstes Sinn gewandelt. Maßgeblich für diese Sinnesänderung war die Erkenntnis, daß ein nach dem ersten Ent­ wurf Michelangelos ausgeführtes Monument kaum an jenem Ort unter­ gebracht werden konnte, den Julius II. für sein Grabmal ausersehen hatte; dieser Ort war die Apsis von St. Peter, die Rossellino unter Einbeziehung der Relikte der Basilika Konstantins neu errichtet hatte. Michelangelos Enttäuschung kannte keine Grenzen. Bei Nacht und Nebel verließ er Rom, nicht ohne dem Papst durch einen Domestiken bestellen zu lassen, „er sei anderswohin gegangen“ (Vasari). Und als ihm der Papst fünf Kuriere ins Florentiner Gebiet nachschickt, um ihn zurückzuholen, gibt er ihnen den Bescheid mit auf den Weg, „Seine Heiligkeit möge sich einen ande­ ren suchen, der ihn bediene“. Auch die Drohungen des Papstes, den dieser gegen den mittlerweile nach Florenz Heimgekehrten schleudert, fruchten nichts, ebensowenig wie die Beschwörungen der Florentiner Obrigkeit, die da­ vor bangt, sich den Unmut des allermächtigsten Kirchenfürsten zuzuziehen, nur weil dieser sich mit einem Baumeister überworfen hat: nicht im entfernte­ sten denkt Michelangelo an eine Rückkehr nach Rom, sondern vielmehr daran, nach Konstantinopel zu gehen und dem Großsultan zu dienen. In der Tat gestalteten sich, wie man sieht, die Beziehungen zwischen Julius II. und Michelangelo stürmisch bewegt; doch waren es Beziehungen zwischen Ebenbürtigen, die um ihre Wesensgleichheit wußten und im Inner­ sten davon überzeugt waren, auf einander nicht verzichten zu können. Zu einer ersten Versöhnung kam es im Jahre 1507, als die beiden Männer in Bologna zusammentrafen: weinend fiel Michelangelo vor dem Papst auf die Knie und heischte Vergebung, während Julius ihn in die Arme schloß, ihn seinen Bruder nannte und ihm, wie Vasari berichtet, auf der Stelle den Auf­ trag erteilte, „eine fünf Ellen hohe Bildnisstatue aus Bronze zu arbeiten“, die Seine Heiligkeit in der Pose eines Imperators darstellen sollte. Die Statue wurde in Bologna errichtet, als Mahnmal päpstlicher Macht, fiel jedoch 1521 der Volkswut zum Opfer, als die Stadt vorübergehend wieder unter die Herrschaft der Bentivoglio geriet. Michelangelo aber war nicht imstande, sein Projekt zu vergessen und zu resignieren. Das Grabmal Julius II. wurde zur eigentlichen Tragödie seines 42

M ic h e l a n g e l o Moses. Ausschnitt. Kirdie von S. Pietro in Vincoli, Rom

Lebens. „Mich deucht“, schrieb er noch im Herbst 1542 an einen Kleriker, „ich habe meine ganze Jugend verloren, seitdem ich an dieses Grabmal ge­ bunden bin.“ Immer wieder fertigte er neue Entwürfe an, nicht mehr zu einem Mausoleum, sondern zu einem bescheidenen Monument, an dessen Ver­ wirklichung nur er selbst glaubte, während die Erben des 1513 plötzlich ver­ storbenen Papstes dem Künstler anfänglich mit Mißtrauen, später mit offe­ ner Feindschaft begegneten. Von dem ursprünglich geplanten Kolossalbau konnte schließlich nur mehr der Unterbau mit drei Figuren fertiggestellt werden, dem berühmten „Moses“ und den zwei gefesselten „Sklaven“ (Sym­ bole vielleicht der durch Julius II. Hingang in Banden geschlagenen Künste), die, 1513/14 vollendet, nach mannigfachen Irrfahrten in den Pariser Louvre gelangten, während vier plastische Entwürfe zu diesen Skulpturen heute im Besitz der Florentiner Kunstakademie sind. Einzig der Moses-Statue war es vergönnt, tatsächlich das Grabmal des Papstes zu schmücken, das erst 1545 enthüllt wurde, nicht im Vatikan, sondern in der Kirche San Pietro in Vin­ coli auf dem Esquilin. Die stürmischen Auseinandersetzungen mit Michelangelo und die Vor­ geschichte zu den Zerwürfnissen um sein Grabmal bewogen Julius II. zu einer Entscheidung, die noch mehr Aufsehen erregte als sein Wunsch nach einem Mausoleum. Als der Papst erkennen mußte, daß die Apsis von St. Peter keinen Raum für ein derartiges Denkmal bot, dachte er zunächst daran, sie auszubauen; im Frühjahr 1505 wagte man einige Sanierungsversuche an dem aus der Zeit Konstantins erhaltenen Baukörper, die jedoch enttäuschend verliefen; dann entschloß man sich zu vollziehen, was Nikolaus V. schon ein halbes Jahrhundert zuvor geplant hatte: die alte Basilika sollte niedergerissen. St. Peter neu erbaut werden. Rossellinos Entwürfe schienen dem Papst frei­ lich überholt, und deshalb beauftragte er sowohl Giuliano da Sangallo - der sich der Freundschaft Seiner Heiligkeit noch aus jener Zeit erfreute, als er dem damaligen Kardinal ins französische Exil gefolgt war -, als auch Bra­ mante, neue Projekte auszuarbeiten. Doch binnen kurzem erkannte Julius, daß Sangallo seine Erwartungen nicht erfüllen würde, warf jegliches Senti­ ment über Bord und verpflichtete ausschließlich Bramante, der ein revolutio­ näres Konzept entwickelte. Der Kurie sagte es nur wenig zu, denn die hohe Geistlichkeit war der alten Basilika verbunden. Wie man aus Bramantes heute noch erhaltenen Entwurfzeichnungen und Planskizzen erkennt, projektierte er die neue Peterskirche als Zentralbau. Die Grundform, von der er ausging, war das griechische Kreuz mit gleich langen, von tiefen Apsiden halbkreisförmig abgeschlossenen Armen, über deren Durchdringung eine halbkugelförmige Kuppel gedacht war, wie Bra­ mante sie, in kleinerer Ausführung, bereits für den „Tempietto“ (das „Tempelchen“) von San Pietro in Monto rio, geschaffen hatte. In den Ecken zwi44

sehen je zwei Kreuzarmen sollte sich in kleinerem Maßstab das Motiv der Kuppel vierfach wiederholen, während in den Diagonalen vier weitere Bau­ teile vorgesehen waren, Sakristeiräume, welche die Ecken eines riesigen Quadrats gebildet hätten, in das die Grundform des griechischen Kreuzes eingeschrieben blieb. Diese abstrakt anmutende Planfigur, deren Umrisse sich auch als komplizierter achteckiger Stern deuten lassen, dieses Muster geo­ metrischer Formen und die Idee an sidi, eine Kirche gleich einem Rund­ tempel als Zentralbau aufzuführen, entsprachen einerseits dem Wunsch, die Monumentalarchitekturen des antiken Rom wieder auferstehen zu lassen Bramante selbst hielt sein Konzept für eine Vermählung der Basilika des Maxentius mit dem Pantheon -, andererseits aber waren sie Träger einer genau durchdachten Symbolik: die harmonische Anordnung der kleineren Innenräume, die sämtlich nach dem großen Zentralraum ausgerichtet waren, den die Hauptkuppel, Symbol des Himmelsgewölbes, überdacht, sollte die geistige Einheit der katholischen Kirche darstellen, wie der Gesamtbaukörper die päpstliche Macht als Zentrum des Universums symbolisierte. Anfänglich glaubte Bramante, sein Projekt nur durchführen zu können, wenn er die Grabkapelle Petri samt der darin ruhenden sterblichen Hülle des Apostels vom ursprünglichen Standort entfernte, doch dagegen pro­ testierte der Papst aufs heftigste. Im Gegenteil: Bramante mußte die Kapelle mit Tuffsteinblöcken umbauen, um sie, solange die Arbeiten an der neuen Kirche währten, zu schützen. Mochte der Künstler diesem Befehl auch nur widerwillig folgen, so machte er dodi aus der Not eine Tugend und führte ein anmutiges kleines Bauwerk mit dorischen Säulen und Blendarkaden aus, unter dem die Grabkapelle zur Gänze verschwand. Als dies geschehen war, ließ Bramante die Basilika Konstantins bis auf die Fundamente niederreißen; keinen Augenblick darauf bedacht, die ehr­ würdigen Relikte zu schonen und sie vielleicht an anderem Standort für die Nachwelt zu erhalten, legte er in seinem Eifer eine soldie Zerstörungswut an den Tag, daß er fürderhin nur mehr „il ruinante“ - „der Demolierer“ hieß. Ihm fielen nicht nur die antiken Mosaiken, Giottos Fresken in der Apsis und architekturplastische Dekorationen zum Opfer, sondern auch die Gräber der Päpste und Märtyrer, deren Gebeine man eilends einsammelte. Am 18. April 1506 legte Julius II. persönlich den Grundstein zu einem der vier gigantischen Pilaster, welche die Kuppel tragen sollten. (In diesen ersten Pfeiler wurde später das Grabmal der heiligen Veronika eingebaut.) Im April des darauffolgenden Jahres 1507 legte der Erzbischof von Tarent die Grundsteine zu den drei übrigen Pfeilern, deren Bau hurtig voranschritt; bald wölbten sich mächtige Bogen zwischen den Pilastern, während der Chor fertiggestellt wurde. Für diesen Teil der Kirche hielt man sich im übrigen noch an den von Rossellino bestimmten Verlauf der Fundamente. Damit schienen Anfangsbegeisterung und Elan erschöpft. Nur zögernd schritten die 45

Arbeiten voran: Bramante, der als einer der größten Statiker seiner Zeit galt, sah sich plötzlich vor schier unüberwindlichen technischen Problemen, und außerdem überstiegen die Baukosten zusehends den gewiß nicht bescheidenen Etat der päpstlichen Schatzkammer. Um diesem Übelstand abzuhelfen, rich­ tete Julius II. im Jahre 1513 einen Appell an die Christenheit, das Projekt 46

durch Spenden zu unterstützen, wofür er den Wohltätern großzügige Ab­ lässe in Aussicht stellte. Dies wurde einer der Anstöße für die protestantische Bewegung, vornehmlich die Luthers, dessen Anhänger den Papst der Simonie beschuldigen. Mit der fast vollständigen Zerstörung der konstantinischen Basilika und der Errichtung der Kuppelstützen war ein unabänderlicher Zustand geschaf­ fen, dem man für alle Zukunft Rechnung tragen mußte. Bramantes Grund­ idee des Projekts bestimmte das Schicksal des Neubaus und zwang alle, die das Werk fortsetzen sollten, sich an seine Vorstellungen zu halten. In eben jenen Jahren, da die neue Peterskirche im Werden begriffen war, vollzogen sich im Vatikan andere, doch nicht minder bedeutsame künstle­ rische Geschehnisse. Am 10. Mai des Jahres 1508 rief der Papst Michelangelo wieder zu sich und erteilte ihm den Auftrag, die bislang nur einen Sternenhimmel aufwei­ sende Deckenwölbung der Sixtinischen Kapelle mit Fresken zu versehen. Über diesen Auftrag war Michelangelo anfangs alles andere als beglückt, hatte er sich doch vornehmlich der Bildhauerei verschrieben und bis zu die­ sem Zeitpunkt kein Fresko und nur wenige Malereien geschaffen, darunter die heute in den Florentiner Uffizien befindliche „Fleilige Familie“, die auch die „Madonna Doni“ genannt wird. Außerdem war sich der Künstler von vornherein der Schwierigkeiten bewußt, welche die kompositorisch einheitliche Dekoration einer so großen Fläche in Form eines langgestreckten, schmalen Rechtecks aufwarf. Schließlich hegte er den vielleicht nicht unbegründeten Verdacht, der geistige Urheber dieses Einfalls sei Bramante, der den jungen Kollegen mit einer schwierigen und langwierigen Arbeit beschäftigt wissen wollte, um zu verhindern, daß er ihm in St. Peter, das immer neue und zu­ sehends heiklere Probleme aufwarf, ins Handwerk pfusdite. In Michelangelo erwachte daraufhin der Ehrgeiz zu beweisen, daß er umsichtiger zu planen verstand als der alte Meister; er ließ zunächst ein hohes, mobiles Gerüst er­ richten, das innerhalb der Kapelle frei bewegt werden konnte, womit er Bramante bereits etwas voraus hatte, da dieser nur mit unbeweglichen Ge­ rüsten arbeitete; hierauf studierte er die Komposition des Freskos, die nach seinem ersten Entwurf den architektonischen Strukturen der Deckenwölbung gehorchen sollte, doch entschied er sich bald dafür, die Decke vollständig zu übermalen und mit einer illusionistischen Scheinarchitektur zu versehen. Darüber hinaus entwickelte er ein weitaus umfassenderes ikonographisches Konzept, als er es ursprünglich mit dem Papst abgesprochen hatte und das auf die bloße Darstellung von Apostelfiguren beschränkt geblieben wäre; aus eigenem Antrieb entschloß er sich für die Illustration der Schöpfungs­ geschichte, deren ausgewählte Episoden er mit den Bildnissen der Propheten, Sibyllen und der Vorgänger Christi vervollständigen wollte, um auf diese Weise die historische Kontinuität zwisdien der Frühzeit der Menschheit und 47

Interieur der Sixtinischen Kapelle um 1508

der biblischen Geschichte, die in den Wandfreskenzyklen um Moses und Jesus bereits in der Sixtina präsent war, zu dokumentieren. Vier Jahre lang, bis Oktober 1512, arbeitete Michelangelo mit seinen wenigen Assistenten an den Deckenfresken, so besessen von seiner Aufgabe, daß er ganze Nächte auf dem Gerüst zubrachte; eifersüchtig hütete er sein entstehendes Werk vor fremden Blicken und verwehrte es selbst dem Papst, sich vom Fortschritt der Arbeiten zu überzeugen. Als Julius II. im Jahre 1511 die Geduld verlor, einen Teil des Gerüsts einfach demontieren ließ, um zumindest einen Ausschnitt der Dekoration sehen zu können, und sich nach­ her eine bescheidene Anregung erlaubte, kam es zu einer der berühmt stür­ mischen Auseinandersetzungen zwischen Künstler und Papst. 48

Zu eben jener Zeit wirkte in einem anderen Teil des apostolischen Palastes der dritte der größten Meister in der Kunstgeschichte des Vatikans: Raffael. Im selben Jahre 1508, als Michelangelo an den Deckenfresken der Sixtina zu arbeiten begann, beschloß der Papst, die im zweiten Stock des Palastes gelegenen Räumlichkeiten, die noch aus der Zeit Nikolaus V. stammten, zu einem repräsentativen Appartement umzugestalten und fürs erste die un­ vollendeten Dekorationsmalereien fertigstellen zu lassen, die Andrea del Castagno, Piero della Francesca und Benedetto Ronfigli begonnen hatten. Deshalb beorderte der Heilige Vater die angesehensten Maler aus ganz Ita­ lien nach Rom und ließ sie, um unter ihnen seine Wahl zu treffen, Proben ihres Könnens ablegen. Am Wettbewerb beteiligten sich Sodoma, Perugino, Lorenzo Lotto, der Lombarde Bramantino, Baldassarre Peruzzi, der nicht nur Maler, sondern auch Architekt war, und der erst fünfundzwanzigjährige Raffael, der dem Papst so sehr zusagte, daß er ihm den Auftrag übergab. Raffael ließ die alten, aus dem 15. Jahrhundert stammenden Dekorationen zerstören und schuf mit Hilfe einer ganzen Armee von Schülern und Mit­ arbeitern ein umfassendes, im höchsten Grade dekoratives Ensemble von Fresken, die der Illustration theologischer Grundkonzepte dienen sollten. Im ersten Gemach (zu italienisch „Stanza“) - der sogenannten „Stanza della Segnatura“ -, deren Dekorationen 1511 fertiggestellt wurden, schuf Raffael Allegorien der Offenbarung, der Erkenntnis und der Tugenden, wo­ bei im Sinne humanistischer Philosophie die Offenbarung der Wahrheit durch den Glauben und die Erkenntnis der Wahrheit durch den Verstand und die poetische Inspiration einander gegenübergestellt wurden; in der zweiten Stanze, der sogenannten „Stanze des Heliodor“, versinnbildlichen die 1514 vollendeten Darstellungen die Göttliche Vorsehung und deren Wirken in der Geschichte der Kirche. Noch heute vermag man kaum zu fassen, daß ein knappes Jahrzehnt - die Dauer des Pontifikats Julius IL, der am 21. Februar 1513 starb - ausreichte, um künstlerische Vorhaben solchen Umfangs und solcher Zahl zu verwirk­ lichen oder zumindest in die Wege zu leiten: das Belvedere und den Neubau der vatikanischen Basilika, die Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle und die ersten Stanzen, bedeutsame bauliche Veränderungen an den Palastanla­ gen, vornehmlich den Ausbau des Cortile San Damaso mit den offenen Bogengängen der Loggien in dorischer Ordnung. Wie ein Wunder auch mutet es an, daß just jene Epoche geniale Künstler in solcher Zahl hervorbrachte, die sich dem Vatikan verpflichteten, um Traban­ ten einer der stärksten, aber auch schwierigsten Persönlichkeiten auf dem Thron Petri zu sein, eben Julius II. Am tiefsten beeindruckten gleichwohl nicht Zahl und Umfang der unter päpstlichem Mäzenat geschaffenen Werke, sondern vielmehr der Geist, der aus dem Zusammenwirken so vieler und so verschiedenartiger Persönlich49

keiten wurde, sich plötzlich offenbarte und den Lauf der Kulturgeschichte entscheidend und verändernd beeinflußte. Sucht man nach dem diese Schöpfungen verbindenden Gemeinsamen, so erkennt man - wie wir in unseren Kommentaren zu den einzelnen Werken erläutern wollen -, daß sie sich ausnahmslos von der Welt des Humanismus distanzieren und neue Auffassungen dokumentieren: wohl finden sich bei Bramante noch Reminiszenzen an die römische Antike, doch sind sie inte­ griert in eine moderne Weltschau, die sich in der Formensymbolik der neuen Peterskirche verkörperlicht, und gehorchen den Gesetzen einer geistigen Hierarchie. Michelangelo gestaltet seine „Genesis“ an der Decke der Six­ tinischen Kapelle nach dem Menschlichkeitsideal des Neoplatonismus - die Figuren der Propheten, der Sibyllen und die männlichen Akte der „Ignudi“ sind symbolhafte Prototypen der menschlichen Existenz -, doch beinhaltet dieses Konzept auch eine geschichtsphilosophische Dimension, eine Deutung der Geschichte als Produkt des Wirkens der Vorsehung, die ihren Lauf be­ stimmt und sie nach einem höheren Ziel hinführt. Raffael ist jener der drei, der am stärksten an die humanistische Tradition gebunden bleibt; doch auch für ihn ist die Vermählung des Glaubens mit der Vernunft und der Poesie, die er in der Stanza della Segnatura vollzieht, nicht mehr Ideal, sondern durdi die Geschichte bewirkte Realität; und durch die Gesdiichte auch werden die dramatischen Spannungen zwischen Glauben und Vernunft offenbar, Konflikte, deren Lösung in der Gewißheit liegt, daß allein die Göttliche Vorsehung die Geschicke der Menschheit wie der Kirche lenkt. Diese These dokumentiert Raffael in der „Stanze des Heliodor“. Was im Werk dieser Künstler sichtbare Form annimmt, ist eine neue Auf­ fassung von Vergangenheit und Gegenwart; wie schon eingangs festgestellt, manifestieren sich die bedeutendsten und wahrhaft revolutionären Entwick­ lungen der Kulturgeschichte im geistigen Bannkreis des Vatikans. Denn der Vatikan ist nicht mehr, was er bis in die Frührenaissance und damit bis an die Schwelle des 16. Jahrhunderts gewesen war, nämlich eine Weihestätte, deren Ausschmückung Künstler der verschiedensten Kulturkreise besorgten, ein Ort, der freilich außerordentliche Anregungen zur Entfaltung der schöpfe­ rischen Kräfte bot; vielmehr ist er ein Schmelztiegel, in dem sich heterogene Elemente zu einer neuen Synthese verbinden, die Triebfeder einer Kultur, die den Ballast selbst der jüngsten Vergangenheit von sich wirft und in ihrem Verzicht auf die sklavische Nachahmung der Antike zumindest größere Reife beweist als der Humanismus der Frührenaissance. Mit Ausnahme der Deckenfresken der Sixtina war keines der zahlreichen Projekte, die Julius II. initiiert hatte, vollendet, als der große Papst aus dem Leben schied, doch fühlten sich seine Nachfolger so sehr als Verwalter seines geistigen Erbes, daß sie nicht nach neuen Lösungen suchten, sondern den von Julius II. begonnenen Prozeß der Erneuerung fortsetzten. LeoX. (1513-1521), 50

der ihm unmittelbar auf dem Thron Petri nachfolgte, verlieh dieser Unter­ nehmung zusätzliche kräftige Impulse. Sproß des illustren Hauses der Medici in Florenz und damit Repräsentant einer kulturellen Elite, war auch Leo, gleich Julius, erst in vorgeschrittenem Alter zu päpstlichen Würden gelangt und fühlte ebenso den Wunsch, seinen Namen auf immer an bleibende Schöpfungen gebunden zu wissen. Er säumte nicht, dieses Ziel zu erreichen, obgeich ihm Julius II. neben der kulturellen Mission auch all jene finanziellen Probleme hinterließ, die in den letzten Jahren seines Pontifikats zu einer bedrohlichen Stagnation der Unterneh­ mungen geführt hatte. Eine der ersten Maßnahmen, die Leo X. traf, war die Berufung des Fra Giocondo nach Rom. Bruder Giocondo, ein Dominikanermönch von 79 Jah­ ren, verfügte über reiche bautechnische Erfahrungen und schien dem Papst geeignet, gemeinsam mit Giuliano da Sangallo, Bramante beim Bau der neuen Peterskirche zu unterstützen. Innerhalb kürzester Zeit hatte Bruder Giocondo die Unzulänglichkeiten der Pfeilerkonstruktion aufgedeckt und die nötigen Maßnahmen zur Behebung der Mängel an Pilastern und den auf diesen ruhenden Bogen angeordnet. Damit war sein Mandat erfüllt, denn schon 1514 segnete er das Zeitliche. Im selben Jahr ging auch Bramante dahin, nicht ohne, wie es die Legende will, den Papst auf dem Sterbelager beschworen zu haben, Raffael als seinen Nachfolger einzusetzen. Wenn Bra­ mante wollte, daß der junge Künstler die Arbeiten an der Peterskirche fort­ führte, so sprach er sich damit sowohl gegen Michelangelo als auch gegen Sangallo aus. Überdies konnte er hoffen, daß Raffael sein - Bramantes Konzept nicht verändern würde, hatte er sich doch bislang fast ausnahmslos auf die Malerei beschränkt und vor 1514 nur spärliche architektonische Er­ fahrungen gesammelt, denn das einzige Bauwerk, das man ihm damals zu­ schreiben konnte, war die kleine römische Kirche Sant’ Eligio degli Orefici, die Kapelle der Goldschmiede an der Via Julia, deren Grundform - ein griechisches Kreuz - eindeutig von Bramante inspiriert war. Außerdem wußte der greise Künstler, daß der junge ihm in Dankbarkeit verbunden war, hatte er ihm doch geholfen, als Raffael mit der Hintergrundardiitektur des Freskos der „Schule von Athen“ nicht zu Rande kam. Zumindest anfänglich erfüllte Raffael die in ihn gesetzten Erwartungen: am 1. August 1514 trat er Bramantes Erbe an und übernahm die Leitung des Neubaus der Peters­ kirche, um in den allerersten Jahren seines Wirkens die letzten Relikte der Basilika Konstantins zu beseitigen und jene Maßnahmen zur Verstärkung der Pilaster durchzuführen, die noch Fra Giocondo empfohlen hatte. Doch als Raffael im Jahre 1516 einen Baumeister zugewiesen bekam, der ihn in den rein technischen Belangen entlasten sollte - es war dies Antonio, Neffe von Sangallo dem Älteren -, erwachte in ihm der Wunsch, Bramantes Projekt ab­ zuändern, was auch den Intentionen des Papstes entsprach. So verwandelte er 51

R a ffael Projekt der Basilika von St. Peter

zunächst das griechische Kreuz der Grundform in ein lateinisches Kreuz, nicht allein, weil ein Langhausbau mit Quersdiiffen eher dem Typus der alten Basilika entsprach, sondern auch aus liturgischen und funktionellen Motiven, über die sich Bramante hinweggesetzt hatte. Raffaels Projekt gelangte, so sehr es dem Papst audi zusagte, nie über das Stadium der Planung hinaus. Unsere Kenntnis davon stützt sich auf die Pläne, die uns Sebastiano Serlio, ab 1540 Hofbaumeister zu Paris und Autor eines architekturtheoretischen Werkes im Anschluß an Vitruvs „De Architec­ tura“, überliefert hat. Nichts hingegen ist über die Außengestalt des Bauwerks bekannt, wie Raffael sie konzipiert hatte. Er selbst bekannte sich zu den Lehren des Vitruv und damit zu den Ordnungen und Regeln der antiken Architekturtradition, jener Baukunst des Altertums, die Raffael mit beständig wachsendem Interesse studierte, seit der Papst ihn zum Kurator der Antiken und zum höchsten Beamten der römischen Denkmalpflege ernannt hatte. Dieses Amtes waltete der Künstler mit besonderer Umsicht, und noch kurz vor seinem allzu frühen Tode, der den erst Siebenunddreißigjährigen 1520 ereilte, forderte er nachdrücklich Maßnahmen zum Schutz der römischen Ruinen. Als oberster Bauleiter von St. Peter und des Vatikans - unter seiner Ägide entstanden auch der Belvedere-Flügel und das dritte Geschoß der Loggien nahm Raffael innerhalb der römischen Künstlerschaft eine absolute Vorrang­ stellung ein, die ihm wohl nur Michelangelo hätte streitig machen können, doch dieser war mittlerweile nach Florenz zurüdegekehrt. Unter dem Pontifikat Leos X. vollendete Raffael die Dekoration der „Stanze des Heliodor“ - mit dem Bildnis des Papstes in der „Vertreibung Attilas durch Leo den Großen“ - und fertigte die Entwürfe zur Dekoration der dritten Stanze an, die nach dem Hauptfresko „Brand im Borgo“ benannt wird. Die Ausführung des Freskenzyklus überließ er jedoch seinen Schülern, unter welchen sich schon damals profilierte Künstlerpersönlichkeiten befan­ den: Giulio Romano, Perin del Vaga und Gianfrancesco Penni. Den beiden Letztgenannten und Giovanni da Udine übertrug Raffael auch die Deko­ ration der Loggien nach seinen eigenen Entwürfen, die Gestaltung der klei­ nen Kreuzgewölbe nach Motiven aus dem Alten und dem Neuen Testament und der antik inspirierten „Grotesken“ nach den in Neros „Goldenem Haus“ entdeckten Ornamenten, welche die Wände schmücken. In der Tat wandelte sich Raffaels Rolle zusehends zu jener eines sach­ kundigen, mit höchster Autorität ausgestatteten Unternehmers, der eine Schar meisterlicher Experten befehligte, Künstlerpersönlichkeiten, deren Eigen­ ständigkeit in keiner Weise beeinträchtigt wurde, da sich ihre Intentionen und ihre Konzepte mit jenen des Meisters deckten. Im Gegensatz zu Michelangelo, dem in seiner Genialität unnachahmlichen Einzelgänger, hatte Raffael eine eigene Schule, eine Schar ausgewählter Jün53

ger, die ihm Garanten für Verkündigung und Verbreitung seines künstle­ rischen Evangeliums waren. Ihrer Mitarbeit versicherte er sich selbst dann, wenn er ausdrücklich persönliche Aufträge erhielt: so entstanden die heute in London befindlichen erlesenen „Kartons“ zu den Wandteppichen nach Moti­ ven der Geschichte Petri, Gobelins, die in flämischen Werkstätten gewirkt wurden, so auch die berühmte „Trasfigurazione“, die „Verklärung Christi“, das letzte große Werk des Meisters, das ursprünglich für die Kathedrale von Narbonne bestimmt war, jedoch als Altarbild der Kirche San Pietro in Montorio in Rom verblieb. Unter Raffaels Anleitung wurden schließlich auch die wenigen Projekte geplant und ausgeführt, die der direkten Initiative Leo X. oder seines Hofes zu verdanken sind: die kleine Loggia des Papstes, die so­ genannte „Loggetta“, und das Badezimmer des Kardinals Bibiena, ein Prunk­ gemach, dessen Dekorationen nach mythologischen und sonstigen profanen Figuralmotiven von solch erlesener Eleganz sind, daß man wohl zu Recht vermutet, der Meister habe persönlich an ihrer Gestaltung mitgewirkt. Raffaels allzu früher Tod im Jahre 1520 bedeutete keineswegs das Ende der reichen künstlerischen Entfaltung, deren leidenschaftlicher Animator er gewesen war, hatte er doch der großen Schar seiner Mitarbeiter zwingend den Weg vorgeschrieben, den sie gehen mußten. Ein einziges der Projekte barg die Möglichkeit zu Abänderungen des geistigen Vermächtnisses Raffaels in sich: der Umbau von St. Peter, der nunmehr in die Hände eines berühmten Archi­ tekten aus Siena, Baldassarre Peruzzi, überging. Dieser hatte bereits zwischen 1508 und 1511 - damals noch keine dreißig Jahre alt - überzeugende Proben seines Talents abgelegt, als er dem Bankier Agostino Chigi eine nach deren späteren Besitzern, den Farnese, die „Farnesina“ genannte Villa am Tiber baute, die eine sehr persönliche Interpretation des Architekturstils Raffaels darstellt; in der gesuchten und originellen Eleganz der Bauformen und der Übersteigerung der Bewegungsmotive in der Dekoration kündigten sich be­ reits manieristische Tendenzen an, die vor allem im Palazzo Massimo delle Colonne (1532-1536) offenkundig werden. Für St. Peter schlug Peruzzi - wohl auf Betreiben des Papstes, dem die exorbitanten Kosten des Neubaus immer größere Sorgen bereiteten -, eine Kompromißlösung vor: unter Beibehaltung der Grundidee Bramantes, des Zentralbaus in Form eines griechischen Kreuzes mit Hauptkuppel und vier kleineren Nebenkuppeln über den Kreuzarmen, wollte er, Raffael folgend, dem zentralen Baukörper eine Art Atrium vorsetzen, wodurch der Eindruck allzu massiger Monumentalität gemildert und eine schlichtere Eleganz erzielt wurde. 1521-1523 kam es zu einer vorübergehenden Einstellung der Arbei­ ten, da Hadrian VI., der Leo X. auf den Thron Petri gefolgt war, den Künsten keinerlei Interesse schenkte. Doch schon der Nachfolger des wenig kunstsinnigen Papstes, Clemens VIL, gleich Leo X. aus dem Hause Medici, wenn auch Abkömmling einer Seitenlinie, verwandelte den Vatikan wieder 54

in ein einziges großes Atelier. Clemens bestätigte Peruzzi in seinem Amt eines obersten Bauleiters von St. Peter und ermöglichte es ihm, endlich die schwie­ rige Aufgabe der Verstärkung der Pilaster und Bogen, auf denen die Haupt­ kuppel ruhen sollte, zu Ende zu führen. Desgleichen wurde unverzüglich die Dekoration der Stanzen wieder aufgenommen, im besonderen der sogenann­ ten Konstantinsstanze, die Giulio Romano und Penni mit Fresken schmückten. Gewiß hätte man sich auch an weitere bedeutsame Unternehmungen ge­ wagt, wären nicht äußerst schwerwiegende politische Umstände eingetreten: der Krieg Karls V. von Habsburg gegen Franz I. von Frankreich um die Herrschaft in Italien, eine blutige Fehde, die seit 1521 währte, zog alle Staa­ ten Europas in Mitleidenschaft; 1525 fiel die kaiserliche Armee in Oberitalien ein, besiegte die Franzosen bei Pavia und nahm Franz gefangen, der auf Mailand, das Herzogtum Burgund und Neapel Verzicht leisten mußte. Als sich im Sommer 1526 die Mailänder zum Aufstand wider Habsburg erhoben, entsandte Clemens sein päpstliches Heer, ihnen beizustehen. Die Antwort Karls blieb nicht aus: im November 1526 überstieg Georg Frundsberg mit seinen lutherisch gesinnten Landsknechten die Alpen, um den Kaiser am Papst zu rächen. „Komm ich nach Rom“, kündigte Frundsberg an, „will ich den Papst henken.“ Am 6. Mai 1527, zwei Stunden vor Sonnenuntergang, drangen die Kaiserlichen in Rom ein. Der alte Frundsberg war nicht mehr bei ihnen, ein Schlaganfall hatte ihn niedergestreckt und gezwungen zurück­ zubleiben. Von keinem Anführer im Zaum gehalten, fielen die kaiserlichen Landsknechte über Rom her, nachdem sie, unterstützt von dem papstfeind­ lichen Colonna, den verzweifelten Widerstand des päpstlichen Heeres ge­ brochen hatten, wovon Benvenuto Cellini in seiner „Autobiographie“ eine erschütternde Schilderung gibt. Rom und der Vatikan erlitten die grausamste, verderblichste Plünderung ihrer Geschichte: in einer Raserei der Zerstörung ohnegleichen stellte die verwilderte, raubgierige, frevlerische Soldateska des Kaisers selbst die Barbaren und die Sarazenen des Mittelalters in den Schat­ ten und schonte weder heilige Stätten noch Reliquien. Einzig das Grab Petri entging der Schändung. Der Papst, der Italien befreien wollte, sah sich in der Engelsburg belagert und gleichsam gefangen, und als es zum Äußersten kam, rettete ihn einzig die Flucht nach Orvieto davor, zu erleiden, was Frundsberg sich vorgenommen hatte. Als die Söldnerhorde Karls V. schließlich abließ von Rom, war die Ewige Stadt eine Stätte des Grauens und der Verwüstung; nur langsam, stockend kamen die Aufräumungsarbeiten in Gang. Lähmende Verzweiflung ob des unwiederbringlich verlorenen, nicht minder lähmende Angst vor einer düster dräuenden Zukunft hielten die Stadt und ihr Volk im Bann. Mehr nodi: die Geschehnisse hatten ein böses Erwachen bewirkt, denn jetzt galt es nicht mehr, die Augen vor einer allzu ignorierten Realität zu schließen, der Spal­ tung der Christenheit in Katholiken und Protestanten. 55

Im Katastrophenjahr 1527 hatten die „Raffaelisten“ und mit ihnen alle Künstler, die in den letzten Jahren nach Rom gekommen waren, die Fludit ergriffen und versucht, ihr Leben zu retten, was einigen, so Peruzzi, nur mit knapper Not gelang. Mit der Plünderung Roms fand das Goldene Zeitalter der Renaissance ein jähes Ende und nahm eine Epoche ihren Anfang, die zutiefst von geistiger Erschütterung geprägt war. Clemens VII. sah all seine Hoffnungen zunichte. Ein gebrochener Mann, müde und verbittert, kehrte er in den Vatikan zurück, um sich dann doch einen Entschluß abzuringen: er berief Michelangelo aus Florenz zu sich, der dort die Mediceer-Gräber in San Lorenzo vollendete, und beauftragte ihn, die Altarwand der Sixtinischen Kapelle mit einer Darstellung des „Jüngsten Gerichts“ zu versehen, gleichsam, als wollte er die Welt mit einem eindring­ lichen Memento mori zur Besinnung rufen. Am 23. September 1534 kehrte Michelangelo zum viertenmal nach Rom zurück. Zwei Tage darauf starb der Papst. Sein Nachfolger, Paul III. aus dem Haus Farnese, bestätigte den Auftrag des Künstlers, der sich bis 1541 seiner neuen Aufgabe widmete. Ein Ver­ gleich der Deckenfresken der Sixtina mit den Dekorationen der Altarwand macht auf die überzeugendste Weise den Wandel der Zeitläufte offenkundig:

M arten

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Ansicht der alten Fassade der Basilika von St. Peter

während die Interpretation der „Genesis“ bestimmt war von einer Vision der Menschheit als heroischer, kraftvoller und jugendstarker Gestalterin des Schicksals, in dem sich göttliches Wirken offenbart, erscheint im „Jüngsten Gericht“ jegliche Illusion zunichte; bar der Hoffnung, eine Beute der Ver­ zweiflung durchirrt die Seele die Abgründe einer einseitigen Welt, in der eine unbarmherzige Gottheit ihr nichts widerfahren läßt als gnadenlose Gerech­ tigkeit. Der neue Papst war sidi der Wirkung des Endgerichts Michelangelos auf die zukunftsbangen, gnadenheischenden Zeitgenossen wohl bewußt. Im Jahre 1468 geboren, hatte Alessandro Farnese, wie er vor seiner Inthronisierung hieß, noch im 15. Jahrhundert seine Ausbildung erfahren, die er zu einem Gutteil dem zu Rom wirkenden Humanisten Pompinius Laetus verdankte. Er nahm in sich auf, was die Epoche an Kunstsinn, Gelehrsamkeit und Lebensart bot, entwickelte sich daneben zu einem hervorragenden Diplo­ maten und erwies sich stets als ein Mann von festen Grundsätzen, was seiner weltmännischen, allem Kleinlichen abholden Großzügigkeit, die ihm eine außerordentliche Popularität auch beim Volke sicherte, keinen Abbruch tat. All diese Eigenschaften im Verein mit einer überragenden Intelligenz be­ fähigten Paul III., sich der heiklen Situation gewachsen zu zeigen und der Kirche wieder jene Autorität zu verschaffen, deren sie unter schwerster Demütigung verlustig gegangen war. Daß für Paul III. Großzügigkeit nicht gleichzusetzen war mit Schwäche, erwies sich, als er die Erneuerung der katholischen Kirche gewissermaßen im eigenen Hause begann. Mit harter Hand faßte er die korrupte Kurie an, die nicht bereit schien, aus den Katastrophen der jüngsten Vergangenheit heil­ same Lehren zu ziehen, und verstärkte die Inquisition. 1545 berief er zur Ablehnung der protestantischen Lehren und zur Bestätigung des Katholizis­ mus und seiner Dogmatik das Konzil von Trient ein, das bis 1563 tagte und maßgebliche, bis in die heutige Zeit wirkende Beschlüsse zur Reform des Klerus faßte, so die Einrichtung von Seminarien zur Heranbildung der Geistlichen und das Verbot der Vereinigung mehrerer Pfründen auf einen Inhaber; Früchte des Tridentinischen Konziliums sind ferner der päpstliche Katechismus und der Index verbotener Bücher. Obgleich von derlei schwerwiegenden Problemen religiöser und politischer Art in Anspruch genommen, versäumte es Paul III. keineswegs, den künstle­ rischen Aktivitäten in und um den Vatikan neue Impulse zu verleihen, hatte er doch erkannt, daß sie nicht der eitlen Prunkentfaltung dienten, sondern vielmehr ein Mittel waren, das Prestige der Kirche auch auf kulturellem Gebiet aufzuwerten. Während Michelangelo am titanischen Vorhaben seines „Jüngsten Gerichts“ schuf, ließ der Papst umfassende Ausbauten der vati­ kanischen Anlagen vornehmen und insbesondere den gesamten Südwesttrakt mit Sala Regia, Sala Ducale und deren Nebenräumlichkeiten von Antonio 57

M ic h e l a n g e l o Projekt der Basilika von St. Peter

da Sangallo neu bauen. Darunter befand sidi auch eine Kapelle, die nach Paul III. „Paolina“ benannt wurde, und in der Folge von Michelangelo mit den berühmten Fresken von der „Berufung des heiligen Paulus“ und dem „Martyrium des heiligen Petrus“ dekoriert wurde, großen Kompositionen, die eine extreme Steigerung des schon im „Endgericht“ entwickelten drama­ tischen wie pessimistischen Konzepts darstellen. Weitere bedeutende Arbeiten wurden im Belvedere-Hof durchgeführt, dessen Aussehen sich immer stärker von der ursprünglichen Vision Bramantes entfernte. 58

Doch beschränkten sich die künstlerischen Interessen des Papstes keines­ wegs auf den Vatikan, sondern bestimmten, wie dies schon bei seinen Vor­ gängern der Fall gewesen war, entscheidend das kulturelle Klima Roms: unter anderem ließ Paul III. Tizian aus Venedig kommen, um von sich und den ihm Nächststehenden jene Porträts ausführen zu lassen, die sich heute im neapolitanischen Capodimonte-Museum befinden; ferner trug er Antonio da Sangallo dem Jüngeren den Bau jenes Palazzo Farnese auf, der - von Michel­ angelo vollendet - den Prototyp des Patrizierhauses der Hochrenaissance darstellt. In der Hauptsache freilich konzentrierte sich der Papst auf den Neubau der Peterskirche: schon kurz nach seiner Thronbesteigung hatte er Peruzzi, der sich seit seiner Flucht im Mai 1527 im heimatlichen Siena auf­ hielt, zur Rückkehr nach Rom bewogen, doch schon Anfang 1536 riß den Fünfundfünfzigjährigen ein jäher Tod mitten aus der Arbeit. Sein Nach­ folger wurde Antonio da Sangallo, der Peruzzis Projekt änderte, im Grundriß wohl direkter an Bramante anschloß, aber eine aufwendige, un­ organische Fassade vorsah, die er zwischen zwei hohen Glockentürmen ein­ zuschließen gedachte. Ungeachtet der heftigen Kritik der Zeitgenossen, unter welchen Vasari am lautesten protestierte, genehmigte der Papst das wenig glückliche Projekt, das heute noch in einem minutiös gearbeiteten Holzmodell von der Hand ausländischer Kunsttischler erhalten ist. Sangallo fand freilich nur mehr die Zeit, sich den Grundstrukturen des gigantischen Baukörpers zu widmen, ohne die Fassadengestaltung in Angriff nehmen und St. Peter zu einem wenig ansprechenden Antlitz verhelfen zu können. Als Sangallo d. J. 1546 starb, wandte sich Paul III. an Giulio Romano und Jacopo Tatti (nach seinem Lehrer Sansovino genannt), doch beide lehnten das Angebot, die Bauleitung in St. Peter zu übernehmen, kurzerhand ab. Da erst entschloß sich der Papst, auch diese Bürde Michelangelo aufzulasten. Einund­ siebzig Jahre alt, von Siechtum geschwächt, der Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit wie auch der übergroßen Verantwortung wohl bewußt, die man ihm zudachte, versuchte der Greis sich der Aufgabe zu entziehen. Vergeblich, denn der Papst ließ nicht lodter, und der Künstler mußte sich fügen. Für Michelangelo nahm der Neubau von St. Peter bald die Bedeutung eines schicksalhaften letzten Auftrags an; er bedang sich aus, den Willen des Papstes unentgeltlich zu erfüllen, um das Werk, wie er selbst sagte, „einzig zur Ehre Gottes, des heiligen Petrus und zum Heile meiner armen Seele" zu schaffen. Michelangelo kehrte zu den Grundprinzipien des Bramante zurück, wobei er erklärte: „Wer immer sich von besagter Ordnung des Bramante entfernt hat, wie es Sangallo tat, hat sich von der Wahrheit entfernt“, doch inter­ pretierte er sie entsprechend einer modernen Auffassung: war bei Bramante ein annähernd quadratischer Grundriß mit eingeschriebenem griechischen 59

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S a n g a l l o H olzm odell für die Vollendung der Basilika von St. Peter

Kreuz vorgegeben, so gewinnen bei Michelangelo - im Sinne einer durch­ greifenden Vereinfachung und Straffung der Planfigur - die Nebenkuppel­ räume und damit die Apsiden stärkeren Anteil an der Gesamtwirkung des Raumes, der sich gewissermaßen vom Zentrum her ausdehnt und die Grund­ rißkonturen dynamisch auswölbt. Außerdem dachte Michelangelo der Haupt­ kuppel eine noch stärkere Dominanz zu; die große Kuppelwölbung sollte nicht mehr direkt auf dem Unterbau aus Pfeilern und Bogen aufsitzen, son­ dern auf einer zylindrischen Trommel oder einem Aufsatzkranz ruhen. Die Kuppel selbst plante Michelangelo nicht mehr halbkugelförmig, was Bramantes Konzept entsprochen hätte, sondern oval überhöht, eine Form, die von der Florentiner Domkuppel 1420-1436 des Brunelleschi inspiriert scheint. 60

Holzmodell für die Kuppel von St. Peter

War bei Bramante der Baukörper, der sich praktisch auf einen Würfel mit aufgesetzter Halbkugel reduzieren ließ, ein statisches Gebilde übereinandergetürmter Volumina, so entfaltet Michelangelos dynamisier Bau eigene Bewegungsenergien, worin sich bereits ein Wesenszug des Barock ankündigt. Die architektonische Schöpfung Michelangelos, die gleichsam aus sich her­ aus lebt, die mächtigen Apsiden ausbuchtet und sich im weiten Aufschwung der Kuppel gen Himmel stemmt, ist Ausdruck der Sensibilität eines Bild­ hauers; seine skulpturale Architekturauffassung wird vor allem in jenem Bauteil offenbar, der unter direkter Leitung des Meisters entstand, nämlich in der großen Apsis oder Tribuna, deren architektonische Gliederungen an mächtige Muskelstänge gemahnen. Michelangelo war im Grunde ein Archi­ tekt, der sich in seinen eigenen Schöpfungen widerlegte, dessen Architektur sich als Bildhauerei oder Malerei erwies, als Disziplin jedenfalls, die mit genau kalkulierten Helldunkeleffekten operierte, wie das bewegte Spiel der Lichter und Schatten an den Wänden der Tribuna beweist. Darüber hinaus bereicherte Michelangelo auch das Repertoire klassischer Formen, weigerte sich, sklavisch die traditionellen Modelle zu imitieren und die Maßverhält­ nisse der antiken „Ordnungen“ zu übernehmen, sondern gestaltete Gesimse, Gebälk, Kapitelle, Giebelfelder, Pfeiler und Halbsäulen gleich Abstraktionen des Organischen, bezog Natur und Mensch mit ein ins architektonische Uni­ versum von St. Peter, dem er die letzten 18 Jahre seines Lebens schenkte. In dieser Zeit vollzog er eine umfassende Neuordnung der Architektur, löste die Fesseln, die ihr die Formenstrenge der Renaissance angelegt hatte, begabte sie mit neuem Raumempfinden und einer Morphologie, die ebenso unmittel­ bar zum freien Formenvokabular des manieristischen Architekten wird, wie das „Jüngste Gericht“ zur Bibel der Manieristen in Malerei und Plastik. Doch läßt sich die Erneuerung der Architektur durch Michelangelo nicht auf eine einfache stilistische Formel reduzieren: es ist eine Erneuerung nicht nur der Stile, der Ausdrucksmittel, der Gefühlsgehalte, sondern die Neu­ schaffung einer Raumordnungskunst, „die den Raum konstruktiv organi­ siert“. In der Tat begründete Michelangelo ein gänzlich neues Raumempfin­ den, erschließt er einen Raum, der sich grundlegend von jenem der an­ gestammten Architekturen unterscheidet: für ihn ist der Innenraum nicht einfach „geschlossen“, sondern nimmt Qualitäten an, die man als „organisch“ bezeichnen könnte; die Abgrenzung zwischen Innenraum und Außenraum verwischt sich, und eben jene architektonischen Elemente, wie Wände und Dach, die als Raumabschlüsse dienen, wandeln sich zu gleichsam fließenden Übergängen zwischen beiden. Oder: die architektonischen Elemente Wände und Dach „organisieren“ gleichzeitig Innenraum und Außenraum eines Bau­ körpers, bewirken eine höhere ästhetische Synthese beider Räume. Damit wird Michelangelo nicht nur Anreger und Bahnbrecher von Manierismus und Barock, sondern Wegbereiter schlechthin der modernen Architektur. 62

Das Erbe des Michelangelo

In den letzten Jahren seines Lebens mußte Michelangelo sich damit abfinden, daß der Neubau von St. Peter zusehends langsamer voranging. In einem Brief an Vasari klagte er diesbezüglich: „Mit meinen Angelegenheiten hier steht es nicht zum besten: ich meine den Bau von St. Peter.“ War man unter Paul III. mit Begeisterung ans Werk gegangen, so brachten auch die fünf Jahre des Pontifikats Julius III. (1550-1555) noch rasche Fort­ schritte des Unternehmens. Dieser Nachfolger Pauls III. mochte als Papst nur mittelmäßig sein, doch erwies er sich als Mann von außerordentlichem Ge­ schmack und Kunstverstand, wie die Villa, die er sich von Vignola und Ammannati an der Via Flaminia erbauen ließ, noch heute bezeugt (Rom­ besuchern ist dieses prachtvolle Bauwerk vornehmlich als Sitz des National­ museums für Etruskische Kunst bekannt.) Für den Neubau von Sankt Peter bekundete Julius III. nicht nur ehrliches Interesse, sondern er räumte Michel­ angelo weitaus größere Befugnisse ein, als sie der Vorgänger zugestanden hatte, drang darauf, daß der Künstler ein zumindest symbolisches Honorar von 50 Gulden monatlich empfange, und gab ihm einen Mitarbeiter zur Seite, der sich in besonderem Maße der päpstlichen Gunst erfreute, eben den nach seinem Geburtsort genannten Vignola, der eigentlich Giacomo Barozzi (1507-1573) hieß. Vignola hatte zu jener Zeit bereits überzeugende Beweise seines Könnens geliefert, den Farnese eine grandiose Villa in Caprarola und dem Papst die erwähnte „Villa Giulia“ gebaut, und überdies auch seine Fähigkeiten eines umfassend gebildeten Kunsttheoretikers dokumentiert: im Anschluß an Vitruv verfaßte er eine gelehrte Abhandlung über die „Fünf Ordnungen der Architektur“, die bereits 1560 vorlag. Als erster Architekt Roms, der sich deutlich den barochen Auffassungen von Grundriß, Raum und Form zuwandte, schuf Vignola nach dem Tode Michelangelos den im Jahre 1568 begonnenen Neubau der Jesuitenkirche II Gesù in Rom, die zum ver­ bindlichen Modell sämtlicher Jesuitenkirchen wurde und in katholischen Län­ dern ganz allgemein verbreitete Nachahmung fand. 63

Vignolas Zusammenarbeit mit dem greisen Meister blieb fürs erste ohne überzeugende Resultate - und aus eben jener Zeit stammt Michelangelos zitierter Brief an Vasari -, doch sollten die Früchte ihres gemeinschaftlichen Wirkens Jahre später reifen. Ehe es so weit war, trat eine bedrohliche Verzö­ gerung ein, denn als 1555 der fast achtzigjährige Kardinal Carafa zum Papst gewählt wurde, bestieg der Fanatiker der Restauration des Katholizismus, die Verkörperung der Inquisition selbst, Paul IV., den Thron Petri: Vier Jahre lang lebte er gänzlich in seinen Reformen, jagte nach Ketzern, ließ gefangennehmen, foltern, verbrennen, hielt höchstpersönlich Autodafes und exkommunizierte. Nach seinem Tod im Jahre 1559 rissen Volk und Adel von Rom die Bildsäule, die man dem Papst errichtet hatte, von ihrem Posta­ ment, zerschlugen sie und schleiften den Kopf mit der Tiara durch die Straßen. In Pius IV. (1559-1565), gebürtigem Mailänder bescheidener Herkunft und noch als Kardinal mit verwaltungsjuristischen Belangen betraut, fand der päpstliche Inquisitor einen völlig gegensätzlichen Nachfolger. Dem Leben und dem Diesseits zugewandt, hatte Pius ein Herz auch für die Künste und ließ es sich - neben weiteren fruchtbaren Initiativen, von welchen noch die Rede sein soll - angelegen sein, den sträflich vernachlässigten Neubau von St. Peter voranzutreiben. Als Michelangelo, fast neunzig Jahre alt, 1564 starb, bestimmte Pius IV., daß Vignola und Pirro Ligorio gemeinsam das Werk des großen Meisters fortsetzen sollten. Ein Jahr später segnete auch Pius IV. das Zeitliche. Ihm folgte als Pius V. jener Kardinal von Alessandria, über dessen Wahl zum Papst die Anhänger Pauls IV. zuversichtlich frohlockten: „Gott hat uns Paul IV. wieder auf­ erweckt“, womit sie durchaus Recht behielten. Eine der ersten Maßnahmen des neugewählten Papstes war es, Pirro Ligorio vor die Tür zu setzen, womit die Bauleitung von St. Peter nun allein Vignola überantwortet war. Mit größter Umsicht, profunder Sachkenntnis und tiefster Ehrfurcht vor dem künstlerischen Nachlaß Michelangelos vollendete der Architekt das gen Norden ausgerichtete Querhaus und weitgehend auch den hohen Tambour, den paarweise gekoppelte Säulen umgeben, auf welchen riesige Apostel­ statuen Aufstellung hätten finden sollen. Desgleichen traf er Vorbereitungen für den vielleicht schwierigsten Teil und die Krönung des Unternehmens, nämlich den Bau der Kuppel. Sein Tod im Jahre 1573 hinderte ihn daran, diese Phase der Verwirk­ lichung zu erreichen - und zu scheitern. Eben, weil er Michelangelo und seinem Konzept absolute Treue bewies, plante Vignola den Bau einer halb­ kugelförmigen Kuppel, die er mit einer hohen „Laterne“ zu krönen gedachte. Nun aber war Michelangelo eine ideale, ästhetisch vollendete Form vor­ geschwebt, Symbol des Himmelsgewölbes, ein makelloses Halbrund, das tech64

nisch schon deshalb nicht zu verwirklichen war, weil die Dimensionen des Baukörpers selbst eine Verlagerung seines Gewichtes nach außen hin bewirkt hätten und damit eine Belastung des Tambours, der dieser nicht standhalten konnte. Zur Lösung dieser statischen Probleme war es notwendig, Michelangelos Projekt zu verändern. Ein solches Sakrileg aber hätte Vignola niemals be­ gangen, wiewohl er rein technisch hierzu befähigt gewesen wäre. Den Genue­ ser Giacomo della Porta (1539-1604) hingegen plagten derlei Skrupel nicht. Hatte ihm schon Papst Gregor XIII. (1572-1585) die Bauleitung von St. Peter übergeben, so fand er sich durch Sixtus V. (1585-1590) zusätzlich ermutigt, eine überhöhte Kuppel zu planen, deren Strukturen durch eine größere An­ zahl Rundfenster weniger massiv und damit auch weniger gewichtig gehalten sein sollten. Aus statischen Gründen auch entschied sich der Genueser für eine wesentlich kleinere „Laterne“, als Michelangelo sie vorgesehen hatte. In ge­ wisser Hinsicht neigte della Porta einem Gesamtplan zu, der jenem des Sangallo ähnelte, während er in der starken Plastizität des Baukörpers, dem Gefühl für die Monumentalität und der intensiven Spannung der profilierten Gewölberippen Michelangelo verpflichtet blieb. Außerdem fand er eine bril­ lante Lösung der statischen Probleme, indem er den Hohlraum zwischen äußerer und innerer Kuppelschale dadurch vergrößerte, daß er die äußere zwar überhöhte, die innere jedoch in der idealen Form der Halbkugel und damit viel flacher gestaltete. Jene Kuppel, die der Genueser Architekt im Jahre 1585 zu bauen begann, stellt demnach einen Kompromiß zwischen dem Modell Michelangelos und den technischen Erfordernissen dar, denen della Porta mit großer Sachkennt­ nis Rechnung trug. Wenn Michelangelos Genie dem gigantischen Baukörper die Prägung gab, ihm gleicherweise massive Monumentalität und Dynamik verlieh und Innenraum wie Außenraum der Basilika unter Einbeziehung der Kuppel als gigantischen Gesamtorganismus durchbildete, so bleibt es doch Verdienst von della Porta, das zwingende Modell in eine reale und darob nicht minder überzeugende Form übersetzt zu haben. Das Werden der Kuppel von St. Peter deckte sich zeitlich mit dem Ponti­ fikat Sixtus V., dem halben Jahrzehnt von 1585 bis 1590, da das künstle­ rische Leben Roms neue, kraftvolle Impulse erhielt. Der ehemalige Hirten­ knabe Felice Peretti aus den Marken, der schon in seinem zwölften Jahr in den Franziskanerorden eintrat, um sich später als Fastenprediger zu Rom die besondere Gunst des Großinquisitors zu erwirken, genoß später auch das un­ eingeschränkte Vertrauen Pius V. In Anerkennung seiner Verdienste um die Inquisition und die von ihm energisch durchgeführte Reform des Franzis­ kanerordens 1570 von Pius zum Kardinal Montalto ernannt, trat er 1585 als Sixtus V. 64jährig die Nachfolge Petri an, ein Papst, der ob seiner Tatkraft, Entschlossenheit und Härte kaum minder berühmt wurde als wegen seiner 65

Gerüst für die Errichtung des Obelisken auf dem St. Petersplatz

staunenerregenden Initiativen, vor allem auf dem Bausektor: auf seinen Befehl mußte Domenico Fontana den Obelisken, der im Altertum den Zirkus des Caligula geziert hatte, auf den Platz vor der Basilika von St. Peter dem späteren Petersplatz - überführen; auf seine Initiative wurde Rom, ebenfalls von Fontana, nach den Prinzipien barocker Stadtplanung neu­ gestaltet und erhielt das erste Verkehrsnetz einer modernen Stadt, neue gerad­ linige Straßenzüge, welche die kürzesten Verbindungen zwischen den vier Basiliken und weiteren heiligen Stätten herstellten, die ein Pilger an einem Tag zu besuchen hatte; der soziale Aspekt der sixtinischen Vorhaben umfaßt den Bau einer Wasserleitung und die Anlage monumentaler öffentlicher Trink­ wasserbrunnen. Ferner ließ Sixtus den Palazzo del Quirinale vollenden, des66

sen Bau unter Gregor XIII. begonnen worden war, um den Päpsten auch in der Stadt Rom selbst eine Residenz zur Verfügung zu stellen. Gleiche Ver­ dienste erwarb er sich um den Lateranpalast und um eine zweite Sixtinische Kapelle in Santa Maria Maggiore. Von der schließlich vollendeten Kuppel gekrönt, bot die Basilika von St. Peter einen seltsamen Anblick: fertig gebaut waren die große Apsis, die Querschiffe und die Kuppel über die Vierung, und wenn man sich weiterhin an das Projekt Michelangelos halten wollte, mußte man nunmehr den Vorderteil der Kirche - im Grundriß den unteren Balken des griechischen Kreuzes - in Angriff nehmen. Doch stand dort immer noch ein kurzes Teil­ stück des Langhauses, der konstantinischen Basilika mit Fassade und vier-

Ansicht des St. Petersplatzes. Im Vordergrund dieser Freske, ausgeführt im Jahre 1588, heute in der Bibliothek des Vatikans, steht der Obelisk. Er wurde 1586 von Domenico Fontana errichtet. Im Hintergrund erkennt man die alte Segensloggia sowie das Tambour der Kuppel, die im Aufbau begriffen ist.

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fach von Säuleneingängen umsdilossenem Vorhof. Ungeachtet des krassen stilistischen Kontrastes zwisdien diesen Relikten frühdiristlicher Baukunst, die im Laufe der Jahrhunderte mit romanischen und gotischen Elementen versetzt worden waren, und dem dahinterliegenden Renaissancekörpers von Bramante und Michelangelo, hatte man sich vorerst mit dem Gedanken ge­ tragen, die beiden riesigen Teilstüdce zu einem architektonischen Gesamt­ organismus zu verschmelzen; für diese ästhetisch hybride Lösung sprachen sentimentale Motive, und so wurde sie auch von prominenten Mitgliedern der Kurie angestrebt, etwa dem gelehrten Kardinal Borromeo und dem nicht minder gelehrten späteren Papst Urban VIIL, Kardinal Maffeo Barberini, die sich der Basilika Konstantins zutiefst verbunden fühlten. Der Streit zwischen Traditionalisten und Modernisten wurde kurzerhand von Papst Paul V. (1605-1621) aus dem fürstlichen Haus Borghese entschieden; unter dem Vorwand, die alten Mauern seien baufällig und stellten eine ernste Gefährdung der Gläubigen dar, ließ er den frühchristlichen Vordertrakt der Basilika kurzerhand niederreißen und befahl ferner eine Abänderung des Projekts Michelangelos: der Grundriß der Basilika sollte die Form eines lateinischen Kreuzes erhalten, der Zentralbau zum Langhausbau werden. Mit dem Bau des gelängten Mittelschiffs samt Vorhalle sowie der Gestaltung der Prunkfassade beauftragte Paul V. den Neffen von Domenico Fontana, den lombardischen Architekten Carlo Maderno (1556-1629), der sich im Innersten gegen die Auffassung des Papstes sträubte und in einem Brief vom 30. Mai 1613 mit dieser seiner Meinung auch nicht hinter dem Berg hielt. Zu sehr war Maderno Künstler, als daß er leichten Herzens das Erbe Michel­ angelos angetastet und verfälscht hätte, doch als er sich dem Willen des Papstes nicht mehr länger entziehen konnte, setzte er all seine Kraft in das Gelingen des problematisdien Auftrags. Am 8. März 1607 in Angriff genommen, schritt der Bau des neuen Vorder­ trakts der Basilika rasch fort; Maderno gestaltete jenen edlen Innenraum, den wir bis auf den heutigen Tag bewundern, ein großes Mittelschiff, beid­ seitig flankiert von offenen Pfeilerreihen und diesen aufsitzenden Bogen, zwischen denen sich das mächtige Tonnengewölbe spannt; diese Arkaden trennen das verbreitert angelegte Hauptschiff von zwei schmalen Seiten­ schiffen, aus denen sich nischengleich Kapellen vorwölben. Auch die Vorhalle, nicht mehr im Atrium, sondern ein einfacher Säulen­ gang entlang der Fassade, erfuhr durch Maderno eine meisterliche Gestaltung; und es ist ihm hoch anzurechnen, daß er hier auch der alten Basilika gedadite und neben den von Filarete im 15. Jahrhundert geschaffenen Bronze­ türen auch Giottos leider bis zur Unkenntlichkeit restauriertes Mosaik der „Navicella“, des Petrusschiffleins, in sein Konzept aufnahm. Nur Mittelmaß hingegen erreichte Maderno in der 1614 vollendeten Fassadengestaltung, obgleich er sich bemüht hatte, zumindest im Mittelteil 68

eine plastische Bewegtheit zu erzielen, die eine dynamische Durchbrechung der Monotonie einer gänzlich in der Waagrechten verlaufenden, überlangen Fassade bewirken sollte. Doch die Dominanz der gigantischen Kuppel mit ihrem energischen Aufschwung und der starken strukturellen Spannung macht die Wirkung der Fassade, die Giotto ursprünglich mit seitlichen Glocken­ türmen aufwerten wollte - auch diese Lösung wäre ästhetisch unbefriedigend gewesen -, zunichte. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und den ersten beiden Dezen­ nien des 17. Jahrhunderts bedeutete somit der Neubau von St. Peter eines der Hauptanliegen der in jener Epoche herrschenden Päpste. Einige von ihnen gaben sich selbst mit den rein baulichen Problemen nicht zufrieden, sondern trafen bereits Maßnahmen zur Innendekoration des Doms: so ließ Gregor XIII. durch della Porta einen Entwurf des Girolamo Muziano zu einer Kapelle verwirklichen, die aufs prunkvollste mit Säulen und kostbaren Marmorwandverkleidungen aus antiken Monumenten geschmückt und nach ihrem päpstlichen Initiator die „Gregoriana“ genannt wurde. Außerdem be­ dachte er sie mit einem berühmten Gnadenbild aus dem 13. Jahrhundert, der hilfreichen „Madonna del Soccorso“, und den Reliquien des heiligen Gregor von Nantes. Als Pendant zur Gregoriana entstand auf der gegenüberliegenden Seite des Schiffs die Cappella Clementina. Beide wurden mit Kuppeln überdacht, die kleine Repliken des authentischen Modells Michelangelos darstellen; so erfuhr das Konzept des Meisters, der St. Peter mit insgesamt fünf - einer großen und vier kleineren - Kuppeln krönen wollte, eine zumindest teilweise Verwirklichung. Zur selben Zeit, da diese Arbeiten in St. Peter durchgeführt wurden, erlebte der Vatikan die Vollendung weiterer bedeutsamer bau­ künstlerischer Vorhaben, in erster Linie den Ausbau der beiden Flügel jenes Trakts, der den Vatikanpalast mit der Villa Belvedere verbindet. Schon unter dem Pontifikat Julius III. hatte man den ursprünglichen Entwurf Bramantes abgeändert und in der Villa selbst für eine bessere Unterbringung der Antiken gesorgt, die Julius II. dort gesammelt hatte und zu denen sich im Laufe der Jahre weitere Skulpturen aus dem Besitz seiner Nachfolger gesellten. Michelangelo selbst hatte sich an der Gesamtheit dieser Unter­ nehmungen beteiligt und vor allem den Neubau jener Treppenanlage besorgt, die zur Exedra an der Hinterseite der Villa, emporführte; gleichzeitig bildete die Exedra den Abschluß der obersten Terrasse der großen Innenhofanlage zwischen den beiden Flügeln der Verbindungsbauten. Wahrscheinlich auf Anregung eben des Michelangelo veränderte der Archi­ tekt Pirro Ligorio um 1560 radikal diesen Schlußteil der Gesamtanlage. Der einfallsreiche, mit besonderem künstlerischem Temperament begabte Neapoli­ taner, dem Pius IV. völlig freie Hand ließ, ersetzte das Säulenhalbrund der Exedra durch eine gigantische Nische, eben den „Nicchione del Belvedere“, 69

der sich, zwischen zwei massige Bauteile eingelassen, konkav in die Tiefe wölbt und einen theatralischen Monumentaleffekt ergibt, der an die glän­ zendsten architektonischen Schöpfungen der römischen Kaiserzeit gemahnt. In einer Epoche, die umdüstert war von schwerwiegender theologischer Problematik und gezeichnet von extremen asketischen Tendenzen, erscheint eine so sehr den „Eitelkeiten“ der Sinnenwelt verschriebene, bühnenbildhaftc Prunkschöpfung wie der „Nicchione“ nahezu anachronistisch; doch darf nicht außer acht gelassen werden, daß das bewegte Schicksal der Kirche in jener Zeit keineswegs zu einer Abtötung der ästhetisch-sinnlichen Empfindsamkeit der Päpste geführt hatte, die weiterhin Vorliebe für weltliche Prachtentfal­ tung und höfische Lebenskunst bewiesen; so war die großräumige Hofanlage des Cortile del Belvedere noch im Karneval des Jahres 1565 Schauplatz eines glanzvollen Turniers aus Anlaß der Vermählung zweier Schwesterkinder des Papstes, des Grafen Hannibal Altemps und der Hortensia Borromeo, ein Fest, das in Nachempfindung mittelalterlicher Lustbarkeit und ritterlich­ höfischer Kultur begangen wurde. Als die Gestaltung der Ostseite des Belvedere-Hofes abgeschlossen war, ging man daran, auch den westlichen Teil der Anlage zu ebener Erde, an der Hinterseite des päpstlichen Palastes, auszubauen. Auch hier wurde die von Bramante geplante Exedra zu einer Entsprechung der großen Nische abge­ ändert, einem Pendant, das so bescheiden ausfiel, daß die absolute Dominanz des „Nicchione“ mit seinem freilich auch günstigeren Standort auf der Höhe der Terrassengärten blieb. Als Paul V. den päpstlichen Thron bestieg, standen Ausbau und Gestal­ tung des Belvedere-Hofes vor dem Abschluß. Als es so weit war, faßte der Papst einen Beschluß, dessen Ergebnis ästhetisch nicht anders als fragwürdig bezeichnet werden kann: die weitläufige Hofanlage mit den prächtigen Gartenterrassen vor der Villa wurde durch einen quer verlaufenden Trakt den „neuen Arm“, „il Braccio Nuovo“, in welchem Sixtus V. die Vatika­ nische Bibliothek unterbringen ließ, in zwei Teile geschnitten. Die wunder­ bare einheitliche Flächengestaltung, die organische Einbeziehung des Außen­ raumes in die Monumentalität der Palastbauten, geniale Konzepte, die Bra­ mante und seine Nachfolger entwickelt und verwirklicht hatten, wurden auf diese Weise unwiderruflich zunichte. Dem Schöpfer des „Nicchione“ verdanken wir ein weiteres Meisterwerk, einen Profanbau, der Pirro Ligorio einmal mehr als inspirierten, phantasie­ vollen und großzügigen Dekorateur ausweist, die sogenannte „Villa Pia“, die sich abseits des Palastes in den vatikanischen Gärten verbirgt, ein Juwel manieristischer Baukunst. Den Bau dieses Lustschlößchens hatte noch Paul IV. angeordnet, doch konnte er erst unter Pius IV. fertiggestellt werden. Der Gesamtkomplex besteht aus einer Loggia, die sich am Rande eines Bassins, des sogenannten Fischteichs, erhebt, und die Vorhalle zu einer ova­ 70

len, ummauerten Hofanlage bildet, an deren Seiten zwei Pavillons mit Nischen kleinere Repliken der Triumphbögen darstellen, die als Eingänge in den päpstlichen Park dienen. Im Hintergrund dieses Hofes erhebt sidi die eigentliche Villa, ein Miniaturpalast, der in seinem Inneren nichts weiter birgt als einen unmittelbar zugänglichen großen Salon und einige wenige Kämmerchen. Die Fassaden der Säulenvorhalle, der Pavillons und der Villa sowie die gesamte Hofseite der ovalen Umfassungsmauer sind zur Gänze mit Stuck­ reliefs überzogen, plastischen „Grotesken“ nach Motiven der klassischen Mythologie und Ornamenten, die gleichzeitig den Rahmen für in die Mauer eingelassene Antikenfragmente abgeben. Die Innenräume des Schlöß­ chens zieren mythologische Fresken der Brüder Zuccari und ihrer Schule. Ebenso, wie das Dekorationsensemble der „Villa“ ausschließlich aus Elemen­ ten des antiken Repertoires besteht, ist die Gesamtanlage mit Teich, Atrium, Hof und Wohnräumen deutlich dem Villenbaustil der spätrömischen Kaiser­ zeit verpflichtet. Und doch bemerkt der Kunsthistoriker W. Friedländer, der die „Villa Pia“ zum Objekt einer fundierten Untersuchung machte, zu Recht, daß die Art der Integration der heterogenen Elemente, die „Montage“ alter und neuer Ornamente, die Raumverhältnisse zwischen den einzelnen Teilen des Gesamtkörpers, in eklatantem Gegensatz zur klassischen Ästhetik stehen. In der „Villa Pia“ manifestiert sich vielmehr die stärkste Ausprägung manieristischen Stilwollens mit seiner Vorliebe für das Bizarre, Pointierte und Verschlüsselte, und einer so hemmungslosen Hingabe an die Dekoration um ihrer selbst willen, daß die kapriziösesten und verspieltesten Phantasien des Rokoko vorweggenommen scheinen. Ähnliche Wege ging nun auch die Malerei: in dieser Spätzeit der Renais­ sance mit ihren öden, minutiös bis ins letzte Detail gemalten Darstellungen historischer oder religiöser Szenen, Monumentalkompositionen von der Art der beklemmenden Dekorationen in der „Sala Regia“, wendet man sich, des Schwulstes müde geworden, dem verspielten, launigen, schmückenden Orna­ ment zu, das nur das Auge erfreuen will. Man besinnt sich der von Raffael und seiner Schule Unterlassenen Modelle, malt „Grotesken“ und läßt der Freude an der Dekoration so freien Lauf, daß diese bald zu überwuchern droht und ins Gekünstelte umschlägt. Andererseits aber verlagert sich das Schwergewicht der Bildgestaltung vom Formalen zum Inhaltlichen hin. Die Malerei wird lehrhaft: noch unter Pius IV. entstand jene „Loggia der Kosmographie“, deren Fresken symbolisdie Visionen des Kosmos zeigen, dem Zeitgeist entsprechend freilich unter dem Aspekt von Astrologie und Magie. Ähnlich beschaffen ist die Thematik der Dekorationen in einem schier end­ losen Korridor, der das dritte Geschoß des Westflügels am Belvedere-Hof durchzieht und heute gleichsam das Rückgrat der vatikanischen Museen 71

bildet; diesen langgestreckten Raum verzierte eine Equipe von Malern unter ihnen Gerolamo Muziano und Cesare Nebbia - mit den Landkarten der Hauptregionen des Kirchenstaates und des übrigen Italien. Die Arbeiten in dieser „Geographischen Galerie“ leitete der „Kosmograph“ Ignazio Danti. Das Ergebnis, eine künstlerisch interpretierte kartographische Sammlung von unterschiedlichem Niveau, begeisterte die Zeitgenossen: in seinem „Reise­ tagebuch“ gestand Montaigne, 1581 den Vatikan nur besucht zu haben, „um dort die Statuen in den Nischen des Belvedere zu besichtigen und die schöne Galerie mit Abbildungen aller Teile Italiens, die sich der Papst derzeit ein­ richtet und die fast schon vollendet ist.“

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Im Zeichen von Lorenzo Bernini

In den ersten beiden Dezennien des 17. Jahrhunderts deckt sich die Kunst­ historik des Vatikans mit der Biographie von Carlo Maderno, der damals, wie berichtet, Langhaus, Vorhalle und Fassade des neuen St. Peter gestaltete. In seinem Werk manifestierte sich wohl zum letztenmal eine Ästhetik, die noch in der illustren Tradition der Renaissance wurzelte. In der Tat zeigte sich der schaffensfreudige lombardische Architekt in jenem Aspekt seines Wirkens dem frühen 16. Jahrhundert verbunden, jener italienischen Hoch­ renaissance des Cinquecento, von der er seine Vorliebe für die feierliche und strenge Monumentalität bezog; Beweise hierfür sind nicht allein Madernos übrige Kirchenbauten in Rom - Sant’ Andrea della Valle und Santa Susanna -, sondern auch Patrizierhäuser und Paläste, wie er sie für die Familien Mattei und Pallavicini-Rospigliosi baute oder - für die Barberini entwarf. Bei Maderno blieb die Renaissance in ihren Grundzügen erhalten, rein und unbeeinträchtigt von den exzentrischen und kapriziösen „Erfindungen“, von denen man sonderbare Beispiele finden kann bei Pirro Ligorio. Die Vorliebe der Päpste, und insbesondere Pauls V. Borghese, für Maderno entsprach vollkommen dem „offiziellen“ Kunstgeschmack, der behördlichen Präferenz für das Gemäßigte, Konventionelle und damit Harmlose. Die­ selben konservativen Tendenzen machten sich damals in jeglichem Kunst­ schaffen im lokalen Bereich des Vatikans geltend, das nach Umfang wie Bedeutung unerheblich blieb. Hatte schon Clemens VIII. (1592-1605) den Aufenthalt im Quirinal der Residenz im Vatikan vorgezogen, so trans­ ferierte Paul V. seinen gesamten Hof in den neuen Palazzo auf einem Hügel inmitten der Stadt, den sich wenige Jahrzehnte zuvor Gregor XIII. zum Standort einer neuen Residenz auserkoren hatte, deren Bau damals unverzüglich begonnen wurde. Ganz allgemein hielten die Päpste den Quirinal für wohnlicher und gesünder als den Vatikan, und auch für besser geeignet, jene Repräsentationsfunktionen zu erfüllen, zu welchen Politik 73

und Gesellschaft eine päpstliche Hofhaltung verpflichteten. Kein Wunder also, daß die wesentlichsten Initiativen auf künstlerischem Gebiet gerade den Quirinal betrafen: so ließ Paul V. von Maderno das prunkvolle Palast­ portal und die „Cappella Paolina“, in den Dimensionen ein Pendant zur vatikanischen Sixtina, erbauen und berief als Dekorateure berühmte Maler wie Guido Reni, Lanfranco und Saraceni. Somit hatte sich das Interesse der Päpste für die Apostolischen Paläste im Vatikan vorübergehend abgeschwächt. Eben jener Paul V., der Rom zu einer modernen Großstadt wandelte, die Wasserleitung der Aqua Paola erbauen ließ und nebst zahlreichen anderen Brunnen auch die „Fontana“ auf dem Janiculus, schenkte der alten Residenz nur so viel Augenmerk, daß er an­ ordnete, was eben im Bau sei, möge fertiggestellt werden. Die Zahl neuer Vorhaben beschränkte er auf zwei: einen Brunnen in den Gärten (Fontana delle Torri) und ein Eingangstor in den Vatikan, zur Rechten der Basilika. Dieses Tor, ein Werk der Architekten Ferabosco und Hans van Xanten, eines Flamen, der seinen Namen zu Vasanzio italianisierte, bestand nur für kurze Zeit. Zwischen 1659 und 1661 fiel es Bernini zum Opfer, der den Platz für seinen „Korridor“ zwischen der Kolonnade, der Piazza und der Basilika benötigte. Daß jenes kurzlebige Tor ein äußerst seltsames architektonisches Gebilde war, verrät uns ein zeitgenössischer Me­ tallstich. Es bestand aus einem hohen geböschten Sodtel, der an strategische Bauformen gemahnte und in dessen Mitte sich das eigentliche Tor öffnete. Darüber verlief, im ersten Geschoß, eine offene Loggia, die erst an der Fas­ sade der Basilika endete, und eine das zweite und dritte Stockwerk umfas­ sende turmähnliche, mit Mosaiken verkleidete Konstruktion trug, in deren Fassade eine große Uhr eingelassen war, die dem Tor zum Namen „Porta horaria“ verhalf. Den Abschluß bildete eine kleine Kuppel mit aufgesetzter Weltkugel und Kreuz. Der Gesamtbaukörper wirkte uneinheitlich, kompli­ ziert und glich einem jener kulissenartigen Triumphgerüste aus Holz und Papiermache, die man aus gegebenem festlidiem oder feierlichem Anlaß als „vergängliche Architekturen“ errichtete. All diese künstlerischen Erzeugnisse, Madernos Fassade nicht ausgenommen, demonstrieren eine kaum erklärliche Tatsache, die sich auch nicht mit dem mangelnden Interesse der Päpste für die vatikanischen Belange motivieren läßt, die Tatsache nämlich, daß sich hier antiquierter Geschmadt manifestiert, reaktionäre Haltung, ewig Gestri­ ges, völlige Unfähigkeit, Schritt mit der Zeit und mit den neuen Tendenzen zu halten, die in Rom längst fühlbar geworden sind; auf diese Weise gibt der Vatikan kampflos seine Position als Vorposten künstlerischer Evolu­ tion auf und verliert jene Vormachtstellung, die er noch im vergangenen Jahrhundert unumstritten innegehabt hatte. Die große Neuerung der Kunst vollzieht sich anderswo, in anderen Kirchen Roms, in den Palästen des Adels. Um die Wende zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert hatte 74

Michelangelo da Caravaggio (1570-1610) die Malerei erneuert, die Moderne geschaffen, einer neuen Moral, einer neuen Religiosität und einem neuen sozialen Empfinden zum Ausdruck verholfen, als er die Idealismen der Hoch­ renaissance und die Bizarrerien des Manierismus über Bord warf und Herz wie Auge nur mehr der Wirklichkeit öffnete: doch das einzige Werk des großen Malers, das für St. Peter bestimmt war, die „Madonna mit der Schlange“, fand keinen Eingang in die ihm zugedachte Palafrenieri-Kapelle; zum ersten - so lautete die offizielle Begründung -, weil diese Darstellung der Madonna die Schamhaftigkeit verletzte, zum zweiten, weil die Behand­ lung des eigentlichen Themas, nämlich der Sieg der Kirche über die Ketzer, in Caravaggios Interpretation nicht der dogmatischen Ikonographie ent­ sprach. Heute befindet sich das Werk in den Sammlungen der Villa Borghese. Zur selben Zeit hatte Annibale Carracci (1560-1609) die Tradition der großen Renaissancemalerei rehabilitiert und einer Formensprache, die von den letzten Manieristen bis zur Erschöpfung abgenützt worden war, neue Vitalität und neue expressive Aktualität geschenkt. Beweisen konnte er dies in der Galerie des Palazzo Farnese, in Altargemälden und Liebhaberbildern, nie aber im Vatikan. Die wenigen Zeugnisse „moderner“ Kunst, die sich damals Eingang in St. Peter verschafften, waren jene, von denen man annehmen konnte, daß sie keine Revolution entfesseln würden, Werke wie die K r e u z ig u n g P e tr i von Guido Reni, der sich auf einen Kompromiß zwischen dem klassischen For­ menkanon Raffaels und der scharfen, kontrastreichen Lichtgebung Caravag­ gios einließ. Was sich im Bereich der bildenden Künste erwiesen hatte, wurde auch auf den Gebieten der Naturwissenschaften und der Philosophie offenbar: Galileo Galilei wurde verurteilt, Giordano Bruno im Jahre 1600 öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt: die Kirche stand abseits der Evolution, die sie verdammte, die Kirche bekämpfte den Fortschritt, wo immer er ihr begeg­ nete. Dieses hermetische Sichverschließen der Kirche und damit des Vatikan gegen zeitgenössische Geistigkeit und zeitgenössische Kultur sollte in man­ cher Hinsicht noch lange dauern; auf dem Gebiet der Kunst jedoch war der Bann gebrochen, als in Nachfolge von Gregor XV. Ludovisi (1621-1623) Kardinal Maffeo Barberini zum Papst gewählt wurde, eben jener Barberini, der bereits als einer der erbittertsten Gegner der Zerstörung der baulichen Überreste der Basilika Konstantins Erwähnung fand. Dieser Urban VIII. (1623-1644), 1568 zu Florenz geboren, doch im Her­ zen so sehr Römer, daß er sich seinen päpstlichen Namen nach der geliebten Stadt, der Urbs Roma, wählte, selbst ein Poet, ein Liebhaber der Musik und ein mit lebhafter ästhetischer Empfindsamkeit ausgestatteter Kunstkenner, hatte die glückliche Gabe, aus der großen Schar der damals in Rom - wenn­ gleich abseits des Vatikan - schaffenden Künstler jene geniale Persönlichkeit 75

auszuwählen, die geeignet war, in die Tat umzusetzen, wovon Urban träumte: Lorenzo Bernini (1598-1680). In jenen Jahren verfügte die Ewige Stadt über eine Anzahl von Künstlern, die durchaus in der Lage waren, sich mit Bernini zu messen, wenn auch nicht ihn zu übertreffen: die Architekten Francesco Borromini, Pietro da Cortona und Gerolamo Rainaldi; die Maler Domenichino, Lanfranco, Nicolas Poussin, Quercino und wiederum Cortona; die Bildhauer Alessandro Algardi, Mochi und Duquesnoy. Aber in den einundzwanzig Jahren des Pontifikats Urbans VIII. beherrscht Bernini, dem Papst in ähnlicher Seelengemeinschaft verbunden wie einst Michelangelo Julius IL, unumschränkt die römische Szene, verändert, ver­ schönert das Antlitz der Ewigen Stadt. Berninis Wirken im Dienste des Vatikans beginnt bereits im Jahre nach der Papstwahl Urbans, 1624, als der Papst den jungen Neapolitaner, der sich Architekt, Bildhauer, Maler, Musiker und Poet nennt, beauftragt, einen großen Baldachin über dem Hochaltar von St. Peter aufzurichten. Mit dem Ungestüm der Jugend geht Bernini zu Werke, sein Schaffen ist ein einziges Crescendo, das sich bisweilen zum Furioso steigert; und dieser Ungestüm bleibt ihm auch in der Reife und im Alter. Denn zu keiner Zeit und an keinem Ort, in Rom wie anderswo, vermochte Bernini anders zu arbeiten als in einem wahren Taumel der Inspiration, atemlos, frenetisch bis zur Er­ schöpfung, gleidigültig, ob er Kirchen schuf, Paläste oder die Plätze der Ewigen Stadt. Nach neun Jahren Arbeit ist der Baldachin 1633 vollendet. Zwischendurch und nachher, 1628-1640, plant und gestaltet Bernini die Reliquienloggien, deren Nischen er den die Domkuppel tragenden Pfeilern abringen muß, und für eine von ihnen bildet er mit eigenen Händen die Kolossalstatue des heiligen Longinus; im selben Jahre 1628 entwickelt er erste Entwürfe für das Grabmal Urbans VIII., das gleichwohl erst 1647 und damit drei Jahre nach dem Tod des großen Papstes fertig wird. Er will es in eine der großen und überreich dekorierten Nischen der Apsis fügen, wo es ein Pendant zum viel älteren Grabmal Pauls III., Werk des Guglielmo della Porta, bilden soll. 1633-1637 bereitet er Mathilde, Markgräfin von Toskana, Burgherrin auf Canossa, ein Grab aus Marmor, das sie mehr als fünfhundert Jahre nadi ihrem Tod (1115) aufnehmen soll, das erste Grab einer Frau in der Peters­ kirche. Unter Urbans Nachfolger, Papst Innozenz X. Pamphili (1644-1655) schien Berninis Stern im Sinken, die päpstliche Gunst zudem beeinträchtigt durch das Mißgeschick, das dem Künstler, als Architekt damals noch minder er­ probt, widerfahren war: der alte Plan, der Fassade von St. Peter zwei Seitentürme aufzusetzen, hatte wieder einmal konkrete Formen angenom­ men, und Bernini, dem diesmal das Los zufiel ihn durchzuführen, war mit 76

dem Bau des linken Campanile bereits zur halben Höhe gelangt, als sich die statischen Berechnungen als falsch erwiesen und der Turm wieder abgebrochen werden mußte. War auch Papst Innozenz über den Vorfall verstimmt, so gestatte er doch, daß Bernini die Dekorationen an den Pfeilern des Haupt­ schiffes von St. Peter vollendete und Statuen entwarf, die in den Pfeiler­ nischen Aufstellung finden sollten. Mit der Thronbesteigung Alexanders VII. Chigi (1655-1667) erlebte Ber­ nini seine Wiedereinsetzung in die alten Rechte und Befugnisse. Wieder war er der erste Künstler Roms: er schenkte der Apsis von St. Peter „Kathedra“ und „Gloria“ (1656-1666) und umschlingt zur selben Zeit den Platz vor der Basilika mit den Armen der Kolonnaden, baut dem Papst eine wahrhaft königliche Innentreppe, die „Scala Regia“, vom Palast in den Dom, und löst im selben Zeitraum 1663-1666 auch ein Versprechen ein, das er bereits 1654 Innozenz X. gegeben hatte, nämlich die Verewigung Konstantins in einem Reiterstandbild. Die Päpste kommen und gehen: Clemens IX. (1667-1669), Clemens X. (1670-1676), Innozenz XI. (1676-1689), und Bernini arbeitet für einen jeden von ihnen. Längst befehligt er ein Heer von Mitarbeitern, Gehilfen, Sdiülern und auch einfachen Handwerkern, mit denen er nach 1667 die Gestaltung des Petersplatzes vollendet und als Schlußakzente zwei große Brunnen setzt. 1671-1678 leitet er den Bau des Grabmals Alexanders VII. und dann ent­ wirft er den Überbau, das Ciborium, für den Altar des Heiligen Sakraments in St. Peter. In jedem dieser Werke, mit denen wir uns an anderer Stelle eingehender befassen werden, erneuert sich Berninis schöpferischer „elan vital“ beständig, erreicht immer neue, immer höhere Gipfel der Expression. Und in allen von ihnen wird das Wirken einer kohärenten Regie fühlbar, die gebieterisch, in nie unterbrochener Kontinuität, ein immer prunkvolleres, immer spektakulä­ reres Schauspiel inszeniert. Nicht ohne Absicht verwenden wir dieses Wort, denn von den Kolonnaden des Petersplatzes bis zur „Gloria“ in der Apsis ist Berninis dekoratives Ensemble eine einzige Abfolge von Akten, die in dramatischer Steigerung das Publikum zu immer intensiverem Erleben hin­ reißen, den Besucher durch die prunkvollen Szenerien vergoldeter Räume führen und vor seinen Augen den Figurenreigen, Glanz und Glorie der Ecclesia triumphans beschwören. Berninis Zeichen, seine Rhetorik, sein Barock, prägen die Physiognomie der Basilika von St. Peter, und diese Prägung ist so stark, daß der gesamte Baukörper nur mehr auf die von Bernini gesetzten Schwerpunkte zentriert scheint, ohne daß freilich die Individualität der von Michelangelo gegebenen Strukturen beeinträchtigt würde. Im Gegenteil: St. Peter ist der formgewor­ dene Dialog zwischen den beiden Universalgenies, Dialog zwischen Ebenbür77

C a m illo R u s c o n i Grabmal Gregor XIII.

tigen, deren jeder für sich seine Epoche dominiert, Michelangelo der Renais­ sance, Bernini des Barock. Was im 17. Jahrhundert nicht unmittelbar von Bernini oder unter seiner Führung geschaffen wurde, scheint zweitrangig, selbst Meisterwerke wie das große Relief von Alessandro Algardi, „Die Vertreibung Attilas durch Leo den Großen“. Als Bernini 1680 hochbetagt im Alter von 82 Jahren stirbt, ist die Basilika von St. Peter im wesentlichen vollendet; was später unternommen wird, ge­ schieht noch für lange Zeit in seinem Zeichen, bleibt gebunden an berninische Projekte oder erfolgt im Rahmen seiner zwingenden, barocken Stilgebung. Diesem Zwingenden entziehen sich selbst jene nicht, deren Anliegen ande­ rer Art waren und die sich persönlich um die Überwindung des Barock bemühten. Ein Beispiel, unter vielen, scheint uns bezeichnend: als 1739 Präsident Charles de Brosses, ein Kunstkenner von erlesenem Geschmack und Verehrer der Antike, aus Dijon nach Rom kommt, da vermitteln ihm nicht die Ruinen der Kaiserzeit, deretwegen er sich an den Tiber bemüht hatte, sondern viel­ mehr die Wunder von St. Peter die stärksten Emotionen. Und in seinen „Lettres familières sur ITtalie“, die er nach seiner Rückkehr in die Heimat, 1745-1755, verfaßt, nennt er die vatikanische Basilika, „das Schönste, was es im Universum gibt“, begeistert sich für das wunderbare Gleichmaß ihrer Proportionen“ und meint, „alles an ihr ist einfach, natürlich, edel, und des­ halb erhaben“. Auch für den Präsidenten ist St. Peter identisch mit Bernini. Seine größte Begeisterung gilt der „wunderbaren Kolonnade, einem der schönsten Monu­ mente der modernen Architektur“, dem „berühmten Baldachin mit gewun­ denen Säulen . . . der schönsten Gußplastik der Welt“, und der „Kathedra Petri. . . einem herrlichen Werk von erlesenem Geschmack . .. ein Wunder aus Bronze“. Noch auf dem Höhepunkt des Klassizismus und der antibarocken Polemik können sich Kunstkritiker und Theoretiker wie Mengs und Milizia, Dichter wie Goethe und andere illustre Romreisende nicht der Faszination der Schöp­ fungen Berninis entziehen. Und sie alle müssen, oft gegen ihre Überzeugung, eingestehen, daß St. Peter formgewordene Sternstunde der Menschheit ist. Die Unmöglichkeit, sich der zwingenden Autorität Berninis zu entziehen, erfuhren auch die ihm nachfolgenden Generationen von Künstlern, die in St. Peter arbeiteten; vom stilistischen Nachlaß des Meisters lebte das schöpfe­ rische Rom des 18. Jahrhunderts. Dies bezeugen vor allem die Monumentalskulpturen, die Heiligenstatuen, die zum Schmuck der Pfeiler des Mittelschiffs von St. Peter dienen; von den prominentesten Bildhauern der Epoche - Pietro Bracci, Camillo Rusconi, 79

F il ip p o V a lle

und

F e r d in a n d o F ug a Grabmal Innozenz XII.

Filippo della Valle, Carlo Monaldi, Bartolomeo Cavaceppi - gesdiafiFen, sind sie mehr oder minder direkt von den Entwurfskizzen Berninis inspiriert und fügen sich ein in das barocke Dekorationskonzept des Meisters. Wie sehr Berninis Einfluß andauert, beweisen - gleichsam Proben aufs Exempel - die Grabmäler aus dem 18. Jahrhundert, die sämtlich den von Bernini geschaffenen Gräbern Urbans VIII. und Alexanders VII. nachgebil­ det sind, abgesehen von unbedeutenden und oberflächlichen Zugeständnissen an den anspruchsloseren unbeschwerteren Geschmack des Rokoko. Bei seinem 1719-1723 geschaffenen Grabmal Gregors XIII. etwa ver­ zichtet Rusconi auf die Verwendung des von Bernini so sehr geschätzten bunten Marmors; doch wiederholt die gänzlich in weiß gehaltene Skulpturen­ gruppe getreulich Berninis kompositioneiles Schema mit der Porträtstatue des Papstes auf dem Sarkophag, den zwei allegorische Figuren - Religion und Weisheit - flankieren. Etwa 20 Jahre später, 1746, halten sich Filippo della Valle und Ferdinando Fuga in ihrem Monument für Innozenz XII. wieder­ um an dieses Schema und kehren überdies zur Verwendung polychromen Marmors zurück, dem sie lebhafte koloristische Effekte entlocken, wobei sich ihr persönlicher Beitrag auf eine artifizielle, unruhigere Grazie beschränkt, die für das 18. Jahrhundert typisch ist, und die Posen ihrer Allegorien der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit bestimmt. Nicht anders hält es ein paar Jahre später Pietro Bracci (1700-1773), der 1769 Papst Benedikt XIV. ein Grabmal setzt: von den berninischen Modellen unterscheidet es sich nur dadurch, daß die Porträtskulptur bei Bracci aufrecht steht, während sie bei Bernini vorwiegend sitzt; in den Allegorien der Weisheit und der Selbst­ losigkeit hingegen, in ihrer Rhythmik und Bewegung, hält sich Bracci getreu­ lich an die barocken Vorbilder. Daß Bernini in diesem Künstler einen ergebenen, wenn auch reichlich ver­ späteten Anhänger gefunden hatte, bewies vornehmlich das Grabmal der Maria Clementina Sobieski, das Bracci 1745 nach Zeichnungen von Barigioni ausführte und sich damit nur einem Jünger Berninis zuwandte. Eine Aufzählung der „Berninesken“ und ihrer Epigonenkunst wäre un­ vollständig, wollte man nicht auch des nur mittelmäßigen, aber bezeichnen­ den Reiterstandbilds Karls des Großen in der Vorhalle der Basilika geden­ ken, das Cornacchini 1725 buchstäblich als Kopie von Berninis „Konstantin" ausführte, der sich auf der gegenüberliegenden rechten Seite des Atriums befindet; erwähnen wollen wir schließlich noch die beiden großen Weih­ wasserbecken am ersten Pfeilerpaar des Mittelschiffs, die 1724-1730 von Francesco Moderati und G. Lirone nach Entwurfzeichnungen eben des Cor­ nacchini ausgeführt wurden, zwei dermaßen „bernineske“ Schöpfungen, daß man meinte, sie gingen auf Originalentwürfe des Meisters zurück. All diese Werke trugen zur Wahrung der stilistischen Einheitlichkeit in St. Peter bei, standen in völligem Einklang mit jener Atmosphäre, die Ber81

H

u b er t

R o b e r t Ansicht der Apsis von St. Peter. Im Vordergrund die Kirdie S. Maria

della Febbre, heute zerstört.

nini der Basilika verliehen hatte; und deshalb gebührt unser Dank jenen Künstlern, die unter relativem Verzicht auf Eigenständigkeit, unter Hint­ ansetzung eigener Originalität, ihr hohes technisches Können in den Dienst eines Heiligtums stellten, in dem Berninis Geist fortwirkte. Gleiches Verantwortungsbewußtsein, gleiche Scheu davor, eine schon fer­ tige architektonische und dekorative Physiognomie zu entstellen, spricht auch aus anderen Werken, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts entstanden; zu diesen zählen die vergoldeten Stukkaturen, mit welchen Vanvitelli die inne­ ren Wölbungen der Apsiden schmückte, und die beiden Fassadenaufsätze mit Uhren und Glockenkammern nach Entwürfen des Architekten Valadier (1762 bis 1839), der an sich dem Klassizismus verschrieben war, in der Gestaltung 83 < P ie t r o B r a c c i Grabmal Benedikt X IV .

jedoch dieser letzten Relikte der so oft projektierten Campanili mit Selbst­ verleugnung barockisierend verfuhr. Auch die bedeutendste architektonische Neuschöpfung, die Sakristei, die 1776-1784 von Carlo Marchionni erbaut wurde, stellt den Versuch einer Integration moderner und angestammter Strukturen dar, im besonderen Fall die Angleichung des neuen Baukörpers an das Formenvokabular der Apsiden Michelangelos. Der Bau der Sakristei bedingte die Zerstörung eines der letzten urchristlichen Altertümer in St. Peter, des sogenannten Theodosius-Grabes, das bereits unter Papst Symmachus in eine Kapelle der „Fiebermadonna“ ver­ wandelt wurde, ein Oratorium, von dem heute nur mehr ein Aquarell des „Ruinenmalers“ Hubert Robert (1733-1808) zeugt. Marchionni tat sein Bestes, um über den Verlust des ehrwürdigen Monuments hinwegzutrösten: bruchlos fügen sich die harmonischen Strukturen in das St. Peter des Michel­ angelo und des Bernini.

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Von der Aufklärung bis in unsere Zeit

Die scheinbare Willfährigkeit der Epigonen ist mehr als ein nur passives Festhalten an Traditionen. In ihrer historisierenden Kunst wird ein neues Phänomen wirksam, das vordem bereits andere Bereiche der Kultur ergriffen hatte: die Ausbildung eines neuen Geschichtsbewußtseins, das wir heute als das Geschichtsbewußtsein des Historismus definieren und das zu einer kri­ tischen Auseinandersetzung nicht allein mit der Vergangenheit, sondern auch mit der Gegenwart zwingt. Nicht länger ist die Vergangenheit ein für immer verlorenes, vergeblich zurückgesehntes Goldenes Zeitalter, sondern der Quell aller Weisheit, den zu erschließen die Gegenwart das rechte Werkzeug besitzt; ein Erbteil auch, das nicht als totes Kapital gehortet, sondern zinsbringend angelegt sein will, weshalb es zuvor nötig ist, den realen Kurswert zu er­ mitteln. Oder: eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte ergibt, welche ihrer Inhalte sich sinnvoll auch für die Gegenwart verwerten lassen. Als die Kultur sich aus dem Bann blinder Vergangenheitsverehrung gelöst hatte, gelangte sie zu besserer Kenntnis und besserem Verständnis alles Historischen. Wahr ist, daß auch die Geschichtswissenschaft mythenbildend wirkte: der neue Vergangenheitskult jedoch, dessen Objekt vornehmlich die Antike - und danach die Gotik - war, blieb nicht mehr den Schöngeistern Vorbehalten, sondern wurde Angelegenheit der Historiker und Experten. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts begründete Geschichtsauffassung und Ge­ schichtswissenschaft der Moderne. Die neuen Tendenzen beeinflußten nicht allein das Verhalten der von uns genannten Künstler, die im 18. Jahrhundert ihr Können in den Dienst von St. Peter stellten, sondern bestimmten die gesamte kulturelle Zukunft des Vatikan. Dem eben erst erwachenden historischen Geschichtsbewußtsein ent­ sprachen die hauptsächlichen Initiativen der Päpste des 18. Jahrhunderts, Maß­ nahmen, die zum etappenweisen Aufbau der Vatikanischen Museen führten. War zur Zeit Julius II. oder Pius V. die Einrichtung einer Antikensamm­ lung im Belvedere oder in der Villa Pia Ausdruck von Vergangenheitsver85

A n t o n io C a n o v a G rabm al Clem ens X III.

Ausschnitt. Der Papst im Gebet.

chrung, Prunkliebe oder aber Egoismus gewesen, dann nämlich, wenn eigene Prachtentfaltung mit dem Hinweis auf heidnischen Luxus gerechtfertigt werden sollte, so erkannte man jetzt die Notwendigkeit einer systematischen Sammlung, die gleicherweise der Wissenschaft dienen wie auch dem Stand der Forschung entsprechen sollte. Der erste, der den Entschluß zu einer systematischen Neuordnung der päpstlichen Sammlungen faßte, war Clemens XI. (1700-1721); den Anfang sollte ein Museum christlicher Altertümer im Vatikanpalast machen; doch 86

die politischen Ereignisse und wirtschaftlichen Krisen, die sein langes Ponti­ fikat unruhig gestalteten, hinderten ihn an der Durchführung dieses Plans. Seine unmittelbaren Nachfolger verschrieben sich nur Teilaspekten des Pro­ jekts: Clemens XII. (1730-1740), der sich größte Verdienste um das künst­ lerische Rom erwarb, gründete das Archäologische Museum auf dem Campi­ doglio, das in einem der beiden Paläste seitlich der von Michelangelo gestalte­ ten Platzanlage untergebracht wurde. Interesse für die Vatikanischen Museen selbst bewies erst wieder Benedikt XIV. Lambertini (1740-1758), der in der Galleria Lapidaria antike Inschriftentafeln sammelte und 1756 das Museum sakraler Kunst schuf, das Museo Sacro, dessen Leitung er dem kompetenten Kunsthistoriker und Sammler Francesco Vettori anvertraute. Die bedeutend­ sten Entwicklungen wurden unter dem Pontifikat Clemens XIII. (1758 bis 1769) erzielt, der die oberste Leitung des Unternehmens in die Hände eines ebenfalls prominenten Kunstsammlers und Gelehrten, Kardinal Alessandro Albani, des Neffen von Clemens XL, legte. Dieser betraute die Archäologen Windtelmann und Ennio Quirino Visconti mit der Wahrnehmung der wis­ senschaftlichen Belange. Frucht der Zusammenarbeit der drei Experten war die Gründung des Museums weltlicher Kunst, des „Museo Profano“, das sämtlichen Kunstgattungen gewidmet war. Im Zuge einer progressiven und immer rationelleren Einteilung der Sammlungen nach Thematik und Epochen wurde von Clemens XIV. das Museo Pio-Clementino gegründet, das der Vereinigung der griechischen und römischen Antiken diente, die sich in den verschiedensten Teilen des Vatikans fanden, die bedeutendsten Stücke aber wurden ausgewählt und bildeten eine eigene Sammlung im Belvedere. Diese Initiativen, die endlich dem modernen Musealkonzept entsprachen, der wissenschaftlichen Sammlertätigkeit anstelle der in den Raritäten- und Kuriositätenkabinetten, den „Kunst- und Wunderkammern“ des 16. und 17. Jahrhunderts befriedigten Sensationslust, bewirkten auch eine beachtliche Vergrößerung der vatikanischen Sammlungen: Ankaufscampagnen und Kul­ turgüterschutz brachten und erhielten dem Kirchenstaat wertvolle Objekte, und unter Pius VI. (1775-1799) gingen die griechisch-etruskische Vasen­ sammlung des Kardinals Gualtieri, die Münzen- und Medaillensammlung des Kardinals Albani und die Gemmen- und Kameensammlung des Kardinals Carpegna in den Besitz des vatikanischen Museo Profano über. Eben diesem kunstsinnigen Papst Pius VI. blieb es nicht erspart, die apostolischen Museen grausam geplündert zu sehen, als 1798 französische Truppen Rom und den Vatikan besetzten, ihn selbst gefangennahmen und nach Frankreich ins Exil entführten, wo er im August 1799 im Alter von 81 Jahren starb. Nach 1815, als der Wiener Kongreß die Neuregelung der Verhältnisse in Europa verfügt hatte und der Kirchenstaat wieder in den Besitz seiner Sou­ veränität und seiner Güter gelangte, eröftnete sich den Vatikanischen Museen eine neue Phase der Entwicklung, die zweifach geprägt wurde von Papst 87

Die Confessio der Basilika von St. Peter mit der Statue Pius VI. Ausgeführt im Jahre 1821/22 durch Antonio Canova unter der Mitarbeit von Adamo Tadolini.

Pius VII. Chiaramonti (1800-1823) und Antonio Canova (1757-1822). Canova, der größte Bildhauer seiner Epoche und der Hauptvertreter des Klassizismus, hatte bereits seit geraumer Zeit an den künstlerischen Unter­ nehmungen des päpstlidien Hofes mitgewirkt und 1792 Clemens XIII. ein Grabmal in St. Peter gesetzt. Die Gunst seines Nachfolgers Pius VII. ver­ schaffte Canova zwei weitere Male Eingang in die Basilika: in der Confessio, unfern des Grabes Petri, errichtete er Pius VI. eine kniende Porträtstatue an 88

A n t o n io C a n o v a Grabmal Jacques IILy Charles III. und Henri IX. Stuart.

Ausschnitt. Ein Todesengel.

Plan der heutigen Basilika von St. Peter

eben jener Stelle, an welcher der Un­ glückliche, im Exil verstorbene Papst bestattet sein wollte, und schuf 18171819 eine Stele zum Gedächtnis an die Stuart. Nicht minder große Verdienste er­ warb sich Canova als Direktor der Va­ tikanischen Museen: ihm ist die syste­ matische Einrichtung der Pinakothek zu verdanken, in der man sämtliche Werke der Malerei sammelte, die von den Truppen Bonapartes aus Gottes­ häusern und Klöstern des Kirchenstaa­ tes und im übrigen Italien geraubt worden waren, später jedoch wieder in kirchlichen Besitz übergingen. Ebenso ist Canova die Gründung des Museo Chiaramonti - benannt zu Ehren des Hauses Pius VII. - zu danken, in dem die unablässig sich mehrende Antiken­ sammlung zusätzlich Unterkunft fand. In jener Zeit wurden auch die be­ rühmten Wandteppiche der Brüsseler Manufakturen van Aelst, der Zyklus der „Geschichte Petri“ nach Raffaels Kartons sachkundig restauriert und 1815 in den päpstlichen Appartements aus der Zeit Pius V. untergebracht. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts be­ schränkten sich die kulturellen Aktivi­ täten des Vatikans fast ausschließlich auf Vergrößerung und Einrichtung der Sammlungen in den Vatikanischen Mu­ seen. Besondere Erwähnung verdient Gregor XVI. (1831-1846), der die Etruskischen und die Ägyptischen Sammlungen gründete. Das Etrus­ kische Museum, 1837 eröffnet, erntete die Früchte der intensiven Ausgra­ bungstätigkeit, die in Cerveteri, im E m ilio G r e c o Grabmal Johannes X X III,

G ia c o m o M a n z Ù Das neue Bronzetor der Basilika von St. Peter

nördlichen Latium, entfaltet wurde, während das 1839 eröffnete Ägyptische Museum zunächst nur die Privatsammlung des Papstes barg, um in der Folge durch weitere Kollektionen und vor allem durch die Funde bereichert zu werden, welche die Ausgrabungen der ägyptischen Kultstätten des antiken Rom lieferten. Gregor XVI. auch war es, der das Museo Profano im Lateranpalast grün­ dete, in welchem ab 1844 Skulpturen vorwiegend der späten Kaiserzeit ge­ sammelt wurden. Das Museo Cristiano hingegen, 1854 auf Initiative von Papst Pius IX. gegründet, steht gänzlich im Zeichen des Urchristentums und enthält der Welt vollständigste Sammlung frühchristlicher Kunst aus römi­ schem Gebiet. (Zum gegenwärtigen Zeitpunkt - 1969 -, werden die beiden lateranischen Kollektionen in den Vatikan überführt, um in einem neuen Gebäude, das Papst Paul VI. eigens zu diesem Zweck erbauen ließ, Unter­ bringung zu finden; auf diese Weise erzielt man die Vereinigung aller Kunst­ schätze des Heiligen Stuhls an einem einzigen Ort.) Der politischen Krise, deren Höhepunkt 1870 mit dem Ende des Kirchen­ staates, dem Ende der weltlichen Herrschaft des Papsttums und mit der Ein­ gliederung Roms in das geeinte Italien erreicht war, folgte die kulturelle Krise: die Verdammung des „Modernismus“ und die Veröffentlichung des „Syllabus“ durch Papst Pius IX. im Jahre 1864, des Verzeichnisses aller ab­ zulehnenden - modernen - theologischen Irrtümer, ließen die Kirche einen extremistisch reaktionären Standpunkt einnehmen und sie in dieser Position erstarren. Beide Entwicklungen, die politische wie die geistige, bewirkten die Isolie­ rung des Vatikan von den lebendigen Strömen zeitgenössischer Kultur, eine Abkehr, deren Auswirkungen noch zu Anfang unseres Jahrhunderts fühlbar sind, wie das nachdrückliche Beharren auf schon toten künstlerischen Tradi­ tionen beweist: Beispiele sind die Grabmäler des Pietro Canonica für Bene­ dikt XV. und Pius XL, starre, leblose, akademische Kompositionen in ekla­ tantem Gegensatz zur erhabenen Majestät des Ortes, an den sie sich verirrten. Erst in dieser zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewirkten ein Geist spiri­ tueller Erneuerung und eine aktivere Teilnahme der Kirche am modernen Leben Kontakte auch mit der zeitgenössischen Kunst: schon Pius XII. wollte die moderne Malerei in der Pinakothek vertreten sehen, und 1960 konnte Johannes XXIII. ihr tatsächlich eine erste Abteilung eröffnen, deren Ver­ größerung geplant ist. Das Grabmal des großen und zutiefst menschlichen Papstes des Zweiten Vatikanischen Konzil, eine Schöpfung von Emilio Greco, und das neue Tor der Basilika, ein Meisterwerk von Giacomo Manzù, lassen die Rückkehr der Kunst in den Vatikan erhoffen. Nehmen wir sie als glückhafte Vorzeichen dafür, daß eine jahrhundertealte historische „Präsenz“ im Zentrum der abendländischen Kultur weiterzuwirken vermag in die Zukunft. 93

Lufiansicht des St. Petersplatzes und der Basilika. Rechts die apostolischen Paläste; im Hintergrund die vatikanischen Gärten.

Der St. Petersplatz

Noch während die Bauarbeiten an der neuen vatikanisdien Basilika im Gange waren, ergab sich zwingend die Notwendigkeit, dem grandiosen Monument einen würdigen städtebaulichen Rahmen zu verleihen. Das Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf den ausgedehnten Platz vor der Fassade, der die Funk­ tionen des „Paradieses“, des von vier Säulengängen umgebenen, nicht über­ deckten Vorhofs vor der Basilika Konstantins übernehmen sollte. Kein Geringerer als Papst Sixtus V. ließ sich persönlich die Raumordnung des künftigen Platzes angelegen sein: zur Bezeichnung des idealen Mittel­ punktes dieses Geländes ließ er in dessen Zentrum den großen ägyptischen Obelisken aufstellen, den der Präfekt Caius Cornelius Gallus in Heliopolis hatte errichten lassen und den Kaiser Caligula im Jahre 37 n. Chr. nach Rom überführte, um ihn zum Schmuck seines Zirkus am Abhang des mons Vati­ canus zu verwenden. Dieser Obelisk, der in den Augen der Christenheit einen gewissen symbolischen Wert angenommen hatte, da er das einzige Relikt jener Stätte war, wo der Überlieferung zufolge der Apostel Petrus und seine Gefährten im Jahre 67 n. Chr. das Martyrium erlitten hatten, befand sich schließlich zwischen der mittlerweile errichteten alten Basilika und der Rund­ kapelle Sant’ Andrea und damit an einem für das Gesamtkonzept der sich beständig vergrößernden Anlage ungünstigen Ort, wo er nicht auf die Dauer bleiben konnte. Das Problem, den riesenhaften, 25,50 m hohen monolithischen Körper von seinem Standort zu entfernen und an anderer Stelle wieder zu errichten, war zu Ende des 16. Jahrhunderts nicht minder schwierig zu lösen als, wie Plinius der Ältere in seiner „Naturalis Historia“ (XVI, 201) berichtet, zur Zeit des Caligula: eineinhalb Jahrtausende hatten nicht ausgereicht, um der In­ genieurkunst zu wesentlichen Fortschritten zu verhelfen, und da auch keine genauen Angaben über die von den alten Römern angewandten Methoden erhalten waren, mußte man ein neues System ersinnen, um Abbruch und Wiedererrichtung des Obelisken bewerkstelligen zu können. 95

Zunächst schuf man ein natürlich großes Holzmodell des ägyptischen Mono­ lithen, um mit Hilfe dieser Kopie den künftigen Standort der Skulptur er­ mitteln zu können; hierauf beauftragte Sixtus V. eine Reihe namhafter Architekten, Möglichkeiten zur Durchführung der komplizierten Operationen zu untersuchen. Der erste, der geeignet schien, das Projekt zu realisieren, war Bartolomeo Ammannati, doch gab dieser an, allein für die technischen Vor­ studien ein ganzes Jahr zu benötigen. Der Papst freilich wollte so lange nicht warten und wandte seine Gunst Domenico Fontana zu, der ob des Auf­ trags alles andere denn glücklich war; insgeheim hielt Fontana das ganze Projekt für die Ausgeburt einer plötzlichen geistigen Umnachtung des Pap­ stes. Nur widerstrebend entwarf der Architekt ein hohes Holzgerüst, in des­ sen Innerem der Obelisk mit Hilfe von Seilen, Rollen und Hebeln senkrecht von seiner Basis abgehoben und hierauf waagrecht auf eine mit Rollen ver­ sehene Plattform gelegt werden sollte. Sobald der Steinkoloß an den neuen Standort verfrachtet war, sollte dort dieselbe Operation in umgekehrter Reihenfolge vor sich gehen, wobei man sich auch eines später wieder zu ent­ fernenden Hilfspostaments bedienen wollte, das unmittelbar auf dem in der Zwischenzeit vollendeten neuen Fundament auflag. Die Durchführung des heiklen Vorhabens, das bis ins kleinste Detail prä­ zise vorgeplant war, nahm viele Tage in Anspruch. Am 30. April 1586 be­ gann man damit, den Obelisken von seinem alten Standort zu entfernen, und bereits diese erste Phase der Operation gab Anlaß zu den schlimmsten Be­ fürchtungen. (Fontana selbst war sich des Gelingens des Experiments so wenig sicher, daß er bereits die Pferde zur Flucht hatte satteln lassen, um sich vor der Wut des greisen Papstes, den er ja für einen gefährlichen Irren hielt, in Sicherheit bringen zu können.) In der Tat bot die Abhebung des Obelisken vom alten Fundament ein Schauspiel von höchster Dramatik, die Luft war erfüllt vom Knarren der Seile, vom Kreischen der Winden, dem Keuchen der Arbeiter und dem Schnauben der Pferde, und erst, als der Koloß sich endlich bewegte und aufwärtsschwebte, löste sich die atemlose Spannung in einem einzigen Jubelschrei der Menge des Volkes, dem der Kanonendonner der Geschütze auf der Engelsburg und alle Glocken Roms antworteten. Am 17. Mai war es endlich so weit, den Obelisken auf die rollende Platt­ form zu verfrachten und ihn zu seinem neuen Standort zu transportieren. Die nächstfolgende Phase, jene der Wiederaufrichtung, ging am 14. Septem­ ber in Szene, und wieder drängte sich das Volk Roms vor der Basilika. Der Menge war strengstes Schweigen geboten worden, um die Techniker nicht bei der gefährlichen Operation zu stören. Wie im April herrschte unerträgliche Spannung; über das weitläufige Gelände hin war nichts zu vernehmen als die Kommandorufe Fontanas, das Kreischen der Winden und der Rollen, das heftige Keuchen der Arbeiter und das Schnauben der Pferde. Plötzlich - so erzählt eine Anekdote - schrie einer der Zuschauer auf, ein ligurischer 96

D er St. P etersplatz

Seemann, der bemerkt hatte, daß die bis zum Äußersten gespannten Seile zu zerreißen drohten und die Katastrophe unabwendbar schien. Der Matrose brüllte, man möge die Stricke mit Wasser tränken, um sie elastischer zu machen, ein Rat, der schleunigst befolgt wurde. Der Papst, so berichtet die Anekdote weiter, verzieh dem Seemann seinen Ungehorsam, das allerhöchste Schweigegebot gebrodien zu haben. Stunden gingen hin, und als die Prozedur schließlich vollendet schien, erfaßte ein Taumel der Freude nicht nur das Volk von Rom und die Arbeiter, sondern auch Domenico Fontana, der sich in diesem Augenblidc der vielleicht drüdkendsten Sorge seines Lebens ledig wußte. Später verfaßte er einen Bericht über die technische Durchführung des heiklen Experiments, „Vom Transport des Vatikanischen Obelisken“, ein Werk, das 1590 im Drude erschien und eine Fülle von Kupferstichillustra­ tionen enthält. Mit weiteren technischen Einzelheiten der Operation befaßte sich eine ebenfalls illustrierte Abhandlung, die ein Nachkomme Fontanas, Carlo, Architekt wie der illustre Vorfahre, in sein 1694 veröffentlichtes Werk über die Basilika von St. Peter, „Der Vatikanische Tempel“, aufnahm. 97

Die Basis des Obelisken bildet ein hoher Sockel, dessen vier Seitenflächen mit lateinischen Inschriften bedeckt sind; sie dienen dem Lobpreis der Kirche Christi, die über den Unglauben triumphiert. Der Obelisk selbst ruht nicht unmittelbar auf dem Sockel auf, sondern wird von vier bronzenen Löwen gestützt, die den mystischen Löwen Judas symbolisieren. Auf der Spitze des Obelisken, dort, wo der Volksglaube eine goldene Urne mit der Asche Caesars vermutete, ließ Alexander VII. ein Reliquiar mit einem Splitter vom Wahren Kreuz Christi bergen und die Spitze selbst mit einer Art Giebel decken, der die Insignien des Papstes aus dem sienesischen Fürstenhaus der Chigi trägt. Nach der Errichtung des Obelisken in der Mitte des Platzes wandte man sich der Gestaltung der Fassade der Basilika zu, womit die zweite Phase der Schöpfung der Piazza San Pietro und ein weiteres bewegtes Kapitel römischer Kunsthistorik eingeleitet war. Die dominierende Präsenz der Kuppel Midielangelos, die Dimensionen selbst warfen Probleme auf, deren Lösung nicht nur vom architektonischen, sondern vielmehr auch vom ästhetischen Standpunkt äußerst schwierig war. An eine ganze Reihe von Künstlern erging der Auftrag, eine neue Fassade zu entwerfen, und am Ende entschied man sich für eben jenen Architekten, der auch den Ausbau des Lang­ hauses von St. Peter besorgt hatte, Carlo Maderno, Neffen und Schüler von Domenico Fontana. Madernos Konzept beruhte im wesentlichen auf dem eher starren und konventionellen Schema der von der Renaissance über­ nommenen klassischen Ordnung, der Reihe hoch aufstrebender Säulen in der Fassadenmitte, mit Architrav und dreieckigem Giebelfeld darüber. Ferner sah das Projekt eine eher lockere Gestaltung der Seitenflügel der Fassade vor, deren Abschluß jeweils ein hoher Glockenturm an jenen Stellen bilden sollte, wo sich heute die mit päpstlichen Wappen gezierten Uhren befinden. In ihrer Gesamtheit gesehen, war Madernos Lösung kompliziert und überladen, und deshalb entschloß man sich, kaum, daß die Idee geboren war, auf die Glockentürme zu verzichten. Außerdem war der Architekt auf den Gedanken verfallen, die Zwischenräume zwischen den einzelnen Säulen verschieden breit anzulegen und auf diese Weise die optische Illusion einer konvexen Krümmung der Fassade zu erzeugen, in der sich gleichsam die mächtige Halb­ kugelwölbung der Kuppel fortsetzen sollte. Aber auch diese Idee gelangte nicht zur Durchführung; was von Madernos Plänen am Ende übrigblieb, war jene flache, rhythmisch monotone Fassade, die wir heute kennen. Sind wir auch nicht willens, uns den vernichtenden Kritiken anzuschließen, die das zwischen 1604 und 1607 geschaffene Werk bis in die jüngste Zeit erntete, so müssen wir dennoch eingestehen, daß die Fassade von St. Peter keineswegs den Ansprüchen des Monumentalkomplexes, dessen integrierenden Bestand­ teil sie bildet, gerecht werden kann. Eine entscheidende Wendung zum Besseren trat erst ein, als Bernini zwi­ schen 1656 und 1667 die szenische Gesamtgestaltung des Platzes fortführte. 98 Die Fontäne nördlido des St. Petersplatzes >

Bernini strebte vornehmlich danach, die Optik der Fassade durch andere Eindrücke zu übertönen und reduzierte sie deshalb zum Hintergrundelement einer ihr vorgebauten Monumentalanlage, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte; es ist bezeichnend, da der Künstler in seinem letzten Entwurf eine Kolonnade vorgesehen hatte, die sich quer über den Platz spannen und die ideale Verbindung zwischen den beiden elliptischen Säulengängen schaf­ fen sollte, welche die Piazza San Pietro beidseitig rahmen. Dieser zentralen Kolonnade wäre es zugekommen, den direkten Blick auf die Fassade des Domes zu verwehren, solange man nicht den Platz selbst betreten hatte. Doch wurde diese Barriere nie errichtet, obgleich ihre Funktion genau mit den ursprünglichen städtebaulichen Verhältnissen der Zone übereingestimmt hätte: bekanntlich war dem Platz - noch ehe jene Öffnung erfolgte, die den langen und monotonen Zugang durch die Via della Conciliazione schuf ursprünglich ein dicht bebautes Viertel vorgelagert, Teil des sogenannten „Borgo“ ; durch dieses Gewirr von Gäßchen führte der Weg von der Engels­ burg nach St. Peter, und wer es durchquert hatte, wurde ebenso unmittelbar der Basilika ansichtig wie er das plötzliche sich Weiten des Platzes und das ins Gigantische Wachsen der Dimensionen gleichsam als Schodt empfand. Der „dritte Arm“ der Kolonnaden hätte der Umfassung des Platzes eine Grenze setzen und gleichzeitig ein Eingangstor zum Gesamtkomplex von St. Peter bilden sollen. Auf diese Idee war Bernini erst verfallen, nachdem er sich gründlich mit einer Reihe von Konzepten befaßt und mehrere wohlüberlegte Projekte ent­ worfen hatte. Zunächst plante er, den Platz in Form eines großen Trapezes anzulegen, dessen Seiten von zwei langen, der Basilika zustrebenden zwei­ geschossigen Flügeln umfaßt werden sollten. Dann entwickelte er in meh­ reren Varianten das Konzept eines kreisrunden Platzes, den er zur Gänze mit einem ringsum verlaufenden Arkadengang umrahmen wollte. Erst am 17. März 1657 präsentierte Bernini, der damit einer klugen Anregung von Papst Alexander VII. gefolgt war, das Projekt eines elliptischen Platzes, des­ sen beide „Brennpunkte“ jene monumentalen Brunnen bilden sollten, die heute noch den Obelisken flankieren. In ihrem gesamten Umfang sollte die Ellipse von einem Säulengang oder Arkadengang umkränzt werden - selbst, wie bereits erwähnt, in jenem Teil, der in einer Achse mit dem Obelisken und der Fassade der Basilika liegt -, und, unmittelbar an die Seitenflügel der Kirchenfassade anschließend, auf etwa 240 m Länge den eigentlichen Vorplatz der Basilika, das „Paradies“, abgrenzen. Die in der Folge geschaffenen Säulenhalle behält in ihrem ge­ samten Verlauf konstant eine Breite von etwa siebzehn Metern bei. Sie be­ steht aus einer vierfachen Reihe dorischer Säulen, insgesamt 284, und 88 Pfei­ lern aus Travertin von 13 m Höhe. Unter Einschluß des Gebälks und der Dacheindeckung ragt die Kolonnade 21 m hoch empor und wird auf der 100

Der Kolonnadengang

Kolonnadenstatuen auf dem St. Petersplatz

dem Platzinneren zugewandten Seite von 96 überlebensgroßen Heiligen­ statuen bekrönt, die zwar von Bernini entworfen, jedoch 1661-1672 von einer Schar Mitarbeiter ausgeführt wurden. Die angeführten Zahlen mögen ausreichen, um eine Ahnung von den titanischen Dimensionen der Gesamtanlage zu vermitteln, die sich unbescha­ det ihrer Größenordnung in harmonischem und getragenem Rhythmus ent­ wickelt. Die barocke „Theatralik“, die wir im Zusammenhang mit den Schöpfungen Berninis für den Vatikan schon des öfteren erwähnten, manifestiert sich hier ungezwungen und in einer üppigen Vielfalt, die dennoch von einer straffen Regie in maßvollen Grenzen gehalten wird. Diese Regie auch sorgt dafür, daß der erste Akt des architektonischen Schauspiels, das in St. Peter in Szene geht, gleichsam hinter dem Vorhang der Fassade im Kircheninneren statt­ findet. Das Erlebnis des Dekorationsensembles aus Baldachin, Kathedra und Gloria versetzt den Besucher in die Lage, stufenweise zu immer stärkeren Emotionen zu gelangen. Die Vielfalt der in St. Peter verwirklichten schöpfe­ rischen Ideen gehorcht in Wahrheit den Gesetzen einer räumlichen und vor allem emotiven Dynamik: die Piazza selbst ist keineswegs eine leere, unver­ baute Fläche, Rastplatz der Pilger, sondern ein Ort der Vorbereitung, der psychischen Einstimmung, der zum Innehalten zwingt, ehe sich der sakrale Raum der Basilika eröffnet. 10-1

Basilika von St. Peter

Michelangelo D ie A p s is v o n S t. P e te r

Bereits ein oberflächlicher Vergleich der Projekte, die Bramante und Michel­ angelo für die Basilika von St. Peter entwickelten, läßt erkennen, daß, ab­ gesehen von der Beibehaltung des Grundrisses in Form eines gleicharmigen griechischen Kreuzes, Michelangelos Konzept des architektonischen Raumes sich grundlegend von der Auffassung seines Vorgängers unterscheidet. Während Bramantes Bauwerk eine von der halbkugeligen Kalotte der Kuppel gleichsam „versiegelte“ kubische Masse ergeben hätte, geht Michel­ angelos Vorstellung in Richtung eines bewegten Baukörpers mit stark ge­ gliedertem Grundriß, Einbuchtungen und massig vorspringenden Apsiden. Bramantes Zentralbau hätte nach Wunsch des Künstlers eine zusätzliche Unterstreichung seines kompakten Charakters durch die konsequente Beto­ nung der Waagrechten in den Fassadendekorationen und den Fensterumrah­ mungen erfahren sollen, während Michelangelos Konzept der Basilika eine vertikale Ausrichtung derselben Elemente vorsah, wodurch dem Zentralbau ein dynamischer Aufschwung verliehen wurde, dessen Bewegung in der Kup­ pel auslaufen, jedoch nicht zum Stillstand gebracht werden sollte. Dieser Gegensatz zwischen der statischen Form Bramantes und der dyna­ mischen Form Michelangelos ist logische Konsequenz der Unterschiedlichkeit nicht allein zweier Stilperioden der Renaissance, sondern zweier eigenstän­ diger künstlerischer Persönlichkeiten mit verschiedenen Werdegängen: Bra­ mante bleibt im wesentlichen Architekt, und seine Formensprache beruht immer noch auf den Grundprinzipien und dem Kanon der „Ordnungen“ der antiken Architektur, die er studierte und als ideales Modell anerkannte. Michelangelo hingegen denkt vornehmlich als Bildhauer, faßt den Baukörper als natürlichen Organismus auf und strebt in der Dynamik seiner Komposi­ tion danach, die Lebensfülle des Menschlichen, die er in Plastik und Malerei interpretierte, nun auch in Architektur umzusetzen. 102

M ic h e l a n g e l o Die Apsis der Basilika von St. Pe^er.Tcilansicht

Schon das Atrium der Biblioteca Laurenziani zu Florenz und die Medi­ ceerkapelle hatten ihm wenige Jahre zuvor Gelegenheit geboten zu beweisen, daß es möglich war, einen architektonischen Organismus nicht anders zu schaffen als eine gigantische Skulptur voll Dynamik und Körperlichkeit. Der Neubau der Basilika von St. Peter bedeutet ihm die wertvolle Chance, eben dieses Experiment fortzusetzen. Eine beglückende Aufgabe, die ihn gleich­ zeitig mit Bangen erfüllt, denn die Verpflichtung, die man ihm auferlegt, ist groß, und Michelangelo fühlt sich alt und müde. Aber dann, als er sich ans Werk macht, scheint er von übermenschlichen Kräften beseelt. Ekstatisch in seinem Schaffen, nimmt er der architektonischen Tradition gegenüber eine Haltung an, in der er sich radikal von Bramante unterscheidet. J. S. Ackerman beweist wieder einmal seine Gabe der kritischen Intuition, wenn er seine Studie über Michelangelo mit der Bemerkung schließt, als Ar­ chitekt habe der Meister die Antike mit einer Unbefangenheit beurteilt, die geradezu als Antithese von Humanismus und Renaissancedenken gelten könne; während seine Zeitgenossen davon träumten, das Alte Rom kopie­ getreu Wiedererstehen zu lassen, bezog Michelangelo aus der Antike nur, was seinem spezifischen Geschmack entsprach, und sofern er ein Motiv übernahm, gab er ihm eine neue Form oder erfüllte es mit neuem Inhalt; doch achtete er 103

M ic h e l a n g e l o Die Apsis der Basilika

von St. Peter. Teilansicht

M ic h e l a n g e l o Die Apsis der Basilika

von

Peier.Teilansicht

M ic h e l a n g e l o Die Apsis der Basilika von St. Peter. Teilansicht

darauf, irgendeinen charakteristischen Wesenszug des antiken Modells zu er­ halten, damit der Betrachter die Quelle erkennen müsse und gleichzeitig ob der völlig neuartigen Version in Staunen gerate. In ihrer Gesamtheit, doch deutlicher noch in den hier wiedergegebenen Details, enthüllt die Apsis von St. Peter, die unter persönlicher Aufsicht des Meisters erbaut wurde, zu welch eigenständiger Synthese Michelangelo von ihm modifizierte antike Formenelemente zu vereinen wußte und welcher Art seine plastischen Intentionen waren. Die Wände scheinen von Gigantenhänden modelliert, krümmen und deh­ nen sich gleichsam unter Schauern, die Ornamente, Friese, Kapitelle und Ge­ simse jagen einander und werfen Wogen im Stein, auf dem sich die Schatten verdichten, um die von heftigem Licht getroffenen Profile um so schärfer her­ vortreten zu lassen. Diese Architektur scheint ohne ruhenden Pol, jedes Bau­ element, jedes plastische Detail verflicht sich unaufhörlich mit den anderen, verschmilzt mit ihnen zu einem einzigen pulsierenden Organismus. Das neoplatonische Ideal des lebendigen Geistes, der sich von der hemmen­ den Last der Materie befreit, dasselbe Ideal, dem Michelangelo zeit seines Lebens als Künstler gefolgt war, findet hier eine Apotheose; und da dieser Höhepunkt erreicht ist, vollendet sich auch die Renaissance und wird gleich­ zeitig übertroffen, überwunden und widerlegt: denn von der Apsis zu St. Peter führt der Weg in die Moderne. Michelangelo und Guglielmo della P orta D ie K u p p e l v o n S t. P e te r

Als Michelangelo, der bereits ins achte Jahrzehnt seines Lebens eingetreten war, den Auftrag zum weiteren Ausbau der neuen Peterskirche erhielt, war er sich von Anfang an über die Funktionen der großen Kuppel des Domes im klaren: sie sollte die dynamische Plastizität, die vertikalen und horizon­ talen Rhythmen der architektonischen Struktur der Außenfassade der Basi­ lika in Variationen fortentwickeln und gleichsam in einem machtvollen Schlußakkord zusammenfassen. Deshalb studierte Michelangelo aufs ein­ gehendste die Beziehungen zwischen der Außengestalt der Apsiden und des Gesamtbauwerks einerseits und den die Kuppel bildenden Elementen ande­ rerseits: Kalotte, Laterne und zylindrischem Unterbau, dem Tambour, der mit seinen paarweise gekoppelten Säulen (ursprünglich als Träger für Apo­ stelstatuen gedacht) die aufstrebenden Linien der Fassadengliederung fort­ setzen sollte, die in der Kuppelkalotte selbst mit ihren sechzehn großen Rip­ pen gebündelt und einem höher gelegenen Zentrum, nämlich der Laterne, zugeführt werden mußten. Diese Laterne, der Kuppelaufsatz, war als klei­ nere Entsprechung des Tambours gedacht, ein gelängter, turmspitzenartiger Baukörper, den eine Bronzekugel mit Kreuz krönen sollte. 105

M ic h e l a n g e l o

und

G u g lie lm o

d el la

P o r t a Die Kuppel von St. Peter

Nach dem ersten, auf die Untersuchung der Proportionen gegründeten Konzept Michelangelos sollte die Kuppelkalotte (die aus zwei übereinander­ liegenden Schalen mit leerem Zwischenraum besteht) halbkugelförmig sein. Von diesem Projekt Michelangelos ist uns ein im Dommuseum von St. Peter 106

aufbewahrtes hölzernes Modell erhalten, das wohl nach den persönlichen An­ gaben des Künstlers angefertigt wurde. Zum Verzicht auf eine stark überhöhte und damit im Profil ovalen Kup­ pel, wie sie Brunelleschi für Santa Maria del Fiore geschaffen oder Antonio da Sangallo für St. Peter selbst ersonnen hatte, entschloß sich Michelangelo, wie aus seinen Entwurfzeichnungen zu erkennen ist, erst im Verlauf der ab 1547 durchgeführten Untersuchungen und Planungsarbeiten; ein Entschluß,, für den in erster Linie ästhetische Gründe sprachen, nämlich das optimal harmonische Verhältnis zwischen Tambour, Kalotte und Laterne. Zum zwei­ ten aber ließ sich Michelangelo auch von symbolischen Motiven leiten: die Halbkugel der Kuppel sollte ein Sinnbild des Himmelsgewölbes sein. In An­ knüpfung an die Kosmologie des Mittelalters verlieh er deren Formensprache jedoch einen neuen Gehalt, der dem Neuplatonismus seines eigenen Welt­ bildes entsprach. Dazu meint Ackerman, die Kuppel sollte sich gleichsam als schützende Hand über jeglichem Ritus, jeglichem Glauben und jeglichem Ideal wölben, und er fügt hinzu, daß auch in protestantischen Ländern, wo der deutliche Hinweis auf das Zentrum des Katholizismus die Nachahmung hätte verhindern mögen, die höchsten Regierungsfunktionen unter Kuppeln geübt werden, die Nachempfindungen der Kuppel von St. Peter sind. Schon Vignola, der 1565 beauftragt wurde, in Nachfolge des im Vorjahr verstorbenen Michelangelo den Bau der Kuppel von St. Peter fortzuführen, veränderte die Maß Verhältnisse, die der Meister festgelegt hatte; er redu­ zierte die Höhe der Laterne und stieß im übrigen bereits auf alle jene rein bautechnischen Probleme, die eine Durchführung des Gesamtprojekts Michel­ angelos nahezu unmöglich erscheinen ließen. Den Ausweg fand bekanntlich Guglielmo della Porta, der das von Antonio da Sangallo entwickelte Konzept einer stark überhöhten, eiförmig gelängten Kuppel wieder aufgriff, ohne jedoch Michelangelos Projekt im wesentlichen zu verändern; kleinere Ab­ änderungen nahm er lediglich an der Dicke der Kuppelrippen und den pla­ stischen Ornamenten der Fensterrahmen vor. Die Lösung, die della Porta fand, hätte unschwer ein mißglüdttes, zwitter­ haftes Resultat ergeben können, und doch führte der problematische Kom­ promiß zu einer äußerst geglückten Verbindung zwischen bautechnischer Zweckmäßigkeit und künstlerischer Perfektion. In seiner Interpretation, die della Porta unter übermenschlicher Anstren­ gung in nur 22 Monaten zwischen 1588 und 1589 verwirklichte, verlor Michelangelos Projekt vielleicht einige seiner besonderen formalen Aspekte, doch blieben der dynamische Aufschwung und die lebendige Architektur des kolossalen Baukörpers erhalten, unbeeinträchtigt auch die Wesensmerkmale einer idealen, exemplarischen Form, die von den Baukünstlern des Barock und der nachfolgenden Epochen übernommen und in eigenen, oft meister­ lichen Schöpfungen variiert werden sollte. 107

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F il a r e t e Bronzetor

F i l a r e t e B r o n z e to r

Das Hoditor von Sankt Peter gestaltete im Auftrag des Papstes Eugen IV. der Florentiner Bildhauer und Architekt Antonio Averiino, „il Filarete“ ge­ nannt, der ganze zwölf Jahre, von 1433 bis 1445, an diesem Werk schuf. Vergleichen wir die Türflügel der alten Basilika mit den beiden zeitgenös­ sischen Bronzetüren, die Ghiberti für das Baptisterium in Florenz ausführte deren erste zwischen 1403 und 1424 entstand, während die zweite, die be­ rühmte „Pforte zum Paradies“, die „Porta del Paradiso“ als eine Schöpfung der Jahre 1425-1452 anzusehen ist -, dann müssen wir freilich feststellen, daß dieser Vergleich eindeutig zu Ungunsten Filaretes ausfällt: vergeblich suchen wir am Bronzetor der vatikanischen Basilika nach jener idealen Ästhe­ tik und jenem perspektivischen Raumkonzept, die Ghiberti in Vorwegnahme der künstlerischen Vision der Frührenaissance zu verwirklichen weiß, wäh­ rend Filarete außerstande ist, sich von der archaischen Tradition der spät­ mittelalterlichen Edelmetallschmiedekunst zu lösen. Dennoch vermögen wir nicht, das vernichtende Urteil eines Vasari zu teilen, der im Hinblick auf die Türflügel von Sankt Peter von einem „unglückseligen Stil“ sprach. In der Tat dürfen wir, wollen wir Filaretes Talent gerecht beurteilen, uns nicht an die konventionellen Figuren der Heiligen Jungfrau, des Erlösers und der Apostel Petrus und Paulus halten, sondern sollten vielmehr jene kleinen Szenen beachten, die Episoden und denkwürdige Ereignisse aus dem Pontifikat des Stifters Eugen IV. darstellen, aktionsreiche Bildchen, die dem Künstler Gelegenheit geben, seine Beobachtungsgabe zu beweisen und zu­ weilen auch in den Ton des Märchenerzählers zu verfallen: die Krönung des Kaisers Sigismund von Luxemburg, der Ausritt des Papstes mit dem Kaiser, der Herrscher des Ostens auf dem Konzil zu Florenz und der Emp­ fang der Glaubensformel durch Abt Andreas von Ägypten. In dieser zeitgenössischen „Bilderchronik“ zeigt sidi Filarete um wirklich­ keitsgetreue Wiedergabe des Aussehens, des Verhaltens und der Kleidung der von ihm Dargestellten bemüht und liefert uns auf diese Weise ein dokumen­ tarisches Bild des Protokolls und der Zeremonien seiner Epoche. Bemerkens­ werterweise blieb selbst ein der späten Gotik verbundener Traditionalist wie Filarete nicht unempfindlich gegen Gedankengut und Motivsdiatz des Huma­ nismus: in den Ornamentbändern, welche die einzelnen Bildtafeln rahmen, finden sich inmitten des Girlandenwerkes eindeutig mythologisdie Szenen verborgen, Anklänge an die Liebe Jupiters zu Leda und den Raub des Ganymed.

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G ian Lorenzo Bernini S ca la R e g ia u n d R e ite r s ta n d b ild K o n s ta n tin s

Schon seit dem Ende des 15. Jahrhunderts bestand die einzige direkte Ver­ bindung zwischen dem päpstlichen Palast und der Peterskirche aus einer schier endlosen, dunklen, ja halsbrecherischen Stiege, die von der PaolinaKapelle aus, an der Sixtina vorbei hinab in die Vorhalle der Basilika führte. 1663 entschloß sich der Papst endlich zu einem Umbau der Stiegenanlage und erteilte Bernini den Auftrag, eine „königliche Treppe“ zu bauen, die „Scala Regia“, die freilich nicht nur den Ansprüchen der Repräsentation genügen, sondern auch Sicherheit und Bequemlichkeit bieten sollte. Bernini stand vor einem fast unlösbaren Problem: der Raum, der die Treppenanlage aufnehmen sollte, war lang hingestreckt und schmal, zudem trapezförmig und steil geneigt; doch der Bildhauer und Architekt entledigte sich der heiklen Aufgabe mit Brillanz und Virtuosität, wobei er sich der un­ vorteilhaften architektonischen Gegebenheiten so geschickt bediente, daß die Not zur Tugend wurde; zunächst teilte Bernini die Anlage in zwei aufein­ anderfolgende Treppenläufe, die er durch ein breites Podest trennte, dann errichtete er beidseitig der Treppe eine doppelte Säulenreihe, wobei er die Säulen entlang des unteren, breiteren Treppenlaufs etwas von der Wand ab­ rückte, während er sie im oberen Teilstück der sich verengenden Treppenflucht unmittelbar an die Mauer setzte. Diese Säulen entlang der Obertreppe wer­ den im übrigen von Stufe zu Stufe niedriger. Auf diese Weise erzielte er eine perspektivische Täuschung, deren Wirkung zusätzlich von der säulen­ getragenen Tonnenwölbung unterstützt wird: die Treppenflucht wirkt, von unten betrachtet, wesentlich „tiefer“ und weitläufiger, als es den Tatsachen entspricht. Bereits diese rein architektonische Lösung erzeugt eine kühne szenische Illusion, die Bernini jedoch noch überzeugender und bühnenwirksamer gestal­ ten wollte; deshalb ließ er in die Mauer links des ersten Treppenabsatzes und in die Stirnwand am oberen Ende der Treppenflucht zwei große Fenster­ öffnungen brechen, durch die das Licht so einfällt, daß die gesamte Anlage eine rhythmische Aufeinanderfolge von Halbschatten - auf den nicht un­ mittelbar beleuchteten Treppen - und gleißender Helligkeit darstellt. Überdies erhielt das Treppenhaus eine Prunkfassade, die zwei Stuckfiguren - Allegorien des Ruhmes von Ercole Ferrata - mit den heraldischen Insignien des Papstes schmücken. Doch gab sich Berninis üppige und den Effekten der Schaubühne zugeneigte Phantasie keineswegs mit Lichtregie uncl Fassadendekoration zufrieden, son­ dern strebte danach, einen zusätzlichen monumentalen Schwerpunkt zu set­ zen: vor die Wand des Treppenabsatzes, der sich einerseits auf das Atrium der Basilika öffnet und andererseits die Fortsetzung jenes Ganges darstellt, der zur Kolonnade des Petersplatzes führt, postierte Bernini das große 110

G ia n L o r e n z o B e r n in i

Die Scala Regia

C a r lo M a d e r n o

Atrium der Basilika

G ia n L o r e n z o B e r n in i Reiterstandbild Konstantins

„Reiterstandbild Konstantins des Großen“ gleichsam als Bindeglied zwischen den verschiedenartigen architektonischen Organismen. Der Kaiser, dessen Antlitz Bernini nach der Beschreibung schuf, die Nike­ phoros in seiner „Geschichte der Kirche“ bietet, wird in jenem Augenblick dargestellt, da ihm die Vision des Heiligen Kreuzes den Sieg kündet. Kon­ stantins Geste der Verwunderung, das Scheuen des wild sich bäumenden Pfer­ des und die monumentale Draperie aus bemaltem Stuck, die den szenischen Hintergrund der Skulpturengruppe bildet, steigern die Dynamik der Kom­ position ins Extreme und unterstreichen das Außergewöhnliche des thema­ tischen Vorwurfs. Das Erlebnis des architektonischen und skulpturalen Ensembles der Scala Regia vermittelt dem Besucher eine Fülle rasch aufeinanderfolgender und 112

unterschiedlicher ästhetischer Empfindungen: verläßt er die ruhvoll feierliche Atmosphäre des Atriums oder der Kolonnaden, deren getragenen Rhythmus die stete Folge der Säulen bestimmt, so trifft ihn jäh und unvorbereitet der Anblick der wild bewegten Konstantingruppe und weckt schockartig seine ästhetische Empfindsamkeit für die Vision des illusionistischen Feuerwerks der „königlichen Treppe“. Kurz - wieder einmal versteht es der große Regis­ seur des italienischen Barock, sein Publikum einzustimmen und es Schritt für Schritt zu jenem Erleben zu führen, das er ihm zugedacht hat. Die Architektur der Treppe war bereits 1665 vollendet, während das Reiterstandbild Konstantins, das er seit 1654 geplant hatte - damals be­ absichtigte Innozenz X. die Errichtung eines Konstantinmonuments in der Umgebung der Basilika und damit in einem anderen Rahmen -, erst nach der Rückkehr des Künstlers von seiner enttäuschenden Pariser Reise fertig­ gestellt werden konnte. Berninis Konstantin fand so großen Beifall, daß Ludwig XIV. von Frankreich sich ebenfalls als Reiterstandbild des Italieners verewigt sehen wollte. Ursprünglich war daran gedacht, es an der Spitze jener Treppenanlage zu postieren, die schon damals an der Piazza di Spagna als Zugang zur Kirche Trinità dei Monti und zur Villa Medici, Sitz der „Französischen Akademie“, projektiert war. Dieses Vorhaben erwies sich je­ doch als zunächst undurchführbar (in der Tat stammt die berühmte „Spanische Treppe“ aus dem 18. Jahrhundert), und deshalb entschloß man sich, das 1677 fertiggestellte Reiterstandbild Ludwig XIV. 1684 nach Frankreich zu brin­ gen. Dort jedoch fand es keineswegs den erwünschten Anklang; Kunst­ geschmack und Mode hatten sich gewandelt, das barocke Opus befremdete und erntete sogar Spott und hämisches Gelächter, weil es zugestandener­ maßen eine kopienhafte Nachempfindung der Konstantingruppe war. Später nahm sich der Bernini-Schüler Girardon des verunglückten Werkes an, über­ arbeitete es bis zur Unkenntlichkeit und verwandelte den Sonnenkönig in einen sich in den Abgrund stürzenden „Marcus Curtius“, der, in den Park von Versailles verbannt, noch heute dort zu besichtigen ist. Michelangelo Pietà Signatur: Michaelangelus. Bonarotus. Florentin(us). Faciebat.

Als Michelangelo am 25. Juni 1496 zum erstenmal römischen Boden betrat, zählte er knapp einundzwanzig Jahre. Bis zu diesem Augenblick war er nur einem kleinen Kreis von Florentiner Künstlern, Gelehrten und Mäzenen be­ kannt, und auch in der Ewigen Stadt erregte er zunächst lediglich das Inter­ esse einiger weniger Kunstkenner, zu denen der reiche Bankier Jacopo Galli, der Kardinal Raffaele Riario und der französische Botschafter Kardinal Jean Bilheres de Lagra-ulas zählten. 113

M ic h e l a n g e l o P ie tà

Für den Bankier schuf der junge Toskaner zwei Plastiken, einen „Bacchus“, der sich heute im Florentiner Bargello-Museum befindet, und einen nicht mehr erhaltenen „Cupido“. Im Auftrag des französischen Diplomaten und Kirchenfürsten enstand die vatikanische „Pietà“ und damit das dritte der Werke, die als einzige Früchte des fast fünfjährigen ersten Romaufenthaltes Michelangelos anzusehen sind. Denn weniger, um zu schaffen, als vielmehr, um die „vielen schönen Dinge“ zu studieren, die Rom zu bieten hatte, war der geniale Jüngling in die Stadt der Päpste gezogen, und diesen Studien widmete er sich ausgiebig. Wie bereits in unserer Einführung vermerkt, entstand die „Pietà“ zwischen dem Sommer des Jahres 1498 und dem Mai 1499 und schmückte fürs erste einen Altar in der Kirche S. Petronilla, die sich in unmittelbarer Nachbar­ schaft der alten vatikanisdien Basilika befand und auch „Kapelle der Könige von Frankreich“ genannt wurde, da sie unter der Patronanz des französischen Hofes und des in Rom residierenden französischen Klerus stand. Erst vor zweihundert Jahren fand die „Pietà“ ihre ständige Bleibe in Sankt Peter. Die berühmte Skulptur ist das einzige vom Künstler signierte Werk und eine der wenigen plastischen Arbeiten, die Michelangelo fertigstellte. Denn der Meister des „Unvollendeten“ beließ später die Mehrzahl seiner drei­ dimensionalen Schöpfungen im Rohzustand, da ihm die rauhen Oberflächen des behauenen, doch nicht polierten Marmors ausdrudcsstärker schienen als das glatte Modele. Die „Pietà“ jedoch unterzog er auch dem letzten Arbeits­ gang des Raspelns, Feilens und Schmirgelns. Das ikonographische Modell der Schmerzensreichen Gottesmutter, die den Leichnam des Sohnes auf dem Schoß birgt, bezog Michelangelo von einem Typus des Andachtsbildes, der von dem 14. Jahrhundert an vornehmlich in nördlichen Gebieten Europas verbreitet war. Auch in stilistisdien Details ge­ mahnt die „Pietà“ an ältere Vorbilder, so an die Werke von Jacopo della Quercia, der Michelangelo zu tief gefurchten Faltenwürfen mit scharfwinke­ ligen Konturen über Brust und Knien der Madonna inspirierte. Linienführung und Mimik der beiden Antlitze verweisen überdies auf Leonardo da Vinci. Unbeschadet dieser Inspiration besitzt das Werk dennoch bereits den un­ verwechselbaren Charakter der Schöpfungen Michelangelos, die maßvolle Monumentalität der Komposition, eine Sensibilität, die in der konkreten Gestaltung der Trauer über die Dimensionen menschlichen Empfindungsver­ mögens hinausreicht. Die drei anderen Gestaltungen desselben Motivs, denen sich Michelangelo in den letzten Lebensjahren widmete - die „Pietà“ im Florentiner Dom schuf er um 1553, die sogenannte „Palestrina“ in der Flo­ rentiner Akademie um 1555 und die „Pietà Rondanini“ im Museum des Mailänder Sforza-Kastells um 1559/60 -, ließ der hochbetagte Meister „un­ vollendet“. Obschon diese Spätwerke als Früchte des neunten Lebensjahr­ zehnts ihres Schöpfers über die Interpretation des Motivs hinaus Sinnbilder 115

der Tragödie des Menschen schlechthin sind und in ihrer Aussagekraft das Werk des Jünglings überragen, ist auch dieses sdion mehr als die Gestaltung eines sakralen Themas: steingewordene Weltanschauung. A rnolfo di C ambio (?) B r o m e s ta tu e P e tr i

Über dieses Standbild des Apostelfürsten äußerten die Kunsthistoriker seit jeher äußerst widersprüchliche Meinungen: die einen halten es für ein Werk aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. und einen Nachfahren der römischen Skulp­ tur der späten Kaiserzeit; die anderen - darunter Wickhoff, A. Venturi, P. Toesca, D. de Francovich - schreiben die Statue einem Künstler aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu, Arnolfo di Cambio selbst oder einem Vertreter seiner Schule. Uns erscheint die zweitgenannte Hypothese die überzeugendere: während sich die Anlehnung an antike, römische oder byzantinische, jedenfalls aber noch dem klassischen Kunstgeschmack entsprechende Vorbilder nicht leugnen läßt und man die Skulptur sogar für eine Umwidmung einer antiken Philo­ sophenstatue hielt, der nachträglich der Kopf des Apostels aufgesetzt wurde, gehören die betont lineare Bewegung des Faltenwurfs und der Naturalismus

A r n o l fo DI C am bio (?)

Bronzestatue Petri Ausschnitt

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A r n o l fo

di

C a m b io (?) Bronzestatue Petri

des Antlitzes und der Hände bereits eindeutig der Gotik an. Überdies ergab eine erst kürzlich durchgeführte chemische Analyse der Bronze, daß diese nach einem im 13. Jahrhundert üblichen Legierungsverfahren hergestellt worden war. Ungesichert bleibt dennoch die Autorschaft von Arnolfo di Cambio; doch dürfte Rom zu jener Zeit kaum einen zweiten Bildhauer be­ sessen haben, der imstande gewesen wäre, unter Anknüpfung an die Monu­ mentaltradition der Antike ein derart eigenständiges und ausdrucksintensives Werk zu schaffen. Als majestätisches und gestrenges Bild der pastoralen Autorität Petri scheint diese Bronze in ihrer hohepriesterlichen Starre gleicherweise Allegorie der Uranfänge der Kirche und lebensnahes Abbild des Apostels, ein sakrales Kunstwerk von starker Suggestivkraft, dem das Volk wie die zeitgenössischen Chroniken zu berichten wissen, bereits im 15. Jahrhundert seine tiefste Ver­ ehrung schenkte. Heute noch wird die Bronzestatue Petri zu den hohen Festen der Kirche mit prunkvollen Ornaten bekleidet und mit der Tiara gekrönt. D onatello T a b e rn a k e l d es A lle rh e ilig s te n S a k ra m e n ts

Der Marmortabernakel der Basilika von St. Peter, dessen Nische der Auf­ bewahrung des Allerheiligsten dient, befand sich ursprünglich in einer Ka­ pelle des Vatikanpalastes, die von Bernardo Rossellino und Battista da Padova für Papst Eugen IV. gebaut worden war. Als die Kapelle im Zuge der von Paul III. befohlenen Umbauten des päpstlichen Palastes zerstört werden mußte, wurde der Tabernakel nach St. Peter überführt und in der „Capella dei Beneficiati“ beheimatet; dort sah ihn bereits Vasari. Der Tabernakel von St. Peter ist ein Werk des Donatello, der ihn wäh­ rend seines kurzen Aufenthalts in Rom 1432/33 schuf; eindeutig von seiner Hand stammt die Reliefdarstellung der „Grablegung“, während der elegante Architekturrahmen und die je drei Figuren umfassenden Engelsgruppen, die beidseitig auf dem Sockel postiert sind, mit ziemlicher Sicherheit Michelozzo zugeschrieben werden können. In seiner Gesamtkomposition repräsentiert der Tabernakel eine der typenreinsten und subtilsten Schöpfungen der Floren­ tiner Renaissance, die Rom zu bieten hat. Die große Meisterschaft des Donatello, der mit nur angedeuteten Erhebun­ gen und äußerst sparsamer Modellierung des Flachreliefs den Eindruck be­ achtlicher räumlicher Tiefe vermittelt, wird in dieser „Grablegung“ mit ihrer illusionistischen Perspektive und ihrer bühnenhaften Wirkung - zwei kleine Engel heben einen Vorhang über der Szene - auf besonders eindrucksvolle Weise offenkundig; desgleichen der Sinn des Meisters für höchste dramatische Wirkung, die er aus einer stoßenden, synkopierten Rhythmik und der hef118

D onatello

und

M ic h e l o z z o

Tabernakel des Allerheiligsten Sakraments

D o n a tello

Tabernakel des Allerheiligsten Sakraments. Ausschnitt: Die Grablegung Christi

I I rb-Ti i

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G ia n L o r e n z o B e r n in i Altarbaldachin

tigen Mimik seiner Figuren erzielt. In Donatellos Relief zeigt sich der Huma­ nismus unter seinem leidenschaftlichen Aspekt, in seiner Tendenz zur aus­ geprägt realistischen Darstellung, der in entschiedenem Gegensatz zum konventionellen Idealismus und der glatten Ästhetik eines Großteils der zeitgenössischen Skulptur steht. G ian Lorenzo Bernini A lta r b a ld a c h in , R e liq u ie n lo g g ie n , K a th e d r a P e tr i u n d G lo ria

Als Langhaus, Vorhalle und Fassade der Basilika nach den Plänen von Carlo Maderno vollendet waren, glich Sankt Peter einem riesigen Schrein aus edlen architektonischen Einzelelementen, der noch der zu bergenden Schätze harrte. Denn der weite Innenraum war fast völlig leer. Freilidi ließ sich das unver­ gleichliche Interieur nicht einfach mit diversen Dekorationsstücken „möblie­ ren“, sondern wollte, einem genialen Konzept zufolge, einheitlich ausgestattet werden. Daß eine solche umfassende Lösung sämtlicher Dekorationsprobleme eine überaus schwierige Aufgabe darstellte, wußte man von Anfang an. Filippo Baldinucci erzählt, Annibale Carracci habe eines Tages, als er eben die Basilika verließ, zu den ihn begleitenden Schülern gesagt: „Glaubt mir, wenn irgendwann einmal ein begnadeter Genius hierherkommt, dann sollte er da in der Mitte und dort im Hintergrund zwei große Baukörper er­ richten, die im rechten Verhältnis zur schieren Unermeßlichkeit dieses Tem­ pels stehen“, worauf Bernini, damals ein Knabe noch und wohl der Jüngste unter den Anwesenden, ungestüm ausrief: „O wär’s doch ich!“ Gleichgültig, ob wahr oder nur erfunden, ist diese Anekdote mehr als eine hübsche Mar­ ginalie in der Biographie Berninis, mehr auch als die Überlieferung einer orakelhaften Begebenheit: sie ist vor allem der Beweis dafür, daß die Künst­ ler bereits zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Notwendigkeit erkannt hat­ ten, die Innendekoration von Sankt Peter auf zwei Schwerpunkte zu kon­ zentrieren, deren einer in der Vierung, dem Schnittfeld zwischen Langhaus und Querschiffen lag, „da in der Mitte“ also, unter der Kuppel Michel­ angelos, während der andere „im Hintergrund“ in der Apsis zu suchen war. Es galt, dem Tiefenstreben der das Langhaus säumenden Arkaden und Pfeilerreihen ein Ziel zu setzen und die architektonische Schaubühne mit einem Hintergrundprospekt abzuschließen. Kaum hatte Urban VIII. den päpstlichen Thron bestiegen, da erteilte er dem jungen Bernini den Auftrag, das alte Ciborium, den auf Säulen ruhenden Überbau über dem Hochaltar, durch ein anderes zu ersetzen, das den monumentalen Formen und den Dimensionen der neuen Peterskirche besser entspräche. (Das alte Ciborium hatte den Umbau der Basilika unbeschadet überstanden, was dem schützenden Gerüst zu verdanken war, das Bramante persönlich konstruiert hatte.) 121

Bereits 1624 machte sich der kaum sechsundzwanzigjährige Bernini an die Arbeit und ersann ein völlig neuartiges, originelles Gebilde, zu dem er sich von kulturgeschichtlichen Erwägungen inspirieren ließ: auf der Suche nach den Ursprüngen des Ciboriums in der christlichen Kunst stieß er auf den tragbaren „Baldachin", der bereits im alten Orient als Zeremonienutensil oder Thronhimmel fungierte, ein mit kostbaren Stoffen verhängtes Gestell nach Art eines Zeltsacks, das von vier oder mehr Stützen getragen wurde. Diese ursprüngliche Form des Baldachins brachte Bernini auf den Gedanken, in Holz, Marmor und Metallen ein kostbares Zeltdach mit reichem, scheinbar vom Wind bewegtem Fransensaum nachzubilden und es auf vier Säulen zu setzen. Für die Gestaltung dieser Säulen, deren Konzept vielleicht schon von anderen entwickelt worden war, hielt er sich an die Beschreibung jener ge­ wundenen, mit Weinrankenreliefs geschmückten Säulen, die der Legende zu­ folge Konstantin aus den Ruinen des Tempels Salomos barg und nach Rom brachte, wo sie seit dem 4. Jahrhundert die sogenannte „Pergula" oder den Altaraufbau über dem Grab Petri schmückten. Zur Krönung des Baldachins hatte man ursprünglich an eine Figur des Erlösers auf einem flachen Sockel gedacht, später an eine halbkugelförmige Kuppel, schließlich aber entschied man sich für eine zwiebelturmartige Kon­ struktion auf quadratischer Grundfläche, vier konkave, Nischen bildende Zwickel, deren geschwungenen Seitenlinien zu einer Spitze zusammenlaufen. Während vor den Nischen Engelsfiguren postiert sind, trägt die knospenartige Spitze die Weltkugel mit dem Kreuz. Diese Lösung, die von Francesco Bor­ romini, einem damaligen Mitarbeiter Berninis stammt, ermöglicht eine har­ monische Fortsetzung der spiralen Bewegung der Säulen, deren Rhythmus auf die sanften Schwingungen des Aufsatzes übergreift und die Dynamik des Gesamtbaukörpers betont. Architektur und Skulptur verschmelzen zu einer Einheit und bewirken einen Effekt, der dem illusionistischen Charakter von Malerei entspricht: die starke farbliche Komponente stützt sich auf die Verwendung verschieden­ artiger Materialien und Vergoldungen, eine Chromatik, die den architek­ tonischen Strukturen Vitalität verleiht und den Baukörper an sich schwere­ los und anmutig erscheinen läßt. Freilich ist Berninis Baldachin mehr als eine originelle dekorationsplastische Schöpfung; er ist ein materialisiertes symbol­ trächtiges Gleichnis, dessen reale Form an die Ursprünge des liturgischen Rituals erinnert, wie auch die Imitationen der Säulen Konstantins hinweisen auf die Frühzeit der vatikanischen Basilika und der katholischen Kirche schlechthin; darüber hinaus verbinden sich in ihm die klassischen Allegorien des Glaubens mit den modernen Symbolen der päpstlichen Oberhoheit, den heraldischen Insignien Urbans VIII., der Sonne und den Bienen der Barberini. Die Vorliebe des Barock für szenische Effekte und Bühnenwirksamkeit fin­ det hier eine ihrer frühesten monumentalen Verwirklichungen: beladen mit 123

Symbolen und Emblemen, wird die künstlerische Form zum rhetorischen Medium, dazu bestimmt, jeglichen Besucher der Basilika unmittelbar anzu­ sprechen, ihn in Erstaunen zu versetzen und ihn nachdrüdtlich auf jenen idealen Schwerpunkt hinzuweisen, den eben der Baldachin darstellt. Das Werk beschäftigte Bernini und seine Mitarbeiter - darunter Künstler, die, wie der erwähnte Borromini, in der Folge berühmt werden sollten: A. Bolgi, E. Ferrata, F. Duquesnoy, G. Finelli, N. Cordier, G. A. Fancelli beinahe zehn Jahre. Nur langsam kamen die Künstler voran, hatten sie doch beinahe unlösbare und ungewöhnliche technische Probleme zu bewältigen; besonders schwierig gestaltete sich der Bronzeguß der vier gigantischen Säulen, ja, selbst das Material, das man in solcher Menge benötigte, war kaum aufzutreiben, und deshalb verfielen Bernini und sein Auftraggeber auf eine Gewaltlösung: sie beraubten die Vorhalle des Pantheon seiner bronzenen Deckenstützen und brachen sogar Stücke aus der Kuppelverkleidung von Sankt Peter. Diese gewissenlose Beschädigung alter Monumente, zu der man sich verleiten ließ, um ein paar armselige Fragmente weiter verwenden zu können, erregte all­ gemeines Ärgernis und war mit ein Anlaß zu jenem bitteren geflügelten Wort, das sich nur zu bald in Rom verbreitete: „Was die Barbaren nicht besorgten, besorgten die Barberini.“ („Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini.“) Denn in der Tat hatten nicht einmal die Barbaren es gewagt, dem antiken Rom solchen Schaden zuzufügen, wie der Ehrgeiz des Barberini auf dem Papstthron. Noch während seines Entstehens fügte sich der grandiose Baukörper wun­ derbar proportioniert in den Innenraum der Basilika (und auch darin hatte Bernini den ästhetischen Forderungen des Carracci Rechnung getragen), doch war ebenso offenbar, daß die monumentale Komposition von Anfang an eine so starke Eigenständigkeit besaß, daß sie ihrem Rahmen den Stempel auf­ drückte. Deshalb entschloß man sich sehr früh schon, dem Baldachin eine wür­ dige Fassung zu schenken und den vier mächtigen Pfeilern, die als Stützen der Kuppel des Petersdomes dienen, ein anderes Aussehen zu verleihen. Als Schöpfungen Bramantes waren diese Pilaster im übrigen auch schon von Michelangelo gestaltet worden. Bernini nun formte sie von Grund auf neu, brach tiefe Nischen in die dem Hochaltar zugekehrten Stirnseiten und baute sie zu Loggien aus, wozu er einige der gewundenen Säulen vom alten Altarüberbau Konstantins verwen­ dete: auf diese Weise wiederholte sich das charakteristisdie Motiv des Bal­ dachins - das Geviert spiral gewundener Säulen - rings im Kreise. Diesen Loggien kam von Anfang an eine besondere Devotionalienfunk­ tion zu, da sie die vier meist verehrten Reliquien im Besitz der vatikanischen Basilika aufnahmen, nämlich ein Fragment des Wahren Kreuzes, das Schweiß­ tuch, die Lanzenspitze, die Christi Seite durdibohrte und das Andreaskreuz. 124

G ia n L o r e n z o B e r n in i Reliqmenloggia des heiligen Longinus

In thematischer Übereinstimmung mit diesen Reliquien wurden in marmor­ verkleideten Nischen unterhalb der Loggien die Statuen von vier Heiligen postiert, deren Kult in engem Zusammenhang mit der Reliquienverehrung steht: Helena, Veronika, Longinus und Andreas. Eine einzige dieser dreimal lebensgroßen Statuen schuf Bernini eigenhändig zwischen 1629 und 1638, nachdem er eine Unzahl Entwürfe und Modelle an­ gefertigt hatte, nämlich die Figur des „heiligen Longinus“ ; doch auch für die anderen drei, die seine Mitarbeiter ausführten, gab er Anweisungen, so daß die „Veronika“ von Francesco Mochi, der „Andreas“ von Duquesnoy und die „Helena“ von Bolgi im Verein mit dem „Longinus“ des Meisters eine homogene Gruppe bilden. Mit ihren großzügigen Gesten und den Helldunkeleffekten, die das Licht aus den bewegten Faltenwürfen holt, entwickeln sie im Akkord einen Rhyth­ mus, der den Baldachin gleichsam einhüllt. In Mimik und Pose scheinen sie Nachbildungen deklamierender Schauspieler, Choristen eines Passionsspiels, das unter dem Baldachin in Szene geht. Die Integration aller dekorativen und figuralen Einzelteile in einer dyna­ mischen szenischen Einheit bringt den spektakulären Charakter der Architek­ tur noch stärker zur Geltung: die Loggien in den Pfeilern gemahnen, ohne daß dieser Vergleich die Heiligkeit des Ortes schmälerte, an Theaterlogen, von wo aus es dem Zuschauer möglich wäre, der Darstellung des rituellen Mysteriums beizuwohnen und geistigen Anteil daran zu nehmen. Darüber hinaus wird das gleichnishafte Wesen des Gesamtkunstwerkes fühlbar, des­ sen Entwicklung in logischer Folge zur Schöpfung der „Kathedra“ in der Apsis führte, Werk des Jahrzehnts von 1656-1666. Audi dieser Schöpfung Berninis lag eine besondere kultische Motivation zugrunde: schon in der Frühzeit der christlichen Basiliken barg der halbkreis­ förmige, von einer Halbkuppel überdedtte Anbau an das Langhaus - eben die Apsis - den Hodialtar, und, im Scheitelpunkt hinter dem Altar, die „Kathedra“ oder den Bischofsstuhl. Von dieser Bezeichnung leitet sich im übrigen auch jene der „Kathedrale“ ab, der Kirche, als Sitz eines Episkopats. Noch heute sind in vielen Kirchen Europas und des Vorderen Orients die alten „Kathedrae“ an ihren Originalstandorten zu besichtigen. Obwohl die eigentliche Kathedrale Roms seit den Anfängen der christ­ lichen Ära die Basiliken San Giovanni in Laterano war, befand sich die so­ genannte „Kathedra Petri“ - ein hölzerner Thronsessel mit Elfenbeinauf­ lagen, der in Wahrheit aus dem 3.-4. Jahrhundert nach Christi Geburt und damit keinesfalls aus der Lebenszeit Petri stammt - im Besitz des Vatikans. Diesen Gegenstand höchster Verehrung, Symbol des Oberhirtenamtes des Papstes in Eigenschaft eines Bischofs von Rom und der gesamten katholischen Ökumene, barg Jahrhunderte hindurch die Schatzkammer von St. Peter. Am 3. März 1656 aber beschloß Alexander VII., der „Kathedra“ jenen Platz ein126

pRANgOIS D u q u esn o y

G ia n L o r e n z o B e r n in i

Die Statue des heiligen Andreas

Die Statue des heiligen Longinus

G ia n L o r e n z o B e r n in i

Die Statue des heiligen Augustinus auf dem Kirchenstuhl Petri

zuräumen, der ihr von rechtswegen zukam, und ließ sie in die Apsis der neuen Basilika schaffen; dort wurde der Thronsessel, an dessen praktische Verwen­ dung Alexander freilich nicht mehr dachte, mit einem eigenen Monument umbaut, das die Funktion eines großen Reliquienschreins erfüllte, und den Gläubigen zur Verehrung freigegeben. Die Aufgabe, dem Stuhl Petri einen würdigen Rahmen zu geben, wurde wieder Bernini zuteil, der nach einigen Vorversuchen, Entwürfen und Plänen zu einer dem vorwiegend kultischen Zweck entsprechenden symbolreichen Lösung fand. Vom eigentlidien Wesen der alten „Kathedra Petri“ ausgehend, materiali­ sierte er ihren symbolischen Wert in einem gigantischen, die Apsis fast zur Gänze erfüllenden Thron aus Marmor, Bronze und vergoldeter Stukkatur, den er von den Figuren der vier Kirchenväter stützen ließ. Ffinter der „Kathedra“, rings um ein großes, ovales Glasfenster, das die Darstellung des Heiligen Geistes in Taubengestalt trägt, schuf Bernini einen riesigen Kranz goldener Strahlen und darin einen Schwarm Engel, die ins Kircheninnere herabzusteigen scheinen. Mit einer Flut blendenden, goldenen Lichts um­ strahlt die „Gloria“, einem Heiligenschein gleidi, die „Kathedra“ und ver­ leiht dieser das Überirdische einer himmlischen Erscheinung, deren Anblick im Betrachter das Gefühl visionärer Ekstase erreicht. Um dieses im edelsten Sinn des Wortes verstandene Schauspiel mit einer würdigen Ouverture einzuleiten, hatte Bernini bereits zwischen 1645 und 1648 für die Erneuerung der Pfeilerdekorationen im Langhaus gesorgt und die Pilaster mit Intarsien aus buntem Marmor und weiß marmornen Relief­ darstellungen von Emblemen, Putten und Porträtmedaillons von Päpsten verkleidet; desgleichen hatte er eine Ornamentik für den Fußboden entwor­ fen, eine perspektivische Marmorstraße zur Apsis, deren Ausgangszone, ein Porphyrrondeau, ursprünglich vor dem Hochaltar jene Stelle bezeichnete, wo Karl der Große in der Christnacht des Jahres 800 niedergekniet war, um von Leo III. gekrönt zu werden. Bedenken wir, daß Bernini nicht allein die großen plastischen Dekoratio­ nen in St. Peter schuf, sondern auch die Grabmäler Urban VIII., Alexan­ der VII. und der Markgräfin Mathilde von Toskana, Burgherrin von Canossa, letzteres Monument unter Mitarbeit von Gehilfen und Schülern zwischen 1633 und 1637, daß ferner der Altarüberbau in der Sakraments­ kapelle auf Berninis Entwurf zurückgeht, den 1673/74 vornehmlich seine Mitarbeiter ausführten, und daß auch das städtebauliche Gesamtkonzept des Platzes vor der Basilika, ebenso wie die Scala Regia und das Reiterstandbild Konstantins Werk desselben Meisters sind, dann erkennen wir, daß sein Genie dem Formenschatz von St. Peter unverlöschlich und unverkennbar den Stempel aufdrückte. Und ohne Übertreibung können wir behaupten, daß das berühmteste Bauwerk der katholischen Welt nicht minder Schöpfung des Bernini als des Michelangelo ist. 128 G ia n L o r e n z o B e r n in i K athedra P etri und G loria

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Grabmal Urban V ili,

Bereits 1628 und damit in den ersten Jahren seines Pontifikats hatte Papst Urban VIII. Bernini mit dem Entwurf eines Grabmals beauftragt, das ihm zur letzten Ruhestätte dienen sollte. Den Anstoß zu dieser reichlich verfrüh­ ten Bestellung gab eine Generalsanierung der diversen päpstlichen Grabstät­ ten in St. Peter, die auch zu einer teilweisen Veränderung der Raumordnung führte. Als Standort seines eigenen Grabmals wählte Berninis illustrer Mäzen eine der beiden großen Nischen in der Apsis des Domes, wo das Monument ein Gegenstück zum Grabmal Paul III. in der gegenüberliegenden Nische bilden sollte, das Guglielmo della Porta zwischen 1549 und 1575 geschaffen hatte. Das Monument von della Porta, das ursprünglich als selbständige, isolierte Skulptur gedacht war, entstand aus freier Abwandlung des kom­ positorischen Schemas der Mediceergräber Michelangelos in San Lorenzo in Florenz, mit der auf einem hohen Sockel sitzenden Gestalt des Verewigten und zwei allegorischen Figuren, die sich, etwas unterhalb, auf den Sarkophag stützen. Dasselbe Schema übernahm auch Bernini, doch setzte er es in typisch barocke Formen um und erfüllte es mit einer Bewegtheit, einem Reichtum an koloristischen Effekten und einem Überschwang des Gefühls, über die das Vorbild nicht verfügt. Als erster hatte Bernini die Marmordekorationen der Nische ausgeführt und sich hierauf der großen Bronzestatue des Papstes zugewandt, die er zwischen 1628 und 1631 vollenden konnte. Schon vorher hatte der Bild­ hauer einige Porträtplastiken Urban VIII. geschaffen, die bedingten, daß er sich eingehend mit Persönlichkeit und Psyche seines illustren Modells be­ schäftigte; die Porträtstatue des Grabmals aber sollte mehr sein als das bloße Abbild eines Menschen; gereinigt vom allzu Persönlichen, allzu Irdischen gehorchte sie dem Anliegen des Künstlers, das Papsttum schlechthin zu ver­ körpern: die Tiara auf dem Haupt, gänzlich verhüllt von den schweren Faltenwürfen der liturgischen Gewänder, die der thronenden Gestalt die Majestät eines Imperators verleihen, ist Urban VIII. Sinnbild der Nachfolge Petri und dennoch menschlich im Ausdruck seines Antlitzes, dessen Schwer­ mut Todesahnen zeichnet. Acht Jahre waren seit dem Guß der Bronzeplastik vergangen, als Bernini 1639 die Arbeiten an der Monumentalkomposition fortsetzte, um sie erst 1647 - nach dem Tode Urbans, der 1644 gestorben war - zu vollenden. Innerhalb dieser Zeitspanne schuf er die Figur des „Todes“, der, einer Urne entsteigend, mit goldenen Lettern den Namen des Papstes auf eine Tafel schreibt. Gleichzeitig bereichert Bernini die Komposition um Allegorien der vornehmsten Tugenden des Verstorbenen, „Barmherzigkeit“ und „Gerechtig­ keit“, Skulpturen aus weißem Marmor, die Sinnbilder überschäumender Lebensfreude scheinen und einen entschiedenen Gegensatz zur Statue des 130

G u g l ie l m o

d el la

P o r t a G rabm al Paul III.

Papstes und der Gestalt des Todes bilden. Dieser Kontrast zwischen Vergäng­ lichkeit und irdischer Daseinsfreude ist gleichzeitig das Zentralthema der Monumentalkomposition, ein Leitmotiv, das auch in der Gegensätzlichkeit der Materialien - weißem und buntem Marmor und Bronze —sowie deren unterschiedlichem Kolorit und Oberflächenreflexen zum Ausdruck kommt. Im Dienste der Aussage steht selbst das Detail, der illusionistische Natura­ lismus der Dekorationsmotive und der Embleme, wie der Bienen der päpst­ lichen Familie der Barberini. 131

G ia n L o r e n z o B e r n in i Grabmal Urban V ili. Die Bronzestatue des Papstes entstand in den Jahren 1628/31. Die Monumentalkomposition wurde zwischen 1639/47 voll­ endet.

Mit diesem viel bewunderten Monument begründete Bernini ein Komposi­ tionsschema, das Schule machte und von vielen seiner Zeitgenossen imitiert wurde, so bereits von Algardi, der es dem benachbarten Grabmal Leo XI. zugrunde legte. Als Bernini viele Jahre später Alexander VII. ein Grabmal setzte, kehrte er zu jener Formel zurück. Die Bewunderung, die man dem Bildhauer für sein Monument zollte, fand vielfachen Niederschlag im zeitgenössischen Schrifttum. So meinte Baldinucci in seiner Bernini-Biographie („Vita“), das Grabmal Urban VIII. allein schon sei eine Romreise wert; „Dies große Wunder der Kunst. . . vereint solch erlesene Eigenschaften in sich, daß nur, um es zu schauen, ein jeglicher Erden­ bürger hinziehen mag nadi Rom und gewiß sein kann, seine Zeit nicht minder als sein Geld und seine Ausdauer aufs trefflichste zu nützen.“ Selbst Urbans Nachfolger, Papst Innozenz X., der für Bernini nur wenig Sympathie empfand, rang sich angesichts des eben erst vollendeten und ent­ hüllten Grabmals zu der Erkenntnis durch, der Künstler sei „ein großer und seltener Mensch“. G ian Lorenzo Bernini G r a b m a l A le x a n d e r V I I .

Das erste Grabmal, das Bernini schuf, nämlich das Monument für Urban VIII., diente ihm bekanntlich zur Entwicklung eines Schemas, das er auch anwandte, als er Alexander VII. eine letzte Ruhestätte im linken Flügel des Quer­ schiffs von St. Peter gestaltete. Auch dieses Monument war einem direkten päpstlichen Auftrag zu verdanken, der demnach vor 1667, dem Sterbejahr Alexanders, ergangen sein mußte, doch machte sich Bernini erst im Dezember 1671 an die Arbeit. Dem ersten Entwurf folgte im Januar 1672 ein zweiter, diesmal kleineren Formats. Mit diesen beiden Entwürfen war Berninis persönliche Initiative erschöpft. Was dann noch zu tun blieb, überließ er zur Gänze seinen Mitarbeitern; M. Maglia führte die Statue des „Papstes“ aus, G. Mazzuoli die Figur der „Barmherzigkeit“, L. Morelli jene der „Wahrheit“, G. Baratta jene der „Klugheit“, G. Cartari gestaltete die Allegorie der „Gerechtigkeit“, L. Lucenti besorgte den Bronzeguß des „Todes“ und weitere Mitarbeiter nahmen sich der Dekorationen an. Unbeschadet des maßgeblichen Anteils der Gehilfen, die 1678 die Arbeiten abschließen konnten, trägt das Werk unverkennnbar den Stempel der Phantasie Berninis. Im Vergleich zum Grabmal Urban VIII. wird hier freilich ein gewisser Hang zum Theoretischen offenbar; noch be­ wußter als bei seinem ersten Werk führt Bernini Regie und folgt in der An­ ordnung der Figuren szenographischen Gesetzen; die vier Kardinaltugenden erscheinen an der Rampe und in der vorderen Mitte der imaginären Bühne, das Skelett des „Todes“, dessen Knochenhand die Wasseruhr der Zeit trägt. 133

G ia n L o r e n z o B e r n in i Grabmal Alexander VII.

A lessa n d r o A l g a r d i Die Vertreibung Attilas durch Leo den Großen

entsteigt gleichsam der tieferliegenden Pforte und lüftet den schweren Falten­ wurf aus buntem Marmor. Den Kontrast von dieser effektvoll in Szene ge­ setzten dramatischen Aktion bildet die friedvolle, gesammelte Pose des Papstes, der nicht mehr wie Urban VIII. einem Imperator gleich thront, son­ dern im Gebet versunken kniet. Der barocke Illusionismus, die Vorliebe für kunstvolle optische Täuschungen und tiefgründige Symbole, die sidi hinter scheinbar naturalistischen Abbildern der Natur verbergen, erreichen in diesem Werk einen Höhepunkt, der dem Grotesken gefährlich nahe liegt; der sze­ nische Apparat vermag freilich nicht darüber hinwegzutäuschen, daß dem Ausdruck der Figuren, und selbst Mimik und Gestik der päpstlichen Porträt­ skulptur, eine gewisse Schwäche eigen ist, da sie allzu sehr im Rahmen der Tradition verharren. Dennoch vermögen diese Mängel kaum die unmittelbare suggestive Wirkung abzuschwächen, die Berninis barockes Mysterienspiel aus Bronze und Marmor entfaltet. A lessandro A lgardi D ie V e rtre ib u n g A tt il a s durch L eo d e n G r o ß e n

Der einzige italienische Bildhauer des Hochbarock, der sich eine relative Un­ abhängigkeit von Bernini bewahren konnte, war der 1602 in Bologna ge­ borene Alessandro Algardi. In seiner Vaterstadt von Ludovico Carracci herangebildet, folgte er 1630 einer Einladung von Kardinal Ludovisi nach Rom, wo er in dem aus Brüssel stammenden Fran9ois Duquesnoy, von den Italienern der Einfachheit halber „il Fiammingo“ - der Flame - genannt, einer verwandten Seele begegnete. Der um acht Jahre ältere „Flame“ hatte sich als Schüler und Freund des Wahlrömers Poussin zum Gegenspieler des Universalgenies Bernini entwickelt. Den Tendenzen des Flamen schloß sich Algardi an. Gemeinsam vertraten sie die klassizistische Richtung in der Bild­ hauerei und wandten sich damit entschieden gegen den hochbarocken Schwulst, Prunk und Überschwang. Solange mit Innozenz X. (1644-1654) ein ent­ schiedener Gegner des Bernini auf dem Papstthron saß, war sich Algardi seines Erfolges sicher. In dieser Zeit auch erhielt er den Auftrag, die große Reliefaltartafel von der „Vertreibung Attilas“ zu schaffen. Ungeachtet der Dramatik des Motivs, schuf der Künstler eine Relief­ komposition von besonderer Harmonie und Ausgewogenheit, wobei er sich von einem Werk Raffaels zum selben Thema inspirieren ließ, das der Meister und seine Gehilfen ein Jahrhundert zuvor in der „Stanza delP Incendio di Borgo“ gemalt hatten. Wie immer so auch hier, schenkte Algardi der Cha­ rakteristik der Personen, der Wiedergabe ihres Ausdrucks und ihrer Stim­ mungen besondere Beachtung, und es ist bezeichnend für seine Kunst, daß das kaum in eine zweite Schicht vorgearbeitete Flachrelief mit seiner Viel­ falt von Helldunkelschattierungen und Lichteffekten der Malerei näher ver­ 136

wandt ist als der Skulptur. Der Kunsthistoriker Bellori, einer der unbeirrbar­ sten Bewunderer von Algardi, erläuterte in seinen Künstlerbiographien, den „Vite“, das Attilafresko mit folgenden Worten: „Mit unermüdlichem Fleiße erforsdite dieser Bildhauer den menschlichen Körper, den Faltenwurf, die Regungen seiner eigenen Phantasie, die er sich gefügig machte, auf daß sie ihm Ausdruck und Lebendigkeit der schönsten Bewegungen und Posen vor Augen führe und er sie in seinem großen Werk verewigen könne. Groß auch ist seine Meisterschaft in der sicheren Behandlung des Marmors, in dessen Tiefen er vordringt, um Verborgenes bloßzulegen, nicht anders als der Chir­ urg mit dem Skalpell..." Obgleich Algardi sein Relief bereits 1646 begonnen hatte und ihm in E. Ferrata, G. Peroni und D. Guidi wertvolle Helfer zur Verfügung standen, konnte der Meister das Werk erst im Jahre seines Todes 1653 vollenden. D ie T aufkapelle

Zur Erläuterung der architektonischen Dekoration der Peterskirche scheint uns kaum ein zweites Detail geeigneter als jene Kapelle, die sich unmittelbar hinter dem Eingang der Basilika zur Linken öffnet, nämlich die sogenannte Taufkapelle. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert ausgestaltet, ver­ deutlicht die Kapelle die Vorliebe jener Zeit für die überreiche Verwendung bunten Marmors, der wirkungsvoll die noch aus der Renaissance stammen­ den baulichen Strukturen unterstreicht: das aus der Kuppel einfallende Licht zerstiebt in goldene Sonnenstäubchen und zaubert flüchtige Effekte an die marmornen Wände, wodurch der Innenraum szenisch belebt wird. Die Hinterwand schmückt eine 1722 ausgeführte Mosaikkopie der berühm­ ten „Taufe Christi“, die Carlo Maratta nur wenige Jahre zuvor für diese Kapelle geschaffen hatte. Als Taufbecken dient eine kostbare Porphyrurne aus dem 4. Jahrhundert, die ursprünglich die Asche des Präfekten von Rom Anicius Sextus Probus in sich barg und später die Gebeine von Kaiser Otto II. aufnehmen sollte. Nach 1692 vervollständigte der Bernini-Schüler Carlo Fontana die Urne mit Sockel und Deckel aus vergoldeter Bronze und schuf damit jenes Taufbedten, das, von einer Darstellung des Gotteslammes gekrönt, zu den typischen Beispielen der römischen Dekorationsplastik des späten Hodibarock zählt. Byzantinische K unst des 6. Jahrhunderts D a s K r e u z J u stin ia n I L

Das ein Fragment des „Wahren Kreuzes“ bergende Reliquiar ist eine der ältesten Kostbarkeiten des „Heiltumschatzes“ von St. Peter und zählt zu den 137

Das Kreuz Justinian IL

Rückenansicht des Kreuzes Justinian 11.

wenigen Kleinodien, die wie durch ein Wunder den zahllosen Plünderungen, denen die geistliche Schatzkammer des Vatikans durch die Jahrhunderte aus­ gesetzt war, entgingen. Wie die seitlich eingravierte Inschrift bezeugt, wurde das Kreuz vom ost­ römischen Kaiser Justinian IL von Byzanz und seiner Gemahlin Sophie im Jahre 570 zum Schmuck des Grabes Petri gestiftet. Mit kostbaren Steinen und ursprünglich auch einer aus sechzehn großen Perlen bestehenden Krone verziert, weist das Kreuz an der Vorderseite fünf getriebene feuervergoldete Silbermedaillen auf, die Darstellungen von „Gott­ vater“, „Christus“, dem „Lamm Gottes“ und Miniaturporträts des „Kaisers“ und der „Kaiserin“ enthalten. Das vermutlich in Byzanz geschaffene Meisterwerk einer in spätantiker Nachfolge blühenden Goldschmiedekunst entspricht in seiner intensiven Bunt­ heit, in der üppigen und überladenen Ornamentik - deren lineare Elemente einen deutlichen, selbst die menschliche Gestalt erfassenden Hang zur Ab­ straktion aufweisen - und in der Kostbarkeit der Materialien gänzlich dem ästhetischen Empfinden des Orients. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Kreuzreliquiar zum Objekt besonderer Verehrung, wie es auch heute noch jeden Karfreitag in feierlicher Prozession durch die Peterskirche getragen wird. 139

Christus-Helios

G rotten von St. Peter

R ömische Kunst des 3. J ahrhunderts C h r is tu s -H e lio s

Die in unserer Zeit ausgeführten Ausgrabungsarbeiten in den Katakomben und Gräberfeldern unter dem Vatikan haben die älteste bis heute bekannte Christusdarstellung ans Licht gebracht; aller Wahrsdieinlichkeit nach ent­ stand sie etwa hundert Jahre vor der öffentlichen Anerkennung des Christen­ tums durch Konstantins Toleranzedikt im Jahre 313. Wände und Gewölbe des Familiengrabes der Julii zieren Mosaiken, deren stilistische Merkmale eindeutig in die Anfänge des 3. Jahrhunderts weisen. Die Bildwerke zeigen den Propheten Jonas, der dem Maul des Walfisches entsteigt, den „Guten Hirten“ und im Zenit des Gewölbes eine Darstellung Christi, der auf einem von kraftvollen Pferden gezogenen Wagen gen Him­ mel fährt, das Haupt von einem sonnenartigen Strahlenschein umgeben. Diese Interpretation der Christusgestalt leitet sich eindeutig von der über­ lieferten Darstellung Apolls auf dem Sonnenwagen ab; und auch der natu­ ralistische Stil der Figur und der Pferde, ferner das Ornamentalmotiv aus Weinrankenarabesken auf Goldgrund, weisen das Mosaik als direkten Ab­ kömmling antiker Kunsttradition aus. Die Verschmelzung der Bilder des Er­ lösers und des Apollo-Helios ist überaus bezeichnend und beweist einmal mehr, daß die ersten Christen ihre figuralen Themen aus der heidnischen Vorstellungswelt bezogen, um sie mit neuer symbolischer Bedeutung und neuen spirituellen Werten zu erfüllen. Ein analoges Beispiel hierfür liefern die Darstellungen Christi als „Guten Hirten“, der ein Lamm auf der Schulter trägt, denn auch diese basieren, obgleich sie authentisch christlich scheinen, auf einem in der hellenistischen Skulptur häufigen Thema des Orpheus-Mythos. 141

R ö m is c h e K u n s t

des

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4 J a h r h u n d e r t s S arkoph ag des Junius Bassus

Im Jahre 1595 stießen Arbeiter bei der Renovierung der an das Grab Petri anschließenden Krypta, der sogenannten „Confessio“, auf einen römischen Marmorsarkophag, der ursprünglich die sterbliche Hülle des Patriziers Junius Bassus geborgen hatte. Dieser war als Präfekt der Stadt Rom 357 im Alter von erst 42 Jahren verstorben. Wie die Inschrift verrät, war Junius Bassus „Neophyt“, was bedeutet, daß er sich erst kurz vor seinem Tode zum Christen­ tum bekehrt hatte. Sein Sarkophag gilt mit Recht als eines der erlesensten Meisterwerke der frühchristlichen Kunst in Rom. Die eminente kulturhisto­ rische Bedeutung des Sarkophags erhellt in erster Linie aus dem Motivschatz seiner Reliefs, die bereits Themen aus dem Alten und dem Neuen Testament aufweisen: am Oberteil finden sich „Abrahams Opfer“, die „Festnahme Petri“,

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Giotto Medaillon mit Engelsfigur

„Jesus Christus zwischen Petrus und Paulus“, „Jesus wird vor Gericht ge­ führt“, „Pilatus wäscht seine Hände“; die Reliefs am Unterteil des Sarko­ phags hingegen zeigen „Job auf dem Misthaufen“, „Adam und Eva nach dem Sündenfall“, „Jesu Einzug in Jerusalem“, „Daniel in der Löwengrube“ und die „Festnahme Pauli“. Den Zyklus religiöser Darstellungen vervoll­ ständigen, von Ornamenten unterbrochen, sich wiederholende Bilder des „Lamm Gottes“. Nicht minder bedeutend ist der Sarkophag auch vom rein künstlerischen Standpunkt betrachtet: hier ist das Erbe der hellenistischen Klassik immer noch lebendig und aktuell. Bereits die Anordnung der zehn Szenen in einem architekturplastischen Rahmen, der eine zweifache Säulen­ halle imitiert und intensive Helldunkeleffekte aufweist, zeichnet sich durch 143

eine kraftvolle naturalistische Note aus; diese wird durch die fast vollpla­ stische Gestaltung der Figuren des Hochreliefs zusätzlich betont. In einzelnen Figuren wird die Anlehnung an die Antike besonders offenkundig: Daniel in der Löwengrube gleicht den Ehrenstatuen der antiken Redner, Job auf dem Misthaufen den Porträtplastiken der Philosophen, die Frau des Patri­ archen, die sich einen Bausch des Gewandes vor Mund und Nase hält, ge­ mahnt an die archaischen Mädchenfiguren Griechenlands, die Koren, Adam und Eva scheinen Götter vom Olymp, und die kleinen Säulen zwischen den einzelnen Szenen sind, wie man bei genauer Betrachtung feststellt, mit Moti­ ven aus dem Dionysoskult geschmückt. Zweifellos beherrschte, wer diesen Sarkophag schuf, das Repertoire der Antike, doch erfüllte er die übernom­ menen Formen und Motive mit einem neuen, idealeren Gedankengut: die „klassische“ Gestalt Jesu, der als noch bartloser Jüngling dargestellt wird, überreicht vom Throne herab Petrus und Paulus die Schriftrollen des Gött­ lichen Gesetzes, während er eine Figur - Jupiter oder Kosmos - mit Füßen tritt, um mit dieser Handlung den Triumph des christlichen Glaubens über das Heidentum zu versinnbildlichen. Der feierliche Ernst der biblischen Patriarchen und der ersten Heiligen, hier unmittelbar vor dem Martyrium dargestellt, bringt bereits das Wissen um jene göttliche Gnade zum Aus­ druck, deren nur teilhaftig werden kann, wer heroischen Opfermut beweist. Schon hat das Pfropfreis christlicher Spiritualität Wurzeln im tausendjäh­ rigen Stamm der griechisch-römischen Kultur geschlagen; uns Heutigen, die wir ergriffen vor dem Marmorsarkophag des Junius Bassus stehen, ist dieses erlesene Werk Verstofflichung gleichermaßen der Abenddämmerung der an­ tiken Welt und des Morgenrots jener Kultur, der auch wir angehören. Giotto M e d a illo n m it E n gelsfigu r

Dieses Medaillon und ein zweites, das sich heute in der kleinen Kirche San Pietro Ispano in Boville Ernica, einem Dorf unweit von Prosinone, befindet, sind die einzigen erhaltenen Fragmente des großen Mosaiks der „Navicella“, zu dem sich Giotto von der Episode inspirieren ließ, die uns der Evangelist Matthäus (XIV) überliefert: Jesus besänftigt den Sturm auf dem See von Genezareth, rettet das Schiff der Apostel, und heißt Petrus, auf dem Wasser zu ihm zu kommen. Das Mosaik, Werk des Giotto und seiner Schüler, ent­ stand um 1310 im Auftrag des Kardinals Stefaneschi und schmückte die Innenfassade des Atriums, das Teil des Säulenhofes vor der alten vatika­ nischen Basilika war; in späterer Zeit wurde das Mosaik von dieser Wand abgenommen und 1610 in der Vorhalle angebracht, die Carlo Maderno der Basilika des Michelangelo hinzufügte. Freilich ging dies nicht ohne tiefgrei­ fende Veränderungen des Originals vor sich. 144

Das abgebildete Medaillon und sein Pendant, ursprünglich wohl Teile des Ornamentalfrieses, das dem Mosaik der „Navicella“ als Rahmen diente, geht auf einen Entwurf Giottos zurück, dessen Konzept von den Mitarbei­ tern des Meisters so getreulich in die Mosaiktechnik übertragen wurde, daß die Intensität des Ausdrucks und die monumentale Plastizität der Volumina, wie sie Giottos Kunst zur Zeit der Vollreife nach der Schöpfung des Fresken­ zyklus in der Scrovegni-Kapelle zu Padua auszeichneten, erhalten blieben. Haften auch den Engelsfiguren noch Reminiszenzen an byzantinische und selbst antike Vorbilder an, so wird doch in diesen Bildwerken bereits ein völlig neues Kunstempfinden offenbar, vollzieht sich im Erfassen des Indi­ vidualcharakters der Figuren ein erster Brückenschlag zur Renaissance.

A n t o n io

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P o l l a jo l o

G r a b m a l S ix tu s I V .

Kein Geringerer als Kardinal Giuliano della Rovere, Neffe von Sixtus IV. und seinerseits später Papst mit dem Namen Julius II., beauftragte Antonio del Pollajolo, seinem Oheim ein Grabmal zu setzen. Die Geschichte dieses Monuments vereint deshalb auf ideale Weise zwei der größten Fürsten der Kirche Roms, vereint sie nicht nur vermittels äußerer Umstände, der Verehrung des Neffen für den Onkel, sondern vielmehr in einer Geisteshaltung, die ihren sichtbaren Ausdruck im Kunstwerk des Pol­ lajolo findet. In der Tat hatte sich der Kardinal nicht auf die Erteilung des Auftrags beschränkt, sondern dem Künstler konkrete Anleitungen zur Ausführung eines Werkes gegeben, das einerseits wohl eine bewährte Tradition von Grab­ monumenten fortsetzt - die auf einem allegoriengeschmückten Postament ruhende Porträtstatue des Verblichenen -, andererseits aber einem völlig neu­ artigen Gesamtkonzept der Darstellung folgt. Im Zeichen einer idealen Verschmelzung von weltlicher Kultur und Glau­ ben, humanistischem und christlichem Geist, umgeben hier die Figur des Papstes Allegorien der „Tugenden“ und die neun „Musen“, zu denen sich eine Personifikation der „Perspektive“ gesellt, ein Motiv, das äußerst bezeichnend für die zeitgenössische Kultur ist und als Allegorie des Grundprinzips der Ästhetik des 15. Jahrhunderts gewertet werden mag. Ein solcher Reigen sakraler und profaner Figuren könnte als Schmuck des Grabmals eines Oberhauptes der Kirche gewagt wirken, fände er sich nicht in der historischen Persönlichkeit Sixtus IV. und dem Geist seines Pontifikats gerechtfertigt. Pollajolo setzt den klassisch-humanistischen Idealismus in die pulsierende Lebensfülle seiner Flachreliefs um, in eine so überschäumende Vitalität, daß er jegliche Modelle antiker Ikonographie, die ihm ursprünglich zur Inspira145

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G rabm al Sixtus IV . A u ssd in itt

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P o l l a jo l o

Grabmal Sixtus IV. Ausschnitt:

Allegorie der Philosophie

F ra A n g e l ic o Sankt Laurentius empfängt die Schätze der Kirche

tion gedient haben mochten, weit hinter sich läßt. Den Reliefzyklus bekrönt die massive Porträtstatue des Papstes mit versonnener, gesammelter Physio­ gnomie, ein Schlafender eher denn ein Toter, ein Visionär, dessen Blick hin­ ter geschlossenen Lidern in die Ewigkeit taucht - ein realistisches Menschen­ bildnis, dessen Präsenz unmittelbar und fast beklemmend wirkt. Außergewöhnlich ist das Werk auch ob seiner technischen Vollendung: nur selten gelang es der Kunst des 15. Jahrhunderts, dem Bronzerelief eine so dichte und geschmeidige Plastizität und so reiche Lichteffekte abzugewinnen. Der Künstler war sich der Qualitäten seines Werkes wohl bewußt und brachte dies in jener Inschrift zum Ausdrude, mit der er seine Signatur er­ gänzte; es sei dies, gibt er kund, ein „Werk des Antonio (del) Pollajolo aus Florenz, hervorragend in Silber, Gold, Malerei und Bronze; im Jahre des Herrn 1493“: OPUS . ANTONI . POLAIOLI // FLORENTINI . ARG. AURO. PICT. AERE . CLARI // AN. DO. MCCCCLXXXXIII -.

Im Jahre seiner Fertigstellung 1493 in der Kapelle Sixtus IV. in St. Peter untergebracht, wurde das Monument zu Anfang des 17. Jahrhunderts zu­ nächst in die Alte Sakristei überführt und hierauf in die Sakramentskapelle gebracht. Erst in jüngerer Zeit fand es seine Bleibe in den Grotten von St. Peter. Fra A ngelico S a n k t L a u re n tiu s e m p fä n g t d ie S c h ä tze d e r K irch e Z u den bedeutendsten Werken, die im Vatikan auf Initiative des großen Papstes und Humanisten Nikolaus V. geschaffen wurden, zählt zweifellos der Bildschmuck jener Kapelle, deren Raum durch Ausbauten im Obergeschoß des unter Innozenz III. aufgeführten Turmes gewonnen und 1278 in die neue, von Nikolaus III. errichtete päpstliche Residenz einbezogen wurde. Schon zur Zeit dieses Papstes erfuhr der Innenraum seine Umgestaltung zur Kapelle und erhielt einen Freskenschmuck, der später den von Fra Angelico zwischen 1447 und 1449 geschaffenen Dekorationen, an denen auch Schüler des Meisters wie der junge Benozzo Gozzoli mitarbeiteten, weichen mußte. Die Fresken stellen Episoden aus dem Leben der beiden heiligen Diakone Laurentius und Stefanus dar und bezeichnen einen der Höhepunkte im male­ rischen Schaffen des Meisters: die außerordentliche Leuchtkraft der Farbe, die, kürzlich restauriert, heute wieder in der ursprünglichen Zartheit ihrer Hell­ blau, Rosa, Grün und Weiß erstrahlt, die reiche Ornamentik der klassizistisch empfundenen architektonischen Perspektiven, die den Rahmen für die Epi­ soden aus dem Leben der Heiligen abgeben, der lebhafte und häufig natu­ ralistische Erzählton des Dominikanermönchs, stehen keineswegs im Gegen­ satz zu jenen hohen Idealen, denen der fromme Künstler bis dahin unablässig

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F r a A n g e l ic o D ie P redigt des heiligen Stephanus

nachstrebte und die ihn zu den berühmten Fresken in den Zellen des Klosters von San Marco in Florenz und seinen zahlreichen Altartafeln inspirierten. Berufen, die Heimstatt der Nachfolger Petri auszuschmücken, mochte der Klosterbruder diesen Auftrag als Verpflichtung zu einer erhabeneren und monumentaleren Stilistik empfunden haben, die überdies eher im Einklang mit jener neuen Kultur stand, deren angesehener Vertreter Nikolaus V. war. 149

P i N T U R ic c H io D a s A p p a r te m e n t B o rg ia

In Papst Alexander VI. Borgia verkörperte sich die Renaissance nicht allein in ihren negativsten Aspekten. Zur Sinnenfreude, die bei Alexander in die Zügellosigkeit des Wüstlings ausartete, zum Autoritätsbewußtsein, das bei ihm Skrupellosigkeit und blutrünstige Grausamkeit wurde, fügte er als einer der großen Mäzene seiner Zeit auch die Liebe zu den Schönen Künsten. Über sein Kunstverständnis freilich ließe sich streiten. Alexander besaß einen ver­ hängnisvollen Hang zur Prunkentfaltung, was wohl seinem Wesen entsprach, nicht aber dem edlen Geschmack der Frührenaissance, die nach einfachen, klaren Formen strebte. So ist es nur bezeichnend, wenn die Wahl Alexanders,

D er D ispu t der heiligen K atharina m it den Philosophen

P iN T U R ic c H io

Teilansicht des Saales der Heiligen im Appartement Borgia

der nach einem Dekorateur für seine neuen Appartements im Vatikan suchte, auf Bernardino di Betto, genannt „il Pinturicchio“ fiel, der sich als Mit­ arbeiter von Pietro Perugino bereits um die Fresken in der Sixtina verdient gemacht hatte. In seiner Malerei bevorzugte er eine lebhafte, farbenfreudige Darstellung des Episodischen, eine Überfülle von Details und anekdotischer Schnörkel, und ein Schwelgen in prunkvoller Ornamentik. Die Formen­ sprache der Renaissance wurde von ihm in eine oberflächliche Sensibilität übersetzt, in der auch bereits überholte ästhetische Tendenzen zu neuem Leben erwachten, nämlich das gesamte Vokabular der höfischen Kunst der Spätgotik. Gerade diese altertümelnde, verschnörkelte Sprache aber hatte es dem spanischen Papst und seinen zwielichtigen Hausgenossen angetan. Pinturicchio hatte den Vatikan bereits verlassen und arbeitete in Orvieto, als er 1492 von Alexander nach Rom zurückbeordert wurde. Und dann 151

brauchte es keine zwei Jahre, ehe er sämtlidie Räume des Appartements aus­ gestattet hatte, wobei ihm nur wenige Mitarbeiter behilflich waren. Den „Mysteriensaal“, der auch der „Saal der Madonna“ genannt wird, schmückte er mit Darstellungen aus dem Neuen Testament, während der „Saal der Heiligen“ Episoden aus den Leben der heiligen Katherina von Alexandrien, Paulus des Eremiten, Antonius des Abtes, Barbara, Anna, Sebastian und der keuschen Susanne zeigt. Im „Saal der Künste“ gestaltete Pinturicchio Allegorien der Rhetorik, der Geometrie, der Arithmetik, der Musik, der Astrologie, der Grammatik und der Dialektik. Im letzten Ge­ mach, dem „Saal der Sibyllen“, füllen die Lünetten Fresken mit Darstellun­ gen jener Sibyllen und Propheten, die Christi Geburt vorhersagten. Motivlich mag Pinturicchio hier als ein Vorläufer des Michelangelo gelten, der dasselbe ikonographische Thema in den Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle ab­ wandelte. Das hier abgebildete Fresko, „Der Disput der heiligen Katharina mit den Philosophen“, zählt zu den bezeichnendsten Werken des Pinturicchio. Es zeichnet sich durch Erzählfreude, eine besonders lebhafte Palette und minu­ tiöse Detailmalerei aus, die an die gotischen Miniaturen gemahnt. Der Künstler fand offensichtlichen Gefallen daran, den Personen der Handlung die Züge illustrer Zeitgenossen zu verleihen. Der Kaiser auf dem Thron gleicht dem berühmt-berüchtigten Sohn Alexanders, Cesare Borgia, während man in der heiligen Katharina unschwer Lucrezia Borgia, Cesares Schwester, erkennt. Die übrigen Figuren sind Porträts des Herrschers von Byzanz, Andreas Paleologus, der, zur Linken stehend, den Blick auf den Betrachter heftet, des Architekten Antonio da Sangallo d. Ä., der sich etwas im Hintergrund hält, ein Winkelmaß in der Hand, und schließlich des Künst­ lers selbst, während der Orientale mit dem Turban in der rechten Bildhälfte ein Bildnis des Fürsten Jem ist, des Bruders des Sultans Bajazet IL, den der Papst im Vatikan gefangen hielt. Die extravagante Mischung realer und phantastischer Elemente wird in der Hintergrundlandschaft durch eine Ab­ bildung des Konstantinsbogens vervollständigt. Nicht minder absonderlich und phantastisch muten die Deckenfresken im „Saal der Heiligen“ an: zwischen den heraldischen Insignien der Borgia und einem wahren Dickicht von Ornamenten verbergen sich kleine Szenen mit Darstellungen der ägyptischen Kulte der Isis, des Osiris und des ApsisStieres.

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Die Sixtinische Kapelle

Die Sixtinische Kapelle wurde, wie bereits in der Einleitung erwähnt, um 1475 auf Wunsch Sixtus IV. aus dem Haus della Rovere erbaut, der sie der Jungfrau Maria weihte. Das Bauwerk selbst wird Baccio Pontelli zugeschrie­ ben, der unter der Aufsicht des damaligen päpstlichen Beauftragten für Bau­ ten und Technik, Giovannino de’ Dolci arbeitete. Schon kurz nach ihrer Fertigstellung wurde die Kapelle zur Gänze mit Fresken dekoriert. Bereits 1481 berief der Papst zu diesem Zwecke vier der berühmtesten zeitgenössischen Künstler aus Florenz nach Rom: Cosimo Ros­ selli, Sandro Botticelli, Domenico Ghirlandaio und Pietro Perugino. Am 27. Oktober desselben Jahres schlossen die vier Genannten mit dem päpst­ lichen „Kommissar" de’ Dolci eine Art Vertrag, kraft dessen sie sich verpflich­ teten, die Dekorationsarbeiten bis zum 15. März 1482 durdizuführen, die Höhe der Honorare sollte erst aufgrund eines Expertengutachtens über die von den Künstlern geforderten Arbeitsproben - je ein Fresko - festgesetzt werden. Da den Künstlern gestattet wurde, Mitarbeiter ihres Vertrauens heran­ zuziehen, und die äußerst knappe Frist von viereinhalb Monaten, innerhalb welcher die Gesamtdekoration der Kapelle beendet sein mußte, auch keine andere Wahl ließ, rief man Luca Signorelli, Bartolomeo della Gatta, Bene­ detto Ghirlandaio, Piero di Cosimo und Pinturicchio zu Hilfe, desgleichen Fra’ Diamante, der jedoch nur einige der päpstlichen Porträts unterhalb der Deckenwölbung schuf. Das ikonographische Programm der Gesamtdekoration - acht Episoden aus dem Leben Mosis an der Wand rechts des Altares und ebensoviele Szenen aus dem Leben Christi auf der gegenüberliegenden Seitenwand - sollte die Parallelen zwischen Altem und Neuem Testament aufzeigen und darüber hinaus die pastorale Autorität der beiden Hauptfiguren verherrlichen; unter Bezugnahme auch auf zeitgenössische Geschehnisse und das Pontifikat Six­ tus IV. wollte man letztlich den einzig legitimen Anspruch der katholischen 153

Kirche auf Übernahme und Ausübung dieser Autorität dokumentieren. Diesen Sinngehalt erläutern im übrigen lateinische „Tituli“ - Untertitel -, die unter den einzelnen Episoden geschrieben stehen. Der Doppelzyklus nahm seinen Ausgang ursprünglich von der Wand hinter dem Altar, mit „Moses Bergung aus dem Nil“ und „Christi Geburt“, Fresken von der Hand des Perugino, mit welchen er die ebenfalls von ihm geschaffene „Himmelfahrt Mariae“ rahmte. Bekanntlich wurden diese Fresken zerstört, als Michelangelo die Altarwand für sein „Jüngstes Gericht“ benötigte. Der Moses-Zyklus setzt sich mit folgenden Episoden entlang der Wand rechts des Altars fort: „Moses mit seinem Weib Sephora in Ägypten und die Beschneidung ihrer Söhne“ (Pinturicchio und Gehilfen); „Moses wirkt Wunder“ (Sandro Botti­ celli; vgl. den folgenden Artikel); der „Durchzug durchs Rote Meer“ (Co­ simo Rosselli); „Moses auf dem Berge Sinai, und der Tanz um das Goldene Kalb“ (Cosimo Rosselli); die „Bestrafung von Core, Dathan und Abiron“ (Sandro Botticelli); „Moses bestellt Josua zu seinem Nachfolger“ (Luca Signorelli und Bartolomeo della Gatta). Die Wand auf der Eingangsseite der Kapelle trug ursprünglich das letzte Fresko des Moseszyklus von der Hand des Signorelli, den „Streit zwischen Sankt Michael und den Teufeln um den Leichnam Moses“, ein Werk, das zunächst Francesco Salviati überarbeitete, und Hendrick van der Broeck (in Italien ob seiner flämischen Herkunft ein­ fach „Arrigo Fiammingo“ genannt) und Matteo da Lecce in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts völlig neu schufen, als die Stirnwand der Ka­ pelle durch den Einsturz eines Teiles des Gebälks erheblichen Schaden erlitten hatte. Die Wand links des Altars überzieht, in Fortsetzung der erwähnten, heute nicht mehr erhaltenen „Geburt Christi“, der Zyklus aus dem Leben Jesu mit folgenden Szenen: die „Taufe Christi“ (Pinturicchio); „Christus wirkt Wun­ der“ (Sandro Botticelli); die „Berufung der heiligen Petrus und Andreas“ (Domenico Ghirlandaio); die „Bergpredigt und die Heilung des Aussätzigen“ (Cosimo Rosselli und Piero di Cosimo); die „Übergabe der Schlüssel an den heiligen Petrus“ (Pietro Perugino) und das „Letzte Abendmahl“ (Cosimo Rosselli). Auch der Christus-Zyklus endet an der Eingangsseite der Kapelle, mit jener „Auferstehung“ des Ghirlandaio, die Arrigo Fiammingo und Matteo da Lecce in Nachempfindung des Originals neu entstehen ließen. Den hohen Sockel, der unterhalb der großen Fresken verläuft, deckt eine gemalte Brokat­ draperie mit Wappenschmuck und Ornamenten, die des öfteren den Namen Sixtus IV. enthalten. Obgleich im Zuge von Restaurierungen jüngeren Da­ tums fast zur Gänze neu gestaltet, ist noch heute die Originalität der Drape­ riendekoration offensichtlich. Seit dem 16. Jahrhundert hatte sich der Brauch eingebürgert, den Sockel der Wände bei besonders glanzvollen Feierlichkeiten mit Gobelins der „Geschichte Jesu“ zu verhängen, die nach Kartons von 155 < Interieur der Sixtinischen Kapelle mit dem „Jüngsten Gericht'' von Michelangelo

L u c a S ig n o r e l l i Moses liest die Gesetztafeln. Ausschnitt.

D o m e n ic o G h ir l a n d a io Die Berufung der heiligen Petrus und Andreas

Raffael gewebt worden waren. Diese Gobelins befinden sich heute in der Vati­ kanischen Pinakothek, während die Originalkartons im Besitz des Londoner Victoria-and-Albert-Museums sind. Den oberen Teil der Seitenwände - die Zwischenräume zwischen den Fen­ stern - schmücken Figuren der frühen Päpste, die heiliggesprochen wurden. (Ursprünglich setzte sich die Reihe der Päpste an der Wand hinter dem Altar fort, doch mußten auch sie Michelangelos „Jüngstem Gericht“ weichen.) In illusionistisch gemalte Nischen eingeschlossen, an denen sich die ornamen­ talen Motive der architektonischen Muster der Wände wiederholen, zeigen sich die Päpste im Schmuck ihrer festlichen Ornate und der Tiara. Neben Fra’ Diamante wirkten an der Schöpfung dieser Figuren alle jene Künstler mit, die auch für die beiden Freskenzyklen verantwortlich zeichneten, wobei sie die Durchführung zu einem großen Teil ihren Gehilfen überließen. Un­ beschadet des schlechten Erhaltungszustandes der Bildnisse läßt sich zumin­ dest an „Stefan I.“ „Sixtus II.“ und „Evaristus“ mit Sicherheit die Hand von Botticelli erkennen. Die Dekoration der Decke stammte ursprünglich von Pier Matteo d’Ame­ lia, der das Gewölbe zur Gänze mit einem Sternenhimmel überzogen hatte. Die künstlerische Ausstattung der Kapelle wird durch die eleganten „Mar­ morschranken“ vervollkommnet, die Hauptraum und Vorraum des Lang157

Hauses voneinander trennen. Die anmutig verzierten, reliefgeschmückten Pfei­ lerchen, die marmorne Nachbildungen von Kerzenleuchtern tragen, wieder­ holen die Ornamentik der Stützpfeiler an den Wänden. Das Ensemble stammt aus der Werkstatt des Mino da Fiesole, der auch den Entwurf für die Sängertribüne, die „Cantoria“, lieferte. Der Fußboden schließlich stellt eine Nachempfindung der traditionellen römischen Mosaikböden in polychromer Einlegearbeit mit geometrischem Muster dar. In ihrer Gesamtheit - wie wir die Sixtina noch heute zu sehen vermögen, sobald es uns gelingt, uns dem übermächtigen Eindruck der Fresken Michelangelos Augenblicke lang zu ent­ ziehen - ist die Sixtinische Kapelle eines der bezeichnendsten Beispiele für die toskanische Kunst des 15. Jahrhunderts. Schon in den ersten Jahren nach Fertigstellung der Dekorationen galt sie als eines der kostbarsten Kleinode des Vatikans, das bald nicht nur den Rahmen für besonders feierliche kirch­ liche Zeremonien bot, sondern auch für das prunkvolle Ritual der Papst­ wahl, des Konklave. Sandro Botticelli M oses w i r k t W u n d e r

Als Botticelli 1481 nach Rom kam, um an der Ausschmückung der Sixti­ nischen Kapelle mitzuwirken, stand der Achtunddreißigjährige im Voll­ besitz seiner schöpferischen Kräfte und seiner Ausdrucksmittel. Neben zahl­ reichen kleinformatigen Malereien - Madonnen mit dem Jesusknaben, Heiligenbildern und Porträts - hatte er audi Gemälde wie die beiden „An­ betungen der Könige“ in der Londoner Nationalgalerie und vor allem sein erstes absolutes Meisterwerk, die „Primavera“ der Uffizien, geschaffen, in der er, von der Lyrik eines Poliziano und den Gedanken eines Ficino inspiriert, nicht allein dem Frühling huldigen wollte, sondern dem neuen Geiste der „Humanitas“, der glückhaften Wiedergeburt der Antike. Obgleich in seinen Tafelbildern zu höchster poetischer Intensität gelangt, war es ihm bislang noch nicht vergönnt gewesen, seine Aussagekraft auch in umfassenderen Darstellungen, in großflächigen Gemälden und Fresken unter Beweis zu stellen. Immer noch waren Botticellis Bilder fast ausschließlich Objekte für private Kunstsammler, war seine Kunst nur einem kleinen Kreis humanistischer Schöngeister, Literaten, Künstler und Gelehrter bekannt. Der Auftrag, an der Dekoration der Sixtinischen Kapelle mitzuwirken, war des­ halb für Botticelli willkommene Gelegenheit, seine Kräfte nun auch an Größerem zu versuchen und jene Tendenz zur choreographischen Figuralkomposition, die erstmals in seiner „Primavera“ offenkundig geworden war, im weiten Rahmen einer Wanddekoration zu entfalten. Von den drei Szenen Botticellis in der Sixtina nähert sich sein wunder­ wirkender „Moses“ am stärksten dem Konzept der Primavera an; dort wird 158

S a n d r o B o t t ic e l l i Die Prüfungen Moses

die Episode zügig erzählt, die klaren, eleganten und rhythmisch geschwunge­ nen Linien der Profile, Gesten und Faltenwürfe verschmelzen ineinander, binden Figur an Figur, harmonische Gestalten, die sich, in helles, lebhaftes Kolorit getaucht, in morgendlicher Landschaft bewegen. In seinem Moses-Fresko hingegen hielt sich Botticelli an ein schon über­ lebtes, noch dem Mittelalter angehörendes Schema der Darstellung: wie auf einer Simultanbühne sind die verschiedensten Geschehnisse, die sich der bib­ lischen Erzählung zufolge in großen zeitlichen Abständen voneinander er­ eigneten, bilderbogenartig zu einer kompositorischen Einheit zusammen­ gefügt: Moses erschlägt einen Ägypter, der einen Hebräer mißhandelte; Moses flieht ins Land Madian und schützt die Töchter des Priesters Raguel (oder Jethro) vor den Belästigungen der Hirten; Moses weidet die Schafe des Priesters; Moses löst seine Schuhe von den Füßen, wie ihm die Stimme aus dem brennenden Dornbusch befohlen; Mosis mystische Zwiesprache mit 159

dem Herrn und schließlich seine Rückkehr mit Weib und Söhnen nach Ägypten. Eine so gedrängte Serie von Episoden, in denen ausnahmslos die Gestalt Mosis wiederkehrt, hätte unschwer zu einer stückwerkhaften, unorganischen Form der Darstellung führen können, und doch gelingt es Botticelli, nicht anders als bei seiner Primavera, zu einer erzählerischen Einheit zu gelangen, wozu vor allem der harmonische Rhythmus der Komposition beiträgt. Auch das Fresko, das die „Bestrafung von Core, Dathan und Abiron“ darstellt, eine Thematik, die an sich eine unruhigere Komposition bedingt, zeigt eine strenge Koordination der drei Episoden - die Empörung von Core, Dathan und Abiron wider Moses; das Rauchopfer, das beweist, daß Aaron und Eleazar Gnade vor Gott finden, und schließlich die Bestrafung der Empörer, die „lebendig hinunterfahren in die Hölle“, wie es im Vierten Buch Mosis (XVI, 1.-50.) geschrieben steht dies wird in erster Linie durch die Ko­ ordination von Bewegungen bewirkt, die die Einzelfiguren zu einem choreo­ graphischen Ensemble fügt; ein zweites wesentliches Mittel der komposi-

S a n d r o B o t t ic e l l i Bergpredigt und die Heilung der Aussätzigen

S a n d r o B o t t ic e l l i Die Bestrafung von Core, Dathan und Abiron

torischen Vereinheitlichung ist die Szenerie, ein einziges Panorama, in dessen Mitte sich der römische Konstantinsbogen erhebt. In seiner Komposition gehorcht Botticelli demnach den Prinzipien der klassischen Dramatik: er beachtet die drei Einheiten, nämlich jene der Zeit, des Ortes und der Handlung, wobei die Einheit der Zeit erst durch eine ge­ waltsame Kompression der Einzelepisoden erzielt werden kann, so daß sie scheinbar gleichzeitig „über die Bühne“ gehen. P ietro P erugino D ie Ü b e rg a b e d e r Schlüssel an d e n h eilig en P e tru s

Der Auftrag, an der malerischen Ausgestaltung der Sixtinischen Kapelle mit­ zuwirken, bedeutete für Pietro Perugino nicht minder als für Botticelli einen außerordentlichen Ansporn zur Weiterentwicklung seines Stils; denn auch ihm wurde damals eine erste Chance geboten, sich im monumentalen Genre zu versuchen. Wie bereits in den Kommentaren zur Innendekoration der Sixtinischen Kapelle erwähnt, müssen wir uns heute mit einer nur vagen Vorstellung des161

sen begnügen, was ursprünglich Peruginos maßgeblicher Anteil am Sixti­ nischen Freskenschmuck gewesen war, fielen doch 1535 nicht nur die „Him­ melfahrt Mariae“, sondern auch „Moses Bergung aus dem Nil“ und die „Geburt Jesu“ dem Gestaltungskonzept Michelangelos zum Opfer, der die Altarwand als Schauplatz seines Endgerichts benötigte. Erhalten blieben an den Längswänden die „Taufe Jesu“ und „Mosis Zug nach Ägypten“, doch ist an diesen Fresken vornehmlich die Hand des feinsinnigen Pinturicchio zu erkennen. Bleibt, um uns einen gültigen Eindruck von der Kunst des Perugino in jener Phase seines Schaffens zu vermitteln, einzig das Fresko, das die „Übergabe der Schlüssel an den heiligen Petrus“ darstellt, eines der absoluten Meisterwerke der italienischen Malerei überhaupt. Außergewöhn­ lich ist bereits die Anlage der Komposition, die auf drei parallelen Ebenen beruht; die erste Ebene ist der Hauptepisode Vorbehalten; Christus als Zen­ tralfigur überreicht dem knienden Petrus die symbolischen Schlüssel des Him­ melreiches; Apostel und andere, denen der Künstler die Züge lebender Zeit­ genossen verlieh, umringen die Gruppe der Protagonisten. Die zweite Bild­ ebene - der mittlere Hintergrund des weiträumigen Platzes - ist von minia­ turhaft kleinen, mit flinkem Strich fast nur angedeuteten Figuren belebt, die zwei Geschehnisse aus dem Leben Christi, das „Gleichnis vom Tributgeben“ (Lukas 20, 21-25) und „Die Pharisäer wollen Jesum steinigen“ darstellen. Die dritte Bildebene, oder vielmehr der dritte Schauplatz, ist durch zwei symmetrisch angeordnete Seitengebäude gegeben, deren Form an römische Triumphbögen gemahnt; zwischen ihnen, und damit im genauen Zentrum der Komposition, ragt der Tempel Salomos auf, ein edler Zentralbau mit achteckigem Grundriß, Kuppel und vier kleinen windfangartigen Vorhallen (von denen die an der Rückseite des Tempels gelegene dem Betrachter ver­ borgen bleibt), in seiner Gesamtheit ein Idealmodell der Renaissancearchi­ tektur. Mit diesem Schema paralleler Bildebenen schneiden sich die perspek­ tivischen Fluchtlinien der marmornen Pflasterung des Platzes und die figuralen Konturen: die Schlüssel etwa, die Petrus emporhält, bezeichnen genau die zentrale Achse der Szene und weisen über den leeren Raum des Platzes hinweg direkt auf den frontalen Vorbau des Tempels. Die Gesamtkomposition ist demnach von einer nahezu geometrischen Klar­ heit und Ausgewogenheit, die jedoch niemals starr und gekünstelt wirkt, sondern der natürlichen Ordnung im Kosmos entspricht; kristallenes Licht beläßt die Farben der Gewänder, der Bauten und der Landschaft ungebrochen in ihrer ursprünglichen Intensität. Die stilistischen Regeln, nach welchen die Gesamtkomposition „gebaut“ ist, leiten sich zweifelsohne aus der perspektivischen Kunst des Piero della Fran­ cesca und seinen scharf belichteten, illusionistisch-plastischen Scheinarchitek­ turen ab; obgleich Perugino die konstruktivistische Lektion des della Fran­ cesca vorbildlich gelernt hatte, erlag er doch der Versuchung, ein Mehr an 162

P ie t r o P e r u g in o Die Übergabe der Schlüssel an den heiligen Petrus

Phantasie und Gefühl walten zu lassen, was seinem Werk freilich nur zum Vorteil geriet. An dasselbe Konzept der makellos gebauten Komposition, des poetischen Ausdrucks und des reichen Kolorits sollte sich Perugino im Laufe seiner lan­ gen und fruchtbaren Schaffenszeit noch des öfteren halten; Beweise dafür sind die berühmte „Kreuzigung“ in der Florentiner Kirche Maddalena de’ Pazzi, der „heilige Sebastian“ im Louvre und die „Vermählung Mariens“ im Mu­ seum zu Caen, die beinahe wie eine Wiederholung des Sixtinischen Freskos anmutet. Und an dieses Vorbild sollte sich auch der berühmteste Schüler des Perugino halten, der seinerseits im Jahre 1508 eine stärker idealisierte „Ver­ mählung Mariens“ schuf: Raffael. Sein Werk, die bekannteste Version des Themas, ist heute im Besitz der Brera-Pinakothek zu Mailand. M ichelangelo G en esis u n d d ie V e rh e iß u n g d es M essias

Bereits im ersten Teil unserer Darstellung haben wir die historischen Um­ stände erläutert, in deren Folge Michelangelo im Mai des Jahres 1508 von Papst Julius II. den Auftrag erhielt, die Decke der Sixtinischen Kapelle mit 163

M ic h e l a n g e l o Das O pfer Noahs

neuem Freskenschmuck zu versehen. Ein erster Gesamtentwurf sah lediglich die Figuren der zwölf Apostel in perspektivisch gemalten Nischen entlang eines in der Längsachse der Decke verlaufenden, mit geometrischen Motiven geschmückten Dekorationsbandes vor, doch verwarf der Künstler bald schon dieses Projekt, das ihm „ein armselig’ Ding" schien; man einigte sich auf ein weitaus größeres Thema, den Zyklus der Schöpfungsgeschichte und jener Epi­ soden aus dem Alten Testament, die die Menschwerdung des Messias ankün­ digten. Als Darstellung der Menschheit „ante legem", also vor Verkündigung des göttlichen Gesetzes, sollte der Freskenschmuck der Decke eine historische Einheit mit dem Wandschmudt nach Motiven aus dem Leben Mosis und Christi bilden, der Geschichte der Menschheit „unter dem Gesetz" - „sub lege" - und im Zustand der göttlichen Gnade - „sub gratia". Nunmehr wollen wir Michelangelos Meisterwerk, dessen Bedeutung uns um so klarer wird, je besser wir die spezifische Funktion, die jeder einzelnen Episode und jeder einzelnen Figur im Gesamtzusammenhang des Werkes und seines Sinngehalts zukommt, im einzelnen erläutern. Die fast unüberbrück­ bare Oberfläche des abgeflachten Tonnengewölbes warf besondere komposi­ torische Probleme auf: Michelangelo erschien sie als lange Buchseite einer Chronik, die mit einer inhaltlich zusammenhängenden Bilderfolge bedeckt 164

sein wollte. Die kompositorischen Probleme löste er unter geschickter Aus­ nützung der vorgegebenen Form des Gewölbes, indem er es in drei parallel verlaufende Längsbahnen teilte. Auf diese erste Unterteilung, die gleichzeitig die Richtung für die „Lektüre“ des Bilderzyklus weist, folgte eine zweite Unterteilung der Quere nach, einer Linierung vergleichbar. Diese „Zeilen“ ergaben sich aus einer nur aufgemalten architektonischen Struktur, die eine rhythmische Aufeinanderfolge von plastisch erhabenen Elementen und zu­ rückstrebenden Flächen nach Art eines Gebälks ergab, in dessen Nischen die Throne der „Propheten“ und „Sibyllen“ Aufnahme fanden, und das sich mit echten architektonischen Elementen, den Zwickeln und den Stichkappen über den Fenstern des Langhauses zu einer Einheit verband. Die Felder der mitt­ leren Längsbahn, die der beschriebenen architektonischen Ordnung folgend ausgespart sind, enthalten neun Szenen - davon vier größeren Formats -, die das Wesentliche der Schöpfungsgeschichte darstellen: die „Entwirrung des Chaos“, die „Erschaffung von Sonne, Mond und Pflanzen“, „Gott scheidet

M ic h e l a n g e l o Die Schande Noahs

M ic h e l a n g e l o Die Erschaffung von Sonney Mond und Pflanzen

M ic h e l a n g e l o Die Erschaffung des Adam

< M ic h e l a n g e l o Genesis und die Verheißung des Messias

Wasser und Erde", die „Erschaffung des Adam", die „Erschaffung der Eva“, die „Erbsünde und die Vertreibung aus dem Paradies“, „Das Opfer Noahs", „Die Sintflut“ und schließlich „Die Schande Noahs“. Die kleinerformatigen Szenen - die erste, dritte, fünfte, siebente und neunte - sind jede für sich in einen architektonischen Rahmen von Gurtbogen geschlossen, auf denen sich die sogenannten „Sklaven“ oder (männlichen) „Akte“ (italienisch: Ignudi) niedergelassen haben. Auf Sockeln, in Paaren einander gegenübersitzend, halten sie Eichenlaubgirlanden, an denen bronzefarbene Medaillons befestigt sind, gemalte Reliefdarstellungen biblischer Szenen. Diesen Aktpaaren entsprechen auf beiden Seitenbändern mit karya­ tidenähnlichen Putten geschmückte Throne, auf denen jene Platz genommen haben, die einst das Kommen des Messias kündeten: die „Delphische“, die

M ic h e l a n g e l o D avid und Goliath

M ic h e l a n g e l o Die eherne Schlange

„Eritreische“, die „Cumäische", die „Persische" und die „Libysche Sibylle", und die „Propheten" des Alten Testaments: „Joel", „Jesaja", „Hesekiel", „Daniel" und „Jeremias"; die Reihe der Propheten wird durch „Zacharias" und „Jonas" ergänzt, die Anfang und Abschluß des Mittelbandes mit den neun Szenen aus der Genesis bilden. In den dreieckigen Stichkappen über den Fenstern sind die Vorfahren Christi aus den Königshäusern Juda beheimatet, einer Geschlechterreihe, die sich auch in den die Stichkappen tragenden Lünetten an den Längswänden der Kapelle fortsetzt. Die vier Zwickel in den Ecken des Gewölbes zeigen schließlich die „wunderbaren Errettungen des Volkes Israel" und damit die Episoden: „Judith und Holofernes", „David und Goliath", „Die eherne Schlange" und (Esther und die) „Kreuzigung Hamans". Diese in weitem Bogen gespannte, überaus reiche und komplexe Thematik findet in der Gesamtgestaltung des Deckengewölbes ihre figurative und, als 169

M ic h e l a n g e l o Der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies

Folge, auch inhaltliche Einheit. Denn ohne eine historische Aufeinanderfolge von szenischen Abläufen zu bieten, bedient sich die Gesamtkomposition einer kontinuierlichen Rhythmik der Gesten und der Volumina, die sich, getragen vom „Leitmotiv“ der architektonischen Struktur, ineinander verweben und übergreifen von Szene zu Szene, von Figur zu Figur. Über die biblische Thematik hinaus, bei deren Interpretation zweifellos die Theologen der Kurie ein gewichtiges Wort mitzureden hatten, wollte Michelangelo dem Menschen schlechthin ein Hohelied singen, ihn auf seinem Weg durch die Geschichte begleiten und dartun, wie er fortschreitend zur Erkenntnis der transzenden­ talen Gesetze gelangte, die dem Lauf der Geschichte gebieten. Dieser Absicht folgend, erneuerte der Meister die traditionelle Ikonographie, bereicherte sie um Bilder und Gestalten, die seiner eigenen Imagination entsprangen, wie die athletischen Akte der „Sklaven“, Sinnbilder der siegreichen Jugendkraft einer Menschheit, die sich beständig erneuert. Auch bei den alttestamenta­ rischen „Propheten“ und den heidnischen „Sibyllen“ geht der Künstler über die reine Darstellung von Figuren hinaus und versucht jeder einzelnen der Gestalten eine eigene unverwechselbare Identität zu verleihen, sie in den Posen der Meditation und der Besinnlichkeit zu charakterisieren und ihnen dennoch die Gemeinsamkeit einer aus Geist und Weisheit geborenen heroischen Würde zu erhalten. Kontraste zu diesen übermenschlichen, vom Lichte ihrer Geistigkeit umstrahlten Figuren, bilden die Vorfahren Christi, die, eingeker­ kert in den dunklen Feldern der Stichkappen, in rauchigen, stumpfen Farben gestaltet, düsteren Schemen aus jenseitigen Gefilden gleichen. In ihnen sym170

bolisiert sich die dumpfe Unwissenheit des Menschengeschlechts, ehe ihm das Wort Gottes offenbar wurde. Die Darstellungen in den vier Gewölbezwickeln sind episch kraftvolle Verherrlichungen der Heldentaten des jüdischen Volkes, Lobpreis der heroischen Aktion und des tätigen Lebens, dem die Segnungen der Kontemplation, in Propheten und Sibyllen verkörpert, gegenüber gestellt sind. Diese Absicht, nicht nur die Mysterien des Glaubens zu verherrlichen, sondern auch die „virtus“, die geistige und die charakterliche Kraft des als Persönlichkeit gewerteten Menschen in der antiken Philosophie und im Neu­ platonismus, vornehmlich der italienischen Renaissance, wurde Michelangelo erst im Verlauf der vier Jahre bewußt, die er auf die Gestaltung der Decke in der Sixtinischen Kapelle verwendete. In diesem Zusammenhang ist es interessant, die als erste entstandenen Szenen der „Genesis“, „Die Schande Noahs“, „Die Sintflut“ und „Das Opfer Noahs“ mit den übrigen zu ver-

M ic h e l a n g e l o Die Erschaffung der Eva

M ic h e l a n g e l o Delphische Sibylle

gleichen: während in den älteren, von einer Fülle kleiner Figuren gleichsam überrannten Kompositionen die Episoden als solche minutiös beschrieben und die Flandlungsabläufe in verwirrenden Details nacherzählt werden, be­ schränkt sich die Aktion bei den in der Folge gestalteten Szenen auf das Wesentliche, mit einem Blick zu Erfassende, und die Träger der Handlung, denen keinerlei Nebenfiguren beigegeben sind, beherrschen als Protagonisten die Szene. Hier wird ein zunehmendes Streben nach Monumentalität fühlbar, nach plastischer Präsenz und nach eindeutiger Identifikation der Handlung und ihrer Personen. 172

M ic h e l a n g e l o Libysche Sibylle

Die Deckenfresken der Sixtina sind Michelangelos Synthese seines da­ maligen Gesamtschaffens, seiner Vision und seiner bisherigen Erfahrungen, die er fast ausschließlich auf dem Gebiet der Bildhauerei sammeln konnte. Für den noch jungen Künstler Anfang der Dreißig bedeuteten diese Fresken sowohl den Abschluß einer Schaffensperiode wie auch die Vorwegnahme späterer Entwicklungen. Vielfach erkannte man in einigen Figuren Nach­ empfindungen antiker Vorbilder und zuweilen sogar Modelle aus der Früh­ renaissance; doch bediente sich Michelangelo des alten Formenvokabulars nur, um ihm eigenständiges Leben zu verleihen oder aber das übernommene 173

Repertoire radikal zu verändern und neuartige expressive Absichten zu ver­ wirklichen: hier wird bereits eine Haltung gegenüber der Tradition offenbar, die man „kritisch“ nennen könnte und die sidi stärker noch in seinen archi­ tektonischen Schöpfungen äußern wird; denn dort übernimmt er Formen und allgemeine Kriterien der klassischen „Ordnungen“ und modifiziert sie grund­ legend, wodurch er zu einer revolutionären und eigenständigen formalen Vision gelangt. Die Wirkung dieses Meisterwerks auf das Publikum war vom ersten Augenblick an, da es zur Besichtigung freigegeben war, überwältigend und kam einer Revolution gleich: die zeitgenössischen Künstler, allen voran Raffael, erlagen seiner Faszination. Ausnahmslos fühlten sie, daß hier ein Modell geschaffen war, das sich für immer im Bewußtsein der schöpferischen Menschheit erhalten würde. M ic h e l a n g e l o Die Sintflut

M ic h e l a n g e l o Decke der Sixtinischen Kapelle. Ausschnitt

Bei Giorgio Vasari erfährt dieses Gefühl eine Steigerung ins Extrem. Für ihn ist das Werk Michelangelos die ideale Schöpfung schlechthin, ein nicht allein unübertrefflidies, sondern selbst unerreichbares Vorbild: „Nicht mehr strebe danach, wer Maler ist. Neues an Gesten, an Gewän­ dern, die Figuren kleiden, an Gebärden und Besonderheiten bunt gemalter 175

M ic h e l a n g e l o Der Prophet Jesaja

Dinge zu sehen und zu erfinden; denn jegliche Vollkommenheit, die man diesem edlen Handwerk, soll heißen der Malerei, verleihen kann, hat Michel­ angelo ihr geschenkt.“ Auch in späteren Epodien begeben sich Künstler und Kulturschaffende in die Sixtina, um sich von Michelangelos Deckenfresken inspirieren zu lassen. Für die Romantiker bedeuten sie den Urtext ihrer Ästhetik des „Sublimen“, und der Franzose Lamartine verleiht einem Gefühl Ausdruck, das auch heute noch jeder empfindet, der die Kapelle betritt: „Am Anfang ist’s Verwirrung, dann Verzückung, am Ende Vernichtung. Michelangelo hat den Menschen überwunden.“ 176

M

ic h e l a n g e l o

D a s J ü n g ste G e ric h t

Als Michelangelo sein grandioses Deckenfresko in der Sixtina vollendet hatte, mochte der Bildschmuck der Kapelle für abgeschlossen gelten. Schon seit 1481 zierten die Rückwand hinter dem Hochaltar zwei Fresken von der Hand des Pietro Perugino, die „Geburt Christi“ und „Moses Bergung aus dem Nil“, Darstellungen also der beiden ersten Episoden aus den parallel erzählten Lebensgeschichten Jesu und Mosis, die den Fresken an den Seitenwänden der Kapelle zugrundeliegen und ihren Abschluß an der Stirnwand der Kapelle finden. Die große Freske auf dem Hochaltar stellte die „Himmelfahrt Mariae“ dar, ebenfalls ein Werk des Perugino zu Ehren der Gottesmutter, der die Kapelle geweiht war. In den letzten Monaten seines Lebens entschloß sich Papst Clemens VII. zu einer weiteren Umgestaltung der Sixtina: während die Wand hinter dem Hochaltar mit einer Darstellung des „Jüngsten Gerichts“ übermalt werden sollte, war der Stirnwand rund um den Eingang der „Sturz der Engel“ zu­ gedacht. Mit diesem Projekt verfolgte der Papst zweierlei Absichten; zum ersten sollten die beiden Motive, aus denen das Walten der göttlichen Ge­ rechtigkeit offenbar wurde, gleichzeitig an jene jüngsten Ereignisse gemahnen, die das Leben der Kirche bedroht und 1527 in der Plünderung Roms durch die Soldateska des Kaisers einen furchtbaren Höhepunkt fanden (als Votiv­ gaben des Papstes sollten die Fresken deshalb eine eindringliche Mahnung an alle jene sein, die es gewagt hatten, sich gegen die Autorität der römischen Kirche aufzulehnen); zum zweiten verfolgte Clemens die Absicht, mit diesen Darstellungen den großen Freskenzyklus der Menschheitsgeschichte thema­ tisch abzuschließen, der seinen Anfang in den Deckengemälden der Genesis nahm, sich mit den Episoden aus dem Leben Jesu und Mosis an den Längs­ wänden der Kapelle fortsetzte und nunmehr im „Jüngsten Gericht“ sein kompositorisches Finale erhalten sollte. Zunächst hatte der Papst daran ge­ dacht, Sebastiano del Piombo die beiden Fresken ausführen zu lassen; doch war der Venezianer völlig unerfahren in der Freskotechnik und glaubte, er könne das Mauerwerk einfach mit Ölfarben überstreichen. Deshalb entschloß sich Clemens, wiederum Michelangelo zu berufen, der eben noch rechtzeitig kam, um den Auftrag zu empfangen, ehe der Papst verstarb. Sein Nachfolger Paul III. zögerte keinen Augenblick, den Auftrag zu bestätigen, doch einigte man sich darauf, nur das „Jüngste Gericht“ darzustellen und auf den „Sturz der Engel“ zu verzichten. Im April 1535 wurde endlich der Bau des Gerüsts in Angriff genommen, auf dem Michelangelo arbeiten sollte. Darüber ver­ ging eine geraume Weile, und erst am 31. Oktober 1541 konnte der Meister das fertige Werk enthüllen. Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen, seit Michelangelo die Deckenfresken der Sixtina vollendet hatte, und jetzt, da er in die päpstliche Kapelle zurückkehrte, war er mit reicherer Erfahrung aus177

M ic h e l a n g e l o Charon befördert die Verdammten

gestattet, nicht nur als Künstler, sondern auch und vor allem als Mensch. Schon bahnte sich jene „Bekehrung“ an, die ihm die Freundschaft mit der aristokratischen Dichterin Vittoria Colonna abforderte, eine „Bekehrung“ weniger im religiösen und dogmatischen als im weltanschaulichen Sinn. Sie war Konversion zu einer transzendenten Geistigkeit, die sich auf eine kos­ mische Vision der Menschheit und ihrer Existenzberechtigung stützte. Die Verpflichtung, ein Ereignis wie das Weltengericht darzustellen, bedeutete für Michelangelo die Chance, endlich alle jene expressiven Anliegen in ihrer Gesamtheit zu verwirklichen, denen sein bisheriges Schaffen im einzelnen gegolten hatte, von den Skulpturen der Anfänge bis zu „David“, von den Deckenfresken der Sixtina bis zu den Plastiken der Grabmäler Julius II. und der Medici in Florenz, Anliegen, deren er sich mit fortschreitender künst­ lerischer und menschlicher Reife immer deutlicher bewußt geworden war. 179 < M ic h e l a n g e l o Das Jüngste Gericht

M ic h e l a n g e l o Ein Engel der Apokalypse weckt die Toten auf.

Jetzt, da er die Schwelle des siebenten Lebensjahrzehnts erreicht hatte, stimmte Michelangelos Lebensgefühl mehr denn je mit dem Zeitgeist überein; ohne Hochmut, sondern im Gegenteil vom schmerzlichen Bewußtsein einer übergroßen Verantwortung erfüllt, erkannte er, daß er zum Interpreten des historischen Augenblicks berufen war, in dem er lebte. Gewiß hielt er sich in der Bildersprache seines „Jüngsten Gerichts“ auch an die mittelalterlichen Deutungen der Apokalypse, an die Versionen im Dom von Torcello und im Florentiner Baptisterium, gewiß las er damals Dantes „Göttliche Komödie“ wieder und ließ sich von seinem zweihundert Jahre älteren Landsmann inspirieren, und doch ist in Michelangelos Weltgericht keine einzige Reminiszenz an den Mystizismus des Mittelalters nachzuweisen. 180

M ic h e l a n g e l o Zwei Auf erstandene unterwerfen sich dem Göttlichen Gericht.

Das völlig neue Gefühl, daß dieses Opus belebt, wird nur im Vergleich zu früheren Werken des Meisters offenbar; wenden wir den Blick von der Decke der Sixtina zu der Wand hinter dem Hochaltar, so werden wir uns sogleich einer gesteigerten Dramatik bewußt, einer unterschiedlichen Deutung des Lebens und der Geschichte. Während die Deckenfresken jede einzelne Figur als heroischen Protagonisten zeigen, so ist hier der eigentliche und einzige „Held“ das Geschehen selbst und mit ihm die Masse der rund vierhundert Einzelfiguren, die, gleichsam von einem Wirbelwind erfaßt, rund um das Furcht gebietende Bildnis des Weltenrichters kreisen; ihm zur Seite eine trauernde Jungfrau Maria, der die Fürbitte um Gnade auf den Lippen er­ storben scheint. 181

M ic h e l a n g e l o Der heilige Bartholomäus hält seine Haut, auf welcher die Gesichtszüge Michelangelos zu erkennen sind.

Jedes einzelne stilistische Element trägt zur Intensivierung des Drama­ tischen bei: die düsteren und stumpfen Farben (die jedoch in ihrem gegen­ wärtigen Zustand noch zusätzlich durch Weihrauch und Altarkerzen verschwärzt und durch mangelhafte Restaurierversuche beeinträchtigt sind), die Formen, die bei aller monumentalen Plastizität dennoch vom Verlust ihrer Körperlichkeit bedroht scheinen, das Furchteinflößende der Physiogno­ mien, das sich in den Fratzen der Verdammten und der Dämonen bis an den Rand des Grotesken vorwagt. Bekanntlich ist das „Jüngste Gericht“ reich auch an satirischen, ironischen und selbst zynischen Details: die Haut des heiligen Bartholomäus, der den 183

absoluten harmonischen Gleichgewichts zwischen beiden jene dramatische Spannung, die sich hinter der Harmonie verbarg; für ihn ist diese Spannung Vorbedingung zur Verwirklichung des Gleichgewichts, während Raffael die Harmonie als bereits verwirklicht und als im vorhinein gegeben annimmt. Der fast überzeitlichen olympischen Heiterkeit Raffaels setzt Michelangelo ein gänzlich an den historischen Augenblick gebundenes und darin schon modernes existenzphilosophisches Erkenntnisstreben entgegen. Das kulturelle Klima Roms zur Zeit Julius II. bewog Raffael zu einer immer von Überzeugung getragenen Anteilnahme an diesen Idealen, zu einem Engagement, das seiner Kunst entscheidende Impulse verlieh und den schöpferischen Reifungsprozeß beschleunigte. Daß sich damals eine Wende in seinem Schaffen vollzog, erhellt nicht allein aus dem malerischen Werk jener Zeit, sondern auch aus einer umfassenden Serie graphischer Arbeiten, Zeich­ nungen und Studien. Die etwas spröde und nervöse Grazie - letzte Erinnerung an das Vorbild Perugino -, die den allegorischen Figuren der Medaillons, der „Astronomie“ und des „Urteils Salomos“ an der Deckenwölbung eigen ist, wandelt sich in der „Disputa“ zu einer substantiellen, monumentalen Körperlichkeit, obschon dieses Werk nur kurz nach den Deckenfresken, im Jahre 1509, entstand. Freilich entspridit die Komposition mit ihren übereinander gelagerten Bild­ zonen immer noch dem traditionellen Typus und gemahnt an jene säuber­ liche Teilung des Raumes, die Perugino eigen war. Unverkennbar auch ist Raffaels Bereitschaft, in der Gestik und den Physiognomien seiner Gestalten Leonardos Beispiel zu folgen. Völlig neuartig und originell aber ist die gran­ diose, getragen rhythmische Choreographie der Fülle von Figuren, die sich rings um die von Sakrament und Dreifaltigkeit bezeichnete Achse bewegen. Unter ihnen finden sich illustre Persönlichkeiten der Vergangenheit wie Dante und Savonarola, und Zeitgenossen, von Julius II., hier Gregor dem Großen zugesellt, bis zu Bramante, der sich im Vordergrund auf die Balu­ strade stützt, Seite an Seite mit einem aufrecht stehenden Jüngling, der sich dem Betrachter zuwendet und in dem wir Francesco Maria della Rovere erkennen. Ein fast gleichförmiges, unnatürliches Licht ist das Medium, das die gött­ liche Erscheinung in der Höhe mit der irdischen Szene verbindet und zu­ gleich das Wunderbare des sich vollziehenden Ereignisses zum Ausdruck bringt. Unmittelbar nach Vollendung dieses Freskos wandte sich Raffael der Dekoration der Stirnwand des Raumes zu, der Darstellung der „Schule von Athen“, die er im Verlauf des Jahres 1510 fast zur Gänze fertigstellen konnte. Der mystischen Transzendenz der Erscheinungen von Dreifaltigkeit und Heiligenhimmel in der „Disputa“ stellte er nunmehr die ideale Transzen­ denz einer Wiedererweckung der Antike gegenüber. 200

Noch stärker prägt sich hier Raffaels Tendenz zum Monumentalen aus, die weniger in der Szenerie als in der unmittelbaren Vision der weitläufigen architektonischen Perspektive fühlbar wird; die Architektur selbst zeigt sich einerseits deutlich von den Ruinen der Basilika des Maxentius inspiriert, zum anderen aber ist sie eine Konkretisierung der zeitgenössischen Ideen eines Bramante. Ob Bramante tatsächlich, wie Vasari behauptete, Raffael den Ent­ wurf zu dieser Szenerie zur Verfügung stellte, mag bezweifelt werden; un­ bestritten aber ist, daß der Maler sich von Bramantes Plänen zur neuen Basi­ lika von St. Peter inspirieren ließ. Diese Inspiration bewirkte, daß die „antike“ Architektur der „Schule von Athen“ nicht als archäologisches Doku­ ment, sondern vielmehr als zeitgenössische Interpretation und Nachempfin­ dung antiker Baukunst im Sinne der Renaissance konzipiert ist. Der hochgewölbte Bogengang, durch den die zentrale Bildachse verläuft, bestimmt den feierlichen getragenen Rhythmus der Komposition. In perspek­ tivischer Staffelung aus dem äußersten Bildhintergrund hervorstrebend und sich zu Seitenflügeln weitend, wird die großzügige Rundbogenarkade zum architektonischen Leitmotiv, das sich selbst in den Seitennischen mit den Standbildern Apollos und Minervas wiederholt; in ihrer Gesamtheit gesehen, bilden die Bogen eine Art dreiteiliger Nische, in der die Protagonisten Platon - in einer Hand sein Werk „Timaios“, mit der anderen gen Himmel deutend und Aristoteles erscheinen; der Jüngere hält seine „Ethik“ in der Linken, während die Rechte zur Erde weist. In dieser Gestik symbolisieren die Philo­ sophen die beiden Pole philosophischer Spekulation, die Gedankenwelten des Idealismus und der Naturphilosophie. In der Anordnung der Figuren zu beiden Seiten des Philosophenpaares spiegelt sich der Rhythmus der archi­ tektonischen Formen wider. Doch ist diese Replike so weitläufig, da die Ge­ stalten fast über den Rahmen der Szene hinauszudrängen scheinen. Die großen Denker der Antike und der Vergangenheit, allesamt sind sie hier vereint: Sokrates in grüner Gewandung hält Zwiesprache mit dem ge­ panzerten Jüngling Alexander dem Großen; Xenophon und Alkibiades, Xenon und Epikur, letztere im linken unteren Bildwinkel auf den Sockel einer Säule gestützt, gegen den Vordergrund zu Pythagoras, der in einem Buch schreibt, während Averroes mit weißem Turban ihm über die Schulter blickt; neben ihm ist in weißem Gewand Francesco Maria della Rovere ab­ gebildet. Fast im Zentrum des Vordergrundes ruht Heraklit an einen Stein­ block gelehnt, während Euklid in der rechten unteren Bildhälfte seine Schüler um sich schart, die dem Meister bei geometrischen Versuchen mit Zirkel und Schiefertafel Zusehen. Dahinter sind Zarathustra mit Himmelsglobus und Ptolemäus mit Königskrone erkennbar, während sich Diogenes fast unmittel­ bar zu Füßen von Aristoteles auf den Treppenstufen niedergelassen hat. Bei einigen der Philosophengestalten ist Raffaels porträtistisches Bemühen unverkennbar. Zweifellos ließ er sich von jenen antiken Porträtplastiken 201

und Standbildern inspirieren, die Julius II. zu jener Zeit bereits in einer an­ sehnlichen Antikensammlung vereinigt und im Belvedere untergebracht hatte. Andere Gestalten hingegen tragen die Züge illustrer Zeitgenossen: so ist Pla­ tons Ähnlichkeit mit Leonardo unverkennbar, Euklid gleicht Bramante, Zarathustra dem Literaten Pietro Bembo; in den beiden letzten Figuren am rechten Bildrand verewigte Raffael sich selbst und den Maler Sodoma. Die „Schule von Athen“ war bereits fast fertiggestellt, als man in der Sixtina jenes Gerüst entfernte, das Michelangelo für seine Arbeit am ersten Teilstück des Dedtenfreskos gedient hatte; Raffaels Begeisterung über die Schöpfung des betagten Meisters war so groß, daß er beschloß, diesem eine Ehre besonderer Art zu erweisen: er fügte in die schon fertige Komposition jenen Heraklit ein, der im Gesamtentwurf - heute Besitz der Mailänder Pina­ coteca Ambrosiana - noch nicht erscheint und Michelangelos Züge trägt. Wenn Raffael also inmitten der Philosophen der Vergangenheit auch Zeit­ genossen verewigte, so verfolgte er damit nicht nur die Absicht, der Promi­ nenz seiner Epoche eine Reverenz zu erweisen: vielmehr wollte er dartun, daß die antike Weisheit in den Werken eben jener illustren Persönlichkeiten wiederauflebte und daß das geistige Rom zur Zeit Julius II. eine neue „Schule von Athen“ sei. In der olympisch-idyllischen Szenerie des „Parnass“, einer Schöpfung aus dem Jahre 1511, wie auch ein Datiervermerk in der nächstliegenden Fenster­ nische bezeugt, finden sich inmitten der Idealgestalten Apolls und der Musen Porträts von Poeten, einige von ihnen imaginäre Konterfeis-darunter Alkäus, Anakreon, Sappho, Tibuli und Ovid -, andere, wie Homer und Vergil, modellgetreue Abbilder antiker Skulpturen, dritte schließlidi Interpretationen moderner Ikonographien, so Dante, Petrarca, Boccaccio, während Zeitgenos­ sen wie Ariosto und Castiglione tatsächlich als Modelle ihrer selbst dienten. Auch hier also fand Raffaels Absicht, die geistige Kontinuität zwischen antiker und moderner Kultur symbolhaft darzustellen und die wahre „Wiedergeburt“ der Klassik in der Renaissance zu verherrlichen, ihre bild­ nerische Verwirklichung. Des öfteren wurde die Frage erhoben, welche Zweckbestimmung dieser Stanze zugekommen sei, die mit ihren prunkvollen Dekorationen einer Weihestätte der Theologie und der Philosophie gleicht. Experten wie Wickhoff vertraten die Ansicht, dieser eher kleine Raum habe als Privatbibliothek des Papstes gedient, während andere, und darunter auch A. Chastel, mit Recht darauf hinwiesen, daß der ursprüngliche Intarsien­ schmuck an den Sockeln der Holzverkleidung, der später, wie bereits er­ wähnt, von Perin del Vaga mit Fresken übermalt wurde, eigentlich das Auf­ stellen von Bücherregalen ausschloß. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ist demnach anzunehmen, daß die Stanze als Repräsentationsraum gedacht war, später jedoch auch den Amtsgeschäften der kanonischen Gerichtsbarkeit, der „Signatura gratiae“, diente und von dieser schließlich ihren Namen erhielt. 202

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Die Dekoration dieser zweiten Stanze wurde unter dem Pontifikat von Julius II. im Jahre 1512 in Angriff genommen, doch erst 1514 vollendet, und damit zu einem Zeitpunkt, da der große Papst nicht mehr unter den Leben­ den weilte und ihm bereits Leo X. auf dem Thron nachgefolgt war. Auch in diesem Fall ist es für das Verständnis der künstlerischen Bedeutung eines so großen Dekorationsensembles unerläßlich, das ikonographische Pro­ gramm in seiner Gesamtheit zu analysieren und seinen Symbolgehalt zu er­ fassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach erstellte Julius II. persönlich dieses

R a ffa el Die Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel, Ausschnitt

R a ffa el Die Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel

Programm, das der Verherrlichung der göttlichen Allmacht als Schutzherrin der Kirche dienen soll. Während Raffael in der Stanza della Segnatura die Theologie idealistisch und als Teil eines kulturellen Weltbildes darstellte, handelt es sich hier um die Gestaltung einer im eigentlichen Sinn theologischen Thematik, um ein Sujet, das aufs engste mit den historischen Gegebenheiten zur Zeit Julius II. verknüpft ist. Denn Raffael beabsichtigte weniger, Gott als den Beschützer der Kirche zu verherrlichen, als vielmehr mit den Medien bildnerischer Ge­ staltung jene Prinzipien zu untermauern, die der energischen Politik Julius II. zugrunde lagen: Stärkung der päpstlidien Autorität und Bestätigung der Dogmen. Hauptanliegen der szenischen Gestaltungen ist es demnach darzu­ tun, daß sich göttliche Allmacht und göttlicher Schutz allein vermittels der kirchlichen Autorität manifestieren. Das Deckengewölbe trägt in seiner Mitte das Wappen Julius II. und ist in vier große Felder geteilt, die in ihrer Gesamtheit ein Oval ergeben. Vonein­ ander durch ein großes Rahmenwerk geteilt, dessen Ornamentik vielleicht noch von Peruzzi stammte, enthalten die vier Felder gobelinartige Darstel­ lungen von Episoden aus der Geschichte des Volkes Israel, aus welchen der Segen göttlichen Wirkens erhellt: „Moses und der brennende Dornbusch“, „Jakobs Traum“, „Gott erscheint Moses“ und „Abrahams Opfer“. Während das lineare Konzept dieser Sze204

nen zweifelsohne von Raffael stammt, dürften die Malereien von Peruzzi oder - nach Ansicht von A. Venturi - von Guillaume de Marcillat ausgeführt worden sein. Den vier Deckenfresken entsprechen vier historische Wandgemälde: Die „Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel", die der Stanze den Namen gab und die auf die Befreiung von den Usurpatoren anspielt, denen das Konzil von Pisa 1512 zur Spaltung der Kirche verhelfen sollte; die „Messe von Bolsena" oder die Episode des böhmischen Priesters, der 1263 in Bolsena die Messe zelebrierte und an der Gegenwart des Leibes Christi in der Hostie zwei­ felte, worauf diese zu bluten begann und das Meßtuch befleckte (an dieses Wunder gemahnt das Fronleichnamsfest, das in Orvieto mit besonderem Glanz begangen wird, beherbergt doch die Kathedrale dieser Stadt die Reli­ quie des Heiligen Meßtuchs von Bolsena); die „Befreiung Petri aus dem Kerker“ dient ebenfalls zur symbolhaften Darstellung des göttlichen SchutR a ffa e l Ahrahams Opfer

R a ffa el Die Messe von Bolsena. Ausschnitt

zes, dessen sich der Statthalter Christi auf Erden erfreut; die vierte Episode schließlich, die „Vertreibung Attilas durch Leo L“, der dem Hunnenfürsten vor den Toren Roms Einhalt gebot, verherrlicht die wehrhafte Kirche im Kampf gegen die Barbaren und die Ungläubigen ganz allgemein. Die Wand­ sockel schmücken allegorische Figuren und Veduten päpstlicher Besitztümer von der Hand des Perin del Vaga und vielleicht auch des Peruzzi. Die deutlicher zutage tretende politische Tendenz und die den Episoden innewohnende Dramatik bedingen jene Neuorientierung des Stils, die nun­ mehr im Vergleich zu den Fresken in der Stanza della Segnatura fühlbar wird. Während diese gänzlich idealistisch und überzeitlich gehalten sind und selbst die Porträts von Zeitgenossen in die Sphäre des Idealen erhoben werden, zeigen sich die Fresken in der Stanze des Heliodor unter dem Aspekt 206

des Historischen, sind gleichsam durchströmt von den Gezeiten der Ge­ schichte. Die Porträts von Julius II., die in der „Vertreibung des Heliodor" und in der „Messe von Bolsena“ aufsdieinen (im übrigen lieh derselbe Papst seine Züge ursprünglich auch Leo dem Großen in der Attila-Szene, um in der Folge durch das Porträt Leos X. verdrängt zu werden), erfüllen eine gänzlich andersartige Funktion als die Konterfeis der zeitgenössischen Künstler, Poe­ ten und Literaten auf den Fresken in der Stanza della Segnatura: ihre Auf­ gabe ist es, die Episoden der Vergangenheit in die Gegenwart und damit in die Zeit Julius II. oder Leos X. zu transponieren. Der Vergleich zwischen der „Schule von Athen“ und der „Vertreibung des Heliodor", zwei Szenen also, die in ihrer Dramaturgie gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, ist aufschlußreicher, als es jede theoretische Erläuterung sein kann: R a ffa el Die Messe von Bolsena

dem feierlich-getragenen Rhythmus des ersten Freskos entspricht bei Helio­ dor eine konvulsivisch wilde Bewegtheit; was bei den Philosophen edle und würdevolle Pose, wird bei Protagonisten und Zeugen der Vertreibung aus dem Tempel zu stürmisch erregter Gestik; während Raffaels Athen in eine gleichförmige kristallklare Helligkeit getaucht ist, spielen im Tempel Lichter und Schatten, Kontraste und schimmernde Reflexe, vielfältiger Schein, den die Wandleuchten verströmen. Unübersehbar ist die Inspiration, die Raffael von Michelangelo empfing; selbst in der Körperlichkeit der Figuren äußert sich eine kraftvollere Plastizität, in ihrem Ausdruck eine intensivere Emotion. Doch läßt sich Raffaels Stilentwicklung keineswegs nur mit dem Einfluß Michelangelos erklären. Denn nunmehr ist der Meister aus Urbino auch be­ reit, bei den Venezianern zu lernen und sich ihre „tonige“ Farbgebung anzu­ eignen. Ist auch die Hypothese von R. Longhi kaum aufrecht zu erhalten, daß die Figuren der Schweizergarde im rechten unteren Abschnitt der „Messe von Bolsena“ von der Hand des Lorenzo Lotto stammten, so bietet doch gerade dieses Fresko mit seiner „natürlicheren“ Licht-Farb-Beziehung, seinen koloristischen Zwischentönen und dem breiten Pinselstrich, der die Monu­ mentalität der Figuren unterstreicht, Anklänge an andere Schulen. In der „Befreiung Petri“ herrschen dramatische nächtige Lichteffekte vor, die im Heiligenschein des in den Kerker eingedrungenen Engels und den Reflexen auf den Rüstungen der Wächter zu besonderer Wirkung gelangen; zur Linken öffnet sich ein unruhvoller Nachthimmel, mit sturmgetriebenen Wolkenfetzen und bleichem Mond; Effekte, die dazu angetan sind, eine Atmosphäre des Geheimnisses und der Verzauberung zu schaffen und jene Verschmelzung zwischen dem Übersinnlichen und der Natur zu bewirken, der ein Ariosto in seinen Epen lyrischen Ausdruck verlieh. Herrschten hier Dramatik und Emotion vor, so ist „Die Vertreibung Attilas durch Leo den Großen“ instruktiver und lehrhafter gestaltet. Diese Schöpfung, die hauptsächlich der Wiedergabe einer realen historischen Be­ gebenheit dient, ist vorwiegend Raffaels Schülern zu verdanken, unter denen sich mit großer Wahrscheinlichkeit bereits Giulio Romano befand: die Erzählung selbst ist in Episoden aufgelöst, ein Mosaik von Einzelhandlun­ gen, dem etwas Gekünsteltes, Rhetorisches, Theatralisches anhaftet, des­ gleichen den Figuren der heiligen Petrus und Paulus, die sich als himmlische Erscheinungen dem Geleitzug des Papstes offenbaren; in Details jedoch wird subtiles poetisches Empfinden fühlbar, vornehmlich in der erlesen schönen Landschaft, in die römische Veduten integriert sind. In ihrer Gesamtheit gesehen, ist die Heliodor-Stanza die getreuliche künst­ lerische Entsprechung jenes kulturellen Klimawechsels, der sich in Rom bereits seit Ende des ersten Dezenniums des 16. Jahrhunderts vollzog; die kurze Phase der Erleuchtung durch humanistische und neuplatonische Ideale ist ab­ geschlossen und gehört bereits der Vergangenheit an; unübersehbar sind die 209

R affael und seine Schüler B ran d im B orgo. Ausschnitt

ersten Anzeichen einer geistigen und existentiellen Krise, die an den welt­ anschaulichen Fundamenten rüttelt und zur Meditation zwingt: die Künstler, als erster Michelangelo und jetzt audi Raffael, zeigen sidi bereit, diese Symp­ tome zu erfassen, die später erst und zögernd ins Bewußtsein der Menschheit dringen sollten. D ie „Stanza dell’ Incendio di Borgo“

In diesem Raum beließ Raffael die ursprünglichen Deckenfresken, die noch sein Lehrer und Meister Pietro Perugino gesdiaffen hatte, vier Medaillons mit Darstellungen religiöser Themen. Die Wandfresken entstanden zwischen 1514 und Juli 1517, Gestaltungen von vier historischen Episoden um Päpste,

R a ffael

u n d se in e

S c h ü l e r Brand im Borgo

die den Namen Leo trugen. Schon aus dieser Themenwahl erhellt die Absicht, Leo X. ein Denkmal zu setzen und ihn in Verherrlichung der Taten und Tugenden seiner Namensvettern selbst zu glorifizieren. Das Fresko vom „Brand im Borgo“, welches der Stanze den Namen gab, erzählt ein Ereignis aus dem Jahre 847, als Leo IV. auf wunderbare Weise einen Brand in einem Viertel nahe St. Peter erstickte, das noch heute der Borgo genannt wird: von der Loggia der alten Basilika aus löschte der Papst die Feuersbrunst durch das Zeichen des Kreuzes. Auch das zweite Fresko, die „Schlacht von Ostia“, ist dem Andenken Leos IV. geweiht und erinnert an den Sieg der päpstlichen Flotte über die sarazenische Seemacht in den Gewässern vor Ostia im Jahre 849. Die beiden übrigen Fresken hingegen beziehen sich auf das Pontifikat Leos III.: die „Krönung Karls des Großen“ im Jahre 800 und die historisch minder berühmte Episode vom „Reinigungseid“ des Papstes gegen die Ankla­ gen des Thronraubes, den die Neffen seines Vorgängers, Hadrian L, gegen ihn erhoben. Leo III. wies seine Ankläger in die Schranken, indem er ihnen ent­ gegenschleuderte, Gott allein, nicht aber den Menschen komme es zu, über die Bischöfe zu richten: „Dei, non hominum est episcopos judicare!“ Mit diesem Fresko sollte das Prinzip der geistlichen Oberhoheit des Papstes, das schon von Bonifaz VIII. mit der Bulle „Unam sanctam“ formuliert worden war und 1516 von Leo X. erneut bestätigt wurde, eine suggestive künst­ lerische Untermauerung erfahren. Zur Ausführung dieser Fresken versicherte sich Raffael weitgehend der Mitarbeit seiner Schüler und Gehilfen; zu diesem Zeitpunkt seiner Laufbahn war er bereits ein echter Unternehmer geworden, der sich darauf beschränkte, in der Durchführung umfassender Dekorationsaufträge lediglich das Gesamt­ konzept zu entwerfen, während sein großer Mitarbeiterstab die Malereien nach den Kartons des Meisters schuf. In der Tat unterscheidet sich der „Brand im Borgo“ merklich von den übrigen Fresken der Stanze: Die erste Schöp­ fung des Ensembles beweist, daß Raffaels Bemühungen um eine bewegte und dramatische Darstellung von Erfolg gekrönt waren. Unbeschadet scheinbarer Verwirrung erweist sich die Regie der Szene bei genauerer Betrachtung als überaus sorgfältig und wohlbedacht, ein kompositorisches Schema, das die dramatischen Effekte klassischer Bühnenkunst erzielen läßt. Die Episode um Leo IV. selbst ist in den Bildhintergrund gerückt, wo der Papst in der „Log­ gia delle Benedizione“, die dem Spenden des Segens Vorbehalten ist, er­ scheint; zur Linken erhebt sich die Fassade der alten Basilika. Das Haupt­ augenmerk aber kommt zweifelsohne dem Vordergrund der Komposition zu. In epischer Breite, an Homers Beschreibung des Brandes von Troja ge­ mahnend, schildert Raffael das Wüten der Feuersbrunst in den armseligen Häusern der römischen Plebs. Eine unverkennbare Anleihe bei Homer ist die Figurengruppe am linken Bildrand: der Jüngling, der den Greis aus den 212

Flammen rettet, gemahnt an Äneas’ Flucht mit dem Vater Anchises auf den Schultern. Reminiszenzen an die Antike, Anleihen bei römischen Malereien und Reliefs sind im übrigen äußerst häufig, und mit ihrer Hilfe gelingt es Raffael, seiner ursprünglichen Formensprache eine neue und schon als manieristisch anzusprechende Eleganz zu verleihen. Gewiß sind derlei Metamorphosen zu einem großen Teil auch den Mitarbeitern des Meisters zu verdanken, im besonderen Giulio Romano, wie ein Vergleich mit den grandiosen mono­ chromen Figuren an den Sockeln - „Karl dem Großen“, „Astolf“, „Gottfried von Bouillon“, „Lothar I.“ und „Ferdinand dem Katholischen“ - beweist, die mit Sicherheit als Werke dieses Künstlers anzusprechen sind. Ebenso sicher aber ist, daß diese Entwicklung vollkommen Raffaels Absichten ent­ sprach, der immer deutlicher seinen Willen kundtat, die künstlerischen Tra­ ditionen der Vergangenheit und jegliche Kunst, die vor ihm geschaffen wor­ den war, in einer neuen stilistischen Synthese zu vereinen und durchzuführen, was S. Ortolani „ein Experiment mit den Ausdrucksfähigkeiten der histo­ rischen Sprachen der Kunst“ nannte. Minutiöser, bis ins Detail beschreibend sind hingegen die drei anderen Fresken, vornehmlich jene, die Episoden um Leo III. behandeln und wie Bilderchroniken des liturgischen Zeremoniells anmuten: war die tumultuöse Szenerie des „Brandes von Borgo“ reich an geschmeidiger Eleganz der Be­ wegungen, so machen sich jetzt getragenes Pathos, statuenhafte Starre und Farben ohne Leuchtkraft breit. An die Stelle der lebendigen, mitunter auch theatralischen und mit Überschwang erzählten Episode tritt die kopienhafte Wiedergabe gestellter Bilder, denen bereits die Schwächen des „Manierismus“ anhaften; mechanisch werden Formeln angewandt, die zwar von Modellen des Meisters abgeleitet sind, doch im Effekt nur mehr eine ferne Ähnlichkeit mit Raffaels authentischen Schöpfungen ergeben. D ie „Stanza di C ostantino“

Im Jahre 1517 erteilte Papst Leo X. Raffael den Auftrag, auch das vierte und größte Gemach der Suite zu dekorieren, eine Aufgabe, deren sich der Meister mit bloßen Entwürfen zu einem Rahmenprogramm für die vier Wandfresken entledigte, der Verherrlichung der Persönlichkeit und Taten des Kaisers Konstantin, nach dem die Stanze später ihren Namen erhielt. Über die programmatische Arbeit hinaus fertigte Raffael lediglich einige Entwurfzeichnungen für die „Schlacht an der Milvischen Brücke“ an. Nach dem Tod des Meisters im Jahre 1520 bemühte sich Sebastiano del Piombo, den Dekorationsauftrag an sich zu reißen, doch leisteten Raffaels Schüler er­ bitterten Widerstand, wobei sie zu Recht anführten, der Verstorbene habe 213

ihnen seine Entwürfe und Vorstudien hinterlassen und sie somit in sein Erbe eingesetzt. In der Tat führten sie die Gesamtdekoration der Stanze aus und konnten die Arbeit bereits zwischen 1520 und 1521 vollenden. Somit ist Raffaels Anteil an diesen Schöpfungen äußerst gering, während die Schüler ihnen unverkennbar den Stempel ihrer Manier aufgedrückt haben, vornehmlich Giulio Romano, unter dessen Leitung die Künstlerschar arbeitete, ferner Penni und Perin del Vaga. Ihre Geisteshaltung, die bereits einem neuen kulturel­ len Klima angehörte, ihre Tendenz, die Formensprache des Meisters zu über­ arbeiten und das Vokabular mit Anklängen an Michelangelo und andere zeitgenössische Künstler zu bereichern oder sich stärker als bisher an antike Vorbilder zu halten, ihr Bemühen um eine Synthese rein eklektischer Art all dies tritt in den gemeinschaftlich geschaffenen Fresken offen zutage. Verlassen ist die Sphäre des Idealen, in der Raffaels Kompositionen - und selbst die am stärksten pathetischen - beheimatet waren, die Poesie weicht der Illustration und dem lebhaft-informativen Bilderbogen. Schon die Zeit­ genossen konnten dieser Dekoration nicht recht froh werden, zumindest herrschten geteilte Meinungen: Leonardo Sellaio ließ in einem Brief an Michelangelo seinem Unmut über die „ruchlose Stümperei“ freien Lauf, wäh­ rend Castiglione 1521, ebenfalls brieflich, Federico Gonzaga gegenüber Lobeshymnen sang. Unserem heutigen Kunstverständnis erscheinen die Fresken eher gekünstelt und schwerfällig, doch schätzen wir sie als ein wertvolles Dokument der stilistischen Tendenzen des frühen Manierismus im 16. Jahrhundert. Die Wände der Stanze schmückten Giulio Romano und seine Künstler­ kollegen mit Fresken, die den Eindruck von Gobelins erwecken sollten. Die vier Kompositionen behandeln sämtliche Episoden aus der „Vita“ Konstan­ tins: die „Vision des Kreuzes“, das Konstantin erscheint, als er eine Ansprache an sein Heer hält, und das ihm mit der Inschrift „In hoc signo vinces“ den Sieg im Zeichen des Kreuzes kündet; die „Schlacht an der Milvischen Brücke“, als Schlachtenbild eine Monumentalkomposition, deren Überfülle von Figu­ ren teilweise nach skulpturalen Motiven der Reliefs an den römischen Sar­ kophagen der Kaiserzeit gestaltet ist; die „Taufe Konstantins“ ist in einen architektonischen Rahmen - einen sechseckigen Raum - gestellt, der dem Baptisterium im Lateran gleicht; das vierte Fresko des Zyklus, die „Schen­ kung Roms“ an den Papst durch Konstantin, behandelt eine fiktive Episode, deren legendären Charakter bereits Lorenzo Valla im 15. Jahrhundert nachweisen konnte und die in der Absicht überliefert wurde, die weltliche Macht der Päpste zu stärken. Zu diesen Szenen, die das historisch orientierte Programm der Stanzen­ dekorationen mit unübersehbar politisch gefärbten Darstellungen abschließen, gesellen sich die allegorischen Figuren der „Gerechtigkeit“ und der „Mäßig­ keit“. 214

Die Loggien Raffaels

Zu den bedeutendsten Veränderungen, die der Palast Nikolaus III. im Laufe der Zeit erfuhr, zählt der Bau der halboffenen Pfeilerhalle der „Loggien" um den Hof „Cortile di San Damaso“ an der Ostseite des Palastes; die Ein­ richtung der Loggien hatte Papst Julius II. zunächst Bramante aufgetragen, doch wurde das Werk von Raffael vollendet. Ebenfalls Raffael zuteil wurde zwischen 1517 und 1518 die Aufgabe, den Korridor im Inneren (Pilaster­ halle) - einen 65 m langen und 4 m breiten Gang aus dreizehn kleinen Log­ gien, die jede für sich von einem kuppelartigen Gewölbe gedeckt sind - zu dekorieren. Der Meister entwarf das Gesamtkonzept, fertigte wohl auch einige Kartons an, überließ jedoch die Ausführung der Fresken völlig seinen Schülern. Die Wände und ihre architektonischen Elemente, Pilaster und Bogen, sind vollständig vom Rankenwerk der „Grotesken“ überwuchert, jenen Ornamen­ ten, die man damals erst vor kurzem in den römischen Ruinen, vornehmlich Neros „Goldenem Haus“, entdeckt hatte und die Raffael und seine Mit­ arbeiter dazu anspornten, sich in der antiken Technik - Flachreliefs aus weißem Stuck mit teilweiser Übermalung - zu versuchen. Die „Grotesken“ in den Loggien rahmen runde oder eckige Felder der verschiedensten Formen, die ihrerseits mit kleinen Fresken ausgemalt wurden, mythologischen Szenen, allegorischen Figurinen, Abbildungen antiker Skulptur und Ardiitektur und einigen wenigen Episoden aus Leben und Episkopat Leos X. Unbeschadet der offenkundigen Anleihen bei der Antike bezeugen diese Miniaturfresken von der Hand des kompetentesten „Spezialisten“ der Epoche, Giovanni da Udine, dem Perin del Vaga zur Seite stand, die Vor­ liebe der Renaissance für eine zwar prunkvolle, doch keinesfalls überladene Dekoration, die im Szenisdien auch Humor und Naturalismus zu Wort kom­ men läßt. Die dreizehn kleinen Gewölbe, deren jedes in vier Sektoren geteilt ist, sind den hauptsächlichen Episoden des Alten Testaments gewidmet, mit Ausnahme 215

R affael

u n d se in e

S c h ü l e r Der Bau der Arche Noah

der letzten Loggia, deren Decke Motiven aus den Evangelien Vorbehalten bleibt; in seiner Gesamtheit zeigt der Freskenzyklus die „Genesis“, „Adam und Eva“, „Noah“, „Abraham und Loth“, „Isaak“, „Jakob“, „Joseph“, „Moses“, „Moses und Josua“, „Josua“ (dreimal als eigenständigen Protago­ nisten), „David“, „Salomo“ und, in der letzten Loggia, wie bereits erwähnt, Ausschnitte aus dem Leben Jesu. Auch die Sockel weisen Darstellungen aus der Heiligen Schrift auf, monochrome Malereien, deren Gesamtheit die so­ genannte „Bibel Raffaels“ bildet. Auch an diesen Fresken hat Giulio Romano den maßgeblichen Anteil, unterstützt von Perin del Vaga, Penni und dem damals noch blutjungen Polidoro da Caravaggio. Weitgehend sich selbst überlassen, finden die Schüler Raffaels Gefallen am lebhaften, phantasie­ vollen Erzählen, brillieren mit eleganten Formen und luminösem Raffine­ ment, versuchen sich mit kurzem, schnellem Pinselstrich in der Fresken­ technik der Antiken, die, mit Farbtupfen Mosaiken nachahmend, bereits eine 216

Ansicht der Loggien Raffaels

sehr frühe Vorahnung des Impressionismus vermitteln. Zweifellos fühlten sich Raffaels Zöglinge und Mitarbeiter hier in den Loggien, wo sie sich for­ male Spielereien erlauben und ihrem modischen Geschmack freien Lauf lassen konnten, wesentlich wohler als in den Stanzen, deren Dekorationen vom Pathos des „Brandes im Borgo" und der „Vita Konstantins“ sie zwang, sich in gemalter Rhetorik zu üben. N ach R affael D e r F ischzug P e tr i

Im Jahre 1515 beschloß Papst Leo X., die Sixtinische Kapelle mit einer Serie von Wandteppichen auszustatten, die anläßlidi der hohen Feste der Kirche zur Verkleidung der Sockel unterhalb der zu Ende des 15. Jahrhunderts ge­ malten Fresken an den Seitenwänden dienen sollten. Es war beabsichtigt, die Wandteppiche nach der „Geschichte der Apostel“ zu gestalten und die Mehrzahl der insgesamt zehn Szenen vornehmlich den von Petrus und Paulus bewirkten Wundern zu widmen; damit hätten sie im Verein mit den Wandfresken um „Moses“ und „Christus“ und der drei Jahre zuvor von Michelangelo fertiggestellten „Genesis“ an der Decke der Kapelle einen in sich geschlossenen historischen Zyklus jener Ereignisse geboten, die Quelle des Dogmenglaubens und der Autorität der katholischen Kirche sind. Leo X. erteilte Raffael den Auftrag, noch im Laufe des Jahres 1516 originalgroße Entwürfe für sämtliche Wandteppiche anzufertigen, sogenannte Kartons, nach denen die Teppichwirker die Tapisserien auszuführen hatten. Wenn Raffael tatsächlich den ihm gesetzten Termin einhalten konnte, so ist dies zu einem Gutteil der Mitarbeit seiner Schüler G. F. Penni, Perin del Vaga, Giulio Romano und Giovanni da Udine zu verdanken. Da Italien zu jener Zeit über keine Teppichmanufaktur verfügte, die in der Lage gewesen wäre, einen so umfassenden und anspruchsvollen Auftrag durchzuführen, wurden die Kartons nach Brüssel zu Pieter van Aelst gesandt, dessen Manufaktur die größte und berühmteste der Epoche war und wohl auch die einzige, die verwöhnte Liebhaber und zahlungskräftige Kenner wie Philipp den Schönen und Johanna die Wahnsinnige zufriedenstellen konnte. Bereits 1519 war der Teppichzyklus fertiggestellt und zierte am 26. Dezem­ ber desselben Jahres erstmalig die Wände der Sixtina. In den begeisterten Beifall, den die Tapisserien ernteten, mischte sich gleichwohl scharfe Kritik, die am unbarmherzigsten der Widersacher Raffaels und seiner Schule, Seba­ stiano del Piombo, übte, wie stets bemüht, jegliches Verdienst des ihm Ver­ haßten zu schmälern. Die Mehrzahl der zeitgenössischen Künstler und Kunstkenner aber sparten nicht mit enthusiastischem Lob, was auch durch die Tatsache bewiesen ist, daß Heinrich VIII. von England und der Herzog von Mantua bei Pieter van 218 N

ach

R a ffa el Der Fischzug Petri. Ausschnitt >

Aelst Kopien des Tapisserienzyklus bestellten und in späterer Zeit fünf wei­ tere Repliken angefertigt wurden. 1815 wurden die Teppiche unter der Leitung von Antonio Canova restau­ riert und in eigens eingerichteten Räumlichkeiten, den ehemaligen Apparte­ ments Pius V., installiert. Der heutige Zustand der stark verblichenen Tapisserien ist das Ergebnis ihrer häufigen Verwendung im Laufe der Jahrhunderte und der Einwirkung von Licht und Sonne; doch mögen wir auch nicht mehr in der Lage sein, ihre ursprünglichen koloristischen Qualitäten zu beurteilen, so zollen wir ihnen dennoch unsere uneingeschränkte Bewunderung, die in erster Linie den flä­ mischen Teppichwirkern gilt, verstanden sie es doch, Raffaels Konzept ein­ fühlsam originalgetreu in ihre schwierige Textiltechnik zu transponieren und es in all seinen Besonderheiten zu erhalten. Besser freilich lassen sich diese Originalitäten an den sieben Kartons be­ urteilen, die glücklicherweise bis auf den heutigen Tag erhalten sind. 1623 erwarb sie Charles Stuart - der spätere Karl I. von England - für rund 700 Pfund Sterling in Genua und brachte sie nach London, wo sie heute den Sammlungen des Victoria-and-Albert-Museums angehören. Im Verein mit den zur selben Zeit entstandenen Fresken in der „Stanze des Heliodor“ bezeugen die Tapisserienentwürfe Raffaels künstlerische Entwick­ lung, den deutlich erkennbaren Übergang von einer ersten, appollonisch hei­ teren Stilphase der absoluten formalen Harmonie zu einer neuen, von Michel­ angelo beeinflußten „maniera“, in der die Komposition an Breite und Dyna­ mik gewinnt und gesteigerte Dramatik den Ausdruck prägt; eine Entwick­ lung freilich, die ihren manieristischen Charakter nicht gänzlich verleugnen kann. Doch ist hierin weniger das authentische Werk Raffaels als vielmehr die Aktivität seiner Schüler zu erblicken, die, wie bereits erwähnt, maßgeb­ lichen Anteil am Entstehen der Kartons hatten. Tatsache ist gleichwohl, daß der Meister selbst das Bedürfnis nach einer Erneuerung der eigenen Stilmittel empfand und daß seine Regie und sein persönliches Mitwirken (das vor allem aus monumentalen Details wie der hier wiedergegebenen erhellt) zu einer bruchlosen Verschmelzung der von ihm vollendeten Tradition der Hoch­ renaissance mit den sich ankündigenden neuen Tendenzen des Barock führten.

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Der Belvedere

P irro Ligorio D er „Nicchione""

Bramante hatte ursprünglich geplant, den großen Hof zwischen den beiden Gebäudeflügeln, die den Vatikanpalast mit der Villa Belvedere verbinden, mit einer „Exedra“ abzuschließen, einer nischenartigen halbrunden Säulen­ halle. Der Gedanke zu dieser „großen Nische", (ital. Nicchione), kam ihm von einem Architekturelement, das typisch für die prunkvollen Baderanlagen und die eleganten Patrizierhäuser des alten Rom war, einem halbrund ab­ geschlossenen Repräsentationsraum von bühnenbildhafter Wirkung. Im übri­ gen hätte die Exedra Bramantes vorzüglich dem Charakter des Belvedere entsprochen, das gänzlich im Zeichen der Erinnerung an die Antike stand, seit Julius II. die bedeutendsten Exponate seiner archäologischen Sammlung in der Villa untergebracht hatte. Eine erste Veränderung des Projekts von Bramante nahm Michelangelo vor: er baute eine zweirampige Treppenanlage, die zum Halbrund empor­ führt, und bewirkte wohl auch, daß unter Verzicht auf die Säulenhalle eine einfache Nische gebaut wurde, die sich gleichsam als Apsis aus dem Hof vor­ wölbt. Die Durchführung dieser Idee kam Pirro Ligorio zu, der 1560 den Bau der Nische in Angriff nahm und diesmal auf alle jene verspielten Dekorations­ details verzichtete, in denen er noch als Architekt der nahegelegenen Villa Pia geschwelgt hatte. Das Ergebnis ist ein strenges, nüchternes Konkav von star­ ker Tiefenwirkung, eine Fassade, deren karge plastische Elemente harte LichtSchattenkontraste ergeben, ein monumentaler Baukörper, der an die erhabe­ nen Architekturen der Antike gemahnt; und dies nicht zufällig, denn Pirro Ligorio ließ sich von der Nische des antiken Stadions auf dem Palatin in­ spirieren. Im Jahre 1618 krönte man die Balustrade der Treppenanlage, die zur Nische emporführt, mit jenem bronzenen Pinienzapfen, der „Pigna", die sich 221

B r a m a n te

Die Treppenanlage des Belvedere Ausschnitt

B r a m a n te

und

P ir r o L ig o r io

Die Nische mit den Pinienzapfen im Belvedere-Hof

ursprünglich, gemeinsam mit den beiden bronzenen Pfauen zu ihrer Rechten und Linken, auf dem Hadrians-Mausoleum, der heutigen Engelsburg, befun­ den hatte. Im Mittelalter hatte die Pigna zum Schmuck des großen Brunnens im Atrium - oder „Paradies“ - der Basilika Konstantins gedient, wo ihn Dante anläßlich des ersten Heiligen Jahres 1300 gesehen und als „Pinien­ apfel von Sankt Peter“ in der Göttlichen Komödie (Inferno XXXI, 59) er­ wähnt hat. In viel späterer Zeit brachte man den Sockel der Triumphsäule des römi­ schen Imperators Antoninus Pius (138-161), Hadrians Nachfolger, in der Mitte der Nische unter. Das kunsthistorisch bedeutsame Fragment, das erst 1703 wiederentdedct worden war, verherrlicht in seinem kostbaren Reliefschmuck Taten und Siege des Vollenders des obergermanischen Limes. Auf diese Weise mit den ver­ schiedenartigsten und sich doch harmonisch zueinander fügenden Elementen ausgestattet, hat die „große Nische“ im Laufe der Zeit zusehends den Cha­ rakter eines architektonischen Raritätenkabinetts angenommen. Durch den Bau des „Neuen Flügels“, in dem Sixtus V. die Vatikanische Bibliothek unterbrachte, wurde die von Bramante gestaltete Hofanlage in zwei Teile geschnitten, so daß es heute nicht mehr möglich ist, die „große Nische“ aus jener Entfernung und jener Tiefe zu betrachten, wie es Pirro Ligorio vor­ geschwebt war. Und doch ist die Faszination jener Schöpfung ungebrochen, die zweifelsohne als das Meisterwerk des phantasievollen neapolitanischen Architekten gelten mag.

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Pinakothek des Vatikans

G iotto und Schüler T r ip ty c h o n S tefan esch i

Die Abbildung zeigt den Mittelteil des Triptychons, das Kardinal Stefaneschi bei Giotto um 1330 in Auftrag gab. Jedenfalls entstand der Flügelaltar zu einem späteren Zeitpunkt als das Mosaik der Navicella, des „Schilfleins“ Petri in der Peterskirche. An jenem Werk, das zu den letzten des greisen Meisters zählt, haben seine Schüler und Gehilfen maßgeblichen Anteil. Frei­ lich stimmt die moderne Kunstkritik weitgehend darin überein, daß von Giotto selbst nicht nur das Gesamtkonzept des Triptychons stammt, sondern fast zur Gänze auch die abgebildete Mitteltafel mit einer perspektivischen Darstellung des thronenden Christus, deren zu jener Zeit allein Giotto fähig war: eine in die Tiefe strebende Perspektive, deren reales Raumempfinden die konventionelle mittelalterliche Vision überwindet; die treppenförmige Staffelung der einzelnen Bildebenen trägt dazu bei, der zentralen Gestalt des Erlösers eine unmittelbar zwingende Präsenz zu verleihen. In der kleinen Figur, die zur Linken des Heilands an den Stufen des Thrones kniet, hat der Künstler seinen Auftraggeber, Kardinal Stefaneschi verewigt. Und auch dieses Porträt, das nur ein Maler schaffen konnte, der mit sicherem Gefühl für den Charakter seines Modells begabt war, der es verstand, naturgetreu ein unverwechselbares Menschenantlitz wiederzugeben, bestätigt die Autor­ schaft Giottos. Lange Zeit hindurch zierte das Triptychon den Hochaltar der vatika­ nischen Basilika, der, wie wir wissen, freistehend vor der Apsis aufragte. Dennoch sind die Tafeln zweiseitig bemalt. Auf der Vorderseite flankieren die „Kreuzigung Petri“ und die „Enthauptung Pauli“ das Zentralmotiv des thronenden Erlösers, quer über die Predella, den Unterbau, zieht sich fries­ artig eine Darstellung der zwölf Apostel, in deren Mitte, von zwei Engeln umgeben, die „Thronende Madonna mit dem Jesusknaben“ ein Pendant 224

G io t t o

und

G e h il f e n Der thronende Christus. Mitteltafel

G io t t o

u n d sein e

S c h ü l e r Triptychon Stefaneschi

zur zentralen Christusfigur bildet. Die Rückseite der mittleren Tafel zeigt „Petrus auf dem Thron“ (und ihm zu Füßen ein zweites Mal den Kardinal Stefaneschi), während die Seitentafeln Darstellungen von Heiligen aufwei­ sen; von der Predella ist heute nur mehr der Mittelteil erhalten, den Brust­ bilder von drei weiteren Heiligen schmücken. Vor allem aus den kleinen Figuren des Unterhaus und den miniaturenhaften Figuraldarstellungen am Rande der Bildtafeln erhellt die Mitarbeiter­ schaft eines Giotto-Schülers, der die Lehren des Meisters mit Inspirationen aus der Stilistik der zeitgenössischen Schule von Siena verband. G entile da Fabriano D a s W u n d e r des h eilig e n N ik o la u s

Das kostbare Bildtäfelchen, das unsere Abbildung zeigt, stammt von der schmalen Sockelzone oder Predella des Flügelaltars, den Gentile da Fabriano im Mai 1425 für die Familie Quaratesi schuf. Ursprünglicher Standort des Altarwerkes war eine der Kapellen der Kirche San Niccolò d'Oltrarno in 226

Florenz. Heute befindet sich die mittlere Tafel des Polyptychons, eine Dar­ stellung der „Madonna mit Jesusknaben und Engeln“, in der Londoner Nationalgalerie, während die großen seitlichen Flügelpaare, die „Maria Magdalena“, „Johannes den Täufer“, den „heiligen Nikolaus von Bari“ und den „heiligen Georg“ zeigen, im Besitz der Florentiner Uffizien sind. Den Schmuck der Predella bildeten fünf Bildtäfelchen, die kleinfigurige Sze­ nen aus dem Leben des heiligen Nikolaus aufweisen. Vier der Tafeln, dar­ unter die abgebildete, gehören heute den Sammlungen der vatikanischen Pinakothek an, während die fünfte - „Sieche und Pilger am Grabe des Hei­ ligen“ - Eingang in die Washingtoner Nationalgalerie gefunden hat. Zu jener Zeit, da Gentile da Fabriano den beschriebenen mehrteiligen Altar schuf, hatte Florenz bereits die ersten großen Manifestationen der Renais­ sance erlebt: schon arbeitete Masaccio an seinem Hauptwerk, den Fresken in der Karmeliterkirche, während Brunelleschi und Donatello, durch das Stu-

G e n t il e

da

F a b r ia n o Der heilige Nikolaus von Bari

G entile da Fabriano D ie G e b u rt des heiligen N ik o la u s

P ie t r o L o r e n z e t t i Jesus vor Pilatus

Das Ideine Gemälde auf Holz gehört der Predella eines Polyptydion an. Es kennzeichnet den Stil des sicnesischen Meisters, der mit einer dramatischen Lebhaftigkeit die Lehren des Duccio und Giotto interpretiert.

V it a l e

da

B ologna

Maria mit dem Kinde Vitale war der bedeutendste Vertreter der emilianischen Schule des Trecento. Er ist stark mit den Traditionen Giottos verbun­ den, den er mit einem gewissen Realismus interpretiert, was besonders deutlich aus der Darstellung der Mönche hervorgeht, denen der Jesusknabe den Segen erteilt.

dium der Antiken in Rom geschult, die Loslösung von der Gotik vollzogen. Dieser aber blieb Gentile da Fabriano verbunden, blieb in seiner Kunst Teil einer spätgotischen Welt, als deren letzter Nachfahre er die pathetisch-fein­ sinnige Poetik der höfischen Gesellschaft ebenso pflegte wie ihren zum Pro­ fanen neigenden Dekorationsstil. Und doch wird bei Gentile bereits ein in­ tensives Bemühen um die naturalistische Wiedergabe der Details offenkundig, wodurch die alten Heiligenlegenden neue Belebung erfahren und in der Art ihrer Darstellung auch dem Kunstempfinden des 15. Jahrhunderts, der Ästhe­ tik der damaligen „Moderne“, einigermaßen Rechnung tragen. Als letzte Zeugen der ersterbenden Figuraltradition des Mittelalters leiten die kleinen Bildtafeln des Gentile über von der ausklingenden Gotik zur Formensprache der Neuzeit. Leonardo da V inci D e r h eilig e H ie r o n y m u s

Die Geschichte dieses Meisterwerks kann mit Recht als abenteuerlich bezeich­ net werden: Leonardos Hieronymus entstammt nämlich keineswegs den alten Kunstsammlungen des Vatikan, sondern wurde erst 1820 von Kardinal Fesch im Laden eines römischen Trödlers aufgestöbert. Ein Teil der Bildtafel, mit dem Kopf der Heiligenfigur, war abgesägt worden und mußte erst nach­ träglich im Zuge einer Restaurierung wieder eingefügt werden, eine Opera­ tion, die bedauerlicherweise heute noch sichtbare Spuren hinterließ. Die Malerei gelangte nicht über den Zustand eines monochromen, in brau­ nen Tönen gehaltenen Entwurfs hinaus. Auf Grund der offensichtlichen sti­ listischen Verwandtschaft mit der heute in den Florentiner Uffizien befind­ lichen A n b e tu n g d e r K ö n ig e y einem 1481 begonnenen und ebenfalls nie voll­ endeten Werk, darf man annehmen, daß auch D e r h eilige H ie r o n y m u s wäh­ rend der letzten Monate von Leonardos Aufenthalt in Florenz entstand, ehe er sich 1482 nach Mailand begab. Ebenso wie die A n b e tu n g d e r K ö n ig e läßt D e r h eilig e H ie r o n y m u s das Bemühen des Künstlers um die Effekte der Hell-Dunkel-Malerei und des duftig verschwimmenden „rauchigen“ Sfumato erkennen, mit dem der Künst­ ler das Flimmern der Luft, ein als unbewegt empfundenes, stetes Licht und den Pulsschlag der belebten Natur wiederzugeben trachtete. In dieser Hin­ sicht ist das Werk als ein Vorläufer reiferer Schöpfungen, der M a d o n n a in d e r G r o tte und des A b e n d m a h ls zu bezeichnen. Doch stärker noch als die Meisterwerke der Reife gehorcht D e r h e ilig e H ie r o n y m u s dem Anliegen des Künstlers, die Psyche und ihre Ausdrucksformen mit den Medien der Malerei zu deuten. Diese psychologische Interpretation gemahnt an die berühmtesten Porträtschöpfungen des Meisters und läßt an La Fontaines Worte denken, der von Leonardos Kunst als der „nachtdunklen Lust eines 230

L eonardo

da

V in c i Der heilige Hieronymus

schwermuttrunkenen Herzens" („Sombre plaisir d’un coeur melancolique") sprach. Leonardo weilte 1492 und wiederum 1513 bis 1516, unter dem Pontifikat von Leo X., in Rom: damals bezog er Quartier im Belvedere und dürfte sich ausschließlich militärtechnischen Untersuchungen gewidmet haben. Zumindest ist kein einziges Gemälde bekannt, das als Frucht seiner Romaufenthalte an­ zusehen wäre.

F r a n c e sc o

di

G e n t il e

Maria mit dem Kinde auch Madonna mit dem Schmetterling Dieser von Fabriano stammende Künstler, tätig während der zwei­ ten Hälfte des 15. Jahrhundert, ließ sich durch die zeitgenössischen Werke Bellinis inspirieren.

Fra A ngelico D e r h eilig e N ik o la u s v o n B ari b e g e g n e t d e m kaiserlich en B o ten u n d r e t te t ein Schiff v o r d e m U n te rg a n g

Diese Tafel gehört der Predella des Polyptychon an, das Fra Angelico um 1437 für die Kirche S. Domenico in Perugia ausgeführt hatte. Eine andere Tafel befindet sidi ebenfalls in der Sammlung der Pinakothek des Vatikan, während die Mitteltafel des Polyptychon in der Galleria Nazionale dell’ Umbria in Perugia hängt. Dieses Werk wurde 10 Jahre vor Fra Angelicos Ankunft in Rom gemalt, also vor der Ausführung der berühmten FreskenSerie des Klosters S. Marco in Florenz. Die Darstellung der felsigen Land­ schaft und des Meeres ist idealisiert; die ganze Szene realisiert in einem Stil, der diese Epoche aus dem Leben des Heiligen als eine ritterliche Geschichte schildert. - Obwohl der Meister an der Renaissance teilnahm, bewahrte er in Wirklichkeit eine gewisse Sehnsucht nach der erdichteten Welt der Gotik. 233

F ilippo L ippi D ie K rön u n g M ariä, H eilig e und Spen der

Unter den großen florentinischen Malern zu Beginn der Renaissance war Filippo Lippi jener, der es besser als alle anderen verstand, die neuen Ten­ denzen und unter gewissen Aspekten, den Realismus des Masaccio mit dem Streben nach einem Schönheitsideal auszusöhnen, das Botticelli sich zu eigen machen wird. - In diesem Triptychon macht sich neben dem Einfluß Fra Angelicos eine räumliche, solide und ausgeglichene Konstruktion bemerkbar, die vor allem in der Anordnung der Gestalten des seitlichen Flügels einen fast architektonischen Elementarcharakter hat.

M elo zz o

da

F o r l ì (unter Mitarbeit von Marco Poimezzano) Sixtus IV.

Ercole dei R oberti D ie L e g e n d e d es h eilig en V in ze n z P e rrie r

(Predella des Polyptychon Griffoni) Das Altarbild, ausgeführt für die Kapelle der Familie Griffoni in der Kirche S. Petronia in Bologna, wurde durdi Francesco del Cossa um 1470/75 be­ gonnen und zwischen 1475/77 durch Ercole dei Roberti vollendet. - Die Kunsthistoriker teilen einstimmig die Predella, die sich heute in der Pina­ kothek des Vatikan befindet. Ercole dei Roberti zu. Der Künstler fügt der feierlichen und strengen Vorstellung des Francesco del Cossa eine drama236

tischere und spannendere Erzählung hinzu. Sein Stil, geprägt durch die Sen­ sibilität, charakteristisch für die Männer des Nordens, verwandelt die klas­ sischen Formen bis zur Irrealität, ganz wie die metallischen Mannequins eines grausamen Balletts, welches sich in einem gefühllos, bestrickenden Dekor einer sich in fortwährender Metamorphose befindlichen Landschaft, inmitten der Architektur und den Felsen, abspielt. Diese bewundernswerten Tafeln gehören zu den Meisterwerken der Schule von Ferrare des Quattrecento. Sie spiegeln den raffinierten und äußerst intellektuellen Aspekt der italienischen Kunst dieser Epoche wieder.

E rcole

d ei

R o b e r t i Die Legende des heiligen Vinzenz Ferner. Ausschnitt

R affael D ie K rön u n g M a riä auch A lta r b ild O d d i

R affael D ie M adon n a v o n F olign o

R affael M a d o n n a v o n F olign o

Das Gemälde, dem das abgebildete Detail entstammt, schuf Raffael im Auf­ trag des italienischen Edelmannes Sigismondo de’ Conti; mit diesem Votiv­ bild, dessen Name sich aus der Entstehungsgeschichte erklärt, wollte Conti der Gottesmutter seinen Dank für ein Gnadenwunder ausdrücken: während eines Unwetters wurde das Haus des Stifters in Foligno in den Marken von einem Meteoriten getroffen, ohne jedoch Schaden zu erleiden. Eben dieses Ereignis stellte Raffael in der Landschaftsszene dar, die, unter abziehendem Unwettergewölk gleichsam zu neuem Leben erwachend, von übernatürlichem Schein überglänzt, im Banne eines Zaubers zu liegen scheint: eine eigen­ artige, flimmernde, phosphoreszierende Landschaft, wie sie in Raffaels Malerei bislang unbekannt war. Kunsthistoriker und Kritiker, darunter solche von Rang und Namen, gelangten zu der Ansicht, daß diese Landschaft nicht von der Hand des Meisters, sondern von einem Mitarbeiter stamme, und R. Longhi nannte in diesem Zusammenhang den Ferraresen Dosso Dossi; gleichwohl dürfen wir mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch diesen Bildteil Raffael zu­ schreiben, der während der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Rom dazu neigte, sich die Konzepte anderer Künstler, die zur selben Zeit in der Ewigen Stadt weilten, zu eigen zu machen und seiner persönlichen Vision anzupassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstand die M a d o n n a v o n F o lig n o um 1511/12, also zu der Zeit, da Raffael die Fresken in der Stanza della Segnatura vollendete; das Werk fand eine erste Heimstatt in der Kirche dell’ Aracoeli auf dem Campidoglio, von wo es eine Nichte des Stifters nach Foligno in die Annenkirche überführte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es den vatikanischen Sammlungen einverleibt. Ein weiteres bemerkenswertes Detail des Gemäldes ist das Porträt des adeligen Stifters, der gemeinsam mit Johannes dem Täufer, Franz von Assisi und dem heiligen Hieronymus kniend in die Anbetung der Heiligen Jung­ frau versunken ist: die starke Individualität des nicht schönen, doch überaus expressiven Antlitzes bestätigt ein weiteres Mal die außergewöhnlichen porträtistischen Fähigkeiten Raffaels. Die Tafel in den Händen des kleinen Engels im Vordergrund sollte wohl mit einer Votivanschrift versehen wer­ den, doch dürfte dieses Vorhaben nie durchgeführt worden sein. R affael D ie V e rk lä ru n g C h ris ti

Im Jahre 1517 erhielt Raffael vom Kardinal Giuliano de’ Medici den Auf­ trag, eine „Verklärung“ zu malen, die ursprünglich der Kathedrale von 240 R affael D ie M adon n a v o n F olign o. Ausschnitt >

R affael D ie V erkläru n g C h risti

Raffael D ie Verklärung Christi. Ausschnitt

Narbonne zugedacht war; denn der illustre Kardinal war auch Bischof der französischen Stadt und wollte ihr mit diesem Geschenk eine besondere Huld erweisen, die ihr jedoch nicht zuteil wurde, da Raffaels Werk später die römische Kirche San Pietro in Montorio schmückte. Die „Verklärung“ sollte ein Gegenstück zur „Auferweckung des Lazarus“ bilden, die bei Sebastiano del Piombo bestellt wurde. Die gleichzeitig ergangenen Aufträge stürzten die beiden Künstler in einen erbitterten Konkurrenzkampf, von dem auch die Briefe des Venezianers an seinen Freund Michelangelo zeugen. Sebastiano verhehlt darin nicht, wie verbittert er ob der Notwendigkeit war, seine Kräfte mit dem berühmteren und vom Schicksal begünstigteren Raffael messen zu müssen; zu allem Überdruß dürfte der prominente Konkurrent eine Intrige angezettelt haben, um dem Venezianer den Auftrag zu entreißen. Als Raffael 1520 im Alter von erst 37 Jahren starb, war das Werk noch nicht vollendet: einzig den hier reproduzierten oberen Teil des Bildes hatte der Meister fertiggestellt, wobei ihm jedoch Schüler, vornehmlich der Floren­ tiner Penni, halfen. Den unteren Teil, die „Wunderbare Heilung des mond­ süchtigen Knaben“, eine Episode, die Matthäus (XVII, 1-20) im Zusammen243

hang mit der Verklärung überliefert, schuf zwischen 1520 und 1522 Giulio Romano, wobei er sich der von Raffael hinterlassenen Zeichnungen bediente, um sie jedoch sehr eigenständig zu interpretieren. In der Tat sind die Unterschiedlichkeiten zwischen beiden Teilen des Ge­ mäldes augenfällig: die eigentliche „Verklärung“ weist sich als typisches Produkt der letzten Schaffensperiode Raffaels aus und wird durch verhaltene, gleichsam gebändigte Emotionen und das immer beobachtete Gleichmaß einer vollkommen symmetrischen Komposition charakterisiert. Die Szene in der unteren Bildhälfte jedoch ist stürmisch bewegt, erfüllt von leidenschaftlicher Gestik, die eine intensive Palette und starke Hell-Dunkel-Kontraste zusätz­ lich unterstreichen. Einzig die klassizistisch empfundene kniende Frauen­ gestalt im Vordergrund und das Haupt des heiligen Johannes in der Bild­ mitte, auf einer Achse mit der Christusfigur in der oberen Bildhälfte, ver­ raten ihre unmittelbare Herkunft von den Zeichnungen Raffaels, während die übrige Komposition bereits eine Vorwegnahme der effektbewußten Regie der manieristischen Malerei darstellt. C aravaggio D ie G ra b le g u n g C h r is ti

Zu keiner Zeit seines Lebens stand der aus der Gegend von Bergamo stam­ mende Michelangelo da Caravaggio in den Diensten des Vatikans. So schuf er denn auch die „Grablegung“, die sich heute in der Pinakothek befindet, für den Altar der Kapelle der Familie Vittrice in Santa Maria della Vallicella, der sogenannten „Neuen Kirche“ der Filippini in Rom. Das Werk, das vermutlich zu Anfang des Jahres 1602 begonnen worden war, wurde im September 1604 vollendet und gehört demnach der Periode der künstlerischen Vollreife des damals Dreißigjährigen an. In der „Grablegung“, einem der Meisterwerke des Caravaggio, treten die wesentlichen Besonderheiten seiner Kunst zutage: allen voran der Sinn für das Dramatische, die getragen zelebrierte Aktion, die gleichsam isoliert im nächtigen Raum in Szene geht, Düsterkeit, die schwer auf den Figuren lastet, horizontloses, grenzenloses Dunkel, dessen Dichte aus dem beiläufigen Kontrast der Kante des Grabsteins im Vordergrund fühlbar wird; die pla­ stische Körperlichkeit der Figuren, die beinahe die ganze Bildfläche in Besitz nehmen; Körper, getroffen von einer kühlen, starken Lichtbahn, die grelle Kontraste aus dem dunklen Grund reißt, die Farben jäh auflodern läßt, Gestik und Ausdruck dramatisch akzentuiert; und dann der kraftvolle Realis­ mus, die Lebensnähe jener Figuren, die keine Idealpersonen sind, sondern Abbilder von Mitmenschen, Porträts vielleicht, alltägliche Charaktere, die unvermittelt ein feierliches Gehaben annehmen, in einer Pose erstarren wie jene Maria, Kleophas Frau - die letzte Figur zur Rechten -, die, mit erhobe244

G u id o R e n i

Die Kreuzigung des heiligen Petrus Diese Leinwand, ausgeführt zwischen 1600-1603, ist ein Jugendwerk des bolognesischen Malers. Der Kardinal Pietro Aldobrandini bestellte es für die Kirche „delle Trefontane“. Dieses Ge­ mälde nähert sich bedeutend dem Licht­ spiel und den Hell-Dunkel-Effekten Caravaggios.

P ie t r o

da

C ortona

D avid und der Löwe Dieses Gemälde — eine andere Lein­ wand befindet sich in der Sammlung der Pinakothek des Vatikan, zwei wei­ tere im Palazzo del Quirinale — ge­ hört einer Reihe von Gemälden über die „Episoden aus dem Leben Davids“ an, die der Künstler in seinen letzten Jahren ausführte und eine Kopie der in seiner Jugend gemalten Fresken für die Villa del Pigneto des Marquise Sac­ chetti in Rom ist. Die Villa ist zerstört.

C aravaggio D ie G ra b leg u n g C h risti

D o m e n ic h in o Die Kommunion des heiligen Hieronymus

nen Armen, zur Nachempfindung eines klassischen Modells aus der berühm­ ten hellenistischen Niobe-Gruppe wird. Die Tragödie, die Caravaggio inszeniert, ist vor allem menschlich, zum zweiten sakral. Doch seine Menschlichkeit ist in sich selbst Religion, durch­ drungen von einer Inbrunst des Glaubens, die nachzufühlen den zeitgenös­ sischen Klerikern nicht immer gegeben war: denn mehr als einmal ver­ bannten sie die Bilder des Künstlers aus den Kirchen und weigerten sich, die Altäre mit derlei „gemeinen“ Darstellungen zu verunzieren. Die Malerkol­ legen freilich waren anderer Ansicht und machten sich Konzept und Vision des oftmals Verfemten zu eigen, von Rubens über Valentin, Fragonard und Géricault bis zu Cezanne. Wir Heutigen erkennen in Caravaggios religiösem Gefühl unsere eigene Gläubigkeit wieder. D omenichino D ie K o m m u n io n des h eilig e n H ie r o n y m u s

Gleich Poussin ist auch Domenico Zampieri, genannt „Domenichino“, ein Hauptvertreter des Klassizismus im 17. Jahrhundert, doch im Unterschied zur Kunst des Franzosen zeichnen sich seine Schöpfungen durch ein Weniger an kühlem Intellekt und ein Mehr an Pathos und Sentiment aus. Stilistisch steht Domenichino jedenfalls noch der italienischen Malerei des 16. Jahrhun­ derts nahe. In ihm setzt sich die Tradition eines Raffael und Tizian fort. Die K o m m u n io n d e s heilige77 H ie r o n y m u s , die, wie die Signatur verrät, 1614 vollendet wurde, hatte der Künstler drei Jahre zuvor im Auftrag von Kardinal Aldobrandini, Protektor des Klosters San Gerolamo della Carità in Rom, begonnen. Das Gemälde blieb bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts in der Kirche dieses Klosters, um dann Eingang in die Sammlungen der Vati­ kanischen Pinakothek zu finden. Schon bei seiner ersten Konfrontation mit der Öffentlichkeit löste das Werk Begeisterungsstürme, aber auch heftige Kritik vor allem seitens jener Künstler wie Pietro da Cortona und Lanfranco aus, die sich dem Barock ver­ schrieben hatten. Unter anderem warf man Domenichino vor, er habe allzu getreulich ein Werk derselben Thematik nachgeahmt, das Agostino Carracci wenige Jahre zuvor für die Kartause von Bologna schuf. Dennoch überwog das Lob die negative Kritik; Meister wie Poussin meinten, das Gemälde zähle zu den schönsten in Rom, und der größte Kunstkritiker der Zeit, G. P. Bellori, schrieb in seinem „Vite“, den Biographien zeitgenössischer Künstler: „Jede einzelne der Figuren ist vom Hauche des Lebens erfüllt; und wenn Domenichino darauf all die Empfindsamkeit der Kunst und seines Genies verwendete, so ist nicht minder staunenswert auch die Meisterschaft, mit der er alle Teile zueinanderfügte und aufeinander abstimmte, derart, daß bald die Lichter, bald die Schatten, die Halbtöne wie die Farben zur Geltung 248

kommen, deren Letztere sich brechen und auf die angenehmste Art sanft in­ einander übergehen, ohne harte Kontraste, und all dies badet gleichsam in Luft, die sich in ätherischer Perspektive verströmt. . . Gleich wie des Heiligen Körper schmachtend sich verzehrt, verzehrt die Schöpfung sich nach ihrem Schöpfer.“ Uns Heutigen freilich erscheint die Malerei des Meisters aus Bologna min­ der inspiriert als vielmehr gekünstelt und konventionell im Ausdruck. Was Domenichino in den Rang der Besten unter den zeitgenössischen Römern er­ hebt, sind sein Wissen um die Gesetze der Komposition und die warme Intensität seiner Palette. Einige Details, wie etwa die Landschaft, die sich jenseits des Bogens weitet, und die kniende Figur des Diakons im rechten Vordergrund, offenbaren, daß er mehr sein konnte als einer der besten Maler seiner Zeit: ein malender Poet. N icolas P oussin D a s M a r ty r iu m des h eilig en E rasm u s

Der Realismus eines Caravaggio, Deutung einer leidenschaftlich beobachteten Wirklichkeit, ist einer der Pole des Kunstschaffens des 17. Jahrhunderts; der andere ist der verstandesbetonte Klassizismus des Franzosen und Wahlrömers Nicolas Poussin. (Zwischen diesen beiden Polen, denen auch zwei verschie­ dene Arten von Geschichtsauffassung und zwei verschiedene Konzepte der moralischen Sendung des Künstlers entsprechen, sind der rhetorische Über­ schwang, die naive Freude an der Verherrlichung, der Hang zur Prunkentfal­ tung und die Vorliebe für die artifizielle Verfremdung der Natur beheimatet: das Barock eines Bernini.) Der große französische Maler, der mehr als vierzig Jahre seines Lebens in Rom verbrachte, arbeitete in erster Linie für private Auftraggeber, italie­ nische und französische Mäzene, und schuf nur ausnahmsweise sakrale Kunst­ werke. Zu diesen wenigen kirchlichen Dekorationen und Altarbildern, deren Standort es bedingte, daß sie ständig einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren, zählt das M a r ty r iu m d es h eiligen E rasm u s, ein Werk, das, 1628 bis 1629 ausgeführt, den noch jungen Künstler anspornte, sein Bestes zu geben, bedeutete es ihm doch eine besondere Ehre, mit einer seiner Arbeiten in der Basilika von St. Peter vertreten zu sein. Damals hatte der Fünfunddreißigjährige noch nicht zu jenem strengen Stil gefunden, der den Höhepunkt seines Klassizismus bezeichnet: in seinem Erasmus wird immer noch der Einfluß der venezianischen Schule des 16. Jahr­ hunderts fühlbar, erinnert so manches noch an Tizian und damit an das größte der Vorbilder, in deren Zeichen Poussin seine Laufbahn begann. Weitere Inspirationen bezog er aus den Zeichnungen von Pietro da Cortona, an den der erste Auftrag zu diesem Gemälde ergangen war. 249

N

ic o l a s

P ou ssin Das Martyrium des heiligen Erasmus

Ein Vergleich zwischen Poussins Erasmus und den Zeichnungen des Mei­ sters des römischen Hochbarock - die Blätter befinden sich heute in den Uffizien zu Florenz und in Windsor Castle - enthüllt, wie es dem Franzosen gelang, den barocken Entwurf in die maßvollen Formen der Klassik zu klei­ den. Die Thematik gab Anlaß zu einer im höchsten Grade dramatischen Komposition und verpflichtete den Künstler zum Studium einer breiten Skala emotioneller Ausdrucksformen: beide Forderungen erfüllte Poussin, doch gelang es ihm überdies, im ausgewogenen Rhythmus der Komposition und in der steten Helligkeit des Lichtes, das die verschiedenen farblichen Valeurs schmilzt und ineinander übergehen läßt, ein gewisses harmonisches Gleichmaß zu erreichen. Eben diese Qualitäten aber, das Gleichgewicht der formalen Mittel und das Gefühl für Maß und Würde, die für Poussins von den Griechen inspirierte Kunst typisch sind, wurden nur von wenigen Kennern gewürdigt, während das breite Publikum, bereits geblendet vom Farbenrausch des Barock, der vornehmen Zurückhaltung des Klassizisten keinen Geschmack abgewinnen konnte; deshalb wohl hatte Poussins Erasmus zu seiner Zeit nur wenig Erfolg, während das Werk heute als einer der Marksteine in der künstle­ rischen Entwicklung des Meisters von Les Andelys erkannt wird.

S ir T h om as L a w r e n c e

Porträt Georg IV. von England Dieses elegante Porträt, Geschenk des Königs an Papst Pius VII., zeigt die außergewöhnliche Virtuosität des Künstlers, Erbe der großen Tradition der englischen Porträtisten des 18. Jahrhunderts.

Mars von Todi

Vatikanische Museen

Etruskische Kunst des 4. vorchristlichen Jahrhunderts M a rs v o n T odi

Das Bronzestandbild, das in der 1836 von Papst Gregor XVI. gegründeten Etruskischen Sammlung der Vatikanischen Museen aufbewahrt ist, dürfte eher das Votivbild eines Soldaten als eine eigentliche Darstellung des Mars oder des etruskischen Kriegsgottes Maris sein. Die Votivfunktion der Skulp­ tur, die dennoch auf Grund eines Gelübdes gestiftet worden sein mag, scheint durch die vulgärlateinische Inschrift am unteren Rand des Brustpanzers be­ stätigt: „Ahal Trutitis dunum dede“, d. h. „(Diese Statue) brachte Ahal Trutitis dar.“ Die strenge idealistische Stilisierung des Standbildes, wie sie für die etrus­ kische Kunst des 4. vorchristlichen Jahrhunderts typisch ist, läßt keine Schlüsse auf eine auch nur angestrebte Porträtsähnlichkeit mit einem realen Modell zu, während die hieratischen Qualitäten der Skulptur die traditio­ nelle Meinung, es müsse sich um ein Götterstandbild handeln, wohl ver­ ständlich werden lassen. Als solches gedeutet, erhielt die Bronzefigur nach ihrem Fundort Todi, dem etruskischen Vorposten in Umbrien, den Namen eines „Mars von Todi“. Das meisterliche Werk von überwältigender, körperhafter Präsenz be­ weist in seiner makellosen Ausführung, zu welch technischer Perfektion die Etrusker den Bronzeguß bereits entwickelt hatten. Die Plastik besteht aus fünf Stücken, die jedes für sich bis ins Detail präzise durchgebildet sind und den Eindruck äußerster plastischer Festigkeit vermitteln. 253

R ömische K unst des 1. vorchristlichen Jahrhunderts Die Aldobrandinische Hochzeit

Im Jahre 1605 legten Ausgrabungen um den Gallienus-Bogen auf dem Esqui­ lin, einem der „sieben Hügel“, ein römisches Fresko frei, das HochzeitsVor­ bereitungen darstellte. Dem Kunsthistoriker ist das Wandgemälde als „Aldobrandinische Hoch­ zeit“ bekannt, weil es lange Zeit hindurch in der Villa der Aldobrandini, -der Familie des Papstes Clemens VIII., aufbewahrt wurde. Zu jener Zeit, als das Fresko wiederentdeckt wurde, waren antike Dar­ stellungen figurenreicher Szenen, die nicht nur der Dekoration dienten, wie etwa die Grotesken im Goldenen Haus, der Domus Aurea, nahezu unbe­ kannt. Um so größere Begeisterung löste zwei Jahrhunderte lang dieses fast einzige Zeugnis antiker Figuralkomposition aus. An ihm studierte man die Vollkommenheit klassischer Zeichenkunst und die vornehm zurückhaltende, der Idealisierung dienende Palette jener Epoche. Vornehmlich die Kunst­ kritik des frühen 19. Jahrhunderts sah in der Aldobrandinischen Hochzeit den Ausdruck subtilster formaler Vollkommenheit. Heute, da umfassende Ausgrabungen in Pompeji, Herculaneum, dem sizilianischen Piazza Arme­ rina und in Rom selbst zu einer besseren Kenntnis der antiken Malerei verholfen haben, wird das Fresko nüchterner beurteilt; die moderne Kunsthisto­ rik, bemüht, es in seiner wahren Bedeutung zu erkennen, konnte nachweisen, daß die selbst von Goethe idealisierte Aldobrandinische Hochzeit nichts weiter als das typische Produkt jenes uneigenständigen, akademistischen Epigonen­ tums ist, das sich in Rom gegen Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts in einer blutleeren Nachahmung der bereits überlebten griechischen Tradition er­ schöpfte. Doch wenn die moderne Kunstkritik mit dem - überdies durch un­ sachgemäße Restaurierung entstellten - Fresko auch gnadenlos verfährt, so leugnet sie weder die befruchtende Wirkung, die es auf die bildende Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts ausübte, noch den dokumentarischen Wert der dargestellten Szene, die reichen Aufschluß über das Familienleben im Alten Rom bietet. Gleichgültig, ob es sich um die Vorbereitungen zur Hochzeit von Peleus und Thetis oder aber von Alexander und Roxane handelt, stellte der Künstler das in jener Zeit übliche Ritual dar, wobei er reale und phantastisch­ allegorische Elemente kombinierte: der weiß verhüllten, traurig gestimmten Braut zur Seite sitzt, ihr Trost zusprechend, Aphrodite oder Peitho mit ent­ blößtem Torso auf dem Brautlager, zu dessen Häupten der Gott der Hoch­ zeit, Hymenaeus, wartet.

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Die Aldohrandinische Hochzeit

A thanodoros, H agesandros und Polydoros L a o k o o n

Am 14. Januar 1506 stieß ein gewisser Felice de’ Freddi bei Grabungsarbei­ ten in seinem Weinberg, der sich über den versunkenen Thermen des Titus erhob, auf die Trümmer einer kolossalen Marmorskulptur. Obgleich der Fund in sieben Fragmente zerbrochen war, konnte er sogleich als jene Mar­ morgruppe identifiziert werden, die Plinius der Ältere als das Werk des Athanodoros, seines Vaters Hagesandros und seines Bruders Polydoros aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert beschrieben hatte, den „Laokoon“, das heute wohl berühmteste Ausstellungsstück der an Meisterwerken wahrlich nicht armen Antikensammlung des Vatikans. Die Identifizierung der Gruppe wurde durch die Inschrift an der Basis der Skulptur erleichtert, mit der sich „A thanodoros, Sohn des H agesandros“ als ihr Schöpfer deklarierte. Kaum zutage gefördert, wurden die Marmorfragmente Gegenstand höchster Bewunderung. Papst Julius II. zögerte keinen Augenblick sie zu erwerben und sie in die Villa Belvedere zu überführen, wo er die kostbarsten Stücke seiner Antikensammlung aufbewahrte. Die Aufgabe, die Bruchstücke der Laokoon-Gruppe wieder zu vereinen, wurde einem Schüler und Mitarbeiter Michelangelos, dem Servitenmönch Giovanni Angelo Montorsoli zuteil, doch war das Ergebnis der Rekonstruktion dürftig. Erst in jüngster Zeit entschloß man sich, die Skulptur von jenem Beiwerk zu befreien, mit dem der fromme 255

A ttische K u n st um die M itte DES 4. VORCHRISTLICHEN JAHRHUNDERTS

Stele des Palestrita Das Totenrelief aus Marmor stellt einen jungen Athleten mit seinem Assistenten dar.

Springendes Mädchen Marmorkopie eines Bronzeoriginals der peloponnesischen Kunst des 5. vor­ christlichen Jahrhunderts.

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A ttische K u n st des 5. oder 4. VORCHRISTLICHEN JAHRHUNDERTS

Ödipus und Sphinx Diese Szene ist in rot auf sdiwarzem Grund im Innern eines breiten Pokals aus Keramik gemalt.

Die Amazone von Ephesus Römische Kopie (der Kopf gehört einer ande­ ren Statue an) restauriert nach dem Original, welches Phidias für den Tempel von Ephesus skulptierte. Diese Statue stammt aus der Villa Mattei in Rom.

Bruder sie nach Gutdünken versehen hatte, und sie mit einem weiteren, erst nach 1506 ausgegrabenen Originalfragment zu ergänzen, nämlich dem rech­ ten Arm des Laokoon. Die Gruppe stellt eine bekannte Episode aus Homers Ilias dar: der Priester Laokoon hatte versudit, seine trojanischen Mitbürger vor der List der Grie­ chen zu warnen, die auf Anraten des Ulysses ein hölzernes Pferd verfertig­ ten, sich in seinem Bauch verbargen und in ihrem Versteck vor den Mauern Trojas darauf warteten, daß die Trojaner das Pferd in die Stadt zögen, was ungeachtet der Prophezeiungen Laokoons auch geschah. Apoll aber bestraft den Priester für den Versuch, den Willen der Götter zu durchkreuzen: aus dem Meer läßt er zwei riesige Schlangen emportauchen, die vor den Augen der schredtensgelähmten Trojaner Laokoon und seine beiden Söhne umstricken und töten. Die Laokoon-Gruppe stellt den Todeskampf der Drei dar, doch verewigt sie überdies, vor allem im Bildnis des Priesters, die übermensch­ liche Seelenstärke eines Menschen, der angesichts der Unerbittlichkeit des Schicksals heroisch das Martyrium auf sich nimmt. Bereits Michelangelo erfaßte Sinngebung und tiefere Bedeutung der er­ habenen Schöpfung, in der er jene hohen Ideale verkörpert fand, denen er selbst nachstrebte. Doch entfaltete das Werk auch in späteren Jahrhunderten ungeschwächt seine suggestive Kraft und diente selbst Bernini und dem Hoch­ barock noch zur Erforschung der Gesetze einer umfassenden, vom emotio­ nalen Gehalt der Darstellung ausgehenden Bewegung, die alle formalen Ein­ zelheiten zur dynamischen Arabeske eint. Kein Geringerer als der berühmte Begründer der Archäologie als Wissen­ schaft, Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), wies in seiner „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764) nachdrücklich auf die stilistische Vollkom­ menheit und den geistigen Gehalt des Werkes hin; seinem Urteil schloß sich Burdchardt an und faßte es noch deutlicher, wenn er in seinem „Cicerone“ meinte, bei „Laokoon“ habe die verkörperlidite Selbstbeherrschung einen nicht allein ästhetischen, sondern vielmehr moralischen Urgrund. Den Gedanken freilich, die J. J. Winckelmann 1755 in seinem Traktat über die Nachahmungen der griechischen Kunst in Malerei und Bildhauerei äußerte, vermögen wir uns heute nicht mehr anzuschließen, daß der „Lao­ koon“ nämlich den Künstlern des Alten Rom dasselbe bedeutet habe wie uns Heutigen die „Regel des Polyklet“, die vollkommene Schöpfung nach dem Kanon, den der griechische Bildhauer über die Maß Verhältnisse des mensch­ lichen Körpers festlegte. Unser ästhetisches Empfinden sträubt sidi gegen die Unterwerfung einer nur mehr als klassizistisch-akademisch erkannten Kunst unter die „Regeln“ der Antike. Für uns liegt die immerwährende Aktualität der berühmten Marmorgruppe nicht in überholter „Regeltreue“ begründet, sondern in ihrem Ausdruck, ihrem Sinngehalt und ihrer Bewegung, die weiterhin befruchtend auf unsere Kultur einwirken. 258

A th a n o d o ro s, H

a g esa n d r o s u n d

P o l y d o r o s Laokoon

Meleager. Ausschnitt Hellenistische Kopie der Statue des Skopas aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert. Dies ist eines der meistbewunderten Werke der vatikanischen Museen.

Aphrodite von Knidos Altertümliche Kopie der berühmten Aphro­ dite von Praxiteles aus dem 4. vorchristlidien Jahrhundert: Die Göttin steigt ins Bad.

260

Apollo gen. „Sauroctonos“ (Eidechsentöter) Römische Marmorkopie nach einem Bronze­ original von Praxiteles aus dem 4. vordiristlichen Jahrhundert. Die Eidechse ist auf dem Baumstamm, an der Seite des Gottes abge­ bildet.

Antinous Römische Kopie aus der Epoche des Kai­ sers Hadrian nach einem griechischen Ori­ ginal von Praxiteles des 4. vorchristlichen Jahrhunderts. Diese Statue stellt wahr­ scheinlich „Hermes psychopompos“ dar, das heißt: Von Gott beauftragt, die Seelen ins Fegefeuer zu begleiten.

A pollonios D e r Torso v o n B elved ere

A p o l l o n io s

Der Torso von Belvedere

Neben dem „Laokoon“ ist der sogenannte „Torso von Belvedere“ jenes antike Kunstwerk im Besitz der Vatikanischen Sammlungen, das wie kein zweites den schöpferischen Menschen seit der Renaissance inspirierte und das von Kritikern und Kunsthistorikern durch die Jahrhunderte als das Modell formaler Vollkommenheit schlechthin bezeichnet wurde. Dieses Statuenfragment, das vermutlich von einer Darstellung des Her­ kules stammt, trägt die Signatur des Apollonios Nestor, eines aus Athen gebürtigen Bildhauers, der im 1. vorchristlichen Jahrhundert und damit zu Ende der Republik in Rom lebte und auch die bekannte Statue des „Faust­ kämpfers“ im römischen Nationalmuseum schuf. Es ist wahrscheinlich, daß Apollonios sich zu der heute nur mehr als Torso erhaltenen Skulptur durch eine ältere, aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert stammende griechische Plastik inspirieren ließ und sein Modell in der kraft­ vollen Muskulatur und der angedeuteten Spiralbewegung des Körpers mit jener Überbetonung des Plastischen variierte, wie sie für die eklektizistische Kunstrichtung des Hellenismus bezeichnend ist. Der Torso wurde zu Beginn des 15. Jahrhunderts in den römischen Thermen des Caracalla aufgefunden und später der Kunstsammlung von Papst Julius II. einverleibt. Zu den ersten, die der Skulptur ihre Aufmerksamkeit schenkten, zählte Michelangelo, dem der Torso ein Erlebnis ästhetischer Erschütterung vermittelte. Daß er nach ihm die Körper einiger seiner männlichen Akte, der „Ignudi“, an der Deckenwölbung der Sixtinischen Kapelle gestaltete, steht außer Frage. Dem vielgerühmten Torso spendete Winckelmann, in der Begegnung mit der Antike immer ein Mann der Superlative, das höchste und befugteste Lob. Goethe meinte gleichsam bestätigend: „. . . ich bin selbst geneigt, diesen Rest für das Schönste zu halten, was ich je gesehen habe.“ Canova als größter Bildhauer des italienischen Klassizismus bewies in zahlreichen seiner Werke, daß der Torso des Apollonios über zwei Jahrtausende hinweg nichts von seiner suggestiven Kraft eingebüßt hatte; seiner Faszination konnten sich selbst die Bildhauer der romantischen Schule nicht entziehen, und während Laokoon zusehends als museales Objekt angesehen wurde, fand der Torso von Belvedere eine nachschöpferisch-analytische Deutung durch Auguste Rodin, der in ihm aufspürte, was der modernen Ästhetik am nächsten kommt: jene monumentale Körperlichkeit, die eine Überwindung der glatten, formalen, selbstzweckhaften Perfektion darstellt.

263

Apollo von Belvedere Diese sehr berühmte Skulptur ist ebenfalls eine Kopie des griechischen Originals (viel­ leicht aus Bronze) aus dem 4. vorchrist­ lichen Jahrhundert, das Leocare zugeteilt wird. Sie wurde in Grottaferrata, in der Nähe von Rom, aufgefunden und zeigt den jungen Gott beim Bogenwurf.

Apoxyomenos Diese Statue stellt einen „siegreichen Athleten“ dar, der sich nach dem Kampfe striegelt (daher sein Name). Dies ist die einzige Kopie nach dem Original von Lysippe (340-320 v.Chr.), der in Rom war und die Plinius d. Ä. in seiner „Naturalis Historia“ X XX IV, 19 beschrieben hat.

264

Jupiter von Otricoli Diese Skulptur wurde im Laufe der Ausgrabungen an der Stätte des Otri­ coli im Latium aufgefunden - daher sein Name. Es handelt sich um eine Kopie nach dem griechischen Original von Briasside aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert und gilt als typische antike Wiedergabe des Göttervaters.

Silen hält den Knaben Bacchus in den Armen. Ausschnitt Hellenistische oder römische Ko­ pie einer Lysippe zugeteilten Statue aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert.

Der N il Skulptur aus der hellenistischen Epoche des 2. vorchristlichen Jahrhunderts, die zu Beginn den Tempel der Isis auf dem Mars­ feld in Rom dekorierte, ebenso eine Statue, dem Tiber ähnlich, die heute im Louvre aufbewahrt wird.

Kandelaber Barberini Diese Skulptur gehört einer Reihe von Ko­ pien von Kandelaber aus der letzten hel­ lenistischen Periode, vielleicht aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., an, die die Villa Adriana in Tivoli dekorierte. Das in einem raffinierten Stil geschaffene Werk hat eine große ornamentale Wirkung.

S ta tu e des K a ise rs A u g u stu s

Diese Statue, die in Primaporta, in der Nähe von Rom, aufgefunden wurde, ist eines der berühmtesten Beispiele römischer Monumentalskulptur der Kaiserzeit (1. vorchristliches Jahrhundert) wo die Virtuosität in den Einzel­ heiten des Harnisch und der Draperie mit dem Kraft ausstrahlenden Gesidit des Kaisers aufs Beste harmoniert. 267

G r a b m a l d e r h eilig en C o n s ta n tia

Das Grabmal befand sich zuvor in der Kirche St. Constantia in Rom und enthält die sterblichen Hüllen der Kinder Konstantin des Großen. Es ist das Werk einer alexandrinischen Künstlerwerkstätte aus dem 4. Jahrhundert n. ehr. Die Reliefe stellen symbolische Szenen des Christentums dar.

A ntonio C anova P erseu s

Diese Statue, ausgeführt im Jahre 1800, zeugt von der eindeutigen Vorliebe des venezianischen Bildhauers für die Modelle der Antike. Heute schmückt sie den Belvedere-Hof neben den bemerkenswertesten klassischen Skulpturen. 269

Verzeichnis der Abbildungen D ie sch rä g g e d ru ck ten Z a h le n ken n zeich n en d ie fa r b ig e n A b b ild u n g e n ,

Erster Gestaltwandel der Basilika Die päpstlichen Paläste

H. W. Brewer und C rostarosa R e s ta u r a tio n d e r a lte n B a silik a

......................................................................... I n te r ie u r d e r a lte n B a silik a . Freske. 16. Jahrhundert. Grotten von St. P e te r..................................................................... v o n S t. P e te r.

22 23

Der Vatikan zur Zeit der Renaissance

A lessandro Strozzi A n sic h t des V atikan s u m 1 4 7 4 . Ausschnitt.

Z eichnung..................................................................................... A ntonio del P ollajolo (1433-1498) G r a b m a l I n n o z e n z V I I I . Bronze. Vollendet im Jahre 1498 ..................................................

34 37

Die große Zeit der Renaissance: Vom Pontifikat Julius II. bis zum Tod des Michelangelo

Michelangelo (1475-1564) M oses. Ausschnitt der Statue des Propheten,

die sich über dem Grab Julius II. befindet. Kirche S. Pietro in Vincoli, R o m .................................................................................

43

{ \ 4 A 4 - \ 5 \ A ) P r o je k t d e r B a silik a v o n S t. P e t e r ...............

46

I n te r ie u r d e r S ix tin isch en K a p e lle u m 1 5 0 8

Vor der Gestaltung durch M ichelangelo....................................... R affael (1483-1520) P r o je k t d e r B a silik a v o n S t. P e t e r ................... M arten van H eemskerk (1498-1574) A n sic h t d e r a lte n F assade d e r B a silik a v o n S t. P e te r . Rechts die Fassade der apostolischen Paläste sowie einen Teil der Stätte Papst Leos. Zeichnung. Um 1533. Graphische Sammlung Albertina, W ie n ....................... { \ 4 7 5 -\5 (y A ) P r o je k t d e r B a silik a v o n S t. P e te r

. . .

48 52

56 58 271

A ntonio da Sangallo d . J. (1485-1546) H o lz m o d e ll fü r d ie V o lle n d u n g d e r B a silik a v o n S t. P e t e r ...........................

60

H o lz m o d e ll fü r d ie K u p p e l v o n S t. P e te r

Es enthält die durch G. della Porta angebrachten Veränderungen an dem Originalprojekt Michelangelos. Ende 16. Jahrhundert .

61

Das Erbe des Michelangelo G e rü st fü r d ie E rrich tu n g des O b e lisk e n a u f d e m S t. P e te r s p la tz

Gravure aus dem Buch von Carlo Fontana „Templum Vaticanum“. 1694 .......................................................... A n sic h t d es S t. P e te r s p la tz e s .

Freske. 1586. Bibliothek des Vatikans .

66

67

Im Zeichen von Lorenzo Bernini

C amillo R usconi (1658-1728) G r a b m a l G re g o r X I I I . 1723 . . . .

78

Filippo V alle (1697-1768) und Ferdinando Fuga (1699-1781) G ra b m a l In n o zen z X I I .

1746 ......................................................

80

P ietro Bracci (1700-1773) G r a b m a l B e n e d ik t X I V .

Vollendet im Jahre 1769 ..............................................................

82

H ubert R obert A n sic h t d e r A p s is v o n S t. P e te r. Zeichnung. Um 1765.

Graphische Sammlung Albertina, W i e n ......................................

83

Von der Aufklärung bis in unsere Zeit

A ntonio C anova (1757-1822) G r a b m a l C le m e n s X I I I . Ausschnitt:

Der Papst im G e b e t .....................................................................

86

D ie C o n fe ssio d e r B a silik a v o n S t. P e te r m it d e r S ta tu e P iu s V I .

Ausgeführt 1821/22 durch Antonio Canova unter Mitarbeit von Adamo Tadolini............................................................................. A ntonio C anova (1757-1822) G r a b m a l Jacqu es H L , C h a rle s I I I . u n d H e n r i I X . S tu a r t. Ausschnitt: Ein Todesengel. 1817/19............... P la n d e r h e u tig e n B a silik a v o n S t. P e t e r .............................................. Emilio G reco G r a b m a l Joh an n es X X I I I . 1964-1966 ....................... 272

88 89 90 91

G iacomo Manzù (geb. 1908) D a s n eue B r o n z e to r d e r B a silik a v o n S t. P e te r. 1962 .................................................................................

92

Der St. Petersplatz L u flan sich t des S t. P e te r s p la tz e s u n d d e r B a silik a

Rechts die apostolischen Paläste; im Hintergrund die vatikanischen Gärten ..................................................................................................

94

D e r S t. P e te r s p la tz

Im Vordergrund die Statuen, die die Kolonnade dekorieren . . . G ian Lorenzo Bernini (1598-1680) D ie F o n tä n e n ö rd lich des S t. P e te r s p la tz e s . Sie wurde verwirklicht unter Abänderung des Projektes von M a d ern o .........................................................................

97

99

D e r K o lo n n a d e n g a n g ................................................................................. 101 K o lo n n a d e n s ta tu e n a u f d e m S t. P e te r s p la tz .

A usschnitt.............................. 101

Basilika von St. Peter

Michelangelo (1475-1564) D ie A p s is d e r B a silik a v o n S t. P e te r. A u ss c h n itt.................................................................................................. 103 D ie A p sis d e r B a silik a v o n S t. P e te r.

A usschnitt................................. 104

D ie A p sis d e r B a silik a v o n S t. P e te r .

A usschnitt................................. 104

D ie A p sis d e r B a silik a v o n S t. P e te r.

A usschnitt................................. 104

Michelangelo (1475-1564) und Guglielmo della P orta (P-1577) D ie K u p p e l v o n S t. P e t e r ................................................................. 106

Filarete (um 1400-nach 1465) D a s B r o n z e to r . 1433-1445 .....................

108

G ian Lorenzo Bernini (1598-1680) D ie S ca la R e g ia u n d d a s R e ite r ­ s ta n d b ild K o n s t a n t i n s ............................................................................. 111 C arlo Maderno (1556-1629) A tr iu m d e r B a s i l i k a .................................. 111 G ian Lorenzo Bernini (1598-1680) D a s R e ite r s ta n d b ild K o n s ta n tin s . Um 1670 ....................................................................................................

112

Michelangelo (1475-1564) P ie tà . Gezeichnet: Michaelangelus . Bonarotus . Florentin(us) . Faciebat. Weißer Marmor. Höhe 174 c m ................................................................ 114 A rnolfo di C ambio (?) (?-um 1300) B ro n ze sta tu e P e tr i. Ausschnitt. 13. Jahrhundert..........................................................................................116 273

A rnolfo di C ambio (?) (?-um 1300) B ro n ze sta tu e P e tr i.

13. Jahrhundert.................................................................................117 D onatello (1386-1466) und Michelozzo (1396-1472) T a b ern a k el d es A lle r h e ilig s te n S a k ra m e n ts.

Marmor, 225 x 120 cm. 1432/33 . 119

T a b e rn a k e l des A lle rh e ilig s te n S a k ra m e n ts.

Ausschnitt: Die Grablegung C h ris ti.................................................. 119 G ian Lorenzo Bernini (1598-1680) D e r A lta r b a ld a c h in

120

Ausschnitte: Die Krönung, der Himmel, der S o c k e l........................................................................................ 122

D e r A lta r b a ld a c h in .

R e liq u ie n lo g g ia des h eilig en L o n g i n u s .............................................. 125

Francois D uquesnoy (um 1594-1643) D ie S ta tu e des h eilig en A n d re a s.

1629-1640 ..................................................................................... 127 Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) D ie S ta tu e d es h eilig en A u g u stin u s a u f d e m K irc h e n stu h l P e tr i.

1656-1665 ....................................... 127

D ie S ta tu e d es h eilig en L o n g in u s. K a th e d r a P e tr i u n d G l o r i a

1629-1638

127

..............................................................129

Guglielmo della P orta (P-1577) G r a b m a l P a u l I I I .

Ausschnitt: Die Gestalt des Papstes. 1549-1575 ...........................

131

Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) G r a b m a l U rb a n V i l i .

Die Bronzestatue des Papstes entstand in den Jahren 1628-1631. Die Monumentalkomposition wurde zwischen 1639-1647 vollendet. Bronze und M arm o r......................................................................... 132 G r a b m a l A le x a n d e r V I I .

1671-1678. Bronze und Marmor . . .

134

A lessandro A lgardi (1602-1654) D ie V e rtre ib u n g A ttila s durch L eo d en G r o ß e n .

1646-1653. M arm or.............................................. 135

Byzantinische K unst des 6. Jahrhunderts n. Chr. D a s K r e u z J u stin ia n I I. D a s K r e u z J u stin ia n I I.

Gold auf Silber mit Edelsteinen . . . . 138 Rückenansicht.............................................. 139

Grotten von St. Peter

R ömische Kunst des 3. Jahrhunderts n. Chr. C h ris tu s-H e lio s.

274

Ausschnitt. Mosaik.................................................. 140

R ömische Kunst des 4. Jahrhunderts n. Chr.

M armor.............................................. 142 G iotto (1266-1336) M e d a illo n m it E n gelsfigu r. Um 1310. Mosaik. Diameter 65 c m ................................................................. 143 A ntonio del P ollaiolo (1433-1498) G r a b m a l S ix tu s I V . Ausschnitt. B ronze.............................................................................146 G r a b m a l S ix tu s I V . Ausschnitt: Allegorie der Philosophie. Dekoration des Grabmalsockels..........................................................146 Fra A ngelico (1387-1455) S a n k t L a u re n tiu s e m p fä n g t d ie S c h ä tze d e r K irch e. Freske. 1447-1449. Apostolische Paläste............................... 147 D ie P r e d ig t des h eilig en S tep h a n u s. Freske. 1447-1449. Kapelle Nikolaus V. Apostolische P a lä s te .......................................149 PiNTURiccHio (1454-1513) D e r D is p u t d e r h eilig en K a th a r in a m it d en P h ilo so p h e n . Freske des Appartement Borgia. 1494. Apostolische Paläste ............................................................................................ 150 T eilan sich t des S aals d e r H e ilig e n im A p p a r te m e n t B o rg ia . . . . 151 S a r k o p h a g des Ju n iu s Bassus.

Die Sixtinische Kapeile I n te rie u r d e r S ixtin isch en K a p e lle m it d e m J ü n g sten G erich t v o n M i c h e l a n g e l o .............................................................................154

Luca Signorelli (1441 (?)-1 523) M oses lie st d ie G e s e tz ta fe ln .

Ausschnitt. F re sk e .............................................................................156 D omenico Ghirlandaio (1449-1494) D ie B eru fu n g d e r h eilig en P e tru s u n d A n d re a s. Freske. 1481/82 ...................................................... 157 Sandro Botticelli (1444-1510) D ie P rü fu n g e n M oses. Ausschnitt: Moses schützt die Töchter des Priesters Raguel vor den Belästigungen der Flirten. Freske. 1481/82 ................................... 159 Freske. 1481/82 . . 160 A b ir o n . Freske. 1481/82 . 161

B e rg p re d ig t u n d d ie H e ilu n g d e r A u ssä tzig e n . D ie B estra fu n g v o n C o r e , D a th a n u n d

P ietro P erugino (um 1445-1523) D ie Ü b e rg a b e d e r Schlüssel an d en

F re s k e ..................................................................... 163 Michelangelo (1475-1564) D a s O p f e r N o a h s . Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 ....................... 164 h eilig en P etru s.

D ie S chande N o a h s .

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

165 275

G en esis u n d d ie V erh eiß u n g des M essias.

Decke der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 ...................................

166

D ie E rschaffung v o n S o n n e, M o n d u n d P fla n ze n .

Dedtenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

167

D ie E rsch affu n g des A d a m .

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

167

D a v id u n d G o lia th .

Dedtenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

168

D ie eh ern e Schlange.

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

169

D e r S ü n d e n fa ll u n d d ie V e rtre ib u n g aus d e m P a ra d ie s.

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

170

D ie E rsch affu n g d e r E v a .

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

171

D elp h isch e S ib y lle .

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

172

L ib ysch e S ib y lle .

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 .......................

173

D ie S in tflu t.

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 ....................... 174 D ecke d e r S ix tin isch en K a p e lle . Ausschnitt...................................175 D e r P r o p h e t Jesaja.

Deckenfreske der Sixtinischen Kapelle. 1508-1511 ....................... D a s J ü n g ste G erich t. Freske. 1535-1541 ......................................

176 178

C h a ro n b e fö r d e r t d ie V e rd a m m te n .

Ausschnitt aus dem Jüngsten Gericht. Freske. 1535-1541 . . . .

179

E in E n g el d e r A p o k a ly p s e w e c k t d ie T oten au f.

Ausschnitt aus dem Jüngsten Gericht. Freske. 1535-1541 . . . .

180

Z w e i A u fe r s ta n d e n e u n te r w e r fe n sich d e m G ö ttlic h e n G erich t.

Ausschnitt aus dem Jüngsten Gericht. Freske. 1535-1541 . . . .

181

C h r is t d e r W elte n ric h te r u n d d ie tr a u e rn d e J u n g fra u .

Ausschnitt aus dem Jüngsten Gericht. Freske. 1535-1541 . . . .

182

D e r h eilig e B a rth o lo m ä u s h ä lt sein e H a u t a u f w e lc h e r das S e lb s tp o r tr ä t M ich elan gelos z u erk en n en ist.

Ausschnitt aus dem Jüngsten Gericht. Freske. 1535-1541 . . . . 276

183

D ie A u fe rste h u n g d e r T oten ,

Ausschnitt aus dem Jüngsten Gericht. Freske. 1535-1541 . . . .

184

H e ilig e u n d M ä r ty r e r ,

Ausschnitt aus dem Jüngsten Gericht. Freske. 1535-1541 . . . .

185

D ie B ek eh ru n g d e s h eilig en P au lu s,

Freske. 1542-1550. Kapelle Pauline.................................................. 1 8 7 D ie B ek eh ru n g d es h e ilig e n P au lu s,

Ausschnitt. Der heilige Paulus ist gestützt durch einen Soldaten. Freske. 1542-um 1550. Kapelle P a u lin e ...........................................188 R ö m isch e S o ld a ten y a b g e b ild e t a u f d e r K r e u z ig u n g d es h eilig en P e tru s. Kapelle Pauline. Papier auf Leinwand. 1542-1550.

Museo Gallerie Nazionali di Capodimonte, N e a p e l ................... 189 D ie K r e u z ig u n g d e s h eilig en P etru s.

Freske. 1542-1545. Kapelle P a u l i n e .............................................. 190 Die Stanzen Raffaels

R affael (1483-1520) D e c k e n g e w ö lb e d e r S ta n z e d e r S ig n a tu r m it d e n allegorisch en D a rste llu n g e n d e r ,yP oesie“ , ,yT h eo lo g ie“ , yyG erechtigkeiP'y yyP h ilosoph ie“ u n d biblisch en E p iso d e n . 1 5 0 S - 1 5 1 1 . . . .

193

D e r D is p u t u m d a s S a k ra m e n t.

Freske der Stanze der Signatur. 1508-1511 ...................................

194

D e r D is p u t u m d a s S a k ra m e n t.

Ausschnitt; Bischöfe, Theologen und Papst Innozenz III. Freske der Stanze der Signatur. 1508-1511 ...................................

195

D ie Schule v o n A th e n .

Freske der Stanze der Signatur. 1508-1511 ................................... P arn ass. Freske der Stanze der Signatur. 1508-1511 ...................

196 197

Ausschnitt : Poeten mit dem Porträt von Dante. Freske der Stanze der Signatur. 1508-1511 ................................... 199 D ie V e rtre ib u n g d e s H e lio d o r aus d e m T e m p e l. Ausschnitt. Freske der Stanze des Heliodor. 1512-1514............................... 2 0 3 P arn ass.

D ie V e rtre ib u n g d e s H e lio d o r aus d e m T em p el.

Freske der Stanze des Heliodor. 1512-1514...............................204 D e c k e d e r S ta n z e d es H e lio d o r .

Ausschnitt: Abrahams Opfer. 1 5 1 2 -1 5 1 4 ...................................205 277

Ausschnitt. Freske der Stanze des Heliodor. 1512-1514............................... 2 0 6

D ie M esse v o n B olsen a.

D ie M esse v o n B olsen a,

Freske der Stanze des Heliodor. 1512-1514...............................207 D ie B e fre iu n g P e tr i. Ausschnitt. Freske der Stanze des Heliodor. 1512-1514............................... 2 0 8 R affael (1483-1520) und seine Schüler B ra n d im B o rg o . Ausschnitt. Freske der Stanza dell’Incendio di Borgo. 1514-1517 . 2 1 0 B ra n d im B o rg o .

Freske der Stanza dell’Incendio di Borgo. 1514-1517............... 211 Die Loggien Raffaels

R affael (1483-1520) und seine Schüler D e r B au d e r A rch e N o a h .

F resk e................................................................................................ 2 1 6 A n sic h t d e r L o g g ie n R a f f a e l s ..................................................................... 217

R affael (1483-1520) D e r F isch zu g P e tr i. Ausschnitt.

Wandteppich; hergesteilt im Atelier von Pieter van Aelst nach einem von Raffael 1516 gezeichneten K a rto n ....................... 2 1 9 Belvedere A- \ 5 \ A ) D ie T re p p e n a n la g e des B e lv e d e r e . K u ssA m x x

. 222

Bramante (1444-1514) und P irro Ligorio (1510(?)-1583) D ie N isch e m it d e m P in ie n z a p fe n im

B e l v e d e r e - H o f ......................222

Pinakothek des Vatikans

G iotto (1266-1336) und seine Schüler T rip ty c h o n S tefa n esch i

Mittel tafel: Der thronende Christus. Wasserfarbe auf Holz. Um 1330 ............................................................................. T rip ty c h o n S tefan esch i.

Wasserfarbe auf Holz. Um 1330 . .

22 5

226

G entile da Fabriano (um 1370-1427) D e r h eilig e N ik o la u s v o n B ari.

Flügelaltar der Predella. Es gehörte ehemals dem Polyptychon, das der Meister für die Familie Quaratesi schuf, an. Wasserfarbe auf Holz. 1425 .......................................................... 227 278

Flügelaltar der Predella, der dem Polyptychon Quaratesi angehörte. Wasserfarbe auf Holz. 1425

D ie G e b u r t des h eilig en N ik o la u s .

228

P ietro Lorenzetti (1280P-1348?) Jesus v o r P ila tu s. Flügel der Predella eines P olyp tychon ................................................... 229 V itale da Bologna (1289/1309-1359/1369) M a ria m it d e m K in d e . 229 Leonardo da V inci (1452-1519) D e r h eilig e H ie r o n y m u s . ö l auf Holz, 103x75 cm. 1481-1482 ...............................................

2 31

Francesco di G entile (tätig während der 2. Hälfte des 15. Jahr­ hunderts) M a ria m it d e m K in d e auch M a d o n n a m it d e m S c h m e t t e r l i n g .............................................................................................. 232 Fra A ngelico (1387-1455) D e r h eilig e N ik o la u s v o n B ari b e g e g n e t d e m kaiserlich en B o te n u n d r e tte t ein Schiff v o r d e m U n te rg a n g .

Tafel der Predella des um 1437 für die Kirche S. Domenico in Perugia ausgeführten P o ly p ty ch o n ................................................... 233 Filippo Lippi (um 1406-1469) D ie K r ö n u n g M a riä , H e ilig e u n d S p e n d e r. T rip tych on ................................................................................. 234 Melozzo da Forli (1438-1494) unter Mitarbeit von Marco P almezzano S ix tu s I V . Genannt Bartolomeo Sacchi, Präfekt der Bibliothek des Vatikan. Freske auf Leinwand. 1474 .....................

235

Ercole dei R oberti (1449/1456-1496) D ie L e g e n d e des h eilig en V in z e n z P errier. Predella des Polyptychon Griffoni. Vollendet zwischen 1475 und 1477

236

D ie L eg en d e des h eilig e n V in z e n z P e rrier.

Ausschnitt..........................237

R affael (1483-1520) D ie K rö n u n g M a riä auch A lt a r b il d O d d i. Im Jahre 1502 in Auftrag g e g e b e n ........................................................238 ö l auf Holz versetzt auf Leinwand, 320x194 cm. Um 1 5 1 1 / 1 2 .................................................................... 239 D ie M a d o n n a v o n P o lig n o . A usschnitt................................................... 2 41 D ie V erk lä ru n g C h ris ti, ö l auf Holz, 405x278 c m ..................... 242 D ie V erk lä ru n g C h r is ti. A ussch nitt........................................................2 4 3

D ie M a d o n n a v o n P o lig n o .

G uido R eni (1575-1642) D ie K r e u z ig u n g des h eilig en P etru s. Leinwand. 1600-1603

245

P ietro da Cortona (1596-1669) D a v id u n d d e r L ö w e ......................245 C aravaggio (1573-1610) D ie G ra b le g u n g C h r is ti. Ölgemälde, 300 X203 cm. 1602-1604........................................................................

246

279

D omenichino (1581-1641) D ie K o m m u n io n d es h eilig en H ie r o n y m u s .

Gezeichnet: Dom.Zamperius Bon./F.A. MDCXIV. Ölgemälde, 256x419 cm. 1614......................................................................... 2 4 7 N icolas P oussin (1594-1665) D a s M a r ty r iu m des h eilig e n E rasm u s. Gezeichnet: Nicolaus Pusin fecit. Ölgemälde, 320 x 186 cm. 1628/29 ......................................................................................... 2 5 0 Sir Thomas Lawrence (1769-1830) G eorg/y. . 251

Vatikanische Museen

Etruskische K unst des 4. vorchristlichen Jahrhunderts M a rs v o n T o d i.

B ro n ze..................................................................2 5 2

R ömische K unst des 1. vorchristlichen Jahrhunderts D ie A ld o b ra n d in is c h e H o c h z e it.

Freske. Bibliothek des Vatikans .

255

A ttische K unst um die Mitte des 4. vorchristlichen Jahrhunderts

Museum Gregoriano-Etrusco...........................256 Marmorkopie. Galleria dei Candelabri . . . . 256

S te le d es P a le s tr ita . S p rin g e n d e s M ä dch en .

A ttische K unst des 5. oder 4. vorchristlichen Jahrhunderts Ö d ip u s u n d S p h in x .

Museum Gregoriano-Etrusco...........................257 Römische Kopie. Museum Pio-Clementino . 257

D ie A m a z o n e v o n E ph esu s.

A thanodoros, H agesandros und P olydoros

(2. vorchristliches Jahrhundert) L a o k o o n . M arm or........................... 2 5 9 M elea g er. Ausschnitt. Hellenistische Kopie. Museum Pio-Clementino . 260 A p h r o d ite v o n K n id e s . Kopie der Aphrodite von Praxiteles. Museum Pio-Clem entino................................................................. 260 A p o llo gen . „ S a u ro c to n o s“ (Eidechsentöter).Römische Marmorkopie. Museum Pio-Clementino................................................................. 261 A n tin o u s. Römische Kopie aus der Epoche des Kaisers Hadrian. B elvedere-H of.................................................................................261 A pollonios (1. vorchristliches Jahrhundert) D e r T orso v o n B e lv e d e r e . M a rm o r.................................................. 2 6 2 A p o llo v o n B e lv e d e r e . Römische Kopie. Belvedere-Hof...........................264 A p o x y o m e n o s . Kopie. Belvedere-Hof......................................................264 J u p ite r v o n O tr ic o li. Kopie. Museum Pio-Clementino...........................265 280

Ausschnitt. Hellenistische oder römische Kopie. Museum Chiaramonti . . . . 265 D e r N il. Hellenistische Epoche des 2. vorchristlichen Jahrhunderts. Museum C h ia ra m o n ti..................................................................... 266 K a n d e la b e r B a rb erin i. Kopie. Museum Pio-Clementino...........................266 S ta tu e d e s K a ise rs A u g u stu s. Römische Skulptur des 1. vorchristlichen Jahrhunderts. Museum C h ia ra m o n ti.............................................. 267 G r a b m a l d e r h eiligen C o n s ta n tia . Phorphyr. 4. Jahrhundert n. Chr. Museum Pio-Clem entino................................................................. 268 A ntonio C anova (1757-1822) Persers. 1800. Belvedere-Hof . . . . 269 S ilen h ä lt d en K n a b e n Bacchus in d en A rm e n .

281

Namenregister

Ackerman, J. S., 104, 107 Aelst, Pieter van, 90, 218, 220 Alarich, 18 Albani, Alessandro, Kardinal, 87 Alberti, Leon Battista, 28 Aldobrandini, Kardinal, 248 Alexander VI. Borgia, Papst, 38, 40, 150 f., 191 Alexander VII. Chigi, Papst, 77, 81, 98, 100, 128, 133 Alexander V ili., Papst, 126, 128 Algardi, Alessandro, 76, 79, 133, 135 ff. Alkaiis, 202 Alkibiades, 201 Altemps, Hannibal, 70 Amelia, Pier Matteo d’, 33 Ammannati, Bartolomeo, 63, 96 Anakreon, 202 Angelico, Beato (Fra), 29, 147 ff., 233 Antoninus Pius, 223 Apollonios, 41, 262 f. Aretino, Pietro, 184 Aristoteles, 201 Athanodoros, 255, 259 Attila, 18 Aurea, Domus, 254 Bajazet IL, Sultan, 38, 152 Baldinucci, Filippo, 121, 133 Baratta, G., 133 Barberini, Maffeo, Kardinal, 68, 75 Barigioni, 81 Barozzi, Giacomo, 63 Bassus, Junius, 142 Battista da Padova, 118 Bclisar, 18 Bellori, G. P., 137, 248 Benedikt XIV., Papst, 81, 87 Benedikt XV., Papst, 92 Bentivoglio, 42

Bernini, Gian Lorenzo, 73, 76 f., 79, 81, 83 f., 98, 100 f., 110 ff., 113, 120 f., 123 f., 126, 128, 130, 132 ff., 138, 249 Betto, Bernardino di, 150 Bilheres de Lagraulas, Jean, 113 Boccaccio, 202 Bolgi, A., 124, 126 Bonaparte, 90 Bonfigli, Benedetto, 36, 49 Bonifaz VIII., Papst, 21, 23 ff., 29, 212 Borgia, Cesare, 152 Borgia, Lucrezia, 152 Borgia, Rodrigo, 36 Borromeo, Hortensia, 70 Borromeo, Kardinal, 68 Borromini, Francesco, 76, 123 f. Botticelli, Sandro, 33, 153, 155, 157 ff., 160 f. Bracci, Pietro, 81 Bramante, Donate, 18, 38, 40 f., 44 ff., 47, 50 L, 53 f., 59 f., 62, 68, 70, 103 f., 124, 191, 200 f., 215, 220, 222 f. Bramantino, 49, 191, 194 Bregno, Antonio, 33 Broeck, Hendrick van der, 155 Brosses, Charles de, 79 Brunelleschi, Filippo, 30, 59, 107, 227 Bruno, Giordano, 75 Caligula, 12, 66, 95 Cambio, Arnolfo di, 24, 116 ff. Canonica, Pietro, 92 Canova, Antonio, 88, 90, 220, 263, 269 Carafa, Kardinal, 64 Caravaggio, Michelangelo da, 75, 244, 246, 248 f. Caravaggio, Polidoro da, 216 Carpegna, Kardinal, 86 Carracci, Agostino, 248 Carracci, Annibaie, 75, 121, 124

283

Carracci, Ludovico, 136 Castagno, Andrea del, 49 Cartari, G., 133 Cavaceppi, Bartolomeo, 81 Cellini, Benvenuto, 55 Cezanne, Paul, 248 Chastel, Andre, 198, 202 Chigi, Agostino, 54 Claudius, Kaiser, II Clemens III., Papst, 31 Clemens V., Papst, 25 Clemens VII., Papst, 54 ff., 177 Clemens V ili., Papst, 73, 254 Clemens IX., Papst, 77 Clemens X., Papst, 77 Clemens XL, Papst, 86 Clemens XIL, Papst, 87 Clemens XIII., Papst, 87 f. Clemens XIV., Papst, 87 Coelestin V., Papst, 21 Colonna, Vittoria, 179 Conti, Sigismondo de’, 240 Cordier, N., 124 Cortona, Pietro da, 76, 245, 248 f. Corvi, Macel de’, 185 Dalmata, Giovanni, 31, 33, 35 Dante, 22 L, 180, 200, 202 Danti, Ignazio, 72 Diamante, Fra’, 33, 153, 157 Diogenes, 201 Diokletian, Imperator, 13 f. Dolci, Giovanni de’, 32, 153 Domitian, Imperator, 13 Donatello, 28, 118 L, 121, 227 Dossi, Dosso, 240 Duquesnoy, Francois, 76, 124, 126 f., 136 Epikur, 201 Eugen IV., Papst, 28 ff., 109, 118 Eusebius, 11 Fabriano, Gentile da, 28, 226 ff., 230 Fancelli, G. A., 124 Farnese, Alessandro, 56, 186 Fausta, 15 Ferabosco, 74

284

Ferrata, E., 124, 137 Fesdi, Kardinal, 230 Fiammingo, Arrigo, 155 Fiesole, Mino da, 33, 35, 158 Filarete, 27, 68, 108 f. Finelli, G., 124 Fontana, Domenico, 66 ff., 96 ff. Fontana, Carlo, 137 Forli, Melozzo da, 35, 235 Fragonard, Jean-Honoré, 248 Francesca, Piero della, 31, 49, 162, 191 Francovich, D. de, 116 Franz I. von Frankreich, 55 Frundsberg, Georg, 55 Fuga, Ferdinando, 81 Galilei, Galileo, 75 Galli, Jacopo, 113 Gallus, Caius Cornelius, 95 Gatta, Bartolomeo della, 33,153,155,191 Geiserich, 18 Gentile, Francesco di, 232 Géricault, Theodore, 248 Ghiberti, Lorenzo, 109 Ghirlandaio, Benedeto, 153 Ghirlandaio, David, 35 Ghirlandaio, Domenico, 33, 35, 153, 155 Gildemeister, Otto, 22 Giocondo, Fra, 51 Giotto, 23, 25 f., 45, 68 f., 143 ff, 224 ff. Giovanni da Udine, 53, 215, 218 Giovanni da Verona, Fra, 196 Giovio, Paolo, 195 Girardon, Fran Ìs, 113 Goethe, 79, 263 Gonzaga, Federico, 214 Gozzoli, Benozzo, 148 Greco, Emilio, 92 Grego IX., Papst, 196, 198, 200 Gregor XL, Papst, 27 Gregor XIII., Papst, 65, 67, 69, 73, 81 Gregor XV. Ludovisi, Papst, 75 Gregor XVL, Papst, 92, 253 Gregor der Große, Papst, 18 Gregor von Nantes, 69 Groslaye de Villiers, Jean de la, Kardi­ nal, 38 9 0

Gualtieri, Kardinal, 87 Guercino, 75 Guidi, D., 137 Hadrian L, Kaiser, 18 f., 212, 223 Hadrian VI., Papst, 54 Hagesandros, 255, 259 Heinrich V ili, von England, Kaiser, 218 Helena, 15 Heemskerk, Marten van, 56 Homer, 202, 258 Honorius I., Papst, 18 Innozenz Innozenz Innozenz Innozenz Innozenz

III., Papst, 20, 29, 148 V ili., Papst, 35 f., 39 f. X., Papst, 76 f., 113, 133, 136 XL, Papst, 77 XII., Papst, 81

Johannes VII., Papst, 18 Johannes XXIII., Papst, 92 Julius II., Papst, 39 ff., 42, 44 ff., 48 f., 50 f., 69, 76, 85, 145, 163, 179, 191, 196, 200, 202 ff., 207, 215, 221, 255, 263 Julius III., Papst, 63, 69 Justinian II. von Byzanz, Kaiser, 139, 196, 198 Karl der Große, 81, 212 f. Karl I. von England, Kaiser, 220 Karl V. von Habsburg, 55 Karl VIII., 38 Katherina von Alexandria, 36, 152 Konstantin, Imperator, 13 ff., 16 f., 24, 30, 44 f., 68, 75 f., 81, 95,112 f., 123 f., 128, 141,213 f. Laetus, Pompinius, 56 La Fontaine, Jean de, 230 Lamartine, 176 Lambertini, Prospero, 86 Lanfranco, Giovanni, 74 f., 248 Laurentius, 29, 148 Laurentius, Papst, 18 Lawrence, Thomas, Sir, 251

Leo L, Papst, 18 Leo IIL, Papst, 19, 128, 212 f. Leo IV., Papst, 19, 24, 212 Leo X., Papst, 29, 50 L, 53 L, 203, 207, 212L, 215, 218,232 Leo XL, Papst, 133 Leonardo da Vinci, 115, 200, 202, 230 ff. Leto, Pomponio, 32 Ligorio, Pirro, 64, 69 f., 73, 221 ff. Lippi, Filippo, 234 Lirone, G., 81 Longhi, R., 209, 240 Longinus, 38, 76 Lorenzetti, Pietro, 229 Lotto, Lorenzo, 49, 191, 209 Lucenti, L., 133 Ludovisi, Kardinal, 136 Ludwig XIV. von Frankreich, Kaiser, 113 Maderno, Carlo, 68, 73 L, 98,111,121, 144 Maglia, M., 133 Mantegna, Andrea, 36 Manzu, Giacomo, 92 Maratta, Carlo, 137 Marc Aurel, Imperator, 13 Marchionni, Carlo, 84 Marcillat, Guillaume di, 205 Martin V., Papst, 27 f. Masaccio, 27 Masolino da Panicale, 27 Mathilde von Toskana, 128 Matteo da Lecce, 155 Maxentius, 13, 201 Mazzuoli, G., 133 Medici, Giuliano de*, Kardinal, 240 Mengs, Anton Raphael, 79 Midielangelo, 34, 38 ff., 41 ff., 44, 47 ff., 50 L, 53, 56 ff., 59 L, 62 ff., 65, 67 ff., 76 L, 79, 83, 86, 98, 103 ff., 106 L, 113 ff., 121, 124, 128, 130, 144, 152, 155, 157 L, 162 ff., 165 ff., 168 ff., 171 ff., 175 ff., 179 ff., 182 ff., 185 ff., 188 ff., 198, 200, 202, 209, 211, 214, 218, 220 L, 243, 255, 258, 263 Michelozzo, 28, 118 f.

285

Milizia, Francesco, 79 Mochi, Francesco, 76, 126 Moderati, Francesco, 81 Monaldi, Carlo, 81 Montaigne, 72 Montalto, Kardinal, 65 Montorsoli, Giovanni Angelo, 255 Morelli, L., 133 Muziano, Girolamo, 68 f., 72 Nebbia, Cesare, 72 Nero, 12 Nikolaus III., Papst, 20 f., 28, 148, 191, 215 Nikolaus V., Papst, 28 ff., 31, 34, 36, 44, 49, 148 f., 191 Otto IL, Kaiser, 137 Ovid, 202

Pisanello, 28 f. Pius IL, Papst, 31 f. Pius IV., Papst, 64, 69 ff. Pius V., Papst, 64 f., 85, 90, 220 Pius VI., Papst, 87, 90 Pius VII. Chiaramonti, Papst, 88, 90 Pius IX., Papst, 92 Pius XL, Papst, 92 Pius XIL, Papst, 92 Platina, Bartolomeo, 34 Platon, 201 Pollajolo, Antonio del, 35 L, 145 L, 148 Polydoros, 255, 259 Pontelli, Baccio, 32, 153 Porta, Giacomo della, 65 f., 69, 107 Porta, Guglielmo della, 76, 105 L, 130 f. Poussin, Nicolas, 75, 138, 248 f., 250 f. Ptolemaus, 201 Pythagoras, 201 Quercia, Jacopo della, 115

Paul IL, Papst, 31 L, 34 f. Paul IIL, Papst, 29, 56 ff., 59, 63, 76, 118, 130, 177, 186, 196 Paul IV., Papst, 64, 70 Paul V., Papst, 68, 70, 73 f. Paul VI., Papst, 92 Paulus, 11 f., 26, 109, 144, 209, 218 Penni, Gianfrancesco, 53 f., 214, 216, 218,243 Peretti, Felice, 65 Peroni, G., 137 Perugino, Pietro, 32, 49, 150, 153, 155, 161 ff., 177, 191,200,211 Peruzzi, Baldassarre, 49, 54 ff., 59, 191, 194, 204 ff. Petrarce, 202 Petronella, 17,35,38 Petrus, Sankt, 11 L, 16, 26, 59, 95, 109, 144, 209,218 Philipp der Schöne, Kaiser, 24, 218 Piccolomini, Aeneas Sylvius, 31 Piero di Cosimo, 33, 153, 155 Pietrasanta, Jacopo da, 36 Pinturicchio, 33, 36, 150 ff., 153, 155, 162 Piombo, Sebastiano del, 177, 213, 218, 243

286

Raffael, 39, 49 f., 52 ff., 71, 75, 136, 157, 174, 191 ff., 194 ff., 197 ff., 200 ff., 204 f., 209 ff., 212 ff., 216 ff., 220, 238 ff., 241 ff., 244 Rainaldi, Gerolamo, 75 Reni, Guido, 74 L, 245 Riario, Raffaele, Kardinal, 113 Rikimer, 18 Robert, Hubert, 84 Roberti, Ercole dei, 236 f. Rodin, Auguste, 263 Romano, Antoniazzo, 32 f., 35 Romano, Giulio, 53 f., 59, 209, 213 f., 216,218,244 Rosselli, Cosimo, 32, 153, 155 Rossellino, Bernardo, 28, 30 L, 42, 44 f. Rovere, Francesco Maria della, 200 f. Rovere, Giuliano della, Kardinal, 40, 145 Rubens, Peter Paul, 248 Rusconi, Camillo, 81 Salomo, 33, 123, 162 Salviati, Francesco, 155 Sangallo, Antonio da, 51, 58 ff., 65, 107, 152

Sangallo, Giuliano da, 31, 44, 51 Sannazzaro, 202 Sansovino, Andrea, 59 Sappho, 202 Saraceni, Carlo, 74 Savonarola, Gerolamo, 39, 200 Sellaio, Leonardo, 214 Sergius IL, Papst, 19 Serlio, Sebastiano, 53 Sigismund von Luxemburg, Kaiser, 109 Signorelli, Luca, 33, 153, 155 f., 191 Simon, Apostel, 11 Sixtus IV., Papst, 31 ff., 35 f., 39 f., 145, 153,155 Sixtus V., Papst, 65 f., 70, 95 f., 223 Sobiesky, Maria Clementina, 81 Sodoma, 49, 191, 194 Stefan III., Kaiser, 19 Stefaneschi, Jacopo, Kardinal, 25 f., 144, 224, 226 Stefanus, 28, 148 Strozzi, Alessandro, 34 Stuart, Charles, 220 Sylvester, 14 f. Symmachus, Papst, 17 f.. Tatti, Jacopo, 59 Tibuli, 202 Tizian, 59, 249 Toesca, P., 116 Totila, 18

Urban V ili., Papst, 68, 75 f., 81, 121, 123, 128, 130, 133, 136 Vaga, Pcrin del, 53, 196 202, 206, 214 ff., 218 Valadier, Giusepe, 83 Valentin, 248 Valle, Filippo della, 81 Valle, Lorenzo, 214 Vasari, Giorgio, 36, 42 f., 59, 63 f., 118, 175,198 Venturi, A., 116, 194, 205 Venusti, Marcello, 186 Vergil, 202 Veronika, 44 Vettori, Francesco, 87 Vignola, Giacomo, 63 ff., 107 Visconti, Ennio Quirino, 87 Vitale da Bologna, 229 Viterbo, Lorenzo da, 32 Vitruv, 53, 63 Volterra, Daniele da, 185 Wickhoff, 116 Winckelmann, J. J., 87, 258, 263 Xanten, Hans van, 74 Xenon, 201 Xenophon, 201 Zampieri, Domenico, gen. Domeniebino, 75, 247 ff. Zuccari, Brüder, 71

Foto-Nachweis Albertina; 83. Alinari: 43, 67, 94, 125, 154, 189, 217, 256, 257, 261, 266. Anderson; 23, 37, 48, 60, 61, 78, 80, 85, 87, 101, 103, 111, 116, 117, 127, 131, 142, 146, 149, 151, 156, 157, 159, 160, 164, 168, 169, 171, 173, 176, 180, 181, 183, 188, 193, 195, 204, 205, 207, 211, 222, 227, 229, 232, 233, 234, 235, 237, 238, 239, 245, 251, 256, 257, 260, 261, 265, 266, 267, 268, 269. Brenci; 46, 52, 58, 90, 270, 271. Giordani; 82, 88, 89, 90, 101, 111, 122. Giraudon; 24, 125, 127, 128, 132, 158, 160, 212, 223, 242. Eugenio Monti; 104, 112, 116, 119, 122, 142. Museen des Vatikan; 22, 34, 56, 66, 119, 139, 226, 236, 245. Roger-Viollet; 69. Scala; 97, 99, 106, 108, 114, 120, 129, 134, 135, 138, 140, 143, 147, 150, 161, 163, 166, 167, 170, 172, 173, 175, 178, 179, 182, 184, 185, 187, 190, 194, 196, 197, 199, 203, 206, 208, 210, 216, 219, 225, 228, 231, 241, 243, 246, 247, 250, 252, 255, 259, 262.

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