Die Immediatprothese: Theoretische und praktische Betrachtungen Praktisches Vorgehen [1. Aufl.] 978-3-7643-0136-1;978-3-0348-6915-7

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Die Immediatprothese: Theoretische und praktische Betrachtungen Praktisches Vorgehen [1. Aufl.]
 978-3-7643-0136-1;978-3-0348-6915-7

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Front Matter ....Pages N2-5
Theoretische und praktische Betrachtungen (F. Gasser, M. Spreng)....Pages 7-34
Praktisches Vorgehen bei der Behandlung mit Immediatprothesen (F. Gasser, M. Spreng)....Pages 35-68
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PRAKTISCHE ZAHNMEDIZIN ODONTO-STOMATOLOGIE PRATI QUE PRACTICAL DENTAL MEDICINE

Begriindet von Prof. Dr. med. MAX SPRE:NG

Herausgegeben von Prof. Dr. med. M. SPRENG, BaseI Prof. Dr. med., Dr. med. dent. J. ESCHLER, Freiburg i. Br. Priv.-Doz., Dr. med. Dr. med. dent. F. GASSER, BaseI

Mit diescr Schriftenreihe \\lrd bezweckt, der Praxis, dem Studium und der wissenschaftlichen Anregung innerhaIb der Zahnmedizin zu dienen. Auch Laboratoriumsmethoden werden beriicksichtigt. Die UniversaIităt der Reihe soH durch die Mitarbeit von Autoren alls vcrschiedenen Lăndern, Sprachen und verschiedenen DiszipIinen betont werden. Die wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnisse auf die Praxis Ubertragcn und den Patienten zukommen zllIassen, ist hCchstes Gut medizinischer Tătigkcit und Betreuung. Der Beginn dicser Schriftenreihe făHt mit dem 500jăhrigen Bestehen der Universităt Basel (1460-1960) zusammen. Verlag und Herausgeber freucn sich, mit diesen )'lonographien des JubilăumsanIasscs ZIl gedcnken.

PRAKT.

Z.

M.

BIRKHĂUSER

on.-SToM. PRAT.

PRACT. n.

M.

VERLAG . BASEL UND STUTTGART

PRAKTISCHE ZAHNMEDIZIN ODONTO-STOMATOLOGIE PRATIQUE PRACTICAL DENTAL MEDICINE 2

DIE IMMEDIATPROTHESE Theoretische und praktische Betrachtungen Praktisches V orgehen

von

F. GASSER Priv. Doz., Dr. med. et med. dent. Oberassistent an der prothetischen Abteilung des Zahnarzt1ichen Instituts der Universitat Basel Vorsteher: Prof. Dr. med. M. Spreng

1960

Springer Basel AG

ISBN 978-3-7643-0136-1 ISBN 978-3-0348-6915-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-6915-7 Nachdruck verboten. Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in iremde Sprachen und der Reproduktion aui photostatischem Wege oder durch MikroiiIme, vorbehaIten.

© Springer BaseI AG I960 UrspriingIich erschienen bei Birkhiiuser VerIag, BaseI I960.

INHALTSVERZEICHNI S

I. TE 1 L

Theoretische und praktische Betrachtungen l. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

2. Umbauvorgange an den Kiefergelenken bei Zahnlosigkeit ..................

8

3. Inaktivitatsatrophie der Kau- und Gesichtsmuskulatur ....................

13

4. Psychische Probleme in Verbindung mit Zahnverlusten und Prothesen. . . . . . .

16

5. Die Lautbildung nach Zahnverlusten und nach dem Einsetzen von Prothesen

19

a) Phonetik nach Zahnverlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

b) Prothese und Phonetik .............................................

21

6. Kauwirkung mit Immediatprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

23

7. MagenTDarm-Erkrankungen als Folge mangelhafter Kaufahigkeit ...........

25

8. Heilungsablauf an der Schleimhaut nach Zahnextraktionen und dem Einfiigen einer Immediatprothese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

31

9. Umbauvorgange am Kieferknochen im Anschluss an Zahnextraktionen und nach dem Einsetzen von Immediatprothesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

33

Il. TEIL

Praktisches Vorgehen bei der Behandlung mit Immediatprothesen l. Die totale Immediatprothese bei normalen Kieferverhaltnissen . . . . . . . . . . . . . . .

35

2. Die totale Immediatprothese bei anormalen Kieferverhaltnissen . . . . . . . . . . . . ..

46

3. Die partielle Immediatprothese .........................................

50

4. Die Prothesenunterfiitterung ......................................... "

51

5. Von der Immediatprothese zur definitiven Prothese........................

57

6. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

7. Sachverzeichnis ......................................................

67

1. TEIL

Theoretische und praktische Betrachtungen 1. Einleitung Prothesen, die unmittelbar oder kurze Zeit nach Zahnextraktionen eingesetzt werden, sind von ausserordentlicher praktischer Bedeutung. Sie fiihren die Bezeichnung 1 mmediatprothesen, Solortprothesen oder provisorische Prothesen. Die Bezeichnung Immediatprothese wird am meisten gebraucht. Die A nwendung der 1 mmediatprothese geht auf beinahe hundert J ahre zuriick. Sie wurde erstmals von RODRIGUES im Jahre 1860 anlăsslich der sechsten Jahresversammlung der American Dental Convention empfohlen. In Deutschland waren es HERBST (1879) und KEMPFE, die auf die Herstellung von Immediatprothesen aufmerksam machten. Im Jahre 1886 erschien von PARREIDT eine ausfiihrliche Beschreibung der Methode. Neun Jahre spăter (1895) wies SEITZ auf ihre grossen Vorteile hin. Seither mehren sich die Publikationen iiber Immediatprothesen von Jahr zu Jahr. Heute hat sich die Sofortprothese schon an vielen Orten eingebiirgert. Das 1 ndikationsgebiet der 1 mmediatprothese umfasst vollkommene Zahnlosigkeit (totale Răumung), Zahnlosigkeit in einem Kiefer oder partielle Zahnlosigkeit, speziell im Frontzahngebiet. Wie die Benennung «provisorische Prothesen» zum Ausdruck bringt, handelt es sich bei diesen Apparaten um prothetische Massnahmen von voriibergehender Dauer. Diese bezieht sich auf die Zeit, die nach den Zahnextraktionen bis zur definitiven Schleimhaut- und Kieferknochenverheilung verstreicht. Nach Untersuchungen von EULER und MEYER braucht die Ausheilung an den Schleimhăuten nach Zahnextraktionen im Durchschnitt 6-12 Wochen. Mit dem Abschluss dieser ăusseren Wundheilung sind jedoch die Um- und Abbauvorgănge im Alveolarknochen und dessen Reorganisation noch lange nicht beendet. Erst nach ein bis anderthalb J ahren kommt der Knochen zur Ruhe, und die Abheilung ist dann vollzogen. Dieser Heilungsverlauf ist praktisch gesehen von grosser Bedeutung. Wird eine Prothese vor der endgiiltigen Ausheilung der Alveolarkămme in den Mund gesetzt, so muss sie spăter umgearbeitet werden, weil sich die

8

1. Teil: Theoretische und praktische Betrachtungen

Form der Kieferkămme andauernd verăndert, wăhrend die Prothesenbasis in ihrer Gestaltung gleich bleibt. Infolgedessen ergibt sich ein Missverhăltnis zwischen der Plattenbasis und dem Prothesenlager. Wăhrend des Prothesengebrauchs wird deshalb die Druckauswirkung ungleichmăssig und dadurch auch ungiinstig auf die Schleimhaut und den Knochen iibertragen. Einzelne Stellen erleiden eine stărkere Druckeinwirkung, sogar eine Quetschung oder Zerrung. Andere wiederum erfahren durch Hohlliegen der Prothese nur ei ne geringe oder iiberhaupt keine Belastung. Zusătzlich wirkt sich die pathophysiologische Alveolarknochenresorption auf die Artikulationsverhăltnisse aus: diese werden fehlerhaft und vermogen dadurch den irritierenden Protheseneinfluss zu verstărken. Solche Prothesen kănnen im Laufe der Zeit, wie bioptische Gewebsuntersuchungen gezeigt haben, schădlich wirken, ja sogar irreparable Verănde­ rungen an der Mundschleimhaut und am Kieferknochen aus16sen. - Sofern Patienten mit Immediatprothesen wăhrend ungefăhr eines J ahres regelmăs­ sig unter zahnărztlicher Beobachtung stehen, und wenn die Prothesenbasis nach Bedarf durch Unterfiitterungen wăhrend des Intervalls der Umbauvorgănge den Kiefern neu angepasst wird, lassen sich Schădigungen auf ein Mindestmass herabsetzen, wenn nicht gar verhiiten. Die vi elen Vorteile, die mit dem Einfiigen von Immediatprothesen verbunden sind, rechtfertigen ihre hăufige Anwendung. Ais hervorstechende Werte sind hervorzuheben: 1. Das Vermeiden von unerwiinsch ten U mbauprozessen an den K ielergelenken. 2. Die E rhaltung des M uskeltonus und das Verhindern einer 1 naktivitiitsatroPhie der Kau- und Gesichtsmuskulatur. 3. Das Verhindern von psychischem Schock, der durch Extraktionen, spezieIl im Frontzahngebiet, bewirkt wird. 4. Das Verhiiten von Erkrankungen des Magen-Darm-Kanals, die infolge von ungeniigendem Kauvermogen bei vollstăndiger oder partieller Zahnlosigkeit auftreten konnen. 5. Das Verhindern einer allzu starken AtroPhie der Kielerkiimme.

2.

Umbauvorgănge

an den Kiefergelenken bei Zahnlosigkeit

Das menschliche Kiefergelenk setzt sich aus zwei in sich abgeschlossenen Gelenkabschnitten zusammen. Die Unterteilung jedes einzelnen Gelenks ergibt sich aus der Einschaltung ei ner Zwischenscheibe, des Discus oder Meniscus articularis, der ringsum mit der Gelenkkapsel verwachsen ist. Dadurch entsteht ein oberer, menisco-temporaler und ein unterer, menisc 0condylărer Anteil des Kiefergelenkes.

2.

Umbauvorgănge

an den Kiefergelenken bei Zahnlosigkeit

9

,F.sm

: Da

,

Ţba

C

Figur 1. Schematische Darstellung des Kiefergelenkes in der Ruhelage (zentrale Okklusion). Fsm Fossa mandibularis; Da Discus articularis; Tba Tuberculum articulare; C Capsula articularis; Prc Processus condyloideus (articularis);. PI M. pterygoideus externus (Iateralis) (Figur nach SPRENG).

Figur 2. Schematische Darstellung einer Bewegungsstellung des Kiefergelenkes als Vergleich zur Ruhelage in Figur I (Figur nach SPRENG).

Zum menisco-temporalen Gelenkabschnitt geh5ren die Fossa mandibularis und das Tuberculum articulare einerseits und die obere Zwischenscheibenfliiche (Meniscus) anderseits. Das menisco-condylăre Gelenk umfasst einer-

10

1. Teil: Theoretische und praktische Betrachtungen

seits die unt ere Zwischenscheibenfliiche (Meniscus) und anderseits den Processus articularis. Dieser wird fiir den zahnarztlichen Gebrauch Condyhts genannt. Er hat seine Lage in der zentralen Okklusion an der hinteren Flache des Tuberculum articulare. Am vorderen Teil des Meniscus inseriert der M usculus pterygoideus lateralis, Figuren 1 und 2. Diesem Aufbau des Kiefergelenks entspricht eine verschiedene Bewegungsfunktion der beiden Gelenkabschnitte. Im oberen, dem menisco-temporalen oder Gleitgelenk verschiebt sich bei den Kieferbewegungen der Processus articularis (Condylus) mitsamt dem Meniscus auf dem Tuberculum articulare. Die Bewegung, ein Gleiten, verlauft nach vorwarts-abwarts und einwarts. Im unteren, menisco-condylaren oder Drehgelenk vollzieht sich bei den Bewegungen des Unterkiefers ei ne Drehung, ei ne Rotation. In der Gesamtheit der Kieferbewegungsvorgange erganzen und iiberschneiden sich die Bewegungsmoglichkeiten im oberen und unteren Gelenkabschnitt. Es stehen bei beiden Kiefergelenken somit vier Gelenkabschnitte gleichzeitig in Tatigkeit und wirken zusammen. Wenn bedacht wird, dass beim gleichen Individuum hăufig Unterschiede im lirtken und rechten Kiefergelenk vorliegen, die Bewegungsverschiedenheiten mit sich bringen, so wird die Kompliziertheit der menschlichen Kieferbewegung offenbar, aber auch die Schwierigkeit, ihre Feinheiten zu erfassen und sie bei der Herstellung der kiinstlichen Zahnreihe zu beriicksichtigen. Zwischen den Kiefergelenken und den natilrlichen Zahnreihen bestehen enge Wechselbeziehungen. Diese gehen bei Zahnlosigkeit oder multiplen Zahnverlusten verloren: die ursprilngliche BisshOhe und die zentrale Okklusion sind nicht mehr fixiert. Die Riickwirkungen auf die Kiefergelenke ergeben sich aus der Veranderung des Gelenkgleichgewichtes, weil die Abstiitzung durch Zahnreihen verloren gegangen ist. Dadurch treten sowohl an den menisco-temporalen als auch an den menisco-condylaren Gelenkteilen Verlagerungen ein. Arbeiten von HĂUPL und STEINHARDT haben iiber Zusammenhange von Kiefergelenksveranderungen mit dem Zahnverlust wertvolle Aufschliisse gebracht. STEINHARDT konnte ofters beobachten, dass es nach der Extraktion der letzten Seitenzahne, die den Biss sicherten, im Verlauf der nachsten Tage zu einer Riickwarts-Aufwarts-Lagerung des Unterkiefers kam. Bei einem Patienten geniigten 8 Stunden schon, um die Riickverschiebung der Condylen zu ermoglichen. Allerdings ist hervorzuheben, dass bei diesen in kurzer Zeit aufgetretenen Riickverlagerungen des Unterkiefers der Patient nach dem Einsetzen der Prothesen sehr bald seine bisherige normale Bisslage wiedergewinnt. Mit der Riickwartsverlagerung der Gelenkkopfe geht auch eine Vorverschiebung des Meniscus einher, wie die Skizze von STEINHARDT erhellt, Figur 3.

2. Umbauvorgange an den Kiefergelenken bei Zahnlosigkeit

11

Figur 3. Verlagerung des Gelenkkopfes in die Pfanne hinter die Bandscheibe mit Verschiebung des Diskus geringgradig nach vorn bei langerer Zahnlosigkeit (Zeichnung nach STEINHARDT).

Klinisch ăussert sich diese dorsal-rostrale Verschiebung der Condylen in einer Funktionsiinderung der Kiefergelenke. Es iiberwiegt die Drehkomponente. Ohne dass die Gleitkomponente in Aktion zu treten braucht, ist die Mundaffnung bis zu 2Y2 cm maglich. Diese Funktionsănderung der Kiefergelenke bedingt eine Vereinfachung der Kiefergelenkablăufe, indem nur noch Offnungs- und Schliessungsbewegungen beim Kauvorgang ausgeiibt werden, wăhrend die Seitwărtsbewegungen ausbleiben (STEINHARDT). Alle diese Starungsmomente (Riickwărtsverlagerung der Gelenkkapfe, Vorwărts­ gleiten der Menisken, vereinfachte Kiefergelenksfunktion) im fein abgestimmten Kiefergelenksystem bedingen eine Ănderung der Gelenkbelastung. Wăh­ rend bei normaler Bisslage der Kaudruck durch die Prothesen im Schlussbiss aufgefangen wird, ohne dass die Gelenke belastet zu werden brauchen, iibernehmen die riickverlagerten Gelenkkapfe einen Teil der Auswirkung des Kaudruckes. Dies konnte STEINHARDT histologisch an der Ănderung des Aufbaues der Gelenkknorpelflăchen des Processus articularis feststellen. Durch die Mehrbelastung der Gelenkflăchen bei der Riickwărtsbewegung und im Schlussbiss werden alle jene pathologisch-anatomischen Verănde­ rungen eingeleitet, die unter der Bezeichnung Arthrvpathia dejormans bekannt sind und die schliesslich iiber solche Schăden zum diskuslosen Gleitgelenk iiberleiten. Mit den aufgezăhlten objektiven Symptomen sind oft subjektive verbunden, wie Schmerzen in den Gelenken, am ăusseren Gehargang und am Ohr, femer Gelenkknacken. Die Ohrschmerzenhăngen mit der Nervenversorgung (N. auricolotemporalis- Gelenk-Ohr-ăusserer GehargangSchlăfengegend) zusammen, Figur 4.

12

1. Teil: Theoretische und praktische Betrachtungen AVls

UK

Mm

Figur 4. Topographie des Kiefergelenkes (punktiert eingezeichnet) und seine Beziehung (durch Pfeile angedeutet) zum Ausbreitungsgebiet des N. auricolo-temporalis. Mas M. auricularis superior (Pars parietalis m. epicranii temporoparietalis); A Vis A. et V. temporalis superficialis; GP Glandula parotis; Dp Ductus parotideus (parotidicus); Mm. M. masseter; U K Unterkiefer; T Tragion (Figur nach SPRENG).

Dureh Prophylaxe lassen sieh solche Kiefergelenksehăden vermeiden. Sie besteht in der prothetisehen Aufgabe, die Bisslage mit der ehemaligen normalen Gelenksituation zu erhalten, indem sofort naeh den Zahnextraktionen Immediatprothesen in den Mund gesetzt werden. Die ehemalige normale Gelenksituation kann aber nur erhalten bleiben, wenn die individuellen Kiefergelenkbahnen ermittelt werden. Tausende von Messungen haben deutlieh gezeigt, dass die Gelenkbahnen von Menseh zu Menseh variieren. Aber es bestehen nieht nur Differenzen von Menseh zu Menseh, sondern hăufig aueh bei der gleiehen Person. Ein Mittelwert von 30° Condylenbahnneigung, wie er in der Praxis angenommen und berueksiehtigt wird, entsprieht als statistiseher Wert nur selten den wirkliehen Verhăltnissen.

3. Inaktivitatsatrophie der Kau- und Gesichtsmuskulatur

13

Zusammenfassend lăsst sich feststellen, dass nach totalen Zahnextraktionen (in einem oder in beiden Kiefern) die sofortige prothetische Versorgung durch Immediatprothesen folgende Vorteile bewirkt: 1. Sie verhiiten Schăden an den Kiefergelenken, die als Folge einer Starung im feinen mandibulo-maxillăren System eintreten kannen. 2. Sie erleichtert und begiinstigt die definitive prothetische Behandlung (Sicherung der ehemaligen Bisslage, Erhaltung normaler Funktionsablăufe).

3. Sie vermeidet das Risiko einer falschen Bissbestimmung bei der Anfertigung der Dauerprothese, sofern die zentrale Okklusion und die Kiefergelenkbahnen mittels Apparaten nicht registriert werden, und sie erleichtert damit die Angewahnung des Patienten an die zuerst als Fremdkarper empfundene Prothese.

3.

Ioaktivitătsatrophie

der Kau- uod Gesichtsmuskulatur

Zahnverluste ziehen immer Umwandlungen der Alveolen bzw. des Alveolarfortsatzes nach sich. Mit dem Verlust sămtlicher Zăhne geht die Funktion des Alveolarfortsatzes verloren. Es vollzieht sich an ihm durch Abbau- und Umbauvorgănge eine Redl!lktion. Er wird in den sogenannten Kiejerkamm bzw. Alveolarkamm umgewandelt. Der Oberkiejer hat im allgemeinen die Tendenz mehr bukkalwărts, der Unterkiejer mehr lingualwărts zu schwinden, Diese typische Resorption ergibt sich aus der anatomischen Beschaffenheit beider Kiefer. Im Oberkiefer verfă11t die mehr zart gebaute Kortikalis des Seitengebietes mit den zwei Zahnfăchern fUr die Molaren leichter der Atrophie als die ihr gegeniiberliegende măchtige Linea obliqua externa des Unterkiefers. Das Ergebnis ist oft ein gegeniiber dem Unterkiefer kleinerer Oberkiefer. Es entsteht ein umgekehrtes Verhăltnis von Ober- und Unterkiefer: bei geschlossenem Mund umgreift der Bogen des Unterkiefers den des Oberkiefers. Je ausgeprăgter dies vorliegt, um so schwieriger wird die giinstige Gestaltung der kiinstlichen Zahnreihen bzw. der totalen Prothesen. N ach dem Verlust sămtlicher Zăhne in einem Kiefer geht der Aufbiss der Zahnreihen und damit die Bisshahe verloren. Die Kaumuskeln (M. mas· seter, M. temporalis, M. pterygoideus lateralis, M. pterygoideus medialis) kannen nicht mehr in dem friiheren Masse ausgeniitzt werden, weil der Unterkiefer beim Kauen keinen Aufbiss, das heisst keinen Widerstand mehr findet. Als Folge davon verfăllt die Muskulatur dem Schwund durch Nichtgebrauch, der 1 naktivitiitsatrophie: die einzelnen Muskelfasern nehmen an Volumen ab, und damit verkleinert sich der ganze Muskel.

14

1. Teil; Theoretische und praktische Betrachtungen

Nach DIETRICH ist noch umstritten, ob die Tatigkeit (im allgemeinen) unmittelbar auf die Erhaltung der Gewebe einwirkt (funktioneller Reiz), oder dies nur durch reflektorische Beeinflussung des Kreislaufs geschieht, wonach tatige Organe mehr Blut erhalten als ruhende. rm letzteren Falle wiirde durch mangelnde Stoffzufuhr die Atrophie erfolgen.

Ein gros ser Teil der mimischen Muskulatur (M. quadratus labii superioris, M. zygomaticus major, M. risorius, M. caninus und andere) fălIt nach totalen Zahnverlusten ebenfalIs atrophischen Verănderungen anheim, da die Muskeln durch die Zahnverluste ihrer natiirlichen Stiitze beraubt worden sind und dadurch eine Tonusănderung im Sinne einer Abschwăchung erleiden. Eine derartige V olumenabnahme der K au- und mimischen M uskulatur ha t eine Verănderung des gesamten Gesichtsausdruckes zur Folge. Der Verlust der Bissh6he bedingt ein Zusammenfallen des Gesichtes mit konsekutiver Verminderung des Muskeltonus. Die Haut wird schlaff, Gesichtsfalten treten prăgnanter hervor. Dazu kommt meistens noch eine StelIungsverănderung des Unterkiefers, bedingt durch den Lagewechsel der Condylen in den Kiefergelenken, Figuren 5, 6a und 6b. 5a

5b

Figur 5a. Schadel mit natlirlicher Bezahnung und normalem Tonus der mimischen Muskulatur. Zeichnung. Figur 5b. Faltenloses jugendliches Gesicht bei normalem MuskeItonus und vollstandigem natiirlichem Gebiss. Zeichnung.

6a .

Figur 6a.

6b

mit zahnlosen Kiefern. Infolge Fehlens des Aufbisses: Zusammenfallen des Gesichtes. Zeichnung. Figur 6b. Gesichtsausdruck bei totaler Zahnlosigkeit: Zusammenfallen des Gesichtes mit Lageverănderung des Unterkiefers, Auftreten von Gesichtsfalten und schlaffer Gesichtshaut. Zeichnung. Schădel

Figur 7. Vergleichsbilder desselben Patienten mit eingesetzten totalen Prothesen (links) und ohne Prothesen (rechts): eingefallenes Gesicht mit verstărkter Faltenbildung (ălterer Gesichtsausdruck) . Zeichnung. Figuren 5-7 nach SPRENG.

16

1. Teil: Theoretische und praktische Betrachtungen

Alle diese Faktoren bewirken, dass das Gesieht einen um ] ah re ălteren Ausdruck erhalt, Figur 7. Diese unnatiirliehen und fiir den Patienten naehteiligen Veranderungen konnen dureh Einsetzen von Immediatprothesen verhindert werden. Denn der Patient erhalt sofort naeh den Zahnextraktionen eine neue Stiitze fiir die mimisehe Muskulatur, und die Kaumuskulatur bleibt ohne Unterbrueh in Funktion. Obwohl die Kauleistung mit Immediatprothesen geringer ist als mit definitiven, ist sie doeh geniigend, um siehtbare Veranderungen der Kau- und mimisehen Muskulatur zu verhiiten. Welche Bedeutung Prothesen fiir das Aussehen eines Patienten hahen, zeigen die Vergleiehsbilder der Figur 7.

4. Psychische Probleme in Verbindung mit Zahnverlusten und Prothesen Der Besitz eines vollstăndigen, gesunden Gebisses tragt einen nieht zu untersehatzenden Teil bei zum Erlebnis der Integrităt des menschlichen Lebens und steht dadureh in enger Verbundenheit mit der Vitalităt. Vitalitat aber bedeutet Gesundheit und Lebensgefiihl. Es ist deshalb aueh verstandlieh, dass dem wohlerhaltenen Gebiss seit dem Altertum ein psyehologiseher Wertakzent beigemessen wird. KRANZ zitiert folgende Beispiele: In der grieehischen Sage, in der aus den Zahnen des von Kadmos iiberwundenen Drachen, die er in die Erde aussat, ein Gesehleeht gewappneter Manner, die Spartoi, erwaehst, erhalten die Zahne geradezu lebenszeugende Bedeutung. - Im alttestamentliehen Reehtsgrundsatz