Die Bacardis. Der Kuba-Clan zwischen Rum und Revolution 3593373181, 9783593373188

Pressestimmen "A worthwhile reading - not only for passionate rum drinkers." Frankfurter Allgemeine Sonntagsze

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Die Bacardis. Der Kuba-Clan zwischen Rum und Revolution
 3593373181, 9783593373188

Table of contents :
Inhalt......Page 7
Vorwort......Page 9
Teil I Die Bacardis auf Kuba......Page 13
Spurensicherung: Santiago de Cuba......Page 15
1. "Auf nach Kuba!" - Ein Spirituosenhändler aus Katalonien......Page 23
"Hacerse América" - Auf nach Kuba!......Page 24
"Bacardi y Bouteiller" - Rumproduktion im Zeichen der Fledermaus......Page 29
Die Rum- Revolution - Erfolg mit "Carta Blanca Superior"......Page 32
Viel Ruhm und wenig Geld - Überleben in den Zeiten des Unabhängigkeitskrieges......Page 35
2. "Cuba libre!" - Die Familie Bacardí im Unabhängigkeitskrieg......Page 40
Der"Ruf von Yara" - politischer Weckruf für die Brüder Bacardi y Moreau......Page 41
Im politischen Sog des Freiheitskämpfers José Mart......Page 45
Der Rum der Könige......Page 48
Der Amerikanisch- Spanische Krieg ( 1898) - die Amerikaner besetzen Kuba......Page 50
Kontrollierte Freiheit......Page 54
Bacardi - Boom mit "Cuba Libre" - Beginn des goldenen Cocktailzeitalters......Page 56
Emilio Bacardi y Moreau - ein ô"großer Kubaner"......Page 58
Der "American way of life" hält Einzug auf Kuba......Page 61
! Ay, la familia! - Aus der Familienchronik......Page 64
Der Schwiegersohn als neuer Präsident......Page 69
"Flying to heaven!" - Gl ücksfall Prohibition......Page 72
Experiment Mexiko - Schwiegersohn Pepin Bosch als Retter in der Not......Page 76
Machado geht - Batista kommt. Rum-Business in politisch unruhiger Zeit......Page 82
Endlich New York......Page 85
Neues Standbein Puerto Rico - kleine Probleme, großer Gewinn......Page 87
Machtspiele......Page 90
"Ich werde Euch reich machen."......Page 94
Familienklatsch......Page 98
Ausflug in die Politik......Page 104
Fidel Castro ante portas......Page 110
Bacard contra Batista - Bosch pokert......Page 114
Sieg der Revolution - Kurswechsel im Hause Bacardi......Page 118
Der Schock - Bacardi wird "nationalisiert"......Page 124
Teil II Die Bacardis im Exil......Page 127
Spurensicherung: Zwischen Havanna und Brüssel......Page 129
5. "Wenn Blut fließen muss, dann soll es fließen." - Der Krieg der Bacardís gegen Castro......Page 141
Neuer Start für ein "staatenloses" Unternehmen......Page 143
Bacard - Werbung - Grundstein des Erfolgs......Page 149
Big Boss Bosch, der Gnadenlose......Page 152
Castros Sturz im Visier......Page 156
Poker a la Bosch - die Aktionäre wehren sich......Page 161
Spagat zwischen Business und Politik......Page 165
6. "Verkauf doch und geh mit Deinem Geld zur Bank!" - Die Familie in der Krise......Page 171
Die Diversifizierungsfalle......Page 174
Noch eine Falle - noch mehr Verluste......Page 178
Die Dissidenten formieren sich......Page 182
Das Imperium schlägt zurück......Page 185
Gute Miene zum bösen Spiel......Page 189
7. "Wir wollen wachsen, wachsen, wachsen!" - Global Player Bacardí......Page 192
Rum und Politik - eine unauflösliche Ehe?......Page 193
Lobbyarbeit in Washington......Page 195
Der Markenstreit......Page 202
Winds of change - Abschied ohne Glanz......Page 206
Spurensicherung: Von Puerto Rico an die Costa del Sol......Page 211
Anmerkungen......Page 229
Bibliografie......Page 235

Citation preview

Die Bacardís

Dr. Ursula L. Voss ist Rundfunkredakteurin und erhielt 2004 den Deutschen Hörbuchpreis (Kategorie »Beste Information«) für das Che-Guevara-Hörbuch Versuchen wir das Unmögliche. Seit drei Jahrzehnten bereist sie Lateinamerika. Für dieses Buch hat sie auf Kuba und in den USA recherchiert sowie Familienangehörige und Zeitzeugen interviewt.

Ursula L. Voss

Die Bacardís Der Kuba-Clan zwischen Rum und Revolution

Campus Verlag Frankfurt /New York

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37318-1

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2005 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Büro Hamburg Umschlagmotiv: © Getty Images, Lorne Resnick und Michael McQueen Satz: Presse- und Verlagsservice, Erding Druck und Bindung: FGB, Freiburg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

Für Ute, Schutzengel und Animatrice auf allen Reisen

Inhalt

Vorwort

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Teil I Die Bacardís auf Kuba Spurensicherung: Santiago de Cuba

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1. »Auf nach Kuba!« Ein Spirituosenhändler aus Katalonien

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2. »¡Cuba libre!« Die Familie Bacardí im Unabhängigkeitskrieg 3. »Flying to heaven.« Bacardí und die Prohibition

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4. »Ich mache Euch reich!« Sieg auf dem Weltmarkt, Niederlage zuhause

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Teil II Die Bacardís im Exil Spurensicherung: Zwischen Havanna und Brüssel

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5. »Wenn Blut fließen muss, dann soll es fließen.« Der Krieg der Bacardís gegen Castro . . . . . . .

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6. »Verkauf doch und geh mit Deinem Geld zur Bank!« Die Familie in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. »Wir wollen wachsen, wachsen, wachsen!« Global Player Bacardí . . . . . . . . . . . . . . .

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Spurensicherung: Von Puerto Rico an die Costa del Sol Anmerkungen Bibliografie . .

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Vo r wo r t

Come on over, have some fun Dancing in the morning sun, We can keep this dream alive, if we try.

Bacardí – ohne Frage, der Name klingt. Schließt man die Augen, sieht man Palmen, einen blauen Karibikhimmel und schöne Mädchen, die zu Salsarhythmen die Hüften schwingen. Bacardí, das heißt Lebensfreude, so will es zumindest die Werbung. »Wir sind keine Schnapsverkäufer, wir vermarkten ein Lebensgefühl«, behaupten die Marketingstrategen des Konzerns. Ob weiß oder braun, mit oder ohne Aromazusatz, ob pur oder als Cocktail mit viel Eis, ob dunkel und schwer oder hell und leicht, Bacardí ist weltweit die beliebteste Rummarke. Und die erfolgreichste: Mit geradezu beängstigender Regelmäßigkeit konnten die Umsätze in den vergangenen Jahrzehnten gesteigert werden, von kleinen Einbrüchen abgesehen. Neue Produkte, darunter Bacardí Breezer in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen, sorgten seit Beginn des neuen Jahrtausends für höchste Zufriedenheit bei Managern und Aktionären. »2001 war das beste Jahr in der gesamten Geschichte der Firma«, konstatierte im November 2002 der damalige Präsident Rubén Rodriguez, »die Spirituosenbranche erweist sich als ziemlich widerstandsfähig in Zeiten wirtschaftlicher Flaute.« Wohl wahr, wenn man den veröffentlichten Zahlen traut! 2,7 Milliarden US-Dollar wurden im Bilanzjahr 2000/2001 bei Bacardí umgesetzt, ein Jahr später waren es sogar 2,9 Milliarden.

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Der Nettogewínn betrug damals 444 Millionen US-Dollar. Auf Erfolgskurs befindet sich seit Jahren auch Bacardí Deutschland. Im Geschäftsjahr 2002/2003 stieg der Umsatz um 27,3 Prozent auf 400,7 Millionen Euro. Das Jahr zuvor hatte man mit 314,8 Millionen Euro abgeschlossen. Zum unerwarteten Höhenflug trug hierzulande das neu entwickelte Mixgetränk Rigo bei, ein Gemisch aus Soda, Lime und weißem Rum mit dem Alkoholgehalt von Bier. Und die exzellente Werbung, die allein in der Bundesrepublik jährlich mehr als 25 Millionen Euro verschlingt. Die rund 600 Aktionäre – bis auf wenige Ausnahmen Mitglieder der weltweit verzweigten Familie Bacardí – billigten bisher ohne zu murren die monströsen Summen, die jährlich in die Imagepflege des Unternehmens fließen – im Jahr 2003 waren es 23 Prozent des Gesamtetats. Denn viermal im Jahr werden Dividenden ausgeschüttet. »Ein angenehm warmer Regen«, formulierte jüngst eine Bacardí-Erbin, ohne sich dazu hinreißen zu lassen, dem Gesprächspartner Zahlen zu nennen. Und weil das Unternehmen bisher noch nicht an der Börse notiert ist, bleibt manches im Dunklen, was Gewinn und Verlust anbelangt, Rücklagen, Investitionen und Dividenden. Aber nicht allein die verlässliche Gewinnausschüttung macht die Shareholder glücklich. Vor allem die älteren Familienmitglieder sind stolz auf ihre kubanischen Wurzeln. 1862 wurde die Firma »Bacardí y Bouteiller« in Santiago de Cuba gegründet. Der von Don Facundo Bacardí y Mazó erfundene milde, weiße Rum war schon vor der Jahrhundertwende weltberühmt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wuchs das Unternehmen sprunghaft, nicht zuletzt dank der Prohibition in den USA. Mit Fidel Castro und der Revolution kam dann das vorläufige Aus auf Kuba. Die Bacardís wurden 1960 enteignet, setzten jedoch die Rumproduktion im vertrauten karibischen Ambiente fort. Der Erfolg blieb ihnen treu: Seit 1992, als Bacardí das italienische Familienunternehmen Martini und Rossi kaufte, gehört der »staatenlose« Konzern zu den Global Players der Branche. Auch heute, 45 Jahre nach der »Vertreibung«, glauben die meis-

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ten Familienmitglieder an eine Rückkehr auf die Insel. »Kuba – das sind wir!« behaupten vor allem die auf Kuba geborenen Bacardís. Mit glühendem Hass begleiteten sie in den vergangenen Jahrzehnten die Politik Fidel Castros und ließen nichts unversucht, das sozialistische Experiment zu torpedieren. Selbst Mordanschläge auf Castro sollen die Familienmitglieder in den sechziger Jahren finanziell unterstützt, ja sogar veranlasst haben. Doch seit den achtziger Jahren ist die blinde Wut einer cooleren Strategie gewichen. Die Bacardís setzen nicht mehr auf Gewalt, sondern versuchen es mit gezielter Lobbyarbeit in Washington. »Rum und Politik sind in den USA eine Ehe eingegangen, und Bacardí zahlt die Rechnung«, konstatiert der kolumbianische Journalist Hernando Calvo Ospina in seinem 2002 erschienenen Buch Im Zeichen der Fledermaus: Der geheime Krieg der Rum-Dynastie Bacardí gegen Kuba. Doch neu ist die Verquickung von Geschäft und Politik für die Familie Bacardí nicht. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert kämpfte Urahn Emilio Bacardí y Mazó so couragiert gegen die Kolonialmacht Spanien, dass er zwei Mal in die Verbannung geschickt wurde. Zu guter Letzt lenkte er als erster frei gewählter Bürgermeister die Geschicke der Stadt Santiago de Cuba so erfolgreich, dass man ihn selbst im sozialistischen Kuba als Patrioten feiert. Die Geschichte der Familie Bacardí ist ein Spiegel der Geschichte Kubas. Daher geht es in diesem Buch nicht nur um die Menschen, die mit innovativen Strategien und Mut zum Risiko ein kleines Familienunternehmen zu einem Global Player machten, oder um die Spannungen, die in einer weltweit verzweigt lebenden Familie immer vorkommen. Es geht auch um das historische und politische Umfeld, in dem die Bacardís groß wurden, und um die Geschichte der Karibikinsel in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten. »Unsere Familiengeschichte hat etwas Märchenhaftes«, sagte vor kurzem ein auf Kuba geborener Aktionär. »Wir haben ein kostbares Erbe zu verteidigen. Ich hoffe, dass das allen Familienmitgliedern klar ist und dass niemand es wagen wird, dieses Erbe ohne Not aufs Spiel zu setzen.«

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Es war schwer, die manchmal auseinanderstrebenden Interessen einzelner Gruppierungen in der größer werdenden Familie zu bündeln. Bisher aber siegte letztendlich die Vernunft und die in Krisenzeiten ausgegebene Losung »Denkt an die Wurzeln, denkt an Kuba« brachte zerstrittene Parteien immer wieder an einen Tisch. Aber es scheint, als sei in Zeiten der Globalisierung kein Platz mehr für derartige Sentimentalitäten: Sie sind ökonomisch irrelevant und mindern den Shareholder Value. Die sechste Generation drängt an die Börse, um sich dort das Geld für immer weitere Zukäufe zu holen. Aber ist die Börse wirklich ein Garant für den bleibenden Erfolg? »Größer heißt nicht besser«, warnen Wirtschaftsanalysten neuerdings. Doch die »Jungen Wilden« der Bacardís sind entschlossen, den Sprung ins Haifischbecken des internationalen Marktes zu wagen: Im Sommer 2004 ist der Börsengang beschlossene Sache. Wahrscheinlich wird es so kommen, wie es der Ex-Präsident und Architekt des Weltkonzerns Manuel Jorge Cutillas prophezeite: »Wenn wir dieses Unternehmen verlieren, dann verlieren wir unser Erbe und unseren Zusammenhalt als Familie.« Aber vielleicht ist die Geschichte der Bacardí-Dynastie ja doch ein Märchen und alles bleibt gut. Hamburg, im Februar 2005

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S p u re n s i c h e r u n g : S a n t i ag o d e C u b a

Das Grunzen eines Schweins riss mich aus wirren Träumen. Alles war schief gegangen bei der Ankunft in Santiago de Cuba. Eine Reisetasche fehlte, der Taxifahrer schien jede Ortskenntnis verloren zu haben und kutschierte mich fast eine Stunde lang durch die brütend heiße Stadt und schließlich war das über Freunde vermittelte Privatquartier – angeblich ein schönes Zimmer mit Zugang zur Dachterrasse – noch nicht frei. Der vorläufige Ersatz erinnerte an eine Mönchszelle: Tisch, Stuhl, ein schmales Bett und ein Marienbild an der Wand. Die Glühbirne an der Decke schamvoll hinter einem selbstgebastelten Schirm aus Packpapier versteckt. Na ja. Viel zu erschöpft, um wütend zu sein, hatte ich mich auf die durchgelegene Matratze geworfen und war umgehend eingeschlafen … Das Schwein schien ganz in der Nähe untergebracht zu sein und fühlte sich offensichtlich äußerst wohl, denn das Grunzen wollte kein Ende nehmen. Dann begann jemand zu trommeln. Es klang dumpf und unheimlich. Das Schwein quiekte kurz und war fortan nicht mehr zu hören. Eine rituelle Schlachtung? In die dumpfen Klänge der Basstrommel mischten sich nun hellere Töne, schließlich waren es drei Trommeln, die an- und wieder abschwellend in unterschiedlichen Rhythmen bearbeitet wurden. Dann der Gesang einer Stimme, offenbar ein Vorsänger, nach einigen Phrasen antwortete ein Chor. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Beim Abendessen erfuhr ich, dass einige Häuser weiter immer freitags Zwiesprache mit Changó und Oggún gehalten würde, mit Odudúa, Elegguá, Osaín und anderen guten und bösen Geistern

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(den Orishas), die zur Santería gehören, dem Glauben der schwarzen Bevölkerung auf Kuba. Um mit den Orishas sprechen zu können müssten die Gemeindemitglieder zum Rhythmus der heiligen BatáTrommeln so lange tanzen, bis sie in tranceähnliche Zustände fielen. Erst dann könne der Babalao – der Priester, der die Zeremonie leite – mit den Geistern Kontakt aufnehmen und sie bitten, sich in einem der Gemeindemitglieder zu offenbaren. Auf meine Frage, ob man dabei auch Schweine schlachte, brachen alle in schallendes Gelächter aus. Nein, es würden dabei weder Schweine noch Menschen geschlachtet, aber Rum spiele eine gewisse Rolle. Bei bestimmten Ritualen würde der Babalao seinen Mund mit Rum füllen und ihn dann auf den Altar spritzen. Auch Gemeindemitgliedern sei das erlaubt, um die Götter positiv zu stimmen. Das Essen zum Klang der Trommeln und Gesänge war überraschend gut, trotz der permanenten Engpässe bei der Fisch- und Fleischversorgung und des notwendigen Bezugsscheins für Grundnahrungsmittel, der so genannten Libreta. Es gab Tufu – das sind pürierte Kochbananen mit gerösteter Schweineschwarte –, außerdem Huhn im Orangensud und als Nachspeise Flan, mein Lieblingsdessert. Gekocht hatte Tío Carlos, der familiäre Glücksfall. Dreimal in der Woche stellte er den Gastgebern sein Talent zur Verfügung. Dann verwandelte sich die Dachterrasse des zweistöckigen Hauses in einen Paladar, ein privates Restaurant mit maximal drei Tischen und zwölf Stühlen, das im Dezember 2000 vom Staat festgesetzte Limit für Privatunternehmer. »Wir sind sehr froh, dass unser Nachbar ein Schwein durchfüttert«, verrät mir Tío Carlos, als er das Tufu serviert, »so haben wir fast immer ein Stück Fleisch in der Tiefkühltruhe.« – »Und er immer ein paar Dollar in der Tasche«, ergänzt Wirtin Ada. Ungläubiges Staunen bei mir. Kubaner zahlen bei Kubanern mit Dollar? »Ja«, sagt Ada, »so ist es nun mal. Du musst schon Dollar in der Tasche haben, um dir Extrawünsche erfüllen zu können. Für Dollar tun die Leute hier alles, fast alles.« Dieser Satz tat meinen Ohren gut, denn ich war nach Santiago

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gereist, um Material für ein Radio-Feature über die Familie Bacardí zu sammeln. Ich wollte in der »Perle des Südostens« Menschen finden, die etwas über die Rum-Dynastie wussten, denn hier in Santiago de Cuba war die Firma 1862 gegründet worden und hatte in den kommenden Jahrzehnten einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Von hier aus hatte die Familie ihr Rum-Imperium Schritt für Schritt vergrößert bis die Revolutionäre um Fidel Castro auch die Bacardís enteigneten und die Unternehmerfamilie Hals über Kopf die Insel verlassen hatte. Vielleicht – das war meine Hoffnung – würde ich Menschen finden, die für die Compañía Ron Bacardí gearbeitet hatten, vielleicht auch Freunde der Familie. Sandkastenerinnerungen, Pennälerstreiche, Anekdoten aller Art, so stellte ich mir die Mosaiksteine meiner Rundfunksendung vor. Außerdem hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass es noch den einen oder anderen abtrünnigen Bacardí auf der Insel geben sollte, der die Castro-Revolution weiter unterstützte – vielleicht konnte ich ja einen von ihnen ausfindig machen. Wo aber sollte ich in Kubas zweitgrößter Stadt mit der Suche beginnen? Im Museum, das Emilio Bacardí y Moreau, der älteste Sohn des Firmengründers, der Stadt geschenkt hatte? In der ehemaligen Fabrik, wo heute die Marke »Caney« produziert wird? Im Palacio de los Pioneros, einer hochherrschaftlichen Villa, in der ein einflussreicher Zweig der Familie gelebt hatte? Im Rum-Museum? Und wer würde bei der Suche behilflich sein? Meine Gastgeber hatten gleich am ersten Abend abgewinkt, sie wüssten nichts. War das Vorsicht oder echte Unkenntnis? Ich musste also auf den Zufall setzen, denn das kubanische Konsulat in Berlin hatte meine Anfrage nicht beantwortet, ich war ohne Akkreditierung als Journalistin eingereist, sodass mir offizielle Kontakte versperrt blieben. Also streunte ich zunächst ein wenig orientierungslos durch die hügelige Altstadt. Jede Steigung war eine Folter in der schwülwarmen, von Abgasen vernebelten und verpesteten Luft. Dazu dröhnende Motoren von Lastwagen und Bussen, knatternde Motorräder und hupende Autos. Karibisches Feeling?

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Ungezügelte Sinnlichkeit? Überschäumende Lebensfreude? Fehlanzeige. Missgelaunt durchstöberte ich Trödelläden – auf der Suche nach Romanen des ersten Firmenpräsidenten Emilio Bacardí y Mazó, denn der soll mehr von Bildender Kunst und Literatur verstanden haben als von Gärungsprozessen und Destilliergängen. Schwitzend besichtigte ich Geburtshäuser von Dichtern und Revolutionären, sah mir die Einschusslöcher in der Moncada-Kaserne an, Symbol für Fidel Castros gescheiterten Putschversuch am 26. Juli 1953, probierte bei Doña Yulla die gepriesene kreolische Küche, trank hin und wieder in der berühmten Cafetería Isabélica einen viel zu süßen Cafécito und bat zweimal vergeblich um Einlass in die ehemalige Rumfabrik der Bacardís. In der Bodega der Fabrik, einem Showroom mit Live-Musik und Che-Guevara-Dekoration, durfte ich den heimischen Rum probieren: den hellen dreijährigen, und den mittelbraunen Añejo. Fragen nach den Vorbesitzern, der Familie Bacardí, waren offenbar Tabu. Niemand hatte etwas zu sagen. Mein Frust nahm von Tag zu Tag zu. Wohl auch deshalb, weil ich bei meinen ersten Streifzügen durch die Stadt wenig von der afro-kubanisch swingenden Atmosphäre der »Perle des Südostens« entdeckte. Die in Reiseführern gepriesene mitreißende Lebensfreude der überwiegend schwarzen Bevölkerung, ihre selbstlose Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, das alles blieb mir zunächst verborgen. Nach zwei Nächten in meiner Mönchszelle war ich nach Vista Alegre umgezogen, dem einst so vornehmen Villenvorort, in dem die Bacardís und andere reiche Familien der Stadt und der Region residiert hatten. Dort ließen nur krähende Hähne darauf schließen, dass hier auch Menschen lebten. Im benachbarten Viertel Sueño saßen abends wenigstens ein paar Domino spielende Männer auf der Straße. Statt karibischer Farbenvielfalt überall salpetergeschwärzte Fassaden und bröckelnder Putz, in der Innenstadt dürftig dekorierte Schaufenster, viele sogar fast leer. Müde, beinahe apathisch warteten die Menschen in langen Schlangen auf den Bus oder

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eine Mitfahrgelegenheit, oder sie hingen in Trauben vor Geschäften, in denen gerade lang Ersehntes angeboten wurde: Stoffe, Elektroartikel, Kosmetika. Nein, so ganz stimmte das in den Hochglanzprospekten vermittelte Bild von Santiago und seinen charmanten Bewohnern nicht mit dem wirklichen Leben überein, das mir hier täglich begegnete. Nach knapp einer Woche wandelte sich meine leichte Verstimmung. Allmählich entwickelte ich mein persönliches Wohlfühlritual, und dazu gehörte ein sehr spätes Frühstück im dekorativ renovierten Hotel Casa Granda, in dem die Bacardís vor der Revolution regelmäßig verkehrt hatten. Von der Terrasse im Hochparterre hat man einen schönen Blick auf das Herz Santiagos, den Parque Céspedes, vom Dachgarten einen noch schöneren über Santiago baja, die zum Meer hin abfallende Altstadt und die gesamte Bay. Der Parque Céspedes ist kein richtiger Park, nur ein begrünter Platz mit Bänken unter Palmen, einem Musikpavillon, schmiedeeisernen Laternen und lauschigen Ecken zwischen beschnittenen Büschen. Ein Platz mit Geschichte. Hier kapitulierten am 17. Juli 1898 die Spanier vor den Vereinigten Staaten von Amerika. Vor dem Ayuntamiento, dem Rathaus, wurde die spanische Fahne eingezogen und durch die amerikanische ersetzt. Am Tag zuvor hatten die Truppen um General Toral auf den Hügeln vor der Stadt ihr letztes Gefecht gegen die Amerikaner verloren. Ins Rathaus zog nun Leonhard Wood als Generalgouverneur der Provinz Oriente ein. Er blieb zwei Jahre und wurde dann nach Havanna abberufen. Zu seinen Vertrauten zählte unter anderem Emilio Bacardí y Moreau, der sich zwei Jahrzehnte lang aktiv am Unabhängigkeitskampf der Kubaner beteiligt hatte. Im gleichen Rathaus feierte Fidel Castro am 1. Januar 1959 den Sieg der Revolution. Auf dem hölzernen Balkon des schmucken, weiß und blau getünchten Hauses hatte er bei seiner ersten Rede an das Volk gestanden, stolz und glücklich über das erfolgreiche Ende seines langen Kampfes gegen die Diktatur des korrupten Fulgencio Batista. Und noch ein Gebäude darf nicht unerwähnt bleiben, wenn von

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Historie die Rede ist. An der Westseite des Platzes hatte sich der spanische Eroberer Diego Velázquez 1514 ein Haus bauen lassen, in dem er bis zu seinem Tod lebte. Heute ist in der Casa Diego Velázquez, dem ältesten Gebäude aus der Kolonialzeit, ein Museum untergebracht. Nicht ganz so alt ist die Kathedrale an der Südseite des Platzes. Sie wurde erst 1922 vollendet, steht allerdings an historischem Ort, denn schon 1516 hatte Velázquez an gleicher Stelle eine Holzkirche bauen lassen. Das erste repräsentative Gotteshaus der Insel wurde durch einen Brand vernichtet und auch Nachfolgebauten wurden durch Brand oder Erdbeben zerstört. In der heutigen Catedral de Nuestra Señora de la Asunción beeindruckt innen nur das geschnitzte Chorgestühl aus der Gründerzeit. Auch die Fassade der Kathedrale bietet keine bestaunenswerten baulichen Extravaganzen, allein der überlebensgroße, zwischen die Zwillingstürme gesetzte Engel ist ein anrührender Blickfang. Ein schneller Blick nach oben reichte mir oft aus, um kleine Anfälle von Niedergeschlagenheit und Erschöpfung abzuschütteln. Im Parque Céspedes scheint das Leben nach anderen Gesetzen zu verlaufen. Man hat Zeit für Küsse und kleine Tauschgeschäfte, Banknoten wechseln den Besitzer, es wird Zeitung gelesen und Eis geschleckt. Hübsche Mulattinnen albern juchzend herum, als wollten sie die Aufmerksamkeit der biertrinkenden Männer auf der Terrasse des Hotels auf sich lenken. Musik liegt in der Luft. Ein junger Schwarzer bearbeitet eine Conga. Maracas rasseln. Ein blinder Verkäufer schüttelt die mit Körnern gefüllten kleinen Kürbisse so hingebungsvoll, als handele es sich um einen Soloauftritt im Buena Vista Social Club. Im Pavillon stimmen Mitglieder des »Orquesta Típica Tradicional« ihre Instrumente; mit Son-Rhythmen sorgen sie dreimal in der Woche schon vormittags für gute Laune bei Passanten und den Gästen des Casa Granda. Einen Steinwurf vom Park entfernt herrscht in der Casa de la Trova um die Mittagszeit bereits Fiesta-Stimmung. Ab halb zwölf werden dort Lieder im »alten Stil« vorgetragen, vor allem sehnsüchtige Boleros. Und wenn der Son in die Beine fährt, dann wird

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auch getanzt. Das heißt: Eigentlich wird immer getanzt, denn wie man hier sagt, »die kubanische Musik versteht man mit den Füßen, man muss sie erst tanzen und dann hören«. Die Männer mit tief eingegrabenen Falten und großen schwieligen Händen, die sich um die Mittagszeit hier aufhalten, hält es nicht lange auf den Stühlen. Ihre Partnerinnen sind die »amas de casa«, Hausfrauen mit reichlich Speck auf den Hüften, aber ziemlich flinken Füßen, die zwischen Einkauf und Mittagessen rasch das Tanzbein schwingen. Und wie diese alten Paare tanzen, wie sie die Minuten zu zweit auskosten, wie sie mitsingen, sich leichtfüßig drehen, Wange an Wange, und wie sie dann auf die Stühle sinken und sich mit einem Taschentuch Luft zufächeln, dabei glücklich und gelöst lächeln – ein Anblick, auf den ich mich täglich gefreut habe. Natürlich musste ich mich ab und zu von einem agilen Alten herumwirbeln lassen, aber meine Unfähigkeit, dem Rhythmus zu folgen, machte mir schwer zu schaffen. Meine Partner spendeten Trost und nahmen die Einladung zu einem Rum an der Bar hocherfreut an. Aber auch nach dem zweiten »Trago« blieben die Erinnerungen an die Firma Bacardí verschwommen. Kein Tänzer konnte etwas Brauchbares für meine Materialsammlung beisteuern, nur einer äußerte sich unmissverständlich: »Sie sollen ihre Angestellten gut behandelt haben, diese Bacardís. Aber auch sie haben das Volk ausgebeutet. Hoffentlich kommen sie nie zurück. Und so gut wie unser Rum hier auf Kuba kann der kapitalistische gar nicht schmecken.« Sehr weit brachten mich meine Gespräche beim mittäglichen Tanz also nicht. Dennoch sah die Bilanz meiner Kontakte nach drei Wochen Santiago gar nicht so schlecht aus. Gefunden hatte ich zwei Historiker, die mir viel über Emilio Bacardí y Moreau erzählen konnten, den ersten Präsidenten der Firma. Außerdem hatte ich mit drei ehemaligen Angestellten der Compañía Ron Bacardí gesprochen und den Direktor des Rum-Museums getroffen, der mit geheimnisvoller Miene die Geschichte der Entführung eines BacardíSprösslings preisgab. Sie alle versicherten glaubwürdig, dass es

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keinen echten Bacardí in Santiago gebe, auch nicht in Havanna oder sonst wo auf der Insel. Ich tröstete mich mit einem Besuch der Toten auf dem Friedhof Santa Ifigenia. Am Grabmal von Don Emilio nahm ich Abschied von meinem in Deutschland voreilig geäußerten Satz, diese Familiengeschichte schriebe sich von allein. Den Friedhofsgärtnern, die sich zu viert im Schatten eines riesigen Ceiba-Baumes eine Pause gönnten, bot ich einen Schluck Havana Club aus dem Dollarshop an, den ich für alle Fälle immer im Rucksack hatte. Die Arbeiter musterten mich misstrauisch, steckten mir dann aber Blechtassen und Plastikbecher entgegen. Und dann tranken wir, das Mausoleum des Unabhängigkeitskämpfers und Dichters José Martí vor Augen, auf Kuba, die Freiheit und auf alle für die Unabhängigkeit gefallenen Compañeros. »Gibt es hier eigentlich Fledermäuse?« Meine Frage wurde mit Gelächter beantwortet. »Und ob, Señora, Unmengen. Sie können ja bis zum Abend bleiben, und wenn Sie ein paar Flaschen Rum spendieren, kommen wir wieder und feiern eine Fledermaus-Fiesta.« »Etwa am Grab von Emilio Bacardí?« »Warum nicht? Der wird nichts dagegen haben. Er ist schließlich reich geworden durch den Rum.« Recht hatten sie. Aber im Leben von Don Emilio hatte sich nicht alles um den Rum gedreht: Der älteste Sohn des Firmengründers war ein politisch hellwacher Kopf, der zur Zeit der Unabhängigkeitskriege unter Lebensgefahr gegen das Mutterland Spanien gekämpft hatte. Später hatte er als erster frei gewählter Bürgermeister Santiagos Straßen und Schulen bauen lassen, neue Abwassersysteme installiert und der Stadt ein Museum geschenkt. Emilio Bacardí y Moreau – das behaupten kubanische Historiker – war ein Glücksfall für Santiago de Cuba. Über allem und allen aber schwebt bis heute der Name seines Vaters, Facundo Bacardí y Mazó. Er erfand die Formel für den weißen Rum, der die Bacardís reich und weltberühmt machen sollte.

1 . » A u f n a c h Ku b a ! « Ein Spirituosenhändler aus Katalonien

Im Bacardí-Museum in Miami hängt ein Porträt vom »alten Facundo«, Facundo Bacardí y Mazó, dem Gründer der Brennerei Bacardí y Bouteiller. Man begegnet diesem Porträt immer wieder: in den Büros der Familienangehörigen, in Werbetexten und Informationsbroschüren. Es zeigt ein strenges Gesicht mit einem schmerzlichen Zug um den Mund. Die Lippen sind schmal, sehr schmal, die Nase lang und gerade. Eine hohe Stirn über sehr feinen Augenbrauen. Auch eine tiefe Falte über der Nasenwurzel. Die Haare glatt und nach hinten gekämmt. Ein aufrechter Mann, denkt der Betrachter, ein Mensch mit Prinzipien, vielleicht ein Dickkopf. Einer, der es sich nicht leicht gemacht hat im Leben, der immer Haltung bewahrte und sich nie duckte. So wollte man ihn offenbar in der Familie sehen, denn Don Facundo hat für dieses Bild nicht Modell gesessen. Es wurde erst zwei Generationen nach seinem Tod angefertigt, in Auftrag gegeben von José Pepín Bosch, dem Schwiegersohn von Facundos Tochter Amalia und Präsident des Unternehmens von 1951 bis 1976. In der Familie heißt es, Don Facundo sei ein Mann mit Visionen gewesen. Hartnäckig habe er sich in seine Ideen verbissen, unermüdlich an der Umsetzung gearbeitet. Er galt als zuverlässig und sparsam und soll ein Schweiger gewesen sein – ein Katalane eben. Die Menschen aus der Region um Barcelona, die oft als die Schweizer Spaniens beschrieben werden, gelten gemeinhin nicht als extrovertierte Schwadroneure, die Landbevölkerung schon gar nicht. Und Don Facundo Bacardí y Mazó kam vom Land. 1814 wurde er

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in Sitges, nur wenige Kilometer von Barcelona entfernt, als drittes Kind eines Krämers geboren. Acht Kinder waren es zuletzt, die ernährt werden mussten. Man kann sich vorstellen, wie groß die Sehnsucht der Heranwachsenden nach einem besseren Leben gewesen sein muss. Die Älteren zog es bald hinaus in die Welt. Die Kolonien, aus denen manch Ausgewanderter reich zurückgekehrt war, lockten noch immer, obwohl sich das spanische Imperium seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Auflösung befand. Animiert von den Ideen der Französischen Revolution und dem Sturz der Bourbonen im spanischen Mutterland durch Napoleon im Jahr 1808, hatte in Übersee die kreolische Oberschicht begonnen, an der Herrschaft der Spanier zu rütteln. Unter der Führung von Simón Bolívar hatte 1810 im heutigen Kolumbien der Kampf um die Unabhängigkeit begonnen und sich bald auf die späteren Staaten Peru, Bolivien, Venezuela und Ecuador ausgedehnt. Nach dem Sieg von Bolívars Truppen war 1819 die Republik Großkolumbien ausgerufen worden. In Mexiko hatten die Kämpfe 1822 zur Gründung einer von Spanien unabhängigen Monarchie geführt. Auf Kuba dagegen, wohin Facundo Bacardí y Mazó sich wenden sollte, blieb es ruhig, der Ruf nach Unabhängigkeit wurde vorerst nur hinter verschlossenen Türen laut.

»Hacerse América« – Auf nach Kuba! Als Ferdinand VII. nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich im Jahr 1814 auf den spanischen Thron zurückkehrte, tat er alles, um das reiche Kuba als Kolonie zu erhalten. Er ermöglichte 1818 den absoluten Freihandel, den Sklavenhandel eingeschlossen, der zu diesem Zeitpunkt bereits international verboten war. Dies war zweifellos ein Geschenk an den kreolischen Geldadel, der dringend Arbeitskräfte für die Zuckerplantagen brauchte. Die »criollos«

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wussten das Entgegenkommen zu schätzen. Mit erheblichen Geldsummen unterstützten sie fortan die spanischen Rückeroberungsversuche auf dem Kontinent. Der König verlieh der Insel daher das Prädikat »la siempre fiel Isla de Cuba«, und dieses immer treue Kuba wurde zwischen 1825 und 1837 zur festen Kolonialbastion und Kronkolonie des spanischen Restimperiums. Statt sich allmählich abzulösen, geriet Kuba immer mehr in den Sog der spanischen Interessen. Je besser es der Wirtschaft auf der Insel ging, desto höher waren die Steuereinnahmen des Mutterlandes. Und es ging auf Kuba mächtig voran, dank der wachsenden Nachfrage nach Zucker und dank der chaotischen wirtschaftlichen Verhältnisse auf Haiti. Die Nachbarinsel hatte vor dem Sklavenaufstand 1791 die halbe Welt mit Zucker und Kaffee versorgt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts näherte sich die Produktion der Nullgrenze. Nun war Kuba der bedeutendste Zuckerproduzent der Welt. In ihrer Geschichte Kubas schreiben Michael und Max Zeuske: »Das süße Kolonialprodukt war in seinem Marktwert und wegen der steigenden Massennachfrage noch immer viel wichtiger und wurde von den Konsumenten höher bewertet als die Manufaktur-, Industrie- und Handelsprodukte Europas, obwohl denen die Zukunft gehörte. Die Bevölkerung lebte – im Vergleich zum Lebensstandard der europäischen Industrialisierungsregionen oder den neuen republikanischen Staaten auf dem Kontinent – in relativ guten Verhältnissen. Nicht zu Unrecht verwiesen spanische Funktionäre und auch die Kreolen um 1825 mit Stolz auf den Aufschwung Kubas und verglichen die ›Ruhe und Prosperität‹ des insularen Restimperiums mit dem ›Chaos der Freiheit‹ in den ehemaligen Kolonien Spaniens auf dem amerikanischen Kontinent.«1 Für arme Schlucker in Europa und erst recht für die bettelarme Landbevölkerung Spaniens lag es nahe, nach Kuba auszuwandern. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wagten allerdings erstaunlich wenige den Sprung auf die Insel. Laut Alexander von Humboldt sollen es im Jahr 1819 nur insgesamt 1702 »Individuen« gewesen sein, darunter vor allem Spanier, Franzosen, Iren und Engländer.2 Aber

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schon ein Jahrzehnt später machten sich die Armen in Scharen auf, um in der »reichsten Kolonie auf dem Globus« Arbeit zu suchen. Vor allem Bauern und Handwerker ließ die spanische Krone gerne ausreisen, sie sollten als demografisches Gegengewicht die gefürchtete »Einschwarzung« der Bevölkerung auf Kuba verhindern und die fast menschenleere Südküste sowie das Landesinnere der Insel besiedeln. »Hacerse América« lautete die Parole: »Machen wir unser Glück in Amerika«. Ähnlich dachte offenbar auch der spanische Geldadel und das Handwerk. Baskische Metallproduzenten, katalanische Textilimporteure, andalusische und kastilische Handelshäuser belieferten den kubanischen Markt, denn mit wachsendem Wohlstand nahm der Wunsch der Inselbewohner nach europäischen Waren zu. »Kuba blieb für bestimmte spanische Unternehmer ein ›reservierter Markt‹, auf dem Riesengewinne zu machen waren«, konstatieren die Historiker Michael und Max Zeuske in ihrem umfangreichen Werk über die Kolonialgeschichte Kubas. »Der Mehlhandel eines Marquéz de Manzanedo, die andalusischen Weine der Familie Zulueta, die Textilien der Familie Güell und die Transportgewinne des Marquéz de Comillas bildeten Elemente eines gigantischen Kolonialgeschäftes, das im Laufe der Jahre zur Herausbildung einer neuen hispanokubanischen Elite führte.«3 Facundo Bacardí y Mazó ist 16, als er 1830 gemeinsam mit seinen beiden älteren Brüdern Juan und Magín nach Kuba auswandert. Wie alle europäischen Immigranten wollen die jungen Katalanen hart arbeiten, viel Geld verdienen und möglichst schnell wieder in die Heimat zurückkehren. In Santiago de Cuba eröffnen Juan und Magín einen Kurzwarenladen, in dem sie Dinge des täglichen Gebrauchs verkaufen: Pökelfleisch, Seife, Eisenwaren, Papier, Getreidemehl. Der jüngere Bruder Facundo hilft im Laden und im Lager. Doch das Geschäft läuft schlechter als erwartet, und 1840 kehren die beiden älteren Brüder gescheitert und enttäuscht nach Katalonien zurück. Facundo dagegen bleibt auf Kuba und eröffnet auf eigene Faust einen Wein- und Spirituosenhandel. Die Familie be-

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hauptet heute, es seien nur »feine Sachen« gewesen, mit denen Facundo gehandelt hätte. Gut möglich, trotzdem bleibt auch für ihn der geschäftliche Erfolg zunächst aus. Das lag gewiss nicht am Standort. Anders als Havanna gehörte Santiago de Cuba zwar nicht zu den ersten Handelsplätzen der Welt, aber es gab exzellente Verbindungen nach Venezuela, Mexiko und zu den benachbarten Antilleninseln. Santiago zehrte noch immer vom Glanz der frühen Kolonialzeit. Vom spanischen Eroberer Diego Velazquez de Cuellar 1515 gegründet, wurde die Siedlung kurz danach Verwaltungszentrum für den Südosten der Insel und 1522 Bischofssitz. Mit dieser Auszeichnung war der Bau einer prächtigen Kathedrale verknüpft. Gouverneur Velazquez lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1524 in seiner gut befestigten Villa, die noch heute zu den Kulturdenkmälern Kubas gehört. Nach dieser frühen Blüte passierte jedoch lange Zeit sehr wenig. Im 17. und 18. Jahrhundert verdiente die kreolische Oberschicht ihr Geld mit Viehzucht und Schmuggel – und dem, was Piraten von ihren Raubzügen mit nach Hause brachten. Vor den Küsten der englischen und französischen Kolonien ließ sich reichlich Beute machen. Als einmal Piraten aus Santiago de Cuba vor den Bahamas besonders erfolgreich operierten, lobte der spanische König die Stadt als »treu und edel«, ein Prädikat, das die Bürger mit Stolz erfüllte. Für das Selbstbewusstsein der alteingesessenen Santiagueros war es ein Geschenk, dass 1803 ihre Stadt zum Erzbistum erklärt wurde. Als im gleichen Jahr, nach dem Verkauf von Louisiana an die USA, französische Flüchtlinge aus New Orleans in Santiago landeten und nach der verlorenen Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 weitere Franzosen aus Europa die frankophile Kolonie verstärkten, entwickelte sich in der Hafenstadt mit ihren insgesamt 26 000 weißen Einwohnern ein anregendes multikulturelles Flair. Dazu trugen auch die rund 10 000 farbigen Freien unter den Einwohnern und die 7 500 schwarzen Sklaven mit ihren aus Afrika stammenden Kulten und Ritualen bei. Vielleicht war es diese Mischung aus spanischer Tradition,

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schwarzer Magie und französischer Kultur, die Santiago in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt und Zentrum revolutionärer Bewegungen machte. Die schönen Künste wurden in jeder Form gepflegt, es gab ein Opernhaus und zwei Theater, literarische und philosophische Zirkel entstanden, und politisch schien alles möglich, selbst die Unabhängigkeit vom Mutterland Spanien. Aber Facundo Bacardí y Mazó war nicht der Mann, der sich von Politik elektrisieren ließ. Ihm ging es zunächst um das Überleben seines Geschäfts und die Gründung einer Familie. Am 5. August 1843 heiratete Don Facundo die 21-jährige Amalia Lucia Victoria Moreau. Bilder Amalias zeigen ein weiches Gesicht, eher großflächig als fein, ausdrucksstarke wache Augen, eine niedrige Stirn. Das volle schwarze Haar ist in einem Knoten zusammengehalten. Amalia ist französischer Abstammung und kommt aus wohlhabenden Verhältnissen. Ihre Vorfahren gehörten zur Oberschicht auf der Nachbarinsel Santo Domingo. Vielleicht fiel es ihr deshalb so leicht, großzügig zu sein – anders als ihrem Mann, der jeden Peso zweimal umdrehte. Amalia war eine kluge Frau, die das Berufsleben ihres Mannes mit Anteilnahme verfolgte. Der kubanische Bacardí-Chronist Nicolás Torres Hurtado schreibt, Facundo habe es vor allem ihr zu verdanken, dass sein Spirituosenhandel in den Anfangsjahren überlebte. Als nach einem Erdbeben im Dezember 1852 Teile Santiagos zerstört worden waren und das ohnehin schleppende Geschäft völlig zum Erliegen kam, lieh sie ihm 10 000 Pesos, die sie von ihrem Großvater Benjamin Moreau geerbt hatte. Wohlgemerkt, sie lieh ihm das Geld und stellte einen Schuldschein aus, der bis heute erhalten ist.4 Amalia war nicht nur eine begabte Geschäftsfrau, sondern auch eine gute Mutter. Ihre sechs Kinder kamen zur Welt wie die Orgelpfeifen: 1844 Emilio, 1846 Juan, der nur sechs Jahre alt wurde, 1848 Facundo Miguel, 1851 Maria Magdalena, die ebenfalls früh starb, 1854 José und 1861 Amalia Lucía. Amalias Darlehen stopfte offenbar nur kurzfristig ein Loch. Don

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Facundo litt auch in den kommenden Jahren weiter unter Finanznöten, die ständig wachsende Familie ernährte sich mehr schlecht als recht. Der Handel mit Wein und Spirituosen warf nicht allzu viel ab, allein die Produzenten konnten mit lohnenden Gewinnspannen rechnen.

»Bacardí y Bouteiller« – Rumproduktion im Zeichen der Fledermaus Eine unverhoffte Erbschaft wendete das Blatt für die Bacardís. Die Glücksfee hieß Clara Astié, sie war die Taufpatin von Facundos ältestem Sohn Emilio. Ihre Ehe mit dem Katalanen Daniel Arabitq y Parellada blieb kinderlos, und als sie 1859 starb, erbte der junge Emilio 10 000 Pesos. Weitere 10 000 Pesos gingen an Amalia und die übrigen Kinder. Viel Geld war das nicht, doch nun verfügte Don Facundo über Kapital. Und als zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts sein Freund John Nunes mit seiner Brennerei pleite ging, nutzte er die Gelegenheit und kaufte dessen Anlage. Partner wurden José León Bouteiller, selbst Bankrotteur, der aus seinem früheren Betrieb einige Sachwerte und das nötige Know-how beisteuerte, und Bruder José, der 3 000 Pesos (etwa 3 000 Dollar) zur Verfügung stellte. Am 2. Juni 1862 wurde die Gesellschaft BacardíBouteiller in das Handelsregister eingetragen. José Facundo y Mazó wurde als Hauptteilhaber geführt, José Bouteiller war zweiter Teilhaber, Facundo spielte zunächst eine untergeordnete Rolle, aber er war ehrgeizig. Sein erklärtes Ziel war es, die auf der Insel gängige Rumqualität zu verbessern. Er wollte einen besonderen Rum herstellen, ein Getränk für den gehobenen Geschmack. Sein Rum sollte nicht dem billigen Fusel ähneln, den die Seeleute seit über zwei Jahrhunderten tranken. Er wollte ihn milder machen, sanfter im Geschmack. Sein Rum sollte spanischem Brandy und französischem Cognac ähneln, die damals in feinen Kreisen getrunken wurden.

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Kubanische Historiker verweisen heute gerne darauf, dass der Grundstein für den Weltkonzern Bacardí unter anderem mit dem Geld einer farbigen Santiaguera gelegt wurde. Es schwingt bei dieser Feststellung keine Häme mit, sondern eher Bewunderung für die liberale Grundhaltung Don Facundos und seiner Frau. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war es nämlich durchaus ungewöhnlich, dass eine Farbige den Sohn eines weißen Immigranten über das Taufbecken halten durfte. Die Klassen Weiß, Farbig und Schwarz lebten im Allgemeinen streng voneinander getrennt, Mischehen wurden von der Kirche nicht gerne gesehen. Die enge Verbindung zwischen Clara Astié und dem Ehepaar Bacardí lässt sich indes mit gemeinsamen Wurzeln erklären. Astiés Vorfahren kamen, ebenso wie Doña Amalias Großeltern, aus Santo Domingo und Daniel Arabitq war, wie Facundo Bacardí, in Sitges zur Schule gegangen. Interessant ist, dass die Taufbescheinigung von Emilio Bacardí y Moreau verschwunden ist, die entscheidende Seite wurde aus dem Kirchenbuch der Gemeinde herausgerissen. Es ist durchaus denkbar, dass die farbige Patin ein Grund für die fehlende Seite im Taufregister ist. Don Facundo ging auf die Fünfzig zu, als seine Brennerei den Betrieb aufnahm. Während er in der Calle Matadero mit seinen Experimenten zur Verbesserung der Rumqualität begann, war auf der Insel die Revolution der Zuckerproduktion in vollem Gange. Schon seit den zwanziger und dreißiger Jahren waren in den Zuckermühlen viele technische Neuerungen eingeführt worden, unter anderem wurden jetzt Dampfmaschinen zum Antrieb der Mühlen eingesetzt. »Jetzt ging es, im Konkurrenzkampf mit der europäischen Zuckerrübenindustrie, vor allem um eine Verbesserung der Zuckerqualität. Von der Grundlagenforschung des 1848 gegründeten Institutes für chemische Forschungen erhoffte man sich Fortschritte bei der ›Kunst, Zucker zu machen‹ (el arte de hacer azucar) und auch die 1860 in Havanna gegründete Akademie der medizinischen, physischen und Naturwissenschaften hatte die Aufgabe, etwas zur Ertrags- und Qualitätssteigerung der Zucker-

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produktion beizutragen«, so beschreiben Zeuske/Zeuske die damalige Umbruchsituation. »Das Industriezeitalter mit seinem Glauben an den Fortschritt durch technische Modernisierung hatte nun auch Kuba erreicht. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts übernahmen vor allem Kaufleute die Rolle der ›technischen Avantgarde.‹«5 Zu dieser Avantgarde gehörte auch Don Facundo Bacardí y Mazó. Angesichts der Entwicklungen in der Zuckerproduktion stellte er sich die Frage, ob nicht auch beim Zuckernebenprodukt Rum mit neuen Produktionsmethoden eine deutliche Qualitätssteigerung möglich wäre. Kubanisches Zuckerrohr war zwar exzellent, doch der Rum reichte gerade für den Hausgebrauch und spielte aufgrund seiner minderen Qualität auf dem Weltmarkt keine Rolle. International gefragt war Rum aus Jamaika und Guayana. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts wurde auf den Inseln der Karibik Rum getrunken. Holländische Siedler auf Aruba waren zum ersten Mal auf die Idee gekommen, die Melasse aus dem Zuckerrohr mit Wasser und Hefe gären zu lassen. Im Verlauf dieses Gärungsprozesses, der damals mehrere Tage dauerte, verwandelte sich der Zuckersirup in hochprozentigen Alkohol. Das Verfahren setzte sich schnell durch, und in kürzester Zeit hatte jede Insel und jedes Zucker produzierende Land in Mittel- und Südamerika seine eigene Sorte. Es waren englische Seeleute, die dem scharfen Schnaps den Namen »Rum« gaben. Bei der Eroberung Jamaikas im Jahr 1655 hatten sie den »rumbouillon« kennen gelernt und schon bald darauf gehörte der Brand als unerlässlicher Stimmungsaufheller der Mannschaft zur Grundausstattung auf den Schiffen der Royal Navy. Die Seeleute erhielten täglich ein Pint, also gut einen halben Liter. Mit dem hochprozentigen Fusel im Blut, so hatte die Admiralität beobachtet, stieg der Mut der Soldaten bei Einsätzen bis hin zur Tollkühnheit. Außerdem immunisierte der täglich verabreichte Alkohol gegen Infektionen. Als im Jahr 1740 Admiral Edward Vernon aufgrund von Rumknappheit auf die Idee kam, die tägliche Ration zu reduzieren und anordnete, den hochprozentigen Schnaps

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mit heißem Wasser oder Limettensaft zu verlängern und mit Zucker zu würzen, da hätte es fast einen Aufruhr gegeben. Aber die Mannschaften gewöhnten sich schnell an das süffige Getränk, das sie »Grog« nannten, abgeleitet von »Old Grogram«, dem Spitznamen des Admirals. Die Vielfalt der Destilliermethoden und Rezepturen war groß. Mal wurden dem Alkohol Blätter oder Baumrinden zugesetzt, mal Gewürze wie Vanille oder Nelken. Die Produzenten hielten ihre Rezepte strengstens geheim, und bei der Familie Bacardí ist das nicht anders: Die Formel, die Don Facundo schließlich für den Bacardí Rum entwickelte, sei bis heute gleich geblieben, heißt es, das Rezept werde von Generation zu Generation nur an wenige ausgewählte Familienmitglieder weitergegeben.

Die Rum-Revolution – Erfolg mit »Carta Blanca Superior« Don Facundo erkannte bald, dass die erste Voraussetzung für die Qualität des Rums in der Qualität des Rohstoffes lag. Ähnlich wie beim Wein beeinflussen das Herkunftsland, die Lage des Anbaugebietes, die Bodenbeschaffenheit und das Klima den Geschmack des Rums. Fachleute behaupten, schon am Duft der Melasse lasse sich der »Kern« des späteren Rums erkennen. Auch auf das zugesetzte Wasser sowie die für den Gärungsprozess notwendige Hefe legte Facundo von Beginn an größten Wert. Die von ihm gezüchteten Hefekulturen sind angeblich bis heute Bestandteil des geheimen Familienrezeptes. Eine bahnbrechende Neuerung war jedoch das von Don Facundo entwickelte Destillationsverfahren: Mithilfe von Holzkohlebefeuerung wurden in zwei Gängen die unreinen Anteile aus dem vergorenen Sud herausgefiltert. Das Verfahren war zeitraubend, doch das Ergebnis rechtfertigte die Anstrengungen, denn das neue Destillat war klarer und milder.

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Schon der erste Rum aus der Brennerei Bacardí y Bouteiller, den fliegende Händler auf Straßen und öffentlichen Plätzen ausschenkten, war bald Stadtgespräch. Der Durchbruch jedoch kam, als Don Facundo sich entschied, seinen Rum in Eichenfässern reifen zu lassen. Er ließ Fässer aus dem Holz der amerikanischen Weißeiche anfertigen und sie vorher ausbrennen. Denn genauso wie das Zuckerrohr, die Qualität des zugesetzten Wassers, die Hefe und die Filterungen, haben auch das Holz der Fässer, ihre Größe, sowie Ort und Dauer der Lagerung Einfluss auf den Geschmack des Rums. In einer Firmenbroschüre von Bacardí Deutschland heißt es dazu: »Im Verlauf des Reifeprozesses gibt das Holz Geschmacksstoffe und Aromen an den Rum ab. Je nach Dauer der Reifung entwickelt sich die Farbe des Rums und verändert sich sein Geschmack. Durch die langsame Reaktion mit dem Holz und dem Sauerstoff aus der Luft wird der Rum weicher und harmonischer, seine Farbe immer dunkler. Das Holz der Weißeichenfässer verleiht dem ursprünglich weißen Rum seine goldene oder tiefbraune Färbung. Je länger der Kontakt andauert, desto mehr Farbe nimmt der Rum an. Um ihm Farbe zu entziehen, ist eine erneute Filterung notwendig.«6 Mit diesem Rum gewann Don Facundo schließlich die Anerkennung in den so genannten feinen Kreisen. Bis dahin hatte das Getränk in der Oberschicht einen schlechten Ruf, nur Dienstboten und Unterprivilegierte tranken den scharfen, schmuddeligen Fusel. »Carta Blanca« von Bacardí y Bouteiller galt bald als etwas Besonderes. Der fast farblose Rum mit dem milden Aroma war etwas für Genießer. »Carta Blanca« kam aber nicht nur bei den feinen Leuten an, sondern auch bei denen, die auf den Peso achten mussten. Die Mittellosen hatten bald ihre eigene Bezeichnung für das Bacardí Produkt: »Rum mit der Fledermaus« nannten sie ihn. »El ron con el murciélago« wurde immer öfter auf der Straße und in den Schänken verlangt – ein Verdienst Doña Amalias, so will es die Familienlegende. Sie soll auf die grandiose Idee gekommen sein, die Fledermaus als Firmenlogo einzusetzen. Der Grund soll gewesen

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sein, dass die von John Nunes übernommene Brennerei eine Fledermauskolonie beherbergte. Die nachtaktiven Tiere hatten sich auf den Balken unter dem Dach angesiedelt und machten sich in der Dunkelheit an die Melasse heran. Doña Amalia bat ihren Mann, die Fledermäuse nicht zu verjagen. Sie interpretierte die Anwesenheit der Tiere als gutes Omen, denn sowohl in der Karibik als auch in Spanien galten Fledermäuse damals als Glücksbringer. Sie soll den Vorschlag gemacht haben, eine Fledermaus auf das Etikett der Flaschen zu malen, als Wiedererkennungszeichen für Analphabeten, die seinerzeit immerhin 70 Prozent der Stadtbevölkerung ausmachten. Bis heute ist die Fledermaus, goldumrandet auf rundem rotem Untergrund, das Logo der Firma. Man findet sie nicht nur auf dem Etikett der Bacardí Flaschen, sondern auch auf Werbeartikeln aller Art, von Kugelschreibern über Feuerzeuge bis hin zu Polohemden, Badetüchern oder Tennistaschen, auf Siegelringen, mit denen erfolgreiche Mitarbeiter belohnt werden, als Wandillustration auf firmeneigenen Gebäuden, und in Bronze gegossen sitzt sie noch immer auf dem Dach des Edificio Bacardí in Havanna. Es gibt aber auch eine etwas banalere Erklärung für die Tatsache, dass die Menschen in Santiago gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht Bacardí verlangten, sondern »den Rum mit der Fledermaus«. Es heißt, die Bacardís hätten ihren Rum auf der Straße in Holzfässern angeboten, in denen ursprünglich Olivenöl importiert worden sei. Auf diesen Fässern sei eine Fledermaus eingraviert gewesen, und deshalb habe die Bevölkerung nach dem Rum mit der Fledermaus verlangt. Peter Foster, Biograf der Familie, will sich allerdings nicht festlegen, welche der Geschichten über die Entstehung des Logos richtig oder falsch ist. Wichtig sei allein, schreibt er, »dass die Fledermaus ihren weltweiten Flug in der kleinen Brennerei am Hafen von Santiago begann und im Laufe der Jahrzehnte zur berühmtesten Fledermaus der Welt wurde.«7

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Viel Ruhm und wenig Geld – Überleben in den Zeiten des Unabhängigkeitskrieges In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bestand indes wenig Grund zum Jubel. Die Zeiten waren unruhig auf Kuba: Seit 1868 kämpfte eine »nationale Befreiungsarmee« für die Unabhängigkeit vom Mutterland Spanien. Die Anführer der Aufständischen kamen aus der kreolischen Oberschicht, es waren Viehzüchter sowie Plantagen- und Zuckermühlenbesitzer aus dem Osten und dem Zentrum Kubas. Schon zu Beginn der sechziger Jahre hatten die meisten von ihnen in der Freimaurerloge Gran Oriente de Cuba y de las Antillas über die Möglichkeiten einer Abnabelung von der spanischen Krone nachgedacht. Zumindest ökonomische Reformen und eine größere politische Autonomie schienen überfällig. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Ende des Sklavenhandels, denn aus Sicht der Freimaurer war Sklaverei absolut unvereinbar mit der Würde des Menschen. Wer »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« forderte, der konnte die Sklavenfrage nicht ausklammern, war die Meinung der Oppositionellen. »Ohne Zweifel ist die Sklaverei das größte Übel, das die Menschheit peinigt«, klagte Alexander von Humboldt 1826. Seine Ansicht teilten damals auch andere Europäer, die die Verhältnisse auf Kuba kannten. Aber die moralische Entrüstung wurde selbst von Gegnern der Sklaverei allzu oft relativiert. Die Schwarzen seien als Arbeitskräfte auf den Plantagen unersetzlich, hieß es. Wer sonst als die importierten Afrikaner sollte in glühender Hitze Tabak pflanzen oder Zuckerrohr schneiden? Humboldt berichtete: »Es gibt Pflanzungen, wo jährlich 15 bis 18 von 100 Sklaven sterben. Ich habe kaltblütige Erörterungen der Frage gehört, ob es für den Pflanzer vorteilhafter sei, die Sklaven nicht übermäßig zur Arbeit anzustrengen und somit dieselben seltener zu ersetzen oder aber in wenigen Jahren den größtmöglichen Vorteil aus ihnen zu ziehen und sie dann also öfter durch neuen Ankauf von Negros Bozales … zu ersetzen. So rechnet die Habsucht, wo der Mensch den Menschen als Lasttier gebraucht.«8

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Mehr als 750 000 Sklaven aus Westafrika waren zwischen 1762, dem Jahr als die Briten Havanna besetzt hielten, und 1868, dem Beginn des Unabhängigkeitskrieges, nach Kuba verschleppt worden. Unter englischem Druck war der Sklavenhandel 1817 weltweit verboten worden, aber heimlich verdienten die Menschenhändler weiter am Import von billigen Arbeitskräften. Allein im Jahr 1837 – also 20 Jahre nach dem Verbot – kamen 12 000 Sklaven in Havanna an und wurden sofort auf die Plantagen verfrachtet. Dort herrschte wegen der steigenden Zuckernachfrage akuter Arbeitskräftemangel. Besser behandelt wurden die Hilfskräfte deshalb noch lange nicht, es galt weiter das von Humboldt beschriebene Prinzip, Menschen »wie Lasttiere zu halten und zu behandeln«. Immer wieder kam es auf den großen Plantagen zu Revolten unter den Sklaven, 1844 bei Matanzas sogar zu einem größeren Aufstand. Aber jedes Mal wurden die Anführer hingerichtet oder erschossen. Die Befreiung der Sklaven durch die Sklaven selbst war eine Utopie. Doch was die so genannten Reformisten auf Kuba auch forderten – ob größere Handelsfreiheit oder eine angemessene Vertretung in den Cortes von Madrid – ihre Eingaben blieben ohne Resonanz. Zugebilligt worden war ihnen statt hoher indirekter Steuern lediglich die Zahlung einer Kopfsteuer. Alle Einnahmen flossen jedoch vollständig in die Kassen des Mutterlandes. Als dann 1867 eine schlechte Zuckerernte die Wirtschaft schwächte und Spanien durch eine Revolution erschüttert wurde, schien die Zeit reif zu sein für einen Aufruf zur offenen Rebellion. Der reiche Hacendado Carlos Manuel de Céspedes y Castillo, ein Freimaurer, ergriff am 10. Oktober 1868 auf seiner Zuckerrohrplantage »La Demayagua« die Initiative. »Spanien kann man nicht überzeugen, man kann es nur besiegen«, konstantierte er in seiner als »Ruf von Yara« berühmt gewordenen Rede. In Yara, einem kleinen Ort ganz in der Nähe, war einst der Kazique Hatuey nach erbittertem Widerstand von den spanischen Eroberern verbrannt worden. Inspiriert vom Geist der amerikanischen Unabhängigkeits-

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erklärung hieß es später im Manifest, das die Revolte gegen die Kolonialmacht begründet: »Wir glauben, dass alle Menschen gleich sind. Wir lieben die Toleranz, die Ordnung und die Gerechtigkeit auf allen Gebieten. Wir achten das Leben und das Eigentum aller friedlichen Bürger, auch wenn es Spanier sind, Ansässige in diesem Land… Wir wollen uns als unabhängige Nation konstituieren, weil sich so die Größe unseres künftigen Schicksals erfüllt und weil wir sicher sind, dass wir unter dem Zepter Spaniens niemals die freie Ausübung unserer Rechte genießen werden.«9 Gleich am ersten Tag des Aufstandes ließ Céspedes seine 53 Sklaven frei. Andere Großgrundbesitzer folgten seinem Beispiel. Insgesamt waren es 147 Männer, die in den Unabhängigkeitskampf zogen, bewaffnet mit 45 Schrotflinten, vier Gewehren, einigen Pistolen und jeder Menge Macheten. »¡Cuba libre!« lautete die mitreißende Parole der Aufständischen. Reiche Kreolen, selbstständige Bauern und ehemalige Sklaven schlossen sich den revolutionären Streitkräften an. Gegen Ende des Jahres 1868 waren es schon fast 20 000 Freischärler, die sich vom Osten aus in Richtung Inselzentrum vorkämpfen wollten. Euphorisch hatte Wort- und Militärführer Céspedes am 19. Oktober 1868 seine Heimatstadt Bayamo zum Regierungssitz der von ihm ausgerufenen Republik Kuba erklärt. Schon drei Monate später gab es ein böses Erwachen. Als Truppen der Kolonialmacht im Januar 1869 vor den Toren Bayamos standen, befahl Céspedes den Einwohnern, vor der Flucht in »befreite Gebiete« ihre Häuser anzuzünden. Sie taten es unter Tränen, doch sie setzten damit auch ein Zeichen für ihre Opferbereitschaft und Unbeugsamkeit. Die Rebellenarmee, zahlenmäßig unterlegen und mit armseligen Waffen ausgestattet, kämpfte fantasievoll. Bahnlinien wurden zerstört, Handelswege unterbrochen, der Gegner wurde mit überraschenden Attacken verunsichert und zermürbt. »Die Freiheit erbittet man nicht, sondern man kämpft für sie!«, lautete das Motto des Mulatten Antonio Maceo, der aufgrund seiner erfolgreichen militärischen Aktionen bald zum General aufstieg.

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Doch alle Kriegskunst war vergebens. Die Übermacht der spanischen Soldaten war erdrückend: Insgesamt sollen zwischen 1868 und 1878 mehr als 100 000 Spanier an der Kolonialfront gekämpft haben. Nach einem zehn Jahre dauernden Kampf musste die nationale Befreiungsarmee ihre Niederlage eingestehen. Am 10. Februar 1878 wurde in Zanjón ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, der Pacto de Zanjón. In Berichten von Reisenden aus jener Zeit ist die Rede von großer Ödnis in den Städten, von niedergeschlagenen Menschen und unerschwinglich hohen Preisen für Nahrungsmittel. »Nachdem der Belagerungszustand verkündet worden war, herrschte überall auf der Insel gespannte Ruhe. Dörfer und Städte verwandelten sich in Forts. Das bunte Treiben der Gesellschaft und die Geschäftigkeit des Alltags erstarben. Die Preise für Nahrungsmittel stiegen ins Unerschwingliche. Die Stadtbewohner mussten froh sein, wenn überhaupt etwas Essbares auf den Markt kam … In den Fabriken und Manufakturen herrschte gedämpfte Stimmung, einzig aufgelockert durch das forsche Gehabe der Voluntarios, die sich in der Rolle der Amateurkrieger gefielen. Die meisten der Voluntarios waren Krämer, Lagerarbeiter, kleine Angestellte, Steuerbeamte, Handwerker und Schankwirte, darunter viele Katalanen, die sich spanischer als die Spanier gaben. Aus Furcht um ihre bescheidene Existenz reihten sie sich willig in die Hilfstruppen der Kolonialarmee ein und ließen sich zum Fußvolk der Oberschicht machen, die aus vornehmer Distanz das Kriegsgeschehen verfolgte.«10 Trotz dieser bedrückenden politischen Ereignisse und der schlechten wirtschaftlichen Lage überlebte die Firma Bacardí y Bouteiller. Der Ruhm des Rums mit der Fledermaus wuchs, längst hatte sich die Qualität des Rums auf der ganzen Insel herumgesprochen. Die Gewinne blieben zwar bescheiden, doch 1876 fand der Rum erstmals internationale Anerkennung. Der »Carta Blanca Superior« aus dem Jahr 1873 erhielt bei der Weltausstellung in Philadelphia eine Medaille. Viel Ruhm und wenig Geld, das ist die Lage während des Unabhängigkeitskrieges und in den unruhigen Jahren danach.

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1874 lösten die Brüder Facundo und José Bacardí ihre Geschäftsbeziehungen mit Partner José Léon Bouteiller auf. Danach überschrieb Bruder José seine Anteile den beiden ältesten Söhnen Facundos. Seither ist die Firma, die 1874 unter dem Namen Bacardí y Cía ins Handelsregister eingetragen wurde, im alleinigen Besitz der Familie Bacardí. 1877 zog sich Don Facundo aus dem Geschäft zurück und überließ das Geschäft den beiden Söhnen, die als gleichberechtigte Direktoren arbeiten sollten. Die geheime Rezeptur ging jedoch allein an den jüngeren Facundo Miguel. Als der Patriarch Don Facundo Bacardí y Mazó am 9. Mai 1886 starb, hinterließ er kein bedeutendes Erbe. Die Firma war bereits überschrieben, das Haus in der Stadt und das Landhaus erhielt seine Frau. Es folgten ereignisreiche Jahre. Amalia Lucia starb 1896 im Exil auf Jamaika. Zu diesem Zeitpunkt war das Landhaus auf Kuba schon niedergebrannt, der älteste Sohn befand sich in einer nordafrikanischen Strafkolonie und die beiden anderen Söhne waren in ständiger Gefahr, verhaftet oder erschossen zu werden: Kuba war erneut in Aufruhr, und diesmal spielten die Bacardís eine wichtige Rolle.

2 . » ¡ C u b a l i b re ! « Die Familie Bacardí im Unabhängigkeitskrieg

Neben dem Porträt von Don Facundo hängen im Bacardí-Museum die Bilder der beiden Söhne Emilio und Facundo Miguel. Offen und selbstbewusst blicken die beiden Brüder den Betrachter an, freundlich und ohne jede Arroganz. Auffällig ist Emilios nach beiden Seiten gezwirbelter Schnauzbart und seine randlose Brille. Facundo Miguels Gesicht erhält durch einen fein gestutzten Kinnbart Kontur. Vielleicht ist Emilios Brille auch als ein Hinweis auf seine intellektuellen Fähigkeiten und Neigungen zu verstehen. Nicht ihm hatte der Vater das Rezept für die Rumproduktion anvertraut, sondern dem um vier Jahre jüngeren Facundo Miguel. Mag sein, dass diese Entscheidung mit Emilios großem Interesse für Politik zusammenhing, und er dem Vater deshalb als der weniger talentierte Kaufmann und Rumproduzent erschien. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahr verkehrte der ältere Sohn nämlich in Kreisen, die die Ablösung Kubas vom spanischen Mutterland propagierten. Die Einschätzung des Vaters sollte sich als klug erweisen, denn tatsächlich verbrachte Emilio viele Jahre in Gefängnissen und Facundo Miguel musste die Verantwortung für das Geschäft allein tragen.

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Der »Ruf von Yara« – politischer Weckruf für die Brüder Bacardí y Moreau Emilio war acht Jahre alt, als 1852 ein schweres Erdbeben die Stadt Santiago teilweise zerstörte und eine Choleraepidemie ganze Familien dahinraffte. Auch sein zwei Jahre jüngerer Bruder Juan fiel der Seuche zum Opfer. Nach diesen schrecklichen Erlebnissen reiste Mutter Amalia Lucia mit ihren Söhnen Emilio und Facundo Miguel nach Katalonien. Offenbar war sie schwanger, denn in Barcelona kam 1854 mit José der vierte Sohn zur Welt. Unter der Obhut seines Patenonkels Daniel Costa verbrachte Emilio insgesamt drei Jahre in Katalonien. Lesen und Schreiben hatte Emilio bereits in einer der öffentlichen Schulen in Santiago de Cuba gelernt, der Pate weckte bei dem kleinen Jungen nun das Interesse für europäisches Gedankengut und einen Bildungshunger, der Emilio nie loslassen sollte. Der Junge war außerordentlich wissbegierig, er lernte, indem er die Nähe erfahrener Menschen suchte. Taufpate Costa war in dieser Hinsicht der erste Glücksfall in seinem Leben. Nach der Rückkehr aus Europa vermittelte ihm der Vater Grundkenntnisse für die Betriebsführung, doch Emilios Interessen waren breit gefächert. Hatte sich der alte Facundo von der Politik bewusst ferngehalten, so suchte der älteste Sohn in Santiago schon bald die Nähe der politisch aktiven Hacendados und Zuckermühlenbesitzer, die er in der Freimaurerloge fand. Er nahm an Treffen von Literaten und Bildenden Künstlern teil und nahm schon als junger Mann Kontakt auf zu den Intellektuellen der Gruppe »Librepensador Victor Hugo«. Hier wurden die Ideale der französischen Revolution diskutiert, es ging um die nationale Frage, um Bürgerrechte, das Ende der Sklavenhaltung und die Befreiung Kubas von der spanischen Kolonialmacht. Diese Debatten übten eine unwiderstehliche Faszination auf den jungen Emilio aus. Nach dem »Ruf von Yara« im Jahre 1868, dem Auftakt zum zehn Jahre dauernden Unabhängigkeitskampf, galt es für den 24-jährigen Emilio Bacardí y Moreau, Flagge zu zeigen. Zwar wurde er in den

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kommenden Jahren nie mit einer Waffe in der Hand gesehen, gleichwohl sorgte er als Sympathisant im Untergrund dafür, dass die aktiven Kämpfer Waffen erhielten oder zumindest Geld, um sich welche zu beschaffen. In den Räumen der kleinen väterlichen Fabrik lagerten Propagandaschriften und Gewehre. Emilio war auch dabei, als im Dezember 1868 eine Gruppe junger Demonstranten versuchte, den Amtssitz des spanischen Gouverneurs für die Provinz Oriente zu stürmen. Bei dieser Aktion sollte der Vertreter der verhassten Kolonialmacht symbolisch abgesetzt und die im selben Jahr in Spanien verabschiedete bürgerliche Verfassung ausgerufen werden, die zwar einige Fortschritte gebracht hatte, aber nur im Mutterland galt. Die Besetzung des Regierungspalastes schlug erwartungsgemäß fehl, doch endete sie für den Fabrikantensohn und seine Mitstreiter glimpflich. Im Großen und Ganzen blieb Santiago de Cuba in den ersten Kriegsjahren von bewaffneten Auseinandersetzungen verschont. Schießereien gehörten trotzdem zum Alltag. Facundo Miguel wurde 1873 Augenzeuge einer Hinrichtung, die er ein Leben lang nicht vergessen sollte. An Bord des Frachters »Virginius«, der im Hafen von Santiago vor Anker lag, hatte man Rebellen entdeckt. Sie wurden in die Stadt gebracht und ganz in der Nähe der Brennerei Bacardí erschossen. Der Karren mit den übereinander geworfenen Leichen, deren Beine steif in den Himmel ragten, war ein Bild, das Facundo Miguel erschütterte und schockierte. Viele Jahre später sollte er in Gedenken an die Hingerichteten einen Rum »Reserva 1873« nennen. Je länger der Befreiungskrieg dauerte, umso brutaler agierten die Kriegsparteien. Aufseiten der Rebellen verfolgte General Máximo Gómez die »Strategie der verbrannten Erde«. Auf seinem Weg gen Westen brannte er fast alle Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen nieder – zum einen, um politisch unentschlossene Plantagenbesitzer zu bestrafen und die Wirtschaft des Landes zu schwächen und zum anderen, um die dort gehaltenen Sklaven zu befreien, in der Hoffnung, dass sie sich der Rebellenarmee anschließen würden. Und

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weil auch die besser organisierten spanischen Truppen zu ähnlichen Mitteln griffen, bahnte sich allmählich ein ökonomisches Desaster an. Kuba, dessen Wirtschaft fast ausschließlich auf dem Anbau von Zucker und Tabak basierte, war dem Zusammenbruch nahe. 1876, zwei Jahre vor Kriegsende, heiratete der inzwischen 32-jährige Emilio eine Santiaguera französischer Abstammung namens Maria Lay Berlucheau. Ein Jahr später wird der erste Sohn geboren und auf den Namen Emilio getauft. In dieser Zeit pflegen die Bacardí-Brüder eine besondere Freundschaft mit dem General der Befreiungsarmee Antonio Maceo. Als die Rebellen 1878 einem Waffenstillstandsabkommen mit der Kolonialmacht zustimmten, weigerte sich Maceo, die Waffen abzuliefern. In einer Note, die als »Protest von Baragua« in die an Mythen reiche Geschichte Kubas einging, wandte er sich gegen den Pacto de Zanjón. Aus seiner Sicht war die politische Unabhängigkeit Kubas ein Traum geblieben: Die Insel war zwar durch ein königliches Dekret vom 15. Juli 1878 zur »überseeischen Provinz« erklärt worden und sollte in den Cortes von Madrid vertreten sein, aber alle Macht lag wie eh und je beim Generalkapitän, der zugleich oberster Zivilgouverneur war. Vor allem aber lehnte der Mulatte Maceo den Vertrag ab, da er eine zentrale Forderung der Rebellen nicht berücksichtigte: die Abschaffung der Sklaverei. Nach der Niederlage der Rebellen trat eine Friedhofsruhe ein, in der Öffentlichkeit wurde das Thema Unabhängigkeit nicht mehr diskutiert. Im restaurativen Klima der Monate nach dem Waffenstillstand wurde es immer gefährlicher, sich zur Unabhängigkeit zu bekennen, was die Brüder nicht davon abhielt, sich weiterhin politisch zu betätigen. Sie schlossen sich dem Protest Maceos an, und als dessen Truppen in den Bergen des Oriente den Kampf fortsetzten, unterstützten sie ihn über Mittelsmänner mit Waffen und Geld. Nach wie vor besuchten sie die Treffen der politischen Clubs und Vereine, in denen sich weiße und farbige Mitglieder der kubanischen Mittelklasse trafen, um die Unabhängigkeit vorzubereiten. Eines dieser »Clubtreffen« im August 1879 wurde verraten, und die

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beiden wurden verhaftet. Während die Obrigkeit Facundo Miguel umgehend wieder auf freien Fuß setzte, wurde Emilio in den Verliesen der Festung El Morro eingesperrt und einige Zeit später mit Gesinnungsgenossen nach Nordafrika in die spanische Enklave Ceuta deportiert, wo er bis 1883 festgehalten wurde. Als Emilio zurückkehrte, fand er eine nagelneue Fabrik vor. Ein Brand hatte die alte 1880 fast vollständig vernichtet. Die von John Nunes stammende alte Destillieranlage aber war zum Glück erhalten geblieben. Eine Entschädigung hatte es nicht gegeben, die Bacardís hatten auch keine Brandschutzversicherung abgeschlossen. Mit Krediten und der Hilfe von Bruder José hatte Facundo Miguel inzwischen von vorne angefangen, ähnlich besessen von der Idee, guten Rum zu produzieren, wie sein Vater. Emilio, der Heimgekehrte genoss zunächst das lange vermisste Familienleben. Vier Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren waren glücklich, endlich einen Vater zu haben. Im Jahr nach der Rückkehr wurde das fünfte Kind geboren. Nach Emilito, den Zwillingen José und Facundo und Tochter María, kam Carmen zur Welt. Noch einmal wurde María Berlucheau schwanger. Nach der Geburt des Sohnes Daniel stirbt sie und auch Daniel lebt nicht lange. 1887, Emilio Bacardí ist noch keine fünfzig, heiratet der Witwer mit den fünf Kindern Elvira Cape, eine kluge, kunstsinnige und mutige Farbige. Mit ihr kann der dichtende Rumfabrikant viele seiner Interessen teilen, auch sein politisches Engagement. In den kommenden Jahren werden vier Töchter geboren: Marina, Lucia, Adelaida und Amalia. Die Jüngste wird Jahrzehnte später eine entscheidende Rolle beim Kampf um den Erhalt des familiären Erbes spielen.

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Im politischen Sog des Freiheitskämpfers José Martí Natürlich hatte sich an Emilios Gesinnung während der Zeit im spanischen Exil nichts geändert. Ganz im Gegenteil, er war jetzt bereit, in aller Öffentlichkeit für die Loslösung Kubas von Spanien zu werben. Er trat der Partida Autonomista bei, die bereits seit 1868 bestand, um dort die Weichen für die Umwandlung der Kolonie in eine Republik zu stellen. Bei den Autonomistas versammelten sich hauptsächlich Mitglieder der gemäßigten oberen Mittelschicht. Die Historiker Zeuske schreiben: »Die soziale Basis der Autonomistas waren Hacendados, Viehhalter und Freiberufler. Sie forderten gleiche Rechte für Kubaner unter der spanischen Verfassung von 1876, die Autonomie der Insel, Trennung von politischer und militärischer Gewalt, die Änderung des Wahlsystems bei Erhaltung des Imperiums und das Ende der Sklaverei. Ziel war die Herrschaft der Kubaner über lokale Institutionen und Selbstbestimmung.«1 Während sich also in den Kreisen der Autonomistas die moderaten Kritiker der spanischen Herrschaft versammelten, organisierten sich die radikalen Separatisten und Independisten, von einzelnen Verschwörergruppen auf der Insel abgesehen, im Ausland. Zunächst trafen sie sich in geheimen Revolutionsclubs und revolutionären Komitees. Schließlich wurde im April 1892 in New York die Revolutionäre Partei Kubas gegründet, die Partido Revolucionario Cubano (PRC). Zum Vorsitzenden wählte die Versammlung José Martí – Rechtsanwalt, Schriftsteller und Journalist, bekannt für kritische Analysen und scharfe Anklagen. »Unser Schwert hat uns niemand aus der Hand genommen, wir haben es selbst fallen lassen«, so hatte er das Waffenstillstandsabkommen von Zanjón im Jahr 1878 kommentiert und damit Salz in die Wunden der Patrioten gestreut. 14 Jahre später waren die Radikalen überzeugt, dass niemand anders als Martí in der Lage war, die Unabhängigkeit zu erzwingen.

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Nicht nur die Herkunft verband Emilio Bacardí mit dem 1853 in Havanna geborenen Sozialreformer – auch Martí war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen – es waren vor allem die patriotische Gesinnung und das idealistische Menschenbild, die beide Männer zu Brüdern im Geiste machte. Die Verehrung für den französischen Romantiker Victor Hugo kam hinzu. Martí hatte Hugos Werk kongenial ins Spanische übersetzt. Außerdem teilten der junge Bacardí und Martí die antiklerikale und später auch antiUS-amerikanische Einstellung. Sie hatten sich beide mit den ökonomischen Analysen und den sozialpolitischen Visionen von Karl Marx befasst und waren beide von den Spaniern ins Exil geschickt worden. Martí, erst 17 Jahre alt, wurde im Januar 1871 nach Cádiz verbannt. Allerdings konnte er sich in Spanien frei bewegen und sogar Kampfschriften gegen die spanische Kolonialmacht veröffentlichen, darunter eine so provokative Abhandlung wie Der politische Kerker auf Kuba. Ein Echo auf seine politischen Angriffe gab es nicht. An der Universität in Zaragoza studierte Martí Jura, Philosophie und Sprachen. Nach dem Abschluss im Herbst 1874 übersiedelte er nach Mexiko, wo er eine Kubanerin heiratete, und vier Jahre später reiste er unter falschem Namen nach Kuba, um sich dort der Unabhängigkeitsbewegung anzuschließen. »Als Vizepräsident des geheimen Revolutionsclubs von Havanna wob er mit am konspirativen Netz der Patrioten«, so beschreibt Frank Niess die Aktivitäten Martís auf der Insel, »und als Dichter hielt er bei offiziellen Anlässen, unter den Augen und Ohren der spanischen Kolonialherren, feurige Reden, die unisono mit dem Ruf nach ›Cuba libre› schlossen.«2 Obwohl die Spanier den Kubanern im Vertrag von Zanjón Redefreiheit zugestanden hatten, ließen sie sich die aufmüpfigen Ansprachen von Martí nicht lange gefallen. Im September 1879 deportierten sie den Revolutionär zum zweiten Mal nach Spanien, einen Monat nachdem in Santiago auch Emilio verhaftet worden war. Doch während für Emilio Bacardí die vier Jahre im spanischen

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Exil ziemlich ereignislos verliefen, nutzte Martí die Zeit, um politische Kontakte zu knüpfen. Die Verbannung wurde offensichtlich von den Spaniern nicht ganz ernst genommen, und Martí gelang die Ausreise über Frankreich, wo er mit dem verehrten Victor Hugo zusammentraf. Von dort gelangte er nach New York, wo er prompt zum Vorsitzenden des kubanischen Revolutionskomitees berufen wurde. Damit war der noch nicht einmal 30-Jährige der führende Kopf der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung. José Martí entwickelte sich in den USA zu einem flammenden Kritiker des »American way of life«. Ihn störte vor allen Dingen die Dominanz des Geldes, das die zwischenmenschlichen Beziehungen seiner Meinung nach zu »Kampfhandlungen verkommen lässt«, und er geißelte die gewissenlose Gewinnsucht der Unternehmer und den rüden Protektionismus in der US-amerikanischen Außenhandelspolitik, weil er anderen Nationen keine Chance zur Entwicklung ließ. Für ihn waren die USA das »Raubtier im Norden«. Er wurde nicht müde, vor der Gefräßigkeit dieses »Ungeheuers« zu warnen, und fühlte sich bestätigt, als die US-Regierung die Absicht äußerte, den Spaniern Kuba abkaufen zu wollen. »Das Volk, das kauft, befiehlt. Das Volk, das verkauft, muss ihm dienen«, warnte er all jene Mitstreiter, die von den USA die Rettung erhofften. Martí hatte früh die neue Kolonialismusgefahr vor Augen, die nach einer Lösung von der alten Kolonialmacht Spanien drohte, und Emilio Bacardí teilte seine Meinung voll und ganz. Martí schwamm auf einer Welle der Zustimmung. Insbesondere die Tabakarbeiter in Florida jubelten ihm zu. Die emigrierten Großgrundbesitzer waren dagegen zurückhaltender, die Idee einer »egalitären Gesellschaft«, von der Martí zunehmend sprach, erschien ihnen nicht besonders sympathisch. Aber auch sie hatten den charismatischen Dichter zum zivilen Führer der Revolutionspartei gewählt und unterstützten damit dessen Forderung nach einem neuen Krieg. Nicht nur in den Städten der USA, sondern auch in der Dominikanischen Republik, auf Haiti und Jamaika, in Costa Rica, Panama

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und Mexiko koordinierte Martí die Aufstandspläne. Am 31. Januar 1895 verließ er New York, um sich in der Dominikanischen Republik mit dem alten Rebellenführer Gómez zu treffen. Zusammen verfassten sie ein Bulletin an das kubanische Volk, in dem sie den bevorstehenden Aufstand begründeten. Am 11. April 1895 ging Martí in La Playita in der kubanischen Provinz Oriente an Land, und bereits am 19. Mai fiel er in einem Gefecht mit den Spaniern. Eine Woche später wurde er auf dem Friedhof von Santiago de Cuba begraben. Die kubanische Geschichte hatte einen neuen Helden. Schwer vorstellbar, dass die Bacardí-Brüder dem Gesinnungsbruder nicht das letzte Geleit gegeben haben, denn sie standen der Revolutionspartei nahe. Die Familie erzählt heute, Emilio sei sogar Schatzmeister der Partei im Oriente gewesen. Emilios ältester Sohn, Emilito, war vom ersten Tag an an den neuen Auseinandersetzungen beteiligt. Zuerst diente er als Leutnant in der Befreiungsarmee und erhielt besondere Auszeichnungen für seine Tapferkeit. Später wurde er persönlicher Adjutant des Generals und Freundes der Familie Antonio Maceo, der auch im zweiten Unabhängigkeitskrieg eine Armee befehligte.

Der Rum der Könige Der Beginn des neuen Krieges, der mithilfe der Amerikaner dann wirklich die Unabhängigkeit von Spanien bringen sollte, markierte auch eine Zäsur in der Geschichte des Unternehmens Bacardí. Ein neuer Teilhaber wurde in die Firma aufgenommen: Enrique Schueg Chassin, der Mann von Amalia Bacardí. Die einzige Schwester der Brüder Emilio, Facundo Miguel und José hatte den aus Europa nach Kuba zurückgekehrten jungen Mann aus wohlhabenden Verhältnissen 1893 geheiratet. Bereits ein Jahr später wurde der Vertrag mit dem neuen Partner geschlossen.

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Enrique Schueg brachte eine gewaltige Kapitalzufuhr für das Unternehmen mit. Auf Kuba geboren, war er in Frankreich aufgewachsen und 1883 ohne die Eltern auf die Insel zurückgekehrt. Dort hatte er die heruntergekommene Pflanzung der Familie verkauft und mit allerlei Geschäftsideen versucht, das so gewonnene Kapital zu vermehren. Schueg Chassin war ein talentierter Geschäftsmann und sein Eintritt kam der Firma zugute, da Emilio sich immer mehr um die Politik und immer weniger um das Geschäft kümmerte. Ende des 19. Jahrhunderts genoss das Unternehmen international schon einen guten Ruf. Von den Weltausstellungen in Barcelona, Madrid und Paris brachte man Goldmedaillen mit nach Hause. Ab 1888 durften sich die Bacardís »Lieferant des Spanischen Königshofes« nennen – eine zweifelhafte Ehre für einen kubanischen Patrioten, für das Geschäft jedoch eine exzellente Werbung. 1892 kam sogar ein offizielles Dankschreiben aus dem spanischen Königshaus: Der kleine König Alfonso XII., für den seine Mutter Cristina stellvertretend regierte, lag mit einer schweren Grippe danieder. Die königlichen Ärzte verordneten dem Kranken Rum – natürlich den besten, und das war der vielfach prämierte Bacardí. Es ist nicht bekannt, welche Menge dem kleinen König eingeflößt wurde. Er soll jedoch nach dem Rumgenuss schnell eingeschlafen sein, und am nächsten Tag war das hohe Fieber, unter dem Alfonso gelitten hatte, verschwunden. Der Genesung stand nichts mehr im Wege. Der Hof dankte schriftlich für ein Produkt, »das das Leben seiner Majestät gerettet hatte«. Fortan, so der königliche Befehl, sollte bei Hofe nur noch Rum der Firma Bacardí geordert werden. 1892 kam solch ein Lob unter geschäftlichen Gesichtspunkten durchaus gelegen. »Bacardí – König des Rums, Rum der Könige«, formulierte man wenig später zu Werbezwecken. Mit diesem unschlagbaren Werbeslogan, der Medaillensammlung und dem Kapital von Enrique Schueg Chassin ausgestattet, konnten die Bacardís 1894 der Zukunft durchaus optimistisch entgegensehen.

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Der Amerikanisch-Spanische Krieg (1898) – die Amerikaner besetzen Kuba Drei Jahre lang – von 1895 bis 1898 – hatte die Unabhängigkeitsarmee unter der Führung der inzwischen angegrauten Generäle Antonio Maceo und Máximo Gómez versucht, die spanischen Truppen zu besiegen. Es war ihnen nicht gelungen, denn die Kolonialmacht hatte rund 50 000 gut ausgebildete Soldaten nach Kuba geschickt, die »bis zum letzten Mann und bis zum letzten Peso« die Interessen der spanischen Krone verteidigen sollten. Zwar war es Gómez mit einer zermürbenden Guerillataktik gelungen, die Spanier zu schwächen, aber Verhandlungen über die Unabhängigkeit waren gescheitert. In dieser kritischen Phase des Krieges wurde Emilio Bacardí 1896 erneut nach Afrika deportiert. Auch die Familie hatte die Insel verlassen und war nach Jamaika geflohen. Nur sein Bruder Facundo Miguel war in Santiago geblieben, um die Fabrik zu schützen und die Produktion weiterzuführen. Die Situation zwischen den Spaniern und den Kubanern war gegen Ende 1897 verfahren, die Aufständischen hatten allerdings das Gefühl, dass die Kolonialmacht allmählich an Boden verlor. In diesem Moment griffen völlig überraschend die USA ein. Im Frühjahr 1898 mobilisierten sie ihre Truppen, im Juli war der »splendid little war« bereits gewonnen. Es war schon lange erklärtes Ziel der USA gewesen, Kuba unter ihre Kontrolle zu bekommen. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die Amerikaner begehrliche Blicke auf Kuba geworfen. Die Insel galt als »Schlüssel zur Karibik«. Wer Havanna besaß, konnte mühelos den gesamten Golf von Mexiko kontrollieren. Sarkastisch, aber unmissverständlich, hatte US-Präsident John Quincy Adams 1823 das Verhältnis zwischen Kuba, Spanien und den Vereinigten Staaten mit den Worten definiert: »Es gibt Gesetze der physikalischen wie der politischen Schwerkraft, und so wie ein im Sturm vom Baum abgerissener Apfel keine andere Wahl hat, als zur Erde zu fallen, so kann auch Kuba, wenn gewaltsam aus seiner

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widernatürlichen Verbindung mit Spanien gelöst und unfähig, sich selbst zu schützen, nur der Schwerkraft der Nordamerikanischen Union folgen, die kraft desselben Naturgesetzes Kuba nicht von ihrem Busen stoßen kann.«3 In den USA wurde Kuba früh als »natürliches Anhängsel des nordamerikanischen Kontinents« gesehen, und derselbe John Quincy Adams hatte schon in seinem Amt als Außenminister festgestellt: »Der Anschluss Kubas an unsere föderative Republik wird unverzichtbar sein.« In den folgenden Jahrzehnten ließen die USA nichts unversucht, die Insel auf friedlichem Wege in ihren Besitz zu bringen, aber die Spanier lehnten alle Kaufangebote dankend ab. Also versuchten die USA es durch die ökonomische Hintertür. Mit US-amerikanischem Kapital wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die kubanische Landwirtschaft mechanisiert und die Zuckermühlen modernisiert. Industrielle aus dem Norden investierten in Tabakplantagen und Elektrizität, kauften riesige Ländereien und beuteten Minen aus. Längst hatten Gesellschaften wie die United Fruit Company und andere Konzerne die Schätze des »Hinterhofes« entdeckt und mit der Vermarktung begonnen. Mit dem Argument, man müsse US-Eigentum und US-Interessen schützen, traten die USA schließlich in den Krieg ein. Der Wunsch der Kubaner nach Unabhängigkeit interessierte sie nur am Rande. Nachdem das US-Kriegsschiff Maine im Februar 1898 aus ungeklärten Gründen im Hafen von Havanna explodiert und gesunken war, hatten die USA einen Grund für einen Krieg gegen Spanien. In den Zeitungen New Yorks brach ein Propagandasturm los, der in dem Satz gipfelte: »Remember the Maine, to hell with Spain«. Die USA mobilisierten ihre Flotte, die am 2. Juni 1898 vor Santiago auf die spanische Flotte traf und sie besiegte. Am 22. Juni 1898 gingen 6 000 Soldaten unter der Führung von General William Rufus Shafter im kubanischen Osten an Land, darunter auch das Freiwilligenregiment der »rough riders« unter Führung des späteren Präsidenten Theodore Roosevelt. Es folgten Landschlachten bei El Caney und auf den Hügeln von San Juan in unmittelbarer Nähe zu

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Santiago de Cuba, die schnell entschieden waren, da die spanischen Truppen regimenterweise desertierten. Bis Ende 1898 besetzten die US-Truppen die wichtigsten Städte Kubas. Truppen der Befreiungsarmee gaben bei der Landung der USArmee Schützenhilfe, eine Geste, die die kubanischen Unabhängigkeitskämpfer schon Wochen später bereuten, denn schnell zeigte sich, dass die USA gar kein Interesse daran hatten, die Kubaner vom Kolonialjoch zu befreien. Es ging ihnen einzig und allein um die Absicherung ihrer strategischen und ökonomischen Interessen auf Kuba. Schon am 10. Dezember 1898 unterzeichneten die USA und Spanien in Paris einen Friedensvertrag. In diesem Vertrag stimmte Spanien zu, die Insel für 20 Millionen US-Dollar an die Sieger abzutreten. Die Kubaner wurden bei diesem Kuhhandel nicht gefragt, bei der Vertragsunterzeichnung waren sie Statisten. Eine Kooperation mit den ehemaligen Repräsentanten der »Republik in Waffen« war unerwünscht. Und nicht nur das: Die US-Militäradministration wünschte ausdrücklich die Auflösung des Befreiungsheeres und der 1892 gegründeten Partido Revolucionario Cubano (PRC). Auch die politischen und militärischen Führungseliten der Unabhängigkeitskämpfer wurden entmachtet. Aus der Befreiungsarmee wurde allein Máximo Gómez anerkannt, ansonsten wählten die Besatzer Zivilisten aus so genannten besseren Kreisen in Leitungsfunktionen. Zu diesen ausgewählten »Aufbauhelfern« gehörte in Santiago de Cuba auch Emilio Bacardí y Moreau. Die Lage in Santiago war desaströs. 50 000 Flüchtlinge verdoppelten die Einwohnerzahl der Stadt, Hunger machte das Leben zur Qual. Die Wasserversorgung war zusammengebrochen, Müllberge verstopften die Straßen, Blattern und Gelbfieber rafften die Menschen dahin. Hinzu kam die Enttäuschung der Rebellen über das unbefriedigende Ende des Krieges: Trotz des moralischen Sieges war die Revolution verloren, Herren im Land waren die USA. Vom spanischen Generalkapitän war die Macht direkt in die Hände von US-Generälen übergegangen.

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In Santiago sollte Leonhard Wood Ordnung schaffen, und das hieß vor allem, die Bevölkerung auf das Leben in einer Republik nach angelsächsischem Vorbild vorzubereiten. Mit Sauberkeitsund Bildungskampagnen – es wurden Schulen gebaut und protestantische Sekten gefördert – sollten die Kubaner aus der Frustration und Lethargie herausgerissen werden, unter der sie als Latinos angeblich litten. Ohne Hilfe von Bürgern, die Rückhalt in der Bevölkerung hatten, ging das nicht. Und so nahm Wood die Bitte aus »besseren Kreisen« an, das Amt des Bürgermeisters einem der ihren zu übertragen: Emilio Bacardí y Moreau. Wood selbst hielt den Mann aus dem Rum-Business für fähig, rechnete aber mit Widerständen zu Hause. »Ich weiß nicht, was meine puritanischen Freunde in Massachusetts denken, wenn sie hören, dass ich Mr. Bacardí zum Bürgermeister von Santiago gemacht habe«, schrieb er in einem Brief an seine Frau.4 Aber er wusste, dass Bacardí als unbeugsamer Patriot das Vertrauen der gesamten Bevölkerung und nicht nur der besseren Kreise besaß, und das kam seinen Vorstellungen entgegen. Wood war als kolonialer Hardliner verschrien, und Emilio teilte dessen politische Ansichten nicht einmal im Ansatz. Aber er respektierte die hemdsärmelige Tatkraft des ausgebildeten Arztes. Straßen wurden gepflastert, Wasserleitungen repariert und neu verlegt, ein Telegrafensystem installiert, Schulen gebaut, die Mädchenbildung eingeführt, der Müll entsorgt und die gesamte Verwaltung neu geordnet. Mit dem Verbot von Stierkämpfen und Glücksspielen schoss Wood in seinem Eifer, den »American way of life« nach Kuba zu importieren, allerdings weit über sein Ziel hinaus. Bis zum April 1899 dauerte die Einstimmung auf die neokoloniale Abhängigkeit, dann übernahm offiziell eine amerikanische Militärregierung die Kontrolle. Wood verließ Santiago und stieg zum Generalgouverneur der Insel auf. Die USA waren ihrem Ziel, Kuba zu vereinnahmen, erheblich näher gekommen. Nur Kubas hohe Auslandsschulden – insgesamt 400 Millionen US-Dollar – verhinderten eine Annexion. »Mit diesem Krieg installieren sich die

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USA als Großmacht, die fortan ihren Hinterhof Lateinamerika wie eine Halbkolonie politisch beherrschte, ökonomisch nutzte und ideologisch auf den ›American way of life‹ verpflichtete.«, schreibt Frank Niess. »José Martí hatte mit seiner Warnung vor der ›Annexion der Völker unseres Amerikas durch den in Aufruhr versetzten brutalen Norden‹ Recht behalten. Die Kubaner kamen vom Regen in die Traufe. Nach dem Ende der spanischen Kolonialherrschaft fanden sie sich unter den ›Fittichen des Adlers‹ wieder.« 5

Kontrollierte Freiheit Zwar lösten die USA ihr Wort von der »vorübergehenden Besetzung« ein und entließen Kuba im Mai 1902 in die Unabhängigkeit, gleichzeitig aber erzwangen sie mit einem Zusatz in der kubanischen Verfassung das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen in die kubanische Politik eingreifen zu können. Im so genannten »Platt Amendment«, benannt nach dem Republikanischen US-Senator Orville H. Platt, hieß es unter anderem: »Die kubanische Regierung erklärt sich bereit, den Vereinigten Staaten das Recht auf Intervention zuzugestehen, und zwar in folgenden Fällen: zur Erhaltung der kubanischen Unabhängigkeit, zur Aufrechterhaltung einer Regierung, die in der Lage ist, Leben, Eigentum und persönliche Freiheit zu schützen, und um jene Verpflichtungen einzulösen, welche die Vereinigten Staaten im Vertrag von Paris eingegangen sind und die nun von der kubanischen Regierung erfüllt werden sollen.«6 Dieser Artikel führte unter anderem 1903 zur Pacht des Flottenstützpunktes Guantánamo, den die USA bis heute als Militärstützpunkt und Gefangenenlager nutzen. Die Kubaner liefen Sturm gegen diese Beschneidung ihrer Souveränität, doch die USA antworteten mit der Drohung, das Militärregime fortzusetzen, sollten die Kubaner diesem Punkt nicht zustimmen. Am 28. Mai 1901

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beschloss das Parlament, das »Platt Amendment« in die kubanische Verfassung aufzunehmen. Emilio Bacardí y Moreau mag all diese Entwicklungen vorausgesehen haben, als er im Juli 1899 sein Amt als Bürgermeister von Santiago niederlegte. Es war sein persönlicher Protest gegen die Entmündigung der Kubaner, denn für diese neue Abhängigkeit hatte er nicht gekämpft. Sich den Befehlen einer amerikanischen Militärregierung unterzuordnen, die Amerikanisierung des alltäglichen Lebens voranzutreiben, das war seine Sache nicht. Seine konsequente Haltung wurde belohnt. Als im Jahr 1902 die US-Truppen abzogen und überall im Land endlich freie Wahlen stattfinden konnten, kehrte er als Bürgermeister ins Rathaus von Santiago zurück. Mit überwältigender Mehrheit hatten sich die Bürger Santiagos für ihn als Stadtoberhaupt entschieden. Der Rum-Unternehmer machte dort weiter, wo er 1898 aufgehört hatte. »Zunächst halbierte er, zum Erstaunen aller, sein eigenes Gehalt. Er ließ öffentliche Gebäude und neue Bibliotheken bauen; er ließ den Platz vor der Kathedrale neu bepflanzen und verschönern; er verbot die Prostitution; er stellte sicher, dass alle religiösen Richtungen toleriert wurden; er beschäftigte zum ersten Mal Frauen als Angestellte im Rathaus; mit Blick auf den neuen Panama-Kanal ließ er den Hafen ausbauen, und 1905 erhielt Santiagos zentraler Platz elektrische Beleuchtung.«7 Bemerkenswert war seine Entscheidung, Eigentum zu besteuern, denn schließlich betraf dies auch ihn als einen der wohlhabendsten Unternehmer der Stadt. Von einem Teil der Einnahmen wurden die von ihm eingerichteten Volksküchen finanziert. Aber er konnte nicht an allen Fronten erfolgreich sein. Zwar verweigerte er alten Mitstreitern gute Posten, weil er die politische »Vetternwirtschaft« ausschalten wollte, aber er konnte nicht verhindern, dass sich schon bald nach seinem Amtsantritt Korruption und Stimmenkauf in jeder Form und auf jeder Ebene einschlichen. Im März 1906 gab er seinen Posten als Bürgermeister auf, um als Senator nach Havanna zu gehen. Es sollte ein kurzes Zwischenspiel in der nationalen Poli-

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tik bleiben, denn drei Monate nach dem Beginn der zweiten Amtszeit des von den USA protegierten Präsidenten Tomás Estrada Palma spitzte sich die innenpolitische Situation so dramatisch zu, dass sich der Präsident gezwungen sah, die USA um Hilfe zu bitten. Das »Platt Amendment« zeigte Wirkung.

Bacardí-Boom mit »Cuba Libre« – Beginn des goldenen Cocktailzeitalters Im September 1906 kehrte Emilio Bacardí y Moreau nach Santiago zurück. Mehr als enttäuscht von der Entwicklung legte er alle politischen Ämter nieder. Nun konnte er sich wieder ausschließlich dem Geschäft und seinen literarischen Neigungen widmen. Als Emilio wieder aktiv in das Firmenleben einstieg, liefen die Geschäfte gut – dank des unermüdlichen Einsatzes von Master Blender Facundo Miguel und des kaufmännischen Fingerspitzengefühls von Schwager Enrique Schueg Chassin. Aber nicht allein die Professionalität der Firmeninhaber war für die guten Geschäfte verantwortlich, glückliche Umstände kamen hinzu. 50 000 amerikanische Besatzungssoldaten wollten mit Rum versorgt werden. Am liebsten tranken ihn die harten Jungs im Cocktailglas. »Cuba Libre« und »Daiquirí« wurden über Nacht zu Hits und gehören bis heute weltweit zum Standardrepertoire eines jeden Barkeepers. Der Daiquirí soll im Jahr der spanischen Kapitulation kreiert worden sein, und zwar von Jennings S. Cox, einem amerikanischen Ingenieur, der in der Kupfermine von Daiquirí arbeitete. Wegen der tropisch schwülen Hitze an der Südostküste Kubas erhielten die leitenden Angestellten von ihrem Arbeitgeber nicht nur ein ungewöhnlich hohes Salär, sondern auch mietfreie Wohnungen und monatlich ein bestimmtes Kontingent an Zigarren sowie 5 Liter Bacardí der Marke »Carta Blanca«. Mr. Cox, der auf Fotos den Eindruck eines Genussmenschen macht, soll ein geradezu zwang-

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hafter Mixer gewesen sein. Eines Tages überraschte er die Kollegen mit einem Erfrischungsgetränk, das Anklang fand: Carta Blanca, frisch gepresster Zitronensaft, Zucker, zerstoßenes Eis – alles ausreichend lange im Shaker herumgeschüttelt und dann hinein ins Glas. Wie es in einer Firmenbroschüre heißt: »Die süßlich-herbe Kombination aus Limonensaft und Zucker mischte sich perfekt mit der seidigen Feinheit von Bacardí Carta Blanca.«8 Als er sich dann eines Tages bei einem Besuch in Santiago an der Bar des eleganten Hotels Venus die Mischung bestellte, soll Cox gerufen haben: »Wir haben diese köstliche Mischung nun schon eine Weile getrunken. Findet ihr nicht, dass es Zeit ist, das Getränk zu taufen?« Die Runde stimmte zu, und Cox hatte einen Geistesblitz: »Wir sollten es Daiquirí nennen, in Erinnerung an die Minen.« Noch ehe der Daiquirí das andere Ende Kubas erreicht hatte, begann von Havanna aus der Siegeszug des Cocktails »Cuba Libre«. Ein amerikanischer Leutnant wird für diese Mischung aus Coca-Cola, Rum, Zitronensaft, Zucker und Eis verantwortlich gemacht. Mit dem Bacardí-Boom, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Insel erfasste, begann für die Firma eine neue Ära: das goldene Cocktailzeitalter. Natürlich wollten die nach Hause zurückgekehrten US-Soldaten auch weiterhin diese köstlichen Cocktails trinken, die sie auf Kuba kennen gelernt hatten. Die kostenlose Mundpropaganda ließ die Kassen klingeln. Auch die Kubaner fanden Gefallen an »rum and coke«. Außerdem konnten die Bacardís weiterhin mit alten und neu hinzugekommenen Auszeichnungen werben. Im Jahr 1900 hatten sie in Paris eine Goldmedaille erhalten, 1901 eine weitere in Buffalo und schließlich 1904 eine in St. Louis. Im Jahr 1910 wagten sie mit dem Bau einer Abfüllanlage in Barcelona den Schritt nach Übersee. Und 1911 nahmen sie endlich Abschied von der alten Destillieranlage, die John Nunes 38 Jahre in Betrieb gehabt hatte und die Bacardís fast 50. Im Jahr 1915 wurde die Fabrik in Santiago modernisiert und erweitert – gerade rechtzeitig, um der spektakulär ansteigenden Nachfrage gerecht zu werden. Der Erste

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Weltkrieg erwies sich für die Rumfabrikanten als Glücksfall. Je größer auf dem US-Markt die Lieferengpässe für Weine, Champagner und Cognac wurden, desto größer wurde die Nachfrage nach Rum. Die US-amerikanischen Konsumenten stellten sich schnell um, und Bacardí reagierte mit der Eröffnung einer Abfüllanlage in New York. Es ging so steil nach oben, dass die Firmeninhaber die Umwandlung in eine familieneigene Aktiengesellschaft vornahmen. 1919 wurde aus Bacardí y Cia die Compañía Ron Bacardí S.A. Die Brüder Emilio und Facundo Miguel sowie der Schwager Enrique erhielten je 30 Prozent der Aktien, jedes dieser Pakete hatte einen Wert von über 1 Million US-Dollar. Die restlichen 10 Prozent erhielten José, Antón und Joaquín Bacardí, die Söhne des jüngsten Bruders José. Dieser war nach Havanna gezogen, hatte von dort aus den internationalen Vertrieb organisiert und war 1907 gestorben. Es spricht für den Familiensinn der Bacardís, dass sie bei der Umwandlung der Firma die drei Söhne ihres jüngsten Bruders beteiligten. Aber man konnte großzügig sein, denn bei dem spektakulären Wachstum des Unternehmens blieb genügend Geld für alle übrig. Innerhalb von sieben Jahren war der Umsatz von 180 000 auf 3,7 Millionen Pesos gestiegen – was damals in etwa der gleichen Summe in US-Dollar entsprach. Und ein Ende des Booms war nicht in Sicht, ganz im Gegenteil. Die Ära der Prohibition in den USA sollte den Umsatz noch einmal steigern.

Emilio Bacardí y Moreau – ein »großer Kubaner« Emilio Bacardí war nun der Präsident der Compañía Ron Bacardí, Bruder Facundo Miguel der erste Vizepräsident, Enrique Schueg Chassin der zweite. Doch Emilio beschäftigte sich längst nicht mehr mit Bilanzen, Produktentwicklungen und Vertriebsstrategien, dafür war inzwischen sein Schwager Enrique zuständig. Auch der Politik

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hatte er nach einem letzten kurzen Ausflug in das Stadtparlament von Santiago den Rücken gekehrt. In seinen letzten Lebensjahren ging er mehr und mehr seiner eigentlichen Berufung nach: der Kunst und dem Schreiben. In einem Nachruf sollte es später heißen: »Er war für die Kunst geboren: Er verfehlte seine eigentliche Berufung. Er hasste Zahlen. Es war sein Unglücksstern, der ihn zum Geschäftsmann machte.«9 Es ist erstaunlich, dass Emilio neben seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen und seinem nervenaufreibenden Engagement für die Politik noch Zeit fand, Essays, Romane, Dramen und Geschichtswerke zu verfassen. Schon in den sechziger Jahren hatte Emilio Bacardí als Mitglied der Gruppe »Librepensador Victor Hugo« Artikel für Zeitungen und Zeitschriften verfasst und natürlich auch später während seiner Zwangsaufenthalte in Nordafrika seine Gedanken, Beobachtungen und Erlebnisse aufgezeichnet. Einer seiner Romane trägt den Titel Via crucis und schildert die Geschichte einer Plantagenbesitzerfamilie im Zehnjährigen Krieg. Eigene Kriegserfahrungen mögen in die Geschichte eingeflossen sein, die Kritik bescheinigte Emilio Bacardí zwanzig Jahre später durchaus literarisches Talent. Trotz der intimen realpolitischen Kenntnisse des Autors sei der Roman keine historische Dokumentation, sondern ein genau und objektiv erzähltes Familiendrama, geschrieben im Stil Gustave Flauberts und Emile Zolas, ohne jedoch deren Größe zu erreichen. Später sollten noch Dramen und weitere Romane folgen. Sein wichtigstes Werk aber sind die Crónicas de Santiago. In zehn Bänden erzählt Emilio Bacardí die Geschichte seiner Heimatstadt vom Jahr 1515 bis zum Jahr 1902, zusammengestellt aus Akten und anderen Zeitdokumenten. 1899 richtete Emilio Bacardí mithilfe des amerikanischen Gouverneurs Leonhard Wood ein Städtisches Museum ein. Im Laufe der Jahre kaufte er regelmäßig Ausstellungsstücke dazu, je nach Geschäftslage der Firma und je nach Reiseziel des Ehepaares Bacardí. Emilio und Elvira reisten nun ausgiebig durch Europa, Nordafrika und Südamerika. Emilio war fasziniert von Ausgrabungen in

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Ägypten und Lateinamerika, wo er dann, mit Glück und dem notwendigen Geld, bedeutende Funde aufkaufte und im Reisegepäck nach Hause transportierte. Nie kam er ohne »Beute« zurück. Einmal kaufte der kulturbesessene Rumfabrikant eine 4 000 Jahre alte ägyptische Mumie, die er beim Zoll als »Dörrfleisch« deklarierte, um sie außer Landes zu schmuggeln. Der Bacardí-Präsident sammelte alles, was er für ausstellungswürdig hielt. Von Fossilien aller Art und jeden Alters bis zu Gemälden, Stichen und Plastiken reichte sein Interesse, von indianischem Kunsthandwerk bis zu wertvollen Drucken, alten Büchern und Militaria aus den beiden Unabhängigkeitskriegen. Sein Traum war es, die Sammlung eines Tages in einem neuen repräsentativen Museum unterzubringen, das er der Stadt Santiago schenken wollte. Leider konnte er sich diesen Wunsch zu Lebzeiten nicht mehr erfüllen. Als Elvira Cape 1928 dem Vertreter der Stadt die Schlüssel für das Museo Emilio Bacardí y Moreau übergab – ein prächtiger Bau im neoklassischen Stil – war der Mäzen schon sechs Jahre tot. Emilio Bacardí y Moreau stirbt am 28. August 1922. Nicht nur die Familie trauert, sondern ganz Santiago. Zwei Tage lang ist das öffentliche Leben unterbrochen, Veranstaltungen werden abgesagt, alle Cafés bleiben geschlossen. Über 40 000 Menschen nehmen an der Beerdigung des ehemaligen Bürgermeisters teil, darunter Vertreter der kubanischen Regierung und des diplomatischen Corps, Intellektuelle und Künstler aus Lateinamerika und Europa. Die Stadt hatte mehr verloren als nur einen kunstsinnigen und menschenfreundlichen Rumfabrikanten: Santiago trauerte um den Verlust eines Patrioten. Mit Emilio Bacardí y Moreau wurde ein herausragender Vertreter jener Generation zu Grabe getragen, die Jahrzehnte ihres Lebens für ein freies Kuba gekämpft hatte, für einen souveränen Staat, eine unabhängige Republik. Die Kondolenzliste ist lang. Persönlichkeiten aus ganz Kuba tragen sich ein, darunter auch Präsident Alfredo Zayas. Leonhard Wood, ehemaliger Mentor, schreibt aus Manila an die Witwe: »Meine Frau und ich erinnern uns gerne an die Zeit in Santiago,

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und zu den angenehmsten Erinnerungen gehört die Zusammenarbeit mit ihrem Mann, der immer dann energiegeladen zugepackt und geholfen hat, wenn er überzeugt war, Gutes für Kuba tun zu können.«10 Unter der Überschrift »Kubas größter Brauer ist tot«, heißt es in der Havanna Post: »Kuba verliert mit Emilio Bacardí einen Mann, der sich ein Leben lang für die Unabhängigkeit unseres Landes eingesetzt hat.« Er sei ein wahrer Philanthrop gewesen, der immer gegeben habe, wenn eine Sache seiner Meinung nach Unterstützung verdiente. Und im Heraldo de Cuba war zu lesen: »Der Tod des großen Kubaners ist traurig in dieser Zeit der nationalen Unsicherheit, in der Menschen seiner Art so notwendig sind: unabhängig, patriotisch und ehrenwert.«11

Der »American way of life« hält Einzug auf Kuba Im Jahr 1922, dem Todesjahr Emilio Bacardís haben sich viele der einst gehegten Hoffnungen zerschlagen. Eine Regierung nach der anderen war wegen korrupter Verstrickungen oder schlichtweg wegen Unfähigkeit aufgelöst oder aus dem Amt gejagt worden. Wegen der unlösbaren innenpolitischen Konflikte hatte Präsident Estrada 1906 sogar die Amerikaner zu Hilfe gerufen. Erst 1909 verließen die US-Truppen endgültig das Land, aber da gab es schon nichts mehr zu retten. Kuba war längst in eine neue Abhängigkeit geraten. Statt der Spanier waren es nun die Wirtschaftsmagnaten aus dem Norden, die Kuba in Besitz nahmen. Über fein ausgeklügelte Handelsverträge gelang es ihnen, Kuba immer enger an die US-Wirtschaft anzukoppeln. Schon 1902 boten die USA Zollsenkungen von 20 bis 40 Prozent für einige kubanische Exportwaren an, darunter Rohrzucker und Tabak. Im Gegenzug musste Kuba Zollsenkungen von 20 bis 40 Prozent auf über 500 Importprodukte aus den USA zusichern. Nach Ansicht von Frank Niess verschärfte dieser Vertrag »die strukturelle Abhängigkeit Kubas,

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indem er das Land zum wichtigsten Rohrzuckerfabrikanten der Vereinigten Staaten machte, während alle Kapitalgüter, die meisten Fertigprodukte und viele Rohstoffe und Nahrungsmittel importiert werden mussten«.12 Mit dieser Strategie ging die »wirtschaftliche Annexion« der Insel schneller voran als erwartet und das Ziel, die traditionellen Handelsbeziehungen zu Spanien zu schwächen, war bald erreicht. Schon im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts setzte sich der »American way of life« im Alltag der Kubaner durch. Waren »made in USA« überschwemmten den Markt. Und weil Kuba im Norden als »Kuh mit goldenen Eutern« galt, rissen sich US-Kapitalisten darum, ihr Geld auf der Insel zu investieren. Waren es 1906 noch an die 120 Millionen US-Dollar, die auf der Insel angelegt wurden, so stieg die Summe der Investitionen bis 1913 auf 220 Millionen und schnellte bis 1929 auf 919 Millionen US-Dollar hoch, ehe die Weltwirtschaftskrise dem Transfer der Millionen in karibische Gefilde vorerst ein Ende setzte. So hatten sich die kubanischen Patrioten die Freiheit sicher nicht vorgestellt. Wo immer man hinblickte: Wenn es darum ging, Geld zu verdienen, waren die USA schon da. Nordamerikanische Unternehmen hatten gleich nach Kriegsende im Jahr 1898 Land und Zuckermühlen aufgekauft und modernisiert und damit die Mühlen der kleinen Produzenten ruiniert; die Elektrizitäts- und Gaswerke waren in amerikanischen Händen, ebenso wie die Telefongesellschaften, viele Minen und Tabakplantagen und die meisten Banken. Und obwohl die Viehzucht eine Domäne der Kubaner blieb, wurde die Fleischverwertungsindustrie von den USA aus gesteuert. Die wirtschaftliche Dominanz der Nachbarn aus dem Norden hatte selbstverständlich Folgen für die Innen- und Finanzpolitik des Landes. Nicht der Präsident Kubas fällte die Entscheidungen, letzte Instanz war in vielen Fällen der US-Botschafter in Havanna. Die informelle Annexion Kubas war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts so gut wie abgeschlossen. Für die Compañía Ron Bacardí war diese Entwicklung nicht von Nachteil, ganz im Gegenteil. Die Bacardís waren es, die den Ame-

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rikanern die Dollars aus der Tasche zogen, denn die Zeit der Prohibition in den USA, die von 1920 bis 1933 dauerte, bringt der Firma explodierende Verkaufszahlen im eigenen Land. Amerikanische Touristen überschwemmen in dieser Zeit die Insel, von denen keiner abends nüchtern ins Hotelbett fällt. Das goldene Zeitalter der Cocktails ist vor allem ein goldenes Zeitalter für die Bacardís.

3 . » F l y i n g t o h e ave n . « Bacardí und die Prohibition

Eines der letzten Fotos aus dem Leben Emilio Bacardí Moreaus zeigt den Präsidenten der Compañía Ron Bacardí als Patriarchen einer rasant gewachsenen Familie. Er sitzt im Garten seines Landhauses Villa Elvira, umgeben von 16 Enkelkindern. Wie die Orgelpfeifen flankieren sie rechts und links den Großvater. Neben dem Stuhl des freundlich und gelassen in die Kamera blickenden Patriarchen stehen die beiden Jüngsten, noch nicht einmal drei Jahre alt. Wenn Enkel Daniel Bacardí Rosell später gefragt wurde, welche Erinnerungen er an seinen Großvater habe, erzählte er gerne die Geschichte vom »abgerissenen Blatt«. Bei seinem Besuch im Stadthaus der Großeltern hätte er als Kind einmal im Vorübergehen Blätter einer Grünpflanze mit den Fingern abgeschnipst. Großvater Emilio hätte das gesehen, ihn zu sich gerufen und gefragt, ob er es gerne hätte, wenn man ihm ein Ohr abreißen würde. Natürlich nicht, musste Daniel zugeben. Dann solltest du ohne Not auch niemals ein Lebewesen verletzen, belehrte ihn der Großvater. Und auch Pflanzen seien Lebewesen.

¡Ay, la familia! – Aus der Familienchronik Als das Foto entsteht, ist der Bacardí-Clan noch einigermaßen überschaubar. Zwölf Söhne und zehn Töchter – Kinder von Emilio, Facundo Miguel, José und Amalia – bilden zu Beginn der zwanziger

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Jahre den Kern der dritten Generation. Am zahlreichsten vertreten ist die Linie von Emilio Bacardí. Aus der ersten Ehe mit Maria Lay Berlucheau stammen sechs Kinder: Emilio, der nur »Emilito«, der kleine Emilio genannt wird, das Zwillingspärchen José und Facundo, die Töchter Maria und Carmen sowie Daniel Bacardí Lay. Emilios zweite Frau bringt vier Töchter zur Welt: Maria, Lucia, Adelaida und Amalia. Bruder Facundo Miguel, verheiratet mit Ernestine Gaillard Darrigol, hat eine wesentlich kleinere Familie. Als er 1926 stirbt, teilen sich die Töchter Maria und Laura sowie die beiden Söhne Luis und Facundo, genannt Facundito, das 30-Prozent-Aktienpaket. Nur fünf Enkelkinder betrauern den Tod des Großvaters. Die drei Söhne von José Bacardí y Moreau, Besitzer von 10 Prozent des familiären Aktienkapitals, sind in den zwanziger Jahren mit weniger als zehn erbberechtigten Nachkommen im Clan vertreten. Umfangreicher präsentiert sich hingegen der Familienzweig von Schwester Amalia. Sie hat mit Enrique Schueg Chassin fünf Kinder: Arturo, der im Ersten Weltkrieg fällt, Lucia, Jorge, Enriqueta und Victor. Lucia, die Edwin Nielsen heiratet, hat drei Kinder; Sohn Jorge, verheiratet mit Gladys Freites, ist Vater von vier Kindern; Enriqueta, verheiratet mit Pepín Bosch, dem späteren Präsidenten der Companía, hat zwei Söhne; die Ehe von Victor und Marcía Facey bleibt offenbar kinderlos. Als Großmutter erlebt Amalia einen wahren Babyboom, im Schnitt haben die Enkel und Enkelinnen vier Kinder, sodass in den fünfziger Jahren mehr als zwanzig Urenkel an Familienfesten im Hause Bosch teilnehmen. Bis zur Emigration Ende der fünfziger Jahre geht der Stammbaum der Bacardís derartig in die Breite, dass Querverbindungen zwischen den einzelnen Linien schon ein gewisses Interesse an Ahnenforschung voraussetzen. Heute zählt der Clan über 600 Mitglieder, bei Familientreffen müssen die Verwandten einander vorgestellt werden. Wo immer man in den zwanziger Jahren hinschaut, die Genera-

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tion der Enkel und die Urenkel des Firmengründers Don Facundo wachsen unter großbürgerlichen, zum Teil luxuriösen Bedingungen auf. Sie leben in palastähnlichen Villen, umgeben von weitläufigen Grünanlagen, behütet und umsorgt von loyalen Dienstboten. Ihre Eltern besitzen teure amerikanische Autos. Selbstverständlich werden die jungen Bacardís auf die besten amerikanischen Colleges geschickt, reiten im Country Club und spielen Tennis im Club von Vista Alegre. Dort vor allem, in der großzügig angelegten Gartenstadt vor den Toren Santiagos, residieren die reichen Familien: die Navarretes und Espinosas, die Boschs, Rousseaus und Mestres. Sie leben in Prachtbauten mit Freitreppen und Säulen, Erkern und Türmen, schmiedeeisern verzierten Balkonen und Terrassen. Ohne das Kapital dieser alteingesessenen Kaufleute, Viehzüchter und Industriellen läuft nichts in der Region, sie kontrollieren die Wirtschaft und damit selbstverständlich auch die Politik. Es sind viele Geschichten überliefert, die illustrieren, wie weit sich die Familie Bacardí inzwischen von den Wurzeln des alten Don Facundo entfernt hatte. Stadtgespräch wurde eine Episode, die sich auf offener See in der Nähe des Yachtclubs abgespielt hatte. Ein junger Bacardí war mit seinem Boot gekentert und wäre fast ertrunken, wenn ihn nicht ein Fischer gerettet hätte, der gerade in der Nähe seine Netze einholte. Am nächsten Tag soll der Bacardí im Dorf des Fischers erschienen sein. Natürlich vermutete alle Welt, er würde sich bei dem Fischer mit einem Geschenk bedanken wollen. Stattdessen soll er gefragt haben: »Sag mal, Fischer, kannst du dich erinnern, wo meine Tennisschuhe geblieben sind, die ich gestern anhatte, als ich ins Wasser gefallen bin?« Als der Fischer mit den Achseln zuckte, soll er grußlos davongegangen sein. Natürlich sind auch andere Geschichten überliefert, die von der Bescheidenheit und Menschlichkeit der Reichen und Mächtigen künden. Doch auch diese Anekdoten unterstreichen einmal mehr die Macht, die die Bacardís inzwischen erlangt hatten. Ignacio, ein ehemaliger Buchhalter der Firma, erinnert sich beispielsweise gerne an eine der Begegnungen, die er während seiner Lehrzeit mit Luis,

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einem Sohn Facundo Miguels, hatte. Dieser hatte ihn um einen Kurierdienst gebeten und nach getaner Arbeit in eine der nobelsten Bars in Santiago de Cuba, den Club 300, bestellt. Dort behandelte Luis den jungen Mann wie einen Freund, empfahl ihm einen Drink und bot ihm schließlich das Du an, mit der Bemerkung: »Du und ich, wir sind beide gleichwertige Menschen. Der einzige Unterschied zwischen uns ist doch, dass ich mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und du nicht. Aber das ist schließlich nicht mein Verdienst.« Allerdings musste der Lehrling ihm versprechen, ihn in der Firma weiter zu siezen. Am nächsten Tag bestellte er den jungen Mann in das feine Hotel Casa Granda, lud ihn zum Essen ein und schenkte ihm eine Kiste Zigarren. Lehrling Ignacio wehrte stotternd alle Zuwendungen ab, aber Luis erklärte nachdrücklich, dass er für die verlorene Freizeit entschädigt werden müsse – schließlich hätte er nicht als Lehrling der Firma agiert, sondern sei für die Erledigung einer privaten Angelegenheit engagiert worden. Eine ganz ähnliche Geschichte hat der in Santiago lebende Stadthistoriker Duharte über einen namentlich nicht weiter bekannten Bacardí ausgegraben. Dieser junge Bacardí stand mit einer Frau am Arm vor dem Club 300. Als er eintreten wollte, versuchte der Portier, ihn daran zu hindern. Die Dame an der Seite des jungen Bacardí sei eine Prostituierte, und »leichte Mädchen« dürften diesen Club der Feinen und Reichen nicht betreten. »Sie dürfen selbstverständlich hinein, Señor Bacardí, aber Ihre Begleiterin nicht. Sie kommt aus einem zwielichtigen Milieu.« Doch der junge Bacardí schob den Portier zur Seite und erwiderte: »Zwielichtig sind die Herrschaften da drinnen, meine Begleiterin kommt aus einem eindeutigen Milieu. Sie ist eine ehrbare Dirne.« Ohne Zweifel, die Jeunesse dorée verstand es, sich zu vergnügen. Für die jungen Frauen der Familie boten der Country Club und der Tennis Club in Vista Alegre vor allem die Möglichkeit, nach geeigneten Männern aus den eigenen Kreisen Ausschau zu halten. Beim Tennisspielen lernte zum Beispiel Enriqueta, die Tochter von Enrique Schueg und Amalia Bacardí, den jungen José Pepín Bosch kennen,

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der aus einer der wohlhabendsten Familien Santiagos stammte und später Schuegs Nachfolger als Präsident der Compañía Ron Bacardí werden sollte. Trotz des kontinuierlich wachsenden Reichtums wurde bei den Bacardís bis in die dritte und vierte Generation hinein die Erinnerung an das katalanische Erbe wach gehalten. Und dazu gehörte der Lehr- und Leitsatz: »Im Leben wird dir nichts geschenkt. Du musst dir alles selbst erarbeiten.« Angeblich mussten alle Familienangehörigen, die in das Rum-Business einsteigen wollten, in der Firma ganz unten anfangen. Manchmal ging es nur um Monate, aber jeder musste einmal im Lager gearbeitet haben, in der Abfüllanlage oder im Vertrieb. Bescheidenheit gehört zu den Tugenden, die von der Familie geschätzt werden, auch Fleiß und eine gewisse Großzügigkeit, wenn es darum geht, wohltätig zu sein. Obwohl einige der Bacardís es vorzogen, sich dem süßen Nichtstun hinzugeben und ihr Geld mit beiden Händen auszugeben, wurden nach wie vor viele wichtige Positionen im Betrieb von Familienmitgliedern besetzt. Als zuverlässig und fleißig galt beispielsweise Joaquín Bacardí Fernández, der jüngste Sohn von José Bacardí y Moreau. Er hatte an der Harvard Universität ein Diplom als Ingenieur erworben und war in Dänemark zum Bierbrauer ausgebildet worden. Nach Kuba zurückgekehrt, übernahm er 1927 die Produktionsleitung in der familieneigenen Bierbrauerei. Dort wurde ab 1927 die Marke »Hatuey« hergestellt, die schon bald zu den Marktführern auf Kuba gehörte. Hoch geschätzt waren sein Können und seine Loyalität, ins Lächerliche gezogen wurde gerne seine außerordentliche Sparsamkeit, für die in der Familie wenig Verständnis aufgebracht wurde. Der spätere Präsident Pepín Bosch, der sich gerne auf Kosten anderer lustig machte, erzählte in Herrenrunden zu fortgeschrittener Stunde gerne die frei erfundene Geschichte von seinem Besuch bei einem New Yorker Arzt, der in der Lage war, das wichtigste Organ des Mannes bei mangelnder Funktionstüchtigkeit auszutauschen. Die Transplantation hatte jedoch ihren Preis: 40 000 Dollar. Als Joaquín von Pepín erfährt, wie gut

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es ihm mit seinem neuen Penis geht, will er sich auch operieren lassen. Er fliegt nach New York, zuckt aber zusammen, als er den Preis erfährt. 40 000 Dollar sind ihm zu viel. Er handelt und handelt und schafft es schließlich, den Preis auf 10 000 Dollar zu drücken. Die Transplantation findet statt. Als Pepín ihn nach einigen Wochen fragt, ob alles in Ordnung sei, beklagt sich Joaquín bitter. Nein, er hätte genau dieselben Probleme wie vor der Transplantation. Pepín wundert sich und fragt beim nächsten Arztbesuch nach, was denn schief gelaufen sei mit Joaquín. »Gar nichts«, sagt der Arzt, »aber er wollte nicht 40 000, sondern nur 10 000 Dollar bezahlen, und da habe ich ihm Ihren alten gegeben.«

Der Schwiegersohn als neuer Präsident Nach dem Tod Emilios im Jahr 1922 stellte sich die Frage nach der Nachfolge in der Unternehmensführung. Aus der Familie Emilios kam keiner der männlichen Erben in Frage. Emilito, der älteste Sohn Emilios, der schon mit 18 in den Unabhängigkeitskrieg gezogen war, hatte als Adjutant des großen Generals Antonio Maceo offenbar sprichwörtlich sein Pulver verschossen. Er soll nach Kriegsende nie mehr gearbeitet haben, jedenfalls nicht im väterlichen Unternehmen. Gelegentlich sah man ihn bei Empfängen der Bacardís, ansonsten genügten ihm die Dividenden aus dem ererbten Aktienanteil. Es heißt, Emilios Bruder Facundo Miguel wäre gern Präsident geworden. Nachdem jedoch klar war, dass er den Posten nicht übernehmen würde, soll er Santiago gekränkt verlassen haben, um bis zu seinem Tod im Jahr 1926 die Winter in Havanna und die Sommer in seinem Landhaus in Allenhurst in New Jersey zu verbringen. Auch seine beiden Söhne Luis und Facundo, genannt Facundito, wurden als Nachfolger gehandelt. Insbesondere Facundito schien

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für die Aufgaben des Präsidenten wie geschaffen. Er hatte in den USA studiert und war schnell zum Vizepräsidenten aufgestiegen. Er war äußerst kontaktfreudig und repräsentierte das Unternehmen im In- und Ausland mit Erfolg. Bewundert wurden seine Sportboote und seine elegante Yacht. Er führte gern ausländische Touristen durch die Fabrik und vermittelte bei seinen Führungen charmant das ABC der Rumproduktion. Beim abschließenden Umtrunk in der Bar demonstrierte er an praktischen Beispielen den Unterschied zwischen weißem und braunem Rum, und das so ausgiebig, dass manches Opfer der Prohibition die Bar der Firma Bacardí nicht nur einmal aufsuchte. Doch Facundito konnte die Hoffnungen seines Vaters nicht erfüllen, denn er starb früh einen tragischen Tod. Das Unglück ereignete sich in der Rialto Bar. Bei einem, wie es später hieß, »harmlos freundlichen« Gerangel mit einem Polizisten, hatte sich aus dessen ungesicherter Pistole ein Schuss gelöst. Die Kugel drang in den Unterleib und musste in einer komplizierten Operation entfernt werden. Die Verletzungen waren schwer, und als eine doppelte Lungenentzündung dazu kam, starb Facundito, knapp 40-jährig, ohne einen Nachkommen zu hinterlassen. Facunditos Bruder Luis kam als Nachfolger weniger in Frage. Von Anfang an hatte er es schwer, in der Firma Fuß zu fassen. Luis litt unter panischer Angst vor Infektionen. War er gezwungen, jemandem die Hand zu geben, stürzte er umgehend davon, um sich die Hände mit Alkohol zu desinfizieren. Zwar hielt Luis nach dem Tod seines Bruders 30 Prozent der Anteile an der Compañía Ron Bacardí, und für kurze Zeit übernahm er sogar das Amt eines Vizepräsidenten. Doch er machte sich mehr als Intrigant einen Namen, trug nie wirklich Verantwortung im Unternehmen und überwarf sich schließlich sogar mit Schuegs Nachfolger. Schließlich entschied sich die Familie für Enrique Schueg Chassin als neuen Präsidenten der Compañía Ron Bacardí. Enrique war seit langem der agile Ideenspender und Macher. Immer wenn es darum ging, das Unternehmen aus einer kniffeligen Situation heraus zu manövrieren, glänzte er mit subtilen Rettungsstrategien. Als bei-

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spielsweise 1920 in den USA die Herstellung und der Verkauf alkoholhaltiger Getränke verboten wurden, schien sich ein Desaster für die kubanischen Spirituosenhersteller und Exporteure wie die Bacardís anzubahnen, die aufgrund der boomenden Rumnachfrage während des Ersten Weltkrieges im Jahr 1916 in New York eine eigene Abfüllanlage eröffnet hatten. Vier Jahre später, als die Prohibition in die Verfassung der Vereinigten Staaten aufgenommen wurde, lagerten in Manhattan noch 60 000 Kisten Rum der Compañía Ron Bacardí. Enrique Schueg bewies in diesem kritischen Moment sein Talent als pfiffiger Geschäftsmann. Er löste die New Yorker Company auf, indem er 60 000 Aktien ausgab. Pro Aktie erhielten die Käufer eine Kiste Rum. Das Problem war damit vom Tisch, der Schaden begrenzt. Als Schueg die Leitung der Compañía Ron Bacardí übernahm, verfügte das Unternehmen über ein Vermögen von geschätzten 6 Millionen Pesos, etwa 6 Millionen US-Dollar. Die Bacardís besaßen eine moderne Destillieranlage und ein Gebäude, in dem das Zuckerrohr fermentiert wurde; ein Lager, in dem gut 20 Millionen Liter Rum reifen konnten, eine Kistenfabrik, eine Flaschenfabrik, eine Kühlfabrik, ein Elektrizitätswerk, Tankwaggons für den Transport der Melasse von der Zuckerrohrfabrik zur Destillieranlage, Eisenbahnwaggons, ein Warenlager, eine Schreinerei, eine Gießerei und diverse andere Werkstätten. Schueg setzte auf weitere Expansion. Schon lange arbeitete er daran, mittels Werbung und einer Erweiterung der Produktpalette den Umsatz zu steigern. Die Abfüllanlage in Barcelona war ein erster Schritt, sich grenzüberschreitend auszudehnen, die Niederlassung in New York ein zweiter. Sein Traum war es, Bier zu produzieren, das mindestens so gut war wie der Rum der Firma. Daher stellte er Anfang der zwanziger Jahre, kurze Zeit nach seiner Übernahme der Geschäfte, die Weichen für den Bau einer Bierbrauerei.

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»Flying to heaven!« – Glücksfall Prohibition Als am 16. Januar 1920 mit dem Amendment 18A die Ära der Prohibition in den USA begann, glaubte kaum jemand an den langfristigen Erfolg der harschen Alkoholpolitik. Und es kam, wie Zweifler es vorausgesehen hatten: Trotz scharfer Kontroll- und Strafmaßnahmen für alle, die heimlich Alkohol herstellten oder vertrieben, nahm der Alkoholkonsum in den USA nicht etwa ab, sondern sogar zu. Schwarzbrennerei und Alkoholschmuggel versprachen hohe Profite. Geheime Lieferanten, die so genannten Bootleggers, versorgten Großkunden wie Restaurants, Hotels und Clubs mit allem, was gewünscht wurde. Scheinfirmen auf den Bahamas, den Bermudas oder im Fernen Osten, vornehmlich in Shanghai, gaben die Bestellungen auf. Die Lieferungen kamen jedoch selten am Bestellungsort an oder aber lagerten dort nur kurz, um in Richtung »rum row« weiterbefördert zu werden. Umgeschlagen wurde die heiße Ware auf hoher See, jedoch in Reichweite der amerikanischen Küste. Die Schmuggler fuhren mit schnellen Motorbooten an die Frachter heran, luden um und brachten dann die Rum-, Gin- oder Whisky-Kisten an den Küstenwachen vorbei an Land – meist auf der Höhe von Boston oder New York. Hinter dem Schmuggel steckte die Mafia, die dank der Prohibition zwischen 1920 und 1933 zu einem Staat im Staate aufstieg. Bis zu 1 000 Gangster dienten zeitweilig in der »Undergroundarmee« von Al Capone, einem der kaltblütigsten Bosse unter den Mafiosi. In den besten Jahren soll er allein zwischen 60 und 100 Millionen USDollar jährlich am Alkoholschmuggel verdient haben. Vor der Prohibition hatte es in New York etwa 30 000 Saloons mit Alkoholausschankgenehmigung gegeben. Zehn Jahre später wurden doppelt so viele so genannte Speak-easys registriert. Und immer öfter wurde in den Clubs, Bars und Hinterzimmern der Spielsalons Rum verlangt. Er sei billiger als Whisky und besser als Gin, hieß es. »Bacardí beging kein Verbrechen, indem sie ihren Rum an Alkoholschmuggler verkauften, die für eine große Nachfrage nach

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Bacardí-Rum sorgten«, behauptet Peter Foster in seiner Familienbiografie.1 Obwohl schwer vorstellbar ist, dass das clevere Management von Ron Bacardí nicht wusste, wer hinter den lukrativen Bestellungen aus Nassau oder Shanghai steckte, machte man sich gewiss nicht strafbar, wenn man an Strohfirmen und Scheinadressen lieferte. Nach kubanischem Recht jedenfalls hatte jeder Produzent freie Hand bei der Wahl seiner Handelspartner. Und da moralische Kriterien im Geschäftsleben selten eine Rolle spielen, gibt es im Falle Bacardí nur eine Schlussfolgerung: Die Prohibition war für das Unternehmen ein Glücksfall. Wie so oft im Leben: Das Glück ist mit den Tüchtigen und den Skrupellosen. Und tüchtig war schon damals, wer verstand, geschickt für sein Produkt zu werben. Im Hinblick auf Werbung und Vermarktung waren die Bacardís ihrer Zeit voraus. Ein sehr geschickter Schachzug von Enrique Schueg Chassin war zum Beispiel der Bau des »Edificio Bacardí« im Jahr 1924. Das Gebäude sollte ausschließlich repräsentativen Zwecken dienen und der Familie ein Denkmal setzen. Die Firma nutzte lediglich zwei Stockwerke, in den drei restlichen wurden Büroräume vermietet. Der amerikanische Architekt Maxfield Parrish hatte den fantasievollen Art-décoBau entworfen – ästhetisch gefällig, mit verspielten Elementen neben streng geometrisch angeordneten Mustern und Ornamenten. Den Abschluss des fünfstöckigen Gebäudes bildete ein gestaffelter Turm aus bemalten Ziegeln und farbigem Terracotta. In den Innenräumen beeindruckte vielfarbiger Marmor aus den unterschiedlichsten Ländern Europas. Es gab Friese aus fein gearbeiteten braunen und blauen Fliesen und auf dem Dach des Gebäudes war eine Kugel installiert, auf der mit halb ausgebreiteten Flügeln eine Fledermaus saß. Im Zwischengeschoss befand sich eine Cocktailbar, in die vor allem amerikanische Touristen eingeladen wurden. Sie betraten das Gebäude durch eine imposante dreiflügelige Tür, an deren Seiten schwere vergoldete Laternen hingen und sollen beim Hinausgehen voll des Lobes gewesen sein – nicht nur im Hinblick auf das freizügig angebotene Produkt der Firma Bacardí. In diesem Prachtbau

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paarten sich Stil mit Qualität und Schönheit – Werte, die mit dem Rum der Firma Bacardí in Verbindung gebracht werden sollten. In der elegant ausgestatteten Bar lernten die Touristen Kubas Stolz kennen: Daiquirís, Mojitos, Cuba Libres und das Spezialgetränk der Gastgeber, den Bacardí-Cocktail, gemischt aus Carta Blanca, Limettensaft, Grenadinsirup und viel Eis. Schuegs Werbekonzept ging auf. Der Name Bacardí prägte sich ein, allein wegen der vorzüglichen Touristenbetreuung. Schon am Flughafen wurden die Kubabesucher von einem Vertreter der Firma Bacardí in Empfang genommen und auf Wunsch umgehend zum Edificio Bacardí gebracht. Ähnlich verlief der Service in Santiago de Cuba. Dort ging es vom Schiff direkt zum kostenlosen Willkommensumtrunk in die Bar der Rumfabrik. Für die »ausgetrockneten« US-Amerikaner ein unvergessliches Kubaerlebnis, zumal dann, wenn ein echter BacardíErbe die Begrüßung übernahm. An die Gastfreundschaft der Bacardís erinnerten sich die nach Hause Zurückgekehrten ebenso gerne wie an exotische Tanzshows und Abende in den Spielcasinos. Die Reichen und Superreichen der USA, darunter Filmstars, Sportidole, Geschäftsleute und Intellektuelle, amüsierten sich in den zwanziger Jahren prächtig auf Kuba, und der Name Bacardí wurde im Laufe der Prohibitionszeit zum Synonym für ungezügelte Lebensfreude. Erlaubt schien alles, Hauptsache man konnte sich das Vergnügen leisten. Die Werbefachleute der Firma Bacardí zielten genau auf die Prohibitionsgeschädigten. Auf einer kostenlosen Werbepostkarte aus dem Jahr 1920, die man nach dem Barbesuch im Edificio Bacardí erhielt, wurden von der Bacardí-Fledermaus Rumleichen am Teufel vorbei in den siebenten Himmel gezogen. Auf einer anderen stand »Flying to heaven«: Sie zeigt Uncle Sam, an die Flügel einer Fledermaus geklammert, kurz vor der Landung auf Kuba; dort wird er schon von einem fröhlichen Zecher erwartet, der auf eine Königspalme geklettert ist und – was sonst? – eine Bacardí-Flasche in der Hand hält. Mit dem steigenden Interesse für Rum der Firma Bacardí stieg in

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den USA auch die Gefahr des Markenschwindels. In den Speakeasys wurde kräftig betrogen – kein Wunder in dem moralisch schmuddeligen Umfeld, in dem nur eins zählte: Geld verdienen und das möglichst schnell und ohne große Anstrengung. Facundito Bacardí Gaillard konnte sich eines Tages in New York persönlich von den Auswüchsen der Markenpiraterie überzeugen. Ein Freund hatte ihm versprochen, ihn nach dem Dinner in ein Speak-easy zu führen, in dem Bacardí-Rum ausgeschenkt wurde. Doch schon am Geruch erkannte der junge Vize-Präsident des Unternehmens, dass in seinem Glas billigster Fusel schwappte. Also machte man am gleichen Abend einen zweiten Versuch. Diesmal ging es in einen teuren Club. Aber auch in dem edlen Etablissement musste Facundito reklamieren, obwohl auf der vom Barkeeper benutzten Flasche das Label »Carta de Oro« klebte. Der Barkeeper ließ verärgert den Besitzer des Clubs kommen. Dieser wurde fuchsteufelswild, als Facundito ihn darauf hinwies, es handele sich in seinem Glas um alles Mögliche, nur nicht um Bacardí. »Ich betreibe das Geschäft seit nunmehr 30 Jahren und schenke Bacardí seit 20 Jahren aus. Ich verstehe was von der Sache«, soll er dem unbekannten Gast barsch geantwortet haben. »Und ich stelle Bacardí seit mehr als 20 Jahren her«, war die lakonische Antwort Facunditos. Die während der Prohibition mit seriösen Marken betriebene Piraterie zwang auch die Bacardís nach Aufhebung der Prohibition im Jahr 1933 gegen Missbrauch jeder Art vorzugehen. Erstes Opfer wurde der Besitzer einer Restaurantkette, dem nachgewiesen werden konnte, dass er Rum einer anderen Firma für den angebotenen »Bacardí-Cocktail« verwendete. Ein New Yorker Gericht entschied nach einem längeren Prozess: »Bacardí-Cocktail« dürfe ein Drink nur dann genannt werden, wenn Rum der Firma Bacardí verwendet wurde. Ein Urteil im Sinne der Firma, die damit den Missbrauch ihres Namens verhinderte.

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Experiment Mexiko – Schwiegersohn Pepín Bosch als Retter in der Not Doch auch während der goldenen Jahre der Prohibition verlief nicht alles nach Wunsch und Plan. International, aber auch national hatte sich die wirtschaftliche Lage seit Oktober 1929, dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse, extrem verschlechtert. Die USA erhoben Schutzzölle für den Zuckerimport, während gleichzeitig auf den internationalen Märkten der Zuckerpreis verfiel. Ausgerechnet in diesem Jahr erlebte Kuba die schlechteste Zuckerernte seit 1915. Die kubanische Regierung verordnete Steuererhöhungen, etwa auf den Verkauf und den Export von Rum. Um die Steuern abzuwenden, drohte Schueg, mit seiner Rumproduktion nach Mexiko abzuwandern. »Diese Drohung war zum guten Teil Bluff«2, behauptet Peter Foster, doch der Erfolg bestätigte Schuegs Schachzug. Die Drohung mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen bewog die Regierung zu einer Ausnahmeregelung für die Rumindustrie. Aber dieses Entgegenkommen beruhigte Schueg keineswegs. Die politische und ökonomische Situation erschien dem weitsichtigen Geschäftsmann wenig stabil. Seit 1924 regierte Gerardo Machado das Land mit harter Hand. Im Wahlkampf hatte er »Ehrlichkeit, Straßen und Schulen« versprochen, von Repression und Ausgrenzung politisch Andersdenkender war selbstverständlich nicht die Rede gewesen. Kaum an der Macht, begann die Verfolgung radikaler Studentenführer und prokommunistischer Gewerkschafter. Im Jahr 1925 hatten sich 128 Gewerkschaften zum ersten nationalen Gewerkschaftsdachverband zusammengeschlossen. Im gleichen Jahr wurde auch die Kommunistische Partei Kubas gegründet (PCC). Nährboden für die kommunistischen Kräfte war die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes. Während sich die wohlhabenden Touristen im Karibikparadies Kuba amüsierten und im Bacardí-Rausch die Nacht zum Tag machten, nahm die Arbeitslosigkeit im Land rapide zu. Hohe Steuern auf Nahrungsmittel und Konsumgüter führten dazu, dass

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allmählich auch die Mittelschicht verarmte, kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe gingen reihenweise pleite. Statt mehr Schulen zu bauen, wie im Wahlkampf versprochen, mussten schon im Jahr nach der Wahl Machados Schulen geschlossen werden, weil kein Geld für die Bezahlung der Lehrer da war. Der Ex-General zog es vor, den US-amerikanischen Gläubigerbanken pünktlich die alljährlich anfallenden Schuldzinsen zu zahlen und das verbleibende Geld in die Ausstattung der Armee zu stecken. Auf Protestaktionen von Arbeitern und Studenten reagierte er mit dem Verbot der PCC und der Inhaftierung ihrer Führer. Das »Verschwindenlassen« oppositioneller Politiker gehörte schon in der ersten Amtszeit Machados zu den Alltagsaufgaben der Geheimpolizei. Unter den führenden Köpfen der PCC war auch der Student Julio Antonio Mella – heute als Märtyrer der kubanischen Befreiungsgeschichte geehrt. Im Auftrag Machados wurde er im mexikanischen Exil umgebracht. Das alles wurde vom Nachbarn im Norden zunächst mit Wohlwollen verfolgt. US-Präsident Calvin Coolidge stellte im Februar 1928 in einer Rede vor dem 6. Panamerikanischen Kongress fest, »das Volk von Kuba sei frei und unabhängig und genieße in Wohlstand und Frieden die Segnungen der Selbstständigkeit«.3 Offenbar spiegelte der US-Präsident das Befinden der Mehrheit der Bevölkerung auf Kuba, denn anders ist nicht zu erklären, dass Machado es schaffte, 1928 erneut gewählt zu werden. Vielleicht war es auch die Atmosphäre der Repression, die den Wahlsieg des Diktators ermöglichte. Ganz gewiss aber hatte sich die Oberschicht des Landes die Wahl Machados etwas kosten lassen, denn »Ruhe und Ordnung« schienen allemal besser für das große Geschäft als wilde Streiks, Bombenattentate und Sabotageakte. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Vor den Kubanern lag eine Zeit der Wirtschaftskatastrophen, des sozialen Elends, der Arbeitskämpfe, der heftigen politischen Auseinandersetzungen und der totalen politischen Willkür von Seiten der gewählten Regierung. Endlich wurden auch in den USA Stimmen laut, die eine Ablösung des »mörderischen Regimes« forderten. »Dicht vor unserer

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Tür hat sich eine der grausamsten Regierungen der Welt breit gemacht. Sie behauptet ihre Gewalt mithilfe von Mordtaten«, so erregte sich der Vorsitzende des außenpolitischen Senatsausschusses in Washington, E. Borah, 1929. »Ich möchte nicht, dass diese unsagbaren Gemeinheiten, die auf Kuba vorgekommen sind, auf Dauer fortgesetzt werden, während die Vereinigten Staaten aufgrund des Platt Amendments von der kubanischen Regierung selbst die Erlaubnis haben, ihnen ein Ende zu bereiten.«4 Zwar irrte der Senator in diesem Punkt, denn das Platt Amendment aus dem Jahr 1902 war zum Schutz amerikanischer Bürger im Falle des Angriffs einer ausländischen Macht auf Kuba gedacht, es war kein Freibrief für den Sturz eines brutal agierenden Diktators. Dennoch hätten die USA als überzeugte Demokraten schon zu diesem frühen Zeitpunkt eingreifen können und nicht erst vier Jahre später, als Machados »tropischer Faschismus« die Insel in eine Art Folterkammer verwandelt hatte. Oppositionelle wurden von Mitgliedern der »Partido de la Porra«, einer von Machado ins Leben gerufenen Knüppelpartei zu Tode gequält. Mit Rasierklingen, Krallenhandschuhen und Tabakmessern traktierte man Frauen und Kinder, die für ihre Rechte demonstrierten, Gefangene wurden reihenweise »auf der Flucht erschossen«. Die Universität, die als Widerstandsnest galt, wurde ab 1930 für drei Jahre geschlossen. Die Studenten wehrten sich mit Sabotageakten, Bombenanschlägen und Morden. Das Land versank im Chaos. Im März 1930 gelang es den Mitgliedern der noch immer verbotenen Gewerkschaften, einen Generalstreik zu organisieren. Machado reagierte mit der Verhängung des Ausnahmezustandes. Zeitgenossen sprachen von der dunkelsten Zeit in der Geschichte Kubas. »Heute ist der Kubaner ein Bettler und ein Paria. Auf uns lastet ein Berg, der uns fast erdrückt«, so beschrieb der Soziologe und Philosoph José Enrique Varona damals die Situation. »Ganz an der Spitze ist es die nordamerikanische Bank, die, wenn sie Zeit hätte, über die Liliputaner lachen würde, die ganz unten, ameisengleich herumkriechen und die unbewaffnete Faust drohend zu ihr herauf-

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schütteln. Unterhalb der Bank stehen die ausländischen Eigentümer der Zuckerfabriken, die gleich einem riesigen Polypen die Fangarme nach unserem Boden ausstrecken, dessen Kräfte sie aussaugen. Viel tiefer kommt dann die kubanische Regierung, die, bewusst oder unbewusst, ein Knecht ist, der von einer unüberwindlichen Hand bewegt wird. Das kubanische Volk hat Hunger. Es wandert durchs Land auf der Suche nach einem Stück trockenen Brotes. Vor dieser furchtbaren Wirklichkeit verblasst alles.«5 Die »furchtbare Wirklichkeit« – und dazu gehörte aus Sicht der Unternehmer auf Kuba wohl eher der Generalstreik vom 20. Mai 1930 denn dessen Unterdrückung – setzte bei den Führungskräften der Compañía Ron Bacardí Fantasie frei. Schueg, der angesichts der angekündigten Steuererhöhungen für den Export von Rum mit der Verlegung der Produktion nach Mexiko gedroht hatte, fand Gefallen an dem Gedanken, im nahen Ausland ein zweites Standbein aufzubauen. Es war der Moment, in dem die Loyalität der oberen Tausend ihrem Präsidenten gegenüber zu bröckeln begann. Der Ex-General war offensichtlich unfähig, mit der wirtschaftlichen Rezession fertig zu werden. Jetzt rächten sich die Fehler der Vergangenheit: Auf Kuba fehlte jegliche Industrie, immer hatte man auf den Zucker gesetzt. Jetzt musste selbst raffinierter Zucker eingeführt werden. Zwar war auch Mexiko mit seiner »institutionalisierten Revolution« ein heißes Pflaster, und die Bacardí-Manager befürchteten, dass es dort Probleme bei der Beschaffung des Zuckersirups geben könnte. Auch die Lagerung des Rums in über eintausend Metern Höhe war ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Trotzdem beschloss Schueg den Bau einer Rumfabrik in Tultitlán, ganz in der Nähe von Mexiko City. Im April 1931 wurde die mexikanische Compañía gegründet. Zum Direktor ernannte Schueg seinen Neffen José Bacardí Fernández, den ältesten Sohn seines Schwagers José Bacardí y Moreau. Doch das Unternehmen schien unter keinem guten Stern zu stehen: Noch ehe José in Mexiko sein Talent als Manager unter Beweis stellen konnte, starb er im Mai 1933 an

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einer Lungenentzündung und hinterließ ein hochverschuldetes Unternehmen. Schueg kamen Zweifel, ob die Entscheidung richtig war, Mexiko als Experimentierfeld für seine Expansionsideen zu wählen. Der mexikanische Markt wurde vom Nationalgetränk Tequila beherrscht, und es schien schwer, sich daneben zu etablieren. Es war völlig ungewiss, ob sich die Investition je amortisieren würde. Doch genau an diesem Punkt war sein Ehrgeiz geweckt: Das Geld musste Früchte tragen. Also beschloss er, José Pepín Bosch nach Mexiko zu schicken. Er kannte den Ehrgeiz seines Schwiegersohnes und wusste, dass der nichts unversucht lassen würde, um das Projekt zu retten. Zum anderen war es ratsam, dass Pepín für kurze Zeit im Ausland verschwand, denn aufgrund seiner politischen Aktivitäten hatte der Mann seiner Tochter Enriqueta schon des öfteren Schwierigkeiten gehabt. José Maria Bosch, genannt Pepín, geboren am 30. April 1898 bei Santiago, war Sohn eines sehr reichen Vaters. Wie der Firmengründer Facundo Bacardí war auch der alte Bosch aus Katalonien nach Kuba ausgewandert und hatte sich schnell nach oben gearbeitet. Zu guter Letzt war er Teilhaber einer Bank, Besitzer von Zuckermühlen, verdiente an der Straßenbahn und war Mitinhaber des örtlichen Elektrizitätswerkes. Für seine Familie baute Bosch senior in der Gartenstadt Vista Alegre eine imposante Residenz, vom Volk als »Palacio Bosch« bewundert. Pepín Bosch wurde, wie fast alle Kinder wohlhabender Eltern, im amerikanischen Geist erzogen. Er besuchte Colleges in den USA, war aber kein besonders ehrgeiziger Student, so dass sein Vater ihn zurückbeorderte und ihn als Zeiterfasser in einer der Zuckermühlen arbeiten ließ. Offenbar lag dem jungen Bosch die Praxis mehr als die Theorie. In kurzer Zeit war er in zwei der väterlichen Zuckermühlen Manager mit Gewinnbeteiligung. Schon mit 21 galt er als gute Partie und begabter Geschäftsmann. Dann aber verlor er von einem Tag zum anderen sein gesamtes Vermögen, als 1920 die Zuckerpreise kollabierten. Alles begann von vorne. Er dachte daran, nach Argentinien auszu-

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wandern, blieb jedoch auf Wunsch der Mutter auf Kuba und begann noch einmal ganz unten, als Buchhalter in der US-amerikanischen City Bank in Havanna. Dort machte er schnell Karriere und war bald Abteilungsleiter der Kreditabteilung. Peter Foster nennt ihn die »Verkörperung der protestantischen Ethik« und berichtet weiter: »Einer der Kollegen Boschs beschrieb seinen Führungsstil als ›eindeutig angelsächsisch‹. Im Haus, das er in den späten zwanziger Jahren für sich und Enriqueta in Havannas exklusivem Country Club Park baute, hing ein Porträt Thomas Jeffersons an einer ins Auge springenden Stelle.«6 Wie viele seiner Freunde aus der Oberschicht kämpfte der junge Bosch gegen Ende der zwanziger Jahre im Untergrund gegen Diktator Machado. Er wurde Schatzmeister einer revolutionären Gruppe, die den Sturz des Präsidenten vorbereitete. 1931 schmuggelte diese Gruppe im Norden der Provinz Oriente Waffen und Munition an Land und versuchte, die Bewohner des Ortes Gibara zum Aufstand zu bewegen. Die Aktion scheiterte. Zwar entkam der Anführer des Coups, Emilio Laurent, aber einige Mitstreiter wurden von Machados Leuten erschossen und viele unschuldige Bewohner Gibaras gefoltert oder getötet. Für die Gegner des Diktators wurde die Lage Anfang der dreißiger Jahre immer brenzliger, weil Machados Schergen immer brutaler zuschlugen. Die Einladung des Schwiegervaters, in der mexikanischen Dependance nach dem Rechten zu sehen, kam dem 35-Jährigen deshalb nicht ungelegen. Der Wechsel nach Mexiko erwies sich für das Unternehmen dort als Glücksgriff. Mit einem glänzenden Marketingeinfall schaffte Pepín Bosch den Durchbruch für Bacardí auf dem schwierigen mexikanischen Markt. Er lies den Rum, wie auch auf Kuba üblich, in bauchige, mit Weidengeflecht umspannte 5-Liter-Flaschen abfüllen und warb mit dem Spruch: »Mit einer Flasche Bacardí und mehreren Kisten Coca-Cola haben Sie schon alles, was man für eine Party braucht.«7 Innerhalb eines Jahres gelang es ihm so, den Umsatz in Mexiko zu verdoppeln. Damit hatten sich die Investitionen bereits gelohnt, die ersten Dividenden

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konnten gezahlt werden. Und Präsident Schueg konnte sich wieder beruhigt zurücklehnen: Bacardí hatte sich vom vorübergehenden Tief erholt. Das Magazin Fortune beschrieb im Jahr 1933 den Zustand der Firma sarkastisch, aber wohl zutreffend mit den Worten: »Nachdem der Zucker jedermann auf Kuba ruiniert hatte, waren die Bacardís und Präsident Machado für einige Jahre die letzten verbliebenen wohlhabenden Bürger. Nun weicht Señor Machado Attentätern aus, und Präsident Schueg von Bacardí wartet auf das Ende der Prohibition in den USA, um die Prosperität seines Unternehmens, dem zuletzt Zölle, Steuern und eine zu große Erweiterung schwer zu schaffen machten, wiederherzustellen.«8

Machado geht – Batista kommt. Rum-Business in politisch unruhiger Zeit Kurze Zeit nach Erscheinen dieses Artikels ließen die USA Machado fallen und der Diktator verließ Kuba. Nach Verhängung des Ausnahmezustandes war der Widerstand der Bevölkerung explodiert, so dass sich die USA gezwungen sahen, Summer Wells, einen ihrer fähigsten Diplomaten nach Kuba zu schicken, um eine politische Lösung vorzubereiten. Dem riss am 7. August 1933 die Geduld. Nach einer blutigen Massendemonstration, bei der es über 20 Tote und über 150 Verletzte gegeben hatte, forderte er Machado zum sofortigen Rücktritt auf. Der Diktator weigerte sich zunächst hartnäckig, zog dann jedoch – angesichts von rund 30 amerikanischen Kriegsschiffen, die rund um die Insel aufgefahren waren –, die Konsequenz. Am 13. August flog er ins Exil. Mit mehreren Koffern vollgestopft mit Geld kam er auf den Bahamas an und ließ es sich dort gut gehen. Noch ehe Franklin D. Roosevelt, der neue Präsident der USA, die Möglichkeiten für einen demokratischen Neubeginn auf Kuba rich-

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tig ausgelotet hatte, kam es im September zur »Revolte der Unteroffiziere«. Sie verlangten höhere Löhne für sich selbst und bessere Lebensbedingungen für alle Kubaner. An der Spitze der Revoltierenden stand jener Mann, der in den kommenden 25 Jahren die Politik auf Kuba bestimmen sollte: Sergeant Fulgencio Batista. Der Mulatte aus dem Oriente, der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war, veranlasste seine Mitstreiter, ein Zweckbündnis mit den revoltierenden Studenten und den aufbegehrenden Gewerkschaften einzugehen. Die Einigkeit führt zur Wahl einer neuen Regierung, Präsident wurde der Medizinprofessor Ramón Grau San Martín, Regierungsminister der junge Arbeiterführer Antonio Guiteras. Die neue Regierung hielt sich zwar nur vier Monate im Amt, setzte jedoch in dieser kurzen Zeit einige der vom Volk ersehnten wirtschaftlichen und sozialen Reformen durch. Eine Agrarreform wurde in Angriff genommen, die Gewerkschaften wurden wieder zugelassen, der Acht-Stunden-Tag eingeführt, Mindestlöhne für alle Zuckerarbeiter festgeschrieben und das Frauenwahlrecht eingeführt. Außerdem hob Grau schon am ersten Tag nach seiner Amtseinführung das Platt Amendment auf. Ein Affront für die USA, der mit dem ausgegebenen Motto »Kuba den Kubanern« noch verstärkt wurde. Ziel Graus und seiner Regierung war es, die wirtschaftliche Dominanz der USA auf Kuba zu brechen. Allerdings wollte er keine Verstaatlichung von Privatfirmen, sondern stattdessen eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte, keine Enteignung von Grundbesitz, sondern Regulierung der Besitzgrößen und Verteilung von öffentlichem Land. Dennoch löste die angestrebte »soziale Revolution« in den USA Entsetzen aus. Man wähnte die Kommunisten auf dem Vormarsch, sah amerikanischen Besitz und amerikanische Interessen gefährdet. Eine militärische Intervention wurde zwar nicht erwogen, aber man bestrafte Grau, indem man seiner Regierung die diplomatische Anerkennung versagte. Das traf die Kubaner hart, denn ohne diplomatische Anerkennung konnte auch das Zuckerabkommen mit den USA nicht in Kraft treten.

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Wäre aber die kubanische Zuckerrohrernte nicht abgenommen worden, hätte das zum Kollaps der kubanischen Wirtschaft geführt. So weit aber wollten es die Amerikaner im eigenen Interesse nicht kommen lassen. Die Lösung hieß Fulgencio Batista. Der amerikanische Botschafter in Havanna hatte keine Mühe, den Sergeanten auf seine Seite zu ziehen. Nach Washington kabelte er, Batista sei die einzige Person, die auf Kuba Autorität besäße. Die Hoffnungen der Finanzwelt und der Geschäftsleute ruhten auf ihm, weil nur er den notwendigen Schutz gewähren könnte.9 Als Batista dem Präsidenten im Januar 1934 mit einem Putsch drohte, trat Grau zurück. Eine neue Regierung wurde gebildet, die schon fünf Tage später von den USA anerkannt wurde. Ein neues Handelsabkommen folgte, das dem kubanischen Zucker einen stabilen Absatzmarkt im Norden garantierte. Und als honorige Zugabe verzichtete Washington freiwillig auf den Artikel 2 in der kubanischen Verfassung, das Platt Amendment. Wie sein Amtsvorgänger Machado, ging auch Grau ins Exil. Sein ehemaliger, für die Reformen verantwortlicher Minister Antonio Guiteras blieb und bekämpfte mit der von ihm gegründeten radikalen Untergrundgruppe »Joven Cuba« die von Batista eingesetzte Regierung. Bombenattentate und Sabotageakte schufen ein Klima der Unsicherheit – für Batista genau die richtige Ausgangsposition, um sich mit repressiven Vergeltungsaktionen einen Namen als starker Mann zu machen. Sein Sympathiebonus bei der Bevölkerung wuchs. Insbesondere die Oberschicht war froh über den starken Mann, auch wenn dem Geldadel die Herkunft Batistas und sein gesamtes Auftreten nicht behagte. Auch die Bacardís arrangierten sich mit den neuen politischen Verhältnissen, vor allem mit den Gewerkschaften, die nach der Flucht Machados und während der Regierungszeit des Präsidenten Grau erstarkt waren.

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Endlich New York Nach Aufhebung der Prohibition im Dezember 1933 gab es für die Bacardí Company zunächst nur ein großes Ziel: die Marke Bacardí auf dem US-amerikanischen Markt zu positionieren. Aufgrund der Mundpropaganda der Kubatouristen und der guten Zusammenarbeit mit den Bootleggers war Bacardí nach Ende der Prohibition den Alkoholkonsumenten in den USA durchaus ein Begriff. Nur Scotch Whisky war gefragter als Rum der Firma Bacardí. Jetzt musste das Unternehmen um die Stabilisierung des guten Rufes und der Marktanteile kämpfen. Präsident Schueg eröffnete als erstes eine neue Niederlassung in New York, im Chrysler Building an der Lexington Avenue. Repräsentant der Firma wurde William Julius Dorion, verheiratet mit Adelaida Bacardí Cape, einer Tochter Emilios aus der zweiten Ehe. Die Wahl war auf William Dorion gefallen, weil er als Neffe des guatemaltekischen Präsidenten über gute Kontakte zur Geschäftswelt verfügte. Außerdem lebte er schon längere Zeit mit Adelaida in New York, in der Lexington Avenue 511, einer feinen Adresse für einen »Chemiker« und einer angemessenen für eine BacardíErbin. William Dorion hielt täglich Hof in seiner Bürosuite. Er verwöhnte potenzielle Kunden mit Bacardí-Cocktails, ohne dass den Gästen daraus irgendwelche Verpflichtungen erwuchsen. Man kam folglich sehr gerne zu Dorion in das Chrysler Building. Ein Journalist nannte ihn damals nicht ohne Ironie »den vielleicht glücklichsten Verkaufsleiter der Welt. Er scheint alles zu tun, um auf taktvolle Art Bestellungen zu verhindern.«10 José Pepín Bosch wurde bald darauf in die Metropole geschickt, um dort ernsthaft das geschäftliche Terrain zu sondieren. Und er machte, ähnlich wie zuvor in Mexiko, wieder alles richtig. Wichtig war für ihn zunächst, einen potenten Vertriebspartner zu finden. Bosch entschied sich für die Firma Rosenstiel Schenley, die mit den populären Whiskymarken Old Quaker, Cream of Kentucky und Golden Wedding, dem Wermut Noilly Prat und dem Aperitifwein

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Dubonnet über ein exzellentes Portfolio verfügte. Die Verhandlungen mit Schenley sollen von morgens um zehn bis nachts um zwei Uhr gedauert haben, dann war der Deal perfekt. Schenleys Großhändler übernahmen den Vertrieb von Bacardí, und das hieß: Fortan würde es Bacardí in jeder Kneipe und in jedem Spirituosenladen in den USA geben. Das war Boschs erster Coup. Danach kümmerte er sich mit Leidenschaft um die Promotion der Marke. Er reiste quer durchs Land, initiierte und überwachte Werbekampagnen und ließ sich eine mobile Bar bauen, mit deren Hilfe er an jedem Ort und zu jeder Zeit die Zubereitung eines Bacardí-Cocktails demonstrieren konnte. Bei guter Laune verriet er auch den Geheimtipp des berühmten Barkeepers Jack Doyle, der da lautete: Das fein gestoßene Eis, den Limettensaft und den Bacardí so lange schütteln, bis die kühle Mischung einem Sorbet gleicht. Es gelang Pepín Bosch, Jack Doyle nach New York zu lotsen, wo der weltbekannte Barmann aus dem Sloppy Joe’s in Havanna fortan jeden Nachmittag in Schenleys Bar extravagante Drinks für handverlesene Gäste mixte. Im Jahr 1938 zogen die Bacardís in den 35. Stock des Empire State Building um und eröffneten dort eine eigene Bar, die bald zum Treffpunkt berühmter, schöner und reicher Menschen wurde. Schon vor der Eröffnung machte die Bacardí-Bar, die mit Wandmalereien des kubanischen Künstlers Gattorno dekoriert war, Schlagzeilen. Als der Reporter der Agentur World Telegram etwas über den Künstler wissen wollte, wies ein Angestellter darauf hin, dass für die bukolische Szenerie extra ein Ziegenbock in den 35. Stock heraufgebracht worden sei, um dem Maler Modell zu stehen. Unglücklicherweise aber habe der Bock schnell das Weite gesucht und im Treppenhaus für große Verwirrung gesorgt. Was als PR-Gag gedacht war, brachte New Yorks Bürgermeister Al Smith, der zugleich Präsident der Eignergesellschaft des Empire State Buildings war, auf die Idee für eine PR-Aktion in eigener Sache. Er rief in der Bar an und bat um ein Meeting mit der Ziege. Nun begann bei den Angestellten, die sich nicht blamieren wollten, die wilde Suche nach

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einer Ziege, die dem von Gattorno gezeichneten Tier ähnelte. Man klapperte mehr als ein Dutzend Farmen in der Nähe von New York ab, bis man endlich einen Bock fand, der den Anforderungen gerecht wurde. Und dann passierte genau das, was der Angestellte mit seiner fiktiven Geschichte vorweggenommen hatte: Der Ziegenbock flüchtete in Sekundenschnelle und sorgte in der Tat für Verwirrung im Treppenhaus… »Auf diese Weise folgte das Leben der Kunst und ein Mythos wurde Geschichte«, ist die lakonische Schlussfolgerung von Peter Foster.11

Neues Standbein Puerto Rico – kleine Probleme, großer Gewinn Die Umtriebigkeit von Pepín Bosch sorgte dafür, dass die Nachfrage nach Rum in den USA zunächst stabil blieb. Zwar konnte Schenley in den Jahren 1934 und 1935 von den 214 000 importierten Kisten Rum nur 174 000 absetzen, aber bis Ende 1937 reduzierten sich die Lagerbestände auf 8 000 Kisten. Und danach konnten Produzenten und Importeure befriedigt feststellen, dass die Verkaufszahlen von Bacardí-Rum stetig nach oben gingen. Mit der steigenden Nachfrage wuchs die Gier nach höheren Gewinnen. Ärgerlich war für die kubanischen Produzenten der hohe Schutzzoll von fünf US-Dollar, der pro Gallone Rum gezahlt werden musste. Bosch dachte über Abhilfe nach und hatte eine einleuchtende Idee. Umgehen konnte man die Zölle nur, indem der für die USA bestimmte Rum auch in den USA produziert wurde. Das aber war Ausländern verboten. In Handelsgesellschaften, die Spirituosen herstellten, mussten alle verantwortlichen Manager US-Bürger sein. Die USA fielen also als neuer Produktionsort aus, nicht aber Puerto Rico. Die Karibikinsel hatte ein ähnliches Schicksal erlitten wie Kuba, als es um die Ablösung von der spanischen Krone ging. Auch Puerto Rico war im Zuge des Amerikanisch-Spanischen

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Krieges von den USA besetzt worden – für die Nordamerikaner zunächst eine unbedeutende Episode am Rande des Geschehens. Gleichwohl beanspruchten sie nach Kriegsende die Insel als ihren Besitz, und anders als Kuba wurde Puerto Rico annektiert. Dieser Akt hatte durchaus positive Folgen für die Wirtschaft der Karibikinsel: Die Bewohner mussten keine Bundessteuern zahlen, und konnten ihre Produkte zollfrei in Amerika verkaufen. Auf Wunsch konnten die Puertoricaner ab 1917 sogar US-Staatsbürger werden. Trotz dieser Vorteile ging es den Inselbewohnern schlecht, insbesondere nach der großen weltweiten Rezession in den Jahren nach 1929. Puerto Rico galt mit seiner hohen Arbeitslosigkeit als Armenhaus der Karibik. Zu Tausenden verließen die Puertoricaner ihre Insel, um in den USA Geld zu verdienen. Pepín Bosch wurde deshalb mit offenen Armen empfangen, als er am 2. Februar 1936 in San Juan eintraf, um mit dem Gouverneur der Insel, dem Finanzminister und anderen Persönlichkeiten über den Bau einer Rumfabrik zu verhandeln. Sein Angebot klang nach willkommenen Investitionen und Arbeitsplätzen, die man so dringend benötigte. Schon einen Monat später wurde die Bacardí Corporation in das Handelsregister von Puerto Rico eingetragen, und am 6. April 1936 erhielten die Kubaner die Lizenz zur Rumherstellung. Einen weiteren Monat später traf das Produktionsteam aus Kuba ein: Jorge, einer der beiden Söhne Enrique Schuegs sowie zwei Enkel Emilios – Guillermo Rodriguez Bacardí und Pedro Lay Bacardí. Die Rumproduktion begann im Juli 1936, im Januar 1937 konnte der erste Rum gebrannt werden. Mehr als 600 000 US-Dollar hatte Pepín Bosch bis Mitte 1937 in den Aufbau der neuen Company investiert, als ihm die puertoricanischen Behörden plötzlich ein Gesetz vor die Nase hielten, das für die Firma Bacardí das Aus bedeutet hätte. Nach einer Verordnung vom Mai 1936 durfte international anerkannter Markenrum nur dann exportiert werden, wenn die Lizenz vor dem 1. Februar 1936 auf Puerto Rico erteilt worden war. Verboten sei außerdem der Export von Rum in Behältnissen mit einem Fassungsvermögen von mehr als einer Gallone.

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Das Ziel dieser Bestimmung war klar: Es sollte die Abfüllung des Rums im Ausland unterbinden. Das Gesetz war offensichtlich gegen die Bacardís gerichtet und Pepín Bosch vermutete dahinter den Racheakt eines hohen Beamten, der Schmiergeld für gewisse Dienstleistungen erwartet und nicht erhalten hatte. Offiziell begründet wurde das Gesetz von der Regierung in Puerto Rico mit dem Argument, man wolle damit die wieder erstarkende heimische Alkoholindustrie vor der kapitalstarken Konkurrenz aus dem Ausland schützen. Im Mai 1937 wurde dieses Gesetz von den USBehörden bestätigt. Nun begann der Kampf Pepín Boschs um das einst zugesicherte Recht, auf Puerto Rico Rum produzieren und auch exportieren zu dürfen. Mitstreiter war der Herausgeber der Zeitschrift El Mundo, Angel Ramos. Dessen Argumente zugunsten der Bacardís klangen so überzeugend, dass die Firma in ersten gerichtlichen Auseinandersetzungen Recht bekam – schließlich ging es um rund 300 Arbeitsplätze und jährliche Steuereinnahmen in Höhe von zirka einer Million US-Dollar. Der District Court entschied schließlich, dass beide Gesetze gegen das freie Unternehmertum verstießen und sowohl eine Verletzung der amerikanischen als auch der puertoricanischen Verfassung beinhalteten. Bacardí konnte weiter auf Puerto Rico produzieren. Mexiko – New York – Puerto Rico: was Pepín Bosch anfasste, wurde zu Gold. »Von nun an war Bosch, mehr als irgend jemand sonst, verantwortlich für den Aufbau des Bacardí-Imperiums. Seine Beziehung zur Familie war oft angespannt. Er wurde nie müde, Familienmitglieder daran zu erinnern, dass die Familie eine Sache war und das Geschäft eine andere. Er dachte gar nicht daran, Rat einzuholen. Er erzählte ihnen, dass er sie reich machen würde, das aber nur könnte, wenn sie ihm dabei nicht im Wege stünden.«12 Und da er sich an sein Versprechen hielt, konnte es nur einen Nachfolger für den Präsidenten Enrique Schueg Chassin geben.

4 . » I c h m a c h e E u c h re i c h ! « Sieg auf dem Weltmarkt, Niederlage zu Hause

Im Laufe der Jahre wurde immer klarer, dass niemand im Unternehmen Pepín Bosch das Wasser reichen konnte, und diese Erkenntnis sorgte bei denen, die in der Zentrale saßen und sich einst Chancen auf diese Präsidentschaft ausgerechnet hatten, für Unbehagen und Missgunst. Luis Bacardí Gaillard, einer der Söhne von Facundo Miguel Bacardí y Moreau und somit direkter Nachkomme des Firmengründers Don Facundo, wäre gern Enrique Schuegs Nachfolger geworden. Da er ahnte, dass er es aus eigener Kraft möglicherweise nicht schaffen würde, arbeitete er eng mit Geschäftsführer José Espín zusammen, der rechten Hand von Enrique Schueg. Das Wohlwollen und das Vertrauen, das Espín beim Präsidenten genoss, übertraf bei weitem die Wertschätzung von Familienmitgliedern. Schueg dachte gar nicht daran, die direkten Erben zu bevorzugen: Schließlich hatte er sich jahrzehntelang als eingeheiratetes Familienmitglied um die Akzeptanz der Bacardís bemühen müssen. Warum sollte er sie mit Wohlwollen verwöhnen?

Machtspiele José Pepín Bosch hatte nicht viel übrig für die von Espín und Luis Bacardí Gaillard vertretenen Marktstrategien und ihre innerbetriebliche Führung. Ein erster ernster Streit zwischen Bosch und

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dem Duo entbrannte Ende der dreißiger Jahre. Gesucht wurde nach einer Antwort auf die Frage: Sind Preiserhöhungen sinnvoll oder gefährlich? Bosch sprach sich gegen Preiserhöhungen aus, konnte sich aber nicht gegen die beiden durchsetzen. Ihm wurde bei solchen Auseinandersetzungen klar, wie er dem Familienbiografen Foster Jahrzehnte später erzählte, dass er nur eine »angeheuerte Kraft« war. Aber diese Erkenntnis beflügelte seinen Ehrgeiz. Er wusste, dass er nur über außerordentliche Leistungen eine Chance hatte, eines Tages Präsident des Unternehmens zu werden. Die Möglichkeit, sich erneut als »Retter in der Not« zu profilieren, kam 1943. Luis Bacardí und José Espín hatten ihre Zusammenarbeit gefestigt, seit der greise Enrique Schueg dem Vertrauten Espín mehr und mehr Entscheidungsbefugnisse übertragen hatte. Das wirkte sich aus der Sicht von Pepín Bosch nicht unbedingt positiv auf das Unternehmen aus. Schon gar nicht in der angespannten Lage zu Beginn der vierziger Jahre, als es darum ging, die in einer neuen Verfassung verankerten Arbeitnehmerrechte umzusetzen. Seit 1940 hatte sich Manches grundlegend verändert. Fulgencio Batista hatte die Wahlen gewonnen. Aus Sicht der USA war er der richtige Mann, um die massenhaft aufbegehrenden Kubaner zu beruhigen. Frank Niess beschreibt Batistas Rolle Anfang der vierziger Jahre so: »Als wäre der Geist der Aufklärung und des Liberalismus über ihn gekommen, brach der ›starke Mann Kubas‹ eine Lanze für die demokratische Verfassung. Er pries die bürgerlichen Freiheiten ganz im Sinne des amerikanischen Modells als unveräußerliche Rechte, sorgte für eine allgemeine Amnestie und ließ Staatsland an die hungrigen Bauern verteilen.«1 Am 10. Oktober 1940 trat eine neue Verfassung in Kraft mit einem vorbildlichen Grundrechtekatalog. Und auch die darin festgeschriebenen sozialen Rechte übertrafen die kühnsten Erwartungen der linken Opposition, zu der vor allem Bauern und Arbeiter gehörten. Verankert war in dieser Verfassung zum Beispiel das Recht auf Arbeit, auf gleiche Löhne für gleiche Arbeit, auf eine 44-Stunden-Woche,

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einen Acht-Stunden-Tag und Mindestlöhne, auf vier Wochen Jahresurlaub und das Recht zu streiken. Diese zukunftsweisenden Sozialreformen waren für ein unterentwickeltes Land wie Kuba so spektakulär, dass selbst die Kommunisten zwei Minister in die Regierung schickten. Batista, selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammend, wurde zum Hoffnungsträger der »kleinen Leute«. Aber sein Verhalten unterschied sich in nichts von dem seiner Vorgänger. Er plünderte die Staatskassen, wann immer sich eine Gelegenheit ergab, legte das Geld in New York an oder brachte es auf sichere Konten in die Schweiz. Er kaufte Grundstücke in Florida und beteiligte sich an lukrativen Bauprojekten auf Kuba, kurzum: Auch er brachte es während seiner Amtszeit zum vielfachen Millionär. Bei der Compañía Ron Bacardí hatten sich die Probleme mit der Arbeiterschaft seit Inkrafttreten der neuen Verfassung verschärft. Die Arbeiterführer bestanden auf Umsetzung ihrer Rechte. Vor allem forderten sie längst überfällige Lohnerhöhungen. Eine ungemütliche Situation für das Firmenmanagement. Aber Espín und Luis Bacardí zeigten wenig Entgegenkommen. 1943 intervenierte Batista mit einem Erlass, der das Unternehmen zwingen sollte, die Löhne zu erhöhen. Bacardí widersetzte sich der Anordnung und reichte Klage gegen Batista ein, mit der Begründung, der Erlass verstoße gegen die in der Verfassung garantierten Unternehmerrechte. Batista verlor und musste den Erlass zurückziehen, antwortete jedoch umgehend mit einem neuen Dekret. Auch gegen die neue Variante zog Bacardí vor Gericht, und wieder bekam die Firma Recht. Ein Pyrrhussieg, denn die Arbeiter fühlten sich von der Firma im Stich gelassen. Graffitis beschimpften die Bacardís als Faschisten, die Situation schien verfahren. Nur einer konnte helfen: der schlaue Bosch. Und der tat genau das Richtige: Er erhöhte die Löhne und Prämien und baute innerhalb der Firma ein soziales Netz auf, das zum Beispiel im Hinblick auf die medizinische Versorgung weit über die in der Verfassung verankerten Rechte der Arbeiter hinausging. Kranke, die in Santiago nicht behandelt werden konnten, wurden in Spezialkrankenhäuser in die USA geflogen.

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Starb ein Arbeiter, bezahlte die Firma das Begräbnis. Statt einmal im Jahr erhielten die Arbeiter nun monatliche Prämien und zu Weihnachten eine Extragratifikation. Talentierte Arbeiter erhielten auf Kosten der Firma eine Ausbildung. Vielleicht lag diesem neuen Wohlfahrtssystem nur das Kalkül zugrunde, dass gute Beziehungen zu den Arbeitnehmern, ihm, Bosch, eine gute Position im Kampf um die Präsidentschaft sichern würde. Vielleicht aber hatte er längst begriffen, dass zum Einmaleins erfolgreicher Unternehmenspolitik zufriedene loyale Arbeitnehmer gehören. Auf jeden Fall brachte die gesamte Befriedungsaktion das erhoffte Ergebnis: Pepín Bosch wurde zum Ersten Vizepräsidenten gewählt, ein Posten, der mit allen Handlungsvollmachten ausgestattet war. Dies war allerdings nicht ohne heftigsten Widerspruch von Luis Bacardí abgegangen. Als der erfuhr, dass Bosch gewählt werden sollte, intervenierte er bei Enrique Schueg und ließ sich als Gegenkandidat aufstellen. Ohne Erfolg: Auf der entscheidenden Aktionärsversammlung erhielt Bosch die notwendige Anzahl der Stimmen. Enrique Schuegs Sohn Victor war über die anmaßende Haltung von Luis derart aufgebracht, dass er bei der Versammlung mit einem Revolver erschien. Wirkungsvoller als der Revolver aber waren die Hinweise, die Victor seinem Schwager Pepín über die Eigenarten der männlichen Bacardí-Erben geben konnte. Vielleicht gelang es Bosch deshalb, Luis bis ins Mark zu treffen. Gleich nach der Wahl bot er dem Kontrahenten eine enge Zusammenarbeit an, sogar den Titel »Erster Vizepräsident« wollte er ihm überlassen. Man solle sich das Büro teilen, schlug Bosch vor, dann sei die Kommunikation besser und Luis könne aufgrund der Nähe eine Menge von ihm lernen. Eine demütigende und boshafte Attacke, auf die Luis mit einem Wohnortwechsel reagierte. Er zog nach Havanna und sprach über 30 Jahre lang kein einziges Wort mehr mit Bosch. Vizepräsident Bosch war schon zu diesem Zeitpunkt – unabhängig von den Querelen, die er mit Luis hatte – in der Familie nicht unumstritten. Man liebte ihn nicht, aber man respektierte seine genialen Fähigkeiten als Manager und ließ ihn agieren. Wichtig für

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alle war nur eins: die Höhe der Dividenden. Und Bosch vermittelte glaubwürdig, dass es ihm gelingen würde, den Reichtum der Familie in fantastische Höhen zu katapultieren. Aber schon 1943 ließ er keinen Zweifel daran, dass sein leidenschaftlicher Einsatz für die Firma einen Preis hatte: Er wollte das Amt des Präsidenten. Aber es sollte noch acht Jahre dauern bis er sein Ziel erreicht hatte.

»Ich werde Euch reich machen.« Als Bosch zum Vizepräsidenten gekürt wurde, sah die Zukunft dank des Zweiten Weltkrieges rosig aus. Das Rumgeschäft boomte, vor allem auf Puerto Rico und in Mexiko. Rum aus der Karibik war mehr denn je gefragt, weil die Importe aus Europa bei Kriegsbeginn eingestellt worden waren und US-amerikanische Spirituosenhersteller verpflichtet waren, Industriealkohol herzustellen. Ausgenommen von dieser Auflage waren lediglich die Rumproduzenten auf Puerto Rico. Rum gehörte zu den wichtigsten Steuereinnahmequellen des Inselstaates, auch deshalb, weil die in den USA erhobenen Verkaufssteuern wieder an die puertoricanische Regierung rücküberwiesen wurden. Kein Wunder, dass man auf der Insel hochtourig Rum produzierte. Natürlich kamen auch die Bacardís in den Genuss der erhöhten Nachfrage. Die Fabrik in San Juan schaffte Umsätze wie nie zuvor, 10 Millionen US-Dollar allein im Jahr 1943. Mit diesem Erfolg im Rücken war es Pepín Bosch nicht schwer gefallen, im April 1944 den mit Schenley abgeschlossenen Vertriebsvertrag zu kündigen und in der New Yorker Madison Avenue Bacardí Imports zu eröffnen. Im Vergleich zu den Giganten auf dem US-Spirituosenmarkt – Seagram, National Distillers, Hiriam Walker und Schenley – war Bacardí Imports ein kleiner Fisch. Während die Großen Hunderte von Millionen US-Dollar umsetzten, brachte es Bacardí Imports im Gründungsjahr nur auf 13,1 Millionen US-

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Dollar. Der Schritt in die Unabhängigkeit demonstrierte jedoch Selbstbewusstsein. Die Botschaft der Kubaner an die Marktführer hieß nichts anderes als: »Wir nehmen den Kampf auf und fürchten euch nicht.« Aber schon im Jahr darauf kam das böse Erwachen. Während des Krieges, in dem die Zahl der Rumproduzenten auf Puerto Rico und anderswo sprunghaft gestiegen war, hatte man versucht, den Absatz auf dem amerikanischen Markt mit zweifelhaften Verkaufsmethoden anzuheizen. »Um die große Menge des puertoricanischen Rums zu verkaufen, setzten die Importagenten die Großhändler unter Druck«, heißt es bei Foster. »Diese wiederum übten Druck auf die Einzelhändler aus. Sie sollten die Kunden veranlassen, Rum aus Puerto Rico im ›Paket‹ zu kaufen, das heißt, wer eine Flasche Scotch wollte, musste gleichzeitig zwei Flaschen Rum kaufen. Die schlechtere Qualität und dieser erzwungene Kauf hinterließ bei den amerikanischen Konsumenten einen faden Beigeschmack. Als der uneingeschränkte Verkauf von Whisky und anderen importierten Spirituosen wieder erlaubt war, zahlte puertoricanischer Rum – und damit auch Bacardí – den Preis.«2 In den Nachkriegsjahren kam es zu erheblichen Verkaufseinbußen. Die Lagerbestände nahmen ein beängstigendes Ausmaß an. Im Jahr 1947 betrug der Umsatz in der Fabrik auf Puerto Rico nur noch eine Million US-Dollar. Pepín Bosch reagierte mit Augenmaß auf das Desaster. Er ermöglichte den Großhändlern die Rückgabe georderter Ware und sammelte damit Pluspunkte als fairer Geschäftspartner. In Mexiko verlief die Verkaufskurve weniger deprimierend. Zwischen 1942 und 1950 gab es zwar kleine Schwankungen, im Prinzip aber gingen die Zahlen konstant nach oben. Im Jahr 1947, als Spirituosen wie Whisky und Cognac wieder problemlos eingeführt werden konnten, setzte Bacardí in Mexiko 7 Millionen Pesos um. Zwei Jahre später waren es schon 8,8 Millionen, und 1950 überschritt man die magische 10-Millionen-Marke. Die erfreulichste Nachricht aus Mexiko aber lautete: Nach dem Nationalgetränk

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Tequila hatte sich der Rum der Firma Bacardí auf Platz zwei in der Statistik der am meisten verkauften Marken emporgearbeitet. Die instabile Lage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwang das Bacardí-Management zu neuen strategischen Überlegungen. Welche sicheren Geldquellen ließen sich auf der Insel anzapfen? In welchen Bereichen des Unternehmens gab es noch nicht ausgeschöpfte Wachstums- und damit Gewinnchancen? Bosch zog Hatuey in seine Überlegungen ein, das im Osten der Insel ziemlich erfolgreiche Bier aus der Familienbrauerei. Der Name sollte an den indianischen Kaziken Hatuey erinnern, der im 16. Jahrhundert einen aussichtslosen Kampf gegen den spanischen Eroberer Velazquez geführt hatte und schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Die Brauerei hatte immer zu den Lieblingsprojekten von Enrique Schueg gehört. »Meine kleine Braut« nannte er sie gerne im Familienkreis und war sehr stolz, als man 1927 endlich mit der Bierproduktion beginnen konnte. Ein eigens für die Firma gebohrter Brunnen mit bestem Wasser, moderne Stahltanks und Braumeister aus Deutschland trugen von Beginn an zum Erfolg bei. Später sorgte der diplomierte Bierbrauer Joaquín Fernández Bacardí für die gleichbleibende Qualität des Bieres. Zwei Jahrzehnte nach Eröffnung der Brauerei in Santiago de Cuba hatte Hatuey bereits ein Drittel des kubanischen Marktes erobert. Der Umsatz war gut, die Marke bekannt, aber Geld verdienten die Bacardís mit der »kleinen Braut« des Präsidenten Schueg nicht. Das sollte sich nun ändern. Bosch schlug den Bau einer neuen Bierbrauerei in der Nähe von Havanna vor, und selbstverständlich genehmigte der Vorstand den Wunsch des Kronprinzen. Etwa fünfzehn Kilometer außerhalb von Havanna fand man in El Cotorro ein passendes Grundstück für die neue Fabrik, der man den Namen Modelo gab. Sie wurde im Dezember 1947 eröffnet und war wegen der Lage, der modernen Technologie und des ästhetisch anspruchsvoll gestalteten Ambiente lange Zeit ein Vorzeigeobjekt der Familie. Schon beinah im Stil einer Werbebroschüre beschreibt der Biograf Peter Foster die Brau-

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erei als »ein Monument der Technologie, bei dem Temperatur und Luftfeuchtigkeit ständig kontrolliert wurden. Es war aus rostfreiem Stahl und poliertem Kupfer gebaut und lag auf einem weitläufigen Terrain mit Mahagoni- und Teakbäumen, weißer Eiche und Eukalyptus. Es war eine beispiellose Glanzleistung.«3 In den ersten 15 Monaten nach Eröffnung der neuen Brauerei, die von den Besitzern als »Stolz der Nation« bezeichnet wurde, produzierte man in El Cotorro 3,5 Millionen Liter Bier, 1950 waren es bereits 22 Millionen. Die Familie freute sich über die Dividenden, und Bosch plante bald den Bau einer dritten Brauerei im Zentrum der Insel. Ganz in der Nähe von El Cotorro lebte damals der Schriftsteller Ernest Hemingway. Im Jahr 1939 hatten Martha Gellhorn und er die auf einer Anhöhe über dem Dorf San Francisco de Paula gelegene Finca Vigía gemietet und sie einige Zeit später gekauft. Und obwohl Hemingway selbst lieber den Papa Doble, einen speziell für ihn gemixten Daiquirí, trank, lässt er einige seiner literarischen Helden Hatuey-Bier trinken, zum Beispiel Harry Morgan in der Geschichte Haben und Nichthaben. Nachdem er von dem betrügerischen Amerikaner Johnson übers Ohr gehauen wurde, ist Harry finanziell am Ende. Er hat gerade noch genügend Cents in der Tasche, um sich in seiner Stammkneipe La Perla eine Suppe, ein bisschen Fleisch und eine Flasche Bier zu bestellen: »Ich aß Bohnensuppe und Rindsgulasch mit gekochten Kartoffeln für 15 Cents. Mit einer Flasche Hatuey-Bier stellte es sich auf einen Viertel Dollar.«4 Anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises im Jahr 1954 an Hemingway bedankte sich die Compañía bei dem Dichter für diese kostenlose Werbung mit einem großen Fest im Garten der Modelo-Brauerei. Mit der Organisation wurde der Journalist Fernando Campoamor beauftragt, ein Freund Hemingways. Alle kamen: Fotografen, Literaten, Journalisten, Künstler und die Fischer von Cojimar. Sie wurden – werbewirksam – vom Festleiter Pessino mit den Worten begrüßt: »Hier kommen die einfachen

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Fischer aus Cojimar, die engen Freunde eines großen Schriftstellers und Freunde von Hatuey-Bacardí. Die Firmen freuen sich über ihre Anwesenheit. Herzlich willkommen, Fischer von Cojimar!« Die Gäste feierten mit Freibier und Bacardí Daiquirís, zu essen gab es geröstetes Schweinefleisch, gebackene Bananen und Reis. »HatueyBier grüßt Ernesto Hemingway« stand auf einem riesigen, häufig fotografierten Plakat. Eine bessere Werbung für das Haus Bacardí war kaum denkbar. Ende der vierziger Jahre, als die Modelo-Brauerei die ersten großen Dividenden abwarf, die Folgen der Rumüberproduktion auf Puerto Rico allmählich in Vergessenheit gerieten und in Mexiko Rum der Marke Bacardí immer beliebter wurde, hatte Pepín Bosch sein erstes großes Ziel erreicht: Die Compañía Ron Bacardí war ein gesundes Unternehmen mit Wachstumschancen auf dem internationalen Markt.

Familienklatsch Enrique Schueg Chassin starb 1951, im Alter von 88 Jahren. Seit 1894 hatte er für die Firma in verantwortlichen Positionen gearbeitet, davon 29 Jahre lang als Präsident. Nach einem Schlaganfall 1946 hatte er im Rollstuhl gesessen und das Unternehmen nur noch nominell geleitet, aber seinen Titel als Präsident hatte er bis zum Schluss behalten. Sein Begräbnis glich dem seines Schwagers Emilio – es wurde zum Ereignis. Tausende gaben dem BacardíPräsidenten das letzte Geleit. Auf mehreren Lastwagen mussten die Kränze und Blumengestecke zum Friedhof transportiert werden, darunter auch ein Kranz des damaligen Präsidenten Carlos Prío Socorras. Angeführt wurde der Trauerzug von Schwiegersohn José Maria »Pepín« Bosch und Luis Casero, dem Bürgermeister von Santiago de Cuba. Wenige Tage nach den Trauerfeierlichkeiten lud der Vorstand

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der Compañía Ron Bacardí den Kronprinzen zu einem Meeting ein. Einziger Tagesordnungspunkt: die Wahl des neuen Präsidenten. Nach Lage der Dinge eine Formsache. Endlich erhielt José Pepín Bosch den Titel, der ihm seiner Meinung nach schon lange zustand. Bosch sollte 25 Jahre lang an der Spitze des Unternehmens stehen und halten, was er der Familie einst versprochen hatte: Sie reicher zu machen als den »Guinness-Clan«, der in den vierziger Jahren die üppig fließenden Dividenden aus dem weltweit florierenden Biergeschäft mit Inbrunst verprasste. Was zeichnete diesen Mann aus, der in der Company gleichermaßen geschätzt und gefürchtet wurde? Er war eher schweigsam, pflegte auf Zetteln das Notwendige mitzuteilen. Vor allem kritische Einwände machte er gerne schriftlich. Wer ein Memo mit Boschs Handschrift auf dem Schreibtisch entdeckte, dem zitterten fast immer die Hände beim Öffnen des Umschlags. Der Boss dagegen beeindruckte mit wohl temperiertem Verhalten. »Wenige Leute können sich daran erinnern, dass Bosch jemals die Beherrschung verlor«, schreibt Peter Foster, der 1989, fünf Jahre vor Boschs Tod, ein sehr langes Gespräch mit dem Ex-Präsidenten des Unternehmens führte und ihn dabei recht gut kennen lernte. »Sein Talent und sein Ruf waren tadellos. Seine Gedankengänge waren ein Mysterium und ein Wunder für alle, die in der Firma arbeiteten. Dauernd entwarf er neue Pläne. Innerhalb von einer Minute konnte er von einem Vorhaben begeistert sein, um es in der nächsten wieder zu verwerfen. Aber immer setzte er eine neue Idee, ein anderes Projekt dagegen. Er hatte einen brillanten Geschäftssinn und ein fotografisches Gedächtnis.«5 Das Multitalent Bosch war außerdem in der Lage, die schwierigen Ansprüche und Vorstellungen der Familie über Marktstrategien, Besetzung von Positionen, Höhe der Gewinnausschüttungen und Vieles mehr zu kanalisieren. Wünsche von Familienmitgliedern nach einem Job im Unternehmen wurden, wenn möglich, erfüllt. Aber immer behielt Bosch die Fäden in der Hand und entschied ausschließlich in seinem Sinne. Und wer nicht spurte, sich vielleicht

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sogar offen widersetzte, musste mit der »patriarchalischen Rute« rechnen. Ab ins Ausland, hieß es zum Beispiel, wenn Bosch die Ansprüche und Forderungen eines jungen Familienmitglieds nicht passten. In Mexiko oder Puerto Rico konnte sich der aufmüpfige Nachwuchs die Hörner abstoßen, wenn es sein musste als Lagerarbeiter, an der Rezeption oder in anderen ungeliebten Positionen. Biograf Foster meint jedoch, solche Opposition sei selten gewesen: »Vor Bosch hatte man gewaltigen Respekt. Außerdem riskierte man, wenn man ihm nicht gehorchte, aus der Firma hinausgeworfen zu werden. Und das kam einem Ausschluss aus der Familie gleich.«6 Die Firma ging ihm über alles, und er erwartete denselben Einsatz von allen, die für ihn arbeiteten. Als Joaquín Bacardí Fernández ihn um eine Woche Heiratsurlaub bat, soll Pepín Bosch streng die Dauer der Flittertage kritisiert und das Unternehmen Heirat auf drei Tage begrenzt haben, obwohl die zukünftige Frau Joaquíns in Boston lebte. »Du fliegst am Freitag, heiratest am Sonnabend und kommst Sonntag zurück«, war die Order des unerbittlichen Chefs und Joaquín soll sich widerspruchslos gefügt haben. Der zuverlässigste Freund von Pepín Bosch innerhalb des Clans war Schwager Victor, der trotz seiner Alkoholexzesse als Direktor in der Firma gute Arbeit leistete. Auch Daniel Bacardí Rosell, ein Enkel Emilios, gehörte zu den Vertrauten des Mannes an der Spitze. Vielleicht gefiel Bosch die Zielstrebigkeit Daniels, seine Unerschrockenheit und Schlagfertigkeit, ganz gewiss aber dessen Arbeitswut. Den Einstieg in das Unternehmen verdankte Daniel übrigens einem Zufall und der Arbeitsscheu seines Onkels Anton. Aufgrund mangelnder akademischer Ambitionen hatte Daniel zu Beginn der dreißiger Jahre sein Jurastudium in den USA abgebrochen und bei Enrique Schueg nach Arbeit gefragt. Dieser zeigte sich nicht begeistert, sondern empfahl dem ohne Diplom nach Hause Zurückgekehrten, sein Glück in einem anderen Unternehmen zu suchen. Dazu verspürte der junge Erbe jedoch wenig Lust, stattdessen kaufte er sich einen Lastwagen und gründete sein eigenes Transport-

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unternehmen. Von Zeit zu Zeit erschien er in Schuegs Büro, um sich nach einem Job zu erkundigen. Auch Anton Bacardí Fernández, der zweitälteste Sohn von José Bacardí y Moreau, besuchte den Onkel hin und wieder in der Chefetage, um sein Interesse an einer Tätigkeit zu bekunden. Alle Welt wusste, dass Playboy Anton nichts lieber tat als in Santiago Lokalrunden auszugeben und ihm nichts verhasster war als ein geregelter Arbeitstag. Aber natürlich galt es, den Schein zu wahren. Eines Tages begegneten sich Daniel und Anton vor dem Büro des Präsidenten. Anton kam heraus und blickte ziemlich missmutig drein. Nach freundlicher Begrüßung fragte Daniel seinen Onkel nach dem Grund der schlechten Laune. »Er hat einen Job für mich«, stöhnte Anton. »Ich soll den ganzen Tag arbeiten und schon morgens da sein.« Daniel, der sich nichts sehnlicher wünschte als endlich eine Tätigkeit im Familienunternehmen, hatte eine Idee. Er schlug dem Onkel vor, auf das Angebot zu verzichten und ihm den Job zu überlassen. Überglücklich stimmte Anton zu und verschwand mit der Bemerkung, er habe eine Verabredung und Daniel müsse das selbst mit dem Präsidenten klären. Der soll sehr geduldig zugehört und anschließend geseufzt haben: »¡Ay, la familia!« Was wohl so viel hieß wie: diese gottverdammte Familie! Das war 1935. Gefördert von Onkel Victor ging es in den kommenden Jahren ziemlich schnell nach oben auf der Karriereleiter. 1948 machte Bosch den vielfachen Familienvater zum Chef des Unternehmens in Santiago und damit zum zweitwichtigsten Mann im Reich der Bacardís. Gattin Graziella hatte es gewiss nicht leicht mit ihrem Mann, der sehr selbstbewusst, vielleicht sogar ein wenig rücksichtslos Geschäftsinteressen und Lebensfreude zu verbinden suchte. Während des Straßenkarnevals in Santiago, der alljährlich im Juli gefeiert wird, verschwand er – wie übrigens auch andere männliche Mitglieder des Clans – regelmäßig für drei Tage von der Bildfläche. Die Männer mischten sich gern unter das Volk, wo Bacardí-Rum und Hatuey-Bier in Strömen flossen. »Con Bacardí, siempre es alegría,

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fiesta y carnaval« verkündeten damals Werbeplakate. Frei übersetzt: Wo Bacardí getrunken wird, herrscht Stimmung und Lebensfreude pur. Ein Versprechen, mit dem bis heute erfolgreich für Rum aus dem Hause Bacardí geworben wird. Graziella empfand das Verhalten ihres Mannes als Skandal und beklagte sich eines Tages bei einem befreundeten Jesuitenpater über die Hemmungslosigkeit, mit der sich die Direktoren und Manager von Bacardí in den Festtrubel stürzten. »Sie trinken mit jedem, rennen den Mulattinnen hinterher und werden gar nicht mehr nüchtern!« Die Direktorengattin fürchtete, dass man den Respekt vor den Bacardís verlieren könnte. Der Priester überraschte Graziella mit der Antwort: »Vergiss es, gerade deswegen werden die Bacardís geliebt!« Vor allem aber liebte man sie, weil sie für die am schönsten dekorierte Straße einen Preis vergaben. Dabei sein war also Pflicht – genauso wie für die Arbeiter und Angestellten, die vor Beginn des Karnevals eine Sonderzahlung erhielten, damit sie angemessen feiern konnten. Eine schlaue Idee, denn natürlich wurde das zusätzliche Geld sofort wieder in Flüssiges umgesetzt: in Rum und Bier. Die Frauen der Familie hatten selbstverständlich weniger Gelegenheit, ihre Lust auf mögliche Abenteuer auszuleben. Der Karneval fand für sie im Country Club statt oder auf einer für die Öffentlichkeit unzugänglichen Straße in Vista Alegre, die für die tollen Tage des Karnevals entsprechend »toll« hergerichtet wurde. Obwohl die Bacardí-Erbinnen in bekannten europäischen Internaten ausgebildet wurden und die Möglichkeit hatten, auf Colleges in den USA oder in Kanada ihren Studienabschluss zu machen, kam niemand auf die Idee, sie in das Geschäftsleben einzubeziehen. Man sah es gerne, wenn sie in wohltätigen Organisationen arbeiteten oder künstlerische Interessen pflegten: Eine Tochter Emilios war Bildhauerin, eine andere versuchte sich als Schriftstellerin. Aber am liebsten sah man die Frauen zu Hause, als Mutter und Grande Dame bei gesellschaftlichen Ereignissen. Besonders gut gelang Enriqueta Bosch, Tochter von Amalia Bacardí y Moreau und Enrique Schueg, der Spagat zwischen Reprä-

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sentation und Verwirklichung ihrer Talente und Interessen. Pepín Boschs Frau war eine begabte Landschaftsarchitektin. Wann immer es galt, das Stadtbild von Santiago zu verschönern, machte Enriqueta Vorschläge und spendierte auch gleich das notwendige Geld für die Umsetzung. Die Santiagueros hatten ihr zum Beispiel die neue Pflasterung der Innenstadt zu verdanken, und wann immer ihr Mann den Bau einer neuen Fabrik plante, kümmerte sie sich um die Gestaltung der Grünanlagen oder sorgte für die Inneneinrichtung. Enriqueta war im übrigen sehr beliebt in der Familie. Sie galt als »das Ohr, das zu Bosch führte«. Wer sich nicht traute, mit dem Präsidenten zu sprechen, versuchte es bei Enriqueta. Auf jeden Fall stand an Pepín Boschs Seite eine Frau mit Herz und klarem Kopf, auf die sich der zu Misstrauen neigende Pepín hundertprozentig verlassen konnte. Boschs dritter männlicher Vertrauter war Joaquín Bacardí Fernández. Der hielt, gemeinsam mit seinem Bruder, dem Playboy Anton, zehn Prozent der Anteile. Joaquín war ein solider Manager und genoss schon deshalb das volle Vertrauen des Kronprinzen. Umgekehrt sah die Sache anders aus. Joaquín soll, wie Peter Foster von einem Familienmitglied erfuhr, Angst vor Pepín gehabt haben. Beide Männer verband seit 1946 ein traumatisches Ereignis. Bei einer Explosion auf der Yacht Boschs, die sich beim Ablegen im Hafen von Santiago ereignete, war Joaquín ins Wasser und Pepín auf den Pier geschleudert worden. Joaquín musste der Magen ausgepumpt werden, weil er zu viel verseuchtes Wasser geschluckt hatte, Bosch wurde umgehend zur Operation in die USA geflogen. Beim Aufprall auf den harten Pier war ein Bein zertrümmert worden. Sein Leben wurde gerettet, aber seit diesem Unfall hinkte er, was an seinen Schwiegervater Schueg erinnerte, der seit einem Reitunfall in der Jugend ein Bein nachgezogen hatte. Der Spott ließ in Santiago nicht lange auf sich warten. »Guck mal, da kommt ein zukünftiger Präsident von Bacardí«, hieß es sobald ein hinkender Mensch gesichtet wurde.

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Ausflug in die Politik Das Haus Bacardí war bestellt, als Bosch 1950 völlig überraschend von Präsident Carlos Prío Socarrás gefragt wurde, ob er Finanzminister werden wolle. Bosch erzählte, er habe sich zunächst geweigert, habe dann aber dem Druck des Präsidenten nachgeben müssen. Kubas Finanzlage war zu diesem Zeitpunkt desaströs. Die Wirtschaft der Insel hatte sich zwar aufgrund der hohen Weltmarktpreise für Zucker in den Nachkriegsjahren erholt, aber weder Fulgencio Batista (1940 –1944) noch Ramón Grau San Martin (1944 –1948, nachdem er 1933 für vier Monate an der Macht war) hatten es in ihrer Regierungszeit geschafft, die positiven Weltmarktbedingungen für die ökonomische Entwicklung Kubas zu nutzen. Nach wie vor machte Zucker 90 Prozent der kubanischen Exporte aus, und diese Abhängigkeit hatte sich längst als fatal erwiesen. Wirtschaftsfachleute verlangten seit langem eine ökonomische Diversifizierung, aber nichts geschah. Statt sanft zu industrialisieren, wurde die Zahl der Staatsangestellten ständig in die Höhe geschraubt, von 60 000 im Jahr 1943 auf 200 000 im Jahr 1950. Korruption und Machtmissbrauch gehörten wie eh und je zum politischen Alltag, trotz der altruistischen Schwüre, die jeder neue Präsident bei seinem Amtsantritt abgab: »Nicht ich habe heute die Macht übernommen, sondern das Volk«, hatte Ramón Grau San Martín nach seinem Wahlsieg im Oktober 1944 verkündet. Es gelang ihm im Laufe seiner Amtszeit aber nicht, die von ihm selbst initiierten arbeiterfreundlichen Sozialgesetze zu verabschieden. Die Ausläufer des Kalten Krieges hatten inzwischen auch Kuba erreicht, und soziale Reformer gerieten schnell in den Verdacht, zur »Fünften Kolonne« des Kommunismus zu gehören. Wie immer man die Regierung Príos beurteilen will, Pepín Bosch erwies seinem Vaterland Kuba während seiner 14-monatigen Amtszeit als Finanzminister einen guten Dienst. Mit 18 Millionen war der Staatshaushalt bei seinem Amtsantritt 1950 in den roten Zah-

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len gewesen, mit 15 Millionen Plus schied der Wirtschaftsmagier aus dem Amt, das allgemein als »Kamikaze-Unternehmen« bezeichnet wurde. Mit Leidenschaft versuchte Bosch, im »Stall des Augias« für eine bessere Luft zu sorgen. Unerbittlich und ohne Ansehen von Person und Privilegien soll er Steuerschulden eingetrieben haben und bei seiner Jagd angeblich selbst die eigene Familie nicht verschont haben. Trotzdem war er vermutlich heilfroh, dass er diese undankbare Aufgabe abgeben konnte, als ihn die Familie im März 1951 zum Präsidenten des Unternehmens wählte, denn die politische Situation drohte vollends außer Kontrolle zu geraten. Gegen Ende der vierziger Jahre nahm die Verrohung im Kampf um die politische Macht und die Erschließung neuer Geldquellen, vor allem für die eigene Tasche, ein nie da gewesenes Ausmaß an. Mithilfe bewaffneter Banden schafften Politiker und alle, die sich Berufskiller leisten konnten, unliebsame Konkurrenten aus dem Weg oder brachten politische Gegenspieler durch ständige Bedrohung zum Schweigen. Ein neuer Begriff war in aller Munde: Gangsterismo. Zu den Opfern der Politmafia gehörte 1948 auch Jesús Menéndez, der schwarze Führer der Zuckerrohrgewerkschaft. Er wurde auf dem Bahnhof von Manzanillo hinterrücks erschossen, angeblich im Auftrag des Gewerkschaftsführers Eusebio Mujal. Mujal war ein eingeschriebenes Mitglied der Partido Auténtico, der auch die Präsidenten Grau und Prío angehörten. Die Order, linksorientierte Gewerkschafter zu mäßigen beziehungsweise mundtot zu machen, kam also von ganz oben und war auch im Sinne der Unternehmer. Die Einschüchterungsstrategie hatte Erfolg. Zu den wenigen, die mutig weiter gegen Korruption und Machtmissbrauch kämpften, gehörte Eduardo Chibás, ein ehemaliger Weggefährte von Grau und Prío. Er hatte aus Protest gegen die Räubermethoden und das Missmanagement der Regierung 1947 eine eigene Partei gegründet: die »Partei des kubanischen Volkes«, im Volksmund »die Orthodoxen« genannt. Chibás war reich und konnte sich eine allwöchentliche Radiosendung leisten. Unter dem

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Motto »Ehre contra Geld« wetterte er jeden Sonntagabend 30 Minuten lang gegen die Regierung und alle, die mit ihr gemeinsame Sache machten. Er beklagte Geldgier und Bestechlichkeit, Vetternwirtschaft und den alltäglichen Missbrauch von Macht. Mit seinen offenen, kritischen Worten gewann Chibás die Herzen der kleinen Leute. Hunderttausende schalteten seine Sendung ein. Sein Tod kam überraschend und war spektakulär. Nach einem glühenden Appell an alle Kubaner, endlich aufzuwachen und gegen politische Unfreiheit, wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen, zog er vor geöffnetem Mikrofon einen 38er Colt aus seiner Tasche und erschoss sich. Frank Niess schildert die Reaktion auf Chibás’ Tod so: »Tragisch, dass er in dieser Minute seine Sendezeit überzogen hatte. Es lief bereits ein anderes Programm. Aber die Nachricht von seinem Verzweiflungsakt machte in Windeseile die Runde in Havanna. Das Begräbnis wurde zu einer Massendemonstration gegen das faulige Regime. Chibás’ Leichnam hatte man zuvor in der Hauptstadt aufgebahrt. Die erste Totenwache hatte ein junger Rechtsanwalt gehalten: Fidel Castro.«7 Fidel Castro gehörte zu den Gründungsmitgliedern der »Partei des kubanischen Volkes« und kandidierte ein Jahr später im Alter von gerade einmal 25 Jahren für einen Sitz als Abgeordneter im kubanischen Parlament. Die Orthodoxen hatten sich 1952 gewisse Chancen auf einen Wahlsieg ausgerechnet, zumal die konkurrierende Partei der Auténticos aufgrund der Misswirtschaft ihres Präsidenten Prío mit schwindenden Mitgliederzahlen zu kämpfen hatte. Kandidat der Authentischen Partei war Carlos Hevia, pikanterweise eng verbunden mit Pepín Bosch. Hevia leitete die Brauerei der Bacardís in El Cotorro und hatte gemeinsam mit Bosch jener Gruppe angehört, deren Putsch gegen Diktator Machado 1931 gescheitert war. Für Bosch war es also selbstverständlich, Carlos Hevia im Wahlkampf zu unterstützen, obwohl er, wie es hieß, Hevias politische Fähigkeiten nicht allzu sehr schätzte. Aber auf Kuba lebte die Gesellschaft, vor allem in der Politik, nach dem Prinzip »eine Hand wäscht die andere«. Im Falle eines Wahlsieges

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der Auténticos konnte Bosch also mit niedrigen Export- und Umsatzsteuern und anderen Vergünstigungen rechnen. Aber zu diesem Wahlsieg kam es nicht, denn 80 Tage vor der Wahl putschte sich Fulgencio Batista zum zweiten Mal an die Macht, diesmal mit Unterstützung der Generalität und als Interessenvertreter der Zuckerbarone. Am 10. März 1952 wird der Präsidentenpalast von den Putschisten besetzt. Das Volk jubelt und brüllt: »Prío raus!« und Batista verkündet: »Das Volk und ich sind die Diktatoren.« Die Gewerkschaften lassen sich blenden und stellen sich hinter ihn, während die Parteien orientierungslos und wie gelähmt den Dingen ihren Lauf lassen. Nur einer wehrt sich: der Rechtsanwalt Fidel Castro, einer der Führer der »orthodoxen Jugend«. Er reicht Klage ein gegen Batista und fordert seine sofortige Inhaftierung wegen Bruchs der Verfassung, Meuterei, Hochverrat und Aufruhr. Wenig überraschend wird seine Klage abgelehnt. Natürlich ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand, welche Rolle der damals 26 Jahre alte Castro in den kommenden Jahren und Jahrzehnten spielen würde. Noch nahm man ihn nicht ernst. Aber schon ein paar Jahre später sollte die etablierte Politmafia begreifen, dass unter den jungen Linken eine neue kampfbereite Generation heranwuchs und dass es sich bei den jungen Leuten um den Martí-Anhänger Castro nicht um Postenjäger und karrieresüchtige Aktivisten handelte, sondern um junge Männer, die eine klare Vorstellung hatten von den sozialen Verhältnissen im Land. Sie kannten das Elend der Landbevölkerung genauso gut wie den völlig überdrehten materialistischen Lebensstil der feinen und halbseidenen Gesellschaft in Havanna. Ihr Ziel war es, in der Nachfolge José Martís für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und nationale Unabhängigkeit zu kämpfen. Zum ersten revolutionären Wetterleuchten kommt es am 26. Juli 1953. Während des legendären Straßenkarnevals in Santiago de Cuba versuchen unter der Führung von Fidel Castro 165 Rebellen die Moncada-Kaserne zu stürmen. Die Kaserne ist die zweitgrößte Armeeeinrichtung des Landes. Waffen sollen erbeutet werden,

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danach will man zuerst Santiago und dann Schritt für Schritt den gesamten Oriente zur »befreiten Zone« erklären. Aufgrund von Missverständnissen und nicht einkalkulierten Zwischenfällen geht die Sache schief. Acht Kämpfer sterben im Verlauf des Gefechts, mehr als 50 werden nach der Gefangennahme erschossen oder sterben nach schwersten Misshandlungen. Gemeinsam mit 18 Compañeros gelingt Castro die Flucht in die Berge. Aber dort werden die Rebellen bald aufgespürt. Wochen später verurteilt man sie zu langjährigen Haftstrafen. »Die Geschichte wird mich freisprechen«, sind die Schlussworte in der Verteidigungsrede Fidel Castros, in der er schwere Anklagen gegen Fulgencio Batista erhebt und für das »Recht auf Widerstand gegen einen brutalen und schändlichen Despotismus« plädiert.8 Fidel Castro und die übrigen am Überfall beteiligten Mitglieder des »Movimiento 26« werden in ein so genanntes Modellgefängnis auf die Isla de los Pinos geschafft, wo Castro von insgesamt 22 Monaten Haft 19 Monate in einer Einzelzelle verbringt. Zeit genug, um sich auf das Leben danach vorzubereiten. Aufgrund einer Amnestie, die Fulgencio Batista anlässlich seiner Wiederwahl zum Präsidenten 1954 anordnet, werden die politischen Gefangenen 1955 freigelassen. Noch im Sommer desselben Jahres geht Castro nach Mexiko ins Exil, landet am 2. Dezember 1956 mit der »Granma« an der Südostküste Kubas und beginnt mit einem Dutzend Guerrilleros den Kampf gegen den Diktator. Dass es diesen »Jungen Wilden« gelingen würde, in weniger als einem Jahrzehnt die kubanischen Verhältnisse auf den Kopf zu stellen, eine sozialistische Grundordnung zu etablieren und weit über vierzig Jahre an der Macht zu bleiben, damit rechnete Ende 1956 niemand. Und so sammelten Castro und seine rebellischen Freunde, die wegen der schnell wachsenden Bärte bald liebevoll als »Barbudos« bezeichnet wurden, zunächst Sympathien. Je mehr Terror und Willkür unter Batista um sich griffen, desto größer wurde die Zahl der »Fidelistas«, jener Bürger, die auf die Zerstörung der Batista-Diktatur durch die Kämpfer in den Bergen hofften.

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In Santiago gehörten auch Mitglieder der Familie Bacardí sowie Mitarbeiter in der Rumfabrik und der Bierbrauerei zu den Sympathisanten des »Movimiento 26«. Für Pepín Bosch, der Batista schon seit dessen erstem Auftreten abgelehnt hatte, wurde der heimliche Kampf gegen den Diktator zur Selbstverständlichkeit. Natürlich war und blieb er ein Verfechter kapitalistischer Marktgesetze, und natürlich verdammte er jeden sozialistischen Denkansatz, aber er spürte, dass die himmelschreienden sozialen Gegensätze – hier die hungernde Landbevölkerung, in den Städten Verschwendung und Überfluss – auf lange Sicht sozialen Sprengstoff bieten würden. Nichts jedoch schadete dem Markt mehr als soziale Unruhen, Streiks, Mord und Totschlag auf den Straßen. Vor allem ausgedehnte Arbeitskämpfe waren damals – und sind es noch heute – Gift für die Bilanzen. Bosch hatte schon vor seinem Ausflug in das Kabinett Príos versucht, die Arbeiterschaft bei Bacardí durch großzügige soziale Leistungen ruhig zu stellen, nach seiner Wahl zum Präsidenten von Ron Bacardí setzte er diese Strategie fort. Ein Beteiligungsmodell sollte den Arbeitern helfen, Kapital zu bilden. Zu diesem Zweck wurde eine Gesellschaft mit Namen »Minera Occidental« gegründet. Aktien im Wert von je zehn Pesos wurden an die Arbeiter vergeben. Aus der kritischen Perspektive des kolumbianischen Journalisten Hernando Calvo Ospina ähnelte dieser Versuch, Arbeitern die Kapitalbildung zu ermöglichen, einem Schurkenstreich. »Da das neu zu schaffende Unternehmen angeblich Arbeitsplätze schaffen würde, wurde es gesetzlich von der Einfuhrsteuer auf Material und Maschinen befreit. ›Minera Occidental‹ hob ein paar Meter Tunnel aus und erklärte sich dann für bankrott. Zu diesem Zeitpunkt war der Löwenanteil der importierten Maschinen bereits an den Rumproduzenten ›verkauft‹ worden. Es stimmt schon, dass es ein Lieblingssport der großen Kapitalgesellschaften ist, sich üble Tricks auszudenken, um Steuern zu hinterziehen oder Gewinne jedweder Art zu ergattern. In diesem Fall besteht die Gaunerei darin, dass Bacardí das Geld der Arbeiter behielt, die seinen Sirenengesängen

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vertraut hatten: eine Summe, die im Vergleich zum Kapital des Rumkonzerns wie ein Tropfen im Ozean war. Nach dem Tod seines Vaters versuchte Pepe Hernández (heute Direktor des RumMuseums in Santiago) mit dessen Zertifikat, das von Pepín Bosch selbst unterschrieben worden war, den Gegenwert zurückzufordern. Der starke Mann des reichen Bacardí-Konzerns gab ihm eine ernüchternde Antwort: Er zeigte Hernández ein von dessen Vater unterschriebenes Papier, aus dem hervorging, dass dieser Pepín Bosch als Erben eingesetzt hatte.«9

Fidel Castro ante portas Die Geschäfte der Bacardís liefen gut nach der Rückkehr Pepín Boschs aus Havanna, aber nach dem Putsch Batistas und nach dem Angriff des »Movimiento 26« auf die Moncada-Kaserne wurde das Leben schlagartig ungemütlicher auf der Insel, die schon zu Beginn der fünfziger Jahre als Weltzentrum des Verbrechens galt. Im Namen des Gesetzes verschwanden Menschen, im Namen der Mafia wurde erpresst und gemordet, und im Namen der Revolution – welcher auch immer – wurden Menschen entführt. Astronomisch hohe Summen waren mit Drogen zu verdienen. Havanna gehörte zu den beliebtesten Umschlagplätzen für Heroin und Kokain, auch deshalb, weil sich in den Spielcasinos und Bordellen das schmutzige Geld problemlos waschen ließ. Vielleicht lockte gerade das Zwielicht all jene an, die genügend Geld in der Tasche hatten, um es auf den Amüsiermeilen der Stadt für Daiquirís, Mojitos, Roulettechips oder schöne Frauen hinauszuwerfen. Amerikanische Filmgrößen, Künstler und Schriftsteller waren verliebt in die flirrende Atmosphäre Havannas und kamen oft für Wochen auf die Insel. Beliebtester Treffpunkt der Prominenten, darunter auch Ava Gardener, Errol Flynn, Robert Taylor, Marlene Dietrich, Barbara Stanwyck und Spencer Tracy, war die Bar

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Floredita an der Calle Obispo, seit den dreißiger Jahren Hemingways Stammlokal. Auch die privilegierten Bacardís bekamen die zunehmende Verrohung des Alltagslebens zu spüren. 1954 wurde einer der Söhne des Bacardí-Vizepräsidenten Daniel Bacardí Rosell auf dem Weg zur Schule entführt. Ganz Santiago war auf den Beinen, um das entführte Kind zu finden. Die Bacardís selbst hatten Hilfskräfte aus allen gesellschaftlichen Bereichen mobilisiert, Hundertschaften von Soldaten, Feuerwehrleuten und Polizisten durchkämmten die Gegend rund um die Stadt. Hubschrauber aus der US-Militärbasis in Guantánamo überflogen die nahe gelegenen bewaldeten Hügel. Zuerst verhaftete man den Chauffeur der Familie Bacardí Rosell, der die Kinder täglich zur Schule brachte. Noch am selben Tag entdeckte man den Kidnapper samt Kind ganz in der Nähe von Santiago. Der Junge konnte unverletzt den Eltern übergeben werden. Über den Ausgang der Geschichte gibt es verschiedene Versionen. Eine erzählt, dass der bewaffnete Kidnapper auf der Flucht erschossen wurde, eine zweite, dass der Kidnapper unbewaffnet gewesen sei, eine dritte behauptet, der Chauffeur sei bei den Befragungen im Gefängnis zu Tode gefoltert worden, eine vierte, dass er zu fliehen versucht habe, als klar war, dass er von dem Kidnapping wusste und dass auch er auf der Flucht erschossen worden sei. Was sich auch immer ereignet haben mag, die Sache wirft ein erhellendes Licht auf das Klima jener Jahre. Rechtsstaatlichkeit schien ein Fremdwort. Es regierten das Geld und der Revolver. Der Versuch Fidel Castros, die Moncada-Kaserne einzunehmen, gilt bis heute als Auftakt der kubanischen Revolution. Für Männer wie Pepín Bosch, die selbst in ihrer Jugend zu den Revoltierenden gehörten, war es kein Schock, dass jemand versuchte, mit Waffengewalt die politischen Strukturen zu verändern und dass junge Männer aus allen sozialen Schichten im Kampf für mehr Freiheit und soziale Gerechtigkeit ihr Leben aufs Spiel setzten. Ganz im Gegenteil: Als Fidel Castro mit seinen Guerilleros in die Berge zog, fühlte sich Bosch an die Ideale seiner Jugend erinnert. Er teilte Cas-

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tros Ansicht, dass Bürger das Recht auf Widerstand gegen einen ungeliebten Tyrannen haben. Und so erwies er im Juli 1953 den gefallenen Rebellen seine Referenz und zahlte die Bestattungskosten für 13 getötete Mitglieder des »Movimiento 26«. Es war wie ein Bekenntnis. Dann kam das Jahr 1956. Am 2. Dezember landet die Yacht »Granma« aus Mexiko kommend an der Südostküste Kubas, wegen schlechter Witterungsbedingungen jedoch am falschen Ort. Soldaten Batistas beschießen das Schiff. Von den 86 Rebellen, die in Mexiko aufgebrochen waren, um Kuba vom Tyrannen zu befreien, überleben nur 15 den Angriff, darunter auch Ernesto »Che« Guevara, der mythenumwobene Held der kubanischen Revolution. Die Gruppe versteckt sich in den Bergen der Sierra Maestra und beginnt dort den revolutionären Kampf. Von Santiago aus ist es nicht weit bis in die Sierra. Die Rebellen bekommen bald Zulauf von jungen Leuten aus der Stadt. Sie bringen den Guerilleros lebensnotwendige Dinge und Waffen. Mancher bleibt. Unter den Kurieren ist auch Vilma Espín, die Tochter des bei Bacardí angestellten Managers José Espín. Sie wird später Raul Castro heiraten, den Bruder Fidel Castros und die erste Dame Kubas werden. Die Teenager aus dem Bacardí-Clan sammeln in der Schule begeistert Geld für die »Barbudos« in den Bergen. Aber Eltern und Verwandte beobachten sehr genau, wie weit die Jungen gehen. Wer sich allzu fanatisch für die Ziele der Revolutionäre einsetzt, wie zum Beispiel Roberto del Rosal, ein Urenkel Emilios, der wird eilig aus dem Verkehr gezogen und nach Havanna oder Amerika geschickt. Während sich die jüngeren Bacardís offensichtlich für die Revolution begeisterten, waren die Älteren auf vielfältige und oft undurchsichtige Weise in den Kampf gegen die Diktatur Fulgencio Batistas verstrickt. Bosch gab immer wieder Geld, wenn es darum ging, Waffen zu beschaffen oder jemanden ins Ausland zu bringen, für den der Boden auf Kuba zu heiß wurde. Einer der Verbindungsleute zu den Widerstandskreisen in Havanna war Guillermo Marmól, der Justitiar der Firma und Boschs rechte Hand in seiner

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Zeit als Finanzminister. Pepín Bosch ermöglichte auch die Einreise des amerikanischen Starreporters Herbert L. Matthews. Er sollte für die New York Times Interviews mit Fidel Castro und anderen Kämpfern führen, um die US-amerikanische Öffentlichkeit auf den Sturz Batistas einzustimmen. Bosch ging davon aus, dass dieser Sturz über die USA führte. Die US-Regierung brauchte seiner Meinung nach eine Vorstellung von den Zielen der Revolutionäre und ein klares Bild über die Alternativen, erst dann würden sie Batista fallen lassen. Bei seinen Bemühungen ging es Bosch nicht etwa um die Inthronisierung Fidel Castros. Er arbeitete einzig und allein für die Ablösung des verhassten Präsidenten Batista. Matthews war nicht der einzige von Bosch unterstützte Journalist. Auch Coronel Jules Dubois von der Chicago Tribune wurde in die Anti-BatistaKampagne einbezogen. Im Juni 1957 kam es bei einer kurzen Begegnung des Unternehmers mit dem Journalisten zu folgendem Dialog, den Peter Foster zitiert: »›Es ist gut, dass Sie heute Abend gekommen sind‹, sagte Pepín, ›denn heute morgen haben Anhänger Fidel Castros einen Soldaten getötet, der in einem Bus unterwegs war. Ihre Ankunft hält vielleicht die Polizei und die Armee davon ab, vier Jugendliche festzunehmen und als Vergeltung zu töten.‹«10 Am selben Abend wurde für Dubois im Country Club in El Caney ein geheimes Dinner arrangiert. Anwesend waren unter anderen Pepín Bosch, Daniel Bacardí Rosell, damals auch Präsident der Handelskammer, Manuel Urrutia – der einzige Richter, der die Verurteilung Castros 1953 verweigert hatte –, ein prominenter katholischer Priester, der Präsident der Universität, die Präsidenten der örtlichen Lions und Rotary Clubs sowie prominente Geschäftsleute. »An einem Ende der langen Tafel fiel Dubois ein leerer Stuhl auf. Auf dem Tisch ein Gedeck und eine Tischkarte: reserviert. Fernando Ojeda, ein Kaffeeexporteur, der bei diesem Essen den Vorsitz hatte, erklärte Dubois vor der ganzen Versammlung, was es damit auf sich hatte: ›Einer unserer Landsleute wollte heute Abend Ihnen zu Ehren an diesem Essen teilnehmen. Er bedauert es, nicht kommen zu können. Wir verstehen das, und wir akzeptieren seine

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Entschuldigung, denn er hat eine wichtige Mission für Kuba übernommen. Sein Name ist Fidel Castro.‹«11

Bacardí contra Batista – Bosch pokert Bosch, der auch bei diesem Treffen der oppositionellen Kräfte wieder seine Finger im Spiel hatte, lebte gefährlich. Batista hatte ihn längst als engagierten Gegner enttarnt. Im März des Jahres 1957 hatten Studenten der revolutionären Gruppe »Directorio Estudiante« versucht, den Präsidentenpalast in Havanna zu besetzen und Batista zu ermorden. Der Coup misslang, weil sich die Revolutionäre im Palast verliefen. Der Präsident kam mit dem Schrecken davon, der Anführer der Gruppe wurde erschossen. Im Laufe der kommenden Wochen wurde Batista mit guten Wünschen überhäuft. Repräsentanten fast aller Organisationen und Vereinigungen gaben kund, wie verabscheuungswürdig sie die Tat fanden und wie glücklich sie seien, dass der Präsident den Anschlag überlebt hätte. Das Haus Bacardí schwieg. Batista begann, die Bacardís zu quälen. Ein Senator musste im Auftrag des Präsidenten nachfragen, wo die Stellungnahme des Rumfabrikanten zum Attentatsversuch bliebe. Bosch reagierte nicht. Der Senator setzte nach und schlug ein Interview vor, in dem Bosch bestätigen sollte, dass auch er das Attentat »verabscheuungswürdig« fände. Wieder weigerte sich Bosch. Er ließ lediglich mitteilen, dass jeder, der die Macht an sich gerissen hätte, wachsam sein müsse. Wenn dem so sei, ließ ihn der Senator wissen, könne die Sicherheit Boschs von der Regierung nicht mehr garantiert werden.12 Dessen Reaktion war knapp. Selbstbewusst ließ er verlauten, dass man nicht wagen würde, ihn zu töten. Außerdem habe er keine Angst. Doch der Präsident von Bacardí war auf der Hut. Er rechnete täglich mit Repressalien in Form von Steuererhöhungen oder anderen, geschäftsschädigenden Maßnahmen. Die Einschüchte-

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rungsversuche der Regierung liefen jedoch nicht in Richtung Geschäft, sondern gegen die Familie. Völlig grundlos wurde eines Tages Boschs jüngster Sohn Carlos verhaftet, Besitzer einer Schweine- und Hühnerfarm. Vater Pepín befand sich gerade auf einer Geschäftsreise in Mexiko. Sobald ihn die Nachricht erreichte, kehrte Bosch nach Kuba zurück, um seinem Sohn beizustehen. Der war jedoch bereits wieder aus der Haft entlassen worden. Onkel Victor hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um dem Neffen zu helfen. Vater Bosch aber sollte offensichtlich in die Falle gelockt werden. Aus dem Führungsstab der Streitkräfte in der MoncadaKaserne kam die Anfrage, ob er sich nicht an die Spitze eines Putsches gegen Batista setzen wolle. Bosch packte umgehend die Koffer und verließ das Land – wie wir heute wissen, mit wichtigen geschäftlichen Dokumenten im Gepäck. Er flog auf die Bahamas, um dort die Handelsmarke Bacardí registrieren zu lassen. Dieser eigenmächtige, mit niemandem abgesprochene Entschluss, sollte dem Unternehmen später die internationalen Markenrechte sichern und wird noch heute als »heldenhafte Tat« von der Familie gefeiert. Auch Daniel Bacardí Rosell, Vizepräsident des Unternehmens und Stellvertreter Boschs bei dessen Abwesenheit, zeigte offen, für welche Seite sein politisches Herz schlug. Als im Juli 1957 Frank País, ein 23 Jahre alter Studentenführer und Mitstreiter Fidel Castros in Santiago erschossen wurde, kam es in der Stadt zunächst zu Massendemonstrationen und am Tag nach dem Begräbnis zu einem Generalstreik. Mitgetragen und mitorganisiert wurde dieser Protest vom Vorsitzenden der örtlichen Handelskammer Daniel Bacardí Rosell. Wenige Tage später tauchten Soldaten in der Villa des Bacardí-Managers auf und verlangten die Unterzeichnung eines Dokuments, in dem Daniel alle Arbeitnehmer aufforderte, unverzüglich die Arbeit wieder aufzunehmen. Obwohl der sich weigerte, die gewünschte Unterschrift zu leisten, wurden die Arbeiter in der Tat am nächsten Morgen in einem Zeitungsartikel gedrängt, wieder an die Arbeitsplätze zurückzukehren. Der Name des Unterzeichners: Daniel Bacardí Rosell.

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Die Lage spitzte sich weiter zu. Diktator Batista geriet immer mehr in die Defensive, vor allem deshalb, weil die USA seit März 1958 keine Waffen mehr lieferten. Batista reagierte seine Enttäuschung mit Repressionen nach innen ab und trieb damit die Kubaner scharenweise in die Arme Castros. Dessen Pläne für ein neues Kuba hörten sich gut an. Er wollte nach seinem Sieg die liberale soziale Verfassung von 1940 wieder einsetzen, er versprach freie Wahlen und soziale Reformen. Was Castro nicht versprach, war Wohlstand für alle und Wirtschaftswachstum, obwohl der Mittelstand sehr gerne etwas über die ökonomischen Zukunftsperspektiven erfahren hätte. Gegen Ende der fünfziger Jahre hatte sich der Lebensstandard der bürgerlichen Mittelschicht nämlich zunehmend verschlechtert. Die Preise waren kontinuierlich gestiegen, nicht aber die Einkommen. Zwar schnitten die Kubaner im Vergleich zu anderen Staaten Lateinamerikas noch immer gut ab, wenn es in Statistiken um die Dichte von Fernsehgeräten, Telefonen oder Autos ging. Aber das Konsumverhalten und der gesamte Lebensstil der Städter orientierten sich am Nachbarn im Norden. Die Mittelschicht wollte so leben wie der durchschnittliche US-Amerikaner und vergaß dabei das soziale Gefälle im eigenen Land. In den kubanischen Dörfern herrschten himmelschreiende Missstände. Die meisten Landbewohner waren unter- oder einseitig ernährt, weil gesunde Produkte wie Fleisch, Milch und Eier in die Städte wanderten; die medizinische Versorgung war unzureichend, es gab wenige und schlechte Schulen, fast zwei Drittel der Landbewohner waren Analphabeten. Fast 60 Prozent der ländlichen Bevölkerung waren arbeitslos oder unterbeschäftigt; dazu zählten auch die Zuckerrohrschneider, die nur saisonbedingte Einkünfte hatten. Auf jeden Fall galt Fidel Castro im Frühjahr 1958 bei der Mehrheit der kubanischen Bevölkerung als Alternative zu Batista. Kaum jemand zweifelte an seinen Führungsqualitäten, denn was man über seinen Kampf in den Bergen erfuhr, war so beeindruckend, dass selbst die Köpfe aus der bürgerlichen Opposition in ihm den

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Retter sahen. Schon im Sommer 1957, also wenige Monate nach dem Beginn der Kämpfe in der Sierra, begannen die gemäßigten Kräfte, um seine Gunst zu buhlen. Felipe Pazos, der ehemalige Präsident der kubanischen Nationalbank und Raúl Chibás, der Bruder des politischen Selbstmörders Eduardo Chibás, setzten sich mit dem »Manifest der Sierra«, das mit Castro ausgehandelt worden war, an die Spitze einer so genannten »breiten zivilen Revolutionsfront«. Wann immer Pazos, den Pepín Bosch schon seit seiner Studentenzeit kannte, den Bacardí-Präsidenten um Geld für die »revolutionäre Sache« bat, erhielt er es ohne große Nachfrage. Es dauerte noch ein ganzes Jahr, bis auch die Regierung in Washington begriff, dass ihr langjähriger Verbündeter in Havanna nicht mehr zu retten war. Arbeiter steckten Zuckerrohrfelder in Brand, Sabotageakte machten die Städte so unsicher, dass kaum noch Touristen nach Kuba reisten, im Militär kam es zu Verschwörungen, in den Fabriken löste ein Streik den anderen ab. Nun wurde auch der Regierung in den USA allmählich klar, dass sie Stellung beziehen musste. Die Entscheidung fiel zugunsten Castros, denn die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung, ob arm oder reich, stand hinter dem Comandante und seinen bärtigen Compañeros. Im Sommer 1958 erkannte selbst die konkurrierende Kommunistische Partei Castros Führung im Kampf gegen Batista an. Nach späteren Aussagen gegenüber dem Journalisten Peter Foster will Bosch jedoch schon damals misstrauisch gewesen sein, trotz der finanziellen und ideellen Unterstützung, die er den »Barbudos« zukommen ließ. Möglicherweise hatte er tatsächlich aus den Interviews mit Castro, die in der New York Times regelmäßig erschienen, herausgelesen, dass es von Seiten der Revolutionäre Vorbehalte gegen die USA und Ressentiments gegen den kubanischen Geldadel gab. Die Befürchtung, dass Fidel Castro nach vollendeter Revolution möglicherweise nicht der richtige Mann an der Spitze Kubas sei, wurde von etlichen amerikanischen Diplomaten geteilt, darunter Botschafter William Pawley, der für eine schnelle Ablösung Batistas plädierte und die Einsetzung einer aus fünf Per-

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sonen bestehenden Interimsregierung vorschlug. Es verwundert nicht, dass auch Pepín Bosch ein Mitglied dieser Übergangsregierung sein sollte, denn Pawley war mit Bosch recht gut befreundet. Am 9. Dezember 1958 sprach Pawley drei Stunden lang mit Diktator Batista, um ihn zur Ausreise zu bewegen. Vergeblich. Der Diplomat gab später zu Protokoll: »Ich bot ihm an, zusammen mit seiner Familie in Daytona Beach zu leben, dass dort seine Freunde und seine Familie nicht belästigt würden und dass wir alle Anstrengungen unternehmen würden, um zu verhindern, dass der Kommunist Fidel Castro an die Macht kommt. Und wir sagten ihm auch, dass die Übergangsregierung aus Männern bestehen würde, die zu seinen Feinden gehören.«13 Batista lehnte Pawleys Vorschläge rundweg ab. Acht Tage später erfuhr er von Botschafter Earl Smith, dass Washington seinen Rücktritt wünsche, weil er die Kontrolle über das Land verloren habe. In der Nacht zum 1. Januar 1959 verließ der Diktator Kuba in Richtung Dominikanische Republik, mit 20 Koffern, vermutlich vollgestopft mit Geld. Über 400 Millionen US-Dollar soll Batista im Laufe von acht Regierungsjahren aus dem Land geschafft haben. Am 1. Januar 1959 marschierten die siegreichen Guerilleros unter dem Jubel von Hunderttausenden in Havanna ein. Eine neue Zeitrechnung begann – für alle Kubaner, auch für die Bacardís.

Sieg der Revolution – Kurswechsel im Hause Bacardí Während Bosch weiter eine gewisse Reserviertheit gegenüber Castro verspürt haben will, wird der Sieg der »Barbudos« auch in der Modelo-Brauerei in El Cotorro überschwänglich gefeiert. Man hat für Fidel Castro, dessen Triumphzug durch das ganze Land führt, ein Siegesessen vorbereitet. El Cotorro liegt auf dem Weg nach Havanna, und man hofft, dass der Comandante unterwegs Halt

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macht. Über den Schutzzaun haben die Angestellten ein riesiges Transparent gehängt mit Willkommensgrüßen und Dankesworten. Die Fabriksirene begrüßt den Konvoi der Helden mit langgezogenen schrillen Tönen, die Arbeiter und Angestellten jubeln, aber der Comandante fährt ohne anzuhalten vorbei. Die Enttäuschung ist groß. Es wird nicht die einzige bleiben in den kommenden Jahren. Joaquín Bacardí Fernández sagt an diesem Tag zum Korrespondenten der Herald Tribune: »Es ist das Wunderbarste, was ich je im Leben gesehen oder im Leben erwartet habe. Kuba ist jetzt frei, und ich hoffe, dass das lange so bleiben wird.« Auch in Havanna haben die Angestellten an der Fassade des Edificio Bacardí ein riesiges Transparent aufgehängt mit den schlichten Worten: »¡Gracias, Fidel!« Aber es schien so, als ob Castro keine besonderen Sympathien für die Unternehmerfamilie Bacardí und andere Vertreter des Großbürgertums hegte. Auf jeden Fall zeigte sich auch Daniel Bacardí Rosell leicht enttäuscht darüber, dass Fidel Castro ihn beim ersten offiziellen Empfang in Santiago fast übersehen hatte. Mit Befremden nahmen auch die übrigen hochrangigen Vertreter aus der Wirtschaft zur Kenntnis, dass Castro sie bei diesem Empfang kaum eines Blickes gewürdigt hatte. Welche Undankbarkeit – schließlich hatte man »die Sache« finanziell unterstützt und auch andere Opfer gebracht. Daniel zum Beispiel hatte mehr als einmal verfolgte »Fidelistas« in seinem Haus versteckt. Man tröstete sich damit, dass einer der ihren, der Richter Manuel Urrutía, gleich am 1. Januar 1959 zum Staatspräsidenten ernannt worden war. Immerhin eine Ehre für den gesamten Oriente. Zunächst sah es so aus, als ob Fidel Castro niemandem wehtun wollte. Die Liberalen Kubas erhielten Ämter und höchste Positionen in der Regierung. Castro selbst verzichtete auf ein politisches Amt, ihm genügte, dass er Herr der Streitkräfte war. Aber es lag in der Natur der Sache, dass das Bündnis aus liberal-bürgerlichen und revolutionären Kräften nicht lange halten konnte, zumal Castro unmittelbar nach der Machtübernahme alle bürgerlichen Parteien

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verboten hatte. Zugelassen waren nur die Bewegung »M-26-7«, das »Directorio Estudiantil« und die sozialistische Partei PSP. Auch schien die Zeit nicht reif für den von ihm postulierten »Dritten Weg«, den Weg »zwischen dem Kapitalismus, der die Menschen aushungert, und dem Kommunismus, der die wirtschaftlichen Probleme löst, dafür aber die Freiheiten unterdrückt, die ihnen so teuer sind. Wir sind weder mit dem einen noch mit dem anderen einverstanden. Unsere Revolution ist nicht rot, sondern olivgrün. Sie trägt die Farbe der Rebellenarmee der Sierra Maestra.«14 Der olivgrüne Weg begann im Februar 1959 mit einer Ohrfeige für die Oberschicht. Castro übernahm nach Unstimmigkeiten mit Miró Cardona, einem Vertreter der Auténticos, das Amt des Ministerpräsidenten. Seine erste Reform bestand darin, den Grundbesitz auf 400 Hektar Land zu beschränken. Die Vertreter des Mittelstandes und des »zivilen Widerstandes« waren schockiert, und auch in den USA horchte man auf, denn das Gesetz traf besonders die nordamerikanischen Zuckergesellschaften. Im März 1959 wurden die Mieten halbiert und die Telefongesellschaften verstaatlicht. Der Preis für Strom wurde gesenkt, Medikamente verbilligt und die Löhne der Zuckerrohrarbeiter erhöht. Aber noch immer wehrte sich Castro, wenn man ihm kommunistische Motivationen unterstellte. Er blieb bei seinem 1958 abgegebenen Bekenntnis, dass eine staatliche Lenkung der Wirtschaft die Initiative privater Unternehmen dämpfe und deshalb nicht sinnvoll sei. Im April 1959 aber wurde auch den USA klar, dass auf Kuba ein politisch recht eigenwilliger Kopf regierte. Bei einer Reise in die USA – auf Einladung des Zeitungsverlegerverbandes – wies er darauf hin, dass Kuba ohne Gelder der Weltbank, des IWF und ohne Finanzbeihilfen aus den USA auskommen wolle. Präsident Eisenhower und Vizepräsident Richard Nixon nahmen das kubanische Credo kopfschüttelnd zur Kenntnis, ließen zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht erkennen, ob sie in Castro eine Gefahr sahen. Bei seiner Reise ließ sich Fidel Castro unter anderen von Pepín Bosch und Daniel Bacardí Rosell begleiten, beide ausgewiesene

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Wirtschaftsfachleute. Bosch berichtete später, er habe zunächst versucht, die Reise abzusagen und Arbeitsüberlastung vorgeschoben. Aber Castro habe auf seine Begleitung bestanden. Peter Foster hält in seiner Biografie die Begegnung der beiden Männer fest. »Castro saß neben Bosch und bat ihn um Hilfe. Sie sprachen zwei Stunden miteinander. Castro fragte Bosch, wie die Industrialisierung auf Kuba vorangetrieben werden könnte. Kuba besaß Eisenerz und Molybdän. Bosch erwähnte das Potenzial für spezielle Stahlarten. Castro schien interessiert, aber fragte immer wieder: ›Können wir die Vereinigten Staaten ausstechen?‹ Er war besessen von diesem einen Gedanken. Als sie über den Arbeitsmarkt sprachen, sagte Bosch, dass es gefährlich für die Regierung sei, die Gewerkschaften zu kontrollieren, wie es Batista getan habe und nun auch Castro tun wolle. Er sagte auch, dass auf Kuba Wahlen stattfinden müssten, davon hänge die wahre Freiheit ab. Als er das Wort ›Freiheit‹ aussprach, erhob sich Castro und setzte sich woanders hin. Die beiden Männer sprachen nie wieder miteinander.«15 Es waren, wie Bosch Foster fast dreißig Jahre später erzählte, die bedeutsamsten Stunden seines Lebens. Der Präsident von Bacardí will bei diesem Zusammentreffen zwischen Himmel und Erde begriffen haben, dass es Castro bitter ernst war mit dem Kommunismus. Nach Ankunft in den USA schob Bosch Unwohlsein vor und überließ den Staatschef seinen Verpflichtungen. Möglicherweise aber hatte auch Castro gar kein Bedürfnis nach mehr Kommunikation mit dem »Superliberalen«. Dann, so erinnert sich Bosch im Gespräch mit Foster, sei er zunächst nach New York geflogen, um die Mitarbeiter in der Bacardí-Niederlassung über seine bedrohlichen Erkenntnisse zu informieren, später nach Washington, um im Weißen Haus Stimmung gegen Castro zu machen. Wenn die von ihm selbst überlieferte Geschichte sich wirklich so zugetragen hat, gehört Boschs Versuch zu den riskanteren Varianten politischer Weichenstellung durch Unbefugte. Aber der Präsident von Bacardí war, wie sich Jahre später zeigen sollte, ein Meister im Aufspüren von Hintertüren. Immer wieder schaffte er es, durch geschickte

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Winkelzüge seine Interessen durchzusetzen und seine Visionen den »Männern in der ersten Reihe« schmackhaft zu machen. In diesem Fall war es der amerikanische Außenminister Christian Herter, dem er bei einem klandestinen Essen seinen Plan für einen Sturz Castros offenbarte. Über eine Mitarbeit in der Regierung wolle er die schnelle Ablösung des Comandante vorbereiten. »Dieser Vorschlag soll«, schreibt Foster, »bis zu Präsident Dwight Eisenhower gelangt sein. Er wurde allerdings nicht angenommen. Und dann fügt der Familienbiograf ein wenig pathetisch hinzu: »Pepín Bosch war ganz offensichtlich bereit, sein Leben zu riskieren, um der schrecklichen Gefahr entgegenzutreten, die er auf Kuba zukommen sah.«16 Fidel Castro fuhr in der Zwischenzeit durch die USA und wiederholte ungezählte Male, er sei kein Kommunist und habe nicht vor, ausländischen Besitz auf Kuba zu konfiszieren. Auf bohrende Fragen nach Wahlen gab er die stereotype Antwort: »Erst die Revolution, danach die Wahlen.« Nach Havanna zurückgekehrt, stand Pepín Bosch mit seiner Einschätzung, dass Castro Kuba direkt in den Kommunismus führe, ziemlich allein da. Viele Familienmitglieder und höhere Angestellte der Firma waren überzeugt, dass man dem Comandante und seinen »Barbudos« Zeit lassen müsse. Zwar blickte man besorgt nach Havanna, wo täglich nach kurzen Schauprozessen ehemalige Batista-Anhänger und so genannte Konterrevolutionäre erschossen wurden, aber noch glaubte die Mehrheit, dass die Anordnungen der Revolutionsführung richtig seien. Die Zweifel mehrten sich erst, als auch der ehemalige Comandante Hugo Matos als Konterrevolutionär enttarnt und zu 22 Jahren Haft verurteilt wurde. Ihm wurden Verbindungen zu Eloy Menoyo unterstellt, der im Escambray-Gebirge eine bewaffnete Anti-Castro-Truppe führte. Auch Menoyo hatte einst in den Bergen der Sierra Maestra an der Seite Castros für die Revolution gekämpft und war enttäuscht, weil seine politischen Ideale im neuen Kuba nicht umgesetzt wurden. Für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt, nicht für den Aufbau eines sozialistischen Staates.

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Die rigide Politik der Umverteilung und die zunehmende Repression veranlasste den Ministerpräsidenten Manuel Urrutia, im Juni 1959 zurückzutreten. Castro übernahm die Funktion selbst und entließ umgehend andere Repräsentanten des bürgerlichen Lagers, darunter auch Felipe Pazos, der einst eifrig Geld für die notwendigen Waffenkäufe der Rebellen beschafft hatte. Dessen Posten als Chef der Nationalbank übernahm Comandante »Che« Guevara, der auch für das Ressort »Industrieentwicklung« verantwortlich war. Aber auch diese Ohrfeige für die Vertreter des bürgerlichen Lagers nahmen die USA gelassen hin. Als Rino Puig, ein BacardíVerkaufsleiter, im Auftrag von Pepín Bosch in der US-Militärbasis Guantánamo einem hohen Offizier gegenüber andeutete, Castro sei ein Kommunist, meinte der Amerikaner gelassen: »Ich glaube nicht wirklich, dass das Kommunismus ist. Für mich ist diese Revolution wie ein tropischer Sturm: Er tobt – und er geht vorbei.«17 Pepín Bosch war weit weniger gelassen, dennoch glaubte auch er nicht daran, dass Fidel Castro lange an der Macht bleiben würde. Das war, blickt man auf die kubanische Geschichte zurück, in der Tat auch eher unwahrscheinlich. Und so klangen Boschs Wünsche zum neuen Jahr, mit denen er den Geschäftsbericht 1959 abschloss, zwischen den Zeilen sogar kämpferisch. Er erinnerte daran, dass es bei Bacardí immer Menschen gegeben habe, die sich für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde eingesetzt hätten, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass das auch in Zukunft der Fall sein würde: »Wir werden immer alle Opfer bringen und alle Risiken eingehen für unsere Nation, ohne die Hoffnung, dass wir etwas dafür zurückbekommen werden. Niemand kann die Zukunft vorhersagen, aber ich wünsche Ihnen allen – voller Hoffnung auf das Beste für jeden von Ihnen – alles Gute und viel Glück.«18 Aber es sollte ein ziemlich unfröhliches Jahr für die Bacardís und andere Unternehmerfamilien werden, ein Jahr, in dem mehr Tränen als Dividenden flossen. Die Debatten, die man am sonntäglichen Frühstückstisch oder anderen Treffen der Familie Bacardí über den Castro-Kurs führte,

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waren inzwischen so hitzig, dass sich die in Havanna ansässige Familie Comas entschloss, zumindest bei Tisch nicht mehr über Politik zu reden. Es gab in der Tat genügend andere Dinge zu besprechen, wenn die Familie zusammenkam. Besuchte zum Beispiel Daniel Bacardí Rosell seine Schwester Ana Maria in Havanna und brachte nur einige seiner insgesamt neun Kinder mit, die im Hause Comas auf fünf Cousins und Cousinen trafen, dann rückte die Tagespolitik schnell in den Hintergrund. Die Frage, ob Castros Weg in den Kommunismus führe, war allenfalls für Teenager interessant, darunter die Zwillinge Toten und Adolfo Comas Bacardí. Die waren, wie sich Adolfo erinnert, mächtig begeistert von den Machos mit den dichten Bärten und den schweren Maschinengewehren über der Schulter. Und auch die olivgrünen Uniformen faszinierten die Teenager mehr als die Frage nach den Inhalten der olivgrünen Revolution.

Der Schock – Bacardí wird »nationalisiert« Das Stillhalten der USA in diesen Monaten war für viele ein Rätsel. Am 26. Januar 1960 hatte sich Präsident Dwight D. Eisenhower noch fast versöhnlich gezeigt, als er den Falken in seiner Regierung, die eine Blockade Kubas forderten, eine Absage erteilte. Allerdings hatte er angedeutet, die Zuckerquote als Druckmittel einzusetzen, sollte auf Kuba US-Eigentum in Gefahr sein. Ungerührt von dieser Drohung schloss Castro im Februar ein großes Kredit- und Handelsabkommen mit der Sowjetunion ab. Darin verpflichtete sich die Sowjetunion unter anderem, von 1960 bis 1964 jährlich eine Million Tonnen Zucker zu kaufen. In der Zeit des Kalten Krieges war dieses Abkommen zweifellos ein Affront für die USA. Präsident Eisenhower wollte ein Zeichen setzen: Er wies den CIA an, mit der militärischen Ausbildung von Exilkubanern zu beginnen. Eine Invasion der Insel lag im Bereich des Möglichen.

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Am 4. März 1960 explodierte im Hafen von Havanna der französische Frachter »La Coubre« mit Kriegsmaterial an Bord. Die kubanische Regierung vermutete einen Sabotageakt seitens der USA. In seiner Trauerrede für die bei der Explosion ums Leben gekommenen Matrosen legte Fidel Castro zum ersten Mal sein Credo ab, das er im Laufe der Jahrzehnte unzählige Male wiederholen sollte: »Sie werden uns nicht in die Knie zwingen, weder durch Krieg noch durch Hungersnot.« Patria o Muerte, Vaterland oder Tod, hieß nun die Losung, mit der die kubanischen Revolutionäre der Welt ihre Entschlossenheit zeigten, keinen Zentimeter vom eingeschlagenen Weg abzuweichen. Die Lage spitzte sich dramatisch zu, als die kubanische Regierung die US-amerikanischen Ölraffinerien auf der Insel anwies, nur noch Rohöl aus der Sowjetunion zu verarbeiten. Als sich die Unternehmen Shell, Texaco und Esso weigerten, wurden am 8. August 1960 nicht nur die Ölraffinerien »nationalisiert«, sondern auch die Elektrizitätswerke, die Telefongesellschaften und die 36 Zuckerfabriken, die sich noch in US-Besitz befanden. Die Antwort aus den USA lautete: Importverbot für Zucker aus Kuba. Am 6. Juli ließ Eisenhower die kubanische Zuckerquote für den US-Markt streichen. 700 000 Tonnen Zucker suchten einen neuen Abnehmer. In diesem Moment erwies sich der neue Freund Sowjetunion als Helfer und kaufte den für die USA vorgesehenen Zucker komplett auf. Kurz danach wurde die Freundschaft mit einem von Castro und Chruschtschow unterzeichneten Militärabkommen vertieft. Die Welle der Enteignungen rollte indes weiter. Noch im August 1960 wurden alle US-amerikanischen Großbetriebe in Industrie und Landwirtschaft nationalisiert, einen Monat später alle US-Banken und Mitte Oktober traf es die städtischen Immobilienbesitzer, US-Bürger und Kubaner gleichermaßen. Per Dekret vom 13. Oktober wurden alle kubanischen Unternehmen enteignet, unter dem Vorwand, sie hätten die ökonomischen Pläne der Revolution sabotiert. Betroffen waren unter anderem 105 Zuckermühlen, 13 Kaufhäuser, 60 Textilfabriken, zehn Kaffeeröstereien, elf Kinos und 18 Rumdestillen.

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In den Nachrichtensendungen am Morgen des 14. Oktober 1960 werden die Listen mit den Namen der nationalisierten Unternehmen verlesen. Auch die Compañía Ron Bacardí ist darunter. »Wir trauten unseren Ohren nicht«, erinnert sich Jorge Rodríguez Márquez, Mann der Bacardí-Aktionärin Marlena Comas Bacardí. »Wir waren schockiert, sprachlos. Und dann begann eine wilde Telefoniererei. Den gesamten Tag über standen die Telefone nicht still. Jeder wollte vom Anderen wissen, wie es jetzt weitergehen sollte.«19 In der Politik war die Marschroute klar. Am 19. Oktober kündigte Washington ein Embargo gegen Kuba an: US-Exporte auf die Insel wurden untersagt. Der neue Präsident, John F. Kennedy, der die diplomatischen Beziehungen zu Kuba schon am 3. Januar 1960 abgebrochen hatte, prüfte nun die schon vorliegenden Invasionspläne und wies den CIA im März 1961 an, die Invasion in der Bucht von El Girón, der Schweinebucht, voranzutreiben. Am 14. April nähert sich die Brigade 2506, vom nicaraguanischen Hafen Puerto Cabezas kommend, der kubanischen Küste. Die »Operation Pluto« hatte begonnen. Unter den Invasoren waren auch fünf Söhne aus dem Clan der Bacardí. Die Invasion scheiterte, doch alle Bacardís überlebten ihren Einsatz zur Rettung des Vaterlandes.

Te i l I I D i e B a c a rd í s i m E x i l

Alaska

Baffin Bay

Kanada

Grönland

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Missouri

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Mexiko City

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Ecuador

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Brasilien

Peru P a zi f i sc h e r O z e a n

Bolivien Paraguay Chile Oster-Insel

Uruguay Argentinien Bahía Blance

S p u re n s i c h e r u n g : Z w i s c h e n H av a n n a u n d B r ü s s e l

2. Januar 2001. Es ist ungemütlich kalt in Havanna. Die dritte Kaltfront hintereinander dämpft die Lebensfreude der Kubaner am staatlich verordneten »Tag der Familie« empfindlich. Der arbeitsfreie Tag ist ein Geschenk der Revolutionsregierung an die Kinder. Genossen aber wird er vor allem von den Erwachsenen, die nach ausschweifenden Tanz- und Trinkgelagen zum Jahreswechsel ein paar Stunden Ruhe brauchen, um am 3. Januar wieder einigermaßen erholt den alltäglichen Kampf im kubanischen Sozialismus bestehen zu können. Im Stadtteil Vedado, vom Schriftsteller Miguel Barnet als das »Herz von Havanna« beschrieben, herrscht eine Stimmung wie auf dem nahe gelegenen Friedhof Cristóbal Colón. Und auf dem Malecón, Havannas berühmter Uferstraße, fahren Autos nur im Minutentakt. Dann und wann joggt ein einsamer Mensch von West nach Ost oder umgekehrt. Ein frischer Wind peitscht das Meer gnadenlos gegen die niedrigen Steinmauern der Uferpromenade. Auf Höhe des Hotels Riviera bricht sich das Wasser in meterhohen Schaumkaskaden und ergießt sich perlend auf den zerklüfteten Asphalt des Malecón. Mit dem Cocktailglas in der Hand könnte es ein Vergnügen sein, die wilden Wasserspiele zu beobachten, aber die Sehnsucht nach karibischer Wärme lässt sich angesichts des Heranziehens einer vierten Kaltfront mit einem Mojito oder Daiquirí nur schwer stillen. Im Gegenteil, der Gedanke an zerstoßenes Eis und kalte Cocktailschalen führen zu Gänsehautattacken. Zum Teufel mit Limonen,

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Grenadinsirup, Kokosnusscreme und Ananassaft, her mit Rum und heißem Wasser! Die Augen meiner Zimmerwirtin Isabela sind starr vor Schreck, als ich den sieben Jahre alten, nussbraunen Añejo in kochendes Wasser gieße. Sie nippt dennoch und findet das von mir als »Grog« angebotene Getränk immerhin »interesantíssimo«. »Aber bist du nicht auch der Meinung, dass sieben oder acht Jahre alter Rum pur besser schmeckt?«, fragt sie vorsichtig. »Wenn du ihn mischst, dann tötest du doch seinen Charakter.« »Aber ihr mixt ihn doch auch, sogar mit Cola.« »Ja, sicher, aber doch nur den jungen Rum.« *** Henky Hentschel findet solche Gespräche zum Kotzen: »Rum, ob jung oder alt, ist wie jeder Fusel dazu da, um dich zu besaufen«, sagt er mit kehliger Stimme. »Bei Rum pur gibt es allerdings eine große Gefahr, die jeder kennen sollte. Du kannst trinken und trinken und trinken und merkst wenig. Aber auf einmal, ohne jede Vorankündigung, fällst du vom Hocker, und sie müssen dich nach Hause schaffen.« Henky Hentschel ist Schriftsteller und lebt seit über zehn Jahren in Havanna. Er hat ein wunderbares Buch über Kuba geschrieben, das Pflichtlektüre für jeden Touristen sein sollte. Cuba: Salsa einer Revolution ist eine Liebeserklärung an die Kubaner und ihre unnachahmliche Art, das harte Leben auf der Insel nicht ganz ernst zu nehmen. Als Henky und ich uns zum ersten Mal in einem seiner Stammlokale treffen, dem Restaurant El Castillo del Farnés direkt neben dem berühmten Floredita, in dem Hemingway verkehrte, habe ich das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis der Rumliebhaber vom Hocker fällt, aber er hält sich dann doch noch erstaunlich lange aufrecht. Eine kräftige Portion Kichererbsen mit Speckstreifen retten ihn vorerst vor dem Absturz. Nachdem ich auf meiner Suche nach Informationen über die Fa-

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milie Bacardí bei mehreren Kollegen abgeblitzt war, hatte ich meine Hoffnungen auf Henky gesetzt, und seine Kontakte zu Journalisten, Kulturschaffenden und gewissen Funktionären. Gab es in Havanna Menschen, die etwas über die Bacardís erzählen konnten? Oder über den Streit um Markenrechte, den die Bacardís nach ihrer Flucht ins Exil mit dem kubanischen Regime führten? Wer wusste etwas über die Verstrickungen der Bacardís mit der US-amerikanischen Kubapolitik? »Hier pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern, dass die Embargopolitik der USA von den Bacardís bezahlt wird«, sagt Henky Hentschel und blickt in die untergehende Sonne. »Und nicht nur das. Die haben doch auch dafür gesorgt, dass auf Fidel Castro vor allem in den sechziger und siebziger Jahren regelrecht Jagd gemacht worden ist. Es waren ja nicht nur Bacardí-Boys unter den Invasoren der Schweinebucht, später hat der Clan eine Menge Kohle für Leute ausgegeben, die Castro ermorden sollten. Heute sitzen sie ja fast schon in den Hinterzimmern des Weißen Hauses und betreiben von dort aus ihre politisch schmutzigen Geschäfte.« Henky erzählt mir das alles und noch viel mehr in einer schönen stillen Stunde. Wir sitzen auf seiner winzigen Dachterrasse und blicken über die Dächer von Havana Vieja bis hin zum Malecón. Der Blick streift das Revolutionsmuseum und wandert dann hinüber in Richtung Capitol. Wir trinken Cuba Libre, und ich proste damit der Fledermaus auf dem Dach des Edificio Bacardí zu. Tags zuvor, am Familientag, hat mich ein Wachmann auf die begehbare Galerie im Türmchen über dem letzten Stock begleitet und mir später einen Blick in die Flure gestattet. Wie die gesamte Altstadt von Havanna steht auch das Edificio Bacardí unter Denkmalschutz. Das Geld für die Renovierung des Art Déco Schmuckstückes stammt aus den Kassen der Unesco. Als ich den Wachmann frage, ob es die Bar noch gebe, in der die Bacardís früher ihre berühmten Cocktails zum Nulltarif ausgeschenkt hätten, guckt er mich verständnislos an. »Welche Bar?«

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Der Mann ist Anfang zwanzig. »Wenn Sie Lust auf einen guten Daiquirí haben, dann gehen Sie doch ins Floredita, das liegt gleich an der nächsten Ecke«, rät er freundlich. *** Wer in den fünfziger Jahren als Tourist nach Havanna kam, der landete über kurz oder lang im Edificio Bacardí an der Calle Montserrate. In jedem Reiseführer war vermerkt, dass man dort täglich zwischen halb zwölf und halb zwei Uhr mittags kostenlos Bacardí-Produkte probieren konnte. »Dieses Rum-Heiligtum ist eine Werbung, die auf die Amerikaner zielt. Die meisten von ihnen kehren mit den fünf Flaschen zurück, deren zollfreie Einfuhr die amerikanischen Zollbehörden genehmigen. Dahinter steht, dass die Marke Bacardí zu einem bedeutenden Teil Kubas Glamour ausmacht und die Rumindustrie ein wichtiger Zweig der kubanischen Wirtschaft ist«1, heißt es zum Beispiel in Sydney Clarks launig geschriebenem Reisebuch All the best in Cuba, das Mitte der Fünfziger veröffentlicht wurde und die Stimmung vor der Revolution einfängt. Die Art-déco-Fassade mit ihrer Mischung aus vielfarbigen Graniten, bunten Ziegeln und Terrakotta findet Clark nicht besonders aufregend, aber auch er gibt sich als Fan der Fledermaus hoch oben auf dem Dach des Wolkenkratzers zu erkennen: »Die Spitze des Gebäudes ist interessant, denn hier erscheint wieder die Fledermaus – eine ziemlich große aus Bronze, die auf einem bronzefarbenen Ball sitzt. Zuerst hielt ich sie für einen Adler, aber das lag daran, dass ich kein Fernglas benutzt habe.«2 Und dann verliert er auch noch ein paar lobende Worte über das Konkurrenzunternehmen: »Eine rivalisierende Rumfirma namens ›Havana Club‹ unterhält eine weitere Cocktail Lounge, die zwar ebenfalls privat ist, aber jeden Tag um die Mittagszeit für alle amerikanischen Touristen weit geöffnet ist. In einem wunderschönen alten Gebäude liegt sie an der Plaza Catedral, direkt gegenüber von Havannas verwitterter Kathedrale. Die Bar befindet sich im ersten Stock des Gebäudes.

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Man betritt sie über einen reizenden Innenhof mit Palmen und Farnen. Sie hat ihren eigenen Charme, ganz anders als der marmorne und rotlederne Glanz in der Bacardí-Bar. Andere Rumfirmen in anderen Gebäuden konkurrieren mit diesen beiden im Hinblick auf ihre Gastfreundlichkeit, aber sie sind wenig bekannt und von geringer Bedeutung.«3 *** 45 Jahre später gibt es in Havanna nichts umsonst, außer dem manchmal tieftraurigen Lächeln älterer Frauen, dem auffordernden frechen Grinsen hübscher junger Männer und den offen strahlenden Kinderaugen, wenn sie mit einer Handvoll Bonbons glücklich davonlaufen. Besonders kostspielig, so scheint es, sind Informationen aus zweiter Hand. 200 US-Dollar will der Journalist Jorge für seine Hilfe haben – im Voraus. Er könnte mir dafür Kopien von Dokumenten besorgen, die die Rolle der Bacardís im Streit um Markenrechte klären. Ich verzichte auf das journalistische Schnäppchen. Der Monatslohn eines Arztes ist in Kuba nicht höher als umgerechnet 35 US-Dollar – so viel Geld ist mir die Sache nicht wert. Als ich mich bei Henky über die Unverschämtheit seines Freundes beklage, zuckt er mit den Achseln. »Klar wollte Pedro dich abzocken. Nimm es ihm nicht übel, jeder versucht irgendwie zu überleben. Vor allem Journalisten gehören hier zu den ärmsten Schweinen, wenn sie nicht gerade für die Granma schreiben. Hast du seine Schuhe gesehen? Übermorgen muss er sie wegwerfen.« *** Ein anderer kubanischer Kollege, den ich nach den Bacardís frage, findet die Sorge um Schuhe nebensächlich: Wichtiger sei doch letztendlich das revolutionäre Bewusstsein. »Wir sind nicht perfekt, wir haben uns in den vergangenen 42 Jahren auch manchmal geirrt, aber wir wissen heute, wer wir sind und vor allem, was und wie wir sein wollen. Das ist der große Gewinn.«

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Der Mann, der mich mit seinem Pathos mundtot macht, hatte vor der Revolution als Chauffeur und Leibwächter für Meyer Lansky gearbeitet, der in den fünfziger Jahren als einer von drei amerikanischen Mafiabossen das Nachtleben in Havanna kontrollierte. Nach dem Sieg der Revolution habe der Chef angeboten, ihm ein Studium in den USA zu finanzieren. Zunächst habe ihn das gelockt, dann aber habe er eine Rede von Fidel gehört und sei in Tränen ausgebrochen. Ihm sei klar geworden, wie nutzlos sein Leben bis zu jenem Tag gewesen sei und er habe sich entschlossen, sich fortan in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Nur Kuba zähle, sonst nichts. Leider kann auch er mir nur wenig Neues über die Bacardís erzählen. *** Ob Fernando G. Campoamor, den ich in den ersten Januartagen 2001 besuche, zu den glühenden Verehrern Fidel Castros gehört, kann ich leider nicht mehr herausbekommen. Campoamor, 87 Jahre alt, ist bettlägerig, schwerhörig und ein wenig dement. Das hänge von der Tagesform ab, sagt der junge Pfleger am Telefon, manchmal könne man noch gut mit ihm reden. Ich habe offenbar einen der schlechteren Tage erwischt. Fernando hebt kaum den Kopf, als mich Antonio an sein Bett führt und mich vorstellt. »Eine Kollegin aus Deutschland möchte wissen, ob du dich an das Fest in der Hatuey-Brauerei erinnerst, als Hemingway den Nobelpreis erhalten hat«, ruft er dem Alten ins Ohr. Fernando röchelt, hustet, blinzelt und will dann einen Kuss. »Er glaubt, dass Sie seine ehemalige Verlobte aus Asturien sind«, erklärt Antonio ein wenig schamhaft. Ich gebe mir einen Ruck, beuge mich tief hinunter und lasse mir die Wange tätscheln. Vielleicht beflügelt die Berührung Campoamors Erinnerung an jene Zeit, als er auf Kuba ein bekannter Journalist war, und Hemingway gerne mit ihm einen »Zug durch die Gemeinde« machte, wie hierzulande ein Besäufnis unter Männern heißt. Auch die Bacardís kannte Campoamor, sie hatten ihn damit

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beauftragt, in der Bierbrauerei in El Cotorro anlässlich der Nobelpreisverleihung an Hemingway ein Fest zu organisieren. »Es soll eine berauschende Fiesta gewesen sein«, sage ich und blicke ihn fragend an. Er dreht jedoch nur den Kopf zur Seite und signalisiert Desinteresse. »Vielleicht tut ihm ein Schluck Rum gut?« Der junge Pfleger blickt höchst interessiert auf das Etikett der Flasche, die ich aus der Tasche hole und nickt zustimmend. »Wir müssen ihn nur aufrichten, damit er sich nicht verschluckt – das könnte üble Folgen haben.« Gemeinsam ziehen wir Campoamor hoch und stützen seinen Rücken mit einem Kissen. Dann holt der Pfleger Gläser und für den Alten einen Plastikbecher. »Nein, ich will ein Glas«, sagt der plötzlich und ist hellwach. »Du weißt doch, dass ich Rum nie aus Plastik trinke.« Nach dem ersten kleinen Schluck verdreht Campoamor dramatisch die Augen und ringt nach Luft. »Mein Gott, lass ihn jetzt bloß nicht sterben«, denke ich. Aber der Alte erholt sich schnell und verlangt nach mehr. »¿Le gusta?«, frage ich vorsichtig. »Sí, está muy bien. Havana Club schmeckt mir immer«, sagt er klar und deutlich, »es ist der beste Rum der Welt.« »Und Bacardí?« Ich muss die Frage noch zweimal wiederholen. Aber er bleibt stumm, macht nur eine vage Handbewegung und fällt dann auf die Seite. Erschrocken blicke ich zum Pfleger. Der lächelt und legt den Finger auf den Mund. Dann hält er mir noch einmal sein Glas hin, und wir stoßen flüsternd auf die Gesundheit von Fernando G. Campoamor an. Kaum ist das Glas leer, deutet der junge Mann dezent, aber unmissverständlich an, dass er für die Vermittlung dieses Gespräches eine kleine Anerkennung erwartet. Ich drücke ihm zehn Dollar in die Hand und er mich so innig an seine Brust, dass mir fast die Luft wegbleibt. Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, habe ich das Ge-

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fühl, dass ich zwei Männer glücklich gemacht habe. Aber mein Wissensstand über die Bacardís hatte sich leider nicht wesentlich vergrößert. *** Kurz vor der Abreise werfe ich dann doch noch einen Blick in die Touristenfalle Floredita, obwohl ich eigentlich keine Lust habe, zwischen knipsenden Japanern, schwitzenden Engländern und kurzbehosten deutschen Touristen den obligatorischen Papa Doble zu schlürfen. Doch ich werde angenehm überrascht. Das Interieur des Floredita ist edel, elegant, eine prächtige Holztheke dominiert den Hauptraum. Wie eh und je? Nein, in den ersten Jahrzehnten ging es in der 1820 gegründeten Bar, die damals La Piña de Plata, die silberne Ananas, hieß, eher rustikal zu. Leute aus allen Schichten besuchten die Bodega, in der Gin, Rum und Bier ausgeschenkt wurde. Die Damen der Gesellschaft warteten indes in der Kutsche und erfrischten sich mit Limonaden und Fruchtsäften. Während des Amerikanisch-Spanischen Krieges wurde La Piña de Plata in El Florida umbenannt, ein Name, der von den Stammgästen schnell in La Floredita umgewandelt wurde. Hier begann 1914 der berühmte Constantio Ribailagua die Drinks zu mixen. Constante, wie ihn die Besucher der Bar bald nannten, beherrschte sein Fach wie kein Zweiter. Er kannte die Rezepte von über 150 Cocktails, die er meist mit Rum, Zucker und kubanischen Früchten zubereitete. Constantes Meisterstück sei der Daiquirí gewesen, urteilte Campoamor in seinem Buch Der fröhliche Sprössling des Zuckerrohrs. Und die offenbar beste Geschäftsidee war der Papa Doble oder Hemingway Special: weißer Rum auf Eis mit einem Schuss Grenadinsirup, kreiert für Stammgast Ernest Hemingway. Am Tag der Beerdigung Constantes soll Hemingway gesagt haben: »Der Meister der Barkeeper ist tot. Er war ein ausgesprochen anständiger Mann. Die Zubereitung der Cocktails war das Werk eines Künstlers.«4 Hemingway hatte das Floredita in den dreißiger Jahren bei

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einem seiner Spaziergänge durch Havannas Altstadt entdeckt und sich bald eine gemütliche Ecke an einem Ende der Bar eingerichtet. Die Barkeeper erinnern sich an ihn als einen kräftigen Mann: Wie eine Eiche sei er gewesen und habe jeden niedergeschlagen, der ihm dumm gekommen sei. Hemingway habe erklärt, dies sei seine Methode denen, die laut würden und Ärger stifteten, einen Rat zu erteilen. Wenn er dort war, und das war er in den fünfziger Jahren manchmal mehrmals in der Woche, trank er vom Nachmittag bis in den Abend hinein etwa zwölf Papa Dobles und ließ sich einen dreizehnten in die mitgebrachte Thermosflasche gießen, ehe er sich auf den Nachhauseweg machte. Nachdem Hemingway 1954 den Nobelpreis erhalten hatte, schmückten Freunde seinen Stammplatz in der Floredita mit einer Büste des Autors und einer Gedenktafel in Bronze. Darauf war zu lesen: Unserem Freund Ernest Hemingway / Nobelpreis für Literatur / Floredita. Noch Jahre nachdem die Floredita in Staatseigentum überführt worden war, verwehrten die Kellner und die Geschäftsleitung es Gästen, sich auf Hemingways Platz unter der Büste zu setzen. »Nicht, dass sie ein Seil oder eine Kette gespannt hätten wie in einem Museum – nein, sie verboten einfach jedem, sich dort hinzusetzen«, erzählt Hemingways Freund Fernando Campoamor in seinem Buch El hijo alegre de la caña.5 Rolando Quiñones, der heute die Heerscharen der rot berockten Kellner dirigiert, ist überzeugt, dass der Daiquirí im Floredita auch ohne Bacardí-Rum nichts von seiner ursprünglichen Qualität eingebüßt hat, denn, so behauptet er, »das Geheimnis des Daiquirí ist der Moment, in dem das Eis mit dem Stab zerkleinert wird«. Ich habe Glück mit Rolando, der schon 38 Jahre im Floredita arbeitet. Als er hört, dass ich Journalistin bin und ein Buch über die Bacardís schreibe, ruft er Manolo herbei, einen jungen Barkeeper. Manolo hat zwei Wochen zuvor die Weltmeisterschaft im Cocktailmixen gewonnen und soll mir nun seine prämierte Version kredenzen. Der Cocktail heißt AISA und besteht aus Likör »Kontiki«,

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Orangensaft, Apfellikör und drei Jahre altem Havana Club. Die weltmeisterliche Leistung ist keine Offenbarung, aber der Drink bleibt in Erinnerung. Auch deshalb, weil Rolando abwinkt, als ich zahlen will. »Sie waren Gast des Hauses«, sagt er. »Und wenn Sie nach Miami zu den Bacardís fahren, bestellen Sie Grüße von Einem, der früher sehr gerne Bacardí getrunken hat, aber heute mit ›Havana Club‹ außerordentlich glücklich ist. Es geht doch nichts über unseren kubanischen Rum, den echten!« *** Am Tag vor dem Rückflug nach Deutschland liegt die Granma auf dem Frühstückstisch, die täglich mahnende Stimme des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. In Gedanken schon fast wieder zu Hause, überfliege ich die Überschriften zu den üblichen Wirtschaftsanalysen und Appellen an die revolutionäre Kraft der Kubaner, ihren Mut und ihre Opferbereitschaft. Eher gelangweilt blättere ich mich durch die Verlautbarungen. Plötzlich elektrisiert mich eine Überschrift. Mit Hinweis auf die kubanische Buchmesse im Februar 2001 wird der Toptitel des Frühjahrs angekündigt: Ron Bacardí. La guerra oculta von Hernando Calvo Ospina, ein Buch mit Enthüllungen über die politischen Aktivitäten der Familie Bacardí seit der Emigration, ihre Zusammenarbeit mit der CIA, ihre Lobbyarbeit in Washington und mit unbequemen Wahrheiten über den Krieg der Marken, wie es im Artikel heißt. Im Verlag habe ich nach mehreren vergeblichen Anläufen am späten Nachmittag Glück. Eine junge Angestellte macht sich auf den Weg in den Keller, wo die Ware für die Messe verstaut ist und drückt mir eine Viertelstunde später das druckfrische Buch in die Hand. »Es ist teuer«, sagt sie. Und ich lasse mich zu der Bemerkung hinreißen: »Egal, ich zahle jeden Preis dieser Welt.« Es sind dann aber doch nur fünf Dollar, die über den Tresen im Vestibül des Verlages Abril wandern und natürlich ein kleines

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Trinkgeld für die Mühe. Ich bin glücklich und gespannt. Auf dem Rückflug nach Hamburg lege ich das Buch nicht mehr aus der Hand. Es liest sich wie ein Krimi. »Die CIA, der Unternehmenschef und die Terroristen« – »Von der Gewalt zur Lobbyarbeit« – »Zwei Kriege und ihre Komplizen« – »Krieg auf den Märkten«. Den Mann muss ich kennen lernen, der öffentlich behauptet, dass es Verbindungen gibt zwischen diversen Mordanschlägen auf Fidel Castro und der Familie Bacardí, dass sämtliche von der Regierung in Washington verabschiedeten Boykottgesetze gegen Kuba von den Bacardís gesteuert wurden und dass mit Geldern der Familie unter anderem die Contras in ihrem Krieg gegen die Sandinisten in Nicaragua unterstützt wurden. *** Einen Monat später treffe ich Hernando Calvo Ospina, der im Frühjahr 2001 als politischer Flüchtling in Belgien lebt, in Brüssel. Fast drei Stunden dauert das Gespräch, in dem der kolumbianische Journalist noch einmal alle Vorwürfe gegen den Bacardí-Konzern und einzelne Familienmitglieder wiederholt. Was mich am meisten erschüttert, ist die offenbar kaum widerlegbare These, dass Pepín Bosch, der gefeierte und verdiente Präsident an der Spitze des Konzerns, Menschen und Gruppen finanziell unterstützt hat, die Fidel Castro umbringen beziehungsweise mit terroristischen Aktionen einen Umsturz auf Kuba herbeiführen wollten. Calvo Ospina lässt mich ziemlich nachdenklich an der Bar des Sheraton zurück. So gerne ich Rum trinke, auf Bacardí habe ich an diesem Tag keine Lust mehr und auch Havana Club scheint mir nicht das richtige Trostgetränk zu sein. Zurück in Hamburg, holte mich die Skepsis wieder ein. Welche Beweise gab es für die Echtheit der Anschuldigungen? Und woher hatte Calvo Ospina die belastenden Dokumente? Die Geschichte vom Familiendissidenten, der ihm gewisse Unterlagen zugespielt hatte und dessen Namen er selbstverständlich nicht preisgeben könne, klang nicht besonders glaubwürdig. In dubio pro reo – das

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galt aus meiner Sicht zunächst auch für die Bacardís. Ich war gespannt, wie die Familie auf das Buch und die darin enthaltenen Vorwürfe reagieren würde, denn das Bild, mit dem das Familienunternehmen jahrzehntelang für sich und seine Produkte geworben hatte, war stets auf Hochglanz poliert. »Lebensfreude pur« war das Motto, das man mit dem Namen Bacardí verbunden wissen wollte. Leidenschaft und die Leichtigkeit des Seins, das alles versprach die Werbung. Passte dazu ein von Pepín Bosch überliefertes Schreiben an das Weiße Haus, in dem es unter anderem heißt: »… und wenn Blut fließen muss, dann soll es fließen«?

5 . » We n n B l u t f l i e ß e n m u s s , dann soll es fließen.« Der Krieg der Bacardís gegen Castro

Im März 1961, wenige Wochen vor der Invasion in der Schweinebucht, hielt der amerikanische Journalist Herbert L. Matthews am City College in New York drei Vorlesungen über Lateinamerika und die kubanische Revolution. Seine Analysen hatten Gewicht. Matthews war während der Kämpfe in der Sierra Maestra der erste Journalist gewesen, der mit Fidel Castro sprechen konnte. Am 17. Februar 1957 hatte er den Führer der Revolution im Busch getroffen. »Die triefenden Blätter und Äste, die undurchdringliche Vegetation, der Schlamm unter unseren Füßen, das Mondlicht – all das erinnerte an einen tropischen Wald in Brasilien und nicht an Kuba.«1 Bei Tomatensaft, Schinken, Keksen, Kaffee aus Blechbüchsen und besten Havannazigarren, hatte er Castro insgesamt drei Stunden interviewt. Der damals 57 Jahre alte Starjournalist war begeistert. In der Artikelserie, die eine Woche später in der New York Times erschien, schrieb er: »Die Persönlichkeit des Mannes ist überwältigend. Er ist gebildet, verfolgt seine Ideale geradezu fanatisch – ein mutiger Mann mit bemerkenswerten Führungsqualitäten.«2 Matthews ließ in seinem dreiteiligen Bericht keinen Zweifel daran, dass er Castro vorbehaltlos bewunderte und die Ziele der Revolutionäre – Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit – Unterstützung verdienten. Sein Respekt und seine Begeisterung übertrugen sich auf die Leser der New York Times. Böse Zungen behaupteten später, die Artikelfolge hätte wesentlich zur Akzeptanz Castros und seiner »Bande« in den Vereinigten Staaten und der gesamten westlichen Welt beigetragen. Auch nach dem

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Triumph der Revolution, nach Enteignungen und anderen sozialistischen Reformen, warb der Journalist um Verständnis für die Politik Fidel Castros. Am Schluss seiner im März 1961 gehaltenen Vorlesungen heißt es: »Was ich Ihnen mit Blick auf die kubanische Revolution sagen möchte, ist Folgendes: Öffnen Sie Ihre Augen, öffnen Sie ihren Geist und öffnen Sie ihre Herzen. Sie brauchen alle ihre Sinne, um diese Revolution zu verstehen. Und wenn Sie sie verstehen, dann werden Sie verdammen und verzeihen. Sie werden anklagen und Sie werden Sympathien empfinden. Sie werden feststellen, dass dort viele schlimme Dinge passieren und viel Gutes. Wer heute in den Vereinigten Staaten versucht, diese Revolution zu töten, würde eine Menge Idealismus zerstören, eine Menge Hoffnung, eine Menge Leben. Man würde mit dem Tod der Revolution auch ein Ideal vernichten und ein verzweifeltes Kuba hinterlassen, heimgesucht von den niederen bösen Geistern der Vergangenheit.«3 Mit dieser Einstellung erntete der Liberale bei den Exilkubanern, die von Miami aus die Entwicklung in ihrer Heimat verfolgten, Pfiffe. Auch Bacardí-Präsident Pepín Bosch war empört über die Haltung des einflussreichen Journalisten der New York Times, der Castro nicht als »kommunistischen Diktator« verdammte, sondern als »sozialistischen Reformer« schätzte. Bosch war nicht nur wütend auf Matthews, sondern auch zutiefst enttäuscht, schließlich hatten er und andere wichtige Geschäftsleute im Oriente den amerikanischen Journalisten einst unterstützt: Ohne die Kontakte des Bacardí-Bosses wäre das Interview im Busch nie zustande gekommen. Damals zählte jede Medienstimme im Kampf gegen Diktator Batista, im Frühjahr 1961 ging es den Exilkubanern im Kampf gegen Castro erneut darum, Rückendeckung von den amerikanischen Medien zu erhalten. Da störte die liberale Stimme Matthews ganz gewaltig. Bosch fühlte sich betrogen und ließ seiner Wut in einem Brief an den Journalisten freien Lauf: »Für Fidel haben Sie den Wert einer Armee-Division. Wenn man Sie abwerben könnte, käme das einem Sieg gleich.«4

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Neuer Start für ein »staatenloses« Unternehmen Bosch war in jenen Tagen pausenlos im kleinen Bacardí-Imperium unterwegs, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Heute war er in Mexiko, morgen in der gerade eröffneten Fabrik in Recife in Brasilien, prüfte auf Puerto Rico die Lage und arbeitete an den Plänen für den Bau einer Fabrik auf den Bahamas. Mindestens genauso wichtig wie die Weichenstellung für die Firma waren für den Firmenchef seine politischen Aktivitäten. Wann immer es ihm notwendig und sinnvoll erschien, nahm er Stellung zur Situation auf Kuba. Ende März 1961 schrieb er einen offenen Brief an die New York Times, in dem er aufs schärfste all jene angriff, die, wie Herbert Matthews, vom Sozialisten Castro sprachen. »Für mich handelt es sich um Kommunismus, wenn eine Regierung sich selbst als marxistisch definiert; wenn diese Regierung die USA angreift, indem sie alle freiheitsliebenden Länder als Imperialisten und Kapitalisten verunglimpft; wenn sie behauptet, nur die Sowjetunion sei ein treuer Freund der kubanischen Revolution; wenn eine kommunistische Partei unterstützt wird, wie das auf Kuba der Fall ist; wenn es keine Religionsfreiheit gibt; wenn Kommunisten alle Schlüsselpositionen in der Regierung besetzen; wenn Hass und Angst gesät werden statt Vertrauen und Freundschaft.«5 Es folgten weitere Anklagen und dann wagte Bosch einen Vorstoß auf ungesichertes Terrain. Er behauptete, auf Kuba würden Vorbereitungen für den Bau von Raketenabschussrampen getroffen, die von der Sowjetunion genutzt werden sollten. »In meinem Büro gehen unaufhörlich Meldungen ein über den Bau geheimer militärischer Einrichtungen. Erkennen die Amerikaner nicht, dass diese Einrichtungen der atomaren Zerstörung dienen sollen, weil von Kuba aus jeder Teil der USA erreichbar ist und dass es für die Sowjetunion mit einem hohen militärischen Prestigegewinn verknüpft wäre, wenn man auf Kuba – sozusagen im Hinterhof der Vereinigten Staaten – über eine militärische Basis verfügen würde?«6 Der Brief endet mit einem dramatischen Appell an alle US-Bürger, die guten Willens

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sind, ihren Nachbarn in dieser schweren Zeit zu helfen, um das kubanische Volk ein für allemal von der Tyrannei zu befreien. Es war typisch für das Verhalten von Pepín Bosch in jenen ersten Jahren im Exil, dass er auf dem Politparkett mit Vermutungen, Unterstellungen und Prognosen aus unsicheren Quellen arbeitete. Mit seinem Brief spielte er mit der Angst der Menschen vor der nuklearen Bedrohung aus allernächster Nähe. Knapp drei Wochen später landet die Brigade 2506 in der Schweinebucht. Welch vorzügliches Timing, um den Überfall der Exilkubaner zu rechtfertigen! Schon am 17. März 1960 hatte der amerikanische Präsident Eisenhower dem Geheimdiest die Genehmigung erteilt, kubanische Flüchtlinge für einen möglichen Militärschlag gegen Kuba mit Waffen auszustatten und sie in speziellen Camps in Guatemala auszubilden. Am 14. April 1961 wurde die »Operation Pluto« gestartet. Im Morgengrauen des 17. April betraten exilkubanische Söldner an der Playa de Girón kubanischen Boden. Dort wurden sie bereits von Castros Armee erwartet. Die Kämpfe dauerten nur drei Tage, dann war der Spuk vorbei. 1 200 Exilkubaner gerieten in Gefangenschaft, 114 starben, 60 überlebten schwer verletzt. Herbert Matthews kommentierte im Herbst 1961: »Dank sei Gott, dass die Invasion am 17. April ein Fehlschlag war. Der Misserfolg machte Präsident Kennedy deutlich, dass das kubanische Problem größer war denn je. Fidel Castros Regime war weit stärker als angenommen; ebenso wie der gesamte kommunistische ›Apparat‹ auf Kuba und in ganz Lateinamerika. Es zeichnet sich ab, dass es für die ExilKubaner auf lange Sicht keine Rückkehr in die Heimat geben wird.«7 John F. Kennedy widerstand damals den Forderungen der »Falken«, umgehend Soldaten nach Kuba zu schicken, um den Misserfolg zu korrigieren. Stattdessen sprach er von einer »Lektion, die man erteilt bekommen habe und aus der man lernen müsse.« Im Hinterkopf aber blieb auch beim amerikanischen Präsidenten das Nahziel präsent: der gewaltsame Sturz Fidel Castros. Im Spätsom-

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mer 1962, also schon Wochen vor der Kubakrise, wurden Truppen, Waffen und Flugzeuge nach Florida verlegt. Eine Maßnahme, die Entschlossenheit signalisieren sollte, denn inzwischen war bestätigt worden, dass die UdSSR auf Kuba SAM-2-Abwehrraketen stationiert hatte. Da die Reichweite dieser Raketen jedoch unter 140 Kilometern lag, Florida also nicht gefährdet war, und sie außerdem auch nicht mit Atomsprengköpfen ausgestattet werden konnten, blieben die Amerikaner zunächst relativ gelassen. Diese Gelassenheit aber schlug unvermittelt in fast hysterische Aktivität um, als am 13. Oktober 1962 US-Hauptmann Richard Heyser bei einem Aufklärungsflug über Kuba in der Provinz Pinar del Río sowjetische SS-4-Mittelstreckenraketen entdeckte. Heute weiß man, dass im Oktober 1962 insgesamt 36 mit Atomsprengköpfen bestückte Mittelstreckenraketen sowie sechs Luna Raketen mit konventionellen Sprengköpfen auf Kuba stationiert waren. Die Falken lassen sich jetzt nicht mehr beruhigen. Sie drängen den Präsidenten, sofort zuzuschlagen. Auch die Exilkubaner und westliche Politiker, darunter der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, raten zur Bombardierung und zur Invasion der Insel, um der kommunistischen Herrschaft ein Ende zu setzen. Präsident Kennedy lehnt einen Präventivschlag jedoch ab und setzt stattdessen auf die Kraft der psychologischen Kriegsführung. In seiner berühmt gewordenen Rede vom 22. Oktober 1962 ruft er nicht nur die Kubaner zur Konterrevolution auf, er droht gleichzeitig, die UdSSR in Schutt und Asche zu legen, wenn von Kuba aus je eine Rakete abgefeuert würde. Außerdem erhalten 200 amerikanische Schiffe den Auftrag, jeden sowjetischen Frachter in den Gewässern vor Kuba abzufangen. Der Weltfrieden hängt nach dieser Rede am seidenen Faden, denn die auf Kuba stationierten sowjetischen Militärs sind autorisiert, im Ernstfall – und das wäre eine Bombardierung oder eine Invasion gewesen – die Atomraketen abzufeuern. Aber das kaum erwartete Wunder geschieht. Nikita Chruschtschow reagiert auf die Rede versöhnlich, und nach anstrengenden Tagen der Geheim-

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diplomatie kommt es zu einem Kompromiss: Die Russen ziehen ihre SS-4-Raketen ab, die Amerikaner entfernen im Gegenzug ihre Jupiter-Raketen aus der Türkei. Die Welt atmet auf. Nur Castro fühlt sich betrogen: Er hatte die Aufhebung des von den Amerikanern verhängten Wirtschaftsboykotts angestrebt, den Abbruch des »schmutzigen Krieges«, der Sabotageakte von Exilkubanern und anderer terroristischer Aktionen gegen Kuba, sowie die Auflösung der USMilitärbasis in Guantánamo. Keiner seiner Wünsche war erfüllt worden. Aber auch die Exilkubaner schäumten vor Wut: Aus ihrer Sicht hatten die USA eine große Chance vertan, das Regime Castro zu eliminieren. Den Exilanten wurde allmählich klar, dass mit einer schnellen Rückkehr nach Kuba nicht zu rechnen war. Auch Pepín Bosch haderte, aber er versank nicht in Verzweiflung oder Apathie. Er begann nun zweigleisig zu arbeiten. Zum einen musste das Bacardí-Imperium neu aufgebaut werden, zum anderen musste alles getan werden, um die baldige Rückkehr des Unternehmens nach Kuba zu ermöglichen. Letzteres aber ging, wie ihm und anderen Exilkubanern in jenen Tagen dämmerte, nur über Castros Leiche. Zunächst war das Geschäft wichtiger als Mord- und Umsturzpläne. Schon am 25. November 1960, fünf Wochen nach der Enteignung, hatte Bosch den Vorstand des Unternehmens zusammengerufen und den Mitgliedern eröffnet, dass die New Yorker Anwaltskanzlei Rogers, Hoge and Hills von ihm beauftragt worden sei, die Markenrechte der Firma Bacardí weltweit zu vertreten. Das hieß konkret: die Rechtsanwälte mussten fortan penibel darauf achten, dass nirgendwo auf der Welt Rum aus Kuba unter dem Markennamen Bacardí verkauft wurde. Niemand konnte damals voraussehen, dass der Kampf um die Markenrechte die Juristen des Unternehmens bis weit in die neunziger Jahre und darüber hinaus beschäftigen würde. Peter Foster beschreibt den beginnenden Kampf um die Marke Bacardí: »In den meisten Rechtsprechungen ist eine Handelsmarke bei den Zollbehörden registriert, die Importe beschlagnahmen, wenn

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der Handelsmarkeneigner nicht sein Einverständnis für die Nutzung der Handelsmarke gegeben hat. Die Bacardís konnten sich auf loyale Mitarbeiter in Santiago verlassen. Wann immer ein Schiff mit einer Ladung Rum auslief, erfuhren die Bacardís über den USMarinestützpunkt in Guantánamo den Zielort. Jedes Mal wenn irgendwo in der Welt eine Ladung Rum aus Kuba gelöscht werden sollte, die als ›Bacardí‹ deklariert wurde, waren sofort die Rechtsanwälte zur Stelle, um die Rechtmäßigkeit der Handelsmarke zu prüfen. War eine Schiffsladung nach London unterwegs, warnte O’Hara die lokalen Behörden vor. Mit Sicherheit tauchten Wochen später 1 000 Kisten Rum unter dem Namen ›Compañía Ron Bacardí Nacionalizada‹ in den Londoner Docks auf. O’Hara sorgte dann dafür, dass sie von den zuständigen Behörden sichergestellt wurden. Die kubanische Regierung versuchte daraufhin, das Recht einzuklagen, Markennamen von ›nationalisiertem‹ Eigentum weiterhin nutzen zu dürfen. Das war die erste Schlacht in einer ganzen Reihe von teuren gerichtlichen Auseinandersetzungen, die von Manhattan bis Tokio und von Tel Aviv bis zu den holländischen Antillen geführt wurden. Die Bacardís gewannen jedes Verfahren – entweder durch Expertenentscheidung oder Versäumnisurteil.«8 Rechtsanwalt Pete O’Hara wurde im Laufe der Jahre einer der wichtigsten Männer des Unternehmens. Neben Bosch war er der einzige, der den komplex strukturierten Konzern durchschaute. O’Hara bereitete die Gründung neuer Gesellschaften vor, sorgte für die gerechte Verteilung der Aktien unter den Familienzweigen und war verantwortlich für die juristische Absicherung von Bacardí International auf den Bermudas. Bei Bacardí International liefen ab 1965 die Fäden für alle außerhalb der USA getätigten Geschäfte zusammen. Pepín Bosch schätzte den wendigen Juristen außerordentlich. Zu Geschäftsgesprächen lud er ihn gerne auf die Bahamas ein und fuhr dann mit ihm auf seiner Yacht zum Fischen, ein Privileg, das nur wenigen Mitarbeitern zuteil wurde. O’Hara, der immer Angst davor hatte, eines Tages von »kommunistischen Banden« gekidnappt zu werden, schlug Bosch einmal vor, den Namen

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»Bacardí« auf der Yacht abzudecken, schließlich sei die kubanische Küste nahe, und Bosch gelte auf der Insel als Verräter. Natürlich lehnte der Bacardí-Präsident das Ansinnen ab, denn der Name Bacardí war sein Leben und das Unternehmen sein Stolz. Am 15. Februar 1961 fand in der New Yorker Niederlassung von Bacardí Imports das erste Aktionärstreffen außerhalb Kubas statt. Glücklich war niemand, aber Bosch verstand es, Optimismus zu verbreiten. Er machte den Aktionären klar, dass man in geschäftlicher Hinsicht trotz alledem Glück gehabt hätte, schließlich habe er die Handelsmarke Bacardí schon vor der Revolution auf die Bahamas transferiert, damals aus Angst vor Repressalien des Diktators Batista. Als am 4. Februar 1962 der hundertste Geburtstag der Company gefeiert wurde, sahen die meisten Familienmitglieder schon ein wenig beruhigter in die Zukunft. Zwar hatte man die Rumfabrik in Santiago sowie die drei Hatuey-Bierbrauereien verloren, und damit insgesamt ein Vermögen von rund 76 Millionen US-Dollar, aber man konnte stolz sein auf die Fabriken in Mexiko, Puerto Rico und Recife. Exporte gingen in rund 100 Länder der Welt. Mexiko verkaufte jährlich über eine Million Kisten Rum, in Puerto Rico waren 1961 um die 850 000 Kisten verschifft worden. Zu Beginn der sechziger Jahre war Bosch umtriebig wie eh und je, obwohl er mit nunmehr 64 Jahren dem Ruhestandsalter recht nahe gerückt war. Wie vor ihm Enrique Schueg Chassin war er besessen von der Idee, das Unternehmen zu vergrößern. Bei jedem Dollar, den er ausgab, fragte er sich, wie viel Gewinn er bringen würde. Die Dividenden wurden gekürzt, eine Maßnahme, die viele Aktionäre verärgerte, denn nun sahen sich einige der Erben gezwungen, zum ersten Mal in ihrem Leben zu arbeiten. Bosch half bei der Jobvermittlung, wann immer es gewünscht wurde. Auch ehemalige Angestellte, die sich im Exil nur schwer zurechtfanden, brachte er in den neuen Gesellschaften unter. Die meisten Exilkubaner bedankten sich für diese zweite Chance mit geradezu hingebungsvollem Arbeitseifer.

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Bacardí-Werbung – Grundstein des Erfolgs Zu den Talenten, die Bosch damals unter den Exilkubanern entdeckte, gehörte Luis Lasa. Lasa und Bosch kannten sich aus uralten Zeiten. Beide hatten in den vierziger Jahren bei der First National City Bank in Havanna gearbeitet. Lasa wurde Jahre später Leiter der Werbung in der kubanischen Tochtergesellschaft von ColgatePalmolive. Nach der Revolution musste er fluchtartig das Land verlassen, um einer Verhaftung zu entgehen. Bosch mag imponiert haben, dass der Werbemann eine Anstellung bei Colgate-Palmolive ausgeschlagen hatte und stattdessen ehrenamtlich in einem Flüchtlingslager in Miami arbeitete. Auf jeden Fall fragte er 1963 an, ob Lasa sich einen Job in der Promotionsabteilung von Bacardí Imports vorstellen könne. Luis Lasa, der mit seinen 50 Jahren keine große Hoffnung auf eine zweite Karriere in den USA hatte, stimmte begeistert zu und reiste fortan kreuz und quer durch das Land, um Händler, Bar- und Restaurantbesitzer zu bewegen, Bacardí in ihr Getränkesortiment aufzunehmen. Keine leichte Aufgabe, denn Lasa musste, anders als Bosch zu seiner Zeit, allein auf seine Überzeugungskraft bauen. Probedrinks durften nicht mehr angeboten werden, das verstieß gegen das neue US-amerikanische Wettbewerbsgesetz. Luis Lasa, der bald alle Namen der rund 200 Großhändler auswendig kannte, arbeitete jedoch so erfolgreich, dass Bosch ihn zum Leiter der Werbeabteilung von Bacardí Imports machte. Der zweite Glücksfall in jenen Tagen war Bill Walker – ein erfahrener Werbemann, der schon in den fünfziger Jahren in New York für Bacardí Imports gearbeitet hatte. Luis Lasa beauftragte ihn mit der Entwicklung einer neuen Werbekampagne. Walker entpuppte sich als der richtige Mann zur richtigen Zeit. Der »alte Fuchs« spürte deutlich die Trendwende, die sich Mitte der sechziger Jahre bei den Konsumenten anbahnte. Statt Whisky, Wodka oder Gin pur wurden immer öfter »Soft Drinks« oder »Long Drinks« geordert. Walker reagierte mit einem genialen Einfall. Seine Werbeslogans

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»Bacardí – the most mixable of all spirits« und »Bacardí rum – the mixable one« gehören zu den erfolgreichsten in der Geschichte des Konzerns. Knapp dahinter liegt der bemerkenswert verantwortungsvolle Spruch: »Bacardí rum mixes with everything – except driving«. Ein glänzender Schachzug von Lasa und Walker war die Idee, gemeinsam mit Coca-Cola zu werben. Im Mai 1966 erschien im Life-Magazin zum ersten Mal eine Anzeige, in der mit der Entstehungsgeschichte des Cocktails Cuba Libre der Umsatz von Rum und Coca-Cola gleichermaßen gesteigert werden sollte. Erzählt wird die Story von einem Kubaner namens Fausto Rodríguez, präsentiert wird sie im Stil der Jahrhundertwende. Das zur Geschichte passende Foto ist ein bisschen vergilbt, die abgebildeten Bacardíund Coca-Cola-Flaschen sind historisch gestylt. In der Anzeige berichtet Fausto Rodríguez, dass er 1899 als Bote für das US-Army Signal Corps gearbeitet hätte. Eines Tages sei er von einem Offizier zu einem Barbesuch eingeladen worden. Der Offizier hätte Rum und Coca-Cola bestellt und beide Getränke gemischt. Das hätten andere amerikanische Soldaten gesehen und das Getränk ebenfalls geordert. Auf die Frage, wie die Mischung hieße, gab es keine Antwort. Aber nachdem man sich immer und immer wieder mit dem damals auf Kuba gängigen Ruf »Por Cuba libre« zugetoastet hatte, sei man schließlich auf die Idee gekommen, die schmackhafte Mischung »Cuba Libre« zu nennen. Mit »Cuba Libre« hatte »Rum and Coke«, das in den USA seit vielen Jahrzehnten außerordentlich beliebte Mixgetränk, endlich einen Namen und die beiden Firmen eine schöne Werbegeschichte. Laut Peter Foster wurde damit ein neuer Teil der Bacardí-Mythologie erschaffen. »Ähnlich wie bei der Legende vom ›Rum der Könige‹ war das keine Story, um in die Komplexität der kubanischen Geschichte einzutauchen. Und natürlich hatten die Amerikaner seit mehr als dreißig Jahren keinen kubanischen, sondern puertoricanischen Rum getrunken. Im Gegensatz zu den starren Ritualen, die sich im Bewusstsein der Exilkubaner im Hinblick auf

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Revolution, Exil und Verrat verankert hatten, erwies sich die Bacardí Company, wenn es um das Image ihrer Marke ging, als sehr beweglich und veränderungsfreudig.«9 Der raffinierten, ästhetisch ansprechenden Werbung des Unternehmens war es zu verdanken, dass die Umsatzzahlen kontinuierlich stiegen. Hinzu kam eine boomende Weltwirtschaft, der von Walker richtig erkannte Trend zum Longdrink und hochmotivierte sowie technisch hervorragend qualifizierte Mitarbeiter. 1964 wurden in den USA eine Million Kisten Rum abgesetzt, vier Jahre später waren es schon zwei Millionen und 1971 drei Millionen. José Pepín Bosch entschied 1963 im Alleingang, Bacardí Imports von New York nach Miami zu verlegen. Der Missmut bei all jenen, die schon zwanzig Jahre und länger von New York aus das Importgeschäft gemanagt hatten, war groß, doch New York lag für Bosch zu weit weg von Miami, dem politischen Zentrum der Exilkubaner. Außerdem gehörte der zentrale Firmensitz seiner Meinung nach in die Nähe des karibischen Meeres, und das Unternehmen brauchte nach dem Verlust des Edificio Bacardí in Havanna auch dringend ein neues Wahrzeichen. Bosch ließ, inspiriert von einem Gebäude, das er in Buenos Aires gesehen hatte, am Biscayne Boulevard in Miami ein sechs Stockwerke hohes Bürohaus bauen. Nach einem Entwurf des brasilianischen Künstlers Francisco Brennand war es dekoriert mit weißblauen, auf Wandfliesen gemalten Blumenmustern. Diese Fassade wurde nur noch übertroffen vom Dekor eines zweiten Bürokomplexes, der kurz darauf auf dem Firmenterrain gebaut werden musste, weil das boomende Unternehmen mehr Büros benötigte. Foster beschreibt es als einen »Block auf einem massiven orangefarbenen Sockel, mit Wänden aus farbigem Glas und ohne Fenster. … Das wilde Durcheinander von unterschiedlichen architektonischen Stilrichtungen lässt eine gewisse Einheitlichkeit vermissen, aber das Hauptgebäude mit seinen gepflegten Gärten war eine aufsehenerregende Werbung für die Company.«10

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Big Boss Bosch, der Gnadenlose So eigenwillig wie Bosch über Neubauten und die Verlegung des Firmensitzes entschied, so kompromisslos verfügte er auch über Menschen. Gefördert wurde, wer Leistung zeigte und sich loyal verhielt, gefeuert oder degradiert wurden die weniger Motivierten und die Widerspenstigen. Selbst mit seinen Söhnen geriet er ein ums andere Mal aneinander, wenn er das Gefühl hatte, ihre Arbeit entsprach nicht seinen Ansprüchen. Der jüngere Sohn Carlos, genannt Lindy, hatte nach der Schule zunächst versucht, in der Nähe von Santiago mit einer Hühnerfarm und Schweinezucht Geld zu verdienen. Nach der Flucht war ihm nichts anderes übrig geblieben, als seinen Vater um Hilfe zu bitten. Die Chance hieß Bacardí International – eine neue Company, die Bosch 1962 auf den Bahamas etabliert hatte. Alle wussten, dass Lindy wenig Ahnung vom Rum-Business hatte, aber Bosch hatte so entschieden, und man wartete ab. Lindy arbeitete äußerst engagiert, aber er galt als extrem unsicher und entscheidungsschwach. Die Defizite übersah der Vater zunächst. 1965, als Bacardí International aus steuerlichen Gründen auf den Bermudas angesiedelt wurde, erhielt der Sohn den Posten eines Vizepräsidenten. Ihm vorgesetzt war Joaquín Bacardí Fernández als Präsident von Bacardí International. Joaquín hatte sich Bosch gegenüber immer außerordentlich loyal verhalten, der Präsidentenposten bei Bacardí International war eine Art Geschenk des Big Boss für den Vertreter der Linie von José Bacardí y Moreau. Gleichberechtigt neben Lindy arbeiteten Eduardo Cutillas aus der Linie Don Emilios und Juan Prado, ein höchst talentierter Verkaufsmanager, der Bosch schon in Havanna positiv aufgefallen war. Prado enttäuschte nicht. Er entwickelte sich schnell zur Seele im operativen Auslandsgeschäft, pendelte unentwegt zwischen Europa, Asien, Australien und den USA hin und her und versuchte, ein möglichst engmaschiges und fest geknüpftes Vertriebsnetz aufzubauen. Keine einfache Angelegenheit, denn die Märkte lagen zum

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Teil bis zu 15 000 Kilometer vom Produktionsort entfernt. Wichtig waren also vor allem Operationsbasen in der Nähe der Vertriebsfirmen. 1967 wurde eine Niederlassung in London eröffnet, 1968 eine Zweigstelle in Sydney. Außerdem musste die Marke Bacardí überall nachhaltig beworben werden. Und zwar mit anderen Werbeslogans als in den USA. »Mixability«, ein Thema, das in den Vereinigten Staaten äußerst erfolgreich war, hinterließ zum Beispiel in Europa keinen besonderen Eindruck. Der Markt jenseits des Atlantiks verlangte eine neue Werbestrategie. Luis Lasa und Bill Walker gaben auch in diesem Fall wieder die richtige Antwort. Sie entwickelten für den internationalen Markt die Werbung mit den drei S: Sun, Sand and Sea. Bacardí warb mit bildschönen Bikinimädchen an paradiesischen Stränden, mit Palmen und türkisfarbenem Meer. Peter Foster schreibt, »die Welt der Bacardís wurde ein allgegenwärtiges sonnendurchflutetes Ferienwunderland – ein Äquivalent der Alkoholindustrie zu Marlboro Country«.11 Dem erfolgreichen Juan Prado gelang der Sprung an die Spitze von Bacardí International nicht, stattdessen wurde Lindy Bosch nach dem Ausscheiden Joaquíns zum Chef ernannt. Die Dissonanzen mit dem Vater aber klangen nicht ab. Ganz im Gegenteil: Der Big Boss nutzte jede Gelegenheit, um dem Sohn klarzumachen, dass er ihn keineswegs als Nachfolger auf dem Präsidententhron sah. Das allein war schon Demütigung genug. Als der Vater dann jedoch seinen Plan offen legte, einen Manager aus der englischen Vertriebsfirma Hedges and Butler als gleichberechtigten Chef an der Spitze von Bacardí International einzustellen, trumpfte der Sohn endlich einmal auf: »Ich werde diesen Engländer an meiner Seite nicht akzeptieren«, soll seine Reaktion gewesen sein. Und siehe da, der Engländer kam nicht nach Hamilton. Jorge, der Ältere, ein diplomierter Chemieingenieur, war indes von Vater Bosch mit einem guten Posten bei der Bacardí Corporation auf Puerto Rico ins Rennen geschickt worden. Jorge war zwar nicht besonders fleißig, wie gemunkelt wurde, aber er war beliebt bei den Mitarbeitern und niemand opponierte, als Bosch seinen

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Sohn 1963 zum Präsidenten der Company in San Juan machte. Wie sich bald herausstellen sollte, war das keine glückliche Entscheidung, denn Jorge fühlte sich in dieser Position vom Vater kontrolliert und gegängelt. Der verfolgte in der Tat das Leben seines Sohnes mit wachsendem Stirnrunzeln. Bosch fand es zum Beispiel völlig unpassend, ja sogar dekadent, dass Jorge sich einen geleasten Learjet leistete. 1972 passierte schließlich ein Missgeschick, das der Vater zum Anlass nahm, seinen Sohn von allen Tätigkeiten zu suspendieren. »Es wurde entdeckt, dass beide Posten: Umsatz und Gewinn der Bacardí Corporation für November doppelt gebucht worden waren – aufgrund eines ›unbeabsichtigten Irrtums‹, konstatiert Foster. »Das führte zu einer peinlichen Berichtigung der für das Jahr 1971 veröffentlichten Zahlen. Jorge Bosch hatte die Zahlen nicht selbst ermittelt, aber als Direktor des Unternehmens war er verantwortlich für den Vorgang.«12 Der unabsichtliche Fehler war durch eine Computerumstellung entstanden, doch Pepín Bosch fand den gesamten Vorgang unverzeihlich. Vor versammelter Direktorenriege putzte er seinen Sohn herunter und verordnete ihm zur Strafe einen Weiterbildungskursus in Betriebswirtschaft an der Harvard University. Statt des Sohnes übernahm jetzt der Vater die Führung des Unternehmens auf Puerto Rico. Auch nach der Rückkehr Jorges aus Harvard zeigte sich Vater Bosch zunächst unversöhnlich. Der Sohn wurde nach Miami zu Bacardí Imports geschickt. Zwar setzte Bosch seinen Sohn später noch einmal als Vorstand in Puerto Rico ein, er selbst aber blieb bis 1976 Chef der Bacardí Corporation in San Juan. Die gesamte Angelegenheit wurde in der Familie mit Süffisanz und heimlicher Kritik aufgenommen, denn natürlich war plötzlich die Mehrheit der Ansicht, dass es schlechter Stil gewesen sei, den eigenen Sohn zum Präsidenten einer Tochtergesellschaft zu machen. Man nahm diese manchmal berechtigten, manchmal herzlosen Spielchen von Bosch in der Familie zu Kenntnis, aber man erregte sich selten ernsthaft über seine diktatorischen Ausfälle. Der Grund für die zurückhaltende Gelassenheit war einleuchtend: Die Ge-

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schäfte gingen immer besser. Allein aus den Gewinnen der Bacardí Corporation auf Puerto Rico konnten 1974 sechs Millionen USDollar Dividende an die etwa 200 Aktionäre ausgeschüttet werden. Hinzu kam Geld aus den anderen Gesellschaften: Bacardí Imports in Miami, Bacardí International auf den Bermudas, Bacardí and Company auf den Bahamas und Bacardí y Compañía in Mexiko. Derart erfolgsverwöhnt wollte Bosch nun auch auf den Bermudas ein architektonisches Zeichen setzen. Bacardí International in Hamilton sollte ein neues, unverwechselbares Gesicht bekommen. Die Wahl fiel auf einen Entwurf, den Mies van der Rohe in den fünfziger Jahren für ein neues Bürogebäude in Santiago de Cuba angefertigt hatte, den man aber aufgrund der unruhigen Zeiten nicht mehr hatte umsetzen können. Wie immer und überall versuchte Bosch auch hier, beraten von Ehefrau Enriqueta, seine Akzente zu setzen. Bis hin zur Möblierung mischte er sich ein, nicht immer mit überzeugenden Ergebnissen, wie Peter Foster vermerkt: »Mies’ harscher Stil schien nichts gemein zu haben mit der farbigen Vielfalt und Lebensfreude des cubanismo. Aber Bosch bestand darauf, seinen eigenen blumigen und effektheischenden Stil beim Bau des eingeschossigen verglasten Gebäudes durchzusetzen. Vom Vestibül aus fiel der Blick auf Springbrunnen, einen Wasserfall, der ständig die Farbe wechselte, und Rollrasen bis hinunter zur Straße. Mit der Ausstattung des Foyers hatte er den kubanischen Maler Felix Ramos beauftragt, der ein elf mal fünf Meter großes Gemälde angefertigt hatte mit Szenen aus dem bäuerlichen Leben Kubas, der verlorenen Heimat der Familie. Verhangene grüne Berge waren darauf zu sehen und wie Türme in den Himmel ragende Königspalmen. Das Wandgemälde wurde von zwei großen, traditionell gearbeiteten Kandelabern aus Holland flankiert.«13 Als das Gebäude im Mai 1972 eingeweiht wurde, war Bosch 74 Jahre alt. Rund 300 Gäste aus insgesamt 64 Ländern waren angereist, darunter viele Familienangehörige, aber auch Manager und ehemalige Angestellte. Es herrschte Freude über den neuen Bau, und man war stolz auf das wachsende Bacardí-Imperium.

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Aber in die Freude mischte sich auch Trauer über den Verlust der Heimat. Wie sollte es auf Kuba weitergehen? Gab es eine realistische Chance für eine baldige Rückkehr? Wer wusste etwas Verlässliches über die Stimmung auf der Insel, über eine mögliche Konterrevolution? Was konnte man von Miami aus tun, um die politische Entwicklung auf Kuba zu beeinflussen? Vor allem die Männer der Familie sprachen bei solchen und ähnlichen Anlässen nicht nur über das Geschäft. Sie waren zum Teil tief verstrickt in politische Aktionen, die alle nur ein Ziel hatten: den Sturz Fidel Castros. Bis heute löst allein die Erwähnung des Namens Reaktionen des Hasses aus. Ansonsten höfliche und besonnene Menschen verwandeln sich in Hyänen, wenn der Name Fidel Castro fällt, Fäuste werden geballt, Flüche ausgestoßen. »Dieser Bastard«, erregt sich über 40 Jahre nach der Emigration die Kuratorin des Bacardí-Museums in Miami, »wir alle haben damals gewünscht, dass ihn jemand killt. Und jedes Mal, wenn mein Vater zusammen mit Bosch nach Nassau geflogen ist, haben sie darüber geredet, wie man ihn am besten umbringen könnte. Und wenn es heute passieren würde, ich wäre genauso froh wie damals. Er ist und bleibt ein Terrorist.«14

Castros Sturz im Visier Spätestens seit der Veröffentlichung von Hernando Calvo Ospinas Buch Im Zeichen der Fledermaus ist es ein offenes Geheimnis, dass Pepín Bosch eine Menge dafür getan hat, den Herzenswunsch der meisten Exilkubaner zu erfüllen. Das Debakel in der Schweinebucht und die Einigung der beiden Weltmächte während der Kubakrise nährten bei ihm die Vorstellung, die sich im Laufe der Jahre zu einer Art Obsession entwickelte: Er selbst sei dazu ausersehen, Kubas Geschick mitzubestimmen, er sei mitverantwortlich für die Organisation der Konterrevolution in seiner Heimat. Von Bosch

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kam auch der Vorschlag, von den weltweit verstreut lebenden Kubanern eine Exilvertretung wählen zu lassen. Die sollte, durch die Wahl legitimiert, Vorstöße zur Befreiung Kubas unternehmen. Überliefert ist, dass rund 64 000 kubanische Familien in den USA, Europa, Lateinamerika und Australien 1964 an der Wahl teilnahmen und 95 Prozent für das von Pepín Bosch vorgeschlagene Führungsquintett stimmten. Ein Ex-Offizier aus der Armee des Diktators Batista war darunter, dem exzellente Kontakte zum CIA attestiert wurden, sowie der Rechtsanwalt Ernesto Freire, ebenfalls ein Mitarbeiter des CIA. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen kam es nicht zur Bildung der Exilregierung. Stattdessen konstituierte sich die Organisation RECE (Representación Cubana en el Exilio), an deren Spitze Tony Calatayud, ein Söldner aus der Brigade 2506 stand, gemeinsam mit Ernesto Freire und Jorge Mas Canosa, ein ehemaliger Studentenführer der christdemokratischen Bewegung auf Kuba. Diese Gruppe, deren Plan es war, mit Sabotageakten und terroristischen Attentaten die kubanische Regierung zu destabilisieren, wurde monatlich vom Unternehmen Bacardí mit 10 000 US-Dollar unterstützt. Diese Summe reichte natürlich nicht aus, um wirkungsvoll zu agieren, denn es wurden Waffen benötigt, Flugzeuge und Schnellboote. Das Bitten um Geldspenden aus den Reihen der reichen Exilkubaner gehörte von Beginn an zu den wesentlichen Aufgaben der RECE. Die Dollars flossen immer dann reichlich, wenn konkrete bewaffnete Aktionen auf Kuba angekündigt wurden. Die Projektliste der RECE-Aktivisten reichte von Sabotageakten gegen kubanische Schiffe in mexikanischen Häfen bis zur Ermordung der gesamten Führungsspitze auf Kuba. Auf der schwarzen Liste standen Fidel Castro, sein Bruder Raúl und Ernesto »Che« Guevara. Aus den Aktionen wurde meistens nichts, dennoch erhielt die RECE weiterhin massive Unterstützung, auch von der CIA. Im Jahr 1985 gab das FBI für die Mitglieder des amerikanischen Kongresses ein Dokument frei, in dem dargestellt wird, wie die CIA-Nebenstelle in Miami der RECE das Geld für die Fortführung ihrer Ak-

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tionen zukommen ließ. Bacardí-Kritiker Hernando Calvo Ospina schreibt: »In demselben Bericht versicherte das FBI, dass sowohl Canosa als auch Freire Männer der CIA seien.«15 Der Name Pepín Bosch tauchte in diesen Jahren immer wieder in offiziellen Dokumenten auf. Hernando Ospina zitiert beispielsweise ein Memorandum des CIA-Agenten Gordon Chase an George McBundy, damals Sicherheitsberater im Weißen Haus in Washington, vom 15. Juni 1964: Betrifft: Ermordung Castros 1. Beiliegend ein Memorandum der CIA, das eine Verschwörung zur Ermordung Castros beschreibt, an der auch US-Elemente der Mafia beteiligt wären und die von Pepín Bosch finanziert würde. 2. John Grimmins überprüft den Fall. Er hat vor, mit Alexis Johnson zu sprechen und ist der Meinung, das Thema sollte bei einem Treffen der Special Group diskutiert werden. Persönlich vertritt John die Auffassung, dass die Regierung der Vereinigten Staaten nicht wissentlich eine kriminelle amerikanische Verstrickung dieser Art zulassen könne und alles ihr Mögliche unternehmen solle, diesem Komplott Einhalt zu gebieten. Das würde bedeuten, das FBI auf die beteiligten kriminellen US-amerikanischen Elemente anzusetzen und bei Bosch zu intervenieren.16 Bacardí-Präsident Bosch soll der Mafia für die Ermordung von Fidel und Raúl Castro 100 000 US-Dollar angeboten haben, doch da die ehrenwerte Gesellschaft 150 000 verlangt haben soll, sei nichts aus dem Deal geworden. Andere Zeitzeugen aus dem Kreis der CIA-Mitarbeiter berichten, Bosch habe 50 000 US-Dollar zugesagt, hätte allerdings damit gerechnet, das Geld von der USRegierung oder aus anderen Quellen zurück zu erhalten. Ein Jahr nach der Gründung begann die RECE mit ihrer Koordinationsarbeit. Man versuchte, die in Gruppen und Grüppchen gespaltenen Exilkubaner miteinander ins Gespräch zu bringen, um eine Aktionseinheit herzustellen. Auch bei diesem nicht ganz leichten Unterfangen soll der Name Pepín Bosch manchmal Wunder

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gewirkt haben. Unter dem Motto: »Gemeinsam sind wir stärker« führte insbesondere die Einheit von »Alpha 66« und RECE dazu, dass Kommandoaktionen und terroristische Attentate auf Kuba nicht abrissen. Allein, der erhoffte Erfolg blieb aus, die Regierung Castro war nie ernsthaft in Gefahr. Ende der sechziger Jahre stellte Jorge Mas Canosa, inzwischen Leiter der RECE, in einem Brief an den Assistenten eines Kongressabgeordneten fest, »dass die CIA viel mehr tun könnte, um zu einer Erhebung im Innern der Insel beizutragen, die zum Sturz Castros führen würde. Alles, worum ich Sie bitte, ist eine logistische Unterstützung, um jenen auf Kuba zu helfen, die verzweifelt darauf warten, dass wir ihnen die Waffen geben, die sie brauchen.«17 Solche und andere Bittbriefe blieben nicht ohne Resonanz. Am 12. März 1970 bewilligte die Junta des Exekutivkomitees der Representación Cubana en el Exilio einen Kredit von 600 000 USDollar für bewaffnete Aktivitäten. In den kommenden Jahren wurden nicht nur die Konterrevolutionäre auf Kuba mit Waffen ausgestattet, sondern auch die von der RECE angeheuerten so genannten »Widerstandskämpfer«. Als der Prozess abgeschlossen war, verkündete RECE-Führungsmitglied Tony Calatayud im April 1974 bei einer Veranstaltung in New Jersey den Beginn des »Krieges auf den Straßen der Welt«. Dieser Krieg sollte unter anderem gegen diplomatische Vertretungen und andere Handelsvertretungen Kubas geführt werden, gegen Gebäude und Schiffe von Ländern, die mit Kuba Handel trieben, und er sollte auch UNO-Einrichtungen nicht schonen. Das erste Attentat, das die Welt aufhorchen lässt, wurde im Juli 1974 verübt, als in der diplomatischen Vertretung Kubas in Paris eine Bombe explodierte. Zu diesem Anschlag bekannte sich offiziell die »Frente de Liberación Nacional de Cuba« (FLNC), eine Art Sammelbecken für all jene Exilkubaner, die das Morden im Auftrag von Geheimdiensten geübt hatten und offenbar als legale Aktion betrachteten. Im August 1976 folgte ein Anschlag in Washington, bei dem der ehemalige Außenminister von Chile, Orlando Letelier,

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von einer Autobombe getötet wurde; an diesem Attentat sollen Exilkubaner im Dienst der CIA und des chilenischen Geheimdienstes DINA beteiligt gewesen sein. Zu den gemeinsten Attentaten gehörte ein Sprengstoffanschlag auf ein Flugzeug der Linie Cubana de Aviación am 6. Oktober 1976, bei dem 73 Menschen ums Leben kamen. Spätestens jetzt musste die US-Regierung handeln, denn die Weltöffentlichkeit war schockiert, und die US-Presse forderte, den »blutrünstigen Akteuren« Grenzen zu setzen. Als Drahtzieher des Attentats wurden acht Tage später Orlando Bosch – kein Verwandter von José Pepín Bosch – und ein gewisser Luis Posada Carriles verhaftet. Beide Männer gehörten zu einem Zirkel um die Führung der RECE. Auch Posada Carriles war ein Mitarbeiter der CIA. Im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes hatte er längere Zeit als Berater der venezolanischen Sicherheitskräfte gearbeitet. Der Stimmungsumschwung in der US-Regierung im Hinblick auf Terroraktionen verlangte nach neuen Strategien im Kampf für ein »freies Kuba«. Der »Krieg auf den Straßen der Welt« wurde abgeblasen. Zum Schauplatz des Befreiungskampfes wurde jetzt mehr und mehr die Politik. »Auf Anraten seiner mächtigen Freunde im US-Establishment ließ José Pepín Bosch den ehrgeizigen Jorge Mas Canosa an Washingtons Türen klopfen«, heißt es bei Calvo Ospina. »Dort wird ihm problemlos Eintritt gewährt, denn zwischen der RECE und einigen republikanischen Senatoren bestehen schon seit Beginn der siebziger Jahre gute Kontakte. Senator Jesse Helms aus North Carolina liegt die Sache der Kubaner scheinbar sehr am Herzen. Auch Richard Stone, republikanischer Senator aus Florida, ist bemüht, den Exilkubanern zu helfen. 1975 bringt er eine Resolution in den US-Senat ein, die das Ziel hat, jeglichen Tourismus nach Kuba zu unterbinden. Und er unterstützt die Gründung des Komitees ›Americans for a Free Cuba‹, mit dessen Hilfe demokratische Institutionen dazu benutzt werden sollen, die amerikanische Außenpolitik zu beeinflussen.«18 17 republikanische Senatoren unterzeichneten den Gründungs-

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aufruf. Erfreut über die Initiative war auch Pepín Bosch, der die Arbeit des Komitees von Beginn an finanziell unterstützte. Er sah, dass die Exilkubaner nun direkten Einfluss auf die amerikanische Kubapolitik nehmen konnten, und diese Aussicht stimmte ihn optimistisch.

Poker à la Bosch – die Aktionäre wehren sich Bosch war jetzt 76 Jahre alt, aber noch immer nicht amtsmüde – im Gegenteil. Im Jahr 1975 erntete er die Früchte aus einem langjährigen zähen Streit mit der puertoricanischen Regierung. Seit den dreißiger Jahren war es der Bacardí Corporation nicht erlaubt gewesen, Rum in großen Tanks zu verschiffen, nur abgefüllte Flaschen durften exportiert werden. Mit einem erpresserischen Trick brachte Bosch die Regierung auf Puerto Rico jetzt dazu, das alte Gesetz aufzuheben. Bosch hatte argumentiert, dass man auch die seit langem ansässigen Betriebe durch eine solche Steuererleichterung stimulieren könne. Falls das im Falle Bacardí nicht geschehe, würde er eine neue Rumfabrik in Jacksonville im US-Staat Florida bauen. Das Grundstück sei bereits gekauft. Natürlich konnte sich die Regierung in San Juan weder den Verzicht der Steuereinnahmen aus dem Bacardí-Unternehmen erlauben noch den Verlust der Arbeitsplätze hinnehmen. Bosch hatte hoch gepokert – und gewonnen. Dann aber traf den Erfolgverwöhnten ein schwerer Schicksalsschlag. Am 25. Oktober 1975 stirbt Gattin Enriqueta nach einem langen Krebsleiden. Es ist, nach fünfzig Ehejahren, ein großer persönlicher Verlust für den Bacardí-Präsidenten und ein tiefer Einschnitt im Beziehungsgeflecht der Großfamilie. Enriqueta hatte oft vermittelnd eingegriffen, wenn Pepín allzu diktatorisch mit Verwandten umgesprungen war. Sie hatte Kontakte auch zu den in Ungnade gefallenen Familienangehörigen weiter gepflegt und für

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Bittsteller ein gutes Wort eingelegt. »Ihr Tod beeinflusste nicht allein den Kontakt zur Familie, sondern löste auch die emotionalen Bindungen. Die Lücke, die sie hinterließ, vergrößerte die Kluft zwischen Pepín Bosch und den Bacardís,« kommentiert Peter Foster.19 Hinzu kam jetzt die bange Frage nach dem Nachfolger. Beim Begräbnis von Enriqueta wurde genau beobachtet, wer mit Bosch wie lange sprach und in welcher Form. Als Pepín mit dem aus Kanada angereisten León Argamasilla Bacardí längere Zeit verschwand, sah man in diesem schon einen der möglichen Anwärter auf den Thron. Aber weit gefehlt. Der Mann, der Bacardí zu einer international geschätzten Handelsmarke und die Familie reich gemacht hatte, der dem Kommunismus die Stirn geboten und Stärke beim Auf- und Ausbau des Unternehmens bewiesen hatte, dieser Mann holte wenige Monate später zu einem großen Schlag gegen die Familie Bacardí aus. Er ließ mitteilen, dass er für einen Verkauf des gesamten Unternehmens plädierte. Ungefähr 600 Millionen US-Dollar würde das bringen. Die Familie war überrascht. Manche nahmen den Vorschlag nicht ernst und glaubten, Bosch wolle ihnen damit nur vermitteln, in welche Höhen er das Unternehmen geführt habe; das Ansinnen wurde unisono abgelehnt. Unmöglich, das Erbe zu verscherbeln! Bacardí – das ist für die Familie mehr als nur ein Name, eine Handelsmarke. Bacardí ist das Synonym für Kuba, die verlorene Heimat. Bacardí zu verkaufen, das hieße die Wurzeln ausreißen. Es wäre Verrat! Auch eine zweite Idee befremdet die Familie. Weil Bosch keinen Nachfolger für das Amt des Präsidenten sieht, will er einen Manager »von draußen« holen. Den neuen Mann will er unter seine Fittiche nehmen und persönlich auf den Führungsjob vorbereiten. Die Idee war nicht ganz abwegig. Gerade hatte der bekannte Harvard-Professor Harry Lewison davor gewarnt, Familienbesitz über lange Zeit ausschließlich von Familienmitgliedern führen zu lassen. Sein Argument: Professionelles Management arbeite in Familienunternehmen in der Regel erfolgreicher als Chefs aus den

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Reihen der Erbengemeinschaft. Natürlich gab es auch andere Meinungen unter den prominenten Wirtschaftswissenschaftlern jener Jahre. Gegenstimmen behaupteten zum Beispiel, dass die familiäre Bindung an das Unternehmen keine entscheidende Rolle für Erfolg oder Misserfolg spielte, viel wichtiger seien die Art und der Zeitpunkt der Übergabe in andere Führungshände. Bosch hatte für die Gegenstimmen kein Ohr, er wollte vor allem sein Lebenswerk retten. Die Familie aber wollte als Nachfolger ein Familienmitglied sehen. Insbesondere die Männer aus der Linie Facundo Miguels, der mit Bosch verfeindete Luis Bacardí Gaillard und sein Neffe aus dem Aufsichtsrat, Adolfito Danguillecourt, Verwalter von 30 Prozent des Aktienkapitals, stimmten sofort dagegen. Bei einem eilig in Madrid anberaumten Familientreffen stimmten auch Daniel Bacardí Rosell und Joaquín Bacardí Fernández, die Bosch jahrzehntelang vorbehaltlos unterstützt hatten, gegen einen Mann »von draußen«. Sie forderten mehr Transparenz bei den Entscheidungsprozessen und insgesamt mehr Demokratie. Dennoch sollte Bosch bleiben. Die Diktatur ist tot – es lebe der Diktator! Sie wollten ihn als den »großen alten Mann an der Spitze«, als Aushängeschild, doch Pepín Bosch lehnt ab. Als Galionsfigur wollte er sich nicht missbrauchen lassen. Er legte sein Amt als Präsident des Unternehmens nieder und zog sich schmollend nach Lyford Cay auf den Bahamas zurück. Die Undankbarkeit der Familie machte ihm schwer zu schaffen. Doch Bosch schwieg nur kurze Zeit. Dann mischte er sich wieder in die Firmenangelegenheiten ein. Im August 1976 erschien in der New York Times ein Artikel, in dem der Autor eine kollektive Führung des Bacardí-Konzerns anregt. Ins Gespräch gebracht wird Manuel Jorge Cutillas als einer der möglichen Nachfolger für Bosch. Bosch wird mit dem Satz zitiert: »Wenn ich zurückblicke, dann verspüre ich größte Befriedigung darüber, dass ich die Company trotz ihres unaufhörlichen Wachstums ohne Schulden, Anleihen und Obligationen verlasse.«20 Der Wert des Unternehmens wird vom Autor des Artikels damals auf rund 700 Millionen

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US-Dollar geschätzt. Dann wird eine anonyme Stimme aus dem Familienclan zitiert, die voll des Lobes ist für die von Bosch geleistete Arbeit. »Wenn es ihn nicht gegeben hätte, dann müssten viele Bacardís heute arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.«21 Zehn Jahre später, Bosch ging auf die neunzig zu, formulierte der ehemalige Präsident gegenüber seinem Biografen Peter Foster giftig: »Die meisten Bacardís wollten immer im Hintergrund bleiben, legten keinen Wert auf Publicity. In meinem Fall war das anders. Ich bin stolz auf das, was ich geleistet habe. Die Bacardís haben keinen Grund, stolz zu sein. Sie haben nie etwas zustandegebracht.«22 Warum dieses Gift? Vielleicht, so vermutet Familienbiograf Peter Foster, sei Bosch nur verärgert gewesen, dass das Imperium nach seinem Ausscheiden nicht auseinandergebrochen und untergegangen war. Zwei Jahre nach dem Tod von Enriqueta und ein Jahr nach dem denkwürdigen Treffen der Familie in Madrid, holte Bosch zum letzten Schlag gegen die Familie aus, als er beschloss, seine Aktienanteile zu verkaufen. Gemeinsam mit Sohn Jorge bat er einen renommierten New Yorker Rechtsanwalt, nach einem seriösen Käufer zu suchen. Wenige kamen in Frage. Am interessantesten waren die Gespräche mit dem Management von Hiriam Walker. Der kanadische Spirituosengigant war bereits mit 25 Prozent an der FBM Distillery in Kanada beteiligt und hatte ein großes Interesse am Ausbau seiner Beteiligung an den Unternehmen der BacardíGruppe. Bosch bot: 9 Prozent bei der Bacardí Corporation auf Puerto Rico, 11 Prozent bei Bacardí Imports in Miami, 8,51 Prozent bei Bacardí and Company auf den Bahamas, 7,01 Prozent bei Bacardí International auf den Bermudas, 7,18 Prozent bei Bacardí Mexico sowie andere, kleinere Beteiligungen. Einige Familienmitglieder hatten sich Boschs Offerte angeschlossen, so dass Hiriam Walker schließlich ein Zwölf-Prozent-Aktienpaket für 45 Millionen US-Dollar kaufen konnte. Vor dem Abschluss hatte Bosch der Familie seine Anteile angeboten, die aber fand den geforderten Preis unverschämt hoch und

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lehnte ab – ein kaum verzeihlicher Fehler, denn vor den Bacardís lagen Jahre ungeheuren Wachstums. Zwischen 1977 und 1979 boomt das Rumgeschäft. Innerhalb von zehn Jahren sollte sich der Wert des von Hiriam Walker erworbenen Aktienpaketes vervierfachen. Als 1987 die Familie die Bosch-Aktien für 200 Millionen US-Dollar zurückkaufte, musste der damalige Präsident reuevoll eingestehen: »Wenn wir eine Kristallkugel befragt hätten, dann hätten wir unsere Seelen verpfändet und gekauft. Hiriam Walker hatte größeres Vertrauen im Hinblick auf unsere Zukunft als wir selbst.«23

Spagat zwischen Business und Politik José Pepín Bosch, der im August 1976 im Interview mit der New York Times noch behauptet hatte, er suche einen neuen Job, war gegen Ende des Jahrzehnts durchaus bereit, wieder mehr Zeit und Energie für die Sache Kuba einzusetzen – und natürlich Geld. Daran mangelte es jetzt weniger denn je. Nachdem der »Krieg auf den Straßen der Welt« von der RECE und anderen auf Terroraktionen spezialisierten Organisationen abgeblasen worden war, kümmerte die Widerstandsarbeit der Exilkubaner vor sich hin. Mehr als ein Dutzend Gruppen debattierten in Miami regelmäßig über die Lage in der Heimat, ohne dass auch nur ein einziges Hoffnung spendendes Signal gesetzt werden konnte. Pepín Bosch und anderen führenden Köpfen war klar, dass nun nicht mehr mit einem schnellen »Sieg« über das Castro-Regime gerechnet werden konnte. Es ging eher darum, politische Netze zu knüpfen, um im rechten Moment handeln zu können. Ein erster, von Pepín Bosch und anderen Mitgliedern der Familie unterstützter Schritt in Richtung politischer Lobbyarbeit war die Gründung der Fundación Nacional Cubano Americana (FNCA). Sie wurde im Juli 1981 als gemeinnütziger Verein mit »wissenschaftlicher, erzieherischer und karitativer Zielsetzung« ins Leben

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gerufen. Über die Struktur dieser neuen Organisation hatten sich im Vorfeld auch die ehemaligen Führer der RECE sowie etliche CIA-Mitarbeiter Gedanken gemacht. Die Aufgabe der Fundación sollte unter anderem sein, politisch Einfluss zu nehmen, und man brauchte außerdem »ein scheinbar unabhängiges Aktionskomitee, das finanzielle Zuwendungen an Politiker kanalisieren sollte, ohne den Rest der Organisation zu kompromittieren«, wie Hernando Calvo Ospina es formuliert.24 Zu den Mitgliedern des Vorstands gehörten laut Ospina Pepín Bosch, Clara Maria del Valle, Lourdes Abascal Quirch, José Bacardí und Manuel Jorge Cutillas. Zur wichtigsten Vertreterin der Familie wurde im Laufe der Jahre Clara Maria del Valle, eine Urenkelin Don Emilios. Sie stieg 1999 zur Vizepräsidentin der Fundación auf, ein Posten, den sie bis heute bekleidet. Dem FNCA flossen aus der amerikanischen Staatskasse reichlich Gelder zu, denn zu den engagierten Fürsprechern der Organisation gehörten unter anderem die konservativen Senatoren Jesse Helms und Richard Stone, die Jahre zuvor schon für das Komitee »Freies Kuba« geworben hatten. Auch Jeane Kirkpatrick, Reagans Botschafterin bei den Vereinten Nationen und Ehefrau eines ehemaligen hohen Geheimdienstfunktionärs, setzte sich mit großem Eifer für den FNCA ein. Ein selbstverständlicher Freundschaftsdienst für José Pepín Bosch, der wie sie im »Advisory Council« von Präsident Reagan saß. Auch Helms und Stone wirkten dort mit. Ganz nebenbei entstanden Beziehungen, die ein Jahrzehnt später von größter Bedeutung für die US-amerikanische Kubapolitik und damit für die Familie Bacardí sein sollten. Die Fundación Nacional Cubano Americana hatte von Beginn an regen Zulauf. Schon bald nach der Gründung waren um die 100 exilkubanische Unternehmer als Mitglieder eingetragen. Gezahlt wurden jährliche Beiträge, die zwischen 5 000 und 50 000 USDollar lagen. »Kein anderes Unternehmen und keine andere Familie war mit so vielen Mitgliedern so lange Zeit in diesem ›Heiligtum‹ der extremen konterrevolutionären Rechten vertreten«,

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konstatiert Hernando Calvo Ospina. Diese Aktionäre seien maßgeblich an legalen, geheimen und anderen Aktionen beteiligt gewesen, die die FNCA seit 1981 durchführte. »Sie waren Teil der Führungsgruppe, die die Entscheidungen trifft, Pläne gutheißt und umsetzt und so den US-Interessen hauptsächlich im Krieg gegen Kuba dient.«25 Zu den ersten Großtaten im Sinne der Satzung gehörte Ende der achtziger Jahre die Einrichtung eines Fonds für Kubanische Studien (ECAS). Finanziert wurden aus diesem Fonds Stipendien, Seminarveranstaltungen, politische Analysen und andere Veröffentlichungen zum Thema Kuba. Auf jeden Dollar, der aus der Staatskasse kam, legte die Fundación einen Dollar drauf. Als der Kongress des Staates Florida im Jahr 1991 eine Million US-Dollar bewilligt, um ein »Zentrum für Kubanische Studien« an der Universität in Miami zu verankern, kommt von der Fundación noch einmal die gleiche Summe dazu. Das Geld soll zum größten Teil von den Bacardís gespendet worden sein. Das macht Sinn, denn schon im Jahr 1986 hatte man an der Universität in Miami den Lehrstuhl Emilio Bacardí Moreau, genannt the Bacardí Chair, eingeweiht. »Personen, die der Fundación und den Bacardís nahe standen, wie Luis Guilar León, Irving L. Horowitz und Jaime Suchlicki, waren eingeladen, Kurse über ›die Geschichte Kubas und das Verständnis der kubanischen Kultur‹ abzuhalten, die Hauptthemen, mit denen sich der Lehrstuhl beschäftigte«, schreibt Calvo Ospina.26 Dass in jenen Jahren mit Manuel Jorge Cutillas ein späterer Präsident von Bacardí Vorsitzender des International Advisory Board der Universität in Miami war, sei nur am Rande vermerkt. Auch diese Funktion eröffnete alle Möglichkeiten, auf die Entwicklung des »Zentrums für Kubanische Studien« Einfluss zu nehmen. Im »Krieg gegen Kuba«, den die in Miami angesiedelten Widerstandsgruppen der Exilkubaner bis heute führen, gab es in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eine vorzügliche Gelegenheit, dem Castro-Regime zu schaden. Damals kämpften in Angola mehrere tausend kubanische Soldaten an der Seite der MPLA gegen die von

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Jonas Savimbi geführten Streitkräfte der Unita. Die USA standen voll hinter Savimbi, obwohl Gräueltaten des Diktators die Welt erschütterten. Mit einer 600 000 US-Dollar teuren Imagekampagne sollte die amerikanische Werbeagentur Black, Manafort, Stone and Kelly den Diktator für die amerikanischen Bürger »salonfähig« machen. Die Fundación steuerte ihrerseits Geld für die Arbeit der Unita-Komitees bei, die landesweit in den USA für die Unterstützung Savimbis warben. Im Mai 1986 erschien im Miami Herald eine Anzeige, die den Grad der Parteilichkeit im Hinblick auf die politischen Auseinandersetzungen in Angola deutlich macht: »Unsere Beziehung zu Jonas Savimbi und zur Unita, sein Besuch in den Vereinigten Staaten und die materielle Hilfe, die er bis heute von diesem Land empfängt, beweisen die Wirksamkeit der Bemühungen seitens der Fundación, die Öffentlichkeit in den USA im gewünschten Sinne zu informieren und zu beeinflussen.«27 Knapp zwei Jahre später reisten Vorstandsmitglieder der FNCA nach Angola in das von der Unita kontrollierte Gebiet. In Jamba, der provisorischen Hauptstadt, gaben sie eine gemeinsam mit der Unita unterzeichnete Resolution heraus, in der es unter anderem heißt, »dass die Suche nach Freiheit, Demokratie und Würde in Angola und auf Cuba für beide Völker eine gemeinsame Sache darstellt …, dass sich demzufolge die Fundación Nacional Cubano Americana, insbesondere in den Vereinigten Staaten, zu einer aktiven Teilnahme an einer weltweiten Kampagne verpflichtet, die zum Ziel hat, die gerechte Sache der Unita zu fördern …, dass sich die Unita verpflichtet, sobald wir durch nationale Versöhnung Frieden und Würde nach Angola gebracht haben, ehrliche Anstrengungen zu unternehmen, das kubanische Volk zu unterstützen, bis die Freiheit und die Demokratie in seinem Vaterland wiederhergestellt sind.«28 Dass die UNO die Kriegsverbrechen der Unita scharf verurteilte und dass es sich bei Savimbi um einen brutal brandschatzenden und mordenden Heerführer handelte, interessierte die Vorstandsmitglieder der Fundación offenbar wenig. Das Beispiel Angola zeigt, wie tief die FNCA Ende der achtziger Jahre in die amerikanische

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Außenpolitik verstrickt war. Das alles vor allem in der Erwartung, eines Tages belohnt zu werden. Diese Gelegenheit kam schneller als erwartet. Neue Hoffnung in Sachen Kuba keimte 1990. Der Kalte Krieg war seit dem Fall der Berliner Mauer Geschichte. Die kommunistischen Länder kämpften ökonomisch ums Überleben und um den Anschluss an die kapitalistischen Märkte. Kuba, seit Beginn der amerikanischen Blockade von den Subventionen der UdSSR abhängig, sah mit Bangen in die Zukunft. Würden die Russen Kuba auch weiterhin helfen? Die Exilkubaner witterten eine Chance. Jorge Mas Canosa, damals Präsident der FNCA, verschickte ein Schreiben an die Direktoren, in dem eine Strategie zur internationalen Isolation Kubas entwickelt wird. Der »Niedergang der Tyrannei« sollte beschleunigt werden, vor allem durch bessere Zusammenarbeit zwischen CIA, FBI und dem Nationalen Sicherheitsrat der USA. Es sollen gemeinsam mit dem Außenministerium neue Pläne im Bereich der internationalen Politik erstellt werden, »die auf die aktuelle Situation zugeschnitten sind«, und er fordert »Aktionen, die gegen die stalinistische Regierung Kubas entwickelt werden müssen«. Das Dokument schließt mit den Sätzen: »Wir schrecken vor Nichts und Niemandem zurück. Wir wünschen es zwar nicht, aber wenn Blut fließen muss, so soll es fließen.«29 Worte, die an ein Schreiben von Pepín Bosch an das Weiße Haus erinnern. Auf dem Briefkopf sind die Namen der damaligen Vorstandsmitglieder vermerkt, darunter José Bacardí, Manuel Jorge Cutillas und Clara Maria del Valle. Ein Jahr später wird die angedeutete Strategie umgesetzt. Eine Delegation der FNCA, darunter auch Vertreter des Bacardí-Konzerns, fährt nach Moskau, um die Russen dazu zu bringen, ihre engen ökonomischen und militärischen Beziehungen zu Kuba abzubrechen. Als Belohnung winkt ihnen Hilfe beim Aufbau guter geschäftlicher Beziehungen in Florida. Begleitet werden die FNCAVertreter von den Kongressabgeordneten Connie Mack und Larry Smith, die natürlich Kenntnis davon haben, dass es sich hier um eine mit dem Außenministerium und dem Nationalen Sicherheits-

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rat abgesprochene Angelegenheit handelt. Am 25. Dezember 1991 trifft sich die Delegation mit Andrej Kossyrew, dem neuen Außenminister Russlands. Er erfüllt hinsichtlich Kuba alle Wünsche der Besucher und sagt zu, Subventionen zu streichen, marktgerechte Preise einzuführen und den Truppenabzug zu beschleunigen. Vor laufenden Fernsehkameras stoßen die Verhandlungspartner auf das Abkommen an. Die Gläser sind mit Bacardí-Rum gefüllt, nicht mit Wodka. Calvo Ospina schreibt: »Was dabei ins Auge sprang, waren eine Kiste und eine Flasche mitten auf dem Tisch; auf der Kiste prangte der Name des Rums. Der Multi Bacardí hatte für seine Expansion ein großes Stück des Kuchens ergattert, denn begünstigt durch die Bilder, die Fernsehen und Printmedien von diesem Ereignis verbreiteten, war es ihm gelungen, freien Zugang zu diesem immensen Markt zu gewinnen.«30

6 . » Ve r k a u f d o c h u n d ge h m i t Deinem Geld zur Bank!« Die Familie in der Krise

Mancher der Bacardís mag aufgeatmet haben, als Pepín Bosch 1976 durch sein starrsinniges Verhalten den Weg freimachte für einen Nachfolger. Trotz der Verstimmung des »Alten« konnte der Familienclan nun über strukturelle Veränderungen in der Organisation des Unternehmens nachdenken und baute dabei auf das Verständnis des neuen Mannes an der Spitze: Edwin Nielsen, genannt Eddy. Eddy Nielsen war mütterlicherseits mit den Bacardís verbunden. Sein Vater, ein norwegischer Physiker, hatte in den USA Lucia Schueg Bacardí geheiratet, eine Tochter von Amalia Bacardí y Moreau und Enrique Schueg Chassin. Eddy war in den USA aufgewachsen, hatte in New England ein College besucht und anschließend bei der US-Army gedient. Dann war er nach Santiago gegangen, um bei der Compañía Ron Bacardí erste Berufserfahrungen zu sammeln. Aber richtig begeistert zeigte er sich damals nicht. In den späten fünfziger Jahren galt sein Interesse der Viehzucht sowie der Grundwasser- und Salzgewinnung. In der Nähe von Guantánamo besaßen die Schueg Bacardís ausgedehnte Ländereien. Der junge Nielsen fühlte sich im verschlafenen Oriente relativ wohl – bis zu jenem Tag, als auch dort die Revolutionäre das Land der Großgrundbesitzer zu Staatseigentum erklärten. Danach war Eddy auf Wunsch von Onkel Pepín Bosch ins Unternehmen zurückgekehrt. Er hatte zunächst in Mexiko, später in Miami im mittleren Management gearbeitet, bis er 1971 den Präsidentenposten bei Bacardí Imports übernahm und durchaus erfolgreich war.

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Die Familie wählte ihn 1976 zum Nachfolger von Bosch, weil Eddy inzwischen eine Menge Erfahrung hatte und mit Anfang 50 noch jung genug war, um Neues zu wagen. Außerdem bestach er durch sein gewinnendes Wesen. Er war höflich und hatte, anders als Pepín Bosch, immer ein offenes Ohr und viel Verständnis für die Sorgen der Mitarbeiter und der Familienangehörigen. Die Aktionäre wünschten mehr Demokratie? Andere formale Strukturen? Mehr Transparenz und mehr Möglichkeiten, an Entscheidungen mitzuwirken? Warum nicht? Er war zu allem bereit. Zu den ersten großen Neuerungen unter Nielsens Führung gehörte die Gründung von INTRAC, International Trademark Consultants mit Sitz in Costa Rica. Die neue Gesellschaft bildete eine Art Dachorganisation für die fünf unabhängig voneinander arbeitenden Bacardí-Companies. Man verstand sie als Organ, um miteinander im Gespräch zu bleiben, unverbindlich Neuigkeiten auszutauschen und Entwicklungspläne durchzusprechen. Geschäftsführer wurde Guillermo Mármol, Pepín Boschs langjähriger Weggefährte, der die verzweigten Strukturen des Unternehmens und die Mentalität einzelner Familienmitglieder in den Führungspositionen bestens kannte. Sieben Mitglieder sollten bei INTRAC die vier Familienzweige repräsentieren. Die Vertreter hatten mehr oder weniger von den Genen ihrer geschäftstüchtigen Vorfahren mitbekommen. So saßen unter anderem Luis Gómez del Campo Bacardí und sein Cousin Adolfo Danguillecourt Bacardí in dem Gremium, beide keine Glanzlichter im Hinblick auf das Geschäft. Luis Gómez del Campo, der als Berufsbezeichnung »privater Investor« angab, hatte nach der Emigration kurze Zeit in der Promotionsabteilung bei Bacardí and Company auf den Bahamas gearbeitet. Danach beschränkte er seine Tätigkeit auf den europäischen Jetset und war überall dort zu finden, wo die potenzielle Klientel ihre Spuren hinterließ. Am liebsten soll er sich im Spielcasino von Monte Carlo aufgehalten haben. Spitze Zungen in der Familie nannten ihn einen »Playboy«, er selbst betrachtete sich als Genussmenschen.

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DOCH UND GEH MIT

DEINEM GELD

ZUR

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Auf den Visitenkarten von Adolfo Danguillecourt Bacardí, der in Madrid lebte, stand als Berufsbezeichnung »Business Adviser«. Er hatte nie im Familienunternehmen gearbeitet, ebenso wenig wie INTRAC-Mitglied Eusebio »Cuchi« Delfín, ein Enkel von Emilio Bacardí y Moreau. Cuchi war Rechtsanwalt und besaß Aktien, mehr war über ihn nicht zu sagen. Mit allen geschäftlichen Wassern gewaschen war dagegen Manuel Jorge Cutillas, ein Urenkel Emilios, der seit seinem zwanzigsten Lebensjahr in der Firma gearbeitet hatte. Er war Chef von Bacardí and Company auf den Bahamas und galt als talentiertester Vertreter der fünften Generation. Vertreter der Schueg-Bacardí-Linie, deren Aktienanteil seit dem Verkauf der Bosch-Aktien um rund zwölf Prozent geschrumpft war, waren Eddy Nielsen und Victor Arellano, der eine Tochter von Enrique Schuegs Sohn Jorge geheiratet hatte. Die Arellano-Schuegs lebten in Mexiko, wo Victor im Vorstand von Bacardí y Compañía saß. Siebentes Mitglied bei INTRAC war schließlich Alberto Bacardí Bolívar als Vertreter der mit zehn Prozent ausgestatteten Linie José Bacardí y Moreau. Alberto, damals Präsident der FBM Distillery im kanadischen Brampton, war mit Daniel Bacardí Rosells Tochter Hortensia verheiratet. Sie brachte acht Kinder zur Welt, die zwar alle das Privileg haben, Bacardí Bacardí zu heißen, aber das doppelte Glück ist für sie mit diesem besonderen Namen nicht verbunden, denn Vater Alberto sollte später seinen Hinauswurf aus dem Bacardí-Imperium provozieren. »Alberto war der Prototyp einer ›commercial royalty‹. Er sah nicht nur aus wie ein Matinee-Idol aus Kuba, er hatte außerdem ein Lächeln, das 1 000 Kisten Bacardí wert war. Alberto war nicht nur stolz, ein Bacardí zu sein. Seine Mutter stammte von dem berühmten südamerikanischen Revolutionär Simon Bolívar ab. Alberto hatte die Revolution im Blut«, behauptet Peter Foster.1 Alberto und sein Vater Joaquín Bacardí Fernández ließen sich, anders als der Rest der Familie, gerne in die Werbekampagnen der

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kanadischen Firma einbeziehen. Es gibt zum Beispiel eine Anzeige, da sitzt der wirklich gut aussehende Alberto auf der Kante eines Schreibtisches, hinter ihm sieht man ein altes Foto der Familie. Im Text heißt es: »Wir sind nicht nur der Name auf der Flasche. Wir sind die Familie dahinter. 1862 schuf mein Urgroßvater einen außergewöhnlich weichen und leichten Rum. Er wurde sehr bald der berühmteste der Welt.«2

Die Diversifizierungsfalle Nach dem Abgang José Pepín Boschs herrschte zunächst Frieden und große Freude über die sensationell guten Geschäfte in den Jahren zwischen 1977 und 1979. Bacardí konnte die Presse mit guten Nachrichten füttern. 1978 verkaufte das Unternehmen allein in den USA 7 392 000 Kisten Rum à 9 Liter. Damit war Bacardí unter den Markenspirituosen die Nummer eins in Amerika. Hatte der Gewinn des Unternehmens 1976 bei »nur« 12,6 Millionen US-Dollar gelegen, bei einem Umsatz von 153,3 Millionen, so stieg er 1979 auf 39,4 Millionen bei einem Umsatz von 220 Millionen US-Dollar. Innerhalb von drei Jahren hatte sich das Familieneinkommen mehr als verdreifacht. Die Bacardís schwammen im Geld. 1980 rückte das Unternehmen in die Top Ten der Branche auf. Vor Bacardí lagen Seagram, Heublein, National, Schenley, Hiriam Walker und BrownForman. Ein Ende des jährlichen Wachstums von durchschnittlich 18 Prozent war zunächst nicht in Sicht. Sechs neue Brennereien wurden eröffnet und ein neues Programm zur Qualitätskontrolle entwickelt. Bacardí-Rum, das wussten die Manager, musste immer die gleiche Qualität haben, ganz gleich, ob er in Spanien oder Recife, in Indien oder Deutschland abgefüllt wurde. Und es ging weiter mit den positiven Schlagzeilen. In einer Unternehmensbroschüre heißt es: »Es werden in den Achtzigern einige Rekorde aufgestellt. Bacardí wird weltweit die

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Nummer eins unter den Branntweinmarken, und es wird die 200-millionste Kiste Rum seit Verlassen der Insel produziert. Diese Dekade zeichnet sich auch aus durch spezielles Eventmarketing. In Miami wurde ein Fass mit einem Fassungsvermögen von 300 Gallonen Cuba Libre hergestellt, und damit schaffte man die Aufnahme in das Guinness Buch der Rekorde! Die Werbung mit dem ›Sonne, Sand und See‹-Slogan wird verstärkt, und es beginnt die Ära der Produktinnovationen.«3 Die Familie jubelte, als sie sich im September 1983 in Acapulco traf, um den Produktionserfolg zu feiern. Die Führungsspitze reiste allerdings mit gemischten Gefühlen an. In Mexiko wollten Präsident Eddy Nielsen und sein Stellvertreter Manuel Jorge Cutillas den Familienmitgliedern schonend vermitteln, dass sie ein Diversifizierungsprogramm planten. Sie wollten weg von der One-Product-Company, hin zu einem Unternehmen mit einer breiteren Produktpalette. Die Entwicklung auf dem amerikanischen Spirituosenmarkt gab den beiden Männern aus der Führungsspitze zu denken. Seit zehn Jahren war die Nachfrage bei den braunen Spirituosen wie Scotch und Bourbon rückläufig. Profitiert hatten die weißen Marken, darunter Bacardí »Carta Blanca« und Wodka von Smirnoff. Seit Beginn der achtziger Jahre stagnierte nun auch die Nachfrage bei den weißen Bränden. Nach den Gründen für den flauen Absatz musste man nicht lange fahnden. Zum einen war der Markt durch die hohen Produktionsleistungen in den vorausgegangenen Jahren gesättigt, zum anderen hatte die Antialkoholbewegung in den USA zunehmenden Erfolg. 1982 waren laut Umfragen 50 Prozent der Bevölkerung davon überzeugt, dass Abstinenz besser sei als moderates Trinken; 40 Prozent glaubten, dass Alkoholmissbrauch zu gesundheitlichen und sozialen Problemen führe; 62 Prozent befürworteten Warnungen auf den Labels, und 54 Prozent forderten höhere Alkoholsteuern. Untersuchungen, die darauf hinwiesen, dass mäßiger Alkoholgenuss unschädlich, ja in manchen Fällen sogar gesund sein könnte, wurden von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert. Jeder zwanzigste Drink, der in den USA kon-

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sumiert würde, sei Rum von Bacardí, hatten die Marketing-Leute ihren Bossen 1980 mitgeteilt. 60 Prozent des Rummarktes in den USA sei unter Kontrolle von Bacardí, da könne doch gar nichts passieren. Angesichts der Aktivitäten der Antialkohollobby verflog die Sicherheit bei den Männern an der Spitze des Konzerns schnell. Die bange Frage lautete: »Aber was tun wir, wenn niemand mehr Bacardí trinken will? Wenn zunehmend Coke pur verlangt wird?« Beim Familientreffen in Acapulco gaben Nielsen und Cutillas die Antwort: Diversifizierung. Und sie gaben zu, dass die Bacardí Corporation auf Puerto Rico schon vor etlichen Jahren begonnen hatte, Nahrungsmittel und Getränke auf der Insel zu vertreiben. Gerade seien zwei kleine Unternehmen dazu gekauft worden, die den puertoricanischen Markt mit Elektro- und elektronischen Artikeln versorgen sollten, darunter Videorecorder, Radiowecker, Fernseher und Telefone. Außerdem berichteten die beiden Führungsspitzen über das unmittelbar vor dem Familientreffen gegründete Unternehmen Bacardí Capital mit Sitz auf den Bermudas. Peter Foster schreibt, das Mandat sei gewesen, »den einzelnen Companies finanzielle Dienste anzubieten. Die Aktienbesitzer sollten davon profitieren, Familienmitglieder und andere. In der Zukunft könnte diese Gesellschaft eine Schlüsselposition einnehmen, vorausgesetzt man würde sich auf andere Geschäftsfelder zu bewegen. Das Zauberwort der Zukunft, so meinte Nielsen, hieße jedenfalls Diversifizierung, Verbreiterung der Produktpalette.«4 Das Treffen im Princess Hotel in Acapulco war ein voller Erfolg. Die Alten aus dem Clan wurden von den Jüngeren und ganz Jungen begeistert fotografiert, vor allem die Familienoberhäupter Daniel Bacardí Rosell und Joaquín Bacardí Fernández. Ähnlichkeiten zwischen diesen und jenen entfernten Verwandten wurden registriert; alte Geschichten aus der kubanischen Vergangenheit erzählt, und das gegenseitige Bekanntmachen nahm kein Ende. Einer allerdings fehlte: Pepín Bosch. Er schmollte noch immer. Sein Verhältnis zu den Bacardís blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1994 gestört.

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Zum Pflichtprogramm in Acapulco gehörte natürlich auch ein Besuch der Fabrik in Tultitlán. Und dort versammelte sich ein Teil der Besucher für ein Erinnerungsfoto unter einer Inschrift, an die in den kommenden Jahren besorgte Familienmitglieder gerne erinnerten. »Schließt die Reihen und bündelt die Kräfte!« Bündelt die Kräfte und verschwendet sie nicht bei abenteuerlichen Diversifizierungsspielchen, dieser Meinung war von Anfang an Daniel Bacardí Rosell. Gerne erinnerte er an die Haltung Pepín Boschs, der einmal in einem Interview mit dem Forbes-Magazin gesagt hatte: »Man hat uns Weinkellereien, Bierbrauereien und vieles andere zum Kauf angeboten. Aber was wissen wir über die Weinherstellung? Und verstehen wir mehr vom Bier als Budweiser oder Schlitz? Bei Rum kennen wir uns aus, und zwar gut.«5 Daniel opponierte schon in Acapulco, als die Führungsspitze behauptete, dass allein die Diversifizierung der Schlüssel zur Zukunft sei. Der Rummarkt sei noch nicht vollständig ausgereizt, argumentierte er, zum Beispiel müssten noch internationale Märkte wie Japan und Frankreich erobert werden. Und wenn man nicht wüsste, wohin mit den Überschüssen: Jeder Aktionär sei dankbar für Sonderausschüttungen. Investitionen in neue Unternehmen, die nichts mit Rum zu tun hätten, hielt Daniel für überflüssig, ja sogar für gefährlich. Und er sollte Recht behalten. Aber Eddy Nielsen, Manuel J. Cutillas und die Mehrheit der INTRAC Mitglieder sahen die Sache bei ihrem ersten Treffen anders. Im übrigen waren manche Projekte auch nicht mehr aufzuhalten. Der Kauf der Firma Lloyd’s Electronics mit Sitz in Edison, New Jersey war bereits eingefädelt. Der Kaufpreis: 12 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen handelte mit Billigprodukten aus dem asiatischen Raum und hatte unter Insidern keinen besonders guten Ruf. Die Geschäfte gingen folgerichtig schlecht. 1984 verlor das Unternehmen 5,3 Millionen US-Dollar, im Jahr darauf waren es noch einmal 5,4 Millionen. Die Bacardí-Führung teilte den Aktionären im Geschäftsjahr 1984 mit, sie habe »alles im Griff«. Man habe das Management gefeuert, und es seien neue vielver-

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sprechende Produkte in das Sortiment aufgenommen worden. Doch die Situation wurde eher schlechter als besser, die Produkte von Lloyd’s erwiesen sich als unverkäuflich. Im Jahr 1985 entschloss sich das Bacardí-Management, das Unternehmen wieder abzustoßen. Aber selbst das ging nicht problemlos vonstatten, und so schlug das Abenteuer Lloyd’s Electronics mit insgesamt 29 Millionen US-Dollar Verlust zu Buche. Bei einem Unternehmen, dessen Wert in den achtziger Jahren auf etwa 1,8 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde, werden 29 Millionen eher als »Peanuts« eingeordnet denn als Tragödie. Aber die Ehre der Bacardís war angekratzt. Sie hatten noch nie in ihrer Firmengeschichte einen so hohen Verlust hinnehmen müssen. Im Geschäftsbericht für das Jahr 1985 musste die Führungsspitze Fehler eingestehen: »Unser begrenzter Ausflug in den Vertrieb von Elektroartikeln war enttäuschend. Wir sind aber dennoch davon überzeugt, dass mit der Diversifizierung eine notwendige und angemessene Richtung eingeschlagen wird. Und wir sollten auch weiterhin das darin verborgene Potenzial ausloten, vor allen Dingen auf den Gebieten, die unserer Erfahrung und unserem Sachverstand nahe stehen.«6

Noch eine Falle – noch mehr Verluste Während bei der Bacardí Corporation das Experiment der Diversifizierung mit diesem Flop zu Ende war, entpuppte sich die Neugründung Bacardí Capital als pure Geldvernichtungsmaschine. Schon im zweiten Jahr nach der Gründung geriet das Unternehmen in eine finanzielle Schieflage. Der Vorstand, zu dem neben Eddy Nielsen und Manuel J. Cutillas Pete O’Hara, Eduardo Cutillas und der Rechtsanwalt Nicholas Dill Jr. gehören, reagierte jedoch zunächst nicht, offenbar weil erst später bekannt wurde, dass die neu eingestellten Finanzmanager die wahren Verluste verschleierten. Sie gaben für das Jahr 1985 einen Verlust von zwei Millionen US-

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Dollar an, in Wahrheit hatten Fehlspekulationen im Geld- und Wertpapierhandel zu einem Verlust von 13 Millionen US-Dollar geführt. Righter Brewster hieß der Mann an der Spitze von Bacardí Capital, Headhunter hatten ihn empfohlen. Brewster konnte einen vorzüglichen Abschluss der Harvard University vorweisen, eine Ausbildung bei den Marines und erste Berufserfahrungen bei großen amerikanischen Unternehmen. Es mangelte ihm nicht an Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Nachdem man ihn beim Taubenschießen beobachtet hatte, nannte ihn die Familie gern »Rambo«, andere gaben ihm den Spitznamen »Rocky« oder »Bang it out Brewster«. Untergebracht waren Brewster und das von ihm ausgewählte Team im Gebäude von Bacardí International, wo jeder jeden aufgrund der vielen Glaswände bei der Arbeit beobachten konnte. Trotzdem will Vorstandsmitglied Eduardo Cutillas, der sein Büro im gleichen Gebäude hatte, bis zum Schluss nichts von dem sich abzeichnenden finanziellen Desaster gewusst haben. Traf man sich nicht ständig in der Kantine, auf den Fluren und bei anderen Gelegenheiten? Die junge, äußerst dynamische Mannschaft um Brewster konnte auf ein Startkapital von insgesamt 140 Millionen US-Dollar zurückgreifen, zur Verfügung gestellt von Bacardí and Company in Nassau und Bacardí International auf den Bermudas. Das Abenteuer begann mit Käufen von Finanzierungsgesellschaften und Versicherungen, mit Beteiligungen an Brokerfirmen und einer Treuhandgesellschaft auf den Cayman Inseln. Die »Alten« staunten über die Dynamik der jungen Finanzmanager, blickten neidisch auf deren Konditionen und hatten das Gefühl, das Huhn gefunden zu haben, das goldene Eier legt. Eduardo Cutillas runzelte zum ersten Mal die Stirn, als Brewster Gewinnbeteiligungen für sich und die Seinen forderte. Er befürchtete einen allzu großen Hunger zuungunsten der notwendigen Sicherheiten. Sein Misstrauen war berechtigt, führte zunächst aber zu keinerlei Sanktionen oder Reglementierungen der wild kaufenden und verkaufenden Gruppe.

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Die machte zu Beginn des Jahres 1985 weitere gravierende Fehler. Woche für Woche verlor Bacardí Capital jetzt 3 Millionen US-Dollar. Am 17. Februar 1986 erfuhr der Vorstand von den Gesamtverlusten, die inzwischen auf 21 Millionen US-Dollar gestiegen waren. Righter Brewster verschwieg jedoch die 13 Millionen aus dem letzten Quartal des Vorjahres. Selbstverständlich wolle er alles tun, um zumindest die 21 Millionen zurückzugewinnen. Es blieb bei dem Versprechen, das Geld war ein für allemal verloren. Brewster wurde von Eddy Nielsen persönlich gefeuert, nachdem einer der von ihm angeheuerten Wirtschaftsprüfer im Frühjahr 1986 dem Vorstand die Gesamtverluste mitgeteilt hatte. Die Männer um Nielsen waren ratlos und beschämt. Wie hatte das alles passieren können? Wie hatte man sich so gutgläubig in die roten Zahlen manövrieren lassen können? Wie sollte man den Aktionären dieses Debakel erklären? Doch es sollte nicht die letzte Hiobsbotschaft gewesen sein. Angesichts der stagnierenden Umsatzzahlen hatten sich auch andere Spirituosenhersteller und Vertriebsfirmen bemüht, durch Beteiligungen oder Fusionen drohenden Verlusten zu entkommen. Hiriam Walker besaß zum Beispiel Anteile an Gas-Pipelines und Ölgesellschaften. Warum also nicht mit Hiriam Walker gemeinsame Sache machen? Immerhin war das Unternehmen nach dem Erwerb des Bosch-Pakets bereits im Besitz von zwölf Prozent der Bacardí-Aktien und hielt außerdem eine 25-prozentige Beteiligung an der kanadischen Company. Nielsen und Cutillas hatten den Managern von Hiriam Walker eine Aufstockung dieses Pakets auf bis zu 25 Prozent vorgeschlagen, im Gegenzug wollten sie mit einer Summe in der Größenordnung zwischen 200 und 300 Millionen US-Dollar bei den Walker-Beteiligungen einsteigen. Per Handschlag war das Geschäft bereits besiegelt worden. Doch die Führungsriege hatte die Pläne nicht mit der Familie abgesprochen. Das war ein entscheidender Fehler, denn als die Direktoren von INTRAC von dem geplanten Geschäft erfuhren, gab es mehr Ablehnung als Zustimmung. Insbesondere Alberto Bacardí Bolívar war empört über

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die Eigenmächtigkeit des Trios Nielsen-Cutillas-O’Hara. Gerade er, der das Management von Hiriam Walker seit mehr als zehn Jahren bestens kannte, wäre gerne vorher gefragt worden. Schließlich verfügte er über Insiderwissen und konnte als einziger die Gefahren richtig einschätzen, die von den Brüdern Reichmann möglicherweise ausgingen. Die Reichmanns hatten Geld wie Heu, und Alberto fürchtete, dass bei ihnen der Appetit auf ein noch größeres Stück aus dem Bacardí-Imperium geweckt werden könnte. Nielsen wischte Albertos Bedenken vom Tisch. Ein nicht besonders einfühlsames Verhalten, denn Eddy, der mit den Brüdern Alberto und Jorge Bacardí Bolívar freundschaftlich verbunden war, hätte wissen müssen, dass Alberto sich selbst für einen exzellenten Manager hielt und die Hoffnungen auf den Präsidentensessel noch nicht aufgegeben hatte. Die Sache mit der geplanten Fusion hatte sich in der Familie rasch herumgesprochen und besonders unter den in Madrid lebenden älteren Bacardís Schrecken verbreitet. Amalia, eine der drei noch lebenden Töchter Don Emilios, reagierte als erste auf den aus ihrer Sicht infamen Plan. Für sie war es eine peinigende Vorstellung, dass eines Tages das Erbe ihres verehrten und geliebten Vaters in fremde Hände übergehen könnte. Schon einmal hatte sie, gemeinsam mit der Mehrheit, die absurde Idee Pepín Boschs zurückgewiesen, das Unternehmen zu verkaufen. Jetzt war die Gefahr einer Übernahme durch einen anderen Konzern in greifbare Nähe gerückt. Nun musste schnell gehandelt werden. Emsig sammelte die alte Dame unter den Aktionären Unterschriften für eine Erklärung, in der die Unterzeichner mitteilten, dass sie unter keinen Umständen gewillt seien, Aktienanteile abzugeben, »wie hoch auch immer der angebotene Preis sein würde«. Amalias Vorstoß war getragen von einer Mischung aus Nostalgie und Treue zur Familie. Auch Hochachtung und Stolz auf den Namen Bacardí spielten eine Rolle. Aber die Zeiten hatten sich geändert, und mit ihr die Rolle der Familie. Der Name Bacardí wurde inzwischen vielfältigst interpretiert. Peter Foster fasst es prägnant zusammen: »Für Geschäftsleute, die außerhalb vom Biskayne Boulevard arbeiteten, war Bacardí

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ein Produkt, das umgesetzt werden musste; für die Rechtsanwälte in New York oder Nassau war es eine Handelsmarke, die geschützt werden musste; für die Ingenieure in Puerto Rico oder Recife war es ein Produktionsverfahren, das in Gang gehalten werden musste; für die Werbeleute und Marketingexperten in Miami oder London war es ein Image, das sorgfältig gepflegt werden musste; für die leitenden Angestellten war es eine Company, für deren Wachstum sie mitverantwortlich waren; für Eddy Nielsen und seine engen Vertrauten war es ein Imperium, dessen Verwaltung strategisch exakt geplant werden musste. Für viele Familienmitglieder war mit dem Namen eine unterschiedliche Wahrnehmung verbunden. Für die Drohnen war Bacardí eine Geldmaschine: vorne wurde Melasse eingefüllt, und hinten kamen die Dividenden heraus. Für die ältere Generation wie zum Beispiel Amalia, die vor der Revolution auf Kuba aufgewachsen war, war Bacardí mehr als nur ein Geschäftsname. Er war verknüpft mit einer besonderen Lebensart. Santiago de Cuba, das war zwar weit weg und lange her, aber mit Castros Coup hatte der Name Bacardí eine symbolische Veredelung erfahren. Der konsequente Kampf der Company gegen das kommunistische Regime – er machte den entscheidenden Teil ihrer Geschichte aus – hatte dem Namen in der kubanischen Exilgemeinschaft eine tiefer gehende Bedeutung verliehen.«7

Die Dissidenten formieren sich Nachdem die geplante Fusion aufgrund der 35 Gegenstimmen geplatzt war, wagte Alberto sich nach vorne und verlangte ein außerordentliches Treffen von INTRAC. Bei dieser Sondersitzung sollte eine Resolution verabschiedet werden, in der die zukünftige Beziehung von Bacardí zu Walker festgeschrieben werden sollte. Walker sollte darin erklären, dass das Unternehmen weder jetzt noch in Zukunft eine Fusion mit Bacardí plane.

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Dieser Schuss in Richtung Nielsen ging nach hinten los. Eddy hatte den Aufmüpfigen in sein Büro bestellt und ihm cool mitgeteilt, dass er zwar genügend Stimmen für die Einberufung einer Sondersitzung erhalten hätte, nicht aber für die Resolution. Dem Präsidenten war allerdings nicht wohl in seiner Haut. Er spürte deutlich, dass sich in jener Gruppe, die sich seit Beginn der Diversifizierungsversuche um Daniel und Alberto geschart hatte, das Misstrauen gegenüber seiner Führung wuchs. Man hatte ihm bereits Lügen unterstellt und Heimlichtuerei und sogar vom Verrat an den Idealen der Familie war die Rede. Das alles hatte sich gegen Ende 1985 und zu Beginn des Jahres 1986 abgespielt. Im Juli 1986 sah sich Eddy Nielsen gezwungen, die Aktionäre über die hohen Verluste von Bacardí Capital aufzuklären. Keine Frage, die Sache war mehr als nur peinlich und das Misstrauen der Dissidenten unter den Aktionären nur schwer zu durchbrechen. Sie witterten jetzt überall Verrat, sahen sich von Betrügern umgeben und beklagten vor allem die mangelnde Offenheit der Führungsspitze. Und weil das Misstrauen fast hysterische Züge angenommen hatte, führten selbst absurde Gerüchte zu Alarmbereitschaft bei den Dissidenten. Nicht absurd, aber noch lange nicht spruchreif, war zum Beispiel die Idee, die Bacardí Corporation auf Puerto Rico zu 100 Prozent in den Familienbesitz zu transferieren. Seit Pepín Bosch im Jahr 1962 aus steuerlichen Gründen einen kleinen Teil der Aktien für den öffentlichen Kauf freigegeben hatte, war das Unternehmen eine »Public Company«, das heißt, den Spielregeln der in Washington ansässigen US-Börsenaufsicht unterworfen. Und zu diesen Regeln gehört unter anderem die Veröffentlichung eines vierteljährlichen Rechenschaftsberichtes. Wieder war Daniel Bacardí Rosell der erste, der »Unrat« witterte. »Daniel glaubte, dass es sich bei der Überführung in den Familienbesitz um einen Versuch des Managements handelte, sich abzuschotten und den Aktionären Informationen vorzuenthalten«, behauptet Peter Foster.8 Dieser Ansicht ist auch Adolfo Comas Bacardí, ein Neffe Daniels. Adolfito war als stellvertretender Chef

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der Bacardí Corporation und Manager im Diversifizierungsbereich mitverantwortlich für die hohen Verluste, die man mit Lloyd’s Electronics gemacht hatte. Die Hauptschuld aber trug CompanyChef Manuel Luis del Valle, der nun alles versuchte, Adolfito zur Vernunft zu bringen. Comas Bacardí sollte auf jeden Fall der »Privatisierung« zustimmen, anderenfalls müsste er mit seiner Entlassung rechnen. Ein Gedanke, den Comas Bacardí für absurd hielt, schließlich wollten er und die anderen Dissidenten die Aktionäre schützen. Nicht die Dissidenten waren aus seiner Sicht die Bösen, sondern jene, die mehr Mitsprache der Aktionäre und mehr Transparenz verhindern wollten! Und weil er Offenheit für eine der wichtigsten Tugenden hielt, klärte er im November 1986 die Mitarbeiter der Bacardí Corporation über die geplanten Veränderungen auf. Gleichzeitig versicherte er, dass sie um ihre Arbeitsplätze keine Angst haben müssten. Inzwischen war die Dissidentengruppe fast verliebt in ihre neue Rolle, die mit Dollars gedüngte familiäre Spielwiese in ein mit Minen gespicktes Kampfterrain zu verwandeln. Die Gruppe war im Besitz von insgesamt 15 Prozent der Aktien. Kein bedrohliches Potenzial, aber es reichte aus, um der Führungsriege größere Steine in den Weg zu legen. Beim Treffen der INTRAC im Dezember 1986 konfrontiert Daniel die Vorstandsmitglieder mit einem Fünf-Punkte-Programm. Im Namen der Dissidenten fordert er unter anderem eine bessere Kontrolle bei weiteren Diversifizierungsvorhaben; eine klar strukturierte Aufteilung der Gewinne in 50 Prozent Dividenden, 25 Prozent Rücklagen, 25 Prozent Neuanlage unter Berücksichtigung der Wünsche der Aktionäre; Einsicht in die Berichte der Wirtschaftsprüfer; vierteljährliche Rechenschaftsberichte und die Einführung von Dreiviertelmehrheiten bei Aktionärsabstimmungen über Verkäufe und Fusionen. Mit diesen Forderungen sprachen die Dissidenten der Führungsspitze indirekt das Misstrauen aus. INTRAC zeigte sich reserviert. Man wolle im Frühjahr 1987 über das Papier diskutieren, hieß die Entscheidung. Dann solle ein um fünf Per-

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sonen aufgestocktes Direktorium über die Wünsche der Minderheit entscheiden. Man trennte sich friedlich. »Die meisten, die am Meeting teilgenommen hatten, sahen sich im Flugzeug wieder«, schreibt Peter Foster. »Eddy Nielsen und Guillermo Mármol saßen neben Adolfo und seiner Frau. Mármol beugte sich hin und wieder zu Adolfo herüber und bat ihn um Hilfe bei der Erstellung des Protokolls. Seine Freundlichkeit spiegelte Nielsens Wunsch nach Entspannung wider. Aber die Dissidenten hatten ihren Kurs festgelegt.«9 Die Aufmüpfigen hatten herausgefunden, dass nach den Regeln der Börsenaufsicht Anteile nur zurückgekauft werden konnten, wenn die Zahl der Aktionäre unter 300 lag. Für sie war es nun also wichtig, diese Zahl möglichst in die Höhe zu treiben. Daniel hatte die blendende Idee, Aktien als Weihnachtsgeschenke zu verteilen. Der von der Gruppe angeheuerte New Yorker Rechtsanwalt Sam Butler und sein Kollege Finkelson bekamen je eine; Werbechef Luis Lasa, inzwischen im Ruhestand, wurde beglückt; Freunde, Verwandte und Mitarbeiter erhielten das kleine Präsent. Adolfo Comas bedachte seine Sekretärin und deren Kinder, den Großvater seiner Frau Olga und andere mehr. Puertoricanischen Anlegern, die von der Aktion gehört hatten und bei Adolfo anfragten, ob sie ihre Aktien verkaufen sollten, riet er davon ab. Kurz und gut: Die Strategie der Dissidenten führte zum Erfolg. In Puerto Rico blieb alles beim Alten.

Das Imperium schlägt zurück Das Vorgehen der Dissidenten löste bei Nielsen und dem Rest der Führungsriege Empörung, Wut und wilde Entschlossenheit aus. Die Abweichler mussten bestraft werden. Daniel war als Ruheständler nicht zu greifen, aber von Alberto und Adolfo musste man sich trennen, Familie hin oder her. Am 18. Dezember 1986 wurde

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Adolfo Comas Bacardí zu Manuel Luis del Valle gerufen. Ohne Umschweife kam der Vorgesetzte zur Sache. »Der Vorstand hat mich beauftragt, dich zu bitten, deine Kündigung einzureichen.« Adolfo war schockiert, blieb aber cool. »Wenn die wollen, dass ich gehe, dann müssen sie mir kündigen. Freiwillig gehe ich nicht.« Der Geschasste fuhr nach Jamaika in den Weihnachtsurlaub. Noch wiegte er sich im Glauben, dass er durch Nachfrage und Einspruch etwas ändern könne. Als er am 3. Januar nach San Juan zurückkehrte, gab es jedoch nichts mehr zu regeln, er musste sein Büro räumen. Nach zwanzig Jahren engagierter Arbeit für das Unternehmen war der Abschied bitter. Alberto Bacardí Bolívar war der Nächste, den es traf. Eduardo Cutillas flog nach Toronto und überbrachte im Namen seines Bruders Manuel Jorge die Nachricht, man wünsche seinen Rücktritt. Ebenso wie Adolfo lehnte auch Alberto ab. Wenige Tage später feuerte der Vorstand den Chairman der kanadischen Company. Auch Albertos Bruder Jorge muss gehen. Er hatte zum Schluss als Vizepräsident und Direktor bei Bacardí and Company auf den Bahamas gearbeitet und als Direktor bei Bacardí International auf den Bermudas. Ein weiteres Opfer war Toten Comas Bacardí, Adolfos Zwillingsbruder. Dieser arbeitete in der spanischen Niederlassung und kündigte aus Solidarität mit dem Bruder selbst. Nielsen und Cutillas waren zufrieden, denn sie hatten Zeichen gesetzt: Wer in der Familie dem Geschäft schadet, gehört nicht mehr ins Geschäft, hieß die Botschaft. So einfach war das: Geschäft ist Geschäft, Familie ist Familie. Das Tischtuch zwischen den streitenden Parteien war vorerst zerschnitten. Im April 1987 ging der Kampf Minderheit gegen Mehrheit in die zweite Runde. Mithilfe eines Tricks wollte das Management den gescheiterten Rücktransfer doch noch durchsetzen. »Der Rücktransfer musste nun mit Druck vorangetrieben werden – mithilfe eines ›Hardball‹-Manövers, das als ›1.000 for one reverse stock split‹ bekannt war. Für jeweils 1.000 Aktien würden die Aktionäre eine neue Aktie erhalten. Diese neue Aktie würde 1.000 Mal mehr wert

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sein als die alte. Auf diese Weise würden, so meinte man, all jene zum Verkauf gezwungen, die weniger als 1.000 Aktien besaßen. Und damit würde sich die Zahl der Aktienbesitzer wieder unter die magische Zahl von 300 drücken lassen.«10 Am 27. April sollte beim jährlichen Meeting der Bacardí Corporation über den Plan des Managements abgestimmt werden. Die Führungsriege ging von der Zustimmung der Aktionäre aus, weil ihrer Meinung nach die Mehrheit den Rückkauf wollte. Am Abend vor dem Treffen platzte die Bombe. Die Bosse der Bacardí Corporation erhielten von Daniels Sohn Toten die Information, dass der geplante »reverse stock split« scheitern würde. Es gebe inzwischen 238 neugegründete Trusts, und damit sei es für die Company unmöglich, die Zahl der Aktienbesitzer auf 300 zu reduzieren. Die Dissidentengruppe hatte Aktien im Wert von zehn Millionen US-Dollar in kleine Treuhandgesellschaften transferiert, alle im Besitz von Familienmitgliedern. 132 waren unter Namen aus Daniels Clan registriert, 36 unter Namen aus der Familie Albertos und 50 gehörten der Familie Comas Bacardí. Der Coup war mithilfe der Banco de Ponce zustande gekommen, die keinerlei Verdacht geschöpft hatte, dass hier ein böses Familienspiel hinter dem Rücken des Managements eingefädelt worden war. Die Dissidenten hatten zum zweiten Mal die Rückkaufaktion der Bacardí Corporation verhindert. Sie waren im Siegesrausch und informierten die Presse: »Familienrevolte bei Bacardí«, hieß am nächsten Tag eine der Schlagzeilen. Die Brüder Adolfo und Toten Comas Bacardí sowie Alberto und Jorge Bacardí Bolívar wurden fast wie Helden gefeiert. Adolfo gab sich bescheiden. Er wurde mit den Sätzen zitiert: »Es ist weder ein Krieg noch eine Schlacht. Irgendwo ist ein Fehler oder ein Geheimnis. Wenn es ein Geheimnis ist, wollen wir es lüften, und wenn es ein Fehler ist, wollen wir ihn korrigieren.«11 Das Geheimnis, das die Dissidenten witterten, betraf Vermutungen über eine mögliche Fusion mit Coca-Cola. »Alles Quatsch«, höhnte Pete O’Hara, Chairman der Bacardí Corporation.

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Jetzt begann die große Zeit der Anwaltskanzleien. Schon längst hatten die Dissidenten einen der besten Wirtschaftsanwälte angeheuert, den in New York lebenden Sam Butler. Der hatte den Trust Coup gebilligt und seinerseits die Prüfung des »reverse split« Verfahrens angekündigt. In den kommenden Jahren waren Gerichte in New York, Delaware, auf den Bermudas, den Bahamas und auf Puerto Rico mit der Klärung der Sachlage befasst. Insgesamt sechs Anwaltskanzleien tauschten Klageschriften und Begründungen aus. Waren die von den Dissidenten gegründeten Trusts rechtsgültig? Entsprach die Eintragung den gesetzlichen Vorschriften? Wie viele Aktionäre hatte die Bacardí Corporation vor den Aktivitäten der Dissidenten? Was bedeutet der Status »Public Company«? Bis zum Februar 1990 sollte der Rechtsstreit dauern und Kosten in Millionenhöhe verursachen. Die Mehrheit der Aktionäre schüttelte den Kopf. Sie verstanden nicht, worum es ging. Während der Ton zwischen den Anwälten immer gereizter wurde, fanden zwischen der Führungsriege und Daniel Bacardí Rosell Schlichtungsgespräche statt. Aber nichts bewegte sich, außer dass die Forderungen der Dissidenten aus Sicht der Führungsgruppe immer umfangreicher und unverschämter wurden. Ende 1988 forderte Daniel die Unternehmensleitung auf, die Anwaltskosten zu zahlen, Mitte 1989 legte er einen zwölf Seiten dicken Katalog mit Wünschen der Dissidenten vor. Der Streit wurde heftiger und schmutziger. Ein anonymer Brief kursierte, in dem das Management als »altes Eisen« bezeichnet wurde, dessen ökonomische Kenntnisse einst in einem Land der Dritten Welt erworben wurden. Die Männer an der Spitze seien den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen, hieß es. Nielsen beschwor in einem offenen Brief die Verdienste der alten Garde, andere meldeten sich ebenfalls zu Wort. Auch Jorge Luis del Rosal, der im Management von FBM in Kanada arbeitete, stellte sich schützend vor die »alten Männer« an der Spitze. Häuften diese Geld an, um sich dort oben einzugraben? Del Rosal antwortete wütend: »Ich frage dich, wie kann es sein, dass diese Hinterwäldler aus der

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›Dritten Welt‹, diese Versager, Flaschen und Hohlköpfe, die an der Spitze des Unternehmens stehen, es geschafft haben, ein so großes Kapitalvermögen zu akkumulieren? Kann es sein, dass sie das Geld verdient haben? Oder ist es die Arbeit des Heiligen Geistes?« Der Brief endete mit den Sätzen: »Verkaufe doch, du Zwerg, verkaufe. Lass uns weiterarbeiten und in Frieden wachsen. Verkaufe und gehe mit deinem Geld und deinen anonymen Briefen direkt zur Bank.«12 Nach so viel Schmutz entschied die Unternehmensführung endlich richtig. Die Forderungen der Dissidenten sollten der Familie bei einem Meeting auf den Bermudas zur Abstimmung vorgelegt werden. Aber die Gruppe zog es vor, nicht zu erscheinen. George Dorion Bacardí, einem Enkel Don Emilios aus der Verbindung mit Elvira Cape, platzte der Kragen. Jetzt sei es genug, soll er gesagt haben. Die Dissidenten blieben zwar Familie, aber Freunde seien sie nicht.

Gute Miene zum bösen Spiel Die Entscheidung der Börsenaufsicht fiel am 15. Februar 1990. Die von den Dissidenten gegründeten Trusts wurden anerkannt. Die Bacardí Corporation, hieß es im Urteil, müsse auch weiterhin der öffentlichen Aufsichtspflicht unterworfen bleiben. Daniel und der Rest der Gruppe waren glücklich über den Sieg. Aber was hatte der Rechtsstreit gebracht – außer der Genugtuung, sich durchgesetzt zu haben? Zwei Jahre später zeigte das Urteil doch Wirkung. In einer Übereinkunft der Bacardí-Aktionäre, dem so genannten BacardíShareholder-Agreement, wurden Vereinbarungen festgeschrieben, die einen unkontrollierten Verkauf von Aktien verhindern sollten. Untersagt wurde unter anderem der Verkauf von Aktien an Personen, die nicht zur Familie gehören, dazu kam ein Regelwerk für den Verkauf innerhalb der Familie. Außerdem setzten die Dissidenten ihre alte Forderung nach unkündbarer Beteiligung im Aufsichtsrat durch. Ihnen wurden drei von 15 Sitzen im Direktorium

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zugestanden, von dem alle Entscheidungen des Managements abgesegnet werden müssen. Und sie kamen durch mit ihrer Forderung, dass bei neuen Investitionen oder Verkäufen von Beteiligungen eine Zweidrittelmehrheit der Aktienbesitzer die Pläne der Führungsspitze genehmigen muss. Aber trotz des Friedensabkommens war nichts mehr wie es vorher war. Die Familie blieb gespalten. Das kubanische Sprichwort »buena cara a mal tiempo«, gute Miene zum bösen Spiel, wird bis heute immer dann hervorgekramt, wenn es um Wachstum, Dividenden und Dollars geht. Die persönlichen Verletzungen waren jedoch nicht so schnell aus der Welt zu schaffen. Adolfo Comas Bacardí, der 1990 noch einmal für kurze Zeit als Personalchef in die Firma in San Juan zurückkehrte, nahm das nächste Jobangebot von außen dankend an. Er wurde Aufsichtsratsvorsitzender der Zeitung San Juan Star, ab 1991 Herausgeber. Als die Besitzer die Tageszeitung verkauften, war Adolfo erneut arbeitslos. Zurück in die Firma? Diese Möglichkeit gab es für ihn nicht. »Ich hatte das Gefühl, dass ich auf gar keinen Fall wieder mit denen zusammenarbeiten konnte, die mir so viel Schmerz zugefügt hatten. Es waren doch immer noch dieselben Leute in den Führungspositionen«, sagte er in einem Interview im Frühjahr 2003. Zeitungsbesitzer Luis Ferré lässt seinen Freund Adolfo nicht im Stich. Er stellt ihn als General Manager bei der Zeitung El nuevo Día ein. Der alte Daniel Bacardí Rosell, seit 1978 im Ruhestand, spielt die gesamte Krise in einem Gespräch mit Peter Foster im Jahre 1990 herunter. »›Es ist nicht wirklich ein ernster Streit, jeder will doch das Gleiche. Das Management war jung, sie hatten nicht die Fähigkeit zu diversifizieren. Sie haben diversifiziert, ohne die Familie zu fragen. Wir wollten nur ein wenig Kontrolle, mehr nicht. Es ist wirklich kein bedeutender Disput‹, wiederholte er. Und er fügte ein paar Minuten später, nachdem er über seine Gesundheit gesprochen hatte, hinzu: ›Sie hoffen, dass ich bald sterbe.‹«13 Zu jenen, von denen Daniel meinte, sie wünschten ihm den Tod, gehörte 1990 möglicherweise auch Manuel J. Cutillas, der inzwi-

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schen zum mächtigsten Mann des Konzerns aufgestiegen war. Er schüttelt, als er mit Peter Foster spricht, den Kopf über die Naivität der Dissidenten. »Sie beschwören dauernd die Familie und den Familiengedanken, aber ich versuche, ihnen klarzumachen, dass sich die Zeiten geändert haben. Es sind jetzt Hunderte, die BacardíAktien besitzen. Kennen sie jeden einzelnen? Kennen sie den Sohn von X und die Enkelin von Z? Es will nicht in den Kopf dieser Leute, dass die Familie von heute nichts mehr mit der zu tun hat, die sie in Erinnerung haben aus der schönen Zeit auf Kuba – damals in Santiago.«14

7 . » W i r wo l l e n w a c h s e n , wachsen, wachsen!« Global Player Bacardí

Als Jorge Rodríguez Márquez, Pressesprecher von Bacardí-Martini Ltd., im März 2001 von einem deutschen Journalisten gefragt wird, ob das Bacardí-Imperium inzwischen die Grenzen des Wachstums erreicht habe, schüttelt er vehement den Kopf. »Auf keinen Fall«, sagt er, »ganz im Gegenteil. Unsere Geschäftspolitik wird immer aggressiver. Wann immer wir auf dem Weltmarkt eine Marke kaufen können, die zu uns passt, werden wir es tun. Wir werden auch weiterhin Produkte anderer Firmen in unser Vertriebsnetz aufnehmen und die Distribution anderer Firmen für unsere Produkte nutzen. Wir werden weiterhin neue Marken kreieren, neue Verpackungen, neue Werbekampagnen entwickeln. Wir wollen wachsen, weiter wachsen und noch mehr wachsen.«1 Rodriguez Márquez, ein Schwager des Dissidenten Adolfo Comas Bacardí, erinnert an die großen Erfolge unter der Leitung von Manuel Jorge Cutillas in den neunziger Jahren. Zu den Glanzlichtern der Ära Cutillas gehörte 1992 der Kauf des italienischen Familienunternehmens Martini & Rossi. Mit diesem Coup für 1,8 Milliarden USDollar hatte Bacardí den weltweit besten Wermut erworben. Hinzugekommen sind 35 Vertriebsnetze, 300 Produkte und 4 000 Mitarbeiter. Alles in allem hatte der Konzern, der sich seither BacardíMartini Ltd. nennt, mit diesem Kauf seine Größe verdoppelt. Eine andere wichtige Veränderung betraf die Struktur des Unternehmens. Im Jahr 1995 wurden alle bis dato unabhängig voneinander arbeitenden Unternehmensteile zusammengelegt. Der Hauptsitz der Holding Bacardí-Martini Ltd. ist seither auf den Bermudas.

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Mit der Wahl zum Chief Executive Officer hielt Cutillas ab 1995 alle Fäden der Macht in der Hand. Das sei keine schlechte Wahl gewesen, meint Márquez, denn zum einen gehöre Manuel als Urenkel von Don Emilio zur Familie, zum anderen hätte er seine ersten Erfahrungen mit dem Business schon in Santiago de Cuba gemacht und sei seither ohne Unterbrechung für die Firma tätig gewesen, unter anderem als Chef von Bacardí and Company auf den Bahamas. Nach dem Martini-Coup gelang es Cutillas außerdem Ende der neunziger Jahre, weitere Marken von Weltruf für das Portfolio von Bacardí-Martini zu erwerben: den Scotch Whisky Dewar’s White Label und Bombay Saphire, einen Gin der Luxusklasse.

Rum und Politik – eine unauflösliche Ehe? Jean-Claude Kuner, der deutsche Journalist, will das alles nicht so genau wissen. Er hat die französische Ausgabe des Buches von Hernando Calvo Ospina in der Tasche – auf Deutsch sollte das Buch erst im Sommer 2002 erscheinen – und interessiert sich mehr für die Verquickungen von Rum und Politik, jene unauflösliche, von der Firma Bacardí finanzierte Ehe. Ob es denn stimme, will er wissen, dass Pepín Bosch 1964 mit Terroristen zusammengearbeitet habe, die Castro umbringen sollten? Dass Mitglieder der Familie für militante Organisationen Geld gespendet und Mord immer dann billigend in Kauf genommen hätten, wenn das Castro-Regime destabilisiert werden sollte? Dass zum Beispiel die Vizepräsidentin der American Cuban Foundation, die Bacardí Aktionärin Clara Maria del Valle, applaudiert habe, als im April 1997 bei einem Bombenattentat in Havanna ein italienischer Terrorist getötet und elf Menschen verletzt wurden? Und dass die Bacardís den Kampf der Unita in Angola und damit den grausamen Diktator Savimbi finanziell und ideell unterstützt hätten?

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Obwohl Pressesprecher Jorge Rodríguez Márquez seit Anfang der achtziger Jahre bei Bacardí arbeitet und seine Frau Marlene Comas Bacardí zur Familie gehört, zieht er sich bei Kuners Suche nach der Wahrheit immer wieder elegant aus der Verantwortung. Er erinnert sich nicht genau, möchte zu manchen Dingen auch nicht Stellung nehmen, erklärt aber klar und unmissverständlich, dass die vom Journalisten Calvo Ospina vorgelegten Dokumente gefälscht seien. Es handele sich bei den Memos aus dem Weißen Haus eindeutig um kubanische Propaganda. »Sie wissen so gut wie ich, was man heute alles mit der modernen Technik anstellen kann«, sagt er. »Also glauben Sie nichts von dem, was da steht.« Allerdings gibt er zu, dass einzelne Familienmitglieder selbstverständlich Geld für politisch aktive Organisationen gespendet haben. Solche Spendenaktionen seien jedoch fast nie über das Unternehmen gelaufen. Einmal vielleicht, aber bestimmt nicht öfter. Er könne sich jedenfalls nicht daran erinnern, dass das Unternehmen irgendjemandem Geld »in die Tasche geschaufelt« hätte. Die Aktivitäten des Konzerns und die Interessen der Familie, da hätte es immer eine strikte Trennung gegeben. Im Übrigen sei die Familie eher friedliebend als aggressiv, das läge im Naturell von Inselbewohnern. Aber man sei hellwach, wenn es darum ginge, sich zu verteidigen. »Wir verteidigen uns kraftvoll. Aber wir würden niemals angreifen. Das liegt uns nicht.«2 Die Familie habe bestimmte Werte und Prinzipien immer sehr ernst genommen, und dazu gehörten Qualität, Fairness und Respekt gegenüber jedermann. Und was man gar nicht leiden könne bei den Bacardís sei das Herumprotzen mit Wohltätigkeit. »Wir tun jede Menge Gutes, aber wir reden nicht darüber. Das ist Teil unserer Familienkultur.«3 Mit Geldern der Bacardí Family Foundation würden zum Beispiel in Miami Obdachlose unterstützt und Schulen gebaut, man organisiere kulturelle Ereignisse und Umweltprojekte. Und nicht nur in Florida. Jede Niederlassung, ob auf Puerto Rico, in Mexiko, auf den Bahamas oder den Bermudas, habe vor Ort auf die regionalen Bedürfnisse abgestimmte Unterstützungs- und Förderprogramme eingerichtet.

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Kuner fragt weiter nach dem Geld, das in den vergangenen Jahrzehnten in politische Lobbyarbeit gesteckt worden sei. Ob es denn stimme, dass mit Geld aus den Bacardí-Töpfen Senatoren »gekauft« wurden, um in Washington die von der Familie gewünschte Kubapolitik zu steuern? Jorge Rodríguez Márquez bleibt gelassen. »Das ist doch ganz normal, dass amerikanische Unternehmen versuchen, in Zusammenarbeit mit Lobbyisten etwas über die Stimmung in der Regierung zu erfahren«, sagt er. »Man muss doch wissen, was in der Gesetzgebung geplant ist, damit man früh herausfinden kann, ob sich das positiv oder negativ auf die Geschäfte auswirken wird.« Das sei, wie er annehme, auch in europäischen Ländern so üblich. Da hat Rodríguez Márquez nicht ganz unrecht, dennoch: Es ist die Stabilität der Ehe zwischen RumBusiness und Politik, die aufhorchen lässt. Es ist dieses harmonische Zusammenspiel von Geld, Wünschen an die Politik und deren Umsetzung durch gesponserte »Volksvertreter«, das den Glauben an die Kraft der Demokratie erschüttert. Funktioniert diese Ehe so gut, weil es die Bacardís und andere vermögende Exilkubaner sind, die alle Rechnungen begleichen? Verläuft sie deshalb so reibungslos, weil die einen ein Ziel vor Augen haben, für das sie kämpfen, koste es, was es wolle, und die anderen sich willfährig in den Dienst der Sache stellen, weil es ihrem politischen Ansehen und ihrem Kontostand dienlich ist?

Lobbyarbeit in Washington Zu den von Lobbyisten erfolgreich bearbeiteten Volksvertretern gehört offenbar auch der Abgeordnete Robert Torricelli aus New Jersey, dessen wankelmütige Gesinnung Hernando Calvo Ospina in seinem Buch Im Zeichen der Fledermaus eindrucksvoll beschreibt. Vor 1992 hatte Torricelli für die Annäherung an Kuba plädiert und alles abgelehnt, was zu Verschärfungen in den Beziehungen zwi-

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schen den USA und Kuba hätte führen können. Im Februar 1992 hatte Torricelli auf Wunsch der Fundación Nacional Cubano Americana eine Rede in Miami gehalten, die einen erstaunlichen Sinneswandel erkennen ließ. Plötzlich war Castro für den Abgeordneten der »letzte stalinistische Diktator«, dessen Fall unmittelbar bevorstünde. Zusammen mit Robert Graham, der schon seit vielen Jahren über gute Kontakte zur FNCA verfügte, entwarf Torricelli ein Gesetz, in dem die Embargobestimmungen noch einmal verschärft werden sollten und ein bindendes Szenario für ein demokratisches Kuba festgeschrieben wurde. In Kanada und Europa reagierte man empört auf den Entwurf. Man wies den US-Präsidenten George Bush in Protestnoten darauf hin, dass die vorgesehenen Verschärfungen und beabsichtigten Sanktionen gegen internationale Handelsabkommen verstießen. Vergeblich: Im Oktober 1992, in der Endphase des Wahlkampfes, setzte George Bush Senior seine Unterschrift unter das »Gesetz für die Demokratie auf Kuba«, und zwar in Miami, in Gegenwart verschiedener Mitglieder der FNCA und führender Unternehmer. Nicht alle Exilkubaner fanden das Gesetz sinnvoll. Die gemäßigten Kräfte sahen dahinter ein neues Platt Amendment und befürchteten, dass damit den USA die Möglichkeit gegeben würde, über den Sturz Castros hinaus die kubanische Politik zu kontrollieren. Wollte man wirklich sehenden Auges in diese neue Abhängigkeit hineinstolpern? Robert Torricelli wehrte alle Kritik ab. Wichtig sei vor allem, argumentierte er, dass Castro mit einem solchen Gesetz unter Druck gesetzt würde. Es sei nun unmissverständlich klar, dass die USA bereit seien, die Demokratie auf der Insel wiederherzustellen.4 Klar war damit auch, so Calvo Ospina, dass der Abgeordnete aus New Jersey als Interessenvertreter der rechtsorientierten Exilkubaner agierte, hatte er doch seinen Wahlkampf auch mit Geldern des FNCA bestritten. Die Investition in Torricelli sollte sich lohnen. Der Abgeordnete aus New Jersey wurde nach der Wahl in den Außenpolitischen Ausschuss berufen und übernahm dort den Vorsitz des Unterausschusses für Angelegenheiten der westli-

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chen Hemisphäre, eine exzellente Ausgangsposition für die weitere Sicherung der exilkubanischen Anti-Castro-Politik. Drei Jahre später erfolgte ein neuer Versuch, Kuba zu schaden. Diesmal wurden die republikanischen Senatoren Jesse Helms und Dan Burton aktiv. Jesse Helms, ein alter Freund von Pepín Bosch, war damals Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses im USSenat und galt als erzkonservativer Hardliner. Aus Sicht der extrem rechten Exilkubaner war er genau der richtige Mann, um mit einer neuen, wiederum verschärften Gesetzesinitiative Fidel Castro zu stürzen. Den Bacardís gegenüber war Helms zu Loyalität verpflichtet, denn auch seinen Wahlkampf hatte die Familie 1992 mitfinanziert. Fast 17 Millionen US-Dollar hatten Helms damals zur Verfügung gestanden, die größte Summe, die bis dahin von einem Politiker aufgewendet wurde, um ein Senatorenamt zu erobern. Unterstützt wurde Helms in Sachen Kuba von Dan Burton, der bekannt wurde, als er während des Ersten Golfkrieges (1991) im Kongress beantragte, Atombomben auf den Irak zu werfen. »Aufgrund unserer Prinzipien haben wir die Pflicht, den Druck auf Castro zu verstärken, bis das kubanische Volk frei ist«, so begründete Helms seine Initiative, als er den Gesetzentwurf im Februar 1995 bei einer Pressekonferenz vorstellte. Und Dan Burton erklärte wenig später: »Wir hoffen, mit diesem Gesetz ein starkes Signal um die ganze Welt zu senden, dass diese tyrannische Regierung sich überlebt hat.«5 Der Helms-Burton-Entwurf sah Sanktionen für alle vor, die Handel mit Kuba betreiben und dabei in irgendeiner Weise das einst »illegal konfiszierte« Eigentum nutzen oder Gewinn aus Geschäften mit diesem enteigneten Eigentum anderer ziehen. Wer Handel mit Kuba betreibt, muss damit rechnen, dass ihm anschließend die Einreise in die USA verweigert wird, seien es Direktoren, Berater oder Familienangehörige der handeltreibenden Firmen. Außerdem wurde die US-Regierung aufgefordert, die innerkubanische Opposition stärker zu unterstützen, um einen Regimewechsel herbeizuführen. Die Ablösung der Regierung sowie die Auflösung der

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Kommunistischen Partei und aller Basisorganisationen sei die Voraussetzung für die Wiederaufnahme normaler Handelsbeziehungen mit Kuba. In Artikel II des Gesetzesentwurfes ist vom Recht der Exilkubaner auf die Wiedererlangung des einst enteigneten Eigentums die Rede. Sie sollen nach einem Regimewechsel die Möglichkeit bekommen, ihre Ansprüche im Hinblick auf Boden- und Produktionseigentum bei US-Gerichten einzuklagen. Schon kurz nach der Veröffentlichung wurde der neue Gesetzentwurf in Kongresskreisen als Bacardí-Entwurf verspottet, unter anderem weil sich herumgesprochen hatte, dass Ignacio Sánchez, einer der für den Konzern tätigen Rechtsanwälte aus der Kanzlei Kelley Drye and Warren, Senator Helms bei den Formulierungen beraten hatte.6 Unmittelbar nach der Verabschiedung der Vorlage im Ausschuss, am 17. 4. 1995, machte sich Jesse Helms auf den Weg gen Süden, um in Miami bei verschiedenen Veranstaltungen für sein Projekt zu werben und Geld zu sammeln. Zu den Events in Florida gehörte auch ein Fundraising Dinner, zu dem der Chef von Bacardí Imports und die FNCA geladen hatten. Der Preis für ein Gedeck: 500 US-Dollar. Wer mehr geben konnte, durfte das selbstverständlich tun. Immerhin brachte der Auftritt dem Kuba-Kämpfer Helms 75 000 USDollar. Die misstrauisch gewordene örtliche Presse wurde von Juan Prado beruhigt. Der Berater des Vorstandsvorsitzenden von Bacardí in Miami gab in einem Interview mit Journalisten des Miami Herald zu: »Als Unternehmen konnten wir nichts tun, aber als Privatpersonen konnten wir helfen.«7 Inzwischen war auch unter den Exilkubanern erneut ein Streit über den Sinn eines solchen Gesetzes ausgebrochen. Die Befürworter verteidigten es mit dem Hinweis, dass es Castro schaden und der demokratischen Entwicklung nützen würde. Besonders eifrig bemühte sich der Rechtsanwalt Nicholás Gutiérrez, der Sohn eines ehemaligen Zuckerbarons auf Kuba, um Verständnis für die Gesetzesvorlage. Schließlich hatte auch er Helms als Berater zur Verfügung gestanden. »Es geht in dem Gesetz nicht darum, ob das ver-

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lorene Eigentum rückvergütet wird oder nicht, sondern darum, so viel Unsicherheit zu erzeugen, dass Investoren es sich zweimal überlegen, bevor sie nach Kuba gehen. Sinn und Zweck ist der Abgang Fidel Castros«8, lautete sein Credo. Und damit lieferte er unfreiwillig all jenen Kritikern Munition, die hinter dem Gesetz eine Verschwörung des ehemaligen kubanischen Geldadels vermuteten. Im Juli 1995 kommentierte der in Miami erscheinende Nuevo Herald: »Die Maßnahme enthält Vorteile für Unternehmen wie Bacardí und die Familie des Zuckermagnaten Fanjul. Das ist in den USA, wo es Tradition ist, Lobbying zu betreiben, um die persönlichen Interessen durchzusetzen, völlig normal. Dieser Fall aber ruft Kritik hervor, weil die politische Absicht dahinter zu offensichtlich ist.«9 Während die Zufriedenheit in den Kreisen der vermögenden Exilkubaner groß war, herrschte im Ausland Aufregung. Man hoffte darauf, US-Präsident Bill Clinton werde sich weigern, das Gesetz zu unterzeichnen. Der aber konnte sich nicht mit dem HelmsBurton-Gesetz befassen, sondern musste eine schnelle Lösung für die »Balseros« finden, jene Kubaner, die im Sommer 1995 zu Tausenden ihre Heimat verließen, weil sie aufgrund der immer schlechter werdenden Lebensbedingungen für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr auf der Insel sahen. In völlig überfüllten Booten oder auf zusammengebundenen Autoreifen kauernd kamen sie übers Meer. Vier Tage brauchten die Flüchtlinge, um die Südküste Floridas zu erreichen – wenn alles gut ging. Aber in vielen Fällen kenterten Boote, ungezählte Flüchtlinge ertranken. Wer Glück hatte, wurde von Fischern oder Helfern gerettet, die auf dem Wasser herumtreibende Flüchtlinge orteten und sie dann mit kleinen Flugzeugen in Sicherheit brachten. Besondere Verdienste erwarb sich bei diesen Rettungsaktionen die Organisation Hermanos al Rescate (HAR). Als Bill Clinton begann, mit der kubanischen Regierung über die Lösung des Problems zu verhandeln, herrschte unter den rechten Exilkubanern blankes Entsetzen. Sie reisten zu Tausenden von Miami nach Washington, um gegen die Gespräche zu protestieren.

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Statt Verhandlungen forderten sie eine »Tolerierung militärischer Aktionen gegen Kuba«. Die Busse für die Demonstranten stellte der Bacardí-Martini-Konzern zur Verfügung. Eine Assistentin des Präsidenten von Bacardí Imports erklärte im Namen des Unternehmens: »Wir werden jede Art von Aktion unterstützen, die notwendig ist.«10 Bacardí Imports unterstützte zum Beispiel die Aktionen von José Basulto und Billy Schuss, die das Rettungsunternehmen Hermanos al Rescate gegründet hatten. Beide Männer waren alte Haudegen und langjährige Mitarbeiter der CIA. Basulto hatte bereits in der Brigade 2506 gekämpft und später die Contra in Nicaragua beraten. Schon 1994 hatte Bacardí Imports für HAR Geld in der Firma gesammelt und 72 973 US-Dollar zusammenbekommen. Unterstützung kam auch von amerikanischen Luftlinien und dem Popstar Gloria Estéfan, die mit einem Bacardí-Aktionär verheiratet ist. Die Sängerin schenkte der HAR ein Flugzeug. Die meisten US-Bürger fanden die Hilfsaktionen der HAR altruistisch und bewunderten den Mut der Piloten, die oft nur knapp, wie es hieß, der kubanischen Luftabwehr entkamen. Aber es war für jeden aufmerksamen Beobachter klar, dass die Hermanos ein riskantes Spiel mit der Geduld Fidel Castros betrieben, denn Basulto und seine Leute verletzten mit ihren kleinen Flugzeugen unter USFlagge systematisch den kubanischen Luftraum. Manchmal gelang ihnen der Vorstoß bis nach Havanna. Dort warfen sie Flugblätter ab, die zu zivilem Ungehorsam aufriefen. Damit war am 24. Februar 1996 Schluss. Die Luftwaffe Kubas schoss zwei der Kleinflugzeuge ab, beide Piloten kamen ums Leben. Die Empörung unter den rechten Exilkubanern war groß. Am liebsten hätten sie einen Vergeltungsschlag der USA gesehen. Gemäßigte Kräfte, darunter der sozialdemokratisch orientierte Eloy Gutiérrez Menoyo, wiegelten ab: »Wer mit amerikanischen Maschinen ins kubanische Territorium fliegt und Propagandamaterial abwirft, verletzt natürlich den Luftraum«11, kommentiert er rückblickend. Aus Sicht der »Kalten Krieger« aber hatte Bill Clinton nun keine Möglichkeit mehr, seine Unterschrift unter das Helms-Burton-Gesetz noch länger hinaus-

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zuzögern oder gar zu verweigern. Die Politstrategen hatten sich nicht verkalkuliert. Der amerikanische Präsident ratifizierte das Gesetz zur Förderung von Freiheit und Demokratie auf Kuba am 12. März 1996. Der Journalist Hernando Calvo Ospina zitiert in seinem Buch aus Dokumenten, die belegen, dass schon wenige Tage nach dem Inkrafttreten des Gesetzes dessen Auswirkungen zu spüren waren. Der Vorstand und die Aktionäre der italienischen Firma Stet, der mexikanischen Firma Domos und der kanadischen Firma Sherrit erhielten Schreiben der US-Regierung. Darin wurde gedroht, man werde ihnen die Einreisevisa für die USA verweigern, wenn sie weiterhin mit auf Kuba nationalisiertem Eigentum »illegale Geschäfte« betrieben.12 25 Unternehmen in elf Ländern erhielten ähnliche Drohbriefe. Es folgte ein Tauziehen zwischen der Europäischen Union, dem US-Präsidenten und der Welthandelsorganisation WTO, das bis April 1997 dauerte. Dann zog die EU ihre Klage vor der WTO zurück. Frieden herrschte deshalb noch lange nicht. Erst am 18. Mai 1998 kam es im so genannten BirminghamAbkommen zu einer Einigung über den Modus, nach dem europäische Unternehmen auf Kuba investieren können, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Im Abkommen heißt es unter anderem: »Die EU erkennt demnach offiziell die Unrechtmäßigkeit der Verstaatlichung von US-Eigentum auf Kuba an, wenn eine von ihr eingesetzte Kommission in Washington die Arbeit der »Gruppe« überwacht, die dafür zuständig ist, Regressansprüche im Ausland geltend zu machen.«13 Die der FNCA nahe stehenden Exilkubaner jubelten. Sie hatten einen wichtigen Punktsieg errungen. Für die Bacardís kam das Helms-Burton-Gesetz gerade rechtzeitig, um noch einen ganz anderen Kampf, nämlich den um die Rechte an der Marke »Havana Club« für sich zu entscheiden.

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Der Markenstreit Die Geschichte begann 1993 mit dem Gerücht, ein europäisches Unternehmen wolle auf Kuba produzierten Rum weltweit vertreiben. Bacardí-Präsident Manuel Jorge Cutillas horchte auf und schickte vorsorglich einen Brief an den Chef des Verbandes der USSpirituosenimporteure. Darin wies er darauf hin, dass Bacardí nach der Wiedereinführung der Demokratie auf Kuba »von all jenen Entschädigung verlangen wird, die unter dem gegenwärtigen Regime das einst enteignete Eigentum genutzt und missbraucht haben«14. Ein offener Brief ganz ähnlichen Inhalts war Monate zuvor an Unternehmen in Europa und Lateinamerika geschickt worden. Darin hieß es unter anderem: »Wir vertreten die Auffassung, dass jede unter diesen Umständen auf Kuba getätigte Investition nicht den Schutz der Gesetze verdient, wie sie eine zukünftige kubanische Regierung zum Schutz des Eigentums erlassen wird. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass die internationale Gemeinschaft der Investoren unsere Absichten kennt und dass die, die vorhaben, auf Kuba zu investieren, sich der politischen Verantwortung für ihre Taten bewusst werden und sich über die Risiken einer solchen Handlung im Klaren sind.«15 Der französische Konzern Pernod-Ricard nahm diese Risiken offenbar bewusst in Kauf, als er 1993 mit der kubanischen Regierung ein Joint Venture für die Marke »Havana Club« abschloss. Fortan verkaufte das Unternehmen den kubanischen Rum weltweit, ausgenommen sind aufgrund der Blockadebestimmungen lediglich die Vereinigten Staaten. Schon 1994 stellte sich der Erfolg ein: Der Marktanteil von »Havana Club« nahm stetig zu. Bei Bacardí dagegen stagnierte das Wachstum. Manuel J. Cutillas sah Handlungsbedar und ließ eine Werbekampagne starten, die den Ursprung des Bacardí-Rums in den Vordergrund rückte. Was jahrzehntelang keine Rolle gespielt hatte, wurde jetzt wichtigste Werbebotschaft: »Wir sind Kuba!« Dass Bacardí-Rum seit 1960 gar nicht mehr auf Kuba produziert wird und auch der Rohstoff Zuckerrohr

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nicht von der Insel stammt, wurde nicht erwähnt. Untermauert wurden die Ansprüche auf »Echtheit« mit dem Zusatz auf dem Label: »Casa fundada 1862 en Santiago de Cuba«. Damit nicht genug. Unmittelbar nach der Ratifizierung des Helms-Burton-Gesetzes ließ Cutillas auf den Bahamas einen Rum produzieren, dem er den Namen »Havana Club« gab. Auf dem Etikett war der Malecón abgebildet, und die Werbebotschaft lautete: »Discover the flavor of Old Havana«. Nur ganze 907 Kisten konnten verkauft werden, dann war Schluss mit der Vermarktung: Das Unternehmen Pernod-Ricard und der Rumhersteller auf Kuba erhoben Klage wegen widerrechtlicher Aneignung einer Handelsmarke. Doch mit dem Helms-Burton-Gesetz hielt Bacardí einen neuen Joker in der Hand und berief sich bei den US-Behörden darauf, dass Pernod-Ricard und sein kubanischer Partner gegen das soeben in Kraft getretene Gesetz verstießen. Das Unternehmen mache Gewinn durch die Nutzung von Eigentum, das 1960 konfisziert worden sei. Pernod-Ricard widersprach und wies darauf hin, dass Havana Club auf einem Gelände hergestellt würde, das nie im Besitz der Familie Bacardí gewesen sei. Doch Cutillas blieb bei seiner Behauptung und trieb die Auseinandersetzung mit Pernod-Ricard weiter voran. Die Anwälte von Bacardí versuchten nun, eine Neueintragung der Handelsmarke »Havana Club« in den USA zu verhindern. Sie behaupteten, das kubanische Unternehmen habe die Blockadebestimmungen verletzt, indem es die Handelsmarkenrechte auf das französische Unternehmen übertragen habe. Das USFinanzministerium wurde aufgefordert, die Sachlage zu prüfen und erkannte im April 1997 diese Argumentation an. Im gleichen Monat entschied ein Bundesgericht unter Berufung auf den Bescheid aus dem Finanzministerium und andere Darlegungen des BacardíMartini-Konzerns, dem franko-kubanischen Konsortium sei die Lizenz zu entziehen.16 Parallel zu den Bemühungen in den USA versuchte Bacardí, die Handelsmarke »Havana Club« in seinen Besitz zu bringen. Das

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wurde möglich durch Kontakte mit der spanischstämmigen Familie Arechabala, die von 1934 bis zur Emigration 1960 auf Kuba die Marke »Havana Club« hergestellt hatte. Weil das Unternehmen gegen Ende der fünfziger Jahre, nicht zuletzt durch die starke Konkurrenz von Bacardí, fast bankrott war, hatten es die Besitzer nicht für nötig gehalten, die abgelaufenen Registrierungen ihrer Marke zu erneuern. 1973 hätte die Neueintragung erfolgen müssen, doch die verarmte Familie hatte jeden Gedanken an eine Wiederaufnahme der Rumproduktion aufgegeben. Folglich hatte das staatliche Unternehmen Cubaexport zugegriffen und den Markennamen 1973 in das Handelsregister der USA und 80 weiterer Länder eintragen lassen. Aber die Bacardís ließen trotz dieser ziemlich eindeutigen Rechtslage nicht locker. 1997 gründeten sie gemeinsam mit den Arechabalas, die nun darauf pochten, dass der Name »Havana Club« zum Familienbesitz zähle, in Liechtenstein eine Gesellschaft, die den Markennamen auf die Familie Bacardí übertrug. In der Neuen Züricher Zeitung vom 9. 8. 2001 wird der weitere Markenstreit beschrieben: »Wie die Franzosen nach eigenen Worten bald feststellen mussten, ist ihr Konkurrent ihnen nicht nur von der Größe her hoch überlegen. Der als zutiefst anticastristisch bekannte Konzern verfügt auch über mächtigen Einfluss in der amerikanischen Politik. Diesem ist es zuzuschreiben, dass der USKongress im Jahre 1998 im Rahmen eines als ›OMNIBUS Appropriations Act‹ verabschiedeten Gesetzespaketes gleich mehrere gegen Kuba (und Pernod-Ricard) gerichtete Paragrafen guthieß. Diese verhindern nicht nur explizit, dass jegliche vom Regime konfiszierten Handelsmarken in den USA im Markenregister eingetragen werden können, sondern stellen auch sicher, dass kein amerikanisches Gericht die nötige Kompetenz hat, um bestehende internationale und von den USA unterzeichnete Verträge im Bereich des Markenschutzes zugunsten Kubas auszulegen. Damit waren alle von Pernod-Ricard unternommenen Bemühungen, die Marke ›Havana Club‹ auf gerichtlichem Wege in den USA registrieren zu lassen, zum Scheitern verurteilt.«17

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Diese gegen Kuba gerichteten Paragrafen waren im Amendment 211 zusammengefasst und im Eilverfahren eingebracht worden, was auch hieß, dass sie bei der Abstimmung nur jenen Abgeordneten bekannt war, die gute Kontakte zu Bacardí-Martini hatten. Allen anderen hatte die Zeit gefehlt, um sich mit dem Inhalt des Amendments vertraut zu machen. Im April 1999 wurde die 1996 eingereichte Klage von PernodRicard gegen Bacardí von einem Gericht des Staates New York abgewiesen. Die Richter bezogen sich in ihrem Urteil auf das Amendment 211. Wieder herrschte Empörung in Europa, wieder klagte die Europäische Kommission bei der Welthandelsorganisation gegen die USA, wieder lautete der Vorwurf: Verstoß gegen internationale Handelsabkommen. Und nun begann erneut ein juristisches Tauziehen, das am 4. Februar 2000 mit einem ersten Erfolg für den Bacardí-Konzern endete: Das Appellationsgericht der USA gestattete dem Bacardí-Martini-Konzern, in den USA einen Rum mit dem Namen Havana Club zu verkaufen. PernodRicard legte gegen das Urteil Berufung ein. Im August 2001 veröffentlichte der Schlichtungsausschuss der WTO einen ersten Bericht zum Disput zwischen der EU und den USA. Darin wurde den USA das Recht zugestanden, die Markenregistrierung aus nicht näher spezifizierten »anderen Gründen« abzulehnen. Außerdem haben die USA auch das Recht, die Registrierung »einer bereits in anderen Ländern geschützten Marke abzulehnen«. Dagegen gibt der Ausschuss den Europäern im dritten Punkt Recht, wonach jeder Inhaber einer Handelsmarke die Möglichkeit haben müsse, sich auf gerichtlichem Wege Recht zu verschaffen. Die entsprechenden USGesetze der Sektion 211, welche den Rechtsweg ausschließen, seien deshalb WTO-widrig.18 Brüssel gab sich mit diesem Bescheid nicht zufrieden und verlangte detaillierte Begründungen bei den ersten beiden Punkten, eine endgültige Klärung der Angelegenheit steht noch aus. Inzwischen waren die Bacardís nicht untätig und wandten sich an Jeb Bush, den Bruder des derzeitigen US-Präsidenten und Gou-

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verneur von Florida. Sie schrieben einen Brief mit der Bitte um Beistand, der in der ARTE-Dokumentation »Das Geheimnis der Fledermaus« zitiert wurde: »Lieber Jeb, die Bürokraten vom USPatentamt lassen in der Schlacht weiterhin Fidel und Pernod gewinnen. Jemand muss dem Patentamt sagen, sie sollen sich raushalten.«19 Am 13. Juni 2002 schrieb Jeb Bush an das Patentamt: »Im Namen von Bacardí-Martini USA fordere ich das Patentamt dazu auf, eine schnelle und abschließende Entscheidung im Falle der Marke ›Havana Club‹ herbeizuführen. Diese Marke gehört einer Firma von Fidel Castro und sollte unverzüglich gelöscht werden. Mit freundlichen Grüßen Jeb Bush.«20 »Warum erwies der Gouverneur von Florida, Jeb Bush, den Bacardís diesen Dienst?«, fragen die Autoren der im Jahr 2003 gesendeten ARTE-Dokumentation. Und sie geben gleich die Antwort: »Spendenabrechnungen belegen, dass Jeb Bush und die Republikanische Partei in Florida in den letzten Jahren über 75 000 USDollar von Bacardí erhalten haben. Man kann also sehen, wie viel Geld Firmen an den Gesetzgeber zahlen und welche Folgen das hat. Das Problem ist: es ist korrupt, Bestechung – nur: Das ist ganz egal.«21 Zitiert wird in diesem Film auch eine Stimme aus dem Patentamt: »Es ist keine Privatfehde zwischen Fidel und den Bacardís. Es ist ein öffentlicher Krieg. Sie hassen sich.« 22

Winds of change – Abschied ohne Glanz Der Mann, der den Krieg gegen Pernod-Ricard eröffnete, heißt Manuel Jorge Cutillas. Schon seit den achtziger Jahren spielte Cutillas im Unternehmen eine bedeutende Rolle. Er war damals nicht nur der Präsident von Bacardí and Company auf den Bahamas, sondern auch Beiratsmitglied bei Bacardí International. Als Vertreter der Linie Emilio Bacardís hatte er auch bei INTRAC Sitz und Stimme. Schon 1983 stand er an der Seite von Präsident

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»Eddy« Nielsen Schueg und kämpfte gemeinsam mit ihm für die Idee, die Produktpalette des Unternehmens zu diversifizieren. Sie scheiterten gemeinsam. Ermüdet vom Kampf mit den Dissidenten hatte Nielsen dem Dynamiker Cutillas Anfang der neunziger Jahre die Geschäftsführung überlassen. Nach Ansicht von Familienbiograf Peter Foster ist Manuel Jorge Cutillas Bacardí »ein umgänglicher, freundlicher Mann mit einem geschäftigen Auftreten ohne Sinn für Nonsens. Seiner Meinung nach hat er sich jahrelang mit viel zu viel Unsinn herumschlagen müssen.«23 Zum größten Unsinn gehörte für Cutillas damals die ständig wiederholte Beschwörung: Wir sind eine Familie. Für ihn besteht die Familie, bis auf das engere, vertraute Umfeld, aus Aktionären, nicht aus Onkeln, Großtanten oder Großneffen. »Dies ist nicht mehr die Familie, die wir in Santiago de Cuba waren«, diktierte er Foster 1989 ins Notizbuch. Und weil das seine Überzeugung war und noch immer ist, verhielt er sich auch in den kommenden Jahren bei wachsender Machtfülle den Wünschen der Familie gegenüber relativ gleichgültig. Doch zu Beginn der neunziger Jahre lautete die Devise: Frieden schließen, um das angestrebte Ziel aller nicht zu gefährden, und das hieß: wachsen, Gewinne erzielen, Dividenden ausschütten, weiter wachsen, vor allem durch die Ausweitung des Portfolios der Markenspirituosen. Diversifizierung ja, aber nur auf vertrautem Terrain. Mit diesem Kompromiss, der dem Unternehmen ein »goldenes Jahrzehnt« und Manuel J. Cutillas eine unerhörte Machtfülle bescherte, konnten sich auch die Dissidenten anfreunden. Außerhalb des Unternehmens übernahm der Ururenkel des Firmengründers Don Facundo Bacardí y Mazó eine Fülle ehrenamtlicher Funktionen. Er wurde Mitbegründer des US Cuba Business Council und später dessen Ehrenpräsident; er ist Direktor und Treuhänder der American Cuban National Foundation, er ist im Beirat der Universität von Miami, Ehrenkonsul von Mexiko und den Bahamas und Direktor beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Cutillas blickt in die Welt, weit über alle familiären Ränder hinaus.

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Und sah, dass es notwendig war, die fünf Teilunternehmen von Bacardí unter einem Dach zusammenzubringen, um dem Global Player Bacardí eine Spitzenposition in der Branche zu sichern. »Wir konnten es uns nicht leisten, mit fünf separaten Einheiten weiterzumachen, wo jeder machen konnte, was er wollte«, erklärte Cutillas die Neuordnung 1996 in einem Interview mit dem Journalisten Alejandro Benes. Diese Neugliederung des Imperiums in fünf Operationsbereiche ging problemlos vonstatten. Zur Holding gehörten nun Bacardí Nordamerika, Lateinamerika, Asia-Pacific, Europa und Bacardí International. Auch die Umverteilung der Aktienpakete gelang zur Zufriedenheit der meisten Familienmitglieder. Unterstützt wurde Cutillas dabei von einem Anwalt namens George »Chip« Reid. Der hatte als junger Wirtschaftsanwalt den Deal zwischen Pepín Bosch und Hiriam Walker abgewickelt sowie 1992 das große Geschäft mit Martini-Rossi eingefädelt und kannte daher die Binnenstruktur des Unternehmens sehr gut. Und weil der pfiffige Rechtsanwalt jahrelang die Republikanische Partei juristisch beraten hatte, also über innerparteiliche Kenntnisse und Verbindungen verfügte, die für den Konzern nur von Nutzen sein konnten, entschloss sich Cutillas 1996, den 48-Jährigen in den Bacardí-Konzern zu holen. Dort übernahm Reid zunächst den Vorsitz im Verwaltungsrat von Bacardí USA, dann ging es im Eiltempo auf die Bermudas, wo er Stellvertreter von Cutillas wurde mit der Option, im Frühjahr 1997 die Führung zu übernehmen. Was den damals 64 Jahre alten Cutillas bewogen haben mag, einen Outsider, also kein Familienmitglied, als Nachfolger vorzuschlagen, bleibt im Dunkeln. Denkt man allerdings an seine nüchterne Auslegung des Familienbegriffs, kann man ihn eher verstehen. Für viele Familienmitglieder war die Ankündigung ein Schock – nicht weil sie an den Qualitäten Chip Reids gezweifelt hätten, sondern weil zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens ein Mann an der Spitze stehen sollte, der nicht zum Clan gehörte.24 Cutillas erzählte später dem Journalisten Alejandro Benes, er habe zwei Tage lang Telefonate führen müssen, um seine Entscheidung

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zu erläutern. Dann endlich hätten auch die größten Skeptiker zugestimmt. Reid seinerseits reagierte gelassen auf die fehlende Euphorie. »Ich glaube, dass die Familie sehr pragmatisch ist«, äußerte er gegenüber Benes. »Man muss einen Blick auf die veränderte Welt werfen. Was wird heute verlangt? Auf jeden Fall anspruchsvolle Finanzierungsstrategien. Sie haben einfach bestimmt, dass ich die richtige Person für das Unternehmen in diesen schwierigen Zeiten bin und dass ich in der Lage bin, pragmatisch und klug zu handeln, sodass für das Unternehmen das Beste dabei herausspringt. Auch wenn es möglicherweise ein emotional gesteuertes Verlangen gibt, die Tradition des Hauses zu wahren – für das Geschäft ist diese Haltung eher schädlich.«25 Aber »Chip« Reid und auch Manuel Jorge Cutillas hatten sich getäuscht. »The winds of change« hatten zwar den globalen Markt erfasst, nicht aber die Familie. Im Herbst 2000 kam für die beiden Manager das böse Erwachen, als der Vorstand den Plan der beiden Spitzenmanager stoppte, Bacardí-Martini an die Börse zu bringen. Die Mehrheit der Aktienbesitzer spielte nicht mit. Reid trat daraufhin zurück, und als der Nachfolger feststand, verließ auch Cutillas nach über 45 Jahren engagierter Arbeit den Konzern und zog sich in den Ruhestand zurück. Mit dem neuen starken Mann im Unternehmen, Rubén Rodríguez, geht trotzdem eine Ära zu Ende, denn auch er ist ein Outsider, der erste an der Spitze des Bacardí-Konzerns. Der gebürtige Kubaner kennt zwar einige der Bacardí-Erben aus Kindertagen, was immerhin ein kleiner Vorteil ist, und er hatte zum Zeitpunkt seiner Ernennung im Herbst 2000 bereits 15 Jahre für das Unternehmen gearbeitet und ist einfühlsam genug, die Wünsche der Familie zu respektieren, aber längst nicht alle Aktionäre halten ihn für die bestmögliche Besetzung. Er bleibt ein Kompromisskandidat und kann gegen ihn bestehende Vorbehalte bis zum Ende seiner Amtszeit im Spätsommer 2003 auch nicht ausräumen. Die Wahl von Rodríguez aber ist zweifellos ein Sieg für Cutillas und seine

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nüchterne Einstellung im Hinblick auf den Mythos Familie. »Wenn wir diese Company einmal verlieren sollten, dann haben wir unser Erbe verloren, unsere Existenzberechtigung als Familie«, sagt er im Interview mit Alejandro Benes. »In kritischen Momenten setzt sich dieser Gedanke, dieses Gefühl immer wieder durch. Wir existieren heute als Familie, weil wir eine große Company besitzen. Die schafft dieses Zusammengehörigkeitsgefühl. Es ist so und nicht umgekehrt, und ich glaube, das haben alle inzwischen begriffen.«26

Spurensicherung: Von Puer to Rico an die Costa del Sol

Anfang März 2003 packe ich meine Tasche für eine Reise nach Puerto Rico. Noch immer bin ich auf der Suche nach Mitgliedern der Familie Bacardí. Zuerst hatte ich mein Glück bei Joachim Peycke versucht, dem Geschäftsführer von Bacardí Deutschland. Peycke, der Familie Bacardí seit über dreißig Jahren verbunden, hatte schon als Lehrling beim Hamburger Delikatessenhändler Charles Hosie Bacardí-Flaschen in die Regale gestellt. 1983, da war er gerade zum Geschäftsführer der Bacardí GmbH Deutschland ernannt worden, durfte er am legendären Familientreffen in Acapulco teilnehmen. Später verband ihn fast eine Freundschaft mit dem starken Mann der neunziger Jahre, Manuel J. Cutillas. Allerdings machte ich mir wenig Hoffnung, auf diese Weise einen Kontakt zur Familie zu bekommen, denn ich wusste, dass es den Angestellten des Konzerns strengstens untersagt ist, Kenntnisse über Familieninterna weiterzugeben. Daher war ich überrascht, als plötzlich ein in Genf lebender Bacardí aus der Linie Emilio Bacardís bereit war, nach Hamburg zu kommen, um mit mir über die Familie und seine Arbeit bei Bacardí zu sprechen. Der Termin für ein Meeting im Elysée Hotel stand schon fest, da meldete sich die Pressestelle der Hamburger Niederlassung und bat mich, eine Liste mit Fragen einzureichen. Wenige Tage vor dem Treffen kam die Absage, ohne überzeugende Begründung. Das »Nein« für das Interview sei ganz von oben gekommen, teilte mir die Pressereferentin der Hamburger Niederlassung mit. Also beschloss ich trotzig, mich selbst auf den Weg zu machen.

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Und weil ich dringend Erholung brauchte nach einem stressreichen Winter, buchte ich einen Flug nach Puerto Rico mit Zwischenstopp in Miami auf der Rückreise. Es hätte natürlich auch Jamaika sein können, Tobago oder Santo Domingo, aber in San Juan auf Puerto Rico hatten die Bacardís ihre erste Fabrik außerhalb Kubas gebaut, heute gilt sie als größte Rumfabrik der Welt. Eine Inaugenscheinnahme erschien mir zwingend. Ohne feste Pläne im Gepäck stieg ich ins Flugzeug und hatte nach der langen Anreise gerade noch die Kraft für einen ersten Gang durch die Stadt. Der Paseo de la Princesa führte mich direkt ans Meer und dort bot sich ein überraschend romantischer Anblick. Wie von Canaletto gemalt lag sie auf der anderen Seite der Bay, die »Kathedrale des Rums«. Scherenschnittartig ragten Schornsteine und verschlungene Rohrleitungen in den gelbrot glühenden Abendhimmel. Ich war am Ziel. Schon am nächsten Morgen stehe ich an der Mole 2, um mit der Fähre nach Cataño überzusetzen. Dort hatten die Bacardís Anfang der dreißiger Jahre billig Bauland erworben, denn niemand wollte hier leben, im moskitoverseuchten Schwemmland jenseits der Hauptstadt. Heute wirkt der Arbeiterort saniert, schön ist er nicht. Vom Anleger sind es noch knapp zwei Kilometer bis zur »Kathedrale«. Mit mir kommt eine Ladung mittelalter Kreuzfahrerinnen in der Fabrik an. Bei der Fahrt im elektrischen Bähnchen zu den einzelnen Besichtigungsstops wird viel gejuchzt. Sonderlich beeindruckt bin ich nicht von diesem Pflichtprogramm, weder von den riesigen Stahltanks, in denen die Melasse gärt, noch vom kurzen Blick auf die automatisierten Abfüllund Verpackungsstraßen. Der kleine Showroom mit Bildern der Familie, einem Stammbaum, Medaillenkopien und einer der zum Milleniumswechsel herausgebrachten signierten Flaschen eher enttäuschend. Dann kommt der heiß ersehnte Moment der Rum Probe. Im Open-Air-Pavillon dürfen die Besucher zwischen Cuba Libre und Rum Punch wählen. Wir sitzen auf Plastikstühlen an Plastiktischen und trinken aus Plastikbechern eine Flüssigkeit, die weder nach Rum schmeckt noch nach Cola. Im sozialistischen

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Santiago de Cuba habe ich mich in der Bodega der staatlich gelenkten Rumfabrik wohler gefühlt. *** Am nächsten Tag bin ich noch einmal in Cataño. Diesmal habe ich eine Verabredung mit Willy Ramos, einem Mitarbeiter der Presseabteilung von Bacardí. Willy ist Ende zwanzig und ein bisschen zu dick, aber er ist sehr freundlich und außerordentlich eloquent. So wortgewaltig, dass er für seine Werbetouren durch die USA 1999 mit dem Premio Bacardí ausgezeichnet wurde, einem Preis, der regelmäßig für herausragende Leistungen an Mitarbeiter verliehen wird. »Man hat mich damals großzügig beschenkt«, erinnert sich Willy. »Ich habe unter anderem einen Siegelring aus reinem Gold mit dem Dekor der Fledermaus erhalten.« Überhaupt sei die Bacardí Corporation ein ziemlich soziales Unternehmen. Die medizinische Versorgung sei kostenlos und gut, für drei US-Dollar erhielte man in der Kantine ein vorzügliches Mittagessen, es gebe einen Tennisplatz für die Angestellten, einen Swimmingpool und einen Fitnessraum. Alle fühlten sich sehr wohl bei Bacardí, vor allem weil die Firma nicht nach dem Prinzip »Hire and fire« verfahre. Die Bacardís seien ernstzunehmende Wohltäter, schwärmt Willy. Sie unterstützten zum Beispiel in Cataño alle öffentlichen Schulen und vergäben Stipendien an Studenten. Außerdem fände auf dem Gelände der Fabrik alljährlich im Dezember eine Messe für die Kunsthandwerker Puerto Ricos statt. Im Rahmen dieser Messe würden zwei von Bacardí und Ford spendierte Autos verlost. Der Reinerlös der Lotterie käme Wohltätigkeitsorganisationen zugute. Im Jahr 2002 habe man 250 000 US-Dollar verteilen können. Ob er Bacardís kenne? Nein, eigentlich nicht. Sie legten großen Wert darauf, nicht als Familienmitglieder identifiziert zu werden. Sie wollten die Mitarbeiter durch ihre Leistung überzeugen und nicht durch ihren Namen. Er sei jahrelang sehr, sehr gut befreundet gewesen mit einem Bacardí, ohne es zu wissen. Sein Name sei Pit

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Fernández Cutillas, einer der Neffen des ehemaligen Bosses. So aber seien sie alle: bloß kein Aufhebens um den Namen machen! Das Gespräch mit Willy findet in einem kleinen, schlecht gekühlten Konferenzraum statt. Uns rinnt der Schweiß übers Gesicht, Willy noch mehr als mir. Er hat seinen Laptop aufgeklappt und erzählt mir vor allem etwas über die Firmenphilosophie. »Uns gefällt«, sagt er, »wenn mit Bacardí ein positives Lebensgefühl verbunden wird.« Und deshalb halte er auch Vorträge an Universitäten und werbe für das moderate Trinken. »Ich warne stets vor Alkoholmissbrauch. Aber Alkohol gehört zu den Kulturgütern der Menschheit. Man muss damit nur richtig umgehen.« Dann ruft er zum Schluss noch ein paar Zahlen ab. In der Rumfabrik auf Puerto Rico, der größten der Welt, würden täglich 540 000 Liter Rum produziert, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. 51 Hektar sei das Gelände groß, auf dem in zehn Hallen rund 550 000 Fässer lagerten. Danach klappt Willy den Laptop zu, wischt sich den Schweiß von der Stirn und schleppt mich in den Souvenirshop Casa Bacardí, wo ich mir eine Flasche Rum aussuchen darf. *** Ich bleibe noch in San Juan, ohne konkretes Ziel. Um mich über das Leben vor Ort zu informieren, kaufe ich mir am nächsten Tag eine Tageszeitung. El Nuevo Día sieht am vertrauenerweckendsten aus. Weil ich nicht so viel wertloses Papier herumschleppen möchte, werfe ich die Stellen- und Immobilienanzeigen und die Werbung in den Papierkorb. Dabei bleibt mein Blick an der letzten Seite hängen, dem Impressum. Ich lese einmal, dann noch einmal den Namen, der hinter dem Wort »General Manager« steht: Adolfo Comas Bacardí. Ich träume nicht. Es ist jener Adolfo, der als einer der Dissidenten in die Annalen der Familiengeschichte eingegangen ist. Als ich bei der Zeitung anrufe, habe ich wieder Glück. Señor Bacardí sei gerade hereingekommen, teilt mir die Sekretärin mit und verbindet weiter. Comas Bacardí lacht freundlich, als ich ihm vermittle, wie verzweifelt ich inzwischen nach einem lebenden ech-

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ten Bacardí suche. Ja, selbstverständlich sei er zu einem Gespräch bereit. Eine Woche später traue ich meinen Augen kaum, als der Generalmanager von El Nuevo Día durch die große Glastür in das Foyer des Zeitungshauses tritt. Adolfo sieht aus wie eine Kopie seines Urgroßvaters Emilio. Helle klare Augen, graue Haare, ein frischer Teint. Nur der Schnauzbart ist nicht so gewaltig. Adolfo, inzwischen 59 Jahre alt, ist ein bisschen stolz auf diese Ähnlichkeit, denn Emilio sei ein großartiger Mann gewesen, sagt er und strahlt. Dann beginnt er zu erzählen und kommt überraschend schnell zu den Familienstreitigkeiten und seinem Hinauswurf aus der Firma im Dezember 1986. Ich merke, dass es ihm ein Bedürfnis ist, darüber zu sprechen, und hake nach. Wie ging das Leben für ihn nach diesem Schock weiter? Adolfos fröhliche Augen verlieren für einen Moment den Glanz. Drei Monate sei er wie gelähmt gewesen. Dann aber hätten seine Frau und er die Vertriebsrechte für das Eau de Cologne 4711 erworben und damit den Grundstein für ein Kosmetikunternehmen gelegt. Nach der Versöhnung 1992 sei er dann noch einmal für kurze Zeit zu Bacardí zurückgekehrt, aber das sei nicht gut gelaufen. »Ich konnte einfach nicht mehr mit denen vertrauensvoll zusammenarbeiten, die mich vorher verletzt hatten.« Ich frage ihn, woher seine Lust am Widerspruch und Widerstand rührt. Hat er sich vom widerspenstigen Onkel Daniel beeinflussen lassen? Comas Bacardí winkt ab. »Nein, nein, ich war schon immer sehr eigenwillig. Und deshalb hatte ich auch zu Pepín Bosch jahrelang ein ziemlich schlechtes Verhältnis. Er wollte mich zum Beispiel nach dem Examen auf die Bermudas schicken. Ich sollte dort in der Verkaufsabteilung anfangen. Aber ich sagte einfach nein. Ich war 23 Jahre alt und frisch verliebt. Meine damalige Freundin, die später meine Frau wurde, lebte in Florida, und ich wollte sie besser kennen lernen. Pepín war wütend. Er bezeichnete mich als Taugenichts und prophezeite mir eine düstere Zukunft. Jahrelang herrschte zwischen uns eine ziemlich miese Stimmung.«

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»Und wie sind Sie nach Puerto Rico gekommen?« »Ich habe meine Flitterwochen hier verbracht. Meine Frau und ich waren vom ersten Moment an so verliebt in die Insel, dass ich mich bei Jorge Bosch, der damals Chairman bei Bacardí Corporation war, um einen Job bemüht habe. Als er vom Streit mit seinem Vater hörte, verzog er das Gesicht zur Grimasse und meinte, es sähe nicht gut für mich aus.« Trotz alledem bot man dem jungen Comas Bacardí ein halbes Jahr später einen Job in der Buchhaltung an, allerdings nur für sechs Monate. Nun war es an Adolfo, das Gesicht zu verziehen. Er hatte schon das »Nein Danke« auf den Lippen, als seine Mutter ein Machtwort sprach. »Wenn du dich weigerst, das Angebot anzunehmen, ist alles aus«, soll sie gesagt haben. »Nimm an, und beweise allen, was in dir steckt. Wenn du etwas leistest, dann werden sie dich auch behalten.« Für den Rat ist Adolfo der Mutter noch heute dankbar, denn aus den sechs Monaten wurden zwanzig glückliche Jahre. Nicht immer saß er in der Hierarchie ganz oben. Eine Zeit lang musste er Besucher betreuen, sie durch die Fabrik führen und ihnen bei der abschließenden »Verkostung« noch einmal die Vorzüge der Bacardí-Produkte vermitteln. Und wieder ist es Pepín Bosch, der sich in das Leben von Adolfo einmischt, diesmal jedoch mit einem weiterführenden Vorschlag. Er möchte, dass der »Taugenichts« seine Talente besser nutzt, und empfiehlt ein Zusatzstudium Arbeitsrecht. Einige Monate lang lässt sich der Betriebswirt in »relaciones laborales« schulen und erreicht mit seinem Wissen anschließend Unerhörtes: Bei Bacardí wird fortan nicht mehr gestreikt. Wir reden dann noch ein wenig über das Dauerprojekt, Bacardí an der Börse zu platzieren, und schließlich über Kuba. Adolfito strahlt wieder über das ganze Gesicht, als er mir vom »Polarzimmer« in der Hatuey-Brauerei in Santiago erzählt, in dem er und sein Bruder als kleine Jungen so lange blieben, bis sie klitschenass waren, und dann in die Hitze hinausliefen – Vergnügen pur bei über 30 Grad im Schatten. Sein Lächeln wird noch breiter, als er sich an

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die Besuche in der Bar im Edificio Bacardí in Havanna erinnert, wo der Barkeeper ihm und seinem Bruder die ersten Daiquirís gemixt hatte. Da waren sie erst zwölf! Und weil wir gemeinsam lachen, wage ich die prekäre Frage: »Finden Sie es eigentlich richtig, dass die Familie Bacardí mit ihrem Geld terroristische Aktionen gegen Fidel Castro finanziert hat?« Adolfo Comas Bacardí bleibt gelassen. »Die Mehrheit der Exilkubaner ist aktiv beteiligt am Kampf gegen Fidel Castro. Viele politische Gruppierungen haben nicht genügend Geld für ihre Arbeit. Sie müssen finanziell unterstützt werden. Bacardí und auch einzelne Familienmitglieder haben immer Geld für politische Aktivitäten gespendet. Insbesondere die Fundación Nacional Cubano Americana hat sich am politischen Kampf beteiligt. Sie sind Lobbyisten in Washington und arbeiten eng mit Radio Martí zusammen. Aber für Gewalt ist niemand. Niemand aus meiner Familie hat im Moment Verbindung zu terroristischen Gruppen. Wir sind der Ansicht, dass Gewalt keine Methode ist, um Fidel Castro zu stürzen. Was mich anbelangt, kann ich sagen: Sollte es eines Tages eine Gruppe geben, die es ernst meint mit dem bewaffneten Kampf, dann bin ich sicher, dass eine große Zahl von Bacardís nicht nur bereit wäre, Geld zu spenden, sondern auch ihr Leben zu opfern. So wie sie es 1961 in der Schweinebucht getan haben. Damals waren immerhin sechs Familienmitglieder an der Invasion beteiligt und wenn mein Vater es nicht verhindert hätte, dann hätte auch ich mitgekämpft.« »Und was passiert nach Castro?« »Die Bacardís werden die ersten sein, die am Wiederaufbau teilnehmen. Es gibt die Übereinkunft, dass Bacardí zurückgeht, wenn Kuba sich öffnet. Wir werden uns dann dort etablieren.« Ich hätte mit Adolfo gerne einen Spaziergang durch seinen großen Privatpark gemacht. Auch ein Gläschen Bacardí 8 años hätte ich bei der Gelegenheit gerne getrunken, aber offenbar ist den Bacardís die Privatzone wirklich heilig. Ich werde nicht eingeladen, aber herzlich mit zwei Küsschen – Wange links, Wange rechts – verabschiedet. Wegzehrung für den kurzen Flug nach Miami.

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*** Clara Maria del Valle, geborene Bacardí, 57 Jahre alt, Gattin eines Bankiers im Ruhestand, ist seit 1999 Vizepräsidentin der Fundación Nacional Cubano Americana. Das »Hauptquartier« der FNCA, ein unauffälliges zweistöckiges Gebäude, liegt an einer mehrspurig befahrenen Straße in einem gesichtslosen Viertel von Miami. Die Räume in der Fundación haben, bis auf den Konferenzsaal und das Zimmer, in dem mich Clara Maria del Valle empfängt, zellenähnlichen Charakter. Bis wir uns endlich setzen, habe ich viele Hände geschüttelt, und auch einen Blick in die »Abhörzentrale« hat mir Clara erlaubt. Dort werden vor allem Sendungen aus Kuba mitgeschnitten und für Radio Martí, den Sender der Exilkubaner, ausgewertet. Wir beide sind uns klar, dass wir uns in einem historischen Moment begegnen. Vor Stunden haben die Amerikaner den Irak angegriffen. Für die Vizepräsidentin gibt es keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Krieges. Ihrer Meinung nach muss der 11. September gerächt werden. »Wissen Sie, wo ich am 11. September 2001 war? In Ihrer Stadt, in Hamburg.« Sie plaudert munter drauflos. »Gegen drei Uhr nachmittags hat mich ein Taxifahrer informiert, was passiert war. Wir sind dann sofort nach Frankfurt geflogen. Dort saßen wir dann vier Stunden auf dem Flughafen und warteten auf den ersten Direktflug nach Miami. Tausende warteten auf ihre Flüge. Man hat uns mit Wasser und Äpfeln versorgt. Es war eine ganz neue Lebenserfahrung. Normalerweise möchte man sich waschen, zur Toilette gehen. In dieser Situation haben wir daran gar nicht mehr gedacht. Das war alles nebensächlich.« Wir beide sind uns schnell einig, dass Kriege nie eine gute Lösung für Probleme sind. Der Übergang zu Kuba fällt leicht. Clara Maria, die lebhaft funkelnde Augen hat, Hosen trägt und auch ohne Makeup außerordentlich jugendlich wirkt, war 15, als sie mit ihrer Familie Kuba verlassen musste. Inzwischen hat sie vier Enkel und wird nur schwer mit ihrer Sehnsucht nach der Insel fertig.

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»Das ist jetzt schon die zweite Generation, die fern unserer Heimat aufwächst«, sagt sie und lächelt bitter. »Wir werden erst dann zurückkehren, wenn Kuba frei ist. Und das wird leider nicht der Fall sein, solange Fidel Castro und sein Bruder Raúl an der Macht sind.« Aus Sicht der Bacardí-Aktionärin sind die Castro-Brüder Terroristen, die bekämpft werden müssen. »Ich bin fest überzeugt, dass Kuba über bakteriologische Waffen verfügt«, sagt sie. »Dafür hat Castro über 40 Jahre lang Geld ausgegeben.« Clara Maria del Valle, eine Urenkelin Don Emilios, ist stolz auf ihre Herkunft. Ihr flammendes politisches Engagement führt sie direkt auf den bewunderten Patriarchen zurück und dessen intelligente, politisch wache zweite Ehefrau Elvira Cape. Beide hätten bestimmt nicht anders gehandelt als ich, sagt sie und erzählt über die Zeit, als sie in Panama lebte und sich im Rahmen eines internationalen Hilfsprojektes um kubanische Flüchtlinge kümmerte. Tausende baten damals um Hilfe, mussten mit Essen versorgt und mit Papieren ausgestattet werden, um mit ihren in den USA lebenden Familien Kontakt aufnehmen zu können. Bis heute ärgert sich Clara Maria darüber, dass die unter lebensbedrohlichen Bedingungen aus Kuba fliehenden Landsleute in den USA den Stempel Wirtschaftsflüchtling erhalten. Dabei handele es sich ihrer Meinung nach bis heute ausnahmslos um politische Flüchtlinge, Menschen, die vor dem Terror Castros fliehen. Und deshalb sei ihre Arbeit in der Fundación zweigleisig. Zum einen ginge es darum, Druck auf die amerikanische Regierung auszuüben, um Lockerungen in der Boykottpolitik im Ansatz zu verhindern, zum anderen dürfe man aber die armen verzweifelten Menschen nicht aus den Augen verlieren, die fast täglich in den USA um Asyl bäten. Ihre Eingliederung in den amerikanischen Alltag sei vorrangig. Für sie sei diese Arbeit allemal befriedigender als Golf oder Tennis zu spielen, Partys zu besuchen oder ihre Zeit auf Massagebänken zu verbringen. »Wir erleben hier täglich Tragödien. Es ist eine Sisyphusarbeit. Gerade bist du glücklich, dass du für den einen Flüchtling etwas erreicht

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hast, dann klingelt das Telefon und es ruft der nächste an, der ein Visum braucht oder eine Operation benötigt für sein Kind, das einen Tumor hat, oder für seinen Vater, der zu erblinden droht. Oder es geht um Menschen in den kubanischen Gefängnissen, denen wir helfen sollen. Manchmal fühle ich mich sehr müde, wenn ich mir vorstelle, dass das alles noch lange so weitergeht, vielleicht noch zehn Jahre. Es ist traurig. Ich bin jetzt 57 und jeden Tag Kampf, Kampf, Kampf.« Die Bacardí-Aktionärin könnte sich diesem Kampf entziehen und ihre Dividenden genießen, aber sie spürt, dass eine Veränderung in der Luft liegt. Schließlich ist Fidel Castro nicht mehr der Jüngste, auch ein Revolutionsheld unterliegt den Gesetzen der Natur. Sollte man versuchen, ihn gewaltsam aus dem Weg zu räumen? Nein, das sei keine Lösung, Clara Maria winkt müde ab: Bitte keine Gewalt, keine Waffen, keine Kugeln. »Wir wollen einen friedlichen Wandel auf Kuba«, sagt sie, »einen friedlichen Übergang zur Demokratie. Es wäre perfekt, wenn Castro sterben würde.« Und dann bemüht sie lachend ein kubanisches Sprichwort: Wenn der Hund tot ist, hat auch die Tollwut ein Ende. Wir reden noch ein bisschen über Privates. Clara Maria singt das Hohe Lied auf ihren Mann, der sie in gar keiner Weise bei ihrer Arbeit behindert. Das sei ihr eigentlicher Reichtum, sagt sie, dass sie tun und lassen könne, was immer sie möchte. Ihre Aktien bescherten ihr eine große Unabhängigkeit, für die sie außerordentlich dankbar sei. Wenn sie Lust habe, nach Genf zu fahren, um sich mit Vertretern der Menschenrechtsorganisation zu treffen, dann sei das kein Problem, und wenn es darum ginge, den Vereinten Nationen ein Projekt zu präsentieren, dann sei auch das möglich. Überhaupt zeichne die Arbeit der Fundación aus, dass sie von niemandem unterstützt würde. Jeder müsse die anfallenden Kosten allein tragen. Jeder Flug nach Washington müsse selbst bezahlt werden, jede Schreibkraft. Zur Zeit gebe es 152 Mitglieder, die die Arbeit der Fundación unterstützten. Man treffe sich einmal im Monat,

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manchmal auch nur alle zwei Monate, um die Aktivitäten abzustimmen. Wer fährt nach Europa, wer nach Südamerika, wer nach Washington? Schließlich ginge es darum, die Welt zu mobilisieren und auf den Tag X nach Castro vorzubereiten. Die ganze Welt sei eingeladen, dann Handel mit Kuba zu betreiben, nicht nur die USA. »Wir wollen nicht, dass die USA Kuba in Besitz nehmen.« Dieser Satz prägt sich ein, auch Don Emilio hätte ihn sagen können. Da ist sie wieder, die alte Furcht vor der Dominanz des Nachbarn aus dem Norden: Die Nach-Castro-Ära verspricht spannende politische Auseinandersetzungen auf dem so genannten Hinterhof der USA. Aber so weit ist es noch nicht. Vorerst begnügt sich der FNCA mit gezielter politischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas. Ohne Wenn und Aber wird die zart keimende Opposition unterstützt. Lange Haftstrafen für die so genannten Dissidenten werden billigend in Kauf genommen, denn jede Verurteilung ist ein Beweis mehr für die menschenverachtende Politik Fidel Castros. Der FNCA braucht Märtyrer, um den Hass gegen die kubanische Regierung zu schüren. Es klopft. Die Sekretärin bringt uns einen kubanischen Kaffee. Sehr schwarz, sehr süß und in einer sehr kleinen Tasse serviert. Danach habe ich den Mut, nach dem Buch von Hernando Calvo Ospina zu fragen. Was hält die Vizepräsidentin der Fundación Nacional Cubano Americana von den Vorwürfen des kolumbianischen Journalisten? »Alles Lüge«, sagt Clara Maria und bleibt relativ gelassen. »Es ist ein Buch, das vom kubanischen Propagandaministerium bezahlt wurde. Die Feindschaft zwischen Fidel Castro und den Bacardís ist wechselseitig.« Bleibt noch die Frage nach Pepín Bosch. »Ich ziehe den Hut vor ihm«, sagt sie. »Er war ein Visionär.« Ich entschließe mich, bohrende Nachfragen zu seiner Rolle als Terroristenjäger zu unterlassen. Meine Sympathie für die drahtige, mit Emotion und Mutterwitz ausgestattete Clara Maria lullt mich ein wenig ein. Niemand wird

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je in diesen Räumen zugeben, dass hier über Leben und Tod von Menschen auf Kuba verhandelt wurde, dass hier terroristische Aktionen abgesegnet wurden, die einem italienischen Touristen das Leben kosteten. Und was habe ich davon, wenn Clara Maria bekennen würde: Ja, ich habe mich damals gefreut, als ich von dem Attentat gehört habe. *** Am nächsten Tag nehme ich Abschied von der sommerlichen Wärme in Miami South Beach. Der Himmel ist makellos blau, das Meer schimmert lichtgrün und geht gen Horizont in ein tiefes sattes Petrol über. Der Strand leuchtet weiß, soweit das Auge reicht. Fast eine Bacardí-Kulisse, wären da nicht die postmodernen Appartementhäuser und die über den Strand verstreuten vielfarbigen Inseln der Sonnenschirmanbieter und Liegenvermieter. Aus einem Kofferradio wehen Klänge des Buena Vista Social Club heran, ein paar hundert Meter entfernt amüsieren sich junge Männer beim Beachvolleyball. Die richtige Stimmung, um den Reisestress auszuschwitzen. Plötzlich ist es vorbei mit der einschläfernden Strandidylle. Von rechts nähert sich das Brummen eines einmotorigen Flugzeugs. Das Brummen wird lauter, schon schluckt es die kubanischen Klänge aus dem Radio und die Rufe der Volleyballspieler. Unwillig blinzele ich nach oben. »Bacardí by night« steht auf einem Werbeband, das hinter dem Flugzeug flattert. »Let it fly. Unleash the party.« So also geben sie die horrenden Werbesummen aus. Von 23 Millionen US-Dollar jährlich hatte Big Boss Rubén Rodríguez bei der dreißigminütigen Audienz gesprochen, die er mir tags zuvor gewährt hatte. Dreißig Minuten, in denen ich nicht viel erfahren hatte, jedenfalls nichts Konkretes über das Gerücht, Bacardí plane den Börsengang. Auf alle Fragen, aus welcher Richtung auch immer, war die stereotype Antwort gekommen: »Die Familie wird darüber entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt da ist.« Rodríguez, ein eher schmächtiger Mittsechziger mit pfiffig le-

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bendigen Augen, wenn er von Dingen redet, die ihn interessieren. Er hatte mir gerne über seine Karriere Auskunft gegeben. Nach vielen Arbeitsjahren bei Weltkonzernen hatte man ihn Ende der achtziger Jahre zu Bacardí geholt. Zu ihm hatte die Unternehmensspitze Vertrauen, schließlich kannte man sich aus Santiago de Cuba. Mit dem einen und anderen aus der Familie hatte Rodríguez »schon in der Sandkiste gespielt«. Er weiß, dass sich im Falle des Börsengangs mit Härte nichts erzwingen lässt und setzt auf die Kraft des sanften, aber kontinuierlichen Drucks. Um zu wachsen, brauche man eine gewisse finanzielle Flexibilität, lässt er 2002 den Aktionären mitteilen und erklärt, woher das benötigte Geld kommen könnte. »Diese Flexibilität könnte in einem Austausch von neuen Aktien mit einem potenziellen Partner, einem öffentlichen Verkauf oder einer Kombination aus beidem bestehen. Ein öffentlicher Verkauf würde alle Aktienbesitzer zu einem fairen Marktpreis mit zusätzlicher Liquidität versorgen.«1 Aber immer wieder hatte er in Gesprächen mit der Presse und Wirtschaftsfachleuten hinzugefügt: »Es liegt allein an der Familie zu entscheiden, ob sie diesen Weg beschreiten will oder nicht.«2 Reaktionen aus der Familie hatten bis zu diesem Zeitpunkt immer gleich gelautet: Wenn es unbedingt notwendig ist, werden wir uns dem Börsengang nicht verschließen, aber es hat unserem Wachstum bisher nicht geschadet, dass wir nicht an der Börse notiert sind. Wie das kubanische Sprichwort sagt: Es gibt mehrere Wege, einer Katze das Fell abzuziehen. Mein freundliches Gespräch mit Rubén Rodríguez hatte nur einmal die höfliche Smalltalk-Schiene verlassen. Warum durfte ich in Hamburg nicht mit Guillermo Bacardí Lay sprechen? Es hieß, dass die Anordnung, das Interview abzusagen, von ganz oben gekommen sei. Die Augen des Big Boss hatten sich bei der Antwort verdunkelt. »Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder beliebige Angestellte mit der Presse spricht«, hatte er mit scharfer Stimme entgegnet. »Das geht weder bei Coca-Cola noch bei General Motors oder anderen großen Unternehmen.«

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Aber Guillermo Lay sei doch nicht irgendein beliebiger Mitarbeiter, hatte ich unterbrochen, er sei zuständig für die Qualitätskontrolle in Europa und außerdem ein Familienmitglied. »Über die Familie hätte er sich mit Ihnen auch unterhalten können, nicht aber über die Firma und unser Produkt. Familie ist eben Familie und Geschäft ist Geschäft.« Und dann hatte der »General« im Raum, Pressesprecherin Miss Pat, auf die Uhr geschaut, mir eine weitere Minute genehmigt und eine letzte Frage. Auf die hatte ich verzichtet. Gerade bin ich in der Sonne ein wenig eingedöst, da brummt von links schon wieder etwas heran. Okay, denke ich, schließlich müssen die Jungs ja an ihren Standort zurück, blinzele aber dennoch nach oben. Die Konkurrenz ist da. Diesmal steht auf dem Werbeband: »Mojíto Club. Cuban Style Citrus Rum«, gedruckt in orange und gelb, den Farben des Labels von Havana Club. Der Krieg der Konzerne, ausgetragen am Himmel über Miami Beach. Noch gut zehn Mal brummen die von Bacardí und PernodRicard angeheuerten Flugzeuge an diesem Nachmittag über mich hinweg. Einmal kreuzen sich ihre Bahnen. Dabei berühren sich – so scheint es von unten – die im Flugwind schlingernden Spruchbänder. Könnte es sein, dass es sich bei diesem luftigen Pas de deux schon um das vorweg genommene Ende des verbissen geführten Kampfes der konkurrierenden Konzerne handelt? Meine Fragen beantwortet an diesem sonnigen Tag am Strand von Miami niemand. Erst ein Jahr später erfahre ich mehr über den Stand der Dinge. *** Nach wochenlangem E-Mail-Austausch hat das Date mit Toten Comas Bacardí, dem in Spanien lebenden Zwillingsbruder von Adolfo, endlich geklappt. Treffpunkt ist ein Golfhotel an der Costa del Sol, 20 Kilometer nördlich von Marbella. Toten, der Anfang Juni seinen 60. Geburtstag feierte, lebt ganz in der Nähe. Wenn man den Teenager Toten Comas Bacardí gefragt hatte, was er denn

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werden wolle, hatte er wie aus der Pistole geschossen geantwortet: »Bierbrauer. Mit Bier kann man bessere Geschäfte machen als mit Rum.« Das war in Havanna zur Zeit der Revolution. Im amerikanischen Exil zerplatzte dann so mancher Lebenstraum. Auch Toten musste umdenken. Zwar hatte er sich in Milwaukee an einer Brauereischule eingeschrieben, aber schon nach einem Jahr erreichte ihn der Ruf der Familie. Onkel Daniel Bacardí Rosell, damals Präsident von Bacardí & Company, hatte anderes mit ihm vor. Von Manuel Jorge Cutillas, damals Produktionsleiter in Nassau, sollte Toten zum Rumconnaisseur ausgebildet werden. Die Firma brauchte zu Beginn der siebziger Jahre für den expandierenden Markt in Europa und Asien fähige Nachwuchskräfte. Mit guten Gefühlen denkt Toten an die acht Jahre auf den Bahamas zurück, die er beschützt von Onkel Daniel und in bestem Einvernehmen mit Manuel Jorge verbrachte. Beide haben ihre Wurzeln in der Linie Emilio Bacardís, ihre Mütter sind Cousinen ersten Grades. Damals bewunderte Toten den dynamischen Manuel Jorge, heute sieht er ihn anders. Seiner Meinung nach gehört Cutillas zu den schwachen Präsidenten in der langen Firmengeschichte. Schwach, weil er um der Macht Willen zu jedem Kompromiss bereit gewesen sei. Einer seiner größten Fehler sei es gewesen, »Chip« Reid in den Konzern einzuschleusen. Der sei ein Manager ohne Sensibilität für die besonderen Strukturen des Familienunternehmens gewesen. 1999 sei es erst in allerletzter Minute gelungen, den von »Chip« Reid und Manuel Jorge Cutillas vorbereiteten Börsengang zu verhindern. Rubén Rodríguez als Nachfolger von Cutillas habe dann ein ziemlich zwielichtiges Spiel betrieben. Einerseits habe er behauptet, nur das zu tun, was die Familie wolle, zu guter Letzt aber habe er sich eindeutig für die Börse ausgesprochen und damit die Wünsche der Dissidenten übergangen, so als gehörte das gute Drittel der Verweigerer nicht mehr zur Familie. Dann sprechen wir wieder über die besseren Zeiten, jene Jahre zwischen 1977 und 1986, als Toten Comas Bacardí in der Fabrik bei Málaga die Qualitätskontrolle leitete. Ein Job, der ihm großen

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Spaß gemacht habe, bis zur Krise, dem Hinauswurf seines Zwillingsbruders Adolfo und seiner Cousins Alberto und Jorge. Aus Solidarität habe auch er seinen Posten zur Verfügung gestellt. Die folgenden Jahre verbrachte Toten mit Immobiliengeschäften und dem Bau von zwei Einkaufszentren. Es folgte ein Ausflug in die Politik. Als Mitglied der »Grupo Independiente Liberal« (GIL) bewarb er sich sogar um ein Senatorenamt in Madrid, aber die Partei scheiterte an ihrem autokratischen Gründer. Toten trat aus und widmet sich seither wieder Dingen, die Geld einbringen. Zur Zeit betreibt er das Franchising amerikanischer Fastfoodketten. Der 60-Jährige macht einen wendigen Eindruck. Er hat wasserblaue Augen wie sein Urgroßvater Emilio und trägt wie dieser einen Schnauzbart. Er wirkt sportlich, seine Ausstrahlung ist freundlich. Ohne zu zögern, gibt er auf alle Fragen offen Auskunft. Nur einmal signalisiert er, dass es ihm lieber wäre, wenn ich das mitlaufende Tonband ausschalten würde. Da geht es um die Motive der für den Börsengang kämpfenden Familienmitglieder aus der sechsten Generation. Sie seien, wie Toten erzählt, gerade dabei, die Macht im Konzern kompromisslos zu ihren Gunsten zu verschieben. Die relativ guten Zeiten der Dissidenten seien inzwischen Geschichte. Die 1992 ausgehandelte Einigung, die den Dissidenten drei Sitze im 15-köpfigen Direktorium garantierte, wurde im Sommer 2003 aufgekündigt, bei den neuen Wahlen zum Direktorium setzten sich Börsenanhänger durch, und die Vertreter der Dissidenten wurden abgewählt. Seither ist der Weg frei für den Börsengang. Toten Comas Bacardí wird zunehmend wütend, als er über die Befürworter des Börsengangs spricht, zu denen die kapitalstarken Familien aus den Clans der del Campo Danguillecourt Bacardí und Bacardí Gaillard gehören, angeführt von Facundo Luis, einem Mittdreißiger aus der Linie Facundo Miguels. Toten charakterisiert Facundo Luis als machthungrigen Senkrechtstarter ohne jedes Einfühlungsvermögen für die Argumente der Börsengegner. »Wenn man uns wenigstens anhören würde«, klagt er, »unsere Haltung respektieren würde, wir ließen ja mit uns reden. Stünden

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zum Beispiel Produkte zum Verkauf, die unser Portfolio abrundeten und für deren Kauf wir viel Geld benötigten, dann würden wir dem Börsengang sicher zustimmen. Aber bisher gibt es solche Pläne nicht. Oder wenn es darum ginge – sollte Fidel Castro sterben – Bacardí auf Kuba neu zu etablieren, dann hätte niemand von uns etwas dagegen, das dafür notwendige Geld an der Börse zu holen, um es auf Kuba zu investieren. Aber ohne feste, nachvollziehbare Ziele, für die sich die Aufgabe des Familienbesitzes lohnt, sehen wir keinen Sinn in der Zerschlagung vorhandener und bewährter Strukturen.« Toten möchte den Konflikt der Generationen nicht verhindern, aber möglichst minimieren, vor allem möchte er, dass die Familie an dieser Frage nicht zerbricht. Aber er weiß auch, dass die Alten aus der vierten und fünften Generation immer weniger respektiert werden, und sich angesichts der zunehmenden Größe der Familie immer öfter die Frage stellen wird: »Die Familie? Wer und was ist das?« Die Antwort der Jungen wird lauten: »Ein Mythos.« Die Zeit arbeitet gegen die Dissidenten. Vielleicht ginge ein Ruck durch die sechste, die offenbar entwurzelte Generation, wenn Fidel Castro stürbe. Vielleicht wäre das der Moment, die kubanischen Wurzeln wiederzuentdecken und die Kräfte neu zu bündeln. Die »Rückkehr zu den Wurzeln« würde unter den in der Welt verstreut lebenden Bacardís möglicherweise ein neues »Wir-Gefühl« auslösen, den noch immer vorhandenen Stolz auf die kubanischen Vorfahren beleben und den polyglotten Nachwuchs davor bewahren, das traditionsreiche Familienunternehmen leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Unter denen, die ihre Kindheit und Jugend auf Kuba verbracht haben, gibt es keinen Zweifel daran, dass eine Neuverankerung in der alten Heimat ein Glücksfall wäre. »Die Bacardí-Familie hat keine politische Vision außer der Hoffnung, nach Kuba zurückzukehren«, sagte Manuel Jorge Cutillas 2003. »Wir brauchen Kuba nicht mehr für unser Geschäft. Aber es wäre doch sehr schön, es zu haben. Und aus romantischer und emotionaler Sicht wäre es die Krönung des Erfolges – als Geschäft.«3 Zwei Jahre zuvor hatte

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es der damalige Pressesprecher von Bacardí, Rodríguez Márquez, emotionaler formuliert: »Wir wollen zurück«, bekannte er, »weil auf Kuba unsere Wurzeln sind, weil dort unser Rum erfunden wurde von Don Facundo Bacardí y Mazó. Die Insel ist unsere Heimat. Kuba – das sind WIR!« Und Toten? Würde er nach Kuba zurückkehren? »Nur wenn man dort eine Aufgabe für mich hätte. Ich würde sie akzeptieren – aus Pflichtgefühl. Freiwillig würde ich nicht zurückgehen. Kuba besuchen? Ja. Aber dort leben? Nein, auf gar keinen Fall. Das kann ich mir heute nicht mehr vorstellen.« Dann streiten wir noch ein wenig darüber, ob es sich bei Castro um einen Diktator handelt oder nur um einen starrsinnigen alten Mann, der nicht mehr in der Lage ist, das politisch Notwendige und Machbare von den alten sozialistischen Utopien zu trennen. Toten beteuert noch einmal nachdrücklich, dass auch er, wie viele andere Familienmitglieder, Geld gespendet habe für Anti-Castro-Aktionen und dass auch er gerne in der Schweinebucht gekämpft hätte, wäre sein Vater nicht eingeschritten. Die Sonne brennt. Es ist gegen zwei Uhr nachmittags. »Noch ein Mineralwasser, Kaffee oder Tee?« Der Ober reißt uns aus dem Gespräch. Toten schüttelt den Kopf. Ob ich es wagen kann, ihn zu einem Bacardí einzuladen? Ich tue es, und er sagt erfreut: »Ja, gerne.« »Möchten Sie einen Braunen oder einen Weißen?« »Carta Blanca bitte, mit viel Eis und ohne Zitrone.« Als wir Minuten später anstoßen, hängt jeder einen Moment seinen Gedanken nach. »Ich musste eben an meine Mutter denken«, unterbricht Toten das Schweigen, »die trinkt noch immer täglich ihr Gläschen Carta Blanca. Und damit ist sie 90 Jahre alt geworden.« »Das sind die Gene, Toten. Denken Sie an Emilio.« »Nein, das ist unser Rum. Wer ihn mäßig, aber regelmäßig trinkt, verlängert sein Leben.« Welch eine Werbung! Ich widerspreche nicht.

A n m e r k u n ge n

Anmerkungen zu 1. »Auf nach Kuba!« Ein Spirituosenhändler aus Katalonien 1 Zeuske, Michael und Max: Kuba 1492 – 1902: Kolonialgeschichte, Unabhängigkeitskriege und erste Okkupationen durch die USA, S. 235f. 2 Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk, S. 76. 3 Zeuske/Zeuske, S. 224. 4 Hurtado, Nicolás Torres: Orígines de la Companía Bacardí, S. 44. 5 Zeuske/Zeuske, S. 259. 6 Bacardí Deutschland: Fachkunde Rum, o.S. 7 Foster, Peter: Family Spirits. The Bacardí Saga, S. 8. 8 Humboldt, Alexander von: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, S. 187. 9 Niess, Frank: 20 Mal Kuba, S. 187f. 10 Ebenda, S. 253.

Anmerkungen zu 2. »¡Cuba libre!« Die Familie Bacardí im Befreiungskrieg 1 2 3 4 5 6 7

Zeuske/Zeuske, S. 397. Niess, S. 206. Hoffmann, Bert: Kuba, S. 33. Foster, S. 18. Niess, S. 235. Hoffmann, S. 42. Foster, S. 22.

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8 Bacardi-Martini USA (Hrsg.): The World of Bacardí Museum, Miami 1996, o.S. 9 Foster, S. 24. 10 Ebenda, S. 31. 11 Ebenda, S. 29. 12 Niess, S. 253.

Anmerkungen zu 3. »Flying to heaven« Bacardí und die Prohibition 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Foster, S. 38. Ebenda. Niess, S. 271. Ebenda, S. 272. Ebenda, S. 274. Foster, S. 28. Ebenda, S. 43. Ebenda, S. 43. Hoffmann, S.48. Vgl. Foster, S. 54. Ebenda, S. 56. Ebenda, S. 47.

Anmerkungen zu 4. »Ich mache Euch reich!« Sieg auf dem Weltmarkt, Niederlage zuhause 1 2 3 4 5 6 7 8

Niess, S. 204. Foster, S. 70. Ebenda, S. 72. Hemingway, Ernest: »Haben und Nichthaben«, in Gesammelte Werke, Reinbeck 1986, S. 274. Foster, S. 65. Ebenda, S. 66. Niess, S. 289. Siehe Hoffmann, S. 26: »Wo nun die Verfassung der Republik verraten worden und dem Volk alle seine Rechte genommen worden sind, bleibt

ANMERKUNGEN

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

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ihm nur noch dieses Recht, das ihm keine Macht dieser Welt nehmen kann, das Recht auf Widerstand gegen die Unterdrückung und Ungerechtigkeit.« (Fidel Castro) Calvo, Ospina, Hernando: Im Zeichen der Fledermaus. Die RumDynastie Bacardí und der geheime Krieg gegen Kuba, S. 26. Foster, S. 88. Ebenda. Vgl. ebenda, S. 89. Ebenda, S. 92. Hoffmann, S. 69. Foster, S. 100. Ebenda, S. 102. Ebenda, S. 104. Ebenda, S. 104. »Im Zeichen der Fledermaus«, auf NDR Info am 16. April 2001, Interview von Jean Claude Kuner.

Anmerkungen zu Spurensicherung: Zwischen Havanna und Brüssel 1 2 3 4 5

Clarke, Sidney: All the best in Cuba, S. 25. Ebenda, S. 26. Ebenda. Fuentes, Norbert: Ernest Hemingway – Jahre auf Kuba, S. 219. Campoamor, Fernando G.: El hijo alegre de la Caña de azúcar. Biografía del ron, S. 106.

Anmerkungen zu 5. »Wenn Blut fließen muss, dann soll es fließen« Der Krieg der Bacardís gegen Castro 1 2 3 4 5 6 7

Matthews, Herbert: The Cuban Story, S. 35. Ebenda. Ebenda, S. 180. Ebenda, S. 298 f. Foster, S. 125. Ebenda. Matthews, S. 259 ff.

232 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

D I E B AC A R D Í S Foster, S. 139. Ebenda, S. 147. Ebenda, S. 142. Ebenda, S. 88. Ebenda, S. 158. Foster, S. 152. »Im Zeichen der Fledermaus«, auf NDR Info am 16. April 2001. Ospina, S. 39. Ebenda, S. 41. Ebenda, S. 39. Ebenda, S. 49. Foster, S. 165. Ebenda, S. 167. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 171. Calvo Ospina, S. 51. Ebenda., S. 55. Ebenda, S. 59. Ebenda, S. 69. Ebenda, S. 60. Ebenda, S. 73. Ebenda, S. 72.

Anmerkungen zu 6. »Verkauf doch und geh mit Deinem Geld zur Bank!« Die Familie in der Krise 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Foster, S. 174. Ebenda. Broschüre Bacardi Museum, Miami ohne Jahresangabe. Foster, S. 183. Ebenda, S. 181. Ebenda, S. 185. Ebenda, S. 191 f. Ebenda, S. 209. Ebenda, S. 214. Ebenda, S. 218. Ebenda, S. 221.

ANMERKUNGEN

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12 Ebenda, S. 229. 13 Ebenda, S. 236. 14 Ebenda, S. 237.

Anmerkungen zu 7. »Wir wollen wachsen, wachsen, wachsen!« Global Player Bacardí 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

25 26

»Im Zeichen der Fledermaus«, auf: NDR Info am 16. April 2001. Ebenda. Ebenda. Calvo Ospina, S. 76. Ebenda, S.82. Vgl. Calvo Ospina, S.93. Calvo Ospina, S. 95. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 85. »Das Forum«, auf NDR Info am 12. Februar 2001: »Exil-Kubaner« von Bernd-Uwe Gutknecht. Vgl. Calvo Ospina, S. 90. Calvo Ospina, S. 91 f. Ebenda, S. 105. Ebenda, S. 106. Vgl. Calvo Ospina, S. 113. Bartu, F. in: Neue Zürcher Zeitung, 9. August 2001, S.11 ff. Vgl. Bartu, F. in: Neue Zürcher Zeitung, 9. August 2001, S.11 ff. »Das Geheimnis der Fledermaus«, TV-Dokumentation ARTE, 28. Oktober 2003. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Foster, S. 236. Benes, Alejandro: »The spirit of the Bat: Bacardí breaks with tradition to keep the Company and the Family together«, in: Cigar Aficionado, o.S. Ebenda, o.S. Ebenda, o.S.

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Spurensicherung: Von Puerto Rico an die Costa del Sol 1 Walker, Elaine: »Bacardí embraces change in order to grow«, in: The Herald Businessmonday (Sonderdruck), 18. November 2002. 2 Ebenda. 3 »Das Geheimnis der Fledermaus«, TV-Dokumentation ARTE, 28. Oktober 2003

B i b l i og r a f i e

Bacardí, Emilio: Via crucis. Editorial Letras Cubanas, Havanna 1979. Bacardí Deutschland (Hrsg.): Fachkunde Rum, ohne Jahr. Barnet, Miguel: Der Cimarrón. Die Lebensgeschichte eines entflohenen Negersklaven aus Cuba, von ihm selbst erzählt, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1969. Bartu, F., in: Neue Zürcher Zeitung, 9. August 2001. Benes, Alejandro: »The spirit of the Bat: Bacardí breaks with tradition to keep the Company and the Family together«, in: Cigar Aficionado, Washington 2001. Calvo Ospina, Hernando: Im Zeichen der Fledermaus. Die Rum-Dynastie Bacardí und der geheime Krieg gegen Cuba, Papyrossa Verlag, Köln 2002. Campoamor, Fernando G.: El hijo alegre de la Caña de azúcar. Biografía del ron, Editorial Científico-Técnica, Havanna 1988. Cardenal, Ernesto: In Kuba. Bericht von einer Reise, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1985. Clarke, Sydney: All the best in Cuba. Dodd, Mead & Company, New York 1956. Foster, Peter: Family Spirits. The Bacardí Saga, MacFarlane Walter & Ross, Toronto 1990. Fuentes, Norbert: Ernest Hemingway – Jahre auf Kuba, Galgenberg Verlag, Hamburg 1987. Herbst, Frank: Cuba, Reise Know-How Verlag Peter Rump, Bielefeld 2003. Heideking, Jürgen: Geschichte der USA, UTB für Wissenschaft, Stuttgart 1996. Hemingway, Ernest: Gesammelte Werke, Bd. 2, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1986. Hoffmann, Bert: Kuba, Becksche Reihe Länder, München 2000.

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Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk, Band 3, Studienausgabe, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992. Humboldt, Alexander von: Die Wiederentdeckung der Neuen Welt, Carl Hanser Verlag, München 1989. Matthews, Herbert: The Cuban Story. George Braziller, New York 1961. Meyer, Karl E.; Szulc, Tad: The Cuban Invasion, Frederick A. Praeger, New York 1962. Niess, Frank: 20 mal Kuba, Piper, München 1991. Torres Hurtado, Nicolás: Orígines de la Companía Bacardí, Santiago de Cuba 1977. Walker, Elaine: »Bacardi embraces change in order to grow«, in: The Herald, 18. November 2002. The World of Bacardi Museum, Bacardí-Martini U.S.A. Inc., Miami 1996. Zeuske, Michael; Zeuske, Max: Kuba 1492 – 1902: Kolonialgeschichte, Unabhängigkeitskriege und erste Okkupationen durch die USA, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 1998. Zeuske, Michael: Kleine Geschichte Kubas, Verlag C.H. Beck, München 2000.

Interviews Jorge Rodríguez Márquez, Miami, Februar 2001 Magdalena Casero, Miami, Februar 2001 Tito Argamasilla Bacardí, Miami, Februar 2001 Hernando Calvo Ospina, Brüssel, März 2001 Adolfo Comas Bacardí, San Juan, März 2003 Clara Maria del Valle, Miami, März 2003 Rubén Rodríguez, Miami, März 2003 Toten Comas Bacardí, Cala de Mijas/Spanien, Juni 2004

Die Stammbäume auf den Innenseiten des Umschlags sind zwangsläufig nicht ganz vollständig. Zum einen, weil der Clan inzwischen weit verstreut lebt, zum anderen aus Platzmangel für die Darstellung.

02_Stammbaum_Bacardis_1

10.12.2004

12:28 Uhr

Stammbaum der Bacardís (1) Die Linie Emilio Bacardí y Moreau

Seite 1

Emilio »Emilito« Bacardí Lay

OO Emilio Bacardí y Moreau 1844 – 1922

OO Maria Lay Berlucheau

Zoila Luyando José Bacardí Lay

OO

2. Ehe Emilios

OO

OO

Caridad Rosell Fernández

Elvira Cape Maria Bacardí Lay

OO Pedro Lay

OO Facundo Bacardí y Mazó 1814 – 1886

OO Amalia Lucia Victoria Moreau 1822 – 1896

Maria Magdalena Bacardí y Moreau

Ana María Bacardí Rosell OO Adolfo Comas Daniel Bacardí Rosell OO Graziella Bravo Viñas

Gustavo Rodríguez

Daniel Bacardí Lay

Marina Bacardí Cape

José Bacardí y Moreau 1854 – 1907 OO … (2) Carmen Fernandez Fontecha

OO Pedro Grau Triana

Adelaida Bacardí Cape

OO Amalia Lucia Bacardí y Moreau OO … (2) Enrique Schueg Chassin 1863 – 1951

William Julius Dorion

Eduardo Lay Bacardí OO Marta Rosell

Clara Rodríguez Bacardí OO Ignacio Carrera Justiz Carmina Rodríguez OO 1. Rolando de Léon Bacardí OO 2. Andrés Peon Garcia Gustavo Rodríguez Bacardí OO Clotilde Gispert

keine Kinder 2 Kinder 1 Kind: Francisco Carrera Justiz Rodríguez 1 Kind: Ana María de Léon Rodriguez 2 Kinder

Guillermo Rodríguez OO 1. Ruby Myers (geschieden) Bacardí OO 2. Carmen Rey Santiago

4 Kinder

Olga Covani Bacardí OO Manuel Cutillas

2 Kinder: Manuel Jorge und Eduardo Cutillas Covani

Marina Lydia Covani Bacardí OO Luis del Rosal Rosende

Manon Grau Triana Bacardí

OO Guillermo Rodríguez Salazar

2 Kinder

2 Kinder: Jorge Luis und Roberto del Rosal 2 Kinder

1 Kind: Guillermo Rodríguez Grau

George Dorion Bacardí OO Dorothy Simpson

4 Kinder

Robert Dorion Bacardí OO Anna María Ferber

5 Kinder

Amalia Bacardí Cape Eusebio Delfin

9 Kinder: u.a. María Hortensia, Toten und Facundo Bacardí Bravo

2 Kinder

William Dorion Bacardí OO Elaine Hart

OO

5 Kinder: Adolfo, Toten, Lucía, Marlena, Amelia Comas Bacardí

Ernesto Lay Bacardí OO María Sole Segura

Elvira Covani Bacardí OO Eloy de Castroverde Lucia Bacardí Cape

4 Kinder: u.a. José Bacardí González

3 Kinder

OO Radames Covani

6 Kinder: u.a. León , José und Amaro Argamasilla Bacardí

María Lay Bacardí OO Robert Williams

Pedro Lay Bacardí OO Loretta Monohan

Carmen Bacardí Lay Facundo Miguel Bacardí y Moreau 1848 – 1926 OO … (2) Ernestina Gaillard Darrigol

Emilio Bacardí Rosell OO Josefina González Vega

Zenaida Rosell Franco Facundo Bacardí Lay

Juan Bacardí y Moreau 1846 – 1852

Zenaida Bacardí Rosell OO José Argamasilla Grimany

Eusebio Delfin jr.

2 Kinder

OO 1. Sally Noyes (geschieden)

1 Kind: Amalia Delfin

OO 2. Hilda Fuentes

2 Kinder: Jorge und Alicia

03_Stammbaum_Bacardis_2

10.12.2004

12:30 Uhr

Stammbaum der Bacardís (2) Die Linien Facundo, José und Amalia Bacardí y Moreau

Seite 1

María Bacardí Gaillard

OO Emilio Bacardí y Moreau 1844 – 1922 OO … (1) Maria Lay Berlucheau 2. Ehe Emilios

OO … (1) Elvira Cape

Luis Gómez del Campo Bacardí

Adalberto Gómez del Campo Laura Bacardí Gaillard

OO

Elena Gómez del Campo Bacardí

OO 1. Armando Pessino

3 Kinder

(geschieden)

OO 2. Jerry Lindzon

Adolfo Danguillecourt Laura Danguillecourt Bacardí Luis J. Bacardí Gaillard

OO

OO

Juan Alvarez Guerra

Hilda Houghton Adolfo Danguillecourt Bacardí

OO

Facundo Bacardí Gaillard

Christina Maduro Juan Bacardí y Moreau 1846 – 1852

Luis Bacardí Houghton OO Ruby Morales

3 Kinder 3 Kinder

Alberto Bacardí Bolívar

Facundo Bacardí y Mazó 1814 – 1886

OO Amalia Lucia Victoria Moreau 1822 – 1896

José Bacardí Fernandez

OO

OO

María Hortensia Bacardí Bravo (siehe Stammbaum 1)

Facundo Miguel Bacardí y Moreau 1848 – 1926

Marta Durán (geschieden)

OO

Antón Bacardí Fernandez

Ernestina Gaillard Darrigol

Joaquín Bacardí Fernandez

OO Caridad Bolívar

Jorge Enrique Bacardí Bolívar OO Barbara Stivers Carmen Bacardí Bolívar OO Orlando Rivas Melo

4 Kinder

Joaquín Bacardí Bolívar OO Joyce George

2 Kinder

Maria Magdalena Bacardí y Moreau Arturo Schueg Bacardí José Bacardí y Moreau 1854 – 1907

Lucía Schueg Bacardí

OO Edwin Nielsen

OO Carmen Fernandez Fontecha

OO Enrique Schueg Chassin 1863 – 1951

Edwin “Eddy” Nielsen

OO 1. Marta Ariosa OO 2. Marcia de Lourdes

Henry Nielsen OO Patricia Jenny Joan Nielsen OO Luis de Hechavarría

5 Kinder: Gloria, Ana, Lucía, Martha und Elena Nielsen 4 Kinder 4 Kinder

Jorge Schueg Bacardí

OO Gladys Freites Enriqueta Schueg Bacardí

Amalia Lucia Bacardí y Moreau

8 Kinder

Yvonne Marie Schueg OO Victor Arellano Vilma Schueg OO Fernando Arellano

4 Kinder 4 Kinder

OO José »Pepín« Bosch

Jorge Bosch OO Yvelise Molina

Victor Schueg Bacardí

OO Marcia Facey

Carlos Bosch

OO 1. Hortensia Esteva OO 2. Ermina Eguilior

2 Kinder 4 Kinder

Rüdiger Jungbluth Die Oetkers Geschäft und Geheimnisse der bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands 2004 · 406 Seiten · Gebunden ISBN 3-593-37396-3

Mit Pudding und Backpulver an die Macht

98 Prozent aller Deutschen kennen den Namen Oetker – er ist bekannter als der des Bundeskanzlers. Doch dass sich dahinter eine Familie verbirgt, die deutlich Spannenderes zu bieten hat als Pudding und Backpulver, wissen die wenigsten. Die Oetkers sind längst mehr als die Puddingkönige – im Lauf eines Jahrhunderts haben sie sich ein Wirtschaftsimperium mit Hunderten von Firmen aufgebaut und rühren kräftig in der Politik mit.

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