Delphi: Apollons Orakel in der Welt der Antike
 3161575709, 9783161575709

Table of contents :
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Titel
Inhalt
Heinz-Günther Nesselrath — Einleitung
1. Delphi in der Archäologie
Michael Maaß — Delphi: Faszination und Akribie
Vinzenz Brinkmann, Ulrike Koch-Brinkmann — Learning from Delphi: Provisional Thoughts on Interdependencies of Storytelling on the Siphnian Treasury and the Athenian Parthenon
Vincent Déroche — Delphi in der späteren Antike und Spätantike
2. Das Orakel und seine ‚Funktionsweise‘
Hugh Bowden — Theophania, Theoria, Thusia: Rethinking the Delphic Experience
Tanja S. Scheer — Jungfräulich, isoliert, ungebildet? Die Pythia als Sprachrohr Apollons
Yulia Ustinova — The Pythia’s Appointment and Oracular Practice: Historical, Anthropological, and Cognitive Perspectives
3. Delphi und die (griechische) Geschichte
Beate Wagner-Hasel — Herakles und der Dreifußraub von Delphi: Überlegungen zu den Hintergründen eines Mythos
Balbina Bäbler — Die goldene Bäckerin: Delphi und die nichtgriechische Welt im Spiegel der Weihgeschenke
Robin Osborne — What Did Delphi Have to Do with “Colonization”?
Kai Trampedach — Die Legitimität des delphischen Orakels
Winfried Schmitz — „Sprache des Temenos“: Weihungen als politische Machtdemonstration
Pierre Sánchez — Zwischen Heiligen und Amphiktyonischen Kriegen: Die regionalen Konflikte um das Heiligtum von Delphi und die Kämpfe um die Hegemonie in Zentralgriechenland
4. Delphi in der archaischen und klassischen griechischen Literatur
Leonie von Alvensleben — Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos
Claas Lattmann — Die Pythischen Spiele bei Pindar: Historischer Kontext und kulturelle Bedeutung
Heinz-Günther Nesselrath — Das Orakel von Delphi in der attischen Tragödie
Heinz-Günther Nesselrath — Das Orakel von Delphi bei Herodot
Werner Gauer — Delphis Perserkriegsorakel für die Athener und Herodot
5. Delphi in Philosophie und Theologie der römischen Kaiserzeit
Rainer Hirsch-Luipold — Priester, Philosoph und Propagandist – Plutarch und Delphi
Jürgen Hammerstaedt — Das delphische Orakel und seine Sprüche in den philosophischen Debatten der Kaiserzeit
Ilinca Tanaseanu-Döbler — Delphisches im Neuplatonismus
Ulrich Volp — Delphi und die Orakelkritik bei den Kirchenvätern
6. Delphis Bild in späteren Zeiten
Dorit Engster — Von Erdbeben, Erdspalten und Erddämpfen – antike Berichte und moderne Forschungen zu Delphi
Martin Lindner — Ludit in humanis divina potentia rebus: Das Orakel von Delphi im und als Spiel
Bibliographie
Autorenverzeichnis
Stellenregister
Namen- und Sachregister

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Civitatum Orbis MEditerranei Studia herausgegeben von Reinhard Feldmeier (Göttingen), Friedrich V. Reiterer (Salzburg), Karin Schöpflin (Göttingen), Ilinca Tanaseanu-Döbler (Göttingen) und Kristin De Troyer (Salzburg)

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Delphi Apollons Orakel in der Welt der Antike Herausgegeben von

Balbina Bäbler und Heinz-Günther Nesselrath

Mohr Siebeck

Balbina Bäbler, geboren 1967; 1997 Promotion in Klassischer Archäologie an der Universität Bern; seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der DFG-Forschungsgruppe 2064 („STRATA: Stratifikationsanalysen mythischer Stoffe und Texte in der Antike“). Heinz-Günther Nesselrath, geboren 1957; 1981 Promotion in Klassischer Philologie an der Universität Köln; 1987 Habilitation; seit 2001 Professor für Klassische Philologie an der Universität Göttingen.

ISBN 978-3-16-157570-9 / eISBN 978-3-16-161058-5 DOI 10.1628/978-3-16-161058-5 ISSN 2196-9264 / eISSN 2569-3891 (Civitatum Orbis MEditerranei Studia) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Inhalt Heinz-Günther Nesselrath Einleitung ...................................................................................................... 1

1. Delphi in der Archäologie Michael Maaß Delphi: Faszination und Akribie .................................................................. 11 Vinzenz Brinkmann, Ulrike Koch-Brinkmann Learning from Delphi: Provisional Thoughts on Interdependencies of Storytelling on the Siphnian Treasury and the Athenian Parthenon ............ 35 Vincent Déroche Delphi in der späteren Antike und Spätantike ............................................. 65

2. Das Orakel und seine ‚Funktionsweise‘ Hugh Bowden Theophania, Theoria, Thusia: Rethinking the Delphic Experience ............. 77 Tanja S. Scheer Jungfräulich, isoliert, ungebildet? Die Pythia als Sprachrohr Apollons ...... 91 Yulia Ustinova The Pythia’s Appointment and Oracular Practice: Historical, Anthropological, and Cognitive Perspectives ........................................... 119

3. Delphi und die (griechische) Geschichte Beate Wagner-Hasel Herakles und der Dreifußraub von Delphi: Überlegungen zu den Hintergründen eines Mythos ..................................................................... 137

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Inhaltsverzeichnis

Balbina Bäbler Die goldene Bäckerin: Delphi und die nichtgriechische Welt im Spiegel der Weihgeschenke ................................................................. 155 Robin Osborne What Did Delphi Have to Do with “Colonization”? ................................. 173 Kai Trampedach Die Legitimität des delphischen Orakels ................................................... 185 Winfried Schmitz „Sprache des Temenos“: Weihungen als politische Machtdemonstration .................................................................................. 209 Pierre Sánchez Zwischen Heiligen und Amphiktyonischen Kriegen: Die regionalen Konflikte um das Heiligtum von Delphi und die Kämpfe um die Hegemonie in Zentralgriechenland ........................................................... 233

4. Delphi in der archaischen und klassischen griechischen Literatur Leonie von Alvensleben Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos ........................ 267 Claas Lattmann Die Pythischen Spiele bei Pindar: Historischer Kontext und kulturelle Bedeutung .......................................................................... 297 Heinz-Günther Nesselrath Das Orakel von Delphi in der attischen Tragödie ..................................... 329 Heinz-Günther Nesselrath Das Orakel von Delphi bei Herodot .......................................................... 353 Werner Gauer Delphis Perserkriegsorakel für die Athener und Herodot .......................... 377

Inhaltsverzeichnis

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5. Delphi in Philosophie und Theologie der römischen Kaiserzeit Rainer Hirsch-Luipold Priester, Philosoph und Propagandist – Plutarch und Delphi .................... 397 Jürgen Hammerstaedt Das delphische Orakel und seine Sprüche in den philosophischen Debatten der Kaiserzeit ............................................................................. 413 Ilinca Tanaseanu-Döbler Delphisches im Neuplatonismus ............................................................... 431 Ulrich Volp Delphi und die Orakelkritik bei den Kirchenvätern .................................. 457

6. Delphis Bild in späteren Zeiten Dorit Engster Von Erdbeben, Erdspalten und Erddämpfen – antike Berichte und moderne Forschungen zu Delphi ........................................................ 479 Martin Lindner Ludit in humanis divina potentia rebus: Das Orakel von Delphi im und als Spiel ......................................................................................... 505 Bibliographie ............................................................................................ 535 Autorenverzeichnis ................................................................................... 585 Stellenregister ........................................................................................... 587 Namen- und Sachregister .......................................................................... 603

Einleitung Mehr als anderthalb Jahrtausende, seitdem die letzte delphische Pythia für immer von ihrem Dreifuß herabgestiegen ist, hat Friedrich Dürrenmatt dieser zentralen Gestalt der großen Orakelstätte noch einmal einen bemerkenswerten Auftritt verschafft: In „Das Sterben der Pythia“ lässt er die Titelfigur – sie trägt bei ihm den Individualnamen Pannychis – ihren letzten Tag erleben: Alt, wie sie war, schleppte sie sich durch die endlosen Jahre [...] Pannychis orakelte und orakelte, an eine Pensionierung war nicht zu denken [...] Dazu kamen die tristen Arbeitsbedingungen. Das Heiligtum war feucht und zugig. Von außen sah es prächtig aus, reinster frühdorischer Stil, innen war es eine schäbige, schlecht abgedichtete Kalksteinhöhle. Pannychis’ einziger Trost war, daß die Dämpfe, die aus der Felsspalte unter dem Dreifuß heraufquollen, den Rheumatismus linderten, den die Zugluft verursachte. [...] Wenn sie auch nicht an die Orakel glaubte, so sah sie in ihnen doch nichts Unsauberes, die Orakel waren für sie ein von der Gesellschaft verlangter Blödsinn; aber die von den Sehern formulierten Orakel [...] waren etwas ganz anderes [...] und daß Korruption und Politik dahintersteckten, dachte sie an jenem Sommerabend sofort, als Merops [der delphische Oberpriester], sich hinter seinem Schreibtisch räkelnd, ihr auf seine stinkfreundliche Art erklärte, der Seher Tiresias habe einen Wunsch. [...]1

Damit beginnen bei Dürrenmatt die Ereignisse, die dazu führen, dass die Pythia Pannychis am letzten Tag ihres Lebens erfährt, wie ein Orakel, das sie vor langer Zeit als bloßen Augenblickseinfall einem jungen Mann namens Ödipus ins Gesicht schleuderte, um ihn loszuwerden, sich in schrecklicher Weise – und in noch viel verschlungenerer Weise, als es in Sophokles’ Tragödie dargestellt wird – erfüllt hat. Am Ende formuliert Tiresias der sterbenden Pythia gegenüber die Frage, die bis heute mit dem Phänomen ‚Orakel‘ unlösbar verknüpft ist: „Ödipus wird weiterleben, als ein Stoff, der uns Rätsel aufgibt. Ist sein Schicksal nun durch die Götter bestimmt oder dadurch, daß er sich gegen einige Prinzipien, welche die Gesellschaft der Zeit stützten, versündigt hat, wovor ich ihn mit Hilfe des Orakels zu bewahren versuchte, oder gar, weil er dem Zufall zum Opfer fiel, hervorgerufen durch deine launische Orakelei?“2

Das Beispiel Dürrenmatts zeigt, dass die antike Stätte, die mehr als jede andere zum Sinnbild dafür geworden ist, wie der Mensch immer wieder versucht, Wichtiges über die Zukunft herauszufinden, und dabei immer wieder selbstverschuldeten Irrtümern und Fehlinterpretationen ausgesetzt ist, bis heute ihre 1 2

DÜRRENMATT, 1998, 120–122. DÜRRENMATT, 1998, 158.

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Heinz-Günther Nesselrath

Faszination nicht verloren hat. Unter dem Titel „Delphi – Apollons Orakel in der Welt der Antike“ fand im Juni 2017 eine Tagung statt, deren Beiträge (mit einer Ergänzung durch den Essay von Werner Gauer, siehe unten) im vorliegenden Band versammelt sind. Um den zahlreichen Facetten des antiken Phänomens Delphi gerecht zu werden, wurden die Beiträge in verschiedenen Sektionen zusammengestellt (zwischen denen es natürlich auch Überlappungen gibt). Die erste Sektion ist der Archäologie Delphis gewidmet, die eigentlich erst 1892 mit dem Beginn der französischen Grande Fouille begonnen hat. Die Einstimmung in diese Sektion leistet Michael Maaß mit dem Beitrag „Delphi: Faszination und Akribie“; in ihm zeigt er, dass sowohl die Landschaft, in der Delphi liegt, als auch die archäologischen Entdeckungen – mit den immer wieder stattfindenden Revisionen ihrer Interpretation – immer neue Faszination ausgelöst haben, die sich in der – im Lauf der Zeit durchaus verschiedenen – Präsentation der Funde, aber auch in anderen kulturellen Erscheinungen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts niedergeschlagen hat; ferner bietet er eine Übersicht über die archäologische Arbeit in und an Delphi und die daraus resultierenden Erkenntnisgewinne. Demgegenüber ist der zweite archäologische Beitrag („Learning from Delphi: Provisional Thoughts on Interdependencies of Storytelling on the Siphnian Treasury and the Athenian Parthenon“) von Vinzenz Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann einer interessanten archäologischen Spezialfrage gewidmet, nämlich dem architektonischen und künstlerischen Einfluss, den die Ausgestaltung des Schatzhauses der Siphnier,3 das um 525 v. Chr. errichtet und 1893 von den französischen Ausgräbern wiederentdeckt wurde, noch etwa hundert Jahre später auf den Parthenon auf der Akropolis von Athen ausübte und die athenischen Gestalter zu einem Bildprogramm anregte, in dem sich bemerkenswerte subtile narrative Qualität entdecken lässt; dies ist ein schönes Beispiel dafür, wie Delphi nicht nur durch seine Orakel, sondern auch durch die in seinem Heiligtum versammelten Bauten auf die übrige griechische Welt einwirkte. Im dritten Beitrag dieser Sektion („Delphi in der späteren Antike und Spätantike“) bietet Vincent Déroche einen wertvollen Einblick in neuere archäologische Grabungen, die beachtliches Licht auf das nicht so bekannte Weiterleben Delphis im 2. bis 6. Jahrhundert n. Chr., seine vergleichsweise konfliktarme Christianisierung und das schließliche Ende der antiken Besiedlung im späteren 6. Jahrhundert n. Chr. werfen. Die zweite Sektion ist dem Orakel und seiner ‚Funktionsweise‘ gewidmet. Hugh Bowdens Beitrag („Theophania, Theoria, Thusia: Rethinking the Delphic Experience“) vermittelt einen anschaulichen Einblick in den Orakelbetrieb der klassischen Zeit, wie er sich aus antiken Quellen rekonstruieren 3

Zur Interaktion der Siphnier mit dem Orakel von Delphi vgl. den Beitrag Nesselrath (Herodot), unten S. 354 f.

Einleitung

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lässt. Im Anschluss daran befassen sich zwei Beiträge mit der wohl wichtigsten Person in diesem Orakelbetrieb, der Pythia: Tanja Scheer („Jungfräulich, isoliert, ungebildet? Die Pythia als Sprachrohr Apollons“) bietet eine auf umfassenden Quellenstudien beruhende Übersicht über das, was sich zu Leben, Stellung und Funktionen dieses menschlichen „Sprachrohrs“ des Orakels noch sagen lässt, und korrigiert zugleich eine Reihe landläufiger Vorstellungen über sie, die durch Quellen eben nicht zu belegen bzw. durch solche Quellen sogar zu falsifizieren oder zumindest erheblich zu modifizieren sind. Demgegenüber konzentriert sich Yulia Ustinova („The Pythia’s Appointment and Oracular Practice: Historical, Anthropological, and Cognitive Perspectives“) auf die Frage, wie die Pythia als „Medium“ für den Empfang und die Vermittlung der Orakelsprüche „funktionierte“, und kombiniert dazu antike Quellenaussagen zur prophetischen mania der Pythia mit modernen Erkenntnissen zu Praktiken und Hilfsmitteln psychischer Bewusstseinsveränderung. In der dritten Sektion – „Delphi und die (griechische) Geschichte“ – geht es um die bedeutende Rolle, die das delphische Orakel (dessen erste Erwähnungen sich in den mutmaßlich ältesten griechischen literarischen Texten, den homerischen Epen,4 finden) im Lauf der griechischen Geschichte, vor allem vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr., gespielt hat. Im ersten Beitrag der Sektion („Herakles und der Dreifußraub von Delphi: Überlegungen zu den Hintergründen eines Mythos“) erläutert Beate Wagner-Hasel, wie der Mythos von Herakles’ Versuch, seinem göttlichen (Halb-)Bruder Apollon einen Dreifuß aus dem Heiligtum von Delphi wegzunehmen, Konflikte zwischen lokalen und überregionalen Mächten um Delphi widerspiegeln könnte, die im sogenannten „Ersten Heiligen Krieg“ des frühen 6. Jahrhunderts v. Chr. wohl ihre erste historische Bezeugung gefunden haben. Dass Delphi bereits im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. als Orakelheiligtum eine überregionale und auch über die griechische Welt hinausgehende Bedeutung hatte, zeigt der Beitrag von Balbina Bäbler („Die goldene Bäckerin: Delphi und die nichtgriechische Welt im Spiegel der Weihgeschenke“): Hier wird ausgeführt, dass Herodots Nachrichten über zum Teil sehr großzügige Weihgeschenke nichtgriechischer Fürsten des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. in Delphi nicht angezweifelt zu werden brauchen, sondern uns bemerkenswerte Einblicke in ein Beziehungsgeflecht ermöglichen, von dem offensichtlich beide Seiten – die griechische Orakelstätte und ihre nichtgriechischen „Kunden“ – profitierten. In anderer Hinsicht freilich muss die Bedeutung des delphischen Orakels wohl redimensioniert werden, nämlich was seine – in frühe4 In Hom., Il. IX 404 f. wird die „steinerne Schwelle des Bogenschützen Phoibos Apollon im felsigen Pytho“ als sehr reich bezeichnet, was an Spenden von gutbetuchten Orakelbesuchern denken lässt; in Hom., Od. VIII 79 f. wird kurz ein Orakel erwähnt, das Agamemnon, der Oberfeldherr der Griechen vor Troja, in Delphi erhalten haben soll. In beiden Fällen könnte es sich um Rückprojektionen aus der Zeit handeln, in der die homerischen Epen ihre endgültige Fassung erhielten, d.h. im 8. oder 7. Jahrhundert v. Chr.

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Heinz-Günther Nesselrath

rer Literatur oft sehr stark betonte – Rolle als angebliche „Steuerungsmacht“ während der sogenannten Großen Griechischen Kolonisation im 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr. betrifft: In dem Beitrag „What Did Delphi Have to Do with “Colonization”?“ unterzieht Robin Osborne diese Rolle einer nüchternen Neubewertung und fragt dabei sowohl nach dem Verhältnis zwischen „privaten“ und „staatlichen“ (d.h. von Poleis als solchen initiierten) OrakelKonsultationen als auch nach den Rückwirkungen, die solche Konsultationen auf die Entwicklung der Reputation und Bedeutung der Orakelstätte hatten. Eine weitere kritische Nachfrage zu oft überzogenen älteren Vorstellungen von Delphi als einem planvoll agierenden Motor innerhalb der griechischen Staatenwelt stellt Kai Trampedach: In seinem Beitrag „Die Legitimität des delphischen Orakels“ erläutert er anhand von umsichtigen Darlegungen zum delphischen Orakelbetrieb, dass frühere Annahmen einer mehr oder weniger konsistenten Politik ‚Delphis‘ (zugunsten von Tyrannen oder Persiens oder Spartas etc.) sich angesichts der uns bekannten Quellennachrichten als nicht haltbar erweisen und dass die allseits anerkannte ‚Legitimität‘ und die große („panhellenische“) Reputation des Orakels gerade auf einer konsequenten Neutralität innerhalb der sich immer wieder ändernden Mächtekonstellationen der archaischen und klassischen Zeit beruht haben müssen. Dessen ungeachtet war Delphi – spätestens seit der regelmäßigen Austragung der Pythischen Spiele seit 582 v. Chr. (dazu weiter unten) – ein Ort, an dem die gesamte griechische Welt zusammenkam, voneinander Notiz nahm und sich auch in Konkurrenz zueinander in Szene setzte (nicht zuletzt architektonisch durch Schatzhäuser und Siegesmonumente); so ist Delphi als ein panhellenisches Zentrum, in dem die einzelnen griechischen Poleis über Jahrhunderte hinweg (vor allem im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr.) ihre Siege – nicht nur über Nichtgriechen, sondern auch über andere Griechen – durch oft aufwändige Weihegaben an den Gott Apollon öffentlich zur Schau stellten und damit leider auch ein beredtes Zeugnis der vielfältigen innergriechischen Konflikte boten, das Thema des Beitrags von Winfried Schmitz („‚Sprache des Temenos‘: Weihungen als politische Machtdemonstration“). In diesen Jahrhunderten war Delphi nicht nur Schaufenster und Projektionsfläche rivalisierender Machtbestrebungen, sondern leider auch selber immer wieder Spielball solcher Bestrebungen, die immer wieder zu Kriegen um den Besitz der Orakelstätte führten; dies zeigt eindringlich der Beitrag von Pierre Sánchez („Zwischen Heiligen und Amphiktyonischen Kriegen: Die regionalen Konflikte um das Heiligtum von Delphi und die Kämpfe um die Hegemonie in Zentralgriechenland“). Die politische, religiöse und kulturelle Bedeutung Delphis in diesen Jahrhunderten hat sich auch in der griechischen Literatur dieser Zeit niedergeschlagen, die der Gegenstand der vierten Sektion („Delphi in der archaischen und klassischen griechischen Literatur“) ist. Das Orakel und sein Gott spielen so eine wichtige Rolle in einer Reihe von Gattungen dieser Literatur: Hym-

Einleitung

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nendichtung, Chorlyrik, attische Tragödie und Geschichtsschreibung. So widmet Leonie von Alvensleben mit ihrem Beitrag („Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos“) dem frühesten bedeutenden literarischen Text zu Delphi und seinem Orakelgott Apollon eine eingehende strukturelle Untersuchung, die zeigt, in welcher Weise triadische Elemente die Gesamtstruktur dieses Textes in erheblichem Maße bestimmen und ihn als ein einheitlich konzipiertes Werk erweisen, in dem zwei wesentliche Komplexe aus Apollons ‚Biographie‘ – seine Geburt und sein erstes Auftreten auf dem Olymp sowie seine Etablierung als Orakelgott in Delphi – zusammengeführt sind. Von den Pythischen Spielen, dem zweiten bedeutenden Phänomen, das Delphi in der archaischen und klassischen Zeit eine prominente Rolle im griechischen Raum sicherte, war bereits die Rede; im zweiten Beitrag dieser Sektion („Die Pythischen Spiele bei Pindar. Historischer Kontext und kulturelle Bedeutung“) zeigt Claas Lattmann, dass diese Spiele in den chorlyrischen Epinikien Pindars so dargestellt sind, dass sie neben den Olympischen Spielen zu den bedeutendsten panhellenischen Wettkämpfen der Griechen avancieren. In zwei vertieften Studien zur achten und zur vierten pythischen Ode kann Lattmann zudem demonstrieren, wie eng mit den Spielen Religion, Anerkennung menschlicher Leistung und Legitimation politischen Handelns und Herrschens verbunden waren. – In „Das Orakel von Delphi in der attischen Tragödie“ bietet Heinz-Günther Nesselrath einen Einblick, welche Rolle Delphi in insgesamt elf von den erhaltenen Stücken der attischen Tragödie spielt (in zweien ist der Ort sogar teilweise oder zur Gänze Schauplatz der Handlung), und zeigt, wie sich die drei großen Tragiker in der Darstellung Delphis und seines Gottes – namentlich was das zunehmende Hervortreten kritischer Stimmen gegenüber dem Orakel betrifft – charakteristisch unterscheiden. Schließlich erörtert der Beitrag „Das Orakel von Delphi bei Herodot“ (ebenfalls Heinz-Günther Nesselrath) die Sicht des ersten großen griechischen Geschichtsschreibers auf das Orakel; dabei erweist sich Delphi, das von Herodot persönlich besucht und als wichtige Informationsquelle für diverse Teile seines Werks benutzt wurde, als bedeutender Zeuge für das (teils mehr, teils weniger konfliktvolle) Zusammenwirken göttlicher Macht und menschlichen Handelns, das Herodot überall in der Geschichte am Werk sieht. Einer besonderen Frage zu den bei Herodot überlieferten Orakeln – nämlich der Frage nach der Rolle der Orakelstätte Delphi im Perserkrieg von 480/479 v.Chr. und den im Vorfeld der Xerxes-Invasion den Athenern verkündeten Orakeln – widmet sich schließlich der Beitrag von Werner Gauer („Delphis Perserkriegsorakel für die Athener und Herodot“) und schlägt vor, mit dem in einem dieser Orakel zur Sprache gebrachten „Zorn des Zeus“ einen Aspekt neu zu bewerten, der bisher zu wenig berücksichtigt wurde.

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Heinz-Günther Nesselrath

In der nachklassischen Zeit (nach dem 4. Jahrhundert v. Chr.) wird es zunächst ziemlich ruhig um Delphi;5 aber von der frühen römischen Kaiserzeit an zeigt sich, dass die Orakelstätte keineswegs vergessen ist. Doch beginnt sich ihre Funktion nun merklich zu ändern, wie die fünfte Sektion („Delphi in Philosophie und Theologie der römischen Kaiserzeit“) dokumentiert: Von einer realen Kultstätte wird Delphi zunehmend zu einem geistigen Ort, einem Symbol, das von den einen (paganen Stimmen) hochgehalten, von den anderen (christlichen Stimmen) zunehmend bekämpft wird. Die Anfänge dieser Entwicklung lassen sich bei dem umfassend gebildeten Platoniker Plutarch von Chaironeia erkennen, für das Heiligtum von Delphi freilich noch ein sehr realer Ort ist, dem er sogar lange Jahre als Priester diente; die große Bedeutung, die Delphi und seine Orakelstätte für Plutarch und seine religiösen und philosophischen Anschauungen hatten, erläutert Rainer Hirsch-Luipold in seinem Beitrag „Priester, Philosoph und Propagandist – Plutarch und Delphi“. Weniger das reale Delphi dagegen als seine berühmten (teilweise auch berüchtigten) Sprüche waren Gegenstand kaiserzeitlicher philosophischer Diskussionen um Sinn und Unsinn des Orakelwesens: In „Das delphische Orakel und seine Sprüche in den philosophischen Debatten der Kaiserzeit“ beleuchtet Jürgen Hammerstaedt vor allem die Kritik der Kyniker (hier hauptsächlich vertreten durch Oinomaos von Gadara, frühes 2. Jahrhundert v. Chr.) und der Epikureer (vertreten durch Diogenianos und Diogenes von Oinoanda, mittleres 2. Jahrhundert n. Chr.) am Orakelwesen im allgemeinen und der Rolle Delphis im besonderen und zeigt, dass diese beiden doch sehr unterschiedlichen Richtungen mitunter auch Argumente voneinander bezogen (so Diogenes von Oinoanda von Oinomaos). Auch in der seit der Mitte des 3. Jahrhunders n. Chr. sich entwickelnden neuplatonischen Philosophie wird Delphi zunehmend eine abstrakte Chiffre: Der Beitrag „Delphisches im Neuplatonismus“ von Ilinca Tanaseanu-Döbler bietet eine detaillierte Übersicht über die Bedeutung des Orakels bei den späteren Platonikern von Plotin bis Proklos; dabei gehen die konkreten Bezüge zur Orakelstätte mehr und mehr verloren, und Delphi mit seinem Gott wird – vor allem dank der Maxime „Erkenne dich selbst!“, die ursprünglich real an der Fassade des Apollontempels stand – zu einem Initialpunkt der paganen griechischen Philosophie, die im Neuplatonismus ihre letzte große antike Ausprägung fand. In Opposition zu 5

Mit dem vor allem von den griechischen Ätolern erfolgreich zurückgeschlagenen Angriff der keltischen Galater auf das Heiligtum 279 v. Chr. gerät Delphi noch einmal für kurze Zeit ins Rampenlicht (vgl. Pausanias, Ι 4,4). Doch gibt es auch eine bei Strabon (IV 1,13) berichtete Geschichte, derzufolge die Kelten damals Delphi erobert und geplündert und ein Teil von ihnen eine große Quantität Gold und Silber nach Tolosa (dem heutigen Toulouse) geschafft hätten, von wo es sich später der römische General Quintus Servilius Caepio (Urgroßvater des Caesarmörders Brutus) angeeignet habe. Der große Verlust hellenistischer historischer (aber auch poetischer) Literatur ist sicher dafür verantwortlich, dass in diese widersprüchlichen Überlieferungen nicht mehr Licht gebracht werden kann.

Einleitung

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diesem zunehmend abstrakter gewordenen Delphi tritt dann das Christentum: In „Delphi und die Orakelkritik bei den Kirchenvätern“ beleuchtet Ulrich Volp an ausgewählten Texten, wie sich das junge Christentum in einer nicht nur „transzendenten“, sondern auch „rituellen“ und nicht zuletzt „intellektuellen Konkurrenz“ zum delphischen Orakel sah, das aufgrund seiner reichen Präsenz in mehr oder weniger kanonisch gewordenen Texten früherer Literatur einen besonders markanten Punkt der Herausforderung darstellte. Auch wenn aber das Orakel irgendwann im 4. Jahrhundert n. Chr. verstummte und selbst der Ort Delphi im späteren 6. Jahrhundert für lange Zeit von der Landkarte verschwand, hat die Vorstellung von Delphi als mächtiger und geheimnisvoller Orakelstätte bis heute überdauert, wie zwei Studien in der sechsten und letzten Sektion des Bandes („Delphis Bild in späteren Zeiten“) dokumentieren. In „Von Erdbeben, Erdspalten und Erddämpfen – antike Berichte und moderne Forschungen zu Delphi“ bietet Dorit Engster einen ebenso umfassenden wie faszinierenden Einblick in die antiken und modernen Vorstellungen von den ‚naturwissenschaftlichen‘ Voraussetzungen oder Begleitumständen, die bei der Inspiration der Pythia und ihren OrakelVerlautbarungen eine Rolle gespielt haben könnten. Zu guter Letzt beleuchtet dann Martin Lindner in seinem Beitrag „Ludit in humanis divina potentia rebus – Das Orakel von Delphi im und als Spiel“ einen nur selten ins Bewusstsein gehobenen, aber durchaus aufschlussreichen Aspekt des Nachlebens des delphischen Orakels: seine Präsenz (symbolisiert durch Apollon, seinen Tempel, die Pythia oder auch einfach nur durch den Dreifuß, auf dem die Pythia gesessen haben soll) in Gesellschaftsspielen der Neuzeit und Moderne – wobei sich bemerkenswerterweise feststellen lässt, dass diese Präsenz in jüngster Zeit sogar stärker ist als noch im 19. oder früheren 20. Jahrhundert. So ergibt sich (jedenfalls hoffen dies die Herausgeber) aus der Summe der hier vorgelegten Beiträge ein multiperspektivisches Bild der antiken Orakelstätte Delphi, in dem zumindest auch einiges Neue zu finden sein dürfte. Aufmerksamen Leserinnen oder Lesern wird auffallen, dass den einzelnen Autor(inn)en gelegentlich auch recht unterschiedliche Delphi-Bilder vorschweben;6 diese Unterschiede wurden absichtlich nicht wegretuschiert, sondern stehen gelassen. In der formalen Präsentation wurden auch die z. T. unterschiedlichen Zitier-Gepflogenheiten bei den deutsch- und englischsprachigen Beiträgen beibehalten. Herausgeberin7 und Herausgeber hoffen, dass die Beiträge insgesamt zu einem Leseerlebnis führen, das zu weiteren Fragen und Forschungen anregt: Lector, intende – frueris (speramus). Göttingen, im Oktober 2020 6

Im Beitrag Gauer z.B. sieht Delphis Wirken durchaus etwas anders aus als in den Beiträgen Osborne und Trampedach. 7 Die Herausgeberin Balbina Bäbler hat das Stellen- und das Namen- und Sachregister erstellt, wofür ihr der Mitherausgeber Heinz-Günther Nesselrath sehr dankbar ist.

1. Delphi in der Archäologie

Delphi: Faszination und Akribie Michael Maaß

Abb. 1: Delphi im Abendlicht von der Kirphis aus, im Juni 1994 1 Aufnahme Thomas Goldschmidt, © Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Die folgenden Ausführungen wollen auf einige Punkte der Wirkungsgeschichte sowie auf die Akribie und den Scharfsinn eingehen, der zu alten Befunden aus dem 19. Jahrhundert neue Folgerungen und Ergebnisse gebracht hat. Die Aufnahme von Thomas Goldschmidt (Abb. 1) zeigt die mächtigen, von Rinnen und Einstürzen durchzogenen Felsstufen des Pleistostales. Den 1

Als Ausschnitt: MAAß, 1996, Abb. S. 67. Ähnlich die Schwarz-Weiß-Aufnahme: MAAß, 1993, 32 Abb. 6. Allen genannten Bildquellen sei hier gedankt. Zu Abb. 6b konnte trotz eingehender Archiv-, Verlags- und Internetrecherchen kein Inhaber des Urheberrechtes gefunden werden. Der Autor ist nach einer Klärung des Urheberrechtes zur Regulierung eines entsprechenden Anspruchs bereit.

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Michael Maaß

Einschnitt der Kastaliaschlucht flankieren mächtige Felsen, die Phädriaden, darüber steht hoch in der Ferne der doppelte Gipfel des Parnassmassives. Bevor wir zu meiner persönlichen Faszination kommen, möchte ich mit der des Dichters beginnen, der in seinem Apollonhymnos die Ankunft des Gottes in Delphi mit der Beschreibung der Landschaft eröffnet (Hymnus Homericus ad Apollinem v. 282–285): „ἵκεο δ’ ἐς Κρίσην ὑπὸ Παρνησὸν νιφόεντα κνηµὸν πρὸς ζέφυρον τετραµµένον, αὐτὰρ ὕπερθεν πέτρη ἐπικρέµαται, κοίλη δ’ ὑποδέδροµε βῆσσα τρηχεῖ’ …“ 2

Edward Dodwell empfand,3 dass diese dramatische Landschaft die Gegenwart Apollons atme. Gustave Flaubert hat sich 1851 über das Schauspiel der Landschaft begeistert: „C’est un paysage inspiré! Il est enthousiaste et lyrique! Rien n’y manque: la neige, les montagnes, la mer, le ravin, les arbres, la verdure. Et quel fond!“4

Zur Dramatik der Landschaft gehört die Entfaltung des Panoramas: Steigt man vom Ort auf die Höhe zu dem Haus des Dichters Angelos Sikelianos (Abb. 7b), öffnet sich die Sicht nach drei Himmelsrichtungen. Himmel, Licht und Wolken weiten sich über den Konturen der Gebirgszüge, und man liest auf dem Denkmal für Eva, Frau des Dichters, die Verse aus dem Drama „Sibylla“ von 1940:5 „Νότος, βοριάς, ανατολή καὶ δύση Μέγας σταυρός, κ’ πο πάνω του του ανθρώπου Το πνέµα βλέπω τώρα καρφοµένο. Μα θα λυθή, κι’ ο αγέρας που ανασαίνω Μεσ’ την ψυχή µου εγώ την ώρα τούτη Γιά όλες θα πνέψει τις ψυχές.“

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„Und du gelangtest nach Krisa am Fuß des beschneiten Parnassos, / Wo sich sein Hang nach Westen wendet, aber darüber / Hängt ein Fels und unten läuft die Tiefe des Waldtals / Rauh dahin“ (Übers. von Thassilo v. Scheffer). 3 DODWELL, 1819, 166. 4 „Diese Landschaft ist von Geist erfüllt! Sie ist erhebend und lyrisch! Nichts fehlt: der Schnee, die Berge, das Meer, die Schlucht, das Grün. Und was für ein Hintergrund!“ – MAAß, 1993, 20 (Zitate Dodwell, Flaubert und Sikelianos). 5 „Süden, Norden, Osten und Westen, ein großes Kreuz; und auf ihm sehe ich die Menschenseele angenagelt. Aber sie wird frei, und der Wind, den ich jetzt mit meiner Seele atme, wird für alle Seelen wehen“ (Übersetzung: Autor).

Delphi: Faszination und Akribie

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1. Faszination Ein Vergleich der französischen Grande fouille de Delphes (1893–1903) mit der deutschen Alten Olympiagrabung (1876–1882) deutet unterschiedliche Aspekte dieser kulturpatriotischen Prestigeprojekte an. Verschieden waren die Landschaften und die Arbeitsbedingungen, sanftes Hügelland in Olympia, dramatisches Felsengebirge in Delphi. Auch die Rekrutierung der Grabungsarbeiter war ortsspezifisch: Für die großen Erdbewegungen in Olympia kamen Arbeiter von weit her, in Delphi waren es hauptsächlich Ortsansässige, mit Unterstützung durch Feldbahntechnik. Die Funde von Architektur und Bauschmuck sind an Bedeutung vergleichbar, unvergleichlich ist dagegen der Reichtum von Bronzefunden in Olympia und der von Inschriften und Preziosen von Gold und Elfenbein in Delphi. In Olympia avancierte der Hermes des Praxiteles aus dem Heraion zum Liebling einer kunstliebenden Öffentlichkeit, in Delphi taten dies die Gruppe der sog. Tänzerinnen und die Statue des Antinous. Diese Vorliebe für die Eleganz der spätklassischen Bildwerke des 4. Jhs. und des kaiserzeitlichen Klassizismus wurde in den 1920er Jahren abgelöst durch eine höhere Wertschätzung der Werke des Strengen Stils, der Giebelfiguren in Olympia und des Wagenlenkers in Delphi. 1.1. Gipse Die Funde in Delphi wurden mit einer Auswahl von Gipsabgüssen prominenter Stücke in der Pariser Weltausstellung von 1900 präsentiert.6 Diese Sammlung delphischer Gipse war dann 1901 bis 1934 im Louvre (Éscalier Daru) aufgestellt (Abb. 2), die monumentale Rekonstruktion mit der Front

Abb. 2: Die Gipsabgüsse aus Delphi im Louvre, Escalier Daru, 1901–1934 (© bpk/ RMN - Grand Palais) 6

MAAß, 2010, 70, Abb. 13 (https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/weltausstellung 1900c/0267/image).

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des Siphnierschatzhauses ist links im Hintergrund über den Treppenstufen zu erkennen.7 Die Sammlung befindet sich jetzt in den Écuries des Schlosses von Versailles. Je eine weitere Ausführung des Siphnierschatzhauses war für das Museum in Delphi und die Sorbonne bestimmt. Letztere steht jetzt in der Universität von Strasbourg. Gipse nach Antiken waren im 18. und 19. Jahrhundert hochgeschätzt. Sie fielen dann seit den 1920er Jahren einer Geringschätzung zum Opfer, verehrt wurden stattdessen Originale, selbst an kleinen Fragmenten spürte man eine Aura von Authentizität.8 Abgusssammlungen gerieten in Vergessenheit, wurden vernachlässigt, z. T. auch aufgegeben. So auch die Rekonstruktion des Siphnierschatzhauses (Abb. 3) im alten Museum von Delphi.

Abb. 3: Delphi, Altes Museum, Ionischer Saal mit Skulpturen und Rekonstruktion des Schatzhauses der Siphnier, (Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege, Berlin, Abt. Meßbild, Neg. Nr. 19 g 29 / 1356.1)

Etwa seit den 1980er Jahren trat der historische und ästhetische Wert von Gipsabgüssen wieder in das Bewußtsein, man präsentiert wieder die erhaltenen Bestände.9 Gern würde man für eine allgemeinere Kulturgeschichte der 7

MARTINEZ, 2016, 27 Abb. 11 (Documentation du département des Antiquités grecques, étrusques et romaines du musée du Louvre, © Musée du Louvre). 8 Zur zeitgenössischen Kritik an der Präsentation im Louvre: JACQUEMIN, 2000, 401 Anm. 3. 9 MARTINEZ, 2016.

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Frage nach den Wirkungen der Grabungen in Olympia und Delphi im kulturellen Leben Deutschlands und Frankreichs nachgehen. Einige charakteristische Unterschiede scheinen hervorzutreten. Vor einigen eigenen Bemerkungen möchte ich auf die reiche Sammlung zur Rezeption der Delphigrabungen in bildender Kunst hinweisen, die Anne Jacquemin zusammengestellt hat.10 1.2. Rekonstruktionen Für den zweiten Band der Ergebnisse der von dem Deutschen Reich in Olympia veranstalteten Ausgrabung (erschienen 1892)11 zeichnete Baurat und Bauforscher Friedrich Adler die Rekonstruktionen. Diese stehen in der Tradition romantischer Landschaftszeichnungen (Abb. 4a). Für Delphi hat Albert Tournaire, Romstipendiat in der Villa Medici und Grabungsarchitekt in Delphi, Rekonstruktionen entworfen (Abb. 4b). Seine Kompositionen stehen für einen üppigen, akademisch geprägten Ausstattungsluxus der Belle Époque.12

Abb. 4a: Olympia, Philippeion, nach Adler (1896, © Universitätsbibliothek Heidelberg)

Abb. 4b: Delphi, Siphnierschatzhaus, nach Tournaire (1894, École nationale supérieure des Beaux Arts, © bpk/ RMN - Grand Palais)

1.3. Mode Die Funde der Grande fouille regten Mode und Musik an. Die fein plissierten Chitone der Koren des Siphnierschatzhauses inspirierten den Modeschöpfer

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JACQUEMIN, 2014. CURTIUS/ADLER, 1896, Taf. 131. 12 Collections des Beaux-arts de Paris, l’école nationale supérieure, Env 8407.10.12.13.15, hier: 84-10; PARIS-ROME-ATHENES, 1982, 290, Abb. S. 299. – Dokumentation: http:// www.ensba.fr/ow2/catzarts/rechcroisee.xsp?f=Ensemble&v=&f=Auteurfield&v= Tournaire%2C+Albert&e=&sf=Titredesignation_field . 11

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Mariano Fortuny zu dem berühmten Modell „Delphos“, das in verschiedenen Variationen von berühmten Diven des 20. Jahrhunderts getragen wurde.13 1.4. Musik Den Statuen der graziösen und geheimnisvollen sog. Danseuses, auf die wir noch zurückkommen werden, widmete Claude Debussy als Eröffnung seiner Préludes die Danseuses de Delphes (Abb. 5a–c).14 Meine Frage ist: Wie hängen hier antike Figuren und Musik zusammen? Die Rhythmik dieser Musik ruft ein mythisches Griechenland herauf und lässt die reich differenzierte Metrik altgriechischer Lyrik anklingen. Debussys Prélude ist langsam und feierlich gehalten. In Dreivierteltakten steigen die punktierten Rhythmen der ersten drei Takte zu einem Viervierteltakt auf, in dem die Aufwärtsbewegung innehält. Vor dem Schlag des dritten Viertels setzt mit weit gespannten Griffen der Hände eine Abwärtsfolge von Akkorden mit changierenden Tonarten ein. Diese Bewegung beginnt mit größeren Schritten und führt dann – wieder im Dreivierteltakt – mit kleineren Schritten zum Stillstand in einer etwas erhöhten Lage. Aus dunkel gefärbten Klängen kehrt dann die anfängliche aufsteigende Bewegung zurück.

Abb. 5a: Claude Debussy (Porträtphoto von Nadar um 1908, Wikimedia, gemeinfrei)

Abb. 5b: Die ersten Takte des Prélude der Danseuses de Delphes (docplayer.fr)

Abb. 5c: Gipsabguss der Danseuses, 1901–34 im Louvre ausgestellt (©: s. Abb. 10)

Hier erscheint zwischen Nadars Porträt des Komponisten und der Statuengruppe ein Notenbild der Anfangspartie mit den wechselnden Takten. Das ist keine Programm-Musik zu den Skulpturen, diese sind vielmehr Ursprung einer an Klängen und Rhythmen reichen Phantasie. Das delphische Motiv eröffnet die beiden Hefte der Préludes, die aus der Tradition der Cembalomu13 14

MAAß, 2010, 77 f. Abb. 16: Fortunys , getragen von Geraldine Chaplin. NECTOUX, 2008, 134–141.

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sik des 18. Jahrhunderts, von Bach und Rameau schöpfen. Das Marseillaisemotiv im Abschluss des zweiten Heftes verbindet diese Tradition mit republikanischem Kulturpatriotismus. Dass die Figuren in den wissenschaftlichen Diskussionen nicht mehr als Tänzerinnen gedeutet werden (vgl. Abschnitt 2.4), ist für die Musik nicht von Belang. Man mag hier ein fruchtbares Missverständnis sehen, doch geht es nicht darum. Vielmehr sind die Figuren Auslöser für einen freien künstlerischen Prozess, es geht um die Wirkung als Musik. 1.5. Öffentlichkeit: Photographie und Festveranstaltungen, Krieg und Frieden Photographien von Olympia und Delphi in den 1930er Jahren zeigen eine sehr entgegengesetzte Ästhetik, die von Ideologie und bedrohlichen Zeitläuften geprägt ist. Eine friedlich-bukolische Heiterkeit Olympias in den Aufnahmen von Walter Hege (Abb. 6a) sollte die „Teilnahme an der geistigen Vorbereitung der deutschen Olympiade des Jahres 1936“ fördern.15 Hege hatte mit seinen Aufnahmen der Naumburger Stifterfiguren ein großes Renommé erworben.

Abb. 6a: Der Zeustempel in Olympia (Walter Hege, 1935, © Bildarchiv Foto Marburg/Walter Hege)

Einen bezeichnenden Gegensatz dazu bildet die dramatische Atmosphäre in den Delphi-Aufnahmen, die Georges de Miré geschaffen hat (Abb. 6b).

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RODENWALDT/HEGE, 1936, Vorwort S. 7 und Taf. 18.

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Abb. 6b: Winterstimmung: Blick von Delphi zum Golf von Itea (Georges de Miré, in LA COSTE-MESSELIÈRE, 1957, Taf. 16)

De Mirés Aufnahmen entstanden in acht Monaten unter dem Eindruck des drohenden Krieges. Die Aufnahmen im Museum hätten im Fall von Zerstörung suggestive Erinnerungen an die Funde bewahrt, die zum Kriegsausbruch in der Erde geborgen und nach dem Krieg zum zweiten Mal wieder ausgegraben wurden. Georges de Mirés Arbeit ist wie eine Beschwörung kultivierter Traditionen, für die auch Angelos Sikelianos mit seinem delphischen Drama „Sibylla“ seine Stimme angesichts des drohenden Krieges erhoben hat,16 der nicht nur Bedrohungen und wechselnde Besetzungen, sondern auch Partisanenkämpfe nach Delphi gebracht hat.17 Das Andenken an die Kriegsereignisse gibt der supranationalen Idee des Friedens in Delphi ein besonderes Gewicht. Dieser Idee dienen das „European Cultural Centre of Delphi“ und das Mουσείο Δελφικών Εορτών (Museum of Delphic Festivals) im Haus des Dichters Angelos Sikelianos (Abb. 7a– c). Ursprung sind Initiativen des Dichters und seiner Frau Eva SikelianosPalmer, die Delphi nach antiken Vorstellungen zu einem geistigen, friedenstiftenden Zentrum für die Menschheit machen sollten. Politische Unterstützung erhielt diese Bewegung durch einen Parlamentsbeschluss, der ausländischen Institutionen das Recht zum Grunderwerb in Delphi erlaubte. Die Gründung des Europäischen Kulturzentrums Delphi, in dem sich auch die Konrad-Adenauer-Stiftung engagiert, erfolgte 1965.18

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JACQUIN, 1988, 205. BOMMELAER/PENTAZOS/PICARD, 1992, Delphes pendant la guerre, 244-249. SCOTT, 2014: 279 f. Abb. 13.4 und 13.5. 18 Aktivitäten: https://www.kas.de/de/web/griechenland . 17

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Abb. 7a: Plakat der Aufführung des Prometheus 1927 (www.idcworld.org – Public Domain)

Abb. 7b: Haus von Angelos Sikelianos, Delphi, jetzt: Museum of Delphic Festivals (© European Cultural Centre of Delphi)

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Abb. 7c: Relief mit der Darstellung des Dichters Angelos Sikelianos, Museum of Delphic Festivals, Delphi (Photo: Anne Jacquemin)

2. Akribie 2.1. Anfänge der Archäologie in Delphi Am Beginn der delphischen Archäologie steht der Besuch des Cyriacus von Ancona im Jahr 1436, der das Dorf Kastri mit Hilfe von Inschriften als das antike Delphi erkannte. In seinem anschaulichen Bericht erwähnt er das Theater, das Stadion als vermeintlichen Hippodrom, Gräber, Statuen und Inschriften. Der Nachwelt vermittelte er die Vorstellung eines runden Apollontempels, den er in den Resten, namentlich dem runden Sockel des Argivermonumentes erkannt zu haben glaubte – so wurden Rundtempel in der barocken Baukunst und Malerei zu einem Attribut Apollons, wie hier im Schlossgarten von Schwetzingen (Abb. 8).

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Abb. 8: Schwetzingen, Schlossgarten: Der Rundtempel als Attribut des Apollon in Renaissance und Barock (Photo: Autor)

Edward Dodwell erkannte in seinem Reisebericht von 1819 dann die rechteckige Tempelform auf römischen Münzbildern.19 Im neugegründeten Königreich Griechenland fanden Funde, zunächst aus den Nekropolen im Umkreis der antiken Stadt, einen Platz in den Sammlungen, die im Kloster der Panagia auf den Ruinen des antiken Gymnasions eingerichtet wurden (Abb. 9).20 Nach Beginn der Ausgrabungen wurde das Kloster zur Freilegung des Gymnasions abgebaut, die Fresken aus der Kirche kamen in das Byzantinische Museum zu Athen.

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DODWELL 1819, 176 f. MAAß 2010, 76 mit Anm. 42 S. 613. CHATZIDAKIS 2017, 63. Die richtige Vorstellung eines rechteckigen Tempels ist für die Darstellungen als Rundtempel vor dem 19. Jahrhundert nicht von Belang. 20 MAAß, 1993, 232 mit Anm. 7 und 2007, 102.

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Abb. 9: „Ruins at Delphi, in Phocis“, nach Dodwell 1834: Die Kirche der Panagia über dem antiken Gymnasion (© Universitätsbibliothek Heidelberg)

Eine Ausgrabung, die 1860–1862 Paul Foucart und Carl Wescher auch mit Unterstützung von Napoleon III. unternahmen, legte mitten im Dorf einen Teil der Tempelterrasse und -fundamente und darunter die Halle der Athener frei. Das Dorf Kastri wurde von seiner durch Erdbeben und Bergstürze heimgesuchten Lage auf seine jetzige Position verlegt, die mehr Sicherheit bietet. Wegen der Opfer durch die schrecklichen phokischen Erdbeben21 waren die Delpher zu einer Umsiedelung auf den weniger gefährdeten, westlich gelegenen Bergsporn bereit. Damit war das Heiligtumsareal für die Grabungen frei. Beginnen möchte ich den folgenden Überblick mit dem Tempelbau, insbesondere mit einigen Aspekten, die mir in der jüngsten Publikation von Amandry und Hansen mit den sehr lebendigen Darstellungen vom Baubetrieb Eindruck gemacht haben. 2.2. Der Apollontempel 2.2.1. Die vorklassischen Bauten Bis zum 8. Jahrhundert v. Chr. kennen wir nur Kultgegenstände – Weihgaben –, aber keinen Kultplatz. Es folgt dann der im homerischen Apollonhymnos gepriesene erste Steintempel der Architekten Trophonios und Agamedes. Zu diesem dürften Fundamentpartien innerhalb der Nachfolgerbauten und altertümliche, in der Brunnenanlage auf der Tempelterrasse wiederverwendete

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MAAß, 1993, 22 mit Anm. 9.

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Baureste gehören, die auf einen Tempelbau der Amphiktyonen nach dem sogenannten Ersten Heiligen Krieg22 zurückgehen könnten. Dieser Tempel brannte 548/47 v. Chr. ab. Erhalten sind von dem spätarchaischen Nachfolgebau, dem sog. Alkmeonidentempel, die gewaltige Terrassenmauer mit den kurvenpolygonalen Fugen, von Émile Bourguet als „puzzle des géants“ charakterisiert,23 weiterhin die Fundamente, die für den nächsten, den klassischen Nachfolgebau des 4. Jahrhunderts mit Abbruchmaterial des aufgehenden Bauwerks verstärkt und erweitert wurden. 2.2.2. Das Heiligtum als Dauerbaustelle Unsere Anschauung der Heiligtumsanlagen geht von den Rekonstruktionen eines jeweils vollendeten Zustandes aus. Wie aber sahen die Heiligtümer tatsächlich aus? Über viele Jahrzehnte um 500 v. Chr. und im 4. Jahrhundert v. Chr. war der Tempel Baustelle. Außerdem gab es die Baustellen zur Errichtung von Denkmälern und kleineren Bauten, aber auch wiederholt die Großbaustellen wie für die Aitolerhalle, die Attaloshalle, das Theater, später noch große Reparaturen nach Schäden am Tempel. Den Eindruck für die Besucher des Heiligtums in dessen Blütezeit möchte ich mit Manolis Korres illustrieren, in seiner Bildergeschichte von Bauarbeiten auf der Athener Akropolis.24 2.2.3. Der Neubau nach dem Schaden von 373 v. Chr. 2.2.3.1. Die Schäden von 373 v. Chr. und die Verwertung alter Bauteile Wohl für das Jahr 373 v. Chr. ist ein schweres Erdbeben mit einem Tsunami bezeugt, das die Städte Helike und Bura auslöschte, und das auch zu Verschiebungen und Absenkungen des Terrains in Delphi führte. Wenig später beginnen die in Steininschriften erhaltenen Abrechnungen für die Erneuerung des Tempels. Früher glaubte man, der Tempel sei zusammengestürzt wie ein Kartenhaus, doch urteilt Erik Hansen auf der Grundlage baustatischer Erwägungen und wegen des guten Zustandes der systematisch weiterverwendeten Bauglieder, dass er planvoll demontiert werden konnte. Der Bau kam also durch das Beben zwar nicht zu Fall, doch konnte er so nicht gehalten werden.25 Die erste Aufgabe für den Architekten war eine Schadensaufnahme und die Prüfung,

22 Zu der modernen, aber historisch unrichtigen Benennung des Krieges mit den traditionellen Daten von 595 v. Chr. bis 585 v. Chr. s. P. Sanchez in diesem Band, 238–242. 23 BOURGUET, 1914, 272. 24 KORRĒS, 1992, 46 f. Nr. 19, Abb. S. 47 (Baustelle); Nr. 7.9.11–18: Steinbrucharbeiten und Transport. 25 AMANDRY/HANSEN, 2010, 157–169, insbesondere 166 Abb. 2,9. SCOTT, 2014, 244.

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was die Ruine für einen Neubau und andere Bauvorhaben noch hergeben konnte. Die Fundamente hatten wegen der Bewegungen und Terrainsenkungen nachgegeben und mussten für den Neubau saniert werden. Nach dem Urteil Erik Hansens bot der nicht eingestürzte Bau mit klaffenden Fugen und verwundenen Baulinien ein sehr prekäres Aussehen. Dass auch die Sphinxsäule der Naxier bis in die Spätantike stehen geblieben war, also das Erdbeben von 373 v. Chr. überstanden hat, spricht dafür, dass der Tempel nicht eingestürzt war. Die genaue moderne Vermessung der Tempelruine führte zu dem Schluss: Für den Neubau wurde die Euthynterie im Norden abgearbeitet, um einen Ausgleich zu den abgesackten Fundamenten an der Südseite zu erreichen. Die Westseite war am stärksten mitgenommen, daher wurden die oberen Schichten mit Abbruchmaterial, darunter auch Marmor, neu versetzt und die gefährdete Südwestecke wie mit einem Bollwerk gesichert. Im Rahmen dieser Fundamentsanierung wurden auch leichte Erweiterungen des Baus in seiner Längsrichtung angestückt. Erik Hansen behandelt in dem Band über diesen Tempelbau auch die logistischen Probleme von Abbau und Wiederverwendung. Sehr anschaulich stellt er sich einen großen Bauplatz vor, wohin die Steine gebracht und für die Wiederverwendung planvoll sortiert werden konnten. Dieses Bild entspricht den Wünschen eines Architekten, der vor einem solchen Auftrag steht. Mir scheint aber, dass die Verhältnisse im vorhandenen Baubestand weniger komfortabel und mehr Improvisation nötig und möglich war. Das Material vom aufgehenden, beschädigten Bau wurde zu einem großen Teil für die Verstärkung des vorhandenen Fundamentes an der SW-Ecke verwendet, hier haben wir die am besten erhaltenen Säulentrommeln des alkmeonidischen Tempels. Das Abbruchmaterial fand aber auch anderwärts im Heiligtum, etwa für Stützmauern, Verwendung. 2.2.3.2. Bauholz Von der eindrucksvollen Vorlage des klassischen Tempels durch Pierre Amandry und Erik Hansen möchte ich noch ein Problem anführen, in dessen Erörterung wir Bauforschung, Altphilologie, Forstwirtschaft und Zimmermannsbegriffe auch aus dem Deutschen kombiniert finden. In den Bauakten sind µεσόδµαι aus makedonischem Holz verrechnet. Die Bauabrechnungen notieren zu deren Herstellung eine Sägeleistung von 1729 Fuß Länge:

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Μ]ακεδονικῶν µεσοδµᾶν διαπριώσ[ιος ποδῶ]ν χιλίων ἑπτακατ[ίων ἴκατι] ἐννέα.26

Die so gespaltenen Balken hätten also die doppelte Länge von 3458 Fuß ergeben, ausreichend für ca. 50 Paare von Dachsparren. Hier müssen wir allerdings eine Einschränkung machen. Fraglich erscheint, ob aus der Gesamtlänge aller Sägeschnitte die Länge der entsprechenden Balken gefolgert werden kann, denn je nach Dicke des Baumstammes und der geplanten Balkenstärke könnten nicht nur an einer, sondern an mehreren Seiten der Balken Schnitte erforderlich sein: Die Gesamtlänge würde sich entsprechend reduzieren. Die bisherige Diskussion behandelt den bautechnischen Terminus µεσόδµαι. Den Ausdruck erklärt Erik Hansen (nach sehr eindrucksvollen Abschätzungen der Dachlasten) mit einer sehr ansprechenden Etymologie, mit dem deutschen Zimmermannswort Halbholz, er nimmt dazu die Verwendung als Sparren an.27 Halbholz beschreibt die Spaltung eines etwa quadratischen Balkens zu zwei schmaleren Balken (die weitere Spaltung ergäbe das sog. Kreuzholz). Diese etymologische Erklärung des griechischen Terminus steht aber im Widerspruch zu den Erwähnungen in der antiken Literatur, insbesondere zu den bestimmten Definitionen bei den Lexikographen,28 wo es bei dem Verständnis des Wortes nicht um die vorbereitende Sägearbeit, sondern um die Funktion im Bau geht. Wichtig sind die Zeugnisse über µεσόδµαι, die auf Säulen gelegt werden, vor allem die technischen Beschreibungen in den antiken Lexikographen, die µεσόδµαι nicht als Sparren in einem Dreiecksbinder sehen, sondern als Zugbalken, der auch die Decke tragen kann. Nach Bauinschriften, Etymologie und Lexikographie sind die µεσόδµαι also eher als Zug-Balken in einem Dreiecksbinder zu verstehen, kaum dagegen als Balken, die durch die Längsschnitte von Baumstämmen mit der Säge gewonnen wurden. Die Inschriften verzeichnen noch Ausgaben für Zypressenholz (wahrscheinlich für Türen) und für 571 Balken von Fichtenholz. Das müssen im Vergleich zu den Binderbalken, d. h. den Sparren und Zugbalken, kürzere Stücke gewesen sein, die wegen ihrer großen Zahl wohl auf die Kassettendecke zu beziehen sind. Der Vergleich mit den Formen von steinernen Kassettendecken und die Angaben zu den Holzlieferungen ergeben verschiedene

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DITTENBERGER, 1915, 420, Nr. 248 III 9. BOURGUET 1932, 159 Nr. 41, Kolumne III. AMANDRY/HANSEN, 2010, 443 f. Die Inschrift ist im lokalen, also phokischen, Dialekt verfasst. 27 AMANDRY/HANSEN, 2010, 444. 28 ORLANDOS/TRAULOS, 1986, 176: s.v. µεσόδµη.

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Optionen von Rückschlüssen auf die Maßverhältnisse und Gestaltung der Decke.29 2.2.3.3. Steinbrüche und Transportkosten In die Logistik des Tempelbaus geben die Baurechnungen einen vielfältigen Einblick. So eindrucksvoll die Steinbrucharbeiten gewesen sein müssen, in den Rechnungen für die Steinbeschaffungen des Hauptbaumaterials, des weichen Poros aus der Gegend von Korinth mit der Fracht über den Golf, machen die Steinbrucharbeiten nur 1/20 der Gesamtkosten aus. Jean Bousquet hat die Kostenverhältnisse von Arbeiten im Steinbruch, auf den Transportwegen zu Land und zu Wasser und auf der Baustelle erschlossen,30 Erik Hansen hat das Verhältnis mit einer cartoonartigen, überaus anschaulichen Illustration und mit einem Kosten-Diagramm anschaulich gemacht: Steinbrucharbeiten, Land- und Seetransporte bis zur Baustelle machen etwa drei Viertel der Kosten je Block aus, die Arbeit auf der Baustelle nur etwa ein Viertel.31 Dieser weiche Poros von Lechaion bei Korinth war nicht für alle Bauglieder geeignet. Widerstandsfähigere, härtere marmorartige Kalksteine für Stufenbau und Sockelbereich wurden aus neu erschlossenen Steinbrüchen in der Umgebung des Heiligtums gewonnen.32 Auch hier veranschaulicht Manolis Korres’ Bildergeschichte von dem Parthenonkapitell die eindrucksvollen maschinellen und körperlichen Leistungen, die für solche Bauvorhaben aufgebracht wurden. 2.2.3.4. Die letzten Reparaturen33 Die Bauglieder des klassischen Tempels aus dem Poros der Gegend von Korinth sind in sehr schlechtem Zustand erhalten. Im oberen Bereich des Baues ist die äußere Form von Kapitellen und Säulentrommeln weitgehend durch Brandhitze weggeglüht, was die Reparatur beeinträchtigen musste (Abb. 13). Das muss ein Feuer gewesen sein, das mit schweren Schäden auch in unteren Partien stärker als nur ein Dachstuhlbrand war. Diese gründliche Zerstörung führte Amandry auf eine systematische Brandstiftung zurück, doch ist diese 29

Diesen Abschnitt möchte ich nicht ohne Dank für die Diskussionen mit Wolf Koenigs abschließen, der mir bei dem Umgang mit Problemen von Baubefunden beigestanden hat. 30 BOUSQUET, 1988, 63 f. Jährlich wiederkehrende Posten und vergleichbare Kosten helfen bei Lesung und Ergänzung von Fragmenten. 31 AMANDRY/HANSEN, 2010, Abb. S. 464. 465. 32 AMANDRY, 1981, 714–721. MAAß 1993, 40 f. mit Abb. 14. AMANDRY/ HANSEN, 2010, 175–177 Abb. 2. 22. BOMMELAER/LAROCHE, 2015, 291–293 (mit weiteren Verweisen). 33 AMANDRY/HANSEN, 2010, S. 148.149: Abb. 1.2; 1.3.4 (Erdbeben spätantik); 412 Abb. 17.3; 427 Abb. 17.16 (letzte Reparaturen am klassischen Tempel).

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Erklärung nicht unbestritten. Jedenfalls hat man zur Reparatur die verlorenen äußeren Schichten mit Ergänzungen aus armiertem Putz mehr oder weniger wiederhergestellt, wie etwa an einem Kapitell und an Friesteilen zu sehen ist, wobei die Friesblöcke für einen etwas tiefer gesetzten Dachstuhl zurechtgeschnitten wurden.34 Das war, trotz aller Einschränkungen, eine große Baumaßnahme, die man wohl auf eine inschriftlich bezeugte Reparatur durch Cn. Claudius Leonticus, Proconsul von Achaia unter Kaiser Septimius Severus oder Caracalla, beziehen möchte. Wir wissen aber nicht sicher über das Datum und das weitere Schicksal dieser Wiederherstellung Bescheid. Das gewaltige, von einem Tsunami begleitete, von Ammianus Marcellinus geschilderte Erdbeben (Res gestae 26, 10, 15–19) im Jahr 365 hat sicher auch Schäden in Delphi verursacht,35 zu denen der Befund von Verschiebungen und Absenkung des Terrains gehören dürfte. Das sogenannte letzte Orakel berichtet vom Einsturz der „kunstreichen Halle“ und vom Ende des Kultes. Kaiser Julian habe dieses Orakel zu seinen Bemühungen, die alten Kulte wieder zu beleben, eingeholt. „Εἴπατε τῷ βασιλεῖ· χαµαὶ πέσε δαίδαλος αὐλά. Οὐκέτι Φοῖβος ἔχει καλύβαν, οὐ µάντιδα δάφνην, Οὐ παγὰν λαλέουσαν, ἀπέσβετο καὶ λάλον ὕδωρ.“ „Sagt dem Kaiser: Gestürzt ist die prunkvolle Halle. Phoibos hat nicht mehr sein Haus, nicht mehr den seherischen Lorbeer, nicht auch die weissagende Quelle. Des Wassers Rede ist versiegt.“36

Man würde diesen negativen Bescheid mit dem Ruin des Tempels gern mit dem Erdbebenereignis verbinden, doch trat dieses erst zwei Jahre nach dem Tod des Kaisers ein. Das alles lag zudem schon vor der Geburt des Philostorgios, des Gewährsmannes für diesen Spruch, dessen Motive und Urheberschaft doch widersprüchlich und fiktional erscheinen. 2.3. Werke der Bildhauer Anschließen möchte ich Erkenntnisse zu Werken von Bildhauern, mit denen unsere Vorstellungen über das 4. Jahrhundert wichtige Ergänzungen und Korrekturen erfahren haben.37 Mit Akribie hat Francis Croissant das alte Rätsel der Giebelfiguren des klassischen Tempels gelöst.38 Die klassischen 34

AMANDRY/HANSEN, 2010, 412 Abb. 17.3; 427 Abb. 17.16. SCOTT, 2014, 244. 36 Näheres: GREGORY, 1983, MAAß, 1993, 17 f. Anm. 79–81. SCOTT, 2014, 243. 37 Die Deutungsfragen um die Giebelfiguren und die Akanthussäule (hier nach dem Forschungsstand von 2017) dürften mit noch unpublizierten Arbeiten von Anne Jacquemin und Didier Laroche eine neue Richtung bekommen. 38 CROISSANT, 2003. 35

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Giebelfiguren glaubte man beinahe ein Jahrhundert lang verloren, mit einer Erklärung, die nicht ausnahmslos zutraf: Sie gehörten nicht zu den Werken, deren Abtransport von Delphi nach Rom pauschal erwähnt wird. Schon lange hatte man einen monumentalen Torso beachtet, einen Fund aus dem westlichen Bereich am Tempel. Es ist eine männliche Gestalt, die eine Kithara hielt, deren Ansatz im Bruch noch erkennbar ist. Zum Auftritt mit diesem Instrument gehört als Gewand der Chiton. Francis Croissant konnte dem Torso den Kopf mit einer Binde anpassen. Die durch die Zusammensetzung erschlossene Deutung überrascht: Die Binde verweise auf die Ikonographie des Dionysos, der hier der Erscheinung des Apollon angeglichen sei, umgeben von den bewegten nur sehr fragmentarisch erhaltenen Gestalten der Mänaden. Der pentelische Marmor als Material und die Meißelarbeit verbinden diese Statue mit scheinbar hoffnungslos zerstückten Fragmenten einer anderen Figur, deren Zusammensetzung aber Francis Croissant gelang. Das war die Mittelfigur des Ostgiebels mit einem Sitzenden, in dem man Apollon als Herrn des Heiligtums erkannte. So traurig die Lücken in der Ostgiebelfigur auch sind, die man bis dahin für kaiserzeitlich gehalten hatte, so waren doch damit die beiden Hauptfiguren des Ost- und des Westgiebels gefunden, wie auch der Hinweis auf das Programm, in dem die beiden göttlichen Herren des Heiligtums, Apollon und Dionysos, und ihr Gefolge vergegenwärtigt waren. 2.4. Die Akanthossäule mit den sog. Tänzerinnen Ein weiteres Bündel von Rätseln betrifft Heiligtumstopographie, Kult- und Kunstgeschichte, sowie die Akanthossäule mit den sog. Danseuses de Delphes.

Abb. 10: Die sog. Danseuses als Gipsabguss, 1901–1932 im Louvre ausgestellt, neuerdings restauriert (© 2016 Musée du Louvre/ Hervé Lewandowski)

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Unweit des Schatzhauses von Kyrene fand man die Marmorbruchstücke einer Säule, die als Pflanzenstengel mit Akanthoslaub stilisiert ist. Sie trug die Gestalten von drei jungen Frauen in kurzen Chitonen, die vom Wind bewegt erscheinen (Abb. 10). Die kurzen Gewänder sind für Tänzerinnen typisch. Marcadé und Croissant haben sie „caryatides aériennes, dont le rôle était moins de supporter un fardeau que d’abolire la pesanteur“ („luftleichte Karyatiden, deren Haltung weniger das Tragen einer Last als deren Schwerelosigkeit darstellt“) genannt;39 nicht der Tanz, sondern der Wind scheint die Gewänder zu bewegen.40 Welche mythischen Gestalten mit diesen Frauen gemeint sein könnten, ist noch nicht geklärt. Das inhaltliche Motiv wird erklärt als „Tripodophorie“, die große Festgesandtschaft mit der Weihung eines Dreifußes aus Athen,41 den drei graziöse Karyatiden präsentieren. Ungewöhnlich ist das dreiseitige Kapitell, mit dem die drei Figuren korrespondieren, denn sie waren von den Beinen des schlanken Dreifußes umfangen, dessen Becken sie mit jeweils ihrem rechten Arm stützten. Die Säule setzt sich mit Akanthusblattkränzen fort, die als Stützen der Frauenfiguren und als Träger einer Auflast dienen. Die Wölbung der erhobenen Handflächen entspricht der Mulde des Dreifußbeckens. Hier hat Pierre Amandry angesetzt und gesehen, dass ein berühmter Fund verkannt geblieben war.42 Es ist eine früher für römisch gehaltene Marmornachbildung des Omphalos, des Mittelpunktes der Erde in Delphi, mit der Umhüllung durch ein Wollbindennetz (Agrenon). Die Unterseite des Werkstücks ist nicht plan und horizontal, sondern zeigt die leichte Rundung des Dreifußbeckens, passend zum Auflager, das die Figuren zeigen. Der Dreifuß diente also als Träger dieses Omphalos. Mit dieser Anpassung rückt das Datum auch dieses Steins aus der römischen Kaiserzeit in die Zeit des klassischen Tempelbaus. Das Monument dokumentiert die Rolle Athens, von dessen Namen einige Buchstaben auf der zugehörigen Basis erhalten sind, auf der auch ein delphischer Bauunternehmer genannt ist, den wir von der Bauausführung der Heiligtumsmauer kennen. Die Geschichte der nicht zutreffenden oder unsicheren Deutungsversuche können wir nur leicht berühren. Der Akanthos wurde als Silphion, eine von Kyrene exportierte Pflanze, erklärt, bei dessen Schatzhaus die Funde gemacht wurden. Diese Erklärung ist aber wegen der Erwähnung Athens in der Inschrift der Basis hinfällig. Wichtig wurde der Fundort in anderer Hinsicht: Die Ausgräber hatten den Sturz der Säule durch das Beben von 373 v. Chr. angenommen, das den archaischen Tempel zerrüttet hatte, doch führen die Situation der Säulenbasis und der 39

MARCADE/CROISSANT, 1991, 89. BOMMELAER/LAROCHE, 2015, 240 f.: „C’est le vent et non une danse qui fait bouger les plis des tuniques.“ 41 BOUSQUET, 1964, 666. 42 MARTINEZ, 1997. 40

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Fund der Marmore auf hohen Verschüttungen im Heiligtum zu dem Schluss, dass diese Säule – wie die Sphinxsäule der Naxier – bis zum Ende des Heiligtums erhalten geblieben ist. Mit der Datierung durch den Bauunternehmer der Heiligtumsmauer entfällt die früher diskutierte, auch sonst problematische Verbindung mit der doch zeitlich vorhergehenden praxitelischen Kunst. 2.5. Halos oder Agora – Dreschplatz oder Volksversammlungsplatz? Apollontempel, Orakel im Tempel und Altar dominieren baulich und symbolisch das Heiligtum. Die Versammlung von Bau- und Denkmälerweihungen gruppiert sich locker, den Bedingungen des Geländes und der Erschließung durch Wege entsprechend, um dieses architektonisch mächtige Zentrum. Ein freier Platz darunter bildet ein Nebenzentrum, das einen gewissen Gegensatz zu den zentralen Bauten bildet. Benachbart sind das Buleuterion, das Rathaus der Stadt, und das Prytaneion, der Amtssitz der Verwaltung. Für die Funktion dieses freien Platzes in dem sonst dichtgedrängten Heiligtum zog man als Erklärung die Überlieferungen von der Heiligen Tenne, der Halos, heran. Auf der Halos fanden alle acht Jahre Kultspiele statt, die den Gründungsmythos mit dem Sieg Apollons über den Drachen Python mit Ritualen feierten, die schon für die antiken Erklärer rätselhaften Charakter hatten. Der erstaunliche Fund von kostbaren Weihgaben aus Gold, Silber, Elfenbein und Bronze, die in dem berühmten Bothros, einer Weihgabengrube unter dem Platz, gefunden worden waren, schien die Bedeutung des Platzes in dieser Frage zu bestätigen. Gegen diese Lokalisierung der Halos spricht allerdings die Überlieferung von dem Festzug, mit einem Weg von der Halos bis zum Altar: Das wären nur wenige Schritte, zu kurz für Teilnehmer und Zuschauer. Anne Jacquemin und Didier Laroche haben die umliegenden Baureste analysiert und daraus eine Lösung dieses Problems gefolgert.43 Außer dem Prytaneion und dem Buleuterion nehmen ein Denkmal am Südwestrand, die sog. Exedra Nr. 210, und eine Steinsetzung bergwärts unter der Athenerhalle auf das Areal Bezug. Die sog. Exedra Nr. 210 hat eine Rundung, welche die Rückseite einer mächtigen Dreifußbasis umfing. Diese Rundbasis gehört nach einem bauzeitlich typischen Kalkstein und dessen Bearbeitung in das 5. Jahrhundert v. Chr. Sie wurde nachträglich an der Rückseite halbrund mit einer Konstruktion aus Konglomeratgestein mit Pi-förmigen Klammern hinterfangen. Von dem Platz, auf den dieses Monument mit einem wohl sechs Meter hohen Dreifuß ausgerichtet war, geben Baureste unter der Athenerhalle eine Vorstellung, die zu der älteren, voralkmeonidischen Tempelterrasse gehören. Es handelt sich um eine große ovale Anlage, von der einige Stufen unter dem westlichen Ende der Athenerhalle und eine Steinreihe unter dem Inneren der Halle als Platzbegrenzung erhalten sind. Der so vorstellbare Platz ist ausrei43

JACQUEMIN/LAROCHE, 2014.

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chend für eine Volksversammlung. An das Dreifußmonument erinnert wohl ein Wandbild aus Herculaneum, wo ein überhoch-schlanker Dreifuß von Eroten mit Attributen Apollons umspielt wird. Die ovale Platzbegrenzung wurde dann aber nicht lange nach 480 v. Chr. durch die Athenerhalle überbaut. Damit wäre eine Lokalisierung der Halos an einem anderen Ort gegeben. Einen Dreschplatz wird man am Rand einer Siedlung annehmen, möglichst frei und luftig für die Arbeit mit der Kornschwinge gelegen – das wäre im Bereich des heutigen Ortes. 2.6. Erweiterungen und Umgebung des Heiligtums Heiligtumsgrenzen und -umgebung sind ein Thema, das in Zusammenarbeit von französischen und griechischen Kollegen in den letzten Jahrzehnten beachtlich weiter entwickelt wurde. Der heilige Bezirk war durch das Karree der Umfassungsmauer für die alkmeonidische Anlage bis zum Ende des Apollonkultes fixiert, danach nahm das profane Leben die Anlagen in Beschlag. Von zwei Erweiterungen ist zu berichten, mit denen das Heiligtum gefördert wurde: Im Südwesten steht die langgestreckte Halle der Aitoler, und den Nordosten dominiert der Bezirk mit der Halle Attalos’ I., eine Anlage vergleichbar mit denen am Burgberg von Pergamon, wohl von einem dortigen Architekten entworfen, der als bautechnische Neuerung gewölbte Substruktionen und einen mächtigen Graben als Schutz vor Wasser und Felslawinen nach Delphi brachte. Ein hervorragendes Bauprojekt seiner Zeit war das Gymnasium (Abb. 9), 44 das mit seiner gedeckten Laufbahn und seinen Wasch- und Badeanlagen den Rang der antiken Stadt zeigt. Das Publikumsinteresse ist auf das Heiligtum des Apollon, daneben auch auf das der Athena in der Marmaria fokussiert. Zur Tholos gibt es inzwischen eine neue Rekonstruktionszeichnung, die auch die Akroterfiguren auf dem Dachrand und die Bekrönung des Dachkegels mit einem mächtigen floralen Aufsatz präsentiert.45 Bevor der Athena-Tempel – schon bald nach seiner Freilegung 1903 – von gewaltigen Felsbrocken zerschmettert wurde, konnte eine alte Aufnahme den Zustand der Freilegung noch dokumentieren.46 Die Wohnstadt und die Nekropolen wurden zunächst eher ‚stiefmütterlich‘ behandelt, obwohl dort die ersten Funde noch vor den Heiligtumsgrabungen verzeichnet wurden: Die ersten neuzeitlichen Delphibesucher47 sahen an ihrem Weg Felsengräber, die heute etwas abseits von gewöhnlichen Besichtigungsmöglichkeiten liegen. 44

DODWELL, 1834, Taf. 34 („Ruins at Delphi, in Phocis“). BOMMELAER/LAROCHE, 2015, 87 Abb. 13. 14. 46 BOMMELAER/PENTAZOS/PICARD, 1992, 216 f. Abb. 113. 114. 47 Reiche Dokumentation über die frühen Besucher: HELLMANN, 1992, 14–54. 45

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Zu den schon vor den systematischen Grabungen beachteten Funden zählt eine leider einem Straßenbau geopferte Felsgrabscheintür, im Volksmund genannt „Logari“, die Reliefstele eines Athleten und der 1842 publizierte Meleagersarkopag.48 Zu diesem Areal von Funden, der Nekropole östlich der Stadt, ist zu bemerken, dass die Grande fouille de Delphes 1892 vertraglich auf das Heiligtumsareal beschränkt war. Daher ist das Verhältnis von Heiligtum und umgebender Stadt noch nicht sehr lange in den Blick gerückt. Zu dem Umfeld von Heiligtum und Stadt gehören außer den Nekropolen auch Befestigungsanlagen des 4. Jahrhunderts und Steinbrüche in nächster Nähe und in der weiteren Umgebung. Erstaunlich ist die kühne Lage des Stadions, das aus dem steilen Felsenhang gewonnen wurde (Abb. 11) und der noch oberhalb liegenden Steinbrüche.

Abb. 11: Das Stadion über dem Heiligtum, Aufnahme Thomas Goldschmidt, © Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Die Grabungs- und Untersuchungsmethodik ist seither in Detailgenauigkeit so weiterentwickelt worden, dass der ingenieurmäßige Feldbahntransport großer Grabungsschuttmassen wie in der Grande fouille nicht mehr zu denken ist. Die Höhe der Schuttmassen über dem antiken Niveau ahnt man bei dem bekannten Photo, das die partiellen Freilegungen vor der Grande fouille dokumentiert.49 48 49

MAAß, 1993, 70–73 Abb. 28–30. JACQUEMIN, 1992, 153 Abb. 66. MAAß, 1993, 175 Abb. 81.

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Ziel der Grande, von den Nachkommen dann auch Ancienne fouille genannten Grabung von 1893 bis 1903 war das Gesamtbild des Heiligtums in seinen Glanzzeiten, mit seinen Bauten und den überraschenden und publikumswirksamen Funden, ein Kraftakt unter dem Druck der vertraglichen Grabungszeit von zehn Jahren und unter Einhaltung der bewilligten Mittel. Für die Akribie moderner Methoden hatte sich aber ein Reservat unter dem ausgedehnten Pfeilerfundament des Weihgeschenks der Rhodier mit dem Viergespann des Sonnengottes erhalten. Hier gab es Schichten, die unter dem Bauwerk unberührt geblieben waren. Abbau und Neuzusammensetzung zur bautechnischen Konsolidierung dieser Fundamente gaben Gelegenheit, diese Schichten genauer zu untersuchen, die eine reiche Ausbeute von Befunden enthielten: Hausbauten aus drei Phasen vom 8. bis 6. Jahrhundert, durch Katastrophen zerstört und mit Verfüllungen erhalten.50 Dabei handelt es sich um abgeräumte Weihgaben, die aus dem angrenzenden Heiligtumsareal stammen. Dieses wurde nach der datierenden Keramik um 580/570 v. Chr. in den bis dahin bewohnten Bereich erweitert und mit einer stattlichen kurvenpolygonalen Mauer abgegrenzt. Die Anlagen der römischen Zeit, Stadtvillen, Bäder und Grabbauten, sind in den letzten Jahrzehnten stärker in das Interesse gerückt.51 Der Ort blieb dann noch bis in das 7. Jahrhundert besiedelt, erhielt stattliche, mosaik- und marmorgeschmückte Kirchen und bescheidene Einbauten von Wohnungen und Werkstätten in den römischen Stadtvillen. Bis zum Besuch des Cyriacus von Ancona im Jahr 1436 gibt es keine direkten Zeugnisse mehr zu Delphi selbst. Wir wissen nicht, seit wann der Ort nicht mehr Delphi, sondern Kastri hieß. Nach den Bulgareneinfällen im 10. Jahrhundert sind Albaner in die Gegend eingewandert, die sich teilweise hellenisiert, aber ihre Sprache auch lange Zeit bewahrt haben, denn Dodwell hebt bei seinem Besuch in Delphi die Zweisprachigkeit des sehr ärmlichen Ortes hervor. Lokales Zentrum wurde das etwas tiefer gelegene Chryso, Residenz des Bischofs von Salona (antikes und heutiges Amphissa), dessen Gastlichkeit uns Dodwell in seinem Reisebericht illustriert (Abb. 12).52

50 LUCE, 1991/1992/1993. MAAß, 1996, 135–148, Funde aus Häusern des 8. Jahrhunderts: 138–141, das von ca. 570 v. Chr.: 140 f. LUCE, 2008, zusammenfassend dort: fasc. 13,1: 82–83 und fasc. 13,2: pl. 1–3 und 5. 51 DEROCHE/PETRIDIS/BADIE, 2014. 52 DODWELL, 1821, 156.165 Abb. S. 157 http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/dodwell1821/0011/ image?sid=515f82473a18509119a5046436bf962f .

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Abb. 12: “Dinner at Chrisso“ DODWELL, 1821, Bd. I, S. 156 f., © Universitätsbibliothek Heidelberg

3. Dank (Epilog) Motiviert haben mich zu den vorangehenden Ausführungen meine Faszination und die bewunderungswürdige, erkenntnisreiche Akribie von „Kollegen und Freunden am Parnaß und von der anderen Seite des Rheins“ – so lautete auch schon die Widmung meines Buches über Delphi von 1993; das Vorhaben hatte mir Erika Simon bei dem Herausgeber weitergegeben. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft zeigte sich damals generös bei den Kosten der Bildbeschaffung, etwa für die suggestiven Aufnahmen von Nikos Kontos … 53 Die Arbeiten gaben mir Gelegenheit, Pierre Amandry, Claude Rolley, Anne Jacquemin und Didier Laroche dankbar und freundschaftlich näher zu kommen. Das Buch spielt in meiner beruflichen Biographie eine besondere Rolle. Es fand Beachtung bei meinem Dienstherrn im Badischen Landesmuseum, Harald Siebenmorgen, und wurde Grundlage für eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem griechischen Antikendienst und der École française in Athen – als Fortsetzung dieser Partnerschaft folgte das größere Ausstellungsprojekt „Im Labyrinth des Minos – Kreta, die erste europäische Hochkultur“.

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MAAß, 1993, 317.

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Abb. 13: Delphi, Apollontempel im Juni 1994, Aufnahme Thomas Goldschmidt © Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Dazu möchte ich die Aufnahmen hervorheben, die Thomas Goldschmidt, Museumsphotograph, für dieses und andere Ausstellungsprojekte angefertigt hat. Davon sind in diesem Beitrag zu Beginn die Panorama-Aufnahme, dann auch das Stadion und zum Abschluss hier der Tempel gezeigt (Abb. 13).

Learning from Delphi1 Provisional Thoughts on Interdependencies of Storytelling on the Siphnian Treasury and the Athenian Parthenon Vinzenz Brinkmann, Ulrike Koch-Brinkmann 1. The Gods’ Two Factions on the East Frieze of the Siphnian Treasury at Delphi Investigating the polychromy of Archaic architectural sculpture in Delphi 37 years ago, we became aware that numerous name inscriptions, applied with colour on the background of the north and east frieze of the Siphnian Treasury, had either not yet been detected or misunderstood.2 At the time we were able to prove that every person depicted on the friezes is named in perfectly readable letters so that the narration of the two mythical episodes can easily be perceived. Moreover, we saw that several names of the giants fighting against the Olympian gods on the north side of the small (but richly decorated) temple-like marble building were telling names – indicating the character of the acting person. Personal names of giants on the Treasury like Ephialtas (‘nightmare’) or Hyperphas (‘oversized’) rarely or never appear – as far as names are preserved – anywhere else in Greek art or texts.3 Still, it took us a moment to fully comprehend the narrative sequence and content of the split action on the east frieze. On the left half the Olympian Gods are gathered in an assembly, which is divided in two parties facing each other, while the right half shows a monomachy of two male warriors, who are accompanied each by a helper and a chariot together with its charioteer. The fragmented name inscription ΑΨΙΛ... on the base line underneath the feet of Zeus eventually turned out to be the clue to solve the riddle. As soon as it became clear that all the names on the Treasury friezes were written in the Western Greek alphabet, the letter combination ΑΨΙΛ... could be identified as Achilles. This helped to fill the lacuna in the center of the assembly of gods: here, a rep1 The authors express their gratitude to Dimitrios Pandermalis, Ian Jenkins and Raphaël Jacob for their substantial support. 2 See BRINKMANN, 1994; BRINKMANN, 1985. 3 For the giant Ephialtes see Apollod., Bibl. 1.37 [= 1.6.2] and Hyginus, Fabulae Praef. 4.

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resentation of the famous psychostasia of the souls of Achilles and Memnon can be assumed, while the two heroes themselves are fighting against each other on the other half of this picture/frieze (fig. 1).

Fig. 1: East frieze of the Siphnian Treasury at Delphi, reconstruction on the base of the preserved colour traces including painted name inscriptions, Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, inv. St.P 698a-d

A subsequent observation led to the final understanding of the strict political order in which the divine assembly as a whole is depicted (fig. 2):

Fig. 2: Detail of fig. 1 showing the assembly of the Olympian Gods, divided in the pro-Trojan and pro-Achaean faction, with indication of the participants’ identity.

The left half shows the pro-Trojan faction with Apollo and Zeus, while on the right side all pro-Achaean Olympians, with Poseidon and Athena as leading figures, are gathered. The divine mothers of the two fighting heroes, Thetis and Eos, are shown as guests or supplicants/lobbyists of the assembly: they sit at the right and left edges of the two factions and plead for the life of their

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respective son. So we have here a political body precisely separated by factions, with each of them committed to their opposing interests.4

2. Learning from Delphi As a pan-Hellenic sanctuary Delphi was receptive to innovations in art and architecture much earlier and faster than an ‘autochthonous’ city state like Athens. When Athens eventually was ready to adopt the achievements of innovative marble architecture and its decoration from the Ionian islands like Paros and Naxos,5 this happened almost a century later than at Delphi: Architectural motifs like caryatids and Ionian capitals were imported from Ionia and applied to the Siphnian Treasury as early as 525 BC, while they were introduced in Athens only on the occasion of erecting the Classical Erechtheion, which was finished not before 406 BC. The architectural (and certainly also iconographic) concepts of the buildings realized in Delphi thus served as role models for other Greek cities, especially Athens. At the Parthenon, we can expect – as already postulated by Spaeth in 19916 – an at least equally complex narrative structure for the sculptures attached to this building.

3. Euripides, the Eleusinian War, and the Complete Assembly of Gods on the East Frieze of the Athenian Parthenon The competition between Athena and Poseidon for supremacy in Athens is familiar to us from its representation on the western pediment of the Parthenon. Less well known, however, is the continuation of this most important myth of the city of Athena. This myth about the origins of Athens had been dramatically staged – and thus was widely disseminated – by Euripides’ tragedy “Erechtheus”.7 Every 4 This split into two political factions is not a ubiquitous phenomenon in the known representations of an assembly of Gods in Greek art: the introduction of Heracles on Olympus, e.g., is shown as being unanimously accepted, so in this case it was not necessary to represent a split into two parties. See, e.g., BOARDMAN ET AL., 1990, 1–192. 5 See the research of the Gottfried Gruben team in Paros and Naxos (GRUBEN, 1982, 226– 227 figs. 9, 10, 16); cf. SIMON, 1975. 6 SPAETH, 1991. 7 Our knowledge of the tragedy Erechtheus, which is only preserved in fragments, has been significantly enlarged by the findings of Colin Austin (AUSTIN, 1967) and the recent contribution by Oliver Primavesi (PRIMAVESI, 2016). Joan Breton Connelly (CONNELLY, 1996 and 2014) was the first to recognize the importance of this Euripidean text for the understanding of the iconography of the Athenian Acropolis.

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Athenian child knew the story of the maiden goddess Athena, who – her virginity notwithstanding – had a “son” (through the agency of her pursuer Hephaestus and Gaia, who became a kind of ‘host mother’), whom she raised on the Acropolis and who, after becoming king, eventually had to save the Athenian people from the fatal threat posed by ‘evil’ Poseidon and his trident. Defeated by Athena and thus profoundly humiliated, Poseidon called – and this was the last resort of his vengeful activities – upon his son Eumolpus, the Thracian singer and king, to join him and to gather an enormous army at Eleusis, a place not too far from (and at that time obviously an opponent to) the city of Athens. In myth, Eumolpus, is on the one hand known for introducing the Eleusinian Mysteries, but on the other hand also for his attempt to conquer and devastate the Athenian Acropolis. In some ancient sources, this mythical conflict was named the “Eleusinian War”, obviously reflecting political tensions between Athens and Eleusis, which were seemingly accepted as a historical fact.8

4. The Assembly of Gods on the Parthenon’s East Frieze: Following the Delphic Narrative Matrix A solid communis opinio identifies at least ten of the twelve Olympian participants at the plenary session (assembly) of Gods depicted on the Parthenon frieze (fig. 3). The first god on the very left side is Hermes holding his petasos in his hands and facing left. The next figure – a male person leaning on the shoulder of Hermes – deserves quick reconsideration: the typical posture of his left hand indicates that he is holding the trident,9 hence we have to identify him as Poseidon, Athena’s humiliated competitor. Next comes Demeter, the chief goddess of Eleusis and as such a strategic partner of Poseidon; she is clearly marked by a torch in her left hand. The war-god Ares follows, shown in restless movement and thus illustrating the firm will of Poseidon and Demeter to wage a war against the Athenian city-goddess.

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Cf. KRON, 1990, 468–469 with further bibliography. Identified cogently as Poseidon by CONZE, 1866. This god has also been identified as Dionysus, but the typical posture of holding a scepter or trident firmly contradicts this proposal: cf., e.g., Poseidon on Roman sarcophagi (ROBERT, 1919). 9

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Fig. 3: Assembly of the Olympian Gods on the Parthenon frieze, with indication of the participants’ identity as proposed in this essay.

After a subtle caesura, which emphasizes the importance of what follows, the hieros gamos of Hera, lifting her wedding veil, and Zeus, is the concluding element of the left wing of the gods’ assembly. After the famous middle scene, which is depicted above the temple’s entrance and obviously refers to two different Athenian religious festivals (the Arrhephoria 10 and the Panathenaia11), the right wing of the gods’ assembly starts with the ‘couple’ (in what remains a purely ‘Platonic’ love affair) of Athena and Hephaestus, the ‘parents’ of Erechtheus-Erichthonius, the new king and redeemer of Attica, who saves the city through the death of his eldest daughter and his own annihilation, which is executed by Zeus and/or Poseidon. Athena’s aegis is indicated by snakes on her lap, while the lame god Hephaestus is clearly identifiable by his crutch. Next is Dionysus, once holding an empty wine vessel in his right hand (which hung loosely by his side, but is now lost) and raising close to his face a (once painted) branch of vine (?) with his lifted left arm.12 Dionysus 10

All known facts (which are still scarce) firmly suggest that the Arrhephoria is connected to a fertility rite. See Schol. Lucian Dial. Meretr. 2.1 (275–276 Rabe) and less fully Clem., Protr. 2.17.1 who report that cakes in the shape of snakes and male sex organs were carried by the Arrhephoroi. ROBERTSON, 1983 points to the fact that even the nursing of a new born child could be involved in this (still rather obscure) ritus. 11 Cf. WESENBERG, 1995. The recent investigation with the help of raking light technique executed by the Liebieghaus Polychromy Research Project was able to prove that Wesenberg is correct in separating a torch in the hand of the first maiden. There are absolutely no indications preserved for chairs or similar seats. 12 This figure (east VI 38) has also been identified as Poseidon (cf. BROMMER, 1977, 261; SIMON, 1994, no.136). The posture of his left hand, however, rules out the reconstruction of a trident. See the standardized appearance of Dionysus on Archaic and Early Classical Attic vases, on which he holds vine or/and ivy and a drinking vessel: e.g. Beazley Archive, pottery

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and Apollo share the Oracle of Delphi, the major pan-hellenic sanctuary, both play a major role in Attic cult, and they may even overlap each other.13 This explains why the twins Apollo and Artemis (who are also connected) follow next. The last member of the gods’ faction on the right is the Goddess of Love, Aphrodite, the force to unite the unequal couple of Athena and Hephaestus. That Athena is firmly connected with Aphrodite, may be proven, e.g., by the main ritual act during the Arrhephoria festival.14 Considering the fact that there is a bloody conflict between Athens and Eleusis (the ‘Eleusinian War’) incorporated in the myth of the origin of Athens, and taking account of the narrative structure of the highly innovative east frieze of the Siphnian Treasury in Delphi, we obviously have to conclude – at least for the time being – that the representation of the gods’ plenum on the Athenian temple could not take second place vis-à-vis the intellectual achievements of Delphic architecture. The assumption that not only at Delphi but also on the Athenian Acropolis two political factions of the gods are shown on the left and on the right wing is firmly suggested by the spatial distribution of the participants on the Parthenon Frieze: the left faction is concisely representing the interests and the strategy of Eleusis by uniting Poseidon and Demeter with aggressive forces like Ares and Zeus (who will eventually assist his brother Poseidon in killing Erechtheus-Erichthonius and in this way radically terminating the Eleusinian War against his beloved daughter Athena). The right faction is equally precisely distinguished: Athena and Hephaestus are dominating the pro-Athenian party, in which the Attic Dionysus and the Attic children of Leto, who are born on Delos – an island annexed by Athens –, are obliged to be present. We have also learned from the frieze in Delphi that the Olympian gods’ assembly is convened to make decisions that are both pending and urgent. This divine council is obviously destined to take action whenever a decision on the life or death of half-gods (a rather exclusive category of human beings) has to

database (www.beazley.ox.ac.uk), no. 6, 1483, 1536, 4319, 9953, 11774, 16068, 23205, 202254, 202451, 202534, 200502, esp. 26, 6793, 13378, 202619, 203728, 203914, 203915, 44906, cf. also 203003. On the contrary the figure east IV 25, which has often been identified as Dionysus (cf. BROMMER, 1977, 258–259; GASPARI, 1986, no. 486), has to be recognized as Poseidon, since this figure shows the typical posture of the Sea God’s hand, which is turned towards the face holding the trident. cf. footnote 9. Cf. DIETRICH, 2018 108–113, is discerning the function of attributes in the assemblies of gods on Siphnian Treasury and Parthenon. 13 Cf. ROHDE, 1894, 340–343 with footnotes; DETIENNE, 2001; ISLER-KERENYI, 2007, 235–254. 14 ROBERTSON, 87 (1983) 252–254, denies this connection to Aphrodite. On the Arrhephoria cf., e.g., HARRISON, 1922, 121–123, 131–134; BURKERT, 1972, 169–173; BURKERT, 2011, 348–349.

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be taken.15 This holds true for the ascension of Herakles,16 for the deadly single combat between Memnon and Achilles as well as for other sons17 of gods or goddesses fighting such combats. As we are convinced that the central slab of the Parthenon East Frieze (surrounded by the Olympians) alludes to the birth (Peplos dedication18) and the resurrection/rebirth (Arrhephoria) of Erechtheus-Erichthonius, the occasion of this gods’ meeting is (accordingly) to determine that Erechtheus-Erichthonius will die and that he will subsequently be ‘resurrected’ as a holy serpent in Athena’s sanctuary.

5. The Sculpture of the Western Pediment of the Athenian Parthenon Revisited after Learning from Delphi The pedimental sculpture of the western front of the Athenian Parthenon is much better preserved than the sculptures on the opposite side. Almost all figures are still present at least as fragments, and additional information is given by the drawings of Carrey.19 The story in the center of the gable is undisputed and reported by Pausanias: Athena is presenting the olive tree while her opponent Poseidon is drilling a salt water well - both participating in the final phase of the competition to supervise Athens as city god.20 15

Cf. the actions of the Olympians in the Homeric poems. For this see: Beazley Pottery database no. 310391, 320459, cf.: Beazley Pottery database no. 32141, 43947, 204335, 17 See Achilles vs. Hector on Beazley Pottery database no. 15527, 351201. Is this true for Theseus vs. Minotaurus also (cf. Beazley Pottery database no. 43278)? Compare: Beazley Pottery database no. 360886. 18 See footnote 11. 19 See OMONT, 1898, pl. 2–3. 20 Pausanias’ terse remarks on the pediments of the Parthenon (Paus., 1.24.5-7) do not do full justice to the creative and dramaturgical demands of art in the Periclean era. The west pediment not only testifies to the competition between Athena and Poseidon for the patronage of the city, but also reports in sophisticated narrative layers on the entire conflict between Athens and Eleusis, which finally culminates in the Eleusinian War. (In this sense: SPAETH, 1991, 343: “On the primary level, signaled by the central group of the pediment, the composition refers to the contention of Athena and Poseidon. On a secondary level, signaled by the two opposing groups of spectators, it refers to the battle of the Athenians and the Eleusinians". Spaeth thus refers very precisely and probably consistently to the strict symmetrical composition of the west pediment, both in form and content). Erika Simon very rightly took note of the thunderbolt of Zeus in the centre of the west pediment, which is missing today, but can be indirectly proven (SIMON, 1980). It is the thunderbolt that will end the conflict when Zeus paralyses Erechtheus with this thunderbolt and/or Poseidon impales him on the trident. Athena and Poseidon compete against each other with spear and trident, so they are shown rather in war mode (cf. weapons used by Poseidon and 16

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As we have already emphasized, Athena and her opponent Poseidon are firmly linked to the (at that time hostile) neighboring towns of Athens and Eleusis.21 This entails a strict and symmetrical narrative dialectic that has (as we learned from the east frieze of the Siphnian Treasury at Delphi) to be integrated into the basic matrix of comparable multi-figured works of art.22 The integration of such a bipolar order in fact radically facilitates the reading of a complex composition like a pedimental group consisting of ca. 20 figures! While the central group, with Athena next to Poseidon, who are joined by charioteers and chariots – the arrangement is identical to the deadly encounter of the two heroes on the right half of the eastern Frieze of the Siphnian Treasury at Delphi and as such iconographically directly depending from it – needs no further clarification, the two lateral groups of six or eight figures respectively have to be reconsidered and – so we are convinced – have also to be linked closely to what we have deduced from analyzing the sculptural decoration of the Siphnian Treasury. As a consequence we have to expect a bipolar and symmetrical separation of mythical figures representing the opposing factions in a political crisis, which will eventually lead to the Eleusinian War. On the left hand side the naked Kekrops (B), the old city god of Athens together with his dynasty, is contrasted to the nude and kneeling Keleos (V),23 the old city god of Eleusis, who likewise appears with the Eleusinian dynasty on the opposite end of the gable. These two political parties are fundamentally the

Athena on the Pella Hydria: NEILS, 2013 with further bibliography). On the other hand, the olive tree and the salt spring point to the beginning of the conflict, which will end in bloody violence. An Athenian pictorial design of the years around 450/440 BC cannot possibly depict the divine ruler of the seas as the inferior in a monumental way. Poseidon is the guarantor of Athens’ supremacy on the sea just achieved by the Delian League, and thus it is unthinkable that he is set back in the west pediment of the Parthenon, i.e. on the second most important picture of Greek antiquity (differently: MEYER, 2018 (with further bibliography)). (Equally insufficient is Pausanias’ description of the plot on the east pediment. Although the birth of Athena has just taken place, the plot culminates in the sacrificial act of the deceived wife of the childbearing Zeus. Only through Hera’s sacrifice the „bastard“ Athena is accepted among the Olympian gods.) 21 Eleusis will later be integrated into Attica by Theseus, who kills the Eleusinian King Cercyon, son of Poseidon, in a wrestling combat and declares Hippothoon the new king of Eleusis. Hippothoon, son of Alope and Poseidon and grandson of Cercyon, finally will eventually become one of ten eponymous heroes of Attica (Paus., 1.39.3; Plut., Thes. 11; Ov., Met. 7.439; Hyg., Fab. 38; Apollod., Epit. 1.3; a Satyr-play with the title Cercyon by Aeschylus is lost). 22 Erika Simon confirms this bipolar symmetry of two opposing factions, i.e. the proAthena one on the left half and the pro-Poseidon one on the right half of the west pediment (SIMON, 1980, 239–255). 23 Both kings are rendered naked, but wearing mantles, which are in the course of slipping down from their backs.

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counterparts of the pro-Trojan and pro-Achaean factions on the Delphic Treasury (fig. 4).

Fig. 4: Drawing of the west pediment of the Parthenon by Jacques Carrey (?) 1674, with indication of the participants’ identity as proposed in this essay

In Detail: In the very left corner of the west pediment of the Athenian Parthenon a reclining river god (A) indicates the location of Athens. He should be Ilissos, Eridanos or more probable Kephissos,24 who will be the father-in-law of Erechtheus-Erichthonius, the future new king of Athens. Further to the centre Kekrops (B) may be depicted as surrounded by his children, the three daughters and future baby-sitters of Erechtheus-Erichthonius (Pandrossos, Herse, Aglauros C, D, F) and his son Erysichthon (E), who will eventually renounce the royal dignity in favor of Erechtheus-Erichthonius, ‘son’ of Athena.25 24

See, e.g., OVERBECK, 1857, 251–252, LLOYD, 1848, 426–427, BÖTTICHER, 1870, 59– 64, MICHAELIS, 1871, 192–193 opt for Kephissos. 25 Another interpretative approach for the figures C–F, which adopts the idea of the axisymmetrical design of the pediment even more precisely, might be tempting and should be investigated more thoroughly in the near future. This more strict interpretation would postulate that both halves of the pediment are divided into a perfectly congruent sequence, which is: Antagonist, Chariot, Old Local Deity, Primeval King and Allegory of the Locale. On the right side, accordingly: Poseidon, chariot with Amphitrite and Iris, Demeter with her children, the couple Keleus and Metaneira, the local nymph Eleusis. As a consequence the left side could be read in the same sense: Athena, chariot with Nike and Hermes, old Attic deity, the couple Kekrops and his wife Aglauros, the river god Kephissos, in which sequence the position “old Attic deity” would still have to be clarified. On closer inspection of the drawings by Carrey, however, one easily notices that obviously the arms of the male child (E), a perfect counterpart to Triptolemos (S), are powerfully pulled. This observation allows a first conjecture: does figure E depict the mortal child Zagreus, who is torn apart by the Titans or the children of Ge, after which ordeal he is reborn as the immortal god Dionysus, whose

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On the opposite side of the pediment, King Keleos (V) appears surrounded by his wife Metaneira (U)26 and his son Triptolemos (S), who by being breastfed by Demeter has been sort of transformed into a ‘son’ of that goddess. Next to the couple of the old Eleusinian king is Demeter (Q) sitting with her unequal twins Ploutos and Philomelos-Boöthes (P and R) on her lap. She is joined by her reclining daughter Persephone (T), who is playfully swinging her young “step-brother” Triptolemos (S) on her knees. The very left corner is – as an equivalent to the river god in the opposite corner – again filled by a reclining personification of the locality (W), this time a female one.27 In order to respect the symmetrical narrative, we have to name her consecutively as Eleusis, who is known from Greek vase-painting.28

6. Learning from Delphi Means to Exclude the Assembly of the Twelve Olympians from the East Pediment of the Athenian Parthenon Presumably due to early Christian building activities the centre of the east pediment of the Athenian Parthenon has been destroyed, with only scattered fragments of it having been preserved; most of these can be traced in the storerooms of the Acropolis Museum and the British Museum in London (fig. 5). Already Adolf Michaelis’ survey of all identifications of the lost figures of the east pediment of the Parthenon – starting with Visconti in 1816 and ending with Michaelis’ own major publication on the Parthenon in 1871 – resulted in a rather long list. In 1963, Frank Brommer and Olga Palagia updated this list and more than doubled the number of entries.29 A first analysis of these lists shows that there have been two different – indeed rather diverging – approaches: before the end of the 19th century (respectively before the two World Wars) scho-

place of birth, according to the Athenians, was in Attica (Eleutherai)? This narrative would also form a perfect mirroring of Triptolemos in the right corner (S), who was put into the fire by his “nurse” Demeter to attain immortality. (For Zagreus compare: LINDNER, 1997, with further bibliography.) 26 One should check the assumption of WALDSTEIN, 1885, 120–132 (cf. WALDSTEIN, 1880) that the Venice Fragment (Height 69,5 cm) belongs to the western pediment. If this is the case, the female figure could be V* and thus represent Metaneira. 27 Usually identified in the 19th century as Kallirhoe (see the list in MICHAELIS, 1871, 180–181). 28 Cf. Beazley Pottery database no. 204683, Apulian Loutrophoros, formerly Getty inv. 86.AE.680 (now Museo Archeologico Nazionale Napoli; SIMON, 1988, 68). 29 BROMMER, 1963, fold-out chart following p. 180; PALAGIA, 1993, 60.

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Fig. 5: Drawing of the east pediment of the Parthenon by Jacques Carrey (?) 1674.

lars like Heinrich Brunn30, who were perfectly trained in Classics, often expected a rather cosmo- and mythological scenery alluding to deeper mythopoetic structures, while between about 1860 and about 1940 a communis opinio was gradually established opting for the less imaginative and uncomplex concept of an assembly of the main or even all of the Olympian gods.31 Since 1940 a return to a cosmological interpretation seems to have been avoided for as yet unexplored reasons; perhaps this phenomenon was con30

BRUNN, 1874; cf. WALDSTEIN, 1885, 164; cf. JEPPESEN, 1984, who revived the cosmological approach and supported it with testimonies taken from epic and lyric texts, but was ridiculed by his colleagues Brommer, Beyer, Schefold for his “märchenhafte Phantasien” (see the printed contributions to the discussion following Jeppesen’s footnotes). Compare SIMON, 1986, 68–69 who on the one hand supports the presence of an assembly of the Olympians, but on the other hand emphasizes the cosmological aspect of the framing astral gods Helios and Selene: “Alle drei Geburten [the birth of Athena in the east pediment, the birth of Aphrodite on the basis of the statue of Zeus at Olympia and the birth of Pandora on the basis of the statue of Athena Parthenos in Athens] sind durch kosmische Mächte gerahmt, und dieses Rahmenthema, in dem Helios nie fehlt, wird als typisch phidiasisch angesehen.” 31 Cf., e. g., BUSCHOR, 1948, 35 (“Der Entwurf des Parthenon-Ostgiebels [...] verbindet das Thema der Götterversammlung mit dem großen olympischen Ereignis der Athenageburt”) or CARPENTER, 1962, 268 (“Of the twelve Olympian gods who should appear in the pediment ...”); SIMON, 1986, 68; cf. WILLIAMS 2013, 54 (“The groups of gods on the East Frieze suggests that in addition to the key players required for the miraculous birth, that is Zeus, Athena and Hephaestus, also present were Hera, Dionysus, Hermes and Poseidon ...”.)

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nected with the blossoming of rash universalist ideologies, which is admittedly a major feature of the first half of the 20th century. The elder approach, however, is supported by the conspicuous presence of Athena’s birth in ancient texts, whereas the hypothesis of a frequent representation of the Olympians in full assembly is an ex nihilo assumption, for which there is not much evidence in ancient art.32 The narrative matrix of Athena’s birth33 does not seem to require a full assembly of the Olympians. Moreover, at the time of Athena’s birth an assembly of all the 12 gods of the Olympian pantheon, as proposed by recent publications, is simply preposterous since several gods had not been yet born or would be still in their childhood (Athena among them). Thus the presentation of the full group of the twelve obviously came later and then occurred – as we have already argued – only in crisis situations involving the heroes and demigods, in which the decision of a ‘superior board’ was required. Our approach, which follows the Delphic concept of bipolar narration34 and consequently postulates a hostility between Athens and Eleusis, presents a challenge to the arbitrary and presumably inadequate interpretation of the divine group presented on the east pediment of the Parthenon as an assembly of all Olympian Gods, as it rather strictly rules out that hostile Demeter and Kore could be represented here.

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Athena is the child of the first wife of Zeus (according to Hesiod, Theog. 886–900). This is why Apollo and Artemis are not yet born when Athena jumps out of the head of Zeus. Athena on the other hand is present and safeguarding the birth of Leto’s children on Delos as represented on Roman Sarcophagi (see, e.g., SICHTERMANN, 1992, cat. 1, 3). Hermes must have been born after Apollo, since he was steeling the cattle of Apollo on his very first day immediately after his birth. Dionysus comes even later, since Hermes was assisting the birth of Dionysus. Compare WALDSTEIN, 1885, 144. 33 If on Archaic and Early Classical vase painting Poseidon or Leto’s children appear in the context of Athena’s birth, this does not mean that they were physically present – in the case of unborn Artemis and Apollo this would in any case be impossible –, but they are included in the pictorial concept (as on vases a radical abbreviation of a set of subsequent and separate sequential details often imply proleptic elements) in order to give a forecast of the main aspects of the future biography of Athena. 34 The bipolar form of narration may be encountered again on the famous Kerch Vase in the Hermitage of St. Petersburg: Beazley Pottery database no. 230431; see FURTWÄNGLER / REICHHOLD, 1905 plate 70, and cf. Triptolemos on a Panathenaic Amphora indicating the appeased bipolarity of Athens-Eleusis (Beazley Pottery database nos. 303141, 303140, 303150 etc.).

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7. The First Prerequisite to Produce an Alternative to the Concept of an Assembly of All Olympian Gods It is now time to reconsider those early – philologically supported – approaches, which propose a cosm(olog)ical setting for Athena’s birth35 rather than a relaxed party of an arbitrary selection of Olympians without any distinction between welcome and intrusive guests.36 7.1. Pausanias’ Comment Pausanias comments on the myth represented on the east pediment in very few words, as if he expected his audience to know enough about the representation of the birth of a God and especially the birth of Athena.37 This implies that the readers in the second half of the second century AD, whom he addresses, were familiar with comparable representations. And as a matter of fact several birth scenes on sarcophagi of the second half of the second century do still survive; for example, two sarcophagi from Providence and Rome (Galleria Borghese) show the birth of Leto’s children Apollo and Artemis.38 Hera (!), Athena and Zeus are supervising this cosmological event, as do the three Moirai. By reevaluating Greek and Roman textual sources plus the relevant iconography of Roman sarcophagi we may even expect the ‘full personnel’ that should be present in a plot narrating themes like birth and matrimonial legislation on such a large stage as the east pediment of the Parthenon, which obviously has to comprise – next to the Moirai – also the Horai (possibly augmented by Agathe Tyche), the Dioscuri (including their astral symbols or companions), and divinities indicating the locality (fig. 6–fig. 8).

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Cf. Hom. Hymn, 28.9–16 (µέγας δ' ἐλελίζετ’ Ὄλυµπος / δεινὸν ὑπὸ βρίµης γλαυκώπιδος, ἀµφὶ δὲ γαῖα / σµερδαλέον ἰάχησεν, ἐκινήθη δ’ ἄρα πόντος / κύµασι πορφυρέοισι κυκώµενος, ἔσχετο δ’ ἅλµη / ἐξαπίνης· στῆσεν δ’ Ὑπερίονος ἀγλαὸς υἱὸς / ἵππους ὠκύποδας δηρὸν χρόνον εἰσότε κούρη / εἵλετ’ ἀπ’ ἀθανάτων ὤµων θεοείκελα τεύχη / Παλλὰς Ἀθηναίη). 36 The cosm(olog)ical approaches of BRUNN, 1874, 4–39, and FURTWÄNGLER, 1893, 243– 250 have a strong impact on this study. 37 Pausanias, 1.24.5 ([…] ὁπόσα ἐν τοῖς καλουµένοις ἀετοῖς κεῖται, πάντα ἐς τὴν Ἀθηνᾶς ἔχει γένεσιν, τὰ δὲ ὄπισθεν ἡ Ποσειδῶνος πρὸς Ἀθηνᾶν ἐστιν ἔρις ὑπὲρ τῆς γῆς […]). 38 See footnote 32.

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Fig. 6: Roman Sarcophagus, marble, 2nd cent. CE, Mantua, Palazzo Ducale, inv. 186, frieze of the lid with ‘Capitoline Triad’ as part of the birth scene of Athena.

Fig. 7: Roman Sarcophagus, marble, 2nd cent. CE, St. Petersburg, State Hermitage Museum, inv. GR-4222 (A–433), frieze of the lid with ‘Capitoline Triad’ as part of the birth scene of Athena.

Fig. 8: Top: Roman Sarcophagus, marble, 2nd cent. CE, Vatican Museums, Museo Pio Clementino, Gabinetto delle Maschere, inv. 798, part of the lid frieze with ‘Capitoline Triad’ as part of the birth scene of Athena. – Bottom: Roman Sarcophagus, marble, 2nd cent. CE, Vatican Museums, Museo Pio Clementino, Gabinetto delle Maschere, inv. 800, part of the lid frieze with ‘Capitoline Triad’ as part of the birth scene of Athena.

7.2. Moirai Of major importance to the cosm(olog)ical perspective of the birth are the Moirai to determine the thread of life of the newborn.39 (The Moirai are pre-

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Cf. FURTWÄNGLER, 1893, 246, who strongly affirms that the birth of a god needs the presence of the Moirai (“Sie sind zweifellos derjenige Dreiverein, der bei einer Geburt im Olymp am wenigsten fehlen darf”). See MICHAELIS, 1871, 165 and BROMMER, 1963, table after p. 180, who both together list 45 publications: a firm majority of 11 out of 15 expect the Moirai until 1861, but from 1861 until 1940 only 5 out of 20 opt for the Fates; after 1940 until 1963 no scholar anymore proposeas to identify the Moirai with any of the preserved figures.

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sent when Prometheus creates Man,40 at the birth of Athena on the Madrid Altar,41 or they may attend the birth of Achilles like on a mosaic from Paphos.42) 7.3. Horai and Agathe Tyche While the Moirai represent the dimension of fate (biography), the Horai43 indicate the dimension of time and at the same time the three political virtues eunomia, dike and eirene. However the Horai act as midwives as well!44 Whereas Agathe Tyche45 secures wealth. 7.4. Dioscuri-Anakes Eternal, archaic and immemorial is the appearance of the Dioscuri-Anakes,46 protectors of marriage47 and patrons of medicine.48 40

Cf. Naples, Museo Archeologico Nazionale inv. 6705 (ROBERT, 1919, cat. 357; KOCH / SICHTERMANN, 1982, 184 fig. 216) or Rome, Musei Capitolini inv. 329 (ROBERT, 1919, cat. 355; KOCH / SICHTERMANN, 1982, 183–184 fig. 215); Paris, Louvre (ROBERT, 1919, cat. 351). 41 See the discussion in: BERGER, 1974, 15–16. 42 Mosaic showing the birth of Achilles from the House of Theseus in Paphos (MICHAELIDES, 1987, cat. 50). Even the birth of a mortal baby may be accompanied by the Moirai (AMEDICK, 1991, cat. 64, 273). 43 Compare FURTWÄNGLER, 1893, 247, who postulates that like the Moirai the Horai have to be present on a birth scene on mount Olympus (“Denn sie sind das vollkommenste Gegenstück der Moiren, ihnen aufs nächste verwandt, und doch wieder verschieden genug, beide seit alter Zeit in Poesie und Kunst gerne vereint und einander gegenübergestellt. Auch die Horen sind bei einer Geburt am Platze, denn sie führen die richtige Zeit herbei, in der die Geburt sich erfüllt, und wie die Moiren wurden sie die Geburt schützend gedacht”). See the diagrams in MICHAELIS, 1870, 165 and BROMMER, 1963, table after p. 180, who list 9 scholars until 1938 (8 of them until 1903) proposing the Horai. After 1938 until 1963 no publication any more proposes the Horai as any of the preserved figures. JEPPESEN, 1984, 275–277 will reconsider the presence of two Horai in 1980/84 (see JEPPESEN, 1984, 274–275 for a cosmological approach). 44 Cf. Nonnus, Dionysiaca 16.392–400. for the Horai as midwifes of Teleté, the daughter of Dionysus and Nicaea. 45 On the lists of MICHAELIS and BROMMER (cf. footnote 39) only one scholar (BRØNDSTED 1830) proposes the presence of Agathe Tyche on the east pediment of the Parthenon. 46 For the Dioscuri-Anakes as patrons of medicine and protectors of marriage see FURTWÄNGLER, 1884–1886, 1157–1158. The ‘craniotomy’ of Zeus, necessary to give birth to Athena and executed by Prometheus or Hephaestus, may be considered the most complex medical intervention in Greek myth. No scholar ever proposed the presence of the Dioscuri on the east pediment of the Parthenon except for JEPPESEN, 1984, 274, who at least discusses but discards the possibility of the presence of one unique Dioscurus there. 47 The Dioscuri frame scenes of marriage and sacrificing couples on Roman sarcophagi (e.g. Rome, Villa Albani inv. 435, on which husband and wife may be understood as a reflex

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7.5. Astral Companions: Phosphoros-Heosphoros and Hesperos As an expansion of the astral symbols of rising Sun and setting Moon/Night, we should – in accordance with the narrative structure of ancient literature and art 49 in general and specifically with the fact that Athena might have been born early in the morning50 – expect Phosphoros-Heosphoros51 as Morning star arguably equipped with a string instrument52 (rather than a lifted torch) to celebrate the new-born goddess. 7.6. Divinities Indicating Locality Last but not least, as is the case for the east pediment of the Zeus temple at Olympia (Kladeos and Alpheios)53 and the west pediment of the Parthenon (Athenian river god and Eleusis?), deities indicating localities form an indispensable element of a ‘cinemascopic’ scenery of myth telling and are obviously required in our case as well. Accordingly we have to inquire whether equivalent divinities are present on the east pediment. Since Athena is born on Olympus and will endorse agriculture and polis life, we should restrict our expectations to mountain and river gods as well as female divinities representing terrestrial localities. We can probably rule out all kinds of personification linked to the sea like Okeanos or Thalassa for just one simple argument: salt water is the realm of Poseidon, and Poseidon is Athena’s strongest opponent!

of Zeus and Hera on the east pediment of the Athenian Parthenon; cf. REINSBERG, 2006, cat. 3, 13, 57, 80, 87, 123 [Villa Albani inv. 435], 140). 48 Cf. Herodotus, 8.122 (victory dedication of golden stars: Dioscuri as divine support of the Aeginetan fleet at the battle of Salamis). 49 Cf. Phosphoros and Hesperos on Roman sarcophagi (e.g. Naples, Museo Archeologico Nazionale inv. 6705 (ROBERT, 1919, cat. 357; KOCH / SICHTERMANN, 1982, 184 fig. 216). 50 Cf. JEPPESEN, 1984, 274. 51 As ancient sources let the birth of Athena take place in the morning, Jeppesen proposes the appearance of Eosphoros jumping from his horse on the right wing of the east pediment (JEPPESEN, 1984, 274 fig. 5); cf. Hesperos (?) and Nyx (?) on a Pelike from Kerch (SIMON, 1966, 73; Beazley Pottery Database No. 230432). 52 Flying Erotes, who physically resemble Phosphoros and Hesperos, often hold a Lyre (cf. e.g. HERMARY/CASSIMATIS, 1986, nos. 661, 700). A running or flying Eos is chasing or abducting a young boy holding a Lyre on a classic amphora (WEISS, 1986, nos. 134–190, 268, 269, 272). 53 See the section “Die beiden Flußgötter” in: SIMON, 1968; Paus., 5.10.7.

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7.7. Prometheus According to the Attic (?) version of the story of Athena’s birth Prometheus, not Hephaestus, split the scull of Zeus.54 He might have been assisted by one or two Eileithyias acting as ‘obstreticians’, but this is not necessary. 7.8. Hera’s Legal Act In the specific case of Athena’s birth a further, rather sensitive issue has to be addressed: in the very moment of her birth, Athena could be considered as nothing but a bastard! If Hera, the legitimate (and often cheated) wife of Zeus, had not compromised and adopted – through a legal and religious act – the newborn goddess as a full member in the palace on Olympus, this independent birth by Zeus would have ended in a disaster. By suppressing her anger, Hera secures legal certainty and public peace in the community of Gods and offers a blueprint for Athena’s later engagement as protector of the city and generator of a new concept of citizenship.55

8. The Second Prerequisite to Produce an Alternative to the Concept of Gathering Gods We cannot rule out that the sculpture group on the pediment of the eastern facade of the Parthenon was conceived by Pheidias himself. We may, however, underline the fact that this grand picture was the most important and most elaborate image of all European Antiquity. This specific and unique quality demands various and extensive forms of reflections and transformations at least in Roman times.56 8.1. An Overlooked Series of Faithful Copies of the east pediment of the Parthenon: The Riddle’s Solution? All elements required for a mythopoetic and cosm(olog)ical account of Athena’s birth are represented on a specific type of images, which appear on several lids of Roman marble sarcophagi nowadays in Mantua, Perugia, Rome, and St. Petersburg. This type has been named by scholars ‘Capitoline Triad’

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Apollod., Bibl. 1.20 [= 1.3.6]: ὡς δ’ ὁ τῆς γενέσεως ἐνέστη χρόνος, πλήξαντος αὐτοῦ τὴν κεφαλὴν πελέκει Προµηθέως ἢ καθάπερ ἄλλοι λέγουσιν Ἡφαίστου … 55 NB: Hera’s son Hephaestus will be the father of Erechtheus-Erichthonius, the new king and – through his early death – saviour of the city. 56 Cf. BERGER, 1974, 14–15.

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and assigned to the iconographical class of “Vita Romana”57 instead of recognizing the mythical character of the story: Rising Helios accompanied by the morning star, as well as Selene/Night accompanied by the evening star are framing the scenery (see above figs. 6–8). The main action, however, is focused on Hera, who is conducting a sacrifice obviously in order to adopt and legalize the newborn ‘bastard Athena’, who is standing next to her and her husband. Hera, Zeus and Athena pull together and – by acting with such firm ‘celestial’ discipline – found a powerful ‘brand’ for what Athena will offer to the city: a completely revised and extraordinarily successful concept of urban life and citizenship (politeia), which – accompanied by the iconic label of the ‚Capitoline Triad’ – will be become a point of reference not only for the Roman Republic (civitas), but also for post-medieval Europe and finally revolutionary France (citoyen) as well as – in the meantime – the entire globe. Next to this blueprint of what in later time would be referenced as the “Capitoline Triad”, one encounters the triad of fates (Moirai) and in most extant versions the Dioscuri-Anakes,58 protectors of marriage and medical interventions like a Kopfgeburt (craniotomy), who are making an effort to calm down their horses, which are deeply frightened by the supernatural act of the birth of a goddess from the skull of her father in the unexpected appearance of a grownup person in full armour (see above fig. 6, fig. 8). On a majority of these small friezes on the lids of Roman sarcophagi the goddess Agathe Tyche – holding a cornucopia in her left arm – stands next to the triad of Zeus, Hera and Athena and announces wealth as a result of newborn Athena’s future activities. In all preserved “Capitoline Triad” friezes a reclining male deity is represented under or next to the horses of rising Helios. There are no attributes discernible that would indicate a deity connected to a river or the ocean, but only rather schematic rendering of rock. This favors an identification of this deity as a mountain god (Olympus?) rather than as Okeanos, which, however, cannot be ruled out entirely. Olympus would make good sense, since Athena’s birth takes place on Olympus. To sum up the story as told on the sarcophagi: Athena is born from the head of Zeus while the Dioscuri’s horses shy away from the event and Hera sacrifices to legalize the bastard. The Moirai and Agathe Tyche secure the life and 57

Cf. REINSBERG, 2006, cat. 33, 50, 113, 137, 143, 154, 155. A preliminary proposal to connect the subject of the Capitoline Triad with the east pediment of the Parthenon can be found in BRINKMANN, 2016, 52–59. 58 The Dioscuri-Anakes are a very Archaic phenomenon with roots in eastern cultures and are – as we are told by Pausanias – worshipped in Athens in a sumptuously equipped sanctuary next to the Acropolis. According to Pausanias this Anákeion was adorned with paintings by Mikon, showing the Argonauts, and by Polygnotos, depicting the rape of the Leukippides. Statues showed the Dioscuri-Anakes with their horses (Paus., 1.18.1).

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wealth of Athena and her future city. Helios and Selene/Night frame the cosm(olog)ical event and are accompanied by morning and evening stars, who are – by the way – closely linked to the astral aspect of the Dioscuri-Anakes. Lastly, Olympus/Okeanos indicates the location.

9. The “Capitoline Triad” Frieze Type and the Identified and So Far Unidentifiable Fragments of the Parthenon’s East Pediment 9.1. Helios and Selene/Night On the sarcophagi friezes Helios and Selene/Night are framing the scenery as they do in the east pediment of the Parthenon. 9.2. Heosphoros-Phosphoros and (?) Hesperos Two fragments of a child’s leg, fragments of smaller wings59 and conceivably a fragment of a Lyra60 could be connected to Phosphoros or (?) Hesperos, who do appear on most relevant sarcophagi and are represented there close to Helios and Selene/Night or to the Dioscuri-Anakes. If rising Sun and setting Moon on the east pediment are a precise indication of the specific time of the day, namely the morning hour, the evening star should not be present.61 We may not exclude, however, that Hesperos with his lowered torch is a (superfluous) addition of Roman artists. 9.3. The Three Moirai We presume that E, F, G do represent Klotho (E), Lachesis (F) and Atropos (G), since E shows a movement of both arms, which is extremely typical for the spinning process,62 and G’s swift movement – causing her mantle to flutter in the wind – can be traced precisely on Roman sarcophagi showing the birth of Apollo and Artemis in the presence of Zeus and Athena.63 E and F

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Cf. MICHAELIS, 1871, 176, Table 8 figs. 10–11; SMITH, 1910, figs. 143–145, 151–152. Acropolis Museum inv. 6673; DESPINIS, 1982, 37–44. SIMON, 1986, 89 recalls the fact that the lyre is to be connected with a rather young person still attending basic education (“Instrument der Schuljungen”). 61 Stesichorus, Frg. 233 PMGF = 270a DAVIES/FINGLASS informs us that Athena was born early in the morning. 62 Wallpainting in Ostia (DE ANGELI, 1992 no. 34; cf. Klotho on a Roman sarcophagus: AMEDICK, 1991, cat. 273. 63 Rome, Galleria Borghese inv. IV C (BERGER-DOER, 1992 no. 5); Providence, Rhode Island School of Design inv. 21.076 (BERGER-DOER, 1992 no. 4). 60

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are sitting on chests64 covered with folded cloth, which has a perfect parallel on the birth scene of Leto’s children in the Galeria Borghese. 9.4. The Reclining Male Deity Indicating the Locality (D) D cannot be Dionysus65 (as assumed repeatedly in the 20th century), since he is not yet grown up or even born at the time of Athena’s birth.66 Moreover, it is highly improbable that he is lying on a panther skin. The identification of two unspecific elements underneath his mantle, which is covering a steep rock, as paws of a panther can rather be ruled out. Paws of a panther as represented on the south metopes of the same building are nicely detailed and very close to their natural models, while the unspecific swelling forms under the mantle of D could be interpreted more convincingly as water flowing from springs. (Here the springs of the famous river Enipeus fueled by the waters of mount Olympus may come to mind; however, helpful parallels on other monuments are lacking.) The left elbow rests on a steep rock which perfectly represents an impressive mountain (fig. 9). However this may be: it is a fact that even if a panther skin is rendered here, this would not help to identify the figure, since mountain gods lie or sit on panther skins as well.67

64

THIERSCH, 1903, 5–9 proposes that the Moirai sit on rocks, as already did FURTWÄNG1893, 247. 65 FURTWÄNGLER, 1893, 249 presents strong arguments against identifying D with Dionysus. He opts – with several good arguments – for Kephalos, who, according to Hesiod (Theogony 986), is the father of the morning star Phaethon after being seduced by Eos. Both morning and evening star can be present on the “Capitoline Triad” scenes from Roman sarcophagi lids. Kephalos and Eos are represented on Attic vases in most cases with a lyre (cf. WEISS, 1986). If Furtwängler’s identification of D with Kephalos is correct, the question arises whether D was once holding the pedimental fragment of a marble lyre (see here 9.2). 66 Cf. WALDSTEIN, 1885, 144: “How can the heroes and demigods whose relation to Athena is that of enjoyers of her patronage be present at her birth as full-grown men?”. 67 E.g. Munich Glyptothek inv. 251: Roman relief showing cattle and mountain god (FUCHS, 2002, cat. 1); mountain gods on sarcophagi: Rome, Musei Vaticani, Museo Gregoriano Profano. inv.: 9558; Rome, Museo Capitolino inv. 725 (GRASSINGER, 1999, cat. 51); Rome, Musei Vaticani, Museo Gregoriano Profano inv. 9558 (GRASSINGER, 1999, cat. 99); Rome, Museo Nazionale Romano inv. 168186 (GRASSINGER, 1999, cat. 68). LER,

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Fig. 9: East pediment of the Parthenon, male deity (D) reclining on a rock (Olympos/Okeanos), London British Museum, inv. 1816,0610.93.

There are indications that the head of D was remodeled in Roman times.68 Consequently we cannot exclude that D was initially bearded as all local deities on the sarcophagi friezes of the so-called “Capitoline Triad” type are. 9.5. The Dioscuri-Anakes Several fragments, which had already been attributed to the east pediment, can be assigned to the appearance of Kastor and Polydeukes next to the birth of Athena on the Parthenon (fig. 10, fig. 11). This is supported by the fact that the “Horse Tamers” from Monte Cavallo (Quirinal Hill) in Rome obviously represent quite close, but coarse copies of the Dioscuri in the Athenian pediment (fig. 12).

Fig. 10: East pediment of the Parthenon, arm fragment of a male figure with remains of a mantle wrapped around, London, British Museum, inv. 1816,0610.315.

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Cf. WILLIAMS, 2013, 4–21.

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Fig. 11: East pediment of the Parthenon, fragments of a male right and left leg, Athens, Acropolis Museum, Smith 1910, no. 59, 60.

Fig. 12: Left arm with wrapped mantle of a Horse Tamer from the Quirinal hill in Rome compared with the arm fragment of the east pediment from fig. 10.

From both horses of the Anakes the bodies and fragments of heads and legs are preserved and stored in Athens.69 It is not the first time that they are connected to the east pediment; but their earlier interpretation as part of a biga70 was erroneous, because there is definitely not enough space for that on the

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Cf. SMITH, 1910, 27 no. 188. Fragment Acropolis Museum inv. 851 (SMITH, 1910, no. 188) might belong to the horse of the left Dioscurus. 70 BEYER, 1974, 141–147; cf. JEPPESEN, 1984.

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pediment. As isolated horses71 of the Dioscuri, however, they fit perfectly into this important image of European Antiquity, and through their rearing pose they well convey a fittingly frightful reaction in front of the opening of Zeus’ skull (fig. 13).

Fig. 13: Horse of the left Horse Tamer from the Quirinal hill. Photomontage integrating the fragment of a horse’ body from the east pediment, Athens, Acropolis Museum, inv. 6456.

Torso H, accepted as belonging to the pediment since the middle of the 19th century but erroneously identified as Hephaestus,72 preserves the body of the left Dioscurus-Anax, which is proven by the Roman copy from the Quirinal Hill: its movement and anatomic details, as well as the small part of the freeflowing mantle (which barely touches the left shoulder from behind), evidently connect H to the Quirinal, as had been observed already by Giorgos Despinis.73 Furthermore two fragments of arms partially covered by a mantle 71

Erika Simon postulates a reconstruction of H as Poseidon accompanied by a horse (SI1986, fig. 11). Not incidentally, her drawing resembles the composition and movement of the Dioscuri from the Quirinal Hill, and she also makes the point (pp. 94–95): “Darüberhinaus handelt es sich um ein berühmtes Motiv der klassischen Kunst, das bis zu den Dioskuren vom Monte Cavallo nachwirkte.” 72 See FURTWÄNGLER, 1893, 243–244, who – together with Michaelis and Friederichs – rejects the interpretation as Hephaestus. 73 DESPINIS, 1982, 57. MON,

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fit nicely into a reconstruction of both Dioscuri again based on the comparison with the Quirinal Horse Tamers.74 The left hand, whose thenar is deeply cut by the reins pulled sharply by his abruptly rearing horse, was recently and (in our opinion) erroneously connected to A.75 Three bigger fragments of the naked legs of this Dioscurus (see fig. 11) as well as the middle part of the head of the horse are preserved and stored in the reserves of the Acropolis Museum.76 It is superfluous to emphasize that all related elements here connect precisely with the Quirinal “Horse Tamers”. 9.6. Hera: Angry, but Nevertheless Compromising and Sacrificing Torso Wegner – together with the fragments belonging to it – has been correctly identified as the goddess Hera, wife of the birth-giving Zeus.77 9.7. Zeus Giorgos Despinis ascribed – tentatively and with respect to our arguments incorrectly78 – a big left male hand holding an object perforated with drill holes, to the figure of Zeus on the pediment. (Despinis may be correct however in identifying the object as main part of a thunder bolt.) With much greater probability we may connect a colossal foot, a colossal shoulder and limb - all listed by Smith as fragments of the pedimental sculpture - with the central and tallest statue of the pedimental composition.79 9.8. Athena So far the “Ingres Athena”, or only small fragments like the forepart of a right foot,80 had been assigned. In 1896, Furtwängler argued that the Ingres/Medici Athena is not a Roman copy but the authentic and original statue from the centre of the east pedi-

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SMITH, 1910, no. 1 (London, British Museum, inv. 1816,0610.315); SMITH, 1910, no. 7. SMITH, 1910, no. 27. 76 SMITH, 1910, no. 59, 60. Cf. DESPINIS, 1982, 55. 77 Cf. PALAGIA, 1997 (with older literature). 78 DESPINIS, 1982, 15–21; Despinis came upon this fragment in the reserves of the National Museum of Athens. There is obviously no archival note which would help to assign the hand to the Parthenon. Zeus, however, holds a thunder bolt quite rarely in his left hand. The “Capitoline Triad” friezes from Roman sarcophagi, which we interpret as close reflections of the east pediment, indeed show Zeus uniformly holding the thunder bolt in his right hand, see above 8.1; cf. also MOSTRATOS, 2004, 132–133, who questions the attribution to the Parthenon with good arguments. 79 SMITH, 1910, no. 39, 42 and 43. 80 SMITH, 1910, no. 10. 75

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ment.81 This “Ingres Minerva” exhibits a rare detail – a mantle whose two ends fall from her left shoulder – and is thus closely related to the Athena on the “Capitoline Triad” sarcophagi in Arrezzo, Galleria Borghese Rome, Mantua and Petersburg.82 9.9. Agathe Tyche83 Despinis punctiliously assigned the left female hand holding a broken element to the complex of the east pediment (fig. 14, fig. 15). However, he failed to correctly identify this person: he read the pole-shaped element, with vertical incisions preserved on it, as the remnants of a torch and identified its bearer as Demeter. However, the element taken by the left hand with elegantly spreading fingers is curved and slightly conic and thus not at all compatible with torches, but typical of a cornucopia (fig. 16). Roman statues, like the portrait statue of Livia in Berlin,84 repeat these features faithfully (and may be understood as copies of the very figure of Agathe Tyche from this most important ancient European image display).85 A fragment of a female head with a veil covering the rear part of the hair is preserved and exhibited in the Acropolis Museum. The motif of a veil covering the back part of a female head reappears at the Livia-Fortuna statue in Copenhagen 86 and can also be assigned to the Agathe Tyche statue which we propose for the eastern pediment. A further fragment attributed by Smith and others to the pedimental

81 FURTWÄNGLER, 1896. See however FURTWÄNGLER, 1906, 330 (Here Furtwängler rather takes back his suggestion that the Ingres Athena is the original from the Parthenon east pediment. Following SAUER, 1891, 86 and 89–91, Furtwängler now rules out that Athena stood in the very centre, as he had believed before). FURTWÄNGLER, 1896, 20 (with footnote 4) cites Carl Bötticher, who proposed as early as 1872 that the Medici (Ingres) Athena is a Greek prototype and once belonged to the Parthenon pediments. cf. BEYER, 1974, 138 with footnote 39. 82 See footnotes 47, 49, 56. 83 Agathe Tyche is referred to in texts and inscription of 5th c. BC (Pind., Hymn. Frg. 39; Aeschyl., Ag. 664; Eur., Cycl. 607; IG II 2, 4564) and apparently represented in Attic sculpture as early as the second half of the 5th c. BC, as is presumably proven by a relief now in the reserves of the Archaeological Museum of Aegina town and published by DELIVORRIAS, 1993, 224–227, fig. 1–3 and identified as Tyche, PALAGIA, 1984, 283 no. 805 calls the female goddess equipped with cornucopian as City goddess of Aegina. FURTWÄNGLER, 1896, 21–22 mentions an Attic relief showing a Tyche as counterpart to Athena, which could be a reflex of the Athena from the east pediment of the Parthenon (22: “Athena, als Stadtschützerin der Tyche der Stadt gegenüber, ist ohne Zweifel in einem Typus dargestellt, der gewissermaßen als Wahrzeichen der Stadt gelten könnte“, cf. WOLTERS, 1894, 483-490). 84 Antikensammlung Berlin SK 587; FILGES, 1997, 167 and 304. 85 See here above 7.3. 86 Ny Carlsberg Glyptotek inv. No. 1643; LA ROCCA, 2013, 164–165 and 205, cat. No. III.5.

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sculpture of the Parthenon shows female drapery on the right part of a waist.87

Fig. 14: Fragment of a female left hand once holding a cornucopia, Athens, Acropolis Museum, inv. 5688.

Fig. 15: Curved and conic fragment of the cornucopia, see fig. 14.

Fig. 16: Portrait statue of Livia (?), Berlin, Antikensammlung, inv. SK 587 comparison with the Acropolis Museum hand fragment from fig. 14.

This fragment fits nicely on the right hip of the Copenhagen Livia, which obviously repeats the Agathe Tyche from the east pediment. 87

Acropolis Museum inv. No. 930; SMITH 1910, table 14C 135; cf. CARPENTER 1933, 54–56.

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Agathe Tyche as well as Hera are represented veiled since they are conducting/attending a sacrifice (capite velato). 9.10. Figures in the East Pediment Which are not Repeated on the “Capitoline Triad” Friezes of Roman Sarcophagi 9.10.1. Figure M As we propose a deity indicating locality in the opposite corner of the pediment (D as Okeanos/Olympus), we consequently have to assume that M is to be read as personification of the locality as well.88 A reclining female local deity which can be found in ancient vase painting and mosaics is Attike-Gaia, which will eventually give birth to Erechtheus-Erichthonius, the “son” of Athena and New King of Attica. A common feature of almost all representations of Attike-Gaia, as well as of Gaia and Tellus in general is a specific posture which is characterized by crossed legs.89 9.10.2. Figures K and L Gaia and Tellus are represented in numerous ancient images as surrounded by the seasons (Horai).90 We propose that this feature is again an immediate reflex from the Parthenon’s east pediment. At the time when the Parthenon was erected, the Horai were normally two91 or maybe even three, (Auxo,) Thallo and Karpo, who were equated as early as in the second half of fifth century with the political virtues: (dike,) eunomia and eirene.92 We therefore should not exclude that the Parthenon did present an Attike-Gaia reclining in the lap of ‘Peace’ (L) which is accompanied by ‘Order’ (K) or vice-versa.93 88 As SMITH, 1910, 30 correctly argues, D and M are interconnected since both are placed in the corners and thus not observing Athena’s birth. 89 See footnote 28. (This motif could initially have been a playful and intellectual allusion to the shape of the elongated promontory of Attica.) 90 Arachne database no. 1944 (relief from Trajan’s Arch at Beneventum, showing reclining Tellus with crossed legs and one Season); Arachne database no. 12634 (mosaic showing Helios/Aion in the ecliptic, beneath reclining Tellus with crossed legs and four Seasons). Numerous so-called Seasons sarcophagi show the four Seasons and a small reclining Tellus with cornucopia: Arachne database no. 14218, 38371 cf. KRANZ, 1984) cat. 31, 41; Tellus with two putti on the cuirass of the Prima Porta Augustus (Arachne database 19620); Arachne database no. 25780 (Tellus with crossed legs); Medallions of Commodus: WISSOWA, 1924, 344 fig. 4. 91 Paus., 9.35.1; JEPPESEN, 1984, see footnote 64. 92 Proven by the inscriptions preserved on an altar in Brauron: DESPINIS, 2004. 93 FURTWÄNGLER, 1893, 247 suggests thrones for the Horai; we do, however, recall that Homer states that the Horai were guards of the (automatic) doors of mount Olympus (Hom., Il. 5.479) – hence they might well be sitting on the rocks of mount Olympus!

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9.11. The Waldstein Fragment in Venice as Third Hora? In the late 19th century, Charles Waldstein suggested that the beautiful fragment of a female seated figure in Venice might belong to the Parthenon fragments.94 A recent close reexamination of this object did not yet produce a final opinion. The state of preservation is much better than in the case of all other statues and fragments attributed to the Athenian pediments, a fact which makes a reliable comparison of style rather difficult.95 Nevertheless there is a strong new argument, which could support an assignment of the Venice fragment to the Parthenon: a rather voluminous part of the seat was sculpted separately. Absolutely similar to east figure Q,96 there is a rectangular cutting with smoothed surfaces preserved – a rare feature not very frequently found in other Greek and Roman sculpture. Thus we cannot exclude that this seated female figure might once have been the right-hand side neighbour to Q or rather the left-hand side neighbour to K and as such possibly representing the third Hora (Auxo/dike?).

10. Conclusions The observations on the pedimental sculptures and associated fragments of the Parthenon presented here in a preliminary and sketchy manner are to be understood as the first phase of a larger research project (fig. 17). A precise measurement and 3D-Scanning of all the sculptures and fragments has to follow soon in order to prove our assumptions by double checking their dimension, arrangement, and position in relation to the space offered by the pediment.97

94

WALDSTEIN, 1880. On all Parthenon sculpture, which had been attributed to the pediments so long, the ridges of the folds are broken, a fact that irritates completely and evokes a misleading stylistic idea. FURTWÄNGLER, 1893, 229 thinks the Venice fragment is later because of its style; perhaps, however, he overlooks the big difference in its state of perservation, which makes a comparison of styles more difficult. 96 K, too, had been cut in the area of the seat, however in an irregular shape. 97 In 1985, the authors of this preliminary text together with Alekos Mantis have undertaken a reexamination in raking light of all traces left behind by the sculptures on the upper surface of all horizontal blocks which do survive of the eastern pediment. The resulting photographs have been studied carefully. It seems, however, that no new evidence, which might add to the already existing knowledge based on the endeavour of SAUER, 1891, 59–71, can be produced. 95

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Fig. 17: Photomontage of the East pediment of the Parthenon: hypothetical reconstruction using the model of K. Schwerzek (1896) overlaid with elements from the Mantua Sarcophagus from fig. 6. Indication of the participants’ identity as proposed in this essay.

Moreover, a systematic examination of Roman copies and adaptations of Greek prototypes showing the gods to which we refer in this study will contribute – as the Horse Tamers of Monte Cavallo already gave an example – to develop a much more precise idea of the missing sculptures in the eastern pediment of the Parthenon.

Delphi in der späteren Antike und Spätantike Vincent Déroche 1. Zur Einführung Delphi in seiner späten Periode darzustellen ist paradoxerweise umso schwieriger, je länger man – in diesem Fall seit etwa dreißig Jahren – über dieses Thema gearbeitet hat: Die Lücken in unserem Wissensstand erscheinen mir heute viel deutlicher als 1983, als ich begann, mich mit Delphi zu beschäftigen, und es ist kein Zufall, dass die Abhandlung, die ich der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres im Jahre 1986 vorlegte, noch nicht zu einer Publikation geführt hat. Ein wirklicher Gesamtüberblick ist zur Zeit unmöglich, aber eine kurze Bilanz kann nützlich sein, im Sinne der Liste offener Fragen, die mit beachtenswerter Klarheit P. Amandry 1981 aufgestellt hat,1 wenn auch die Antworten heute noch nicht vollständig sein können. Das Thema selbst hat den Vorzug, dass es zu dem Versuch einlädt, Delphi in dieser Epoche nicht als Ansammlung von unterschiedlichen Gebäuden zu betrachten, sondern als städtisches Phänomen, eine Stadt, die in ihrer Gesamtheit in den Blick genommen werden sollte. Gerade in den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Studien über die früheren Epochen von Delphi erschienen, die ebenfalls einen umfassenderen Zugang zu der Stätte entwickelten, was Vergleiche erlaubt.

2. Das römische Delphi Das erste Problem, dem man beim Studium des späten Delphi begegnet, ist die Schwierigkeit, die wir haben, uns das römische Delphi in allen Einzelheiten vorzustellen, trotz Plutarch und trotz der epigraphischen Studie von D. Rousset:2 Die Geschichte der Bauten dieser Zeit muss noch weitgehend geschrieben werden, trotz ihrer manchmal beeindruckenden Ausstrahlungskraft am Ort, und auch diejenige der Weiterverwendung der früheren Gebäude verdiente eine Studie. Der hervorstechendste Zug ist ein Bauprogramm an der Ostflanke des Peribolos, das schon früh die Aufmerksamkeit von R. Gi1 2

AMANDRY, 1981, 722–740. ROUSSET, 2002.

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nouvès auf sich gezogen hatte; unglücklicherweise veröffentlichte er nur eine recht kurze Studie über die Ost-Thermen, die seine der Académie vorgelegte Abhandlung nur zum Teil wiedergibt.3 Von oben nach unten sind die OstThermen und die „römische Agora“ Bauwerke von unbestreitbar öffentlichem Charakter, und das „Peristylhaus“ auf dem dazwischenliegenden Niveau ist es vielleicht auch. Die „römische Agora“ ist wahrscheinlich keine Agora im politischen Sinne des Begriffs, wie man sie kürzlich unterhalb der Stoa der Athener identifiziert hat,4 sondern ein Geschäftsarel, das an einem der Eingänge des Peribolos gelegen war. Die Ausgrabungen5 haben bisher keine Spur einer Anlage vor der römischen Zeit gefunden, was so nahe am Heiligtum immer noch erstaunt; wahrscheinlich haben die Terrassierungsarbeiten die früheren Verhältnisse verdeckt oder zerstört. Die erste Phase ist nur durch einen ionischen Säulengang aus blauem Marmor von Levadia aus dem 2. Jahrhundert datierbar;6 sie muss die Ost-West-Mauer aus großen Blöcken ohne Mörtel erklären, die als hintere Mauer gewisser Ladenlokale erscheint, unter der Mauer der zweiten Bauphase und mit einer leicht unterschiedlichen Orientierung. Der Fund eines Antenkapitells kleiner Größe weist auf ein zweites Stockwerk mindestens an einigen Stellen hin, wie in der folgenden Bauphase. Dieser erste Bauzustand erlebte eine Katastrophe: Die Mauern der zweiten Phase enthalten Säulenfragmente aus blauem Marmor, deren Untersuchung erwiesen hat, dass sie der Hitze eines Brandes ausgesetzt worden waren. Anders gesagt: nach einer teilweisen Zerstörung hat man, was man konnte, von dem Säulengang wieder verwendet, und den derzeit sichtbaren Bauzustand hergestellt.7 Dieser hatte zwei Phasen: die erste in einem opus incertum mit Oberkanten aus Ziegelsteinen, die zweite in einem sehr charakteristischen Mauerwerk, nämlich von der Art „cloisonné“ („abgetrennt“), wobei jeder Baustein von rautenförmigen Ziegelfragmenten eingerahmt ist. Der Grundriss wurde aus Gründen der Symmetrie wiederhergestellt; man kann annehmen, dass der Grundriss der ersten Bauphase ungefähr identisch war (außer für die Nordmauer, wie wir gesehen haben) aufgrund der symmetrischen Achse, die durch den Eingang der Heiligen Straße vorgegeben ist, und weil sich die Läden ebenfalls auf der Südseite befanden. Die Grenze im Osten ist klar, aber der Erhaltungszustand ist so, dass man eine Öffnung annehmen muss, die derjenigen des Peribolos im Westen entsprach; die heutigen Touristenpfade führen in Wirklichkeit durch die Bau3

GINOUVÈS, 1955. JACQUEMIN/LAROCHE, 2014. 5 Siehe Bulletin de Correspondance Hellénique 115, 1991, p. 700–702; 116, 1992, 709– 711; 117, 1993, 641–44; 118, 1994, 423–28. Plan bei BOMMELAER 1991, 25 fig. 91. 6 DÉROCHE, 1992. 7 Der Säulengang muss durch neue Stücke ergänzt worden sein, die wir aber nicht identifizieren können. 4

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werke hindurch und haben mit den antiken Verkehrswegen nichts zu tun. Die Datierung dieser zweiten Bauphase ist schwierig; eine Lampe des 3. Jahrhunderts n. Chr. wurde im Wasserkanal der Nordwest-Ecke gefunden und liefert immerhin einen terminus ante quem für die erste Phase des zweiten Bauzustandes. Die zweite Phase erhält einen anderen terminus ante quem dank des östlichsten Ladenlokals, das vermauert und aufgefüllt wurde, weil eine der Mauern Risse bekam und einzustürzen drohte. Die Keramik dieser sehr speziellen Auffüllung ist ein kohärentes Ensemble aus der Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr., das den Riss mit dem berühmten Erdbeben von 365 in Verbindung bringen lässt. Die Läden können gleichzeitig auch Werkstätten gewesen sein, wie auf dem Markt in Sardes8 (eine lieferte „Tränen“ aus Glas, was auf eine Glasbläserwerkstatt deutet), aber mehrere Bestimmungen sind möglich. In jedem Fall geht diese „Agora“ selbst in ihrer letzten Phase der Christianisierung voraus. Das sehr zerstörte „Peristylhaus“ folgt einem sehr geläufigen Plan für einen Wohnbau gehobenen Standards. Der Säulengang aus blauem ionischem Marmor von Levadia, der aus derselben Werkstatt wie der Säulengang der „Agora“ stammt, wirft aber die Frage auf, ob es sich nicht um ein öffentliches Gebäude handelt, aus zwei Gründen: Das Gelände liegt zwischen zwei öffentlichen Arealen, den Thermen und der „Agora“, und ein weiterer ionischer Säulengang, ebenfalls aus derselben Werkstatt, ist derjenige der römischen Wiederherstellung der gedeckten Laufbahn des Xystos, der stets ein öffentlicher Bau ist.9 Unter dem Hof des Hauses erscheinen die Mauern einer früheren (hellenistischen?) Bauphase. Die Gruppe der wichtigen Bauten, die ionische Säulengänge aus blauem Marmor enthielten – „Agora“, Peristylhaus und Xystos – gehören nicht zwingend zu ein und demselben Bauprogramm, aber sie sind sicher zeitlich sehr nahe, nehmen die gleiche Werkstatt in Anspruch und lassen die Frage nach der Finanzierung aller dieser Gebäude aufkommen: Konnte die Stadt Delphi ausreichende Mittel für sie aufbringen? Man ist versucht, sie kaiserlicher Freigebigkeit zuzuschreiben; in diesem Fall wäre Hadrian der wahrscheinlichste Mäzen.10 Die Ost-Thermen sind durch die Studie von R. Ginouvès sicher in das 3. Jahrhundert n. Chr. datiert. Ihr auffälligstes Charakteristikum ist die Wiederverwendung der Attalos-Stoa als Wasserreservoir: Dieser Eingriff über den Peribolos und auf einen Besitz des Gottes geht der Christianisierung erheb8

Siehe CRAWFORD, 1990. Siehe DÉROCHE, 1989b. Der Unterschied in der Ausführung und vor allem in der Erhaltung erklärt sich durch die Verwendung einer Marmorart im Xystos, die von weißen Adern durchzogen ist und die empfindlicher und frostrissiger ist. 10 Plutarch, Pyth. or. 29, 409b weist in der Tat auf Zuwendungen dieses Kaisers für Delphi hin, ohne dies zu präzisieren, und der Stil der Säulengänge ist mit der Zeit Hadrians vereinbar – und dies sind wahrscheinlich die Gründe, weshalb J. Jannoray ihm den Säulengang zugeschrieben hat, ohne dies zu präzisieren. 9

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lich voran. Die Frage nach der Belegung dieses Areals bleibt rätselhaft: War es bereits ein öffentliches Gelände? Die gut erhaltenen Böden der Thermenanlage haben dem Aushub der Grande Fouille11 Einhalt geboten; Sondiergrabungen wären sinnvoll. Der römischen Zeit sollte man außerdem das Heroon im Westen, Gräber12 und wahrscheinlich mehrere der noch sichtbaren Wohnbauten von Kastalia bis zum heutigen Museum zurechnen. Ein vollständiger Katalog der verstreuten Stücke der römischen Bauplastik in Delphi würde wahrscheinlich einen ersten Eindruck von der Bautätigkeit der römischen Gemeinde Delphi vermitteln, die man bisher noch wenig kennt. Als Beispiel sei auf eine Gruppe korinthischer Kapitelle qualitätvoller Ausführung hingewiesen, wahrscheinlich aus dem 3. Jahrhundert n. Chr.,13 die sich keinem bekannten Gebäude zuweisen lässt, und auf ein unpubliziertes Kapitell eines bekannten Typs mit Hathor-Kopf. Die ebenso gut bezeugte wie ungeschickte Wiederinstandsetzung des Apollon-Tempels scheint auf die hohe Kaiserzeit und nicht auf einen Konflikt mit den Christen zurückzugehen. 14 Die Inschriften, die auf die Rückwand des Xystos aufgemalt waren, bezeugen die Kontinuität der Pythischen Spiele.15 Der Codex Theodosianus bewahrt noch die Spur einer Klage der Delpher gegen die Erpressung von Geldern durch Korinth für seine eigenen Spiele.16

3. Spuren der Christianisierung Wie konnte sich in dieser offensichtlich blühenden Stadt die Christianisierung abspielen? Diese ist gut bezeugt durch die Erwähnung eines Bischofs im Synekdemos (Verzeichnis der Provinzen des römischen Reichs unter Kaiser Justinian) des Hierokles und bestätigt durch die Grabinschrift einer Diakonisse in Delphi. An archäologischem Material haben wir die Spuren von drei spätantiken Basiliken in Delphi.17 Die älteste stammt aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. und ist durch fein gezahnte („theodosianische“) 11

Gemeint sind die französischen Ausgrabungen unter der Leitung von Théophile Homolle 1891–1903. 12 Man beachte vor allem die Arcosolium-Gräber in den Felsen des Hügels westlich der Stätte, die jetzt vom modernen Dorf umschlossen sind. 13 Siehe DÉROCHE, 1987. 14 Siehe DÉROCHE, 2005. Die beschädigte Inschrift, die teilweise eine Antwort der Prätorianerpräfekten der Söhne Konstantins an den Hohepriester Apollons enthält, ist im strikten Sinne noch unpubliziert. Es scheint nicht, dass sie auf einen religiösen Konflikt um den Tempel hindeutet, siehe ATHANASSIADI 1989–1990. 15 Siehe QUEYREL, 1992. 16 Cod. Theod. XV 5,4. 17 Die Beschreibung der Gebäude und der Blöcke ist in DÉROCHE, 1989a zu finden.

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Akanthuskapitelle charakterisiert; sie ist nur durch Architekturteile bekannt, die auf der Stätte verstreut sind und von denen J. Laurent das wichtigste bereits inventarisiert hatte.18 Ihr Standort ist also unbekannt, aber der Vorschlag von D. Laroche und P. Petridis, sie in die unausgegrabene Zone im Osten der römischen Agora zu platzieren, ist interessant.19 Es handelte sich zweifellos um die Bischofskirche im eigentlichen Sinn. Im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts wird die Palästra des Gymnasiums dem Erdboden gleichgemacht und dort eine bescheidene Basilika errichtet, deren Architekturteile alle aus thasischem Marmor sind. Die ionischen Kämpferkapitelle scheinen dennoch sehr grob an Ort und Stelle umgearbeitet worden sein. Ungefähr zur selben Zeit wird eine noch bescheidenere Basilika am Eingang des modernen Dorfes errichtet; die Armseligkeit der Architekturteile, die Wiederverwendungen oder sehr grobe Kopien sind, stellen einen Gegensatz zur Anmut des Mosaiks dar. Die Nähe zur Westnekropole, insbesondere zu den Arcosolium-Gräbern im Felsen direkt im Norden, lässt an eine Friedhofskirche denken. Es kann sein, dass es noch weitere Kirchen gegeben hat, die uns entgehen: Mehrere Architekturteile können noch keiner dieser drei Basiliken zugeschrieben werden.20 Diese rasche Bestandsaufnahme zeigt eine für eine Provinzstadt in der Ägäis zu dieser Zeit sehr gewöhnliche Situation, nämlich die Errichtung einiger Basiliken zwischen 450 und 550. Delphi hat nichts Spezifisches, seine außergewöhnliche heidnische Vergangenheit scheint keine entscheidende Auswirkung auf den baulichen Ausdruck seiner Christianisierung gehabt zu haben.21 Wie oft in Griechenland scheint diese keine Spuren von Gewalt hinterlassen zu haben, oder jedenfalls nur sehr wenige: Es steht fest, dass der Apollontempel nicht von den Christen zerstört und noch weniger in eine Kirche umgewandelt wurde. Die Einritzung von Christusmonogrammen auf dem Altar von Chios ist eines der seltenen Zeichen eines Exorzismus von Gebäuden von der vorangehenden Religion, und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass er die Stätte der blutigen Opfer getroffen hat. Zudem kann man mit E. Bourguet annehmen, dass der Zustand besonders fortgeschrittener Zerstörung im hinteren Teil der Cella, wo sich das Adyton und daher die 18

LAURENT, 1899. Aber nicht das ganze von J. Laurent katalogisierte Material stammt von dort, insbesondere nicht die sehr merkwürdigen dorische Kämpferkapitelle, die ohne Parallelen bleiben. 20 Die Arbeit wird durch ein in Delphi geläufiges Phänomen erschwert, die Versetzung von Architekturblöcken – besonders von Material der Basilika des 5. Jahrhunderts n. Chr. – in wahrscheinlich neuerer Zeit aus Gründen, die uns entgehen. Im Fall der frühchristlichen Blöcke ist die Wiederverwendung in mittelalterlichen oder modernen Kirchen ein zusätzlicher Faktor. 21 Außer in Einzelheiten, wie etwa den dorischen Kämpferkapitellen, die man versucht ist auf eine Nachahmung antiker Monumente des Ortes zurückzuführen. 19

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Orakelbefragung befanden, den Christen zuzuschreiben ist, aber Gewissheit gibt es hier nicht.22 Zur Zeit der Erbauung der großen Basilika des 5. Jahrhunderts war die Christianisierung sicher bereits sehr weit fortgeschritten, aber sie kann erheblich früher angefangen haben – die letzte sichere Bezeugung des Heidentums in Delphi ist eben der Brief der Prätorianerpräfekten der Söhne Konstantins. Das Verbot der Opfer und anderer heidnischer Rituale im Jahr 392 wird oft für ein entscheidendes Datum gehalten. Eine Töpferwerkstatt des 5. Jahrhunderts auf der Rennbahn des Xystos zeigt das Ende des Betriebs im Gymnasium an. Der Bau der zu Unrecht so genannten „Heiligen Straße“ könnte ein chronologisches Indiz liefern: Diese Straße, die ein kontinuierliches Gefälle hat, beseitigt die Stufen der antiken Straße und achtet ihren Verlauf zumindest im Abschnitt des Halos-Platzes nicht, da sie geplant wurde, um das Areal des nunmehr entweihten Heiligtums dem Fuhrverkehr zugänglich zu machen. Geldwechsler richteten sich im Athenerschatzhaus ein, ein Töpferofen und eine Glasbläserwerkstatt im unteren Teil der „Heiligen Straße“, Stelen mit Inschriften wurden ohne Skrupel als Straßenpflaster wiederverwendet, und in der Nische des Krateros wurden Thermen eingerichtet. Die Grande Fouille hat wahrscheinlich Spuren weiterer solcher Wiederverwendungen verschwinden lassen, da sie mit modernen Bauten verwechselt wurden. Allerdings befinden wir uns in einem logischen Zirkel: Die „Heilige Straße“ ist allenfalls durch die wiederverwendeten Inschriften zu datieren; nun sind aber die jüngsten aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., während dieser Umbau nur nach 392 vorstellbar ist.23 Die zahlreichen Erwähnungen von Delphi in patristischen christlichen Texten geben uns ebenfalls keinen Aufschluss: Diese Polemiken verweisen auf das literarische Bild eines heidnischen Delphi, das antiken Textquellen entnommen ist, und wissen nichts von der Lage auf dem Gelände.24 Die Parallelen aus der ganzen Region lassen annehmen, dass das Christentum im Lauf des 5. Jahrhunderts die Mehrheits- und schließlich die dominierende Religion wurde, und kein Anzeichen auf dem Gelände widerspricht dem zur Zeit. Delphi scheint nicht in der Situation Athens gewesen zu sein, wo eine Menschengruppe, die mit der philosophischen Tradition verbunden 22 BOURGUET, 1914, 250–251. Man weiß, dass die auf Stützbalken beruhenden Substruktionen des klassischen Tempels, die Hohlräume unter dem Boden lassen, die Einwohner des 19. Jahrhunderts zur Schatzsuche veranlassten, ganz zu schweigen von der Jagd nach Metallklammern: Der Stand der Zerstörung dieser Zone könnte sehr wohl eine prosaische Erklärung haben. Meines Wissens gibt es keinen Fall einer vorsätzlichen Verstümmelung eines Architekturteils. 23 Ich weise darauf hin, dass L. Lavan eine teilweise Entweihung seit dem 4. Jahrhundert, von 324 an, in Erwägung zieht: Public Space in the Late Antique City, (erscheint im Frühjahr 2021), Bd. 2; er plant eine Studie über die Wiederverwendungen an der Stätte von Delphi in der Spätantike. 24 Für ein kurzes Fazit siehe DÉROCHE, 2005.

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war, eine minoritäre, aber reale pagane Präsenz bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts erhalten hat, wie das von Marinos verfasste Leben des Proklos bezeugt.

4. Das Delphi der Spätantike Die Stadt der Spätantike beschränkt sich aber nicht auf das religiöse Leben. Eines der auffälligsten Phänomene bei der Beobachtung der Oberfläche ist die Ausdehnung des Wohnbereichs in der „römischen“ Zeit: Gebäude in opus incertum erstrecken sich bis zur Kastaliaquelle im Osten und bis zu der römischen Nekropole im Westen. Ohne Ausgrabungen ist es unmöglich, dieses Phänomen mit Sicherheit eher der Spätantike als der hohen Kaiserzeit zuzuschreiben, aber das Mauerwerk spricht eher für eine jüngere Datierung. Delphi scheint in dieser Zeit seine größte Ausdehnung erreicht zu haben, und die Wiederverwendung des alten paganen Heiligtums bestätigt die Vorstellung einer dichten Wohnbebauung, wo man sich den Platz streitig machte. Die Stätte hat natürliche Grenzen, die von Strabons25 Beschreibung bestätigt werden, der die Stadt in Form eines Theaters schildert: Das Wohngebiet ist im Norden und im Osten von den Phädriaden begrenzt, im Westen vom Sporn der „Festung des Philomelos“, im Süden von der Abschüssigkeit des Hangs, die die Ausdehnung von Bautätigkeit verhindert.26 Eine Mauer, die sicher „spät“ datiert werden kann, versperrt den östlichen Zugang zur Stätte, im Osten des Gymnasiums, aber sie liegt direkt auf dem Felsgestein und kann daher zur Zeit nicht archäologisch datiert werden; die zwei möglichen Anlässe ihrer Erbauung sind der Herulereinfall des 3. Jahrhunderts oder derjenige der Goten im 5. Jahrhundert. Eine kürzlich erfolgte Ausgrabung durch N. Kyriakidis hat bestätigt, dass die antike, dem phokischen General Philomelos zugeschriebene, Festung im Osten in der Spätantike wieder aufgebaut wurde. 27 Die luxuriösesten Gebäude wurden von P. Pétridis registriert28 und verteilen sich über fast die ganze bekannte Stätte. In der noch nicht ausgegrabenen Zone im Osten, gegen die Kastalia hin, erahnt man in Sondierschnitten Mosaikfußböden, die auf ein vergleichbares Wohngebiet hindeuten. Mangels Besserem muss man sich an das einzige Gebäude halten, das gründlich ausgegraben werden konnte, im Südosten des Peribolos.29 In diesem Abschnitt befand sich zunächst ein bescheidenes Gebäude 25

Strab., IX 3,3 (πετρῶδες χωρίον θεατροειδές). Diese Südgrenze liegt nur wenig unterhalb der modernen Straße; der Fußweg der Touristen, etwas oberhalb, entspricht dem Niveau des spätantiken Verkehrs. 27 Siehe KYRIAKIDIS, 2014 und KYRIAKIDIS, 2015–2016. 28 Siehe PÉTRIDIS, 2005. 29 Siehe BADIE/DÉROCHE/PÉTRIDIS 2014. 26

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der hohen Kaiserzeit;30 im 4. Jahrhundert wurden ein oder mehrere Wohnbauten gehobenen Standards eingerichtet, mit Mosaikböden und Räumen mit Apsis, die auf triclinia, Empfangsräume, hindeuten. Dieses Gebäude blieb mit Umarbeitungen bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts bestehen. Der generelle Eindruck, der sich aus diesem Bild ergibt, ist also der eines wirklichen Wohlstandes, den man nicht mehr den ökonomischen Auswirkungen des Orakels zuschreiben kann: Woher kommt er? Die einfachste Erklärung ist die allgemeine Entwicklung der östlichen Reichshälfte, die nach der Krise des 3. Jahrhunderts schneller als der Westen wieder zu wirtschaftlichem und demographischem Aufschwung zurückfand, bis zum Schlusspunkt durch die Justinianische Pest seit 541. Die nächstgelegene Stadt, Amphissa, erlebte ebenfalls eine wahre Blüte in dieser Epoche. Aber es kann dafür auch eine lokale, spezifischere Erklärung geben, nämlich die Wiederaufnahme der Bewirtschaftung des dem Apollon geweihten Landes nach dem Verfall seines Kultes. Die Keramik dieser Epoche bestätigt mit einer starken lokalen Produktion diesen Eindruck von Wohlstand.31

5. Das Ende des antiken Delphi Diese Siedlung verfällt wie der Rest Griechenlands von der Mitte des 6. Jahrhunderts an, aber wir können den Prozess nur auf einem kürzlich ausgegrabenen Abschnitt im Südosten des Peribolos verfolgen. Dieses Wohngebiet wurde gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts zumindest teilweise aufgegeben, mit einer Räumaktion, deren Überreste man in einer Zisterne findet. Danach, von etwa 580 bis 620, werden dort Werkstätten eingerichtet, vor allem von Töpfern mit Öfen und Abfallhalden von Keramik, die mehrere Räume füllen. Dies ist ein unzweifelhaftes Zeichen für die Verkleinerung der Wohnbebauung: Da die gefährlichen Tätigkeiten der Töpfer außerhalb der städtischen / urbanen Zonen liegen, ist dieser Sektor also zu der Zeit außerhalb des Wohngebiets. Dessen Ausdehnung entzieht sich uns; man kann nur gerade feststellen, dass es immerhin bedeutend genug war, um die Produktion dieser Werkstatt aufzunehmen. Schließlich belegen Gräber einen Teil des Areals mit Beschlag. Keine Spur von Gewalt kennzeichnet das Ende der menschlichen Nutzung, wie übrigens auch auf dem Rest der Stätte: Delphi wurde offensichtlich nicht von den Slaven zerstört, die in Griechenland von 580 an zahlreich sind, aber es ist wahrscheinlich, dass es ihr Vordringen war, das das 30

Es ist nur im zentralen Teil der Thermen erhalten, auf einem höheren Niveau als die Gebäude im Osten und Westen, die seine Spuren durch Abtragung ausgelöscht haben müssen. Im Osten liegt das neue Gebäude nur wenig oberhalb einer archaischen metallverarbeitenden Werkstatt. 31 Siehe PÉTRIDIS 2010.

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Ende der Stätte nach sich zog. Einige Funde von Keramik und vor allem von Münzen bezeugen eine erneute Nutzung im Mittelalter, aber da ist es nurmehr eine einfache unspektakuläre ländliche Stätte. Die Erinnerung an das Heiligtum von Delphi wird erst mit dem Besuch des Cyriacus von Ancona im 15. Jahrhundert wiederhergestellt.

2. Das Orakel und seine ‚Funktionsweise‘

Theophania, Theoria, Thusia Rethinking the Delphic Experience Hugh Bowden 1. Introduction Consultation of the Delphic oracle by Greek cities has generally been considered by scholars as a fundamentally political process.1 This is unsurprising given the nature of the evidence presented primarily in the texts of historians (most obviously Herodotus, Thucydides, and Xenophon), but also in Attic tragedy. In Athens the decision to consult the oracle, the question to be asked, and sometimes even the possible answers, would have been decided by the assembly, and one can assume similar practices in other cities. This is the picture presented both by the literary accounts of consultations, in Herodotus and later historians, and also in the limited epigraphic evidence. On the basis of this evidence, attention has been focused on the construction of the questions, and the nature of the answers given by the Pythia.2 Comparison with divinatory practices in other cultures have inevitably concentrated on what they have in common with consultations of Delphi (the questions and answers) rather than on where they differ (in particular the nature of the surrounding ritual).3 This approach therefore has tended to underplay the importance of what actually took place at Delphi on the occasion of a consultation. In this chapter I want to look at the broader context of what was happening at Delphi on the days when the oracle was giving answers, and to suggest that we need to think more about what the cities that sent envoys to Delphi understood themselves to be doing. I will start with a description of how the God of Delphi saw the oracle’s function, taken from the Homeric Hymn to Hermes: As for humans, I shall harm one and profit another as I lead their countless peoples this way and that. He will profit from my utterance who comes on the cry or the flight of valid omen birds: that man will profit from my utterance, and I shall not deceive him. But he who puts his trust in birds of vain utterance, and wants to enquire after a prophecy beyond

1

Cf. most recently TRAMPEDACH, 2015. E.g. FONTENROSE, 1978. 3 E.g. PARKER, 1985; BOWDEN, 2005. 2

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my intention, and to know more than the eternal gods, I declare he will journey for nothing, though I shall take his offerings. (Homeric Hymn to Hermes 541–9, translation M.L. West) 4

In this speech Apollo announces to his half-brother Hermes his plans for an oracular shrine. Although here he does not mention it by name, it is clear from the context that he is referring to Delphi.5 The passage draws attention to a number of aspects of the consultation of the Delphic oracle that we will consider in this chapter. These include the importance of travelling to the oracle, the offering of gifts in the form of sacrifice, and the role of birds. But it also raises a challenge to the generally accepted explanations for why Greek cities consulted the oracle. It is usually assumed that the Delphic oracle was the most prestigious of all Greek oracles, and that its prestige was an indication of its reliability.6 But Apollo here states that not everyone who comes to Delphi will receive a truthful answer, even if his sacrifice is accepted by the god.7 If there was no guarantee that an oracular response from Delphi could be trusted, why did cities consult the Delphic oracle, when there were other forms of divination available closer to home? We can approach an answer to this question by considering what else the cities would have got from sending an embassy to Delphi.

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ἀνθρώπων δ᾽ ἄλλον δηλήσοµαι, ἄλλον ὀνήσω, / πολλὰ περιτροπέων ἀµεγάρτων φῦλ᾽ ἀνθρώπων· / καὶ µὲν ἐµῆς ὀµφῆς ἀπονήσεται, ὅς τις ἂν ἔλθῃ / φωνῇ τ’ ἠδὲ ποτῇσι τεληέντων οἰωνῶν· / οὗτος ἐµῆς ὀµφῆς ἀπονήσεται, οὐδ᾽ ἀπατήσω· / ὃς δέ κε µαψιλόγοισι πιθήσας οἰωνοῖσιν / µαντείην ἐθέλησι παρὲκ νόον ἐξερεείνειν / ἡµετέρην, νοέειν δὲ θεῶν πλέον αἰὲν ἐόντων, / φήµ᾽ ἁλίην ὁδὸν εἶσιν, ἐγὼ δέ κε δῶρα δεχοίµην. 5 The scene is set near Pylos, but Apollo goes on to refer to other prophetic activity near Parnassos (555). In the Homeric Hymn to Apollo it is at Pylos that Apollo intercepts the Cretans who will become his first priests (397–399), and he indicates that Delphi will be the place where he expects to receive gifts in the form of sacrifices (536–537). 6 E.g. MAASS, 1993, 1. 7 Cf. Euripides’ Ion, where Apollo apparently gives false information to Xuthos. Other texts can be adduced that appear to refer to Apollo’s reliability, e.g. the Homeric Hymn to Apollo, τοῖσιν δ᾽ ἄρ᾽ ἐγὼ νηµερτέα βουλὴν / πᾶσι θεµιστεύοιµι χρέων ἐνὶ πίονι νηῷ (‘and I would dispense unerring counsel to them all, issuing oracles in my rich temple’, 292–293); or Pindar, ψευδέων δ᾽ οὐχ ἅπτεται (‘he does not engage in falsehoods’, P. 3.29); or Orestes’ description, ἄναξ Ἀπόλλων, µάντις ἀψευδὴς τὸ πρίν (‘King Apollo, who was never before a false prophet’, Aeschyl., Cho. 559); or that of the Chorus in Iphigeneia in Tauris, referring to Apollo at Delphi ἐν ἀψευδεῖ θρόνῳ (‘on his never-deceiving throne’, Eur., IT 1254); cf. Hdt., 1.49. The inconsistency of description cannot, and should not be explained away.

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2. Theophania I want to begin by considering the Delphic festival of the Theophania.8 This is known to us from a reference in Herodotus, describing the gold and silver mixing bowls dedicated at the sanctuary by Kroisos of Lydia. When these offerings were ready, Kroisos sent them to Delphi, with other gifts besides: namely, two very large bowls, one of gold and one of silver […] Now the golden bowl, which weighs eight and a half talents and twelve minae, is in the treasury of the Clazomenians, and the silver bowl at the corner of the forecourt of the temple. This bowl holds six hundred amphorae: for the Delphians use it for a mixing-bowl at the Theophania. (Hdt., 1.51.11–12)9

This is the only certain surviving reference to the festival.10 There are later epigraphic references to a festival of the same name in Chios, and it is possible that this took its name from the Delphic festival.11 Nonetheless, the name of the festival gives a clear indication of what the festival is likely to have involved. Although other suggestions have been put forward, 12 the most likely explanation for the function of the festival at Delphi was to celebrate the annual return of Apollo to Delphi from the land of the Hyperboreans. The date of the god’s reappearance is most plausibly identified with the first day of functioning of the Delphic oracle on 7 Bysios.13 It has been suggested that this festival was the most likely occasion for the performance of a lost Paian by Alkaios known to us from an oration of Himerios.14 We will consider this passage later, but Alkaios depicts a scene of noise and music as nature (in the

8

PFISTER, 1934a; PETRIDOU, 2016, 275–277. ἐπιτελέσας δὲ ὁ Κροῖσος ταῦτα ἀπέπεµπε ἐς Δελφούς, καὶ τάδε ἄλλα ἅµα τοῖσι, κρητῆρας δύο µεγάθεϊ µεγάλους, χρύσεον καὶ ἀργύρεον ... τῶν ὁ δὲ ἀργύρεος [κεῖται] ἐπὶ τοῦ προνηίου τῆς γωνίης, χωρέων ἀµφορέας ἑξακοσίους· ἐπικίρναται γὰρ ὑπὸ Δελφῶν Θεοφανίοισι. 10 The inscription recording the agreement between the people of Skiathos and the Delphians (CID 1.13.24–9) refers to a festival: Δελφṑ|ς δὲ [π]αρέχεν Σκια|θίο[ι]ς ἱστιατόρι|[ο]ν, ξύ̣λα, ὄξος, ἅλα· Θ|[εοξε]νίοις δὲ τὰς | [µοίρ]ας διδόµεν. AMANDRY, 1939 proposed that this was a reference to the Θεοξενία. He accepted the view of earlier scholars that this was the festival Herodotus meant (AMANDRY, 1939, 209, cf. AMANDRY 1944/5, 414). There is no good reason for making this assumption (DEROW/FORREST, 1982, 84), and it would be possible to restore the inscription as naming the Θεοφανία, thereby giving us a second reference to the festival. 11 DEROW/FORREST, 1982, 83–84. The Chian festival may have celebrated a specific divine appearance: GARBRAH, 1986. 12 E.g. LSJ s.v. Θεοφάνια: ‘festival at Delphi, at which the statues of Apollo and other gods were shown to the people.’ 13 PFISTER, 1934a; PETRIDOU, 2016, 276. 14 Himerios, Or. 48.10–11 = Alkaios, Frg. 307c (Campbell). Suggested by PFISTER, 1934a. 9

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form of the birds and the local streams) welcomes the god: the celebration is clearly supposed to resemble a human festival. Historically, 7 Bysios was the one day in the year when Apollo’s oracle could be consulted. That is to say that Apollo’s presence at Delphi was revealed through the inspired speech of the Pythia. The month of Bysios was also the time of the Spring meeting of the Delphic Amphictyony, which gathered at Anthela for the festival of the Pylaia before moving to Delphi.15 Although there is no explicit evidence for the move coinciding with the arrival of Apollo at Delphi, it would not be surprising if the two were intended to coincide. All this suggests that 7 Bysios would have been a very busy day in the sanctuary and the city of Delphi, and in the surrounding area. It is generally accepted that by the Classical period the oracle was functioning on one day a month, for nine months of the year and it is assumed that this would be the seventh day of the month. We might therefore expect major celebrations on these other special days. The festival of the Theoxenia was held in the month after Bysios (Theoxenios). Although our evidence for the festival is not much better than that for the Theophania, it is clear that this was a similar large-scale event, with paians performed, and feasting, honouring the gods, and Apollo in particular, as guests.16 It is another way of marking Apollo’s presence in his sanctuary. The presence of Apollo, revealed through the voice of the Pythia, is an example of epiphany, or theophany. There has been debate, from antiquity onwards, about exactly how the god communicated with mortals, but there was no disagreement that he did.17 When referring to the delivery of an oracle, the usual formula was ‘the god (or Apollo) spoke’.18 There were very few sanctuaries where a divinity demonstrated their presence so clearly. We know surprisingly little about the mechanism of most Greek oracles,19 but the presence of an inspired speaker like the Pythia is by no means common in the 15

ROUX, 1979, 3. PFISTER 1934b; AMANDRY, 1939 and 1944/5; HEDREEN, 2010; PETRIDOU, 2016, 289–294. 17 E.g. Herakleitos, Frg. B 93, on which cf. most recently MAURIZIO, 2013a, TOR, 2016; Plutarch, Pyth. or. 21, 404e; general discussion: MAURIZIO, 1995. 18 FONTENROSE, 1978, 212. 19 Herodotus, the classical source with most to say about oracles (especially at 1.46–9, 8.133–5) is not always easy to interpret. He uses the word promantis occasionally to refer to the Delphic priestess (6.66.2–3, 7.141.2). He uses the same word for the priestess of Dionysos of the Satrai, explicitly stating that she prophesied in the same way as at Delphi (χρέωσα κατά περ ἐν Δελφοῖσι, 7.111.2). But he also uses the word to refer to the priestess of the oracle at Patara in Lycia, whose role was to incubate dreams in the temple (1.182.2). He uses the word again to refer to the (male) priest of Apollo Ptoios (8.135.1) and the priestesses at Dodona (2.55.1), without commenting on the methods they used. On the problems of identifying how the oracle of Zeus at Dodona worked, cf. EIDINOW, 2007, 67–71; PARKER, 2016. 16

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classical period.20 There were oracles associated with heroes, such as that of Trophonios at Lebedeia,21 where the presence of the hero at the sanctuary was assumed on the basis of the site’s association with the events of the end of his life. The rather dramatic descriptions of the consultation process at the Trophonion in ancient writers make it difficult to identify the hero’s role in communicating information.22 There were oracles that worked through incubation, a process that became particularly associated with healing shrines, most famously that of Asklepios at Epidauros.23 In these cases the god appeared to a single sleeping individual in a dream, and their message was therefore reported indirectly. With oracles which worked through the consultation of the entrails of sacrificial victims, as was the practice at Olympia and the oracle of Apollo Ismenios at Thebes,24 the intervention of the god was even less directly perceivable. What happened at Delphi, where the Pythia was visibly possessed by Apollo, and the words of the god could be heard by all present in the adyton of the temple, was an example of direct intervention in the mortal world which was far from a common occurrence. Even if it was something that happened every year over a number of centuries, it would have been worth celebrating with a festival.

3. Thusia If we consider the first day, and probably each of the nine days, when the oracle functioned as being a major festival, it will cast other aspects of Delphic activity in a new light. One of these is the reputation of Delphi for excessive animal sacrifice. In the Homeric Hymn to Hermes, as we have seen, Apollo expects those who come to consult him to provide offerings (δῶρα), which we may take to mean above all sacrificial victims. The association of the sanctuary with sacrifice is an important theme in the Homeric Hymn to Apollo as well. In this hymn the poet has the god explain his plan in founding a temple: 20

It is possible that with the ‘rebirth’ of some oracles in the Hellenistic period and later, some sanctuaries changed the way they functioned in imitation of Delphi. Epigraphic evidence from the oracle at Didyma indicates that responses were given in prose before the destruction of the sanctuary in 494, but in verse after its restoration in 334: this may reflect other changes to the way the oracle functioned. On the change in the way oracles were used in the post-classical period see BOWDEN 2013. The implication of this is that evidence from later periods should be used with caution for the interpretation of the mechanism of oracles in the archaic and classical periods. 21 BONNECHERE, 2003. 22 Paus., 9.39.5–13. 23 HERMES, 1996, 160–179. 24 Hdt., 8.134.1.

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Here I am minded to make my beautiful temple as an oracle for humankind, who will ever come in crowds bringing me perfect hecatombs, both those who live in the fertile Peloponnese and those who live in the Mainland and the sea-girt islands, wishing to consult me; and I would dispense unerring counsel to them all, issuing oracles in my rich temple. (Hom. Hymn. Apoll. 287–293)25

Later, he says to his newly-appointed Cretan priests: O foolish men of misplaced suffering, who want anxiety, hard toil, and heartache! I will give you a simple answer to bear in mind. Each of you must keep a knife in his right hand and keep slaughtering sheep: they will be available in abundance, as many as the thronging people bring for me. Watch over my temple, and welcome the people as they gather here. (Hom. Hymn. Apoll. 532–539)26

These passages emphasise the importance of large-scale animal sacrifice at Delphi, and this is a phenomenon that is visible more widely. Scholars have noted the way that Delphic sacrifice was a subject of interest in ancient texts.27 Delphic sacrificing and feasting is lampooned in a number of passages of old comedy gathered by Athenaeus (4.173b–e), and Aesop is said to have criticized Delphic greed, according to various of the lives of Aesop. In some narratives of the death of Neoptolemos at Delphi, including for example Pindar, Nemean 7, he is killed by the Delphians in a dispute about the division of sacrificial meat.28 In the account of the death narrated by the messenger in Euripides’ Andromache, sacrifice is not the reason for his being killed, but the description of Neoptolemos being hacked to death by a crowd of Delphians resembles the description of sacrificial behaviour mocked by Aesop: Whenever someone comes to sacrifice to the god, the Delphians stand around the altar, each one carrying a sacrificial knife concealed on his person. And when the priest has slain the victim and skinned it and removed and apportioned the innards, each of those standing around hacks off whatever share he can and departs, so that, on many occasions, the sacrificer himself departs without any share at all. (P.Oxy 1800 fr. 2 ii 33-46).29

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ἐνθάδε δὴ φρονέω τεῦξαι περικαλλέα νηὸν / ἔµµεναι ἀνθρώποις χρηστήριον, οἵ τε µοι αἰεὶ / ἐνθάδ᾽ ἀγινήσουσι τεληέσσας ἑκατόµβας, / ἠµὲν ὅσοι Πελοπόννησον πίειραν ἔχουσιν, / ἠδ᾽ ὅσοι Εὐρώπην τε καὶ ἀµφιρύτας κατὰ νήσους, / χρησόµενοι· τοῖσιν δ᾽ ἄρ᾽ ἐγὼ νηµερτέα βουλὴν / πᾶσι θεµιστεύοιµι χρέων ἐνὶ πίονι νηῷ. 26 νήπιοι ἄνθρωποι, δυστλήµονες, οἳ µελεδῶνας / βούλεσθ᾽ ἀργαλέους τε πόνους καὶ στείνεα θυµῷ· / ῥηίδιον ἔπος ὔµµ᾽ ἐρέω καὶ ἐπὶ φρεσὶ θήσω. / δεξιτερῇ µάλ᾽ ἕκαστος ἔχων ἐν χειρὶ µάχαιραν / σφάζειν αἰεὶ µῆλα· τὰ δ᾽ ἄφθονα πάντα παρέσται, / ὅσσα τ᾽ ἐµοί κ᾽ ἀγάγωσι περικλυτὰ φῦλ᾽ ἀνθρώπων· / νηὸν δὲ προφύλαχθε, δέδεχθε δὲ φῦλ᾽ ἀνθρώπων / ἐνθάδ᾽ ἀγειροµένων καὶ ἐµὴν ἰθύν τε µάλιστα. 27 See e.g. KURKE, 2003, 80, 88–90. 28 Pind., N. 7.40–42. 29 ἐπὰν [εἰσέ]λθῃ τ[ις] τῷ θεῷ θυσιάσ[ων ο]ἱ Δελφ[ο]ὶ περ[ι]εστήκασι τὸν βωµ[ὸ]ν ὑφ᾽ ἑαυτοῖς µαχαίρας κ[ο]µίζοντες, σφαγιασαµένου δὲ τοῦ ἱερέως καὶ δείραντος τὸ ἱερεῖον καὶ τὰ σπλάγχνα περιεξελοµένου, οἱ περιεστῶτες ἕκαστος ἣν ἂν ἰσχύσῃ µοῖραν ἀποτεµνόµενος ἄπεισιν, ὡς πολλάκις τὸν θυσιάσαντα αὐτὸν ἄµοιρ[ο]ν ἀπι[έ]ναι.

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When the Delphians kill Neoptolemos by stabbing him from places of concealment (Eur. Andr. 1119), and then when he had fallen, stabbing him again, they are treating him as a sacrificial victim himself. The fourth-century Delphic inscription concerning an agreement with the people of Skiathos (CID 1.13) mentions a goat ‘on the sacrificial table’.30 This has been taken to refer to a victim distinct from the pre-consultation offering, and therefore as further evidence for distinctive Delphic sacrificial practice.31 The text is lacunose here, and does not seem to me to be clear enough for certainty. The inscription does go on to say that the Delphians will provide wood, vinegar and salt in a dining room for the Skiathians, so they clearly expected to eat something.32 The regular sequence of festivals at the sanctuary on days when the oracle functioned might well give the visitor the impression that life in Delphi was one continuous barbecue. But these texts also indicate that a close relationship was recognised between sacrifice and prophecy at Delphi. The word χρηστήριον can refer to an oracular sanctuary, an oracular response, or a sacrificial offering made as part of the process of consulting an oracle. Since there are references to an oracle of Zeus at Olympia which functioned through the consultation of the entrails of sacrificial victims, the terms could be seen to run into each other.33 More generally, occasions of sacrifice were crucially always occasions of divination, as the entrails of the sacrificed victim would be inspected as part of the ritual. What Apollo describes himself as doing in the Homeric Hymns is establishing a place where mortals will come to offer him sacrifice, in return for which he will sometimes offer them sound advice. As we have seen, Apollo says in the Homeric Hymn to Hermes that he will not guarantee that all who bring gifts to him will receive reliable responses, and this reflects a more widely held understanding of the relationship between sacrifice and divination which is most explicitly voiced by Xenophon in several of his works, that the gods will not communicate with mortals unless they wish to, but are more likely to communicate with those who sacrifice to them regularly.34

4. Birds Accounts of Apollo’s arrival at Delphi, and other texts relating to days of consultation give significant attention to the presence of birds, and this is a 30

ἐπὶ | [τὰν τράπ]εζαν αἶγ- | α κ̣[αλλι]στεύοντα (20–22). AMANDRY, 1939, 203–207; ROUX, 1966, 569–571; ROUGEMONT, in CID 1, 129. 32 CID 1.13.24–27. 33 Pind., O. 6.70; Hdt., 8.134.1. 34 Xen., Cyr. 1.6.46, Hipparch. 9.8–9; BOWDEN, 2004, 231–233. 31

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phenomenon that deserves consideration. In the Homeric Hymn to Hermes Apollo refers to petitioners being led to his oracle either by ‘valid omen birds’ or by ‘birds of vain utterance’. Birds are very visible in descriptions of Delphi when the oracle is to be consulted. Himerios summarises the content of the Paian of Alkaios mentioned earlier as follows: When Apollo was born, Zeus equipped him with golden headband and lyre, and gave him also a chariot of swans to drive, and sent him to Delphi and the spring of Castalia, thence to declare justice and right for the Greeks; but when Apollo mounted the chariot he directed the swans to fly to the land of the Hyperboreans. Now when the Delphians learned this, they composed a paean and a tune and arranged dancing choirs of youths around the tripod and called on the god to come from the Hyperboreans. Apollo however delivered law among the men of that region for a full year; but when he thought it was time that the tripods of Delphi should ring out too, he ordered his swans to fly back again from the Hyperboreans. Now it was summer and indeed the very middle of summer when Alkaios brings Apollo back from the Hyperboreans: so what with the blaze of summer and the presence of Apollo the poet’s lyre also adopts a summer wantonness in the account of the god: nightingales sing for him the kind of song that one might expect birds to sing in Alkaios, swallows too and cicadas, not proclaiming their own fortunes in the world but telling of the god in all their songs. Kastalia flows in poetic fashion with waters of silver, and Kephisos rises in flood, surging with his waves, in imitation of Homer’s Enipeus: for Alkaios is compelled just like Homer to give even the water the power to sense the presence of gods (Campbell’s translation).35

There is a significant emphasis here on the activities of birds: swans, nightingales and swallows are all referred to. Apollo’s arrival at Delphi is marked also by the arrival of birds, the interpretation of whose actions is a fundamental aspect of the skill of all Greek manteis.36 Birds are prominent in other texts relating to Delphi too. Pindar is said to have told the story of how Zeus set free two eagles from either end of the world, and how they met at Delphi, 35

Himerios, Or. 48.10–11: ὅτε Ἀπόλλων ἐγένετο, κοσµήσας αὐτὸν ὁ Ζεὺς µίτρᾳ τε χρυσῇ καὶ λύρᾳ, δούς τε ἐπὶ τούτοις ἅρµα ἐλαύνειν – κύκνοι δὲ ἦσαν τὸ ἅρµα – εἰς Δελφοὺς πέµπει Κασταλίας νάµατα, ἐκεῖθεν προφητεύοντα δίκην καὶ θέµιν τοῖς Ἕλλησιν. ὁ δὲ ἐπιβὰς ἐπὶ τῶν ἁρµάτων ἐφῆκε τοὺς κύκνους ἐς Ὑπερβορέους πέτεσθαι. Δελφοὶ µὲν οὖν, ὡς ᾔσθοντο, παιᾶνα συνθέντες καὶ µέλος, καὶ χοροὺς ἠιθέων περὶ τὸν τρίποδα στήσαντες, ἐκάλουν τὸν θεὸν ἐξ Ὑπερβορέων ἐλθεῖν· ὁ δὲ ἔτος ὅλον παρὰ τοῖς ἐκεῖ θεµιστεύσας ἀνθρώποις, ἐπειδὴ καιρὸν ἐνοµοθέτει καὶ τοὺς Δελφικοὺς ἠχῆσαι τρίποδας, αὖθις κελεύει τοῖς κύκνοις ἐξ Ὑπερβορέων ἀφίπτασθαι. ἦν µὲν οὖν θέρος καὶ τοῦ θέρους τὸ µέσον αὐτό, ὅτε ἐξ Ὑπερβορέων Ἀλκαῖος ἄγει τὸν Ἀπόλλωνα· ὅθεν δὴ θέρους ἐκλάµποντος καὶ ἐπιδηµοῦντος Ἀπόλλωνος θερινόν τι καὶ ἡ λύρα περὶ τὸν θεὸν ἁβρύνεται. ᾄδουσι µὲν ἀηδόνες αὐτῷ ὁποῖον εἰκὸς ᾆσαι παρ’ Ἀλκαίῳ τὰς ὄρνιθας· ᾄδουσι δὲ καὶ χελιδόνες καὶ τέττιγες, οὐ τὴν ἑαυτῶν τύχην τὴν ἐν ἀνθρώποις ἀγγέλλουσαι, ἀλλὰ πάντα τὰ µέλη κατὰ θεοῦ φθεγγόµεναι· ῥεῖ καὶ ἀργυροῖς ἡ Κασταλία κατὰ ποίησιν νάµασι, καὶ Κηφισὸς µέγας αἴρεται πορφύρων τοῖς κύµασι, τὸν Ἐνιπέα τοῦ Ὁµήρου µιµούµενος. βιάζεται µὲν γὰρ Ἀλκαῖος ὁµοίως Ὁµήρῳ ποιῆσαι καὶ ὕδωρ θεῶν ἐπιδηµίαν αἰσθέσθαι δυνάµενον. 36 Cf. e.g. DILLON, 2017, 139–177.

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marking it as the earth’s centre.37 Euripides’ Ion is set on a day when the oracle was to function, and therefore when Apollo would appear. When the eponymous character comes on stage, he explains that he will drive away the flocks of birds which might harm the sacred offerings;38 he then sings about them, mentioning a swan,39 and describing the swallows, and mentioning their role in announcing the gods’ words to mortals.40 Later in the play, the messenger describes a flock of doves which live in the temple of Apollo, and which play a crucial role in revealing a plot against Ion.41 Alongside these texts we can set an Attic white-ground kylix from a grave at Delphi, dated to c. 460 BCE.42 This depicts Apollo, seated with his lyre, wearing a garland and pouring a libation; in front of the god stands a black bird, species uncertain but possibly a raven, level with his head, looking towards him. Whatever interpretation may be put on the image, it shows a close association between the god and the bird. These examples indicate a special relationship between birds, and in particular birds with a mantic role, and the sanctuary of Apollo. The Pythia’s inspired prophecy is not the only form of divination being celebrated at Delphi. The different methods of divination are part of a larger single phenomenon. This connection between birds and Apollo’s sanctuary at Delphi was not something that Greeks would learn about only from literature, we may assume. Any visitor to Delphi would have seen the birds there themselves.

5. Theoroi Let us now turn to these visitors, and in particular the embassies sent by cities to Delphi. The Greek word that covers these in this context is theoros, and it needs some discussion. There has been a very full recent study of theoria and theoroi by Ian Rutherford.43 He makes a definite distinction between the use of the word to refer to ‘oracle delegates’ and its use to refer to delegates to overseas festivals.44 One of the reasons for this would appear to be the fact that the earliest known use of the word theoros in Greek literature comes from Theognis (1.805–10), referring specifically to someone whose role is to consult the Delphic oracle. The distinction implies that the consultation of 37

Strab., 9.3.6 = Pind., Frg. 54. Eur., Ion 106–108. 39 Eur., Ion 161–169. 40 Eur., Ion 171–178. 41 Eur., Ion 1196–1208. 42 Archaeological Museum of Delphi, 8140. 43 RUTHERFORD, 2013. 44 He covers festivals in chapter 4, and oracles in chapter 6. See also NIGHTINGALE, 2004, 44–47 for the same distinction. 38

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oracles by cities should be seen as something significantly different from attending a festival – a political rather than a religious procedure, perhaps. But we might usefully look at the issue the other way around. If visitors to oracular sanctuaries are referred to as theoroi, we should understand their role as first and foremost participating in a festival, and more incidentally as enquirers of the oracle. Rutherford cites two fourth century Athenian inventories referring to theoroi sent to the oracular sanctuary of Ammon in Libya, and these appear to be primarily sent with gifts for the god.45 Whether or not they consulted the oracle there at the time is not revealed. The word theoros is not generally used on inscriptions to mean specifically a delegate to an oracle, and it is worth noting that when it is used in other texts, the word is only used of state delegates, not private enquirers.46 All of this suggests, I think, that it is actually misleading to see consulting an oracle as in itself a form of theoria. Rather, consulting an oracle is something a theoros might do, while fulfilling his primary role by attending a festival. Given the challenges of travelling in Greece, especially in the early spring, we should assume that theoroi would set off with time to spare, and so often arrive at Delphi a few days before the festival itself. In Euripides’ Andromache the messenger describes how Neoptolemos and his companions spent three days looking at the sights of Delphi – viewing (thea) being one of the expected activities of theoroi.47 It is important to think about the infrastructural implications of the gatherings associated with the operation of the oracle. Modern perceptions of ancient visits to Delphi are influenced by the way they are represented in Plutarch, which is strikingly similar to the modern experience of tourism.48 Tour guides are central to both, and with it, I suspect, the assumption that ancient Delphi had its equivalent to the modern hotels and restaurants to provide food and shelter to the tourists. But if we have a great influx of visitors around 7 Bysios, and in subsequent months, there would not be the space to accommodate them all. The Amphictyonic regulations of 380 BCE refer to pastades, that is porticos, that were common to all, located on the Sacred Land below the sanctuary,49 and we should probably envisage an encampment of tents there as well. Some idea of what might be involved can be seen in Euripides’ Ion, where a messenger describes the tent put up by Ion on behalf of his newfound father Xuthus, when he hosts a feast for the Delphians: The youth reverently built the round tent on pillars, without walls, taking good care of the rays of the sun, setting it neither towards the middle beams of heat nor in turn towards the 45

SEG 46.122, 21.562. RUTHERFORD, 2013, 380–385. RUTHERFORD, 2013, 98. 47 Eur., Andr. 1086–1088. 48 Plut., Pyth. or. 1–2, 394e–395a. 49 CID 4.1.21–4. 46

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ending ones. He measured a length of 100 feet for a square, having its whole area ten thousand feet, as the wise say, so that he might call all the people of Delphi to the feast. From the treasuries he took sacred tapestries, and shadowed over the tent, a wonder for men to see […] He set up golden mixing bowls in the middle of the banquet.50 (Eur. Ion 1128–76)

A tent like this, it should be said, though suitable for entertaining the Delphians, would have caused problems at other festivals. The regulations for the festival associated with the Mysteries at Andania, known from an inscription of the early first century BCE, gives regulations for tents, limiting them to 30 feet square, and forbidding the presence in them of couches or silver plate worth more than 300 drachmai.51 The visitors will have needed to eat and drink, to have baths, and certainly in the early spring, to have access to firewood. The same Andanian inscription indicates the range of issues that had to be considered alongside the size of tents. These include rules about the water supply and the collection of firewood, as well as control of prices of baths, and the identification of an area for a market to be set up. These regulations are mostly the responsibility of the agoranomoi.52 They remind us that alongside the travellers there will have been a whole commercial world of traders gathering to service them.53 The return of Apollo to his temple will have been accompanied not only by religious rituals within the sanctuary, but also by a large-scale seasonal fair outside it. We have glimpses of how this might work from Pausanias’ description of a festival somewhere near Tithoreia in Phocis, which saw the sale of slaves, livestock, clothes and silver and gold from temporary stalls set up for the occasion.54

50

ὁ δὲ νεανίας / σεµνῶς ἀτοίχους περιβολὰς σκηνωµάτων / ὀρθοστάταις ἱδρύεθ᾽, ἡλίου βολὰς / καλῶς φυλάξας, οὔτε πρὸς µέσας φλογὸς / ἀκτῖνας, οὔτ’ αὖ πρὸς τελευτώσας βίον, / πλέθρου σταθµήσας µῆκος εἰς εὐγωνίαν, / µέτρηµ’ ἔχουσαν τοὐν µέσῳ γε µυρίων / ποδῶν ἀριθµόν, ὡς λέγουσιν οἱ σοφοί, / ὡς πάντα Δελφῶν λαὸν ἐς θοίνην καλῶν. / λαβὼν δ᾽ ὑφάσµαθ’ ἱερὰ θησαυρῶν πάρα / κατεσκίαζε, θαύµατ’ ἀνθρώποις ὁρᾶν […] / […] χρυσέους τ᾽ ἐν µέσῳ συσσιτίῳ / κρατῆρας ἔστησ᾽. 51 Syll3 736 (= ΙG v. 1 1390) 34–39. 52 Syll3 736 (= ΙG v. 1 1390) 99–111. Cf. GAWLINSKI, 2012, 23. 53 DILLON, 1997, 204–227. 54 Paus., 10.32.15. For more on this see CHANDEZON, 2000; DE LIGT, 1993, 35–39, 64– 70, 38–39: ‘many periodic festivals were accompanied by commercial activities of one kind or another, and it seems likely that many accessory festal markets developed into “genuine fairs”.’

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6. What Was It Like to Consult the Oracle? A recent description of what theoroi had to do before they consulted the Delphic oracle talks in these terms: They first had to purify themselves […] What followed then was a system of queueing … there was always a way to skip to the front […] Once the order was decided, the money had to be paid […] All this would take time, and consultants would be obliged to wait for long periods.55

This perhaps resembles the experience of trying to get into a very popular art exhibition, emphasising the tedium and implying that the relationship between consultant and sanctuary is fundamentally transactional. This is not particularly surprising, given the nature of our evidence for the consultation itself. Inscriptions provide little evidence of what was involved. They give minimal instructions, for example ‘the people shall choose three men, one from the Council and two from all Athenians, who will go to Delphi and ask the god […]’.56 In his fullest account of a consultation, Herodotus is scarcely more detailed: ‘The Athenians were anxious to consult the oracle and sent their messengers to Delphi; and when these men had carried out the customary rituals, as they were entering the hall of oracles and sitting down, the Pythia, who was called Aristonike, prophesied in these words […]’.57 However, as we have seen, there is good reason to suppose that the consultants were actually actors in a much larger drama. The Andanian inscription once again offers helpful parallels. The theoroi would be accompanied by Delphic proxenoi,58 just as at Andania the initiates were accompanied by mystagogoi.59 There would have been a formal procession accompanying the priestess to the temple: whether or not the theoroi would have been part of the same procession, or gathered separately is not clear, but they would have been present to witness the priestess entering the temple.60 Inside the temple the theoroi would witness directly and from close up Apollo’s manifestation of himself through the Pythia: they would have been not so much bored customers queueing for their turn, but rather particularly privileged participants. Before the consultation they would have slaugh55

SCOTT, 2014, 15–17. IG ii3 292.42–45: ἑλέσθω δὲ ὁ δ[ῆµ]ος [τρ]εῖς ἄνδρας, ἕν[α] µ[ὲ]ν ἐκ τῆς βουλῆς, δύο δὲ ἐξ Ἀθηναίω[ν ἁ]πάντων, οἵτ[ιν]ες εἰ[ς Δ]ελφοὺς ἀφικόµενοι τὸν θεὸν ἐπερ[ήσ]ο[ν]τ[α]ι […] 57 Hdt., 7.140.1: πέµψαντες γὰρ οἱ Ἀθηναῖοι ἐς Δελφοὺς θεοπρόπους χρηστηριάζεσθαι ἦσαν ἕτοιµοι· καί σφι ποιήσασι περὶ τὸ ἱρὸν τὰ νοµιζόµενα, ὡς ἐς τὸ µέγαρον ἐσελθόντες ἵζοντο, χρᾷ ἡ Πυθίη, τῇ οὔνοµα ἦν Ἀριστονίκη, τάδε. 58 Eur., Andr. 1100–1103. 59 Syll3 736 (= ΙG v. 1 1390) 150–151. 60 Cf. Aeschyl., Eum. 31–33. 56

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tered a sacrificial victim, but afterwards they would have the opportunity to eat the meat, presumably entertaining their proxenos and others as part of the generally understood notion of xenia.61

7. Why Delphi? We can now return to the question raised near the start of this chapter: why did Greek cities send theoroi to consult the Delphic Oracle, when its reliability could not be guaranteed, and there were other more accessible forms of divination available? It is clear that an embassy sent to Delphi was doing rather more than just asking the Pythia a question and recording the answer. Fundamentally they would be doing what all theoroi did, that is, attending a festival – most clearly on the first day the oracle functioned, 7 Bysios, but as I have suggested, probably also on the subsequent days of consultation. In that festival animal sacrifice played a major role, and particular attention was paid to the behaviour of birds. Both these phenomena were central to the activities of Greek manteis, and the festival would emphasise the association between them and Apollo. To take part in the festival therefore was to honour the god above all for his power in the field of divination. As part of the festival, certain individuals, who would, we may be confident, mostly be representatives of cities (and increasingly in the Hellenistic period powerful individuals) who were favourable to Delphi (since it was those who had been awarded promanteia by the Delphians who would go first),62 would encounter the god at close quarters, by asking him questions, and receiving responses, through the Pythia. The religious significance of these encounters should not be underestimated: this was to be as close to Apollo as it was possible to be. Clearly, in order for the theoroi to have questions to ask, cities must have directed a proportion of their concerns towards Delphi, but the theoroi were doing much more for their cities. They were, on their city’s behalf, maintaining a close relationship with the god whose power lay behind all forms of divination. As a result of their journeys, every consultation of entrails, or observation made of the behaviour of birds, was made more trustworthy.

61 62

Cf. Eur., Ion 1122–1131. On promanteia see POUILLOUX, 1952; ARNUSH, 2007, 108.

Jungfräulich, isoliert, ungebildet? Die Pythia als Sprachrohr Apollons



Tanja S. Scheer 1. Einführung Ohne die Pythia ist die Geschichte des Orakels von Delphi nicht zu denken. Sie war diejenige, die die Orakelsprüche äußerte, von denen die überregionale Bedeutung Delphis abhing. Lisa Maurizio hat die Pythia treffend beschrieben: „the voice at the center of the world“.1 Dass diese Stimme am Nabel der Welt einer Frau gehörte, ist sowohl den antiken Quellen als auch der neuzeitlichen Forschung als besonders spektakulär erschienen.2 Die Stimmen aus der griechischen Antike werden nur sehr unausgewogen für uns hörbar. Die Aufmerksamkeit antiker Autoren erregt überwiegend, wer ein politisches Amt innehat, wer sich in den Institutionen der griechischen Polis Gehör verschaffen kann, für deren Repräsentation ausgewählt wird und wer schließlich an den kriegerischen Unternehmungen der Griechen aktiv beteiligt ist. Interesse findet, wer fähig ist, seinen Besitz prestigeträchtig und eigenständig einzusetzen, oder wer als charismatische Figur eine elitäre Gruppe von Anhängern um sich versammeln und ihnen seine Meinung über die Welt und ihre Normen vermitteln kann. Die Mehrheit antiker Quellenautoren erfüllte in persona eine oder mehrere dieser Anforderungen. Griechische Frauen hingegen hatten in der griechischen Poliswelt diesbezüglich „keine Stimme“. 3 Ein formalisiertes Mitspracherecht in den institutionalisierten Entscheidungsprozessen der Polis blieb ihnen verwehrt und öffentliches Reden war für sie nicht vorgesehen. Die Position der Pythia in Delphi ist also aus historischer Perspektive sehr ungewöhnlich: Sie stand im Zentrum einer Einrichtung, welcher in der neuzeitlichen Forschung immer wieder auch politische Bedeutung zugeschrieben Der vorliegende Beitrag entstand im Kontext des DFG-geförderten SFB 1136 „Bildung und Religion“ an der Universität Göttingen, Teilprojekt C 01 „Aufgeklärte Männer – abergläubische Frauen? Religion, Bildung und Geschlechterstereotypen im klassischen Athen“. 1 MAURIZIO, 2001, 38–54. 2 Vgl. etwa BOWDEN, 2005, 25. 3 S. SCHEER, 2000, 145-147; SCHEER, 2011, 59. ∗

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worden ist, und deren Autorität die antiken Quellen betonen.4 Im vorliegenden Beitrag geht es nicht um die Frage, was genau während einer Befragung der Pythia geschah – die antiken Quellen liefern keine zusammenhängende Beschreibung des delphischen Orakelrituals. 5 Vielmehr steht die Pythia hier als soziale Person weiblichen Geschlechts im Vordergrund.

2. Eine weissagende Frau in Delphi? Warum bedurfte es also für die Vermittlung göttlichen Wissens in Delphi einer weiblichen Stimme? Pointiert formuliert: warum war die Prophetin in Delphi, die Pythia eine Frau? Diese Frage erscheint umso berechtigter vor dem Hintergrund einer Behauptung Plutarchs, der in der Kaiserzeit selbst ein Priesteramt in Delphi innehatte und in seiner Schrift Über das E in Delphi feststellt, keiner Frau sei es erlaubt, sich dem Orakel zu nähern. Glaubt man Plutarch, so hätte man in Delphi zum einen einer weiblichen Person die wichtigste Rolle schlechthin zugebilligt, andererseits wäre aber das Orakel grundsätzlich für Frauen verboten gewesen.6 In einigen Schriften Plutarchs, die als Frage-und Antwortkataloge konzipiert sind, behandelt er in vielfältiger Weise Besonderheiten des griechischen Kultlebens. Auch Delphi wird hierbei thematisiert.7 Die Frage, warum die Pythia eine Frau ist, hat Plutarch sich und seinen Lesern aber offenbar nicht gestellt. Die Antwort eines antiken delphischen Bürgers oder einer delphischen Bürgerin wäre in diesem Fall vermutlich sehr einfach gewesen und hätte sich nach einer Grundregel griechischer Kultausübung gerichtet: kata to nomimon, gemäß dem Brauch, gemäß dem Herkommen soll man mit den Göttern verkehren und ihre Verehrung gestalten.8 Die Pythia ist also eine Frau, weil dies seit jeher der Brauch gewesen ist.9 Aitiologische Erklärungen eines derartigen Brauchs anzufügen war beliebt, aber nicht erforderlich. In 4

SCHEER, 2018, 46; TRAMPEDACH, 2015, 25.398.528. S. auch KINDT, 2016, 6. Zur Herbeiführung des enthousiasmos der Pythia als vermutlich einer selbst induzierten Trance, die durch Trigger (wie z. B. Ritual oder Geruch) ausgelöst werden konnte s. z.B. JOHNSTON, 2008, 49-50; FLOWER, 2008b, 226; MAURIZIO, 1995. 6 Plut., De E 2, 385c: τὸ µηδεµιᾷ γυναικὶ πρὸς τὸ χρηστήριον εἶναι προσελθεῖν („dass es keiner Frau erlaubt ist, sich dem Orakel zu nähern“). In der neueren Forschung hat Plutarch allerdings nicht immer Glauben gefunden: DILLON, 2002, 98; CONNELLY, 2007, 78 mit Gegenbeispielen aus den älteren Quellen. 7 Vgl. z.B. Plut., Qu. Gr. 9, 292d; 12, 293b–f. 8 PARKER, 2011, 3; vgl. COLE, 2008, 57. 9 Vgl. z. B. Eur., Ion 1322, wo die Pythia davon spricht, den alten Brauch (ἀρχαῖον νόµον) des Dreifußes zu bewahren. 5

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den antiken Quellen sind keine Erklärungen über die Umstände der ersten Einsetzung einer weiblichen delphischen Prophetin erhalten geblieben.10 In den ältesten Quellen zum delphischen Orakel ist denn auch die Präsenz einer als Pythia bezeichneten Seherin, die das Orakelgeschehen dominieren würde, noch nicht erkennbar. Der Homerische Hymnus an Apollon, welcher die Gründungsgeschichte des Ortes und des Heiligtums beschreibt, erwähnt die Pythia nicht. Er nennt vor Ort keine einzige Frau: Apollon hat vielmehr eine Gruppe kretischer Seefahrer entführt, beauftragt diese damit, sein Heiligtum zu betreuen, und verspricht ihnen Reichtum. Diese Gruppe erscheint als rein männlich.11 Auch den Verfassern der homerischen Epen Ilias und Odyssee ist Delphi bekannt. Der griechische Anführer Agamemnon hat es befragt, eine weibliche Funktionärin wird in diesem Kontext aber nicht genannt.12 Als später bei Aischylos die Urgeschichte des Orakels konstruiert wird, bleibt ebenfalls unklar, wie die divinatorischen Äußerungen der Urzeit vermittelt worden sein sollen. In früher Zeit, d.h. vor der Ankunft Apollons hätten weibliche Gottheiten das Heiligtum innegehabt und Orakel gegeben:13 Das Orakel habe zuerst Gaia als Ur-Wahrsagerin gehört, diese habe es an ihre Tochter Themis weitergegeben, auf die dann Phoibe (in Hesiods Theogonie als Großmutter Apollons eingeordnet) gefolgt sei, von der wiederum Apollon das Heiligtum als Geschenk erhalten habe.14 Wer in der Frühzeit der Gaia, Themis und Phoibe die Orakel geäußert hat, ob man sich diesbezüglich ein weibliches Medium vorstellte und wie dieses benannt gewesen wäre, sagt Aischylos nicht.15 Auch andere spätere Quellen, bei denen es um die Entdeckung, Besonderheit und Etablierung des Ortes Delphi als Orakelort geht, stellen keine Frau in den Mittelpunkt: Im 1. Jahrhundert v. Chr. berichtet Diodor von einem Hirten, der an den Hängen seine Ziegen weidete und zuerst das merkwürdige Gebaren der Tiere bei einem Erdspalt bemerkt haben soll. Er trat näher und 10 Zu Phemonoe als angeblich erster Pythia: Paus., X 6,7 und zur Pythia als Tochter Apollons s. VOIGT, 1938, 1957; ROUX, 1971, 65. 11 Hom. Hymn. Apoll. (III) 393–396. Ob eine ‚patriarchalisch-olympisch‘ geprägte Tendenz des Apollonhymnos womöglich die Erwähnung der Pythia unterdrückt hat, um das Orakel von weiblichen und chthonischen Aspekten rein zu halten, wie STRAUSS CLAY, 1989, 5–16 gemeint hat, muss im Bereich der Spekulation bleiben. Vgl. vielmehr JOHNSTON, 2008, 39: das Schweigen des Hymnus deute in Bezug auf die Pythia entweder auf eine spätere Entwicklung Delphis, oder aber dem Dichter sei es nicht darum gegangen, die konkrete Art und Weise der göttlichen Kommunikation in Delphi darzustellen. 12 Delphis Schätze: Hom., Il. IX 405; Agamemnon als Fragender: Hom., Od. VIII 77. 13 Aeschyl., Eum. 1–19. 14 Hes., Theog. 404–406: Phoibe als Mutter Letos. 15 Vgl. aber das rotfigurige Vasenbild auf einer Schale des Kodros-Malers aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., auf dem Themis dem Aigeus gegenüber auf dem Dreifuß sitzt: CONNELLY, 2007, 76, Abb. 3.4. Transportiert wird offenbar die Vorstellung, Themis selbst habe (als erste Pythia?) die Orakel geäußert: so auch JOHNSTON, 2008, 57.

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begann selbst Weissagungen auszustoßen.16 Erst später – um Unfälle bei unkontrollierter Nutzung des Erdspalts zu vermeiden – hätten die Umwohner dann eine Frau zur alleinigen Prophetin vor Ort gemacht. Warum sie hierzu eine Frau wählten, wird nicht weiter erläutert. Zunächst einmal hat die Erzählung, die bis in die Kaiserzeit geläufig ist, einen männlichen Protagonisten, der von der göttlichen Wirkung des Ortes ergriffen wird.17 Eine weibliche Prophetin steht also nicht ganz so selbstverständlich im Zentrum des delphischen Orakels, wie man vielleicht annehmen würde.

3. ‚Pythia‘ als Amtsbezeichnung? Bezeugungen und Benennungen Auch der Titel dieser Prophetin ist in den antiken Quellen nicht von vornherein etabliert. Der archaische Dichter Theognis von Megara (540–500 v. Chr.) ist der früheste antike Zeuge, der überhaupt eine weibliche Funktionärin in Delphi erwähnt.18 Er nennt sie die „Priesterin des Gottes in Pytho“ (Πυθῶνι θεοῦ ἱέρεια), macht allerdings sogleich klar, dass es sich bei ihr um eine hiereia handelt, die auch andere Dinge tut, als die regulären Opfer für ihre Gottheit darzubringen: sie empfängt vielmehr theoroi (Gesandte) im Heilig-

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Diod., XVI 26,4–6: [4] καὶ χρόνον µέν τινα τοὺς βουλοµένους µαντεύεσθαι προσιόντας τῷ χάσµατι ποιεῖσθαι τὰς µαντείας ἀλλήλοις: µετὰ δὲ ταῦτα πολλῶν καθαλλοµένων εἰς τὸ χάσµα διὰ τὸν ἐνθουσιασµὸν καὶ πάντων ἀφανιζοµένων δόξαι τοῖς κατοικοῦσι περὶ τὸν τόπον, ἵνα µηδεὶς κινδυνεύῃ, προφῆτίν τε µίαν πᾶσι καταστῆσαι γυναῖκα καὶ διὰ ταύτης γίνεσθαι τὴν χρησµολογίαν („Eine gewisse Zeit lang näherten sich alle dem Erdspalt, die eine Weissagung erhalten wollten und weissagten einander; aber später, nachdem viele unter dem Einfluss ihres enthousiasmos in den Erdspalt hinabsprangen und verschwanden, schien es denen, die in der Nähe wohnten, am besten, damit keine Gefahr bestehe, eine Frau als Prophetin für alle einzusetzen, und durch diese die Orakel sprechen zu lassen“). Vgl. hierzu auch Engster, unten S. 481 f. PARKE/WORMELL, 1956 I, 20 sowie STONEMAN, 2011, 33 haben an Ephoros als Quelle für Diodor gedacht, was die Erzählung für das 4. Jahrhundert v. Chr. belegen würde. 17 Plutarch (Def. or. 42, 433cd) will von den gelehrtesten Menschen in Delphi sogar den Namen des Hirten (Koretas) erfahren haben. Pausanias (X 5,7) kennt ebenfalls die Erzählung von den Hirten und führt darüber hinaus weitere – sich widersprechende – Varianten zum Geschlecht der ersten Propheten in Delphi auf: In der ersten Phase habe Gaia eine Bergnymphe namens Daphnis als Prophetin bestellt (Paus., X 5,5), eine einheimische Frau namens Boeo habe aber eine Hymne verfasst, in der ein gewisser Olenos aus dem Land der Hyperboreer als erster Prophet des Phoibos genannt werde (Paus., X 5,8). Ansonsten, so fährt Pausanias fort, sei aber kein anderer männlicher Prophet in Delphi bekannt, nur Prophetinnen. Nach verbreiteter Ansicht sei Phemonoe die erste Prophetin des Gottes gewesen. 18 Theognis, I 805–810.

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tum und enthüllt aus dem Inneren des Tempels die Worte des Gottes.19 Die Amtsbezeichnung Pythia fällt nicht. Ein ähnlicher Befund begegnet in den erhaltenen Gedichten Pindars: In dessen Oden auf Sieger in den Pythischen Spielen wird die weibliche Funktionärin Apollons nur an zwei Stellen erwähnt (beide Male in der 4. Pythischen Ode aus dem Jahr 461 v. Chr.), ohne dass sie als Pythia angesprochen wird. Sie ist nach Pindar die Priesterin (hiereia), die hochgeehrt „bei den goldenen Adlern des Zeus“ sitzt (eine Anspielung auf den Mythos von Delphi als Mittelpunkt der Welt, der dort liegt, wo sich zwei von Zeus ausgesandte Adler treffen).20 Und die Frau in Delphi ist bei Pindar außerdem die „delphische Biene“.21 Auch diese Bezeichnung lässt deutliche positive Konnotationen mitschwingen. Bei Pindar stehen Bienen und Honig mit der Dichtung in engster Beziehung:22 Die Bezeichnung als delphische Biene evoziert entsprechend besondere Formen des prophetischen Sprechens oder dichterisch geformter Äußerung.23 Außerdem hatte schon Semonides von Amorgos in seinem sogenannten Fraueniambos im 7./6. Jahrhundert die Bienenfrau als Paradebeispiel für positive Weiblichkeit beschrieben.24 Die chronologisch frühesten Quellen, die für Delphi eine Frau ins Zentrum stellen, sprechen also von der hiereia, der Priesterin des Gottes. Und auch nach der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. wird die Bezeichnung Pythia nicht einheitlich verwendet. Die bereits erwähnte Urgeschichte des Orakels bei Aischylos wird in dessen Drama Eumeniden von der lokalen Seherin erzählt. Diese tritt in der Handlung der Tragödie als Zeitgenossin des Orestes auf, eine Generation nach dem Trojanischen Krieg. Im Jahr 458 v. Chr. suggeriert der Dichter also seinem athenischen Publikum, in dieser mythischen Zeit habe bereits eine weibliche Seherin in Delphi gewirkt. Er bezeichnet sie allerdings nicht als Pythia: wenn sie von sich selbst spricht, nennt sie sich mantis.25 Euripides im Ion (412–408 v. Chr.) charakterisiert sie als „Delpherin“ 19 HORSTER, 2012, 12 hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Pythia keine Priesterin im üblichen Sinne gewesen sei. Die antiken Quellen belegen sie aber – wie im vorliegenden Fall – gelegentlich mit dem Titel hiereia. S. auch die von FLOWER, 2008a, 189 (grundsätzlich nicht zu Unrecht) postulierte Trennung zwischen dem Seher und dem Priester (mantis und hiereus), die sich im Fall der Bezeichnungen, die der Pythia zugeordet werden, nicht aufrecht erhalten lässt. 20 Pind., P. 4,4: χρυσέων Διὸς αἰητῶν πάρεδρος […] ἱέρεα. 21 Pind., P. 4,60: χρησµὸς […] µελίσσας Δελφίδος. 22 Vgl. auch Schol. Pind., P. 4,106c; Pind., P. 10,53 f.; Frg. 123; 158, wo andere Priesterinnen als Bienen bezeichnet werden. BERRENS, 2018, 224.358 führt Pindars Benennung der Pythia auf die postulierte Reinheit und die mantischen Fähigkeiten der Bienen zurück. Zum Vergleich des Honigs mit der Dichtung s. WASZINK, 1974b; s. auch HERREN, 2008, 50–52. 23 BOUNAS, 2008, 69 f., Anm. 52. 24 Semonides, Frg. 7,83–93 (West); BOUNAS, 2008, 65 f.; vgl. auch SCHEER, 2011, 67. 25 Aeschyl., Eum. 29: µάντις.

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sowie als „Prophetin“26, der letztere Titel wird ihr auch von Platon und späteren Quellen wie Diodor und Strabon zugelegt.27 Für Thukydides ist sie die promantis.28 In den literarischen Quellen scheint vor allem Herodot, dessen Interesse an Delphi groß gewesen ist, die Bezeichnung ‚Pythia‘ für die Seherin in Delphi geprägt zu haben.29 Doch selbst er verfährt nicht einheitlich: auch bei ihm finden sich andere Benennungen, z.B. promantis.30 Wie die Delpher vor Ort ihre sakrale Funktionärin in archaischer und klassischer Zeit bezeichneten, ist nicht belegt. Inschriften, in denen ein „Haus der Pythia“ genannt wird, stammen (stark ergänzt) erst aus dem Jahr 335 v. Chr., bzw. gar erst aus der Kaiserzeit.31 In der Kaiserzeit ist der Begriff Pythia eingeführt.32 Die Bezeichnung „Pythia“ wurde nicht als Eigenname begriffen. Antike Quellen postulieren nirgends, eine historische Frau der Frühzeit habe diesen Namen als persönlichen Namen getragen. Und im Unterschied etwa zur Sibylle, einer anderen Prophetin Apollons, der man in der antiken Überlieferung an vielen Orten der Welt begegnen kann33 (und die in mythischer Zeit auch nach Delphi gekommen sein soll34), ist die Pythia ortsfest. Von einer wandernden Pythia ist bezeichnenderweise nie die Rede. Sie erscheint als die Seherin oder Priesterin, deren seit Herodot geläufige Amtsbezeichnung offenbar vom Namen ihres Heiligtums abgeleitet ist:35 Seit der homerischen Ilias ist „Pytho“ als alternativer Name für Delphi bezeugt, 26

Eur., Ion 92: Δελφίς; Eur., Ion 42: προφῆτις. Sowohl in den aischyleischen Eumeniden (Πυθιὰς προφῆτις) als auch im euripideischen Ion (Πυθία ἤτοι προφῆτις) findet sich der Titel Pythia nur in den Indices der dramatis personae, deren Hinzufügung zeitlich völlig unklar ist. 27 Plat., Phaedr. 244a; Diod., XVI 26,4; Strab., IX 3,5. 28 Thuc., V 16,2: πρόµαντις. 29 Vgl. Hdt., I 65,2; I 67,3; V 67,2; VI 34,2; VI 36,1; VI 66,2.3; VII 169,2; VII 220,3; VIII 51,2. 30 Hdt., VI 66,1.2; VII 141,1: πρόµαντις. Zum Sakraltitel Pythia, der nicht vor Herodot nachweisbar sei, s. auch FAUTH, 1963, 515. 31 FdD III 5.50 col III 1 (4. Jahrhundert v. Chr.), Syll. 4.823; JACQUEMIN et al., 2012, 222 f.423 (Nr. 239). Vgl. auch unten Anm. 97. 32 Vgl. etwa das Werk des Pausanias, der sie durchgehend „Pythia“ nennt: I 13,9; I 20,7; I 22,8; I 43,8; II 1,5; IV 9,8; IV 12,1; IV 12,3; IV 12,7; IV 13,3; I 16,7; IV 20,1; IV 20,3; IV 21,3; IV 21,10; IV 24,2; VII 2,2. u.ö. 33 Die Sibylle ist erstmals erwähnt in einem bei Plutarch überlieferten Fragment Heraklits: DK 22 B 92 (Plut., Pyth. or. 6, 397a). Zum Namen der Sibylle, der ursprünglich Eigenname gewesen sei, dann an verschiedene Seherinnen herangetragen wurde: BUCHHOLZ, 1909–15, 792; POTTER, 1990, 475. PARKE, 1992, 23. 34 Zu den Wanderungen etwa der Sibylle Herophile in Kleinasien, der Ägäis und dem griechischen Festland s. Paus., X 12,5; PARKE, 1992, 23. Zum Felsen der Sibylle in Delphi s. Paus., X 12,1. 35 Zur Ableitung der Bezeichnung Pythia von der Örtlichkeit Pytho s. FAUTH, 1963, 517; SCHERF, 2001, 663. Der Eigenname einer Pythia tritt vor ihrem sakralen Titel zurück. S. TRAMPEDACH, 2015, 186: „Eine funktionierende Pythia hat keinen Namen.“

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und diese Bezeichnung findet sich ansonsten sowohl bei der Benennung des delphischen Apollon wie auch seiner dortigen Dienerin.36 Während aber der Kult des Apollon mit dem Beinamen Pythios in der griechischen Welt verbreitet ist und auf die Benennung der betreffenden Heiligtümer rückwirken kann (in Athen gibt es z.B. ein Pythion), wird in keinem Fall die lokale Priesterin eines solchen Heiligtums als Pythia bezeichnet.37 Diese Benennung ist offenbar auf die kultische Funktionärin von Delphi beschränkt.

4. Göttliche Vorlieben: ausschließlich Frauen als Dienerinnen Apollons? Oder aber war die Pythia eine Frau, weil Apollon nach Meinung der Griechen grundsätzlich weibliche Dienerinnen als Seherinnen oder Priesterinnen bevorzugte oder forderte? Blickt man auf die Traditionen des griechischen Mythos, so erscheint diese These zunächst nicht unplausibel.38 Bei einer Reihe von Seherinnen des Mythos ist deren Verbindung zu Apollon deutlich ausgeprägt. Der Kontext dieser mythischen Erzählungen ist allerdings jeweils das spezifische Feld der Liebschaften zwischen Göttern und sterblichen Menschen. Apollon ist hierbei keine Ausnahme: Er zählt zu den männlichen Olympiern, die Sterbliche begehren und Gewalt, List und Geschenke anwenden, um diese als Geliebte zu gewinnen. Apollon hat die Möglichkeit, die spezifische Gabe der Weissagung als Werbungsgeschenk einzusetzen: dies spielt er bei jungen Mädchen aus, ist hierbei aber nicht zwangsläufig erfolgreich. Das berühmteste Beispiel, bei welchem das Geschenk der Prophetie nicht den gewünschten Effekt hat, ist die Troerin Kassandra. Sie nimmt Apollons Gabe an, aber verweigert sich dem Gott – mit den bekannten Folgen, dass ihr niemand glaubt.39 Ein ähnliches Erzählelement prägt die Traditionen der Sibylle, die das zweite berühmte Beispiel einer Frau darstellt, die als Dienerin Apollons wahrsagt. Sie be36

Hom., Il. IX 405. Apollon Pythios in Lindos auf Rhodos: CHANIOTIS 2008, 21; s. außerdem z.B. Paus., I 19,1; I 42,5 (jeweils Statuen mit diesem Beinamen in Athen); Altar des Apollon Pythios in Olympia: Paus., V 15,4; Tempel des Apollon Pythios in Samos: Paus., II 31,6; Tempel für Apollon Pythios zwischen Pheneos und Pellene: Paus., VIII 15,5 u.ö. 37 Pythion in Athen: Suda π 3130; CURTIUS, 1877, 494. 38 S. auch FLOWER, 2008b, 89: „It is sometimes claimed that spirit possession, being wholly passive in character, was principally the realm of women, not of men.“ 39 Kassandra: Aeschyl., Ag. 1199–1212. Kassandra wird also zwar als vom Gott geliebt, aber nicht als „Geliebte“ des Gottes (so irrtümlich FRIESE, 2010, 33) beschrieben. S. richtig JOHNSTON, 2008, 42 gegen Theorien, die Kassandra als Beispiel für enthusiastische Prophetie als Folge (!) einer sexuellen Beziehung zwischen Gottheit und Medium anführen möchten.

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zeichnet sich in einem bei Pausanias überlieferten Grabepigramm selbst als Jungfrau und soll (nach einigen Quellen) den Gott Apollon ebenfalls abgewiesen haben.40 Aber so wie sterbliche Liebespartner der Götter nicht nur dem weiblichen Geschlecht angehören, beschränkt sich auch Apollon mit seinem Werbegeschenk der Weissagung nicht auf Frauen. Auch Männer können es erhalten wie etwa der schöne Knabe Branchos, der so zum Stammvater des Prophetengeschlechts der Branchiden in Didyma wird.41 Wenn also auch berühmte Seherfiguren des Mythos weiblich sind, so ist Sehertum in den Traditionen über die Frühzeit doch keinesfalls auf Frauen beschränkt – man denke an Teiresias, Kalchas, Mopsos, Amphiaraos etc.42 Vermittler göttlicher Botschaften und Zeichen, die von Apollon ausgehen, treten in der griechischen Vorstellungswelt in männlicher und weiblicher Gestalt auf.43 Im konkreten Kontext der Apollonorakel historischer Zeit ist dies ebenso der Fall: Je nach lokaler Tradition sind männliche oder weibliche Medien bezeugt:44 Herodot nennt etwa für das Orakel des Apollon Ptoos bei Akraiphia einen (inspirierten) männlichen Propheten,45 auch im kleinasiatischen Klaros fungiert ein Mann als Prophet.46 An manchen Orten kann sich das gewünschte Geschlecht der für das Prophetenamt ernannten Personen im Lauf der Zeit ändern: Pausanias nennt sogar für die delphische Frühzeit einen männlichen Orakelsprecher.47 Für das früharchaische Didyma der Branchiden wird von männlichen Propheten berichtet, in Hellenismus und Kaiserzeit sind

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S. Paus., X 12, 6 f.; Ov., Met. XIV 132–142. Vgl. aber Pausanias’ Nachricht über einen Hymnus der Sibylle Herophile, in dem sie sich als die angetraute Frau Apollons und außerdem als seine Schwester oder Tochter bezeichnet habe (X 12,2). FRIESE, 2010, 33 bezieht diese Stelle irrtümlich auf die Pythia; richtig BUCHHOLZ, 1909–1915, 797; PARKE, 1992, 26. 41 Conon, Narr. 33; s. auch Kallim., Branchos 229 Pf.; Luc., Dial. Deor. 2.2; FONTENROSE, 1988, 106 f. Zu (auch nicht ortsgebundenen) Sehern historischer Zeit, die die Gabe der Prophetie als Geschenk Apollons begreifen und ebenfalls den Anspruch erheben, die Stimme Apollons zu vermitteln, s. FLOWER, 2008a, 191 und JOHNSTON, 2015, 480. 42 SCHEER, 1993, 153–271. 43 Für mobile manteis der historischen Zeit stellt FLOWER, 2008a, 188 die These auf, diese seien gewöhnlich männlich gewesen, s. aber ebd. in Anm. 7 die Beispiele für weibliche manteis; sowie dann auch FLOWER, 2015, 299. 44 FLOWER, 2008b, 89, möchte eine „general rule“ aufstellen, nach der die inspirierten Medien Apollons Frauen gewesen wären. Die (durchaus von ihm erwähnten) männlichen Ausnahmen auch in diesem Fall lassen aber eine solche These nicht als tragfähig erscheinen. So bereits HUPFLOHER, 2005, 83. 45 Hdt., VIII 135,2; dieser Seher redet in einer fremden Sprache. 46 Zum männlichen mantis in Klaros s. Tac., Ann. II 54. Iambl., Myst. III 11. TRAMPEDACH, 2015, 203. 47 S. oben Anm. 17.

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hingegen weibliche Amtsträger bezeugt.48 Wenn Plutarch in der Kaiserzeit über die Kunst der Weissagung spricht, so stellt er fest, diese sei die gleiche – unabhängig davon, ob sie von Männern und Frauen praktiziert werde. Männer und Frauen sind fähig zu dichten (wie Anakreon und Sappho), und ebenso verstehen sich Männer und Frauen auf Prophetie – wie Bakis und die Sibylle.49 Auch jenseits der speziellen Kunst oder Gabe der Vermittlung von Orakeln, im vielfältigen städtischen Kult, wurde Apollon nicht unterstellt, nur weibliche Dienerinnen zu akzeptieren. Sein Kultpersonal, seine Priester konnten männlich oder weiblich sein; ausschlaggebend war die lokale Tradition.50 Auch in Delphi waren neben der Pythia weitere Funktionäre im Dienst des Apollon aktiv, und diese waren überwiegend männlich. Genannt werden etwa die hosioi, der prophetes, sowie zwischen einem und drei Priestern, wobei die Funktionen dieser Ämter im Einzelnen nicht ausreichend klar werden.51 In der Kaiserzeit bezeugt Plutarch eine Gruppe von Frauen, die das heilige Feuer zu hüten hatten.52 Um den Kult des Apollon zu verrichten bzw. in seinem Auftrag zu weissagen zu können, bedurfte es also in der griechischen Kultur nicht grundsätzlich eines weiblichen Körpers. Theoretisch hätten die Delpher auch die Tradition

48 Geschlechterwechsel des promantis (Orakelsprechers) in Didyma: FONTENROSE, 1988, 46; CONNELLY, 2007, 80. Catherine Morgan hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass die Belege für die Annahme eines männlichen Orakelsprechers der Frühzeit erst aus hellenistischer Zeit stammen: MORGAN, 1989, 27. Unabhängig von der Historizität der Nachrichten bleibt doch festzuhalten, dass die Möglichkeit eines Wechsels von männlichem zu weiblichem Orakelmedium den einschlägigen Quellen als vorstellbar erschienen sein muss. 49 Plut., Mul. vir. prooem., 243b. So auch im Ps.-Platonischen Dialog Theages, in welchem Sokrates Bakis und die Sibylle als Protagonisten des Sehertums nennt: [Plat.] Theages 124d. Zu Männern und Frauen als Verfassern von prophetischer Dichtung s. auch POTTER, 1990, 476, der gar eine „independent tradition of female prophecy in the preclassical world“ in Betracht zieht. 50 Die in der Sekundärliteratur häufig postulierte ‚Grundregel‘ religiöser Organisation in Griechenland, männliche Götter hätten männliche Priester, Göttinnen hingegen Priesterinnen gefordert (TURNER, 1983, VI; CONNELLY, 2007, 2) weist zahlreiche Ausnahmen auf (BURKERT, 2011, 155; HORSTER, 2012, 9). Das Kultpersonal konnte z.B. in den einzelnen Heiligtümern aus Männern und Frauen zusammengesetzt sein: In Argos ist sowohl von den Priesterinnen, aber auch einem männlichen hiereus (Priester) der Hera die Rede (Hdt., VI 8,1). Oder aber das Geschlecht der Amtsträger wich von dem der Gottheit ab: in Argos und Lindos besaß z.B. Athena einen männlichen Priester (Kallim., Hymn. 5,35–43 mit Schol. 37; CONNELLY, 2007, 28). 51 Zu den delphischen Sakralämtern: s. ROUX, 1971, 55-70; BOWDEN, 2005, 14–16; CONNELLY, 2007, 73; Prophetes: COMPTON, 1994, 222. 52 Plut., Num. 9,5. PARKE/WORMELL, 1956 I, 35 f.; CONNELLY, 2007, 43.

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eines männlichen Mediums pflegen können. Sie wählten die Lösung, einer weiblichen Stimme göttliche Autorität zuzugestehen. Welche Anforderungen wurden nun an diese Stimme gestellt und inwiefern waren sie geschlechtsspezifisch begründet? Die Lebensumstände der einzelnen Pythien in Delphi werden in den Quellen der archaischen und klassischen Zeit kaum thematisiert. Welche Voraussetzungen eine Frau erfüllen musste, um das Amt bekleiden zu können, ob und inwiefern dies Beschränkungen des zivilen Lebens mit sich brachte, bleibt in vielerlei Hinsicht fraglich. Vor diesem Hintergrund haben die wenigen Nachrichten des kaiserzeitlichen Autors Plutarch überproportionales Gewicht in der Forschung erlangt – auf ihn stützen sich fast alle Thesen zur Lebensführung und zum sozialen Hintergrund der Amtsinhaberinnen:53 Demnach sei die Pythia erstens eine jungfräuliche Priesterin gewesen. Sie habe außerdem in klosterähnlicher Zurückgezogenheit gelebt. Schließlich sei sie aus einfachen, bäuerlichen Familien ausgewählt worden und habe selbst keinerlei Bildung besessen.

5. Jungfrauen als Sprachrohr Apollons: Die jungfräuliche Pythia? War ein jungfräulicher weiblicher Körper also Voraussetzung für das Amt der Pythia? Akzeptierte Apollon eifersüchtig nur eine Jungfrau als sein Sprachrohr – ebenso wie er im Bereich seiner Liebschaften keinen Nebenbuhler duldete?54 Die mythologischen Quellen machen deutlich, dass in der griechischen Vorstellungswelt die Fähigkeit zur Divination nicht von körperlicher

53 Zum übermäßig starken Einfluss Plutarchs und seiner Beschreibung kaiserzeitlicher Verhältnisse auf die Wahrnehmung Delphis in der Neuzeit: COMPTON, 1994, 218; ebenso FLOWER, 2008b, 231 f. 54 Vgl. die Tötung von Apollons untreuer Geliebter Koronis: Pind., P. 3,8–21. FLOWER, 2008b, 224 argumentiert gegen die Vorstellung, die Pythia sei im sexuellen Sinne die „Braut des Gottes“, und die Orakel entsprängen jeweils einer sexuell konnotierten „Inbesitznahme“ der Pythia durch den Gott (so etwa MAURIZIO, 2001, 48). Diese Vorstellung finde sich – so Flower – nicht in den antiken Texten. Ebenso bereits PARKE/WORMELL, 1956 I, 35. Differenzierter hierzu JOHNSTON, 2008, 40: späte christliche Quellen haben durchaus diese Interpretation (Joh. Chrys., 29. Homilie zum 1. Korintherbrief 12,1 [MPG 62, p. 242]; Orig., Cels. VII 3 f.). Johnston stellt allerdings a.O. zu Recht fest, dies habe wohl wieder einmal nur dazu gedient, einen zentralen paganen Kult durch dessen Sexualisierung herabzusetzen. Aus den paganen Quellen lässt sich die Vorstellung tatsächlich nicht unmittelbar ableiten. Entsprechend fragwürdig erscheint das farbige Bild, welches SISSA, 1987, 62–65 von der Inbesitznahme eines angeblich jungfräulichen Körpers der Pythia durch Apollon gezeichnet hat.

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Virginität abhängig war:55 Apollons Prophetin Kassandra verliert z.B. als trojanische Kriegsgefangene ihre Jungfräulichkeit. Aber die Vergewaltigung durch Aias und/oder Agamemnon lässt die Fähigkeit zur Weissagung, die sie von Apollon erhalten hat, nicht verschwinden: so stellt es zumindest Aischylos in seinem Drama Agamemnon dar.56 In anderen Quellen geht etwa die mythische Seherin Manto, Tochter des Teiresias, die (nach späten Quellen) von Apollon Mutter des Sehers Mopsos wird, problemlos die Ehe mit einem Kreter namens Rhakios/Lakios ein.57 Geschlechtsverkehr unter Menschen galt allerdings in kultischen Kontexten als verunreinigende Aktivität. In einem Heiligtum war er absolut unerwünscht. Kultisch rein zu sein, bevor man etwa ein Opfer darbrachte oder ein Heiligtum betrat, war eine Anforderung, die sich an Männer und Frauen richtete.58 Kultische Funktionäre und Funktionärinnen hatten entsprechend bestimmte Reinheitsregeln zu beachten, die sich nach der lokalen Tradition richteten. Jungfräulichkeit oder dauerhaft zölibatäres Leben war hierbei allerdings nicht die Regel.59 Lokale Priesterämter konnten gelegentlich unverheirateten jungen Mädchen oder auch Knaben vorbehalten sein, weil man etwa eine bestimmte Altersstufe für ein Priesteramt wünschte – z. B. ein junges Mädchen für Artemis oder einen Knaben für Apollon. 60 Unverheiratete jugendliche Amtsinhaber brachten den Nebeneffekt mit sich, der Anforderung kultischer Reinheit besonders gut zu entsprechen, da man davon ausging, sie hätten keinen Geschlechtsverkehr. Im Normalfall war ihr Amt aber befristet, oft als Jahrespriestertum.61 55

Diese Vorstellung findet sich noch bei TRAMPEDACH, 2015, 2001: „Die weiblichen Medien (außer der Pythia auch Kassandra und die Sibylle) erscheinen in der Überlieferung stets als Jungfrauen.“ 56 Aeschyl., Ag. 1080–1197.1215. 57 Z.B. Hes., Frg. 214 Most; Epigoni Frg. 4. West; Apollod., Bibl. III 85 [= III 7,4]; Paus., VII 3,1; SCHEER, 1993, 168.184 f.; FLOWER, 2008b, 43; JOHNSTON, 2015, 483. 58 PARKER, 1983, 74 f. 59 JOHNSTON, 2008, 42. Zur einjährigen Enthaltsamkeit, die etwa dem Priester des Herakles in Phokis auferlegt war, und die eine deutliche Ausnahme darstellt, s. Plut., Pyth. or. 20, 403f. Andere Beispiele, die als Ausnahmen berichtet werden, finden sich bei Pausanias (VIII 13,1): die Essenen im einjährigen Dienst der Artemis von Ephesos sowie das Priesterpaar für Artemis Hymnia in Orchomenos/Mantineia, welches sein Leben in Reinheit verbringt (allerdings offenbar erst in vorgerücktem Alter ernannt wird). Vgl. auch PARKER, 1983, 86 f.; BURKERT, 2011, 155. 60 Jugendliche Artemispriesterin: Paus., VIII 5,11 f.; ein junger Priester für Hermes in Tanagra: Paus., IX 22,1–8; Knabe für Apollon in Theben: Paus., IX 10,4; ein schöner Knabe als Priester in Aigai: Paus., VII 24,4. S. VIITANIEMI, 1998, 52–54. Allgemein zu lokalen Altersvorschriften für Priesterinnen: DILLON, 2002, 75. 61 S. etwa den Fall der für ein Jahr ernannten Jungfrau im Dienst der Aphrodite von Sikyon: Paus., II 10,4. Zum Fall der ephesischen Artemispriesterinnen: CONNELLY, 2007, 41.

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Im Gegensatz dazu war das Amt der Pythia offenbar ohne zeitliche Begrenzung.62 War sie tatsächlich an lebenslange Jungfräulichkeit gebunden? Die Vorstellung von der jungfräulichen Pythia stützt sich vor allem auf drei Quellenstellen.63 Die Autoren dieser Stellen sind vergleichsweise späten Datums: Diodor im 1. Jahrhundert v. Chr. und der schon erwähnte Plutarch im frühen 2. Jahrhundert n. Chr.64 In den alten Zeiten, so Diodor, hätten in Delphi junge unverheiratete Mädchen (parthenoi) die Aufgabe der Orakelübermittlung innegehabt: 65 Diese seien nämlich adiaphthoron und glichen der Artemis. Man sei der Meinung gewesen, so Diodor, unverheiratete Mädchen könnten die Geheimnisse des Orakelgebens besonders gut bewahren. Diodor spricht mit der Charakterisierung τῆς φύσεως ἀδιάφθορον wohl nicht von körperlicher Vollkommenheit in der Bedeutung unversehrter Virginität.66 Er 62

Zum lebenslangen Dienst (διὰ βίου) zur Zeit Plutarchs s. Plut., Def. or. 46, 435cd. Während einige christliche Autoren die Beziehung der Pythia zu Apollo sexualisieren (s. o. Anm. 54) greifen andere Kirchenväter den Fall der Pythia gemeinsam mit anderen Beispielen enthaltsamer Priesterinnen als exemplum zum Ruhm der Jungfräulichkeit (in kurzen Zitaten und ebenfalls ohne spezifische Sachkenntnis) auf: s. etwa Tert., Uxor. I 6,4: et quae Delphis insaniunt nubere nesciunt; Hier., Epist. 123,7 (Brief an Geruchia): welcher den „Jungfrauen der Vesta, Apollos, der Juno von Achaia, der Diana und Minerva“ unterstellt, ihr priesterliches Amt bis ins hohe Alter hinein unter Wahrung ihrer Jungfräulichkeit verwaltet zu haben. 64 Die Quelle Diodors für diese Nachricht ist unbekannt. SCHWARTZ, 1903, 682 hat einen Rhetor um ca 100 v. Chr. in Erwägung gezogen. 65 Diod., XVI 26,6: θεσπιῳδεῖν δὲ τὸ ἀρχαῖον λέγεται παρθένους διά τε τὸ τῆς φύσεως ἀδιάφθορον καὶ τὸ τῆς Ἀρτέµιδος ὁµογενές· ταύτας γὰρ εὐθετεῖν πρὸς τὸ τηρεῖν τὰ ἀπόρρητα τῶν χρησµῳδουµένων. ἐν δὲ τοῖς νεωτέροις χρόνοις φασὶν Ἐχεκράτη τὸν Θετταλὸν παραγενόµενον εἰς τὸ χρηστήριον καὶ θεασάµενον τὴν χρησµολογοῦσαν παρθένον ἐρασθῆναι διὰ τὸ κάλλος αὐτῆς καὶ συναρπάσαντα βιάσασθαι· τοὺς δὲ Δελφοὺς διὰ τὸ γεγενηµένον πάθος εἰς τὸ λοιπὸν νοµοθετῆσαι µηκέτι παρθένον χρηστηριάζειν, ἀλλὰ γυναῖκα πρεσβυτέραν πεντήκοντα ἐτῶν χρησµολογεῖν, κοσµεῖσθαι δ᾽ αὐτὴν παρθενικῇ σκευῇ, καθάπερ ὑποµνήµατι τῆς παλαιᾶς προφήτιδος („Man sagt, dass in alter Zeit Jungfrauen die Orakel gaben, wegen der Vollkommenheit ihrer Natur und ihrer Ähnlichkeit zu Artemis. Diese hielt man nämlich für besonders gut geeignet, die unaussprechlichen Dinge des Orakelgebens zu bewahren. In jüngerer Zeit, so sagt man, kam der Thessaler Echekrates zum Orakelheiligtum, erblickte die orakelgebende Jungfrau, verliebte sich wegen ihrer Schönheit in sie und soll sie geraubt und vergewaltigt haben. Wegen dieses leidvollen Geschehens sollen die Delpher ein Gesetz verabschiedet haben, dass in Zukunft keine Jungfrau mehr die Orakel geben solle, sondern eine ältere Frau von fünfzig Jahren, die wie eine Jungfrau gekleidet sein solle, als Erinnerung an die Prophetin der früheren Zeiten“). 66 Zu den medizinischen Vorstellungen vom weiblichen Körper und über die Unkenntnis des Hymens, dessen Unversehrtheit entsprechend nicht ins Zentrum des Konzepts ‚Jungfräulichkeit‘ gestellt wurde, vgl. SISSA, 1990, 343 f.; 349. ‚Jungfrau sein‘ bedeutete demnach in der griechischen Kultur vor allem ‚nicht verheiratet sein‘ und wurde als sozialer, weniger als körperlicher Status verstanden. Ebenso VIITANIEMI, 1998, 46-47: Jungfräulichkeit sei nicht definiert „through some female anatomical organ“. 63

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betont vielmehr die Vollkommenheit (Unverdorbenheit) in der Natur junger Mädchen, die von körperlichem Verfall noch nicht betroffen sind: den Göttern ist Schönheit stets besonders angenehm, ob sie nun in Gestalt von Opfertieren, Weihgeschenken oder ihrer Funktionäre erscheint. Eine parthenos gleicht Apollons Schwester Artemis aber nicht nur im Hinblick auf eine bestimmte Altersgruppe, in der der weibliche Körper kurz vor der Verehelichung die höchste Stufe der Schönheit erreicht. Wie die Göttin hat eine parthenos weder einen Liebhaber, dessen Einflüsterungen sie womöglich unterliegt, noch einen Ehemann, der versuchen könnte, seine Autorität in irgendeiner Form geltend zu machen. Jungfrauen sind entsprechend nicht korrumpierbar. Dass sie zur (auch sprachlichen) Zurückhaltung erzogen und an eine überwachte und zurückgezogene Existenz gewöhnt sind, kommt noch hinzu.67 Zu Diodors eigener Zeit ist die Pythia allerdings kein junges Mädchen mehr: Ein Fragesteller aus Thessalien namens Echekrates habe eine jugendliche Pythia entführt und vergewaltigt. Darauf hätten die Delpher ein Gesetz erlassen, in Zukunft solle keine Jungfrau, sondern eine ältere Frau um die Fünfzig für die Orakelerteilung zuständig sein. Diese solle aber ins Gewand einer Jungfrau gekleidet sein, um an die Verhältnisse der früheren Zeit zu erinnern. Diodors Erklärung für diese Änderung ist typisch für die Geschlechterbilder und -verhältnisse der griechischen Gesellschaft: Junge Mädchen, die sich nicht im Elternhaus aufhalten und nicht unmittelbar von ihrer Familie bewacht oder kontrolliert werden können, gelten als hochgefährdete Wesen, selbst wenn sie ein Priesteramt innehaben. Die entführte oder vergewaltigte junge Priesterin begegnet mehrfach in den Quellen.68 Die historische Glaubhaftigkeit einer derartigen Erzählung ist zu scheiden von ihrer aitiologischen Funktion. Robert Parker hat in anderem Kontext grundsätzlich festgestellt, es sei „foolhardy to assume that the terms on which priesthoods in a particular cult were held could never change“.69 Nimmt man Diodors Bericht vom Wechsel zu älteren Pythien ernst, so wäre er eine aitiologische Erklärung für eben dieses Geschehen. Über historische Beispiele jugendlicher Pythien ist aus den Quellen allerdings nichts Konkretes bekannt.70 Michael Flower hat entsprechend in Erwägung gezogen, Diodors Erzählung habe ihren Ursprung 67

Vgl. unten zum Thema der „ungebildeten“ Pythia: Anm. 122. Vergewaltigte jungfräuliche Priesterin: andere Beispiele etwa bei Pausanias, VIII 5,11 f., sowie VIII 13,5 zur Priesterin der Artemis Hymnia bei Mantineia. Auch hier wird für die Zukunft die gleiche Lösung gewählt: Man ernennt in der Folge eine ältere Frau zur Priesterin. Vgl. auch CONNELLY, 2007, 44. 69 PARKER, 1983, 79. 70 FLOWER, 2008b, 223. Die These von ROUX, 1971, 68 (aufgegriffen auch von CONNELLY, 2007, 299 Anm. 95), aus den Texten Plutarchs „gewinne man den Eindruck“, zur Zeit Plutarchs sei man wieder zu einer jugendlichen Pythia zurückgekehrt, beruht auf keiner tragfähigen Quellenbasis. 68

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in dem Versuch, das für eine ältere Frau offenbar auffällige Erscheinungsbild der Pythia zu erklären.71 Die Pythia als ältere Frau erscheint hingegen mehrfach in den Quellen: Aischylos hat sie ausdrücklich als Greisin bezeichnet.72 Euripides macht im Ion zwar keine Altersangabe, aber der Titelheld Ion wurde als Säugling von der Pythia auf der Schwelle des Tempels gefunden und ist zum Zeitpunkt der Handlung ein junger Mann. Er nennt die Pythia Mutter (meint hierbei allerdings ausdrücklich „Ziehmutter“73), sie spricht ihn als Sohn oder Kind an.74 Dem Publikum wird auf diese Weise klar gemacht, dass die Seherin sich im Vergleich zu Ion in fortgeschrittenem Alter befindet. Auch Plutarch thematisiert nicht ausdrücklich, aus welcher Altersgruppe man eine neue Pythia auswählt: Bezeichnenderweise spricht er aber von der Pythia als einer gyne und nicht als parthenos.75 Gyne ist die Bezeichnung für eine erwachsene (und im Normalfall verheiratete) Frau.76 Diese Begriffswahl könnte darauf hindeuten, dass auch zu Plutarchs Zeit erwachsene Frauen für das Amt ausgewählt wurden. Plutarchs Nachrichten scheinen auf den ersten Blick jedoch auf Jungfräulichkeit der Pythia hinzuweisen: In seiner Diskussion über die Wirkung des delphischen pneuma (des göttlichen Hauches, auf den manche die besondere Wirksamkeit des Ortes zurückführen wollen), bemerkt er nebenbei, wenn dieses pneuma bei jedem wirke, dann sei es unvernünftig, eine einzige Frau (gyne) um der Orakel willen anzustellen, und ihr die Mühe zu machen, dass man ihr ganzes Leben lang über ihre Reinheit wache. Die Pythia soll hagne und kathareuousa sein: rein und gereinigt.77 Dieser Anspruch gilt ihr Leben lang. Etwas später im gleichen Text kommt Plutarch nochmals auf die Anforderungen an die Pythia zurück:78 Man wache darüber, dass der Körper der Pythia von geschlechtlichem Verkehr rein sei 71

FLOWER, 2008b, 223. Aeschyl., Eum. 38: γραῦς. Vgl. auch die Darstellung der Pythia auf einem Vasenbild des 4. Jahrhunderts als alte Frau mit weißem Haar: JOHNSTON, 2008, 41. 73 Eur., Ion 1324: [Ion] χαῖρ᾽, ὦ φίλη µοι µῆτερ, οὐ τεκοῦσά περ. 74 Eur., Ion 1320–1323: [Pythia]: ἐπίσχες, ὦ παῖ. 75 Plut., Def. or. 46, 435cd: ὅθεν εὔηθές ἐστι τὸ µιᾷ γυναικὶ πρὸς τὰ µαντεῖα χρῆσθαι, καὶ ταύτῃ παρέχειν πράγµατα φυλάττοντας ἁγνὴν διὰ βίου καὶ καθαρεύουσαν („Deshalb ist es töricht, dass man für die Orakel eine einzige Frau benutzt, und ihr Schwierigkeiten macht, indem man sie darauf hin überwacht, ihr Leben lang rein und gereinigt zu sein“). 76 VIITANIEMI, 1998, 48 f. 77 PARKER, 1983, 147: Hagnos als Standardbegriff, um die Reinheit des Verehrers zu beschreiben, der als „fitness to worship“ zu verstehen wäre (ebd. 149). Für katharos im Sinne von „a clean mind“ bzw. „ohne Schuld“: PARKER, 1983, 232.367. 78 Plut., Def. or. 51, 438c: τούτων ἕνεκα καὶ συνουσίας ἁγνὸν τὸ σῶµα καὶ τὸν βίον ὅλως ἀνεπίµικτον ἀλλοδαπαῖς ὁµιλίαις καὶ ἄθικτον φυλάττουσι τῆς Πυθίας („Deshalb wachen sie darüber, dass der Leib der Pythia rein vom geschlechtlichen Verkehr und ihr Leben vom Umgang mit Fremden völlig unberührt bewahrt wird“). 72

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(συνουσίας ἁγνὸν τὸ σῶµα), und man achte darauf, dass ihr gesamtes Leben unberührt sei von der Gemeinschaft mit Fremden (ἀλλοδαπαῖς ὁµιλίαις). Was lässt sich nun hieraus im Hinblick auf die Vorstellung einer lebenslangen Jungfräulichkeit der Pythia schließen? Plutarch bestätigt zunächst einmal, was sich auch aus früheren Quellen erschließen lässt, dass das Amt der Pythia von der Amtsträgerin langfristig versehen wurde. Um ihrer Funktion angemessen nachzukommen, musste sie sich vor der Orakelprozedur den lokalen Reinheits- und Reinigungsriten unterziehen und wurde diesbezüglich überwacht. Von einer gewissen Körperdisziplin der Pythia, wie Trampedach formuliert hat, ist also durchaus auszu79 gehen. Die Details für das Erreichen und langfristige Aufrechterhalten dieser kultischen Reinheit nennt Plutarch hier nicht ausdrücklich, in anderem Kontext beschreibt er allerdings, dass die Pythia den Tempel unparfümiert 80 betrat, und dass Räuchern mit Lorbeer zum delphischen Ritual gehörte. Andere Autoren nennen etwa das Bad in der kastalischen Quelle und das 81 Trinken von Quellwasser als Vorbereitung des prophetischen Rituals. Dass zur kultischen Reinheit auch Enthaltsamkeit oder Reinigung vom Geschlechtsverkehr gehörte, musste nicht ausdrücklich gesagt werden, diese Regel galt für die meisten kultischen Vollzüge in der griechischen Kultur (ein 82 Bad zu nehmen oder sich zu waschen war hierfür häufig ausreichend ). Ob die Verpflichtung zur Enthaltsamkeit für die Pythia aber eine durchgängige Forderung war – seit ihrer Geburt, ab Amtsantritt – oder ob der Status der Reinheit vor jeder Befragung des Orakels erneut hergestellt werden konnte, 83 ist eine andere Frage. Unverheiratete junge Mädchen galten per se als enthaltsam. Hätte man sich aber auch eine 50jährige Frau, die das Amt antritt, als sexuell völlig unerfahrene Jungfrau zu denken? Blickt man auf die üblichen Geschlechterverhältnisse in der griechischen Gesellschaft, so wäre dies sehr unwahrscheinlich. In der griechischen Polis gibt es keinen Platz für Junggesellinnen (und auch nicht für Junggesellen).84 Bürgerliche Frauen, die dieses Alter erreichten, 79

TRAMPEDACH, 2015, 200. Plut., Pyth. or. 6, 397a. CONNELLY, 2007, 76 f. 81 S. zum Wassertrinken und Baden: Paus., X 24,7; das Bad in der kastalischen Quelle s. Schol. Eur., Phoen. 224; DILLON, 2002, 98. Kallimachos deutet an, dass auch zeitweiliges Schlafen auf Lorbeerzweigen zur Vorbereitung gehört haben könnte: Kallim., Iamb. 4 Frg. 194, 26 f. Pf. 82 PARKER, 1983, 74 f. 83 Vgl. ähnlich auch PARKER, 1983, 87, der kurze Perioden von Enthaltsamkeit für lebenslange Priesterämter in Betracht zieht, aber 93 für die Pythia dann doch wieder annimmt, sie sei „certainly bound to strict chastity during her tenure of office“. Anders und durchaus überzeugend BOWDEN, 2005, 16, der die Pflicht zu ritueller Reinigung für die Pythia in Vorbereitung der Orakeltermine annimmt, aber von keinen weiteren Restriktionen ihres Lebens ausgeht. 84 DILLON, 2002, 106. 80

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waren im Normalfall eine Ehe eingegangen. Es lag im Interesse der männlichen Familienmitglieder, auf diese Weise die Versorgung der Frauen der Familie zu gewährleisten.85 Dass die Einwohner von Delphi potentiell einen Kreis von unverheirateten bürgerlichen Frauen vorhielten, um aus ihnen den Posten der Pythia zu besetzen ist nicht anzunehmen. Im Fall 50jähriger Frauen aus bürgerlicher Familie dürfte allerdings die Wahrscheinlichkeit der Verwitwung vergleichsweise hoch gewesen sein. Unmittelbar aus Delphi sind keine Aussagen über das lokale Heiratsalter bekannt. Im Allgemeinen machen griechische Quellen aber deutlich, dass ein größerer Altersunterschied zwischen Braut und Bräutigam üblich war: Mädchen wurden in sehr jugendlichem Alter verheiratet.86 Schließlich hatten 50jährige Bürgerinnen potentiell Kinder geboren. Dies schloss die Übernahme eines sakralen Amtes nicht aus: Lysimache, die im 5./4. Jahrhundert 64 Jahre lang das Amt der Priesterin für Athena Polias in Athen innehatte, war verheiratet und Mutter von Kindern. Ihre Eignung für den Dienst an der jungfräulichen Göttin Athena hatte dieser Familienstand offensichtlich nicht beeinträchtigt.87 Im Fall 50jähriger Bürgerinnen ist entsprechend auch in Delphi kaum mit Frauen zu rechnen, die einen buchstäblich jungfräulichen Körper besaßen. Sie wurden aber wohl als jenseits des gebärfähigen Alters angesehen – und hatten im Allgemeinen gegenüber ihrer Familie und der Stadt die Pflicht bereits erfüllt, Nachkommen zu gebären.88 Dies bestätigt – zumindest für das 2./3. Jahrhundert n. Chr. – eine delphische Inschrift, in der tatsächlich ein Sohn oder Enkel der Pythia erwähnt wird: Marcus Iunius Mnaseas, Schreiber des Bundes der Amphiktyonen, ist Πυθίας ἔγγο[νος καὶ ἄλλ|ων πολλ[ῶν ἱερειῶν ἀ]πόγονος.89 Für eine Pythia war also nicht Virginität in der Bedeutung eines lebenslang intakten Hymens entscheidend. Ausschlaggebend war vielmehr, dass ihr Körper während der Orakelerteilung kultisch rein war. 90 Diese kultische Reinheit konnte nach Bedarf und je nach Lokalbrauch mehr oder weniger aufwendig rituell hergestellt werden. Was das Vorleben der Pythia anlangt, so scheinen leibliche Kinder nicht als unpassend empfunden worden zu sein – im Gegenteil, der genannte Mnaseas ist offensichtlich stolz auf seine Abstammung. Plutarch formuliert an anderer Stelle, worauf es an85 SCHEER, 2011, 23. Die Wahrscheinlichkeit (zumindest früher einmal) verheirateter Pythien wird auch bei PARKE/WORMELL, 1956 I, 36 betont; PARKER, 1983, 93. 86 SCHEER, 2011, 17–19.86. 87 Lysimache: PARKER, 1983, 88. CONNELLY, 2007, 62; TURNER, 1983, 176. 88 Vgl. auch oben den bei Pausanias, VIII 5,11 f. erwähnten Fall in Mantineia: Statt einer Jungfrau ernennt man nun eine ältere Frau zur Priesterin, „die vom Verkehr mit Männern bereits genug hat“. 89 LA COSTE-MESSELIÈRE, 1925, 86, Nr. 12; FdD III 1.553, Datierung 175–225 v. Chr. Vgl. auch PARKE/WORMELL, 1956 I, 36; JOHNSTON, 2008, 41. Den Hinweis auf diese Inschrift verdanke ich P. Sánchez. 90 So auch FLOWER, 2008b, 225. PARKE/WORMELL, 1956 I, 35.

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kam: Die derzeit amtierende Pythia habe bis zu ihrer Ernennung auf schöne (kalos) und wohlgeordnete (eutaktos) Weise gelebt.91 Für eine griechische Bürgersfrau bedeutete dies die Existenz als ehrbare Ehefrau. Was mit der bei Diodor genannten παρθενικὴ σκευή (Ausstattung oder Kleidung einer Jungfrau) in Bezug auf die Pythia gemeint ist, lässt sich nur erschließen. Kleiderbräuche waren in den griechischen Poleis ebenfalls lokal geregelt, eine einheitliche Jungfrauentracht gab es nicht.92 In Justins Beschreibung des Gallier-Überfalls auf Delphi treten die delphischen Priesterinnen auf cum insignibus atque infulis.93 Sie sind an Ehrenzeichen und Binden kenntlich, deren Aussehen aber nicht weiter beschrieben wird. Offensichtlich ging von der Aufmachung der amtierenden Pythia, ihrer Kleidung oder Frisur, ein visuelles Signal aus, das sie als Frau charakterisierte, die keinen Geschlechtsverkehr hat und die deshalb den sakralen Reinheitsregeln genügt.

6. „Klösterliche Abgeschiedenheit“ für die Pythia? Vorstellungen von der klösterlich lebenden Pythia, dürften vom neuzeitlichen (und von christlichen Vorstellungen beeinflussten) Jungfräulichkeitsdiskurs um die Pythia mit geprägt worden sein. Entsprechend ist die Notwendigkeit einer „räumlichen Klausur“ der Pythia angenommen worden.94 Wie eine solche konkret vorzustellen wäre, bleibt weitgehend unklar: Plutarch bemerkt lediglich für seine Zeit, dass man auf die Reinheit der Pythia achtet und sie keine Kontakte mit Fremden haben soll.95 Diese Forderung unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom Verhaltenskodex für ehrbare Bürgerinnen, für die Kontakte mit fremden Männern ebenfalls nicht als schicklich erachtet wurden.96 Wo die Pythia konkret ihren Wohnsitz hat, berichtet 91

Plut., Pyth. or. 22, 405cd. Vgl. allgemein zur Kleidung von Priesterinnen CONNELLY, 2007, 86 f. CONNELLY, 2007, 97 vertritt die Meinung, auf Vasenbildern sei die Pythia (wie auch andere prominente Priesterinnen) vor allem als Trägerin des Tempelschlüssels dargestellt worden. 93 Iust., XXIV 8. 94 FAUTH, 1963, 523: „Jedenfalls verlangte das rituelle Keuschheitsgebot sicherlich eine räumliche Klausur der Apollondienerin.“ FRIESE, 2010, 36: „Strenge Isolation … gehörte zum Alltag (sic!) jeder Pythia.“ Ähnlich auch JOHNSTON, 2015, 481: „The Pythia had little interaction with anyone outside of the Delphic sanctuary once she took office.“ TRAMPEDACH, 2015, 200: „strenge Abgeschlossenheit“. Vasenbilder, in denen die Pythia gern mit dem Tempelschlüssel in der Hand dargestellt wird, lassen sie allerdings eher als Frau „mit Schlüsselgewalt“ erscheinen, denn als eingesperrte Person: S. oben Anm. 92. 95 Plut., Def. or. 51, 438c. S. oben Anm. 78. 96 Ähnlich auch BOWDEN, 2005, 16: „There is no evidence to suggest that her life was particularly restricted in other ways [sc. über die Reinigungsrituale vor der Orakelprozedur hinaus], beyond the fact that the lives of citizen women in all Greek city states were very 92

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Plutarch nicht. Inschriftliche Quellen geben in diesem Punkt zusätzliche Information. In zwei Fällen wird ein „Gebäude der Pythia“ erwähnt. Die Inschriften stammen aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. bzw. aus der Kaiserzeit und dokumentieren jeweils die Renovierung des Bauwerks.97 Weder dessen Standort noch Gestalt sind bekannt.98 Dass es der dauerhafte oder gar „klösterlich abgeschiedene“ Aufenthaltsort der Pythia gewesen ist, in dem sie wohnte, lässt sich aus den Inschriften ebenfalls nicht ableiten.99 Es könnte sich bei diesem Bauwerk auch um ein Amtslokal handeln, das die Pythia zur Vorbereitung auf das Orakel-Ritual zeitweilig aufsuchte.100 Für den delphischen Orakelbetrieb wird überliefert, in frühen Zeiten seien nur einmal jährlich Orakel gegeben worden, am Geburtstag Apollons, später dann einmal im Monat (mit Ausschluss der Wintermonate).101 An diesen Terminen sei der Andrang dann manchmal so stark gewesen, dass sich zwei Pythien (mit einer weiteren als éphedros/Beisitzerin) abgewechselt hätten.102 Nimmt man diese Information ernst, so ergeben sich nur wenige Tage im Jahr (nämlich neun), an denen die Pythia und ihre Kollegin(nen) tatsächlich gefordert gewesen wären.103 Was taten sie den Rest der Zeit? Die Vorstellung von einer Pythia oder auch von drei Funktionärinnen als ‚Kollegium‘, die ohne weitere Aufgabe jahrelang abgeschottet in einem gemeinsamen oikema im Heiligtum gelebt hätten, sollte zumindest überdacht werden. Inschriftliche Zeugnisse aus anderen Heiligtümern machen des öfteren klar, dass die Inha-

circumscribed.“ Ebenso JOHNSTON, 2008, 44 zum allgemeinen Bild der respektablen Bürgerin. 97 S. FdD III 5.50 col III 1: ein Dokument aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., das sich auf die Abrechnungen des Heiligtums bezieht: τοῦ οἰκή [µ]ατος τοῦ τῆι Π[υθίαι. Das oikema für die Pythia ist hier für 2 Minen ausgebessert worden. Das zweite Beispiel bezeugt die Renovierung des Hauses der Pythia durch die Amphiktyonen in der Kaiserzeit: Syll.4 823: τὴν οἰκίαν τῇ Πυθίᾳ; s. auch JACQUEMIN et al., 2012, 222 f.; Haus der Pythia ebd. 423, Nr. 239. Vgl. ROUX, 1971, 69; SÁNCHEZ, 2001, 448; vgl. oben Anm. 31. 98 JACQUEMIN et al., 2012, 423; FRIESE, 2010, 291.309. 99 So etwa FAUTH, 1963, 523: „dass nach inschriftlichem Befund zumindest die amtierende P. ihren Wohnsitz innerhalb des Tempelbezirks gehabt haben muss.“ DILLON, 2002, 77 entwirft auf der Basis lediglich der inschriftlichen Erwähnung des Gebäudes das Bild der Pythia, die in ihrem eigenen Haus im Heiligtum, getrennt von einem eventuellen Ehemann, gelebt habe. Vgl. auch ROUX, 1971, 69. 100 Ähnlich auch JACQUEMIN et al., 2012, 42: „une sorte de logement de fonction?“ Die Pythia bewegte sich durchaus auch außerhalb des heiligen Bezirks: sie wurde etwa am Tag vor der Orakelerteilung feierlich vom Prophetes ins Prytaneion geleitet: s. Plut., De E 16, 391d. Zur Lage des Prytaneions: BOMMELAER/LAROCHE, 2015, 191.235. 101 Kallisth. FGrHist 124 Frg. 49 = Plut., Qu.Gr. 9, 292d–f; S. auch DILLON, 2002, 98; BOWDEN, 2005, 17; STONEMAN, 2011, 27. 102 Plut., Def. or. 8, 414b; vgl. PARKE/WORMELL, 1956 I, 35. 103 S. auch BOWDEN, 2005, 17. DILLON, 2002, 98.

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ber von sakralen Ämtern nicht dauerhaft im Heiligtum anwesend waren, sondern sich dies nach ihren Aufgaben richtete.104

7. Die Pythia: Tochter armer Bauern? Schließlich wäre noch zu fragen, was von Plutarchs Aussage zu halten ist, die Pythia wäre das Kind armer Bauern:105 τραφεῖσα δ᾽ ἐν οἰκίᾳ γεωργῶν πενήτων (aufgezogen im Haus armer Bauern). Plutarch mag im speziellen Fall der zu seiner Zeit amtierenden Pythia Recht haben, aber die Frage stellt sich, ob seine Charakterisierung im Hinblick auf die Pythien generell repräsentativ sein kann.106 Ist es wahrscheinlich, dass die Herkunft der Pythia in Delphi keine Rolle spielte, oder man sie sogar bewusst aus einer ärmeren Familie ausgewählt hat? Auch in diesem Fall erscheint der Blick auf die sonst überlieferten Vergabepraktiken von wichtigen sakralen Ämtern in Griechenland interessant: Im Normalfall sind Priesterämter nichts für arme Leute, nur gelegentlich werden sie unter allen Bürgern oder Bürgerinnen verlost. Priesterämter können in Elitefamilien vererbt, seit dem Hellenismus in Kleinasien in zahlreichen Fällen sogar um viel Geld versteigert werden.107 Ansonsten stellen sie eine Möglichkeit dar, hohes Sozialprestige zu erwerben, nicht zuletzt indem ein Amtsinhaber den Reichtum und Ansehen der Familie in das Amt miteinbringt. Delphi scheint hier keine Ausnahme darzustellen: Im Rahmen des Apollonkultes stammen wichtige Funktionäre eben nicht von einfachen Bauern ab: Für Euripides sind z.B. die (männlichen) Prophetai aus den Besten der Delpher erlost.108 Plutarch berichtet vom Anspruch der delphischen Kult104

Vgl. etwa die sog. Lex sacra aus dem Amphiareion von Oropos, in der eine Anwesenheitspflicht von 10 Tagen im Monat für den Priester festgesetzt wird: LSCG 69. 105 Plut., Pyth. or. 22, 405cd: ὥσπερ ἡ νῦν τῷ θεῷ λατρεύουσα γέγονε µὲν εἴ τις ἄλλος ἐνταῦθα νοµίµως καὶ καλῶς καὶ βεβίωκεν εὐτάκτως: τραφεῖσα δ᾽ ἐν οἰκίᾳ γεωργῶν πενήτων, οὔτ᾽ ἀπὸτέχνης οὐδὲν οὔτ᾽ ἀπ᾽ ἄλλης τινὸς ἐµπειρίας καὶ δυνάµεως ἐπιφεροµένη κάτεισιν εἰς τὸ χρηστήριον („So wie auch diejenige, die jetzt dem Gott dient, in so rechtmäßiger Ehe erzeugt ist wie nur irgendjemand, und ihr Leben in schöner und wohlgeordneter Weise geführt hat: da sie aber im Haus armer Bauern aufgezogen worden ist, bringt sie weder eine spezielle Kunst, noch irgendein Wissen, noch Können mit, wenn sie in das Orakelgebäude hinabsteigt“). 106 Auch CONNELLY, 2007, 73 sowie BOWDEN, 2005, 16 nehmen offenbar Plutarchs Aussage als repräsentative Quelle für die Herkunft der Pythia bereits in der Frühzeit. Dass die Pythia „early on“ aus der „local peasantry“ gewählt worden sei, belegen die Quellen aber nicht. 107 Vgl. CONNELLY, 2007, 44.46–55; CHANIOTIS, 2008, 20 f.; HORSTER, 2012, 9. 108 Eur., Ion 415 f.: οἳ πλησίον θάσσουσι τρίποδος, ὦ ξένε, / Δελφῶν ἀριστῆς, οὓς ἐκλήρωσεν πάλος. („Die nächst am Dreifuß sitzen, aus der Delpherstadt / Die Besten,

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funktionäre, die hosioi genannt wurden, der ältesten delphischen Familie überhaupt anzugehören, die sich auf Deukalion und die Zeit der Sintflut zurückgeführt habe.109 Zur Zeit Plutarchs nahm dessen Bekannte Klea in Delphi ein wichtiges Amt im Dionysoskult ein – sie stammte so wie Plutarch selbst unzweifelhaft aus der Oberschicht.110 Plutarchs Aussage über den sozialen Hintergrund der zu seiner Zeit amtierenden Pythia macht immerhin deutlich: Ihre Geburt ist ehelich. Als Kind von Bauern ist sie darüber hinaus die Tochter von örtlichen Grundbesitzern.111 Dies dürfte für die Mehrheit delphischer Bürger zugetroffen haben, deren Charakterisierung als arm oder reich eine Frage der Perspektive sein konnte (oder aber einer bestimmten Erzählabsicht Plutarchs geschuldet ist). Entweder hatte sich zur Zeit Plutarchs keine Frau aus reicher Familie für das Amt gefunden (was mit dem grundsätzlichen Tenor seiner Schrift Über den Niedergang der Orakel übereinstimmen würde), da möglicherweise das mit dem Amt verbundene Prestige zurückgegangen war.112 Wie groß dieses Prestige für die jeweilige Familie war, die ein weibliches Mitglied für das Amt der Pythia zur Verfügung stellte, wird auch für die früheren Jahrhunderte nicht klar: Interessanterweise sind der Vater oder auch z.B. Brüder der Pythia kaum einmal bekannt, sie traten mit einer Amtsübernahme ihrer weiblichen Verwandten offenbar nicht mit ins Licht der Öffentlichkeit.113 Und im Gegensatz zu anderen Heiligtümern, wie z.B. dem Heraion von Argos, in dem die Priesterinnen der Hera Ehrenstatuen im Heiligtum erhielten, ist ein derart prestige-

Fremdling, die des Loses Wurf erkor“, Übers. Donner/Kannicht). Zur Herkunft der Priesterschaft aus den führenden Familien Delphis s. auch BOWDEN, 2005, 15 f. 109 Plut., Qu. Gr. 9, 292d: πέντε δ᾽ εἰσὶν ὅσιοι διὰ βίου, καὶ τὰ πολλὰ µετὰ τῶν προφητῶν δρῶσιν οὗτοι καὶ συνιερουργοῦσιν, ἅτε γεγονέναι δοκοῦντες ἀπὸ Δευκαλίωνος. („Es gibt fünf hosioi, die ihr Amt lebenslang ausüben. Sie vollführen viele Dinge in Zusammenarbeit mit den prophetai und nehmen mit ihnen gemeinsam am Vollzug der heiligen Dinge teil; man glaubt, dass sie von Deukalion abstammen.“) Vgl. BURKERT, 1972, 142; BURKERT, 2011, 154. 110 Plutarch als Mitglied der Elite: ZIEGLER, 1964, 6–8; HAAKE, 2008, 164. S. auch die Widmung einer seiner Schriften an Klea: Plut., Is. 1, 351b; CONNELLY, 2007, 220. 111 Plutarch hebt die eheliche Geburt hervor: Plut., Pyth. or. 22, 405cd. 112 Für das Augusteische Rom berichten die Quellen z. B. von Problemen, das Vestalinnenkollegium zu besetzen, da die Familien ihre Töchter nicht zur Verfügung stellten wollten: Suet., Aug. 31,3. Die These fehlenden einschlägigen Engagements reicher Familien in Delphi bereits bei POULSEN, 1924, 25. 113 Die fehlende Nennung männlicher Angehöriger der Pythia trägt zu der Schwierigkeit bei, ihren sozialen Status in der delphischen Bürgergemeinde zu bestimmen. Übernahm die Pythia erst in vorgerücktem Alter ihr Amt, so dürfte ihr Vater (und eventuell auch ein Ehemann) vermutlich meist lang verstorben gewesen sein.

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trächtiger Brauch von Seiten der Delpher für die Pythia zumindest nicht als die Regel bezeugt.114 Der familiäre Hintergrund der Pythia wird auch in den früheren Quellen – die fast ausschließlich nicht aus Delphi selbst stammen – nicht expliziert: In Euripides’ Ion bezeichnet sich die Pythia als „ausgewählt aus allen Delpherinnen“,115 an anderer Stelle des Ion erscheint sie als „delphische Frau“.116 Sowohl die Aussagen des Tragikers als auch die Plutarchs machen deutlich, dass die Pythia (wie für lokale sakrale Funktionäre üblich117) offenbar nicht aus einer ortsfremden Familie stammen sollte: Sie wird unter den delphischen Frauen ausgewählt. Die bei Plutarch betonte eheliche Geburt sichert einerseits diesen Anspruch delphischer Abkunft zusätzlich ab, trägt aber zusätzlich zum Bild einer unbescholtenen Amtsinhaberin bei, die den konventionellen Erwartungen an griechische Bürgerfrauen entspricht. Die Auswahl der Pythia dürfte also wohl unter Frauen aus delphischen Bürgerfamilien erfolgt sein, die das richtige Alter hatten, einen guten Ruf besaßen und deren Familienstand – vielleicht als Witwen – die Ausübung eines derartigen Amtes zuließ.118 Blickt man allerdings jenseits der Schriften Plutarchs – der nicht einmal den Namen der zu seiner Zeit agierenden Pythia nennt – auf die ansonsten überlieferten Eigennamen einzelner Pythien, so deuten diese nicht unbedingt 114

Eine in Ostia aufgefundene Inschriftenbasis aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. bezeugt eine (vielleicht aus Griechenland verschleppte) Statue der delphischen Orakelgeberin Charite: CONNELLY, 2007, 134. Eine Statue der angeblich ersten Pythia Phemonoe wurde im 3. Jahrhundert v. Chr. von den Alexandrinern gestiftet: FAUTH, 1963, 518; ROUX, 1971, 65. Ehrenstatuen für Priesterinnen allgemein: z. B. für Lysimache in Athen s. CONNELLY, 2007, 130; HORSTER, 2012, 13 mit Lit. Anm. 34. Zu den Bildern der Herapriesterinnen in Argos s. etwa CONNELLY, 2007, 57 f.118. 115 Eur., Ion 1323: πασῶν Δελφίδων ἐξαίρετος. In der Kaiserzeit behauptet Maximos von Tyros (Max. Tyr., 8,1) die Pythia sei eine Frau, die aufs Geratewohl (γύναιον τὸ τυχόν) aus allen Delpherinnen ausgewählt worden sei. Dass diese Wahl durch das Los erfolgte, wie DILLON, 2002, 98 angenommen hat, geht daraus nicht zwangsläufig hervor. Wenn TRAMPEDACH, 2015, 200, Wahl oder Los aus allen Delpherinnen in Erwägung zieht, aber gleichzeitig feststellt, selbstverständlich müsse die Pythia zuvor auf ihre Eignung getestet worden sein, so erscheint damit eine Auslosung ohne „Vorauswahl“ kaum möglich. 116 Eur., Ion 90: γυνὴ […] Δελφίς. 117 Bürgerliche Abkunft als Voraussetzung für Amtsübernahme in Kulten der Polis: HORSTER, 2012, 10. Plutarch selbst ist diesbezüglich die Ausnahme, da er, obwohl in Chaironeia geboren und ansässig, als Ortsfremder das Amt des delphischen Apollonpriesters innehatte: ZIEGLER, 1964, 24 f.; MAAß, 1993, 52 geht davon aus, Plutarch habe offenbar das Bürgerrecht von Delphi angenommen. 118 Dass sie aus der Gruppe der im kaiserzeitlichen Delphi für das Heilige Feuer verantwortlichen Witwen ausgewählt wurde, von denen Plutarch an ganz anderer Stelle spricht (Plut., Num. 9,5; DILLON, 2002, 102) wie PARKE/WORMELL, 1956 I, 36 vorgeschlagen haben, muss im Bereich der Spekulation verbleiben.

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darauf hin, dass die Frauen aus armen Familien stammten oder dies die geläufige Vorstellung gewesen wäre. Unabhängig von der Historizität der einzelnen Pythien lassen die ihnen im Lauf der Zeit zugeschriebenen Eigennamen wie etwa Xenokleia, Themistokleia, Aristokleia, Aristonike oder Theonike eher aristokratischen denn bäuerlich einfachen Hintergrund assoziieren.119 Mehrere Generationen nach Plutarch war es dem schon erwähnten Mnaseas wichtig, seine familiäre Abkunft unmittelbar von einer Pythia zu betonen.120 Zusätzlich charakterisiert er sich als Abkömmling vieler Priesterinnen (ob hierbei Pythien gemeint sind, ist unklar aber möglich). In der hohen Kaiserzeit erschien die Abstammung von einer Pythia entsprechend als positiv qualifizierendes Moment – und nicht als Hinweis auf eine arme Bauernfamilie. Mnaseas’ Behauptung, eine Reihe von Priesterinnen unter seinen Vorfahren zu haben (καὶ ἄλλ|ων πολλ[ῶν ἱερειῶν ἀ]πόγονος), könnte sogar darauf schließen lassen, dass auch in Delphi manche Familien häufiger als andere die Pythia (und andere weibliche Kultfunktionärinnen) stellten, diesbezüglich also durchaus mit lokalen Familientraditionen zu rechnen ist, die stolz nach außen getragen wurden.121

8. Die Pythia: eine ungebildete Kultfunktionärin? Auch im Hinblick auf den Bildungsstand, auf das religiöse Wissen der Pythia, hat sich Plutarchs Zeugnis als einflussreich erwiesen. Von ihm stammt die Behauptung, die Pythia bringe keinerlei besondere Vorbildung mit: Sie besitze weder besondere Kunstfertigkeit, noch andere Kenntnisse, Erfahrungen oder besonderes Können (dynamis).122 Diese Unwissenheit oder Unbildung begründet Plutarch mit der sozialen Herkunft der Pythia. Die Abstammung 119

f.

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Zur Überlieferung im Einzelnen s. FAUTH, 1963, 518 f. sowie CONNELLY, 2007, 74

S. oben Anm. 89. Vgl. hierzu LA COSTE-MESSELIÈRE, 1925, 83, Nr. 10, sowie auch PARKE/WORMELL, 1956 I, 36; ROUX, 1971, 67; CONNELLY, 2007, 75 zu einem weiteren Fall priesterlicher Familientradition in Delphi aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Auch in dieser Inschrift wird die Abkunft der geehrten Ehefrau Theonike von einer Pythia hervorgehoben. 122 Plut., Pyth. or. 22, 405cd: οὔτ᾽ ἀπὸ τέχνης οὐδὲν οὔτ᾽ ἀπ᾽ ἄλλης τινὸς ἐµπειρίας καὶ δυνάµεως ἐπιφεροµένη κάτεισιν εἰς τὸ χρηστήριον, ἀλλ᾽ ὥσπερ ὁ Ξενοφῶν οἴεται δεῖν ἐλάχιστα τὴν νύµφην ἰδοῦσαν ἐλάχιστα δ᾽ ἀκούσασαν εἰς ἀνδρὸς βαδίζειν, οὕτως ἄπειρος καὶ ἀδαὴς ὀλίγου δεῖν ἁπάντων καὶ παρθένος ὡς ἀληθῶς τὴν ψυχὴν τῷ θεῷ σύνεστιν („Da sie aber im Haus armer Bauern aufgezogen worden ist, bringt sie weder eine spezielle Kunst, noch irgendein Wissen, noch Können mit, wenn sie in das Orakelgebäude hinabsteigt. Sondern wie Xenophon meint, es sei nötig, dass eine Braut möglichst wenig gesehen und gehört hat, bevor sie zum Haus ihres Ehemannes geht, so soll auch diese unerfahren und mit wenig Wissen über alles Mögliche, wahrlich jungfräulich in Bezug auf ihre Seele mit dem Gott zusammen sein“). 121

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wird in diesem Kontext zu einem gewichtigen Argument: aufgezogen als Tochter armer Bauern ist es nur logisch, dass die Pythia kein besonderes Wissen mitbringen kann.123 Im unmittelbar darauf folgenden Textabschnitt Plutarchs wird allerdings sofort deutlich, dass diese Charakterisierung keine zu generalisierende Aussage über die traditionelle Erziehung bzw. den seit jeher gewünschten Bildungsstand für das Amt der Pythia darstellt. Vielmehr beschreibt der selbst hochgebildete kaiserzeitliche Autor Plutarch eine bestimmte Pythia zu seiner eigenen Zeit und nimmt das zum Anlass, ein Idealbild der delphischen Prophetin zu suggerieren: auf die gleiche Weise, wie ein halbes Jahrtausend zuvor der attische Geschichtsschreiber Xenophon in seinem Oikonomikos die ideale junge Braut beschrieben hat.124 Plutarch nimmt an dieser Stelle sogar ausdrücklich auf Xenophon Bezug. Wie Xenophons Braut so wenig wie möglich gehört und gesehen haben soll, völlig unerfahren und ungebildet das Haus ihres Bräutigams betritt, um dann von diesem geformt zu werden, so geht Plutarchs angeblich ungebildete Pythia „wahrlich jungfräulich in Bezug auf ihre Seele“ ins Haus ihres Gottes Apollon, um dessen Botschaften zu vermitteln.125 Der Vergleich der Pythia mit einer Braut impliziert nicht zwangsläufig, dass ihr Umgang mit Apollon als Sexualkontakt verstanden worden ist. Johnston interpretiert im Kontext die „jungfräuliche Seele“ der Pythia treffend nicht etwa im Hinblick auf körperliche Jungfräulichkeit: Plutarchs Pythia sei vielmehr „uncorrupted by sophisticated ideas from the outside world“.126 Im 2. Jahrhundert n. Chr. greift Aelius Aristides das Bild der Pythia, die 127 Die delphischen Prophetinnen nichts aus eigener Kraft weiß, erneut auf: besäßen kein spezielles Wissen (episteme), welches sie vom Rest der Menschheit unterscheiden würde. Und wenn doch einmal, dann sei ihre Bildung oder ihr Wissen nicht die Grundlage ihrer Orakelsprüche; diese beruhten vollständig auf der gehorsamen Hingabe an die göttliche Macht. Deutlich wird hierbei, dass Aelius Aristides durchaus gebildete Pythien in Betracht zieht. Der entscheidende Punkt für ihn ist allerdings ein anderer: Auch eine 123

Zur methodischen Problematik, diese Aussage Plutarchs zur Herkunft der Pythia zu verallgemeinern s. FLOWER, 2008b, 223. JOHNSTON, 2008, 43 erläutert den Kontext: Die niedrige Herkunft der aktuellen Pythia erkläre einerseits die Leitfrage des Textes, warum die Pythia derzeit nicht mehr in Versen weissage, andererseits sei sie deshalb nicht fähig, eine eigenständige Meinung in den Orakelvorgang einfließen zu lassen. S. auch DILLON, 2002, 99. 124 Xen., Oec. 7,4 f. 125 Inwieweit Xenophons zitiertes Ideal der unwissenden Gattin jemals der griechischen Wirklichkeit entsprochen hat, steht nochmals auf einem ganz anderen Blatt: vgl. hierzu SCHEER, 2011, 97 f. mit Literatur. Zum möglichen „gap between discourse and reality“ im Fall auch der Pythia s. JOHNSTON, 2008, 44. 126 JOHNSTON, 2008, 39. 127 Ael. Arist., Or. 2,39.

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Pythia, die persönliches Wissen besitzt, greift im Amt nicht auf dieses zurück, sondern überlässt sich gehorsam dem Gott. Nach der Bildung der Pythia lässt sich auf zwei Ebenen fragen. Eine spezifische Vorbildung im Sinne von Weltwissen wurde offenbar für die Pythia nicht als notwendig erachtet. Die Sozialisierung als unbescholtene delphische Bürgerin reichte aus und bedingte von vornherein eine gewisse „isolation from the rest of the world“ (im Sinne beschränkten Wissens über die Verhältnisse in der griechischen Welt). Hierfür war speziell ärmliche Abkunft (wie 128 etwa Bowden gemeint hat ) nicht unbedingt erforderlich, da griechische Bürgerinnen grundsätzlich vom „public business of Delphi“ ausgeschlossen waren. Frauen aus den ärmeren Familien dürften mitunter aus purer Notwendigkeit in der Praxis sogar mehr Kontakte zur Welt außerhalb des Hauses gehabt haben als die weiblichen Mitglieder besserer Familien. Musste die Pythia aber jenseits von Weltwissen ‚religiöse Vorbildung‘, rituelles Wissen besitzen, um ihr Amt ausüben zu können? Die einmalige Erwähnung einer ephedros, einer „Beisitzerin“ bei Plutarch könnte darauf hindeuten, dass zukünftige Pythien durch Beobachtung des Orakelrituals rituelles Wissen er129 worben haben. Die bei Friese formulierte Vorstellung von einer „jahrelangen Ausbildung“ der Pythia (wer wäre der Ausbilder/die Ausbilderin?) findet keinen Beleg in den Quellen und scheint eher den Nachrichten über das römi130 Wie Flowers Idee sche Vestalinnenkollegium nachempfunden zu sein. einer „long apprenticeship in a community of believers“ umgesetzt worden 131 sein könnte, ist ebenfalls unklar. Flower ist allerdings insofern zuzustimmen, als eine fünfzigjährige Delpherin potentiell viele Jahre Zeit gehabt haben kann, sich mit der sakralen Umgebung des delphischen Tempels und den Umständen eines Amtes vertraut zu machen, und die ernannte Pythia wohl kaum „just any old peasant woman off the farm“ gewesen ist. Sarah Iles Johnston bringt es auf den Punkt: Wer als Tochter einer bürgerlichen Familie in Delphi aufwuchs, hatte seit Kindertagen von den Erfahrungen gehört, die 132 die Pythia machte und war bereits hierdurch präkonditioniert worden.

9. Weiblich, isoliert, ungebildet? Die Pythia als Sprachrohr Apollons Weshalb also sprach das Orakel von Delphi mit der Stimme einer Frau? Weshalb vertrauten die Bürger von Delphi das zentrale Amt im Orakelbetrieb 128 129 130 131 132

BOWDEN, 2005, 25. Plut., Def. or. 8, 414b. FRIESE, 2010, 86. FLOWER, 2008b, 231; vgl. PARKE/WORMELL, 1956 I, 35 f. JOHNSTON, 2008, 50.

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einer ihrer Frauen an, wenn doch ansonsten auch den bürgerlichen Frauen autoritatives Sprechen versagt wurde? Begründungen hierfür sind uns in den antiken Quellen nicht erhalten, weder das biologische Geschlecht der Pythia noch die Entstehung ihres Titels werden durch aitiologische Erzählungen erklärt. Im Vergleich mit anderen Heiligtümern und Orakelstätten der griechischen Welt wird allerdings deutlich, dass Apollon grundsätzlich sowohl weibliche als auch männliche Funktionäre in seinen Kulten akzeptierte. Auch die Fähigkeit zur Weissagung, die vor allem in der mythischen Tradition als Geschenk Apollons dargestellt werden konnte, wurde grundsätzlich beiden Geschlechtern zugesprochen. Die Bewohner von Delphi hielten an der lokalen Tradition einer weiblichen Prophetin für Apollon fest, ‚gemäß dem Brauch‘ in kultischen Angelegenheiten nicht ohne Not zu ändern. Auch in den frühen Quellen, etwa bei Herodot, kann die Persönlichkeit der Pythia stark zurücktreten: Wenn die Fragenden sie in der männlichen Form als „anax“ (Herr) anreden, implizieren sie direkte Kommunikation mit Apollon und nicht mit einer sterblichen weiblichen Person aus Delphi.133 Ihre familiären Verbindungen sind meist nicht bekannt, und im Unterschied z.B. zum bezeugten persönlichen Sozialprestige der argivischen Hera-Priesterinnen ist Vergleichbares für die delphischen Pythien nicht überliefert. Für die athenischen Dramatiker war die Pythia eine delphische Frau fortgeschrittenen Lebensalters; Diodor liefert eine aitiologische Erklärung für die von ihm gegebene Information, nur Frauen über 50 Jahre würden von den Delphern zur Pythia gemacht. Vor dem Hintergrund der Dürftigkeit konkreter Nachrichten zur Pythia als Person haben die scheinbaren Sachinformationen des kaiserzeitlichen Autors Plutarch das neuzeitliche Bild der delphischen Prophetin massiv geprägt. Plutarchs Ziel war es allerdings nicht, eine „dichte Beschreibung“ des Amtes der Pythia zu geben, und noch viel weniger leitete ihn das Interesse an der sozialen Person der Amtsinhaberin. Als unmittelbar Beteiligter und Inhaber eines priesterlichen Amtes in Delphi beklagt er vielmehr den politischen Bedeutungsschwund des Orakels in seiner kaiserzeitlichen Gegenwart, hält aber die potentielle Kraft des Orakels für ungemindert. Grundsätzlich, und dies will er seinen Lesern vermitteln, wäre Delphi mit der Pythia als Sprachrohr Apollons nach wie vor in der Lage, Antworten auf die bedeutenden Fragen der Gegenwart zu geben. Diese Agenda beeinflusst entsprechend das Bild, das er von der delphischen Prophetin zeichnet: Diese sei persönlich völlig ungebildet. Plutarchs Aussage impliziert die Botschaft, es bestehe keine Gefahr, die Pythia könnte aus eigenständigem Vorwissen Urteilsfähigkeit entwickeln und persönliche Meinungen in ihre Antworten einfließen lassen. Vielmehr agiert sie in Xenophontischer Manier wie eine junge Tochter oder Ehefrau, die vom Ehemann geformt dessen Meinung zu ihrer 133

Vgl. Hdt., IV 150.3; IV 155.4; VII 141.2; s. COMPTON, 1994, 222.

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eigenen macht: Die Pythia wird entsprechend die Botschaft ihres Gottes unverändert weitergeben. Plutarchs Pythia ist das Kind einfacher Leute vor Ort; das heißt, sie ist einerseits authentisch, entspricht der Lokaltradition, nach der die Pythia immer aus den delphischen Frauen ausgewählt worden ist. Die Betonung der einfachen Herkunft macht außerdem die Behauptung persönlicher Unbildung für die Pythia glaubhaft, ihr sozialer Hintergrund kann ihr keine Gelegenheit zu unerwünschtem Wissenserwerb gegeben haben. Schließlich steht keine einflussreiche Elitefamilie hinter ihr, die womöglich die Orakelsprüche im eigenen Interesse beeinflussen könnte. Wenn die Kontakte von Plutarchs Pythia streng kontrolliert sind und ihre Reinheit überwacht wird, bedeutet dies zum einen, dass das Orakelritual in der Gegenwart auf gottgefällige Weise durchgeführt wird. Zum anderen aber impliziert Plutarch sexuelle und soziale Abschirmung: Sie soll mit keinem Fremden zusammen sein (und reguläre familiäre Bindungen werden zumindest nicht erwähnt). Weder ein Ehemann kann offiziell, noch ein Liebhaber heimlich auf sie einwirken. Auch die Möglichkeit von Absprachen mit Klienten des Orakels, die von auswärts anreisen, ist auf diese Weise unterbunden. Zu überlegen wäre, ob Plutarchs Behauptung, Frauen dürften nicht zum Orakel hineingehen, ebenfalls in den von ihm suggerierten Kontext sozialer Abschirmung der Pythia gehört; von geschlechtsspezifischen Netzwerken, über die Information vermittelt wird, ist auch im antiken Delphi auszugehen. Plutarch lässt also die Persönlichkeit der zu seiner Zeit agierenden Pythia völlig zurücktreten; ihren Namen nennt er nicht. Er ist vielmehr bestrebt, die Autorität des Orakels zu erhöhen indem er den menschlichen Körper der Prophetin in seiner Individualität reduziert und ihn zum bloßen Sprachrohr Apollons macht – ein Sprachrohr, aus dem entsprechend authentische Botschaften dringen. Ob persönliche Unbildung, niedrige Herkunft, langfristige sexuelle und soziale Abschirmung auch in früheren Jahrhunderten stets typisch für die delphischen Pythien waren, erscheint fraglich. Wiederholt versuchten Klienten das Orakel zu bestechen: Adressatin derartiger Versuche war jeweils die Pythia persönlich.134 Offenbar gab es Mittel und Wege, die Prophetin zu kontaktieren, und offenbar schätzte man sie als genügend weltläufig ein, um mit solchen Anliegen an sie heranzutreten. In Plutarchs Zeit mag es besonders nötig erschienen sein, die Authentizität und Neutralität delphischer Sprüche durch eine spezifische Charakterisierung der Prophetin und den Verweis auf ihre angeblich streng kontrollierte Lebensführung zu untermauern. Plutarch schärft aber ein Konzept erneut ein, 134 Heracleides Pontikos bei Diog. Laert., V 91; Hdt., V 63,1.90,1.91,2; Hdt., VI 66,2 f.; VI 75,3; VI 123,2; Thuc., V 16,2; Paus., III 4,3. Dazu COMPTON, 1994, 223; DILLON, 2002, 99; BOWDEN, 2005, 28; TRAMPEDACH, 2015, 189; JOHNSTON, 2015, 481.

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welches die Geschlechterverhältnisse in der griechischen Kultur seit jeher prägt und das vermutlich dazu beigetragen hat, jahrhundertelang eine Frau zur Trägerin der Stimme am Nabel der Welt zu machen. Wenn in der Moderne gelegentlich die Vorstellung mit anklingt, Frauen seien vielleicht als Medien besonders begabt, und sich die Frage stellt, ob womöglich schon die Griechen dies erkannt hätten, so ist dies zumindest aus den Quellen nicht zu belegen. Vielmehr liegt eine andere Antwort nahe: Die Pythia konnte die Stimme Apollons verkörpern, nicht, weil sie eigene Autorität besaß, sondern weil in den Augen der männlichen Bürger das Gegenteil der Fall war. Als Angehörige des weiblichen Geschlechts, das von der institutionalisierten Entscheidungsfindung in Griechenland ausgeschlossen war, erschien sie als neutrale Vermittlerin, auch und besonders in den Angelegenheiten der Männer. Wenn die Gesandtschaften griechischer Städte in archaischer und klassischer Zeit Apollon um Entscheidungshilfe baten, konnte eine weibliche Prophetin in dieser Kommunikation keine unerwünschten eigenständigen Interessen haben. Ihr Geschlecht machte sie zur unverdächtig Unbeteiligten, die lediglich die Botschaft Apollons weitergab. Ob dies in der historischen Realität stets der Fall gewesen ist, ist selbstverständlich zweifelhaft. Es lag aber im ureigensten Interesse der Delpher, die Pythia als bloßes Sprachrohr ihres Gottes erscheinen zu lassen. Dies gilt für die Zeit Plutarchs, aber ebenso für frühere Jahrhunderte und mag eine Erklärung sein, warum die delphischen Pythien als historische Persönlichkeiten für uns weitgehend schattenhaft bleiben.

The Pythia’s Appointment and Oracular Practice Historical, Anthropological, and Cognitive Perspectives Yulia Ustinova 1. Introduction In this essay,1 I would like to focus on the mode of the Pythia’s functioning. I will begin with a short introduction on the Pythia’s role as an ecstatic medium or Apollo’s mouthpiece. Then I will dwell on my two main points, starting with the mechanism allowing these women to enter the state of prophetic engoddedness, enthousiasmos, on set days.2 Finally, I will discuss the possible reasons for certain women of Delphi to be chosen to serve as prophetic priestesses.

2. The Pythia and Alteration of Consciousness In Socrates’ list of the blessings of madness, the Pythia’s mania holds a place of honour: madness of prophetic priestesses is mentioned first, discussed at length and praised as the noblest of arts: ‘For the prophetess at Delphi and the priestesses at Dodona when they have been mad have conferred many splendid benefits upon Greece both in private and in public affairs, but few or none when they were in their right minds.’3

A hundred years before Plato, Aeschylus has the Pythia say: ‘I prophesy in a way that the god leads me,’ clearly expressing the idea of the supremacy of

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This essay is a result of the research supported by the Israel Science Foundation (ISF1077/12). I am very grateful to the organizers of the ‘Delphi-Tagung’ and its participants for a most enjoyable and stimulating intellectual event. The essay makes use of materials from my book: USTINOVA, 2018. 2 The word ‘engodded’ was used by HOFFMANN, 1997a, 30. G. Rouget called this state ‘endieué’ (ROUGET, 1990, 346). For the term entheos see BRIAND, 2003. 3 ἥ τε γὰρ δὴ ἐν Δελφοῖς προφῆτις αἵ τ’ ἐν Δωδώνῃ ἱέρειαι µανεῖσαι µὲν πολλὰ δὴ καὶ καλὰ ἰδίᾳ τε καὶ δηµοσίᾳ τὴν Ἑλλάδα ἠργάσαντο, σωφρονοῦσαι δὲ βραχέα ἢ οὐδέν. Plat., Phaedr. 244ab, translation H. N. Fowler.

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direct communication from the gods.4 Several centuries later Plutarch compared the soul of the Pythia to a musical instrument, which produced music through interaction between its own nature and an exterior force, and emphasized the interaction between the Pythia’s soul and the external (divine) force in the process of prophecy-giving.5 Concerning the Pythia’s enthousiasmos, Plutarch gives the following definition: […] The voice is not that of the god, nor the utterance of it, nor the diction, nor the metre, but all these are the woman’s; he puts into her mind only the visions, and creates the light in her soul in regard to the future; for inspiration (enthousiasmos) is precisely this.6

Thus, Greek authors from Aeschylus to Plutarch regard the Pythia as an instrument of the gods, but this instrument contributed to the divine message, defining in particular its form. In Greek, this state was consistently described as prophetic mania. In terms of modern neuropsychology, when prophesying the Pythia experienced alteration of consciousness. From the anthropological point of view, this phenomenon is to be described as possession, as L. Maurizio has shown long ago.7 The term ‘possession’ is applied to a range of phenomena involving dissociation and similar symptoms.8 In contrast to mental disorders, possession is abnormal behaviour that is enacted in conformity with social norms.9 Recently, it has been suggested that the term ‘patterned dissociative identity’ be used, as it designates culturally patterned manifestations of temporary identity change. Patterned dissociative identity is induced by wish of the individual or community, and the alters are entities belonging to one’s cultural system, such as gods, spirits, etc.10 The anthropologist E. Cohen postulates ‘the displacement principle’ in the position of various cultures on spirit mediums and possession: ‘whatever the 4

Mαντεύοµαι γὰρ ὡς ἂν ἡγῆται θεός, Aeschyl., Eum. 33. For the superior value of divinely inspired prophecy, in comparison to divination by signs, see USTINOVA, 2013. 5 Def. or. 9.414e; 38.431b, cf. JOHNSTON, 2008, 10; JAILLARD, 2007; BROUILLETTE, 2014, 194–196. 6 οὐ γὰρ ἔστι θεοῦ ἡ γῆρυς οὐδ’ ὁ φθόγγος οὐδ’ ἡ λέξις οὐδὲ τὸ µέτρον ἀλλὰ τῆς γυναικός· ἐκεῖνος δὲ µόνας τὰς φαντασίας παρίστησι καὶ φῶς ἐν τῇ ψυχῇ ποιεῖ πρὸς τὸ µέλλον· ὁ γὰρ ἐνθουσιασµὸς τοιοῦτόν ἐστι, Pyth. or. 7.397c (translation F. C. Babbitt). 7 MAURIZIO, 1995; more recently, see GRAF, 2009b; CHALUPA, 2014; STONEMAN, 2011, 34. 8 For an anthropological overview see BOURGUIGNON, 1976; LAMBEK, 1989; STOLLER, 1995; a recent treatment: COHEN, 2007; neuroscientific perspective: MCNAMARA, 2009, 167–192; DEELEY ET AL., 2014. 9 HELMAN, 1990, 217; LAMBEK 1989, 48–49. 10 KLASS, 2003, 119; for a critical appraisal of the dichotomy between dissociation as pathology and institutionalised/accepted dissociation, see COHEN, 2007, 83–84; GEERTZ, 2004, 366–367.

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case may be, at any moment, there is only one intentional agency represented – one mind and not two.’11 Following this logic, in ancient Greece, so long as a prophetic individual was possessed by a deity, it was the deity’s – rather than the mortal’s – mind that was considered to be active. In this respect the standpoint of the Greeks is precisely that expected as a ‘default cognitive mechanism,’ making sense of the situation of prophecy-giving by a person whose mind is considered invaded by an external supernatural agent, superior to the intellectual capacity of any human. However, the human and divine components were not absolutely isolated, the human medium (in our case, the Pythia) had to be worthy of serving as an instrument of the gods, and the human interpreter (the temple officials) had to decipher divine signs, communicated by means of the prophetic priestess in the grip of the god.

3. The Pythia’s Experience12 An attempt at analysing the training process and the material framework of the cult at Delphi may allow pinpointing correlations between ritual practices, as reflected in various ancient sources, and the Pythia’s cognitive functioning. Recent research on neuropsychological and cognitive aspects of religious phenomena suggests some important insights that are relevant to the experience of the Pythia. The individual’s personality plays an important role. Studies of modern cataphatic practices, aiming at seeing, sensing, and talking to the god, demonstrate correlations between personality factors, vividness of mental imagery, and the ability to attain visions and hallucinations.13 It is important that various methods of religious priming (presentation of stimuli which are supposed to produce responses in other domains) substantially affect the behaviour of individuals who participate in rites.14 Cultivation of mental imagery is an art, and in order to succeed as a medium a person has not only to be endowed with natural predisposition, but also to be trained in the bodily and mental techniques necessary for inducing alteration of consciousness: skills of consciousness alteration can be learnt.15 Whatever particular technique is used, the emphasis on absorption training,

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COHEN, 2007, 139. The Pythia’s role has been discussed extensively, see for instance PARKE, 1939, 32; PARKE/WORMELL, 1956 I, 34–40; FLACELIÈRE, 1938, 79; ROUX, 1976, 64–69. 147; MAURIZIO, 1998; FLOWER, 2008b, 222–226; JOHNSTON, 2008, 41; DEELEY, 2019. 13 LUHRMANN, 2012. 14 SHARIFF ET AL., 2016. 15 ASPREM, 2017. Learning and repetitive practice of alteration of consciousness enhancing mystical experiences: ANDERSEN ET AL., 2014, 222. 12

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such as meditation, isolation, visualisation, etc., is common to various traditions of vision quest.16 Visions and hallucinations can be induced by several factors: in addition to sensory deprivation and intake of psychoactive substances, expectations (‘event models’), regulation of attention by means of sensory cues, and ‘designer environments,’ enhance vivid imagery.17 Furthermore, prior expectations, which are culturally conditioned, determine to a very considerable extent the contents of mental images which the mind accepts as actual reality.18 In laboratory experiments, the ‘suggestiveness of the context’ and the background of the participants influenced their ability to have mystery experiences.19 In addition, depletion of cognitive resources during rituals impairs the individual’s ability to make sense of their experience, making the impact of prior expectations and post-ritual influences more significant than the person’s own muted actual perceptions.20 Thus, thorough preparation, including knowledge of lore, sincere faith, rituals, and a unique environment are of paramount importance. The focus on the ‘core’ procedure of alteration of consciousness, while ignoring its cultural background and induction process, is misleading.21 The brain of the Pythia was embodied and encultured, that is, affected by a series of physical and social factors, which together affected her cognition.22 I suggest looking at the Pythia’s experience along these lines. There is no doubt that every woman in Delphi was well-acquainted with the local lore and the expectations from Apollo’s prophetess: the Pythia’s traditional beliefs, knowledge of the rituals and the existence of strong prior expectations can be taken for granted. The Pythia had to live in isolation, refrain from all contact with strangers, and to curb any emotion that would interfere with her function as a mouthpiece of the god:23 she underwent profound and prolonged absorption training, and all her life served as preparation for her position as the most important prophetic figure in the oecumene. Originally, one Pythia gave oracular responses once a year, on Apollo's birthday, but due to the increasing popularity of the oracle, during the Classi16

LUHRMANN 2005, 144. ASPREM, 2017. 18 ASPREM, 2017. 19 ANDERSEN ET AL., 2014, 226, 237. 20 SCHJØDT ET AL., 2013; SCHJØDT 2019, 367. 21 TART, 2011, xiv. 22 Cognition as ‘embodied and encultured’: GEERTZ, 2010, 304; MCCAULEY, 2011, 17. 23 Plut., Def. or. 51.438c. Cf. the prophet at Claros, who withdrew from human affairs, lived in an inaccessible place, and prepared for possession by the god with a day and night of fasting (Iambl., Myst. 3.11; Tac., Ann. 2.54.3; ROBERT, 1967; PARKE, 1985, 219–224). In Didyma, the prophetic priestess stayed in the innermost sanctuary for three days (Iambl. Myst. 3.11). 17

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cal period three priestesses dispensed oracles nine times a year.24 Under normal conditions, descending from her tripod, the Pythia regained her composure,25 but the strain of prophecy-giving was considerable, and the prophetess had to rest after vaticination.26 Immediately before the prophetic séance the Pythia was purified by bathing in the stream of Castalia and fumigating herself in laurel leaves and barley meal; she then drank some water from the Cassotis spring.27 The day of vaticination was probably preceded by fasting, which is attested for other major oracles of Apollo.28 Fasting leads to hypoglycaemia and is commonly used by ascetics in combination with other methods to induce an alteration of consciousness.29 These techniques are often employed in combinations that significantly amplify their effects, and are intensified when a person is culturally and cognitively prepared for the alteration of consciousness.30 In Delphi this combination was remarkably complex and comprised a set of rituals, designer environment, and probably exposure to psychoactive substances. On the day of divination an animal to be sacrificed to Apollo, usually a goat, was sprinkled with water; the animal’s trembling was considered a sign of the god’s willingness to speak.31 This procedure was an important turning point in the ritual. On the one hand, if the Pythia was unfit to enter the prophetic trance, the behaviour of the goat could be interpreted as preventing her from proceeding to the next stage, and the temple was spared the embarrassment of a prophetic séance going wrong. On the other hand, the preliminary ceremonies created a suggestive setting, pushing the Pythia towards a smooth transition to the next stage of the process of vaticination. At this stage, the Pythia descended to the holy of holies in the innermost part of the temple known as the aduton (‘space not to be entered’), manteion (‘prophetic chamber’), or chrêstêrion (‘seat of an oracle’), which was probably an artificial construction above a fissure reaching down to the bedrock.32 24

FLACELIÈRE, 1938, 72; ROUX, 1976, 70–75; PARKE, 1939, 15; AMANDRY, 1950, 81. Plut., Amat. 16.759b. 26 For exhaustion of seers after divination séances, see USTINOVA, 2009, 9. 27 For the sacred springs at Delphi and their respective roles see AMANDRY, 1950, 135– 139; ROUX, 1976, 136; PARKE/WORMELL, 1956 I, 27; fumigation; Plut., Pyth. or. 6.397a. 28 Three days of fasting at Didyma: Iambl., Myst. 3.11; a day of fasting at Claros: Iambl., Myst. 3.11; Tac., Ann. 2.54.3. The oracular practices at Didyma were to a considerable extent modelled on Delphi: PARKE, 1985, 212–218. Although there is no direct evidence of the Pythia’s fasting, given the procedure attested in other Greek oracular sanctuaries, the Pythia’s fasting ‘may be safely assumed’ (ARBESMANN, 1949, 12–14). 29 LUDWIG, 1968, 74; WULFF, 1997, 70–75. 30 LA BARRE, 1980, 39; WULFF, 1997, 76; GEELS, 1982, 44; SIIKALA, 1982, 105; MERKUR, 1985, 172; AUSTIN, 1998, 102. 494; JOSEPH, 2003, 9. 31 Plut., Def. or. 46.435bc, 49.437a; FLACELIÈRE, 1938, 76; ROUX, 1976, 83–84. 32 ROUX 1976, 134–5; for a discussion of the layout of the aduton and the Pythia’s descent there see USTINOVA, 2009, 142–146, with refs. 25

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During the oracular session, the Pythia mounted a tripod, the symbol of Delphic divination and a rather bizarre and uncomfortable seat for a priestess.33 All these factors were responsible for an intricate ’designer environment’ for prophecy-giving, and constituted the final stage of the induction process, which ensured that the Pythia was ready to abandon her mundane self, become engodded and perform her function as the god’s mouthpiece. Lucian mentions that the Pythia when seated on her tripod chewed laurel leaves, but notwithstanding the significance of the laurel in the Delphic ritual, this testimony has been disregarded after T. K. Oesterreich’s unsuccessful attempt at attaining inspiration by masticating fresh bay leaves. 34 Other prophetic figures, such as the Sibyl and Cassandra, were also attributed eating laurel leaves, and these references are regarded as metaphors.35 Alternatively, it is suggested that the Pythia chewed leaves of Mediterranean oleander (Nerium), containing grayanotoxin, which causes psychedelic effect or even delirium.36 However, although laurel and oleander leaves look similar, the whole plants do not resemble each other, and could hardly be confused. It appears that if the Pythia and other seers actually ate or chewed laurel leaves, this custom served as an additional driving factor, similar to drinking sacred water.37 Water or leaves per se obviously have no psychoactive properties, but they could work together with other elements of the ritual to alter the Pythia’s consciousness. The placebo effect was possibly involved in this mechanism. Modern brain imaging techniques have demonstrated measurable effect of placebo on the brain and its capacity to induce chemical changes affecting such conditions as pain and depression. Healing by means of chemically inactive tablets or other imagined treatments is attained due to synergetic action of various cognitive factors, most notably prior expectations and the belief in the efficacy of the therapy.38 Placebo effect appears to play a leading role in healing rituals cross-culturally, including the practices in the

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Strab., 9.3.5 p. 419.19–23 Radt; Paus., 10.8.6–32. 1; cf. FLACELIÈRE, 1938, 81–85; PARKE/WORMELL, 1956 I, 24–26; ROUX, 1976, 121–149; SUÁREZ DE LA TORRE, 2005, 23–27. M. West underscored the shamanic associations of this ‘eccentric perch’ which was symbolic of initiatory boiling of the Pythia: WEST, 1983, 147; cf. WEST, 1997, 150; USTINOVA, 2009, 152. For the association of the tripod with Dionysus’ dismemberment see DIETRICH, 1992, 53. 34 Lucian, Bis Acc. 1; OESTERREICH, 1930, 319. 35 Lycophr., 6 with Schol. Tib. 2.5.63; Ov., Pont. 2.5.65; Iuv., 7.18–19; GRAF, 2009b, 591 with a reassessment of the testimonies; CHALUPA, 2014, 34–35. 36 HOLLAND, 1933; MAYOR, 1995. 37 At Claros the prophetic priest drank sacred water after the descent to the sacred grotto (Plin., Nat. 2.232; Iambl., Myst. 3.11; Tac., Ann. II 54). On prophetic qualities of water, see USTINOVA, 2009, 131–132; sanctuaries applying inspired hydromancy: FRIESE, 2010, 86–87. 38 BENEDETTI, 2009.

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Asclepiea.39 Mutatis mutandis, I suggest that in vaticination, the role of innocent substances, such as water and bay leaves, can be compared to that of placebo treatments: they were effective in inducing alteration of consciousness in the prophetic individuals, who sincerely believed in their efficacy, anticipated the desirable results, and were appropriately primed by the preceding rites.40 After the Pythia had been asked the question, she entered an altered state of consciousness, known to the Greeks as prophetic mania.41 Her utterance, heard by the consulters present in the aduton, was articulate and could be rendered in verse or in prose, to be put in writing by male priests. More than six hundred responses, genuine and spurious, attest to the versatility of the Pythia.42 The meaning of Pythia’s words often remained obscure: the oracular Apollo was Loxias, ‘the ambiguous.’43 The style of the Pythia’s communications, often brusque, but sometimes quite sophisticated, finds its parallels in divination by possessed mediums elsewhere in the world.44 As already observed above, the prophetess normally remained serene and composed. She could be aware of her environment, and her alteration of consciousness did not prevent her from interacting with other people admitted to the aduton.45 The traditional procedure ensured the priestess that she followed the divine will; when it was violated, the Pythia believed that vaticination was unwarranted, and could be physically destroyed by the wrench of prophecy-giving. Thus, in the cases depicted by Plutarch and Lucan, the priestesses who were compelled to speak on an inauspicious day, raged in torments caused by this

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GEERTZ, 2010, 308; HUMPHREY, 2002, 255–288; on Asclepiea see PANAGIOTIDOU, 2014. 40 Cf. ANDERSEN ET AL., 2014, demonstrating that a belief in the efficacy of a certain method of induction of alteration of consciousness affected attaining these experiences and report of the nature of experiences in subsequent interviews. 41 ROHDE, 1925, 312–313; DODDS, 1951, 65–101; MAURIZIO, 1995, 76–79. 42 Strab., 9.3.5 p. 419.21–23 Radt; AMANDRY, 1950, 164; DELCOURT, 1981, 54–55; ROUX, 1976, 157; MAURIZIO, 1995, 70; for a different approach see PARKE/WORMELL 1956, Vol. I, 39. The question whether the Pythia was responsible for the rendering of her utterings in hexametre remains open; see BOWDEN, 2005,18, 34; FLOWER, 2008b, 223; STONEMAN, 2011, 38–39. 43 Plut., Pyth. or. 7.397bc; Heraclitus, DK 22 Frg. 93; cf. GRAF, 2009b, 590; PARKE, 1939, 28–31; WHITTAKER, 1965, 24–28. 44 WHITTAKER, 1965, 30–31. 45 For the spectrum of manifestations covered by the term ‘alteration of consciousness’ see SIIKALA, 1982; LEWIS-WILLIAMS, 2002, 134; HARNER 1990, 48–49; AUSTIN, 1998, 21.

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coercion, and died as a consequence.46 Only when the Pythia was forced to act was her behaviour described as frantic.47 Although the setting of the prophetic séance was of primary importance, two crucial details are still debated: the layout of the aduton and the role of psychoactive gases in inducing the Pythia’s trance. The earliest explicit accounts of the process of divination in Delphi are rather late: on the eve of the first century AD, Strabo attributed the Pythia’s oracles to the breath of inspiration (pneuma enthousiastikon) rising from beneath the prophetic cave (antron) in the temple, above which the Pythia was perched on her tripod.48 Earlier sources do not refer specifically to the pneuma as a source of prophetic inspiration, but beginning from the fifth century various authors located Apollo’s mantic chamber in a cavern or nook (stomion or muchos), and described the Pythia as physically going down there from the main space in the temple.49 It is important to note that for almost a millennium the written accounts describing the layout of the Delphic aduton and the procedure of oracle-giving contain no apparent contradictions and draw a coherent picture of the ceremony and its environment. Divine pneuma seems to be the most enigmatic element in the mysterious process of prophecy-giving at Delphi.50 Recent geological discoveries in the area of Delphi have succeeded in demonstrating that both fracturing and emissions of intoxicating gases occurred under the temple of Apollo.51 Thus, 46

Lucr., 5.147–196; Plut., Def. or. 51.438ab; DODDS, 1951, 72; BAYET, 1946; FONTEN1978, 204–212; USTINOVA, 2009, 140–141. 47 Many modern authors have attributed the frenzy, ascribed specifically to the unwilling Pythia, to all Pythias under normal circumstances, e.g. AMANDRY, 1950, 20–24; ROUX, 1976, 92, 151. 48 Strab., 9.3.5 p. 419.20–21 Radt; see also Ps.-Longin. Subl. 13.2; Plut. Def. or. 50.437cd. In 45 BC Cicero already referred to vis illa terrae ‘that force of the earth,’ which enthused the soul of the Pythia with divine inspiration (Div. 1.37–38; cf. 1.115). 49 Aeschyl., Choeph. 797, 803–805; Eum. 180; Eur., Ion 226–229; cf. Ion 220, 233, 245; Andr. 1093; Phoen. 237; IT 1245; Aristonoos’ hymn to Hestia (I Delph. III. 2. 192). The descent of the Pythia: Hdt., 5.92; Plut., Pyth. or. 6.397a; 22.405c; Def. or. 51.438b; Timol. 8.2; USTINOVA, 2009, 133–139. 50 I discuss the subject in detail in USTINOVA 2009, 121–153. 51 DE BOER/HALE, 2000; DE BOER/HALE/ CHANTON, 2001; HALE/DEBOER/SPILLER, 2002. These gases, methane, ethane and ethylene, are colourless and can produce mild narcotic effects. Ethylene in particular was used as a surgical anaesthetic till the 1970s, and in light doses it allows full control of the body, but creates a sensation of euphoria (HALE ET AL. 2003; DE BOER/ HALE/CHANTON, 2001). A different approach to the location of the geological faults and the nature of gaseous emissions is suggested by ETIOPE ET AL., 2006 and PICCARDI ET AL., 2008, who suppose that it was not ethylene but methane and carbon dioxide (G. Etiope) or hydrogen sulphide (L. Piccardi). In addition, PICCARDI (2008, 16– 17) contends that the exhalations accompanied ruptures which happened from time to time in the seismically active area of Delphi. However, the three approaches agree on two major points, that there are fissures under the temple or in its immediate vicinity, and that they ROSE,

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after a hundred years of disbelief, the ancient tradition declared ‘unsatisfactory’ has been proven to offer a fairly accurate account of the layout of the temple and ritual at Delphi, although the exact chemical composition of pneuma remains to be established.52 Archaeologically, there is no doubt that the fourth-century temple was constructed in an absolutely unique manner, leaving a part of the bedrock below it unsealed. The whole building seems to have been erected in order to enable access to a strip of prophetic ground.53 It appears now that the inner sanctum at Delphi was an artificial enclosure above an opening in the ground allowing the Pythia to be in physical contact with the soil underlying the temple.54 It is argued that the concentration of a particular gas, namely ethylene, was insufficient to induce the Pythia’s trance.55 However, two other gases detected by chemical analyses of travertine deposits from the Delphic springs, ethane and methane, can also alter human consciousness.56 The concentration of the intoxicating gas needed to alter the consciousness of a highly hypnotizable individual, especially after fasting, is much lower than that needed to

emitted gases that affect human consciousness. Recent research supports the assertion that intoxicating gases were indeed present at Delphi: STEWARD/PICCARDI, 2017. On these approaches see also Engster, below on p. 496–503. It is noteworthy that Agios Taxiarches on Euboea, the site of the oracle of Apollo Selinountios mentioned by Strabo, 10.1.3 p. 445.25–26 Radt), which was recently identified by dedications to Apollo Selinaios, features a set of geological characteristics very similar to that of Delphi. It includes a steep bedrock escarpment of an active fault zone, creating a particularly picturesque setting for a cave located at an intersection of two faults. Extensive travertine deposits within the cave attest to geological processes similar to those in Delphi, but further archaeological and geological research are needed to confirm ancient gas emissions and their connection to human activities in the cave of the Euboean site (MARIOLAKOS ET AL., 2010). A well-known example of another temple of Apollo located above a gas-emitting fracture and featuring and small underground chamber allowing access to the opening in the ground is the temple of Apollo in Hierapolis, Phrygia (SEMERARO, 2014, 17–19). 52 These studies have been questioned by D. LEHOUX (2007), whose criticism is based mainly on a return to the century-long refusal to accept ancient evidence of the existence of a chasm and gases in Delphi at its face value. Lehoux’s arguments are compromised by his prima facie antagonism to any attempt to account for ancient religious phenomena using results of modern science. In my opinion, this approach, based on the understanding of human beings as social actors disconnected from their bodies and physical environment, limits historical research and is therefore methodologically erroneous. 53 ROUX, 1976, 109. 54 USTINOVA, 2009, 150–153. 55 FOSTER/LEHOUX, 2007, 87; FLOWER, 2008b, 226; CHALUPA, 2014, 38. 56 SPILLER ET AL., 2002, 193.

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induce such changes in the consciousness of an average person.57 Most significantly, the Pythia was prepared by a series of ceremonies and expected that her state of consciousness would be altered, contrary to other participants who firmly believed that they would remain sober. The gas could therefore serve as a trigger, a driving factor that put into action the Pythia’s autosuggestion, and in this case even a low concentration would have been sufficient.58 It is noteworthy that in various cultural practices around the globe, patterned dissociative identity can be precipitated by a combination of consciousness-altering substances with one or several other methods, or even be entirely induced without any psychotropic substances.59 The Greeks seem to have been aware of the psychoactive qualities of pneuma, but they certainly did not rely on it alone.

4. The Pythia’s Recruitment The ability to attain mental concentration, intense visual imagery and altered states of consciousness differs among individuals. It defines their ‘measure of absorption proclivity,’ and may be enhanced by training. 60 People labelled as ‘hypnotic virtuosos’ consistently experience alterations of consciousness, even when unsuggested, and are in general prone to anomalous experiences.61 Individuals who report transcendent experiences usually have particular personality characteristics,62 which could hint to the community at their propensity to visions and suggest their choice as ‘mediators of the divine.’ I suppose that the community of Delphi had an excellent cue to discern women suitable to serve as the Pythia: they had ample opportunities to watch the susceptibility of their women to alteration of consciousness and their reactions to this condition. The women of Delphi practiced alteration of consciousness on a regular basis as thuiades in the service of Dionysus, and it was thus possible to see who was more apt to become ‘engodded,’ a factor

57 Which provides an explanation for the fact that the state of consciousness of the enquirers and priests remained unchanged, an argument raised by CHALUPA, 2014, 39. In any case, people who descended into the aduton perceived the smell: Plut., Def. or. 50.437c. 58 GRAF, 2009b, 602; JOHNSTON, 2008, 49–50. 59 KLASS, 2003, 121–123. 60 LUHRMANN, 2005, 142. 61 CARDEÑA, 2005, 51; correlation between hypnotic susceptibility and intense religious experiences: MCNAMARA, 2009, 139; DIEGUEZ/BLANKE, 2011, 251. Some neuroscientists contend that proclivity for alteration of consciousness involves genes relating to the brain’s dopamine and serotonin neurotransmitters (HAMER, 2004). 62 PERSINGER, 1988; HOOD, 1991.

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that could be taken into account during the selection of the prophetic priestess.63 The importance of thuiades in the Delphic ritual was emphasized symbolically by sculpturing them on one of the gables of the fourth-century temple of Apollo:64 was this a hint at the fact that the divine half-brothers shared not only the temple, but also patronised similar activities? The gable has not survived, but a crater, now at the Hermitage in St. Petersburg, features a handclasp of the divine brothers above the omphalos, with a maenad depicted close to Apollo.65 Intimate connection between Apollo and Dionysus is emphasised in tragedy: Aeschylus refers to Apollo as ‘the ivy-crowned … bacchic prophet,’ whereas Euripides addresses Bacchus as ‘laurel-loving lord.’66 The closeness of the two gods is argued at length by Macrobius, who cites Aristotle as his authority on the subject. 67 The proximity, even merging, of mania inspired by Dionysus and Apollo is encapsulated in the line by Timotheus of Miletus, active in the late fifthearly fourth century: ‘Frantic dancer, inspired by Phoebus, mad woman, raging rabidly.’68 Pausanias explains that all the women who were frenzied (mainontai) in honour of Dionysus and Apollo were called thuiades in Delphi, and in their madness they roamed on the heights of Parnassus, above the clouds.69 Plutarch attributed to thuiades genuine alteration of consciousness, in a description of their adventure which took place in the fourth century: […] female devotees of Dionysus whom they call thuiades were in a state of mania and wandering at night accidentally arrived at Amphissa. Since they were very weary and did not return to their mind […] they remained in the market place […] falling asleep […]70

The slumber of the thuiades was protected by the women of Amphissa, who ran to the market place and guarded the sleeping strangers from a possible harassment by the soldiers stationed in the city. In this anecdote the details regarding the state of mind of the thuiades are told in passing, in an explana63

On thuiades see VILLANUEVA PUIG, 1986. Paus., 10.19.4; VILLANUEVA PUIG, 1986, 38–40. 65 BEAZLEY, 1963, 1185. 7; METZGER, 1951, plate 25. 3. 66 Aeschylus, Frg. 341 TGF: ὁ κισσεὺς Ἀπόλλων ὁ βακχειόµαντις or ὁ κισσεὺς Ἀπόλλων βακχεὺς ὁ µάντις; Euripides, Frg. 477 TGF: δέσποτα φιλόδαφνε Βάκχε. 67 Sat. 1.18.1. ‘Fusing’ of the boundaries between the spheres of Dionysus and Apollo at Delphi: STRAUSS CLAY, 1996; DIETRICH, 1992. 68 θυιάδα φοιβάδα µαινάδα λυσσάδα, Frg. 2b Page. 69 Paus., 10.6.4; 10.32.7. 70 Mul. virt. 13.249e: αἱ περὶ τὸν Διόνυσον γυναῖκες, ἃς Θυιάδας ὀνοµάζουσιν, ἐκµανεῖσαι καὶ περιπλανηθεῖσαι νυκτὸς ἔλαθον ἐν Ἀµφίσσῃ γενόµεναι· κατάκοποι δ’ οὖσαι καὶ µηδέπω τοῦ φρονεῖν παρόντος αὐταῖς ἐν τῇ ἀγορᾷ προέµεναι […] ἔκειντο καθεύδουσαι. DODDS, 1944, xiv; JEANMAIRE, 1970, 178–180; VILLANUEVA PUIG, 1986. 64

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tion of their lack of orientation when in a state of trance, and the following exhaustion and deep sleep: these women were clearly experiencing mania, that is, alteration of consciousness.71 Mountain roaming (oreibasia) of the women of Delphi survived till Roman times and took place every other year (trietêris) in the winter.72 The noun thuias derives from the verb thuô, ‘to move frantically.’73 Before the mythic predecessors of the historical thuiades were depicted on the gable of Apollo’s temple at Delphi, their nocturnal frenzied dances had been mentioned by Sophocles, hence these rites must have come into existence before the Classical period.74 The antiquity of these rites is further corroborated by the existence of the month of Thyios, named for the festivals of the thuiades, in some calendars of the Peloponnesus and Thessaly.75 Thus, exclusively female ecstatic rites in Dionysus’ honour appear to have been celebrated on the Parnassus for hundreds of years, and they did not become ‘routinized’ and formal even at Plutarch’s time. These women were definitely not the ideal heroic maenads of Euripides’ Bacchae: the thuiades performed astonishing feats, being quite realistically human, affected by fatigue and far from selfsufficient.76 One may contend that Dionysiac ecstasy and the trance of the Pythia differed in many respects. As opposed to Bacchic ecstasy, the Pythia’s mania did not normally manifest itself in agitation or hyper-excitement. Although possessed by the god, the prophetic priestess was neither frenzied nor hysterical: in both painted and verbal depictions, the Pythia appears calm and concentrated.77 However, the Pythia’s mental state and bakcheia were designated in Greek by the same word, enthousiasmos, ‘engoddedness’ or divine inspiration.78 On multiple occasions the Pythia urged introduction of Bacchic rites and interfered with their performance.79 Plutarch did not hesitate to compare 71

VILLANUEVA PUIG, 2009, 45. Diod., 4.3.3; Plut., Prim. frig. 18.953d. 73 CHANTRAINE, 1968–80: s.v. θύω; HARRISON, 1960, 65. 74 Paus., 10.19.4; Soph. Ant. 1151–1152 (Θυίασιν, αἵ σε µαινόµεναι πάννυχοι χορεύουσι); cf. Aeschyl., Sept. 380, 483, 498–499 on Hippomedon, who ‘possessed by Ares, raves in Bacchic ecstasy like a thuias, his look causing terror’: ἔνθεος δ’ Ἄρει / βακχᾶι πρὸς ἀλκήν, θυιὰς ὥς, φόβον βλέπων. See also Plut., De Is. 35.365a; VILLANUEVA PUIG, 1986, 38–40; VILLANUEVA PUIG, 2013, 284–286; SOURVINOUINWOOD, 2005, 211–212. Trieteric celebrations of Bromios’ rites are mentioned in the fourth-century Aristonous’ Paean: HENRICHS, 1978, 137. 75 COLE, 2010, 329. 76 GOFF, 2004, 276. 77 Notably on the Vulci cup, manufactured in Athens in 440/430 (Berlin Mus. No. F 2538, Beazley 1963: 1269. 5). This cylix by the Codrus Painter represents Themis as Pythia seated on the tripod, with Aegeus as enquirer in front of her. 78 Strab., 9.3.5 p. 419.20 Radt; Plut., Pyth. or. 7.397c. 79 PARKE/WORMELL, 1956 II, No. 338; 1956 I, 334–335; JEANMAIRE, 1970, 197–198. 72

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the Pythia’s enthousiasmos to that of worshippers of Cybele, incited by the music of their double-flutes and tambourines.80 In addition, the prophetic aspect of the cult of Dionysus was not negligible. Euripides has the wise Tiresias observe that ‘the ecstatic and the manic (maniôdes) have mantic powers (mantikê) in large measure. When the god enters someone in force, he causes him in madness to predict the future.’81 Euripides appears to mean mania and prophecy in general, rather than Bacchic frenzy and oracular sanctuaries of Dionysus.82 However, Tiresias’ observation regarding Dionysiac prophecy remains true: in the only oracular shrine of Dionysus in Greece, at Amphicleia in Phocis, prophecy was given by a divinely-inspired priest in a state of possession (katochos); on Mt. Pangaeum in Thrace a priestess uttered prophecies, ‘like in Delphi,’ that is, in an ecstatic state.83 Furthermore, the chorus of maenads in the Bacchae foresees the future on the scene:84 prophecy and frenzy enthused by Dionysus were tightly tied together. Thus, the Greeks were aware of the overlap between the divine maniai that inspired the two sons of Zeus, Apollo and Dionysus.85 As a general rule, trance is characterized by silence, solitude, sensory deprivation, and vivid imagery, whereas ecstasy is defined by energetic movement, group practices, sensory overstimulation, and lack of vivid imagery.86 However, this difference is hardly universal, and the quiet and excited modalities of alteration of consciousness can be interconnected in the experiences of one person. Many shamans may be engaged both in soul flight, associated with quiet trance, and mediumistic activities, associated with frantic move-

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Plut., Amat. 18.763a. Percussion instruments, particularly tambourines, are usually associated with Cybele or Dionysus: BUNDRICK, 2005, 47–48. Auloi were associated with any kind of mania: MENIER, 2001, 235. For mind-altering effects of these instruments see also BREMMER, 1984, 277; BÉLIS, 1988; MENIER, 2001, 236. 81 τὸ γὰρ βακχεύσιµον / καὶ τὸ µανιῶδες µαντικὴν πολλὴν ἔχει· / ὅταν γὰρ ὁ θεὸς ἐς τὸ σῶµ’ ἔλθηι πολύς, / λέγειν τὸ µέλλον τοὺς µεµηνότας ποιεῖ, Eur., Bacch. 298–301, translation D. Kovacs. It is suggested that the word µουσόµαντις in Aeschylus’ Edonians (TGF Frg. 60) refers to Dionysus (JOUAN, 1992, 84), rather than to Orpheus (WEST, 1990, 29). 82 DODDS, 1944, 108–109; SEAFORD, 1996, 177; ROUX, 1972, 352–353. 83 Amphicleia: Paus., 10.33.11. In Thrace, the god had two prophetic sanctuaries, on Mt. Pangaeum (Hdt., 7.111.2), and in Rhodopi (PERDRIZET, 1910, 42), and he is referred to as a prophet in Thracian contexts: Eur., Hec. 1267, [Eur.], Rhes. 972. 84 Bacch. 982. Plutarch cited these verses twice and understood them as referring to liberation of inspiration and ideas that remain unperceived by the sober mind: Def. or. 40.432e and Qu. conv. 7.10.2.716b; DODDS, 1944, 108–109. 85 On Dionysus at Delphi see PARKE/WORMELL, 1956 I, 11–13. 86 ROUGET, 1990, 39–84, table on p. 52; CARDEÑA, 1996. G. Rouget prefers to use the terms ‘ecstasy’ and ‘trance’ in an opposite meaning than most researchers: his ecstasy is based on quiescence and trance on excitement.

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Yulia Ustinova

ment and wild possession.87 The Shakers of St Vincent in the Antilles still withdraw into 'secret rooms' where they undertake their spiritual journeys in isolation and immobility, while their ecstatic practices are very prominent and gave this sect their name.88 The connection between trance and ecstasy is cross-cultural, and appears to result from the neuropsychological mechanisms of these states, grounded in similar kinds of brain activity.89 These considerations are significant for the discussion of the Pythia’s recruitment. There is no direct evidence on this subject, but I suggest that the indirect evidence in our disposal can be illuminative, on the background of anthropological and neuropsychological data. The thuiades certainly observed each other’s behaviour, and were occasionally watched by male members of the community.90 There can be no doubt that the proneness of each woman of Delphi to anomalous experiences was well known, and those who were especially gifted could be singled out. We know that that the Pythia of the Classical age had to be older than fifty,91 so those in charge of the appointment had plenty of time to select a suitable person. Roaming in the mountain forests of Parnassus was a good preparation for the function of the Pythia. Anthropological evidence demonstrates that a person who experiences altered states of consciousness more frequently, in a culturally patterned institutionalized framework, will have greater control over the process.92 Thus, the connection between the Dionysiac frenzy and the Apollonian prophecy appears to be deeply rooted (and the gable of the temple emphasized that): being one of the thuiades served as an introductory course for the higher-level and extremely exclusive sequence, the service of the Pythia.

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LEWIS, 1989. ROUGET, 1990, 54. The sect is now called ‘Spiritual Baptists.’ 89 NEWBERG/YADEN, 2018, 208–209. 90 They were also observed by thuiades arriving from abroad. The pilgrimage of Athenian thuiades was sponsored by the state and involved dancing in several place along the road, described by Pausanias (10.4.3). It is not clear whether the Athenian female pilgrims were accompanied by men (DILLON, 1997, 193), but the essentials of their experience were undoubtedly known to men, and Pausanias talked to them and received a detailed account of their practices (Paus. 10.4.3). 91 Diod., 16.26.6; ‘an old woman’ (Aeschyl., Eum. 38). 92 BOURGUIGNON, 1976, 55; ELLWOOD, 1980, 119–139; AUNE, 1983, 86; WINKELMAN, 2000, 124, ROUGET, 1990, 89; SHANON, 2002, 302–303. 88

The Pythia’s Appointment and Oracular Practice

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5. Conclusions In summary, various factors of religious, psychological, and physiological nature prepared the Pythia for her duty. The personality of the Pythia was of crucial importance, and a candidate for the role of the god’s mouthpiece was chosen carefully. She was probably a woman whose propensity for alteration of consciousness was already observed by members of the community during the ecstatic Dionysiac celebrations of the thuiades. The lifestyle of the Pythia rendered her particularly responsive to the complex induction process to which she was exposed during the preliminary ceremonies leading to the prophetic trance. The accumulated interaction of all these factors enabled successful induction of the Pythia into a state of possession by Apollo – prophetic mania. Apollo’s and Dionysus’ joint tenancy in Delphi reflected the profound connection of the divine half-brothers in cult, epitomized in the Pythia’s personality and behaviour.

3. Delphi und die (griechische) Geschichte

Herakles und der Dreifußraub von Delphi Überlegungen zu den Hintergründen eines Mythos Beate Wagner-Hasel 1. Einleitung: Die Figur des panhellenischen Heros Herakles Heroen, männliche wie weibliche, sind eng mit der Genese der Polis und ihren kulturellen Errungenschaften verbunden. Wird dem panhellenischen Heros Herakles die Gründung der olympischen Spiele zugeschrieben, so fungieren andere Heroen als Stadtgründer oder versorgen die Menschen mit notwendigen Kulturtechniken. Die erste Pythia in Delphi mit dem Namen Phemonoe, eine Heroine, sang als erste den Hexameter.1 So segensreich sie auch wirken – viele Heroen oder Heroinen haben auch eine Schattenseite: Sie verstoßen gegen gesellschaftliche Normen, übertreten Gebote der Götter. Das gilt insbesondere für den stärksten aller antiken Heroen, für Herakles, den Sohn des Zeus und der Alkmene, der eine Reihe von Schandtaten vollbringt: Er erschlägt seinen Lehrer Linos, er mordet seinen Gastfreund Iphitos, er tötet im Wahnsinn die eigenen Kinder. Diese Verfehlungen verlangen Entsühnung durch Sklavendienste bei fremden Herrinnen und Herren: In der Rolle des Knechts vollbringt er seine zwölf bekanntesten Taten, athloi, die ihn an die Grenzen der bewohnten Welt führen und seinen Ruhm begründen: Im Dienst des Königs Eurystheus von Tiryns kämpft er gegen Mischwesen und mythologische Gestalten. Im Dienst der lydischen Königin Omphale zieht er gegen Wegelagerer und Tributnehmer zu Felde.2 Aufgrund seines ambivalenten Charakters ist Herakles im Zuge der Durchsetzung strukturalistischer Methoden der Mythenforschung als Grenzgänger gedeutet worden: zwischen den Polen Freiheit und Sklaverei, Tod und Leben, Natur und Kultur, Männlichkeit und Weiblichkeit. Für den britischen Religionshistoriker Geoffrey Kirk manifestiert sich die Kulturseite in Taten wie der Stiftung der Olympischen Spiele; die Naturseite sieht er in den tierischen Attributen des Helden, in Löwenfell und Keule, sowie in übermenschlicher Gefräßigkeit und sexuellem Appetit – Herakles schläft in einer Nacht mit den 50 Töchtern seines Gastgebers – sowie in Wahnsinnsanfällen zum Ausdruck 1 2

Paus., X 5,7. Zur Figur der Kulturheroine vgl. LYONS, 1997, 32–34. Vgl. den Überblick bei WÜNSCHE, 2003 und BROMMER, 1986; BROMMER, 1984.

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Beate Wagner-Hasel

gebracht. Die Gesetze des Dschungels, die Freiheit der Tiere seien in der Figur des Herakles mit denen der Gemeinschaft und mit den Beschränkungen der Gesellschaft konfrontiert. Herakles ist für Kirk eine Figur, deren Taten Wendepunkte menschlicher Erfahrung wiedergeben und bestimmen.3 Nicole Loraux wiederum charakterisiert Herakles als eine Figur, die für die Weiblichkeit im Manne stehe: männlich, das ist für sie die Kraft, weiblich dagegen der Bauch, der Sitz der Gefräßigkeit und des sexuellen Appetits, sowie das Gewand, in das er sich im Dienst bei der lydischen Herrscherin Omphale und beim Tod kleidet, ein Peplos. Ihr zufolge findet der Held sein unbeständiges Gleichgewicht darin, dass ein Zuviel an Männlichkeit durch einen Überschuss an Weiblichkeit gebändigt werden müsse. Die Verweiblichung des Helden trage dazu bei, den Helden in den Grenzen seiner andreia, seiner Männlichkeit, zu halten.4 Auch wenn die Deutungsansätze ein Spezifikum des antiken Heros, seine Grenzgängerschaft, offen legen, so bewegen sie sich im Rückgriff auf universalistische Kategorien von Kultur und Natur, Weiblichkeit und Männlichkeit, Tod und Leben doch außerhalb von Zeit und Raum und geben keinen Einblick in die Besonderheiten antiken Heldentums. Ich möchte meine Aufmerksamkeit auf die räumliche Grenzgängerschaft des Helden richten und eine Verfehlung genauer in den Blick nehmen, den Dreifußraub von Delphi. Meine These ist, dass der Heros in gesteigerter Weise die Handlungsmuster der überregionalen Kommunikation lebt und die Erzählungen von seinen Taten dazu dienten, in bildhafter Weise den Raum zu strukturieren, den die Griechen kannten, und zu erinnern. Der Heros repräsentiert demnach keine Region oder – wie früher angenommen – eine Volksgruppe;5 auch bildet das Leben der Helden keine innere Befindlichkeit ab, sondern nur eine äußere Welt sozialer und räumlicher Bezüge. Eine solche räumliche Interpretation des Mythos trägt der seit den 1980er Jahren zu beobachtenden Tendenz Rechnung, einen Zusammenhang zwischen Heroenkult, Polisbildung und der Situierung von Heiligtümern herzustellen. Allerdings erzählen die Taten des Herakles nicht von den Ansprüchen auf ein Polisterritorium, wie dies für den Heroenkult seit den Forschungen von François de Polignac zunächst angenommen wurde,6 sondern von der Kommunikation über Land (und zu See) 3

In diesem Sinne argumentiert KIRK, 1987, 169–202 trotz seiner eigenen Distanz zur strukturalistischen Mythendeutung. 4 LORAUX, 1985, 172 u. 178; 192 f. Vgl. auch WULFF ALFONSO, 1996, 103–120, der den Mythos vom Rollentausch als Ausdruck der Angst vor dem Verlust der Männlichkeit deutet. 5 Die Stilisierung zum dorischen Heros, wie sie etwa um 1900 ULRICH VON WILAMOWITZ-MOELLENDORFF (1959/1889/1895) vorgenommen hat, lässt sich heute als beredtes Zeugnis preußischer Männlichkeitsbilder entziffern. So ZELLE, 1994, 211–228. 6 Vgl. insbesondere DE POLIGNAC, 1984, 47 f.127–151; WHITLEY, 1988; PATZEK, 1992, 121–143. DE POLIGNAC (1994; auch DE POLIGNAC, 1996) hat später seine Position relati-

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über die Grenzen der Polis hinaus. Ein Großteil der zwölf kanonischen Taten und auch der Dreifußraub entfalten ihre Logik vor dem Hintergrund einer transhumanten Ökonomie. Sie zeigen Herakles in der Rolle desjenigen, der auf Wanderschaft ist: in der Rolle des gedungenen transhumanten Hirten und Jägers, in der Rolle des Söldners und schließlich in der Rolle des Kolonisten, der neue Ressourcen erschließt.7 Diese These, die auf eigenen älteren Studien zu Heraklesmythen basiert,8 wird durch neuere Forschungen bestätigt, die gerade für Heraklesheiligtümer einen solchen Bezug zur transhumanten Ökonomie aufzeigen. Das gilt vor allem für Tempel im römischen Kulturraum: für den Hercules Victor-Tempel in Tibur (heute: Tivoli), für ein Kultareal in Ostia, das den Endpunkt einer Salzhandelsroute bildete und das neben Hercules auch Apollo und Aesculap geweiht war, für das gallische Glanum.9 Auch für griechische Heiligtümer lässt sich ein solcher Zusammenhang ermitteln. Ich habe an anderer Stelle dafür plädiert, die Transhumanz als konstituierenden Faktor für die Herausbildung Delphis zum überregionalen Kultzentrum zu berücksichtigen, eine Auffassung, die inzwischen von anderen bestätigt wurde.10 Die folgenden Bemerkungen basieren auf diesen älteren Studien zur Sache, werden aber um neuere Forschungen ergänzt. Ehe ich zur Analyse des Dreifußraubes komme, möchte ich zunächst einige Bemerkungen zur Transhumanz und zu den transhumanten Bezügen im Zwölftatenkatalog vorausschicken, da immer noch kein Konsens besteht, was unter Transhumanz zu verstehen ist.

viert und die überregionalen Bezüge der frühen Heiligtümer herausgestrichen. Vgl. auch MORGAN, 1996. 7 In seiner Schützerrolle für die Wanderschaft der Herden liegt auch der Verknüpfungspunkt mit dem römischen Hercules, von dem auf den calles publicae, den öffentlichen Wanderweidewegen, zahlreiche Bronzen gefunden wurden. VAN WONTERGHEM, 1973, 36–48; TOUTAIN, 1928, 200–212; JOURDAIN-ANNEQUIN, 1983, 267–273. Die Rolle des Handels als Vermittlungsebene betont dagegen KLOFT, 1994, 30. Vgl. auch JOURDAINANNEQUIN, 1989, 472. Sie hebt bei ihrer Analyse der Heraklesmythen auf die Arbeitsverhältnisse ab und unterscheidet zwischen dem Verdingungsverhältnis (so der Dienst bei Eurystheus) und dem Sklavenstatus (so der Dienst bei Omphale). 8 WAGNER-HASEL, 1998; 2000, 282–295. 9 Tibur: SANTILLO-FRIZELL, 2009; Glanum: GROS, 1995, 311–331; ROTH CONGES, Fortune, 1997, 157–202 streicht stattdessen die therapeutische Seite heraus, die sie aus der Nähe des Helden zu den heißen Quellen ableitet, worin ich keinen Widerspruch zur Rolle als Schützer der Herden sehe. Denn diese Weidetiere benötigen, wie Barbro SantilloFrizell für den Herakles-Kult in Tivoli deutlich gemacht hat, der Bäder in warmem, schwefelhaltigem Wasser. Ostia: BOLDER-BOOS, 2015. Allgemein: GARCIA MORCILLO, 2013. 10 WAGNER-HASEL, 2000, 261–295; WAGNER-HASEL, 2002; dieselben dort aufgeführten Argumente finden sich bei HOWE, 2003, 129–146.

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2. Die Ökonomie der Transhumanz im antiken Griechenland Unter Transhumanz ist aus anthropogeographischer Sicht eine „klimaabhängige, jahreszeitliche Wanderung von zumeist Schafherden seßhafter, ackerbautreibender oder nur von der Viehzucht lebender Eigentümer zwischen Sommerweiden im Gebirge und Winterweiden im Tiefland unter Aufsicht von berufsmäßigen (gedungenen) Hirten“ zu verstehen.11 Während in der älteren anthropogeographischen und wirtschaftshistorischen Literatur von den naturräumlichen und klimatischen Gegebenheiten Griechenlands – milde, feuchte Winter in den Ebenen und gemäßigt warme Sommer in den Bergregionen – auf eine transhumante Ökonomie im Sinne einer jahreszeitlichen Wanderung der Herden von den Winterweiden in der Ebene zu den Sommerweiden in den Bergen geschlossen wurde,12 wird seit den 1980er Jahren ein regional und historisch differenziertes Bild entworfen. Ein Unterscheidungsmerkmal bildet die räumliche Reichweite. Wird in der angelsächsischen Forschung zwischen long-distance und short-distance transhumance unterschieden,13 legen historische Untersuchungen aus dem deutschsprachigen Raum eine weitergehende räumliche Differenzierung nahe. Folgt man der Studie von Dorothea Zöbl über die Verbreitung der Transhumanz (Wanderschafhaltung) im Mittelmeerraum in der Zeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit, so lassen sich nicht nur zwei, sondern vier Formen der Transhumanz mit jeweils unterschiedlicher räumlicher Reichweite unterscheiden. So differenziert sie zum einen zwischen intra- und interlokaler Transhumanz, die auf innerdörflicher Allmendewirtschaft bzw. auf der wechselseitigen Nutzung der Allmende durch mehrere Dörfer basieren. Zum anderen unterscheidet sie zwischen intra- und interregionaler Transhumanz, bei der die Weiden in die Außenflur verlagert und die Absprache von Passagerechten durch fremdes Gebiet notwendig wird. Die Organisation der Transhumanz erfolgt hier nicht mehr auf dörflicher Basis, sondern durch größere Einheiten wie Klöster oder quasi-staatliche Einrichtungen.14 Das bekannteste Beispiel einer solchen interregionalen Form der Transhumanz bildet die Mesta. Es handelt sich um einen Zusammenschluss spanischer Herdenbesitzer, die mit Hilfe dieser Organisation den reibungslosen Verlauf der Wanderung ihrer Herden über ein weitläufiges Wegenetz bewerkstelligten und dabei eng mit der Krone zusammenarbeiteten. Deren fiskalisches Interesse an Herdensteuern und an der 11

So die Zusammenfassung der anthropogeographischen Sicht bei ZÖBL, 1982, 1. Vgl. insbes. SEMPLE, 1922, 3–38; SEMPLE, 1931, 100 und 317–324. 13 Vgl. etwa SKYDSGAARD, 1988. Der beste Kenner der antiken Weidewirtschaft ist Paul Halstead, der stark auf regionale und zeitliche Unterschiede abhebt. Vgl. nur HALSTEAD, 1988. 14 ZÖBL 1982, 56–58. Aufgegriffen wurde das Konzept in Teilen von CLEARY/DELANO SMITH 1990, 21–38, denen WALDHERR, 2001, 334 folgt. 12

Herakles und der Dreifußraub von Delphi

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Nutzung des über Wanderweidewege ausgebauten Kommunikationsnetzes trug wiederum zur Intensivierung der Transhumanz bei, die hier in einen Konflikt zur ackerbäuerlichen Wirtschaft trat.15 Solche politischen Faktoren, das ist meine Vermutung, hatten auch Einfluss auf die Organisation der Transhumanz in Delphi. Als Alfred Philippson Ende des 19. Jahrhunderts Delphi besuchte, bildete nicht Delphi bzw. der Nachfolgeort Kastri, sondern der auf 900 Metern gelegene Ort Arachova das Stammdorf der Herdenbesitzer. Diese schickten im Sommer ihre Tiere unter der Aufsicht von gedungenen Hirten oder auch Familienmitgliedern auf die Hochebene von Levadi bzw. auf den Parnass; im Winter ließen sie ihre Tiere in der Ebene von Itea weiden, wo heute Olivenbaumkulturen das Landschaftsbild prägen. Der Weidewechsel fand im Frühjahr und Herbst statt.16 Für das antike Griechenland, konkret für die Zeit des 6. Jahrhunderts v. Chr., vermute ich, dass mit der Herrschaft der Amphiktyonen und der Ausbildung von Delphi als überregionalem Kultort ein Wechsel von einer interlokal organisierten Transhumanz (zwischen Delphi und dem in der Ebene gelegenen Krisa) oder vielleicht auch intraregionalen Transhumanz (diesseits und jenseits des Parnass) hin zur interregional organisierten Transhumanz stattfand. Eben davon handelt, so meine These, der Dreifußraub.

3. Transhumante Bezüge der Taten des Herakles Auch der Zwölftatenkatalog zeugt von eben diesem Bezug zur transhumanten Ökonomie. Herakles ist gerade hier nicht der ortsfeste, sondern der mobile Heros. Ein Großteil der Taten, die Herakles im Dienst des Königs Eurystheus von Tiryns erbringt, steht im Kontext der Weidewirtschaft.17 Mit seinen Kämpfen gegen den Löwen im Grenzgebirge zwischen Boiotien und Attika sowie gegen den Nemeischen Löwen, die Lernäische Hydra und die Stymphalischen Vögel18 besiegt er die Feinde der Herden und garantiert somit die sichere Passage zu den Weiden im Bergland von Arkadien. Als Plage der Landleute schildert Theokrit den Nemeischen Löwen, der seine Höhle an der 15 Ausführlich KLEIN, 1964. HODKINSON, 1988 zählt nur diese weiträumigen Herdenwanderungen zur Transhumanz. 16 PHILIPPSON, 1951. HÖPER, 1983; OSBORNE, 1987, 50. Ausführlich: WAGNER-HASEL, 2002, 264–276. 17 Ein evolutionäres Modell, das selbst wieder mythische Qualitäten besitzt, benutzt BADER, 1983, 55–57. Ihm zufolge repräsentiert der Kampf des Helden gegen den Nemeischen Löwen und die Stymphalischen Vögel die Steinzeit; das Geryon-, Hesperiden- und Kerberos-Abenteuer ordnet er der Bronzezeit zu; das Ausmisten der Ställe des Augias und der Raub des Gürtels der Amazone Melanippe spiegelt seiner Meinung nach den Gegensatz zwischen Bauern und Hirten im Neolithikum. 18 Apollod., Bibl. II 74–77 und 92 [= II 5,1–2 und 6]; Diod., IV 11,3 und 5–6.

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Route von Korinth und Argos nach Arkadien hat.19 Wird der Löwe in der griechischen Literatur als Schrecken der Hirten gedacht,20 die sich in den Bergen aufhalten, so ist die Lernäische Hydra laut Apollodor eine Plage der Rinderherden, die sich in der Ebene befinden. Die Hydra hält sich im Sumpfgebiet von Lerna auf und dringt von dort in die Ebene von Argolis ein, wo sie Rinderherden zerreißt und das Land verwüstet.21 Der Kampf gegen die Stymphalischen Vögel, von denen gesagt wird, dass sie die Feldfrucht (καρποί) zerstören,22 führt den Helden in ein anderes Sumpfgebiet, in die Hochebene von Stymphalos in Arkadien. Diese Fabelwesen werden in den Überlieferungen nicht nur als Feinde der Herden qualifiziert; sie befinden sich zudem an solchen Orten, die auch in jüngerer Zeit Fixpunkte der alljährlichen Wanderschaft von Herden zwischen der niederschlagsarmen Ebene von Argos und dem feuchten arkadischen Bergland darstellten. Nemea, der Ort des Löwenkampfes, bildete in den 1970er Jahren eine Station auf den jährlichen Wanderungen von Hirten aus der Argolis zu den Sommerweidegebieten bei Stymphalos am Berg Ziria in Arkadien.23 Das Ausgreifen des Helden nach Nemea, Lerna und Stymphalos bedeutet eine mythologische Verknüpfung von trockenen Talgebieten und regenreichen Gebirgsregionen. Die Trockenheit der Argolis war in der Antike sprichwörtlich. Homer nennt sie die „vieldürstende“;24 Pausanias berichtet im 2. Jahrhundert n. Chr. von ausgetrockneten Flussbetten. Er erwähnt einen Altar für Zeus und Hera, an dem für Regen gebetet wird und weiß von mehreren Dürreperioden, die das Land heimsuchten.25 Stymphalos und Nemea liegen dagegen in regenreichem Gebirgsland und gehörten in der Zeit des Pausanias zur Argolis.26 Auf das Hirtenamt verweist auch das Ausmisten der Ställe des Augias in Elis, die fünfte Tat des Helden. An diesem Ort sollte Herakles den Dung der Rinder an einem einzigen Tag hinausschaffen. Es gelingt ihm, indem er die 19

Theocr., Id. 25,168: αἰνολέοντα, κακὸν τέρας ἀγροιώταις. Soph., Trach. 1091–1094. Der Kithaironische Löwe richtete unter den Rindern des Amphitryon und Thespios Verheerungen an, weiß Apollod., Bibl. II 74 [= II 5,1]. Vgl. auch Diod., IV 11,3. 21 Apollod., Bibl. II 77 [= II 5,2]: τά τε βοσκήµατα καὶ τὴν χώραν διέφθειρεν. Das Motiv ist alt. Erste Bildmotive stammen aus geometrischer Zeit; eine boiotische Fibel aus dem 7. Jahrhundert zeigt den Kampf. Erste Vasenbilder stammen aus Korinth; im 6. Jahrhundert wird das Motiv in der attischen Vasenmalerei übernommen. BROMMER, 1986, 12– 17. 22 Diod., IV 13,2: ἐπεπόλασε γάρ, ὡς ἔοικεν, ὀρνίθων πλῆθος ἀµύθητον, καὶ τοὺς ἐν τῇ πλησίον χώρᾳ καρποὺς ἐλυµαίνετο. Vgl. auch Apollod., Bibl. II 92 [= II 5,6]. 23 KOSTER, 1976. 24 Hom., Il. IV 171. 25 Paus., II 15,5; II 25,10; II 29,7 u. 31,10. Zur Wasserarmut der Region vgl. LIENAU, 1989, 110; 264. 26 Paus., II 15,2 (Nemea); II 2,3 (phliasisches Gebiet). Zur Nordwestorientierung von Argos im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. vgl. ADSHEAD, 1986, 32–38. 20

Herakles und der Dreifußraub von Delphi

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Flüsse Alpheios und Peneios durch die Ställe leitet.27 Herakles wird hier um seinen Lohn geprellt, der in einem Anteil an Rindern besteht.28 Von den geographisch-klimatischen Bedingungen her betrachtet muss es sich bei der Ebene von Olympia um ein ganzjährig zu nutzendes Weidegebiet handeln. Heute schlagen sarakatsanische Schafhirten aus dem Pindosgebirge ihre Wintersiedlungen im Hügelland der nördlichen Elis auf.29 Da Eurystheus die Tat nicht gelten lassen will, reflektiert die Geschichte möglicherweise den gescheiterten Versuch des Pheidon von Argos, der sein Geschlecht auf Herakles zurückführte,30 Einfluss auf die in der Elis gelegene Wettkampfstätte von Olympia zu gewinnen. Andere Taten zeigen den Helden als Jäger, Söldner, Kolonisten und Ingenieur,31 auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. In dieses räumliche Muster der Taten fügen sich auch die Verfehlungen des Helden. Wenn die Heraklesmythen vom Verstoß gegen die Normen der Gastfreundschaft und des Ehebandes erzählen, dann beziehen sie sich eben auf solche Praktiken, mittels deren noch im 5. Jahrhundert v. Chr. Austausch über weite Regionen hergestellt wurde: Attische Politiker heirateten Frauen aus dem goldreichen Thrakien oder pflegten Gastfreundschaft mit persischen oder spartanischen Feinden. Es waren vor allem die Tyrannen, die diese Praktiken pflegten.32 Vor allem aber die Verknüpfung des Helden mit den panhellenischen Spielen zeigt seine Bedeutung für die überregionale Kommunikation an. Nicht nur die Gründung einer solchen überregionalen Kultstätte, die Stiftung der Olympischen Spiele, sondern auch der Nemeischen Spiele zählte zu seinen Taten.33 Die Entsühnung führt ihn mehrfach an den Ort, wo die Konflikte in überregionalen Beziehungen geregelt werden: nach Delphi.

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Apollod., Bibl. II 88–89 [= II 5,5] und Diod., IV 13,3. Pind., O. 10,27. 29 LIENAU, 1989, 217. 30 GEHRKE, 1986, 114. 31 In der römischen Kaiserzeit gehört zu den Aufgaben des Herakles das Umleiten von Flüssen. Seneca, Hercules auf dem Oeta 79–86. Vgl. CANCIK, 1979, 73. Zur römischen Adaption des Herakles vgl. KLOFT, 1994. 32 WAGNER-HASEL, 2000, 259. 33 Apollod., Bibl. II 141 [= II 7,2]. In den Oden des Pindar, die für die Sieger der panhellenischen Spiele verfasst waren, zielen die Taten des Herakles – Herakles tötet Untiere ohne Rechtsbewusstsein und Männer, die über die Stränge schlagen – auf die Herstellung eines Friedens für Alle (vgl. Pind., N. 1,35–72; KIRK, 1987, 176) und reflektieren die Schlichtungsfunktion, die derartige zentrale Kultorte besaßen. 28

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4. Dreifußraub, Heiliger Krieg und die Verwandlung der Ebene von Krisa in eine Schafweide Der Mythos vom Dreifußraub von Delphi bildete in der Zeit zwischen 560 und 480 v. Chr. ein beliebtes Motiv der Vasenmalerei. Allein aus dieser Zeit sind 230 Vasenbilder bekannt.34 Der Raub des Dreifußes war zudem auf Weihmonumenten in Delphi selbst, dem Ort des Geschehens, zu sehen. Funde von Dreifußkessels sind zahlreich; sie bildeten Siegespreise, Weihgaben und vor allem das Symbol der Weisagekunst des Apollon.35 Eben diesen will Herakles rauben. Nach den Untersuchungen von Jean Defradas herrschen zwei Darstellungsvarianten vor: 1) Herakles trägt den Dreifuß fort, 2) Apollon und Herakles kämpfen um den Dreifuß.36 Als typisch erachtet Defradas die Szene, die Pausanias in seiner Beschreibung des Weihegeschenks der Phoker nach ihrem Sieg über die Thessaler wiedergibt. Diese Statuengruppe stand laut Herodot in Delphi vor dem Apollontempel und war von den Phokern nach ihrem Sieg über die Thessaler aufgestellt worden.37 Neben Herakles und Apollon treten nach den Aussagen des Pausanias drei weitere Gottheiten auf den Plan:38 „Herakles und Apollon fassen den Dreifuß und treten zum Kampf gegen ihn an; Leto und Apollon beruhigen Apollon, Athena den Herakles.“39 Die literarische Überlieferung vom Dreifußraub setzt im Unterschied zu den ikonographischen Befunden erst in hellenistischer Zeit ein, so dass die Rekonstruktion des Mythos, wie er im archaischen Griechenland im Umlauf war, schwierig ist.40 Bereits über den Anlass des Konfliktes liegen unterschiedliche Versionen vor. Nach den Angaben des Apollodoros, denen auch Pausanias folgt, fragt Herakles in Delphi um Heilung von seiner Krankheit 34

BROMMER, 1984, 7–10 nennt 230 Vasenbilder aus der Zeit zwischen 560 und 480 v. Chr., die dieses Motiv aufweisen. 35 PAPALEXANDROU, 2005; WAGNER-HASEL, 2015. Die Einsetzung des Apollon schildert ein homerischer Hymnos, der ins frühe 6. Jahrhundert v. Chr. datiert wird. Um in Delphi oder Pytho, wie der Ort in Hymnos und in den Epen Homers genannt wird (Hom., Il. IX 401–409), als Orakelgott wirken zu können, muss Apollon erst eine Feindin der Schafe und Menschen vernichten (Hymn. Hom. Apoll. 303– 304), die Drachin Python (von gr. πύθοµαι = faulen, verwesen). Vgl. auch Paus., X 6,5–6. 36 DEFRADAS, 1954, 124–126. Er folgt damit FURTWÄNGLER, 1886–1890, 2212–2214. Zwischen „stand-up“ und „running-fight“-Szenen unterscheiden PARKE/BOARDMAN, 1957, 279. Ähnlich VOLLKOMMER, 1988, 43. 37 Hdt., VIII 27,5; Paus., X 1,3–11. 38 Paus., X 13,7; Übers. E. Meyer. 39 BROMMER, 1984, 8, Abb. 5. Vgl. auch die Darstellung am Schatzhaus der Siphnier. Hier nimmt Zeus anstelle von Athena eine Vermittlerrolle ein. Ebd. 9. Die auffallend gewaltfreie Lösung des Konfliktes betont DEFRADAS, 1954, 133. 40 Eine Zusammenstellung der Befunde findet sich bei DEFRADAS, 1954, 125–133 und 157–159.

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nach, die ihn nach dem Mord an seinem Gastfreund Iphitos befallen hatte. „Da ihm nun die Pythia den Spruch verweigerte, wollte er das Heiligtum plündern, trug den Dreifuß weg und errichtete ein eigenes Orakel, Apollon ließ sich deswegen mit ihm in einen Kampf ein, den aber Zeus schlichtete, indem er einen Donnerkeil zwischen die Streitenden warf.“41 Nach Diodor dagegen fragte Herakles um Befreiung von der Knechtschaft des Eurystheus nach, die er erlitt, weil er im Wahnsinn seine Kinder mit Megara getötet hatte. Diese Überlieferung orientiert sich an der Praxis des Freikaufs in Delphi, wie sie in erhaltenen Sklavenbefreiungsurkunden aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. belegt ist.42 Es handelt sich dabei um einen fiktiven Kaufvertrag zwischen Apollon und dem Sklavenhalter. Einer anderen, ebenfalls bei Diodor überlieferten Version zufolge ging es dagegen um die Befreiung von den Schmerzen, die ihm das mit dem Blut des Nessos getränkte Gewand der Deianeira bereiteten.43 Dieses Giftgewand wird bereits in den Frauenkatalogen des Hesiod erwähnt, die vermutlich die Grundlage für die Heroenerzählungen im mythologischen Handbuch des Apollodor bildeten.44 In den Trachinierinnen des Sophokles aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. wird das Giftgewand als Liebeszauber eingesetzt, der jedoch eine gegenteilige Wirkung entfaltet und den Empfänger tötet.45 Hintergrund des Entsühnungs- bzw. Heilungsbegehrens bildet damit einerseits eine Missachtung des Ehebandes, andererseits ein Verstoß gegen das Gebot der Gastfreundschaft, also jener Bindungsformen, über die in archaischer Zeit weiträumige Beziehungsnetze geknüpft werden. Auf die ablehnende Haltung der Pythia reagiert Herakles mit dem Raub des Dreifußes – aus 41

Apollod., Bibl. II 130 [= II 6,2]. Von den Delphern werde erzählt, so berichtet Pausanias, „daß die Seherin Xenokleia (wörtlich: Ruhm durch Fremde) dem Herakles, dem Sohn des Amphitryon, als er zum Orakel kam, nicht weissagen wollte wegen des Mordes an Iphitos. Der habe den Dreifuß ergriffen und aus dem Tempel getragen und die Seherin habe da gesagt: ‚Ein anderer Herakles also aus Tiryns, nicht aus Kanobos‘, der aigyptische Herakles war nämlich schon vorher nach Delphoi gekommen. Da gab der Sohn des Amphitryon dem Apollon den Dreifuß zurück und erfuhr von Xenokleia, was er wünschte. Die Dichter übernahmen die Geschichte und singen daher von einem Kampf des Herakles mit Apollon um den Dreifuß“ (Paus., X 13,8). Der früheste Beleg für dieses Entsühnungsbegehren stellt das Drama des Euripides Der Wahnsinn des Herakles dar. Zu den Bildbelegen vgl. BROMMER, 1984, 7. Das Motiv der Tötung des Gastfreundes findet sich bereits im Epos: Hom., Od. XXI 27–30. 42 Diod., IV 10,7. Zum Freikauf vgl. ISMARD, 2019, 215–221. 43 Diod., IV 31,3. 44 Hes., Frg. 25,20 Merkelbach-West. Das Nessosabenteuer, das bereits auf protoattischen Gefäßen gestaltet ist (KIRK, 1987, 171) erwähnen auch Archilochos (ap. Sch. Ap. Rhod. 1,1212) und Bakchylides (Bacchyl., 16,34). In der attischen Tragödie gehört der Kampf mit dem Flussungeheuer zu den athloi des Helden: Eur., Her. 419–421; Soph., Trach. 1094. 45 Soph., Trach. 1103 f.

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Wut, wie die antiken Kommentatoren sagen, oder in der Absicht, ein eigenes Orakel zu gründen.46 In der Forschung ist der Mythos vom Dreifußraub meist in den Zusammenhang des Ersten Heiligen Krieges gestellt worden, der mit der Herauslösung Delphis aus dem Verband der Phoker und der Unterstellung des Heiligtums unter die Herrschaft der Amphiktyonen gleichgesetzt wird. Der Krieg wurde nach den Überlieferungen des 4. Jahrhunderts von den Amphiktyonen unter der Führung der Thessaler Eurylochos und Hippias mit der Unterstützung des Kleisthenes von Sikyon sowie des Alkmaion bzw. des Solon von Athen im ersten Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts gegen Krisa bzw. Kirrha geführt. Krisa ist der alte Name von Delphi, während Kirrha im 4. Jahrhundert v. Chr. den Hafen von Delphi meint.47 In Anlehnung an die antike Benennung weiterer Kriege um Delphi als „Heilige Kriege“ haben moderne Autoren diesen Krisäischen Krieg mit dem Attribut ‘heilig’ versehen und zum Ersten Heiligen Krieg gemacht.48 Von seinem Ablauf und seinem Ergebnis ist er nicht minder undurchsichtig als der Mythos vom Dreifußraub, so dass an seiner Historizität gezweifelt worden ist.49 Erwähnt wird der Krisäische Krieg in antiken Quellen meist in Zusammenhang mit der Einrichtung der Pythischen Spiele in Delphi und Sikyon sowie im Kontext der Heiligen Kriege. Nach den Angaben des Marmor Parium, die auf einer Pythischen Siegerliste basieren, wurde nach dem Sieg der Amphiktyonen über Kirrha ein gymnischer Agon um Sachwerte (ἀγὼν ὁ γυµνικὸς [...] χρηµατίτης) eingerichtet; später folgte ein KranzAgon. Als Zeitpunkt werden das Archontat des Simon von Athen (591/90 v. Chr.) und des Damasios II von Athen (582/81 v. Chr.) genannt.50 Es ist dies 46 Scholion zu Pind., O. 9,43 (Wut); Plut., De sera 12, 557c; Apollod., Bibl. II 130 = [II 6,2] (Gründung eines eigenen Orakels). 47 Der Name Kirrha taucht erstmals in der Rede des Aischines gegen Ktesiphon (Or. 3,107 f.123) auf. Zur Diskussion vgl. PARKE/BOARDMAN, 1947, 278; ROBERTSON, 1978, 38–73; TAUSEND, 1992, 47; LEFÈVRE, 1998a; HOWE, 2003; LONDEY, 2015. 48 Zum Begriff des Heiligen Krieges, der erstmals in der Komödie des Aristophanes (Ar., Ran. 554-560) auftaucht und einem Scholion zufolge auf den Krieg der Lakedaimonier gegen die Phoker und einen Feldzug der Athener zugunsten der Phoker zu beziehen ist (Sch. Ar. Ran. 556) vgl. BRODERSEN, 1991, 7–9; s. auch den Beitrag von P. Sánchez in diesem Band, unten S. 234 f. 49 So ROBERTSON, 1978, 38–73. Dagegen LEHMANN, 1980, 242–246. Der Position von Robertson folgt LONDEY, 2015, der auch einen Überblick über die Forschung nach Lehmann bietet. 50 Marmor Parium, FGrHist 239 A 37 und 38. Zur Stiftung der Pythischen Spiele in Delphi und Sikyon vgl. Schol. Pind. Hypothesis d und Schol. Pind. Nem. 9 inscr. Eine Beteiligung Athens erwähnen Plutarch (Plut., Sol. 11,1), der sich auf eine Schrift des Aristoteles über die Pythioniken und auf delphische Urkunden beruft, sowie Pausanias (Paus., X 37,5). Zu Datierungsfragen und zu den Quellen vgl. SÁNCHEZ, 2001, 75–80 und BOUSSET, 2002, 193–205.

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zum einen der Dritte Heilige Krieg, den Philipp von Makedonien zusammen mit den Amphiktyonen von 356 bis 346 v. Chr. gegen die Phoker führte, als diese Delphi besetzt und der Tempelschätze beraubt hatten. Zum anderen handelt es sich um den Vierten Heiligen Krieg, der sich gegen die lokrische Stadt Amphissa jenseits der Krisäischen Ebene richtete, da diese Teile des dem delphischen Gott geweihten Landes zur Bebauung abgetrennt hatten.51 Aufgrund dieser Angaben hat sich eine Datierung des Krieges gegen Krisa bzw. Kirrha auf das erste Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts v. Chr. durchgesetzt. In den in diesen Jahren entstandenen Bildzeugnissen vom Dreifußraub sieht Jean Defradas eine Erinnerung an den Sieg der Amphiktyonen bewahrt. Herakles betrachtet er als einen thessalisch-böotischen Heros, der den neuen Einfluss der Amphiktyonen in Delphi verkörpere.52 In ähnlicher Weise argumentieren Herbert Parke, John Boardman und George Forrest, die jedoch in Herakles die unterlegene Seite vertreten sehen und aus dem Mythos den Widerstand Krisas gegen die ‘Internationalisierung’ des delphischen Orakels, symbolisiert durch den Dreifuß, herauslesen.53 Diese Zuordnung des Herakles zur lokalen Macht Krisa ist, wie wir sehen werden, die wahrscheinlichere Lösung und korrespondiert auch mit den Überlieferungen zum Ausbruch des Krisäischen Krieges, wo die Aggression stets von Krisa ausgeht. Allerdings ist nicht die lokale Identität entscheidend, sondern – wie eingangs angedeutet – die Funktion des Ortes, seine Einbindung in ein Netz überregionaler Transhumanzbeziehungen. Diese Deutung legen die Kriegsgründe nahe, die in den Quellen genannt werden. Es sind insgesamt vier Vorwürfe, die gegen Krisa/Kirrha erhoben wurden. Es handelt sich um Frauenraub, um die unrechtmäßige Aneignung von Weihegaben bzw. um den Zugriff auf heiliges Land sowie um den unberechtigten Einzug von Zöllen. Ein Teil dieser Vorwürfe wie der Raub von Weihgaben ist offensichtlich den Überlieferungen zu den Kriegsgründen späterer Kriege entnommen und lässt sich als Rückprojektion lesen; ein anderer Teil wie der 51

Zu den Befunden zum Krieg mit Amphissa vgl. SÁNCHEZ, 2001, 231–235, der weder diesem Krieg noch dem sogenannten Ersten Heiligen Krieg eine besondere Bedeutung beimisst. S. auch den Beitrag von P. Sánchez in diesem Band, unten S. 254–257. 52 DEFRADAS, 1954, 135 f. mit der älteren Literatur. 53 PARKE/BOARDMAN, 1957, 278-280; FORREST, 1956, 51 f. Parke und Boardman ordnen in diesen Zusammenhang die Schaffung einer Statuengruppe ein, von der Plinius (Plin., HN XXXVI 4,9–10) berichtet. Es handelt sich um ein Ensemble von vier Göttern, Apollon, Artemis, Herakles und Athena, in dem sie die Vorlage für die am Schatzhaus der Siphnier gestalteten Szene vom Dreifußraub sehen. Sie habe die delphische Sicht der Dinge wiedergegeben. Während Parke und Boardman bereits vor dem Sieg über Krisa Delphi in der Hand der Amphiktyonen vermuten, hält Forrest Delphi für das lokale Heiligtum der Krisäer, das mit dem Heiligen Krieg den Amphiktyonen unterstellt worden sei. Diese Gleichsetzung des Dreifußräubers Herakles mit den lokalen Herren ist mit gutem Grund auch in der älteren Literatur vorgenommen worden (Belege bei SCHWENDEMANN, 1921, 175).

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Frauenraub wiederum steht in der epischen Tradition. Ich möchte nur auf einen Kriegsgrund genauer eingehen, auf den Zugriff auf heiliges Land. Die Ebene bei Kirrha ist ganz kahl, und sie wollen auf ihr keine Bäume pflanzen, sei es aufgrund eines Fluches, sei es, daß sie wissen, daß die Erde für Baumzucht ungeeignet ist (τὸ δὲ πεδίον τὸ ἀπὸ τῆς Κίρρας ψιλόν ἐστιν ἅπαν, καὶ φυτεύειν δένδρα οὐκ ἐθέλουσιν ἢ ἔκ τινος ἀρᾶς ἢ ἀχρεῖον τὴν γῆν ἐς δένδρων τροφὴν εἰδότες) […] Später vergingen sich die Leute von Kirrha auch sonst gegen Apollon und trennten ein Stück Land des Gottes ab (χρόνῳ δὲ ὕστερον οἱ ἐν τῇ Κίρρᾳ ἄλλα τε ἠσέβησαν ἐς τὸν Ἀπόλλωνα καὶ ἀπετέµνον τοῦ θεοῦ τῆς χώρας). So beschlossen die Amphiktyonen, gegen die Kirrhäer Krieg zu führen, stellten Kleisthenes, den Tyrannen von Sikyon, als Führer an die Spitze und holten Solon aus Athen als Ratgeber.54

Nach Pausanias lag der Frevel der Kirrhaier also darin, dass sie ein Stück vom Tempelland abgetrennt hätten. Allerdings kann mit dem Vorwurf des Frevels auch der Zugriff auf das Heilige Land des Apollon gemeint sein, der in den Kontext des Vierten Heiligen Krieges gehört. Ein solcher Versuch ist von den Bewohnern Amphissas überliefert, die dafür im Jahre 340 v.Chr. von den Amphiktyonen unter der Leitung des Makedonenherrschers Philipp II. mit Krieg überzogen wurden. In welcher Form sie das Land nutzten, ist nicht klar. Aischines, der über diesen Krieg berichtet, spricht von der Bearbeitung der Ebene (ἐπηργάζοντο τὸ πεδίον), erwähnt daneben aber auch den Neubau eines Hafens, die Errichtung von aulia, unter denen Pferche und Ställe, aber auch einfache Gehöfte verstanden werden können, sowie den Bau einer Töpferei.55 Dies würde sowohl auf Viehzucht als auch Ackerbau, aber auch auf die Nutzung des Hafens für den Handel bzw. für den Einzug von Zöllen verweisen. Bei Diodor ist ein Orakelspruch der Pythia überliefert, dem zufolge die Kirrhaier, die versucht hätten, das Orakel zu berauben, erst besiegt würden, wenn das Temenos des Gottes am Meer läge.56 Eben dies ist das Resultat der Amphiktyonenherrschaft in Delphi. Nach Strabon ging es im Heiligen Krieg um Zölle: Kirrha und Krisa wurden zerstört, das eine von (Lücke im Text), danach vom Thessalier Eurylochos im Krisäischen Krieg: Die Krisäer waren nämlich wegen der Zolleinnahmen (τέλη) aus Sizilien und Italien wohlhabend; sie erhoben nun hohe Zölle von den Ankömmlingen am Heiligtum, und das gegen die Anordnung der Amphiktyonen. 57

54

Paus., X 37,5; Übers. K. Brodersen. Aeschin., In Ctes. (Or. 3),113–122. 56 Diod., IX 16. Zur Lage vgl. die Karte bei BOUSSET, 2002, fig. 5. 57 Strab., IX 3,4 p. 418,29–419,2 Radt; Übers. K. Brodersen: (Αὕτη µὲν οὖν συµµένει,) ἡ δὲ Κίρρα καὶ ἡ Κρῖσα κατεσπάσθησαν, ἡ µὲν [...] ὕστερον ὑπ' Εὐρυλόχου τοῦ Θετταλοῦ κατὰ τὸν Κρισαῖον πόλεµον· εὐτυχήσαντες γὰρ οἱ Κρισαῖοι διὰ τὰ ἐκ τῆς Σικελίας καὶ τῆς Ἰταλίας τέλη, πικρῶς ἐτελώνουν τοὺς ἐπὶ τὸ ἱερὸν ἀφικνουµένους καὶ παρὰ τὰ προστάγµατα τῶν Ἀµφικτυόνων. 55

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Die Lokrer sollen sich zudem, wie zuvor die Krisäer, an Passagezöllen (tele) von Pilgern bereichert haben.58 Nach Strabon hat ein solcher Einzug von Abgaben der Besucher des Heiligtums und die tele aus Sikelia und Italia die Krisäer begünstigt und wohlhabend gemacht.59 Von daher ist nicht auszuschließen, dass in den Überlieferungen des Pausanias und Strabons projektive Elemente enthalten sind, wie dies auch Parke und Wormell annehmen.60 Den Zugriff auf die Ebene halte ich für den eigentlichen Hintergrund des Konfliktes, von dem die Überlieferung vom Ersten Heiligen Krieg und vom Dreifußraub handelt.61 Dafür spricht auch der Amphikytoneneid. Nach Aischines war die Ebene von den Amphiktyonen dem delphischen Gott geweiht und den Kirrhaiern die Bearbeitung (ἐργάζεσθαι) untersagt worden.62 Der bei ihm überlieferte Amphiktyoneneid belegte diejenigen mit einem Fluch, die gegen das Verbot verstoßen sollten. Die Fluchformel sah vor, dass das Land keine Früchte tragen, die Frauen keine Kinder gebären und die Herden keinen Nachwuchs hervorbringen sollten, dass Krieg sie auf allen Pfaden und in allen Versammlungen erwarte, so dass ihre Häuser und ihr Geschlecht ausgetilgt würden. Weder Apollon noch Artemis, weder Leto noch Athena Pronaia würden in Zukunft ihre Opfer annehmen.63 Wenn etwas über die Hintergründe der hier geschilderten Konflikte Auskunft gibt, dann ist es dieser Amphiktyoneneid. Er enthält keine Schutzklausel des delphischen Heiligtums, sondern der Ebene von Krisa oder Kirrha, die Pausanias bei seinem Besuch, wie oben erwähnt, als ganz kahl beschreibt.64 Dieser Zustand währte bereits vor dem Krieg gegen Amphissa. In seiner 58

Strab., IX 3,4 p. 419,1 Radt; Aeschin., In Ctes. (Or. 3),113–122. Vgl. auch Dem., Or. 18,154–155. 59 Strab., IX 3,3–4 p. 418,31–419,1 Radt. 60 PARKE/WORMELL, 1956 I, 103. 61 So auch HOWE, 2003. 62 Aeschines nennt zwei eidliche Vereinbarungen. Die erste sieht u.a. vor, dass die Mitglieder der Amphiktyonen einander nicht von der Wasserversorgung abschneiden (Or. 2,115); der zweite Schwur enthält die Schutzklausel für die Ebene (Or. 3,109): καὶ ἐπὶ τούτοις ὅρκον ὤµοσαν ἰσχυρόν, µήτ’ αὐτοὶ τὴν ἱερὰν γῆν ἐργάσεσθαι µήτ’ ἄλλῳ ἐπιτρέψειν, ἀλλὰ βοηθήσειν τῷ θεῷ καὶ τῇ γῇ τῇ ἱερᾷ καὶ χειρὶ καὶ ποδὶ ⟨καὶ φωνῇ⟩ καὶ πάσῃ δυνάµει. Zur Diskussion vgl. DAUX, 1953, 775–782, der zwischen einem Gründungseid (2,115) und der Weihung der Ebene von Kirrha unterscheidet (3,109–111). 63 Aeschin., In Ctes. (Or. 3),110–111: Γέγραπται γὰρ οὕτως ἐν τῇ ἀρᾷ, „εἴ τις τάδε“ φησὶ „παραβαίνοι ἢ πόλις ἢ ἰδιώτης ἢ ἔθνος, ἐναγής“ φησὶν „ἔστω τοῦ Ἀπόλλωνος καὶ τῆς Ἀρτέµιδος καὶ Λητοῦς καὶ Ἀθηνᾶς Προνοίας“. (111) Καὶ ἐπεύχεται αὐτοῖς µήτε γῆν καρποὺς φέρειν, µήτε γυναῖκας τέκνα τίκτειν γονεῦσιν ἐοικότα, ἀλλὰ τέρατα, µήτε βοσκήµατα κατὰ φύσιν γονὰς ποιεῖσθαι, ἧτταν δὲ αὐτοῖς εἶναι πολέµου καὶ δικῶν καὶ ἀγορῶν, καὶ ἐξώλεις εἶναι καὶ αὐτοὺς καὶ οἰκίας καὶ γένος τὸ ἐκείνων. „Καὶ µήποτέ“ φησιν „ὁσίως θύσειαν τῷ Ἀπόλλωνι µηδὲ τῇ Ἀρτέµιδι µηδὲ τῇ Λητοῖ µηδ' Ἀθηνᾷ Προνοίᾳ, µηδὲ δέξαιντο αὐτοῖς τὰ ἱερά.“ 64 Paus., X 37,5; Übers. E. Meyer.

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Schrift Plataikos von 374/3 v. Chr. erinnert der attische Redner Isokrates daran, dass die Thebaner am Ende des Peloponnesischen Krieges als einzige von den Bundesgenossen dafür gestimmt hätten, die Athener zu versklaven und das Land gleich der Krisäischen Ebene zu einer Schafweide zu machen.65 Die Verwandlung einer Landschaft in eine Schafweide ist eine stehende Redewendung in der Antike,66 die nicht nur auf die Verwüstung ehemals blühenden Kulturlandes verweist, sondern auch auf Konflikte um die Nutzung des Landes. Die Ebene stellt heute ein Olivenanbaugebiet dar. Vor nicht allzu langer Zeit wurde sie von den Bewohnern des Pleistostales als Winterweidegebiet genutzt.67 Eben diese Nutzung möchte ich auch für die antiken Bewohner annehmen. Der Krisäische Krieg wäre dann ein Konflikt zwischen der lokalen und der neuen überregionalen Macht um die Nutzung des Weidelandes, der aus der Einbeziehung Delphis in ein Netz überregionaler Transhumanzbeziehungen resultierte.68 Für dieses Interesse der neuen Herren an der Ebene als Weideland spricht auch die zeitliche Festlegung der Spiele in Delphi und der Orakelbefragung. Die Vertreter der Amphiktyonen, die Pylagoren und Hieromnemonen, trafen sich bezeichnenderweise im Frühjahr und im Herbst zur Zeit des Auf- und Abtriebs der Herden, um, wie Strabon berichtet, über gemeinschaftliche Angelegenheiten zu beraten und in der Sorge um die zum Heiligtum gehörigen Güter (χρήµατα) und Weihgaben (ἀναθήµατα).69 In diese Zeit fiel auch ursprünglich die Orakelbefragung, die im 5. Jahrhundert dann monatlich stattfand.70 Zu den gemeinschaftlichen Angelegenheiten gehörte die Durchführung der Pythischen Spiele, die im Spätsommer stattfanden. Das Hippodrom, wo die Wagenrennen abgehalten wurden, befand sich in der Ebene in der Nähe des heutigen Ortes Ag. Georgios, also an jenem Ort, um dessen Nut65

Isocr., Plataikos (Or. 14),31. Diese Rede wertet LEHMANN, 1980 als entscheidendes Indiz gegen die These von Robertson, dass der Krisäische Krieg eine Rückprojektion der makedonisch-thessalischen Koalition im Dritten Heiligen Krieg darstelle. 66 Vgl. u.a. Andoc., Friedensrede (Or.3) 21; Plut., Lys. 15,2; Strab., VIII 8,1 p. 388,24 Radt. Weitere Belege bei HANSON, 1983, 6. 67 Vgl. KIRSTEN, 1951, 214, der vermutete, dass die Ebene aufgrund ihres sumpfigen Charakters nie bebaut gewesen und immer als Weideland genutzt worden sei. Neuere Untersuchungen belegen allerdings einen Bewuchs mit Nussbäumen und Eichen. MAAß, 1993, 36. 68 Den Zugriff auf die Ebene hält auch LARSEN, 1968, 42 für den Kriegsgrund. In diesem Sinne argumentierte bereits BOURGUET, 1905, 154. Vgl. auch KAHRSTEDT, Delphoi, 1953, 749–757, der die Delpher ebenfalls zu den Adressaten der Verbotsklausel der Amphiktyonen zählt und in seinem Beitrag versucht, eine politische Grenze zwischen dem Heiligen Land und der Polis Delphi zu rekonstruieren. Nach BOUSSET, 2002, 183–205 umfasste das Heilige Land nicht nur die Ebene, sondern auch das unterhalb von Delphi gelegene Hügelland. 69 Strab., IX 3,7 p. 420,7–8 Radt. 70 ROUX, 1971, 71; MAAß, 1993, 6.

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zung sich die lokalen und überregionalen Herren Delphis bzw. die Lokrer von Amphissa und die Amphiktyonen stritten. Aus inschriftlichen Befunden des 2. Jahrhunderts v. Chr. wissen wir, dass die Hälfte der Ebene von den Amphiktyonen als Weideland für Rinder und Pferde genutzt wurde.71 Aus der Existenz des Amtes der poleteres für den Zehnten schloss Emile Bourguet in seiner Studie über die Einkünfte des pythischen Heiligtums im 4. Jahrhundert v. Chr. auf die regelmäßige Verpachtung von Weideland und Häusern in der Heiligen Ebene.72 Er erwähnt darüber hinaus eine Inschrift aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., in der von Abgaben für Herden die Rede ist, die die naopoioi leisten. Es handelt sich dabei um die Mitglieder der von den Amphiktyonen gewählten Tempelbaukommission, die sich ebenfalls im Frühjahr und im Herbst trafen: „Les naopes paient la garde et la nourriture des quelques agneaux, des quelques chèvres qu’on sert à leur repas pendant leur séjour à Delphes.“73

Derartige Abgaben für das Weiden der Tiere wurden auch von Festbesuchern verlangt. Eine Vorschrift in Tegea sah für Tiere, die von Fremden zu bestimmten Festtagen herbeigebracht wurden, ein freies Weiderecht für eine Nacht und einen Tag vor.74 Diese Freistellung bedeutet, dass sich Weideland im Besitz des Tempels befand und normalerweise Weidesteuern verlangt wurden. Eine solche Weidesteuer könnte sich auch hinter den tele verbergen, von denen Aischines und Strabon als Konfliktpunkt zwischen lokalen Nutzern der Ebene und den Amphiktyonen berichten. Die Vorschrift von Tegea besagt darüber hinaus, dass Besucher von Festen Weidetiere mitbringen konnten. Dabei kann es sich nicht nur um Opfertiere gehandelt haben, von denen in Xenophons Hellenika die Rede ist. Laut Xenophon ließ der thessalische Tagos, Iason von Pherai, anlässlich der Pythischen Spiele im Jahre 370 v. Chr. „in allen Städten (πόλεις) den Aufruf herumgehen, man solle Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine aussuchen und bereithalten, die zum Opfer geeignet wären. Und, so erzählte man, während der Beitrag, den er jeder Stadt auferlegte, durchaus mäßig festgesetzt war, seien doch an Rindern nicht unter 1000 zusammengekommen, an übrigen Vieh aber über zehntausend Stück.“75 Auch wenn Zahlenangaben in antiken Quellen mit Vorsicht zu genießen sind und wir der Aussage Xenophons nur entnehmen können, dass sehr viele Weidetiere nach Delphi gebracht wurden, so zeigt doch das Bei71

Nachweise bei ISAGER/SKYDSGAARD, 1992, 192 f. BOURGUET, 1905, 26 f. und 31, Anm. 1. 73 BOURGUET, 1905, 26. Zu den Naopoioi vgl. VON GAERTRINGEN, 1901, Sp. 2564 u. 2585. Vgl. auch BOUSSET, 2002, der die Inschriften gesammelt und ins Französische übersetzt hat. 74 Vgl. GEORGOUDI, 1974, 178, die die Bestimmung im Wortlaut zitiert und diskutiert. Zu weiteren Beispielen vgl. CHANDEZON, 2003. 75 Xen., Hell. VI 4,29; Übers. Gisela Strasburger. 72

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spiel, dass zur Zeit der Pythischen Spiele zumindest kurzfristig Weideland für die aus den Anrainergebieten hergebrachten Opfertiere zur Verfügung gestellt werden musste.76 Allein aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. sind EpinomieInschriften für aitolische Epimeletai überliefert. In ihnen sind die Dauer des Weiderechts und die Zahl der Tiere festgelegt, die auf fremdem Gebiet geweidet werden durften. Umstritten ist, ob die Epinomie die Befreiung von Weidesteuern oder das Nutzungsrecht gegen die Leistung von Abgaben meint.77 Aber es geht nicht nur um die Ebene als zeitweise verfügbares Weideland, sondern auch um das gesamte Parnassgebiet, das ein ausgezeichnetes Sommerweidegebiet darstellt. Von Konflikten um die Nutzung von Weideland nicht in der Ebene von Krisa, sondern auf dem Parnass handeln nämlich zwei Überlieferungen aus dem 4. und 2. Jahrhundert v. Chr. Die Kontrahenten sind hier die Phoker und Phlygonier aus Amryses sowie die opuntischen Lokrer. Sowohl Phoker als auch Lokrer pflegten ihre Herden in einem zwischen ihnen strittigen Gebiet am Parnass zu weiden, berichtet der Autor der fragmentarisch überlieferten Hellenika von Oxyrhynchos.78 Der Konflikt, der in einen Viehraub mündete, eskalierte schließlich und ging in eine überregionale Auseinandersetzung zwischen Phokern, Lokrern, Boiotern, Lakedaimoniern und anderen über, der als der Korinthische Krieg (395 v. Chr.) überliefert ist.79 Zu einer Einigung, zur Absteckung von Weidebezirken, kommt es dagegen in einem interlokalen Konflikt zwischen Delphern und Phlygoniern im 2. Jahrhundert v. Chr.80 Die genaue Kenntnis des Parnassgebietes, die den Thessalern ermöglicht, das Heer des Xerxes während des Persereinfalls im Jahre 480 v. Chr. über das Gebirge zu führen,81 erweckt den Eindruck, als ob das Gebiet nicht nur von den Phokern selbst, die beidseitig des Parnass siedelten, sondern auch von Fremden als Weideland genutzt wurde. Herodot, der von dieser Ortskundigkeit der Thessaler berichtet, hüllt sich diesbezüglich in Schweigen. Erwähnung findet bei ihm nur der tiefe Hass, den die Phoker auf die Thessaler hegten.82 Ein möglicher Grund: Die Herauslösung Delphis aus 76

Auf die Nutzung der Ebene als Weideland für Opfertiere hebt insbesondere HOWE, 2003 ab. BOUSSET, 2002, 203 und 285 geht dagegen auch von einer profanen Nutzung aus. 77 Für letzteres plädiert MAREK, 1984, 148–150. Zu den delphischen Befunden vgl. ebd. 168–174 und 232, sowie BOUSSET, 2002, 228. 78 Hell. Oxyrh. 20,3–21,5 mit BEHRWALD, 2005, 79. Dazu: DAVERIO, 1994, 103. 79 Xen., Hell. III 5,3 ff. Nach Xenophon sollen die Lokrer für die Nutzung des strittigen Gebietes Abgaben erhoben haben, was zum Raub von Gütern (χρήµατα) durch die Phoker führte. Daraufhin riefen die Lokrer die Thebaner, die Phoker aber die Lakedaimonier zur Hilfe. Bei Pausanias (Paus., III 9,9) wird der Konflikt als Beutezug der Lokrer geschildert. 80 FD III 2,136 (um 140 v. Chr.). Dazu: GEORGOUDI, 1974, 181; SARTRE, 1979, 214; OSBORNE, 1987, 47 f. 81 Hdt., VIII 31. 82 Hdt., VIII 30; vgl. auch Paus., X 1,6-7.

Herakles und der Dreifußraub von Delphi

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dem Verband der Phoker und die Unterstellung des Heiligtums unter die Aufsicht der Amphiktyonen, in deren Kreis die Thessaler eine prominente Rolle spielten,83 kann in der Frage der Nutzung der Weiden genau jene Entscheidung impliziert haben, die die Absprachen zwischen Phlygoniern und Delphern im Jahre 140 v. Chr., vorsahen: Die Nutzung von Sommerweiden im Parnassgebiet durch die Mitglieder des Amphiktyonenbündnisses. Dies eben suggeriert der Mythos vom thessalischen Heros Neoptolemos, dessen Herden in der von Euripides gestalteten Sagenfassung am Parnass weiden.84 Auch er wurde von den Delphern gehasst und von den Priestern im Tempel getötet, genoss aber später in Delphi Verehrung.85 Fasst man den Mythos vom Dreifußstreit als Ausdruck der Konflikte zwischen lokalen und überregionalen Nutzern des Heiligen Landes des delphischen Apollon, erklärt sich auch die Rolle des Herakles. Unter diesen Umständen müsste Herakles, der Räuber des Dreifußes des Apollon, als Vertreter der lokalen oder regionalen Anrainer Delphis, der Krisäer und Phoker, gedeutet werden, der unter den neuen Bedingungen der Amphiktyonenherrschaft zum Aggressor stilisiert wird. Denn der Amphiktyoneneid gibt einen klaren Hinweis auf die Zuordnung der im Dreifußstreit genannten Götter. Nicht nur Apollon, sondern auch Leto und Artemis, die Apollon im Konflikt um den Dreifuß zur Seite stehen, sowie Athena, die vermittelnd eingreift, repräsentieren das delphische Heiligtum, das unter dem Schutz der Amphiktyonen steht.86 Als panhellenischer Heros ist Herakles nicht einer bestimmten Volksgruppe, sondern einer Funktion zuzuordnen, die in der Integration der Räume liegt: die des gedungenen Hirten. Mit Herakles tritt der überregionalen Macht, für die Apollon steht, der Typus des gedungenen Hirten und Söldners entgegen, der im Dienst anderer Räume durchschreitet und Heldentaten vollbringt, die zu einem großen Teil der Wegesicherheit dienen.87 Vieldeutig wie Mythen sind, kann Herakles für die Indienstnahme durch fremde Herren ste-

83 Vgl. LEHMANN, 1983, 43, der den Gegensatz allerdings allein unter machtpolitischen Gesichtspunkten betrachtet und auf die ökonomische Interessenlage nicht eingeht. 84 Eur., Andr. 1100–1101. 85 Zur Verehrung des Neoptolemos in Delphi vgl. MAAß, 1993, 42 u. 81; ROUX, 1971, 177. 86 Vgl. oben Anm. 63. 87 Eine explizite Verbindung zwischen Wegesicherheit und den Taten des Herakles stellt Plutarch in seiner Biographie des attischen Lokalheros Theseus her (Plut., Thes. 610). Zu diesem Aspekt vgl. auch HUTTNER, 1997, 14, der den Helden deshalb als Zivilisationsbringer klassifiziert, der der griechischen Polis den Boden bereitet habe. Vgl. auch meine Argumentation in: WAGNER-HASEL, 1998, 205–228.

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hen, wie es mit der lokalen Macht in Delphi geschieht, aber auch für den Widerstand der Krisäer.88 Was aber meint der Zugriff auf den Dreifuß? Wie auch immer der Dreifuß in dem hier zu behandelnden Mythos zu deuten ist, ob als Weihgabe oder als mantisches Symbol des Apollon, immer kommt dem Dreifuß eine abstrakte Symbolik zu. Er ist Gegenstand einer überregionalen Kommunikation, sei es der überregionalen Gemeinschaft von Athleten oder Sängern, die sich in Spielen misst, sei es der überregionalen Gemeinschaft von Gesandten, die in Delphi um politischen Rat nachfragte, und damit Symbol der rituellen Konfliktregulierung. Er steht ebenso wie Apollon für das Interesse der Amphiktyonen an der Orakelstätte, während Herakles, der Aggressor für all jene einstehen kann, die auf der Gegenseite stehen: für die lokale Macht Krisa und Amphissa bzw. für die regionale Macht, die Phoker, aus deren Verband Delphi herausgelöst wurde. Mythen, die nichts anderes als bildhafte Erzählungen von Helden und Götter sind, würden schnell wirkungslos und wären vergessen, wenn sie nicht immer wieder neuen Gegebenheiten angepasst werden könnten. Von daher ist auch die Frage, ob der Mythos einen tatsächlichen Ersten Heiligen Krieg reflektiert oder nicht, von nachgeordneter Bedeutung. Entscheidend ist der strukturelle Konflikt zwischen lokalen und überregionalen Nutzern der Weidegebiete um Delphi, der sich aus der Logik der transhumanten Ökonomie ergibt.

88 Vgl. auch die Aussagen des homerischen Hermeshymnos, nach denen die lokale Macht, vertreten durch den Viehräuber Hermes, in die Stellung des gedungenen Hirten hinabgedrückt wird. WAGNER-HASEL, 2000, 233 und 292–293.

Die Goldene Bäckerin Delphi und die nichtgriechische Welt im Spiegel der Weihgeschenke Balbina Bäbler 1. Kroisos, die Pythia und die goldene Bäckerin In Buch I 50 f. gibt Herodot1 eine beeindruckende Aufzählung der Weihgeschenke, die der lydische König Kroisos nach Delphi senden ließ, nachdem er die Orakel in Libyen, von Delphi, Abai in Phokis, Dodona sowie die des Amphiaraos, des Trophonios und der Branchiden von Didyma – also die berühmtesten der antiken Welt – einem Test unterzogen hatte, aus dem das Orakel von Delphi als Sieger hervorgegangen war (Hdt. I 46,2 f.): Allein die Pythia hatte korrekt zu sagen vermocht, was der Lyderkönig an einem bestimmten Tag gemacht hatte, nämlich eine Schildkröte und ein Lamm in einem erzenen Kessel gekocht, auf den er einen erzenen Deckel gelegt hatte (Hdt. I 47 f.). Glaubwürdig erschien dem König auch das Orakel des Amphiaraos in Theben (Hdt. I 49), dem er dafür einen Schild und eine Lanze aus Gold stiftete (Hdt. I 52); Herodot weiß allerdings nicht, welche Antwort das Orakel des Amphiaraos gegeben hatte. In den Ausführungen über die Weihgeschenke, die Kroisos nach Delphi schickte, wirken die zwei kurzen Abschnitte über das Heiligtum in Theben zunächst etwas merkwürdig, zumal das dortige Orakel später keine Rolle mehr spielt. Erst der spektakuläre Fund einer Basis im dortigen Heiligtum des Apollon Ismenios zeigte, dass es auch hier Herodots Autopsie war, die diesen Ausführungen zugrunde liegt: Nach der um 500 v. Chr. auf der Basis angebrachten Inschrift hatte ein Orakelpriester sie errichten lassen, nachdem er den „glänzenden Schild“, den Kroisos geweiht hatte, nach Konsultation des Orakels (wieder) gefunden hatte.2 1

Alle Übersetzungen von Herodot-Zitaten nach NESSELRATH, 2017. THONEMANN, 2016; die textkritische Edition mit Übersetzung dort 154–157; die Verse sind in böotischer Schrift angebracht; auf der Rückseite der Basis wurde das Epigramm aus unbekannten Gründen um 400–350 v. Chr. noch einmal in ionischer Schrift aufgeschrieben; diese zweite Fassung ist stark beschädigt. THONEMANN, 2016, 161–165 glaubt, dass es sich bei dem Kroisos, der den „glänzenden Schild“ (V. 3 f.: φαενὰν | [ἀσπ]ίδα) geweiht hatte, der offensichtlich zwischenzeitlich verschwunden oder nicht mehr aufzufinden war, nicht um den lydischen König gehandelt haben kann. Seiner Meinung nach muss 2

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Für den Gott in Delphi ließ Kroisos dreitausend Stück Vieh opfern, goldund silberbeschlagene Ruhebetten, goldene Schalen, purpurne Kleider und Leibgewänder wurden ebenfalls auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt (I 50,1). Danach ließ er Gold einschmelzen, um daraus Halbziegel zu formen, die sechs Handbreiten lang, drei breit und eine hoch waren, insgesamt 117 an der Zahl, davon vier aus lauterem Gold, jeder zweieinhalb Talente schwer, die anderen aus Weißgold, zwei Talente schwer (I 50,2); auf diesen stand ein zehn Talente schwerer Löwe ebenfalls aus lauterem Gold, der allerdings zu Herodots Zeiten infolge des Tempelbrandes sechseinhalb Talente Gewicht verloren hatte (I 50,3). Dazu schickte Kroisos zwei riesige Mischkrüge, den einen aus Gold, den anderen aus Silber, vier silberne Vorratskrüge, je ein goldenes und ein silbernes Weihbecken, silberne Gusswerke von runder Form, die Halsketten und Gürtel seiner Frau und ein goldenes, drei Ellen hohes Standbild einer Frau, von dem die Delpher sagen, es sei ein Abbild seiner Brotbäckerin (I 51,1–5). Auf dieses am Schluss der Aufzählung erwähnte kleinformatige Werk soll hier noch etwas näher eingegangen werden. Die Geschichte zu der Statue wird erst mehrere Jahrhunderte später von Plutarch in seiner Schrift De Pythiae Oraculis 16 (401e) erzählt: Die Stiefmutter des Kroisos, die sein Vater Alyattes in zweiter Ehe geheiratet und die ihm weitere Söhne geboren hatte, habe Kroisos, den Sohn aus erster Ehe, von seiner Bäckerin vergiften lassen wollen. Diese aber habe ihn heimlich gewarnt und das vergiftete Brot den Söhnen der Stiefmutter serviert; aus Dankbarkeit und als Zeugnis vor den Göttern habe Kroisos dann eine Statuette der Frau in Delphi aufgestellt. Diese Erzählung enthält Motive, die an Folklore oder Topoi der griechischen Mythologie erinnern, wie etwa die mörderisch eifersüchtige Stiefmutter oder den Giftanschlag, der auf den Täter zurückfällt.3 Die Frage ist, wann, und vor

der Stifter ein sonst unbekannter Athener aus einer der reichsten Familien der Stadt gewesen sein, womöglich ein Alkmaionide und vielleicht ein Sohn des Alkmaion, der in der Mitte des 6. Jahrhunderts Gastfreund des lydischen Königs gewesen war (Hdt., VI 125,2). Er verweist dabei auf die Formulierung des Epigramms, die Weihung sei als Andenken „seiner [scil. des Kroisos] Tugend und seines Leidens (V. 5: µνᾶµ’ ἀρετ[ᾶς τε πάθας τ’ ἀνέθεκεν)“ aufgestellt worden, was an Grabepigramme erinnere oder Weihungen, die von der Familie eines gefallenen Kriegers in einem Heiligtum aufgestellt wurden. Zu einer solchen Deutung würde auch die Weihegabe Schild und Speer passen. Die ἀρετή und πάθη, die Herodot in I 52 bei der Erwähnung dieser Weihung dem Amphiaraos zuschreibt (vgl. dazu ASHERI, 2007, 113), sei direkt von dieser Inschrift inspiriert gewesen. THONEMANN, 2016, 164 nimmt an, Herodot oder die thebanischen Fremdenführer durch das Heiligtum hätten die Weihung „in good faith“ falsch gedeutet, denn da der Name Kroisos sehr selten gewesen sei (vor dem späteren 5. Jahrhundert ist kein weiteres Beispiel bekannt), sei es naheliegend gewesen, ihn mit dem berühmten Lyderkönig in Verbindung zu bringen. 3 PARKE, 1984, 219.

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allem, weshalb sich diese Geschichte gerade an diese Statuette ‚angelagert‘ haben sollte. Bisherige Interpretationsversuche liefen erstaunlicherweise fast immer darauf hinaus, dass die von Herodot explizit als ἀρτοκόπος bezeichnete Figur keinesfalls eine Bäckerin dargestellt haben könne: Bereits Sayce postulierte 1883 in seinem Herodot-Kommentar, es habe sich wohl um eine orientalische Göttin in sitzender Position gehandelt. 4 Parke will in der Figur die Artemis von Ephesos erkennen, zu der Kroisos bekanntlich eine besondere Beziehung hatte:5 Nach der erfolgreichen Belagerung der Stadt Ephesos bald nach seinem Regierungsantritt, der früher meist um 560 v. Chr. angesetzt wurde, aber nach den neusten Forschungen von Robert Wallace wahrscheinlich schon in die 580er Jahre zu datieren ist,6 wollte Kroisos offensichtlich die Stadtgöttin Artemis versöhnen und stiftete dem Tempel, wie Hdt., I 92,1 berichtet, die meisten Säulen. 7 Fragmente dieser berühmten columnae caelatae und der daran angebrachten Reliefs sind erhalten; Inschriftenreste auf den Profilwülsten lassen sich zu der Weihinschrift βασιλεὺς Κροῖσος ἀνέθηκε zusammensetzen.8 Nun hat allerdings gerade die ephesische Artemis eine sehr charakteristische Ikonographie; sie trägt ein langes, mit Tierprotomen geschmücktes Gewand, einen hohen Polos mit Mauerkrone, überreichen Schmuck und als 4

SAYCE, 1883, 28. Allerdings hält Sayce Herodot grundsätzlich für einen völlig unzuverlässigen und sogar vorsätzlich Unwahrheiten und Erfindungen verbreitenden Geschichtenerzähler, vgl. SAYCE, 1883, xxix f. 5 Von HÖGEMANN, 1999, 858 ohne Quellenangabe oder andere Belege übernommen: „Zum Dank hat K. seiner Schutzgottheit Artemis/Magna Mater später eine goldene Statue nach Delphoi gestiftet, so ist wohl Herodot (1,51) zu deuten.“ 6 WALLACE, 2016, bes. 170–176 bezweifelt insbesondere die Angabe von 14 Regierungsjahren für Kroisos in Hdt., I 86,1: gerade Zahlen wie sieben oder zweimal sieben (vgl. Hdt., VII 114,2) „look densely formulaic“ (170); viele Angaben, die Herodot an anderen Stellen seines Werks zu Kroisos mache, brächten ihn mit Ereignissen oder Personen (insbesondere den sogenannten Sieben Weisen) in Verbindung, die zwischen 580 und 560 zu datieren sind (172); zudem gebe es keine Zeugnisse für irgendwelche Aktivitäten des Alyattes nach 585 v. Chr. (176; s. auch unten S. 161 mit Anm. 27). 7 BÄBLER, 2012, 90 f. Die Ephesier hatten sich bei der Belagerung unter den Schutz der Göttin gestellt, indem sie ihre Stadt mit einem Seil mit dem sieben Stadien entfernten Tempel verbunden hatten (Hdt., I 26,2; Polyaen., VI 59); dieses ‚Tempelasyl‘ wurde von Kroisos zwar anerkannt, er zwang aber die Einwohner, ihre bisherig befestigte Bergstadt aufzugeben und sich in der Ebene um das Artemision anzusiedeln. Zu der Beziehung der Mermnaden zu Ephesos vgl. auch GEORGES, 1994, 29–32. Die von WALLACE, 2016, 177 f. vorgeschlagene Datierung des Regierungsantritts des Kroisos bereits um 580 v. Chr. würde einige archäologische Baubefunde erklären, die mehrere Archäologen veranlassten, erste Arbeiten an dem Bauwerk noch Kroisos’ Vorgänger Alyattes zuzuschreiben, vgl. auch IMMENDÖRFER, 2017, 127–131; Wallace’ Datierung würde diese Inkonsistenz zwischen den archäologischen und literarischen Quellen beseitigen. 8 BÄBLER, 2012, 89 f. mit Abb. 2 und 3.

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auffälligstes Merkmal drei Reihen von runden Objekten zwischen den Armen, die als Brüste oder Stierhoden gedeutet wurden.9 Hinter ihrem Kopf war ein Nimbus angebracht, der ebenfalls mit Protomen von Löwen, Stieren und Greifen geschmückt war. Parke muss denn auch argumentieren, die von Herodot gesehene Statuette sei noch eine unauffällige weibliche Gewandstatue gewesen, die keine Ähnlichkeit mit der bekannten Artemis Ephesia gehabt habe. In der Tat sind die heute erhaltenen bekannten Repliken und Münzbilder der Figur erst seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden. Bereits Robert Fleischer hat aber in seiner Dissertation von 1973 gezeigt, dass es sich bei den zahlreichen „Brüsten“ der Göttin,10 deren Herkunft und Bedeutung nach wie vor unklar sind, nicht um eine späte Umbildung oder synkretistische Hinzufügung handelt, sondern um ursprüngliche Bestandteile bereits des archaischen Kultbildes.11 Auch wenn das zu Herodots Zeiten vorhandene Kultbild schlichter war und mehrere Attribute wie etwa die Hirsche und Löwen wahrscheinlich erst in der Kaiserzeit hinzugefügt wurden, so können die bekannten Repliken nicht auf eine hellenistische Neuschöpfung des Kultbildes zurückgehen, berichtet doch die antike Überlieferung nur von einem einzigen Kultbild, das trotz mehrfacher Erneuerung des Tempels stets dasselbe geblieben sei.12 Weshalb aber die Delpher nach Herodot die ephesische Artemis explizit als „Bäckerin“ bezeichnet haben sollten, bleibt dabei unerklärt. Philip Kaplan gibt zwar keine ‚Alternativ-Deutung‘ der Figur, nimmt aber an, dass die Geschichte der mörderischen Stiefmutter erst spät aus Hdt., I 51,5 und I 92,2–3 (wo Kroisos’ Halbbruder Pantaleon erwähnt wird, der ihm die Herrschaft streitig machte) extrapoliert wurde und erst in einer Zeit entstanden ist, als die Statuette bereits eingeschmolzen war.13 Die ingeniöseste Erklärung kommt von Garrett/Kurke 1994: Es habe sich bei der Statuette um das Abbild eines bedeutenden Mitglieds von Kroisos’ 9 Die Deutungen in der neueren Forschung sind zusammengestellt bei IMMENDÖRFER, 2017, 147–151. 10 Vgl. dazu auch MORRIS, 2008, 59. 11 FLEISCHER, 1973, 123 f. Vgl. dazu auch MORRIS, 2008, 57 f., die ebenfalls zeigte, dass sich Elemente der Tracht der Göttin, wie etwa der Polos oder die Bienen in den Viereckfeldern des Gewandes, auf prähistorische Vorläufer aus Anatolien zurückführen lassen. 12 Plin., Nat. XVI 213 überliefert, es sei aus Rebenholz gewesen und niemals ausgetauscht worden, obwohl der Tempel siebenmal wieder hergestellt wurde (numquam mutatum septies restituto templo); er beruft sich dabei auf Mucianus, den Konsul der Jahre 67, 70 und 72 n. Chr., der das Bild in Augenschein genommen habe. In der Apostelgeschichte wird das Kultbild der ephesischen Artemis διοπετής genannt (Apg 19, 35), eine Bezeichnung, die nur für ein altes Xoanon, nicht eine hellenistische Skulptur, verwendet wurde; vgl. FLEISCHER, 1973, 124 f.; MORRIS, 2008, 58; IMMENDÖRFER, 2017, 151. 13 KAPLAN, 2006, 142 f. Kaplan erwähnt zwar die Möglichkeit einer lokalen delphischen Tradition, hält es aber für unwahrscheinlich, dass sie ein historisches Ereignis im Zusammenhang mit der Statuette widerspiegeln könnte.

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Haushalt gehandelt, nämlich um seine Hetäre. ἀρτοκόπος sei ein ‚SlangWort‘ für diesen Beruf,14 das für Herodot noch völlig verständlich gewesen, aber zu Plutarchs Zeit außer Gebrauch gekommen sei, so dass dieser die Geschichte mit der Brotbäckerin habe erfinden müssen. Bei allen diesen Interpretationen stellt sich das gleiche methodische Problem: Warum sollte sich eine Geschichte – unabhängig davon, wann und von wem sie erfunden wurde – in der eine ἀρτοκόπος die Hauptrolle spielt, an einer Figur festmachen, die etwas ganz anderes darstellte und in ihrer äußeren Erscheinung keinerlei Ansatzpunkte für solche Folklore bot? Die Darstellung einer Göttin, auch einer fremdländischen, und nun gar einer Artemis, hätte Herodot zweifellos als solche erkannt.15 Zu der Deutung von Garrett/Kurke ist zu sagen, dass es nicht Herodots Angewohnheit war, ‚Slang-Wörter‘ zu benutzen, und es im ganzen Werk keine einzige Parallele zu einem solchen Gebrauch von ἀρτοκόπος gibt;16 im Gegenteil hat der Historiker nie die geringsten Inhibitionen, eine Hetäre auch mit eben diesem Namen zu nennen, wie etwa Rhodopis, die Geliebte des Bruders der Sappho, von der in Delphi ebenfalls Weihgeschenke zu sehen waren.17 Die ‚Umdeutung‘ der Bäckerin zu einer Hetäre ist m. E. eine nicht aus Herodot, sondern aus Plutarch (Pyth. or. 16, 401f) gezogene Deutung: Einer der 14

Begründet wird dies von GARRETT/KURKE, 1994, 82 durch die Verbindung von Hdt., I 51,5 mit der makabren Geschichte V 92η 2 f., in der dem Tyrannen Periandros der Geist seiner von ihm ermordeten Ehefrau erscheint und als Zeichen dafür, dass sie die Wahrheit sage, angibt, er habe Brote in den Backofen geschoben, als dieser kalt gewesen sei (ἐπὶ ψυχρὸν τὸν ἰπνὸν Περίανδρος τοὺς ἄρτους ἐπέβαλε). Daraufhin glaubt Periandros der Erscheinung, denn er hatte mit seiner toten Ehefrau Melissa Verkehr gehabt. τοὺς ἄρτους ἐπιβάλλειν sei also ein für Herodot und seine Zeitgenossen verständlicher kolloquialer Ausdruck für Geschlechtsverkehr gewesen. Dafür gibt es aber keinerlei Belege, vgl. HENDERSON, 1975, passim und bes. 144 und 186–189. 15 Vgl. etwa Hdt., IV 59,2, wo Herodot eine der wichtigsten skythischen Gottheiten, Tabiti, beschreibt, die auf die altiranische Göttin des Herdes (und im weiteren Sinne der Gemeinschaft und des Staates), Tapayati (von dem Verb *tap, „brennen, erhitzen“) zurückgeht. Der Historiker identifiziert sie naheliegenderweise mit der griechischen Hestia, vgl. dazu BÄBLER, 2011, 132–134; dort 126–134 allgemein zu Herodots Umgang mit fremden Göttern am Beispiel des skythischen Pantheons. 16 Bei Herodot kommt das Wort nur noch ein weiteres Mal vor (Hdt., IX 82,1), als von den „Bäckern und Köchen“ im Haushalt des Mardonios die Rede ist. Auch bei Platon (Gorg. 518b) wie bei Xenophon (Hell. VII 1,38 und An. IV 4,22) steht das Wort nur in der Bedeutung „Bäcker/in“; ansonsten ist es erst wieder bei späten, kaiserzeitlichen Autoren belegt. Gerade in der Komödie, wo am ehesten die von Garrett/Kurke angeführte Bedeutung zu erwarten wäre, kommt kein solcher Ausdruck vor, vgl. den Index bei HENDERSON, 1975. 17 Hdt., II 134,1–135,4; nach Herodot ließ Rhodopis aus dem zehnten Teil ihres Vermögens „eine Menge eiserner Bratspieße machen, so groß, um einen Ochsen daran zu braten ... und die sandte sie nach Delphi“, wo sie zu Herodots Zeiten noch zu sehen waren (Hdt., II 135,4).

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Gesprächsteilnehmer stellt dort die Statuette des Kroisos als unangemessenes Weihgeschenk in eine Reihe mit den Spießen der Rhodopis und der goldenen Statue der Hetäre Phryne, die ebenfalls in Delphi zu sehen waren.18 Die Darstellung einer einfachen ‚Handwerkerin‘ wird offenbar auch heute noch als inkongruent mit Kroisos’ übrigen Gaben befunden (ob freilich eine Hetäre aus seinem Haushalt passender wäre, bleibe dahingestellt). Entsprechende Darstellungen sowohl aus dem Orient wie auch aus Griechenland sind aber nicht unbekannt: Zahlreiche Statuetten aus ägyptischen Gräbern seit 3000 v. Chr. (aus verschiedenen Epochen) zeigen alle den Typus einer knienden Frau vor einer Steinplatte, die entweder flach ist oder sich leicht weg von der Figur neigt, die meist dicht hinter dem höheren Ende mit einem Stein in der Hand kniet, in einer Position, dass das ganze Gewicht auf diesem Stein liegt, mit dem sie das Getreide mahlt; bisweilen ist am niedrigen Ende des Steins eine Höhlung für das Endprodukt angebracht.19 Es gibt auch die Variante, dass die Figur (Frau oder Mann) vor einem Backofen kniet.20 Eine Terrakottapuppe aus Kameiros (Rhodos) aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. zeigt dasselbe Motiv. Teig knetende Frauen sind in der Regel aufrecht stehend dargestellt, vor einer Schüssel oder einem Trog.21 Was genau hinter der ἀρτοκόπος des Kroisos in Delphi steckt, ist nicht mehr zu entscheiden, doch ist m. E. nicht einzusehen, dass die Darstellung eines einfachen, aber überlebensnotwendigen Handwerks grundsätzlich ein ‚Problem‘ ist, das wegerklärt werden muss.22 Die Zuständigkeit der Frauen für Aufbereitung und Verarbeitung des Getreides ist in antiken Quellen gut belegt; bereits bei Homer ist es die ταµίη, die Verwalterin der Vorräte, die den Gästen Brot und Wein zuteilt (Hom., Od. Ι 139; ΙΙΙ 392.479; IV 55; und noch weitere Stellen).23 Welche Bedeutung dieser Rolle der Frauen zugemessen wurde, ist auch in der Schilderung des Thukydides bei der Belagerung von Plataia im Peloponnesischen Krieg zu sehen (Thuc., II 78,3): Die Plataier aber hatten Kinder, Frauen sowie die Ältesten und damit die gesamte für nichts verwendbare Bevölkerung bereits vorher nach Athen ausquartiert, von ihnen selbst 18

Auf diese Kritik antwortet ein weiterer Gesprächspartner, Kroisos habe mit dieser Weihung nicht seinen Reichtum zur Schau stellen, sondern die Verdienste einer einfachen Frau würdigen wollen; ein anderer stellt fest, weitaus schlimmer seien die aus der Beute innergriechischer Kriege finanzierten, in Delphi zahlreich vertretenen Weihgeschenke; vgl. dazu SCHRÖDER, 1990, 300–302; THUM, 2013, 123 f. 19 MORITZ, 1958, 29 f. 20 CURTIS, 2001, 121 mit Abb. 9. 21 MORITZ, 1958, 31. British Museum, Inv. B 234. Vgl. auch WAGNER-HASEL, 2006, 215 für weitere Beispiele. 22 So GARRETT/KURKE, 1994, 82 mit Anm. 16; dagegen betont CURTIS, 2001, 110 für den ägyptischen Kontext die grundlegende Bedeutung des Brotes für das Leben, die auch in Sepulkralkunst, Mythologie und Literatur deutlich wird. 23 WAGNER-HASEL, 2006, 315 f.; vgl. z. B. auch Xen., Oec. 3,15.

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waren während der Belagerung noch Vierhundert in der Stadt zurückgeblieben, dazu achtzig Mann aus Athen und hundertzehn Frauen zur Bereitung der Speisen (γυναῖκες δὲ δέκα καὶ ἑκατὸν σιτοποιοί).24

Ebenso ist es nicht grundsätzlich unmöglich, dass sich unter den Weihungen des Herrschers auch ein Zeichen persönlicher Frömmigkeit befand, das einen Bezug zu seiner Biographie hatte.25 Herodot sah die Weihgeschenke des Kroisos bereits in den Schatzhäusern der Korinther und der Klazomenier (I 50,3; 51,2), wohin sie nach dem Brand des Tempels, der auch ein Stück des goldenen Löwen hatte schmelzen lassen (siehe oben S. 156), gebracht worden waren. Das Feuer fand vermutlich 548/7 v. Chr. statt, also nur kurze Zeit vor dem Fall von Sardes, 26 und hätte auch als schlechtes Omen für Kroisos’ Feldzug gegen Kyros gedeutet werden können. Allerdings lässt sich heute nicht mehr sagen, wie lange die Weihgeschenke im Tempel standen; vielleicht trafen sie zu verschiedenen Zeiten ein. Eine erste Stiftung (mit der ἀρτοκόπος) als Dank für den Sieg in den familieninternen Rivalitäten und die erfolgreiche Thronbesteigung könnte schon sehr früh erfolgt sein. Folgt man Wallace’ Argumenten für eine Thronbesteigung des Kroisos schon in den 580er Jahren (siehe oben S. 157 mit Anm. 6), so hätte der König insgesamt über drei Jahrzehnte Zeit gehabt, die Beziehungen zu Delphi auszubauen und weitere Weihgeschenke hinzuschicken. 27 Herodot war sich solcher chronologischen Probleme aber zweifellos nicht bewusst, als er um 440 v. Chr., also mehr als hundert Jahre nach den Weihungen des Kroisos, Delphi besuchte.

24

Übersetzung: WEIßENBERGER, 2017, 417. Vgl. auch WAGNER-HASEL, 2006, 316 f.; dort auch zu Mythos der Oinotropoi und den Festen in Athen, die mit dem Saatgut und der Aufbereitung des Getreides zu tun hatten (Thesmophoria und Skira) und in weiblicher Hand waren. 25 Ähnlich KERSCHNER, 2006, 265. 26 Pausanias (X 5,13) gibt ein genaues Datum: „als Erxikleides in Athen Archon war, im ersten Jahr der 58. Olympiade, an der Diognetos aus Kroton siegte“. Umstritten ist das genaue Datum des Falles von Sardes, da das Marmor Parium und die Chronik des Eusebius nicht übereinstimmen, vgl. dazu PARKE, 1984, 213–215, FANTALKIN, 2014, 39. Meist wird er in das Jahr 547 v. Chr. gesetzt; PARKE, 1984, 215 bevorzugt 546 v. Chr., WALLACE, 2016, 178 hält 547 v. Chr. oder 546 v. Chr. für möglich. 27 WALLACE, 2016, 173 f. Vgl. bereits PARKE, 1984, 223 der annimmt, dass die Weihgeschenke zu drei oder mehr verschiedenen Anlässen während Kroisos’ gesamter Regierungszeit nach Delphi gesandt worden sein könnten; dieses Argument würde durch eine längere Regierungszeit des Königs noch plausibler.

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2. Die Weihgeschenke des Midas, des Gyges und des Alyattes Kroisos war nicht der erste orientalische Fürst, der Delphi reich beschenkte: Als erster stiftete laut Herodot I 14,3 der phrygische König Midas den Thron, auf dem er zu sitzen pflegte, wenn er Recht sprach, nach Delphi; der Historiker nennt ihn „des Anschauens wohl würdig“. Die Weihung müsste im späteren 8. oder zu Beginn des 7. Jahrhunderts stattgefunden haben, denn der in assyrischen Quellen von 718–709 v. Chr. als Mita-a bezeugte König starb laut Eusebius’ Chronik 696/5 v. Chr.28 Eine solche diplomatische Gabe wäre nicht unwahrscheinlich, und es steht außer Frage, dass Herodot einen „Thron“ orientalischer Herkunft gesehen hat: In dem 1957 ausgegrabenen Grabtumulus bei Gordion, der eine Höhe von beeindruckenden 53 m und einen Durchmesser von 30 m hat und oft mit König Midas assoziiert wird, fand man neben vielen anderen kostbaren Beigaben auch fünfzehn qualitätvolle Möbelstücke. Die äußeren Holzbalken der Anlage waren 740 v. Chr. gefällt worden, was einen Terminus post quem für die Bestattung liefert.29 Unter dem Mobiliar befanden sich drei Sessel und zwei Stühle, die vielleicht für ein zeremonielles Bankett gebraucht worden waren.30 Sie bestanden aus Holz oder Elfenbein, hatten Armlehnen und waren mit Textilien bedeckt; an den Leisten der Stühle waren Elfenbeinschnitzereien angebracht. Dieselben Objekte, die als Grabbeigaben dienten, wurden auch in anderen Ländern in die Tempel und Heiligtümer geweiht.31 Auch der Gründer der Mermnadendynastie, Gyges, ist in Delphi prominent vertreten: Nach Midas habe er „als erster von den Barbaren, von denen wir wissen, Weihgeschenke nach Delphi gestiftet“, davon sehr viele silberne und „auch unermesslich viel Gold“ (I 14,1), darunter sechs goldene Mischkrüge, die Herodot besonders erwähnenswert findet (I 14,2). Der Reichtum des Gyges, der etwa von 680–644 v. Chr. regierte, war schon zu seiner Zeit sprichwörtlich: Von seinem Zeitgenossen Archilochos, dem ersten uns be28

Hieronymus (Eus.), Chron. p. 92b,16 HELM; ASHERI, 2007, 85 f. SIMPSON, 2010, 10.130; WHITE MUSCARELLA, 2013, 533–548. Insgesamt wurden drei Tumuli mit über 641 Objekten ausgegraben, deren hohe Qualität den Reichtum des Landes und die Bedeutung Gordions als politisches und ökonomisches Zentrum im 1. Jahrtausend v. Chr. zeigen. 30 So SIMPSON, 2010, 127–130. 31 SIMPSON, 2010, 130. Angesichts des beeindruckenden erhaltenen Materials gibt es m. E. keinen Anlass für die Deutung von CRAHAY, 1956, 207 f., für den die Delpher ein vorgriechisches religiöses Symbol, das sie nicht mehr verstanden, als Thron des phrygischen Herrschers deuteten, da immer noch eine Erinnerung an eine Verbindung zum Kult der Magna Mater bestanden habe. – Auf eine phrygische Gürtelschnalle des 8./7. Jahrhunderts v. Chr. in Delphi verweist MAAß, 1993, 135. WHITE MUSCARELLA, 2013, 675 vermutet, dass in Delphi weitere Weihegaben orientalischer Könige standen, die Herodot nicht aufzählt. 29

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kannten griechischen lyrischen Dichter, ist der Vers überliefert „Ich kümmere mich nicht um alles Gold des Gyges...“ (Frg. 19 West); ein Hinweis auf Archilochos wurde von späteren Bearbeitern an den Rand des Herodot-Textes geschrieben und von dort in I 12,2 übernommen.32 Die Stiftungen des Gyges werden später auch von Diodorus Siculus und Strabon erwähnt. Sie waren noch bis in das 4. Jahrhundert v. Chr. zu sehen und wurden dann von dem phokischen Feldherrn Phayllos im 3. Heiligen Krieg (353 v. Chr.) eingeschmolzen, damit er mit dem Edelmetall seine Söldner entlohnen konnte.33 Auch Kroisos’ Vater Alyattes stiftete außergewöhnliche Kunstwerke nach Delphi, die Herodot (I 25,2) ausführlicher erwähnt: Einen großen silbernen Mischkrug, der sehenswert ist unter allen Weihgeschenken in Delphi, eine Kreation des Glaukos von Chios, der tatsächlich allein unter allen Menschen die Kunst erfunden hat, Eisen zu löten.

Dieses Werk wurde noch von Pausanias in Delphi gesehen und in seiner Struktur genau beschrieben.34 Zu dieser technischen Beschreibung kommt die Erwähnung bei Athenaios (V 210b–c) hinzu, die auf einen von Hegesander von Delphi, einem Autor des 2. Jahrhunderts n. Chr., verfassten Katalog von Votivgegenständen im delphischen Heiligtum zurückgeht, und in der die kleinen Tiere und Pflanzen beschrieben werden, die als Relief eingraviert waren.

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Dazu NESSELRATH, 2017, 744 f. Anm. 14; KAPLAN, 2006, 130 f.; KERSCHNER, 2006, 255–257 (nach heutiger Berechnung hätte Gyges dem Heiligtum 9 bis 14 Tonnen Gold und Silber gespendet). Die erstaunlich schnelle Expansion des Lyderreiches wurde nicht zuletzt durch die Goldvorkommen in der Nähe von Sardes begünstigt. 33 Strabon, IX 3,8 (p. 420,32–421,10 RADT); vgl. auch Diod., XVI 56,6; vgl. dazu KAPLAN, 2006, 133 f.; s. zu den Ereignissen den Beitrag von P. Sánchez in diesem Band, unten S. 247–254. 34 Paus., X 16,1: „... Jedes Stück des Untersatzes ist an dem anderen nicht mit Nadeln oder Stiften befestigt, sondern nur die Verbindungsmasse hält es zusammen und ist selbst für das Eisen die Verbindung. Die Gestalt des Untersatzes ist etwa wie ein Turm, der von einer breiteren Grundfläche aus spitz zugeht; jede Seite des Untersatzes ist nicht ganz geschlossen, sondern die eisernen Querbänder sind wie die Sprossen an einer Leiter; die aufsteigenden Eisenteile biegen sich an der Spitze nach außen, und das war das Auflager für den Mischkrug“ (Übersetzung: E. Meyer). Dieser eiserne Untersatz war nach Pausanias das einzige, was von den Weihgeschenken der lydischen Könige zu seiner Zeit noch zu sehen war. Vgl. dazu auch SIMPSON, 2010, 131: „Metal vessels were also prominent votive gifts, as shown by the vast array of gold and silver examples dedicated by the Lydian kings at Delphi.“

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3. Weitere orientalische Weihegaben Obwohl es also mehrere spätere Zeugnisse gibt, die Herodot bestätigen, ist etwa Kaplan sehr skeptisch, was die frühen lydischen Weihungen anbelangt; so hält er die Nachricht bei Strabon, der Stiftungen unter anderem des Gyges in Delphi aufzählt, für einen Beleg dafür, dass sie eine spätere Hinzufügung der delphischen Priester gewesen seien; die übliche Form der Weihinschrift hätte Γύγης [µ’] ἀνέθηκεν lauten müssen, nicht aber, wie seiner Meinung nach Strabon überliefert, nur Γύγου.35 Allerdings scheint mir zweifelhaft, ob man die Stelle bei Strabon in dieser wörtlichen Weise interpretieren sollte, denn Strabon erhebt nicht den Anspruch, die Weihinschriften wiederzugeben, sondern zählt nur die zu seiner Zeit noch sichtbaren Weihungen auf, die in den Schatzhäusern aufbewahrt waren, „in denen auch die Namen der Weihenden vorkamen: Gyges, Kroisos, die Sybariten, die Spineter an der Adria ...“;36 dass dies eine verkürzte Reihung ist und die eigentlichen Inschriften ausführlicher waren, dürfte dem Leser klar gewesen sein; der entscheidende Punkt in Pausanias’ Mitteilung ist, dass es (sehr alte) Weihungen gab, deren Stiftername noch zu sehen war. Pericles Georges hält die ganze Gyges-Tradition für anachronistisch, da Delphi vor dem 6. Jahrhundert v. Chr. nur einen bescheidenen, regional begrenzten Ruf gehabt und der Einfluss des Heiligtums nicht über die Staaten der Amphiktyonie hinausgereicht habe.37 Für Kaplan besteht die Hauptschwierigkeit der Glaubwürdigkeit der königlichen lydischen Weihungen darin, dass sie kaum durch zeitgenössisches archäologisches Material unterstützt würden; zudem seien in Sardes griechische Götter nicht vor der achämenidischen Periode verehrt worden. Doch die Religion der Griechen war den Lydern aufgrund der engen geographischen

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KAPLAN, 2006, 131; CRAHAY, 1956, 205.207 f. hält die Weihgeschenke des Gyges in Delphi für fiktiv. In jüngster Zeit hat aber gerade TRAMPEDACH, 2015, 222–257 die Bedeutung der oral tradition für die Orakel hervorgehoben (siehe auch Trampedach in diesem Band, unten S. 200 f.): Es gab keine schriftliche Dokumentation und Archivierung an den Orakelstätten; die griechische Mantik war fest in die mündliche Kommunikation bzw. in Erzählungen eingebettet, was die „Authentizitätsanalysen“, die lange die Forschung beherrschten und besonders in Delphi alle Konsultationen vor der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. für unglaubwürdig oder „priesterliche Propaganda“ erklärten, methodisch sehr dubios macht. 36 Übersetzung: RADT, 2004 ([...] Γύγου γὰρ καὶ Κροίσου καὶ Συβαριτῶν καὶ Σπινητῶν, τῶν περὶ τὸν Ἀδρίαν καὶ οὕτως ἐπὶ τῶν ἄλλων, Strabon, IX 3,8 p. 421,10 RADT). 37 GEORGES, 1994, 27 weist darauf hin, dass die Pythischen Spiele 582 eingerichtet wurden, und auch in den folgenden Jahren alle bezeugten Sieger nur aus Zentralgriechenland stammten. Auf die archäologischen Funde aus dem Orient geht er allerdings nicht ein.

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Nachbarschaft seit der Frühzeit vertraut, wenn auch die einzelnen Gottheiten in unterschiedlicher Weise rezipiert wurden.38 Es gibt zudem jedenfalls Spuren der Beziehungen des Orakels zur nichtgriechischen Welt: 39 Aus Delphi sind mehr orientalische Dreifüße als aus Olympia bekannt; sie erscheinen bereits in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts; es handelt sich um Ständer, auf denen bewegliche Kessel auflagen, die meist sehr spektakulär verziert waren (Rekonstruktion nur mit Hilfe eines Exemplars aus Olympia möglich). (Ein Exemplar vom Ende des 8. Jahrhunderts hat am Rand eine Inschrift in kyprischer Silbenschrift, der einzige Fund außerhalb von Zypern.)40 Eine Silberschale von 17,2 cm Durchmesser und 6 cm Tiefe und einer Rosette in der Mitte zeigt in dem umlaufenden Reliefdekor eine Festung, die von Bogenschützen verteidigt wird; die Angreifer, die bereits eine Leiter angelegt haben, sind ebenfalls Bogenschützen; einer von ihnen sitzt zusammen mit seinem Wagenlenker in einem von einer geflügelten Sphinx mit Pharaonenkrone gezogenen Wagen. Solche Schalen, die ägyptische, phönizische und assyrische Motive und Einflüsse aufweisen, waren im 7. Jahrhundert v. Chr. vom Orient bis nach Etrurien verbreitet; nach Rolley und Chamoux wurden sie in Zypern hergestellt.41 Aus Phönizien stammt offenbar eine ganze Reihe von Scarabäoiden, die auf den ersten Blick ägyptisch aussehen, aber die ägyptischen Motive sinnlos verwenden und ebenso Hieroglyphen in beliebiger Reihenfolge aneinandersetzen.42 Der spektakulärste Fund ist sicher die Elfenbeinstatuette, die 1939 unter dem Pflaster der Heiligen Straße westlich des Korintherschatzhauses gefunden wurde und in der Literatur meist unter der Bezeichnung „Löwengott“ abgehandelt wird. Sie misst mit der Basis 24 cm und war offensichtlich auf Vorderansicht gearbeitet, denn von den Seiten her ist sie sehr schmal, auf der Rückseite außer am Kopf nicht ausgearbeitet; zudem weist sie am Rücken ein Dübelloch auf, war also offensichtlich an einem größeren Gegenstand befestigt.43 38

KERSCHNER, 2006, 264: Im lydischen Pantheon hatte Artemis eine herausragende Bedeutung, während Apollons Rolle noch unklar ist und Athena erst im Hellenismus übernommen wurde. 39 MAAß, 1993, 134–136. KERSCHNER, 2006, 271 f. hat die lydischen Elfenbeinobjekte aus dem Artemision von Ephesos sowie das lydische Kultgeschirr aus dem Artemision und dem Athenaheiligtum von Smyrna zusammengestellt; von letzterem sind auch einige wenige Fragmente aus dem Hera-Heiligtum von Samos erhalten. 40 ROLLEY/CHAMOUX, 1991, 145.152; MAAß, 1993, 135 f. 41 ROLLEY/CHAMOUX, 1991, 156. 42 BISSING, 1912, 223: „Mitte 1. Jt. v. Chr.“. 43 SCHIERING, 2003; dazu KERSCHNER, 2006, 257; zum folgenden vgl. auch GLOSKIEWICZ, 1978; AMANDRY, 1991, 199–202; DE VRIES, 2002.

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Die Figur trägt einen kurzen Chiton und ein gegürtetes Himation, das vorne geteilt ist und die Beine frei lässt. Die Haare des Mannes sind in der Mitte gescheitelt; zwei Locken fallen nach vorn und enden in zwei verzierten Scheiben; er hat auffällig große, mandelförmige Augen, in denen Pupillen aus anderem Material eingesetzt waren. In der rechten Hand hält er einen Stab oder ein Zepter, die linke liegt auf dem Kopf eines meist als Löwen gedeuteten Raubtieres. Seit dem Fund sind Datierung, Herkunft und Deutung dieser Figur umstritten: Die Datierungen reichen von Anfang bis Ende des 7. Jahrhunderts, die landschaftliche Zuordnung von griechisch,44 ionisch, rhodisch mit starkem ionischen Einfluss bis zu phrygisch-lydisch.45 Die Mehrheit der Forschung tendiert heute zu einer Herkunft der Figur aus dem ostionischen Bereich, der starken orientalischen Einflüssen ausgesetzt war;46 zu der Deutung hat sich zuletzt ausführlich Gloskiewicz geäußert, der insbesondere die Deutung des Tieres als Löwe ablehnt und dafür die Löwendarstellungen der frühkorinthischen Vasenmalerei anführt, in der Löwen natürlich eine Mähne haben und erheblich muskulöser sind. Er hält das Tier für einen Panther, das Tier des Dionysos, weshalb er denn auch den Stab in der rechten Hand des Mannes als Thyrsosstab deutet. Diese Interpretation scheint mir allerdings kaum überzeugend, zeigen doch alle Darstellungen dieses Attributs den charakteristischen Pinienzapfen am oberen Ende; hier dagegen scheint eindeutig das obere Ende einer Lanze dargestellt zu sein.47 Mehr als dass es sich um eine orientalische Gottheit handelt, die Teil eines größeren Gegenstandes war, lässt sich derzeit wohl kaum sagen. Gerade die starke Annäherung der ionischen und lydischen Kultur und Kunst seit dem späten 7. Jahrhundert macht die Herkunftsbestimmung solcher Objekte besonders schwierig.48 Da es sich bei der Elfenbeinstatuette um eine (Möbel-)Applike gehandelt haben muss (siehe oben), wurde gelegentlich vermutet, es könnte eine Applike vom Thron des Midas gewesen sein, was aber Spekulation bleiben muss.49

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Als Hauptargument für einen griechischen Ursprung wurde in der Regel das Mäander-Motiv auf der Basis der Figur angeführt, aber SCHIERING, 2003, 59 zeigte überzeugend, dass dieser phrygischen Zinnenmäandern näher steht, wie auch die darunter angebrachte Bordüre aus hängenden Dreiecken eines der beliebtesten Motive der phrygischen Vasenmalerei ist. 45 Eine Übersicht bei GLOSKIEWICZ, 1978, 19 Anm. 2, und SCHIERING, 2003, 57. 46 GLOSKIEWICZ, 1978, 25 hält den Künstler für einen Griechen; AMANDRY, 1991, 199 f. hält sowohl einen griechischen wie einen einheimischen Künstler für möglich; für SCHIERING, 2003, 63 weisen die Feinheiten des Details auf eine Herkunft aus Phrygien. 47 GLOSKIEWICZ, 1978, 25. Nach SCHIERING, 2003, 61 sind sowohl die herzförmigen Ohren als auch das Andreaskreuz auf der Schulter des Tiers typisch für orientalische Löwen. Auch er bezeichnet den Gegenstand in der Hand der Figur als Lanze. 48 KERSCHNER, 2006, 277 f.; er schlägt daher vor, solche Objekte als „Gegenstände lydischen Typs“ zu bezeichnen. 49 DE VRIES, 2002; vgl. dazu SIMPSON, 2010, 10 mit Anm. 53.

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Es gibt auch einige wenige aus Ägypten stammende Artefakte, wie etwa die sogenannten „Tridacna-Muscheln“ aus weißem, ägyptischen Alabaster, die in mehreren kleinen Vertiefungen Metallreste aufweisen; sie waren offenbar ganz oder teilweise mit Gold überzogen, das mit Bronzenieten befestigt war.50 Man kennt nichts Vergleichbares aus Griechenland, wohl aber aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. aus Naukratis und aus Ninive.51 Ein Eimer aus schwarzem Granit entspricht in Form und Technik den ägyptischen Gefäßen der Saïtenzeit (7./6. Jahrhundert), also der Epoche des Pharaos Amasis.52

4. Die Intentionen der nichtgriechischen Fürsten in Delphi Wie lässt sich die auffällige Dominanz lydischer Weihgeschenke und lydischer Präsenz in Herodots Delphi-Erzählung erklären? Klees glaubte, dass Herodot hier den Barbaren vorführen wollte, der natürlich immer alles maßlos übertreibe: Er führt einen Orakeltest durch, um restlose Gewissheit zu erlangen, ist aber anders als die Griechen nicht fähig, die Sprüche der Pythia auszulegen; er wendet sich aufdringlich dreimal hintereinander an die Pythia, schickt dann maßlose, in ihrem Umfang eben ‚barbarische‘ Opfergaben, schließlich aber, nachdem die Unternehmung, deretwegen Kroisos das Orakel konsultiert hatte, in einem eklatanten Misserfolg endete, dann auch noch einen Boten nach Delphi, um den Gott anzuklagen.53 Parke und Wormell haben aber darauf aufmerksam gemacht, dass die lydischen Könige in der delphischen Tradition gut wegkommen; sie werden nirgendwo als Barbaren abgewertet. Der von Herodot beschriebene ‚Orakeltest‘ kann allerdings kaum der genuine Grund für die Weihungen gewesen sein, denn die Liste der konsultierten Orakel stammt offensichtlich aus Herodots eigener Zeit; gerade das Amphiareion hatte seine Blüte erst in klassischer Zeit, und Herodot nennt bezeichnenderweise keinen wirklich einleuchtenden Grund, weshalb Kroisos auch diese Orakelstätte mit Geschenken bedachte, obwohl doch Delphi den Sieg in seinem Test davongetragen hatte.54 Offensichtlich musste das Orakel von Delphi auf irgendeine Weise nachträglich eine Erklärung für die Großspenden des lydischen Königs, aber dann auch für dessen unrühmliches Ende finden, das bei Herodot als unausweichli50

BISSING, 1912, 222. PERDRIZET, 1896, 605. 52 BISSING, 1912, 223. 53 KLEES, 1965, 62–68; ähnlich auch GEORGES, 1994, 168 f. über Kroisos’ Begegnung mit Solon. 54 PARKE/WORMELL, 1956 I, 126 f.130–133; THONEMANN, 2016, 152–154; dazu oben S. 155 mit Anm. 2. 51

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che Vergeltung für die Vergehen des Gyges dargestellt wird.55 Herodots Version von Kroisos’ Beziehung zu Delphi wird oft als ‚Propaganda‘ der delphischen Priesterschaft dargestellt, aber Kai Trampedach hat gezeigt, dass etwa die lange Rede in Prosa (I 91), in der die Pythia auf die Vorwürfe des Kroisos antwortet und Apollon, von dem die Pythia in der dritten Person spricht, seine eigenen, früher gegebenen Worte interpretieren muss, das Orakel gar nicht in besonders gutem Licht erscheinen lässt.56 Was also wollten die Lyder in Delphi? Und ist es wirklich unwahrscheinlich, dass schon Gyges in der ersten Hälfte oder Mitte des 7. Jahrhunderts Weihgeschenke nach Delphi schickte?57 Die Beziehungen zwischen Lydien und Griechenland waren komplex, und man sollte sich stets vor Augen halten, dass Herodot die Ereignisse aus der Perspektive des mittleren und späteren 5. Jahrhunderts v. Chr. betrachtet. Es ist daher nötig, vermehrt den zeitgenössischen Kontext der bei Herodot prominent vertretenen lydischen Könige in den Blick zu nehmen, denn offensichtlich spielte Delphi für Reich, Herrschaft und Leben von Gyges, Alyattes und Kroisos eine wichtige Rolle.58 In I 6,2 bezeichnet Herodot Kroisos explizit als den „Ersten der Barbaren“, der eine aggressive Politik gegen die Griechenstädte in Kleinasien betrieben und sie tributpflichtig gemacht habe.59 Mit den Ioniern auf den Inseln schloss

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PARKE/WORMELL, 1956 I, 135 f. TRAMPEDACH, 2015, 396 f.; PARKE, 1984, 232 nahm an, dass die ‚delphischen Autoritäten‘ nach den Perserkriegen ihre Version der Ereignisse revidierten und die Legenden über die lydischen Könige schufen, die bei Herodot bewahrt seien. Die Fragwürdigkeit der verbreiteten Auffassung, Traditionen aus oder über Delphi seien ‚Propaganda‘ der dortigen Priesterschaft, wurde aber von TRAMPEDACH, 2015, 224 f. sehr deutlich gemacht: Zum einen erfreute sich diese angebliche ‚Propagandaliteratur‘ von Herodot bis Pausanias allgemeiner Glaubwürdigkeit, zum anderen sollte in Erwägung gezogen werden, dass die Glaubwürdigkeit und das Prestige von Delphi in archaischer und klassischer Zeit gerade auf seiner Unabhängigkeit und auf der ‚Unberechenbarkeit‘ der Pythia beruht haben könnten. Siehe in diesem Band ebenfalls Trampedach, unten S. 203–207. 57 Für KAPLAN, 2006, 143 f.150 diente das lydische Engagement in griechischen Heiligtümern der Beschaffung von Informationen über Griechenland oder der Anwerbung von Söldnern; ähnlich GEORGES, 1994, 27: „If Gyges had sought to cultivate a distant shrine in central Greece it would have been to advertise for mercenaries, not for oracular responses.“ PARKE, 1984, 220 sieht in Kroisos’ Weihungen an Apollon eine ‚Ausdehnung‘ seiner Verehrung für Artemis. 58 Vgl. dazu auch KERSCHNER, 2006, 259 f. 59 Vgl. auch Hdt., I 28, wo alle Völker westlich des Halys aufgezählt werden, die Kroisos unterwarf; die Tatsache, dass Kroisos seine immensen Eroberungen in einer recht kurzen Regierungszeit vollbracht haben sollte, während von der etwa fünfzig Jahre währenden Herrschaft seines Vorgängers Alyattes nur wenig bekannt ist, veranlasste ASHERI, 2007, 97 zu dem Kommentar: „Actually they were conquered by Alyattes, not Croesus.“ WALLACE, 2016, 174 weist aber darauf hin, dass sich diese Eroberungen sehr wohl alle mit 56

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Kroisos dagegen ein Freundschaftsbündnis (Hdt., I 27,5).60 Von den Städten des Festlandes bekamen Milet und Ephesos einen Sonderstatus; an dem von ihm später (siehe oben S. 157) reich beschenkten Artemision hatte der Lyderkönig schon vor seiner Thronbesteigung besonderes Interesse gezeigt: Als Kronprinz sollte er am Feldzug seines Vaters gegen die Karer teilnehmen, vermochte aber nicht genug Mittel für die Söldneranwerbung aufzubringen. Der lydische Großhändler Sadyattes in Sardes verweigerte ihm finanzielle Hilfe, da er Anhänger von Kroisos’ Stiefbruder Pantaleon war; Kroisos gelobte daher, der Artemis von Ephesos das gesamte Vermögen des Sadyattes zu weihen, wenn er König würde.61 Obwohl oft ein eher düsteres Bild der Folgen der Unterwerfung bzw. Tributpflichtigkeit der kleinasiatischen Griechenstädte gezeichnet wird, zeigen alle zeitgenössischen archäologischen und, soweit vorhanden, literarischen Zeugnisse – man denke an Sappho62 –, dass Ionien, vor allem Milet, unter der lydischen Oberhoheit eine Blütezeit erlebte.63 Lydien und insbesondere seine Hauptstadt Sardes wurden in Griechenland in erster Linie mit Reichtum und – durchaus erstrebenswerter – luxuriöser Kultur in Verbindung gebracht. Bereits Kroisos’ Vater Alyattes hatte nach zwölf Jahren Krieg einen Friedensvertrag mit der Stadt geschlossen (I 17–22). Er war erkrankt, nachdem sein Heer den Tempel der Athena Assesia in der Umgebung von Milet in Brand gesteckt hatte; die Pythia aber hatte seinen Gesandten, die das Orakel wegen der Krankheit befragen wollten, eine Antwort verweigert, solange er nicht den Tempel wieder aufbaue (I 19,2 f.), weshalb er in Milet um einen Waffenstillstand nachsuchte. Nach einer List der Milesier waren die Lyder zu einem Friedensvertrag bereit, und Alyattes baute der Athena sogar zwei Tempel (I 22,4). 64 Bereits der Vater des Kroisos also zeigte offensichtlich Respekt vor den griechischen Göttern. Der Friedensschluss fand 612/1 v. Chr. statt65 und ermöglichte vielleicht die Gründung des griechischen Emporions von Naukratis in Ägypten, die nach der Keramik in die Jahre 615–605 v. Chr. Kroisos in Verbindung bringen lassen, wenn man die von ihm vorgeschlagene längere Regierungsdauer (siehe oben S. 157 mit Anm. 6 und 7) annimmt. 60 HÖGEMANN, 1999, 858; FANTALKIN, 2014, 42 f. 61 Überliefert ist die Geschichte bei Nikolaos von Damaskus FGrHist 90 Frg. 65; dazu BÄBLER, 2012, 89–91. Nach KERSCHNER, 2006, 262 gehörten das Heiligtum von Ephesos und wahrscheinlich auch das von Didyma zu der Fraktion der Ostgriechen, die den späteren König Kroisos unterstützten. 62 Sappho, Frg. 16.96.98 VOIGT; dazu GEORGES, 1994, 25.41; KERSCHNER, 2006, 256. 63 FANTALKIN, 2006, 203; FANTALKIN, 2014, 35 f. (dort auch zu Heiraten zwischen Angehörigen der griechischen Elite, vor allem von Ephesos, und dem lydischen Königshaus). 64 Ein Tempel in Alessos wurde 1992/3 lokalisiert, und ein Keramikdepot des 7. Jahrhunderts v. Chr. mit der Zerstörung durch Alyattes in Verbindung gebracht, vgl. dazu KERSCHNER, 2006, 258. 65 Zur Chronologie FANTALKIN, 2014, 39.

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zu datieren ist.66 Vielleicht waren die Lyder an den Profiten der milesischen Händler mit Ägypten beteiligt. Neuere archäologische Forschungen haben jedenfalls gezeigt, dass es gerade die expandierende lydische Macht war, die den Ioniern den Markt in Ägypten und die Gebiete der Kolonisation im Osten öffnete.67 Die Kooperation der Mermnaden- und der Saïtendynastie, die den ägyptischen Markt für Milet zugänglich machte, kulminierte in dem Bündnis zwischen Kroisos und dem ägyptischen Herrscher Amasis. Auch Amasis ist in Delphi präsent, wenn auch nicht, wie in zahlreichen anderen griechischen Heiligtümern,68 mit Weihgeschenken: Er leistete einen bedeutenden Beitrag, als die Delpher Mittel sammelten, um ihren abgebrannten Apollon-Tempel wieder aufzubauen (II 180,2). Herodot widmet Amasis einen ebenso ausführlichen Logos wie Kroisos und Astyages, den letzten Königen der Lyder bzw. der Meder; bei allen handelt es sich um Herrscher, deren Reiche von den Persern erobert wurden: Daher hebt der Historiker deren Taten – griechenfreundliche Aktionen, darunter prominent die Spenden für Delphi – für sein athenisches Publikum besonders hervor: „... the greater the deeds of those barbarian rulers who were actually defeated by the Persians, the more important and unique the Greek victory“.69 66

Zu diesem möglichen Zusammenhang vgl. FANTALKIN, 2014, 40. So schon FANTALKIN, 2006, 203: „... it is cooperation rather than confrontation that we are witnessing here. In the East, via Egyptian connections, Lydian imperial ambitions opened the way to Greek mercenary penetration, followed by the establishment of Naukratis. In the North, it opened the way to the Ionian colonization of the Black Sea ... The role that East Greeks played on behalf of Lydian domination is much the same as that played by the Phoenicians on behalf of the Assyrians.“ Vgl. auch FANTALKIN, 2014, 39–42. – MIKALSON, 2003, 224 Anm. 36 lässt dieses komplexe griechisch-lydische Beziehungsgeflecht außer Acht, wenn er argumentiert, die Orakel an die Lyder hätten vor allem „intrabarbarian affairs“ betroffen. 68 Herodot gibt II 182,1 eine beeindruckende Liste der Weihungen dieses philhellenischen Herrschers: „... zum einen ein vergoldetes Standbild der Athena und ein gemaltes Bild von sich selbst nach Kyrene, zum anderen für die Athena in Lindos zwei steinerne Götterbilder und einen sehenswerten Panzer aus Leinen, ferner der Hera in Samos zwei hölzerne Bildnisstatuen von sich, die noch bis zu meiner Zeit in dem großen Tempelhaus standen, hinter den Türen.“ Vgl. dazu KAPLAN, 2006, 134 f.145 f.; CRAHAY, 1956, 229– 231. 69 FANTALKIN, 2014, 33. Diese Deutung liefert zum ersten Mal eine plausible Erklärung für das seit Beginn der Ausgrabungen von Naukratis bestehende Problem, dass die frühste griechische Keramik der Stätte 615–605 v. Chr. zu datieren ist, während es Herodot in II 178,1 Amasis, dessen Herrschaft erst 570 v. Chr. begann, zuschreibt, Naukratis den Griechen als Handelskolonie überlassen zu haben. FANTALKIN, 2014, 33 f. nimmt an, dass Herodot das frühere Gründungsdatum sehr wohl kannte, da er die Geschichte der Hetäre Rhodopis von Naukratis, die von Sapphos Bruder Charaxos freigekauft wurde, überliefert (II 135). Er habe dies aber bewusst ignoriert, um für die athenischen Zuhörer oder Leser 67

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Die geographische Lage Lydiens – jenseits der direkten Kontrolle des assyrischen Reiches, aber in unmittelbarer Nachbarschaft der Griechenstädte der Westküste Kleinasiens – legt es nahe, dass die Mermnaden seit Gyges Legitimation bei den Griechen und daher in griechischen Heiligtümern suchten;70 vermutlich in möglichst vielen, sowohl in Kleinasien wie auch in Griechenland selbst, was später im Fall des Kroisos zum ‚Orakeltest‘ umgedeutet wurde. Selbst wenn Herodot im Fall des Amphiaraos von Theben wirklich eine ‚falsche‘ Kroisos-Inschrift auf den Lyder-König bezieht, sind echte Weihgeschenke lydischer Herrscher auch in diesem thebanischen Heiligtum nicht ausgeschlossen. Um eine ideologische Basis für ihre imperiale Agenda zu schaffen, wurde von diesen Herrschern von Anfang an das Wohlwollen der berühmten griechischen Heiligtümer gesucht, unabhängig davon, wie harsch die Behandlung der Ionier ausfiel.

5. Fazit Die nichtgriechischen Weihungen in Delphi stellen ‚interkulturelle Transaktionen‘ dar, die in beide Richtungen funktionierten, von denen aber fast nur die griechische Interpretation auf uns gekommen ist, die zudem zu der Zeit, in der sie fixiert wurde, weit über hundert Jahre lang als mündliche Tradition im Umlauf gewesen war.71 Die andere Seite muss daher durch die Archäologie und eine genaue Betrachtung des Kontextes des 7./6. Jahrhunderts v. Chr. und der Folgen der lydischen Expansion ergänzt werden. Man muss daher nicht annehmen, die delphische Priesterschaft hätte zu Propagandazwecken alle möglichen von irgendwoher stammenden und nun im Heiligtum herumliegenden Gold- und Silbergegenstände im 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr. mit den Namen früher lydischer Könige versehen. Der Nutzen solcher Weihungen – auf der einen Seite Legitimation durch die griechischen Götter, auf der anderen Zugang zu Märkten in Ägypten und eine zunehmend überregionale Bedeutung und Reputation der Heiligtümer – war den Namen des Amasis sowohl mit der Gründung von Naukratis wie auch der Einrichtung des Hellenion (II 178,2) in Verbindung zu bringen und die glorreichen Taten des griechenfreundlichen Königs – der kurz vor der persischen Invasion starb, die sich eigentlich gegen ihn richtete (vgl. Hdt., III 1,2–5; 10,2; 16,1–2.5–6) – besonders hervorzuheben. Vgl. auch GEORGES, 1994, 170 f. zu Kroisos („a symbol of resistance to the Mede“). 70 Vgl. FANTALKIN, 2014, 37. 71 Vgl. dazu auch TRAMPEDACH, 2015, 254: „Generell war der historische Spielraum des Historikers umso größer, je weiter Adressatenkreis und Gegenstand seiner Geschichte auseinanderfielen. [...] Da die Orakelkonsultationen der lydischen Könige oder die Träume der persischen Könige nicht Teil einer identifikatorischen Erinnerung in Griechenland waren, konnte Herodot hier in dem kreativen Umgang mit dem mantischen Material weiter gehen und dessen narratives Potential vollends ausschöpfen.“

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für alle Beteiligten seit früher Zeit groß genug, um Herodots Bericht glaubwürdig zu machen.

What Did Delphi Have to Do with ‘Colonization’? Robin Osborne 1. Introduction: Earlier Studies on Delphi and Colonization It is peculiarly appropriate to be addressing the topic of Delphi and ‘colonization’ in 2017. For it is exactly one hundred years since Arthur Stanley Pease published his classic article ‘The Delphic Oracle and Greek Colonization’ in Classical Philology 12 (1917) 1–20. It is also exactly 60 years since George Forrest published his ‘Colonization and the Rise of Delphi’ in Historia 6 (1957) 160–75. And it is exactly 30 years since Irad Malkin published his Religion and Colonization in Ancient Greece (Leiden, 1987) the first two chapters of which are entitled respectively ‘The Founders of Colonies and Apollo’s Oracle’ and ‘Divination and Foundation’. Pease started, of course, from Cicero De Divinatione 1.3: “What colony has Greece sent into Aeolis, Ionia, Asia, Sicily, or Italy without an oracle from Pythia or Dodona or Ammon?”, drawing attention in his first footnote to oracular consultation being as staple a feature of colonies for Cicero as their coastal location (Cic., Rep. 2.9). He proceeded to note that Cicero was merely echoing Callimachus (Hymn To Apollo 55–96), and that the same observation would be made by Menander Rhetor (17, p. 442.14–21 Spengel) and by Celsus (Origen, Contra Celsum 8.45). He noted that the questions asked of the oracle are almost never preserved, and that there is a string of examples where the command to found a settlement is given to someone enquiring about something else, but that “Occasionally there are indications that the oracle was questioned after a site had been selected by the questioner” (5), citing Thucydides 3.92 on the Spartan foundation of Heraclea Trachinia. But Pease was primarily interested in the answers, surveying their range and then asking whether any answer could be considered authentic, whether the Delphic oracle did influence Greek settlement abroad, and why oracles about foundation might be invented. He announced that “We must at the outset adopt the only rational view, that barring the negligible element of chance coincidences, those oracles in which historic facts are foretold with exactness and detail are to be considered as composed after the events which they predict” (12–13 with a footnote to Hendess, 1882). He concluded that “To sum up, then, we may say that a closer examination reveals the impossibility of a large number of the oracles extant ever having been delivered before the

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events to which they relate; but nothing prevents us from supposing that the oracle was formally consulted to obtain confirmation of previously selected sites and leaders of colonies, and for directions as to the cults to be introduced” (20). Forrest wrote in reaction not to Pease, whose paper I believe he never mentions, but to Defradas’ Thèmes de la propagande Delphique of 1954. Forrest sought to show that the traditions of Delphic consultation were essentially accurate, whatever one thought of the detailed wording of the oracles given in that tradition. He did so by trying to show that the pattern of Delphic consultation that emerges from tradition made sense in terms of the events of the eighth and seventh centuries, and in particular of the pattern of interstate alliances formed in the context of the Lelantine War. That is, he argued that it could not be coincidence that Corinth and Chalkis are recorded as consulting Delphi about founding settlements abroad and that Megara and Eretria are not.1 He suggested that “It was perhaps an accident that Korinth, and through her Chalkis, began to seek the approval from an unimportant sanctuary in the territory of Kirrha”, and that initially “The Pythia’s words were no more than a divine rubber stamp set on the decisions already reached in Korinth or Chalkis”, but that since “The colonies went and prospered”, “Apollo came to be regarded as more and more indispensible for any allied colonial move” and that in consequence “no doubt he [Apollo] did learn a lot about sites and markets and so on, enough to make Delphi something of an information centre” (173–4). He maintained that “at the beginning it is surely true that colonisation was far more responsible for the success of Delphi than Delphi for the success of colonisation. Colonisation could not be anything but a success, the god who was associated with it could not but get the credit” (174). Malkin noted Pease’s “good introductory monograph” (18, a remarkable description of a 20-page article), recorded him as “on the whole sceptical about foundation oracles”, but never engaged with his work. He similarly noted Forrest’s “sensibly demonstrated” view that “colonization did more for the spread of Delphoi’s influence and prestige than Delphoi itself did for colonization” (19) before drawing attention to Forrest’s thinking Delphi not important before the eighth century. His own treatment of the Delphic oracle and foundation gradually ceases to show any interest in the distinction between what might be historical and what might be invented in foundation traditions, instead simply giving a description of the nature of the tradition – though increasingly implying that the traditions are essentially historical: “The geographical directions given to the oikist in those oracles with claims to authenticity [not further specified] provided a divine authority in topographical terms. The colonists would thus know the exact area which was 1

497.

But for Megara cf. the traditions about Byzantium: PARKE/WORMELL, 1956 II, no.

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granted them. It was the delegated responsibility of the oikist to find the place, and, once there, to identify it precisely” (91). He is quite happy, however, also to dismiss features as invention: “Foundation traditions sometimes emphasized the oikist less as a representative of the mother-city and more as an independent person.... this feature of colonial foundation traditions probably reflects the enhancement of local patriotism since the emphasis was shifted away from the mother-city to the colonists themselves” (91). Study of Delphi and ‘colonization’ did not stop thirty years ago with Malkin, of course. What has happened since has been nothing short of a revolution in approach. Beginning with the work of Carol Dougherty, scholars with an interest in the telling of stories (that is both scholars of literature and historians) have got interested in what Delphic oracle stories do as narratives. Rather than focusing on the historical moment at which the oracle was supposedly given, scholars have focused on what telling the story of that oracle having been given did – the things that it emphasised, and the things that it elided. Dougherty’s own work drew attention to the general ‘plot’ of crisis, Delphic consultation, and resolution by settlement in a particular place that oracle stories involved, and emphasised in particular the way that the crisis involved violence, and the way in which the intellectual work of matching the oracular statement to a particular location, sometimes involving bilingual riddles, turned the colonial foundation into an intellectual exercise and act of cultural appropriation rather than an act of violent expropriation of others’ territory.2 Politics leads the way in Dougherty’s reading of stories of settlement abroad, as it tends to do in other discussions of foundation stories as stories, most obviously in Naoíse Mac Sweeney’s work – both her 2013 monograph Foundation Myths and Politics in Ancient Ionia and her 2015 edited collection Foundation Myths in Ancient Societies: Dialogues and Discourses. But other scholars have pointed out that stories about Delphi also necessarily provide ways of thinking about fate and fortune and about the relationship between what people do and the consequences. Thus Calame has emphasised the ‘moral coherence’ of foundation stories featuring Delphi, and Kindt that fate and human agency are made to complement each other in these stories.3 In parallel with this revolution in understanding of oracle stories, the nature of the supposed colonizing phenomenon has been questioned. The questioning has taken two particular forms. On the one hand the ‘state enterprise’ model assumed by Forrest – who, breathtakingly, at one point in his 1957 article simply declares, without argument, that “The [Lelantine] war arose out of colonising activity” (turning it into a sort of proto-World War I) – has been challenged particularly in favour of taking more seriously the possibility that 2 3

DOUGHERTY, 1992, 1993b, 1993b; RAPHALS, 2013, 308. CALAME, 1990, 278; KINDT, 2016, 44.

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Archilochus’ participant observation that “the scum of all Hellenes ran down to Thasus” might have been more generally true, both for demographic and for political reasons.4 On the other hand, the invariability of Delphic consultation in settlement foundation or stories of settlement foundation – the claim going back to Callimachus from which Pease began – has been pointed out to be unwarranted by the evidence: Jonathan Hall has pointed out that, far from it being the case that “every foundation story had to have its oracle”, as John Graham claimed, or asking the blessing of Pythian Apollo being “part of the ritual of founding a colony”, as Dunbabin had maintained, of the 27 foundations in Sicily and Southern Italy only five feature Delphi in their foundation stories.5 These two revisionist traditions are importantly linked, since scholars have both taken ‘colonization’ to require states, and taken the needs of states to require Delphi: Catherine Morgan, in her 1990 discussion in Athletes and Oracles: the Transformation of Olympia and Delphi in the eighth century B.C., concluded, in large part on the back of oracles about settlement abroad, that “oracular divination at Delphi was instituted towards the end of the eighth century as a tool to help the authorities of emerging states to deal with unprecedented problems” (184).

2. Questions to Be Asked Where has this recent work left us? The big questions we need to ask are: What do stories about the consultation of the Delphic oracle by some of those establishing settlements in new locations imply about the Delphi oracle? What do stories about the consultation of the Delphic oracle by some of those establishing settlements in new locations imply about the establishment of new settlements? I take those questions to involve first answering the following: 1) Who do the stories indicate to have consulted the Delphic oracle about establishing settlements in new locations? 2) When do the stories indicate that those establishing settlements in new locations started consulting the Delphic oracle?

4

SNODGRASS, 1994, 2 for demography; OSBORNE, 1996/2009, 1998, 2016 for politics. HALL, 2008, 400 quoting GRAHAM, 1982, 144; DUNBABIN, 1948, 38. PEASE, 1917, 2– 3 already noted that there was a strong German tradition of scepticism, including Holm, Busolt, Hiller von Gaertringen and Beloch, about Delphi’s role in Greek settlement abroad, but this was based on doubting the stories that were told, rather than observing how rare those stories were. 5

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3) Why do the stories indicate that those establishing settlements in new locations consulted the Delphi oracle? 4) What effect do the stories indicate that the consultation of the Delphic oracle by those establishing settlements in new locations have?

3. Who Consulted? Forrest’s answer to who first consulted about settlement was Corinth and Chalcis.6 Certainly we have traditions of a Delphic response that sent Archias of Corinth to Syracuse (PW 2, FQ 27, Paus., 5.7.3), and separately of Archias and Myscellus consulting Delphi about founding settlements and being told where to settle after they had indicated what they hoped to achieve by settlement (wealth, in the case of Archias, health in the case of Myscellus) (PW 229, FQ 31, Strabo, 6.2.4). We also have traditions of a dekate of Chalcidians being told by Delphi to settle at Rhegium (and of Messenian exiles being told to join them) (PW 371, 370, FQ 33, 32, Diod., 8.23.2, Strabo, 6.1.6), and of Perieres and Crataemenes disputing after which of them their settlement should be named and being told after neither (PW 384, FQ 42, Callimachus, Aet. 2 fr. 43.67–78 Pf.). But it is notable about all these stories that it is the individuals involved – Archias, Perieres and Crataemenes, the Chalcidian dekate, the Messenian exiles – who are responsible for the consultation, not Chalcis or Corinth. This is the pattern in other examples too – not just the other stories about Myscellus and Croton (PW 43, 44, 45, FQ 28, 29, 30) but stories of Leucippus of Sparta (PW 454, FQ 39), Phalanthus of Sparta (PW 525, 526, 46, 47, FQ 36, 34, 35, 38), and Antiphemus and Entimus of Rhodes (PW3, FQ 40). Whatever we think about these traditions, they none of them betray ‘state consultation’. It is also worth asking who does not consult. In what is sometimes seen as the model for ‘colonization’, the establishment by Alcinous’ father of a new site for the Phaeacians, away from the nuisance of the Cyclopes, there is no suggestion of oracular consultation (Odyssey 6.4–10). Forrest made it central to his case that although Eretria, Megara and Miletus “were all colonising vigorously at the time” (167), “There is not a single story – not even a false one – to connect any of these settlements with Delphi. There is not a single story to connect any of the mother cities with Delphi” (167). Again “there is none for Sybaris or its colonies Poseidonia and Metapontion. There is no trace of any connection between Chios and Delphi. Nor is there anything certain for Erythrai” (168). Forrest wanted to see a significant pattern here. 6 In the discussion which follows PW is used to refer to the numbered evidence assembled in Volume 2 of PARKE/WORMELL, 1956; FQ refers to the numbered catalogue of questionable oracles in FONTENROSE, 1978.

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Londey in his ‘Greek Colonists and Delphi’ from 19907 listed just 15 “colonies” (Syracuse, Rhegium, Zancle, Croton, Tarentum, Gela, Thasus, Byzantium, Cyrene, Abdera, Elaeus, Alalia, Heraclea Pontica, Thracian Chersonese, Dorieus’ failed settlement) from between 750 and 500, associated with just 12 mother-cities (Corinth, Chalcis, Achaea, Sparta, Rhodes/Crete, Parus, Megara, Thera, Clazomenae, Teus, Phocaea, Athens), for which oracular traditions exist. Even those of us who do not buy Forrest’s pattern, have to take seriously that even having a story about a Delphi-sanctioned foundation was evidently not important for many settlements. But Forrest’s question arguably remains worth asking, albeit in a different form: why is it that oracle stories cluster around episodes of settlement foundation for which men from Corinth and Chalcis claimed responsibility?

4. When Did They First Consult? If we turn to the question of date, what is of interest is not the date attached to the stories, but the date at which we first find Delphi associated with settlements abroad outside the stories. Fontenrose is correct to find that in the form that they have been transmitted none of the oracles about establishing a new settlement supposedly dating to the eighth and seventh century can be genuine.8 But external evidence is scant. What has repeatedly been drawn attention to, the peculiar status of the cult of Apollo Archegetes at Naxus attested by Thucydides (6.3.1), who states that theoroi sacrifice there before leaving Sicily, is less than conclusive proof of any special link between the Delphic oracle and settlement abroad. What that cult argues for most strongly is an association between Apollo and settlement abroad, with Apollo’s epithet being exactly the term that can be used for the founder of a settlement (Ephorus, FGrHist 70 F 118, from Strabo, 8.5.5). But that Apollo’s leadership is exercised through his oracular capacity is shown neither by the title nor by the activity associated with the cult. Apollo’s role in the Greek city was not limited to his oracular activity, and we should not so limit it. What we can note, as is regularly noted, is that by the time that Herodotus comes to retell the story of Dorieus of Sparta’s failure to establish a settlement abroad, failure to consult the Delphic oracle in advance can be reckoned a significant omission. Herodotus observes that Dorieus sought to lead off a group of Spartiates to form a settlement abroad “neither having consulted the oracle at Delphi as to which land he should go to settle, nor having done any of the customary things” (Hdt., 5.42.2). Herodotus is actually not including consulting Delphi among the customary things, but it is clear from what he 7 8

LONDEY, 1990b. This observation was essentially already made by PÖHLMANN, 1914, 55, n. 4.

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says that failure to consult Delphi could be held against those who attempted to found new settlements if those settlements failed. However, it is notable that when Dorieus does consult the Delphic oracle (Hdt., 5.43) it is to check whether the advice that he has had, based on an oracle of Laius, is good advice: he asks whether he will take the land for which he is setting out, he does not ask what land he should set out for. None of this helps us give anything precise by way of a date at which consultation of Delphi became regular. That is plausibly because there was no precise date. The value of citing a Delphic oracular opinion about founding a new settlement will have increased along with the value of citing a Delphic oracular opinion on anything else. There will have been some communities – Sparta being an obvious case because we know that it had officials, the Pythioi, who had particular responsibility for Delphic oracles – in which Delphic consultations carried great weight; plausibly there were others where they did not, or not to the same extent. The absence of records of consultations of Delphi over settlement in the fourth and third centuries has been noted by Parker; plausibly the circumstances of city founding were now such that not having Delphic approval was less of a problem.9

5. Why Did They Consult? As my discussion of date has indicated, and as Pease already stressed, what Delphi above all offered was authorisation.10 Such authorisation was equally useful to claim both at the time of making a settlement abroad, and subsequently. But did Delphi offer more? As we have seen, Forrest toyed with the idea of Delphi as an information bank, and Malkin in 1987 toys with the possibility that precise geographical information may not be a sign of inauthenticity but a feature of authentic oracles, though maintaining that “the true role of geographic directions in foundation oracles” is “not so much to provide practical advice but to sanction and authorize both the route and the identification of the site itself”.11 Belief in Delphic oracles as conveying detailed geographical information goes with a particular model of how Delphi operated.12 Faced with a tradition which rarely reports questions and regularly gives elaborate answers, scholars have attempted to explain how such elaborate answers might have been given, and have invented a whole stage in oracular delivery for which the ancient 9

PARKER, 1985, 306–307. The abundant evidence for Athenian foundations where there was no Delphic consultation is ignored by BOWDEN, 2005, 119–121. 10 Cf. ROSENBERGER, 2001, 69–78. 11 MALKIN, 1987, 47 of the oracles concerned with the foundation of Croton. 12 Cf. the useful succinct discussion in BAUMGARTEN, 1998, 17–25.

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sources give no evidence.13 In fact, as scholars have variously seen but rarely articulated loudly enough, the elaboration of the answers should be attributed not to this unattested interference with the Pythia’s responses but to the careful elaboration of the question by those who were consulting. As the famous question asked by Xenophon when he intended to accompany Cyrus, about what god to pray to in order best to accomplish the enterprise he had in mind (Xenophon, Anabasis 3.1.5) or the question of Dorieus (Hdt., 5.43) shows, and as comparative evidence from oracles known to anthropologists supports, those who consult themselves determine the response by the terms of their question. Faced with a positive answer to his question of whether he will gain the land for which he is setting out, Dorieus was then in a position to report that the Pythia had told him to take Heraclea. In as far as Malkin is correct in thinking that geographical detail might sanction or authorise an act of settlement it is because it sanctions and authorises the terms which the consultant has put to the oracle.

6. What Effect Did Stories of Delphic Oracles Have on ‘Colonization’? So did Delphi have any influence on ‘colonization’? Did ‘colonization’ have any impact on Delphi? Nothing that I have said actually stands in the way of Forrest’s view that settlement abroad was a winner, and that by backing it Delphi stood to gain reputation. Settlement mobility is a striking feature of eighth-century Greece, with a series of once major settlements abandoned, and new settlements formed. We have no way of knowing how many attempts at settlement failed almost immediately, but the number may have been significant. New settlements offered potentially significant gains, but at non-trivial risk. Unlike the risks of crop failure, where there was little anyone could do, or of war, which might well be unavoidable, the risks of moving to a new settlement were entirely optional. Few individuals would have had lives so intolerable that they had no choice but to move – though political discord could indeed make life too hot to handle. For most who joined in with settlement initiatives, there had to be a weighing up of possible gains against possible losses. Anyone recruiting others to join them needed all the persuasive devices they could muster in order to show that the gains were plausible, the risks negligible. Getting divine support in such a case was a no-brainer; getting the most prestigious divine support possible came to involve getting support from Delphi. Forrest must be right that there was a virtuous circle 13 Compare MALKIN, 1987, 91: “Subsequent inquiries from the colony about the identity of the oikist [...] illustrate that Apollo did not vie for the position and that naming him oikist was a last resort for the Delphic priesthood [...]”

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here – settlements that claimed that their successful foundation had been on Delphic advice increased the standing of that advice, and the standing of Delphic advice made it easier for the next consultant to recruit to the next settlement and important for the next settlement to claim that Delphi had been consulted. But the role of stories of consultation about settlement abroad as precedents for later decisions to seek Delphic authorisation only throws into relief the discrepancy between the individuals, who consult Delphi in the case of early settlements, and poleis who are responsible for the consultations reported in the fifth century – as in the Spartan consultation over Heraclea Trachinia (Thuc., 3.92.5) or perhaps the Athenian consultation over Amphipolis (Polyaenus, Strategemata 6.53). If polis consultation was the standard classical practice, the early stories nevertheless generally resisted adaptation to that norm, though the double tradition about Cyrene (Hdt., 4.150–158) nicely reveals the temptations of a city laying claim to be mother of another settlement to tell a story in which the settlement had been their initiative, and equally the attractions to the settlement in resisting that version in favour of its own individual founder.14 Nothing suggests that, beyond perhaps making it easier to recruit settlers, Delphi had any influence on the form, pattern, or nature of Greek settlement abroad. If Delphi ever advised against settling elsewhere we do not hear of it, and there is no sign that settlements established on Delphic advice chose different locations from those established without Delphic advice. Contrary to Robert Parker’s assertion in 1985, it is ridiculous given our evidence, “to suppose that Delphi caught the mood of a colonising age, and sometimes suggested the possibility of colonisation to states that had not yet considered this particular ‘release from evils’”.15 Even more ridiculous is it to claim that “The geographical directions given to the oikist in those oracles with claims to authenticity provided a divine authority in topographical terms. The colonists would thus know the exact area which was granted them. It was the delegated responsibility of the oikist to find the place and, once there, to identify it precisely”.16 What Delphic oracle stories arguably achieve was to affect both the morality and the theology of settlement abroad. Being able to claim that Apollo had given backing to a settlement, and had even giving backing to a particular site, was potentially important if settlement met resistance. That is the lesson of Dorieus, as well as implicit in the structure of the stories, as Dougherty has emphasised. What is more, carrying out settlement under the aegis of a god 14

I have set out my own views of this widely discussed episode in OSBORNE, 1996/2009, ch. 1. 15 PARKER, 1985, 306. 16 MALKIN, 1987, 91.

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put the gods at the heart of settlement; although we do not know whether the settlement at Brea established by the Athenians in the 430s was established after consultation of Delphi, the surviving inscription certainly makes much of the need to sacrifice in advance, respect pre-existing sacred places, and establish a proper religious relationship with Athens.17 Delphic oracle stories had made it impossible to ignore the interest of the gods in any new settlement that was established.

7. Conclusions Where does this leave our big questions? As will have become apparent, there seems to me to be nothing in the stories of oracles about settlement abroad that requires detailed advice to be produced in the response that it is not plausible to think was included in the question. Equally, there is nothing in the stories that suggests that what we have in these stories of early consultations is consultation by poleis disguised as consultation by individuals. Arguably the oracles should be seen as the response to individuals who are seeking Apolline backing for decisions they have already taken to gather followers and settle in a particular new location. Despite Cicero, there were very large numbers of settlements founded without consultation of Delphi in advance. Forrest overdid the degree to which the evidence is patterned, but the distribution of consultation traditions does seem distinctly non-random, and it is entirely plausible that potential leaders of settlements from cities where others before them had consulted Delphi before going out successfully to found new settlements were particularly inclined to follow the example of their successful predecessors. What re-examination of Delphi and Greek settlement abroad emphatically does not do, is to suggest that the rise of Delphi and the rise of the Greek state were mutually implicated. Morgan’s suggestion that it was the needs of early states that effectively created the Delphic oracle rests on an uncritical adoption of the model of the foundation of settlements abroad as an act of ‘colonization’, that is acts of settlement planned and executed by political communities in the Greek heartland, and is a good demonstration of how misleading the term ‘colonization’ is. When even the stories told later put the emphasis on the individual founder, not the state, taking responsibility for oracular consultation and settlement foundation, the grounds for rejecting the Archilochean model of opportunist settlement are weak. Individuals required oracular support much more obviously than political communities, which could muster some compulsion to ensure that the community will was executed. We should think that it is the pattern of individual consultation that 17

OSBORNE/RHODES, 2017, no. 142; MALKIN, 1987, 155–160.

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forms the pattern for state consultation, not the reverse. Although it is easy to see that the decision by an individual to recruit others and go form a settlement elsewhere will have itself been a catalyst to stronger community organisation at home, and therefore that settlement abroad and state formation go together, there is no reason to give priority to state formation. Whether or not its role in answering questions about settling abroad played an important part in boosting the reputation of the Delphic oracle, Delphi did not need state formation. But did its role in answering questions about settling abroad boost Delphi’s reputation? Intriguing here are the implications of the changing relationship of cities in the Greek heartland to settlements abroad. There is no doubt that cities in the Greek heartland came to lay claim, with varying degrees of insistence, to ‘mother’ status in relation to cities in which people from their own city had settled, a relationship which those settled outside the Greek heartland often welcomed. But in claiming ‘mother city’ status, the cities of the Greek heartland acquired a back-history of Delphic consultation that arguably changed their own relationship with Delphi. We might wonder whether the pattern of formal city consultations of Delphi in the classical period, intermittent though it remains, was actually a product of cities feeling they needed to follow the example which was given by the individual consultations in earlier times. If ‘colonization’ did not see the rise of Delphi as an oracle, the process of turning those settlements abroad into colonies may have played a significant part in transforming Delphi, as far as Greek poleis were concerned, into the oracle.18

18 I am grateful to Balbina Bäbler and Heinz-Günther Nesselrath for their kind invitation to the conference in Göttingen at which an earlier version of this paper was given, and to all present on that occasion for their friendly engagement.

Die Legitimität des delphischen Orakels1 Kai Trampedach 1. Was heißt hier ‚Delphi‘? Im Rahmen der griechischen Geschichte wird das Wort ‚Delphi‘ allzu oft als Leerformel verwendet. Oswyn Murray schreibt beispielsweise in seiner immer noch lesenswerten Einführung in die Geschichte des archaischen Griechenland: Delphi was wrong about Croesus’ power to defeat Persia; thereafter she habitually counselled submission at a time when Greeks wanted to be encouraged to resist. It was perhaps this consistent betrayal of Greece which caused contemporary politicians to become more rationalist, and to manipulate the oracle to their own ends. By the close of the archaic period she had lost much of her political power, though not her religious influence over individuals.2

Einmal ganz abgesehen von der Beliebigkeit solcher Behauptungen, auf die ich noch zurückkomme: Was heißt hier eigentlich ‚Delphi‘? Das bleibt bei Murray ebenso offen wie in zahllosen anderen Beiträgen der modernen Forschungsliteratur, die sich auf die Überlieferung über das Orakel von Delphi beziehen. So behauptet Michael Scott in seiner Monographie über Delphi von 2014: „Delphi was, without a doubt, a major player in the ancient world by the mid-sixth century BC.“3 Häufig werden in diesem Zusammenhang auch „die delphischen Priester“ oder „die delphische Priesterschaft“ bemüht. Werner Dahlheim formuliert diese Annahme besonders unverblümt: „Bei der Priesterschaft in Delphi fragte man regelmäßig an, wenn es galt, Ziel und Ausstattung eines Kolonistenzuges festzusetzen“; an anderer Stelle schreibt er: „Insbesondere die einflußreichen Priester des delphischen Apoll ließen jedermann wissen, daß Widerstand gegen die persische Großmacht sinnlos sei.“ 4 Doch ist die Annahme haltlos, denn nach dem übereinstimmenden Bericht sämtlicher Quellen wurde im Apollon-Heiligtum von Delphi der Gott 1

Der folgende Beitrag beruht, streckenweise wörtlich, auf meinem Buch über die griechische Mantik und versucht, die darin unter der Überschrift „Medialität und Legitimität“ sowie „Übermittlung und Überlieferung“ angestellten Überlegungen (TRAMPEDACH, 2015, 179–257) für die hier gewählte Fragestellung fruchtbar zu machen. 2 MURRAY, 1980, 231. 3 SCOTT, 2014, 89; vgl. dens., 75.82 f. 4 DAHLHEIM, 1992, 117. 162; vgl. dens., 58.

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befragt, der wiederum durch den Mund der Pythia antwortete. Von einer „delphischen Priesterschaft“ ist in diesem Zusammenhang niemals die Rede.5 Kein einziger antiker Text legt auch nur nahe, dass irgendjemand anderes als die Pythia die Orakelantworten erteilte.6 Nun glauben moderne Altertumswissenschaftler – und hier möchte ich mich ausdrücklich einschließen – nicht an Apollon; sie müssen die Orakel anders denn als göttliche Offenbarungen erklären. Von einer ‚delphischen Politik‘ ließe sich trotzdem nur dann reden, wenn die Verlautbarungen Apollons zu bestimmten Gegenständen (wie Koloniegründungen, Fragen der Herrschaft und inneren Ordnung von Poleis oder den Beziehungen zu den Persern) einem konsistenten politischen Kalkül folgten. Irad Malkin gehört zu den relativ wenigen Autoren, die nolens volens anerkennen, dass ein solches Kalkül nicht einfach gedankenlos unterstellt werden darf. Gleichwohl kann man seinen Umgang mit dem Problem bestenfalls als ‚rhetorisch‘ bezeichnen, wie die folgende Reihe von Fragen zeigt, mit denen er seinen 1989 erschienenen Aufsatz ‚Delphoi and the Foundation of Social Order in Archaic Greece‘ einleitet: [...] how should the modern historian of the archaic period evaluate the policy or politics of the Delphic oracle? Was there a ‚policy‘ at all? Was it, in our terms, ‚opportunistic‘, ‚conservative‘, or ‚progressive‘? In other words: did Delphoi simply react to situations ad hoc trying to get the most benefit out of them? Or was it consistently trying to restrain and recommend adherence to old ways, advising against reform or even revolution? Or, conversely, did Delphoi consistently encourage change and innovation, supporting the agents of the new social order?

Zwei Seiten weiter ermahnt sich Malkin noch einmal zur Vorsicht: [...] our own ideas about what precisely ‚Delphoi‘ was are too vague and this vagueness must limit the depth of our inquiry. It was probably not the Pythia but the ‚Men of Delphoi‘ who directed its policy. However, while we cannot be certain about the personalities at the oracle and their manner of making decisions on policy, we do know how Delphoi communicated or acted in numerous cases.7

Eine bestimmte Politik Apollons haben freilich, wie gegen Malkin eingewandt werden muss, weder Zeitgenossen noch spätere antike Berichterstatter wahrgenommen. Außerdem dürfte – selbst abgesehen von der Glaubwürdig5

ROUX, 1971, 55 f., weist darauf hin, dass „die Priester des Apollon in der gesamten Literatur bis zu den Schriften des Plutarch nicht ein einziges Mal erwähnt werden“. Im Übrigen scheinen sich hinter der Rede von der delphischen Priesterschaft häufig anachronistische Vorstellungen zu verbergen; vgl. JACQUEMIN, 1995, 30: „’Le clergé delphique‘ est d’ailleurs une expression chère à tous ces travaux, quoiqu’elle soit déjà en soi peu heureuse, puisqu’il n’existe pas à Delphes de clercs séparés des laïcs par une consécration. Les prêtres y sont en effet des notables comme les autres.“ 6 MAURIZIO, 1995, bes. 69–72; MAURIZIO 1997, 314. 7 MALKIN, 1989, 129. 131.

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keit der Überlieferung und ihrer Bewertung – die Zahl der überlieferten Fälle angesichts der Länge des in Rede stehenden Zeitraums bei weitem nicht ausreichen, um, wie es Malkin versucht, ‚Delphi‘ auf den Feldern von innerstädtischer Reform, Kolonisation und Tyrannis eine konsistente Haltung zuzuschreiben.8 Während Malkin von dem Vorgang der eigentlichen Orakelerteilung vollkommen absehen zu dürfen glaubt, berücksichtigt Anne Jacquemin, den Quellen entsprechend, die zentrale Rolle der Pythia. Doch statt Sprachrohr Apollons zu sein, sei die Pythia, so Jacquemin, Sprachrohr von häufig einander bekämpfenden Honoratiorenparteien in Delphi gewesen. Die Pythia semble bien avoir été au cœur d’intrigues politiques et avoir été soumise à l’influence des puissants de la cité. […] Il faut donc admettre que la Pythie donnait caution divine à des décisions humaines et que les circonstances seules faisaient que certaines approbations paraissaient moins apolliniennes que d’autres. Au gré des humeurs des notables delphiques, elle a médisé, laconisé, atticisé, béotisé, philippisé, étolisé. Sauf cas exceptionels, on ne lui en a pas tenu rigueur.9

Für die erstaunliche Feststellung, mit der Jacquemin ihre Ausführungen beendet, gibt sie keine Erklärung. Warum nahmen die Griechen der Pythia ihre angebliche Parteilichkeit nicht übel? Warum wären sie und die anderen Klienten des Orakels so einfältig gewesen, um unter Einsatz von viel Geld und Zeit in Delphi Göttersprüche einzuholen, die in Wirklichkeit von delphischen Priestern oder Honoratioren, noch dazu womöglich aus eigennützigen Motiven, verfasst wurden? Auf diese Fragen gibt es keine befriedigende Antwort. Die Annahmen von Murray, Scott, Dahlheim, Malkin, Jacquemin und all den anderen Anhängern einer ‚delphischen Politik‘ überzeugen deswegen nicht, weil sie, zugespitzt formuliert, aus den Delphern – wie immer sie jeweils diese Gruppe fassen, ob als Notabeln oder Priester oder schlicht als Bürger – Betrüger und aus den Griechen und den anderen Klienten des Orakels Dummköpfe machen. Dass Betrug auch in Delphi vorkam, ist bekannt und wurde bereits von Zeitgenossen wahrgenommen und skandalisiert.10 Die bekannten Fälle wurde von allen 8

PARKE/WORMELL, 1956 I, 40, die in der Geschichte Delphis ebenfalls ausreichende Spuren einer konsistenten Politik finden wollen, halten Delphi dabei für „a generally conservative force“ (PARKE/WORMELL, 1956 I, 114). Dagegen glaubt MALKIN eine ‚progressive‘ Ausrichtung ‚Delphis‘ erkennen zu können (1989, 152: „consistency of the support for change“). Dass das Orakel wichtige (politische, soziale und kultische) Veränderungen sanktionierte, verweist keineswegs zwingend auf eine bewusst kalkulierende Politik, sondern entspricht einer generellen Funktion des Orakels und ergibt sich einfach aus dem Überlieferungsinteresse der Quellen; vgl. OSBORNE, 1996, 205. 9 JACQUEMIN, 1995, 36. 10 Für die Zeit vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. verzeichnen die Quellen vier tatsächliche, angebliche oder vergebliche Bestechungsfälle: 1. durch die Alkmeoniden (Hdt., V 63,1; 90,1, VI 123,2); 2. durch den Spartanerkönig Kleomenes (Hdt., VI 66,2–3); 3.

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Beteiligten demnach gerade als Ausnahmen angesehen, welche die Legitimität der Orakelkonsultation als solcher nicht beschädigten. Die – in Aussagen moderner Sekundärliteratur über das delphische Orakel meist implizite – Betrugsthese setzt dagegen voraus, dass der Betrug einer kleinen Gruppe von Betrügern wie delphischen Priestern oder mächtigen Bürgern Delphis gleichsam ‚in Fleisch und Blut‘ übergegangen war, während der Rest der Welt davon jahrhundertelang nichts bemerkt hätte. Diese Vorstellung ist nicht nur gruppenpsychologisch – mit Blick auf die delphische Priester- oder Bürgerschaft – unwahrscheinlich, sondern auch hinsichtlich der Rezipienten absurd, denn da die Griechen bekanntlich an allen Ecken und Enden Betrug witterten und eine beträchtliche institutionelle Kreativität entwickelten, um Verfahren gegen Manipulationen abzusichern, wäre ihnen ein systematischer Betrug in Delphi zweifellos irgendwann aufgefallen. Dementsprechend ist vor der Zeit der späten römischen Republik keine einzige Quellenäußerung bekannt, die die Legitimität des Orakels von Delphi grundsätzlich bezweifeln würde.11 Dieser Befund lässt die Rede von einer delphischen Politik als Phantom erscheinen, dem ich zunächst eine emische Perspektive entgegensetzen möchte: „Niemals“, so lässt Cicero seinen Bruder Quintus in De divinatione die Glaubwürdigkeit des delphischen Orakels verteidigen, „wäre jenes Orakel in Delphi so beansprucht und so angesehen gewesen, niemals vollgestopft mit so vielen Gaben von Völkern und Königen aller Länder, wenn nicht jede Generation die Wahrheit jener Orakel erfahren hätte.“ 12 Diese Aussage, die mir unabweisbar erscheint, evoziert die Fragen: Wie lässt sich das von (Quintus) Cicero angeführte Argument verstehen? Von welchen Bedingungen hängt die Selbstverständlichkeit des Legitimitätsglaubens ab, den die Griechen der archaischen und klassischen Zeit dem Orakel von Delphi entgegenbrachten? Aus welchen Elementen setzt sich die Glaubwürdigkeit des Orakels zusammen? Um Antworten zu finden, werde ich folgende Themenfelder in den Blick nehmen: die Konsultation (2), das Medium (3) und die Botschaft (4). Auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen aufbauend, werde ich versuchen, die Mechanismen der Überlieferung zu erklären (5), um schließlich von einem eti-

–––––––––––––––––––––––– durch den exilierten Spartanerkönig Pleistoanax (Thuc., V 16,2); 4. durch den Spartaner Lysander (Diod., XIV 13,2–4; Plut., Lys. 25,3). Vgl. PRICE, 1985, 142 f.; MAURIZIO, 1995, 72. 11 Cic., Div. II 115–118 ist der früheste überlieferte Text, der die Glaubwürdigkeit des Orakels von Delphi grundsätzlich in Frage stellt. Vorläufer dieser Haltung sind in hellenistischen Philosophenschulen, vor allem unter Epikureern und Skeptikern, anzunehmen. 12 Cic., Div. I 37 (übers. v. Ch. Schäublin): numquam illud oraclum Delphis tam celebre et tam clarum fuisset neque tantis donis refertum omnium populorum atque regum, nisi omnis aetas oraclorum illorum veritatem esset experta.

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schen Standpunkt aus die Bedeutung und Funktion des Orakels in der griechischen Politik besser einschätzen zu können (6).13 Ohne nähere Untersuchung setze ich zweierlei voraus, nämlich: 1. die mantische Prämisse, dass nach dem Selbstverständnis der Beteiligten eine Kommunikation zwischen Göttern und Menschen grundsätzlich möglich ist und regelmäßig stattfindet, und 2. die delphische Prämisse, dass das ApollonHeiligtum in Delphi ein bevorzugter Ort für eine solche Kommunikation ist. Die Mantik als solche – mithin den Glauben von Menschen in verschiedenen kulturellen Kontexten, dass ihnen Götter symbolisch und sprachlich gefasste Botschaften übermitteln – und die Frühgeschichte des Orakels von Delphi – wie es dazu kam, dass ihm diese überragende Bedeutung zugemessen wurde – werde ich also nicht thematisieren.

2. Die Konsultation Über den genauen Ablauf einer Orakelkonsultation in Delphi gibt es leider keine zeitgenössischen Beschreibungen. Dafür könnte es zwei Gründe geben: Entweder besaßen die Griechen der klassischen Zeit eine selbstverständliche Kenntnis von Funktionsweise und Methoden des Orakels, die unseren Quellenautoren umständliche Ausführungen zu diesem Thema überflüssig erscheinen ließen. Oder es hinderte sie eine religiöse Scheu oder fromme Zurückhaltung, die mit einer Orakelkonsultation verbundenen Rituale auszubuchstabieren. Wie dem auch sei: Die Überlieferung vermittelt jedenfalls nur indirekte und beiläufige Informationen, die stets mit spezifischen Fällen der Orakelbefragung verbunden sind. Dabei bietet Herodot mit Abstand das reichhaltigste Material.14 Aber auch Herodot beschreibt nur außergewöhnliche Vorgänge genauer und erwähnt die gewöhnlichen Umstände einer Konsultation allenfalls mit der Formel τὰ νοµιζόµενα. Was in der Natur der Sache liegt, bestätigt diese Formel, dass nämlich die Befragung des delphischen Orakels einem regulären Verfahren folgte, dass also auch in diesem Fall ‚Legitimität durch Verfahren‘ erzeugt wurde.15 Tatsächlich stand der Gott in Delphi stets nur zu bestimmten Zeiten für eine Befragung zur Verfügung. In der spätarchaischen und klassischen Epoche ruhte der Orakelbetrieb vermutlich während der drei Wintermonate. In der übrigen Zeit konnte der Gott normalerweise einmal im Monat befragt werden, 13 Das Wort „Orakel“ verstehe ich hier gemäß seiner ursprünglichen doppelten Wortbedeutung, wonach oraculum ebenso wie seine griechischen Pendants χρηστήριον und µαντεῖον sowohl den Orakelspruch als auch die Orakelstätte bezeichnen. 14 Vgl. COMPTON, 1994; PRICE, 1985, 131–141. 15 Daher erregen außergewöhnliche Abweichungen von der Regel bei unseren Quellenautoren besondere Aufmerksamkeit: vgl. z.B. Hdt., VII 140,1–2; Plut., Def. or. 51, 438b.

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wahrscheinlich am siebten Tag jedes Monats (dem Geburtstag Apollons) und bei einer großen Besucherzahl auch am nächsten und ggf. am übernächsten Tag.16 An solchen Tagen brachten die Delpher als Betreiber des Heiligtums Apollon ein gemeinsames Tieropfer (die πρόθυσις) im Namen aller Befrager dar. Das Gelingen dieses Befragungsopfers war, wie insbesondere Plutarch am Beispiel einer gescheiterten πρόθυσις klarmacht, für eine erfolgreiche Konsultation von allergrößter Bedeutung. Dabei waren die Anforderungen an ein Gelingen höher als bei anderen Opfern.17 Vor der eigentlichen Befragung musste also geklärt werden, ob der Gott zur Kommunikation mittels der Pythia überhaupt bereit war. War dies, wie gewöhnlich, der Fall, betraten die Fragesteller in Begleitung eines delphischen proxenos und eines Kultfunktionärs (prophetes), nach einer festgelegten Reihenfolge, die in Delphi durch gewisse Vorrechte (promanteia) und das Los bestimmt wurde, den Tempel. Unmittelbar vor dem Betreten des Tempels wurde die Gebühr – der pelanos, ein Opferkuchen, der einen festgesetzten Preis kostete – von den Fragestellern auf dem Altar geopfert. Damit nicht genug, mussten sie im Tempel vor dem Hinabsteigen zur Pythia ins Adyton einen Teil eines Opfertieres oder ein ganzes Opfertier auf den heiligen Tisch legen. Diese Gaben dienten natürlich auch (und de facto vor allem) dem Unterhalt des Heiligtums und seiner Betreiber, waren aber zugleich an den Gott, von dem man eine günstige Antwort erhoffte, adressiert. Danach stiegen die Fragesteller in das Adyton des Tempels hinunter und setzten sich nieder. Die Pythia saß dort bereits auf ihrem Dreifuß. Der Konsultant stellte nun seine Frage, und die Pythia antwortete. Der Vorbereitung und Einstimmung auf die eigentliche Befragung dienten vor allem die Opfer. Mit der πρόθυσις wollten die Delpher an einem Befragungstag die Bereitschaft Apollons erwirken, mittels der Pythia auf die Anliegen der Klienten einzugehen. Weitere Opfer, die sich unter Umständen auch an Athena Pronaia und andere in Delphi verehrte Gottheiten und Heroen richteten, vollzogen die Klienten vorher jeweils für sich, wie sich aus der Abgabe von Opferfleisch vor dem Betreten des Adyton ergibt. Solche Opfer hatten vielleicht eine Sühnefunktion und sollten die Konsultanten vor der Befragung des Gottes von etwaiger Schuld reinigen, denn der Erfolg einer Konsultation war nicht nur von Apollon und der Pythia abhängig, sondern auch, wie in Texten über das Orakel immer wieder betont wird, von der richtigen Einstellung der Konsultanten, denen insbesondere ethische und intellektuelle Fähigkeiten wie Ehrfurcht, Vorsicht und Klugheit zugutekamen. Außerdem sorgten die Befragungsrituale dafür, dass die Konsultanten mit wich-

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Vgl., auch für das Folgende, AMANDRY, 1950, 81–114; ROUX, 1971, 71–87; BOW2005, 17 f.; SUÁREZ DE LA TORRE, 2005, 18–21; SCOTT, 2014, 12–21. 17 Plut., Def. or. 435b–c.437a–b.

DEN,

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tigen Delphern in Kontakt kamen und sich institutionelle und persönliche Beziehungen anbahnen konnten.18 Die Fragen lassen sich, grob gesagt, in drei Gegenstandsbereiche einteilen: res publicae, res domesticae und res divinae. Beschränkungen im Hinblick auf Themen, die Struktur der Fragen oder die Art des Fragens gab es offenbar nicht, denn alternative Fragen: Sollen wir X oder Y tun? – oder einfache Fragen: Zu welchem Gott sollen wir beten, damit unser Unternehmen erfolgreich verläuft? – sind ebenso überliefert wie offenere Fragen: Was sollen wir tun, damit wir Erfolg haben? Wie können wir die feindliche Invasion überleben? Was muss ich tun, damit mir der ersehnte Stammhalter geboren wird?19 Die Offenheit des Fragehorizontes trug auch zur Legitimität bei, denn sie verwies auf die Allwissenheit Apollons (bzw. des Zeus, als dessen Sprachrohr und Interpret Apollon fungiert).20

3. Das Medium Die Quellen der klassischen Zeit beschreiben die mediale Funktion der Pythia in weitgehender Übereinstimmung. Demnach wurde die Pythia während der Befragung meistens als „Gott“ oder „Herr“ (anax) angesprochen, d.h. sie wurde in dem rituellen Rahmen nicht als autonome Person angesehen; der Konsultant adressierte seine Frage an Apollon, der wiederum meistens in der ersten Person antwortete und sich somit als Urheber des Orakels identifizierte. Dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend wurden die Äußerungen der Pythia daher als unverfälschte, durch das Medium nicht kontaminierte Botschaften des Gottes betrachtet. Dementsprechend behauptet die Pythia in den Eumeniden des Aischylos, bei ihrem ersten überlieferten Auftreten in der griechischen Literatur, von sich selbst: µαντεύοµαι γὰρ ὡς ἂν ἡγῆται θεός (Aeschyl. Eum. 33) – in der Übertragung von Peter Stein zutreffend interpretiert: „Denn ich spreche aus, was der Gott in mir erregt.“ Ähnlich bestimmt Euripides in der Tragödie Ion das Verhältnis der Pythia zu Apollon: „Es thront auf dem heiligen Dreifuß die delphische Frau; sie verkündet den Griechen singend die Rufe, die Apollon ertönen läßt.“21 Eine ‚funktionierende‘ Pythia bleibt daher anonym; beim eigenen Namen wird sie in den Quellen fast nur im Zusammenhang mit Skandalen oder außergewöhnlichen Ereignis18

Diesen Aspekt der Konsultation betont insbesondere JACQUEMIN, 1995, 32 f., überzeugend. 19 Vgl. FONTENROSE, 1978, 438–442. 20 Hom. Hymn. Merc. 468–472.533–540; Hom. Hymn. Apoll. 132; Aeschyl., Eum. 19; vgl. Hdt., VII 141,3. 21 Eur., Ion 91–93: θάσσει δὲ γυνὴ τρίποδα ζάθεον Δελφίς, ἀείδουσ’ Ἕλλησι βοάς, ἃς ἂν Ἀπόλλων κελαδήσῃ.

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sen genannt.22 In Zeiten erhöhter Nachfrage konnten mehrere Pythien gleichzeitig im Einsatz sein: Plutarch berichtet, dass sich in der Glanzperiode des Orakels (im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr.) zwei Pythien und eine Vertreterin die Aufgabe teilten.23 Um ihre besondere Aufgabe in der Kommunikation zwischen dem Gott und den Menschen erfüllen zu können, mussten sich die Pythien, wie andere Orakelmedien auch, einer strengen Körperdisziplin unterwerfen. Dass sie (auf eine nicht mehr näher zu ermittelnde Art und Weise) aus der weiblichen Bürgerbevölkerung Delphis ausgewählt wurden, ist klar.24 Weniger klar erscheinen Alter und Vorleben der ausgewählten Frauen.25 In jedem Fall sollten sexuelle Enthaltsamkeit, strenge Abgeschlossenheit und zahlreiche Vorschriften, etwa hinsichtlich der Nahrung und der Kleidung, die rituelle Reinheit der Pythien gewährleisten. Sie wohnten getrennt von ihren Familien in einem eigenen Haus, offenbar im Inneren des Heiligtums.26 Verschiedene Rituale bewirkten und veranschaulichten, dass die Pythia den Gott in sich aufnahm: „das Kauen von Lorbeerblättern, Trinken des heiligen Quellwassers, Berühren des Dreifußes und andere Mittel, unter denen in späterer Zeit die Dämpfe aus dem χάσµα genannt werden“.27 In der Nacht vor einer gewöhnlichen Befragung musste die Pythia anscheinend auf einer Liege schlafen, die mit Lorbeerstreu ausgelegt war.28 Ebenso wie der Lorbeer kein Rauschmittel im materiellen Sinne sein konnte, sondern als Symbol der göttlichen Inspiration (ἐπίπνοια) zu verstehen ist, hatte das in Delphi späterer Überlieferung zufolge angeblich aus der Erde quellende πνεῦµα keine physischen Auswirkungen, sondern veranschaulichte ein symbolisches wie psychologisches Geschehen, nämlich die Übertragung göttlicher Kraft von der Erde in einen

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Hdt., VI 66,2–3 (Perialla); VII 140,1 (Aristonike); vgl. FAUTH, 1963, 518 f. Plut., Def. or. 8, 414b; vgl. PARKE/WORMELL, 1956, 35 f. 24 Bei Eur., Ion 1323 sagt die Pythia von sich: πασῶν Δελφίδων ἐξαίρετος, womit sowohl ein Wahl- als auch ein Losverfahren gemeint sein kann. Vgl. AMANDRY, 1950, 116; SUÁREZ DE LA TORRE, 2005, 30 f.; JOHNSTON, 2008, 40–44; vgl. ferner den Beitrag von Scheer im vorliegenden Band, oben S. 109–112. 25 In hellenistischer und römischer Zeit, und vielleicht auch schon früher, war die Pythia nicht notwendigerweise eine unberührte Frau, aber in jedem Fall lebte sie enthaltsam und wurde mit den Symbolen der Jungfräulichkeit ausstaffiert: PARKE/WORMELL, 1956, 35; FAUTH, 1963, 543 f. Vgl. im vorliegenden Band Scheer, oben S. 100–107. 26 Nach Plut., Def. or. 51, 438c achten die delphischen Priester darauf, „dass der Leib der Pythia rein von geschlechtlichem Verkehr und ihr Leben vom Umgang mit Außenstehenden völlig unberührt bewahrt wird“. 27 FEHRLE, 1910, 84; vgl. ROUX, 1971, 112–134. Alle genannten Mittel finden sich auch an anderen Orakelstätten; selbst für die Erdspalte gibt es im Trophonion bei Lebadeia und im Orakel von Klaros eine Parallele. 28 Call., Frg. 194, 26 f. (Pfeiffer = Asper 154); vgl. ROUX, 1971, 117; JOHNSTON, 2008, 42 f. 23

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Menschen.29 Außerdem dienten Lorbeer und Pneuma als kathartische Elemente im mantischen Ritual wie auch der Trunk des heiligen Wassers und das Bad in der kastalischen Quelle. In diese Reihe gehört schließlich der Dreifuß, den die Pythia vor der Konsultation bestieg und auf dem sie ihre Inspiration empfing – als Symbol Apollons, als Ort, an dem sich die göttliche Kraft manifestierte, weshalb das Medium eine direkte körperliche Verbindung herstellte. Im psychologischen Sinne lassen sich die genannten Gegenstände und Handlungen als ‚Erweckungsmittel‘ charakterisieren, denn sie waren überaus geeignet, die Phantasie der Pythia auf ihrem Weg in die selbstinduzierte Ekstase zu stimulieren.30 Mit der Ekstase nähern wir uns dem Kern der Sache, denn Lebenswandel und Rituale beschreiben zwar notwendige, aber noch keineswegs hinreichende Bedingungen der Legitimität eines Orakelmediums; ein besonderer Bewusstseinszustand muss hinzutreten, wenn ein Mensch glaubwürdig als Medium göttlicher Botschaften fungieren will. Einen Bewusstseinszustand dieser Art zeigte auch die Pythia während der Konsultation. In Platons Phaidros verwendet Sokrates den Begriff „Wahnsinn“ (µανία), um weibliche Medien bei der Orakelerteilung – außer der Prophetin in Delphi nennt er die Priesterinnen in Dodona und die Sibylle – zu charakterisieren;31 θεοφόρητος („von Gott getrieben“), ἔνθεος („gottvoll“), πλήρης θεοῦ („von Gott erfüllt“), ἐνθουσιαστικός („enthusiastisch“), ἐπίπνους („angehaucht“, „begeistert“), κάτοχος (im passiven Sinne „besessen“, „begeistert“) sind Attribute, mit denen der gleiche Sachverhalt in anderen Texten bezeichnet wird. Dem zeitgenössischen Verständnis gemäß stehen die Medien während der Orakelsitzung also unter der Einwirkung eines Gottes; für die Dauer der Einwirkung verlieren sie ihre menschliche Vernunft, ihre Persönlichkeit, ihre Individualität; die „Besessenheit“ oder der „Wahnsinn“ äußert sich freilich nicht durch extreme Verhaltensweisen und auffällige Körperbewegungen (wie Augenrollen oder unwillkürliche Zuckungen einzelner Glieder) oder eine durchgehend unverständliche Sprechweise (etwa Glossolalie), sondern im Aussehen und in der Sprache, und zwar sowohl in der Art des Sprechens als auch in Form und Inhalt der Mitteilung. Die berühmte Trinkschale aus Vulci zeigt Themis in der Rolle der Pythia während der Befragung körperlich ruhig und in sich gekehrt; literarische Repräsentationen entsprechen diesem Bild.32 Ihr stimmlicher Ausdruck könnte, wie fiktive Analogien nahelegen, auffällig gewesen sein, dergestalt, dass sie mit ‚fremder‘, schallender Stimme die Worte des 29

Zum πνεῦµα µαντικόν und zur ἐπίπνοια vgl. FEHRLE, 1910, 85–89; ROUX, 1971, 141–144. Vgl. im vorliegenden Band Engster, unten S. 479–504. 30 Vgl. FLOWER, 2008b, 226; FAUTH, 1963, 525–527, hier 526: „Die Vorstellung der physischen ‚Gotterfülltheit‘ bildet einen bedeutenden seelischen Reizwert, der die Ekstase auszulösen vermag.“ Vgl. im vorliegenden Band Ustinova, oben S. 124–126.131. 31 Plat., Phaedr. 244a–b; vgl. Plat., Tim. 71e. 32 Vgl. MAURIZIO, 1995, 79.

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Gottes hervorstieß.33 Mehr als über die ‚performance‘ läßt sich über die Botschaft sagen.

4. Die Botschaft 4.1. Versform Nicht wenige Forscher halten alle überlieferten Versorakel für Fälschungen.34 Wenn man von der Wahrnehmung der Zeitgenossen ausgeht, trifft paradoxerweise beinahe das Gegenteil zu: Die Versform war ein Aspekt, der zur Glaubwürdigkeit von Orakelsprüchen jedweder Art und Herkunft wesentlich beitrug. Diese Aussage gilt verstärkt für Orakel, die wie in Delphi an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit unter bestimmten Umständen (während einer Konsultation) entstanden. In der Ekstase sollten die griechischen Orakelmedien die Sprache der Götter sprechen. Diese Sprache musste sich von der gewöhnlichen Sprache der Menschen unterscheiden. Daher sprachen oder sangen die Medien ihre Botschaft meistens in Versen. Prosa-Antworten, vor allem zu Fragen des Kultes, kamen auch vor, waren aber bis weit ins 5. Jahrhundert hinein offenbar Ausnahmen. Die literarisch überlieferten Antworten in Prosa geben häufig nur Paraphrasen oder Zusammenfassungen, die die ursprüngliche Versform oft noch erkennen lassen.35 Dass den Pythien im Laufe des 4. und 3. Jahrhunderts ‚die Sprache der Götter‘ abhanden kam, wurde von Zeitgenossen als Symptom des Niedergangs verstanden.36 Noch in der römischen Kaiserzeit betrachtete der delphische Priester Plutarch die zu seiner Zeit ganz überwiegend in Prosa formulierten Orakel als schwerwiegendes Problem für das Ansehen von Delphi und rechtfertigte sie durch die Schrift ‚Warum die Pythia jetzt nicht mehr in Versen weissagt‘. Ungeachtet seiner eigenen Überlegungen brachte er damit die fortbestehende allgemeine Erwartung zum Ausdruck, dass ‚richtige‘ Orakel eigentlich in Versen verfasst sein mussten.37 Seit alters her waren daher auch Orakelsprü33

Analoge Figuren, die nach dem Muster der Pythia gestaltet wurden, sind vor allem die Sibylle (Heraklit DK 22 B 92) und Kassandra (Aeschyl., Ag. 1035–1330): vgl. MAURIZIO, 1995, 85 f.; TRAMPEDACH, 2015, 195–199. 34 Z.B. AMANDRY, 1950, 167 f.; FONTENROSE, 1978; BOWDEN, 2005, 33–38; BONNECHERE, 2013; BEERDEN, 2013. 35 Vgl. z.B. Hdt., IV 163,2–3; V 79,1; VI 34,2; VII 169,2; Thuc., V 16,2. Zwei berühmte Orakelparaphrasen Herodots erscheinen in der späteren Überlieferung in Versform: Hdt., I 53,1 bei Aristot., Rhet. III 5, 1407 a 38; Hdt., VII 178,1 bei Clem. Al., Strom. VI 3,29. 36 Vgl. Theopomp (FGrHist 115), Frg. 336; Cic., Div. II 116; Strab., IX 3,5; Plut., Pyth. or. 19 f., 403e–404b. 37 Plut., Pyth. or. 7, 397d; 17, 402b. In Delphi bemühte man sich in der Zeit nach Plutarch, diesen Erwartungen wieder unmittelbar gerecht zu werden, wie die Renaissance von Versantworten im 2. Jahrhundert n. Chr. verrät, die gleichzeitig mit den Erneuerungs-

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che, die auf einen göttlichen Ursprung außerhalb der Orakelstätten zurückgeführt und in Büchern gesammelt wurden, grundsätzlich in Versen gehalten. Mehr noch als bei den an sich schon ehrwürdigen Orakelstätten trug in diesen Fällen die Versform dazu bei, den Botschaften Autorität zu vermitteln. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren griechische Orakel im Versmaß des daktylischen Hexameters abgefasst. Der Hexameter war nicht nur als ideales Mittel dichterischer Gestaltung und Übermittlung ‚göttlich‘, sondern stammte nach zeitgenössischer Vorstellung von Gott und galt als die Form, die Götter ihrer Sprache in der Kommunikation mit den Menschen gaben. Dementsprechend war nach einer vermutlich bis in die frühe Zeit zurückgehenden Vorstellung Apollon der Urheber des Hexameters. Naheliegend ist daher die Annahme späterer Autoren, dass die Sprache der Götter zum ersten Mal von der ersten Pythia zum klanglichen Ausdruck gebracht wurde. Diese Frau, die den Namen Phemonoë („die das göttliche Wort kennt“) erhielt und auch als Tochter Apollons galt, sang demnach den ersten Hexameter.38 Die Dichter, die ihre Inspiration ebenfalls von den Göttern herleiteten, folgten sozusagen dem Legitimitätsmuster der Orakel.39 Durch den Gebrauch des Hexameters bekundeten sie ihren Anspruch, eine göttliche Perspektive auf das menschliche Treiben einzunehmen; dadurch gewannen sie eine Position über dem Geschehen, die es ihnen erlaubte, mit ihren Geschichten zwischen Menschen und Göttern zu vermitteln und ruhmvolle, erinnerungswürdige Taten mit der erwünschten désinvolture zu besingen. Durch Wortrhythmus, Versrhythmus und Sprachmelodie gab der Hexameter den Orakelbotschaften ein einheitliches Gepräge. Dazu traten spezifische Eigenheiten, bestimmte Formeln und Strukturen, um deren Erforschung sich vor allem Joseph Fontenrose verdient gemacht hat.40 Besonders typisch waren Eröffnungsklauseln mit konditionaler Aussage („wenn ... dann“: ἀλλ’ ὁπόταν [...] καὶ τότε δή), mit einem warnenden Hinweis („beachte!“, „hüte Dich!“: φράζεο, φράζευ, φράζου), mit einer den Charakter der Botschaft vorweg–––––––––––––––––––––––– versuchen des delphischen Heiligtums in der hadrianischen Epoche auftritt; vgl. FONTENROSE, 1978, 193–195. In die gleiche Richtung weisen die inschriftlich erhaltenen Ritualgesetze in metrischer Form: vgl. PETROVIĆ, 2006, 151–179, bes. 168: „The divine authority of the oracular sacred regulations has the metrical form as its vehicle and a distinct set of contextual characteristics.“ 38 Plut., Pyth. or. 17, 402d; Paus., X 5,7–9; Philostr., Ap. VI 10.11 (214.221 Kayser); Strab., IX 3,5; Plin., Nat. X 7; Schol. Eur. Or. 1094. 39 Insbesondere FERNÁNDEZ DELGADO, 1985 und 1991, hat auf die unübersehbaren Spuren hingewiesen, die die Orakelsprache in der archaischen Dichtung hinterlassen hat; namentlich Hesiod, die homerischen Hymnen, Theognis, Tyrtaios, Heraklit, Parmenides, Empedokles und natürlich Pindar offenbaren deutliche Affinitäten zum Orakelstil. Schließlich erscheinen Hexameter auch in Tragödie und Komödie, um Orakel oder orakelhafte Redeweisen zu kennzeichnen. 40 Vgl. FONTENROSE, 1978, 166–193.

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nehmenden Begrüßung („o Elende!“, „o Glückliche!“: ὦ µέλεοι, ὄλβιε, εὐδαίµων) oder mit einer Tatsachenfeststellung („es gibt“: ἔστι τις, εἰσίν). Den konventionellen Charakter dieser Eröffnungsformeln enthüllte Aristophanes, der sie in seinen Komödien immer wieder parodiert. Ebenso konventionell waren die sechs Strukturmerkmale, die Fontenrose für die griechische Orakeldichtung herausgearbeitet hat: 1. die Begrüßung des Fragestellers; 2. die Wiederholung der Frage; 3. die Versicherung der mantischen Autorität, häufig durch den Verweis auf den Gott als Orakelautor; 4. die Nennung einer unabdingbaren Voraussetzung, die gegebenenfalls die Umstände oder Anzeichen der Erfüllung anführte; 5. die eigentliche Botschaft, entweder als Weissagung oder als Anordnung, d.h. als Befehl, Empfehlung oder Verbot; 6. die Erklärung oder Verdeutlichung der Botschaft, die vor Ungehorsam warnte und gelegentlich aphoristisch oder gnomisch formuliert war. Diese Komponenten traten in beliebiger Reihenfolge, in allen möglichen Kombinationen und selten vollständig zusammen auf. Daher hatte die Orakeldichtung eine bestimmte und zugleich flexible Struktur, die sie von anderen Formen der Dichtung unterschied. 4.2. Spontaneität Die Orakelkonsultation war, ebenso wie beispielsweise die Opferschau, eine Form der provozierten Mantik. Gleichwohl konnte bei einer Orakelbefragung auch Spontaneität eine gewisse Rolle spielen. Denn nach Ausweis relevanter Quellen agierten griechische Orakelmedien trotz des rituellen Rahmens gelegentlich spontan und gaben damit vor, einem unmittelbaren Impuls des Gottes zu folgen. So bewies die Pythia während der Konsultation zur Überraschung aller Beteiligten wiederholt ihre Spontaneität, und zwar auf folgende Weise: – durch eine Verweigerung der Antwort;41 – durch eine Antwort, die der Frage zuvorkam;42 – durch eine Antwort, die die Frage ignorierte und um die der Fragesteller nicht nachgesucht hatte;43 – durch eine Antwort, die den Fragesteller gar nicht betraf, sondern einen Dritten, Abwesenden;44 – durch einen ergänzenden Aufruf ohne Bezug zur Frage, der entweder an alle Griechen oder an die Fragesteller einer bestimmten Polis gerichtet war;45 41

Hdt., I 19,3; vgl. Strab., IX 3,11 (aus Ephoros). Hdt., I 65,2–3; V 92,2; VII 140,1; vgl. Plut., Garr. 20, 512e. 43 Hdt., IV 150,3; IV 155,3; IX 33,2; vgl. Diod., VIII 17,1; Thuc., V 32,1; Isocr., Or. 6,17. 44 Hdt., VI 19,2; VI 77,2. 45 Hdt., IV 159,2–3; V 63,1–2; Thuc., V 16,2; Paus., V 21,5. 42

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– durch die Annahme oder Verweigerung eines begrenzten Dialogs mit dem Fragesteller.46 Diese Verhaltensweisen, die in den Texten häufig mit dem Adjektiv αὐτόµατος und dem Verb αὐτοµατίζειν charakterisiert wurden, mögen Ausnahmen gewesen sein, gehörten jedoch zum akzeptierten Bild der Pythia und wurden nicht nur von Herodot, sondern etwa auch von Thukydides, Isokrates und Diodor beschrieben; dass sie dem Publikum des Historikers plausibel erschienen sein müssen, zeigen auch mythische Konsultationen wie die des Ödipus. 47 Die Spontaneität steigerte unter Umständen die legitimatorische Bedeutung einer Orakelantwort und mag deshalb in einzelnen Fällen erfunden worden sein. Auf der anderen Seite lässt sich das Motiv nur erfinden, weil es mit verbreiteten Gottesvorstellungen übereinstimmt und den formalen Rahmen einer Orakelbefragung nicht sprengt.48 Nach Plutarch antizipierte die Pythia manchmal auch durch eine spontane Äußerung die Frage des Konsultanten, „denn der Gott, dem sie dient“ – so sagt ein alter Vers, der an ein bei Herodot überliefertes Orakel erinnert – „versteht den Stummen und hört den Schweigenden“.49 Indem man den menschlichen Medien die Möglichkeit einer spontanen Antwort zuschrieb, betonte man die Unberechenbarkeit und Unkontrollierbarkeit der Botschaft – als zusätzliches Merkmal göttlicher Inspiration. Deshalb ist es kein Wunder, dass das Phänomen in den durch das Befragungsritual vorgegebenen Grenzen angeblich auch bei der mantischen Kommunikation an den Orakelstätten beobachtet wurde. Wie die sprachliche und semantische Gestalt und Struktur gehörte die Spontaneität zu denjenigen Eigenschaften, die dem Orakel von Delphi Glaubwürdigkeit verliehen. 4.3. Mehrdeutigkeit Ebenso wie an der dichterischen Form haben nicht wenige Forscher an der Mehrdeutigkeit von überlieferten Orakeln Anstoß genommen. 50 Dagegen zieht das gleiche Argument wie im Fall der Verse: Wie ist zu erklären, dass 46

Hdt., IV 150,3; IV 155,4. Soph., OR 788–793. Besonders prominent ist der Fall von Kyrene, in dem in der gesamten Überlieferung die Spontaneität, mit der die Pythia den Stadtgründer designierte, hervorgehoben wird: Pind., P. 4,60; Hdt., IV 150,3; IV 155,3; MEIGGS/LEWIS, 1969, no. 5, Z. 24; Call., Frg. 671 (Pfeiffer = 439 Asper). 48 Und dies nicht nur in Delphi, denn Herodot beispielsweise schreibt ein spontanes Verhalten auch dem Orakelpriester von Didyma (I 159,3–4; vgl. Heracl. Pont., Frg. 50 Wehrli) und dem πρόµαντις des Apollon Ptoos in Boiotien (Hdt., VIII 135,2) zu. PARKE/WORMELL, 1956 I, 34 erklären die zitierten Fälle ohne stichhaltige Begründung zu „unhistoric instances“. 49 Plut., Garr. 20, 512e; vgl. Hdt., I 47,3. 50 Siehe oben Anm. 34. 47

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in der griechischen Literatur von Homer bis Plutarch und Pausanias die Mehrdeutigkeit als ein Wesensmerkmal vieler Orakelantworten erscheint,51 wenn die Pythia (ebenso wie andere Orakelmedien) in Wirklichkeit nie mehrdeutige Botschaften ausgesprochen hat? Soll man Ambiguität und Obskurität als rein diskursive Phänomene ohne jeglichen Bezug zur mantischen Praxis der Griechen verstehen? Freilich: Anders als Zeichen müssen sprachliche Götterbotschaften nicht interpretationsbedürftig sein. Tatsächlich zeigen anthropologische Vergleiche, dass sie es in den meisten Fällen nicht sind. Die israelitischen und assyrischen Propheten beispielsweise sprechen meistens eine klare Sprache. Auch in Griechenland sind viele Orakelbotschaften, besonders zu kultischen und privaten Angelegenheiten, eindeutig. Allerdings sind dort eben auch viele Antworten mehrdeutig, so dass die Mehrdeutigkeit seit frühester Zeit als ein wichtiges Charakteristikum der Orakelsprache galt. Heraklit und Theognis beschreiben die mantische Kommunikation in Delphi mit dem Verb σηµαίνειν. Für Heraklit charakterisiert das σηµαίνειν Botschaften, die in dem weiten Feld zwischen dem λέγειν und dem κρύπτειν liegen.52 Apollon deutet an, indem er sprachliche Zeichen gibt, d.h. Orakel, die wie Zeichen funktionieren und wie diese nach Deutung verlangen. Was Blitz und Donner für Zeus, das ist die Sprache der Pythia für Apollon. Auf bemerkenswert ähnliche Weise wird der mantische Vorgang in Delphi ungefähr zur gleichen Zeit im Corpus Theognideum beschrieben. Dort heißt es, dass der zum Heiligtum gesandte Mann auf der Hut sein muss, „wenn ihm die Priesterin des Gottes in Pytho weissagend die Gottesstimme aus dem prächtigen Adyton übermittelt“. 53 Dass Theognis dem σηµαίνειν mit ὀµφήν ein Objekt gibt, dass er damit die Handlung der Pythia ausdrücklich als Sprachakt kennzeichnet, bedeutet keinen gravierenden Unterschied im Vergleich zu Heraklit; die Gottesstimme redet in Hexametern und bleibt für den Menschen zeichenhaft und interpretationsbedürftig. 54 Passenderweise führte Apollon daher den Beinamen Λοξίας, von λοξός – „krumm“, „schief“, „schräg“.55 51 Zur Mehrdeutigkeit der Orakelsprache und ihrer Bedeutung: MARINATOS, 1981; MORGAN, 1990, 156–158; FLOWER, 1991, 65 f.; VOGT, 1998, bes. 37–41; GIULIANI, 2000; KINDT, 2016, bes. 159–164; FLOWER, 2008b, 233 f. 52 Heracl. (DK 22), B 93: ὁ ἄναξ οὗ τὸ µαντεῖὸν ἐστι τὸ ἐν Δελφοῖς οὔτε λέγει οὔτε κρύπτει ἀλλὰ σηµαίνει. 53 Theogn., 805–808: τόρνου καὶ στάθµης και γνώµονος ἄνδρα θεωρὸν / εὐθύτερον χρὴ ἔµεν, Κύρνε, φυλασσόµενον, / ὧιτινί κεν Πυθῶνι θεοῦ χρήσασ’ ἰέρεια / ὀµφὴν σηµήνηι πίονος ἐξ ἀδύτου. 54 Auch Hdt., VI 123,2 und VII 142,2 benutzt das Verb (προ-)σηµαίνειν, um die Kommunikation der Pythia zu charakterisieren. 55 Cornutus, Theol. Graec. Comp. 32,7 (67,14 f. Lang); Plut., Garr. 17, 511b; Plut., Pyth. or. 25, 407a. Die Etymologie wird zwar erst bei späteren Autoren überliefert, ist aber so naheliegend, dass ihr Bewusstsein in früherer Zeit ohne weiteres vorausgesetzt werden kann.

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Der Beiname brachte zum Ausdruck, dass die λοξότης als Wesenseigenschaft Apollons angesehen und selbstverständlich hingenommen wurde. Die Schwierigkeiten, die Orakel dem menschlichen Verständnis bereiteten, bekräftigten ihre göttliche Herkunft. Der Gott spricht zwar griechisch, ist aber gleichwohl gelegentlich schwer verständlich.56 Erst seit hellenistischer Zeit wurde Apollon für seine Dunkelheit kritisiert, und es dauerte bis in die Kaiserzeit, bevor er dafür in Schriften eines Lukian von Samosata oder Oinomaos von Gadara oder Diogenes von Oinoanda sogar der Lächerlichkeit preisgegeben wurde.57 Wie sehr die Ambiguitätserwartung zur Glaubwürdigkeit der Orakel beitrug, zeigen nicht nur Fälle, in denen sich angeblich Vorhersagen auf überraschende Weise erfüllten, sondern auch eindeutige Sprüche, die von den Adressaten metaphorisiert, allegorisiert oder sonstwie verrätselt wurden. Für diese hermeneutische Einstellung präsentiert Platon mit Sokrates in der Apologie ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Das delphische Orakel hatte Sokrates angeblich als weisesten Menschen bezeichnet und damit eine Aussage getroffen, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig ließ. Sokrates aber fragte sich vor den athenischen Geschworenen, welche Aufgabe ihm der Gott da wohl gestellt habe. Er selbst war es also, der das Orakel in ein Rätsel und eine Prüfung verwandelte und mit Hintersinn ausstattete. Mit diesem Manöver versuchte Sokrates, die vorausgesetzte Wahrheit des Orakels zu stabilisieren, denn im vordergründigen Sinne konnte es seiner Meinung nach nicht stimmen.58 Dass seine Argumentation einem geläufigen oder doch zumindest bekannten Muster folgte, zeigen zahlreiche Fälle der Orakel- und Zeichendeutung, bei denen sich in der öffentlichen Debatte die lectio difficilior gegenüber der nächstliegenden Bedeutung durchsetzte.59 Die zugrunde liegende hermeneutische Einstellung verstand Orakel grundsätzlich als Aufforderung zur Selbsterkenntnis und verlieh ihnen damit geradezu philosophische Dignität. Insofern trug auch die tatsächliche oder mögliche Mehrdeutigkeit der Sprüche zur Legitimität des Orakels bei.

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Vgl. Aeschyl., Ag. 1254 f. Vgl. Cic., Div. II 111; Plut., Pyth. or. 10, 398f–399a; Oinomaos von Gadara, Frg. 4, 32–35 (HAMMERSTAEDT, 1988, bes. 152 f.); siehe in diesem Band den Beitrag von Hammerstaedt, unten S. 421–429. 58 Plat., Apol. 20e–23b; in seiner ersten Reaktion fragt sich Sokrates: „Was meint wohl der Gott, und was deutet er dunkel an?“ (21b: τί ποτε λέγει ὁ θεὸς καὶ τί ποτε αἰνίττεται;); vgl. ROBERTS, 1984, 122. Andere Fälle bespricht MAURIZIO, 2013b, 68–70. 59 Vgl. MAURIZIO, 2013b, 73–75. 57

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5. Die Überlieferung Die meisten Orakel haben bis zu ihrer literarischen Fixierung einen langen Weg zurückgelegt. Die eigentliche Orakelkonsultation in Delphi erschöpfte sich, wie wir gesehen haben, in einer mündlichen Kommunikation: Auf die mündliche Frage der Konsultanten antwortete die Pythia mündlich. In Delphi gab es kein Archiv, in dem die Sprüche der Pythia dokumentiert wurden. Funktional betrachtet lag es nicht im Interesse der Delpher, Dokumente zu produzieren, die allenfalls zur Falsifikation des Orakels dienen konnten. Für die Fragesteller, die sich im System der griechischen Mantik bewegten und die Autorität des Orakels selbstverständlich anerkannten, erfüllten sich die Sprüche immer irgendwie, irgendwann, nicht selten auf überraschende Art und Weise.60 Die Repräsentanten des Heiligtums brauchten daher die unvermeidliche ‚Erfüllung‘ nur abzuwarten und konnten darauf vertrauen, dass die Klienten davon erzählen und so unwillkürlich zum Ruhm des Orakels beitragen würden. Den Delphern musste eine Dokumentation der Orakelantworten daher überflüssig erscheinen. Aus ihrer Sicht war die mantische Kommunikation eben nicht mit der Erteilung des Spruches, sondern mit dessen Erfüllung beendet. Für die (mündliche oder schriftliche) Überlieferung war daher die ex eventu-Perspektive konstitutiv. Erst als Bestandteil einer Geschichte wurden einzelne Antworten der Pythia in der Erinnerung aufgehoben. Daran hatte naturgemäß auch ‚Delphi‘ selbst einen Anteil, der m.E. jedoch in der Forschungsliteratur oft maßlos übertrieben wird. Bekanntlich gab es Fälle, in denen sich die delphischen Repräsentanten aus guten Gründen zur Apologie veranlasst sehen konnten. Einem Besucher des Heiligtums, der etwa die vielen prächtigen Weihgaben und Geschenke des lydischen Königs Kroisos bewunderte, musste erklärt werden, warum es mit dem König trotz seiner frommen Großzügigkeit kein gutes Ende genommen hatte. Solche Erklärungen in Form von Geschichten bekam offenbar auch der Besucher Herodot zu hören. Doch selbst in seinem lydischen Logos hat Herodot zweifellos auch Informationen anderer Herkunft verarbeitet.61 Die erstaunliche Tatsache, dass die Perser das Heiligtum von Delphi mit all seinen Schätzen verschont hatten, mochte ebenfalls einen gewissen Rechtfertigungsdruck ausgelöst haben. So erzählten die Delpher eine erbauliche Geschichte, die die Rettung Delphis mit dem unmittelbaren Ein-

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MAURIZIO, 2013b, 70, charakterisiert die hermeneutische Grundhaltung der Orakelrezipienten: „(...) all adhere to the same premise, namely that once spoken, an oracle is true. This belief or premise did not entail a slavish obedience to the divine word, but instead encouraged its opposite: namely interpretation.“ 61 JACOBY, 1913, 420–423; FLOWER, 1991, bes. 70–73. 77.

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greifen Apollons begründete.62 Andererseits zeigt aber gerade die persische Invasion Griechenlands, dass das delphische Orakel in der patriotischen Erinnerung der beteiligten Poleis von Anfang an einen hervorragenden Platz einnahm. Wie die Weihungen der siegreichen griechischen Städte jedermann vor Augen stellten,63 stand Delphi nach den Schlachten der Jahre 480 und 479 auf dem Höhepunkt seines panhellenischen Ruhmes und konnte die Traditionsbildung getrost anderen überlassen. Für die Überlieferung sorgten in der Regel vielmehr diejenigen, die die Mühen und Kosten einer Reise nach Delphi auf sich nahmen, um das Orakel zu befragen. Für sie lag, zumindest bei offiziellen Missionen, das Aufschreiben des Orakelspruchs nahe, und tatsächlich berichtet Herodot gelegentlich von einem solchen Vorgang.64 Eine effektive Kontrolle der Gesandten wurde durch dieses Verfahren kaum erreicht; diese war eher dadurch gewährleistet, dass immer mehrere Gesandte zum Orakel geschickt wurden, die der Konsultation gemeinsam beiwohnten. Das Aufschreiben sollte vielmehr die präzise Übermittlung der Gottesbotschaft sichern. 65 Der genaue Wortlaut musste umso wichtiger erscheinen, je interpretationsbedürftiger ein Orakelspruch war, wie etwa das berühmte Beispiel der „hölzernen Mauern“ und der „göttlichen Salamis“ zeigt. Die Diskussion und geradezu philologische Interpretation solcher Formeln in der athenischen Volksversammlung setzt die Annahme voraus, dass die Orakel als authentische Gottesworte betrachtet wurden. Eine schriftliche Fassung dürfte daher bei offiziellen Orakelkonsultationen mit zunehmender Häufigkeit angefertigt worden sein, auch wenn es die Quellen aus Gründen der Ökonomie selten ausdrücklich vermerken. Nach ihrer Rückkehr verkündeten die Boten das Orakel dem intendierten Adressaten – ὡς δὲ ἀπελθόντες οἱ θεοπρόποι ἀπήγγελλον ἐς τὸν δῆµον, wie es in dem gerade zitierten athenischen Fall bei Herodot heißt.66 Die schriftliche Fassung, die die Boten aus Delphi mitbrachten, diente dabei nur als Hilfsmittel für den endgültigen Sprechakt vor den eigentlichen Adressaten. 67 Aus diesem Grund 62

Hdt., VIII 36–39; vgl. TRAMPEDACH, 2019, 157–162. Vgl. ferner im vorliegenden Band Nesselrath, unten S. 372–374. 63 Hdt. VII 132,2; VIII 121–122; IX 81,1; vgl. GAUER, 1968, bes. 127; JACQUEMIN, 1999, 250–254. 64 Hdt., I 47,1; I 48,1; VII 142,1; VIII 133–135. 65 Dass es auch bei mündlicher Übermittlung auf die Vergegenwärtigung des genauen Wortlauts ankommt, bezeugt im Hinblick auf delphische Orakel bereits Theogn., I 805– 810: Im Fall von Hinzufügungen oder Auslassungen sei das Orakel kein Heilmittel, sondern stifte Verwirrung; vgl. LABARBE, 1994, bes. 227–230; RUTHERFORD, 2013, 93–95. 106–109. 66 Hdt., VII 142,1. 67 NAGY, 2003, 33, hat auf die Bedeutung der öffentlichen Verkündung für die Orakelkommunikation hingewiesen: „[...] the force of an oracular statement is not activated, the words do not become a completed speech-act, until they are performed before the audience for whom it was intended“.

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haben Herodots athenische Boten das erste Orakel, das sie von der Pythia erhielten, gar nicht erst aufgeschrieben. Dieses Orakel bot ihrer Meinung nach nämlich keinen akzeptablen Ausweg aus der kritischen Situation an. Deshalb entschieden sie sich auf Rat des Delphers Timon, die Pythia ein zweites Mal, jetzt als Schutzflehende, um einen Spruch zu bitten; erst diesen zweiten Spruch, der ihnen, wie Herodot sagt, milder zu sein schien, schrieben sie auf, um ihn dem versammelten Volk von Athen zu verkünden und dadurch in Kraft zu setzen. Da Herodot beide Orakelsprüche vollständig in Versform zitiert, kann er seine Informationen nicht aus der schriftlichen Fassung der athenischen θεοπρόποι bezogen haben. Nichts deutet in diesem wie in anderen Fällen des 6. und frühen 5. Jahrhunderts v. Chr. darauf hin, dass Antworten aus Delphi in schriftlicher Form offiziell aufbewahrt wurden.68 Da die Verschriftlichung der Orakelantwort, die die Boten in Delphi nach der Konsultation eventuell vornahmen, ein bloßes Mittel zum Zweck gewesen ist, bestand nach der Verkündigung auch kein Grund zur Aufbewahrung.69 Nach der Verkündigung waren Orakel nicht nur vielfältiger Deutung zugänglich, sondern im Zuge der mündlichen Überlieferung mit der Zeit auch gegen inhaltliche Veränderungen nicht gefeit. Natürlich ist dabei der Wortlaut eines Orakels häufig vom Ausgang des Ereignisses, auf das sich der Spruch bezog, beeinflusst worden. Schließlich verlangte die narrative Konvention in jedem Aggregatzustand nach der Erfüllung des Orakels. Ein Orakel, das sich nicht erfüllt hatte, wurde nicht erzählt. Die delphischen Orakelsprüche waren integraler Bestandteil von Orakelgeschichten, die in den Gemeinden entstanden und konstruiert wurden, auf die sie sich bezogen, und nicht in Delphi.70 Ein markantes Beispiel sind die delphischen Orakelsprüche, die Herodot zur Vor- und Frühgeschichte von Kyrene zitiert. Sie verraten Spuren dorischen Dialekts und können daher in dieser Form in Delphi kaum gesprochen worden sein. 71 Dieser sprachliche Befund deutet darauf hin, dass selbst die eigentlichen Orakelsprüche und nicht nur die sie umgebenden Geschichten häufig aus der lokalen Tradition in die Geschichtsschreibung gewandert sind. Dies liegt auch deshalb nahe, weil die Sprüche ja meistens unmittelbar mit den Geschichten verbunden waren. Dabei begünstigte die gebundene Sprache der meisten Orakel ihre mündliche 68

Kultvorschriften, die von Orakeln sanktioniert wurden, erscheinen seit der Mitte des 5. Jahrhunderts auf (vornehmlich attischen) Inschriften. Eine regelrechte Archivierung hat wohl frühestens mit dem Anfang des Archivwesens überhaupt eingesetzt, d.h. in Athen seit dem Ende des 5. Jahrhunderts, in anderen Poleis wohl eher noch später: vgl. TRAMPEDACH, 2015, 443–447. 69 Zumal auch die Kraft und die Wirksamkeit eines Orakels anders als bei Eiden, Verfluchungen oder Weihungen nicht von einer materiellen Dokumentation oder einem gegenständlichen Beleg abhängig waren: vgl. STEINER, 1994, 81 f.; THOMAS, 1992, 78–88. 70 Vgl. MALKIN, 1987, 6 f.; GIANGIULIO, 2001; GIANGIULIO, 2010. 71 Hdt., IV 155,3; IV 157,2; IV 159,3; vgl. GIANGIULIO, 2001, 130.

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Bewahrung im Gedächtnis der betroffenen Gruppe,72 ohne dass nicht mehr fassbare schriftliche Formen der Überlieferung gänzlich auszuschließen sind. Eine offizielle Archivierung fand anscheinend jedoch bei den Kyrenaiern ebensowenig statt wie bei den anderen Gemeinden, die delphische Botschaften empfingen. Zu betonen, dass die Überlieferung von (delphischen) Orakelsprüchen im Wesentlichen auf lokaler mündlicher Überlieferung basierte, heißt nicht, den Autoren Gestaltungsmöglichkeiten bei der Darstellung abzusprechen. Im Gegenteil: Gerade Orakel (und andere mantische Phänomene) haben, wie sich immer wieder zeigt, eine hohe Funktionalität in literarischen Kontexten; deshalb sind Orakel- und Zeichengeschichten in der erzählenden Literatur der Antike so populär. In literarischen Kontexten können Orakel beispielsweise zur Lesersteuerung, zur Charakterisierung wichtiger Handlungsfiguren, zur Erklärung außergewöhnlicher Ereignisse, zur Illustration ethischer Überzeugungen oder in aitiologischer Funktion eingesetzt werden.73 Doch wichtiger als diese Beobachtung erscheint mir im Hinblick auf die Legitimitäts-problematik folgendes: Zwar sind delphische Orakelgeschichten eingebettet in die literarischen Strategien der Autoren, aber entkleidet man diese Geschichten von allem narrativen Ornament, bleibt nahezu immer die gleiche Handlungsfolge übrig. Lisa Maurizio beschreibt sie so: Es gibt ein Problem oder eine Krise; man schickt Gesandte nach Delphi, um den Gott zu befragen; die Gesandten übermitteln das Orakel dem oder den Adressaten, die es interpretieren und dementsprechend handeln – das Orakel erfüllt sich, sei es zum Wohl oder zum Schaden des Fragestellers.74 Der ewig gleiche Plot und der stereotype Gebrauch der einzelnen Elemente lassen sich nur als Ergebnis der Strukturierung in der mündlichen Kommunikation erklären.

6. Die Unmöglichkeit einer ‚delphischen Politik‘ Wie die nähere Betrachtung der Umstände der Orakelerteilung und Orakelüberlieferung gezeigt hat, sind Aussagen, die ‚Delphi‘ oder die delphische ‚Priesterschaft‘ mittels des Orakels explizit oder implizit zum politischen Akteur im archaischen oder klassischen Griechenland erheben, oberflächlich und irreführend. Die vermeintliche Gegenannahme, die das Orakel allein auf die Funktion reduziert, bereits getroffene Entscheidungen zu sanktionieren, widerspricht allerdings ebenso dem Quellenbefund, wonach das Orakel zahlreiche darüber hinausgehende Weissagungen aussprach. Außerdem wird 72

Die mnemotechnische Funktion der Versform bei Orakeln betont etwa Plut., Pyth. or. 27, 407f; vgl. auch schon Plat., Phaedr. 267 a; Aristot., Rhet. III 9, 1409 b 6 f. 73 Vgl. ROBERTS, 1984, 32 f. 122; TRAMPEDACH, 2015, 254–257; KINDT, 2016. 74 MAURIZIO, 1998, 137.

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diese Annahme den dargelegten Phänomenen der dichterischen Form und der Mehrdeutigkeit nicht gerecht. Wenn man einerseits die Quellen ernst nimmt, andererseits aber nicht an Apollon glaubt, dann bleibt, wie schon Plutarch erkannt hat, nichts anderes, als die delphischen Orakel auf die Pythia zurückzuführen.75 Während der Konsultation sprach oder sang die Pythia in deutlicher Artikulation häufig mehrdeutige Verse. Wie ist das möglich gewesen? Musste eine solche Aufgabe die Pythia nicht überfordern? Die Frage ist zu verneinen, wie auch anthropologische Vergleiche nahelegen.76 Gerade die Formelhaftigkeit der Orakelsprache versetzte ein Medium wie die Pythia in die Lage, selbständig in metrischer Form zu weissagen, und ermöglichte ihr gleichzeitig, spontan und flexibel auf die situationsbedingten Erfordernisse der Orakelkonsultation zu reagieren. Selbstverständlich muss man dabei voraussetzen, dass die Pythien, die ja möglichst unbedarft und unverbildet sein sollten, vor Beginn ihrer Orakeltätigkeit von ihren Vorgängerinnen mit dem Rhythmus und Wortschatz der Göttersprache vertraut gemacht wurden. Die Vermutung von Parke und Wormell, die zukünftige Pythia sei in den Reihen einer Art Seherinnengilde mit verteilten Funktionen und graduellen Abstufungen auf ihre Tätigkeit vorbereitet worden, erscheint daher nicht abwegig.77 Freilich waren nicht alle Pythien in gleicher Weise poetisch begabt, und so erklärt sich, dass manche Orakelsprüche als ausgesprochen schlechte Dichtung gelten müssen. Schon der Philosoph Diogenianos bemerkte in Plutarchs Dialog De Pythiae oraculis, er habe sich oft über die Dürftigkeit der Verse gewundert, die die Orakel übermittelt haben; obwohl doch der Gott als Führer der Musen Homer und Hesiod bei weitem übertreffen müsse, seien viele Orakel voller Fehler und Geschmacklosigkeiten.78 Was für den antiken ‚Gläubigen‘ ein Problem darstellte, erlaubt uns, die überlieferten Sprüche als zuverlässige Abbilder der Orakelkommunikation zu verstehen. Die Qualität der Verse war eben auch von dem poetischen Talent und der Tagesform der Pythien abhängig. Dass es dabei zu großen Leistungsschwankungen und -unterschieden kam, kann nicht verwundern. Relativ oft – so dürfen wir unterstellen, denn anders wäre der Ruhm des Orakels nicht zu erklären – haben die Pythien allerdings mit ihrer performance und ihren Sprüchen die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Klienten erfüllt. Gelegentlich haben sie sich sogar, wie erwähnt, zu Beginn oder während der mantischen Sitzung spontan geäußert. Dies konnten sie sinnvoller75

Plut., Pyth. or. 21–23, 404c–406b; Plut., Def. or. 9, 414e; vgl. TRAMPEDACH, 2020, bes. 120–122. 76 Vgl. MAURIZIO, 1995, 72–76. 77 PARKE/WORMELL, 1956 I, 35 f.; vgl. FAUTH, 1963, 524. 78 Plut., Pyth. or. 5, 396d: τοὺς δὲ πολλοὺς τῶν χρησµῶν ὁρῶµεν καὶ τοῖς µέτροις καὶ τοῖς ὀνόµασι πληµµελείας καὶ φαυλότητος ἀναπεπλησµένους. Vgl. FLOWER, 2008b, 235–239.

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weise nur dann tun, wenn sie Informationen über die Fragesteller und ihre Anliegen hatten. Solche Informationen konnten vermutlich in den abgeschirmten Bereich der Pythia durchsickern, weil die meisten Klienten mehrere Tage vor der Befragung in Delphi eintrafen; außerdem benötigten die Fragesteller einen delphischen proxenos und kamen infolge ihrer kultischen Verpflichtungen auch zwangsläufig in einen näheren Kontakt mit den Delphern.79 Durch diesen Kontakt, so ist anzunehmen, erlangte die Pythia zumindest ungefähre Kenntnisse, die ihr halfen, während einer ‚mantic session‘ in Ekstase eine angemessene und treffende Botschaft zu formulieren. Über eine mögliche Zugänglichkeit der Pythia erfahren wir nur im Kontext mit den vergleichsweise wenigen Fällen, in denen die Quellen eine irreguläre Orakelkonsultation beschreiben. Daran ist zunächst einmal bemerkenswert, dass sich die Bestechungsversuche, von denen die Überlieferung berichtet, ausnahmslos an die Pythia richteten. Sie musste bestochen werden, nicht irgendwelche delphischen Funktionäre, was ebenfalls beweist, dass allein sie die Orakel sprach.80 Doch ohne einheimische Hilfe konnte kein Fragesteller zu der Pythia vordringen. Herodot erzählt zwei Episoden, die in diesem Zusammenhang besonders instruktiv sind. In dem einen Fall gelang es dem Spartanerkönig Kleomenes, die Pythia mit Hilfe eines sehr einflussreichen Delphers namens Kobon, Sohn des Aristophantos – Herodot nennt ihn ἄνδρα ἐν Δελφοῖσι δυναστεύοντα µέγιστον – zu bestechen und auf diese Weise das gewünschte Orakel zu erhalten. Als die Delpher später von der Manipulation erfuhren, schickten sie Kobon in die Verbannung und entfernten die beteiligte Pythia aus ihrem Amt.81 In dem anderen Fall war es der sehr angesehene Delpher Timon, Sohn des Androbulos – Herodot verwendet eine ähnliche Formulierung wie im ersten Fall: τῶν Δελφῶν ἀνὴρ δόκιµος ὅµοια τῷ µάλιστα –, der den Athenern, die wegen der bevorstehenden persischen Invasion das Orakel konsultierten, nach der deprimierenden ersten Botschaft riet, nicht in Verzweiflung zu verharren, sondern das Orakel ein zweites Mal als Schutzflehende zu befragen.82 Eine Einflussnahme durch delphische Honoratioren war also grundsätzlich möglich, wurde aber als große Ausnahme verstanden. Während sich die Einflussnahme im zweiten Fall lediglich auf das Verfahren bezog und durch die außergewöhnlichen Umstände gerechtfertigt erscheinen konnte, zielte sie im ersten Fall auf die Pythia und den Orakelspruch und wurde daher als illegitim betrachtet und behandelt. Wäre diese Art der Beeinflussung die Regel gewesen, hätte sich die delphische Elite einen permanenten Kampf um das ‚Ohr‘ der Pythia geliefert. Dass dies keine Weiterungen über Delphi hinaus gehabt hätte und außerhalb Delphis nicht 79

Siehe oben Anm. 16. Siehe oben Anm. 10. 81 Hdt., VI 66,3. 82 Hdt., VII 140,2. 80

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bekannt geworden wäre, ist nach allem, was wir über griechische Konflikte dieser Art wissen, undenkbar. Ich schließe daraus, dass die Pythia vor einer mantischen Sitzung zwar über diskrete Kanäle Informationen über die Klienten erhielt, nicht aber von einflussreichen Delphern oder irgendwelchen ‚Priestern‘ im Sinne einer ‚delphischen Politik‘ instruiert wurde. Dafür spricht schließlich noch eine grundsätzliche Überlegung: Eine konsistente und aktive Politik, eine Parteinahme zu Gunsten dieser oder jener Macht hätte sich für die Delpher angesichts der Vielzahl der politischen Akteure in Griechenland langfristig nicht ausgezahlt, sondern die Glaubwürdigkeit des Orakels beeinträchtigt und das Ansehen des Heiligtums beschädigt. Vielmehr hatten die Delpher ein naheliegendes Interesse an der Unabhängigkeit (und Zugänglichkeit) ihres Heiligtums, und daher bemühten sie sich in der Regel, jeden Anschein von Parteilichkeit zu vermeiden.83 Dementsprechend galten die komplizierten Bestimmungen, die den Zugang zum Orakel regelten, für alle Klienten. Zwar konnten die Delpher besonders wichtigen oder hilfreichen und großzügigen Staaten oder Herrschern das Privileg der promanteia erteilen, das diesen erlaubte, das Orakel vorrangig (d.h. zu gleichen Bedingungen wie sie selbst) zu konsultieren. Damit besaßen die Delpher ein flexibles Instrument, um den jeweils herrschenden Machtverhältnissen oder ihrer Dankbarkeit symbolischen Ausdruck zu verleihen, ohne jedoch die Orakelbefragung selbst zu tangieren.84 Folglich ist es sinnlos, eine Frage wie die nach der Haltung ‚Delphis‘ zur archaischen Tyrannis zu stellen. Selbstverständlich hat man in Delphi die Orakelboten der Tyrannen im 7. und 6. Jahrhundert genauso bedient wie alle anderen wichtigen Fragesteller auch. Die überlieferten Antworten der Pythia aber lassen weder eine prinzipielle Tyrannenfeindschaft noch ein übermäßiges Wohlwollen erkennen; gegenteilige Annahmen werden dem widersprüchlichen Befund nicht gerecht und ignorieren die Voraussetzungen der Orakelerteilung. 85 Ebenso beruht die Behauptung eines angeblich regelmäßigen 83

Vgl. PARKER, 1985, 300 f.303 f.324–326; PRICE, 1985, 131. Neben anderen erhielten Spartaner und Athener (Mitte des 5. Jahrhunderts), Thebaner (um 360) und Philipp II. von Makedonien (346) zur Zeit ihrer jeweiligen Vorherrschaft das Recht der Promantie: vgl. POUILLOUX, 1952, bes. die Liste 484–492; ROUX, 1976, 76 f.; SÁNCHEZ, 2001, 106 f. 166 f. 239 f.; BOWDEN, 2005, 17. 85 Daher geht DE LIBERO, 2001, 20, die ‚Delphi‘ ein „kooperatives Verhalten“ gegenüber den archaischen Tyrannen zuschreibt, ebenso fehl wie die These von der prinzipiellen Tyrannenfeindschaft Delphis (vgl. z.B. PARKE/WORMELL, 1956 I, 114–124), die sie kritisiert. Ferner bleibt unklar, auf welche Weise sich Funktionszuschreibungen wie die von SNODGRASS, 1986, 53, mit der Orakelprozedur vereinbaren lassen: „Delphi was evidently acting as the main central clearing house for information of a geographical and political kind which was of potential value to many different cities and their governments; it was also being used as an instrument of persuasion by pressure groups“; vgl. dagegen MORGAN, 1990, 172–180; OSBORNE, 1996, 202–207; BOWDEN, 2005, 26–28. 84

Die Legitimität des delphischen Orakels

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„Medisierens“, „Lakonisierens“, „Philippisierens“ etc. der Pythia auf anachronistischen Konstruktionen, die über die Bedingung ihrer Möglichkeit keine Rechenschaft abgelegt haben. Die von Herodot überlieferten Orakelsprüche, die nach einer immer wieder geäußerten Forschungsmeinung Delphis medismós belegen,86 müssen aus den dargelegten grundsätzlichen Erwägungen im Kontext der lokalen Geschichten verstanden werden, in die sie eingebettet waren; diese Geschichten wiederum verraten ein leicht durchschaubares Kalkül, in dem das Orakel im Nachhinein, auch von den Delphern selbst, zu apologetischen oder aitiologischen Zwecken instrumentalisiert wurde. Außerdem bemerkten die Mitglieder des Hellenenbundes ein „Medisieren“ der Delpher oder der Pythia oder des Gottes offenkundig nicht, denn sonst hätten sie nicht (und noch dazu anscheinend ohne jede Diskussion) einen beträchtlichen Teil der Perserkriegsbeute in das Apollon-Heiligtum von Delphi geweiht. 87 Ebenso wäre unter der Prämisse einer lakonisierenden Pythia schwer verständlich, warum den Athenern im Peloponnesischen Krieg die Erreichbarkeit und Unabhängigkeit der Orakelstätte so sehr am Herzen lag, dass sie sich beides im Nikias-Frieden sogar an erster Stelle garantieren ließen.88 Dagegen ist der Vorwurf des „Philippisierens“ ernster zu nehmen, denn er ist immerhin schon von dem Zeitgenossen Demosthenes erhoben worden, stammt aber aus einem polemischen Kontext, der keinesfalls außer Acht gelassen werden darf.89 Seit dem 6. Jahrhundert war in der griechischen Welt allgemein anerkannt, dass das delphische Heiligtum über eine Quelle göttlicher Weisheit verfügte. Das Erfolgsrezept, dem die Delpher folgen sollten, legt schon der Dichter des homerischen Apollon-Hymnos dem Gott als „einfaches Wort“ (ῥηΐδιον ἔπος) in den Mund: „Jeder nehme ein Messer zur Hand, um je nach Bedarf ein Schaf zu schlachten. Es wird mir ja Schlachtvieh in riesigen Mengen

86

Einige Beispiel: PARKE/WORMELL, 1956 I, 165–179.188 f.233–243; BURKERT, 2011, 182; MURRAY, 1980, 231 (siehe oben Anm. 2); GEORGES, 1986 hält Themistokles für den eigentlichen Urheber der Orakel, die Athen vor der persischen Invasion 480 erhielt. KIENAST, 1995, bes. 126.129 f., bezweifelt zwar die „medische Gesinnung“ der Pythia 481/80, führt die angeblich defätistischen Orakel aber wie selbstverständlich auf taktische Erwägungen und Motive (wie Verzweiflung) „der delphischen Priesterschaft“ zurück. GIULIANI, 2001, 55–77, erklärt die angebliche Parteinahme Delphis für die Perser mit dem Einfluss der Thessaler, „detentori della maggioranza anfizionica e dunque del controllo sul santuario: sostenitori ed alleati dei Persiani“ (77). 87 Siehe oben Anm. 63. Vgl. außerdem PARKER, 1985, 317 f.; PRICE, 1985, 153; VOGT, 1998, 35–f. 88 Thuc., V 18,2; vgl. IV 118,1–2; Ar., Av. 188 f.; PARKER, 1985, 325 f.; BOWDEN, 2005, 26–28. 38. 89 Vgl. Aeschin., Or. 3,130; Plut., Dem. 20,1; Analyse des Kontextes bei TRAMPEDACH, 2015, 281–293.

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dargebracht werden von allen berühmten Völkern der Menschen. Haltet mir sonst den Tempel in Ordnung, empfangt alle Menschen, welche sich bald hier einfinden werden – so wie ich es wünsche (…).“ 90

Die Delpher brauchten sich also nur um den reibungslosen Ablauf des ‚alltäglichen‘ Betriebs zu kümmern, dann würden Ansehen und Güter („Hekatomben“) von allein kommen.91 Hätten sie versucht, mit Hilfe der Pythia große Politik zu betreiben, hätten sie nicht nur die Akzeptanz des Orakels und die allgemeine Zugänglichkeit des Heiligtums aufs Spiel gesetzt, sondern auch die eigene Unabhängigkeit und Selbständigkeit gefährdet. Doch die Delpher kannten die Bedingungen ihres Erfolges: Sie wussten, dass das delphische ‚Geschäftsmodell‘ verlangte, auf politische Ambitionen, die über die eigenen Angelegenheiten hinausgingen, zu verzichten.

90 Hom. Hymn. Apollon 534–539 (übers. v. L. Bernays): ῥηΐδιον ἔπος ὔµµ’ ἐρέω καὶ ἐπὶ φρεσὶ θήσω. / δεξιτερῇ µάλ’ ἕκαστος ἔχων ἐν χειρὶ µάχαιραν / σφάζειν αἰεὶ µῆλα· τὰ δ' ἄφθονα πάντα παρέσται, / ὅσσα ἐµοί κ’ ἀγάγωσι περικλυτὰ φῦλ’ ἀνθρώπων· / νηὸν δὲ προφύλαχθε, δέδεχθε δὲ φῦλ’ ἀνθρώπων / ἐνθάδ’ ἀγειροµένων καὶ ἐµὴν ἰθύν τε µάλιστα. Vgl. vv. 246–253.285–293. 91 Der Tafelluxus und die Schlemmerei der Delpher war schon im 5. Jahrhundert geradezu sprichwörtlich: vgl. Athen., IV 373c–e (mit Bezug auf Aristophanes und das Satyrspiel Alkmaion des Tragikers Achaios von Eretria).

„Sprache des Temenos“ Weihungen als politische Machtdemonstration Winfried Schmitz 1. Delphi – das kataphýgion des Stefan Andres „Die Bildung ist im Glück ein Schmuck, im Unglück eine Zufluchtsstätte“ – mit diesem Zitat Demokrits von Abdera1 leitet der Schriftsteller Stefan Andres seine unter dem Titel „Sprache des Temenos“ veröffentlichten Auszüge aus seinem griechischen Reisebuch ein, publiziert 1935 in „Die Neue Rundschau. XLVI. Jahrgang der Freien Bühne“.2 Der Autor bereiste im Frühjahr 1934 Mykene, Sparta, Athen und schließlich Delphi.3 Bildung – klassische Bildung – als Zufluchtsstätte in Zeiten des Unglücks, als kataphýgion, das wollte indes nicht recht gelingen.4 Mykene, „die Burg der homerischen Hirten“, wird von Stefan Andres als nationalsozialistischer Führerstaat beschrieben: der König ist alles […] das Volk sieht sogar seine Erfüllung und seinen Sinn in der Aufopferung für den Ersten.“ „Wir stehen auf dem Platze, wo der Volksrat zusammenkam. Sein Rat bestand darin, dem König sein Ja zu geben. Im Kreise ziehen sich die Schachtgräber um den Platz, wachsen in einer Steinbrüstung aus der Erde, in der die Toten dem Rate beiwohnen. Und auch sie sprachen Ja, denn sie waren im Dienste des Herrschers gestor5 ben.

1

Demokrit, DK 68 B 180 (Stob., Ecl. II 31,56; II p. 211 Wachsmuth; Frg. 40 Mansfeld): ἡ παιδεία εὐτυχοῦσι µέν ἐστι κόσµος, ἀτυχοῦσι δὲ καταφύγιον. 2 ANDRES, 1935. Zu weiteren publizierten Texten über seine Griechenlandreise siehe MEID, 2012, 299 Anm. 198. Zum Reisebericht von Stefan Andres in der Neuen Rundschau LOSEMANN, 2013, 834 ff. Vgl. BRAUN, 2006, 49 f. 3 Zu Stefan Andres: KLAPPER, 1995; BRAUN, 2006; vgl. LOSEMANN, 2013, 833 f. 4 Zu Andres’ Griechenlandreise als Flucht in klassische Bildungswelten LOSEMANN, 2013, 838. 5 ANDRES, 1935, 70. Diese Betonung des „Ja“ wird auf die Kampagne der NSDAP zur Volksabstimmung vom 19. August 1934 zurückgehen. Kritisch stellte sich dazu auch der Klassische Philologe Bruno Snell in seinem Aufsatz „Das I-Ah des Goldenen Esels“ (1935), in dem er als Ergebnis formulierte, „daß das einzige wirkliche Wort, das ein griechischer Esel sprechen konnte, das Wort für ‚nein‘ [όχι] war, während kurioserweise die deutschen Esel gerade umgekehrt immer nur ‚ja‘ sagen“. Zum Kontext ZIESKE, 2010.

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NS-Propagandaplakat zur Volksabstimmung über die Vereinigung der Ämter von Reichskanzler und -präsident am 19. August 1934. Reichspropagandaleitung der NSDAP, Deutschland, 1934 © Deutsches Historisches Museum, Berlin Inv. Nr.: P 62/1593 / S. Ahlers

Stefan Andres wendet sich ab von Mykene, „der Blick schweift hinunter in das schon mittägliche Licht, und wo überall die Steinbrocken im zaghaften Gras flimmern, entstehen noch einmal die armseligen Häuser dieses Volkes, wie Lämmer an den Berg geschmiegt, um die Wohnung des großen Hirten, ihres sichtbaren Gottes“.6 Auch Sparta bietet dem Bildungshungrigen kein tröstliches Bild: Der Sinn, auf einer Griechenlandreise Sparta aufzusuchen, besteht nicht darin, von diesem Ort etwas finden zu wollen, sondern vielmehr in der Feststellung, daß dort nichts mehr zu 7 finden ist.

Stefan Andres imaginiert Sparta als einen militärischen Staat, der streng hierarchisch in Herren, Bauern und Sklaven geteilt ist, starr verharrend, da er keine Initiative des Einzelnen zuließ. „Und so wurde der Einzelne ausgeschaltet.“8 Zu engstirnig waren die Spartaner und verkannten, dass sie mit Athen zusammen die Einheit Griechenlands hätten herbeiführen können, doch dies ließ der beschränkte Horizont von „ewigen Junkern“ und „für den Hoplitenberuf gezüchtete(n) Jünglingen“ nicht zu.9 Die Spartaner zeigten eine „unwiderkehrliche, stolze Selbstgenügsamkeit“, „ein imposantes Volk“, das

6

ANDRES, 1935, 70. MEID, 2012, 302–304: „Der mykenische Herrscher erscheint letztlich als die Perversion des guten Hirten.“ 7 ANDRES, 1935, 71. 8 ANDRES, 1935, 72. 9 ANDRES, 1935, 72. MEID, 2012, 302: „Die ‚ewigen Junker‘ sind [für Stefan Andres] die Verkörperung eines letztlich lächerlichen Militarismus und Rassenstolzes.“

„Sprache des Temenos“

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schier unnütz seine geschichtliche Zeit vertue. Sparta, dem jede Geistigkeit abgehe, fröne einer „Hybris aus völkischer Selbstgefälligkeit“.10

Stefan Andres, Unkel 1951 © Archiv der Stefan-Andres-Gesellschaft, Schweich

Und Athen – die „Hochstadt“? Noch in Mykene weilend hatte Stefan Andres vorausgeschaut von der „von den Toten behüteten Ratsmitte“ des Schachtgräberrunds auf den Areopag jenes späten Athen, wo der Pöbel seine Souveränitätsgelüste austobte gegen die 11 besten Griechen und sie der Verbannung und dem Tode überlieferte.

Es habe Anaxagoras, Aspasia, Phidias und Sokrates getroffen, ebenso wie Miltiades, Themistokles und Perikles: Wie diese Männer alle so unsicher lebten, wie sie die Gunst der Menge brauchten, wohl um ihre Unbeständigkeit wissend, wie sie an einem guten Tag alles vollendeten und dann wie Kehricht vom Pöbel beseitigt wurden. … Wie ihre unsterblichen Namen auf die Scherben geschrieben wurden, hoffnungslos der immer urteilshungrigen Spießermoral überliefert, das ist die noch geheimnisvollere Akropolis, die unsichtbare über jedem Volke, und auch in ihr steht als Kern und letzte Lösung das Bild irgendeines Gottes, der das Vergebli12 che segnet.

10

ANDRES, 1935, 73. Zu der im Text liegenden Kritik von Stefan Andres am zeitgenössischen Sparta-Kult LOSEMANN, 2013, 834–838; MEID, 2012, 301: die Auseinandersetzung mit Sparta gerate ihm „zu einer Abrechnung mit Engstirnigkeit und Dummheit, aber auch zur Demaskierung des nationalsozialistischen Spartakults“. Zur Spartakritik in Der Mann von Asteri KLAPPER, 1995, 36f., 109f.; LOSEMANN, 2013, 840–847. Die Kritik an Sparta in Der Mann von Asteri wurde im Vorabdruck in der Frankfurter Zeitung (Mai-August 1937) von der Zensur gestrichen (BRAUN, 2006, 101 f.; KLAPPER, 1995, 109f.). 11 ANDRES, 1935, 70. 12 ANDRES, 1935, 77 f.

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Athen und seine „fadenscheinige Demokratie“13 – ein Volk von Spießern, ein hungriges Untier von Moral, das nur nach dem Taglohn für die Geschworenen giert. Das Ziel der Reise ist, so wie Franz Gratian in dem 1939 erschienenen Roman Der Mann von Asteri über Sparta und Korinth kommt, das Apollonheiligtum in Delphi. Im Mann von Asteri heißt es: „Immerhin, ich weiß [so Franz Gratian zu seinem Sohn Bleicher], diese Reise nach Delphi ist für mich genau so eine Wallfahrt wie für die Menschen der damaligen Zeit. Man kam hierher aus aller Welt mit allen Anliegen und trug sie dem Richterspruch des Gottes vor.“

Und: „Weißt du, was das ist, ein Orakel? Wenn man etwas darauf ankommen läßt.“14 Delphi, als „Mitte und Nabel der Welt“,15 wo für den aus Trier stammenden Katholiken Stefan Andres „die unsichtbare Verbindung mit den Überirdischen wirkt“,16 Delphi als der Ort, an dem sich die beiden von den Weltenenden von Zeus losgeschickten Adler trafen, ein Mythos, den sich der Autor fiktiv von Pythagoras, einem „ebenso frommen wie aufgeklärten Herr(n)“, erklären lässt. „Aber denke, Fremdling [so Pythagoras zum Autor], was die Adler unterwegs alles sehen! Die ganze Welt verlockte sie, und Hellas verlockte mit tausend Orten, aber die scharfäugigen Segler hielten sich nirgends auf, sie landeten mit gleichem Flügelschlag auf den Schul17 tern des Zeus, links und rechts, und der Gott war zufrieden!“

Die Anknüpfung bei den Überirdischen rufe eine Scheu hervor, die aus der Erkenntnis kommt, daß dort Verwandlung, Atem des Lebens, ja, Schicksal gegenwärtig ist, ehe der Mensch 18 beginnt, eine Landschaft in seine Geschichte und sein Schicksal einzubeziehen.

Nachdem sich Stefan Andres abgewendet hat von Mykene, Sparta und Athen, findet er im luftdurchfluteten Tal des Pleistos und auf den Vorbergen des Parnass, dem von Göttern geschaffenen Profil der Landschaft mit kühlen Winden, klaren Quellen, summenden Bienen und weidenden Schafen seine ‚Zuflucht‘, sein kataphýgion. Unnahbare Erhabenheit, gelassene Bereitschaft zum Idyll am Rande seines Wesens, mittägliche Verzücktheit, das milde Abendlicht, die in die Nacht hineinwachsenden Berge, die in den Ring der Schatten hinübergehen, „wie versteinte Götter“ – das ist für Stefan Andres die „Sprache des Temenos“.19 13

ANDRES, 1935, 75. ANDRES, 1939 [1967], 310. Siehe dazu BRAUN, 2006, 63.99–102. 15 ANDRES, 1935, 79 16 ANDRES, 1935, 78. 17 ANDRES, 1935, 78. 18 ANDRES, 1935, 79. 19 ANDRES, 1935, 79. Zur griechischen Landschaft als Rückzugsraum für Stefan Andres siehe MEID, 2012, 299 f. 14

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Griechenland, ja, die ganze antike Welt hörte auf Delphi und sein Orakel und bedankte sich mit Weihgeschenken, die wie ein wunderbarer Wald standen die heilige Straße entlang, an der Südseite des Tempels über dem Abgrund. Welch ein Antrieb für den Bildner, für den pythischen Apoll zu arbeiten, wo das Werk Eigentum des Gottes wurde, und welch eine Möglichkeit für den um Aufträge wie zu jeder Zeit verlegenen Künstler, wenn die 20 hellenische Geistigkeit an dieser Stätte sein Werk sah. Es war die Pracht der Götter, ein herabgefallenes Stück Himmel oder ein in die Höhe entwickeltes Stück Erde. Verwirrung gab es nicht im Wald der Weihgeschenke, sie standen unter freiem Himmel oder in marmornen Lauben, und kein Museumsgeist ordnete sie nach Leitgründen gefälliger Betrachtung, sie wuchsen nach und nach an und waren Teile der Geschichte ihres stolz geliebten Gottes, zu dem die ganze Welt sich hinrichtete. Sein Wind wehte aus der Felsspalte wie ein Wort des Wohlgefallens, und die Griechen waren an dieser Stelle so fromm, daß sie sich selber nicht wiedererkannten. Es war darin diese nationale Frömmigkeit, die einen Gott auf seinem ewigen Boden weiß und ihn zugleich der Welt schenkt mit jenem Stolz der Gebenden, die eben einen Gott und seinen Rat zu ver21 schenken haben.

2. Die antike „Sprache des Temenos“: Delphi als politisches Heiligtum Delphi als Ort in idyllischer Natur, mit der spürbaren Nähe des Göttlichen, an dem die Griechen so fromm waren, dass sie sich selber nicht wiedererkannten – dies ist die Sicht des aus der inneren Emigration schreibenden Stefan Andres, der sein Schicksal in göttliche Hand legt.22 Dass der Wald von Weihgeschenken vor allem aus Kriegsdenkmälern bestand, die in Delphi so dicht wie an keinem anderen Orten Griechenlands versammelt waren, rief sich Stefan Andres nicht ins Bewusstsein. Ist dem heutigen Altertumswissenschaftler diese „Sprache des Temenos“ nicht vernehmlicher, und müssten diese Denkmäler nicht vielmehr als laute, bisweilen aggressive politische Siegespropaganda erscheinen statt als Ausdruck frommer Gesinnung? So sah es jedenfalls auch schon Plutarch, der zu der Statuenweihung der ob ihrer Schönheit gerühmten Hetäre Phryne bemerkt, diese Weihung sei gewiss weniger anstößig als die Denkmäler gegenseitigen Blutvergießens der Griechen: „… so scheinst auch du mir auf gleiche Weise ein Weib, das einen freilich nicht anständigen Gebrauch von seiner Schönheit machte, von dem Heiligtum auszuschließen, während du ohne Unwillen Apollon ringsherum von den Erstlingen und dem Zehnten von Mord, Krieg und Beute umgeben siehst und sein Tempel mit erbeuteten Waffen und Rüstungen der Griechen angefüllt ist. Auch hast du gar kein Mitleid mit den Griechen, wenn du auf den schönen Weihgeschenken die schmählichsten Inschriften liesest: Brasidas und die 20

ANDRES, 1935, 80. ANDRES, 1935, 80. 22 Zu Stefan Andres als Autor der inneren Emigration KLAPPER, 1995, 107–123; ROTERMUND/EHRKE-ROTERMUND, 1999; KLAPPER, 2007; WAGENER, 2007. 21

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Acanthier von den Athenern, die Athener von den Corinthern, die Phocenser von den 23 Thessaliern, die Orneaten von den Sicyoniern, die Amphictyonen von den Phocensern.“

Nach der groß angelegten Neugestaltung des delphischen Apollonheiligtums, die nach dem Tempelbrand von 548/47 v. Chr. erforderlich geworden war24 und bei der eine neue Temenosmauer, die gewaltige polygonale Stützmauer der Tempelterrasse sowie der neue Tempel selbst angelegt wurden,25 füllten sich bis zur und nach der Jahrhundertwende die Areale östlich und südlich der Stützmauer mit Schatzhäusern und Weihungen, unter denen die Weihungen aus Kriegsbeute dominierten. Sie machten Delphi, so formuliert es Anne Jacquemin, zu einem monumentalen Geschichtsbuch der Griechen;26 die „Ruhmesstraße“ gebe Zeugnis von einem „politischen Heiligtum“ Delphi. 27 Noch deutlicher wurde Jakob Burckhardt, der in seiner Griechischen Kulturgeschichte von Olympia und Delphi als „Museen des nationalen Hasses“ spricht.28

3. Weihungen als Spiegel der Perserkriege und ihrer Folgen Pausanias nennt bei seiner ‚Anabasis‘, bei seinem Aufgang zu Tempel und Theater und schließlich zum höher gelegenen Stadion einige Weihungen, die zeitlich den Perserkriegen vorangehen und den Tempelbrand überstanden hatten, so z.B. die kostbaren Kratere, gestiftet vom lydischen König Kroisos.29 Ein Ort des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses wurde Del23

Plut., Pyth. or. 15, 401cd (Übersetzung Chr. N. v. Osiander, G. Schwab). Vgl. Athen., XIII 591b. 24 Hdt., I 50,3; II 180; Paus., X 5,13. Zur Neueinrichtung Ende des 6. und Anfang des 5. Jahrhunderts MAAß, 1993, 89–92.104–106; JACQUEMIN, 1994, 189; SCOTT, 2014, 93–111. Eine ausführliche Darstellung der Geschichte Delphis und seiner Orakelstätte vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis in die Spätantike bietet SCOTT, 2014. 25 Zur Beteiligung der Alkmaioniden am Tempelbau Hdt., V 62,2 f. JACQUEMIN, 1994, 189; MAAß, 2007, 50–53; MAAß, 2010, 65; SCOTT, 2014, 98–101. Zur baulichen Ausgestaltung des Apollonheiligtums in der Zeit zwischen 550 und 500 v. Chr. SCOTT, 2010, 56– 72 mit Abb. 3.4; SCOTT, 2014, 94–98. 26 JACQUEMIN, 1999, 78.84–86; dies., 1994, 198: „Delphi war also der Ort einer in Marmor und in Bronze geschriebenen Geschichte.“ 27 FELTEN, 1982, 95. 28 BURCKHARDT, 1956/57, 284. Tonio HÖLSCHER spricht von einem „Denkmälerkrieg“ (1989, 9: „Die Denkmäler in den Heiligtümern bildeten ein dichtes Netz politischer Konkurrenz, in dem die Konstellationen der griechischen Staaten sich spiegelten. Man war sich durchaus bewußt, daß solche Votivdenkmäler immer weniger zur Ehre der Gottheit als zum Ruhm der Menschen dienten“). Nach MAAß, 2010, 63. 29 Nach Paus., X 16,1 f. war von diesen Weihgeschenken nichts mehr übrig als der eiserne Untersatz des Kraters des Alyattes. Nach Hdt., I 14,1–3 befanden sich die goldenen Kratere, nach I 50,3 ein goldener Löwe zu seiner Zeit im Schatzhaus der Korinther; vgl.

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phi aber dann vor allem durch die Weihungen, die die verbündeten Griechen in der Zeit der Perserkriege und unmittelbar danach weihten.30 Pausanias gibt an, dass das Schatzhaus der Athener, das vermutlich über einem Vorgängerbau errichtet und – erstmals außerhalb Attikas – in pentelischem Marmor an einer für den Besucher gut sichtbaren, exponierten Stelle im Heiligtum ausgeführt wurde, aus der Beute der Athener aus ihrem Sieg über die Perser in Marathon errichtet worden sei;31 Pausanias folgerte dies aus einer noch heute erhaltenen Inschrift, die bei der Weihung der Beutestücke kurz nach 490 v. Chr. an dem Schatzhaus angebracht worden war.32 Nach dieser Inschrift wurde das Anathem als Erstlingsgabe (ἀπαρχή) von dem Sieg „über die Meder bei der Schlacht von Marathon“ gestiftet.33 Die mit der Inschrift versehene Basis trug wahrscheinlich zehn Statuen, vermutlich die namengebenden (eponymen) Heroen der athenischen Phylen.34 Indem die Athener im Metopenschmuck den delphischen Herakles mit dem athenischen Heros Theseus verbanden, schufen sie einen besonderen Bezug zwischen ihrem Schatzhaus und dem Apollontempel selbst.35 Einen prominenten Platz hatte die Weihung von goldenen Waffen an den Metopen des Apollontempels selbst erhalten, die aus der Beute der Schlacht von Marathon stammten, möglicherweise aber erst deutlich später dort angebracht wurden.36 Eine 12 Ellen, also etwa 6 m, hohe bronzene Apollonstatue, einen Schiffsschnabel in der Hand haltend, weihten die verbündeten Griechen, die gegen Hdt., I 51,1 f.; zu weiteren kostbaren Weihungen I 51,3–5; Theopomp FGrHist 115 F 193. Dazu MAAß, 1993, 138 f.; JACQUEMIN, 1999, 72 f.; KERSCHNER, 2006, bes. 256–261; SCOTT, 2014, 84; vgl. THONEMANN, 2016. Zu den möglichen Motiven der Weihungen fremder Herrscher KAPLAN, 2006 (zu den lydischen Königen 130–134.141–152). 30 SCOTT, 2010, 77–88 mit Abb. 4.1. 31 JACQUEMIN, 1994, 191 nimmt die Siege in den ionischen Feldzügen als Anlass an. Ihr folgt MAAß, 2010, 71 f. 32 Paus., X 11,5. Zur vieldiskutierten Datierung des Athenerschatzhauses GAUER, 1968, 45–65; MAAß, 1993, 191 mit Anm. 24; SCOTT, 2010, 78 mit Anm. 15; ders., 2014, 112 f. 33 Syll.3 23.A–B; ML 19; HGIÜ I 32. Nach der Inschrift auf der Kalksteinbasis der leicht geänderten Wiederaufzeichnung aus nachklassischer Zeit: „von den Medern dies als Erstlingsgaben der Schlacht bei Marathon“. Zu den diesbezüglichen Inschriftenformularen JACQUEMIN, 1999, 92-94. 34 Dies weil die Basis nach der Vergrößerung um 246 v. Chr. zwölf Statuen trug (JACQUEMIN, 1994, 191; dies., 1999, 186 f.; SCOTT, 2010, 81). 35 SCOTT, 2010, 80: „The Athenian treasury was a carefully constructed dedication designed to impose Athens’ dominance, both within and through Delphic space“. 36 Paus., X 19,4; die Inschrift überliefert Aischines in Gegen Ktesiphon (Or. 3,116): „Weihgeschenk der Athener aus der Beute der Meder und Thebaner, als diese gegen die Hellenen fochten“. Aischines trat dem Ansinnen entgegen, den Athenern eine Strafe aufzuerlegen, weil sie angeblich die goldenen Schilde an dem neuen Tempel vor dessen Einweihung aufgehängt und die Inschrift angebracht hätten. Siehe auch den Kommentar von MEYER, 1989 zu Paus., X 19,4, MAAß, 1993, 137 und SCOTT, 2010, 77 f. zur Dominanz Athens in dieser Phase der baulichen Ausgestaltung des Heiligtums.

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den persischen Großkönig Krieg führten, aus der Beute der Seeschlachten beim Artemision und bei Salamis (480 v. Chr.). Sie stand machtvoll und alles überragend genau dem Tempeleingang gegenüber.37 Michael Scott, der die panhellenischen Heiligtümer in Delphi und in Olympia unter dem Aspekt der räumlichen Bezüge und der inneren Korrespondenzen untersucht hat, hebt hervor, dass der die Tempelterrasse dominierende Apollon der verbündeten Sieger über die Perser nicht nur die jüngste Weihung der Amphiktyonen, sondern auch den samischen Apollon, dessen Stifter auf persischer Seite gekämpft hatten, in den Schatten stellte.38 Dieser kolossale Apollon, in späteren delphischen Inschriften als mégas andriás bezeichnet, hob sich auch von den anderen Weihegaben, die in Olympia, am Isthmos, in Salamis und in Sunion aufgestellt wurden, deutlich ab und begründete Delphi als das für Kriegsbeute und Siegesweihungen herausragende Heiligtum.39 Auch die Peparethier weihten eine Apollonstatue, nach der erhaltenen Inschrift aus Anlass der Eroberung von zwei karischen Schiffen, die vermutlich während der Schlacht von Salamis oder beim Rückzug der persischen Flotte gekapert worden waren; sie wollten sich mit dieser Weihung in den Kreis der ruhmreichen Sieger einschreiben.40 Als eine gemeinsame Weihung der Griechen aus der Beute der Schlacht von Plataiai (479 v. Chr.) stifteten die Griechen einen goldenen Dreifuß auf einer dreifach ineinander gewundenen Schlangensäule in das Heiligtum, ein insgesamt etwa neun Meter hohes Monument, das rechts des Aufstiegs zur Tempelterrasse, gegenüber der Ostseite des Apollontempels, „ganz in der Nähe des Altars“,41 also in unmittelbarer Nähe der großen Apollonstatue aufgestellt wurde.42 Fortan dominierten diese beiden hoch aufragenden Wei37

Paus., X 14,5; Hdt., VIII 121,2. GAUER, 1968, 71 f. Nach JACQUEMIN, 1994, 192, war Delphi allerdings das einzige Heiligtum, in das die Griechen nach dem Sieg von Salamis Weihgeschenke als Kriegsbeute stifteten; vgl. SCOTT, 2010, 81: „The battles of Salamis and Plataia were commemorated at many sanctuaries, but the Delphic celebration was more insistent and developed than elsewhere.“ Vgl. SCOTT, 2014, 119–122: gegenüber der Tempelfront sei eine „Persian Wars zone“ entstanden (121). 38 SCOTT, 2010, 83 mit einer Karte der nach den Perserkriegen aufgestellten Weihungen. Zur politischen Konkurrenz von Votivdenkmälern auch HÖLSCHER, 1974, 72–84. 39 FdD III 5, 22 Z. 30. SCOTT, 2010, 83 f. 40 JACQUEMIN, 1994, 192; dies., 1999, 171; GAUER, 1994, 176: „Die Peparethier … weihten aus der Beute dieser fragwürdigen Heldentat eine Apollonstatue, die sie demonstrativ neben den kolossalen salaminischen Apollon der Hellenensymmachie aufstellten.“ 41 Hdt., IX 81,1; vgl. II 135,4. GAUER, 1968, 75–96; MAAß, 2010, 74. 42 Paus., X 13,9; Hdt., IX 81,1 (ein Zehnter in Form einer kolossalen Zeusstatue [Paus., V 23,1] wurde auch nach Olympia und in Form einer Poseidonstatue dem Gott auf dem Isthmos geweiht). Die Inschrift auf der „Schlangensäule“ Syll.3 31; ML 27; HGIÜ I 42 mit Nennung der Lakedaimonier, Athener, Korinther, Tegeaten, Sikyonier, Aigineten, Megarer, Epidaurier, Erchomenier, Phleiasier, Troizenier, Hermioneer, Tirynthier, Plataier, Thespier, Mykener, Keer, Melier, Tenier, Naxier, Eretrier, Calkidier, Styrier, Eleer, Potei-

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hungen den Platz vor der Tempelfront. Die an die Stützmauer des Apollontempels angelehnte „Athenerhalle“ hatte Beutestücke aufgenommen, Teile der von Xerxes errichteten Brücke über den Hellespont, die die Athener 478 erbeutet hatten.43 Hinzu kamen Beutestücke von Einzelpersonen: der Athener Kallias stiftete ein Weihgeschenk aus eigenen Geldern „aus dem Krieg gegen die Perser“. 44 Themistokles habe dem delphischen Apollon Teile aus der Mederbeute weihen wollen, sei aber abgewiesen worden, als er fragte, ob er sie innerhalb des Tempels aufstellen dürfe.45 Einen Stier weihten die Epidaurier aus der Beute „von den Medern“; ebenso die Plataier, nachdem sie den persischen Feldherrn Mardonios zusammen mit den anderen Griechen abgewehrt hatten.46 Zu Ehren des Skyllis aus Skione und seiner Tochter Hydna weihten die Amphiktyonen Statuen in Delphi, da sie als Taucher die Anker und Sicherungen der Kriegsschiffe der Xerxesflotte am Pelion gelöst hatten.47 Der Altar, dem Apollontempel im Osten vorgelagert, war von den Chiern „bald nach den

daiaten, Leukadier, Anaktorier, Kythnier, Siphnier, Ambrakioten, Lepreaten. Zu der angeblich vorher angebrachten Inschrift des selbstherrlichen spartanischen Königs Pausanias Thuc., I 132,2 f.; vgl. Diod., XI 33,2. Zum Aufstellungsort und zum zugehörenden Sockel MAAß, 1993, 189 f. mit weiterer Literatur; SCOTT, 2014, 121 f. 43 Paus., X 11,6. GAUER, 1968, 101 f. Zur Inschrift Syll.3 29; ML 25; HGIÜ I 25. SCOTT, 2010, 96: „The stoa, coupled with the Athenian treasury, offered the Athenians substantial domination of the Apollo sanctuary’s central zone“. Später kamen weitere Beutestücke aus den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges hinzu, Bugzierat und Schilde vor allem aus dem Seesieg des Phormion über Korinth und dessen Bundesgenossen bei Naupaktos (429 v. Chr.). Die Beutestücke stammten nach der Inschrift, auf die Pausanias verweist, von den verbündeten Peloponnesiern: Elis und Lakedaimon, Sikyon, Megara, Pellene in Achaia, Ambrakia, Leukas und Korinth. JACQUEMIN, 1999, 85, 119, 152; MAAß, 2010, 72. 44 Paus., X 18,1. SCOTT, 2010, 96 f. 45 Paus., X 14,5 f. (εἰ ἐντὸς ἀναθήσει τοῦ ναοῦ). Dazu GAUER, 1994, 173. 46 Paus., X 15,1. SCOTT, 2010, 84. Zu den vom delphischen Apollon von den Aigineten geforderten Beutestücken aus der Seeschlacht bei Salamis Hdt., VIII 121 f.; JACQUEMIN, 1994, 192; dies., 1999, 251; MAAß, 2010, 64; SCOTT, 2010, 84 f.: „Yet it has also been argued that the Aeginetans had been accused of Medisation by the Athenians and so were forced into dedicating at Delphi in order to display monumentally their pro-Greek credentials“. Nach Paus., X 16,6 hätten auch die Karystier aus Euboia einen bronzenen Stier „aus der medischen Beute“ geweiht. Das passt allerdings nicht mit dem Bericht Herodots zusammen, dass Karystos 490 von Dareios unterworfen wurde und dann auf persischer Seite kämpfte; nach den Perserkriegen kauften sie sich von einer Strafe frei, wurden aber dennoch von den Griechen geplündert. 472 gewannen die Athener die Stadt (Hdt., VI 99,2; VIII 112,2 f. und 121,1). SCOTT, 2010, 86 f. 47 Paus., X 19,1.

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Perserkriegen“ geweiht worden – ob auch aus Anlass des Siegs über die Perser lässt sich allerdings nicht sichern.48 Die Perserkriege fanden also einen vielfältigen Niederschlag in der baulichen und statuarischen Ausgestaltung des Heiligtums, geweiht zunächst von den bei Marathon siegreichen Athenern, dann aber auch von den verbündeten Griechen bei den Seeschlachten am Artemision und bei Salamis und schließlich von denjenigen Verbündeten, die den persischen Feldherrn Mardonios bei Plataiai zum Rückzug gezwungen hatten.49 Verfolgt man die von Pausanias für Delphi genannten und durch Inschriften belegten Kriegsweihungen durch das 5. Jahrhundert hindurch, so zeichnet sich eine Entwicklung ab, die stufenweise von eher neutralen Weihungen zu ‚martialischeren‘, den Gegner offen benennenden, ‚national‘ aufgeladenen Denkmälern führt. Schilde und militärische Ausrüstung waren auch bereits vor 490 in das delphische Heiligtum geweiht worden; einige davon befanden sich beim angeblichen Perserzug gegen Delphi 480 als „heilige Waffen“ (ὅπλα ἱρά) im Innern des Tempels.50 Die Perserkriege kommen indes einer Initialzündung gleich; sie gaben den Anstoß für monumentale statuarische Weihungen, die späteren Siegern Vorbilder lieferten. Noch aber blieben die Weihungen auf den verehrten Gott bezogen, waren in ihren Bildern neutral: Es waren Apollonstatuen, Dreifüße, bei dem frühen Anathem der Phoker der Kampf zwischen Apollon und Herakles um den Dreifuß,51 Kratere, Stiere und andere Opfertiere.52 Bereits in das 6. Jahrhundert gehören erste großformatige 48

Nach Ausweis der Inschrift und Hdt., II 135,4. In Hdt., IX 81,1 und Paus., X 14,7 ist der Altar nur kurz genannt. Die Unsicherheit beim Anlass betont auch JACQUEMIN, 1994, 189. 49 Einige der siegreichen Verbündeten sind allerdings nicht mit Weihungen in Delphi vertreten (SCOTT, 2010, 85). Zu den Weihungen, die nach den Perserkriegen in Delphi erfolgten, insgesamt: GAUER, 1968; JACQUEMIN, 1999, 84 f.250–252; SCOTT, 2010, 77– 88. GAUER, 1968, 22, hebt hervor, dass für den Sieg bei Marathon Weihegaben nach Delphi und in athenische Heiligtümer gestiftet wurden, kein monumentales Beuteanathem hingegen ins Heiligtum in Olympia; die Weihung des Zeus sei eine Weihung der Symmachoi nach dem Sieg von Plataiai. 50 Hdt., VIII 37,1: im megaron des naos. Zu Waffenweihungen MAAß, 1993, 132, 137 f.; SCOTT, 2010, 75; ders., 2014, 67–69. 51 Es war eine Weihung aus der Beute eines Krieges gegen die Thessaler (Paus., X 13,7; Hdt., VIII 27,4 f.). JACQUEMIN, 1999, 84; SCOTT, 2010, 75. Zur Weihung von Apollonstatuen, Dreifüßen, Tieren und anderen Objekten JACQUEMIN, 1999, 170–180. 52 Zu Dreifüßen als Weihungen in Delphi MAAß, 1993, 127 f. Dass in Delphi Dreifüße nicht mehr nur als individuelle Statussymbole galten, sondern auch als Zeichen militärischer Siege verwandt wurden, betont SCOTT, 2010, 77. Die Veränderung der Weihegaben hat schon Theopomp konstatiert (FGrHist 115 F 193; vgl. Athen., VI 231f–232b). Zu den für Siege geweihten Dreifüßen im lakonischen Amyklai Paus., IV 14,1–3: Das von den Spartanern geweihte Denkmal aus der Beute des siegreich beendeten (ersten) Messenischen Kriegs bestand aus bronzenen Dreifüßen, einer mit einem Aphroditebild unter dem ersten, einem Artemisbild unter dem zweiten und einem der Kore und Demeter unter dem

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Statuenweihungen wie die Sphinx der Naxier, und es wurden von verschiedenen Städten Schatzhäuser in beide Heiligtümer nach Delphi und Olympia geweiht.53 Doch mit den Perserkriegen setzt eine Veränderung ein: Wurde anfangs auf den Anathemen nur vermerkt, dass es sich um aparchai oder eine dekatē aus Kriegsbeute handelt – so wie es in Olympia üblich blieb –, finden wir in den Inschriften der delphischen Siegesdenkmäler seit den Perserkriegen „die Meder“ explizit als Kriegsgegner benannt.54 Auf den frühen Denkmälern sind es noch die ‚Barbaren‘, doch sollten kurze Zeit später auch Siegesdenkmäler von Kriegen zwischen griechischen Poleis mit expliziter Nennung des griechischen Feindes folgen,55 ja sogar Siegesdenkmäler, bei denen der siegreiche Feldherr mit in das Figurenprogramm aufgenommen und schließlich auch der gefallene, sterbende Gegner dargestellt wurde.56 dritten. Die Dreifüße stellten sie dem Amyklaios auf. Die dabei stehenden, noch größeren Dreifüße waren aus der Beute des Sieges bei Aigos Potamoi geweiht (Paus., III 18,8). 53 FELTEN, 1982, 80f.; MAAß, 2010, 68–74; SCOTT, 2010, 41–69 mit Abb. 3.2. So wie in Delphi Apollonstatuen geweiht wurden, so waren es in Olympia Zeusstatuen; hinzu traten Weihungen von Heraklesstatuen. 54 Möglicherweise gilt dies auch schon für das Anathem der Phoker, für dessen Weihung gemäß Herodot und Pausanias der Sieg in einem Krieg gegen die Thessaler der Anlass war (s. oben Anm. 51; JACQUEMIN, 1999, 52 f.). In das erste Viertel des 5. Jahrhunderts gehört die frühere Weihung der Tarentiner aus einem Sieg über die Messapier: sie zeigte bronzene Pferde und gefangene Frauen (Paus., X 10,6–8; FdD III 1, Nr. 129 f.: [Ταραντ]ῖνο[ι Ἀπόλλωνι ἀπὸ Μεσσαπ]ίων ἑλόντες δεκάταν). Nach FELTEN, 1982, 93 ist für Olympia typisch, dass der Anlass bei den Siegesweihungen nur neutral genannt wird: „als Zehnter von vielen Städten“, „nach einem Erfolg im Krieg“, „aus Feindesbeute“. Ausdrücklich sagt Pausanias (V 26,6) für die Nike der Mantineer, „… doch nennen sie den Krieg in der Inschrift nicht“. Von diesem Usus gibt es in Olympia nur wenige Ausnahmen. 55 Die wenigen Siegesweihungen in Olympia, für die die Inschriften den Anlass angeben, sind ausnahmslos solche über Barbaren (FELTEN, 1982, 94). 56 Diese Veränderung hat auch FELTEN, 1982, 82.88 f. konstatiert: In Olympia nennen die Inschriften nur die Herkunft der Weihung, in Delphi zusätzlich den Anlass der Weihung: die Apollines der Lipareer für den Sieg über die Tyrrhener, der Massalioten-Apoll für einen Sieg über die Karthager, die Orneatenweihung für einen Sieg über die Sikyonier (Plut,. Pyth. or. 15, 401d; vgl. oben Anm. 23). Bei den nach Olympia gestifteten Beutewaffen fehlten hingegen solche definierenden Angaben, die dann im 5. Jahrhundert fast regelmäßig verzeichnet werden, allerdings nur bei den Waffenweihungen (FELTEN a.a.O. mit den Belegen in Anm. 18 und 19 und 93). Ähnlich ebd. 87: „Viel häufiger als in Olympia wird neben das ‚Ziel‘ der Weihung – den Gott – der Weihende gestellt, der sich in der Weihgabe schriftlich oder inhaltlich definiert. Dieses Moment des nachdrücklichen Hinweises auf den Weihenden und den Anlaß der Weihung – das sich in Delphi im Lauf der Zeit so stark ausprägt, daß das einfache Bild des Gottes dadurch abgelöst wird – äußert sich ganz unverhüllt bei einer Gattung von Weihgeschenken, die die in Frage stehende Zeit vor allen anderen charakterisiert: den Gruppenanathemen“. – In die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts wird das von den Tarentinern geweihte Denkmal datiert, das aus Anlass eines Sieges der Tarentiner gegen die Peuketier aufgestellt wurde. Der Iapygenkönig Opis, den Peuketiern zu Hilfe kommend, sei „als in der Schlacht gefallen“ dargestellt; der Stadtheros

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Auch andere Poleis und griechische Mächte versuchten in Delphi präsent zu sein, angesichts der vielfältigen Kriegsweihungen derjenigen Griechen, die einen Anteil am Sieg für sich beanspruchten. Die Korkyraier weihten dem Apollon einen Stier, weil ein Stier – als Bote der Meeresgöttin – die Fischer auf einen wunderbaren Thunfischfang gewiesen hatte. Die Korkyraier hätten am Kampf gegen die Perser teilnehmen wollen, doch Stürme am Kap Malea hätten sie daran gehindert.57 Auf die Tempelterrasse weihten auch die Karystier einen bronzenen Stier und kaschierten damit ihre vorsichtige Haltung in den Perserkriegen.58 Ähnliches gilt für die Weihung des Makedonenkönigs Alexander I., der neben dem Apollon von Salamis eine goldene Statue aufstellte; er hatte eine für Makedonien geschickte Politik zwischen Persern und Griechen verfolgt, präsentierte sich aber in Delphi mit der Weihung als Freund der Griechen inmitten ihrer Siegesweihungen.59 Alles in allem gewann ein Besucher Delphis den Eindruck gemeinschaftlicher Siege der Griechen gegen die Perser, und viele griechische Städte, auch die wankelmütigen, konnten sich in den Kreis der Weihenden einreihen. Das gilt auch für das Heiligtum in Delphi selbst, das sich gegen eine kriegerische Auseinandersetzung mit den übermächtigen Persern ausgesprochen hatte. Durch die nach den siegreichen Kriegen so zahlreich aufgestellten Weihegaben aus der Kriegsbeute konnte sich auch Delphi im Licht der Befreier Griechenlands sonnen.60 Der Sieg hat viele Väter. Offen kollaborierende Mächte wie Thessalien oder Theben fehlen freilich unter den Dedikanten in Delphi. Präsent ist in Delphi seit den 480er Jahren insbesondere Athen und vor allem die Familie der Philaiden, die mit Miltiades den führenden Feldherrn der Schlacht bei Marathon gestellt hatte und mit Kimon als Sieger der Doppelschlacht am Eurymedon denjenigen, der die Perser schließlich auch in KleinTaras und der Gründerheros Phalantos symbolisieren die Sieger. Es ist offenbar das erste Denkmal, das einen gefallenen, toten bzw. sterbenden Gegner zeigt (Paus., X 13,10; MAAß, 1993, 195 f.; JACQUEMIN, 1999, 192 f.). 57 Hdt., VII 168. Die Inschriften bestätigen die Angaben des Pausanias in X 9,3 (HABICHT, 1985, 77). 58 S. oben Anm. 46. Reste der Basis mit zwei Weihinschriften sowie dem Wappen der Stadt – einer Kuh mit einem säugenden Kalb – sind erhalten. JACQUEMIN, 1994, 192 f. 59 Hdt., VIII 121,2; Paus., X 11,5. JACQUEMIN, 1994, 192 f. Ähnlich beurteilt dies GAUER, 1994, 176: „Ein schlechtes Gewissen läßt sich immer durch eine fromme Stiftung beruhigen.“ SCOTT, 2010, 87. Die sizilisch-unteritalischen Griechen haben sich später als Retter griechischer Freiheit im Westen in das Vergangenheitsbild der Griechen eingeschrieben, mit Denkmälern, die bewusst Vorlagen der Perserkriegsdenkmäler aufgenommen haben (JACQUEMIN, ebd.; dies., 1999, 84 f.252–254; SCOTT, 2010, 88–91). In ähnlicher Weise haben sich im 3. Jahrhundert die Aitoler mit ihrem Sieg über die Galater ebenfalls in die Tradition der Perserkriege gestellt (JACQUEMIN, 1999, 254–256). 60 Zu dem angeblichen Angriff der Perser auf Delphi siehe Hdt., VIII 35–39. JACQUEMIN, 1999, 251 f.: „Ainsi Apollon avait conquis une image de défenseur de la Grèce et de combattant de la liberté qui avait été à l’origine de nouvelles consecrations“.

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asien zurückgedrängt hatte. Aus diesem Anlass stifteten um 465 v. Chr. die Athener eine vergoldete Athenastatue auf einer bronzenen Palme als Trägersockel.61 Athen dehnte in dieser Zeit seine Macht in der Ägäis aus und konnte mit diesem Denkmal die erfolgreiche endgültige Zurückdrängung der Perser ins Bild setzen. Die Anatheme der Athener kündigen indes mit der Weihung dieser Athenastatue und mit den Bildnissen der neben dem Schatzhaus aufgestellten Phylenheroen eine neue Richtung an, bei welcher der Sieger und dessen Selbstdarstellung vor den delphischen Apollon rückt. Gesteigert ist dies in einer Weihung, die die Athener – vermutlich gut 30 Jahre nach dem Ereignis – nach Delphi stifteten, finanziert aus dem Zehnten der Schlacht von Marathon, dessen Statuen Phidias schuf. Da Phidias der schaffende Künstler war, wird die Weihung um 465/460 datiert. Zu dieser Zeit war Miltiades bereits verstorben, sein Sohn Kimon in innenpolitische Kämpfe gegen Ephialtes und Perikles und in außenpolitische um die Frage des Verhältnisses Athens zu Sparta verstrickt. Das Anathem zeigte Statuen der Athena und des Apollon, Miltiades als Strategen und sieben eponyme Phylenheroen, dazu Kodros, Theseus und Philaios.62 Es war vermutlich das erste Mal, dass für einen Sterblichen als siegreicher Feldherr eine Statue in Delphi errichtet wurde.63 Die deutlich spätere Anfertigung der Weihung deutet auf eine neue Ausrichtung und Zielsetzung der Denkmäler hin, die jetzt auch Mittel des aktuellen innen- und außenpolitischen Kampfs oder innergriechischer Auseinanderset61

Paus., X 15,4 f.; Plut., Nic. 13,3. Wie die Schlangensäule war der Palmbaum nur der Träger der eigentlichen Votivgabe. Der Palmbaum ist Sinnbild des Sieges und dem Apollon heilig (GAUER, 1968, 105–107; JACQUEMIN, 1994, 193; vgl. MAAß, 1993, 191; SCOTT, 2010, 96 f.). Bei der Niederlage der Athener in Sizilien sollen die goldenen Früchte vom Palmbaum abgefallen sein (Plut., Pyth. or. 8, 397f). 62 Paus., X 10,1 f. Phidias’ Schaffenszeit reichte von ca. 460 bis 430 v. Chr., wobei das „Miltiadesdenkmal“ in die frühe Zeit fallen wird (GAUER, 1968, 65–70; NEUDECKER, 2000, 761: „aus historischen Gründen“ kurz vor 465). Anne JACQUEMIN schließt eine Datierung in die 480er Jahre aus und setzt es entweder zwischen den Sieg am Eurymedon und dem Ostrakismos Kimons oder zwischen Kimons Rückkehr und seinem Tod. Vgl. MAAß, 2010, 68. 63 JACQUEMIN, 1994, 193: „Die Anwesenheit des sterblichen Siegers inmitten der Heroen und Götter war eine kühne Neuheit, die einen großen Einfluss ausgeübt hat.“ MAAß, 1994, 190 f.: „Wahrscheinlich hat Kimon mit dem Monument, etwa nach dem Sieg vom Eurymedon (um 465 v. Chr.), den Sieg des Vaters gefeiert.“ In der athenischen Stoa Poikile waren in dem Gemälde mit der Darstellung der Schlacht von Marathon der Stratege Miltiades und der Polemarch Kallimachos neben dem Heros Echetlos dargestellt (Paus., I 15,3). Auch zu der Figurengruppe, die von den Phokern aus Anlass eines Siegs gegen die Thessaler geweiht wurde, gehörten Statuen der siegreichen Feldherren, die im Kreis von Göttern und lokalen bzw. eponymen Heroen dargestellt waren (Paus., X 1,10; vgl. X 13,6). Zu der umstrittenen Datierung und Zuordnung der phokischen Weihungen JACQUEMIN, 1994, 191; dies., 1999, 52 f.; SCOTT, 2010, 124 f. Zu den Statuen eponymer Heroen JACQUEMIN, 1999, 185–187.

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zungen wurden. Denn in diesen Jahren brach Athen mit Sparta und ging ein Bündnis mit Argos ein.

4. Weihungen als Spiegel innergriechischer Auseinandersetzungen In diesen 460er oder 450er Jahren folgten zwei weitere Siegesdenkmäler, die diese Konfrontation zwischen Athen und Argos einerseits und Sparta andererseits ins Bild setzten. Es sind dies das argivische Monument mit der Darstellung der „Sieben gegen Theben“ und das sogenannte Epigonenmonument. Nach Pausanias stammte das Weihgeschenk mit den „Sieben“ aus der Beute des Sieges der Argiver über die Lakedaimonier bei Oinoë in der Argolis, den sie mit athenischer Hilfe um 460 v. Chr. errungen hatten. Die Inschrift des Anathems ist hingegen neutral: Ἀργεῖοι ἀνέθεν τἀπόλλονι.64 Pausanias vermutet, dass aus derselben Beute das argivische ‚Epigonendenkmal‘ gestiftet wurde.65 Da Pausanias dies ausdrücklich als ‚Vermutung‘ äußert, ist davon auszugehen, dass auch bei dieser Weihinschrift nicht ausdrücklich vermerkt war, dass es sich um Beute aus dem Krieg gegen Sparta bei Oinoë handelt. Ein bedeutender Sieg muss es indes gewesen sein: Denn auch die Athener feierten ihn in einem Gemälde in der um 457 v. Chr. erbauten Stoa Poikile, auf dem nach Pausanias zu sehen war, wie die Athener bei Oinoë an der argivisch-spartanischen Grenze den Spartanern gegenüberstehen.66 Die Athener und die Argiver scheuten sich also nicht, auch innergriechische Kriege öffentlich in Szene zu setzen, wenn auch in Delphi in ein mythologisierendes Gewand gekleidet.67 Die Antwort der Spartaner folgte 30 Jahre später. Bis zu dieser Zeit waren die Spartaner ‚nur‘ als Erstgenannte auf der Schlangensäule auf monumenta64

SEG 38,314; FdD III 1, Nr. 90. Paus., X 10,4: „wie mir scheint“. Ob das Epigonendenkmal auch auf den Sieg von Oinoë zu beziehen ist, bleibt also unsicher; nach FdD III 1, Nr. 90 ist eine Datierung in die Zeit um 460 v. Chr. möglich; vgl. MAAß, 1993, 197–199; JACQUEMIN, 1994, 196; dies, 1999, 55. In welche Zeit die von den Lakedaimoniern geweihte Statue der Hermione gehört, ist unbekannt (Paus., X 16,4). Der Bildhauer Kalamis könnte in das 5. oder das spätere 4. Jahrhundert gehören. Vgl. SCOTT, 2010, 100. 66 Paus., I 15,1. 67 SCOTT, 2010, 101 spricht von „increasingly aggressive spatial politics in the sanctuary at this time by poleis like Argos, Thessaly and Sparta, which made offerings either in polarised groups or else in direct spatial opposition with their rivals“. Gegen Athen gerichtet war die Weihung der Megarer, die einen Apollon mit Speer errichten ließen, weil sich die Athener nach den Perserkriegen ihrer Stadt bemächtigt hätten; sie hätten gegen die Athener gesiegt und sie aus der Stadt vertrieben: Plut., Pyth. or. 16, 402a. Dies wird sich auf Ereignisse des Jahres 446 v. Chr. beziehen (Thuc. I 114–115,1). SCOTT, 2010, 103. 65

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len Siegesdenkmälern in Delphi präsent, ein Rang, der der Stadt aufgrund ihrer Hegemonie im Perserkrieg zustand.68 Nachdem der spartanische Feldherr Brasidas 424 v. Chr. die verbündete Stadt Akanthos Athen abspenstig gemacht hatte, stifteten Akanthos und Brasidas (offenbar aus der Beute) ein Schatzhaus nach Delphi. An dem Bau wurde die Inschrift angebracht: „Brasidas und die Akanthier von den Athenern.“69 Es wäre dies das erste gesicherte Denkmal, das einen innergriechischen unterlegenen Gegner explizit nennt. Man mag einwenden, dass dies keine offizielle Weihung der Stadt Sparta war, sondern zunächst der Bürger der Stadt Akanthos und von Brasidas als Einzelperson, und dass Brasidas möglicherweise für seinen politischen Kurs und diese Form der Selbstdarstellung wenig Unterstützung in Sparta fand – denn er durchbrach damit das Selbstbild der spartanischen homoioi mit seiner Zurücknahme des Einzelnen.70 Doch am Ende des Peloponnesischen Kriegs ließ Sparta solche Hemmungen fallen. Nach dem Sieg über die Athener bei Aigos Potamoi (405 v. Chr.), der in die Belagerung Athens und dessen endgültige Kapitulation mündete, weihte Sparta das figurenreichste Monument innerhalb des gesamten delphischen Temenos, das unmittelbar hinter dem Eingang zum heiligen Bezirk und direkt neben dem athenischen „Miltiades-

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Sparta, Tegea und Korinth weihten keine eigenen Denkmäler nach Delphi. Auch dies macht noch einmal die propagandistischen Ziele der Weihungen auf einer gesamtgriechischen Bühne deutlich. Zu spartanischen Weihungen von einzelnen Statuen in Delphi JACQUEMIN, 1999, 57; SCOTT, 2010, 100; zu Weihungen der Spartaner in Olympia FELTEN, 1982, 83. 69 Plut., Pyth. or. 14, 400f. Inschrift: ebd. 15, 401c und Lys. 1,1. Zum historischen Kontext Thuc., 4,84–88. Neben dem Eingang habe innerhalb des Schatzhauses eine Marmorstatue des Lysandros gestanden. Viele indes glaubten, es sei eine Statue des Brasidas (Plut. Lys. 1,1). Außerdem befand sich in dem Schatzhaus eine aus Gold und Elfenbein hergestellte, zwei Ellen lange Triëre, die Kyros dem Lysandros als Siegesgabe geschickt hatte, sowie ein Depot Lysanders in Höhe von eineinhalb Talenten Silber (Lys. 18,2). SCOTT, 2010, 104 f. Anne JACQUEMIN indes zweifelt daran, dass die Inschrift das Schatzhaus als das des „Brasidas und der Akanthier“ ausgab. Wahrscheinlicher sei, dass es sich um eine Weihung der Akanthier handelte, aus Dank für ihre Befreiung durch Brasidas. 70 Brasidas hatte sich dafür stark gemacht, das Hilfeersuchen Perdikkas’ II. anzunehmen, und wurde von Sparta mit dem Unternehmen beauftragt, allerdings nur mit 700 als Hopliten ausgerüsteten Heloten, die er durch 1000 Söldner verstärkte. Nachdem er Akanthos auf die Seite Spartas gebracht hatte, zwang er auch Amphipolis zur Kapitulation. Die für weitere Erfolge nötigen Verstärkungen verweigerte Sparta allerdings, da politische Gegner des Brasidas eine Verständigung mit Athen anstrebten, um die Freigabe der auf der Insel Sphakteria eingeschlossenen Spartiaten zu erreichen (Thuc., IV 108,7; 117,1 f.). Bei dem 423 vereinbarten einjährigen Waffenstillstand weigerte sich Brasidas, das gerade gewonnene Skione zu räumen (Thuc., IV 120–123). Brasidas stand also durchaus in Konflikt mit anderen politischen Kräften, die in seiner energischen Außenpolitik eine Gefahr für die innere Ordnung Spartas sahen. In Amphipolis wurde Brasidas als Stadtgründer (oikistes) geehrt.

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denkmal“ aufgestellt wurde.71 Wie dort Miltiades ist bei dem spartanischen Denkmal Lysandros, der führende spartanische Feldherr, umgeben von Göttern (den Dioskuren, Zeus, Apollon, Artemis und Poseidon) dargestellt, wie er von Poseidon (nicht Apollon!) bekränzt wird. Neben ihm befinden sich Statuen von Agias, dem Seher des Lysandros, und Hermon, der das Admiralsschiff des Lysandros steuerte. Unter den dahinter angeordneten Nauarchen befinden sich einige Lakedaimonier, aber auch Feldherren der peloponnesischen Bundesgenossen, darunter solchen aus Chios, Rhodos, Knidos, Ephesos und Milet – insgesamt 37 Bildnisse von Göttern und Feldherren sowie ein nicht von Pausanias genannter Herold –, so als wollten die Lakedaimonier demonstrieren, dass am Ende sich ganz Griechenland gegen den ‚Tyrannen‘ Athen vereint hätte, mehr ein Sieg der Griechen als das allein Athen verherrlichende Miltiadesdenkmal gleich nebenan.72 In den Inschriften sind die dargestellten Götter und Nauarchen namentlich genannt, dazu eine Elegie des Ion von Samos: Sein Bildnis hat geweiht [auf] diesem Monument, als er siegreich mit schnellen Schiffen zerstörte der Ke[k]ropiden Macht, Lysandros, und krönte so das unzerstörbare Lakedaimon, Hellas’ Akropolis, die schön umtanzte Heimat. Ion aus Samos, dem meerumspülten, 73 schuf die Elegie.

Die Weihungen, die in Sparta selbst aufgestellt wurden, waren zurückhaltender: Dort stiftete Lysandros in der Halle auf der Akropolis zwei auf Adlern stehende Nikestatuen, eine für seinen Sieg über den Steuermann des Alkibiades bei Ephesos, eine für den Sieg bei Aigos Potamoi, und in Amyklai drei Dreifüße mit Statuen der Aphrodite, der Artemis und der Kore ebenfalls für den Sieg bei Aigos Potamoi.74 Waren personifizierte Bildnisse erfolgreicher Feldherren in den Heimatstädten verpönt, weil sie die Konkurrenz innerhalb der führenden Schicht empfindlich störten, schien dies auf der gesamtgriechischen Bühne in Delphi durchsetzbar zu sein. Michael Maaß urteilt zu Recht über die Korrespondenz der Denkmäler: „Dieses Propagandamonument hob in anstößiger Weise die Trennung zwischen göttlichen und menschlichen 71

Paus., X 9,7–10. Plut., Pyth. Or. 2, 395b. Die Blöcke mit den fragmentarischen Inschriften sind erhalten. MAAß, 1993, 199 f.; SCOTT, 2010, 105: „the most aggressive opposition to Athens and its dedications“. Eine ungefähre Vorstellung von dem martialischen Erscheinungsbild des Heiligtums vermittelt die 3D-Rekonstruktion bei SCOTT, 2010, 104 Abb. 4.9; vgl. dens., 2014, 137. Voraus ging vermutlich das Siegesdenkmal der lakedaimonischen κώµα der [P]yritai, ein Stier als Fünfzigster aus dem Kampf gegen Oianthaia 426 v. Chr. (FdD III 1, Nr. 68; Thuc., III 101,2). 72 Syll.3 115; ML 95 (FdD III 1, Nr. 50–69). SCOTT, 2010, 105-107. Als Folge der sizilischen Katastrophe hatten die Syrakusaner aus der Beute bereits ein Schatzhaus in Delphi gestiftet (Paus., X 11,5). 73 Frg. 87 Diehl. Übersetzung HGIÜ I 151. 74 Paus., III 17,4. In Amyklai standen außerdem ältere (kleinere) Dreifüße, die aus dem Zehnten der messenischen Kriege geweiht worden sein sollen (Paus., III 18,7 f.).

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Sphären, Mythos und Realität, auf und deklassierte die Siegesmonumente der Athener, die der Besucher dann im weiteren Aufstieg abschreiten konnte.“ 75 Fünfunddreißig Jahre später hatte sich das Blatt erneut gewendet. Nachdem zunächst Sparta seine Hegemonie ausgebaut, mit persischer Hilfe gefestigt und Tendenzen bundesstaatlicher Zusammenschlüsse wie im Falle Olynths unterbunden hatte, brachte die Schlacht von Leuktra 371 v. Chr. die Wende. Der Thebaner Epameinondas nutzte den Sieg, griff unmittelbar danach auf die Peloponnes über, befreite das von Sparta beherrschte Messenien, rief die außerhalb der Heimat lebenden Messenier dorthin zurück und entließ das mittelbar abhängige Arkadien aus dem spartanischen Zugriff. Auch diese gerade für Sparta epochale Wende findet ihren Niederschlag, nicht nur in einer neu auflebenden Münzprägung Messeniens und verschiedener arkadischer Städte, sondern auch in mehreren Siegesdenkmälern in Delphi, die die Niederlage Spartas feierten und die provokativ den spartanischen Denkmälern entgegengesetzt wurden. Aus der Kriegsbeute der Schlacht bei Leuktra finanzierten die Thebaner ein Schatzhaus, das sich im Südwesten des Heiligen Bezirks unmittelbar an die südliche Temenosmauer anlehnt.76 Es ist das erste Mal, dass Theben mit einer Weihung in Delphi präsent ist. Direkt gegenüber dem großen LysanderAnathem am Eingang zum Temenos weihten die arkadischen Tegeaten eine Basis mit Statuen, der Stoa der Spartaner oberhalb der Heiligen Straße unmittelbar vorgelagert: Apollon und Nike und die einheimischen Heroen, unter anderem Arkas als namengebender Heros der Arkader und Triphylos als Eponym der Triphylier, welche sich direkt im Jahre 369 an den arkadischen Bund angeschlossen hatten. Damit demonstrierten sie, dass Arkadien eine neue Selbständigkeit erlangt hatte, dass sie anknüpften an ihre mythische Vergangenheit und die Vorstellung ihrer Autonomie und Autochthonie, dass sie also seit jeher im Innern der Peloponnes beheimatet waren. Finanziert wurde das Denkmal durch Mittel, die die Tegeaten durch gefangen genommene Lakedaimonier errungen hatten, denn die Arkader hatten sich an dem Einfall des Epameinondas in die Peloponnes im Winter 370/69 beteiligt.77

75

MAAß, 2010, 67. Zum Unterschied der Weihungen in Delphi und den Heimatstädten GAUER, 1968, 126 f. 76 Paus., X 11,5. Nach Theopomp FGrHist 115 F 247 (bei Athen. XIII 604f–605a) hat der Geliebte des Epameinondas, Asopichos, in seinen Schild das Siegeszeichen von Leuktra eingraviert und ihn nach Delphi „in die Stoa“ geweiht. Zum Schatzhaus der Thebaner SCOTT, 2010, 114 f. 77 Paus., X 9,5 f. Inschriftlich sind die „Arkader aus Tegea“ (Τεγεᾶται Ἀρκάδες) auf dem Monument nachgewiesen (HABICHT, 1985, 75; vgl. JACQUEMIN, 1999, 62; MAAß, 2010, 68; SCOTT, 2010, 117; ders., 2014, 146f.). Die Weihung eines bronzenen Apoll durch die arkadische Stadt Mantineia (Paus., X 13,6) kann von Zeit und Anlass nicht bestimmt werden.

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An dem Denkmal wirkte Antiphanes von Argos mit, der auch das bronzene Pferd fertigte, das die Argiver für ihren Sieg gegen die Lakedaimonier im Kampf um die Landschaft Thyreatis gestiftet hatten, also zeitlich ebenfalls in diesen Zusammenhang der ‚Befreiung‘ der Peloponnes gehören wird.78 Anlässlich der Neugründung der Stadt Messene weihten die Argiver weitere Statuen nach Delphi: Danaos als mythischer argivischer König mit seiner Tochter Hypermestra und ihrem Mann Lynkeus „und ihr ganzes weiteres Geschlecht“ bis hinauf zu Herakles und zu Perseus reichend. Dieses Siegesdenkmal fand auf dem gegenüber dem ‚Epigonendenkmal‘ nördlich der Heiligen Straße errichteten Monument seinen Platz.79 Die fragmentarisch erhaltene Weihinschrift zeigt wenig Zurückhaltung: Aufgestellt haben das µνῆµα „die Arkader, die Lakedaimon vernichtet haben, den Nachfahren zur Erinnerung“.80 Ob auch die befreiten und die in ihre alte Heimat zurückgekehrten Messenier selbst ein Denkmal nach Delphi stifteten, muss unsicher bleiben, denn Datierung und Anlass der Weihung sind nicht gesichert. Eine ältere Basis mit einer im 2. Jahrhundert erneuerten Dedikationsinschrift wird aufgrund charakteristischer technischer Besonderheiten an das Ende des 6. oder in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts datiert und mit dem Aufstand der Messenier um 490 oder in den 460er Jahren in Verbindung gebracht. Nicht ausgeschlossen wird, dass dieses ältere Denkmal nach der Neugründung von Messene neu angelegt wurde.81 Das zweite Weihgeschenk wird in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts datiert, doch die Fragmente der Weihinschrift lassen nicht erkennen, welcher Sieg von den „Messeniern und Naupaktiern“ gefeiert wurde, ein Sieg in der Mitte des 5. Jahrhunderts, in der Zeit des Archidamischen Kriegs oder nach der Schlacht von Leuktra, als auch Naupaktos durch Epameinondas von achaischer Herrschaft befreit wurde.82 Aufgestellt war das 78

Paus., X 9,12. Nach MEYER, 1989 und JACQUEMIN, 1994, 197 sowie dies., 1999, 55 bezieht sich das Denkmal allerdings auf einen Beutezug in die Thyreatis 414 v. Chr. (Thuc. VI 95,1). Die Inschrift lautet: [Ἀργεῖοι τἀπόλλονι] ἀπὸ Λακεδαίµονος δεκάταν (FdD III 1, S. 384–387 Nr. 573 [Nachtrag zu Nr. 91]). Nach der Buchstabenform sei die Inschrift zwischen 420 und 400 angefertigt worden. 79 Paus., X 10,5. JACQUEMIN, 1999, 55; SCOTT, 2014, 146. 80 Basen mit den von rechts nach links laufenden Inschriften sind erhalten: FdD III 1, Nr. 3: Πύθι᾿ Ἄπολλον [ἄ]ναξ, τάδ᾿[ἀγάλµατ᾿ ἔ]δ[ωκεν ἀπαρχὰς] αὐτόχθων ἱερᾶς λαὸς [ἀπ᾿ Ἀρκαδί]ας· Νίκηγ… … Ἔρα[σος]. τῶνδε σοὶ ἐκγενέται Λακεδαίµονα δη[ιώσαντες] Ἀρκάδες ἔστησαν µνῆµ᾿ ἐπιγινοµένοις. Auf den vernichtenden Sieg gegen die Lakedaimonier verweist auch Nr. 6: „Arkas hat sie gezeugt. Die Nachfahren haben das Land der Lakedaimonier vernichtet und [dieses Denkmal] aufgestellt.“ 81 JACQUEMIN, 1999, 63: „on ne doit pas écarter la possibilité d’un monument construit après la refondation de Messène avec des traits archaïsants dans un souci de propaganda, à une époque où s’elaborait la légende nationale de la Messénie”. 82 Weihinschrift an der Nike der Messenier in Olympia „Die Messenier und die Naupaktier haben (dies) dem olympischen Zeus als Zehnten von den Feinden geweiht“

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Anathem auf der Terrasse über der Polygonalmauer. Ein genaues Gegenstück weihten die Messenier und Naupaktier in Olympia, ein 9 m hohes Weihgeschenk in Form eines dreikantigen Marmorpfeilers, der als Bekrönung eine 2,90 m hohe Nikestatue trug, ein Werk des Bildhauers Paionios.83 Der Pfeiler stand 30 m vor der Ostfront des Zeustempels, und damit in unmittelbarer Nähe der von den Spartanern gestifteten zwölf Fuß hohen Zeusstatue, die sie nach Pausanias für den Sieg gegen die abgefallenen Messenier, als sie zum zweiten Mal in Krieg geraten waren, aufgestellt hatten.84 Aufgenommen wurde die Erinnerung an den Messenischen Krieg und an die Befreiung Messeniens später dadurch, dass in republikanischer Zeit ein Schiedsspruch des römischen Senats, der einen Streit um den ager Dentheliatis mit dem Heiligtum der Artemis Limnatis zugunsten Messeniens entschieden hatte, im Wortlaut und mit genauem Abstimmungsergebnis inschriftlich an dem Pfeiler der Mes(Μεσσάνιοι καὶ Ναυπάκτιοι ἀνέθεν Διὶ / Ὀλυµπίωι δεκάταν ἀπὸ τῶµ πολεµίων); Inschrift auf der Basis des Messenierdenkmals in Delphi (gemäß der vermuteten Rekonstruktion der Inschrift FdD III 4, Nr. 1; Syll.3 81; SEG 19,392): „Die Messenier und die Naupaktier haben (dies) als Zehnten von Leukas und Ambrakia dem pythischen Apollon geweiht“ ([Μεσ]σάνιο[ι καὶ Ναυπάκτιοι] ἀνέθ[εν δεκάταν ἀπ]/[ὸ Λε]οκάδ[ος καὶ Ἀµπρακίας τῶ]ι Ἀπ[όλλωνι τῶι Πυ]/[θίωι]). JACQUEMIN, 1994, 196 bezieht die Weihung auf den Sieg der in Naupaktos angesiedelten Messenier gegen die Kalydonier. Auch SCOTT, 2010, 98 f. setzt die Weihung ins 5. Jahrhundert: „dedication of the Messenian and Naupactian triangular column and tripod dedication in the middle of the fifth century. It commemorated their victory (with Athenian help) over the Spartans“ (vgl. ebd. 326 Nr. 147; HÖLSCHER, 1974, 76–82, der das Denkmal etwa gleichzeitig mit dem olympischen Denkmal ansetzt; MAAß, 1993, 196 f.). 83 Paus., V 26,1: „Die dorischen Messenier, die einst (ποτε) Naupaktos von den Athenern erhielten, stellten in Olympia das Standbild (ἄγαλµα) der Nike auf dem Pfeiler auf. Das ist ein Werk des Paionios aus Mende und wurde aus Feindesbeute (ἀπὸ ἀνδρῶν πολεµίων) hergestellt, als sie mit den Akarnanen und Oiniadern, wie ich meine, Krieg führten [455 v. Chr.]. Die Messenier selbst behaupten, das Weihgeschenk (τὸ ἀνάθηµα) gehe auf ihren Kampf mit den Athenern zusammen auf der Insel Sphakteria [425 v. Chr.] zurück und sie hätten den Namen der Feinde aus Furcht vor den Lakedaimoniern nicht geschrieben, während sie doch vor Oiniadern und Akarnanen keine Angst hätten“ (Übersetzung E. Meyer). Da die Messenier in Naupaktos an der Besetzung von Sphakteria nicht teilgenommen hatten und die Beute für ein solches Denkmal dafür zu gering gewesen wäre, sind wohl beide Deutungen unzutreffend (siehe MEYER, 1978, 262; ders., 1989, 259 f.; HÖLSCHER, 1974, 72–84). MEYER geht davon aus, „daß dieses große Weihgeschenk für alle gemeinsamen Unternehmungen der Naupaktier und Messenier in Naupaktos in den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges, vor allem in den Jahren 429, 427 und 426 gestiftet wurde“ (1978, 262; ähnlich HÖLSCHER, 1974, 74 f.: „Spätestens um 420 v. Chr. muß das Denkmal ausgeführt worden sein“; ders., 1989, 9). Auf dem delphischen Pfeiler habe eine vergoldete Nike aus Bronze gestanden, die der marmornen Ausführung in Olympia entsprochen hätte (vgl. FELTEN, 1982, 86). 84 Paus., V 24,3 mit dem Epigramm: „Nimm, Herr, Kronide, olympischer Zeus, dieses schöne Bild gnädigen Sinns von den Lakedaimoniern an“. Das Epigramm ist inschriftlich erhalten: I. v. Olympia 252; ML 22; HGIÜ I 33 (490/80 oder 460).

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senier angebracht wurde.85 Die epochale Wende in der Geschichte Spartas von dem Höhepunkt nach der Schlacht von Aigos Potamoi zur Niederlage von Leuktra und dem Verlust Messeniens fand seinen Niederschlag auch in späteren Anekdoten: In dem von Sparta gestifteten Siegesdenkmal aus Anlass der gewonnenen Seeschlacht von Aigos Potamoi sollen die goldenen Sterne, Symbol der Dioskuren, verschwunden sein und das Gesicht der marmornen Lysanderstatue soll von Gestrüpp überwuchert worden sein.86

5. Die Weihungen in Delphi als Selbstbildnis des klassischen Griechenland Das Apollonheiligtum in Delphi hat sich im Laufe des 5. Jahrhunderts, beginnend mit den Perserkriegen, zu dem Ort entwickelt, an dem auf engem Raum die meisten Siegesdenkmäler aufgestellt wurden.87 Dort, in der ‚Mitte der Welt‘, reihte sich ein Denkmal an das andere, in unmittelbarem Bezug auf Denkmäler militärischer Gegner, in einer Zahl, die die Siegesdenkmäler, die uns Pausanias für andere Städte und Landschaften benennt, weit übertraf.88 In seiner Gesamtheit betrachtet, geben sie ein Selbstbildnis des klassischen Griechenland ganz eigener Art ab. Deutlich ablesbar sind – aus der weit größeren Anzahl von Kriegszügen insgesamt – die wichtigsten Zäsuren: die Siege über die Perser, Schlachten im Zuge des sog. Ersten Peloponnesischen Kriegs der späten 460er und 450er Jahre, der Peloponnesische Krieg und die

85

I. v. Olympia 52; SACHS, 2006, 121–126. Augustus gab das Gebiet nach der Schlacht von Actium an Sparta; durch Tiberius ging es dann endgültig an Messenien (Tac., Ann. IV 43). In Messene wurde auch ein Fest zu Ehren des (Zeus) Ithomatas eingerichtet, möglicherweise aus Anlass der Befreiung (Paus., IV 33,2). 86 Plut., Pyth. or. 8, 397e–f; vgl. Plut., Lys. 18,1; vgl. 12,1; Cic., Div. I 75; MAAß, 1994, 149. 87 Wer darüber entschied, wo welche Siegesdenkmäler im Heiligtum aufgestellt werden durften, lässt sich nicht sicher beantworten (SCOTT, 2010, 29–40). M. SCOTT geht davon aus, dass die Amphiktyonie und die Polis Delphi in dieser „balance of power“ sich gegenüber den mächtigen Dedikanten kaum durchsetzen konnten (ebd. 38 f.; vgl. 226). 88 Z.B. nennt Pausanias für die Landschaft Lakonien ein Siegesdenkmal in der Nähe des Heiligtums des Zeus Skotitas (angeblich von Herakles errichtet aus Anlass der Tötung von Hippokoon und seinen Söhnen; III 10,6). Das wichtigste Bauwerk an der Agora in Sparta sei die „persische“ Stoa, die aus der Beute der Perserkriege gebaut sei. Auf den Säulen (zwischen Säulen und Gebälk) stünden Perser aus Marmor, darunter auch Mardonios, des weiteren Artemisia, die Königin von Halikarnass, die sich dem Feldzug gegen die Perser angeschlossen habe (Paus., III 11,3; Vitruv, I 1,6). An dem ‚Dromos‘ genannten Laufplatz in Sparta stehe ein Siegesdenkmal, das Polydeukes für den Sieg gegen Lynkeus aufgerichtet haben soll (Paus., III 14,7). Zu Lysanders Siegesdenkmälern s. oben S. 224 mit Anm. 74.

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Schlacht von Leuktra mit der Befreiung Messeniens.89 Es folgen die Siege der Aitoler gegen die Galater, die in den Siegesdenkmälern als zweiter Perserkrieg imaginiert werden. Und auch die Siege der unteritalischen und sizilischen Griechen gegen Karthager und Etrusker wurden den Perserkriegen an die Seite gestellt. Beides verdeutlicht, wie nachhaltig die ungeheuer große Zahl an Siegesweihungen wirkte, die aus Anlass der Siege gegen den schier übermächtigen Gegner nach Delphi geweiht worden waren. Michael Scott wertet Delphi aufgrund der vielen, aufeinander Bezug nehmenden, sich in aggressiver Konkurrenz gegenüberstehenden Siegesdenkmäler nicht als eine Stätte panhellenischer Bekundungen, sondern als eine weitere Bühne, auf der die Konflikte in der griechischen Welt in einem Bilderstreit ausgetragen wurden.90 Die ‚Sprache des Temenos‘ ist direkter, offener, ja bisweilen aggressiver als die Sprache der Siegesdenkmäler in den Heimatstädten. Auffällig ist auch, dass Pausanias für viele Landschaften sehr viel häufiger Gräber von Heroen nennt als Siegesdenkmäler. Heroengräber waren für die Städte selbst offensichtlich wichtigere Kristallisationspunkte einer gemeinsamen Identität.91 Dass gerade Delphi zu dem Ort wurde, an dem wichtige Siege vor einem gesamtgriechischen Publikum gefeiert werden konnten, hat seinen Grund sicherlich auch darin, dass nicht selten vor dem Kriegszug ein Orakel in Delphi eingeholt worden war, um zu erfahren, ob der Kriegszug günstig oder mit einer Niederlage ausgehen werde. Für einen vorhergesagten und dann eingetroffenen Sieg dankte der Sieger mit einem Anathem, finanziert durch den Zehnten aus der Kriegsbeute.92 Doch dies kann nicht der einzige Grund für die vielen Siegesweihungen und die unterschiedliche Sprache im Temenos

89

Ähnlich zeichnen sich die Einschnitte in Sparta ab: zum einen waren es Siegesdenkmäler heroischer Zeit, zum anderen die Perserkriege und der Sieg von Aigospotamoi. Die von Lysandros in Sparta gestifteten Siegesdenkmäler waren in der Ikonographie wesentlich zurückhaltender als das Siegesdenkmal in Delphi. 90 SCOTT, 2010, 110. Zur weiteren Entwicklung MAAß, 1993, 148: „Die Weihungen von Statuen in hellenistischer Zeit haben meist nicht mehr den Charakter von Kriegsdenkmälern. Sie sind Ausdruck der Herrscherverehrung, der diplomatischen Beziehungen, teils dabei auch Dank der Stadt, der Amphiktyonen oder des Aitolischen Bundes für die dem Heiligtum erwiesenen Wohltaten“ (vgl. 207). Ebenso FELTEN, 1982, 83: „Im Vordergrund stehen in beiden Heiligtümern seit der Alexanderzeit – natürlich immer neben den Siegerstatuen – die Ehrenstatuen einzelner Individuen, Staatsmänner, Strategen, verdienter Bürger, hellenistischer Herrscher, römischer Kaiser u.a.“. 91 Gräber als Orte der Identifikation sind schon bei Hdt., I 67,2 f. genannt. 92 Nach Auskunft des Pausanias hätten die Thebaner vor der Schlacht bei Leuktra bei verschiedenen Orakeln angefragt, unter anderem in Delphi (Paus., IV 32,5 f.; vgl. X 1,4 und X 1,10).

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von Delphi gewesen sein,93 denn viele Sieger weihten einen Teil nach Delphi, einen ebenso großen nach Olympia und in andere Heiligtümer wie das am Isthmos oder in Abai. In Olympia waren Weihungen von Beutewaffen im 6. Jahrhundert noch beliebt, wurden aber im Verlauf des 5. Jahrhunderts seltener; aus dem späten 5. Jahrhundert gibt es nur noch ein einziges Tropaion, das der Eleier für ihren Sieg über die Spartaner.94 In Delphi hingegen nahmen Waffenweihungen im 5. und 4. Jahrhundert enorm zu, ebenso die großen Siegesdreifüße, die in Olympia völlig fehlen.95 Florens Felten sieht in der unterschiedlichen Entwicklung von Olympia und Delphi eine bewusste Haltung der Verwalter Olympias, die einen panhellenischen Gedanken mit einer Vorstellung von der Einheit der Griechen und ihrer Absetzung von den Barbaren vertraten; die Verwalter Olympias hätten verhindert, dass innergriechische Kriege inschriftlich und ikonographisch in jener Offenheit propagiert wurden wie in Delphi. Felten glaubt für Olympia in den Monumenten eine panhellenische Einstellung dokumentiert, die sich in der Realpolitik der griechischen Poleis nicht habe durchsetzen können. In Delphi habe sich hingegen jeder Weihende „nach Belieben“ äußern können.96 Nach dem Sieg über die Perser wurde in Olympia allein die kolossale Statue des Zeus als Zeichen des Siegs der Symmachie aufgestellt, „während Delphi vor Weihungen aus diesem Anlass geradezu überfloß“.97 Anders als die Verwalter des Heiligtums in Olympia ließ die Administration in Delphi die Sieger gewähren, auf ihren Sieg – und sei es ein Sieg von Griechen über Griechen – nicht nur in ‚gezähmtem Stolz‘ hinzuweisen und in der Inschrift nicht nur kundzutun, dass die Weihung aus dem Zehnten der Beute „von den Feinden“ war,98 sondern offen auszusprechen, dass der namentlich benannte Kriegsgegner vernichtet worden war. 93

So besonders FELTEN, 1982. Ebd. 80: „in der Zeit von etwa 490/80 bis 340/30 v. Chr. (gehen) die beiden Heiligtümer so konsequent unterschiedliche Wege, daß mehr als ein Zufall dahinter stecken muß“. 94 Paus., V 27,11. 95 FELTEN, 1982, 91–93. 96 FELTEN, 1982, 96. Ganz ähnlich ist die Bewertung bei SCOTT, 2010, 38 f. Zum Vergleich der beiden überregionalen Heiligtümer ebd. 218–240 (218: „Delphi has been characterised as the sanctuary of ‚disunity‘, Olympia as the sanctuary of ‚unity‘.“). 97 FELTEN, 1982, 96 f. Zurückgeführt wurde dieser Reichtum an Weihungen, die die Weihungen der Symmachie (den Apollon und die Schlangensäule) fast untergehen ließ, auf die „unbestrittene Autorität des pythischen Apollon und seines Orakels“, das Delphi „die selbstverständliche Anwartschaft auf die vornehmsten Beuteanatheme“ gab, die gerade in diesem Fall auf Grund der Haltung Delphis während der Perserkriege nicht so alles überragend gewesen sein kann (nach GAUER, 1968, 127; ders., 1994, 170–174). 98 FdD I Nr. 137, 289. – Vgl. Aristot., Ath. pol. 8,4, wonach der Areopag Gesetzesbrecher zur Rechenschaft ziehen und Bußen und Strafen verhängen konnte; die Zahlungen ließ er auf die Akropolis bringen, ohne aber den Grund aufzuschreiben, aus dem jemand verurteilt wurde.

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Die Unterschiede, die sich zwischen den Weihungen in Delphi, denen in Olympia und denen in den einzelnen Städten zeigen, verweisen zum einen darauf, wie die griechischen Städte im 5. und 4. Jahrhundert ihren gesteigerten Patriotismus und damit ihre Abgrenzung nach außen zum Ausdruck bringen und ins Bild setzen, durch Personifikationen wie Arkas oder Triphylos, durch mythisch begründete Phylenheroen, durch ihre Stadtgöttin Athena – obwohl es sich um ein Apollonheiligtum handelt. Ich sehe darin auch eine Reaktion auf die innenpolitischen und die verfassungspolitischen Veränderungen dieser Zeit: Waren Adelige der archaischen Zeit über ihre eigene Stadt hinaus vielfach vernetzt und gingen mit auswärtigen Adelsfamilien Heiratsund Gastfreundschaftsbeziehungen ein, so benötigte eine demokratische Ordnung neue Identifikationsangebote. Im 5. Jahrhundert wurden, wie die attischen Tragödien zeigen, die Heroen des Mythos – ein Orest, ein Kreon, ein Neoptolemos, ein Menelaos – als brüchige Helden wahrgenommen. So verwundert es nicht, dass für eine Identifikation mit der eigenen Polis neue, unbelastete Heroen geeigneter waren, ein Aitolos, ein Arkas oder neue Phylenheroen. Insbesondere in Athen zeigt sich, dass Verbindungen der Oberschicht nach außen gekappt und auch die führenden Familien ganz auf die eigene Polis eingeschworen werden sollten. Perikles hat eine athenische Identität auch durch eine Einschränkung des Bürgerrechts stärken wollen. Elitäre Exklusivität ist in klassischer Zeit nicht mehr die eines gesamtgriechischen Adels, sondern die einer elitären Polisbürgerschaft. Das konnte in den Siegesdenkmälern in Delphi ins Bild gesetzt werden. Gleichzeitig dokumentieren die Siegesdenkmäler eine gegenläufige Entwicklung: Schon aristokratisch geprägte Gesellschaften in archaischer Zeit waren bestrebt, eine adelige Gleichheit zu wahren, auch wenn das gegen Tyrannisaspiranten oft genug fehlschlug. Zu dieser angestrebten und gewünschten Gleichheit unter den Adeligen gehörte auch, dass keinem gestattet wurde, sein eigenes Bildnis in öffentlichem Raum und an einem zentralen Platz aufzustellen – mit wenigen bezeichnenden Ausnahmen wie dem der Tyrannenmörder oder dem von Siegern in sportlichen Wettkämpfen in Olympia oder Delphi. In Athen wurde ein eigenes Bildnis erst Konon gestattet, der Athen nach der vollständigen Kapitulation von 404/3 im Jahre 395 wieder ein außenpolitisches Gewicht verlieh. Diese Zurückhaltung innerhalb der eigenen Stadt konnte auf gesamtgriechischer Bühne überschritten werden, wie die Beispiele Miltiades, Brasidas und Lysandros zeigen. Für den inneren Frieden und die Stärkung einer Identität innerhalb der Stadt selbst waren hingegen Heroengräber und Phylendenkmäler wesentlich geeigneter als die in Delphi verwandte aggressive ‚Sprache des Temenos‘. [Nachtrag: Im Text nicht mehr berücksichtigt werden konnten folgende Publikationen: Birgit BERGMANN, Jenseits von Sieg und Niederlage. Zur Kommemoration militärischer Konflikte durch griechische Poleis in archaischer und klassischer Zeit (Habi-

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litationsschrift Regensburg 2018; im Druck); dies., Beyond Victory and Defeat. Commemorating Battles Prior to the Persian Wars, in: Maurizio GIANGIULIO, Elena FRANCHI, Giorgia PROIETTI (Hg.), Commemorating War and War Dead, Ancient and Modern, Stuttgart 2019, 111–129; James ROY, Memorials of War in Pausanias, in: ebd. 147-156; Janett SCHRÖDER, Die Polis als Sieger. Kriegsdenkmäler im archaischklassischen Griechenland (Klio Beih. N.F. 32), Berlin 2020.]

Zwischen Heiligen und Amphiktyonischen Kriegen Die regionalen Konflikte um das Heiligtum von Delphi und die Kämpfe um die Hegemonie in Zentralgriechenland Pierre Sánchez 1. Einführung Die Mehrheit der modernen Forscher nimmt an, dass das Heiligtum des Apollon in Delphi im Lauf seiner Geschichte vier Heilige Kriege erlebte: Der erste habe zur Zerstörung der Stadt Krisa/Kirrha1 und zur Weihung ihres Gebiets an den Gott zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. geführt; im zweiten (Mitte des 5. Jahrhunderts) griffen die Spartaner und die Athener nacheinander in Delphi ein, erstere zugunsten der Delpher, letztere zugunsten der Phoker; der dritte, in den Jahren 350–340, war gekennzeichnet durch eine neue Besetzung des Heiligtums durch die Phoker und wurde durch die Zulassung Philipps von Makedonien zum Rat der Amphiktyonen beendet; der vierte führte 340/339 zur Vertreibung der Amphisseer von dem dem Gott geweihten Land. Dieses System der Bezeichung und Zählung ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in Gebrauch.2 Es ist sehr bequem, da es erlaubt, die verschiedenen bewaffneten Konflikte, die die Geschichte von Delphi geprägt haben, schnell zu identifizieren. Allerdings entspricht es nicht den Nachrichten der antiken Autoren und hat den Nachteil, Ereignisse verschiedener Art auf die gleiche Stufe zu stellen, wie sich im Rahmen dieser Bestandsaufnahme zeigen wird.

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Die Toponyme Krisa und Kirrha erscheinen in unseren Quellen als austauschbar. Diese doppelte Benennung hat noch keine befriedigende Erklärung erfahren. Cf. ROBERTSON, 1978, 40–48; CÀSSOLA, 1980, 424–435. 2 Diese Einteilung geht auf H. Pomtow zurück. Cf. POWNALL, 1998, 43–44; LEFÈVRE, 1998, Amphictionie, 169–171.

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2. Der Heilige Krieg nach den antiken Quellen In der Antike kannte man in der Tat nur zwei Heilige Kriege. Der Krieg gegen Krisa/Kirrha wurde immer mit seinem geographischen Namen genannt: Man findet bald Κρισαι(κ)ὸς πόλεµος („der Krisaische Krieg“), bald πόλεµος πρὸς Κίρρᾳ („der Krieg gegen Kirrha“).3 Ebenso ist es mit dem kurzen Feldzug gegen Amphissa,4 der bald ὁ ἐν ᾿Αµφίσσῃ πόλεµος („der Krieg in Amphissa“), bald πόλεµος Ἀµφικτυονικός („der Amphiktyonische Krieg“) genannt wird, eine Bezeichnung, die nicht mit „Heiligem Krieg“ synonym ist, wie wir sehen werden.5 Nur die beiden Kriege, deren Ausgangspunkt ein Konflikt zwischen den Delphern und den Phokern um die Kontrolle des pythischen Heiligtums im 5. und 4. Jahrhundert war, werden mit dem Ausdruck ἱερὸς πόλεµος bezeichnet, in Übereinstimmung mit einem Scholiasten des Euripides: „man nennt ihn heiligen (Krieg) da er um das Heiligtum von Delphi stattfand“.6 Der Begriff des „Heiligen Krieges“ könnte in der Mitte des 5. Jahrhunderts von den Spartanern gebildet worden sein, um ihr Eingreifen zugunsten der Delpher als Krieg darzustellen, der zur Verteidigung des Heiligtums geführt wurde, das zu dieser Zeit von den Phokern besetzt war. Er könnte auch von den Delphern selbst geprägt und anschließend von der vox populi verbreitet worden sein. Man kann zwischen den beiden Hypothesen nicht entscheiden, aber sowohl die eine wie die andere erlaubt es, die Formulierung des Thukydides zu erklären, der es vorzieht, bei dieser Episode vom „sogenannten“ Heiligen Krieg (ἱερὸς καλούµενος πόλεµος), zu sprechen.7 Seiner historischen Methode getreu, die darin bestand, den Unterschied zwischen den vorgeschobenen Gründen und den wahren Ursachen der Konflikte darzustellen, war er vielleicht der Ansicht, dass dieser Kampf um das Heiligtum in Delphi den Titel „Heiliger Krieg“ nicht verdiente, da andere, weniger redliche Interessen im Spiel waren, sowohl auf der spartanischen wie auf der athenischen Seite.8 Im 4. Jahrhundert scheint Kallisthenes, gefolgt von Aristoteles, der erste gewesen zu sein, der den Titel ἱερὸς πόλεµος dem Krieg gegen die Phoker gegeben hat, der Philipp II. die Gelegenheit bot, seine Hegemonie im Süden 3

Callisth., FGrHist 124 T 25 und F 1; Hypoth. Pind. Nem. 9; Strab., 9,3,4.10. Cf. POWNALL, 1998, 49–53. 4 Dem., 18,143; Plut., Dem. 18,1. Cf. POWNALL, 1998, 53–54. 5 Dem., 18,143. 6 Schol. Eur. Troad. 9: καλεῖται δὲ ἱερὸς ὅτι περὶ τοῦ ἱεροῦ τοῦ ἐν Δελφοῖς ἐγένετο. Vgl. auch Hesych., ι 317 (s.v. ἱερὸν πόλεµον); Suda ι 191 (s.v. ἱερὸς πόλεµος). 7 Thuc., I 112,5. Cf. POWNALL, 1998, 37–38; MARI, 2006, 255–256 und Anm. 63 f. Für eine andere, weniger überzeugende Deutung dieser Bezeichnung cf. BRODERSEN, 1991, 7– 9. 8 Thuc., I 23,5–6.

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der Thermopylen zu festigen. Das überrascht nicht: Als Erzieher des jungen Alexander am makedonischen Hof hat Kallisthenes offensichtlich die offizielle Version des Königs Philipp übernommen, der sein Eingreifen in Zentralgriechenland als Krieg zur Befreiung des pythischen Heiligtums legitimierte, wie dies vor ihm auch die Spartaner getan hatten.9 Umgekehrt benutzen die attischen Redner, die mehr oder weniger offen die phokische Sache unterstützten, niemals das Adjektiv ἱερός für dieses Ereignis, das in ihren Reden immer Φωκικὸς πόλεµος („der phokische Krieg“) genannt wird.10 Je nach den Quellen, die sie benutzten, gebrauchten die späteren Autoren, vor allem Diodor, Strabon und Pausanias bald den einen, bald den anderen Ausdruck, mit denselben Differenzierungen und Vorbehalten wie Thukydides hinsichtlich der Formulierung.11

3. Der amphiktyonische Krieg und der Schutz des dem Gott geweihten Landes Zu den üblichen Aufgaben, die dem amphiktyonischen Rat zufielen, gehörten insbesondere die Verwaltung und der Schutz der beweglichen und unbeweglichen Güter des pythischen Heiligtums.12 Apollons Grund und Boden war in zwei Kategorien eingeteilt: Der Gott besaß urbare Parzellen von verschiedener Größe, die mitten unter dem privaten und öffentlichen Land der Delpher verstreut waren; sie waren aufgrund eines Gelübdes oder einer Konfiskation geweiht und an Privatpersonen vermietet. Er war auch Eigentümer des ihm geweihten Landes von Krisa / Kirrha, ein zusammenhängendes Gebiet, das von den Amphiktyonen in der archaischen Zeit geweiht und mit verschiede9

Callisth., FGrHist 124 F 1; Arist., Pol. V 4,1304a10–13. Cf. auch CID IV 10 (amphiktyonisches Dekret zu Ehren des Aristoteles und des Kallisthenes, die mit der Abfassung der Siegerliste der Pythischen Spiele seit den Anfängen beauftragt waren); POWNALL, 1998, 39–40, 44–49. 10 Dem., Or. 2,7; 10,47; 18,18; 19,83; Isocr., Or. 5,74; Aeschin., Or. 3,148. Cf. POWNALL, 1998, 38–39. 11 Duris, FGrHist 76 F 2; Diod., XVI 14,3; 23,1; 34,2; 38,6; 40,1; 59,1.4; 64,3; Strab., IX 3,8; 3,16; 4,11; Paus., V 24,2; VIII 27,9; IX 6,4; X 3,1.6; 13,6. Cf. POWNALL, 1998, 40–43. 12 Zur Zusammensetzung, den üblichen Aufgaben und der historischen Rolle der Amphiktyonie, cf. LEFÈVRE, Amphictionie, 1998, passim; SÁNCHEZ, 2001, passim, vor allem 466–485. Für eine andere Auffassung der Rolle dieser Einrichtung vor 346 cf. BOWDEN, 2003. Über die Anfänge der Amphiktyonie und ihre mögliche Rolle bei der Verbreitung des Begriffs von Hellas, cf. HALL, 2002, 134–154. Für eine Übersicht über die neueren Untersuchungen zur Amphiktyonie bis 2010 cf. LEFÈVRE, 2004, 105–110; LEFÈVRE, 2011, passim. Für die knappsten Darstellungen dieser Einrichtung, cf. DOUKELLIS, 2005; FUNKE, 2013, 453–458; SÁNCHEZ, 2013.

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nen Verboten belegt worden war.13 Insbesondere war es verboten, es zu bestellen, landwirtschaftliche Gebäude und Ziegelbrennereien zu errichten, die vom Vieh zurückgelassenen Ausscheidungen zu entfernen und, vielleicht, ein Feuer darauf zu entzünden.14 Dieses weite, fruchtbare Gebiet durfte ausschließlich als Weide für das Vieh verwendet werden, das dem Gott oder Privatpersonen gehörte; im 2. Jahrhundert v. Chr. wurde darin ein Raum abgegrenzt und den Herden vorbehalten, die Apollon heilig waren.15 Der Hafen von Kirrha, der den Pilgern als Landestelle diente, war von einer kleinen Gemeinde belegt: Den Einwohnern war verboten, Hafensteuern von den offiziellen Gesandtschaften zu kassieren, die sich nach Delphi oder zu den Thermopylen begaben.16 Die Unterkunft in den Säulenhallen wurde offensichtlich geduldet, aber nur für eine begrenzte Zeit, und es war nicht erlaubt, dort Bäckereien einzurichten; zudem hatten die Einwohner der Gegend nicht das Recht, von den Besuchern eine Miete zu verlangen.17 Die Regelung von 380 lehrt uns, dass die Hieromnemonen die Verpflichtung hatten, regelmäßig das dem Gott geweihte Land zu kontrollieren und schuldigen Landbebauer ein Bußgeld aufzuerlegen. Wenn sie ihre Pflichten vernachlässigten, wurden sie selbst mit einer Geldstrafe belegt, da sie sich zu Komplizen des Sakrilegs machten. Falls sie die Buße nicht bezahlten, musste der amphiktyonische Rat die Schuldigen vom Heiligtum ausschließen und gegen sie Krieg führen.18 Π[— — — — — — — — — αἴ τις τὰν γᾶν ἐπιερ]γάζ̣[ο]ιτο̣ ἃν Ἀµφικτίονες ἱάρωσαν, ἐπεί κ̣[α] ἁ π̣έ̣[ρο]δ̣ο̣ς̣ γ̣ί̣ν̣[η]τ̣α̣ι̣, ἀ̣ποτ[εισάτω — — —] στατῆρ̣α̣ς αἰγιναίος κὰτ τ[ὸ] πέλεθρον ἕ̣[κασ]τον. τ̣ο̣ὶ̣ δ̣ὲ̣ ἱ̣[εροµνάµονες περιιόντων ἀεὶ τὰν ἱερὰν γᾶν] καὶ π̣ρ̣[ασ]σόντων τὸν ἐπιεργαζόµενον· αἰ δὲ µὴ περιιεῖεν ἢ µ̣[ὴ πράσσοιεν, ἀποτεισάτω ὁ µὴ περιιὼν] µηδ’ ἐ̣[κπ]ράσσων τριάκοντα στατῆρας· αἰ δέ κα µὴ ἀποτίνηι Θ[— — ἁ πόλις ἐξ ἇς κ’ εἶ ὁ ἱαροµνάµων?] εἰλέσ[θω] τοῦ ἱαροῦ καὶ στρατευόντων ἐπ’ αὐτὸ̄ς Ἀµφικτύονες [— — — — — — — — — — —].

13 Zum Territorium der Stadt der Delpher und den Apollon geweihten Grundstücken, cf. ROUSSET, 2002, passim. 14 CID I 10 = CID IV 1, l. 15–21; CID IV 51, l. 12–17; FD III 4,280 C, l. 31.36; Aeschin., Or. 3,113.119.123; Dem., Or. 18,150; Diod., XVI 23,3. Cf. ROUSSET, 2002, 188– 192.213–215. 15 SOPH. El. 180–181; ISOCR. 14,31; CID IV 108, l. 19–31. Cf. ROUSSET, 2002, 192– 205. 16 CID IV 2, l. 7–11. Cf. ROUSSET, 2002, 190–191. Aischines behauptet zu Unrecht, die Bauten am heiligen Hafen seien gesetzwidrig gewesen (3,119). 17 CID I 10 = CID IV 1, l. 21–26. Cf. ROUSSET, 2002, 190. 18 CID I 10 = CID IV 1, l. 15–20.

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[Wenn jemand] [die Erde] kultiviert, die die Amphiktyonen geweiht haben, wird er, wenn die Kontrolle stattfindet, [— — —] äginetische Statere bezahlen für jedes bebaute Plethron. Die Hi[eronmnemonen werden den dem Gott geweihten Boden kontrollieren] und die Bußgelder von denen einziehen, die ihn bebaut haben. Wenn sie ihn nicht kontrollieren oder [wenn sie die Bußgelder nicht einziehen, wird derjenige, der die Kontrolle nicht durchgeführt hat] und auch nicht die Einziehung, dreißig Statere bezahlen. Wenn er nicht bezahlt, wird [— — — die Stadt des Hieromnemon?] vom Heiligtum ausgeschlossen und die Amphiktyonen werden gegen sie in den Krieg ziehen [— — —].

Die Lücke am Ende von Zeile 19 hindert uns daran zu wissen, auf wen der Ausschluss vom Heiligtum und der amphiktyonische Krieg zielte. In der Tat steht das Verb εἴλω am Beginn von Zeile 20 im Imperativ Singular, aber das Pronomen, das dem Verb στρατεύω folgt, steht im Akkusativ Plural (αὐτὸ̄ς). In Analogie zu der am besten erhaltenen Klausel der Zeilen 39–40 kann man annehmen, dass der Ausschluss vom Heiligtum auf die Stadt des nachlässigen Hieromnemon zielt.19 Was den amphiktyonischen Krieg betrifft, so folgte ich früher der Hypothese von Georges Roux, nach der nur die schuldigen Landbebauer bedroht waren.20 Heute bin ich versucht, mich der Deutung von Georges Rougemont und François Lefèvre anzuschließen, die die Erzählungen des Aischines und Demosthenes anders interpretieren. Tatsächlich zielte nach diesen beiden Autoren die von den Amphiktyonen ausgesprochene Verwünschung anlässlich der Weihung des Territoriums von Krisa / Kirrha auf alle, die auf die eine oder andere Art an dem Frevel teilhatten. Der amphiktyonische Rat hatte also theoretisch die Möglichkeit, nicht nur der Gemeinschaft der Schuldigen den Krieg zu erklären, sondern auch den Städten und Völkern, die es versäumt hatten, sie zu bestrafen.21 Die Regelung von 380 zeigt, dass der amphiktyonische Krieg eine Maßnahme war, zu der man nur im äußersten Fall griff, wenn die finanziellen Sanktionen ohne Wirkung geblieben waren. Offensichtlich mussten die Bußgelder spätestens anlässlich der folgenden Sitzung – oder Pylaia – des amphiktyonischen Rats ausbezahlt werden, der sich zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, versammelte.22 Wurden die Bußen nicht bezahlt, so konnten die Hieromnemonen die Schuldigen mit strengsten Strafen bedrohen, aber sie hatten nicht die Befugnis, sofort einen amphiktyonischen Krieg zu erklären.23 Es scheint in der Tat, dass die Hieromnemonen nach Hause gehen und 19

CID I 10 = CID IV 1, l. 39 f.: αἴ κα µὴ ἀποτίνηι τ[οῖ]ς̣ ἱεροµναµόνεσσι το̣[ῖς Ἀµφικτιονικοῖς εἰλέσθω τοῦ ἱ]/αροῦ ἁ πόλις ἐξ ἇς κ’ εἶ ὁ ἱαροµνάµων ἔντε κα ἀποτείσηι. 20 ROUX, 1982, 228–229 und Anm. 5; SÁNCHEZ, 2001, 158–160 und 225 n. 4. 21 Aeschin., Or. 3,109–111.117.121 f.; Dem., Or. 5,14.18 f.; 18,143; ROUGEMONT, in: CID I, 97 und 108–110; LEFÈVRE, in: CID IV, 42–45 und 466; ROUSSET, 2002, 189, Anm. 712. 22 Zum Kalender der Versammlungen des amphiktyonischen Rats, cf. LEFÈVRE, 1991, passim; LEFÈVRE, 1998, Amphictionie, 197–204. 23 Diod., XVI 23,3.

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die Behörden ihrer Gemeinschaft konsultieren mussten, bevor sie eine so schwerwiegende Entscheidung trafen. Sie versammelten sich erneut anlässlich einer ordentlichen oder außerordentlichen Pylaia, jeder mit einem Beschluss versehen, der die offizielle Ansicht der Städte und Völker enthielt, die Mitglieder der Amphiktyonie waren. Die Entscheidung, in den Krieg einzutreten, wurde dann von der Mehrheit der im Rat anwesenden Hieromnemomen getroffen.24 Mangels Quellen wissen wir nicht, wie die Städte, die nur im Turnus im amphiktyonischen Rat saßen, ihre Meinung kundtaten.25

4. Der Krieg gegen Krisa / Kirrha Der Krieg gegen die Stadt Krisa / Kirrha hinterließ keine Spuren in den Werken von Herodot und Thukydides. Die Existenz einer den Viehherden vorbehaltenen Ebene von Krisa ist zum ersten Mal bei Sophokles belegt.26 Die Rolle der Amphiktyonen ist in der Weihung des Territoriums in der Regelung von 380 ausdrücklich genannt.27 Schließlich erinnert sich Isokrates in dem 373 verfassten Plataikos, dass die Thebaner beim Ausgang des Peloponnesischen Krieges 404 „die Meinung geäußert hatten, man müsse Athen versklaven und sein Territorium den Viehherden überlassen wie die Ebene von Krisa“.28 Hingegen sind alle Erzählungen, die über den militärischen Feldzug selbst erhalten sind, der von unseren Quellen in die ersten Jahre des 6. Jahrhunderts datiert wird, später als der Heilige Krieg gegen die Phoker Mitte des 4. Jahrhunderts und als die Zulassung Philipps von Makedonien zum amphiktyonischen Rat im Jahre 346, ein Ereignis, das einen Wendepunkt in der Geschichte und der Geschichtsschreibung der Delpher und der Amphiktyonie darstellte.29

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Aeschin., Or. 3,124.128; Diod., XVI 28,4. Zu den Verfahren der Inkraftsetzung der Entscheidungen des amphiktyonischen Rats s. LEFÈVRE, 1998, Amphictionie, 218–220.241–256, vor allem 250–254; SÁNCHEZ, 2001, 233 f.510–515. 26 Soph., El. 180 f. 27 CID I 10 = CID IV 1, l. 15–16, angeführt oben S. 236 Anm. 18. 28 Isocr. Or. 14,31: ἔθεντο τὴν ψῆφον, ὡς χρὴ τήν τε πόλιν ἐξανδραποδίσασθαι καὶ τὴν χώραν ἀνεῖναι µηλόβοτον ὥσπερ τὸ Κρισαῖον πεδίον. 29 Cf. Speus., Epist. ad Phil. 8 = Antipat., FGrHist 69 F 2. Zur antiken historiographischen Tradition über die Amphiktyonie und zur Bedeutung des Jahres 346, cf. ROBERTSON, 1978, 39–40.51–54; LEFÈVRE, 1995, 19–22; SÁNCHEZ, 2001, 16–30, besonders 26– 30. 25

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Abgesehen von Varianten im Detail unterscheidet man in der literarischen Tradition vier Hauptversionen dieser Episode.30 Nach Kallisthenes handelte es sich um einen Krieg zwischen Krisa / Kirrha und den Phokern, der durch die Entführung mehrerer Frauen provoziert worden war.31 Die drei anderen Versionen stellen die Angelegenheit als Konflikt zwischen Krisa / Kirrha und den Amphiktyonen dar: Die erste weist die Kriegsführung Alkmeon von Athen zu, auf Anraten von Solon.32 Die zweite gibt die Hauptrolle dem Tyrannen Kleisthenes von Sikyon, bisweilen ebenfalls beraten von Solon.33 In der dritten wird die Leitung der Operation von dem Thessaler Eurylochos wahrgenommen, mit Hilfe der Asklepiaden von Kos.34 Außerdem variieren die Verbrechen, die den Einwohnern von Krisa / Kirrha zugeschrieben werden, um ihre Bestrafung zu rechtfertigen, je nach den Quellen beträchtlich: Plünderung des Tempels, versuchter Diebstahl des Dreifußes, Besetzung des Landes, das dem Gott gehört, Verbrechen gegen die Amphiktyonen, Versklavung der Delpher, Wegelagerei und Gewalt auf den Straßen, die zum Heiligtum führen, oder auch Erhebung von Steuern von den Pilgern. Mehrere Autoren bringen diesen Krieg auch mit der Neuordnung der Pythischen Spiele in den 580er Jahren in Verbindung. Die Mehrzahl der neuzeitlichen Historiker akzeptiert die Historizität dieses angeblichen „ersten Heiligen Krieges“, der oft als ein größeres Ereignis der griechischen archaischen Geschichte betrachtet wird. Es herrscht allerdings völlige Uneinigkeit, was den Wert, den man den verschiedenen Varianten der Tradition beimessen soll, und die Bedeutung des Konflikts anbelangt. Die einen sehen in ihm einen Handelskrieg zwischen Krisa / Kirrha und Sikyon; die anderen einen Konflikt zwischen Krisa / Kirrha und dem koinon der Phoker, in den sich die Thessaler eingemischt hätten. Einige deuten den Krieg im Kontext der Expansion der Thessaler nach Süden: Er sei durch die Ankunft der Amphiktyonen in Delphi am Ende des 7. Jahrhunderts ausgelöst worden. Die Mehrheit nimmt dagegen an – im Widerspruch zu den antiken Quellen –, dass das Eingreifen des amphiktyonischen Rats in die Angelegenheiten des 30 Zu den Varianten und Widersprüchen der Überlieferung s. ROBERTSON, 1978, passim, vor allem 64–68; SÁNCHEZ, 2001, 67–73; HALL, 2007/20142, 276–281/312–317; LONDEY, 2015, 222–225. 31 Callisth., FGrHist 124 T 25 und F 1. 32 Aeschin., Or. 3,107–112; Diod., IX 16; Plut., Sol. 11,1 f., der die Siegerliste der Pythischen Spiele zitiert, die von Aristoteles und Kallisthenes ausgearbeitet worden war. Zu dieser Liste und ihrer historischen Einführung in den Krieg gegen Krisa vgl. CID IV 10; CID II 97, l. 42–43; 98, l. 5–7; 99A, l. 9–10; 102, col. I, l. 42–45; Arist., Frg. 637 Rose3; Diog. Laert., V 26, n° 20–23; Hesych., β 893; Hesych., Vit. Arist., n° 123–125; ROBERTSON, 1978, 54–60. 33 Paus., II 9,6; X 37,5–8; Schol. Pind. N. 9 inscr.; Suda, σ 777 (s.v. Σόλων); Polyaen., Strat. III 5; Front., Strat. III 7,5. 34 [Thessal.], Presbeut. = Hippocr., Epist. 27, vol. IX, 404–415 Littré; Strab., IX 3,4.10; Polyaen., Strat. VI 13; Hypoth. Pind. P. a–d; Hypoth. Pind. O.

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Heiligtums eine Folge des Konflikts war, und zwar am Beginn des 6. Jahrhunderts: Einige wollten die Auffälligkeiten, die man in den Listen der Hieromnemonen im 4. Jahrhundert feststellen kann, mit einer hypothetischen Neuordnung des Amphiktyonen-Rats kurz nach dem Ende des Krieges gegen Krisa / Kirrha in Verbindung bringen, die zu einer Zulassung neuer Mitglieder geführt habe.35 Außerdem sahen mehrere Historiker eine Anspielung auf diese Episode in den letzten Versen des homerischen Apollon-Hymnos, wo die Ankunft neuer Herren in Delphi behandelt wird, ferner in dem Gedicht, das den Kampf zwischen Herakles und Kyknos um den Dreifuß erzählt, oder auch in der sehr beliebten Legende des Kampfes um den Dreifuß zwischen Herakles und Apollon, die bereits auf dem Bein eines Dreifußes aus Olympia aus dem 8. Jahrhundert dargestellt ist. Es herrscht aber keine wirkliche Einigkeit hinsichtlich der Bedeutung, die man diesen legendenhaften Überlieferungen zuschreiben sollte.36 Schließlich haben Noel Robertson und Peter Londey die Historizität dieses Krieges mit Argumenten abgelehnt, die Beachtung verdienen: das Schweigen Herodots, der sich doch für Kleisthenes von Sikyon, Solon und die Alkmeoniden interessierte; die Inkohärenzen und Widersprüche der literarischen Tradition; der Name des Eurylochos, der auch von einem Strategen und Hieromnemon des Königs Philipp getragen wird; das Fehlen jeglicher archäologischer Spuren einer mächtigen Stadt, die zu Beginn des 6. Jahrhunderts zerstört worden wäre.37 Nach ihnen ist der „Krieg von Krisa“ eine Fiktion, die im 5. oder 4. Jahrhundert geschaffen wurde, um einen Präzedenzfall für den

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Für die verschiedenen modernen Hypothesen und weiterführende bibliographische Hinweise vgl. DAVIES, 1994, 195–197; LEFÈVRE, 1998a, 14–16.349–350; JACQUEMIN, 1999, 12–14; MCINERNEY, 1999, 65.105.135.156.162–178.309–312; SÁNCHEZ, 2001, 58– 80; ROUSSET, 2002, 283–286; MORGAN, 2003, 123–131; SCOTT, 2010, 51–56; SCOTT, 2014, 71–82.144–145; MARI, 2014, 115–119; LONDEY, 2015, 226–233. Zur Entwicklung und Zusammensetzung des amphikyonischen Rats im Lauf seiner Geschichte s. LEFÈVRE, 1998a, 14–139; HALL, 2002, 136–139. 36 Hom. Hymn. Apoll., 538–543; [Hes.], Scut. 478–480; Apollod., Bibl. II 130 [= II 6,2]; Paus., III 21,8; 10,37,7–8; Plut., De E 6, 387d; De sera 12, 557c; 17, 560d. Für bibliographische Hinweise s. ROBERTSON, 1978, 48–51; CLAY, 1989, 85–94; DAVIES, 1994, 203; SÁNCHEZ, 2001, 63–66. S. jetzt WAGNER-HASEL, 2000, 282–295; HOWE, 2003, 138–139; CHAPPELL, 2006; KYRIAKIDIS, 2011, 81–85, mit weiteren Hinweisen; LONDEY, 2015, 234–235. Siehe in diesem Band auch den Beitrag von von Alvensleben, unten S. 267–295, und den von Wagner-Hasel, oben S. 137–154. 37 Die neuen Forschungen haben nur ein kleines Heiligtum des 7. Jahrhunderts in Agia Varvara identifiziert, das noch im 6. Jahrhundert in Betrieb war. S. MCINERNEY, 1999, 309–312; ROUSSET, 2002, 43 f.; LONDEY, 2015, 229.

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einen oder anderen der Konflikte zu schaffen, die die Geschichte des Heiligtums in den Jahren 450–440 oder in den Jahren 350–340 kennzeichneten.38 Ich glaube außerdem, dass weder die späte historiographische Tradition über die Zerstörung von Krisa / Kirrha noch die archaischen Legenden noch die Amphiktyonenlisten der klassischen Zeit vertrauenswürdige und verwertbare Quellen sind, wenn man versuchen will zu verstehen, was sich in Delphi am Ende des 7. Jahrhunderts und am Anfang des 6. Jahrhunderts abgespielt hat.39 Ich habe im Jahr 2011 dennoch die Historizität dieses Krieges akzeptiert, wobei ich auf eine genaue Interpretation verzichtet habe, aber ich habe heute vermehrt Zweifel und werde mich nur an die tragfähigen Elemente halten, die uns zur Verfügung stehen. Zunächst einmal wissen wir, dass die Amphiktyonen, wahrscheinlich im Jahre 582/1, die Pythischen Spiele endgültig in panhellenische penteterische (alle fünf Jahre stattfindende) Wettkämpfe umwandelten, an denen Siegeskränze verliehen wurde (stephanitai).40 Wir wissen auch, dass im gleichen Zeitraum im Heiligtum wichtige Arbeiten unternommen wurden: Das Temenos wurde um 585–575 vergrößert und mit einer neuen Umfassungsmauer umgeben; der archaische Tempel wurde um 580 neugebaut oder restauriert.41 Außerdem ist die Weihung eines weiten Gebiets im Süden Delphis, das den Viehherden überlassen wurde, durch die Amphiktyonen eine unbestreitbare historische Tatsache, die durch Sophokles, durch die Regelung von 380 und durch den Plataikos des Isokrates dokumentiert ist. Der genaue Zeitpunkt dieser Weihung ist unbekannt, aber es scheint sinnvoll, sie mit der Neugestaltung des Heiligtums und der Wettkämpfe in den 580er Jahren in Beziehung zu setzen, wie es übrigens bestimmte späte Quellen tun.42 Man kann daher die ersten Jahrzehnte des 6. Jahrhunderts als einen Wendepunkt in der Geschichte von Delphi betrachten, das offiziell in den Rang 38

ROBERTSON, 1978 (mit den Entgegnungen von LEHMANN, 1980 und CÀSSOLA, 1980); LONDEY, 2015. 39 SÁNCHEZ, 2001, 58–74. Cf. auch DAVIES, 1994, passim, vor allem 205–206; BOWDEN, 2003, 75. 40 Arist., Frg. 637 Rose3; Hypoth. Pind. P. a–b–d; SCHOL. Pind., P. 4,198; Marmor Par., FGrHist 239 A37–38; [Thessal.], Presbeut. 21; Paus., VI 4,10; X 7,4–6; X 33,8; Strab., IX 3,10; Plut., Sol. 11,2. Die Quellen machen widersprüchliche Angaben, was die ersten Reformen des Wettkampfes betrifft, die in die Jahre 591/0 oder 586/5 datiert werden, aber das Datum 582/1 für die erste Abhaltung der penteterischen Wettkämpfe mit Siegeskränzen ist heute nicht mehr umstritten. Für eine Bestandsaufnahme und weiterführende bibliographische Hinweise vgl. ROBERTSON, 1978, 60–63; LEFÈVRE, 1998a, 237– 239; SÁNCHEZ, 2001, 75–77. Vgl. jetzt DAVIES, 2007, 49–52; PERROT, 2009; WEIR, 2004, 10–14. 41 Vgl. JACQUEMIN 1993, 222 f.; JACQUEMIN, 1999, 30 und Anm. 184; LEFÈVRE, 1998a, 15; SÁNCHEZ, 2001, 78 und Anm. 93–95; DAVIES, 2007, 52–56; SCOTT, 2010, 48–51. 42 Nach LONDEY, 2015, 229–235 könnte die Ankunft der Amphiktyonen in Delphi und die offizielle Weihung des Geländes auf das Ende des 6. Jahrhunderts zu datieren sein.

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eines panhellenischen Heiligtums erhoben und mit einem großen dem Gott geweihten Gebiet ausgestattet wurde. Die Vertreibung allfälliger Landwirte von diesem fruchtbaren Boden spielte sich vermutlich nicht ohne Einsatz von Gewalt und Widerstand ihrerseits ab, aber diese Maßnahme war nicht notwendigerweise die Folge eines regelrechten militärischen Feldzugs, der gegen eine Stadt gerichtet war und der die Bezeichnung „erster Heiliger Krieg“ rechtfertigen würde.43 Die wirklichen Gründe, die die Amphiktyonen dazu veranlassten, Apollon das Territorium von Krisa / Kirrha zu weihen, können vielfältig gewesen sein: Die Maßnahme erlaubt es, ein dem Gott vorbehaltenes „no man’s land“ zu schaffen, wie man es auch anderorts in Griechenland kennt. Sie erleichtert den Zugang zum Heiligtum und für die Pilger und die Gesandtschaften, die vom Meer herkommen, indem sie Delphi mit dem Hafen von Kirrha verbindet. Sie stellt zudem dem Heiligtum eine ausgedehnte Weidefläche zur Aufzucht der Tiere zur Verfügung, die für die Opfer vorgesehen waren, für die Überwinterung der Herden, die den Bevölkerungen gehören, die Mitglieder der Amphiktyonie sind, und für die Abhaltung von Viehmärkten anlässlich der verschiedenen Festlichkeiten, die im Heiligtum veranstaltet werden. Schließlich wurden in der heiligen Ebene auch die Wagen- und Pferderennen während der Pythischen Spiele abgehalten.44

5. Der „sogenannte Heilige“ Krieg des 5. Jahrhunderts Dieser Krieg ist aus einem kurzen Abschnitt bei Thukydides bekannt, der ihn nach dem Tod des Kimon in Zypern (450) aber vor der Niederlage der Athener gegen die Böoter bei Koroneia (447/6) einordnet, entweder 449/8 oder 448/7. Die Lakedaimonier führten danach den sogenannten Heiligen Krieg und übergaben das delphische Heiligtum, nachdem sie sich seiner bemächtigt hatten, den Delphern; später dann wieder, nachdem die Spartaner abgezogen waren, rückten die Athener heran, bemächtigten sich des Heiligtums und übergaben es den Phokern.45

43

Vgl. SÁNCHEZ, 2001, 77–80; BOWDEN, 2002, 75; HALL, 2007/20142, 281/317; MARI, 2014, 117–119. 44 Schaffung eines „no man’s land“: DAVERIO ROCCHI, 1988, 122; SÁNCHEZ, 2001, 77 f.; ROUSSET, 2002, 285; BOWDEN, 2003, 75; HORSTER, 2004, 120–122. Schaffung von Weideflächen: MCINERNEY, 1999, 100–108; WAGNER-HASEL, 2000, 286–288; HOWE, 2003; MCINERNEY, 2010, 149–153; HALL, 2007/20142, 281/317; LONDEY, 2015, 229–231. Siehe auch den Beitrag von B. WAGNER-HASEL in diesem Band, S. 147–152. 45 Übersetzung Weißenberger 2017, 251. Thuc., I 112,5: Λακεδαιµόνιοι δὲ µετὰ ταῦτα τὸν ἱερὸν καλούµενον πόλεµον ἐστράτευσαν, καὶ κρατήσαντες τοῦ ἐν Δελφοῖς ἱεροῦ παρέδοσαν Δελφοῖς· καὶ αὖθις ὕστερον Ἀθηναῖοι ἀποχωρησάντων αὐτῶν στρα-

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Aus diesem kurzen Hinweis kann man folgende Informationen ableiten: Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt, der aber in den 450er Jahren liegen könnte, haben sich die Phoker des Heiligtums von Delphi bemächtigt; die Spartaner griffen bewaffnet ein, um seine Leitung den Delphern zurückzugeben – so ist das Verb παραδίδωµι zu verstehen. Dank des Einsatzes der Athener einige Zeit später konnten die Phoker erneut für eine unbestimmte Zeit die Kontrolle über das Heiligtum zurückerlangen. Der Ursprung dieser Angelegenheit war also ein hauptsächlich lokaler Konflikt zwischen dem koinon der Phoker und der Stadt der Delpher, die sich um das Recht stritten, die Angelegenheiten und die finanziellen Mittel des pythischen Heiligtums zu verwalten. Zur Unterstützung ihrer Ansprüche gaben die ersten vielleicht vor, Delphi sei eine Stadt phokischen Ursprungs und müsse sich daher ihrem koinon anschließen, das wahrscheinlich am Ende des 6. Jahrhunderts geschaffen worden war. Demgegenüber stritten die Delpher, die an ihrer Unabhängigkeit festhielten, alle Zugehörigkeit zum phokischen ethnos ab.46 Die griechische Geschichte ist von Konflikten dieser Art gekennzeichnet, aber in diesem Fall war das Streitobjekt die Verwaltung eines panhellenischen Heiligtums, Sitz der Pythischen Spiele und des wichtigsten Orakels der griechischen Welt. Zudem erfolgte die Besetzung von Delphi durch die Phoker zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Spartaner und die Athener seit mehreren Jahren um die Vorherrschaft in Zentralgriechenland stritten. 451/0 war ein Waffenstillstand zwischen ihnen geschlossen worden, aber die beiden rivalisierenden Mächte verfolgten ihre Auseinandersetzung weiter mit indirekten Mitteln: Dies ist sicher der Grund, weshalb Thukydides es nützlich fand, in seiner langen Einleitung über das Wachsen des athenischen Imperialismus diesen „Heiligen Krieg“ zu erwähnen, obwohl er Vorbehalte gegen die Richtigkeit dieser Bezeichnung äußerte. Offiziell griffen die Spartaner ein, um die Unabhängigkeit der Delpher und des Heiligtums zu bewahren, aber sie wünschten auch, die Ausdehnung des phokischen koinon zu verhindern, τεύσαντες καὶ κρατήσαντες παρέδοσαν Φωκεῦσιν. Man findet dieselbe Version bei Plut., Per. 21,2 f., mit zusätzlichen Einzelheiten, wie auch bei Hesych., ι 317 (s.v. ἱερὸν πόλεµον); Schol. Eur. Troad. 9. In Schol. Ar. Av. 556, das auf Thukydides (I 112,5) verweist, bei Theopomp (FGrHist 115 F 156), Philochoros (FGrHist 328 F 34a–b) und Eratosthenes (FGrHist 241 F 38) findet man drei andere Versionen dieses Ereignisses, darunter eine, in der von zwei verschiedenen Heiligen Kriegen die Rede ist, in den Jahren 458–457 und 449–447. Die Mehrheit der modernen Historiker hat sie zugunsten der Erzählung des Thukydides beiseite geschoben. Vgl. LEFÈVRE, 1998a, 31.54.72; SÁNCHEZ, 2001, 106–108 und Anm. 140 f.; MARI, 2006, 233 f. 248–252. Vgl. aber MCINERNEY, 1999, 188; BOWDEN, 2003, 75 Anm. 68. 46 Strab., IX 3,15; Paus., IV 34,11; Schol. Eur. Troad. 9. Zu den Beziehungen von Delphi und dem koinon der Phoker vgl. MCINERNEY, 1999, passim, vor allem 65.120– 157.205–208; ROUSSET, 2002, 29, 118 f.; KYRIAKIDIS, 2011; LONDEY, 2015, 231f.

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das nach der Schlacht von Oinophyta (457) zum Eintritt in den Athenischen Seebund gezwungen worden war. Die Athener ihrerseits unterstützten die Ansprüche ihrer neuen phokischen Verbündeten, selbst wenn sie damit ihre eigenen Interessen in Zentralgriechenland vor diejenigen des pythischen Heiligtums stellten, wie sie es erneut im 4. Jahrhundert tun würden.47 Diese indirekte Konkurrenz um die Führungsposition in Zentralgriechenland zwischen Athen und Sparta wird von einer Anekdote beleuchtet, die Plutarch berichtet: Nach der Vertreibung der Phoker hätten die Spartaner die promanteia der Delpher bekommen, und sie hätten sie auf die Stirn eines Bronzewolfes eingravieren lassen. Nach ihrem Eingreifen in Delphi hätten die Athener dieses Privileg ebenfalls bekommen und es aus reiner Provokation auf die Seite desselben Wolfes schreiben lassen.48 Man weiß nicht, ob die Phoker die Leitung des Heiligtums ununterbrochen bis zur Zeit des Peloponnesischen Krieges behielten, oder ob sie sich gezwungen sahen, es nach der Vereinbarung des Dreißigjährigen Friedens im Jahr 446/5 erneut zu räumen.49 Auf jeden Fall wurde die Frage beim Abschluss des Waffenstillstands von 423 und beim Nikiasfrieden 421 erneut diskutiert. Diese zwei Verträge beginnen in der Tat mit Sätzen, die sich auf das pythische Heiligtum beziehen; der zweite enthält auch eine Passage hinsichtlich der Stadt der Delpher:50 Das Heiligtum und die Orakelstätte des Pythischen Apollon betreffend sind wir der Auffassung, dass jeder, der will, sie befragen darf ohne böse Absicht und Gefahr gemäß den Bräuchen aus alter Zeit. (2) Dies ist die Auffassung der Lakedaimonier und der anwesenden Verbündeten; die Boioter und Phoker versprechen sie durch Gesandte nach Kräften für diese Position gewinnen zu wollen. (3) Den Schatz des Gottes betreffend soll dafür gesorgt werden, die Übeltäter ausfindig zu machen und in korrekter und rechtlicher Weise und Anwendung der Bräuche aus alter Zeit – von euch und von uns und von allen anderen, die wollen, wobei alle sich an die Bräuche aus alter Zeit halten.51

47

Thuc., I 108,3; Diod., XI 83,3. Vgl. MCINERNEY, 1999, 188–194; SÁNCHEZ, 2001, 111–113; MARI, 2006, 249 und Anm. 49. 48 Plut., Per. 21,3. 49 Vgl. ROUX, 1979, 45; MCINERNEY, 1999, 190.193; JACQUEMIN, 1999, 15.47; ROUSSET, 2002, 118–119; SCOTT, 2014, 131 f. Letzterer erwähnt vor allem die Statue des Apollon Sitalkas, die von den Amphiktyonen mit dem Geld einer den Phokern auferlegten Busse errichtet wurde (Diod., XVI 33,1; Paus., X 15,1 f.), und die bereits im 5. Jahrhundert, nach dem Heiligen Krieg, hätte geweiht sein können. 50 Vgl. HORNBLOWER, 1996, 363–365.471–473; MCINERNEY, 1999, 192 f.; JACQUEMIN, 1999, 14 f.; SÁNCHEZ, 2001, 115–117; MARI, 2006, 236–239.253 f. 51 Übersetzung Weißenberger 2017, 777. Thuc., IV 118,1–3: περὶ µὲν τοῦ ἱεροῦ καὶ τοῦ µαντείου τοῦ Ἀπόλλωνος τοῦ Πυθίου δοκεῖ ἡµῖν χρῆσθαι τὸν βουλόµενον ἀδόλως καὶ ἀδεῶς κατὰ τοὺς πατρίους νόµους. τοῖς µὲν Λακεδαιµονίοις ταῦτα δοκεῖ καὶ τοῖς ξυµµάχοις τοῖς παροῦσιν· Βοιωτοὺς δὲ καὶ Φωκέας πείσειν φασὶν ἐς δύναµιν προσκηρυκευόµενοι. περὶ δὲ τῶν χρηµάτων τῶν τοῦ θεοῦ ἐπιµέλεσθαι ὅπως τοὺς

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Was die gemeinsamen heiligen Stätten angeht, so soll jedem, der will, freistehen, dort zu opfern, das Orakel zu befragen und sich als Besucher einzufinden nach den Bräuchen der alten Zeit, und zwar auf dem Land wie auf dem Seeweg, in völliger Sicherheit. Der heilige Bezirk und der Tempel des Apollon in Delphi und die Bewohner Delphis sollen nach eigenen Gesetzen, mit eigener Besteuerung und eigener Gerichtsbarkeit leben, für sie selbst und für ihr Gebiet, gemäß den Bräuchen aus alter Zeit.52

Im Jahr 423 begannen die Spartaner, die damals Zentralgriechenland kontrollierten, den sicheren Zugang zum Heiligtum für alle kriegführenden Parteien zu gewährleisten. Die Maßnahme betraf in erster Linie die Athener und ihre Verbündeten, die die feindlichen Gebiete der Böoter und der Phoker durchqueren mussten, um sich nach Delphi zu begeben.53 Insbesondere die Böoter waren gegen jegliche Verhandlungen mit Athen und beteiligten sich nicht an den Absprachen. Deshalb begannen die Spartaner, ihnen wie auch den Phokern Boten zu schicken, um sie zu überzeugen, diesen Absatz des Vertrags zu respektieren. Sie schlugen außerdem den Athenern und jeder Person guten Willens vor, Ermittlungen anzustellen, um die Personen zu finden, die die heiligen Schätze geplündert hatten. Dieses Problem stellte sich Delphi wiederholt: Im 3. Jahrhundert ehrte der damals von den Ätoliern beherrschte amphiktyonische Rat gewisse Privatpersonen, die es ermöglicht hatten, gestohlene heilige Güter zurückzubekommen. Im 2. Jahrhundert ließ er dreizehn Delpher verurteilen, die Unterschlagungen in der Verwaltung der Einkünfte des Gottes begangen hatten; in der Kaiserzeit musste sich Kaiser Hadrian persönlich um ähnliche Vergehen kümmern.54 Im Jahr 421 wurden die zwei Jahre zuvor ergriffenen Maßnahmen bezüglich des Zugangs zu Delphi bestätigt und auf alle panhellenischen Heiligtümer ausgedehnt. Die zweite Klausel stellt eine Neuigkeit dar: Die Spartaner verkündeten die Unabhängigkeit des eigentlichen Heiligtums und der Stadt der Delpher, die zwei getrennte Einheiten darstellten. Diese Maßnahme zielte hauptsächlich auf die Phoker, die darauf bestanden, die Kontrolle des Heiligtums zu beanspruchen und die vielleicht auch danach strebten, die Stadt der Delpher in ihr koinon einzugliedern.

ἀδικοῦντας ἐξευρήσοµεν, ὀρθῶς καὶ δικαίως τοῖς πατρίοις νόµοις χρώµενοι καὶ ὑµεῖς καὶ ἡµεῖς καὶ τῶν ἄλλων οἱ βουλόµενοι, τοῖς πατρίοις νόµοις χρώµενοι πάντες. 52 Übersetzung Weißenberger 2017, 833. Thuc., V 18,2: περὶ µὲν τῶν ἱερῶν τῶν κοινῶν, θύειν καὶ ἰέναι καὶ µαντεύεσθαι καὶ θεωρεῖν κατὰ τὰ πάτρια τὸν βουλόµενον καὶ κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλασσαν ἀδεῶς. τὸ δ' ἱερὸν καὶ τὸν νεὼν τὸν ἐν Δελφοῖς τοῦ Ἀπόλλωνος καὶ Δελφοὺς αὐτονόµους εἶναι καὶ αὐτοτελεῖς καὶ αὐτοδίκους καὶ αὑτῶν καὶ τῆς γῆς τῆς ἑαυτῶν κατὰ τὰ πάτρια. 53 Vgl. Ar., Av. 188 f.: Im Jahr 414 verlangten die Böoter ein Wegerecht von den Athenern, die auf dem Weg nach Delphi waren. 54 CID IV, 14, 20–23, 25, 41, 118, 119D und F–I, 152, col. II, l. 8–16. Vgl. LEFÈVRE, 1998a, 50–51.230 f.252 f.; SÁNCHEZ, 2001, 312–314.411 f. 446 f.

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Die Amphiktyonie wird im Bericht des Thukydides nirgendwo erwähnt, obwohl ihr die Aufgabe oblag, die Angelegenheiten des Heiligtums zu überwachen und seine Belange – insbesondere die finanziellen – zu verteidigen. 55 Dies lässt sich durch die Kürze der Notiz bei Thukydides erklären, aber diese Erklärung taugt nicht mehr für die beiden Verträge, denn bei ihnen handelt es sich um offizielle Dokumente, von denen der Historiker den vollständigen Text wiedergibt.56 Man sollte daraus nicht schließen, dass die Amphiktyonie in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts aufgehört hatte zu bestehen, denn die athenischen Komödiendichter spielen mehrfach auf die Tätigkeiten der Hieromnemonen bei den Thermopylen während des Peloponnesischen Krieges an.57 Hingegen ist es möglich, dass die Amphiktyonen regelmäßig daran gehindert wurden, sich in Delphi zu versammeln, wegen des Krieges in Zentralgriechenland und insbesondere der Anwesenheit der Phoker in Delphi, wie dies erneut in der Mitte des 4. und zu Beginn des 3. Jahrhunderts der Fall war.58 Im Übrigen benötigten die Spartaner die Autorität des amphiktyonischen Rates nicht, um den politischen und rechtlichen Status der Stadt der Delpher und des Heiligtums zu regeln, insofern als diese Fragen über den normalen Kompetenzbereich der Amphiktyonie hinausgingen. Die Spartaner könnten also der Ansicht gewesen sein, dass es angesichts der Umstände weder nötig, geschweige denn möglich war, diese Institution an der Ausarbeitung der Verträge von 423 und 421 zu beteiligen.59 Abgesehen davon könnte der Amphiktyonen-Rat nach dem Friedensschluss eingeladen worden sein, die Klauseln zu ratifizieren, die den Status von Delphi und des Heiligtums 55 Dagegen: BOWDEN, 2003, 75 f. Nach ihm kümmerte sich die Amphiktyonie vor 346 ausschließlich um die Organisation der Pythischen Spiele, den Unterhalt der Gebäude und den Schutz des dem Gott geweihten Landes. Die leider sehr verstümmelten Dekrete CID IV, 2–5, die aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts datieren, zeigen dagegen, dass der Rat sich schon zu dieser Zeit mit Problemen im Zusammenhang mit dem Zugang zum Heiligtum, der Erhebung unrechtmäßiger Steuern von den Besuchern und der Verwaltung der heiligen Güter befasste. 56 Die Gründe für das Schweigen des Thukydides sind umstritten: Cf. HORNBLOWER, 1991, 181–183; HORNBLOWER, 1992/2011; HORNBLOWER, 2009/2011, 49–51/54–58; SÁNCHEZ, 2001, 113 f. 117 f.; LEFÈVRE, in: CID IV, 436–443; BOWDEN, 2003, 76; MARI, 2006, passim, vor allem 248–255.259–261. 57 Cratin., Frg. 180–196 Kassel-Austin; Telecl., Frg. 1–10 Kassel-Austin; Ar., Nub. 623 f.; Lys. 1129–1131; Frg. 335 Kassel-Austin. Cf. LEFÈVRE, 1998a, 64 Anm. 286; SÁNCHEZ, 2001, 113. 58 Vgl. SÁNCHEZ, 2001, 190–195 (4. Jahrhundert); LEFÈVRE, 1998b, passim, vor allem 123 f. = SEG 48, 588 + SEG 52, 523, l. 21–23; SÁNCHEZ, 2001, 274–278; MARI, 2006, 238: Der im Jahre 289 geschlossene Friedensvertrag zwischen Demetrios Poliorketes und den Ätolern, die zu diesem Zeitpunkt das pythische Heiligtum kontrollierten, enthielt eine Klausel, die den Amphiktyonen den Zugang zu Delphi garantierten, um die Pythischen Spiele zu feiern, die im vorangehenden Jahr in Athen hatten organisiert werden müssen. 59 Vgl. HORNBLOWER, 1996, 471–473; SÁNCHEZ, 2001, 111–118; BOWDEN, 2003, 76; MARI, 2006, 237 f. 253–255.259–261.

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betrafen. Es könnte ebenfalls sein, dass die Delpher ihre beiden eigenen Stimmen im Amphiktyonen-Rat bei dieser Gelegenheit erhielten, falls sie sie nicht schon früher bekommen hatten.60

6. Der „heilige Krieg“ des 4. Jahrhunderts Der heilige Krieg schlechthin war in den antiken Quellen derjenige, der die Phoker in Auseinandersetzung mit den Böotern und den Thessalern um die Kontrolle des pythischen Heiligtums in den Jahren 350–340 brachte. Nach Diodor wurden die Phoker im Jahr 357 zu einer schweren Strafe verurteilt, weil sie weite Teile des dem Gott beweihten Bodens bebaut hatten. Als sie sich weigerten, eine Summe zu bezahlen, die sie für unverhältnismäßig hinsichtlich der bebauten Fläche hielten, drohte der Amphiktyonen-Rat damit, die Ländereien der frevlerischen Bebauer zu beschlagnahmen. Um dieser Bestrafung zu entgehen, erbaten die Phoker politische und finanzielle Unterstützung von den Spartanern, die selbst ebenfalls auf Antrag der Thebaner von der Amphiktyonie verurteilt worden waren, da sie während einer Panegyris im Jahre 382 die Kadmeia von Theben besetzt hatten. Dank ihrer Unterstützung bemächtigten sie sich mit Waffengewalt der Stadt und des Heiligtums von Delphi, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des Jahres 356.61 Immer noch laut Diodor hätten sie dieses Unternehmen mit den berühmten Versen aus der Ilias gerechtfertigt, in denen Pytho (= Delphi) unter den phokischen Städten aufgeführt ist.62 Unsere anderen, weniger detaillierten Quellen erklären die Anfänge des Krieges bald mit einem offenen Konflikt zwischen den Phokern einerseits und den Thebanern und / oder den Thessalern andererseits63, bald mit Spannungen innerhalb des phokischen koinon.64 Die Mehrheit der modernen Historiker sind der Ansicht, dass der Krieg von den Thebanern provoziert wurde, die einige Jahre zuvor die promanteia der Delpher erhalten hatten und einen Vorwand suchten, um ihre Vorherr-

60 Zu den zwei Sitzen der Delpher in der Amphiktyonie vgl. LEFÈVRE, 1998a, 34–51; JACQUEMIN, 1999, 11 f.; SÁNCHEZ, 2001, 118–120. 61 Diod., XVI 23,1–24,3; 29,2–4. Vgl. auch Paus., X 2,1–3; 15,1. Zu den Quellen Diodors cf. MARKLE, 1994, 43–69. Zur Datierung der Besetzung des Heiligtums vgl. zuletzt HAMMOND, 2003, 373–377 (Herbst–Winter 356) und BUCKLER/BECK, 2008, 219 (Sommer 356), sowie DELTENRE, 2010, 97–116 („entre la pylée d’automne et la pylée de printemps de l’archontat d’Aristoxenos“). Vgl. unten Appendix 2. 62 Diod., XVI 23,5; Hom., Il. II 517 und 519. 63 Duris, FGrHist 76 F 2; Ephor., FGrHist 70 F 93; Iust., VIII 1,4–7; Paus., III 10,3; X 2,1.4; Polyaen., Strat. V 45; Hypoth. 2,1 in Dem. Or. 19; Schol. Dem. 7,42 = 47 Dilts. 64 Arist., Pol. V 4, 1304a10.

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schaft in Zentralgriechenland auf Kosten der Phoker zu bekräftigen.65 John Buckler hat nun behauptet, die Thebaner seien nicht die wahren Anstifter des gegen die Phoker gerichteten Prozesses gewesen: Ihre Ankläger blieben bei Diodor anonym, und die Initiative könnte von den Delphern gekommen sein, die um die Unabhängigkeit ihrer Stadt und ihres Heiligtums fürchteten.66 Kürzlich hat Peter Londey die Meinung verteidigt, nicht die Phoker insgesamt, sondern Philomelos, Onomarchos und ihre Parteigänger hätte die Initiative ergriffen, sich des Heiligtums zu bemächtigen, um den Strafen zu entgehen, die ihnen persönlich auferlegt worden waren.67 Schließlich hat Hugh Bowden hervorgehoben, dass das Gebiet der Phoker nicht an die bebaubaren Teile des dem Gott geweihten Landes angrenzte und sie daher nicht – zu Recht oder Unrecht – angeklagt werden konnten, auf die Ländereien des Gottes übergegriffen zu haben. Nach ihm hätte Diodor die Gründe für den phokischen Krieg mit denjenigen der Affäre von Amphissa im Jahre 340–339 verwechselt; die Phoker hätten sich ohne Provokation des Heiligtums bemächtigt, wie sie es im 5. Jahrhundert getan hätten, und der amphiktyonische Rat hätte beim Ausbruch des Konflikts keine Rolle gespielt.68 Hier soll sich auf das Wesentliche beschränkt werden: Wenn man sich auf die Kommentare der zeitgenössischen Schriftsteller stützt, vor allem Xenophon und Aischines und verschiedene Abschnitte bei Diodor, so scheint in der Tat der wirkliche Streitgegenstand – von Anfang an und wie im 5. Jahrhundert – die Kontrolle über das pythische Heiligtum gewesen zu sein, dessen Leitung die Phoker beanspruchten.69 Das bedeutet aber nicht, dass die Amphiktyonie in dieser Angelegenheit keine Rolle gespielt hätte. Wir haben gesehen, dass Diodor sagte, der Amphiktyonen-Rat habe auch die Spartaner kurz vor dieser Epoche verurteilt, danach den Betrag der unbezahlt gebliebenen Strafe gefordert, und sogar die Bezahlung von Seiten der Phoker verlangt: Wir haben keinen Grund, die Historizität dieses anderen Prozesses in Zweifel zu ziehen, und demzufolge die Historizität des Prozesses gegen die Phoker anzuzweifeln.70 65

Promanteia der Thebaner: SIG3 176; FD III 4,375 (von 362 oder 360/59). Zu früherer Sekundärliteratur vgl. SÁNCHEZ, 2001, 153 Anm. 3 und 173 Anm. 113. Zu den neuen Diskussionen über den Ursprung des Krieges vgl. MCINERNEY, 1999, 205–208; LEFÈVRE, 2004, 110–112; SÁNCHEZ, 2001, 166–185; HORNBLOWER 2009, 46–49, sowie die drei folgenden Anmerkungen. 66 BUCKLER, 1985, 237–246; BUCKLER, 1989, 14–21; BUCKLER/BECK, 2008, 215–223. 67 LONDEY, 2010, 29–38. 68 BOWDEN, 2003, 76–79. 69 Xen., Vect. 5,8–10; Aeschin., Or. 2,117; Dem., Or. 19; Diod., XVI 23,5 f.; 16,24,2; 27,3–5; 29,4. Vgl. SÁNCHEZ, 2001, 179–181.187–190. 70 H. Bowden hat sich mit diesem Punkt in seiner Studie nicht befasst. Zum Prozess gegen die Spartaner vgl. BUCKLER, 1985, 242–245; BUCKLER, 1989, 15–21; SÁNCHEZ, 2001, 181–185; BUCKLER/BECK, 2008, 220–221; HORNBLOWER, 2009, 43–45.

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Im Übrigen wissen wir, dass die Amphiktyonen während der Jahre, die der Einnahme des Heiligtums durch die Phoker vorangingen, mehrfach Gesetze zum Schutz der Pilger, des Heiligtums und des dem Gott geweihten Bodens – darin offenbar eingeschlossen gegen bewaffnete Bedrohungen – erließen.71 Die Amphiktyonie griff ebenso im Jahr 363 in einen Streit zwischen zwei delphischen Gruppen ein: Auf Initiative des thessalischen Hieromnemon Andronikos verurteilte sie den Delpher Astykrates und seine Parteigänger zum Exil und zur Beschlagnahmung ihrer Güter; sie fanden Zuflucht in Athen. Der offizielle Anlass ihrer Verurteilung ist nicht bekannt; das attische Dekret zu ihren Gunsten spielt nur auf „Ungerechtigkeiten“ an, die angeblich gegenüber den Delphern und ihrer Stadt begangen wurden.72 Wir wissen jedoch, dass mindestens drei der Exilierten während der phokischen Besetzung nach Delphi zurückkehrten, wo sie wichtige öffentliche Ämter ausübten.73 Wir wissen überdies, dass in den Jahren 330–320 die Güter der sieben Exilierten immer noch zugunsten des Tempelschatzes des Apollon verpachtet waren.74 Man kann also annehmen, dass diese Personen die Anführer einer delphischen Partei waren, die eine Annäherung zwischen der Stadt und dem koinon der Phoker begünstigte, was in den Augen ihrer Gegner die im Vertrag von 421 garantierte Unabhängigkeit der Stadt und des Heiligtums gefährdete. Nach dem attischen Dekret griffen die Amphiktyonen in die inneren Angelegenheiten von Delphi auf Initiative des thessalischen Hieromnemons ein, und sie taten dies ohne Zweifel, um den Status quo in Delphi und im Heiligtum zu verteidigen. Was die Athener betrifft, die stets bereit waren, die phokische Sache zu unterstützen, so gaben sie vor, das vom Amphiktyonen-Rat gesprochene Urteil sei „gegen die Gesetze von Delphi und der Amphiktyonen“ und erklärten es für null und nichtig.75 Nach der Besetzung des Heiligtums ergriffen die Lokrer und die Thebaner spontan die Waffen, um zu versuchen, die Phoker zu vertreiben. Sodann – nach Abschluss einiger diplomatischer Missionen in der griechischen Welt, in deren Verlauf die Phoker versuchten, ihre Rechte auf das Heiligtum anerkennen zu lassen, während die Thebaner dafür plädierten, zu den Waffen zu greifen – wurde der Amphiktyonen-Rat im Herbst 356 oder, wahrscheinli71

CID IV 2–5 (die Texte sind nicht genau zu datieren und leider sehr verstümmelt). Vgl. BUCKLER/BECK, 2008, 213–215: Nach ihnen zielten diese Maßnahmen implizit auf die Phoker. 72 SIG3 175 = IG II2 109A, vor allem Z. 25–27. 73 CID II 31, l. 4.8.31.34.41.51.48.63 f. 74 CID II 67–73. 75 SIG3 175 = IG II2 109A, l. 17 f. Zu dieser Episode vgl. BUCKLER, 1985, 237–242; BUCKLER, 1989, 9–15 und 196–204; BOUSQUET in: CID II, 131; MCINERNEY, 1999, 206– 209; SÁNCHEZ, 2001, 168–173, mit älterer Literatur; LEFÈVRE, in: CID IV, 466; BUCKLER/BECK, 2008, 215; HORNBLOWER 2009, 45 f.

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cher, im Herbst 355, aufgefordert, eine offizielle Kriegserklärung zu unterzeichnen. Bei dieser Gelegenheit ergriffen die Athener, die Spartaner und einige Städte der Peloponnes offen Partei für die Phoker.76 Die militärischen Aktionen interessieren uns hier nicht als solche. Sie zogen sich acht oder neun Jahre hin, denn die Phoker konnten dadurch, dass sie die Schatzkammern des Gottes plünderten, sich Jahr für Jahr die Dienste zahlreicher Söldner leisten. Zunächst auf Zentralgriechenland (Phokis, Böotien, Lokris, Doris) beschränkt, breiteten sich die Kampfhandlungen rasch nach Thessalien und später in die Peloponnes aus. In Nordgriechenland waren es die Tyrannen von Pherai, die im Kampf gegen die anderen thessalischen Städte im Jahre 354 oder 353 die phokischen Armeen um Hilfe baten. In der Peloponnes griffen die Phoker 352–351 oder 351–350 auf Bitte der Spartaner ein, die sich im Krieg mit Messene und Megalopolis befanden, die von den Thebanern unterstützt wurden. Während der letzten Jahre (349–347) spielten sich die Kämpfe erneut hauptsächlich in Phokis und in Böotien ab und führten die beiden Hauptgegner in die Erschöpfung und den Ruin.77 Während einiger Jahre versuchte der phokische Stratege Onomarchos den Wiederaufbau des Apollontempels mit Hilfe der ihm wohlgesinnten Städte der Peloponnes fortzusetzen, um zu zeigen, dass die Anwesenheit der Phoker in Delphi legitim und sogar vorteilhaft für das Heiligtum sei, aber langfristig war dies ein Fehlschlag.78 Der Eintritt des Königs Philipp von Makedonien ins Geschehen stellte einen regelrechten Wendepunkt in der Geschichte von Delphi, der Amphiktyonie und Zentralgriechenlands dar. Es waren die Thessaler, die ihm die Gelegenheit boten, direkt in die Angelegenheiten des pythischen Heiligtums einzugreifen, indem sie ihn gegen die Tyrannen von Pherai zu Hilfe riefen, die von den Phokern unterstützt wurden. Im Jahre 354 oder 353 bereitete Philipp dem phokischen Strategen Phayllos eine Niederlage in Thessalien, aber er wurde später im Jahr zweimal von Onomarchos schwer geschlagen.79 Im folgenden Jahr, sei es 353 oder 352, kam er nach Thessalien zurück, um diese 76

Diod., XVI 24,4–25,3; 27,5; 28,3 (militärische Initiativen der Lokrer und der Thebaner); 28,3–29,1 (Befragung der Völker und Städte, die Mitglieder der Amphiktyonie waren, durch die Thebaner und Ratifizierung der Kriegserklärung durch die Mehrheit unter ihnen). Vgl. BUCKLER, 1989, 21–29; SÁNCHEZ, 2001, 185–190. Vgl. unten Appendix 2 für die Chronologie. Die Historizität der amphiktyonischen Kriegserklärung wird von BOWDEN, 2003, 78 f. bestritten. 77 Vgl. vor allem BUCKLER, 1989, 30–113. Für eine mehr einen Überblick bietende Darstellung vgl. MCINERNEY, 1999, 209–215; SÁNCHEZ, 2001, 190–199. 78 CID II 31, l. 33–70 (Zusammenkünfte von Naopoioi [„Tempelbauer“] „des Krieges“ während drei Jahren). Vgl. SÁNCHEZ, 2001, 192–195. 79 Diod., XVI 35,1 f. Zum militärischen Eingreifen Philipps in Thessalien und gegen die Phoker vgl. BUCKLER, 1989, 58–84; HAMMOND, 1994, 45–48; SÁNCHEZ, 2001, 195–197; BUCKLER/BECK, 2008, 262–265.

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Scharte wieder auszuwetzen, und fügte den phokischen Armeen eine schwere Niederlage an einem „Krokusfeld“ genannten Ort zu.80 Bei dieser Gelegenheit beschloss Philipp, einen Vorteil aus dem „phokischen Krieg“ zu ziehen, um seine Hegemonie zuerst in Thessalien und dann in ganz Zentralgriechenland zu etablieren: Diodor berichtet, er habe frevlerisch den Leichnam des Onomarchos kreuzigen und die phokischen Gefangenen ertränken lassen, und Justin behauptet, er habe seinen Soldaten befohlen, während der Schlacht Lorbeerkränze zu tragen.81 Offensichtlich hatte der König die Absicht, seinen Feldzug – und seinen Sieg – gegen die phokischen Armeen in Thessalien als Krieg für die Befreiung des Apollon-Heiligtums in Delphi darzustellen. Diese Propaganda-Maßnahme war ein Erfolg: Sie trug ihm die Unterstützung der Griechen ein, die von der Plünderung der Schatzkammern des Gottes in Delphi aufrichtig schockiert waren; sie brachte Schande über die Athener, mit denen er in der Nordägäis im Konflikt lag und die offen die Phoker unterstützten, und sie lieferte ihm ein ehrenwertes Motiv, um zum gegebenen Zeitpunkt südlich der Thermopylen einzugreifen.82 Wahrscheinlich war es von diesem Zeitpunkt an, dass zeitgenössische Autoren, die Anhänger Makedoniens waren, begannen, den Begriff des „Heiligen Krieges“ zu benutzen, um den Konflikt zu bezeichnen, der in Zentralgriechenland im Gang war. Während einiger Jahre konzentrierte Philipp seine Anstrengungen auf die Chalkidike und Thrakien, trotz der Versprechen, die er den Thessalern gemacht hatte, den Heiligen Krieg zu ihren Gunsten zu beenden.83 In gleicher Weise ließ er die Böoter und die Phoker sich gegenseitig auf den Schlachtfeldern Zentralgriechenlands aufreiben und beschränkte sich darauf, den ersteren ein kleines Kontingent zu schicken, als diese ihn im Jahr 347 darum baten.84 Aber seit dem Winter 347/6 ging er in meisterhafter Weise daran, den Heiligen Krieg zu beenden, zu seinem Vorteil und ohne einen Schlag zu führen. Insbesondere handelte er – nachdem er ein Militärbündnis mit den Thebanern geschlossen hatte – ein Abkommen mit dem phokischen Strategen Phalaikos aus, der ihm ohne Widerstand den Thermopylen-Pass auslieferte im Austausch für sein eigenes Leben und das seiner Söldner, und er nahm die Kapitulation der phokischen Städte an, ohne seine thebanischen oder thessalischen Verbündeten einzubeziehen. Ebenso gelang es ihm, den Athenern einen Friedensvertrag aufzuzwingen, der dem „Krieg um Amphipolis“ ein Ende bereitete, während er ihre phokischen Verbündeten vom endgültigen Abkommen ausschloss: Es handelt sich um den berühmten Frieden des Philokra80

Diod., XVI 35,4–6. Diod., XVI 35,6; Iust., VIII 2,3. 82 Diod., XVI 38,2; Iust., VIII 2,5–12. Vgl. BUCKLER, 1989, 76 f.; HAMMOND, 1994, 48; SÁNCHEZ, 2001, 196 f. 83 Dem., Or. 1,22; 2,7–11; 19,318; Vgl. BUCKLER, 1989, 105 f.; SÁNCHEZ, 2001, 199. 84 Diod., XVI 58,1–3. Vgl. BUCKLER, 1989, 51 f. und 112 f.; MCINERNEY, 1999, 215– 217; SÁNCHEZ, 2001, 200. 81

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tes von 346, der unterschieden werden muss von den etwas später im Jahr getroffenen Entscheidungen, um dem Heiligen Krieg ein Ende zu setzen.85 Im Einvernehmen mit den Thebanern und den Thessalern beschloss Philipp nämlich, den Amphiktyonen-Rat zu einer außerordentlichen Versammlung in Delphi einzuberufen und ihm offiziell die Beilegung des Konflikts mit den Phokern zu übertragen.86 Die Maßnahmen, die bei dieser Gelegenheit beschlossen wurden, sind durch das Zeugnis Diodors gut bekannt:87 Das Ethnos der Phoker wurde als frevlerisches Volk von der Amphiktyonie ausgeschlossen, und die im Heiligtum aufgestellten Statuen der phokischen Strategen wurden umgestürzt.88 Allerdings verzichtete man darauf, die ganz männliche Bevölkerung ohne Urteil hinzurichten, wie es die antiken Bräuche, und vielleicht die amphiktyonischen Vorschriften, gestatteten: Man beschränkte sich darauf, ihre Waffen in einen Abgrund hinabzuwerfen und ihre Pferde zu verkaufen, und man verkündete das Verbot, den flüchtigen Tempelschändern Asyl zu gewähren; sie sollten festgenommen und wahrscheinlich vor die Amphiktyonie für eine Gerichtsverhandlung zurückgeschickt werden. Man schleifte die phokischen Städte und zwang ihre Einwohner, in kleinen Dörfern zu wohnen, die entfernt voneinander lagen, ohne das Recht zu haben, Waffen oder Pferde zu besitzen. Schließlich erlegte man ihnen die Rückzahlung der im Tempel gestohlenen Geldbeträge und Gegenstände auf, zu 60 Talenten pro Jahr, für eine Gesamtsumme von 10,000 Talente.89 Philipp und seine Nachkommen bekamen die zwei Sitze der Phoker im Amphiktyonen-

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Diod., XVI 59,1–3; Dem., Or. 19, passim; Aeschin., Or. 2, passim. Für die Analyse der beiden einander widersprechenden Reden des Aischines und des Demosthenes und für die moderne Debatte bezüglich der Chronologie und der Themen der Verhandlungen vgl. BUCKLER, 1989, 119–139; HAMMOND, 1994, 90–92; BUCKLER, 1996, 380–382; MCINERNEY, 1999, 217–226; SÁNCHEZ, 2001, 200–203. 86 Diod., XVI 59,4; Dem.. Or. 19,63 f. Zu den Verfahren der Amphiktyonen und zur Chronologie, vgl. ROUX, 1979, 165 f.; LEFÈVRE, 1998a, 164–167; MARI, 1999, 97–109; MARI, 2002, 99–106. 87 Diod., XVI 60,1–3, zu ergänzen mit Aeschin., Or. 2,142 f.; Dem., Or. 5,19.22; Dem., Or. 9,32; Paus., X 3,1–3; 8,2; 15,1; Plut., Pyth. or. 16, 401f; CID II 34, col. II, l. 56–62. Für eine detaillierte Untersuchung der Klauseln des amphiktyonischen Friedens von 346 vgl. BUCKLER, 1989, 139–142; HAMMOND, 1994, 92–97; LEFÈVRE, 1999, 184–188; SÁNCHEZ, 2001, 203–213; MARI, 2002, 118; LEFÈVRE, 2004, 112–119; BUCKLER/ BECK, 2008, 266–269. 88 Nach Paus., X 8,2, wären die Spartaner als Komplizen des Frevels auch vom Rat ausgeschlossen gewesen, aber diese Auskunft wird von den inschriftlichen Abrechnungen widerlegt: CID II 31, l. 75–76 (345/4); CID II 32, l. 43 (325/4). 89 CID II 36–42. Die Phoker hätten 167 Jahre gebraucht, um diese Summe zurückzuzahlen. In Wirklichkeit zahlten sie zwischen 343 und 318 nur ungefähr 400 Talente zurück. Vgl. BOUSQUET, 1988, 155–165; BOUSQUET in: CID II, 146–149; SÁNCHEZ, 2001, 138– 140.

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Rat und der König erhielt zudem das Recht, die Pythien im Herbst 346 zu leiten, gemeinsam mit den Thessalern und den Böotern.90 Philipp und seine thessalischen Alliierten waren die Hauptnutznießer dieser Maßnahmen. Die Thessaler, die ihren Kampf gegen die Phoker rasch aufgegeben hatten, erlangten ohne Mühe ihre Vorrechte in Delphi und in der Amphiktyonie zurück. Auf Entscheidung der Amphiktyonen erhielten sie außerdem die Aufsicht über die Zitadelle von Nikaia, die im Territorium der Lokrer den Südeingang der Thermopylen bewachte.91 Philipp bot die Tatsache, dass er als Belohnung für seine Frömmigkeit gegenüber Apollon und seine Maßnahmen zugunsten des Heiligtums im Amphiktyonen-Rat saß und die Pythischen Spiele leitete, die Gelegenheit, seine legitime Zugehörigkeit zum griechischen Volk zu bekräftigen und sich als Befreier und wohlwollender hegemon darzustellen anstatt als Eroberer Zentralgriechenlands. Er vermehrte sein Ansehen ebenfalls, indem er die Amphiktyonen davon überzeugte, das jährlich von den Phokern ausbezahlte Geld zu verwenden, um die Wiederherstellung des Tempels fertigzustellen und weitere Verschönerungsarbeiten in Delphi und bei den Thermopylen zu unternehmen.92 Die Athener hatten die Sache der Phoker unterstützt und fürchteten Vergeltungsmaßnahmen von Seiten Philipps und der anderen Amphiktyonen, aber nichts dergleichen geschah: Sie wurden eingeladen, an der außerordentlichen Versammlung vom Sommer 346 teilzunehmen, an der Aischines sich damit begnügte, als Beobachter dabei zu sein.93 Um ihre Missbilligung hinsichtlich der bei dieser Gelegenheit beschlossenen Maßnahmen deutlich zu machen, boykottierten sie die von Philipp geleiteten Pythischen Spiele im Herbst. Letzterer schickte ihnen als beschwichtigende Geste etwas später eine aus Makedonen und Thessalern zusammengesetzte Gesandtschaft, um sie zu bitten, offiziell seine Zulassung zum Amphiktyonen-Rat zu bestätigen. In seiner Rede Über den Frieden riet Demosthenes seinen Mitbürgern widerwillig, diesem Ansu-

90 Nach Diod., XVI 60,2 verloren die Korinther bei dieser Gelegenheit das Recht, die Pythischen Spiele zu leiten, aber man weiß nicht, was man mit dieser isolierten Nachricht anfangen soll. Nach LONDEY 1994, 25–29, wurde das gesamte makedonische ethnos, nicht nur der König Makedoniens, in die Amphiktyonie aufgenommen. 91 Die Zitadelle wurde anschließend von einer makedonischen Garnison besetzt: Aeschin., Or. 3,140; Dem., Or. 6,22; [Dem.], Or. 11,4 = Anaxim., FGrHist 72 F 11b; Philoch., FGrHist 328 F 56b. Cf. SÁNCHEZ, 2001, 213–218. 92 Dem., Or. 5,22; 9,32; Diod., XVI 60,4. Zu der Wiederaufnahme der Arbeiten und dem Platz der Amphiktyonie in der Politik Philipps vgl. LEFÈVRE, 1998a, 95 f.; SÁNCHEZ, 2001, 133–152 und 258–268. Zur Bedeutung der großen panhellenischen Heiligtümer in der Propaganda Philipps und Alexanders vgl. MILLER, 2000, 266–274; MARI, 2002, 127– 157.205–230. 93 Aeschin., Or. 2,94 f.138–143.162 f.; Dem., Or. 19,121–131. Vgl. BUCKLER, 1989, 139–142; SÁNCHEZ, 2001, 203–205.

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chen stattzugeben, um nicht unnötige Bedrohungen auf der Stadt lasten zu lassen.94 Abgesehen von den Phokern waren die großen Verlierer der Übereinkommen von 346 die Thebaner: Nachdem sie die Mühe des Krieges während acht oder neun Jahren nahezu allein getragen hatten, hofften sie, vom Sieg profitieren zu können, um ihre Stellung in Delphi und in Zentralgriechenland zu stärken, aber daraus wurde nichts: Aufgrund von Philipps Auftritt waren sie nicht in der Lage, den Einfluss wieder zu erlangen, den sie in Delphi vor dem Krieg genossen hatten, und vor allem wurden sie daran gehindert, neue Gebiete auf Kosten der Phoker zu erwerben, und zwar infolge einer Entscheidung des Amphiktyonen-Rats, der sich – höchstwahrscheinlich auf Bitte Philipps – geweigert hatte, das phokische Ethnos auszulöschen, eben gerade um zu vermeiden, Begehrlichkeiten der Böoter oder der Lokrer zu erregen.95 Alles in allem trug der althergebrachte Konflikt zwischen den Phokern und der Stadt der Delpher um die Kontrolle des pythischen Heiligtums im 4. Jahrhundert dazu bei, die Rolle der Amphiktyonie in der Leitung des Heiligtums, das unter ihrer Autorität stand, hervorzuheben und zu bestätigen. Er veränderte in entscheidender Weise die Kräfteverhältnisse in Zentralgriechenland, indem er Philipp die Gelegenheit bot, seine Vorherrschaft südlich der Thermopylen sicherzustellen.

7. Der amphiktyonische Krieg gegen Amphissa Einige Jahre später, im Jahr 339, war Philipp gezwungen, in einen neuen Konflikt um Delphi einzugreifen, der die Mehrheit der Amphiktyonen in Auseinandersetzung mit den Lokrern von Amphissa brachte. Diese Episode, von den modernen Historikern unpassenderweise „vierter Heiliger Krieg“ genannt, kommt in der fortlaufenden Erzählung Diodors nicht vor und ist von ganz anderer Natur als der phokische Krieg, von dem eben die Rede war. Man muss es gleich sagen: Der Konflikt mit Amphissa war von Philipp nicht – wie Demosthenes behauptet – bewusst mit der Beihilfe des Aischines provoziert worden, um eine Amphiktyonen-Kampagne gegen die Athener zu starten, mit denen er in der Bosporos-Region erneut im Kampf war. Der König hatte keinen wie immer gearteten amphiktyonischen Vorwand nötig, um die Thermopylen zu überschreiten, und vor allem hatte er keinerlei Interesse, 94 Dem., Or. 5, passim; Liban., Argum. Demosth. 5. Vgl. SÁNCHEZ, 2001, 222–227; MARI, 2002, 118–122. Ich war seinerzeit der Ansicht, dass die Athener sich nicht einem amphiktyonischen Krieg aussetzten, weil sie die Phoker unterstützt hatten, aber ich bin heute weniger sicher. Vgl. oben Abschnitt 3 und die Anmerkungen 21 f. 95 Zu den im Jahr 346 den Thebanern zugeschriebenen Ambitionen, vgl. Isocr., Or. 5,54–55; SÁNCHEZ, 2001, 220–222.

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neue Unruhen mit unvorhersehbarem Ausgang in Zentralgriechenland zu erregen.96 Ausgangspunkt war ein Grenzproblem zwischen dem Apollon geweihten Land und der lokrischen Stadt Amphissa.97 Auf Anregung des Aischines, der als Pylagoros (amphiktyonischer Bundesgesandter) der Athener an die Frühjahrssitzung der Amphiktyonen von 341/0 geschickt worden war98, unternahmen die Hieromnemonen eine Inspektion des dem Gott geweihten Landes.99 Bei dieser Gelegenheit stellte sie fest, dass die Bauern von Amphissa Teile des verbotenen Gebiets bebaut und dort landwirtschaftliche Gebäude errichtet hatten; sie nutzten außerdem den Hafen zu ihrem Gewinn. Während sich die Amphiktyonen-Gesandtschaft daran machte, die unerlaubten Gebäude abzureißen, wurde sie von den Einwohnern von Amphissa angegriffen, die behaupteten, dieser Boden würde ihnen gehören: Einige Hieromnemonen wurden als Geiseln genommen, einige vielleicht getötet, die übrigen flohen nach Delphi. Der Hieromnemon Kottyphos berief daraufhin eine außerordentliche Ekklesia der Amphiktyonen ein – das einzige Zeugnis für diese Organisation –, in deren Verlauf beschlossen wurde, zunächst die Amtsträger der Städte und der Stämme, die Mitglieder der Amphiktyonie waren, zu befragen und dann den Amphiktyonen-Rat zu einer außerordentlichen Pylaia (Sitzung) bei den Thermopylen einzuberufen. Die Hieromnemomen sollten sich dort versehen mit einem Beschluss ihrer Stadt einfinden, das die angemessene Strafe für die Amphisseer festlegte. Anlässlich dieser Versammlung bei den Thermopylen wurde der Thessaler Kottyphos zum Befehlshaber eines kleinen amphiktyonischen Kontingents ernannt: Seine Mission bestand darin, die Frevler von dem Apollon geweihten Land zu vertreiben und die Hieromnemonen, die beauftragt waren, den schuldigen Bebauern Bußgelder aufzuerlegen und Verbannungsstrafen gegen sie auszusprechen, vor einem weiteren bewaffneten Angriff zu beschützen. Dieser amphiktyonische Feldzug war mittelfristig ein Fehlschlag: Gleich nach dem Abzug der Truppen riefen die Amphisser ihre Verbannten zurück und weigerten sich, die Bußgelder zu 96 Aeschin., Or. 3,128; Dem., Or. 18,143.145–147.151, dem viele moderne Wissenschaftler folgen: vgl. SÁNCHEZ, 2001, 227 und Anm. 29 f. für die ältere Literatur. Zu der hier verteidigten Meinung vgl. LONDEY, 1990a, 241–243; HAMMOND, 1990, 141 f.; LEFÈVRE, 1998a, 96.170; SÁNCHEZ, 2001, 227 (und Anm. 31).235–239; BOWDEN, 2003, 81. 97 Vgl. LONDEY, 1990a, 254 f.; BOWDEN, 2003, 80 f. 98 Zu der Chronologie der Jahre 346/5–337/6, siehe jetzt LEFÈVRE, 1998a, 267 f. (Frühjahr 340); MARCHETTI, 1998, 167–172; SÁNCHEZ, 2001, 134–138 und 228; MARCHETTI 2002, 59–72. 99 Aischines versichert (Or. 3,116), er habe diese Initiative ergriffen, um die Amphisseer, – die nach ihm im Auftrag der Thebaner handelten – daran zu hindern, gegen die Athener zu prozessieren, denen man vorwarf, Schilde am Apollontempel geweiht zu haben, ohne die vorangehenden Reinigungsriten durchgeführt zu haben. Demosthenes antwortet (Or. 18,150), die Amphisseer hätten keinerlei Klage gegen die Athener angestrengt.

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begleichen. Daher appellierten die Amphiktyonen an Philipp, der von seinem Feldzug gegen die Skythen zurückgekehrt war, und er wurde zum Strategen des amphiktyonischen Kontingents ernannt, vielleicht in der Herbstsession 339.100 Alle Maßnahmen, die von den Amphiktyonen getroffen worden waren, von der Inspektion des dem Gott geweihten Landes bis zum Beschluss des Amphiktyonen-Feldzugs waren in völliger Übereinstimmung mit dem Reglement von 380 über den Schutz des dem Gott geweihten Landes, das wir oben betrachtet haben.101 Es handelt sich daher um einen im Wesentlichen lokalen Konflikt, der aber a posteriori / im Rückblick von den attischen Rednern mit den Vorstufen des verhängnisvollen Feldzugs von Chaironeia in Verbindung gebracht wurde. Diese Vermischung wurde möglich durch eine Reihe von Entscheidungen, die eher von den Griechen selbst, weniger von Philipp, getroffen wurden. Zunächst weigerten sich die Thebaner und die Athener auf Anraten des Demosthenes, an der außerordentlichen Pylaia der Thermopylen teilzunehmen und sich an der Bestrafung der Amphisseer zu beteiligen, zweifellos aus Misstrauen gegen die – tatsächlichen oder vermuteten – Absichten der Thessaler in Bezug auf Delphi und Zentralgriechenland.102 Danach, im Herbst 340, erklärten die Athener Philipp offiziell den Krieg als Antwort auf Angriffe des Königs gegen Perinth und Byzanz und seine Erbeutung einiger athenischer Versorgungsschiffe im Bosporos.103 Schließlich vertrieben die Thebaner im Lauf des Jahres 339 die makedonische Garnison der Zitadelle von Nikaia, deren Besitz sie seit 346 für sich beanspruchten.104 Bei seiner Rückkehr aus dem Skythenland im Herbst 339 sah sich Philipp daher gleichzeitig mit drei Problemen verschiedenen Ursprungs konfrontiert: mit der Affäre von Amphissa, wegen der ihn die Thessaler um Hilfe batn, einem aschwelenden Konflikt mit Theben um den Besitz der Zitadelle von Nikaia und einem offenen Krieg mit Athen. Philipp musste schnell reagieren, wollte er vermeiden, dass sich eine Koalition gegen ihn bildete: Er begann, indem er sich überraschend Elateias bemächtigte; dann, im Lauf des 100

Aeschin., Or. 3,115–129; Dem., Or. 18,149–151; Strab., IX 3,4; [Plut.], Vit. dec. or. 6, 840b–c. Die Berichte der beiden athenischen Redner sind widersprüchlich, was die Interpretation gewisser strittiger Punkte angeht, stimmen aber hinsichtlich der wesentlichen Fakten überein. Vgl. LONDEY, 1990a, 243–254; SÁNCHEZ, 2001, 228–235. 101 Vgl. oben Abschnitt 3. 102 Aeschin., Or. 3,125–129. Zu den verschiedenen Hypothesen über die Motivationen der in die Affäre involvierten Parteien (Kottyphos, die Thessaler, Aischines und Demosthenes, die Amphisseer und die Thebaner) vgl. LONDEY, 1990a, 255–258; CROISSANT, 1996, 127–139, vor allem 133–135; SÁNCHEZ, 2001, 239–243. 103 Dem., Or. 18,87–94; Theopomp., FGrHist 115 F 292; Philoch., FGrHist 328 F 53– 55; Diod., XVI 75,2–76,4; 77,2; Plut., Phoc. 14,3–8. 104 Aeschin., Or. 3,140 (Nikaia wird im Jahr 346 von den Thebanern beansprucht); Philoch., FGrHist 328 F 56b (die Zitadelle ist in den Händen der Thebaner).

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Winters 339/8, versuchte er den Bruch mit den Thebanern zu vermeiden, durch entgegenkommende Schritte und ohne jemals den Frevel der Amphisser in den Verhandlungen zu erwähnen. Er schlug ihnen vor, Nikaia den Lokrern zurückzugeben, und bat sie, einen Feldzug mit ihm gegen Athen zu unternehmen oder ihm wenigstens freien Durchzug durch ihr Territorium zu gewähren.105 Bekanntlich war dies ein Misserfolg: Die Athener und die Thebaner verbündeten sich gegen Philipp und beschlossen bei dieser Gelegenheit, Kontingente zur Verteidigung Amphissas zu schicken und zu versuchen, den Durchzug der makedonischen Armeen durch Böotien zu verhindern.106 Philipp bemächtigte sich ohne Schwierigkeiten der lokrischen Stadt,107 dann besiegte er die Athener und Thebaner in Chaironeia im Jahr 338. Erst in diesem Moment erschienen der Amphiktyonen-Krieg gegen Amphissa und der Feldzug von Chaironeia eng verbunden, jedenfalls in der Vorstellung des Aischines und des Demosthenes, die sich gegenseitig vorwarfen, die Niederlage Athens in Chaironeia herbeigeführt zu haben, indem sie während der Affäre um Amphissa die schlechte Sache unterstützten. Nach der Schlacht behandelten Philipp und die Amphiktyonen die Amphisseer maßvoll. Strabon behauptet, ihre Stadt sei als Vergeltung für den begangenen Frevel zerstört worden, aber das ist zweifellos ein Irrtum oder eine Übertreibung.108 Sie wurde nicht vernichtet und noch nicht einmal vom Heiligtum ausgeschlossen, denn ein Hieromnemon von Amphissa war bereits 337/6 wieder in Delphi anwesend.109 Wir wissen allerdings durch eine Inschrift des 2. Jahrhunderts v. Chr., dass die Amphiktyonen im Jahr 335/4 eine neue Grenzziehung des dem Gott geweihten Landes zu Ungunsten der Amphissseer durchführten. Schließlich sagt Diodor, dass die Amphisseer, die sich des Frevels schuldig gemacht hatten, im Jahr 318 immer noch im Exil waren.110

105 Diod., XVI 84,2 (Einnahme von Elateia); Dem., Or., 18,211–213; Aeschin., Or. 3,148–151; Dion. Hal., Amm. 11; Plut., Dem. 18,2 f. (Verhandlungen in Theben). 106 Aeschin., Or. 3,146 f.; Dinarch., Dem. 74; Polyaen., Strat. IV 2,8 (athenische und böotische Kontingente in Amphissa). 107 Polyaen., Strat. IV 2,8; Plut., Dem. 18,1 (Einnahme von Amphissa). Vgl. LONDEY, 1990a, 258. 108 Strab., IX 4,8. 109 CID II 74, col. I, l. 37 f. Zum Schicksal von Amphissa vgl. SÁNCHEZ, 2001, 232 und 238–239. 110 CID IV 119E, col. B, l. 29–32; Diod., XVIII 56,5. Vgl. ROUSSET, 2002, 120 f. (amphiktyonische Grenzziehung).

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8. Fazit: Art und Themen der Konflikte um das pythische Heiligtum Letztlich erscheint der „Heilige Krieg“ in den antiken Texten als ein subjektiver Begriff, der von den griechischen Mächten verbreitet und ausgenutzt wurde, die Anspruch auf Vorherrschaft in Zentralgriechenland erhoben, und die den Phokern entgegentraten, um ihnen die Kontrolle über das pythische Heiligtum zu entreißen, dessen sie sich gewaltsam bemächtigt hatten und dessen Leitung sie beanspruchten. Die Bezeichnung zielte darauf ab, ihr Eingreifen in Delphi und in Zentralgriechenland als Kampagne zur Verteidigung des Gottes darzustellen, der Opfer der Gottlosigkeit der Phoker geworden war. Es erscheint daher nicht berechtigt, den Titel „Heiliger Krieg“ den gegen Krisa / Kirrha und gegen Amphissa gerichteten Feldzügen zu geben, die als Ausgangspunkt keinen Konflikt zwischen den Delphern und den Phokern bezüglich der Verwaltung und Kontrolle des Heiligtums hatten.111 Hinsichtlich der Affäre von Amphissa, die eine Grenzstreitigkeit zwischen den Lokrern und dem Apollon geweihten Land betraf, scheint es angemessener, von „Amphiktyonischem Krieg“ zu reden, wie es Demosthenes tut. Was den „ersten Heiligen Krieg“ der modernen Historiker betrifft, von dem sogar die Historizität umstritten ist, so passt er in Wirklichkeit in keine dieser beiden Kategorien, sondern ist eher einem Amphiktyonen-Feldzug ähnlich, der darauf abzielt, die Achtung der Vorschriften zum Schutz des Heiligtums, der Pilger und der offiziellen Gesandtschaften durchzusetzen, als einem heiligen Krieg, der um die Kontrolle des Heiligtums selbst geführt wird. Auf den vorangehenden Seiten haben wir uns vor allem damit befasst, die Art der Konflikte zu bestimmen, die sich um Delphi abgespielt haben, und es empfiehlt sich nun, kurz deren Themen zu rekapitulieren.112 Auf lokaler Ebene waren diese vor allem ökonomischer Natur: Das dem Gott geweihte Land, fruchtbar, aber für Anbau verboten, erregte die Begehrlichkeit der Bürger von Delphi und der Angehörigen der benachbarten Städte von Lokris und Phokis. Außerdem war das Kommen zahlreicher Pilger und offizieller Gesandter, anlässlich der verschiedenen Ereignisse – zweimal im Jahr stattfindende Versammlungen des Amphiktyonen-Rats, große Konsultation des Orakels, Feier der Pythischen Spiele alle vier Jahre, Handelsmessen – die das delphische Jahr markierten, eine Quelle beachtlicher Einkünfte, die in Form von Steuern oder kostenpflichtiger Dienstleistungen an die Besucher eingenommen wurden.

111 112

Dagegen: POWNALL, 1998, 53–55. Für weitere Einzelheiten vgl. LEFÈVRE, 1998a, 271 f.; SÁNCHEZ, 2001, 485–493.

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Auf regionaler Ebene lag den Völkerschaften und Städten, die Mitglieder der Amphiktyonie waren, vor allem am Herzen, allen Griechen den Zugang zum Orakelheiligtum zu gewährleisten, in Zeiten des Krieges wie des Friedens, und zu vermeiden, dass dieser unter die Kontrolle eines einzigen unter ihnen fiel. Es ging auch darum zu verhindern, dass die Geldschätze und Weihegaben aus Edelmetall, die sich im Heiligtum angehäuft hatten, geplündert oder von dem einen oder anderen unten ihnen – insbesondere den Phokern – zu politischen oder militärischen Zwecken missbraucht wurden. Auf gesamtgriechischer Stufe schließlich griffen die Mächte, die hegemoniale Ambitionen in Zentralgriechenland hegten – die Thessaler, die Athener, die Spartaner, die Thebaner und die makedonischen Könige – in die lokalen und regionalen Konflikte ein, einerseits, um sich die Kontrolle der Hauptverkehrswege der Region zu sichern, und andererseits, um in Delphi die Führungsposition zu bekommen und sich als Verteidiger der Interessen des Gottes und des Heiligtums darzustellen.113 Für die einen ging es darum, die Unterstützung des Orakels zu erhalten, die anderen beanspruchten das Privileg, dem Amphiktyonen-Rat vorzustehen, und einige beschränkten sich darauf, ihren Reichtum oder ihre politische und militärische Macht durch Weihegaben und Denkmäler bekannt zu machen. In Philipps Fall erlaubte ihm sein Eingreifen zugunsten des Heiligtums, die Anerkennung seiner Zugehörigkeit zur griechischen Gemeinschaft durchzusetzen. Diese Untersuchung hat sich auf die archaische und klassische Epoche beschränkt, aber man muss sich in Erinnerung rufen, dass die Konflikte auch in hellenistischer Zeit mit der Besetzung Delphis durch die Ätoler weitergingen. Das Eingreifen Roms setzte den bewaffneten Auseinandersetzungen um die Kontrolle Delphis ein Ende, aber es unterdrückte die lokalen und regionalen Rivalitäten um das Apollon geweihte Land, die im Heiligtum angehäuften Reichtümer und den Vorsitz der Pythischen Spiele nicht.

Appendix 1: Eine Amphiktyonen-Symmachie in der Mitte des 5. Jahrhunderts? Als ich den „sogenannten Heiligen Krieg“ des 5. Jahrhunderts zur Sprache brachte, habe ich die Probleme weggelassen, die sich aus dem Fragment eines attischen Dekrets ergeben, das durch Schrift und Formular in die Mitte des 5. Jahrhunderts zu datieren ist und in dem von einem militärischen Bündnis (χσυνµαχία), dem Heiligtun von Pylaia bei den Thermopylen oder einer amphiktyonischen Sitzung (Pylaia), sowie auch einem Eid bei Apollon, Leto

113

Mit der bemerkenswerten Ausnahme der Athener, die stets ihren persönlichen Interessen und denjenigen ihrer phokischen Verbündeten Prioriät einräumten.

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und Artemis die Rede ist. Hier der Text, wie er hergestellt und in der dritte Auflage der Inscriptiones Graecae publiziert wurde.114 1

[ἔδοχσεν τε͂ι βο]λε̣͂ι καὶ το͂[ι δέµ][οι· . . . ντὶς ἐπρ]υτάνευε, Αἰ̣[. . .] [. . . . ἐγραµµάτ]ευε, Μένυλλ[ος ἐ][πεστάτε, . . 5 . . ]ίες εἶπε· χσ[υνθ][έσθαι µὲν τὲν χ]συνµαχίαν [καθ][άπερ hοι ἐκ τε͂ς] Πυλαίας ἀπ[αγγ][έλλοσιν hάπασ]ι τοῖς Ἀµφι[κτί][οσι hοῖσπερ µέ]τεσστιν το͂ h[ιε][ρο͂, ἐµµενε͂ν τε ὀ]µόσαντας ἐν [τε͂][ι χσυνµαχίαι νὲ τ]ὸν Ἀπόλλο [κα][ὶ τὲν Λετὸ καὶ τὲν] Ἄρτεµιν ἐ[χσ][όλειάν τε καὶ hα]υ̣τοῖς ἐπαρ̣[οµ][ένος ἐὰν παραβαί]νοµεν· φσε̣[φί][ζεσθαι δὲ κατὰ τὸ πά]τριον π̣[ερ][ὶ hαπάντον hὰ hοι ἐκ τ]ε͂ς Πυλ[αί][ας ἀπαγγέλλοσιν hεφσε]φισ[µέ][να — — — — — — — — —]

5

10

15

Es gefiel dem Rat und dem Volk; [die Phyle – –ntis] hatte den Vorsitz inne; Ai[– – –] war Sekretär; Menyllos leitete die Sitzung; [– – –]ies machte den Vorschlag: das Bündnis zu akzeptieren [so, wie es von denen, die zurückkommen, verkündet wird] von Pylaia (oder von der Pylaia), für alle Amphi[ktyonen?] die am Heiligtum teilhaben; [dem Bündnis treu zu bleiben] in dem sie bei Apollon, [bei Leto] und bei Artemis schwören und indem wir [den Untergang auf uns selbst] herabrufen, wenn wir es überschreiten; gemäß der Tradition zu unterzeichnen [alles was diejenigen] die von Pylaia (oder von der Pylaia) zurückkommen [ankündigen, dass sie unterzeichnet haben].

Die ersten Herausgeber deuteten dieses Dokument als Bündnis zwischen Athen und den Phokern, das nach dem heiligen Krieg geschlossen worden war.115 Im Gefolge von B. Meritt und A. Wilhelm, denen die oben wiedergegebenen Wiederherstellungen zu verdanken sind, erkannten viele Gelehrte darin eine Allianz, die zwischen Athen und verschiedenen Völkern, die Mitglieder der Amphiktyonie waren, nach der Schlacht von Oinophyta (457) geschlossen worden war.116 M. Mari nun sieht in dem ungewöhnlichen Ausdruck [hοῖσπερ µέ]τεσστιν το͂ h[ιε/ρο͂] („diejenigen, die am Heiligtum teilhaben“) den Beleg dafür, dass das athenische Eingreifen in Zentralgriechenland zu einer Spaltung im Herzen der Amphiktyonie führte, also zu einem Ausschluss oder einer freiwilligen Enthaltung von gewissen Mitgliedern des Rates, die sich der Politik der Athener in Delphi und in Zentralgriechenland widersetzten.117 Heute erkennen die Spezialisten für die Amphiktyonie in 114 115 116 117

IG I3 9. IG I2 26; GHI I 39. Vgl. SÁNCHEZ, 2001, 110 Anm. 150–152 für die ältere Literatur. MARI, 2006, 234, 250–252 (Datierung und Ziele der Allianz sind unbekannt).

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diesem Dokument die Ratifizierung durch die Athener einer zwischen verschiedenen Völkerschaften der Amphiktyonie (darunter den Athenern selbst) geschlossenen Symmachie, an einem unbestimmten Datum in der Mitte des Jahrhunderts.118 Diese letztere Deutung stimmt sicher mit den Verfahren überein, die anderweitig für die Ratifizierung der amphiktyonischen Entscheidungen bezeugt sind, die von den Hieromnemonen in Delphi oder bei den Thermopylen getroffen wurden, wie wir anlässlich der Affäre von Amphissa gesehen haben. Trotzdem ist sie nicht die einzig mögliche: Die Griechen nutzten die Feste in den großen panhellenischen Heiligtümern, um diplomatische Beziehungen anzuknüpfen, und es könnte sich hier um ein Bündnis handeln, das anlässlich einer Versammlung in Delphi oder Pylaia geschlossen wurde, aber ohne einen direkten Bezug zur Rolle der Amphiktyonie für den Schutz des Heiligtums oder des dem Gott geweihten Landes.119 In der Tat ist die Wiederherstellung Ἀµφι[κτί]/οσι in den Zeilen 7–8, die selbstverständlich zu sein scheint, nicht gesichert, wie G. Roux festgestellt hat: Dem Iota folgt auf dem Stein ein leerer Raum, wo man die vertikale Haste des Kappa erwarten würde.120 Man muss auch feststellen, dass die Gesandten, die den Text des Bündnisses in Athen berichten, nicht mit ihren offiziellen Titeln Hieromnemonen und Pylagoren bezeichnet sind, sondern mit einer Umschreibung: [hοι ἐκ τε͂ς] Πυλαίας („diejenigen, die von Pylaia zurückkommen“): Diese Formulierung könnte ebenso gut auf andere Botschafter als die amphiktyonischen Gesandten angewendet werden. Welche Lösung man auch beibehält, es scheint heute unmöglich, dieses Dokument mit den Ereignissen zu verbinden, die in den literarischen Quellen berichtet werden, und die Frage muss offen bleiben.

Appendix 2: Die Chronologie des phokischen Krieges Die Chronologie des phokischen Krieges des 4. Jahrhunderts ist seit mehr als einem Jahrhundert Gegenstand der Diskussion. Ohne auf die einzelnen Nuancen, die von jedem Beteiligten eingebracht wurden, einzugehen, ist darauf hinzuweisen, dass die Anhänger einer „hohen“ Chronologie der Ansicht sind,

118

ROUX, 1979, 44–46 (Allianz zum Schutz des Heiligtums); LEFÈVRE, 1998a, 31 Anm. 123; 66 Anm. 303; 219.275; LEFÈVRE in: CID IV, 457 Anm. 89; 463 (er schwankt zwischen den Jahren 462/1–458/7 und den Jahren 457–447). 119 SÁNCHEZ, 2001, 110 f. 120 ROUX, 1979, 239–241. Für ein hervorragendes Foto des Fragments vgl. das Sara B. Aleshire Center for the Study of Greek Epigraphy: http://aleshire.berkeley.edu/holdings/ photos/7163.

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die Erzählung Diodors enthalte eine gewisse Anzahl von Dubletten,121 während die Verteidiger der „tiefen“ Chronologie annehmen, der Bericht Diodors sei fortlaufend.122 Alle sind sich einig, die erste und die zweite Verurteilung der Phoker in die amphiktyonische Herbst- bzw. Frühjahrssitzung des Jahres 357/6 zu legen. Die Mehrheit ordnet auch die Eroberung des Heiligtums durch die Phoker in den Lauf des Jahres 356 ein, aber der genaue Zeitpunkt ist umstritten (im Frühjahr, mitten im Sommer oder eher im Herbst/Winter).123 Die Diskrepanzen betreffen im Wesentlichen das Datum der Kriegserklärung an die Phoker durch den Amphiktyonen-Rat. Nach den Verfechtern der hohen Chronologie ereignete sich diese Erklärung schon im Herbst oder Winter 356/5, nach den Anhängern der tiefen Chronologie erst im Herbst 355, nach einem Jahr der Kämpfe rund um Delphi und diplomatischen Verhandlungen in der griechischen Welt. Daraus folgt, dass die hauptsächlichen Schlachten, die den Konflikt markieren, ebenfalls – je nach System, das übernommen wird – von einem Jahr zum anderen verschoben sind: Ereignisse Erste Verurteilung der Phoker Zweite Verurteilung der Phoker Besetzung des Heiligtums durch die Phoker

Hohe Chronologie Herbst 357 Frühling 356 Frühling oder Sommer 356

Tiefe Chronologie Herbst 357 Frühling 356 Herbst / Winter 356/5

Erklärung des amphiktyonischen Kriegs

Herbst / Winter 356/5

Herbst 355

355

354

354

353

353

352

Schlacht von Neon Niederlagen von Philipp in Thessalien Schlacht in der Krokos-Ebene

Die einen wie die anderen stützen sich auf die Chronologie der Abrechnungen und der Archonten von Delphi, wie sie zuletzt von Jean Bousquet herge-

121 Diod., XVI 23,1–5 = XVI 29,2 f.; Diod., XVI 24,1 f. = XVI 29,4; Diod., XVI 24,3 = XVI 28,2; Diod., XVI 27,3–5 = XVI 28,4–29,1; XVI 25,1–3 = XVI 30,1–3. Vgl. z.B. CLOCHÉ, 1915; CLOCHÉ, 1939; BUCKLER, 1989, 148–195; BUCKLER, 1996, 380–382; BUCKLER-BECK, 2008, 219.225.229.262. 122 Vgl. z. B. HAMMOND, 1937/1973; SORDI, 1958, 135–154; HAMMOND 1994, 200 Anm. 2. Für andere Hinweise vgl. LEFÈVRE, 1999, 192; SÁNCHEZ, 2001, 173 Anm. 109, 522 f.; DELTENRE, 2010, 107–109. 123 Für die Datierung der Einnahme des Heiligtums durch die Phoker siehe zuletzt BOUSQUET, 1988, 7 (März 356); BUCKLER, 1996, 382 (Sommer 356); BUCKLER-BECK, 2008, 219 (Sommer 356); HAMMOND, 2003, 373–377 (Ende Herbst–Anfang Winter 356/5).

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stellt wurde.124 Diese Chronologie begründet sich jedoch auf die Erzählung Diodors und nimmt eine Identität zwischen dem in den Abrechnungen genannten delphischen Archon Herakleios und dem Prytanen Herakleidas (sic) an, mit dem Pausanias die Besetzung des Heiligtums datiert, unter dem Archontat des Agathokles in Athen.125 Kürzlich wurde die Diskussion von François-Dominique Deltenre wieder aufgenommen, der die Gesamtheit der bislang vorgebrachten Hypothesen wieder in Frage stellt. Er zeigt deutlich die Inkohärenz der von Diodor gelieferten chronologischen Angaben für den Anfang des Krieges und schiebt das Zeugnis des Pausanias völlig beiseite, der das Ende des Krieges zu Unrecht in das Jahr 348/7 datiert und der sich auch hinsichtlich des Beginns des Konflikts getäuscht haben könnte.126 Er vertritt heute die Meinung, dass die Eroberung des Heiligtums nicht unter dem Archontat des Herakleios stattgefunden hat, sondern zwischen der amphiktyonischen Herbst- und Frühjahrs-Sitzung unter dem Archontat des Aristoxenos in Delphi, der Nachfolger des Herakleios war.127 Da eine sichere chronologische Verankerung fehlt, verzichtet er zur Zeit darauf, eine absolute Chronologie vorzuschlagen.128

124

BOUSQUET, 1988, 15–37; BOUSQUET in: CID II, 6–7, der seinerseits die am Ende des 19. Jahrhunderts vor allem von Th. Homolle vertretenen Ansichten wieder aufnimmt. 125 CID II 10A, l. 1–3; CID II 31, l. 3; Paus., X 2,3: τὴν δὲ τῶν Δελφῶν κατάληψιν ἐποιήσαντο οἱ Φωκεῖς Ἡρακλείδου µὲν πρυτανεύοντος ἐν Δελφοῖς καὶ Ἀγαθοκλέους Ἀθήνῃσιν ἄρχοντος (357/6), τετάρτῳ δὲ ἔτει πέµπτης ὀλυµπιάδος ἐπὶ ταῖς ἑκατόν („Die Phoker bemächtigten sich Delphis unter der Prytanie des Herakleidas in Delphi, unter dem Archontat des Agathokles in Athen (357/6), im vierten Jahr der hundertfünften Olympiade“). 126 DELTENRE, 2010, 99–102.107–110. 127 CID II 31, l. 4, 8–9 und 31. Vgl. DELTENRE, 2010, 102–107.110–115: Die mit der finanziellen Verwaltung der Wiederaufbau-Arbeiten des Tempels beauftragten Naopoioi [Tempelbauer] sind an der Herbstsitzung anwesend, aber abwesend an der Frühjahrssitzung dieses Archontats, was sich nur mit der Ankunft der phokischen Armeen in Delphi erklären lässt. 128 DELTENRE, 2010, 115 f.

4. Delphi in der archaischen und klassischen griechischen Literatur

Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos∗ Leonie von Alvensleben 1. Einführung Das älteste literarische Zeugnis für die Gründung des Apollonorakels in Delphi ist der sogenannte ‚Homerische Apollonhymnos‘. Viele der aus späteren Quellen bekannten typisch delphischen Elemente sucht man in diesem Hymnos allerdings vergebens, etwa ein Vorgängerorakel der Gaia oder der Themis,1 einen Omphalos, unter dem eine (männliche) Schlange namens Python begraben liegt;2 auch eine Sühne Apollons wegen der Schlangentötung gibt es nicht,3 und ebenso keine auf dem Dreifuß kauernde, Dämpfe einatmende Priesterin Pythia.4 Vielmehr wird Apollon besungen als Gründer eines eigenen, neuen Orakels, das den Menschen die Pläne des Göttervaters Zeus näherbringen wird. Apollon orakelt ἐκ δάφνης („aus einem Lorbeerbaum“, 396), und seine Weissagungen werden nicht von einer Frau verkündet, sondern von kretischen Priestern, die Apollon selbst anwirbt (394).5

∗ Die Ausarbeitung dieses Beitrags wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch meine Anstellung im Sonderforschungsbereich 1136 „Bildung und Religion“ (Projektbereich A03 „Pagane Religion und Philosophie in ‚virtuellen Bibliotheken‘: spätantike Kompendien und Enzyklopädien“). Ich danke Balbina Bäbler und HeinzGünther Nesselrath für ihre freundliche Einladung zur Tagung und allen Beitragenden, vor allem Sabine Vogt, für hilfreiche Kommentare zu meinem Vortrag. Ilinca TanaseanuDöbler und Jörg v. Alvensleben danke ich für zahlreiche wertvolle Hinweise während der Ausarbeitung dieses Beitrags. 1 Aeschyl., Eum. 1–4. 2 Varro, Ling. lat. VII 17 Kent. 3 Plut., Qu. Gr. 12, 293c. 4 Für die Rolle der Pythia siehe den Beitrag von T. Scheer in diesem Band (oben S. 91– 117, für Frage nach der Existenz von Erdspalten und Dämpfen in Delphi siehe den Beitrag von D. Engster in diesem Band (unten S. 479–504). 5 Textbelege aus dem Apollonhymnos werden im Folgenden (im Fließtext und in den Fußnoten) mit einfachen Verszahlen angegeben, welche der Ausgabe von WEST, 2003 folgen. Die Übersetzungen stammen, sofern nicht anders angegeben, von WEIHER, 1990. Stellenweise habe ich geringfügige Veränderungen vorgenommen, die sich zum Teil auch an der neueren Übersetzung von BERNAYS, 2017 orientieren.

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Allerdings sind damit nur die letzten zwei Drittel des Hymnos grob umrissen: Zuvor erzählt der Sänger des Hymnos, wie der Gott auf der Insel Delos von Leto geboren wird und dort seinen Kult etabliert (sog. ‚delischer Teil‘).6 Erst ab Vers 179 geht es darum, wie Apollon seinen Platz in der olympischen Göttergemeinschaft einnimmt und in Pytho, dem späteren Delphi, sein Orakel gründet und kretische Handelsleute als Orakelpriester einsetzt (sog. ‚pythischer Teil‘). Diese besondere Struktur des Apollonhymnos wird traditionell als Zweiteilung beschrieben. Der vorliegende Beitrag möchte allerdings nicht für eine ursprüngliche Ein- oder Zweiheit des Hymnos argumentieren, sondern vielmehr soll Dreiheit als das grundlegende Strukturprinzip im Homerischen Apollonhymnos untersucht werden. Um die drei auffälligsten Dreiheiten des Hymnos zu nennen: Drei τιµαί (Ehrenwürden) beansprucht der Gott für sich (Lyra, Bogen und Weissagung), drei geographische Kataloge bestimmen die Handlung des Hymnos (durch die Ägäis, das Festland und um die Peloponnes) und drei Beinamen werden Apollon im Hymnos zugesprochen (Pythios, Telphusios und Delphinios).

2. Eins, zwei oder drei? Die Gesamtstruktur des Hymnos Die Frage nach der Struktur des Homerischen Apollonhymnos sorgt in der Forschung seit Jahrhunderten für kontroverse Diskussionen, sodass um den Hymnos gar eine Art ‚Apollonhymnische Frage‘ zwischen Analytikern und Unitariern entbrannt ist: Waren der delische und der pythische Teil einst zwei separate Hymnen, und wenn ja, welcher ist der ältere? Wurde einer der Teile als Weiterführung des anderen gedichtet, und wenn ja, welcher? „In the course of time, almost every position on this question has been occupied ... At the moment, no one side can claim clear victory, and a certain fatigue has set in during the lull“,7 bemerkte Clay schon vor rund dreißig Jahren. Nach ihrer sozialkritischen Interpretation, derzufolge die Hymnen als panhellenisch orientiertes, eigenes literarisches Genre von der Bedrohung und Stabilisierung eines männlich dominierten olympischen Regimes erzählen,8 nehmen 6 Im Folgenden übernehme ich die beiden standardmäßigen, von David Ruhnken im ausgehenden 18. Jahrhundert geprägten Bezeichnungen (‚delischer Teil‘ für 1–178 und ‚pythischer Teil‘ für 179–546), auch wenn ich, mit Richardson, für eine dreigliedrige Struktur des Hymnos plädieren werde (d.h. für eine Zweigliedrigkeit des pythischen Teils, siehe unten Kap. 3.2). Vgl. auch MILLER, 1979, 173 f. 7 CLAY, 1989, 18. 8 Vgl. CLAY, 1989, 17–94 (vor allem 38 und 56–78). Grundlegende Kritik an Clays Interpretation formuliert CHAPPELL, 2011, 66 f. und 80 f.; vgl. auch RICHARDSON, 2015, 29 f. FAULKNER, 2011, 19 f., unterstreicht Clays Verdienst, die Homerischen Hymnen in ihrer Einheit (als einzelne Hymnen sowie als Corpus) verständlich gemacht zu haben. Bezüglich des Apollonhymnos betont er (20): „Even if Apollo is a composite of originally separate

Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos

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jüngere Publikationen zunehmend die narrativen Strukturen der Homerischen Hymnen in den Blick und betrachten sie dabei in ihrer uns heute vorliegenden Einheitlichkeit.9 Die Frage nach der Genese des Hymnos ist dabei, ähnlich wie bei den Homerischen Epen, etwas in den Hintergrund gerückt.10 Bereits seit der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (als die Debatte um die ursprüngliche Ein- oder Zweiheit des Hymnos noch in vollem Gange war) wurden dabei Stimmen laut, die die besondere Bedeutung der Dreiheit für den Hymnos verteidigten. Ich nenne hier drei mir bekannte dieser Stimmen: Johannes Kakridis hat auf kompositionelle (inhaltliche und versifikatorische) Dreiheitselemente hingewiesen und sie in einen engen Zusammenhang mit dem wohl wichtigsten inhaltlichen Dreiheitselement des Hymnos gebracht, nämlich den drei τιµαί Apollons (Lyra, Bogen, Prophetie). 11 Andrew Miller hat diese drei ‚Ehren(ämter)‘ in reizvoller Weise verbunden mit der von ihm festgestellten dreigeteilten „kosmologischen Hierarchie“ von göttlichem Bereich (repräsentiert durch die Lyra), menschlichem Bereich (repräsentiert durch die Prophetie) und dämonischem Bereich (repräsentiert durch den Bogen).12 Nicolas Richardson schließlich hat in Bezug auf die Struktur des hymns, the poem as we have it has clearly been arranged to be read as a unity and benefits from being understood in this way.“ Eine ähnliche Position ist auch schon bei MILLER, 1986, xi–xii, zu finden. Vgl. auch CLAY, 1997, 498 f. 9 Vgl. vor allem die Beiträge in den drei SAGN-Bänden (NÜNLIST, 2004; NÜNLIST, 2007; DE JONG, 2012) sowie in Faulkners und Hodkinsons Band zur Narratologie griechischer Hymnen (RICHARDSON, 2015; FAULKNER, 2015). 10 Vgl. etwa RICHARDSON, 2010, 15, und FAULKNER, 2011, 20. Eine neuere (‚separatistische‘) Stellungnahme liefert allerdings CHAPPELL, 2011. – Eine ähnliche Frage, die seit Jahrhunderten Gegenstand der Forschung zum Homerischen Apollonhymnos ist, beschäftigt sich mit der Datierung des Hymnos (bzw. mit der Einzeldatierung seiner beiden ursprünglichen Teile): Will man aus den vielen Vorschlägen, die sich vor allem zwischen dem 8. Jahrhundert (vgl. etwa POMTOW, 1901, 2528) und dem 6. Jahrhundert bewegen (vgl. WEST, 1975), eine communis opinio herauslesen, so bewegt sich diese zwischen dem späteren 7. und dem früheren 6. Jahrhundert, vgl. etwa FAULKNER, 2011, 11 f. Bisherige Datierungsversuche basieren u.a. auf linguistischen Untersuchungen (vgl. JANKO, 1982) sowie auf Bemühungen, im Hymnos (mehr oder weniger eindeutige) historische Bezüge zu erkennen – beides führt mitunter zu Schwierigkeiten, die größtenteils nicht aufzulösen sind. So gibt es keinen Vorschlag zu historischen Bezügen, der nicht angefochten wurde. Häufig erwogen (und auch häufig zurückgewiesen) wird etwa eine Anspielung auf den sog. ‚Ersten Heiligen Krieg‘ – dessen Historizität mitunter angezweifelt wird (vgl. ROBERTSON, 1978, und BOWDEN, 2003, 72–75) –, und zwar in der Schlusspassage des Hymnos, in der Apollon vor einer Machtübernahme in Delphi im Falle eines Fehlverhaltens der Priester warnt: Die Zeit um 590, als Ende des ‚Ersten Heiligen Krieges‘, wurde als terminus post (und auch ante) quem diskutiert. Vgl. etwa V. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, 1917, 441. Dagegen ROBERTSON, 1978, 48. Eine ausführlichere bibliographische Zusammenstellung bei CLAY, 1989, 87. 11 Vgl. KAKRIDIS, 1937, 107 f. 12 MILLER, 1986, 118–121 (= Appendix 2).

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Apollonhymnos einer Dreiteilung den Vorzug vor der traditionellen Zweiteilung des Hymnos gegeben.13 Richardson begründet seine Gliederung vor allem mit den drei geographischen Katalogen, die dem Hymnos als Strukturelemente zugrundeliegen und, so Richardson, die gesamte griechische Welt als universales (panhellenisches) Herrschaftsgebiet Apollons abbilden, nämlich die Inseln, das Festland und die Peloponnes.14 In diesen drei referierten Forschungspositionen klingt also bereits eine mögliche übergeordnete Bedeutungsebene des triadischen Strukturprinzips an: Dreiheit als Symbol für Ganzheit. Eine solche Symbolik ist allerdings nicht als allgemeingültig zu verstehen, sondern vielmehr als vager Ausgangspunkt, von dem aus konkrete Dreiheiten zu untersuchen sind. 15 Es ist unschwer zu erkennen, dass Dreiheit in zahlreichen Bereichen der Menschheitsgeschichte ein wichtiges Kernelement, eine Art anthropologische Konstante darstellt. Die frühesten Beispiele für die hohe Bedeutung von Dreizahlen in der griechischen Antike stammen aus der Literatur und dem Kult;16 ein prominentes Beispiel aus dem homerischen Epos ist etwa Poseidons verärgerte Rede (Hom. Il. XV 185–199), in welcher er seinen Anspruch auf eine gleichberechtigte Machtverteilung zwischen ihm und seinen Brüdern Zeus und Hades damit begründet, dass unter ihnen dreien einst alles gleichmäßig aufgeteilt worden sei (Hom. Il. XV 189: τριχθὰ δὲ πάντα δέδασται); er, Poseidon, habe das Meer, Hades die Unterwelt und Zeus den Himmel bekommen (Erde und Olymp hingegen gehöre allen gemeinsam). Spätestens seit den Pythagoreern sind triadische Strukturen ein philosophischer Kerngedanke (Dreiheit von Anfang, Mitte und Ende einer Ganzheit)17 und werden besonders im Neuplatonismus zum vorherrschenden Gliede13

Vgl. RICHARDSON, 2010, 9–13. Diese Dreiheit wird im Hymnos selbst formuliert, nämlich wenn Apollon den globalen ‚Einzugsbereich‘ seiner Orakelstätte beschreibt: οἵ τέ µοι αἰεί / πολλοὶ ἀγινήσουσι τεληέσσας ἑκατόµβας, / ἠµὲν ὅσοι Πελοπόννησον πίειραν ἔχουσιν / ἠδ’ ὅσοι Εὐρώπην τε καὶ ἀµφιρύτας κατὰ νήσους, / χρησόµενοι, „sie sollen mir allzeit / Hierher treiben vollendete Hekatomben, so viele / Heimat haben im fetten Gefilde der Insel des Pelops, / Alle auch in Europa und rund auf den Inseln des Meeres“ (248–252, und vgl. 288–292). Vgl. auch CLAY, 1989, 57. 15 Zu Vorsicht vor einer allgemeingültigen Symbolik der Dreizahl im Sinne von ‚Ganzheit‘ oder ‚Vollkommenheit‘ hat bereits USENER, 1903, 348 gemahnt. Zudem sei neben dieser Bedeutung die Dreizahl auch „absolute[r] Ausdruck der Vielheit“ (357). Damit einher geht die Tatsache, dass das Präfix τρι- etwa in adjektivischen Komposita häufig einfach „sehr“ bedeutet (z.B. τρισ-ευδαίµων: „dreimal / sehr glücklich“), vgl. Arist., Cael. I 1, 268a10. 16 Eine Fülle an Belegen von Dreiheiten im griechischen Kult (etwa in Schwur- und Opferriten) bietet (noch immer) USENER, 1903. In den Homerischen Epen sind Dreiheiten sowohl inhaltlich als auch formal-erzählerisch ein wichtiges Strukturelement, vgl. dazu etwa GÖBEL, 1935, 3–15. 17 Vgl. Arist., Cael. I 1, 268a9–15. 14

Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos

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rungsprinzip (vor allem bei Plotin und Proklos). Einige christliche Autoren stellen schließlich eine Verbindung her zwischen heidnischen triadischen Götterlehren und dem Trinitätsgedanken des Christentums (z.B. Marius Victorinus).18 Auch wenn traditionell vor allem der Siebenzahl eine große Bedeutung für Apollon zugewiesen wird (wegen Apollons Geburtstages am siebten Tag des Delphischen Monats Bysios), erscheint auch die Dreizahl in enger Verbindung mit dem Gott.19 Es gibt mehrere sogenannte Göttertriaden, an denen Apollon beteiligt ist, allen voran die ‚Apollinische Trias‘ (Leto – Apollon – Artemis), die auch im Homerischen Apollonhymnos prominent ist.20 Laut einer attischen Inschrift wurde der Eid des für Delphi wichtigen Amphiktyonenbundes auf die Apollinische Trias geschworen.21 Weitere Beispiele von Dreiheit, die im Zusammenhang mit Apollon stehen, sind die drei Θριαί, welche der versöhnte Apollon seinem Bruder Hermes anvertraut,22 sowie der berühmte Dreifuß, der schon früh mit dem delphischen Apollon verbunden ist.23 Im Homerischen Apollonhymnos erscheint Dreiheit zunächst als rein inhaltliches Zahlelement, also als ‚numerische‘ Dreiheit in Form von Zahlwörtern bzw. Dreiergruppierungen (Kap. 2). Für die vorliegende Analyse wichtiger ist jedoch Dreiheit als formales Strukturelement, also ‚strukturelle‘ Dreiheit (Kap. 3). Zu triadischen Strukturelementen zählen etwa die klassische Dreierstruktur eines Hymnos (mit invocatio, narratio und petitio) oder in Bezug auf den vorliegenden Hymnos die drei bereits erwähnten, den Text 18

Vgl. HAGER, 1998, 1480. Vgl. LUDWICH, 1908, 159 f. Zur Bedeutung der Siebenzahl für den Apollonkult vgl. ROSCHER, 1904, 4–19 (auch wenn dessen hieratische Zahlenspekulation und religiösmystische Zahlensymbolik häufig mit Vorsicht zu genießen sind). 20 Göttinnen und Götter sind unterschiedlich eng, in unterschiedlichen Kontexten und zu unterschiedlichen Zwecken miteinander zu Triaden verbunden. Zudem sind die verschiedenen Konstellationen durch archäologische, inschriftliche und literarische Belege unterschiedlich gut überliefert. USENERs Listen von Göttertriaden (USENER, 1903, 13–28) vereinen sowohl kultisch relativ fest verankerte Konstellationen wie die Apollinische Trias (USENER, 1903, 24 f.; vgl. auch MEHRLEIN, 1959, 274–276) als auch flexible, wohl eher temporäre Momentaufnahmen göttlicher Dreiergruppierungen wie etwa die Heilgottgruppe Apollon – Dionysos – Asklepios (USENER, 1903, 15). 21 CIA II 1 n. 545, vgl. USENER, 1903, 20. Generell werden Schwüre tendenziell an Göttertriaden gerichtet (vgl. USENER, 1903, 17), so auch in Letos Schwur an Gaia, Uranos und die Styx (84–88, siehe unten). Zur pylaisch-delphischen Amphiktyonie siehe in diesem Band den Beitrag von P. Sánchez, oben S. 238–242. 22 Vgl. Hom. Hymn. Merc. (4) 550–566. Die Θριαί sind Losgöttinnen, die als Nymphen / Bienen den Parnass bewohnen. 23 Dreifüße spielen auch im Homerischen Apollonhymnos eine Rolle: Sie schmücken Apollons Tempel in Krisa / Pytho (443). Zum Dreifuß (und seinem Raub durch Herakles) siehe in diesem Band den Beitrag von B. Wagner-Hasel, oben S. 137–154. 19

272

Leonie von Alvensleben

gliedernden geographischen Kataloge.24 Beide Formen der Dreiheit, die numerische und die strukturelle, sollen im Folgenden untersucht werden.

3. Lyra, Bogen, Orakel: Numerische Dreiheiten im Apollonhymnos An zahlreichen Stellen im Apollonhymnos lassen sich Dreiheiten finden, die den Hymnos als numerische Elemente inhaltlich bestimmen. Dies mag nicht weiter verwundern, da solche „irgendwie mit Dreiheit zusammenhängenden Ausdrucksformen“25 ein weithin bekanntes Element der homerischen Epik sind, an die die hexametrischen Homerischen Hymnen stilistisch unmittelbar anknüpfen. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, sind solche Dreizahlen im Apollonhymnos allerdings nicht nur schmückendes Beiwerk oder Zeichen homerischer ‚Stilsicherheit‘, sondern stellen ein wesentliches – vielleicht sogar das wichtigste – Gliederungsprinzip im Homerischen Apollonhymnos dar. Das wohl wichtigste inhaltliche Dreiheitselement des Hymnos wird im ersten Ausspruch des neugeborenen Apollon benannt, in welchem er mit drei göttlichen ‚Ehren(-ämtern)‘ (τιµαί) seinen dreifachen Machtbereich kennzeichnet: Musik, Bogenkunst und Prophetie. 131 132

„εἴη µοι κίθαρίς τε φίλη καὶ καµπύλα τόξα, χρήσω τ’ ἀνθρώποισι Διὸς νηµερτέα βουλήν.“

131 132

„Mein sei die liebe Leier und mein der gekrümmte Bogen! Künden doch werd’ ich den Menschen des Zeus untrüglichen Ratschluss.“

Die τιµαί sind in ein Trikolon gefasst, in welchem die Prophetie eindeutig herausgehoben ist: Sie stellt das klimaktische Schlusselement der Dreierkette dar,26 zudem ist auch der Ausspruch selbst als Prophezeiung formuliert. Jede der drei τιµαί findet im Hymnos ihre Umsetzung:27 1) Bei seinem zweiten, friedvollen Olympbesuch überzeugt Apollon die Göttergemeinschaft augenblicklich mit seinem Leierspiel und Gesang (188); die Prozession seiner kretischen Priestergemeinschaft führt er Leier spielend bis nach Pytho hinauf 24

Natürlich enthalten die drei Kataloge theoretisch auch das Zahlelement Drei – allerdings nicht im Hymnos, sondern nur hier in der Analyse. Der Hymnos spricht an keiner Stelle von „drei Wanderungen / Reisen“ bzw. er behandelt sie nicht als triadische Menge (wie etwa die drei im folgenden erwähnten Wettkampfarten oder die Göttertriaden, die jeweils auf engem Raum genannt werden), sondern er enthält drei Kataloge. In diesem Sinne sind die drei Kataloge also strukturelles, nicht numerisches Element im Apollonhymnos. 25 GÖBEL, 1935, 1. 26 Vgl. MILLER, 1986, 54. 27 Vgl. DE JONG, 2012, 42.

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(515). 2) Neben diesem anmutigen Attribut zeichnet ihn gleichzeitig auch der selbst bei Göttern Schrecken hervorrufende Bogen aus, so in der ersten olympischen Szene (2–4) und bei der Schlangentötung (300f., 357). 3) Die lange, schon im ersten delischen Teil angedeutete Suche nach einer Orakelstätte sowie die ‚Anwerbung‘ der kretischen Priester sind Gegenstand des zweiten und dritten Hymnenteils. An welchen weiteren Stellen greift der Hymnos das inhaltliche Motiv der Dreiheit auf? Es liegt nahe, zunächst das Vorkommen von Zahlwörtern im Apollonhymnos zu betrachten: Im gesamten Hymnos lässt sich ausschließlich die Neunzahl finden, die als ‚triadisches‘ Zahlwort (Dreierpotenzierung) betrachtet werden kann.28 Neun Tage und Nächte liegt Leto in Wehen, ohne gebären zu können (91), und eine neun Ellen lange Halskette versprechen Letos Geburtshelferinnen Eileithyia dafür, dass sie, Hera zum Trotz, Letos Geburt einleitet (103 f.).29 Ansonsten kommen im Hymnos zwei mit dem Präfix τρι- gebildete Komposita vor, nämlich der Phorbas-Vater Triopas (211: Τριόπεω, 213: Τρίοπος)30 sowie der Dreifuß (443: τριπόδων).31 Neben den triadischen Zahlwörtern kommen triadische Aufzählungen vor, also Wortgruppen aus drei Elementen, die als abgeschlossene triadische Gruppen zu erkennen sind:32 Die Festspiele auf Delos zu Ehren Apollons werden in drei Disziplinen ausgetragen (Faustkampf, (Reigen-)Tanz und Gesang);33 drei kleinasiatische Gegenden / Städte nennt der Hymnode zu Beginn des zweiten

28 So etwa LAROCHE, 1995, 571. (Roscher hingegen behandelt in seinen ‚Enneadischen Studien‘ die Neunzahl als eigenständige hieratische Größe, die i.d.R. nicht aus der Potenzierung der Drei hervorgehe, vgl. ROSCHER, 1907, 33 und 38 f. Zur Bedeutung der Neunzahl im apollinischen Kult vgl. ROSCHER, 1904, 54–56.) 29 Im Homerischen Apollonhymnos erscheint Hera zwar bereits als eifersüchtige Widersacherin der Leto, aber sie hindert die verschiedenen Orte noch nicht mit Drohungen daran, die schwangere Leto aufzunehmen – diese Rolle erhält sie erst in Kallimachos’ Deloshymnos und in Ovids Metamorphosen, vgl. dazu auch GRAF, 1985, 101. Im vorliegenden Hymnos hält sie ‚lediglich‘ die Geburtsgöttin Eileithyia auf dem Olymp unter Arrest (96– 101), sodass Eileithyia erst mit einer List nach Delos gelockt werden muss. Der Grund, warum die im ersten geographischen Katalog (= Letos Wanderung, 30–48) genannten Orte davor zurückschrecken, Apollon als Geburtsstätte zu dienen, liegt vielmehr darin, dass sie den neuen Gott noch nicht kennen und daher fürchten müssen, dass er sich theoretisch als brutaler Usurpator seines Vaters Zeus erweisen könnte (vgl. die Verse 66–69). 30 Zu der unsicheren Quellenlage dieser mythischen Gestalt vgl. WÜST, 1939. Triopios ist auch ein Beiname des Apollon (Hdt., I 144,2). 31 Neben dem Präfix τρι- sei der Vollständigkeit halber auch das Präfix ἑκατο- genannt, das in unserem Hymnos in den fünfmal erwähnten ‚Hekatomben‘ vorkommt. 32 Anders als die Zahlwörter sind die Gruppierungen im Apollonhymnos nicht auf die Dreizahl beschränkt, sondern es kommen am Rande auch nicht-triadische Gruppierungen vor, etwa die fünf göttlichen ‚Geburtshelferinnen‘ der Leto (93 f.). 33 149: πυγµαχίηι τε καὶ ὀρχηστυῖ καὶ ἀοιδῆι. Vgl. LUDWICH, 1908, 160.

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Hymnenteils als apollinischen Besitz,34 bevor er sodann Apollons dreigeteilten Weg von Delos über Pytho zum Olymp beschreibt.35 Während sich solche einzelnen Textstellen zwar vage, aber hinreichend mit der erwähnten generellen Vorliebe homerischer Epik für triadische (und andere!) Zahlenverhältnisse erklären ließen, erscheinen die häufigen Göttertriaden im Apollonhymnos durchaus von größerer Bedeutung: An mehreren Stellen lässt der Apollonhymnos Götter in verschiedenen Dreierkonstellationen auftreten.36 Die bereits genannte Apollinische Trias (Leto – Apollon – Artemis) ist vor allem zu Beginn des Hymnos sehr präsent: Hier steht Leto als souveräne, von Stolz erfüllte Mutter des Geschwisterpaares im Vordergrund. Besonders geschlossen erscheint die Familientriade in der ‚eingebetteten‘ invocatio der Leto (14–18), in welcher sie ihre Kinder ringkompositorisch ‚umarmt‘. 14 15 16 17 18

χαῖρε µάκαιρ’ ὦ Λητοῖ, ἐπεὶ τέκες ἀγλαὰ τέκνα, Ἀπόλλωνά τ’ ἄνακτα καὶ Ἄρτεµιν ἰοχέαιραν, τὴν µὲν ἐν Ὀρτυγίηι, τὸν δὲ κραναῆι ἐνὶ Δήλωι, κεκλιµένη πρὸς µακρὸν ὄρος καὶ Κύνθιον ὄχθον, ἀγχοτάτω φοίνικος, ὑπ’ Ἰνωποῖο ῤεέθροις.

14 15 16 17 18

Heil dir, selige Leto! Gebarst du doch strahlende Kinder – Denn Apollon ist Herrscher und Artemis fröhliche Schützin – Diese dort in Ortygia, ihn auf der steinigen Delos, Hingelehnt an das lange Gebirg’ und den kynthischen Hügel, Allernächst einem Palmbaum neben der Flut des Inópos.

34

Leto Apollon – Artemis Artemis – Apollon Leto

179 f.: ὦ ἄνα, καὶ Λυκίην καὶ Μηιονίην ἐρατεινήν / καὶ Μίλητον ἔχεις ἔναλον πόλιν ἱµερόεσσαν („Herrscher! Lykien ist dein, dein ist Maioniens Anmut, / Dein ist auch Milet, jene liebesselige Seestadt“). Vgl. KAKRIDIS, 1937, 107. 35 181–188: αὐτὸς δ’ αὖ Δήλοιο περικλύστου µέγ’ ἀνάσσεις. / εἶσι δὲ φορµίζων Λητοῦς ἐρικυδέος υἱὸς / φόρµιγγι γλαφυρῇ πρὸς Πυθὼ πετρήεσσαν, / ἄµβροτα εἵµατ’ ἔχων τεθυωµένα· τοῖο δὲ φόρµιγξ / χρυσέου ὑπὸ πλήκτρου καναχὴν ἔχει ἱµερόεσσαν. / ἔνθεν δὲ πρὸς Ὄλυµπον ἀπὸ χθονὸς ὥς τε νόηµα / εἶσι Διὸς πρὸς δῶµα θεῶν µεθ’ ὁµήγυριν ἄλλων· / αὐτίκα δ’ ἀθανάτοισι µέλει κίθαρις καὶ ἀοιδή („Selbst aber herrschst du gewaltig auf Delos, der rings umwogten. / Wandelnd beim Klang der gewölbten Leier gelangt er nach Pythos / Felsengetürm, der Sohn der rumvollen Leto; Gewänder / Trägt er, die duften und niemals verschleißen; da gibt von dem goldnen / Plektron geschlagen die Leier ein liebesseliges Schallen. / Nun verlässt er die Erde und wandelt hinauf zum Olympos, / Wie ein Gedanke, zum Hause des Zeus in die Kreise der andern, / Und die Unsterblichen wünschen sogleich, dass er spiele und singe“). Vgl. KAKRIDIS, 1937, 107. 36 Ich verwende die Begriffe ‚triadisch‘ und ‚Göttertriade‘ im Folgenden in einem weiten Sinne sowohl für feste, gut überlieferte Dreierkonstellationen wie die Apollinische Trias als auch für losere Konstellationen (sozusagen ‚literarische Momentaufnahmen‘) wie die im Folgenden dargelegten Gruppierungen aus dem Apollonhymnos (z. B. Zeus – Leto – Apollon oder die Dreiergruppierungen der Olympischen Szene, z.B. Ares – Hermes – Apollon). Vgl. auch Anm. 20.

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Während Artemis im restlichen Hymnos keine tragende Rolle mehr spielen wird (im Gegensatz zu Leto und natürlich Apollon), nimmt sie in den vorliegenden fünf Versen die zentrale Position der chiastischen Struktur ein. Damit wird die Apollinische Trias gleich zu Beginn des Hymnos in besonderer Weise betont und die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf Göttertriaden gelenkt (und womöglich auch generell auf triadische Strukturen). Bei der Beschreibung des Delosfestes (im Übergang also vom delischen zum pythischen Teil) greift der Hymnendichter37 die Apollinische Trias noch einmal auf: Die delischen Mädchen (und Apollondienerinnen, 157: κοῦραι Δηλιάδες Ἑκατηβελέταο θεράπναι) besingen, so heißt es, zuerst Apollon und dann Leto und Artemis (und schließlich die „damaligen“ Menschen, 158–161). Mit dieser Rückkehr am Ende des delischen Teils zur Apollinischen Trias, der ‚Ausgangstriade‘ des Hymnos, schafft der Hymnendichter einen selbstreferentiellen Zirkel, der die delischen Mädchen als hier Singende und Besungene zugleich zum Objekt wie zum Subjekt des Hymnos werden lässt (ein Phänomen, das als mise en abyme beschrieben werden könnte).38 Eine weitere göttliche Dreierkonstellation, die ebenfalls zu Beginn des Hymnos noch vor der Apollinischen Trias die Bühne betritt, ist die Gruppe Leto, Zeus und Apollon: Sie sind die Hauptakteure und einzigen namentlich genannten Götter der ersten olympischen Eröffnungsszene, in welcher Apollon die Götterfamilie mit seinem gespannten Bogen erschreckt (1–13). An zwei weiteren prominenten Stellen des Hymnos, nämlich in der Mitte und zum Abschluss, wird diese Konstellation wieder aufgegriffen: am Ende der zweiten olympischen Szene (204–206) und in der Abschlussformel (545 f.): 204 205 206

οἳ δ’ ἐπιτέρπονται θυµὸν µέγαν εἰσορόωντες Λητώ τε χρυσοπλόκαµος καὶ µητίετα Ζεύς υἷα φίλον παίζοντα µετ’ ἀθανάτοισι θεοῖσιν.

204 205 206

Helle Freude empfinden in ihrem großen Gemüte Leto mit Gold in den Haaren und Zeus, der Berater, beim Anblick Ihres geliebten Sohns, wie er spielt mit unsterblichen Göttern.

545 546

καὶ σὺ µὲν οὕτω χαῖρε, Διὸς καὶ Λητοῦς υἱέ· αὐτὰρ ἐγὼ καὶ σεῖο καὶ ἄλλης µνήσοµ’ ἀοιδῆς.

37

Mit dem Begriff ‚Hymnendichter‘ meine ich den Verfasser (bzw. den Kompilator) des gesamten Hymnos, wie er uns heute vorliegt, ohne damit auf ein spezielles Entstehungsszenario des Hymnos anspielen zu wollen. 38 Andere Lesarten dieser Textstelle trägt RICHARDSON, 2010, 107 zusammen; er selbst rechnet die Szene aber zu den selbstreferentiellen im Hymnos, vgl. RICHARDSON, 2010, 8. Anders CLAY, 1997, 500 (dort Anm. 44). Zur mise en abyme als literarischem Phänomen vgl. DÄLLENBACH, 1977 (zur ‚trinitarischen‘ Natur der mise en abyme: 51 f.) und WOLF, 1993, 295–305. Für eine ähnliche Lesart einer mise en abyme in früher griechischer Dichtung (nämlich in der iliadischen Schildbeschreibung) vgl. DE JONG, 2011, 9 f.

276 545 546

Leonie von Alvensleben Heil also ruf ich auch dir, du Sohn des Zeus und der Leto! Ich aber werde deiner und anderen Sanges gedenken.

Außerhalb des Apollonhymnos erscheinen Zeus, Apollon und Leto meines Wissens nach nicht als Göttertriade der griechischen Antike.39 In den vorliegenden Stellen des Hymnos ist die ‚Vater-Mutter-Kind‘-Konstellation offenbar eine eigenständige, rein literarische Dreiheit, die ganz der Absicht folgt, Apollon in seinem Hymnos als legitimen und loyalen Sohn des höchsten Gottes zu kennzeichnen. Als solcher festigt er, in der Interpretation von Clay, die olympische Ordnung und bestätigt den Herrschaftsanspruch seines Vaters.40 Gemeinsam mit der traditionellen Göttertriade Leto – Apollon – Artemis trägt die triadische Gruppierung von Zeus, Apollon und Leto dazu bei, gleich zu Beginn des Hymnos den Blick auf triadische Elemente zu schärfen: An zwei weiteren Stellen werden im Hymnos Göttertriaden angerufen, und zwar jeweils von weiblichen Göttern, die eine (im Positiven wie im Negativen) maßgebliche Rolle bei der Etablierung apollinischer Macht auf Delos und in Pytho / Delphi spielen: Zunächst schwört Leto bei Gaia, Uranos und der Styx,41 dass ihr Sohn auf Delos ein Heiligtum errichten und beibehalten sowie seine Geburtsinsel in höchsten Ehren halten wird – unter diesen Bedingungen ist die personifizierte Insel bereit, Geburtsstätte des jungen Gottes zu werden. Der von Delos eingeforderte Schwur der Leto lautet: 84 85 86 87 88

„ἴστω νῦν τάδε Γαῖα καὶ Οὐρανὸς εὐρὺς ὕπερθεν καὶ τὸ κατειβόµενον Στυγὸς ὕδωρ, ὅς τε µέγιστος ὅρκος δεινότατός τε πέλει µακάρεσσι θεοῖσιν· ἦ µὴν Φοίβου τῆιδε θυώδης ἔσσεται αἰεί βωµὸς καὶ τέµενος, τίσει δέ σέ γ’ ἔξοχα πάντων.“

Anrufung

84 85 86 87 88

„Wisse die Erde denn jetzt und der breite Himmel darüber, Wisse das drunten strömende Wasser der Styx, was den größten, Was auch den furchtbarsten Eid für die seligen Götter bedeutet: Wahrlich! hier wird des Phoibos Grund und sein duftender Altar Allzeit sein; doch dich wird er ehren weit über alle!“

Schwurinhalt

Später, in einem Exkurs des pythischen Teils, wendet sich Hera an Gaia, Uranos und die Titanen, da sie aus Rache an Zeus (für dessen geschlechtslose Zeugung der Athene) allein einen Sohn zeugen will: Typhaon, den sie dann 39 Zwar werden Zeus und Apollon vor allem als Schwurgötter häufig gemeinsam genannt (mit Athene, Artemis, Demeter, Themis oder Poseidon), jedoch nicht mit Leto, vgl. USENER, 1903, 13–28. MEHRLEIN, 1959, 274, betont, dass ‚Vater-Mutter-Kind‘-Konstellationen in der griechisch-römischen Antike generell keine Bedeutung für die Zusammensetzung von Göttertriaden zukommt. 40 Vgl. CLAY, 1989, 17–94. 41 84–86 ≈ Hom., Il. XV 36–38 (Heras Schwur gegenüber Zeus) = Hom., Od. V 184– 186 (Kalypsos Schwur gegenüber Odysseus).

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der in Pytho hausenden Schlange übergeben wird, welche Apollon vor seiner dortigen Orakelgründung beseitigen muss. Wie der Versschluss in 334 zeigt, knüpft die invocatio des Gebets an Letos Schwur an. Αuch formal enthalten Schwur und Gebet ein gemeinsames triadisches Element: Die beiden Anrufungen erstrecken sich über je drei Zeilen; danach folgt der Schwurinhalt bzw. die petitio des Gebets.42 334 335 336 337 338 339

„κέκλυτε νῦν µοι, Γαῖα καὶ Οὐρανὸς εὐρὺς ὕπερθεν Τιτῆνές τε θεοί, τοὶ ὑπὸ χθονὶ ναιετάουσιν Τάρταρον ἀµφὶ µέγαν, τῶν ἔξ ἄνδρές τε θεοί τε· αὐτοὶ νῦν µεο πάντες ἀκούσατε, καὶ δότε παῖδα νόσφι Διός, µηδέν τι βίην ἐπιδευέα κείνου, ἀλλ’ ὅ γε φέρτερος εἴη, ὅσον Κρόνου εὐρύοπα Ζεύς.“

invocatio

334 335 336 337 338 339

„Erde und breiter Himmel darüber, jetzt hört mich, und ihr auch, Götter Titanen, dort in der Wohnstatt neben dem großen Tartaros unter der Erde, ihr Ursprung der Götter und Menschen! Hört jetzt alle mich an und gebt mir einen Sohn, dessen Vater Zeus nicht ist, der an Kraft ihm nicht weicht, der an Macht aber so weit Über ihm steht, wie der weithinblickende Zeus über Kronos!“

petitio

Schließlich möchte ich den Blick noch auf die sicherlich am kunstvollsten arrangierte triadische Götterkomposition im Apollonhymnos lenken, durch die die zweite olympische Szene bestimmt wird (186–206, Beginn des pythischen Teils): 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196

ἔνθεν δὲ πρὸς Ὄλυµπον ἀπὸ χθονὸς ὥς τε νόηµα εἶσι Διὸς πρὸς δῶµα θεῶν µεθ’ ὁµήγυριν ἄλλων· αὐτίκα δ’ ἀθανάτοισι µέλει κίθαρις καὶ ἀοιδή. Μοῦσαι µέν θ’ ἅµα πᾶσαι ἀµειβόµεναι ὀπὶ καλῆι ὑµνέουσίν ῥα θεῶν δῶρ’ ἄµβροτα ἠδ’ ἀνθρώπων τληµοσύνας, ὅσ’ ἔχοντες ὑπ’ ἀθανάτοισι θεοῖσιν ζώουσ’ ἀφραδέες καὶ ἀµήχανοι, οὐδὲ δύνανται εὑρέµεναι θανάτοιό τ’ ἄκος καὶ γήραος ἄλκαρ. αὐτὰρ ἐϋπλόκαµοι Χάριτες καὶ ἐΰφρονες Ὧραι Ἁρµονίη θ’ Ἥβη τε Διὸς θυγάτηρ τ’ Ἀφροδίτη ὀρχέοντ’ ἀλλήλων ἐπὶ καρπῶι χεῖρας ἔχουσαι·

9 singende Musen

3 x 3 tanzende Göttinnen

42 Während Heras Gebet symmetrisch-triadisch gegliedert ist (drei Verse invocatio und drei Verse petitio), endet Letos Schwur asymmetrisch und etwas abrupt (zwei Verse Schwurinhalt nach drei Versen Anrufung der Schwurgötter). Diese Asymmetrie könnte sich daraus erklären, dass Leto der Bitte der Insel Delos genau genommen nicht vollständig nachkommt, der Bitte nämlich, zu schwören, dass Apollon auf Delos einen Tempel erbauen werde, der den Menschen als Orakelstätte diene (τεύξειν περικαλλέα νηόν / ἔµµεναι ἀνθρώπων χρηστήριον) – tatsächlich bleibt Delos ohne Orakel, und Delphi wird zur wichtigsten Orakelstätte des Gottes. Vgl. auch CLAY, 1989, 39 (dort Anm. 66) und GRAF, 2009a, 27. Anders jedoch RICHARDSON, 2010, 94: „The fact that Leto does not mention the oracular temple is not significant. She has already offered a temple (51–60), and s does not need to be repeated, since Apollo is by nature an oracular god.“

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197 τῆισι µὲν οὔτ’ αἰσχρὴ µεταµέλπεται οὔτ’ ἐλάχεια, Artemis 198 ἀλλὰ µάλα µεγάλη τε ἰδεῖν καὶ εἶδος ἀγητή 199 Ἄρτεµις ἰοχέαιρα ὁµότροφος Ἀπόλλωνι· 200 ἐν δ’ αὖ τῆισιν Ἄρης καὶ ἐΰσκοπος Ἀργειφόντης 3 Götter 201 παίζουσ’· αὐτὰρ ὅ Φοῖβος Ἀπόλλων ἐγκιθαρίζει 202 καλὰ καὶ ὕψι βιβάς, αἴγλη δέ µιν ἀµφιφαείνει 203 µαρµαρυγαί τε ποδῶν καὶ ἐϋκλώστοιο χιτῶνος. 204 οἳ δ’ ἐπιτέρπονται θυµὸν µέγαν εἰσορόωντες Leto – Zeus – Apollon 205 Λητώ τε χρυσοπλόκαµος καὶ µητίετα Ζεύς 206 υἷα φίλον παίζοντα µετ’ ἀθανάτοισι θεοῖσιν. 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206

Nun verlässt er die Erde und wandelt hinauf zum Olympos, Wie ein Gedanke, zum Hause des Zeus in die Kreise der andern, Und die Unsterblichen wünschen sogleich, dass er spiele und singe. Alle Musen zusammen erwidern mit herrlicher Stimme, Preisen der Götter unsterbliche Gaben und preisen der Menschen Dulden und Leiden; sie haben die Gunst der unsterblichen Götter, Aber sie wollen nicht denken, verbringen hilflos ihr Leben, Können kein Kraut für den Tod, für das Alter nichts Helfendes finden. Aber die schöngelockten Chariten, die heiteren Horen, Harmonia und Hebe, und Tochter des Zeus: Aphrodite, Tanzen und reichen einander die Hände und fassen die Knöchel. Da gesellt sich zum Reigen noch eine, nicht hässlich und dürftig, mächtig groß, eine Wundererscheinung fürs Auge – Apollons leibliche Schwester, die fröhliche Schützin Artemis ist es. Unter ihnen auch Ares und spähend der Argostöter, aber Phoibos Apollon spielt dazu auf der Leier, Schreitet herrlich und hoch einher, ein Glänzen umstrahlt ihn, Leuchtend funkeln die Füße, der trefflich gewobene Leibrock. Helle Freude empfinden in ihrem großen Gemüte Leto mit Gold in den Haaren und Zeus, der Berater, beim Anblick Ihres geliebten Sohns, wie er spielt mit unsterblichen Göttern.

Ähnlich wie schon in der ersten olympischen Szene (15 f.) übernimmt Apollons Schwester, die „Pfeile schüttelnde“ Artemis, hier sowohl in der sprachlichen Syntax als auch im Arrangement der Szene eine herausgehobene, zentrale Position:43 Sie tanzt (und singt gleichzeitig?) inmitten der Chariten, Horen (194) sowie der Triade Harmonia – Hebe – Aphrodite (195). Den somit insgesamt neun tanzenden Göttinnen sind die von den bemitleidenswerten

43

Vgl. ALLEN/HALLIDAY/SIKES, 1936, 229, die auf das Artemisgleichnis in Hom., Od. VI 102–108 verweisen (Nausikaa sticht unter ihren Gefährtinnen hervor wie Artemis unter den Nymphen). Im (längeren) Homerischen Artemishymnos wird die Göttin als eine Art Choreographin und Anführerin der Musen- und Charitentänze beschrieben (Μουσῶν καὶ Χαρίτων καλὸν χορὸν ἀρτυνέουσα ... ἐξάρχουσα χορούς: „Sie rüstet Chariten und Musen zu schönen Tänzen ... und leitet und führt dann die Reigen“, Hom. Hymn. Dian. (27) 15–18).

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Menschen singenden neun Musen vorangestellt.44 Zu Artemis und ihren zwei (je neun Göttinnen umfassenden) anmutigen Chören gesellen sich die drei Zeussöhne Ares, Hermes (der Argostöter) und Apollon; Ares und Hermes tanzend-springend und Apollon Kithara spielend und „herrlich und hoch einherschreitend“ (202: καλὰ καὶ ὕψι βιβάς).45 An dieser großartigen, ganz auf Artemis und vor allem Apollon ausgerichteten triadischen Götterkomposition erfreuen sich schließlich Zeus und Leto, „auf ihren Sohn schauend“ (204–206: εἰσορόωντες ... υἷα φίλον) – womit der Hymnode zur ursprünglichen Dreierkonstellation (Zeus – Leto – Apollon) aus der ersten Szene zurückkehrt. Die bisher betrachteten Textstellen zeigen zunächst einmal, dass sich Göttertriaden im Homerischen Apollonhymnos häufen. Ein ähnlicher Befund würde sich allerdings beispielsweise auch für die Hesiodeische Theogonie mit ihrer Tendenz zur triadischen Organisation des Götterapparats ergeben. Dass triadische Göttergruppierungen für den Homerischen Apollonhymnos von besonderer Bedeutung sind, legt vor allem ihre Einbettung in eine größere Varietät verschiedener Dreiheitselemente nahe sowie der zu Anfang des Kapitels besprochene programmatische Ausspruch des jungen Gottes (drei τιµαί). Nachdem die bisherige Betrachtung die hohe Bedeutung der inhaltlichen Dreiheitselemente im Homerischen Apollonhymnos aufgezeigt hat, schließt sich im Folgenden die Frage nach der Bedeutung der formalstrukturellen Dreiheitselemente an: Inwiefern folgt der Hymnos – und das heißt, die Einheit der ‚delisch‘ und ‚pythisch‘ genannten Teile – einer triadischen Gesamtkonzeption?

44

Ich gehe bei den Chariten und Horen jeweils von der hesiodischen Dreizahl aus und, im Sinne eines symmetrischen Szenenarrangements, bei den Musen von der hesiodischen Neunzahl. So auch etwa LUDWICH, 1908, 186; MILLER, 1986, 67 f. und RICHARDSON, 2010, 112. Zu einer ursprünglichen Zweizahl der Chariten und Horen sowie möglicherweise auch ursprünglichen Dreizahl der Musen vgl. USENER, 1903, 10 und 323 f.; MEHRLEIN, 1959, 272 f.; und SCHINDLER, 2013, 186. 45 Es ließe sich auch dafür argumentieren, dass Ares, Hermes und Apollon hier weniger eine Dreier- als vielmehr eine 2+1-Konstellation bilden (Apollon als separates Schlussglied, ähnlich wie Artemis nach den zweimal neun Göttinnen). Dagegen spricht allerdings das (in der Übersetzung nicht realisierte) Enjambement (200–201: παίζουσ’), welches Apollon enger an Ares und Hermes bindet. Zudem lässt sich eine formale Parallele zu den drei τιµαί (131 f.) ziehen, welche ebenfalls asymmetrisch als Klimax und Trikolon geformt sind: Während dort die Prophetie den wichtigen Abschluss bildet, ist es hier Apollon, der das Zentrum (bzw. eher: den entscheidenden Endpunkt) der musischen Darbietung darstellt.

280

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4. Ägäis, Festland, Peloponnes: Strukturelle Dreiheiten im Apollonhymnos Bei der Untersuchung spezifischer Dreiheitsstrukturen in einem Einzeltext wie dem Homerischen Apollonhymnos liegt zunächst einmal der Gedanke an die triadische Grundstruktur des klassischen Hymnos nahe. Diese besteht bekanntlich aus drei Teilen – der Anrufung (invocatio), einem Mittelteil (narratio) und dem Schluss (petitio)46 – und man könnte sagen, dass sie den Hymnos per se schon zu einer literarischen Gattung mit einer Prädisposition zum Triadischen macht. 4.1 invocatio, narratio, petitio: Hymnische Grundstruktur Maßgeblich durch die hymnische Grundstruktur erklärt sich die traditionelle Auffassung von der Zweigeteiltheit des Homerischen Apollonhymnos – lassen sich doch die drei hymnischen Bausteine invocatio, narratio und petitio jeweils für den delischen und für den pythischen Teil wiederfinden, wenn auch nur mehr oder weniger zufriedenstellend. Wo das Ergebnis dieser Suche nicht überzeugt, hat dies meist zu den eingangs erwähnten Spekulationen zu möglichen Entstehungsszenarien des Apollonhymnos geführt. Bei einer Gliederung des Gesamthymnos in drei Teile hingegen (Richardsons Vorschlag) lässt sich die hymnische Triaden-Grundstruktur nicht für alle drei Teile nachweisen. Vielmehr sind es, wie ich später zeigen werde, mehrere andere Strukturelemente, die für diese Einteilung des Homerischen Apollonhymnos sprechen (Kap. 3.2–3).47 Nach einer mehr oder weniger typischen invocatio48 und der narratio mit dem delischen Geburtsmythos geht der erste Hymnenteil zum (kunstvoll mit 46

Die Bezeichnungen für diese drei Teile variieren; die von mir in Klammern gesetzten lateinischen Begriffe sind nicht für alle Hymnenarten gleich gut geeignet: Die kürzeren der Homerischen Hymnen etwa elaborieren keine eigenständige narratio im Mittelteil; der Begriff petitio passt vielleicht eher zu philosophischen Hymnen wie denen des Proklos als zu den Homerischen, die meist nur mit einer kurzen Formel abschließen (Überleitung zum epischen Vortrag). Vgl. auch BREMER, 1981, 196; JANKO, 1981; MILLER, 1986, 1–4; FURLEY, 1993, 25 f. 47 MILLER, 1986, 8, schreibt dem gesamten Apollonhymnos eine einzige hymnische Struktur zu (allerdings keine drei-, sondern eine fünfgliedrige, welche von Elementen enkomiastischer Rhetorik inspiriert ist). 48 Der Einstieg mit µνήσοµαι οὐδὲ λάθωµαι Ἀπόλλωνος ἑκάτοιο („Denken will ich und nimmer vergessen Apollons, des Schützen“) ist einzigartig im Corpus der Homerischen Hymnen. An die Stelle der typischen, vielfältigen Namensanrufung und Attribuierung des besungenen Gottes (z.B. 27,1–3; 28,1–4) tritt, sozusagen in medias res, die erste olympische Szene (2–13): Apollon wird in unserem Hymnos also nicht durch Zuschreibungen, sondern durch sein eigenes Handeln charakterisiert. Das erste Zusammentreffen eines neuen Gottes mit der Göttergemeinschaft auf dem Olymp ist eine typische epische

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einer τις-Rede beschriebenen) delischen Apollonfest über (147–164), wonach eine zunächst recht typisch anmutende petitio an Apollon (und Artemis) folgt (ἀλλ’ ἄγεθ’ ἱλήκοι µὲν Ἀπόλλων Ἀρτέµιδι ξύν: „Aber wohlan! Apollon mit Artemis bleibe uns gnädig!“, 165). Im darauffolgenden Vers allerdings entpuppt sich diese petitio als eine ‚Antäuschung‘: Der Hymnode schwenkt zu den delischen Mädchen um, den Hauptakteurinnen des zuvor beschriebenen Delosfestes. Es folgt also eine völlig untypische, im Homerischen Hymnencorpus einzigartige petitio an einen menschlichen Adressaten, die delischen Mädchen.49 In diese petitio des Hymnoden (nämlich seinen Gesang zu loben, 172 f.) fügt sich die Sphragis des Hymnendichters ein, der offensichtlich mit Homer identifiziert werden wollte. Die sich anschließenden zwei Verse erwecken durch ihren Einstieg mit αὐτὰρ ἐγών zunächst den Eindruck einer typischen Schlussformel.50 Tatsächlich aber sind die beiden Verse einzigartig im Homerischen Hymnencorpus: αὐτὰρ ἐγὼν οὐ λήξω ἑκηβόλον Ἀπόλλωνα / ὑµνέων ἀργυρότοξον, ὃν ἠΰκοµος τέκε Λητώ („Ich aber preise den Schützen ins Weite mit silbernem Bogen, / Unaufhörlich; die lockige Leto gebar ihn, Apollon“, 177 f.). Sie lassen sich wohl am ehesten als ‚Überleitungsverse‘ hin zum zweiten (pythischen) Hymnenteil bezeichnen.51 Dem pythischen Teil wird eine ‚echte‘ invocatio mehrheitlich abgesprochen.52 Ein starkes Argument jedoch dafür, dass in Vers 179 ein zweiter (ursprünglich möglicherweise eigenständiger) Hymnenteil einsetzt, mag darin liegen, dass sich einige Merkmale vom Beginn des delischen Teils wiederho-

Szene (und hat eine hymnische Parallele im Athenehymnos: 28,9–16, dort aber später). Im vorliegenden Fall könnte die olympische Szene noch zu einer (ausgedehnten) invocatio gerechnet werden, bzw. zu einem „Proöm“ (MILLER, 1986, 11) oder einem „Vorspiel“ (RICHARDSON, 2010, 81, zu den Versen 1–18: „These lines form a self-contained prelude, and could easily stand on their own as a hymn to Apollo [...]“). Dieses Vorspiel schließt mit einer zweiten, ‚eingebetteten‘ invocatio (der Leto, 14–18), die dann endgültig zur narratio des delischen Teils überleitet. Vgl. auch CLAY, 1997, 493 f., und RICHARDSON, 2015, 21 f. 49 MILLER, 1979, 180 f. weist darauf hin, dass die petitio dem dreiteiligen Bittschema Gruß – Bitte – Gegenleistung entspricht. 50 αὐτὰρ ἐγὼ καὶ σεῖο καὶ ἄλλης µνήσοµ’ ἀοιδῆς („Ich aber werde deiner und anderen Sanges gedenken“) lautet die Abschlussformel in einem Drittel der 33 Homerischen Hymnen: in H. 2 (Demeter), 4 (Hermes), 6 (Aphrodite), 10 (Aphrodite), 19 (Pan), 28 (Athene), 30 (Allmutter Erde), leicht variiert (pluralisch αὐτὰρ ἐγὼν ὑµέων τε ...) in H. 25 (Musen und Apollon), 27 (Artemis), 29 (Hestia) und 33 (Dioskuren); H. 9 (Artemis) beginnt ebenso mit αὐτὰρ ἐγώ. 51 Vgl. MILLER, 1979. Miller sieht in dem Ausdruck οὐ λήξω gerade das Gegenteil eines Abschlusses. Wir hätten hier also eine angedeutete, aber zurückgewiesene Form der typischen Abschlussformel. 52 Der Teil beginnt untypisch mit ὦ ἄνα (179). WEST, 1975, 162 zufolge ist der Beginn des zweiten Hymnenteils (den er für älter als den delischen Teil hält) verloren.

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len:53 Wieder wird eine olympische Szene geschildert (allerdings von entgegengesetztem Charakter, 186–206); wörtlich wird die sich anschließende, den Mittelteil einleitende rhetorische Frage des Hymnoden wiederholt, wie er Apoll besingen solle (πῶς τάρ σ’ ὑµνήσω, πάντως εὔυµνον ἐόντα; „Wie soll ich dich nur preisen, du ganzer, herrlicher Lobpreis?“, 207 = 19), und wieder schließt sich dann nach einer priamelhaften Sequenz (208–215, vgl. 20–28)54 ein geographischer Katalog an, welcher die Wanderung einer Gottheit auf der Suche nach einer geeigneten (Kult-) Stätte abbildet (216–299, vgl. 30–46). Es folgen die Schlangentötung (300–374, inkl. Typhaon-Exkurs), Apollons Rache an Telphusa (375–387), seine Priestersuche und die Ankunft der kretischen Priester in Krisa (388–544, inkl. dem dritten geographischen Katalog und der Prozession von Krisa nach Pytho) und schließlich die kurze Abschlussformel des pythischen Teils: καὶ σὺ µὲν οὕτω χαῖρε, Διὸς καὶ Λητοῦς υἱέ· / αὐταρ ἐγὼ καὶ σεῖο καὶ ἄλλης µνήσοµ’ ἀοιδῆς („Heil also ruf ich auch dir, du Sohn des Zeus und der Leto! / Ich aber werde deiner und anderen Sanges gedenken.“, 545 f.). Bei dieser traditionellen Zweigliederung des Hymnos (1–178 und 179– 546) lässt sich also mit mehreren Zugeständnissen eine hymnisch-triadische Grundstruktur mit invocatio, narratio und petitio sowohl für den delischen als auch für den pythischen Teil ermitteln. Inwiefern kann aber beim Apollonhymnos jenseits der drei hymnischen Strukturelemente von einer triadischen Gesamtstruktur des Apollonhymnos die Rede sein und durch welche formal-strukturellen Elemente konstituiert sich diese auf der Ebene der Narration? Dieser Frage möchte ich im Folgenden nachgehen. 4.2 Triadische Gesamtstruktur des Homerischen Apollonhymnos: Die drei Kataloge In Richardsons Einführung zum Homerischen Apollonhymnos heißt es: „The hymn tells the story of the birth of Apollo, the god’s foundation of his temple and oracle at Delphi, and his choice of Cretan merchants as his first priests there.“55 Entsprechend dieser inhaltlichen Gesamtstruktur teilt Richardson den Hymnos in drei ähnlich lange „movements“: Apollons Geburt (1–178), die Orakelgründung (179–387) und die Priestersuche (388–544).56 Wie bereits erwähnt, benennt Richardson als strukturierendes Element den geogra-

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Auf die verschiedenen Parallelstellen und motivischen Wiederholungen im Apollonhymnos wurde in der Vergangenheit in vielen Publikationen hingewiesen, vgl. etwa WEST, 1975, 162; CLAY, 1997, 502; RICHARDSON, 2010, 81 f. 54 MILLER, 1979, 184–186, bietet eine überzeugende Deutung der ersten Priamelsequenz. 55 RICHARDSON, 2010, 9. 56 Vgl. RICHARDSON, 2010, 10–12.

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phischen Katalog in seiner dreifachen Wiederkehr im Hymnos.57 Auf den ersten Blick sind die drei Kataloge allerdings recht unterschiedlich. Durch besondere Eigenheiten und Äquivalenzen jedoch sind die Kataloge eng miteinander verbunden und dienen dem Hymnos auf diese Weise als grundlegendes triadisches Strukturmerkmal. Die Bezeichnung ‚Katalog‘ im engeren Sinne trifft eigentlich nur auf den ersten Katalog zu (Letos Wanderung, 30–44), denn nur dieser hat eine klar listenartige, nicht-narrative Form.58 Sammons formuliert in seiner Studie zu den homerischen (d.h. episch-homerischen) Katalogen zudem das typische Merkmal, dass einzelne Elemente eines Katalogs ohne expliziten Bezug zueinander und ohne Hierarchie angeordnet sind (dass also die Reihenfolge nicht entscheidend ist).59 Interessanterweise erscheint der erste Katalog tatsächlich zunächst ohne Hierarchie und Ordnung, denn erst nachträglich entpuppt sich die Aufzählung geographischer Elemente als Reise der schwangeren Leto (von Kreta nach Norden bis Samothrake und an der kleinasiatischen Küste wieder nach Süden). Zunächst präsentiert sich der Katalog als ruhmvolle Liste von Orten, deren Einwohner Apollon in besonderer Weise verehren: 29 30

ἔνθεν ἀπορνύµενος πᾶσι θνητοῖσιν ἀνάσσεις60 ὅσσους Κρήτη ‹τ’› ἐντὸς ἔχει καὶ δῆµος Ἀθηνέων [...].

29 30

Dorther bist du gekommen, beherrschst nun die sterblichen Menschen, welche beherbergt Kreta sowie die Stadt der Athener [...].61 57

Wie auch schon andere vor ihm, vgl. etwa CLAY, 1979, 502. Apollons Suche nach einer Orakelstätte sowie die Schifffahrt der Kreter nach Krisa / Pytho enthalten zwar katalogartige Elemente, jedoch (vor allem Apollons Wanderung) auch viele narrative Anteile. Zu den formalen Eigenheiten homerischer Kataloge vgl. SAMMONS, 2010, 8–22. 59 Vgl. SAMMONS, 2010, 9 und 15. Dieses Merkmal ist eng verbunden mit dem Merkmal der Nicht-Narrativität (denn eine Beziehung der einzelnen Elemente zueinander würde aus ihnen eine Geschichte machen). 60 Ich folge hier nicht Wests Interpunktion (Punkt nach ἀνάσσεις), da ὅσσους vom (zuhörenden) Rezipienten zunächst auf πᾶσι θνητοῖσιν bezogen werden wird. Die Stationen des Katalogs werden also zunächst als Orte der Apollonverehrung verstanden; erst mit τόσσον (45) ergibt sich dann durch Reinterpretation die zweite Lesart, dass nämlich der Katalog die Orte aufzählt, welche die schwangere Leto wegschicken, vgl. etwa GRAF, 2009a, 27. Das Nebeneinander (bzw. Nacheinander) dieser beiden Lesarten ist also beabsichtigt (und muss nicht durch eine Sprechpause aufgehoben werden, wie BALTES, 1981, 26, vorschlägt). Gerade auch die Inkongruenz von ὅσσους und τόσσον zeigt diese Doppelbödigkeit an. Dazu DE JONG, 2012, 48: „The double function of the catalogue is highly effective: the same places who first fear to receive Apollo will later all become part of his dominion.“ 61 Übersetzung der Verfasserin. Es folgen in gleichbleibender grammatischer Struktur alle weiteren Orte des Katalogs. 58

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Erst nach Ende des Katalogs wird diese Suggestion aufgelöst und durch eine andere Aussage ersetzt: All diese Orte bat Leto, sie aufzunehmen, doch kein Ort wagte es, dem ungeborenen und somit unbekannten und unberechenbaren Gott als Geburtsstätte zu dienen.62 45 46 47 48

τόσσον ἔπ’ ὠδίνουσα Ἑκηβόλον ἵκετο Λητώ, εἴ τίς οἱ γαιέων υἱεῖ θέλοι οἰκία θέσθαι αἳ δὲ µάλ’ ἐτρόµεον καὶ ἐδείδισαν, οὐδέ τις ἔτλη Φοῖβον δέξασθαι καὶ πιοτέρη περ ἐοῦσα [...]

45 46 47 48

So viel umher ging die schwangere Leto, im Bauche den Schützen, Ob nicht wohl eines der Länder den Sohn bei sich aufnehmen wolle; Die aber zitterten sehr und erbebten vor Furcht, und nicht eines Wagte, so fruchtbar es war, den Phoibos bei sich zu empfangen.

In 45 muss der Katalog also re-interpretiert werden als Narrativ von Letos Wanderung. Dies zeigt, dass der Hymnendichter mit seiner ersten geographischen Liste zwar unmissverständlich an die typisch homerische Katalogform anknüpft, sie aber dann sogleich modifiziert, indem er die üblicherweise nicht-narrative Form ‚narrativiert‘. Diese Modifikation wird er in den beiden folgenden Katalogen noch deutlich intensivieren: Vor allem der zweite Katalog, Apollons Wanderung auf der Suche nach einer Orakelstätte, hat stark narrative Anteile. Nur in einem weiten Sinne können also alle drei Wanderungen als geographische Kataloge bezeichnet werden. Zu den weiteren Unterschieden zwischen den Katalogen zählt der Umfang: Der zweite Katalog (Apollons Reise) ist der weitaus längste;63 der dritte Katalog (Schifffahrt der Kreter) schließlich ist mit dreißig Versen doppelt so lang wie Letos Wanderung. Sodann haben die drei Kataloge ein sehr unterschiedliches (sowohl narratives als auch ‚fahrtechnisches‘) ‚Reisetempo‘, sozusagen 62

Zu der besonderen Zeitlichkeit der Homerischen Hymnen (‚Überzeitlichkeit‘, Nebeneinander verschiedener zeitlicher Ebenen) vgl. NÜNLIST, 2007. 63 Es ist nicht ganz leicht zu entscheiden, an welcher Stelle der zweite Katalog endet: Das letzte geographische Element ist Krisa, sodass das Ende in jedem Falle nach Vers 282 angesetzt werden muss. Traditionell wird denn auch 286 als Ende des Katalogs betrachtet (so etwa BALTES, 1981, 31, und RICHARDSON, 2010, 115). Die Tatsache, dass sich auch an vorherigen Stationen Erzählungen in den Katalog ‚hineinzwängen‘ (Onchestos-Episode und Telphusa-Episode), könnte allerdings dafür sprechen, auch an der ‚Endstation‘ die (gesamte?) Krisa-Episode als Teil des Katalogs zu begreifen (zumal sie wörtliche Wiederholungen aus der Telphusa-Episode enthält): Man könnte den zweiten Katalog also in 299 (vor der Schlangentötung), in 304 (vor der Typhaon-Episode), in 374 (nach der Schlangentötung) oder spätestens in 387 (nach Apollons Rache an Telphusa) enden lassen. Auch wenn das zunächst einmal etwas zu weit gefasst wirken mag, erscheint mir die letzte Variante wegen der strukturellen Bezüge der einzelnen Abschnitte untereinander am sinnvollsten. – Für den dritten Katalog gilt zwar ebenso, dass man die Episode am Zielpunkt Krisa / Pytho noch zum Katalog zählen könnte (beginnt sie doch, ähnlich wie im zweiten Katalog (286), mit ἔνθα). Dagegen spricht allerdings, dass der Duktus des dritten Katalogs viel bündiger ist als der des zweiten.

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von ugualmente über ritardando bis accelerando: Der erste Katalog enthält keine narrative Digression, sondern pflegt einen gleichbleibend zügigen ‚Katalogstil‘.64 Demgegenüber reduziert sich das narrative Tempo im zweiten Katalog immer mehr durch eingefügte Erzählungen (zu Onchestos, Telphusa und Krisa / Pytho).65 Im dritten Katalog schließlich wird die Fahrgeschwindigkeit selbst zum Thema und steigert sich zum Ende hin: Nach den ersten drei Stationen (Maleia auf Kreta, Lakonien und Tainaron, 409–413), die in mittlerer narrativer Geschwindigkeit (eine Station pro 1–2 Verse) an den erstaunten und handlungsunfähigen Kretern vorbeiziehen, versuchen diese, das Schiff abzubremsen bzw. zu stoppen, was ihnen jedoch nicht gelingt (414–421). In schnellerem Erzähltempo setzt sich die Reise fort (421–429: 1– 3 Stationen pro Vers), und Krisa gelangt in Sichtweite (430–432). Da thematisiert der Erzähler die Fahrgeschwindigkeit noch einmal: Durch einen starken, von Zeus geschickten Westwind gelangt das Schiff in einem Endspurt zum Hafen von Krisa (433–439).66 Soweit zu den Unterschieden; bei näherer Betrachtung enthalten die drei Kataloge jedoch viele formale und inhaltliche Äquivalenzen.67 Ein inhaltliches Merkmal, das allen drei Katalogen gleichermaßen eignet, sind die problematischen Bedingungen, unter denen die jeweilige Reise stattfindet: 1) Der 64

Auffällig im ersten Katalog ist Vers 38, welcher allein Chios gewidmet ist und die Insel mit einem ganzen Relativsatz (inkl. finitem Verb) sowie einem Superlativ würdigt (καὶ Χίος, ἣ νήσων λιπαρωτάτη εἰν ἁλὶ κεῖται: „Chios auch, die fetteste unter den Inseln im Meere“). (Ansonsten gibt es nur adjektivische und appositionelle Attribuierungen im Katalog.) Dies darf gewertet werden als Vorverweis auf die Sphragis des Hymnoden, der sich als Homer inszeniert (172). DE JONG, 2012, 47, nennt den Katalog „static“ und „presented from a panoramic narratological standpoint“. Vgl. dazu überzeugend BALTES, 1981, 41. Zur narratologischen Perspektive des zweiten und dritten Katalogs vgl. DE JONG, 2012, 48. 65 Zu diesem Ergebnis kommt auch BALTES, 1981, 34. 66 Zum Unterschied von Erzähl- und Fahrgeschwindigkeit (also von ‚erzählender‘ und ‚erzählter‘ Geschwindigkeit) im dritten Katalog: Zu einem Teil bildet die narrative Geschwindigkeit des Hymnoden die Schiffsgeschwindigkeit ab, nämlich in den beiden listenartigen Abschnitten 409–413 (mittleres Erzähl- und Fahrtempo) und 422–429 (hohes Erzähl- und Fahrtempo). Zum anderen Teil wird das Erzähltempo vom Fahrtempo überholt, nämlich in den beiden Abschnitten 414–421 (Kreter versuchen, das Schiff zu stoppen: niedrigeres Erzähltempo bei gleichbleibend schneller Fahrgeschwindigkeit) und 430–439 (hinter Zakynthos wird das Schiff vom Zephyr erfasst und erreicht Krisa mit hoher Geschwindigkeit: geringeres Erzähltempo bei hohem Fahrtempo). Diese letzte Etappe im Golf von Patras / Korinth wird dabei als Rückwärtsbewegung beschrieben (ἄψορρον δἤπειτα πρὸς ἠῶ τ’ ἠέλιόν τε: „Umgekehrt fuhren sie nun, dem Morgen, der Sonne entgegen“, 436): Die Kreter fuhren zuvor nur nach Norden und Westen, jetzt aber „wieder zurück“ nach Osten. Ebenso enthält Apollons Reise (zweiter Katalog), der ebenso in Krisa endet, am Ende eine Rückwärtsbewegung, nämlich zurück zu Telphusa, um sich an ihr zu rächen. Diese Strukturäquivalenz ist ein weiteres Argument dafür, Apollons wiederholten Gang nach Telphusa zum zweiten Katalog dazuzurechnen. 67 Vgl. etwa RICHARDSON, 2010, 10–13.

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als Wanderung der schwangeren Leto re-interpretierte erste Katalog beschreibt ihre vergebliche Suche nach einer Geburtsstätte. Bis sie nach Delos kommt, wurde die Göttin überall abgewiesen, und mit Delos muss sie in einem Konfliktgespräch erst die Bedingungen aushandeln, unter denen sie auf der Insel gebären darf. 2) Im zweiten Katalog ist es zwar Apollon, der zum Teil wählerisch an den ersten Stationen vorbeizieht (vgl. 220 f.), jedoch wird er am ersten Ort Telphusa, den er zu seiner Orakelstätte erwählt (244 f.), Opfer der dort ansässigen Quellnymphe Telphusa, die ihn mit heimtückischer List von ihrem Quellbezirk vertreibt: Sie schickt ihn nach Krisa / Pytho, wo eine gefährliche δράκαινα (Schlange) haust.68 Später muss Apollon einsehen, dass er überlistet wurde, und nimmt Rache an Telphusa (375–387). 3) Die Kreter schließlich erdulden den παράπλους („Umschiffung“, 409–439) um die Peloponnes bis nach Pytho nur mit Widerwillen. Mitten im Katalog beschreibt der Hymnode sogar, wie sie die Schifffahrt zu unterbrechen versuchen (414–418). Schließlich müssen sie sich dem mächtigen Willen des Apollon und Zeus ergeben – der Unwille der Kreter klingt jedoch in den späteren Dialogen zwischen Apollon und dem kretischen Anführer noch mehrmals an (473 und 526–530). Zurückweisung und Widerwillen gehören also zu den inhaltlichen Motiven, die alle drei Kataloge teilen. Formal sind die Kataloge meines Erachtens über ein Merkmal verbunden, welches Minton als typisches Katalogelement homerischer und hesiodeischer Epik herausgestellt hat, nämlich die dem Katalog vorangehende, an die Musen gerichtete Frage. In der Bitte um Informationen als der ursprünglichen Funktion der (aus dem Hymnos stammenden) invocatio liegt die Ursache für die enge Verbindung von invocatio und Katalog.69 Die an die Musen gerichtete direkte oder (häufiger) indirekte Frage kurz vor einem Katalog wird häufig zu Beginn des Katalogs echo-artig (durch die Satzstruktur sowie durch ein wiederholtes πρῶτος / πρῶτον) wiederaufgegriffen. Wie im Folgenden deutlich werden wird, verarbeitet der Hymnendichter diese epischen Katalogmerkmale (Frage-Antwort-Struktur und πρῶτος / πρῶτον als Signalwort) in allen drei Katalogen, indem er sie in der einen oder anderen Weise aufgreift und in den Hymnentext einfügt. Die beiden gleichlautenden (rhetorisch anmutenden) Fragen aus 19 und 207 (πῶς τάρ σ’ ὑµνήσω, πάντως εὔυµνον ἐόντα; – „Wie soll ich dich nun preisen, du ganzer, herrlicher Lobpreis?“) wurden vor allem mit Blick auf das rhetorische ἀπορία- (und εὐπορία-) Motiv betrachtet sowie als Einleitungen 68

Apollons Rolle in dieser Szene ist von einer gewissen Naivität geprägt und kontrastiert mit seiner Rolle als Gott der Prophetie. Darin ist die Telphusa-Szene vergleichbar mit dem Apollonbild in einer anderen Begegnung des Gottes mit einer Nymphe, nämlich mit Kyrene in Pind., P. 9, wo Apollons Unwissenheit bzw. Naivität sogar direkt thematisiert wird (Cheiron amüsiert sich darüber, dass der sonst allwissende Apollon die schöne Kyrene nicht (er-)kennt). 69 Vgl. MINTON, 1962, 188–191 (dort Anm. 6 mit weiterer Literatur).

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von sich anfügenden Priameln:70 Da Apollon schon in jeglicher Hinsicht gut besungen ist (πάντως εὔυµνον), weiß der Hymnode gar nicht, wie er nun den Gott preisen soll. Er zieht ein Thema in Betracht (kultische Verbreitung bzw. Liebschaften des Gottes), verwirft es dann aber zugunsten eines anderen Themas (Geburt bzw. Orakelgründung).71 Womöglich lassen sich die beiden priamelartigen Abschnitte aber auch als Anspielung auf das soeben vorgestellte Motiv des Musenanrufs betrachten: Beide Abschnitte enthalten direkte Fragen (die gleichlautende in 19 bzw. 207 sowie die mit ἠέ / ἦ(ε) eingeleitete Ergänzungsfrage in 208 und 214) sowie das Adverb πρῶτον (25 bzw. 214). Der zweite Katalog übernimmt sowohl das πρῶτον (216) als auch das satzstrukturierende Prinzip des Verbs in der 2. Person Singular (ἔβης, κατῆλθες, etc.). In einer gewissen Form knüpft der Hymnendichter also in beiden Katalogen, seien sie formal auch sehr unterschiedlich, an strukturelle Merkmale der hesiodeisch-homerischen Kataloge an. Gilt dies auch für den dritten Katalog? Tatsächlich beginnt der Katalog selbst mit πρῶτον δέ (409) und der Abschnitt vor dem Katalogbeginn (388–409) enthält auch ein Frageelement, nämlich eine indirekte Frage: 388 389 390

καὶ τότε δὴ κατὰ θυµὸν ἐφράζετο Φοῖβος Ἀπόλλων, οὕς τινας ἀνθρώπους ὀργήονας εἰσαγάγοιτο, οἳ θεραπεύσονται Πυθοῖ ἔνι πετρηέσσηι.

388 389 390

Jetzt nun endlich besann im Gemüte sich Phoibos Apollon, Welche Menschen als Walter der Opferfeiern er hole, Dass sie ihm Diener würden in Pythos felsigen Höhen.

Es ließe sich einwenden, dass dies eigentlich keine Frage des Erzählers, sondern der Figur Apollon ist. Einiges spricht aber dafür, die Frage dennoch eher der Erzählerrede zuzuordnen: Zum einen handelt es sich bei der indirekten Frage um wiedergegebene Gedankenrede Apollons, von der der Erzähler weiß, weil er (seit dem Ende der Typhaon-Episode in 355) aus der Perspektive Apollons erzählt (aktoriale Fokalisierung). Zum anderen scheint diese indirekte Frage eine ähnliche (extradiegetische bzw. erzählerorientierte) 70

Vgl. etwa MILLER, 1986, 21. Eine Priamel liegt genau genommen nur im zweiten Hymnosteil vor (207–215). Im ersten Hymnosteil setzt der Hymnode nach seiner Frage πῶς τάρ σ’ ὑµνήσω [...] zunächst an, die universelle Verbreitung der Apollonverehrung zu beschreiben (20–24), und wirft dann in einer Anschlussfrage das Geburtsthema auf (25–28). Der Katalog scheint dann vom Geburtsmythos zurück zum Thema der kultischen Verbreitung zu führen (Katalogbeginn mit ὅσσους, 30) und entpuppt sich erst in 45 als Beginn des Geburtsmythos (Letos Suche nach einer Geburtsstätte). Statt einer Priamelstruktur (als einfacher Verwerfung eines Themas zugunsten eines anderen) liegt hier also vielmehr eine komplizierte, hin- und herschwankende Struktur vor: Kultausbreitung, Geburtsmythos, Kultausbreitung, Geburtsmythos. (WEST, 1975, 164, wertet diese Struktur als schlechtes Imitat der echten Priamel im zweiten Hymnenteil. U.a. deswegen definiert er den pythischen Teil als den früheren, den delischen Teil als die spätere Nachdichtung.) 71

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Funktion zu erfüllen wie die erwähnten zwei rhetorischen Fragen (19/207), nämlich einen Szenenwechsel bzw. Handlungsumschwung einzuläuten, von Pytho und Telphusa (Orakelgründung, 2. Hymnenteil) nach Kreta (Priesteranwerbung, 3. Hymnenteil).72 Die formale Betrachtung der Kataloge im Apollonhymnos zeigt also, dass alle drei Kataloge, trotz ihrer Unterschiede in der jeweiligen Ausgestaltung, typische Elemente der epischen Katalogform zumindest aufgreifen und anklingen lassen. Dies erklärt ihre untereinander vergleichbare Form und ihre Funktion als triadisches Strukturelement im Homerischen Apollonhymnos. Zudem besitzen interessanterweise alle drei Kataloge selbst ein triadisches Element und bilden dabei jeweils ein sich nach dem (Behaghelschen) ‚Gesetz der wachsenden Glieder‘ steigerndes Trikolon: Der erste Katalog enthält drei Verse, die jeweils drei Orte nennen (32, 35 und 44), und zwar jeweils vor einer wachsenden Anzahl von Versen, die nur ein oder zwei Orte nennen. 29 30 31 32 33 34 3673 37 35 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

ἔνθεν ἀπορνύµενος πᾶσι θνητοῖσιν ἀνάσσεις ὅ σ σ ο υ ς Κρήτη ‹τ’› ἐντὸς ἔχει καὶ δῆµος Ἀθηνέων νῆσός τ’ Αἰγίνη ναυσικλειτή τ’ Εὔβοια Αἰγαί τ’ Εἰρεσίαι τε καὶ ἀγχιάλη Πεπάρηθος Θρηΐκιός τ’ Ἀθ‹ό›ως καὶ Πηλίου ἄκρα κάρηνα Θρηϊκίη τε Σάµος Ἴδης τ’ ὄρεα σκιόεντα, Ἴµβρος ἐϋκτιµένη καὶ Λῆµνος ἀµιχθαλόεσσα Λέσβος τ’ ἠγαθέη, Μάκαρος ἕδος Αἰολίωνος, Σκῦρος καὶ Φώκαια καὶ Αὐτοκάνης ὄρος αἰπύ καὶ Χίος, ἣ νήσων λιπαρωτάτη εἰν ἁλὶ κεῖται, παιπαλόεις τε Μίµας καὶ Κωρύκου ἄκρα κάρηνα καὶ Κλάρος αἰγλήεσσα καὶ Αἰσαγέης ὄρος αἰπύ καὶ Σάµος ὑδρηλὴ Μυκάλης τ’ αἰπεινὰ κάρηνα Μίλητός τε Κόως τε, πόλις Μερόπων ἀνθρώπων, καὶ Κνίδος αἰπεινὴ καὶ Κάρπαθος ἠνεµόεσσα Νάξος τ’ ἠδὲ Πάρος Ῥήναιά τε πετρήεσσα· τ ό σ σ ο ν ἔπ’ ὠδίνουσα Ἑκηβόλον ἵκετο Λητώ, εἴ τίς οἱ γαιέων υἱεῖ θέλοι οἰκία θέσθαι αἳ δὲ µάλ’ ἐτρόµεον καὶ ἐδείδισαν, οὐδέ τις ἔτλη

2 2 3 2 2 2 1 3 1 2 2 2 2 2 3

72 Diese Funktion des Umschwungs kommt auch dem Musenanruf mit der darin enthaltenen typischen Frage des Erzählers an die Muse zu (z. B. Hom. Il. II 761 f.: Wechsel vom Schiffskatalog zur Frage nach dem ‚Besten‘ der griechischen Kämpfer und Pferde, und so auch Rückkehr zur Handlung, nämlich zum Groll des Achill und zum Aufmarsch der Griechen). Zusätzlich erfüllen die iliadischen Musenanrufe natürlich noch weitere Funktionen (vor allem inszenierte Nähe des Erzählers zu den göttlichen Musen), genauso wie auch die rhetorischen Fragen im vorliegenden Apollonhymnos (Priamelfunktionen, vgl. auch die vorangehende Anm.). 73 West folgt Humbert darin, Vers 35 zugunsten der Geographie nach hinten zu versetzen. Dadurch bekommt der Katalog eher den Charakter eines Routenplans – als welcher er sich dem Rezipienten eigentlich erst in 45 offenbart (vgl. oben Anm. 60).

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Φοῖβον δέξασθαι καὶ πιοτέρη περ ἐοῦσα, πρίν γ’ ὅτε δή ῥ’ ἐπὶ Δήλου ἐβήσετο πότνια Λητώ, ...

29 30 31 32 33 34 36 37 35 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Dorther bist du gekommen, bist du nun Herr aller Menschen: ebenso der in Kreta Lebenden wie der Athener, jener von Aigne und vom schiffberühmten Euboia, derer von Aigai und Eiresiai und der Stadt Peparethos, derer vom thrakischen Athos und jener vom pelischen Bergland, derer vom thrakischen Samos und jener vom Idagebirge, von der schönen Stadt Imbros, von Lemnos, der nebligen Insel, vom geheiligten Lesbos, dem Sitz der äolischen Herrscher, von Skyros und Phokaia, vom hohen Autokanesberg, von Chios, der reichsten von allen den Inseln des Meeres; derer vom felsigen Mimas sowie von des Korykos Höhen, derer vom sonnigen Klaros und jener vom Aisageesberg, derer vom feuchten Samos und Mykales luftigen Höhen, auch von Milet und von Kos, der berühmten Stadt der Meropier, derer von Knidos, der Bergstadt, und Karpathos – dort wo der Wind braust, derer von Naxos und Paros sowie von Rhenaia, dem Felsnest. All diese Orte hatte für ihre Niederkunft Leto aufgesucht, um dort ihrem Sohn eine Heimstatt zu bieten. Überall aber hatte man Angst; man wagte es nirgends, Phoibos aufzunehmen, auch nicht in den reicheren Städten, bis dann schließlich nach Delos gelangte die göttliche Leto [...].74

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Auf diese Weise durch die Anzahl der Stationen pro Vers gegliedert, besteht der erste Katalog (in der Textgestalt von Wests Ausgabe) also aus folgenden drei Teilen: 30–32, 33–35 (einschließlich der transponierten Verse 36–37), 38–44.75 Auch der zweite Katalog lässt sich sinnvoll durch ein triadisches Element gliedern, nämlich durch die drei Erzählungen, die der Hymnode an einzelnen Stationen (Onchestos, Telphusa und Krisa / Pytho) einfügt.76 In der ersten und kürzesten Erzählung (230–238) berichtet der Hymnode von einem Poseidonritual in Onchestos, bei dem ein Wagen von einem Fohlen gezogen und schließlich dem Gott geopfert wird. Die nächste, längere Erzählung steht in direktem Zusammenhang mit Apollons Orakelstättensuche und behandelt Telphusas List gegen Apollon, mit welcher sie ihn aus ihrem heiligen Bezirk vertreibt und weiter nach Krisa schickt (244–276). Die letzte und längste Erzählung schließlich handelt von Apollons Orakelgründung in Pytho (282– 74 Übersetzung von BERNAYS, 2017 (mit Versumstellungen gemäß der Ausgabe WEST, 2003). 75 Auch BALTES, 1981, 26–28 hat sich um eine Strukturanalyse des Katalogs bemüht und konzentriert sich dabei auf den Nachweis von Symmetrien im Katalog. Seine Analyse basiert allerdings auf der überlieferten Reihenfolge der Verse (die Umstellung, die West zugunsten der Geographie vornimmt, lehnt Baltes ab). 76 Zur Geographie und praktischen ‚Durchführbarkeit‘ dieser Reise Apollons vgl. etwa BALTES, 1981, 32; zu ihrer religiösen Bedeutung RICHARDSON, 2010, 115.

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378); sie enthält den Tempelbau (285–299), die Schlangentötung (300–362, einschließlich des Typhaon-Exkurses 305–354), die Aitiologie des apollinischen Beinamens Pythios (362–374) und die Rache an Telphusa (375–387, einschließlich der Aitiologie des apollinischen Beinamens Telphusios).77 Der dritte Katalog hingegen enthält ein triadisches Element, das vor allem inhaltlich von besonderer Bedeutung ist: Dreimal erwähnt der Hymnode in diesem Katalog Zeus (427, 433, 437).78 Diese prominente Rolle des Zeus überrascht kaum, wenn man bedenkt, dass es im dritten Katalog (bzw. im dritten Hymnenteil) um nicht weniger als die Einsetzung der Orakelpriester geht, durch welche Apollon den Menschen „des Zeus untrüglichen Ratschluss“ weissagen wird (132: χρήσω τ’ ἀνθρώποισι Διὸς νηµερτέα βουλήν).79 An diesen ersten Ausspruch Apollons wörtlich anknüpfend, nennen alle drei Verse Zeus’ Namen im Genitiv (Διός) und jeweils pointiert in der zweite Vershälfte: 427 427

77

εὖτε Φεὰς ἐπέβαλλεν ἀγαλλοµένη Διὸς οὔρωι Als mit von Zeus gesendetem Wind nun Pheia erreicht war

Im Ganzen ist der Katalog also in folgende Abschnitte zu gliedern: 216–238 (22 Verse), 239–280 (41 Verse), 281–387 (106 Verse). Auch BALTES, 1981, 34, gliedert den Katalog in drei Teile, allerdings auf andere Weise (er lässt den Katalog ja in 286 enden): Als Gliederungsprinzip bestimmt er den zweimaligen Vers τεύξασθαι νηόν τε καὶ ἄλσεα δενδρήεντα (221 = 245). Der erste Katalogteil bestehe aus den Versen vor 221, der zweite aus den Versen zwischen 221 und 245 und der dritte Teil aus den Versen nach 245. Auch wenn sich der Vers vielleicht gemeinsam mit der dritten Wiederaufnahme in 287 (ἐνθάδε δὴ φρονέω τεῦξαι περικαλλέα νηόν) als Strukturprinzip eignen würde, ist Baltes’ Gliederung m.E. ungünstig angelegt: In einem Hymnos, welcher einer mündlichen Tradition zumindest in seinem poetologischen Programm in irgendeiner Weise verpflichtet ist, kann ein Vers nicht sowohl vorwärts als auch rückwärts zugleich gliedern. Wenn der Vers Gliederungsprinzip ist, dann muss er in jedem Teil vorkommen (vorzugsweise am Anfang, oder am Ende). 78 Auf die Bedeutung dieses Umstands wird mehrfach verwiesen, vgl. etwa CLAY, 1989, 82. Man bedenke, dass die dreifache namentliche Nennung des Zeus zwar ein triadisches Element des Katalogs ist, nicht aber als sein Gliederungsprinzip dienen kann (alle drei Erwähnungen kommen in den letzten 13 von 31 Versen vor). Ich würde allerdings auch diesen Katalog in drei Teile wie folgt gliedern: 1.) die ersten fünf listenartigen Verse (409– 413), 2.) der Versuch der Kreter, das Schiff zu stoppen, welcher von Apollon (bzw. vom Erzähler) mit einer Temposteigerung vereitelt wird (414–429) und 3.) der ‚Endspurt‘ nach Krisa mit der abermaligen Temposteigerung (430–439). Auch wieder in drei (allerdings wieder drei andere) Teile gliedert den Katalog BALTES, 1981, 36. Baltes bespricht auch die Odyssee- und Ilias-Zitate des Katalogs, vgl. BALTES, 1981, 37–39. 79 Zuvor heißt es über die Kreter (393–396): οἵ ῥά τ’ ἄνακτι / ἱερά τε ῥέζουσι καὶ ἀγγέλλουσι θέµιστας / Φοίβου Ἀπόλλωνος χρυσαόρου, ὅττί κεν εἴπηι / χρείων ἐκ δάφνης γυάλων ὕπο Παρνησσοῖο („Sie bringen / Opfer dem Herrscher und künden die Sprüche des golden bewehrten / Phoibos Apollon, so oft aus dem Lorbeer redend er weissagt / Unter den Höhn des Parnassos.“).

Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos 433 (434) 433 (434)

ἦλθ’ ἄνεµος Ζέφυρος µέγας αἴθριος ἐκ Διὸς αἴσης ([...] ἐξ αἰθέρος) da erhob sich der Zephyrwind heftig, welcher von Zeus war ([...] aus dem Äther gesendet)

437 437

ἔπλεον, ἡγεµόνευε δ’ ἄναξ Διὸς υἱὸς Ἀπόλλων segelten sie, vom Herrscher gelenkt, dem Zeussohn Apollon 80

291

Eine gewisse Steigerung (im Sinne eines klimaktischen Trikolons) kann darin gesehen werden, dass die drei Wortgruppen mit Διός sowohl quantitativ als auch qualitativ an Bedeutung zunehmen: Zunächst ist von „Zeus’ Wind“ (Διὸς οὔρωι) die Rede, der das Schiff der Kreter vorantreibt, sodann vom Zephyr, der sich „auf Zeus’ Geheiß“ (ἐκ Διὸς αἴσης) heftig erhebt, und schließlich vom „Zeussohn, dem Herrscher Apollon“ (ἄναξ Διὸς υἱὸς Ἀπόλλων). Vor allem die letzten beiden Erwähnungen enthalten subtile Verweise auf das neu gegründete Apollonorakel: αἶσα (433) ist neben µοῖρα der wohl wichtigste homerische Begriff für das Schicksal (dessen Richtung Zeus bekanntlich mittels seiner Waage ermitteln kann). Apollon schließlich (437) gründet das Orakel in Delphi, durch welches die Beschlüsse des Zeus geweissagt werden sollen, vor allem in seiner Funktion als loyaler Zeussohn. Es wird deutlich, dass die drei Kataloge des Apollonhymnos signifikant strukturell, nämlich durch typische Katalogelemente sowie durch triadische Strukturelemente, miteinander verbunden sind. Dies stützt die These, dass der Katalog das entscheidende triadische Strukturmerkmal des Hymnos darstellt. In formal-struktureller Hinsicht erscheint damit auch die von Richardson vorgeschlagene Dreiteilung des Hymnos besonders einleuchtend. Zudem unterstützt die enge formale Verbindung der drei Kataloge die Deutung von Jenny Strauss Clay, derzufolge die drei Kataloge den gesamtgriechischen (‚panhellenischen‘) Raum als Einflussbereich des neuen Orakelgottes markieren.81 4.3 Pythios, Telphusios, Delphinios: Weitere triadische Strukturelemente Innerhalb der von Richardson vorgeschlagenen Dreiteilung des Apollonhymnos enthält der Hymnentext neben den drei Katalogen ein weiteres wichtiges Triadenelement, welches unmittelbar mit den Katalogen zusammenhängt, nämlich die drei Orte, die Apollon im Hymnos zu seinen Kultstätten erkürt: Delos, Telphusa und Krisa / Pytho. Dass neben Delos und Delphi auch der Quellort Telphusa trotz der List, mit der ihn die Quellnymphe zunächst erfolgreich vertreibt, eine für Apollon wichtige Kultstätte darstellt, zeigt die Rache-Episode (375–387), in der Apollon seinen Anspruch auf Verehrung an der Quelle aggressiv markiert und dabei eine Aitiologie seines Beinamens 80 81

Übersetzungen von BERNAYS, 2017 (mit geringfügiger Anpassung). Vgl. CLAY, 1989, 57.

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Telphusios liefert. Zudem sind alle drei Orte sprachlich miteinander verknüpft über die gleichlautende Prophezeiung ihrer künftigen Blüte als vielbesuchte Kultstätten Apollons: dass nämlich die Menschen Hundertopfer zu Apollons Ehren herantreiben werden (ἀγινήσουσ’ ἑκατόµβας).82 Weiterhin sind die drei Orte durch je zwei Dialogpartner gekennzeichnet, die jeweils miteinander (in mehr oder weniger antagonistischer Weise) über Bedingungen der Errichtung einer apollinischen Kultstätte verhandeln (Leto – Delos: 51–88; Apollon – Telphusa: 247–275; Apollon – Kreter: 452–501 und 526– 544). Ein zusätzliches Triadenelement, das je einmal in allen drei Hymnenteilen auftaucht, ist die ‚chorlyrische‘ Darbietung mit Tanz und Gesang: die bereits besprochenen Darbietungen der delischen Mädchen beim Apollonfest auf Delos (156–164) sowie der Göttinnen und Götter auf dem Olymp (189– 203)83 und die Prozession der kretischen Priester und Apollons von Krisa hinauf nach Pytho (513–519). All diese triadischen Strukturelemente stützen, neben den drei besprochenen Katalogen, die triadische Gesamtstruktur des Apollonhymnos. Schließlich ragen innerhalb des letzten Hymnenteils zwei auffällige triadische Elemente hervor, nämlich die bereits einleitend erwähnten Aitiologien dreier Beinamen Apollons sowie die Epiphanien des Gottes in drei verschiedenen Gestalten. Apollon wird der Pythische genannt (wegen der besiegten Schlange, der er zuruft: πύθε’ – „Verrotte!“, 363),84 der Telphusische (wegen seiner Rache an der Quellnymphe Telphusa: 386 f.)85 und der Delphinische 82

Delos (57 f.): ἄνθρωποί τοι πάντες ἀγινήσουσ’ ἑκατόµβας / ἐνθάδ’ ἀγειρόµενοι; Telphusa (248 f.): οἵ τέ µοι αἰεί / πολλοὶ ἀγινήσουσι τεληέσσας ἑκατόµβας; Krisa (289): ἐνθάδ’ ἀγινήσουσι τεληέσσας ἑκατόµβας; Pytho (366): ἐνθάδ’ ἀγινήσουσι τεληέσσας ἑκατόµβας. 83 KAKRIDIS, 1937, 104–106, verweist auf die Ähnlichkeiten und Bezüge zwischen dem delischen und dem olympischen Fest. Zum olympischen Fest als chorlyrischer Darbietung vgl. FURLEY, 1993, 36. 84 Nach Apollons scharfzüngigen Worten gegenüber dem besiegten Ungeheuer liefert der Hymnode die aitiologische Erklärung, warum Krisa den Namen Pytho und Apollon den Beinamen Pythios bekommen hat (wobei er einen expliziten Bezug zu seiner eigenen Zeit herstellt): τὴν δ’ αὐτοῦ κατέπυσ’ ἱερὸν µένος Ἠελίοιο· / ἐξ οὗ νῦν Πυθὼ κικλήσκεται, οἳ δὲ ἄνακτα / Πύθιον ‹αὖ› καλέουσιν ἐπώνυµον, οὕνεκα κεῖθι / αὐτοῦ πῦσε πέλωρ µένος ὀξέος Ἠελίοιο (371–374: „Dort nun ließ sie verfaulen des Helios heilige Stärke; / Seitdem heißt es jetzt Pytho, und Pythios ruft man den Herrscher, / Gibt ihm den ehrenden Namen, weil Helios’ beißende Stärke / Dort auf der Stelle zur Fäulnis brachte das riesige Untier“). 85 Apollon erklärt die List der Quelle, mit der sie ihn von ihrem Heiligtum fernhalten wollte, für gescheitert, bestraft sie mit einem Steinschlag und errichtet sich selbst einen Altar „ganz in der Nähe der herrlich flutenden Quelle“ (ἄγχι µάλα κρήνης καλλιρρόου, 385). Die sich anschließende Aitiologie lautet: ἔνθα δ’ ἄνακτι / πάντες ἐπίκλησιν Τελφουσίωι εὐχετόωνται, / οὕνεκα Τελφούσης ἱερῆς ἤισχυνε ῥέεθρα (385–387: „Seitdem nun / Nennen alle den Herrscher Telphusier, wenn sie ihn betend / Rufen; er hat ja das Wasser der hehren Telphusa geschändet“).

Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos

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(weil er sich den Kretern zuerst als Delphin zeigte: 495 f.).86 Mit dieser letztgenannten Aitiologie werden die beiden triadischen Elemente, Beinamen und Epiphanien, enggeführt: Die letzte Aitiologie bezieht sich auf die erste Epiphanie, bei der Apollon in Gestalt eines Delphins auf das kretische Schiff springt und dessen Kontrolle übernimmt: 400 401

ἐν πόντωι δ’ ἐπόρουσε δέµας δελφῖνι ἐοικώς νηῒ θοῆι, καὶ κεῖτο πέλωρ µέγα τε δεινόν τε.

(399) 400 401

Er sprang in Gestalt eines Delphins Mitten im Meer auf das eilende Schiff. Da lag er, ein Untier Ungeheuerlich groß und schrecklich.

In Krisa angekommen, springt Apollon als funkelnder Stern an Land und entzündet das Feuer in seinem Tempel:87 440 441 442 443 444 445

ἔνθ’ ἐκ νηὸς ὄρουσεν ἄναξ ἑκάεργος Ἀπόλλων ἀστέρι εἰδόµενος µέσωι ἤµατι· τοῦ δ’ ἀπὸ πολλαί σπινθαρίδες πωτώντο, σέλας δ’ εἰς οὐρανὸν ἷκεν· ἐς δ’ ἄδυτον κατέδυσε διὰ τριπόδων ἐριτίµων. ἔνθ’ ἄρ’ ὅ γε φλόγα δαῖε πιφαυσκόµενος τὰ ἃ κῆλα, πᾶσαν δὲ Κρίσην κάτεχεν σέλας· [...]

440 441 442 443 444 445

Fort aus dem Schiffe nun stürmte der Herrscher Apollon, der Schirmherr; Gleich einem Stern, der am Mittag erstrahlt, entsprühten ihm zahllos Funken; sein Glänzen erreichte den Himmel. Was nie noch betreten, Das nun betrat er; am Wege stand Dreifuß bei kostbarem Dreifuß. Hier nun entbrennt er die Flamme, gibt Zeichen mit seinen Geschossen – Glanz umflutet ganz Krisa.

Von den Krisaischen Frauen jauchzend empfangen, springt er wieder zurück aufs Schiff in der Gestalt eines Jünglings: 448 449 450

ἔνθεν δ’ αὖτ’ ἐπὶ νῆα νόηµ’ ὣς ἄλτο πέτεσθαι, ἀνέρι εἰδόµενος αἰζηῶι τε κρατερῶι τε πρωθήβηι, χαίτηις εἰλυµένος εὐρέας ὤµους

86 Die aitiologische Erklärung für seinen Beinamen Delphinios bringt Apollon selbst in seiner Rede an die Kreter: ὡς µὲν ἐγὼ τὸ πρῶτον ἐν ἠεροειδέϊ πόντωι / εἰδόµενος δελφῖνι θοῆς ἐπὶ νηὸς ὄρουσα / ὣς ἐµοὶ εὔχεσθαι Δελφινίωι· αὐτὰρ ὁ βωµός / αὐτὸς Δέλφειος καὶ ἐπόψιος ἔσσεται αἰεί (492/3–496: „Denn wie ich am Anfang / Draußen im luftigen Meer in Gestalt eines Delphins hinaufsprang / Auf euer eilendes Schiff, so sollt ihr in euren Gebeten / Mich den Delphinier heißen. Doch wird der Altar auch selber / Alle Zeit der Delphinische sein und ein künftiges Schaustück“). 87 MALKIN, 2000, 76 f., argumentiert dafür, dass im Apollonhymnos zwei Gründungsgeschichten enthalten sind, nämlich zum einen die Orakelgründung durch Apollon selbst, angezeigt durch die Feuerentzündung in seinem Tempel (444), und zum anderen die Koloniegründung durch die Kreter, angezeigt durch die Feuerentzündung am Altar im Hafen von Krisa (509). Zum Einfluss, den Delphi historisch bei Koloniegründungen ausgeübt, vgl. allerdings die kritische Einschätzung von OSBORNE, 1996, 205–207 sowie in diesem Band den Beitrag von R. Osborne, oben S. 173–183.

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Leonie von Alvensleben Er aber sprang darauf im Flug wie ein rascher Gedanke Wieder zum Schiff in Gestalt eines Jünglings in frühesten Jahren, Kräftig und frisch, um die breiten Schultern flattern die Haare.

Beide miteinander enggeführte Triaden betonen die Bedeutung der Dreiheit für den Gott Apollon: Die drei Epiphanien betonen die unmittelbare Erfahrbarkeit des delphischen Gottes für die internen Rezipienten, d.h. die Kreter und die Krisaer; die drei Namensaitiologien hingegen betonen die rituelle Erfahrbarkeit des Gottes für die externen Rezipienten, nämlich wenn sie Apollon künftig als Pythios, Telphusios oder Delphinios anbeten.88 Dreiheit kann demnach im vorliegenden Hymnos als wichtiges Steuerelement für die Interaktion Apollons mit den Menschen bezeichnet werden. Dass diese Interaktion eine bedeutende Aufgabe des neuen olympischen Gottes darstellt, ist bereits bei der Betrachtung der drei τιµαί (131 f.) deutlich geworden, deren Hauptelement die Prophetie ist. Sie bildet das Vermittlungsorgan zwischen den olympischen Göttern (vor allem Zeus) und den Menschen und ist unmittelbar mit dem wichtigsten inhaltlichen Element des Hymnos verknüpft, der Orakelgründung.

5. Fazit Die vorliegende Untersuchung hat ergeben, dass der Homerische Apollonhymnos auf ganz unterschiedlichen Ebenen maßgeblich von Dreiheit bestimmt ist. Als wichtigster inhaltlicher Hinweis auf die entscheidende Rolle von Dreiheit im Hymnos dient Apollons erster, auf sich selbst bezogener Ausspruch, in welchem er Lyra, Bogen und Weissagekunst als seine drei persönlichen τιµαί (‚Ehrenämter‘) beansprucht. Ebenso zeigt sich die Tendenz des Apollonhymnos zum Triadischen in der Häufung von Göttertriaden (v.a. beim olympischen Götterfest zu Anfang des zweiten Hymnenteils). Das Hauptaugenmerk der Untersuchung lag jedoch auf strukturellen Dreiheiten im Hymnos: Überzeugender als der Versuch, die hymnische Grundstruktur von invocatio, narratio und petitio jeweils für den delischen und den pythischen Teil nachzuweisen, erscheint eine dreiteilige Gliederung des Hymnos, wie sie Richardson vorschlägt. Das wichtigste Argument für eine dreiteilige Gliederung liegt in den drei geographischen Katalogen, die dem Hymnos als triadisches Strukturelement dienen. Bei einer näheren Betrachtung der Kataloge erweisen sich diese trotz äußerer Verschiedenheit als höchst strukturverwandt und zudem als je in sich triadisch arrangiert. Gestützt wird die Dreiteilung des Hymnos schließlich auch durch die Orte Delos, Telphusa und Krisa / Pytho: Alle drei ernennt Apollon im Hymnos zu 88

Zur Erfahrbarkeit des Delphischen Orakels siehe in diesem Band den Beitrag von H. Bowden, oben S. 77–89.

Die triadische Struktur des Homerischen Apollonhymnos

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seinen künftigen Kultstätten und errichtet Altäre bzw. Tempel an ihnen. Erzählerisch werden die drei Hymnenteile jeweils durch ein musisches Fest (Delosfest, Götterfest und Pythoprozession) sowie durch Zwiegespräche zwischen zwei Dialogpartnern strukturiert. Im letzten Hymnenteil schließlich wird der triadische Charakter des Hymnos ‚gekrönt‘ durch die drei (aitiologisch hergeleiteten) Epiklesen des Gottes (Pythios, Telphusios und Delphinios) sowie durch die drei Epiphanien des Gottes (als Delphin, Stern und Jüngling). Zwei Kernaussagen haben sich im Laufe der Untersuchung als übergeordnete Deutungen des triadischen Strukturprinzips im vorliegenden Hymnos herausgestellt: zum einen der enge Bezug von Dreiheit und Interaktion zwischen Gott und Mensch (drei Beinamen, drei Epiphanien und Weissagung als dritte τιµή) und zum anderen Ganzheitlichkeit als Symbolbedeutung der Dreizahl (drei Kataloge als Abbild der gesamtgriechischen Welt). Zudem wurde an mehreren Stellen der vorliegenden Analyse die harmonisierende Bedeutung von Dreiheit deutlich: Beim olympischen Götterfest treten Göttinnen und Götter gemeinsam in Harmonie auf, arrangiert zu triadischen Gruppierungen; durch die friedliche Kooperation mit Zeus erweist sich Apollon als dessen loyaler Sohn, der die olympische Ordnung unter der Herrschaft seines Vaters sichert, indem er die Göttergemeinschaft durch Musik harmonisiert und die Menschen durch sein neues Orakel an Zeus’ Macht bindet (so auch Clays Gesamtdeutung des Hymnos). Dreiheiten im Apollonhymnos weisen also auf den ganzheitlichen, ‚panhellenischen‘ Einfluss, welcher dem jungen Gott Apollon als Vermittler zukommt, Vermittler sowohl zwischen den Göttern durch harmoniestiftende Musik als auch zwischen Menschen und Göttern durch Prophetie.

Die Pythischen Spiele bei Pindar Historischer Kontext und kulturelle Bedeutung Claas Lattmann 1. Einleitung Untrennbar mit Delphi verbunden waren die Pythischen Spiele, eines der wichtigsten Kultfeste im antiken Griechenland von der Archaik bis weit in die Spätantike.1 Zu ihnen kam alle vier Jahre die gesamte griechische Welt zu Ehren Apollons zusammen, um sich miteinander im Wettkampf zu messen.2 Nach einem wohl lokalen Beginn als rein musischer, möglicherweise alle acht Jahre abgehaltener Agon in der frühen Archaik – in der mythischen Tradition wurde der Ursprung auf Leichenspiele für die Schlange Pytho zurückgeführt3 – wurden sie allem Anschein nach in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts nach dem Muster der Olympien reorganisiert. So wurde das Festprogramm bei den Pythien der Jahre 586 und 582 durch weitere musische, aber auch athletische und Pferde-Wettbewerbe erweitert, und die anfangs traditionell materiellen Wertpreise wurden durch einen Siegerkranz aus (Lorbeer-) Laub ersetzt.4 1

Für einen Einblick in die spätere Entwicklung vgl. knapp SPAWFORTH, 2007; für die frühe Entwicklung siehe unten, insbesondere Anm. 4. Die griechische Bezeichnung für das Fest ist Πυθιάς (‚Pythias‘) oder Πύθια (‚Pythien‘), beides belegt bei Pindar; siehe unten Anm. 19. Pindar ist im Folgenden nach der Ausgabe von SNELL/MAEHLER, 1987 zitiert (mitunter mit leichten Modifikationen in Hinsicht auf die Interpunktion), die Scholien zu Pindar nach DRACHMANN, 1903–1927; die Übersetzungen lehnen sich, soweit nicht weiter gekennzeichnet, an BREMER, 1992 an; die Übersetzungen zu Pythie 4 folgen LATTMANN, 2010. 2 Zum komplexen Phänomen des ‚Agonistischen‘ in der griechischen Kultur vgl. die jüngere Diskussion bei ULF, 2008 sowie aus einer mehr wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive ULF, 2011. 3 Vgl. etwa Schol. Pind. P., hyp. a.c (dort auch hyp. c die hierauf anspielende etymologisierende Herleitung des Ortsnamens Πυθώ von πύθεσθαι, d.i. „become rotten, decay, moulder“ [LSJ s.v. πύθω]); Schol. Pind. I., hyp. d. Zu dieser Frage vgl. kritisch DAVIES, 2007, 55 f. (man beachte freilich, dass Neoptolemos als in Delphi kultisch verehrtem Heros eine wichtige Rolle in dieser Hinsicht zuzukommen scheint: siehe unten S. 309 mit Anm. 31). 4 Die konkreten Details sind notorisch ungewiss, aber mit BRODERSEN, 1990 ist die his-

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Neben späteren literarischen Zeugnissen wie Pausanias ist für die frühe Geschichte der Pythischen Spiele vor allem der Dichter Pindar ein wichtiger Zeuge, speziell für die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts. Von ihm sind zahlreiche Lieder überliefert, mit denen Sieger bei den Wettspielen gepriesen wurden, die sogenannten Epinikien. Diese Lieder waren für eine öffentliche Aufführung gedichtet, in der Regel durch einen Chor im Rahmen einer Feier der Heimat-Polis zum Anlass der Rückkehr des Siegers und der mit den Athleten entsandten Gesandtschaften (θεωρίαι) von den Festorten.5 Aus diesen Zeugtorische Entwicklung wie folgt (vgl. PARKER, 1997): in die Archaik zurückreichende musische Agone alle acht Jahre; außergewöhnlicher gymnischer (und nicht-musischer) Agon mit Wertpreisen anlässlich des Sieges über die Kirrhaier im Ersten Heiligen Krieg im Jahr 591/0; unter Rückgriff auf die ältere Tradition des musischen Agons erste Pythien im VierJahres-Rhythmus im Jahr 586/5 mit Wertpreisen und unter Erweiterung des Programms auf gymnische Wettkämpfe; Umstellung auf Kranzspiele ab dem Jahr 582/1. Quellen für die Rekonstruktion der politisch-historischen Zusammenhänge sind im Wesentlichen Schol. Pind. P., hyp. b.d (Verbindung mit dem ‚Ersten Heiligen Krieg‘: vgl. PARKER, 1997; auch BRODERSEN, 1990) sowie (mit leicht anderem Akzent) Pausanias, X 7,2–8 (vgl. hier auch den Beitrag von Sánchez, oben S. 241 f.). Zu der (hiermit verbundenen, aber nicht identischen) Frage, welche Pythien als die ‚ersten‘ Pythien in Hinsicht auf die Zählung der Pythien zu gelten haben (586/5 oder 582/1), und damit auch zur Frage der Datierung von Pindars Pythien vgl. BENNETT, 1957, MILLER, 1978, MOSSHAMMER, 1982 und FINGLASS, 2007a, 19–27. Grundlegende Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit der Informationen zur frühen Zeit zeigt im Übrigen prägnant DAVIES, 2007, 52. An der angeführten PausaniasStelle finden sich auch Angaben zur Entwicklung des Wettkampfprogramms der Pythien (die mit der obigen Rekonstruktion des Gesamtrahmens kompatibel sind), konkret für die vorpindarische Zeit: vor 586/5 nur ein einzelner musischer Wettbewerb, das Verfassen und Singen eines Hymnos auf Apollon unter Kitharabegleitung; im Jahr 586/5 (‚erste‘ Pythien) Erweiterung um zwei weitere musische (vgl. Schol. Pind. P., hyp. d) sowie andere ‚sportliche‘ Wettbewerbe (aber noch mit materiellen Wertpreisen: vgl. Schol. Pind. P., hyp. b.d), konkret einerseits das Aulos-Spiel und das Singen unter Aulos-Begleitung, andererseits alle damaligen olympischen Wettkampfdisziplinen außer dem Rennen mit dem Pferdeviergespann (also in der Altersklasse der Männer: Stadion, Diaulos, Dolichos, Pentathlon, Ringen, Boxen, Pankration, einfaches Pferderennen; in der Altersklasse der Jungen: Stadion, Ringen, Pentathlon und Boxen) sowie zusätzlich in der Altersklasse der Jungen Diaulos und Dolichos. Während bei der nächsten Feier (den ersten ‚Kranz‘-Pythien) im Jahr 582/1 das Singen unter Aulos-Begleitung wieder abgeschafft wurde, wurde das (zuerst einzig nicht von Olympia übernommene – möglicherweise wegen noch fehlender baulicher Voraussetzungen in Hinsicht auf den Hippodrom?) Rennen mit dem Pferdeviergespann eingeführt; später wurden im Jahr 558/7 das Kithara-Spiel (ohne Singen) und im Jahr 498/7 der Hoplitodromos (Diaulos in stilisierter Hopliten-Rüstung) hinzugefügt. In der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts findet nur wenige Jahre später die (Neu-) Begründung der Isthmien (582/1) und Nemeen (573/2) als panhellenische Kranzspiele statt, ebenfalls nach dem Muster der Olympien: vgl. insgesamt DAVIES, 2007 (wie ja auch die Reorganisation der Panathenäen im Jahr 566 in diese Zeit fällt, wenn auch nicht als Kranzspiele: vgl. NEILS, 2007). Die Reihenfolge der Gründungen spiegelt sich in der relativen Wertigkeit der Kranzspiele der sogenannten Periodos: siehe unten S. 299 f. 5 Vgl. LATTMANN, 2012 und LATTMANN, 2017 (beides mit weiterer Literatur). Der

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nissen lassen sich wichtige Einblicke nicht nur zu den Pythien selbst, sondern auch zu Delphi im Weiteren gewinnen: Pindars Epinikien können sowohl die historische Dimension der Spiele als Teil der delphischen und allgemeingriechischen Kultpraxis der damaligen Zeit erhellen als auch ihre kulturelle und speziell politisch-soziale Bedeutung, und dies nicht zuletzt aus einer nicht-Athen-zentrierten, ‚panhellenischen‘ Perspektive. Im Folgenden stehen vor allem zwei Aspekte im Mittelpunkt: Zum einen soll überblickshaft in der Breite aufgezeigt werden, welche Einsichten zu einzelnen Aspekten der Pythischen Spiele und hierüber von Delphi sich aus Pindars Epinikien gewinnen lassen, insbesondere in Hinsicht auf die historischen, nicht-literarischen Gegebenheiten. Zum anderen soll dieses Bild aus der Außenperspektive anhand zweier Fallstudien exemplarisch in der Tiefe ausgelotet werden, konkret anhand von Pythie 8 in der religiösen und, hierauf aufbauend, anhand von Pythie 4 in der politisch-sozialen Dimension. Gefragt werden soll speziell danach, welche Bedeutung der Pythischen Spiele sich auf der Grundlage von Pindars Epinikien für die griechische Kultur aus der Binnenperspektive erschließen lässt.

2. Historische Kontexte: Die Pythischen Spiele in Pindars Epinikien Aus Pindars Epinikien lassen sich zahlreiche Einsichten zu den Pythischen Spielen und mithin Delphi gewinnen, auf der einen Seite zuerst einmal in historischer Hinsicht zu den außertextlichen Gegebenheiten und Zusammenhängen. Erste Aufschlüsse ergeben sich aus der Beschaffenheit des Materials selbst, insbesondere in Hinsicht auf das besondere Profil der Spiele im Vergleich mit den anderen vergleichbaren panhellenischen Kultfesten. Insgesamt verfügen wir über 45 vollständig überlieferte Epinikien von Pindar, von etwa 10 bis ca. 300 Versen Länge. Diese 45 Lieder sind allerdings nicht nur pythischen Siegern gewidmet, sondern den vier Wettspielen der ‚Periodos‘ zugeordnet, konkret den Olympien, Pythien, Isthmien und Nemeen, den sogenannten Kranzspielen, die in einem insgesamt vierjährigen Turnus sorgfältig aufeinander abgestimmt abgehalten wurden;6 dieser ZuordAufführungskontext gehört zu den meistdiskutierten Fragen zum Epinikion, insbesondere deshalb, weil wir als Zeugnisse für die außertextlichen Gegebenheiten letztlich nur über die Lieder selbst verfügen: vgl. die ausführlichen Zusammenstellungen und Analysen bei NEUMANN-HARTMANN, 2007 und NEUMANN-HARTMANN, 2009; für einen Einblick in die Problematik vgl. NEUMANN-HARTMANN, 2009, 1–9. Zu derartigen Gesandtschaften der gesamten Polis im Allgemeinen vgl. RUTHERFORD, 2004 und RUTHERFORD, 2013. 6 Vgl. DAVIES, 2007, 69: Olympien alle vier Jahre im Sommer (August); Pythien alle vier Jahre im dritten Jahr der Olympien (August/September); Isthmien alle zwei Jahre im Jahr der Olympien (Juli oder später Juni); Nemeen alle zwei Jahre jeweils in den Jahren

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nung entspricht die alexandrinische Bucheinteilung, dem auch die modernen Ausgaben noch immer folgen.7 Für die Pythischen Spiele im Besonderen verfügen wir über insgesamt zwölf Lieder; zu ihnen gehören sowohl das früheste als auch das älteste erhaltene pindarische Epinikion, Pythie 10 für einen Sieg im Jahr 498 bzw. Pythie 8 für einen Sieg im Jahr 446;8 Pindars Epinikien und speziell die Pythien decken also die gesamte erste Hälfte des 5. Jahrhunderts ab. Die meisten dieser Lieder wurden für Sieger mit dem Pferdeviergespann verfasst, nämlich Pythien 1 bis 7. An schwerathletischen Disziplinen ist mit Pythie 8 nur das Ringen vertreten, hier in der Altersklasse der Jungen; es folgen die Laufdisziplinen, speziell Pythie 9 für den Waffenlauf, Pythie 10 für den Diaulos, das heißt den doppelten Stadionlauf mit Wende, abermals in der Altersklasse der Jungen, und Pythie 11 mit dem einfachen Stadionlauf; exzeptionell für das gesamte Epinikiencorpus ist Pythie 12, ein Lied für einen Sieg im Aulos-Spiel.9 Die gefeierten Sieger kommen aus der gesamten griechischen Welt: Drei Lieder sind Hieron von Aitnai bzw. Syrakus gewidmet (P. 1–3), zwei Arkesilaos von Kyrene (P. 4–5), eines Xenokranach Olympien und Pythien im Sommer (August). Die Bedeutung (wenn auch nicht der Name) der Periodos ist in jedem Fall schon für die Zeiten Pindars belegt: vgl. Olympie 9. 7 Vgl. die tabellarische Übersicht mit weiteren Informationen in LATTMANN, 2010, 318 f.; vgl. NEUMANN-HARTMANN, 2009, 20–22 und 282–295. Im Einzelnen besitzen wir die folgenden Lieder: Olympien (im Folgenden „O.“) 1–14; Pythien (im Folgenden „P.“) 1–12; Nemeen (im Folgenden „N.“) 1–11; Isthmien (im Folgenden „I.“) 1–9 (I. 9 nur fragmentarisch; I. 3 und I. 4 sind hier als zwei Lieder gezählt; vgl. zur Forschungsdiskussion NEUMANN-HARTMANN, 2009, 21 f. Anm. 30 [mit weiterer Literatur]). Hinzuweisen ist auf eine Besonderheit der Überlieferung, die die letzten Nemeen betrifft: In der ursprünglichen Buchzusammenstellung waren die Nemeen entsprechend der relativen Relevanz des Festes das letzte Buch; sie haben später ihren Platz mit den Isthmien getauscht (weil der hintere Teil des Isthmien-Buches in der Überlieferung verloren ging, liegt I. 9 nur fragmentarisch vor, und alle Fragmente aus den Epinikien entstammen diesem Buch; hinsichtlich der Pythien ergibt sich hieraus im Übrigen, dass unser Corpus dem Umfang der alexandrinischen Ausgabe entsprechen dürfte). Genuine Nemeen sind allerdings nur die ersten acht Lieder, denn es haben sich drei Lieder außer der Reihe an das Ende der alexandrinischen Ausgabe angehängt (und wurden aufgrund ihrer Position sachlich falsch als ‚Nemeen‘ klassifiziert): N. 9 als Epinikion für einen Sieg bei einem lokalen Fest für Apollon in Sikyon; N. 10 für einen Sieg bei den Heraia in Argos; N. 11 anlässlich einer Prytanenwahl (mit sportlichen Aspekten des Lobs des Gewählten). 8 Die Daten beruhen hauptsächlich auf den Scholia vetera zu Pindars Epinikien, denen im Großen und Ganzen die Angaben in der Ausgabe von SNELL/MAEHLER, 1987 in Verbindung mit BOWRA, 1964, 406–413 und NEUMANN-HARTMANN, 2009, 282 f. entsprechen (die teils umfangreiche und kontroverse Diskussion zu den einzelnen Datierungen kann hier nicht im Detail referiert werden). Die übrigen Daten sind: P. 1: 470; P. 2: 476 (?); P. 3: 474 (?); P. 4 und 5: 462; P. 6: 490; P. 7: 486; P. 9: 474; P. 11: 474; P. 12: 490. 9 Zur besonderen musikalisch-poetisch ästhetischen Dimension des Liedes vgl. STEINER, 2013, zum äußeren und inneren Zusammenhang mit Delphi und den Pythien auch KÄPPEL, 2015.

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tes von Akragas (P. 6), eines Megakles aus Athen (P. 7) – diese sieben Lieder sind diejenigen für Sieger im Pferdeviergespann – sowie die restlichen Lieder Aristomenes aus Aigina (P. 8), Telesikrates aus Kyrene (P. 9), Hippokles aus Thessalien (P. 10), Thrasydaios aus Theben (P. 11) und Midas aus Akragas (P. 12). Vertreten ist also neben Festlandgriechenland (und für das gesamte Corpus singulär Athen) und den Inseln auch Italien und speziell Sizilien sowie (ebenfalls singulär für das Corpus) Nordafrika. Nicht nur in Bezug auf diese äußeren Merkmale erweisen sich Pindars Lieder auf Pythiensieger als repräsentativ für sein gesamtes Epinikienwerk, sondern auch in Bezug auf ihren allgemeinen Inhalt: Wie alle Epinikien bestehen sie aus (wenn auch zumeist knappen) Anmerkungen zum errungenen Sieg, Spruchweisheit, quasi-poetologischen Reflexionen zum Lob und, oftmals der Hauptbestandteil der Lieder, mythischen Partien.10 Hierin eingeflochten finden sich nun auch mehr oder weniger umfangreiche direkte Bezüge auf die Pythischen Spiele, dies aber vor allem konzentriert in den Pythien selbst. Das Bild, das wir hieraus gewinnen können, birgt freilich im Wesentlichen keine großen Überraschungen: Verwiesen wird nur auf wenige ausgewählte und hoch charakteristische Aspekte, es erfolgt in der Regel auch keine nähere Beschreibung oder Ausführung. Oftmals handelt es sich um bloße Verweise zur reinen Identifikation bereits bekannter, im Text selbst nicht weiter ausgeführter Sachverhalte. In diesem Sinne umreißen die folgenden vier Punkte aus komplementären Perspektiven, was sich anhand der Lieder für Pindar – und angesichts der historischen Rezeptionssituation, die auf die prinzipielle Möglichkeit des Verstehens der zugrundeliegenden und/oder angesprochenen Sachverhalte in der öffentlichen Aufführungssituation angewiesen war, für den gesamtkulturellen Rahmen – als äußerer und innerer Kern der Pythischen Spiele zeigt und/oder welche Rückschlüsse sich auf die mit ihnen verbundenen historischen Gegebenheiten ziehen lassen: (1) Im Großen und Ganzen bestätigen sich die oben in der Einleitung angeführten, wenn auch in den Details umstrittenen antiken Nachrichten zu Entwicklung und Gestalt der Pythischen Spiele in der frühen, archaischen Zeit, insbesondere in Hinblick auf ihren mutmaßlich musischen Charakter zu Beginn. Nur für die Pythien verfügen wir schließlich mit Pythie 12 über ein Epinikion aus diesem Bereich; und nur in den Pythien findet sich mit Pythie 1 ein Lied, das am Beginn so prominent die Phorminx als Mitstreiter von Apollon und den Musen und hierüber insgesamt die Allgewalt des Apollon im Musischen preist (1–12).11 Zu dem aus den späteren Zeugnissen gewonnenen Bild von den frühen Pythien passt auch das Spektrum der Disziplinen, in 10 Zur Form des pindarischen Epinikions vgl. SCHADEWALDT, 1928 und HAMILTON, 1974; vgl. auch die systematische Analyse THUMMERs, 1968/9, 1, 19–158. 11 Zur Stelle im Kontext vgl. ATHANASSAKI, 2009b.

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denen die anderen von Pindar in den Pythien geehrten Sieger gepriesen werden (Pferdeviergespann, Ringen, Waffen-, Stadion- und Diaulos-Lauf, auch in Hinsicht auf die jeweiligen Altersklassen); dasselbe gilt für diejenigen Disziplinen, die in Pindars Epinikien für Sieger bei den anderen panhellenischen Spielen für die Pythien erwähnt werden (unter anderem die Kampfsportarten Ringen und Boxen sowie wohl auch das Pankration, aber auch Laufdisziplinen wie das Stadion).12 Nur selten erfahren wir allerdings sporthistorisch relevante Nachrichten, die auf die technischen Details der jeweiligen Disziplinen verweisen, zumindest in Hinsicht auf ihre Abhaltung bei den Pythien; zu nennen wäre hier vor allem der Umstand, dass ein Rennen mit dem Pferdegespann in zwölf Runden absolviert wurde; oder zur Anzahl der Gegner und mithin der von einem einzelnen Ringer zu absolvierenden Kämpfe im Ringen.13 Hervorzuheben ist, dass wir über vergleichsweise viele Epinikien für hippische Sieger verfügen; sieben von zwölf Liedern sind Siegern im Rennen mit dem Pferdeviergespann gewidmet (P. 1–7).14 Dies könnte natürlich den Zufällen der Überlieferung geschuldet sein, lässt sich andererseits aber auch als Indiz für die Bedeutung der Pythischen Spiele selbst deuten: In den hippischen Disziplinen konkurrierten die reichsten und mächtigsten Männer der griechischen Welt miteinander, und für sie war es (wie sich unten noch im konkreten Detail zeigen wird) besonders wichtig, den Sieg auch in literari12 Das Ringen (wohl der Männer) in O. 9,16–18; das Boxen in O. 7,15–17 und N. 6,34– 38 (wohl der Jungen); das Pankration in N. 2,9 f.; das Stadion und der Diaulos in O. 13,37 (und wohl 43). Ansonsten finden sich Verweise auf Pythiensiege an den folgenden Stellen: O. 7,10 (unklar, wohl Boxen); O. 12,18 f. (wohl Laufdisziplin); P. 7,13/14–18 (wohl Pferdeviergespann); N. 10,25 (wohl Ringen); N. 11,24–26 (angesichts von 21 und 26 wohl Ringen oder Pankration, aber beides im Lied selbst kontrafaktisch-hypothetisch angeführt); I. 2,18 f. (wohl Pferdeviergespann); I. 7,49–51 (wohl Pankration, freilich als Wunsch). 13 Vgl. für den ersten Punkt P. 5,32 f.; ähnlich ist die Information, dass es in demselben Lied heißt, der siegreiche Wagenlenker Karrhotos habe vierzig andere Wagenlenker besiegt (P. 5,49–51; vgl. allerdings EBERT, 1991, der eine Textverderbnis annimmt und eine Konjektur vorschlägt, die vier Wettbewerber implizierte). Für den zweiten Punkt vgl. P. 8,81 f. (und hierzu LATTMANN, 2010, 104 f. mit Anm. 85). 14 Dies ist bemerkenswert insbesondere angesichts der vergleichsweise geringen Anzahl von hippischen Disziplinen bei den Pythien, wo es nur das Rennen mit dem Pferd und mit dem Pferdeviergespann gab (siehe oben mit Anm. 4); für Pindars Zeiten sind für die Olympien neben diesen beiden Disziplinen auch Rennen mit dem Maultiergespann und mit Stuten zu verzeichnen. Bei den Olympien sind 6 von 14 Epinikien hippischen Siegern gewidmet (O. 1–6); bei den Nemeen 1 (bzw. 2) von 8 (bzw. 11) (N. 1 bzw. N. 9); bei den Isthmien 3 von 8 (I. 1–3; wenn I. 3 und I. 4 als zwei Lieder gezählt werden). Der Status von Pythie 3 als Epinikion wurde mitunter bezweifelt; gemäß Scholien und angesichts der entsprechenden inneren Indizien ist aber die Annahme plausibel (auch wenn hier nicht im Detail weiter begründbar), dass es sich in der Tat um ein gewöhnliches Epinikion handelt (vgl. LATTMANN, 2012, 55, zur Forschungssituation auch NEUMANN-HARTMANN, 2007, 69–71).

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scher Form öffentlich dargestellt zu sehen. Dies galt speziell für einen Pythien- oder Olympiensieg. Entsprechend begegnen uns in den Pythien gerade in den hippischen Disziplinen – in denen man ja weniger mit der Körperkraft denn in Hinsicht auf seinen Reichtum miteinander im Wettbewerb stand15 – als Sieger äußerst hochgestellte und mächtige Wettbewerber, konkret Alleinherrscher wie Hieron von Syrakus / Aitnai und Arkesilaos von Kyrene oder einflussreiche Männer wie Xenokrates von Akragas und Megakles von Athen, mithin eine ähnliche Gruppe wie in den Olympien, konkret abermals Hieron (O. 1) und neben Psaumis aus Kamarina (O. 4 und O. 5) und Hagesias aus Syrakus (O. 6) vor allem auch Theron von Akragas (O. 2 und O. 3). Bei den Isthmien und Nemeen sind die Teilnehmer in den hippischen Disziplinen im Großen und Ganzen deutlich weniger prominent und mächtig: Chromios von Syrakus (N. 1 und 9: Hierons General), Herodotos von Theben (I. 1) und Melissos von Theben (I. 3 und I. 4), wenn auch einmal erneut Xenokrates von Akragas (I. 2). (2) Die soeben festgestellte Abstufung in der Wertigkeit der Spiele mit der relativ hohen Bedeutung der Pythien korrespondiert mit der inneren Perspektive der Epinikien. Durchgängig werden hier die Pythien, zusammen mit den anderen Spielen der Periodos, kategorisch von den lokalen Wettspielen getrennt, bei denen materielle Wertpreise und nicht Siegerkränze vergeben wurden.16 Zugleich gilt in den Epinikien ein Pythiensieg zwar als einem Olympiensieg im Prinzip nachrangig, aber erscheint diesem dennoch oftmals als fast gleichwertig, steht im Wert in jedem Fall aber klar über einem Sieg bei den anderen beiden Kranzspielen, den Isthmien und Nemeen.17 In diesem 15

Vgl. LATTMANN, 2010, 244 f. (mit weiterer Literatur) sowie speziell Xen., Ages. 9,6; Plut., Ages. 20,1. 16 Vgl. THUMMER, 1968/9, 1, 26–28. Zum Kranz als Siegespreis vgl. P. 3,73 (durch Sieg errungene Kränze); P. 8,18–20 (der Sieger wurde von Apollon von Kirrha kommend empfangen ‚bekränzt mit Laub vom Parnassos‘: ἐστεφανωµένον […] ποίᾳ Παρνασσίδι); P. 5,31 (‚als Gast bei der Kastalia legte‘ der Wagenlenker ‚ein Geschenk um das Haar des Siegers‘, d.h. verschaffte ihm den Siegerkranz); P. 10,25 f. (der Sieger empfängt ‚pythische Kränze‘: στεφάνων Πυθίων); P. 12,5 f. (‚Bekränzung aus Pytho‘: στεφάνωµα τόδ’ ἐκ Πυθῶνος, dies freilich metaphorisch für das Lied, aber unter Aufnahme des regulären Siegerkranzes); I. 7,49–51 (Wunsch an Apollon, auch in Pytho in seinen Wettspielen einen Kranz zu verleihen: ἄµµι […] πόρε […] τεαῖσιν ἁµίλλαισιν […] εὐανθέα καὶ Πυθόϊ στέφανον). 17 O. 7,10 sowie 15–17 (Delphi als Wettkampfort, der mit Olympia gleichwertig ist; Erwähnung von Isthmien und Nemeen nur getrennt im späteren Siegeskatalog zusammen mit den lokalen Wettspielen, wohlgemerkt ohne Wiederholung von Olympien und Pythien: 80–87); O. 9,1–20 (zweimal; in 82–99 Einreihung der Isthmien und Nemeen getrennt unter die lokalen Wettspiele) und N. 11,20–29 (zweimal Gleichsetzung, ohne Nennung der anderen beiden Kranzspiele, beide Male in der Reihenfolge Pythien, Olympien). Vgl. daneben O. 2,48–51 (Olympien, Pythien, Isthmien); O. 12,17–19 (Olympien, Pythien, Isthmien); N. 2,19–25 (Pythien, Isthmien, Nemeen, lokale Wettspiele); N. 10,25–48 (Py-

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Zusammenhang ist auch relevant, dass die Pythien in den Epinikien, auch im Gegensatz zu Isthmien und Nemeen, explizit als panhellenische Spiele charakterisiert werden:18 Hier konkurrierten die Besten der Besten der Griechen miteinander. (3) Über die realen örtlichen Gegebenheiten erfahren wir in Pindars Epinikien relativ wenig. Im Großen und Ganzen handelt es sich um sehr knappe Bezüge, die sich auf eine Handvoll bekannter Charakteristika beschränken. Offenkundig sind sie nicht dazu gedacht, den Ort um seiner selbst willen zu beschreiben und neue Informationen zu vermitteln, sondern sie dienen vornehmlich dem Zweck, den Sieg in eindeutiger Weise den Pythien zuzuweisen. So wird häufig als Wettkampfort Pytho angeführt, in der Regel aber ohne weitere Details.19 In diesem Sinn ist (oft alternativ, aber auch in Kombinatithien, Isthmien, Nemeen, umfangreicher Katalog panhellenischer Spiele mit Wertpreisen und lokaler Wettspiele); I. 1,64–67 (Bitte um Pythien- und Olympiensieg nach jetzigem Isthmiensieg); I. 7,49–51 (Bitte um Pythiensieg nach jetzigem Isthmiensieg); auch O. 13,29–46 (Sieger: Olympien, Isthmien, Nemeen; Vater: Olympien, Pythien, Panathenäen, Hellotien; andere Verwandte: Isthmien; gesamte Familie: Pythien); man beachte aber auch P. 7,13/14–18 (Isthmien, Olympien, Pythien). Aufschlussreich ist der Umstand, dass sich von den insgesamt sieben expliziten Wünschen für einen weiteren Sieg in Pindars Epinikien zwar nicht überraschend die meisten auf die Olympien beziehen (man beachte freilich, dass drei der folgenden Epinikien für Olympien- und Pythiensiege geschrieben sind), auf prinzipiell gleicher Stufe mit den Olympien aber eigentlich nur die Pythien stehen (die einmalige Nennung der Isthmien ist transparente Ausnahme): O. 1,106–111 (Olympien); O. 13,101–106 (Olympien); P. 5,122–124 (Olympien); N. 2,6–10 (Isthmien und Pythien); N. 10,29–33 (Olympien); I. 1,64–67 (Pythien und Olympien); I. 6,3–9 (Olympien); I. 7,49– 51 (Pythien). Für eine eingehende Diskussion derartiger Wünsche in den Epinikien vgl. HUBBARD, 1995. Die Ausnahmestellung der Olympien zeigt sich prominent in O. 1,1–7 (dies aber natürlich in einer Olympie), aber auch an Stellen wie N. 10,31–33. 18 P. 11,49 f. (die Sieger besiegten die Versammlung der Griechen: ἤλεγξαν Ἑλλανίδα στρατιάν); P. 12,6 (der Sieger habe Hellas besiegt: Ἑλλάδα νικάσαντα); N. 10,25 (der Sieger habe die Versammlung der Griechen in Pytho besiegt: ἐκράτησε […] Ἕλλανα στρατὸν Πυθῶνι). Der Unterschied liegt gewiss auch darin begründet, dass Isthmia und Nemea letztlich Polis-Heiligtümer unter der engen Kontrolle von Korinth bzw. Argos waren: vgl. knapp NEER, 2007, 226. 19 In den Pythien: P. 3,73 (Herkunft der Siegerkränze); P. 4,3 (Siegesort) und 66 f. (Siegesort; κῦδος ‚aus dem Wagenrennen der Amphiktyonen‘: ἐξ ἀµφικτιόνων […] ἱπποδροµίας); P. 5,105 (Siegesort); P. 9,71; P. 10,4 (Siegesort) und 26 (Herkunft der Siegerkränze); P. 12,5 (Bekränzung aus Pytho); auch in den anderen Epinikien: O. 2,49; O. 12,18; O, 13,37 (Siegesort); N. 2,9; N. 6,34 f.; N. 10,25 (Pytho als panhellenischer Wettkampfort); N. 11,23; I. 1,65; I. 7,51. Der Name Pytho wird im Übrigen oftmals auch dazu verwendet, auf Delphi als Orakelort zu verweisen: O. 2,39 f.; O. 6,37 f. und 47 f.; P. 3,27 f.; P. 4,53–55; N. 7,34 f.; I. 7,15. Schließlich ist Pytho auch einfach der Ort des Sängers Apollon (O. 9,11 f.; O. 14,10 f.) oder des Gottes Apollon in nicht weiter spezifizierter Hinsicht (P. 7,10–11/12; P. 8,61–63; N. 3,70; N. 9,5). Das Fest trägt den von Pytho abgeleiteten Namen ‚Pythias‘ (Πυθιάς: P. 1,32; P. 5,21; P. 8,84) oder ‚Pythien‘ (Πύθια: N. 2,9); der reguläre Name für den Sieger bei den Pythien ist ‚Pythiensieger‘ (Πυθιόνικος

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on) mitunter die Quelle Kastalia genannt,20 aber auch der Parnassos,21 der Omphalos,22 (selten) Delphi,23 die Amphiktyonen24 oder (vor allem in Bezug oder Πυθιονίκης): P. 6,5; P. 8,5; P. 9,1. In der Regel erfolgt die Identifikation des Sieges durch eine bloße in Metrik und Syntax des Satzes eingepasste Nennung des Namens Pytho (oftmals inhaltlich mit reinem Bezug auf das Erringen des Sieges), zumeist in den Formen Πυθοῖ (Πυθόϊ), (ἐν) Πυθῶνι, Πυθωνόθεν, ἐκ Πυθῶνος und Πυθώ. Nur selten ist der Ortsname näher qualifiziert, etwa durch Adjektive: P. 3,27 (‚schafempfangend‘: ἐν […] µηλοδόκῳ Πυθῶνι); P. 7,11/12 (‚göttlich‘: Πυθῶνι δίᾳ); P. 9,71 (‚hochheilig‘: ἐν Πυθῶνι […] ἀγαθέᾳ); N. 9,5 (‚steil‘: Πυθῶνος αἰπεινᾶς); oder es wird auf charakteristische Eigenschaften des Ortes verwiesen: P. 8,63 (‚in den Schluchten von Pytho‘: Πυθῶνος ἐν γυάλοις). Ganz entsprechend qualifiziert das Adjektiv Πύθιος in der Regel lediglich elementar-charakteristische Aspekte von Delphi: O. 14,11 (‚pythischer Apollon‘: Πύθιον Ἀπόλλωνα); P. 3,73 (‚pythische Wettkämpfe‘: ἀέθλων Πυθίων); P. 4,55 (‚pythischer Tempel‘: Πύθιον ναόν); P. 10,26 (‚pythische Kränze‘: στεφάνων Πυθίων); Ν. 3,70 (‚Pythischer‘, sc. Gott: Πυθίου); N. 7,34 (‚pythischer Boden‘: ἐν Πυθίοισι […] δαπέδοις); I. 7,15 (‚pythische Weissagungen‘: µαντεύµασι Πυθίοις). 20 O. 7,15–17 (Sieger ‚bekränzt an der Kastalia‘: στεφανωσάµενον […] παρὰ Κασταλίᾳ); O. 9,16–20 (Anrede der Kastalia als Ort, von dem neben Olympia Kränze kommen); P. 1,39 (Apollon als Herr über Delos, der die Quelle Kastalia auf dem Parnassos liebe, im Zusammenhang mit Siegen mit dem Pferdeviergespann: Παρνασσοῦ τε κράναν Κασταλίαν φιλέων); P. 5,30 f. (der Sieger als Gast beim Wasser der Kastalia: ὕδατι Κασταλίας ξενωθείς); N. 6,38 f. (Erglänzen des Siegers an der Kastalia); N. 11,24 (Wettkämpfe bei der Kastalia: παρὰ Κασταλίᾳ). Vgl. ECKERMAN, 2014, 35–42 für eine eingehende Diskussion des Materials im Kontext; exemplarisch zeigt sich, dass es sich nicht notwendig um bloße Umschreibungen für Delphi handelt, sondern durch die Variation des Ausdrucks Aspekte hervorgehoben werden, die in ihrer jeweiligen Umgebung semantisch signifikant und sinnerzeugend sind. 21 O. 13,106 f. (‚diejenigen [sc. Siege] unter der Braue des Parnassos sind sechs‘: τὰ δ’ ὑπ’ ὀφρύι Παρνασσίᾳ ἕξ); P. 1,39 (siehe oben Anm. 20); P. 5,41 (Standbild bei Apollons Haus am Parnassos, mit indirektem Bezug zum Platz des Siegs); P. 10,8 f. (der ‚parnassische Winkel‘ habe den Sieger Hippokles der Menge der Amphiktyonen als Sieger verkündigt: ὁ Παρνάσσιος […] µυχός); N. 2,19 (vier Siege ‚am hochherrschenden Parnassos‘: παρὰ […] ὑψιµέδοντι Παρνασσῷ). 22 Verweise auf den Omphalos finden sich an mehreren Stellen, sind aber in der Regel weniger verbunden mit dem Charakter von Delphi als Wettkampfort, sondern mit seinem mantischen Charakter: P. 4,73 f. (Ort der Weissagung); P. 6,3 f. (der ‚Tempel-Nabel der Erde‘: ὀµφαλὸν […] χθονὸς ἐς νάϊον); P. 8,58–60 (der Sprecher begegnete Alkmaion auf dem Weg zum ‚besungenen Nabel der Erde‘ und erhielt eine Weissagung: γᾶς ὀµφαλὸν παρ’ ἀοίδιµον); P. 11,9 f. (der ‚gerecht richtende Nabel der Erde‘, ohne expliziten mantischen Bezug: ὀρθοδίκαν γᾶς ὀµφαλόν); N. 7,33 f. (der Sprecher sei ‚zum großen Nabel der Erde‘ gekommen, in indirekter Vorbereitung eines Mythos mit auch mantischer Dimension: παρὰ µέγαν ὀµφαλὸν […] χθονός). 23 O. 13,43 (Siegesort: ἐν Δελφοῖσιν); P. 9,75 (Siegesort: ἀπὸ Δελφῶν); ansonsten zweimal das Adjektiv ‚delphisch‘ in P. 4,60 (Biene, sc. die Pythia); N. 7,43 (Delpher). 24 P. 4,66 f.; P. 10,8 f.; beide Nennungen charakterisieren die Amphiktyonen als Ausrichter der Spiele, in expliziter Verbindung mit dem Ort (Pytho bzw. ‚parnassischer Winkel‘).

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auf die Pferderennen, aber auch bei Lauf- und Kampfdisziplinen) Krisa / Kirrha.25 Eine wichtige und als solche oftmals in vielen Liedern explizit angeführte Eigenschaft des Ortes Pytho ist dabei, gemeinsam mit Apollon den Kranz und speziell das κῦδος aus dem Sieg zu verleihen.26 Nur sehr vereinzelt finden sich Verweise auf die baulichen etc. Gegebenheiten in Delphi, und auch dann nur ohne Details. Dies ist anscheinend nur dann der Fall, wenn Pindar mit der Bezugnahme nicht nur den Sieg bei den Pythischen Spielen verortet, sondern es eine weitere, spezielle Motivation für diese gibt. Dies ist fast ausnahmslos in den Pythien gegeben, aber auch hier nur in ausgewählten Liedern. So wird zum Beispiel in Pythie 7 auf den archaischen Apollon-Tempel in Delphi verwiesen, mit der Intention, den jetzt gefeierten Alkmaioniden Megakles als Mitglied derjenigen Familie zu preisen, die einen hervorragenden Anteil am Bau des Tempels hatte.27 Ein umfangrei25

Die Wettkämpfe scheinen also in dieser Hinsicht nicht im eigentlichen Heiligtum verortet zu werden, sondern in der Ebene unterhalb bei Kirrha: Kirrha als Ort der Pferdewettkämpfe (P. 3,74; P. 5,35–39: ‚am Hügel von Krisa vorbei in die ebene Niederung des Gottes‘ unterhalb von Delphi [Κρισαῖον λόφον ἄµειψεν ἐν κοιλόπεδον νάπος θεοῦ]; siehe unten; P. 6,18: ‚in den Schluchten von Krisa‘ [Κρισαίαις ἐνὶ πτυχαῖς]; P. 7,16; I. 2,18), aber auch der anderen Disziplinen: Ringen (P. 8,19), Laufdisziplinen (P. 10,15 f.: ‚der tiefwiesige Kampfplatz unterhalb der Felsen von Kirrha‘, wohl für eine Laufdisziplin [βαθυλείµων ὑπὸ Κίρρας πετρᾶν]; P. 11,49: die Sieger seien in Pytho zum Nacktstadion hinabgestiegen [Πυθοῖ τε γυµνὸν ἐπὶ στάδιον καταβάντες]; wohl auch P. 11,12: als Ort der Festspiele allgemein ist Kirrha genannt [ἀγῶνί τε Κίρρας], freilich ebenso für einen Sieger in einer Laufdisziplin). Die Variation des Namens bei Pindar ist metrisch bedingt; Krisa ist die ältere Form (vgl. den Homerischen Hymnos auf Apollon), von der ausgehend über (erschlossenes) Kirsa schließlich im fünften Jahrhundert Kirrha die ansonsten allein gebräuchliche Form geworden war: vgl. allgemein PARKER, 1997, 18–20 (insbesondere 18 Anm. 9 für weitere Literatur zum sprachgeschichtlichen Aspekt): bei Pindar findet sich Kirrha in P. 3,74; P. 7,16; P. 8,19; P. 10,15; P. 11,12; und Krisa in P. 5,37; P. 6,18; I. 2,18 (jeweils unter Einschluss abgeleiteter Formen). 26 Vgl. etwa P. 4,66 f. (Pytho verleiht mit Apollon κῦδος aus den Wettspielen) sowie P. 2,52. 89 (generelle Eigenschaft Apollons, κῦδος zu verleihen); vgl. die Stellen oben in Anm. 19. 27 P. 7,9–13/14: ‚Mit allen Städten nämlich vertraut ist die Kunde von Erechtheus’ Bürgern, die dein wundervolles Haus, Apollon, im göttlichen Pytho erbauten‘ (πάσαισι γὰρ πολίεσι λόγος ὁµιλεῖ / Ἐρεχθέος ἀστῶν, Ἄπολλον, οἳ τεόν / δόµον Πυθῶνι δίᾳ θαητὸν ἔτευξαν). Der Verweis auf den archaischen Tempel erfolgt zu Ehren der Alkmaioniden, die eine wichtige Rolle bei dessen Bau hatten (vgl. Hdt., V 62,2 f.; zur Pracht vgl. Aeschyl., Eum. 1–19 und Eur., Ion 184–218) und dessen (gerade ostrakisierter) Vertreter Megakles jetzt im Jahr 486 im Pferdeviergespann bei den Pythien gesiegt hatte (zu den historischen Zusammenhängen vgl. insbesondere NEER, 2004, 86–88, zu Megakles auch ATHANASSAKI, 2013). Das Prooimion nimmt den Tempelbau metaphorisch auf, indem Athen als der schönste Beginn bezeichnet wird, den man einem Preisgesang für Pferde als Fundament unterlegen könne (1–3/4: κάλλιστον αἱ µεγαλοπόλιες Ἀθᾶναι / προοίµιον Ἀλκµανιδᾶν εὐρυσθενεῖ / γενεᾷ κρηπῖδ’ ἀοιδᾶν ἵπποισι βαλέσθαι); zu den verschiedenen Deutungen dieser Stelle vgl. ECKERMAN, 2014, 48–51. Man beachte zu den vorange-

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cheres und deutlich komplexeres Beispiel präsentiert Pythie 6: In deren Prooimion (1–18) wird das gesamte Lied metaphorisch mit einem Schatzhaus (θησαυρός) gleichgesetzt, das für alle Zukunft die Taten der Emmeniden und insbesondere den jetzigen Wagensieg des Xenokrates preisen werde. Diese Beschreibung nimmt explizit und implizit die örtlichen Gegebenheiten im Heiligtum von Delphi auf, insbesondere durch Verweise auf das Schatzhaus der Siphnier, den Omphalos und den Apollon-Tempel – mit der Pointe, dass ein solches, derartigen architektonischen Glanzstücken nachempfundenes Preislied seinem realen Vorbild weit überlegen, da prinzipiell unzerstörbar ist:28 Ἀκούσατ’· ἦ γὰρ ἑλικώπιδος Ἀφροδίτας ἄρουραν ἢ Χαρίτων ἀναπολίζοµεν, ὀµφαλὸν ἐριβρόµου χθονὸς ἐς νάιον προσοιχόµενοι, Πυθιόνικος ἔνθ’ ὀλβίοισιν Ἐµµενίδαις ποταµίᾳ τ’ Ἀκράγαντι καὶ µὰν Ξενοκράτει ἑτοῖµος ὕµνων θησαυρὸς ἐν πολυχρύσῳ Ἀπολλωνίᾳ τετείχισται νάπᾳ, τὸν οὔτε χειµέριος ὄµβρος, ἐπακτὸς ἐλθὼν ἐριβρόµου νεφέλας στρατὸς ἀµείλιχος, οὔτ’ ἄνεµος ἐς µυχούς ἁλὸς ἄξοισι παµφόρῳ χεράδει τυπτόµενον. φάει δὲ πρόσωπον ἐν καθαρῷ πατρὶ τεῷ, Θρασύβουλε, κοινάν τε γενεᾷ λόγοισι θνατῶν εὔδοξον ἅρµατι νίκαν Κρισαίαις ἐνὶ πτυχαῖς ἀπαγγελεῖ. Hört! Denn fürwahr, der wirbeläugigen Aphrodite Feld oder das der Chariten pflügen wir zum erneuten Male, zum Nabel der starkbrausenden Erde mit dem Tempel gehend, wo wegen des Pythiensieges den gesegneten Emmeniden, dem Fluss-Akragas und gewiss Xenokrates ein Hymnen-Schatzhaus bereitsteht, erbaut im vielgoldenen apollinischen Tal, welches weder ein Unwettersturm, ein aus der Fremde herangekommenes starkbrausender Wolke erbarmungsloses Heer, noch Wind in die innersten Winkel des Meeres, von hin- und hertreibendem Geröll geschlagen, zerbrechen könnte. In reinem Licht wird die Fassade den deinem Vater, Thrasybulos, und Geschlecht gemeinsamen henden Tempeln Pae. VIII mit ECKERMAN, 2014, 43–47. 28 Es handelt sich um „Pindar’s most extensive depiction of Delphi in the epinician odes“ (ECKERMAN, 2014, 23; man beachte die gesamte eingehende Diskussion der Passage in 23–35). Vgl. zum Tempel auch N. 7,46 (‚zum wohlgebauten Haus des Gottes‘ [θεοῦ παρ’ εὐτειχέα δόµον]) und ebenso die Erwähnungen in P. 3,27; P. 4,55; P. 8,61–63.

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wohlberühmten Sieg mit dem Wagen mit Worten von Sterblichen in den Schluchten von Krisa verkünden.

Die metaphorische Darstellung des Liedes als Schatzhaus erfolgt dergestalt, dass der Zuhörer in Form einer imaginierten Prozession auf den Weg zum Apollon-Tempel mitgenommen wird und schließlich am Höhepunkt der Beschreibung den im Inhalt auf Thrasybulos fokussierten Fries des poetischen Schatzhauses sieht – der implizit über den etwas später erzählten Mythos (28–43 zusammen mit der Anwendung auf den jetzigen Sieger in 44–54) in Verbindung und Juxtaposition mit dem prominenten, dem Publikum offenbar vertrauten Fries am Siphnier-Schatzhaus mit entsprechender, freilich auf den mythischen Helden Antilochos konzentrierter Motivik den jetzigen Erfolg von Xenokrates’ Sohn Thrasybulos mit der im Epinikion beschriebenen Glanztat des Antilochos gleichsetzt; dabei werden aber zugleich die in der als Subtext benutzten Ilias so prominent thematisierten Pferdelenkerkünste des Antilochos als Mittel der Rettung des Vaters Nestor im Epinikion implizitmetaphorisch gedeutet als Rettung des jetzt siegreichen Vaters Xenokrates durch seinen Sohn Thrasybulos mittels der Organisation der Siegesfeier mit Epinikien-Preisgesang und/oder möglicherweise sogar mittels des Führens des siegreichen Wagens bei den Pythien, in jedem Fall aber mittels einer Tat, die ihn wie Antilochos als Exempel an Tugend ausweist – und anders als jener hat er diese große Tat auch noch überlebt, erweist sich also als noch weitaus besser als das Vorbild Antilochos.29 Der Zweck der ausführlichen Beschreibung der Gegebenheiten in Delphi am Liedanfang ist folglich auch hier offenkundig nicht, diese um ihrer selbst willen zu beschreiben, sondern einzig, sie im Rahmen und zum Zweck des Lobpreises zielgerichtet aufzunehmen und pointiert sinnstiftend zu nutzen: Der Sieger und sein Sohn werden mit den großen Heroen der mythischen Vergangenheit parallelisiert, ja: in

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Zur Stelle insgesamt vgl. ECKERMAN, 2011, insbesondere zum Verständnis von πρόσωπον im Sinne von ‚Fries‘ und zum imaginativen Charakter der Passage (konkret gegen eine Aufführung in Delphi, stattdessen vielmehr in der Heimat Akragas); zum Gesamtverständnis ist erhellend auch SHAPIRO, 1988 in Verbindung mit ATHANASSAKI, 2012. Die hier referierte Deutung ist im Großen und Ganzen diejenige CURRIEs, 2016, 250 (dort auch 247–253 zur Gesamtthematik, insbesondere zum Motiv der Rettung des Nestor durch seinen Sohn Antilochos in Homers Ilias und in der Aithiopis als Vorbild für sowohl Pindar als auch gegebenenfalls das Siphnier-Schatzhaus); vgl. im Übrigen das Wagenrennen in Ilias XXIII 262–652 zu Antilochos als Wagenlenker; hauptsächlich Homer als Referenzpunkt der Passage bestimmt KELLY, 2006. Dass die von Pindar angeführte Großtat des Thrasybulos im Lenken des siegreichen Wagens bestanden haben könnte, wurde schon in der Antike diskutiert: vgl. Schol. Pind. P. 6,15 (freilich mit Blick auf I. 2,22 mit ablehnendem Urteil, doch ist dies nicht nur angesichts des großen zeitlichen Abstands der Siege kaum zwingend); vgl. für die Forschungsdiskussion NEUMANN-HARTMANN, 2009, 111 f.

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der indirekt-impliziten Parallelisierung erscheint ihr Schicksal als noch großartiger als das jener. Schließlich sind zwei weitere Stellen anzuführen: Einerseits wird in Pythie 5 die Weihung des siegreichen Geschirrs des Wagenlenkers Karrhotos und eines Standbilds in Delphi erwähnt (P. 5,34–42): Karrhotos habe nicht die Tochter des Epimetheus „Ausrede“ (28: Prophasis) zu des Siegers Arkesilaos Haus heimgeführt, sondern das Rennen durchlaufen, ohne Wagen und Geschirr zu Schaden kommen zu lassen (27–34); so seien diese Instrumente des Sieges jetzt ‚aufgehängt im Bergtal des Gottes‘ (κρέµαται [34], nachdem man am Hügel von Krisa ins Tal des Gottes gekommen sei: ἐν κοιλόπεδον νάπος θεοῦ [38 f.]), geborgen ‚im Zypressen-Melathron ganz in der Nähe der Statue, die die bogenführenden Kreter im Haus am Parnassos gebaut hatten aus einem einzigen Stück‘ (39–42: τό σφ’ ἔχει κυπαρίσσινον / µέλαθρον ἀµφ’ ἀνδριάντι σχεδόν, / Κρῆτες ὃν τοξοφόροι τέγεϊ Παρνασσίῳ / καθέσσαντο µονόδροπον φυτόν), bei aller Problematik der Identifikation dieses Gebäudes möglicherweise der Apollon-Tempel selbst.30 Zweitens wird in Nemee 7 in einer längeren mythischen Passage ein NeoptolemosMythos erzählt; hier dient dessen Tötung als Kult-Aitiologie, und es finden der Omphalos, der Tempel und die Opferfeste Erwähnung.31 In beiden Fällen dient die Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten jedoch primär dem Zweck, den Sieg bei den Pythischen Spielen bzw. das mythische Ereignis in Delphi zu verorten. Auch hier lassen sich nur wenige Informationen zu Delphi gewinnen, die über die bloße Evokation des Ortes hinausgehen. (4) Zuletzt ist der Blick auf die religiös-kultische Dimension zu richten. Anzuführen ist erneut die Kultaitiologie in Nemee 7 (34–47); mit Hinsicht auf das gesamte Corpus wichtiger ist aber der häufige Verweis auf Apollon als Schutzgott von Delphi und der Spiele im Besonderen, mitunter in Kombination mit Leto und/oder Artemis.32 In diesem Sinne erklärt sich auch, dass Apollon in einigen Pythien mehr oder weniger umfänglich direkt angesprochen oder von ihm in dritter Person gesprochen wird, oftmals unter Hervorhebung 30

So der Vorschlag von ROUX, 1962; vgl. für eine Übersicht über die Vorschläge ECKERMAN, 2014, 54 f. 31 N. 7,34–47 (Pytho als Ort, wo Neoptolemos begraben ist; Nabel der Erde; Tötung des Neoptolemos dort nach Troiazug bei Weihung erbeuteter Stücke während des Opferfestes, Trauer der delphischen Gastgeber, aber Erfüllung des Schicksals; Verweis auf ApollonTempel und Opferfeste mit Neoptolemos als ‚Satzungshüter‘). Es handelt sich um einen der wenigen Mythen, die sich bei Pindar direkt mit Delphi verbinden; vgl. zur Stelle aus jüngerer Zeit TEFFETELLER, 2005 (mit weiterer Literatur zur kontroversen Debatte). 32 N. 9,4 f. (Leto, Artemis und Apollon als gleichberechtigte Schutzgötter von Pytho); auch P. 2,9 (Artemis; und Hermes Enagonios in 10); P. 4,1–3 (Apollo, Artemis und Leto); O. 14,11 (pythischer Apoll, nur indirekter Bezug zu den Spielen); I. 7,49–51 (Pythien als Wettkämpfe des Apollon: πόρε, Λοξία, τεαῖσιν ἁµίλλαισιν εὐανθέα καὶ Πυθόι στέφανον).

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von im narrativen und/oder pragmatischen Kontext sinntragenden Eigenschaften.33 So wird Apollon oftmals als Herr des Tempels erwähnt, und in dieser Funktion erscheint er zugleich auch häufig als untrüglicher Seher;34 dem entspricht die nicht seltene Charakterisierung des Ortes Pytho als Ort der Weissagung.35 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass auch fast alle mythischen Passagen in den Pythien (wenn vorhanden) oftmals (und anders als in der Regel in den Olympien, Isthmien und Nemeen) um Apollon kreisen, ihm zumindest eine wichtige Rolle im mythischen Geschehen zuweisen oder in anderer Hinsicht prominent auf ihn bezogen sind.36

33 Vgl. exempli gratia P. 1,39–42 (Apollon als Herrscher über Delphi als Verleiher des Sieges für Vortrefflichkeit der Sieger); P. 5,79 f. (Apollon Karneios, allerdings für Fest in Kyrene); P. 7,10 (Apollon als Herr des gepriesenen Tempels in Delphi); P. 10,10 (Apollon als Initiator und Vollender des Angenehm-Schönen). 34 P. 8,61–69 (Apollo als Herr des Tempels in Delphi); P. 3,24–30 (Apollon im opferreichen Pytho als König des Tempels und untrüglicher, nicht-lügender Seher); P. 5,68 f. (Apollon als Verwalter des Seherwinkels: µυχόν τ’ ἀµφέπει µαντήιον). Insgesamt zu Apollon als Seher in Pindars Epinikien vgl. ATHANASSAKI, 2009a. 35 O. 2,39 (Pytho als Ort der Weissagung); O. 6,38 (–52: Pytho als Ort der Weissagung); auch an anderer Stelle, etwa prominent in Pythie 4 (4–63. 70–78. 163–168, letztere Stelle mit Bezug auf die Kastalia; siehe insgesamt unten) und Pythie 5 (68 f.). Siehe oben neben der vorangehenden Anmerkung auch Anm. 22 zum Omphalos. 36 P. 1 (Bestrafung des Typhos durch Zeus, weil er die Kunst des Apollon, den Gesang und die Musik, nicht achtete; nur wer Apollon zum Freund hat, habe Erfolg: P. 1,1–40, insbesondere 1–12 und 39 f.; zum Zusammenhang vgl. ATHANASSAKI, 2009b); P. 2 (15– 17: Apollon als Freund des Aphrodite-Priesters Kinyras); P. 3 (1–67: Philyra als Geliebte des Apollon und Geburt des Asklepios); P. 4 (5–66: Apollon als Orakelgott, der die Besiedlung von Kyrene in Gang setzt; 70–78 mit 163–168: Apollon als Orakelgott, der die Argonautenfahrt in Gang setzt); P. 5 (60–81: Apollo als Orakel- und Schutzgott, der für die Kolonisation Kyrenes verantwortlich war); P. 6 (1–18: Prooimion mit imaginierter Prozession durch Heiligtum; siehe oben); P. 7 (9–11/12: Beteiligung der Alkmaioniden am Bau des Apollon-Tempels in Delphi); P. 8 (15–20: Apollon als Bestrafer der Hybris, insbesondere von Typhos und Porphyrion); P. 9 (5–70: die Nymphe Kyrene als Geliebte des Apollon und mithin Verursacher der Kolonisation der Stadt Kyrene); P. 10,31–43 (Glückseligkeit der Hyperboreer verursacht durch Apollon). Einreihen ließe sich gegebenenfalls auch P. 1 (52–55: Abholen des Philoktet zur Zerstörung von Troia, weil es vorherbestimmt war; nicht explizit genannt: Helenos’/Kalchas’ Weissagung und hierüber Verbindung zu Apollon); P. 11 (Rettung des Orestes nach Mord des Vaters in Strophios’ Heimat am Parnassos = Ort des Sieges des im Epinikion gefeierten Thrasydaios, also der Pythischen Spiele [15 f. und 34–36]).

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3. Aspekte der kulturellen Bedeutung der Pythischen Spiele: Zwei Fallstudien Der vorangehende Abschnitt hat diejenigen Informationen zusammengetragen, die wir auf direktem Weg aus Pindars Pythien und allgemein aus seinen Epinikien zu den Pythischen Spielen gewinnen können. Diese Informationen vereint, dass sie in der Regel allgemeiner Natur sind und vor allem nicht der objektiven Beschreibung der Gegebenheiten dienen. Vielmehr ist die primäre Funktion dieser Verweise, dass sie den Sieg als Sieg speziell bei den Pythischen Spielen ausweisen sollen. Insofern sind sie im Großen und Ganzen unergiebig für die Rekonstruktion der außertextlichen historischen Realität an sich; ihre Funktion bedingt, dass sie sich auf allseits bekannte Grundcharakteristika des Ortes und der Spiele beziehen müssen: Die Verweise sollen gerade nicht überraschen, sondern für jeden Zuhörer transparent den Bezug zu Delphi und den Pythischen Spielen evozieren.37 Gleichwohl lässt sich feststellen, dass in und mit diesen Verweisen der Sieg nicht nur zeitlich und örtlich in der historischen Realität des bloß Sportlichen verankert wird, sondern zugleich im hiermit indirekt gegebenen großen Zusammenhang der Welt deutend verortet wird. Das heißt, im und durch das Epinikion wird in ihm ein höherer, speziell mit der Bedeutung von Delphi verbundener Sinn greifbar. Dies aufzuweisen ist das Ziel der beiden folgenden Fallstudien. Unter Rückgriff auf die soeben aus einer systematischen Perspektive festgestellten allgemeinen Charakteristika der Pythischen Spiele aus der Perspektive des Gesamt-Corpus wenden sie sich zu diesem Zweck mit Pythie 8 und Pythie 4 zwei einzelnen Liedern zu und zeigen am konkreten Beispiel, welche Bedeutung Pindar einem Sieg bei den Pythischen Spielen zuweist. Konkret erhellt sich auf diesem Weg zum einen die religiöse Dimension der Pythischen Spiele, zum anderen und eng hiermit verbunden ihre politisch-soziale Dimension in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts. 3.1 Fallstudie 1: Aspekte der kulturell-religiösen Bedeutung der Pythischen Spiele (Pythie 8) Pythie 8 ist ein Epinikion für den Ringer Aristomenes aus Aigina. Das Lied feiert einen Sieg, der bei den Pythien des Jahres 446 in der Altersklasse der Jungen errungen wurde; es handelt sich um das chronologisch letzte sicher datierbare Epinikion Pindars, das überliefert ist.38 Die im gegebenen Rahmen relevante Passage am Ende des Liedes (61–97) beginnt mit einem Dank an

37 Entsprechend der prinzipiell oralen Aufführungssituation der Lieder: vgl. KURKE, 1991, 1–12 sowie allgemein KANNICHT, 1996, 68–99 und KÄPPEL, 1992, 17–21. 38 Vgl. Schol. P. 8 inscr.; zur Altersklasse des Aristomenes vgl. PFEIJFFER, 1998.

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Apollon für die Verleihung des Siegs, unter Verweis auf seine Eigenschaft als Herr des Tempels und auf den Ort Pytho (61–66): τὺ δ’, Ἑκαταβόλε, πάνδοκον ναὸν εὐκλέα διανέµων Πυθῶνος ἐν γυάλοις, τὸ µὲν µέγιστον τόθι χαρµάτων ὤπασας, οἴκοι δὲ πρόσθεν ἁρπαλέαν δόσιν πενταεθλίου σὺν ἑορταῖς ὑµαῖς ἐπάγαγες· ... Du, Ferntreffender, der du über den allaufnehmenden, berühmten Tempel herrschst in den Tälern von Pytho, hast das Objekt der größten Freude dort verliehen; und zu Hause hast du zuvor das ersehnte Geschenk aus dem Pentathlon bei euren Festen herbeigeführt.

Entsprechend der oben festgestellten Rangfolge der Kranzspiele wird der Pythiensieg des Aristomenes als der größte Sieg überhaupt charakterisiert, mithin implizit als gleichwertig mit einem Olympiensieg, in jedem Fall aber angesichts der expliziten Kontrastierung als deutlich wertvoller als ein Sieg bei den lokalen Wettkämpfen auf Aigina. Trotz der großen Freude über diesen Sieg ermahnt sich der Sprecher des Epinikions jedoch in der Form eines Gebetes zu Apollon, dass er im Loben das richtige Maß von Freude und hieraus folgend Lob bewahren wolle; nur so lasse sich gewährleisten, dass die Götter dem Sieger nicht zürnen und in der Folge bestrafen (67–72): ὦναξ, ἑκόντι δ’ εὔχοµαι νόῳ κατά τιν’ ἁρµονίαν βλέπειν ἀµφ’ ἕκαστον, ὅσα νέοµαι. κώµῳ µὲν ἁδυµελεῖ Δίκα παρέστακε· θεῶν δ’ ὄπιν ἄφθονον αἰτέω, Ξέναρκες, ὑµετέραις τύχαις. Herr, ich erbitte mit bereitwilligem Sinn, dass ich gemäß einer gewissen Harmonie auf alles blicke, worauf ich komme. Dem Festumzug mit schönem Lied steht Dike [‚Gerechtigkeit‘] bei; der Götter Blick ohne Missgunst erbitte ich, Xenarkes, für euer Schicksal.

Wenn der Sprecher das richtige Maß des Lobes wahrt, trifft den Sieger nicht der ‚neidvolle Blick der Götter‘, denn dann liegt keine Hybris vor, die von den Göttern bestraft wird, sondern ‚Gerechtigkeit‘, die im Gegenzug von den Göttern belohnt wird. Damit dies tatsächlich geschieht – und es geschieht, steht doch Dike jetzt dem Festumzug und also dem dabei gesungenen Epinikion bei, wendet sich also nicht ab –, erbittet der Sprecher die richtige Haltung beim Loben mittels eines Gebets an Apollon, mit der Folge des zukünf-

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tigen Segens für die Familie des Siegers.39 So transparent der gesamte Zusammenhang auf den ersten Blick ist und sich in die Grundparameter der archaischen griechischen Religion fügt,40 überrascht dennoch, warum der Sprecher es überhaupt in Hinsicht auf sein Lob eines ‚Sport‘-Siegs vorbringt: Warum denn, so lässt sich fragen, sollte den Pythiensieger schließlich der ‚Neid der Götter‘ treffen, ja: treffen können? Welches Lob wäre denn denkbar, dass die Götter sich genötigt fühlten, den für seinen Sieg in einem sportlichen Wettkampf Gepriesenen mitsamt seiner gesamten Familie zu bestrafen, zumal ein Kind wie Aristomenes? Worum es dem Sprecher des Epinikions geht, zeigt die Fortführung des Gedankens. Zuerst insofern, als ausgeführt wird, dass die Grundlage des richtigen Lobes darin bestehe anzuerkennen, dass der Erfolg im Prinzip nicht in der Macht des Menschen liegt und nicht auf seiner Planung beruht, sondern auf die Götter zurückgeht, hier speziell Apollon, entsprechend der oben festgestellten grundlegenden Eigenschaft dieses Gottes als des Schutzherrn der Pythischen Spiele (73–78): εἰ γάρ τις ἐσλὰ πέπαται µὴ σὺν µακρῷ πόνῳ, πολλοῖς σοφὸς δοκεῖ πεδ’ ἀφρόνων βίον κορυσσέµεν ὀρθοβούλοισι µαχαναῖς· τὰ δ’ οὐκ ἐπ’ ἀνδράσι κεῖται· δαίµων δὲ παρίσχει· ἄλλοτ’ ἄλλον ὕπερθε βάλλων, ἄλλον δ’ ὑπὸ χειρῶν µέτρῳ καταβαίνει· ... Denn wenn einer etwas Gutes erreicht hat ohne lange Mühe, scheint er vielen klug unter Unverständigen das Leben zu rüsten mit rechtplanenden Mitteln. Das aber liegt nicht in der Gewalt der Menschen. Ein Gott gewährt es, der einmal den einen in die Höhe wirft. Und im Maß lässt er einen anderen unter den Händen niedergehen.

Diese allgemeinen Gedanken begründen (73: γάρ), warum die Götter mit neidlosem Blick auf den Sieger schauen können: Der Sprecher des Epinikions erkennt in seinem Namen an, dass der Sieg auf sie zurückgeht. Im Gegenzug ist freilich impliziert, dass es sich bei einem solchen Sieg tatsächlich um 39 Zum ‚Neid‘ bei Pindar vgl. allgemein BULMAN, 1992. Diese Passage gehört zu den meistdiskutierten in Pindars Epinikien. Das hier zugrundeliegende Verständnis von Syntax und Inhalt folgt im Großen und Ganzen HUBBARD, 1983 (mit weiterer Literatur; pace VERDENIUS, 1983); die ‚Harmonie‘ ist in diesem Sinn das Prinzip der ‚kosmischen Proportionalität‘. Man beachte auch, dass der Anfang des Liedes (1–20) exakt zu dieser Passage passt, wenn auch gewendet auf die Klasse der eigentlichen (Wett-) Kämpfer (und eben nicht den Lobenden); dies spricht im Übrigen gegen eine primär politische Deutung des Liedes, wie sie etwa PFEIJFFER, 1995 unter Rückgriff auf die antiken Scholien vertritt (vgl. dagegen auch LEFKOWITZ, 1991, 72–88). Xenarkes ist laut Schol. P. 8,99b der Vater des Siegers. 40 Vgl. FRÄNKEL, 1962, 567–572.

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einen großen Erfolg handelt, etwas ‚Gutes‘, ‚Edles‘ (73: ἐσλά), errungen ohne große Mühe, das heißt in evidenter Überlegenheit über die Konkurrenten. Das Wohlwollen des Göttlichen hat nun konkret den Pythiensieger Aristomenes getroffen; er hat insbesondere durch die Hilfe Apollons viele Siege erringen dürfen, sowohl in lokalen Wettspielen in Megara, Marathon und Argos als auch bei den Pythien, und zwar aufgrund seiner naturgegebenen Kunstfertigkeit und körperlichen Gewalt als Ringer (78–87): {ἐν} Μεγάροις δ’ ἔχεις γέρας, µυχῷ τ’ ἐν Μαραθῶνος, Ἥρας τ’ ἀγῶν’ ἐπιχώριον νίκαις τρισσαῖς, ὦ Ἀριστόµενες, δάµασσας ἔργῳ· τέτρασι δ’ ἔµπετες ὑψόθεν σωµάτεσσι κακὰ φρονέων, τοῖς οὔτε νόστος ὁµῶς ἔπαλπνος ἐν Πυθιάδι κρίθη, οὐδὲ µολόντων πὰρ µατέρ’ ἀµφὶ γέλως γλυκύς ὦρσεν χάριν· κατὰ λαύρας δ’ ἐχθρῶν ἀπάοροι πτώσσοντι, συµφορᾷ δεδαγµένοι. In Megara hast du Ehre und im Winkel von Marathon, und du hast Heras einheimische Versammlung mit drei Siegen, Aristomenes, bezwungen durch die Tat. Du hast dich auf vier Körper von oben herabgeworfen, Übles im Sinn, welchen weder die Rückkehr als in der gleichen Weise fröhlich bei den Pythien beschieden wurde, noch hat, als sie zur Mutter kamen, süßes Lachen rundherum Freude erregt. Die Wege entlang, entfernt von den Feinden, schleichen sie, von Unglück gebissen.

Der Sieg bei den Pythien erscheint nicht nur als etwas ‚Gutes‘, sondern er kommt in der konkreten Beschreibung durch den Sprecher des Epinikions – nicht ohne Grund ist das Wort νόστος verwendet – auch einem bedeutenden kriegerischen Erfolg gleich.41 Insofern zeigt sich in einer ersten Annäherung ein Grund dafür, warum den Sieger der Neid der Götter treffen könnte und warum der Sprecher sein entsprechendes Gebet an Apollon richtet: Aus der Perspektive des Lobenden (die angesichts des rhetorischen Zwecks der Lieder die allgemeine griechische Perspektive gewesen sein musste) kommt dem sportlichen Sieg der Stellenwert des höchsten Erfolges zu, und dieser ist durchaus gleichwertig mit einem kriegerischen Erfolg;42 und angesichts der 41

Diese Parallelisierung findet sich öfter bei Pindar: vgl. LATTMANN, 2010, 89 f. und 141 f. (mit weiteren Stellen). Man beachte hier auch κακὰ φρονέων (82), welche Junktur auf die Charakterisierung des Kriegers bei Homer verweist (vgl. etwa Il. XVI 372 f. und XVI 783 mit Bezug auf Patroklos). Vgl. im Übrigen O. 8,65–73 (hierzu LATTMANN, 2010, 104 f.). 42 Dazu, dass dieser Lobende als der Sprecher des Epinikions nicht mit dem historischen Autor Pindar gleichgesetzt werden kann, vgl. LATTMANN, 2017 (mit weiterer Litera-

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Rangfolge der griechischen Sportfeste ist der jetzige Pythiensieg des Aristomenes folglich sogar einer der höchstmöglichen Erfolge eines Menschen überhaupt. Dem entspricht die bei Pindar hier so pointiert dargestellte Reaktion auf Erfolg und Misserfolg des Athleten: entweder feierlicher Empfang bei der Rückkehr oder schamvolles Nach-Hause-Schleichen ohne Freude, nicht einmal bei der Mutter (beides nimmt konkret das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein einer feierlichen Begrüßung durch die Polis mitsamt der Aufführung eines Epinikions wie Pythie 8 auf).43 Glücklicherweise wurde Aristomenes also von Apollon bei den Pythien mit dem Sieg beschenkt, ganz in Entsprechung zu seinen Hoffnungen vor der Teilnahme an den Wettspielen (88–92): ὁ δὲ καλόν τι νέον λαχών ἁβρότατος ἔπι µεγάλας ἐξ ἐλπίδος πέταται ὑποπτέροις ἀνορέαις, ἔχων κρέσσονα πλούτου µέριµναν. Der Empfänger von etwas neuem Schönen fliegt auf zu großer Herrlichkeit aus Hoffnung mittels geflügelter Männlichkeit, mit einem Streben mächtiger als Reichtum.

Die eigentliche Grundlage des sportlichen Erfolgs (und zugleich das, was man als tatsächlich vorhanden im Sieg demonstriert) ist die ‚Männlichkeit‘, mithin (wie im Krieg) die körperliche Gewalt, die es jemandem erlaubt, den Gegner ‚mit der Tat zu überwältigen‘ (80: δάµασσας ἔργῳ); so lasse sich die Hoffnung in die Realität überführen, und diese Realität ist durch den Sieg in einen Zustand der Herrlichkeit verwandelt. Dieser Zusammenhang offenbart eine Grundkonstante des Lobs bei Pindar: Der Sieg wird von den Göttern nicht grundlos geschenkt, sondern deshalb, weil der Sieger über eine gottgegebene vollkommene Natur (φυά) als Sportler und mithin Mann verfügt, mithin durch Geburt die notwendige Voraussetzung dafür besitzt, aktuale Exzellenz und Erfolg (ἀρετά) gegenüber den Besten der Besten der Griechen zu beweisen.44 Den Menschen kennzeichnet aber nun im Allgemeinen, dass jeder Segen eigentlich nicht aus sich selbst heraus beständig sein kann. Schließlich ist der tur zum vieldiskutierten Problemkomplex). Folglich müssen die hier herausgearbeiteten Perspektiven angesichts der grundsätzlichen Aufführungssituation (siehe oben Anm. 5) als repräsentativ für das intendierte Publikum gelten, also (angesichts der Bandbreite von Poleis, denen die in Pindars Epinikien gefeierten Sieger entstammen) mehr oder weniger für die gewöhnliche griechische Öffentlichkeit der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts. 43 Vgl. LATTMANN, 2012. 44 Zum Zusammenhang vgl. O. 9,100–102; N. 7,54 f.; I. 7,22. Zur ‚Männlichkeit‘ vgl. O. 8,67–69 und N. 3,19–21 in Verbindung mit I. 8,24–26.

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Mensch kein Gott, ein Gedanke, der eng mit der delphischen Religiosität verbunden war und sich nicht ohne Grund allem Anschein nach oft gerade in den Pythien ausgedrückt findet, insbesondere im Sinne des Erkenne-dichselbst.45 Ganz entsprechend folgen bei Pindar die berühmten Worte, die die45 Vgl. zum Beispiel die einschlägige Parallele Pythie 2: Nicht nur thematisiert der Ixion-Mythos (21–48) das Maß-Halten als Mensch, insofern es notwendig sei, den gottgegebenen Segen zu genießen, hieraus aber nicht zu folgern, man dürfe etwa die Gattin des Zeus vergewaltigen, sich also aus eigener Kraft wie ein Gott verhalten (man beachte hierzu in 34 die Gnome χρὴ δὲ κατ’ αὐτὸν αἰεὶ παντὸς ὁρᾶν µέτρον [‚es ist notwendig, in jeder Angelegenheit immer das Maß einer jeden Sache zu beachten‘]); darüber hinaus wird die Lehre aus diesem Mythos später im Lied direkt auf den geehrten Sieger Hieron angewendet, insofern er aufgefordert wird, ‚er solle werden, wie er ist, als jemand, der es gelernt hat‘, sc. weiß (72: γένοι’, οἷος ἐσσὶ µαθών; zwar kann hier nicht weiter erörtert werden, wie diese vieldiskutierte Formulierung im Detail syntaktisch und inhaltlich zu interpretieren ist, doch ist der Zusammenhang zu der mit der delphischen Maxime verbundenen Selbsterkenntnis offenkundig; zur Stelle in ihrem Kontext vgl. HUBBARD, 1990, insbesondere 80–82 [mit weiterer Literatur]; zum Verständnis von µανθάνειν vgl. LATTMANN, 2010, 229 [mit weiterer Literatur]). Daneben lässt sich für die weiteren Pythien etwa der Asklepios-Mythos in Pythie 3 nennen (38–60: Asklepios entreißt jemanden dem Tod und wird dafür von Zeus getötet, mit ähnlicher zusammenfassender Gnome in 59 f. wie soeben für Pythie 2 angeführt: χρὴ τὰ ἐοικότα πὰρ δαιµόνων µαστευέµεν θναταῖς φρασὶν γνόντα τὸ πὰρ ποδός, οἵας εἰµὲν αἴσας [‚es ist notwendig, dass man dasjenige von den Göttern ersucht, was sterblichen Sinnen angemessen ist, im Wissen um dasjenige, was vor dem Fuß liegt, nämlich welchen Schicksals wir sind‘]; zu αἶσα vgl. FRÄNKEL, 1962, 168; zum gedanklichen Aufbau der gesamten Partie 1–80, ausgehend vom initialen Wunsch in 1–3, vgl. PELLICCIA, 1987; vgl. in diesem Zusammenhang auch den Schluss des Liedes [103–115]). Ebenso ist der Gedanke des Maßes und der Proportionalität in vielen Pythien prominent: vgl. neben den oben angeführten Stellen aus Pythie 8 (sowie P. 8,7) auch P. 1,57.81 (im Sieges- bzw. Lobeskontext); P. 4,286 f. (ὁ γὰρ καιρὸς πρὸς ἀνθρώπων βραχὺ µέτρον ἔχει. εὖ νιν ἔγνωκεν [‚denn das Angemessene hat in den Augen der Menschen ein kurzes Maß [d.h. ist leicht zu verfehlen]. Er [sc. Damophilos] kennt es gut‘]); P. 9,78 f. (ὁ δὲ καιρὸς ὁµοίως παντὸς ἔχει κορυφάν [‚Das rechte Maß hat in gleicher Weise den Gipfel einer jeden Sache inne‘], auch im Lobeszusammenhang; zur vieldiskutierten Stelle vgl. LATTMANN, 2010, 302 f. mit Anm. 146 [mit weiterer Literatur]); P. 10,4 (‚Was prahle ich am Angemessenen vorbei?‘ [τί κοµπέω παρὰ καιρόν;]) in Verbindung mit P. 10,17–21 (Umschlag des Schicksals bei großem Glück wegen neidischer Götter). Der καιρός ist „what is proper, appropriate, just right“ (BARRETT, 1964, 231; vgl. FRÄNKEL, 1962, 509– 511 und WILSON, 1980, insbesondere 180–187 [Grundbedeutung: „due measure“]), mehr oder weniger äquivalent mit der delphischen Maxime des µηδὲν ἄγαν (vgl. CAREY, 1981, 89). Der in den Pythien durch καιρός ausgedrückte Gedanke des ‚Angemessenen‘ ist außerhalb dieser Gruppe von Epinikien zwar nicht nicht-präsent, gerade im Lobeskontext, zeigt sich aber insgesamt deutlich weniger häufig und prominent: O. 2,53–57b (freilich signifikanterweise mit anderer Pointe); O. 8,23–25 (im Lobeskontext); O. 9,37–39 (im Lobeskontext); O. 13,48 (im Lobeskontext); N. 1,18 (im Lobeskontext); N. 7,58 f. (im Siegeskontext); N. 8,4 f. (allgemeine Gnome, mit impliziter Definition des καιρός als Vermögen, die übermäßigen Begierden zu beherrschen [τῶν ἀρειόνων ἐρώτων ἐπικρατεῖν δύνασθαι]); I. 2,22 (Beschreibung des Sieges, mithin mit anderer Pointe). Vgl. die ent-

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ser Sicht auf die condicio humana einen pointierten Ausdruck verleihen (92– 96): ἐν δ’ ὀλίγῳ βροτῶν τὸ τερπνὸν αὔξεται· οὕτω δὲ καὶ πίτνει χαµαί, ἀποτρόπῳ γνώµᾳ σεσεισµένον. ἐπάµεροι· τί δέ τις; τί δ’ οὔ τις; σκιᾶς ὄναρ ἄνθρωπος. In Kurzem wird das Angenehme der Sterblichen vermehrt. So aber auch fällt es zu Boden, durch abgewandte Wertschätzung erschüttert. Tageswesen. Was ist man? Was ist man nicht? Eines Schattens Traum ist der Mensch.

Nichts ist beständig; eines jeden Menschen Schicksal kann sich mit einem einzigen Tag ändern:46 „Ein Sterblicher ist mit Leib und Seele jedem beliebigen Tage preisgegeben“, unterworfen dem Willen der Götter, ganz so, wie es dem archaischen Lebensgefühl entspricht und dann seinen ästhetischen Ausdruck etwa in der Tragödie gefunden hat.47 Aber – und dies ist die entscheidende Pointe der Stelle, die oftmals übersehen wird – schenkt ein Gott so etwas wie einen Sieg bei den Pythischen Spielen, wird man aus dieser Grundgegebenheit des menschlichen Daseins befreit.48 Zwar wird man nicht zu einem Gott schlechthin – dies wäre ja nicht möglich, und Derartiges zu denken wäre in der Tat ein Akt der Hybris –, aber man wird aus abgeleitetem Recht eben doch so weit göttlich, wie es einem Menschen überhaupt möglich ist (96 f.):

sprechenden Verweise auf das µέτρον (‚Maß‘), wo sich gleichfalls eine Häufung in den Pythien zeigt: O. 13,47 f. (mit καιρός); P. 2,34; P. 4,286 (Zusammenhang mit καιρός); P. 8,77 f. (s.o.); N. 11,47; I. 1,60–63 (bezeichnenderweise gerade im gegenteiligen Sinn verwendet); I. 6,71 f. Zu Reflexen dieser Konzepte schon in der soeben diskutierten Passage vgl. MILLER, 1989. Die religiösen Zusammenhänge sind eindrücklich auch in der Begegnung von Solon und Kroisos bei Herodot thematisiert: vgl. Hdt., I 29–33 und hierzu im Zusammenhang einer Diskussion der Pindar-Stelle knapp FRÄNKEL, 1960, 27. 46 Zur antithetischen Form der Frage vgl. FOGELMARK, 2008; sie sei primär formalen Gründen geschuldet, insofern solches Nutzen von polaren Strukturen im griechischen Denken verankert sei, insbesondere weil es eine Vollständigkeit des behandelten Bereichs impliziere (was aber andererseits im gegebenen Kontext dann wieder doch nicht ganz ohne sachliche Pointe wäre). 47 Vgl. FRÄNKEL, 1960, 23–39, das Zitat 35; zur Stelle auch FRÄNKEL, 1962, 567–572; vgl. THEUNISSEN, 2000. 48 TOOHEY, 1987, betont zwar zu Recht die positive Wendung des Gedankens, doch verbleibt der aus dem ‚Glanz‘ erlangte Segen ganz im Diesseitig-Menschlichen: „As a consequence Aristomenes now enjoys a meilichos aiōn. How is it meilichos? Through the praise, the esteem, the renown attendant upon a victory in such celebrated games as the Pythian“ (74).

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ἀλλ’ ὅταν αἴγλα διόσδοτος ἔλθῃ, λαµπρὸν φέγγος ἔπεστιν ἀνδρῶν καὶ µείλιχος αἰών. Aber wenn gottgegebener Glanz kommt, liegt strahlender Sonnenschein auf den Menschen und ein angenehmes Leben.

Mit dem Sieg liegt Segen auf dem Menschen, und dieser Segen ist nicht nur transitorisch auf den Moment des Sieges, das heißt den kurzen Akt des Verleihens des Glanzes beschränkt, sondern er überdauert das gesamte restliche „Leben“ (αἰών):49 Mit dem Erhalt des göttlichen Glanzes ist der Schatten verschwunden; das Leben hängt jetzt nicht mehr vom Tag ab, der Sieger ist kein ἐπάµερος mehr. Vielmehr ist das Leben von nun an bis auf Weiteres für immer angenehm und süß: Der Sieger ist ‚glückselig‘ wie ein Gott. Dies bleibt freilich nur dann der Fall, wenn sowohl er selbst als auch der für ihn sprechende Lobende – und hiermit schließt sich der Bogen zurück zum Anfang der betrachteten Passage – das delphische Maß wahrt, konkret im Anerkennen der Tatsache, dass man auch als Sieger von seiner Natur her noch immer ‚ein Mensch‘ ist und die eigene Quasi-Göttlichkeit nicht selbst erschaffen hat, sondern nur von einer tatsächlichen Gottheit geschenkt bekommen hat, wenn auch mit der notwendigen faktischen Voraussetzung der eigenen (wiederum qua Geburt gottgegebenen) überragenden Natur und Leistung.50 Die Göttlichkeit wird dem Sieger von der Gottheit in der Form von κῦδος verliehen, „special power bestowed by a god that makes a hero invincible“.51 49 Pindar verwendet nicht ohne Grund das Wort αἰών: vgl. LSJ s.v. (mit der Grundbedeutung: ‚period of existence‘, sei es dann konkret zu verstehen als ‚lifetime, life‘ oder als ‚long space of time, age‘); symptomatisch ist, dass etwa FRÄNKEL, 1960, 26 Anm. 2 das Wort im Sinne des archaischen Ephemeros-Konzepts als ‚Tag‘ auffasst („der ‚Tag auf‘ den ἐπάµεροι ist dann ein freundlicher“). SEGAL, 1976 identifiziert die Stelle als MimnermosZitat und -Kommentar, der „challenges and inverts this gloomy pronouncement“ (72) des archaischen Lebensgefühls in Vers 95 f., und zwar durch den Austausch der bei Mimnermos direkt hierauf folgenden Beschreibung des schrecklichen Alters durch den pointiertgegenteiligen Verweis auf den gottgegebenen Glanz des Erfolgs bei Pindar; gleichwohl führt Segal diesen Gedanken nicht im hier ausgeführten, die Archaik transzendierenden Sinn fort. 50 In diesem Sinn ist die direkt auf die implizite Beschreibung des Siegers als quasigöttlich folgende und das gesamte Lied nach diesem inhaltlichen Höhepunkt pointiert beschließende Bitte um göttlichen Beistand auch in Zukunft zu verstehen (98–100), nämlich als Anerkennen des Umstands, dass der Segen so, wie er von der Gottheit gegeben wurde, eben auch in jedem Moment wieder genommen werden kann – das heißt dann, wenn man sich der Gottheit gegenüber nicht dankbar und bescheiden genug verhält. Vgl. die in diesem Sinne präsentierte Pointe des Schicksals des Sisyphos im Pelops-Mythos in Olympie 1 (25–89, hier 59–66); diese Zusammenhänge können angesichts ihrer Komplexität hier freilich nicht weiter erörtert werden. 51 Vgl. KURKE, 1993, das Zitat S. 132; „die traditionelle Wiedergabe mit ‚Ruhm‘ ist falsch“, wie schon FRÄNKEL, 1962, 88 Anm. 14 betont, doch seine eigene Wiedergabe des

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Durch dieses κῦδος, konkret materialisiert im Siegerkranz, wird der Sieger entsprechend zu einem Heros und besitzt nicht nur über den Tod hinaus realen Segen und Macht, sondern auch im Diesseits immense Kräfte, nicht zuletzt im Kriegerischen.52 So überrascht nicht, dass der Sprecher des Epinikions eine heikle Gratwanderung vollführen muss: die neu erworbene Göttlichkeit des Siegers zu beschreiben, ohne zugleich den Neid der Götter auf den Gepriesenen zu lenken.53 Auch in diesem Sinn erklärt sich schließlich die Bitte des Sprechers an Apollon um das richtige Maß des Lobes, also an denjenigen Gott, der eben dieses richtige Maß als Schutzgott von Delphi wie kein anderer verkörperte – und der mit Delphi über eben jenen Ort wachte, an dem nicht nur der Mensch mit den göttlichen Mächten in Verbindung zu treten und im Beweisen seiner gottgegebenen Kräfte gegenüber allen anderen Griechen übermenschliche, heroische Macht und Gewalt zu erwerben vermochte, sondern an dem dies in der gesamten griechischen Welt, abgesehen vielleicht von Olympia, in keinem höheren Maße möglich war. 3.2 Fallstudie 2: Aspekte der politischen Bedeutung der Pythischen Spiele (Pythie 4) Pythie 8 unterliegt einerseits die traditionelle, archaische Grundüberzeugung vom unbeständigen Platz des sterblichen Menschen im Gefüge der Welt, wie sie insbesondere von Delphi aus in der griechischen Welt Verbreitung fand. Doch zeigt dieses Lied als repräsentatives Beispiel andererseits, dass diese Sicht auf die condicio humana bei Pindar in einer den spezifischen kulturellreligiösen Gegebenheiten der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts entsprechenWortes mit „die ‚Ehre‘ des Erfolgs, das Prestige, die Autorität, die Würde und den Rang“ verbleibt im Sozialen unter Aussparung der darunterliegenden und sachlich legitimierenden religiösen Dimension. 52 Zu Heroisierungen, speziell im 6. und 5. Jahrhundert, vgl. insbesondere FONTENROSE, 1968 sowie CURRIE, 2002 und BOEHRINGER, 1996; vgl. ansonsten CURRIE, 2005, speziell 120–157. Vgl. zur Stelle NAGY, 1990, 195 f. mit einer Deutung der Verse, die eben diesen Gehalt des Heroischen unter Herausarbeitung der in Pythie 8 vorliegenden semantischen Bezüge plastisch-bildlich vor Augen führt, auch und gerade kompatibel mit dem hier explizierten Sinn; vgl. NAGY, 2000, insbesondere 110–112. Instruktiv für den Aspekt des Kriegerischen ist Milon von Kroton, der seine Mitbürger insbesondere mit seinen Siegerkränzen bekleidet in eine Schlacht gegen die Sybariten geführt haben soll: vgl. Diod., XII 9,5 f.; allgemein zu Milon vgl. DECKER, 1995, 131–133 und MANN, 2001, 175–177. 53 Ein wichtiges in Pindars Epinikien verwendetes poetisches Mittel ist, den jetzt errungenen Sieg und damit auch den aktuellen Sieger in den Taten eines Gottes oder Heros (insbesondere über eine Metaphorik des Sports) in den mythischen Passagen zu spiegeln und beide Taten als grundsätzlich gleichwertig auszuweisen – oder sogar die jetzige Tat als noch weitaus großartiger: vgl. LATTMANN, 2010 mit fünf Fallstudien (N. 8, O. 8, N. 4, P. 4 und P. 9) sowie LATTMANN, 2017 zur persona des Sprechers, die diese Gratwanderung vollführen muss.

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den Weise signifikant modifiziert entgegentritt, angesichts der konkreten historischen Rezeptionssituation allem Anschein nach in grundsätzlicher Kompatibilität mit den Ansichten des zeitgenössischen Publikums:54 Mit göttlicher Hilfe – deren man sich aufgrund von göttlicher Abstammung in Verbindung mit eigener, diese Anlagen beweisender Anstrengung (φυά in Kombination mit ἀρετά) als würdig erweist – kann man seiner Menschlichkeit entkommen und so göttlich werden, wie es einem Menschen überhaupt nur möglich ist; ein Sieg bei den Kranz- und insbesondere den Pythischen Spielen vermag es, aus einem Menschen einen Heros zu machen, der auch nach seinem Tod wirkt und der Verehrung würdig ist.55 Wodurch und wie das Göttliche, hier also speziell Apollon, diesen beständigen Segen aus einem Pythiensieg spendet und welche immense Bedeutung einem solchen Sieg nicht nur im religiös-kultischen Bereich im Sinne der ersten Fallstudie, sondern hiermit eng verbunden und sachlich abgeleitet auch im politisch-sozialen Bereich zuerkannt wurde, beleuchtet Pythie 4. Dieses Lied, wohl das komplexeste und schwierigste von Pindars Epinikien überhaupt, mit 299 Versen in jedem Fall aber das mit Abstand längste, wurde gedichtet für den Sieg des kyrenischen Königs Arkesilaos IV. mit dem Pferdeviergespann im Jahr 462.56 Eine Untersuchung dieses Liedes macht transparent, warum und mit welchen Zwecken die Elite Griechenlands sich bis weit ins 5. Jahrhundert hinein (und noch darüber hinaus) darum bemühte, 54 Für das traditionelle Pindarbild vgl. FRÄNKEL, 1962, 583: Im Gegensatz zu den „Wegbereitern der Klassik“ „blieb Pindar, der bis 446 v. Chr. tätig war, bis zuletzt dem archaischen Wesen ohne Konzessionen treu“. 55 Vgl. z.B. O. 1,90–100 mit Bezug auf Pelops in Verbindung mit dem die Motive des Liedes aufnehmenden Ende 106–116 (insbesondere der Wunsch in 115, dass es Hieron vergönnt sei, ‚hoch oben zu wandeln‘, was die Erhöhung von sowohl Ganymedes als auch Pelops zu den Göttern in 40–45 aufnimmt). Vgl. CURRIE, 2005 zur historischen Einbettung von Pindars Epinikien in dieser Hinsicht. Diese Entwicklung scheint erst spät in der Archaik eingesetzt zu haben, möglicherweise parallel zur Einrichtung der Kranzspiele? Gewöhnlich wird in der Pindarforschung nur das in die Archaik zurückreichende mahnende Moment beachtet, nicht hingegen die (wenn auch aus transparenten, eben gerade auch in der noch gegebenen Präsenz des traditionell-archaischen Menschenbildes liegenden Gründen subtil aufgezeigte) Möglichkeit, dass der Mensch (mit göttlicher Hilfe) seine Menschlichkeit transzendieren kann: vgl. z.B. FRÄNKEL, 1962, 543, insgesamt 537–549; ähnlich STANFORD, 1942. 56 Pythie 4 ist für denselben Sieg wie Pythie 5 komponiert; beide Lieder waren zwar wie grundsätzlich alle Epinikien für eine öffentliche Aufführung am Heimatort bestimmt, das erste aber wohl für eine Feier zum Anlass des Eintreffens der Nachricht vom Sieg, das andere wohl für eine (dann etwas später stattfindende) Feier zum Anlass der Rückkehr der Festgesandtschaft von den Pythien: vgl. LATTMANN, 2012, 50–52 (mit weiterer Literatur). Die Datierung des Sieges ergibt sich aus Schol. P. 4 inscr. a und Schol. P. 5 inscr. Vgl. die ausführliche Behandlung des Liedes in LATTMANN, 2010, 164–258; die hier angesprochenen Punkte folgen weitestgehend den dort erzielten Ergebnissen, so dass im Regelfall auf die Herleitung im Detail verzichtet wird.

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einen Sieg bei den Pythien zu erlangen, und zwar insbesondere in den hippischen Disziplinen, also denjenigen Disziplinen, die nicht nur das höchste Prestige genossen, sondern bei denen sich auch das größte κῦδος erwerben ließ.57 Zugleich nimmt das in Pythie 4 prominente Motiv des Mantischen in Verbindung mit demjenigen der Kolonisation die besonderen Eigenschaften des Ortes Delphi als Sitzes des Sehergottes Apollon auf und zeigt, dass ein Pythiensieg nicht nur wie die anderen Kranzspiele κῦδος verhieß, sondern oftmals auch ein ganz charakteristisches, einzigartiges Profil aufwies. Pythie 4 beginnt mit einem komprimierten Verweis auf Arkesilaos’ Pythiensieg, der alle relevanten Eckdaten benennt, konkret Sieger, Heimat, Disziplin, Ort und siegverleihende Gottheiten (1–3): Σάµερον µὲν χρή σε παρ’ ἀνδρὶ φίλῳ στᾶµεν, εὐίππου βασιλῆι Κυράνας, ὄφρα κωµάζοντι σὺν Ἀρκεσίλᾳ, Μοῖσα, Λατοίδαισιν ὀφειλόµενον Πυθῶνί τ’ αὔξῃς οὖρον ὕµνων, […] Heute musst du neben dem befreundeten Mann stehen, dem König des pferdeberühmten Kyrene, damit du zusammen mit dem im Festzug feiernden Arkesilaos, Muse, den Hymnenwind stärkst, geschuldet den Lato-Kindern und Pytho, […]

Dieser Beginn (neben 64–67 die einzige Passage, die direkt auf den Sieg Bezug nimmt)58 gibt den Anlass für einen Verweis auf ein Orakel, das Apollon in Delphi über die Pythia einst dem Gründer von Kyrene, Battos, gegeben hatte (4–12): Es seien – so die Einleitung des dann im Folgenden direkt wiedergegebenen Orakels selbst – Pytho und mithin Delphi gewesen, ἔνθα ποτὲ χρυσέων Διὸς αἰετῶν πάρεδρος ὐκ ἀποδάµου Ἀπόλλωνος τυχόντος ἱέρεα 57

Vgl. KURKE, 1991, 1–12 für eine Skizze der zugrundeliegenden Ideologie. Gerade in der frühen Zeit entstammte das Bewerberfeld nicht ohne Grund der hohen und höchsten politischen Elite; so stammen etwa die bei Pindar gefeierten Sieger oftmals explizit aus Großfamilien (γένη), die sich auf einen Heros zurückführten, also göttliche Abstammung und einen hieraus resultierenden Machtanspruch für sich reklamierten: vgl. LATTMANN, 2010, 75–77 (mit weiterer Literatur); siehe auch oben S. 302 f. zu den Siegern in den hippischen Disziplinen. Eine ‚Amateurisierung‘ und (Ent-‚Aristokratisierung‘) ist erst für die spätere Zeit festzustellen; vgl. zur kontroversen Debatte YOUNG, 1988 und PLEKET, 2001. Einschlägig ist das Beispiel des Alkibiades mit seiner (sogar mehrfachen) Teilnahme an den Olympien des Jahres 416: vgl. Isocr., Or. 16,33 und hierzu GRIBBLE, 2012; man beachte im Übrigen, dass einer der Gründe für die Ostrakisierung des in Pythie 7 gefeierten Megakles laut einigen Ostraka gerade die Pferdezucht war (vgl. ATHANASSAKI, 2013, 101). 58 Zu diesem für das Gesamtverständnis des Liedes wichtigen interpretatorischen Problem vgl. LATTMANN, 2010, 184–186 (mit weiterer Literatur).

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χρῆσεν οἰκιστῆρα Βάττον καρποφόρου Λιβύας, ἱεράν νᾶσον ὡς ἤδη λιπὼν κτίσσειεν εὐάρµατον πόλιν ἐν ἀργεννόεντι µαστῷ, καὶ τὸ Μηδείας ἔπος ἀγκοµίσαι ἑβδόµᾳ καὶ σὺν δεκάτᾳ γενεᾷ Θήραιον, Αἰήτα τό ποτε ζαµενής παῖς ἀπέπνευσ’ ἀθανάτου στόµατος, δέσποινα Κόλχων· εἶπε δ’ οὕτως ἡµιθέοισιν Ἰάσονος αἰχµατᾶο ναύταις· wo einst die Beisitzerin der goldenen Adler des Zeus, ohne dass Apollo gerade fern des Landes war, die Priesterin, in einer Weissagung Battos als Kolonisten des fruchttragenden Libyen verkündete, damit er, der die heilige Insel schon verlassen hatte, gründe die schönwagige Stadt auf der leuchtenden Brust und das Wort der Medea zurückbringe im siebzehnten Geschlecht, das theraiische Wort, das einst des Aietes mächtiges Kind fortgeblasen hat aus unsterblichem Mund, die Herrin der Kolcher. So sprach sie zu den Halbgöttern, des Kriegers Iason Seeleuten:

Die Pythia verkündete Battos, schon zu einem Zeitpunkt nach seinem Aufbruch aus Thera, dass er in Libyen Kyrene gründen und hierdurch eine frühere Prophezeiung der Medea bei Thera im Rahmen der Argonautenfahrt vollenden werde, welche nun eingebettet in diese Prophezeiung der Pythia selbst wiedergegeben wird.59 Sie betrifft gleichfalls die Gründung von Kyrene und nimmt Battos’ spätere Gründung vorweg, nämlich als Vollendung der aufgrund eines Missgeschicks während der Fahrt noch nicht früher erfolgten Kolonisation (13–56): Nach der Zusicherung, dass Kyrene später einmal von Thera aus besiedelt werde, gibt Medea den Argonauten mit Bezug darauf, dass die Argonauten kurz zuvor im Bereich des späteren Kyrene von einer einheimischen Gottheit einen Erdklumpen als spontanes Gastgeschenk erhalten hatten, nachdem sie zwölf Tage lang einen beschwerlichen Weg durch die Wüste zurückgelegt hatten, kund, dass dieser Klumpen das Unterpfand dafür sei, dass die Nachfahren der Argonauten (und das meint den Theraier Battos mitsamt den von ihm angeführten Kolonisten) später einmal die Stadt Kyrene gründen würden. Diese Prophezeiung betrifft speziell den Argonauten Euphamos, der den Erdklumpen stellvertretend für alle Argonauten entgegennahm, denn von diesem Euphamos werde der Stadtgründer Battos in direkter Linie abstammen; die Argonauten zeugten nämlich, so Medea weiter, auf ihrer Rückreise nach Iolkos auf Lemnos eine Nachkommenschaft, die über Lake59

Zur Verschachtelung der Prophezeiungen vgl. LATTMANN, 2010, 186 (mit weiterer Literatur).

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daimon nach Thera gelange, von wo aus Battos dann ja später mit den Kolonisten die Stadt Kyrene gründe. Die zweifache, komplex verschachtelte, in poetischer Form präsentierte Prophezeiung der Pythia / Medea nimmt nicht nur die historischen Berichte zur Gründung Kyrenes auf,60 sondern verbindet sie auch in einer die semantische Komplexität um eine weitere Dimension erhöhenden Weise konzeptuell – und dies ist eine der entscheidenden Pointen dieser mythischen Passage im Rahmen dieses Epinikions – mit dem gefeierten Wagensieg des Arkesilaos: Pindar beschreibt nämlich die Durchquerung der Wüste durch die Argonauten metaphorisch als Sieg im Wagenrennen, mithin als einen solchen Erfolg, wie ihn Arkesilaos jetzt bei den Pythien errungen hat;61 und dieser metaphorischsportliche Wagensieg der Argonauten wurde wie der Pythiensieg durch den Siegerkranz durch einen symbolisch-magischen Siegpreis belohnt, nämlich den von der einheimischen libyschen Gottheit überreichten Erdklumpen, also das materialisierte Symbol des späteren Besitzes von und der Herrschaft über Libyen und speziell Kyrene durch Battos und seine Nachfahren unter Einschluss des Arkesilaos. Aus dem ‚Sportsieg‘ der Argonauten erwuchs also 60

Vgl. neben Menekles, FGrHist 270 Frg. 6 vor allem Hdt., IV 144–158, das chronologisch nächste Zeugnis für die Gründung Kyrenes; von den zwei dort erzählten Varianten aus kyrenischer (IV 154–158) und theraiischer Sicht (IV 150–153) entspricht Pindars Darstellung im Großen und Ganzen der ersten (trotz des inzwischen erfolgten Sturzes der Königsherrschaft in Kyrene): vgl. OSBORNE, 1996, 8–17, MALKIN, 2003 und CALAME, 2003. Relevant ist (auch in Hinsicht auf Delphi als Orakelort) ebenfalls diejenige Passage in Pythie 4, die nach der Erzählung der Prophezeiung der Pythia Battos’ Begegnung mit der Priesterin in Delphi schildert, und zwar in der Form einer direkten Anrede des Sprechers des Epinikions an ihn (59–67): ὦ µάκαρ υἱὲ Πολυµνάστου, σὲ δ’ ἐν τούτῳ λόγῳ / χρησµὸς ὤρθωσεν µελίσσας Δελφίδος αὐτοµάτῳ κελάδῳ, / ἅ σε χαίρειν ἐστρὶς αὐδάσαισα πεπρωµένον / βασιλέ’ ἄµφανεν Κυράνᾳ, / δυσθρόου φωνᾶς ἀνακρινόµενον ποινὰ τίς ἔσται πρὸς θεῶν. / ἦ µάλα δὴ µετὰ καὶ νῦν, ὥτε φοινικανθέµου ἦρος ἀκµᾷ, / παισὶ τούτοις ὄγδοον θάλλει µέρος Ἀρκεσίλας, / τῷ µὲν Ἀπόλλων ἅ τε Πυθὼ κῦδος ἐξ ἀµφικτιόνων ἔπορεν / ἱπποδροµίας („Glückseliger Sohn des Polymnastos, dich hat in dieser Rede das Orakel der delphischen Biene aufgerichtet mit von selbst kommendem Laut, die dich dreimal willkommen hieß und als den vorherbestimmten König für Kyrene aufzeigte, als du fragtest, welche Wiedergutmachung für die übelklingende Stimme es geben werde von den Göttern. Gewiss danach und auch jetzt, wie in der Blüte des rotblumigen Frühlings, sprießt diesen Kindern als achter Teil Arkesilaos, dem Apollon und Pytho κῦδος verliehen haben aus dem Pferderennen der Amphiktyonen“). 61 Dies wird narrativ insbesondere durch eine metaphorische Aufnahme der Rundenzahl des Wagenrennens geleistet (P. 4,25–27), aber auch durch eine entsprechende metaphorische Aufnahme in der Zwölfzahl der Argonauten (sowie in der komplexen Semantisierung der Zählung der Generationen zwischen Euphamos und Battos; vgl. insgesamt LATTMANN, 2010, 202–204); außerdem wird die Schifffahrt (der Argonauten) insgesamt mit dem Fahren von Wagen (in der Generation des Arkesilaos) gleichgesetzt (vgl. P. 4,17 f. und hierzu LATTMANN, 2010, 187–190).

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gemäß dieser mythologisch-historischen ‚Rekonstruktion‘ der Vergangenheit durch Pindar reale politische Macht, und zwar nicht nur in der mythischen Dimension, sondern angesichts der im Mythos explizit angesprochenen genealogischen Verhältnisse mit ihrer durchgängigen Verbindung zur Gegenwart pointiert auch im Hier-und-Jetzt der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts: Insofern sich Arkesilaos über Battos in direkter Linie auf den Argonauten Euphamos zurückführt, wird seine Herrschaft über Kyrene göttlich legitimiert, und zwar durch einen in mythischer Zeit errungenen ‚sportlichen‘ Sieg; und insofern dieser mythische ‚Wagen‘-Sieg weiter in seiner ‚wahren‘ Natur exakt dem jetzigen Pythiensieg entspricht, wird Arkesilaos’ Herrschaft mit dem jetzigen Pythiensieg zugleich als dessen Quasi-Wiederholung in der Gegenwart erneut legitimiert. Die komplexe narrative Verschachtelung der Prophezeiungen in Verbindung mit der darin aufgenommenen Tiefenrekonstruktion der mythisch-historischen Zusammenhänge repräsentiert und erschafft zugleich eine doppelte Legitimation von Arkesilaos’ Herrschaft über Kyrene – und zwar konzeptuell und sachlich ausgehend vom gerade jetzt errungenen Pythiensieg. Allein diese Zusammenhänge erweisen in Verbindung mit der öffentlichen Aufführungssituation des Epinikions, dass ein Pythiensieg in der Tat eine immense politische Bedeutung hatte; aus ihm leitete sich, vermittelt über das im Siegerkranz materialisierte κῦδος, in der Tat (der Anspruch auf) Einfluss und Macht im Politischen ab. Doch die Gleichsetzung von mythischmetaphorischem Wagensieg und sportlich-realem Wagensieg in Pythie 4 hat in ihrem spezifischen historischen Kontext noch eine über die bloße Legitimation von Arkesilaos’ Herrschaft über Kyrene selbst hinausgehende Bedeutung. Den Schlüssel für diese Einsicht liefert ein Testimonium aus der Schrift Über Kyrene (Περὶ Κυρήνης) des Historikers Theotimos, das in den Scholien zu der für denselben Sieg verfassten Pythie 5 überliefert ist und von einer Neugründung von (Eu-)Hesperides (dem heutigen Bengasi) im kyrenischen Herrschaftsgebiet im Kontext (ansonsten nicht weiter bestimmbarer) politischer oder militärischer Probleme handelt: διαπίπτουσαν δὲ τὴν πρᾶξιν αἰσθόµενος Ἀρκεσίλαος καὶ βουλόµενος δι’ αὑτοῦ τὰς Ἑσπερίδας οἰκίσαι πέµπει µὲν εἰς τὰς πανηγύρεις ἵππους ἀθλήσοντας Εὔφηµον ἄγοντα, νικήσας δὲ τὰ Πύθια καὶ τὴν ἑαυτοῦ πατρίδα ἐστεφάνωσε καὶ ἐποίκους εἰς τὰς Ἑσπερίδας συνέλεγεν. Εὔφηµος µὲν οὖν ἐτελεύτα· Κάρρωτος δὲ τῆς Ἀρκεσιλάου γυναικὸς ἀδελφὸς διεδέξατο τὴν τῶν ἐποίκων ἡγεµονίαν. Als Arkesilaos bemerkte, dass es schlecht um die Angelegenheit stand, und im Willen, dass durch ihn selbst Hesperides gegründet werde, entsandte er zum einen Euphamos mit Pferden, die im Wettkampf konkurrieren sollten, zu den Festversammlungen, und zum anderen bekränzte er nach seinem Pythiensieg seine Heimat und sammelte mit seiner Hilfe

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Siedler für Hesperides. Als Euphamos dann starb, übernahm Karrhotos, der Bruder von Arkesilaos’ Frau, die Führung der Siedler. 62

Nicht nur ist dieser Karrhotos direkt fassbar in dem anderen für den vorliegenden Pythiensieg gedichteten, wohl etwas später nach der endgültigen Rückkehr der Festgesandtschaft aufgeführten Epinikion, Pythie 5; konkret ist er hier als der siegreiche Wagenlenker beschrieben, der Arkesilaos’ Gespann zum Sieg führte und dieses mitsamt Geschirr in Delphi weihte (siehe oben S. 309).63 Sondern aus dieser Perspektive erhält auch der so prominent am Ende von Pythie 5 geäußerte Wunsch nach einem auf den Pythiensieg folgenden Olympiensieg eine pointierte Relevanz, und es wird möglich zu erkennen, dass die sportlichen Anstrengungen des Arkesilaos bei den Pythien nicht nur dem Zeugnis des Theotimos zufolge ein Teil einer großangelegten politischen Unternehmung waren, sondern dass sich dies auch direkt in Pindars Pythie 4 spiegelt.64 Das Lied endet nämlich nicht nach ungefähr sechzig Versen mit der auf die Legitimation von Arkesilaos’ Herrschaft ausgerichteten Prophezeiung der Pythia (und Medea), sondern erzählt in noch über zweihundert weiteren Versen65 die gesamte Argonautenfahrt, in deren Rahmen die in der Prophezeiung angesprochene Wüstendurchquerung stattgefunden hatte – und zwar von deren Anfang aufgrund politischer Probleme in Iolkos bis zum Ende der Wiederherstellung der Ordnung dort durch die Tötung von Pelias und die Übernahme der Macht durch Iason. Der erzählerische Höhepunkt ist jedoch zweifellos die Gewinnung des Goldenen Vlieses in Kolchis mittels einer gefährlichen Pflugprobe, die Iason besteht. Diese Pflugprobe wird aber ebenso wie die Wüstendurchquerung mittels einer sportlichen Metaphorik als Wagensieg gedeutet und so in struktureller Entsprechung mit dem in Pythie 5 (und gemäß dem Theotimos-Zeugnis) erhofften und hierdurch in Pythie 4 verheißenen (und dann zwei Jahre später im Jahr 460 tatsächlich errungenen) Olympiensieg gleichgesetzt, deren symbolischem Siegerkranz auf der Seite des Mythos folglich das Goldene Vlies entspricht – also dasjenige Objekt, um dessentwillen nicht nur die gesamte Argonautenfahrt stattfand, sondern des62

Schol. P. 5,34 = Theotimos, FGrHist 470 Frg. 1; zur Unabhängigkeit des Zeugnisses von Pindar vgl. HORNBLOWER, 2004, 245–247; anders etwa LEFKOWITZ, 1991, 175. Zur möglichen Art der politischen Probleme vgl. LATTMANN, 2010, 246. 63 P. 5,34–42; die Stelle ist oben diskutiert. Zum Verhältnis von Pythie 4 und Pythie 5 siehe oben Anm. 56. 64 P. 5,122–124: ‚Des Zeus großer Sinn steuert das Schicksal der befreundeten Männer. Ich bete, dass er in Olympia dieses Geschenk dem Geschlecht des Battos noch zusätzlich gibt‘ (Διός τοι νόος µέγας κυβερνᾷ / δαίµον’ ἀνδρῶν φίλων. / εὔχοµαί νιν Ὀλυµπίᾳ τοῦτο δόµεν γέρας ἔπι Βάττου γένει). Siehe auch oben S. 303 mit Anm. 17. 65 Welche in der Forschung oftmals als bloße mythologische Ausschmückung angesehen wurden und also nicht als eigentlicher Teil des Epinikions als Preislied für Arkesilaos, zumindest nicht hinsichtlich des Sportlichen: vgl. den knappen Überblick bei LATTMANN, 2010, 184–186.

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sen In-Besitznahme das notwendige, aber auch hinreichende Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung in Iolkos war.66 Im Ergebnis parallelisiert Pythie 4 die Argonautenfahrt im Spiegel des Mythos mit der politischen Unternehmung des Arkesilaos in Bezug auf Euhesperides, in deren Rahmen er dem Theotimos-Zeugnis zufolge überhaupt erst an den Pythien und Olympien teilgenommen hatte. Grundlage und zugleich Garant des Erfolgs der Argonautenfahrt war aus dieser Perspektive der Erfolg in der Wüstendurchquerung, für die der Argonaut Euphamos mit dem Erdklumpen belohnt wurde, welcher ja seinerseits die spätere Herrschaft der Battiaden über Kyrene legitimierte. Diesem Erfolg des Argonauten entspricht in der historischen Realität Arkesilaos’ jetziger Sieg bei den Pythien, stellvertretend errungen von einem seiner Gesandten, der dem Theotimos-Zeugnis zufolge ebenfalls den Namen Euphamos trug: Dieser Euphamos hat jetzt für Arkesilaos das erhoffte und benötigte κῦδος erworben, das seine Herrschaft über die Tochterstadt Euhesperides legitimieren und zugleich den Erfolg von deren Neubesiedlung sichern sollte, und zwar insbesondere dadurch, dass Arkesilaos als in seinem Sieg gottgeehrter Anführer von Apollon selbst das Plazet für seine Pläne erhält. Dieses Plazet materialisierte sich konkret im pythischen Kranz, dessen Rückkehr in der Aufführung von Pythie 4 (man beachte den Liedanfang in 1–3 in Verbindung mit dem Liedende in 277–299 zum Boten Damophilos) angekündigt wurde und dann zur Aufführung von Pythie 5 auch tatsächlich stattfand, begleitet nicht nur von Karrhotos und der zurückkehrenden kyrenischen Festgesandtschaft, sondern anscheinend auch von den am Wettkampfort angeworbenen Siedlern für Euhesperides, die sich durch diesen Erfolg dazu begeistern und zugleich überzeugen ließen, Arkesilaos’ Führung bereitwillig zu folgen. Schließlich hatte Apollon selbst in Delphi durch die Gewährung des Sieges der gesamten griechischen Welt offenbart, dass die Unternehmung von Erfolg gekrönt sein wird – ganz in Entsprechung zu der schon zweimaligen prophetischen Verkündigung des Segens und Erfolges des Hauses des Battos in Pythie 4 aus dem Mund der Medea und der Pythia in der Vergangenheit. Angesichts dieser komplexen Verknüpfung von Sport, Heroentum, Kolonisation und Mantik in Pythien 4 und 5 in der poetischen Dimension und, als sachlichem Gegenstück hierzu, in Arkesilaos’ politischer Unternehmung in der historischen Dimension wird am Ende dieser Fallstudie nicht nur Delphi als Ort der Pythischen Spiele allgemein als eines beliebigen griechischen Sportfestes greifbar, sondern die Pythischen Spiele erweisen sich dezidiert als panhellenische Wettspiele, die trotz aller Ähnlichkeit zu den anderen Kranzspielen ihrer Zeit ein ganz besonderes, spürbar ‚apollinisches‘ Profil innehatten. 66

Arkesilaos’ Olympiensieg im Jahr 460 (also bei den nächsten Olympien) bezeugt Schol. P. 4, inscr. a.

Die Pythischen Spiele bei Pindar

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4. Zusammenfassung Ziel der vorangehenden Ausführungen war, Licht auf die Pythischen Spiele zu werfen, und zwar nicht nur als einen integralen Bestandteil der delphischen Kultpraxis, sondern auch als eines der wichtigsten panhellenischen religiösen Feste überhaupt. Zu diesem Zweck wurden Pindars Epinikien und speziell seine Pythien – öffentliche Preislieder für die Sieger aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts – einer näheren Untersuchung unterzogen, und zwar einerseits in Hinblick auf die Erschließung der historischen Gegebenheiten selbst, andererseits in Hinblick darauf, welche weiteren Aufschlüsse sie zur kulturellen Bedeutung der Pythischen Spiele im spezifischen Kontext ihrer Zeit erlauben. Hierzu wurde in einem ersten Schritt ein allgemeiner systematischer Überblick über diejenigen Informationen zu den Pythischen Spielen erarbeitet, die sich explizit in Pindars Epinikien selbst finden oder sich aus ihnen direkt ergeben. Speziell wurden Bezüge auf sporthistorische Aspekte, die relative Bedeutung der Pythischen Spiele als Sportfest sowie lokale und schließlich kultische Gegebenheiten aufgezeigt. Als gemeinsames Merkmal all dieser in den Liedern gegebenen Informationen hat sich allerdings herausgestellt, dass sie selten überraschende Sachverhalte implizieren, sondern dass ihr Zweck im Großen und Ganzen zumeist darin bestand, in einer oralen Rezeptionssituation in möglichst knapper Form bereits bekannte Bezüge zu Delphi und den Pythischen Spielen zu evozieren, die der bloßen Identifikation dienten und den errungenen Erfolg des Siegers transparent an dieses Fest banden. Vor diesem Hintergrund wurde in einem zweiten, hierauf aufbauenden Schritt versucht, die kulturelle Bedeutung der Pythischen Spiele zu Pindars Zeiten anhand von zwei eingehenden Fallstudien in der Tiefe auszuloten. Zum einen hat eine Untersuchung von Pythie 8 die religiöse Dimension der Pythien erhellt und gezeigt, dass ein Sieg dort als eine der größten Gaben des Göttlichen für einen Menschen galt, insbesondere im Angesicht und vor dem Hintergrund der noch immer und gerade in Pindars Pythien fassbaren pessimistischen archaischen Sicht auf die condicio humana: Der Sieger wurde im Sieg direkt vom Göttlichen mit einer übermenschlichen Kraft beschenkt, die ihn seine eigentlich von Natur aus und unhintergehbar vergängliche Menschlichkeit transzendieren und ihn prinzipiell zu einem potentiell noch über seinen Tod hinaus wirkenden gottgleichen Heros werden ließ – ein Umstand, der allerdings insbesondere in Entsprechung zur delphischen Maxime des Maßhaltens in den Epinikien nur angedeutet werden konnte und vor allem nicht stolz und selbstüberheblich explizit verkündet werden durfte. Zum anderen hat Pythie 4 in Ergänzung und Erweiterung hierzu die politisch-soziale Dimension der Pythischen Spiele beleuchtet und am konkreten Beispiel des Sieges des Arkesilaos von Kyrene demonstriert, welche immense Bedeutung

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einem solchen ‚heroischen‘ Erfolg jenseits, aber zugleich eben auch auf der Basis des rein Kultisch-Religiösen zugemessen wurde, sowohl von den Teilnehmern am Wettkampf selbst als auch von der Öffentlichkeit in der Heimatpolis des Siegers ebenso wie in Gesamtgriechenland, die nicht nur den Sieger als neuen Besitzer von heroischer Macht bereitwillig pries, sondern sich auch gern seiner Führung anvertraute – und zwar gerade in seiner Eigenschaft als überragender Sieger in Delphi, hat doch, wie Pindar es pointiert in poetischer Form transparent macht, der Gott selbst mit der Gewährung des Sieges als gewissermaßen praktisches Orakel in der panhellenischen Öffentlichkeit seinen Segen für dessen politische Pläne erteilt. Gerade in der in Pythie 4 fassbaren komplexen Verwebung von Musik, Mantik, Kolonisation, Politik und Sport sind in diesem Sinne zentrale Aspekte des spezifischen Charakters der Pythischen Spiele als eines ganz besonderen agonistischen Festes zu Tage getreten, das in Delphi unter der Schirmherrschaft des Gottes Apollon stattfand.

Das Orakel von Delphi in der attischen Tragödie Heinz-Günther Nesselrath 1. Vorbemerkungen Da die attische Tragödie – von ganz wenigen Ausnahmen1 abgesehen – Stoffe aus dem großen Fundus der griechischen Mythologie auf die Bühne gebracht hat, liegt es nahe, dass in Stücken, in deren Stoff das delphische ApollonOrakel eine Rolle spielt, dieses Orakel auch im Gang der Handlung (in verschiedener Weise) thematisiert wird. In den erhaltenen Tragödien ist dies in zwei bedeutenden Stoffen der Fall: in Stücken, in denen es um den Muttermord des Orest geht, denn dieser wurde (jedenfalls in den gängigen Mythenversionen) vom delphischen Apollon angeordnet; und in Stücken, die die mehrere Generationen (von Laios über Ödipus bis zu dessen Kindern Eteokles, Polyneikes, Antigone und Ismene) umfassende tragische Geschichte des thebanischen Königshauses der Labdakiden dramatisieren, denn hier spielen gleich mehrere delphische Orakel eine wichtige Rolle. Beide Stoffkomplexe sollen im Folgenden nacheinander und als Drittes dann noch der besondere Fall eines Stücks behandelt werden, in dem die Orakelstätte von Delphi sogar durchgehender Handlungsort ist.

2. Das delphische Orakel und der Muttermord des Orestes In der einzigen aus der griechischen Literatur erhaltenen tragischen Trilogie, Aischylos’ im Jahr 458 v. Chr. aufgeführter Orestie, spielt Delphi im zweiten Stück (den Choephoren) und auch im dritten (den Eumeniden) keine unwichtige Rolle, denn dort erhält Orest sowohl den Auftrag2 als auch die Legitimation, aus Rache für die Ermordung seines Vaters (dem Hauptthema des ersten Stücks der Trilogie) seine Mutter Klytaimestra zu töten. Noch während der ersten Wiederbegegnung mit seiner Schwester Elektra – am Grab des Vaters Agamemnon – berichtet der nach Argos zurückgekehrte 1

Phrynichos, Μιλήτου ἅλωσις (vgl. Hdt., VI 21,2); Aischylos, Perser; Agathon, Ἄνθος (vgl. Arist., Poet. 9, 1451b21). 2 Dass Orest gerade in Delphi den Auftrag zum Muttermord erhält, ist vor Aischylos nicht belegt, also wohl aischyleische Erfindung (vgl. VOGT, 1994, 97 mit Anm. 3).

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Orest, Apollons Orakel habe ihm schwere körperliche Strafen angedroht, wenn er seinen Vater nicht räche (Choeph. 269–304),3 und beruft sich später in der gleichen Szene noch einmal auf den „untrüglichen Seher“ (µάντις ἀψευδής, 559) Apollon für sein weiteres Vorgehen. Als er dann später tatsächlich vor seiner Mutter steht und nun in der Tat doch zögert, die tödliche Rache an ihr zu vollziehen, ist es sein sonst während des ganzen Stückes völlig schweigsamer Begleiter und Freund Pylades, der ihn eindringlich die in Delphi erhaltene Weisung (Λοξίου µαντεύµατα / τὰ πυθόχρηστα, 900 f.) erinnert, die den Mord gebietet; dadurch gewinnt Orest seine Entschlossenheit zurück und führt den Muttermord wenig später aus. Nach der Tat lassen die durch diese Tat auf den Plan gerufenen Erinnyen nicht lange auf sich warten; aber kurz bevor Orest durch ihr Nahen in Angst und Sinnesverwirrung versetzt wird, beruft er sich noch einmal auf den delphischen Apollon und sein ebenso eindeutiges wie eindringliches Gebot, um die Gerechtigkeit und Notwendigkeit des Muttermordes zu betonen,4 und kündigt an, er werde auf der Flucht vor den Erinnyen erneut in Delphi Zuflucht suchen, wie es ihm Apollon auch geboten habe.5 Daran knüpft der Beginn des folgenden Stücks, der Eumeniden, unmittelbar an, denn hier befinden wir uns tatsächlich in Delphi selbst, direkt vor dem Apollontempel.6 Es ist früher Morgen, und die Pythia (die den Prolog spricht) ist gerade dabei, in den Tempel zu gehen und ihren Dienst aufzunehmen (vgl. Eum. 1–33). Sie geht hinein, kommt aber sogleich wieder zurück, auf allen Vieren kriechend (vgl. 37) und völlig verstört von dem Anblick, den sie gerade im Inneren des Tempels erlebt hat (beschrieben in 40–59): Drinnen sitzt ein Mann mit blutbefleckten Händen, die ein Schwert und einen Olivenzweig halten, und um ihn herum befindet sich, schlafend, eine Schar von schrecklich anzusehenden Frauen; Gorgonen oder eher noch Harpyien-ähnlich, aber ohne Flügel, schwarz, lassen sie noch im Schlaf aus ihren Mündern ein furchterregendes Schnauben vernehmen, und aus ihren Augen tropft Blut. 3

BROWN, 2018, 237 hebt die ungewöhnliche Länge dieses Orakels hervor: „The responses of the Delphic Oracle were generally brief and notoriously enigmatic [...]; this one must have been the longest and most brutally explicit on record.“ 4 Choeph. 1027–1032: κτανεῖν τέ φηµι µητέρ' οὐκ ἄνευ δίκης, [...] / καὶ φίλτρα τόλµης τῆσδε πλειστηρίζοµαι / (1030) τὸν πυθόµαντιν Λοξίαν, χρήσαντ' ἐµοὶ / πράξαντα µὲν ταῦτ' ἐκτὸς αἰτίας κακῆς / εἶναι, παρέντα δ' – οὐκ ἐρῶ τὴν ζηµίαν. Bereits in 940f. hat der Chor auf den durch den delphischen Gott energisch ins Werk gesetzten Antrieb des aus dem Exil heimkehrenden Rächers Orest hingewiesen. 5 Choeph. 1035–1039: [...] προσίξοµαι / µεσόµφαλόν θ’ ἵδρυµα, Λοξίου πέδον, / [...] / φεύγων τόδ’ αἷµα κοινόν· οὐδ' ἐφ’ ἑστίαν / ἄλλην τραπέσθαι Λοξίας ἐφίετο. In 1059 f. verleiht auch der Chor der Hoffnung Ausdruck, dass der Gang nach Delphi Orest helfen wird. 6 Mit Ausnahme des noch zu besprechenden Ion des Euripides (vgl. unten S. 347) sind die Eumeniden damit die einzige uns bekannte attische Tragödie, in der das delphische Orakelheiligtum Handlungsschauplatz ist.

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Auf Orests Hilferuf hin – denn er ist der von der Pythia beschriebene Mann – tritt nun Apollon selber auf und teilt Orest mit, dass er die ihn umgebenden Erinnyen eingeschläfert hat; Orest soll diesen Schlaf nutzen und zur Akropolis von Athen in den Schutz der Göttin Athena fliehen (64–80).7 Noch bevor die Szene dorthin wechselt – der einzige Szenenwechsel solcher Art in einer uns bekannten attischen Tragödie –, wachen die Erinnyen auf und beginnen, empört über Orests Flucht und Apollons Intervention, ein Streitgespräch mit diesem, in dessen Verlauf sich Apollon noch einmal dazu bekennt, Orest die Rache explizit befohlen und ihn in seinem Tempel aufgenommen zu haben (203–205), und macht deutlich, dass er sich gegenüber Orest als seinem Schutzflehenden verpflichtet fühlt (232). Nachdem die Szene nach Athen gewechselt ist, treffen wir Orest dabei an, wie er im Heiligtum der Göttin Athena und vor ihrem Standbild um Beistand fleht, wobei er sich ausdrücklich auf Apollons Befehl (Λοξίου κελεύµασιν / ἥκω, 235 f.) beruft, und als ihn die ihn verfolgende Schar der Erinnyen an diesem Ort stellt, macht er die an ihm vollzogenen Purifikationsriten am heiligen Herd Apollons in Delphi (πρὸς ἑστίᾳ θεοῦ / Φοίβου, 282 f.) geltend.8 Nachdem die Göttin Athena auf Orests Hilferuf hin selbst erschienen ist, beruft sich Orest auch ihr gegenüber nochmals auf Apollons Befehl, der ihm schwere Strafen bei Zuwiderhandlung angedroht habe (465–467). Als es dann zur entscheidenden Gerichtsverhandlung gegen Orest kommt, ist auch Apollon bemerkenswerterweise anwesend:9 Er tritt als Advokat zugunsten Orests auf (579: ξυνδικήσων αὐτός) und bestätigt ausdrücklich nicht nur, dass er Orest gereinigt hat (578: φόνου δὲ τῷδ’ ἐγὼ καθάρσιος), sondern auch, dass er ihn zuvor zur Ermordung seiner Mutter veranlasste (579 f.: αἰτίαν δ’ ἔχω / τῆς τοῦδε µητρὸς τοῦ φόνου). Im dann stattfindenden Kreuzverhör der Erinnyen beruft sich Orest ebenfalls auf Apollons Befehl (594: τοῖς τοῦδε θεσφάτοισι) und bittet Apollon, ihm mit seinem Zeugnis beizustehen (609 f.). Im Anschluss daran hält Apollon eine ausführliche Verteidigungsrede (625– 673);10 doch beschuldigen die Erinnyen Apollon anschließend, blutbefleckte Orakel zu geben (715 f.). Nachdem dann das Abstimmungsergebnis der Juroren zum Freispruch des Orest geführt hat, weist Athena die Erinnyen noch einmal darauf hin, dass Apollon nicht wollte, dass Orest für seine Tat büßen 7

Die Entsendung Orests nach Athen scheint eine Neuerung des Aischylos zu sein; „vor seiner Orestie war Athen in keiner Weise mit den Ereignissen um Orestes verbunden“ (VOGT, 1998, 42 mit Anm. 44). Dazu, dass „auch die Rolle von Delphi im Orestes-Mythos erst von Aischylos ihre Ausprägung erhielt“, vgl. VOGT, 1998, 44 mit Anm. 51 f. 8 Zu der teilweise widersprüchlich wirkenden Darstellung der an Orest vollzogenen Purifikationen in diesem Stück vgl. COURT, 1994, 281–289. 9 Zur Frage, wann genau er aufgetreten ist (und wann er dann auch wieder abtreten wird), vgl. COURT, 1994, 290–295. 10 Vgl. VOGT, 1994, 103 („eher in der Rolle eines Angeklagten als der eines Verteidigers“).

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muss (798 f.: αὐτός θ’ ὁ χρήσας αὐτὸς ἦν ὁ µαρτυρῶν, / ὡς ταῦτ’ Ὀρέστην δρῶντα µὴ βλάβας ἔχειν). Im zweiten und dritten Stück der aischyleischen Orestie ordnet der delphische Orakelgott Apollon also nicht nur Orests Muttermord ausdrücklich und emphatisch an, sondern steht Orest auch tatkräftig bei, als er nach Vollzug dieses Mordes ein Opfer der auf den Plan gerufenen Erinnyen zu werden droht. In dem erhaltenen Sophokles-Stück, das sich ebenfalls mit dieser Problematik – der von Orest geplanten und an Aigisth wie auch an seiner Mutter Klytaimestra durchgeführten Rache für die Ermordung seines Vaters – beschäftigt, nämlich der Elektra,11 ist Apollons Rolle erheblich geringer:12 Orest berichtet lediglich im Prologteil des Stücks kurz von seinem Gang zu Apollons delphischem Orakel, um sich Rat für die Rache wegen der Ermordung seines Vaters zu holen (32–37).13 Ganz anders dagegen – und viel problematischer – wird dieses Orakel bei Euripides dargestellt. 11

Zum Verhältnis dieses Stücks zu Euripides’ Elektra vgl. unten Anm. 14. Vgl. VOGT, 1994, 103: „Sophokles [...] weist Apollon im Vergleich zu den anderen Orestes-Tragödien die schwächste Bedeutung für das Drama zu.“ 13 Immerhin ist Sophokles der einzige, bei dem Orest eine konkrete Frage an das Orakel stellt (33 f.: ὅτῳ τρόπῳ πατρὶ / δίκας ἀροίµην τῶν φονευσάντων πάρα) und auch eine konkrete Anweisung erhält (36 f.: ἄσκευον αὐτὸν ἀσπίδων τε καὶ στρατοῦ / δόλοισι κλέψαι χειρὸς ἐνδίκου σφαγάς); VOGT, 1994, 98 („Aischylos und Euripides lassen die genauen Umstände der Erteilung des Auftrages – wie ich zeigen möchte: absichtlich – völlig im Dunkeln“). Mit der Bezeichnung der geplanten σφαγαί als Werk „einer im Recht befindlichen Hand“ legitimiert das Orakel Orests tödlichen Anschlag auf die Mörder seines Vaters, wie es das auch bei Aischylos tut (vgl. VOGT, 1994, 101; der von SCHMITZ, 2016, 53 zitierte Einwand, dass χειρὸς ἐνδίκου σφαγάς „auch eine Formulierung Orests sein“ könnte, mithin nichts über die Beurteilung der Tat durch das Orakel aussage, scheint mir nicht zwingend, denn der Zuschauer kam während der Aufführung nicht dazu, solche spitzfindigen Überlegungen anzustellen). VOGT nimmt an, dass Aischylos und Euripides eine Orakelkonsultation des Orest in Delphi deswegen nicht explizit erwähnen, weil Orest schon bei dieser die Problematik des Muttermordes in ihrer vollen Größe hätte aufgehen müssen. Dies scheint mir nicht zwingend: Es ist psychologisch durchaus nachvollziehbar, dass Orest das Entsetzliche des Muttermordes erst dann in voller Wucht trifft, als er seiner Mutter direkt gegenübersteht (Aischylos) oder kurz davor ist (Euripides). Es ist umgekehrt umso bemerkenswerter, dass dem sophokleischen Orest der Muttermord überhaupt keine solchen Schwierigkeiten zu machen scheint. ROISMAN/LUSCHNIG, 2011, 250.255 f. weisen gut darauf hin, dass Orest in Sophokles’ Elektra das Orakel nicht fragte, ob, sondern wie er den Tod seines Vaters rächen solle (dazu gut FINGLASS, 2007b, 103: „a desire to punish the killer of one’s father would be taken for granted in contemporary Greek thought [...] A man needed no oracle to inform him of that duty“). „Although we can assume that the command was given [...], the vengeance does not come across as the divine imperative it is in Aeschylus’ play“ (ROISMAN/LUSCHNIG, 2011, 256; SCHMITZ, 2016, 51/53 neigt eher den Interpreten zu, die meinen, dass der sophokleische Orest das erhaltene Orakel vielleicht falsch versteht, dies aber nicht erkennt). In V. 1425 sieht sich Orest offenbar in völliger Übereinstimmung mit Apollons Willen (dazu FINGLASS, 2007b, 521; einen leisen Zweifel an dieser Gewissheit glaubt SCHMITZ, 2016, 225 zu entdecken). MARCH 2001, 137 12

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Im Anfangsteil von Euripides’ Elektra (Aufführungsdatum: vielleicht um 415 v. Chr.14) kommt Orest, wie er selbst sagt, „vom geheimnisvollen Schrein des Gottes“ (ἐκ θεοῦ µυστηρίων,15 87) zurück nach Argos, um seinen Vater zu rächen. Etwas später betont der noch unerkannte Orest gegenüber seiner Schwester Elektra und ihrem Ehemann, dass auf Apollons Orakel Verlass sei (399 f.: Λοξίου γὰρ ἔµπεδοι / χρησµοί). Doch ändert sich diese Einstellung deutlich, nachdem Aigisthos von Orest und Pylades getötet wurde, und nunmehr die Ermordung Klytaimestras ansteht: Da beginnt Orest, massiv die Sinnhaftigkeit von Apollons Orakel zu bezweifeln, das ihm diesen Muttermord befahl (971–973: ὦ Φοῖβε, πολλήν γ’ ἀµαθίαν ἐθέσπισας / [...] / ὅστις µ’ ἔχρησας µητέρ’, ἣν οὐ χρῆν, κτανεῖν); er vermutet sogar, ein böser Geist in der Gestalt Apollons habe ihm den Befehl zum Muttermord gegeben (979: ἆρ’ αὔτ’ ἀλάστωρ εἶπ’ ἀπεικασθεὶς θεῶι;) und wiederholt, dass ihm des Orakels Anweisung nicht mehr gut erscheint (981: οὔ τἂν πιθοίµην εὖ µεµαντεῦσθαι τάδε). Dass der Muttermord angesichts dieser schweren Bedenken Orests überhaupt stattfindet, ist wesentlich der Entschlossenheit seiner Schwester Elektra zu danken, die eisern am Racheplan festhält und gegenüber ihrem Bruder auch die Untadeligkeit des Orakelspruchs verteidigt – schließlich sei er vom „heiligen Dreifuß“ gekommen (980). Nach der Tat brechen dann freilich beide Geschwister unter der Last ihrer Schuld zusammen; Orest kritisiert Apollon erneut für sein Orakel: Es habe eine höchst obskure Gerechtigkeit besungen (1190 f.: ἀνύµνησας δίκαι’ / ἄφαντα) und nur allzu klares Leid bewirkt (1191 f.: φανερὰ δ’ ἐξέπρα- / ξας ἄχεα), dazu wegen des Mordes Verbannung aus der Heimat f. (zu V. 33 f. und 36 f.) weist frühere Versuche, den bei Sophokles dargestellten Apollon von jeder Verantwortung für den Mutternord freizusprechen, zu Recht zurück. 14 Sowohl das absolute Aufführungsdatum der euripideischen Elektra als auch ihr Verhältnis zur sophokleischen sind bis heute völlig umstritten. ROISMAN/LUSCHNIG, 2011, 28–32 geben einen guten Überblick über den Status quaestionis und begründen – im Rahmen des Möglichen – plausibel, warum sie ein Aufführungsdatum um 415 befürworten und glauben, dass die euripideische Elektra nicht nur auf die aischyleischen Choephoren, sondern auch auf die sophokleische Elektra reagiert (sie machen Letzteres vor allem an der Charakterisierung der Titelfigur fest); MARCH 2001, 21 f. argumentiert jedoch – freilich mit Gründen, die nicht alle überzeugen dürften – dafür, dass die sophokleische Elektra die späteste ist. FINGLASS, 2007b, 2–4 sieht keine Möglichkeit, die Priorität eines der beiden Stücke zu entscheiden. Ähnlich SCHMITZ 2016, 16–19: Er vertritt die Ansicht, dass beide Stücke in großer Nähe zueinander entstanden sind, die Feststellung der Priorität aber nicht möglich ist. Dagegen präsentiert RIEMER, 2014 neue Argumente für die Annahme, dass Sophokles’ Elektra früher war, indem er drei Elemente identifiziert, die für Sophokles’ Elektra charakteristisch seien und die Euripides’ in seinem Stück aufgegriffen habe: „die Figur des Pädagogen, die allzu späte Anagnorisis und die Tötung Aigisths am Hausaltar“ (RIEMER, 2014, 179). 15 Mit diesem etwas rätselhaften Ausdruck muss eine Konsultation in Delphi gemeint sein, vgl. CROPP, 1988, 105 und ROISMAN/LUSCHNIG, 2011, 105.

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(1192 f.: φόνια δ’ ὤπασας / λάχε’ ἀπὸ γᾶς Ἑλλανίδος). Als wenig später der Dioskure Kastor zusammen mit seinem Bruder Polydeukes als deus ex machina erscheint,16 um den völlig verzweifelten Geschwistern einen Ausweg aus ihrer Lage zu weisen, kritisiert auch er Apollons Orakel, das sie in diese Lage gebracht hat (1246: σοφὸς δ’ ὢν οὐκ ἔχρησέ σοι σοφά);17 aber etwas später verkündet er auch, dass Orest auf dem Areopag18 durch Stimmengleichheit freigesprochen werden wird, weil Apollon die Schuld für sein böses Orakel auf sich nehmen wird (1265–1267: ἴσαι δέ σ’ ἐκσώσουσι µὴ θανεῖν δίκηι / ψῆφοι τεθεῖσαι· Λοξίας γὰρ αἰτίαν / ἐς αὑτὸν οἴσει, µητέρος χρήσας φόνον). Dadurch – könnte man sagen – wird die Reputation des Gottes noch so gerade eben gerettet, denn sonst wäre sein Orakel schuld nicht nur am Tod der von Orest getöteten Klytaimestra, sondern auch an dem Orests, dem für seinen Muttermord die Todesstrafe drohte. So gerät dieses Orakel, dessen Inhalt bei Aischylos noch völlig über jede Kritik erhaben war (es wird dort von keinem Menschen und von keinem Gott – auch nicht von den Erinnyen – in Frage gestellt), bei Euripides unter schärfsten Beschuss.19 Der Muttermord an Klytaimestra bildet auch die Vorgeschichte von Euripides’ Stück Orestes (aufgeführt 408 v. Chr.). Hier wird das verhängnisvolle Orakel, mit dem Orest in Delphi den Befehl erhielt, seine Mutter zu töten, in ähnlicher Weise als Auslöser großen Unheils herausgestellt: zum einen von Elektra, als sie sich um ihren von Wahnsinn und Erschöpfung gezeichneten Bruder bemüht (161–165: φεῦ µόχθων. / ἄδικος ἄδικα τότ’ ἄρ’ ἔλακεν ἔλακεν, ἀπό- / φονον ὅτ’ ἐπὶ τρίποδι Θέµιδος ἄρ’ ἐδίκασε / φόνον ὁ Λοξίας ἐµᾶς µατέρος), zum anderen vom Chor in seinem Auftrittslied (327–331: φεῦ µόχθων οἵων, ὦ τάλας, / ὀρεχθεὶς ἔρρεις, / τρίποδος ἄπο φάτιν ἃν ὁ Φοῖ- / βος ἔλακεν ἔλακε δεξάµενος ἀνὰ δάπεδον / ἵνα µεσόµφαλοι λέγονται µυχοί). In V. 276 sagt auch der halluzinierende Orest zu den von ihm imaginierten Erinnyen, sie sollten den Gott, der das Orakel gab, für seine, Orests, Tat verantwortlich machen (τὰ Φοίβου δ’ αἰτιᾶσθε θέσφατα); luzider geworden, gibt er auch gegenüber seiner Schwester die 16

Man kann sich fragen, warum hier nicht Apollon – als durch sein Orakel sehr stark in den Muttermord involvierter – erscheint, so wie er es im Orestes tut (vgl. unten). Dazu CROPP, 1988, 182: „It is significant that Apollo does not appear himself and is thus left open to criticism.“ 17 Kastor wiederholt seine Kritik am Orakel in V. 1302 (Φοίβου [...] ἄσοφοι γλώσσης ἐνοπαί); in 1296 f. schreibt er Apollon die direkte Verantwortung für den Muttermord zu (Φοίβωι τήνδ’ ἀναθήσω / πρᾶξιν φονίαν). 18 Nach Kastors Anweisungen soll Orest Argos verlassen und sich nach Athen begeben (1250–1255); Delphi als Zwischenstation (vgl. Aischylos’ Choephoren und Eumeniden) kommt hier überhaupt nicht mehr vor (vgl. ROISMAN/LUSCHNIG, 2011, 252). 19 Vgl. ROISMAN/LUSCHNIG, 2011, 250: In den drei Stücken, in denen Orests Muttermord dargestellt wird, sei der euripideische Apollon „the only one to be declared wrong“.

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Schuld für die Anstiftung zum Muttermord Apollon (285–287: Λοξίαι δὲ µέµφοµαι, / ὅστις µ’ ἐπάρας ἔργον ἀνοσιώτατον / τοῖς µὲν λόγοις ηὔφρανε τοῖς δ’ ἔργοισιν οὔ), und er beruft sich auf den Befehl des Gottes auch gegenüber Menelaos, der daraufhin dieses Handeln des Gottes sehr tadelt (416 f.: ΟΡ. Φοῖβος, κελεύσας µητρὸς ἐκπρᾶξαι φόνον. / ΜΕ. ἀµαθέστερός γ’ ὢν τοῦ καλοῦ καὶ τῆς δίκης). Das Orakel spielt ferner eine wichtige Rolle, als sich Orest gegen die wütende Anklagerede, die Tyndareos, der Vater der von ihm ermordeten Klytaimestra, gegen ihn hält (491–541), verteidigen muss (544–601): Seine Berufung auf Apollon und sein Gebot, Orests Vater zu rächen (591–599), bildet Orests letztes (und vielleicht auch wichtigstes) Argument; es macht freilich Apollon zum eigentlichen Angeklagten. Am Ende des Stücks, in völlig verfahrener Situation – Orest und Pylades haben nach ihrem erfolglosen Versuch, Helena zu töten, ihre Tochter Hermione als Geisel genommen und drohen nun, sie umzubringen, während ihr Vater Menelaos sich anschickt, mit Waffengewalt gegen das Freundespaar vorzugehen – erscheint dann bemerkenswerterweise ausgerechnet Apollon als deus ex machina (1625–1679), um die Handlung zu einem Ende zu bringen. Dabei schickt er nun aber Orest zuerst für ein Jahr zu einer arkadischen Lokalität und anschließend nach Athen; d.h. auch hier20 spielt Delphi nicht mehr die Rolle der wichtigen Zwischenstation, die es am Beginn von Aischylos’ Eumeniden hatte, bevor Orest dann in Athen von seiner Blutschuld freigesprochen wurde. Ganz ohne weitere Bedeutung ist Delphi aber auch hier nicht: Dort wird nämlich Neoptolemos getötet werden, als dieser von Apollon Kompensation für die Mitwirkung an der Tötung seines Vaters Achill einfordern will (1656 f.), und damit wird Menelaos’ Tochter Hermione frei, um die Frau Orests werden zu können. Diese Geschichte spielt – in etwas abgewandelter Form – eine größere Rolle in einem anderen Euripides-Stück, nämlich der Andromache von etwa 425 v. Chr.:21 Hier berichtet die Titelheldin Andromache in ihrem Prolog, Neoptolemos sei nach Delphi gegangen, um von Apollon Verzeihung für einen früheren Fauxpas zu erlangen;22 er hatte nämlich bei einem früheren Besuch des Orakels von dem Gott Genugtuung für den Tod seines Vaters Achill gefordert (Andr. 49–55). Am Ende des Stücks stellt sich heraus, dass dieser Besuch fatale Folgen hat, denn der nun auftretende Orest kündigt an, er habe Neoptolemos in Delphi eine tödliche Falle gestellt (995–1005), indem er

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Vgl. bereits oben Anm. 18 zu Euripides’ Elektra, wo Delphi ebenfalls ausgelassen ist. Vgl. STEVENS, 1971, 19; LLOYD, 1994, 12. 22 Andr. 1161–1165: τοιαῦθ’ ὁ τοῖς ἄλλοισι θεσπίζων ἄναξ, / ὁ τῶν δικαίων πᾶσιν ἀνθρώποις κριτής, / δίκας διδόντα παῖδ’ ἔδρασ’ Ἀχιλλέως. / ἐµνηµόνευσε δ’ ὥσπερ ἄνθρωπος κακὸς / παλαιὰ νείκη· πῶς ἂν οὖν εἴη σοφός; Dieser zweite Besuch des Neoptolemos in Delphi könnte eine euripideische Neuerung sein; vgl. LLOYD, 1994, 2. 21

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dort bewaffnete Verbündete auf ihn angesetzt habe (999).23 Als der Chor dem Großvater des Neoptolemos, Peleus, diese Falle enthüllt (1063–1065), ist es bereits zu spät, denn kurz darauf meldet ein Bote den erfolgreich vollzogenen Anschlag (1073–1075) und berichtet anschließend den genaueren Hergang (1085–1165): Neoptolemos wurde angegriffen (und schließlich getötet), während er dem Gott Opfer darbrachte und zu ihm betete!24 Am Schluss äußert der Bote deutliche und bittere Kritik am Verhalten Apollons: Wie kann ein Gott, der allen ein „Richter des Gerechten“ sein will, nachtragend wie ein schlechter Mensch sein und ein solches Verbrechen in seinem Heiligtum zulassen?25 Am Schluss ordnet die als dea ex machina erscheinende Göttin Thetis – Peleus’ einstige Gemahlin und Neoptolemos’ Großmutter – an, dass Neoptolemos in Delphi direkt im Zentrum des Heiligtums bestattet werden 26 und damit eine beständige Erinnerung für das dort vollzogene Gewaltverbrechen sein soll (1239–1242). In diesem Stück wird Delphis Heiligtum also sogar zum Ort eines kaltblütig durchgeführten Verbrechens. Das Orakel spielt eine wichtige Rolle auch noch in einer Fortsetzung der Orest-Geschichte, die in Euripides’ Iphigenie bei den Taurern (aufgeführt im Zeitraum 414–412 v. Chr.27) dargestellt wird: Hier erzählt Orest, nachdem er seine Schwester wiedergefunden hat, wie er, nach dem Muttermord von den Erinnyen verfolgt, sich hilfesuchend an das delphische Orakel wandte und von dort – wie in Aischylos’ Eumeniden – nach Athen und zum Prozess auf dem Areopag geschickt wurde (IT 940– 944), und wie dieser Prozess – nicht zuletzt dank der Zeugenaussage Apollons (965) – durch Stimmengleichheit der Jury mit seinem Freispruch endete (965–967). Nun aber weicht Orests Bericht vom Hergang der Eumeniden ab: Nur ein Teil der Eumeniden akzeptierte das Urteil, ein anderer dagegen tat dies nicht, sondern setzte die Drangsalierung Orests fort (968–971). Daraufhin floh Orest noch einmal nach Delphi und setzte hier nun den Orakelgott massiv unter Druck, indem er ihm androhte, sich im Heiligtum durch einen 23

Auch diese Rolle Orests in der Tötung des Neoptolemos könnte eine Hinzufügung des Euripides sein; vgl. LLOYD, 1994, 2. Es ist umstritten, ob Orest bei dieser Tötung selbst anwesend war und mitwirkte (so LLOYD, 1994, 152) oder ausschließlich andere die Tat durchführen ließ (so z.B. LESKY, 1947; in jedem Fall hatten die Delpher bei dieser Tötung die Hauptrolle. 24 Zur möglichen Verortung der hier beschriebenen Vorgänge im delphischen Apollontempel bzw. seiner unmittelbaren Umgebung vgl. STEVENS, 1971, 225 f.; LLOYD, 1994, 156. 25 Zur Frage, wieweit man die hier an Apollon geäußerte Kritik auf Euripides übertragen kann, vgl. STEVENS, 1971, 235: „Euripides [...] has chosen to present, if not originate, the version of N[eoptolemus’] death that is most [...] discreditable to Apollo and Delphi.“ Vgl. auch LLOYD, 1994, 159: „the god’s vindictiveness is emphasized by the mythological innovation of N[eoptolemus] being killed while trying to apologize.“ 26 Zur Grabstätte des Neoptolemos in der Nähe des Apollontempels vgl. Paus., X 24,6. 27 Vgl. KYRIAKOU, 2006, 40.

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Hungerstreik das Leben zu nehmen, sollte Apollon ihm nicht helfen (972– 975). Dies veranlasste den Gott dann zu einem weiteren Orakelspruch (977: αὐδὴν τρίποδος ἐκ χρυσοῦ λακών), mit dem er Orest ins ferne Taurerland (die heutige Halbinsel Krim am Nordufer des Schwarzen Meeres) schickte, um dort eine Artemis-Statue zu stehlen (!), sie nach Athen zu bringen und dadurch die ihn peinigenden Erinnyen loszuwerden (977–981);28 damit wird die Handlung des ganzen Stückes durch diesen Orakelspruch (der eine euripideische Erfindung sein dürfte29) ausgelöst. Als dann im Mittelteil der gefangene Orest kurz davor steht, geopfert zu werden (noch dazu von seiner eigenen Schwester), äußert er sehr bittere Worte über den Gott, der ihn mit seinen Orakeln in diese Lage gebracht hat;30 doch wird die weitere Entwicklung der Handlung erweisen, dass Apollons Orakel Orest nicht in den Untergang, sondern zur schließlichen Rettung führte.

3. Das delphische Orakel und das Schicksal des Labdakidenhauses In den Tragödien, die das Schicksal des Labdakidenhauses (namentlich das des Königs Laios, seines Sohnes Ödipus und seiner Mutter Iokaste sowie ihrer beider Söhne Eteokles und Polyneikes) behandeln, spielt Delphi und sein Orakel ebenfalls oft eine prominente Rolle. Dies ist zum ersten Mal in der thebanischen Trilogie des Aischylos (aufgeführt 467 v. Chr.) der Fall, von der nur das letzte Stück, die Sieben gegen Theben, erhalten ist; doch ist die Handlung der beiden vorangehenden zumindest in den Hauptzügen klar: Im Laios wurde die Titelfigur von einem delphischen Orakel 31 eindringlich davor gewarnt, Nachkommenschaft zu 28

Eine erste Fassung dieser Vorgeschichte gibt Orest bereits im Anfangsteil des Stücks (77–92), wo er jedoch die ganze „athenische Phase“ (mit Areopag-Prozess) auslässt, so dass man meinen könnte, das delphische Orakel hätte Orest direkt ins Taurerland (ohne die Zwischenstation Athen) geschickt; vgl. KYRIAKOU, 2006, 74. Auch in ihrem Auftritt als dea ex machina kommt Athena noch einmal kurz auf das Apollon-Orakel zu sprechen, das Orest ins Taurerland geführt hat. 29 Vgl. VOGT, 1998, 39. 30 IT 711–715: „Mich aber hat Apoll, der weise Seher, / Betrogen. Listig hat er’s eingerichtet, / Mich weit, recht weit von Hellas wegzusenden, / Weil er sich seiner früher’n Sprüche schämte. / Ihm gab ich ganz mich hin; ich ward zum Mörder / Der Mutter aus Gehorsam gegen ihn, / Und dafür büss’ ich jetzt mit meinem Leben“ (ἡµᾶς δ’ ὁ Φοῖβος µάντις ὢν ἐψεύσατο· / τέχνην δὲ θέµενος ὡς προσώταθ’ Ἑλλάδος / ἀπήλασ’, αἰδοῖ τῶν πάρος µαντευµάτων. / ὧι πάντ’ ἐγὼ δοὺς τἀµὰ καὶ πεισθεὶς λόγοις, / µητέρα κατακτὰς αὐτὸς ἀνταπόλλυµαι); Übersetzung: FINSLER 1998, 27 [hier V. 771–777]. 31 Vgl. den Rückblick auf das Orakel in Sept. 745–749: Ἀπόλλωνος [...] / τρὶς εἰπόντος ἐν / µεσοµφάλοις Πυθικοῖς / χρηστηρίοις θνῄσκοντα [scil. Λάιον] γέν- / νας ἄτερ σῴζειν πόλιν. Erstmals belegt ist das Laios-Orakel in Pindars 2. Olympischer Ode

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zeugen;32 er tat es trotzdem und brachte dadurch Ödipus hervor, der zu seinem Mörder wurde.33 Das Stück endete wahrscheinlich mit Laios’ Tod, doch blieb der Täter zunächst unerkannt.34 Seine Aufdeckung erfolgte im zweiten Stück, dem Oidipus, wie auch die Enthüllung, dass Ödipus nach der Überwindung der Sphinx unwissentlich eine eheliche Verbindung mit seiner eigenen Mutter eingegangen war und unter anderem die zwei Söhne Eteokles und Polyneikes gezeugt hatte; mit deren wechselseitiger Tötung in den Sieben gegen Theben sollte dann der seit Laios auf dem Labdakidenhaus liegende Fluch an sein Ende gelangen, indem der Untergang dieses Geschlechts - der nach dem Willen des Orakels eigentlich schon durch die Kinderlosigkeit des Laios (als Strafe für dessen Verbrechen an Chrysippos) eintreten sollte – durch den Ungehorsam des Laios zwei Generationen später „nachgeholt wurde“.35 Während das die gesamte aischyleische Trilogie überschattende LaiosOrakel aus einigen kurzen (mehr andeutenden) Rückblicken in den Sieben gegen Theben rekonstruiert werden muss,36 erweist sich Delphis Orakel in (V. 38–40) von 476 v. Chr., wobei hier nichts dazu gesagt wird, weshalb Laios die Prophezeiung, er werde von der Hand seines Sohnes sterben, erhält (vgl. MANUWALD, 2012, 10). 32 Wie eng dieses Orakel in Aischylos’ Trilogie mit Laios’ Vergehen an Pelops’ Sohn Chrysippos zusammenhing, ist nicht mehr feststellbar (vgl. HUTCHINSON, 1985, xxiii), doch ist die Vermutung eines solchen Zusammenhangs zumindest sehr attraktiv (vgl. LLOYD-JONES, 1983, 120f.; dagegen WEST, 1999, 37–42, worauf LLOYD-JONES, 2005, 31 f. und 33 f. wiederum antwortet), und er findet sich bereits im sogenannten PeisanderScholion (= Schol. Eur. Phoen. 1760, ausführlich dargestellt und kommentiert bei LLOYDJONES, 2005, 20–30). Die Rekonstruktion der aischyleischen Tetralogie bei SOMMERSTEIN, 2010, 84–90 erörtert nicht, weshalb Laios (und zwar sogar dreimal: Sept. 745–749) das Orakel erhielt, das ihn davor warnte, Nachkommenschaft zu zeugen (vgl. auch SOMMERSTEIN, 2015, 473: „There is no trace of the Laius-Chrysippus story before Euripides“; ähnlich GAGNÉ, 2013, 360 Anm. 67). FINGLASS, 2018, 31 weist darauf hin, dass eine Verbindung zwischen Laios’ Chrysippos-Frevel und der Vorhersage von Laios’ Tod durch seinen Sohn möglicherweise in Euripides’ verlorenem Chrysippos behandelt wurde. 33 Vgl. wiederum den Rückblick in Sept. 750–752: κρατηθεὶς δ' ἐκ φιλᾶν ἀβουλιᾶν / ἐγείνατο µὲν µόρον αὑτῷ, / πατροκτόνον Οἰδιπόδαν. 34 Vgl. HUTCHINSON, 1985, xxiii f. 35 Dazu, dass in den Sieben mit dem Bruderkampf das Ende des Königsgeschlechts herbeigeführt wird, auch wenn es in anderen Mythenversionen Nachkommen des Eteokles (Laodamas) und des Polyneikes (Thersandros) gibt, vgl. HUTCHINSON, 1985, xxviii. 167.175. In Sept. 800–802 weist der Bote, der Eteokles’ und Polyneikes’ Tod verkündet, darauf hin, dass Apollon mit diesem Tod „für das Geschlecht des Oidipus die alte Unvernunft des Laios zur Erfüllung bringt“ (801f.: ἄναξ Ἀπόλλων [...] Οἰδίπου γένει / κραίνων παλαιὰς Λαΐου δυσβουλίας); in 691 nennt Eteokles selbst „von Phoibos gehasst das ganze Geschlecht des Laios“ (Φοίβῳ στυγηθὲν πᾶν τὸ Λαΐου γένος). 36 HUTCHINSON, 1985, xxviii f. weist darauf hin, dass dieses Orakel Laios vielleicht umfangreicher auf die Folgen seines Ungehorsams aufmerksam machte, als dies die genannten Rückblicke erkennen lassen.

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Sophokles’ König Ödipus, der wahrscheinlich in den späteren 430er Jahren v. Chr.37 auf die Bühne gebracht wurde, von Anfang an und durchgehend sehr präsent. Schon in seinem einleitenden Gespräch mit dem Priester berichtet Ödipus, dass er angesichts der großen Notlage der unter der Seuche leidenden Stadt seinen Schwager Kreon nach Delphi geschickt hat, um beim Orakel Rat und Hilfe gegen das gegenwärtige Unheil zu erhalten (OR 69–72). Als Kreon kurz darauf zurückkommt, hat er in der Tat eine klare Weisung des Orakels zu vermitteln (96–98):38 „eine Befleckung des Landes, die auf diesem Boden genährt sei, aus ihm zu vertreiben und nicht weiter zu nähren, so dass sie unheilbar wird“; sodann identifiziert Kreon mit dieser „Befleckung“ die Ermordung des früheren Königs Laios (100–107). Bei Kreons weiteren Erläuterungen stellt sich heraus, dass Laios diesem Verbrechen zum Opfer fiel, als er seinerseits unterwegs zum delphischen Orakel 39 war (114). Jedenfalls ist Ödipus nunmehr entschlossen, durch neue Aufklärungsbemühungen zu diesem Fall der delphischen Weisung – die der Chor bald darauf (151 f.) als Wort des Zeus selbst bezeichnet – Folge zu leisten (135–137. 145 f.). Auch bei seiner folgenden Proklamation, die alle Bürger auffordert, zur Aufdeckung des Laios-Mörders beizutragen, nennt er sich einen „Mitstreiter“ des Gottes (und des Toten; 244 f.), und vor dem dann herbeigeholten Seher Teiresias wiederholt Ödipus ebenfalls noch einmal Apollons Weisung (305– 309). Als dieses Gespräch sich dann jedoch zu einem bitteren Streit zwischen dem Seher und dem immer aufgebrachteren Ödipus entwickelt, weist Teiresias darauf hin, dass Ödipus nicht durch ihn (Teiresias), sondern durch Apollon fallen werde (376 f.). Mitten in diesem Streit erinnert der Chor noch einmal daran, dass man sich doch darauf konzentrieren möge „dass wir die Weissagung / des Gottes möglichst gut erfüllen“ (406 f.), und auch das folgende Chorlied stellt die Frage, auf wen sich Apollons Weisung bezieht, in den Mittelpunkt (463–482). Im Zentrum des folgenden Epeisodion steht zunächst die Auseinandersetzung zwischen dem nunmehr eine breit angelegte Verschwörung witternden Ödipus und Kreon (den Ödipus als Kopf dieser Verschwörung ansieht). Im Verlauf dieser Auseinandersetzung bittet Kreon Ödipus, doch selbst nach Delphi zu gehen und die Wahrheit seines Berichts über das gegebene Orakel zu überprüfen (603 f.).

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Zu dieser Datierung vgl. MANUWALD, 2012, 6 f. FINGLASS, 2018, 3 tendiert ebenfalls zu dieser Dekade, hält aber auch eine Erstaufführung in den 440er oder 420er Jahren für möglich. 38 Die Übersetzung dieser und weiterer Verse aus dem Stück stammt von MANUWALD, 2012. 39 Das hier mit den Worten θεωρός [...] ἐκδηµῶν aber nur sehr implizit bezeichnet ist. Das Ziel von Laios’ theoria wird hier nicht genannt.

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Mit dem Auftreten von Ödipus’ Gemahlin (und Mutter) Iokaste (ab 634) – und nach dem Abgang Kreons (nach 677) – tritt nun aber erstmals ein anderes Orakel in den Fokus der Diskussion: Als Ödipus Iokaste davon in Kenntnis setzt, dass Teiresias ihn des Mordes an Laios beschuldigt habe, berichtet sie – um diese Behauptung des Sehers zu entwerten – ihrerseits Ödipus von dem Orakel, das Laios einst von Dienern Apollons40 erhalten habe: Es sei sein Schicksal,41 von der Hand seines (und ihres) eigenen Sohnes zu sterben (711– 714). Dies aber – fährt Iokaste fort (715–719) – sei mitnichten eingetreten, da Laios’ Sohn schon bald nach seiner Geburt im Gebirge ausgesetzt und Laios selber später von Räubern an einem Dreiweg erschlagen worden sei. Mit diesen Hinweisen löst sie jedoch bei Ödipus nun gerade Unruhe aus: Er fühlt sich durch bestimmte von Iokaste genannte Details (namentlich den Dreiweg) an eine eigene Begegnung erinnert, bei der er tödliche Gewalt ausübte. 42 Als er dann weitere Details von Iokaste erfährt, wird ihm immer klarer, dass wirklich er selbst derjenige gewesen sein könnte, der Laios erschlug (742– 754). Als nun Iokaste ihrerseits Ödipus nach dem Grund seiner immer größeren Beunruhigung befragt, berichtet er von dem Orakel, das er selber in Delphi erhielt, als er sich an das Heiligtum gewandt hatte, um Klarheit über seine eigene Herkunft zu erhalten (787 f.):43 Es sei ihm bestimmt (χρείη, 791), 40

Da Iokaste auch dieses Orakel entwerten will – weil es sich ihrer Meinung nach als falsch erwiesen hat –, achtet sie sorgfältig darauf, es nicht Apollon selbst zuzuweisen: χρησµὸς γὰρ ἦλθε Λαΐῳ ποτ’, οὐκ ἐρῶ / Φοίβου γ’ ἀπ’ αὐτοῦ, τῶν δ’ ὑπηρετῶν ἄπο (711 f.). 41 Damit erhält das Orakel eine deutlich andere Ausrichtung als bei Aischylos (vgl. oben Anm. 31) und bei Euripides (vgl. unten Anm. 53 sowie MANUWALD, 2012, 167 und FINGLASS, 2018, 31 f.): Während dort Laios alles Unheil hätte vermeiden können, wenn er keinen Sohn mit Iokaste gezeugt hätte, skizziert das Laios-Orakel in der Formulierung der sophokleischen Iokaste ein feststehendes Schicksal (µοῖρα, 713), dem Laios schlicht nicht entgehen kann. Dagegen vertritt KOVACS, 2009, 366 (wie auch LLOYD-JONES, 1983, 119 f.) die These, dass es keinen wirklichen Unterschied zwischen den Orakelfassungen bei Aischylos und Sophokles gibt; vgl. aber neben den zitierten Hinweisen aus MANUWALD, 2012 und FINGLASS, 2018 etwa KULLMANN, 1994, 108: „Jedoch ist bei Sophokles offensichtlich bewußt der Alternativcharakter des Orakels [...] ausgeblendet: Bei Aischylos war Apollons Spruch ausdrücklich als Verbotsorakel gekennzeichnet, das Laios die Freiheit ließ, sich gegen eine Zeugung zu entscheiden.“ 42 Vgl. MANUWALD, 2012, 171, der auch darauf hinweist, dass Sophokles den geographischen Ort des Zusammentreffens gegenüber Aischylos so verändert hat, dass an ihm der von Delphi kommende Ödipus und der auf dem Weg nach Delphi befindliche Laios aufeinandertreffen konnten: „Offenbar wollte Sophokles in seiner Version die Rolle des delphischen Orakels verstärkt hervortreten lassen.“ Vgl. dazu bereits RUSTEN, 1996, 101 sowie FINGLASS, 2018, 34 f. und 393 f. 43 SOMMERSTEIN, 2015, 478 hält dieses Orakel, das Ödipus in Delphi erhielt, für eine Erfindung des Sophokles (vgl. auch bereits MANUWALD, 1992, 9–11 und MANUWALD, 2012, 13); FINGLASS, 2018, 34 weist darauf hin, dass es jedenfalls vor Sophokles’ König

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seine Mutter zu heiraten, mit ihr Kinder zu zeugen und seinen Vater zu töten (790–793). Danach erzählt er von der schon erwähnten Begegnung, die für die meisten der ihm Begegnenden tödlich ausging (798–813), und rechnet nunmehr deutlich damit, dass er in der Tat der Mörder des Laios sein könnte und deshalb jetzt – wie in seiner eigenen früheren Proklamation festgelegt – in Verbannung gehen müsste (813–824). Er rechnet ferner aber damit, dass ihm das vom Orakel Vorhergesagte (Inzest mit der Mutter und Tötung des Vaters) immer noch bevorsteht und äußert nun auch erstmals Kritik an der „grausamen Gottheit“ (ὠµὸς δαίµων, 828), die ihn mit einem solchen Schicksal geschlagen hat (825–829). Iokaste versucht nun, ihn (und auch sich selbst) durch den Hinweis zu beruhigen, dass bereits die Laios gegebene Weissagung sich als manifest falsch erwiesen habe – denn der, der ihr zufolge Laios erschlagen musste, nämlich sein leiblicher Sohn, sei bereits wenige Tage nach seiner Geburt selbst umgekommen (852–856) –, und deswegen sei generell auf Sehersprüche (auch auf den, den Ödipus in Delphi bekommen habe) nichts zu geben (857 f.). In seinem folgenden Lied lässt sich der Chor von dieser Argumentation wenn nicht überzeugen, so doch zumindest stark beeindrucken: Er werde nicht mehr die großen Orakelstätten – allen voran Delphi – aufsuchen, wenn sich die Orakelstätten nicht mehr als verlässlich erwiesen (899–902); und als Beispiel für diese beunruhigende Entwicklung nennt er gerade das Laios-Orakel (906– 908), das Iokaste als eben nicht erfüllt und damit unzutreffend dargestellt hatte. Nun aber löst der im folgenden Epeisodion unvermittelt auftretende Mann aus Korinth einen verhängnisvollen „Erkenntnisschub“ aus, der zuerst Iokaste und im nächsten Epeisodion auch Ödipus die tragische Wahrheit ihrer Existenz vor Augen führt: Als der Korinther Iokaste mitteilt, der korinthische König Polybos sei tot (941), sieht diese sich sogleich in ihrer Ablehnung falscher Orakel bestätigt, denn Ödipus könne nun ja nicht mehr seinen Vater Polybos töten, obwohl das Orakel dies vorausgesagt hatte (946–949); und auch der nun hinzutretende Ödipus glaubt daraufhin für einen kurzen Moment, Delphis Orakel hätte sich geirrt, und seine Sprüche seien nichts wert (966–972). Doch dann holt ihn die Furcht wieder ein, der andere Teil des ihm zuteilgewordenen Orakels, nämlich der drohende Inzest mit seiner Mutter, könnte doch noch wahr werden (976. 985 f. 988). Der Korinther erkundigt sich nun, wovor genau Ödipus Angst hat, erfährt den doppelten Inhalt des Orakels und sieht sich daraufhin veranlasst, Ödipus darüber aufzuklären, dass Ödipus nicht belegt ist. Aufgrund dieses Orakels kehrt Ödipus nicht nach Korinth zurück – um eben nicht in die Gefahr zu geraten, seinen „Vater“ Polybos zu töten –, sondern zieht Richtung Theben und begegnet dann Laios – mit den bekannten fatalen Konsequenzen. Doch heißt dies nicht, dass Apollon damit für die Tötung des Laios durch Ödipus verantwortlich ist; sein Orakel sagt einfach das voraus, was in Sophokles’ Stück unweigerlich kommen muss (vgl. die nächste Anm.).

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der verstorbene Herrscher von Korinth und seine Frau gar nicht seine leiblichen Eltern sind (1002–1020); als der Korinther dann noch erläutert, er selber habe einst den kleinen Ödipus mit durchbohrten Füßen im Kithairongebirge von einem Untergebenen des Königs Laios übernommen und nach Korinth zum dortigen Herrscherpaar gebracht (1022–1044), wird Iokaste – die dies alles ebenfalls hört – klar, dass Ödipus ihr eigener seinerzeit ausgesetzter Sohn ist. Sie versucht noch, Ödipus von weiteren Nachforschungen abzuhalten; als ihr dies nicht gelingt, geht sie nach ihren letzten Worten (1071 f.) in den Palast, um sich das Leben zu nehmen. Bei Ödipus’ Verhör des alten Laios-Dieners im nächsten Epeisodion ergibt sich, dass Iokaste den kleinen Ödipus dem Diener zur Aussetzung gab, weil sie sich vor schlimmen Göttersprüchen fürchtete (1175: Θεσφάτων γ’ ὄκνῳ κακῶν), womit das LaiosOrakel gemeint ist, wie der nächste Vers bestätigt; gleich danach stürzt Ödipus, dem nunmehr klar ist, dass das ihm gegebene Orakel sich in allen Punkten als richtig erwiesen hat, ins Haus, um sich zu blenden. Wenn der blinde Ödipus schließlich behauptet, es sei Apollon gewesen, der ihn dazu gebracht habe, sich die Augen auszustechen (1330 f.), so könnte „Apollon“ eine Umschreibung für die grausigen Orakelsprüche sein,44 die die furchtbaren Taten 44 MANUWALD, 2012, 267 spricht in diesem Zusammenhang vom „Wirken Apollons“ (vgl. auch FINGLASS, 2018, 576). Apollon hat im Wesentlichen zwei Dinge getan: Er hat zum einen die Handlung des Stücks dadurch ausgelöst, dass er die Seuche über Theben gebracht hat und dann auf Kreons Anfrage in Delphi verkündete, was nun in Theben zu tun sei (vgl. MANUWALD, 1992, 11 und 2018, 14; KULLMANNN, 1994, 108 bezeichnet beides explizit als „sophokleisch“, d.h. als Neuerung), und er hat zum anderen – schon erheblich früher – verkündet, was in der Darstellung des Sophokles als vorherbestimmtes Schicksal unweigerlich eintreten musste. Dass dieses Schicksal ein vorausgehendes Verbrechen des Laios sühnt – wie Aischylos in seiner thebanischen Trilogie dargestellt hat –, wird in Sophokles’ Stück nirgends thematisiert. Vgl. FINGLASS, 2018, 74: „in Oedipus the King there is no indication that Oedipus is being punished for any hereditary fault, or that his family is somehow hated by the gods [...] Sophocles has deliberately made it difficult to explain why Oedipus endures the appalling misery inflicted upon him“; ähnlich bereits MANUWALD, 2012, 13. Im Folgenden schließt sich FINGLASS weitgehend an CAIRNS, 2013 an, für den Apollon eine größere Rolle hat als nur die, Ödipus’ unausweichliches Schicksal zu verkünden: „it is Oedipus’ moira to fall at the hands of Apollo, and Apollo is seeing to it that this will in fact happen“ (CAIRNS, 2013, 128). Dies würde jedoch zu folgendem paradoxen Resultat führen (FINGLASS, 2018, 75): „This is a play where the gods, particularly Apollo, are actively involved in punishing a man who has committed no crime and is not paying for any offence of an ancestor.“ Vielleicht ist es da besser, statt der „apparently motiveless malignity [scil. of the gods] that lies behind their hostility to Oedipus“ (FINGLASS, 2018, 76) doch eher so etwas wie ein unergründliches Schicksal zu postulieren, gegenüber dem auch Götter wie Apollon letztlich nur die Funktion eines Handlangers erfüllen. KOVACS, 2009 hat sogar erweisen wollen, „that it is Apollo who induces him [= Oedipus] to commit parricide and incest“ (359): „because Apollo knows more than Oedipus and because he can withhold information from him when he wants and supply it where it will

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ankündigten, denen weder Laios noch Ödipus trotz allen Bemühens zu entgehen vermochten. Im letzten Dialog des Stücks zwischen Ödipus und Kreon teilt dieser mit, er habe noch einmal nach Delphi geschickt,45 um vom Orakel zu erfahren, was mit Ödipus nun weiter geschehen solle (1438–1443). So steht das gesamte Stück von Anfang bis Ende unter der Ägide der Orakel Delphis. Delphische Orakel spielen auch in der mehrere Jahrzehnte später von Sophokles kurz vor seinem Lebensende geschaffenen „Fortsetzung“ der ÖdipusGeschichte, dem Ödipus auf Kolonos, eine Rolle. Im Eingangsteil gelangt Ödipus – nach langen Wanderungen – in die Nähe Athens, und nachdem er von einem Ortsansässigen erfahren hat, dass der Platz, auf dem er sich niedergelassen hat, zu einem heiligen Hain der Eumeniden/Erinnyen gehört (wo sich eigentlich kein Mensch aufhalten dürfte), enthüllt er kurz darauf seiner ihn begleitenden Tochter Antigone, dass ihm damit klar geworden ist, dass er sich an dem Ort befindet, wo er laut einem Orakel Apollons ans Ende seines Lebens gelangen soll. Dieses Orakel ist bemerkenswerterweise das gleiche, das ihm – wie er im König Ödipus (vgl. oben) erzählt – so viel Unheil vorhersagte, als er sich in Delphi nach seinen wahren Eltern erkundigte (87: τὰ πόλλ’ ἐκεῖν’ [...] ἐξέχρη κακά), doch enthüllt er jetzt zum ersten Mal,46 dass dieses Orakel nicht nur diese Unheilsankündigungen, sondern auch noch Informationen über sein weiteres Leben und Lebensende enthalten habe (88– 95):47 be most misleading, he easily engineers the result“ (360). Aber zu sagen „The meeting at the crossroads is [...] engineered by Apollo“ (361) geht zu weit, denn auch der Weg zurück nach Korinth (statt neu nach Theben) wäre für Ödipus wohl zunächst derselbe gewesen. Neu – und verhängnisvoll – dagegen ist, dass Laios ausgerechnet jetzt nach Delphi will und so Ödipus begegnen muss; dies aber ist augenscheinlich nicht von Apollon verursacht. KOVACS muss auch zugeben (366), dass im König Ödipus nirgendwo gesagt wird, aus welchem Grund Apollon Ödipus ins Unglück stürzen wollte: „Sophocles may have felt that Apollo’s hostility was already sufficiently familiar and that he needn’t spell out the background“ (367). Das ist reine Spekulation. 45 Dazu gut FINGLASS, 2018, 39: „Creon’s choice of consulting the oracle again before making a final decision [...] signifies how the revelation of Oedipus’ offences has undermined any confidence that human beings can make good decisions or that they can truly interpret what appear to be clear instructions from the gods.“ 46 Vgl. KAMERBEEK, 1984, 35. Die Weissagung, dass Ödipus auf dem athenischen Kolonos-Hügel sterben werde, findet sich bereits einige Jahre früher (erstmals in uns erhaltenen Texten, vgl. MASTRONARDE, 1994, 626) in Euripides’ Phoinissen (vgl. unten); aber die direkte Verknüpfung dieser Weissagung mit dem Orakel, das Ödipus die Tötung des Vaters und den Inzest mit der Mutter ankündigt, könnte eine eigene Ergänzung bzw. Erfindung des Sophokles sein. 47 Soph., OC 87–95: ὅς µοι, τὰ πόλλ' ἐκεῖν' ὅτ' ἐξέχρη κακά, / ταύτην ἔλεξε παῦλαν ἐν χρόνῳ µακρῷ / ἐλθόντι χώραν τερµίαν, ὅπου θεῶν / σεµνῶν ἕδραν λάβοιµι καὶ ξενόστασιν, / ἐνταῦθα κάµψειν τὸν ταλαίπωρον βίον, / κέρδη µὲν οἰκήσαντα τοῖς δεδεγµένοις, / ἄτην δὲ τοῖς πέµψασιν οἵ µ’ ἀπήλασαν. / σηµεῖα δ’ ἥξειν τῶνδέ µοι

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„[Apollon ...], der mir, als er mir jene vielen schlimmen Dinge weissagte, diese Ruhestatt nach langer Zeit verhieß: daß ich, zuletzt gekommen in ein Land, wo ich bei den Erhabenen Göttinnen Sitz sowie Zuflucht fände – daß ich dort mein jammervolles Leben enden würde: Siedelnd zum Segen denen, die mich aufgenommen, zum Fluch für die, die mich hinweggeschickt und ausgestoßen. Als ein Zeichen dafür, verhieß er mir, werde ein Beben kommen oder ein Donner oder Wetterstrahl des Zeus.“

Anders als im König Ödipus, wo Ödipus vor dem in diesem Orakel Angekündigten regelrecht davonlief, um seine Erfüllung zu vermeiden (und sie gerade dadurch erst ermöglichte), fügt sich Ödipus im Ödipus auf Kolonos in das Angekündigte: Er bleibt, um hier im letzten Teil des Stücks die Beendigung seiner irdischen Existenz zu erleben.48 Als im Fortgang des Stücks Ödipus’ Tochter Ismene zu ihm und ihrer Schwester Antigone kommt, hat sie noch von einem weiteren delphischen Orakelspruch, zu berichten, den die Thebaner inzwischen eingeholt haben (413–415): Das Grab des Ödipus werde für die, in deren Land es liege, eine Quelle der Kraft sein, für deren Feinde dagegen ein Ort des Untergangs (389 f.409–411).49 Dieses Orakel bestimmt dann auch wesentliche Elemente der weiteren Handlung, denn aufgrund seiner Kenntnis werden sowohl der jetzt in Theben die Macht habende Kreon als auch der von seinem Bruder Eteokles vertriebene Ödipus-Sohn Polyneikes zu Ödipus kommen und versuchen, ihn von seinem jetzigen Ort weg- und in ihre Machtsphäre hineinzubewegen. Demgegenüber appelliert Ödipus beim Chor der alten Athener um Hilfe und verweist auf die Vorteile, die er gemäß den genannten Orakeln Attika bringen werde (457–460). Ödipus wiederholt dieses Orakel dann auch gegenüber dem athenischen König Theseus (603–623), und dieser sagt ihm Hilfe und Aufnahme in Attika zu. Weder dem dann kommenden Kreon (728– παρηγγύα, / ἢ σεισµὸν ἢ βροντήν τιν’ ἢ Διὸς σέλας. Übersetzung: SCHADEWALDT, 1996, 15. 48 BERNARD, 2001, 102 will dagegen erweisen, dass Ödipus den Ort sehr wohl wieder hätte verlassen können und sogar sollen, um seiner Heimatstadt Theben den schlimmen Kampf zwischen seinen Söhnen und diesen den daraus resultierenden Tod zu ersparen. Man kann sich jedoch fragen, ob eine solche „alternate history“ wirklich im Horizont des Stücks (und seines Autors) lag. Gerade die heroisierende Entrückung am Ende spricht dafür, dass Ödipus in diesem Fall das Orakel richtig gedeutet und sich durch sein Bleiben ein würdiges Ende verschafft hat. 49 Der Inhalt dieses neuerlichen Orakels ist damit im wesentlichen eine Bestätigung des früheren Orakels, das von Ödipus im Eingangsteil des Stücks referiert wird (vgl. oben). Ödipus selbst verbindet in 452–454 beide Orakel miteinander.

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1043) noch dem danach auftretenden Polyneikes (1249–1446) gelingt es, Ödipus auf ihre Seite zu ziehen. Gegenüber Kreon kommt Ödipus noch einmal auf das Laios-Orakel zu sprechen, das diesem den Tod durch den Sohn voraussagte, und weist darauf hin, dass er selber gerade aufgrund dieser Vorherbestimmung schuldlos ist (969–973); zu dieser Tat wie auch zum Inzest mit der Mutter hätten ihn gegen sein Wissen und gegen seinen Willen Götter geführt (θεῶν ἀγόντων, 998). Der mit seinem Bruder im Streit liegende Polyneikes begründet sein Hilfegesuch an Ödipus mit Orakelsprüchen,50 die demjenigen den Sieg zusagen, auf dessen Seite Ödipus steht (1331 f.); doch Ödipus hat für ihn nur die Erneuerung des Fluches übrig, den er schon einmal gegen ihn und Eteokles aussprach (1375 f.). Nach Polyneikes’ Abgang beginnt der letzte Teil des Stücks, der zu Ödipus’ Tod oder besser: zu seiner Entrückung führt. Einige Jahre vor dem Ödipus auf Kolonos, wahrscheinlich zwischen 411 und 409 v. Chr.,51 hat auch Euripides den Stoff des Labdakidenmythos aufgegriffen: in den Phoinissen,52 die – ähnlich wie Aischylos’ Sieben gegen Theben – die letzte Phase dieses Mythos, nämlich den Bruderkampf zwischen Eteokles und Polyneikes um die Herrschaft in Theben darstellen, aber im Anfangsteil auch weit zurückblicken; und zwar geschieht dies in der langen Prologrede der Königin(mutter) Iokaste. Darin berichtet sie auch von dem Orakel, das Laios in Delphi erhielt, als er dort wegen der Kinderlosigkeit seiner Ehe das Orakel konsultierte (Phoen. 13–20). Dabei erhielt er – wie bei Aischylos (vgl. oben) – eine deutliche Warnung davor, einen Sohn zu zeugen:53 „Säe nicht Kinder in die Furche gegen den Willen der Götter! Denn zeugst du einen Sohn, so wird dich der Gezeugte töten, und dein ganzes Haus wird im Blut waten!“

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Es ist nicht ganz klar, ob damit das Orakel gemeint ist, von dem bereits Ismene in 413–415 spricht (so KAMERBEEK, 1984, 184), oder ein anderes speziell auf den Bruderkampf bezogenes (so JEBB, 1885, 205 f.) 51 Vgl. MASTRONARDE, 1994, 14. Dagegen optiert CRAIK, 1988, 40 für 409 oder 408. 52 Das Stück ist nach seinem Chor benannt: jungen Phönizierinnen, die sich eigentlich auf dem Weg nach Delphi (!) befinden, um im dortigen Heiligtum Dienst zu tun, aber auf ihrer Reise durch die kriegerischen Ereignisse in Theben (Belagerung durch die „Sieben“) festgehalten werden (vgl. V. 202–242). 53 Eur., Phoen. 18–20: µὴ σπεῖρε τέκνων ἄλοκα δαιµόνων βίαι· / εἰ γὰρ τεκνώσεις παῖδ’, ἀποκτενεῖ σ’ ὁ φύς, / καὶ πᾶς σὸς οἶκος βήσεται δι’ αἵµατος (eigene Übersetzung). Wie bei Aischylos (vgl. oben Anm. 31) – und anders als bei Sophokles (vgl. oben Anm. 41) – hätte Laios also auch in dieser euripideischen Version alles weitere Unheil vermeiden können, wenn er keinen Sohn gezeugt hätte.

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Des weiteren erzählt Iokaste, wie Ödipus und Laios, als sie beide auf dem Weg zum delphischen Orakel waren,54 an einer Weggabelung in Phokis zusammentrafen und es zur Tötung des Vaters durch den Sohn kam (33–45). In 1043–1045 erinnert ebenfalls der Chor daran, dass Ödipus aufgrund einer „von Delphi ausgehenden Sendung“ (Πυθίαις ἀποστολαῖσιν, 1043) auch nach Theben kam.55 In seinem Auftritt am Ende des Stücks – und dem dort gegebenen Rückblick auf sein von tragischen Ereignissen überschattetes Leben56 – erinnert sich auch der blinde Ödipus an das Orakel, mit dem Apollon Laios den Tod durch seinen Sohn voraussagte (1597–1599). In dem anschließenden Dialog mit Antigone, in dem Ödipus von den Leichnamen seiner Mutter/Gemahlin Iokaste und seiner Söhne Eteokles und Polyneikes Abschied nimmt, kommt er bemerkenswerterweise auf das Apollon-Orakel zu sprechen, von dem einige Jahre später Sophokles’ Ödipus auf Kolonos seinen Ausgang nimmt: Nach langen Wanderungen werde Ödipus in Athen, und zwar auf dem heiligen Kolonos-Hügel, sterben (1703–1707). 57 Das Stück enthält aber auch noch Hinweise auf weitere Apollon-Weissagungen: In 409– 14 berichtet Polyneikes seiner Mutter von dem Orakel, das sein Schwiegervater Adrastos für seine Töchter erhielt; und in 638–644 erzählt der Chor, wie bereits Kadmos’ Gründung Thebens aufgrund eines Orakelspruchs erfolgte. So ergibt sich der Eindruck, dass Delphi hier überall in der Geschichte der Labdakiden – von Kadmos über Laios und Ödipus bis zur Schaffung der Voraussetzungen von Polyneikes’ Zug gegen Theben und Ödipus’ Ende – eine bedeutende Rolle spielt.

54 Auch in Sophokles’ König Ödipus treffen beide zusammen, weil sie beide wegen einer Anfrage an das Orakel unterwegs sind (vgl. oben); allerdings scheint Laios’ Wagen in der Beschreibung der euripideischen Iokaste Ödipus zu überholen, was zeigt, dass beide auf dem Weg nach Delphi sind (MASTRONARDE, 1994, 155), während bei Sophokles Ödipus von Delphi kommt – wo er gerade die Prophezeiung, er werde seinen Vater töten, erhalten hat – und dementsprechend Laios begegnet. Hier scheint Euripides die Version des König Ödipus zugleich zu rezipieren und zu variieren (vgl. FINGLASS, 2018, 35 Anm. 106). 55 Hier scheint kein spezifisches Orakel gemeint zu sein, das Ödipus nach Theben schickte, sondern die allgemeine „Steuerung“ von Ödipus’ Geschick durch die Orakel, die er und Laios jeweils in Delphi erhielten (vgl. CRAIK, 1988, 229; MASTRONARDE, 1994, 443). 56 Dazu, dass dieser Rückblick keine spätere Hinzufügung zum Text ist, vgl. MASTRONARDE, 1994, 598. 57 Nach dem Wortlaut dieser Verse könnte dies ein separater Orakelspruch sein, den Ödipus zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt erhielt, während es sich bei Sophokles um einen weiteren (zuvor allerdings nirgends erwähnten, vgl. oben Anm. 46) Teil des berühmten Spruchs handelt, der Ödipus die Tötung seines Vaters und den Inzest mit seiner Mutter ankündigte.

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4. Ein ganz besonderer Fall: Delphi und Euripides’ Ion Der Ion des Euripides, aufgeführt 413 v. Chr.58 oder in den Jahren danach,59 ist die einzige (jedenfalls erhaltene) attische Tragödie, die zur Gänze in Delphi spielt. Ihr Thema ist ein für den delphischen Gott Apollon recht delikates: Der Titelheld wurde von ihm mit der athenischen Königstochter Kreusa gegen deren Willen60 gezeugt; nachdem Kreusa das neugeborene Kind in der gleichen Höhle ausgesetzt hatte, in der Apollon sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen hatte, beauftragte letzterer seinen Bruder Hermes damit, das Kind zu retten (wovon Kreusa aber nichts erfuhr) und nach Delphi zu bringen, wo sich die Pythia seiner annahm und es aufzog, bis es alt genug war, Funktionen als Tempeldiener zu übernehmen. Dies alles wird im Prolog des Stücks von Hermes erzählt, der auch enthüllt, wie es nunmehr weitergehen soll (Ion 57– 73): Kreusa hat inzwischen den Achaier Xuthos geheiratet, der Athen in einem Krieg wichtige Unterstützung leistete und jetzt Regent der Stadt ist; ihre Ehe aber ist kinderlos geblieben, weshalb jetzt beide nach Delphi kommen, um sich beim Orakel Hilfe gegen die Kinderlosigkeit zu erbitten. Da wird nun – erzählt Hermes – Apollon dem Xuthos das Orakel geben, dass der erste, dem er beim Verlassen des Tempels begegnet, sein Sohn sei61 – und das wird der junge Tempeldiener sein, der bei dieser Gelegenheit auch den Namen „Ion“ erhält. Kreusa soll seine wahre Identität bekannt gemacht werden, sobald er nach Athen gekommen ist;62 zugleich aber soll die wahre Vaterschaft 58

So LEE, 1997, 40. Vgl. PELLEGRINO, 2004, 29 f. (mit Anm. 25); MARTIN, 2018, 32. HOSE, 1995, 15–18 hat für das Jahr 412 und eine Aufführung zusammen mit den Stücken Helena und Iphigenie bei den Taurern plädiert. 60 Darauf weist schon das Wort βίαι im Prolog (11) hin; später im Stück schildert Kreusa selbst die für sie traumatische Erfahrung, die sich als „Vergewaltigung“ bezeichnen lässt (887–895). 61 V. 69–71: δώσει [...] / Ξούθωι τὸν αὑτοῦ παῖδα καὶ πεφυκέναι / κείνου σφε φήσει. NEITZEL, 1988, 274 glaubt, dass das Pronomen κείνου in V. 71 sich sowohl auf Xuthos wie auf das Subjekt Apollon beziehen lässt, aber die von ihm angeführten Parallelen (Eur., Alc. 17 und IA 129) für einen solchen Subjektsbezug von κείνου sind anders gelagert (sie greifen über eine Nebensatzgrenze hinweg, was in Ion 71 nicht der Fall ist); wenn NEITZEL eine Seite später (275) sogar behauptet, eigentlich könne sich das κείνου in 71 nur auf Apollon beziehen, fragt man sich, warum dann alle griechischen native speaker im Stück es anders verstehen (nämlich auf Xuthos bezogen). GIBERT, 2019, 137 liefert einen noch schlagenderen Grund, weshalb κείνου sich nur auf Xuthos beziehen kann: Der Subjektsakkusativ σφε greift τὸν αὑτοῦ παῖδα aus dem vorangehenden Vers wieder auf, und die Aussage τὸν αὑτοῦ παῖδα κείνου πεφυκέναι ist nur dann sinnvoll, wenn αὑτοῦ (= Apollon) und κείνου (= Xuthos) verschiedene Personen bezeichnen. 62 Dieses Detail wird am Ende von der dea ex machina Athena ausdrücklich bestätigt (1566–1568: ἔµελλε δ’ αὐτὰ διασιωπήσας ἄναξ / ἐν ταῖς Ἀθήναις γνωριεῖν ταύτην τε σοὶ / σέ θ’ ὡς πέφυκας τῆσδε καὶ Φοίβου πατρός). 59

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Apollons (vor anderen) weiter verborgen bleiben (71–73: ὡς [...] / γάµοι τε Λοξίου / κρυπτοὶ γένωνται), d.h. namentlich vor Xuthos. Apollon will Xuthos also ein Orakel geben, das die Unwahrheit sagt.63 So schön dieser göttliche Plan ist – der Fortgang des Stückes zeigt, dass er nicht aufgeht, nicht aufgehen kann: Zwar begrüßt Xuthos tatsächlich, nachdem er im Tempel das Orakel bekommen hat, den jungen Ion, der ihm als erster beim Verlassen des Tempels begegnet, als seinen Sohn (517), und Ion – der seine Herkunft nicht kennt – lässt sich auch (nach einigen Nachfragen, die sein „Vater“ nicht wirklich beantworten kann: 539–555) dazu bewegen, Xuthos als seinen Vater zu begrüßen (561.588.618.633. 645); doch will Xuthos diese „wahre“ Identität vor seiner Frau zunächst verschleiern, um ihr keinen Kummer zu bereiten (654–658), und er befiehlt ihrem weiblichen Gefolge – das den Chor dieses Stückes darstellt –, Ions Identität geheimzuhalten. Genau dies aber tut der Chor aus Loyalität gegenüber seiner Herrin nicht (760–795), und die sich daraufhin ebenso von ihrem Ehemann wie von Apollon verraten und hinters Licht geführt fühlende Kreusa lässt sich von ihrem alten Diener dazu überreden, einen Mordanschlag gegen Ion zu planen (978–1038); doch fliegt der Anschlag auf, und nun ist Kreusa die Gejagte, die mit dem Tod durch Steinigung bedroht wird (1111 f.).64 Die Dinge spitzen sich zu, als Kreusa in ihrer Flucht auf die Bühne stürzt, sich auf den Rat des Chores hin auf den dort befindlichen Altar (Apollons!) setzt, um vor Zugriffen geschützt zu sein, und gleich darauf ihr Verfolger Ion mit Helfern ebenfalls auf die Bühne eilt. In dieser Situation führt der unerwartete Auftritt der Pythia, die direkt von ihrem Dreifuß kommt (1320 f.: τρίποδα [...] χρηστήριον / λιποῦσα), dazu, dass Mutter und Sohn einander noch rechtzeitig erkennen, bevor Schlimmeres geschehen kann; denn die Pythia hat den Korb mit den Beigaben mitgebracht, in dem der kleine Ion ausgesetzt wurde, und mit Hilfe dieser Accessoires erkennt Kreusa, dass Ion ihr Sohn ist, und kann auch Ion überzeugen, dass sie seine Mutter ist. Nun aber erfährt er auch erst, dass Apollon sein Vater ist 63

Vgl. MARTIN, 2018, 145: „Apollo’s ‘white lie’ is exceptional.“ Noch etwas drastischer ZACHARIA, 2003, 134 f.: „this oracle is false, or at least misleading. It has been contrived by Apollo himself to serve his purpose [...]“ 64 Das Handlungsdetail, das Ion daran hindert, das von Kreusa für ihn bestimmte Gift zu trinken (1187–1194), wird im Bericht des Boten nicht explizit mit einer göttlichen Intervention in Verbindung gebracht (vgl. MARTIN, 2018, 443; vgl. auch bereits LLOYD, 1986, 42: „Euripides seems careful to leave it unclear where the responsibility for Ion’s rescue lies“), ebenso wenig das wenig später folgende Detail, das zeigt, dass hier ein Giftanschlag geplant war (1196–1208; dazu MARTIN, 2018, 444). Doch sagt der Bote bereits in seiner vorwegnehmenden Ankündigung seines Berichts, der Gott (also Apollon) habe dies ans Licht gebracht, weil er nicht befleckt werden wollte (1118: ἐξηῦρεν ὁ θεός, οὐ µιανθῆναι θέλων), und dies wird am Ende von der dea ex machina Athena bestätigt (1564f.: θανεῖν σε δείσας µητρὸς ἐκ βουλευµάτων / καὶ τήνδε πρὸς σοῦ, µηχαναῖς ἐρρύσατο).

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(1468–1488); zuvor hatte die Pythia – offenbar im Auftrag Apollons oder von ihm inspiriert 65 – an der Fiktion (die Apollons ursprünglichem Plan entspricht) festgehalten, dass der Gott ihm seinen Vater genannt habe und ihn nunmehr außer Landes sende (1345: πατέρα κατειπὼν τῆσδέ σ’ ἐκπέµπει χθονός 66). Gegenüber Ions sich wieder meldenden Zweifeln (1522–1525) beteuert Kreusa (1528–1531), dass Apollon wirklich sein Vater ist; dies aber weckt bei Ion die immer drängender werdende Frage, warum Apollon Xuthos mit einem falschen Orakel zu seinem Vater erklärt hat (1532 f.1537 f.). Kreusas beschwichtigenden Erklärungsversuch (1539–1545) akzeptiert er nicht, sondern ist drauf und dran, selbst in den Tempel zu gehen und den Gott direkt mit der Frage zu konfrontieren, ob er Sohn eines sterblichen Vaters oder des Gottes ist (1547 f.). In diesem Augenblick – und offensichtlich, um Ions impulsiven Vorstoß zu verhindern – erscheint Athena als dea ex machina. Sie bestätigt ausdrücklich (1560), dass Apollon Ions Vater ist (und beantwortet damit die Frage, die Ion zuletzt so umtrieb); zugleich erläutert sie noch einmal (1561 f.) seinen ursprünglichen Plan, Ion als Sohn des Xuthos auszugeben (und bestätigt damit die zuvor von Kreusa gegebene Erklärung); sodann versichert sie (1566– 1568), Apollon habe wirklich vorgehabt, in Athen Kreusa und Ion über ihr Mutter-Sohn-Verhältnis aufzuklären. Nach einem Ausblick (1575–1594) auf die glorreiche Zukunft, die nicht nur Ion und seine Nachkommen, sondern auch die Söhne haben werden, die Kreusa und Xuthos noch geboren werden, schaltet Athena noch einmal in den Modus „Verteidigung Apollons“ (1595– 1600): Er habe doch wirklich alles schön geregelt (καλῶς δ’ Ἀπόλλων πάντ’ ἔπραξε, 1595) – die Rettung des kleinen Ion und sein Aufwachsen im delphischen Heiligtum. Ein „Pferdefuß“ aber bleibt: Damit der erreichte „schöne Schein“ gewahrt bleibt, soll Xuthos weiter in dem Glauben gelassen werden, dass Ion sein Sohn sei – das sei doch das beste für alle (1601– 1603).67 Ion und Kreusa geben sich mit diesen Bescheiden zufrieden, doch hat das Bild, das Apollon und sein Orakel am Ende hinterlassen, in manchen Teilen

65 Dazu, dass die Pythia hier in der Tat durch einen Impuls Apollons auftritt und dieser Auftritt ein Teil seines Plans ist (was sich daran zeigt, dass sie die Gegenstände mitbringt, an denen sich Mutter und Sohn erkennen werden, und dass sie Ion auch wiederholt in seinem Zorn gegen die noch nicht erkannte Kreusa zu beschwichtigen versucht), vgl. MÜLLER, 1983, 37; MARTIN, 2018, 480. Etwas skeptischer ist dagegen LLOYD, 1986, 43: „Creusa is saved, but it is not clear whether the main reason for this was the opportune intervention of the Pythia or Ion’s piety in not violating Creusa’s sanctuary.“ 66 NEITZEL, 1988, 278 hält auch diesen Satz für „doppeldeutig“ und glaubt, man könne unter πατέρα auch Apollon verstehen; dem würde ich nicht zustimmen. 67 Dazu, warum Xuthos wohl in der Tat im Dunkeln gelassen werden muss, vgl. ERBSE, 1975, 45.

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der Forschung eine zumindest ambivalente Beurteilung erfahren;68 man könnte ihn als einen „Gott mit Grautönen“ bezeichnen.69 Auch wenn man – in Übereinstimmung mit der dea ex machina Athena – durchaus betonen kann, dass Apollon auf Krisen im Handlungsverlauf schnell und flexibel reagiert70 und am Ende alles (oder fast alles) mehr oder weniger ins Lot bringt, kann man ihm den Vorwurf nicht ersparen, dass er diese Krisen, die gerade sein (am Anfang des Stücks von Hermes skizzierter) Plan hervorgerufen hat, schlicht nicht voraussah;71 dies aber könnte man gerade bei einem Orakelgott als ein ziemliches Armutszeugnis ansehen.

5. Ergebnisse Die Art und Weise, in der das Orakel von Delphi und sein Gott in den hier behandelten elf Tragödien dargestellt werden, lässt deutliche Unterschiede zwischen den drei großen attischen Tragikern erkennen. Bei Aischylos übt das Orakel sowohl im Atriden- als auch im LabdakidenMythos klare göttliche Steuerungsfunktionen aus. Orest erhält bei seiner Konsultation in Delphi eindeutige und eindringliche Anweisungen, seinen Vater durch die Tötung seiner Mutter zu rächen, und als ihm daraufhin schlimme Konsequenzen von seiten der durch den Muttermord auf den Plan gerufenen Erinnyen drohen, leistet der Orakelgott nicht nur in Delphi weitere Hilfestellung, sondern tritt als Fürsprecher Orests sogar vor dem athenischen Areopag auf. In der aischyleischen Darstellung des Labdakiden-Mythos wirkt Apollon durch seine im Orakel dem Laios gegebene massive Warnung, einen Sohn zu zeugen, an der göttlichen Vergeltung für Laios’ Verbrechen an Chrysippos mit, und als Laios diese Warnung missachtet, treten nicht nur die vorhergesagte Tötung des Laios durch seinen eigenen Sohn und dessen Inzest mit der Mutter ein, sondern es erfüllt sich in der nächsten Generation auch das, was durch die gegenüber Laios ausgesprochene Warnung eigentlich 68

Vgl. LLOYD, 1986, 33 f.; KINDT, 2007, 23 f. Anm. 99. Vgl. LLOYD, 1986, 36: „Apollo is neither as fallible as he seemed in Athens nor as august as he seems in Delphi.“ Ein abgewogenes Urteil auch bei LEFKOWITZ, 2016, 103: „Apollo protects Creusa and their son Ion with ingenuity and efficiency, but without any display of empathy.“ 70 Vgl. ERBSE, 1975, 42 f.53. 71 Vgl. LLOYD, 1986, 33 und ZACHARIA, 2003, 137: „Apollo did not anticipate that Kreousa would attempt to kill Ion nor that Ion would launch a pursuit to seize Kreousa and punish her with death. Nor did he anticipate Ion’s questioning of the law that gives asylum to those who seek help at the god’s altar (1312–19), and his related threat to commit sacrilege and drag Kreousa away from the altar to kill her. Finally, Apollo, did not anticipate Ion’s persistent doubting of his divine parentage (1522–27; 1546–48) and his determination to extract an answer from the oracle.“ 69

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schon für ihn intendiert war: das Ende seines Geschlechts durch die gegenseitige Tötung der Ödipus-Söhne Eteokles und Polyneikes. Das Orakel von Delphi – dessen Verlautbarungen bei Aischylos in keiner Weise in Frage gestellt werden – ist hier ein gut funktionierender Bestandteil der unerbittlichen göttlichen Weltordnung. Bei Sophokles spielt das delphische Orakel vor allem in den Stücken, die sich mit dem Labdakiden-Mythos beschäftigen, eine wichtige Rolle. Im König Ödipus erweisen sich die Orakel, die sowohl Laios als auch Ödipus in Delphi erhalten, nicht als Warnungen vor Unheil, das sich vielleicht noch vermeiden ließe, sondern als Konstatierungen des Unausweichlichen,72 und die Menschen, die das Unausweichliche dennoch zu vermeiden versuchen, führen es gerade dadurch herbei. Anders als bei Aischylos äußern Menschen bei Sophokles erstmals die Ansicht (oder Hoffnung?), dass solche Zukunftsvorhersagen unzuverlässig und falsch sind; sie werden jedoch durch den Gang der Handlung vollständig widerlegt, und dadurch wird nicht zuletzt auch das Orakel von Delphi glänzend vindiziert. Kurz vor seinem Lebensende bekräftigt Sophokles diese Auffassung im Ödipus auf Kolonos, wo der Titelheld die Vorhersage des Orakels nicht mehr zu vermeiden, sondern im Gegenteil zur Vollendung zu bringen sucht, indem er sich von dem Eumeniden-Hain, der ihm als Ort der Beendigung seines irdischen Daseins vorhergesagt wurde, nicht mehr vertreiben lässt. In diesen Sophokles-Stücken ist Delphi mithin Verkünder eines Schicksals, das in jedem Fall eintritt und somit die seherischen Fähigkeiten des Orakels gegen alle geäußerten Zweifel ohne Wenn und Aber bestätigt. Bei Euripides hingegen gerät das Orakel in den beiden MythenKomplexen, zu denen er ebenfalls Stücke geschrieben hat, zunehmend in die Kritik (jedenfalls in Äußerungen wichtiger Figuren dieser Stücke, die natürlich nicht ohne weiteres mit dem Dichter gleichzusetzen sind). In den euripideischen Behandlungen des Atriden-Mythos erhält Orest zwar ebenfalls in Delphi den Auftrag, seine Mutter zu töten, wird aber durch die Ausführung dieser Tat so traumatisiert, dass nicht nur er, sondern auch andere die Sinnhaftigkeit dieser Orakel-Anweisung ernsthaft in Frage stellen; ferner gerät Delphi durch den Mord, den der gleiche Orest in Euripides’ Andromache mitten im Heiligtum an seinem Rivalen Neoptolemos durchführen lässt, beträchtlich ins Zwielicht. Bei der Darstellung der Rolle des Orakels in seiner Behandlung des Labdakiden-Mythos schließt sich Euripides tendenziell eher an Aischylos als an Sophokles an (das Laios-Orakel ist auch hier als Warnung konzipiert, durch deren Beachtung dem Labdakiden-Haus viel Unheil erspart geblieben wäre, es andererseits freilich bereits mit Laios sein Ende 72 Vgl. VOGT, 1998, 38, wobei aber nicht in den Blick genommen wird, dass diese Warnung zumindest bei Aischylos wohl bereits eine Art Vergeltung/Bestrafung für ein früheres Vergehen des Laios darstellt (vgl. oben Anm. 32).

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gefunden hätte). Im Ion schließlich spielt Euripides den beunruhigenden Fall durch, dass der Orakelgott selber73 mit voller Absicht eine Falschaussage machen74 könnte und dass er offenbar nicht in der Lage ist – obwohl er doch in die Zukunft sehen können soll –, die Folgen seiner Falschaussage richtig abzuschätzen.75 Damit lässt Euripides kritische Einstellungen zu Wort kommen, die er selber vielleicht nicht unbedingt teilt, die aber zum Teil weiter gehen als die distanzierte Haltung gegenüber dem delphischen Orakel, die man z. B. bei Thukydides zu entdecken geglaubt hat.76 73 Und nicht nur Menschen, wie dies bei Herodot mehrfach dargestellt ist (vgl. den folgenden Beitrag in diesem Band). 74 ERBSE, 1975, 45 spricht von „Unaufrichtigkeit“ und „irreführender Verwendung des berühmten Orakels“, hält es aber auch für möglich, dass Apollon – unter Einbeziehung von „Xuthos’ Einfältigkeit“ – „dem Spruch eine Formulierung gegeben haben [könnte], die den Ratsuchenden verführte, den vom Gott gewünschten Sinn herauszuhören“ (46). MÜLLER, 1983, 36 bestreitet, dass das Orakel eine „glatte Lüge“ sei, spricht aber eine Seite später (37) von einem „berechtigten Betrug“. VOGT, 1998, 40 Anm. 36 akzeptiert Neitzels Argumentation (vgl. oben Anm. 61) und hält das Orakel für „doppeldeutig“ (46); sie weist zugleich zu Recht darauf hin, dass Xuthos der einzige im Stück ist, der den genauen Wortlaut des Orakels gehört hat (ebd.), und er hat in ihm keinerlei Zweideutigkeit wahrgenommen. KINDT, 2007 und 2016 spricht ebenfalls wiederholt von „Apollo’s ambiguous oracle to Xuthus“, aber man sollte festhalten, dass dieses Orakel für keinen der menschlichen Akteure im Stück zweideutig ist – mit einer bemerkenswerten (aber auch nur kurzfristigen) Ausnahme: In V. 537 fragt Ion, ob „Sohn“ im biologischen oder übertragenen Sinn (als „Geschenk“) gemeint sei (σὸν γεγῶτ’ ἢ δῶρον ἄλλων;), lässt sich aber bald dahingehend beschwichtigen, dass „Sohn“ biologisch gemeint sei. Bemerkenswerterweise möchte Kreusas alter Diener die falsche Aussage über Xuthos’ Vaterschaft an Ion nicht dem Orakelgott anhängen, sondern Xuthos selbst (825: ὁ θεὸς οὐκ ἐψεύσαθ’, ὅδε δ’ ἐψεύσατο), was aber sowohl von Hermes am Anfang als auch von Athena am Ende des Stücks als unzutreffend erwiesen wird. Zwar wird auch die „Geschenk“-Deutung noch einmal aufgegriffen – von Kreusa in V. 1534 f.: πεφυκέναι µὲν οὐχί, δωρεῖται δέ σε / αὑτοῦ γεγῶτα) –, sie kann aber Ion an diesem Punkt der Handlung nicht mehr zufriedenstellen. Vgl. auch MARTIN, 2018, 145: „Attempts to construct an ambiguity in Hermes’ words [in 69–71] (and thus the oracle) are counter-intuitive, and it makes good sense that Apollo should be lying.“ Zuletzt hat GIBERT, 2019, 51–54 der „Wahrhaftigkeit“ von Apollons Orakel an Xuthos eine sehr überzeugende Diskussion gewidmet, in der er auch die These erwägt, „that the usual categories of truth and falsity do not apply to oracles or [...] that mortals fail to grasp (some part of) the truth of oracles because of our limited perspective, our need or habit of committing to a single, reductive meaning“ (54), schließlich aber – vor allem aufgrund der Tatsache, dass die dea ex machina Athena die von Hermes im Prolog geäußerte Erwartung vollauf und „without evident ambiguity“ bestätigt, „that Apollo’s oracle ‘is giving’ Ion to Xuthus“ (ebd.) und dass hier eine „deliberate deception“ vorliegt, mit der alle (menschlichen) Beteiligten fertigwerden müssen. 75 ERBSE, 1975, 47 formuliert prägnant, dass „der angeblich allwissende Gott naheliegende menschliche Reaktionen nicht vorausgesehen hat“. Vgl. auch oben Anm. 71. 76 Zu Thukydides hat MARINATOS, 1981 recht überzeugend gezeigt, dass er nicht die Orakel als solche kritisiert, sondern vielmehr ihre menschlichen Interpreten.

Das Orakel von Delphi bei Herodot Heinz-Günther Nesselrath 1. Einleitung Anders als sein großer Nachfolger Thukydides hat Herodot der Möglichkeit, dass überirdische Mächte Einfluss auf das menschliche Geschehen nehmen, große Aufmerksamkeit geschenkt und in diesem Zusammenhang nicht zuletzt der Frage, ob diese Mächte auch mit den Menschen kommunizieren.1 Dies zeigt sich schon daran, dass immer wieder in seinem Werk Menschen den Willen von Göttern mit der Hilfe von Orakeln zu erfahren suchen, die man in Herodots Welt an einer ganzen Reihe von Stätten einholen kann; unter diesen Stätten aber ist in seinem Werk keine so prominent wie das Orakel des Gottes Apollon in Delphi.2 In der Tat kommt das Orakel von Delphi in jedem von Herodots neun Büchern vor,3 wenn auch zum Teil in sehr unterschiedlicher Frequenz: Die Bücher, in denen es die geringste Rolle spielt, sind das Buch zwei (drei kurze Erwähnungen) und drei (sogar nur zwei kurze Erwähnungen). Dass sich gerade in diesen Büchern so wenig über Delphi findet, ist aber auch nicht weiter verwunderlich: Buch zwei ist zur Gänze dem Land Ägypten und seiner Geschichte gewidmet; Delphi taucht hier nur in Zusammenhang mit einer Erzählung über die griechische Hetäre Rhodopis auf, die – als Zeitgenossin der Dichterin Sappho im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. – in Ägypten zu Ruhm und Reichtum kam und den Zehnten von diesem Reichtum in Form einer beeindruckenden Zahl von eisernen Bratspießen nach Delphi stiftete;4 offenbar war 1

Vgl. KINDT, 2016, 53: „Oracles help Herodotus to retain a divine element in human history.“ 2 Vgl. BOWDEN, 2005, 69. 3 Laut KINDT, 2016, 18 finden sich bei Herodot insgesamt 57 „prophecies claiming Delphic origins“; Zusammenstellung im Register bei FONTENROSE, 1978, 453 f. 4 Hdt., II 135,3 f.: Ἐπεθύµησε γὰρ Ῥοδῶπις µνηµήιον ἑωυτῆς ἐν τῇ Ἑλλάδι καταλιπέσθαι, ποίηµα ποιησαµένη τοῦτο τὸ µὴ τυγχάνοι ἄλλῳ ἐξευρηµένον καὶ ἀνακείµενον ἐν ἱρῷ [...]. Τῆς ὦν δεκάτης τῶν χρηµάτων ποιησαµένη ὀβελοὺς βουπόρους πολλοὺς σιδηρέους, ὅσον ἐνεχώρεε ἡ δεκάτη οἱ, ἀπέπεµπε ἐς Δελφούς· οἳ καὶ νῦν ἔτι συννενέαται ὄπισθε µὲν τοῦ βωµοῦ τὸν Χῖοι ἀνέθεσαν, ἀντίον δὲ αὐτοῦ τοῦ νηοῦ („Rhodopis wollte ein Denkmal ihrer selbst in Griechenland hinterlassen, indem sie etwas derartiges anfertigen ließ, was noch von keinem anderen ausgedacht und in einem Heiligtum als Weihgeschenk aufgestellt worden sei [...]. Sie ließ also vom zehnten Teil ihres

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Delphi schon damals der geeignete Ort, um durch eine solche Stiftung die Stifterin in ganz Griechenland bekannt zu machen. Eine weitere Erwähnung Delphis findet sich ganz am Ende des zweiten Buchs, wo Herodot auf die finanzielle Unterstützung hinweist, die der ägyptische Pharao Amasis (er regierte 570–526 v. Chr.) und die damals in Ägypten lebenden Griechen dem Neubau des niedergebrannten Apollon-Tempels in Delphi zukommen ließen;5 offenbar wusste auch dieser ägyptische Pharao, mit welchem Sponsoring man sich in Griechenland die meiste Aufmerksamkeit sichern konnte. Dass dann im dritten Buch Herodots sogar noch etwas weniger von Delphi die Rede ist als im zweiten, liegt daran, dass dieses Buch (abgesehen von zwei Exkursen, die sich mit der Insel Samos beschäftigen) vor allem der persischen Geschichte gewidmet ist; dementsprechend taucht Delphi lediglich einmal kurz auf, als Herodot – aus Gründen, die hier nicht genauer dargelegt zu werden brauchen – auf die Bewohner der Insel Siphnos und ihr bemerkenswertes Schatzhaus in Delphi zu sprechen kommt, mit dem sie ihren damaligen – wir befinden uns in den 520er Jahren v. Chr. – Wohlstand an einem zentralen Ort der griechischen Öffentlichkeit präsentieren wollten.6 Während die Siphnier nun dieses Schatzhaus errichteten – so erzählt Herodot weiter7 –, fragten sie das Orakel, ob ihnen denn dieser wunderbare Wohlstand erhalten bleiben werde, und erhielten daraufhin eines der berühmten rätselhaften delphischen Orakel: „Wenn jedoch weiß in Siphnos das Prytaneion geworden, weiß umsäumt auch der Markt, dann ist ein Kluger vonnöten, sich zu hüten vor hölzerner Schar und dem Herold, dem roten.“8 Vermögens eine Menge eiserner Bratspieße machen, so groß, um einen Ochsen daran zu braten, und zwar so viele, wie der zehnte Teil ihres Vermögens hergab, und die sandte sie nach Delphi. Sie liegen auch jetzt noch aufgeschichtet da, hinter dem Altar, den die Chier gestiftet haben, und dem Tempel gerade gegenüber“). Alle hier verwendeten Herodotübersetzungen stammen aus NESSELRATH, 2017. 5 Hdt., II 180,2. 6 Hdt., III 57,2: τὰ δὲ τῶν Σιφνίων πρήγµατα ἤκµαζε τοῦτον τὸν χρόνον [...], ἅτε ἐόντων αὐτοῖσι ἐν τῇ νήσῳ χρυσέων καὶ ἀργυρέων µετάλλων, οὕτω ὥστε ἀπὸ τῆς δεκάτης τῶν γινοµένων αὐτόθεν χρηµάτων θησαυρὸς ἐν Δελφοῖσι ἀνάκειται ὅµοια τοῖσι πλουσιωτάτοισι („Die Siphnier [...] lebten damals in blühendem Wohlstand [...], weil es auf ihrer Insel Gold- und Silberminen von solcher Ergiebigkeit gab, dass vom Zehnten der daraus erzielten Erträge ein Schatzhaus in Delphi in ähnlicher Weise ausgestattet ist wie die reichsten Schatzhäuser dort“). 7 Hdt., III 57,3: Ὅτε ὦν ἐποιεῦντο τὸν θησαυρόν, ἐχρέωντο τῷ χρηστηρίῳ εἰ αὐτοῖσι τὰ παρεόντα ἀγαθὰ οἷά τέ ἐστι πολλὸν χρόνον παραµένειν („Als sie nun das Schatzhaus erbauten, fragten sie beim Orakel an, ob ihnen der gegenwärtige Wohlstand lange erhalten bleiben könne“). 8 Hdt., III 57,4: Ἀλλ' ὅταν ἐν Σίφνῳ πρυτανήια λευκὰ γένηται / λεύκοφρύς τ’ ἀγορή, τότε δὴ δεῖ φράδµονος ἀνδρὸς / φράσσασθαι ξύλινόν τε λόχον κήρυκά τ’ ἐρυθρόν. Vgl. zu diesem Orakel KINDT, 2016, 29 f.

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Die Siphnier verstanden dieses Orakel zunächst nicht – und auch dann noch nicht, als die „hölzerne Schar“ und der „rote Herold“ tatsächlich eingetroffen waren, nämlich eine Flotte der Samier, die – nachdem die Siphnier ihnen kein Geld leihen wollten – zur Plünderung der siphnischen Äcker überging und die Siphnier dann auch noch in einer Schlacht besiegte und ihnen anschließend hundert Talente Kriegsbeute abnahm (III 58). Mit diesen kurzen Erwähnungen Delphis im zweiten und dritten Buch sind bereits zwei wesentliche Themen skizziert, mit denen Delphi in Herodots Werk immer wieder präsent ist: zum einen Delphi als ein zentraler Ort der griechischen Öffentlichkeit, an dem man etwas für seine eigene Reputation tun kann, und zwar sowohl Privatleute (Rhodopis) als auch griechische Poleis (Siphnos) und sogar nicht-griechische Herrscher (Amasis); zum anderen die Orakelsprüche Delphis, mit deren Verständnis sich die Menschen immer wieder schwertun.

2. Kroisos und Delphi Beide gerade genannten Themen kommen schon im ersten Buch bei einer sehr prominenten Gestalt zusammen, nämlich bei dem Lyderkönig Kroisos,9 denn nicht nur stellt dieser seine Macht und seinen Reichtum in Delphi in einer Weise zur Schau, die jedenfalls in Herodots Werk von keinem anderen übertroffen wird, sondern er geht auch in seiner Deutung delphischer Orakel – nicht nur eines, sondern mehrerer – in einer so spektakulären – und wiederum von keiner anderen Figur in Herodots Werk übertroffenen – Weise fehl, dass ihn dies am Ende Herrschaft und Reich und beinahe auch das Leben kostet. Kroisos ist freilich in Herodots Darstellung nicht der erste Lyderkönig, der Beziehungen zum delphischen Orakel unterhielt; dies tat bereits der erste seiner Dynastie, der Usurpator Gyges.10 Als dieser auf moralisch recht zweifelhafte Weise auf den Thron gelangt war, benötigte er – so jedenfalls stellt Herodot dies dar – geradezu die Bestätigung durch das Orakel von Delphi,

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Im Kroisos-Logos kommen insgesamt zwölf Orakel vor (KINDT, 2016, 21). FLOWER, 1991, 61 bezeichnet Delphi als die wichtigste Quelle für Herodots Darstellung des Kroisos und seiner königlichen Ahnen: „Herodotus ties the history of Croesus’ whole dynasty to the gifts they gave to Apollo and the oracles they received from him [...] the dedications at Delphi and the traditions Herodotus heard in conjunction with them form the central part of his narrative.“ Vgl. auch FLOWER, 1991, 63: „many of the most important features of the Croesus ‘logos’ seem to be based on a Delphic source, although there are a number of other sources used to supplement this.“ 10 In I 14,2 wird Gyges als „der erste der Barbaren“ bezeichnet, die Weihgeschenke nach Delphi stifteten.

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um Widerstände gegen ihn zu überwinden;11 doch kam diese Bestätigung nicht ohne einen Pferdefuß: Das von Gyges gestürzte Geschlecht, sagt die Pythia bei Herodot, werde „am fünften Nachkommen des Gyges gerächt werden“.12 Es ist keineswegs unwahrscheinlich, dass es sich bei diesem Zusatz – und vielleicht sogar bei der ganzen Bestätigungsgeschichte – um ein vaticinium ex eventu handelt, zumal Herodot sogleich hinzufügt: „Diesem Spruch schenkten sowohl die Lyder als auch ihre Könige keine Beachtung, bis er sich eben erfüllte“;13 darauf wird noch einmal zurückzukommen sein. Auf jeden Fall zeigte man noch zu Herodots Zeit in Delphi umfangreiche Weihgeschenke des Gyges, zu denen Herodot zum Teil auch genau angibt, wo sie aufgestellt gewesen seien.14 Auch Kroisos’ Vater Alyattes ließ in Delphi Weihgeschenke aufstellen (I 25,2); zuvor hatte Alyattes bereits wegen einer über ihn gekommenen Krankheit eine Anfrage an das Orakel geschickt, auf die ihm aber eine Antwort verweigert wurde, bis ein von ihm niedergebrannter Tempel im Gebiet von Milet wiederaufgebaut sei (I 19,2 f.), und diese Wendung der Dinge führte dann mittelbar sogar zu einem Friedensschluss des Alyattes mit Milet (I 22,4). Als Alyattes sich im Anschluss an diese positive Entwicklung von der erwähnten Krankheit erholte, ließ er die gerade erwähnten Weihgeschenke nach Delphi stiften. Sein Sohn Kroisos durchläuft in mancher Hinsicht eine analoge Entwicklung: In seinen ersten Regierungsjahren unterwirft er mehr oder weniger alle Griechenstädte der kleinasiatischen Küste, wird aber dann auf dem Höhepunkt seiner Macht zu einem Anziehungspunkt für bedeutende griechische Intellektuelle (darunter auch Solon) und beginnt in der Folgezeit seine Aufmerksamkeit gen Osten zu richten, wo das junge Achämenidenreich unter seinem ersten Herrscher Kyros immer stärker wird. Kroisos möchte diese Bedrohung im Keim ersticken (I 46,1), und um sich dazu kompetenten Rat zu holen, initiiert er eine Probe aller ihm offenbar bekannten Orakelstätten (so11

Hdt., I 13,1: Ἔσχε δὲ τὴν βασιληίην καὶ ἐκρατύνθη ἐκ τοῦ ἐν Δελφοῖσι χρηστηρίου („So erlangte er die Königsherrschaft und wurde durch das Orakel in Delphi bestätigt“) . 12 Hdt., I 13,2: Τοσόνδε µέντοι εἶπε ἡ Πυθίη, ὡς Ἡρακλείδῃσι τίσις ἥξει ἐς τὸν πέµπτον ἀπόγονον Γύγεω („So viel jedoch sagte die Pythia (ferner): Die Herakliden würden am fünften Nachkommen des Gyges gerächt werden“). 13 Hdt., I 13,2: Τούτου τοῦ ἔπεος Λυδοί τε καὶ οἱ βασιλέες αὐτῶν λόγον οὐδένα ἐποιεῦντο, πρὶν δὴ ἐπετελέσθη. 14 Hdt., I 14,1 f.: Γύγης δὲ τυραννεύσας ἀπέπεµψε ἀναθήµατα ἐς Δελφοὺς οὐκ ὀλίγα, [...] καὶ τοῦ µάλιστα µνήµην ἄξιον ἔχειν ἐστί, κρητῆρές οἱ ἀριθµὸν ἓξ χρύσεοι ἀνακέαται. Ἑστᾶσι δὲ οὗτοι ἐν τῷ Κορινθίων θησαυρῷ σταθµὸν ἔχοντες τριήκοντα τάλαντα („Gyges aber sandte, nachdem er zum Herrscher geworden war, viele Weihgeschenke nach Delphi: [...] darunter – was am meisten der Erwähnung wert ist – befinden sich auch sechs goldene Mischkrüge als Weihgaben. Diese stehen im Schatzhaus der Korinther und haben ein Gewicht von dreißig Talenten“).

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wohl bei den Griechen wie auch bei dem Orakel in der Oase Siwa), die der deutschen „Stiftung Warentest“ alle Ehre gemacht hätte (I 46,2).15 Das Ergebnis dieses Tests ist, dass Delphi (neben dem Orakel des Amphiaraos, dem Herodot in der Folge jedoch erheblich geringere Aufmerksamkeit widmet16) mit Bravur aus diesem Test hervorgeht (I 47,2–48,217) und von Kroisos nunmehr mit Weihgeschenken geradezu überhäuft wird (I 50 f.18). Mit der Überbringung dieser Geschenke verbindet Kroisos dann auch die für ihn entscheidende Doppelfrage, „ob er gegen die Perser zu Felde ziehen 15 PARKE, 1984, 212 hält die Geschichte vom „Orakel-Test“ für eine delphische Erfindung; FLOWER, 1991, 61 hebt die „Delphic connections“ bei dieser Geschichte hervor. Vgl. THONEMANN, 2016, 153: „there are no historical parallels for this kind of experimental vetting of a Greek oracle’s reliability.“ 16 Immerhin heißt es in I 52, dass Kroisos auch dem Orakel des Amphiaraos Weihgeschenke (freilich erheblich weniger als Delphi) gesandt, und in I 53,2, dass er diesem Orakel die gleiche Frage wie Delphi gestellt habe; ferner habe das Orakel des Amphiaraos auch die gleiche Antwort gegeben wie das in Delphi. (KINDT, 2016, 22 Anm. 22 nennt irrtümlicherweise anstelle des Amphiaraos-Orakels das Zeus-Orakel von Dodona.) Später jedoch macht Kroisos das Amphiaraos-Orakel nicht ebenso wie Delphi für seine Niederlage gegen Kyros verantwortlich, und das Amphiaraos-Orakel erscheint auch nur noch zweimal kurz in Herodots weiterem Werk: in I 92,2 bei einer nochmaligen Erwähnung der von Kroisos dorthin gestifteten Weihgeschenke und in VIII 134 bei der „Orakelreise“ des Karers Mys im Auftrag des persischen Feldherrn Mardonios. THONEMANN, 2016, 153 f. weist auf den Widerspruch hin, dass Herodot Delphi zunächst (in I 48,1) als das „einzige“ Wahres verkündende Orakel bezeichnet, kurz darauf (I 53,2) aber sowohl Delphi als auch das Amphiaraos-Orakel als die „einzigen“ wahren Weissagungsstätten auf der Welt: „the awkward shift from singular to plural [...] clearly indicates that Herodotus was trying to reconcile two incompatible traditions“ (zur Harmonisierung dieses Widerspruchs vgl. bereits FLOWER, 1991, 64) Im Anschluss daran (S. 161–165) macht Thonemann in überzeugender Weise wahrscheinlich, dass Herodot durch die Weihung eines „Kroisos“ (der aber ziemlich sicher nicht der Lyderkönig war) an Amphiaraos, die er im Tempel des Apollon Ismenios zu Theben sah, zu der Annahme veranlasst wurde, dass diese Weihung zustande kam, weil (der Lyderkönig) Kroisos Amphiaraos für ein zuverlässiges Orakel habe danken wollen. 17 KIRCHBERG, 1965, 17 vermutet, dass Herodot das in I 47,3 zitierte (von KIRCHBERG als „nicht echt“ erachtete) Orakel selbst hörte; das ist gut denkbar, da es eine publikumswirksame „Selbstpreisung“ des umfassenden Wissens des delphischen Gottes enthält. 18 Zu den Weihgeschenken vgl. PARKE, 1984, 209–212.216 f.222 f. (Auf S. 222 f. äußert PARKE die Vermutung, dass diese Weihgeschenke nicht alle gleichzeitig, sondern bei mehreren verschiedenen Gelegenheiten von Kroisos gestiftet wurden); FLOWER, 1989, 66– 68 („Croesus, if anyone, must have believed in the power of Apollo and probably also in the veracity of his oracle“, 68); MILLS, 2014. FLOWER, 1989, 68 äußert sogar die These, dass es die Vielzahl und der Reichtum der Kroisos-Weihgeschenke in Delphi waren, die Herodot dazu inspirierten, sich näher mit der Geschichte dieses Königs zu beschäftigen („The core of this narrative is the gifts and the oral traditions which are associated with them“). Zur Statue von Kroisos’ „goldener Bäckerin“ vgl. ebenfalls PARKE, 1984, 219 f. sowie in diesem Band den Beitrag von Bäbler, oben S. 156–161.

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und welches Heer von Menschen er als Bundesgenossen gewinnen soll“,19 und er erhält bekanntlich zur Antwort, „dass er, wenn er gegen die Perser zu Felde ziehe, ein großes Reich zerstören werde“.20 Da Kroisos dies als Zusicherung versteht, dass er das Reich des Kyros zerstören werde, schickt er den Delphern neuerliche Geschenke (I 54,1) und stellt eine weitere Frage, nämlich „ob seine Monarchie von langer Dauer sein werde“;21 daraufhin bekommt er das berühmte „Maultier-Orakel“: „Dann aber, wenn ein Maultier wird zum König der Meder, ja dann, Lyder mit zartem Fuß, längs dem steinigen Hermos flieh und zögere nicht und sei ohne Scham ein Feigling!“22

Auch dieses Orakel kann er nur in seinem Sinn – d.h. als Zusicherung einer langen Herrschaft – verstehen. Freilich hatte Delphi für Kroisos nicht nur solche zumindest vordergründig positiven Sprüche parat: An einer etwas späteren Stelle erfahren wir noch, dass Kroisos auch einmal – die genaueren Umstände werden dabei nicht genannt – das Orakel wegen seines zweiten taubstummen Sohnes befragte und dabei zur Antwort erhielt: „Lyder von Herkunft, König von vielen, großer Narr Kroisos! Wolle nicht hören die viel ersehnte Stimme im Hause, wenn dein Sohn einmal spricht; für dich ist viel besser, dass ferne dies ist; denn er wird sprechen am ersten glücklosen Tage.“23

Diese Warnung – dass es auch einmal glücklose Tage für Kroisos geben könnte – bleibt bekanntlich folgenlos; Kroisos zieht gegen Kyros, verliert den

19 Hdt., I 53,2: εἰ στρατεύηται ἐπὶ Πέρσας καὶ τίνα ⟨ἂν⟩ στρατὸν ἀνδρῶν προσθέοιτο σύµµαχον. Der zweite Teil dieser Doppelfrage zeigt, dass Kroisos offenbar bereits fest mit der Bejahung des ersten Teils rechnet und deshalb auch die berühmte zweideutige Antwort des Orakels nur eindeutig in seinem Sinn verstehen kann. 20 Hdt., I 53,3: ἢν στρατεύηται ἐπὶ Πέρσας, µεγάλην ἀρχήν µιν καταλύσειν. CRAHAY, 1956, 198 hat dieses Orakel als „équivoque puérile“ bezeichnet; ähnlich kritisch PARKE/WORMELL I 135 („absurd simplicity“). Dagegen wendet KIRCHBERG, 1965, 19 Anm. 3 die große Bekanntheit dieses Orakels ein, die u.a. aus seiner Erwähnung durch Aristoteles (Rhet., III 5, 1407a37) hervorgeht. 21 Hdt., I 55,1: εἴ οἱ πολυχρόνιος ἔσται ἡ µουναρχίη. 22 Hdt., I 55,2: Ἀλλ’ ὅταν ἡµίονος βασιλεὺς Μήδοισι γένηται, / καὶ τότε, Λυδὲ ποδαβρέ, πολυψήφιδα παρ’ Ἕρµον / φεύγειν µηδὲ µένειν, µηδ’ αἰδεῖσθαι κακὸς εἶναι. 23 Hdt., I 85,2: Λυδὲ γένος, πολλῶν βασιλεῦ, µέγα νήπιε Κροῖσε, / µὴ βούλευ πολύευκτον ἰὴν ἀνὰ δώµατ’ ἀκούειν / παιδὸς φθεγγοµένου. Τὸ δέ σοι πολὺ λώιον ἀµφὶς / ἔµµεναι· αὐδήσει γὰρ ἐν ἤµατι πρῶτον ἀνόλβῳ. Von diesem Orakel nimmt KIRCHBERG, 1965, 25 an, es sei „früher ... als die Einholung der Orakel, die den Kyros-Zug betreffen“ erfragt worden; aber wieso hätte Kroisos dieses Orakel noch vor dem „Orakel-Test“ einholen sollen, nachdem er doch erst seine anderen Anfragen stellte?

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Krieg, seine Hauptstadt wird ein- und er selber gefangengenommen24 und auf einen Scheiterhaufen gestellt, von dem ihn nur ein plötzlich einsetzendes Gewitter rettet, nachdem er den Gott Apollon – unter Verweis auf die vielen ihm gestifteten Opfer und Weihgeschenke – um Hilfe angerufen hat (I 87,1 f.). Auch diese göttliche Hilfe hält Kroisos in der Folge aber nicht davon ab, dem Orakelgott von Delphi durch Gesandte bittere Vorwürfe überbringen zu lassen: sie sollten die Fesseln [die Kyros dem besiegten Kroisos hatte anlegen lassen] auf die Schwelle des Tempels legen und fragen, ob er [scil. der Gott] sich nicht schäme, Kroisos durch seine Orakelsprüche angestachelt zu haben, gegen die Perser zu Felde zu ziehen [...] Dies sollten sie fragen und dazu, ob es bei den griechischen Göttern Sitte sei, undankbar zu sein.25

Diese massive Anklage ruft dann eines der bemerkenswertesten Kapitel im ersten Buch – und vielleicht im ganzen Werk Herodots – hervor, nämlich eine ausführliche und detaillierte Verteidigungsrede der Pythia (I 91): Sie beginnt mit dem Hinweis, dass selbst ein Gott wie Apollon nicht – oder jedenfalls nur in geringem Umfang – etwas gegen das Schicksal ausrichten könne, das über Kroisos verhängt gewesen sei,26 seit sein Vorfahr Gyges durch ein Verbrechen den lydischen Königsthron erlangt habe; immerhin habe der Gott ihn ja wenigstens vom Scheiterhaufen und damit vor dem Tod gerettet. Ferner habe Kroisos die Orakelsprüche, die seinen geplanten Krieg gegen die Perser und die Dauer seiner Herrschaft betrafen, in sträflicher Weise missverstanden; und es folgt die Erklärung, wie er sie hätte verstehen müssen. Diese hochinteressante Apologie zeigt wohl vor allem zwei Dinge: Zum einen hatte die Geschichte mit Kroisos für die Orakelstätte offenbar so bedeutende (oder gravierende?) Folgen – immerhin steht hier der Vorwurf unklarer oder sogar bewusst irreführender Orakel im Raum –, dass sie sich veranlasst sah, publizistisch – modern gesprochen – Einiges zu unternehmen, um einen drohenden oder gar bereits eingetretenen „Image-Schaden“27 – mit möglicherweise auch negativen materiellen Folgen für das Heiligtum – möglichst gering zu halten; 24

Herodot kommentiert dieses Ende von Kroisos’ Herrschaft mit einem nahezu sarkastischen Verweis auf das frühere zweideutige Orakel (I 86,1): „Die Perser hatten also [...] Kroisos selber gefangengenommen, nachdem er [...] dem Orakelspruch entsprechend seinem eigenen großen Reich ein Ende gesetzt hatte“ (Οἱ δὲ Πέρσαι ... καὶ αὐτὸν Κροῖσον ἐζώγρησαν, ... κατὰ τὸ χρηστήριόν τε καταπαύσαντα τὴν ἑωυτοῦ µεγάλην ἀρχήν). 25 Hdt., I 90,4: τιθέντας τὰς πέδας ἐπὶ τοῦ νηοῦ τὸν οὐδὸν εἰρωτᾶν εἰ οὔ τι ἐπαισχύνεται τοῖσι µαντηίοισι ἐπάρας Κροῖσον στρατεύεσθαι ἐπὶ Πέρσας [...]· ταῦτά τε ἐπειρωτᾶν καὶ εἰ ἀχαρίστοισι νόµος εἶναι τοῖσι Ἑλληνικοῖσι θεοῖσι. 26 Zu der in diesem Argument enthaltenen weitgehenden Exkulpierung nicht nur des Orakels, sondern auch des Kroisos selbst vgl. FLOWER, 1989, 72: „Apollo [...] claims that Croesus was doomed to fall regardless of what he did. This declaration absolving Croesus from any serious wrongdoing seems the most significant part of this whole explanation.“ 27 Vgl. FLOWER, 1989, 71.

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ein ähnliches Problem wird uns noch einmal verstärkt im Zusammenhang mit Delphis Reaktionen auf die persische Invasion von 480 begegnen. Zum anderen zeigt diese Geschichte auch Herodots bemerkenswerte eigene Haltung zum Orakel: Er macht sich dessen Perspektive weitgehend zueigen – nachdem er sich zuvor sehr wahrscheinlich vor Ort darüber informiert hat – und stellt die Dinge so dar, dass jedenfalls auf den Orakelgott selber auch nicht der Schatten eines Verdachts von Fehlverhalten fällt.

3. Die Griechen und Delphi Kroisos ist der prominenteste Nichtgrieche, der mit dem delphischen Orakel in Herodots Werk intensiv zu tun hat; sonst sind es natürlich in der großen Mehrheit Griechen, für die das Orakel eine wichtige Rolle spielt, und zwar sowohl Privatpersonen (wie die bereits erwähnte Hetäre Rhodopis)28 als auch Staaten (vgl. die oben skizzierte Siphnier-Geschichte). Vor allem für diese zweite Kategorie lassen sich folgende Charakteristika herausstellen: Griechische Staaten fragen bei Herodot wiederholt in Delphi an, um sich in kultisch-religiösen Angelegenheiten Rat zu holen. So tun dies im vierten Buch die Bürger des unteritalischen Metapont, als plötzlich ein Mann namens Aristeas von Prokonnesos bei ihnen erscheint, sich als Gefolgsmann des Apollon bezeichnet und den Metapontinern befiehlt, einen Apollon-Altar und daneben eine Statue von sich selber, Aristeas, zu errichten;

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Folgende Anfrage griechischer Privatpersonen werden in Herodots Werk berichtet: In V 92β,2 fragt der Korinther Eëtion wegen seiner bisherigen Kinderlosigkeit an, und damit kommen die Ereignisse ins Rollen, die dazu führen, dass sein Sohn Kypselos später Alleinherrscher in Korinth wird; in V 92ε,1 f. erhält nämlich dieser Kypselos auch seinerseits einen ermutigenden Orakelspruch aus Delphi und unternimmt daraufhin einen erfolgreichen Staatsstreich. In VI 35,3–36,1 bricht der ältere Miltiades aufgrund eines von ihm in Delphi eingeholten Orakels aus Athen auf, um die thrakische Chersones in Besitz zu nehmen. In VI 86γ,1 f. wird die moralisch sehr fragwürdige Anfrage des Spartaners Glaukon, ob er bei ihm deponiertes Geld „durch einen [Mein-]Eid an sich bringen solle“, von der Pythia mit dem fatalen – weil sich tatsächlich erfüllenden – Hinweis beantwortet, dass schon für diese Anfrage sein ganzes Geschlecht von der Erde verschwinden werde. In IX 33,2 fragt der Eleer Teisamenos in Delphi „betreffend seiner Nachkommenschaft“ an, erhält aber eine völlig anders gelagerte Auskunft, nämlich „dass er in fünf ganz bedeutenden Kämpfen siegen werde“. Er selbst deutet das falsch als einen Hinweis auf Siege in panhellenischen Wettkämpfen (was besonders bemerkenswert ist, da Teisamenos nämlich von Beruf Seher ist!), aber die Spartaner verstehen den Hinweis richtig: Es geht um „kriegerische Wettkämpfe“ (Hdt., IX 33,3). Teisamenos lässt sich freilich nun erst gewinnen, als die Spartaner sich bereit erklären, ihm und seinem Bruder Hegias die Vollbürgerschaft als Spartiaten zu verleihen (Hdt., IX 33,4 f.). Zu dieser Geschichte vgl. KINDT, 2016, 46.

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das Orakel bestätigt diesen Befehl (IV 15,3).29 Dagegen reagiert es mit einer scharfen Absage, als im fünften Buch Kleisthenes, der Alleinherrscher von Sikyon, anfragt, ob er den in seiner Polis sehr verehrten mythischen Heros Adrastos vertreiben dürfe.30 Ebenfalls abschlägig beschieden wird im sechsten Buch die Anfrage der Bürger der Insel Paros, ob sie die Unterpriesterin Timo, wegen der Hilfe, die sie dem die Insel angreifenden athenischen Feldherrn Miltiades geleistet hat, mit dem Tod bestrafen sollen;31 die Pythia begründet ihr Nein in diesem Fall mit dem bemerkenswerten Hinweis, dass Timo lediglich als Instrument einer höheren Macht fungiert habe. Auch in krisenhaften Situationen allgemeiner Dürre und Unfruchtbarkeit greifen griechische32 Poleis (wie schon König Oidipus im thebanischen Labdakiden-Mythos33) gern zu dem Mittel, sich in Delphi Rat und Hilfe zu holen. So wird im fünften Buch eine entsprechende Anfrage der Epidaurier mit Anweisungen zur Errichtung zweier neuer Kulte beantwortet (V 82,1 f.); und im neunten Buch fragen die Apolloniaten in Dodona und Delphi an und erfahren, 29

Zu dieser Geschichte vgl. KINDT, 2016, 31 f. Hdt., V 67,2: Ἐλθὼν δὲ ἐς Δελφοὺς ἐχρηστηριάζετο εἰ ἐκβάλοι τὸν Ἄδρηστον· ἡ δὲ Πυθίη οἱ χρᾷ φᾶσα Ἄδρηστον µὲν εἶναι Σικυωνίων βασιλέα, ἐκεῖνον δὲ λευστῆρα („So ging er nach Delphi und fragte beim Orakel an, ob er Adrastos vertreiben solle; die Pythia aber sagte ihm in ihrer Verkündigung, Adrastos sei der König der Sikyonier, er dagegen ein Henker“). Zu diesem Orakel und zur Diskussion um die genaue Bedeutung des Wortes λευστήρ vgl. ELAYI, 1979, 224–227. 31 Hdt., VI 135,2 f.: Πάριοι δὲ πυθόµενοι ὡς ἡ ὑποζάκορος τῶν θεῶν Τιµὼ Μιλτιάδῃ κατηγήσατο, βουλόµενοί µιν ἀντὶ τούτων τιµωρήσασθαι θεοπρόπους ἐς Δελφοὺς πέµπουσι [...]· ἔπεµπον δὲ ἐπειρησοµένους εἰ καταχρήσωνται τὴν ὑποζάκορον τῶν Θεῶν ὡς ἐξηγησαµένην τοῖσι ἐχθροῖσι τῆς πατρίδος ἅλωσιν καὶ τὰ ἐς ἔρσενα γόνον ἄρρητα ἱρὰ ἐκφήνασαν Μιλτιάδῃ. Ἡ δὲ Πυθίη οὐκ ἔα, φᾶσα οὐ Τιµοῦν εἶναι τὴν αἰτίην τούτων, ἀλλὰ – δεῖν γὰρ Μιλτιάδην τελευτᾶν µὴ εὖ – φανῆναί οἱ τῶν κακῶν κατηγεµόνα („Als die Parier aber erfuhren, dass die untergeordnete Tempeldienerin der Göttinnen, Timo, Miltiades den Weg gewiesen hatte, wollten sie sie dafür zur Rechenschaft ziehen und schickten deshalb eine Gesandtschaft nach Delphi [...]; sie schickten Leute, die fragen sollten, ob sie die untergeordnete Tempeldienerin der Göttinnen hinrichten sollten, weil sie den Feinden den Weg zur Eroberung ihrer Vaterstadt gewiesen und die heiligen Gegenstände, die keines Mannes Auge sehen dürfe, dem Miltiades gezeigt habe. Die Pythia aber erlaubte dies nicht; sie sagte, nicht Timo sei an diesen Geschehnissen schuld, sondern sie sei – denn Miltiades sei es bestimmt, nicht gut zu enden – ihm als Hinführerin zu diesen Übeln erschienen“). 32 Und nicht nur griechische: In I 167,2 fragen die Bürger des etruskischen Agylla (Caere) wegen eines begangenen Frevels (Steinigung von Kriegsgefangenen), der allgemeine Unfruchtbarkeit im Land zur Folge hatte, in Delphi an und erhalten als Sühneauflage, Spiele einzurichten. In II 134,3 f. müssen sogar die Delpher selbst aufgrund eines Orakelspruchs eine Geldstrafe wegen der Tötung des Fabeldichters Äsop leisten (was zu Unfruchtbarkeit und Krankheit geführt hatte, wie man aber nicht aus Herodot, sondern aus Plutarch, De sera 12, 557a erfährt). Vgl. auch die Anfrage der Pelasger wegen einer Dürre auf Lemnos in VI 139,1 f. 33 Vgl. dazu den vorangehenden Beitrag, oben S. 339. 30

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dass sie selbst die Unfruchtbarkeit ihres Landes durch die Blendung ihres Mitbürgers Euenios verschuldet haben (IX 93,1). Delphi kann auch bei anderen innenpolitischen Krisen zu Rate gezogen werden. Nach schweren Auseinandersetzungen innerhalb des kyrenäischen Königshauses fragen die Kyrenäer beim Orakel an, „mit welcher Einrichtung ihrer Verhältnisse sie am besten leben könnten“ (IV 161,1), woraufhin die Pythia ihnen nahelegt, „sich aus Mantinea in Arkadien einen ‚Ordner‘ zu holen“ (161,2), der dann für eine neue Verfassung in der Polis sorgt. In eine Krise kann eine Polis freilich auch durch kriegerische Verwicklungen geraten. In VI 19,1 weist Herodot auf ein Orakel voraus, das die Argiver erhielten, als sie in Delphi „wegen der Rettung der eigenen Stadt“ anfragten;34 die genaueren Umstände der Anfrage (eine militärische Auseinandersetzung mit Sparta offenbar um 494 v. Chr.) und den Wortlaut des Orakels bietet Herodot aber erst erheblich später, in VI 77,1 f. An der früheren Stelle wird das Orakel erwähnt, weil es in seinem zweiten Teil (V. 6–9) auch eine Weissagung für Milet enthält, und zwar eine, die sich auf die Eroberung der Stadt durch die Perser am Ende des Ionischen Aufstandes (494) bezieht, die in VI 18 berichtet wird. Dass ein delphisches Orakel Weissagungen für zwei ganz verschiedene Städte enthält (von denen die eine – Milet – sich überdies nicht einmal um ein solches Orakel bemüht hat, vgl. VI 19,2), ist nichts weniger als einmalig, und hinzu kommt, dass die genaue Deutung dieses Doppel-Orakels (ἐπίκοινον χρηστήριον, VI 19,1) bis heute nicht klar ist.35 In anderen Fällen werden griechische Poleis in Delphi vorstellig, um sich göttliche Rückendeckung für größere Unternehmungen zu holen. Im ersten Buch erleben die Bürger von Knidos bei ihrem Versuch, ihre Landenge durch einen Durchstich vom übrigen Festland abzutrennen – und damit besseren Schutz gegen die anrückenden Perser zu haben –, unerwartet viele Unfälle; als sie sich daraufhin in Delphi erkundigen, was da los sei, erhalten sie die eindeutige Anweisung: „Des Landes Enge nicht befestigt noch durchstecht! Zeus hätt’ zur Insel es gemacht, wenn er’s gewollt.“36 34

Für diesen Fall gibt es auch wieder ein anschaulich erzähltes nichtgriechisches Beispiel: In VI 34,1 fragen die thrakischen Dolonker in Delphi an, weil sie vom Nachbarstamm der Apsinthier kriegerisch bedrängt worden, und erhalten von der Pythia die Antwort, „sie sollten als Stadtgründer den in ihr Land lassen, der sie nach dem Verlassen des Heiligtums als Erster zu einem Gastmahl laden werde“ (VI 34,2) – was in VI 35,2 eben der ältere Miltiades tut, der sich dann – nachdem er sich seinerseits beim delphischen Orakel noch einmal versichert hat (VI 35,3; vgl. oben Anm. 28) – ins Land der Dolonker aufmacht. 35 Vgl. KIRCHBERG, 1965, 68; HORNBLOWER/PELLING, 2017, 107 f. und 193–195. 36 Hdt., I 174,5: Ἰσθµὸν δὲ µὴ πυργοῦτε µηδ' ὀρύσσετε· / Ζεὺς γάρ κ’ ἔθηκε νῆσον, εἴ γ’ ἐβούλετο. Zu dieser Geschichte vgl. PARKER, 1985, 316: „If true, the story is striking evidence of Delphic defeatism, since the Cnidians themselves are portrayed as eager to

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Im fünften Buch fragen die Thebaner nach einer empfindlichen Niederlage gegen die Athener in Delphi an, „weil sie sich an den Athenern rächen wollten“ (V 79,1). Die Pythia antwortet, sie könnten eine solche Vergeltung nicht allein ins Werk setzen, sondern sollten die Sache dem „Vielstimmigen“ vortragen und sich bittend an „die am nächsten Stehenden“ wenden (ebd.). Die thebanische Volksversammlung berät diese Antwort und gelangt zu der Deutung, dass damit die Aigineten gemeint sind (V 79,2–80,1). Diese erklären sich schließlich bereit, in Attika einzufallen, womit ein (weiterer) Krieg zwischen Aigina und Athen beginnt (V 81,2 f.). Namentlich bei Kolonisationsunternehmen weiß Herodot von entsprechenden Anfragen griechischer Städte zu berichten. 37 Der am ausführlichsten berichtete Fall dieser Art ist die Gründung Kyrenes im vierten Buch.38 Herodot kann aber auch tadelnd vermerken, wenn jemand auf Koloniegründung ohne eine vorherige Konsultation in Delphi auszieht – dies tut im fünften Buch der spartanische Königssohn Dorieus, und folgerichtig ist die von ihm gegründete Kolonie nur von kurzer Dauer (V 42,2). Seinen zweiten Versuch lässt sich Dorieus dann zwar von Delphi sanktionieren, er kommt jedoch gleichwohl um, weil er sich unterwegs von diesem Unternehmen hat ablenken lassen, um eine andere Stadt zu erobern (V 45,1).39 Auch sonst werden von Herodot wiederholt die bösen Folgen der Nichtbeachtung von delphischen Orakeln aufgezeigt. Im vierten Buch findet König Arkesilaos III. von Kyrene seinen Untergang, weil er eine ganze Reihe von Ratschlägen Delphis nicht beachtet; so begeht er einen Fehler nach dem anderen und fällt schließlich einem Attentat zum Opfer (IV 163 f.).40 Im fünften Buch halten sich die Athener nur teilweise an Anweisungen aus Delphi, wie sie gegenüber den Aigineten agieren sollen (V 89,2 f.),41 und so treten denn resist. Many scholars judge it a fabrication, designed to disguise a failure of will in Cnidos itself.“ 37 In I 165,1 berichtet Herodot, dass die Phokaier die Stadt Alalia auf Korsika „aufgrund eines Orakelspruchs“ (ἐκ θεοπροπίου) gründeten; mehr als zwei Kapitel später (in I 167,4) trägt er nach, dass dieser Spruch in Delphi gegeben wurde, die Phokaier dabei aber die Weisung Κύρνον κτίσαι falsch verstanden: Sie hätten nicht „Kyrnos [= Korsika] besiedeln“, sondern den Heros „Kyrnos etablieren“, d. h. ihm ein Heiligtum (an einem anderen Ort) gründen sollen. Vgl. dazu NESSELRATH, 2012, 17 f. 38 Hdt., IV 150–157 und 159 (mit insgesamt sechs delphischen Orakeln: KINDT, 2016, 38; zur Debatte um die Authentizität dieser Orakel vgl. KINDT, 2016, 39); vgl. dazu in diesem Band Osborne, oben S. 181, und Trampedach, oben S. 197 Anm. 47 sowie 202 f. 39 Zur Deutung von Dorieus’ Ungehorsam gegenüber dem Orakelspruch vgl. KIRCHBERG, 1965, 63–65. 40 Dazu KINDT, 2016, 28 f.; vgl. auch KIRCHBERG, 1965, 57 f. 41 Hdt., V 89,2 f.: Ἀθηναίοισι ὁρµηµένοισι ἐπ’ Αἰγινήτας στρατεύεσθαι ἦλθε µαντήιον ἐκ Δελφῶν ἐπισχόντας ἀπὸ τοῦ Αἰγινητέων ἀδικίου τριήκοντα ἔτεα τῷ ἑνὶ καὶ τριηκοστῷ Αἰακῷ τέµενος ἀποδέξαντας ἄρχεσθαι τοῦ πρὸς Αἰγινήτας πολέµου, καί σφι χωρήσειν τὰ βούλονται· ἢν δὲ αὐτίκα ἐπιστρατεύωνται, πολλὰ µέν σφεας ἐν τῷ

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bald die Leiden ein, die ihnen das Orakel für den Fall der Nichtbeachtung seines Spruches vorausgesagt hat (vgl. VI 87–93). Aus diesen Einzelberichten lässt sich ein Bild zusammenfügen, das zeigt, eine wie große Rolle Delphi als allgemeine Konsultationsstätte bei Herodot spielt. Gerade im Umfeld des großen Perserkrieges von 480 nun wird die panhellenische Bedeutung von Delphi in Herodots Werk noch einmal besonders sichtbar: Kurz vor der persischen Invasion nimmt der sich konstituierende Griechenbund in seinen Eid die Bestimmung auf, alle, die als Griechen sich den Persern ergäben, ohne dazu gezwungen zu sein, die sollten, wenn ihre [ d.h. der Schwörenden] Angelegenheiten zu einem guten Ende gekommen seien, als Buße an den Gott in Delphi den Zehnten entrichten.42

Es ist auch gerade nach Delphi, dass der syrakusanische Alleinherrscher Gelon einen Beauftragten schickt, um dort den Ausgang des Kampfes zwischen Griechen und Persern abzuwarten und im Fall eines persischen Sieges dem Sieger viel Geld und die Unterwerfung anzubieten (VII 163,2; vgl. 165). Bereits im achten Buch weist Herodot auf den Dreifuß hin, den die Griechen nach ihrem Sieg über die Perser in Delphi aufstellten und auf dem alle gegen die Perser kämpfenden griechischen Städte verzeichnet waren (VIII 82,1); in IX 81,1 wird diese Weihung der siegreichen Griechen nach der Schlacht von Plataiai genauer beschrieben: „der goldene Dreifuß ..., der auf der dreiköpfigen bronzenen Schlange aufruht, ganz nahe am Altar“.43 In Kap. 121 f. des achten Buches werden auch die Weihgeschenke, die die Griechen in Delphi für ihren Sieg bei Salamis stifteten, aufgeführt, mit genauer Lokalisierung ihrer Aufstellung. Mit solchen Nachrichten stellt Herodot heraus, dass Delphi µεταξὺ τοῦ χρόνου πείσεσθαι, πολλὰ δὲ καὶ ποιήσειν, τέλος µέντοι καταστρέψεσθαι. Ταῦτα ὡς ἀπενειχθέντα ἤκουσαν οἱ Ἀθηναῖοι, τῷ µὲν Αἰακῷ τέµενος ἀπέδεξαν τοῦτο τὸ νῦν ἐπὶ τῆς ἀγορῆς ἵδρυται, τριήκοντα δὲ ἔτεα οὐκ ἀνέσχοντο ἀκούσαντες ὅκως χρεὸν εἴη ἐπισχεῖν πεπονθότας πρὸς Αἰγινητέων ἀνάρσια („Als nun die Athener bereits entschlossen waren, gegen die Aigineten zu Felde zu ziehen, kam zu ihnen ein Orakelspruch aus Delphi, (der besagte,) sie sollten von diesem Unrecht der Aigineten an dreißig Jahre vergehen lassen, dann im einunddreißigsten Jahr dem Heros Aiakos einen heiligen Bezirk zuweisen und den Krieg gegen die Aigineten beginnen, dann würden ihre Wünsche in Erfüllung gehen; wenn sie dagegen sofort zu Felde zögen, würden sie in der Zwischenzeit vieles zu leiden haben, aber auch viele Taten vollbringen, doch am Ende die Aigineten unterwerfen. Als dies berichtet wurde und die Athener es hörten, wiesen sie zwar dem Aiakos einen heiligen Bezirk zu – nämlich den, der noch jetzt auf ihrem Marktplatz etabliert ist –, die dreißig Jahre jedoch hielten sie nicht aus – obwohl sie gehört hatten, dass sie sie abwarten sollten –, da sie (eben) von den Aigineten schlimme Dinge erlitten hatten“). Zu Zweifeln an dieser Geschichte vgl. BOWDEN, 2005, 115. 42 Hdt., VII 132,2: ὅσοι τῷ Πέρσῃ ἔδοσαν σφέας αὐτοὺς Ἕλληνες ἐόντες, µὴ ἀναγκασθέντες, καταστάντων σφι εὖ τῶν πρηγµάτων, τούτους δεκατεῦσαι τῷ ἐν Δελφοῖσι θεῷ. 43 Hdt., IX 81,1: ὁ τρίπους ὁ χρύσεος [...] ὁ ἐπὶ τοῦ τρικαρήνου ὄφιος τοῦ χαλκέου ἄγχιστα τοῦ βωµοῦ.

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gerade in diesen Jahren (um 480) als ein spirituelles Zentrum der freiheitsliebenden Griechen des Mutterlandes angesehen werden kann. Unter allen Griechen, die sich in Delphi Rat und Hilfe holen, ragen nun die Spartaner noch einmal besonders hervor: 44 Schon im ersten Buch wird Lykurgos, der legendäre Begründer der spartanischen Verfassung, mit Delphi in Verbindung gebracht – er wird bei seinem Besuch dort von der Pythia geradezu als Gott begrüßt (I 65,3) –, und in der Folgezeit konsultieren die Spartaner immer wieder das Orakel, wenn es um größere Unternehmungen und schwierige Fragen geht.45 Dabei sind sie freilich – wie andere Menschen – nicht vor Fehlinterpretationen sicher: Ebenfalls noch im ersten Buch glauben sie, ein delphisches Orakel sichere ihnen die Eroberung Tegeas zu, doch erweist sich dieses schon bald in Wahrheit als Voraussage einer empfindlichen Niederlage.46 Weitere Orakel – in denen es um die Gewinnung der Gebeine des mythischen Heros Orestes geht47 – helfen ihnen dann schließlich doch noch, die Oberhand über die Tegeaten zu gewinnen (I 67,2–68,6). 44

Zur Rolle von Orakeln für die Spartaner vgl. TRAMPEDACH, 2015, 295–297. Vgl. auch GEORGES, 1986, 34–36. 45 Sie sollen sogar noch vor der Zeit Lykurgs in Delphi einmal angefragt haben, als es darum ging, welchem von den Zwillingssöhnen des Herakles-Nachfahren Aristodemos man die Königswürde übertragen solle (VI 52,4 f.); bei dieser Gelegenheit habe Delphi durch seine Antwort das spartanische Doppelkönigtum etabliert. Vgl. zu dieser Geschichte KINDT, 2016, 35 f. 46 Hdt., I 66,1–4: καταφρονήσαντες Ἀρκάδων κρέσσονες εἶναι ἐχρηστηριάζοντο ἐν Δελφοῖσι ἐπὶ πάσῃ τῇ Ἀρκάδων χώρῃ. (2) Ἡ δὲ Πυθίη σφι χρᾷ τάδε· „Ἀρκαδίην µ’ αἰτεῖς; Μέγα µ’ αἰτεῖς· οὔ τοι δώσω. / Πολλοὶ ἐν Ἀρκαδίῃ βαλανηφάγοι ἄνδρες ἔασιν, / οἵ σ’ ἀποκωλύσουσιν. Ἐγὼ δέ τοι οὔτι µεγαίρω· / δώσω τοι Τεγέην ποσσίκροτον ὀρχήσασθαι / καὶ καλὸν πεδίον σχοίνῳ διαµετρήσασθαι.“ (3) Ταῦτα ὡς ἀπενειχθέντα ἤκουσαν οἱ Λακεδαιµόνιοι, Ἀρκάδων µὲν τῶν ἄλλων ἀπείχοντο, οἱ δὲ πέδας φερόµενοι ἐπὶ Τεγεήτας ἐστρατεύοντο, χρησµῷ κιβδήλῳ πίσυνοι, ὡς δὴ ἐξανδραποδιεύµενοι τοὺς Τεγεήτας. (4) Ἑσσωθέντες δὲ τῇ συµβολῇ, ὅσοι αὐτῶν ἐζωγρήθησαν, πέδας τε ἔχοντες τὰς ἐφέροντο αὐτοὶ καὶ σχοίνῳ διαµετρησάµενοι τὸ πεδίον τὸ Τεγεητέων ἐργάζοντο („In ihrem Hochmut dachten sie, sie seien stärker als die Arkader, und bekundeten bei einer Orakelanfrage in Delphi ihr Interesse am ganzen Land der Arkader. Die Pythia aber gab ihnen folgende Auskunft: ‚Du willst Arkadien von mir? Viel willst du – nicht werd’ ichs geben! / Viele eichelessende Männer bevölkern Arkadien, / diese werden dich hindern! Ich freilich bin dir nicht böse: / Geben werd’ ich Tegea dir zum Tanz mit den Füßen, / und um das schöne Land mit der Schnur wohl auszumessen!‘ Als die Spartaner dies gemeldet bekamen und hörten, hielten sie sich von den übrigen Arkadern fern, zogen aber gegen die Tegeaten und nahmen bereits Fußfesseln mit, im Vertrauen auf den trügerischen Orakelspruch und in der Erwartung, die Tegeaten zu versklaven. Da sie aber in der Schlacht unterlagen, trugen dann alle von ihnen, die lebendig gefangen genommen wurden, die Fesseln, die sie selbst mitgebracht hatten, und mussten die Felder der Tegeaten bearbeiten und sie dazu mit der Schnur ausmessen“). 47 Zu den Einzelheiten vgl. KIRCHBERG, 1965, 61–63; KURKE, 2009, 436 f. (gute Darlegung, wie die Spartaner durch Einholung weiterer Orakel und Erörterung der Bedeutung dieser Orakel ihren früheren Fehler wettmachen).

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Einem Orakel-Missverständnis unterliegt ebenso König Kleomenes, als er glaubt, Argos erobern zu können (VI 76,1 / VI 80).48 Auch aus der Zeit des Xerxes-Krieges kann Herodot von mehreren spartanischen Anfragen anlässlich des persischen Vormarsches berichten: Gleich zu Beginn des Krieges wird ihnen verkündet, „dass entweder Sparta von den Barbaren zerstört werden oder aber ihr König umkommen werde“;49 nach der Schlacht von Salamis erhalten sie dann eine erheblich zuversichtlichere Aufforderung: „Sie sollten von Xerxes Sühne für die Tötung des Leonidas fordern und das, was von ihm gegeben werde, annehmen.“50 Die insgesamt also sehr intensiven Kontakte zwischen den Spartanern und Delphi führen dann aber auch zu Fällen, bei denen zumindest das menschliche Personal der Orakelstätte beträchtlich ins Zwielicht gerät: Im fünften Buch nutzen die aus dem peisistratidischen Athen vertriebenen Alkmeoniden51 ihr damaliges „Sponsoring“ des Neubaus des delphischen Apollontempels, um über ihre guten Kontakte zum Tempelpersonal auf die häufig Delphi besuchenden Spartaner manipulativ einzuwirken; sie bringen nämlich „die Pythia mit Geldzahlungen dazu, dass sie, sooft Spartiaten kämen, um – sei es in persönlichen Angelegenheiten, sei es im Auftrag des Staates – das Orakel zu befragen, diesen verkünde, sie sollten Athen [von den Peisistratiden] befreien“.52 Infolgedessen unternehmen die Spartaner tatsächlich eine Expedition gegen das peisistratidische Athen (V 63,2), die jedoch mit einer vernichtenden spartanischen Niederlage endet (V 63,4), wenn auch eine zweite Expedition unter König Kleomenes dann erfolgreich ist (V 64 f.). Später erfah-

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Vgl. KINDT, 2016, 30 f. Hdt., VII 220,3: ἢ Λακεδαίµονα ἀνάστατον γενέσθαι ὑπὸ τῶν βαρβάρων ἢ τὸν βασιλέα σφέων ἀπολέσθαι. 50 Hdt., VIII 114,1: Ξέρξην αἰτέειν δίκας τοῦ Λεωνίδεω φόνου καὶ τὸ διδόµενον ἐξ ἐκείνου δέκεσθαι. Das „von Xerxes Gegebene“ wird dann die Schlacht von Plataiai sein (vgl. VIII 114,2), die mit einem großen spartanischen Sieg endet (ein Rückblick auf dieses Orakel nach der Schlacht in IX 64,1). GEORGES, 1986, 34 f. interpretiert dieses Orakel als Sanktionierung spartanischer Verhandlungskontakte mit dem Großkönig. 51 In Hdt., V 66,1 wird sogar spezifisch Kleisthenes als derjenige genannt, „von dem man eben erzählt, dass er die Pythia ‚überredet‘ habe“ (ὅς περ δὴ λόγον ἔχει τὴν Πυθίην ἀναπεῖσαι). In VI 123,2 bringt Herodot die Befreiung Athens von der Tyrannis noch einmal explizit in Zusammenhang mit der ‚Überredung‘ der Pythia durch die Alkmeoniden; vgl. KIRCHBERG, 1965, 72. 52 Hdt., V 63,1: ἀνέπειθον τὴν Πυθίην χρήµασι, ὅκως ἔλθοιεν Σπαρτιητέων ἄνδρες εἴτε ἰδίῳ στόλῳ εἴτε δηµοσίῳ χρησόµενοι, προφέρειν σφι τὰς Ἀθήνας ἐλευθεροῦν. GEORGES, 1986, 36 vermutet, dass die Geschichte der alkmeonidischen Manipulation Delphis ihren Ursprung in „religious propaganda“ gehabt haben könnte, mit der der spartanische König Kleomenes Stimmung gegen die Alkmeoniden zu machen suchte, als der neu in Athen installierte Kleisthenes sich nicht als willfähriges Werkzeug Spartas erwies. 49

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ren die Spartaner, dass sie durch das Orakel regelrecht manipuliert wurden,53 sind begreiflicherweise verstimmt und wollen u.a. aus diesem Grund eine Expedition zur Rückführung der Peisistratiden nach Athen unternehmen (V 90,1), die dann aber nicht zustandekommt (V 93,2–94,1). In einer anderen Episode sind Spartaner jedoch nicht die Manipulierten, sondern selbst die Manipulateure: Als in Sparta die Legitimität des Königs Demaratos aufgrund seiner unsicheren Abstammung zunehmend umstritten ist und deswegen in Delphi nachgefragt wird, ob Demaratos wirklich der Sohn des Königs Ariston sei, nimmt Demaratos’ Mitkönig – und Gegner – Kleomenes über den Delpher Kobon Einfluss auf die Promantis Perialla, und so verkündet die Pythia, dass Demaratos nicht Aristons Sohn sei.54 In späterer Zeit führt die Aufdeckung dieser Manipulation dazu, dass Kobon Delphi verlassen muss und Perialla ihres Amts enthoben wird (VI 66,3).55 In beiden Fällen aber lässt Herodot keinen Zweifel daran, dass sich hier Menschen verfehlt haben und dem Orakelgott nichts anzulasten ist.56 53

In V 92,1 bezeichnen die Spartaner die betreffenden Orakelsprüche als κίβδηλα; zur Bedeutung dieses aus dem Münzwesen stammenden und hier metaphorisch verwendeten Wortes in diesem Zusammenhang vgl. KURKE, 2009, besonders 428–436; zu vgl. auch FLOWER, 1989, 71 Anm. 96. 54 Hdt., VI 66,1 f.: Τέλος δὲ [...] ἔδοξε Σπαρτιήτῃσι ἐπειρέσθαι τὸ χρηστήριον τὸ ἐν Δελφοῖσι εἰ Ἀρίστωνος εἴη παῖς ὁ Δηµάρητος. (2) Ἀνοίστου δὲ γενοµένου ἐκ προνοίης τῆς Κλεοµένεος ἐς τὴν Πυθίην, ἐνθαῦτα προσποιέεται Κλεοµένης Κόβωνα τὸν Ἀριστοφάντου, ἄνδρα ἐν Δελφοῖσι δυναστεύοντα µέγιστον, ὁ δὲ Κόβων Περίαλλαν τὴν πρόµαντιν ἀναπείθει τὰ Κλεοµένης ἐβούλετο λέγεσθαι λέγειν („Die Spartiaten beschlossen schließlich, das Orakel in Delphi zu befragen, ob Demaratos der Sohn des Ariston sei. Als die Sache nun auf Veranlassung des Kleomenes der Pythia vorgetragen wurde, in dieser Situation zog Kleomenes Kobon, den Sohn des Aristophantos – einen Mann, der in Delphi größten Einfluss hatte –, auf seine Seite, und Kobon überredete die Oberpriesterin Perialla zu sagen, was nach Kleomenes’ Wunsch gesagt werden solle“). GEORGES, 1986, 36 f. schreibt auch dieser Geschichte spartanischen Ursprung zu, in diesem Fall Kreisen, die sich gegen Kleomenes richteten. 55 Ironischerweise könnte diese manipulierte Auskunft aber sogar das Richtige treffen: Aus der Erzählung von Demaratos’ Mutter in VI 69,1–4 geht nämlich hervor, dass er entweder doch der Sohn Aristons oder der des Heros Astrabakos ist. – Zu den Vorgängen um die Absetzung des Demaratos vgl. TRAMPEDACH, 2015, 297–301. 56 Vgl. KINDT, 2016, 37. Ähnlich bereits KIRCHBERG, 1965, 67 f.: „Gerade die Unanfechtbarkeit göttlicher Offenbarung wird betont, wenn Herodot darstellt, wie der Gott den Mißbrauch seines Orakels ahndet. So dient dieser Bericht von Bestechung und Strafe schließlich zur Betonung der unbezweifelbaren Glaubwürdigkeit der eigentlichen Orakel.“ Vgl. auch zusammenfassend KIRCHBERG, 1965, 117: Herodot kannte „keine Zweifel [...] an der Echtheit aller Voraussagen, die er nicht ausdrücklich als gefälscht bezeichnet“. MAURIZIO, 1997, 322 argumentiert (durchaus überzeugend), dass bereits die Bewahrung solcher Orakel (in den uns noch zugänglichen Traditionen) ein Indiz dafür ist, dass das sie rezipierende Publikum (Autoren wie Herodot eingeschlossen) die Orakel als „authentisch“ erachtete: „all the oracles attributed to Delphi are canonized by the tradition as authentic and thereafter become part of the appropriating force of the tradition.“

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4. Delphi und die Perser Unter dem Stichwort „menschliches Fehlgehen“ muss schließlich auch noch ein Blick darauf geworfen werden, wie sich Delphi – in Herodots Darstellung – angesichts der großen Bedrohung Griechenlands durch die Perser im Jahr 480 v. Chr. verhalten hat. Hier zeigen die von Herodot berichteten Orakel, dass Delphi zumindest bis vor der Schlacht von Salamis offenbar nicht an einen griechischen Erfolg glaubte: Als die Athener in Delphi angesichts des Anrückens der Perser anfragen, stellt ihnen ein erstes Orakel (VII 140,2 f.) die Perser als völlig unüberwindlich dar und rät ihnen, bis zu den Enden der Erde zu fliehen;57 als sie dann – bemerkenswerterweise von einem Delpher dazu ermutigt58 – auf einen zweiten, möglichst besseren, Spruch insistieren,59 rät ihnen dieser60 nun weZu der Möglichkeit, dass entsprechend interessierte Fragesteller Sprüche der Pythia relativ leicht falsch darstellen konnten, vgl. GEORGES, 1986, 37. 57 Hdt., VII 140,2 f.: Ὦ µέλεοι, τί κάθησθε; Λιπὼν φύγ’ ἐς [φύγ’ ἐς Reiske: φεῦγ’ codd.] ἔσχατα γαίης / δώµατα καὶ πόλιος τροχοειδέος ἄκρα κάρηνα. / Οὔτε γὰρ ἡ κεφαλὴ µένει ἔµπεδον οὔτε τὸ σῶµα, / οὔτε πόδες νέατοι οὔτ' ὦν χέρες, οὔτε τι µέσσης / λείπεται, ἀλλ’ ἄζηλα πέλει· κατὰ γάρ µιν ἐρείπει / πῦρ τε καὶ ὀξὺς Ἄρης, συριηγενὲς ἅρµα διώκων. / (3) Πολλὰ δὲ κἆλλ’ ἀπολεῖ πυργώµατα, κοὐ τὸ σὸν οἶον· / πολλοὺς δ’ ἀθανάτων νηοὺς µαλερῷ πυρὶ δώσει, / οἵ που νῦν ἱδρῶτι ῥεούµενοι ἑστήκασι, / δείµατι παλλόµενοι, κατὰ δ’ ἀκροτάτοις ὀρόφοισιν / αἷµα µέλαν κέχυται, προϊδὸν κακότητος ἀνάγκας. / Ἀλλ’ ἴτον ἐξ ἀδύτοιο, κακοῖς δ’ ἐπικίδνατε θυµόν („Elende, was sitzt ihr hier? O flieht an die Enden der Erde! / Lasst eure Häuser und auch der runden Stadt ragende Felsen! / Weder ja bleibt der Kopf noch bestehen, noch bleibet der Körper / noch die Füße ganz unten, die Hände nicht, nichts aus der Mitte / wird noch gelassen, ist nicht zu beneiden; denn alles reißt nieder / Feuer und heftiger Ares; auf syrischem Wagen er raset! / Auch viele andere Burgen zerstört er, nicht nur die deine, / viele Tempel der Götter gibt er dem verzehrenden Feuer; / die steh’n jetzt wohl da und sind vom Schweiß überströmet, / bebend vor Furcht, und herab von den höchsten Dächern der Tempel / rinnt schwarzes Blut und kündet voraus die Nöte des Übels. / Aber nun geht aus dem Tempel! Gewöhnt euren Sinn an die Übel!“). Vgl. hierzu auch VIII 53,1: ἔδεε γὰρ κατὰ τὸ θεοπρόπιον πᾶσαν τὴν Ἀττικὴν τὴν ἐν τῇ ἠπείρῳ γενέσθαι ὑπὸ Πέρσῃσι („Es musste gemäß dem Orakel das ganze festländische Attika unter die Macht der Perser fallen“). Zu den verschiedenen (jedoch zum Teil sehr weit hergeholten) Möglichkeiten, die überlieferte Wortfolge Λιπὼν φεῦγ’ [φύγ’ ἐς Reiske] ἔσχατα γαίης / δώµατα zu verstehen, vgl. ROBERTSON, 1987, 7 f. 58 Hdt., VII 141,3; dies könnte laut TUCI, 2006, 54 den Tatsachen entsprochen haben. Andererseits rechnet GEORGES, 1986, 38 damit, dass die Handlungsfolge, in der die Pythia von sich aus (also ohne eine Frage gestellt bekommen zu haben), den erschreckenden ersten Orakelspruch von sich gibt und mit dessen letztem Vers die athenischen Gesandten aus dem Tempel weist, von diesen erfunden worden sein könnte. 59 Vgl. dazu KINDT, 2016, 51: „This is the only example in the body of extant Greek literature of humans refusing to accept a prophecy delivered to them.“ Dieser Umstand spricht gegen die Auffassung, dass dies „regelmäßig“ möglich gewesen wäre (so MAURIZIO, 1997, 316: „the audience of any oracle could exert considerable influence on a per-

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nigstens, Schutz hinter einer „hölzernen Mauer“ zu suchen; und da er sodann explizit Salamis erwähnt und auch noch auf eine weitere Landschlacht vorausschaut, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um ein nach Plataiai entstandenes vaticinium ex eventu handelt.61 Es ist insgesamt bis heute recht umstritten, wann und unter welchen Umständen diese eigenartige Orakelsequenz62 – in der sich Delphi ja gleichsam selbst korrigiert – in den narrativen Zusammenhang gebracht wurde, in dem sie bei Herodot steht;63 dies ist vielformer, and as in this instance reject her performance and thereby refuse to confer authority on her“). 60 Hdt., VII 141,3 f.: Οὐ δύναται Παλλὰς Δί’ Ὀλύµπιον ἐξιλάσασθαι, / λισσοµένη πολλοῖσι λόγοις καὶ µήτιδι πυκνῇ· / σοὶ δὲ τόδ’ αὖτις ἔπος ἐρέω, ἀδάµαντι πελάσσας. / Τῶν ἄλλων γὰρ ἁλισκοµένων ὅσα Κέκροπος οὖρος / ἐντὸς ἔχει κευθµών τε Κιθαιρῶνος ζαθέοιο, / τεῖχος Τριτογενεῖ ξύλινον διδοῖ εὐρύοπα Ζεὺς / µοῦνον ἀπόρθητον τελέθειν, τὸ σὲ τέκνα τ’ ὀνήσει. / (4) Μηδὲ σύ γ’ ἱπποσύνην τε µένειν καὶ πεζὸν ἰόντα / πολλὸν ἀπ’ ἠπείρου στρατὸν ἥσυχος, ἀλλ’ ὑποχωρεῖν / νῶτον ἐπιστρέψας· ἔτι τοί ποτε κἀντίος ἔσσῃ. / Ὦ θείη Σαλαµίς, ἀπολεῖς δὲ σὺ τέκνα γυναικῶν / ἤ που σκιδναµένης Δηµήτερος ἢ συνιούσης („Nicht vermag Pallas den olympischen Zeus zu versöhnen, / auch wenn sie bittet mit vielfachem Wort und verständigem Ratschluss. / Dir aber sag’ ich dies neuerlich’ Wort und sichre mit Stahl es: / Wenn alles andere ja fällt, soviel der Hügel des Kekrops / in sich fasst und auch die Tiefe des heilgen Kithairon, / gibt Zeus seiner Tritogeneia, / dass hölzerne Mauer / bleibe allein unzerstört, zur Rettung für dich und die Kinder. / Nicht erwarte du Reiter noch auch den Angriff des Fußvolks / ruhig – zahlreich zieht es vom Lande heran –, sondern weiche, / kehre den Rücken! Es wird dir sein noch ein andermal Gegner. / Göttliche Salamis, du wirst vernichten die Kinder der Frauen, / wenn Demeter entweder gesät wird oder geerntet“). 61 So hält z.B. BOWDEN, 2005, 106 f. die von Herodot zitierten Verse für eine „posteventum creation“ (ähnlich GEORGES, 1986, 15 f.25–31) und betrachtet sie als eine Einheit, die vielleicht von Herodot aufgebrochen wurde (ähnlich bereits CRAHAY, 1959, 295– 304); möglicherweise setzt er damit Herodots Anteil an der Formung der Geschichte zu hoch an (gegen diese These auch TUCI, 2006, 43 Anm. 21). VANNICELLI, 2017, 466, hält es nicht für unmöglich, dass schon im Jahr 481 ein Orakel Salamis als möglichen Ereignisort nennen konnte, aber „la sua centralità nel processo decisionale dovette però essere sancita [...] soltanto dopo la battaglia.“ – Eine ganz andere Deutung („hölzerne Mauer“ = temporäre Befestigung des Isthmos von Korinth; Salamis als Ort einer möglichen Seeschlacht von den Athenern bereits vorausgesehen, als sie zur Befragung des delphischen Orakels kamen, und damit auch kein vaticinium ex eventu) findet sich bei ROBERTSON, 1987, 11. 62 ROBERTSON, 1987, 1 nennt diese beiden Orakel „the most important documents of Greek history surviving from such an early period“ und Herodots Bericht über ihre Erteilung „the fullest account we possess of oracular procedure in the days of Delphi’s greatest influence and prosperity“ (4). Vgl. in diesem Band auch Trampedach, oben S. 205.207 mit Anm. 86. 63 Vgl. KINDT, 2016, 51: „are we dealing with one or two separate responses here? Is the second response pointing to the same future, just in more positive words? Or are the Athenians, through their stubborn resolve not to leave the temple, able to secure not just a better prophecy but also a better fate?“ Zur Frage der zeitlichen Einordnung der beiden

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leicht erst dann geschehen – aber wohl noch, bevor die Geschichte zu Herodot gelangte –, als durch die griechischen Erfolge bei Salamis und Plataiai die Perser aus dem griechischen Mutterland vertrieben worden waren.64 Orakel vgl. TUCI, 2006, 41–43 (Überblick über die Forschungsliteratur; TUCI selbst hält Herodots zeitliche Einordnung – im Herbst 481, vor der Zusammenkunft der Griechen in Korinth – für akzeptabel, aber z.B. EVANS, 1982, 26–28 hält einen Zeitpunkt in der ersten Jahreshälfte 480 für wahrscheinlicher: „The Pythia’s oracles reflect a despondency Greece did not yet feel in 481“, 27); dagegen aber ROBERTSON, 1987, 3 mit Anm. 3 (in Anm. 4 eine Übersicht über verschiedene Datierungsvorschläge innerhalb des Jahres 480); GEORGES, 1986 versucht die These zu erweisen, „that the responses to the Athenians were promulgated to them after the retreat from Artemisium“ (16; vgl. 19.22; vgl. aber auch 21: „vii 133–144 can yield either an early date or a late date for the responses“). Eine gute Zusammenfassung der Diskussion bietet VANNICELLI, 2017, 465 f. MAURIZIO, 1997, 317 weist darauf hin, dass die mündliche Tradition der Rezeption und Interpretation dieser Orakel Änderungen von Text und Kontext herbeiführte: „in light of this process of oral transmission in which the national and religious beliefs of the community no doubt influenced how the tale was shaped during oral transmission, we must be skeptical about whether Herodotus’ account can be mined for historical data about the exact date of the consultation or the ipsissima verba of the Pythia.“ Solche Überlegungen haben natürlich Auswirkungen auf die Diskussion um die „Authentizität“ dieser Orakeltexte. Sie wurde bereits früher in anderer Weise in Frage gestellt, z.B. von CRAHAY, 1956, 295–304 (hier wird Themistokles als der wahre „Autor“ dieser Orakel postuliert) und FONTENROSE, 1978, 124–128 („these two responses are dubious at best; if authentic they are extraordinary and unusual pronouncements of the Delphic Oracle“, 128). Dagegen spricht sich noch TUCI, 2006, 52 für die Authentizität aus: „l’ambiguità stessa dei due responsi oracolari, e segnatamente del secondo, depone a favore dell’autenticità degli stessi.“ In VII 142,1 fühlt sich Herodot bemüßigt, explizit darauf hinzuweisen, dass die Athener sich den zweiten („milderen“) Orakelspruch aufschrieben, bevor sie abreisten – einer der ganz wenigen Fälle, in denen wir von einer solchen Aufzeichnung hören (vielleicht den einzigen vergleichbaren Fall berichtet Herodot in I 48,1: Kroisos lässt schriftlich die Orakelantworten notieren, die er bei seinem „Orakel-Test“ erhält; vgl. FLOWER, 1991, 65 und MAURIZIO, 1997, 314). Da bleibt dann freilich die Frage, was denn mit dem ersten Orakelspruch war – fand Herodot den noch in Delphi vor, oder war er auch Teil der mündlichen Kontext-Überlieferung, der Herodot dann schriftliche Form gab? 64 In VII 142 f. präsentiert Herodot eine – innerhalb seines Werkes ziemlich einmalige – Schilderung, wie in Athen um die richtige Deutung des zweiten Orakels gerungen wird und wirklich einmal ein Mensch – Themistokles – die richtige Deutung trifft und argumentativ durchsetzt. VANNICELLI, 2014, 384 f. hält es immerhin für möglich, dass Salamis bereits im Jahr 481 in einem Orakel als ein möglicherweise wichtiger Ort der kommenden Ereignisse genannt worden sein könnte. Es wurde auch die These vertreten, dass die beiden letzten Verse des zweiten Orakels – in denen eben Salamis genannt wird – erst später hinzugefügt wurden; dagegen TUCI, 2006, 43.52. GEORGES, 1986, 39, schreibt die Inhalte der beiden Orakel einem klugen athenischen Kopf (Themistokles?) zu, der seine Landsleute für den Fall, dass die Perser bei Artemision (und an den Thermopylen) nicht aufgehalten, auf dann notwendige Maßnahmen (Evakuation Attikas und Sammlung der Flotte bei Salamis) einstimmen wollte.

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Eine ähnlich „apokalyptische“ Warnung wie die im ersten Athener-Orakel spricht Delphi gleich zu Beginn des Kriegs auch an die Adresse der Spartaner aus (VII 220,3 f.65): Die Verkündigung besagt nicht weniger als dass „entweder Sparta von den Barbaren zerstört werden oder aber ihr König umkommen werde“, und der Wortlaut des Orakels66 stellt den persischen Angriff ähnlich unwiderstehlich dar, wie das erste Orakel an die Athener dies tut. Bemerkenswert sind ferner die Orakel, mit denen Delphi mehrere griechische Staaten davon abhält, sich dem griechischen Abwehrbund anzuschließen:67 Als die Vertreter des Griechenbundes etwa die Argiver für diesen Bund gewinnen wollen, fragen diese in Delphi nach und erhalten als Antwort, sie sollten ihren Speer „drinnen halten“, d.h. nicht am Kampf gegen die Perser teilnehmen (VII 148,3; so auch die explizite Deutung des Orakels in 149,1). Daraufhin stellen die Argiver in 148,4 dem Griechenbund unannehmbar hohe Bedingungen, und es kommt in 149 dementsprechend zu keiner Einigung. Ähnlich geht es im Fall der Kreter: Als die Vertreter des Griechenbundes auch diese für den Bund gewinnen wollen, fragen die Kreter in Delphi an und erhalten von der Pythia ebenfalls eine so energisch abratende Antwort, dass die Kreter sich dem Bund nicht anschließen (VII 169).68 65 Vgl. auch VII 239,1, wo auf diesen Spruch zurückverwiesen wird. Dazu, dass dieses Orakel eine Rolle spielen konnte, den Spartanern später eine Art „moralischen Anspruch“ als Retter von Griechenland (in Rivalität zu Athen, vgl. Hdt., VII 139,5) zu sichern (vgl. Hdt., VII 220,2–4; Diod., XI 4, 3 f.), vgl. GEORGES, 1986, 23 f. 66 Hdt., VII 220,4: Ὑµῖν δ’, ὦ Σπάρτης οἰκήτορες εὐρυχόροιο, / ἢ µέγα ἄστυ ἐρικυδὲς ὑπ’ ἀνδράσι Περσεΐδῃσι / πέρθεται, ἢ τὸ µὲν οὐχί, ἀφ’ Ἡρακλέους δὲ γενέθλης / πενθήσει βασιλῆ φθίµενον Λακεδαίµονος οὖρος· / οὐ γὰρ τὸν ταύρων σχήσει µένος οὐδὲ λεόντων / ἀντιβίην· Ζηνὸς γὰρ ἔχει µένος· οὐδέ ἕ φηµι / σχήσεσθαι, πρὶν τῶνδ’ ἕτερον διὰ πάντα δάσηται („Euch, o Spartas Bewohner mit weiten Plätzen zum Tanze, / wird entweder die ruhmreiche Stadt von den Söhnen des Perseus / fallen, oder das nicht, sondern aus des Herakles Stamme / ihren König als Toten betrauern, die Wacht Lakedaimons. / Denn nicht wird den hemmen der Stiere Kraft oder der Löwen / Widerstand; denn Zeus’ Stärke ist sein; und nicht wird, so sag’ ich, / einhalten er, bis einen von diesen er ganz hat zerrissen“). 67 TUCI, 2006, 53 erwägt, ob hinter solchen „Entmutigungen“ ein thessalischer Einfluss auf das Orakel stehen könnte. Laut Hdt., VII 6,2 luden die thessalischen Aleuaden den Großkönig im Vorfeld des Xerxes-Zugs geradezu zur Intervention in Griechenland ein; dann wiederum fragten die Thessaler bei den (anderen) Griechen an, ob man vielleicht eine Verteidigungslinie nördlich von Thessalien etablieren könne (VII 172,2 f.); als sich das als nicht machbar erwies (VII 173), „traten“ sie „bereitwillig [...] auf die persische Seite“ (VII 174). Vielleicht spiegelt sich dieses Hin und Her auch in den beiden Athener-Orakeln wider (TUCI, 2006, 54). 68 Hdt., VII 169: Κρῆτες δέ [...] πέµψαντες κοινῇ θεοπρόπους ἐς Δελφοὺς τὸν θεὸν ἐπειρώτων εἴ σφι ἄµεινον τιµωρέουσι γίνεται τῇ Ἑλλάδι. (2) Ἡ δὲ Πυθίη ὑπεκρίνατο· „Ὦ νήπιοι, ἐπιµέµφεσθε ὅσα ὑµῖν ἐκ τῶν Μενέλεῳ τιµωρηµάτων Μίνως ἔπεµψε µηνίων δακρύµατα; ὅτε οἱ µὲν οὐ συνεξεπρήξαντο αὐτῷ τὸν ἐν Καµικῷ θάνατον γενόµενον, ὑµεῖς δὲ ἐκείνοισι τὴν ἐκ Σπάρτης ἁρπασθεῖσαν ὑπ’ ἀνδρὸς βαρβάρου γυναῖκα.“

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In VIII 35–39 wird dann sogar von einer direkten Bedrohung Delphis durch eine persische Heeresabteilung berichtet: In Kap. 35–37 schildert Herodot zunächst, wie nach dem Fall der Thermopylen ein persisches Kontingent nach Delphi vorstößt, um das Heiligtum zu plündern und seine Schätze dem Xerxes zu bringen; die Angreifer seien jedoch durch göttliche Intervention zurückgeschlagen worden und mit schweren Verlusten geflohen. In Kap. 38 f. werden zusätzliche Details dieser übernatürlichen Hilfe präsentiert: Es erzählten aber diejenigen Barbaren, die zurückkehrten – so habe ich erfahren –, dass sie zusätzlich zu den genannten Dingen noch anderes Übernatürliche sahen: Zwei Schwerbewaffnete mit größerer als menschlicher Gestalt seien ihnen gefolgt und hätten sie gejagt und getötet. Von diesen zweien sagen die Delpher, es seien ihre einheimischen Heroen Phylakos und Autonoos gewesen, deren heilige Bezirke in der Nähe des Heiligtums liegen [...].69

Die Bezeugung dieser übernatürlichen Ereignisse gleich durch zwei verschiedene Quellen (Perser und Bewohner von Delphi selbst) ist umso bemerkenswerter, als diese gesamte Geschichte sehr wahrscheinlich gar nicht historisch ist,70 denn Herodot selbst bietet in einer in IX 42 f. berichteten Episode einen es ausschließenden Hergang: Dort referiert der persische Feldherr Mardonios kurz vor der Schlacht von Plataiai in Anwesenheit verbündeter Griechen einen Orakelspruch, der die Perser davor gewarnt haben soll, die Orakelstätte anzugreifen; sie würden es mit ihrem eigenen Verderben bezahlen. In IX 43,1 Ταῦτα οἱ Κρῆτες ὡς ἀπενειχθέντα ἤκουσαν, ἔσχοντο τῆς τιµωρίης („Die Kreter [...] sandten auf gemeinsamen Beschluss hin Orakelbefrager nach Delphi und fragten den Gott, ob es ihnen besser gehen werde, wenn sie Griechenland beistünden. Die Pythia gab zur Antwort: ‚Ihr Dummköpfe! Ihr beklagt euch über all die tränenreichen Leiden, die infolge eurer Hilfeleistung für Menelaos Minos in seinem Groll euch geschickt hat? Denn die Griechen haben ihm nicht geholfen, den Tod zu rächen, der ihm in Kamikos widerfuhr, ihr aber (halft) jenen, den Raub der von einem Dardaner aus Sparta geraubten Frau (zu rächen)!‘ Als dies berichtet wurde und die Kreter es hörten, nahmen sie Abstand davon, Beistand zu leisten.“). – Einen etwas anderen Tenor hat eine Episode, die in VII 178 berichtet wird: Hier sind die Delpher selbst angesichts des persischen Vorrückens in großer Angst und fragen bei ihrem eigenen Orakel nach, was sie tun sollen, worauf sie zur Antwort bekommen, „dass sie zu den Winden beten sollten; denn diese Winde würden Griechenland mächtige Bundesgenossen sein“ – was sie dann auch dem Griechenbund weitergeben. 69 Hdt., VIII 38–39,1: Ἔλεγον δὲ οἱ ἀπονοστήσαντες οὗτοι τῶν βαρβάρων, ὡς ἐγὼ πυνθάνοµαι, ὡς πρὸς τούτοισι καὶ ἄλλα ὥρων θεῖα· δύο γὰρ ὁπλίτας µεζόνως ἢ κατὰ ἀνθρώπων φύσιν ἔχοντας ἕπεσθαί σφι κτείνοντας καὶ διώκοντας. (39,1) Τούτους δὲ τοὺς δύο Δελφοὶ λέγουσι εἶναι ἐπιχωρίους ἥρωας, Φύλακόν τε καὶ Αὐτόνοον, τῶν τὰ τεµένεά ἐστι περὶ τὸ ἱρόν [...]. 70 GEORGES, 1986, 38 freilich scheint die Geschichte vom persischen Vorstoß gegen Delphi für bare Münze zu nehmen. Im vorliegenden Band vermutet Gauer, unten S. 391, dass die Perser bei ihrem Griechenlandzug tatsächlich auch nach Delphi kamen, diese Episode aber von der delphischen Priesterschaft nachträglich „umgestaltet“ wurde.

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zeigt Herodot recht deutlich, dass ihm der Widerspruch dieser Episode zu VIII 35–39 bewusst ist, er jedoch den Bericht im achten Buch vorzieht: „Was aber diesen Orakelspruch betrifft, von dem Mardonios sagte, dass er sich auf die Perser beziehe, so weiß ich für mein Teil, dass er in Hinsicht auf die Illyrier und den Heereszug der Encheleer verfasst worden ist, nicht aber in Hinsicht auf die Perser.“71

Ältere Behandlungen dieser beiden Stellen haben wahrscheinlich bereits den richtigen Weg zu ihrer Interpretation gewiesen.72 Mit der Invasion des Xerxes sah sich Delphi vor die heikle Frage gestellt: Wie würde der Angreifer das Heiligtum behandeln? Der von Mardonios in IX 42,3 referierte – und gerade zitierte – Orakelspruch könnte in diesem Zusammenhang eine Mahnung an die 480 vorrückenden Perser darstellen, sich ja nicht an Delphi zu vergreifen.73 Laut VIII 35–39 aber griffen die Perser ja doch an und wurden wundersam zurückgeschlagen, und da spricht nun Manches dafür, dass dies erst nachträglich erzählt wurde, und zwar zuerst in Delphi selbst:74 Wie die gerade zitierten Orakelauskünfte an Athener, Spartaner, Argiver und Kreter zeigen, scheint das Heiligtum sogar mit einem persischen Sieg gerechnet zu haben.75 71

Hdt., IX 43,1: Τοῦτον δ’ ἔγωγε τὸν χρησµόν, τὸν Μαρδόνιος εἶπε ἐς Πέρσας ἔχειν, ἐς Ἰλλυριούς τε καὶ τὸν Ἐγχελέων στρατὸν οἶδα πεποιηµένον, ἀλλ’ οὐκ ἐς Πέρσας. 72 Vgl. MACAN, 1908, II 229–237 (App. 3 § 7 „The case of Delphi“); HOW/WELLS, 1928, 245–247 u. 306 f. (ad locc.); PARKE/WORMELL, 1956 I, 172–174; CRAHAY, 1956, 335–337; HIGNETT, 1963, 445–447. Vgl. jetzt auch RÖSLER, 2013, 241–246, TRAMPEDACH, 2019, 157–162 und in diesem Band Trampedach, oben S. 200 f. 73 PARKE/WORMELL, 1956 I, 172–174 vermuten in dem von Mardonios referierten λόγιον „an oracle actually put about by the Delphians to frighten off Persian attacks“. Etwas anders CRAHAY, 1956, 336 f. 74 Vgl. MACAN, 1908, I 413 zu Hdt., VIII 38,1 (und II 334 f.); HOW/WELLS, 1928, II 246 zu Hdt., VIII 39 („obviously a temple legend told the author by the Delphic priests“); CRAHAY, 1956, 335; HIGNETT, 1963, 446. FEHLING 1989, 14 hat die Geschichte von der Zurückschlagung des persischen Angriffs auf Delphi als ersten Beweis für seine These angesehen, dass Herodot seine Quellenangaben erfunden habe; doch finden DEWALD/MARINCOLA, 1987, 28 f. gerade dieses Beispiel zur Stützung von Fehlings These wenig überzeugend (28: „The usual explanation, that the story comes from the Delphians, can be maintained“); dass Herodot einen Teil der Begebenheit wie mit den Augen der Perser schildert, erklären sie damit, „that much of Herodotus’ account is mimetic narrative which purports to give a picture as if the author were there“. Diese ‚Mimesis‘ könnte freilich schon auf die delphischen Quellen Herodots zurückgehen, vgl. oben im Text. 75 Manche Autoren schreiben dem delphischen Orakel eine regelrecht defätistische Haltung zu (z. B. PARKE/WORMELL, 1956 I, 169; vgl. KINDT, 2016, 49); vgl. EVANS, 1982, 29: „Delphi’s defeatism probably reflected her willingness to adjust herself to Persia’s dominion.“ Dagegen aber ROBERTSON, 1987, 6: „At the time when the Thessalians and other members of the Amphictyony submitted too readily to the Persian heralds, Delphi was not tainted by the defection, for it was here that the loyalists who vowed reprisal proposed to dedicate a tithe of the spoils (7. 132. 2).“ Gegen ein „Medisieren“ Delphis auch GEORGES, 1986, 28–30; vgl. PARKER, 1985, 318.

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Als die Griechen dann wider Erwarten Xerxes’ Übermacht doch zurückschlugen, drohte Delphi ein wohl noch erheblich größerer Imageschaden als nach dem Kroisos-Debakel (vgl. oben); vielleicht griff man in dieser Situation zu der frommen Geschichte von den angreifenden und wundersam abgewehrten Persern, die aus Delphi sogar noch einen patriotischen ‚Mit-Sieger‘ über die Perser machte, der beinahe genauso schlimm unter dem bösen Angreifer gelitten hätte wie das tapfere Athen. In diesem Zusammenhang lässt sich dann auch die ‚persische‘ Quelle, die Herodot zu diesen Ereignissen zitiert, recht einleuchtend erklären: Eine Legende wie die von der wundersamen Errettung Delphis aus persischer Hand wirkt natürlich überzeugender, wenn sie sogar vom Feind bestätigt wird; nicht Herodot also, wie Detlev Fehling gemeint hat, 76 sondern gerade die delphischen Priester hatten gute Gründe, ‚persische‘ Gewährsleute zur Bestätigung ihrer Geschichte zu zitieren. Nichts in Herodots Text spricht gegen die Annahme, dass seine Anführung der flüchtigen persischen Soldaten ein indirektes, auf eine delphische ‚Zwischenquelle‘ zurückgehendes Zitat ist;77 so wie in der Schilderung von Kroisos’ wundersamer Errettung durch Apollon vom Scheiterhaufen des Kyros die Quellenangabe „hier wird von den Lydern erzählt“ ebenfalls zuerst in Delphi hinzugefügt worden sein könnte.78

5. Fazit: Herodot und Delphi Zum Abschluss sei eine kurze Charakteristik der Bedeutung von Delphi für Herodot versucht. Die Orakelstätte bildet für ihn sicherlich einen zentralen Ort der Kommunikation zwischen höherer göttlicher Macht und Menschen, die der Orientierung durch eine solche Macht bedürfen; wenn es bei dieser Kommunikation Missverständnisse oder aber auch Versuche gibt, sie zu manipulieren, so liegt die Schuld dafür stets auf der Seite der Menschen. Hero76 Die Delpher – so argumentiert FEHLING, 1989, 15 – „would surely have described this supernatural help as they themselves experienced it. Nor can they even have cited the Persians as witnesses in confirmation of their account.“ Aber Delphi hatte wohl mindestens so wichtige Gründe, mit seiner Darstellung des persischen Angriffs glaubwürdig dazustehen, wie Herodot. Man unternahm in Delphi offenbar sogar noch nach Herodots Zeit weitere Anstrengungen, den angeblichen persischen Angriff ‚dokumentarisch‘ abzusichern; jedenfalls berichtet Herodot noch nichts von der Gedenkinschrift, mit der Delphi die Zurückschlagung der Perser würdigte, wohl aber tun dies spätere Historiker (vgl. Diod., XI 14,4), und sie ist sogar inschriftlich erhalten (vgl. CEG 798 HANSEN). 77 Der Zusatz ὡς ἐγὼ πυνθάνοµαι („wie ich erfahren habe“) in VIII 38 spricht im Gegenteil dafür, denn mit solchen Zusätzen gibt Herodot auch noch an anderen Stellen Hinweise darauf, dass er Zwischenquellen zitiert (vgl. I 22,2; 92,2; 170,1; 196,1; 207,6; II 8,1; 44,1; IV 95,1; V 9,1; VI 117,3; VII 114,2; 153,4; 166; IX 85,3). 78 Vgl. dazu NESSELRATH 2003, 320–322.

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dot führt sogar einmal den Fall eines Sehers an, der ein delphisches Orakel nicht richtig verstanden habe, während die Spartaner es richtig verstanden (IX 33,2 f.). In heiklen Fällen, wo das Orakel offenbar auf die falsche Karte gesetzt hat – beim Krieg des Kroisos gegen Kyros und bei der Invasion des Xerxes –, macht sich Herodot jeweils die Version zueigen, die das Heiligtum exkulpiert. Diese Version hat er wahrscheinlich in Delphi selbst kennengelernt; dafür sprechen nicht zuletzt die vielen Hinweise auf Autopsie delphischer Weihgeschenke in seinem Werk.79 Insgesamt ergibt sich so das Bild einer Stätte, die – von einigen menschlichen Unzulänglichkeiten abgesehen – offensichtlich als ein spirituelles Zentrum Griechenlands innerhalb der von Herodot beschriebenen Zeit gelten soll; und wenn Delphi auch heute noch – zum Teil in etwas übertriebenen Tönen – als ein solches Zentrum auch und gerade in populären Darstellungen erscheint, dann ist dies sicher wesentlich auch Herodots Darstellung zu verdanken.

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Vgl. die genauen Lokalisierungsangaben zu diesen Weihgeschenken in I 141–143; I 50 f.; II 135,4; IV 162,3; VIII 27,4 f.; VIII 121 f.; IX 81,1.

Delphis Perserkriegsorakel für die Athener und Herodot Werner Gauer 1. Zur Einführung Das schwierige Unterfangen, meiner in meinem Buch ‚Der Zorn des Zeus und die klassische Kunst der Griechen‘ im Jahr 2012 publizierten Interpretation der Parthenonskulpturen1 im Sinne einer allegorischen Verarbeitung und Bewältigung des Erlebnisses der Perserkriege Geltung zu verschaffen, hat mir klargemacht, dass ein Erfolg dieses Unternehmens in einigen Details eine Revision unseres Geschichtsbildes voraussetzt. Das Geschichtsbild der Perserkriege ist weitaus älter als meine Wissenschaft, die Klassische Archäologie, die es immerhin auf mehr als zweieinhalb Jahrhunderte gebracht hat (als Gründungsdatum gilt Johann Joachim Winckelmanns Sendschreiben ‚Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst‘ von 1755). Das Geschichtsbild der Perserkriege ist zweieinhalb Jahrtausende alt. Es ist durch Herodot, den ‚Vater der Geschichte‘, den ersten Historiker der Perserkriege, geprägt (diese Kriege und ihre Vorgeschichte sind der älteste Gegenstand der traditi1 In dieser Monographie findet der Leser die ältere Literatur und Forschungsdiskussion. Diese habe ich durch einen Forschungsbericht ergänzt, der gerade in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen (271, 2019, 200–244) erschienen ist, angeregt durch die weitaus mehr phantasievolle als wahrheitsliebende Rezension meines Buches durch Nikolaus Zenzen (ZENZEN, 2013). Der kritische Leser wird bald merken, dass nicht alles, was dort verdammt ist, auch wirklich in dem rezensierten Buch steht. Inzwischen habe ich am Darstellungsprogramm des Parthenon weitergearbeitet; dazu jetzt GAUER, 2018, 70–79. Zu der Kritik von Zenzen an dem Buch werde ich im nächsten Band der Zeitschrift Thetis Stellung nehmen. Vgl. zu unserem Thema neuerdings die Monographie über die Parthenonskulpturen von ELLINGHAUS, 2011, die von Vinzenz Brinkmann herausgegebenen Ausstellungskataloge des Frankfurter Liebieghauses BRINKMANN, 2013 und BRINKMANN, 2016, den neuen Führer des Akropolis-Museums in Athen (PANDERMALIS/ELEFTHERATOU/ VLASSOPOULOU, 2015) sowie SIMON, 2014 (zum Fries bzw. zur Mittelszene des Ostfrieses, die allegorisch als Vorbereitung zur Herstellung des Peplos gedeutet wird) und zuletzt BORBEIN, 2016, 93–146 zu den Parthenonskulpturen insgesamt. Dort 137 f. zur politischen Ikonographie. Neu ist, dass nach Meinung des Verfassers „der massive Einsatz politischer Ikonographie im Bildprogramm des Tempels der Rechtfertigung der Vorherrschaft im Seebund dient“. Dafür kann ich in den Bildwerken nicht den geringsten Anhaltspunkt finden.

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onellen Geschichtsschreibung), aber auch durch die Dichter, durch Simonides von Keos, der unter anderem das berühmte Epigramm auf die bei den Thermopylen gefallenen Spartiaten verfasst hat, und Friedrich Schiller, seinen nicht minder berühmten Übersetzer, sodann durch Lord Byron und Shelley und viele andere, die sich für den Freiheitskampf der Griechen in der Antike und in der Neuzeit engagiert haben. Mehr noch als die Historiker von Fach haben die Dichter das Geschichtsbild geprägt und bis heute tief ins Bewusstsein des gebildeten Europäers eingewurzelt. Leonidas ist der Held, Miltiades, Themistokles und der spartanische Feldherr Pausanias sind die Sieger, und die Perserkönige – Dareios, vor allem aber Xerxes – sind die Verlierer, und Xerxes ist obendrein für die meisten der Versager. Von den Tragödien, mit denen das Volk von Athen zuallererst seine historischen Erlebnisse verarbeitet hat, ist uns die eine, die Persertragödie des Aischylos, die nicht ohne den Stolz dessen, der mit dabei war, von dem glorreichen Sieg bei Salamis berichtet, erhalten geblieben. Die andere, die Miletou halosis des Phrynichos, welche die Athener durch die Darstellung der Katastrophe, mit der das ganze Unheil begonnen hat, so erschütterte, dass das ganze Theater nach Herodot (VI 21,2) in Tränen ausbrach, ist uns leider verloren. Hellas blieb am Ende ein freies Land, und die Freiheit Europas hat sich gegen die Despotie des Orients behauptet. Das ist das trotz mancher Modifikationen durch die neueste kritische Geschichtswissenschaft bis heute gültige Geschichtsbild von den Perserkriegen des 5. Jahrhunderts v. Chr. In einem so hoch gestimmten Milieu sind, so könnte es scheinen, die stets schwierigen Fragen nach Kriegsschuld und Verantwortung fehl am Platz, zumal dann, wenn sie im Hinblick auf den klassischen Wunderbau des Parthenon gestellt werden. Herodot selbst hat die Kriegsschuldfrage nur indirekt gestellt und beantwortet. Die Schuldigen an den Pranger zu stellen, hat er wohlweislich vermieden. Dieses von den Historikern erarbeitete und von den Dichtern sanktionierte Geschichtsbild können und wollen wir nicht verändern.2 Unsere Revision will nicht mehr, als einige Ereignisse und Gegebenheiten, von denen Herodot berichtet, ins rechte Licht rücken, den Mord an den Gesandten des Perserkönigs Dareios kurz vor der Schlacht von Marathon und die von der delphischen Pythia den Griechen in dem großen Perserkrieg von 480 erteilten Orakel, darunter ein bislang unverstandenes Orakel für Themistokles, das nur bei Pausanias (X 14,5) überliefert ist. Vor allem ist es uns um jene beiden Orakel 2

Eine besondere Bedeutung hatten die Perserkriege seit jeher, und verständlicherweise besonders seit dem 2. Weltkrieg, für die angelsächsische Forschung. Dazu vgl. GAUER, 1994, 167 f. und Anm. 6 und GAUER, 2012a, 46. Dort in Anm. 46 habe ich – wohl eine altersbedingte Konfusion – sowohl den Verfassernamen als auch den Titel der grundlegenden Monographie von A.R. BURN, Persia and the Greeks, 1962, verwechselt. Dieses Buch und nicht ein Buch von N.G.L. Hammond (ich entschuldige mich auch bei ihm) ist den griechischen Gefallenen des 2. Weltkriegs gewidmet.

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zu tun, welche die Pythia Aristonike den Athenern im Frühjahr 480 v. Chr. erteilt hat, als diese sich in ihrer höchsten Not an sie wendeten, während sich der Perserkönig Xerxes mit einer gewaltigen Streitmacht ihrer Stadt näherte, um sie für die Unterstützung des sogenannten Ionischen Aufstandes (500–494 v. Chr.), aber wohl auch für die Ermordung der Gesandten des Dareios zu bestrafen. Herodot (VII 140–141) zitiert diese Orakel offensichtlich in vollem Wortlaut, und entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit nennt er – vermutlich um seine Zitate zu beglaubigen – auch die Pythia, welche die Orakel ausgesprochen hat, beim Namen, Aristonike. Das zweite dieser Orakel, das man als das ‚Schicksalsorakel‘ der Athener bezeichnen kann, ist in die Geschichtsbücher eingegangen, weil Themistokles, der Sieger von Salamis (480), es benutzt hat, um die Räumung Attikas durchzusetzen und die verbündeten Hellenen zu überreden, den Kampf gegen die überlegene Flotte der Perser in dem engen Sund zwischen der Insel Salamis und dem attischen Festland aufzunehmen. Im übrigen sind diese Orakel, sprachgewaltige Dokumente einer lebendigen Religion, die an Eindringlichkeit den Prophezeiungen der alttestamentlichen Propheten in nichts nachstehen, von der Forschung stiefmütterlich behandelt worden. Davon, dass nach der Ankündigung der Orakel letztlich nicht der Perserkönig, sondern der Zorn des Zeus dafür verantwortlich war, dass Athen nach der Eroberung durch die Perser zerstört wurde, dass seine Tempel niedergebrannt worden sind und dass viel Blut geflossen ist, ist in den Geschichtsbüchern wenig zu lesen. Für uns Heutige mag da kein großer Unterschied wahrnehmbar sein, ob es nun Zeus war oder Xerxes. Ganz anders empfanden die, welche es miterlebt haben. Für sie war die Zerstörung der Stadt weit schmerzhafter, wenn sie eine Strafe ihres eigenen höchsten Gottes, des zürnenden Zeus, war, und die Tatsache, dass dieser zürnende Zeus ihnen dennoch, entgegen den Prophezeiungen der Pythia, den Sieg in der alles entscheidenden Schlacht von Salamis verliehen hatte, muss für sie umso mehr ein Wunder gewesen sein. Für die Mentalitätsgeschichte Athens in der klassischen Zeit sind die Orakel der Pythia Aristonike und ihre Vorgeschichte von grundlegender Bedeutung. Im Gegensatz zu den Athenern, die, auf der Insel Salamis zusammengepfercht, im Spätsommer des Jahres 480 v. Chr. mitansehen mussten, wie die unheildrohenden Wahrsagungen der Pythia Aristonike schreckliche Wirklichkeit wurden, haben die neueren Historiker die Orakel nicht wirklich ernstgenommen. Wir würden sie vermutlich ebenso ignorieren, wenn sich nicht herausgestellt hätte, dass die Eingangsverse des ‚Schicksalsorakels‘ möglicherweise den Schlüssel für die richtige Deutung des Parthenon und seiner Skulpturen enthalten.

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2. Die Perserkriege: Eine kurze Skizze 2.1. Die Anfänge Die hauptsächlichen Ereignisse der Perserkriege sind mit wenigen Daten und Fakten zu beschreiben. Der sogenannte Ionische Aufstand von 500–494 v. Chr. ist das Vorspiel der Perserkriege.3 Vom griechischen Mutterland aus hatten nur die Athener und Eretrier den von einem windigen Tyrannen angezettelten Aufstand unterstützt, während die Spartaner, die Vormacht des archaischen Griechenlands, aus Vernunft und Einsicht jede Hilfe verweigerten. Nach dem chaotischen Rückzug der Aufständischen aus dem niedergebrannten Sardes fuhren die zwanzig Schiffe der Athener und die fünf Schiffe der Eretrier wieder nach Hause. Die Flotte der Ionier erlitt gegen die für die Perser kämpfende phönizische Flotte bei der Insel Lade vor Milet durch Diszipinlosigkeit und nicht zuletzt durch den Verrat der Samioten eine vernichtende Niederlage. Milet, die reiche Metropole der Ionier, wurde danach belagert, erobert und zerstört. Die Überlebenden wurden nach Babylonien deportiert. Alle anderen Städte ergaben sich den Persern. Die militärische Unterstützung der aufständischen Ionier durch die Athener und Eretrier war dem Dareios Anlass für einen Racheschwur. Nach Herodot (V 105) schoss der König einen Pfeil in die Höhe und sprach, während der Pfeil in der Luft war, die Worte: „O Zeus, möge es mir vergönnt sein, an den Athenern Rache zu nehmen!“4 Dieser symbolische Pfeilschuss des Herrschers ist nicht ohne historische Parallelen.5 Hier bezeichnet er die enge auch in der Bildkunst der Perser demonstrierte Beziehung des Weltherrschers zum Himmelsgott. Ein Diener erhielt überdies den Auftrag, Dareios jedes Mal, wenn das Mahl bereitet war, dreimal zuzurufen: „Herr, denke an die Athener!“ Wir haben keine Möglichkeit zu überprüfen, ob diese Vorgänge historisch, und ob die Zitate authentisch sind. Den Namen Zeus hat Herodot zwei3

Herodot weist die Schuld am Ausbruch des verhängnisvollen Ionischen Aufstandes einer Intrige des milesischen Tyrannen Histiaios und einem missglückten Abenteuer seines Nachfolgers Aristagoras zu und greift damit vermutlich zu kurz. Zu den geopolitischen Voraussetzungen des Konflikts vgl. GAUER, 1995, 214 und GAUER, 2012a, 36–48. Hier steht weder die Kriegsschuldfrage zur Diskussion noch die Frage, welche Bedeutung die Forderung der Gesandten des Dareios nach Erde und Wasser hatte. Diese Forderung implizierte zweifellos eine Anerkennung der persischen Oberherrschaft. Dass mir Zenzen die Meinung unterstellt, ein Sieg der Perser in dem sich anbahnenden Konflikt würde das Ende des Griechentums bedeutet haben, ist eine der vielen Unrichtigkeiten seiner Rezension. Im Gegenteil habe ich (GAUER, 2012a, 193 Anm. 173) die Meinung vertreten, dass im Falle eines Sieges der Perser der Hellenismus möglicherweise hundert Jahre eher gekommen wäre. Für Hellas bot die Teilhabe an der pax Persica zweifellos Chancen, die von vielen Einsichtigen wahrgenommen worden sind: dazu unten. 4 Die Übersetzungen aller Herodotzitate nach NESSELRATH, 2017. 5 Vgl. AUFFARTH, 1991, 517–521.

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fellos für Ahuramazda eingesetzt, der in den persischen Inschriften und Denkmälern immer der persönliche Schutzgott des Großkönigs ist. In jedem Fall hat die Geschichte im ‚plot‘ des Herodot eine klare Funktion. Sie markiert den Anfang – so wie die Zerstörung Athens bzw. Salamis und Plataiai das vorläufige Ende – der persischen Aggression. Die Tatsache, dass Dareios in beiden Fällen nur von den Athenern redet, nicht aber von den Eretriern, lässt mich daran zweifeln, dass Dareios nur an die halbherzige Unterstützung des Ionischen Aufstandes gedacht hat, zumal wir beim selben Autor Herodot (VI 25,2) erfahren, dass Samos als einzige ionische Stadt verschont wurde, weil die Samier – weitaus später als die Athener und Eretrier! – ihre Bundesgenossen in der Seeschlacht von Lade im Stich gelassen hatten. Mit den Athenern war noch eine andere Rechnung offen, die Ermordung der Gesandten, die Dareios nach der Eroberung von Milet nach Hellas geschickt hatte. Die Tatsache, dass Herodot den griechischen Zeus als Adressaten und einzig möglichen Erfüller des Rachegebets nennt, spricht ebenfalls dafür, dass dieser Mord der unmittelbare Anlass des Racheschwurs war. Es ist der gleiche Zeus, der dann den Orakeln zufolge Athen und Attika der Rache des Xerxes ausliefern wird. 2.2. Die Kriegsereignisse in den Jahren 490–479 490 erfolgt der Gegenschlag der Perser gegen Athen und Eretria. Nach der Eroberung von Eretria, das das gleiche Schicksal erleidet wie Milet, gehen die von Datis und Artaphernes geführten und von Hippias, dem vertriebenen Tyrannen Athens, beratenen Perser in der nahen Bucht von Marathon an Land. Der beherzte Eilmarsch des gesamten Aufgebots der Athener nach Marathon und der entschlossene Sturmangriff der attischen Phalanx werden durch einen mit nur geringen Verlusten erkauften Sieg belohnt (192 Gefallene auf Seiten der Athener sind gut bezeugt). Der ebenso zügig durchgeführte Rückmarsch nach Athen vollendet den Erfolg. Die persische Flotte – zweifellos wieder die Flotte der Phönizier – fährt unverrichteter Dinge nachhause. Nicht nur diese Niederlage zwang Dareios und nach seinem Tod 486 v. Chr. seinen Sohn und Nachfolger Xerxes zu entschiedenerem Handeln. Die Rüstungen des Xerxes zu seinem großen Feldzug nach Hellas stellten alles Frühere in den Schatten. Den großen Perserkrieg der Jahre 480/479 darf man ohne Übertreibung als den allerersten Weltkrieg der Geschichte bezeichnen. Ziel war wieder Athen. Der Vormarsch der gewaltigen Armee und der Flotte, einer wahren Armada, konnte auch durch den sogleich als Opfertod verklärten Kampf des spartanischen Königs Leonidas und seiner Getreuen an den Thermopylen und ein Seegefecht beim Kap Artemision nicht aufgehalten werden. Die Perser eroberten Attika und zerstörten Athen. Damit war das durch das Gebet des Dareios vorgegebene Kriegsziel erreicht.

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Nach dem überraschenden Sieg der Hellenen vor Salamis verließ der Großkönig Xerxes mit den Resten seiner Flotte und einem Teil der Armee Griechenland. Sein Feldherr Mardonios, der in Boiotien überwinterte, nahm Athen im Frühjahr des Jahres 479 ein zweites Mal ein, zog sich dann aber vor den anrückenden Verbündeten wieder nach Boiotien zurück und wurde unter der Führung des Spartaners Pausanias bei Plataiai vernichtend geschlagen. War Salamis in erster Linie ein Sieg der 200 modernen Trieren, welche die Athener auf Betreiben des Themistokles in einer beispiellosen Rüstungsanstrengung in nur zwei Jahren erbaut hatten, so war Plataiai nach der Beschreibung des Herodot ebenso eindeutig ein Sieg der spartanischen Berufskrieger und ihrer oft erprobten Disziplin und Entschlossenheit. Das griechische Mutterland blieb frei, und auch die griechischen Städte an der Westküste Kleinasiens konnten in den folgenden Angriffskriegen, in denen Athen die Führung übernahm, befreit werden.

3. Der Frevel an den Gesandten des Dareios Die Gesandten des Dareios sollten nach dem Fall von Milet von den griechischen Stadtstaaten Erde und Wasser als Zeichen der Unterwerfung fordern. Ich habe an anderer Stelle6 ausgeführt, dass es sich um mindestens zwei Gesandtschaften gehandelt haben muss, wahrscheinlich jeweils mit zwei Herolden. Die eine reiste vermutlich von Aigina nach Argos und von dort nach Sparta, die andere von Aigina aus nach Athen. Zuvor hatten die Gesandten auf der Fahrt über die Ägäis in den Hauptorten der ägäischen Inseln Station gemacht. Die Nesioten haben nach Herodot allesamt Erde und Wasser gegeben, so auch die Aigineten (und wahrscheinlich auch die Argiver). Es war ein Verhängnis, dass die Boten von diesen beiden Orten aus anreisten, denn Argos war die Rivalin und Todfeindin der Spartaner, und das aristokratisch regierte Aigina war seit alters her die Todfeindin der Athener. Die Aigineten waren tüchtige Kaufleute, aber – was in der archaischen Zeit gang und gäbe war – zugleich auch Piraten. Wiederholt hatten sie die Küste Attikas heimgesucht, die sich vor ihrer Insel ausbreitet. Die Athener, die damals noch keine starke Flotte hatten, wehrten sich vor allem mit Hilfe der Spartaner. Diese beiden, Sparta und Athen, waren die entschiedensten Gegner der persischen Expansionsbestrebungen und später das Rückgrat des militärischen Widerstands. Allein die Anreise aus Aigina hätte für einen frostigen Empfang der Boten genügt. Zum Unglück der Gesandten war die Stimmung im ‚demokratischen‘ Athen durch den erwähnten Skandal aufgeheizt, den ersten, gleichfalls durch Herodot (VI 21,2) überlieferten Theaterskandal der Geschichte. Der Tragö6

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diendichter Phrynichos hatte die Einnahme von Milet durch die erwähnte Tragödie Miletou halosis auf die Bühne gebracht. Nach Herodot „brach das ganze Theater in Tränen aus“, und der Dichter musste wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eine hohe Geldbuße zahlen. Das Stück durfte nicht mehr aufgeführt werden. Die aufgebrachten Athener lehnten nun nicht nur die Forderung (oder, aus persischer Sicht, das Angebot) des Dareios ab, sondern töteten die persischen Gesandten und warfen sie „ins Barathron“ (Hdt., VII 133,1), auf den Schindanger.7 Die Spartaner meinten, noch eins draufsetzen zu müssen, und stürzten die zu ihnen gekommenen Gesandten – mit der zynischen Bemerkung, dort könnten sie genug Erde und Wasser für ihren König finden – in einen Brunnen. Wir dürfen sicher sein, dass dieser Doppelmord, der dem Perserkönig keine Wahl ließ – er bedeutete Krieg! –, in Hellas helles Entsetzen auslöste. Die Nesioten sind zweifellos nicht die einzigen gewesen, die bereit waren, dem Großkönig Erde und Wasser zu geben. Bekanntlich war die Oberherrschaft der Perser unter Dareios wie unter Kyros dem Großen vergleichsweise tolerant. Volkstum, Kultur und Religion wurden toleriert, und die unterworfenen Stadtstaaten behielten auch weitgehend ihre politische Selbständigkeit. Allerdings setzten die Perser als Garanten ihrer Oberherrschaft vorwiegend Tyrannen als Stadtherren ein. Am achämenidischen Hof in Susa warteten der vertriebene spartanische König Demaratos und der gestürzte athenische Tyrann Hippias darauf, in ihre Heimat zurückkehren und dort die Macht wiedererlangen zu können. Der alte Hippias war in Marathon dabei, Demaratos zehn Jahre später an den Thermopylen. Die Aussicht auf eine Rückkehr des Hippias dürfte gegenüber der Forderung der Gesandten den Zorn der Athener zur Weißglut angefacht haben.

4. Die griechischen Poleis, das Orakel von Delphi und die Herrscher des Ostens Unter den Poleis des archaischen Griechenland herrschte wie unter den Kommunen des italienischen Mittelalters und der Renaissance das ‚Gesetz‘, dass der Nachbar der Feind und der Feind des Nachbarn auf der anderen Seite der mögliche Freund ist. Athen gegen Aigina, Argos gegen Sparta oder Ge7 Hans Joachim Gehrke hat mich dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht, dass ich einer willkürlichen Übersetzung von HORNEFFER, 1971, 224 aufgesessen bin, als ich schrieb (GAUER, 2012a, 39), dass die Athener die Gesandten „vom Akropolisfelsen“ herabgestürzt hätten. Bei Horneffer steht „vom Felsen“, im Originaltext aber ohne Alternative „ins Barathron“. Die Lokalisierung des Barathron, des Schindangers, ist bis heute umstritten.

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nua gegen Pisa und Florenz gegen Siena: Sie schlugen in ständigen Grenzkriegen aufeinander ein. Das Museum von Olympia und seine Magazine sind mit Waffenfunden vollgestopft. Sie stammen fast alle aus den Brunnen unter dem Stadion und im Gebiet südlich und westlich von ihm.8 Größtenteils waren sie an Baumstümpfe oder Pfähle angenagelt und als Tropaia auf den Stadionwällen ausgestellt, Helme, Beinschienen, Panzer, Schilde usw. Sie tragen zumeist eingravierte Weihinschriften an den Olympischen Zeus, den Gott, der den Sieg verleiht. Da heißt es: „die Argiver von den Korinthern“ oder: „die Korinther von den Argivern“ und: „Die Messenier von den Rheginern“ oder: „die Rheginer von den Messeniern“ (Reggio und Messina, diesseits und jenseits der Meerenge). Jede dieser Weihinschriften bezeugt einen Bruderkrieg und oft, in Verbindung mit einem Einschussloch, einen Heldentod. Der ständige Aderlass wurde wie in Florenz und Genua (man erinnert sich an Schillers Fiesco oder Verdis Simone Boccanegra) durch die mit tödlicher Leidenschaft ausgefochtenen Parteienkämpfe im Inneren – Guelfen gegen Ghibellinen dort und Demokraten gegen Oligarchen hier, oft auch beide gegen die Tyrannen – vervollständigt. Der aus Florenz verbannte Dichter Dante hat den deutschen König Heinrich VII., den ersten Luxemburger, auf seinem Italienzug als Retter Italiens begrüßt. Zweifellos haben in Hellas viele Einsichtige im gleichen Sinne die Oberherrschaft des Perserkönigs begrüßt. Unter ihnen waren höchstwahrscheinlich die Priesterschaft und die Orakelpriesterinnen (Pythien) von Delphi. Das Apollonheiligtum, höchste Instanz in allen moralischen Angelegenheiten, in dem gewissermaßen das Herz und das Gewissen von Hellas schlug, hat immer auf einen Ausgleich der Spannungen in Hellas hingearbeitet. Vom 8. bis zum 6. Jahrhundert war das Orakel bemüht, die große griechische Kolonisation, welche die notorische Überbevölkerung des an Fruchtland armen Gebirgslandes milderte, zu lenken. Im gleichen Sinne pflegte Delphi gute Kontakte zu den mächtigen Herrschern des Orients, die sein Orakel zu schätzen wussten. Die Könige der Phryger und der Lyder ließen den Griechenstädten Kleinasiens den Spielraum, in dem sie reich werden und die glanzvolle Kultur der ionischen Archaik aufbauen konnten. Das archaische Heiligtum von Delphi verdankte den dankbaren Königen seinen Glanz und seine kostbarsten Weihgeschenke, angefangen mit dem Thron des Phrygerkönigs Midas (8. Jahrhundert) und den von Herodot I 14,3 als „gygades“ bezeichneten Schätzen des ersten Lyderkönigs Gyges (7. Jahrhundert) bis zu den goldreichen Stiftungen des sprichwörtlich reichen Königs Kroisos.9 Als letztes hat Kroisos dem Apollon seine eisernen Fesseln geweiht, in denen ihn nach seiner Gefangennahme auf 8 Zu den Brunnen vgl. zuletzt GAUER, 2012b; FRIELINGHAUS, 2012 zu Tropaia und Waffenweihungen. 9 Siehe dazu in diesem Band den Beitrag von B. Bäbler, oben S. 155–172.

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der Burg von Sardes sein Überwinder Kyros hatte abführen lassen (546). Auch die Herrschaft des großen Kyros war für die Griechen in Kleinasien wie überhaupt für den ganzen Orient segensreich.

5. Der Gesandtenmord als Frevel gegen Zeus Xenios und die Folgen Der Mord an den Herolden des Dareios ging nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter an, zuallererst den Zeus Xenios, der das Gastrecht schützt. Das Gastrecht gehörte, wie kürzlich Thomas Szlezák anhand der Odyssee dargelegt hat, zu den höchsten Gütern der Griechen.10 Die Spartaner bekamen nach Herodots Bericht bald zu spüren, dass da etwas nicht mehr in Ordnung war. Ihre Opfer wollten nicht mehr gelingen (Hdt., VII 134,2). Sie hielten wohl nicht nur, wie Herodot berichtet, viele Volksversammlungen ab, sondern befragten sicherlich die Orakel, und vermutlich auch das Orakel von Delphi (Herodot, gläubiger Verehrer des pythischen Apoll, lässt Delphi wohl geflissentlich aus dem Spiel). Jedenfalls wurde ihnen – von wem auch immer – gesagt, dass ihnen der in Sparta verehrte Talthybios, Herold des Agamemnon vor Troja, wegen des Gesandtenmordes zürne. Wenn diese Auskunft aus Delphi kam, dann hat die Pythia den unbedeutenden Heros vorgeschoben, um den allmächtigen Spartanern nicht mit dem Zorn des höchsten Gottes drohen zu müssen. Die Spartaner schickten zwei vornehme Bürger, Sperthias und Bulis, die sich dazu bereitfanden, als Sühneopfer zu Xerxes, dem Nachfolger des kürzlich verstorbenen Dareios, nach Susa. Xerxes ließ sie ungeschoren laufen.11 Obwohl Xerxes es nach Herodots ausdrücklichem Vermerk abgelehnt hatte, mit der Freilassung der beiden Gesandten auch die Spartaner von ihrer Blutschuld zu entsühnen (Hdt., VII 136,2), konnte er sicher sein, dass seine Großmut in Hellas Eindruck machen würde. Die Athener standen fürderhin allein im Regen. Sie hatten in Hellas sicherlich keine gute Presse mehr. Der Druck auf sie mag durch ihren glänzenden Sieg bei Marathon, der ihnen ein hohes Lob der Spartaner eintrug, gemildert worden sein, aber zweifellos wuchs er wieder an, als Xerxes rüstete und mit seinem riesigen Heer und der ebenso gewaltigen Flotte in Griechenland einmarschierte. Man darf davon ausgehen, dass die Athener bis zu den Siegen 10

Vgl. SZLEZÁK, 2010, 50 f. Thomas Szlezák hat mich dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht, dass die in meinem Buch übernommene Darstellung, dass Xerxes die Spartaner obendrein entsühnt habe (GAUER, 2012a, 41) auf einem Übersetzungsfehler HORNEFFERs, 1971, 512 in Hdt., VII 136,2 beruht. Damit, dass er die Spartaner laufen lässt, verweigert Xerxes die Entsühnung. 11

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von Salamis und endgültig dann von Plataiai in Hellas kaum weniger verhasst waren als die Perser. Ihnen hat die delphische Pythia Aristonike in dem von Herodot wohl in vollem Wortlaut mitgeteilten Orakel, das wir als das ‚Schicksalsorakel‘ der Athener bezeichnen, ziemlich unverhohlen gesagt, dass es Zeus ist, ihr höchster Gott, der ihnen (zweifellos wegen des Gesandtenmordes) grollt. Herodot hat an diesem Punkt insofern nicht die volle Wahrheit gesagt, als er weder den Zorn des Zeus und dessen Konflikt mit Athena, von dem die Pythia spricht, kommentiert (dass der Zorn des Zeus sich in Wirklichkeit nicht gegen Athena, sondern gegen die Athener richtet, kann keine Frage sein) noch ausspricht, dass mit der Zerstörung Athens der Schwur des Dareios erfüllt war. Sein Urteil ist im Hinblick auf die Athener zwiespältig. Er bestreitet zwar nicht, dass sich in der Zerstörung ihrer Stadt und der Verwüstung ihres Landes die Ermordung der Herolde gerächt haben könnte, will aber nicht glauben, dass dies die Strafe für den Mord an den Gesandten war (VII 133,2). Für ihn war es ja Talthybios und nicht Zeus, der zürnte. Der Groll des Talthybios ließ zwar nach der Heimkehr der von Xerxes begnadigten Sühnopfer nach Sparta alsbald nach (Hdt., VII 137,1), aber der Heros strafte nach Herodots Deutung die unglücklichen Söhne der beiden Spartaner noch zu Beginn des Peloponnesischen Krieges.12 Das Lob der Athener als Retter von Hellas, das Herodot zwischen den Bericht über den Gesandtenmord und die Orakel der Pythia Aristonike eingeschoben hat (VII 139), ist zweifellos eine Apologie gegenüber der in Hellas noch immer verbreiteten Kritik. Herodot ist sich im klaren darüber, dass die von ihm verfochtene reine Wahrheit „den meisten Menschen ein Ärgernis sein wird.“ (VII 139,1). Das hat seinen Grund sicher nicht nur in der Eigenliebe der Hellenen oder in der Ehrsucht oder dem Neid ihrer Politiker, die am wachsenden Ruhm des glorreichen Sieges ihren Anteil haben wollten. Es ist zu vermuten, dass Herodot, der das Ungemach des Phrynichos vor Augen hatte, es nicht wagte, den Athenern die volle Wahrheit zu sagen und sie im Hinblick auf die Kriegsschuldfrage an den Pranger zu stellen. Konsequent wäre es wohl gewesen (und auch gerechter gegenüber dem ‚Neid‘ der Hellenen) zu sagen, dass die Athener das Unheil heraufbeschworen hatten, es dann aber auch zum Guten gewendet haben. Ihr Verhalten war ex eventu gerechtfertigt. Die zweifellos richtige Feststellung, dass allein die Unerschrockenheit und Entschlossenheit der Athener und ihr Einsatz in der Seeschlacht von Salamis 12 Diese Söhne wurden, wie Herodot im weiteren berichtet (VII 137,3), von den Athenern zu Beginn des Peloponnesischen Krieges als Spione hingerichtet. Seiner Aussage, dass der Zorn des Talthybios zunächst schwand, darf man entnehmen, dass die Freilassung der beiden Spartaner durch Xerxes in Hellas zunächst als Entsühnung der Spartaner verstanden wurde. Nach altgriechischer Rechtsauffassung ist der Mord mit der Entsühnung vergeben und vergessen.

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Hellas gerettet haben, steht auf einem anderen Blatt als die Frage, ob die in dem Schicksalsorakel vorhergesagte und dann auch genauso eingetretene Zerstörung Athens durch die Perser als Strafe des Zeus für den Mord an den Gesandten anzusehen sei. Dass ebendies die Meinung der Pythia Aristonike gewesen ist, kann meines Erachtens nicht in Frage stehen. Wie groß damals, vor Salamis, die Animosität gegenüber den Athenern war, macht die Nachricht Herodots (VIII 61,1) deutlich, dass der korinthische Feldherr Adeimantos, an dem Herodot darob kein gutes Haar mehr lässt, seinem athenischen Kollegen Themistokles das Rederecht bestritt, weil er ein Heimatloser sei. Man konnte allenthalben an der Küste die Trümmer rauchen sehen. In der Tat war ja das Staats- und Herrschaftsgebiet der Athener auf die Insel Salamis zusammengeschmolzen, die zum Bersten mit den Flüchtlingen überfüllt war. Wer den Athenern übel wollte, konnte, wie Adeimantos, durchaus die Meinung vertreten, ihre Polis existiere nicht mehr. Die historische Forschung hat auch der Episode des Gesandtenmordes wenig Beachtung geschenkt. In der viel zitierten ‚Griechischen Geschichte‘ im ‚Handbuch der Altertumswissenschaft‘ von Hermann Bengtson13 ist sie geradezu als unhistorisch abgetan. Christian Meier, der die Täter austauscht (bei ihm werfen die Athener die Gesandten in einen Brunnen, während die Spartaner sie in eine Schlucht stürzen), stellt immerhin fest, dass, „wenn die Nachricht richtig ist, sich daraus ergäbe, dass beim Brunnensturz nicht Eigenmacht von Einzelnen, sondern die Bürgerschaft selbst am Werk war“.14 Man darf vermuten, dass die Gesandten womöglich im Angesicht der Volksversammlung zu Tode gestürzt worden sind. Meier steuert die Information bei (sie findet sich bei Plutarch, Themistokles 6,3–4), dass auf Betreiben des Themistokles sogar der Dolmetscher hingerichtet wurde, „weil er die Unverfrorenheit besessen habe, die griechische Sprache für die Befehle eines Barbaren zu missbrauchen“.15 Der persische Großkönig Xerxes, der nach der Einnahme von Athen und nach der Besetzung von Attika auf dem Aigaleos, über dem Sund von Salamis – bei Perama, wo heute die Fähren ablegen – seinen Thron hatte aufschlagen lassen, um, wie in einer Kaiserloge, den sicher gewähnten Sieg seiner weit überlegenen Flotte miterleben zu können, wurde Zeuge eines Desasters. In der Meerenge waren die für den Fernhandel bestimmten Schiffe der Phönizier, die das Gros seiner Flotte stellten, den kleineren und wendigen Trieren der Griechen hoffnungslos unterlegen. Nach dem unerwarteten Sieg der Griechen, diesem Wunder von Salamis, hat der Großkönig nach der Darstellung Herodots Griechenland fluchtartig verlassen, so etwa, wie Napoleon Moskau und Russland verlassen hat. 13

BENGTSON, 1977, 163. MEIER, 1993, 247. 15 MEIER, 1993, 247. 14

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Zweifellos war aber der bis zur Einnahme und Zerstörung Athens siegreiche Vormarsch der persischen Armee16 eine logistische Meisterleistung des Xerxes und seiner Generäle, vor allem des Mardonios, der bei Plataiai den Sieg und sein Leben verloren hat. Ich denke, Xerxes und die Perser waren, was die Logistik angeht, besser, als es Napoleon oder auch Adolf Hitler in Russland gewesen sind. Der eilige Rückzug des Xerxes war durch das warnende Beispiel des Dareios bestimmt, dessen Skythenfeldzug Jahre zuvor fast in einer Katastrophe geendet hätte – wenn nämlich die Ionier, dem Rat des Atheners Miltiades, damals Tyrann der thrakischen Chersonnes, folgend, die Donaubrücke zerstört hätten. Xerxes war es darum zu tun, mit den beträchtlichen ihn begleitenden Armeeeinheiten möglichst bald die Hellespontbrücken zu überschreiten, ehe die siegreiche griechische Flotte die Meerengen erreichen konnte. Zweifellos folgte Xerxes dem Gebot der Klugheit. Auf eine Wiederholung seines Abenteuers hat er verzichtet. Darin war er klüger als weiland Hitler in Bezug auf Napoleons Abenteuer.

6. Der Gesandtenmord und die Reaktion in Delphi Die Zweifel an der Geschichtlichkeit des Gesandtenmordes und seiner hier angedeuteten Folgen für die Athener lassen sich, wenn ich recht sehe, durch ein bei dem Reiseschriftsteller Pausanias (X 14,5) überliefertes Orakel bündig widerlegen. Es umfasst (in der Übersetzung von Ernst Meier) nur 2 Zeilen, ist also möglicherweise nur ein Auszug aus einem längeren Orakeltext: „Lege mir nicht von der Perserbeute schönen Schmuck in den Tempel, schicke sie schnellstens nachhause!“

Themistokles überbringt hier diese Beute nach Delphi und fragt die Pythia, ob er sie im Tempel weihen darf. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um den zweiten Preis der Tapferkeit, der Herodot zufolge den Athenern verliehen worden war (VIII 123,2). Die Pythia lehnt das ab und weist Themistokles mit seiner Beute sogar aus dem Heiligtum, eine geradezu unglaubliche Brüskierung des Siegers von Salamis und der Athener, als deren Festgesandter (Pylagore) Themistokles in Delphi weilte. Man fragt sich, wie Pausanias in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. auf die Geschichte und an den Orakeltext gekommen ist. Hat er ihn aus den Archiven des Heiligtums? Gab es schriftliche Sammlungen der Orakeltexte? Oder war die Geschichte und der Text in Delphi mündlich tradiert worden? Wir können es nicht sagen. Alles an der Geschichte ist ungewöhnlich und, wie gesagt, kaum zu glauben (die von dem Periegeten referierten 16

Hdt., VII 60,1 spricht übertreibend von einem Millionenheer, eine Million und siebenhunderttausend Mann: Auch ein Viertel dürfte noch zu viel sein.

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Erklärungen jedenfalls sind unglaubwürdig), aber gerade die Unglaublichkeit zeugt für sie. Zudem fügt sie sich fugengerecht zu dem, was wir bei Herodot lesen können. Dass Herodot uns dieses Orakel verschweigt, passt zu seiner Tendenz, die ganze peinliche Angelegenheit zu minimieren. Die verbündeten Hellenen stifteten, wie ich in meiner Heidelberger Dissertation dargelegt habe,17 aus der auf den Schlachtfeldern aufgelesenen Beute Beuteanatheme oder aber aus dem Verkauf der Beute finanzierte monumentale Votive in die Heiligtümer der auf den Schlachtfeldern hilfreich gewesenen Gottheiten, wobei der delphische Orakelgott in aller Regel bevorzugt bedacht wurde. Plutarch wie auch Pausanias haben Delphi als ein Museum der griechischen Geschichte beschrieben, und ein solches ist das ausgegrabene Heiligtum bis heute. Aus der Beute der beiden panhellenischen Siege, Salamis (mit Artemision), wie Plataiai, wurden Tapferkeitspreise, Aristeia, verliehen. Sie bestanden offenkundig aus besonders kostbaren Beutestücken: περικαλλὴς κόσµος, wie das zitierte Orakel sagt. Dass nach der Schlacht von Salamis die Aigineten den ersten Preis, die Athener einen zweiten Preis zugesprochen erhielten, war nach Lage der Dinge eine Diskriminierung der Athener. Die Aigineten werden wie die Teufel gekämpft haben, um sich vom Verdacht des Medismos, des Paktierens mit dem Feind, reinzuwaschen. Die Athener hingegen müssen wie die Löwen gekämpft haben, denn vor sich sahen sie die rauchenden Trümmer ihrer Heimat, in ihrem Rücken wussten sie ihre Frauen und Kinder, und im Falle einer Niederlage waren ihnen der Tod oder die Sklaverei gewiss. Eindeutig aber haben nicht die (nach Herodot) dreißig zum Teil sicherlich veralteten Trieren der Aigineten die Schlacht entschieden, wie kürzlich ein Sympathisant der Aigineten geschrieben hat,18 sondern die zweihundert modernen Trieren der Athener. Darüber lässt auch Herodot keinen Zweifel zu. Das Aristeion der Aigineten, genauer einen Anteil daran, fordert der Orakelgott für sich ein, weil er den Hellenen als erster den entscheidenden Hinweis auf die Hilfe der Windgötter gegeben habe. Schon vor der Schlacht am Kap Artemision, die etwa zur gleichen Zeit stattfand wie die Schlacht an den Thermopylen, hatten die Athener ein Orakel erhalten, das ihnen riet, ihrem Schwiegersohn zu opfern (Hdt., VII 189,1). Sie opferten Boreas, dem Gott des Nordwindes, in welchem sie als Gemahl der Kekropstochter Oreithyia diesen Schwiegersohn erkannten, und sie stifteten ihm ein Heiligtum in Athen. In der Tat fügten heftige Nordstürme der persischen Armada vor der magnetischen Küste, am Peliongebirge, schon vor der ersten Seeschlacht, und auch danach, vor der Küste der Insel Euboia, schwere Verluste zu.

17 18

GAUER, 1968. ESCHBACH, 2013, 153.

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7. Die Rolle Delphis in den Perserkriegen Delphi hatte allen Anlass, seine Verdienste im Kampf gegen die Perser herauszustreichen, denn in Wirklichkeit war seine Bilanz im Widerstand gegen die Persermacht eher negativ. Die Orakel, welche die Pythia den griechischen Poleis erteilt hat, als Xerxes mit Heer und Flotte anrückte, waren wie im Falle der Athener alles andere als ermutigend. Den Argivern, die in dem von Herodot (VII 148,3) überlieferten Orakel unverhohlen als „den Umwohnenden feind, doch lieb den unsterblichen Göttern“ bezeichnet werden, riet die Pythia eine bewaffnete Neutralität an: Ruhig sollen sie zuhause sitzen, gepanzert, behelmt und die Lanze in der Hand, aber sicherlich nicht, um sie gegen die Perser zu wenden, sondern eher gegen ihre Todfeinde, die Spartaner, die kürzlich ihren ganzen Heerbann hatten über die Klinge springen lassen. Die Kreter, die ebenfalls fragten, ob sie den Hellenen Beistand leisten sollten oder nicht, redet die Pythia mit den Worten an: „Ihr Dummköpfe!“ (Hdt., VII 169,2) Sie erinnert sie an ihren Einsatz für den Spartaner Menelaos im Trojanischen Krieg und an die Undankbarkeit der Hellenen, die nicht bereit waren, ihnen zu helfen, als es galt, den Tod ihres großen Heros Minos im sizilischen Kamikos zu rächen. Der grollende Minos habe daraufhin (uns ansonsten unbekannte) Leiden über die Kreter gebracht. Also beide Male ein glattes Nein! Die ältere historische Forschung hat diese Orakel oft als einen Vaterlandsverrat bewertet. Ein Vaterland im Sinne der neuzeitlichen Nationalstaaten hatten die Hellenen nie. Die Symmachie von etwa drei Dutzend Poleis, die sich im Poseidonheiligtum auf dem Isthmos von Korinth zum gemeinsamen Kampf gegen den heranrückenden Xerxes verschworen hatten (31 von ihnen sind auf der berühmten Schlangensäule, die heute in einem Nachguss wieder auf der zugehörigen Basis im Apollonheiligtum steht, inschriftlich als „diejenigen, die den Krieg ausgefochten haben“, genannt), hatte nur solange Bestand, wie der Feind im Lande war. Herodot bezeichnet diese Verschworenen als „die Hellenen“. Als die „Retter von Hellas“ traten sie in der Weihinschrift des Dankvotivs der Schlacht von Plataiai auf, zu dem die Schlangensäule gehörte (sie trug einen goldenen Dreifuß).19 Abgesehen von den nicht wenigen „Mederfreunden“, die sich, vor allem im Norden Griechenlands (Hdt., VII 132,1), teils aus Furcht vor der heranrückenden Übermacht, teils aber auch freiwillig und aus Überzeugung offen („bereitwillig die Sache der Perser vertretend“: Hdt., VII 138,2) den Persern angeschlossen hatten, blieb der überwiegende Teil der Bewohner des Mutterlandes wie die Argiver zuhause. Von den zahllosen Kolonialstädten in Unteritalien und Sizilien und rings ums Mittelmeer hat nur eine einzige Beistand geleistet, die Stadt Kroton, und 19 Dazu vgl. GAUER, 1968, 77–96 und 134 T 7. Zur Schlangensäule auf der von D. Laroche entdeckten Basis vgl. zuletzt BOMMELAER/LAROCHE, 2015, 192–196 Fig. 67 und 69.

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auch sie, unter dem Kommando des dreifachen Pythiensiegers Phayllos (Hdt., VIII 47), nur mit einem einzigen Schiff, das nach Pausanias (X 19,2) von Phayllos mit Landsleuten, die im Mutterland ansässig oder tätig waren, bemannt worden war. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der in der Antike über fast die gesamte mittelmeerische Welt und über die Küsten des Schwarzen Meeres zerstreuten Griechen äußerte sich in der gemeinsamen Sprache und Kultur und der Verehrung der olympischen Götter sowie in den panhellenischen Spielen, insbesondere den alle vier Jahre ausgetragenen olympischen Spielen, aber nur dieses eine Mal in gemeinsamem Handeln. Das antike Hellas ist in seiner notorischen Uneinigkeit ein Spiegel des heutigen Europa. Eine unvoreingenommene Betrachtung der Orakel zu den Perserkriegen verrät, dass die Pythia in allen Fällen realistisch und sehr gewissenhaft geprüft und den Fragestellern das geraten hat, was nach menschlichem Ermessen für die Bevölkerung ihrer Stadt und ihres Landes das Beste war. Das gilt auch für die Athener, denen sie geraten hat, „an die Enden der Erde“ zu fliehen (Hdt., VII 140,2), so weit, dass der Arm des Großkönigs sie nicht mehr erreichen könnte. Von einem hellenischen Vaterland konnte die Pythia nichts wissen. Man darf geradezu mit Sicherheit annehmen, dass die Perser, nachdem sie das ganze östliche Mittelgriechenland bis zur Südküste von Attika besetzt hatten, auch in Delphi waren. Sie haben Delphi ganz offensichtlich geschont, wie sie auch die Heiligtümer auf den Inseln der Ägäis geschont hatten. Erst als – wie zu vermuten ist – die Spartaner nach dem endgültigen Sieg über Mardonios mit der drohenden Frage „wo wart Ihr, als wir bei Plataiai für Hellas kämpften?“ bei den Beistandsverweigerern auftraten, fühlte sich die delphische Priesterschaft veranlasst, Geschichten über den entschlossenen Widerstandswillen der Delpher in die Welt zu streuen, wunderbare Geschichten: Da liegen auf einmal Waffen vor den Tempeln, die ein Getöse machen, man hört Stimmen, Felsen stürzen von den Phädriaden herab (tatsächlich gab es um das Jahr 480 herum einen Felssturz, der den Tempel der Athena Pronaia zerstörte), und die einheimischen Heroen Autonoos und Phylakos, die in der Nähe dieses Tempels ein Heiligtum hatten, schlagen die anrückenden Perser in die Flucht: Hdt., VIII 37–39. Herodot hat diese Rechtfertigungslegenden für bare Münze genommen, und mit ihm wohl jeder gläubige Hellene. Die hohe moralische Autorität des delphischen Apollon und seines Orakels war auch nach den Perserkriegen ungebrochen.

7. Die Weihgeschenke der griechischen Sieger in Delphi Sowohl nach der Schlacht von Salamis als auch nach der Schlacht von Plataiai erhielt der delphische Gott Weihgeschenke. Nach Salamis weihten die verbündeten Hellenen nach Herodot (VIII 121,1) je eine Triere nach Isthmia,

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nach Sunion und nach Salamis. Als Empfänger dieser am Ort der Seeschlacht verbliebenen Triere nennt er den lokalen Heros Aias, der seit der kleisthenischen Phylenreform einer der 10 attischen Phylenheroen war, aber als Sohn des aiäginetischen Heros Aiakos auch in Aigina verehrt wurde. Die Bilder dieser Aiakiden waren nach Herodot (VIII 64,2) vor der Schlacht als Helfer auf die hellenische Flotte gebracht worden. Die nach Isthmia geruderte Triere war noch zu Herodots Zeit zu sehen, zweifellos im nahe der Einfahrt in den Kanal von Korinth am Meeresufer gelegenen Poseidonheiligtum. Als einziger Gott erhielt der delphische Orakelgott einen größeren Beuteanteil. Als Akrothinion (das ist wörtlich genommen das oberste vom Beutehaufen) stifteten die Hellenen eine zwölf Ellen (= 5,35 m) große Bronzestatue des Apollon nach Delphi.20 Herodot geht darauf noch näher ein (Hdt., VIII 122): Als die Griechen die Erstlingsgaben nach Delphi schickten, fragten sie gemeinsam bei dem Gott an, ob die Erstlingsgaben, die er erhalten habe, vollständig und wohlgefällig seien.

Wir wissen nicht, ob ein solches Nachfragen zum üblichen Stiftungsprozedere hinzugehörte. In der französischen Forschung hat es darüber eine kleine Kontroverse gegeben, die in dem Buch von Anne Jacquemin referiert ist.21 Ich denke, dass diese Anfrage ganz besondere Ursachen gehabt haben muss. Der Gott äußert sich zufrieden, fordert aber, wie oben gesagt, die Aristeia der Aigineten für sich. Die Aigineten weihten daraufhin einen ehernen Mastbaum, an dessen oberem Ende drei goldene Sterne angebracht waren. Möglicherweise stehen die drei Sterne für die drei aiginetischen Aiakiden Aiakos, Telamon und Aias, die Helferheroen von Salamis (bisher dachte man meist an Apollon Delphinios und die beiden Dioskuren). Eine zusätzliche Auszeichnung war es, dass die Aigineten ihren Mastbaum im Ostpteron des Apollontempels, nahe dem berühmten Krater des Kroisos, aufstellen durften. Der französische Archäologe Pierre Amandry hat überzeugend dargelegt, dass das Monument wohl in der Nordostecke des Tempels stand, wo es mit seinen goldenen Sternen weithin sichtbar war, für jedermann, der auf der heiligen Straße zum Tempel hinaufschritt, unübersehbar. Die Athener haben wenig später unterhalb, vor der sogenannten Polygonalmauer, eine leichte und lichte hölzerne Halle mit weit auseinander gerückten ionischen Marmorsäulen gebaut, in der sie, wiederum nach einer Vermutung von Amandry, die in Sestos von ihnen erbeuteten Taue und Schiffsschnäbel der Hellespontbrücken des Xerxes (hopla und akroteria heißen sie in der monumentalen Weihinschrift auf dem Stylobat, und von hopla spricht angesichts der Taue auch Herodot) geweiht haben. Es ist sicher kein Zufall, dass die verlängerte Mittelachse der Halle genau durch das Ostpteron des Apollontempels verläuft. Die Weihung 20 21

Zu ihrer Basis vgl. BOMMELAER/LAROCHE, 2015, 198 f. Nr. 410 b Fig. 71. JACQUEMIN, 1999.

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der Brückentaue nimmt eindeutig auf das Aristeion der Aigineten optisch Bezug.

8. Der athenische ‚Schlussstrich‘ zum Xerxeskrieg Herodot IX 121 zufolge wollten die Athener die Brückentaue „in die Heiligtümer“ stiften. Damit ist außer Delphi sicherlich auch die Akropolis von Athen gemeint. Der amerikanische Archäologe Homer Thompson hat einleuchtend vermutet, dass sie dort, auf der Akropolis, auf der schmalen Terrasse aufgestellt waren, die der perikleische Parthenon ebenso wie schon sein zerstörter Vorgänger nach Süden hin auf dem hohen Unterbau des sog. Vorparthenon freilässt. Damit wären sie wie in einem Schaufenster für diejenigen sichtbar gewesen, die sich vom Meer her Athen näherten, und vielleicht sogar für die Aigineten auf ihrer nicht allzu weit entfernten Insel. Mit dieser Weihung war ein Schlussstrich unter den großen Perserkrieg gezogen. Es ist sicher kein Zufall, dass damit auch das Geschichtswerk des Herodot endet. Es folgt nur noch die denkwürdige Anekdote, in der der große Kyros die Perser davon überzeugt, dass es besser sei, „als Bewohner eines elenden Landes zu herrschen, denn als Besäer einer reichen Ebene Sklaven zu sein“ (Hdt., IX 122,4).

5. Delphi in Philosophie und Theologie der römischen Kaiserzeit

Priester, Philosoph, Propagandist – Plutarch und Delphi Rainer Hirsch-Luipold 1. Zur Einführung Mit dem bekannten Mythos von den beiden Adlern, die Delphi als Nabel der Welt markieren, eröffnet Plutarch seinen Dialog Über das Nachlassen der Orakel,1 um dann unmittelbar überzugehen zur Erzählung von zwei heiligen Männern, die sich, ebenfalls ausgehend von den Enden der Erde, in Delphi zu einem philosophischen Gespräch treffen. Zwei Adler oder Schwäne, so erzählt die Sage, [...] sollen auf dem Fluge von den äußersten Enden der Erde nach ihrer Mitte in Pytho bei dem sogenannten Nabel zusammengetroffen sein, und als später einmal Epimenides von Phaistos den Gott um die Wahrheit dieser Sage befragt und einen undeutlichen und doppelsinnigen Spruch bekommen habe, da soll er die Verse gedichtet haben: „Also hat weder Erde noch Meer einen Nabel inmitten; Gibt es ihn, ist er den Göttern bekannt, den Menschen verborgen.“ Ihn hat der Gott begreiflicherweise zurückgewiesen, da er einen alten Mythos wie ein Gemälde durch Betasten prüfen wollte. Zu meiner Zeit jedoch, nicht lange vor den Pythien, die unter Kallistratos gefeiert wurden, sind von den entgegengesetzten Enden der bewohnten Erde her zwei heilige Männer in Delphi zusammengetroffen, der Philologe Demetrios2 auf der Heimreise von Britannien nach Tarsos und Kleombrotos aus Lakedaimon, der viel in Ägypten und im Troglodytenland umhergereist war und das Rote Meer [= den Indischen Ozean] weit hinaus befahren hatte, nicht um Handelsgeschäfte zu betreiben, sondern als ein Mann, der viel zu sehen und zu erfahren begehrte, ein ausreichendes Vermögen besaß und keinen großen Wert darauf legte, mehr als das Ausreichende zu haben, verwandte er seine Muße hierauf und sammelte Überlieferungen (ἱστορία) als Rohstoff für eine Philosophie, die Theologie, wie er selbst sie nannte, zum Endziel hatte.3

Mythisches und Historisches wird hier überblendet. Delphi, so zeigt sich, ist immer noch der Nabel der Welt, und das äußert sich in einer ganz bestimmten Weise, nämlich im religiös inspirierten philosophischen Gespräch, an dem der Leser im Folgenden teilhaben kann. Schon in dieser Eröffnung finden wir unterschiedliche Perspektiven, in denen Delphi bei Plutarch zum Thema 1

Plut., Def. or. 1, 409e–f; vgl. Strab., IX 3,6 p. 419,27–420,3 Radt. Bei beiden dürfte es sich um historische Personen gehandelt haben (vgl. ZIEGLER, 1951, 671 f. 677). 3 Plut., Def. or. 1–2, 409e–410b; Übers. Ziegler (mit einigen Änderungen). 2

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wird: Delphische Tradition in Mythos und Geschichte, Delphi als Orakelort und zugleich als Ort der Begegnung weiser und heiliger Männer, mithin als Ort des philosophischen Gesprächs und Unterrichts. Der weitgereiste Universalgelehrte Plutarch, der doch, wie er selbst sagt, seiner unweit von Delphi gelegenen Vaterstadt Chaironeia zeitlebens treu geblieben ist,4 hatte zu Delphi eine ganz besondere Beziehung, die sich auch institutionell niederschlug:5 Gegen Ende seines Lebens versah er über einen längeren Zeitraum hinweg (‚viele Pythiadenʻ: καὶ µὴν οἶσθά µε τῷ Πυθίῳ λειτουργοῦντα πολλὰς Πυθιάδας)6 das Amt eines der beiden Priester des Apollon am Orakelheiligtum in Delphi.7 Mit seinem literarischen Engagement, man könnte auch sagen: seiner publizistischen Wirksamkeit, dürfte er nicht unwesentlich zur erneuten Blüte von Orakel und Stadt in dieser Zeit beigetragen haben. Eine Ehreninschrift auf dem Pfeiler einer Portrait-Herme in Delphi würdigt entsprechend den langjährigen Priester als Wohltäter der Stadt.8

2. Plutarch und Delphi – eine vieldimensionale Beziehung Zunächst einmal schauen wir überblicksartig auf die verschiedenen Dimensionen, in denen Delphi für Plutarch wichtig ist,9 um sie dann nacheinander durchzugehen: Den b i o g r a p h i s c h e n Aspekt hatten wir bereits angesprochen: Plutarch wirkt über einen langen Zeitraum als Priester in diesem nur ca. 40 km von seiner Heimatstadt Chaironeia entfernten Orakel. L i t e r a r i s c h bildet der Orakelbezirk den Erzählrahmen in den späten, sogenannten Pythischen Dialogen.10 Die philosophischen Gespräche, die den 4

Plut., Dem. 2,2. Für allgemeine Informationen insbesondere zu den religiösen Aspekten im Werk Plutarchs vgl. HIRSCH-LUIPOLD, 2016a. 6 Plut., An seni 17, 792f . 7 DITTENBERGER, 1920, nr. 829A; Plut., Quaest. conv. VII 2,2, 700e: συνιερεύς. Vgl. ROUX, 1976, 53–70. Plutarch berichtet nur sehr zurückhaltend über sein Wirken als Priester. 8 DITTENBERGER, 1920, nr. 843. 9 F.E. Brenk hat Delphi ein ganzes Kapitel seiner grundlegenden Darstellung ,An Imperial Heritage: The Religious Spirit of Plutarch of Chaironeia‘ (BRENK, 1987), hier 330– 336, gewidmet (wiederabgedruckt in: ROIG LANZILLOTTA, 2018, 7–129, hier 114–120). Allerdings handelt es sich dabei weitgehend um eine historische Darstellung der Erwähnungen des Orakels in den Viten. ‚Delphi‘ ist hier also tatsächlich nur das Orakel und seine Bedeutung in der Darstellung Plutarchs. Brenk diskutiert auch, inwiefern Plutarch Delphi an bestimmten Stellen Orakel zuschreibt, die in der Tradition entweder ohne Namen umlaufen oder einer anderen Orakelstätte (etwa Didyma) zugeschrieben werden. 10 Der Begriff fällt am Beginn von De E apud Delphos (1, 384e). 5

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Gegenstand dieser Dialoge bilden, spielen sich im Heiligen Bezirk des Apollon, z. T. gar auf den Stufen des Apollontempels ab. In dieser Weise den heiligen Bezirk des Apollon zum Schauplatz philosophischer Dialoge zu machen, scheint mir in dieser Art und Weise einzigartig in der Geschichte von Philosophie und Literatur zu sein. I n h a l t l i c h - t h e m a t i s c h kreisen diese Schriften, nämlich Über das rätselhafte Epsilon-Zeichen in Delphi,11 Über das Nachlassen der Orakel und Warum die Orakelsprüche der Pythia nicht mehr in Versen gegeben werden,12 um Themen, die im Zusammenhang mit dem delphischen Orakel stehen:13 Divination; die Funktion und Rolle der Pythia, allgemeiner die Frage nach Vermittlungsinstanzen, die die Botschaften des transzendent-Göttlichen in die Welt der Erscheinungen hineinzutragen vermögen. Plutarch macht also die religiöse Überlieferung in Delphi14 zum Gegenstand seiner philosophischen Debatten.15 Dabei spielen auch die m a t e r i a l e n Z e u g n i s s e d e r d e l p h i s c h e n T r ad i t i o n als Baustein und Anstoß der Diskussionen eine wesentliche Rolle: die am Tempel eingravierten Sprüche der Sieben Weisen ebenso wie die Symbolik der Weihgaben, die im Heiligen Bezirk des Apollon aufgestellt sind oder vor dem Tempel des Apollon aufgehängt wie im Fall des rätselhaften EZeichens.16 Einmal, am Beginn des Dialogs De Pythiae oraculis, bildet gar eine Führung durch die von der vergangenen Größe des Orakels zeugenden reichen Kunstschätze des Heiligen Bezirks den Erzählrahmen. Was die Führer nur mit mäßigem Enthusiasmus und begrenzter Sachkenntnis herunterleiern, führt unmittelbar auf die für den Dialog zentrale Frage der Ästhetik des Göttlichen, die Frage also, wie sich die Reinheit des göttlichen Seins in die körperliche Sphäre des Menschen hinein wahrnehmbar vermitteln lässt. Über diese hermeneutische und erkenntnistheoretische Problematik will Plutarch einem Einwand begegnen, der offensichtlich gegen das Orakel ins Feld geführt wurde, nämlich die mindere ästhetische Qualität der jüngeren Aussprü11

THUM, 2013; OBSIEGER, 2013; BOULOGNE ET AL., 2006. SCHRÖDER, 1990. Zur Deutung der Prophetie in De Pythiae oraculis, De defectu oraculorum und De genio Socratis vgl. SOURY, 1942, 50–69. 13 Vgl. BROUILLETTE, 2014, der von einer „philosophie delphique“ spricht. 14 KINDT, 2016 nennt dies „oracular discourse“. 15 Den Schriften eignet damit auch etwas Apologetisches: Für Plutarch stehen mit der Frage nach der Religion immer zugleich Fragen nach der Theologie auf dem Spiel, also nach dem Wesen des Göttlichen und seiner heilsamen Zuwendung zu den Menschen, die hier wie anderswo bei Plutarch unter dem Stichwort φιλανθρωπία verhandelt wird. 16 Über die Frage nach den tatsächlichen historischen Hintergründen des Zeichens gibt es eine längere, ergebnislose Debatte, die man bei OBSIEGER, 2013, 9–13 zusammengefasst findet. Eine Münze aus Hadrianischer Zeit, die sich im Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin befindet, zeigt dieses E-Zeichen vor dem Tempel. Auf der Rückseite findet sich das Portrait von Faustina, der Gattin des Kaisers Antoninus Pius. 12

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che der Pythia.17 Am Ende des Dialogs entnimmt Plutarch den Schätzen in Delphi noch eine geschichtstheologische Pointe: die gegenwärtige Blüte des Orakels, so Plutarch, sei als Zeichen für die fortdauernde göttliche Fürsorge für das Orakel zu betrachten (Pyth. or. 29, 409c). Zu den materialen Gegebenheiten darf man vielleicht auch die unterschiedlichen Kultnamen des delphischen Apoll rechnen, die Plutarch in De E etymologisierend ausdeutet, wie er das andernorts auch zu tun pflegt (neben Pythios und Delios auch Phanaios, Ismenios und Leschenorios).18 Aus der Deutung dieser Namen entwirft er ein von dem φιλόσοφος Apollon ausgehendes delphisches Bildungsprogramm.19 Im direkten Fortgang dieser Stelle werden weitere Aspekte des K u l t v o l l z u g s in Delphi als Beispiele dafür erwähnt, wie die Suche nach ihrer wahren Bedeutung der Überzeugung Plutarchs zufolge auf die Wahrheit und auf das Wesen der Gottheit selbst (τὰ περὶ τὸν θεόν) hinführen kann:20 dass für „das unsterbliche Feuer“ nur Tannenholz verbrannt wird; dass für das Räuchern nur Lorbeer verwendet wird; dass nur zwei Moiren verehrt werden; dass keiner Frau die Befragung des Orakels gestattet ist; schließlich die Frage nach der tieferen Bedeutung des E-Zeichens vor dem Tempel, das freilich schon früher eingeführt wird, und dessen Interpretation die ganze Schrift gewidmet ist. Plutarchs Interesse bei der Aufnahme dieser Traditionen ist, wie sich hier schon zeigt, keineswegs rein kulturgeschichtlich. Vielmehr regt durch sie gemäß der Interpretation des religiösen Philosophen der delphische Gott das philosophische Gespräch an. Thema der Schrift ist also nicht die dogmatische Klärung der Bedeutung des rätselhaften E-Zeichens (woran sich die Forschung wenig fruchtbringend die Zähne ausgebissen hat), sondern seine hermeneutische und protreptische Funktion, die den Menschen auf den delphischen Philosophengott hin orientiert. Das Zeichen hat philosophische, theologische und zuletzt sogar soteriologische Bedeutung, weil es dem in seiner Sterblichkeit gefangenen Menschen einen Weg über die ὁµοίωσις θεῷ ins reine Sein des Göttlichen aufzeigt.

17 Cicero zufolge hatte das delphische Orakel im 3. Jh. v. Chr. aufgehört, Versorakel zu erteilen: praeterea Pyrrhi temporibus iam Apollo versus facere desierat (Div. II 116). Strabon (IX 3,5 p. 419,19–23 Radt) äußert sich sehr allgemein: die Pythia spricht „in Vers und in Prosa“. Nach FONTENROSE, 1978, 194 gibt es indes vor dem Beginn des 2. Jh. n. Chr. überhaupt nur wenige Belege für Versorakel, und erst danach wachsen sie deutlich an, was er auf den Einfluss von Plutarchs Schrift De Pythiae oraculis zurückführt. Freilich bleibt die Qualität der Verse ausgesprochen mittelmäßig. 18 Plut., De E 2, 385b–c. 19 Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, 2015, 96–122, hier bes. 113. 20 Plut., De E 2, 385c–d. Zu den religionsgeschichtlichen Hintergründen, soweit wir etwas darüber sagen können, vgl. OBSIEGER, 2013, 114 f.

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Spezifisch delphisch ist zudem die T r a d i t i o n d e r S i e b e n W e i s e n ,21 insbesondere diejenigen Aussprüche, die am Heiligtum des Apollon eingraviert waren: µηδὲν ἄγαν („Nichts zu sehr“) und vor allem γνῶθι σαὐτόν („Erkenne dich selbst“).22 Bei Platon (Prot. 343a–b) werden sie als „Erstfrüchte“ bezeichnet, eine Formulierung, die Plutarch, wenn auch in etwas anderem Zusammenhang, im Proömium zu De E apud Delphos (1, 384e) aufgreift.23 Die sieben Weisen spielen sowohl in den Pythischen Dialogen als auch im Symposium der Sieben Weisen eine wichtige Rolle (wobei Plutarch damit ringt, dass sich in der klassischen Liste der sieben Weisen eben auch zwei Tyrannen befinden, nämlich Periander und Kleobulos). Zum delphischen Orakelbetrieb selbst äußerst sich Plutarch auch detailreich, worauf wir sogleich zurückkommen werden. Zuvor müssen wir auf Delphi als Ort des philosophischen Gesprächs und sodann auf Plutarchs Rolle als Priester in Delphi eingehen.

3. Delphi als Ort des philosophischen Gesprächs (Pädagogik und Philosophie) Plutarch war ein philosophischer Lehrer, er leitete seine eigene philosophische Schule, in der sich neben Angehörigen und Freunden auch bedeutende Figuren der (römischen) Politik zum philosophischen Gespräch zusammenfanden. Dass Plutarch solche Schulgespräche in den Pythischen Dialogen im heiligen Bezirk in Delphi situiert, spricht Bände über die Verbindung von religiöser Tradition und philosophischem Nachdenken in seinem Werk – unabhängig davon, ob solche philosophischen Gespräche in Delphi tatsächlich stattgefunden haben.24 Angestoßen durch die lokalen Traditionen bilden dezidiert religiöse Themen den Gegenstand dieser philosophischen Dialoge, die – wie es in der Widmung zu De E heißt – dazu dienen sollten, den Dialog zwischen verschiedenen philosophischen Schulen über diese Themen zu vertiefen (konkret mit dem philosophischen Kreis des Stoikers Sarapion, an

21

Vgl. Plut., De E 3, 385d–f. Davon berichtet auch Plat., Prot. 343a–b; 164d–165a. Vgl. Paus., X 24,1. 23 Vgl. Plut., De E 7, 387e; De aud. 6, 40b; Sept. sap. conv. 6, 151e. OBSIEGER, 2013, 99, nennt weitere Belegstellen – Dio Chrys., Or. 71; Ael. Arist., Or. 2, 398 und sogar Iul., Or. 1 – und gewinnt daraus überraschenderweise ein Argument dagegen, dass Plutarch tatsächlich (wie auch BONAZZI, 2008, 208 f., meint) eine Anspielung auf Plat., Prot. 343a– b intendiert. 24 Zum Ganzen vgl. HIRSCH-LUIPOLD, 2015, 103–109. Wie die Gespräche in dieser philosophischen Schule Plutarchs abgelaufen sind, davon vermitteln insbesondere die Tischgespräche, die in Plutarchs Haus in Chaironeia spielen, einen Eindruck. 22

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den die Pythischen Dialoge gerichtet sind).25 Dem religiös konnotierten Ort der Gespräche entspricht ein theologischer Inhalt.

4. Der Philosoph als Priester des delphischen Apoll (religiöse Biographie) Plutarch diente gegen Ende seines Lebens viele Jahre als Priester des Apollon in Delphi. 26 Als Priester war er selbstverständlich auch am Orakelbetrieb beteiligt. Die Bedeutung dieser Tatsache für das Verständnis seines Werkes ist indes nicht unumstritten. Im Jahr 2013 sind gleich zwei philologische Arbeiten zu De E apud Delphos erschienen, die sich pointiert auch mit dieser Frage auseinandersetzen: eine literarisch-philosophische Interpretation des Dialogs von Tobias Thum und ein Kommentar von Hendrik Obsieger. Tobias Thum schreibt zum Problem folgendes: Obschon Plutarchs Priesterschaft in Delphi sicher belegt ist, steht die in der Literatur unausgesetzt betonte Bedeutung von Plutarchs delphischem Amt für seine religionsphilosophischen Schriften und nicht zuletzt für die ‚Pythischen Dialoge‘ im Sinne einer spezifisch ,priesterlichen’ Attitüde des Autors in einem starken Missverhältnis zu Umfang und Frequenz von diesbezüglich auswert- und belastbaren Äußerungen in seinem durchaus umfangreichen Werk.27

Thum nimmt eine Position ins Visier, die Plutarchs religiöse Philosophie dezidiert in einen Zusammenhang mit seinem Priesteramt in Delphi bringt.28 Er bezeichnet die Stelle in An seni 17, 792f,29 wo Plutarch kurz seine priesterlichen Pflichten als „Opfern sowie das Anführen von Prozessionen und Chören“ zusammenfasst, als das „einzige[n] umfangreichere[n] Selbstzeugnis zu dem ihm übertragenen Priesteramt in Delphi“. 30 Zunächst einmal ist Thum Recht zu geben: Plutarchs Schweigen über seine unmittelbar kultischen Aufgaben als Priester ist angesichts der großen Bedeutung, die das Orakel in 25

HIRSCH-LUIPOLD, 2015, 108. Vgl. Plut., An seni 17, 792f: „viele Pythiaden lang“. 27 THUM, 2013, 125 f. 28 Diese Position wurde insbesondere in Italien und Frankreich (vgl. etwa FERRARI, 2018, 571: BONAZZI, 2008; FLACELIÈRE, 1974, 273–280; SIRINELLI, 2000, 225; FRAZIER, 2005, 111–137), aber auch in Deutschland vertreten (vgl. FELDMEIER, 1998, 412–425; HIRSCH-LUIPOLD, 2015; 2016a). 29 Die Stelle wirft ein interessantes Licht auf die Frage nach der religiösen Bedeutung des Priesteramts für Plutarch. Das Insigne seiner priesterlichen Würde, so sagt er, sei der Kranz, den abzulegen ein Ende der Tätigkeit bedeuten würde. In typischer Weise wendet Plutarch die damit eingeführte religiöse Sprache im Folgenden auf den politischen Bereich (τῶν πολιτικῶν ἱερῶν ἔξαρχον ὄντα καὶ προφήτην) an und zeigt damit, wie unmittelbar für ihn Religiöses und Politisches verknüpft sind. 30 THUM, 2013, 127. 26

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seinen Schriften einnimmt, zweifelsohne auffällig. Mindestens noch eine zweite Stelle können wir immerhin anführen, nämlich in der antiepikureischen Schrift Non posse suaviter vivi secundum Epicurum. Hier spiegelt sich mit Sicherheit auch Plutarchs eigene Erfahrung, wenn er dafür votiert, dass alle Opfer, Feste und Gebete ohne Gottespräsenz „gottlos“ (ἄθεον) und „unfestlich“ seien und ein opfernder Priester ohne Gottespräsenz lediglich ein Metzger.31 Die Bemerkung ist in unserem Kontext interessant, weil sie – in der theologischen Auseinandersetzung mit philosophischen Gegenpositionen – unterstreicht, dass eine bloß rituelle Dimension religiös und theologisch unzureichend ist. Opfer und Gebete vermitteln Freude dadurch, dass sie den Menschen in Kontakt mit den Göttern bringen. Plutarch mag es ähnlich wie Philon von Alexandrien betrachtet haben: Die traditionellen kultischen Vollzüge haben eine wichtige Funktion und müssen beachtet werden. Entscheidend aber ist ein philosophisches Verständnis, das den theologischen Kern der jeweiligen kultischen Handlung verständlich macht.32 Jedenfalls versäumt Plutarch es nicht, verschiedentlich auf die εὐφηµία des Priesters zu verweisen und so sein Schweigen zu rechtfertigen.33 Lässt sich das Priesteramt Plutarchs also in Zusammenhang mit seiner Philosophie, vielleicht sogar seiner eigenen Religiosität bringen? Unbestreitbar war das Priesteramt, wie Thum in seiner Interpretation von De E betont, wesentlich ein öffentliches Ehrenamt,34 verbunden mit Privilegien und Reputation für die Familie; entsprechend hat Plutarch auch andere öffentliche Ämter in Chaironeia übernommen. Thum kritisiert nun allerdings, mit der Vorstellung, das Priesteramt Plutarchs verbinde sich mit einer persönlichen religiösen Position, werde

31

Plut., Non posse 21, 1101e–1102b. Diese Passage dreht sich um die Bedeutung des kultischen Ritus für ein glückliches Leben. Ähnlich wie am Ende von De tranquillitate animi werden religiöse Feste und Kulthandlungen als höchster Grund menschlicher Freude bezeichnet (und dazu unterschiedliche kultische Vollzüge aufgezählt; Non posse 21, 1101e). In Qu. conv. VII 2,2, 700e erwähnt Plutarch noch seinen Mitpriester Euthydemos (Εὐθύδηµον τὸν συνιερέα). 32 Vgl. De Is. 68, 378a. 33 In De E 16, 391d legt der Autor Plutarch die Rede vom Schweigen des Priesters in den Mund des Priesters Nikander, dem der Sprecher Plutarch (und sicher auch der Autor) hier zustimmt. Früher in De E hatte Plutarch selbst gesagt, dass er es immer vermieden habe, über das E zu sprechen – auch hier sicher in Anspielung auf die fromme Zurückhaltung des Priesters. 34 Wenn THUM, 2013 zuvor (118–121) bei seiner Untersuchung des Verhältnisses Plutarchs zu seinem Priesterkollegen Nikander die Position kritisiert hatte, dieses Verhältnis sei völlig unproblematisch und von Loyalität geprägt, so ist diese Kritik berechtigt, das angeführte Argument aber (bei Plutarch sei kein persönliches Gottesverhältnis erkennbar) markant verfehlt. Denn Plutarch argumentiert genau umgekehrt: er lässt die Position seines Priesterkollegen aufgrund der problematischen Theologie kritisieren, die sie impliziert.

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ein religionssoziologisches Konzept des nicht nur aufgrund einer Amtsfunktion, sondern aus einer innerlich-spirituellen Bindung an den jeweiligen Gott tätigen Priesters auf Plutarch übertragen […], das im paganen Griechentum so unbekannt wie im Christentum notorisch ist.35

So geschliffen die Anfrage vorgebracht ist, so unzureichend ist sie historisch unterfüttert, weil sie einem geläufigen Vorurteil entspringt. Einem religionssoziologischen Konstrukt nämlich, das pagane Kultvollzüge ebenso von einer als christlich empfundenen individuellen Religiosität befreien will wie sie als Philosophie nur gelten lassen will, was nicht gewissermaßen religiös ‚verunreinigt‘ ist. Die Frage ist aber, wie plausibel sich ein solches Konstrukt mit unseren Zeugnissen aus der frühen Kaiserzeit in Einklang bringen lässt; zur Beantwortung dieser Frage ist gerade der delphische Priester ein entscheidender Zeuge, weshalb es wichtig war, die vieldimensionale Bedeutung Delphis im Werk Plutarchs zu erheben. Thums Position, dass das Amt des delphischen Priesters nichts mit der persönlichen Religiosität Plutarchs zu tun habe, ist allenfalls dann haltbar, wenn man alles bisher Gesagte über die Verbindung von Religiös-Philosophischem mit Delphi im Gesamtwerk Plutarchs ausblendet: dass der Autor das Orakel zum Schauplatz verschiedener Schriften gemacht,36 dass er nach eigener Aussage bisweilen seinen Schulbetrieb von Chaironeia nach Delphi verlagert hat; dass es gerade religiöse Tradition war, die den Ausgangspunkt zum philosophischen Gespräch gegeben hat; dazu alle jene Stellen, wo Plutarch, wie in Non posse suaviter vivi secundum Epicurum oder am Ende von De tranquillitate animi, über die Segnungen einer persönlichen Religiosität redet, die vom kultischen Vollzug ihren Ausgang nimmt. All dies weist darauf hin, dass Plutarchs Priesteramt signifikant mehr für ihn war als ein bloßes Ehrenamt. Im Fall Plutarchs zeigt das Amt in Delphi m.E. programmatisch die Verbindung der Philosophie mit gelebter religiöser Tradition und ist deshalb für die Interpretation seiner Werke fundamental. Zudem lässt sich diese Verbindung historisch einordnen; sie ist für seine Zeit typisch, ja mehr noch: Plutarch entwirft zeitgleich mit dem frühen Christentum als erster griechischer Denker eine in Auseinandersetzung mit der religiösen Tradition (in seinem Falle wesentlich der delphischen Tradition) entwickelte Theologie, die man durchaus als ‚delphische‘ Theologie bezeichnen könnte, eine Position, die jüngst auch Julia Kindt vehement vertreten hat.37 Plutarch macht die persönliche religiöse Beziehung zum Programm, nicht nur für sich als Pries35

THUM, 2013, 20. Jean Sirinelli hat diese religiösen Spätschriften als Vermächtnis Plutarchs erachtet: SIRINELLI, 2000, 410–438. 37 Vgl. KINDT, 2015, 268–278. Sie will gegenüber der Konzentration auf literarische Quellen programmatisch materiale Zeugnisse mit einbeziehen; weiter JAILLARD, 2007, 149–169. 36

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ter und seine Priesterkollegen, sondern für jeden, der sich mit einer Frage an den delphischen Gott wendet.38 Und noch entscheidender, er verbindet diese persönliche Bindung mit einer philosophischen Perspektive, die zugleich soteriologisch ist, insofern sie auf das Heil der jeweiligen Person in einem ganzheitlichen, über die körperliche Existenz hinausreichenden Sinne abzielt.

5. Das Orakel und seine Sprüche In den Viten sind – wenig überraschend – die Sprüche des Orakels zentral, in den Moralia ist es eher der Orakelbetrieb und der heilige Bezirk Apollons als Erzählrahmen und Bühne, bisweilen auch die mythische Tradition. So gerne Plutarch die historische Bedeutung herausstreicht, die dem Orakel durch seine bedeutenden Sprüche in der griechischen Geschichte zukommt,39 zu seiner eigenen (soll heißen: in römischer) Zeit gab es nicht mehr allzu viel Ruhmreiches zu berichten, wie Philip Stadter in einem wichtigen Aufsatz zur Rolle Delphis in den Viten herausgearbeitet hat.40 In der frühen Kaiserzeit ist Delphi provinziell, während andere Orakel durchaus florieren. 41 Es kommen nicht mehr die Könige, die sich von dem Orakel politische Ratschläge erteilen lassen wie einst Kroisos oder Laios, der unglückselige Vater des Ödipus. Vielmehr beklagt sich Plutarch darüber, dass das Orakel mit banalen Fragen behelligt wird. Einen ähnlichen Befund bieten die Bleitäfelchen vom Zeusorakel in Dodona, die man bei Kindt diskutiert findet.42 Als delphischer Kult-Funktionär ist Plutarch keineswegs unkritisch gegenüber dem Orakel, seiner gesellschaftlich-politischen Rolle und seinen Exponenten. Plutarch ist zu sehr Historiker, um vernachlässigen zu können, wie sehr das delphische Orakel auch Spielball politischer Instrumentalisierung

38

HIRSCH-LUIPOLD, 2017. Zusammenstellung und Diskussion der delphischen Orakelsprüche bei FONTENROSE, 1978, passim. 40 STADTER, 2005/2014. 41 WIESEHÖFER, 2010, 351 führt Didyma und Klaros als Beispiele an, in denen bis ins 3./4. Jahrhundert intensive Orakeltätigkeit stattfand, nicht nur an Privatleute, sondern auch an griechische Poleis, deren Abgesandte dort Rat suchten. 42 Vgl. KINDT, 2015, 272. Man sieht also, dass Plutarch hier als literarische Quelle einen Befund unterstreicht, den wir sonst nur aus den archäologischen Zeugnissen kennen (KINDT, 2015, 273). „Religious experience“ meint im Sinne von Kindt aber vor allem, wie die Befragung eines Orakels tatsächlich vor sich gegangen ist. Demgegenüber redet Plutarch von einer persönlichen religiösen Interaktion mit dem Orakel, die auch die eigene Religiosität und Ethik verändert; es ist bemerkenswert, dass Plutarch in solchen Zusammenhängen mit Begriffen wie πίστις operiert, denen mindestens auch die Dimension einer persönlichen Beziehung innewohnt (vgl. dazu HIRSCH-LUIPOLD, 2017). 39

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und Inszenierung wird. Stadter fasst Plutarchs Darstellung in den Viten folgendermaßen zusammen: Plutarch in his Lives shows that he is fully aware not only of the historical glory of Apollo’s oracle, but also of the way that it had to respond to the pressure of politicians, both Greek and Roman, who manipulated its responses and abused its reputation,

und etwas weiter: The god sees beyond human knowledge, but his priest must try to deal as best he can with the historical situation.43

Im Blick auf die Sachzwänge, denen eine Institution wie das Orakel in Delphi unterliegt, macht Plutarch sich keine Illusionen. Verschiedentlich berichtet er von Manipulationen oder Vereinnahmungen von Orakeln, mit teilweise desaströsem Ausgang, wie etwa bei Agesilaos. So hatte etwa Lysander den Agesilaos, obwohl er lahm war, gegen ein Orakel auf den Thron von Sparta gesetzt. Seine Herrschaft bedeutete mit dem Verlust von Messenien letztlich den Verlust der Vorherrschaft Spartas über Griechenland (Ages. 31,6).44 Als Alexander vor dem Perserfeldzug ein Orakel in Delphi einholen will, lässt ihm die Pythia ausrichten, es sei nicht die festgesetzte Zeit für die Befragung des Orakels;45 darauf schleift er sie eigenhändig an den Haaren in den Tempel. Aber als sie dann ausruft: „du bist doch unüberwindbar (ἀνίκητος), junger Mann“, lässt Alexander von ihr ab – das Orakel, das er sich gewünscht hatte, hatte er mit diesen Worten der Pythia bereits erhalten (Alex. 14,4). Plutarch lässt den Vorfall unkommentiert, obwohl er in ähnlichen Fällen eine solche gegen die kultischen Regeln verstoßende Befragung des Orakels als Sakrileg kennzeichnet und mit schlimmen Folgen in Zusammenhang bringt. Die Kritik richtet sich wiederum gerade gegen die Kultfunktionäre in Delphi, wie bei einem Vorfall um die Pythia, der sich, wie Plutarch sagt, vor nicht allzu langer Zeit46 zugetragen haben soll (Def. or. 51, 438a–b): Eine Delegation war von weither gekommen, um das Orakel zu befragen. Obwohl das 43

Beide Zitate STADTER, 2005, 213. Vgl. auch STADTER, 2005, 205: „In his Greek Lives, then, Plutarch finds the oracle of Apollo at Delphi admired for its wisdom, respected for its assistance at a time of crisis, ignored when it warned of danger, and exploited cynically by politicians focused on their own goals.“ 44 Vgl. STADTER, 2005, 203. 45 Das Orakel war jeweils in den Sommermonaten von März bis Oktober aktiv, wie Plutarch in De E 9, 389c berichtet. Zur Zeit Plutarchs erteilte die Pythia allerdings nur einmal im Monat Orakel (Pyth. or. 8, 398a; nach Quaest. Graec. 9, 292e–f ist sogar dies erst seit kurzem der Fall – zuvor seien Orakel nur an einem Tag im Jahr gegeben worden, wofür sich Plutarch auf Kallisthenes und Anaxandrides beruft). 46 „Kürzlich“ (Übers. Ziegler) trifft die Sache wohl nicht ganz: Nikander war der Priester zur Zeit des erzählten Gesprächs (66/67 n. Chr.), also ca. dreißig Jahre, bevor der Erzähler selbst zum Priester wurde.

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Opfertier nicht durch entsprechendes Verhalten seine Bereitschaft signalisiert hatte, wie das die Voraussetzung für die Befragung war, willigte der Priester Nikander am Ende ein, sie durchzuführen; die Pythia aber stieg nur unwillig hinab, war völlig verstört und floh schließlich unter unartikuliertem Geschrei. Sie starb wenig nach dem Vorfall, für den Plutarch indirekt den damals amtierenden Priester Nikander mit verantwortlich macht. Die Erzählung illustriert aber zugleich den erheblichen Erwartungsdruck, unter dem die Verantwortlichen standen, wenn eine wichtige auswärtige Delegation um ein Orakel bat.47 In den Moralia geht Plutarch weniger auf die Sprüche ein, für die das Orakel berühmt wurde, als vielmehr auf die Frage, wie der Orakelkult funktionierte. In dem religionsgeschichtlichen Zugriff, der für ihn typisch ist, diskutiert er eine Reihe von kultischen Details und mythischen Überlieferungen, die das Orakel betreffen (dabei geht es ebenso um die Topographie des Heiligen Bezirks wie auch um die vielen Weihegaben, ferner um Geschichte und Funktionieren des Orakelkults,48 schließlich auch um die Rolle der Pythia49 und des, wie er sagt, aus einer Erdspalte aufsteigenden Pneuma).50 Wie in den Viten prangert Plutarch auch in den Moralia verschiedentlich Missstände an bzw. lässt seine Erzählfiguren sie anprangern. Besonders der Priester Nikander gerät zweimal ins Kreuzfeuer der Kritik: bei der missglückten Befragung, von der wir schon erzählt hatten, und für seine rhetorische Deutung des E-Zeichens in De E im Sinne der Fragepartikel εἰ („ob“ man 47 In seinem oben genannten grundlegenden Aufsatz zur Religion bei Plutarch (Anm. 9) führt BRENK, 1987 aus, wie solche realpolitischen Überlegungen insbesondere in den römischen Viten eine Rolle spielen, dort nämlich, wo es um das Verhältnis Delphis zu Rom geht (etwa im Zusammenhang mit der römischen Gesandtschaft nach Delphi vor der Einnahme von Veii; Cam. 4,5 f.). 48 Die notwendigen Vorbereitungen bei der Befragung des Orakel einschließlich der Zustimmung des Opfertiers beschreibt er in Def. or. 49–51, 437a–438c. 49 Vgl. FLACELIERE, 1943, 72–111. Weissagungen wurden früher in Versen gegeben, später in Prosa (Pyth. or. 17, 402b); deshalb waren in späterer Zeit professionelle Dichter dafür zuständig, die Sprüche der Pythia in Verse zu bringen (Pyth. or. 25, 407c; vgl. Strab., IX 3,5 p. 419,21–23 Radt); Reinheit/Jungfräulichkeit (Def. or. 51, 438c); Disposition zum enthusiastischen Empfang der Botschaft (Def. or. 51, 438c–d); einmal weist die Pythia einen Mann als Mörder eines Menschen, der den Musen geweiht war, aus dem Orakel und erlegt ihm eine Entsühnung auf, die den Toten versöhnen soll (De sera 17, 560e–f). 50 Zu den archäologischen Hintergründen vgl. ZAGDOUN, 1995, 586–592. Im Zusammenhang des Funktionierens des Orakelkults berichtet Plutarch auch in den Moralia verschiedentlich von (mythischen und historischen) Anfragen, die als dem Gott unangemessen zurückgewiesen wurden (wie etwa zu Beginn von De defectu). Will man Plutarchs Aussagen freilich religionsgeschichtlich für das Funktionieren des Orakelkults auswerten, so ist methodisch zu berücksichtigen, dass Plutarch sein Material nie als reiner Archivar aufzeichnet, sondern es im jeweiligen Kontext mit einer bestimmten Aussageabsicht bearbeitet.

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dies und das tun solle). Im einen Fall ist die Kritik kultisch, im anderen theologisch. Theologisch motiviert ist auch Plutarchs Kritik an den delphischen θεολόγοι, die er dem Kleombrotos in De defectu 15, 417f in den Mund legt (von ihm wurde eingangs gesagt, er mache die Theologie zum Ziel der Philosophie): Sie werden kritisiert, weil sie „die Wahrheit verfehlen“ (Übers. Ziegler), wenn sie glauben (νοµίζοντες), Apollon habe in Delphi mit einer Schlange gekämpft, und wenn sie Dichter und Prosaautoren das schreiben und öffentlich aufführen lassen.51 Diese Stelle ist in verschiedener Hinsicht interessant: Sie zeigt die bei Plutarch veränderte Bedeutung von θεολόγος und θεολογία in Richtung des späteren christlichen Verständnisses. θεολόγοι sind hier nicht im Sinne Platons die Dichter, die mythische Überlieferung in Worte fassen, sondern die Kultoffiziellen, die den Wahrheitsgehalt der Überlieferung (d.h. ihr Verhältnis zur Wahrheit) zu beurteilen und sie gegebenenfalls zu zensieren haben. Damit offenbart die Stelle zugleich Plutarchs kritische Haltung gegenüber der ‚offiziellen‘ delphischen Theologie und ihren Vertretern, also offenbar seinen Priesterkollegen, deren Aussagen über das Göttliche ihm als nicht angemessen erscheinen. Seine Kritik betrifft entsprechend dieser Definition hier nicht irgendwelche kultischen Fehler, sondern die unzureichende Theologie der Offiziellen in Delphi, die den Herrn des Orakels nicht vor theologischen Fehlinterpretationen schützt. Der delphische Apoll spielt für Plutarch eine besondere Rolle, nicht aber, so scheint es, die offizielle delphische Theologie. Vielmehr ist seine Kritik wohl so zu verstehen, dass sie eine echte delphische Theologie, die diesen Namen verdienen würde, gerade nicht vertreten, eine 51

Nikander (inschriftlich in Delphi belegt als Tiberios Klaudios Neikandros) wird als Priester zur Zeit des berichteten Gesprächs in Delphi in De E 4, 386b ἱερεύς und in Def. or. 51, 438b προφήτης genannt. In De E wird er, wie gesagt, von Theon für seine rhetorische Deutung des Epsilons angegriffen: „Es ist nämlich, wie die Delpher glauben und damals nun der Priester Nikandros als ihr Wortführer sagte, das E die Form und Fassung der Anrede an den Gott, und es hat die Anfangsstellung in den Fragen der jeweils Orakelsuchenden, wenn sie wissen möchten, ,ob‘ sie siegen werden, ,ob‘ sie heiraten sollen, ,ob‘ es einen Nutzen verspricht, eine Seefahrt anzutreten, den Acker zu bestellen, eine Reise anzutreten. Den Dialektikern aber hat der Gott, weise wie er ist, eine Absage gegeben, die da meinen, dass mit der Partikel ,ob‘ und dem mit ihr konstruierten Satz noch nichts geschafft werde; denn er versteht alle in diesem Satz einbegriffenen Fragen als wirklich gestellt und nimmt sie an.“ Vgl. 16, 391d–e: „ ,Außer diesem, was ich zu euch gesagt habe‘, setzte ich hinzu, ,will ich noch „ein kurzes Wort für die Wissenden singen“, nämlich für Nikandros. Denn am sechsten Tag eines gewissen Monats, wenn du die Pythia ins Prytaneion führst, dann spielen beim Loswerfen die Fünf, die Drei und die Zwei eine bedeutsame Rolle. Ist es nicht so?‘ ,Ja‘, erwiderte Nikandros, ,aber die Ursache muß Außenstehenden verschwiegen bleiben.‘ ,Also‘, sagte ich lächelnd, ,bis wir Geweihte werden und der Gott uns die Wahrheit zu erfahren gestattet, soll auch dies dem, was ich über die Fünf zu sagen habe, hinzugefügt sein.‘ Hiermit nahm, soviel ich mich erinnere, meine arithmetische und mathematische Lobrede auf das E ihr Ende.“ (Übers. jeweils K. Ziegler.)

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Theologie also, die philosophisch durchdacht ist und die ihrerseits Grundlage und letztes Ziel der Philosophie sein könnte.52 Das führt auf einen der Kernpunkte der religiösen Philosophie Plutarchs, der durchaus im Zusammenhang von Delphi zu sehen ist:53 Hinter allem ist es die Theologie, die den Priesterphilosophen interessiert, Theologie im Sinne der philosophischen Durchdringung und Reinigung der religiösen Traditionen. Auf diesen Aspekt wollen wir nun abschließend zu sprechen kommen.

6. Plutarch und seine ‚delphische‘ Theologie Nach allem bisher Gesagten ist Delphi ein Ursprungsort nicht nur des philosophischen, sondern auch des religiös-theologischen Denkens für Plutarch. 54 In den Pythischen Dialogen geht es – ausgehend von kultischen Themen – um theologische Grundfragen: Das rätselhafte E führt mit der Deutung als Verbform εἶ („du bist“) auf das Wesen Gottes als vollkommenes Sein, und zugleich setzt es – da es eine Anrede ist, die der Besucher beim Eintritt in das Heiligtum sprechen soll – den nichtigen Menschen zu diesem seienden Gott in Beziehung.55 Es geht mithin nicht nur um das Wesen des Göttlichen, sondern auch um das Wesen des Menschen. Allgemeiner geht es anhand der Deutung eines Symbolzeichens in Delphi um die Hermeneutik der religiösen Tradition insgesamt als Grundlegung philosophischer Suche nach Wahrheit und Heil. De defectu oraculorum (Über den Rückgang der Orakel) und De Pythiae oraculis (Warum die Orakel der Pythia nicht mehr in Versen gegeben werden) gehen spezieller von Fragen des Orakelbetriebs aus. De defectu oraculorum weitet die Frage nach den Gründen für den Rückgang des Orakelbetriebs aus auf allgemeine Überlegungen bezüglich der Kommunikation zwischen dem unkörperlichnichtwahrnehmbaren Gott und den Menschen, deren Rezeptionsorgane körperlich bedingt und zugleich durch das Körperliche behindert sind. Medien der Vermittlung werden hier diskutiert, die eine besonders unmittelbare Empfänglichkeit für das Göttliche haben, die Pythia etwa oder Sokrates oder allgemeiner Daimones bzw. körperlose Seelen, die als Zwischenwesen zwischen 52

Wie mit seinen Mitpriestern führt er mit den Stoikern, die ihm in so Vielem philosophisch nahestehen, die heftigsten Diskussionen eben in den Fragen, die an das Wesen des Göttlichen rühren, wie ich jüngst in einem Aufsatz zu zeigen versucht habe; vgl. HIRSCHLUIPOLD, 2016b. 53 Vgl. BURKERT, 2008, 222–239. 54 Vgl. BOYS-STONES, 2016, 317–338, bes. 317–319.332–338. Erstaunlicherweise spielt Delphi in dem genannten Artikel keine wirkliche Rolle als Ausgangspunkt der Verbindung von Religion und Philosophie. 55 Zur Verbindung von Religion und Philosophie am Anfang von De E vgl. BONAZZI, 2008.

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Gott und Mensch verstanden werden.56 Der Anstoß der minderen Qualität der pythischen Orakelsprüche schließlich wird in De Pythiae oraculis zum Thema. Hier erweist sich Plutarch als Apologet des Orakels. Die mindere literarische Qualität der jüngeren Orakelsprüche gegenüber den berühmten Versorakeln der Vergangenheit bestreitet der philosophische Priester zwar nicht, wohl aber widerspricht er dem Schluss, solche Sprüche könnten nicht vom Herrn des Orakels herrühren. Vielmehr versucht er das Problem durch eine eigene Theorie des Verhältnisses von göttlichem Logos und menschlicher Vermittlungsinstanz zu lösen – mit entsprechenden Konsequenzen für Ästhetik und Hermeneutik. Apollon ist in der ‚delphischen‘ Theologie Plutarchs, wie man sieht, mitnichten nur der lokale Gott Delphis oder des Orakels. Er ist vielmehr der Eine, der Seiende, Vergegenwärtigung des göttlichen Wesens an sich, wie Plutarch es an anderer Stelle in Eros, Zeus oder gar dem ägyptischen Osiris erkennen kann.57 Wo immer Forscher den Begriff der ‚Theologie‘ auf paganes Denken anwenden, wie dies jüngst wieder Esther Eidinow, Julia Kindt und Robin Osborne in dem gemeinsam herausgegebenen Sammelband unter dem Titel ‚Theologies of Ancient Greek Religion‘ pointiert getan haben, lässt der ebenso prononcierte Einspruch anderer nicht lange auf sich warten.58 Für Plutarch jedenfalls steht die Legitimität der Verwendung des Begriffs außer Frage.59 Er selbst verwendet den Begriff theologia an verschiedenen Stellen, und zwar nicht im Sinne Platons für eine theologisch verantwortbare mythologia, sondern in dem Sinne, wie wir ihn vor allem später aus der christlichen Theologie kennen, im Sinne des Nachdenkens über das Wesen Gottes und sein Handeln gegenüber dem Menschen auf Grundlage religiöser Überlieferungen. Deshalb scheint mir eher die Frage zu sein, ob unsere scharfe Grenzziehung zwischen der Religiosität jüdischer, frühchristlicher und pagan-religiöser Denker die tatsächlichen religionshistorischen Gegebenheiten angemessen erfasst, und in einem zweiten Schritt dann, ob nicht im Sinne von Eidinow und Kindt die Grenzen zwischen systematischer bzw. philosophischer Theo-

56 Vgl. jetzt die Dissertation von SIMONETTI, 2017, die in ihrem Schlusssatz – dann wohl doch etwas zu vollmundig – das Delphische Orakel „the very theoretical core of Plutarch’s thought“ nennt. 57 Das muss auch gegenüber Julia Kindt gesagt werden, die in ‚Revisiting Delphi‘ aus den Aussagen Plutarchs Rückschlüsse auf die allgemeine religiöse Bedeutung der Orakel ziehen will und damit m.E. die Aussagen Plutarchs an der falschen Stelle universalisiert. Universal ist nicht die Bedeutung der Orakel, sondern der Anspruch Apolls bzw. des Göttlichen, wie Plutarch ihn darstellt. 58 EIDINOW/KINDT/OSBORNE, 2016. Vgl. die Rezension zu diesem Band von BONNET, 2017. 59 Vgl. zum Folgenden: HIRSCH-LUIPOLD, 2020.

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logie und allen Formen narrativer oder symbolischer Theologie neu zu bestimmen sind.60 Mit seiner religiösen Begründung philosophischer Aussagen – so meine These, die ich andernorts ausgeführt habe 61 – wird Plutarch zum paganreligiösen Exponenten einer philosophischen Bewegung, die die westliche Geistesgeschichte wesentlich prägen wird, nämlich einer religiösen Philosophie, die Traditionen der gelebten Religion zur Voraussetzung und zum Gegenstand philosophischer Wahrheitssuche macht und umgekehrt das Ziel religiöser Rituale und Symbole darin erblickt, philosophisch durchdrungen zu werden und so auf das Göttliche als Inbegriff der Wahrheit hinzuführen. Ich gehe aber (mit französischen Kollegen wie Flacelière, Sirinelli und Frazier62) noch einen Schritt weiter: Die ‚delphische‘ Theologie wird hier zum Anstoß einer persönlichen Religiosität, die aus den Aussagen Plutarchs spricht. Der Gott wird „Freund Apollon“ (φίλος Ἀπόλλων) genannt und als sowohl φιλάνθρωπος wie auch φιλόσοφος (De E 1, 384e–f) bezeichnet. Das zeigt sich darin, dass dieser Gott auf die Menschen zukommt, um sie auf sich selbst als Ort jenseits von Zeit und Vergänglichkeit hinzuführen. Im Zeichen des E in Delphi lässt er nicht nur sein Wesen als der in Wahrheit Seiende aufscheinen, sondern gibt ihnen auch die Anrede an die Hand, mit der sie sich beim Eintritt in den Tempel an ihn wenden sollen. Die Formulierung ὁσίως φιλοσοφεῖν, die er einmal in De Iside et Osiride verwendet,63 umschreibt bestens Plutarchs Zugang zur Philosophie.

7. Fazit Delphi spielt für Plutarch auf den unterschiedlichsten Ebenen eine entscheidende Rolle, wobei – mit unterschiedlichen Schwerpunkten – Historisches, Politisches, Religiöses, Philosophisches und Literarisches ineinander spielt: biographisch, weil er dort als Priester gewirkt hat; religiös-philosophisch, weil er sich dem dortigen Apollon in besonderer Nähe verbunden fühlt und Delphi als Ort von Offenbarung, Wahrheit und Weisheit begreift; und literarisch, insofern er das Orakel zum Schauplatz seiner Dialoge macht, die diese Offenbarung im Gespräch entfalten. Tradition und Interpretation, Offenba60

In überaus treffender Weise bestimmt Boys-Stones das Verhältnis von Religion und Philosophie im kaiserzeitlichen Platonismus: „Middle Platonism is not, then, as it were another religion, but a pre-eminent reflex, and vindication, of the religion that was already there“ (BOYS-STONES, 2016, 318). 61 Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, 2009. 62 SIRINELLI, 2000; FLACELIÈRE, 1974, 273–280; FRAZIER, 2005. 63 De Is. 7, 353d; vgl. 2, 352a (µετὰ λόγου καὶ ὁσίως); 11, 355c (ὁσίως καὶ φιλοσόφως); 68, 378a (Διὸ δεῖ µάλιστα πρὸς ταῦτα λόγον ἐκ φιλοσοφίας µυσταγωγὸν ἀναλαβόντας ὁσίως διανοεῖσθαι τῶν λεγοµένων καὶ δρωµένων ἕκαστον).

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rung und Hermeneutik, der Hauch des göttlichen Geistes und der Logos des philosophischen Gesprächs durchdringen sich hier in vielfacher Weise. Wenn Julia Kindt ihren Exkurs zu Plutarch und damit ihr Buch über Delphi mit der These schließt: It [nämlich das Zeugnis Plutarchs] shows that in the realm of the oracular, at least, philosophical speculation ultimately contributes to (and participates in) the semantics of the oracular discourse in the ancient Greek world,64

dann gilt es jedenfalls den zweiten Teil nachdrücklich zu unterstreichen: Es gibt nicht nur das Ziel einer philosophischen Läuterung der Religion in dieser Zeit, sondern damit zusammenhängend den Versuch, an Platon anknüpfend die Philosophie in Traditionen und Vollzügen der Religion grundzulegen. Wird das gesehen und ernst genommen, dann erscheint die frühjüdische und frühchristliche Verbindung von religiöser Überlieferung und Praxis mit philosophischem Nachdenken nicht mehr als der merkwürdige Ausnahmefall, sondern als der sich abzeichnende Trend, der später große Teile der abendländischen Geistesgeschichte bestimmen wird. Aus dem Zeugnis Plutarchs allerdings zu folgern, dass ancient Greek speculation about the nature of the gods and their availability to humans was informed by (and in turn informed) the practice of oracular divination at Delphi,65

macht die Dinge zu partikular und unterschätzt den exzeptionellen Beitrag Plutarchs zum delphischen oracular discourse. Es ist der SchriftstellerPhilosoph selbst, der – schon im Auftaktbild mit den beiden heiligen Männern in De defectu oraculorum – Delphi als exzeptionellen Ort für die Verbindung nicht nur der Divination, sondern allgemein religiöser Tradition und philosophisch-theologischer Spekulation erscheinen lässt – und damit die Rede vom Nabel der Welt neu interpretiert.

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KINDT, 2016, 183. KINDT, 2016, 183.

Das delphische Orakel und seine Sprüche in den philosophischen Debatten der Kaiserzeit Jürgen Hammerstaedt 1. Einleitung Bevor die philosophischen Debatten der Kaiserzeit über das delphische Orakel und seine Sprüche – unter fast völliger Übergehung Plutarchs, der in diesem Band von Rainer Hirsch-Luipold gewürdigt wird – beginnend mit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert zu betrachten sind, ist auf die Schilderung der Stellung der vor der Zeitenwende lehrenden griechischen Philosophen zur Mantik einzugehen, die Cicero wohl auf Basis von Angaben, die er bei Poseidonios gefunden hat, am Anfang seiner Schrift De divinatione bietet.1 Wir entnehmen ihr, dass – abgesehen von den bereits in Ciceros früherer Schrift De natura deorum abgehandelten2 Ansichten der Sophisten Diagoras und Protagoras, von denen der eine die Existenz aller Götter leugnete, der andere sie nicht für erwiesen hielt – unter allen vorsokratischen Philosophen allein Xenophanes von Kolophon zwar an das Göttliche, ganz entschieden aber nicht an Mantik glaubte3 – eine Ansicht, die von den Späteren aber nur Epikur (und seine Schule) geteilt habe.4 Den Sokrates selbst, aber auch alle Sokratiker einschließlich der Alten Akademie und der Peripatetiker zählt Cicero ebenso wie bereits Pythagoras5 und Demokrit6 unter die Befürworter der Mantik, sagt aber über die beiden Peripatetiker Dikaiarch von Messene7 und Kratipp von Pergamon – mit dem er persönlich befreundet war8 –, dass sie allein die Mantik durch Traumbilder und furor (,Raserei‘) gelten ließen.

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Cic., Div. I 5–7. Cic., Nat. deor. I 2.63.117; III 157. 3 Cic., Div. I 5; vgl. DK 21 A 52 (I 126,16–21). 4 Vgl. Epicurea Nr. 395 USENER. 5 Zu den umstrittenen Zeugnissen über Pythagoras vgl. PEASE, 1963 [= 1920/23], 57–58 z. St. 6 Vgl. DK 68 A 138 (II 123,15–16). 7 Dicaearchus, Frg. 14 WEHRLI; zur Mantik weiterhin Frg. 13 und 15–22 WEHRLI. 8 Cic., Div. I 5 und 70–71: familiaris noster. 2

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Als die entschiedensten Befürworter fast aller Spielarten der Mantik stellt Cicero9 die Vertreter der Alten Stoa hin: Zenon,10 Kleanthes11 und allen voran Chrysipp, der laut Cicero im ersten der beiden Bücher seiner Schrift Über Mantik12 die Orakel, im zweiten die Traumvisionen besprochen und im übrigen die Mantik auch als wichtiges Argument in seinen beiden Büchern Über das Schicksal (Περὶ εἱµαρµένηϲ) herangezogen hat.13 Das Thema Mantik wurde von dem stoischen Scholarchen Diogenes von Babylon/Seleukeia,14 Teilnehmer der berühmten von Athen geschickten Philosophengesandtschaft von 156/155 nach Rom, dessen Schüler Antipater von Tarsos15 und offenbar am ausführlichsten in fünf Büchern von Ciceros Lehrer Poseidonios aufgegriffen.16 Doch selbst in der sonst so entschieden von Mantik überzeugten stoischen Schule hat gegen Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. der Scholarch Panaitios von Rhodos17 sein Urteil zurückgehalten und damit eine vergleichbare Einstellung wie der von Cicero hochgehaltene akademische Skeptiker Karneades18 eingenommen, der übrigens ebenfalls Teilnehmer der Philosophengesandtschaft war und sich in seinen Schriften offenbar besonders mit Chrysipps Ansichten kritisch auseinandergesetzt hat. Gar nicht berücksichtigt sind bei Cicero unter den sogenannten oder selbsterklärten sokratischen Schulen die frühen Kyniker ab Diogenes von Sinope, für deren Zurückweisung der Mantik es wenige, aber wohl hinreichende Zeugnisse gibt und wofür die Grundrichtung ihrer Denkweise – unbeschadet der späteren Umdeutungsversuche durch Kaiser Julian – ohnehin spricht.19 Eine ablehnende Haltung gegen Mantik ist zudem, ebenfalls aus 9

Cic., Div. I 6; Zenon: SVF I 173 (I 44,25–27); Kleanthes: SVF I 550 (I 125,6–8); Chrysipp: SVF II 1187 (II 342,4–7). 10 Zu Zenons Haltung zu Mantik und Schicksal vgl. SVF I 174–177 (I 44,28–45,6). 11 Vgl. auch SVF I 551 (I 125,10–14), aus C(h)alcidius. 12 Weitere Zeugnisse zu dieser Schrift: SVF II 1183 (II 340,13–23); II 1191 (340,23– 26); II 1216 (348,17–19). 13 Zeugnisse zu dieser Schrift: SVF II 1049 (II 309,12–310,4) aus Plutarch; SVF II 915 (265,24–28) aus Diogenes Laertius; II 913 (264,14–265,2) aus Johannes Stobaeus; II 927 (267,26–29) aus Fulgentius. 14 Diogenes Babylonius, Frg. 35 (SVF III 217,33–35); vgl. auch Cic., Div. I 84 = Frg. 37 (SVF III 218,6–7) und Div. II 90 = Frg. 36 (217,36–218,6). 15 Antipater Tarsensis, Frg. 37 (SVF III 349,26–28); vgl. Cic., Div. I 39 = Frg. 41 (III 250,9–13); I 84 = Frg. 40 (250,7–8); I 123 = Frg. 38 (249,29–35); II 35 = Frg. 39 (249,36–250,6); II 144 = Frg. 41 (250,14–22 ). 16 Posidonius, Frg. 26 EDELSTEIN/KIDD = 371b THEILER; vgl. weiterhin Diog. Laert., VII 149 (Posid., Frg. 7, 25 und 27 E./K. = 371a Th.). 17 Panaitios, Testim. 137 ALESSE; vgl. auch Frg. 136 (aus Cic., Ac. pr. II 107), Frg. 140 (Cic., Div. II 87–98) und Frg. 139 (Diog. Laert., VII 149). 18 Karneades, Frg. 9 mit dem Kommentar von METTE, 1985, 138–140. 19 Diogenes, Epist. 38,2 (= V B 568 GIANNANTONI): Frage an einen Wahrsager in Olympia, ob dieser Prügel bekäme oder nicht, mit anschließender Verprügelung. Eine

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systemischen Gründen, auch bei den Megarikern in der Nachfolge Euklids und den von Aristipp begründeten und eine Persönlichkeit wie Theodoros Atheos einschließenden Kyrenaikern zu vermuten.

2. Mantik in philosophischen Debatten der Kaiserzeit Epikureer und Kyniker sind die einzigen auch in der Kaiserzeit wirkenden philosophischen Gruppierungen, die – wenn auch aus jeweils verschiedenen Gründen – Mantik prinzipiell und komplett zurückwiesen. Entsprechende orakelkritische Ansichten lässt daher Plutarch in seinem Dialog Über die Orakel der Pythia einen zum Epikureismus übergetretenen Gesprächspartner namens Boethos aussprechen20 und im Falle der Erklärung gelungener Voraussagen mit bloßem Zufall erklären.21 In das Gespräch eines weiteren delphischen Dialogs, Über das Schwinden der Orakel, lässt Plutarch einen Kyniker namens Didymos Planetiades in pöbelhafter Manier eingreifen22 und den Rückzug der göttlichen Vorsorge (πρόνοια) einschließlich der Orakel aus dem menschlichen Leben in einen Zusammenhang mit den hässlichen und gottlosen Fragen der Klienten stellen, von denen einige das Orakel wie einen Sophisten zu überführen suchten, andere hingegen sich nach Schätzen, Erbschaften oder widergesetzlichen Ehen erkundigten.23 Auch bei Lukian äußert im Tragischen Jupiter eine mit Damis benannte epikureische Dialogperson Zweifel am Funktionieren der Mantik bzw. an ihrem Nutzen für die Menschheit und treibt damit den stoischen Opponenten Timokles in die Enge.24 In Lukians Schrift über den Lügenpropheten Alexander von Abonuteichos gelten die Epikureer als gefürchtete und von Alexander heftigst bekämpfte Gegner seiner Scharlatanerie.25 Die bisher angeführten Stellen aus der Literatur der Kaiserzeit bestätigen also das ciceronianische Panorama von Einstellungen der bedeutendsten Phiandere Diogenestradition äußert sich bei späten Autoren in der angeblichen Befragung des delphischen Apollon durch Diogenes: Diog. Laert., VI 20 (= V B 2 GIANNANTONI); Jul., Contra Cynicos ineruditos 8,188A (88–89 NESSELRATH, 2015; vgl. V B 8 GIANNANTONI); 12,192D (94 NESS.; vgl. V B 95 Giannantoni); Contra Heraclium Cynicum 7,211B (24–25 NESS.; vgl. V B 10 GIANNANTONI); 25, 238B (53 NESS.; vgl. V B 332 GIANNANTONI). 20 Plutarch, Pyth. or. 5, 396ef (84,26–85,9 SCHRÖDER, 1990). 21 Plutarch, Pyth. or. 8, 398ab (87,9–13 SCHRÖDER); 10, 398e–399a (88,17–89,3 SCHRÖDER); zu den Besonderheiten der dortigen epikureischen Argumentation vgl. SCHRÖDER, 1990, 245 f. 22 Plutarch, Def. or. 7, 413ab. 23 Plutarch, Def. or. 7, 413b οἱ µὲν ὡϲ ϲοφιϲτοῦ διάπειραν λαµβάνοντεϲ, οἱ δὲ περὶ θηϲαυρῶν ἢ κληρονοµιῶν ἢ γάµων παρανόµων διερωτῶντεϲ. 24 Luc., Iuppiter Tragoedus 43. 25 Luc., Alexander 25.

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losophenschulen zur Mantik und zum Orakelwesen. Und doch lohnt ein tieferer Blick auf die Debatten in der Kaiserzeit. Denn der bereits in Plutarchs Schriften thematisierte neue Aufschwung des delphischen, aber auch des gesamten Orakelwesens26 gab den verschiedenen philosophischen Richtungen Anlass, sich mit diesem Phänomen intensiver und unter Einbringung neuer Aspekte zu befassen. Zu solchen meines Wissens von früheren Autoren, sei es durch Zufall der Überlieferung, sei es aufgrund ihres völligen Fehlens, noch nicht diskutierten neuen Gesichtspunkten gehört vor allem die kritische Auseinandersetzung mit den unangemessenen Erwartungen der Fragesteller an die Orakel. Daneben wird natürlich die Diskussion über die theoretische Begründung von Orakeln und Mantik mit der Verknüpfung und Vorhersehbarkeit der Ereignisse durch das Schicksal fortgesetzt und um neue philosophische Erklärungsversuche erweitert. Neben wichtigen, aber verstreuten kaiserzeitlichen Zeugnissen in meist popularphilosophischen Schriften, aber auch bei Lukian, ist in vollständiger Form nur der am Anfang des dritten Jahrhunderts von dem Aristoteliker Alexander von Aphrodisias den Kaisern Septimius Severus und Caracalla gewidmete Traktat Über das Schicksal erhalten. Weitere wichtige Spezialliteratur mit epikureischen und kynischen Ansichten liegt uns aber immerhin in Exzerptform innerhalb der Praeparatio Evangelica vor, die Euseb von Caesarea zwischen 312 und 32227 in der Absicht verfasste, den Götterglauben der Heiden mit ihren eigenen Schriften zu widerlegen. Im vierten Buch wendet er sich den Orakelsprüchen zu. Neben den in besonderem Maße herangezogenen Schriften des Porphyrios28 exzerpiert er auch aus der Polemik eines Epikureers namens Diogenian gegen Chrysipps Schrift Über das Schicksal (Περὶ εἱµαρµένηϲ),29 der an späterer Stelle in einem Zwischentitel allerdings fälschlich als Peripatetiker bezeichnet wird.30 Dieser Diogenian wendet sich zunächst gegen Chrysipps Argumentation, dass das Schicksal (εἱµαρµένη) durch das Zutreffen der Sehersprüche bewiesen sei. Er besteht, gut epikureisch, darauf, dass das gelegentliche Eintreffen auf Zufall beruhe,31 und schiebt die hedonistische Argumentation nach, dass in dem (aus seiner Sicht selbstverständlich bloß hypothetischen) Fall eines unentrinnbaren Schicksals 26

Vgl. BENDLIN, 2006, 184. Datierung der Eusebschriften: WINKELMANN, 1991, 188–191. 28 Eus., Pr. Ev. IV 7–9 (177,1–181,21 MRAS, 1954) sowie IV 20 (207,1–15 MRAS) und IV 22 f. (210,15–215,16 MRAS) aus der Porphyriosschrift De philosophia ex oraculis haurienda; Pr. Ev. IV 11–16 (183,20–192,19 MRAS) sowie IV 18 f. (204,20– 205,13 MRAS) aus De abstinentia. 29 Diogenian. Epicur., Frg. 4 (753–755 GERCKE, 1885; aus Eus., Pr. Ev. IV 3 (169,21– 172,15 MRAS). 30 Eus., Pr. Ev. VI 8 (321,1–2 MRAS). Vgl. HAMMERSTAEDT, 1993, 24–27. 31 Diogenian. Epicur., Frg. 4,1–39 (753 f. GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. IV 3,1–6 (169,24–171,5 MRAS). 27

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die Warnungen der Orakel den Fragern überhaupt keinen Nutzen eintragen würden, sondern die Vorauserwartung des Schlimmen weitaus höhere Besorgnis und Betrübnis auslösen würde, als die Ankündigung von guten Ereignissen an Vorfreude bewirken könnte.32 Zudem hätte die Voraussage von Unglück, das wohl oder übel eintreten werde, keinen Nutzen für die Auskunftsuchenden.33 Während Euseb im fünften Buch die inhaltliche und moralische Fragwürdigkeit der heidnischen Orakelsprüche unter erneuter Heranziehung von Porphyrios,34 des weiteren von Plutarch35 und schließlich auch der Orakelkritik des Kynikers Oinomaos von Gadara36 herausstreicht, erweisen die ersten zwei Drittel von Buch sechs, mit Anführung von Porphyrios,37 Oinomaos,38 Diogenian39 und nun auch der teilweise in freierer Form referierten Schrift des Alexander von Aphrodisias Über das Schicksal40 sowie der Benutzung von Philons Schrift Über die Vorsehung41 die ungenügende theoretische Begründung der Mantik durch verschiedene philosophische Fatumstheorien.

32 Diogenian. Epicur., Frg. 4,39–64 (754–755 GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. IV 3,6–9 (171,5–172,1 MRAS). Vgl. schon Epicurea 395 (261,16–20 USENER, 1887), aber auch Cic., Nat. deor. III 14; Div. II 22 f. mit dem Kommentar von PEASE, 1963 [=1920/23] 382– 383 und II 105 (mit Anführung von Dicaearch., Frg. 17 WEHRLI). 33 Diogenian. Epicur., Frg. 4,64–80 (755 GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. IV 3,9–13 (172,1– 15 MRAS). 34 Eus., Pr. Ev. V 1,10 (221,12–14 MRAS) aus Porphyrios, Gegen die Christen; V 6,1– 7,2 (233,1–234,20 MRAS) sowie V 6,5–9,9 (235,11–241,4 MRAS) und V 11,1–16,1 (245,10–251,23 MRAS) aus De philosophia ex oraculis haurienda; V 6,3 (235,3–7 MRAS) sowie V 10 (242,15–244,16 MRAS) aus der Epistula ad Anebonem. 35 Eus., Pr. Ev. V 4,1–3 (226,13–228,14 MRAS) sowie V 5,3 (231,4–232,3 MRAS) sowie 16,3–17,12 (252,3–255,8 MRAS) aus Plutarch, Über das Schwinden der Orakel; V 5,1–2 (229,23–230,23 MRAS) aus De Iside et Osiride. 36 Eus., Pr. Ev. V 19–36 (256,21–290,10 MRAS) mit Oenom. Frg. 1–15 (71–100 HAMMERSTAEDT, 1988). 37 Eus., Pr. Ev. VI 1–5 (294,3–299,13 MRAS) aus Porphyrios, De philosophia ex oraculis haurienda; 38 Eus., Pr. Ev. VI 7 (312,19–320,13 MRAS) mit Oenom. Frg. 16 (100–108 HAMMERSTAEDT). 39 Diogenian. Epicur., Frg. 1 (748 f. GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. VI 8,1–7 (321,1–323,6 MRAS); Frg. 2 (749–751 GERCKE); aus Eus. Pr. Ev. VI 8,8–24 (325,24 MRAS); Frg. 3 (751–753 GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. VI 8,25–38 (325,26–328,4 MRAS). 40 Eus., Pr. Ev. VI 9 (328,9–334,12 MRAS). 41 In Eus., Pr. Ev. VI 6 (299,15–310,21 MRAS); vgl. WENDLAND, 1892, 40.

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3. Die Begründung von Mantik durch Fatumstheorien Die stoische Schule hielt auch in der Kaiserzeit an ihrer von Chrysipp grundlegend entworfenen Erklärung von Mantik fest.42 Da alles Geschehen unwiderruflich in Ewigkeit durch die Ursachenverkettung des Schicksals (εἱµαρµένη) bzw. göttliche Vorsehung (πρόνοια) vorherbestimmt sei,43 könne divinatorische Kunst oder Eingebung die Zukunft voraussehen.44 Unsere menschliche Entscheidungs- bzw. Willensfreiheit, aufgrund deren wir nach gängiger Vorstellung für unser Tun im Guten wie im Schlechten verantwortlich sind, wollte Chrysipp dergestalt wahren, dass wir Menschen eigene Initiative und freie Entscheidung übten, diese allerdings vom Schicksal bereits mitbestimmt sei.45 Diese Erklärung ist vielfach kritisiert worden, am ausführlichsten in der von Euseb exzerpierten Polemik gegen Chrysipps Fatumstheorie des bereits erwähnten Epikureers Diogenian. Für eine präzise zeitliche Einordnung dieses zweifellos kaiserzeitlichen Autors fehlen zwingende Kriterien.46 Seine Themenwahl und der Charakter seiner mehrere Jahrhunderte nachchrysippeischer Entwicklung ausblendenden antistoischen Polemik würden aber hervorragend in das von hoher Bewunderung für den klassischen attischen Prosastil und die intellektuellen Errungenschaften der klassischen und frühhellenistischen Philosophie bestimmte zweite nachchristliche Jahrhundert passen. Diogenian widerlegt in seinen im sechsten Buch von Eusebs Praeparatio Evangelica zitierten, die chrysippeische Fatumstheorie angreifenden Exzerpten zunächst die in Chrysipps erstem Buch Über das Schicksal anhand von Homerzitaten und Begriffsetymologien geführten Fatumsbeweise mithilfe von Homerzitaten gegenteiligen Inhalts und durch Infragestellung der Urteilsfähigkeit der großen Masse, in deren Sprache diese Begriffe geprägt worden 42 Chrysipps Lehre über Mantik im allgemeinen, über von göttlicher Inspiration genährte Träume sowie über Formen der ,künstlichen‘ Weissagung: SVF II 1187–1216 (II 342– 438). 43 Über die chrysippeische Fatumstheorie haben sich zahlreiche Zeugnissen erhalten: SVF II 912–1007 (II 264–298). 44 Vgl. speziell SVF 939–944 (270,8–72,36). 45 Vereinbarkeit von Schicksal und freiem Willen: SVF II 974–1007 (II 282,25– 298,12); dabei berührt SVF II 998 (292,28–293,11) mit der Polemik des Epikureer Diogenian gegen Chrysipps ,Argument der Untätigkeit‘ (ἀργὸϲ λόγοϲ) die von Cic., Fat. 30 lateinisch wiedergegebenen confatalia (SVF II 956 [II 278,6]); zu confatalia und ἀργὸϲ λόγοϲ vgl. SVF II 957–958 (II 278,7–127,10). 46 Zunächst setzte ihn ISNARDI PARENTE, 1988, 793 ins dritte Jahrhundert n. Chr., zwei Jahre später, in ISNARDI PARENTE, 1990, 2426, aufgrund seiner sowohl mit Plutarch als auch Alexander von Aphrodisias übereinstimmenden Tendenz, sich nicht mit zeitgenössischen, sondern vor langer Zeit formulierten philosophischen Ansichten zu befassen, in eine Zeit um das zweite nachchristliche Jahrhundert.

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sind47 – Urteilskraft besäßen den Stoikern zufolge ja nur die ein oder zwei Weisen, die es überhaupt gebe bzw. gegeben habe.48 Zuletzt wendet sich Diogenian gegen Chrysipps Einbindung des freien Willens in die Fatumstheorie mithilfe des ,Arguments der Untätigkeit‘ (ἀργὸϲ λόγοϲ), demzufolge das vom Schicksal Vorherbestimmte auch ohne unser Zutun eintreffen würde,49 und besteht fest auf der menschlichen Wahrnehmung einer völligen Unvereinbarkeit unserer Willensfreiheit mit dem Fatumszwang.50 In ähnlicher Manier weist der von Euseb im selben Buch unmittelbar zuvor exzerpierte Kyniker Oinomaos von Gadara neben dem wohl nur aus systematischen Gründen angeführten radikalen Determinismus demokriteischer Prägung die chrysippeische Fatumstheorie zurück51 unter Berufung auf die von uns selbst wahrgenommene Willensfreiheit.52 Oinomaos, der mit großer Wahrscheinlichkeit in der ersten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts geschrieben hat,53 wendet sich in seiner Schrift mit dem bezeichnenden Titel Entlarvung der Schwindler (Γοήτων φώρα) direkt gegen Apoll und das delphische Orakel und schließt sie mit einer kritischen Betrachtung der für solche Mantik grundlegenden Fatumsvorstellungen ab. Nachdem er also die Schützenhilfe einer stoischen Schicksalstheorie für die apollinische Mantik unter Berufung auf unsere Selbstwahrnehmung als höchstes Kriterium zurückgewiesen hat, wendet er sich der neu aufgekommenen mittelplatonischen Theorie des konditionalen Fatums zu, welche ein gleichberechtigtes Wirken des Schicksals und des freien Willens behauptet. Die Mittelplatoniker glaubten nämlich, dass zwar alles vom Schicksal umfasst werde, dessen Unwiderruflichkeit sich aber erst nach Eintreten von Bedingungen einstelle. Werfen wir einen Blick auf den Übergang des Oinomaos von der Widerlegung des chrysippeischen zu derjenigen des mittelplatonischen Schicksalsmodells: Schamlos ist also der, der dem Laios vorhersagt, dass ihn der Spross umbringen wird. Denn der Spross würde Herr seines eigenen Willens sein, und weder irgendein Apoll noch jemand, der höher als Apoll steht, ist in der Lage, mit irgendeiner Fähigkeit dahin zu ge47

Diogenian. Epicur., Frg. 1–2 (748–751 GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. VI 8,1–24 (321,3–325,24 MRAS). 48 Diogenian. Epicur., Frg. 2,25–27 (750 GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. VI 8,13.16 (324,7–10.16–18 MRAS). Vgl. SVF III 548–556 (III 146,29–148,20). 49 Diogenian. Epicur. Frg. 3,1–23 (751 GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. VI 8,25–29 (325,27–326,16 MRAS). 50 Diogenian. Epicur., Frg. 3,24–71 (752–753 GERCKE); aus Eus., Pr. Ev. VI 8,29–38 (326,16–328,4 MRAS). 51 Oenom., Frg. 16,10–114 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. VI 7,2–3 (313,4–6; 315 MRAS). 52 Oenom., Frg. 16,102–106 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. VI 7,20 (316,10–13 MRAS). 53 HAMMERSTAEDT, 1988, 11–19.

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langen, wovon es weder die Existenz noch eine Notwendigkeit des Entstehens gibt. Denn jenes ist das Lächerlichste von Allem, die Mischung und Kombination dessen, dass etwas bei den Menschen liege und nichtsdestoweniger eine Schicksalskette bestehe. Die Kombination gleiche nämlich, wie die Allerklügsten behaupten, der euripideischen Erzählung: Laios habe nämlich ein Kind zeugen wollen, und er war Herr über diese Entscheidung, und das entzog sich Apolls Vision; nachdem Laios aber das Kind gezeugt hätte, bestünde der unausweichliche Zwang, dass er von den Händen des Sprosses umgebracht würde.54

Da die hier erwähnten ,Allerklügsten‘ nicht beim Namen genannt werden, wollte Robert Sharples ihre Theorie trotz der unverkennbaren Ähnlichkeit ihrer Ansicht mit der mittelplatonischen Theorie des konditionalen Fatums dem Stoiker Chrysipp zuschreiben.55 Das scheint mir unmöglich. Oinomaos konnte die von ihm im Folgenden56 getadelte Inkonsequenz, dass Laios eine freie Entscheidung eingeräumt werde, welche dann aber ein unvermeidliches Eintreten der von seinem Sohn Oidipus zu begehenden Tat verursache, dem Stoiker Chrysipp keineswegs zum Vorwurf machen. Denn in dessen, laut Oinomaos die Menschen zu Halbsklaven machender, Fatumstheorie ist jede menschliche Entscheidung unterschiedslos mitbestimmt. Es verwundert nicht, dass Oinomaos keine Vertreter der mittelplatonischen Fatumstheorie benennt,57 die erstmalig bei Tacitus58 und griechisch in einer im zweiten Jahrhundert n. Chr. unter dem Namen Alkinoos publizierten platonischen Lehrschrift belegt ist.59 Auch Tacitus und die übrigen mit der mittelplatonischen Fatumslehre zu verbindenden Zeugnisse60 beziehen sich auf diese Theorie nicht mit Nennung bestimmter Namen, während ihre platonischen Urheber bei Nemesios in ganz ähnlicher Weise als ,Allerklügste unter den Griechen‘ verspottet werden.61 54 Oinomaos, Frg. 16,109–116 HAMMERSTAEDT (= Eus., Pr. Ev. VI 7, 22–24) ἀναίϲχυντοϲ δηλαδὴ ὁ Λαΐῳ προµαντευόµενοϲ ὅτι αὐτὸν ἀποκτενεῖ ὁ φύϲ. ἤµελλε γάρ που ὁ φὺϲ κύριοϲ ἔϲεϲθαι τῆϲ ἑαυτοῦ βουλήϲεωϲ, καὶ οὔτε τιϲ Ἀπόλλων οὔτε τιϲ αὐτοῦ ὑπέρτεροϲ ἐξικνεῖϲθαι ἱκανὸϲ οὐδεµιᾷ δυνάµει ὧν οὐκ ἔϲτιν οὔτε ὕπαρξιϲ οὔτε γενέϲεωϲ ἀνάγκη. ἐκεῖνο γὰρ δὴ τὸ καταγελαϲτότατον ἁπάντων, τὸ µίγµα καὶ ἡ ϲύνοδοϲ τοῦ καὶ ἐπὶ τοῖϲ ἀνθρώποιϲ τι εἶναι καὶ εἱρµὸν οὐδὲν ἧττον εἶναι. προϲεοικέναι γὰρ αὐτόν, ὡϲ λέγουϲιν οἱ ϲοφώτατοι, τῷ Εὐριπιδείῳ λόγῳ· τεκνῶϲαι µὲν γὰρ ἐθελῆϲαι τὸν Λάϊον, κύριον εἶναι τὸν Λάϊον καὶ τοῦτο ἐκπεφευγέναι τὴν Ἀπολλωνίαν ὄψιν· τεκνώϲαντι δ’ αὐτῷ ἐπεῖναι ἀνάγκην ἄφυκτον ὑπὸ τοῦ φύντοϲ ἀποθανεῖν. 55 SHARPLES, 1978, 246. 56 Oenom., Frg. 16,123–125 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. VI 7,25 (317,3–5 MRAS). 57 Vgl. SCHRÖDER, 1969, 533–535. 58 Tac., Ann. VI 22,2. Vgl. THEILER, 1946. 59 Alcinous, 26,2. 60 Orig., Cels. II 20 (I 150,4–9 KOETSCHAU, 1899); Porphyrios, Frg. 271,20–38 SMITH, 1993, aus Joh. Stobaeus, II 42 (II 169,3–20 WACHSMUTH, 1884); Hierokles bei Photios, Bibliothek 251, 463b 4–10; Calcid., 152–154 (187,12 –188,21 WASZINK, 1974a). 61 Nemes., Nat. hom. 37, 299 (108,3–4 MORANI, 1987); vgl. auch 44, 360 (231,26 MORANI).

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Wie schon erwähnt, zitiert Euseb im sechsten Buch seiner Praeparatio Evangelica auch aus der Schrift Über das Schicksal des Aristotelikers Alexander von Aphrodisias. Dieser hatte am Anfang des dritten Jahrhunderts die in der griechisch-römischen und in benachbarten Kulturen von jeher eingewurzelte volkstümliche Vorstellung, dass ein gewaltsam erfolgter Tod die einem Menschen bestimmte Lebenszeit verkürze und so das Fatum durchbräche, auf dem Wege einer Gleichsetzung von ,schicksalswidrig‘ mit ,naturwidrig‘ zum philosophischen Dogma erhoben und sah, entsprechend der Möglichkeit zu naturwidrigen Entwicklungen, ausdrücklich die Möglichkeit eines Geschehens wider das Schicksal vor.62 Dabei ging er über die traditionelle Vorstellung einer Schicksalswidrigkeit weit hinaus, indem er sie nicht auf das gewaltsame Ereignis unnatürlicher Todesfälle einschränkte, sondern die generelle Möglichkeit des Menschen, seiner natürlichen Anlage entgegenzuwirken, einbezog.63 Soweit zum Spektrum der in der Kaiserzeit zur Rechtfertigung der Mantik vertretenen bzw. entwickelten Fatumstheorien vor Entstehung des Neuplatonismus, dessen Bedeutung für Delphi in diesem Band von Ilinca TanaseanuDöbler herausgestellt wird.

4. Inhaltliche und moralische Kritik am delphischen Orakel und den Fragestellern Selbstverständlich orientierte sich die vor allem epikureische und kynische Kritik an Mantik und Orakeln an den jeweiligen philosophischen Grundüberzeugungen, die sich nur teilweise überschnitten. 4.1. Kynische Kritik Werfen wir zunächst einen Blick auf die bei Euseb exzerpierte Orakelkritik des Oinomaos, der als Kyniker ein bedingungsloser Verfechter der durch Bedürfnislosigkeit und Befreiung von Konventionen erzielten Autarkie ist. Oinomaos’ Schrift Entlarvung der Schwindler wendet sich direkt an Apoll und behandelt dessen berühmte, vielfach in deutlicher Weise aus der herodoteischen Schilderung bezogene Orakel. Dabei stellt Oinomaos allerdings immer wieder heraus, wie die angeblich göttlichen Verkündigungen in Wirklichkeit Erzeugnisse der unter politischem Einfluss stehenden und von Eigennutz geleiteten delphischen Seher sind. So vermutet er hinter der delphischen

62 63

Alex. Aphr., Fat. 6 (170, 5–9 BRUNS, 1892). HAMMERSTAEDT, 2002, 166–168.

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Anweisung64 der Auslieferung athenischer Kinder zur Entsühnung der Ermordung des Minossohns Androgeos die Rücksichtnahme auf die von Minos ausgeübte Seeherrschaft65 und tadelt die Lobpreisung des korinthischen Tyrannen Kypselos.66 An den Formulierungen der an griechische Städte im Angesicht des Anrückens der Perser erteilten Ratschläge demonstriert er im Falle der Athener,67 dass sie zum einen keiner übermenschlichen Zukunftssicht, sondern nur einer realistischen Einschätzung der militärischen Lage und Kräfteverhältnisse geschuldet waren68 und zum anderen durch unklare und doppeldeutige Formulierung auch im Falle einer athenischen Niederlage bei Salamis als zutreffende Vorhersage hätten gerechtfertigt werden können.69 Ähnliche Spitzfindigkeit entlarvt er in den in derselben bedrohlichen Situation an die Spartaner erteilten Versen, welche als Alternative die Zerstörung ihrer Stadt oder den Verlust eines spartanischen Königs angeben:70 Denn das Orakel sei aufgrund geschickter Formulierung keineswegs darauf festzulegen, dass im Falle des Todes ihres Königs Leonidas, den die Spartaner durch seine Entsendung an die Thermopylen dann auch in Kauf genommen haben, ihre Stadt gerettet würde.71 Die Anweisung an die Knidier, ihre Halbinsel beim Anrücken des persischen Generals Harpagos nicht zu verschanzen oder abzutrennen,72 habe unweigerlich zur Einnahme der Stadt geführt; für das Orakel sei sie indessen eine risikolose Voraussage gewesen. Hätte es hingegen Widerstand angeraten, wäre damit die Aussicht auf eine – dem Orakel freilich keineswegs vorhersehbare – Rettung eröffnet worden.73 Während in diesen Sprüchen machtpolitische Rücksichtnahme und Kalkül der Delpher aufdeckt werden, stehen weitere Anweisungen im Widerspruch zu speziellen Postulaten des Kynismus. Denn aus eigener Habgier weist das Orakel die im achten Jahrhundert v. Chr. regierenden Spartanerkönige Cha64

Orakel Nr. 210 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. L 45 FONTENROSE, 1978. Nur in Oinomaos überliefert. 65 Oenom., Frg. 3 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 19,1–3 (256,22–257,15 MRAS). 66 Oenom., Frg. 12,1–7 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev.. V 35,1–2 (288,7–12 MRAS); Orakel Nr. 8 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 61 FONTENROSE, vgl. Hdt., V 92ε,2. 67 Orakel Nr. 94 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 146 FONTENROSE und Nr. 95 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 147 FONTENROSE. Vgl. Hdt., VII 140–141. Vgl. ELAYI 1979. 68 Oenom., Frg. 6,66–85 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 24,8–10 (268,11–269,2 MRAS). 69 Oenom., Frg. 6,26–66 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 24,3–7 (267,4–268,11 MRAS). 70 Orakel Nr. 100 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 152 FONTENROSE, vgl. Hdt., VII 220,4. 71 Oenom., Frg. 7 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 25 (269,13–270,21 MRAS). 72 (Jambisches) Orakel Nr. 63 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 112 FONTENROSE. Vgl. Hdt., I 174,5. 73 Oenom., Frg. 8 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 26,1–3 (271,1–13 MRAS).

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rilaos und Archelaos an, den Delphern die Hälfte ihrer Kriegsbeute zu überlassen.74 Ebenfalls die Spartaner hat das Orakel beraten, als diese, vielleicht zwischen 740 und 640 v. Chr.,75 die Messenier überfallen wollten,76 und zwar, wie Oinomaos schreibt, aus Unersättlichkeit und nichtiger Ruhmsucht, obwohl sie doch unter den entbehrungsreichen lykurgischen Gesetzen aufgezogen worden seien.77 Allerdings kritisiert er auch die mit delphischer Autorität geadelten lykurgischen Gesetze.78 Wenn beispielsweise das Orakel79 den Spartanern Tapferkeit und Eintracht anrät, fehle dabei die konkrete Anweisung, auf welche Weise solche Eigenschaften wie Tapferkeit, Freiheit und Eintracht in einer Stadt herbeigeführt werden können.80 Vor seiner kynischen, soziale Bindungen und Abhängigkeiten ablehnenden Sicht können auch Orakel zu Eheschließung,81 Kinderzeugung,82 Koloniegründung83 sowie über den Primat einzelner Städte hinsichtlich der Qualität ihres Ackerlandes, ihrer Pferde oder ihrer Frauen und Männer84 nicht bestehen und werden von Oinomaos mit den weit einsichtigeren, und dazu noch gratis gegebenen Ratschlägen des Sokrates kontrastiert, der demjenigen, der nicht wusste, ob er heiraten solle oder nicht, beschied, dass er beides bereuen würde,85 demjenigen, der Kinder begehrte, anriet, nicht nur zu schauen, wie sie ihm geboren würden, sondern wie er dann mit ihnen möglichst gut umgehen könne,86 und einem Unzufriedenen und daher Auswanderungswilligen von der Emigration abriet, weil er sein Vaterland verlassen, aber seine Dummheit mit sich fortnehmen würde, die ihn auch woanders ebenso unzufrieden sein lassen werde.87 Urkynisch ist die Kritik an dem Prosabescheid, laut welchem Apoll zusammen mit seinem Vater Zeus für den akragantinischen Tyrann Phalaris 74

Oenom., Frg.11D HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 32,1 (280,4–10 MRAS). Orakel Nr. 539 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 12 F. Nur in Oinomaos. 75 FONTENROSE, 1978, 103. 76 Orakel Nr. 363 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 15 FONTENROSE. Vgl. Diod., VIII 12,2 und Pausanias, IV 12,1. 77 Oenom., Frg. 9,10–17 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 27,2–3 (372,15–373,4 MRAS). 78 Oenom., Frg. 10 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 28 (274,15–277,2 MRAS). 79 Orakel Nr. 218 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 9 FONTENROSE. Vgl. Diod., VII 12,2. 80 Oenom., Frg. 10,50–55 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 28,10 (276,18–277,2 MRAS). 81 Orakel Nr. 407 PARKE/WORMELL, 1956 II. Nicht bei FONTENROSE. Nur bei Oinomaos. 82 Orakel Nr. 6 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 59 FONTENROSE. Vgl. Hdt., V 92β,2. 83 Orakel Nr. 302 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. L 70 FONTENROSE. 84 Orakel Nr. 1 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 26 FONTENROSE. 85 Oenom., Frg. 11,17–19 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 29,6 (278,1–2 MRAS). 86 Oenom., Frg. 11,19–23 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 29,6 (278,2–5 MRAS). 87 Oenom., Frg. 11,23–28 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 29,7 (278,5–8 MRAS).

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einen Aufschub seines Todes beschlossen hätte; denn damit gebe der Gott zu verstehen, dass das Leben etwas überaus Schönes sei.88 Weitere Kritik wird an delphischen Anweisungen zur kultischen Verehrung eines von Fischern der lesbischen Stadt Methymna aus dem Meer geangelten Olivenbaumstumpfes mit kopfähnlichem Ende geübt,89 vor allem aber an Kult- und Ehrenanweisungen für Athleten.90 Abgesehen davon, dass einer von ihnen sich nach einer Bestrafung wegen schwerer, zum Tode des Gegners führender Unsportlichkeit höchst unbeherrscht benommen und damit den Tod einer ganzen Schulklasse verursacht,91 ein anderer sich während einer Gesandtschaft als bestechlich erwiesen habe,92 erklärt Oinomaos, der als Kyniker selbstverständlich alle Spielarten der Athletik verachtet,93 in einem typisch kynischem Tiervergleich die Boxerei des in den Olympischen Spielen des Jahres 492 v. Chr. wetteifernden Faustkämpfers Kleomedes aus Astypalaia der Treterei eines Wildesels für weit unterlegen und bekundet sein volles Verständnis dafür, wenn einmal auch ein Wildesel beim delphischen Orakel sein Recht auf Unsterblichkeit geltend machen würde.94 Nicht weniger fragwürdig erscheinen dem Oinomaos die ehrenden Orakelsprüche für die Dichter Archilochos,95 Euripides96 und die berühmte Antwort, die Homer auf seine Frage nach seinem Vaterland erteilt wurde.97 Archilochos habe sich, wie Oinomaos sarkastisch formuliert, seine Unsterblichkeit gewiss mit der 88

Oenom., Frg. 12,12–19 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 35,3 (288,16–20 MRAS). Orakel Nr. 327 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 85 FONTENROSE. Zur kynischen Ansicht vom Tod als einem Adiaphoron vgl. BILLERBECK, 1978, 76. 89 Oenom., Frg. 13 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 36,1–4 (298,1–299,10 MRAS). Orakel Nr. 337 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 241 FONTENROSE. Nur in Oinomaos (aufgegriffen von Theodoret). 90 Orakel Nr. 88 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 166 FONTENROSE über den Faustkämpfer Kleomedes von Astypalaia; Nr. 389 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 170 FONTENROSE, über den Faustkämpfer Theagenes von Thasos; Nr. 388 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 168 FONTENROSE über den Fünfkämpfer Euthykles von Lokroi. Die beiden letztgenannten Orakel nur bei Oinomaos. 91 Oenom., Frg. 2,10–17 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 34,3–4 (285,3–12 MRAS). 92 Oenom., Frg. 2,80–81 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 34,16 (287,13–14 MRAS). Die Gesandtschaft erwähnt Call., Aetia III dieg. ad Frg. 84–85 PFEIFFER, 1949 (= Frg. 95– 96 ASPER, 2004 bzw. Frg. 186–187 MASSIMILLA, 2010). 93 Diog. Laert. VI 70 (V B 291 GIANNANTONI). Vgl. NORDEN, 1892, 298–203 (= NORDEN, 1966, 33–37). 94 Oenom., Frg. 2,35–42 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 35,8–9 (286,3–8 MRAS). 95 Orakel Nr. 231 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 56 FONTENROSE (dort unter Einbeziehung des Zitats der Verse auf der parischen Inschrift SEG 15, 1958, 517 aus der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr.). 96 Orakel Nr. 418 PARKE/WOrmell, 1956 II bzw. Q 159 FONTENROSE. Die Verse nur bei Oinomaos. 97 Orakel Nr. 318 und 319 PARKE/WORMELL, 1956 II, zusammengefasst unter L 80 FONTENROSE.

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Schmähsucht und sexuellen Lizenz seiner Verse verdient,98 während die Ehrung des Euripides wohl nur mit der Beliebtheit seiner Tragödien im gemeinen Volk und bei den (makedonischen) Tyrannen zu erklären sei.99 Bei Homer hingegen zieht Oinomaos die aus kynischer Sicht unangebrachte Frage nach seiner Heimat durch den Vergleich mit einem nach seinem Heimatmisthaufen forschenden Mistkäfer ins Lächerliche.100 Aber nicht nur der delphische Gott und sein Orakelbetrieb, sondern auch seine Klienten und Fragesteller stehen in der Kritik. Der Heraklide Aristomachos verlor sein Leben und sein Sohn Temenos scheiterte bei den im Vertrauen auf das delphische Orakel unternommenen Versuchen einer Eroberung der Peloponnes. Für den Misserfolg des Vaters rechtfertigt sich das Orakel mit dessen fehlerhafter Auslegung des Spruchs,101 für den des Sohnes mit der Tötung eines gewissen Karnos, welchen es zum göttlichen Sendboten erklärt und dessen Ehrung als Apollon Karneios es zu geloben befiehlt.102 Dazu bemerkt Oinomaos: Wenn Temenos aber mit seinem Gelübde nichts ausgerichtet hätte, dann wäre für deine Spitzfindigkeit ein anderes Heilmittel erdacht worden, und ihr hättet niemals ein Ende gefunden, die einen mit ihren Fragen, du aber mit deinen Spitzfindigkeiten, damit du bei ihren Siegen ebenso wie bei ihren Niederlagen mit deinen Übeltaten unentlarvt bliebest. Der Affekt und die Begierde waren nämlich hinreichend geeignet zum Übertölpeln und bewirkten dadurch, dass sie dir nicht einmal dann misstraut hätten, wenn sie tausendmal gescheitert wären.103

In ähnlicher Weise kommentiert der Kyniker den delphischen Rat104 an den sich erst im hohen Alter um Nachkommenschaft bemühenden mythischen Minyerkönig Erginos: 98 Oenom., Frg. 1,23–25 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 33,6 (282,3–4 MRAS). Vgl. MÜLLER, 1985, 131–132. 99 Oenom., Frg. 1,43–44 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 33,11 (282,17–18 MRAS). 100 Oenom., Frg. 1,79–91 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 33,16–17 (284,1–9 MRAS). Luc., Verae historiae II 20 bezeichnet die Frage nach Homers Herkunft als ein besonderes Anliegen seiner Zeitgenossen. Dem Lügenpropheten Alexander von Abonuteichos stellt er sie gleich zweimal (Luc., Alex. 53). Orakel Nr. 465 PARKE/WORMELL, 1956 II antwortet Kaiser Hadrian auf dessen Frage nach Heimat und Herkunft Homers. 101 Orakel Nr. 289 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. L 62 FONTENROSE. Der Vers nur bei Oinomaos. 102 Oenom., Frg. 4,1–28 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 20,1–4 (257,21–258,19 MRAS). 103 Oenom., Frg. 4,42–47 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 20,7 (259,8–12 MRAS): εἰ δ’ εὐχόµενοϲ οὐδὲν ἐξήνυϲεν, ἄλλο τι ἂν ἐξηύρητο ἄκοϲ τῷ ϲῷ ϲοφίϲµατι, καὶ οὐδέποτε ἂν ἐλήξατε, οἱ µὲν ἐρωτῶντεϲ, ϲὺ δὲ ϲοφιζόµενοϲ, ἵνα καὶ νικῶϲι καὶ ἡττωµένοιϲ ἦϲ ἀφώρατοϲ κακουργῶν. ἱκανὸν γὰρ τὸ πάθοϲ καὶ ἡ ἐπιθυµία παραβουκολῆϲαι, ὡϲ µηδ’ εἰ χιλιάκιϲ ϲφαλεῖεν, ἀπιϲτεῖν ϲοι ποιῆϲαι. Zur Leichtgläubigkeit der Klienten des Apoll vgl. Luc., Dial. deor 18,1. 104 Orakel Nr. 111 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. L 5 FONTENROSE.

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Dass einem alten Mann eine junge Frau beizuwohnen hat, wenn er Kinder begehrt, auch das ist nicht Wissen eines Sehers, sondern eines Naturverständigen. Doch das Begehren bringt die Dummköpfe außer Rand und Band!105

Oinomaos fährt fort: Deshalb empfehle ich dir, gegen sie auch zur Rute zu greifen, falls du sie nicht davon abbringen solltest, anstelle der verächtlichen Fragestellungen etwas der göttlichen Besuchsstätte Würdiges zu vernehmen ...106

Allzu törichte Fragesteller verdienen Oinomaos zufolge geradezu eine Bestrafung durch das Orakel. Dieselbe Überzeugung liegt seiner Kritik an dem Umgang des delphischen Gottes mit dem Lyderkönig Kroisos zugrunde: Dieser sollte dich bald nach der Prüfung befragen, ob er gegen die Perser zu Felde ziehen solle, und dich zum Ratgeber für seinen Wahn und seine Habgier machen. Du hast nicht gezögert, ihm zu sagen, dass er ,nach dem Überschreiten des Halys ein großes Reich auflösen wird‘.107 Wohl getan ist freilich, dass es dir überhaupt nichts ausmachte, ob er etwas Schlimmes erleiden würde, weil er von einem doppeldeutigen Orakel auf eine fremde Herrschaft lüstern gemacht worden war ...108

Dass Kroisos den Spruch in der für ihn verderblichen Weise aufgrund seiner Begehrlichkeit gedeutet hat, haben übrigens schon Diodor,109 dann Maximos von Tyrus110 und zuletzt Aelian111 betont. 105

Oenom., Frg. 11B 37–39 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 30,2 (279,1–2 MRAS): γέροντι νέαν ϲυνοικεῖν, εἰ παίδων ἐπιθυµεῖ, οὐ µάντεωϲ οὐδὲ τοῦτο, ἀλλὰ φύϲιν ἐπισταµένου. ἀλλ’ ἡ ἐπιθυµία τοὺϲ βλᾶκαϲ ἐξίϲτηϲιν. 106 Oenom., Frg. 11C 40–42 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 31,1 (279,4–5 MRAS): διόπερ ϲοι καὶ νάρθηκα παραινῶ ἐπ’ αὐτοὺϲ λαµβάνειν, εἰ µὴ πείθοιϲ µανθάνειν ἀντὶ τῶν καταπτύϲτων ἐρωτηµάτων ἄξιόν τι τοῦ θείου φοιτητηρίου. 107 Orakel Nr. 53 PARKE/WORMELL, 1956 II bzw. Q 100 FONTENROSE. Zuerst erwähnt in Hdt., I 53,1. 108 Oenom., Frg. 5,8–15 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 21,2–3 (260,21–261,5 MRAS): ὃϲ µετ’ ὀλίγον ἐπὶ τῇ πείρᾳ ἤµελλεν ἀνερωτᾶν ϲε εἰ ϲτρατεύοι ἐπὶ Πέρσαϲ καὶ ϲύµβουλον ποιεῖσθαι ὑπὲρ τῆϲ αὑτοῦ µανίαϲ καὶ πλεονεξίαϲ. ᾧ οὐκ ὤκνηϲας εἰπεῖν ὅτι Ἅλυν διαβὰϲ µεγάλην ἀρχὴν καταλύϲει. ἐκεῖνο µέντοι εὖ, ὅτι ϲοι οὐδὲν ἔµελεν εἴ τι ἄτοπον πείϲεται ὑπ’ ἀµφιβόλου χρηϲµοῦ ἐπαρθεὶϲ ἐπ’ ἀλλοτρίαν ἀρχήν [...]. 109 Diod., IX 31,1 „Nachdem er die doppeldeutige Aussage des Orakelspruchs entsprechend seiner eigenen Wahl aufgefasst hatte, geriet er ins Unglück“ (ὁ δὲ τὸ ἀµφίβολον τοῦ χρηϲµοῦ κατὰ τὴν ἑαυτοῦ προαίρεϲιν ἐκδεξάµενος ἐδυϲτύχησεν). 110 Max. Tyr., or. 5 („Ob man beten soll“ [εἰ δεῖ εὔχεϲθαι]), 2ΑΒ (Interpunktion nach Hobein): „Und was ist mit dem Lyder, der noch unverständiger als der Phryger (scil. Midas) war? Hat er nicht bei Apoll dafür gebetet, dass er die Herrschaft über die Perser gewänne, und dem Gott viel Gold verehrt, wie einem bestechlichen Herrscher? Und als er von ihm, der ihm häufig aus Delphi Bescheide zusandte, hörte: ,Kroisos wird, wenn er den Halys überschreitet, ein großes Reich zugrunde richten‘, fasste er den Orakelspruch im Hinblick auf das auf, was seine Lust erregte, überschritt den Halys und richtete das große Reich der Lyder zugrunde“ (τί δὲ Λυδόϲ, ὁ τοῦ Φρυγὸϲ ἀνοητότεροϲ; οὐκ εὔξατο µὲν τῷ

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Oinomaos will gar am eigenen Leibe bei seiner Befragung des klarischen Apollonorakels112 erfahren haben, wie die persönliche Disposition der Fragesteller ihre Deutung der Orakelbescheide beeinflusst. Er deutete den an ihn ergangenen Spruch auf seine Nachfrage nach der Weisheit (περὶ ϲοφίαϲ) als Verheißung der süßen Früchte einer mühevollen kynischen Lebensführung nach dem Vorbild des Herakles.113 Doch waren dieselben Verse unlängst auch einem Handelsmann aus Pontos erteilt worden, der sich nach gewissen Mühen einen materiellen Gewinn und ein dadurch finanziertes süßes Leben erhoffte.114 4.2. Epikureische Kritik Noch bruchstückhafter als die Polemik des Kynikers Oinomaos sind uns die moralischen und inhaltlichen Aspekte der epikureischen Orakelkritik erhalten. Von Diogenian wurde bereits erwähnt, dass er den Nutzen von Mantik mit der hedonistischen Argumentation bestritt, das im Fall eines unentrinnbaren Schicksals (εἱµαρµένη) die Warnungen der Orakel den Fragern überhaupt keinen Nutzen eintragen würden. Vielmehr würde die Erwartung des Schlimmen im Voraus weitaus höhere Besorgnis und Betrübnis auslösen, als die Ankündigung von guten Ereignissen an Freude bewirken könnte.115 In einen anderen Argumentationszusammenhang bindet Diogenes von Oinoanda seine Orakelkritik auf der riesigen epikureischen Inschrift,116 mit

Ἀπόλλωνι ἑλεῖν τὴν Περϲῶν ἀρχὴν καὶ ἐθεράπευεν χρυϲῷ πολλῷ τὸν θεόν, ὥϲπερ δωροδόκον δυνάϲτην; ἀκούων δὲ αὐτοῦ θαµὰ ἐκ Δελφῶν ἐπιϲτέλλοντοϲ Κροῖϲοϲ Ἅλυν διαβὰϲ µεγάλην ἀρχὴν καταλύϲει, ἐκδεχόµενοϲ πρὸϲ ἡδονὴν τὸν χρηϲµὸν διέβη Ἅλυν, καὶ κατέλυϲεν τὴν Λυδῶν µεγάλην ἀρχήν). 111 Aelian, Frg. 70g DOMINGO–FORASTÉ, 1994 (67 HERCHER, 1866) „weil er den Ausspruch entgegen seiner wahren Bedeutung verstand und allein das wahrnahm, was ihm lieb und wohlgefällig war, verlegte er sich darauf, das Königreich der Perser zu vernichten“ (ἐπεὶ δ’ ἔµπαλιν τῆϲ ἀληθείαϲ ϲυνίει τὰ λεγόµενα καὶ τὸ ἑαυτῷ φίλον τε καὶ κεχαριϲµένον ἑώρα µόνον, ἐπέθετο καταλῦϲαι τὴν Περϲῶν βαϲιλείαν). 112 Klarisches Orakel Nr. 24 bei MERKELBACH/STAUBER, 1996, 36–39. 113 Zur Bedeutung des Herakles im Kynismus vgl. GALINSKY, 1972, 106–107; HÖISTAD 1976, 33–73; BILLERBECK, 1978, 121–122. 114 Oenom., Frg. 14 HAMMERSTAEDT = Eus., Pr. Ev. V 22,1–6 (262,10–263,13 MRAS). Zu kynischen Abneigung gegen Handel s. Max. Tyr., or. 36 (εἰ προηγούµενοϲ ὁ κυνικοῦ βίοϲ), 5B (V B 299 GIANNANTONI) und Diog., Epist. 1,1 (V B 531 GIANNANTONI). 115 Siehe oben S. 416 f. 116 Grundlegende Editionen: SMITH, 1993 und SMITH, 1996; Aktualisierung und neue Funde: SMITH, 2003; Zusammenstellung weiterer Neufunde: HAMMERSTAEDT/SMITH, 2014; hingewiesen sei auf den Abschnitt („Finding and citing the latest edition of a Diogenes fragment“) ebd. 4–6; spätere Funde; HAMMERSTAEDT/SMITH, 2016; HAMMER– STAEDT/SMITH, 2018.

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der er wohl in der ersten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts117 eine Halle im Zentrum seiner Heimatstadt beschriften ließ. In einem der Physik gewidmeten Traktat innerhalb seiner Inschrift widerlegt er die stoische Lehre, dass die Welt von göttlicher Hand als eine gemeinsame Wohnung für Götter und Menschen geschaffen worden sei,118 unter anderen mit Hinweis auf ihre vielen Unzulänglichkeiten, die dem Leben der Menschen schaden.119 In diesem Zusammenhang weigert Diogenes von Oinoanda sich in Form einer Praeteritio, auf die Orakelsprüche als angebliche Zeichen eines für die Menschen nützlichen Wirkens der Götter überhaupt einzugehen: ... über diese Dinge [zu reden haben wir] nicht nötig, [welche sie sagen] zum Zwecke des Betrugs an ihren Empfängern – oder meint ihr, dass wir nicht wüssten, wie schlimme Missgeschicke sich manche wegen dieser Doppeldeutigkeit und verworrenen Verdrehtheit der Orakel zugezogen haben oder dass wir Zeit hätten, um jetzt genau durchzunehmen, was für ein schlimmes Ungemach den Spartanern zuteil geworden ist [... ]?120

Im Rahmen neuerer Surveys wurde 2008 ein weiterer Block entdeckt, der ebenfalls dem Physiktraktat angehört und in enger Verbindung mit derselben Kritik des Diogenes an den Orakeln steht: ... gegen Kyros ... das Land jenseits des Halys, während es sich doch geschickt hätte, solches zu besitzen wie es ein jeder von den anderen (Königen) hatte. Und dann, warum erteilt er allen, die wollen, Orakel gegen diejenigen, die ihm weder etwas Großes noch etwas Geringes angetan haben? Das entspricht nämlich nicht der Erhabenheit eines Gottes. Aber er nimmt auch Geschenke an ... [denn Kroisos] wollte delphische Orakel [erhalten], von denen [angestachelt] er ihm (scil. dem Orakelgott zuvor) den Zehnten von seiner Kriegsbeute aus lauterem Gold geweiht hatte. [Und umgehend ging er] gegen Kyros dorthin los, wohin ihn [der Gott] losgeschickt hatte. Warum [...] derselbe Gott den Jambendichter Archilochos, [ ... den erbarmungslosen] Schmäh[dichter] ...?121 117

Zur Datierung SMITH, 1993, 35–48; SMITH 2003, 48–50; HAMMERSTAEDT/SMITH, 2014, 97. 118 Diog. Oen., Theol. IX 11–X 4 (HAMMERSTAEDT/SMITH, 2014, 266). 119 Die Fragestellung wird in. Diog. Oen., Frg. 21 III 10–13 formuliert und ist anschließend in ihren verschiedenen Aspekten behandelt worden. 120 Diog. Oen., Frg. 23 nach HAMMERSTAEDT, 2006, 28 (= HAMMERSTAEDT/SMITH, 2014, 242): [εἰπεῖν τι – – – – – – – – – – ]|| . . . π[ερὶ] το̣[ύτων ἡµᾶϲ] | οὐκ ἀνανκαῖον, [ἅ φαϲιν] | ἐπ’ ἐνέδρᾳ τῶν λα̣µ̣β̣[α]|νόντων, ᵛ εἰ µὴ δοκεῖ̣[τε] | ἀγνοεῖν ἡµᾶϲ ἡλίκαιϲ | ϲυµφοραῖϲ διὰ τὸ ἀµφίβο|λον τοῦτο̣ τ̣ῶ̣ν̣ χρηϲµῶν καὶ | ποικίλωϲ πλάγιον κέ|χρηνταί τινεϲ ᵛ ἢ και|ρὸν ἡµᾶϲ ἔχειν διακα|θαίρειν ἐπὶ τοῦ παρόν|τοϲ ᵛ οἷα Λακεδαιµόνι|οι κακὰ πεπόνθαϲιν. 121 Diog. Oen. NF 143 (HAMMERSTAEDT/SMITH, 2008, 6–10 = HAMMERSTAEDT/ SMITH, 2014, 38–42): [ – – – ] | . ο [ – – – – – – – – ]τ̣[ – – – – ]ϲ | οια[ – – – c. 6 – – – ] ἐπ̣ὶ̣ Κῦρον | τὴν ἐκ̣[τὸϲ] Ἅλυοϲ, δέ|5ον νέµεϲθαι οἷα τῶν | ἄλλων ἕκαϲτοι. ᵛᵛ εἶ|τα δὲ τί τοῖϲ θέλουϲιν | κατὰ τῶν οὐδὲν αὐτὸν | πληµµεληϲάντων |10 οὔτε µέγα οὔτε µεικρὸν | χρηϲµοὺϲ δί|δωϲι; ᵛ οὐ γὰρ τοῦτό γε | θεοῦ ϲ̣εµνότητοϲ. | ἀλλὰ καὶ δωροδόκοϲ || [ – – – ] καὶ κ̣ατ̣[ – – | – – c. 7 – – ] νο̣υ̣ϲ τυχ[ – – ] |ταῦτα̣λ̣ογ̣ . [– – ]ν̣ενο[ – – ] | ἠβ̣ούλε̣τ̣ο̣ τ̣ὰ̣ Δε̣λφι̣[κὰ] |5 παρ’ ὧν ἐ̣π̣[αρθε]ὶ̣ϲ ἀ[νέ]|θηκεν αὐτῷ τ̣ῶ̣ν̣ ἐκ [τοῦ] |

Delphis Orakelsprüche in den philosophischen Debatten der Kaiserzeit

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Hier deckt sich die moralische Kritik des Epikureers Diogenes von Oinoanda auffällig mit den Beanstandungen des Kynikers Oinomaos. Keine weiteren antiken Texte behandeln die Orakel an Kroisos und Archilochos gleichzeitig und kontrastieren auch nicht den Orakelspruch, in dem Archilochos gepriesen wird, mit seinem tadelnswerten Verhalten. Am besten lässt sich diese enge Übereinstimmung in der Weise erklären, dass der lykische Epikureer die Schrift des Oinomaos gekannt hat. Da es Anhaltspunkte dafür gibt, dass nicht erst Euseb, sondern bereits Klemens von Alexandrien122 und Origenes von Caesarea123 die Entlarvung der Schwindler des Oinomaos benutzt haben, würde sich damit nicht nur ein weiteres Mal die hohe Bedeutung und Verbreitung dieser von Euseb exzerpierten Schrift in der Orakeldebatte der Kaiserzeit manifestieren, sondern auch die Frühdatierung des Kynikers Oinomaos weiter erhärten.

πολέµου λαφύ̣ρ̣ω[ν ἑφ]|θὰϲ δεκάταϲ. [εὐθέωϲ δὲ] | ἐπὶ τὸν Κῦρον ὥρ̣[µηϲεν, ὅ]|10ποι προέπεµψε[ν ὁ θεόϲ]. | τί δ’ ὁ αὐτὸϲ θεὸϲ [– – – ] | Ἀρχίλοχον τὸ[ν ἰαµβο]|ποιὸν ἀνελ [– – – ]|λοιδορ̣[– – – ]. 122 HAMMERSTAEDT, 1988, 19–24. 123 HAMMERSTAEDT, 1988, 25–28.

Delphisches im Neuplatonismus Ilinca Tanaseanu-Döbler 1. Einleitung Orakelsprüche spielen in der späteren Antike in philosophischen Kreisen eine bedeutende Rolle. Als göttliche Stimmen werden sie gesammelt und tradiert; inhaltlich lässt sich dabei eine erhöhte Präsenz theologischer und religiöser Themen feststellen.1 Zugleich kommt den traditionellen Orakelstätten eine immer geringere Bedeutung zu. Spätantike Mantik ist dezentralisiert und delokalisiert, sie setzt viel stärker auf rituelle Kontaktformen mit den Göttern, die flexibel in privaten, nicht-institutionellen Kontexten eingesetzt werden können. Polymnia Athanassiadi hat dies als „shift of authority“ beschrieben, welches vom Orakelheiligtum zum heiligen Menschen führt.2 Delphi ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen.3 Dem Rückgang der Orakel ist schon eine Schrift Plutarchs gewidmet, zu dessen Zeit das Heiligtum als religiös-kultureller Raum noch blüht.4 Während im dritten und vierten Jahrhundert andere Orakelstätten des Apollon wie Klaros oder Didyma aktiv bleiben, schwindet die Orakel-Tätigkeit in Delphi merklich; ab dem dritten Jahrhundert gibt es nur einige wenige Sprüche, die eventuell auf Delphi zurückgeführt werden können, und bei den meisten bleibt die Zuschreibung an Delphi unsicher.5 Allerdings ist Delphi durch seine Verbindung mit den Sieben Weisen und ihren Sprüchen und insbesondere mit Sokrates6 mit der philosophischen, besonders der platonischen, Tradition stärker verbunden als andere Orakelheiligtümer. Platon lässt Sokrates im Ersten Alkibi1

Zu den sogenannten „theologischen Orakeln“ siehe nun SENG/SFAMENI GASPARRO, 2016. Geprägt wurde der Begriff von NOCK, 1928, 280–290. 2 ATHANASSIADI, 1992, 45–62. Vgl. auch HEINEMANN, 2018, 183–185. 3 Für die Geschichte des Niedergangs Delphis ab der Kaiserzeit siehe nun HEINEMANN, 2018. 4 Siehe HEINEMANN, 2018, 41–70 und in diesem Band Hirsch-Luipold, oben S. 409. 5 Zu den drei Orakelstätten in der Kaiserzeit und Spätantike siehe BUSINE, 2005, besonders 21–47 für einen Überblick. Die Delphi zugeschriebenen Sprüche aus dieser Zeit und die Unsicherheit hinsichtlich ihrer Authentizität diskutiert BUSINE, 2005, 26–28. Siehe auch HEINEMANN, 2018, 86–89 (Überblick über die Endphase von Delphi ab 200 n. Chr.) und 96–134 zu den theologischen Orakeln in Didyma und Klaros. 6 Plat., Apol. 20e–23c; Porph., Vita Plot. 23. Zu den Bezügen zwischen Sokrates, seiner philosophischen Methode und Delphi siehe MCPHERRAN, 2002, 114–144.

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ades das explizit in Delphi lokalisierte γνῶθι σαυτόν als Ausgangspunkt der Philosophie darstellen.7 Durch Plutarch, im vorliegenden Band von Rainer Hirsch-Luipold vorgestellt, werden Delphi und sein Gott systematisch in ein philosophisches Licht gerückt. Insofern lässt sich fragen, inwiefern diese Verbindung zwischen Delphi, dem delphischen Apollon und der Philosophie in der Spätantike fortgeschrieben wird. Im Folgenden sollen einige Schlaglichter auf die neuplatonischen Erwähnungen Delphis geworfen werden. Dabei lassen sich in den Quellen zwei Aspekte unterscheiden. Zum einen gibt es Passagen, die das Orakelheiligtum als solches in den Blick nehmen. Zum anderen wird im Neuplatonismus das γνῶθι σαυτόν in Fortführung der schon von Platon im Ersten Alkibiades vorgegebenen Linie kommentiert und als Ausgangspunkt oder gar Inbegriff der Philosophie gedeutet. Dieser thematische Komplex kann mit dem konkreten Heiligtum verschränkt behandelt werden, wenn auf die delphische Inschrift als Träger des Spruchs eingegangen wird; zuweilen kann aber der Spruch auch ohne Bezug auf den Ort besprochen werden. Diese beiden Aspekte werden im Folgenden in den erhaltenen neuplatonischen Texten in der Zeit vom späten dritten bis zum fünften Jahrhundert beleuchtet.

2. Porphyrios und Jamblich: Delphi und Apollon zwischen Mantik und Philosophie Eine Suche nach Delphi oder Delphischem in den Werken Plotins, des Begründers des Neuplatonismus, bringt nur spärliche Ergebnisse. Das Heiligtum an sich spielt keine Rolle, wohl aber wird das γνῶθι σαυτόν als göttlicher Auftrag erwähnt.8 Angesichts von Plotins Desinteresse an religiösen Praktiken ist das nicht verwunderlich. Religiöse Traditionen bilden hingegen ein wichtiges Thema für seinen Schüler Porphyrios und für dessen nur wenige Jahre jüngeren Schüler und philosophischen Kontrahenten Jamblich.9 Diese beiden Neuplatoniker der zweiten Generation diskutieren religiöse Praktiken kontrovers, nicht zuletzt auf dem Hintergrund einer wachsenden christlichen Präsenz, welche die alte philosophische Frage nach der Legitimität der traditionellen Kultformen mit neuen Akzenten aufgreift. Mit ihrem Anspruch, Kommunikationswege mit den Göttern zu eröffnen und empirisch unzugängliche Informationen über die Welt zu vermitteln, ist die Mantik dabei ein wichtiger Teilaspekt, den nicht nur die beiden paganen Philosophen debattie7

Plat., Alc. I 124a–b.128e–129a. Enn. IV 3,1. Vgl. auch VI 7,41: Die Aufforderung γνῶθι σαυτόν gilt nur denen, die von Vielheit geprägt sind (im Gegensatz zu dem Einen, von dem Selbsterkenntnis nicht sinnvoll prädizierbar wäre). 9 Zu der Beziehung der beiden Philosophen siehe SAFFREY/SEGONDS, 2012, XXV f. 8

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ren, sondern der auch in ihrem Umfeld bei christlichen Autoren auf reges Interesse stößt.10 Sowohl Porphyrios als auch Jamblich gehen in ihren Ausführungen zur Mantik zum einen auf private, ortsunabhängige, kleinformatige Divinationsrituale ein, zum anderen führen sie alte Themen des Diskurses über Orakelheiligtümer fort, etwa deren Funktionsweise, die Erklärung von Störungen im Orakelbetrieb oder dessen Erlöschen. 2.1. Porphyrios Für die Frage nach Mantik im allgemeinen und Delphi im besonderen sind zwei Schriften des Porphyrios von Bedeutung: seine sogenannte Orakelphilosophie und ein Brief an einen fiktiven ägyptischen Priester Anebo, der tatsächlich an Jamblichs Adresse gerichtet ist. Jamblich wiederum antwortet auf den Brief ebenfalls in ägyptischer persona mit dem seit Ficino unter dem Titel De mysteriis bekannten Traktat.11 Darüber hinaus findet Delphi punktuell Erwähnung in anderen Werken (Vita Pythagorae, De abstinentia). Schließlich widmet Porphyrios dem γνῶθι σαυτόν ein eigenes Werk, aus dem lediglich drei Fragmente erhalten sind. Die Orakelphilosophie ist eine Sammlung von Orakelsprüchen, welche als direkte göttliche Offenbarung sichere Erkenntnis über philosophische Dubia ermöglichen sollen.12 Diese Orakel lassen sich teilweise, wie Aude Busine herausgearbeitet hat, mit kaiserzeitlichen Orakelsprüchen aus Klaros vergleichen.13 Allerdings sind die genauen Quellen des Porphyrios nicht greifbar.14 Einige Sprüche könnten tatsächlich direkt oder indirekt noch aus konkreten Heiligtümern stammen.15 Eine Reihe von Orakeln lässt ein ortsunabhängiges, nicht-institutionelles rituelles Setting durchscheinen: sie erwähnen Beschwörungen von Gottheiten, die zu Traumerscheinungen oder zur Besessenheit

10

Neben BUSINE, 2005 siehe dazu ADDEY, 2014. Zu dem Austausch zwischen beiden Philosophen und dem Titel der jamblicheischen Schrift siehe SAFFREY/SEGONDS, 2012, XIX–LIV und SAFFREY/SEGONDS, 2013, IX– XXVI mit weiterer Literatur. Der Titel De mysteriis wird im folgenden trotz des Anachronismus beibehalten, weil er sich in der Forschung eingebürgert hat. 12 Phil. ex or., prooem., p. 109 f. WOLFF, 1856 (Frg. 303F SMITH, 1993). 13 BUSINE, 2005, 253. 14 Zur Quellenfrage siehe BUSINE, 2005, 252–256. 15 Apollon Didymaios wird als Orakelgeber in Phil. ex or. p. 123 WOLFF (Frg. 309F SMITH) angegeben; WOLFF, 1856 sieht die didymaeische Provenienz als plausibel an (Begründung 124 f.). Ὁ ἐν Βραγχίδαις Ἀπόλλων: p. 128 WOLFF (Frg. 307F SMITH), ebenfalls von WOLFF, 1856 129, als „genuinum“ angesehen; Apollo Milesius bei Laktanz und Augustinus: p. 142 WOLFF; dieses sei aber „fictum ... Apollinis Milesii nomine ab Iudaeo quodam docto“, p. 143. BUSINE, 2005, 253 scheint den Spruch für nicht fiktiv zu halten. 11

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eines Mediums führen;16 allerdings ist Aude Busine zuzustimmen, wenn sie hervorhebt, dass es keine Kriterien gibt, um apollinische Orakelsprüche der Sammlung sicher als Produkte solcher Kontexte anzusehen.17 Zwar erscheint Apollon in der Schrift wiederholt als orakelgebender Gott;18 Delphi wird jedoch nur am Rande erwähnt.19 Ein wiederkehrendes Thema der Schrift ist die Funktionsweise von Orakeln, besonders im Hinblick auf mögliche Störungen, etwa falsche Orakelsprüche oder die Zerstörung von Orakelheiligtümern. Für Porphyrios’ Programm sind Erklärungen solcher Probleme und der Erweis der grundsätzlichen Veridizität der Orakel von entscheidender Bedeutung, will er doch die Sprüche als untrügliche Grundlage für die Beantwortung philosophischer Probleme ins Feld führen. Ein Explanans, auf welches er wiederholt zurückgreift, bildet dabei das Schicksal, dem alles Irdische unterliegt – und damit auch die irdischen Kommunikationskanäle zwischen Menschen und Göttern: Denn alles, was auf die Erde herabsteigt, sagt er [Porphyrios], fällt unter die Bewegung der herrschenden Götter, wenn es herabsteigt, das heißt, unter die Bewegung der Gestirne. Und so kommt es, dass auch die herabsteigenden Götter selbst den Schicksalszwängen unterliegen. Alle aber steigen sie herab und verkünden ihre Orakel unten, dort, wo auch ihre Orakelstätten und ihre Kultbilder errichtet sind. Diese [Götter] aber sind die Abkömmlinge von Kronos und Rhea und alle ihre Nachkommen.20

Orakelstätten und Kultbilder werden als Kommunikationspunkte der Götter mit den Menschen beschrieben; dabei geht Porphyrios von einem tatsächlichen Abstieg von Göttern aus, und nicht etwa von daimones oder anderen Zwischenwesen, wie es Platons Symposion nahelegt, dessen Daimonologie in 16

Mit Apollon als Protagonisten z. B. Phil. ex or. p. 159 f. WOLFF (Frg. 349F SMITH; männliches Medium); p. 163 WOLFF (Frg. 350F SMITH). 17 BUSINE, 2005, 255. 18 Zu den Apollon-Orakeln in der Orakelphilosophie siehe BUSINE, 2005, 245–251. 19 Siehe BUSINE, 2005, 253 f. zu der Frage, welche Orakel auf Delphi zurückgeführt werden könnten. In dieses Bild, das Apollon zwar als Orakelgott festhält, aber ihn nicht systematisch mit Delphi verbindet, passt auch das berühmte Orakel, welches Porphyrios in der Vita Plotini 22 überliefert. Apollon singt dort buchstäblich eine lange Lobeshymne auf Plotin und erklärt, wo sich dessen Seele nun befinde. Damit überbietet dieses Orakel schon rein quantitativ, wie Porphyrios bemerkt, den an Chairephon gerichteten Orakelspruch über Sokrates. Über die genaue Herkunft dieses Orakels lässt sich nichts Gesichertes sagen; siehe zu der Debatte BUSINE, 2005, 295–315, mit einem Überblick über die Literatur. BUSINE hält eine delphische Provenienz nicht für unmöglich, favorisiert aber die kleinasiatischen Apollonorakel als Herkunftsort (ebd. 312 f.). Darin folgt ihr HEINEMANN, 2018, 107 f., die Didyma hervorhebt. 20 Phil. ex or. p. 170 WOLFF (Frg. 337F SMITH): Πᾶν γάρ, φησί, τὸ κατιόν εἰς γῆν, ὅτε κάτεισιν, ὑποπίπτει τῇ φορᾷ τῶν κρατοῦντων θεῶν, τουτέστι τῇ κινήσει τῶν ἄστρων, ὥστε αὐτοὺς τοὺς κατιόντας θεοὺς ὑπὸ τὰς µοίρας εἶναι, κατίασι δὲ καὶ κάτω χρησµῳδοῦσιν ἅπαντες, ὅπου καὶ τὰ χρηστήρια αὐτῶν ἵδρυται καὶ τὰ ἀγάλµατα. οὗτοι δέ εἰσιν οἱ ἀπὸ Κρόνου καὶ Ῥέας καὶ οἱ ἐξ αὐτῶν ἅπαντες.

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Plutarchs De defectu oraculorum durch Kleombrotos weitergedacht und auf den Orakelkult angewendet wird.21 Die herabsteigenden und im Heiligtum zugänglichen Götter werden mit den traditionellen Göttern identifiziert; beim Abstieg begeben diese sich tatsächlich unter die Macht des Schicksals. Diese ist bei Orakeln bestimmend: Falsche Orakel lassen sich nach Porphyrios darauf zurückführen, dass die Fragenden die Götter παρὰ µοῖραν und gegen deren Willen durch die Macht ihrer Beschwörungen zu Sprüchen zwingen, obwohl die Götter selbst warnen, dass sie dann eben Falsches künden würden.22 Diese generellen Vorstellungen über Störungen in der OrakelKommunikation betreffen letztlich alle Formen der Mantik; Delphi ist hier implizit mit inbegriffen, wenngleich es nicht eigens hervorgehoben wird. Als Explanans wird das Schicksal auch für die Zerstörung eines Apollonheiligtums durch einen Blitzeinschlag angeführt; da der Orakelspruch aus „lorbeertragenden Erdhöhlen“ kommt und an die „aus dem göttlichen Geschlecht des Erichthonios Entsprossenen“, also die Athener, gerichtet ist, läge ein Bezug auf Delphi nahe.23 Zwei weitere Orakelfragmente nennen Delphi explizit. Beide stehen nach Eusebios im thematischen Kontext der Frage nach dem Niedergang der Orakel.24 Das eine Orakel hält Delphi zusammen mit Klaros und Didyma als noch funktionierende Orakelstätten fest und verweist auf den Niedergang der anderen: „Um Pytho und Klarien herum, die Orakelstätten des Phoibos, wird unsere Rede in geziemenden Worten ertönen. Abertausende göttliche Orakel entsprangen auf der Erde, Quellen und wirbelnde Windstöße. Und die einen nahm die Erde selbst, sich weit öffnend, wieder zurück in chthonische Schöße, die anderen zerstörte der lange Lauf der Zeit. Nur der den Sterblichen leuchtende Helios hat bis heute in den Schluchten von Didyma das gottbegeisterte mykaleische Wasser, und dasjenige Pythos am Bergfuß unterhalb der parnasischen Höhe und das steilfelsige Klarien, die rauhe Öffnung der phoibospriesterlichen Stimme, besteht noch.“25 21 Symp. 202d–203a; Plut., Def. or. 10, 415a (Bezug auf Platons Modell); 13, 417a; 15, 418c–d; 16, 418e; 38, 431a–b. 22 Phil. ex or. p. 175 WOLFF (Frg. 341aF SMITH). Neben dem Schicksal, das sich insbesondere über die Gestirne manifestiert, werden weitere Situationen präsentiert, in denen bestimmte Faktoren einen Orakelspruch verhindern: zum einen ein daimon, der von Porphyrios selbst als „der böse daimon“ bezeichnet wird, Phil. ex or. p. 152 f. WOLFF (Frg. 329F SMITH), oder die ἀνεπιτηδειότης aufgrund der Bindung durch die Natur, Phil. ex or. p. 165 WOLFF (339F SMITH). In diesen beiden Fällen kommt es zum Orakel erst nach Beseitigung der Hindernisse, es geht also nicht um verfälschte Sprüche. Beide Hindernisse lassen sich rituell beheben. 23 Phil. ex or. p. 170–172 WOLFF (Frg. 338F SMITH). Siehe BUSINE, 2005, 27 f. und 352–354. 24 Eus. PE V 15,6–16,1; er verbindet die beiden Orakel des Porphyrios erwartungsgemäß gleich mit Auszügen aus Plutarchs De defectu oraculorum (PE V 16,2–17,13). 25 Phil. ex or. p. 172 f. WOLFF (Frg. 322F SMITH): Ἀµφὶ δὲ Πυθὼ καὶ Κλαρίην, µαντεύµατα Φοίβου, / αὐδήσει φάτις ἡµετέρη θεµιτώδεσιν ὀµφαῖς. / µύρια µὲν γαίης

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Ein anderes Orakel stellt hingegen das endgültige Erlöschen des delphischen Heiligtums fest: „Es gibt keine Möglichkeit mehr, die sprechende pythische Stimme wieder zu stärken. Denn schwach geworden mit der langen Zeit unterliegt sie schon den Riegeln des orakellosen Schweigens. Bringt nun, wie es Brauch ist, dem Phoibos gottgeziemende Opfer dar.“26

Zu den beiden Orakeln, die Delphi als noch funktionierend bzw. dann als unwiederbringlich erloschen darstellen, gibt es keinen, oder zumindest keinen erhaltenen, Kommentar des Porphyrios. Ob es einen gab, ist nicht festzustellen; die Beispiele können auch als Illustration der oben skizzierten Erklärung gelesen werden, Orakelheiligtümer wie die Apollons seien grundsätzlich dem Schicksal unterworfen. Delphi erscheint somit in der Orakelphilosophie vielleicht noch als ein Zentrum traditioneller Kulthandlungen (das zweite Orakel fordert Opfer für Phoibos), nicht mehr aber als ein privilegierter Ort der Kommunikation mit dem Göttlichen für die Gegenwart.27 Die erhaltenen Fragmente der Orakelphilosophie dokumentieren damit den Niedergang von Delphi als Orakelstätte. Dennoch bleibt Delphi als Bildungsinhalt bzw. als erinnertes Orakelheiligtum weiterhin für Porphyrios präsent. Dies zeigt ein Blick in seinen Brief an Anebo. Dort hinterfragt Porphyrios kritisch die Kompatibilität verschiedener Kulte mit einem philosophischen, näherhin platonischen, Gottesbild.28 In diesem Zusammenhang geht er auch auf verschiedene Formen der Mantik ein und versucht, diese zu deplausibilisieren und bestenfalls auf niedere Mächte und natürliche Zusammenhänge zurückzuführen.29 In seiner Diskussion werden auch die traditionellen Orakelstätten erwähnt, mit expliziter Nennung von Delphi, Didyma und Klaros. Seine Darstellung ist an dieser Stelle nur aus der Erwiderung Jamblichs rekonstruierbar: µαντήια θέσκελα νώτῳ / ἐβλύσθη, πηγαί τε καὶ ἄσθµατα δινήεντα·/ καὶ τὰ µὲν ἂψ χθονίοισιν ὑπαὶ κόλποισιν ἔδεκτο / αὐτὴ γαῖα χανοῦσα, τὰ δ’ ὤλεσε µυρίος αἰών. / µούνῳ δ’ Ἠελίῳ φαεσιµβρότῳ εἰσέτ’ ἔασιν / ἐν Διδύµων γυάλοις Μυκαλήιον ἔνθεον ὕδωρ, / Πυθῶνός τ’ ἀνὰ πέζαν ὑπαὶ Παρνάσιον αἶπος, / καὶ κραναὴ Κλαρίη, τρηχὺ στόµα φοιβάδος ὀµφῆς. 26 Phil. ex or. p. 174 WOLFF (Frg. 322F SMITH): Πυθῷον δ’ οὐκ ἔστιν ἀναρρῶσαι λάλον ὀµφήν·/ ἤδη γὰρ δολιχοῖσιν ἀµαυρωθεῖσα χρόνοισιν / βέβληται κληῖδας ἀµαντεύτοιο σιωπῆς. / Ῥέξατε δ’ ὡς ἔθος ἐστὶ θεόπροπα θύµατα Φοίβῳ. 27 Siehe HEINEMANN, 2018, 71, die den Spruch als epitomatische Illustration der Situation Delphis in der Kaiserzeit vorstellt: Niedergang des Orakels bei gleichzeitigem Weiterbestand der Kultstätte als eines bedeutenden religiösen und kulturellen Raumes. 28 Die Schrift verfolgt die Strategie, durch kumulative Aporien die Problematik und Unhaltbarkeit religiöser Praktiken aus einer philosophischen Perspektive zu erweisen. Dazu TANASEANU-DÖBLER, 2009, bes. 129–139 sowie SAFFREY/SEGONDS, 2012, LI–LIV; siehe auch SAFFREY/SEGONDS, 2012, XXVIII–XXXII und XLIV–XLVI für die Rekonstruktion der Auseinandersetzung des Porphyrios mit Jamblich. 29 TANASEANU-DÖBLER, 2009, 133.

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Eine andere Form der Mantik ist die berühmte und überaus deutliche gottbegeisterte vielgliedrige Mantik der Orakelheiligtümer, über welche du folgendes behauptest: „Die einen [prophezeien,] indem sie Wasser trinken, wie der Priester des Apollon Klarios in Kolophon, die anderen, indem sie an Erdspalten sitzen, wie die Frauen, die in Delphi Göttliches verkünden, wieder andere unter dem Einfluss von Wasserdämpfen, wie die Prophetinnen im Branchiden-Heiligtum.“ Du erwähntest nur diese drei Orakelheiligtümer mit Eigennamen, nicht weil diese die einzigen wären (denn viel zahlreicher wären die übergangenen), sondern weil diese die anderen überragen und du zugleich ausreichend daran zeigen konntest, worum es in der Untersuchung geht, nämlich um die Art und Weise der den Menschen von den Göttern her gesandten Mantik.30

Delphi erscheint hier neben zwei anderen Apollonorakeln als berühmtes Beispiel für eine bestimmte Spielart der Mantik. Das Orakel wird hier ahistorisch thematisiert, wie man es als Gebildeter aus der klassischen und kaiserzeitlichen Literatur kennt, ohne dass die jüngere Geschichte bzw. der Niedergang erwähnt würden. Jamblichs Text deutet an, dass Porphyrios diese drei Orakel explizit als besonders herausragende Beispiele anführe und die vielen anderen Orakel überginge, die es noch gebe – dies würde die ahistorische Note verstärken. Ebenfalls als Bildungswissen lassen sich die verschiedenen Erwähnungen Delphis in älterem Material einordnen, welches Porphyrios in anderen Kontexten, die nicht Delphi zum Gegenstand haben, übernimmt, etwa Anekdoten zur Pythagorasbiographie oder Religionshistorisches. So wird in De abstinentia II 9, einem Exzerpt aus Theophrasts De pietate, als einer der Ansatzpunkte der Entwicklung von Tieropfern in Athen die versehentliche Tötung eines Schweins geschildert, über die dann aus religiöser Vorsicht das delphische Orakel nach dem richtigen weiteren Vorgehen befragt worden sei. Parallel dazu ist die ebenfalls aus Theophrast stammende Aitiologie der Rinderopfer in Athen.31 Zwei Anekdoten setzen das delphische Orakel als Autorität in Fragen der religiösen Praxis in Szene: Die Pythia betont die innere Einstellung der Akteure als entscheidend, während der materielle Wert und die Menge der Opfer abgewertet werden.32 In der Vita Pythagorae wird ein Be30

Ep. ad Aneb. 2,2d SODANO, 1958, teilw. als Frg. 39 SAFFREY/SEGONDS, 2012; zitiert ist der Text mitsamt der paraphrasierenden Rahmung aus Jamblich, Myst. 3,11, p. 92 SAFFREY/SEGONDS, 2013: ἕτερον δὲ τὸ τῶν χρηστηρίων διαβόητον καὶ ἐναργέστατόν ἐστι πολυµερὲς ἔνθεον µαντεῖον, περὶ οὗ τὰ τοιαῦτα ἀποφαίνει· οἱ δὲ ὕδωρ πιόντες, καθάπερ ὁ ἐν Κολοφῶνι ἱερεὺς τοῦ Κλαρίου, οἱ δὲ στοµίοις παρακαθήµενοι, ὡς αἱ ἐν Δελφοῖς θεσπίζουσαι, οἱ δ’ ἐξ ὑδάτων ἀτµιζόµενοι, καθάπερ αἱ ἐν Βραγχίδαις προφήτιδες. τριῶν δὴ τουτωνὶ ἰδιωνύµων χρηστηρίων ἐµνηµόνευσας, οὐχ ὅτι µόνα ἦν ταῦτα – πολὺ γὰρ πλείονα ὑπῆρχε τὰ παραλειπόµενα –, ἀλλ’ ἐπεὶ προεῖχε τῶν ἄλλων ταῦτα, καὶ ἅµα οὗ ἕνεκα ἐζητεῖτο ἱκανῶς ἀνεδίδασκες, περὶ τοῦ τρόπου, φηµί, τῆς ἐκ θεῶν ἀνθρώποις ἐπιπεµποµένης µαντείας. 31 Abst. II 29. 32 Abst. II 15 f. Weiter zum Kult auch Abst. II 18: die Delpher bitten Aischylos, einen Paian für Apollon zu dichten.

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such des Pythagoras in Delphi erwähnt, bei dem er eine elegische Inschrift für das Grab Apollons verfasst habe, die diesen als von Python getöteten Sohn des Seilenos bezeichne.33 Eine Aristokleia aus Delphi erscheint als Übermittlerin geheimer Weisheit an Pythagoras.34 Ebenfalls erwähnt werden die Pythischen Spiele.35 Delphi ist hier selbstverständlicher Teil einer vergangenen Welt, die literarisch immer noch präsent bleibt, als mittradiertes Hintergrundkolorit einzelner Texte und historischer Informationen. Neben der Behandlung oder Erwähnung Delphis als Orakelstätte und Kommunikationspunkt mit Apollon ist schließlich Porphyrios’ Schrift zum γνῶθι σαυτόν zu nennen, die mindestens vier Bücher umfasste. Nur drei Fragmente sind bei Stobaios überliefert.36 Ein Exzerpt, das wahrscheinlich am Beginn des Werkes lokalisiert werden muss, nennt Jamblich als Adressaten. Während zwei der Fragmente sich ausschließlich inhaltlich mit der Deutung des Spruches befassen, gibt das erste Fragment einen kurzen Einblick in die Lokalisierung der Inschrift und in die verschiedenen Theorien zur Provenienz: Was war denn nun und von wem stammte der heilige Befehl in Delphi, welcher denen, die den Gott [um ein Orakel] bitten wollen, zur Begrüßung zuruft, man möge sich selbst erkennen? Denn es scheint zu verkünden, dass der, der in der Unwissenheit seiner selbst verstrickt ist, weder den Gott gebührend ehren noch die Erfüllung seiner an den Gott gerichteten Bitte erreichen könne. Ob nun aber Phemonoe diesen Spruch, der in allen menschlichen Angelegenheiten nutzbringend ist, verkündete, durch welche als erste, wie man sagt, Pythios die Gnadengaben für die Menschen gab, oder Phanothea, die Tochter des Delphos, oder ob es ein Weihegeschenk des Bias, Thales oder Cheilon war, veranlasst von einer gewissen göttlichen Inspiration; ob man eher Klearch Gehör schenken sollte, der behauptet, es sei zwar eine Aufforderung des Pythios, aber als Orakelspruch an Cheilon verkündet, auf die Frage hin, was der edelste Lerngegenstand für die Menschen sei, oder ob der Spruch auch schon vor Cheilon eingraviert war an dem Tempel, der nach dem Tempel aus Federn und dem Bronzetempel errichtet wurde, wie Aristoteles in seiner Schrift über die Philosophie schrieb – die Frage, wessen der Spruch sei, mag, lieber Jamblich, umstritten sein. Dass er aber auf jeden Fall von dem Gott oder nicht ohne den Gott gesprochen wurde, das dürfte daraus zweifelsfrei hervorgehen, dass er im pythischen Heiligtum lokalisiert war. Was er aber anzeigt und befiehlt, dem Gott vor der reinigenden Besprengung im Voraus zu weihen, das zu wissen dürfte wohl notwendig sein.37

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VPyth. 16. VPyth. 41. 35 Hist. phil. Frg. 14. 36 Stobaios, Anth. III 21,26–28, 579–583 HENSE, 1894. Dazu SAFFREY/SEGONDS, 2012, XXVI–XXIX, die insbesondere das zweite Fragment als bewusste Kritik an Jamblichs Favorisierung eines rituellen Heilswegs lesen. 37 Porphyrios bei Stobaios, Anth. III 21,26, 579 f. HENSE: Τί ποτε ἦν ἄρα καὶ τίνος τὸ ἱερὸν πρόσταγµα τὸ ἐν Πυθοῖ, ὃ γνῶναι ἑαυτὸν τοῖς τοῦ θεοῦ δεησοµένοις προσαγορεύει; µήτε γὰρ τιµῆσαι θεὸν τὰ προσήκοντα µηδ’ αὖ τυχεῖν τοῦ θεοῦ δεηθέντα τὸν ἀγνοίᾳ τῇ ἑαυτοῦ ἐνισχόµενον παραγγέλλειν ἔοικεν. ἀλλ’ εἴτε Φηµονόη ἐπὶ πάντα 34

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Porphyrios dokumentiert hier seine Belesenheit und Gelehrsamkeit, indem er in guter historischer Manier alle Entstehungsgeschichten des Spruches Revue passieren lässt – um eben diese Frage als unwichtig und für immer unsicher abzutun, bevor er das, was ihm wichtig und sicher erscheint, nämlich die göttliche Provenienz und die Bedeutung, zu erörtern beginnt. In diesem Vorspann wird der Spruch mit Delphi verbunden und die geforderte Selbsterkenntnis mit dem Ritual verschränkt – der Spruch sei als Vorritus unabdingbar, dem Reinigungsritus vorgeschaltet, und nur seine Einhaltung garantiere den richtigen Vollzug des Kultes und die Erhörung. Die beiden anderen Fragmente gehen der Bedeutung des Spruches und seiner Verbindung mit der Philosophie nach, ohne weitere Einbeziehung seiner delphischen Lokalisierung. Während ein Fragment aus dem vierten Buch auf dem Hintergrund platonischer Anthropologie die menschliche Selbsterkenntnis inszeniert, 38 entstammt ein Fragment aus dem ersten Buch wahrscheinlich einer Zusammenstellung früherer Interpretationen des Spruches. Vollständig erhalten ist nur noch die Position einer Gruppe von Exegeten, welche Porphyrios das Sprungbrett zu seiner eigenen Verbindung von γνῶθι σαυτόν, Philosophie und Glückseligkeit bietet: Andere aber, da sie behaupten, es sei richtig gesagt worden, dass der Mensch eine Welt im Kleinen sei, behaupten, dass die Inschrift zwar befehle, den Menschen zu erkennen; da der Mensch aber eine Welt im Kleinen sei, befehle sie nichts anderes, als Philosophie zu treiben. Wenn wir uns denn nun bemühen, ohne Fehltritte zu philosophieren, dann wollen wir alles daran setzen, uns selbst zu erkennen, und dann werden wir die richtige Philosophie erreichen, indem wir ausgehend von dem denkenden Erfassen unserer selbst aufsteigen zur Betrachtung des Alls. Nun, dass wir ausgehend von dem, was in uns ist, auch über die Dinge im All nachdenken und durch die Prüfung und Findung unserer selbst leichter übergehen zur Betrachtung des Alls, das ist richtig gesagt. Vielleicht befiehlt aber der Gott, die Selbstbetrachtung nicht um der Philosophie willen zu praktizieren, sondern um einer andeλυσιτελοῦν τὰ ἀνθρώπινα τοῦτο ἐθέσπισεν, δι’ ἧς πρώτης ὁ Πύθιος λέγεται τὰς εἰς ἀνθρώπους διαδοῦναι χάριτας, εἴτε Φανοθέα ἡ Δελφοῦ, εἴτε καὶ Βίαντος ἢ Θαλοῦ ἢ Χείλωνος ἦν ἀνάθηµα, ὁρµηθὲν ἀπό τινος θείας ἐπιπνοίας· εἴτε Κλεάρχῳ προσεκτέον µᾶλλον τοῦ µὲν Πυθίου φράζοντι εἶναι παράγγελµα, χρησθῆναι δὲ Χείλωνι, τί ἄριστον ἀνθρώποις µαθεῖν πυνθανοµένῳ· εἴτε καὶ πρὸ Χείλωνος ἦν ἔτι ἀνάγραπτον ἐν τῷ ἱδρυθέντι νεῷ µετὰ τὸν πτέρινόν τε καὶ χαλκοῦν, καθάπερ Ἀριστοτέλης ἐν τοῖς περὶ φιλοσοφίας εἴρηκεν· τὸ µὲν ὅτου ἂν εἴη, Ἰάµβλιχε, ἀµφισβητήσιµον ἔστω· πάντως δ’ ὅτι ὑπὸ θεοῦ ἢ οὐκ ἄνευ θεοῦ ἐρρήθη, ἐξ αὐτοῦ φαίνοιτ’ ἂν τοῦ ἐν τοῖς Πυθίοις αὐτὸ κεῖσθαι ⟨ἀν⟩αµφήριστον [Hense: ἀµφήριστον]. τί ποτε δ’ ἐστὶν ὃ φράζει καὶ πρό γε τῶν περιρραντηρίων προτελεῖσθαι τῷ θεῷ ἐπιτάττει, ἀναγκαῖον ἂν εἴη γνῶναι. Zu der Abfolge der verschiedenen Tempel Apollons in mythischer und historischer Zeit, die hier durchscheinen, siehe Pausanias, X 5,9–12; diese Abfolge beinhaltet u.a. einen aus Federn und Wachs gebauten (zweiten) Tempel und einen (dritten) Tempel aus Bronze. Ich lese nicht ἀµφήριστον, wie Hense ad loc., sondern folge in diesem Fall dem Vorschlag von Gesner in seiner ersten Ausgabe des Florilegiums (Zürich 1543), p. 172. 38 Porphyrios, ap. Stob. III 21,28, 581–583 HENSE.

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ren größeren Sache willen, zwecks deren auch die Philosophie zu Hilfe genommen wurde. [...] Er befiehlt nun, dass wir unser wahres Selbst betrachten und erlernen, nicht damit wir Philosophie treiben, sondern damit wir, wenn wir weise geworden sind, glückselig werden können. Denn die Erlangung unseres wahrhaftig seienden Wesens und dessen wahrhaftige Erkenntnis war die Erlangung der Weisheit, wenn denn der Weisheit die wahre Erkenntnis des wahrhaftigen Wesens der Dinge zu eigen ist; durch die Weisheit aber wird die vollkommene Glückseligkeit erworben.39

Zwar wird hier der lokal-kultische Kontext der Inschrift nicht weiter vertieft, wohl aber präsentiert das Fragment das γνῶθι σαυτόν hier noch deutlicher als im Fazit der Wiedergabe der Herkunftstheorien als Befehl Apollons und damit als göttlichen Auftrag. Damit führt Porphyrios letztlich die Linie weiter, die Platon im Ersten Alkibiades schon vorgibt, wenn er Sokrates Alkibiades zur Einsicht in die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis nach der delphischen Maxime führen lässt; in der Verbindung von Apollon und Philosophie klingt bei Porphyrios auch die Darstellung des Sokrates in der Apologie an, der in seiner Philosophie lediglich den Orakelspruch des Gottes beherzige und prüfe. Während die Gruppe der ungenannten Exegeten die Philosophie als Ziel der Selbsterkenntnis präsentiert, geht Porphyrios darüber hinaus: Apollons Auftrag beziehe sich nicht auf die Philosophie um ihrer selbst willen, sondern auf ihr Ziel, die sophia, womit der Spruch den Weg zur Glückseligkeit eröffne. Damit ist die Sekundärstellung der Philosophie als eines bloßen Weges gegenüber sophia und eudaimonia als Zielen pointiert festgehalten. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass Porphyrios das literarisch tradierte Bild Delphis als wichtiger Orakelstätte voraussetzt. Je nach Kontext kann er es fortschreiben oder den Topos des Orakelniedergangs behandeln. Apollon ist als Orakelgott in seinen Schriften präsent – aber zumeist ohne Bezug zu Delphi. Das γνῶθι σαυτόν wird ausgehend vom delphischen Kontext als Teil des Ritus der Orakelbefragung inszeniert und dann über lokale

39 Porphyrios, ap. Stob. III 21,27, 580f. HENSE: ἄλλοι γε µὴν µικρὸν διάκοσµον καλῶς εἰρῆσθαι φάµενοι τὸν ἄνθρωπον, παρακελεύεσθαι µέν φασι τὸ γράµµα γνῶναι τὸν ἄνθρωπον· ὄντος δὲ µικροῦ διακόσµου τοῦ ἀνθρώπου, οὐδὲν ἄλλο κελεύειν ἢ φιλοσοφεῖν· εἴπερ οὖν ἀπταίστως φιλοσοφεῖν σπουδάζοµεν, προθυµώµεθα γνῶναι ἑαυτούς, καὶ ἔσται ἡµῖν τεῦξις ὀρθῆς φιλοσοφίας ἐκ τῆς ἡµετέρας κατανοήσεως ἀναβαίνουσιν ἐπὶ τὴν τοῦ παντὸς θεωρίαν. ἀλλ’ ὅτι µὲν ἀπὸ τῶν ἐν ἡµῖν συλλογιζόµεθα καὶ περὶ τῶν ἐν τῷ ὅλῳ καὶ ἡµᾶς ἐτάζοντες καὶ εὑρίσκοντες ῥᾷον µεταβαίνοµεν ἐπὶ τὴν τοῦ παντὸς θεωρίαν, λέγεται ὀρθῶς· µήποτε δὲ τὴν ἑαυτοῦ θεωρίαν οὐ φιλοσοφίας ἕνεκα θεὸς ποιεῖσθαι παρακελεύεται, ἄλλου δέ τινος µείζονος ἕνεκα, δι’ ὃ καὶ φιλοσοφία παρελήφθη.[...] θεωρεῖν οὖν καὶ µανθάνειν παρακελεύεται τοὺς ὄντως ἑαυτούς, οὐχ ἵνα φιλοσοφήσωµεν, ἀλλ’ ἵνα σοφοὶ γενόµενοι εὐδαιµονήσωµεν. ἡ γὰρ τεῦξις τῆς ὄντως οὔσης οὐσίας ἡµῶν καὶ ἡ ταύτης ἀληθὴς γνῶσις σοφίας ἦν τεῦξις, εἴ γε σοφίας ἴδιον ἡ τῆς ὄντως οὐσίας τῶν πραγµάτων ἀληθὴς ἐπιστήµη, διὰ σοφίας δὲ ἡ τῆς τελείας εὐδαιµονίας γίγνεται κτῆσις.

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und rituelle Bezüge hinausgehend als göttlicher Auftrag zur Erlangung von Glückseligkeit mittels der Philosophie gedeutet. 2.2. Jamblich In seiner Entgegnung auf Porphyrios’ Brief an Anebo, die seit der Renaissance unter dem Titel De mysteriis bekannt ist,40 geht Jamblich u.a. auf Porphyrios’ Anfragen zu den Orakelstätten ein und entwickelt ein eigenes Erklärungsmodell. Dieses entspricht seinem Grundanliegen, religiöse Praktiken als vereinbar mit einem platonischen Gottesbild zu erweisen, welches die Unwandelbarkeit und Leidenschaftslosigkeit der Götter voraussetzt. Wiederholt insistiert Jamblich darauf, dass die Götter im Kult nicht durch Handlungen menschlicher Akteure beeinflusst werden, sondern die eigentliche Handlungsmacht innehaben.41 Den Ausgangspunkt für seine Erklärung der Funktionsweise traditioneller Orakel bildet Porphyrios’ Brief: wie Porphyrios sich mit den drei herausragenden Beispielen begnügt habe, so wolle er, Jamblich, auch nur von diesen sprechen und die vielen anderen Orakelstätten übergehen.42 Damit wird das von Porphyrios skizzierte anachronistische Bild einer Vielzahl funktionierender Orakelstätten fortgeschrieben. Bei der Beschreibung der Inspiration der Pythia scheint Jamblich zwei lokal voneinander getrennte Szenarien zu unterscheiden: Die Prophetin in Delphi – ob sie nun ausgehend von einem leichten und feuerartigen Hauch, welcher irgendwoher aus einem Erdspalt aufsteigt, den Menschen Recht und Satzung verkündet, oder ob sie Orakel gibt, indem sie im innersten Heiligtum auf einem Bronzesitz mit drei Beinen sitzt, oder aber auf einem vierbeinigen Sitz sitzend, der dem Gott heilig ist – überall gibt sie sich so dem göttlichen Hauch hin und wird von dem Strahl des göttlichen Feuers durch und durch erleuchtet.43

Mit der Bezeichnung der Pythia als der „Prophetin in Delphi“ zitiert Jamblich Platons Phaidros 244a, wo die Mantik als Beispielfall göttlichen Wahnsinns präsentiert wird, der der menschlichen sophrosyne überlegen sei. Dies lässt sich als ein Herausfallen aus der ägyptischen Rolle und als deutlicher inter40

Zum Titel siehe SAFFREY/SEGONDS 2013, IX–XXI. Iambl., Myst. 1,11, p. 28 f.; 1,12–14, p. 31–34; 2,11, p. 72–74 SAFFREY/SEGONDS. 42 Myst. 3,11, p. 93 SAFFREY/SEGONDS. Zu Jamblichs Diskussion der Orakelstätten in dieser Passage siehe BUSINE, 2005, 273–275, die in Jamblichs Argumentation nicht nur eine Antwort auf den Brief des Porphyrios, sondern auch auf Ideen der Orakelphilosophie sieht, und HEINEMANN, 2018, 186 f. 43 Myst. 3,11, p. 94 SAFFREY/SEGONDS: Ἡ δ’ ἐν Δελφοῖς προφῆτις, εἴτε ἀπὸ πνεύµατος λεπτοῦ καὶ πυρώδους ἀναφεροµένου ποθὲν ἀπὸ στοµίου θεµιστεύει τοῖς ἀνθρώποις, εἴτε ἐν τῷ ἀδύτῳ καθηµένη ἐπὶ δίφρου χαλκοῦ τρεῖς πόδας ἔχοντος χρηµατίζει, εἴτε καὶ ἐπὶ τοῦ τετράποδος δίφρου ὅς ἐστιν ἱερὸς τοῦ θεοῦ, πανταχῇ οὕτω δίδωσιν ἑαυτὴν τῷ θείῳ πνεύµατι, ἀπό τε τῆς τοῦ θείου πυρὸς ἀκτῖνος καταυγάζεται. 41

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textueller Wink an den Mit-Platoniker Porphyrios lesen, die Mantik als göttlich beeinflusst ernst zu nehmen. Mit seiner lokal differenzierten Beschreibung, die den Erdspalt, welchen Porphyrios als einziges mantisches Mittel anführte, von dem adyton unterscheidet, verfeinert Jamblich das Bild und setzt sich als Experten und eo ipso seinen Gegner als unwissend oder oberflächlich in Szene. Entscheidend ist die passive Hingabe der prophetis an das göttliche pneuma und das göttliche Feuer. Jamblich beschreibt im folgenden die unterschiedliche Wirkung der zwei rituellen Kontexte auf die Pythia mit weiteren Details: Und wenn nun das aus dem Erdspalt aufsteigende Feuer sie dicht und reichlich aus allen Richtungen ringsherum umgibt, dann wird sie von ihm mit göttlichem Glanz erfüllt. Wenn sie sich aber auf den Sitz des Gottes setzt, dann bringt sie sich in Harmonie mit der festen mantischen Kraft des Gottes.44

Sowohl die Erfüllung mit Feuer aus der Erde oder das rituelle Sitzen auf dem Sitz des Gottes, seien, so spektakulär sie ausgemalt sein mögen, jedoch nur Vorbedingungen und vorbereitende Riten, und eben nicht die eigentlich mantisch wirksame Handlung.45 Im mantischen Akt handle der Gott, der seine Präsenz der Pythia dann gewähre, wenn sie entsprechend vorbereitet sei: Durch diese beiden so gearteten vorbereitenden Handlungen wird sie ganz zum Besitz des Gottes. Und dann freilich wird ihr der Gott in kontaktloser Weise gegenwärtig und erleuchtet sie, wobei er zu unterscheiden ist sowohl vom Feuer als auch vom Hauch als auch von seinem eigenen Sitz und von jeder natürlichen und heiligen sichtbaren Vorrichtung rund um den Ort.46

Typisch für Jamblich ist die Betonung, dass der Gott zwar präsent ist (πάρεστιν), dies aber in einer ‚getrennt‘ bleibenden, kontaktlosen Weise (χωριστῶς), die seine Andersheit und Transzendenz wahrt. Das Erleuchten als Metapher für die Wirkung und Kontaktaufnahme unterstreicht diese paradoxe (Nicht)Gegenwart.47

44 Myst. 3,11, p. 94 f. SAFFREY/SEGONDS: Καὶ ὅταν µὲν ἀθρόον καὶ πολὺ τὸ ἀναφερόµενον ἀπὸ τοῦ στοµίου πῦρ κύκλῳ πανταχόθεν αὐτὴν περιέχῃ, πληροῦται ἀπ’ αὐτοῦ θείας αὐγῆς· ὅταν δ’ εἰς ἕδραν ἐνιδρυθῇ τοῦ θεοῦ, τῇ σταθερᾷ τοῦ θεοῦ µαντικῇ δυνάµει συναρµόζεται. 45 Anders HEINEMANN, 2018, 186: der kultische Rahmen sei in Jamblichs Augen „not crucial for facilitating divination but [...] sanctioned by tradition“. Als Vorbereitung gedeutet werden aber eben auch die kultischen Akte in Jamblichs Erklärung der traditionellen Divination integriert. 46 Myst. 3,11, p. 95 SAFFREY/SEGONDS: ἐξ ἀµφοτέρων δὲ τῶν τοιούτων παρασκευῶν ὅλη γίγνεται τοῦ θεοῦ. Καὶ τότε δὴ πάρεστιν αὐτῇ χωριστῶς ὁ θεὸς ἐπιλάµπων, ἕτερος ὢν καὶ τοῦ πυρὸς καὶ τοῦ πνεύµατος καὶ τῆς ἰδίας ἕδρας καὶ πάσης τῆς περὶ τὸν τόπον φυσικῆς καὶ ἱερᾶς φαινοµένης κατασκευῆς. 47 Siehe TANASEANU-DÖBLER, 2017, bes. 344–353 zu Jamblichs Vorstellung der Berührung der Götter mit der materiellen Welt; dort auch weitere Literatur.

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Neben dieser Diskussion der Funktionsweise des Orakels in De mysteriis kommt Jamblich naturgemäß im historischen Kontext in seiner Vita Pythagorica auf Delphi zu sprechen. Dabei wird Delphisches zum einen wie schon im Falle des Porphyrios als Teil des Hintergrundkolorits der Lebenswelt seines Protagonisten mittradiert. Zum anderen lässt sich aber bei Jamblich, anders als bei Porphyrios, ein eigenes Interesse an der Beziehung zwischen Apollon und Pythagoras greifen. So zitiert er zustimmend einen Bericht über Pythagoras’ Geburt, der diesen in enge Nähe zu Apollon und Delphi bringt. Pythagoras’ Vater habe das Orakel wegen einer bevorstehenden Reise aufgesucht und habe über die gewünschte Auskunft hinaus noch erfahren, dass seine Frau schwanger sei und sein Sohn herausragend an Schönheit und Weisheit und ein Helfer der Menschheit sein werde. Dementsprechend habe Mnesarchos seine Frau in Pythais umbenannt und seinen Sohn Pythagoras genannt; bei seiner Rückkehr habe er dem Apollon Pythios auf Samos ein Heiligtum erbaut. Diese Version billigt Jamblich; deutlich grenzt er sich von Varianten ab, die als Hintergrund für den Orakelspruch eine sexuelle Vereinigung Apollons mit der Mutter des Pythagoras annehmen.48 Erwogen wird eine Einordnung der Seele des Pythagoras in das Gefolge des Apollon.49 Neben dieser Deutung, die letztlich die genaue Relation zwischen Pythagoras und Apollon offenlässt,50 stehen auch Passagen, welche Pythagoras als Epiphanie des Apollon, sei es nun Apollon Pythios oder der hyperboreische Apollon, präsentieren.51 Neben der engen Verbindung des Pythagoras mit Apollon werden auch andere mit Delphi verbundene Motive neben weiteren Elementen religiösen Wissens in die Reden des Pythagoras eingewoben. Unter den Sprüchen des Pythagoras, den symbola, findet sich etwa eine kryptische Allegorisierung des delphischen Orakels als der Tetraktys, die auch die Harmonie sei, in der die Sirenen sich befänden (18,82). Jamblich parallelisiert diese Sprüche mit denjenigen der Sieben Weisen, u.a. mit dem γνῶθι σαυτόν (18,83) – diese Maxime erscheint somit in der Vita Pythagorica als Ausspruch eines der Weisen, nicht des Gottes. Während Jamblich keinen expliziten Bezug zwischen den Sprüchen der Sieben Weisen und Delphi herstellt, vergleicht er ausdrücklich 48

VPyth. 2,5–7. VPyth. 2,8. 50 VPyth. 2,8: τὸ µέντοι τὴν Πυθαγόρου ψυχὴν ἀπὸ τῆς Ἀπόλλωνος ἡγεµονίας, εἴτε συνόπαδον οὖσαν εἴτε καὶ ἄλλως οἰκειότερον ἔτι πρὸς τὸν θεὸν τοῦτον συντεταγµένην, καταπεπέµφθαι εἰς ἀνθρώπους οὐδεὶς ἂν ἀµφισβητήσειε τεκµαιρόµενος αὐτῇ τε τῇ γενέσει ταύτῃ καὶ τῇ σοφίᾳ τῆς ψυχῆς αὐτοῦ τῇ παντοδαπῇ („Dass nun die Seele des Pythagoras von der Herrschaft des Apollon, ob sie nun ein Gefolgsmann oder sogar in einer anderen Weise noch näher diesem Gott zugeordnet war, zu den Menschen herabgesandt wurde, das dürfte doch wohl keiner bestreiten, wenn er diese seine Geburt und die vielfältige Weisheit seiner Seele als Zeugnisse heranzieht“). 51 VPyth. 6,30; 19,91 f; 28,135.140. 49

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und wiederholt die pythagoreischen symbola mit den delphischen Orakelsprüchen, die der Exegese bedürften, um ihren verborgenen Sinn zu entfalten (23,105; 29,161),52 und unterstreicht damit weiter die Verbindung zwischen Pythagoras und Apollon. Insgesamt ist Delphi insbesondere durch die Geburtsgeschichte des Pythagoras und durch die enge Beziehung bis Verschmelzung des Pythagoras mit Apollon, u.a. eben mit Apollon Pythios, in der Vita Pythagorica ein präsentes Element, wenngleich eher als ein Teilaspekt des Hintergrundbildes und nicht als eigener Fokus. Auffällig ist die viel stärkere Präsenz der Delphi-Bezüge als in der Pythagorasvita des Porphyrios, die sich mit den unterschiedlichen Gesamtkonzeptionen und Deutungen des Pythagoras erklären ließe.53 Wie im Falle des Porphyrios macht die fragmentarische Überlieferungslage eine vollständige Rekonstruktion der jamblicheischen Sicht auf Delphi unmöglich. Wie Porphyrios’ Erläuterung des γνῶθι σαυτόν größtenteils verloren ist, so ist auch Jamblichs Kommentar zum platonischen Ersten Alkibiades nicht erhalten. Erwähnt wird er in dem im 5. Jahrhundert verfassten Kommentar des Neuplatonikers Proklos. Dieser profiliert die im delphischen γνῶθι σαυτόν gefasste Selbsterkenntnis zu Beginn als Hauptthema des Dialogs und Ausgangspunkt der Philosophie 54 und greift im Kommentar explizit auf Jamblichs Exegese zurück;55 jedoch finden sich an den Stellen, wo Jamblich explizit genannt wird, keine Delphi-Bezüge. Da der Erste Alkibiades das γνῶθι σαυτόν explizit im delphischen Kontext verortet,56 ist zu vermuten, dass Jamblich als Exeget sich auch damit befasst haben dürfte – allerdings ist sein Ansatz für uns nicht mehr rekonstruierbar.57 Jedoch lässt sich die Vermutung, das Proklos’ Präsentation des delphischen γνῶθι σαυτόν als Anfang der Philosophie durchaus auch jamblicheische Wurzeln haben könnte, durch einen Blick auf das Werk Kaiser Julians erhärten, der stark von Jamblich geprägt ist.58

52

Vgl. auch VPyth. 27, 133: Pythagoras sagt, er gebe Mördern keine Orakel, weswegen ihn einige für Apollon halten. 53 Zu den beiden Viten und ihrer Konzeption siehe TANASEANU-DÖBLER, 2012, 70–93; zu den konkurrierenden philosophischen Programmen der beiden Philosophen und ihren biographischen Niederschlägen siehe auch MÄNNLEIN-ROBERT, 2016, 197–220. 54 Proklos, In Alc. 1–11. 55 In Alc. 13.25.84.88.126. 56 Plat., Alc. I 124a–b und 128e–129a. 57 Zu den spärlichen Informationen über Jamblichs Kommentar siehe SEGONDS, 1985, XXI–XXXV; er unterstreicht, dass die erhaltenen Fragmente nur bis Alc. I 106a7 gehen (ebd., XXVI), also vor der Erwähnung des delphischen Spruches aufhören. 58 Zu Julian und Jamblich siehe nun DE VITA, 2011.

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3. Julian: der delphische Apollon als Gott der Philosophen Delphi, Apollon und das γνῶθι σαυτόν spielen eine zentrale Rolle in Julians Argumentation in den beiden Reden gegen zeitgenössische kynische Philosophen. In den beiden Reden Gegen die ungebildeten Kyniker und Gegen den Kyniker Herakleios präsentiert Julian seine Konzeption von Philosophie und reklamiert den Kyniker Diogenes für das eigene Philosophieverständnis. In diesem Kontext spielt der Bezug auf Apollon eine wichtige Rolle: Diogenes wird als treuer Diener und Gefolgsmann des Pythios stilisiert, parallel zum platonischen Sokrates. Im folgenden soll die Rede Gegen die ungebildeten Kyniker in den Blick genommen werden, da sie Julians Philosophiekonzeption und sein Diogenesbild am detailliertesten entwickelt. Julian ist es ein zentrales Anliegen, die Einheit der Philosophie gegen den kynischen Sonderweg zu erweisen. Dementsprechend zitiert er zu Beginn des Hauptteils seiner Argumentation drei berühmte Definitionen, um ihre Äquivalenz zu unterstreichen: die peripatetische Definition der Philosophie als τέχνη τεχνῶν καὶ ἐπιστήµη ἐπιστηµῶν, die platonische als ὁµοίωσις θεῷ und diejenige des Apollon Pythios: das γνῶθι σαυτόν.59 Es folgt eine Kurzexegese des γνῶθι σαυτόν, dem als „göttliche Aufforderung“ der Primat über die beiden anderen Definitionen zuerkannt wird. Im Prozess der Selbsterkenntnis gewinne man Aufschluss über sich selbst als Seele, die sich eines Körpers bedient; sodann über das Wesen (οὐσία) und die δυνάµεις der Seele, sowie über ihren edelsten, höchsten Teil, mittels dessen alle Menschen eine nicht erworbene, nicht erlernte Gottesvorstellung besitzen. Daraufhin richte sich das Augenmerk auf den Körper sowie auf das Leben im Körper mit all seinen Aspekten.60 Das γνῶθι σαυτόν sei Prinzip für jede Wissenschaft und jede Kunst und umfasse in sich alle ihre allgemeinen Prinzipien.61 Die platonische Definition der Angleichung an Gott ziele ebenfalls auf das Wissen; denn auch für die Götter sei die Selbsterkenntnis das wichtigste Gut.62 Wichtig ist hier festzuhalten, dass das γνῶθι σαυτόν – ähnlich wie in Porphyrios’ zweitem Fragment aus der dem Spruch gewidmeten Schrift – nachdrücklich als Ausspruch des pythischen Apollon und als göttlicher Befehl präsentiert und nicht als Ausspruch der Sieben Weisen eingeordnet wird, wie in Jamblichs Vita Pythagorica. Auch wird der Ausspruch argumentativ als das Kriterium präsentiert, welches die Äquivalenz der platonischen und peripatetischen Philosophiekonzeption etabliert: Denn diese wird erwiesen, indem beide auf das γνῶθι σαυτόν zurückgeführt werden. Auch die Stoiker – 59

Julian, Contra Cynicos ineruditos 3, 183A. CCyn. 4, 183B–D. 61 CCyn. 4, 184A. 62 CCyn. 5, 184C. 60

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erwähnt wird Zenon von Kition – hätten das γνῶθι σαυτόν für das κεφάλαιον, die Hauptsache, der Philosophie, gehalten.63 Wie bei Porphyrios sind γνῶθι σαυτόν und Philosophie parallelisiert, allerdings werden sie nicht explizit einem anderen Ziel wie Weisheit oder Glückseligkeit untergeordnet. Nachdem Julian so das Terrain vorbereitet hat, kann er zum zweiten Schlag ausholen und auch den Kynismus auf Apollon Pythios und das γνῶθι σαυτόν beziehen. Er beginnt dabei mit einer Kurzerörterung über die Ursprünge der kynischen Philosophie, die im Dunkeln lägen. Die weisesten Kyniker verwiesen dabei auf Herakles: Wie er uns zur Ursache aller anderen Güter wurde, so habe er auch das bedeutendste Vorbild dieser Lebensweise den Menschen hinterlassen.64

Julian selbst öffnet einen weiteren, gleichsam universalen Horizont: er sei überzeugt, dass vor Herakles auch andere, nicht nur Griechen, sondern auch Barbaren, dieser Philosophie gefolgt seien: Denn diese Philosophie scheint irgendwie allgemein verbreitet zu sein und in besonderem Maße der Natur zu entsprechen, und sie erfordert überhaupt kein Studium, sondern es reicht aus, das Gute zu wählen, indem man nach der Tugend strebt und die Schlechtigkeit meidet [...].65

Julian belässt es nicht bei dieser eher praktischen Bestimmung der Quintessenz des Kynismus, sondern führt nun Apollon Pythios als höchsten und alleinigen Bezugspunkt dieser Schule ein: Es reicht einfach nur aus, auf diese zwei Ermahnungen des pythischen Gottes zu hören: „Erkenne dich selbst“ und „Präge die Münze um“. Denn freilich erscheint uns derjenige als Urheber der Philosophie, der, wie ich meine, den Griechen zur Ursache alles Edlen geworden ist, der gemeinsame Führer und Gesetzgeber und König Griechenlands, der Gott in Delphi. Da ihm nichts verborgen bleiben durfte, blieb ihm auch die Begabung des Diogenes nicht verborgen.66

Diogenes wird von Apollon einer besonderen Pädagogik unterworfen: er wird nicht nur durch hexametrische Weisungen ermahnt, sondern tatkräftig63

CCyn. 6, 185D. CCyn. 8, 187C: Λέγουσι µὲν γὰρ οἱ γενναιότεροι τῶν κυνῶν ὅτι καὶ ὁ µέγας Ἡρακλῆς, ὥσπερ οὖν τῶν ἄλλων ἀγαθῶν ἡµῖν {τις} αἴτιος κατέστη, οὕτω δὲ καὶ τούτου τοῦ βίου παράδειγµα τὸ µέγιστον {οὗτος} κατέλιπεν ἀνθρώποις. Julians Werke werden nach dem Text von NESSELRATH, 2015 zitiert. 65 CCyn. 8, 187D: αὕτη γὰρ ἡ φιλοσοφία κοινή πως ἔοικεν εἶναι καὶ φυσικωτάτη καὶ δεῖσθαι οὐθ’ ἡστινοσοῦν πραγµατείας, ἀλλ’ ἀπόχρη µόνον ἑλέσθαι τὰ σπουδαῖα ἀρετῆς ἐπιθυµίᾳ καὶ φυγῇ κακίας [...]. 66 CCyn. 8, 188A: ἀπόχρη µόνον δύο ταῦτα τοῦ Πυθίου παραινοῦντος ἀκοῦσαι, τὸ „Γνῶθι σαυτὸν“ καὶ „Παραχάραξον τὸ νόµισµα“. Πέφηνε γοῦν ἡµῖν ἀρχηγὸς τῆς φιλοσοφίας ὅσπερ, οἶµαι, τοῖς Ἕλλησι κατέστη τῶν καλῶν ἁπάντων αἴτιος, ὁ τῆς Ἑλλάδος κοινὸς ἡγεµὼν καὶ νοµοθέτης καὶ βασιλεύς, ὁ ἐν Δελφοῖς θεός, ὃν ἐπειδὴ µὴ θέµις ἦν τι διαλαθεῖν, οὐδὲ ἡ Διογένους ἐπιτηδειότης ἔλαθε. 64

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praktisch, in symbolischer Weise. Das παραχάραξον τὸ νόµισµα, das in einigen Überlieferungstraditionen als Hinweis auf eine tatsächliche Fälschertätigkeit des Diogenes oder seines Vaters verstanden wird,67 legt Julian dem delphischen Gott in den Mund und versteht es als eigens an Diogenes gerichtete Aufforderung, anders als das γνῶθι σαυτόν, das eine größere Reichweite habe: Denn das „Erkenne dich selbst!“ ist nicht jenem zuerst gesagt worden, sondern auch den anderen sagte und sagt es [der Gott], denn das steht, wie ich meine, am Eingang des Tempelbezirks.68

Damit sei der gesuchte Ursprung des Kynismus gefunden: Wir haben freilich nun den Urheber der Philosophie, wie irgendwo auch der göttliche Jamblich sagt, gefunden, und auch ihre Korpyhäen, Antisthenes und Diogenes und Krates, deren Lebensaufgabe und -ziel es, wie ich denke, war, sich selbst zu erkennen und die eitlen Meinungen zu verachten, die Wahrheit aber, die das höchste Gut für Götter wie für Menschen ist, mit dem ganzen Verstand, wie sie sagen, zu ergreifen, um deretwillen, wie ich meine, auch Platon und Pythagoras und Sokrates und die vom Peripatos und Zenon jede Mühe erduldet haben, weil sie sich selbst erkennen und nicht eitlen Meinungen nachfolgen, sondern die Wahrheit in den seienden Dingen aufspüren wollten.69

Die Aufzählung der verschiedenen Philosophen unterstreicht die Stellung Apollons als Urheber nicht nur des Kynismus, sondern der Philosophie überhaupt. Dass es um beides geht – Philosophie im allgemeinen wie Kynismus im besonderen –, zeigt auch die Parallelisierung des Diogenes mit Platon, der, so Julian mit Verweis auf den Ersten Alkibiades, auf eine hypothetische Frage nach dem Wert des γνῶθι σαυτόν diesem gewiss den höchsten Rang einräumen würde.70 Des weiteren wird Diogenes mit Sokrates verglichen; ihrer beider philosophische Betätigung wird als gehorsame Reaktion auf den delphischen Spruch dargestellt. Sokrates’ Wahl eines ἐλεγκτικὸς βίος sei der Versuch einer ihm angemessenen Ergründung des über ihn ergangenen del67

Siehe Diogenes Laertius, VI 20 f. CCyn. 8, 188B: τὸ γὰρ „Γνῶθι σαυτὸν“ οὐκ ἐκείνῳ πρῶτον, ἀλλὰ καὶ τοῖς ἄλλοις ἔφη καὶ λέγει, πρόκειται γὰρ οἶµαι τοῦ τεµένους. Hier zeigt Julian Unsicherheit und mangelnde Ortskenntnis; der Spruch war nach Ausweis des Pausanias zusammen mit den anderen am πρόναος des Apollontempels angebracht (X 24,1; die Sprüche werden dort den Sieben Weisen zugeschrieben, die sie Apollon geweiht hätten). 69 CCyn. 8, 188B–C: Εὑρήκαµεν δὴ τὸν ἀρχηγέτην τῆς φιλοσοφίας, ὥς που καὶ ὁ δαιµόνιός φησιν Ἰάµβλιχος, ἀλλὰ καὶ τοὺς κορυφαίους ἐν αὐτῇ, Ἀντισθένη καὶ Διογένη καὶ Κράτητα, οἷς τοῦ βίου σκοπὸς ἦν καὶ τέλος αὑτοὺς οἶµαι γνῶναι καὶ τῶν κενῶν ὑπεριδεῖν δοξῶν, ἀληθείας δέ, ἣ πάντων ἀγαθῶν θεοῖς, πάντων δὲ ἀνθρώποις ἡγεῖται, ὅλῃ, φασίν, ἐπιδράξασθαι τῇ διανοίᾳ, ἧς οἶµαι καὶ Πλάτων καὶ Πυθαγόρας καὶ Σωκράτης οἵ τε ἐκ τοῦ Περιπάτου καὶ Ζήνων ἕνεκα πάντα ὑπέµειναν πόνον, αὑτούς τε ἐθέλοντες γνῶναι καὶ µὴ κεναῖς ἕπεσθαι δόξαις, ἀλλὰ τὴν ἐν τοῖς οὖσιν ἀλήθειαν ἀνιχνεῦσαι. 70 CCyn. 9, 188C; vgl. auch 189A–B. 68

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phischen Orakels; ebenso habe Diogenes begriffen, dass die Philosophie vom pythischen Orakel verkündet (πυθόχρηστον) sei, und habe sich auf eine praktische Elenktik konzentriert,71 ohne die Lehrmeinungen anderer, auch anderer Philosophen, in Betracht zu ziehen: Denn selbst wenn Pythagoras etwas behauptet haben sollte, oder irgendein anderer dem Pythagoras vergleichbarer [Philosoph], dünkte er Diogenes nicht, glaubwürdig zu sein; für ihn war es ausgemachte Sache, dass der Gott und kein Mensch der Urheber (ἀρχηγός) der Philosophie war.72

Durch den ungenauen Verweis auf Jamblich führt Julian seine Deutung auf diesen zurück. Dass die Philosophie eine göttliche Gabe sei, unterstreicht Jamblich nachdrücklich zu Beginn seiner Vita Pythagorica. Andererseits spricht er dort im selben Atemzug von seinem Protagonisten als dem ἀρχηγὸς καὶ πατὴρ τῆς θείας φιλοσοφίας.73 Hier ließe sich überlegen, ob Julian womöglich den Text vor Augen gehabt haben könnte und Jamblich mit dem Bezug auf Pythagoras stillschweigend korrigiert.74 Die hier vorgestellte Zurückführung der kynischen wie der gesamten Philosophie auf Sprüche des delphischen Apollon, insbesondere das γνῶθι σαυτόν, und die Stilisierung des Diogenes als gehorsamen Dieners Apollons prägt nicht nur die Schrift gegen die Kyniker sondern auch die Rede gegen den Kyniker Herakleios. Sie dient Julian dazu, den Kynismus gegen die real existierenden Kyniker in sein Konzept von Religion und Philosophie einzuordnen.75 Damit bietet Julian, wenngleich nur anlassbezogen, eine systematische Rückbindung der Philosophie an die traditionelle Religion und auch explizit an Delphi, welche die Philosophie geradezu als dessen Produkt erscheinen lässt.

4. Letzte „delphische“ Orakelsprüche an und über Philosophen Mit Julian verbunden ist auch einer der Sprüche, die in der Spätantike auf Delphi zurückgeführt werden. In der auf Philostorgios’ Kirchengeschichte

71

CCyn. 11, 191 Α–B. CCyn. 11, 191B: Οὐκοῦν, οὐδὲ εἴ τι Πυθαγόρας ἔφη οὐδὲ εἴ τις ἄλλος τῷ Πυθαγόρᾳ παραπλήσιος, ἀξιόπιστος ἐδόκει τῷ Διογένει· τὸν γὰρ θεόν, ἀνθρώπων οὐδένα τῆς φιλοσοφίας ἀρχηγὸν ἐπεποίητο. 73 Jamblich, VPyth. 1,2. 74 Eine andere Möglichkeit wäre, dass Julian hier gegenstandsbedingt so formuliert: Diogenes ist, wie andere Kyniker auch, nicht in eine typische philosophische Bildungstradition einzuordnen, sondern sticht heraus als der einsame „maverick“ (für diese Bezeichnung siehe z.B. FINN, 2009, 23). 75 Siehe CCyn. 12, 192D; 17, 199A–B; CHer. 6, 211B–D; 25, 238B und D. 72

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fußenden Passio Artemii lässt der Autor, ein gewisser Johannes,76 den Märtyrer als Abschluss einer Rede vor dem Kaiser Julian darauf verweisen, dass die Macht der paganen Götter (bzw. im christlichen Sprachgebrauch Dämonen) endgültig gebrochen sei. Als letzten Beleg lassen Philostorgios bzw. Johannes den Märtyrer auf einen Spruch verweisen, den Julians Vertrauter Oreibasios in dessen Auftrag über Delphi eingeholt habe und der aus dem berufenen Munde Apollons den endgültigen Untergang von Delphi verkünde; mit dem direkten Zitat des unbequemen Orakelspruches als Triumphgestus des christlichen Märtyrers endet dessen Rede.77 Inhaltlich handelt es sich um ein Analogon zu dem oben erwähnten Spruch, den Porphyrios in der Orakelphilosophie über das Erlöschen des delphischen Orakels anführt (vgl. oben S. 436). Interessanter ist ein weiteres Orakel, das von dem christlichen Neuplatoniker David von Alexandrien in seinem Kommentar zu Porphyrios’ Eisagoge im fünften Jahrhundert tradiert wird.78 Der Spruch ist Teil einer kurzen Passage zu Autor und Titel der kommentierten Schrift. Porphyrios wird präsentiert als Schüler von Plotin und als Lehrer von Jamblich; mit diesem vergleicht ihn ein Spruch der „Pythia“: Man muss wissen, dass Jamblich der Schüler des Porphyrios war. Über diese, also über Porphyrios und Jamblich, sagte die Pythia: ‚Gottbegeistert ist der Syrer, vielseitig gebildet der Phönikier‘, und sie meinte mit dem vielseitig gebildeten Phönikier Porphyrios – denn er war aus Phönikien – und mit dem gottbegeisterten Syrer Jamblich, denn dieser war Syrer. Sie nennt ihn aber gottbegeistert, weil er viel Mühe auf die göttlichen Dinge zu verwenden pflegte.79

Inhaltlich handelt es sich um eine Kategorisierung und implizite Hierarchisierung von Porphyrios und Jamblich. Das ist ein Grundtenor, der sich schon bei Eunapios von Sardes findet, der in seinen Vitae sophistarum einen regelrechten Panegyricus auf die umfassende Bildung des Porphyrios bietet und von 76

Zur Passio Artemii, ihrem Autor (wohl nicht Johannes von Damaskus) und dessen Verhältnis zu Philostorgios siehe BLECKMANN/STEIN, 2015, 23–28. 77 Passio Artemii 35: Εἴπατε τῷ βασιλεῖ· ‚χαµαὶ πέσε δαίδαλος αὐλά. / Οὐκέτι Φοῖβος ἔχει καλύβαν, οὐ µάντιδα δάφνην, / οὐ παγὰν λαλέουσαν, ἀπέσβετο καὶ λάλον ὕδωρ‘ („Sagt dem Kaiser: ‚eingefallen ist die kunstvoll geschmückte Halle. Phoibos hat seine Kammer nicht mehr, nicht den wahrsagenden Lorbeer, keine sprechende Quelle; auch das sprechende Wasser ist erloschen‘“). Zur weiteren byzantinischen Rezeption der Anekdote und des Spruches siehe LAUBER, 233 f., Anm. 149. Zu dem Spruch siehe auch HEINEMANN, 2018, 10 und 87. 78 Für den Spruch gibt es keine früheren Belege; insofern kann ich HEINEMANN, 2018, 173 nicht folgen, die eine Datierung um 300 vorschlägt. 79 David, In Porphyrii Isagogen commentarius, Commentaria in Aristotelem graeca XVIII/2, 92: ἰστέον δὲ ὅτι Πορφυρίου µαθητὴς ἦν ὁ Ἰάµβλιχος, περὶ ὧν, φηµὶ δὲ τοῦ Πορφυρίου καὶ τοῦ Ἰαµβλίχου, εἶπεν ἡ Πυθία ‚ἔνθους ὁ Σύρος, πολυµαθὴς ὁ Φοίνιξ‘, Φοίνικα πολυµαθῆ λέγουσα τὸν Πορφύριον (ἀπὸ γὰρ Φοινίκης ἦν), ἔνθουν δὲ Σύρον τὸν Ἰάµβλιχον (οὗτος γὰρ Σύρος ἦν)· ἔνθουν δὲ αὐτὸν λέγει, ἐπειδὴ περὶ τὰ θεῖα ἐνησχολεῖτο.

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Jamblich hauptsächlich Wunder und Götternähe berichtet.80 Der Spruch ist sonst nur noch in einem späteren, auf Davids Kommentar fußenden, Kommentar zur Eisagoge im gleichen Kontext der Information zum Autor belegt, dort aber ohne den delphischen Bezug.81 Bei Julian und im athenischen Neuplatonismus ist er nicht belegt. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass das Orakel authentisch ist, und es erscheint deswegen etwas überzeichnet, es als Beleg für die Nähe des delphischen Orakels zu neuplatonischen Kreisen im vierten Jahrhundert zu lesen.82

5. Proklos: Delphi als Mysterienort Zum Abschluss sei noch ein Blick auf Quellen aus dem Umfeld der athenischen neuplatonischen Schule im fünften Jahrhundert geworfen. Texte, die diesem Schulbetrieb entstammen, erwähnen gelegentlich Delphi als eine bekannte, aber vergangene Größe, welche nicht eigens in den Blick genommen wird, sondern lediglich im Kontext der Exegese dann angesprochen wird, wenn der jeweilige zu kommentierende Text es erfordert. So begegnet uns bei Hermias, einem Schüler des Syrianos, in der Exegese des Phaidros ein kurzer historischer Exkurs zu Delphi, Dodona und der Sibylle, die Platon im Text als Beispiele göttlichen Wahnsinns erwähnt.83 Von seinem Kommilitonen Proklos, dem späteren Schulhaupt von Athen, ist ein Kommentar zum Ersten Alkibiades teilweise erhalten; er geht allerdings nur bis 116a–b, so dass die Ausführungen zu den Passagen, die das γνῶθι σαυτόν in Delphi betreffen, fehlen. Dennoch erwähnt Proklos den Spruch schon prominent im Prolog und setzt damit die bei Porphyrios, Jamblich und Julian konstatierte Tendenz fort, mit dem platonischen Ersten Alkibiades das delphische γνῶθι 80

Porphyrios’ Bildung: Eun., VS 4,2,1–3; Jamblichs Götternähe und Wunder: VS 4,1 f. Ps.-Elias (Ps.-David), In Porph. Isag. comm., praxis 27,7 p. 57 WESTERINK. Auch dort wird, parallel und teilweise in enger Anlehnung an den Kommentar Davids die Sukzession Plotin – Porphyrios – Jamblich erklärt, allerdings mit einer anderen Akzentuierung kommentiert, die bei beiden Philosophen stärker Positives herausstreicht: τούτου µαθητὴς γεγονὼς ὁ Πορφύριος ἔσχε µαθητὴν Ἰάµβλιχον τὸν Χαλκιδέα (Χαλκὶς δὲ πόλις ἐστὶ Συρίας), περὶ οὗ καὶ λέλεκται ‚ἔνθους ὁ Σύρος, πολυµαθὴς ὁ Φοῖνιξ‘, ἐπειδὴ Ἰάµβλιχος µὲν ἐθεολόγησεν ἀρίστως ἐνθουσιασθείς, οὗτος δὲ ὁ Πορφύριος πολυµαθέστατος γέγονεν· οὐκ ἔστι γὰρ µέθοδος εἰς ἣν οὐκ ἔγραψεν („Porphyrios war dessen Schüler [sc. Plotins] und hatte Jamblich den Chalkideer zum Schüler (Chalkis ist eine Stadt in Syrien), über den auch gesagt wurde: ‚gottbegeistert ist der Syrer, vielseitig gebildet der Phönikier‘. Denn Jamblich hat in seiner Gottbegeisterung erstklassige Theologie getrieben, dieser Porphyrios aber war aufs umfassendste gebildet. Denn es gibt keine Methode, die er nicht in seinen Schriften behandelt hätte“). 82 So HEINEMANN, 2018, 173. 83 In Phaedr. II, p. 93 f. COUVREUR, 1901 zu Phaedr. 244a (= p. 98 f. in der neuen Edition LUCARINI/MORESCHINI, 2012. 81

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σαυτόν als Aufforderung zur bzw. Ausgangspunkt der Philosophie zu interpretieren. In dem vorliegenden Kontext handelt es sich dabei um mehr als nur eine allgemeine Behauptung: Durch Jamblich eingeführt, etabliert sich im Neuplatonismus eine feste curriculare Auswahl und Abfolge der platonischen Dialoge, welche gerade mit dem Ersten Alkibiades beginnt.84 Indem Proklos den im Ersten Alkibiades erst relativ spät erwähnten delphischen Spruch im Kommentar an den Anfang stellt und ihn im Prolog diskutiert, inszeniert er damit nicht nur die Philosophie allgemein, sondern den konkreten Lehrbetrieb und das platonische Curriculum seiner eigenen Schultradition als Antwort auf eine göttliche Aufforderung bzw. als Nachfolge Apollons. Ein wichtiger Schritt dabei ist die Umdeutung des delphischen Kontextes durch die Parallelisierung mit Eleusis: Und wo sonst sollte man geziemender mit der Selbstreinigung und Vollendung beginnen als dort, wo zu beginnen auch der Gott in Delphi auffordert? Denn so wie denen, die den Heiligtumsbezirk von Eleusis betraten, die Inschrift am Eingang deutlich anzeigte, sie dürften nicht die geheimen Tempelkammern betreten, wenn sie uneingeweiht und uninitiiert seien, so zeigte das ‚Erkenne dich selbst!‘, vor dem delphischen Tempel eingeschrieben, wie ich denke, die Art und Weise des Aufstiegs zum Göttlichen und des zielführendsten Weges zur Reinigung deutlich an, indem es den Verständigen so gut wie offen kundtat, dass der, der sich selbst von Grund auf erkannt habe, in der Lage sei, sich mit dem Gott zu verbinden, der die gesamte Wahrheit offenbart und ein Führer der reinigenden Lebensweise ist, dass aber der, der nicht wisse, wer er selbst sei, unfähig sei, an der Vorsehung Apollons teilzuhaben, da er uneingeweiht und uninitiiert sei.85

84 Zum neuplatonischen Curriculum siehe z.B. HOFFMANN, 1998, bes. 211–213; für eine geschichtliche Kontextualisierung und Skizze der Entwicklung platonischer Curricula seit dem Mittelplatonismus TARRANT, 2014, 15–29. Das jamblicheische Curriculum spricht Proklos, In Alc. 11, p. 9 Segonds an: Kαί µοι δοκεῖ καὶ διὰ ταύτην τὴν αἰτίαν ὁ θεῖος Ἰάµβλιχος τὴν πρώτην αὐτῷ διδόναι τάξιν ἐν τοῖς δέκα διαλόγοις ἐν οἷς οἴεται τὴν ὅλην τοῦ Πλάτωνος περιέχεσθαι φιλοσοφίαν, ὥσπερ ἐν σπέρµατι τούτῳ τῆς συµπάσης ἐκείνων διεξόδου προειληµµένης. Οἵτινες δέ εἰσιν οἱ δέκα καὶ ὅπως αὐτοὺς προσήκει τάττειν καὶ ὅπως ἐν τοῖς δύο τοῖς µετ’ αὐτοὺς συνῄρηνται, προηγουµένως ἐν ἄλλοις πεπραγµατεύµεθα („Und mir scheint auch deswegen der göttliche Jamblich ihm [dem Ersten Alkibiades] die erste Stufe in den zehn Dialogen zugewiesen zu haben, von denen er meint, dass sie die gesamte Philosophie Platons umfassen, als sei in diesem wie in einem Samen der ganze Durchgang jener [Dialoge] vorweggenommen. Welche aber nun die zehn sind und wie man sie anordnen soll und wie sie in den zweien zusammengefasst werden, die auf sie folgen, das haben wir anderswo eigens behandelt“). 85 Proklos, In Alc. 5, p. 3 f. SEGONDS, 1985/86: Kαὶ πόθεν γὰρ ἄλλοθεν ἄρχεσθαι προσήκει τῆς ἑαυτῶν καθάρσεως καὶ τελειώσεως ἢ ὅθεν καὶ ὁ ἐν Δελφοῖς παρεκελεύσατο θεός; Ὡς γὰρ τοῖς εἰς τὸ τῶν Ἐλευσινίων τέµενος εἰσιοῦσιν ἐδήλου τὸ πρόγραµµα µὴ χωρεῖν εἴσω τῶν ἀδύτων ἀµυήτοις οὖσι καὶ ἀτελέστοις, οὕτω δὴ καὶ πρὸ τοῦ νεὼ τοῦ Δελφικοῦ τὸ γνῶθι σαυτὸν ἀναγεγραµµένον ἐδήλου τὸν τρόπον οἶµαι τῆς ἐπὶ τὸ θεῖον ἀναγωγῆς καὶ τῆς εἰς κάθαρσιν ὁδοῦ τῆς ἀνυσιµωτάτης, µονονουχὶ λέγον σαφῶς τοῖς ξυνιέναι δυναµένοις, ὡς ὁ µὲν γνοὺς ἑαυτὸν ἀφ’ ἑστίας ἀρξάµενος

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Diese Passage zeichnet die delphische kultische Kommunikationssituation zwischen Apollon und den Lesern der Spruchinschrift nicht mehr als OrakelKonsultation, sondern als Aufstieg zum Göttlichen. Apollon ist nicht mehr der Orakelgott, sondern ein Gott, mit dem man sich verbindet bzw. an dessen Vorsehung man teilhat; von ihm erwartet man nicht eine Antwort auf eine genaue Frage, sondern er offenbart die gesamte Wahrheit und leitet zu einer reinigenden Lebensweise an. Die Parallelisierung mit Eleusis transformiert das delphische Heiligtum und das damit verbundene religiöse Erlebnis in ein mysterienhaftes Ritual, bis in die Sprache hinein: Selbsterkenntnis ist eine Art Mysterienweihe, die den Zugang zu einer kathartischen Lebensweise eröffnet.86 Damit ist auf die Stufe der „kathartischen“ Tugenden angespielt, welche seit Plotin das grundsätzliche Proprium des Philosophen sind. 87 Die rituelle Begegnung mit Apollon in Delphi wird so doppelt transformiert: zum einen virtuell vom Orakel zum Mysterium, zum anderen wird das inszenierte Mysterium selbst spiritualisiert und auf das philosophische Unterfangen selbst – auf Reinigung, Aufstieg und Erlangung geoffenbarter Wahrheit – bezogen. Ermöglicht wird diese Entfaltung der platonischen Verbindung der Philosophie mit Delphi nicht zuletzt dadurch, dass Delphi für Proklos – anders als für Platon – endgültig Vergangenheit ist, wie die konsequente Verwendung des Imperfekts deutlich macht:88 ein Stück historischen Bildungswissens, Teil der Welt Platons, die Proklos in seiner Exegese wieder virtuell begeht, um dadurch existentiell den philosophischen Weg der Reinigung und des allmählichen Seelenaufstiegs zu gehen, für den der delphische Spruch als göttlicher Impuls fungiert. Die Nachfolge Apollons im Gehorsam zum γνῶθι σαυτόν findet Proklos in Platon und Sokrates verkörpert. So lasse ersterer die Philosophie mit der Selbsterkenntnis anfangen, weil er ein „vertrauter Gesprächspartner“

συνάπτεσθαι δύναται θεῷ τῷ τῆς ὅλης ἀληθείας ἐκφαντικῷ καὶ ἡγεµόνι τῆς καθαρτικῆς ζωῆς, ὁ δὲ ἀγνοῶν ὅστις ἐστίν, ἀτέλεστος καὶ ἀµύητος ὢν µετέχειν τῆς τοῦ Ἀπόλλωνος προνοίας ἐστὶν ἀνεπιτήδειος. 86 Vgl. damit die oben (S. 438–441) erwähnten Ausführungen des Porphyrios zur delphischen Inschrift in seinem Werk zum γνῶθι σαυτὸν (bei Stobaios, Anth. III 21,26, 579 HENSE): auch bei Porphyrios wird die Spruchinschrift am Tempel thematisiert und als Erklärung der Bedingung für das Gelingen des rituellen Prozess dargestellt, allerdings ist dieser Prozess bei Porphyrios als Gottesverehrung und Orakelkonsultation gedacht, nicht als Mysterium, und der Spruch bzw. die ihn tragende Inschrift sind keine mysterische Zurückweisung Uneingeweihter. 87 Zur neuplatonischen Tugendlehre und ihrer Entwicklung siehe den Überblick von SAFFREY/SEGONDS, 2001, LXIX–C. 88 Vgl. SEGONDS, 1985, 128, n. 2 zu p. 4. Dieselbe Verwendung des Imperfekts lässt sich bei Proklos auch sonst im Kontext vergangener Kulte beobachten, etwa im Fall der Panathenäen; Literatur dazu bei TANASEANU-DÖBLER, 2020, 350.

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(ὀαριστής) Apollons sei.89 Sokrates selbst, dessen besondere Beziehung zu Apollon Proklos unterstreicht, wird unter Rückgriff auf eine Tradition, die schon Plutarch erwähnt, als der idealtypische Rezipient des Spruches bzw. Kommunikationspartner des Gottes inszeniert, indem seine Philosophie nicht allgemein auf Apollon sondern konkret auf die Begegnung mit dem γνῶθι σαυτόν zurückgeführt wird: Denn auch von Sokrates, der selbst sagt, er sei ein „Mitdiener der Schwäne“ und der nicht weniger als diese von dem Gott die Wahrsagekunst empfangen hat, sagt man, dass er von hier aus mit dem Streben nach Philosophie begonnen habe, als er auf die pythische Inschrift stieß und meinte, diese Aufforderung sei gleichsam die Apollons selbst.90

Nach der „Mysterisierung“91 von Delphi und der Inszenierung Platons und des Sokrates als apollinische Nachfolger zieht Proklos als dritten Schritt die Linie von den beiden Philosophen zum platonischen Lehrbetrieb, d.h. zu sich selbst als Lehrer und Exegeten und zu seinen Schülern. Durch die Einschreibung in diese Traditionslinie wird der spätantike Lehrbetrieb auch explizit als Nachfolge Apollons beschrieben: Von hier aus müssen auch wir beginnen, in der Nachfolge des Gottes, und nachforschen, in welchem der Dialoge Platon ganz besonders dieses Thema verfolgt, die Betrachtung unseres Wesens, damit wir von dort ausgehend auch den allerersten Anfang der platonischen Schriften setzen.92

Als konkreter Ort ritueller Kommunikation mit Apollon ist Delphi selbst für Proklos irrelevant. Sein Interesse für religiöse Realia bzw. für ihre Überreste reicht nicht so weit, dass er Delphi aufsuchen würde. Auch als Hintergrundkolorit in Texten, die andere Themen behandeln, sind Delphica nur spärlich vertreten.93 Allerdings eröffnet gerade dieses Desinteresse an konkreter reli89

Proklos, In Alc. 5. Vgl. auch In Alc. 19, p. 16 SEGONDS: Platon wolle im Ersten Alkibiades die menschliche Natur aufdecken und „auch durch die beweisführenden Methoden offenbaren, was denn nun jene delphische Aufforderung, das ‚Erkenne dich selbst!‘ bedeute“ (καὶ τοῦτο ἐκεῖνο τὸ Δελφικὸν παράγγελµα τὸ γνῶθι σαυτόν, ὅ τι ποτέ ἐστιν, ἀποκαλύψαι διὰ τῶν ἀποδεικτικῶν µεθόδων). 90 Proklos, In Alc. 5 f., p. 4 SEGONDS: ἐπεὶ καὶ ὁ Σωκράτης, ὁ τῶν κύκνων ὁµόδουλος εἶναι λέγων καὶ οὐχ ἧττον αὐτῶν παρὰ τοῦ θεοῦ τὴν µαντικὴν λαβών, ἐντεῦθεν ἄρξασθαι λέγεται τῆς ἐπὶ φιλοσοφίαν ὁρµῆς, τῷ Πυθικῷ γράµµατι περιτυχὼν καὶ οἷον αὐτοῦ τοῦ Ἀπόλλωνος ταύτην εἶναι τὴν παρακέλευσιν ἡγησάµενος. Für die Tradition zum γνῶθι σαυτόν als Impuls für Sokrates siehe MCPHERRAN, 2002, 133, Anm. 51, der auf Plutarch, Adversus Colotem 20, 1118c verweist. 91 Zum Begriff siehe AUFFARTH, 2013, 433–436. 92 In Alc. 6, p. 4 f. SEGONDS: Ἐντεῦθεν τοίνυν καὶ ἡµῖν ἀρκτέον ἑποµένοις θεῷ· καὶ ζητητέον, ἐν τίνι µάλιστα τῶν διαλόγων ὁ Πλάτων τοῦτον ἔχει σκοπόν, τὴν θεωρίαν τῆς οὐσίας ἡµῶν, ἵνα ἐκεῖθεν ποιησώµεθα καὶ τὴν τῶν Πλατωνικῶν συγγραµµάτων πρωτίστην ἀρχήν. 93 In Alc. 91 (Orakel an Laios), In Parm. 705 (rätselhafte Orakel Apollons), In Crat. 81 (Pythia).

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giöser Topographie neue Möglichkeiten: Als Chiffre für die Begegnung mit Apollon kann das erinnerte und literarisch tradierte platonische Delphi nach Belieben umakzentuiert werden, so dass es als historischer Ausgangspunkt der philosophischen Traditionslinie dargestellt werden kann, die noch in Proklos’ Zeit den Weg zur Wahrheit eröffnet; hier lässt sich eine direkte Linie zurück zu Julians analogem Umgang mit Delphi ziehen. Wie bei Julian, bei dem die systematische Darstellung Apollons als Urheber der Philosophie auf die Kynikerreden beschränkt war, lässt sich auch für Proklos bemerken, dass seine Darstellung Apollons als philosophischer Gott bzw. Impulsgeber für Philosophie und die Verbindung der Philosophie mit Delphi situationsgebunden sind. Sie finden sich im Alkibiadeskommentar, wo es der zu kommentierende platonische Text nahelegt. Ansonsten spielt Apollon keine herausgehobene Rolle; die philosophische Göttin par excellence ist für ihn Athene, auch dies konditioniert durch den platonischen Text: Im Timaios bezeichnet sie Platon als φιλοπόλεµός τε καὶ φιλόσοφος (24d). Auch bei Proklos’ Schüler Marinos ist Athene die φιλοσοφίας ἔφορος.94 Der Umstand, dass die neuplatonische Schule in Athen lokalisiert ist, wird dazu sicher beigetragen haben. Insofern kann man bei Proklos nicht von einer systematischen Profilierung Apollons als des philosophischen Gottes oder des Gottes der Philosophen schlechthin sprechen, wie sie bei Plutarch95 und – zumindest anlassbezogen – auch noch bei Julian gegeben zu sein scheint.

6. Schlussbetrachtung Die hier vorgestellten Texte zeigen, wie die Perspektive auf Delphi in der Spätantike vom Orakelheiligtum immer stärker hin zu Delphi als einem religiösen Ankerpunkt für die Philosophie verschoben wird. Damit wird eine Deutung fortgeführt, die bei Plutarch entwickelt ist. Anders als bei Plutarch verschwindet aber der konkrete Ort mit seinen Ritualen und seiner Topographie allmählich aus dem Blick; delphische rituelle und topographische Elemente spielen nur in der Auseinandersetzung zwischen Porphyrios und Jamblich noch eine Rolle im Kontext von Theorien über die Funktionsweise der Mantik und der rituellen Kommunikation mit den Göttern insgesamt. Schon bei Julian spielt Delphi letztlich nur noch wegen seines Gottes und des γνῶθι σαυτόν eine Rolle. Diese beiden Aspekte werden auch in der Notiz des Hermias und bei Proklos erwähnt; bei letzterem wird die topographische Verankerung des γνῶθι σαυτόν in eine spiritualisierende Rekonfiguration des rituellen Geschehens in Delphi eingebaut. Insgesamt bleiben die Bezüge okkasi94 Marinus, Vita Procli 10, p. 12 Saffrey/Segonds. Zu Proklos’ und Marinus’ Athenebild siehe TANASEANU-DÖBLER, 2020, 325–372. 95 Dazu in diesem Band Rainer Hirsch-Luipold, oben S. 400 f.411 f.

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onell, ohne dass Delphi bzw. der delphische Gott wie bei Plutarch zu dem maßgeblichen Referenzpunkt für Philosophie wird. Für die spätantike Philosophie ist Delphi somit selbst als philosophischer Ort marginal.

Delphi und die Orakelkritik bei den Kirchenvätern Ulrich Volp 1. Einleitung „Sag dem Kaiser: Die schöngefügte Halle ist gefallen. Phoibos [Apollon] besitzt kein Haus mehr, keinen prophetischen Lorbeer, keine Quelle redet mehr; verstummt ist auch das redende Wasser.“1

Angeblich sind dies die letzten Orakelworte der Pythia. Sie sprach sie der philostorgischen Kirchengeschichte zufolge im Jahr 362 n. Chr. zu dem Arzt Oreibasios, der Delphi im Auftrag des Kaisers Julian aufsuchte. Tatsächlich war der Kaiser nach eigenem Zeugnis zu dem Ergebnis gekommen: Es scheinen aber auch2 die einheimischen Orakel verstummt zu sein im Hinblick auf den Kreislauf der Zeiten.3

Natürlich wissen wir, dass das nicht ganz richtig war, denn verboten wurden die Orakel erst unter dem christlichen Kaiser Theodosius,4 was den Verdacht nahe legt, das Christentum sei schuld gewesen am Ende des Orakels von Delphi. Schon die antike Geschichtsschreibung scheint von einem selbstverständlichen Antagonismus zwischen Christentum und delphischem Orakel auszugehen,5 und auch die antike Christentumskritik wirft den Christen eine

1 Εἴπατε τῷ βασιλεῖ· χαµαὶ πέσε δαίδαλος αὐλά. / Οὐκέτι Φοῖβος ἔχει καλύβαν, οὐ µάντιδα δάφνην, / Οὐ παγὰν λαλέουσαν, ἀπέσβετο καὶ λάλον ὕδωρ. Philostorgios (368–438), HE VII 1c = Artemii passio 35 (GCS 21, 77,24–26 WINKELMANN; vgl. zur Übersetzung zuletzt STÖCKLIN-KALDEWEY, 2014, 154). 2 D.h. genauso, wie der göttliche Geist nun bei den Hebräern und den Ägyptern versiegt sei. 3 Φαίνεται δὲ καὶ τὰ αὐτοφυῆ χρηστήρια σιγῆσαι ταῖς τῶν χρόνων εἴκοντα περιόδοις (Julian-Zitat aus Julians Contra Galilaeos in Kyrill von Alexandrien, Gegen Julian, p. 439,9 f. KINZIG/BRÜGGEMANN, 2017). Anlässlich seines Perserkrieges im Jahr 363 befragte Julian jedenfalls die Orakel von Delphi, Delos und Dodona wohl mindestens je noch einmal, was freilich nicht bedeutet, dass auch der zitierte Wortlaut der Orakelsprüche korrekt überliefert ist. Vgl. Theodoret., HE III 16. Zu Kontext und Intention dieser beiden Zitate vgl. STÖCKLIN-KALDEWEY, 2014, 153–155 (daran orientiert sich auch die obige Übers.). Zur möglichen Historizität dieser Aussagen s. HARTMANN, 2006, 347 f. 4 Cod. Theod. XVI 10,7–9 und 12 von 381 f., 385 und 392. 5 S. nur etwa Amm., XXII 12,8–13,3 (vgl. dazu Ioh. Chrys., Bab. 67–93).

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Geringschätzung des delphischen Orakels vor.6 Orakel und Christentum, christliche Orakelkritik und delphische Christentumskritik, so die verbreitete Ansicht, hätten sich unversöhnlich gegenübergestanden. Manche schließen aus diesem Gegensatz heute sogar, die verschollene Schrift De philosophia ex oraculis haurienda des Porphyrios sei deshalb als eine explizite Streitschrift gegen das Christentum verfasst worden.7 Freilich gibt es auch schon vor dem Auftreten des Christentums Orakelkritik, und das nicht zu knapp. Wir finden sie bei Kynikern,8 Epikureern,9 bei Lukian,10 Maximos von Tyros,11 Cicero12 und vielen anderen.13 Insofern ist es keine triviale Frage, was genau den Gegensatz zwischen antikem Christentum und dem delphischen Orakel konstituierte und was genau das Profil der christlichen Orakelkritik ausmachte. Das Spektrum der Auseinandersetzung ist groß und auf den ersten Blick unübersichtlich. Deshalb sei hier die These formuliert, dass die Konkurrenzsituation zwischen delphischer Orakelpraxis und spätantikem Christentum vor allem drei genau zu unterscheidende Bereiche betraf: Erstens bestand eine „transzendente Konkurrenz“:14 Apollon als Orakelgott stand in Konkurrenz zum christlichen Gott, eine Konkurrenz, deren Charakter gleich noch näher zu beleuchten ist. Zweitens bestand eine „rituelle Konkurrenz“: Die Pythia als priesterliche Funktionsträgerin stand in – zumindest theoretischer, weil distanzierter – Konkurrenz zu den Amtsträgern der christlichen Gemeinden; der ausdifferenzierte Ritus des Orakels von Delphi konstituierte eine theoretische Konkurrenz zu den christlichen 6 So schon der Philosoph Kelsos im zweiten Jahrhundert: Τὰ µὲν ὑπὸ τῆς Πυθίας ἢ ... ὑπὸ µυρίων τε ἄλλων θεοπρόπων προειρηµένα, ὑφ’ ὧν ἐπιεικῶς πᾶσα γῆ κατῳκίσθη, ταῦτα µὲν ἐν οὐδενὶ λόγῳ τίθενται („Was von der Pythia ... oder von tausend anderen Sehern vorausgesagt worden ist, auf deren Veranlassung ohne Zweifel auf der ganzen Erde Städte und Kolonien gegründet wurden, das halten sie für bedeutungslos“). Orig., Cels. VII 3 (BORRET, 1972, 16,1–4; Übersetzung BARTHOLD, 2011/12, 1183). 7 So bereits ansatzweise O’MEARA, 1969, 103–139. Pointiert dann aber BEATRICE, 1988, 107–129; ders., 1989, 248–281. Vgl. auch WILKEN, 1979, 117–134; DEPALMA DIGESER, 1998, 129–146. Dagegen aber (mit m.E. guten Gründen) RIEDWEG, 2005, 151– 198. 8 Etwa bei Oinomaos von Gadara im zweiten Jahrhundert (s. unten Anm. 41). 9 Zu denken ist etwa an Lucretius und Diogenes von Oinoanda. 10 Vor allem in Luc., Alexander (Ἀλέξανδρος ἢ Ψευδόµαντις). 11 Max. Tyr., Philosophumena 11,6. 12 Cic., Div. 13 Von einigen ist in diesem Band an anderer Stelle zu lesen; vgl. oben Hammerstaedt, S. 418–429. 14 Der Begriff der transzendenten Konkurrenz soll die Konkurrenz zweier göttlicher „Personen“ bezeichnen, die als außerhalb des Bereichs der normalen Sinneswahrnehmung existierend vorgestellt werden und nicht von ihm abhängig sind – im Gegensatz zur rituellen und intellektuellen Konkurrenz, die im Bereich der endlichen Erfahrungswelt existiert. Vgl. in diesem Sinne etwa VOLP, 2017, 171–185.

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Riten von Taufe und Abendmahl. Es geht dabei um grundsätzliche und recht komplexe Fragen ritueller Definitionsleistungen, die näher zu betrachten sind. Und drittens bestand eine „intellektuelle Konkurrenz“: Die delphische Weisheit konkurrierte mit der jüdisch-christlichen Weisheitstradition. Einerseits tat sie das im Hinblick auf praktische Lebensweisheit – ich denke etwa an die ganz ähnlichen Überlieferungen vom „Scherflein der Witwe“15 und an die Antwort, die Theopomp zufolge das Orakel dem reichen Kaufmann aus Magnesia gegeben hatte.16 Andererseits stehen die Christentumsgegner Porphyrios und Julian für eine intellektuelle Rezeption der sogenannten ,Orakelphilosophie‘, die im dritten und vierten Jahrhundert n. Chr. noch eine stärker philosophisch gewendete (Weisheits-)Konkurrenz in den Blick rückte. Erst eine differenzierte Betrachtung dieser drei unterschiedlichen Ebenen kann der christlichen Orakelkritik gerecht werden – und sie hält auch eine Reihe von Überraschungen bereit.

2. Die transzendente Konkurrenz: Das Orakel als Dämon Bereits in der Apostelgeschichte findet sich eine negative Anspielung auf die delphische Orakelpraxis: Es geschah aber, als wir zum Gebet gingen, da begegnete uns eine Magd, die hatte einen Python-Geist und brachte ihren Herren viel Gewinn ein mit ihrem Wahrsagen. Die folgte Paulus und uns überall hin und schrie: „Diese Menschen sind Knechte des höchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkündigen.“ Das tat sie viele Tage lang. Paulus war darüber so aufgebracht, dass er sich umwandte und zu dem Geist sprach: „Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, dass du von ihr ausfährst.“ Und er fuhr aus zu derselben Stunde.17

Delphische Mantik wird hier mit einem Dämon identifiziert, der zum Ausfahren gebracht wird. Die Existenz des Orakelgottes und die Wirksamkeit der delphischen Mantik werden nicht in Zweifel gezogen. Sie ist aber dämonischen Ursprungs und steht damit in einem dezidierten Gegensatz zum christlichen Gottesglauben. Eine solche Orakelkritik und eine solche Orakelkonkurrenz finden sich in weiten Teilen der frühen christlichen Literatur, insbesondere in der sogenannten Apologetik. Die Orakel werden dort als Betrug 15

Mk 12,41–44. Siehe unten im Abschnitt 4. 17 Apg 16,16–18: Ἐγένετο δὲ πορευοµένων ἡµῶν εἰς τὴν προσευχὴν παιδίσκην τινὰ ἔχουσαν πνεῦµα πύθωνα ὑπαντῆσαι ἡµῖν, ἥτις ἐργασίαν πολλὴν παρεῖχεν τοῖς κυρίοις αὐτῆς µαντευοµένη. αὕτη κατακολουθοῦσα τῷ Παύλῳ καὶ ἡµῖν ἔκραζεν λέγουσα· „οὗτοι οἱ ἄνθρωποι δοῦλοι τοῦ θεοῦ τοῦ ὑψίστου εἰσίν, οἵτινες καταγγέλλουσιν ὑµῖν ὁδὸν σωτηρίας.“ τοῦτο δὲ ἐποίει ἐπὶ πολλὰς ἡµέρας. διαπονηθεὶς δὲ Παῦλος καὶ ἐπιστρέψας τῷ πνεύµατι εἶπεν· „παραγγέλλω σοι ἐν ὀνόµατι Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐξελθεῖν ἀπ’ αὐτῆς“· καὶ ἐξῆλθεν αὐτῇ τῇ ὥρᾳ. 16

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böser Dämonen gesehen, so etwa bei Athenagoras (um 176 n. Chr.), der Apollon als „Lügenprophet“ (ψευδόµαντις) bezeichnet,18 bei Tatian († ca. 170),19 Minucius Felix (um 200),20 Tertullian († nach 220),21 Origenes († um 254),22 Laktanz († um 320)23 und Euseb († 339 oder 340).24 Im Detail gibt es dabei Parallelen zur dichterischen und philosophischen Orakelkritik. So bezieht sich der Apologet Athenagoras auf den Dramatiker Aischylos,25 der Bischof und Kirchenhistoriker Euseb zitiert seitenweise den Kyniker Oinomaos.26 Die christliche Orakelkritik kann sich dabei bekannter Themen der allgemeinen Götterkritik bedienen. Sie karikiert zum Beispiel die unterschiedlichen Schwächen der in den Mythen beschriebenen Götter, was auch Apollon und das Orakel von Delphi trifft: Ich spreche dir jetzt mein Lob aus, Daphne; du hast die Promiskuität Apollons besiegt und dadurch seine Seherkunst entlarvt, da er das, was mit dir geschehen würde, nicht voraussah und so von seiner eigenen Kunst keinen Nutzen hatte. Sagen soll mir jetzt der ‚Fernhintreffer‘,27 wie den Hyakinthos der Zephyr zur Strecke gebracht hat. Zephyros hat ihn besiegt; und obwohl der Tragödiendichter sagt: „Der Lufthauch ist das höchstgeehrte Fahrzeug der Götter“,28 wurde er von einem kurzen Lufthauch29 besiegt und verlor den Geliebten.30

18

Athenag., Leg. 21,4. Tatian, Or. 8 f. und 18 f. (vgl. Anm. 30). 20 Min. Fel., 27. 21 Tert., Apol. 22,8–10. 22 Orig., Cels. III und VII 3 f.35. 23 Lact., Inst. IV 27,1–3. 24 Eus., Pr. Ev. (siehe unten). – Vgl. auch Ps.-Iustinus, Coh. ad Graecos 1,1 sowie Eusebius und Augustinus (siehe unten). 25 Athenag., Leg. 21,6: „κἀγὼ τὸ Φοίβου θεῖον ἀψευδὲς στόµα / ἤλπιζον εἶναι, µαντικῇ βρύον τέχνῃ“ – ὡς ψευδόµαντιν κακίζει τὸν Ἀπόλλω ὁ Αἰσχύλος –, „ὁ δ’ αὐτὸς ὑµνῶν, αὐτὸς ἐν θοίνῃ παρών, / αὐτὸς τάδ’ εἰπών, αὐτός ἐστιν ὁ κτανών / τὸν παῖδα τὸν ἐµόν“ („Und ich hoffte, dass der Göttermund des Phoibos, voll reicher Weissagekunst, ohne Lüge sein werde“ – wie einen Lügenpropheten tadelt Aischylos den Apollon [hier] –, „Er aber selbst, der Sänger, er, der beim Fest zugegen war, der dieses selbst sprach, der ist nun der Mörder meines Sohnes“) (SCHOEDEL, 1972, 48,11–16; vgl. MARCOVICH, 1990, 67,62–67, der die Stelle als 21,4 zählt). Das Aischylosfragment (350,5–9 RADT, 1985) findet sich auch bei Plat., Rep. II 383b. 26 Eus., Pr. Ev. V. 27 „Fernhintreffer“ (ἑκατηβόλος) wird Apollon schon bei Homer häufig genannt. 28 Frg. adesp. 471 (unbekannter Tragödiendichter). 29 Gemeint ist die Windgottheit Zephyros, der den milden Westwind verkörpert. 30 Tatian, Oratio 8,9 f.: Ἐπαινῶ σὲ νῦν, ὦ Δάφνη· τὴν ἀκρασίαν τοῦ Ἀπόλλωνος νικήσασα ἤλεγξας αὐτοῦ τὴν µαντικήν, ὅτι µὴ προγνοὺς τὰ περὶ σὲ τῆς αὑτοῦ τέχνης οὐκ ὤνατο. Λεγέτω µοι νῦν ὁ ἑκατηβόλος πῶς Ὑάκινθον διεχρήσατο Ζέφυρος. Ζέφυρος αὐτὸν νενίκηκεν· καὶ τοῦ τραγῳδοποιοῦ λέγοντος „αὔρα θεῶν ὄχηµα τιµιώτατον“ ὑπὸ βραχείας αὔρας νικηθεὶς ἀπώλεσε τὸν ἐρώµενον (Text und Übersetzung nach NESSELRATH, 2016, 52 f.). Als sich Apoll mit dem Geliebten am Diskuswerfen ergötzte, ließ der 19

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Wessen Fähigkeiten aber so zweifelhaft sind, vor dem kann nur gewarnt werden. In diesem Sinne schrieb Clemens von Alexandrien: Haltet euch fern von den gottlosen Heiligtümern, von den geöffneten Erdspalten voller Wundermärchen, vom thesprotischen Kessel oder dem Dreifuß von Kirrha oder dem Erzbecken von Dodona! [...] Verstummt ist jetzt die Quelle Kastalia und ebenso die Quelle von Kolophon, und auch die anderen mantischen Wasser sind in gleicher Weise versiegt und, wenn auch spät, so doch endlich als ihres eitlen Ruhmes bar erwiesen, nachdem sich ihr Wasser samt den damit verbundenen Sagen verlaufen hat.31 Beschreibe uns auch des sonstigen Wahrsagens,32 vielmehr Wahnsinns33 wertlose Orakelstätten: den (Apollon-)Klarios, den (Apollon-)Pythios, den (Apollon-)Didymeus, den Amphiaraos,34 den Apollon, den Amphilochos35; und wenn du willst, so beraube wie jene ihrer Verehrung auch die Zeichenseher und Vogelschauer und Traumdeuter! Außerdem hole herbei und stelle neben den Pythios jene, die aus Weizen und Gerste wahrsagen, und die bei der Menge auch jetzt noch verehrten Bauchredner! [...] Gehilfen dieser Zauberei sind auch die zum Wahrsagen abgerichteten Ziegen und Krähen, die von Menschen gelehrt wurden, Menschen die Zukunft zu prophezeien.36

Es geht also wiederum um eine Warnung vor dem Orakelwesen, dessen Existenz und Bedeutung im frühen dritten Jahrhundert nicht bestritten und das als Konkurrenz zur Herrschaft Christi gesehen wird. An anderer Stelle liest man, die Orakel seien unmittelbar für die Christenverfolgungen verantwortlich, denn sowohl Euseb als auch Laktanz berichten von der Orakelbefragung des

Windgott Zephyros die Scheibe gegen den Kopf des Hyakinthos fliegen und ihn tödlich verletzen. Vgl. Ov., Met. X 162–216. 31 Auch Orosius († 418) kennt die(se?) Überlieferung von der angeblich bereits früh nachgelassenen Anziehungskraft der delphischen Orakelstätte: Orosius, Hist. nat. VI 15,13.16 f. 32 µαντικῆς. 33 µανικῆς. 34 Amphiaraos (griechisch Ἀµφιάραος, verkürzt auch Ἄµφις, Amphis) ist in der griechischen Mythologie ein Seher des Zeus und Feldherr aus Argos. 35 Vgl. Arnobius, Adv. nat. I 26; Amphilochos war der Sohn des Amphiaraos; vgl. Hom., Od. XV 248. 36 Clem. Al., Protr. 2, 11,1–3: Ἄδυτα τοίνυν ἄθεα µὴ πολυπραγµονεῖτε µηδὲ βαράθρων στόµατα τερατείας ἔµπλεα ἢ λέβητα Θεσπρώτιον ἢ τρίποδα Κιρραῖον ἢ Δωδωναῖον χαλκεῖον [...] σεσίγηται γοῦν ἡ Κασταλίας πηγὴ καὶ Κολοφῶνος ἄλλη πηγή, καὶ τὰ ἄλλα ὁµοίως τέθνηκε νάµατα µαντικὰ καὶ δὴ τοῦ τύφου κενὰ ὀψὲ µέν, ὅµως δ’ οὖν διελήλεγκται τοῖς ἰδίοις συνεκρεύσαντα µύθοις. Διήγησαι ἡµῖν καὶ τῆς ἄλλης µαντικῆς, µᾶλλον δὲ µανικῆς, τὰ ἄχρηστα χρηστήρια, τὸν Κλάριον, τὸν Πύθιον, τὸν Διδυµέα, τὸν Ἀµφιάρεω, τὸν Ἀπόλλω, τὸν Ἀµφίλοχον, εἰ δὲ βούλει, καὶ τερατοσκόπους καὶ οἰωνοσκόπους καὶ τοὺς ὀνείρων κριτὰς ἀνέρου σὺν αὐτοῖς στῆσον δὲ ὁµοῦ παρὰ τὸν Πύθιον τοὺς ἀλευροµάντεις ἄγων καὶ κριθοµάντεις καὶ τοὺς εἰσέτι παρὰ τοῖς πολλοῖς τετιµηµένους ἐγγαστριµύθους [...] συνέµποροι τῆσδε τῆς γοητείας αἶγες αἱ ἐπὶ µαντικὴν ἠσκηµέναι καὶ κόρακες ἀνθρώποις χρᾶν ὑπὸ ἀνθρώπων διδασκόµενοι (STÄHLIN/TREU, 1972, 10,20–11,9; zur Übersetzung siehe STÄHLIN, 1934, 82 f.), auch zitiert bei Eus., Pr. Ev. II 3.

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Diokletian, der seine Verfolgungsentscheidung von einem Beschluss des Apollon-Orakels von Didyma im Jahr 303 abhängig gemacht haben soll.37 Umgekehrt geht mit dem Triumph des Christengottes nach der konstantinischen Wende auch die Behauptung eines Niedergangs der Orakelstätten einher. Die Gegenwart Christi in der Welt habe, so etwa der Kirchenvater Athanasius, die heidnischen Orakel verstummen lassen und die Zauberei beendet: Auch war früher alles voll vom Trug der Orakel, und die Orakel in Delphi, Dodona, Bö– otien, Lykien, Libyen, Ägypten, bei den Kabiren und die Pythia fesselten die Phantasie der Menschen. Jetzt aber, seitdem Christus überall verkündet wird, hat auch dieser Wahn ein Ende genommen, und es gibt bei ihnen keinen Wahrsager mehr. Einst täuschten die Dämonen mit ihrem Blendwerk die Menschen, ließen sich vornehmlich nieder an Quellen oder Flüssen, im Holz oder Stein und schreckten so mit ihren Gaukeleien die Einfältigen. Jetzt aber, nach der göttlichen Erscheinung des Logos, hat dieser Spuk aufgehört. Mit dem bloßen Kreuzeszeichen verscheucht der Mensch ihren Trug.38

Der dämonische Charakter des Orakels zeigte sich für die Kirchenväter auch an seinen Wirkungen, die regelmäßig unheilvoll waren. Man denke nur an das unrühmliche Ende des Lykurgos von Sparta, der zweimal das Orakel besucht hatte,39 oder an die Niederlage des Kroisos, der sich vom Orakel zu seinem Feldzug gegen die Perser verleiten ließ.40 Dies sind alles Vorwürfe, die kaum neu waren, weshalb sich Euseb etwa umfänglich bei der Orakelkritik des verschollenen kynischen Werkes Γοήτων φώρα („Die Entlarvung der Schwindler“) des Oinomaos von Gadara bedienen konnte.41 Darin hatte Oinomaos zu Beginn des zweiten Jahrhunderts n. Chr. die Autorität der delphischen Orakel in Frage gestellt und die Betrügereien der Tempeldiener angeprangert. Er amüsierte sich über die Leichtgläubigkeit der Menschen, bezeichnete Apollon als „Sophisten“42 und beanstandete die Zweideutigkeit

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Vgl. dazu BUSINE, 2005, 228. Athan., Incarnat. 47,1 f.: Καὶ πάλαι µὲν τὰ πανταχοῦ τῆς ἀπάτης τῶν µαντείων ἐπεπλήρωτο, καὶ τὰ ἐν Δελφοῖς καὶ Δωδώνῃ καὶ Βοιωτίᾳ καὶ Λυκίᾳ καὶ Λιβύῃ καὶ Αἰγύπτῳ καὶ Καβίροις µαντεύµατα καὶ ἡ Πυθία ἐθαυµάζοντο τῇ φαντασίᾳ παρὰ τῶν ἀνθρώπων· νῦν δὲ ἀφ’ οὗ Χριστὸς καταγγέλλεται πανταχοῦ, πέπαυται καὶ τούτων ἡ µανία, καὶ οὐκ ἔστιν ἔτι λοιπὸν ἐν αὐτοῖς ὁ µαντευόµενος. Καὶ πάλαι µὲν δαίµονες ἐφαντασιοκόπουν τοὺς ἀνθρώπους, προκαταλαµβάνοντες πηγὰς ἢ ποταµοὺς ἢ ξύλα ἢ λίθους, καὶ οὕτως ταῖς µαγγανείαις ἐξέπληττον τοὺς ἄφρονας. Νῦν δὲ τῆς θείας ἐπιφανείας τοῦ Λόγου γεγενηµένης πέπαυται τούτων ἡ φαντασία. Τῷ γὰρ σηµείῳ τοῦ σταυροῦ καὶ µόνον ὁ ἄνθρωπος χρώµενος, ἀπελαύνει τούτων τὰς ἀπάτας (KANNENGIESSER, 1973, 436–438,1–14; Übersetzung nach STEGMANN/MERTEL, 1917, 144). 39 Eus., Pr. Ev. V 28. 40 Hdt. I 53,3. 41 Iul., C.Heracl. 5, 209b, nennt das – von ihm scharf kritisierte – Werk neutraler Κατὰ τῶν χρηστηρίων („Gegen die Orakel“); gemeint ist vermutlich derselbe Text. Vgl. dazu HAMMERSTAEDT, 1988, 41. 42 Eus., Pr. Ev. V 26,3. 38

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seiner Orakelsprüche.43 Vor allem aber übernahm Euseb von Oinomaos die Beobachtung, letztlich sei es das Schicksal, die Vorsehung und das fatum, das den letzten Endes machtlosen Gott Apoll dazu zwingt, bestimmte Dinge zu orakeln: Nun zu denken, dass du in Delphi sitzt, nicht fähig zu schweigen, selbst wenn du das wünschen solltest! Apollon also – der Sohn des Zeus – wünscht nicht, weil er wünscht, sondern weil ihm von der Notwendigkeit vorgeschrieben wird zu wünschen!44

Diese Fremdbestimmtheit durch das Schicksal ist es, die Apollon eindeutig als untergeordneten Dämon erweist. Origenes hatte festgestellt, dass Apollon zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort wohnt – er erwähnt Delphi und Didyma. Dies werde von den Griechen nicht bestritten.45 Er gesteht zu, dass die Antworten der Pythia keine Menschenerfindungen seien,46 aber sie seien eben nicht göttlicher, sondern dämonischer Herkunft: Wir wollen sehen, […] dass man selbst bei Akzeptanz der Echtheit dieser Orakelsprüche nicht notwendigerweise zugestehen muss, dass dort gewisse Gottheiten präsent sind, sondern im Gegenteil bestimmte böse Dämonen und Geister, die der Menschheit feindselig gesonnen sind und den Aufstieg der Seele, das Voranschreiten auf dem Weg der Tugend und die Wiederherstellung der wahren Verehrung Gottes verhindern wollen. So berichtet man von der Pythia, deren Glanz alle anderen Orakel zu überstrahlen scheint, dass die Prophetin des Apollon, über der Öffnung der kastalischen Höhle sitzend, den Geist durch ihre Genitalien aufnimmt; von ihm erfüllt, verkündet sie die als ehrwürdig und göttlich geltenden Orakel. Sieh nun, ob sich nicht daran der unreine und unheilige Charakter jenes Geistes zeigt, der nicht durch feine, unsichtbare Poren, die viel reiner als die Genitalien sind, in die Seele der Weissagerin eindringt, sondern durch die Körperteile, die ein keuscher Mensch nicht einmal sehen, geschweige denn berühren darf. Und dies nicht nur einoder zweimal – ein solches Vorkommen wäre vielleicht noch erträglich erschienen –, sondern sooft man glaubte, sie prophezeie unter dem Einfluss des Apollon. Aber auch das ist nicht das Werk eines göttlichen Geistes, dass er die angebliche Prophetin in Ekstase und in einen rasenden Zustand versetzt, so dass sie völlig außer sich gerät. Denn der vom göttlichen Geist Ergriffene hätte viel eher als jeder beliebige Mensch, der sich von den Orakeln über das Auskunft erteilen lässt, was zu einem ausgeglichenen und naturgemäßen Leben dient, zu seinem eigenen Nutzen oder Vorteil Unterstützung erhalten und gerade in

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Siehe u. a. Eus., Pr. Ev. V 18–36. Eus., Pr. Ev. VI 7,1: Σὲ οὖν ἐν Δελφοῖς καθῆσθαι, µὴ δυνάµενον µηδ’ εἰ βούλοιο σιωπᾶν· ὁ δ’ Ἀπόλλων ἄρα ὁ τοῦ Διὸς υἱὸς νυνὶ βούλεται, οὐχ ὅτι βούλεται, ἀλλ’ ὅτι ὑπ’ ἀνάγκης εἰς τὸ βουληθῆναι τέτακται (MRAS/DES PLACES, 1982, 312,21–24). 45 Orig., Cels. I 70. 46 Orig., Cels. VII 3: Ἀλλὰ γὰρ δεδόσθω µὴ εἶναι πλάσµατα µηδὲ προσποιήσεις ἀνθρώπων περὶ θεοφορίας τὰ περὶ τὴν Πυθίαν καὶ τὰ λοιπὰ χρηστήρια („Aber es sei eingeräumt, dass die Antworten der Pythia und der übrigen Orakel keine Erfindungen von Menschen sind, die eine göttliche Inspiration simulieren“, BORRET, 1972, 18,16–18; Übersetzung BARTHOLD, 2011/12, 1183). 44

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dem Zeitraum den klarsten Blick besitzen müssen, in dem sich die Gottheit mit ihm vereinigt.47

Die Art der Übertragung der mantischen Fähigkeiten auf die Pythia durch die Geschlechtsorgane und der Kontrollverlust der Ekstase beweisen also die dämonische Natur der Mantik. Zudem handele es sich bei der Pythia weder um einen weisen Mann noch wenigstens um eine reine Jungfrau, was die geringe Stellung des Dämons zusätzlich unterstreiche. Dazu kommt für den in der Hierarchie (neu-)platonischer Kosmologie denkenden Origenes48 die örtliche Bindung der Orakelgeister an bestimmte Orte und Orakelstätten, also an niedrige und „schwere“ irdische Orte: Aber wenn man glaubt, [...] dass die reine und nicht durch die Bleigewichte der Bosheit beschwerte Seele in die Höhe hinauf zu den Regionen der reineren und ätherischen Körper schwebt, nachdem sie die hier unten existierenden groben und schweren Körper und die mit ihnen verbundenen Befleckungen verlassen hat,49 während die lasterhafte Seele, die durch ihre Sünden zur Erde herabgezogen wird und nicht einmal aufatmen kann, hier umherschwebt und umherirrt, die eine ,bei den Gräbern‘, wo auch ,Erscheinungen schattenhafter Seelen gesehen wurden‘,50 die andere einfach im Bereich über der Erde: Was für ein Wesen muss man dann den Geistern zuschreiben, die sozusagen ganze Zeitalter, sei es durch obskure Zauberpraktiken, sei es aufgrund ihrer eigenen Bosheit, an Gebäude und Orte gefesselt sind? Die Vernunft fordert es also, solche Geister für böse Wesen zu halten,

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Orig., Cels. VII 3: ἴδωµεν [...] καὶ τῷ παραδεχοµένῳ εἶναι ταῦτα τὰ µαντεῖα οὐκ ἀναγκαῖον προσέσθαι ὅτι θεοί τινες εἰσὶ παρ’ αὐτοῖς, ἀλλ’ ἐκ τοῦ ἐναντίου δαίµονές τινες φαῦλοι καὶ πνεύµατα ἐχθρὰ τῷ γένει τῶν ἀνθρώπων καὶ κωλύοντα τὴν τῆς ψυχῆς ἄνοδον καὶ δι’ ἀρετῆς πορείαν καὶ τῆς ἀληθινῆς εὐσεβείας ἀποκακαὶ δι’ ἀρετῆς πορείαν καὶ τῆς ἀληθινῆς εὐσεβείας ἀποκατάστασιν πρὸς τὸν θεόν. Ἱστόρηται τοίνυν περὶ τῆς Πυθίας, ὅπερ δοκεῖ τῶν ἄλλων µαντείων λαµπρότερον τυγχάνειν, ὅτι περικαθεζοµένη τὸ τῆς Κασταλίας στόµιον ἡ τοῦ Ἀπόλλωνος προφῆτις δέχεται πνεῦµα διὰ τῶν γυναικείων κόλπων· οὗ πληρωθεῖσα ἀποφθέγγεται τὰ νοµιζόµενα εἶναι σεµνὰ καὶ θεῖα µαντεύµατα. Ὅρα δὴ διὰ τούτων εἰ µὴ τὸ τοῦ πνεύµατος ἐκείνου ἀκάθαρτον καὶ βέβηλον ἐµφαίνεται, µὴ διὰ µανῶν καὶ ἀφανῶν πόρων καὶ πολλῷ γυναικείων κόλπων καθαρωτέρων ἐπεισιὸν τῇ ψυχῇ τῆς θεσπιζούσης ἀλλὰ διὰ τούτων, ἃ οὐδὲ θέµις ἦν τῷ σώφρονι καὶ ἀνθρώπῳ βλέπειν, οὔπω λέγω ὅτι καὶ ἅπτεσθαι· καὶ τοῦτο ποιεῖν οὐχ ἅπαξ που οὐδὲ δίς – ἴσως γὰρ ἔδοξεν ἀνεκτότερον τὸ τοιοῦτο τυγχάνειν –, ἀλλὰ τοσαυτάκις, ὁσάκις προφητεύειν ἐκείνη ἀπὸ τοῦ Ἀπόλλωνος πεπίστευται. Ἀλλὰ καὶ τὸ εἰς ἔκστασιν καὶ µανικὴν ἄγειν κατάστασιν τὴν δῆθεν προφητεύουσαν, ὡς µηδαµῶς αὐτὴν ἑαυτῇ παρακολουθεῖν, οὐ θείου πνεύµατος ἔργον ἐστίν· ἐχρῆν γὰρ τὸν κάτοχον τῷ θείῳ πνεύµατι πολλῷ πρότερον παντὸς οὑτινοσοῦν τοῦ ἀπὸ τῶν χρησµῶν διδασκοµένου τὸ συµβαλλόµενον εἰς τὸν µέσον καὶ κατὰ φύσιν βίον ἢ πρὸς τὸ λυσιτελὲς ἢ πρὸς τὸ συµφέρον ὠφεληθῆναι καὶ διορατικώτερον παρ’ ἐκεῖνο µάλιστα καιροῦ τυγχάνειν, ὅτε σύνεστιν αὐτῷ τὸ θεῖον (BORRET, 1972, 18,20–20,46; Übers. BARTHOLD, 2011/12, 1185). 48 Vgl. dazu die umfangreiche Literatur zur origeneischen Kosmologie, z.B. KÖCKERT, 2009, 223–310. 49 Vgl. Plat., Phaedr. 246b–247c. 50 Vgl. Platon, Phaed. 81cd und zu der Stelle noch Orig., Cels. II 60.

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da sie die Fähigkeit des Vorherwissens, die an sich ethisch indifferent ist, dazu benutzen, die Menschen zu täuschen und sie von Gott und seiner reinen Verehrung abzuziehen [...] Wenn der delphische Apollon wirklich ein Gott wäre, wie die Griechen glauben, wen hätte er als Propheten auswählen sollen, wenn nicht einen Weisen oder, falls sich ein solcher nicht finden ließ, einen Menschen, der auf dem Weg zur Weisheit voranschreitet? Warum wollte er nicht eher einen Mann als eine Frau prophezeien lassen? Wenn er aber das weibliche Geschlecht vorzog, da er vielleicht nichts anderes in Dienst nehmen konnte oder erfreulich fand als die Genitalien von Frauen, hätte er sich dann zur Verkündigung seines Willens nicht eher eine Jungfrau auswählen sollen als eine andere Frau? Nein, der von den Griechen bewunderte pythische Gott wählte eine gewöhnliche, ungebildete Frau!51

Auch hier stellt also nicht die Orakelpraxis als solche das Problem dar, sondern die dämonische Schlechtigkeit des Orakelgottes, die die Menschen dazu verführt, sich von der „reinen Verehrung Gottes“ abzuwenden. Bei Origenes ist diese Argumentation – auch angesichts der apologetischen Stoßrichtung seines Werkes – stark ethisch gewendet, dennoch scheint hier auch schon die zweite Ebene der Konfrontation durch, die rituelle Konkurrenz. Resümierend fasst im fünften Jahrhundert Theodoret von Kyrrhos († 460) Aufstieg und Niedergang der Orakeldämonen folgendermaßen zusammen: Die bösen Dämonen […] haben den Stand, den sie erhalten haben, verlassen und sind der sanften Herrschaft ihres Schöpfers entwichen. Sie verlangten nach der Tyrannenherrschaft, haben sich den göttlichen Namen angeeignet, sich selbst als Gott bezeichnet und die Unwissenden unter den Menschen verleitet, ihnen göttliche Verehrung zu erweisen. Sodann waren sie bestrebt, ihre Macht zu festigen, und haben es unternommen, die Zukunft im Voraus zu erkennen und vorherzusagen, und haben damit ganz besonders die Menschen betrogen, die leicht zu fangen sind. Deshalb haben sie überall auf der Erde Werkstätten ihres Betrugs eingerichtet und die Betrügereien der Orakel erfunden [...] die Kastalische

51 Orig., Cels. VII 5: Ἀλλὰ καὶ εἴπερ πεπίστευται […] ὅτι ἡ µὲν καθαρὰ καὶ µὴ βαρουµένη ὑπὸ τῶν τῆς κακίας µολιβδίδων µετέωρος φέρεται ἐπὶ τοὺς τόπους τῶν καθαρωτέρων καὶ αἰθερίων σωµάτων, καταλιποῦσα τὰ τῇδε παχέα σώµατα καὶ τὰ ἐν αὐτοῖς µιάσµατα, ἡ δὲ φαύλη καὶ ὑπὸ τῶν ἁµαρτάδων καθελκοµένη ἐπὶ τὴν γῆν καὶ µηδ’ ἀναπνεῦσαι δυναµένη τῇδε φέρεται καὶ καλινδεῖται, ἡ µέν τις ἐπὶ ‚τὰ µνήµατα‘, ἔνθα καὶ ‚ὤφθη σκιοειδῶν ψυχῶν φαντάσµατα‘, ἡ δέ τις ἁπαξαπλῶς περὶ τὴν γῆν· ποδαπὰ χρὴ νοµίζειν εἶναι πνεύµατα τὰ ὅλους, ἵν’ οὕτως ὀνοµάσω, αἰῶνας προσδεθέντα ὥσπερ εἴτε µαγγανείαις τισὶν εἴτε καὶ διὰ τὴν σφετέραν κακίαν οἰκοδοµαῖς καὶ τόποις; Ὁ λόγος δὴ αἱρεῖ φαῦλ’ ἄττα νοµίζειν εἶναι τὰ τοιαῦτα, τῇ προγνωστικῇ δυνάµει µέσῃ τυγχανούσῃ εἰς ἀπάτην ἀνθρώπων χρώµενα καὶ πρὸς τὸ περισπάσαι αὐτοὺς ἀπὸ τοῦ θεοῦ καὶ τῆς καθαρᾶς εἰς αὐτὸν εὐσεβείας […] Εἴπερ δὲ θεὸς ἦν, ὡς Ἕλληνες οἴονται, ὁ ἐν Δελφοῖς Ἀπόλλων, τίνα µᾶλλον ἐχρῆν αὐτὸν ἐκλέξασθαι προφήτην ἢ τὸν σοφὸν ἢ µὴ εὑρισκοµένου τοῦ τοιούτου κἂν τὸν προκόπτοντα; Πῶς δ’ ἂν οὐκ ἄνδρα µᾶλλον προφητεύειν ἐβούλετο ἤπερ γυναῖκα; γυναῖκα; Εἰ δὲ καὶ τὸ θῆλυ ἤθελεν, ὡς τάχα µὴ δυνάµενος ἢ µὴ τερπόµενος ἄλλῳ τινὶ ἢ τοῖς κόλποις τῶν γυναικῶν, πῶς οὐχὶ παρθένον µᾶλλον ἐχρῆν αὐτὸν ἐπιλέξασθαι ἤπερ γυναῖκα τὴν τὸ βούληµα αὐτοῦ θεσπίζουσαν; Νυνὶ δὲ ὁ θαυµαζόµενος παρ’ Ἕλλησι Πύθιος […] ἔκρινε […] τινα γυναῖκα ἰδιῶτιν (Borret, 1972, 22,1–26,5; Übers. Barthold, 2011/12, 1187).

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Quelle, den Bach von Kolophon, die heilige Eiche und das Erzgefäß von Dodona, [...] und in Delphi und in Kolophon das klarische, pythische, delische und didymaeische Apollonorakel [...] Dass diese Orakel von den bösen Dämonen stammen, die sich den Namen des Göttlichen angeeignet haben, beweist hinreichend das Schweigen, dass jetzt über sie verhängt ist. Denn nach dem Erscheinen unseres Retters flohen die, die den Menschen diesen Betrug gebracht haben, weil sie den Glanz des göttlichen Lichts nicht ertrugen.52

3. Die rituelle Konkurrenz: Das Orakel als kultische Definitionsmacht Dieser Aspekt ist, soweit ich sehen kann, in der Rezeption der patristischen Orakelkritik bisher noch nicht ausführlicher beleuchtet worden. Die Beiträge des vorliegenden Bandes beschreiben verschiedentlich die komplexe rituelle Tradition in Delphi, die sich durch die folgenden rituellen Definitionsleistungen auszeichnet: Erstens definierte der Orakelritus eine rituelle Zeit. Dem berühmten Bericht des Plutarch zufolge nahm das Orakel nur zu bestimmten Daten im Jahresverlauf seine Arbeit auf. Bevor das Orakel beginnen konnte, wurde eine junge Ziege mit eiskaltem Wasser besprengt und ihre erschreckte oder ruhige Reaktion beobachtet. Je nach Ausgang dieses Divinationsritus wurde das Orakel um einen Monat vertagt, oder es durften umfangreiche Reinigungsriten beginnen, zu denen unter anderem eine Waschung der Pythia in der heiligen Quelle gehörte. Erst dann begann die abgegrenzte Zeit für den Orakelvollzug. Diese so definierte Zeit erfüllte eine symbolische Verweisfunktion: Der Vollzug der beschriebenen Riten am siebten Tag jedes Monats im Sommer verwies auf den Geburtstag des Apollon am siebten Tag des delphischen Monats Bysios.53 Die Winterpause verwies auf den dreimonatigen

52 Thdt., Affect. X 1–4: οἱ παµπόνηροι δαίµονες […] τὴν γὰρ δὴ τάξιν καταλιπόντες, ἣν ἔλαχον, καὶ τὴν ἡµερωτάτην τοῦ πεποιηκότος ἀποδράσαντες δεσποτείαν, ἥρπασαν µὲν τὴν τυραννίδα, τὸ δὲ θεῖον ὄνοµα σεσυληκότες, θεοὺς σφᾶς αὐτοὺς προσηγόρευσαν καὶ τὸ θεῖον σέβας σφίσι προσφέρειν τῶν ἀνθρώπων τοὺς ἀνοήτους ἀνέπεισαν· εἶτα κρατῦναι τὴν δυναστείαν σπουδάζοντες, καὶ προγινώσκειν τὰ µέλλοντα καὶ προλέγειν ἐνεανιεύσαντο, ταύτῃ µάλιστα τοὺς εὐαλώτους ἀνθρώπους παρακρουόµενοι. Διά τοι τοῦτο πανταχοῦ γῆς τὰ τῆς ἀπάτης κατεσκεύασαν ἐργαστήρια καὶ τὰς µαντικὰς ἐπενόησαν µαγγανείας, […] τὴν Κασταλίας πηγὴν καὶ τὸ Κολοφώνιον ῥεῖθρον καὶ τὴν ἱερὰν δρῦν καὶ τὸ Δωδωναῖον χαλκεῖον […] καὶ Δελφοῖς καὶ Κολοφῶνι τοῦ Κλαρίου καὶ Πυθίου καὶ Δηλίου καὶ Διδυµαίου […] Ὅτι δὲ παµπονήρων ἦν δαιµόνων ταῦτα χρηστήρια τὴν θείαν προσηγορίαν σεσυληκότων, ἱκανὴ µὲν τεκµηριῶσαι καὶ ἡ νῦν αὐτοῖς ἐπικειµένη σιγή. Μετὰ γὰρ δὴ τὴν τοῦ Σωτῆρος ἡµῶν ἐπιφάνειαν ἀπέδρασαν οἱ τήνδε τὴν ἐξαπάτην τοῖς ἀνθρώποις προσφέροντες, τοῦ θείου φωτὸς οὐκ ἐνεγκόντες τὴν αἴγλην (Text und Übers. nach SCHOLTEN, 2015, 570,15– 573,13). 53 Plut., Qu. Graec. 9.

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Aufenthalt des Apollon bei den Hyperboreern.54 Zweitens definierte der Orakelritus einen rituellen Raum. Das caprinische (Ziegen-)Omen und die kultische Waschung der Pythia in der heiligen Quelle Κασταλίη sowie die architektonische Begrenzung des Raums mit dem Altar der Hestia waren erneut rituelle Definitionsleistungen, die auf den Apollonmythos verwiesen. Die Quelle verwies auf die mythische Nymphe Κασταλία, die sich auf der Flucht vor dem werbenden Apollon in die Quelle gestürzt hatte. Die Ziege verwies auf den Gründungsmythos des Orakels, denn Ziegen hätten, wie Diodorus Siculus schreibt, die Orakelstätte entdeckt.55 All diesen Definitionsleistungen ist gemein, dass sie einerseits im Ritus auf den Mythos verweisen. Der Ritus verweist auf eine Geschichte, auf eine narrative Einbettung in die kulturelle Identität. Andererseits folgt der Ritus einer in sich plausiblen Logik: Ohne das caprinische Omen muss das Orakel vertagt werden, weil der Gott nicht zum Orakel bereit ist. Ohne die kultische Waschung der Pythia könnte das Orakel keinen Erfolg haben, weil Unreinheit in die heilige Sphäre des Orakelraums getragen würde, was eine Tempelreinigung notwendig machen würde usw. Schließlich folgt auch die von manchen Autoren angenommene Jungfräulichkeit56 bzw. die sexuelle Enthaltsamkeit der Pythia einer in sich plausiblen Logik von Kultreinheit. Für das Christentum ergab sich durch die Stärke und Bekanntheit dieser rituellen Überlieferung eine komplexe Konkurrenzsituation: Die Plausibilität der delphischen Rituale und die reiche mündliche und schriftliche Tradition jahrhundertelanger Divination ließen sich nicht einfach als Hokuspokus abtun. Jedenfalls war die biblische und anfangs sehr überschaubare eigene rituelle Überlieferung keineswegs in einer so überlegenen Lage, dass die Christen einfach die Existenz der Gottheit und die innere Logik des Orakelgeschehens hätten pauschal ablehnen können. Dies erklärt meines Erachtens die für uns zuweilen überraschend umständlichen Strategien der christlichen Orakelkritik. So gab es fast keine Stimmen, die die Existenz des Gottes Apollon geleugnet hätten oder die eindrückliche Wirksamkeit und Überzeugungskraft der Orakelsprüche in Abrede gestellt hätten. Stattdessen finden sich im Christentum eigene rituelle Definitionsversuche, die seit dem späten zweiten oder frühen dritten Jahrhundert n. Chr. in eine rituelle Konkurrenz zu denen von Delphi traten. Es wurden Orte etabliert, die ebenfalls mit einer starken narrativen Überlieferung verbunden werden konnten und mit denen sich eine kongruente rituelle Logik verbinden 54 Die Sage ist vielfach überliefert, vgl. dazu nur die umfangreichen Quellennachweise bei DAEBRITZ, 1914, 258–279. 55 Diod., XVI 26,1. 56 Im Gegensatz zu Origenes kennt Tertullian die Überlieferung der virginitas der Pythia und hält dies den Christen vor, die den Wert der Jungfräulichkeit bezweifeln: Tert., Exhort. cast. 13 (siehe Anm. 69).

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konnte: die Gräber der Apostel und der Märtyrer.57 Zu denken ist an die frühe Märtyrerstätte des Polykarp von Smyrna,58 an die ebenfalls wohl schon auf das späte zweite Jahrhundert n. Chr. zurückgehende architektonisch eingegrenzte Verehrung der Apostelgräber in Rom59 und erst recht an die strategisch geplante und durchgeführte Schaffung einer städtischen Architektur von Märtyrerstätten in Mailand durch Bischof Ambrosius zwischen 386 und 395.60 Auch hier finden wir jeweils die Verbindung von Narrativen mit Definitionen ritueller Grenzen, von Geschichten und körperlich erfahrbaren Räumen. Von Polykarp werden nicht nur seine Bekanntschaft mit dem Apostel Johannes, seine Aussagen aus seinen Briefen oder seine Position im Osterfeststreit überliefert; auch sein Tod, das Zusammensammeln seiner Gebeine und die Errichtung der Märtyrerstätte mit einer rituellen Ordnung wurde aufgeschrieben und im Zusammenhang mit den Gottesdiensten an seiner Märtyrerstätte regelmäßig wiederholt: Als nun der Centurio den Widerstand der Juden sah, ließ er ihn in die Mitte legen und – wie es ihre Gewohnheit ist – verbrennen. Auf diese Weise sammelten wir hinterher seine Gebeine auf, die wertvoller als Edelsteine und kostbarer als Gold sind, und bestatteten sie, wo es angemessen war.61 Dort wird uns, die wir uns nach Möglichkeit in Jubel und Freude dort versammeln, der Herr die Feier des Geburtstags seines Martyriums ermöglichen zum Gedächtnis derer, die zuvor den Kampf bestanden haben, und zur Übung und Vorbereitung für die, denen dies noch bevorsteht.62

Die Errichtung der Märtyrerstätte von Smyrna kann als exemplarisch für die Etablierung rituell definierter Zeiten und Räume gelten, die eine Verweisfunktion auf ein christliches Narrativ erfüllten. Bemerkenswerterweise wird 57

Vgl. zu den Parallelen zwischen Heiligengräbern und Orakelstätten WACHT, 1998, 232–250. Zu den Märtyrerstätten BAUMEISTER, 1988, 96–150. 58 Vgl. Martyrium Polycarpi 17 f. 59 Vgl. dazu die kontroverse Diskussion um die Entstehung einer ortsgebundenen Petrusverehrung im zweiten Jahrhundert in Rom: THÜMMEL, 1999; ZWIERLEIN, 2010; HEID, 2011; ZWIERLEIN, 2013; GNILKA/HEID/RIESNER, 2015. 60 Ambrosius ließ 386 die Gräber von Gervasius und Protasius öffnen und in einen dafür hergerichteten Kirchenraum überführen. 393 folgten Vitalis und Agricola, 395 Nazarius und Celsus. Vgl. dazu Ambr., Epist. 22,2. Zur Stelle s. VOLP, 2002, 116 und 129; NÄF, 2011, 58–65. 61 Vgl. die Parallele in ActCarpi 47. 62 Martyrium Polycarpi 18,1–3: Ἰδὼν οὖν ὁ κεντυρίων τὴν τῶν Ἰουδαίων γενοµένην φιλονεικίαν, θεὶς αὐτὸν ἐν µέσῳ, ὡς ἔθος αὐτοῖς, ἔκαυσεν. οὕτως τε ἡµεῖς ὕστερον ἀνελόµενοι τὰ τιµιώτερα λίθων πολυτελῶν καὶ δοκιµώτερα ὑπὲρ χρυσίον ὀστᾶ αὐτοῦ ἀπεθέµεθα ὅπου καὶ ἀκόλουθον ἦν. ἔνθα ὡς δυνατὸν ἡµῖν συναγοµένοις ἐν ἀγαλλιάσει καὶ χαρᾷ παρέξει ὁ κύριος ἐπιτελεῖν τὴν τοῦ µαρτυρίου αὐτοῦ ἡµέραν γενέθλιον εἴς τε τὴν τῶν προηθληκότων µνήµην καὶ τῶν µελλόντων ἄσκησίν τε καὶ ἑτοιµασίαν (Übersetzung BUSCHMANN, 1998, 336). Vgl. zur Stelle BUSCHMANN, 1998, 336–339. Zur Forschungsgeschichte DEHANDSCHUTTER, 1993, 485–522; BUSCHMANN, 1994, 5–14.48– 70; vgl. außerdem BAUMEISTER, 1988, 105 f.112 f.

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im nachträglich angefertigten Bericht zum Martyrium des Polykarp bereits auf diese rituelle Konkurrenz hingewiesen. Polykarp sei zum Tode verurteilt worden, weil er der καθαιρέτης, der Zerstörer bzw. wörtlich „Abreißer“ des paganen Kults sei, des Opfers und der Proskynese an den althergebrachten heiligen Stätten: „Dieser ist der Lehrer Asiens, der Vater der Christen, der Zerstörer unserer Götter, der durch seine Lehre viele bewegt, nicht zu opfern und anzubeten.“63

Es sind dabei keine Aktionen des historischen Polykarp überliefert, die auf eine eigenhändige Zerstörung von Tempeln oder Orakelstätten hinweisen würden – so etwas ist sowieso wohl nur sehr selten vorgekommen. Insofern stellt sich die Frage, woher dieser konkrete Vorwurf kommt, Polykarp sei ein „Abreißer paganer Stätten“. Es könnte damit allgemein ein missionarisches Wirken für das Christentum gemeint sein. Schon Apg 19,23–27 berichtet von einem Protest der Silberschmiede in Ephesos, die silberne Artemistempel herstellten und wegen der Missionspredigt des Paulus um ihre Einnahmen fürchteten. Ich halte es aber auch für möglich, dass sich in dieser Anklage die Spur einer erfolgreichen rituellen Konkurrenz der Polykarpstätte und jedenfalls seines Gedenkrituals erhalten haben könnte, die von den Vertretern der althergebrachten Kulte als zerstörerisch oder zumindest geschäftsschädigend wahrgenommen wurde. Die jüngere Forschung hat das Martyrium Polycarpi nicht als ein historisches Protokoll eines Martyriums, sondern vielmehr als einen „liturgischen“ Text profiliert.64 Die rituelle Funktion wird etwa in MartPol 14 deutlich, wo dem Märtyrer ein ausformuliertes Eucharistiegebet in den Mund gelegt wird, das so oder ähnlich in einem wiederkehrenden Gottesdienst gebetet werden konnte – als Abendmahls- und Fürbittengebet, aber unter Beibehaltung des Verweischarakters auf die Polykarperzählung.65 Man kann freilich kaum davon ausgehen, dass zu dieser Zeit das Christentum im Großen und Ganzen mit den Orakeln und paganen Kulten hätte rituell konkurrieren können, also mit öffentlichen rituellen Raum- und Zeitdefinitionen, die auf ein symbolisches Universum jenseits des Ritus verwiesen. Erst die Etablierung großer christlicher Feste und regelmäßiger, für die neuerbauten großen Basiliken entworfener liturgischer Feiern im vierten Jahrhundert n. Chr. konnte der althergebrachten komplexen rituellen Architektur der graeco-römischen Welt wirklich auf Augenhöhe begegnen. Aus Daphne wissen wir, dass Orakelstätten nun sogar aktiv durch die Errichtung christlicher Märtyrerstätten in unmittelbarer Nähe bekämpft und in Frage gestellt werden 63 Martyrium Polycarpi 12,2: „Οὗτός ἐστιν ὁ τῆς Ἀσίας διδάσκαλος – ὁ πατὴρ τῶν Χριστιανῶν – ὁ τῶν ἡµετέρων θεῶν καθαιρέτης — ὁ πολλοὺς διδάσκων µὴ θύειν µηδὲ προσκυνεῖν“ (LINDEMANN/PAULSEN, 1992, 272,17–19). 64 S. etwa KHOMYCH, 2005, 477–487; BUSCHMANN, 1990; BUSCHMANN, 1994. 65 Das ist keine neue Erkenntnis, vgl. etwa bereits ROBINSON, 1899, 63–72.

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konnten.66 Dort wurden die sterblichen Überreste des Märtyrers Babylas und seiner Anhänger in der Nähe des Apollonorakels bestattet und vermutlich auch eine liturgische Ordnung etabliert, wie wir das von anderen Märtyrerstätten kennen. Theodoret berichtet von der Effektivität dieser Maßnahme, die dazu führte, dass Julian die Märtyrerstätte in der Nähe des Orakels beseitigen ließ, weil „es klar war, dass das Lügenorakel von jener Gnadenstätte an seiner gewöhnlichen falschen Rede gehindert wurde“.67 Im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. finden sich jedoch bei den christlichen Denkern noch eher Argumentationen, die die ethische und theologische Überlegenheit des christlichen Glaubens in den Vordergrund stellen. Tertullian etwa konnte in seiner großen Apologetik das Christentum den Nichtchristen gegenüber geradezu als eine philosophisch-ethische Lehre porträtieren, die jedenfalls keine rituelle Konkurrenz zu den paganen Kulten darstellte: Eben dieselbe Tugend [wie die der Christen], sagt man, lehren und bekennen auch die Philosophen: Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Geduld, Mäßigkeit und Keuschheit […] Warum werden jene als unseresgleichen nicht auch zu solchen Leistungen gedrängt, deren Unterlassung uns in Gefahr bringt? Wer zwingt denn einen Philosophen zu opfern oder zu schwören oder mitten am Tage zwecklos Lampen zur Schau zu stellen?68

Wenn Tertullian dagegen ein christliches Lesepublikum vor Augen hatte, zeichnete er die Menschheitsgeschichte als eine Geschichte der Abwendung des Menschen vom Guten, stets noch befeuert vom Satan, der immer noch mehr Menschen zum Bösen hintreibt. Die Christen hätten durch die Besinnung auf die Botschaft Christi die Gelegenheit, ihre Gottähnlichkeit zurückzugewinnen, wenn nicht der Satan auch sie immer wieder davon abzubringen versuchte. Und bei dem Orakelgott von Delphi handelte es sich Tertullian zufolge um ebendiesen „Satan“: Wenn der Satan aber die Geheimnisse Gottes nachäfft, so ist es für uns eine starke Provokation oder vielmehr eine Beschämung, wenn wir lässig sind, Gott die Enthaltsamkeit darzubringen, welche einige dem Teufel leisten, bald durch Jungfräulichkeit, bald durch 66 Der christliche Caesar des Ostens, Constantius Gallus (351–354), errichtete Johannes Chrysostomus zufolge eine Märtyrergedenkstätte für Babylas in der Nähe der Quelle und der Orakelstätte von Daphne, die daraufhin verstummte (Io. Chrys., Bab. 67 und 73). Nach Chrysostomus und Ammianus Marcellinus unterstellte Julian – unberechtigterweise – einen Zusammenhang mit der Beschädigung des Apollontempels: Amm., XXII 12,8–13,3, vgl. Io. Chrys., Bab. 81.87.93. 67 Theodoret., HE III 10: καὶ δῆλος ἦν ὁ ψευδόµαντις ὑπὸ τῆς ἐκείνου χάριτος τῆς συνήθους ψευδολογίας εἰργόµενος (PARMENTIER/SCHEIDWEILER, 1954, 186,25– 187,1). 68 Tert., Apol. 46,2: Eadem inquit, et philosophi monent atque profitentur, innocentiam, iustitiam, patientiam, sobrietatem, pudicitiam [...] Cur et illi, ut pares nostri, non urgentur ad officia, quae nos non obeuntes periclitamur? Quis enim philosophum sacrificare aut deierare aut lucernas meridie uanas prostituere compellit? (DEKKERS, 1954, 160,12–20).

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beständige Witwenschaft. Bekannt sind ja die Jungfrauen der Vesta, die Jungfrauen der Juno in einer Stadt Achaias, die des Apollon in Delphi, die der Minerva und Diana an gewissen Orten [...] So hat der Teufel eine Art von Verderben bringender Enthaltsamkeit nach vorherigem Genuss der Wollust erfunden, damit die Schuld eines Christen, der die heilbringende Enthaltsamkeit zurückweist, umso größer werde.69

Die Jungfrauen habe Apollon nur deshalb am delphischen Heiligtum installiert, um eine castitas perditrix, eine zum Verderben führende Reinheit in die Welt zu setzen. Der Orakelritus etablierte also eine Virginitätskonkurrenz der Apollonpriesterinnen und verschärfte so noch die Schuld derjenigen, die sich in ihrem Leben nicht selbst der Enthaltsamkeit zuwendeten: Wenn schon die Priesterinnen von Dämonen wie in Delphi Keuschheit üben könnten, sollte es guten Christinnen und Christen umso leichter fallen. Eine nicht ganz einfache Argumentation, die aber die Bedeutung der delphischen Orakelkonkurrenz für das Christentum verdeutlicht, selbst für die weit entfernte Christengemeinde von Karthago.

4. Die intellektuelle Konkurrenz: Das Orakel als Weisheitstradition Schließlich stellten die delphischen Orakelsprüche auch eine ernstzunehmende intellektuelle Konkurrenz dar. Die beeindruckende Weisheitstradition der Orakelsprüche spielt in einigen Beiträgen dieses Bandes eine Rolle.70 Sie führte dazu, dass sich in der Spätantike geradezu eine „Philosophie der Orakel“ etablieren konnte, deren Werke aber größtenteils verschollen sind. Zu denken ist an Porphyrios, De philosophia ex oraculis haurienda („Über die aus den Orakeln herauszuziehende Philosophie“), oder an Kaiser Julian.71 Interessanterweise verband sich in diesen Kreisen zuweilen eine Geringschätzung der rituellen Aspekte des Orakelwesens mit einer Hochschätzung der in den Orakelsprüchen überlieferten Weisheitstradition, und tatsächlich hatte Delphi hier einiges zu bieten: Das Orakel an den reichen Kaufmann von Magnesia hatte ich oben bereits erwähnt. Der arme Bauer Klearchos, so das 69 Tert., Exhort. cast. 13,2: Cum autem dei sacramenta satanas affectat, prouocatio est nostra, immo suffusio, si pigri simus ad continentiam deo exhibendam, quam diabolo quidam praestant, nunc uirginitate, nunc uiduitate perpetua. Nouimus uirgines: Vestae, et Iunonis apud Achaiae oppidum, et Apollinis apud Delphos, et Mineruae et Dianae quibusdam locis [...] Inuenit scilicet diabolus post luxuriam etiam castitatem perditricem, quo magis reus sit Christianus qui castitatem recusauerit conseruatricem. (KROYMANN, 1954, 1034,11–24; Übersetzung nach KELLNER, 1912, 345f.). 70 Vgl. Hirsch-Luipold, oben S. 399.401.405; Tanaseanu-Döbler, oben S. 431–433.438– 441.445–448.451–454. 71 Vgl. zu Julians Orakelfrömmigkeit zuletzt ausführlich STÖCKLIN-KALDEWEY, 2014, insbes. 146–161.

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Orakel, habe mit seinen geringen Spenden weit Größeres als der Reiche mit seinen üppigen Kultgaben geleistet, eine direkte Parallele zum „Scherflein der Witwe“ aus Mk 12,41–44.72 Berühmt und gerühmt wurden in der antiken Literatur die Orakelsprüche an Ödipus,73 die lydischen Könige Gyges74 und Kroisos,75 Themistokles,76 Chairephon (über Sokrates),77 Alexander den Großen78 und Pyrrhos79. Wie stark und eindrücklich diese delphische Weisheitstradition noch für die spätantiken Zeitgenossen war, machen die zahlreichen positiven Aufnahmen einzelner Orakelsprüche auch durch die Kirchenväter deutlich. Laktanz († nach 317) kannte zum Beispiel ebenso wie Minucius Felix80 die Antwort auf die Anfrage des Atheners Chairephon, ob es einen weiseren Menschen als Sokrates gebe:81 Nach ihm82 behauptete Sokrates den Vorrang in der Philosophie. Dieser ist auch durch das Orakel zum Weisesten erklärt worden, weil er von sich bekannte, nur das eine zu wissen, dass er nichts wisse.83

Laktanz macht sich aber über die theologische Naivität des vom Orakel so gelobten Philosophen lustig, eine Naivität, die letztlich auf das Orakel selbst zurückfällt: Sehen wir doch, ob Sokrates der Weiseste gewesen ist, zu dem ihn der pythische Gott erklärt hat [...] Denn man muss sowohl Gott suchen, der sicher über uns ist, als auch die Religion aufnehmen, die uns allein von den wilden Tieren unterscheidet. Diese aber hat Sokrates nicht nur zurückgewiesen, sondern auch lächerlich gemacht, indem er schwor bei der Gans und beim Hund; als ob er nicht auch bei Äskulap hätte schwören können, dem er einen Hahn gelobt hatte.84 Schau, ein Opfer des weisen Mannes! Und da er den Hahn nicht mehr selbst schlachten konnte, so bat er als Todgeweihter die Freunde, nach seinem Tode

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Theopomp, FGrHist 115 F 344. Soph., OR (vgl. dazu oben Nesselrath, S. 339–343). 74 Hdt., I 13, 2 (dazu oben Nesselrath, S. 356); Plin., Nat. VII 151. 75 Hdt., I 53, 3 u.a. (dazu oben Nesselrath, S. 357–359). 76 Hdt., VII 141, 3–4 u.a. (vgl. oben Nesselrath, S. 368–370). 77 Plat., Apol. 21a–c; Xen., Apol. 14 u.a. 78 Plut., Vit. Alex. 14,4; Diod., XVII 93,4 u. a. 79 Cic., Div. II 56,116 nach Ennius. 80 Min. Fel., 13,1 f. 81 Überliefert bei Plat., Apol. 21a–c; Xen., Apol. 14 u.a. 82 Gemeint ist hier Pythagoras, von dem vorher die Rede war. 83 Lact., Epit. div. inst. 32: Post hunc Socrates philosophiae tenuit principatum, sapientissimus etiam oraculo dictus, quia se fatebatur unum scire, quod nihil sciret (HECK/ WLOSOK, 1994, 44,12–14; zur Übersetzung vgl. HARTL, 1919, 166). 84 Vgl. die Polemik gegen das Verhalten des Sokrates kurz vor seinem Tod bei Lact., Inst. III 20. 73

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das Gelübde zu erfüllen, wohl um nicht etwa in der Unterwelt als Schuldner festgesetzt zu werden. Dieser hat so wirklich klar ausgedrückt, dass er nichts wusste – und es bewiesen.85

Damit liegt eine Strategie in der patristischen Bekämpfung dieser intellektuellen Konkurrenz klar zutage: Es ging um Diskreditierung der Protagonisten der delphischen Weisheitstradition. Laktanz jedenfalls versuchte, die Religiosität des Sokrates mit seinen Gans- und Hundeschwüren lächerlich zu machen. Auch der Tod des Sokrates wurde thematisiert, ein Tod, den sogar Sokrates selbst trotz all seiner angeblichen Weisheit nicht genau genug vorhersehen konnte, so dass er nicht einmal noch rechtzeitig einen Hahn hatte schlachten können. Neben der neu etablierten rituellen Konkurrenz der Märtyrerstätten und der Verunglimpfung der Orakelstätten als Wirkorte des Satans finden wir in späterer Zeit auch eine direkte Konkurrenz durch überlegene christliche Weise wie etwa die Wüstenväter und dann später die Säulenheiligen. 86 Es gibt allerdings nur vereinzelte Texte, in denen es zu einer direkten Konfrontation zwischen Orakelanhängern wie Julian und christlichen Orakelgegnern kommt. Die in ihrer Datierung umstrittene Passio Basilii87 etwa schildert den Schlagabtausch des unter Kaiser Julian (360–363) eingekerkerten Geistlichen Basilius von Ancyra88 mit noch mehreren anderen namentlich erwähnten Personen, die sich zum Teil mit dem Apollonkult in Verbindung bringen lassen.89 85

Lact., Epit. div. inst. 32: Uideamus tamen, an sapientissimus Socrates, sicut Pythius praedicauit […] nam et deus, qui utique supra nos est, quaerendus est et religio suscipienda, quae sola nos discernit a beluis; quam quidem Socrates non modo repudiauit, uerum etiam derisit, per anserem canemque iurando; quasi uero per Aesculapium non posset, cui uouerat gallum. en sapientis uiri sacrificum! et quia eum prosecrare ipse non potuit, amicos moriturus orauit, ut post se soluerent uotum, scilicet ne apud inferos uelut debitor teneretur. hic profecto et pronuntiauit, quod nihil scierit, et probauit (HECK/WLOSOK, 1994, 44,17–45,11; Übersetzung nach HARTL, 1919, 166f.). 86 Vgl. die Apophthegmata Patrum, an denen man sehr gut sehen kann, wie man solche geistliche Autoritäten um Auskunft und Weisung ersuchte (z.B. Apophth. patr. Arsen. 9). „An den Märtyrer wandte man sich im Kult, damit er in seiner himmlischen Existenz Fürbitte leistete. Der Mönch konnte schon in seiner irdischen Existenzweise angegangen werden“ (BAUMEISTER, 1988, 139). 87 Passio S. Basilii (ActaSS Martii3 III,12*–15* = BHG 242). Ein überzeugender Datierungsversuch für diesen Text fehlt bisher. Er ist jedenfalls früher anzusetzen als die Version des Johannes Hagioelita, und auch eine zeitliche Priorität gegenüber der kurzen Martyriumsnotiz in der Kirchengeschichte des Sozomenos († um 450) wird vertreten (WOODS, 1992, 37, dagegen später datierend ohne genaue Festlegung TEITLER, 1996, und TEITLER, 2014, 84 f. sowie TEITLER, 2017, 71–76.175–177). Die detaillierte literarische Ausgestaltung der Überlegenheit eines christlichen Weisen gegenüber Julian und anderen Repräsentanten eines wiederbelebten Apollonkultes ist so oder so kaum überraschend. 88 Das Martyrium wird zuerst berichtet vom Geschichtsschreiber Sozomenos in seiner Kirchengeschichte, in der Julianus an dieser Stelle aber keine Rolle spielt: Soz., HE V 11. 89 Ein gewisser Saturninus, ein Felix, ein Elpidius, ein Pegasius, ein Asclepius/Asclepiades, ein Frumentius und schließlich Kaiser Julian. Neben Julian (vgl. Theod., HE III 21)

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Langfristig bedeutender war jedoch die ethische Argumentation gegen die delphische Orakelpraxis und -weisheit. So schrieb bereits der Apologet Tatian († ca. 170): Der Bau der Welt ist schön, aber der in ihr grassierende Lebenswandel schlecht, und wie bei einem Fest kann man hier Leute um Beifall heischen sehen, die Gott nicht kennen. Was nämlich ist die Weissagekunst? Warum lasst ihr euch von ihr in die Irre führen? Sie ist dir nur eine Dienerin der Begehrlichkeiten in der Welt. Krieg führen willst du, und als Ratgeber für die (geplanten) Morde ziehst du Apollon hinzu; ein Mädchen rauben willst du, und du möchtest, dass die Gottheit90 dein Komplize ist; krank bist du aus eigenem Verschulden, und wie Agamemnon zehn Ratgeber wünscht du auf deiner Seite Götter zu haben.91 Eine Frau gebärdet sich verrückt, nachdem sie Wasser getrunken hat,92 und gerät durch Weihrauch von Sinnen,93 und du behauptest, dass die sich so gerierende Person weissage. Ein Vorauswisser war Apollon und Lehrer der Wahrsager – bei Daphne hat er sich selbst getäuscht [...]94 Der, der dich geldgierig macht, der gibt dir auch Weissagungen über das Reichsein; der, der Aufstände und Schlachten provoziert, macht auch Voraussagen über den Sieg im Krieg. Wenn du über die Leidenschaften erhaben bist, wirst du auf alle Dinge in der Welt herabsehen. Da wir von solcher Art sind, verabscheut uns nicht, sondern schwört den Dämonen ab und folgt dem einzigen Gott!95

hat der Verfasser des Textes vielleicht auch Saturninus und Asclepiades bewusst wegen ihrer Verbindung mit dem Apollonkult (von Daphne) als Gegenspieler des als christlicher Weiser gezeichneten Märtyrers in die Handlung aufgenommen. Vgl. zu diesen Bezügen WOOD, 1992, der diese detaillierte und kenntnisreiche literarische Gestaltung als Beweis für eine historische Nähe zu den Ereignissen wertet, was freilich nicht notwendig ist (dagegen u.a. TEITLER, 1996). 90 τὸ δαιµόνιον; vgl. Mt 10,8. 91 Hom., Il. II 372. 92 Vgl. den Bezug auf die aus der Quelle trinkende Pythia etwa bei Luc., Hermot. 60. 93 Gemeint ist das πνεῦµα ἐνθουσιαστικόν, der berauschende Aushauch der Erdspalte, über der die Pythia auf dem Dreifuß saß (siehe Rohde, Psyche II2, 60 f. und in diesem Band den Beitrag von Engster, unten S. 479–504). 94 Vgl. Tatian, Or. 8,9 (s. oben Anm. 30). 95 Tatian, Or. 19,4–9: κόσµου µὲν γὰρ ἡ κατασκευὴ καλή, τὸ δὲ ἐν αὐτῷ πολίτευµα φαῦλον· καὶ καθάπερ ἐν πανηγύρει θεατροκοπουµένους ἔνεστιν ἰδεῖν τοὺς οὐκ εἰδότας τὸν θεόν. τί γάρ ἐστι µαντική; τί δὲ ὑπ’ αὐτῆς πεπλάνησθε; τῶν ἐν κόσµῳ πλεονεξιῶν ἐστί σοι διάκονος. πολεµεῖν θέλεις καὶ τῶν φόνων λαµβάνεις σύµβουλον τὸν Ἀπόλλω· κόρην ἁρπάσαι θέλεις καὶ τὸ δαιµόνιόν σοι συναγωνίσασθαι προαιρῇ· νοσεῖς διὰ σεαυτὸν καί, ὥσπερ Ἀγαµέµνων ‚δέκα συµφράδµονας‘, εἶναι θέλεις µετὰ σεαυτοῦ θεούς. πιοῦσά τις ὕδωρ µαίνεται καὶ διὰ λιβάνων ἔκφρων γίνεται, καὶ σὺ τὴν τοιαύτην µαντεύεσθαι λέγεις. προγνώστης ὑπῆρχεν ὁ Ἀπόλλων καὶ τῶν µαντευοµένων διδάσκαλος· ἐπὶ τῆς Δάφνης ἑαυτὸν ἐψεύσατο [...] ὁ ποιῶν σε φιλάργυρον, οὗτος καὶ περὶ τοῦ πλουτεῖν σοι µαντεύεται· στάσεις καὶ µάχας ὁ ἐγείρων καὶ περὶ τῆς ἐν πολέµῳ νίκης προαγορεύει. τῶν παθῶν ἂν ὑπάρχῃς ἀνώτερος, τῶν ἐν τῷ κόσµῳ πάντων καταφρονήσεις. τοιούτους ἡµᾶς ὄντας µὴ ἀποστυγήσητε, ἀλλὰ παραιτησάµενοι τοὺς δαίµονας θεῷ τῷ µόνῳ κατακολουθήσατε (Text und Übers. nach NESSELRATH, 2016, 74 f.).

Delphi und die Orakelkritik bei den Kirchenvätern

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Auch bei Clemens von Alexandrien findet sich eine solch ethisch gewendete Orakelkritik. Apollon, sagt Clemens,96 [...] bewohnt der Erde Mittelpunkt und gibt den Menschen zuverlässig Weisung [so z.B. Orestes, der sagt:] „[Apollon] folgend habe ich meine Mutter umgebracht. Ihn haltet für den Frevler, ihn lasst töten auch! Denn jener hat gefehlt, nicht ich, der ich nicht wusste, was gerecht und billig ist.“97

Die ethischen Verfehlungen der nicht-christlichen Götterwelt werden also bei Apollon offensichtlich. Die Tantaliden sind ja per se schon völlig abzulehnen, aber Apollon bietet auch keine Erlösung oder einen Weg aus dem Fluch, sondern verstärkt die ethische Verwerflichkeit noch, indem er Orest seine Mutter töten lässt, was zu einem der moralisch verwerflichsten Verbrechen gehört. Der Gott steht so ganz deutlich im Gegensatz zu Christus, der für die Christen Erlöser und auch ethisches Vorbild ist. Schließlich fällt auch hier der dämonische Charakter des Orakelgeistes ins Gewicht, der die Rationalität und damit den Wert der Orakeltradition für vernünftig denkende Menschen in Frage stellt, wie etwa Origenes bemerkt: Wenn aber die Pythia in Ekstase gerät und nicht mehr bei sich ist, während sie die Orakel verkündet, welches Wesen muss man dem Geist zuschreiben, der Finsternis über den Verstand und das vernünftige Denken ausgießt?98

Noch im frühen fünften Jahrhundert scheint der Ruf des delphischen Orakelgottes noch so präsent gewesen zu sein, dass der christliche Historiker Orosius († um 418) einen polemischen Exkurs gegen dessen Verkündigung von „Dunklem oder Falschen“ (obscura vel falsa) für nötig hält.99 Am durchgehend negativen Urteil über die mangelnde Vernunft und den fehlenden ethischen Kompass des Orakels änderte sich freilich nichts mehr.

5. Fazit Im Rahmen dieses Aufsatzes konnten nur einige Schlaglichter auf die christliche Orakelkritik und das Orakel von Delphi geworfen werden. Dennoch sind dabei einige Grundzüge klar zu erkennen: 96

Clem. Al., Protr. 7,76,3 f.: [...] ‚ὃς µεσοµφάλους ἕδρας / ναίει βροτοῖσι στόµα νέµων σαφέστατα‘, διελέγχων, ‚κείνῳ πειθόµενος τὴν τεκοῦσαν ἔκτανον, / ἐκεῖνον ἡγεῖσθ’ ἀνόσιον καὶ κτείνετε· / ἐκεῖνος ἥµαρτ’, οὐκ ἐγώ, / ἀµαθέστερος ὢν τοῦ καλοῦ καὶ τῆς δίκης‘ (STÄHLIN/TREU, 1972, 58,15–21; Übersetzung STÄHLIN, 1934, 153). 97 Eur., Or. 591 f.594–596.417. 98 Orig., Cels. VII 4: Εἰ δ’ ἐξίσταται καὶ οὐκ ἐν ἑαυτῇ ἐστιν ἡ Πυθία, ὅτε µαντεύεται, ποδαπὸν νοµιστέον πνεῦµα τὸ σκότον καταχέαν τοῦ νοῦ καὶ τῶν λογισµῶν; (BORRET, 1972, 22,14–16; Übersetzung BARTHOLD, 2011/12, 1187). 99 Orosius, Hist. VI 15,12–17, hier: 16 (ZANGEMEISTER, 1882, 214,15).

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1. Das delphische Orakel repräsentierte eine für das junge Christentum durchaus als machtvoll wahrgenommene transzendente, rituelle und weisheitlich-intellektuelle Konkurrenz. Durch die breite literarische Rezeption der Orakelüberlieferungen in Geschichtswerken, Tragödien und philosophischen Texten stand diese Konkurrenz den Kirchenvätern im Westen wie im Osten stets vor Augen. 2. Die Existenz und Wirksamkeit des Orakelgottes wurde kaum in Zweifel gezogen. Dies macht die patristische Orakelkritik gewissermaßen „unmodern“ und für unseren Geschmack recht umständlich. Stattdessen waren sich die Kirchenväter einig in ihrer Bewertung Apollons als „Dämon“ oder „Satan“ und versuchten diese Auffassung unter anderem mit den von den paganen Schriftstellern überlieferten ambivalenten Orakeltraditionen zu beweisen. 3. Die rituelle Konkurrenz des delphischen Orakels war nur eine von vielen solcher ritueller Konkurrenzen in der paganen Umwelt. Ihr wurde durch eigene rituelle Definitionsleistungen begegnet, etwa im Märtyrerkult oder in den Riten von Taufe und Abendmahl. Dennoch verzichtete das Christentum weitgehend auf die Schaffung eigener Orakelstätten. Am ehesten etablierten sich mit den Mönchs- und Wüstenvätern christliche Weisheitsautoritäten, die aber auf eine rituelle Orakelpraxis verzichteten. Und dies, obwohl etwa die Orakelschriften der Oracula Sibyllina, einer Sammlung aus jüdischen und christlichen Prophezeiungen, in christlichen Kreisen durchaus populär waren und später stellenweise auch eine Lospraxis in christlichen Gemeinden beliebt wurde, die aber lokal begrenzt blieb und später wieder verschwand.100 Die Gründe dafür müssten meines Erachtens noch näher untersucht werden, aber ich wage doch die Vermutung, dass sie in der Struktur des Orakelrituals selbst liegen: Das Christentum hatte schlicht keine narrative Tradition, auf die ein christlicher Orakelritus hätte verweisen können. Um es zugespitzt auszudrücken: Jesus, die Apostel und auch die ersten Märtyrer hatten nicht orakelt, deshalb findet sich auch keine Verbindung ihrer Gedenkstätten mit einem eigenen christlichen Orakelwesen. 4. Auffällig ist schließlich die deutlich ethische Stoßrichtung der christlichen Orakelkritik. Sie fand sich auch schon in der Orakelkritik der Philosophie, wurde aber von den Kirchenvätern im Bewusstsein der ethischen Überlegenheit des Christentums gegenüber der Orakelweisheit aufgenommen und ausgeweitet. Vielleicht hatte hier das Evangelium tatsächlich mehr zu bieten als die Spruchweisheit der Pythia.

100

Die Lospraxis etwa in Ägypten scheint einigermaßen durchgehend von der vorrömischen Zeit bis in die Spätantike existiert zu haben, worauf in christlicher Zeit die zahlreichen synodalen Polemiken dagegen verweisen. Vgl. zu den in Ägypten gefundenen Sortes Astrampsychi, einer Art von Losorakelanleitung, NAETHER, 2010.

6. Delphis Bild in späteren Zeiten

Von Erdbeben, Erdspalten und Erddämpfen – antike Berichte und moderne Forschungen zu Delphi Dorit Engster 1. Einleitung ‚Das Orakel war high‘ – in dieser reißerischen Weise überschrieb ‚Der Spiegel‘ einen Artikel aus dem Jahre 2001, in dem neue Forschungsergebnisse zu Delphi vorgestellt wurden.1 Konkret ging es um die Behauptung eines amerikanischen Teams von Geologen, dass man die Gründe für die Trance der Pythia entdeckt habe. Eine interdisziplinäre Gruppe von Forschern machte Äthylendämpfe für ihren Zustand verantwortlich. 2 Mit ihren Ergebnissen schien eine lange gestellte Frage endlich beantwortet – entsprechend enthusiastisch war das Echo in der Presse und auch in Kreisen der Wissenschaft. Die Diskussion der Ursachen für die Ekstase der Pythia und damit die Frage nach den Hintergründen und Mechanismen der Orakelerteilung spielen in der modernen Forschung eine zentrale Rolle. Dabei prägte das Bild der durch Dämpfe inspirierten Priesterin lange die Rezeption und tut dies heute noch – sei es in Bildern, Filmen oder Comics.3 Die Annahme einer wie auch immer gearteten gasförmigen Substanz, die die Pythia in Ekstase versetzte, bot nun einerseits die Möglichkeit einer ansatzweise rationalen Erklärung, zum anderen verlieh sie dem Ort Delphi eine mystische Aura. Die Vorstellung von Dämpfen, die aus einer Erdspalte aufstiegen, beruht dabei auf den Angaben in antiken Darstellungen. So berichtet Strabon, dass es sich bei der Orakelstätte um eine Höhle handele. In dieser befinde sich eine Öffnung, aus der ein göttlicher Hauch (πνεῦµα) ströme. Über ihr sitze die Pythia auf einem Dreifuß, nehme den Dampf in sich auf und verkünde die Orakel.4 Die Darstellung Strabons, auf die häufig Bezug genommen wird, ist 1

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/daempfe-in-delphi-das-orakel-war-higha-145502.html. SECHRIST, 2003, 6–7. 2 DE BOER/HALE/CHANTON, 2001, 707–710; DE BOER/HALE, 2002, 46–53; DE BOER/HALE/SPILLER, 2002, 189–196; HALE ET AL., 2003, 67–73. 3 Vgl. z.B. das bekannte Gemälde „The priestess at Delphi“ von John Collier aus dem Jahre 1891 oder die Darstellung des Orakels in dem Comic „300“ von Frank Miller bzw. die Umsetzung in dem darauf basierenden Film von Zack Snyder. 4 Strab., IX 3,5: Φασὶ δ’ εἶναι τὸ µαντεῖον ἄντρον κοῖλον κατὰ βάθους οὐ µάλα εὐρύστοµον, ἀναφέρεσθαι δ’ ἐξ αὐτοῦ πνεῦµα ἐνθουσιαστικόν, ὑπερκεῖσθαι δὲ τοῦ

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allerdings nicht unproblematisch. Sie stammt aus einer Zeit, in der Griechenland bereits Teil des Römischen Reiches geworden war und Rolle wie Bedeutung Delphis sich geändert hatten. Wie seine Vorgänger Eratosthenes und Poseidonios sieht Strabon den Ort Delphi allerdings auch weiter als Mittelpunkt der Oikumene.5 Damit übernimmt er einerseits eine althergebrachte Tradition,6 findet andererseits einen Fixpunkt für seine strukturierte Erfassung der nun römisch geprägten Welt.7 Entsprechend der Zielsetzung seines Werkes bietet Strabon keine eingehende Beschreibung des Erdinneren oder physikalischer Vorgänge – geologische Aspekte spielen generell in seinem Werk nur eine untergeordnete Rolle, da es ihm vor allem um die Darstellung der bewohnten Welt ging.8 Völlig ausgeblendet werden physikalische Phänomene allerdings nicht. In anderen Kontexten werden von ihm durchaus die Vorgänge unter der Erdoberfläche thematisiert – Strabon referiert diesbezüglich die in der Antike seit Aristoteles gängigen Thesen, die, wie unten zu zeigen sein wird, in der Antike zum Allgemeinwissen gehörten.9 Dass er im Fall von Delphi auf derartige Angaben verzichtet, könnte darauf hinweisen, dass seine Kenntnisse bezüglich der Topographie begrenzt waren. Generell weichen die Berichte über Delphi – je nach Zeitstellung und Intention des Autors – stark voneinander ab, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll.

2. Die antiken Berichte über Delphi In der Antike exististierten unterschiedliche Versionen bezüglich der Ursprünge des Orakels und der mit ihm verbundenen Phänomene. Dabei steht in den frühesten Berichten die Inbesitznahme des Ortes durch Apoll bzw. die Tötung des Python-Drachens im Fokus. Im Homerischen Hymnos auf Apollon wird zwar die felsige Topographie Delphis evoziert, es fehlen jedoch στοµίου τρίποδα ὑψηλόν, ἐφ’ ὃν τὴν Πυθίαν ἀναβαίνουσαν δεχοµένην τὸ πνεῦµα ἀποθεσπίζειν ἔµµετρά τε καὶ ἄµετρα· ἐντείνειν δὲ καὶ ταῦτα εἰς µέτρον ποιητάς τινας ὑπουργοῦντας τῷ ἱερῷ. 5 Strab., IX 3,6; vgl. DUECK, 2000, 44; USTINOVA, 2009, 137. 6 Pind., Frg. 54 Snell-Maehler; vgl. ROLLER, 2014, 542. 7 Vgl. ENGELS, 2007, 123–134. 8 Zur Zielsetzung Strabons (Beschreibung der bewohnten Welt unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse und der römischen Expansion) DUECK, 2000, 154–180. Zu den unterschiedlichen Ansätzen Strabons und des Pausanias vgl. PRETZLER, 2005, 144–160. Vgl. auch ENGELS, 1999, 298–313. 9 So geht er von unterirdischem Feuer und Luftmassen aus, die u.a. für Erdbeben verantwortlich sind (VI 1,6). Häufiger werden von ihm unterirdische Höhlen und Kanäle erwähnt – vgl. z.B. IX 2,16. Vgl. AUJAC, 1966, 230–242.

Von Erdbeben, Erdspalten und Erddämpfen

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Hinweise auf eine Erdspalte im Boden.10 Inspirierende Dämpfe werden ebenfalls nicht erwähnt. Im Homerischen Hymnos könnten allenfalls der Hinweis auf den Verwesungsprozess des Körpers des Python bzw. der Verweis auf Fäulnis in diesem Sinne gedeutet werden.11 Allerdings ist nicht – wie in der späteren Darstellung – von einem süßlichen Geruch die Rede, sondern es wird eher ein aufsteigender Gestank impliziert. In den Berichten der klassischen und der hellenistischen Zeit wird auf die auf dem Dreifuß thronende Pythia Bezug genommen, nicht aber auf die spezifischen Umstände und Ursachen ihrer Trance.12 Zwar wird die Höhle des Python erwähnt, aber nicht dezidiert mit dem Zustand der Pythia oder dem Orakelvorgang verbunden. Ein erster ausführlicher Bericht über die Entstehung der Orakelstätte und die Topographie findet sich bei Diodor.13 Der Ort soll zuerst einheimischen Hirten aufgefallen sein, da sich ihre Tiere dort seltsam verhielten. Diodor erwähnt einen Erdspalt, der bei Tieren wie auch Menschen, die sich ihm näherten, zu körperlichen Reaktionen und auffälligem Verhalten geführt habe – im Falle der Menschen zudem dazu, dass sie in eine Art Besessenheit verfielen und prophetische Äußerungen von sich gaben (ἐνθουσιάζειν). Der Spalt wird bei Diodor als größere Öffnung in der Erde vorgestellt, in die Menschen springen bzw. in der sie verschwinden. Über dieser sei dann der Dreifuß der Pythia aufgestellt worden, um eine gefahrlose Befragung des Orakels zu ermöglichen. Von aus einer Erdspalte aufsteigenden Dämpfen wird in diesem

10

Hom. Hymn. Apoll. (3) 300–390. So bereits OPPÉ, 1904, 216 f. 12 Vgl. Eur., Ion 5–7: ἥκω δὲ Δελφῶν τήνδε γῆν, ἵν’ ὀµφαλὸν / µέσον καθίζων Φοῖβος ὑµνωιδεῖ βροτοῖς / τά τ’ ὄντα καὶ µέλλοντα θεσπίζων ἀεί; Eur., Ion 91–93: θάσσει δὲ γυνὴ τρίποδα ζάθεον / Δελφίς, ἀείδουσ’ Ἕλλησι βοάς, / ἃς ἂν Ἀπόλλων κελαδήσηι. Die Höhle/Halle des Apoll erwähnt zuerst Lykophron, Alex. 207–208: ἐν µυχοῖς / Δελφινίου παρ’ ἄντρα Κερδῴου θεοῦ. FONTENROSE, 1978, 200 vermutet allerdings wohl zu Recht, dass sich die Erwähnung einer Höhle nicht auf eine geologische Formation, sondern lediglich auf das Adyton bezieht. 13 Diod., XVI 26,2–3: ὄντος χάσµατος ἐν τούτῳ τῷ τόπῳ, καθ' ὅν ἐστι νῦν τοῦ ἱεροῦ τὸ καλούµενον ἄδυτον, καὶ περὶ τοῦτο νενοµένων αἰγῶν διὰ τὸ µήπω κατοικεῖσθαι τοὺς Δελφοὺς αἰεὶ τὴν προσιοῦσαν τῷ χάσµατι καὶ προσβλέψασαν αὐτῷ σκιρτᾶν θαυµαστῶς καὶ προΐεσθαι φωνὴν διάφορον ἢ πρότερον εἰώθει φθέγγεσθαι. (3) τὸν δ' ἐπιστατοῦντα ταῖς αἰξὶ θαυµάσαι τὸ παράδοξον καὶ προσελθόντα τῷ χάσµατι καὶ κατιδόντα οἷόνπερ ἦν ταὐτὸ παθεῖν ταῖς αἰξίν· ἐκείνας τε γὰρ ὅµοια ποιεῖν τοῖς ἐνθουσιάζουσι καὶ τοῦτον προλέγειν τὰ µέλλοντα γίνεσθαι. µετὰ δὲ ταῦτα τῆς φήµης παρὰ τοῖς ἐγχωρίοις διαδοθείσης περὶ τοῦ πάθους τῶν προσιόντων τῷ χάσµατι πλείους ἀπαντᾶν ἐπὶ τὸν τόπον· διὰ δὲ τὸ παράδοξον πάντων ἀποπειρωµένων τοὺς αἰεὶ πλησιάζοντας ἐνθουσιάζειν. Zur Quellenproblematik PARKE/WORMELL, 1956 I, 20. 11

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Kontext zwar nicht konkret gesprochen, deren Existenz wird allerdings impliziert.14 Später ist zumindest in einigen Quellen ausdrücklich von Dämpfen die Rede, durch die die Pythia inspiriert worden sei. In zahlreichen Schilderungen und auch in bildlichen Darstellungen thront die Pythia auf einem Dreifuß über der Erdspalte und atmet die ausströmenden Dämpfe ein.15 Die Höhle bzw. Erdspalte und die aus dieser aufsteigenden Dämpfe werden ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. zu einem wiederkehrenden Motiv in den Berichten über Delphi. Die Öffnung im Boden wird dabei durchaus unterschiedlich aufgefasst. Teilweise handelt es sich um eine bloße Spalte, in anderen Fällen um eine regelrechte Höhle. In einer Reihe von Berichten wird beschrieben, wie die Priesterin sich in die Tiefe der Höhlung begibt und dort inspiriert wird.16 14

Vgl. FONTENROSE, 1978, 200; STONEMAN, 2011, 32–34. Ovid, Met. III 14 spricht allerdings von der Höhle der Kastalischen Quelle, in die sich die Pythia begibt (vix bene Castalio Cadmus descenderat antro); XV 634–636 (et locus et laurus et, quas habet ipse pharetras / intremuere simul, cortinaque reddidit imo / hanc adyto vocem pavefactaque pectora movit); Statius erwähnt die Höhle und Dreifuß (Theb. I 492: monitusque datos uocalibus antris; III 474 f.: non Cirrha deum promiserit antro / certius; III 611–613: non si ipse cauo sub uertice Cirrhae / – quisquis is est, timidis famaeque ita uisus – Apollo / mugiat insano penitus seclusus in antro) und den Dreifuß (VIII 175 f.: hoc antra lacusque / Castalii tripodumque fides?); Silius Italicus, XII 321– 323 nennt ebenfalls die Höhle (nam laeta ferebant / exaudisse adytis, sacra cum voce tonaret / antrum, et mugiret Phoebo iam intrata sacerdos), ebenso Nonnos, Dion. IX 273– 274 (δυσαµένη δὲ κάρηνα βαθυκνήµιδος ἐρίπνης / Δελφικὸν ἄντρον ἔναιε φόβῳ λυσσώδεος Ἰνοῦς). Vgl. die Angaben bei Claudian, Carm. 2,12–14 (tripodas plenior aura rotat / auditoque procul Musarum carmine dulci / ad Themidis coeunt antra severa dei), 28,29–34 (antra maesta silent inconsultique recessus. / at si Phoebus adest et frenis grypha iugalem / Riphaeo tripodas repetens detorsit ab axe, / tunc silvae, tunc antra loqui, tunc vivere fonts, / tunc sacer horror aquis adytisque efunditur Echo / clarior et doctae spirant praesagia rupes); Serv., in Aen. III 92 (dicitur autem cortina, vel quod Apollinis tripos corio Pythonis tectus est, vel quod certa illinc responsa funduntur, quasi certina, vel, quod est verius, quia cor illic vatis tenetur: nam caverna quaedam in templo Apollinis fuit, ad quam Phoebas rapta vaticinabatur, ut Lucanus ostendit. alii cortinam quasi ortinam tradunt, quod inde vox oriatur); Oros., VI 15,11 (Appius Claudius Censorinus, qui iussu Pompei Graeciam tuebatur, iam abolitam Pythici oraculi fidem voluit experiri: quippe ab eo adacta vates descendere in specum respondisse fertur de bello consulenti); Prud., Apoth. 438 f. (Delphica damnatis tacuerunt sortibus antra, / non tripodas cortina regit). 16 So wird auch bei Livius (I 56,10) – im Zusammenhang mit der Orakelerteilung an Brutus den Älteren – von einer Stimme gesprochen, die aus einer tiefen Höhle erschallte (ex infimo specu). Wie PARKE/WORMELL, 1956 I, 22 f., betonen, stellte die Annahme von Gasen für die Römer, die ekstatische Riten nicht gewöhnt waren, eine annehmbare Erklärung dar. Die Vorstellung einer Orakelhöhle wiederum sei den Römern u.a. aus Cumae bekannt gewesen. Vgl. zu dieser Frage bzw. den unterschiedlichen Berichten auch SCOTT, 2014, 20–25; FONTENROSE, 1978, 199–202 – er sieht in den Angaben zu Erdspalte und Ausdünstungen keine physikalischen Phänomene, sondern „theoretical constructions“ und folgert, 203, 15

Von Erdbeben, Erdspalten und Erddämpfen

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So spricht Justin von einem Loch (profundum terrae foramen), aus dem ein kalter Luftzug (frigidus spiritus vi quadam velut vento) aufsteige, der für die Ekstase der Pythia und ihre Prophezeiungen verantwortlich sei.17 Valerius Maximus berichtet, dass der Priester in intimam sacri specus partem hinabsteige; es sei allerdings gefährlich, zuviel des göttlichen Geistes einzuatmen (nimius spiritus haustus reddentibus pestifer existit); weiter spricht er von der Pythia, die von der Gottheit gleichsam ergriffen werde (inpulsu capti numinis).18 Pseudo-Longinus nennt das göttliche Pneuma, das die Pythia erfülle. Er erwähnt den Erdspalt, aus dem die Dämpfe aufsteigen, durch die die Priesterin inspiriert werde.19 Lucan beschreibt eine tiefe Höhle, aus der ein göttlicher Atem ströme.20 Mehrfach wird von ihm dabei von einer alten und tiefen Spalte in der Erde gesprochen.21 In diese steigt die Pythia hinab bzw. wird dazu von dem Römer Appius gezwungen.22 Die Szene der Orakelbefragung

„there is no reality whatever behind the vapors and chasm“. Seiner Ansicht nach entwickelte sich die Vorstellung einer Erdspalte im Anschluss an die Erzählung vom Kampf des Apolls gegen Python vor dessen Höhle. Vgl. auch PARKE/WORMELL, 1956 I, 19–24, zu den Berichten. Sie setzen die Entstehung der Tradition über eine Höhle und Dämpfe in das 4. Jahrhundert v. Chr. und stellen fest, dass „in its earliest form the account of the chasm was evidently a rationalistic theory based on some features of Delphic procedure“. Zur Problematik der Berichte vgl. AMANDRY, 1950, 19–24.41–56, zu den Berichten über die Erdspalte und die Dämpfe 215–219; vgl. auch WILL, 1942, 163–165. Zum Adyton vgl. USTINOVA, 2009, 137–139. 17 Iust., Epit. XXIV 6,9. 18 Val. Max., I 8,10. Vgl. FONTENROSE, 1978, 199. 19 Pseudo-Longinus, 13,2 spricht von einer Erdspalte, über der die Pythia auf ihrem Dreifuß sitze und die göttlichen Ausdünstungen einatme. Durch diese werde sie mit göttlicher Kraft erfüllt und inspiriert: πολλοὶ γὰρ ἀλλοτρίῳ θεοφοροῦνται πνεύµατι τὸν αὐτὸν τρόπον ὃν καὶ τὴν Πυθίαν λόγος ἔχει τρίποδι πλησιάζουσαν, ἔνθα ῥῆγµά ἐστι γῆς ἀναπνέον, ὥς φασιν, ἀτµὸν ἔνθεον, αὐτόθεν ἐγκύµονα τῆς δαιµονίου καθισταµένην δυνάµεως παραυτίκα χρησµῳδεῖν κατ’ ἐπίπνοιαν. 20 Lucan, V 82–87.93–96: ut uidit Paean uastos telluris hiatus / diuinam spirare fidem uentosque loquaces / exhalare solum, sacris se condidit antris, / (85) incubuitque adyto uates ibi factus Apollo. / quis latet hic superum? quod numen ab aethere pressum / dignatur caecas inclusum habitare cauernas? / ... forsan, terris inserta regendis / aere libratum uacuo quae sustinet orbem, / (95) totius pars magna Iouis Cirrhaea per antra / exit et aetherio trahitur conexa Tonanti. Vgl. MYERS, 2011, 414, zu Delphi als marginalisiertem Ort, der als verlassen charakterisiert werde. Zum Bericht des Lucan vgl. auch USTINOVA, 2009, 139–141. 21 Lucan, V 131–134: muto Parnasos hiatu / conticuit pressitque deum, seu spiritus istas / destituit fauces mundique in deuia uersum / duxit iter. 22 Lucan, V 145–157: haerentem dubiamque premens in templa sacerdos / inpulit. illa pauens adyti penetrale remoti / fatidicum prima templorum in parte resistit / atque deum simulans sub pectore ficta quieto / uerba refert, nullo confusae murmure uocis / (150) instinctam sacro mentem testata furore, / haud aeque laesura ducem cui falsa canebat / quam tripodas Phoebique fidem. non rupta trementi / uerba sono nec uox antri conplere

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wird von Lucan dramatisch geschildert, der allerdings auch frei Elemente ergänzt. Die Charakterisierung der Örtlichkeit als Höhle ist daher möglicherweise nur als dichterische Ausmalung zu sehen.23 Eine ausführliche Beschreibung der Topographie, der Architektur und der Weihegaben in Delphi bietet Pausanias. Zwar werden von ihm der Tempel und seine Geschichte eingehend thematisiert – eine eingehendere Darstellung der Orakelpraxis bleibt Pausanias jedoch schuldig. Er greift die auch bei Diodor referierte Geschichte über die Entdeckung durch Hirten auf, fügt jedoch weitere Angaben hinzu – so z.B., dass die Hirten durch Dämpfe inspiriert worden seien.24 Auf die Erdspalte wird insofern Bezug genommmen, als ein Vorgängerbau des zu seiner Zeit existierenden Tempels in den Spalt gestürzt sein soll.25 Aus der Kaiserzeit stammen noch weitere Erwähnungen sowohl der Erdspalte als auch der Ausdünstungen – so z.B. bei Cassius Dio.26 Insgesamt datieren die relevanten Berichte über die Erdspalte in spätere Zeit, vor allem in die Phase ab dem ersten vorchristlichen Jahrhundert. Für die frühere Zeit finden sich keine vergleichbaren Beschreibungen. Die Erdspalte und mit ihr verbunden die inspirierenden Dämpfe erscheinen somit als relativ späte Ergänzung oder Ausschmückung der Berichte über Delphi. Beicapacis / sufficiens spatium nulloque horrore comarum / (155) excussae laurus inmotaque limina templi / securumque nemus ueritam se credere Phoebo / prodiderant. 23 Lucan, V 158–174.192 f.: „et nobis meritas dabis, impia, poenas / et superis, quos fingis“, ait „nisi mergeris antris / (160) deque orbis trepidi tanto consulta tumultu / desinis ipsa loqui.“ tandem conterrita uirgo / confugit ad tripodas uastisque adducta cauernis / haesit et insueto concepit pectore numen, / quod non exhaustae per tot iam saecula rupis / (165) spiritus ingessit uati; tandemque potitus / pectore Cirrhaeo non umquam plenior artus / Phoebados inrupit Paean mentemque priorem / expulit atque hominem toto sibi cedere iussit / pectore. bacchatur demens aliena per antrum / (170) colla ferens, uittasque dei Phoebeaque serta / erectis discussa comis per inania templi / ancipiti ceruice rotat spargitque uaganti / obstantis tripodas magnoque exaestuat igne / iratum te, Phoebe, ferens. … tum maestus uastis ululatus in antris / extremaeque sonant domita iam uirgine uoces. 24 Paus., X 5,7: ἤκουσα δὲ καὶ ὡς ἄνδρες ποιµαίνοντες ἐπιτύχοιεν τῷ µαντείῳ, καὶ ἔνθεοί τε ἐγένοντο ὑπὸ τοῦ ἀτµοῦ καὶ ἐµαντεύσαντο ἐξ Ἀπόλλωνος. 25 Paus., X 5,12 – Pausanias referiert allerdings auch die Überlieferung, nach der der Tempel durch Feuer zerstört wurde. 26 Cass. Dio, LXIII 14,2 berichtet, dass Nero – der zunächst 400 000 Sesterzen an die Pythia stiftete – eine Reihe von Personen ermorden und ihre Körper in den Erdspalt werfen ließ. Dadurch habe er die Tätigkeit des Orakels unterbrochen (ἀνθρώπους ἐς τὸ στόµιον ἐξ οὗ τὸ ἱερὸν πνεῦµα ἀνῄει σφάξας). Vgl. hierzu STADTER, 2014, 212. Es handelt sich seiner Meinung nach um Tyrannentopik, die bei Plutarch nicht erwähnt werde. Vgl. auch den Bericht des Pseudo-Lukian, Nero 10, in dem die Untaten Neros aufgezählt werden – in diesem Zusammenhang wird auch erwähnt, dass er die Höhle des Apoll verstopft habe. Dies sei die Rache dafür gewesen, dass das Orakel den Kaiser zusammen mit Orest und Alkmaion (als Muttermörder) genannt habe. Eine Anspielung auf eine Öffnung im Fels findet sich bei Apollodor, Bibl. I 22 [= I 4,1].

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de Elemente wurden dann aber in der Folge für die Charakterisierung des Heiligtums prägend. Auch ist festzustellen, dass das Orakel in den antiken Quellen zwar sehr häufig erwähnt wird, der Vorgang der Orakelerteilung bzw. die diesbezüglichen Details jedoch weitgehend unklar bleiben, vielleicht auch bleiben sollten.27 Eine Problematisierung der abweichenden Traditionen über die Pythia und die Gründe für ihre Ekstase erfolgte in der Antike nur ansatzweise. Grundlegende Kenntnisse bezüglich der Orakelpraxis in Delphi wurden vorausgesetzt und die für Orakelstätten typischen Elemente möglicherweise zusätzlich in die Beschreibung integriert.28 Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass ein Großteil der Autoren über keinerlei Ortskenntnis verfügte. So verweist z.B. Strabon in seinem Bericht ausdrücklich darauf, dass er die Meinung dritter referiere.29

3. Der Bericht des Plutarch Eine Sonderstellung unter den Berichten nimmt die Darstellung des Plutarch ein, der gemeinhin als zuverlässige Quelle betrachtet wird, da er als Priester mit den Örtlichkeiten und Abläufen der Orakelerteilung gut vertraut gewesen sein sollte.30 Von besonderer Relevanz ist der Dialog Über das Nachlassen 27

Iamblich, Myst. 3,11 beschreibt die unterschiedlichen Formen der Inspiration bzw. die Art und Weise, in der diese hervorgerufen werde. So würde in Kolophon der Priester ein besonderes Wasser trinken. Als weitere Beispiele nennt er das Orakel von Delphi, wo die Priesterin bei einer Erdspalte sitze, und das Orakel von Didyma, wo die Priesterinnen Dünste einatmen, die aus dem Wasser aufsteigen. Bezüglich Delphi erwähnt er das „göttliche Pneuma“ sowie das „göttliche Feuer“, das die Priesterin inspiriere. Auch weitere mögliche Ursachen für den Ekstase der Pythia werden angeführt – Iamblich nennt einen „Hauch“, der aus einer Spalte ströme, außerdem die auf im Tempel auf einen dreifüßigen Stuhl oder aber vierfüßigen Sessel sitzende Priesterin. Sie werde von dem Feuer, das aus der Spalte steige, regelrecht umhüllt und göttlich inspiriert. Durch die Ausdünstungen werde die Pythia bereit, das göttliche Licht aufzunehmen – wie JOHNSTON, 2008, 47 betont, ist das Pneuma also nicht die Ursache des Zustandes der Priesterin, sondern nur der „trigger“. Zur spezifisch neoplatonischen Sicht des Orakels vgl. ABBEY, 2014, 256–259. 28 Nach ROSENBERGER, 2001, 53, handelt es sich bei der Vorstellung von Erdspalte und Ausdünstungen um ein Konstrukt. Die Priester hätten die Geheimnisse über den Vorgang der Orakelerteilung wahren wollen und deshalb an die Geschichte über den Erdspalt angeknüpft. Zu Höhlen, Erdspalten und Quellen als typischen Elementen einer Orakelstätte vgl. ROSENBERGER, 2001, 58, 127–137. 29 Die mangelnde Ortskenntnis der Autoren betont auch FONTENROSE, 1978, 200. 30 Zur Darstellung bei Plutarch und der Problematik seines Berichtes vgl. HEINEMAN, 2018, 41–60; zur Frage der Erdspalte und den Ausdünstungen insbes. 51–52. Vgl. auch WILL, 1942, 165–175; STONEMAN, 2011, 171–179. Zu den Erklärungsmodellen für den Zustand der Pythia vgl. JOHNSTON, 2008, 46–47.

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der Orakel, in dem unterschiedliche Erklärungsmodelle für den Rückgang der Orakeltätigkeit vorgestellt werden.31 Plutarch geht hier zwar nicht im Detail auf den Erdspalt bzw. die Höhle ein, referiert aber – über die einzelnen Sprecher – eingehend verschiedene Thesen bezüglich der Ursachen und Ursprünge des Orakels.32 Maßgeblich verantwortlich für die Orakelerteilung ist nach ihm die besondere Qualität der Luft in Delphi.33 Diese wird zurückgeführt auf das Einwirken der Sonne auf die Erde – also gewissermaßen das Zusammenwirken von Apoll und Gaia. Diese Luft erfüllt nach der Charakterisierung des Plutarch das ganze Heiligtum und ist nicht auf einen spezifischen Ort begrenzt.34 Nach Plutarch ist die Luft in Delphi besonders anregend, aber nicht gefährlich; sie duftet süßlich und angenehm.35 Ihre besondere Qualität liegt darin begründet, dass sie aus der Erde aufsteigt und göttliche Weissagungskraft mit sich führt.36 Diese dringt in die menschliche Seele ein und schärft deren „Sehkraft“ – so wie die Sonne die des menschlichen Auges.37 Das Aufsteigen der Dämpfe wird wiederum durch die Einstrahlung der Sonne und die

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Als mögliche Ursachen werden u.a. genannt: die abnehmende Relevanz von Orakeln für die Menschen, die Rolle der Dämonen sowie natürliche Phänomene. Vgl. zur Entwicklung Delphis im 2. und 3. Jahrhundert ATHANASSIADI, 1992, 45–62; ATHANASSIADI, 1989/90, 271–278. 32 Vgl. HOLZHAUSEN, 1993, 72–91, zu den dort vorgebrachten Theorien bezüglich der Inspiration der Pythia und namentlich zu den Thesen des Lamprias 86 f. Zur Problematik der Auswertung als Quelle vgl. LEHOUX, 2007. 33 Plut., Def. or. 50, 437c (εὐωδίας ἀναπίµπλαται καὶ πνεύµατος, οἵας ἂν τὰ ἥδιστα καὶ πολυτελέστατα τῶν µύρων ἀποφορὰς ὥσπερ ἐκ πηγῆς τοῦ ἀδύτου προσβάλλοντος). 34 OPPÉ, 1904, 233 f., hebt hervor, dass „the vapours arising from it could never have produced the effect which in the traditional account it was invented to explain“. Derartige Ausdünstungen könnten lediglich Erstickungszustände hervorrufen, evtl. auch Träume anregen, jedoch keinesfalls die Ekstase der Pythia initiiert haben. 35 Plut., Def. or. 50, 437d – dieser Hauch dringt in die Seele der Pythia ein und inspiriert sie in wechselnder Weise (τὴν Πυθίαν αὐτὴν ἐν πάθεσι καὶ διαφοραῖς ἄλλοτ’ ἄλλαις ἐκεῖνο τὸ µέρος τῆς ψυχῆς ἴσχειν, ᾧ πλησιάζει τὸ πνεῦµα […]). 36 Plut., Def. or. 42, 433c: Οὐ θαυµαστέον οὖν, εἰ πολλὰ τῆς γῆς ἄνω ῥεύµατα µεθιείσης ταῦτα µόνα τὰς ψυχὰς ἐνθουσιαστικῶς διατίθησι καὶ φαντασιαστικῶς τοῦ µέλλοντος. 37 Plut., Def. or.42, 433c–e. Plutarch erwähnt die Entdeckung des Ortes durch einen Hirten und führt dann aus, wie es zu den prophetischen Äußerungen kommt (433d–e): µάλιστα τοιαύτην πρὸς τὸ µαντικὸν πνεῦµα λαµβάνειν σύγκρασιν ψυχὴ καὶ σύµπηξιν, οἵαν πρὸς τὸ φῶς ἡ ὄψις ὁµοιοπαθὲς γιγνόµενον· […] ἐξάπτει γὰρ καὶ προάγεται καὶ συνεξορµᾷ τῆς αἰσθήσεως τὴν ὁρατικὴν δύναµιν οὗτος ὡς τῆς ψυχῆς τὴν µαντικὴν ἐκεῖνος. Vgl. auch 50, 437d – die Pythia wird mit einem Musikinstrument verglichen.

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Erwärmung des Bodens hervorgerufen. 38 Dabei könnten, so Plutarch, die Ausdünstungen von unterschiedlicher Intensität sein.39 Diese Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs mit naturgegebenen Phänomenen bietet die Möglichkeit einer rationalen Erklärung für das Ende von Orakelstätten bzw. das Schwinden der ehemals dort vorhandenen Kraft. Wie andere Minen und Quellen kann – so das Erklärungsmodell – auch ein Orakel versiegen.40 Wie Plutarch betont, wertet die Annahme einer natürlichen, materiellen Ursache das Orakel keineswegs ab.41 Vielmehr bemüht sich einer der Gesprächspartner, Lamprias, die verschiedenen Erklärungsmodelle zu verbinden.42 Dabei geht er von einer Wechselwirkung zwischen den Ausdünstungen und der menschlichen Seele aus. 43 Lamprias betont, dass die Ausdünstungen nicht alle Personen in gleicher Weise erfassten und auch dieselbe Person nicht immer in gleicher Weise.44 Sie seien zwar an sich göttlich, jedoch nicht unveränderlich und unsterblich, sondern den Veränderungen der Zeit unterworfen.45 Die bei Plutarch zu findende Charakterisierung ist in gewisser Weise topisch. Götter werden generell mit Wohlgerüchen verbunden, ebenso ihre heiligen Stätten.46 Im Bericht des Plutarch finden sich aber auch Elemente, die auf spezifische naturwissenschaftliche Konzepte verweisen. Ausdrücklich nehmen er bzw. Lamprias Bezug auf die Vorstellungen des Aristoteles hinsichtlich des Aufbaus der Erde. So wird dessen These von den Ausdünstungen zusammengefasst, die aus der Erde aufsteigen, aber auch versiegen und 38

Plut., Def. or. 43, 433e – Plutarch nennt τὰς µαντικὰς ἀναθυµιάσεις, die die Sonne hervorbringe. 39 Plut., Def. or. 50, 437c: Οἴοµαι µὲν οὖν µηδὲ τὴν ἀναθυµίασιν ὡσαύτως ἔχειν ἀεὶ διὰ παντός, ἀνέσεις δέ τινας ἴσχειν καὶ πάλιν σφοδρότητας. 40 Plutarch, Def. or. 43, 433f–434a, spricht von Veränderungen bzw. Kreisläufen. Diese vergleicht er mit dem Auftauchen und Verschwinden von Seen und Wasserläufen sowie dem „Versiegen“ von Minen und Steinbrüchen. 41 Plut., Def. or. 47, 436b–c. Er zieht hier u.a. den Vergleich mit der Malerei, deren materielle Grundlage die Wertschätzung für die Kunstfertigkeit des Malers nicht verringere. 42 Plut., Def. or. 48, 436e–f: Plutarch bzw. Lamprias betont, dass das Orakel nichts von seinem göttlichen Charakter verliere bzw. es vernünftiger Überlegung zuwider laufe, wenn man die menschliche Seele als materiellen Aspekt, die Ausdünstungen (τὸ δ’ ἐνθουσιαστικὸν πνεῦµα καὶ τὴν ἀναθυµίασιν) als Instrument des Orakels ansehe und zudem die Erde und die Sonne, durch deren Wirken diese entstehen, als göttlich betrachte. 43 Plut., Def. or. 46, 435c. Vgl. 51, 438c. 44 Plut., Def. or. 51, 438c–d (ἡ τοῦ πνεύµατος δύναµις). Vgl. auch 50, 437e: Plutarch vergleicht die Wirkungen der Dämpfe mit denen von Wein und Musik sowie den Träumen. 45 Plut., Def. or. 51, 438c–d: ἔστι δὲ θεία µὲν ὄντως καὶ δαιµόνιος, οὐ µὴν ἀνέκλειπτος οὐδ’ ἄφθαρτος οὐδ’ ἀγήρως καὶ διαρκὴς εἰς τὸν ἄπειρον χρόνον ὑφ’ οὗ πάντα κάµνει τὰ µεταξὺ γῆς καὶ σελήνης κατὰ τὸν ἡµέτερον λόγον. εἰσὶ δ’ οἱ καὶ τὰ ἐπάνω φάσκοντες οὐχ ὑποµένειν, ἀλλ' ἀπαυδῶντα πρὸς τὸ ἀίδιον καὶ ἄπειρον ὀξέσι χρῆσθαι καὶ µεταβολαῖς καὶ παλιγγενεσίαις. 46 Vgl. FONTENROSE, 1978, 199; AMANDRY, 1950, 222; vgl. auch DODDS, 1970, 600.

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verschwinden können.47 Dies sei, so wird ausführlich dargelegt, auch Charakteristikum der prophetischen Dämpfe (µαντικῶν πνευµάτων).48 Ziel der Darlegungen ist es, religiöse und naturwissenschaftliche Konzepte zu verbinden bzw. aufzuzeigen, dass diese nicht im Widerspruch zueinander stehen und sich ausschließen.49 In der kontroversen Diskussion über die Ursachen des Orakels werden dabei verschiedene Begriffe für die Ausdünstungen verwendet. 50 Plutarch spricht von Pneuma/Wind, Dampf und Ausdünstungen.51 Diese Begrifflichkeiten fanden sowohl im philosophischen als auch im naturwissenschaftlichen Diskurs Verwendung. Daher soll nun kurz auf antike geologische Vorstellungen eingegangen werden sowie auf die Versuche, Phänomene der Umwelt rational zu erklären.

4. Antike Erklärungsversuche 4.1. Geologie und Geographie Die antiken Auffassungen über das Erdinnere und die Vorgänge dort unterschieden sich zwar partiell – je nachdem, welcher philosophischen Schule man sich zuordnete. Bestimmte Grundannahmen waren allerdings prägend und allgemein vorherrschend. Dazu gehörte die Auffassung, dass das Innere der Erde von Höhlen und Gängen durchzogen sei. Diese findet sich bereits bei den Vorsokratikern.52 Die vertiefte Ausgestaltung und maßgebliche Formung dieser These erfolgte durch Aristoteles.53 In seiner Meteorologie setzte

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Plut., Def. or. 44, 434b: καίτοι πάντων τούτων οἱ περὶ Ἀριστοτέλην δηµιουργὸν ἐν τῇ γῇ τὴν ἀναθυµίασιν ἀποφαίνουσιν, ᾗ καὶ συνεκλείπειν καὶ συµµεθίστασθαι καὶ συνεξανθεῖν πάλιν τὰς τοιαύτας φύσεις ἀναγκαῖόν ἐστι. Vgl. FONTENROSE, 1978, 197 f. 48 Plut., Def. or. 44, 434b–c. Lamprias führt aus, dass diese u.a. durch Regen oder Donner verschwinden könnten, insbesondere aber könnten sie sich tiefer in die Erde verlagern oder durch Erdbeben ausgelöscht werden – er verweist ausdrücklich auf Delphi als Beispiel sowie auf andere Städte, deren Orakel verschwunden seien. 49 Zur Argumentation des Lamprias vgl. JOHNSTON, 2008, 47; HEINEMAN, 2018, 51 f. 50 Plut., Def. or. 46, 435a: Plutarch spricht von πνεύµατα καὶ ἀτµοὺς καὶ ἀναθυµιάσεις. Vgl. FONTENROSE, 1978, 197. Zur Bedeutung der Begriffe siehe unten. 51 Vgl. zur Begrifflichkeit auch LEHOUX, 2007, 46–48 – wie er hervorhebt, ist die Gleichsetzung der Begriffe mit der modernen Vorstellung von Gasen problematisch; insbesondere der Begriff Pneuma könne in sehr unterschiedlichen Kontexten verwendet werden. 52 Vgl. die Angaben bei Aristot., Meteor. II 7, 365a15–b10 zu Anaxagoras, Demokrit, Anaximenes; vgl. WALDHERR, 1997, 49 f. 53 Vgl. WALDHERR, 1997, 49–54; TAUB, 2003, 88–92; OESER, 2003, 14–16.

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er sich eingehend mit den Phänomenen der Atmosphäre auseinander, berücksichtigte aber auch ganz allgemein Phänomene zwischen Himmel und Erde.54 Die Erde gleicht seiner Vorstellung nach einem Organismus, der von Lebensadern durchzogen ist. 55 Unter der Oberfläche finden sich Höhlungen, unterirdische Flüsse und Feuerströme. Diese Annahmen beruhten auf realen Naturbeobachtungen – einerseits darauf, dass aus der Erde Quellen entspringen, andererseits darauf, dass bei Vulkanausbrüchen glühendes Material aus der Erde geschleudert wird. Im Erdinneren war neben Feuer und Wasser aber noch ein weiteres Grundelement zu finden: die Luft.56 An verschiedenen Orten konnte das Austreten von Dämpfen und Gasen beobachtet werden, was Aristoteles zur Ausarbeitung einer komplexen Lehre von den Ausdünstungen veranlasste. Hervorgerufen werden diese durch die Einstrahlung der Sonne. Sie sind seiner Auffassung nach der Ursprung vieler Phänomene im sublunearen Raum.57 Aristoteles differenzierte zwischen den feuchten Ausdünstungen, aus denen z.B. die Wolken entstehen, und den trockenen Ausdünstungen, die seiner Meinung nach z.B. für die Entstehung von Kometen verantwortlich sind.58 Eine wichtige Rolle spielt bei Aristoteles eine spezifische Form der Ausdünstung, die des Pneumas. Dieses konnte, wie Waldherr herausstellt, nicht rein materiell, sondern auch metaphysisch begriffen werden und wurde maß-

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Vgl. zu diesem Werk u.a. GILBERT, 1907; CAPELLE, 1913, 321–358; STROHM, 1935; AFONASIN, 2017, 249–261; TAUB, 2003; TAUB, 2016, 232–246. 55 Aristot., Meteor. II 8, 366a23–b22; dazu WALDHERR, 1997, 52. Die Vorstellung von unterirdischen Höhlen ist allerdings bereits bei Hesiod in der Theogonie zu finden (vgl. 117.127–137.161.300–303.334.482–483.505.622–623.719–726.736– Hes., Theog. 745.786–789; vgl. auch Op. 530–534). 56 Aristot., Meteor. II 8, 365b24–28: ὑπάρχει γὰρ ἡ γῆ καθ᾿ αὑτὴν µὲν ξηρά, διὰ δὲ τοὺς ὄµβρους ἔχουσα ἐν αὑτῇ νοτίδα πολλήν, ὥσθ᾿ ὑπό τε τοῦ ἡλίου καὶ τοῦ ἐν αὐτῇ πυρὸς θερµαινοµένης πολὺ µὲν ἔξω πολὺ δ᾿ ἐντὸς γίγνεσθαι τὸ πνεῦµα· καὶ τοῦτο ὁτὲ µὲν συνεχὲς ἔξω ῥεῖ πᾶν, ὁτὲ δ᾿ εἴσω πᾶν, ἐνίοτε δὲ καὶ µερίζεται. 57 Aristot., Meteor. I 4, 342a27 f.: Πάντων δὴ τούτων αἴτιον ὡς µὲν ὕλη ἡ ἀναθυµίασις […]. 58 Aristot., Meteor. I 4, 341b6–10; II 4, 359b28–34. Die Ausdünstungen aus der Erde werden mit Rauch verglichen (I 4, 341b7–10: τὴν ἀναθυµίασιν ἀναγκαῖον γίγνεσθαι [...] διπλῆν, τὴν µὲν ἀτµιδωδεστέραν τὴν δὲ πνευµατωδεστέραν, τὴν µὲν τοῦ ἐν τῇ γῇ καὶ ἐπὶ τῇ γῇ ὑγροῦ ἀτµίδα, τὴν δ᾿ αὐτῆς τῆς γῆς οὔσης ξηρᾶς καπνώδη). Vgl. auch die Angaben in der pseudo-aristotelischen Schrift De mundo, insbes. 4–5, 394a–397b; dazu TAUB, 2003, 161–168. Der Autor stellt 4, 395b26–30 einen Zusammenhang mit Delphi her bzw. verweist auf die anregenden Dämpfe dort und in Lebadeia sowie auf die tödlichen Ausdünstungen in Hierapolis. Vgl. dazu FONTENROSE, 1978, 199. Zu den unterschiedlichen Formen der Ausdünstungen bei Aristoteles und ihren materiellen Manifestationen vgl. WILSDORF, 1983, 131–145.

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geblich für Naturphänomene wie Erdstöße, aber auch für Vorgänge im menschlichen Körper sowie der Seele verantwortlich gemacht.59 Die Vorstellung des Aristoteles wurde prägend und findet sich auch bei den Autoren der römischen Kaiserzeit. So geht Manilius ebenfalls davon aus, dass die Erde als Organismus zu verstehen sei; auch bei ihm findet sich die Annahme, dass aus der Erde aufsteigende Dämpfe ursächlich für verschiedenartige natürliche Phänomene sind.60 Auch Plinius der Ältere greift das aristotelische Konzept auf und charakterisiert die Erde als Körper mit Eingeweiden und Adern.61 Ähnliche Vorstellungen finden sich bei Seneca, der in den Naturales Quaestiones ebenfalls von Adern im Erdinneren ausgeht. 62 Mehrfach spricht er von unterirdischen Höhlungen, in denen sich Wasser oder Luft befindet.63 Auch der Dichter Lukrez thematisiert in seinem von epikureischen Vorstellungen geprägten Werk die unter der Erdoberfläche befindlichen Höhlungen.64 Das antike Bild mag zwar nicht korrekt gewesen sein. Es war aber immerhin in sich konsistent. Durch die vorgestellten Annahmen wurden auch andere irdische Phänomene erklärt, z.B. Erdbeben. Nach Aristoteles – und auch hier wirkte er prägend – waren die in unterirdischen Höhlen eingeschlossenen Winde für die Erderschütterungen verantwortlich.65 Die Gase oder Ausdünstungen wurden am Aufstieg gehindert, sammelten sich und drangen dann gewaltsam nach oben. Es kam also zunächst gewissermaßen zu einer Stauung. Entlud sich die Spannung, verursachte dies Erschütterungen bzw. Erdbeben. 59

WALDHERR, 1997, 52. Vgl. auch SOLMSEN, 1960, 92–117; zur Vorstellung vom Pneuma u.a LEISEGANG, 1919; VERBEKE, 1945; PUTSCHER, 1974; FREUDENTHAL, 1995; PAIGE, 2002, 417–436. Zur Bedeutung des Pneumas für die Orakel vgl. Iambl., Myst. 3,11. 60 Manil., I 817–866, vgl. Taub, 2003, 138–39. 61 Plin., Nat. II 158: penetramus in viscera, auri argentique venas. Plinius vertritt ebenfalls die gängige These, dass Erdbeben durch unterirdische Luftmassen ausgelöst werden. So spricht er II 192 von ventos, condito scilicet in venas et cava eius occulta flatu und folgert: neque alius est in terra tremor quam in nube tonitruum, nec hiatus aliud quam cum fulmen erumpit incluso spiritu luctante et ad libertatem exire nitente. Vgl. auch II 197. 62 Sen., Nat. III 15,1.4; dazu TAUB, 2003, 143–144; vgl. auch seine Ausführungen im Zusammenhang mit der Entstehung von Erdbeben in Buch VI; vgl. TAUB, 2003, 151–152; vgl. auch VI 16 zur Erde als Organismus; außerdem GROSS, 1989; MAURACH, 1987, 305– 22; WAIBLINGER, 1977. 63 So spricht er III 7–10 von Wasser unter der Erde, wobei er die Ausdünstungen entsprechend stoischer Konzepte erklärt (III 9,3; vgl. III 10,5). Auch die unterirdischen Hohlräume werden angesprochen (III 9,1; III 16,4 f.) und die Existenz lebensgefährlicher Höhlen erwähnt (III 21,1). Er äußert sich zudem zu den „Adern“ der Erde (III 15,1.4) und der Möglichkeit der ‚Verstopfung‘ z.B. der Wege von Quellen durch Erdbeben etc. (III 11,1– 3). Vgl. TAUB, 2003, 72–76; OESER, 2003, 13; WALDHERR, 1997, 69–81. Allgemein zur Meteorologie KULLMANN, 2014, 61–73. 64 Lucr., VI 535–608; vgl. WALDHERR, 1997, 64. 65 Vgl. Aristot., Meteor. 365–70 zu den Ursachen von Erdbeben sowie die ähnlichen Auffassungen bei Seneca, Nat. VI 12–25. WALDHERR, 1997, 49–102.

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Dieses Deutungsmodell ist auch für Delphi und das Orakel von Relevanz. Für einen in den Naturwissenschaften bewanderten, gebildeten Griechen wie Plutarch konnte gerade Delphi als Bündelung der verschiedensten Phänomene gelten, die in Abhängigkeit voneinander zu sehen waren. Die Kastalische Quelle belegte die Existenz von unterirdischem Wasser. Die immer wieder vorkommenden Erdbeben und Felsstürze wiesen auf unterirdische Erschütterungen bzw. komplexe Vorgänge unter der Erdoberfläche hin. Höhlen waren ebenfalls vorhanden, sei es die Korykische Grotte, sei es die – zumindest in einigen Berichten erwähnte – Höhle innerhalb des Heiligtums, in die die Pythia hinabgestiegen sein soll. Aus dem Inneren der Erde stiegen nach Darstellung einiger Autoren – wie auch immer geartete – Ausdünstungen empor, die aus dem tiefsten Erdinneren zu kommen schienen. Selbst Feuererscheinungen waren in gewisser Weise vorhanden. Die Glanzfelsen, die Phaidriaden, die am Morgen quasi zu brennen schienen, konnten als Hinweis auf Feuer oder zumindest die Kraft der Sonnenstrahlen gesehen werden.66 Diese, so die antike Vorstellung, erhitzten die Erde und führten zum Aufsteigen gasförmiger Substanzen – ohne dass zwingend eine einzelne Erdspalte oder Höhle angenommen werden musste. Delphi konnte daher aus antiker naturwissenschaftlicher Sicht als in sich schlüssiges System gelten. Es war zudem ein besonderer Ort, an dem die vier Elemente nicht nur präsent, sondern auch sichtbar waren. Sichtbar war auch der Wandel der Elemente, ihr Übergang ineinander und die mit ihnen verbundenen auch zerstörerischen Kräfte. In Delphi, am Nabel der Welt, war diese Welt in ständiger Bewegung. Die Aktivität der Natur konnte in der Realität beobachtet werden – immer wieder kam es in Delphi zu Katastrophen bzw. Zerstörungen, hervorgerufen durch Erdbeben oder Felsstürze.67 Seit der Zeit des Hellenismus konnten diese Vorgänge als Konsequenz eines Zusammenspiels verschiedener Naturkräfte erklärt werden. 4.2 Die Ausdünstungen Von besonderer Relevanz ist in diesem Kontext, wie bereits angesprochen, das griechische Verständnis von gasförmigen Substanzen. Eine Differenzierung verschiedener Gase fand – mangels geeigneter Technologien – nur in

66

Zu den Glanzfelsen vgl. Diod., XVI 28,3; Suda φ 156 (Φαιδριάς). Insgesamt werden sie in den antiken Quellen allerdings eher selten erwähnt bzw. beschrieben. 67 Derartige Ereignisse konnten wiederum auch religiös bzw. als Eingreifen der Götter gedeutet werden – vgl. den Bericht des Ηerodot, VIII 35–39, zu den Persern bei Delphi, und den des Justin, XXIV 6–8, zum Scheitern der Kelten dort; vgl. FONTENROSE, 1978, 199.

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sehr begrenztem Umfang statt. 68 Aristoteles unterschied, wie ausgeführt, zwischen den feuchten und trockenen Ausdünstungen. Dämpfe bzw. Ausdünstungen werden auch von anderen Autoren in verschiedenen Kontexten erwähnt – so im Zusammenhang mit medizinischen Darlegungen oder in Verbindung mit vulkanischen Aktivitäten, häufig gerade auch bei Beschreibungen von Höhlen oder Quellen. Die Wirkungen von Luftströmungen bzw. des Klimas auf den menschlichen Organismus wurden eingehend diskutiert. 69 Einzelne, besonders gut zu identifizierende Gase wie Schwefeldampf wurden bereits erkannt und beschrieben.70 Eine chemische Analyse nach modernen Maßstäben konnte aber naturgemäß nicht stattfinden. Unterschieden wurde grob zwischen guten und schlechten Dämpfen, angenehmer und schädlicher Luft, süßlichen und stinkenden Gerüchen.71 Die aufsteigenden Dämpfe oder Dünste konnten, wie bereits erkannt wurde, schädliche, sogar tödliche Auswirkungen auf Lebewesen haben.72 Plinius spricht in diesem Zusammenhang von Dunsthöhlen (spiracula), aus denen tödliche Dämpfe steigen (spiritus letales). Von diesen unterschieden werden Höhlen, deren Dünste prophetische Kräfte verleihen (fatidici specus) – als Beispiel nennt Plinius das Orakel von Delphi.73 Die aus der Erde aufsteigenden Dämpfe werden in den Quellen unterschiedlich bezeichnet – als Ausdünstung, Duft, Pneuma etc.74 So wird unter ἀναθυµίασις eher die trockene Form der Ausdünstungen verstanden, unter ἀτµίς eher feuchter Dampf.75 Diesbezüglich knüpften die Autoren primär an 68

Der Begriff „Gas“ ist nicht antik, sondern wurde im 17. Jahrhundert in den Niederlanden geprägt, als man begann, die Zusammensetzung der Luft genauer zu analysieren. Vgl. BURKERT, 2009, 31–44, hier 32; HOLZBERG, 1985, 85–95. 69 Vgl. u.a. ZIMMERMANN, 2003, 187–198; LIEWERT, 2015. 70 Aristoteles führt ihn Meteor. III 6, 378a21–23 an und charakterisiert ihn als Ausdünstung des Schwefels. 71 Vgl. z.B. Theophr., De odoribus; Lucr., IV 673–705. Vgl. ALLEN, 2015, 17–21; BRADLEY, 2015. 72 Plin., Nat. II 207 f.: spiritus letales aliubi aut scrobibus emissi aut ipso loci situ mortiferi, aliubi volucribus tantum, ut Soracte vicino urbe tractu, aliubi praeter hominem ceteris animantibus, nonnumquam et homini, ut in Sinuessano agro et Puteolano! spiracula vocant, alii Chaeronea, scrobes mortiferum spiritum exhalantes, item in Hirpinis Ampsancti ad Mephitis aedem locum, quem qui intravere moriuntur; simili modo Hierapoli in Asia, Matris tantum Magnae sacerdoti innoxium. Vgl. auch Seneca, der Nat. VI 1,3 Schafe erwähnt, die bei einem Erdbeben bei Pompeji – wohl aufgrund tödlich wirkender Gase – starben; dazu WALDHERR, 1997, 71. Vgl. auch Strab., VI 2,11. 73 Plin., Nat. II 208: aliubi fatidici specus, quorum exhalatione temulenti futura praecinant, ut Delphis nobilissimo oraculo. quibus in rebus quid possit aliud causae adferre mortalium quispiam quam diffusae per omne naturae subinde aliter atque aliter numen erumpens? Zum Interesse des Plinius für Naturwunder vgl. HEALY, 1999, 63–70. 74 Vgl. JOHNSTON, 2008, 45. 75 Arist., Meteor. II 4, 359b27–360a25. Vgl. zu weiteren Begriffen FRITZ, 1993, 288– 301; außerdem WALDHERR, 1997, 51 f.

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die aristotelischen Vorstellungen an bzw. verbanden diese mit stoischen Konzepten.76 Den Ausdünstungen wurden auch psychoaktive Effekte zugeschrieben. So werden auch im Falle anderer Orakelstätten der griechischen Welt Dämpfe als auslösende oder begleitende Faktoren der Weissagungen angeführt. Diese Gemeinsamkeit wurde bereits in der Antike vermerkt. So wird in den Quellen das Plutonium von Hierapolis häufig gemeinsam mit Delphi genannt.77 Dort sollen Dämpfe aus der Erde bzw. einer Höhle aufgestiegen sein, die für alle Lebewesen, außer für die Eunuchenpriester, die Galli, tödlich waren.78 Die moderne Forschung konnte dort tatsächlich giftiges Kohlendioxid nachweisen. Als weiteres Beispiel kann das Trophoniosorakel in Lebadeia angeführt werden, wo das Trinken aus einer Quelle sowie der Abstieg in eine Höhle ebenfalls eine wichtige Rolle spielten.79 Auf den ersten Blick könnten diese Parallelen die Annahme einer Erdspalte und aufsteigender Dämpfe auch für Delphi stützen. Andererseits könnten diese Angaben bis zu einem gewissen Grad auch topisch sein. Gerade die sehr häufige Verknüpfung von Orakeln mit Quellen, Höhlen und Dämpfen, verbunden mit den eben geschilderten Vorstellungen vom Erdinneren und den diesbezüglichen Phänomenen, könnte dazu geführt haben, Delphi mit ähnlichen Merkmalen auszustatten wie die anderen Heiligtümer auch. Die Höhle der Korykischen Grotte, die bereits in den frühen Quellenzeugnissen als wichtiger Ort genannt wurde, könnte dabei gewissermaßen ‚verlagert‘ und zu einem unterirdischen Ort umgedeutet worden sein.80 Die Annahme natürlicher Vorgänge im Erdinneren musste dabei, wie bereits gesagt, nicht im Widerspruch zu religiösen Vorstellungen stehen. Vielmehr konnten die naturwissenschaftlichen und die religiösen Deutungsmuster verbunden werden. Die austretenden Dämpfe waren nicht nur physikalische Erscheinungen, sondern gleichzeitig das Mittel, das Medium, über das die Gottheit ihren Willen mitteilte. In der neueren Forschung ist herausgestellt worden, dass die Annahme und Einbindung eines rationalen, physikalischen Erklärungsmodells sogar Vorteile bot. Das Konzept der aufsteigenden Dämp76

Vgl. PAIGE, 2002, 427–430. Wie er herausstellt, wird das delphische Pneuma bei Cicero, Strabon und Plutarch eher als Gas verstanden, basierend auf stoischen Auffassungen und abweichend von christlichem Verständnis. 77 Vgl. z.B. Plin., Nat. II 208. 78 Vgl. Pseudo-Aristoteles, De mundo 4, 395b29 f.; Strab., XIII 4,14. Cassius Dio, LXVIII 27, berichtet, dass er selbst die Wirkung der Dämpfe mit Hilfe von Vögeln getestet habe. Vgl. zu Hierapolis CROSS/AARONSON, 1988. 79 Vgl. z.B. auch die Beschreibung des Orakels des Trophonios; dazu ROSENBERGER, 2001, 35–40 – auch zu den mythischen Bezügen zu Delphi. Vgl. CLARK, 1968, 63–75. Zur Ortsgebundenheit der Orakel vgl. JOHNSTON, 2008, 34–35. 80 Zur generellen Bedeutung einer angenommenen Verbindung zur Unterwelt für Orakel vgl. ROSENBERGER, 2001, 127–137.

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fe konnte die Erklärung erleichtern, warum seit der klassischen Zeit ein Schwinden der Orakel zu beobachten war. Nicht mehr die Götter bzw. ein Desinteresse oder eine Schwäche auf ihrer Seite waren verantwortlich, wenn Orakel ausblieben oder versiegten, sondern natürliche Gegebenheiten. Dieses Erklärungsmuster wird bereits bei Cicero angeführt, der referiert, wie die Anhänger der Orakel diese verteidigten bzw. deren abnehmende Kraft erklärten: […] hoc loco cum urguentur evanuisse aiunt vetustate vim loci eius, unde anhelitus ille terrae fieret, quo Pythia mente incitata oracla ederet. 81 Für Cicero ist dieses Erklärungmodell, wie er im Folgenden hervorhebt, allerdings nicht überzeugend – insbesondere hinterfragt er, wie denn eine göttliche – und damit unsterbliche – Kraft verschwinden könne.82 Insgesamt konnte dieses Deutungsmodell jedoch als eine schlüssige Erklärung für die sich verändernden Bedingungen der Orakelpraxis dienen: Die Götter bedienten sich natürlicher Mittel für die Kontaktaufnahme mit den Menschen. Die Verstopfung oder Verschüttung der Kommunikationswege – z.B. durch Erdbeben oder durch den Lauf der Zeit – konnte zum Erliegen der Orakeltätigkeit führen.

5. Die Entdeckungs- und Forschungsgeschichte 5.1. Die Ausgrabungsbefunde und ihre Interpretation Die zentralen, immer wieder genannten Elemente in Berichten zu Delphi sind: eine Höhle oder Erdspalte, aufsteigende, teils als süßlich beschriebene Dämpfe und das Wasser der Quelle, das auch bei den Riten eine bedeutsame Rolle spielte. Diese Elemente wurden auch in der Moderne als Charakteristika des Heiligtums betrachtet. Ausgehend von den antiken Berichten wurden lange Zeit die aufsteigenden Dämpfe in der Höhle und das wundersame Wasser der Quelle für Zustand und Wirken der Pythia verantwortlich gemacht. 81

Cic., Div. II 117. Vgl. auch I 38: Potest autem vis illa terrae, quae mentem Pythiae divino adflatu concitabat, evanuisse vetustate, ut quosdam evanuisse et exaruisse amnes aut in alium cursum contortos et deflexos videmus. Sed ut vis acciderit (magna enim quaestio est), modo maneat id quod negari non potest nisi omnem historiam perverterimus: multis saeclis verax fuisse id oraculum. Zum Niedergang der Orakel mit Bezug auf die Passagen bei Strabon, Cicero, Lucan, Juvenal, Clemens vgl. SCHEER, 2001, 74 f., die hinter den Angaben eher subjektive Wahrnehmung als Realität sieht. Vgl. auch USTINOVA, 2009, 141. 82 Cic., Div. II 117: De vino aut salsamento putes loqui, quae evanescunt vetustate; de vi loci agitur, neque solum naturali, sed etiam divina; quae quo tandem modo evanuit? "Vetustate," inquies. Quae vetustas est, quae vim divinam conficere possit? Quid tam divinum autem quam adflatus e terra mentem ita movens ut eam providam rerum futurarum efficiat, ut ea non modo cernat multo ante, sed etiam numero versuque pronuntiet? Quando ista vis autem evanuit? An postquam homines minus creduli esse coeperunt?

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Entsprechende Beschreibungen finden sich in den frühen Lexika und Handbüchern zum antiken Griechenland bzw. zur antiken Religionsgeschichte. Die Schilderung der Erdspalte und der Dämpfe, die aus ihr aufsteigen, gehörten jeweils zu Standardangaben bei der Beschreibung Delphis.83 Das grundlegende Problem all dieser Charakterisierungen liegt darin, dass die Autoren bzw. Forscher lange Zeit keinen Zugang zur Orakelstätte hatten und die antiken Beschreibungen weder verifizieren noch falsifizieren konnten. Dies änderte sich im 19. Jahrhundert mit der Befreiung Griechenlands von türkischer Herrschaft – das berühmte Delphi stand nun auf dem Reiseplan zahlreicher Griechenlandreisender. Diese besuchten den Ort geprägt durch bestimmte Vorannahmen; die Erwartungen wurden allerdings, wie sich in ihren Berichten spiegelt, enttäuscht.84 Die ersten systematischen Ausgrabungen datieren in die Zeit um 1900.85 Das Interesse der Ausgräber galt selbstverständlich in besonderer Weise dem Innersten des Heiligtums, dem Adyton. Die französischen Ausgräber konnten jedoch keine Spuren einer Höhle oder eines Erdspalts finden.86 Entsprechend betonte auch Amandry in seiner Darstellung von 1950 noch einmal, dass in Delphi keinerlei vulkanische Aktivität nachzuweisen und generell nicht von der Entstehung irgendwie gearteter Dämpfe auszugehen sei. 87 Die Frage schien damit geklärt, und entsprechende Schlussfolgerungen finden sich in der Veröffentlichungen des 20. Jahrhunderts. So stellte z.B. Dodds fest:

83

Vgl. z.B. Paul NITSCH, Neues mythologisches Wörterbuch, Leipzig 18212, s.v. Apollo 239–274, hier 251. Er spricht von „begeisternden Dünsten aus der unterirdischen Höhle“; Carl Ludwig ROTH, Lesebuch zur Einleitung in die Geschichte nach den Quellen bearbeitet, Bd. 1, Nürnberg 1839, 3: „Unmittelbar auf die Kluft war ein dreifüßiger Sitz gestellt, auf welchen eine Frau aus Delphi, die man Pythia nannte, sich setzen mußte […] Durch die von unten aufsteigenden Dünste wurde die Pythia in eine Art wahnsinnigen Zustandes versetzt […]“ 84 Vgl. hierzu die Untersuchung und Quellenzusammenstellung von FELSCH-KLOTZ, 2009, 98.101 f.139 f.160 f. 85 Vgl. zur Forschungsgeschichte und den Ausgrabungen u.a. BOMMELAER/LAROCHE, 2015, 48–52; zur Topographie 17–23; SCOTT, 2014, 245–284; USTINOVA, 2009, 142–146. 86 Vgl. BOURGUET, 1914. Zur Reaktion der Ausgräber vgl. SCOTT, 2014, 22. Entsprechend PARKE/WORMELL, 1956 I, 21, die feststellen, dass „nothing can ever have existed on the scale suggested by Diodorus’ description“. Sie gehen, 22, davon aus, dass der Bericht über Delphi am Vorbild anderer Orakelstätten, u.a. in Kleinasien, orientiert war, wo tatsächlich Gase und ihre Auswirkungen auf Menschen belegt sind. 87 AMANDRY, 1950, 219, erklärt: „Les fouilles n’ont découvert aucune trace de fissure dans le sous-sol de l’adyton du temple des Delphes“; vgl. zur Geologie 221–225 sowie 227 f.: „Mais sous l’adyton du temple d’Apollon, il n’existe ni source véritable ni fissure dans le sol“. Zu den Thesen von Amandry vgl. die kritische Analyse von FLACELIÈRE, 1950, 306–324.

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As for the famous vapours to which the Pythia’s inspiration was once confidently ascribed, they are a Hellenistic invention. The French excavation showed that there are to-day no 88 vapours, and no chasm from which vapours could have come.

Oppé ging davon aus, dass weder Erdspalte noch Dämpfe je existierten. Dabei handele es sich um „mere figments of the priests or historians“. Die eigentlich bedeutsame Spalte sei die der Kastalischen Quelle, wie generell in Delphi und andernorts die Existenz einer Quelle für das Orakel entscheidend gewesen sei. Weitere Forscher äußerten sich in ähnlicher Weise: So formulierte Will: „il n’y a pas trace d’exhalaisons ou d’émanations.“89 Fontenrose erklärte: „There was no vapor and no chasm. The Pythia experienced no frenzy that caused her to shout wild and unintelligible words.“90 Der Zustand der Pythia wurde in der Folge auf andere äußere Einflüsse zurückgeführt – auf Drogen und bewusste Manipulationen durch die Priester. So stellte Holland 1933 die These auf, es habe eine Art unterirdisches Leitungssystem gegeben, mit Hilfe dessen durch den Omphalos künstlich erzeugte Dämpfe in das Allerheiligste geleitet worden seien.91 Auf diese Weise versuchte er, die Angaben über aufsteigende Dämpfe und deren inspirierende Wirkung trotz des Fehlens einer entsprechenden geologischen Formation zu erklären. Holland argumentierte dabei u.a. mit der Prominenz des Omphalos in bildlichen Darstellungen. Auch Littleton sah 1986 in diesem eine Art Mechanismus für die Orakelerteilung.92 Der aus ihm austretende Dampf sei von der über dem Omphalos sitzenden Pythia eingeatmet worden. Er ging von halluzinogenen Stoffen aus, die hierbei zum Einsatz gekommen seien und schlug u.a. Cannabis als mögliches von den Priestern gewähltes Mittel vor. Derartige Überlegungen blieben allerdings hypothetisch und auch die archäologischen Befunde, die als Argument angeführt wurden – so die Annahme von ‚Leitungen‘ im Boden –, unsicher. 5.2 Moderne Untersuchungen – die Ergebnisse von Hale und De Boer Eine neue Phase der Auseinandersetzung mit Delphi bzw. mit der Frage, ob und wie dort Dämpfe aufstiegen, wurde durch die Arbeiten eines niederlän88

DODDS, 1970, 73. WILL, 1942, 161. Vgl. auch 174: „[…] le pneuma n’a donc ni disparu, ni existé. Il était en fait, pour les Anciens, un mot auquel différentes explications pouvaient être données et étaient données, parfois par un même auteur, explications qui pouvaient passer d’une signification toute spirituelle à une réalité matérielle.“ Zu der antiken Tradition vgl. WILL, 1942, 161–175. 90 FONTENROSE, 1978, 196–197. So betont FONTENROSE, 1978, 197–198, dass die bei Plutarch genannten Ausdünstungen „entirely theoretical“ zu verstehen und nicht sinnlich wahrnehmbar gewesen seien. 91 HOLLAND, 1933, 201–214. Dagegen FONTENROSE, 1978, 203. 92 LITTLETON, 1986, 76–91. 89

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disch-amerikanischen Forscherteams, bestehend aus dem Geologen De Boer und dem Altertumswissenschaftler Hale, initiiert.93 Der Geologe De Boer, der für die griechische Regierung in den 1990er Jahren Untersuchungen durchführen sollte, identifizierte bei einem Besuch in Delphi eine massive Verwerfung, die quer durch das Heiligtum verlief, und zwar auch unter dem Tempel des Apoll. Bei weiteren Untersuchungen stellte er fest, dass eine zweite Verwerfung in rechtem Winkel zur ersten verlief und diese kreuzte – und zwar genau unter dem Apollontempel.94 Diese wurde von De Boer mit den in den antiken Quellen erwähnten Dämpfen in Verbindung gebracht. Durch diese Kreuzung, so seine These, war das Gestein besonders durchlässig, und unterirdisch vorhandene Gase konnten aufsteigen. Die zahlreichen Quellen im Gebiet des Orakels waren für ihn ein weiterer Hinweis auf frühere und immer noch stattfindende Prozesse im Erdinneren.95 In Zusammenarbeit mit dem Archäologen Hale führte er in den folgenden Jahren mehrere Vermessungen und Untersuchungen durch, so auch eine chemische Analyse des Quellwassers – unter der Annahme, dass dieses Wasser entlang einer der Spalten fließt. Außerdem wurden Untersuchungen der Kalziumablagerungen an einer der Tempelwände durchgeführt.96 Die chemischen Analysen wiesen Kohlenwasserstoffe nach, Methan und, insbesondere im Quellwasser, Äthylen (C2H4). Die Entstehung der Gase führten De Boer und Hale auf eine fossile bzw. bitumenhaltige Schicht unter dem Heiligtum zurück. Das Ausströmen höherer Konzentrationen bzw. Schwankungen in der Aktivität des Orakels wurden von ihnen mit seismischen Ereignissen in Verbindung gebracht.97 Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen wurden zunächst in einer Reihe geologischer Fachzeitschriften publiziert, fanden aber bald auch über den Kreis der naturwissenschaftlichen Leser hinaus Aufmerksamkeit. Charakteristisch für die Vorgehensweise der beiden Forscher ist der Ansatz, von den Berichten der antiken Autoren auszugehen und diese mit den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Untersuchungen zu verbinden.98 Die oben angeführten Erwähnungen von Dämpfen und Ausdünstungen in den antiken Quellen werden jeweils eingehend referiert, allerdings nicht eingehender problematisiert.99 93

Vgl. dazu SCOTT, 2014, 23 f.; JOHNSTON, 2008, 48–50. Vgl. im vorliegenden Band auch Ustinova, oben S. 126–128. 94 Die Ergebnisse wurden in Form einer Reihe kürzerer Artikel publiziert – vgl. DE BOER/HALE, 2000; DE BOER/HALE/CHANTON, 2001. Für eine Publikation in eher populärwissenschaftlicher Form vgl. DE BOER/HALE, 2002. 95 DE BOER/HALE, 2000, 405–407; DE BOER/HALE/CHANTON, 2001,709. 96 DE BOER/HALE, 2000, 407 f.; DE BOER/HALE/CHANTON, 2001, 709 f. 97 DE BOER/HALE, 2000, 408–411. Vgl. auch HALE ET AL., 2003, 72 f. 98 Vgl. DE BOER/HALE, 2000, 399–401. Vgl. auch HALE/DE BOER/SPILLER, 2002. 99 DE BOER/HALE, 2000, 399 f., gehen kurz auf die Angaben bei Diodor, Strabon, Pausanias etc. ein, jedoch ohne die Problematik und Tendenz der Berichte zu thematisieren.

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Die geologischen Gegebenheiten, die Daten und deren Interpretation werden von Hale und De Boer in verständlicher Form und unter Einbeziehung von Bild- und Kartenmaterial sowie Rekonstruktionszeichnungen präsentiert.100 Ereignisse, die von den antiken Autoren thematisiert wurden – wie die Entdeckung der Orakelstätte durch einen Hirten –, werden mit tektonischen Aktivitäten in Verbindung gebracht. Hale und De Boer vermuten z.B. auch einen Zusammenhang zwischen dem Aufstieg des delphischen Orakels im 8. Jahrhundert und einem Erdbeben um 730 v. Chr., das zu einer Öffnung der Spalten und vermehrter Freisetzung von Gasen geführt habe.101 Im Laufe der Forschungen wurden weitere Wissenschaftler hinzugezogen, u.a. der Toxikologe Henry Spiller. Die Untersuchungen bezogen nun auch die Wirkungen insbesondere von Äthylen auf den menschlichen Organismus mit ein. Die Forscher verwiesen darauf, dass Äthylen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als mildes Betäubungsmittel Verwendung gefunden hatte.102 Zentral für den nächsten Schritt der Argumentation war eine Gegenüberstellung der nachgewiesenen Effekte von Äthylen auf Psyche und Physis des Menschen mit den antiken Beschreibungen bezüglich des Zustandes der Pythia.103 Zwischen den Auswirkungen des Gases und dem Verhalten der Priesterin ließen sich, so ihre Argumentation, deutliche Parallelen aufzeigen. Damit hatte sich aus Sicht von De Boer, Hale und Spiller der Kreis quasi geschlossen – sie sahen die Angaben von Diodor und Plutarch als bestätigt an. Es waren inspirierende Dämpfe, die die Pythia in ihren Zustand versetzt hatten und nicht etwa irgendwie geartete Tricks der Priesterschaft. Die Gleichsetzung der Ergebnisse klinischer Studien mit der Darstellung in den antiken Quellen ist allerdings nicht unproblematisch. So werden letztere als Augenzeugenberichte behandelt, was bei Plutarch zumindest denkbar ist, im Falle des Lucan und dessen dramatischer Schilderung der Pythia aber grundsätzlich den Charakter dichterischer Sprache verkennt.104 Die Problematik dieses Forschungsansatzes liegt generell darin, dass De Boer und Hale neben geologischen Untersuchungen auf die antiken Erzählungen zurückgreifen und diese als Tatsachenberichte lesen. Die Berichte der antiken Autoren bieten allerdings nur eine geformte Fassung der Ereignisse – die Darstellung der antiken Quellen beruht ihrerseits auf bestimmten Vorannahmen und Konzeptionen. Die antiken Darstellungen basierten zwar prinziAuch werden die bei Plutarch zu findenden Angaben als Aussagen eines Augenzeugen gewertet, ohne zu berücksichtigen, dass die Erklärungen für die Vorgänge in Delphi Dialogteilnehmern in den Mund gelegt und als Diskursbeiträge zu werten sind. 100 Vgl. z.B. auch HALE ET AL., 2003, 69–72. 101 DE BOER/HALE, 2000, 409. Bezüglich der Aktivität des Orakels verweisen sie auf zahlreiche in den Quellen belegte Erdbeben; vgl. HALE/DE BOER/SPILLER, 2002, 191 f. 102 HALE ET AL., 2003, 69 und 73; vgl. auch USTINOVA, 2009, 148. 103 HALE/DE BOER/SPILLER, 2002, 193. 104 Vgl. HALE/DE BOER/SPILLER, 2002, 194 f.; vgl. auch HALE ET AL., 2003, 68 f.

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piell auf realen Ereignissen und Beobachtungen, können aber nicht eins zu eins als realistische Beschreibungen rezipiert werden. Vielmehr finden sich in ihnen topische Elemente, die für die Beschreibung von Orakelstätten typisch sind, oder Charakterisierungen, die an den vorherrschenden naturwissenschaftlichen Deutungsmustern orientiert sind.

6. Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen 6.1 Die Reaktion der Öffentlichkeit und der Forschung Die Annahme einer Pythia unter dem Einfluss berauschender Dämpfe schien attraktiv, wäre es so doch endlich gelungen, eine rational-wissenschaftliche Erklärung für das Verhalten der Priesterin zu finden. Es mussten nicht mehr im Hintergrund wirkende Priester für ihr Verhalten verantwortlich gemacht werden. Viele weitere Aspekte fügten sich – wie von Hale und De Boer betont wurde – in dieses Bild. Den von Plutarch genannten süßlichen Geruch der Luft in Delphi brachten sie mit dem vorhandenen Äthylen in Verbindung, die Einstellung des Orakels in den Wintermonaten bzw. die zeitweilige Abwesenheit Apolls mit einem Rückgang der Emissionen in der kalten Jahreszeit.105 In neueren Publikationen zu Delphi wurden die Thesen der amerikanischen Forscher verstärkt aufgegriffen. 106 Basierend auf oder zumindest angeregt durch die Ergebnisse von De Boer und Hale wurden weitere Untersuchungen durchgeführt, um in den Quellen erwähnte Phänomene einer wissenschaftlichen Überprüfung zu unterziehen. Hierzu zählt eine Studie von Franke und Mircea aus dem Jahre 2005.107 Sie gehen von einer Passage bei Plutarch (Pyth. or. 2–3, 395b–f) aus, in der ein besonderer Blauschimmer auf den von den Spartanern im Eingangsbereich geweihten Figuren diskutiert wird. Einer der Gesprächsteilnehmer bei Plutarch, Theon, bietet eine ausführliche Erklärung für die spezifische Verfärbung der Statuen. Auch für diese sei die Luft in Delphi bzw. deren besondere Zusammensetzung und Qualität ursächlich.108 Franke und Mircea gehen methodisch ähnlich vor wie De Boer und Hale und bringen diese Verfärbung in Zusammenhang mit dem Vorhandensein von spezifischen Gasen. Die blaue Färbung sei Azurit, das sich in Umgebungen mit hoher Konzentration von Hydrogenkarbonaten bildet. Entsprechende 105

HALE/DE BOER/SPILLER, 2002, 195; HALE ET AL., 2003, 68; vgl. USTINOVA, 2009,

149.

106

Vgl. z.B. CURNOW, 2004, 56. Vorsichtiger ROLLER, 2014, 541; STONEMAN, 2011, 34; vgl. auch USTINOVA, 2009, 147 f. 107 FRANKE/MIRCEA, 2005, 103–116. 108 Vgl. zu den Ausführungen des Theon die Analyse von GÄRTNER, 1983, 98–106, der auch in diesem Fall eine Anknüpfung an aristotelische Vorstellungen sieht.

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Bedingungen seien in Delphi durch das Vorhandensein von Quellen gegeben. Sie gehen zudem von einer hohen Konzentration von Kohlendioxid im Temenos aus, und zwar ebenfalls aufgrund der geologischen und tektonischen Gegebenheiten bzw. der nachgewiesenen, sich kreuzenden Erdspalten. Das Gas sei aufgrund seiner relativen Schwere abgesunken und habe sich im Raum des Eingangs gesammelt. Die Konzentration gerade im unteren Bereich des Heiligtums um das – durch eine Mauer abgeschottete – Monument der Spartaner habe dann zur auffälligen Einfärbung der Statuen geführt. Da diese nicht erhalten sind, lässt sich diese Annahme nicht verifizieren. Die Studie kann daher eher als Beispiel für eine mögliche Fortführung des von De Boer und Hale eingeschlagenen Weges gesehen werden. Eher problematisch ist dagegen eine weitere Publikation einzuordnen, die einige Jahre nach den fachwissenschaftlichen Publikationen erschien und an die breite Öffentlichkeit gerichtet war. Das Buch des Pulitzer-Preisträgers William Broad – mit einschlägigem Titelbild, dem bekannten Gemälde „Priestess of Delphi“ von John Collier – versteht sich als eine Art Tatsachenroman und Detektivgeschichte über die angeblich endgültige Lösung des Rätsels von Delphi. Grundlage der Darstellung sind längere Interviews, die der Autor mit den Forschern geführt hat und in denen er sich den Ablauf der Untersuchungen berichten ließ. Entsprechend gleitet die Darstellung vielfach ins Persönliche. So wird die japanische Kriegsgefangenschaft De Boers eingehend thematisiert.109 Die Beschreibung des entscheidenden Moments der Erkenntnis der geologischen Verhältnisse in Delphi wird eingebettet in eine geradezu romantische Schilderung eines Spaziergangs durch die Wiesen von Delphi.110 Problematisch ist die schon polemisch zu nennende Gegenüberstellung von französischer und amerikanischer Forschung. So stellt Broad zunächst ausführlich die Sackgasse vor, in die die Forschungen zu Delphi geraten seien, um dann programmatisch zu den neuen Ergebnissen überzuleiten: „Then the Americans took up the question.“111 Eingehend wird die Reaktion französischer Forscher beschrieben, als das amerikanische Team seine Ergebnisse zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert: The French geologists at the meeting, sitting at the back of the presentation room, showed no reaction […] their faces hung with great stony expressions. […] It was unclear if they understood that the American geologists had just assailed a monument of French learn112 ing.

Unfreiwillig komisch wird die Darstellung, wenn geschildert wird, wie Hale im „rare books room“ seiner Universität endlich an ein in Amerika offenbar

109

BROAD, 2007, 107–110. Zu Hale vgl. BROAD, 2007, 131–133. Vgl. BROAD, 2007, 123–125; 128–129. 111 BROAD, 2007, Prologue. 112 BROAD, 2007, 175. 110

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sehr seltenes Exemplar der französischen Ausgrabungsberichte gelangt 113 oder nach einigen Jahren der Forschung zu der Erkenntnis kommt, dass es in Griechenland neben Delphi auch andere Orakel-Heiligtümer in der Nähe von Quellen gegeben habe: It turned out that the ancient Greeks had built not just Delphi but several major temples 114 over springs.

Im strengen Sinne wissenschaftlichen Wert hat das Buch von Broad sicher nicht. Rezeptionsgeschichtlich ist diese Publikation jedoch von Interesse, weil sie – zumindest im englischsprachigen Raum – die Wahrnehmung weiter Kreise der Bevölkerung geprägt haben dürfte. 6.2. Kritik und alternative Ansätze Die Reaktion auf die Ergebnisse von Hale und De Boer in Kreisen von Forscherkollegen bzw. Geologen und Medizinern war insgesamt keinesfalls so einheitlich, wie die reißerischen Schlagzeilen in den Printmedien suggerieren mögen. Die kritische Auseinandersetzung erfolgte dabei auf sachlicher, aber auch auf grundsätzlicher methodischer Ebene. 115 Forster/Lehoux wandten bereits 2007 in einer Publikation in der Zeitschrift ‚Clinical Toxology‘ ein, dass aufgrund der geologischen Situation Äthylen nicht in klinisch relevanten, psychoaktiven Mengen entstanden sein könne und dass der Stoff außerdem nicht die von De Boer und Hale propagierten Effekte auf die menschliche Psyche habe.116 In einer weiteren Veröffentlichung zeigte Lehoux weitere Probleme der Thesen des amerikanischen Forscherteams auf.117 So betrage die Konzentration des Äthylens im Wasser lediglich 0,3 Nanomol pro Liter – dies sei an sich weder auffällig noch ungewöhnlich. Lehoux verdeutlicht das Problem mit auch für Laien verständlichen Vergleichen – derartige Mengen von Äthylen fänden sich in Zigarettenrauch oder faulenden Bananen.118 Die Benutzung eines Rasenmähers, so Lehoux, würde zur Aufnahme weitaus höherer Mengen von Äthylen führen. Eine Schulklasse von Teenagern stoße über eine Schulstunde hinweg mehr als das Tausendfache von Äthylen aus. Für merkliche Effekte reiche daher die in Delphi nachweisbare Konzentration

113

BROAD, 2007, 140. BROAD, 2007, 173. 115 Zu den Problemen der Argumentation SCOTT, 2014, 24; vgl. auch HEINEMAN, 2018, 14 f. 116 FOSTER/LEHOUX, 2007. 117 Vgl. auch LEHOUX, 2007 mit einer eingehenden Analyse der methodischen Probleme der Studie von HALE/DE BOER/SPILLER, 2002. Vgl. auch FOSTER/LEHOUX, 2007. 118 LEHOUX, 2007, 50 f. 114

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nicht aus. Auch in methodischer Hinsicht wirft Lehoux den Forschern eine unsaubere Vorgehensweise vor.119 In ähnlicher Weise kritisch äußerte sich 2006 der Geologe Etiope vom Geophysikalischen und Vulkanologischen Institut in Rom. Etiope und sein Team stellten den Spaltenverlauf in Frage, insbesondere die Annahme einer Art Kreuzung unter dem Tempel.120 Die Entstehung von Äthylen in relevanten Mengen schließen sie aufgrund der geologischen Gegebenheiten aus. In ihren Analysen kommen sie immerhin zu dem Ergebnis, dass der Kalkstein gerade unter dem Tempel besonders durchlässig sei und andere Gase aufgestiegen sein könnten, etwa Kohlendioxid. Davon ausgehend schlagen sie Sauerstoffmangel als Auslöser für den entrückten Zustand der Pythia vor. In einem Aufsatz mit dem Titel ,Scent of a Myth – Tectonics, Geochemistry and Geomythology at Delphi‘ präsentierte schließlich ein weiteres Team italienischer Geologen seine Ergebnisse.121 Die Autoren stellen ebenfalls heraus, dass in Delphi hohe Konzentrationen von Äthylen aufgrund der Bodenbeschaffenheit nicht vorstellbar sind. Gegen die dauerhafte Präsenz höherer Konzentrationen von Methan spricht ihrer Ansicht nach die hohe Entzündlichkeit dieses Gases. Ihr Lösungsansatz besteht darin, die immer wieder auftretenden Erdbeben für die periodische Freisetzung von Kohlendioxid und Schwefelgasen verantwortlich zu machen. Dies würde, so ihre These, zum angeblichen Gestank des verwesenden Drachen Pytho passen und auch zu bestimmten in den Quellen beschriebenen psychischen Reaktionen. Ein Teil der an die Thesen von De Boer und Hale anschließenden Untersuchungen beschäftigt sich primär mit den geologischen und physikalischen Bedingungen in Delphi. Ein anderer Teil der Forschung argumentiert weiter generell gegen die Existenz oder zumindest Relevanz der Dämpfe. So verweist u.a. Sarah Iles Johnston auf das grundsätzliche Problem, dass außer der Pythia selbst auch die Umstehenden von der Wirkung der Gase betroffen gewesen wären.122 Alternativ wird davon ausgegangen, dass der Zustand der Pythia eher durch Autosuggestion zu erklären sei.123 So warnt Fritz Graf in 119

So stehe Lamprias stellvertretend für eine bestimmte philosophische Richtung und seine Aussagen seien deshalb nicht als die eines objektiven Augenzeugen zu bewerten; Plutarch gehe außerdem nicht von giftigen, sondern von inspirierenden Dämpfen aus. Insbesondere stellt LEHOUX, 2007, 53 f. die von den amerikanischen Forschern gezogenen Parallelen zwischen der Wirkung von Äthylen und den Angaben in den antiken Quellen in Frage: Diese seien teils trivial, teils fehlerbehaftet. 120 ETIOPE ET AL., 2006. Die Möglichkeit der Entstehung von Äthylen wird von ihnen in Frage gestellt; es könne sich eher um Methan und Kohlendioxid gehandelt haben. 121 PICCARDI ET AL., 2008. Vgl. auch STEWART/PICCARDI, 2017, insbes. 715 f.; außerdem PICCARDI, 2000. 122 JOHNSTON, 2008, 49. Andererseits sieht sie durchaus Übereinstimmungen mit den Angaben bei Plutarch, wie der Erwähnung eines süßlichen Geruchs oder der Beobachtung von Schwankungen der Ausdünstungen. 123 PARKE/WORMELL, 1956, Bd. I, 39, sprechen von „self–hypnotism“.

Von Erdbeben, Erdspalten und Erddämpfen

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seiner Auseinandersetzung mit den neuen geologischen Befunden vor einer Überbewertung der äußeren Einflüsse. Entscheidend für den Zustand der Priesterin seien vielmehr kulturelle Prägungen bzw. spezifische, eingeübte rituelle Handlungen.124 In eine ähnliche Richtung weisen die Forschungen von Yulia Ustinova, die die Ergebnisse der Neurowissenschaften für die Erklärung der Inspiration und der Ekstase der antiken Orakelpriester und -priesterinnen heranzieht.125 Auch wenn die Ergebnisse von Hale und De Boer somit vielfach in Frage gestellt wurden und werden, haben sie die aktuelle Forschungsdiskussion maßgeblich geprägt und beeinflusst – sei es, dass ihre methodischen Ansätze aufgegriffen, sei es, dass Thesen in bewusster Abgrenzung formuliert werden.

7. Fazit Die Einbeziehung der Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung kann neue Perspektiven für die Analyse antiker Texte eröffnen. Ein generelles Problem stellt, wie bereits angeführt, allerdings die Zuverlässigkeit der antiken Quellennachrichten dar. Bestimmte Charakteristika finden sich bei einer Reihe von Orakelstätten. Dazu gehört das Vorhandensein einer heiligen Quelle sowie unterirdischer Höhlen. Zu berücksichtigen ist auch die in der Forschung wiederholt herausgestellte generelle Bedeutung von Höhlen als Kontaktzonen mit der Unterwelt.126 Die antiken Angaben müssen allerdings nicht notwendigerweise auf reale topographische Verhältnisse verweisen. Auffällig sind vielmehr gerade die Übereinstimmungen der Orakelbeschreibungen. Im Falle Delphis ist zudem bemerkenswert, dass Hinweise auf die Orakelhöhle erst spät in den Berichten erscheinen. Im Laufe der Zeit bildeten sich offenbar stereotype Anforderungen an Orakelheiligtümer heraus, die dann die Beschreibungen in den Quellen prägten.127 Entsprechend sind auch die antiken Berichte durch Vorannahmen und spezifische – wissenschaftliche und philosophische – Konzepte charakteri124

GRAF, 2009b. Auch JOHNSTON, 2008, 49 f. nimmt an, dass das – nur in geringer Konzentration vorhandene – Äthylen nur als „trigger“ gewirkt haben könne, von entscheidender Bedeutung aber die Vorbereitung der Priesterin gewesen sei. Vgl. DODDS, 1970, 600, der annimmt, dass für das Amt der Priesterin bewusst eine empfängliche Person ausgewählt worden sei. Für eine satirische Aufzählung solcher Auslöser vgl. Lukian, Bis accusatus 1. 125 USTINOVA, 2009; USTINOVA, 2018; vgl. im vorliegenden Band ebenfalls Ustinova, oben S. 121–126.129–133. 126 Zur religiösen Bedeutung von Höhlen vgl. EGELHAAF-GAISER/RÜPKE, 2000; USTINOVA, 2009. 127 Vgl. allgemein und unter Berücksichtigung anthropologischer Parallelen MAURIZIO, 1995.

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siert.128 Das Bemühen, Quellennachrichten mit naturwissenschaftlichen Beobachtungen zu harmonisieren, kann daher auch zu Fehl- bzw. Zirkelschlüssen führen. Auch sollte der regelrechte ‚Hype‘ um die Thesen von Hale und De Boer nicht dazu verleiten, die Frage nach der Existenz inspirierender Dämpfe rein naturwissenschaftlich anzugehen. Insgesamt zeigt allerdings gerade das Beispiel Delphi, wie fruchtbringend und diskussionsfördernd ein interdisziplinärer Ansatz sein kann.

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So wird in der Forschung vielfach der Einfluss insbesondere stoischer Vorstellungen auf die Beschreibungen der Orakelpraxis hervorgehoben; vgl. PARKE/WORMELL, 1956 I, 23; DIETRICH, 1992, 41 f.

Ludit in humanis divina potentia rebus Das Orakel von Delphi im und als Spiel Martin Lindner 1. Zur Einführung 1833 erschien in der Enders’schen Buchhandlung zu Prag das Orakel der Prophetischen Muse. Laut Anleitung handelt es sich bei den beiliegenden Worttafeln um das „Geschenk jener weissagenden Jungfrau“,1 mit dessen Hilfe sich die antiken Weisheiten in Form gereimter Orakelsprüche auf die unmittelbare Zukunft anwenden lassen. Die oft eher rätselhaften Resultate seien von den Anwesenden, ganz in der Rolle von Fragenden und Priestern in Delphi, zu interpretieren. „So hast du nur erst Worte; und es kömmt darauf an, den rechten Sinn derselben zu treffen […]. Vergiß nicht, daß die prophetische Muse eine ernste Jungfrau sey, der die nützliche und heilsame Wahrheit über Alles geht.“2 Das Spiel sieht genaue Regeln für die Frageform, für die Reihenfolge und für erlaubte wie verbotene Inhalte vor. Unkommentiert finden dabei auch christliche Versatzstücke ihren Weg in die Worte der Seherin aus dem alten Griechenland.3 Das Orakel der Prophetischen Muse ist ein recht später Vertreter der Losbuch-Spiele, deren Anfänge bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen.4 Im modernen Gesellschaftsspiel ist Delphi mit seinem Heiligtum, der Pythia und 1

Orakel der prophetischen Muse, Spielanleitung, 3. Spieltitel werden im Folgenden kursiv angegeben und bei Verwechslungsgefahr mit namensgleichen oder -ähnlichen Werken zusätzlich mit Jahreszahl versehen. Für Privatsammlungen werden aus den unten genannten Gründen keine zusätzlichen Verzeichnungen durchgeführt. Für Spielmuseen werden bei der Erstnennung eines Beispiels das Kürzel der Einrichtung und die Bestandsnummer angeführt; zur Methodik siehe auch das Ende von Abschnitt 1. Ich danke Felix Koch Ramos, Antje Kuhle, Sylvia Lindner und Carolina Römer für ihre Rückmeldungen zur Erstfassung des Beitrags. 2 Orakel der prophetischen Muse, Spielanleitung, 12 (Hervorhebungen im Original). 3 So werden die Orakelsprüche durchgehend als „Gleichnisse“ deklariert, die durch „Arm“ und „Beistand“ des (christlichen) Gottes in der Realität Wirkung erlangen sollen, so explizit u.a. Orakel der prophetischen Muse, Spielanleitung, 16. 4 Siehe Abschnitt 3.1; weiter zeitlich zurückgehend wäre etwa an die mittelalterliche Praxis des zufälligen Aufschlagens einer Stelle in der Bibel o.ä. zu denken, ohne dass damit hier ein spielerisches Konzept unterstellt werden soll.

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dem Gott Apollon5 seit der Frühen Neuzeit kontinuierlich präsent. Von der Forschung sind diese reichhaltigen Quellenbestände – wohl auch wegen fehlender Vertrautheit mit dem Medium – bislang praktisch nicht beachtet worden. Es erscheint daher sinnvoll, der Problematisierung der thematischen Leitfragen einige grundlegende Sätze vorzuschalten. Was können wir überhaupt hoffen, aus der Beschäftigung mit der Antike im Gesellschaftsspiel zu gewinnen?

2. Spielziele Gesellschaftsspiele sind einerseits ein Medium mit enormer Breitenwirkung, auch wenn für die meisten Vertreter vor dem 20. Jahrhundert kaum Aussagen über genaue Auflagenhöhen und Verkaufszahlen zu machen sind.6 Auffällig ist jedoch über die Jahrhunderte hinweg die Tendenz zum mehrsprachigen Spiel, das landes- oder sogar kontinentalübergreifend vermarktet werden konnte. Umgekehrt finden sich für viele der unten diskutierten Beispiele lokale Adaptionen und Abwandlungen. Beim Blick in die einschlägigen Sammlungsbestände zeigt sich zudem die lange Nutzungsdauer vieler Exemplare, die oft über Generationen hinweg eingesetzt, kommentiert und anderweitig bearbeitet wurden. Selten ist bei einer rezeptionshistorischen Quelle der hohe Grad von Interaktion mit Medium und Inhalt derart offensichtlich wie bei der – im wahrsten Sinne des Wortes – ‚abgespielten‘ Antike. Andererseits bieten Gesellschaftsspiele einen ganz besonderen Einblick in die Abläufe der Rezeption antiker Inhalte. Die einschlägige Forschung hat für den dialogisch ablaufenden Prozess das Konzept der ‚Transformation durch Allelopoiese‘ hervorgebracht.7 Vereinfacht gesagt: Die Antike existiert nicht per se. Vielmehr wird sie in einem Wechselspiel durch die Rezipientinnen und Rezipienten mit ihren jeweiligen Vorkenntnissen und Annahmen ständig neu definiert, bestätigt oder aktualisiert. Experten wie Laien können aus antiken Quellen für sie neue Informationen gewinnen. Diese erlangen jedoch nur durch Einordnung in bestehende Sinngefüge ihren jeweils eingeschätzten Wert. Ohne dass es unbedingt einer Steuerung bedürfte, bilden sich dabei

5

Im Folgenden wird durchgängig die Namensform ‚Apollon‘ verwendet, sofern es sich nicht um abweichende Zitate aus Spielanleitungen oder -materialien handelt oder der Kontext anderes erfordert. Die Spiele selbst setzen ‚Apollo‘ und ‚Apollon‘ meist ohne erkennbare Reflexion gleich, wobei die griechische Option unabhängig von Setting und Kontext etwas seltener auftritt. 6 Auch dank eines völlig anderen Copyright-Verständnisses, nach dem etwa Spielmechanismen oder -namen nahezu beliebig kopiert oder neu kombiniert werden konnten, vgl. LINDNER, 2018. 7 Vgl. BÖHME, 2011.

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Strömungen heraus, die in der Äußerung bestimmter Antikenbilder festlegen können, was (gerade) als ‚die Antike‘ gilt oder gelten sollte.8 In Spielen werden diese Filter hingegen oft sehr bewusst und zielgruppenorientiert gestaltet: Ein Blick in Jugendzeitschriften des frühen 20. Jahrhunderts zeigt Spielbeilagen, die eine genderspezifische Antike einzuschleifen versuchen. Für junge Mädchen bietet ein Spiel wie Meer-Fahrt vor 3000 Jahren9 ein Panorama einer idyllischen Bootsfahrt mit Musikbegleitung, während im Hintergrund die Wolken über weiße Tempelanlagen ziehen. Das eigentliche Spielfeld besteht nur aus einer umlaufenden Reihe von Zugfeldern am Rande der dominierenden Illustration. Die sehr knapp gehaltenen und klein gedruckten Regeln verdeutlichen die Harm- und Anspruchslosigkeit der spielerischen Herausforderung. Ganz anders verfährt das fast gleichzeitig in einer „Knabenzeitung“ veröffentlichte Spiel Pyramiden-Bau.10 Die schmalen Illustrationen mit Hieroglyphen und zwei namenlosen Figuren umrahmen ein kontrastfarbiges Spielfeld, das wie ein riesiges Schachbrett anmutet. Die Regeln suggerieren eine strategische Aufbausimulation. Ironischerweise handelt es sich bei beiden Spielen in technischer Hinsicht um sehr einflussarme Würfel- und Zugspiele auf dem Niveau von Mensch ärgere dich nicht. Steuernde Transformationen können jedoch ebenso schicht- oder besser einkommensspezifisch verlaufen: Spiele wie das Stil-Formen Quartett-Spiel wurden in einer großformatigen und vollfarbigen Version für das höchste Marktsegment produziert. In der mittleren Preisklasse als Stilformen Quartett waren die gleichen Karten mit den Bildern antiker Architektur nur noch im Halbformat vertreten. In der ‚Volksversion‘ als Stil-Quartett wurde auch an der Farbigkeit der Antike gespart. Rein vom Spielmechanismus und -ziel her sind die drei Fassungen identisch. Die Antike, mit der sich die Rezipientinnen und Rezipienten auseinandersetzen konnten, sah je nach finanziellem Leistungsvermögen sehr unterschiedlich aus. Zuletzt sind Spiele in mehrfacher Hinsicht weit mehr als nur Spiele. Ein kurioser Fall ist etwa der ‚Spielschrein‘, der dem künftigen deutschen Kaiser Friedrich III. 1882 vom Verein für deutsches Kunstgewerbe zu Berlin überreicht wurde. Im Schrein befand sich beispielsweise eine Version von Glocke und Hammer, ein Produkt, das schon in seiner Bildsprache die deutschnationale Vereinnahmung der antiken Germanen zelebrierte.11 Unspektakulärer, 8

Ein Resultat dieses Zugriffs ist die Möglichkeit, sich abstrakten Konzepten wie etwa ‚Seeherrschaft‘ als Gegenstand einer transformierenden Antikenrezeption zuzuwenden. (Der zugehörige Band von Hans Kopp und Christian Wendt geht in der Reihe Transformationen der Antike [De Gruyter] in Druck, während diese Zeilen geschrieben werden.) 9 Abgedruckt 1904 als Beilage zum 17. Jahrgang von Illustrierte Mädchenzeitung – Das Kränzchen. 10 Abgedruckt 1902 als Beilage zum 17. Jahrgang von Illustrierte Knabenzeitung – Der Gute Kamerad. 11 Zu den Hintergründen vgl. RADAU, 1982; REISINGER, 2005, 120–121.

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aber umso zahlreicher sind didaktische Zuschreibungen an die Rolle von Spielen – und das weit über die Idee einer Vermittlung von historischem Allgemeinwissen hinaus. Bei einem Namen wie Neuestes historisches LottoSpiel zur Beförderung der Bildung der Jugend von 1850 zeigt sich die Tendenz bereits im Titel. In der zeitgenössisch völlig üblichen didaktischen Vorrede wird die Beschäftigung mit der Geschichte zur zentralen Kulturtechnik erhoben: Auch im Spiele soll der Mensch nie seine menschliche geistige Natur verleugnen. Das aber ist der Vorzug des Menschen vor allen Creaturen der Welt, daß er die Fähigkeit hat, die Dinge der Natur und das Reich des Geistes zu erkennen, und wollet Ihr dereinst Euren Beruf als Menschen erfüllen, so muss schon in Eurer Jugend der Trieb nach Erkenntniß sich offenbaren.12

Dazu passt die mehr oder minder explizit geäußerte Annahme zahlloser Spielemacherinnen und -macher, dass die Spiele nicht selbstständig von Kindern und Jugendlichen genutzt, sondern zumindest von Erwachsenen beaufsichtigt und lehrreich ergänzt werden sollten. Das Spiel war nur in zweiter Hinsicht ein Unterhaltungsobjekt. Beim Neuesten historischen Lotto-Spiel zur Beförderung der Bildung der Jugend beschränkt sich der Reiz ohnehin auf ein simples Bingo-Prinzip.13 Die unten diskutierte Veränderung im Sinne eines Konzepts von weniger ernst auftretendem ‚Edutainment‘ hat den Anspruch, mehr als nur ein Spiel zu sein, oftmals nur in eine andere rhetorische Richtung verlagert. Der Stellenwert und die Präsenz, die der Antike im Bewusstsein von weiten Bevölkerungsteilen des abendländischen Raumes zukommen, werden im Gesellschaftsspiel so greifbar wie sonst nur selten. Die oben benannte Forschungslücke ist angesichts dieses Befundes umso bedauerlicher, obgleich diese Einschätzung in drei Punkten relativiert werden muss: Erstens gibt es durchaus eine lange Tradition der historischen Spieleforschung. Diese arbeitet aber stark fokussiert auf das Medium als solches und wird vorzugsweise von privaten Sammlern, Vereinen oder Mitarbeitenden in Spielemuseen betrieben.14 Fragen nach der Thematik, dem Setting oder genauen Inhalten interessieren oft eher in zweiter Linie. Zu den Schwerpunkten gehören vielmehr die Materialerfassung und -beschreibung, Datierungsfragen, die Produktionshistorie eines bestimmten Spieletyps, eines Autors oder eines Verlags und ähnliches mehr. Zweitens befasst sich die Geschichtsdidaktik seit vielen Jah12

Anleitung S. III (Erstversion der S & W Spielwaren-Fabrik, Kassel, um 1850). Siehe unten Abschnitt 3.2. 14 Wenn in diesem Beitrag nur von ‚Sammlern‘ in der männlichen Form die Rede ist, steckt dahinter keine sprachliche Nachlässigkeit. Das private Sammeln von historischen Spielen (im Sinne alter, antiquarischer Spiele) in großem Umfang erfolgt m. E. in überwältigender Mehrheit durch Männer gehobenen Alters mit meist mittlerem bis höherem Bildungsstand. Vgl. auch die Befunde zum ‚Typus Sammler‘ bei THOMPSON, 2016. 13

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ren vermehrt mit Gesellschaftsspielen als Medium der historischer Vermittlung und Geschichtsaneignung. Da eine Vielzahl der Beteiligten allerdings aus einer neuhistorischen Ausbildung kommt, tritt die Antike als Bezugspunkt meist zurück hinter etwa Kriegsspielen im Kontext der Napoleonischen Zeit oder der beiden Weltkriege.15 Drittens haben die Medien- und Kommunikationswissenschaften längst die spielerische Antike entdeckt. Allerdings stehen auch hier Überlegungen zur Antikenrezeption weit zurück hinter dem eigentlichen Gegenstand: Untersucht werden (vorzugsweise im Computerbzw. Online-Spiel) die Mechanismen, mit denen alternative Realitäten in den neuen Medien entstehen – und wie sich deren Akzeptanz und Mitgestaltung durch die Spielenden mithilfe der Methoden empirischer Nutzerforschung analysieren lassen.16 In dieser Hinsicht kann auch die ethnologische Forschung die virtuelle Antike streifen, ohne an den dahinterstehenden Transformationsprozessen oder dem Antikenbild interessiert zu sein.17 Der vorliegende Beitrag kann schon aus methodischen Gründen diese Aspekte nur sehr eingeschränkt berücksichtigen. Eine Nutzerforschung für Spiele des 17. Jahrhunderts existiert schlicht nicht und ist nachträglich nicht zu leisten.18 Der didaktische Wert der im Folgenden besprochenen Spiele variiert zwar nach meiner persönlichen Einschätzung erheblich. Der Wert als Zeugnisse für bestimmte Prozesse der Antikenrezeption sollte aber unabhängig davon eingeschätzt werden. Der vorliegende Text verfolgt auch nicht den Anspruch, die Spielforschung mit neuen Datierungen zu bereichern, sondern wird lediglich nach Bedarf und in betont zurückhaltender Form derartige Informationen aus der einschlägigen Literatur übernehmen. Auch die Analyse von antikisierenden Online-Rollenspielen oder spielerischem Re-Enactment mit antiken Bezügen ist an dieser Stelle nicht zu leisten. Die kommenden Seiten sollen vielmehr drei Fragen problematisieren und, soweit dies die Quellenlage zulässt, beantworten: In welcher Form und in welchen medialen Traditionen können antike Inhalte – und damit auch Delphi – im Gesellschaftsspiel rezipiert werden? Welche Bedeutungen und Funktionen werden 15

Zur Entwicklung vgl. VON HILGERS, 2008; siehe auch unten Anm. 42. So etwa in der seit 2005 laufenden Zeitschrift Games and Culture; in den Altertumswissenschaften rückt das Thema erst langsam in den Blick, etwa durch den Band von THORSEN, 2012 oder einzelne Aufsätze wie BEMBENECK, 2013. Eine breiter aufgestellte Publikation im Rahmen der Reihe Imagines – Classical Receptions in the Visual and Performing Arts befindet sich in Druckvorbereitung, während diese Zeilen geschrieben werden (ROLLINGER, 2020). 17 So etwa MALABY, 2003, zu ergänzen durch MALABY, 2007, MALABY, 2009 und IVORY, 2012. 18 Zumindest schlaglichtartig können einzelne bekannte Auflagenzahlen helfen; vgl. die Zusammenstellung bei ZOLLINGER, 1996, XXII–XXV. Von den angefragten aktuellen Spieleherstellern und -vertrieben verwies die große Mehrheit auf Betriebsgeheimnisse oder antwortete so vage, dass kein repräsentativer Mittelwert angegeben werden kann. 16

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dabei gerade dem antiken Orakel zugeschrieben? Und warum wird das antike Delphi überhaupt in konstanter und nennenswerter Zahl zum Gegenstand von Gesellschaftsspielen, wenn vielen anderen – aus Sicht eines Althistorikers vermeintlich gleichwertigen – Themen dies nicht gelingt? Bearbeitet werden sollen diese drei Fragen auf der Basis eines möglichst repräsentativen Samples von über 40 modernen Gesellschaftsspielen. ‚Modern‘ wird dabei großzügig auf Beispiele ab dem späten 15. Jahrhundert angewendet, wobei erhaltungsbedingt die Masse des Materials aus dem 19. bis 21. Jahrhundert stammt. Bei mehrsprachigen Spielen wird, falls vorhanden, die deutsche Fassung verwendet, sofern nicht besondere Gründe wie etwa der Erhaltungszustand dagegensprechen.19 Bis auf die wenigen entsprechend gekennzeichneten Ausnahmen wurden lediglich selbst in Augenschein genommene Spiele herangezogen. Bei den neueren Produkten wird auch auf Kommunikationen mit den Spielemacherinnen und -machern zurückgegriffen, ohne dass der Entstehungsprozess der Spiele hier thematisiert werden kann. Für ältere Produkte sind selbst in der einschlägigen Forschung meist allenfalls die Eckdaten erschlossen und Datierungen oft nur auf fünf bis zehn Jahre genau zu leisten. In Einzelfällen hilft die Nutzungshistorie (markiertes Erwerbungsdatum, mündlich tradierte Kontextinformationen o.ä.) des gesichteten Exemplars weiter, bringt allerdings ihre eigenen Unschärfen und neuen Fehlerquellen mit sich. Grundsätzlich nicht genannt werden Besitzer und genauer Ort der Sammlungen, da die überwiegende Mehrheit der Sammler sich diese Regelung ausgebeten hat.20

3. Spielregeln Delphi ist ein ‚Zwischenort‘. In inhaltlicher Hinsicht wird dieser Aspekt in den späteren Abschnitten herauszuarbeiten sein; in struktureller Hinsicht wird er schon bei der folgenden Materialerfassung deutlich. Delphis Position liegt 19

Die meisten Spiele verfügen nicht über eine Global Trade Item Number (GTIN) bzw. European Article Number (EAN) oder eine vergleichbare standardisierte Nachweismöglichkeit. Sollte eine GTIN/EAN vorhanden sein, wird diese bei der ersten Erwähnung des betreffenden Spiels in den Anmerkungen genannt. Andernfalls werden bei Bedarf zusätzliche Produkt-Informationen im Sinne einer möglichst eindeutigen Identifikation gegeben. 20 Neben meinem hier notgedrungen namenlos vorgebrachten Dank seien ausdrücklich Dieter Mensenkamp, die Europäische Spielesammler Gilde, Edurne Martín Ibarraran vom Arabako Fournier Karta Museoa Vitoria-Gasteiz, Tristan Schwennsen vom Unternehmensarchiv Ravensburger AG und Ulrich Schädler vom Musée Suisse du Jeu erwähnt. Ohne ihren Rat und ihre kundige Hilfe wären viele Türen verschlossen und viele Informationen unverstanden geblieben. Mein Dank gilt zudem den vielen Kreativen, Verlagen und Vertrieben hinter den neueren Spielen, die den vorliegenden Text durch Auskünfte oder die Gewährung von Abdruckrechten bereichert haben.

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im Schnittpunkt von zwei lange etablierten Traditionen, die hier unter ‚Orakelspiele‘ und ‚Geschichtsspiele‘ gefasst werden. In der unten genannten Forschung existiert kein trennscharfes Begriffsinventar, so dass der Gegensatz als Arbeitsdefinition verstanden werden sollte. In diesem Sinne unterscheiden sich die beiden Typen durch Abläufe und Ziele: Geschichtsspiele setzen in der Regel eine Spielgruppe voraus und haben innerhalb dieser Gruppe Wettbewerbscharakter. Der Reiz besteht in möglichst optimaler Nutzung einer Vielzahl von wiederkehrenden Handlungsoptionen (Ausspielen ausgewählter Karten, Verwendung von Würfelergebnissen, Zugoptionen für Spielsteine, schnelleres und korrektes Beantworten von Wissensfragen etc.). Ein Gutteil der Orakelspiele kann dagegen auch alleine gespielt werden. Ziel ist das Erlangen einer möglichst zutreffenden oder unterhaltsamen Prophezeiung, nicht das Sammeln möglichst vieler Punkte oder das Erreichen eines Schlussfeldes. Der Spielvorgang als solcher lässt sich bei Orakelspielen prinzipiell endlos wiederholen. Anders als bei den Geschichtsspielen gibt es kein definiertes Ende im eigentlichen Sinne und keine Gegner, die dieses beeinflussen könnten. 3.1 Die Orakelspiele Zu den ältesten Vertretern unter den modernen Orakelspielen gehören die so genannten ‚Losbücher‘, deren Vorläufer weit über die hier behandelte Zeit hinaus zurückreichen.21 Dabei handelt es sich um Sammlungen von verschriftlichten Orakeloptionen, die aus längeren Absätzen bestehen können, aber auch aus einzelnen Sätzen oder gar nur aus Wörtern oder Phrasen. Einige dieser Losbücher sind mit integrierten Spielhilfen ausgestattet, etwa mit zu drehenden bzw. zu klappenden Elementen auf manchen Seiten oder mit beigehefteten Orakeltafeln. Das Zufallsmoment wird ansonsten durch weitere Spielhilfen eingebracht. Gerollte Würfel, gezogene Karten oder geworfene Münzen legen fest, welche Prophezeiung auf welcher Seite zum Einsatz kommen soll. Anschließend muss das oft sehr allgemeine oder rätselhafte Ergebnis interpretiert werden.22 Das früheste mir vorliegende Beispiel mit 21

So etwa auf die arabischen Punktierlehren oder das Glückszettelspiel, die sich in Europa seit dem Hochmittelalter verbreiteten (und sich ihrerseits gerne auf das Losen des Apostels Matthias in Apg 1,15-26 berufen). Die Bibliographie von ZOLLINGER, 1996, 197198 führt in diesem Zusammenhang als ersten echten ‚Bestseller‘ Lorenzo Spiritos Sorte (Perugia/Vicenza 1482) auf. Eine ältere, aber als Überblick immer noch mit Gewinn heranzuziehende Auflistung früher Losbücher bietet BOLTE, 1925; zur frühneuzeitlichen Entwicklung kompakt HOFFMANN, 1997b, 13–16. 22 Selbst das Auswahlverfahren an sich kann einen Wettbewerbsvorteil bieten, wie der zeitweise Erfolg von ‚Stechbüchlein‘ im 18. Jahrhundert belegt. Ein Stechbüchlein besaß zwei verschiedene Leserichtungen: Ein unverheirateter Mann hatte von dem einen Buchdeckel aus aufzuschlagen, eine ledige Frau vom anderen. Als zweiter Schritt wurde eine Nadel durch die Seiten gestochen, um einen Orakelspruch der jeweils passenden Ge-

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zumindest indirektem Bezug zu Delphi ist das Losbuch nach Martin Flach, entstanden um 1485. Die Orakeloptionen sind unter Tiernamen gruppiert, die (mit klaren Bezügen zur Bibel- oder Fabeltradition) als Tendenz anzeigende Überschriften fungieren. So steht etwa der Affe für Warnungen vor törichtem Verhalten und fahrlässigem Vermögensverlust, der Löwe für Autorität und Kraft, aber auch für das Risiko der unterschätzten üblen Nachrede. Unter den Tieren finden sich viele mythische und legendäre Wesen wie „Der Fenix“, „Der Grieff“ oder „Der Lintwurm“. Bemerkenswert ist zudem der vielfache Bezug auf Venus als Liebesgöttin oder als Metapher für die Liebe selbst. Der Anzeiger der Prophezeiungen ist als drehbares Rad gestaltet, in dessen Mitte eine wohl als Python zu interpretierende Schlange aus Dampfschwaden aufsteigt und mit „ein zung scharpff gesliffen“ das Schicksal festlegt.23 Ihre Rolle kommt dabei aber kaum über den Charakter eines weiteren Monsters hinaus, das allenfalls durch (im Losbuch nicht expliziertes) Vorwissen in den Kontext des antiken Orakels gebracht werden kann. Die Tradition der Losbücher alten Stils reicht bis weit ins 19. Jahrhundert hinein und teilweise darüber hinaus, während im Bereich des Geschichtsspiels schon längst elaboriertere Produkte den Markt beherrschten. Das eingangs zitierte Orakel der Prophetischen Muse von 1833 illustriert diesen Umstand und zugleich die Schwierigkeit, derartige Beispiele immer klar als Delphi-Spiele zu identifizieren. Sprachduktus und Vokabular deuten in Richtung der zeitnahen Werke von Friedrich Gottlieb Klopstock, Friedrich Müller oder Christoph Martin Wieland.24 Dennoch bleiben Ort und Seherin namenlos, wobei vereinzelt fallende Bezeichnungen wie „olympisch“ und eben „Muse“25 sogar in eine andere Richtung zu führen scheinen. Für die weitere Tradition ist allerdings bedeutsamer, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts ein neuer Trend die klassischen Orakelspiele und damit auch deren Antikenbezüge weitgehend verdrängte: das Kartenlegen mit zeitgenössischem Bildproschlechterseiten zu treffen. Die gerne provokativen Aussagen sollten die Betroffenen ‚aus der Reserve locken‘ und mit interessierten Partnerinnen oder Partnern ins Gespräch bringen. Das Prinzip ist wiederum deutlich älter und etwa im wesentlich ernsteren Stamm- und Stechbüchlein des Georg Philipp Harsdörffer mit zahlreichen Bibelbezügen umgesetzt (als erneuerte Version erschienen 1654 in Nürnberg; eingesehen nur als Digitalisat der Herzog August Universität Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de/drucke/165-19-eth-1/start.htm, Zugriff: 24.07.2017; zum Kontext vgl. WADE, 2011), das sich seinerseits erkennbar bei den didaktischen Spielen des Jean Desmarests bedient. 23 Vorgeheftet ohne Seitenangabe; vgl. auch den von Ernst Boulliéme kommentierten Nachdruck (Berlin 1923). Die Darstellungsweise der Pythonschlange (alternativ als flugfähiger Drache, im Losbuch wäre angesichts der Ausschnittswahl unter Umständen auch Letzteres denkbar) ist recht konstant bis in die barocke Emblematik hinein, oftmals in Verbindung mit Apollon als ‚Monsterbesieger‘ im Stile des Hl. Georg; vgl. HENKEL/ SCHÖNE, 1996, 1741–1743. 24 Vgl. IRMSCHER, 1998 und QUACK-MANOUSSAKIS, 2008. 25 Orakel der prophetischen Muse, Spielanleitung, 1 und 16.

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gramm. Schon in der Frühen Neuzeit existierten durchaus spezialisierte Bildkarten, teilweise sogar aus Losbüchern hervorgegangen.26 Lange Zeit waren für diesen Zweck aber auch einfache Spielblätter verwendet worden, wie sie etwa für Tarock oder andere Kartenspiele genutzt wurden.27 Insbesondere der französischen Seherin Mlle. Lenormand (1772–1843) gelang es Anfang des 19. Jahrhunderts, bebilderte Wahrsagekarten mit ihrem Eigennamen geradezu als Markennamen zu etablieren.28 Die Alternative waren so genannte „Zigeunerkartenspiele“,29 die sich faktisch oft kaum von den Lenormand-Blättern unterschieden. Nur scheinbar stellten viele der einschlägigen Titel dabei einen Bezug zur Antike her wie in La Sibylle des Salons von 1828 oder Sibylle, die wahrsagende Zigeunermutter von circa 1850. ‚Sibylle‘ steht in derartigen Titeln schlicht als Synonym für ‚Seherin‘, was dem damaligen Publikum offenbar nicht weiter erläutert werden musste.30 Lenormand- wie „Zigeunerkartenspiele“ konnten zwar pauschal Bezüge zu antiken Quellen und Vorläufern proklamieren, aber die delphische Tradition war dabei kein direkt gesuchter Bezugspunkt. Eine Ausnahme bildet etwa das Spiel Pythia von circa 1900, das aber schon in der Cover-Gestaltung wieder eher an das Stereotyp ‚weissagende Zigeunerin‘ anknüpfte. Die Spielanleitung konkretisiert zwar den Antikenbezug, verweist dazu jedoch auf die prophetische Tradition der Chaldäer.31 26

Ein Beispiel wäre Eyn Loszbuch ausz der Karten gemacht, zwischen 1505 und 1510 in Mainz verlegt bei Johann Schöffer; von mir nicht selbst gesichtet, zum Kontext vgl. HOFFMANN/KROPPENSTEDT, 1972, 24 f. 27 Vgl. DEPAULIS, 1984, DUMMET, 1980 und DIETRICH/HOFFMANN, 1988. Ein gutes Beispiel für eine Übergangslösung ist Karten der Pariser Wahrsagerin Mlle. Lenormand, erschienen um 1850 beim Literatur- und Kunst-Comtoir Berlin: Die Karten sind dominiert von symbolträchtigen Illustrationen, aber eingerückt erscheint noch immer die normale Zählweise eines Tarock-Blattes. 28 Einen guten Querschnitt bietet HOFFMANN/KROPPENSTEDT, 1972, 107–122. 29 Als Quellenbegriff im deutschen Sprachraum spätestens seit dem 17. Jahrhundert etabliert durch Produkte wie Eine Zigeuner-Karte oder Chiromanten-Spiel von Johannes Praetorius (erstmals 1659 in Nürnberg aufgelegt, ergänzt durch einen – bis auf eine Korrektur zu Chiromantien – titelgleichen Nachfolger, Nürnberg 1661/2). 30 Die Sibylle-Spiele des 19. Jahrhunderts konnten auf eine lange Reihe von Vorläufern zurückblicken, etwa das Losbuch Pratique curieuse, ou les oracles des Sibylles von Philippe de Comiers (Paris/Brüssel 1700). Umgekehrt haben Sibylle-Kartenspiele eine erstaunliche Beharrungskraft, wie etwa das in den 1960er und 1970er Jahren von Morreale in Mailand mehrfach aufgelegte La Vera Sibilla zeigt. Wie das Bild des weiblichen Orakels bis in gegenwärtige Transfigurationen wie die Matrix-Filmtrilogie hineinwirkt, wäre ein eigenes Thema. 31 Technisch handelt es sich erneut um ein Lenormand-Spiel mit zusätzlichen Drehelementen im Boden des Spielkarton; Darstellung bei SEYFFERTITZ, 1997, 110 f. (mit Abb. 72). Üblicher ist dagegen die freie Kombination wie im Fall des Grand Jeu de Mlle Lenormand, um 1890 von B. P. Grimaud bei Chartier Marteau & Boudin in Paris produziert (das sich wiederum bei Das Spiel der Hoffnung bedient, das schon 1799 in Nürnberg

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Andere antike Seherinnen und Seher oder Gottheiten spielen nur eine Nebenrolle, abgesehen von der häufiger, aber oberflächlich im Sinne von ‚das Schicksal‘ erwähnten Fortuna – oder von Venus-Bezügen im oben genannten Sinne. Seltener sind Fälle wie das Oraculum Deß Weltweisen Pythagoras (gedruckt 1637 in Frankfurt am Main bei Johann Friderich Weiß), Der wahrsagende Mercurius (verlegt 1694 bei Johann Hoffmann in Nürnberg) oder Tiresias prophetischer Karten-Almanach (erschienen 1830 in Hamburg bei Gebrüder Suhr).32 Demgegenüber kann Delphi bis weit ins 20. Jahrhundert eine gewisse Präsenz in Orakelspielen behaupten. Aus organisatorischen Gründen ist diese Sondererscheinung allerdings erst weiter unten in der Diskussion ikonisch gebrauchter Motivik anzusprechen. Ohnehin ist der Befund für Delphi-Bezüge im zweiten der genannten Traditionsstränge, der im Folgenden umrissen werden soll, deutlich ertragreicher und vielfältiger. 3.2 Geschichtsspiele Die Benennung mag insofern etwas irreführend anmuten, als einige der gleich vorgestellten Spiele einen mythologischen Schwerpunkt oder zumindest Anteil aufweisen. Die Tendenz geht jedoch in so vielen Fällen zur Historisierung der mythischen Inhalte und Figuren, dass das Etikett als zumindest einigermaßen gerechtfertigt erscheint.33 Die anschließende Skizzierung von Spieltyvon Johann Kaspar Hechtel veröffentlicht wurde). Die Karten kombinieren das normale französische Blatt mit Sternzeichen, Buchstaben, Punktierungen sowie biblischen, mythologischen und neuhistorischen Szenen. Da nahezu jede Beschriftung fehlt, verlangt das Grand Jeu de Mlle Lenormand ein gutes Vorwissen, um antike Motive wie die Rettung des Arion oder das Schleifen von Hektors Leiche identifizieren zu können. Wegen der oft sehr freien Interpretation der Vorlagen ist m.E. unklar, in welchen Kontext der rauchende Dreifuß auf dem Herz As einzuordnen wäre (AFKM = Arabako Fournier Karta Museoa Vitoria-Gasteiz 30934 / Francia 272). Zu Abbildungen und Kurzerläuterungen für die in den Beständen des AFKM gesichteten Spiele vgl. FOURNIER, 1982. Wer derartige Spiele als historisches Phänomen abtut, sei beispielhaft auf die Publikationen von Matthias Mala verwiesen. Der Autor verfasst seit vielen Jahrzehnten mit einem gewissen Erfolg Werke über Kegelspiele, Backgammon oder Doppelkopf, aber auch Anleitungen für Praktiken ‚weißer Magie‘ und historisch hergeleitete Orakelspiele (Letztere erstmals 1996 im Münchener Hugendubel Verlag erschienen). 32 Womöglich ebenfalls einschlägig, von mir aber nicht einzusehen ist Pantheon ou temple des oracles divertissans von Jean François Coq d’Ervey (Paris 1654), erwähnt bei ZOLLINGER, 1996, 249. 33 Um nur zwei Beispiel für die frühe griechische Tradition zu nennen: Das Belehrendunterhaltsame Geschichts-Spiel von circa 1875 datiert im vierten Quizkartenset den Trojanischen Krieg auf exakt 1194 v. Chr. In Historisches Lotto von 1882 ist mit 1193-1184 v. Chr. ein sogar noch als solcher kommentierter Zeitraum angegeben. Andere Spiele verlagern das vermeintlich historische Ereignis tiefer ins 2. Jahrtausend oder näher an die Homerische Zeit heran. Die Weltgeschichte – Neues unterhaltendes Spiel für fleißige Knaben und Mädchen gebildeter Stände (J. Bermann, Wien, um 1820) beginnt sogar noch früher:

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pen soll vor allem dazu dienen, die für das Thema Delphi überhaupt verfügbaren Nischen zu verdeutlichen, deren Ausfüllen in den abschließenden Fallstudien zu untersuchen sein wird. Als Grundprinzip sei vorweg geschickt, dass dezidierte Antikenspiele bis ins 20. Jahrhundert eine deutliche Minderheit bilden. Wesentlich üblicher ist eine Einbettung von antiken Inhalten in welthistorische und epochenübergreifende Spiele. Gleich im ersten Typus, den Konversations- und Quizspielen, erhält die Antike oft deutlich mehr Raum als das Mittelalter, bleibt aber gegenüber der Neuzeit meist unterrepräsentiert. Rein auf antike Themen beschränkte Quizspiele nach Art des Pocket Quiz Antike34 von 2009 sind eine ebenso seltene wie eher junge Erscheinung. Bis in neuere Zeit hinein ist das antike Griechenland in Quizspielen vorrangig als die Kultur der Philosophen und Künstler verankert, Rom dagegen als die der Herrscher und Eroberer. Ausnahmen wie der unvermeidliche Alexander der Große bestätigen die Regel.35 Selbst wenn ein Spiel wie Vorstellung Führtrefflicher Maenner des Augsburgers Johann Stridbeck (um 1685) für Griechenland mehrere Politiker und Feldherren anführt, überwiegen Literaten und Denker von Aristophanes bis Zenon um ein Vielfaches.36 Hier wie in anderen Spieltypen ist oftmals eine weitere Zuspitzung auf Griechenland als Ort des Rationalismus zu finden, in dem antike Mantik wenig Platz findet. Führer der Menschheit – Ein geschichtliches Quartett-Spiel reduziert das Set „Philosophen“ auf Platon, Aristoteles, Leibniz und Kant. Das Set „Feldherren“ reicht dagegen von Julius Cäsar bis zu von Moltke. Bei den Geschichtsschreibern ist Tacitus einziger antiker Vertre-

Die Karte „1. Periode: Alte Geschichte“ setzt mit der auf das Jahr 4000 v. Chr. datierten Erschaffung der Welt und der ersten Menschen an. Les Cartes Héroiques (Gripon & Cie., Paris, um 1860; AFKM 41775 / Francia 976) ist bei der Datierung von Homer mit 1000 v. Chr. bemerkenswert vage, wohingegen in der Tradition der Errechnung biblischer Daten die Erschaffung der Welt präzise mit 4963 v. Chr., Abels Ermordung durch Kain mit 4760 v. Chr. und die Sintflut mit 3308 v. Chr. eingeordnet werden. 34 Als didaktisches ‚Buch‘ 2009 erschienen im Moses Kinderbuch-Verlag (ISBN: 9783897775343). 35 Das um 1875 entstandene Belehrend-unterhaltende Geschichts-Spiel für Knaben und Mädchen von O. Wagner hat dagegen sogar ein Kartenpaar für Alexanders Vater Philipp und die Zweite Schlacht von Mantinea 362 v. Chr. 36 Nicht von mir persönlich gesichtet; abgedruckt in RADAU/HIMMELHEBER, 1991, 343–345. Das Spiel ist zudem bemerkenswert in der Aufnahme von drei Frauen (Arete, Aspasia, Sappho) unter die „führtrefflichen Maenner“. Zeitgenössische Spiele wie Berühmte Frauenzimmer, erschienen um 1660 bei Peter Troschel in Nürnberg, zeigen dagegen im Hinblick auf antike Frauen einen betonten Dualismus von positiven Vorbildern (gerne pagane wie christliche Märtyrerinnen oder treue Herrschergattinnen) und abschreckenden Beispielen (Medea, Kleopatra, Poppaea Sabina u.a.).

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ter, was aber vor allem auf das zeitgenössische Ansehen der Germania zurückgehen dürfte.37 Jenseits dieser grundsätzlichen Gewichtung zwischen Rom und Griechenland liegt es sehr stark am Hersteller, was als erwähnenswerter Teil der antiken Weltgeschichte gelten soll. So ist es wenig verwunderlich, wenn bis weit ins letzte Jahrhundert hinein Quizspiele deutscher Hersteller die Ereignisse und Beteiligten der Völkerwanderungen betonen – und dabei die Spätantike gerne zum vitalsten Teil der Epoche stilisieren.38 Erst die letzten Generationen der Quizspiele haben die Multiple-Choice-Antwort zur Regel gemacht. Davor waren einfache Fragen nach Namen und Jahreszahlen oder (deutlich seltener) bildliche Assoziationsaufgaben üblich. Für Delphi, das im Antikenbild des Gesellschaftsspiels nicht über ein einzelnes Datum oder eine historische Person verankert ist, stellt dies ebenso ein Problem dar wie die oben benannten ‚Kulturstereotype‘ für das antike Griechenland. Das Orakel findet damit wie der ganze Bereich der antiken Religion kaum einen Platz.39 Den zweiten Typus bilden die Würfelspiele, die vielfach schon im frühen 19. Jahrhundert genauer als ‚Würfel- und Brettspiele‘ bezeichnet werden sollten. Produkte wie Werdegang eines Römers von 1820 setzen auf ein beeindruckendes Spieltableau mit gut fünf Dutzend ‚Karriereschritten‘, durch das die eher simple Würfel- und Zug-Mechanik in den Hintergrund rückt. Eine viel schlichtere Aufmachung zeigt das Gesellschafts-Spiel Orakel von 1905. Trotz des Titels handelt es sich um ein kompetitives Spiel, in dem möglichst schnell auf eine Zielzahl hinauf- oder herabgewürfelt werden muss. Das Produkt besteht aus einer Box in Aufmachung einer größeren Streichholzschachtel und enthält sechs Orakelstäbchen, die verdächtig an indische Stabwürfel erinnern, obgleich das Spiel diese Verbindung in keiner Weise andeutet. Der zu ‚interpretierende‘ Orakelwurf kann über die Augenzahl entschieden werden, aber auch über Verhältnis bzw. Lage der Stäbchen zueinander.40 Der dritte Typus umfasst diverse Los- und Lottospiele, wozu auch das oben angesprochene Neueste historische Lotto-Spiel zur Beförderung der Bildung der Jugend gehört. Die Mehrzahl der Spiele sieht aus wie eine Form von Bingo, indem die Spielerinnen und Spieler eine Reihe oder das gesamte Feld ihres jeweiligen Tableaus komplettieren müssen. Anders als bei Bingo tragen die Chips aber keine Zahlen aus einer einfachen Reihe, sondern historische Daten. Diese Daten müssen dann mit Ereignissen auf dem Tableau 37 Von mir eingesehen wurde die von Joseph Scholz um 1910 als Spiel mit Nr. 5075 in Mainz aufgelegte Version von Führer der Menschheit. 38 Vgl. LINDNER, 2018. 39 Zu Gegenbeispielen siehe unten S. 520.522–531. 40 Die vierthöchste Wertung etwa bringt eine Lage in Form eines tatsächlichen Auges, wenn nur ein Punkt „in der Mitte an der Oberfläche zu sehen ist und die Oberflächen der übrigen 5 Klötzchen weiss [sic!] sind“. Ansonsten wirkt der implizite Bezug auf antike Orakel aber bestenfalls oberflächlich (D. R. G. M. 256818).

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kombiniert werden und deren Felder abdecken. Die Mitspielenden können die zusätzlich vermerkten Informationen zum historischen Ereignis vorlesen oder sogar einen Rate-Aspekt einbauen. Grundsätzlich für das Funktionieren des Spielprinzips nötig ist dies aber nicht. In selteneren Fällen kann an die Stelle des Datums auch beispielsweise das Gesicht einer historischen Persönlichkeit treten.41 Egal in welcher Form tritt auch hier für Delphi das bereits für die Quizspiele geschilderte Problem der fehlenden ‚Nischen‘ auf. Quartette, hier zu verstehen als pars pro toto für jede Art von Konversations- und Sammelkartenspielen mit vordefinierten Sets, sind der vierte Typus. Die Kombination der Sets zeigt vielfach wiederum den Wunsch nach Partizipation an der Weltgeschichte oder der Aneignung bestimmter Themen. Da es sich notgedrungen meist um sehr pauschale Kategorien handelt, kann das antike Griechenland erneut nur auf punktuelle Aufnahme hoffen. Das deutsche Quartett-Gruppenspiel von 1889 versammelt – mit bemerkenswerter Zuweisung der Attribute – im Set der wichtigsten Götter die Einträge „Apoll (griechisch)“, „Jupiter (latein)“, „Thor (deutsch)“ und „Wodan (deutsch)“. Andere Beispiele wie das wohl kurz zuvor erschienene Neue Biographiespiel für Jung und Alt bringt im nunmehr bekannten Stil die wichtigsten Bildhauer der Weltgeschichte zusammen. Das Sechser-Set reicht von Praxiteles bis zu Ernst Rietschel, dem Erschaffer der Weimarer Doppelstatue von Goethe und Schiller. Während etwa Apollon eine gewisse Präsenz beanspruchen kann, wie auch die unten stehenden Beispiele zeigen, schlägt dies m.W. nicht auf sein Orakel in Delphi durch. Nur am Rande: Bei aller Tendenz zur nationalen Vereinnahmung sind Antikenspiele weit entfernt von jenem Chauvinismus, den insbesondere die Kriegsspiele zwischen der deutschen Reichsgründung und dem Ende des 2. Weltkrieges an den Tag legten.42 Typus Nummer fünf sind Legespiele, wobei das Historische Domino von 1889 einen auch heute noch bekannten Untertyp im Namen trägt. In Historisches Domino werden dabei in bescheidener Form Quizelemente eingebaut, wenn auch eher als Hilfestellung. Die Karten sind jeweils zweigeteilt: Unterhalb eines Mittelstrichs befindet sich der erste Teil eines Bildes und eine Frage nach dem Muster von „Wie heißt der größte Dichter der alten Griechen?“. Hieran muss nun die obere Hälfte einer anderen Karte angelegt werden, mit der die Illustration vervollständigt und die Antwort „Homer, um 900 v. Chr.“ gegeben wird. Der untere Teil dieser zweiten Karte liefert die Anschlussfrage mit dem nächsten Teilbild und so weiter. Die Reihenfolge ist damit, anders als bei den Lottospielen, im Wesentlichen vorherbestimmt. Im 41 Eindrucksvoll zu sehen in den Büsten auf den Spielmarkern von Historisches Portrait-Lotto – Ein interessantes und lehrreiches Spiel für die reifere Jugend (1887 von Moritz Ruhl in Leipzig verlegt). 42 Zu den Anfängen vgl. GEISLER/STEINMETZ, 2014, zum radikalen Nationalismus späterer Spiele STROUHAL, 2012. Eine Materialübersicht liefern die verschiedenen Beiträge von Rudolf Rühle im Magazin Spielebox (v.a. in den Ausgaben 1/05 und 2/05).

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konkreten Fall reicht sie von Moses bis zum deutschen Kaiser Wilhelm I., springt aber innerhalb dieser Klammer mehrfach aus der chronologischen Reihe heraus und in diese zurück. Ein neuerer Vertreter ist Anno Domini, bei dem die Spielrunde die vermuteten Daten von Ereignissen in einer Zeitleiste aus Spielkarten anordnet. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind dazu gut 30 thematische Erweiterungen publiziert worden, von denen m.W. jedoch nur das Set Kirche & Staat auf das Orakel von Delphi Bezug nimmt. Immerhin gehört Anno Domini damit zu dem kleinen Kreis der Spiele, die das antike Orakel ereignishistorisch fixieren.43 Mehr eine Sammelkategorie als ein scharf umrissener Typus sind die Kombinationsspiele, in denen verschiedene der oben genannten Mechanismen und Spielziele kombiniert werden. So besitzt Wie Hanspeter Geschichte lernt von circa 1899 bebilderte Karten im Stile eines Quizspiels, aber auch Tableaus, auf denen Sets von Kartenpaaren komplettiert werden müssen. Nach bekanntem Muster besteht die griechische Geschichte aus Mythos, kulturellen Blütezeiten und einigen Konfliktphasen – die römische dagegen fast nur aus Eroberungen und großen Feldherren. Im engeren Sinne ein Kombinationsspiel ist Der Prophet von 1920,44 in dem mit beschrifteten Ikosaedern um die Wette nach der unterhaltsamsten Prophezeiung gewürfelt wird. Je nach Geburtsjahr, -monat und Anfangsbuchstaben des Familiennamens ergeben sich mehr oder minder rhythmische Zeilen in der angeblichen „Lingua occulta“, einer verballhornten Mischung diverser antiker und/oder orientalischer Sprachen. Die Beteiligten übersetzen und interpretieren dann mit Hilfe einer betont deutungsoffenen Liste. Falls es überhaupt einen Gewinner im engeren Sinne gibt, so ist es der Spieler oder die Spielerin mit der humorvollsten ‚Lösung‘ der Orakelfrage.45 Bis ins 19. Jahrhundert hinein sind die Bezüge zu Delphi fast ausschließlich indirekt oder punktuell. Die Histoire Mythologique von Etienne Jouy, 1805 in Paris bei Latour erschienen,46 hat beispielsweise extrem umfangreich beschriftete Spielkarten. Alleine der Erklärungstext der Karte „VII. Apollo“ läuft über 20 Zeilen. Die ersten 19 davon referieren im Stile eines zeitgenössischen Konversationslexikons die Abstammung des Gottes, seine Beziehung zu anderen mythologischen Figuren, die Schauplätze seiner wichtigsten Ta43

Konkreter Anlass ist der Raubzug der galatischen Tolistobogii 279/278 v. Chr. mit Karte 0022 „Die Gallier stehen vor dem Heiligtum von Delphi“ (Hervorhebungen im Original, GTIN/EAN: 4011898099812). 44 Die von mir gesichtete Version scheint allerdings ein später Nachdruck eines mindestens auf 1895 zurückgehenden Spiels aus dem Ludwigsburger Verlag O. u. M. Hausser zu sein. 45 Die scherzhafte Herangehensweise an Orakelspiele ist keine moderne Entwicklung, sondern gehört zur Tradition seit den Losbüchern der Frühen Neuzeit – wenn auch dort oft als Schutzbehauptung gegenüber meist religiös argumentierenden Kritikern. 46 AFKM 30744 / Francia 90.

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ten, seine Zuständigkeiten und seine Attribute. Wie ein Nachsatz heißt es abschließend: „Ses temples les plus fameux étoient ceux de Délos et de Delphes.“ Für den an dieser Stelle irrelevanten Spielmechanismus hat diese Information keinen praktischen Wert. Im Brettspiel Jeu mythologique du Phénix, publiziert um 1810, hätte die abermals sehr umfangreiche Beschriftung einen Bezug zu Delphi ermöglicht. Als Bild auf den Lauffeldern wird dann aber nur Apollon als Künstler dargestellt, kurioserweise kombiniert mit „Esculape, Dieu de la médecine“. Wenn oben die Kriterien für die Materialerfassung bewusst nicht stärker eingeschränkt wurden, hat dies auch mit Fällen wie Griechischer Baukarton von circa 1850 zu tun. Nicht alle Delphi-Spiele haben als solche begonnen: Ziel von Griechischer Baukarton ist es, mit einer Reihe unterschiedlicher Holzbausteine Fassaden antiker griechischer Architektur nachzubauen. Um 1850 waren die baulichen Überreste des delphischen Heiligtums noch nicht ergraben, so dass es in den Spielvorlagen verständlicherweise keine Darstellung dazu gibt.47 In einer rheinischen Sammlung konnte ich allerdings ein Exemplar besichtigen, das die Allelopoiese um eine zusätzliche Wendung bereichert: Irgendwann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte jemand eine ‚Lösung‘ für Delphi auf den Musterbögen nachgetragen, die anschließend erkennbar für längere Zeit so weitergenutzt wurden. Der oben angesprochene dialogische Prozess der Antikenrezeption hat hier eine gar nicht so seltene Abwandlung des ursprünglichen Spiels erbracht. Der Griechische Baukarton ist mit Sicherheit kein Delphi-Spiel – aber dieses spezielle Exemplar mit seiner spezifischen Nutzungsgeschichte und Transformation des Antikenbildes ist es durchaus. Durch die neuen Medien ist gerade dieser Aspekt der mitgestaltenden Nutzerschaft gestärkt worden: Das populäre Sammelkartenspiel Magic the Gathering bringt alle paar Monate neue thematische Expansions auf den Markt. 2014 kamen mit Theros, Born of the Gods und Journey into Nyx drei erkennbar auf die griechische Mythologie und ansatzweise auch auf die griechische Geschichte ausgerichtete Erweiterungen dazu. Es wäre an dieser Stelle unmöglich, alle der insgesamt über 600 Karten aufzuzählen, die sich an Elemente der unten zu diskutierenden Strategien der Delphi-Tradition anlehnen. Eine exakte Entsprechung für das Heiligtum von Delphi war jedoch nicht darunter, was offenbar auch der Fanbasis auffiel, die traditionell um kreative Lösungen für alternative eigene Karten wetteifert. Auf einschlägigen Websites entstanden so Entwürfe wie der für „Oracle of Delphi“ mit einer Pythia umgeben

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Zur Verbreitung der Kenntnisse um Delphi als historische Stätte siehe im vorliegenden Band den Beitrag von Michael Maaß, oben S. 13–17.19 f.29–32.

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von Rauchschwaden48 oder für „Delphi, City of the Oracle“ mit den Ruinen des Heiligtums der Athena Pronaia.49 Im Gegensatz zu der Entwicklung für die ersten Jahrhunderte hat sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts der thematische Zugriff zunehmend umgekehrt. Neuere Spiele wie Das Orakel von Delphi von 2016 heben Heiligtum und Orakel aus der Rolle als ‚Anhängsel‘ für Apollon heraus und stellen sie ins Zentrum des Spielsettings und/oder -prinzips.50 Die folgenden Fallstudien für diese jüngere Entwicklung beschränken sich erneut nur auf ein repräsentatives Sample und werden zugleich Details zum Spielverlauf nur dort erklären, wo dies für das Verständnis der Strategien innerhalb der Delphi-Tradition erforderlich ist.

4. Spielstrategien Wo und wie findet das antike Orakel im konkreten Fall Eingang ins Gesellschaftsspiel? Wenn im Folgenden von ‚Strategien‘ der Aufnahme und Einordnung die Rede ist, soll damit nicht pauschal sämtlichen Urhebern von Spielen ein reflektiertes und absichtsvolles Vorgehen unterstellt werden. Die Tendenzen sind zu eindeutig, um von bloßem Zufall zu sprechen. Gerade für die Spiele bis ins frühe 20. Jahrhundert fehlen jedoch schlicht die Begleitquellen, mit der sich Fragen nach der Intentionalität sicher beantworten ließen. 4.1 Ikonischer Einsatz Delphi litt aus Sicht eines sehr graphischen Mediums lange Zeit daran, dass für den Ort keine antike Architektur mit Wiedererkennungswert verfügbar war. Die bildende Kunst füllte dieses Vakuum mit der Konzentration auf scheinbar gesichertere Elemente: den Dreifuß, die Erdspalte, den Omphalos oder die Pythia. Zu Unrecht heute weniger bekannt ist die ungeheuer dynamische Statue der inspirierten Seherin, die Marcello (Künstlername der Schweizer Bildhauerin Adèle d’Affry) 1870 schuf. Prägend wurden die Arbeiten des britischen Malers John Collier, allen voran The Priestess of Delphi von 1891. In bester präraffaelitischer Manier inszeniert das Gemälde die Erscheinung der Pythia in schwelgerischen Farben und offenbart zumindest leichte Anleihen bei Stereotypen der Zigeunerdarstellung. Colliers schlanke Priesterin ist 48

https://mtgcardsmith.com/view/oracle-of-delphi-1?list=user, Zugriff: 03.07.2017. https://mtgcardsmith.com/view/delphi-city-of-the-oracle-2?list=set&set=5785, Zugriff: 03.07.2017. Die Vermengung der Tempel wiederholt sich in einigen Spielen; siehe Abschnitt 4.1, unten S. 523. 50 GTIN/EAN: 4250231711275; für eine ausführliche Diskussion siehe unten Abschnitt 4.3. 49

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in rote Gewänder eingehüllt, zwischen deren Falten sich der halbnackte Oberkörper und freie Teile der Gliedmaßen weiß abheben. Die obere Gesichtshälfte ist beschattet; um die Figur auf dem goldenen Dreifuß ranken sich Rauchschwaden aus einer Erdspalte. Die Körperhaltung der Pythia wirkt gekauerter und passiver als bei Marcello und ist – gerade in der Haltung des linken Arms mit dem Zweig in der Hand – fast schon verkrampft zu nennen. Der schwarze bis grau verrauchte Hintergrund verleiht der Szene eine gewisse Ortslosigkeit und unterstreicht die genannten Farbkontraste.51 In jüngster Zeit bedienten sich beispielsweise Frank Miller für seine Graphic Novel 300 und stärker noch die gleichnamige Verfilmung von Zack Snyder bei Colliers Bild- und Farbsprache.52 In den unten diskutierten Beispielen ist oft schwer zu entscheiden, welcher Anteil welcher dieser Transformationsstufen zuzuordnen wäre, doch scheint eine Tradition ‚Miller via Snyder‘ in einigen Fällen in das Medium Gesellschaftsspiel auszustrahlen. Für lange Zeit standen Spielemacherinnen und -macher vor der Wahl, sich derartigen Traditionen anzuschließen oder eine eigene Alternative anzubieten. The New Astronomical Cards erschien 1828 bei Stopforth and Son in London.53 Passend zur Sternzeichenkarte „Lyra“ gibt es eine Götterkarte „Apollo“, die drei Elemente ins Bild setzt: Gut erkennbar sind die Lyra und der vom Gott gehaltene Bogen. Die Tempelszene mit einem bekränzten und rauchenden Altar ist dagegen (bewusst?) skizzenhaft und verschwommen im Hintergrund platziert. Erkenne dich selbst – ein delphisches Orakelspiel für frohe Menschen ist dagegen eines der ersten Produkte, das sich auf die antike Orakelstätte als Setting fokussierte. In der Plahn’schen Buchhandlung zu Berlin, von wo aus das Spiel um 1880 auf den Markt kam, entschied man sich für ein Cover mit einer ganz eigenen Tempeldarstellung (Abb. 1, umseitig). Durch die fast gerade Ausrichtung der Tempelfront wird der Blick von der markanten Titelinschrift auf den Haupteingang zwischen Sphingen und Säulen gelenkt – und damit auf den dunklen Innenraum mit dem leeren Dreifuß. Das Stil-Formen Quartett-Spiel wiederum ließ noch 1903 lieber eine Lücke: Die erste Karte im Set berühmter griechischer Heiligtümer zeigt den Heratempel in Paestum, aber anschließend statt Delphi eine generische Karte „Do-

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Collier selbst greift in seinen Schriften die Farbsymbolik immer wieder auf, auch in Überlegungen zum Verhältnis von Kunst und Religion: „Nature, red in tooth and claw, shrieks impartially against all creeds“ (COLLIER, 1926, 8). In The Priestess of Delphi lassen sich zudem zeitgenössische Parallelen zu Lawrence Alma-Tadema im Rot der Bacchantinnen-Darstellungen oder John Singer Sargent mit dem berühmten Ölgemälde Fumée d’ambre-gris beobachten. Für ihre Hinweise zum Werkkontext danke ich Charlotte Ribeyrol (Paris/Oxford). 52 Zur Entstehung der Farb- und Bildsprache der Graphic Novel vgl. FAIREY, 2011; zu den anderen Aspekten siehe die folgende Anmerkung. 53 AFKM 44498 / Islas Británicas 156.

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Abb. 1: Cover von Erkenne dich selbst – ein delphisches Orakelspiel für frohe Menschen (Foto: M. Lindner)

rische Säule“. Der Beginn der Ausgrabungen wie der Rekonstruktionen scheint hier wie auch ansonsten nicht die geringste Wirkung im Sinne einer Initialzündung für Delphi-Spiele gehabt zu haben. Andere Verantwortliche entschieden und entscheiden sich bis in die neueste Zeit für eine oft begeisterte Übernahme der Tradition im Stile Colliers, am besten zu sehen in Elysium von 2015. Die Covers von Box und Spielanleitung zeigen im Vordergrund eine schlanke, junge Frau in entrückter Pose. Ihre Augen sind auf die weißen Augäpfel reduziert, ihre freien Schultern und Arme werden von Rauchschwaden umspielt, die aus einer in der Linken gehaltenen Schale aufsteigen. Im Inneren der Spielanleitung findet sich eine ekstatischere Version, die dem tanzenden Orakel in Frank Millers 300 näher kommt.54 Delphi als Ort ist in Elysium dagegen nur in einem schmalen Spielplanelement präsent, das vom Blick auf ein mondbeschienenes Tal dominiert wird. Den meisten Nutzern dürfte dabei unklar bleiben, ob die Säulen am linken Rand des Ausschnitts Delphi bzw. das Heiligtum sein sollen oder doch die erleuchtete Höhle am rechten. In anderen Fällen ist der ikonische Ge54 GTIN/EAN: 3558380028123, S. 7 unten bzw. MILLER, 1999, Chapter Two: Duty (ohne Seitenzählung), markanter in der Verfilmung 300, 17-19 (GTIN/EAN: 7321983161032); zur Filmzitierweise vgl. LINDNER, 2007, 22-27.

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brauch verhaltener, so in Ein Blick in die Zukunft aus den frühen 1930er Jahren. In der Mitte der Spielbox prangt ein orientalisch anmutender Seher mit weißem Turban, der eine Glaskugel über einem dampfenden Gefäß levitieren lässt. In der Kugel selbst wird die Gestalt einer jungen Frau in antikisierender Optik angedeutet. Wer möchte, mag hierin die Pythia als eine Art Geistmedium erkennen. Fast schon mustergültig im eingangs beschriebenen Stil ist dagegen das Vorgehen bei Das Orakel von Delphi von 2016 (siehe umseitig Abb. 2). Abermals steht die Pythia im Zentrum des Boxcovers. Der Unterkörper ist nun jedoch bis in kleinste Details hinein nach Marcellos Statue gezeichnet, der Oberkörper mit kleinen Ergänzungen (und ohne Zweig) dagegen nach Colliers Gemälde. Selbst der Collier’sche Schattenwurf des roten Tuches auf die oberste Gesichtshälfte wird imitiert. Dass der angedeutete Bau wieder eher dem Athenatempel ähnelt, fällt weniger ins Gewicht. Bemerkenswert ist Das Orakel von Delphi als seltener Fall eines Designs, bei dem die Pythia tatsächlich über einer rauchenden Erdspalte sitzt. Was ihr im Gegensatz zu den allermeisten Spielen fehlt, ist das als Ikone ansonsten mindestens gleichwertige Versatzstück: der Dreifuß. Der Gegensatz zeigt sich im Kartenspiel Delphi von 2002. Die Pythia und andere Elemente kommen nur in Wortform auf Ereigniskarten vor.55 Der rauchende Dreifuß – im Übrigen ohne Erdspalte – wird dagegen unkommentiert als Coverzeichnung sowie Rückseite und Erkennungsmerkmal aller Delphi-Karten eingesetzt. Während der Omphalos kurioserweise keine Verwendung in Spielen findet, ist der Dreifuß schlicht Delphi. Im Weiteren wäre nicht nur an den oben genannten Einsatz in Erkenne dich selbst zu denken, sondern auch an aus dem Kontext genommene Weiterverwendungen: Mitte des 19. Jahrhunderts erschien Die Thaten der Helden von Friedrich Zuckerschwerdt erstmals im Berliner Verlag C. G. Lüderitz. In einer Mischung aus Karten- und Würfeleinsatz folgen die Spielerinnen und Spieler den „Karrieren“ von Heroen wie Jason oder Theseus. In der Tischmitte wird ein Bild des rauchenden Dreifußes ausgelegt, an dem die Helden ihre göttlichen Weisungen erhalten bzw. sich dafür mit Opfergaben bedanken. Das umfangreiche Begleitheft erwähnt zwar immer wieder Orakel, versucht jedoch nicht, einen namentlichen Bezug zu Delphi herzustellen. Zukunftskarten von Hans Lenz um 1890 gehört wiederum in die Reihe der „Zigeunerkartenspiele“ und gibt dies zu erkennen mit einer kartenlegenden Sibylle auf der linken Seite des Covers. Den Zugriff auf uralte Weisheiten, den das Spiel beansprucht, signalisiert die rechte Hälfte: ein antiker Dreifuß, aus dem Flammen und Rauchwolken emporsteigen.

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In diesem Fall auf der Karte „Pythias Lächeln“, mit der durch ein Opfer die Schicksalskarten neu ausgelegt werden können (GTIN/EAN: 4012426883088).

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Abb. 2: Cover von Das Orakel von Delphi (© Hall Games 2016)

Gegenüber diesen Hauptelementen verschwinden andere, theoretisch ebenso denkbare Bildoptionen wie auch die potentielle Wort-Ikone γνῶθι σεαυτόν. Abseits des oben gezeigten Sonderfalls wird Letztere höchstens punktuell erwähnt, im Kartenspiel Delphi etwa als Ereigniskarte „Erkenne dich selbst“. Nur am Rande sei hier erwähnt, dass Gesellschaftsspiele (außerhalb des Lernspiel-Sektors) ohnehin nur höchst selten auf eine Legitimationsstrategie zurückgreifen, die im historischen Roman und später auch im Antikfilm sehr beliebt ist: das nachgewiesene Zitat aus der antiken Literatur.56 Während die Übernahme von Bildmotivik oft nur zu konstatieren ist, erlauben die beiden anderen Strategien mehr Rückschlüsse auf inhaltliche Motivationen. 56 Vgl. LINDNER, 2007, 53–61. Ausnahmen bestätigen auch im Spiel die Regel: Monuments (GTIN/EAN: 4011898230819) versieht seine Auswahl von zwölf antiken Bauwerken mit langen Zitaten aus Herodot, der Bibel oder Epiphanios von Salamis, alle inklusive Werktitel und Datierung. Jenseits von Theben (GTIN/EAN: 4010350060469) datiert in einem Beiblatt fast alle gezeigten antiken Objekte und weist sie mehrheitlich mit Fundort und/oder Funddatum als ‚echt historisch‘ aus.

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4.2 Wissen und Kompetenz Wissen muss im Fall von Delphi nicht notwendigerweise mit prophetischen (Er-)Kenntnissen gleichgesetzt werden. Auf banale Weise zeigt sich dies in Quizspielen, in denen es zum (allerdings nicht weiter vertieften) Allgemeinwissen gehört, beispielsweise das Orakel dem Apollon zuzuordnen oder umgekehrt.57 In ganz anderer Tragweite zeigt sich die Auffassung von Delphi als einer Art Kompetenzzentrum der Antike dagegen in Fällen wie Elysium. Ziel des Spiels ist es, als Halbgott in den Olymp aufgenommen zu werden, indem man durch Abenteuer mit Heroen und Artefakten möglichst wirkungsmächtige Mythen vorzuweisen hat. Elysium gehört dabei zu der wachsenden Zahl von Produkten, die im großen Stil mit flavor text arbeiten, stimmungsvollen Erläuterungen für die Bedeutung eines Spielelements im Kontext des historischen oder mythologischen Settings. Im konkreten Fall sind etwa die Spielkarten stark auf die Illustration und auf überwiegend durch Symbole dargestellte Einsatzmöglichkeiten ausgerichtet. In einem Sonderheft zur Anleitung werden diese Karten nochmals kurz erklärt und mit einem flavor text versehen, der oft länger als die eigentliche Erläuterung ausfällt. Im Set zu Apollon/Delphi fallen dabei Aussagen wie „Wissen weiterzugeben ist wichtig“ oder „Pythia zu befragen, um geeignete Gefährten auszuwählen, ist also nur vernünftig.“58 Insgesamt ist die Sicht auf die Rolle des Orakels erstaunlich pragmatisch und handlungsorientiert. Delphi ist eine Anlaufstation, deren Kompetenz auf göttlicher Eingebung oder faktischem Wissen beruhen mag, die aber vor allem unmöglich ignoriert werden kann. Nur selten kommt es dabei zu Abtönungen wie dem Hinweis „Die Prophezeiungen der Pythia sind oft kryptisch.“59 Eher wird – selbst bei vermeintlich pathetischen Momenten – funktionalistisch argumentiert. Wenn Helden die Karte „Prophezeiung von Ruhm“ erhalten, lautet die Einordnung ganz zweckmäßig: „In Kenntnis künftiger Ereignisse können Helden geradewegs zu den Orten ihrer nächsten Heldentat eilen oder geeignete Gefährten anwerben.“ Nur am Rande sei erwähnt, dass Elysium dem gleichen Kartenset auch die Werke Homers zuschlägt, verbunden mit der Anmerkung „Urquelle der griechischen, römischen und allgemein der westlichen Kultur“.60 Der Einsatz des flavor text in Elysium verweist zugleich auf eine veränderte Einschätzung seitens der Spielemacherinnen und -macher: Einerseits haben die Texte phasenweise sogar didaktische Funktion, indem sie über Namen, Daten oder Zusammenhänge aufklären, die nicht (mehr) als bekannt vorausgesetzt werden. Dazu gehört beispielsweise die Auskunft, um wen es sich bei der Pythia handelte – oder dass es neben der Pythia noch weiteres Kultperso57

Siehe oben Abschnitt 3.2 (S. 515). Elysium, Karte „Vermächtnis“ bzw. Karte „Zusammenkunft der Helden“. 59 Elysium, Karte „Dunkle Zukunft“. 60 Elysium, Karte „Homer“. 58

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nal in Delphi gab. Ein nur andeutendes und auf Vorwissen vertrauendes Spiel wie das eingangs erläuterte Orakel der Prophetischen Muse würde heute wohl kaum noch produziert werden. Andererseits verstehen sich neuere Produkte wie Elysium nicht mehr oder zumindest nicht offenkundig als lehrreiche Spiele. Diese Aufgabe und Art der Selbstdarstellung hat sich deutlich in den Spezialbereich der Lehr- und Lernspiele verlagert, die Edutainment mit einer Betonung des ersten Begriffsteils betreiben. 61 In den hier behandelten Gesellschaftsspielen hängt es dagegen von den jeweiligen Verantwortlichen ab, mit wie viel Zusatzinformationen potentielle Spielerinnen und Spieler versorgt werden und wie dies ‚verkauft‘ wird. Mehr Details zum antiken Delphi können für ein stimmungsvolleres Setting sorgen. Im Zweifelsfall wird ihre Verwendung aber meist Erwägungen in Richtung Spielbarkeit und motivierend niedrigen Einstiegshürden untergeordnet. In dieser Hinsicht haben sich gewisse Freiräume für den Einsatz historischer Informationen und Deutungen entwickelt, die sich für eine Lesart wie die von Delphi als Kompetenzzentrum nutzen lassen. Letztere kann sich wiederum verselbstständigen, gut zu sehen im Fall von Peloponnes – The Card Game.62 Wer in diesem Spiel die Baukarte „Temple of Apollo“ ausbringt, ist vor Dürre und Hungersnöten geschützt. Das Spiel klärt nicht darüber auf, ob eine Serie zutreffender Prophezeiungen oder ein Zuwachs an agronomischem Wissen dafür verantwortlich ist. Der simple Automatismus, mit dem der Effekt eintritt, lässt durchaus an Letzteres denken. Geradezu handfest wird die Vorstellung von Delphi als Wissensspeicher in Kampf um den Olymp (Abb. 3).63 Die zwei Spielerinnen oder Spieler können über Karten Heroen, Soldaten und Ausrüstung einsetzen, um sich einen Platz im Olymp zu erobern. Das längliche Spielbrett zeigt am unteren Ende die Welt der Menschen, vertreten durch Troja, und am anderen Ende den Sitz der Götter. In der Mitte befindet sich Delphi als Ort zwischen den Sphären, wo Wissensmarker zu gewinnen sind. Diese Spielsteine fungieren gewissermaßen als Tauschwährung, da sie statt Handkarten für das Bezahlen bestimmter Kombinationen eingesetzt werden können. Die Marker sind vorab sichtbar und stellen in ihrem Erwerb wie in ihrem Einsatz zuverlässig zu kalkulierende Größen dar. Delphis Wissen ist zählbar wertvoll geworden.

61

Zum aktuellen Diskussionsstand vgl. die Beiträge zu DUST/LOHMANN/STEFFENS, 2016 sowie WOJDON, 2015. Bezeichnenderweise setzt ein entsprechendes Handbuch (ZHENG/GARDNER, 2017) auf den eigenwilligen Titel Handbook of Research on Serious Games for Educational Applications. 62 GTIN/EAN: 0635040937025, 2015er Version, basierend auf dem gleichnamigen Brettspiel von 2009. 63 GTIN/EAN: 4260402310831.

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Abb. 3: Spielaufbau von Kampf um den Olymp (© Lookout GmbH 2016)

4.3 Strategische Rolle Mit dem Duellspiel Kampf um den Olymp ist die dritte Strategie bereits angedeutet, die in den letzten Jahren vermehrt zur Anwendung kommt. Es wäre dabei gar nicht nötig, auf taktischere Spiele im Sinne von Politik-, Kriegsoder Handelssimulationen zu schauen. Selbst ein vergleichsweise simples Produkt wie das bereits genannte Kartenspiel Delphi setzt diese Funktion unausgesprochen als primäre voraus: In Delphi konkurrieren die Spielerinnen und Spieler um das beste Heeresaufgebot in einer Serie von Aufmärschen. Im Zentrum steht die Auslage der Karten, die entscheidend nur durch göttliches Einwirken geändert werden kann. Die Anleitung erklärt hierzu:

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Nur zweimal im gesamten Spiel kann jede Stadt [= Spielpartei, ML] Gesandte zum mächtigen Orakel nach Delphi schicken, um dessen Gunst zu erflehen und eventuell das Schicksal doch noch zu wenden.64

Auch an anderer Stelle ist das Spiel mehr als deutlich darin, dass Delphi über die Macht verfügt, in bereits aktive strategische Abläufe maßgeblich einzugreifen: Wenn ein Spieler eine Delphi-Karte legt, darf er das Orakel anrufen. Das wird er normalerweise tun, wenn er im Moment eine sehr ungünstige Auslage hat, denn das Orakel kann ihm helfen.65

Die sich hier abzeichnende Tendenz findet sich in weitaus pointierterer Form in vielen Medien der populären Antikenrezeption. So trägt Das DelphiSyndikat – Die geheime Macht des Orakels aus der deutschen Dokumentarfilm–Reihe Terra X seine zentrale These bereits im Namen: Die lokale Priesterschaft habe seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. eine professionalisierte Struktur aufgebaut, die als „CIA der Antike“ bezeichnet werden könne.66 So sei das Orakel auch der eigentliche Gewinner der Perserkriege.67 Trotz gewollt plakativer Effekte lässt Das Delphi-Syndikat zumindest noch abwägendere Stimmen zu Wort kommen. Anders sieht das im Bereich der oft verschwörungstheoretischen ‚Sachbücher‘ aus, mit dem wohl kuriosesten Vertreter Alien Space Gods of Ancient Greece and Rome – Revelations of the Oracle of Delphi.68 Hier wird die Pythia zur Empfängerin von Botschaften aus dem Weltall. Als Agentin einer Rasse technologisch überlegener Aliens hilft sie diesen, die antiken Hochkulturen des Mittelmeerraums zu beeinflussen oder gar zu steuern. Die Liste ließe sich – in unterschiedlicher Abtönung – beliebig erweitern, beispielsweise um Romane wie Delphi Lila.69 Hier manipulieren Priester fast schon routinemäßig den Orakelprozess im Sinne der Tagespolitik, was eine über zweieinhalb Jahrtausende laufende Enthüllungsgeschichte motiviert. All diese Ansätze verfolgen in unterschiedlicher Intensität eine zynische Doppelargumentation: Die Prophezeiungen können unmöglich echt sein. Der Betrieb des Orakelheiligtums ist somit entweder Schwindel aus Geldgier oder politisch motivierte Manipulation. 70 Delphi wird in dieser Sicht primär zu einem Geheimnetzwerk, einer religiös verbrämten Firma oder einer 64

Delphi, Anleitung, Spalte 1. Delphi, Anleitung, Spalte 7. 66 Das Delphi-Syndikat – Die geheime Macht des Orakels (GTIN/EAN 4026411190105), 32. 67 Das Delphi-Syndikat – Die geheime Macht des Orakels, 40-41. 68 DRAKE, 2011. 69 GÖBEL, 2015. 70 Die modernen Vorwürfe stützen sich meist einseitig auf antike Zweifel an der Legitimität des Orakels; siehe im vorliegenden Band den Beitrag von Kai Trampedach, oben S. 185–208. 65

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groß angelegten Verschwörung. Die Frage etwa nach der spirituellen Rolle des Orakels für seine Besucher interessiert meist allenfalls am Rande – und dann gerne mit dem Unterton der naiven, getäuschten Masse.71 In Gesellschaftsspielen ist bemerkenswerterweise keine derartige Zuspitzung zu konstatieren. Wer in Peloponnes – The Card Game über den Tempel des Apollon (siehe Abb. 4) verfügt, erhält neben dem oben erwähnten Schutz vor Katastrophen auch regelmäßige Einnahmen.

Abb. 4: Das Heiligtum als multifunktionaler Ort in Peloponnes – The Card Game (© Irongames 2015)

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Das Delphi-Syndikat – Die geheime Macht des Orakels bemerkt dies in der 41. von insgesamt 43 Laufzeitminuten mit dem erstaunlichen Nachsatz: „Und doch – neben dem politischen Geschäft existierte auch eine religiöse Aufgabe. Das spirituelle Zentrum spendete über Jahrhunderte Kraft und Trost. Inmitten der erhabenen Bergwelt stillte es eine Sehnsucht, die so alt ist wie die Menschheit: den Wunsch, die Geheimnisse des eigenen Schicksals zu ergründen.“ Alternativ werden auch hier rationalisierende Argumente der Forschung (Halluzination durch Dämpfe, Massenhysterie, Autosuggestion o.ä.) bemüht; siehe dazu im vorliegenden Band die Beiträge von Dorit Engster, oben S. 479–504, und Yulia Ustinova, oben S. 123–128.

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Das Spiel unterstellt jedoch keine kriminellen Machenschaften. Der Tempel funktioniert schlicht wie alle anderen im Spiel verfügbaren Gebäude, sakrale wie profane, mit gewissen Baukosten und dagegen abzuwägenden Einnahmen und Sondereffekten. Delphi besitzt auch eine ökonomisch–politische Rolle; das Orakel steuert aber nicht insgeheim die griechische Welt, sondern ist ein ganz normaler Teil von ihr. Ob die Prophezeiungen ‚echt‘ oder ‚falsch‘ sind, spielt in dieser Einordnung überhaupt keine Rolle. Ähnlich ließe sich die Position von Kampf um den Olymp beschreiben. Dort wird Delphi zwar zu einem von drei Konfliktfeldern, deren Beherrschung strategische Vorteile bietet. Die oben beschriebenen Wissensmarker sind aber eine Besonderheit des ‚Zwischenortes‘ Delphi, der diese bereitstellt, ohne selbst ein aktiver Faktor im Spiel zu werden. Wie weit die Frage der Kontrollierbarkeit bis in das Spielprinzip hinein wirken kann, zeigt sich am besten an Das Orakel von Delphi. Dessen Konzept ist weit entfernt von großer Politik oder wirtschaftlichen Überlegungen, wie die Anleitung von Anfang an klar macht: Göttervater Zeus hat gute Laune: Er möchte euch, den Sterblichen, ein Geschenk machen und einen von euch zu einem Besuch in den Olymp einladen! Dafür möchte er von euch gut unterhalten werden: Er lädt zu einem Wettstreit ein.72

Für den Sieg müssen zwölf Aufgaben bewältigt werden, darunter das Errichten von Statuen oder Tempeln, aber auch Monsterkämpfe nach dem Vorbild verschiedener mythischer Helden. Die Handlungsoptionen ergeben sich aus einer regelmäßigen Befragung der Pythia, technisch umgesetzt durch einen Wurf mit drei Orakelwürfeln pro Runde. Dieses Zufallsergebnis kann minimal hinsichtlich Position und Farbe abgeändert werden, indem man verdiente Marker „Gunst der Götter“ ausgibt. Ansonsten ist das jeweilige Resultat der Befragung aber tatsächlich eine schicksalshafte Vorgabe, die individuell (im Sinne einer optimalen Zugabfolge) interpretiert werden muss. Außer Zeus tauchen in Das Orakel von Delphi zwar noch sechs weitere Götter auf, darunter Apollon, jedoch ohne dass diese selbst zu Akteuren des Spiels würden. Letzterer kann aber immerhin begrenzt Einfluss auf das Orakel verleihen: Apollons Sonderaktion erlaubt, Würfel in einer beliebigen Farbe zu ‚lesen‘ und so gewissermaßen als Joker zu verwenden. Das Orakel von Delphi macht seine antike Vorlage so zum Namensgeber – und zum Teil des zentralen Mechanismus – für ein Spiel um begrenzt gesteuerten Zufall.

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Das Orakel von Delphi, Anleitung, 1.

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5. Spielabrechnung Was lässt sich über die Funktion Delphis vor dem Hintergrund der beschriebenen Traditionen von Antikenrezeption im Gesellschaftsspiel festhalten – und wie die konstante Präsenz des Themas erklären? Um es vorab nochmals deutlich zu sagen: Das antike Orakel von Delphi ist im modernen Gesellschaftsspiel eine durchgängig sichtbare, aber keineswegs eine herausragende Erscheinung. So sind etwa die oben angerissenen Spiele mit Bezug zum antiken Germanien um ein Vielfaches häufiger. Selbst für griechische Settings wären Sparta oder Alexander der Große als stärker vertretene Optionen zu nennen. Die Tendenz geht von punktuellen oder indirekten Aufnahmen des Themas hin zu Spielen, die das Orakel in den Mittelpunkt des Settings rücken oder es gar in den zentralen Spielmechanismus einbinden. Diese Entwicklung hat sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nochmals verstärkt. Die Art und Weise, in der dies geschieht, mag Rückschlüsse darauf erlauben, wie es um die Wirkungsmacht des ‚klassischen‘ bildungsbürgerlichen Kanons bestellt ist. Das Interesse an antiker Geschichte und Mythologie scheint ungebrochen zu sein, aber die früher stillschweigend vorausgesetzten Assoziationen funktionieren nicht mehr automatisch. Das Orakel von Delphi kann einerseits mit den bildlichen Anleihen bei Marcello und Collier spielen oder mit Erzählelementen aus der antiken Mythologie und ihren popkulturellen Transformationen. Andererseits schien es dem Autor nötig zu sein, gleich mehrfach in der Anleitung über die historische Rolle der Pythia zu informieren. Dass der uneinheitliche Artikelgebrauch offen lässt, ob es sich bei „(der) Pythia“ um eine Funktionsbezeichnung oder einen Eigennamen handeln soll, steht auf einem anderen Blatt. Bemerkenswert ist jedoch die Entscheidung, auf der siebten Seite der Anleitung nochmals einen fett gedruckten Hinweis einzufügen: Anmerkung: Die im Zentrum abgebildete Person ist Pythia, sie ist die Seherin des Orakels von Delphi.

Auch wenn zugleich ein oft beliebig anmutender Einsatz der Thematik gerade in neueren Spielen zu bemerken ist, sollte dies nicht zu einer pauschalen Klage über moderne Ignoranz gegenüber klassischem Bildungsgut führen. Viele Personen hinter den Spielen erweisen sich im Gespräch als überaus interessiert und kundig. Allerdings sind sie sich auch nur zu bewusst, dass der moderne Spielemarkt vor allem über Professionalisierung und Mechanisierung läuft. Pyramiden-Bau oder das Neueste historische Lotto-Spiel verfügen über den Charme des verschroben Antiquarischen; in Sachen Layout, Ausgewichtung der Spielelemente, Wiederspielbarkeit, Regelpräsentation und vielem mehr sind sie moderneren Vertretern jedoch hoffnungslos unterlegen. Auch die erklärte Absicht, ein Spiel zur Beförderung der Bildung der Jugend

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zu sein, wäre heute eher kontraproduktiv. Die moderne Spielindustrie setzt auf vielfache Testläufe und Feedbackprozesse, bei denen die Optimierung des Spielprinzips im Fokus steht. Einzelne Autoren mögen notfalls die Treue zum Setting über solche Erwägungen stellen. In der Mehrzahl ist es aber nicht unüblich, dass ein Setting nachträglich neu gewählt werden kann, um einem geänderten Mechanismus oder den Reaktionen der Testrunden Rechnung zu tragen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Die Tendenz zur Optimierung ist zumindest in diesem Ausmaß neu. Altbekannt ist dagegen die Bereitschaft, ein bereits etabliertes Spielprinzip auf beliebige Settings zu transferieren. Die nahezu austauschbaren Lotto-Spiele des 19. und 20. Jahrhunderts mit ihren historischen wie nicht-historischen Themen sind nur ein Beispiel für diesen Umstand. Das Orakel von Delphi ist im modernen Gesellschaftsspiel üblicherweise nicht an einzelne Ereignisse oder historische Personen gekoppelt. Selbst die Bindung an Apollon und seine Mythologie ist eher mäßig ausgeprägt. Eine Ikonographie ist in gewissen Grenzen auszumachen, jedoch in sehr reduzierter und wenig gefestigter Form. Zentral sind vielmehr die Wahrnehmungen von Delphi als Ort der Weisheit und als strategischer Faktor, wobei sich teilweise eine Rolle von Delphi als Grenzbereich zwischen mythischer und historischer Sphäre bemerken lässt. Wenn es eine übergeordnete Konstante gibt, so besteht sie in einer gegenläufigen Gleichsetzung von ‚Delphi‘ und ‚Orakel‘: Der antike Ort wird einerseits auf diesen Aspekt reduziert, Delphi ist das Orakel. Andererseits sind die Konzepte von antiker Prophetie im Gesellschaftsspiel mehr oder minder der Delphi-Tradition verpflichtet, das (antike) Orakel ist Delphi.73 Nicht einmal der Beginn der Ausgrabungen und Rekonstruktionen hat für eine erkennbare Hoch-Zeit des Themas Delphi im Gesellschaftsspiel gesorgt. Die bescheidene, aber konstante Präsenz ist allenfalls in den letzten knapp zwei Jahrzehnten etwas angestiegen. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass das antike Orakel durchaus als Teil der Allgemeinbildung weiter assoziative Kraft entwickeln kann. Historische Settings haben in Gesellschaftsspielen ohnehin gerade Konjunktur, was auch der Antike zu nützen scheint. Selbst ein kleines Produkt wie Peloponnes ist in seiner Brettspielfassung unlängst in die vierte Auflage gegangen. Das Orakel von Delphi erhielt nach nur sechs Monaten auf dem Markt Anfang 2017 eine Neuauflage. Delphi scheint aus Sicht von Spielemacherinnen und -machern eine attraktive Mischung zu bieten: ein bekannter Name mit mehr Strahlkraft als etwa das ‚Fischorakel‘ des Apollon im lykischen Myra,74 aber zugleich eine große 73

Wobei erneut Ausnahmen die Regel bestätigen, so etwa in Elysium, das auch Eleusis nennt. 74 Obgleich die bei Plinius d. Ä. so anschaulich beschriebene Prozedur des Futterwerfens sicher ein gutes Geschicklichkeits- und Glücksspiel abgegeben hätte (Plin., Nat.

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Gestaltungsfreiheit. Ein neues Spiel über Alexander den Großen liefe fast unvermeidlich auf eine Konflikt- oder Wirtschaftssimulation hinaus. Wer heute noch ein Spiel über antike Germanen produzieren wollte, sähe sich mit der politischen und historischen Aufladung des Themas konfrontiert. Delphi ist dagegen im Gesellschaftsspiel nur in sehr geringer Weise durch etablierte Traditionen festgelegt und erlaubt so eine flexiblere Nutzung in der oben skizzierten Weise. Abschließend sei ein eigener Blick in die Zukunft erlaubt: Ein Erfolgsmodell in leichter Abwandlung zu reproduzieren, ist eine schon bei den frühneuzeitlichen Losbüchern praktizierte Strategie. Die moderne Spieleindustrie hat auch diesen Ansatz professionalisiert, indem Erweiterungen zu umsatzstarken Titeln produziert werden, natürlich nur mit dem Grundspiel einsetzbar. Da sich Antikenspiele derzeit ordentlich am Markt behaupten, dürften die nächsten einschlägigen Fälle nicht lange auf sich warten lassen.75 Dem Ovidzitat des Titels ließe sich also nur eingeschränkt ein zweites zum Schluss entgegensetzen: lusus habet finem – vorerst.76

XXXII 17; vgl. auch Plin., Nat. XXXI 22 und Ael., Nat. VIII 5 sowie als Parallele Varro, Rust. III 17,4). 75 Diese auf der Göttinger Tagung geäußerte Prognose wurde während der Korrekturphase des Texts mehrfach bestätigt: Das Orakel von Delphi hat mittlerweile seine Seefahrer-Erweiterung erhalten, erschienen als Teil des Brettspiel Adventskalender 2016 von Frosted Games. Die Reichweite und Vernetzung des Orakels in der antiken Welt werden damit nochmals hervorgehoben. Kronia von CMON (GTIN/EAN: 889696003485) lässt dagegen die Spielenden mit Opfergaben an Tempel um die Gunst von bis zu sechs griechischen Göttinnen und Göttern wetteifern. Die Bauten selbst fallen dabei eher generisch aus, so dass eine eindeutige Zuordnung von Apollo zu Delphi nicht möglich ist. Allerdings verteilt er seine Hilfen freigiebiger als alle anderen Gottheiten – spieltechnisch gesprochen: Apollo hat die meisten Gunstmarker für Anfragende im Vorrat, und ein Besuch seines Orakels bietet einen strategischen Vorteil. Auch das 2013 als Crowdfunding gestartete Spiel Teomachia der polnischen Historical Games Factory hat in den vergangenen Jahren einige lokalsprachliche Ausgaben und Erweiterungen erfahren, darunter das deutsche Theomachie (GTIN/EAN: 5902596950040). Im Grundspiel ist die Pythia eine der fünf Sonderkarten, mit denen das griechische Pantheon gegen die anderen Götterwelten antreten kann. Die orientalisierende Darstellung einer Frau zwischen leuchtenden Nebelschwaden – allerdings ohne Dreifuß – setzt die oben beschriebene Bildtradition fort. Der Spieleffekt, mit dem ein Gegner gezwungen werden kann, vor dem nächsten Wettbieten seine Handkarten zu offenbaren, betont wiederum die Instrumentalisierung des Wissens durch Delphi als Machtfaktor. 76 Ov., Ars III 809 bzw. für das Titelzitat Ov., Pont. IV 3,49.

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Autorenverzeichnis Leonie von Alvensleben vertritt eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle am Seminar für Klassische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen. Balbina Bäbler, Dr. phil., ist Lehrbeauftragte am Althistorischen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen. Hugh Bowden, Dr. phil, ist Professor of Ancient History am King’s College London. Vinzenz Brinkmann, Dr. phil., ist Leiter der Antikensammlung der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt am Main und lehrt als apl. Professor am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bochum. Vincent Déroche, Dr. phil., ist Professor an der Sorbonne Université und Directeur du Centre d’Histoire et Civilisation de Byzance am CNRS. Dorit Engster, Dr. phil., ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Althistorischen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen. Werner Gauer, Dr. phil., ist emeritierter Professor für Klassische Archäologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Jürgen Hammerstaedt, Dr. phil., ist Professor für Klassische Philologie an der Universität zu Köln. Rainer Hirsch-Luipold, Dr. phil., ist Professor für Neues Testament und antike Religionsgeschichte an der Universität Bern. Ulrike Koch-Brinkmann, Dr. phil., ist Lehrbeauftragte in Klassischer Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Claas Lattmann, PD Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klassische Altertumskunde der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Martin Lindner, Dr. phil., ist geschäftsführender Assistent am Althistorischen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen.

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Autorenverzeichnis

Michael Maaß, Dr. phil., ist im Ruhestand befindlicher Hauptkonservator an der Antikensammlung des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe und Honorarprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Heinz-Günther Nesselrath, Dr. phil., ist Professor für Klassische Philologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Robin Osborne, Dr. phil., ist Professor of Ancient History und Fellow am King’s College Cambridge. Pierre Sánchez, Dr. phil., ist Professor für Alte Geschichte an der Université de Genève. Tanja S. Scheer, Dr. phil., ist Professorin für Alte Geschichte an der GeorgAugust-Universität Göttingen. Winfried Schmitz, Dr. phil., ist Professor für Alte Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ilinca Tanaseanu-Döbler, Dr. phil., ist Professorin für Religionswissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen. Kai Trampedach, Dr. phil., ist Professor für Alte Geschichte an der RuprechtKarls-Universität Heidelberg. Yulia Ustinova, Dr. phil., ist Professorin für Alte Geschichte an der BenGurion University of the Negev. Ulrich Volp, Dr. phil., ist Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Beate Wagner-Hasel, Dr. phil., ist emeritierte Professorin für Alte Geschichte an der Leibniz-Universität Hannover.

Stellenregister Antike Autoren Aelian Fragmenta (Frg.) DOMINGO-FORASTÉ 70g 427 Anm. 111 Aischines (Aeschin.) Gegen Ktesiphon (In Ctes. = Or. 3) 107–112 239 Anm. 32 109 149 Anm. 62 109–111 237 Anm. 21 110–111 149 Anm. 63 113–122 148 115–129 256 Anm. 100 125–129 256 Anm. 102 116 215 Anm. 36, 255 Anm. 99 125–129 256 Anm. 102 128 255 Anm. 96 140 253 Anm. 91, 256Anm. 104 146 f. 257 Anm. 106 Aischylos (Aeschyl.) Agamemno (Ag.) 1080–1197 1199–1212

101 97 Anm. 39

Choephori (Choeph.) 269–304 330 559 78 Anm. 7, 330 900 f. 330 1027–1032 330 Anm. 4 1035–1039 330 Anm. 5 Eumenides (Eum.) 1–4 1–19 1–33 29 33

267 Anm. 1 93 Anm. 13 330 95 Anm. 29 120 Anm. 4, 191

37 38 40–59 64–80 203–205 232 235 f. 465–467 578 579 594 609 f. 625–673 715 f. 798 f.

330 104 Anm. 72 330 331 331 331 331 331 331 331 331 331 331 331 332

Septem adversus Thebas (Sept.) 498–499 130 Anm. 74 745–749 337 Anm. 31 750–752 338 Anm. 33 800–802 338 Anm. 35 Fragmenta (Frg.) 341 TGF

129 Anm. 66

Ammianus Marcellinus (Amm.) XXII 12,8–13,3 457 Anm. 5 XXVI 10, 15–19 26 Apollodor (Apollod.) Bibliotheca (Bibl.) II 7 [= II 5,2] 142 Anm. 21 II 88–89 [= II 5,5] 143 Anm. 27 II 130 [= II 6,2] 145 Anm. 41, 240 Anm. 36 II 141 [= II 7,2] 143 Anm. 33 Aristophanes (Ar.) Vögel (Av.) 188 f.

245 Anm. 53

588

Stellenregister

Aristoteles (Arist.) De arte poetica (Poet.) 9, 1451b21 329 Anm. 1 Meteorologica (Meteor.) I 4, 341b6–10 489 Anm. 58 I 4, 342a27 f. 489 Anm. 57 II 4,359b27–360a25 492 Anm. 75 II 8, 365b24–28 489 Anm. 56 II 8, 366a23-b22 489 Anm. 55 III 6, 378a21–23 492 Anm. 70 Politica (Pol.) V 4 1304a10

247 Anm. 64

Res publica Atheniensium (Ath. pol.) 8,4 230 Anm. 98 Fragmente (Frg.) Rose3 637 241 Anm. 40 Athanasius (Athan.) De incarnatione (Incarnat.) 47,1 f. 462 Athenagoras (Athenag.) Legatio sive supplicatio pro Christianis (Leg.) 21,4 460 Anm. 18 21,6 460 Athenaios (Athen.) IV 373c-e 208 Anm. 91 V 210b–c 163 Cassius Dio LXIII 14,2

484 Anm. 26

Cicero (Cic.) De divinatione (Div.) I5 413 Anm. 1 I 37 188 I 38 494 Anm. 81 II 56,116 472 Anm. 79 II 111 199 Anm. 57 II 115–118 188 Anm. 11 II 116 400 Anm. 17 II 117 494 Anm. 82

De natura deorum (Nat. deor.) I2 413 Anm. 2 I 63 413 Anm. 2 I 117 413 Anm. 2 III 157 413 Anm. 2 De re publica (Rep.) II 9 173 Claudian Carmina (Carm.) 2,12–14

482 Anm. 15

Clemens Alexandrinus (Clem. Al.) Protrepticus (protr.) 2,11,1–3 461 7, 76,3 f. 475

Codex Theodosianus XV 5,4 68 XVI 10,7–9 457 Anm. 4 Conon Narrationes (Narr.) 33 98 Anm. 41 Cornutus Theologiae Graecae compendium (Theol. Graec. Comp.) 32,7 198 Anm. 55 David von Alexandrien In Porphyrii Isagogen commentarius (Commentaria in Aristotelem graeca XVIII/2) 92 449 Anm. 79 Demokrit (DIELS/KRANZ) 68 A 138 413 Anm. 6 68 B 180 209 Anm. 1 Demosthenes (Dem.) Reden (Or.) 1,22 5

251 Anm. 83 254 Anm. 94

589

Stellenregister 18,87–94 20,1

256 Anm. 103 207

Dikaiarch (Dicaearchus) (WEHRLI) Frg. 14 413 Anm. 7 Diodor (Diod.) IV 10,7 IV 13,2 IV 13,3 IV 31,3 IX 16 IX 31,1 XI 14,4 XI 33,2 XVI 23,1–5 XVI 23,1–24,3 XVI 23,3 XVI 23,5 XVI 24,4–25,5 XVI 26,1 XVI 26,2–3 XVI 26,4–6 XVI 26,6 XVI 28,3 XVI 35 XVI 35,4–6 XVI 38,2 XVI 58,1–3 XVI 59,1–3 XVI 59,4 XVI 60,1–3 XVI 60,2 XVI 84,2

145 Anm. 42 142 Anm. 22 143 Anm. 27 145 Anm. 43 148 426 Anm. 109 374 Anm.77 217 Anm. 42 262 Anm. 121 247Anm. 61 237 Anm. 23 247Anm. 62 250 Anm. 76 467 Anm. 55 481 Anm. 13 93 102 Anm. 65 491 Anm. 66 250 Anm. 79 251 Anm. 80 251 Anm. 82 251 Anm. 84 252 Anm. 85 252 Anm. 86 252 Anm. 87 253 Anm. 90 257 Anm. 105

Diogenes von Oinoanda (Diog. Oen.) (HAMMERSTAEDT/SMITH) Fragmente (Frg.) 23 NF 143

428 Anm. 120 428 Anm. 121

Diogenian. Epicur. (Frg. GERCKE) 4 416 Anm. 29 4,39–64 417 Anm. 32 4,64–80 417 Anm. 33

Duris, FGrHist 76 F2 235 Anm. 11, 247 Anm. 63 Ps.-Elias (Ps.-David) In Porphyrii isagogen commentarius (WESTERINK) praxis 27,7 p. 57 450 Anm. 81 Ephoros (Ephor.), FGrHist 70 F 93 247 Anm. 63 F 118 178 Eratosthenes (Erat.), FGrHist 241 F 38 243 Anm. 45 Euripides (Eur.) Andromache (Andr.) 49–55 335 995–1005 335 f. 999 336 1063–1065 336 1073–1075 336 1085–1165 336 1119 83 1161–1165 335 Anm. 22 1239–1242 336 Elektra (El.) 87 399 f. 971–973 981 1190–1192 1192 f. 1246 1265–1267: 1296 1302

333 333 333 333 333 334 334 334 334 Anm. 17 334 Anm. 17

Ion (Ion) 5–7 42 57–73 69–71 71–73 90 91–93 92

481 Anm. 12 96 Anm. 26 347 347 Anm. 61 348 111 Anm. 116 191 96 Anm. 26

590 106–108 161–169 171–178 415 f. 517 537 539–555 645–658 760–795 825 978–1038 1111 f. 1118 1122–1131: 1196–1208 1228–1276 1320 f. 1320–1323 1322 1323 1324 1345 1468–1488 1522–1525 1534 f. 1539–1545 1547 f. 1566–1568 1575–1594 1595–1600 1601–1603

Stellenregister 85 85 85 109 Anm. 108 348 352 Anm. 74 348 348 348 352 Anm. 74 348 348 348 Anm. 64 89 85, 348 Anm. 64 86 f. 348 104 Anm. 74 92 Anm. 9 111 Anm. 115, 192 Anm. 25 104 Anm. 73 349 349 349 352 Anm. 74 349 349 347 Anm. 62, 349 349 349 349

Iphigenia in Tauris (IT) 711–715 337 Anm. 30 940–944 336 965 336 965–967 336 972–975 337 977–981 337 1254 78 Anm. 7 Orestes (Or.) 161–165 276 285–287 327–331 416 f. 491–541 544–601

334 334 335 334 335 335 335

591–599 1625–1679 1656 f.

335 335 335

Phoenissae (Phoen.) 13–20 345 f. 18–20 345 Anm. 53 33–45 346 409–414 346 638–644 346 1043–1045 336 1597–1599 346 1703–1707 346 Fragmente (Frg.) (TGF) 477 129 Anm. 66 Eusebius von Caesarea (Eus.) Praeparatio Evangelica (Pr. Ev.) IV 3,1–6 416 Anm. 31 V 4,1–3 417 Anm. 35 IV 7–9 416 Anm. 28 V 1,10 417 Anm. 34 V 19–36 417 Anm. 36 V 26,3 462 Anm. 42 462 Anm. 39 V 28 VI 1–5: 417 Anm. 37 VI 6 417 Anm. 41 VI 7 417 Anm. 38 VI 7,1: 463 Anm. 44 VI 8 416 Anm. 28 VI 9 417 Anm. 40 Heraklit (DIELS/KRANZ) 22 B 93 198 Herodot (Hdt.) I 6,2 I 12,2 I 13,1 I 13,2 I 14,1–3 I 14,1 I 14,2 I 14,3 I 17–22 I 19,2 f. I 19,3

168 163 356 Anm. 11 356 Anm. 12.13, 472 Anm. 74 214 Anm. 29 162, 356 Anm. 14 162, 355 Anm. 10 162, 384 169 169, 356 196 Anm. 41

Stellenregister I 22,4 I 25,2 I 27,5 I 29–33 I 45,1 I 46,1 I 46,2 f. I 47 f. I 47,2–48,2 I 48,1 I 49 I 50 f. I 50,1–3 I 50,3 I 51,1–5 I 51,2 I 51,3–5 I 51,5 I 51,11–12 I 52 I 53,2 I 53,3 I 55,1 I 55,2 I 65,2–3 I 65,3 I 66,1–4 I 67,2 I 67,2–68,6 I 85,2 I 86,1 I 87,1 I 90,4 I 91 I 92,1 I 92,2–3 I 144,2 I 159,3–4 I 167,2 I 174,5 II 134,3 II 135,3 f. II 135,4 II 180 II 180,2 II 182,1 III 57,2

169, 356 163, 356 169 317 Anm. 45 358 356 155, 357 155 357 370 Anm. 63 155 357, 375 Anm. 79 156 161, 214 Anm. 24 156 161 215 Anm. 29 158 79 155, 357 Anm. 16 357 Anm. 16, 358 358, 462 Anm. 40, 472 Anm. 75 358 358 196 Anm. 42 365 365 Anm. 46 229 Anm. 91 365 358 359 359 359 168, 359 157 158, 357 Anm. 16 273 Anm. 30 197 Anm. 48 361 Anm. 32 362 Anm. 36 361 Anm. 32 353 An. 4 218 Anm. 48, 375 Anm. 79 214 Anm. 24 170, 354 Anm. 5 170 Anm. 68 354 Anm. 6

III 57,3 III 57,4 IV 15,3 IV 150–158 IV 150,3 IV 144–158 IV 155,3 IV 159,2–3 IV 161,1 IV 163 f. V 42,2 V 43 V 45,1 V 62,2 V 63,1 V 63,2 V 63,4 V 64 f.: V 66,1 V 67,2 V 79,1 V 79,2–80,1 V 81,2 f V 82,1 f. V 89,2 f. V 92,1 V 92β,2 V 92ε,1 V 90,1 V 93,2–94,1 VI 18 VI 19,1: VI 19,2 VI 21,2 VI 25,2 VI 35,3–36,1 VI 52,4 f. VI 66,1 f. VI 66,3 VI 69,1–2 VI 76,1 VI 77,1 f. VI 80 VI 86γ,1 f. VI 87–93

591 354 Anm. 7 354 361 181 196 Anm. 43; 197 Anm. 46 f. 323 Anm. 60 201 Anm. 71 196 Anm. 45, 201 Anm. 71 362 363 363 179, 180 363 214 Anm. 25 366 Anm. 52 366 366 366 366 Anm. 51 361 Anm. 30 363 363 363 361 363 f. Anm. 41 367 Anm. 53 360 Anm. 28 360 Anm. 28 367 367 362 362 196 Anm. 44, 362 329 Anm. 1, 378, 382 381 360 Anm. 28 365 Anm. 45 96 Anm. 30,, 366 Anm. 51, 367 205, 367 367 Anm. 55 366 362 366 360 Anm. 28 364

592 VI 135, 2 f. VII 60,1 VII 111,2 VII 132,1 VII 132,2 VII 133,1 VII 133,2 VII 136,2 VII 137,1 VII 137,3 VII 138,2 VII 139 VII 140,1 VII 140,2 VII 141,1 VII 141,3

VII 142,1 VII 148,3 VII 149,1 VII 163,2 VII 169 VII 169,2 VII 178 VII 189,1 VII 220,3 VII 220,4 VIII 27,5 VIII 35–39 VIII 37,1 VIII 37–39 VIII 38 f. VIII 47 VIII 53,1 VIII 64,2 VIII 82,1 VIII 114,1 VIII 121,2

VIII 122 VIII 123,2 VIII 135,2 IX 33,2 IX 33,3 IX 42 f.

Stellenregister 361 Anm. 31 388 Anm. 16 80 Anm. 19 390 364 383 386 385 386 386 Anm. 12 390 386 88, 192 Anm. 22 205, 368, 391 96 Anm. 30 368 Anm. 58, 369 Anm. 60, 472 Anm. 76 370 Anm. 63 371, 390 371 364 371 f. Anm. 68 390 372 Anm. 68 389 366 Anm. 49, 371 371 Anm. 66 144, 218 Anm. 51 372, 373, 491 Anm. 67 218 Anm. 50 391 372 f., 374 Anm. 77 391 368 Anm. 57 392 364 366 Anm. 50 216 Anm. 37, 217 Anm. 46, 220 Anm. 59 392 388 98 Anm. 45, 197 Anm. 48 375 360 Anm. 28 372

IX 42,3 IX 43,1 IX 81,1

IX 93,1 IX 121 IX 122,4

4 372 f., 373 Anm. 71 216 Anm. 41. 42, 364 Anm. 43, 375 Anm. 79 362 393 393

Hesiod (Hes.) Theogonia (theog.) 404–406 93 Anm. 14 Fragmente (Frg.) (MERKELBACH/WEST) 25,20 145 Anm. 44 Hieronymus (Hier.) Epistulae (Epist.) 123,7

102 Anm. 63

Himerios Orationes (Or.) 48, 10–11

84

Homer (Hom.) Ilias (Il.) II 761 f. II 372 IX 404 f.: IX 405 XV 36–38 XV 185–199 XV 189 XVI 371 f. XVI 783 XXIII 262–652

288 Anm. 72 474 Anm. 91 3 Anm. 4 93 Anm. 12 276 Anm. 41 270 270 314 Anm. 41 314 Anm. 41 308

Odyssea (Od.) I 139 III 392 III 479 IV 55 V 184–186 VI 4–10 VI 102–108 VIII 49 f. VIII 77

160 160 160 160 276 Anm. 41 177 278 Anm. 43 3 Anm. 4 93 Anm. 12

593

Stellenregister Homerische Hymnen / Hymni Homerici Apollon-Hymnos / Homeri Hymnus in Apollinem (Hom. Hymn. Apoll.) 1–178 282 2–13 280 Anm. 48 14–18 274 19 286, 287, 288 29–30 283 29–49 288 f. 38 285 Anm. 64 45–48 284 51–88 292 84–88 276 91 273 103 f. 273 131–132 272 132 191, 290 147–164 281 156–164 292 165 281 172 f. 281 177 f. 281 179 f. 274 Anm. 34 179–546 282 181–188 274 Anm. 35 186–206 277 f. 189–203 292 204–206 275, 279 207 282, 286, 287, 288 208–215 282 211 273 213 273 216–299 282 220 f. 286 244 f. 286 247–275 292 248–252 270 Anm. 14 282–285 12 285–299 290 286–293 81 292–293 78 Anm. 7 300–362 290 300–374 282 300–390 481 Anm. 10 303–304 144 Anm. 35 305–354 290 334–339 277 362–374 290

375–387 388–390 388–409 388–545 393–396 397–399 400–401 409–413 409–439 414–418 414–421 421–429 427 430–432 433 433–439 437 440–445 443 448–450 492–496 452–501 513–519 526–530 526–544 534–539 536–537 538–543 545–546

282, 286, 290 287 287 282 93, 290 Anm. 79 78 Anm. 5 293 285 286 286 285 285 290 f. 285 290 f. 285 290 f. 293 273 293 f. 293 Anm. 86 292 292 286 292 208 Anm. 90 78 Anm. 5 240 Anm. 36 275 f., 282

Artemis-Hymnos / Homeri Hymnus in Dianam (Hom. Hymn. Dian.) 15–18 278 Anm. 43 Athena-Hymnos / Homeri Hymnus in Minervam (Hom. Hymn. Min.) 9–16 47 Anm. 35, 281 Anm. 48 Hermes-Hymnos / Homeri Hymnus in Mercurium (Hom. Hymn. Merc.) 541–549 77 f. 468–472 191 533–540 191 Isokrates Plataicus (or. 14) 31

238 Anm. 28

594 De bigis (or. 16) 33

Stellenregister

321 Anm. 57

Jamblich (Iambl.) De Mysteriis (Myst.) (SAFFREY/ SEGONDS) 1,11 p. 28 f. 441 Anm. 41 3,11 p. 92 437 Anm. 30, 485 Anm. 27 3,11 p. 93 441 Anm. 42 3,11 p. 94 441 Anm. 43 3,11 p. 94 f. 442 Anm. 44 3,11 p. 95 442 Anm. 46 Vita Pythagorica (VPyth.) 1,2 448 Anm. 73 2,5–7 443 Anm. 48 2,8 443 Anm. 49. 50 27,133 444 Anm. 52 Johannes Chrysostomos In epist. I ad Corinthios hom. 29 12,1 100 Anm. 54 Babylas (Bab.) 67

470 Anm. 66

Julian (Iul.) Contra Cynicos ineruditos (CCyn.) 3,183A 445 Anm. 59 4,183B–D 445 Anm. 60 4,184A 445 Anm. 61 5,184C 445 Anm. 62 6,185D 446 Anm. 63 8,187C 446 Anm. 64 8,187D 446 Anm. 65 8,188A 446 Anm. 66 8,188B 447 Anm. 68 8,188B–C 447 Anm. 69 9,188C: 447 Anm. 70 11,191A–B 448 Anm. 71 11,191B 448 Anm. 72 12,192D 448 Anm. 75 Contra Heraclium Cynicum (C.Heracl.) 5,209b 462 Anm. 41

Contra Galilaeos ap. Cyrill. Alex. ed. KINZIG/BRÜGGEMANN p. 439,9 f. 457 Anm. 3 Justin (Iust.) Epitoma historiarum Philippicarum (Epit.) XXIV 6,9 483 Anm. 17 XXIV 8 107 Anm. 93 Kallimachos Apollonhymnus (Hymn. Apoll.) 55–96 173 Fragmente (Frg.) PFEIFFER 194, 26 f. 192 Kallisthenes (Callisth.), FGrHist 124 T 25 234 Anm. 3, 239 Anm. 31 F1 234 Anm. 3, 235 Anm. 9, 239 Anm. 31 Kratinos (Cratin.) (Frg. KASSEL/AUSTIN) 180–196 246 Anm. 57 Laktanz (Lact.) Epitome (Epit. inst.) 32 472 Anm. 83, 473 Anm. 85 Divinae institutiones (Inst.) III 20 472 Anm. 84 IV 27,1–3 460 Anm. 23 Livius I 56,10

482 Anm. 15

Lucanus V 82–87 V 93–96 V 131–134 V 145–157 V 158–174

483 Anm. 20 483 Anm. 20 483 Anm. 21 483 f. Anm. 22 484 Anm. 23

595

Stellenregister Lukian (Luc.) Alexander 25

415

Iuppiter Tragoedus 43 415 Macrobius (Macr.) Saturnalia (Sat.) I 18,1

129 Anm. 67

Marmor Parium, FGrHist 239 A37–38 241 Anm. 40 Maximos von Tyros Dissertationes 5,2AB 11,6

426 Anm. 110 458 Anm. 11

Martyrium Polycarpi 12,2 469 Anm. 63 17,1 f. 468 Anm. 58 18,1–3 468 Anm. 62 Minucius Felix (Min. Fel.) 13,1 f. 472 Anm. 80 27 460 Anm. 20 Nonnos Dionysiaka (Dion.) IX 273–323 482 Anm. 15 Novum Testamentum Markus-Evangelium (Mk) 12,41–44 459 Anm. 15 Apostelgeschichte (Apg) 16,6–18 459 Anm. 17 19,23–27 469 Oinomaos von Gadara (Oenom.) Fragmente (Frg.) (HAMMERSTAEDT) 1,23–25 425 Anm. 98 1,43–44 425 Anm. 99 1,79–91 425 Anm. 100 2,10–17 424 Anm. 91

2,35–42 2,80–81 3 4,1–28 4, 32–35 4,42–47 5,8–15 6,26–66 6,66–85 7: 8 9,10–17 10,50–55 11,17–19 11,19–23 11,23–28 11B 37–39 11C 40–42 12,1–7 12,2–19 13 14 16,10–114 16,102–106 16,109–116 16,123–125

424 Anm. 94 424 Anm. 92 422 Anm. 65 425 Anm. 102 199 Anm. 57 425 Anm. 103 426 Anm. 108 422 Anm. 69 422 Anm. 68 422 Anm. 71 422 Anm. 73 423 Anm. 77 423 Anm. 80 423 Anm. 85 423 Anm. 86 423 Anm. 87 426 Anm. 105 426 Anm. 106 422 Anm. 66 424 Anm. 88 424 Anm. 89 427 Anm. 114 419 Anm. 51 419 Anm. 52 419 f. 420 Anm. 56

Origenes (Orig.) Contra Celsum (Cels.) I 70 463 Anm. 46 II 20 420 Anm. 60 VII 3 458 Anm. 6, 460 Anm. 21, 463 Anm. 46, 464 f. VII 4 475 Anm. 98 VII 5 465 Anm. 51 VIII 45 173 Orosius Historiae adversum paganos (Hist.) VI 15,11 482 Anm. 15 VI 15,12–17 475 Anm. 99 Ovid Metamorphoses (Met.) III 14 482 Anm. 15 XV 634–636 482 Anm. 15

596

Stellenregister

Passio Artemii (s. auch Philostorgios) 35 449 Anm. 77, 457 Anm. 1 Pausanias I 4,4 I 15,1 I 15,3 I 24,5 I 24,5–7 II 2,3 II 9,6 II 10,4 II 15,2 III 10,6 III 11,3 III 14,7 III 17,4 III 18,8 IV 32,5 f. V 24,3 V 26,1 V 27,11 V 105 VII 24,4 VII 142,1 VIII 5,11 f. VIII 13,1 IX 10,4 IX 22,1–8 X 1,3–11 X 5,5 X 5,7 X 5,8 X 5,12 X 5,13 X 7,2–8 X 8,2 X 9,5 X 9,7–10 X 9,12 X 10,1 X 10,4 X 10,5 X 10,6–8

6 Anm. 5 222 Anm. 66 221 Anm. 63 47 Anm. 37 41 Anm. 20 142 Anm. 26 239 Anm. 33 101 Anm. 61 142 Anm. 26 228 Anm. 88 228 Anm. 88 228 Anm. 88 224 Anm. 74 219 Anm. 52 229 Anm. 92 227 Anm. 83 227 Anm. 83 230 Anm. 94 380 101 Anm. 60 201 101 Anm. 60 101 Anm. 59 101 Anm. 60 101 Anm. 60 144 94 Anm. 17 94 Anm. 17, 484 Anm. 24 94 Anm. 17 484 Anm. 25 161 Anm. 26, 214 Anm. 24 298 Anm. 4 252 Anm. 88 225 Anm. 77 224 Anm. 71 26 Anm. 78 221 Anm. 62 222 Anm. 65 226 Anm. 79 219 Anm. 54

X 11,5

X 11,6 X 12, 2 X 12,6 f. X 13,6 X 13,7 X 13,8 X 13,9 X 13,10 X 14,5 X 15,1 X 15,4 X 16,1 X 18,1 X 19,1 X 19,2 X 19,4 X 32,15 X 37,5

215, 220 Anm. 59, 224 Anm. 72, 225 Anm. 76 217 Anm. 43 98 Anm. 40 98 Anm. 40 225 Anm. 77 144, 218 Anm. 51 145 Anm. 41 216 Anm. 42 220 Anm. 56 216 Anm. 37, 217 Anm. 45, 378, 388 217 Anm. 46 221 Anm. 61 163 Anm. 34, 214 Anm. 29 217 Anm. 44 217 Anm. 47 391 215 Anm. 36 87 148

Philochoros (Philoch.), FGrHist 328 F 34a–b 243 Anm. 45 F 53–55 256 Anm. 103 F 56b 256 Anm. 104 Philostorgios Historia Ecclesiastica (HE) VII 1c 449 Anm. 77, 457 Anm. 1 Pindar Isthmische Oden (I.) 7,49–51 309 Anm. 32 Nemeische Oden (N.) 1,35–72 143 Anm. 33 7,34–47 309 7,40–42 82 7,46 307 Anm. 28 7,54 f. 315 Anm. 44 9,4 f. 309 Anm. 32 10, 25 304 Anm. 18 Olympische Oden (O.) 1,59–66 318 Anm. 50

597

Stellenregister 1,90–100 2,38–40 2,39 2,53–57b 7,15–17 8,23–25 8,67–69 9,100–102 10,27 13,106 f.:

320 Anm. 55 338 Anm. 31 310 Anm. 35 316 Anm. 45 305 Anm. 20 316 Anm. 45 315 Anm. 44 315 Anm. 44 143 Anm. 28 305 Anm. 20

Pythische Oden (P.) 1,39–42 318 Anm. 50 2,21–48 316 Anm. 45 2,72 316 Anm. 45 3,8–21 100 Anm. 54 3,38–60 316 Anm. 45 3, 29 78 Anm. 7 4,1–3 321 4,4 95 Anm. 20 4,4–12 321 f. 4,17 f. 323 Anm. 61 4,25–27: 323 Anm. 61 4,59–67 323 Anm. 60 4,60 95 Anm. 60, 197 Anm. 47 4,64–67 321 4,66 f. 306 Anm. 26 4,286 f. 316 Anm. 45 5,34–42 325 Anm. 62 5,39–42 309 5,43–42 309 5,122–124 325 Anm. 64 6,1–18 307 f. 6,28–43 308 6,44–54 308 7,9–13/14 306 Anm. 27 8,1–20 313 Anm. 39 8,61–66 312 8,61–69 310 Anm. 34 8,67–71 312 8,73–78 313 8,78–87 314 8,80 315 8,88–91 315 8,92–96 317 8,96–97 317 f. 11,49 f. 304 Anm. 18

Platon (Plat.) Alcibiades I (Alc. I) 124a–b 432 Anm. 7, 444 Anm. 56 128e–129a 432 Anm. 7, 444 Anm. 56 Apologia Socratis (Apol.) 20e–23b 199 Anm. 58 20e–23c 431 Anm. 6 21a–c 472 Anm. 77 Phaidon (Phaed.) 81cd

463 Anm. 50

Phaidros (Phaedr.) 244a 451 Anm. 83 244a–b 119 Anm. 3, 193 246b–247c 463 Anm. 49 Protagoras (Prot.) 343a–b 401 Symposion (Symp.) 202d–203a 435 Anm. 21 [Ps.-Platon], Theages 124d 99 Anm. 49 Plinius Maior (Plin.) Naturalis Historia (Nat.) II 92 490 Anm. 61 II 158 490 Anm. 61 II 207 f. 492 Anm. 72 II 208 492 Anm. 73 XXXVI 4,9–10 147 Anm. 53 Plotin Enneades (Enn.) IV 3,1

432 Anm. 8

Plutarch (Plut.) Agesilaos (Ages.) 31,6

406

Alexander (Alex.) 14,4

406, 472 Anm. 78

Amatorius (Amat.) 16,759b 123Anm. 25

598

Stellenregister

An seni sit gerenda res publica (An seni) 17,792 f. 401

Non posse suaviter vivi secundum Epicurum (Non posse) 21,1101e–1102b 403 Anm. 31

Demosthenes (Dem.) 2,2 398

Perikles (Per.) 21,3

De E apud Delphos (De E) 1,384e 401, 411 2,385bc 400 Anm. 18 2,385c 92 2,385cd 400 Anm. 20 3,385df 401 Anm. 21 7,387e 401 Anm. 23 9,389c 406 Anm. 45 16,391d 403 Anm. 33

De Pythiae Oraculis (Pyth. or.) 2–3,395bf 499 5,396d 201 Anm. 78 5,396ef 415 Anm. 20 7,397c 120 Anm. 6 7,397d 194 Anm. 37 8,397ef 228 Anm. 86 8,398a 406 Anm. 45, 415 Anm. 21 10,398f–399a 199 Anm. 57 14,400f 223 Anm. 69 15,401c 223 Anm. 69 15,401cd 214 Anm. 23 15,401d 219 Anm. 56 16,401e 156 f. 16,401f 159 16,402a 222 Anm. 67 17,402b 194 Anm. 37, 407 Anm. 49 22,405c 109 Anm. 105 22,405cd 112 Anm. 122 29,409c 400

De Iside et Osiride (De Is.) 7,353d 411 Anm. 63 11,355c 411 Anm. 63 68,378a 411 Anm. 63 De sera numinis vindicta (De sera) 12,557a 361 Anm. 32 17,560ef 407 Anm. 49 De defectu oraculorum (Def. or.) 1–2,409e–410b 397 8,414b 192 10,415a 435 Anm. 21 15,417f 408 16,391de 408 Anm. 51 42,433cd 94 Anm. 17, 486 Anm. 37 43,433e 487 Anm. 38 43,433f–434a 487 Anm. 40 44,434b 488 Anm. 47 44,434b–c 488 Anm. 48 46,435a 488 Anm. 50 46,435cd: 104 Anm. 75 48,436ef 487 Anm. 42 50,437c 487 Anm. 39 50,437d 486 Anm. 35 51,438ab 406, 408 Anm. 51 51,438c 104 Anm. 78, 107 Anm. 95, 122 Anm. 23, 192 Anm. 26, 487 Anm. 45 De mulierum virtutibus (Mul. vir.) prooem. 243b 99 Anm. 49

244 Anm. 48

Quaestiones convivales (Quaest. Conv.) VII 2,2, 700e 398 Anm. 7 Quaestiones Graecae (Aetia Graeca) (Qu. Gr.) 9 466 Anm. 53 9,292d 110 Anm. 109 12,293c 267 Anm. 2 Themistokles (Them.) 6,3–4 387 Polyainos Strategemata (Strat.) IV 2,8 257 Anm. 107 VI 53 181 Porphyrios (Porph.) De abstinentia (Abst.) II 29 437 Anm. 31

599

Stellenregister II 15 f.

437 Anm. 32

De philosophia ex oraculis haurienda (Phil. ex or.) (SMITH) Frg. 303F 433 Anm. 12 Frg. 307F 433 Anm. 15 Frg. 309F 433 Anm. 15 Frg. 322F 435 f. Anm. 25, 436 Anm. 26 Frg. 337F 434 Anm. 20 Frg. 338F 435 Anm. 23 Frg. 341F 435 Anm. 22 Vita Plotini (Vita Plot.) 23 431 Anm. 6 Vita Pythagorae (VPyth.) 16 438 Anm. 33 41 438 Anm. 34 De γνῶθι σεαυτόν dicto apud Stobaeum (Stob. Anth. HENSE) III 21,26 438 f. Anm. 37 III 21,26–28 438 Anm. 36 III 21,27 440 Anm. 39 III 21,28 439 Anm. 38 Ps.-Longinus 13,2

483 Anm. 29

Proklos (Procl.) Commentarius in Alcibiadem I (In Alc.) 1–11 444 Anm. 54 5 p. 3 451 f. Anm. 85 5 f. p. 4 453 Anm. 90 6 p. 4 f. 453 Anm. 92 11 p. 9 451 Anm. 84 91 453 Anm. 93 Scholia Schol. Eur. Phoen. 1760 Schol. Eur. Troad. 9 Schol. Pind. I., hyp. d Schol. Pind. P. 5,34 Schol. Pind. P. 8,99b Schol. Pind. P., hyp. a.c Schol. Pind. P., hyp. b.d

338 Anm. 32 234 Anm. 6 297 Anm. 3 325 Anm. 62 313 Anm. 39 297 Anm. 3 298 Anm. 4

Seneca (Sen.) Naturales Quaestiones (Nat.) III 7–10 490 Anm. 63 III 15,1 490 Anm. 62 Servius Commentarius in Vergilii Aeneida (in Aen.) III 92 482 Anm. 15 Silius Italicus (Sil.) XII 321–323 482 Anm. 15 Sophokles (Soph.) Elektra (El.) 32–37 180–181 1425

332 236 Anm. 15 332 Anm. 13

Antigone (Ant.) 1151–1152

130 Anm. 74

Trachiniae (Trach.) 1091–1094 142 Anm. 20 1103 f. 145 Oedipus Coloneus (OC) 88 343 88–95 343 f. 409–411 344 413–415 344 457–460 344 603–623 344 728–1043 344 969–973 345 998 345 1249–1446 345 1331 f. 345 1375 f. 345 Oedipus Rex (OR) 69–71 96–98 100–107 114 135–137 151 f. 244 f.: 305–309

339 339 339 339 339 339 339 339

600 376 f.: 406 f.: 463–482: 603 f.: 711–714 715–719 742–754 787 f.: 788–793 790–793 791 798–813: 813–824 825–829 828 852–856 899–902 906–908 985 f. 1002–1020 1022–1044 1071 f. 1175 1330 f.

Stellenregister 339 339 339 339 340 340 340 340 197 Anm. 47 341 340 f. 741 341 341 341 341 341 341 341 342 342 342 342 342

Statius Thebais (Theb.) I 492 III 474 f. III 611–613: VIII 175 f. Strabon (Strab.) IV 1,13 IX 3,4 IX 3,5 IX 3,6 IX 3,8 IX 3,15 X 1,3

482 Anm. 15 482 Anm. 15 482 Anm. 15 482 Anm. 15

6 Anm. 5 148 f. 400 Anm. 17, 479 Anm. 4 397 Anm. 1, 480 Anm. 5 164 243 Anm. 46 127 Anm. 51

Tacitus (Tac.) Annales (Ann.) VI 22,2

420 Anm. 58

Tatian Oratio (Or.) 8, 9 f. 19,4–9

460 Anm. 30, 474 Anm. 94 474

Tertullian (Tert.) Apologeticum (Apol.) 22,8–10 460 Anm. 21 46,2 470f. De exhortatione castitatis (Exhort cast.) 13,2 470 f. Anm. 69 Ad uxorem (Uxor.) I 6,4 102 Anm. 63 Theodoret von Kyrrhos (Thdt.) Graecarum affectionum curatio (Affect.) X 1–4 465 f. Anm. 52 Historia Ecclesiastica (HE) III 10 470 Anm. 67 Theognis I 805–810 I 805–808

85, 94 Anm. 18 198 Anm. 53

Theopomp (Theop.), FGrHist 115 F 156 243 Anm. 45 F 247 225 Anm. 76 F 292 115–129: 256 Anm. 103 F 344 472 Anm. 72 Theotimos, FGrHist 470 F1 325 Anm. 62 Thukydides (Thuc.) I 112,5 234 Anm. 7, 242 I 118,1–3 244 I 132,2 f. 217 Anm. 42 I 198,3 244 Anm. 47 II 78,3 160 III 92,5 181 IV 108,7 223 Anm. 70 IV 120–123 223 Anm. 70 V 18,2 207 Anm. 88, 245 Anm. 52

601

Stellenregister VI 3,1 VI 95,1

178 226 Anm. 78

Timotheos von Milet (PAGE) Frg. 2b 129 Anm. 68 Valerius Maximus I 8,10 483 Anm. 18

Xenophon (Xen.) Anabasis (an.) III 1,5

180

Cyropaedia (Cyr.) 1,6,46 83

Varro

Hellenica (Hell.) III 5,3f. VI 4,29

De lingua latina (Ling. lat.) VII 17 267 Anm. 2

Oeconomicus (Oec.) 7,4 f. 113

152 151

De vectigalibus (Vect.) 5,8–10 248 Anm. 69

Inschriften, Papyri CID (Corpus des Inscriptions de Delphes) I 10 = CID IV 1, 15–21 236 Anm. 14. I 10 = CID IV 1, 21–26 236 Anm. 17. I 10 = CID IV 1, 39 f. 237 Anm. 19. I 13, 20–22 83 I 13, 24–29 79 Anm. 10 II 31, 33–70 250 Anm. 78 II 36–42 252 Anm. 89 II 67–73 249 Anm. 74 II 74, col. I, 37 f. 257 Anm. 109 IV 2–5 246 Anm. 55, 249 Anm. 71 IV 2, 7–11 236 Anm. 16 IV 14, 20–23 245 Anm. 54 IV 119E, col. B, 29–32 257 Anm. 110 Dittenberger, 1915 (Syll. Band 1) Nr. 248 III 9 24 Anm. 26 Dittenberger, 1920 (Syll. Band 3) Nr. 829A 398 Anm. 7 Nr. 843 398 Anm. 8 Fouilles de Delphes (FdD) I NR. 137 230 Anm. 98 III 1 Nr. 3 226 Anm. 80

III 1 Nr. 90 III 1 Nr. 129 f. III 1 Nr. 553 III 1 Nr. 573 III 4 Nr. 1 III 5 Nr. 22 l. 30 III 5 Nr. 50 col. III 1

222 Anm. 64 219 Anm. 54 106 Anm. 89 226 Anm. 78 227 Anm. 82 216 108 Anm. 97

HGIÜ I 25 I 32 I 33 I 42 I 151

217 Anm. 43 215 227 Anm. 84 216 Anm. 42 224 Anm. 73

IG II2 109A, l. 17 f.

249 Anm. 75

IG II3 292,42–45

88

SIG3 175

249 Anm. 75

P. Oxy. 1800 fr. 2 ii 33–46

82

Namen- und Sachregister Achill(es) 35 f., 41, 49, 288 Anm. 72, 335 Adler 84, 95, 212, 397 Adler, Friedrich 15 Adyton 123, 125, 126, 190, 198, 442, 481 Anm. 12, 495 Ägäis 268, 382, 391 Ägypten 167, 169 f., 171, 353 f., 476 Anm. 100; ägyptisch 160, 165, 410 Aelius Aristides 113 Aelian 426 Äthylen 126 Anm. 51, 127, 479, 497, 498 f., 501 f. Agamemnon 93, 101, 329, 385 Agathe Tyche 47, 49, 52, 59–61 Aglauros 43 Aias 101, 392 Aigina 363, 382, 383 Aigineten 389, 392 f. Aigisth 332 f. Aigos Potamoi 228, 229 Anm. 89 Aischylos 93, 95, 104, 119 f., 129, 329, 334, 337, 350 f., 378, 460 – Choephoren 329 f. – Eumeniden 330–332, 336 – Laios 337 f. – Oidipus 338 – Sieben gegen Theben 337 f. Aitoler 229 Alexander der Große 220, 235, 406, 515, 531, 533 Alexander von Aphrodisias 416, 421 Alkaios 79 f., 84 Alkibiades 440 Alkmaion (Alkmeon) von Athen 146, 239 Alkmaioniden (Alkmeoniden) 187 Anm. 10, 240, 306, 366 Alkmene 137 Allelopoiese 506, 519 Alyattes 156, 163, 168, 356 Amasis 167, 170, 354 f.

Ambrosius 468 Amphiaraos 98, 155, 171, 357, 461 Anm. 35 Amphiareion 167 Amphiktyonen, Amphiktyonie 22, 80, 106, 141, 146 f., 148, 149 –151, 153, 216 f., 233, 235, 237, 239, 241 f., 249, 252–254, 257, 259–261, 305 – Amphiktyoneneid 149, 153, 271 – amphiktyonischer Rat 235 f., 237, 240, 246–248, 252, 254 Amphipolis 181, 251 Amphissa 72, 147, 148, 149, 151, 154, 234, 248, 254–258 Anakreon 99 Analytiker 268 Andania 87, 88 Andres, Stefan 209–213 Antigone 329, 344 Antike 506 f., 515 Antipater von Tarsos 414 Aphrodite 40, 224, 278, 307 Apollon 3, 4, 5, 19, 29, 36, 40, 47, 78, 80 f., 83, 85, 88 f., 93, 95 f., 97 f., 99 f., 101, 103, 113, 115, 117, 119, 122, 131, 144 f., 149, 153 f., 178, 181, 186 f., 190 f., 193, 195, 201, 204, 213, 216, 220, 224 f., 236, 259, 267, 270 f., 274–277, 279, 282 f., 284, 286 f., 289, 293, 310, 314, 320 f., 326, 330, 332 f., 335, 339, 342, 348, 350, 353, 359, 384, 391, 398, 402, 408, 421, 432, 443, 445–448, 452, 458, 460, 466 f., 475 f., 480, 486, 506, 525 Apollinische Trias 271, 274, 275 f., 312 f. Apostel 468, 476 Arachova 141 Archilochos 162 f., 175 f., 424, 429 Ares 40, 279 Argonauten 322 f., 324, 326

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Namen- und Sachregister

Argos 110, 142, 222, 226, 314, 329, 382 f. Argiver 19, 222, 226, 362, 371, 373, 390 Argolis 142, 222 Aristeas 360 Aristipp 415 Aristomenes aus Aigina 311–314 Aristonike 88, 379, 386 f., Aristoteles 129, 358 Anm. 20, 480, 487–490, 515 Arkader 225 Arkadien 141 f. Arkesilaos IV. 320 f., 323, 324–326 Arrhephoria 39 f. Artemis 40, 47, 101, 102 f., 149, 159, 224, 260, 271, 274–276, 278, 309 – Artemis von Ephesos 157 f. Asklepiaden 239 Asklepios 81, 271 Anm. 20; Aesculap 139 Athen 37, 42, 70, 182, 202, 209–212, 221, 222, 224, 244, 256 f., 263, 299, 301, 343, 347, 349, 363, 366 f., 378, 381–383, 386 f., 414, 437 – Akropolis 38, 40, 211, 224, 331, 392 – Areopag 334, 336, 350 – Kolonos-Hügel 343 Anm. 46, 346 – Parthenon 37–63, 377, 379, 392 Athena 36, 37, 38, 40 f., 42, 46 f., 49 f., 52, 54, 58 f., 61, 106, 144, 149, 169, 190, 231, 331, 349 f., 386, 454 Athenischer Seebund 244 Attika 344, 363, 379, 381 f., 387, 391 Augias 142 Aulos(-Spiel) 300 Babylas 470 Bad 87, 105, 123, 193 Bakis 99 Basilius von Ancyra 473 Battiaden 326 Battos 321–324 Bauer 109 f., 113, 141 Anm. 17, 255; bäuerlich 100, 112 Behaghelsches Gesetz 288 Beinamen 268, 293 Besessenheit 120 Betrug 187 f.

Biene 95, 212, 323 Anm. 60 Bildung 113 f. Böoter 242, 254 Böotien 250, 382 Bogen 268, 269, 272, 275, 294 Boreas 389 Bosporos 256 Boxen (Wettkampf) 302, 424 Branchiden 98 Branchos 98 Brasidas 223, 231 Braut, Bräutigam 106 Burckhardt, Jakob 214 Bysios (Monat) 79 f., 86, 89, 271, 466 Chaironeia 398, 404 – Schlacht bei 256, 257 Chalkidike 251 Chalkis 174, 177, 178 Chariten 278, 279 Anm. 44, 307 Chios 285 Anm. 64 Chor 298, 330 Anm. 4. 5, 334, 336, 339, 341, 344, 345 Anm. 52, 346, 348 Christentum 7, 70, 271, 357, 467, 470, 476; christlich 432 Christenverfolgung 461 Christianisierung 2, 67, 68–72 Chronologie 261–263 Chrysipp 414, 416, 419 f. – Über die Mantik 414 – Über das Schicksal 414, 418 f. Cicero 126 Anm. 48, 188, 413 f., 458, 494 Comics 479 Cyriakus von Ancona 19, 32, 73 Dämpfe: s. Gase Daphne (Ort) 469 Dareios 217 Anm. 46, 378, 379–382, 385, 388 David (Aristoteles-Kommentator) 449, 450 Debussy, Claude 16 f. Delos 40, 268, 273, 276, 277Anm. 42, 286, 291, 457 Anm. 3 delisch 275, 280 Delphi – Apollontempel 6, 21–26, 68, 123, 126, 130, 144, 170, 214 f., 217, 241,

Namen- und Sachregister 250 f., 253, 306–308, 330, 354, 366, 392, 399, 497, 530 – Athenatempel 30, 520, 523 – Basiliken 68 f. – Buleuterion 29 – Danseuses (Statuen) 16 f., 27–29 – Epigonenmonument 222–226 – „Gebäude der Pythia“ 108 – Grande Fouille 2, 13, 15, 31 f., 68, 70 – Gymnasion 20, 30, 70 – Halos (Heilige Tenne) 29 f., 70 – Heilige Straße 70, 225 – Hippodrom 150 f. – Miltiadesdenkmal 223 f. – omphalos 129 – Ost-Thermen 67 f. – Peribolos 65 f., 71 – Peristylhaus 67 – Prytaneion 29 – „römische Agora“ 66 f. – Schatzhaus der Athener 215 – Schatzhaus der Siphnier 14, 15, 35– 37, 40, 42, 307, 354 – Schlangensäule 216, 390 – Sphinx der Naxier 23, 29 – Stadion 31, 214 – Stoa der Athener 66 – Theater 214 – Xystos 67, 68, 70 Delphin 293, 295 Demaratos 383 Demeter 38, 44, 46 Demokrit 209, 413 Deukalion 110 Diaulos(-Lauf) 300, 302 Didyma 98, 155, 197 Anm. 48, 405 Anm. 41, 431, 435 f., 462, 485 Anm. 27 Dikaiarch von Messene 413 Dike 312 Diodor 93, 94, 96, 102 f., 115, 145, 148, 197, 235, 247 f., 251, 467, 481, 484 Diogenes von Babylon 414 Diogenes von Oinoanda 6, 199, 427– 429 Diogenes von Sinope 414, 445, 447 f. Diogenianos 6, 204, 416 f., 419, 427 Diokletian 462

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Dionysos 27, 39, 40, 54, 128 f., 130 f. Dioskuren 47, 49, 52 –57, 224, 228, 334, 392 Dodona 80 Anm. 19, 155, 193, 361, 450, 457 Anm. 3 Dodwell, Edward 12, 20, 32 Dorieus von Sparta 178–181 Dreifuß 1, 7, 29 f., 123 f., 144 f., 153 f., 165., 190, 193, 218, 224, 239 f., 267, 271, 333, 348, 364, 390, 479, 481 f., 520 f., 523 Dritter Heiliger Krieg 147, 163 – s. auch Heilige Kriege Dürrenmatt, Friedrich, Das Sterben der Pythia 1 Echekrates 103 Ehrenstatuen 110 Eileithyia 273 Elektra 329, 333 Eleusinischer Krieg 40, 42 Eleusis 38, 40, 42, 44, 50, 451 f. Elis 142, 143 Elfenbeinstatuette 165 f. Emmeniden 307 Eumeniden 336 enthousiasmos 120, 130 Eos 36 Epameinondas 225 f. Ephesos 157, 224, 469 Epidauros 81 Epikureer 414 f., 458 – Epikureismus 415 – epikureisch 416, 421, 427–429 Erdbeben 21–23, 26, 28, 67, 490 f., 494 Erdspalt 93 f., 126, 192 Anm. 27, 442, 474 Anm. 93, 481, 491, 495 f., 500, 520, 523 Erechtheus/Erichthonios 39, 41, 43, 61 Eretria 174, 177, 381 Eretrier 380 f. Eridanos 43 Erinnyen 330 f., 332, 334, 343, 350 Erster Heiliger Krieg 22, 146, 149, 154, 239, 242, 258, 269 Anm. 10, 297 Anm. 3 – s. auch Heilige Kriege Eteokles 329, 337 f., 344 f., 346, 351 Etrusker 229

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Namen- und Sachregister

Eumolpos 38 Euripides 37, 86, 104, 109, 129 f., 131, 153, 234, 351 f. – Andromache 335 f. – Ion 347–350 – Iphigenie bei den Taurern 336 f. – Elektra 333 f. – Orestes 334 f. – Phoinissen 345 f. Eurymedon 220 Eurystheus 137, 141, 143, 145 ex eventu s. vaticinium ex eventu E-Zeichen (Delphi) 400, 409 Felsspalte 1 Feuer 99, 442, 489, 491 Film 479 Flaubert, Gustave 12 Frau(en) 91, 92–94, 99, 114, 117, 128, 267 Gaia 38, 61, 93, 267, 276, 486 Galater 6 Anm. 5, 220 Anm. 59, 229, 518 Anm. 43 Gas(e) 126–128, 479, 482, 488, 489, 490, 491–500, 502 Germanen 507, 533 Gesellschaftsspiel(e) 506, 509–520, 529, 533 Gipse, Gipsabgüsse 14 Glanum 139 Gold 156, 162 Gordion 162 Gorgo 330 Goten 71 Greisin 104 Gyges 162 f., 164–168, 355 f., 359, 384, 472 Hades 270 Hadrian 67 Halluzination(en) 122 Handwerk, Handwerker(in) 160 Harmonia 278 Hebe 287 Hegesander von Delphi 163 Heilige Kriege 144, 146 f., 148, 149, 150 Anm. 65, 154, 233–259

– s. auch Erster, Zweiter, Dritter, Vierter Heiliger Krieg Helena 335 Helios 52 Hephaistos 38, 39, 40, 51, 57 Hera 39, 47, 51 f., 58, 61, 110, 142, 273, 277 Anm. 42 Hera-Priesterin 115 Herakleios 448 Herakles 3, 41, 137–146, 153 f., 215, 240, 271, 427 Anm. 23, 446 Hermes 38, 78, 271, 279, 347, 350 Hermias 450 Hermione 335 Herodot 3, 5, 77, 152, 157–159, 162, 167, 197, 200 f., 207, 238, 240, 353– 375, 382 f., 385 f., 389, 391 f. Heroenkult 138 Heros, Heroen 137 f., 147, 153, 190, 215, 225, 229, 308, 319, 320, 321, 327, 361 Anm. 57, 365, 385, 392, 525 f. Heruler 71 Hesiod 93, 145, 204 Hesperos 50, 53 Hestia 126 Anm. 49, 281 Anm. 50, 467 Hetäre 159 Hexameter (s. auch Vers) 195 Hierapolis 493 hiereia s. Priesterin Hieromnemon(en) 150, 236, 237, 249, 254, 261 Himerios 79 Hippias 383 hippisch 302 f., 321 Hirt 139, 140 f., 153, 209, 484, 498 Holz 23 Homer 93, 142, 198, 204, 281, 424, 525 Horai, Horen 47, 49, 61 f., 278, 279 Anm. 44 Hybris 312, 317 Hydra (Lernäische) 141 f. Hyperboreer 79, 467 Iason von Pherai 151 Ilissos 43 Iokaste 337, 340–342, 345 f. Ion 85, 347 f. Ionier 168, 170, 388

Namen- und Sachregister Iphitos 145 Ismene 329, 344 Isthmia (Ort) 392 Isthmische Spiele 299 Italien 176, 301, 384, 390 Jäger 139, 143 Jamblich 432–444, 450, 454 Jugendzeitschriften 507 Jungfrau, Jungfräulichkeit 100–109, 464, 467, 471 Julian (Kaiser) 26, 414, 444–450, 454, 457 f., 470, 471, 473 Justinian (Kaiser) 68 Justinianische Pest 71 Kallisthenes 234 f., 239 Kapitolinische Trias 51 f. Karneades 414 Karthager 229 Kassandra 97, 101, 124 Kassiotisquelle 123 Kastalia(schlucht) 12, 68 Kastaliaquelle/kastalische Quelle 71, 105, 123, 193, 305, 461, 465, 467, 491 Kastor 334 Keleos 42 Kekrops 42, 43 Kelten/Gallier 6 Anm. 5, 518 Anm. 43 Kephissos 43 Kimon 242 Kleanthes 413 Klaros 98, 192 Anm. 27, 433, 435 f. Kleidung, Kleider 107, 192 Kleinasien 109 Kleisthenes von Sikyon 146, 239 f., 361 Klytaimestra 329, 332–334 Knidos 362 Kolonisation 4, 321, 326, 328 – Herakles als Kolonist 139, 143 Kore 46 Korinth 68, 174, 177, 178, 212, 341 f., 390, 392 Korinthischer Krieg 152 Korkyraier 220 Koroneia 242 Kos 239 Kranz, Siegeskranz 241, 306, 320 Kratipp von Pergamon 413 Kreon 339 f., 343 f., 345

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Kreta 283, 288 Kreter 284, 286, 290 Anm. 79, 291 f., 294, 371, 373, 390 kretisch 267 f., 273, 282 Kreusa (Frau des Xuthos) 347–349 Krieg s. Heilige Kriege Krisa/ Kirrha 141, 146, 147, 149, 152, 154, 174, 233, 235–242, 271 Anm. 23, 282, 284 Anm. 63, 285, 286, 289, 291, 293 f., 306, 309 Kroisos 79, 155–161, 200, 214, 355– 375, 384, 392, 405, 426, 429, 462, 472 Kybele 131 Kyknos 239 Kyniker 6, 414 f., 424 f., 429, 445, 448, 458 – kynisch 416, 421, 423, 427, 445, 448 Kynismus 422, 447, 460 Kyrene 181, 201, 303, 310 Anm. 36, 321–324, 363 Kyrenäer 362 Kyros 161, 180, 356, 358, 374 f., 383, 385, 393 Labdakiden(haus) 329, 337 f., 346 Laios 329, 337–343, 345 f., 350, 405, 420 Lebadeia 493 Legespiel 517 Lelantinischer Krieg 174, 175 Leonidas 366, 378, 381 422 Lemnos 322 Leto 40, 47, 144, 149, 259, 268, 271, 273 f., 275, 277, 279, 283 f., 292, 309 Leuktra (Schlacht) 225 f., 229 Levadi 141 Löwe (Nemeischer) 141 f. Lokrer 148, 151, 152, 249, 253 f. Lokris 250, 258 Lorbeer 105, 124, 192 f., 297, 400 Losbuch 51 f. Los-/ Lotto-Spiel 516 f., 532 Loxias (Apollon) 125, 198 Lukian 124, 199, 416, 458 Lydien 79, 169, 171 Lyder 164, 374, 384 lydisch 167 f., 200, 214, 359

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Namen- und Sachregister

Lykurg 365, 462; lykurgisch 423 Lyra (s. auch Phorminx) 53, 268, 269, 272, 294 Lysander 224, 220 Anm. 89, 231, 406

Nestor 308 Nike 225 Nikiasfrieden 244 Neuplatonismus 6, 421, 431–455

Märtyrer 468, 475 Mailand 468 Makedonien 220, 250 f. mania 3, 119 f., 125, 130, 193 Mantik 413–427, 431 f., 441 Marathon (Schlacht) 215, 221, 314, 378, 385 Mardonios 217 f., 228 Anm. 88, 373, 382, 388, 391 Marius Victorinus 271 Maximos von Tyros 426, 458 Maß (s. auch metron) 318, 319 Medea 322 f., 325 Megakles 306 Megalopolis 250 Megara (Frau des Herakles) 145 Megara (Ort) 174, 177, 314 Memnon 36, 41 Menelaos 231, 335, 390 Metapont 360 metron (s. auch Maß) 317 Messene 250 Messenien 225, 227, 229, 406 Messenier 226, 423 Methymna 424 Midas 162, 166, 384 Milet 169 f., 177, 224, 356, 362, 380– 383 Miltiades 211, 220, 221, 224, 231, 378, 388 de Miré, Georges 17 f. Mnaseas (Marcus Iunius) 106, 112 Moirai / Moiren 48 f., 52, 53f., 400 Muse(n) 204, 288 Anm. 72, 301 Musik 120, 272, 328, Mykene 209 f., 212

Ödipus 1, 197, 329, 338–340, 342 f., 346, 405, 420, 472 Oikist 174 f., 181 Oinomaos von Gadara 6, 199, 417, 419– 427, 429, 460, 462 Oinophyta (Schlacht) 244 Oleander 124 Olymp 52, 270, 274, 292, 525, 527 Olympia 13, 17, 81, 83, 143, 216, 219, 227, 230 f., 319. 384 – Zeustempel 50 Olympische Spiele 5, 137, 143, 299, 326 Omphale 137 f. Omphalos 28, 129, 267, 305, 307, 309, 496, 520 Orakel 1, 4, 72, 79, 83, 88 f., 92, 94, 95, 98, 104 f., 108, 114, 147 f., 167, 169, 174–177, 185 f., 189–191, 212, 229, 243, 258, 267 f., 272, 277Anm. 42 , 291, 321, 329 f., 331 f., 333, 337 – 344, 347 f., 352, 357–360, 379, 385 f., 389 –391, 398, 402, 405 f., 415, 421, 429, 433, 437, 457–476, 479, 487, 494, 497, 516, 531 Oreibasios 457 Orest(es) 231, 329–331, 333 –337, 350, 365, 475 Ostia 139

Naupaktos 226 Nemea 142 Nemeische Spiele/Nemeen 143, 299 Neoptolemos 82 f., 86, 153, 231, 309, 335 f., 351 Nero 484 Anm. 26 Nessos 145

Paionios 227 Panaitios von Rhodos 414 Panathenaia 39 Pankration 302 Paphos 49 Paris – Weltausstellung von 1900 13 – Louvre 13 Parnass(massiv) 12, 129, 130, 132, 141, 152, 212, 305 parthenos, parthenoi 102 f., 104 Peisistratiden 366 f. Peloponnes 225 f., 268, 270, 286, 425 Peleus 336

Namen- und Sachregister Peloponnesischer Krieg 150, 160, 207, 223, 228, 238, 244, 246, 386 Perikles 211, 231 Perserkriege 5, 214, 215, 218 f., 229, 364, 378, 380–382 Perser 170, 200, 215 f., 218, 220, 230, 357–359, 362, 364, 368–374, 379– 381, 383, 387, 390 f., 422, 462 – persisch 143, 216, 366, 371 f., 374, 381 Persien 4 Pferdeviergespann 301, 302, 320 Phädriaden 12, 391, 491 Phalaris 423 Phayllos 163, 250, 391 Ph(e)idias 51, 211, 221 Pheidon von Argos 143 Pherai 250 Philaiden 220 Philipp von Makedonien 147, 148, 233 f., 235, 238, 240, 250 –257 Philosophie 404, 409, 432 Phoibe (Titanin) 93 Phoker 144, 146, 147, 152 f., 233 f., 238 f., 243 f., 245 –249, 251–254 phokisch 163, 244, 249, 251, 261 f. Phokis 87, 131, 258 Phorminx (s. auch Lyra) 301 Phosphoros(-Heosphoros) 50, 53 Phryne 160, 213 Phylen 215 Phylenheroen 221, 231, 392 Phryger 384 Phrynichos 378, 383, 386 Pindar 5, 82, 95, 298–328 Pindosgebirge 143 Placebo-Effekt 124 f. Plataiai (Schlacht) 216, 218, 364, 369 f., 372, 381 f., 388, 391 Platon 96, 119, 199, 408, 412, 431 f., 452 f., 515 Pleistostal 11, 150, 212 Plotin 6, 271, 432, 434 Anm. 19, Plutarch 6, 86, 92, 99, 100, 104 f., 106, 109 f., 111, 113, 115 f., 120, 125, 129, 194, 197 f., 204, 213, 387, 389, 397–412, 417, 432, 453 f., 485 –487, 498 f.

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pneuma 104, 126–128, 192 f., 442, 479, 483, 488 f., 492 Polis, Poleis 91, 105, 137, 183, 186, 196, 219 f., 230 f., 361 f., 387, 390 Polychromie 35 f. Polydeukes 228 Anm. 88, 334 Polykarp von Smyrna 468 f. Polyneikes 329, 337 f., 344 f., 346, 351 Poros (Kalkstein) 25 Porphyrios 417, 432–444, 450, 454, 458 f., 471 Poseidon 36, 38, 39, 41 f., 50, 224, 270 Poseidonios 414 Priester 99, 153, 187, 194, 267, 273, 282, 374, 401–404, 411, 485, 496 Priesteramt 109, 402 f. Priesterin 95, 100, 103, 107, 193, 267, 384, 471, 482, 485 Anm. 27, 503, 505, 520 Proklos 6, 71, 271, 450–454 promanteia 89, 190, 206, 244, 247, 248 Anm. 65 promantis 96, 99 Anm. 48, 367 Prometheus 49, 51 Prophetie 97 f., 99, 269, 272, 294 f. Prosa 194 proxenos, proxenoi 88 f., 190, 204 Pylagoren 150, 261 Pylaia 237 f. Pylades 330, 333, 335 Pythagoras 212, 413, 438, 443 f. Pythagoreer 270 Pythia 1, 3, 7, 77, 80 f., 85, 88, 89, 91– 97, 99 f., 102–117, 119–133, 145, 148, 167, 169, 180, 186 f., 190–194, 267, 321–323, 325, 330 f., 347–349, 359, 361, 363, 365, 367, 371, 379, 385–388, 390 f., 399 f., 406, 409, 437, 441 f., 457 f., 464, 476, 479– 481, 483, 494, 496, 498 f., 502, 506, 520, 523, 531 Pythische Spiele 4, 5, 68, 146, 150, 151 f., 164 Anm. 37, 239, 241, 243, 253, 258, 297, 299, 313, 317, 320, 326–328, 438 Pytho 96, 198, 247, 268, 271, 274, 276 f. Anm. 23, 272, 282, 286, 288 f., 291, 294, 297, 304, 306, 310, 312, 321, 502

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Namen- und Sachregister

Python 29, 267, 438, 480 f., 512 Quartett 517 Quirinal 57 f. Reinheit (kultische) 101, 104–106, 116 Reinigung 123, 466 Religiosität 404, 473 – religiös 189, 404, 409, 411 Rhodopis 159 f., 353, 355, 360 Ringen 300, 302 Ringer 311, 314 Rom 468 Sakrileg 236 Salamis 201, 216, 218, 220, 364, 366, 368–370, 378 f., 381 f., 386–389, 391 Samier 381 Samos 165 Anm. 39, 170 Anm. 68, 354, 381, 443 Sammler 508, 510 Samothrake 83 Sappho 99, 159, 169, 353 Sardes 164, 169, 385 Sarkophag(e) 47 f., 52 Schafweide 150 Schamanen 131 Schiller, Friedrich 378 Schule (philosophische) 401, 414, 418, 454 Selene 52, 53 Sibylle 96, 97, 99, 124, 450, 513, 523 Siebenzahl 271 Sieben Weise 399, 401, 431, 443, 445 Sikelianos, Angelos 12, 18 Sikyon 146, 239 Simonides von Keos 378 Siphnier 355 Siphnos 354 Siwa 357 Sizilien 176, 301, 390 Skythen 256 Slaven 72 Snell, Bruno 209 Anm. 5 Sokrates 119, 199, 211, 409, 413, 423, 431, 434 Anm. 19, 440, 447, 452 f., 472 Solon von Athen 146, 239 f., 356

Sonne 86, 486, 489 Sophist 413, 415 Sophokles 1, 130, 238, 241, 351 – Elektra 332, 333 Anm. 14 – König Ödipus 339–343 – Ödipus auf Kolonos 343–345 Sparta 4, 177, 209 f., 212, 221, 222 f., 224 f., 228, 244, 362, 366, 382 Spartaner 243, 245, 365, 371, 373, 382 f., 385, 422, 531 Spieleforschung 508 Sphinx 338 Sphragis 281, 285 Anm. 64 Sprache 194 Stadionlauf 300, 302 Stadt, Städte 78, 89 Steinbruch 25, 31 Stern 293, 295, 392 Stiefmutter(-Motiv) 156, 158 Stier 220 Stoa 414 Stoiker 401, 445 Strabon 96, 479 f., 485 Stymphalos 142 Styx 276 Susa 383, 385 Syrianos 450 Tacitus 420, 515 Tegea 150 Tegeaten 225, 365 T(e)iresias 1, 101, 131, 339 f. Telphusa 282, 284 Anm. 63, 286, 288– 292 Temenos 209, 212 f. Thasos 176 Thebaner 150, 225, 248, 249, 252, 256 f., 259, 363 Theben 81, 155, 171, 220, 247, 256, 342, 345, 346 Anm. 44 Themis 93 Themistokles 211, 217, 378 f., 382, 387, 472 Theodoros Atheos 415 Theodosios 357 Theokrit 141 Theophania 79–83 Theophrast 437 theoria(i) 298 theoroi 85–87, 88, 93, 178

Namen- und Sachregister Theoxenia 80 Thera 322 Thermopylen 235, 236, 246, 251, 253 f., 255, 256, 259, 261 Schlacht 372, 381, 389, 422 Theseus 215, 221, 344, 523 Thessaler 144, 146, 152, 239, 247, 250, 252 f., 259 – thessalisch 151, 153, 249 Thessalien 103, 220, 251 Thetis 36, 336 Thrakien 143, 251 Thukydides 77, 96, 160, 197, 234 f., 238, 242, 246, 352, 353 thyiades 128 f., 130, 132 f. Tibur 139 timai 268 f., 272, 294 Tiryns 137, 141 Tournaire, Albert 15 Tragiker 5 Tragödie (attische) 5, 77, 95, 231, 317, 329–352 Transhumanz 139, 140–150 Triopas 273 Triptolemos 44 Trophonios 81, 493 Anm. 79 Tsunami 22 Typhaon 276, 282, 284 Anm. 63, 287 Tyrann(en) 4, 143, 206, 250, 383 f., 388, 401, 423, 425 Tyrannis 187, 206 Unitarier (beim Apollonhymnos) 268

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Uranos 276 Vasenbilder 144 vaticinium ex eventu 200, 356, 369 Verbannung 333 Vers(e) 194, 197 Vision(en) 122 Vierter Heiliger Krieg 147, 148, 254 – s. auch Heilige Kriege Vogel, Vögel 80, 83–85, 89 Waffenlauf 300 Weihgaben, Weihgeschenke, Weihungen 21, 28 f., 32, 150, , 201, 213 f., 216–231, 356, 359, 364, 375, 391 Weissagung s. Prophetie Witwe (als Pythia) 111 Würfelspiel 516 Xenophon 77, 83, 113, 151, 180, 248 Xerxes 5, 152, 217, 366, 372 f., 375, 378 f., 381, 385–388, 392 Xuthos 86, 347–349, Zeus 36, 39, 47, 51 f., 58, 83 f., 131, 137, 142, 145, 191, 212, 224, 270, 276, 290 f., 294 , 295, 339, 379, 380 f., 384, 386, 410, 423, 530 Zoll, Zölle 148 Zweiter Heiliger Krieg 233 – s. auch Heilige Kriege Zwölftatenkatalog (Herakles) 139, 141