Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft: Eine Untersuchung zur Funktion und Struktur der reflektierenden Urteilskraft bei Kant 9783110870381, 311013375X, 9783110133752

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Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft: Eine Untersuchung zur Funktion und Struktur der reflektierenden Urteilskraft bei Kant
 9783110870381, 311013375X, 9783110133752

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Quellenverweise und Abkürzungen
Erster Teil. Das Ideal der reinen Vernunft als Prinzip der systematischen Einheit der Erfahrungserkenntnis
Erstes Kapitel: Erörterung des Ideals
Zweites Kapitel: Die Dialektik des transzendentalen Ideals
Drittes Kapitel: Übergang zu den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft
Zweiter Teil. Die Idee der systematischen Einheit im Verhältnis zum Prinzip der Zweckmäßigkeit
Vorbemerkung zur Interpretation der Einleitungen
Erster Abschnitt. Kants Versuch der Fundierung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft in den beiden Fassungen der Einleitungen
Erstes Kapitel: Interpretation der ersten Fassung der Einleitung unter dem Aspekt der Fundierung des Prinzips der Urteilskraft auf der Grundlage der ersten Kritik
Zweites Kapitel: Interpretation der zweiten Einleitung unter dem Aspekt der Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit in der Prinzipienstruktur der Urteilskraft
Zweiter Abschnitt Abschließende Bemerkungen zur Interpretation der zweiten Fassung der Einleitung und Übergang zur Kritik der Urteilskraft
Dritter Teil. Die Fundierung des Prinzips der Urteilskraft in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft
Vorbemerkung zur Interpretation der Kritik des Geschmacksurteils
Erster Abschnitt. Die Analyse des ästhetischen Urteils
Erstes Kapitel: Untersuchung des ersten Momentes: Von der Autonomie des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Qualität
Zweites Kapitel: Untersuchung des zweiten Momentes: Von der Prinzipialität des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Quantität
Drittes Kapitel: Untersuchung des dritten Momentes: Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Relationalität
Viertes Kapitel: Untersuchung des vierten Momentes: Von der Notwendigkeit des Wohlgefallens im Geschmacksurteil als analytischer Bestimmung seiner Modalität
Fünftes Kapitel: Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils
Zweiter Abschnitt. Die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft als Behauptung ihres autonomen Prinzipienstatus gegenüber der Vernunft
Erstes Kapitel: Die Antithetik der ästhetischen Reflexion
Zweites Kapitel: Von der Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft
Vierter Teil. Der empirische Gebrauch des formalen Prinzips der Urteilskraft
Überleitung zur Kritik der teleologischen Urteilskraft
Erster Abschnitt. Analytische Untersuchung des teleologischen Urteils
Erstes Kapitel: Die Ausgrenzung der formal-objektiven Zweckmässigkeit auf der Grundlage der Struktur des Reflexionsprinzips
Zweites Kapitel: Der teleologische Gebrauch der Urteilskraft auf der Grundlage ihrer Autonomie
Drittes Kapitel: Untersuchung der Kausalstruktur
Viertes Kapitel: Bestimmung des Gegenstandes der teleologischen Reflexion
Fünftes Kapitel: Übergang zur Dialektik der teleologischen Urteilskraft
Zweiter Abschnitt Die Dialektik der teleologischen Urteilskraft
Aufbau der Darstellung der Dialektik der Urteilskraft
Erstes Kapitel: Einführung in die Dialektik der Urteilskraft
Zweites Kapitel: Die Antithetik der Vernunft
Drittes Kapitel: Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft
Quellen- und Literaturverzeichnis
Register

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Joachim Peter Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

W G DE

Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Gerhard Funke und Rudolf Malter

126

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992

Joachim Peter

Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft Eine Untersuchung zur Funktion und Struktur der reflektierenden Urteilskraft bei Kant

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992

Die Deutsche Bibliothek — CI Ρ- Hinheitsaufnahme Peter, Joachim: Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft : eine Untersuchung zur Funktion und Struktur der reflektierenden Urteilskraft bei Kant / Joachim Peter. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (Kantstudien : Ergänzungshefte ; 126) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-11-013375-X N R : Kantstudien / F.rgänzungshefte

© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: W. Hildebrandt, D-1000 Berlin 65 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, D-1000 Berlin 61

Für Viola

Vorwort Diese Untersuchung ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg 1989 vorgelegen hat. Für ihre Bereitschaft, diese Arbeit in der Kant-Studien zu veröffentlichen, gilt mein Dank den Herausgebern Rudolf Malter und Gerhard Funke. Hamburg, im November 1991

Joachim Peter

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Einleitung

1

Quellenverweise und Abkürzungen

13

Erster Teil Das Ideal der reinen Vernunft als Prinzip der systematischen Einheit der Erfahrungserkenntnis Erstes Kapitel: Erörterung des Ideals

17

Zweites Kapitel: Die Dialektik des transzendentalen Ideals I. Die Dialektik des immanenten Gebrauchs des Ideals (30) II. Die transzendentale Deduktion des Ideals (35)

28

I. Die metaphysische Deduktion des Ideals der reinen Vernunft (17) IL Struktur und Funktion des Ideals der reinen Vernunft (21)

Drittes Kapitel: Übergang zu den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft

44

Zweiter Teil Die Idee der systematischen Einheit im Verhältnis zum Prinzip der Zweckmäßigkeit Vorbemerkung zur Interpretation der Einleitungen

51

Erster Abschnitt. Kants Versuch der Fundierung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft in den beiden Fassungen der Einleitungen 52 Erstes Kapitel: Interpretation der ersten Fassung der Einleitung unter dem Aspekt der Fundierung des Prinzips der Urteilskraft auf der Grundlage der ersten Kritik

53

χ

Inhaltsverzeichnis

Zweites Kapitel: Interpretation der zweiten Einleitung unter dem Aspekt der Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit in der Prinzipienstruktur der Urteilskraft

62

Zweiter Abschnitt. Abschließende Bemerkungen zur Interpretation der zweiten Fassung der Einleitung und Übergang zur Kritik der Urteilskxaft 75 Dritter Teil Die Fundierung des Prinzips der Urteilskraft in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft Vorbemerkung zur Interpretation der Kritik des Geschmacksurteils . . 89 Erster Abschnitt. Die Analyse des ästhetischen Urteils

92

Erstes Kapitel: Untersuchung des ersten Momentes: Von der Autonomie des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Qualität

92

I. Der transzendentale Standpunkt der Analyse (92) II. Das interesselose Wohlgefallen als Ausgangspunkt der Analyse (93) III. Das Subjekt mannigfaltiger Bezüge als Gegenstand der Analyse (94) IV. Reduktion des Subjektes auf das Urteilsvermögen (96) V. Die transzendentale Begründung der Autonomie des Geschmacksurteils (99)

Zweites Kapitel: Untersuchung des zweiten Momentes: Von der Prinzipialität des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Quantität 106 I. Das Problem des Überganges vom ersten zum zioeiten Moment der Analyse (106) II. Die scheinbare Allgemeingültigkeit und Objektivität als Gegenstände der Analyse in Hinblick auf eine Pnnzipialität (109) III. Fundierung des Bestandes in einer transzendentalen Prinzipienstruktur (113)

Drittes Kapitel: Untersuchung des dritten Momentes: Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Relationalität 119 I. Isolierung des ästhetischen Reflexionsbegriffs (119)

Inhaltsverzeichnis

XI

II. Das Verknüpftsein des Reflexionsbegriffs mit der Prinzipienstruktur des Geschmacksurteils (122) III. Metaphysische Deduktion des Geschmacksurteils (124) IV. Das Ideal der Schönheit (131)

Viertes Kapitel: Untersuchung des vierten Momentes: Von der Notwendigkeit des Wohlgefallens im Geschmacksurteil als analytischer Bestimmung seiner Modalität

134

I. Die Modalität des Geschmacksurteils als Problem des Verhältnisses von faktischer Reflexion und idealer Grundstruktur (134) II. Die Theorie eines Gemeinsinns als Fundierung des Notxvendigkeitsanspruches des Wohlgefallens (137)

Fünftes Kapitel: Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

142

I. Das Naturschöne als Gegenstand des Geschmacksurteils (144) II. Die Subjektivierung des Formbegriffs (145) III. Die logische Dialektik einer scheinbaren Objektivität im Geschmacksurteil (148) /V. Durchführung der Deduktion auf der Grundlage der Kausalität des Spiels der Erkenntnisvermögen (151) Zweiter Abschnitt. Die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft als Behauptung ihres autonomen Prinzipienstatus gegenüber der Vernunft

157

Erstes Kapitel: Die Antithetik der ästhetischen Reflexion

157

I. Formulierung der Dialektik des Geschmacksurteils aus einem Anspruch der Vernunft (158) II. Auflösung des antinomischen Widerstreites (161)

Zweites Kapitel: Von der Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft

164

Vierter Teil Der empirische Gebrauch des formalen Prinzips der Urteilskraft Überleitung zur Kritik der teleologischen Urteilskraft

171

XII

Inhaltsverzeichnis

I. Die dogmatisch begründete Beziehung der beiden Teile der Kritik der Urteüskraß (171) II. Die erkenntniskritisch begründete Beziehung der beiden Teüe der Kritik der Urteüskraß (172) III. Die transzendentale Funktion des formalen Prinzips der Urteüskraß (173) IV. Der Aufbau der Kritik der teleologischen Urteüskraß (176) Erster Abschnitt. Analytische Untersuchung des teleologischen Urteils . . . 178 Erstes Kapitel: Die Ausgrenzung der formal-objektiven Zweckmässigkeit auf der Grundlage der Struktur des Reflexionsprinzips . . 178 I. Der apriorische Grund der formal-objektiven Zioeckmäßigkeit reiner Vorstellungen (179) II. Der apriorische Grund, empirische Vorstellungen als objektiv zweckmäßig beurteilen zu können (180) Zweites Kapitel: Der teleologische Gebrauch der Urteilskraft auf der Grundlage ihrer Autonomie I. Die Vernunß als wülkürliches Bezugsmoment der Urteüskraß (184) II. Von der Autonomie der Urteilskraß und dem Interesse an der Beurteilung des Zufälligen der Materie (186) Drittes Kapitel: Untersuchung der Kausalstruktur I. Vorläufige Formulierung der Kausalstruktur des Prinzip einer inneren Zweckmäßigkeit von Naturprodukten (188) II. Von der Notwendigkeit einer Deduktion des Begriffs eines Naturzwecks (190) III. Vorstellung der Voraussetzung zur Möglichkeit einer Deduktion des Begriffs eines Naturzwecks (190) Viertes Kapitel: Bestimmung des Gegenstandes der teleologischen Reflexion I. Das Organische als der Gegenstand des teleologischen Urteüs (194) II. Von der Tendenz zur Erweiterung des Gegenstandsbereiches der teleologischen Reflexion durch die Vernunß (196)

183

188

194

Fünftes Kapitel: Übergang zur Dialektik der teleologischen Urteilskraft

201

Zweiter Abschnitt. Die Dialektik der teleologischen Urteilskraß

204

Inhaltsverzeichnis

Alii

Aufbau der Darstellung der Dialektik der Urteilskraft

204

Erstes Kapitel: Einführung in die Dialektik der Urteilskraft I. Die Antinomie der Urteilskraft unter dem Gesichtspunkt der möglichen Funktionen der Urteilskraft (206) II. Die Dialektik der Urteilskraft als Widerstreit der Maximen (209)

206

Zweites Kapitel: Die Antithetik der Vernunft I. Die Aporie der Vernunftprinzipien als Aporie der Gesetze der subsumierenden Urteilskraft (215) II. Die Dialektik der Systeme der Naturerklärung in Ansehung der Endursachen (222) l.a) Das System des Kasualismus (224) 1.b) Das System des Spinozismus (225) 2.a) Das System des Hylozoismus (226) 2.b) Das System des Theismus (227) III. Das Unvermögen der Vernunft, sich der Dialektik zu entziehen, als Grund des notwendig kritischen Gebrauchs ihrer Prinzipien (229) IV. Die kritische Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft im teleologischen Gebrauch ihres Prinzips (231)

214

Drittes Kapitel: Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft I. Die Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge (237) II. Der Unterschied der Idee eines Naturzwecks von den Ideen der reinen Vernunft (238) III. Die Aufgaben der transzendentalen Deduktion des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit (241) IV. Die Deduktion des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit auf der Grundlage der Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteüskraft (242) V. Die Idee eines "Verstandes überhaupt" als ein allgemeines und notwendiges regulatives Prinzip α priori (247) VI. Die Funktion der Idee eines intuitiven Verstandes als Maßstab zur Hervorbringung des Begriffs eines Naturzwecks (253) VII. Die Widerspruchsfreiheit der Idee der Urieilskraft (256) VIII. Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft als Prinzip einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur (258)

235

Quellen- und Literaturverzeichnis

267

Register

273

Einleitung Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft wird von Kant in seinem letzten Hauptwerk, die "Kritik der Urteilskraft", untersucht.1 Im Mittelpunkt dieser Kritik steht das Problem äner Erkenntnismöglichkät des Besonderen, also desjenigen in der Anschauung, das von dem kategorialen Verstand unbestimmt gelassen wird.2 Ohne eine solche Kritik, so Kant, wäre die transzendentalphilosophische Grundlegung der metaphysica generalis unvollständig, denn in Ansehung dieses epistemologischen Problems macht die Urteilskraft "für sich als Erkenntnißvermögen" Anspruch auf ein eigenes Prinzip.3 Als ein solches Vermögen stellt sie keine Grundsätze oder Begriffe bereit, die den Dingen zukommen, oder "nach welcher Regel unsere Erkenntnißkräfte ihr Spiel wirklich treiben [...], sondern w i e geurtheilt werden s o l l " (Hervorhebung JP), und wie von Vernunftbegriffen Gebrauch zu machen ist.4 Durch dieses Prinzip wird somit kein besonderes Sachgebiet über das der Erkenntnistheorie und der Moralphilosophie hinaus fundiert, weshalb der Urteilskraft in einem System der reinen Philosophie kein besonderer Platz neben der theoretischen und praktischen zukommt.5 Weil dieses Prinzip aber die Regel des Gebrauches der Erkenntniskräfte angibt, nimmt die Urteilskraft innerhalb der Kritik der Erkenntnisvermögen eine besondere Stellung ein, denn sie fungiert hierbei in einem Hinblick auf die besondere Natur der menschlichen Erkenntniskräfte; nämlich darauf, daß Anschauung und Verstand zwei ganz heterogene Stücke sind.6 Durch ihr Prinzip gibt die Urteilskraft die Regel des zweckmäßigen Gebrauchs der heterogenen Erkenntniskräfte und bildet somit die Grundlage eines erkenntniskritisch fundierten

Vergl. Zweite Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft 181 /XXIX ff. Wir zitieren die Kritik der Urteilskraft, die Vorrede sowie die zweite Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft nach der Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften BcLV mit dem Hinweis auf die Originalpaginierung: Akademie-Text Seite 181/Qriginalpaginierung XXIX. 2 ebd. 179/XXVI 5 Vergl. Vorrede zur Kritik der Urteilskraft 168/VI 4 Vergl. Zweite Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft 182/XXXI und 193-194/LI 5 Vergl. Vorrede zur Kritik der Urteilskraft 168/VI ' Vergl. Kritik der Urteilskraft 401/340 1

2

Einleitung

Bezuges auf das Besondere in der Anschauung. Die Struktur und die Funktion dieses transzendentalen Prinzips soll in der vorliegenden Untersuchung bestimmt werden. Wir lassen uns hierbei von der Darstellung Kants leiten, wonach die Urteilskraft sich in der teleologischen Reflexion auf eine Bestimmungsmöglichkeit des dem Verstand Zufälligen selbst "als bloß subjectives Princip zum zweckmäßigen Gebrauche der Erkenntnißvermögen" zum Prinzip dienen soll.7 Dieses Prinzip wird im ersten Teil der dritten Kritik, der Kritik der ästhetischen Urteilskraft, freigelegt und als ein solches bestimmt, "welches die Urtheilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt, nämlich das einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnißvermögen".8 Demnach muß zum Verständnis der dritten Kritik in Hinblick auf dieses epistemologischen Problem der Gedanke der inneren Einheit des Werkes der Interpretation zugrunde gelegt werden. Eine solche Interpretation wurde bislang in der Kantforschung nicht vorgelegt. Damit wenden wir uns insbesondere gegen Interpretationen, die von einer Beziehungslosigkeit der beiden Teile der dritten Kritik ausgehen. Diese Arbeiten handeln die Urteilskraft in Anlehnung an Kants Äußerung, es gebe zwei Arten ihres Gebrauchs, den ästhetischen und den teleologischen9, als ein jeweils unterschiedlich prinzipiiertes Vermögen ab. Hierbei wird Kant unterstellt, die Untersuchung dieser Reflexionstypen im Rahmen einer Kritik sei eine bloße Äußerlichkeit, die von der Sache her nicht begründet ist, und die Bedeutung jeweils eines Teils dieser Kritik sei unabhängig von dem anderen darstellbar.10 In diesem Sinne interpretieren Rudolf Odebrecht11 die Kritik der ästhetischen Reflexion und Alfred Stadler12 die Kritik der teleologischen Reflexion auf der Grundlage des

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10

11 12

ebd. 385/312 Zweite Fassung der Einleitung 193/L Vergl. hierzu die erste Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft 221 /26-27. Die erste Fassung der Einleitung wird zitiert nach Bd.XX der Text-Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften (221) mit dem Hinweis auf die Originalpaginierung (26-27). Lediglich Kants Äußerung, wonach sich "die Möglichkeit eines teleologischen Urtheils über die Natur [...] leicht zeigen (läßt), ohne ihm ein besonderes Princip der Urtheilskraft zum Grunde legen zu dürfen, denn diese folgt bloß dem Princip der Vernunft", demgegenüber "die Möglichkeit eines ästhetischen und doch auf einem Princip a priori gegründeten Urtheils der bloßen Reflexion [...] einer Kritik der Urtheilskraft als eines Vermögens eigenthümlicher transscendentaler Principien [...] durchaus bedarf [...]" (Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, 243-244/57), scheint dieses Vorgehen zu rechtfertigen. Rudolf Odebrecht, "Form und Geist" (Berlin 1930) Alfred Stadler, "Kants Teleologie und ihre erkenntnistheoretische Bedeutung" (Berlin 1912)

Einleitung

3

Gedankens einer "Inhomogenität der beiden Teile"13 bzw. unter dem Aspekt, daß Kant "keineswegs gedacht hat, in der teleologischen Urteilskraft ein neues, von der Kritik der reinen Vernunft noch unerkanntes Vermögen aufzustellen".14 Hierzu wird das Argument angeführt, daß Kant in der Dialektik der ersten Kritik bereits die Bedingung für die Erkenntnismöglichkeit des Besonderen in der Anschauung exponiert hat bzw. daß "die Hypothese der reflektierenden Urteilskraft identisch ist mit der dritten transcendentalen Idee"15: dem I d e a l d e r reinen Vernunft. Wir werden im ersten Teil unserer Interpretation den Ursprung und die Struktur dieser Vernunftidee untersuchen und nachweisen, daß dieses Argument nicht haltbar ist. Eine Identifikation der teleologischen Reflexion mit dem hypothetischen Vernunftgebrauch verdeckt nämlich das zentrale Anliegen Kants einer Kritik des sich selbst, sowohl in der ästhetischen als auch in der teleologischen Reflexion, prinzipiierenden dritten Grundvermögens des Subjektes. Unsere Kritik dieses Argumentes wendet sich damit auch gegen neuere Untersuchungen, die (vornehmlich im Anschluß an die Arbeit von Stadler) die Kritik der teleologischen Urteilskraft nur als eine Fortbestimmung der regulativen Funktion der Vernunft unter dem Namen der "reflektierenden Urteilskraft" verstehen (z.B. K.Kuypers, G.Lehmann, A.Model).16 Demgegenüber steht unsere Untersuchung jenen Interpretationen nahe, die dem systematischen Anliegen Kants folgen, wonach die dritte Kritik ihre Bedeutung in Hinblick auf die Einheit des Systems der Transzendentalphilosophie haben soll, nämlich als die Untersuchung eines Vermögens, welches von seiner Struktur her nicht nur als ein mittleres Prinzip zwischen dem des Verstand und der Vernunft verstanden werden darf,17 sondern dem vielmehr ein vermittelnder Charakter zwischen dem Erkenntnisvermögen und dem Begehrungsvermögen zukommt, weil es die Verknüpfung der Gesetze der Natur (Naturphilosophie) mit dem

13 14 15 16

17

Odebrecht, "Form und Geist", S.ll Stadler, "Kants Teleologie", S.29 ebd., S.36 K.Kuypers, "Kants Kunsttheorie und die Einheit der Kritik der Urteilskraft" (Amsterdam/London 1972); G.Lehmann, "Hypothetischer Vernunftgebrauch und Gesetzmäßigkeit des Besonderen in Kants Philosophie", in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (Göttingen 1971); A.Model, "Metaphysik und reflektierende Urteilskraft bei Kant" (Frankfurt 1987) Vergl. die erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, 245/59: "Es findet sich, daß Verstand eigentümliche Principien a priori für das Erkenntnißvermögen, Urtheilskraft nur für das Gefühl der Lust und Unlust, Vernunft aber blos fürs Begehrungsvermögen enthalte."

4

Einleitung

Gesetz der Freiheit (Moralphilosophie)18 leistet. Die Arbeiten dieser Autoren unterscheiden sich von denen der oben genannten nicht bloß in ihrer Absicht, über eine Interpretation der beiden Teile der Kritik hinaus auch den systematischen Ort der Kritik der Urteilskraft darstellen zu wollen; die Differenz besteht vielmehr in der Grundauffassung, daß die dritte Kritik nicht aus zwei inhomogenen Teilen besteht, sondern daß diese eine Einheit bilden, von der her allererst die Bedeutung der Kritik der Urteilskraft verständlich wird. Dieser Gedanke bildet die Grundlage für Untersuchungen, welche die systemverknüpfende Eigenschaft des Reflexionsvermögens herauszuarbeiten versuchen, wie sie z.B. von Wolfgang Bartuschat19 und Max Horkheimer20 vorgelegt wurden.21 Gegen diese Autoren grenzen wir uns somit nicht in der Grundposition des Einheitsgedankens der dritten Kritik ab, sondern in Hinblick auf das Ziel unserer Interpretation, welches das einer Darstellung der von Kant geleisteten kritischen Grundlegung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft in Rücksicht auf das epistemologische Problem einer Erkenntnismöglichkeit des Zufälligen ist bzw. die das Verhältnis des Allgemeinen und des Besonderen als Besonderen untersucht; dies ist das zentrale Problem in der Durchführung der Kritik der Urteilskraft, und in Hinblick auf eine Lösung dieses Problems wird das Werk von uns in seiner inneren Einheit

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19 20

21

Vergl. erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, 202/7: "Wenn nun aber der Verstand a priori Gesetze der Natur, dagegen Vernunft Gesetze der Freyheit an die Hand giebt, so ist doch nach der Analogie zu erwarten: daß die Urtheilskraft, w e l c h e beider V e r m ö g e n i h r e n Z u s a m m e n h a n g v e r m i t t e l t , auch ebensowohl wie jene ihre eigentümliche Prinzipien a priori dazu hergeben und vielleicht zu einem besonderen Theüe der Philosophie den Grund legen werde, [...]." (Hervorhebung JP) Wolfgang Bartuschat, "Zum systematischen Ort der Kritik der Urteilskraft" (Frankfurt 1972) Max Horkheimer, "Über Kants Kritik der Urteilskraft als Bindeglied zwischen theoretischer und praktischer Philosophie" (Frankfurt 1925) Die Arbeit von Alfred Baeumler, "Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre Geschichte und Systematik." I.Band (Halle 1923) nimmt in der Kantforschung im Hinblick auf den Einheitsgedanken eine Sonderstellung ein. Baeumler betont, daß "die Probleme des Schönen und des Organischen, welche die dritte Kritik [...] behandelt, [...] nur Spezialfälle eines letzten umfassenden Gegenstandes (sind)", welcher "die Gegenstände der ästhetischen und teleologischen Urteilskraft unter sich vereinigt"; diese Einheit gründet jedoch, so Baeumler, in dem Oberbegriff der I n d i v i d u a l i t ä t als einem "neuen Methodenbegriff der Kritik der Urteilskraft," der letzten Endes auf die G e s c h i c h t e geht, so daß die systemverbindende Bestimmung der Urteilskraft nur als "Schrulle [...] eines um den Abschluß (der kritischen Philosophie/JP) besorgten Systematikers" ausgelegt wird (vergl. Baeumlers Untersuchimg S.15). Da dieser Einheitsgedanke nicht in einer Interpretation der dritten Kritik seine textbezogene Ausführung findet (ein 2.Band zur Kritik der Urteilskraft wurde von Beaumler bekanntlich nicht vorgelegt), werden wir von einer Auseinandersetzung mit diesem Ansatz absehen.

Einleitung

5

interpretiert werden,·22 sie stellt einen Tatbestand dar, der nicht erst aus einer Sicht der systemverknüpfenden Eigenschaft der Urteilskraft hervortritt, sondern von dem her vielmehr die Struktur und die transzendentale Funktion der Urteilskraft als eines autonomen, sich selbst das Gesetz gebenden Vermögens verständlich gemacht werden muß. Demgemäß sehen wir in unserer Untersuchung von einer Interpretation des Anhanges sowie jener Textstellen ab, die auf die Bedeutung für die praktische Philosophie hinweisen.23 Dennoch stellt in Hinblick auf die Analyse der Struktur und der Funktion des Urteilprinzips die Untersuchung der systemverknüpfenden Rolle, wie sie von Bartuschat vorgelegt wurde, einen für uns fruchtbaren Ansatz dar, weil sie den systematischen Ort der dritten Kritik über die Vermittlungsfunktion der Urteilskraft in Ansehung der heterogenen Erkenntnisvermögen zu bestimmen versucht, denn diese Interpretationsgrundlage rückt das Reflexionsvermögen in einen Sachzusammenhang, von dem her nach dem Selbstverständnis Kants das Problem der dritten Kritik entwickelt werden muß. Wir werden uns auf die Arbeit von Bartuschat deshalb inbesondere dann beziehen, wenn es gilt, das Verhältnis von Vernunft und dem heautonomen Reflexionsvermögen darzustellen. Auf Arbeiten, die weitgehend unabhängig von der Frage nach der inneren Einheit der Kritik der Urteilskraft diese Schrift in Rücksicht auf spezifische Probleme interpretieren, werden wir am Rande unserer Interpretation Bezug nehmen. Dies betrifft sowohl die von Konrad Marc-Wogau vorgelegten "Vier Studien" zur dritten Kritik, die von Klaus Düsing untersuchte "Teleologie in Kants Weltbegriff", Jens Kulenskampffs n

23

Vergl. hierzu Ernst Cassirer, "Das ErkenntnisproblemBd. III, Nachdruck der 2. Auflage von 1923 (Darmstadt 1974): "Für die Kritik (der reinen Vernunft/JP) [...] ist der 'Gegenstand' in das System der Erfahrung und somit die Möglichkeit des Denkens des Gegenstandes in das Denken einer 'möglichen Erfahrung" übergegangen. D i e s e s Denken aber wird durch die Beziehung auf die 'Anschauung' geradezu erst definiert: denn nur in dieser Beziehimg erhält es seinen objektiven 'Sinn' und eine wahrhafte B e s t i m m t h e i t . Nirgends anders als am Besonderen und in der Verknüpfung des Besonderen ist, wie sich jetzt zeigt, die Funktion des 'Allgemeinen' darstellbar. [...] Der Fortschritt, den die 'Kritik der Urteilskraft' in der Auffassung des Zusammenhanges des 'Allgemeinen' und 'Besonderen' bedeutet, [...] tritt vor allem an e i n e m entscheidenden Punkt hervor. In der ersten Fassung der Frage fällt die Allgemeinheit im wesentlichen mit der Verstandesregel, die Besonderheit mit dem Datum der sinnlichen Anschauung zusammen. Die Kritik der Urteilskraft hebt demgegenüber das Problem sogleich auf einen höheren Standpunkt, indem sie nach dem Grund und dem transzendentalen Recht d e r B e s o n d e r u n g d e r V e r s t a n d e s g e s e t z e selbst fragt." Mit dem Begriff "heterogene Prinzipien " verbinden wir in unserer Untersuchung somit nicht die heterogene Gesetzlichkeit von theoretischer und praktischer Philosophie, sondern, wenn nicht anders vermerkt, die Erkenntnisprinzipien von Verstand und Anschauung, welche Kant als "zwei ganz heterogene Stücke" bestimmt (vergl Kritik der Urteilskraft § 76, 401/340).

6

Einleitung

Arbeit zu "Kants Logik des ästhetischen Urteils", als auch die in letzter Zeit erschienenen Untersuchungen (z.B. H.Karja, R.H.Wettstein, A.Model).24 Gegen Autoren, die die dritte Kritik von einem empirisch-psychologischen oder pragmatischen Ansatz her zu verstehen versuchen, vornehmlich die der anglo-amerikanischen Kantforschung (z.B. J.D.McFarland, T.H.Uehling, P.Guyer),25 werden wir uns am Beispiel von Teilproblemen im Zuge der Interpretation der dritten Kritik abgrenzen. Unberücksichtigt bleibt in unserer Untersuchung die Beziehung der Kritik der Urteilskraft auf Kants Schriften nach 1790.26 Die Reflexion zur Metaphysik 5552, 5553 und 5555 aus dem Nachlaß werden wir jedoch in die Interpretation des Ideals der reinen Vernunft einbeziehen.27 Für eine Darstellung dieses Abschnittes der Ideenlehre sind diese Reflexionen von Interesse, weil hier die dritte Idee der Vernunft als der "Begriff eines Verstandes überhaupt" charakterisiert wird; also als ein Begriff, auf den auch die Kritik der Urteilskraft leitet, der dort jedoch in seiner Struktur und Funktion völlig anders bestimmt wird als zur Zeit des Entwurfes und der Fertigstellung der Kritik der reinen Vernunft: denn in den Jahren bis 1781

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27

K.Marc-Wogau, "Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft" (Uppsala 1938); K.Düsing, "Die Teleologie in Kants Weltbegriff" (Bonn 1968); J.Kulenkampff, "Kants Logik des ästhetischen Urteils" (Frankfurt 1978); R.H.Wettstein, "Kants Prinzip der Urteilskraft" (Königstein 1981); H.Karja, "Heuristische Elemente der Kritik der Urteilskraft" (Heidelberg 1975); A.Model, "Metaphysik und reflektierende Urteilskraft bei Kant" (Frankfurt 1987). Auf das von Model dargestellte Verhältnis der Leibnizschen Monadenlehre zur dritten Kritik, sowie auf die Bedeutung der Theorie des Reflexionsvermögen für medizinische Probleme können wir selbstverständlich nicht eingehen. J.D.McFarland, "Kant's Concept of Teleology" (Edinburgh 1970) T.E.Uehling, "The Notion of Form in Kant's Critique of Aesthetic Judgment" (The Hague/Paris 1971); P.Guyer, "Kant and the Claims of Taste" (Cambridge/Massachusetts/London 1979) Wir verweisen hierzu auf die Arbeit von G.Lehmann, "Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants" (Berlin 1969). Diese Reflexionen eignen sich zur Ergänzung einer Interpretation des in der ersten Kritik von Kant vorgelegten Entwurfes, weil sie zur Zeit der Entstehung der Kritik der reinen Vernunft verfaßt wurden: Reflexion 5552, LBL. Duisburg 9, vermutliche Entstehung 1779 - 1. Hälfte des Jahres 1780; Reflexion 5553, LBL. Reicke Xb 1., um 1780; Reflexion 5555, Bemerkungen Kants auf der Rückseite des undatierten Briefes von Glave, um 1780. Wir legen hierbei die Datierung von E. Adickes zugrunde, wonach diese Reflexionen ingesamt in die Zeit kurz vor oder während der Fertigstellung des Manuskriptes zur Kritik der reinen Vernunft entstanden sind (vergl. hierzu auch Adickes Fußnote in "Kant's handschriftlicher Nachlaß", Bd. V, "Reflexionen zur Metaphysik", herausg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin/Leipzig 1928, Seite 218). Eine Einarbeitung dieser Reflexionen läßt zugleich ausdrücklich werden, wie Kant die Struktur des Ideals aus einer Orientierung an dem objektivierenden Vermögen des Verstandes heraus entwickelt (vergl. Reflexion 5553) und wie diese Idee in ihrer regulativen Funktion als ein Prinzip der systematischen Einheit in der Erfahrungserkenntnis bestimmt wird (vergl. Reflexion 5555).

Einleitung

7

entwirft Kant die Idee eines Verstandes überhaupt in Verbindung mit einem Inbegriff "der Gegenstände d e s D e n k e n s überhaupt 28 (Hervorhebung JP)",* demgegenüber bezieht Kant am Ende seiner Untersuchung des Urteilsvermögens im Frühjahr des Jahres 179029 den Begriff eines Verstandes überhaupt auf die Bedingung für E r k e n n t n i s ü b e r h a u p t.30 Dies ist ein Hinweis darauf, daß das im Verlauf der von Kant fortgeführten Auseinandersetzung mit dem Problem einer Erkenntnismöglichkeit des Besonderen neu entdeckte Prinzip der Urteilskraft aus sachlichen Erwägungen eine solche Korrektur notwendig werden ließ.31 Die unterschiedlichen Entwürfe des Begriffs eines Verstandes überhaupt bilden somit einen vom kantischen Text vorgegebenen Rahmen für eine Untersuchung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft. Unsere Untersuchung orientiert sich an diesem vorgegebenen Rahmen. Sie hat deshalb den folgenden Aufbau: Erster Teil

Den Ausgangspunkt bildet Kants Konzeption einer Erkenntnismöglichkeit des empirisch Besonderen auf der Grundlage des ersten Entwurfes des Begriffs eines Verstandes überhaupt, d.h. der regulativen Idee einer absoluten "Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens überhaupt"32 Eine solche Konzeption wird von Kant in die Ideenlehre mit dem transzendentalen I d e a l der reinen Vernunft als Prinzip der s y s t e m a t i s c h e n Einheit der Erfahrungserkenntnis eingeführt. Wir werden die Struktur dieses Regulativs untersuchen und zeigen, wie dieser Entwurf aufgrund einer Orientierung an dem in dem analytischen Teil der ersten Kritik vorgestellten objektivierenden Vermögen des Verstandes in eine unauflösbare Schwierigkeit der von Kant für ihn beanspruchten Funktionalität für die Erfahrungserkenntnis gerät.

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Vergl. hierzu die Reflexion 5553 mit 257-258/B 391 in der Kritik der reinen Vernunft. Wir zitieren die Kritik der reinen Vernunft nach BcLIII der Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften mit Hinweis auf die Originalpaginierung: Akademie-Ausgabe 257/Qriginalpaginierung der 2.Auflage der KrV Β 391. Wir beziehen uns hierbei auf das Erscheinungsdatum der 1 Auflage der Kritik der Urteilskraft bei Lagarde und Friedrich (Berlin und Libau 1790). Vergl. Kritik der Urteilskraft 405-406/345 und 347 Vergl. Kants Brief an Reinhold vom 28.Dez.1787 (Nr.292), Ak.-Text Bd.X, "Kant's Briefwechsel" Bd.I (1747-1788), Seite 487-489 Kritik der reinen Vernunft 258/B 391

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Einleitung

Diese Schwierigkeit findet ihren Ausdruck darin, daß es Kant nicht gelingt, die objektive Gültigkeit dieses Regulativs zu deduzieren bzw. die Rechtmäßigkeit des empirischen Gebrauchs der Idee einer systematischen Einheit zu begründen, weil die Vernunft in ihrem Ideal "mit nichts als sich selbst beschäftigt" ist,33 und Kant somit das Problem einer Bestimmungsmöglichkeit der Natur in ihren empirischen Gesetzen als System verfehlt. Das Problem dieses Entwurfes besteht nämlich in Ansehung der von Kant im § 76 der dritten Kritik hervorgehobenen Natur der Erkenntnisvermögen des Subjektes (der Heterogenität von Anschauung und Denken)34 darin, daß der Vernunftbegriff ein Regulativ für die Erfahrungserkenntnis darstellen soll, obgleich er nicht in Hinblick auf eine Vermittlung von Denken und Anschauung fungiert. Er bezieht sich lediglich auf den Verstand, also auf die Einheit des Denkens, nicht aber auf die Einheit der heterogenea Verstand und Anschauung. So verstanden ist das Ideal der reinen Vernunft als ein Prinzip der systematischen Einheit ein problematischer Vorgriff auf die mögliche Struktur desjenigen, das es zu erkennen gilt: es ist kein regulatives Prinzip für den Erkenntnisproze/?, sondern vielmehr eine Struktur für Systematik in der empirischen Naturerfahrung, welche erst dann zur Geltung gebracht werden kann, wenn bereits eine Erkenntnis des Besonderen durch eine geleistete Vermittlung der Erkenntniskräfte vorliegt. Freilich wäre damit die Frage des rechtmäßigen Gebrauchs dieses Regulativs noch nicht beantwortet, denn diese stellt sich als das Problem einer möglichen Adäquatheit der idealen systematischen Einheit zur empirischen Natur.

Zweiter Teil Unsere Interpretation der ersten Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft wird zeigen, wie Kant dieses Problem zunächst bei Aufrechterhaltung der Konzeption der ersten Kritik zu lösen versucht. Die hierfür als Ergänzung der Lehre vom Gebrauch der Vernunftprinzipien eingeführte Idee ist die der Voraussetzung einer Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft. Durch diese Idee soll nunmehr verständlich werden, wie die Natur "auch nach e m p i r i s c h e n Gesetzen ein für das menschliche Erkenntnißvermögen f a ß l i c h e s System sey".35 Wir werden jedoch nachweisen, daß dieses Anliegen scheitert, weil Kant die

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Kritik der reinen Vernunft 4 4 8 / B 708 Vergl. Kritik der Urteilskraft 401/340 Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft 209/13

Einleitung

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Möglichkeit einer teleologischen Reflexion (im Unterschied zur ästhetischen) von eben jenem Vernunftbegriff her begründet, dessen Tauglichkeit als Regulativ für die empirischen Erfahrung bislang unbewiesen ist. Hieraus wird deutlich, daß das Problem einer systematischen Einheit der Natur in ihren empirischen Gesetzen nur dadurch gelöst werden kann, daß die Urteilskraft als ein Vermögen verstanden wird, welches die Voraussetzung einer Zweckmäßigkeit der Natur auf der Grundlage eines transzendentalen Prinzips formuliert, in dem die Urteilskraft überhaupt (als ästhetische und teleologische) sich selbst das Gesetz ihres Fungierens gibt. Einem solchen Konzept entsprechen die Ausführungen Kants in der zweiten Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Diese Einleitung muß deshalb als die Einführung in eine Untersuchung verstanden werden, welche die Ideenlehre nicht bloß ergänzt, sondern die diese vielmehr auf der Grundlage der Struktur des Reflexionsvermögens wesentlich korrigiert. Die Erkenntnismöglichkeit des Besonderen in der Natur (die Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft) wird hier nämlich nicht mehr durch die Idee einer systematischen Einheit der Vernunft begründet, sondern von dem heautonomen Prinzip der Urteilskraft her, welche auf dieser Grundlage nunmehr erst auf die Möglichkeit eines transzendentalen Gebrauches der Vernunft reflektiert und demnach die Idee eines Systems durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit erkenntniskritisch neu fundiert. Diesen Neuansatz Kants werden wir durch eine Untersuchung d e s V e r h ä l t n i s s e s d e r I d e e einer systematischen Einheit zum Prinzip der Z w e c k m ä ß i g k e i t herausarbeiten. Dritter Teil Kants erster Schritt bei der Bestimmung des Prinzips der Zweckmäßigkeit besteht in der Freilegung seiner Struktur. Der hierzu von Kant analysierte Gegenstand ist das Geschmacksurteil. Im Zuge dieser Analyse soll gezeigt werden, daß das Prinzip des Geschmacks das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt ist,36 und daß die Urteilskraft sich bezogen auf die Bedingung für Erkenntnis überhaupt als ein sich selbst das Gesetz gebendes Vermögen auszeichnet. Diese nachgewiesene Autonomie der Urteilskraft soll eine kritische Distanz zu dem von der Vernunft erhobenen Anspruch auf eine Objektivität und Allgemeingültigkeit ihrer Prinzipien in

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Vergl. § 35 der Deduktion des Geschmacksurteils, Kritik der Urteilskraft 286/145

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Einleitung

Ansehung der Erkennbarkeit von Gegenständen begründen.37 Deshalb vollzieht Kant die Analyse der Urteilskraft auf der Grundlage der Kritik·, diese bestimmt die innere Einheit des Werkes: denn im Rahmen dieser Untersuchung ist die Kritik des Geschmacks bzw. des ästhetischen Urteils "W i s s e n s c h a f t , wenn sie die Möglichkeit einer solchen Beurtheilung von der Natur dieser Vermögen, als E r k e n n t n i ß v e r m ö g e n ü b e r h a u p t (Hervorhebung JP), ableitet" bzw. auf der Grundlage der Vermittelbarkeit der heterogenen Erkenntniskräfte Anschauung und Verstand. Und mit dieser "als transscendentalen Kritik haben wir es hier überall allein zu thun. Sie soll das subjective Princip des Geschmacks, als ein Princip a priori der Urtheilskraft, entwickeln und rechtfertigen".38 Deshalb ist die "kritische Untersuchung eines Principe der Urtheilskraft" in dem ästhetischen Urteil "das wichtigste Stück einer Kritik dieses Vermögens".39 Wir werden zeigen, wie Kant eine solche Untersuchung im ersten Teil der Kritik der Urteilskraft in Absicht einer F u n d i e r u n g des Prinzips der Ζweckmäßigkeit in der K r i t i k d e r ä s t h e t i s c h e n U r t e i l s k r a f t durchführt. Vierter Teil Dieser Fundierung schließt sich die Erörterung des e m p i r i s c h e n Gebrauchs des formalen Prinzips der Urt e i l s k r a f t an. In der Kritik der teleologischen Urteilskraft untersucht Kant die Erkenntnismöglichkeit des Zufälligen bzw. des durch das Allgemeine unseres (menschlichen) Verstandes nicht bestimmten Besonderen,40 wobei dem Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit eine entscheidende Funktion zufällt. Das Problem, ob die Natur der Idee einer zur Erkenntnis notwendigen systematischen Einheit gemäß ist bzw. ob sie als zweckmäßig zum Bedürfnis des Verstandes begriffen werden darf, wird nämlich gewendet in die Frage, ob das Verhältnis der zur Erkenntnis des Besonderen subjektiv notwendigen Vernunftprinzipien und der objektiven Gesetzgebung des Verstandes auf der Grundlage der Bedingung für Erkenntnis überhaupt als ein zweckmäßiges verstanden werden kann. Hierbei läßt sich Kant von dem Gedanken leiten, daß eine Verknüpfung von Anschauung und Verstand Erkenntnis überhaupt begründet. Deshalb

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Vergl. Die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft § 57, Kritik der Urteilskraft 338/234ff Kritik der Urteilskraft 286/144 Vorrede zur Kritik der Urteilskraft 169/VIII Vergl. Kritik der Urteilskraft 405-406/346-347

Einleitung

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wird nunmehr in einer neuen Konzeption des Begriffs eines Verstandes überhaupt berücksichtigt, daß "zum Erkenntniß auch Anschauung gehört".41 Erst dieser Entwurf bildet, wie wir zeigen werden, eine erkenntniskritische Grundlage für die Voraussetzung einer Zweckmäßigkeit der Natur. Durch diese Idee der Urteilskraft wird nicht die Natur an sich ins Verhältnis zu einem subjektiv notwendigen Vernunftprinzip gesetzt, sondern die Idee fungiert als ein Maßstab, an dem die Möglichkeit eines Gebrauchs der Vernunftprinzipien für die Erfahrungserkenntnis geprüft und gerechtfertigt werden kann. Die Untersuchung dieses für die Erfahrungserkenntnis notwendigen Regulativs bildet den Abschluß unserer Untersuchung der Struktur und der Funktion des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft.

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Kritik der Urteilskraft 406/347

Quellenverweise und Abkürzungen A. Quellenverweise Die Quellen werden von uns einheitlich nach der Textausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften zitiert. Zugleich verweisen wir in den Zitaten aus den Werken Kants auf die Originalpaginierung des Textes. Die erste Seitenangabe bezieht sich auf die Akademie-Textausgabe: z.B. (345/...), die zweite auf die Originalpaginierung: (.../246). Die Angaben der Originalpaginierung der "Kritik der reinen Vernunft" erfolgen entsprechend der in der Kantforschung geläufigen Bezeichnung: z.B. "A 276" für ein Zitat aus der ersten Originalausgabe der KrV von 1781 bzw. "B 276" für ein Zitat aus der zweiten Originalausgabe von 1787. Die Verweise auf die Originalpaginierung der "Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft" sind auf die Abschrift des Originals der Rostocker Universitätsbibliothek bezogen. Die Verweise auf die Originalpaginierung der "Zweiten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft" und der "Kritik der Urteilskraft" beziehen sich auf die Originalausgabe der Kritik der Urteilskraft von 1790. Die Verweise auf die Originalpaginierung der "Kritik der praktischen Vernunft" beziehen sich auf die Originalausgabe von 1787. Die Angaben der Originalpaginierung aus anderen Schriften Kants sind auf die folgenden Originaltexte bezogen: "Metaphysische Anfangsgründe", l.Auflage von 1786; zitiert als A "Fortschritte", Originalauflage von 1804; zitiert als A "Prolegomena", Originalauflage von 1783; zitiert als A "Jäsche Logik", Originalauflage von 1800; zitiert als A Β. Abkürzungen KdV KpV KdU

Kritik der reinen Vernunft Kritik der praktischen Vernunft Kritik der Urteilskraft

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Quellenverweise und Abkürzungen

MAdN Prol 1.Einl 2.Einl Reil RefLz.Anthr

Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft Zweite Einleitung in die Kritik der Urteilskraft Reflexionen zur Metaphysik Reflexionen zur Anthropologie

Erster Teil Das Ideal der reinen Vernunft als Prinzip der systematischen Einheit der Erfahrungserkenntnis

"Darin besteht eben das Geschäfte der Vernunft, dem Gebrauche des Verstandes in der größten Manigfaltigkeit unbedingte Einheit zu verschaffen. Derienige Begrif der Vernunft, welcher die größte besondere Einhät mit dieser allgeneinen Verbindet, stimmt mit der möglichen Erfahrung und ist so fern eine richtige Regel." 5553. Reflexion zur Metaphysik (um 1780)

Erstes Kapitel Erörterung des Ideals I. Die metaphysische Deduktion des Ideals der reinen Vernunft Die Analytik der Kritik der reinen Vernunft ist die Grundlegung einer formalen Ontologie im Sinne einer metaphysica generalis. Ihr Ergebnis ist der Nachweis einer Spontaneität des Verstandes, dessen Begriffe, als Strukturen formativen Gegenstandsdenkens, objektive Gültigkeit in bezug auf die Erscheinungen haben. Diese Gültigkeit bedeutet aber zugleich die Einschränkung des apodiktischen Wissensbegriffes auf die Sphäre der Anschauung. Wenn die Analytik den Begriff des apodiktischen Wissens schon in dieser Weise restringiert hat (vergl. 135/B 179), dann gibt die Dialektik der ersten Kritik im Nachweis einer Scheinhaftigkeit des Wissens vom Übersinnlichen (Ideen einer Totalität, denen keine Anschauung korrespondieren kann) in apriorischen Begriffen der Vernunft sachlich kein neues Argument. Sie wäre so verstanden lediglich eine Demonstration des Ergebnisses der Analytik an dem jeweilig durch die Tradition in die Philosophie eingebrachten Begriff zu einer metaphysica specialis. Nach Kants Selbstverständnis soll die Dialektik aber positiv in Hinblick auf einen Wissensanspruch des Verstandes verstanden werden. Deshalb ist die Ideenlehre als Exposition synthetischer Sätze a priori ein immanentes Problem der ersten Kritik, weil Vernunftbegriffe eine notwendige Funktion für Erkenntnis haben sollen: "Ob wir nun gleich von den transscendentalen Vernunftbegriffen sagen müssen: s i e s i n d n u r I d e e n , so werden wir sie doch keinesweges für überflüssig und nichtig anzusehen haben. Denn wenn schon dadurch kein Object bestimmt werden kann, so können sie doch im Grunde und unbemerkt dem Verstände zum Kanon seines ausgebreiteten und einhelligen Gebrauchs dienen, dadurch er zwar keinen Gegenstand mehr erkennt, als er nach seinen Begriffen erkennen würde, aber doch in dieser Erkenntnis besser und weiter geleitet wird." (255/B 385)

Die Vernunftbegriffe sind demnach funktionell auf die Endlichkeit des Verstandes hin konzipiert; über die Ideen soll sich die Vernunft auf das Angewiesensein des Verstandes auf Anschauung beziehen, so daß ihren Begriffen eine positive Bedeutung für den Erkenntnisprozeß zukommt. Vernunftbegriffe sollen den Verstand nämlich in bezug auf ein solches leiten, welches

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Erörterung des Ideals

er aus eigenem Vermögen unbestimmt lassen muß, denn "der Verstand schreibt der Natur das Gesetz vor; aber kein weiter reichendes als die Form der Erscheinungen, welche die Möglichkeit der Erfahrung überhaupt begründet" (Refl. 5552).1 Gegenüber der Endlichkeit des Verstandes enthalten Vernunftbegriffe das Unbedingte. Ideen betreffen darin etwas, "worunter", wie Kant betont, "alle Erfahrung gehört", was aber nicht in der Erfahrung (als ein dem Begriffe kongruierender Gegenstand) angetroffen werden kann (244/B 367), denn die Synthesis durch Vernunftbegriffe macht kein "Glied der empirischen Synthesis" aus (245/B 368). Ideen weisen lediglich auf etwas hin, wonach die Vernunft den "Grad ihres empirischen Gebrauchs schätzt und abmißt" (244/B 367). In dieser Funktion wird den Vernunftbegriffen von Kant eine objective Gültigkeit zuerkannt, weil sie, als conceptus ratiocinati, richtig geschlossene Begriffe sind (vergl. 245/B 368), welche den Verstand in der empirischen Erfahrungserkenntnis " m i t s i c h s e l b s t d u r c h g e h e n d e i n s t i m m i g " machen (252/B 380/Hervorhebung JP). Diese Einheit ist dem Verstand notwendig, denn "[...] ohne den Vernunftbegrif würden wir zwar Erfahrungen haben, aber die collective Einheit der Erfahrung würde fehlen, als worin doch alle [...] empirische Erkentnis muß bestimmbar seyn." (Refl. 5555)

Ideen prinzipiieren den Verstand demnach in einer Bestimmung von Einheit, als die er sich selbst vorgegeben ist, und in dieser Funktion soll ihr Gebrauch objektiv sein; also in Hinblick auf die Möglichkeit einer Bestimmung des Gegenstandes durch den Verstand und nicht als eine Gegenstandsbestimmung direkt durch die Vernunft, denn dies wäre ein transzendenter Gebrauch. Die Ideen sind also, obwohl sie nicht konstitutiv für Gegenständlichkeit sind, dennoch in spezifischer Weise bestimmend für den Verstand in seinem Bezug auf anschaulich Gegebenes, nämlich als eine

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Die transzendentale Analytik konnte zeigen, wie die bloße logische Form der Erkenntnis den Ursprung von reinen Begriffen a priori enthalten kann, durch die allein empirische Erkenntnis möglich ist: Im Medium spontan-synthetischer Einheitsstiftung reiner Begriffe ist jeder Gegenstand einer Erkenntnis konstituiert. Damit ist die Bedingung geschaffen, daß das Denken sich als auf etwas von sich Verschiedenes genuin bezogen begreifen kann; "denn dieser muß die Natur als Gegenstand der empirischen Erkenntnis gemäs seyn, weil sie sonst für tons nicht Natur wäre, indem es unmöglich wäre, in ihr einen Zusammenhang zu finden, der unserm Vermögen, das Manigfaltige der Erscheinungen in ein Zusammenhangendes Bewustseyn zu bringen, gemäs wäre, sie mithin nicht erkennbar wäre." (Refl. 5552) Die Spontaneität des Verstandes garantiert damit, daß die Subjektivität nicht in die disparate Vielheit ihrer Empfindungen zerfällt, sondern aufgrund der Funktionalität des Denkens sich an den Eindrücken als Prinzip von Einheit zur Geltung bringen kann: "Wir können a priori von Gegenständen der Erfahrung synthetisches Erkentnis haben, nämlich wenn sie [...] principien der Möglichkeit der E r f a h r u n g ü b e r h a u p t enthalten." (Refl. 5552/Hervorhebung JP).

Metaphysische Deduktion des Ideals

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Instanz, welche dazu dient, "den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen" (237/B 355), d.i. "das Besondre im Allgemeinen durch Begriffe" zu erkennen (238/B 357). Ihrem Ursprung nach sind Ideen Produkte eines auf Notionen gerichteten Schlusses (vergl. 250/B 377). Ihre Herleitung kann nach einem Verfahren geleistet werden, welches Kant in der Analytik als m e t a p h y s i s c h e D e d u k t i o n bezeichnete. Diese Deduktion war die Ermittlung des kategorialen Status der Verstandesbegriffe (vergl. 90-100/Β 102-117). Sie bestand in der Zurückführung der Urteilsfunktionen auf Begriffe, durch welche der Verstand die Anschauung a priori synthetisiert. Analog diesem Verfahren führt "die Form der Vernunftschlüsse, wenn man sie auf die synthetische Einheit der Anschauungen nach Maßgebung der Kategorien anwendet", auf Begriffe, die als reine Vernunftbegriffe den Verstand "im Ganzen der gesammten Erfahrung nach Principien bestimmen werden" (250/B 378). Kant deduziert die Vernunftbegriffe in folgender Weise: Aus den drei spezifischen Formen kategorialer Synthesis, die Verhältnisse betreffen (Kategorien der Relation), leiten drei Arten von Vernunftschlüssen auf die Idee: 1. Eines Unbedingten der kategorischen Synthesis in einem S u b j e k t , 2. eines Unbedingten der hypothetischen Synthesis in den Gliedern einer R e i h e und 3. eines Unbedingten der disjunktiven Synthesis der Teile zu einem S y s t e m (vergl. 251 u. 88/B 379 u. Β 98).2 Als Repräsentanten des Allgemeinen aller Beziehungen (vergl. 257/B 390) betreffen sie: Das Verhältnis der Vorstellungen 1. zum Subjekt, 2. zum Mannigfaltigen des Objektes in der Erscheinung 3. zu allen Dingen überhaupt (vergl. 258/B 391). Produkt dieser Vernunftschlüsse sind deshalb die Ideen von einer Einheit 1. des denkenden Subjektes, 2. der Reihe der Bedingungen und 3. der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt (vergl. 258/B 391). Am Leitfaden der Systematik der Kategorientafel hat das zweite Buch der transzendentalen Dialektik demgemäß folgenden Aufbau: Es gibt drei Ideen "nach drey Arten der Vernunftschlüsse; der dialektischen Schlüsse sind 4 nach den 4 Categorien" (Refl. 5553/vergl.

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Daß auch den beiden ersten Ideen ein Moment von Systematik, als Inventar einer auf Erkenntnis gerichteten Subjektivität zukommt, bedeutet nicht, daß der Begriff des Systematischen in ihnen ursprünglich angelegt oder gar aus ihnen deduzierbar wäre. Vielmehr verstehen sie sich in ihrem Bezug auf eine Systematik von einen Idee des systematischen Zusammenhanges her, die dem Ideal zugesprochen ist und sich von diesem Begriff her erklären läßt. Kant läßt in dieser Textstelle keinen Zweifel daran, daß erst mit der Deduktion aus der Kategorie disjunktiver Synthesis, die auf das Ideal führt, der Ursprung des systematischen Denkens explizierbar ist. Denn dieser Begriff enthält erst eine Relation vom Ganzen und seinen Teüen.

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Erörterung des Ideals

auch für den Paralogismus 264/B 402, für die Kosmologie 284-288/B 438444); also vier Spezifikationen der Idee des Paralogismus (vergl. A-Paralogismus Ak.-Text Bd.IV, 215-252/A 231-405) und vier Spezifikationen der kosmologischen Idee.3 Derjenigen Idee nun, die die Bedingung zu allen Dingen überhaupt formuliert, kommt innerhalb dieser Systematik eine besondere Stellung zu: Sie leitet auf das I d e a l der reinen Vernunft, und für diesen Begriff kann, wie Kant sagt, auf eine derartige Spezifikation verzichtet werden: "Im Ideal der reinen Vernunft, weil da [...] alle Categorien in einer Idee beysammen sind, haben wir es nicht nöthig, sie z u unterscheiden; denn es ist das P r i n c i p i u m a l l e r M ö g l i c h k e i t , d a d u r c h denn die c a t e g o r i e n selbst b e s t i m m t werden." (Reil. 5553/Hervorhebung JP)

Weil diese Idee nämlich, so Kants Argument, das Prinzip formuliert, wodurch die Kategorien selbst bestimmt werden, ist durch sie jene Einheit vorgestellt, als die der Verstand sich selbst vorgegeben ist. Das Ideal ist somit Ausdruck der strukturellen Einheit des Verstandes; und weil es das Prinzip aller Möglichkeit vorstellt, darum kann es als die Konzeption eines " V e r s t a n d e s ü b e r h a u p t " (Refl. 5553/S.IV) verstanden werden.4 Es gibt deshalb zwei Ideen aber nur ein Ideal (vergl. Refl. 5553/S.II). Dem Ideal muß daher im System der Ideen der Vorrang des "höchsten Vernunftbegriffs" (259/B 393) eingeräumt werden. Kant spricht dem Ideal in dieser Bestimmung eine zentrale Rolle innerhalb seines Entwurfes zu einer metaphysica generalis zu: Indem die Vernunft die Struktur des endlichen Verstandes zur Idee eines "Verstandes überhaupt" erweitert, soll dieser Begriff als ein Prinzip ßr den Verstand zur Bestimmung des Besonderen in der Anschauung fungieren können, also im Rahmen eines Bezuges auf dasjenige in der Anschauung, das der endliche Verstand unbestimmt lassen muß. Auf der Grundlage dieses Vernunftprinzips entwickelt Kant in der Dialektik der ersten Kritik eine Theorie der Möglichkeit einer empirischen Naturerfahrung.

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Vergl. hierzu auch S.Andersen, "Ideal und Singularität" (Bonn 1983), Abschn. 43.: "Die transzendentalen Ideen" "Die transscendentale Idee kan nichts als die Erkenntniskräfte zum object haben oder Vorstellungen überhaupt in Beziehung auf sie. Also 1. die Apperception, zweytens die Apprehension der Erscheinung, 3. den Begrif des V e r s t a n d e s ü b e r h a u p t Das erste ist Vernunftbegrif vom Subject, das zweyte vom object, so fern es gegeben werden kan, das dritte vom Gegenstande des D e n k e n s ü b e r h a u p t." (Refl. 5553, S.IV/Hervorhebung JP)

Struktur und Funktionalität des Ideals

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II. Struktur und Funktion des Ideals der reinen Vernunft Für Kant ist ein Ideal ein Urbegriff der durchgängigen Bestimmung; es hat als regulatives Prinzip praktische Kraft und liegt der Möglichkeit einer vollkommenen Handlung zum Grunde, womit es das unentbehrliche Richtmaß der Vernunft ist, das Unvollständige gemäß einem vorgegebenen Begriff von Vollständigkeit bestimmen zu können (vergl. 284/B 597-598). Ungeachtet der Ansprüche der Tradition hinsichtlich einer mit dem Begriff des Alls der Realitäten verbundenen Gotteserkenntnis, die Kant glaubt zurückweisen zu können, spricht er dem Ideal deshalb folgende Funktion in Ansehung der Erfahrungserkenntnis zu: Es soll den in der Reflexion des Denkens auf sich selbst begriffenen doktrinalen Charakter rationaler Strukturen angesichts der Präsenz von besonderem Stofflichen durchsetzen, um den Verstand als durchgängige Einheit im kanonischen Sinn zu behaupten (vergl. 285/B 599).s Mit dem Ideal wird damit in der Dialektik ein besonderer Vernunftbegriff eingeführt, der, wie Kant in den Prolegomena betont, zu dem "allerwichtigsten [...] Gebrauch der Vernunft Stoff giebt" (Prol. Ak.-Text Bd.IV, § 55, 348/A 159). Es ist die Idee vom Inbegriff aller Realität, die den Verstand auf "eine besondere Art der Einheit, nämlich die von einem S y s t e m " anleitet, "ohne die unser Erkenntniß nichts als Stückwerk ist" (Prol. 349/A 162/Hervorhebung JP). Das Ideal ist demzufolge ein Begriff, dessen der Verstand notwendig bedarf, nämlich um willen einer Durchgängigkeit seiner Handlungen bei der Bestimmung des empirisch Besonderen: Es "enthält eine transscendentale Voraussetzung, nämlich die der Materie zu a l l e r M ö g l i c h k e i t , welche a priori die Data zur b e s o n d e r e n Möglichkeit jedes Dinges enthalten soll" (256/B 601). Die bisherige Darstellung hat gezeigt, daß die allgemeinen Funktionen a priori des Verstandes - die Kategorien als Konstituenten einer "Gegenständlichkeit überhaupt" - nicht hinreichen, um empirische Sachhaltigkeit (das Besondere in der Anschauung) der Erkenntnis verfügbar zu machen.

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Die Logik ist, wie Kant sagt, als rationale Wissenschaft " d e m o n s t r i r t e D ο c t r i n" (77/B 78) im Sinne eines exemplarischen Beispiels dafür, wie im Denken mit möglichen Inhalten, auf die das Denken sich beziehen muß, um sich zur Gelhing zu bringen, zu verfahren sei (vergl. hierzu auch Jäsche Logik Ak.-Text Bd.IX, 1 4 / A 7). Den Anspruch, den es im Denken von etwas aufrecht zu erhalten gilt, bekundet das Denken in einer Reflexion auf sich selbst. Die reine Logik ist demonstrierte Doktrin und setzt sich damit selbst den Maßstab für den Umgang mit Sachhaltigem. In dieser Durchgängigkeit und Vollständigkeit ist das reine Denken in den unterschiedenen spezifischen Formen als eine Einheit gewahrt. Diese Struktur des Denkens ist, wie in der allgemeinen Logik vorgestellt, ein sich selbst tragendes Gebäude rationaler Wissenschaft, dem aufgrund der inneren Abgeschlossenheit der Charakter eines Systems zukommt. Das Denken ist systematische Einheit; seine spezifischen Formen sind Funktionen synthetischer Einheit.

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Erörterung des Ideals

Problematisch ist von daher auch nicht die Möglichkeit, eine allgemeine Funktion von Synthesis als Bedingung der Möglichkeit von allgemeiner Gegenständlichkeit, wie sie a priori erkannt werden kann, einem sukzessiven Gegebensein in der Anschauung anzupassen (wie bei den kosmologischen Ideen).6 Problematisch ist vielmehr: daß dasjenige, was nicht von einer allgemeinen kategorialen Funktion her gedacht werden kann, gleichwohl auf ein Allgemeines bezogen werden muß, damit es bestimmt, d.i. erkannt werden kann (vergl. 238, 240, 250/B 356, 360, 378). Die Erkenntnismöglichkeit des Besonderen hängt somit von der Vorgabe eines Allgemeinen ab. Nun widersetzt sich das Besondere einer gleichförmigen Synthesis. Daher muß das Allgemeine so konzipiert werden, daß es die Möglichkeit des Besonderen von einem Begriff der Einheit des Besonderen her zu bestimmen erlaubt, d.h. das Allgemeine als Grund der Möglichkeit des Besonderen muß alle Möglichkeit zur Besonderheit in sich begreifen, also a priori alle Daten zur besonderen materialen Bestimmung enthalten. Um eine Bestimmung des Materiellen zu leisten, bedarf es deshalb eines Begriffs, der eine durchgängige Bestimmung des Materiellen immer schon ist. Ein solcher Begriff kann aber nur eine Idee sein; also setzt die Möglichkeit eines Bezuges auf das empirisch Besondere ein Transzendieren des Bezuges zur Empirie voraus. Dies hat zur Konsequenz, daß es keine Doktrin des Besonderen geben kann, weil das Besondere ein für den Verstand Zufälliges ist. Eine Doktrin kann es nur auf der Grundlage apriorisch konstitutiver Grundsätze des Verstandes geben. Dennoch muß das Prinzip zur Bestimmung des Besonderen - also die Idee des Allgemeinen - , aus dem Wesen des Verstandes

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Das Problem ist von daher auch nicht lösbar durch den Rückbezug auf irgendeine spezifische Funktion des Denkens von Gegenständlichkeit überhaupt, wie sie in der Analytik in den Kategorien vorgestellt ist Der sachliche Unterschied, der die Gegenstände zu besonderen Objekten in der Anschauung werden läßt, ist eine Erscheinungsweise, von deren Möglichkeit sich der Verstand a priori keinen Begriff machen kann. Was in der Kosmologie möglich ist, nämlich in der Totalisierung einer jeweiligen Kategorie den Verstand regulativ in der Bestimmung der Erscheinung anzuleiten, also die Endlichkeit des Verstandes durch die Aneinanderreihung eines jeweils angesprochenen Aktes der Synthesis an die Weise des Gegebenseins von Anschauung anzupassen, ist nun ausgeschlossen, weil der Begriff einer besonderen Möglichkeit der Gegenstände von keiner in der Analytik untersuchten apriorischen Funktion des Denkens begründet werden kann. Der kategoriale Verstand kann dehalb nicht als die das Besonderen des Gegenstandes objektivierende Bedingung zur Geltung gebracht werden, sondern lediglich als Paradigma für Objektivität in der Gegenstandserkenntnis. Daß der Verstand zu einem solchen Paradigma taugt, dies ist eine Annahme, welche Kant voraussetzt, um den Erkenn tnisprozeß bei der Bestimmimg des Besonderen als eine durchgängige Einheit begreifen zu können. Das Ziel der Darlegungen Kants ist somit das der Herleitung eines Einheitsprinzips in der Erkenntnis des Besonderen aus einem für Objektivität paradigmatischen Strukturmoment des Verstandes.

Struktur und Funktionalität des Ideals

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abgeleitet werden. Denn auch das Besondere, sofern es bestimmbar sein soll, muß, obwohl es nicht vom Verstand prinzipiiert ist, so behandelt werden, als ob es sich von der Struktur des Verstandes her zu verstehen hätte; und zwar deshalb, weil das Denken sonst keinen durchgängigen Zusammenhang hätte - hier jedoch nicht aufgrund einer temporalen Präsenz (welche das Problem der transzendentalen Deduktion der Kategorien war), sondern aufgrund dessen, daß die Verstandesgesetze nur einen Begriff von Gegenständlichkeit überhaupt liefern, nicht aber den einer besonderen. Das, was Denken immer schon in seinen Strukturen überhaupt ist, muß deshalb aufrecht erhalten werden an dem, welches nicht von einer Spontaneität spezifischer Strukturen des Denkens her gedacht werden kann. Dies ist die Bedingung der Möglichkeit empirischer Erfahrungserkenntnis. Die Einheit in der Bestimmung des Besonderen ist hierbei nicht nur partiell, von Fall zu Fall, zu garantieren, sondern grundsätzlich, d.h. nach einem Prinzip: Um seiner eigenen Identität urillen bedarf der Verstand eines Prinzips, damit das Denken nicht in die Partialität unzusammenhängender

Verstandeshandlungen zerfällt. Deshalb ist das zu Prinzipiierende nicht unmittelbar das Besondere, sondern das Vermögen, durch welches eine Bestimmung des Besonderen geleistet werden soll, d.i. der Verstand (vergl. 258/B 392). Die Idee ist notwendiges Prinzip für den Verstand für die formale Einheit des Erkenntnisaktes, und diese Einheit gilt es, wie Kant hervorhebt, "wo möglich bis zum Unbedingten fortzusetzen" (251/ Β 380). Dem Ideal der reinen Vernunft fällt hierbei eine entscheidende Funktion zu, denn von der Idee eines "Verstandes überhaupt" - dem Prinzip aller Möglichkeit - kann auf den "Inbegriff aller Prädicate der Dinge überhaupt" (385/B 600) geschlossen werden, durch welchen sich jedes Ding seiner Möglichkeit nach von einem Verhältnis zu der gesamten Möglichkeit her bestimmen läßt (vergl. 385/B 600-599). "Das Principium der durchgängigen Bestimmung betrifft also den Inhalt und nicht bloß die logische Form. Es ist der Grundsatz der Synthesis aller Prädicate, die den vollständigen Begriff von einem Dinge machen sollen, und nicht bloß der analytischen Vorstellung durch eines zweier entgegengesetzten Prädicate, und enthält eine transscendentale Voraussetzung, nämlich die der Materie zu a l l e r M ö g l i c h k e i t , welche a priori die Data zur b e s o n d e r e n Möglichkeit jedes Dinges enthalten soll." (386/B 600-601)

Kant verweist damit auf eine Apriorität im Umgang mit einer Inhaltlichkeit, die ihrem Wesen nach völlig unbestimmt ist. Dies kann Kant nur, weil er hierbei voraussetzt, daß mit dem Denken, durch das, was Denken überhaupt ist, schon entschieden ist, wie ein Verfügenkönnen über empirische Prädikate, unangesehen ihres konkreten Inhaltes, schon immer strukturiert sein muß, sofern diese Inhaltlichkeit als bloßer Stoff in die

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Erörterung des Ideals

Struktur des Denkens integriert ist. Wenn Kant daher das Ideal als den "allerwichtigsten Begriff der Vernunft" vorstellt, so deshalb, weil mit dem Ideal die Möglichkeit gegeben ist, den ursprünglichen Charakter dessen, als das das Denken sich selbst vorgegeben ist, aufrecht zu erhalten: "[...] um ein Ding vollständig zu erkennen, muß man alles Mögliche erkennen, und es dadurch, sei es bejahend oder verneinend, bestimmen. Die durchgängige Bestimmung ist folglich ein Begriff, den wir niemals in concreto seiner Totalität nach darstellen können, und gründet sich also auf einer Idee, welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz hat, die dem Verstände die Regel seines vollständigen Gebrauchs vorschreibt." (386/B 601)

Nach dieser Idee ist das Besondere seiner Möglichkeit nach "unter dem Grundsatze der d u r c h g ä n g i g e n Bestimmung" begriffen, "nach welchem ihm von a l l e n m ö g l i c h e n Prädicaten der D i n g e , so fern sie mit ihren Gegentheilen verglichen werden, eines zukommen muß" (385/B 559-600). Kant bindet somit die Erkenntnismöglichkeit des Besonderen an die logischen Struktur der Disjunktion. Als immanente Struktur der Idee des "Prinzips aller Möglichkeit" fungiert die Disjunktion nunmehr transzendental, und die Bedingung der Möglichkeit einer Erkenntnis des Besonderen kann von der logischen Bedingung der Möglichkeit eines realen Bestimmtseins der Dinge her entwickelt werden. Deshalb, so Kant, stößt die Idee aller Möglichkeit, "als Urbegriff eine Menge von Prädicaten (aus), die als a b g e l e i t e t durch andere schon gegeben sind" (vergl. 386/B 601-602/Hervorhebung JP). Eine solche Idee durchgängig bestimmter Realität ist ein I d e a l der reinen Vernunft. Es ist der allgemeine Begriff einer "Realität überhaupt" (vergl. 388/B 605). Das Ideal ist demnach so konzipiert, als ob es immer schon alle Realität enthielte.7 So wie die Formen der Anschauung a priori sinnlich-formale Strukturen möglichen Gegebenseins von Stoff überhaupt sind, so ist das Ideal die apriorische Vorstellung der rationalen Struktur aller möglichen Realität; es hierin ein Regulativ f ü r die

Bezüglichkeit des Verstandes auf das Besondere (das Mannigfaltige "der empirischen Erkenntniß überhaupt", 443/B 699). Dieser Vernunftbegriff ist kein Allgemeines, dem erst durch Subsumtion ein Moment von Inhaltlichkeit zukäme, sondern als I n b e g r i f f aller Realität ist er die ideale Konzeption

einer alle Inhaltlichkeit

umfassenden

Struktur:

Das Ideal ist

demzufolge "die Vorstellung des Inbegriffs aller Realität, [...], der alle Prädicate ihrem transscendentalen Inhalte nach (nicht bloß) u n t e r

7

Zur Bestimmung des Ideals als omnitudo realitatis sei an dieser Stelle auf die ausführliche Darstellung von S.Andersen, "Ideal und Singularität", in Abschnitt 5.2.2. seiner Untersuchung verwiesen.

Struktur und Funktionalität des Ideals

25

s i c h , sondern der sie i η s i c h begreift; und die durchgängige Bestimmung eines jeden Dinges beruht auf der Einschränkung dieses A l l der Realität [...]" (388/B 605). Mit dem Ideal ist somit die Bestimmung dessen, worin die Spontaneität des Subjektes in der Erkenntnis des Besonderen gründet, geleistet. Die Erkenntnismöglichkeit des Besonderen setzt ein Transzendieren der besonderen Erfahrung voraus, d.i. in einem Bezug auf ein solches in der Idee, von dem her der Bezug auf empirische Sachhaltigkeit als a priori prinzipiiert gedacht wird. Mit der Idee eines Inbegriffs aller Möglichkeiten empirischer Prädikate ist auf ein Prinzip geschlossen, in dem eine Entscheidung darüber getroffen wird, wie eine besondere Gegenständlichkeit in einer für den Verstand verfügbaren Weise, d.i. einer Einstimmigkeit des Verstandes mit sich selbst, nur gedacht werden kann. Die Bestimmbarkeit des Besonderen gründet damit in einem Begriff der Möglichkeit der Dinge, und dieser fundiert zugleich die Vorstellung einer systematischen Verknüpfung. Deshalb kann das Besondere empirischer Objekte durch die Struktur dieser Idee so verstanden werden, als ob es immer schon bestimmt sei. Hierin ist das Ideal der Begriff eines Allgemeinen für das Besondere in der Anschauung, ohne daß dieser Begriff aus den in der Anschauung gegebenen besonderen Gegenständen entwickelt wäre.8 Die Vernunft bringt sich in diesen Konzept als ein Einheitsprinzip in der Immanenz apriorischer Rationalität zur Geltung, also im Medium reiner Begrifflichkeit.

Damit ist die Funktion des Ideals eingegrenzt: Es ist ein Prinzip der Einigung der Verstandeshandlungen und allein auf diese in seinem Gebrauch restringiert. Ohne eine solche Einigung bliebe unsere Erkenntnis Stückwerk, und die jeweiligen Handlungen des Verstandes hätten den Charakter bloßer Partikularität. Deshalb sagt Kant: "Diese Idee postulirt [...] vollständige Einheit der Verstandeserkenntniß, wodurch diese nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach nothwendigen Gesetzen zusammenhängendes System wird." (428/B 673)

Um willen einer Abwendung bloßer Partikularität der Handlungen des Verstandes ist das Ideal die Konzeption einer kollektiven Einigung zu einem System, wodurch die Durchgängigkeit des Verstandesgebrauches im kanonischen

8

Helga Mertens beschreibt diesen Sachverhalt wie folgt: "Ein solches transzendentales Substrat soll den Vorrat zu allen möglichen Prädikaten der Dinge, hinsichtlich ihres material nicht antizipierbaren sinnlichen Gehaltes, enthalten und auf diese Weise die vollständige Bestimmbarkeit eines Verstandesgegenstandes, der durch das Ganze möglicher materieller Merkmale mitbestimmt ist, garantieren." In: "Kommentar zur ersten Einleitung in Kants Kritik der Urteilskraft" (München 1975), S.35.

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Erörterung des Ideals

Sinne erzielt werden soll, denn: "Übersehen wir unsere Verstandeserkenntnisse in ihrem ganzen Umfange, so finden wir, daß dasjenige, was die Vernunft ganz eigentümlich darüber verfügt und zu Stande zu bringen sucht, das S y s t e m a t i s c h e der Erkenntniß sei, d.i. der Zusammenhang derselben aus einem Princip" (428/B 673).

In dieser Funktion ist das Ideal ein Prinzip für die "regulative Einheit der Erfahrung" (Anmerkung 392/B 610), weil sich hierin das Denken nach Vorgabe dieses Prinzips zu transzendieren vermag; es schafft sich also in diesem Verfahren selbst die Bedingung, über Besonderes verfügen zu können: So wie die transzendentale Einheit der Apperzeption der höchste Bezugspunkt ist, von dem her die Analytik die Einheit der Subjektivität für die Konstitution einer Gegenständlichkeit überhaupt begründet, so ist das Ideal höchster Bezugspunkt, von dem her in der Dialektik die Einheit des Subjektivität in der empirischen Erfahrungserkenntnis begründet wird. Kant bestimmt das Ideal damit als ein P r i n z i p d e r I d e n t i t ä t für den Verstand.9 Im Ideal ist die Weise, wie mit empirischen Prädikaten zu verfahren sei, damit sie dem Verstand verfügbar sind, a priori angezeigt. Kant sagt, man sehe hieraus, "daß die systematische oder Vernunfteinheit der mannigfaltigen Verstandeserkenntniß ein l o g i s c h e s Princip sei, um da wo der Verstand allein nicht zu Regeln hinlangt, ihm durch Ideen fortzuhelfen und zugleich der Verschiedenheit seiner Regeln Einhelligkeit unter einem Princip (systematische) und dadurch Zusammenhang zu verschaffen [...]." (430/B 676)

Diese Konzeption des Ideals leitet nunmehr in folgende Aporie: Das Besondere ist in Rücksicht auf die Kontingenz seines Auftretens in der Anschauung und damit in Hinblick auf das Problem der Begründung einer Relation auf ein Allgemeines angesichts einer ursprünglichen Differenz zu einer apriorischen Allgemeinheit übergangen. Das Allgemeine, auf das das Besondere bezogen wird, legitimiert sich in seiner Funktion allein aus einem Angewiesensein des Verstandes auf einen solchen Begriff. Es ist Produkt einer Reflexion auf seine Endlichkeit. Hieraus folgt, daß der Verstand keine Bestimmung des Besonderen leisten kann, sofern er nicht an dem Ideal orientiert ist, - aber er verfehlt bei einer Orientierung am Ideal das Besonde-

9

Helga Mertens, "Kommentar zur ersten Einleitung", Abschnitt 2.: "Der transzendentalen Einheit der Apperzeption, die die Einheit der Erfahrung überhaupt gewährleistet, tritt das transzendentale Ideal als Einheitspunkt in der Idee gegenüber, welches die kollektive Einheit der durchgängigen Bestimmung des Erfahrungszusammenhanges sein soll." (S.35)

Struktur und Funktionalität des Ideals

27

re in dessen Charakter des Zufälligen. Er verfehlt es deshalb, weil das Allgemeine, auf das das Besondere bezogen wird, das Besondere nicht in der Kontingenz seines Auftretens thematisch werden läßt, denn die subjektiv-notwendige Bedingung einer Möglichkeit des Bezuges auf Besonderes ist nicht die objektiv-notwendige Bedingung der Möglichkeit des Bezugsobjektes. Die von Kant zum Beginn der Erörterung behauptete Objektivität des Regulativs in Ansehung der empirischen Erfahrungserkenntnis ist deshalb bislang nicht hinreichend begründet. Es ist vielmehr so, daß in Ansehung des objektiven Status dieses Regulativs sein Gebrauch mit einer dialektischen Täuschung verknüpft ist, die wir im folgenden Kapitel untersuchen werden.

Zweites Kapitel Die Dialektik des transzendentalen Ideals In dem Abschnitt "Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft" weist Kant darauf hin, daß die Vernunft den Hang hat, die Grenzen der Erfahrung zu überfliegen, und daß in dieses Transzendieren einen "unwiderstehlichen Schein" bewirkt, "dessen Täuschung man kaum durch die schärfste Kritik abhalten kann" (426-427/B 670). Dieser dialektische Schein ist, wie Kant hier behauptet, nicht der Idee wesentlich, sondern er beruht auf einem Subreptionsfehler der Urteilskraft (vergl. 427/B 671). Er betrifft also die Frage des Gebrauchs dieses Begriffs. Kant unterscheidet deshalb in diesem Zusammenhang den transzendenten und den "guten" immanenten Gebrauch transzendentaler Begriffe (vergl. 427/B 671).10 Der Gebrauch ist immanent, wenn er "nur auf den Verstandesgebrauch überhaupt, in Ansehung der Gegenstände, mit welchen er zu thun hat" gerichtet ist, und der Gebrauch ist transzendent, wenn das Ideal in "Ansehung der gesammten möglichen Erfahrung" für einen Begriff von wirklichen Dingen genommen wird (427/B 621, vergl. auch 235-236/B 352-353). Nun kann aufgrund der restringierten Funktion des Ideals nicht von einem unwiderstehlichen, natürlichen Schein gesprochen werden, wenn es selbst als ein Gegenstand der Erkenntnis behandelt wird, wie in der rationalen Onto-, Kosmo- und Physikotheologie. Dieser transzendente Gebrauch des Ideals ist nicht natürlich, sondern willkürlich, weil er durch ein theosophisches Interesse hervorgerufen wird, welches der Transzendentalphilosophie im Kontext der Grundlegung einer metaphisica generalis äußerlich ist. Ein natürlicher Schein ist vielmehr ein solcher, der aus dem immanenten Gebrauch des Ideals resultiert, d.h. aus dem Status dieser Idee ab notwendige Bedingung für die Erfahrung.11 Es werden deshalb von Kant zwei

10

11

Vergl. hierzu H.Heimsoeth, "Transzendentale Dialektik" (Berlin 1966/ 1971) Bd.III, S.551/552 Die von S.Andersen 1983 vorgelegte Arbeit "Ideal und Singularität" hebt die Differenz von immanentem und transzendentem Gebrauch des Ideals ungenügend hervor, wenn sie das Ideal aufgrund seiner Vorbelastung durch die philosophische Tradition auch bei Kant als funktionellen Gottesbegriff belegen will. Nach unserer Auffassung ist das Ideal nicht ein aus der Theologie entlehnter und für die Epistemologie modifizierter Begriff. Er hat für Kant in einer von jedem theologischen Interesse freien, epistemdogischen Funktionalität seine genuine Bestimmung. Im Gegensatz zu Andersen verstehen wir das Ideal nicht als funktio-

Die Dialektik des immanenten Gebrauchs

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nellen Gottesbegriff, sondern als einen Begriff, den Kant in einer epistemologischen Funktion im Nachweis seiner Untauglichkeit für die Fundierung rationaler Theologie (eine Beanspruchung des Ideals durch die Theologie negiert vielmehr seine ursprüngliche Funktion) für die kritische Philosophie zurückgewonnen hat. Als Gottesbegriff ist das Ideal nicht transzendentallogisch positiv funktionell bestimmbar. Mit diesem Ergebnis steht Kant in kritischer Distanz zur Tradition. Einleitend in den Abschnitt "Von den Beweisgründen" (392/Β 611) läßt Kant keinen Zweifel daran, daß aus der Idee eines Alls der Realität genuin kein transzendenter Gebrauch hinsichtlich einer theologischen Grundlegung entspringt. Weil das Ideal funktionell in Ansehung einer Durchgängigkeit der Verstandestätigkeit bestimmt ist, nämlich als ein Allgemeines, von dem her eine Bestimmbarkeit des Besonderen möglich sein soll, ist das Idealistische des Gottesbegriffs der Vernunft als "Selbstgeschöpf ihres Denkens" (392/Β 612) zu leicht durchschaubar, als daß sich mit diesem Begriff ursprünglich die reale Existenz eines der Idee adäquaten Wesens verbinden ließe. Vielmehr wird die Vernunft aus Gründen veranlaßt, diesen Begriff für dialektische Aussagen in Anspruch zu nehmen, die dem Ideal äußerlich sind: Dieser dialektische Gebrauch des Ideals ist ein Reflex auf ein in der Kosmologie (der 4. Antinomie) vorgestelltes Problem: dem des Schlusses auf ein notwendiges Wesen (vergl. 316ff/B 484ff) als Bedingung des Daseins alles Zufälligen. Die Idee eines ens necessarium ist hierbei nicht nur als Voraussetzung für eine Erkenntnismöglichkeit begriffen, sondern das Dasein eines der Idee adäquaten Wesens wird als reale Bedingung für das Dasein des Zufälligen gedeutet (vergl. 314/B 480, 482). Offen bleibt in diesem dialektischen Schein der Kosmologie das Wie-Bestimmtsein dieses als in seinem Dasein notwendig behaupteten Etwas. So redet Kant auch von "irgendeinem " notwendigen Wesen (394/B 614). Zur Bestimmung dieses Etwas "sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz als die unbedingte Notwendigkeit schicke" (393/B 613). Der im Ideal angelegte Begriff eines ens realissimum "würde sich [...] unter allen Begriffen möglicher Dinge zu dem Begriff eines unbedingt notwendigen Wesens am besten schicken" (394/B 614). Kant faßt den Übergang von der Kosmologie zum Ideal wie folgt zusammen: "Zuerst überzeugt sie (die Vernunft/JP) sich vom Dasein i r g e n d e i n e s notwendigen Wesens. In diesem erkennt sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den Begriff des Unabhängigen von aller Bedingung und findet ihn in dem, was selbst die zureichende Bedingung zu allem anderen ist, d.i. in demjenigen, was alle Realität enthält. Das All aber ohne Schranken ist absolute Einheit und führt den Begriff eines einigen, nämlich des höchsten Wesens bei sich; und so schließt sie, daß das höchste Wesen als Urgrund aller Dinge schlechthin nothwendigerweise da sei" (394/B 614-615). Grund des Ubergangs vom ens necessarium zum ens realissimum ist allein das theosophische Interesse, den Mangel des Unbestimmtseins des notwendigen Wesens der Kosmologie, durch den Bezug auf eine Idee höchster Realität zu überwinden. Daß der Bezug auf das Ideal willkürlich ist (die "gewisse Gründlichkeit der Entschliessung" (vergl. 394/B 615), sich des Ideals zu bedienen, liegt, wie Kant polemisch betont, allein in seiner vermeintlichen Tauglichkeit aufgrund der Implikation des Realitätenalls), wird schon darin deutlich, daß die "transzendentalen Beweise" der Ontound Kosmotheologie gar nicht auf eine besondere Erfahrung verweisen. Erst die "natürliche Theologie" im physikotheologischen Beweis scheint direkt auf das Problem einer Bestimmbarkeit des Besonderen, und damit ursprünglich auf die Konzeption des Ideals bezogen: Der Beweis gibt vor, sich auf der Erfahrung einer besonderen Beschaffenheit der Natur (ihre Ordnung und Einheit) berufen zu können (vergl. 420/B 660). Wenn diese Beziehung bestünde, so müßte die die Untersuchung leitende Frage lauten, ob sich nicht mit der Möglichkeit der bestimmten Erfahrung, auf die sich in diesem Beweis bezogen wird, implizit auf eine zur Geltung gebrachten Funktion des Ideals berufen wird, und somit ein aus Sicht der Kritik sachlich legitimierter Bezug von Ideal und natürlicher Theologie besteht, wenn auch daraus keine Beweiskraft für die Existenz Gottes abzuleiten ist. Wenn Kant dieser Auffassung wäre, dann müßte das Verhältnis von der Idee eines systematischen Zusammenhanges des Verstandes und der Natur als Erfahrungsobjekt einer zweckmäßigen Ordnung thematisch werden, und zwar in der Weise, daß eine immanente

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Die Dialektik des transzendentalen Ideals

Arten des dialektischen Scheins vorgestellt: 1.) der mit dem Ideal unwesentlich verknüpfte Versuch der Tradition einer Grundlegung rationaler Theologie (392-426/B 611-670); dies ist eine Dialektik des transzendenten Gebrauches, 2.) der dem Ideal ursprünglich anhaftende Schein des im-

manenten Gebrauchs, welcher Gegenstand des "Anhanges" zur Dialektik ist. I. Die Dialektik des immanenten Gebrauchs des Ideab

Kant faßt die dem Ideal als positivem Bestand der Transzendentalphilosophie zukommenden Merkmale in Vorbereitung der Darstellung der Dialektik des immanenten Gebrauches des Ideals wie folgt zusammen:12 1.)

12

Bezüglichkeit des Ideals als transzendentalen Begriffs der Systematik des Besonderen mit der notwendigen Existenz eines dieser Idee adäquaten Wesens angesprochen wäre. Doch Kant leugnet eine solche Beziehung, wenn er darauf verweist, daß auch "die Physikotheologie keinen bestimmten Begriff von der obersten Weltursache geben (kann)", denn "der Schritt zu der absoluten Totalität" ist durch den empirischen Weg ganz und gar unmöglich (418/B 656). Sie verläßt den Boden der Natur und Erfahrung und springt "in dieser Verlegenheit plötzlich zu dem kosmologischen Beweise über" (418/B 657): 'So liegt demnach dem physikotheologischen Beweis der kosmologische, diesem aber der ontologische Beweise vom Dasein eines einigen Urwesens als höchsten Wesen zum Grunde [...]" (419/B 658). Mit diesem Ergebnis ist auch die natürliche Theologie nur ein verdeckter ontologischer Beweis, verdeckt durch den Verweis auf eine bestimmte Erfahrung, die für den Schluß auf die reale Existenz eines notwendigen Wesens nicht als eine unverzichtbare Prämisse zum Tragen kommt (vergl. zum Verhältnis von Kosmologie und Ideal D.Henrich, "Der ontologische Gottesbeweis": II Kants Kritik der Ontologie, S.150, Tübingen 1960) Aus der Darlegung wird deutlich, daß mit den drei Gottesbeweisen keine genuine Dialektik des Ideals vorgestellt ist, sondern vielmehr eine in der Kosmologie gründende und durch willkürlichen Bezug auf das Ideal modifizierte Scheinhaftigkeit ihre Fortsetzung findet. Dieses Problem ist jedoch dem als funktionell bestimmten Begriffeines Alls der Realitäten innerhalb der Transzendentalphilosophie völlig unwesentlich, weil er hierbei in einer Dialektik vorgestellt ist, die gar nicht Konsequenz seiner Funktion ist. Es ist deshalb nur dann sinnvoll von einem notwendigen dialektischen Schein des Ideals zu sprechen, wenn diese Dialektik aus einer Funktion in Ansehung der Kontinuität in der Verstandeshandlung auftritt: Dies ist die Dialektik des immanenten Gebrauches des Ideals. 1.) Die Ausführungen Kants im Anhang der Dialektik der reinen Vernunft sind für das Verständnis der Ideenlehre von zentraler Bedeutimg. Es muß daher verwundern, daß sie bloß den Rang einer Nachordnung für die Elementarlehre erhalten. Allein der Gesichtspunkt, die Dialektik als kritische Zurückweisung traditioneller Positionen zu betrachten, ihre Funktion innerhalb der Kritik also negativ zu verstehen, könnte rechtfertigen, die Abschnitte "Von dem regulativen Gebrauch der Ideen" und "Von der Endabsicht" als bloßen Anhang zu betrachten. In Absicht einer positiven Bestimmung der Dialektik sind diese Abschnitte jedoch, auch nach dem Selbstverständnis Kants - er sieht in der im letzten Abschnitt geleisteten Deduktion der Ideen die Vollendung des kritischen Geschäftes (vergl. 442/B 698) - wesentlicher Bestand der Elementarlehre. 2.) Kant betitelt den Abschnitt: "Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft". Dieser Titel legt nahe, daß hier alle drei Ideen (die des Paralogismus, der Kosmologie und der Theologie) angesprochen sind. Aber für die kosmologischen Ideen wurde bereits im 2.Hauptstück Abschnitt 8/9 auf die

Die Dialektik des immanenten Gebrauchs

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Mit dem Ideal bezieht sich die Vernunft nicht auf einen Gegenstand der Erkenntnis, sondern allein auf den Verstand im Akt seiner empirischen Gegenstandsbestimmung', 2.) in diesem Gebrauch ist die Vernunft nicht Organon eines Objektes, sondern ein Kanon für den Verstand, d.h. sie ordnet die Begriffe von Objekten nach einem allgemeinen, auf Ganzheit der Erfahrungserkenntnis gerichteten Prinzip; 3.) wie der Verstand das Mannigfaltige im Objekte vereinigt, so vereinigt die Vernunft das Mannigfaltige der Begriffe, mit dem Ziel einer kollektiven, systematischen Einheit der Verstandeshandlungen (vergl. 427/B 671-672). Restringiert auf diese Funktionalität ist der Gebrauch des Ideals immanent Auf der Grundlage dieser Restriktion stellt Kant eine dialektische Täuschung des Ideals vor, die eine "unentbehrlich nothwendige Illusion" ist, nämlich in der Weise, daß das Prinzip des systematischen Zusammenhangs (der Idee der durchgängigen Einheit), durch das die Natur vorgestellt wird, so erscheint, als wäre es aus der Natur genommen (vergl. 428/B 672). Diese Dialektik ergibt sich im Rahmen der empirischen Naturerfahrung an der Funktionalität des Ideals: Denn es gelingt zwar, Objekte partiell in die Struktur des Ideals zu integrieren, aber als immer nur partieller Integration mangelt es der durchgängigen Einheit der Erfahrung an einer Apodiktizität ihrer Regel.13 Die Gesetzmäßigkeit des Zusammenhanges ist keine notwendige Gesetzmäßigkeit der Natur, weil die Natur nicht in einer Totalität erfahrbar ist. Deshalb entspringt die Illusion, in einem Bezug auf die gesamte Natur zu stehen, aus der Vernunftidee, in welcher die "Form eines Ganzen der Erkenntniß" (428/B 673), welches vor der bestimmten Erkenntnis der Teile vorhergeht, damit gewährleistet ist, daß a priori eine Zuordnung des Partiellen im systematischen Ganzen erfolgen kann. Dieses Verfahren ist in Hinblick auf auf eine systematische Verstandeserkenntnis notwendig, aber es trägt ein Moment von Totalität in sich, das aus der Empirie nicht gewonnen werden kann: Der apodiktische

13

Regulativst des Prinzips der Totalität einer Reihe eigens eingegangen. Diese finden hier ebensowenig Erwähnung wie die Idee des Paralogism us. Tatsächlich ist allein der Gebrauch des Ideals als Begriff einer durchgängigen systematischen Einheit und die diesem Gebrauch implizite Dialektik abgehandelt. Der Absatz vier des "Anhangs" ist keineswegs, wie Heimsoeth meint, bloße Wiederaufnahme eines Problems der Kosmologie (vergl. Transz. Dial., S.553) im Sinne einer redundanten Exposition des regulativen Charakters von Ideen, sondern er ist die Darstellung einer Dialektik, die über die spezifischen Objekte einer Kosmologie hinausreicht und, wie Heimsoeth erst an anderer Stelle ausführt, in der die Vernunft als Vermögen doktrinaler Systematik "sich selbst mit a l l e n ihren Elementen" (Hervorhebung JP) zum Gegenstand hat. Dieser Verweis auf das Moment der Allheit ist Spezifikum des Ideals. Nicht, daß einer Idee angesichts einer Dialektik nur ein regulativer Charakter zukommen kann, ist Thema dieses Abschnittes, sondern daß in dem subjektiv notwendigen Gebrauch einer Idee als Regulativ ein dialektischer Schein impliziert ist.

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Die Dialektik des transzendentalen Ideals

Charakter dieses Verfahrens ist demnach ein bloßer Schein. Kant stellt diesen Sachverhalt wie folgt dar:14 "Wenn die Vernunft ein Vermögen ist, das Besondere aus dem Allgemeinen abzuleiten, so ist entweder das Allgemeine schon a n s i c h g e w i ß und gegeben, und alsdann erfordert es nur U r t h e i l s k r a f t zur Subsumtion, und das Besondere wird dadurch nothwendig bestimmt. Dieses will ich den apodiktischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine wird nur p r o b l e m a t i s c h angenommen und ist eine bloße Idee; das Besondere ist gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch ein Problem: so werden mehrere besondere Fälle, die ingesammt gewiß sind, an der Regel versucht, ob sie daraus fließen; und in diesem Falle, wenn es den Anschein hat, daß alle anzugebende besondere Fälle daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieser aber nachher auf alle Fälle, die auch an sich nitht gegeben sind, geschlossen. Diesen will ich den hypothetischen Gebrauch der Vernunft nennen." (429/B 674-675)

Die Anspruch auf Allgemeingültigkeit der Regel zur Bestimmung des Besonderen gründet somit in folgendem Zirkelschluß: Die Idee systematischer Einheit der Verstandeserkenntnis ist regulativer Grund des Regelhaf-

14

Diese Textstelle wird in der Kantinterpretation vielfach als Beleg dafür gewertet, daß eine Identität von hypothetischem Vernunftgebrauch und dem in der 2. Einleitung zur Kritik der Urteilskraft vorgestellten Reflexionsprinzip vorläge. A.Stadlers Untersuchungen in "Kants Teleologie" (Berlin 1912) waren für diese Interpretation wegweisend (vergl. dort S.42/43). Wir sind jedoch der Überzeugung, daß Kant, trotz scheinbarer Analogie der Prinzipien, hier ein Problem der Subsumtion anspricht. Kant insistiert mit dieser Darstellung allein auf einer Dialektik des empirischen Vernun/igebrauches. Der dargestellte Gegensatz ist der einer Subsumtion unter einen an sich allgemein gegebenen Begriff und der einer Subsumtion unter einen bloß in der Idee vorgestellten Begriff, dessen Allgemeinheit es hinsichtlich einer scheinbaren Apodiktizität zu untersuchen gilt. Diese Textstelle expliziert die Unvermeidbarkeit eines Subreptionsfehlers der bestimmenden Urteilskraft im empirischen Gebrauch des Ideals. Denn wie Kant schon in der Einleitung zur Dialektik betont, geht es in der 2.Abteilung der transzendentalen Logik allein um eine Erkenntnis aus Prinzipien: Das Besondere wird im Allgemeinen durch Begriffe erkannt, "denn der Obersatz giebt jederzeit einen Begriff, der da macht, daß alles, was unter der Bedingung desselben subsumiert wird, aus ihm nach einem Princip erkannt wird" (238/B 357). Worum es geht - und dies zeichnet das Verfahren der Subsumtion in der Dialektik aus - ist, daß aus einen problematischen Begriff von Allgemeinheit auf den besonderen Fall geschlossen wird. Das Besondere wird vom Allgemeinen abgeleitet. Kant beschreibt denselben Sachverhalt in den Reflexionen: "Die Vernunft [...] erkennt erstlich das allgemeine in abstracto, denn sucht sie zum besondern das allgemeine zu finden, um von diesem wiederum aufs besondere zu schliessen" (Reil. 5553, S.III). So fällt hier jeide Art des Verfahrens mit dem Besonderen gemäß einer a priori gegebenen Idee der Vernunft an die bestimmende Urteilskraft: "Ein ieder Vernunftschlus ist nichts anders als [...] ein Urtheil vermittelst der Subsumtion seiner Bedingung unter einer allgemeinen Regel, welche also die Bedingung von der Bedingung des Schlussatzes ist" (Refl. 5553, S.I).

Die Dialektik des immanenten Gebrauchs

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ten in der Erkenntnis; aber zugleich ist diese Einheit auch " P r o b i e r s t e i n d e r W a h r h e i t der Regeln" bzw. der Allgemeingültigkeit der Regeln (429/B 675). Die Vernunft begegnet sich in diesem Verfahren selbst im Produkt ihrer regulativen Leistung und bewertet sie als allgemeingültig. E>ie auf diese Weise ermittelte Wahrheit bzw. Allgemeingültigkeit der Regel ist ein dialektischer Schein; und zwar im Gegenzug zu dem vermeidbaren, dem Ideal äußerlichen, transzendenten Gebrauch der Theologie, ein aus dem empirischen Gebrauch resultierender notwendiger Schein. Diese Dialektik ist eine Konsequenz des immanenten Gebrauchs der Vernunftidee: Sie ist ein logisches Prinzip, das für die Durchgängigkeit der Verstandeshandlungen im empirischen Erkenntnisprozeß zur Geltung gebracht wird. Erst die Frage, "ob [...] die Beschaffenheit der Gegenstände, oder die Natur des Verstandes, der sie als solche erkennt, an sich" - das Besondere also als ein Besonderes und nicht als Besonderes einer projektierten Einheit in der Idee - "zur systematischen Einheit bestimmt sei [...]", kann Klarheit darüber verschaffen, ob diese Einheit "ein t r a n s s c e n d e n t a l e r Grundsatz der Vernunft" ist, "welcher die systematische Einheit nicht bloß subjectiv- und logisch-, als Methode, sondern objectiv nothwendig machen würde" (430/B 676). Ob das Ideal zu einer solchen Prüfung tauglich ist, erprobt Kant am Beispiel der "Idee einer G r u n d k r a f t " (430/B 677). Hierbei wird das Ergebnis des Vergleiches komparativer Grundkräfte als eine Näherung auf eine absolute Grundkraft verstanden. "Es zeigt sich aber, wenn man auf den transscendentalen Gebrauch des Verstandes Acht hat, daß diese Idee einer Grundkraft überhaupt nicht bloß als Problem zum hypothetischen Gebrauche bestimmt sei, sondern objective Realität vorgebe, dadurch die systematische Einheit der mancherlei Kräfte einer Substanz postulirt und ein apodiktisches Vernunftprincip errichtet wird."

(431/B 678)

Das Problem dieser Prüfung des Ideals auf Allgemeinheit ist der Sachverhalt, daß jede Regelhaftigkeit an einem Begriff des Regelhaften gemessen wird, der der transzendentale Grund aller Regelhaftigkeit in der Erkenntnis immer schon ist. Der Beweiszirkel ist damit unabwendbar und die dialektische Täuschung unvermeidlich, denn sie hat einen transzendentalen Grund. Der Schein kann deshalb nicht vermieden, sondern lediglich exponiert werden: "Der transscendentale Schein dagegen hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn schon aufdeckt und seine Nichtigkeit durch die transscendentale Kritik deutlich eingesehen hat. [...] Die Ursache hiervon ist diese: daß in unserer Vernunft (subjectiv als ein menschliches Erkenntnißvermögen betrachtet) Grundregeln und

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Die Dialektik des transzendentalen Ideals Maximen ihres Gebrauchs liegen, welche gänzlich das Ansehen objectiver Grundsätze haben, und wodurch es geschieht, daß die subjective Nothwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe zu Gunsten des Verstandes für eine objective Nothwendigkeit der Bestimmung der Dinge an sich selbst gehalten wird. Eine I l l u s i o n , die gar nicht zu vermeiden ist [...]." (236/B 353)

Als Konsequenz der Unabwendbarkeit dieser Täuschung beim empirischen Gebrauch des Ideals wird der bloß "ökonomische Grundsatz der Vernunft" zu einem Prinzip der Natur erhoben (vergl. 431 /B 678). Aber und hiermit führt Kant ein neues Argument in die Diskussion ein - es "ist auch nicht abzusehen, wie ein logisches Princip der Vernunfteinheit der Regeln stattfinden könne, wenn nicht ein transscendentales vorausgesetzt würde, durch welches eine solche systematische Einheit, als den Objecten selbst anhängend, a priori als nothwendig angenommen wird" (431/B 678679). Kants Argument ist also dies: Wenn die Stofflichkeit in ihrem besonderen Bestimmtsein dem Verstand nur im Medium einer ideellen Konzeption von systematischer Einheit verfügbar ist, wird von diesem subjektiven Prinzip her nicht einsichtig, worin die Integrationsmöglichkeit des Stoffes in die Struktur des Ideals gründet, weil der subjektive Akt der Integration nicht identisch mit der Konstitution besonderer Gegenständlichkeit ist. A n g e s p r o c h e n ist h i e r m i t d i e

Frage nach dem Grund der Möglichkeit für die geleistete apriorische Integration des Besonderen in subjektive Grundsätze, "die nicht von der Beschaffenheit des Objectes, sondern dem Interesse der Vernunft in Ansehung einer gewissen möglichen Vollkommenheit der Erkenntniß dieses Objectes hergenommen sind", welche nur " M a x i m e n der Vernunft" (440/B 694) sind. Wenn nämlich den Objekten in der Natur keine dem Ideal analoge Struktur zukäme, so wäre die Integration in die Struktur des Ideals unmöglich. Kant schließt daher: "Dieses logische Gesetz des continui specierum (formarum logicarum) setzt aber ein transscendentales voraus (lex continui in natura), ohne welches der Gebrauch des Verstandes durch jene Vorschrift nur irre geleitet werden würde, indem er vielleicht einen der Natur gerade entgegengesetzten Weg nehmen würde. Es muß also dieses Gesetz auf reinen transscendentalen und nicht empirischen Gründen beruhen. Denn in dem letzteren Falle würde es später kommen als die Systeme; es hat aber eigentlich das Systematische der Naturerkenntniß zuerst hervorgebracht." (437/B 688)

Demgemäß scheinen die aus diesem Prinzip hervorgehenden Grundsätze d e s Ideals (Homogenität, Varietät und Kontinuität,

436/Β

687) t r a n s z e n d e n -

tal-objektiv zu sein (vergl. 439/B 691). Dieser Schein einer Objektivität hat seinen Grund nicht in einem falschen Verständnis des Status des Ideals (als

Die transzendentale Deduktion des Ideals

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einem vermeintlich konstitutiven Prinzip) - es ist vielmehr ein Schein, der den Charakter der Objektivität im Wissen um den nur regulativen Status des Ideals hat, denn - ob jemand sein Interesse in der Erkenntnis der Natur auf das Prinzip der Spezifikation oder auf das der Homogenität gründet - "ein jeder derselben glaubt sein Urtheil aus der Einsicht des Objects zu haben [...]" (441/B 695). Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Dialektik versucht Kant eine transzendental-objektive Deduktion von anderer Art als die der Kategorien (vergl. 442/B 697). Es geht ihm hierbei darum, den Nachweis einer Rechtmäßigkeit des Ideals in den Status der Objektivität mit unbestimmter Gültigkeit zu führen. Angesprochen ist deshalb die Frage nach einem transzendentalen Grund, von dem her die Bestimmbarkeit der kontingenten Natureinrichtung nach einem subjektiven Prinzip systematischer Einheit eine adäquate Konzeption darstellt. II. Die transzendentale Deduktion des Ideals Eine Deduktion, die den immanenten Gebrauch des Ideals nur in Ansehung der zur Erfahrungserkenntnis notwendigen Durchgängigkeit der Verstandeshandlungen begründet, ist eine metaphysisch-subjektive Deduktion, und diese betrifft allein die subjektive Notwendigkeit, sich des Ideals bedienen zu müssen. Eine solche Deduktion wurde bereits im Zuge der Explikation dieses Begriffes geleistet. Wenn Kant jedoch im Wissen um die Unmöglichkeit einer objektiven Deduktion eine Rechtmäßigkeit des empirischen Vemunftgebrauches aufzuweisen unternimmt, so deshalb, weil gerechtfertigt werden muß, daß man sich dieses Begriffes bedienen darf, obwohl eine unvermeidliche Täuschung die Konsequenz seines Gebrauches ist. Eine transzendentale Deduktion wird also im Rahmen der Dialektik des Ideals notwendig, denn diese Täuschung - und hierin liegt das zu deduzierende Moment im regulativen Gebrauch des Ideals - ist als eine zweckmäßige Illusion für den Erkenntnisprozeß aufzuweisen. Sie ist nämlich genau dann zweckmäßig, wenn durch diesen Schein eine Vermittelbarkeit von reinem Denken und empirischer Anschauung begründet werden kann. In der Möglichkeit einer solchen Begründung liegt zugleich die Möglichkeit einer Bestimmung des objektiven Status des Ideals: Weil das subjektiv-logische Prinzip einen, wenn auch nur unstimmten Grad objektiver Gültigkeit haben soll (Kant wählt die Wendung "einige, wenn auch nur unbestimmte, objective Gültigkeit", 442/B 697), muß dieser Status über den Erkenntniswert des Gebrauches in der Bestimmung des Verhältnisses von Verstand und Sinnlichkeit deduziert werden; und nur bei Erfüllung dieser Minimalbedingung hält Kant es für rechtmäßig, sich dieses Begriffes zu

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bedienen. Im Gelingen dieser Deduktion sieht Kant die "Vollendung des kritischen Geschäftes" (442/B 698). Diese Einschätzung scheint nicht übertrieben, denn die empirische Anschauung soll durch die Idee als prinzipiiert vorgestellt werden können, ohne daß sie in ihrem Prinzipiiertsein aus subjektiver Spontaneität begreifbar gemacht werden kann. Wenn sich in dieser Rücksicht das subjektive Prinzip durchgängig systematischer Einheit dennoch als ein Analogon der Einheit der Natur deduzieren läßt, so ist mit einer solchen Deduktion die kritische Epistemologie vollendet (vergl. 440/B 693). Kant eröffnet die Deduktion mit dem Hinweis auf eine Differenz des Gegebenseins eines Gegenstandes " s c h l e c h t h i n " und dem Gegebensein eines Gegenstandes " i n d e r I d e e " (442/B 698). Im ersten Fall ist der Gegenstand als durch den Begriff bestimmt verstanden, im zweiten hingegen als nur in der Idee gegeben. Die Gegenständlichkeit ist hier ein bloßes S c h e m a (vergl. 443/B 698), dem keine außerideelle Korrespondenz eingeräumt werden kann. Der Begriff einer "höchsten Intelligenz" (443/B 698) wird als ein solches Schema vorgestellt. Er ist ein Regulativ, also ein Prinzip, von dem her die Vorstellung der systematischen Einheit von etwas, das nicht nur Idee ist, erklärbar werden soll. Daß es sich bei diesem Begriff nicht um die zu deduzierende Idee einer systematischen Einheit selbst handelt, wird durch den Verweis auf den schematischen Status deutlich, denn ein Schema ist - wie in der Analytik der ersten Kritik dargelegt (vergl. 134/B 177) - ein Drittes, welches die Idee einer systematischen Einheit mit der Anschauung vermitteln soll. Eine solche Vermittlung ist notwendig, damit die Applikation der Idee auf die Natur kein Verfahren darstellt, in dem der Verstand "irre geleitet" wird (437/B 688). Obwohl das Schema der Idee (als Quasi-Gegenstand) alle strukturellen Implikationen des Ideals hat, darf es dennoch nicht als mit dem Ideal identisch begriffen werden, denn es soll, so das Selbstverständnis Kants, der transzendentale Grund sein, über den sich der regulative Gebrauch des Ideals legitimieren läßt.15 Während das Ideal also Richtmaß des empirischen Vernunftgebrauches ist, ist das Schema ein Quasi-Gegenstand als Grund der Möglichkeit einer im Zuge der Applikation des Ideals auf die Natur geleisteten Vermittlung von Verstand und Anschauung. "So sage ich, der Begriff einer höchsten Intelligenz ist eine bloße Idee, d.i. seine objective Realität soll nicht darin bestehen, daß er sich geradezu auf einen Gegenstand bezieht (denn in solcher Bedeutung würden wir seine objective

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Vergl. zu dieser Differenz auch R.Zocher: "Zu Kants transzendentaler Deduktion der Ideen", in: Zeitschr. f. Phil. Forschung Bd.XII (1958)

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Gültigkeit nicht rechtfertigen können), sondern er ist nur ein nach Bedingungen der größten Vernunfteinheit geordnetes Schema von dem Begriffe eines Dinges überhaupt, welches nur dazu dient, um die größte systematische Einheit im empirischen Gebrauche unserer Vernunft zu erhalten, indem man den Gegenstand der Erfahrung gleichsam von dem eingebildeten Gegenstand dieser Idee als seinem Grunde oder Ursache a b l e i t e t." (443/B 698/Hervorhebung JP)

Obwohl sich dieses Schema nie direkt auf die Empirie bezieht, hält Kant die Aufgabe der Deduktion für erfüllt, "wenn man nun zeigen kann, daß [...] dennoch alle Regeln des empirischen Gebrauchs der Vernunft unter Voraussetzungen eines solchen G e g e n s t a n d e s i n d e r I d e e auf systematische Einheit führen [...]", denn damit ist bewiesen, daß es "eine notwendige M a x i m e der Vernunft (ist), nach dergleichen Ideen zu verfahren" (443/B 699). Deshalb, so Kant, kommt der Idee systematischer Einheit eine unbestimmte Objektivität im Status des "Als-ob" (444/B 700) zu. Kennzeichnend für diese Deduktion ist, daß sie das, was es zu deduzieren gilt, nämlich die Möglichkeit der Vermittlung der heterogenen Prinzipien von reinem Begriff und empirischer Anschauung, die nicht schon von einem Vermitteltsein her gedacht werden kann, gar nicht thematisch werden läßt. Die Frage, die diese Deduktion als ein notwendiges Verfahren bestimmt, nämlich wie subjektive Bedingungen des Denkens eine unbestimmte objektive Gültigkeit haben können, wird von Kant dadurch beantwortet, daß die Applikation des idealen Einheitprinzips auf die Natur die Möglichkeit bedingt, die Natur als systematische Einheit vorzustellen. Die Deduktion reflektiert damit nicht auf die Spannung in dem Bezug auf die Natur, also nicht auf den Prozeß der Erkenntnis einer systematischen Einheit, sondern auf schon bestimmte Einheit, als Indiz eines Schonvermitteltseins von heterogenen Prinzipien. Das eigentliche Problem einer deduzierbaren Objektivität, von der her die Applikation apriorischer Struktur ein rechtmäßiges Verfahren aufgrund einer analog strukturierten Natureinrichtung ist, gerät nicht in den Blick der Untersuchung. Dies kann die Deduktion auch nicht leisten, weil das Ideal als ein Regulativ für die Erkenntnis systematischer Ordnung Bedingung der Möglichkeit ist, den Erkenntnisgegenstand als Teil eines Ganzen zu bestimmen. Eine Untersuchung der Adäquatheit des Ideals zur Einrichtung der Empirie findet demgemäß nicht statt, und deshalb wird Besonderes von der Idee eines Ganzen als a priori abgeleitet behandelt. Die Spannung von Natur und subjektiven Prinzip wird von daher nicht mehr zum Problem. Die Frage, ob die Idee als Richtmaß des empirischen Vernunftgebrauches sich als eine objektive Regel begreifen läßt, kann nicht anders als unter Berufung auf das Kriterium einer schon geleisteten Applikation beantwortet werden.

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Wenn Kant im Zuge dieser Deduktion die Bedingung systematischer Einheit des Denkens darin sieht, daß man die Natur so betrachten müsse, als ob sie ihr Dasein von einer "höchsten Intelligenz" hätte (443/B 699), so schließt er damit auf einen Sachverhalt, der aus dieser Deduktion gar nicht notwendig folgt: Denn die Deduktion ist unter dem Gesichtspunkt schon geleisteter Integration des Stofflichen in die Systematik des Ideals an dem Problem einer zu erweisenden Angemessenheit dieses Verfahrens vorbeigegangen. Die Bedingung für die Denkbarkeit einer solchen Systematik des Stofflichen gründet allein in der Subjektivität. Wenn das, was es zu prinzipiieren gilt, schon immer als prinzipiiert gefaßt ist, so ist daraus nicht viel mehr herleitbar, als daß es eben durch eine Idee prinzipiiert ist - und in diesem Charakter ist es Produkt des empirischen Vernunftgebrauches. Erst wenn vor einer Artikulation des Ideals am Stofflichen geklärt wäre, wie dieser Stoff sich in Relation auf diesen Begriff als integrierbar begreifen ließe, dann könnte auf eine Instanz geschlossen werden, die Bedingung kontingenter struktureller Kongruenz wäre. Doch diese Perspektive bleibt der Deduktion verschlossen. Das, worauf es die subjektive Struktur zu applizieren gilt, die Natur, ist nicht als eine solche thematisch, die unabhängig von geleisteter Applikation gedacht werden könnte. Und damit ist sie als das, woran sich das Prinzip in hinsieht auf seine geforderte Objektivität bezeugen könnte, überhaupt nicht angesprochen. Die Vernunft, dies gesteht Kant ein, ist " m i t n i c h t s a l s s i c h selbst b e s c h ä f t i g t " (448/B 708/Hervorhebung JP). Das Subjekt begegnet in dieser Konzeption nicht einem solchen, zu dem es sich als im Denken analog strukturiert begreifen könnte, denn das dem Denken Andere ist in einer applizierten Logizität des Subjektes angesprochen: Das Schema der Idee ist ein rationales, begriffliches Konstrukt, und in diesem Charakter ist es nicht mehr als die Doppelung des Vernunftbegriffs. Der Modus, in dem das Besondere gedacht wird, ist selbst die Bedingung, unter der es in diesem Modus nur gedacht werden kann. Als immer schon von einer geleisteten Applikation der Struktur des Ideals her verstanden, wird jede Reflexion auf die Möglichkeit einer Applikation zu einer reinen Selbstbegegnung des Subjektes am eigenen Entwurf. Der Verweis auf einen Begriff "höchster Intelligenz" ist nicht mehr als ein Rückschluß auf die subjektive Bedingung, in der ein Verfügenkönnen über besondere Stofflichkeit der Möglichkeit nach gründet. Deshalb macht die Deduktion nicht deutlich, worin die Notwendigkeit liegt, das "Als-ob" eines transzendental-außersubjektiven Grundes anzunehmen. Denn nach einer Bedingung für ein Verhältnis von Natur und Subjekt ist nur dann gefragt, wenn dieses Verhältnis erklärt werden muß, aber ein solches Verhältnis wurde nicht thematisch. Die transzendentale Deduktion kann deshalb in dieser Art ihrer Durchführung das Problem des dialektischen Scheins im immanenten

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Gebrauch des Ideals nicht angemessen überwinden, sie versucht es vielmehr zu umgehen und verstrickt sich dabei selbst in den von Kant für den hypothetischen Vernunftgebrauch demonstrierten dialektischen Zirkel einer Prüfung der Wahrheit für in Anspruch genommene Apodiktizität (vergl. 492f/B 675f). Woran die Deduktion scheitert bzw. warum sie keinen Einblick in die Möglichkeit kontingenter Kongruenz des Differenten gewinnen kann und damit keinen objektiven Status des Ideals zu begründen vermag, das ist der Mangel an einem Kriterium für das Gelingen einer Vermittlung differenter Prinzipien, welches einen Index für die subjektive Leistung einer Prüfung der Adäquatheit einer idealen Konzeption von systematischer Durchgängigkeit empirischer Gegenständlichkeit abgibt. Kant umgeht das Problem einer Vermittlung von Subjektivität und Natur, indem er sich auf einen schon vollzogenen Akt des Vermittelthabens heterogener Prinzipien beruft. Der objektive Status dieses Verfahrens ist jedoch gerade Problem. Aus dem Mangel eines Kriteriums für unbestimmte Objektivität fällt die Deduktion deshalb in die bloß subjektive Notwendigkeit des Prinzips von Durchgängigkeit zurück und gerät so selbst in den dialektischen Zirkel des immanenten Gebrauchs des Ideals. Von diesem Ergebnis her gelingt es Kant dennoch, den der Idee einer durchgängigen Einheit anhängenden Schein positiv zu bewerten, obgleich es einen objektiv-regulativen Status nicht rechtfertigt. In dem dialektischen Zirkel verfügt die Vernunft nämlich über eine Bedingung, sich selbst auf einen nur regulativen Status einzuschränken: Die Illusion ist damit deshalb notwendig, weil durch sie der rein begriffliche Charakter des Prinzips, welcher die Zirkularität verursacht, explizit wird. In diesem Vermögen der Selbstrestriktion weist sich die Vernunft als positiver Bestand des Erkenntnisinventars aus. Die Vernunft kann sich somit davor bewahren, ins Überschwengliche abzugleiten, und hierin ist die Dialektik des Scheins zweckmäßig: Weil die Dialektik des Scheins genuine Konsequenz ihres Gebrauches ist, inauguriert dieser Gebrauch eine K r i t i k als Verfahren der eigenen Restriktion ihres Status. Der durch die Prüfung auf Allgemeingültigkeit vorstellige dialektische Zirkel schafft allererst die Bedingung für eine vollständige Kritik der reinen Vernunft. Dadurch, daß die Vernunft in ihrer zur Geltung gebrachten Begrifflichkeit im immanenten Gebrauch auf sich zurückgewiesen ist, steht sie in einem diesem Gebrauch wesentlichen Bezug auf sich - sie kann sich selbst kritisieren und im Vollzug geleisteter Kritik ihre Ideen qua Schema als Regulative legitimieren. "Also sollen sie an sich selbst nicht angenommen werden, sondern nur ihre Realität, als eines S c h e m a des regulativen Princips der systematischen Einheit aller Naturerkenntniß, gelten [...]." ( 4 4 5 / B 702/Hervorhebung JP)

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Damit hat Kant in der 2. Abteilung der transzendentalen Logik ein von den Ausführungen in der Analytik unabhängiges Kriterium für die Geltung reiner Begriffe eingeführt. Dies ist deutlich mehr, als aus der Perspektive der Analytik entwickelt werden konnte; aus ihrer Sicht sind die Ideen nur regulativ, weil sie nicht in concreto darstellbar sind - sich also durch einen Mangel auszeichnen. Hier nun, durch den Aufweis möglicher Selbstrestriktion, scheint sich die Ideenlehre als positiver Bestand für die Erkenntnis legitimieren zu können. Im Vermögen selbstkritischer Bezüglichkeit setzt die Vernunft den Status ihrer Begriffe aus sich heraus: Sie kann nicht allein als ein Prinzip der Einheit des Verstandes verstanden werden, weil sie die ihm notwendige Einheit seiner Handlungen bedingt, sondern vielmehr, weil sie sich zugleich auf diese Bedingung restringiert. Sie restringiert sich nicht aus einem Zurückbleiben hinter dem objektiven Vermögen des Verstandes in der Erkenntnisgültigkeit ihrer Begriffe, sondern aufgrund einer ihrer Artikulation ursprünglich anhaftenden Dialektik.16 Die Kritik traditioneller rationaler Philosophie läßt sich von daher nicht durch den bloßen Verweis auf die "neue metaphysial generalis", wie Kant sie in der Analytik darlegt, formulieren - eine solche Kritik würde einer alten Konzeption lediglich eine neue entgegenstellen - die Transzendentalphilosophie vermag vielmehr aus der Ideenlehre selbst heraus die rationale Philosophie zu disqualifizieren: Ihre Dogmen, als Ergebnisse des Gebrauchs reiner Vernunftbegriffe, sind Produkte "der faulen Vernunft (ignava ratio)" (453-455/Β 717-720) und der "verkehrten Vernunft (perversa ratio)" (455-456/B 720-721), denn daß die Ideen, auf die sich der Dogmatiker bezieht, nur regulativen Charakter haben, zeigen sie selbst durch ihren dialektischen Schein an. Ein in der Erkenntnis des Besonderen notwendiges Transzendieren der Erfahrung führt nicht unausweichlich in den Dogmatis-

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Dies wird von J.Kopper in "Reflexion und Determination" (Berlin/New York 1976) nicht berücksichtigt. Kopper sieht die Restriktion der Vernunft lediglich als Konsequenz einer den Ideen im Gegensatz zu den Verstandesbegriffen mangelnden Objektivität: "Der Verstand, der durch der sein Erkennen ermöglichenden Bedingungen zum wirklichen Begreifen gelangt ist, mißt also durch sich das der Vernunft mögliche Begreifenkönnen als ein solches, das hinter der Objektivität, die zu erreichen ihm möglich ist, zurückbleiben muß; er beurteilt das der Vernunft mögliche Begreifen und schränkt seine Gültigkeit ein, während die Vernunft selbst sich nicht zur Kritik ihres eigenen Begreifens zu erheben vermag." (S.3) C.Piches Interpretation: "Die Dialektik ist natürlich und gehört zur ursprünglichen Anlage der Vernunft wie die Ideen selbst; der dialektische Schein ist deshalb zweckmäßig, weil er den Philosophen aus dem dogmatischen Schlummer erweckt, und weil er die Vernunft zur Selbstprüfung zwingt [...]" ("Das Ideal", Bonn 1984, S.103), entspricht unserer Auffassung. Piche kann jedoch nicht mit seiner Behauptung überzeugen, daß die Vernunft, "wenn (sie) nun ihre eigene Bestimmung gefunden hat", die transzendentalen Ideen als "erforderliche Mittel in Gang setzt", denen nunmehr kein dialektischer Schein anhängt (ebd.).

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mus; deshalb können Ideen als Prinzipien einer Einheit für die Verstandeshandlung in Anspruch genommen werden. "Die transscendentale Dialektik thut also keinesweges dem Sceptizism einigen Vorschub, wohl aber der sceptischen Methode [...]." (348/B 535)

Der dialektische Schein führt demnach, so Kants Auffassung in der ersten Kritik, nicht zur Euthanasie der Philosophie durch den Skeptizismus (vergl. 282/B 434), er initiiert vielmehr die kritische Läuterung der reinen Vernunft zu einem regulativen Vermögen, denn die Vernunft hat die Fähigkeit zur Disziplin, die sie "selbst ausüben kann und muß, ohne eine andere Censur über sich zu gestatten [...]" (517/B 823). Im Vermögen der Selbstrestriktion haben die Ideen "ihre gute zweckmäßige Bestimmung in der Naturanlage unserer Vernunft" (442/B 697). In ihrem dialektischen Schein durchschaut, können die Ideen als Regulative fungieren. Auf der Grundlage dieser kritischen Selbstrestriktion werden von Kant drei Objekte des Vernunftschlusses der Dialektik von neuem vorgestellt. Die in der Dialektik des Ideals aufgewiesene Zirkularität und die daraus resultierende und von Kant in der Deduktion vorgestellte Selbstbegegnung des Denkens findet ihren Ausdruck: Die Vernunft kehrt über die Struktur des Schemas (als Doppeilung des Ideals als Idee systematischer Einheit) zu sich zurück - drei Objekte (Ich, Welt und Gott) sind wieder thematisch (vergl. 449/B 710). Es werden drei Ideen e i n e s Vernunftschlusses (Kant: drei Objekte "einer solchen Idee", 449/B 710) vorgestellt und in ihrem regulativen Charakter betont: Sie sind nicht mehr Gegenstände spekulativer Erkenntnis, sondern Erklärungsprinzipien: 1. Das I c h "als denkende Natur (Seele)" (449/ Β 710). Dieses Objekt als Gegenstand in der Idee (als Schema) ist hier nicht mehr als überschwenglicher Begriff eines Paralogismus vorgestellt (diesem gestand Kant bislang keinen regulativen Charakter zu, denn es gibt keinen Abschnitt vom regulativen Gebrauch dieser Idee), sondern als funktionelles Gedankending - ab Prinzip der systematischen Einheit in Erklärung der Erscheinungen der Seele: Ab ob das Ich absolute Einheit wäre (vergl. 449-451/B 710-713). 2. Der W e 11 b e g r i f f als Prinzip, das zur Regel des empirischen Gebrauchs der Vernunft dient, d.i. als Erklärung der Bedingungsreihe zur gegebenen Erscheinung: Ab ob die Reihe an sich unendlich wäre (vergl. 551/B 712-713). 3. G ο 11 als Ursache aller kosmologischen Reihen: " A l s o b sie insgesammt aus einem einzigen allbefassenden Wesen als oberster und allgenugsamer Ursache entsprungen wären" (552/B 714). Alle drei Objekte haben das Gemeinsame, daß sie nun nicht mehr als Ideen, sondern als Gegenstände in der Idee qua Schema von Kant bestimmt werden. Dies ist eine Dignität, die erst durch den kritischen Selbstbezug der Vernunft aus ihrer Dialektik entwickelt wurde. Diese drei Arten von

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Objekten sind die Strukturmomente des Schemas der Idee durchgängiger Systematik als Maximen des Bezuges auf Inhalte; daher ist es nicht verwunderlich, daß aus der Selbstbezüglichkeit der Vernunft heraus diese Ideen wieder vorgestellt werden: Aus dem Schema leitet Kant drei Objekte der Idee ab, denn die Dialektik der reinen Vernunft ist eine transzendentale Dialektik; sie abstrahiert nicht von allem Inhalt, wie eine logische Dialektik, sondern sie ist eine Dialektik des Inhaltes als eine apriorische Aussage über Sachhaltiges (vergl. 257/B 390). Diese Prätention möglichen Verfügenkönnens über das Besondere in der Erscheinung ist je nach Sachgebiet ein Allgemeines, von dem sich etwas ableiten läßt, ohne daß diese Ableitung die Problematik einer doktrinalen Dialektik bei sich führt. Der dialektische Grundsatz wird nicht zu einem doktrinalen Grundsatz, denn das Schema ist Bezugsobjekt, von dem her etwas bestimmt, nicht aber objektiv erkannt wird. Damit ist deutlich, warum das Ideal höchster Vernunftbegriff ist, nämlich als Inbegriff von Denken überhaupt, von dem her drei Arten von Objekten ableitbar sind, als positiver Bestand in der Erkenntnistheorie, als Maxime aller Erfahrungserkenntnis. Dem dritten Objekt kommt für die empirische Naturerfahrung eine besondere Funktion zu: Es ist das Schema für den empirischen Gebrauch der Idee einer "zweckmäßigen Einheit der Dinge" und damit höchstes Prinzip der Erkenntnis der systematischen Einheit der Natur. "Diese höchste formale Einheit, welche allein auf Vernunftbegriffen beruht, ist die z w e c k m ä ß i g e Einheit der Dinge, und das s p e c u l a t i v e Interesse der Vernunft macht es nothwendig, alle Anordnung in der Welt so anzusehen, a l s ο b sie aus der Absicht einer allerhöchsten Vernunft entsprossen wäre. Ein solches Princip eröffnet nämlich unserer auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Aussichten, nach t e l e o l o g i s c h e n (Hervorhebung JP) Gesetzen die Dinge der Welt zu verknüpfen und dadurch zu der größten systematischen Einheit derselben zu gelangen." (452/Β 714-715)

Die Voraussetzung dieser höchsten formalen Einheit als Regulativ für eine teleologische Beurteilung ist, wie Kant sagt, eine Idee, die jederzeit für die Naturerfahrung in Anspruch genommen werden kann; dies sogar, obwohl gewiß ist, daß diese Voraussetzung bloß spekulativ ist: "Denn es kann allenfalls daraus nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen teleologischen Zusammenhang (nexus finalis) erwarteten, ein bloß mechanischer oder physischer (nexus effectivus) angetroffen werde, wodurch wir, in einem solchen Falle nur eine Einheit mehr vermissen, aber nicht die Vernunfteinheit in ihrem empirischen Gebrauche verderben." (453/B 715-716)

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Nach dem Ergebnis der ersten Kritik ist die Vorstellung einer systematischen, zweckmäßigen Einheit der Dinge damit höchstes regulatives Prinzip der empirischen Naturerfahrung. Es ist eine Voraussetzung der Natur ab System und damit ein Schema des Ideals, welches ein Prinzip der systematischen Durchgängigkeit aller Verstandeshandlungen ist, "[...] denn das regulative Gesetz der systematischen Einheit will, daß wir die Natur so studiren sollen, a l s o b allenthalben ins Unendliche systematische und zweckmäßige Einheit, bei der größtmöglichen Mannigfaltigkeit angetroffen würde." (459-460/B 728)

Aus der Perspektive der Deduktionen der höchsten Idee durch die Selbstreflexion der Vernunft ist nun ein Verständnis dafür gewonnen, wie die Vernunft sich zur eigenen Begrifflichkeit verhält: Sie kehrt zu sich zurück und begreift sich in neuer V/eise im restringierten Status.

Drittes Kapitel Übergang zu den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft Was Kant in dieser Dialektik vollständig formuliert hat, sind die Bedingungen für Erkenntnis aus der Sicht einer notwendigen Einheit des Verstandes, d.i. die Disposition des Subjektes für ein mögliches Verfügen des Denkens über empirische Sachhaltigkeit. Diese Disposition als subjektive Notwendigkeit klärt aber nicht den objektiven Status der Regulative, denn dieser ist abhängig von dem Aufweis der Adäquatheit der ideellen Konzeption zu einer Struktur der besonderen Natur, die jeder ideellen Konzeption gegenüber gleichgültig ist und aus dieser nicht deduziert werden kann. Die Dialektik hat in der Idee einer durchgängigen systematischen Einheit die conditio sine qua non untersucht, unter der das Besondere des Gegenstandes denkbar wird. Also ist der Inbegriff des Denkens überhaupt (bzw. die Idee eines "Verstandes überhaupt" als Prinzip aller Möglichkeit der Dinge) die Bedingung für einen Bezug auf das Besondere. Diese Beziehung ist jedoch bislang allein im Rahmen einer Analyse der Erkenntnisvermögen auf der Grundlage der objektivierenden Philosophie abgehandelt worden. Ob sich an der Natur die Tauglichkeit zu einem in der ersten Kritik deduzierten Systembegriff aufweisen läßt, ist noch offen und verlangt nach der Wiederaufnahme dieses Problems in der Weise, daß das Verhältnis der Idee zu dem Besonderem in der Anschauung thematisch wird. Eine Thematisierung dieses Verhältnisses fordert jedoch eine Instanz, die selbst nicht schon von einer gelungenen Vermittlung von Denken und Anschauung her gedacht werden darf, denn dieses Gelingen ist gerade Problem. Was mit dem Ideal gezeigt wurde, ist lediglich die Prätention dessen, worin ein solchen Gelingen besteht. Dies bedeutet aber, daß nur gezeigt wurde, in Hinblick auf welche Struktur durchgängiger Einheit sich der Erkenntnisakt entfalten soll. Wie dieser Prozeß als der Gebrauch von Regulativen verstanden werden muß, darauf gibt Kant in der ersten Kritik keine hinreichende Antwort. Damit bleibt Kant in seinen Darstellungen hinter dem erklärten Ziel des Anhangs zur transzendentalen Dialektik, nämlich einer Exposition "Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft" (426/B 670), deutlich zurück, denn die Vorstellung, worin die Einheit der Verstandeshandlung besteht, zeigt nicht, daß es in der Konfrontation mit der empirisch besonderen Natur eine solche Einheit geben kann, weil die subjektive Notwendigkeit nicht die Möglichkeit einer

Übergang zu den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft

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B e w ä h r u n g d e s s y s t e m a t i s c h e n G r u n d s a t z e s a n d e r S t r u k t u r d e s Stoffes, d e n es z u e r k e n n e n gilt, impliziert. E n t g e g e n d e m A n l i e g e n d e r Dialektik, d e n Begriff d e s Ideals als ein t a u g l i c h e s P r i n z i p f ü r d i e E r f a h r u n g s e r k e n n t n i s a u s z u w e i s e n , fällt K a n t a u f das

ursprüngliche

Problem

apriorisch

synthetischer

Grundsätze

der

Vernunft zurück: "[...] ein solcher Grundsatz schreibt den Objecten kein Gesetz vor und enthält nicht den Grund der Möglichkeit, sie als solche überhaupt z u erkennen und z u bestimmen; sondern ist bloß ein subjectives Gesetz der Haushaltung mit dem Vorrathe unseres Verstandes, durch Vergleichung seiner Begriffe den allgemeinen Gebrauch derselben auf die kleinstmögliche Zahl derselben zu bringen, ohne daß man deswegen von den Gegenständen selbst eine solche Einhelligkeit, die der Gemächlichkeit und Ausbreitung unseres Verstandes Vorschub thue, zu fordern und jener Maxime zugleich objective Gültigkeit zu geben berechtigt wäre." ( 2 4 1 - 2 4 2 / B 362-363) W e n n d i e G r u n d s ä t z e als R e g u l a t i v e eine F u n k t i o n h a b e n sollen, d i e ü b e r eine Stiftung v o n V e r s t a n d e s e i n h e i t d a r i n h i n a u s g e h t , d a ß sie in d e r Stiftung d i e s e r Einheit e i n e M ö g l i c h k e i t f ü r E r f a h r u n g s e r k e n n t n i s z u schaffen v e r m ö g e n , d a n n m u ß K a n t z e i g e n , w i e d e r a priori v o r a u s g e s e t z t e Vernunftbegriff eines S y s t e m s in d e m S p a n n u n g s v e r h ä l t n i s v o n Subjekt u n d N a t u r als v e r m i t t e l n d e I n s t a n z z u r G e l t u n g g e b r a c h t w e r d e n k a n n . Die e n t s c h e i d e n d e F r a g e l a u t e t deshalb, wie über dieses Prinzip die besondere Natur bestimmt werden kann, ohne daß das Subjekt sich nur selbst in dem eigenen Entwurf begegnet.17

17

Demgemäß weist Ernst Lehmann in seiner Arbeit I d e e und Hypothese bei Kant" (Leipzig 1908) mit Recht darauf hin, daß die Ideenlehre in der Dialektik der Kritik der reinen Vernunft dem hypothetischen (immanenten) Gebrauch der Ideen nur dann einen Sinn geben kann, wenn scharf zwischen Idee und Hypothese linterschieden wird. Sofern nämlich "die Ideen überhaupt keine Gegenstände bezeichnen, erscheinen Idee und Hypothese [...] als völlig unvergleichbare Begriffe." Erst "wenn Ideen als denkmögliche, unbekannte, transzendente D i n g e angesehen werden, treten sie aus dem Herrschaftsbereich des rein methodischen Idealismus hinaus. Ideen sind alsdann nicht völlig disparate Begriffe; indem sie auf Dinge bezogen werden, stehen sie auf gemeinsamem begrifflichen Boden." (S.8) 'Sofern die Ideen lediglich methodische Prinzipien sind" - sie also nur in hinblick auf die Einheit der Verstandeshandlungen fungieren - "ist ihre Gleichsetzung mit transzendentalen Hypothesen sinnlos;" demgegenüber "erscheint die Kategorie der metaphysischen Hypothese zulässig, [...] sofern sie gegenständliche Probleme bezeichnen. Wir fragen mit Kant, ob sie haltbar ist, im besonderen: inwiefern metaphysische Hypothesen als Erklärungshypothesen gelten können; inwiefern sie als Ergänzungshypothesen anzusehen sind, - eine Unterscheidung, die auch Kant gelegentlich macht, indem er sagt, die Ideen, als Hypothesen verwendet, erklärten nichts, dienten nicht zur Beförderung des Verstandesgebrauches, sondern 'eigentlich nur zur Befriedigung der Vernunft' (Kr.d.r.V., S.581, 588), die durch das Bedürfnis eines vollendeten Abschlusses der

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Übergang zu den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft

In der ersten Einleitung zur Kritik der Urteilskraft greift Kant dieses Problem wieder auf. Die systematische Einheit des Verstandes in der empirischen Erfahrung mag zwar eine subjektiv notwendige Forderung sein, "daraus folgt aber nicht, daß die Natur auch nach e m p i r i s c h e n Ges e t z e n ein für das menschliche Erkenntnisvermögen f a ß 1 i c h e s System sei, und der durchgängige systematische Zusammenhang ihrer Erscheinungen in der Erfahrung, mithin diese selber als System, dem Menschen möglich sei." (l.Einl. 209/13)

Daß die Kritik der Urteilskraft dieses Problem erneut zum Thema macht, ist Indiz dafür, daß die ersten Kritik mit der transzendentalen Deduktion der Ideen diesen Sachverhalt auch nach Kants Selbstverständnis unzureichend behandelt hat. Der Grund hierfür liegt darin, daß die objektivierende Philosophie in dem Vermögen der Vernunft ein Prinzip hat, welches als Identitätsprinzip für den auf empirische Erkenntnis des Besonderen gerichteten Verstand funktionell bestimmt ist, indem es die Spannung von Sinnlichkeit und Verstand immer schon als vermittelbar voraussetzt. Erst ein Vermögen, das nicht für ein anderes Vermögen in Hinblick auf dessen Einheit in der Erfahrungserkenntnis fungiert, sondern welches sich als Prinzip eigener Identität in die Spannung einer zu leistenden Vermittlung von Anschauung und Denken stellen kann, ohne diese Spannung immer schon als vermittelt gedacht zu haben, kann sich in einer dem Problem adäquaten Weise auf das Besondere der Natur beziehen; dies in dem Sinne, daß eine Vermittelbarkeit ein kontingentes Gelingen bedeutet. Ein solches Vermögen eigener Identität versucht Kant in der dritten Kritik mit der reflektierenden Urteilskraft einzuführen. Die reflektierende Urteilskraft soll als ein heautonomes, sich selbst das Gesetz gebende Vermögen (vergl l.Einl. 225/32, 2.Einl. 185/XXXVII) verstanden werden können, welches sich in Hinblick auf die über das Ideal formulierte Voraussetzung einer systematischen Einheit der Naturerfahrung zur Geltung bringt. Diese Voraussetzung ist: "die N a t u r s p e c i f i c i r t i h r e a l l g e m e i n e Gesetze zu e m p i r i s c h e n , gemäs der Form eines logischen S y s t e m s , z u m B e h u f d e r Urtheilsk r a f t." (l.Einl. 216/21)

Wie Kant den Gebrauch dieser regulativen Voraussetzung durch die

Erkenntnis charakterisiert ist." (S.9/10)

Übergang zu den Einleitungen in die Kritik der Urteilskraft

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Einführung eines dritten Grundvermögens des Subjektes zu bestimmen versucht, dies ist Gegenstand unserer Untersuchung der Kritik der Urteilskraft.

Zweiter Teil Die Idee der systematischen Einheit Verhältnis zum Prinzip der Zweckmäßigkeit

"Die Zweckmäßigkeit der Natur ist also ein besonderer Begriff α priori, der lediglich in der reflectirenden Urtheilskraft seinen Ursprung hat." Zweite Einleitung in die Kritik der Urteilskraft (XXVIII/181)

Vorbemerkung zur Interpretation der Einleitungen In der ersten Fassung der Einleitung in die dritte Kritik stellt Kant die Urteilskraft als ein "besonderes, g a r n i c h t selbständiges Erkenntnißvermögen" (202/7, Hervorhebung JP) vor, dessen Funktion darin gründet, "blos unter anderweitig gegebene Begriffe zu subsumiren" (202/8). Gleichwohl, so die These Kants, soll sich die Urteilskraft in der ästhetischen Reflexion selbst das Gesetz geben, worin sie ihre " A u t o n o m i e beweiset" (vergl. 225/32). Es scheint, als könne dieser Widerspruch durch den Hinweis aufgehoben werden, daß die Urteilskraft sich allein in der ästhetischen Beurteilung selbst das Gesetz gibt. Eine solche Interpretation findet zunächt ihre Bestätigung durch die Aussage, der Begriff einer natürlichen Zweckmäßigkeit der Natur "(forma finalis naturae spontanea)" gehöre zwar ursprünglich der (teleo-) logischen Reflexion zu, aber zu einer solchen Reflexion erfordert es zugleich Vernunft, nämlich "zum Behuf einer nach Principien anzustellenden Erfahrung" (235/41); demnach steht die teleologische Urteilskraft unter der Gesetzgebung der Vernunft, womit diese Reflexionsart als mit dem immanenten Gebrauch der Vernunft identisch verstanden werden muß. Diesem Schluß steht jedoch Kants Behauptung in der Kritik der Urteilskraft entgegen, wonach dieses Vermögen sich in der teleologischen Reflexion "selbst zum Princip dienen müsse" (385/312). Wir werden in unserer Interpretation der ersten Einleitung zeigen, daß Kant die Funktion und Struktur des Reflexionsprozesses implizit an die Konzeption des Ideals der reinen Vernunft (als die Idee einer systematischen Einheit) bindet, und daß dieses Verfahren nicht nur dem Schein nach widersprüchliche Aussagen erzeugt, sondern daß es vielmehr sachliche Gründe sind, die diese Einleitung in ihrer Darstellung des Reflektionsvermögens in eine Aporie leiten. Als Konsequenz dieser unauflösbaren Dialektik entwickelt Kant eine neue Konzeption des empirischen Gebrauchs von Vernunftideen, in der der Entwurf der ersten Kritik verworfen wird und an dessen Stelle die K r i t i k d e r U r t e i l s k r a f t tritt. Der zweiten Fassung der Einleitung wird dieses neue Konzept zum Grunde gelegt; sie ist eine Einführung in die Theorie des kritischen Gebrauchs der Vernunftidee für die empirische Erfahrungserkenntnis auf der Grundlage einer sich eigenständig prinzipiierenden Urteilskraft.

Erster Abschnitt Kants Versuch der Fundierung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft in den beiden Fassungen der Einleitungen Beiden Einleitungen ist gemeinsam, daß sie 1.) die transzendentale Funktion der Urteilskraft vorstellen, bevor die Unterscheidung zwischen einer ästhetischen und teleologischen Reflexion getroffen wird1 und 2.), daß sie einen heautonomen Status der Urteilskraft hervorheben. Sie sprechen diesen Status den Reflexionsarten jedoch in unterschiedlicher Weise zu: Die erste Fassung der Einleitung setzt die "Idee der Erfahrung als einem System für die Urtheilskraft" voraus (vergl. l.Einl. 208/13); die Funktion der Urteilskraft ist damit an diese Idee einer Zweckmäßigkeit der Natur gebunden. Demnach ist auch die Erkenntnismöglichkeit eines systematischen Zusammenhangs der empirischen Naturgesetze nicht über die Struktur der Urteilskraft begründet, sondern durch einen Vernunftbegriff. Die zweite Fassung der Einleitung hingegen begründet den Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur über die Struktur eines autonomen Reflexionsvermögens der Urteilskraft. Dementsprechend scheint die Charakterisierung der Urteilskraft als Heautonomie in der ersten Fassung eine unzureichende Konzeption zu sein, die Kant mit der zweiten Einleitung zu überwinden sucht.2 Worin der Mangel in der ersten Fassung der Einleitung besteht und wie diese Konzeption von Kant korrigiert wird, dies wollen wir durch eine Interpretation der beiden Einleitungen darstellen.

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Vergl. Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.222 ebd., S.231

Erstes Kapitel Interpretation der ersten Fassung der Einleitung unter dem Aspekt der Fundierung des Prinzips der Urteilskraft auf der Grundlage der ersten Kritik Ausgangspunkt für die Argumentation der ersten Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft ist der Gedanke von der Erfahrung als einem System für die Urteilskraft (vergl. 208/13). Die Vorstellung eines Systems der Erfahrung folgt hierbei nicht aus der Struktur der Urteilskraft selbst, sondern aus der Konzeption einer Idee. Diese Idee hat die Struktur eines im Zuge der Erörterung des Ideals entwickelten Begriffs als Prinzip der "Affinität der besonderen Gesetze" (209/14). "Diese Voraussetzung ist nun", wie Kant sagt, "das transscendentale Princip der Urtheilskraft" (209/14-15); "[...] es ist eine bloße Voraussetzung der Urtheilskraft, zum Behuf ihres eigenen Gebrauchs von dem Empirisch-Besonderen jederzeit zum allgemeinen gleichfalls Empirischen, um der Vereinigung empirischer Gesetze willen, hinaufzusteigen, welche jenes Princip gründet." (210-211/15-16)

Die begriffliche Struktur des Allgemeinen ist hierin durch das Prinzip einer Idee von Einheit a priori vorgegeben. Damit gründet die Bedingung der Reflexion nicht in einer autonomen Struktur der Urteilskraft, sondern die Idee der Zweckmäßigkeit ist hier der die Struktur der Urteilskraft fundierende Begriff. Wenn nämlich die Idee eines die empirische Gesetzmäßigkeit spezifizierenden Verstandes ("Verstand überhaupt'VIdeal) die Struktur des reflexiv zu findenden Begriffs vorgibt, dann erfährt der Begriff der Zweckmäßigkeit über die Idee der Zusammenstimmung von Natur und Subjekt seinen Sinn; Zweck ist hierbei die subjektive Möglichkeit eines Bezuges zur Natur. Auf der Grundlage des durch die Vernunft begründeten Zweckmäßigkeitsbegriffs trifft Kant nun die Unterscheidung des Urteilsvermögens in ästhetische und teleologische Reflexion. "In unserer Urtheilskraft nehmen wir die Zweckmäßigkeit wahr, so fern sie über ein gegebenes Object blos reflectirt, es sey über die empirische Anschauung desselben, um sie auf irgendeinen Begrif (unbestimmt welchen) zu bringen, oder über den Erfahrungsbegrif selbst, um die Gesetze, die er enthält, auf gemeinschaftliche Principien zu bringen. Also ist die Urtheilskraft eigentlich technisch; die Natur wird nur als technisch vorgestellt, so fern sie zu

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Interpretation der ersten Einleitung

jenem Verfahren derselben zusammenstimmt und es nothwendig macht." (220/25)

Der Gedanke einer Zweckmäßigkeit der Natur soll also dadurch gerechtfertigt werden, daß die Natur selbst als technisch verfahrend beurteilt werden kann, "nämlich um eines Zweckes willen, und nicht nur nach mechanischer Notwendigkeit".3 Dies setzt aber schon voraus, daß die Natur an ihren Produkten gemäß einer Technik verstanden werden kann. Eine Technik der Natur ist jedoch nicht rezeptiv wahrnehmbar, sondern sie muß als eine solche kraft eines spezifischen Urteilsvollzuges erst aufgewiesen werden.4 Erst wenn dieser Aufweis gelingt, hat es Sinn, die besondere empirische Natur als systematisch, d.i. als zweckmäßig für die Urteilskraft zu behaupten. Die Möglichkeit, die Natur als technisch beurteilen zu können, gründet nun nach Kant in zwei Funktionen, der der ästhetischen und der der teleologischen Reflexion. Eine Eigenständigkeit (Autonomie) wird nur für die ästhetische Reflexion behauptet (vergl. 225/32). Diese Autonomie der Urteilskraft ist jedoch problematisch; denn es wird zwar nicht aus einem Begriff reflektiert (vergl. 223/29), doch wird ihre Funktion in Abhängigkeit von der Idee einer Erfahrung als System für die Urteilskraft entwickelt. Also ist die Möglichkeit der strukturellen Entfaltung dieses Vermögens durch den Gedanken einer Technik der Natur bedingt. Die teleologische Urteilskraft hingegen bleibt ursprünglich an dem Begriff eines Zweckes orientiert, der die Möglichkeit ihrer funktionellen Entfaltung fundiert; sie ist also nicht autonom bestimmt. Aus dieser Darstellung folgt: Die Beurteilung dieser Technik ist im subjektiven Status, wenn ihr Bestimmungsgrund das Gefühl ist; die ästhetische Reflexion ist hierin bezogen auf einen Begriff formaler Zweckmäßigkeit, die sich als Lust in der Immanenz eines Spiels von Erkenntniskräften erfüllt (vergl. 224/30-31); - die teleologische Reflexion hingegen ist orientiert an einer realen Zweckmäßigkeit/Technik der Natur, dem Begriff eines Naturzwecks (vergl. 232/38). "Also stehen alle Urtheile über die Zweckmäßigkeit der Natur, sie mögen nun ästhetisch oder teleologisch seyn, unter Principien a priori und solchen, die der Urtheilskraft eigenthümlich und ausschließlich angehören [...]." (241/52)

"Eigentümlich" kann nach der bisherigen Darstellung Kants aber nicht heißen: aus einer Eigenständigkeit der Urteilskraft - , sondern: gemäß einem Aspekt, auf den die Urteilskraft eigentümlich, d.i. ab reflektierende Urteilskraft bezogen ist. Allein in der Immanenz bloß ästhetischer Reflexion kann die Urteilkraft als autonomes Vermögen verstanden werden. Außerhalb des 3 4

W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S227 Vergl. ebd., S.227/228

Fundierung des Prinzips auf der Grundlage der ersten Kritik

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inneren Vollzuges jedoch, d.h. als Prinzip zur Legitimation der Vorstellung einer Technik der Natur - und für dieses Verfahren wird sie in der ersten Einleitung ursprüglich in Anspruch genommen - , bleibt sie funktionell von dieser Idee abhängig und damit heteronom bestimmt. Hieraus folgt für die Grundlegung der Theorie des Reflexionsurteils, daß prinzipiell keine Heautonomie für dieses dritte Vermögen des Subjektes aufweisbar ist. Es ist sich nicht selbst Gesetz, sondern seine Verfahrensmöglichkeit gründet in der Idee der zweckmäßigen Einheit der Natur für die Urteilskraft. Was "Zweckmäßigkeit" ist, dies ist kein Aspekt, der in der Struktur der Urteilskraft selbst gelegen ist.5 Die Urteilskraft steht in ihren zwei differenten Arten der Reflexion (ästhetisch und teleologisch) unter der Leitung einer Idee von systematischer Einheit der Natur, die Kant mit dem Schema des Ideals schon in der ersten Kritik dargestellt hat.6 Nach der Aussage der ersten Einleitung sind die differenten Funktionen der Urteilskraft nicht mehr als zwei Möglichkeiten, den Gedanken der Systematik der Natur zu untermauern. Die hieraus folgenden Widersprüche wollen wir zunächst über die Frage nach einem möglichen Argument für eine Einheit der dritten Kritik darstellen. Auf den ersten Blick scheint diese von Kant vorgelegte Darstellung der Urteilskraft den Gedanken der Einheit der beiden Teile der Kritik der Urteilskraft zu belegen. Ein hierfür taugliches Argument scheint nämlich: Weil beider Gebrauch der Urteilskraft sich in Rücksicht auf die Beurteilung einer Technik der Natur entfaltet (um willen von Indizien für eine Zweckmäßigkeit der Natur in der Beurteilung ihrer empirischen Gesetze) und hierin der Voraussetzung einer Erfahrung als eines Systems für die Urteilskraft einen Geltungsanspruch vermitteln könnte, gibt es einen den Vermögen jeweils gemeinsamen

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Vergl. hierzu W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort": "Dieses Prädikat der Zweckmäßigkeit, das wir der Natur beilegen, gilt nur mit Rücksicht auf unsere Urteilskraft und ist ein der Urteilskraft eigentümlicher Begriff, aber so, daß er von der Urteilskraft nur gebildet werden kann, wenn diese selbst schon orientiert ist an einer ihr vorgegebenen Idee von Zusammenstimmung zwischen Natur und Subjekt." (S.225) "Aber die reflektierende Urteilskraft ist bei dieser Konzeption einer Zweckmäßigkeit der Natur von etwas geleitet, das nicht aus ihr selbst entspringt, und damit nicht als ein eigenständiges und autonomes Vermögen gefaßt." (S.226) Demgemäß sieht B.Kaluza in seiner Untersuchung "Kants Kritik der Urteilskraft im Entwurf der beiden Einleitungen" (Diss. Basel 1971) die erste Fassung der Einleitung als den Versuch einer Fortführung der Frage nach der empirischen Bestimmung der besonderen Gesetze auf der Grundlage des Ergebnisses der ersten Kritik: "Das vorliegende Problem, nämlich die Begründung der Möglichkeit empirischer Gesetze zu einem Ganzen der Erfahrung, scheint [...] der Sache nach das gleiche zu sein, wie in der Kritik der reinen Vernunft." (S.66)

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Interpretation der ersten Einleitung

Bezug, der den Einheitsgedanken der Kritik bestimmt.7 Die Voraussetzung einer Zweckmässigkeit der Natur ist eine Idee, von der her das Fungieren des Prinzips der Urteilskraft verstanden wird. Also kann in dieser Konzeption das Prinzip der Zweckmäßigkät nicht als eine Struktur eigenständig bestimmter Urteilskraft behauptet werden, denn dieses Prinzip ist durch die Vernunft gesetzt. Das Dilemma in der Begründung des Prinzips der Urteilskraft durch die erste Einleitung ergibt sich in Hinblick auf das Problem der Einheit der Kritik der Urteilskraft aufgrund zweier sich wechselseitig ausschließender Grundpositionen: Entweder: die Idee einer Zweckmäßigkeit formuliert eine allgemeine Reflexionsbedingung, oder: die Urteilskraft ist sich selbst autonomes Prinzip ihrer Reflexion. Der ersten Position steht die Behauptung Kants entgegen, die ästhetisch Reflexion gründe in der Autonomie der Urteilskraft. Wenn die Urteilskraft aber in der ästhetischen Reflexion Prinzip eigener Funktionalität ist, dann gibt es zwei different prinzipiierte Urteilsvermögen: ein autonomes Vermögen der ästhetischen Reflexion und ein teleologisches, welches durch ein anderes Prinzip, nämlich das des Ideals der reinen Vernunft, heterogen be-

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Dieses Argument für eine Einheit der dritten Kritik wird von Kuypers in seiner Arbeit "Kants Kunsttheorie und die Einheit der Kritik der Urteilskraft" (Amsterdam/London 1972) in Anspruch genommen. Der § 9 dieser Untersuchung stellt nach Kuypers Selbstverständnis den entscheidenen Teil seiner Auseinandersetzung mit dem Kantischen Text dar. In diesem Paragraphen soll die Einheit der Kritik der Urteilskraft nachgewiesen werden. Das Argument, das für die Einheit spricht, glaubt Kuypers allein in der ersten Einleitung finden zu können, denn "nur die erste Fassung der Einleitung vermag uns einen Einblick in den systematischen Zusammenhang des Ganzen zu verschaffen." (S.88) In Übereinstimmung mit unserer Interpretation sieht der Autor die Vernunftidee eines Systems empirischer Gesetze als den Begriff, an dem sich die Urteilskraft in ihrer Reflexion orientiert: "Die Urteilskraft ist dabei auf sich selbst angewiesen und muß sich im Rahmen der Erfahrung von der Idee eines Systems, d.h. von Zweckmäßigkeit der Form und Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen, leitenlassen." (S.89) Die reflektierende Urteilskraft wird also als ein Vermögen interpretiert, dessen Leistung m der Orientierung an der Idee eines Systems gründet, in hiriblick auf welche es sich zur Geltung bringen soll. Daß diese Beschreibung des Sachverhalts aber gerade der Behauptung einer autonomen Reflexionstätigkeit in der ästhetischen Reflektion widerspricht, dies wird von Kuypers nicht gesehen. So wird von ihm lediglich die Darstellung Kants übernommen, wonach die Urteilskraft einerseits auf sich selbst angewiesen sein soll (eine Behauptung, die Kant auf die Immanenz des ästhetischen Urteilsaktes beschränkt), andererseits aber als Urteilskraft (und dies schließt die ästhetische Reflexion ein, womit der zuvor behauptete autonome Status im Kontext des strukturellen Zusammenhanges der ästhetischen Reflexion mit der Bedingung der Reflexionsmöglichkeit überhaupt aufgehoben scheint), sich von der Idee eines Systems leiten lasse. Nach unserer Einschätzung sind diese Strukturbestimmungen miteinander unverträglich - denn entweder ist die Urteilskraft auf sich selbst gestellt, von einem Prinzip her, das in ihrer Struktur selbst gründet, oder sie läßt sich durch etwas von ihr Verschiedenes leiten.

Fundierung des Prinzips auf der Grundlage der ersten Kritik

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stimmt ist. Der Gedanke einer Einheit der Kritik der Urteilskraft kann damit nicht aufrechterhalten werden, ohne daß die Behauptung eines autonomen Status im ästhetischen Reflexionsakt zurückgenommen wird. Der zweiten Position steht die Darstellung Kants entgegen, die Idee einer Zweckmäßigkeit sei ein Begriff, der die ästhetische und teleologische Beurteilung fundiert (Technik der Natur formal oder real verstanden). Wenn also die Urteilskraft sich selbst Prinzip sein soll, dann muß die Konzeption des Ideals korrigiert werden. Sich offenkundig der Einheitsproblematik der dritten Kritik bewußt, führt Kant in einer enzyklopädischen Introduktion (Abschnitt XI der ersten Einleitung, 241/53) aus, es sei zu ersehen, "[...], daß von den zwey Arten des Gebrauchs der reflectirenden Urtheilskraft (der ästhetischen und teleologischen) dasjenige Urtheil, welches vor allem Begriffe vom Objecte vorhergeht, mithin das ästhetische reflectirende Urtheil ganz allein seinen Bestimmungsgrund der Urtheilskraft, unvermengt mit einem andern Erkenntnißvermögen, habe, dagegen das teleologische Urtheil über den Begrif eines Naturzwecks, ob er gleich in dem Urtheile selbst nur als Princip der reflectirenden, nicht der bestimmenden Urtheilskraft gebraucht wird, doch nicht anders als durch Verbindimg der Vernunft mit empirischen Begriffen gefället werden kann. Die Möglichkeit eines teleologischen Urtheils über die Natur läßt sich daher leicht zeigen, ohne ihm ein besonderes Princip der Urtheilskraft zum Grunde legen zu dürfen, denn diese folgt blos dem Princip der Vernunft." (243-244/56-57)

Im Gegenzug hierzu soll die Möglichkeit ästhetischer Reflexion auf dem autonomen Prinzip der Urteilskraft gründen. Dies deshalb, weil das Urteil über das Schöne keinen Begriff von einem Gegenstand voraussetzt, gleichwohl aber befähigt ist, eine allgemeingültige Beurteilung von formaler Zweckmäßigkeit zu leisten, "[...] hingegen das teleologische Urtheil einen Begrif vom Objecte, den die Vernunft unter das Princip der Zweckverbindung bringt, voraussetzt, nur daß dieser Begrif eines Naturzwecks von der Urtheilskraft blos im reflectirenden, nicht bestimmenden Urtheile gebraucht werde." (244/57)

Wenn Kant nun im folgenden Absatz dieses Abschnittes XI (244/58), entgegen der bisherigen Darstellung einer genuinen Differenz der prinzipienlogischen Fundierung von ästhetischer und teleologischer Reflexion (die Möglichkeit ästhetischer Reflexion sollte in der autonomen Selbstgebung ihres Prinzips gründen, die der teleologischen folgt bloß dem Prinzip der Vernunft), die Einheit beider Arten des Gebrauches in transzendentaler Absicht nahelegt (beide Reflexionsarten sind "als in einem Vermögen enthalten und auf demselben Princip beruhend" 244/58), so kann dieser

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Interpretation der ersten Einleitung

Widerspruch nach unserer Überzeugung nur dadurch gehoben werden, daß das Anliegen dieses Abschnittes das einer enzyklopädischen Introduktion des Vermögens der Urteilskraft in das System der Kritik der reinen Vernunft ist (vergl. 241/53). In seiner enzyklopädischen Funktion insistiert dieser Abschnitt auf der Möglichkeit, "eine Lücke im System unserer Erkenntnißvermögen" auszufüllen (244/58). In diesem Sinne soll die teleologische Reflexion der Urteilskraft ab Reflexion mit der ästhetischen als ein Vermögen aufgefaßt werden können. Doch ist die Differenz, von der her eine prinzipielle Abgrenzung zur bestimmenden Urteilskraft erfolgen muß, keinesfalls die einer erörterten Einheit der ästhetischen und teleologischen Reflexion in einem ihnen gemeinsamen transzendentalen Prinzip, sondern vielmehr die des nur subjektiv-allgemeinen Geltungsanspruches, dem gegenüber die bestimmende Urteilskraft, nach der Analytik der ersten Kritik als Vermögen objektiver Gegenstandskonstitution, als objektiv allgemeingültiges Vermögen vorgestellt wurde. So wie Kant in der Dialektik der reinen Vernunft versuchte, die bestimmende Urteilskraft für eine Funktion des Ideals in Anspruch zu nehmen, indem er dem Vernunftgebrauch nur den hypothetischen Status zusprach, so versucht er hier ebendenselben Sachverhalt in eine von der Vernunftbegrifflichkeit abhängige Reflexionstätigkeit zu verlagern, also in ein, wie H.Mertens meint, Vollzugsorgan der regulativen Vernunftidee vom System. So verstanden liegt jedoch weiterhin keine Differenz zwischen dem hypothetischen Vernunftgebrauch und dem teleologischen Gebrauch der Urteilskraft vor (vergl. 228/35). Wenn nämlich das Vermögen der Urteilskraft nur über den Bezug auf die Idee (als Medium ihres transzendentalen Gebrauches) verstanden wird, dann scheint es nicht nur nicht sinnvoll, der Urteilskraft eine Autonomie zuzusprechen, sondern es bleibt darüber hinaus die Differenz dessen, worin die strukturelle Eigenart von bestimmender/subsumierender und reflektierender Urteilskraft gründen soll, verdeckt. Die Tatsache, daß der Begriff, an dem sich die Urteilskraft als Möglichkeit ihrer eigenen Entfaltung auszurichten hat, nicht konstitutiv für die beurteilte Gegenständlichkeit ist, bestimmt lediglich den epistemologischen Status des Verfahrens, nicht aber eine strukturelle Differenz zur subsumierenden Urteilskraft. Denn subsumierend, d.i. an der Vorgabe einer subjektiv notwendigen Bedingung der Erfahrung ausgerichtet, ist ein Urteilsvollzug auch dann, wenn das Schema, in dessen Medium sich die Bestimmung vollzieht, nur hypothetisch angenommen wird und in seinem objektiven Status problematisch bleibt. Dieser Sachverhalt bestimmt wesentlich die Struktur des Urteilsprozesses. Der Urteilsakt kann daher subsumierend sein, ohne daß er als bestimmend in einem objektiv-konstitutiven Sinne verstanden wird. Deshalb wird nicht

Fundierung des Prinzips auf der Grundlage der ersten Kritik

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deutlich, weshalb die Urteilskraft sich einem Prinzip der Vernunft unterordnen muß, wenn sie als Reflexionsvermögen als eigenständig behauptet wird. Dieser Problem zeigt sich ausdrücklich in der Darstellung des ästhetischen Urteils. Es soll darin Prinzip eigener Identität sein, daß es unabhängig von einem Begriff, auf den hin es sich auszurichtet, ein autonomes, selbstgesetzgebendes Vermögen ist. Wie aber die Struktur dieser Urteilskraft bestimmt ist, d.i. worin die Differenz zum subsumierenden Verfahren gründet, dies wird von Kant nicht thematisiert. Statt dessen gibt er eine Darstellung des ästhetischen Beurteilungsvermögens, in der dieses Vermögen selbst wiederum als an die Voraussetzung des Systembegriffs der Vernunft gebunden gefaßt wird.8 Deshalb bleibt in der ersten Hinleitung unklar, worin eine Demonstration der Anwendung einer Vernunftidee in der Kritik der Urteilskraft über die Dialektik des Ideals als die Erörterung und Kritik eines dialektischen Systembegriffes außer in der Ausführlichkeit ihrer Darstellung hinausgeht. Die Konsequenz hiervon ist, und dies ist in diesem Zusammenhang entscheidend, daß Kant nicht demonstrieren kann, auf welcher Grundlage ein ausdrücklich als notwendig hervorgehobenes Verfahren einer Kritik der Urteilskraft beruhen soll. Denn die Kritik der Erkenntnisvermögen verlangt zu ihrer Möglichkeit einen Standpunkt, der mit der Idee einer Erfahrung als eines Systems für die Urteilskraft nicht gegeben ist. Vielmehr hebt die

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Demgemäß interpretiert Kuypers: "Obgleich sowohl die ästhetische Reflexion wie auch das teleologische Urteil die Deutung der Natur als einer Technik voraussetzen, steht das ästhetische Urteil mit der allgemeinen transzendentalen Voraussetzung in einem viel engeren Zusammenhang als das teleologische. Das ästhetische Urteil geht nämlich auch jedem Begriff des Objektes voraus und findet seinen Bestimmungsgrund ausschließlich in der Urteilskraft, ohne daß hierbei ein anderes Erkenntnisvermögen beteiligt ist oder mit ihm eine Verbindung ein geht." (S.90) Die von Kuypers vorgeschlagene Interpretation trägt diesen Widerspruch in sich und führt eher dazu, die These einer Eigenständigkeit der Urteilskraft in Zweifel zu ziehen, als sie zu fundieren. Die neukantianische Neigung, die Kritik der ästhetischen Urteilskraft aus dem eigentlichen Themenkomplex der Theorie der Erfahrung auszublenden und den Darstellungen zur Teleologie darin den Vorrang zuzusprechen, daß sie als expliziter Anhang zur Kritik der reinen Vernunft gelesen werden kann, scheint damit nur berechtigt. Denn: wenn sich die Teleologie von der Idee eines Systems her begreift, die in der ersten Kritik mit dem Ideal exponiert wurde, dann ist die teleologische Reflexion, wie A.Stadler meint, eine die erste Kritik vervollständigende Darstellung des hypothetischen Vernunftgebrauchs. Dementsprechend formuliert auch Kuypers: "Im Grunde ist das teleologische Urteil nichts anderes als das Anwenden einer der Vernunft entstammenden Idee eines Systems auf empirische Begriffe, um sich Rechenschaft über die Weise abzulegen, auf die als Teil aufgefaßte Elemente in einem wechselseitigen Verhältnis zu einem vorausgesetzten Genzen stehen, das sich aufgrund von Erfahrung für das menschliche Wissen nur so fassen, nicht jedoch erklären läßt." (Kuypers, "Kants Kunsttheorie", S.91)

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Interpretation der ersten Einleitung

in dieser Fassung der Einleitung explizierte Struktur des Reflexionsvermögens die Möglichkeit zu einer Kritik auf. Sie entzieht sich die Grundlage zu dieser Kritik, da die Voraussetzung, in Hinblick aufweiche die Urteilskraft kritisch fungieren könnte, selbst Vorausssetzung ihrer Funktionalität wird. Ginge es bloß darum, nachzuweisen, daß die Idee einer Systematik der Natur nur regulativen Status hat, so wäre die Kritik der Urteilskraft bloß redundante, wenn auch ausführliche Exposition des Umganges mit regulativen Ideen. Eine Kritik der Urteilskraft aber muß sich auf dem Boden einer explizierten Struktur dieses Reflexionsvermögens vollziehen, in der vor allem die strukturelle Differenz zur subsumierenden Urteilskraft hervortritt. Diese Differenz bleibt jedoch bislang verdeckt. Der Begriff einer Erfahrung als eines Systems für die Urteilskraft nämlich, welcher aus dem Begriff des transzendentalen Verstandes gewonnen ist - in welchem die Urteilskraft genuin als bestimmende auftritt - , ist nicht nur als allgemeines Bezugsmoment jeder Reflexion vorgestellt, sondern eben auch als die Fundierung der Reflexionsmöglichkeit selbst. Solange die reflektierende Urteilskraft von Kant so bestimmt wird, daß die Differenz zum hypothetischen Vernunftgebrauch nicht deutlich wird (eine Tatsache, die Stadler veranlaßt hat, diese beiden Verfahren als identisch aufzufassen), solange bleibt unklar, worin die Eigenständigkeit dieses Vermögens und damit die Notwendigkeit einer zusätzlichen dritten Kritik gründen soll. Damit wird aber nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Möglichkeit einer solchen Kritik fragwürdig, für die Kant beansprucht, eine das System der Transzendentalphilosophie vervollständigende Untersuchung zu sein. Die Behauptung der Eigenständigkeit des Vermögens der Urteilskraft ist allein unter der Bedingung sinnvoll, daß gezeigt werden kann, daß die Möglichkeit zur Reflexion auf einer isolierbaren und gegen fremde Einflüsse anderer Vermögen freizuhaltenden Struktur der Urteilskraft gründet und sich hierin nicht von Voraussetzungen leiten läßt, deren Urprung in der Vernunft zu suchen ist. Die Einheit der dritten Kritik kann damit über die erste Fassung der Einleitung nicht einsichtig gemacht werden. Der Grund hierfür liegt darin, daß die erste Einleitung den Gedanken der Inhomogenität dieser Kritik, wie er vom Neukantianismus formuliert wird, vielmehr stützt, indem sie den Reflexionsakt abhängig von der Idee eines Systems konzipiert, von welchem der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur seinen Sinn bezieht. Die erste Einleitung ist deshalb ungeeignet, die Einheit der dritten Kritik zu fundieren, weil der Gedanke einer Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft in Abhängigkeit von der Konzeption des in der Kritik der reinen Vernunft vorgestellten Systembegriffs steht - dem Ideal der reinen Vernunft. Dies begründet den Zirkel in der Argumentation. Die erste Einleitung geht damit über die am Ideal demonstrierte Zirkularität des re-

Fundierung des Prinzips auf der Grundlage der ersten Kritik

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gulativen Begriffs als der transzendentalen Bedingung einer Erkenntnis des Besonderen nicht hinaus, sondern sie wiederholt diesen Gedanken nur. Das hat nach unserer Überzeugung dazu geführt, daß Kant eine neue Fassung entwarf, welche nicht nur die Widersprüche der ersten Fassung aufhebt, sondern darüber hinaus die Einheit beider Teile der dritten Kritik deutlich macht.9

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Den Versuch R.H.Wettsteins in der Untersuchung "Kants Prinzip der Urteilskraft" (Königstein/Ts. 1981), die Einheit der beiden Teile der dritten Kritik über eine naturgeschichtliche Deutung des Prinzips der Urteilskraft zu belegen, werden wir nicht berücksichtigen. Der Grund hierfür ist folgender Zwar betont Wettstein in Übereinstimmung mit unserer Interpretation, daß die Versuche von Stadler, Ungerer und Marc-Wogau, den hypothetischen Vernunftgebrauch mit dem Prinzip der Urteilskraft als identisch zu verstehen, die Intention Kants verfehlen - "denn würde diese Gleichsetzung interpretatorisch übernommen, so käme man in die Verlegenheit, anzugeben, inwiefern denn das transzendentale Prinzip der Urteilskraft der KU gegenüber den regulativen Ideen der KrV überhaupt noch Neues bringt und weshalb Kant in den Einleitungen zur KU nicht direkt auf den Anhang der Dialektik zu sprechen kommt, was doch nur natürlich wäre, würde er einfach alte Inhalte in ein neues Vokabular kleiden!" (S.74) - , doch ist das Problem der Einheit nicht so "einfach und trivial" (S.113) wie Wettstein glaubt. Sein Lösungsvorschlag, "dass nur eine Variante der m e t a p h y s i s c h e n Analogie (Mensch/Artefakt analog Gott/Welt), die auch dem physikotheologischen Gottesbeweis zugrunde liegt, nämlich die Analogie : Mensch / Artefakt analog Gott / Lebewesen, die Einheit der Kritik der Urteilskraft zu erklären vermag : In der Aesthetik wird die linke Seite, in der Teleologie die rechte zum Thema" (S.16), umgeht das Problem, die Einheit über die Struktur und Funktion des Urteilsprinzips zu begründen. Von einer solchen Begründung sieht Wettstein bewußt ab, um der Problematik der "Vermittlungsterminologie" (und hier insbesondere der Mehrdeutigkeit des Erfahrungsbegriffs) zu entgehen (vergL S.19-29). Da dieses Vorgehen die Vermittlungsrolle der Urteilskraft unberücksichtigt läßt (vergl. hierzu insbesondere Abschnitt 5.1 "Die Einheit der zwei TeiJe der Kritik der Urteilskraftwo auf eine Textstelle verwiesen wird, bei der Kant das Gewicht auf die Darstellung der Funktion der Urteilskraft legt, von der Wettstein jedoch behauptet, "die Vermittlungsterminologie des 'Geschäftes der Urteilskraff darf hier übersprungen werden" /S.113), ist evident, daß es das Anliegen Kants in der dritten Kritik nicht adäquat herauszuarbeiten vermag.

Zweites Kapitel Interpretation der zweiten Einleitung unter dem Aspekt der Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit in der Prinzipienstruktur der Urteilskraft Die zweite Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft zeichnet sich gegenüber der ersten dadurch aus, daß sie die Erfahrung als ein System für die Urteilskraft nicht voraussetzt.10 Damit stellt Kant die Urteilskraft als ein Vermögen vor, das sich nicht als abhängig von der Konzeption eines Vernunftbegriffes ab des Prinzips der Reflektionsmöglichkeit begreifen läßt. Die reflektierende Urteilskraft muß deshalb nunmehr als ein Vermögen verstanden werden, von dem her sich das Problem der Einheit der empirischen Naturgesetze für die Erfahrung erst stellt und in Hinblick auf welches diesem Vermögen die Funktion der kritischen Reflexion auf die Möglichkeit der Adäquatheit dieses Begriffes zur Natur zukommt: Die Urteilskraft gibt sich im Prinzip dieser Einheit selbst das Gesetz - sie wird von Kant als ein α priori gesetzgebendes Vermögen vorgestellt (vergl. 179/XXV). Die zweite Einleitung bindet hiermit das Problem der Einheit der besonderen empirischen Naturgesetze an die zu exponierende Struktur der reflektierenden Urteilskraft, deren Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur kein Begriff ist, der aus der Idee der Einheit folgt, sondern der sich als Qualifikator dieser Einheit begreifen läßt und hierin die Funktion hat, auf die Subjekt-Objekt-Relation zu reflektieren:11 "Die Zweckmäßigkeit der Natur ist also ein besonderer Begriff a priori, der lediglich in der reflectirenden Urtheilskraft seinen Ursprung hat." (2.Einl. 181/XXVIII)

Die zweite Einleitung bindet dieses Prinzip damit an eine Struktur, die im Rahmen der objektivierenden Philosophie der ersten Kritik und der Dialektik der reinen Vernunft nicht untersucht worden ist und nicht untersucht werden konnte, weil die Urteilskraft dort immer schon als an der Vorgabe einer allgemeinen Begrifflichkeit ausgerichtet vorgestellt wurde und damit in einem ihr äußerlichen Vermögen ihr Prinzip hatte.

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Vergl. W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", SJ231 Vergl. ebd., S.232

Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit

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"Die reflectirende Urtheilskraft, die von dem Besondern in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen die Obliegenheit hat, bedarf also eines Principe, welches sie nicht von der Erfahrung entlehnen kann, weil es eben die Einheit aller empirischen Principien unter gleichfalls empirischen, aber höheren Principien und also die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben untereinander begründen soll. Ein solches transscendentales Princip kann also die reflectirende Urtheilskraft s i c h n u r s e l b s t als Gesetz geben, n i c h t anderw ä r t s hernehmen (weil sie sonst bestimmende Urtheilskraft sein würde), noch der Natur vorschreiben: weil die Reflexion über die Gesetze der Natur sich nach der Natur und diese sich nicht nach den Bedingungen richtet, nach welchen wir einen in Ansehung dieser ganz zufälligen Begriff von ihr zu erwerben trachten." (180/XXVII/Hervorhebung JP)

Hierin liegt eine Zurücknahme des Arguments der ersten Einleitung und somit die Zurücknahme einer aus der ersten Kritik entlehnten Konzeption einer Bedingung der Möglichkeit der Einheit der Erfahrungserkenntnis zu einem System, wie sie mit dem Ideal vorgestellt und der Reflektionsmöglichkeit der Urteilskraft a priori zugrunde gelegt wurde. Zugleich wird die Charakterisierung der Urteilskraft als Reflexionsvermögen und demnach die Bestimmung der Differenz zur subsumierenden Urteilskraft aus einer Selbstgesetzgebung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft erklärt. Dies gibt den Weg frei, die der ersten Fassung der Einleitung anhängende Doppeldeutigst dieses Verfahrens (reflektierende Urteilskraft/hypothetischer Vernunftgebrauch) aufzuheben und das Prinzip der Reflexion eindeutig an die Struktur der Urteilskraft als eines autonomen Vermögens zu binden.12 Die Idee eines Systems der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen ist Ausdruck der Annahme, daß, "da allgemeine Naturgesetze ihren Grund in unserem Verstände haben, der sie der Natur (obzwar nur nach dem allgemeinen Begriffe von ihr als Natur) vorschreibt, die besondern empirischen Gesetze in Ansehung dessen, was in ihnen durch jenen unbestimmt gelassen ist, nach einer solchen Einheit betrachtet werden müssen" (180/XXVII). An dieser Idee eines Systems der Erfahrung ist etwas demonstriert, von dem her künftig die Reflexionsleistung der Urteilskraft verständlich gemacht werden kann. Hiermit ist nicht gesagt, daß die Urteilskraft in ihrer Reflexion immer schon auf eine mit dieser Idee vorgestellte Allgemeinheit angewiesen und an der Durchsetzung dieser Konzeption von besonderer Gegenständlichkeit ausgerichtet wäre. Dies würde einer an der Urteilskraft aufzuweisenden Heautonomie widersprechen (vergl. 185/XXXVII) und von

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Vergl. zu Kants inadäquater Darstellung der Differenz von bestimmender und reflektierender Urteilskraft auch J.Kulenkampff, "Kants Logik des ästhetischen Urteils" (Frankfurt/M 1978), S.32

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Interpretation der zweiten Einleitung

der Sache her das Verfahren der Reflexion in die Defizienz des Verfahrens mit dem Besonderen im Ideal zurückweisen. Die Reflexionsleistung kann gerade dann im Gegenzug zu dem Verfahren einer Orientierung am Ideal als eine Leistung der Subjektivität als Einheitsprinzip verstanden werden, wenn sich nachweisen läßt, daß in dieser Reflexion die Einlösung eines im Ideal vorgestellten Anspruches gelingt, die unabhängig von einem Bezogensein der Urteilskraft auf das transzendentale Ideal ist: denn der wesentliche Mangel im immanenten Gebrauch des transzendentalen Ideals besteht darin, daß die Natur durch die subjektive, um willen der Denkmöglichkeit des Besonderen notwendige Applikation der Prinzipienstruktur des Ideals schon immer im Modus jener applizierten Struktur gedacht werden muß. Die Idee eines Systems der Erfahrung wird von Kant deshalb hier nicht als subjektiver Entwurf eingeführt, von dem her sie die Reflexionsmöglichkeit begreifen läßt, sondern als ein solcher, der in seiner Angemessenheit erst durch die Urteilskraft ermittelt wird. Die Idee soll von einem Begriff "der Zweckmäßigkeit der Form der Dinge" (vergl. 180/XXVIII) her verstanden werden können, denn das Prinzip der Urteilskraft "in Ansehung der Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen überhaupt, die Z w e c k m ä ß i g k e i t d e r N a t u r in ihrer Mannigfaltigkeit" (180/XXVIII), bedingt erst die Möglichkeit, die in der Idee ausgedrückte Vorstellung zu begründen: "D.i. die Natur wird d u r c h d i e s e n B e g r i f f so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte." (180/XXVIII/Hervorhebung JP)

Die "Zweckmäßigkeit der Natur" ist deshalb ein Begriff, dessen apriorischer Ursprung im Urteilsvermögen selbst zu suchen ist. Er ist ein Relationsbegriff, der als Ausdruck der Beziehung von Subjekt und Natur von einer Beurteilung dieser Beziehung her seinen Sinn hat, also von dem Urteilsakt der Reflexion auf diese Beziehung. Das Prinzip der so gefaßten "formalen Zweckmäßigkeit der Natur" - formal, weil den "Naturprodukten" keine "Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke" beigelegt, sondern auf diesen Begriff lediglich reflektiert wird - ist deshalb "ein transscendentales Princip der Urtheilskraft" (Abschnitt V, 181/XXIX). Hierin liegt das wesentliche Moment der Neufassung dieser Einleitung: Es ist die Einführung eines neuen und deshalb, wie Kant betont, einer Deduktion bedürftigen Sachzusammenhanges (vergl. 182/XXXI). Dieser Sachverhalt ist, wie gezeigt, ein solcher, der sich nicht wie in der ersten Einleitung aus einer Struktur der Vernunftidee ableiten läßt, sondern einer, der sich aus der Struktur der reflektierenden Urteilskraft selbst ergeben soll. Deshalb steht die zweite Einleitung vor der Notwendigkeit einer Deduktion dieses transzendentalen Prinzips - dies folgt aus der Zurücknahme des in

Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit

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der ersten Einleitung vorgestellten Argumentes: Wenn nämlich das im Ideal der ersten Kritik formulierte Prinzip die Voraussetzung der Urteilskraft ist, dann bedurfte es keiner Deduktion, denn eine solche wurde schon im Rahmen der Dialektik der ersten Kritik geleistet. Weil das Prinzip aber nach der bisherigen Darstellung der zweiten Fassung der Einleitung nicht mehr in einem auf das Ideal zurückführbaren transzendentalen Vernunftbegriff gesehen wird, vielmehr an seine Stelle eine neue Bestimmung von Prinzipialität tritt, deshalb ist eine Deduktion des neuen Prinzips notwendig. Die hier als charakteristisches Moment dieses Prinzips angesprochene "Zweckmäßigkeit" rückt als ein Strukturmoment der Reflexion in den Mittelpunkt der Untersuchung. Dieser Begriff einer Zweckmäßigkeit soll aus einer Relation in der Reflexion folgen, also aus einem Verhältnis, welches die immanente Struktur der reflektierenden Urteilskraft bestimmt: Ursprung des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft ist die Regel, nach welcher unsere Erkenntniskräfte "ihr Spiel treiben" (vergl. 182/XXXI). Dies nicht in Rücksicht auf ihre wirkliche Relation, sondern in Rücksicht darauf, "wie geurtheilt werden soll" (182/XXXI). Aus dieser Struktur soll ein Bezug auf die Idee einer Zweckmäßigkeit der Natur folgen. "Das Princip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur" einer Zweckmäßigkeit, die deshalb transzendentallogisch "formal" bestimmt ist, weil sie von einem formalen Aspekt in der Relation der Erkenntniskräfte als Bedingung der Möglichkeit einer Beurteilung her verstanden wird - , "ist ein transscendentales Princip der Urtheilskraft" (181/XXIX). Der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur soll damit ein transzendentales Prinzip der Urteilskraft sein, "denn der Begriff von den Objecten, sofern sie als unter diesem Princip stehend gedacht werden, ist nur der reine Begriff von Gegenständen des möglichen Erfahrungserkenntnisses überhaupt und enthält nichts Empirisches" (181-182/XXX). Aus den Maximen13 der Urteilskraft kann man, wie Kant sagt, "hinreichend ersehen", "daß der Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur zu den transscendentalen Principien gehöre" (182/XXXI); sie werden der Nachforschung der Natur in Rücksicht auf die Einheit in den besonderen Gesetzen derselben zum Grunde gelegt. Diese Maximen sagen nicht, was geschieht und wie wir unsere Erkenntniskräfte benutzen, sondern wie wir unsere Erkenntniskräfte ins Spiel bringen sollen. Dieses Sollen kann nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden. Wir sollen so urteilen, weil erst dann etwas erfüllt ist, 13

Diese Maximen sind: '"Die Natur nimmt den kürzesten Weg (lex parsimoniae); sie thut gleichwohl keinen Sprung, weder in der Folge ihrer Veränderungen, noch der Zusammenstellung spezifisch verschiedener Formen (lex continui in natura); ihre große Mannigfaltigkeit in empirischen Gesetzen ist gleichwohl Einheit unter wenigen Principien (principia praeter necessitatem non sunt multiplicanda)'; u. d. g. m." (XXXI).

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Interpretation der zweiten Einleitung

was nicht aus der Anschauung des Empirischen gefolgert werden kann, nämlich ein Moment von Allgemeinheit in der Beurteilung des Besonderen. "Also ist die Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Erkenntnißvermögen und ihren Gebrauch, welche offenbar aus ihnen hervorleuchtet, ein transscendentales Princip der Urtheile und bedarf also auch einer transscendentalen Deduction, vermittelst deren Grund so zu urtheilen, in den Erkenntnißquellen a priori aufgesucht werden muß." (182/XXXI)

Ziel dieser Deduktion ist damit nicht der Nachweis der Notwendigkeit der Idee, sondern der Nachweis, daß das mit dieser Idee verbundene Problem ein Problem für die Urteilskraft ist. Der erste Schritt, den Kant in die Durchführung der Deduktion nimmt, ist die Zusammenfassung des Ergebnisses der Analytik der ersten Kritik als Grundlegung des Begriffes einer Erfahrung überhaupt: Grund der Möglichkeit einer Erfahrung ist hier die Notwendigkeit der allgemeinen Gesetze des Verstandes, d.i. die Anwendung der Kategorien auf die formalen Bedingungen aller möglichen Anschauung, sofern sie gleichfalls a priori gegeben ist. Die bestimmende Urteilskraft ist hierbei gefordert: Die Anschauung wird spontan unter die apriorischen Gesetze des Verstandes subsumiert. Die transzendentale Zeitbestimmung als Schema ist hier sinnliches Relat der Vermittlung in der Urteilsrelation Einbildungskraft Verstand. Die Natur als Gegenstand der Erfahrung überhaupt ist konstituiert zur Natur überhaupt und unterliegt den Grundsätzen reinen Verstandes, wie z.B. dem Gesetz der Kausalität: "Für die Natur nun überhaupt (als Gegenstand möglicher Erfahrung) wird jenes Gesetz als schlechterdings nothwendig erkannt." (183/XXXII)

Jede Wahrnehmung als Anschauung im Rahmen apriorisch determinierter Formen der Verhältnisse in der Anschauung, die a priori gegeben ist, d.i. in der formalen Zeitbestimmung, unterliegt notwendig den Grundsätzen des reinen Verstandes. Dies ist das Ergebnis der in der ersten Kritik geleisteten Deduktion der allgemeinen Gesetze des Verstandes als transzendentaler Prinzipien einer allgemeinen Gesetzgebung der Natur. Sie fundieren den Begriff der "Natur überhaupt". Eine Doktrin der Urteilskraft ist in diesem Falle die Expositon des Schemas, an dem sich die Urteilskraft zur Bestimmung des anschaulich Gegebenen auszurichten hat (vergl. KdV 133f/B 176). Außer der formalen Zeitbestimmung sind die Gegenstände der Natur noch mannigfaltig bestimmt oder im Rahmen apriorischer Urteilsmöglichkeit bestimmbar. Im Rahmen eines Begriffs der Natur überhaupt haben alle Gegenstände das Gemeinsame, unter der Bedingung des Verstandes und dessen Kausalität zu stehen. Als besondere Gegenstände

Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit

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der empirischen Anschauung zeigen sie jedoch Eigenschaften, deren Wesen nicht aus dem Begriff einer Natur überhaupt deduzierbar ist. Gleichwohl muß das Besondere der Natur als notwendig verstanden werden können. Einem endlichen Erkenntnisvermögen ist aber das Besondere in der Notwendigkeit seines Ursprungs nicht einsehbar, denn die empirischen Gesetze sind gemäß der Spontaneität des allgemeinen Verstandes zufällig. Gefordert ist somit die Bedingung der Möglichkeit einer Erfahrung der Natur als Einheit der Erfahrung zu einem System nach empirischen Gesetzen. Diese Einheit muß ebenso notwendig vorausgesetzt werden können wie die transzendentale Einheit der Apperzeption, weil sonst kein durchgängiger Zusammenhang empirischer Gesetze zum Ganzen einer Erfahrung stattfinden würde. Die Möglichkeit der Erfahrung der Natur in ihrer besonderen empirischen Gesetzmäßigkeit gründet in der Unterstellung dieser Einheit: "[...) so muß die Urtheilskraft für ihren eigenen Gebrauch es als Princip a priori annehmen, daß das für die menschliche Einsicht Zufällige in den besonderen (empirischen) Naturgesetzen dennoch eine für uns zwar nicht zu ergründende, aber doch denkbare gesetzliche E i n h e i t in einer Verbindung ihres Mannigfaltigen zu einer an sich möglichen Erfahrung enthalte." (183-184/XXXIII/Hervorhebung JP)

Kant meint hier nicht, die Urteilskraft hätte sich in ihrer Reflexion um willen der subjektiven Notwendigkeit dieser Einheit auch strukturell von dieser Einheit her zu begreifen. Vielmehr ist das Prinzip der Urteilskraft nicht vom Gedanken der zur Erkenntnismöglichkeit subjektiv notwendigen Einheit her zu verstehen, sondern vom Phänomen der kontingenten Erfüllung dieser Einheit her. Im Moment dieser Kontingenz liegt der Sinn des relationalen Begriffs der Zweckmäßigkeit, der hier Prinzip sein soll und in der Notwendigkeit seines Auftretens der Deduktion unterliegt. Die Natur soll als subjektiv/formal zweckmäßig beurteilt werden können. Die bloße Tatsache, daß der Verstand an dem Gedanken der Einheit der empirischen Naturgesetze orientiert ist, bedingt nicht die Möglichkeit, diese als solche beurteilen zu können, denn die Natur ist dieser subjektiv notwendigen Bedingung gegenüber gleichgültig. Die Natur als "zweckmäßig" beurteilen zu können, darf also nicht an eine Bedingung gebunden sein, unter der sie subjektiv notwendig als Einheit gedacht werden kann. Sie muß deshalb als "Zweckmäßigkeit ihrer Objekte" beurteilt werden, weil sich in einem relationalen Bezug auf die Natur etwas erfüllt, das einer "nothwendigen Absicht (einem Bedürfniß des Verstandes) gemäß" ist, aber "als an sich zufällig" erkannt wird (184/XXXIV). Hierin liegt das entscheidende Argument: Weil die Urteilskraft in ihrem Vermögen der Reflexion eine Relation von Anschauung und Denken, die zunächst hier nur als Spiel der Erkenntnisvermögen angesprochen ist, zum Gegenstand hat, deren

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Interpretation der zweiten Einleitung

faktisches Bezogensein nicht von einer ideellen Konzeption her gedacht werden kann, kann sich bei kontingenter Erfüllung einer in dieser Relationalität gelegenen Bedingung von Erfahrungserkenntnis dieses Phänomen in Hinblick auf die besondere Natureinrichtung als zweckmäßig bestimmen lassen: Die Natur läßt sich im Medium der reflektierenden Urteilskraft "nach einem Princip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnißvermögen denken" (184/XXXTV). Das Prinzip der Zweckmäßigkeit ist damit nicht strukturell von einer Idee der Einheit der empirischen Natur abhängig, sondern es läßt die Natur in Hinblick auf den Gedanken möglicher Zweckmäßigkeit thematisch werden. Die These dieser Deduktion ist: Die Problematik der subjektiven Notwendigkeit, die Natur in ihren empirischen Gesetzen als eine Einheit gemäß eines transzendentalen Verstandes denken zu müssen, ist ein Problem, das an den Begriff einer Zweckmäßigkeit gebunden ist, welcher ein Kriterium der Urteilskraft für ein besonderes Verhältnis von Anschauung und Denken bildet. Also ist dieses Problem ein Problem der reflektierenden Urteilskraft. Nun verbleibt diese Deduktion im Status einer bloßen metaphysischen Exposition der Notwendigkeit, die Einheit der Erfahrung des System empirischer Gesetze voraussetzen zu müssen. Worin das Vermögen der Urteilskraft strukturell gründet und sich hierin selbst Prinzip sein kann, dies bleibt unbestimmt, weil das Prinzip der Zweckmäßigkeit als Prinzip der Reflexion in dieser Deduktion nicht über eine explizierte Struktur der Urteilskraft angesprochen ist. Kant gibt hier nur den Hinweis, daß die fragliche Struktur in der Relation des Spiels der Erkenntniskräfte liegt. Inwiefern aber in diesem Spiel der Kräfte eine Relationalität als zweckmäßig verstanden werden muß, bleibt ungeklärt. So ist der Hinweis Kants, die Einsicht in die "Richtigkeit dieser Deduction" verstehe sich von der Größe der hier zu lösenden Aufgabe her (184/XXXTV), ein Beleg dafür, daß Kant diese Deduktion selbst nur als vorläufige und dem eigentlichen Anliegen einer Deduktion unvollständige Herleitung versteht.14 Auf diese Deduktion folgt die Vorstellung einer Dialektik zweier Grundsätze der Erfahrung: 1. der allgemeinen Gesetze der Natur, ohne die überhaupt keine Erfahrung, mithin keine Natur möglich wäre; 2. der Grundsätze eines inneren Bezuges zufälliger Gesetze der Natur zu einem Ganzen der Natur als System; denn: "Der Verstand ist zwar a priori im Besitze allgemeiner Gesetze der Natur, ohne welche sie gar kein Gegenstand einer Erfahrung sein könnte: aber er bedarf doch auch überdem noch einer gewissen Ordnung der Natur in den besonderen

14

Vergl. hierzu auch B.Kaluza, "Kants Kritik der Urteilskraft im Entwurf der beiden Einleitungen" (Diss. Basel 1971), S.101

Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit

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Regeln derselben, die ihm nur empirisch bekannt werden können, und die in Ansehung seiner zufällig sind." (184/XXXV)

Diese Regeln müssen sich als Gesetze denken lassen. Die Möglichkeit aber, sie als Gesetze denken zu können, ist von dem Aufweis ihrer Vermittelbarkeit mit den allgemeinen Naturgesetzen abhängig. Dies ist ein Problem, welches Kant in der Deduktion des Ideals überging. Die Heterogenität der Grundsätze des Verstandes und der zufälligen Gesetze der Natur wurde nicht thematisch, weil das Besondere als Moment eines Allgemeinen - und somit als immer schon mit den Verstandesgesetzen vermittelt - verstanden wurde. Der Grund hierfür liegt darin, daß Kant das Ideal von dem objektivierenden Verstand, wie er in der Analytik der ersten Kritik deduziert wurde, abgeleitet und zur Idee eines "Verstandes überhaupt" als Prinzip aller Möglichkeit erweitert hat. Das Schema zu dieser Idee wiederum postuliert eine zweckmäßige Einheit der Dinge und legitimiert zugleich den regulativen Gebrauch teleologischer Prinzipien. Die in diesem Schema vorgestellte Identität des Grundes von allgemeinen und besonderen Naturgesetzen setzt somit ein Vermitteltsein von Prinzipien voraus, deren faktische Heterogenität (Verstandeskausalität als objektiver Grundsatz der Natur überhaupt und teleologische Vernunftkausalität als regulatives Prinzip zur Beurteilung der besonderen Natur) nicht in den Blick gerät. Erst der in der Deduktion der zweiten Einleitung hervorgehobene Charakter der Zufälligkeit des Besonderen gegenüber dem objektivierenden Verstand erhebt den differenten Urprung der Prinzipien zum zentralen Problem der Möglichkeit, die Natur als System vorstellen zu können. Hieraus folgt aber: weil das Besondere ein dem objektivierenden Verstand Zufälliges ist, deshalb ist die Idee einer systematischen Einheit der Natur, die als regulatives Prinzip zur Beurteilung des Besonderen aus einer Erweiterung des objektivierenden Verstandes gewonnen ist, ein untaugliches Bezugsmoment für eine Urteilskraft, die das Besonderes als ein Zufälliges beurteilen muß. Ob die Beurteilung der Natur durch besondere Regeln, die nur empirisch bekannt werden können, den Übergang von der allgemeinen Analogie der Erfahrung, wie sie der objektivierende Verstand vorstellt, zur Analogie der besonderen Erfahrung (vergl. 184/XXXV) möglich macht, dies ist ein Problem, welches in Rücksicht auf die Zufälligkeit des Besonderen eine Kritik der Urteilskraft notwendig macht.15 Die Idee einer systematischen Ordnung der Natur ist deshalb nach der Darstellung dieser Deduktion eine

15

Zum Analogiebegriff in der Kritik der Urteilskraft sei an dieser Stelle auf die Arbeit von S.Takeda, "Kant und das Problem der Analogie" (Den Haag 1969), insbesondere Kap. 3, "Die Teleologie", verwiesen.

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Interpretation der zweiten Einleitung

Analogie der Erfahrung, die sich auf der Grundlage der kritischen Reflexion der Urteilskraft legitimiert. Die subjektiv notwendige Bedingung der Möglichkeit der Einheit der empirischen Erfahrung der besonderen Natur ist eine Voraussetzung der Urteilskraft:16 "Diese Zusammenstimmung der Natur zu unserem Erkenntnißvermögen wird von der Urtheilskraft zum Behuf ihrer Reflexion über dieselbe nach ihren empirischen Gesetzen, a priori vorausgesetzt, indem sie der Verstand zugleich objectiv als zufällig anerkennt, und bloß die Urtheilskraft sie der Natur als transscendentale Zweckmäßigkeit (in Beziehung auf das Erkenntnißvermögen des Subjectes) beilegt: weil wir, ohne diese vorauszusetzen, keine Ordnung der Natur nach empirischen Gesetzen, mithin keinen Leitfaden für eine mit diesen nach aller ihrer Mannigfaltigkeit anzustellende Erfahrung und Nachforschung derselben haben würden." (185/XXXVI)

Die Urteilskraft legt diese als Analogie der Erfahrung der besonderen empirischen Gesetze bestimmte Idee einer Zusammenstimmung der Natur zu unserem Erkenntnisvermögen als "transzendentale Zweckmäßigkeit" bei, und diesen Status soll die genannte Idee von der reflektierenden Urteilskraft her beziehen. Dieses Zitat ist demnach zu verstehen als die dem Aufweis der Legitimität dieser Analogie vorangehende Formulierung der Aufgabe, die es im Rahmen der Kritik der Urteilskraft zu lösen gilt und von deren Lösung die Richtigkeit der Deduktion selbst abhängt. Deshalb bleibt das Vorgehen Kants in dieser Einleitung auf den Hinweis beschränkt, daß der Begriff einer transzendentalen Zweckmäßigkeit in einer spezifischen Struktur der Reflexionstätigkeit gründet. Den Schlüssel für ein Verständnis des transzendentalen Ursprungs des Begriffs der Zweckmäßigkeit soll der der Reflexionstätigkeit phänomenal

16

Gerhard Lehmanns Interpretation des Satzes: "Die Urtheilskraft hat also auch ein Princip a priori für die Möglichkeit der Natur, [...]" (185/XXXVII) verfälscht die Aussage Kants. Lehmann schreibt: "Das Prinzip der 'Affinität der besonderen Naturgesetze' ist [...] im Verstände nicht anzutreffen. Wohl aber im hypothetischen Vernunftgebrauch oder - wie es jetzt heißt - in der reflektierenden Urteilskraft. Diese, der bestimmenden Urteilskraft entgegengesetzt, ist zwar gesetzgebend, aber nur in Beziehung auf sich selbst: das Subjekt gibt sich selbst das Gesetz (Heautonomie), wie es zu urteilen (forschen, reflektieren) hat." (Gerhard Lehmann, "Hypothetischer Vernunftgebrauch und Gesetzmäßigkeit des Besonderen in Kants Philosophie" in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1971, S.13) Daß das Subjekt im Gebrauch von Regulativen nur sich selbst (und nicht der Natur) das Gesetz gibt, ist nach dem vorliegenden Ergebnis eine triviale Einsicht. Demgegenüber ist Kants Aussage, daß die Urteilskraft sich selbst (als Heautonomie) das Gesetz der Reflexion über die Natur gibt und sie somit - entgegen der Interpretation Lehmanns - an einer Voraussetzung orientiert ist, die aus der Struktur der Urteilskraft und nicht der Vernunft gewonnen ist.

Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit

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anhängende Bezug auf die subjektive Verfassung des Urteilenden liefern. "Die entdeckte Vereinbarkeit zweier oder mehrerer empirischer heterogener Naturgesetze unter einem sie beide befassenden Princip" hat eine Wirkung auf die Sinnlichkeit (187/XL). Die Beurteilung der Angemessenheit der Natur zu unserem Erkenntnisvermögen trägt damit eine ästhetische Komponente in sich, wodurch der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur als in einer Verbindung mit dem Gefühl der Lust verstanden werden muß (vergl. 186/XXXVIII). Diese Verbindung kann in zweifacher Rücksicht erklärt werden: Zum einen dadurch, daß die Lust sich von dem Erreichen einer Absicht, der Entdeckung einer Entsprechung der Natur zur Idee einer systematischen Ordnung der Natur her versteht (also der notwendigen Absicht des Verstandes auf durchgängig zusammenhängende Erfahrung gemäß ist), also von einer Entdeckung her, die im Wissen um die Kontingenz dieser Vereinbarkeit von "Bewunderung für die Natur" (vergl. 187/XL) begleitet ist. Zum anderen kann die Verbindung auch dadurch erklärt werden, daß sich in der Immanenz der Subjektivität etwas erfüllt, das nicht auf die Erkenntnis der Natur gerichtet ist, gleichwohl aber von dem Vermögen her gedacht werden muß, in dem sich die Erkenntnis der Natur subjektiv notwendig vollzieht.17

17

Auf die gemeinsame Grundlage des Prinzips der Zweckmäßigkeit in der ästhetischen und in der teleologischen Reflexion weist M.Liedtke in seiner Untersuchung "Der Begriff der reflektierenden Urteilskraft in Kants Kritik der reinen Vernunft" (Diss. Hamburg 1964) hin, wenn er sagt, daß es nur den Anschein habe, als ob die aesthetische Urteilskraft allein im Besitz eines Prinzips a priori sei, denn "in der Einleitung (Liedtge bezieht sich hier auf die zweite Fassung/JP) zur Kritik der Urteilskraft" entwickelt Kant "sowohl die aesthetische als auch die teleologische Urteilskraft aus dem Prinzip der Urteilskraft, das ein Prinzip der Einheit des Mannigfaltigen ist, und auch Prinzip der Zweckmäßigkeit genannt wird." (S.18/19) "Aber man darf die Aussage der Einleitung der Kritik der Urteilskraft, nur die aethetische Urteilskraft enthalte für ihre Reflexion ein Prinzip a priori, nicht so interpretieren, als sei damit der teleologischen Urteilskraft ein eigenes Prinzip abgesprochen. Schon in der Vorrede spricht Kant davon, daß auch zur teleologischen Beurteilung ein Prinzip a priori erforderlich sei. Und man darf annehmen, daß das in der Einleitung der Kritik der Urteilskraft entwickelte Prinzip der reflektierenden Urteilskraft sowohl die Grundlage der aesthetischen wie auch der teleologischen Urteilskraft in ihren vielfachen Formen darstellt." (S.21) Von der Grundauffassung Liedtkes, daß das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft von Kant auch schon implizit zur Vermittlung von Anschauung und Verstand in der Kritik der reinen Vernunft zur Geltung gebracht wurde, müssen wir uns an dieser Stelle distanzieren. Liedtkes Versuch, seine These philosophie-historisch zu belegen ("In der Kritik der reinen Vernunft werden Begriffe benutzt und Funktionen beschrieben, die aus der Tradition übernommen sind und weitgehend den Funktionen der reflektierenden Urteilskraft - im weitesten Sinne wie sie in der Kritik der Urteilskraft dargestellt werden, entsprechen." /S.33), scheitert nach unserer Überzeugung daran, daß hierin unterstellt wird, es gebe lediglich eine qualitative Fortentwicklung des Begriffs des

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Interpretation der zweiten Einleitung "Die Zweckmäßigkeit also, die vor dem Erkenntnisse eines Objects vorhergeht, ja sogar, ohne die Vorstellung desselben zu einem Erkenntniß brauchen zu wollen, gleichwohl mit ihr unmittelbar verbunden wird, ist das Subjective derselben, was gar kein Erkenntnißstück werden kann. Also wird der Gegenstand alsdann nur darum zweckmäßig genannt, weil seine Vorstellung unmittelbar mit dem Gefühle der Lust verbunden ist; und diese Vorstellung selbst ist eine ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit." (189/XLIII)

Nun besteht die Aufgabe darin, den Begriff einer Zweckmäßigkeit seinem Ursprung nach in der Urteilskraft nachzuweisen. Dies aber insofern, als die Zweckmäßigkeit ein tauglicher Index für die Entsprechung von subjektiv notwendigem Konstrukt der Möglichkeit einer zusammenhängenden Erfahrung des Besonderen sein kann. Seine Tauglichkeit muß darin bestehen, daß er sich nicht immer schon in der Möglichkeit seiner Artikulation von diesem Konstrukt her versteht, also diesem gegenüber autonom ist. Damit ist gewiß, daß die ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit - als nicht an einer Begrifflichkeit zur Bestimmung eines Objektes orientiert - primärer Gegenstand der weiteren Untersuchung zu sein hat. In diesem Sinne gibt Kant die Erklärung:18

18

Reflexionsvermögens von Piaton bis zur Kritik der reinen Vernunft - nicht aber innerhalb der kritischen Philosophie Kants. Die Kritik der Urteilskraft ist für Liedtke lediglich der Ausdruck einer Präzisierung der Funktion der Urteilskraft, wie sie Kant immer schon in der Kritik der reinen Vernunft implizit voraussetzt (demgemäß schließt Liedtke: "Die drei transzendentalen Vernunftideen sind in ihrem regulativen Gebrauch identisch mit dem Prinzip der reflektierenden Urteilskraft", S.109). Dieser Einschätzung widerspricht Kants Äußerung an Reinhold vom 28. Dezember 1787, wonach er im Zuge der Beschäftigung mit der Kritik des Geschmacks andere Prinzipien α priori als die bisherigen entdeckt hat. Noch in der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft leugnet Kant ein Prinzip des Geschmacks (vergj. KdV Fußnote 50/Β 35). Wenn Liedtke das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft als die gemeinsame Grundlage der ästhetischen und der teleologischen Reflexion annimmt - also als ein Prinzip, das erst in der dritten Kritik der ästhetischen Beurteilung zugrunde gelegt wird und bis 1787 noch gar nicht von Kant entdeckt ist so ist es widersprüchlich, zugleich zu glauben, dieses Prinzip fungierte auch schon in der Kritik der reinen Vernunft als Vermittlungsinstanz zwischen Verstand und Anschauung (vergl. auch Bartuschats Kritik an Liedtke "Zum systematischen Ort", S.36 und S.208). Auch hierin sieht Bartuschat wiederum einen Widerspruch im Argument der zweiten Einleitung: 1. Die Explikation der Struktur der Urteilskraft soll zeigen, was "Zweckmäßigkeit" aus dieser Struktur heraus meint. 2. Die Struktur wird aus einem Begriff transzendentaler Zweckmäßigkeit bestimmmt, dessen Möglichkeit gerade aufgewiesen werden soll. Dieser Widerspruch besteht nach unserer Ansicht dann, wenn dieser Deduktion die Gleichrangigkeit mit einer transzendentalen Deduktion im Rahmen der Kritik eingeräumt wird. Unsere Interpretation versteht diese Deduktion dagegen als die Darlegung des Sachzusammenhanges von der Größe der Aufgäbe her: Gerechtfertigt wird hierbei lediglich die Notwendigkeit eines Prinzips transzendentaler Zweckmäßigkeit, welches in dem Urteilsvermögen angetroffen werden soll,

Fundierung des Prinzips formaler Zweckmäßigkeit

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"Denn da der Grund der Lust bloß in der Form des Gegenstandes für die Reflexion überhaupt, mithin in keiner Empfindung des Gegenstandes auch ohne Beziehung auf einen Begriff, der irgendeine Absicht enthielte, gesetzt wird: so ist es allein die Gesetzmäßigkeit im empirischen Gebrauche der Urtheilskraft überhaupt (Einheit der Einbildungskraft mit dem Verstände) in dem Subjecte, mit der die Vorstellung des Objectes in der Reflexion, deren Bedingungen a priori allgemein gelten, zusammenstimmt; und da diese Zusammenstimmung des Gegenstandes mit den Vermögen des Subjects zufällig ist, so bewirkt sie die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit desselben in Ansehung der Erkenntnißvermögen des Subjekts." (190/XLV)

In der Ästhetik bekundet sich damit die Autonomie dieses Prinzips; d.h. in der ästhetischen Reflexion ist die Eigenständigkeit des Prinzips der Urteilskraft analytisch enthalten. Aus der Sicht der zweiten Einleitung verlagert sich der Schwerpunkt des ersten Buches von einer Theorie des Urteils über das Schöne auf eine Theorie der autonomen Prinzipienstruktur des Reflexionsur teils. Nicht die Theorie des Schönen steht im Vordergrund, sondern vom Schönen her erweist sich dieses Prinzip als analytisch aufweisbar. Die Untersuchung ästhetischer Reflexion hat eine Priorität gegenüber der Untersuchung der teleologischen Reflexion, weil durch sie der zentrale Begriff des Reßexionsurteils, die transzendental-formale Zweckmäßigkeit, fundiert wird. Weil eine im reflektierenden Urteilsakt gelegene Relation von Erkenntniskräften allererst die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit begründet, ist die Kritik der ästhetischen Urteilskraft ein dieser dritten Kritik wesentlicher Teil, denn sie thematisiert ein Prinzip, "welches die Urtheilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die.Natur zum Grunde legt, nämlich das einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnißvermögen" (vergl. 193/L). Die Darstellung dessen, daß "das Princip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur als ein transscendentales Princip der Urtheilskraft" (vergl. Überschrift des Abschnittes V der zweiten Einleitung) verstanden werden kann, wird damit in dem Aufweis der Strukturen der Urteilskraft über die Analytik der ästhetischen Reflexion vorbereitet.19 Die Charakterisierung der ästhetischen Urteilskraft als "ein besonderes

19

wobei zunächst unbestimmt bleibt, wie das Verhältnis von Reflexionsstruktur und transzendentalem Begriff zu denken ist. (Vergl. W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.234) Hierzu B.Kaluza, "Kants Kritik der Urteilskraft im Entwurf der beiden Einleitungen", S.133: "Die Verbindung von Einbildungskraft und Urteilskraft muß sich in der Folge als dasjenige ausweisen, was jener Idee einer Technik überhaupt zugrundeliegt als deren (ästhetische) 'Grundbestimmung'." Dieser Aufweis, so Kaluza, "muß uns zu erkennen geben, was reflektierende Urteilskraft ihrem Wesen nach ist."

74

Interpretation der zweiten Einleitung

Vermögen, Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen" beurteilen zu können, zeigt die Priorität dieser Art der Reflexion gegenüber der teleologischen Urteilskraft an (vergl. 194/LII). Letztere ist "kein besonderes Vermögen, sondern nur die reflectirende Urtheilskraß überhaupt", indem sie sich in ihrem Verfahren an der Vorgabe von Begriffen orientiert (vergl. 194/LII). Sofern dieses Vermögen nur unter dem Gesichtspunkt seiner Anwendung thematisch ist, gehört es, wie Kant sagt, "zum theoretischen Theile der Philosophie" (vergl. 194/LII). Aber sofern es um die Kritik dieses Vermögens geht, nämlich um die Frage, in welchem Umfang die Anwendung teleologischer Prinzipien in der theoretischen Philosophie kritisch fundiert ist, so gehört die Kritik der teleologischen Urteilskraft zweifellos als homogener Bestand in die Untersuchung der Kritik der Urteilskraft, denn mit dem Begriff einer formalen Zweckmäßigkeit von transzendentaler Dignität, welcher zum Prinzip der Urteilskraft überhaupt erhoben ist, wird die Kritik dieses Vermögens in seinem teleologischen Gebrauch erst möglich: Die Kritik teleologischer Reflexion ist dann eine Kritik auf der Grundlage des autonomen Prinzips der Urteilskraft. Sie ist eine Kritik, die darauf gerichtet ist, den teleologischen Aspekt einer an Zwecken ausgerichteten Kausalität als mit der Verstandeskausalität vermittelbar zu verstehen und den Begriff der Einheit der Natur von der Möglichkeit einer zusammenhängenden Erfahrung her begreifen zu können. Die Zweckmäßigkeit ist hierin eine der Natur unterstellte Regel, deren Gegenüberstellung mit der Verstandeskausalität beispielhaft die Dialektik von allgemeinen und besonderen Naturgesetzen demonstriert.

Zweiter Abschnitt Abschließende Bemerkungen zur Interpretation der zweiten Fassung der Einleitung und Ubergang zur Kritik der Urteilskraß Mit dem Ergebnis unserer Interpretation wird deutlich, daß es Kant in seiner Konzeption der Kritik der ästhetischen Urteilskraft nicht nur um das Schöne als solches geht, d.h. nicht darum, die im Zuge der Aufklärungsphilosophie durch Baumgarten neben der Erkenntnis- und Moralphilosophie etablierte Disziplin der Ästhetik zu behandeln. Es ist vielmehr so, daß über eine Analyse des Geschmacksurteils etwas demonstriert werden soll, von dem her Einblick in die Prinzipienstruktur der reflektierenden Urteilskraß genommen werden kann. Deshalb stellt Kant einer Kritik der Urteilskraft eine Analyse des Geschmacksurteils voran: "Nur soweit es ein eigenes Prinzip der ästhetischen Urteilskraft gibt, interessiert sich Kant, und deshalb kommt es ihm auf das reine Geschmacksurteil allein an".20 Über eine Analytik des Schönen soll Einblick in die Struktur eines Erkenntnisvermögens gewonnen werden, welche der objektivierenden Philosophie verschlossen bleibt. Der Weg zum Aufweis eines eigenständigen Prinzips der Urteilskraft ist demnach ein Weg durch die Analytik des Schönen und steht damit in unmittelbarem Bezug auf eine hieran anschließende und durch den Aufweis der Prinzipienstruktur des Urteilsvermögens möglich gewordene Kritik teleologischer Reflexion. Hierin besteht die Einheit der dritten Kritik. In diesem Sinne schreibt Kant am 28. Dezember 1787 an Reinhold: "So beschäftige ich mich jetzt mit der Critik des Geschmacks, bei welcher Gelegenheit eine andre Art von Principien a priori entdeckt wird, als die bisherigen. Denn der Vermögen des Gemüths sind drei: Erkenntnißvermögen, Gefühl der Lust und Unlust, und Begehrungsvermögen. Für das erste habe ich in der Critik der reinen (theoretischen), für das dritte in der Critik der

20

H.G.Gadamer, "Wahrheit und Methode" (Tübingen 1965), S.41. Dieser Sachverhalt ist für die Interpretation der Kritik der Urteilskraft fundamental: Kant handelt nicht, wie Model meint, den hypothetischen Vernunftgebrauch unter "dem neu gefundenen Begriff der reflektierenden Urteilskraft ab" (Anselm Model, "Metaphysik und reflektierende Urteilskraft bei Kant", S.224, Frankfurt 1987), sondern das Problem der Bestimmbarkeit des Besonderen auf der Grundlage eines neu entdeckten Prinzips.

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Abschließende Bemerktingen zur Interpretation der zweiten Einleitung

practischen Vernunft Principien a priori gefunden. Ich suchte sie auch für das zweite, und, ob ich es zwar sonst für unmöglich hielt, dergleichen zu finden, so brachte das Systematische, das die Zergliederung der vorher betrachteten Vermögen mich im menschlichen Gemüthe hatte entdecken lassen, und welches zu bewundern und, wo möglich, zu ergründen, mir noch Stoff genug für den Ueberrest meines Lebens an die Hand geben wird, mich doch auf diesen Weg, so daß ich jetzt drei Theile der Philosophie erkenne, deren jede ihre Principien a priori hat, die man abzählen und den Umfang der auf solche Art möglichen Erkenntniß sicher bestimmen kann - theoretische Philosophie, Τ e 1 e ο 1 ο g i e und practische Philosophie, von denen freilich die mittlere als die ärmste an Bestimmungsgründen a priori befunden wird. Ich hoffe gegen Ostern mit dieser, unter dem Titel der C r i t i k d e s G e s c h m a c k s , im Mscpt., obgleich nicht im Druck fertig zu seyn." (Ak.-Text Bd.X, 488/Hervorhebung JP)

Mit diesem Briefauszug wird deutlich, daß die Kritik des Geschmacks als ein Unternehmen verstanden werden soll, dessen im Verlauf seiner Analyse aufgewiesenes apriorisches Prinzip als fundierend für die Möglichkeit einer Teleologie in Anspruch genommen werden soll, also für eine Lehre, in der die zu beurteilende Natur in ihrer empirischen Besonderheit thematisch ist. Es ist damit Kants Selbstverständnis, mit der dritten Kritik eine Konzeption zu entwerfen, in welcher die Einheit der zunächst different scheinenden Sachgebiete von Ästhetik und Teleologie darin besteht, daß das, was in der Kritik teleologischer Reflexion geleistet xmrd, erst von der Theorie des Geschmacks, nämlich über die dort aufgewiesene apriorische Prinzipienstruktur, verständlich gemacht werden kann. Insofern müssen beide Teile dieser Kritik von dem Gedanken ihrer Kontinuität her interpretiert werden. Dies widerlegt die These der Inhomogenität der beiden Teile der dritten Kritik, wie sie z.B. von R.Odebrecht formuliert wird.21 So ist es zwar richtig, daß die Teleologie "ihrer Anwendung nach zum theoretischen Theile der Philosophie gehört" (2.Einl. 194/LII) - eine Äußerung Kants, auf die sich Odebrecht glaubt berufen zu können - , dies bedeutet aber weder, daß sie deshalb auch dem Ursprung ihres Prinzips nach der Kritik der reinen Vernunft zugeordnet werden müßte, noch bedeutet es, daß damit eine Inhomogenität der Kritik der Urteilskraft belegbar wäre.22 Die Nähe der Sachgebiete der transzendentalen Dialektik der ersten Kritik und der teleologischen Urteilskraft verdeckt die fundamentale Differenz ihrer Prinzipien

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In jüngster Zeit wurde diese These von J.Kulenkampff wiederholt vorgetragen. Vergl. Kulenkampff, "Kants Logik des ästhetischen Urteils", S.l, sowie seine Auseinandersetzung mit K.Kuypers in der Philosophischen Rundschau 22 (1975) Vergl. R.Odebrecht, "Form und Geist. Der Aufstieg des dialektischen Gedankens in Kants Ästhetik" (Berlin 1930), S.11

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ebenso, wie die offenkundige Differenz der Teleologie zum Sachgebiet der Ästhetik die Verwandtschaft ihrer prinzipienlogischen Grundlage der Möglichkeit einer transzendentalphilosophischen Kritik verdeckt. Interpretationen, die versuchen, den doktrinalen Gesichtspunkt der beiden Teile dieser Kritik in den Vordergrund zu stellen, also Kant die Absicht unterstellen, ihm ginge es um die transzendentale Grundlegung einer Theorie des schönen Gegenstandes und der organischen Natur, verfehlen schon im Ansatz das Selbstverständnis Kants.23 Eine solche Theorie war weder je von Kant beabsichtigt, noch wäre sie nach seinem Verständnis möglich, denn sowohl die erste als auch die zweite Einleitung heben hervor, daß eine Kritik der Urteilskraft "doch niemals den Stoff zu einer Doctrin abgeben kann" (l.Einl. 248/63). 24 "Die Kritik der Erkenntnißvermögen in Ansehung dessen, was sie a priori leisten können, hat eigentlich kein Gebiet in Ansehung der Objecte: weil sie keine Doctrin ist, sondern nur, ob und wie nach der Bewandtniß, die es mit unseren Vermögen hat, eine Doctrin durch sie möglich sei, zu untersuchen hat. Ihr Feld erstreckt sich auf alle Anmaßungen derselben, um sie in die Grenzen

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Der Versuch Hans Drieschs, die "Teleologie" bzw. den Begriff "Zweckmäßigkeit" als Kategorie im Sinne der "Ganzheit" verstehen zu wollen (vergl. H.Driesch "Geschichte des Vitalismus", S.66 und 74, Leipzig 1922), muß deshalb als ein Kants Anliegen verfehlender Interpretationsansatz abgelehnt werden. Als Beispiele für Drieschs Auseinandersetzung mit der dritten Kritik verweisen wir auf seinen Artikel "Otto Liebmanns Lehre vom Organischen" (Kantstudien Bd.15,1910) und auf seine "Geschichte des Vitalismus" (Leipzig 1922): "Nachdem er (Liebmann/JP) an Kant gerühmt hat, daß er in der Erörterung seiner Kritik der Urteilskraft 'weder als Vitalist, noch als Antivitalist; überhaupt nicht als Dogmatiker' dastehe, fährt er fort: 'Nur das kann fraglich bleiben, ob die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens wirklich genau an dem Orte liegen, wo Kant sie gezogen hat.' Klingt das nicht wie ein Zweifel an der bloss 'regulativen' Natur des Begriffs der Teleologie, welche Kant lehrt? Scheint es nicht, als sähe hier Liebmann jene im Kantischen Schema nicht enthaltene k o n s t i t u t i v e Kategorie der Relation, welche ein dynamischer Vitalismus in der Tat nötig hat?" (Kantst. Bd. 15., S.91/92) "Wir meinen, und das ist nun unser letztes Wort in der Sache, Kant selbst hätte von seinem eigenen Standpunkt aus die G l e i c h w e r t i g k e i t der Teleologie mit der Relationskategorie zugeben d ü r f e n . Denn die A u f g a b e , a l l e s in der empirischen Welt auch ihr, oder besser dem Begriff der G a n z h e i t und G a n z h e i t s b e z o g e n h e i t zu unterstellen, besteht. Zwar ist diese Aufgabe eigentlich e r f ü l l b a r nur mit Rücksicht auf Werden und Gebaren des p e r s o n a l e n Organismus. Wir mögen diese ihre Erfüllbarkeit die echte 'konstitutive' Seite der in Rede stehenden 'Kategorien' nennen. 'Bloß regulativ' mag dann Teleologie oder Ganzheit da heißen, wo sie bloß hypothetisch - (aber n i c h t i n a n d e r e m Sinn 'hypothetisch' als gelegentlich auch der Kausalitätsbegriff!) anwendbar ist, also im Hinblick auf alle Probleme des Überpersönlichen, z.B. in Phylogenie und Geschichte." ("Geschichte des Vitalismus", S.86/87) Vergl. auch l.Einl. 200/6, 2.Einl. 194/LII, sowie KdU 417/366

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Abschließende Bemerkungen zur Interpretation der zweiten Einleitung

ihrer Rechtmäßigkeit zu setzen." (2.Einl. 176/XX)

Die Bezogenheit oder Differenz der Sachgebiete ist hier deshalb kein taugliches Argument, weil es darum geht, die Homogenität der beiden Teile dieser Kritik von der Strukturalität des hier thematischen Vermögens her zu begründen. Mit der Bezogenheit der Sachgebiete allein ist nicht schon zugleich eine Bezogenheit der transzendentalen Prinzipien gesetzt. Wenn das Prinzip der Urteilskraft im apriorischen Begriff einer Zweckmäßigkeit gründet, der lediglich in spezifischer Weise in der Kritik der ästhetischen und teleologischen Reflexion zur Geltung gebracht wird als ästhetische oder teleologische Reflexion - , dann besteht zwischen beiden Reflexionsweisen ein im transzendentalen Bereich aufzuweisender prinzipieller Bezug. Diesen deutet Kant an, wenn er sagt: "Der Begriff der Urtheilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Natur ist noch zu den Naturbegriffen gehörig, aber nur als regulatives Princip des Erkenntnißvermögens, obzwar das ästhetische Urtheil über gewisse Gegenstände [...], w e l c h e s i h n ν e r a η 1 a ß t, in Ansehung des Gefühls der Lust oder Unlust ein constitutives Princip ist." (2.Einl. 197/LVII/Hervorhebung JP)

An der ästhetischen Reflexion ist damit die ursprüngliche Eigenständigkeit eines Prinzips aufweisbar, dessen Artikulationsmöglichkeit in die teleologische Naturbetrachtung hineinreicht. Mit der geschmacklichen Reflexion ist ein Prinzip thematisch, dessen Leistungskraft darin besteht, sich im Medium apriorischer Strukturalität am Konkreten in der Anschauung (dem einzelnen Gegenstand), in der Beurteilung des Schönen, zu artikulieren. Weil dieses Potential auch einer teleologischen Lehre vom Besonderen, als diese mitfundierend, zugesprochen wird, deshalb liegt mit der Kritik der Urteilskraft nicht nur eine "erneute kritische Revision dieses Vermögens" mit Blick auf die transzendentale Doktrin der Urteilskraft in der ersten Kritik vor, wie Ernst Cassirer meint,25 sondern die Revision ist auf den Problembereich eines prinzipiellen Umgangs mit dem Besonderen gerichtet, also jenes Bereiches, den Kant im Ideal vorstellte. Die Abkehr Kants von der Konzeption der ersten Fassung der Einleitung in die dritte Kritik ist für diese These ein Beleg. Diese Korrektur in der Bestimmung dessen, worin eine Kritik der Urteilskraft aufzugehen hat, hat Konsequenzen für die Einschätzung der vermutlichen Entstehung der beiden Fassungen der Einleitungen. Das Verhältnis der Einleitungen zueinander und zur Kritik kann von der möglichen Textentstehung her interpretiert werden, auf die wir hier kurz

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E.Cassirer, "Das Erkenntnisproblem" Bd.III (Darmstadt 1974), S.12

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eingehen wollen. Toneliis Argument zur Chronologie der Textentstehung, wonach die erste Fassung nach der Niederschrift des ersten Buches verfaßt worden ist, ist wenig überzeugend.26 H.Mertens Kritik an Toneiiis Beweisführung können wir uns deshalb anschließen: "Was das Verhältnis der EE zu 'Deduktion' und 'Dialektik' (gemeint sind hier die Abschnitte in der Kritik/JP) betrifft, so erweist sich hier schon die Unscharfe von Toneiiis Methode. Daß nämlich in ihnen die Begriffe 'reflektierende und bestimmende Urteilskraft' und 'reflektierendes Urteil' in dieser Junktur noch nicht vorkommen, beweist allein nicht stringent, daß die EE nach ihnen verfaßt wurde. Hier wäre es m.E. adäquater zu vergleichen, wie bestimmte sachliche Probleme in der EE und in entsprechenden Passagen der KU behandelt werden, ob sie übereinstimmen oder divergieren." (H.Mertens, "Kommentar", S.236)

Von der Darstellung des Sachzusammenhanges her ist es sogar wahrscheinlicher, wie H.Mertens anschließend am Beispiel der divergierenden Charakterisierungen des Urteils über das Kunstschöne in der ersten Einleitung und der Genielehre nachweist, daß die erste Fassung vor Entstehung der Kritik verfaßt wurde, "denn nach der Niederschrift der Theorie vom Genie hätte Kant kaum noch - es sei denn, man unterstellt ihm diesen offenbaren Widerspruch - in der EE schreiben können, dem Kunstschönen liege immer die subsumierende Urteilskraft zugrunde".27 Der Hinweis, die erste Einleitung sei aufgrund ihrer Weitläufigkeit ungeeignet, scheint kaum ein schlagendes Argument für eine Neufassung.28 Dies insbesondere dann nicht, wenn, wie wir gezeigt haben, die Neufassung der Einleitung keineswegs bloß eine Kürzung der ersten Fassung darstellt, sondern vielmehr die Darstellung einer andersartigen Bestimmung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft ist. Stand die erste Einleitung in Kontinuität zu der Untersuchung des Ideals in der Dialektik der Kritik der reinen Vernunft, so ist die zweite Einleitung Ausdruck der Abkehr von dieser Konzeption.29 Zwei Sachverhalte, die diese Fassung beu

27 28

29

Vergl. G.Tonelli, "La formazione del testo della K.d.U.", in Revue internationale de philosophie, Tom. 8 (1954), S.423-428 Helga Mertens, "Kommentar zur ersten Einleitung", S.239 Vergl. Seite XIII der Einleitung zur 6.Auflage der KdU von Karl Vorländer (Ph.B. Hamburg 1924), in der Vorländer sich auf den Brief Kants an Beck vom 4.Dezember 1792 bezieht. Also ist Kants Problem einer transzendentalen Begründung des Prinzips der Zweckmäßigkeit, welche durch die Gegenüberstellung beider Einleitungen der Kritik der Urteilskraft deutlich hervortritt, von J.D.McFarland in seiner Arbeit "Kant's Concept of Teleology" (Edinburgh 1970) nicht durchschaut. McFarland erkennt nicht ihre Differenz und legt seiner Interpretation vornehmlich die zweite Fassung zum Grunde, weil diese von Kant letztlich als Einleitung verwendet wurde. Die erste Einleitung dient McFarland lediglich zur

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Abschließende Bemerkungen zur Interpretation der zweiten Einleitung

grösseren Verdeutlichung von Sachzusammenhängen: "Kant wrote two Introductions to the Critique of Judgment, the first of which is considerably longer than the second. He suppressed the longer version and published the shorter one with both the first and the second edition [...] Since there are no differences in doctrine between the two and since the second is one which now invariably appears with the Critique, I shall confine my examination mainly to it and will refer to the longer version only when amplification is needed." (S.70) Das Verkennen der Differenz der beiden Fassungen führt dazu, daß McFarland glaubt, das Urteilsprinzip Kants mit einer allgemeinen Voraussetzung über die Systematisierbarkeit gleichsetzen zu können: "In place of his body of possibly quite disparate empirical laws, we can substitute any body of data which we are trying to systematize; and for his principle of reflective judgement, we can substitute the presupposition that the body of data is such that we will be able to systematize it." Im Anschluß an diese Gleichsetzung demonstriert McFarland folgendes Problem: 'The statement, 'this body of data is capable of being systematized', is a presupposition of the activity of attempting to systematize it only in the sense that to make the attempt while denying the statement to be true would be futile and senseless. But here again, to say this is quite a different thing from saying that before we can attempt to systematize the body of data we must assume the statement to be true. Thus, for example, someone could say, Ί am going to see whether I can systematize this body of data', without positively assuming that it can be systematized, although he could not sensibly make the attempt while denying the truth of the statement. Hie presupposition is related to the activity, not in a way that demands its conscious adoption, but simply its non-rejection. In other words, it would make poor sense to say, "This body of data is incapable of being systematized, but I will try to systematize it nevertheless'." Nun unterstellt McFarland: "Kant's claim for the principle of reflective judgment becomes ambiguous", denn entweder verlange Kant ausdrücklich, die Systematisierbarkeit der Natur durch das Prinzip der Urteilskraft habe in der Zweckmäßigkeit der Natur für das Erkenntnisvermögen seinen Grund - dies wäre eine überschwengliche, transzendente Annahme ("then he is making far too strong a claim") - , oder Kant erhebe den Anspruch, das Prinzip der Urteilskraft "is implicit in scientific activity, in the sense that its denial would make the activity futile" - dieser Interpretation gibt McFarland den Vorzug ("he is on firmer ground"). "In other words, either nature is or is not knowable: if it is, then we may be successful in our attempt to know it, although even if we fail in our attempt, this does not prove that nature is ultimatly unknownable but only that we have not succeeded so far. If nature is not knowable, then there is no sense making the attempt: so if we make the attempt, we must at least not deny that it is knowable." Deshalb, so McFarland: "We can simply say, Ί don't know whether nature is knowable or not, but I will investigate it and see'." (S.86/87) Diese Interpretation verfehlt Kants Anliegen, denn sie kann nicht verdeutlichen, worin das Prinzip der Urteilskraft zur Vermittlung der Erkenntnisprinzipien von Verstand und Anschauung beiträgt und weshalb die Urteilskraft einer Kritik unterzogen werden muß, oder worin dieses Vermögen das Prinzip zu einer Kritik auf der Grundlage der Bedingung der Möglichkeit einer Erfahrung bereitstellt - es also als ein transzendentales Prinzip zur empirischen Naturerfahrung verstanden werden kann. Kants Änderung der Konzeption der Einleitung in die dritte Kritik hebt nach unserer Interpretation die von McFarland vinterstellte Unklarheit (ambiguity): Es wird von Kant weder behauptet, die Natur sei für das Erkenntnisvermögen eingerichtet (nature is fitted to our capacity to understand it), noch besteht sein Argument für die Rechtmäßigkeit darin, daß die Ablehnung der Annahme einer Zweckmäßigkeit der Natur für das Erkenntnisvermögen den Stillstand der wissenschaftlichen Forschung zur Folge hätte ("Kant

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stimmen, belegen dies eindeutig: 1.) Das Argument der Idee einer Einheit der Natur in ihrer empirischen Gesetzmäßigkeit wird als ein Prinzip, welches die Reßexionsmöglichkät fundiert, von Kant zurückgezogen. Dieses Argument ist die mit dem Ideal formulierte Voraussetzung, die das transzendentale Prinzip der Urteilskraft sein sollte. 2.) Die zweite Einleitung steht vor der Notwendigkeit einer Deduktion, in der gezeigt wird, daß vor einer Orientierung der Urteilskraft an dieser Idee die Urteilskraft aus einem Vermögen eigener Prinzipialität auf die Problematik dieser Konzeption reflektieren muß. Hierin stellt Kant das Reflexionsvermögen als befreit von einer Instanz vor, nach der sie sich auszurichten hätte. Der Hinweis Kants, die Deduktion verstehe sich in ihrer Richtigkeit von der Größe der Aufgabe her, deutet an, daß diese Aufgabe innerhalb der Kritik des Urteilsvermögens zu erfüllen sei: nämlich als der Aufweis, 1. daß die Urteilskraft als Prinzip eigener Funktionalität in ihrem transzendentalen Begriff einer formalen Zweckmäßigkeit befähigt ist, auf die Relation von subjektiver Bedingung für Erfahrungserkenntnis und besonderer empirischer Naturbeschaffenheit kritisch zu reflektieren, und 2. xme sie hierin die Spannung von Subjekt und Natur zu vermitteln vermag. Der Kritik ist deshalb die Fundierung dieses Prinzipienstatus der Urteilskraft der notwendig erste Schritt. Eine auf dem Boden dieses Prinzips sich vollziehende kritische Untersuchung der Vermittelbarkeit von Subjekt und Natur im Rahmen der Kritik der teleologischen Reflexion ist dann der die Kritik vollendende Schritt. Die Einleitung kehrt diesen Gang um, indem sie die Vermittelbarkeit als ein Problem für die Urteilskraft vorstellt und dessen Lösung an die Möglichkeit einer Fundierung ihres Prinzips aus eigener Struktur bindet, das Problem also auf die Analytik des ersten Teils der dritten Kritik zurückführt. Diese Einleitung kann deshalb nicht schon selbst als ein Versuch der "Sicherung der Möglichkeit der Urteilsleistung" verstanden werden, wie Bartuschat interpretiert,30 sondern allein als der Versuch einer sich von der geleisteten Aufgabe her verstehenden Hinführung auf den analytischen Teil, mit dem der Gang der Kritik seinen Anfang nehmen muß. Ein Zirkel im Argument liegt nicht vor, denn das die ästhetische

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has shown that some principle of the fitness of nature for our capacity of coming to know it is a presupposition of our scientific investigation, but only in the sense that to deny such a principle would be to bring those investigations to a halt" /S.87). Kants Fragestellung lautet vielmehr, ob die Voraussetzung einer systematischen Ordnung der Natur transzendentalphilosophisch (also weder metaphysisch noch pragmatisch) begründet ist. Dem Prinzip der Urteilskraft kommt hierbei die Aufgabe zu, auf die Angemessenheit dieser Voraussetzung kritisch zu reflektieren. W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.234

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Abschließende Bemerkungen zur Interpretation der zweiten Einleitung

Reflexionsmöglichkeit fundierende Prinzip einer formalen Zweckmäßigkeit ist nach Kant dieser Urteilsleistung nicht äußerlich: "[...] weil diese allein ein Princip enthält, welches die Urtheilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur z u m Grunde legt, nämlich das einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnißvermögen." (2.Einl. 1 9 3 / L )

Es ist also keineswegs so, daß Kant hiermit "das selber unbestimmte Prinzip der transzendentalen Zweckmäßigkeit voraussetzt und als verbindlich für die Bewertung des Vermögens beider Formen von reflektierender Urteilskraft" behauptet.31 Es ist vielmehr der Hinweis auf einen, wie die Deduktion zeigte, notwendigen und im Zuge der Kritik aufzuweisenden Sachzusammemhang autonomer Selbstgesetzgebung, der seinen Nachweis im Rahmen der Analytik des ersten Teils der Kritik findet, weshalb mit der Untersuchung ästhetischer Reflexion die Kritik ihren Anfang nimmt. Unter diesem Gesichtspunkt muß die zweite Einleitung als eine Exposition gedeutet werden, deren reduktiver Charakter didaktisch begründet ist, was erst von dem Ergebnis der Durchführung der Kritik her verständlich wird. Die zweite Einleitung ist die Erörterung eines Urteilsvermögens, dessen eigentliche Deduktion sich im Zuge der Kritik vollzogen hat. Diese Deduktion ist die Kritik der Urteilskraft selbst, nämlich als der Nachweis einer Prinzipialität der Urteilskraft, der als einem autonomen Vermögen im Rahmen der Transzendentalphilosophie eine eigene Kritik notwendig zukommt. Sie ist aber nicht nur als kritisiertes Vermögen thematisch, sondern darüber hinaus als Vermögen, dessen Leistung darin bestehen soll, auf die Beziehung von subjektivem Entwurf (der Idee einer systematischen Ordnung als notwendiger Bedingung der Erfahrungserkenntnis) und Natur zu reflektieren. Deshalb muß sie selbst als kritisches Vermögen verstanden werden. Also ist die Kritik der Urteilskraft wesentlich eine Kritik durch die Urteilskraft, die auf dem Boden eines autonomen Prinzips diesem Vermögen möglich geworden ist.32 Hiernach ist zu erwarten, daß die erste Einleitung von Kant verworfen wurde, weil die dort vorgestellte Konzeption einer transzendentalphilosophischen Kritik

31 32

ebd., S.234 Hierzu J.Kopper in "Reflexion und Determination": "Verstandesbegriff und Vernunftbegriff sind beide gleichermaßen in sich eingeschränkt, und indem sie aneinander Kritik üben, offenbaren sie sich gerade auch für sich selbst in ihrer eigenen Unzulänglichkeit, und aus dieser Unzulänglichkeit sind sie die Kraft, sich auf das Unbedingte zu beziehen. Die Reflexion aber ist das Fürsichsein des erkennenden Selbstbewußtseins im ganzen dieses Geschehens." (S.17)

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nicht standhält. Da wir als gesichert annehmen können, daß die erste Einleitung keinesfalls nach Fertigstellung des zweiten Teils der Kritik verfaßt wurde, und da vieles dafür spricht, daß sie sogar noch vor der vollständigen Ausarbeitung des ersten Teils entstanden ist, so ist zu vermuten, daß wenn nicht schon in der Kritik des ästhetischen Urteils, so doch auf jeden Fall in der Kritik des teleologischen Urteils von Kant ein Problem transzendentaler Beziehung zur Natur behandelt wird, zu dessen Lösung die in der ersten Kritik mit dem Ideal vorgestellte Konzeption nicht hinreicht, sondern vielmehr, auch im Status eines bloßem Regulativs, als verstrickt in diese Problematik einer weiteren kritischen Einschränkung unterliegt. Denn es ist offenkundig ein Unterschied, ob die teleologische Urteilskraft ein Gegenstand der Kritik ist oder ob sie als Vermögen eines autonomen Prinzips auf die Möglichkeit einer Teleologie kritisch reflektiert. Die Behauptung, das Prinzip der Urteilskraft, welches sich im Rahmen einer Analytik des Geschmacksurteils nachweisen läßt, fundiere die Möglichkeit einer Kritik teleologischer Reflexion, impliziert nicht, daß jede faktische Reflexion über Besonderes ihren Weg über das Geschmacksurteil nehmen müßte. Dieser Weg ist nur das methodische Vorgehen im Rahmen einer Analyse des Urteilsvermögens mit dem Ziel einer Freilegung seiner eigenständigen Prinzipienstruktur. Für diese Interpretation spricht, daß Kant schon in beiden Fassungen der Einleitung darauf verzichtet, die Wesensbestimmung des ästhetischen Urteils vom Begriff der Schönheit her zu entwickeln oder die teleologische Reflexion über den Begriff des Organischen zu bestimmen. Allein das transzendentale Prinzip der Urteilskraft, die formale Zweckmäßigkeit, steht im Vordergrund. Das Schöne und das Organische sind der Kritik kontingente Phänomene, von deren Beurteilung her ein transzendentaler Sachverhalt explizierbar wird. Vorwürfe, die dahin gehen, Kant anzulasten, er habe dem spezifischen Charakter des Schönen bzw. des Organischen nicht genügend Rechnung getragen, weil deren Beschreibungen zu sehr vom Gesichtspunkt der Erkenntniskritik her vorgenommen sind, mögen von kunsttheoreti sehen oder biologischen Aspekten her zutreffen, sie sind jedoch in Ansehung der Intention Kants ungerechtfertigt.33

33

Demgemäß ist der Vorwurf Hans Drieschs in "Geschichte des Vitalismus" (Leipzig 1922) verfehlt, wonach "Kants Erörterung in hohem Grade unbefriedigend [...] für eigentlich biologische Aufgaben (ist)." (S.71) Die Untersuchungen von Gabriele Kübler, "Kunstrezeption und ästhetische Erfahrung" (Göppingen 1983) und Horst (Haussen, "Die Kritik der ästhetischen Urteilskraft Kants als philosophischer Zugang zur modernen Kunst" (Mag. Hamburg 1980) sind demgegenüber Beispiele dafür, wie von dem am ästhetischen Urteil phänomenal aufweisbaren Bestand her - über das erkenntniskritische Anliegen hinaus Kants Analyse des Reflexionsurteils für die Kunsttheorie fruchtbar gemacht werden kann.

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Abschließende Bemerkungen zur Interpretation der zweiten Einleitung

Das Geschmacksurteil, dessen empirischer Gegenstand das Schöne ist, rückt im ersten Teil dieser Kritik in den Mittelpunkt der Untersuchung, weil es Ausdruck der Lust am empirisch Konkreten ist. Da es hier um die Fundierung eines Prinzips geht, das Prinzip des Überganges vom Besonderen zum Allgemeinen sein soll, wird das Schöne in weiterer Hinsicht für die Lösung dieses Problemes interessant; dies liegt in der eigentümlichen Dignität dieses Begriffs als Prädikator: Schönheit ist immer Prädikation eines besonderen Konkreten, Singulären in der Anschauung. Es würde keinen Sinn geben, zu sagen, alle Dinge einer besonderen Beschaffenheit seien schön. Eine solche Ausssage würde auf einem allgemeinen objektiven Merkmal insistieren, nach welchem im Begriff der Schönheit gar nicht gefragt wird. Das ästhetische Urteil als Reflexionsleistung des Subjektes hat das Schöne zum Gegenstand, sofern es sich auf ein Gefühl des Wohlgefallens gründet, welches einen einzelnen Urteilsvollzug begleitet. Hierin wird deutlich, daß Kant das Prinzip der Urteilskraft aus einer Artikulationsmöglichkeit dieses Vermögens im Ästhetischen zu gewinnen versucht, in welchem ursprünglich auf einen Bezug auf einen empirischen Gegenstand insistiert wird. Damit ist garantiert, daß das zu beurteilende Objekt nicht schon im Rahmen einer allgemeinen Begrifflichkeit thematisch ist; gemeint ist hiermit nicht, daß es als Objekt nicht nach allgemeinen Gesetzen des Verstandes konstituiert wäre, sondern gemeint ist, daß das Objekt allein in Rücksicht auf seine zufällige Form thematisch ist.34 Weil mit dem Urteil über das Schöne auf einen Bezug zu Konkretem in der Anschauung verwiesen wird, ist es tauglich, im analytischen Verfahren mit der Urteilskraft das Prinzip des Umganges mit Singulärem zu ermitteln. Das Schöne ist immer schon Prädikation für Singuläres und als eine solche gemäß seinem phänomenalen Auftreten ein für die Problematik eines prinzipiierten Umganges im Denken mit Besonderem paradigmatisch. Nur von einem solchen Prinzip her kann verständlich gemacht werden, warum ein mit dem Geschmacksurteil auftretender Anspruch auf allgemeine Zustimmung erhoben werden kann. Dieser Anspruch ist genau dann keine bloße Selbsttäuschung, wenn er sich transzendental aus der Prinzipienstruktur der reflektierenden Urteilskraft formulieren läßt. Und diese allgemeine Zustimmung soll darin gegründet sein, daß die "allgemeine Vorstellung im Besonderen vorgestellt ist" (vergl. Logik Dohna-Wundlaken/Logik Kowalewski in "Kanf s gesammelte Schriften" Bd. XXTV: "Kant's Vorlesungen", Bd.I, S.708, Ak.d.Wiss. z. Göttingen 1966). In der ästhetischen

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Hierzu E.Adickes in "Kant und die Als-Ob-Philosophie" (Stuttgart 1924): "Die 'a priori feststellbaren, notwendigen, allgemeinen' Naturgesetze stellen nur die Minimalbedingung dar, ohne deren Erfüllung eine Natur überhaupt unmöglich sein würde." (S.201)

Übergang zur Kritik der Urteilskraft

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Reflexion werden "Dinge in concreto" (ebd.) betrachtet, und in diesem Bezug auf Konkretes liegt ein impliziter Bezug auf ein Allgemeines, von dem her sich der Anspruch begründen soll, über bloßes Privatinteresse hinaus gültig geurteilt zu haben. Es kann also nicht bloß gesagt werden, das Urteil über das Schöne ist einer Kritik zu unterziehen, weil analog den Erkenntnisurteilen ein Anspruch auf notwendige allgemeine Beistimmung erhoben wird, sondern das Urteil über das Schöne ist deshalb Gegenstand der Analyse, weil es als Prädikation in der Reflexion auf Dinge in concreto mit Anspruch auf notwendige Allgemeinheit in der Vorstellung von Besonderem eine Spannung repräsentiert, um die es in dem gesuchten Prinzip gerade geht. Die Analytik des Schönen ist als Erörterung der Prinzipienstruktur der Reflexion keine bloße aggregative Hinzufügung, sondern sie ist eine notwendige systematische Voraussetzung der kritischen Philosophie, sofern diese ein Prinzip für den Umgang mit Besonderem gewinnen soll. Ein Prinzip für die Reflexion über das Besondere ist dann nicht nur vom Besonderen überhaupt her gewonnen, am Besonderen als einem Allgemeinen empirischer Gesetzmäßigkeit, sondern an dem Konkreten in der empirischen Anschauung, dem zunächst kein unmittelbarer Bezug auf ein Allgemeines zu eigen erscheint. Die Kritik der Urteilskraft wird deshalb von uns wie folgt interpretiert werden: Der erste Teil, die Kritik der ästhetischen Urteilskraft, soll als der Aufweis der autonomen Prinzipienstruktur der Urteilskraft verstanden werden können. Der Weg durch die Analytik des Schönen ist die F u n d i e r u n g d e s P r i n z i p s des dritten Erkenntnisvermögens des Subjektes; hier soll nachgewiesen werden, daß der transzendentale Relationsbegriff der formalen Zeckmäßigkeit ein ursprünglicher Qualifikator des transzendentalen Prinzips der Urteilskraft ist. Der zweite Teil, die Kritik der teleologischen Urteilskraft, ist eine Kritik, die sich in Hinblick auf die Frage nach der Möglichkeit, die Natur als Einheit der besonderen empirischen Naturgesetze aufzufassen, auf dem Boden eines aufgewiesenen und kritisch geläuterten autonomen Prinzips der Urteilskraft zu vollziehen hat; sie ist also die U n t e r s u c h u n g d e s e m p i r i s c h e n G e b r a u c h s des Urteilsprinzips und des hierin gelegenen Verhältnisses zur Vernunft. Im Zentrum dieser Untersuchung steht nicht die Theorie des Organischen, sondern vielmehr das Problem einer notwendigen Vermittelbarkeit der heterogenen Prinzipien von mechanischer Verstandeskausalität und technischer Erzeugung der Naturprodukte, also jene Dialektik, deren Lösung Kant in der zweiten Fassung der Einleitung als eine Aufgabe bestimmte, deren Größe darin liegt, den Fortgang von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung zur besonderen zu leisten.

Dritter Teil Die Fundierung des Prinzips der Urteilskraft in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft

"Das Princip des Geschmacks ist das subjective Princip der Urtheilskraft überhaupt" Kritik der Urteilskraft (145/286)

Vorbemerkung zur Interpretation der Kritik des Geschmacks urteils Grundlegend für eine Interpretation der Analytik des Schönen ist die adäquate Einschätzung dessen, was Kant in der analytischen Erörterung der ästhetischen Reflexion leistet. Alle uns bekannten Untersuchungen unterstellen, daß die Bestimmungen des Schönen am Ende jedes den Kategorien gemäß entwickelten Abschnittes als die jeweiligen angesprochenen Momente behauptet werden. Dies entspricht jedoch nicht dem Selbstverständnis Kants. Es ist vielmehr so, daß die Erklärungen des Schönen als Folgerungen (bzw. für die Relation als Schluß) aus den Momenten verstanden werden sollen (vergl. 211,219,236,240/16,32,61,68). Die diese Erklärungen beinhaltenden Bestimmungen sind jedoch nicht erstmals am Ende der Untersuchung des jeweiligen Momentes vorgestellt, sie bilden vielmehr den Ausgangspunkt der Analyse: So wird die Interesselosigkeit schon in § 2, die Allgemeinheit in § 6, die Form der Zweckmäßigkeit in § 11 und schließlich die Notwendigkeit des Wohlgefallens in § 18 behauptet. Diese Merkmale des Urteils über das Schöne sind sein charakteristischer phänomenaler Bestand, den Kant zu Beginn der Analyse jeweils gemäß der Kategorientafel der ersten Kritik einordnet und im Verlauf der Analyse transzendental beründet, d.h.: die apriorische Bedingung analytisch freilegt, in der der jeweils im Blick befindliche Bestand seiner Möglichkeit nach gründet und der demgemäß aus einem Strukturmoment des Urteils gefolgert werden kann. Das methodische Vorgehen im analytischen Teil der Kritik der ästhetischen Urteilskraft ist deshalb das folgende: Es gibt für Kant vier Merkmale, die das Geschmacksurteil in seinem phänomenalen Auftreten hinsichtlich einer Reflexion über die Schönheit charakterisieren: 1.) die Interesselosigkeit, 2.) die Allgemeinheit, 3.) die Form der Zweckmäßigkeit und 4.) die Notwendigkeit des Wohlgefallens. Diese Merkmale sind ein die ästhetische Reflexion spezifizierender Bestand. Auf diesen bezieht sich die Kritik in der Weise, daß die Analyse des Schönen im reduktiven Verfahren einer transzendentalen Begründung des Geltungsanspruches dieses Bestandes die prinzipienlogischen Strukturen des Geschmacksurteils freilegt: Sie untersucht vier Momente, die die Bedingungen der Möglichkeit dieses Bestandes sind. In diesem Sinne ist die Analyse die transzendentale Begründung eines phänomenalen Bestandes, welcher aus der freigelegten prinzipienlogischen Struktur des Gegenstandes der Analyse, dem Geschmacksurteil, gefolgert werden kann und der damit einer transzendentalphilosophischen Kritik verfügbar ist. Deshalb bildet der

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Vorbemerkung zur Interpretation der Kritik des Geschmacks

analytische Aufweis der vier Momente des Geschmacksurteils die Grundlage und formuliert die Notwendigkeit einer Kritik, der die Urteilskraft in ihrer ästhetischen Reflexion unterworfen wird. Das Geschmacksurteil unterliegt einer Kritik, wenn sich aufweisen läßt, daß es in einer Spontaneität des Subjektes gründet und sich in seinen Möglichkeit keinem äußeren Anspruch beugen muß, es also von affektionellen Momenten der Sinnlichkeit oder rationalen Einflüssen eines bestimmenden Vermögens wie Verstand oder Vernunft frei ist. Die Möglichkeit einer Eigenständigkeit dieses Vermögens wird deshalb von Kant als erstes aufgewiesen, nämlich seine A u t o n o m i e , als transzendental begründete Spontaneität des Subjektes in der ästhetischen Reflexion. Diese Autonomie ist der transzendentale Grund eines mit dem Geschmacksurteil phänomenal verknüpften Anspruchs auf Interesselosigkeit am Schönen. Aus diesem qualitativen Moment der Autonomie des Geschmacksurteils wird die "Erklärung des Schönen" "als ein Wohlgefallen [...] ohne alles Interesse" g e f o l g e r t (vergl. 21/16). Dies ist die transzendentale Begründung des in § 2 formulierten Bestandes. Im zweiten Schritt der Analyse führt Kant den Nachweis des Grundes der Möglichkeit des mit der Reflexion verbundenen Anspruches auf Allgemeingiiltigkeit. Dieser die Quantität des Urteils betreffende Anspruch ist für den Fall legitim, daß das Geschmacksurteil von einem allgemeinen P r i n z i p her begreifbar wird; es ist nicht allein autonom, sondern diese Eigenständigkeit ist an einer ursprünglichen Prinzipienstruktur nachweisbar, welche die F o l g e r u n g der Erklärung: " S c h ö n ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt" (219/32) rechtfertigt, als Begründung des in § 6 formulierten Bestandes. Weil dieses Prinzip nunmehr als Prinzip einer qualifizierenden Beurteilung verstanden werden muß, welches in dieser Möglichkeit nicht von Anderem her begriffen werden darf, bestimmt Kant in einem dritten Schritt den Relationen betreffenden Qualifikator, die "Form der Zweckmäßigkeit" (221/34), durch die Analyse der Strukturmomente dieses Prinzips: In dem ursprünglichen Verfügen über diesen Qualifikator (welcher ein qualifizierendes Kriterium für Relationalität ist, das nicht von außen in das Prinzip eingebracht ist) gründet die I d e n t i t ä t dieses Prinzips. Für die Urteilskraft ist hiermit das a priori in ihrer immanenten Struktur gelegenes Maß der Beurteilung aufgewiesen, aufgrund dessen auf die Erklärung des Schönen als "Form der Z w e c k m ä ß i g k e i t [...] o h n e V o r s t e l l u n g e i n e s Z w e c k s " geschloss e n werden kann (236/61), als Begründung des in § 11 formulierten Bestandes. Zuletzt bestimmt Kant das Moment, von dem her die Wirkung einer Artikulation dieses Prinzips eigener Identität nicht als kontingent, sondern als n o t w e n d i g mit dieser Artikulation verknüpft begründet wird, woraus für eine Modalität des Urteils g e f o l g e r t werden kann,

Vorbemerkung zur Interpretation der Kritik des Geschmacks

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daß das Wohlgefallen am Schönen notwendig ist (vergl. 240/68); dies ist die Begründung des in § 19 formulierten Bestandes. Diese transzendentale Begründung des phänomenalen Bestandes macht jedoch nicht eine transzendentale Deduktion der Leistungskraft des analysierten ästhetischen Reflexionsprinzips entbehrlich. Sie macht sie vielmehr erst möglich und hinsichtlich der aus einer apriorischen Prinzipialität formulierten Ansprüche notwendig. Deshalb unterzieht Kant die ästhetische Reflexion im Anschluß an die Freilegung der Bedingungen der vier Momente des Geschmacksurteils der Kritik, nämlich der Rechtfertigung (Deduktion) ihrer Ansprüche im Gebrauch ihres Prinzips, sowie der Untersuchung einer mit diesem Gebrauch scheinbar verbundenen Dialektik. Mit diesen Abschnitten beschließt Kant die Fundierung des Prinzips der Urteilskraft.

Erster Abschnitt Die Analyse des ästhetischen Urteils

Erstes Kapitel Untersuchung des ersten Momentes: Von der Autonomie des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Qualität I. Der transzendentale Standpunkt der Analyse Im ersten Buch der Analytik der ästhetischen Urteilskraft ist Kant das Schöne Gegenstand der Untersuchung (vergl. 203/3). Gingen die beiden ersten Kritiken der Frage der Bedingungen der Möglichkeit einer Gegenständlichkeit/Gegenstandserkenntnis bzw. der Moralität nach, so untersucht Kant nun das Schöne in Hinblick auf die Bedingungen seiner Möglichkeit. Er stellt dieses Unternehmen als die Analyse eines subjektiven Vermögens vor, welches "Geschmack" (203/3) heißt und "das Vermögen der Beurtheilung des Schönen" ist (vergl. 203/3 Fußnote). Dies ist ein Hinweis darauf, daß sich die Schönheit eines Gegenstandes an apdorischen Bedingungen des Urteilsvermögens des Subjektes ausrichtet. Das Schöne ist demnach nicht ein dem Subjekt in der empirischen Anschauung Vorgegebenes, auf das der Urteilende sich im Medium der Rezeptivität nur als auf ein von ihm Verschiedenes beziehen könnte. Vielmehr gibt es das Schöne nur, sofern das Subjekt eine apriorische Möglichkeit entfaltet·, und dies geschieht in einem spezifischen Urteilen.1

1

Dieses Vorgehen findet in der Kantrezeption zumeist unbefriedigende Auslegungen. Entweder begnügt man sich unter Berufung auf die Arbeit A.Baeumlers, "Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre Geschichte und Systematik" Kap. 1 und 2 (Halle 1948) mit der Erklärung, Kant übernehme lediglich die Auffassung seiner Zeit, der Geschmack sei Organ der Beurteilung des Schönen (vergl. Walter Biemel, "Die Bedeutung von Kants Begründung der Ästhetik für die Philosophie der Kunst", S27, Köln 1959), zum anderen hält man es für irreführend und damit hinsichtlich seiner eigentlichen Intention für verfehlt (vergl.

Das interesselose Wohlgefallen ab Atisgangspunkt der Analyse

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Kant formuliert das Problem einer Analytik des Schönen demgemäß transzendental, d.h. als Frage nach der Urteilsweise des Subjektes, aus dessen Struktur heraus sich die Möglichkeit eines Urteils über das Schöne begründet. Der Geschmack soll als dieses Vermögen des Urteilens aufgewiesen werden und damit als eine Tätigkeit, die ausgeführt werden muß, um dem Schönen Gegenwart zu verschaffen. Worin diese Tätigkeit aufgeht, d.h. "was dazu erfordert wird, um einen Gegenstand schön zu nennen, das muß eine Analyse der Urtheile des Geschmacks entdecken" (203/4). Eine Analytik des Schönen ist also deshalb eine Analyse des Geschmacksurteils, weil das Auftreten des Schönen einen im Urteilsvermögen des Subjekts gelegenen Grund hat.2 II. Das interesselose Wohlgefallen als Ausgangspunkt der Analyse Als Kriterium der Beurteilung des Schönen nennt Kant die Beziehung einer Vorstellung auf die Stimmung des Subjektes, nämlich dessen "Gefühl der Lust oder Unlust" (204/4), wodurch der ästhetische Charakter und damit das phänomenale Spezifikum des Geschmacksurteils benannt ist. Nicht der schöne Gegenstand soll hierbei ursächlich für die subjektive Verfassung sein, sondern die Art der Beurteilung soll begriffen werden als die Verfassung des Subjektes modifizierend. Deshalb sagt Kant, die Vorstellung wird "gänzlich auf das Subject und zwar auf das Lebensgefühl desselben [...] bezogen" (204/4). Dieser relationale Zusammenhang wird nun so bestimmt, daß er nicht zufälliger Nebeneffekt bereits in der Kritischen Philosophie aufgewiesener und strukturell analysierter Urteilsakte ist. Er ist vielmehr spezifisches Merkmal eines ursprünglich in dieser Relation sich artikulierenden Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögens, eines Vermögens,

1

A.Trebels, "Einbildungskraft und Spiel", S.56, Bonn 1967). Beide Positionen verkennen die grundlegende Bedeutung des Aufgehens einer Analytik des Schönen in einer Explikation des Geschmacksurteils: Sofern das Schöne angesprochen ist, handelt es sich für Kant um eine Konstitutionsproblematik (hier natürlich nicht objektivierend im Sinne der ersten Kritik verstanden), die es gemäß der Transzendentalphüosophie, am Leitfaden der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Urteilsleistung, zu klären gilt. Daß diese Frage in die Sphäre der Ästhetik hineinreicht, dies ist für Kant ein Faktum, welches die Analytik deutlich machen soll. Es liegt hiermit keine unbeabsichtigte Irreführung vor, sondern die Wahl des Titels erfolgt in konsequenter Durchsetzung der Idee einer kritischen Philosophie, wie sie Kant begreift "Geschmack ist eine Wirkung der Urtheilskraft." ("Wiener Logik" 812 und "Logik Hoffmann" 947, "Kanf s Vorlesungen", Ak.-Text BcLXXTV, Vorlesungen über Logik Bd.I, zweite Hälfte)

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Von der Autonomie des Geschmacksurteils

"[...] das zum Erkenntnis nichts beiträgt, sondern nur die gegebene Vorstellung im Subjecte gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen hält, dessen sich das Gemüth im Gefühl seines Zustandes bewußt wird." (204/4-5)

Die Modifikation der subjektiven Verfassung im Geschmacksurteil soll in einem Urteilsakt gründen, dem ursprünglich genau diese Wirkung zuzuschreiben ist. Der Reflexionsgeschmack ist demgemäß ein Vermögen, das sich seinem strukturellen und funktionellen Charakter nach eigenständig artikuliert. Diese Unabhängigkeit des Geschmacks von anderen Urteilsfunktionen ist darin angezeigt, daß der ästhetisch Urteilende in Absehung jeglichen Interesses einen Gegenstand als schön zu bestimmen vorgibt (vergl. 204/5). Da dieses Phänomen ein der Analyse vorgegebener Bestand ist und nicht ein Ergebnis, das erst aus der Analyse folgt, wird die der Beurteilung des Schönen anhängende Interesselosigkeit nicht als normativ für ein Geschmacksurteil behauptet, sondern als Beschreibung eines im Urteil vorfindbaren Sachverhaltes eingeführt. Kant sagt deshalb: "Man will nur wissen, ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sei, so gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung sein mag." (205/6)

Nicht allein die mögliche Modifikation der Verfassung des Subjektes verweist demnach auf eine besondere Beziehung dieser Wirkung zum Urteilsvermögen, sondern vielmehr eine Interesselosigkeit an dem beurteilten Gegenstand, dessen Beurteilung als lustvoll bestimmt ist. Der erste Schritt der Analyse besteht deshalb in dem Nachweis, daß dieser Anspruch nicht willkürlich ist, sondern seinen Ursprung in einem qualitativ das Geschmacksurteil auszeichnenden Moment hat, nämlich in einer transzendentalen Bedingung, von der her dieses Beurteilungsvermögen als autonom begriffen werden kann und aus der sich die Interesselosigkeit als ein der ästhetischen Beurteilung spezifisches Phänomen erklären läßt. III. Das Subjekt mannigfaltiger Bezüge als Gegenstand der Analyse Wird der Bezug auf die subjektive Verfassung zum Ausgangspunkt der Analyse der ästhetischen Urteilskraft gewählt, so ist damit zugleich das Subjekt als ein solches thematisch, welches sich gegen die Möglichkeit einer Modifikation seines Zustandes aus anderen Bezügen heraus zu behaupten hat. Es kann damit nicht schon vorgängig so gefaßt werden, daß sein Wesen durch eine methodische Voraussetzung der Analyse reduziert wäre auf die Fiktion eines reinen Subjektes, wie sie zum einen die theoretische

Das Subjekt mannigfaltiger Bezüge als Gegenstand der Analyse

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Philosophie, in Hinblick auf die apriorischen Bedingungen für Erfahrung, zum anderen die Moralphilosophie als apriorische Bedingung für Sittlichkeit vorstellt. Sofern die ästhetische Urteilskraft sich in einer Wirkung auf die Verfassung des Subjektes ausweisen soll, erscheint das urteilende Subjekt zunächst als eingebettet in empirische Bezüge. Als ein Wesen, das in Bezügen steht und im Urteilsakt sein Verhältnis zu den Dingen, auf die es sich bezogen weiß, in den Blick nimmt, versteht es sich in seiner Verfassung bestimmt durch diesen Sachverhalt. Das empirische Subjekt ist zugleich wesentlich ein sinnlich bedingtes, so daß die Bestimmtheit durch empirische Bezüge ihren subjektiven Ausdruck in einer ursprünglichen Gestimmtheit des Urteilenden findet. Das Subjekt des Geschmacksurteils ist ausdrücklich in dieser Befindlichkeit angesprochen. Kant hebt dieses Moment durch den Verweis auf das "Lebensgefühl" hervor, auf das die Reflexion bezogen ist (vergl. 204/4). Da das Subjekt immer schon gestimmt ist, verweist die Möglichkeit einer ausgezeichneten Weise der Beziehung auf gegebene Vorstellung, die der Urteilende mit dan spontanen Geschmacksurteil realisiert und hierin seine Verfassung zu modifizieren vermag, auf das Problem einer durch die Analyse auszuweisenden Autonomie. "Man sieht leicht, daß es auf das, was ich aus dieser Vorstellung i n mir s e l b s t (Hervorhebung JP) mache, und nicht auf das, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sei s c h ö n , und zu beweisen, ich habe Geschmack." (205/6)

Es gilt folglich, das Subjekt so vorstellig werden zu lassen, daß sein Gestimmtsein auf ein Verhalten zurückgeführt werden kann, in dem die ästhetische Reflexion als eine Leistung auszumachen ist, die ursächlich ist für diese Verfassung.3 Soll das Subjekt sich in seinem Gestimmtsein als 3

Hierzu Sverre Klausen in "Grundlinien der kantischen Ästhetik", Avhandlinger utgitt av det Norske Videnskaps-Akademi 1942, S.32 (Oslo 1943): "Der Lust am Schönen liegt [...] das Bewußtsein einer Selbsttätigkeit zu Grunde. Hier liegt der Bestimmungsgrund der Kausalität nicht außer, sondern in uns. Wir bringen die Lust selbst hervor durch unsere Tätigkeit beim Spiel. Die gegebene Form des Gegenstandes ist die bloße Veranlassung zur Selbsttätigkeit. Denn, während wir uns dem gegenüber, wodurch der Gegenstand existiert, also gegenüber der Materie des Gegenstandes, passiv verhalten, so fordert die Auffassung der Form Selbsttätigkeit. Und nur in der tätigen Auffassung, nur in der Vorstellung ist die Form schön." Die Interpretation von Paul Guyer, "Kant and the Claims of Taste" (Cambridge/ Massachusetts/London 1979), ist somit völlig verfehlt. Guyer meint: "An aesthetic judgement is, then, one which concerns a feeling presumably caused by a giving object; instead of making a knowledge claim about the object, however it makes a claim about the feeling it occasions." (S.72) Diese empiristisch-psychologische Auslegung der ästhetischen Urteilskraft wurde von Michael James in seiner Untersuchung "Reflections and Elaborations

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Von der Autonomie des Geschmacksurteils

Resultat eigenen Vermögens begreifen können, so ist es notwendig, dieses gegen die Möglichkeit eines bloßen Angegangenseins im Medium der Rezeptivität zu behaupten, anderenfalls es in seinem Zustand den Bezug auf sich selbst verlieren würde und seine Verfassung als durch ein ihm Äußeres bedingt begreifen müßte. Angesprochen ist hiermit einerseits die Affizierbarkeit durch das Bezugsobjekt, welches, als in der empirischen Anschauung gegeben, ursprünglich Einfluß auf die sinnliche Verfassung des Subjektes nimmt; zum anderen die Möglichkeit, über die Rationalität der Begrifflichkeit eine gegebene Vorstellung in Verbindung mit der Empfindung zu bringen und für das Objekt gemäß der Vorstellung seiner möglichen Zwecktauglichkeit eingenommen zu sein. In beiden Fällen ist das Phänomen des immer schon in Bezügen Sichbefindens des Urteilenden angesprochen. Notwendige Bedingung einer transzendentalen Eigenständigkeit, als Möglichkeit ästhetischer Reflexion, ist damit der Aufweis der autonomen Spontaneität als Freiheit von affektionalen und intentionalen Bezügen. Die Analyse muß den Nachweis der Möglichkeit einer Position zum Objekt erbringen, die es erlaubt, den Begriff des Subjektes neu zu begründen. Dies versucht Kant durch die Zurückführung des Phänomens des interesselosen Wohlgefallens auf das Urteilsvermögen. IV. Reduktion des Subjektes auf das Urteilsvermögen Das Subjekt kommt nunmehr in einer Weise in den Blick, die mehr erlaubt, als das ästhetische Urteil in seinem logischen Status auf die subjektive Sphäre zu restringieren. Es vermag in der Lust, aus einer Kausalität seines Beurteilungsvermögens, seine Tätigkeit der Beurteilung eines Objektes zu qualifizieren und zeichnet sich hierin als autonom aus.

upon Kantian Aesthetics" (Uppsala 1987) eingehend kitisiert (vergl. dort S.32-42); wir können deshalb auf diese Arbeit verweisen. K.Neumanns phänomenologische Interpretation der ästhetischen Reflexion ("Gegenständlichkeit und Existenzbedeutung des Schönen" Bonn 1973) wird (gegenüber dem Ansatz Guyers) Kant insofern gerecht, als Neumann sich ausdrücklich gegen eine Kausaltheorie auspricht: "Im ästhetischen Akt liegt die eigentümliche Artikulation einer Wirkung vor, die ursprüngliche menschliche Wahrnehmung»- und Darstellungsmöglichkeiten ins Spiel setzt. Die ästhetische Wirkung eines Objektes, radikal verschieden von einer in Kausaltheorien determinierbaren Wirkung des Objektes auf das Subjekt, ist nur in dieser Artikulation begreifbar." (S.2) "Die Wirkung ist nicht von der Gegebenheit des Gegenstandes als solchen immittelbar abhängig. Denn dann wäre die nachweisbare Spontaneität der ästhetischen Urteilskraft als konstitutiven Prinzips für das ästhetische Gefühl ausgeschlossen. [...] Es erwächst m i t der Reflexion des Wahrgenommenen." (S.l 30/Hervorhebung JP)

Reduktion des Subjektes auf das Urteilsvermögen

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Das Subjekt steht hierbei also nicht nur im Bezug auf ein von sich Verschiedenes, sondern zugleich im Bezug auf ein Anderes seiner selbst, d.i. die dem Urteilsakt korrelativ beigeordnete, in einer Spontaneität gründende Modifikation seines Zustandes. "Dieses Wohlgefallen kann sich das Gemüth selbst erregen, es bleibt dabei in Spontaneität." (Logik Dohna-Wundlaken/Logik Kowalewski, 706)*

Urteilstätigkeit weist eine aus der Struktur des Subjektes resultierende Kausalität in Hinblick auf das Gestimmtsein des Urteilenden auf. Das Geschmacksurteil erfüllt sich damit in der Affektion der Sinnlichkeit des Subjektes, wobei die Wirkung auf die Sinnlichkeit aus einer Weise des Umganges mit einer Vorstellung resultiert und nicht von dem Urteilsakt äußerlichen Komponenten her verstanden ist. "Nun will man aber, wenn die Frage ist, ob etwas schön sei, nicht wissen, ob uns oder irgend jemand an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sei, oder auch nur gelegen sein könne; sondern, wie wir sie in der bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) beurtheilen." (204/5)

Um diesen grundlegenden Sachverhalt deutlich werden zu lassen, bedient sich Kant folgender Beispiele: Einerseits kann die urteilende Tätigkeit darin bestehen, eine empirische (mithin ästhetische) Vorstellung auf das Objekt zu beziehen, womit der Urteilsakt Logizität aufweist. Andererseits kann eine rationale Vorstellung auf das Gefühl bezogen werden, wodurch eine Ästhetizität des Urteils ihre Begründimg fände (vergl. 204/5). In beiden Fällen ist jedoch die Beziehung auf ein ästhetisches Moment kein Spezifikum des Umgangs mit einer Vorstellung im Sinne eines Aufweises besonderer Urteilsfähigkeit. Die ästhetische Komponente ist aufgrund einer Zufälligkeit in den Urteilsakt eingegangen, die in der willkürlichen Inblicknahme und Verknüpfung von Relaten durch das Subjekt liegt. In Differenz hierzu stellt Kant das Geschmacksurteil als ein solches vor, dessen Ästhetizität aus einem spezifischen Verfahren des Subjektes mit gegebener Vorstellung folgt: "Die Lust ist also im Geschmacksurtheile [...] der Bestimmungsgrund dieses Urteils nur dadurch, daß man sich bewußt ist, sie beruhe bloß auf der Reflexion [...]." (2.Einl. 191/XLVII)

Die Weise, wie mit der Vorstellung umgegangen wird, weist eine genuine Verknüpfung mit der Verfassung des Urteilenden auf, d.h. in der geschmacklichen Beurteilung liegt eine ästhetische Wirkung: das Ge-

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Vergl. Ak.-Text Bd.XXIV, "Kant's Vorlesungen" Bd.1

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Von der Autonomie des Geschmacksurteils

schmacksurteil ist ästhetisch! Es ist dies nicht nur, weil mit dem Urteil auch eine Wirkung auf die Befindlichkeit aufweisbar ist, wodurch, wie das Urteil über das Angenehme zeigt, noch keine Besonderheit urteilender Tätigkeit thematisch würde (vergl. § 3), sondern es ist ästhetisch: weil ein besonderer Umgang mit gegebener Vorstellung einen ursprünglichen Bezug auf die Befindlichst hat, welcher auf der Reflexion beruht. Die Definition des Urteils

als ästhetische Reflexion meint einen Aktus des Denkens, der sich von einer ursprünglichen Verbundenheit mit der Verfassung des Subjektes her versteht. Die Sinnlichkeit erscheint nicht bloß als ein Moment des Subjektes, das es auch zu thematisieren gilt, sofern das Subjekt in seiner Ganzheit erfaßt werden soll, sondern Kant gibt den Entwurf zu einem Subjekt, in dem die genuine Verflechtung intellektueller Tätigkeit mit der Befindlichkeit eine Qualität subjektiven Vermögens indiziert. Somit gelingt es im Bestimmungsgrund des Urteils, der Lust, einen Index im Sinne einer Bewertungsinstanz einzuführen, dessen Dignität darin besteht, daß der Urteilsakt nicht im Hinblick auf die Modifikation der Befindlichkeit schon immer einsetzt. Der Gestimmtheit des Urteilenden liegt ein Aktus zugrunde, der nicht um willen eines Gestimmtseins vollzogen wird. Der Urteilstätigkeit korrespondiert ein Modus der Befindlichkeit, der auf die Aktivität zurückgeführt wird, ohne daß die Tätigkeit als auf die Modifikation intendiert auftritt, wodurch sie dem Verdacht des bloßen Sichlustverschaffens entgeht.5 In Konsequenz dieses Sachverhaltes kann die Lust oder

s

Der Versuch G.Kohlers in "Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung" (Berlin/New York 1980), die Analytik des Schönen von dem Abschnitt VI der zweiten Einleitung her zu interpretieren, muß als verfehlt angesehen werden: Ausgehend von der Bemerkung Kants in diesem Abschnitt: "Die Erreichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lust verbunden" (187/XXXIX), bestimmt Kohler das Wesensmoment der Lust als "Erlebnis der Erfüllung", "Übereinkommen von Verlangen und Verlangtem", "Aufhebung der Spannung des Suchens" etc, also als das Erreichen einer Absicht, als, wie Kohler glaubt, der reflektierenden Urteilskraft innewohnenden "Vernunftaufgabe" (vergl. 73). Dieser Interpretation liegt der Fehlschluß zugrunde, daß, weil jedes Erreichen einer Absicht mit Lust verbunden ist, unterstellt wird, Kant meine, "jede Lust beruhe auf dem Erreichen einer Absicht". Diese Ansicht Kohlers ist nicht nur logisch verfehlt, sie kann sich sachlich auch nicht als fruchtbar für die Analyse ästhetischer Reflexion behaupten, denn sie unterschlägt, daß der diesem Zitat anschließende Abschnitt VII die ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit gerade darin in Differenz zu diesem Zitat setzt, daß Kant die Zweckmäßigkeit im Geschmacksurteil a b der Erkenntnis des Objektes vorhergehend bestimmt; d.h. hier geht es nun nicht mehr um eine Kongruenz der Naturgesetze im besonderen zur Allgemeinheit subjektiv notwendiger Denkstrukturen, also in Rücksicht auf ein Verstandesbedürfnis, welches im Aussein auf Erkenntnis eine Absicht verfolgt (vergl. 186/XXXVIII). Dieses Moment wird gerade ausgeschlossen: Der Grund der Lust im ästhetischen Urteil ist "ohne Beziehung auf einen Begriff, der irgend eine Absicht enthielte" (190/XLV). Die Behauptung, in der Reflexion 'lebe eine Vernunftaufgabe", ist nicht mehr

Reduktion des Subjektes auf das Urteilsvermögen

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Unlust nicht selbst als die Leistung des ästhetischen Urteils angesehen werden, sondern sie ist allein das Resultat einer Aktivität, die sich über den apriorischen Bezug auf die Befindlichkeit als eine Leistung zu bekunden vermag. In der Lust bekundet sich eine autonome, in Spontaneität gründende Urteilstätigkeit; dies ist nun für Analyse des Schönen gewonnen. An welchem transzendentalen Strukturmoment des Urteilsaktes diese Autonomie aufzuweisen ist, muß eine Explikation dessen zeigen, an dem sich die Tätigkeit der Reflexion im Subjekt vollzieht. Mit anderen Worten, eine weitere Analyse des Geschmacksurteils muß zeigen, daß eine spezifische Verfahrensweise mit einer gegebenen Vorstellung in der Funktionalität eines Vermögens gründet, welches als Strukturmoment des Reflexionsaktes die Autonomie transzendentallogisch fundiert. V. Die transzendentale

Begründung

der Autonomie

des

Geschmacksurteils

Im Zuge dieser Einführung einer neuen Subjektbestimmung erörtert Kant den Umgang mit gegebener Vorstellung zunächst unter Ausgrenzung des Vermögens der Objektbestimmung durch den Verstand. "Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Object zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstände verbunden) auf das Subject und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben." (203/3)

Daß das Subjekt in seinem ästhetischen Urteilsvermögen ohne Rücksicht auf den Verstand als Prinzip der Gegenstandskonstitution vorstellig gemacht wird, darf nicht zu der Annahme verleiten, die Reflexion sei an etwas ausgerichtet, das vor jeder Erfahrung und Konstitution läge. Eine solche Interpretation widerstreitet nicht nur der Charakterisierung des Verstandes als eines Vermögens, welches im Akt der Synthesis "unabsichtlich nach seiner Natur nothwendig verfährt" (2.Einl. 187/XL), ihr entgeht vielmehr das wesentliche Moment, wodurch sich die Vorstellung, an der

als ein neuerlicher Versuch, die These Stadlers aufzugreifen, die reflektierende Urteilskraft sei mit dem am Ideal demonstrierten hypothetischen Vernunftgebrauch identisch. In diesem Falle wäre die dritte Kritik weder als eine Einheit zu begreifen, noch gäbe es Grund, die Urteilskraft einer eigenständigen Kritik zu unterziehen. Diese Kritik ist für Kant gerade deshalb notwendig, weil die Urteilskraft eine Eigenständigkeit hat, die vom autonomen Vermögen der Reflexion her begründet ist (welches der analytische Teil des ersten Buches herausarbeitet).

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Von der Autonomie des Geschmacksurteils

sich das Subjekt als tätig erweisen soll, auszeichnet.6 Sie ist ihrem Inhalt nach bestimmt durch die empirisch zufällige Besonderheit eines Objektes - durch seine, der spontanen Konstitution durch die Subjektivität entzogenen Eigenschaften. Anschaulicher Gegenstand des Geschmacksurteils ist somit zunächst die Mannigfaltigkeit eines Objektes, also dasjenige, was über die Allgemeinheit bloßer durch die Spontaneität des

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Die Bemerkung Kants, daß im Geschmacksurteü von der Existenz des Gegenstandes abgesehen wird (vergl. § 2), kann keineswegs so verstanden werden, daß dasjenige, an dem sich die Reflexion vollzieht, kein Objekt der Erfahrung wäre und vor allem Kategorisieren läge, wie P.Heintel glaubt (vergl. "Die Bedeutung der Kritik" S.40). Die bloße Konstitution oder Erfahrbarkeit eines Objektes nach objektivierenden Prinzipien ist vielmehr Bedingung für die notwendige Annahme eines Etwas, das die Reflexion veranlaßt (vergl. die Äußerungen Kants in der Kritik der praktischen Vernunft: "[...] wobei gleichwohl die Existenz des Objects lins gleichgültig bleibt, indem es nur als die Veranlassung angesehen wird" (160/286)). Mit konstituierter Gegenständlichkeit ist erst etwas gegeben, an dem eine empirische Mannigfaltigkeit zufälliger Bestimmungen aufweisbar ist. Auf eben dieses Zufällige, das Konkrete, ist die Reflexion gerichtet. Die Reflexionsperspektive thematisiert genau das an dem Objekt, was über die Konstitution allgemeiner Gegenständlichkeit hinaus an ihm anzutreffen ist. In diesem Punkt berühren sich Reflexion und Konstitution überhaupt nicht. "Nun will man aber, wenn die Frage ist, ob etwas schön sei, nicht wissen, ob uns oder irgend jemand etwas an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sei, [...] sondern, wie wir sie in der bloßen Betrachtung [...] beurtheilen." (204/5) Dieses Zitat macht deutlich, daß Kant keineswegs die Negation von Gegenständlichkeit im Auge hat, sondern daß Gegenständlichkeit vorausgesetzt wird. R.Odebrecht geht in seiner Interpretation in "Form und Geist" (S.72) sogar weiter als Heintel, wenn er sagt, Kant meine damit "die kontemplative Fähigkeit der Ausschaltung von kategorialen Funktionen", so, als könne es im Belieben des Subjektes stehen, Gegenständlichkeit zu konstituieren oder nicht Eine solche Interpretation widerspricht nicht nur der in der ersten Kritik vorgestellten Grundlegung von Objektivität und Subjektivität in der transzendentalen Deduktion der Kategorien, sondern sie nimmt auch der ästhetischen Reflexion den sie veranlassenden Gegenstand. Jede Reflexion hebt an mit dem Gegebensein von etwas, das als ein Etwas allererst von der kategorialen Spontaneität her begriffen werden kann. Ein solches Etwas ist eben durch die Spontaneität ein Objekt, und zwar Naturobjekt, und als ein solches ist es primärer Gegenstand ästhetischer Reflexion. Daß es sich bei diesem Gegenstand um einen Gegenstand der Erfahrung handelt, ist für die Reflexion nicht von störender Relevanz, denn sie richtet sich nicht auf das, was schon durch spontane Subsumtion abgedeckt ist, sondern auf das, was dieser Möglichkeit entzogen ist. Problem ist hier nicht eine Daseinsweise, in der Gegenstände als Naturobjekte untereinander eine Indifferenz aufweisen (nämlich als Gegenstand überhaupt), sondern auf einen Gegenstand in seiner Differenz zu anderen Gegenständen soll ein reflexiver Bezug bestehen. Um Träger dieser spezifischen Eigenschaften zu sein, bedarf es notwendig des Momentes spontaner Konstitution, dem unabsichtlich notwendigen Verfahren des Verstandes. Die Subjektivität ist im Problemkreis der Beurteilbarkeit des Besonderen und Singulären in der Anschauimg nur nicht mehr als "Prinzip möglicher Gegenständlichkeit" thematisch (Bartuschat, "Zum sytematischen Ort", S.93), sondern im Geschmacksurteil wird auf ein dem Subjekt immanentes Prinzip spezifischen Verfahrenkönnens mit konkreten Vorstellungen verwiesen.

Die transzendentale Begründung der Autonomie des Geschmacksurteils

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Verstandes gesetzter Gegenständlichkeit am Objekt vorfindbar ist. An dieser Mannigfaltigkeit erweist sich der Urteilende als tätig; jedoch nicht so, daß er diese durch den Verstand bestimmt, d.h. nicht im Akt der Bildung eines empirischen Begriffs, der die Mannigfaltigkeit in eine Einheit zu bringen vermag, sondern in einer Weise des bloßen Beziehens auf die Subjektivität, d.i. des Belassens in seiner Unbestimmtheit. Diesen Sachverhalt will Kant hervorheben, wenn er zunächst die Einbildungskraft als produktives Vermögen in den Vordergrund stellt. Die Einschränkung "vielleicht mit dem Verstände verbunden" (203/4) kann nach vorangehender Ausgrenzung des objektivierenden Verfahrens nur meinen, daß der Verstand an der Beurteilung, ob etwas schön sei oder nicht, in einer Weise beteiligt ist, die von einer objektivierenden Herausstellung der Gegenständlichkeit unterschieden ist. Dieser eingeschränkte Bezug zum Verstand ist nicht deshalb problematisch, weil man die Einbildungskraft nicht auf den Verstand beziehen könnte, sondern weil die Bedingung der Möglichkeit eines Gelingens des Bezuges in Frage steht. Das Gelingen besteht eben darin, die Einbildungskraft in ihrer Beziehung auf besonderes Konkretes (also auf das, was nicht schon vom Verstand her als durch Begriffe objektiviert gedacht werden kann), in Relation zum objektivierenden Vermögen zu setzen. Hieraus resultiert ein Mangel des Geschmacksurteils an objektivierbarer Logizität, woraufhin ihm ein Anspruch auf Erkenntnis abgesprochen werden muß. Es ist ein Urteil, "wodurch gar nichts im Objecte bezeichnet wird" (204/4). Das Geschmacksurteil wird also nicht dadurch bestimmt, daß es nicht den Bedingungen objektivierender Philosophie genügt, also keinen objektiven Sachgehalt am Gegenstand bezeichnet. Im Geschmacksurteil ist vielmehr eine neue Form subjektiver Spontaneität angesprochen, die durch die objektivierende Philosophie nicht begründet werden kann. In der Weise, in der die Erkenntnisvermögen Einbildungskraft und Verstand in der ersten Kritik thematisch wurden, ist der mögliche Handlungsspielraum dieser Vermögensrelation als Urteilprozeß nicht vollständig dargelegt worden. In einer möglichen Relation von Einbildungskraft und Verstand kann mehr liegen, als die objektivierende Philosophie aufdekken kann, weil, sofern diese Vermögen als objektivierende Vermögen gefaßt werden, ihre Relation zueinander eindeutig determiniert ist, sie als Konstitutionsvermögen gefaßt werden und damit in ihrer Funktion von einander abhängig sind. Was Urteilen als ästhetische Reflexion bedeuten kann, geht über einen konstitutionellen Rahmen hinaus. Wir verstehen den § 1 also nicht einschränkend, sondern als eine positive Fortbestimmung der Urteilskraft im Sinne eines die objektivierende Philosophie transzendierenden Vermögens. Die Urteilskraft soll einem eigenständigen Prinzip gemäß verstanden werden können:

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Von der Autonomie des Geschmacksurteils "Man kann sagen: daß unter allen drei Arten des Wohlgefallens das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressirtes und f r e i e s Wohlgefallen sei." ( 2 1 0 / 1 5 )

Analog der Darstellung des Ideals bleibt durch die Notwendigkeit, sich gegen die Tradition abgrenzen zu müssen, der spezifische Anspruch von Kants Analyse der Strukturmomente des Geschmacksurteils verdeckt.7 Sie scheint die Wesensmomente des Geschmacksurteils allein durch ein Ausschlußverfahren zu gewinnen, welches aber nicht hinreichen würde, das Moment einer Qualität der Reflexion zu bestimmen. Das Anliegen des ersten Momentes ist die Bestimmung der Reflexion als eines autonomen Prozesses, d.h. nicht nur als Freiheit von Interessen, sondern als Freiheit aus Spontaneität. In dieser Freiheit zur Handlung, in der die Urteilskraft sich nicht von anderem her verstehen läßt, liegt gerade der Grund für die Notwendigkeit vorliegender Kritik. Demnach ist die ästhetische Reflexion ein Vermögen, das eine Beziehung zum Objekt ausdrücklich macht, die der doktrinalen Philosophie entgehen muß, weil die theoretische Philosophie - dem Prinzip einer Spontaneität der konstitutiven Vergegenständlichung folgend - , das Subjekt immer schon als ein vorreflexiv auf Gegenständlichkeit überhaupt bezogenes abhandelt. Die Möglichkeit der Beziehung auf ein unabhängig von dem Subjekt Gegebenes stellt sich dagegen im Geschmacksurteil als ein Problem des Subjektes im Bewußtsein seiner Tätigkeit im Urteilsakt. Indem das Urteil sich nicht an apodiktischen Bedingungen einer Objektivität der "Dinge überhaupt" ausrichtet, kann es sich in bezug auf die Möglichkeit einer Beziehung zum besonderen Gegenstand zur Geltung bringen. Der Aufweis der Subjektivität des Geschmacksurteils findet hierin seine positive Bestimmung, denn über diesen Aufweis kann der Bezug auf den Gegenstand der Vorstellung als ein Prozeß im Medium der Einbildungskraft dargestellt werden. Im Hinblick auf die mögliche Autonomie der ästhetischen Reflexion stellt die Analyse, anhebend mit dem Schönen als dem Singulären in der Anschauung, die Einbildungskraft in den Vordergrund der Untersuchung. Dieses Vermögen ist als transzendentaler Repräsentant des Bezuges auf Konkretes zu untersuchen. In dieser Rücksicht stellt der § 1 der Analyse die Einbildungskraft heraus. Die Analytik des Schönen ist die Darstellung der

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Für die rationalistische Tradition können hier Bauingarten und Mendelssohn, für die empiristische Burke als repräsentativ gelten: E.Burke, "A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful" (1757), dt. Übers, von Friedrich Bassenge (Hamburg 1980); A.G.Baumgarten, "Aesthetica" (Frankfurt/O 1750/58); M.Mendelssohn, "Gesammelte Schriften" (Stuttgart 1971).

Die transzendentale Begründung der Autonomie des Geschmacksurteils

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Reflexion unter dem Aspekt eines unmittelbaren Bezuges auf besondere Anschauung. Das Problem einer Autonomie der Reflexion betrifft deshalb die Einbildungskraft als Apprehensionsvermögen, denn das Einzelne als das empirisch Zufällige in der Anschauung tritt durch einen Akt der Apprehension ins Bewußtsein. Es geht demnach in der Auffassung des gegebenen Gegenstandes der Sinne um die Möglichkeit dieser spezifischen Apprehension. Die transzendentale Funktion in diesem Vermögen ist die der Apprehension: die Zusammensetzung des Mannigfaltigen in der empirischen Anschauung (vergl. KdV 89/A 120). Es geht, sofern die Einbildungskraft thematisch ist, um diesen Prozeß der Synthesis, welcher im Gegenzug zur objektivierenden Philosophie nicht von einem Begriff determiniert ist. Thematisch ist also die Möglichkeit der vom Verstand freien Auffassung (Apprehension) der Form eines Gegenstandes in der Anschauung. Der Nachweis der Freiheit dieses Vermögens in der Reflexion über den schönen Gegenstand kann die Autonomie des Geschmacksvermögens transzendental fundieren. So wie das Geschmacksurteil sich unter dem anthropologischen Aspekt gegen ein mögliches Affiziertwerden frei hält, hält es sich transzendentallogisch in seinem Strukturmoment der Einbildungskraft von der Funktion apriorischer Begriffe frei, "[...] denn das Geschmacksurtheil ist kein Erkenntnißurtheil [...], und daher auch nicht auf Begriffe g e g r ü n d e t , oder auf solche a b g e z w e c k t." (209/14)

Das ästhetische Verhalten ist ein kontemplatives Verhalten, das nicht auf Begriffe abgezweckt oder von dieser her bestimmt ist. Die Fähigkeit zur "Contemplation" (209/14) ist als artikulierte Autonomie der Einbildungskraft zu begreifen.8 Sie wird, wie Kant später formuliert, als "productiv

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Unterstützung findet unsere Interpretation durch die Untersuchlangen R.Odebrechts bezüglich des Verhältnisses von Kontemplation und Einbildungskraft in "Form und Geist" Teil B, Abschnitt II: "Die Grundlegung des ästhetischen Aktes", unter 4. "Die Dynamik aus innerer Kausalität", S.87-90. Es heißt dort, bezogen auf ein Zitat aus der zweiten Analogie der Erfahrung (vergl. KdV 170-171/B 239-240, Absatz beginnend: "Man setze, es gehe vor einer Begebenheit...): "Mit dieser transzendental-psychologischen oder aktphänomenologischen Bemerkung überschreitet Kant die Grenzlinie der theoretischen Bewußtseinsstruktur; er behandelt einen Fall, der im Bereich des Erfahrungsdenkens überhaupt nicht möglich ist. Er verneint ihn, aber spricht doch immerhin in der Weise von ihm, als ob er im Bewußtsein vorfindbar wäre, damit die nach einer Regel verfahrende Einbildungskraft objektive Erfahrung begründe. Er spricht sogar kurz hinterher von einer subjektiven Synthesis der Apprehension und meint damit das 'Spiel der Vorstellungen", das also wohl einer subjektiven Zusammenfassung zugänglich ist, nur daß hierbei nicht auf den Begriff einer Verknüpfung nach einer Regel der Erfahrung reflektiert wird. Die Auflösbarkeit und Einbeziehung von Gegebenheit in die Subjektivität einer f r e i und

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Von der Autonomie des Geschmacksurteils

und selbstthätig (als Urheberin willkürlicher Formen möglicher Anschauungen) angenommen" (240/69). So wie das Wohlgefallen am Schönen interesselos frei ist, weil es sich nicht von "einem Gegenstandes, dessen Anspruch es sich unterwerfen müßte"9 her versteht, so ist der von Kant vorgestellte transzendentale Grund dieses Phänomens die Einbildungskraft in ihrer Freiheit vom Verstand. Sie muß sich in ihrer synthetischen Zusammenfassung nicht über begrifflich-apriorische Prinzipien begreifen. Die im Hinblick auf die Bedürftigkeit des endlichen Subjektes negativ bestimmte ästhetische Distanz zum Gegenstand kehrt sich im Medium des transzendentalen Vermögens der Einbildungskraft in eine unmittelbaren Nähe zum Gegenstand der Kontemplation. Die Einbildungskraft synthetisiert in der ästhetischen Reflexion nicht als ein Element des Verstandes. Hierin liegt eine Fortbestimmung dieses Vermögens: Es ist nicht mehr nur Element (vergl. KdV, Deduktion 100/A 139), sondern es ist ein freies Vermögen. Die Einbildungskraft ist damit freies Relat des Vergleiches, denn durch die Einbildungskraft wird das Zufällige am Gegenstand zur Vorstellung. Bei dieser Vorstellung wird jedoch nicht verharrt, sondern mit dieser Vorstellung "mache ich etwas in mir selbst" (vergl. 206/6), d.h. ich setze sie in den Bezug auf ein anderes Vermögen, nämlich den Verstand, als dessen Element sie nicht schon vorgängig bestimmt ist. Die Existenz des Objektes spielt auf dieser Ebene einer Analyse des Subjektes in seinem Vermögen zur freien Einbildung nicht mehr als eine veranlassende Rolle. Und deshalb kann ihr Produkt, die Vorstellung des Zufälligen, dem Bewußtsein in einer Unbestimmtheit gegeben werden. Die Kontemplation als freie Apprehension ist "indifferent in Ansehung des Daseins eines Gegenstandes" (209/14). Wir haben die Freiheit, "uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen" (210/15). Was weiterhin mit dem, was durch die Einbildungskraft als Vorstellung des Gegenstandes gegeben ist, geschieht, dies ist Gegenstand einer Analyse der Urteilstätigkeit. Weil eine Autonomie im dargestellten Sinne vorliegt, ist es möglich, eine Interesselosigkeit des Wohlgefallens zu behaupten. Das Wohlgefallen ist als phänomenaler Bestand des Geschmacksurteils zunächst nur transzendentallogisch im Aspekt seiner Interesselosigkeit begründet. Dem "freien Wohlgefallen" (210/15) korrespondiert auf transzendentaler Ebene die freie Synthesis in der Apprehension. Weil dieses als Kontemplation

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u n b e s t i m m t - zweckmäßigen Einbildungskraft ist damit deutlich ausgesprochen; theoretisch nicht feststellbar, kann sie gefühlsmäßig erlebt werden, wenn die Ausschaltung der begriffsbestimmenden Regel möglich ist." (Hervorhebung JP) Durch diesen transzendentalen Sachverhalt zeichnet sich der "eigenartige Charakter der Kontemplation" aus. W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.47

Die transzendentale Begründung der Autonomie des Geschmacksurteils

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gekennzeichnete Verfahren der Einbildungskraft frei ist, hat es Sinn, den ästhetischen Urteilsakt als a u t o n o m , d.i. als funktionell in einem eigenständigen Prinzip gründend, zu behaupten. Wenn diese Korrespondenz nicht gesehen wird, dann ist die Interesselosigkeit nur negativ verstanden. "Bloß contemplativ" (209/14) meint aber nicht ein passives Hinnehmen, sondern es bedeutet den Bezug auf eine Vorstellung im Medium der Einbildungskraft und damit eine Aktivität, im Urteilsprozeß diese Vorstellung auf den Verstand zu beziehen, d.i. in einer von der Subsumtion unterschiedenen Weise eine Relation heterogener Prinzipien zu setzen. Hierin ist das Geschmacksurteil ein funktionell eigenständiges transzendentales Vermögen. Das erste Moment des Geschtnacksurteils ist die A u t ο η ο m i e. Sie fundiert die Möglichkeit einer Interesselosigkeit des Wohlgefallens am Schönen. Die ästhetische Reflexion ist durch dieses Moment in seiner Qualität bestimmt. Aus der Autonomie des Geschmacksurteils folgert Kant die Erklärung des Schönen: " G e s c h m a c k ist das Beurtheilungsvermögen eines Gegenstandes [...] durch ein Wohlgefallen [...] o h n e a l l e s I n t e r e s s e . Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt s c h ö n." (211/16)

Die in dem Geschmacksurteil thematische Vermittlung von Verstand und Einbildungskraft steht nicht unter dem Prinzip der Objektivation. Es ist ein eigenständiges Verfahren, das auf die Möglichkeit der Vermittelbarkeit der heterogenen Prinzipien hin untersucht werden muß. Die Analyse der Struktur des vermittelnden Prinzips ist Gegenstand der anschließenden quantitativen Bestimmung der ästhetischen Reflexion.

Zweites Kapitel Untersuchung des zweiten Momentes: Von der Prinzipialität des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Quantität Phänomenaler Bestand des unter dem Gesichtspunkt der Quantität zu untersuchenden Geschmacksurteils ist der "Anspruch auf Beitritt von jedermann" (216/25). Die ästhetische Reflexion wird von Kant demgemäß in Rücksicht auf ein transzendentales Moment analysiert, welches erlaubt, diesen Anspruch auf Allgemeingültigkeit den Bedingungen der Möglichkeit seines Auftretens nach zu begründen. I. Das Problem des Überganges vom ersten zum zweiten Moment der Analyse Der die Analyse des Schönen hinsichtlich der Quantität des Geschmacksurteils einleitende § 6, nach welchem es gilt, dieses Urteil in dem Umfang seiner Gültigkeit darzustellen, weist die Merkwürdigkeit auf, daß Kant eine Kontinuität in dem Übergang von der Bestimmung der Interesselosigkeit zur Bestimmung der Allgemeingültigkeit behauptet, die, wie sich im Gang der Darstellung zeigen wird, sachlich nicht gerechtfertigt ist. Es heißt in diesem § zu Beginn, daß die Erklärung "Schön ist das, was ohne Begriff als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird", aus dem Moment der Absonderung von Privatbedingungen "gefolgert" werden kann (211/17). Kant insistiert damit auf der negativen Bestimmung eines Freiseins von anthropologisch-psychologischen Komponenten, die die Beurteilung einer Schönheit dem subjektiv-willkürlichen Bedürfnissen unterordnen könnten. Wie die Analytik im ersten Moment zeigen konnte, schließt eine in Anspruch genommene Interesselosigkeit eine solche Bedingtheit aus. Deshalb, so Kant, fühlt sich der Urteilende frei und hat folglich Grund, zu glauben, er könne jedermann ein ähnliches Wohlgefallen zumuten (vergl. 211/17). Dieser Versuch einer Herleitung des Anspruches auf Allgemeingültigkeit bedient sich des phänomenalen Bestandes der behaupteten Interesselosigkeit des Geschmacksurteils. Die phänomenalen Momente des Geschmacksurteils weisen aber gerade untereinander keine Homogenität auf. Eine kritische Untersuchung der Bedingungen dieser Phänomene ist deshalb notwendig, um eine phänomanale Paradoxie in den

Das Problem des Überganges vom ersten zum zweiten Moment

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Ansprüchen einer ästhetischen Reflexion auf transzendentaler Ebene zu heben. Völlig unverständlich erscheint von daher die von Kant als Konsequenz behauptete scheinbare Objektivität der Prädikation: Weil angenommen wird, jedem kann das Wohlgefallen zugemutet werden, daher wird er "vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urtheil logisch wäre" (211/18). Dieser Äußerung fehlt nicht nur das transzendentale Argument, sie verstellt auch das eigentliche Anliegen der Analyse: Nicht weil jedermann das Wohlgefallen am Schönen zugemutet wird, spricht der Urteilende vom Schönen, als ob es eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urteil logisch wäre, sondern weil, wie die Analyse erst zeigen soll, es einen transzendentalen Grund gibt, der die Möglichkeit dieses Phänomens bedingt. Weder vermittelt die Interesselosigkeit den Übergang zum Problem des Allgemeinheitsanspruches, noch kann der Anspruch auf allgemeine Zumutbarkeit die scheinbare Objektivität des Geschmacksurteils fundieren. Wäre diese Art der Herleitung möglich, so wäre die transzendentale Analyse, zugunsten einer Phänomenologie des Geschmacks, entbehrlich. Aber es ist gerade so, daß eine Spannung zwischen dem phänomenalen Auftreten des Anspruches und einem logischen Status vorliegt, die innerhalb einer bloß phänomenalen Betrachtung des Geschmacksurteils als unvermittelt erscheint. Eben diese Unvermittelbarkeit bestimmt die Dynamik einer weiter zu betreibenden Analyse auf transzendentaler Ebene. Nicht die Interesselosigkeit ist der Gegenstand, an dem sich die Kontinuität der Analyse ausweisen kann, sondern es ist die Begriffslosigkät, als Moment eines in eben diesem Moment fortzubestimmenden transzendentalen Aspektes des Geschmacksurteils. Deshalb weist Biemel mit Recht darauf hin, daß es nicht genügt, "das Wohlgefallen am Schönen von der Lust am Angenehmen und Guten zu unterscheiden, es muß vielmehr auch als Geschmacksurteil festgehalten werden im Vergleich mit den Erkenntnisurteilen, in deren Nähe es durch den Allgemeingültigkeitsanspruch gerät".10 Urteilskraft als Vermögen, welches die erste Kritik als subalterne Kraft des Verstandes - als determinierte Vermittlungsinstanz zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit - ausgewiesen hat, muß in Hinblick auf die Möglichkeit einer geschmacklichen Reflexion in einer anderen Weise funktionell gefaßt werden als in einer transzendentalen Doktrin der Urteilskraft (einer Doktrin, die dieses Vermögen wegen einer vorgegebenen Begrifflichkeit, die ihre Funktionalität determiniert, nicht eigens in diesem Vermittlungsprozeß thematisch werden

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W.Biemel, "Die Bedeutung von Kants Begründung der Ästhetik für die Philosophie der Kunst" (Köln 1959), S.43

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Vom der Prinzipialität des Geschmacksurteils

ließ; vergl. KdV 2. Buch, 1. Hauptstück). Die ästhetische Reflexion als Vermögen begnffslosen Urteilsvollzugs ist Thema des zweiten Momentes; von diesem her gilt es, eine allgemeine Zumutbarkeit des Wohlgefallens prinzipienlogisch-transzendental zu begründen. Mit dem Bewußtsein einer Urteilsleistung, die nicht von einer vorgegebenen Begrifflichkeit her verständlich werden kann, muß ein Anspruch auf subjektive Allgemeinheit verbunden sein. In diesem Sinne formuliert Kant nunmehr den Anspruch auf Allgemeinheit im folgenden § 7 genauer: "[...] wenn er (der Urteilende/JP) aber etwas für schön ausgiebt, so muthet er anderen eben dasselbe Wohlgefallen zu: er urtheilt nicht nur für sich, sondern für jedermann und spricht daher von der Schönheit, als wäre sie eine Eigenschaft der Dinge." (212/19-20)

Dies ist eine Forderung, die sich vom Akt des Urteilens her begründet, denn "er tadelt sie, wenn sie anders urtheilen" (213/20). Der auf dieser Ebene der Urteilsleistung auftretende Widerspruch ist ein Tadel, der im Rahmen der geschmacklichen Reflexion auftreten kann, während die Interesselosigkeit ein Moment ist, das diesen Rahmen überhaupt erst vorgibt. Ein Tadel, der auf den Einfluß von Interesse insistierte, träfe kein immanentes und damit prinzipielles Problem der Reflexion, sondern würde auf den Tatbestand verweisen, daß hier gar kein Geschmacksurteil vorliegt, womit der Widerstreit von Allgemeinheitsanspruch und logischem Status des Geschmacksurteils nicht einmal in den Blick geriete. Der Anspruch auf allgemeine Zustimmung ist deshalb ein phänomenaler Bestand, dessen Möglichkeit aus dem im ersten Moment ermittelten transzendentalen Aspekt einer begriffslosen Urteilsleistung fundiert und damit zugleich gegen den logischen Status gerechtfertigt werden soll; und dies setzt voraus, daß die Kontinuität des Übergangs der Analyse in einem transzendentalen Argument besteht. Ziel der Analyse muß deshalb der Aufweis einer transzendentalen Prinzipialität als Bedingung der Möglichkeit des Geschmacksurteils sein, in der dieser Urteilsprozeß, trotz aller Differenz zum Erkenntnisurteil, diesem insofern nahe steht, als er als Urteil aus der spontanen Vermittelbarkeit einer Spannung der Relate Einbildungskraft und Verstand verständlich wird; nämlich jenes Prozesses, in dem genuin jede Urteilstätigkeit als Spontaneität einer Handlung, gerichtet auf die Einheit der Subjektivität, gründet. Aus der Weise, in der diese Vermittlung geleistet wird, gilt es den phänomenalen Bestand eines Anspruches auf allgemeine Zumutbarkeit transzendental zu begründen.

Allgemeingültigkeit und Objektivität

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II. Die scheinbare Allgemeingültigkeit und Objektivität als Gegenstände der Analyse in Hinblick auf eine Prinzipialität

Durch die Bindung des Anspruchs einer Allgemeingültigkeit ästhetischer Reflexion an einen Urteilsakt, welcher nicht von vorgegebener Begrifflichkeit hergeleitet ist ("[···], daß man durch das Geschmacksurtheil (über das Schöne) das Wohlgefallen an einem Gegenstand j e d e r m a n n ansinne, ohne sich doch auf einem Begriffe zu gründen [...]." (214/21)), steht der Anspruch der Reflexion in einer Spannung zu ihrem logischen Status, die eine "Merkwürdigkeit" (213/21) im Sinne einer Auffälligkeit darstellt. Ihretwegen läßt Kant das Geschmacksurteil zum Gegenstand einer transzendentalphilosophischen Untersuchung des quantitativen Momentes werden. Zentrales Argument des § 7 ist die Beziehung des Urteils auf etwas, das zunächst vage als "universale Regel" (213/20) angesprochen wird, auf welche die ästhetische Reflexion sich beziehen muß, sofern sie mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit auftritt. Die These, daß sich die Forderung nach allgemeiner Zustimmung nur transzendental rechtfertigen läßt, versucht Kant durch den Sachverhalt zu stützen, daß die Forderung nach Allgemeinheit faktischer Reflexion auch dann aufrechterhalten bleibt, wenn die Erfahrung lehrt, daß der Anspruch auf allgemeine Gültigkeit des Urteils über das Schöne für jedermann abgewiesen wird. Diese empirische Tatsache soll nicht die Berechtigung des Anspruches aufheben. "Nun ist es doch befremdlich, daß [...] der Reflexions-Geschmack, der doch auch oft genug mit seinem Ansprüche auf allgemeine Gültigkeit seines Urtheils (über das Schöne) für jedermann abgewiesen wird, wie die Erfahrung lehrt, gleichwohl es möglich finden könne (welches er auch wirklich thut), sich Urtheile vorzustellen, die diese Einstimmung allgemein fordern könnten, und sie in der That für jedes seiner Geschmacksurtheile jedermann zumuthet, ohne daß die Urtheilenden wegen der Möglichkeit eines solchen Anspruchs im Streite sind, sondern sich nur in besondern Fällen wegen der richtigen Anwendung dieses Vermögens nicht einigen können." (214/23-24)

Dies bedeutet, daß aus einem faktischen Ausbleiben des Zuspruchs anderer dem Urteil das Wesen der geschmacklichen Reflexion nicht notwendig abzusprechen ist, sondern daß es ein Verfehlen im Geschmacksurteil geben kann. Die "besonderen Fälle" stellen die "richtige" Anwendung dieses Vermögens in Frage (vergl. 214/23), nicht jedoch die Faktizität ästhetischer Reflexion. Das Verfehlen ist gerade ein Moment, das sich von der im Reflexionsgeschmack beanspruchten Allgemeingültigkeit her formulieren lassen soll. Die prinzipielle Möglichkeit, die diese Forderung begründet, hat also

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etwas zu sein, in dem eine Universalität angelegt ist, die von einer Zurückweisung des Anspruches faktischer Urteile nicht tangiert wird. Wenn Kant an dieser Stelle den Begriff "Reflexions-Geschmack" einführt (214/22), so scheint dieses ein Indiz dafür, daß die ästhetische Beurteilung sich von einem reflexiven Bruch faktischen Vollzuges her im Hinblick auf ein Transzendentes, also dem faktischen Vollzug Äußeres versteht. Dieses der Immanenz faktischer Reflexion Äußere kann nichts anderes sein als die universelle Regel, von der her es erst Sinn hat, ein Verfehlen im Geschmack zu konstatieren und gleichwohl, im Bewußtsein eines Bezogenseins auf eine in dieser Regel angelegten Allgmeingültigkeit, den Anspruch auf allgemeine Zustimmung als gerechtfertigt zu begreifen. Wie auch immer diese Regel strukturell gestaltet sein mag, sie ist im Gegensatz zu einer Begrifflichkeit objektivierender Philosophie nicht eine solche, nach der bloß zu verfahren wäre. Weder kann eine Orientierung an ihr ihre richtige Anwendung garantieren, noch ist sie in einer Weise verfügbar, in der sie applizierbar wäre auf einen faktischen Urteilsakt im Sinne einer apriorischen Determinierung der Reflexion. Sie ist in dieser Bestimmung also kein Vorgegebenes, an dem sich der Urteilende orientierend ausrichten könnte, um ein "richtiges" Geschmacksurteil zu erzielen. Das Transzendieren in der Reflexion ist nicht reduzierbar auf bloße Subsumtion eines faktischen Urteils unter ein allgemeines Prinzip; denn auch dieses Verfahren hätte eine Logizität, aufgrund welcher der Urteilende wissen könnte, daß die faktische Reflexion nicht der Regel entspricht, und ein Anspruch auf Zustimmung von jedermann wäre gar nicht begründbar. Insofern expliziert Kant zuwenig, wenn er an dieser Stelle die Differenz von logischer und ästhetischer Allgemeingültigkeit durch eine Gegenüberstellung von objektiver und subjektiver Quantität betont (vergl. 214-215/23), denn die Charakterisierung des Geschmacksurteils als Reflexion soll sich von einem implizit angenommenen Prinzip her ausweisen lassen, welches das Reflexionsurteil in seinem Anspruch verständlich macht. Als ästhetische Reflexion läßt sich zwar die subjektive Quantität einer bloßen "Gemeingültigkeit" (214/23) begründen, doch treibt diese Bestimmung die Analyse nur insoweit voran, als durch sie eine Modifikation des Allgemeinheitsbegriffs geleistet wird, der sich schon vom ersten Moment her entwickeln ließe. Die eigentliche Problematik einer Spannung von Logizität als begrifflicher Allgemeinheit und Transzendentalität im Geschmacksurteil (sofern sich die Reflexion nicht von einem vorgegebenen Allgemeinen her versteht), kommt so noch nicht in den Blick: "[...] von einer s u b j e c t i v e n A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t , d.i. der ästhetischen, die auf keinem Begriffe beruht, läßt sich nicht auf die logische

Allgemeingültigkeit und Objektivität

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schließen: weil jene Art Urtheile gar nicht auf das Object geht." (215/23-24)

Dieser mit dem Auftreten einer behaupteten Allgemeingültigkeit verknüpfte Anspruch einer scheinbaren Objektivität, der in logischer Rücksicht abgewiesen werden muß, veranlaßt eine neue Formulierung des Prinzipienproblems, durch die der Begriff der Ästhetizität anders gefaßt wird, als in den vorangehenden §§ 6, 7 und 8: "Eben darum [...] muß auch die ästhetische Allgemeinheit, die einem Urtheile beigelegt wird, von besonderer Art sein, weil sie das Prädicat der Schönheit nicht mit dem Begriffe des O b j e c t s , in seiner ganzen logischen Sphäre betrachtet, verknüpft, und doch eben das selbe über die ganze Sphäre d e r U r t h e i l e n d e n ausdehnt." (215/24)

Die Negation eines Bezuges auf vorgegebene Begrifflichkeit führt nämlich zu einem Begriff der Ästhetizität der Reflexion, und dies berührt den Objektbezug: Als ästhetisch im transzendentalen Sinne kann eine Reflexion - wie wir im ersten Moment aufwiesen - auch dann verstanden werden, wenn die Sinnlichkeit nicht im anthropologischem Sinne als Lust thematisch wird, sondern als Freiheit des transzendental-sinnlichen Vermögens der Einbildungskraft; als eine Freiheit, die über den Verzicht auf begrifflich Vorgegebenes aufweisbar ist. Geschmacksurteile sind nicht nur ihrer logischen Quantität nach "einzelne Urtheile" (215/24), sondern auch nach ihrer im transzendentalen Vermögen der Einbildungskraft geleisteten spezifischen Beziehung auf Dinge in concreto; und zwar insofern, als "die Vorstellung des Objects des Geschmacksurtheils" eine "einzelne" ist (vergl. 215/24), denn "[...] will er (der Verstand/JP) [...] Dinge in concreto betrachten, so kann er schlechterdings gar nichts ohne die Einbildungskraft thun." (Logik Dohna-Wundlacken/Logik Kowalewski, Ak.-Text Bd. XXIV, S.710)

Die einzelne Vorstellung eines Objektes ist dann singulär, wenn das, was die Vorstellung inhaltlich bestimmt, nicht für vieles gilt, und dies ist das Konkrete des Objektes. Daß die Einbildungskraft nicht im Sinne der objektivierenden Philosophie den Gegenstand der Anschauung als von einer Allgemeinheit her ins Bewußtsein bringt, ist Konsequenz der Negation jeglichen Begriffes. Mit dem Verweis auf die Begriffslosigkeit ist die Möglichkeit geschaffen, im Akt der Reflexion auf das Singuläre des Gegenstandes, das nicht als Moment eines vorgegebenen Allgemeinen begriffen wird, bezogen zu sein. Die Freiheit der Einbildungskraft, die die Autonomie der Reflexion transzendental positiv begründet, läßt das Geschmacksurteil in einer Singularität auftreten, weil der Gegenstand in seiner Konkretion Bezugsob-

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jekt der Kontemplation ist. Das Beispiel, das Kant gibt, macht diesen Sachverhalt deutlich: "Die Rose, die ich anblicke, erkläre ich durch ein Geschmacksurtheil für schön" (215/24). Zwar kann diese Prädikation auf alle Rosen erweitert werden, doch geht der ästhetische Charakter des Urteils verloren, denn die Prädikation wird in eine Logizität universeller Begrifflichkeit transponiert und die Behauptung: "Alle Rosen sind schön" ist nicht mehr als eine jegliche Ästhetizität negierende Subsumtion: "Wenn man Objecte bloß nach Begriffen beurtheilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren." (215/25)

Ein "schönes Objekt" ist also gerade deshalb schön, weil es in seiner singulären Konkretion eine Vorstellung ist, die sich der Allgemeinheit jedes Begriffes entzieht. "Man will das Object seinen eigenen Augen unterwerfen, gleich als ob sein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge; [...]." (216/25)

Das Singuläre ist Bezugspunkt auf der Anschauungsebene und damit immer ein solches, an das keine Begrifflichkeit als Allgemeinheit heranreicht. Das Konkrete ist als Singuläres allein durch das Vermögen der Einbildungskraft als sinnliche Vorstellungskraft angesprochen, denn die Einbildungskraft repräsentiert den transzendentalen synthetisierenden Bezug auf gegebene Mannigfaltigkeit eines Objektes. Sie ist nicht nur frei vom Verstand in ihrem Bezug auf Gegebenes; sie hat frei von Begriffen zu sein, um frei für das Konkrete zu sein. Denn jedes schöne Objekt ist schön im Moment seiner Singularität und nicht durch das, was es mit anderen gemeinsam hat. Mit dem Urteil über das Schöne ist aber ein Anspruch auf eine Allgemeinheit verknüpft, die sich nicht aus einer Logizität allgemeiner Begrifflichkeit gemäß der objektivierenden Philosophie begründen läßt, so daß auch dieser transzendentale Aspekt der Reflexion nach einer Bezogenheit auf Prinizipielles verlangt. In der Möglichkeit der anschaulichen Beziehung auf Konkretes muß ein Anspruch auf Allgemeinheit des Wohlgefallens am Konkreten formuliert werden können. Wohlgefallen an der Reflexion ist dann auch Wohlgefallen an dieser realisierten Bezugsmöglichkeit. In dieser Weise ist zwar das Objekt nicht ursächlich für das, was der Urteilende an ihm in der Reflexion leistet, aber darin, daß er diese Leistung an dem in concreto Gegebenen vollbringen kann (von objektivierenden Prinzipien her ist sie nicht begründet), hat die Beschaffenheit des Gegenstandes Bedeutung für das Geschmacksurteil. Die faktische Reflexion steht in diesem Objektbezug für die Möglichkeit prinzipieller Bezüglichkeit auf Konkretes. Die Bedingung der Möglichkeit eines reflexiven Bezuges ohne Orientierung an einem vorgegebenen begrifflichen Allgemeinen ist geknüpft an ein Prinzip des Urteilsvollzuges, in

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dem sich dieser nicht aus der Reflexion äußerer Komponenten begreift. Das faktische Urteil begründet seinen Anspruch auf den Zuspruch von jedermann damit, daß es sich als repräsentativer Fall eines prinzipiierten Verfahrens versteht: Das faktische Urteil ist nicht als Fall dem Prinzip subsumierbar, sondern der Fall ist die Artikulation des Prinzips. Dieses Prinzip ist nicht begrifflich fixierbar, weil es dem faktischen Urteil nicht im Sinne begrifflicher Allgemeinheit vorgegeben ist: Mit dem Urteil wird ein Anspruch verknüpft - eine Prinzipialität zum Ausdruck gebracht, für welche jedes faktische Urteil einen repräsentativen Status geltend macht. Ob das faktische Urteil repräsentativ ist und von jedermann geteilt wird, kann fraglich sein, nicht aber, daß es sich als Repräsentation versteht. "Nicht die Frage, ob der Anspruch, den wir tatsächlich erheben, berechtigt sei, sondern die Frage wie er berechtigt sein könne, ist für Kant das Problem."11 Es geht um den Aufweis der Bedingung der Möglichkeit des Anspruchs auf einen repräsentativen Status der Reflexion, wenn man glaubt, "eine allgemeine Stimme für sich zu haben" (216/25). "Hier ist nun zu sehen, daß in dem Urtheile des Geschmacks nichts postulirt wird, als eine solche a l l g e m e i n e S t i m m e in Ansehung des Wohlgefallens ohne Vermittlung der Begriffe; mithin die M ö g l i c h k e i t eines ästhetischen Urtheils, welches zugleich als für jedermann gültig betrachtet werden könne. Das Geschmacksurtheil selber p o s t u l i r t nicht jedermanns Einstimmung [...], es s i n n t nur jedermann diese Einstimmung an, als einen Fall der Regel, in Ansehung dessen es die Bestätigung nicht von Begriffen, sondern von anderer Beitritt erwartet. Die allgemeine Stimme ist also nur eine Idee [...]. Daß der, welcher ein Geschmacksurtheil zu fallen glaubt, in der That dieser Idee gemäß urtheile, kann ungewiß sein; aber daß er es doch darauf beziehe, mithin daß es ein Geschmacksurtheil sein solle, kündigt er durch den Ausdruck der Schönheit an." (216/25-26)

III. Fundierung des Bestandes in einer transzendentalen Prinzipienstruktur Kant glaubt in § 9 den Schlüssel zur Kritik des Geschmacks durch eine "Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe" (216/27) zu liefern. Das eigentlich Neue an dieser Untersuchung, der n

K.Marc-Wogau, "Das Schöne", in: Materialien zu Kants Kritik der Urteilskraft, S.301, Herausg. J.Kulenkampff, Frankfurt 1964, oder auch "Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft", S.98

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Grund, weshalb ihr eine Schlüsselrolle zugesprochen werden muß, ist weniger die Frage, ob die Lust eine Konsequenz des Urteilsprozesses sein muß - dies ist schon positiv durch das Ergebnis der Untersuchung des ersten Momentes des Geschmacksurteils begründet: "Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vorher [...], dergleichen Lust würde keine andere, als die bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung sein und daher ihrer Natur nach nur Privatgültig keit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand g e g e b e n wird, unmittelbar abhinge." (216-217/27)

Das Wie dieser Möglichkeit gilt es nun durch die Analyse des Verknüpftseins der Lust mit dem Urteilsakt als Verhältnisbestimmung von Erkenntnisvermögen, von der her die Allgemeinheit zu begreifen ist, zu ermitteln, denn: "Es kann [...] nichts allgemein mitgetheilt werden als Erkenntniß und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntniß gehört." (217/27)

Das Wohlgefallen am Schönen soll als die Artikulation einer gelungenen Vermittlung transzendentaler, heterogener Vermögen aufgewiesen werden. Dem § 9 fällt also nicht nur die Aufgabe zu, die Lust als Folge des Urteilsaktes aufzuweisen, sondern Lust soll als Index eines spezifischen Gelingens gefaßt werden, in welchem sich der reflektierende Umgang mit Konkretem im Status der Allgemeinheit eines Prinzips realisiert hat. Die allgemeine Mitteilungsfähigkeit eines Gemütszustandes ist nur dann ein berechtiger Anspruch, wenn er sich analog dem Erkenntnisurteil von einem "allgemeinen Beziehungspunkt" (217/27) her begreifen läßt. Ein solcher Beziehungspunkt sind die Erkenntnis- bzw. Vorstellungsvermögen, in denen alle Subjekte übereinkommen. Die Quantität des Geschmacksurteils ist also nur insofern als Allgemeinheit bestimmbar, als sie sich von als allgemeingültig ausgewiesenen Kriterien her begründen läßt, und dies sind nach der ersten Kritik objektivierende Vermögen. Nun ist der Prozeß der sich im Erkenntnisakt vollziehenden Objektivation an die Allgmeinheit von Begriffen gebunden; Begrifflichkeit steht unmittelbar für den Allgemeinheitsstatus objektivierenden Urteilens. Im Gegenzug dazu soll sich der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils von einer Allgemeinheit her begreiflich machen können, die nicht von einer Begrifflichkeit her begründet ist. Diese Allgemeinheit kann nicht nur daran liegen, daß Erkenntniskräfte im Urteilsakt angesprochen sind, sondern vielmehr darin, daß diese Kräfte in einer bestimmten Weise in Relation zueinander stehen, die eine Allgemeinheit des Urteilens repräsentieren. Nicht daß Erkenntniskräfte im Spiel sind, kann also das Argument sein, sondern die spezifische Relation dieser Kräfte muß für mehr stehen können, als daß

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diese beiden Kräfte Kräfte jedes Vermittlungsaktes der Urteilskraft sind.12 Es ist eine Relation, in der eine gegebene Vorstellung auf " E r k e n n t n i ß ü b e r h a u p t " (217/28) bezogen ist. Erkenntnis überhaupt meint keine bestimmte Erkenntnis, wohl aber eine allgemeingültige Relation heterogener Erkenntniskräfte, von der her sich der Begriff der Erkenntnis formulieren läßt. Als Paradigma einer Erkenntnis überhaupt ist diese Relation keine bestimmte Erkenntnisregel. Eine solche wäre gebunden an eine Determination des Verhältnisses der Kräfte durch einen Begriff. Aber als Paradigma kann dieses Verhältnis Maßstab eines reflexiven Bezuges sän;

dies in dem Sinne, daß der quantitative Anspruch des faktischen Urteils sich von ihm her verstehen kann. Zu jeder Vorstellung, "wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntniß werde," gehören Einbildungskraft und Verstand (217/28). Erkenntnis überhaupt meint damit die Einheit heterogener Kräfte, als die Vermittlung jener Prinzipien, welche die immanente Spannung des Subjektes bestimmen und deren Vermitteltsein die Einheit des Subjektes ausdrückt. Daß diese Vermittlung als vom Verstände her gedacht möglich ist, hat die erste Kritik dargelegt: Eine Gegenständlichkeit überhaupt gründet in einem Prozeß sich selbst Oermitteinder Subjektivität. Diese

Möglichkeit der Vermittlung ist genau dann Problem, wenn der Gegenstand in anderer Weise vorstellig ist denn als Gegenstand überhaupt, nämlich als ein Objekt in spezifischer Konkretion.13 Der § 8 hebt diesen Aspekt deutlich hervor. Es geht nicht um etwas, das durch die Allgemeinheit des Begriffs in seinem Perspektivenreichtum abgedeckt wäre, sondern um das Moment des Gegenstandes, an dem jede begriffliche Näherung scheitert, weil ihr die Konkretion aus Verstandesprinzipien unverfügbar ist: Das besondere Konkrete wird durch die Allgemeinheit eines Begriffes verfehlt. Die Freiheit des Spiels der Erkenntniskräfte ist nicht die bloße Freiheit der Einbildungskraft vom Verstand, sondern sie ist, wie wir ausführten, die Freiheit eines sich Einlassens auf das Konkrete des Objektes, also jenes Momentes einer Gegenständlichkeit, das in dieser

12 13

Vergl. W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.101 Hierzu E.Cassirer, "Subjektive Allgemeinheit", in: Materialien, Herausg. J.Kulenkampff, S.291: "Die wechselseitige Bestimmung dieser beiden Funktionen (Einbildungskraft und Verstand/JP) scheint somit keine wahrhaft neue Beziehung zu bilden, wie sie als Erklärungsgrund für das neue Problem, das hier vorliegt, zu fordern und zu erwarten wäre. Es ist jedoch zu beachten, daß an dieser Stelle die frühere Einsicht gleichsam einen neuen A c c e n t erhält. Eine spezifische "Einheit der Erkenntnis" wird für die theoretische, wie für die ästhetische Vorstellung verlangt; aber wenn für jene der Ton und Nachdruck auf dem Moment der E r k e n n t n i s liegt, 90 liegt er für diese auf dem Moment der Ε i η h e i t."

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Vom der Prinzipialität des Geschmacksurteils

Rücksicht nicht a priori vom Verstand gedacht werden kann, sofern es in der Dignität eines Singulären thematisch ist. Angesichts dieses Sicheinlassenkönnens der Einbildungskraft auf Dinge in concreto in der Anschauung ist die Relation auf den Verstand gemäß dem Begriff einer Erkenntnis überhaupt, welcher als Paradigma vermittelter Beziehung heterogener Kräfte zur Geltung gebracht wird, nicht nur kontigent im Hinblick auf eine erforderliche Leistung des Subjektes im psychologischen Sinne (als zugemuteter subjektiver Vermittlungsakt), sondern es ist ein Gelingen von transzendentaler Bedeutung. "Eine Vorstellung, die als einzeln und ohne Vergleichung mit andern dennoch eine Zusammenstimmung zu den Bedingungen der Allgemeinheit hat, welche das Geschäft des Verstandes überhaupt ausmacht, bringt die Erkenntnisvermögen in die proportionirte Stimmung, die wir zu allem Erkenntnisse fordern und daher auch für jedermann, der durch Verstand und Sinne in Verbindung zu urtheilen bestimmt ist [...], gültig halten." (219/31)

In der ästhetischen Reflexion gelingt eine Vermittlung heterogener Kräfte, d.h. die Bezüglichkeit auf Konkretes kann in einer Weise geschehen, die, gemäß einer ideell gefaßten Relation dieser Kräfte - der idealen Grundstruktur des Urteils als ein Gelingen aufgefaßt werden kann. Dies ist das reflexive Moment des Geschmacksurteils: "Gegebene Vorstellung im Subjecte gegen das ganze Vermögen der Vorstellung" zu halten (204/5) also nicht bloß in der Kontemplation (der Vorstellung des Objektes in der Einbildungskraft) zu verweilen, sondern diese Kontemplation reflexiv durch den Bezug auf Erkenntnis überhaupt - zu brechen und einen Vergleich in den Bezug einzubringen. Dies ist dem Geschmacksurteil wesentlich. Nicht über die Existenzweise eines Objektes wird das Schöne verständlich, sondern über die Beurteilung in der bloßen Betrachtung: über die Reflexion (vergl. 204-205/6).14

" Die Kritik von Hermann Mörchen an Kants Begründung des ästhetischen Urteils, wonach "Kants ständige Abgrenzung des Geschmacksurteils gegen das Erkenntnisurteil keine prinzipielle ist", weil es Kant angeblich nicht gelingt, "von dem Ansatz der K.d.r.V. grundsätzlich abzukommen, wonach 'Subjekf stets dasjenige ist, was in theoretischer Verhaltung nur Vorhandenes erkennt" ("Einbildungskraft bei Kant", Tübingen 1970, S.132), leitet auf die Behauptung: "Er (Kant) fragt nicht, ob das Verhalten zum Schönen überhaupt ein U r t e i l e n ist." (S.134) Ein solches Mißverständnis ist die Konsequenz des Versuchs, Heideggers Interpretationansatz der ersten Kritik ("Kant und das Problem der Metaphysik", 4.Aufl., Frankfurt 1974), welche in der Hervorhebung der Vermittlungsfunktion der Einbildungskraft besteht, in der Kritik der Urteilkraft aufrechtzuerhalten (vergl. S.130). Dieses Vorgehen wird von Mörchen selbst als problematisch empfunden, weil sich, wie er sagt, für eine solche Interpretation "zunächst gar kein rechter Ansatzpunkt finden (läßt)" (ebd.). Dies ist nicht verwunderlich, denn nach Kants Selbstverständnis ist nicht die

Fundierung des Bestandes in einer transzendentalen Prinzipienstruktur

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Erkenntnis überhaupt ist damit nicht etwas, was faktisch vorläge, denn jede Erkenntnis ist immer eine bestimmte Erkenntnis nach einem Begriff. Erkenntnis überhaupt ist vielmehr universelle Regel als ein ideeller Bezugspunkt, von dem her sich die Reflexion versteht. Diese ist jene Regel, von der es in der ersten Einleitung heißt, die reflektierende Urteilskraft gebe sich diese selbst als autonomes Vermögen: "[...]; diese Autonomie aber ist nicht (so wie die des Verstandes, in Ansehung der theoretischen Gesetze der Natur, oder der Vernunft, in practischen Gesetzen der Freiheit) objectiv, d.i. durch Begriffe von Dingen oder möglichen Handlungen, sondern bloß subjectiv, für das Urtheil aus Gefühl gültig, welches, wenn es auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen kann, seinen auf Principien a priori gegründeten Ursprung beweiset. Diese Gesetzgebung müßte man eigentlich H e a u t o n o m i e nennen, da die Urtheilskraft nicht der Natur, noch der Freyheit, sondern lediglich ihr selbst das Gesetz giebt [...]." (l.Einl. 2 2 5 / 3 2 )

Dies heißt eben auch, daß dieser Regel als einem universalen Bezugsmoment kein faktisches Geschmacksurteil kongruiert. Die Lust an der Reflexion ist deshalb zurückzuführen auf eine "Harmonie der Erkenntnißvermögen" (218/29), wie sie zu einer Erkenntnis überhaupt erforderlich ist, im Sinne einer graduellen Entsprechung zum Paradigma; denn das Geschmacksurteil ist nicht Erkenntnis überhaupt; es versteht sich lediglich als ein durch Lust indiziertes Gelingen in einem reflexiven Bezug zu dieser ideellen Figur. Wäre es diese selbst, so wäre die allgemeine Zustimmung notwendig. Die Zustimmung wird jedoch nur insofern gefordert, als das faktische Urteil als "Fall der Regel" begriffen wird (vergl. 216/26). Die Lust resultiert also aus dem Bezug auf etwas, das das Geschmacksurteil selbst nicht hat, nämlich Universalität. Aber weil es sich im Index der Lust als Harmonie der Vermögen als Regel qualifizieren kann, scheint der Anspruch auf Quantität im Sinne allgemeiner Zustimmung legitim. Allerdings nicht einer Regel, die es vor dem Urteilsakt gäbe, sondern einer solchen, der im

Einbildungskraft, sondern vielmehr die Urteilskraft das zwischen Anschauung (Rezeptivität) und Denken (Spontaneität) vermittelnde Vermögen. Wenn Mörchen dennoch (gegen Kants Intention) zu belegen versucht, daß die Funktion der Vermittlung der Einbildungskraft zukäme, so ist das Zwischenergebnis seiner Untersuchung, "Urteilskraft und Einbildungskraft sind geradezu synonym" (S.174), trivial, weil immer schon jede der Urteilskraft zukommende Vermittlungsfunktion auf die Einbildungskraft übertragen wurde. Hierdurch gerät Mörchen der Charakter der ästhetischen Reflexion a l s U r t e i l s a k t aus dem Blick. Nicht Kant, sondern Mörchen "fragt nicht, ob das Verhalten zum Schönen überhaupt ein U r t e i l e n ist", und deshalb kann Mörchen nicht verständlich werden, warum der Urteilskraft (als dem dritten Grundvermögen des Gemütes) ein eigenständiges Prinzip zu kommem muß, welches sich von dem Prinzip objektivierender Gegenstandserkenntnis (dem Subsumtionsurteil) unterscheidet.

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Vom der Prinzipialität des Geschmacksurteils

faktischen Urteilsakt Geltung verschafft ist - im Urteilsakt nicht als subsumierbarem, sondern als regelartikulierendem und hierin auf ein Allgemeines bezogenem Fall eines " f r e i e n S p i e l s der Erkenntnißvermögen" (217/28), aus welchem die Erklärung: " S c h ö n ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt", "gefolgert" werden kann (219/32). Mit diesem Ergebnis scheint für Kant die transzendentale Fundierung eines Allgemeinheitsanspruchs der Reflexion geleistet, d.h. die Quantität des Geschmacksurteils aus einem Moment ideeler Prinzipialität entwickelt, denn die die Analyse des zweiten Momentes abschließende Untersuchung, "auf welche Art wir uns einer wechselseitigen subjectiven Übereinstimmung der Erkenntnißkräfte unter einander im Geschmacksurtheile bewußt werden, ob ästhetisch durch den bloßen inneren Sinn und Empfindung, oder intellectuell durch das Bewußtsein unserer absichtlichen Thätigkeit, womit wir jene ins Spiel setzen" (218/30), gilt hinsichtlich des Problems einer allgemeinen Zumutbarkeit als zweitrangig. Daß es sich um eine "mindere Frage" (219/30) handeln soll, ist in der Rücksicht einsehbar, in der Kant diese Frage beantwortet: Da das Prinzip der Reflexion nicht objektivierbar ist, ist das Bewußtsein der regelartikulierenden Übereinstimmung der Vorstellungskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt eine subjektive Einheit des Verhältnisses, welches sich nur durch Empfindung kenntlich machen kann (vergl. 31). Daß dieser Aspekt aber das eigentliche Problem der Analyse darstellt, daß nämlich die Lust als Index einer harmonischen Beziehung solange ein untaugliches Kriterium ist, wie die Möglichkeit einer Kausalität dieser Beziehung unausgewiesen und damit die Frage, wie Lust eine Harmonie indizieren kann, unbeantwortet bleibt, dies wird von Kant unterschlagen. Von der Sache her ist mit dieser Frage (entgegen Kants Äußerungen, aber belegt durch den weiteren Fortgang der Analyse), der Übergang zum dritten Moment unerläßlich: Die ideelle Grundstruktur des Geschmacksurteils muß in der V/eise exponierbar sein, daß die Lust als Wirkung einer harmonischen Beziehung der Erkenntniskräfte, als die genuine Kausalität dieser Relation, und damit ab transzendentales Moment des Geschmacksurteils analytisch aufweisbar ist. Gegenstand der Analyse des dritten Momentes ist deshalb die ideale Grundstruktur einer ästhetischen Reflexion: das r e i n e Geschmacksurteil.

Drittes Kapitel Untersuchung des dritten Momentes: Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils als analytischer Bestimmung seiner Relationalst Wie der Titel des dritten Momentes ankündigt, geht es in diesem Teil der Analyse um einen relationalen Sachverhalt. Dieser soll in der Weise dargestellt werden, daß deutlich wird, in welchen Bestimmungen die im Geschmacksurteil aufzuweisende Relationalität einer "Zweckmäßigkeit ohne Zweck" (vergl. 221/34) anderen Relationen gegenüber different ist. Die Analytik hat mit dieser Darstellung also eine einer autonomen Prinzipialität spezifische Relation zum Gegenstand, in der die Identität ästhetischer Reflexion gründet. Es genügt deshalb nicht, nur zu zeigen, daß eine spezifische Relation der Erkenntniskräfte als harmonisch verstanden werden kann, sondern es muß darüber hinaus gezeigt werden, was in diesem harmonischen Bezug gelegen ist. Dies soll hier über die "Zweckmäßigkeit", als einen ästhetischen Reflexionsbegriff, geleistet werden. I. Isolierung des ästhetischen Reflexionsbegriffs Wie Kant in § 10 ausführt, kann die Zweckmäßigkeit in unterschiedlicher Weise begriffen werden. Zum einen kann der Gegenstand in seiner Beschaffenheit als zweckmäßig behauptet werden, wenn sein Sosein als notwendig gedacht ist. In diesem Fall gründet seine Existenz in einem vorgängig gesetzten und sie bedingenden Zweck, von dem her der Gegenstand, in Absicht auf seine Wirkung, in der Möglichkeit seiner existenziellen Beschaffenheit verstanden wird. Die Vorstellung der Wirkung ist hier Zweck als Bestimmungsgrund, wofür ein Wille vorausgesetzt werden muß. "Wenn man, was ein Zweck sei, nach seinen transscendentalen Bestimmungen (ohne etwas Empirisches, dergleichen das Gefühl der Lust ist, vorauszusetzen) erklären will: so ist Zweck der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; und die Causalität eines B e g r i f f s in Ansehung seines O b j e c t s ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis)." (219-220/32)

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Von der Prinzipieiüdentität des Geschmacksurteils

Wir können zwar, um uns die Möglichkeit eines Objektes begreiflich zu machen, auf einen Willen rekurrieren, dies ist aber für die Beurteilung einer Zweckmäßigkeit nicht immer notwendig gefordert, denn die Erklärung des realen Grundes der Möglichkeit der Form trifft einen Sachverhalt, der über die Behauptung bloßer Zweckmäßigkeit hinausgeht. Die Beurteilung einer Tauglichkeit von etwas kann deshalb unabhängig von dem Nachweis des realen Grundes der Möglichkeit zu dieser Tauglichkeit eingebracht werden. "Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursachen dieser Form nicht in einen Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer Möglichkeit nur, indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können. Nun haben wir das, was wir beobachten, nicht immer nöthig durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einzusehen. Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen, wenigstens beobachten und an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion bemerken." (220/33-34)

Die Reflexion in Hinblick auf eine Zweckmäßigkeit weist sich als autonom gegenüber Vernunftkomponenten (Wille, Absicht, Begriff eines Zwecks) aus. Die Möglichkeit dieses phänomenal vorliegenden Sachverhaltes gilt es zu begründen und zwar in der Weise, daß gezeigt wird, daß der Begriff "Zweckmäßig" sinnvoll ist, ohne daß der Vernunftbegriff eines Zweckes ihm erst Bedeutung verschafft.15

15

Es heißt bei Kant, wenn man erklären will, was ein Zweck sei, "so ist Zweck der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem," als der reale Grund seiner Möglichkeit, angenommen wird (vergl. 220/32). Die Erklärung der Möglichkeit kann nur als von einem Willen abgeleitet begreiflich gemacht werden (vergl. 220/33). Dies ist ein spezieller Fall von Reflexion, den es im Rahmen der Kritik der teleologischen Urteilskraft näher zu untersuchen gilt. Hiervon ist in der ästhetischen Reflexion aber nicht die Rede, denn wir haben das, "was wir beobachten, n i c h t immer nötig, durch die Vernunft", also in Hinblick auf seine Möglichkeit, einzusehen: "Also... " . Nach unserer Überzeugung hebt der von Kant dargestellte Sachverhalt nicht den Fall heraus, daß die Zweckmäßigkeit nur ihren Sinn behält, "wenn der negierte Zweckbegriff gleichwohl eine Funktion behält, insofern zur Erklärung der Zweckmäßigkeit ein Als-ob des Zwecks angenommen werden muß", wie W.Bartuschat meint (vergl. "Zum systematischen Ort", S.108). Ist das Subjekt also gar nicht darauf aus, den Gegenstand in Hinblick auf die Möglichkeit seines Daseins zu betrachten, so liegt eben nicht der Fall vor, daß das Als-ob eines Zweckes dem Begriff "Zweckmäßig" erst seinen Sinn gibt. Mit der ästhetischen Reflexion wird ein Prinzip vorstellig, das als autonomes Prinzip ihrem Begriff einer Zweckmäßigkeit anders Sinn geben kann als über einen negierten Bezug zur Vernunft. Was zweckmäßig ist, das realisiert sich nicht durch ein Absehen von Anderem, sondern im Geschmacksurteil hat dieser Reflexionsbegriff Bestand ohne Blick auf Anderes. Also muß kein Zweck zugrunde liegen oder von einem solchen erst abstrahiert werden.

Isolation des ästhetischen Reflexionsbegriffs

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Wir haben die dem letzten Absatz des § 10 entnommenen Ausführungen Kants also nicht so zu verstehen, daß die Urteilskraft in ihrer Reflexion über Zweckmäßigkeit als verkappte Struktur des Begehrungsvermögens eingeführt würde. Soll der Begriff einer Zweckmäßigkeit ein Kriterium bilden, das aus der Struktur der ästhetischen Reflexion entwickelt ist, nämlich als etwas, das dem Reflexionsvermögen ursprünglich selbst zukommt, so kann mit der in der Darstellung angesprochenen Entbehrlichkeit eines Begriffes, der von der Vernunft her gedacht ist, nicht gemeint sein, daß das, was diese Struktur auszeichnet, von dieser Abstraktion her begreiflich gemacht werden könnte. Die geschmackliche Reflexion ist demgegenüber ein Können, das es aus sich heraus, d.h. aus seinem Prinzip heraus, positiv zu bestimmen gilt. In dieser Absicht kann bei der Charakterisierung des relationalen Momentes des Geschmacksurteils nicht auf einem Zurückbleiben hinter anderem insistiert werden, als ein bloßes Absehen in der Reflexion von einem Zweck. Es gilt, die Urteilskraft so zu bestimmen, daß ihre Struktur aus sich heraus dem Begriff einer "Zweckmäßigkeit ohne Zweck" (226/44) einen Sinn geben kann. Die geschmackliche Reflexion ist darzustellen als die Artikulation eines Prinzips, das als Beurteilungsmöglichkeit einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck eine Eigenständigkeit zeigt und in dieser Möglichkeit autonom gegenüber einem Begriff von Zweckmäßigkeit ist, der sich nur über einen vorausgesetzten Zweck Bedeutung verschaffen kann. Unter dem Gesichtspunkt, die Zweckmäßigkeit nur "formal" (vergl. 222/37) begreifen zu können, wird die Urteilskraft deshalb von Kant als ein Vermögen untersucht, das sich nicht von ihm äusseren Komponenten her verstehen muß. Dies scheint zunächst paradox, drückt doch ihr Begriff den Sachverhalt des Einem-Zwecke-gemässen-Seins aus, obwohl ein Zweck die Möglichkeit eines Inanschlagbringens dieser Funktion nicht notwendig bedingen soll. Ist die im zweiten Moment behauptete Prinzipialität des Geschmacksurteils als autonomer Urteilsakt denkbar, so ist aus diesem Anspruch heraus gefordert, die Identität dieses Prinzips in der autonomen Funktionalität ihres Relationsbegriffs zu bestimmen. Es geht in dieser Exposition um die analytische Freilegung eines Momentes der Strukturalität des Prinzips geschmacklicher Beurteilung, aus dem heraus sich die Möglichkeit der Reflexion auf eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck begründen läßt. Dies kann allein dadurch gelingen, daß gezeigt wird, wie die Struktur der ästhetischen Urteilskraft ihrem Begriff aus sich selbst heraus Geltung verschaffen kann, indem sie in der Reflexion nicht allein ein Verhältnis zu Anderem thematisch werden läßt, sondern in ihrer Tätigkeit immer auch in einem Verhältnis zu sich selbst steht - selbst über einen Maßstab für ihre Funktionalität verfügt und hierin Prinzip eigener Identität ist. In einer Gegenüberstellung von Sinnen- und Reflexionsurteil hebt Kant diesen Sachverhalt in der ersten Einleitung hervor:

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Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils "Das ästhetische Sinnesurtheil enthält materiale, das ästhetische Reflexionsurtheil aber formale Zweckmäßigkeit. Aber da das erstere sich gar nicht aufs Erkenntnisvermögen bezieht, sondern unmittelbar durch den Sinn aufs Gefühl der Lust, so ist nur das letztere als auf eigentümlichen Principien der Urtheilskraft gegründet anzusehen." (l.Einl. 224/31)

II. Das Verknüpftsein des Reflexionsbegriffs mit der Prinzipienstruktur des Geschmacksurteils Wenn es im Titel des anschließenden § 11 heißt, "das Geschmacksurtheil hat nichts als die Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes (oder der Vorstellungsart desselben) zum Grunde" (221/35), so ist diese Kennzeichnung positiv im Sinne eines Unangewiesenseins zu verstehen, als die Charakterisierung eines Vermögens, das sich im Aspekt seiner Beurteilungsmöglichkeit einer formal bestimmten Zweckmäßigkeit selbst zu fundieren vermag; dies im Gegenzug zu Zweckrelationen, die ihren Sinn erst durch einen subjektiven oder objektiven Zweck, der auf ein materiell bestimmtes Wozu-gemäß-sein angewiesen ist, erfahren. Der Sinn dieses Reflexionsbegrifß soll aus einem formal-transzendentalen Moment der Struktur des Geschmacksurteils verständlich werden, indem er "bloß das Verhältniß der Vorstellungskräfte zu einander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden, betrifft" (221/34). Aus dem Verhältnis der Vorstellungskräfte Einbildungskraft und Verstand soll die Sinngebung des im dritten Momente thematischen Begriffs einer Zweckmäßigkeit exponibel sein. Nun heißt es in diesem Zitat auch: dieses Verhältnis sei unter der Bedingung zu bestimmen, daß die Vorstellungskräfte durch eine Vorstellung bestimmt werden, also durch eine inhaltliche Komponente, die in den Kräften selbst nicht liegt. Doch macht Kant im anschließenden Absatz deutlich, daß selbst unter dem Aspekt eines Gegenstandsbezuges, der immer im Geschmacksurteil vorliegt, die Analyse hinsichtlich des Aufweises des Zweckmäßigkeitsbegriffes nicht in ihrem Gang gestört ist: Mag der Gegenstand ästhetischer Reflexion schön sein, weil er in seiner Form als zweckmäßig beurteilt wird, so läßt sich die subjektive Möglichkeit zu einer solchen Beurteilung nicht von seiner objektiven Beschaffenheit her begründen, denn diese liefert nicht das Kriterium seiner Beurteilbarkeit. Ebensowenig kann das Kriterium, wie in der objektivierenden Philosophie, von einem in Anschlag gebrachten Begriff her entwickelt werden, denn mit der Angabe eines Zwecks ist noch nicht das Vermögen des auf Zweckmäßigkeit gerichteten Vergleichs gegeben. Demnach kann es hier nur um ein transzendentales Verhältnis in der Immanenz der Struktur des Reflexionsprinzips selbst gehen. Ein solches Verhältnis ist das der transzendentalen Vermögen Einbildungskraft und

Das Verknüpftsein des Reflexionsbegriffs mit der Prinzipienstruktur

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Verstand. Die im zweiten Moment aufgewiesene Prinzipienstruktur der Reflexion soll in der Folge dahingehend analysiert werden, daß sie die Möglichkeit der Beurteilung nach einer formalen Zweckmäßigkeit fundieren kann. Kant muß somit zeigen, daß der transzendentale Charakter von Einbildungskraft und Verstand immer schon auf eine Relation diese Vermögen verweist - also auf eine Beziehung, die jeden Urteilsakt bedingt und von der her die formale Zweckmäßigkeit als ein transzendentales Urteilskriterium verstanden werden kann, nämlich als Gegensatz zu einer Zweckmäßigkeit, die als Kriterium für die Qualität einer Relation bei einer willkürlich zweckintendierte Wirkung fungiert. "Also kann nichts anders als die subjective Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes ohne allen (weder obcektiven noch subjectiven) Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand g e g e b e n wird, sofern wir uns ihrer bewußt sind, das Wohlgefallen, welches wir, ohne Begriff, als allgemein mittheilbar beurtheilen, mithin den Bestimmungsgrund des Geschmacksurtheils ausmachen." (221/35)

Ein dem freien Spiel der Vorstellungskräfte immanenter formaler Sachverhalt bedingt die Möglichkeit der Beurteilung einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Der Sinn dieses Begriffs einer Zweckmäßigkeit ist demgemäß von diesem Sachverhalt her zu begründen. In einer faktischen Reflexion ist die Proportionalität der Vorstellungskräfte kontingent, gleichzeitig liegt in diesem Verhältnis etwas, das sich nicht über die Kontingenz begründen läßt, nämlich dies, daß es sich als Fall einer Regel versteht, aber einer Regel, die, wie das zweite Moment ausführte, keine dem Zusammenspiel der Kräfte äußerliche ist, sondern eine Regel des Zusammenspiels selbst. Mag das faktische Verhältnis der Vorstellungskräfte als zweckmäßig kontingent sein - daß es als zweckmäßig empfunden wird, kann nicht aus der Faktizität des Spiels begründet werden. Es muß also für die Charakterisierung des Verhältnisses als zweckmäßig eine Regel geben - aber nicht eine solche, die das Verhältnis der Kräfte konstituiert oder reguliert, sondern eine Regel, die es als zweckmäßig qualifiziert. In dieser Gestalt ist Regel etwas, von dem her sich der Vollzug nicht in seiner Möglichkeit, sondern in seiner Wirkung (vergl. 221/35), als Grund des Wohlgefallens, begreifen läßt. Die Vorstellung der Wirkung ist demnach hier nicht vorgängiger Bestimmungsgrund der Reflexion. Es geht darum, aus der Analyse einsichtig werden zu lassen, worin dieses Verhältnis Kausalität haben kann. Der Begriff einer Zweckmäßigkeit soll so bestimmt werden, daß er sich als Qualifikator einer Relation auch dann als tauglich erweist, wenn die Relation nicht um willen von etwas der als Reflexion zu qualifizierenden Handlung Äußeres gesetzt ist. Die bloße Tätigkeit der Reflexion gilt es

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Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils

hinsichtlich des formalen Aspektes dieses Vollzuges zu qualifizieren, und zwar von dem Moment her, in dem sie sich als Urteilsakt versteht. Nicht das Material, an dem die Reflexion einsetzt, ist thematisch, sondern die apriorische Struktur, in der der Reflexionsakt formal aufgeht. Die Negation bestimmter Begrifflichkeit hält den Reflexionsakt rein von Komponenten, an denen er sich ausrichten müßte. Zweckmäßigkeit kann auch dann vorliegen, wenn die Reflexion in sich einen Maßstab aufweist: In dem Geschmacksurteil soll sich ein Anspruch erfüllen, der sich von der Realisierung eines wesentlichen Momentes jedes Urteilsaktes her begreifen läßt. Dies setzt voraus, daß die Fundamente der Relation, also die in Anschlag gebrachten Vorstellungskräfte, den Urteilsakt wesentlich in seiner formalen Eigenschaft definieren. Die Negation eines Zwecks wäre dann eine Abstraktion von einem Material, in Hinblick auf welches die Relation in Anspruch genommen wird. Daß ein Zweck vorausgesetzt ist, dies mag ein Maßstab zur Bewertung des Materials sein, das es zu bewerten gilt. Über einen Zweck läßt sich aber nicht die Möglichkeit des Vermögens einer Reflexion, auf ein Gemäßsein überhaupt bezogen sein zu können, begründen. Die analytische Freilegung apriorischer Strukturen der Urteilskraft wird demgemäß zu einer Exposition eines Vergleichsvermögens, in dem a priori gelegen ist, worin Reflexion aufgeht, ohne Rücksicht, woraufhin (d.i. auf welchen Zweckbegriff) dieses Vermögen in Anschlag gebracht wird. Es muß, damit etwas in Rücksicht auf einen Zweck bestimmt werden kann, ein Prinzip der Zweckmäßigkeit vorausgesetzt werden, das a priori besteht und als Bedingung der Möglichkeit einer Beurteilung von Zwecktauglichkeit eigene Identität hat, und die es unabhängig von der Beschaffenheit des Materials zu artikulieren vermag. Lust an der Reflexionstätigkeit soll die Artikulation dieser Identität im Geschmacksurteil sein. Der Sachverhalt muß im dritten Moment deduziert werden. III. Metaphysische Deduktion des Geschmacksurteils In § 12, welchen Kant mit dem Titel "Das Geschmacksurtheil beruht auf Gründen α priori" versieht, wird ein das dritte Moment tragender Sachverhalt exponiert, nämlich der, daß das Geschmacksurteil sich von einem apriorischen Prinzips her artikuliert, dessen Identität in einer Struktur gründet, die nicht nur reflexive Bezüglichkeit in dem Sinne bedingt, daß mit der Reflexion alle Bezüglichkeit ist, sondern die darüber hinaus in der Lage ist, diese Bezüglichkeit zu qualifizieren, weil das Geschmacksurteil sich in der Kausalität dieser Struktur des Prinzips nicht von Anderem her verstehen muß.

Metaphysische Deduktion des Geschmacksurteils

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Dem Geschmacksurteil ist eine innere Kausalität wesentlich, von der her es sich zu qualifizieren vermag: "nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e r h a 1 t e n" (222/37). Aufgabe dieses § ist damit die bislang zurückgehaltene Beantwortung der Frage, wie Lust auf apriorischen Gründen beruhen kann. Da es bei dieser Begründung um eine Problematik geht, die auf die Immanenz der Subjektivität beschränkt bleibt, also noch nicht die Frage gestellt ist, wie die Lust an einem empirisch gegebenen Objekt a priori jemandem zugemutet werden kann, sondern wie zunächst überhaupt die apriorische Lust aus einem Spiel subjektiver Vermögen resultieren kann, ist diese Deduktion eine metaphysische. Daß irgendeine Vorstellung das Gefühl der Lust ursächlich bedingt, dies kann nicht a priori ausgemacht werden. Denn ob eine Vorstellung die Kausalität hat, Lust zu erzeugen, ist nur aposteriorisch zu erkennen, weil jede Kausalverknüpfung von empirischer Vorstellung und subjektivem Gestimmtsein kontingent ist (vergl. 221/35). Aber daß eine formelle Bedingung erfüllt sein muß, wenn mit einem Urteilsakt Lust auftritt, ist evident. Dieses lustvolle Gestimmtsein soll dadurch begründet sein, daß es nicht von materiellen Beschaffenheiten des Vorgestellten bedingt wird, sondern daß sich dieser Zustand bereits aufgrund eines formalen Aspektes mit der Vorstellung einstellt. Ein diesem Phänomen analoger Sachverhalt wurde bereits in der zweiten Kritik am moralischen Gefühl der Achtung expliziert. Kant legte dort dar, daß nicht ein apriorischer Begriff des Guten Achtung verursacht und deshalb der Wille bestimmt ist, sondern daß vielmehr dem durch die Idee des Sittlichen bestimmten Willen das moralische Gefühl korrespondiert. Demgemäß formulierte Kant in der zweiten Kritik das Problem der Deduktion des apriorischen Gefühls der Achtung in 3.Hauptstück "Von den Triebfedern": "Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüthe wirkt (besser zu sagen, wirken muß), a priori anzuzeigen haben." (KpV 72/128) Das Sittengesetz hat in diesem Sinne nicht doppelte Kausalität, a) als Willensbestimmung, b) als Lustbestimmung, sondern beide Wirkungen resultieren aus identischer Kausalität. Ein bestimmter Wille ist ein zu Etwas bestimmter Wille, wie das Gefühl der Achtung Triebfeder in hinlick auf das selbe Etwas ist: das moralische Handeln. Der Gemütszustand folgt also nicht aus einem bestimmten Willen, sondern er ist der bestimmte Wille selbst. Das Gefühl der Achtung wird, wie Kant betont, nicht von der Idee des Sittlichen als ursächlich hergeleitet, sondern aus dem Gefühl der Achtung wurde die Willenbestimmung nur deduziert, d.h. die Möglichkeit einsichtig gemacht, wie ein endliches Subjekt zur Moralität bestimmt sein kann. Die

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Ableitung ist damit im Status eines transzendentalen Bedingungsverhältnisses geleistet und nicht in Hinblick auf eine zeitliche Bedingtheit: "Der Gemüthszustand [...] eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus [...]." (222/36)

In ähnlicher Weise begründet Kant im folgenden die durch das Geschmacksurteil bewirkte Lust als Index für die Qualifizierung der Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte als zweckmäßig von einer Identität des Grundes her, "nur daß sie (die Lust/JP) hier bloß contemplativ und ohne Interesse am Object zu bewirken" (222/36) gefaßt wird: Die Kausalität erfüllt sich in der Immanenz der Reflexionstätigkeit und hat keine am Objekt zu vollziehende Handlung zur Konsequenz. In der Korrespondenz von bestimmter Relationalität der Erkenntniskräfte und einer aus dieser Relationalität entspringenden Lust soll der Grund liegen, eine in der Reflexionstätigkeit vorliegende Relation von Erkenntniskräften als zweckmäßig qualifizieren zu können. Daß die Lust und der über die Lust als zweckmäßig zu qualifizierende Sachverhalt sich von der Identität des Grundes her verstehen läßt, ist Bedingung dafür, daß Lust einen tauglichen Index abgeben kann. Der zu deduzierende Sachverhalt ist der einer immanenten Kausalität der Reflexion im Moment der Lust, die voi einer formalen apriorischen Prinzipienstruktur her als zweckmäßig begründet ist: "den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e r h a l t e n " (222/37). 16 Kant stellt diese Deduktion mit folgendem Satz dar: "Das Bewußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte des Subjects bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, ist die Lust selbst, weil es einen Bestimmungsgrund der Thätigkeit des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte desselben, also eine innere Causalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntniß überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntniß eingeschränkt zu sein, mithin eine bloße Form der subjectiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung, in einem ästhetischen Urtheil enthält." (222/36-37)

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Innerhalb dieser Deduktion des apriorischen Grundes des reinen Geschmacksurteils soll die Lust als ein Index für ein Gelingen ausgewiesen werden. Da hier im reinem Geschmacksurteil von der möglichen Affektion durch ein Objekt abgesehen wird, es allein im Kontext der Grundlegung eines Prinzips steht, stellt sich dieses Problem noch nicht. Es geht zunächst allein darum, ob es möglich ist, eine Relationalität der Vorstellungkräfte als a priori von einem Wohlgefallen begleitet und damit als zweckmäßig aufweisen zu können.

Metaphysische Deduktion des Geschmacksurteils

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Für die Interpretation dieses Kantischen Argumentes analysieren wir die Deduktion in Hinblick auf eine Qualifikation der Reflexion als zweckmäßig in zwei Schritten. 1.) Aufweis des qualifizierenden Kriteriums in der transzendentalen Fundamentalrelation, gemäß der in der Deduktion enthaltenen Aussage: Innere Kausalität in Ansehung der Erkenntnis überhaupt haben heißt, Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjektes sein in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte. 2.) Die reflexive Bezüglichkeit des Subjekts auf die eigene Urteilsleistung, gemäß der in der Deduktion enthaltenen Aussage: Das Bewußtsein ist die Lust selbst, weil es das Bewußtsein von der inneren Kausalität in Ansehung der Erkenntniskräfte überhaupt ist. Zu 1.): Es ist dieser Deduktion des Geschmacksurteils wesentlich, den Begriff einer Zweckmäßigkeit so zu exponieren, daß er als Qualifikator einer Relationalst aufzutreten vermag, ohne daß sich die qualifizierende Bedeutung dieser Relationalität von einem vorgängig verstandenen Wozu dessen, das als zweckmäßig behauptet ist, her begreifen läßt. Es geht also um die Darstellung eines Sachverhaltes relativer Bezüglichkeit, in dem die Komponenten in ihrer Relationalität als zweckmäßig vorgestellt werden können, wobei die Annahme eines diese Beziehung bedingenden Zweckes entbehrlich ist. Der Begriff der Zweckmäßigkeit ist demnach über eine in der Relationalität der Erkenntniskräfte gelegene Kausalität zu begründen, deren Möglichkeit nicht antizipiert und demgemäß nicht vorgängig durch den Begriff eines Zweckes initiiert werden kann. Die Vorstellung der Wirkung kann damit nicht als ursächlich für den Urteilsprozeß gedacht werden. Also nicht die Zweckmäßigkeit soll Kausalität haben, sondern eine spezifische Relation von Erkenntniskräften. Und weil sie diese Kausalität hat, ist sie als eine zweckmäßige Relation behauptet. Die Frage lautet demgemäß: Wie kann einer Beziehung von Erkenntniskräften Kausalität zukommen, wodurch sie sich als zweckmäßige Bezüglichkeit qualifiziert? Zunächst gilt es festzuhalten, daß der Begriff der Zweckmäßigkeit von Kant in Hinblick auf eine Subjektivität erschlossen wird, die sich vom Prozeß des Urteilens, d.i. vom Akt der Vermittlung heterogener Erkenntniskräfte her versteht. Diese die Relation konstituierenden Fundamente sind keine zufälligen Komponenten des Urteilsprozesses, sondern sie sind in diesem hier thematischen Sachverhalt des Urteils immer schon Relate. Daß Einbildungskraft und Verstand überhaupt die Fundamente dieser Relation sind, ist darin begründet, daß Urteilen genuin ihre Relationalität ist. Als Fundamente kommen ihnen in einer den Urteilsakt konstituierenden Relation spezifische Eigenschaften zu, von denen her sie sich genuin als Relate verstehen: Das, was sie als Relate auftreten läßt, ist keine akzidentielle Eigenschaft, die ihnen erst durch die Relation zukommt. Die Relationalität dieser Erkenntniskräfte ist bereits durch ihr Wesen begründet:

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Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils

"Denn in der Urtheilskraft werden Verstand und Einbildungskraft im Verhältniß gegen einander betrachtet [...]." (l.Einl. 223/29)

Es gilt damit, aus der Wesenheit der Fundamente der Relation im Urteilsakt, eine bestimmte Relation als zweckmäßig behaupten zu können, weil in ihr ein Sachverhalt erfüllt ist, der sich als Erfüllung nicht aus einer Zweckursache begreifen läßt. Es geht also nicht darum, die Möglichkeit einer bestimmten Relation einzusehen, sondern allein darum, die kausale Qualität einer bestimmten Relation - der Harmonie der Erkenntniskräfte apriorisch zu begründen. Daß der relationale Zusammenhang aus dem Wesen der Fundamente folgt, also nicht ein solcher ist, der ihnen unwesentlich ist, wird von Kant behauptet, wenn er sagt, daß jene Auffassung der Form in der Einbildungskraft niemals geschehe, "ohne daß die reflectirende Urtheilskraft, auch unabsichtlich, sie wenigstens mit dem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergleiche" (190/XLIV). Dieses vergleichende Moment ist nun nicht etwas, das eigens initiiert werden müßte, als etwas, das noch zur Reflexion hinzutrete, sondern es ist die Reflexion selbst: Die Reflexion ist der Ort dieses Prozesses, und sofern Reflexion vorliegt, ist diese Relation gesetzt. "Erkenntnis überhaupt" ist hiermit nicht mehr als die spezifische Relation von heterogenen Kräften, in denen diese als vermittelt begriffen werden. Eine solche Vermittlung zu leisten, heißt, im positiven Sinn urteilen zu können (wofür es keines Momentes außerhalb der Reflexion bedarf), um die Relation in Ansehung von Erkenntnis überhaupt zu qualifizieren. Diese Harmonie hat deshalb zweckmäßige innere Kausalität, weil sie die Erkenntniskräfte "belebt" (219/31). Das Beleben der Erkenntniskräfte und die positive Steigerung des Lebensgefühls ist aber deshalb nicht Zweck dieser Relation. Sie belebt und steigert die Vermögen und die Stimmung des Subjektes nämlich genau deshalb, weil kein intendierter Zweck als Ursache für diese Relation gesetzt ist. "Wir w e i l e n bei der Betrachtung des Schönen" (222/37), weil das, was das ästhetische Erlebnis genannt werden kann, eine unerwartete Erfüllung ist. Die Zweckmäßigkeit ist deshalb nicht über die Momentaneität der faktischen Relation der Erkenntniskräfte hinaus verfügbar zu machen oder nach einer Verfahrensregel jederzeit einzubringen. Lust hat die Kausalität, "den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu e r h a l t e n " (222/37). Zweckmäßig ist eine Relation genau dann, wenn sie Kausalität hat. Lust im Urteil ist Lust an einem relationalen Zusammenhang. Erkenntnis überhaupt meint damit: eine Relation von Erkenntniskräften, die, ohne von einer bestimmten Begrifflichkeit determiniert zu sein, zu dner möglichen Begrifflichkeit disponiert ist. Diese Relation ist also nicht überhaupt lustvoll,

Metaphysische Deduktion des Geschmacksurteils

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sondern nur im Kontext einer ästhetischen Reflexion, deren Gelingen kontingent ist, in der aber gleichwohl ein Verständnis von dem vorliegt, worin ein Gelingen besteht. Lust beruht also auf einem apriorischen Grund, nämlich dem des formalen Aspektes eines harmonischen Zusammenspiels, in dem jede Reflexionstätigkeit immer schon formal als Aktivität begriffen wird. Das Gelingen kündigt sich als Gelingen in der Lust an und hat darin Kausalität, weil mit der Reflexionstätigkeit durch die kontingent eingebrachte spezifische Relation die heterogenen Erkenntniskräfte ihre Vermittlung finden. Zu 2.): Die Zweckmäßigkeit als Qualifikator in der Bedeutung: für ein spezifisches Verhältnis der Erkenntniskräfte stehen, legitimiert sich über dieses Verhältnis. Im ästhetischen Urteil ist das Bewußtsein der Selbstbezüglichkeit, durch welches der Urteilende in der Reflexion eine Vorstellung seines eigenen Tuns hat. Diese Vorstellung der eigenen Aktivität hat ursprünglich Bezug auf die subjektive Verfassung. Das Verhältnis von Urteilsprozeß und Gestimmtsein ist von Kant als Identität bestimmt: Die Zweckmäßigkeit im Spiel der Kräfte ist ratio essendi der Lust, und die Lust ist ratio cognoscendi der spezifischen Beziehung der Vorstellungskräfte. Beides sind Momente eines und desselben Sachverhaltes. Es kann deshalb nicht gesagt werden, die Lust sei das zweckmäßige Zusammenspiel, wohl aber: Lust und zweckmäßiges Zusammenspiel sind zwei Seiten, von denen her das Subjekt als mit sich vermittelt verstanden werden kann. Die Vermittlung von Sinnlichkeit und Verstand als Vermittlung von heterogenen Prinzipien schlägt sich in dem Subjekt in einer entsprechenden Qualität nieder: Das Subjekt ist hier eine Einheit in der Differenz seiner Erkenntnisprinzipien. Das Bewußtsein der formalen Zweckmäßigkeit im Spiel ist die Lust selbst, als empfundene Einheit des Subjektes. Die Identität des Grundes, nämlich das mit sich selbst vermittelte Subjekt, bestimmt die Korrespondenz von Lust und Spiel. Das harmonische Spiel der Kräfte geht phänomenal nicht der Lust vorher, sowenig wie die Lust dem harmonischen Spiel vorhergeht. Im Bewußtsein des Urteilenden ist die ästhetische Beurteilung einer Vorstellung von Lust begleitet. Lust steht in Korrelation zum Zustand des Subjektes. Sie ist irrationaler Indikator einer kontingenten transzendentalen Vermittlung heterogener Prinzipien. Es wäre daher nicht sinnvoll, zu sagen, die Subjektivität sei intentional auf ihre Einheit bezogen, denn in der ästhetischen Reflexion liegt das ihr wesentliche Moment eines vorurteilsfreien Sicheinlassens. Der Verzicht darauf, die Gegenständlichkeit vom Allgemeinen her zu begreifen, hervorgehoben durch die "Freiheit" in der Apprehension, zeichnet die Autonomie des Urteilsprozesses aus; nur unter der Bedingung einer kontingent eingebrachten harmonischen Relation ist Lust als ein Wohlgefallen an der

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Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils

Vermittlung der Erkenntniskräfte begreifbar. Von intentionalen Bezügen her ließe sich die Lust am Schönen nicht begründen; das Wohlgefallen an geschmacklicher Reflexion hat "nur die alogische Subjektivität im Auge":17 nämlich das Bewußtsein der Kausalität, ohne Absicht den Zustand zu erhalten - Lust als eine Kausalität, die sich selbst erhält, solange es dem Subjekt gelingt, sich einer Begrifflichkeit als Zweck in der Reflexion zu enthalten. In der Qualifikation einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck wird etwas vorgestellt, das Kausalität in Hinblick auf anderes hat, von welcher Kausalität her sich die Reflexionstätigkeit aber nicht vorgängig versteht. Es geht also nicht mehr, wie im zweiten Moment, bloß um eine strukturell als Harmonie vorstellige Relation im Urteilsakt, sondern um eine in dieser strukturellen Harmonie gelegene Dynamik, welche etwas zu bewirken vermag. Eine Vorstellung kann qualitativ zweckmäßig sein, wenn sie lustvoll ist. Das Gelingen ist hier nicht im absoluten Sinn einer Harmonie gefordert, denn dann wäre jedes faktische Urteil ein Scheitern, weil das harmonische Maximum des Zusammenspiels de facto nie einzubringen ist. Gleichwohl läßt sich eine von Lust begleitete Vorstellung als zweckmässig behaupten, nämlich dann, wenn man seinen Zustand als bedingt durch seine eigene Aktivität verstehen kann. Das in Anschlag gebrachte Prinzip der Urteilskraft fundiert die Möglichkeit des Bezuges und die Möglichkeit der Qualifikation dieses Bezuges. Nicht aber ist mit dem Prinzip schon immer eine lustbewirkende Relation gesetzt. Die Urteilskraft ist damit nicht als Prinzip einer objektivierbaren Bestimmung deduziert, sondern als Prinzip der Erfahrung einer möglichen Bestimmbarkeit. Als ein solches Prinzip hat sie eine Selbstgenügsamkeit, als die einer Identität in ihrem Reflexionsbegriff der "formalen Zweckmäßigkeit", die in der Struktur dieses Prinzips gelegen ist. Allein vom subjektiv-formalen Moment einer harmonischen Beziehung her bedingt, hält die ästhetische Reflexion das Objekt frei gegen jegliche Bestimmung. Es erscheint in der Vorstellung allein hinsichtlich seiner möglichen Bestimmbarkeit. Indem das Subjekt sich in der Reflexion einer Bestimmung des Objektes enthält und einer bloßen Bestimmbarkeit sich bewußt ist, nennt es dieses Objekt schön. Es ist schön hinsichtlich dieser Bezugsmöglichkeit. Als in dieser Bestimmbarkeit verweilend hat der schöne Gegenstand für den Urteilenden einen unendlichen Interpretationshorizont, denn ohne auf einen bestimmten, vom Verstand vorgegebenen Begriff eingeschränkt zu sein, liegt in der Vermittlung der heterogenen Prinzipien als gelungener Selbstvermittlung des Subjektes die Disposition zu einer "Erkenntnis überhaupt".

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R.Odebrecht, "Form und Geist", S.61

Das Ideal der Schönheit

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Mit diesem Ergebnis fundiert die Deduktion über die im dritten Moment aufgewiesene Identität des Prinzips des Geschmacks den Schönheitsbegriff. Schönheit versteht sich als ästhetische Kategorie über die Möglichkeit einer Bestimmbarkeit des Objektes aufgrund einer formalen Vermittlung im Spiel heterogener Erkenntnisprinzipien. Aus diesem aus der Analyse des Subjektes hervorgehenden Moment kann die Erklärung "geschlossen" (vergl. 236/61) werden: " S c h ö n h e i t ist Form der Z w e c k m ä ß i g k e i t eines Gegenstandes, sofern sie o h n e V o r s t e l l u n g e i n e s Z w e c k s an ihm wahrgenommen wird." (236/61)

IV. Das Ideal der Schönheit

Die im Anschluß an die Analyse der Relation im Geschmacksurteil gegebene Theorie der schönen Form ("Das Ideal der Schönheit", § 17) ist der Versuch einer Theorie der Produkte des Geschmacks, die Konsequenz einer Analyse des dritten Momentes ist, d.h. formale Aspekte des subjektiv-immanenten Aktus werden auf die ideelle Konzeption eines Objektes appliziert. Das reine Geschmacksurteil kann deshalb nicht über die Konzeption seines Ideals eine weitere strukturelle Fortbestimmung erfahren. Diese Theorie ist, wie Kant sagt, nicht mehr als eine bloße Folgerung aus der Analyse und damit keine die Untersuchung des Geschmacks weitertreibende Erörterung: "Denn es ist um das Princip der blos reflectirenden, nicht der bestimmenden Urtheilskraft, (dergleichen allen menschlichen Kunstwerken zum Grunde liegt) zu thun, bei der also die Zweckmäßigkeit als u n a b s i c h t l i c h betrachtet werden soll, und die also nur der Natur zukommen kann. Die Beurtheilung der Kunstschönheit wird nachher als bloße Folgerung aus denselbigen Principien, welche dem Urtheile über Naturschönheit zum Grunde liegen, betrachtet werden müssen." (l.Einl. 251/68)

Inwiefern das Ideal der Schönheit die Analyse des Geschmacksurteils in Hinblick auf die Zweckmäßigkeit umgeht und keinen weiteren Aspekt der ästhetischen Reflexion aufdeckt, wollen wir kurz darstellen. Das "Ideal der Einbildungskraft" (232/54), als die gemäß der Möglichkeit eines harmonischen Bezuges aus dem dritten Moment abgeleitete Theorie "exemplarischer Producte des Geschmacks" (232/53), muß als Darstellung der ideellen Bestimmtheit einer "pulchritudo adhearens" (229/48) verstanden werden. Bei ihr wird nicht nur darauf insistiert, daß das Objekt schön ist, sondern daß es in einer spezifischen Weise die Lust an der

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Von der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils

Reflexion erhält: Der Mensch in seiner sittlichen Autonomie ist Thema; und zwar nicht nur Thema im Sinne von Dargestelltem, sondern auch im Sinne einer apodiktischen Kausalität der Erhaltung des lustvollen Zustandes des Betrachters. Ein in diesem Zusammenhang auftretender Begriff von Zweckmäßigkeit als dem Gemäßsein der Darstellung zu einem Zweck, den das Subjekt in der Moralität findet, ist für einen Rückschluß auf das Vermögen sich selbst begründender Prinzipialität in der Reflexion untauglich: Von einer objektiven Zweckmäßigkeit her gedacht, ist die Urteilsleistung auf das Moment einer Subsumierbarkeit angelegt. Die Zweckmäßigkeit ist hier nicht mehr nur eine Qualifikation, die sich in ästhetischer Reflexionslust erfüllt, sondern sie ist Kriterium für eine mögliche Identifikation des Betrachters mit der Darstellung von Moralität (vergl. 235/59-60: "Das Ideal besteht in dem Ausdrucke des S i t t l i c h e n").18 Sofern der Urteilende in dieser Reflexion auf die Moralität bezogen ist, ist gar nicht einsehbar, wie hier Lust bzw. eine Zweckmäßigkeit im ästhetischen Sinne thematisch werden könnte, denn in dem Moment, auf das sich die Reflexion bezieht, herrscht eine prinzipielle Determination durch die Vernunft, in der das Kriterium der Beurteilung die Vollkommenheit, nicht aber die Zweckmäßigkeit ist. Hier liegt eigentlich nichts vor, das es auch noch geschmacklich zu beurteilen gälte. Es ist zudem nicht einmal ein zusätzliches Vermögen verlangt, das eine Bezüglichkeit des Differenten thematisiert, weil im Ideal jedes Zurückbleiben hinter dem, das es enthält, ausgeschlossen ist. Als Ideal ist es eben genau das, was der Mensch und damit auch der Urteilende im Aspekt der Moralität ist. Es ist also sinnlos zu fragen, ob ein Ideal zweckmäßig ist, weil es selbst das Maß ist. Daß das Kräftespiel von Einbildungskraft und Verstand im Geschmacksurteil eine Bezogenheit auf etwas dem Spiel Transzendentes hat, kann nicht am Ideal aufgewiesen werden, weil das, was es gemäß einem Ideal zu beurteilen gilt (die Darstellung der Sittlichkeit des Menschen), gar nicht jedem Geschmacksurteil wesentlich ist. Zwar kann gezeigt werden, daß, sofern die Reflexion auf etwas bezogen ist, von dem her der Mensch sich schon immer begreift, d.i. auf die Sittlichkeit, diese als Zweck einer

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Hierzu bemerkt S.Klausen mit Recht: "Das Urteil über das Idealschönesetzt eine Beurteilung des Moralisch-Guten voraus. Dieses letztere Urteil begründet das Interesse, das wir an dem Idealschönen nehmen. Das, an dem wir ein Interesse nehmen, das, was wir schätzen, ist [...] der Gegenstand einer W e r t b e u r t e i l u n g (Hervorh. JP). Die Frage nach der Art der Beurteilung des Idealschönen führt uns daher zur Behandlung der sogenannten Wertästhetik. Wer den Gegenstand des ästhetischen Urteils als einen Wert bezeichnet, hat ihn damit nicht bloß als zweckmäßig, sondern als Zweck bezeichnet." Aber: "Einen Versuch, das ästhetische Urteil als Werturteil auszugeben, [...] hat Kant schon im voraus abgewehrt [...]" ("Grundlinien", S.26 und 27).

Das Ideal der Schönheit

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Darstellung des Menschen ideell gefaßt werden kann. Aber was folgt daraus rückgreifend auf die Analyse? Das Geschmacksurteil transzendiert hier nicht das Spiel der Kräfte aus sich heraus, gemäß einer wesenhaften Dynamik von Reflexion, sondern es ist in Bezug auf ein dem Spiel Transzendentes gesetzt, und zwar bedingt durch die Gegenständlichkeit. Das

Thema des Dargestellten fordert ein Ideal als Urbild, höchstes Maß, Idee eines Maximums etc. Hier hat das Geschmacksurteil eine Instanz außerhalb des Kräftespiels, nicht aber weil es als Geschmacksurteil dieser Instanz bedarf, sondern weil die Thematik des Objektes ursprünglich nur unter dem Gesichtspunkt dieser Instanz begreifbar ist. Der Mensch als autonomer Zweck fordert in seiner Darstellung die Darstellung der Autonomie. Was es hier zu beurteilen gilt, ist das Gelingen einer Darstellung dem Inhalt nach, und dieser ist eben dem Spiel transzendent und der formal prinzipiierten geschmacklichen Reflexion unwesentlich. Hier ist Transzendenz Thema - eine Transzendierung des Spiels daher unumgänglich. Der Gegenstand ist thematisch so gefaßt, daß die Reflexion sich seinem Anspruch nicht entziehen kann und die Erkenntniskräfte die Immanenz ihres Spiels übersteigen. Die Schönheit der Natur steht deshalb im Vordergrund einer Analyse des Geschmacksurteils. Die Naturschönheit ist freie Schönheit (pulchritudo vaga), weil sie nicht um der Möglichkeit willen, sie als schön beurteilen zu können, gedacht wird; jede Kunstschönheit dagegen (als pulchritudo adhaerens) wirbt um die Gunst der Beurteilung (vergl. § 16). Die Reflexion ist im Falle der Kunstprodukte nicht frei, weil die Wirklichkeit des Objektes, nach Maßgabe eines Begriffes, auf die positive Beurteilung der Schönheit abzweckt (vergl. 229/48-49). Geht es also um die Möglichkeit einer Bestimmbarkeit des Objektes, als Problem einer kontingenten harmonischen Beziehung der Erkenntniskräfte, so stellt sich die Frage nach einem Sachverhalt, der sich am Objekt der Natur zu erfüllen hat. Mit der Möglichkeit einer Beurteilung der Naturprodukte als Schönheit ist die eigentliche Frage der Transzendentalität des Reflexionsprinzips verbunden als Frage nach der Leistungskraft des Geschmacksprinzips. Bevor sich Kant mit der Deduktion des Geschmacksurteils in transzendentaler Rücksicht beschäftigt, gilt es zu klären, in welcher Modalität der Anspruch auf allgemeine Gültigkeit steht.

Viertes Kapitel Untersuchung des vierten Momentes: Von der Notwendigkeit des Wohlgefallens im Geschmacksurteil als analytischer Bestimmung seiner Modalität Mit dem vierten Moment des Geschmacksurteils wird keine weitere das Reflexionsvermögen strukturell fundierende Bestimmung eingeführt; vielmehr betrifft die Modalität einen Sachverhalt, der schon im dritten Moment im Zuge der transzendentalen Grundlegung der Prinzipienidentität des Geschmacksurteils angesprochen wurde: Die notwendige Verknüpfung des Zusammenspiels der Vorstellungskräfte mit einem dieses Spiel begleitenden subjektiven Gestimmtsein· I. Die Modalität des Geschmacksurteils als Problem des Verhältnisses von faktischer Reflexion und idealer Grundstruktur Die Äußerung Kants, man denke sich vom Schönen, "daß es eine nothwendige Beziehung auf das Wohlgefallen habe" (236/62), ist hier irreführend, denn sie suggeriert das Gegebensein eines schönen Gegenstandes, der im Betrachter notwendig ein Wohlgefallen bewirkt.19 Da die Lust aber eine solche ist, die sich allererst mit der Reflexion einstellt, und da ein Gegenstand nur dann als schön bezeichnet wird, wenn die Urteilstätigkeit von Lust begleitet ist, so ist evident, daß die mit der Modalität thematische Beziehung allein die einer notwendigen Beziehung von Reflexionsleistung und Gestimmtsein sein kann, denn über diese legitimiert sich erst eine Prädikation der Schönheit. Ebensowenig trifft die Modalität die Notwendigkeit des Urteilsaktes selbst, denn es gibt keinen

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Dementsprechend interpretiert W.Biemel, der unpräzisen Äußerung Kants folgend: "Wenn mir ein schöner Gegenstand gegeben ist, so löst seine Anwesenheit in mir notwendig eine bestimmte Stimmung, ein Gefühl aus." (S.64, in: "Die Bedeutung von Kants Begründung der Ästhetik") Damit ist die Kausalität dem Gegenstand zugesprochen, welches in diesem Zusammenhang gerade nicht behauptet werden kann, denn "Schönheit ist keine Beschaffenheit des Objects, für sich betrachtet" (347/247).

Die Modalität des Geschmacksurteils

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subjektiv notwendigen Grund für die Urteilsleistung. Angesprochen ist mit dem vierten Moment vielmehr ein Umstand, von dem her sich der Anspruch auf allgemeine Zustimmung aus einer Theorie reiner ästhetischer Reflexion als notwendig bestimmen läßt: Die Kausalität dieser Beziehung soll als ein apodiktisches Moment im Geschmacksurteil herausgearbeitet werden. Das heißt also, wenn ein faktisches Geschmacksurteil vorliegt - oder der Anspruch erhoben wird, daß ein solches vorliegt - , dann soll die Forderung auf Beistimmung anderer durch einen transzendentalen Sachverhalt begründbar sein, der im reinen Geschmacksurteil nicht kontingent, sondern notwendig ist. Kant untersucht hierzu das Verhältnis von faktischer ästhetischer Reflexion und dem im dritten Moment der Analyse freigelegten transzendentalen Bestand des Geschmacksurteils also die Beziehung von dem zweckmäßigen Spiel der Erkenntniskräfte und dem Lustgefühl, welche im Bewußtsein identisch sind (vergl. § 12). Mit der Modalität tritt somit kein neues Strukturmoment zur Theorie des Geschmacks hinzu, sondern vielmehr wird eine als Identität verstandene Korrespondenz als schon zuvor exponiertes fundamentales Strukturmoment wieder aufgegriffen, um über dieses den modalen Charakter des ästhetischen Urteils zu begründen. Analog den Modalkategorien der ersten Kritik trifft die Modalität des Geschmacksurteils nicht das reine Urteilsvermögen selbst, sondern nur das Verhältnis dieses Vermögens zu seinem empirischen Gebrauch (vergl. auch KdV 186/B 266). Nun war die Untersuchung der Relationalität im dritten Moment eine Theorie reiner apriorischer Struktur (ideale Grundstruktur der ästhetischen Reflexion); es bedurfte dort nicht einer Thematisierung des faktischen Vollzuges, denn dort wurde in der Analyse eine transzendentale Grundlegung der Möglichkeit ästhetischer Reflexion überhaupt geleistet. In diesem Abschnitt ist jedoch ein Fall von Reflexion thematisch, in dem sich die Struktur bereits funktionell artikuliert hat. Deshalb sagt Kant: In einem Geschmacksurteil sei die Notwendigkeit nur exemplarisch zu nehmen (vergl. 237/62). Exemplarisch deshalb, weil das faktische Urteil zwar als repräsentativ für, nicht aber als identisch mit einem in der Analyse als rein erörterten Geschmacksurteil verstanden werden kann. Das Geschmacksurteil wird, indem es sich als Geschmacksurteil ankündigt, als artikulierte Potenz ästhetischer Reflexion begriffen, also als ein Fall eines zuvor in seiner apriorischen Struktur untersuchten Prinzips.Das Moment, von dem her es sich als Fall begreifen kann, ist nun jener Sachverhalt, um dessen modalen Charakter es hier geht: Der notwendige Bezug des Zusammenspiels der Kräfte auf das Wohlgefallen. Das faktische Urteil wird als "Beispiel einer allgemeinen Regel" angesehen, "die man nicht angeben kann" (237/63). Also nicht, weil das Urteil als Beispiel einer allgemeinen

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Von der Notwendigkeit des Wohlgefallens im Geschmacksurteil

Regel behauptet wird, kann auf eine notwendige Beistimmung von jedermann bestanden werden, sondern deshalb, weil sich der Urteilende im faktischen Urteil auf eine kausale Verknüpfung mit seinem Gestimmtsein beruft, welche, wie im dritten Moment gezeigt werden konnte, eine wesentliche Bestimmung ästhetischer Reflexionstätigkeit ist; dies ist der Grund, weshalb eine faktische Reflexion sich als Beispiel eines reinen Geschmacksurteils versteht und die Beistimmung anderer fordert. Das Urteil ist exemplarisch im Moment dieser notwendigen Verknüpfung, weil die Notwendigkeit in dem Urteil exemplarisch für einen dem reinen Geschmacksurteil wesentlich notwendigen Sachverhalt ist. Dieser ist zwar in dem Sinne Regel, daß bei harmonischer Beziehung der Kräfte Lust auftritt, aber nicht darin Regel, daß sich der Urteilende vorgängig an ihr orientieren könnte. Das Auftreten der Reflexionsstimmung hebt das faktische Urteil allererst in den Status des Regelhaften, d.i. des exemplarischen Beispiels.20 "Diese Lust muß nothwendig bei jedermann auf den nämlichen Bedingungen beruhen, weil sie subjective Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntniß überhaupt sind, und die Proportion dieser Erkenntnißvermögen, welche zum Geschmack erfordert wird, auch zum gemeinen und gesunden Verstände erforderlich ist, den man bei jedermann voraussetzen darf." (292-293/155)

So heißt es auch bei Kant weiter: "Man wirbt um jedes andern Beistimmung, weil man dazu einen Grund hat, der allen gemein ist; [...]" nämlich den einer notwendigen Beziehung der Reflexion auf die subjektive Verfassung - "[...], wenn man nur immer sicher wäre, daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beifalls richtig subsumirt wäre"; d.h. sich allein von diesem Sachverhalt her verstehen könnte (237/63-64). Hier ist nicht gemeint, daß die Urteilskraft von der reflektierenden Funktion in einen Akt der Subsumtion wechseln würde, sondern der Anspruch des faktischen Urteils auf Beispielhaftigkeit wird über einen Bezug auf die notwendige Verknüpfung von subjektivem Handlungsvollzug und subjektivem Gestimmtsein begründet. Diese Regelhaftigkeit in der reinen Reflexion ist nicht etwas, das den Reflexionsprozeß determinierend ausrichten könnte. Es ist ein Umstand, der dann in Anschlag gebracht wird, wenn der Urteilsakt schon vollzogen wurde. Lediglich das ausweisbare Kriterium einer Modalität ist gefordert und nicht ein Konstitutiv für die Möglichkeit,

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Wenn wir in unsere Interpretation die Äußerungen Kants zum Gemeinsinn aus dem Deduktionsabschnitt § 30/40 in das vierte Moment einarbeiten, so geschieht dies in der Überzeugung, daß damit der sachliche Zusammenhang nicht verfälscht wird, sondern vielmehr das Argument Kants zur Modalitätsbestimmung des Geschmacksurteils deutlicher hervortritt.

Die Theorie des Gemeinsinns als Fundierung des Notwendigkeitsanspruches

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überhaupt ästhetisch urteilen zu können. Die Analyse des Geschmacksurteils kann diese Regelhaftigkeit aus einer apriorischen Kausalität heraus begründen; der Urteilende hingegen kann sich nur auf das empirische Faktum eines regelmäßigen Auftretens berufen. II. Die Theorie eines Gemeinsinns als Fundierung des Notwendigkeitsanspruches des Wohlgefallens Der Anspruch auf Beistimmung anderer ist hiermit über den Aufweis des apriorischen Grundes des Wohlgefallens, des harmonischen Zusammenspiels der Vorstellungskräfte, durch die Erörterung der transzendentalen Struktur seitens der Philosophie begründet, und er kann rechtmäßig imperativisch vorgetragen werden. Aber es liegt ein Moment möglicher Irritation darin, daß nicht garantiert werden kann, daß das Wohlgefallen ursprünglich aus genau dieser Kausalität resultiert; denn im faktischen Urteil stellt sich - im Gegensatz zur theoretischen Grundlegung eines reinen Geschmacksurteils - das Problem, daß der Urteilende bei der Bewertung eines Gegenstandes auf dessen Gegenwart angewiesen ist, und diese ist nur durch Affektion gegeben. Eine Analyse bloßer Potentialität ästhetischer Reflexion stellt das Geschmacksurteil in einer Unabhängigkeit von Reiz und Rührung dar, doch diese Reinheit kann nicht der faktischen Reflexion zukommen. Die Lust kann deshalb auch als die Wirkung einer das Subjekt affizierenden Gegenständlichkeit aufgefaßt werden. Die Notwendigkeit im Geschmacksurteil ist dann nur "bedingt" (237/63), also dem Anspruch nach gebunden an eine nicht überprüfbare Prämisse und deshalb im nur subjektiven Status. Daß sich in der Lust an der Reflexion eine apriorisch notwendige Kausalität artikuliert hat, dies ist dann lediglich die Meinung des sich seiner Aktivität im Urteilsakt bewußten Urteilenden. Diese Meinung ist freilich nicht unbegründet, denn es ist durchaus möglich, daß im faktischen Urteil die Lust aus einer zweckmäßigen Relation der Vorstellungskräfte resultiert, daß sie also eine Wirkung aus dem freien Spiel dieser Kräfte ist (vergl. 238/65). Die von dieser Möglichkeit her zu begründende Idee eines "Gemeinsinns" (238/65) ist damit nicht eine objektive Regel, an der sich die Reflexion ausrichten könnte, sondern bedeutet eine Regelmäßigkeit, die in ihrem Auftreten als Spezifikum ästhetischer Reflexion transzendental begründet ist, einem Grund also, welcher "nur durch Gefühl und nicht durch Begriffe, doch aber allgemeingültig bestimme, was gefalle oder mißfalle" (238/64). Kants Argument ist also nicht, daß das Geschmacksurteil dadurch in Differenz zu einem bloß subjektiven Spiel der Vorstellungskräfte (vergl. 238/65) stünde, daß die im Spiel befindlichen Kräfte vom Charakter der

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Von der Notwendigkeit des Wohlgefallens im Geschmacksurteil

Allgemeinheit wären, sondern vielmehr, daß die Stimmung des Subjektes im Reflexionsakt aus einer spezifischen, eine Lust bewirkenden Proportionalität dieser Kräfte resultieren kann - einer Proportionalität, der die Stimmung des Subjektes adäquat ist. Wenn sich nämlich, so Kants Argument, eine bestimmte Relation der Kräfte im Subsumtionsakt der Urteilskraft für die Objektivation eines Begriffs als notwendig erweist, dann muß ein Wohlgefallen, welches mit der Urteilstätigkeit einhergeht, auf einer dieser Proportion korrespondierenden Relationalität beruhen; die Lust tritt dann an die Stelle des Begriffs. "Sollen sich [...] Erkenntnisse mittheilen lassen, so muß sich auch der Gemüthszustand, d.i. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt, und zwar diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntniß zu machen, allgemein mittheilen lassen: weil ohne diese als subjective Bedingung des Erkennens das Erkenntniß als Wirkung nicht entspringen könnte. [...] Aber diese Stimmung der Erkenntnißkräfte hat nach Verschiedenheit der Objecte, die gegeben werden, eine verschiedene Proportion. Gleichwohl aber muß es eine geben, in welcher dieses innere Verhältniß zur Belebung [...] die zuträglichste für beide Gemüthskräfte in Absicht auf Erkenntniß [...] überhaupt ist; und diese Stimmung kann nicht anders als durch das Gefühl [...] bestimmt werden." (238-239/65-66)

Damit ist für die Annahme eines Gemeinsinns nicht ein harmonisches Zusammenspiel die Voraussetzung, sondern lediglich die Behauptung einer jeder möglichen Relationalität der Kräfte korrespondierenden Stimmung des Subjektes. Weder wird im vierten Moment behauptet, der Gemeinsinn müsse allein für die Zusprechung der Schönheit in Anspruch genommen werden (auch die Aussage, das Objekt sei nicht schön, ist ein Geschmacksurteil und appelliert an den Zuspruch anderer), noch wird behauptet, daß die Annahme des Gemeinsinns eine konstituierende Bedingung der Möglichkeit des Geschmacksurteils ist. Das Postulat eines solchen Sinnes gründet vielmehr in einer transzendentalen Reflexionspotenz des Subjektes. Die Annahme eines sensus communis ist damit eine Konsequenz aus der Theorie ästhetischer Reflexionsmöglichkeit und nicht ein weiteres Strukturmoment, das die Möglichkeit zur ästhetischen Reflexion fundiert.21 Sie ist der Ausdruck der Kausalität eines transzendental begründeten Sachverhaltes, des die Lust bewirkenden Spiels der Erkenntnisvermögen in der

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Vergl. W.Biemel, "Kants Begründung der Ästhetik", S.64: "Der Gemeinsinn tritt nicht noch als ein Vermögen hinzu."

Die Theorie des Gemeinsinns als Fundierung des Notwendigkeitsanspruches

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Reflexion. Es geht also allein um die Modalität des Wohlgefallens im Geschmacksurteil und nicht um eine Bedingung, unter der allererst geurteilt werden kann. Deshalb hängt auch die Möglichkeit der Reflexion nicht von dieser Idee ab, sondern lediglich der Anspruch des Urteilenden als Ausdruck seines Selbstverständnisses im eigenen Handeln, das sich nicht von der Zustimmung oder Ablehnung anderer, sondern aus einer Autonomie der Reflexion heraus versteht. Der Urteilende fordert von anderen, eine subjektive Potentialität zu realisieren, d.i. geschmacklich, unter Berufung auf die Kausalität in der Reflexionsleistung - den Gemeinsinn - , auf den Gegenstand zu reflektieren. "Ich [...] sage, daß der Geschmack mit mehrerem Rechte sensus communis genannt werden könne, als der gesunde Verstand; und daß die ästhetische Urtheilskraft eher als die intellectuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes ('sensus communis aestheticus'/vergl. Fußnote 2 9 5 / 1 6 0 / J P ) führen könne, wenn man ja das Wort Sinn von einer W i r k u n g d e r b l o ß e n Reflexion auf das G e m ü t h brauchen will: denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust." (295/160, Hervorhebung JP)

Der Urteilende fordert, daß sich andere in ihrer Beurteilung eines Gegenstandes auf einen apriorischen und damit allen gemeinsamen formalen Grund ihres Gefühls berufen - auf die Kausalität des Spiels der Erkenntnisvermögen - und damit seinem gegebenem Beispiel fiir ein Geschmacksurteil folgen. Es wäre hierbei unangemessen, den Anspruch auf Beistimmung durch einen Verweis auf die Allgemeinheit der beim Urteil im Spiel befindlichen Kräfte zu stützen, denn daß hier allgemeine Erkenntniskräfte im Spiel sind, das ist Ergebnis der philosophischen Analyse und kein dem alltäglich Urteilenden verfügbares Argument. Argument ist allein die phänomenal gegebene Korrespondenz von Reflexionstätigkeit und subjektivem Gestimmtsein, und damit ein Umstand, von dem her eine faktische Reflexion von jedermann als Beispiel für ein Geschmacksurteil verstanden werden kann. "Allein hier ist nicht die Rede vom Vermögen des Erkenntnisses, sondern von der D e n k u n g s a r t, einen zweckmäßigen Gebrauch davon zu machen: welche, so klein auch der Umfang und der Grad sei, wohin die Naturgabe des Menschen reicht, dennoch einen Mann von e r w e i t e r t e r Denk u n g s a r t anzeigt, wenn er sich über die subjectiven Privatbedingungen des Urtheils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzt und aus einem a l l g e m e i n e n Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den S t a n d p u n k t anderer versetzt) über sein eigenes Urtheil reflectirt." (295/159)

Dies ist eine "Maxime der Urtheilskraft" (295/160), die den Anspruch auf

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Von der Notwendigkeit des Wohlgefallens im Geschmacksurteil

Beistimmung verständlich macht. Daß sich der mit Berufung auf einen sensus communis in Anspruch genommene Standpunkt als Maxime formulieren muß, ist ein Reflex der Bedingtheit der subjektiv notwendigen Forderung nach Beistimmung anderer. Denn das potentiell das Spiel der Erkenntniskräfte irritierende Moment eines Angewiesenseins auf die Affektion durch den Gegenstand bewirkt im Spiel eine "Stimmung [...] der Erkenntnißkräfte nach Verschiedenheit der Objecte, die gegeben werden, eine verschiedene Proportion" (238/66). Es konnte daher wohl innerhalb einer Untersuchung des durch die Analyse von affektionellen Komponenten gereinigten Geschmacksurteils gesagt werden, daß die Reflexion auf eine allgemeine Beistimmung notwendig Anspruch macht, aber diese Konzeption hat nur den Charakter eines ideellen Bezugsmomentes. Deshalb ist auch ein Gemeinsinn, der auf einer immanenten Kausalität im reinen Geschmacksurteil insistiert, selbst nur "idealische Norm" (239/67). Aber in diesem ideellen Status ist der Kausalbezug von Reflexion und Gestimmtsein eindeutig bestimmt; auf der Ebene faktischer Urteilsleistung ist darum die Modalität nur subjektiv-notwendig, dies unter der Voraussetzung eines Gemeinsinnes, der, als objektiv-notwendig vorgestellt, selbst nichts anderes als das prinzipiierte Vermögen der Reflexion ist (vergl. 239/66): so daß, "wenn man nur sicher wäre," unter dieses Prinzip "richtig subsumirt zu haben" (239/67), die Forderung auf allgemeine Beistimmung sich auf ein allgemeines subjektives Prinzip gründen würde, das in seinem Status einem objektiven Prinzip ähnlich wäre. Diese allgemeine Regel bleibt dennoch selbst bloß "unbestimmte Norm" (239/67) eines Gemeinsinnes, denn das reine Geschmacksurteil ist bloßes ideelles Produkt der analytischen Erörterung, nie eine dem faktischen Urteil vorgelagerte Regel, von der her das Urteil eine normativ determinierende Wirkung empfangen könnte. Aus dem im vierten Moment dargestellten und transzendental begründeten Verhältnis von faktischer und reiner Reflexion im Geschmacksurteil kann die Erklärung gefolgert werden: " S c h ö n i s t , was ohne Begriff als Gegenstand eines Wohlgefallens erkannt wird." (240/68)

nothwendigen

Die Analyse des Schönen ist mit diesem Ergebnis auf die phänomenale Ebene faktischer ästhetischer Reflexion zurückgekehrt. Das Geschmacksurteil ist in seinen phänomenalen Beständen transzendental fundiert und gemäß der Kategorientafel in seinen vier charakteristischen Momenten bestimmt; aus ihnen konnten die vier Erklärungen des Schönen gefolgert werden. Eine Fundierung der phänomenalen Bestände im Geschmacksurteil erklärt aber noch nicht die Leistung der ästhetischen Reflexion in Rücksichtauf den beurteilten Gegenstand. Über die in der Analyse

Die Theorie des Gemeinsinns als Fundierung des Notwendigkeitsanspruches

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geleistete Darstellung der transzendentalen Struktur dieses Vermögens hinaus bedarf es deshalb einer Deduktion, welche das Geschmacksurteil unter dem Aspekt seines Objektbezuges thematisch werden läßt. Hierzu muß die Reflexion - und insbesondere die Einbildungskraft - in anderer Weise als durch eine Analyse der Subjektivität erörtert werden.22

32

Von einer Interpretation der Theorie des Erhabenen (§ 23-29) werden wir aus folgendem Grund absehen: Nur wenn man die Ansicht vertritt, das Wesen der ästhetischen Reflexion bestehe darin, das Spiel der Erkenntniskräfte zu transzendieren (indem sie sich auf die Vernunft bezieht), kann die Analyse des Urteilsprinzips in seiner Artikulation anläßlich der Zweckwidrigkeit der Form eines Gegenstandes für die Urteilskraft (vergL 245/76) als eine Fortbestimmung des ersten Buches interpretiert werden (vergl. Bartuschats Untersuchung "Zum systematischen Ort", S.118: "Das Erhabene nun als Gegenstand der ästhetischen Urteilskraft macht an dieser deutlich, daß jedes Transzendieren einer realisierten Form von Gegenständlichkeit der Urteilskraft wesentlich ist, daß ihr somit ein Gegenstand zukommt, der nicht die begrenzte Form hat, die sich im faktischen Urteil realisieren läßt, sondern der gerade ein Transzendieren dieser Formen meint") Dieser Interpretationsansatz ist aber problematisch, denn sofern behauptet wird, die Reflexion habe die Tendenz, sich auf die Vernunft zu beziehen (wenn auch mit der Einschränkimg: als "ein Urteil, das nicht schon an etwas ausgerichtet ist, um dessen willen es einsetzt" /ebd., S.130), müßte die im zweiten Abschnitt der Kritik der ästhetischen Urteilskraft vorgestellte Dialektik (§ 56, 338-339/232-234) als ein wesentliches Moment des Prinzips der Urteilskraft verstanden werden. Dies widerspricht jedoch, wie wir zeigen werden, der Darstellung Kants: nicht die ästhetische Urteilskraft gerät in einen dialektischen Widerstreit (es gibt keine Dialektik, "welche den Geschmack angehen könnte", 338/232), sondern die Vernunft (di. eine "Dialektik der Kritik des Geschmacks", 338/232). Wir verstehen die Theorie des Erhabenen deshalb als die Erörterung eines Typus ästhetischer Reflexion, dessen wesentlicher Charakter darin besteht, daß die Urteilskraft ihr Prinzip nicht zur Geltung bringen kann.

Fünftes Kapitel Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils Einleitend in die Problematik einer Deduktion des reinen ästhetischen Urteils hebt Kant hervor, daß der Nachweis der Rechtmäßigkeit eines Anspruches des Geschmacksurteils auf Allgemeinheit genau für den Fall ein notwendiges Verfahren darstellt, wenn sich dieser Anspruch hinsichtlich eines Sachverhaltes geltend macht, den die Analyse der Subjektivität nicht in den Blick bringt, d.i. der im Medium ästhetisch-reflektierenden Urteilens geleistete und als zweckmäßig qualifizierte Objektbezug. Der Urteilende bezieht sich dabei auf das kontingente Gelingen einer harmonischen Vermittlung von Erkenntniskräften in Auseinandersetzung mit einem empirischen Gegenstand.23 Das Urteil wird als eine Aussage über das Wohlgefallen an der Form des Objektes verstanden, dem deshalb an Stelle eines objektiven Begriffs das Prädikat der Schönheit zugesprochen wird: "Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine Gültigkeit für jedes Subject bedarf als ein Urtheil, welches sich auf irgendein Princip a priori fußen muß, einer Deduction (d.i. Legitimation seiner Anmaßung), welche über die Exposition desselben noch hinzukommen muß, wenn es nämlich ein Wohlgefallen oder Mißfallen an der F o r m d e s O b j e c t s betrifft." (279/131)

Als transzendentales Prinzip muß die Urteilskraft darum so bestimmt 23

In diesem Zusammenhang versucht P.Heintel, die Deduktion des ästhetischen Urteils über die beiden ersten Kritiken näher zu analysieren. Im Gegensatz zur Kritik der reinen Vernunft geht es in dieser Deduktion, wie Heintel S.120 hervorhebt, "1.) nicht um Begriffe a priori und 2.) nicht darum, wie Begriffe auf Objekte bezogen werden", - wohl aber geht es nach unserer Überzeugimg 1.) um ein a priorisches Prinzip und 2.) darum, wie dieses Prinzip transzendentales Prinzip der Qualifikation einer Subjekt-Objekt Relation sein kann. Die Deduktion trifft hierin die Problematik, wie und daß jeder relational-ästhetische Bezug sich notwendig von diesem Prinzip her verstehen lassen muß. Und zwar nicht so, daß die zu vermittelnde Spannimg zwischen den Relaten schon immer als a priori vermittelt gedacht wird, sondern so, daß das Prinzip diese Vermittelbarkeit selbst zum Gegenstand hat. Die Deduktion ist also nicht allein Problem der Theorie, sondern Problem der faktischen Reflexion: Es gilt, aus Spontaneität etwas einzubringen, das, sofern dies geschieht, notwendig dieses Prinzip in Anspruch nimmt und nicht, wie in der objektivierenden Philosophie, als Prinzip spontaner Konstitution schon immer eine notwendige Vermittlung eingebracht hat.

Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

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werden, daß ihr nicht bloß eine Kausalität in Hinblick auf die Verfassung des Subjektes zukommt, sondern daß sie dann eine Wirkung auf die Verfassung des Subjektes hat, wenn sie sich in dem Objektbezug als Prinzip eigener Identität zur Geltung gebracht hat, wenn also das Wohlgefallen eine Lust am Gegenstand ist. Ein in dieser Rücksicht deduziertes Wohlgefallen führt die im dritten Moment als Zweckmäßigkeit vorgestellte spezifische Struktur des Geschmacksurteils aus einem Bereich subjektiver Immanenz in den transzendentalen Bereich des Gegenstandsbezuges hinüber. Das reine Geschmacksurteil -wird deshalb als apriorische Bedingung eines von Lust begleiteten Bezuges auf empirische Gegenständlichkeit deduziert. Die ideale Grundstruktur ist damit nicht mehr nur der Erklärungsgrund für ein subjektimmanentes Phänomen, sondern für das, was im Urteil über einen Gegenstand behauptet wird. Die Deduktion greift damit eine Spannung auf, die eine methodische Konsequenz des analytischen Verfahrens ist: Die im Aufweis der vier Momente geleistete Abstraktion vom Objekt legt den subjektiven Aspekt der ästhetischen Reflexion frei und stellt die Gegenständlichkeit als jenen Restbestand der Analyse vor, um den es in der faktischen Reflexion eigentlich geht, nämlich als die besondere Konkretion eines Objektes, das als schön beurteilt wird. Diese wurde bislang lediglich als der Bezugspunkt der Reflexion angeführt, ohne daß der Sachverhalt faktischer Bezugsmöglichkeit positiv herausgearbeitet wäre. Zwar gab Kant im dritten Moment die Theorie einer schönen Form, jedoch nicht in Hinblick auf ein der Subjektivität Entzogenes; er leitete sie vielmehr aus dem Moment harmonischer Bezüglichkeit der Vorstellungskräfte ab. Die Theorie eines subjektimmanenten harmonischen Spiels war leitend für den Begriff der schönen Form. Von dem reinen Geschmacksurteil her konnte die schöne Form als Grund apriorischer Lust bestimmt werden. Im faktischen Urteil ist die Reflexion aber nicht rein, und dennoch soll die Lust auf einen apriorischen, mit der Idealstruktur einer Reflexion vorgestellten Grund zurückführbar sein. Hiermit ist die Frage nach der Vermittelbarkeit des ursprünglich Unvermittelten gestellt, dessen Vermitteltsein sich nicht durch einen Verweis auf immanente Kräfte begreifbar machen läßt: Thema einer Deduktion des ästhetischen Urteils ist, wie Lust als Index für einen Bezug gedacht werden kann, der die Subjektivität transzendiert. Allgemeine Gültigkeit, in der Modalität der subjektiven Notwendigkeit, kommt als Anspruch in den Blick, der die Bedingung spezifischer Objektbezogenheit berücksichtigt: Das Prinzip muß einen von Wohlgefallen begleiteten Bezug auf besonderes Konkretes legitimieren können.

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Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

I. Das Naturschöne als Gegenstand des Geschmacksurteils Legte die Analytik bislang dar, daß das Geschmacksurteil seiner subjektiven Möglichkeit nach in einer Autonomie reflexiver Urteilstätigkeit gründet, also in der Eigenständigkeit eines prinzipiierten Aktus aufweisbar ist, dessen Funktionalität von äußeren Komponenten unabhängig und eben deshalb Prinzip eigener Identität ist, so gilt es nun den Nachweis zu führen, daß die Reflexion transzendental ist, d.h. als Prinzip eines zu beurteilenden Bezuges auf Gegenständlichkeit tauglich. Die Deduktion der Transzendentalität dieses Prinzips soll also zeigen, daß es eine qualifizierte Vermittlung subjektimmanenter Kräfte leistet und damit einen vermittelnden Bezug zum Objekt ermöglicht, wobei die Möglichkeit eines solchen qualifizierbaren Bezuges in der Artikulation dieses Urteilsprinzips gründet. Die Lust an der Reflexionsleistung tritt erst unter dem Aspekt der Transzendentalität des Prinzips so auf, wie sie vom urteilenden Subjekt verstanden wird, nämlich als Lust an einer spezifischen Bezugsmöglichkeit zum Gegenstand. Das, was als Lust erfahren wird, ist die Beziehung auf etwas, was nicht schon immer im Begriff des Subjektes enthalten ist, d.h. auf einen von dem Subjekt unabhängigen Gegenstand der Anschauung in seiner besonderen Konkretion: "Dergleichen sind die Geschmacksurtheile über das S c h ö n e t u r." (279/131, Hervorhebung JP)

der

Na-

Der Urteilskraft soll also nicht ein selbstgenügsames Prinzip zukommen, das um seiner selbst oder einer intellektuell begründeten Lust willen Funktionalität hat, sondern sie ist ein Vermögen des Subjektes, welches sich im Medium dieses Prinzips auf von dem Subjekt ursprünglich Verschiedenem soll beziehen können. Gerade weil das ideale Verhältnis der Erkenntniskräfte als Harmonie in der faktischen Reflexion kontingent ist, kann die reflektierende Urteilskraft überhaupt als qualifizierendes Prinzip auftreten. Wäre die Reflexionslust in der Weise a priori begründet, daß das Subjekt sich auf seine Potentialität zurückziehen könnte, um die Lust zu empfinden, also auf ein Können, in dem es nur sich selbst begegnet, so müßte potentiell jeder Gegenstand als schön zu beurteilen sein und das Prinzip würde sich als Prinzip der Qualifikation eines Verhältnisses zum Objekt ad absurdum führen. Nun ist die von Kant im dritten und vierten Moment erörterte Struktur des Prinzips keine Logik bloß subjektiven Ge-stimmtseins oder objektiven Be-stimmtseins, denn nicht die einzelnen Relate bedingen einander qualitativ, sondern die Möglichkeit ihrer spezifischen Relation bestimmt die Vorstellung des Gegenstandsbezuges. Mit der transzendentalen Frage bezieht sich die kritische Untersuchung des Schönen auf den ihr wesentlichen Problembereich, nämlich als Frage

Die Subjektivierung des Fonnbegriffs

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nach einer Vermittlung differenter Momente, deren Vermitteltsein nicht einen bloßen Selbstbezug anzeigt. Die in der Reflexion geleistete Bezüglichkeit des Differenten soll als ein Sachverhalt verständlich werden, in dem das Subjekt nicht als bloß in eigenen Strukturen verharrend auftritt, sondern im Medium dieser Strukturen einen Bezug auf Anderes leistet. Die Deduktion eines als transzendental zu bestimmenden Prinzips reflexiver Bezüglichkeit auf Anderes ist nur dort ein Problem, wo dieses Andere als etwas vorgestellt ist, das nicht vorgängig von der Möglichkeit dieses Bezuges her verstanden werden kann, sondern das diesem Bezug gegenüber gleichgültig ist. Deshalb ist nicht das Kunstschöne Problem einer Deduktion, sondern das Naturschöne, als der Bereich, "der der Subjektivität ursprünglich entzogen ist".24 Rechnet jede Kunst auf die Gunst des Urteilenden, indem sie auf die zu erwartende, positiv zu qualifizierende Bezugsmöglichkeit verweisen darf, so entzieht sich die Natur diesem Zugeständnis. Eine Reflexion soll an dem geleistet werden, das nicht in Rücksicht auf die Bezugsmöglichkeit gedacht werden kann, denn nur "alsdann" hat die Zweckmäßigkeit" doch im Objecte und seiner Gestalt ihren Grund" (279/131), ohne daß die Weise des spezifischen Gestaltetseins in einem vorgängig durch das Subjekt gesetzten Zweck begründet wäre, dem das zu Beurteilende bloß subsumiert werden müßte. II. Die Subjektivierung des Formbegriffs Das Problem der Lust a priori an einer als zweckmäßig aufgefaßten Gestalt des Objektes stellt sich in der Deduktion in doppelter Weise: Einerseits soll sie aus einer apriorischen Struktur des Geschmacksurteils, wie sie in der Analyse der vier Momente als Harmonie der Erkenntnisvermögen exponiert wurde, deduzierbar sein, d.h. eine in dieser Harmonie als zweckmäßig für Erkenntnis überhaupt aufgefaßte Beziehung gilt es als transzendentalen Grund eines von Lust begleiteten Objektbezuges zu legitimieren; andererseits soll diese Beziehung der Vermögen für etwas stehen, das der Subjektivität genuin entzogen ist, d.h. für eine Form des Objektes, an welche die Möglichkeit der Harmonie gebunden ist. Aber, und hierin liegt das eigentliche Problem dieser Deduktion, die subjektive Verfassung kann nicht aus der bloßen Affektion durch das Objekt resultieren. Die Form des Objektes kann deshalb nicht als eine materielle Eigenschaft des Gegenstandes verstanden werden, als eine Sachlichkeit, die der spontanen Reflexion vorgängig wäre. Ebensowenig ist diese Form bloß

14

W.Bartuschat, "Zum sytematischen Ort", S.134

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Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

als ein Produkt der Subjektivität aufzufassen.25 Sowenig wie die Reflexion eine Sachlichkeit begründet, sowenig begründet eine Sache die Reflexion als lustvollen Urteilsakt. Vielmehr ist mit der Reflexion eine spezifische Bezugsweise zum Objekt eingeleitet, und durch diese ist überhaupt erst die Frage nach dem Formaspekt gestellt. Was sich durch die Reflexion am Gegenstand zeigt, ist etwas, dessen Erscheinen erst durch das ästhetische Verfahren dieses Urteils ermöglicht wird. Die ästhetische Lust ist ein Wohlgefallen an der Bezugsmöglichkeit zum Gegenstand, in welcher der Begriff einer "Form" des Objektes ursprünglich vom formalen Aspekt der Vermittelbarkeit subjektimmanenter Kräfte her seinen Sinn bezieht. Deshalb ist das ästhetische Wohlgefallen auch kein unmittelbares Wohlgefallen an der Form oder an der subjektimmanenten Harmonie, sondern es ist ein Wohlgefallen an der " A u f f a s s u n g dieser Form" (Hervorhebung JP), sofern "sie dem V e r m ö g e n sowohl der Begriffe, als dem der Darstellung derselben (welches mit der Auffassung eines und dasselbe ist) im Gemüth sich gemäß zeigt, [...]." (279/131)

Vermittels der Artikulation des Urteilsprinzips hat der Urteilende allererst das Kriterium für "Form". Somit verfügt das Subjekt allein in diesem Aktus über die Bezugs- und die in Anschlag gebrachte Qualififazfionsmöglichkeit als Vermögen zur Kontemplation und Beurteilung einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck, denn sowohl die Kontemplation als auch der Qualifikator sind analytisch aufgewiesene Merkmale des Geschmacksurteils, als in dem freien Spiel der Vorstellungskräfte enthalten. Damit liegt in der Reflexion als Relationalität von Einbildungskraft und Verstand die Bedeutung von "Form" und die Möglichkeit eines auf formale Aspekte der Naturobjekte gerichteten Bezuges. Das Subjekt ist in der ästhetischen Reflexion deshalb spontan, weil: 1.) durch sie die Relation zum Gegenstand gesetzt ist, 2.) durch sie das Qualifikationskriterium im freien Spiel der Kräfte, als deren zweckmäßiger Bezug, gegeben ist und 3.) im Falle einer harmonischen Beziehung dieser Kräfte sie eine notwendige Lust bewirkt. Das Objekt ist aber "Grund der Zweckmäßigkeit", da es aus der Kontingenz seines Ursprungs als Naturprodukt sich diesem spontan in Anschlag gebrachten Vermögen der Beurteilung nicht verschließt: In der kontemplativen Auffassung, dem "Spiel der Einbildungskraft in ihrer Freiheit" (350/253), gelingt ein zweckmäßiger Bezug zum Vermögen der Begriffe und damit eine Proportionalität für eine Erkenntnis überhaupt, welche als lustvoll empfunden

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Vergl. zum Formbegriff auch G.Kohler, "Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung", Kap. V, besonders § 18b)

Die SubjekÜvierung des Fonnbegriffes

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wird und worin die Schönheit des Gegenstandes gründet. Die Auffassung der Form folgt aus dem Verhältnis der Erkenntnisvermögen und wird nach Maßgabe einer Möglichkeit der Vermittlung subjektimmanenter heterogener Kräfte bestimmt. Der Formbegriff wird also von der Struktur einer Harmonie der Erkenntniskräfte her entfaltet, die in dem Prinzip der Reflexion gründet. Es geht deshalb bei der Auffassung der Form nicht um eine Theorie rezeptiven Bezuges, sondern um eine Möglichkeit spontaner Bezüglichkeit.26 Asthe-

24

Th.E.Uehling interpretiert in seiner Untersuchung: "The Notion of Form in Kanfs Critique of Judgment" (The Hague/Paris 1971) den Formbegriff auf der Grundlage einer Textanalyse der beiden Fassungen der transzendentalen Deduktion der Kritik der reinen Vernunft und gelangt zu der Überzeugung: "The fact that a given manifold is arranged in such a way that the imagination would project the same form in accordance with rules leads us to call the object represented a thing of beauty. [...] It is a pleasant surprise to find that the figure or play of a manifold of sensations is the same form that the manifold would have if it were arranged solely in conformity with the rules of thought in general, In fact, it strikes us a s i f it were so arranged." (S.86/87) Uehling versucht das Wohlgefallen am Schönen zwar über das Verhältnis eines transzendentalen Sachverhalts (dem Spiel der Erkenntniskräfte) und der Reflexion des Subjektes auf diese Beziehung zu begründen, aber er verfehlt diese Absicht in doppelter Hinsicht: 1.) Er behauptet, die Einheit des Mannigfaltigen in der Auffassung des Gegenstandes wäre seine Eigenschaft als Form. Diese Interpretation des Fonnbegriffs ist die Folge des Versuchs, das Prinzip der Reflexion von dem objektivierenden Urteilsakt her zu deuten. Aber gerade in der transzendentalen Deduktion weist Kant darauf hin, daß die Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung in der Spontaneität des Subjektes gründet, wodurch uns allererst ein Gegenstand gegeben ist (vergl. KdV Ak.-Text Bd. IV, 91/A 124). Uehling vertritt demgegenüber die verfehlte Ansicht, von der transzendentalen Deduktion her lasse sich belegen, daß die Zusammensetzlang des Mannigfaltigen rezeptiv zugänglich wäre; hierzu Kant: "Alle Vorstellungen, die eine Erfahrung ausmachen, können zur Sinnlichkeit gezählt werden, eine einzige ausgenommen, d.i. die des Zusammengesetzten, als eines solchen. Da die Zusammensetzung nicht in die Sinne fallen kann, sondern wir sie selbst machen müssen: so gehört sie nicht zur Receptivität der Sinnlichkeit, sondern zur Spontaneität des Verstandes, als Begriff a priori" ("Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolfs Zeiten in Deutschland gemacht hat?", Ak.-Text Bd.XX, 275-276/A 52). Somit ist vor einer Konstitution von Einheit in der Anschauung die Ausssage, "a given manifold is arranged", nicht sinnvoll; und in Bezug auf die vollzogene Konstitution des Objektes kann die Einheit des Mannigfaltigen, die Uehling dem Gegenstand zuspricht, nur die Gegenständlichkeit überhaupt betreffen, nicht aber den besonderen Gegenstand, für den der Formbegriff (als ein spezifischer Terminus der ästhetischen Reflexion) begründet werden muß. 2.) Uehling verdeckt dieses Problem, indem er sich in seinen Beispielen für vermeindlich ästhetische Formen des Besonderen auf Kunstprodukte (z.B. Bachs Messe in h-Moll) bezieht (vergl. S.60/61), bei welchen vorausgesetzt werden muß, daß sie als besondere Objekte zur Einheit des Mannigfaltigen konstitutiert sind. Was Uehling an ihnen aber demonstriert, das ist nicht die Ästhetizität der Form des Besonderen, sondern vielmehr eine objektivierbare Logizität in der zeitlichen Abfolge: 'Such a formal pattern is that which could harmonize with a purely formal rule of thought or concept. Such a formal pattern is what the entity in the

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Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

tisches Wohlgefallen im Geschmacksurteil ist demgemäß Lust an der Realisierbarkeit eines durch Spontaneität eingebrachten allgemeinen apriorischen Reflexionsprinzips für den Gegenstandsbezug. III. Die logische Dialektik einer scheinbaren Objektivität im Geschmacksurteil Die Möglichkeit geschmacklicher Reflexion gründet damit in einem formalen Aspekt im Urteil. Die Komponenten im Urteil sind die Erkenntniskräfte. Von der Beziehung dieser Kräfte her versteht sich der Urteilsakt: Urteilen ist diese Beziehung selbst, als die Vermittlung der Spannung der Vorstellungskräfte. Der Urteilsprozeß ist das Zusammenspiel dieser Vermögen: die Erfahrung einer Vermittelbarkeit des genuin Differenten. Das Prinzip ist das der Setzung einer Relation, in der sich etwas erfüllt, dessen Erfüllung nicht erwartet werden kann. Die mögliche Adäquatheit der Form des Objektes ist nur in dieser prinzipiierten Reflexionleistung aufweisbar. Hierfür kann es keinen anderen Beweisgrund geben als die gelungene Reflexion selbst (bzw. den durch den Urteilenden geleisteten Urteilsakt). Demgemäß stellt sich die erste Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils als Allgemeinheitsanspruch eines einzelnen Urteils im Status des Als-ob einer Gegenstandsbestimmung dar. "Das Geschmacksurtheil bestimmt seinen Gegenstand in Ansehung des Wohlgefallens (als Schönheit) mit einem Ansprüche auf j e d e r m a n n s Beistimmung, als ob es objectiv wäre." (281/136)

Schönheit wird prädiziert wie eine Eigenschaft des Gegenstandes. Kant rückt dieses Phänomen in den Problembereich einer Deduktion, wenn er sagt: "Denn darin besteht eben das Geschmacksurtheil, daß es eine Sache nur nach derjenigen Beschaffenheit schön nennt, in welcher sie sich nach unserer Art sie aufzunehmen richtet." (282/136)

Das, was die Schönheit eines Gegenstandes ausmacht, ist kein objektivierbarer Sachverhalt, sondern ein solcher, der lediglich relationalen Bestand hat. Unsere Art ihn aufzunehmen, ist hier ein Richtmaß, das allein in der Momentaneität des Bezuges Geltung hat. Das Urteil sagt damit nicht

imagination and the understanding have in common." Daß diese Formalität die Grundlage der Harmonie der Erkenntniskräfte bestimmen soll, ist nicht mehr als eine psychologisch-spekulative Behauptung.

Die logische Dialektik einer scheinbaren Objektivität

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etwas nur über den Gegenstand oder nur über den Urteilenden, sondern etwas über Subjekt und Objekt zugleich. Es ist eine Aussage über eine Relation, in der die Beschaffenheit des Gegenstandes qua Form als relativ auf die Verfassung des Subjektes bezogen verstanden ist. Die Art relationaler Bezüglichkeit kann daher nicht durch Beweisgründe bestimmt werden, die jenseits dieser Relation stehen. Das Als-ob einer Objektivität behauptet nicht etwa eine Beschaffenheit, die sogleich als nur scheinbar wieder zurückgenommen würde, sondern es stellt einen Aspekt am Objekt heraus, der diesem in der Relation zukommt. Das Objekt wird in einer spezifischen Eigenschaft vorgestellt, aber es hat diese nur in der Immanenz dieser spezifischen Beziehung des Subjektes auf das Objekt: in der ästhetischen Reflexion. Mit der zweiten Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils betrachtet Kant das andere Relat des Bezuges, das Subjekt. "Das Geschmacksurtheil ist gar nicht durch Beweisgründe bestimmbar, gleich als ob es bloß s u b j e c t i ν wäre." (284/140)

Es ist in dieser Weise charakterisiert, weil es keine Instanz außerhalb der Relation als Bestimmungsgrund gibt, der über die Relation hinaus Bestand hätte. "Also giebt es keinen empirischen B e w e i s g r u n d , das Geschmacksurtheil jemanden abzunöthigen." (284/141)

Noch weniger kann "ein Beweis a priori nach bestimmten Regeln das Urteil über Schönheit bestimmen." (141) Jeder Versuch, das Geschmacksurteil zu objektivieren, müßte das Urteil auf das Niveau einer Allgemeinheit heben, in der die Singularität ästhetischer Reflexion negiert wäre. Das Prinzip des Geschmacksurteils ist nicht mehr als ein Prinzip der Qualifizierung von Relationen - apriorische Möglichkeit des Bezuges auf einen Gegenstand und zugleich Instanz der Bewertung des Objektes in dieser Bezugsmöglichkeit. "Man sollte aber denken, daß ein Urtheil a priori einen Begriff vom Object enthalten müsse, zu dessen Erkenntniß es das Princip enthält; das Geschmacksurtheil aber gründet sich gar nicht auf Begriffe und ist überall nicht Erkenntniß-, sondern nur ein ästhetisches Urteil." (282/137)

Das ästhetische Urteil enthält keinen Begriff von einem Objekt, weil ein solcher Begriff ein Ansichsein der Form des Objektes jenseits des reflexiven Bezuges behaupten würde. Aber das Prinzip ist gleichwohl Regel a priori für die Weise, in der innerhalb dieser Relation ein Objekt beurteilt werden kann. Da nicht jeder Gegenstand als schön beurteilt wird, ist die Möglichkeit, ein harmonisches Zusammenspiel der Erkenntniskräfte erzielen zu

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Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

können, subjektiv notwendige, aber objektiv kontingente Bedingung für das Gelingen einer Reflexion. Das, als das das Objekt in der Reflexion als Form vorgestellt wird, ist nicht vom Urteilenden gemacht, es ist in dieser Rücksicht ursprünglich der Willkür des Subjektes entzogen. Die subjektive Urteilsleistung bedingt einen prinzipiierten, reflexiven Zugang zum Objekt; dieser ist jedoch nicht konstitutiv für die Form des Objektes. Aus diesen Eigenschaften des Geschmacksurteils folgt zum einen, daß es einen transzendentalen Grund gibt, von dem her sich der Allgemeinheitsanspruch der Gegenstandsbeurteilung begreifen läßt - und als auf diesen versteht sich der Urteilende bezogen - und zum anderen, daß, in Ermangelung eines objektivierbaren Kriteriums für geschmackliche Beurteilung, sich jeder nur im Vertrauen auf das eigene Talent darauf berufen kann, diese Urteilsleistung erbracht zu haben (vergl. 282-283/137-139). Die durch diese beiden Eigentümlichkeiten vorgestellte Dialektik ist keine Dialektik der Vernunft. Es geht nicht um einen Totalitätsanspruch, sondern allein um das Problem einer Objektivierbarkeit im Rahmen einer analytischen Bestimmung des Geschmacksurteils als Medium der Gegenstandsbeurteilung in seinem Verhältnis zum Verstand. Die Dialektik ist daher eine logische Gegensätzlichkeit und keine transzendentale. Die logische Widersprüchlichkeit liegt darin, daß die auf die Objektivität der Beurteilung gerichtete Logik die Tendenz zeigt, die Relate nicht als Relate, sondern als freie, voneinander unabhängige Komponenten zu behandeln. Auf diese Weise gerät das Prinzip der Bezüglichkeit, die Urteilskraft, aus dem Blick. Urteilsprozesse, vom Verstand aus als Prinzip bestimmt, sind aber bloße Subsumtionsakte, in denen allgemeine Aussagen gemacht werden, die die Singularität momentaner Bezüglichkeit nicht betreffen. Die transzendentale Kritik fragt jedoch nicht nach dem logischen Status der Aussage, sondern (und dies allemal im Themenbereich einer Deduktion) nach der Bedingung der Möglichkeit zweistelliger Relationalität. Diese gründet in einem subjektiven Prinzip, das als Bedingung von Bezüglichkeit genuin die Relate als Relate faßt, also als etwas, das in einem Bezug auf anderes steht und nur hinsichtlich der Möglichkeit eben dieses Bezuges betrachtet werden soll. "Mit der [...] transscendentalen Kritik haben wir es hier überall allein zu thun. Sie soll das subjective Princip des Geschmacks, als ein Princip a priori der Urtheilskraft, entwickeln und rechtfertigen." (286/144)

Ist das Prinzip Thema, so ist die Beziehungsmöglichkeit Thema, und man muß den Anspruch auf Allgemeingültigkeit aus der Beziehung der Relate entwickeln. Aus der Sicht objektivierender Philosophie, also unter der Voraussetzung, daß die Urteilstätigkeit vom Verstand prinzipiiert ist, gibt es kein objektives Prinzip, denn das Urteil über das Schöne ist kein

Durchführung der Deduktion

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Subsumtionsprozeß, in dem auf die Beschaffenheit des Objektes geschlossen werden könnte (vergl.§ 34). Der Bestimmungsgrund ist kein Begriff, sondern er ist der Zustand des Subjektes als Indikation für eine bestimmte Qualifikation in der Relation. Der Bestimmungsgrund des Urteils kann nicht "von der Kraft der Beweisgründe, sondern nur von der Reflexion des Subjects über seinen eigenen Zustand (der Lust oder Unlust) mit Abweisung aller Vorschriften und Regeln" erwartet werden (285-286/143). Die subjektive Stimmung des Urteilenden ist als Index für eine spezifische Relation der Erkenntnisvermögen vorgestellt worden. Folglich kann die Deduktion nicht nach Maßgabe objektivierender Prinzipien erfolgen; sie muß sich vielmehr auf diesen Sachverhalt beziehen. "Das Princip des Geschmacks ist das subjective Princip der Urtheilskraft überhaupt" (286/145), und als ein solches ist es zu deduzieren: als die Bedingung der Möglichkeit ästhetischer Erfahrung - und zugleich als Bedingung der Möglichkeit ästhetischer Gegenstandserfahrung, die Form des Objektes betreffend. IV. Durchführung der Deduktion auf der Grundlage der Kausalität des Spiels der Erkenntnisvermögen Kant beginnt seine Deduktion mit einem Hinweis auf den in der ersten Kritik deduzierten Sachverhalt, daß mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes unmittelbar die Erkenntnis von einem Gegenstand überhaupt erzeugt wird. Dieses Verfahren war in seiner Möglichkeit bedingt durch apriorische Begriffe (Kategorien), durch die spontan eine Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung geleistet wurde. Die Faktizität objektiven Denkens wurde vorausgesetzt. Zu deduzieren war allein die Möglichkeit einer Objektivation, und das geschah durch den Nachweis, daß jede Objektivierung notwendig in der Artikulation apriorisch kategorialer Strukturen gründet. "Mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes kann unmittelbar der Begriff von einem Objecte überhaupt, von welchem jene die empirischen Prädicate enthält, zu einem Erkenntnißurtheile verbunden und dadurch ein Erfahrungsurtheil erzeugt werden." (287-288/147)

Analog dieser Deduktion der Kategorien wird dem Geschmacksurteil ein Prinzip a priori zugesprochen, nämlich: "Mit einer Wahrnehmung kann aber auch unmittelbar ein Gefühl der Lust (oder Unlust) und ein Wohlgefallen verbunden werden, welches die Vorstellung des Objects begleitet und derselben statt Prädicats dient, und so ein ästhetisches Urtheil, welches kein Erkenntnißurtheil ist, entspringen." (288/147)

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Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

Bemerkenswert an dieser Analogie sind die Momente, welche aus einem transzendentalen Grund synthetisch aus der Beziehung auf die Anschauung hervorgehen: Ein Erfahrungsurteil ist dann "erzeugt" (ursächlich transzendental bedingt), wenn mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes unmittelbar ein Begriff verbunden wird. Ein ästhetisches Urteil "entspringt" (ursächlich transzendental bedingt), wenn mit einer Wahrnehmung unmittelbar ein Wohlgefallen verbunden wird. Diese aus der Spontaneität der Subjektivität bewirkte Lust vertritt im Geschmacksurteil die Stelle des Begriffs. Auf der Basis dieser immanenten Kausalität ist die Deduktion zu begreifen. Die Ursache der Lust ist nach dieser Analogie im Status der Allgemeingültigkeit behauptet.27 Dies ist nach dem vierten Moment der Analyse dadurch gerechtfertigt, daß das artikulierte Prinzip einer möglichen Bestimmbarkeit der subjektiven Verfassung transzendental ist und sich die Beurteilung im konkreten Fall von einer allgemeinen apriorischen Kausalität des Reflexionsprinzips her begreifen läßt. Die Behauptung, es liege ein Geschmacksurteil vor, verweist demnach auf den Tatbestand, daß ein Prinzip α priori zur Geltung gebracht ist, welches sich über die Wirkung seiner Artikulation auf die subjektive Verfassung als Geschmacksurteil zu erkennen gibt Nur unter der Bedingung dieser kausalen Beziehung besteht die Forderung auf Zustimmung zu Recht, denn nur ein Wohlgefallen, welches aus einer transzendentalen Kausalität begründet ist, kann als invariant gegenüber Privatbedingungen behauptet werden. In diesem Sinne ist es ein Urteil a priori, daß ich einen Gegenstand schön finde, weil die Möglichkeit, diese qualifizierende Prädikation zu leisten, subjektiv notwendig an die apriorische Wirkung des prinzipiell begründeten Kräftespiels gebunden ist. Dies ist ein durch die bisherige Analyse des Schönen aufgewiesener Tatbestand, auf den sich die Deduktion bezieht. Einem Geschmacksurteil, "[...] wenn es nicht bloßes Empfindungs-, sondern ein formales Reflexionsurtheil ist, welches dieses Wohlgefallen jedermann als nothwendig ansinnt, muß etwas als Princip a priori zum Grunde liegen, welches allenfalls ein bloß subjectives sein mag (wenn ein objectives zu solcher Art Urtheile unmöglich sein sollte), aber auch als ein solches einer Deduction bedarf, damit begriffen werde, wie ein ästhetisches Urtheil auf Notwendigkeit Anspruch machen könne." (288/147-148)

27

Der Begriff der Unmittelbarkeit bezieht sich nach unserer Überzeugung allein darauf, daß das Produkt der Synthesis nicht auf empirischen Gründen beruht, denn es ist evident, daß sowohl die Begriffskonstitution vermittels eines Schemas der Einbildungskraft als Doktrin der bestimmenden den Urteilskraft sich vollzieht, wie auch die ästhetische Reflexion sich im Medium des freien Spiels der transzendentalen Sinnlichkeit bewegt.

Durchführung der Deduktion

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Vor der Durchführung der Deduktion hebt Kant noch einmal hervor, was im Geschmacksurteil von einem Gegenstand a priori behauptet wird, um deutlich zu machen, daß die Deduktion auf diesen Sachverhalt gerichtet ist. Es geht nicht darum, ob "die Vorstellung von einem Gegenstande unmittelbar mit einer Lust verbunden sei" (289/149) - dies Lust wäre eine Wirkung des Gegenstandes. Es geht hier allein um eine Lust an einer Gegenstandsvorstellung, die "vor allem Begriffe" (und damit auch in Differenz zum moralischen Gefühl) "unmittelbar mit der bloßen Beurtheilung [...] verbunden sein soll" (289/149). Die allgemeine, prinzipielle Ursache dieser Lust - und nicht die bloße Empfindung allein - ist das Moment, von dem her sich das Geschmacksurteil versteht und in welcher Rücksicht die Deduktion der geschmacklichen Beurteilung eines Naturobjektes durchgeführt wird: "Also ist es nicht die Lust, sondern die A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t d i e s e r L u s t , die mit der bloßen Beurtheilung eines Gegenstandes im Gemüthe als verbunden wahrgenommen wird, welche a priori als allgemeine Regel für die Urtheilskraft, für jedermann gültig, in einem Geschmacksurtheile vorgestellt wird. Es ist ein empirisches Urtheil: daß ich einen Gegenstand mit Lust wahrnehme und beurtheile. Es ist aber ein Urtheil a priori: daß ich ihn schön finde, d.i. jenes Wohlgefallen jedermann als nothwendig ansinnen darf." (289/150)

Legte die Analyse des Schönen in ihrem dritten Moment dar, daß die Lust im Reflexionsakt ein Index für eine spezifische Relation von Erkenntnisvermögen ist, sich also als Lust von einem diese Empfindung verursachenden transzendentalen Sachverhalt her begründen läßt, so war diese Analyse zunächst nicht mehr als eine Exposition des reinen Geschmacksurteils, mit dem die Urteilskraft sich als Prinzip einer Qualifikationsmöglichkeit zeigt. Lust als Index für eine Qualifizierung ist in dieser Gestalt eine solche, die unmittelbar nicht mit der Vorstellung eines Gegenstandes, sondern mit der bloßen Beurteilung verbunden ist. Die ästhetische Reflexion behauptet also etwas über die mögliche Bestimmbarkeit des Gegenstandes, auf der Grundlage eines sich in der Lustempfindung als realisiert anzeigenden faktischen Geschmacksurteils. Das "Prädikat des Wohlgefallens" versteht sich demgemäß zwar als Prädikat eines einzelnen Urteils, denn ob etwas sich als bestimmbar qualifizieren kann, kann nur an einer "gegebenen einzelnen Vorstellung", also von Fall zu Fall, entschieden werden. Wenn aber eine Vorstellung vom Gegenstand hinsichtlich der bloßen Beurteilung der Form von Wohlgefallen begleitet ist, und wenn die Beurteilung der Form allein im Medium der "formalen Regeln der Beurtheilung", also der "subjectiven Bedingungen des Gebrauchs der Urtheilskraft", geleistet werden kann (vergl. 290/150-151), dann ist die Bedingung

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Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

dieser Beurteilung eine Bedingung, die bei allen Menschen vorausgesetzt werden kann. Eine als reines Geschmacksurteil in der Erörterung der Momente entwickelte ideale Grundstruktur muß als im faktischen Urteil realisiert angenommen werden; ein die Kausalität der Relation der Vorstellungskräfte ist ein Indiz für diesen Sachverhalt: "[...] so muß die Übereinstimmung einer Vorstellung mit diesen Bedingungen der Urtheilskraft als für jedermann gültig a priori angenommen werden können." (290/151)

Die Deduktion beruht damit auf folgender Argumentation: 1.) Es gibt, wie die Untersuchung zeigte, ein Urteilsprinzip, dessen Identität in einer Kausalität des Kräftespiels gründet, wodurch der phänomenale Bestand eines Anspruchs auf notwendigen Allgemeingültigkeit sich durch die Theorie eines reinen Geschmacksurteils begründen läßt. 2.) Eine Analyse des Geschmacks erfordert aber mehr als nur den Aufweis einer subjektiven Potentialität. Es ist der Nachweis zu erbringen, daß in der Beurteilung eines Gegenstandes der Natur diese Potentialität zur Geltung gebracht werden kann, sodaß eine faktische Reflexion als objektqualifizierende Urteilsleistung von der Theorie einer idealen Grundstruktur des Geschmacksurteils her verständlich wird. 3.) Wenn ein ästhetischer Bezug auf ein Objekt, d.i. die Reflexion über dessen Form, eine Relation der Erkenntniskräfte ermöglicht, und wenn diesen Reflexionsakt Wohlgefallen begleitet, dann läßt sich dieses Phänomen durch das analytisch aufgewiesene Urteilsprinzip begründen, wodurch sich der Anspruch auf notwendige Allgemeinheit legitimiert. Die Lust an dem Verhältnis "der an der vorgestellten Form des Objects wechselseitig untereinander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes" (291/152) ist das in der Deduktion vorgebrachte Argument, weil es auf die "Richtigkeit des Princips" (291/152) verweist, auf das sich der Urteilende in der Reflexion über die Form des Objektes beruft. Die Aussage Kants, daß "wir unter diese Bedingung das gegebene Object ('Object' meint hier nach unserem Verständnis die faktische Reflexion /JP) richtig subsumirt haben", kann deshalb nicht meinen, daß wir es von einer Allgemeinheit (als Regel oder Begriff) her bestimmt haben, sondern lediglich, daß wir es von der in der Analyse aufgewiesenen Kausalität der Prinzipienstruktur her als realisierten Fall eines Geschmacksurteils verstehen. Im Hinblick auf die Gegenständlichkeit, deren Form Kant zunächst in den Vordergrund der Deduktion stellt, gilt folgendes: Durch das in der Analyse aufgewiesene Prinzip ist die Möglichkeit vorgestellt, überhaupt in qualifizierbare Relation zum Gegenstand zu treten, d.h. das Subjekt kann potentiell einen reflexiven Urteilsakt vollziehen, dessen Gelingen im Sinne einer harmonischen Beziehung der Erkenntnikräfte im Objektbezug jedoch

Durchführung der Deduktion

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kontingent ist. Aber, und dies ist entscheidend, die Erkenntniskräfte als transzendentale Relate stehen bei der Artikulation des Prinzips nicht in einem Bezug zueinander, der die Beziehung auf den Gegenstand konstituiert, sondern der Gegenstand steht durch die Zweckmäßigkeit seiner Form - durch die an ihm realisierte Proportionalität der Kräfte - in seiner Qualifikation als schön in Frage. Das heißt, das Urteilsprinzip ist in der faktischen ästhetischen Reflexion auf den empirischen Subjekt-Objekt-Bezug appliziert, und die transzendentale Frage ist die Frage nach einer Möglichkeit, im Zuge dieser Applikation die der idealen Grundstruktur eines harmonischen Zusammenspiels zugesprochene Kausalität in einer Reflexion auf den Gegenstand antreffen zu können. Nicht die Form des Objektes ist hier eigentlich zweckmäßig, sondern das, was aus der Betrachtung dieses Objektes hinsichtlich seiner Form im Subjekt sich vollzieht. Die Zweckmäßigkeit ist von der Kausalität des harmonischen Spiels her fundiert. Dieser Begriff einer Zweckmäßigkeit ist transzendental aus einem formalen Aspekt der Subjektivität heraus bestimmt, ohne Kategorie zu sein, als Begriff für einen kausalen Zusammenhang in der Immanenz der Subjektivität - aus einer graduell erreichten Harmonie im Spiel der Erkenntniskräfte, welche als Lust empfunden wird. Ob diese Harmonie graduell erreicht wird, ist weder aus einer Theorie der Leistungskraft der Subjektivität noch aus objektiven Bestimmungen des Gegenstandes deduzierbar. Aber sofern sie erreicht wurde - und auf diesen Fall bezieht sich die Deduktion (als Legitimation des Anspruchs, ein Geschmacksurteil gefällt zu haben) -, stehen die Momente beider Relationen (Subjekt-Objekt auf der Ebene des empirischen Bezuges und Verstand-Einbildungskraft in der Sphäre subjektiver Immanenz) in einem als zweckmäßig zu qualifizierenden Bezug. Wenn diese Möglichkeit aber in einem Bezug auf das Objekt entfaltet werden kann, dann kann mit Recht die Form des Objektes zweckmäßig und das Objekt schön genannt werden, obgleich ihm diese Eigenschaft nur im Rahmen der ästhetischen Reflexion zukommt. Aber mehr wird im Geschmacksurteil auch nicht behauptet, denn Schönheit ist allein eine relationale Prädikation, die jenseits ästhetischer Erfahrung nicht in Anspruch genommen wird. Das Geschmacksurteil ist deshalb auch nicht objektivierbar, denn das in dieser Analyse angesprochene Problem einer Bedingung der Möglichkeit apriorischer Lust richtet sich nicht darauf, wie die Gegenstände des Urteils ihrem Dasein nach zweckmäßig sein können, sondern darauf, wie die Objekte nach einem subjektiv-apriorischen Prinzip als zweckmäßig aufgefaßt werden können. Die Deduktion betrifft allein die Rechtmäßigkeit eines im Geschmacksurteil erhobenen Anspruches und damit die Frage nach der Leistungskraft eines subjektiven Prinzips der Möglichkeit einer Beurteilung von etwas in der Qualifikation einer Zweckmäßigkeit, die sich über die Kausalität eines subjektimmanenten Spiels von Erkenntniskräften begreifen läßt. Lust realisiert sich in Bezug auf Anderes, ohne,

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Die transzendentale Deduktion des Geschmacksurteils

daß dieses Andere Grund der Lust ist,·28 es veranlagt lediglich die Artikulation einer im Subjekt aufgewiesenen Kausalität - einer Kausalität, die ein Geschmacksurteil ursprünglich charakterisiert. Dieser Sachverhalt kann in Rücksicht auf eine Integration des Prinzips und des Resultats der ästhetischen Reflexion in den Interessenkontext der Erkenntnisvermögen Verstand und Vernunft auf einen teleologischen Aspekt bezogen werden; nämlich dann, wenn es darum geht, einen objektiven Grund der Möglichkeit des Geschmacksurteils anzugeben; würde aber die Frage lauten: "Wie ist es möglich, die Natur als einen Inbegriff von Gegenständen des Geschmacks a priori anzunehmen? so hat diese Aufgabe Beziehung auf die Teleologie, weil es als ein Zweck der Natur angesehen werden müßte, der ihrem Begriffe wesentlich anhinge für unsere Urtheilskraft zweckmäßige Formen aufzustellen. Aber die Richtigkeit dieser Annahme ist noch sehr zu bezweifeln, indeß die Wirklichkeit der Naturschönheiten der Erfahrung offen liegt." (291/152-153)

Das Faktum des Geschmacksurteils weist anscheinend auf die Teleologie, und es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die Urteilskraft (als ein eigenständiges Prinzip) zur Vernunft (als dem Vermögen der Zweckbegriffe) steht. War die Vernunft in der Dialektik der ersten Kritik das Prinzip einer Identität des Verstandes, welche über die Theorie des Ideals die Durchgängigkeit einzelner Verstandeshandlungen bedingt, so stellt sich hier, vor einer Kritik der an Zweckbegriffen orientierten Reflexion, die Frage nach einem Absoluten, welches die ursprünglich in einzelnen Urteilen ausgewiesenen ästhetischen Reflexionen (ebenso wie zuvor den Verstand in seinen Handlungen) einigt und so einem Begriff von Totalität als Bedingung der Möglichkeit geschmacklicher Beurteilung führt. Die im Anschluß an die Analytik des ästhetischen Urteils vorgestellte Dialektik betrifft demnach die Frage nach einem möglicherweise der Urteilskraft übergeordneten Prinzip, dessen Anspruch sie sich in Rücksicht auf ihre Durchgängigkeit auf Kosten ihres autonomen Status unterwerfen müßte.

38

Hierzu S.Klausen: "Was Kant, so wie eigentlich alle ästhetisch Urteilenden voraussetzt, ist daß ein ästhetisches Urteil, das mit Recht allgemeine Beistimmung fordern könnte, möglich ist (nicht daß es wirklich ist). Was er durch die Deduktion geben will, ist die Erklärung der Möglichkeit eines solchen Urteils. Durch die Beziehving auf die Bedingung jeder besonderen Erkenntnis kommt dann die allgemein mögliche Lösimg eines durch die Analyse aufgegebenen Problems zustande." ("Grundlinien", S.12)

Zweiter Abschnitt Die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft als Behauptung ihres autonomen Prinzipienstatus gegenüber der Vernunft

Erstes Kapitel Die Antithetik der ästhetischen Reflexion Kant leitet die Dialektik der ästhetischen Urteilskraft mit der Darlegung der Bedingung ein, unter der es allein sinnvoll ist, hier von einer Dialektik zu sprechen. "Eine Urtheilskraft, die dialektisch sein soll, muß zuvörderst vernünftelnd sein; d.i. die Urtheile derselben müssen auf Allgemeinheit und zwar a priori Anspruch machen: denn in solcher Urtheile Entgegensetzung besteht die Dialektik." ( 3 3 7 / 2 3 1 )

Dieser zweite Abschnitt scheint oberflächlich betrachtet nicht mehr zu sein als eine redundante Untersuchnung der Frage nach der Berechtigung des Geltungsanspruches der ästhetischen Reflexion, die ja schon als Problem des zweiten Momentes in der Analytik behandelt wurde und nun, um willen einer Aufrechterhaltung der Architektonik des kritischen Geschäftes, hier noch einmal unter dem Titel einer Dialektik behandelt wird.29 Es zeigt sich jedoch, daß diese Ansicht das Selbstverständnis Kants verfehlt. Der Gegenstand dieser Dialektik ist nicht eine in der Analytik schon geklärte Antithetik zwischen Reflexionsanspruch und logischem Status als Problem eines Anspruchs der ästhetischen Urteile auf Allgemeingültigkeit, sondern es geht um eine "Dialektik der K r i t i k des

29

Vergl. hierzu auch J.H.von Kirchmann, "Erläuterungen zu Kants Kritik der Urteilskraft", S.62 : "Kant musste seinem Schema zu Liebe auch eine Dialektik in seiner Aesthetik haben, mochte der Gegenstand sich dazu eignen oder nicht. Deshalb wurde auch die Antinomie hier gleichsam bei den Haaren herbeigezogen, und die ganze Dialektik ist hier nur eine Wiederholung der früheren Auseinandersetzung, wie das Schöne allgemein gefallen könne, obgleich es sich nicht auf Begriffe gründet."

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Die Antithetik der ästhetischen Reflexion

Geschmacks (nicht des Geschmacks selbst)" (337/232), welche sich "auf der Basis des geklärten Begriffs des Geschmacks"30 als Antinomie formulieren läßt: "Der hier aufgestellten [...] Antinomie liegt der richtige Begriff des Geschmacks, nämlich als einer bloß reflectirenden ästhetischen Urtheilskraft, zum Grunde [...]." (341/238)

I. Formulierung der Dialektik des Geschmacksurtals aus einem Anspruch der Vernunft Die hier thematische Spannung von subjektivem Bestimmungsgrund und Allgemeinheitsanspruch ist nicht mehr als genuines Problem eines ästhetischen Reflexionsaktes formuliert - als Frage nach dem transzendentalen Grund, von dem her sich dieser Anspruch seinem phänomenalen Auftreten nach als Geschmacksurteil versteht - , sondern die Antinomie vollzieht sich in änem Prozeß des "Vernünfteins" (vergl. 337/231), der wie die Antinomie der beiden anderen Kritiken darin gründet, daß die Vernunft bestrebt ist, "mit sich selbst einstimmig" zu werden (vergl. 341/239). So wenig in der ersten Kritik dem Verstand eine ursprüngliche Dialektik zukommt, so wenig auch hier der reflektierenden Urteilskraft. Es handelt sich bei dieser Dialektik deshalb auch nicht um einen Widerstreit der ästhetischen Urteilskraft mit sich, sondern um "eine Antinomie der Vernunft in Ansehung des ästhetischen Gebrauchs der Urtheilskraft" (345/244). Eine Dialektik liegt allein dort vor, wo die Vernunft in Hinblick auf den empirischen Gebrauch dieses Vermögen eine Totalität fordert, d.i. ein Unbedingtes, von dem her vereinzelte Prozesse des Denkens (Bestimmung oder Reflexion) prinzipiiert, also in Kontinuität gebracht werden sollen. Es stellt sich ein antinomischer Widerstreit der Vernunft immer dann ein, wenn Vermögen obere Prinzipien a priori haben, diese Vermögen also "[...] gemäß einer unumgänglichen Forderung der Vernunft nach diesen Principien auch u n b e d i n g t müssen urtheilen und ihr Object bestimmen können." (345/244)

Also gerade weil die Urteilskraft ein eigenständiges Prinzip ist, wird von der Vernunft ein Anspruch auf absolute Unbedingtheit an die ästhetische Reflexion erhoben. Wie in jeder Dialektik der kritischen Philosophie liegt 30

J.Kulenkampff, "Kants Logik des ästhetischen Urteils", S.157. Es handelt sich also bei dieser Antinomie keineswegs um ein Mißverständnis in Ansehung des Geschmacksurteils, wie P.Heintel meint (vergl. "Die Bedeutung der Kritik", S.124).

Formulierung der Dialektik des Geschmacksurteils

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ein Widerstreit der Prinzipien darin begründet, daß um einer Durchgängigkeit willen, angesichts eines Bezuges auf Anschauung, Totalität eine Forderung der Vernunft ist. Weder führt eine Unaufmerksamkeit in eine Antithetik, noch gibt es eine Dialektik dort, wo die Prinzipien unabhängig von ihrem Gebrauch vorgestellt werden. Sie stellt sich allein dort ein, wo die Totalisierung der Prinzipien ein transzendentales Erfordernis ist, als Notwendigkeit, "über das Sinnliche hinaus zu sehen und im Übersinnlichen den Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen a priori zu suchen" (341/239). Dieser Vereinigungspunkt ist eben dann Problem, wenn sich die Kontinuität mannigfaltiger einzelner Urteile als Problem des Bezuges auf Erscheinungen stellt, weil jedes Urteil über das Schöne eine Reflexion über eine einzelne konkrete Erscheinung ist, wobei das Gelingen der Vermittlung der heterogenen Kräfte Einbildungskraft und Verstand an eine Beziehungsmöglichkeit des Subjektes auf die kontingente Form des Objektes geknüpft ist.31 Aus der Perspektive der Vernunft muß es für diese Vermittelbarkeit einen unbedingten (d.h. nicht von dem faktischen Urteilsprozeß und dem jeweiligen Gegenstand abhängigen) Grund geben, als absolute Bedingung der Möglichkeit einer ästhetischen Reflexion über Gegebenes bzw. als "Grund der Möglichkeit der Geschmacksurtheile überhaupt" (337/232). Dieser Grund kann nicht in dem Moment liegen, welches das Urteil als ein einzelnes auszeichnet, also nicht in seiner in der Analytik aufgewiesenen Qualität. Nur dort kann in Hinblick auf ein höchstes Prinzip "vernünftelt" werden, wo eine Universalität artikuliert ist, und diese liegt in der Quantität des Urteils: Mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit in der Reflexion verknüpft sich für die Vernunft als Vermögen absoluter Prinzipien aber nicht mehr nur die Frage nach kontingenter Vermittelbarkeit von Sinnlichkeit und Verstand, als ein immanentes Problem der Subjektivität (wie in der Analytik); vielmehr soll ein faktisches Vermitteltsein sich von einem Sachverhalt absolut notwendiger Vermittelbarkeit her begründen lassen, "[...] da denn die Vernunft, sofern sie über diese Principien selbst und ihren Gebrauch urtheilt, in Ansehung ihrer aller zu dem gegebenen Bedingten unnachläßlich das Unbedingte fordert [...]." (345/243-244)

Die in dieser Dialektik angesprochene Notwendigkeit betrifft nicht die Kausalität des Spiels der Erkenntniskräfte in Ansehung eines bewirkten

31

J.Kulenkampff, "Kants Logik des ästhetischen Urteils", S.157: "Auszugehen ist dabei davon, daß das reine Geschmacksurteil, obwohl es nichts über Gegenstände aussagt, sich doch so auf einen Gegenstand bezieht, daß mit ihm zu Recht der Anspruch auf Allgemeingültigkeit verbunden, obwohl nicht definitiv eingelöst werden kann."

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Die Antithetik der ästhetischen Reflexion

Wohlgefallens, wie im vierten Moment exponiert; ebensowenig betrifft die Allgemeingültigkeit das Prinzip der Urteilskraft als transzendentalen Grund eines Anspruches auf Allgemeinheit, wie im zweiten Moment exponiert. Dies sind Probleme, die, wie die Analytik gezeigt hat, aus einer Immanenz der Struktur der ästhetischen Reflexion gelöst werden können. Das Problem einer notwendigen Allgemeinheit ist in der Dialektik des Geschmacksurteils als Frage nach dem absoluten Grund seiner Möglichkeit begriffen. Ein in diesem Sinne notwendig gefordertes Absolutes, als ein im Ubersinnlichen angenommenes Drittes, welches als Bedingung der Möglichkeit gelungener Vermittlung von Anschauung und Denken in der ästhetischen Reflexion eingeführt werden soll, entginge dem Vorwurf eines Dogmatismus prästabilierter Harmonie leibnizscher Prägung nicht, stünde dem logischen Status des Geschmacksurteils nicht der subjektive Bestimmungsgrund ästhetischer Reflexion antinomisch entgegen. Dieses Moment der Subjektivität restringiert die Geltung des Geschmacksurteils ebenso ursprünglich auf den konkreten Fall ästhetischer Reflexionsleistung, wie die Quantität der Allgemeinheit die Reflexion in die Nähe einer scheinbaren Objektivität stellt und damit der Vernunft Anlaß gibt, auf ein absolutes Prinzip zu verweisen. Die Genügsamkeit des Geschmacksurteils, diese Spannung durch faktische Vermittlung im einzelnen konkreten Fall durch eine Harmonie im Spiel der Vorstellungsvermögen aufgehoben zu haben, ist der Vernunft unwesentlich. Ihr Bestreben ist das eines prinzipiellen Entscheides der Möglichkeit einer Vermittelbarkeit von absoluter Allgemeinheit. Eben ein solches Absolutes ist Problem, wenn Kant von einer "Antinomie der Principien der Urtheilskraft" (337/232) spricht. Die hier von der Vernunft "jedem Geschmacksurtheile untergelegten Principien" sind "nichts anderes als die oben in der Analytik vorgestellten zwei Eigenthümlichkeiten des Geschmacksurtheils" (339/234): "Das Geschmacksurtheil ist gar nicht durch Beweisgründe bestimmbar, gleich als ob es bloß s u b j e c t i ν wäre." (284/140) "Das Geschmacksurtheil bestimmt seinen Gegenstand in Ansehung des Wohlgefallens (als Schönheit) mit einem Ansprüche auf j e d e r m a n n s Beistimmung, als ob es objectiv wäre." (281/136)

Daß innerhalb der Dialektik diesen aus der Deduktion entnommenen Eigentümlichkeiten der Status eines Prinzips eingeräumt wird, ist kein sachlicher Widerspruch. Es ist vielmehr die Konsequenz der Beziehung der Vernunft auf die ästhetisch reflektierende Urteilskraft. Denn als Prinzipien treten diese Merkmale allein deshalb auf, weil die Vernunft für eine in der Idee prinzipiierte und damit rationalisierte Reflexionstätigkeit Durchgängigkeit fordert: Weil jedes ästhetische Reflexionsurteil ein solches ist,

Auflösung des antinomischen Widerstreites

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das jeder immer neu einbringen muß (vergl. 2.Einl. 191/XLVII), weil mit jeder Reflexion ein neu zu aktualisierendes Prinzip als universelle Regel realisiert wird, sind Reflexionsurteile nicht genuin von einem vorgängigen Prinzip her verständlich zu machen. Das tangiert nicht die Möglichkeit des Geschmacksurteils; dieses ist aber insofern ein Gegenstand der Kritik, als auf diesem Fundament der Analytik ein Anspruch der Vernunft in Hinblick auf einen vom jeweiligen Fall unabhängigen, apriorischen Status der Reflexion formuliert wird. Die Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils werden von der Vernunft als Prinzipien, d.i. als das Unbedingte, von dem her sich rational die Reflexion begreifen läßt, zur Geltung gebracht. Über den möglichen Bezug auf eine Begrifflichkeit ergeben sich die widerstreitenden Positionen von Thesis und Antithesis. ' T h e s i s . Das Geschmacksurtheil gründet sich nicht auf Begriffen; [...]." (338/234)

Das Argument dieser Position ist, daß eine Uneinigkeit zwischen differierenden ästhetischen Reflexionen nicht durch Beweise entschieden werden kann: "Ein bestimmtes objectives Princip des Geschmacks, wonach die Urtheile desselben geleitet, geprüft und bewiesen werden könnten, zu geben, ist schlechterdings unmöglich; denn es wäre alsdann kein Geschmacksurtheil." (341/237-238)

Dieser These wird entgegengehalten: " A n t i t h e s i s . Das Geschmacksurtheil gründet sich auf Begriffen; denn sonst ließe sich ungeachtet der Verschiedenheit desselben darüber auch nicht einmal streiten (auf die nothwendige Einstimmung anderer mit diesem Urtheile Anspruch machen)." (338-339/234)

II. Auflösung des antinomischen Widerstreites Zur Auflösung der Antinomie, welche darauf insistiert, daß "der Begriff, worauf man das Object in dieser Art Urtheile bezieht, [...] nicht in einerlei Sinn genommen" wird (339/234), verweist Kant auf einen Sachverhalt, der in der Deduktion thematisch war, nämlich daß Geschmacksurteile eine solche Beziehung des Subjektes auf einen Gegenstand als einen konkreten betreffen, in der von einer Bestimmung desselben abgesehen wird, wohl aber dessen mögliche Bestimmbarkeit (aufgrund eines zweckmäßigen Spiels der Erkenntnisvermögen untereinander) in den Blick gerät. Im Moment dieser Bestimmbarkeit liegt der Tatbestand des jedem Subjekte möglichen

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Die Antithetic der ästhetischen Reflexion

reflexiven Bezuges auf die Natur, welcher durch eine Analyse der Urteilskraft nicht begründet werden kann, der aber dennoch für die Vernunft der Erklärung bedarf. Zur Erklärung dieser Möglichkeit bedarf es eines Begriffs vom Übersinnlichen, welcher die zweckmäßige Entsprechung von subjektiver prinzipiierter Reflexionsmöglichkeit und kontingenter Objektbeschaffenheit auf ein Absolutes gründet. Denn im Geschmacksurteil ist "[...] eine erweiterte Beziehung der Vorstellung des Objects (zugleich auch des Subjects) enthalten, worauf wir eine Ausdehnung dieser Art Urtheile, als nothwendig für jedermann gründen: welcher daher nothwendig irgend ein Begriff zum Grunde liegen muß; aber ein Begriff, der sich gar nicht durch Anschauung bestimmen, durch den sich nichts erkennen, mithin auch k e i n B e w e i s für das Geschmacksurtheil f ü h r e n l ä ß t . Ein dergleichen Begriff aber ist der bloße reine Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen, das dem Gegenstande (und auch dem urtheilenden Subjecte) als Sinnenobjecte, mithin als Erscheinung zum Grunde liegt." (340/235-236)

Ein so verstandener Begriff ist, als eine Idee, der keine Anschauung korrespondieren kann, unbestimmt, so daß er dem Geschmacksurteil keine begrifflich fundierte Geltung verschafft. Dennoch ist er als Begriff ein solches, worauf sich die Vernunft beziehen kann, um sich die Notwendigkeit eines Allgemeinheitsanspruchs im Geschmacksurteil begreiflich zu machen. Unter diesem Gesichtspunkt ist nicht die Autonomie der Urteilskraft in ihrem reflexiven Bezug auf singular Konkretes durch ein vorausgesetztes Allgemeines gestört, sondern es ist begreiflich gemacht, wieso diese Reflexion als Beziehung möglich ist. Es gibt einen als Idee formulierbaren Grund für die Möglichkeit dieser kontingent gelingenden Beziehung, der als Idee der Vernunft vom Übersinnlichen in die Reflexion selbst nicht hineinspielt. Die ästhetische Reflexion ist somit auf der Metaebene der Dialektik als Prinzip eigener Identität bewiesen. Zugleich ist aber auch die Möglichkeit der Artikulation dieser Autonomie von einer Idee, die den Erscheinungen unterlegt wurde, verständlich gemacht. Die Dialektik ist positiv der Aufweis eines rationalen Begreifens dessen, was auf der Ebene der Reflexion als Geschmacksurteil vorliegt, ohne daß die Reflexion von einer so gefaßten Rationalisierung durch die Vernunft in ihrer Vollzugsmöglichkeit abhinge. Insofern ist die Idee des Übersinnlichen ein Regulativ für ein Begreifenwollen einer Reflexionsleistung, die in ihrem faktischen Vollzug diesem Regulativ gegenüber gleichgültig ist. Das Geschmacksurteil wird in seinem Anspruch auf allgemeine Zustimmung völlig anders begründet als auf der Metaebene der Dialektik. Dies ist kein logischer Widerspruch, sondern im besten Sinn die Behebung eines dialektischen Scheins:

Auflösung des antinomischen Widerstreites

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"[...] das Geschmacksurtheil gründet sich auf einem Begriffe (eines Grundes überhaupt von der subjectiven Zweckmäßigkeit der Natur für die Urtheilskraft), aus dem aber nichts in Ansehung des Objectes erkannt und bewiesen werden kann [...]." (340/236) Daher lautet die Auflösung der Antinomie: "Das Geschmacksurtheil gründet sich nicht auf b e s t i m m t e n Begriffen; [...] obzwar (auf einem/JP) u n b e s t i m m t e n Begriffe [,] (nämlich vom übersinnlichen Substrat der Erscheinungen); und alsdann wäre zwischen ihnen kein Widerstreit." (340-341/237) Mit diesem Ergebnis ist die Vernunft einstimmig mit sich selbst (vergl. 341/239). 3 2

32

J.Kulenkampff, "Kants Logik des ästhetischen Urteils", S.160: "So er- klärt sich also der Sinn der Antinomie des Geschmacks nicht aus der Theorie des Geschmacksurteils, sondern daraus, daß sich eine deutende Vernunft ihres Gegenstandes zu versichern sucht: und die Antinomie verliert das Irritierende dadurch, daß die Vernunft eine sie selber befriedigende und in Funktion setzende Deutung der paradoxen Erscheinung des Geschmacksurteils gibt."

Zweites Kapitel Von der Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft Nun wäre diese Dialektik in der Tat entbehrlich, wenn Kant die Absicht gehabt hätte, in dem ersten Teil der Kritik der Urteilskraft die Subjektivität in einem Freiraum ihres ästhetischen Urteilsvermögens abzuhandeln (im Bereich der Reflexion über das Schöne ist, wie wir zeigten, die Vernunft ein um willen der Autonomie dieser Urteile auszuschließender Faktor). In diesem Fall verbliebe jedoch der erste Teil der dritten Kritik im Status bloßer Exposition und wäre in seinem Charakter als eine Kritik, die es im Rahmen des Systems der Transzendentalphilosophie zu leisten gilt, unverständlich. Wir behaupten daher, daß durch das Auftreten der Dialektik im Rahmen der Behandlung der ästhetischen Urteilskraft dieser erste Teil seinen Charakter als Kritik allererst gewinnt. Und diese Kritik ist unerläßlich, weil die ästhetische Reflexion als Reflexionsurteil die Artikulation eines Vermögens darstellt, das von der Vernunft für mehr in Anspruch genommen wird, als durch den Bereich des Ästhetischen abgedeckt ist. Es ist die Untersuchung eines Vermögens, das als reflektierende Urteilskraft autonom ist, das aber eben in dieser Autonomie neben einem anderen Vermögen auftritt, von dem es als Erkenntnisvermögen nicht losgelöst gedacht werden kann. Daß die Urteilskraft ein eigenständiges Vermögen ist, Prinzip eigener Identität, haben Analytik und Deduktion gezeigt. Daß es in dieser Eigenständigkeit durch die Vernunft für ein theoretisches Problem zum Tragen gebracht werden soll, dies soll in der Dialektik aufgewiesen werden, denn es geht hier um ein Übersinnliches als den "Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen" (341/239). Es geht in dieser Dialektik demnach auch um die Möglichkeit, das Phänomen geschmacklicher Reflexion in Beziehung zu allen Vermögen des Subjektes zu setzen und deren Vereinbarkeit untereinander prinzipiell zu entscheiden. Da sich diese Dialetik aus einem Vernunftanspruch heraus formuliert, tritt die Urteilskraft in ihrer Eigenständigkeit diesem Vermögen entgegen, so daß die Dialektik auch als ein Widerstreit von Prinzipien der Vernunft und der ästhetischen Urteilskraft verstanden werden kann. Wir wollen diese These in Auseinandersetzung mit einem Textabschnitt zur Dialektik aus Odebrechts Arbeit "Form und Geist" argumentativ entwickeln. Odebrecht hebt hervor, "daß es für die originäre ästhetische Reflexion keine Dialektik gibt, sondern nur für die über jene reflektierende Urteilskraft eine Dialektik der Kritik" (S.246), als eine Antinomie, die "eine

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Rechnungsprüfung der auf das Gebiet der Vernunftidee reflektierenden Zetetis darstellt" (S.247), womit "die Dialektik keine andere sein kann, als die, zu der die theoretische Vernunft gekommen ist" (S.248). Diese nach unserer Auffassung adäquate Interpretation des Sachverhaltes wird jedoch in Odebrechts weiteren Ausführungen nicht positiv entwickelt. Die Dialektik wird vielmehr als ein unnützes Beiwerk der Kritik angesehen, das seinen Ursprung allein im "Hang zur Architektonik" (S.249) hat, bei welcher es sich um ein "- logisch äusserst schwach fundiertes - Versteckspiel, an dessen Ende der Leser erfährt, daß beide Sätze wahr sein können" (S.252), handelt. Zentrales Argument für diese Einschätzung ist Odebrechts Meinung, "die Aufstellung einer (objektiven) Dialektik der ästhetischen Unteilskraft widerspricht dem Grundgedanken vom Wesen und der Selbständigkeit der Urteilskraft überhaupt" (S.253). Dieser Sachverhalt scheint ihm unvereinbar mit einer Dialektik, in der die Vernunft sich mit einer Totalitätsforderung auf die Urteilskraft bezieht: "... wenn Stadler die Meinung vertritt, daß das Prinzip der Urteilskraft wenigstens in teleologischer Beziehung "nichts anderes sei als die dritte transzendentale Idee", so hat er in soweit recht, als sich bei Kant mit der Aufstellung einer Dialektik der Urteilskraft im Gegensatz zu seinen Grundanschauungen auch schon in der Ästhetik eine Vermengung beider Gebiete findet. Es entspricht dem Gedanken der "inneren Zweckmäßigkeit", daß in der Gegebenheit des Besonderen - wenn im übrigen die ästhetische Reflexion ihm gegenüber überhaupt in Funktion treten kann - die Möglichkeit auf Ganzheit restlos beschlossen liegt, ohne daß es nötig wäre, transzendierend darüber hinaus zu gehen" (S.253). Diese von Odebrecht als Inkonsequenz Kants verstandene "Vermengung beider Gebiete" ist nun nach unserer Überzeugung gerade wesentliches Merkmal eines kontinuierlich sich vollziehenden Übergangs von der ästhetischen Reflexion zur Teleologie, - eben jenes Bereichs, in dem der Vernunft zufolge der ersten Kritik eine absolute Funktionalität im Hinblick auf die apriorische Bestimmung des Besonderen zugesprochen wurde. Die Dialektik des Geschmacksurteils verschärft deshalb die Frage nach dem Verhältnis von Ideal (also dem Vernunftbegriff, der nach der ersten Kritik eine Beziehungsmöglichkeit auf das Besondere der Natur fundiert) und der reflektierenden Urteilskraft. Keineswegs ist damit, wie Odebrecht befürchtet, eine Autonomie des ästhetischen Reflexionsprinzips preisgegeben, sondern vielmehr steht dieses Prinzip ab ein autonomes einem anderen, dem Prinzip der Vernunft, gegenüber. Der in dieser Antinomie ausgetragene Widerstreit fällt in seiner Aufhebung nicht zu Ungunsten der Urteilskraft aus - im Gegenteil: Die Vernunft wird gegenüber der ersten Kritik in korrigierender Weise in ihrer regulativen Funktion restringiert. Die Urteilskraft bleibt ab Erkenntnisvermögen autonom - sie braucht sich in ihrer Reflexion nicht

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von der Vernunft her durch ein vorgegebenes Absolutes zu verstehen. Die reflektierende Urteilskraft ist als autonomes Prinzip mit der Forderung der Vernunft über ein als "subjectives Princip" (341/238) regulativ gefaßtes übersinnliches Substrat verträglich. In diesem Status transzendentaler Idealität des Begriffs eines Übersinnlichen entgeht die kritische Philosophie dem Dogma prästabilierten Harmonie. Um einer in dieser Weise restringierten Idee des übersinnlichen Substrates willen ist die Dialektik der Vernunft positiv zu bestimmen: "Ohne eine solche Antinomie würde die Vernunft sich niemals zu Annehmung eines solchen das Feld ihrer Speculation so sehr verengenden Princips und zu Aufopferungen, wobei so viele sonst sehr schimmernde Hoffnungen gänzlich verschwinden müssen, entschließen können [...]." (344/243)

Die Affinität der Sachgebiete beider Dialektiken (der ersten Kritik und der reflektierenden Urteilskraft), ausgedrückt durch die explizite Funktionalität des Ideals bei der Bestimmung des Besonderen und der impliziten Erfahrung einer möglichen Bestimmbarkeit des besonderen Konkreten durch das Geschmacksurteil, führt damit nicht in eine "Vermengung beider Gebiete", wie Odebrecht mit Stadler meint, sondern vielmehr in eine Antinomik der Prinzipien. Odebrecht muß darin recht gegeben werden, daß im Gedanken einer "inneren Zweckmäßigkeit" in der "Gegebenheit des Besonderen die Möglichkeit auf Ganzheit restlos beschlossen liegt, ohne daß es nötig wäre, transzendierend darüber hinaus zu gehen". Aber in eben diesem Gedanken liegt ein korrigierendes Moment gegenüber einer in der Dialektik der ersten Kritik formulierten Notwendigkeit des Transzendierens der Erfahrung im Medium des Ideals, als dem funktionellen Begriff zur Möglichkeit einer Erfahrung des Besonderen. Der Widerstreit der Prinzipien ist mit der Dialektik der Urteilskraft vorgestellt als eine Antithetik subjektiv notwendiger Verfahrensweisen, in der der Anspruch der Vernunft, die Artikulationsmöglichkeit des ästhetischen Reflexionsprinzips erst vom Gedanken des Absoluten her begründen zu können, eindeutig abgewiesen wird. Der Gedanke eines Übersinnlichen ist nur Bedingung einer Einstimmigkeit der Vernunft mit sich (vergl. 341/239), nicht aber Bedingung der Möglichkeit ästhetischer Erfahrung. Im ideellen Status ist der Vernunftbegriff nicht mehr in der Weise funktionell gefaßt, daß er transzendentale Bedingung der Realmöglichkeit eines Bezuges auf Besonderes ist - ein subjektiv notwendiges Inventar des Erkenntnisvermögens, sofern sich dieses auf Besonderes soll richten können sondern vielmehr als ein Begriff, der, wie die Dialektik des Ideals zeigte, die Natur in dem besonderen Modus im Bewußtsein vorzustellen erlaubt, unter dem sie schon strukturell im Ideal gefaßt ist. Im kritischen Wissen um die Kontingenz der besonderen Natur wird dann ein Schema voraus-

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gesetzt, das die Bedingung einer Applikationsmöglichkeit apriorischer Strukturalität auf Kontingentes in das Als-ob einer als höchste Intelligenz formulierten Transzendenz setzt, welche nichts anderes als die Doppelung des Ideals ist. Es wurde dort m.a.W. der Sachverhalt beschrieben, daß aus einem subjektiv notwendigen Begriff auf denselben zurückgeschlossen wurde. Mit dem Nachweis eines autonomen Prinzips ästhetischer Reflexion bereitet Kant die Lösung dieses Problem in der Dialektik des Geschmacksurteils in neuer Weise vor, denn er zeigt, daß die Reflexion über Konkretes in der Anschauung aus einer eigenständigen Funktionalität des Prinzips

ästhetischer Reflexion möglich ist, und die Dialektik weist jeden Anspruch der Vernunft zurück, diese Stelle vertreten zu können; denn, wie Kant entschieden darlegt: "A u s einem Begriffe darf es (das Geschmacksurteil in seiner Möglichkeit/JP) [...] nicht erweislich sein, weil ein Begriff entweder bestimmbar, oder auch an sich unbestimmt und zugleich unbestimmbar sein kann" (339/235).

Ein solcher wäre "der transscendentale Vernunftbegriff von dem Übersinnlichen, was aller jener Anschauung zum Grunde liegt, der also weiter nicht theoretisch bestimmt werden kann" (339/235). Die subjektive Möglichkeit einer reflexiven Beziehung auf die Anschauung ist damit in dieser Dialektik gegen die Konzeption eines Bezuges auf die kontingente Empirie durch die Vernunft behauptet und - über die Analytik im Aufweis eines autonomen Reflexionsvermögens hinaus - gegen eine scheinbar hieraus resultierende Dialektik etabliert. Lediglich in Hinblick auf die objektive Möglichkeit ("Grund der Möglichkeit der Geschmacksurtheile überhaupt" (337/232)) eines reflexiven Bezuges wird der Vernunft eine Funktion eingeräumt, als Vermögen die Faktizität ästhetischer Reflexion und damit eine scheinbare formale Entsprechung der Natur zum subjektiven Vermögen der Urteilskraft erklären zu können. Hierin tangiert der "unbestimmte Begriff eines übersinnlichen Substrats der Erscheinungen" (vergl. 340-341/237) die Urteilskraft in der Eigenständigkeit ihres Prinzips in keiner Weise, vielmehr ist die Vernunft allein auf das durch die Urteilskraft selbständig Hervorgebrachte, auf das faktische Geschmacksurteil bezogen. Über dieses verfügt sie nur in der Weise, daß sie es in einen apriorisch absoluten Kontext ihres Totalitätsdenkens setzt, in dem das Geschmacksurteil in Ansehung seiner objektiven Möglichkeit, als auf eine Idee des Übersinnlichen bezogen ist, welche jedoch als "indemonstrabler Begriff der Vernunft" (vergl. 342/240) lediglich den Anspruch eines objektiven Prinzips erhebt. Das "alleinige Princip der ästhetischen Urtheilskraft" ist damit die Position eines "Idealismus der Zweckmäßigkeit der Natur" (346/246).

168

Von der Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft

"Was aber das Princip der I d e a l i t ä t der Zweckmäßigkeit im Schönen der Natur, als dasjenige, welches wir im ästhetischen Urtheile selbst jederzeit zum Grunde legen, und welches uns keinen Realism eines Zwecks derselben für unsere Vorstellungskraft zum Erklärungsgrunde zu brauchen erlaubt, geradezu beweist: ist, daß wir in der Beurtheilung der Schönheit überhaupt das Richtmaß derselben a priori in uns selbst suchen, und die ästhetische Urtheilskraft in Ansehung des Urtheils, ob etwas schön sei oder nicht, selbst gesetzgebend ist

[...]." (350/252)

Das Ergebnis der Kritik der ästhetischen Urteilskraft faßt Kant in dem Begriff einer subjektiven Zweckmäßigkeit, "welche auf dem Spiele der Einbildungskraft in ihrer Freiheit" beruht (350/252-253) zusammen; d.i. als das Vermögen des Subjektes, im Medium ästhetischer Reflexion die heterogenen Prinzipien von Sinnlichkeit und Verstand zur Einheit zu bringen, ohne daß aus dieser Vermittlung eine dogmatisch-dialektische Naturvorstellung folgt. Denn es geht hier nicht um die Realmöglichkeit eines Gegenstandes, sondern allein um die Möglichkeit reflexiven Gegenstandsbezuges als Vermögen des Subjektes. Ob sich dieses Vermögen auch im Bereich der teleologischen Reflexion als funktionell eigenständig behaupten kann, dies soll die Interpretation des zweiten Teils der Kritik der Urteilskraft klären. Das dort thematische Verhältnis von Verstand und Vernunft ist deshalb in erhöhtem Maße von Interesse, weil der Verstand als ein objektivierendes Vermögen durch die Urteilskraft mit der Vernunft, dem Vermögen transzendenter Begriffe, in Relation gesetzt wird. Das Problem der Vermittelbarkeit dieser Prinzipien ist damit von vorherein als Kritik der teleologischen Reflexion zu verstehen - weniger als eine Kritik an der teleologisch reflektierenden Urteilskraft, sondern vielmehr als kritische Reflexion einer autonomen Urteilskraft auf die Möglichkeit einer Teleologie und damit auf die in diesem Sachgebiet zur Geltung gebrachten Vernunftbegriffe. Gegenstand des vierten Teils unserer Darstellung ist somit die Untersuchung des e m p i r i s c h e n G e b r a u c h s des Prinzips der Urteilskraft, d.i. die kritische Reflexion auf die Möglichkeit des Bezuges auf Vernunftbegriffe zur Beurteilung eines von objektiven Grundsätzen konstituierten Gegenstandsbereiches.

Vierter Teil Der empirische Gebrauch des formalen Prinzips der Urteilskraft

"Da nun kein Gebrauch der Erkenntnißvermögen ohne Principien verstattet werden darf, so wird die reflectirende Urtheilskraft in solchen Fällen ihr selbst zum Princip dienen müssen: welches, weil es nicht objectiv ist und keinen für die Absicht hinreichenden Erkenntnißgrund des Objects unterlegen kann, als bloß subjectives Princip zu zweckmäßigen Gebrauche der Erkenntnißvermögen, nämlich über eine Art Gegenstände zu reflectiren, dienen soll." Kritik der Urteilskraft (312/385)

Überleitung zur Kritik der teleologischen Urteilskraft Einleitend in die Kritik der teleologischen Urteilskraft hebt Kant hervor, daß man nach transzendentalen Prinzipien "guten Grund" hat, "eine subjective Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besondern Gesetzen zu der Faßlichkeit für die menschliche Urtheilskraft und der Möglichkeit der Verknüpfung der besondern Erfahrungen in ein System derselben anzunehmen" (359/267). Dieser Grund kann nun aber nicht darin bestehen, daß es Naturprodukte gibt, bei deren Beurteilung wir eine Stärkung und Unterhaltung der im Spiel befindlichen Gemütskrafte empfinden (vergl. 359/267). Es muß deshalb zunächst geklärt werden, auf welcher Grundlage die Kritik der teleologischen Urteilskraft als eine in Kontinuität zum ersten Teil der Kritik stehende Fortbestimmung des Charakters und der Leistung des Reflexionsvermögens verstanden werden kann. I. Die dogmatisch begründete Beziehung der beiden Teile der Kritik der Urteibkraß Kant greift im § 61 ein Problem wieder auf, mit dem die Deduktion des ästhetischen Urteils als Frage, wie es möglich ist, "die Natur als einen Inbegriff von Gegenständen des Geschmacks a priori anzunehmen?" (291 / 152), abschloß. Die "Richtigkeit dieser Annahme" (291/153) wurde dort jedoch schon sehr bezweifelt, denn sie hat eine "Beziehung auf die Teleologie, weil es als ein Zweck der Natur angesehen werden müßte, der ihrem Begriffe wesentlich anhinge, für unsere Urtheilskraft zweckmäßige Formen aufzustellen" (291/152-153). Hier liegt das folgende Argument zugrunde: Wenn eine geschmackliche Reflexion über Dinge nach einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck in einem einzelnen Urteil möglich ist, dann kann über die Idee einer absoluten Bedingung der Möglichkeit ästhetischer Urteile (diese Idee war Thema der Dialektik) hinaus auf die Idee einer Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft überhaupt geschlossen werden, "als ob sie ganz eigentlich für unsere Urtheilskraft angelegt" wäre (359/267). Eine so verstandene Beziehung von ästhetischer und teleologischer Reflexion ist in ihrem dogmatischen Charakter von dem Ergebnis der Dialektik des Geschmacksurteils her exponierbar: Eine aus der Faktizität ästhetischer Reflexion hergeleitete objektive Zweckmäßigkeit, die als eine Zweckmäßigkeit der Dinge nach einem Bezug auf den Begriff eines Zweckes verlangt, ist dogmatisch behauptet, weil der Grund für die

172

Überleitung zur Kritik der teleologischen Urteilskraft

Möglichkeit des Geschmacksurteils nur subjektiv ist: "Denn im obigen Falle konnte die Vorstellung der Dinge, weil sie etwas i η u n s ist, als zu der innerlich zweckmäßigen Stimmung unserer Erkenntnißvermögen geschickt und tauglich, ganz wohl auch a priori gedacht werden; [...]." (359/268/ Hervorhebving JP)

Die Kausalität im Spiel der Erkenntniskräfte (die Lust) ist ein Index für eine Vermittlung heterogener Prinzipien, die in der Leistung des Urteilenden gründet. Weil also eine Erklärung der Möglichkeit ästhetischer Reflexion nicht auf die Empirie rekurrieren darf, kann von dem ästhetischen Charakter des Urteils her auch nicht die Idee einer für die "menschliche Urteilskraft faßlichen Natur" legitimiert werden, zumal in diesem Dogma völlig unverständlich bleibt, welches Argument die Annahme einer sytematischen Naturordnung rechtfertigen könnte. Eine über dieses Schlußverfahren hergeleitete objektive Zweckmäßigkeit ist sinnleer, weil das Kriterium einer Zweckmäßigkeit, wie es in der ästhetischen Reflexion in Anschlag gebracht wird, nicht eine Zweckmäßigkeit der Gegenstände sein kann; es leitet damit auch nicht auf eine "besondere Art der Causalität" (359/268), denn: "Daß [...] Dinge der Natur einander als Mittel zu Zwecken dienen, und ihre Möglichkeit selbst nur durch diese Art von Causalität hinreichend verständlich sei, dazu haben wir gar keinen Grund in der allgemeinen Idee der Natur, als Inbegriffs der Gegenstände der Sinne." (359/267)

Sofern die Vernunft deshalb im Rückgriff auf die ästhetische Urteilsleistung, in der es den Anschein hat, als ob die Natur in Rücksicht auf eine Beurteilungsmöglichkeit angelegt wäre (vergl. 359/267), versucht, auf die Idee einer Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft zu schließen, um damit die teleologische Reflexion als eine rechtmäßige Beurteilungsmöglichkeit in die Naturwissenschaft einzuführen, so ist ihr Verfahren dogmatisch. II. Die erkenntniskritisch begründete Beziehung der beiden Teile der Kritik der Urteilskraft Wenn man deshalb, wie Kant sagt, aus "transscendentalen Principien guten Grund" hat, eine systematische Ordnung der Natur anzunehmen, dann muß diese Annahme von einem anderen Sachverhalt her begründet sein als dem, daß Naturprodukte ästhetisch beurteilt werden können. Das erkenntniskritisch die Beziehung der beiden Teile der dritten Kritik fundierende Argument ist deshalb das einer dem ästhetischen Urteil

Die transzendentale Funktion des formalen Prinzips

173

zugrunde liegenden Struktur der Reflexion, welche als ein Prinzip der Urteilskraß überhaupt bestimmt wurde (vergl. 286/145): Die ästhetische Urteilskraft ist zufolge der Analyse ein "besonderes Vermögen, Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen zu beurtheilen" (2.Einl. 194/LH), und das Prinzip dieses Vermögens liegt jeder Reflexion zugrunde. Die teleologische Urteilskraft steht daher als Reflexionsvermögen in ursprünglicher Beziehung zur ästhetischen Reflexion.1 Die Kritik der teleologischen Urteilskraft vollzieht sich somit auf der Grundlage des Ergebnisses des ersten Teils. Die teleologische Urteilskraß ist demnach kein besonderes Vermögen (nämlich deshalb nicht, weil die Urteilskraft in dieser Reflexion als Vermögen nicht anders prinzipiiert ist als in der ästhetischen), "sondern nur die reflectirende Urtheilskraft überhaupt" (2.Einl. 194/LII). Gegenstand der Kritik der teleologischen Urteilskraft ist deshalb die Frage, ob auf der Grundlage dieses Prinzips eine Beurteilung der Natur nach teleologischen Begriffen ein legitimes Verfahren darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Urteilskraft als ein Vermögen der Kritik im Hinblick auf Behauptungen über empirische Sachzusammenhänge zur Geltung gebracht werden. III. Die transzendentale Funktion des formalen Prinzips der Urteilskraß Im Mittelpunkt dieser Kritik steht die Deduktion des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit (vorgestellt im ersten Teil der Kritik) als eines transzendentalen Prinzips der Urteilskraft (vergl. 2.Einl. 181/XXIX). Der Aufweis dieses transzendentalen Status soll die Voraussetzung einer systematischen Ordnung der Natur in Ansehung ihrer besonderen empirischen Gesetze rechtfertigen. Dieser Aufweis ist notwendig, "weil wir, ohne diese vorauszusetzen, keine Ordnung der Natur nach empirischen Gesetzen, mithin keinen Leitfaden für eine mit diesen nach aller ihrer Mannigfaltigkeit anzustellende Erfahrung und Nachforschung derselben haben würden." (185/XXXVI)

Aber mit der subjektiven Notwendigkeit, die Idee einer systematischen Ordnung der Natur voraussetzen zu müssen, ist nicht schon die 1

Vergl. auch K.Marc-Wogau, "Vier Studien": "Die Deduktion (des ästhetischen Urteils/JP) hat, wie Kant meint, gezeigt, dass das Wohlgefallen, das dem Geschmacksurteil zugrunde liegt, als ein allgemeines Wohlgefallen gedacht werden darf. In ihr ist das 'subjektive Prinzip des Geschmacks, als ein Prinzip a priori der Urteilskraft', entwickelt und gerechtfertigt worden." (S.126)

174

Überleitung zur Kritik der teleologischen Urteilskraft

Angemessenheit dieser ideellen Konzeption zur besonderen Gegenständlichkeit bewiesen. Wäre die Funktion der Urteilskraft in Abhängigkeit von dieser Idee konzipiert, so ließe sich die Reflexion auf die Natur nicht anders als über die subjektive Notwendigkeit der Idee rechtfertigen. Dieser Sachverhalt wurde von Kant in der Neufassung der Einleitung berücksichtigt und führte, wie wir zeigten, dazu, das Bedingungsverhältnis von Idee und Urteilskraft so umzukehren, daß nicht die Idee der "Erfahrung als einem System für die Urtheilskraft" (l.Einl. 208/13) die Bedingung der Funktionalität der Urteilskraft ist. Die Idee ist damit nicht mehr ein Prinzip für die Urteilskraft, sondern die Urteilskraft ist das Prinzip der Legitimation der Idee. Die kritische Forderung lautet deshalb: Es darf nicht aus einem Vernunftbegriff auf die Möglichkeit empirischer Naturerfahrung geschlossen werden, sondern es soll über die Urteilskraft auf die Möglichkeit einer empirischen Naturerfahrung durch Vernunftbegriffe reflektiert werden.2 Die

2

Fernab einer eindeutigen Bestimmung der Funktionalität der Urteilskraft verdeckt Liedtkes Interpretation eher das Wesen der Reflexion, als daß sie zu seiner Charakterisierung beiträgt. Liedtke sagt, "Reflektieren gibt [...] die eigentliche Beschäftigung des Verstandes als des Vermögens der Begriffe wieder" (S.216). Dies ist das Ergebnis seiner philosophie-historischen Analyse des Gebrauches des Reflexionsbegriffs von der rationalistischen und empiristischen Tradition bis zur Kritik der reinen Vernunft. Weil diese Charakterisierung der Reflexion der Behauptimg Kants in der dritten Kritik, die reflektierende Urteilskraft sei (neben Verstand und Vernunft) ein drittes Grundvermögen des Gemütes und habe demnach ein eigenes Prinzip, widerspricht, so müßte gerade nach Liedtkes Untersuchung die Kritik der Urteilskraft als eine Korrektur der Bestimmung des funktionellen Charakters der Reflexion verstanden werden. Liedtke fordert jedoch, die Bedeutung des Reflexionsbegriffs aus der ersten Kritik müsse zur Grundlage einer Interpretation des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft dienen: "Diese Bedeutung muß man auch vor Augen haben, wenn Kant den Begriff Reflexion attributiv benutzt wie etwa in dem Terminus 'reflektierende Urteilskraft'" (ebd.). Daß dieser Ansatz zu keinem fruchtbaren Ergebnis führt, dafür gibt Liedtke selbst das Beispiel: 'Wenn Kant die Urteilskraft eine reflektierende nennt, dann ist w a h r s c h e i n l i c h damit zunächst nur gemeint, daß die Urteilskraft nach dem Beispiel des Verstandes darauf aus ist, Einheit in das Gegebene zu bringen, ohne aber durch die Einheit des Verstandes an die Grenzen der Kategorien gebunden zu sein" (ebd./Hervorhebung JP). Hieraus folgert Liedtke: "Die reflektierte Einheit der Urteilskraft kann bis zur Einheit der Vernunft führen, [...]" (ebd.). Demnach führt die reflektierte Einheit - die nach Liedtkes zugrundegelegter Gleichimg ("Reflektieren gibt die Beschäftigimg des Verstandes wieder") aus der Orientierung der Urteilskraft am Verstand hervorgeht - auf eine Vernunftidee. Diese These hebt nunmehr nicht nur die funktionelle Differenz zwischen Verstand und Urteilskraft auf, sondern auch jene zwischen Verstand/Urteilskraft und Vernunft. Bei dieser Unstimmigkeit in der Konsequenz seines Interpretationsansatzes kommen auch Liedtke Bedenken, weil die Vernunfteinheit doch "eigentlich (im Gegensatz zur Verstandeseinheit) nur eine g e s c h l o s s e n e Einheit heißen darf" (ebd./Hervorhebung JP, aus: M.Iiedtke, "Der Begriff der Reflexion bei Kant", Archiv f. Gesch. u. Phil., Bd.48, 1965, S.207-216).

Die transzendentale Funktion des formalen Prinzips

175

teleologische Urteilskraft reflektiert kritisch darauf, daß durch den Vernunftbegriff eines Zweckes eine "besondere Art der Causalität, wenigstens eine ganz eigne Gesetzmäßigkeit" (359/268) in den Naturbegriff eingeführt wird, die der mechanischen Kausalität entgegengesetzt ist.3 Diese Kontradiktion läßt die Idee einer durchgängigen systematischen Einheit (als subjektive Bedingung der Möglichkeit einer zusammenhängenden empirischen Naturerfahrung) problematisch werden. Das zentrale Problem dieses zweiten Teils der Kritik ist damit dasjenige eines dialektischen Widerstreits der heterogenen Kausalstrukturen von nexus effectivus und nexus finalis (vergl. 360/269), denn: "Der Begriff von Verbindungen und Formen der Natur nach Zwecken ist doch wenigstens e i n P r i n c i p m e h r , die Erscheinungen derselben unter Regeln zu bringen, wo die Gesetze der Causalität nach dem bloßen Mechanism derselben nicht zulangen. Denn wir führen einen teleologischen Grund an, wo wir einem Begriffe vom Objecte, als ob er in der Natur (nicht in uns) befindlich wäre, Causalität in Ansehung eines Objects zueignen, oder vielmehr nach der Analogie einer solchen Causalität (dergleichen wir in uns antreffen) uns die Möglichkeit des Gegenstandes vorstellen, mithin die Natur als durch eignes Vermögen t e c h n i s c h denken; wogegen, wenn wir ihr nicht eine solche Wirkungsart beilegen, ihre Causalität als blinder Mechanism vorgestellt werden müßte." (360/270)

Was Kant in § 61 hervorhebt, ist demnach nicht der Sachverhalt, daß die Möglichkeit teleologischer Reflexion an Prinzipien gebunden ist, die nur regulativ gebraucht werden dürfen (vergl. 361/270); denn hierauf sind Vernunftideen schon in der ersten Kritik restringiert worden. Die Kritik der teleologischen Urteilskraft ist nicht mehr darauf bezogen, Ideen auf den Status eines Regulativs zu restringieren, sondern sie ist vielmehr eine K r i t i k d e s G e b r a u c h e s regulativer Prinzipien. Die subjektive Notwendigkeit ihres Gebrauchs ist nämlich genau dann kein hinreichendes Kriterium für die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens, wenn die Urteilskraft im Gebrauch dieses Prinzips "irre" wird, weil die Beurteilung nach zwei heterogenen Kausalstrukturen eine Dialektik erzeugt (vergl. 387/ 314). Also muß das subjektive Prinzip der Zweckmäßigkeit als ein erkenntniskritisches Prinzip für den empirischen Gebrauch von regulativen Ideen verstanden werden, und hierin besteht seine transzendentale Funktion.

3

Vergl. auch W.J.Chapman, "Die Teleologie Kant's" (Halle 1904). Chapman sieht in der Teleologie die Auseinandersetzung mit dem Kausalgesetz auf zwei Ebenen: 1.) Als erkenntniskritische Begründung des Prinzips und 2.) als Frage "nach der durchgängigen Gültigkeit des Kausalsatzes, z.B. in bezug auf die Entstehung der organischen Gebilde." (S.28)

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Überleitung zur Kritik der teleologischen Urteilskraft

IV. Der Aufbau der Kritik der teleologischen Urteibkraß Die erste Abteilung der kritischen Untersuchung des transzendentalen Status des formalen Prinzips der Urteilskraft besteht in einer Analyse des Gegenstandes der teleologischen Urteile. Diese Analyse vollzieht Kant in vier Schritten: 1) Der erste Schritt besteht in der Ausgrenzung jener Vorstellungen einer objektiven Zweckmäßigkeit, zu deren Beurteilung der Bezug auf einen Zweckbegriff unwesentlich ist und die demnach kein Gegenstand der teleologischen Reflexion darstellen (§ 62). 2) Die Exposition der Struktur und des Gegenstandes eines "absoluten teleologischen Urteils" (vergl. 369/283), in welchem der Bezug auf einen Zweckbegriff ein zur Beurteilung der "inneren Zweckmäßigkeit" (vergl. 367/280) eines Naturproduktes notwendiges Verfahren darstellt, gibt den Hinweis darauf, daß die Möglichkeit einer teleologischen Reflexion in der Autonomie der Urteilskraft gründet (§ 63). 3) In einem dritten Schritt untersucht Kant die zur Beurteilung des Zufälligen notwendige Kausalstruktur der Idee eines Naturzwecks (§ 64). Die Analyse dieses Begriffs zeigt, daß diese Idee aus einer die Vernunft korrigierenden Funktion des Reflexionsprinzips hervorgehen muß, weil die Vernunft lediglich die Idee einer zweckintentionalen Kausalstruktur formuliert, während als Erklärungsprinzip nach einem Zweckbegriff verlangt ist, durch welchen der Natur keine Absicht unterstellt wird (§ 64). 4) Von der Struktur einer inneren Kausalität her wird das Organische als der Gegenstand eines absoluten teleologischen Urteils bestimmt. Über die Restriktion des Urteils auf das Organische (§ 65) demonstriert Kant einerseits, daß die teleologische Reflexion ein inneres Prinzip der Naturwissenschaft sein soll (§ 68), andererseit aber, daß die Vernunft die Tendenz hat, den Gegenstandsbereich des teleologischen Prinzips auf die Theologie auszudehnen (§§ 66 & 67). Auf der Grundlage des Ergebnisses der Analytik, wonach die Urteilskraft sich selbst das Prinzip ihrer Reflexion gibt (§ 69), untersucht Kant in der zweiten Abteilung 1.) eine scheinbare Antithetik der Maximen der Urteilskraft (§ 70) und 2.) eine Dialektik der Vernunft (§ 70-75). An ihnen wird demonstriert, daß die Vernunft sich im empirischen Gebrauch teleologischer Prinzipien in eine unauflösbare Kontradiktion mit der Verstandeskausalität verstrickt. Die Dialektik der Vernunft ist damit die Konsequenz eines Denkens, welches die Einheit in der besonderen empirischen Erfahrungserkenntnis durch eine unkritische Orientierung an Vernunftprinzipien verfehlt. Der Urteilskraft kommt deshalb die notwendige Funktion einer Vermittlungsinstanz zwischen den heterogenen Kausalprinzipien von Vernunft und Verstand zu.

Der Aufbau der Kritik der teleologischen Urteilskraft

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Den Abschluß der Untersuchung bildet die Deduktion des transzendentalen Status des Urteilsprinzips. Hier erklärt Kant, über welches Bezugsmoment eine Vermittlung der heterogenen Kausalstrukturen möglich ist, und wie die Urteilskraft auf dieser Grundlage die Vernunftprinzipien korrigiert (§ 76-78). Sie ist ein kritisches Prinzip für den empirischen Gebrauch der regulativen Ideen durch die Voraussetzung einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur.

Erster Abschnitt Analytische Untersuchung des teleogischen Urteils

Erstes Kapitel Die Ausgrenzung der formal-objektiven Zweckmäßigkeit auf der Grundlage der Struktur des Reflexionsprinzips Die Analytik der teleologischen Urteilskraft beginnt mit der Exposition der Differenz zwischen einer formal und material verstandenen objektiven Zweckmäßigkeit (vergl. 362/271). Das Ziel dieser Darstellung ist die Bestimmung des Gegenstandsbereiches der teleologischen Reflexion. Kant bestimmt diesen Bereich auf der Grundlage eines transzendentalen Kriteriums, welches aus der Analyse des Urteilsprinzips im ersten Teil der Kritik hervorgegangen ist. Sein Argument ist dieses: Weil das Prinzip der Urteilskraft funktionell auf die Vermittlung der Spannung zwischen den heterogenen Erkenntniskräften bezogen ist, deshalb kann der Gegenstand der Reflexion nicht ein solcher sein, zu dessen Vorstellung ein Vermitteltsein der Erkenntniskräfte schon immer die Voraussetzung ist. Wenn dieses Vermitteltsein nämlich schon in einem a priori prinzipiierten Vollzug gründet als Bedingung der Möglichkeit der Vorstellungen dann begründet dieser Vollzug auch deren objektive Zweckmäßigkeit: die Spontaneität des Subjektes ist hierin das Prinzip a priori der zweckmäßigen Einheit.4 Das Subjekt ist in der Beurteilung dieser objektiv zweckmäßigen Vorstellungen nicht auf etwas von sich Verschiedenes bezogen. Diese Spontaneität wird von Kant als das Prinzip einer formal-objektiven Zweckmäßigkeit reiner Vorstellungen (362-364/271-275) und als Grund einer formal-objektiven Zweckmäßigkeit von Dingen in der empirischen Vorstellung (364-365/ 276-277) nachgewiesen.

4

Vergl. Fußnote auf Seite 366/279: "[...] in der reinen Mathematik" ist nur von "der Möglichkeit der Dinge, nämlich einer ihrem Begriffe correspondirenden Anschauung [...] die Rede [...]: so muß folglich alle daselbst angemerkte Zweckmäßigkeit bloß als formal [...] betrachtet werden."

Der apriorische Grund der formal-objektiven Zweckmäßigkeit

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I. Der apriorische Grund der formal-objektiven Zweckmäßigkeit reiner Vorstellungen Formal-objektiv zweckmäßig sind die geometrisch-mathematischen Vorstellungen. Durch sie können geometrische Figuren erzeugt werden, und sie tragen zur Lösung mannigfaltiger mathematischer Probleme bei. Dennoch werden diese reinen Vorstellungen "nicht bloß in Rücksicht auf diesen Gebrauch als möglich angesehen" (362/271), d.h. ihre Zweckmäßigkeit macht nicht den Begriff des Gegenstandes selbst möglich; so ist es z.B. nicht der Zweck des Zirkels, mannigfaltige Probleme zu lösen. Das Problem, um dessen Lösung willen die jeweilige geometrische Figur in Anspruch genommen wird, bestimmt nicht das Wesen dieser Figur, obgleich sie sich in dieser Hinsicht als tauglich erweist. Die deshalb nur formale Zweckmäßigkeit reiner Vorstellungen ist gemäß der Darstellung im § 15 eine dem Begriff der Vorstellung äußere (vergl. 226/44); sie betrifft nur die Nützlichkeit einer reinen Vorstellung in Ansehung einer bestimmten Absicht. Die Objektivität dieser Zweckmäßigkeit gründet im einem apriorischen Vermitteltsein von reiner Anschauung und Denken (vergl. 364/274-275). In den Prolegomena hat Kant diesen Sachverhalt in dem ersten Teil der transzendentalen Hauptfrage "Wie ist reine Mathematik möglich" dargestellt: "Reine Mathematik ist als synthetische Erkenntniß a priori nur dadurch möglich, daß sie auf keine andere als bloße Gegenstände der Sinne geht, deren empirischer Anschauung eine reine Anschauung (des Raums und der Zeit) und zwar a priori zum Grunde liegt und darum zum Grunde liegen kann, weil diese nichts anders als die bloße Form der Sinnlichkeit ist, welche vor der wirklichen Erscheinung der Gegenstände vorhergeht, indem sie dieselbe in der That allererst möglich macht. Doch betrifft dieses Vermögen, a priori anzuschauen, nicht die Materie der Erscheinung, d.i. das, was in ihr Empfindung ist, denn diese macht das Empirische aus, sondern nur die Form derselben, Raum und Zeit." (Prol. Ak.-Text Bd.IV, 284/A 54)

Die Konstruktion besonderer geometrischer Figuren vollzieht sich damit auf der Grundlage eines objektiv prinzipiierten Bezuges der Erkenntnisvermögen (als eine Variante objektiver Konstruktionsmöglichkeit). Die Einheit eines Prinzips, "[...] welches ich willkürlich annehme und als Begriff zum Grunde lege, angewandt auf eine Form der Anschauung (den Raum), die gleichfalls bloß als Vorstellung und zwar a priori in mir angetroffen wird, macht die Einheit vieler sich aus der Construktion jenes Begriffs ergebenden Regeln, die in mancherlei möglicher Absicht zweckmäßig sind, begreiflich, ohne dieser Zweckmäßigkeit

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Die Ausgrenzung der formal-objektiven Zweckmäßigkeit

einen Z w e c k , oder irgendeinen andern Grund derselben unterlegen zu dürfen." (364/274-275)

Die objektive Zweckmäßigkeit geometrischer Figuren ist damit erklärt, ohne daß diese Zweckmäßigkeit von einem Bezug auf Zwecke her begründet wäre: Weil jede Figur Produkt einer Synthesis von reiner Anschauung und reinem Denken ist, bedarf es nicht eines Bezuges auf etwas, das der Relation dieser Kräfte transzendent ist, um den Grund der objektiven Zweckmäßigkeit geometrischer Figuren verständlich zu machen.5 Die Gegenstände reiner Vorstellungen sind damit nicht solche, zu deren Beurteilung die teleologische Urteilskraft in Anschlag gebracht werden müßte, denn das Subjekt begegnet sich bei einer Reflexion auf reine Vorstellungen nur am Produkt des eigenen Entwurfs. II. Der apriorische Grund, empirische Vorstellungen als objektiv zweckmäßig beurteilen zu können Notwendig ist der Bezug auf einen Zweckbegriff nur dann, wenn es existierende Dinge sind, die empirisch gegeben sein müssen, um erkannt zu werden (vergl. 364/275). Mit der realen Zweckmäßigkeit der Dinge bezieht sich das Subjekt auf einen Sachverhalt, der nicht a priori vorgestellt werden kann, nämlich auf das Dasein von Materie: "[...] denn Gesetze, d.i. Principien der Nothwendigkeit dessen, was zum D a s e i n eines Dinges gehört, beschäftigen sich mit einem Begriffe, der sich nicht construiren läßt, weil das Dasein in keiner Anschauung a priori dargestellt werden kann." (MAdN, Ak.-Text Bd.IV, 469/A VII)

Dieser Aspekt stellt die Frage nach der Leistungskraft des reflektierenden Urteilsvermögens in den Rahmen des Problems, ob und wie dieses Vermögen auf der Grundlage seiner Funktionalität das formale Prinzip der Beurteilung von etwas sein kann, das der subjektiven Spontaneität entzogen ist. Sofern es sich demnach um eine Vorstellung handelt, die "Dinge außer mir" (vergl. 364/275) betrifft, scheint die Frage, wie es möglich sein kann, daß bestimmte Objekte "in gewisse Gränzen" (364/ 275) eingeschlossen sind (also als eine geometrische Gestalt in der empirischen Anschauung angetroffen werden), auf einen Zweckbegriff zu leiten. Denn daß die Materie ein dem Verstand Zufälliges ist, dies soll hier das ausschlaggebende Argument sein, und deshalb hat es den Anschein, als

5

Vergl. auch K.Marc-Wogau, "Vier Studien", S.186-198

Empirische Vorstellungen als objektiv zweckmäßig

181

seien empirische Vorstellungen der figürlichen Einheit der Materie ein Gegenstand der teleologischen Reflexion. "Dadurch aber bekommt diese Einheit das Ansehen, als ob sie empirisch einen von unserer Vorstellungskraft unterschiedenen äußern Grund der Regeln habe, und also die Übereinstimmung des Objectes zu dem Bedürfniß der Regeln, welches dem Verstände eigen ist, an sich zufällig, mithin nur durch einen ausdrücklich darauf gerichteten Zweck möglich sei." (364/275-276) Die Reflexion auf die Gestalt des existierenden Gegenstandes bringt, wie Kant sagt, unsere Erkenntniskräfte in ein zweckmäßiges Verhältnis, und wir beziehen uns zur Begründung dieser Relation auf ein Prinzip, von dem her die Erzeugung einer solcher Gestalt verständlich wird. Wir beziehen uns hierbei aber auf ein Prinzip, das wir a priori in uns haben - das wir also nicht eigens zur Möglichkeit der Beurteilung hervorbringen müssen: Dieses Prinzip ist identisch mit dem Grund der Möglichkeit von reinen geometrischen Vorstellungen. Die Beurteilung erfolgt demnach aus einem apriorischen Verständnis von dem, worin die objektive Zweckmäßigkeit dieser Vorstellung gründet: Wir setzen voraus, was es heißt, etwas ist "in gewisse Grenzen eingeschlossen", und bestimmen die Gestalt der Materie nach der objektiv transzendentalen Bedingung des harmonischen Bezuges von Einbildungkraft und Verstand. Dieser Bezug ist damit nicht zufällig, sondern notwendig, weil er von einem die Einbildungskraft bestimmenden Begriff des Verstandes her determiniert ist.6 "Nun sollte uns zwar eben diese Harmonie, weil sie aller dieser Zweckmäßigkeit ungeachtet dennoch nicht empirisch, sondern a priori erkannt wird, von selbst darauf bringen, daß der Raum, durch dessen Bestimmung (vermittelst der Einbildungskraft gemäß einem Begriffe) das Object allein möglich war, nicht eine Beschaffenheit der Dinge außer mir, sondern eine bloße Vorstellungsart in mir sei, und ich also in die Figur, die ich e i n e m B e g r i f f e a n g e m e s s e n zeichne, d.i. in meine eigene Vorstellungsart von dem, was mir äußerlich, es sei an sich, was es wolle, gegeben wird, die Z w e c k mäßigkeit h i n e i n b r i n g e , nicht von diesem über dieselbe empirisch belehrt werde, folglich zu jener keinen besondern Zweck außer mir am Objecte bedürfe." (364-365/276)

6

Somit läßt sich, wie Kant sagt, "auch der Grund der Bewunderung einer ob zwar in dem Wesen der Dinge [...] wahrgenommenen Zweckmäßigkeit sehr wohl und zwar als rechtmäßig einsehen" (275). Hierzu W.Bartuschat: denn die Bewunderving entbehrt "der Einsicht in die Struktur dessen, was der ermöglichende Grund der Bewunderung ist, insbesondere darin, ob die Heterogenität, ohne die gar kein Anlaß zu einer Bewunderung gegeben wäre, in Wahrheit eine solche ist." ("Zum systematischen Ort", S.173).

182

Die Ausgrenzung der formal-objektiven Zweckmäßigkeit

Im anschließenden § 63 untersucht Kant deshalb die Struktur jener Urteile, in denen die Zweckmäßigkeit auf eine kontingente Beschaffenheit der Naturobjekte bezogen wird.

Zweites Kapitel Der teleologische Gebrauch der Urteilskraft auf der Grundlage ihrer Autonomie Kants Untersuchung in § 62 hat gezeigt, daß der Gegenstand einer teleologischen Reflexion nur ein solcher sein kann, bei dem die Zweckmäßigkeit auf die Existenz und nicht nur auf die Möglichkeit der Dinge bezogen wird. Der Bezug auf die Existenz betrifft somit nicht einen formalen Aspekt, sondern vielmehr ein Verhältnis von Ursache und Wirkung wirklicher Objekte in der Natur. Deshalb ist eine teleologische Reflexion nur dann notwendig, wenn die "innere Zweckmäßigkeit eines Naturwesens" (367/280) beurteilt werden soll. Kant läßt hier jedoch offen, was unter einer inneren Zweckmäßigkeit der Naturwesen verstanden werden muß. Damit ist evident, daß die subjektive Erfahrungsmöglichkeit des Gegenstandes der Grund für die Notwendigkeit einer teleologischen Reflexion ist und nicht die innere Zweckmäßigkeit; d.h., die Bedeutung des Begriffs einer "inneren Zweckmäßigkeit" wird von Kant nicht der Beurteilungsproblematik vorangestellt, sondern seine Bedeutung folgt aus der Bedingungen der Möglichkeit des Subjektes, ein besonderes Verhältnis von Ursache und Wirkung zu beurteilen:7 "Die Erfahrung leitet unsere Urtheilskraft auf den Begriff einer objectiven und materialen Zweckmäßigkeit, d.i. auf den Begriff eines Zwecks der Natur nur alsdann, wenn ein Verhältnis der Ursache zur Wirkung zu beurtheilen ist, welches wir als gesetzlich einzusehen uns nur dadurch vermögend finden, daß wir die Idee der Wirkung der Causalität ihrer Ursache, als die dieser selbst zum Grunde liegende Bedingung der Möglichkeit der ersteren, unterlegen."

(367/279)

Die teleologische Reflexion wird demnach durch eine bestimmte Einstellung des Subjektes zur Natur veranlaßt, nämlich aufgrund eines Interesses an

7

Denn der Begriff einer "inneren Zweckmäßigkeit" ist ein solcher, der ans einer Konfrontation des Subjektes mit einer dem Verstand zufälligen Eigenschaft des Gegenstandes hervorgeht. Er ist keine Kategorie, und er ist auch keine Idee, auf welche über eine Kategorie geschlossen werden könnte. Er kann somit nur a n l ä ß l i c h einer besonderen Erfahrung gebildet werden, ohne daß er deshalb a u s der Erfahrung gewonnen wäre.

184

Der teleologische Gebrauch der Urteilskraft

der gesetzlichen Beurteilung eines Kausalverhältnisses. Diese Beurteilung kann der Verstand aber nicht leisten, weil er für das Zufällige der Materie nicht a priori gesetzgebend ist. Und eben dies, daß es die Vernunft ist, durch welche das Subjekt allein das Prinzip dieser Kausalität einzusehen vermag, ist der Grund für die Notwendigkeit der teleologischen Reflexion. Die Urteilskraft wird in diesem Prozeß der empirischen Erfahrungserkenntnis subjektiv notwendig auf Ideen geleitet, deren Dogmatik oder Dialektik sie erliegt, wenn sie nur als Subsumtionsvermögen zur Geltung gebracht wird. Sie muß deshalb als Prinzip eigener Identität, d.i. als Reflexionsvermögen, auf die Möglichkeit des erfahrungsimmanenten Gebrauchs der Idee eines "Zwecks" der Natur bezogen werden, also als teleologische Urteilskraft. Es gibt darum, wie die Wendung in der zweiten Einleitung lautet, eine ästhetische Urteilskraft, die wesentlicher Bestand der Kritik ist, "weil diese allein ein Princip enthält, welches die Urtheilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt, nämlich das einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnißvermögen" (2.Einl. 193/L), und es gibt "die teleologisch-gebrauchte Urtheilskraft", die die Bedingungen bestimmt angibt, "unter denen etwas (z.B. ein organisirter Körper) nach der Idee eines Zwecks der Natur zu beurtheilen sei" (2.Einl. 194/LII). Nun stellt die Vernunft zwei Prinzipien einer objektiv-materialen Zweckmäßigkeit der Dinge bereit, "[...] entweder, indem wir die Wirkung unmittelbar als Kunstproduct, oder nur als Material für die Kunst anderer möglicher Naturwesen, also entweder als Zweck, oder als Mittel zum zweckmäßigen Gebrauche anderer Ursachen, ansehen. Die letztere Zweckmäßigkeit heißt die Nutzbarkeit (für den Menschen), oder auch Zuträglichkeit (für jedes andere Geschöpf) und ist bloß relativ, indes die erstere eine innere Zweckmäßigkeit des Naturwesens ist." (367/279-280)

Demgemäß richtet sich der teleologische Gebrauch der Urteilskraft auf das Problem, unter welcher Bedingung diese Prinzipien zur Beurteilung der Natur herangezogen werden können. I. Die Vernunft als willkürliches Bezugsmoment der Urteilskraft Verhältnisse der Dinge untereinander können in Hinblick auf die Nutzbarkeit für den Menschen oder auf die Zuträglichkeit für andere Geschöpfe als zweckmäßig beurteilt werden. Diese Zweckmäßigkeit kommt jedoch nicht den Dingen an sich selbst zu (vergl. 368/281); sie ist nur relativ, den Dingen äußerlich und somit zufällig (vergl. 367-368/280-282).

Die Vernunft als willkürliches Bezugsmoment

185

"Man sieht hieraus leicht ein, daß die äußere Zweckmäßigkeit (Zuträglichkeit eines Dinges für andere) nur unter der Bedingung, daß die Existenz desjenigen, dem es zunächst oder auf entfernte Weise zuträglich ist, für sich selbst Zweck der Natur sei, für einen äußeren Naturzweck angesehen werden könne." (368/282)

Dieser Bezug auf eine von der Vernunft vorgestellte Zweckkausalität ist somit ein "willkürliches" (vergl. 368/282) Verfahren. Der Gegenstand ist zwar darin als ein besonderer berücksichtigt, daß er nach einem Kausalverhältnis beurteilt wird, welches nicht von der allgemeinen Bedingung kausaler Beziehungen von Gegenständen überhaupt her gedacht werden kann, doch wird der Zweckbegriff so in Anschlag gebracht, daß die Beurteilung der Dinge als zweckmäßig aus einem hypothetisch gesetzten Allgemeinen heraus erfolgt. Die relative Zweckmäßigkeit bezieht ihren Sinngehalt also über die Vorgabe eines Zwecks, so daß nicht die Beurteilung einer Zweckmäßigkeit auf das Prinzip einer Zweckkausalität führt, sondern vielmehr die Zweckmäßigkeit (als eine Angemessenheit des Gegenstandes zu willkürlich gesetzten Zwecken) von diesem Prinzip abgeleitet wird. Kant gibt hierfür folgendes Beispiel: "Nur w e n n man annimmt, (VJP) Menschen haben auf Erden leben sollen, so müssen doch wenigstens die Mittel, ohne die sie als Thiere und selbst als vernünftige Thiere (in wie niedrigem Grade es auch sei) nicht bestehen konnten, auch nicht fehlen; alsdann aber würden diejenigen Naturdinge, die zu diesem Behuf unentbehrlich sind, auch als Naturzwecke angesehen werden müssen." (368/282)

Die Annahme einer objektiven Zweckmäßigkeit der Dinge wäre deshalb nur dann legitim, wenn die Objektivität des Begriffs bewiesen werden könnte (vergl. 368/283); dieser Beweis ist jedoch nicht zu erbringen: "Sie ist eine bloß relative, dem Dinge selbst, dem sie beigelegt wird, bloß zufallige Zweckmäßigkeit; [...]." (368/281-282)

Diese Vernunftidee einer Zweckmäßigkeit der Dinge als Material formuliert somit kein zur Beurteilung der Natur notwendiges Kausalprinzip.

• Die Idee, die Existenz der Menschen auf Erden sei ein Zweck, wird demnach - der Reflexion vorgängig - vorausgesetzt.

186

Der teleologische Gebrauch der Urteilskraft

II. Von der Autonomie der Urteilskraft und dem Interesse an der Beurteilung des Zufälligen der Materie Auch wenn die Urteilskraft in Rücksicht auf ein Interesse in Anspruch genommen wird, ist sie in ihrem teleologischen Gebrauch ein autonomes Vermögen. Dies scheint problematisch zu sein, weil der autonome Charakter der Urteilskraft im ersten Teil der Kritik über die Interesselosigkeit an der Existenz eines Objektes freigelegt wurde. Doch steht eine autonome Funktionalität teleologischer Reflexion im Interesse an der Beurteilung eines Objektes nicht im Widerspruch zu der Fundierung ihres autonomen Prinzipienstatus über eine Interesselosigkeit in der Analyse des Geschmacksurteils. Dort wurde von einer Interesselosigkeit her nur die autonome Prinzipienstruktur der Reflexion freigelegt: Die Interesselosigkeit im ästhetischen Urteil ist ratio cognoscendi der Autonomie der Urteilskraft - ihre Autonomie aber ist der Grund der Möglichkeit einer interesselosen Reflexion. Weil nun die Urteilskraft nur von ihrem autonomen Charakter her auf einen Begriff reflektieren kann, der noch nicht gegeben ist, deshalb hebt das Interesse an der Beurteilung des Zufälligen diese Autonomie nicht auf, sondern es verlangt vielmehr nach diesem autonomen Prinzip. Die Urteilskraft muß deshalb im Interesse an einer Beurteilung des Zufälligen so in Anschlag gebracht werden, daß sie das Prinzip der Suche nach einem Begriff ist, der als Erklärungsgrund der Zweckmäßigkeit des Besonderen verstanden werden kann. Wie in der Analytik des ästhetischen Urteils der "Schlüssel zur Kritik des Geschmacks" in der "Untersuchung der Frage" gründet, "ob im Geschmacksurtheile das Gefühl der Lust vor der Beurtheilung des Gegenstandes oder diese vor jener vorhergehe" (216/27), so liegt auch in der Analytik des teleologischen Urteils der Schlüssel dieser Kritik in dem Nachweis, daß die Beurteilung des Besonderen nicht vorgängig durch einen allgemeinen Begriff determiniert ist, die Urteilskraft vielmehr auf einen Begriff geleitet wird, den sie auf der Grundlage autonomer Prinzipialität kritisiert. Eine " a b s o l u t e teleologische Reflexion" (vergl. 369/283) ist deshalb nicht nur dadurch charakterisiert, daß ein Bezug auf die Vernunft notwendig ist, weil ein Kausalverhältnis beurteilt werden soll, das durch die Verstandeskausalität nicht erklärt werden kann. Vielmehr liegt die Notwendigkeit des Bezuges der Urteilskraft auf die Vernunft in der Notwendigkeit der Kritik des Erklärungsprinzips der Vernunft.9 Diese Kritik

9

Vergl. hierzu auch Kants Darstellung in "Welches sind die Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolf's Zeiten in Deutschland gemacht hat" 292-293/A 102-103: "Allein wir finden, unter den zur Erkenntniß der Natur, auf welche Art es auch sey, gehörigen Begriffen, noch einen von der besondern Beschaffenheit, daß wir dadurch nicht, was in dem Object ist, sondern was wir, bloß dadurch, d a ß w i r e s i n i h n legen,

Von der Autonomie der Urteilskraft

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richtet sich gegen die unmittelbare Vorstellung einer zweckintentionalen Kausalität der Naturobjekte als Kunstprodukte, die nicht das allgemeine Prinzip zur Erklärung von Naturwesen abgeben kann: Die "Idee der Wirkung" als Ursache (vergl. 367/279) verfehlt den "eigenthümlichen Charakter der Dinge" (369/284). Deshalb ist eine andere Struktur des Bedingungsverhältnisses gefordert, nämlich eine solche, die die Kausalität nicht über den Entwurf in der Idee - also als Kunstprinzip sondern die Dinge nach einer Kausalität der "Naturzwecke" (369/284) vorstellt. Das Allgemeine muß somit erst "gefunden" werden. Es ist also ein Prinzip, um welches das Subjekt vor der Reflexion nicht schon wußte.10 Demnach ist der Begriff eines Naturzwecks eine Folge der Reflexion auf die Spannung zwischen dem immittelbar gegebenen Vernunftprinzip und dem Gegenstand als Naturprodukt. Im folgenden § 64 untersucht Kant die geforderte Struktur des Prinzips der Möglichkeit einer "inneren Zweckmäßigkeit" (367/280) der Dinge.

10

iins verständlich machen können, der also eigentlich zwar kein Bestandteil der Erkenntniß des Gegenstandes, aber doch ein v o n d e r V e r n u n f t gegebenes Mittel oder Erkenntnißgrund ist, und zwar der theoretischen, aber in so fem doch nicht dogmatischen Erkenntnis, und dies ist der Begriff von einer Z w e c k m ä ß i g k e i t der Natur, welche auch ein Gegenstand der Erfahrung seyn kann, mithin ein immanenter, nicht transscendenter Begriff ist, [...]. Wir haben also einen Begriff von einer Teleologie der Natur, und zwar a priori, weil wir sonst ihn nicht in unsre Vorstellung der Objecte derselben hineinlegen, sondern nur aus dieser, als empirischer Anschauimg, herausnehmen dürften, und die Möglichkeit a priori einer solchen Vorstellungsart, welche doch noch kein Erkenntnis ist, gründet sich darauf, d a ß w i r i n u n s s e l b s t ein Vermögen der Verknüpfimg nach Zwecken (nexus finalis) wahrnehmen" (Hervorhebung JP). Kant setzt hier offenkundig voraus, daß der Gebrauch des teleologischen Prinzips in der Beurteilung der Natur immer schon einer kritischen Läuterung der Urteilskraft unterzogen ist, denn aus diesem Textabschnitt allein wird nicht deutlich, auf welcher Grundlage ein Prinzip, welches wir in uns wahrnehmen, als ein von der Vernunft gegebener Erkenntnisgrund, in das Objekt gelegt werden darf und hierin ein immanentes Prinzip der empirischen Erfahrungserkenntnis abgibt Auf genau diesen Sachverhalt bezieht sich Kant, wenn er sagt: "Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urtheilskraft bloß r e f l e k t i r e n d " (2.Einl. 179/XXVI).

Drittes Kapitel Untersuchung der Kausalstruktur I. Vorläufige Formulierung der Kausalstruktur des Prinzip einer inneren Zweckmäßigkeit von Naturprodukten In der Interpretation des § 63 zeigten wir, durch welchen transzendentalen Sachverhalt Kant die teleologische Reflexion begründet. Unklar blieb jedoch bislang, was mit einer "inneren Zweckmäßigkeit der Form eines Gegenstandes" gemeint ist, denn diese Bestimmung kann nur über die Untersuchung der den Charakter dieser Zweckmäßigkeit beschreibenden Kausalstruktur geleistet werden. Unter dem Gesichtspunkt des "eigenthümlichen Charakters der Dinge als Naturzwecke" (369/284) bereitet Kant eine solche Bestimmung vor: "Um einzusehen, daß ein Ding nur als Zweck möglich sei, d.h. die Causalität seines Ursprungs nicht im Mechanism der Natur, sondern in einer Ursache, deren Vermögen zu wirken durch Begriffe bestimmt wird, suchen zu müssen, dazu wird erfordert: daß seine Form nicht nach bloßen Naturgesetzen möglich sei, d.i. solchen, welche von uns durch den Verstand allein, auf Gegenstände der Sinne angewandt, erkannt werden können; sondern daß selbst ihr empirisches Erkenntniß ihrer Ursache und Wirkung nach Begriffe der Vernunft voraussetze." (369-370/284-285)

Als einzigen Fall, in dem der Bezug auf den Vernunftbegriff eines Zweckes notwendig ist, gibt Kant den an, daß die innere Zweckmäßigkeit der Form eines einzelnen Konkreten ("ein Ding" 368/284) mit dem Mechanismus der Natur nicht hinreichend erklärt werden kann. Von diesem Aspekt her ist das Objekt ein Besonderes, das zufällig ist, und nicht ein Besonderes, das analytisch vom Allgemeinen her verstanden werden kann. Das Allgemeine kann deshalb nicht der Beurteilung vorgegeben sein, sondern muß erst gefunden werden. Gefunden werden kann das Allgemeine nicht durch einen Bezug auf Vorfindbares, sondern allein durch den Bezug auf ein Vermögen, das Begriffe hervorbringt (denn die Urteilskraft ist nur ein Vermögen der Regeln), und dieses Vermögen ist die Vernunft: "Diese Z u f ä l l i g k e i t seiner Form bei allen empirischen Naturgesetzen in Beziehung auf die Vernunft, da die Vernunft, welcher an einer jeden Form eines Naturproducts auch die Nothwendigkeit derselben erkennen muß, wenn

Vorläufige Formulierung der Kausalstruktur

189

sie auch nur die mit seiner Erzeugung verknüpften Bedingungen einsehen will, gleichwohl aber an jener gegebenen Form diese Notwendigkeit nicht annehmen kann, ist selbst ein Grund, die Causalität desselben so anzunehmen, als ob sie eben darum nur durch Vernunft möglich sei; diese aber ist alsdann das Vermögen, nach Zwecken zu handeln (ein Wille); und das Object, welches nur als aus diesem möglich vorgestellt wird, würde nur als Zweck für möglich vorgestellt werden." (370/285) Die Vernunft ist nun zwar (als ein Vermögen der Hervorbringung von Begriffen) ein zur Beurteilung des Zufälligen notwendiges Vermögen, aber die von ihr vorgegebene "Einheit des Princips der Erzeugung" (370/ 285) begreift den zu erklärenden Sachverhalt unangemessen: Sie rückt das Objekt in der Möglichkeit der Zweckmäßigkeit seiner Form in ein Kausalverhältnis, welches es "als Product der Κ u η s t" (370/286) erklärt. Sie verfehlt hierin den wesentlichen Aspekt, den es zu beurteilen gilt, nämlich daß es sich bei dem Gegenstand um ein Produkt der Natur handelt. Hieraus wird deutlich, daß das Besondere nicht nur ein dem Verstand, sondern auch ein der Vernunft gegenüber Zufälliges ist." Das Vernunftprinzip der Erzeugung muß deshalb in dieser Rücksicht korrigiert werden, und in Ansehung dieser zur Möglichkeit einer Beurteilung der Natur notwendigen Korrektur - also als Forderung nach einem für die innere Kausalität des Zufälligen erklärungstauglichen Prinzip - ist die Urteilskraft auf die Vernunft bezogen. Im Absatz 3 des § 64 stellt Kant die verlangte Struktur des von der Vernunft hervorzubringenden Begriffs eines Naturzwecks dar. Diese Darstellung ist aber aus zwei Gründen vorläufig (vergl. 370/286): Erstens, weil sie möglicherweise - dies wird von Kant ausdrücklich in Betracht gezogen - antithetisch ist (vergl. 370/286: "Wenn nicht etwa hierin gar ein Widerspruch liegt!") und zweitens, weil sie nur die verlangte Struktur angibt, also die Forderung an die Vernunft formuliert und noch nicht eine Deduktion dieses Begriffs darstellt. Vorläufig, also mit der in dieser Darstellung gebotenen Zurückhaltung, erfolgt die Erklärung: "[...] ein Ding existirt als Naturzweck, w e n n e s v o n s i c h s e l b s t (obgleich in zwiefachem Sinne) U r s a c h e u n d W i r k u n g i s t ; denn

11

Vergl. für das Verhältnis der Kategorien zum Begriff der Zweckmäßigkeit: I.Bauer-Drevermann, "Der Begriff der Zufälligkeit in der Kritik der Urteilskraft", Kantstudien Bd.56 (1965). In dieser Untersuchung wird leider das Verhältnis des Ideals der reinen Vernunft zum Prinzip der Urteilskraft nicht berücksichtigt. Gleichwohl gelingt es Bauer-Drevermann, deutlich zu machen, daß die Position der dritten Kritik "die in der ersten Kritik ausgesprochene Annahme einer durchgängigen Konkretisierung des Allgemeinen zum Besonderen hin korrigiert." (S305)

190

Untersuchung der Kausalstruktur

hierin liegt eine Causalität, dergleichen mit dem bloßen Begriffe einer Natur, ohne ihr einen Zweck unterzulegen, nicht verbunden, aber auch alsdann zwar ohne Widerspruch gedacht, aber nicht begriffen werden kann." (370-371/286)

II. Von der Notwendigkeit einer Deduktion des Begriffs eines Naturzwecks Auf der Grundlage der Untersuchung in § 64 kann die Definition des Begriffs eines Naturzweckes gegeben werden: "[...] ein Ding, welches als Naturproduct doch zugleich nur als Naturzweck möglich erkannt werden soll, (muß/JP) sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung verhalten [...]." (372/289)

Dies ist jedoch, wie Kant sagt, "ein etwas uneigentlicher und unbestimmter Ausdruck" (372/286). Erst durch die Ableitung von einem "bestimmten Begriffe" kann verständlich gemacht werden, daß die mit der Wendung "im Naturzweck sei ein Ding von sich selbst im zweifachen Sinne Ursache und Wirkung" (vergl. 368/286) beschriebene Kausalstruktur nicht irgendeine willkürlich erdachte Konstruktion ist, sondern eine solche, die von einem transzendentalen Prinzip der Zweckkausalität her begründet wird. Eine Deduktion ist also deshalb erforderlich, weil bislang unbestimmt bleibt, wie diese Kausalstruktur von der Vernunft vorgestellt werden kann, und auf welchen besonderen Gegenstand in der empirischen Anschauung eine solche Struktur bezogen werden soll. Darüber hinaus muß in dieser Deduktion deutlich werden, worin eine Beurteilung nach dem Begriff eines Naturzwecks eine gegenüber der Beurteilung nach mechanischer Kausalität leistungskräftigere Alternative darstellt und wie weit sich der Geltungsbereich dieser Alternative erstreckt. Damit besteht die Aufgabe der Deduktion in dem Nachweis, daß eine solche Kausalstruktur ein besonderer Gegenstand beurteilt werden kann. Die Deduktion richtet sich demnach sowohl auf die Rechtmäßigkeit der Hervorbringung als auch auf den Erklärungswert in ihrem Gebrauch. III. Vorstellung der Voraussetzung zur Möglichkeit einer Deduktion des Begriffs eines Naturzwecks Kant bereitet diese Deduktion mit der Darstellung der Kausalverbindung, wie sie durch den Verstand a priori vorgestellt wird, vor: Es ist "eine Verknüpfung, die eine Reihe (von Ursachen und Wirkungen) ausmacht, welche immer abwärts geht" (372/289), d.h. Bewirktes steht in

Voraussetzung zur Möglichkeit einer Deduktion

191

einer Abhängigkeit von einer die Wirkung logisch vorgängig bedingenden Ursache; dies ist das Einheitsprinzip dieser Beziehung. Wird diese Struk-tur auf die empirische Anschauung bezogen, dann tritt die Zeitlichkeit hinzu, so daß "Dinge selbst, welche als Wirkungen andere als Ursache voraussetzen [...] von diesen nicht gegenseitig zugleich Ursache sein" können (372/289). Das Kausalprinzip ist hierin transzendentales Prinzip der Einheit der Verknüpfung aller Veränderungen. Die Vorgängigkeit der Ursache ist somit in der Zeitreihe gesetzt, die Wirkung als in einem zeitlichen Nachhinein vorgestellt. Diese Kausalverbindung nennt Kant die der wirkenden Ursachen (nexus effectivus) (vergl. 372/289). Durch die Vernunft kann demgegenüber eine Kausalverbindung ganz anderer Art "gedacht werden" (372/289), nämlich eine solche, "[...] welche, wenn man sie als Reihe betrachtete, sowohl abwärts als aufwärts Abhängigkeit bei sich führen würde, in der das Ding, welches einmal als Wirkung bezeichnet ist, dennoch aufwärts den Namen einer Ursache desjenigen Dinges verdient, wovon es die Wirkung ist." (372/289)

Die Vorstellung dieser Kausalverbindung ist nicht mehr als eine alternative Möglichkeit des Subjektes, sich über die Vernunft eine andere Struktur von Kausalverhältnisses denken zu können, als die nach Verstandesgesetzen. Das Subjekt muß sich aber notwendig auf diese Vorstellung beziehen, weil die innere Zweckmäßigkeit der Form des Besonderen durch die mechanische Kausalität nicht erklärt werden kann und nur zwei Arten der Kausalität denkbar sind (vergl. 373/290). Eine Verknüpfung nach Endursachen (nexusfinalis)(vergl. 372/289) ist darum lediglich eine ideale Kausalstruktur; die Verstandeskausalität (als apriorisches Prinzip der Einheit in der Erfahrung von Veränderung in der Erscheinung) ist demgegenüber eine reale Verknüpfung (vergl. 372-373/290). Deshalb kann durch die Ableitung aus einer idealen Struktur des Verhältnisses von Ursache und Wirkung nicht die Natur um ein Gesetz bereichert werden; vielmehr ist nur das Subjekt um ein Prinzip der Beurteilung bereichert, das seinen Ursprung "im Praktischen" (289) hat. Demgemäß stellt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Gebrauchs dieses Prinzips von Endursachen in Ansehung der Beurteilung von Kausalverhältnissen in der Natur. Die Frage ist also, wie dieses Prinzip als ein Prinzip der Natur verstanden werden kann und auf welchen Gegenstand - auf welches Produkt der Natur - es zu beziehen ist; dies ist das Problem dieser Deduktion. Die Kausalstruktur muß deshalb so deduziert werden, daß das Prinzip die Bedingung formuliert, von der her die Möglichkeit der inneren Form des Gegenstandes als Grund seiner Existenz vorgestellt werden kann. In der von der Vernunft abzuleitenden Kausalstruktur muß berücksichtigt sein, daß es sich um die Deduktion eines Prinzips zur Beurteilung eines inneren

192

Untersuchung der Kausalstruktur

Bedingungsverhältnisses handeln soll, worin der Begriff eines Zweckes nicht als ein der Natur äußeres Prinzip vorgestellt werden kann, sondern als ein "Erkenntnißgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten ist" (373/291). In dieser Rücksicht muß der Zweckbegriff als in der - und nicht als an der - in der Anschauung gegebenen Materie wirkend aufgefaßt werden können, so daß der Begriff dieses Kausalprinzips quasi das Schema seines Gebrauches in sich trägt. Kant bindet die Möglichkeit der Deduktion (die Ableitung der Kausalstruktur im Begriff eines Naturzwecks aus der Vernunftkausalität) an zwei Voraussetzungen: "Zu einem Dinge als Naturzwecke wird [...] e r s t l i c h erfordert, daß die Theile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriffe oder einer Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß." (373/290)

Dies ist aber noch kein zureichendes Kriterium, denn es stellt nicht sicher, daß das Ding ein Ding der Natur ist; es erklärt die Existenzmöglichkeit über den Bezug auf eine Idee, die dem Ding äußerlich ist, also durch eine von ihm unterschiedene vernünftige Ursache, "deren Causalität [...] durch ihre Idee von einem dadurch möglichen Ganzen [...] bestimmt wird" (373/290). Diese Kausalstruktur verfehlt den Gegenstand, denn er wird als Kunstprodukt begriffen. Eine Erklärung der inneren Zweckmäßigkeit der Form der Dinge nach Endursachen ist demgemäß nur dann legitim, wenn zweitens ausdrücklich sichergestellt ist, daß die Dinge hierin als Produkte der Natur beurteilt werden bzw.: "[...] daß die Theile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind." (373/291)

In dieser Vorstellung wäre die Zweckkausalität eine dem Ding eigene Kausalität, nämlich das Beziehungsverhältnis eines in sich geschlossenen Systems wechselseitiger Bedingtheit der Teile und des Ganzen, welches als Reihe betrachtet weder aufwärts noch abwärts vorgestellt ist, sondern worin "die Verknüpfung der w i r k e n d e n U r s a c h e n zugleich als W i r k u n g d u r c h E n d u r s a c h e n beurtheilt werden könnte" (373/291). Diese zweckmäßige Kausalverbindung würde sich so verstanden im Objekt erfüllen und nicht von einem dem Objekt Äußeren bedingt sein, so daß dem Zweckbegriff sein idealer Charakter (als Begriff einer die Zwecke setzenden Vernunft) genommen wäre, so, als ob ihm

Voraussetzung zur Möglichkeit einer Deduktion

193

Realität zukäme. Diese Deduktion ist aber nicht mehr als die Untersuchung der Voraussetzungen, unter denen eine denkmögliche, aber zunächst unbestimmte Kausalverknüpfung der Vernunft als eine bestimmte Zweckkausalität der Natur verstanden werden kann. Sie hebt hervor, daß, sofern es möglich ist, eine solche innere Kausalverknüpfung der Dinge zu deduzieren, der Bezug auf den Begriff eines Naturzwecks nicht nur mangels einer Erklärungsmöglichkeit durch mechanische Kausalität vollzogen wird, sondern deshalb, weil dieser Begriff für ein bestimmtes Prinzip steht: Von diesem bestimmten Prinzip her könnte ein Gegenstand, in Ansehung der inneren Zweckmäßigkeit seiner Form, nach dem Begriff eines Naturzwecks beurteilt werden, weil er eine Struktur von Kausalität erklärt, in der ein besonderes empirisches Objekt seiner inneren Form nach so vorgestellt wird, daß "[...] ein jeder Theil so, wie er nur d u r c h alle übrige da ist, auch als u m d e r a n d e r n und des Ganzen w i l l e n existirend, d.i. als Werkzeug (Organ) gedacht (wird/JP): welches aber nicht genug ist (denn er könnte auch Werkzeug der Kunst sein und so nur als Zweck überhaupt möglich vorgestellt werden): sondern als ein die anderen Theile (folglich jeder den andern wechselseitig) h e r v o r b r i n g e n d e s Organ, dergleichen kein Werkzeug der Kunst, sondern nur der allen Stoff zu Werkzeugen (selbst denen der Kunst) liefernden Natur sein kann: und nur dann und darum wird ein solches Product, als o r g a n i s i r t e s und s i c h s e l b s t organisirendes Wesen ein N a t u r z w e c k genannt werden können." (373-374/291-292)

Kant läßt jedoch bislang offen, auf welcher Grundlage diese Deduktion möglich ist. Deutlich wird aber, daß die Deduktion in der Vermittlung der heterogenen Erzeugungsprinzipien bestehen muß, also in dem Nachweis, daß wirkende Ursachen zugleich als Wirkung durch Endursachen beurteilt werden können (vergl. 373/291). Damit ist die Deduktion als ein Verfahren bestimmt, das seinen Ort nicht in der analytischen Untersuchung haben kann, sondern das ein Gegenstand der Dialektik sein muß. Hierauf wies Kant hin, als er betonte, daß diese Untersuchung nur als eine "vorläufige" (370/286) Darstellung des Problems verstanden werden darf, weil die Rechtmäßigkeit der Beurteilung durch den Begriff des Naturzwecks daran gemessen werden muß, ob "hierin gar ein Widerspruch liegt" (370/286). Die Möglichkeit dieser Deduktion gründet also in dem Aufweis eines Bezugsmomentes, über das eine eventuelle Widersprüchlichkeit aufgehoben werden kann. Dieser Aufweis ist aber ein Problem der Untersuchung im Rahmen der Dialektik. Dennoch kann von dem vorliegenden Ergebnis der Analyse her der Gegenstand des teleologischen Urteils bestimmt werden, weil eine solche Untersuchung nicht durch die Frage berührt wird, ob diese Beurteilung auf einem widerspruchsfreien Prinzip beruht.

Viertes Kapitel Bestimmung des Gegenstandsbereiches der teleologischen Reflexion I. Das Organische als der Gegenstand des teleologischen Urteils Der Struktur (vergl. 373-374/291-292) des Begriffs eines Naturzwecks ordnet Kant die lebendige Natur als den Gegenstandsbereich der teleologischen Reflexion zu. Das erste Charakteristikum der Objekte dieses Bereiches ist, daß sie in Ansehung ihrer inneren Kausalität nicht durch die Bewegungsgesetze erklärt werden können: "Ein organisirtes Wesen ist also nicht bloß Maschine: denn die hat lediglich b e w e g e n d e Kraft: sondern es besitzt in sich b i l d e n d e Kraft und zwar eine solche, die es den Materien mittheilt, welche sie nicht haben (sie organisirt): also eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den Mechanism) nicht erklärt werden kann." (374/293)

Organisierte Wesen zeichnen sich zum anderen darin aus, daß die bildende Kraft ein ihnen innerliches Prinzip ist und daß sie deshalb nicht als ein Analogon der Kunst nach einer äußeren verständigen Ursache beurteilt werden können (vergl. 374-375/293): "Sie (die Natur/JP) organisirt sich vielmehr selbst und in jeder Species ihrer organisirten Producte, zwar nach einerlei Exemplar im Ganzen, aber doch auch mit schicklichen Abweichungen, die die Selbsterhaltung nach den Umständen erfordert." (374/293)

Zufolge ihrer bildenden, selbsterhaltenden Kraft stellt die lebendige Natur eine besondere Klasse von Objekten dar, deren Beurteilung nur durch den Begriff des Naturzwecks geleistet werden kann, weil er eine besondere, eigene Struktur von Kausalität vorstellt. Wie aber die Natur über diese Kausalität ihren Produkten Realität verschafft, dies ist eine Frage, die nicht durch die Kausalstruktur des Naturzweckbegriffs beantwortet werden kann:12 12

K.Marc-Wogau untersucht die Kausalstruktur des Organischen eingehend am Ende der zweiten Studie. Vergl. dort S.193-213, in: "Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft".

Das Organische als Gegenstand des teleologischen Urteils

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"Genau zu reden, hat also die Organisation der Natur nichts Analogisches mit irgendeiner Causalität, die wir kennen." (375/294) Der Begriff eines Naturzwecks erklärt also nicht, wie Leben möglich ist, sondern nur, daß Lebendiges durch ein besonderes Kausalverhältnis beurteilt werden muß. Über dieses Prinzip zur Beurteilung organisierter Wesen kann nun beschrieben werden, worin deren innere Zweckmäßigkeit gründet: "Ein o r g a n i s i r t e s P r o d u c t d e r N a t u r i s t d a s , in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel i s t . Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuschreiben." (376/295-296) Damit ist dieses Prinzip aber zugleich funktionell auf die Beurteilung der organischen Natur restringiert: "Organisirte Wesen sind also d i e e i n z i g e n (Hervorhebung/JP) in der Natur, welche, wenn man sie auch für sich und ohne ein Verhältnis auf andere Dinge betrachtet, doch nur als Zwecke derselben möglich gedacht werden müssen, und die also zuerst dem Begriffe eines Z w e c k s , der nicht ein praktischer, sondern Zweck der N a t u r ist, objective Realität und dadurch für die Naturwissenschaft den Grund zu einer Teleologie, d.i. einer Beurtheilungsart ihrer Objecte nach einem besondern Princip verschaffen, dergleichen man in sie einzuführen (wenn man die Möglichkeit einer solchen Art Causalität gar nicht a priori einsehen kann) sonst schlechterdings nicht berechtigt sein würde." (375-376/295) Also ist allein der Organismus ein Gegenstand der teleologischen Reflexion. Dieses Kausalverhältnis betrifft deshalb nicht den objektiven Seinsgrund der Naturprodukte, sondern durch das Prinzip einer Zweckkausalität wird lediglich die Bedingung formuliert, unter der dem Subjekt eine Beurteilung des Organischen möglich ist:13

13

Vergl. W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.183: "Die Objektivität, von der hier die Rede ist, hat ihren Sinn [...] als ein Strukturmoment der reflektierenden Urteilskraft selbst. Von daher gesehen verweist nicht nur der faktische vorfindbare Organismus der Natur auf die reflektierende Urteilskraft; umgekehrt hat die reflektierende Urteilskraft eine Instanz, in deren Bestimmimg über die Möglichkeit einer Urteilskraft entschieden wird, die solches durch sich a priori bestimmen will, das nicht immer schon von dem Subjekt her bestimmt ist. Der Organismus zwingt die Urteilskraft, die Zweckmäßigkeit, unter der die Urteilskraft das von ihr Bestimmbare auf sich bezogen sein läßt, so zu artikulieren, daß dabei der Zweck, den die Urteilskraft konzipiert, nicht nur ein schon unter diesem Zweck Stehendes trifft."

196

Bestimmung des Gegenstandsbereiches der teleologischen Reflexion

"Der Begriff eines Dinges, als an sich Naturzwecks, ist also kein konstitutiver Begriff des Verstandes oder der Vernunft, kann aber doch ein regulativer Begriff für die reflectirende Urtheilskraft sein, nach einer entfernten Analogie mit unserer Causalität nach Zwecken überhaupt die Nachforschung über Gegenstände dieser Art zu leiten [...]." (375/294-295)

Trotz dieser Restriktion des Gebrauches des Begriffs eines Naturzwecks auf das Organische hat die Vernunft die Tendenz, den Gebrauch dieser Kausalstruktur auf die gesamte Natur zu erweitern. In den folgenden §§ 66 bis 68 untersucht Kant dieses Phänomen und bereitet hierdurch den Übergang zur Dialektik vor. II. Von der Tendenz zur Erweiterung des Gegenstandsbereiches der teleologischen Reflexion durch die Vernunft Kant beginnt diese Untersuchung mit dem Hinweis, daß das Prinzip der Beurteilung des Organischen der Veranlassung nach von der Erfahrung abgeleitet ist (vergl. 376/296); "[...] der Allgemeinheit und Nothwendigkeit wegen aber, die es von einer solchen Zweckmäßigkeit aussagt, kann es nicht bloß auf Erfahrungsgründen beruhen, sondern muß irgendein Princip a priori, wenn es gleich bloß regulativ wäre, und jene Zwecke allein in der Idee des Beurtheilenden und nirgend in einer wirkenden Ursache lägen, zum Grunde haben." (376/296)

Die Frage aber, welches Prinzip a priori hier zum Grunde liegt, wird von Kant nicht beantwortet. Der Bezug der Urteilskraft auf die Vernunft führt nämlich dazu, daß in der Analyse der teleologischen Reflexion nicht eindeutig bestimmt werden kann, von welchem der beiden Vermögen die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit des Regelativs begründet wird. Deshalb stellt Kant zunächst die Beziehung des Begriffs eines Naturzwecks auf die Vernunft vor: "Denn dieser Begriff führt die Vernunft in eine ganz andere Ordnung der Dinge, als die eines bloßen Mechanisms der Natur, der uns hier nicht mehr genug thun will." (377/297)

Der Gegenstand dieser Untersuchung ist also der unkritische Gebrauch dieses Begriffs durch die Vernunft, der darin besteht, daß im Zuge eines Schlußverfahrens der Gegenstandsbereich der teleologischen Reflexion erweitert wird. Für den Fall nämlich, daß die Vernunft das Prinzip a priori ist, welches die allgemeine Notwendigkeit des Regulativs begründet, kann der Gebrauch der teleologischen Maxime nicht bloß auf ein einzelnes

Von der Tendenz zur Erweiterung des Gegenstandsbereiches

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Phänomen in der Natur beschränkt sein. Der auf diese Annahme leitende Schluß ist: Wenn die Beurteilung einer Zweckmäßigkeit sich am Einzelnen als einem Produkt der Natur auf die Idee eines Naturzwecks beziehen muß, dann ist es legitim, daß diese Idee auch für alle jene Objekte in Anschlag gebracht wird, die als Natur begriffen werden müssen. Kant formuliert diesen Schluß folgendermaßen: "Eine Idee soll der Möglichkeit des Naturproducts zum Grunde liegen. Weil diese aber eine absolute Einheit der Vorstellung ist, statt daß die Materie eine Vielheit der Dinge ist, die für sich keine bestimmte Einheit der Zusammensetzung an die Hand geben kann: so muß, wenn jene Einheit der Idee sogar als Bestimmungsgrund a priori eines Naturgesetzes der Causalität einer solchen Form des Zusammengesetzten dienen soll, der Zweck der Natur auf A l l e s , was in ihrem Producte liegt, erstreckt werden. Denn wenn wir einmal der gleichen Wirkung i m G a n z e n auf einen übersinnlichen Bestimmungsgrund über den blinden Mechanism der Natur hinaus beziehen, müssen wir sie auch ganz nach diesem Princip beurtheilen; und es ist kein Grund da, die Form eines solchen Dinges noch zum Theil vom letzteren als abhängig anzunehmen, da alsdann bei der Vermischung ungleichartiger Principien gar keine sichere Regel der Beurtheilung übrig bleiben würde." (377/297)

Es scheint also ein legitimer Grundsatz der Naturlehre zu sein, daß " n i c h t s v o n u n g e f ä h r geschehe" (376/296), daß vielmehr alles, was als ein Naturprodukt verstanden werden muß, als nach einem Zweck existierend möglich ist. Die Beurteilbarkeit der inneren Zweckmäßigkeit eines gegebenen Bedingten durch den Begriff eines Naturzwecks inauguriert damit den Anspruch der Vernunft im Hinblick auf seinen Gebrauch als absolutes Prinzip jeder Beurteilung einer Zweckmäßigkeit von Dingen in der Natur. Dieser Gebrauch, dies gilt es hier ausdrücklich zu betonen, ist keinesfalls von Kant als ein rechtmäßiges Verfahren vorgestellt. Was Kant hier vielmehr demonstriert, das ist der Sachverhalt, daß die Urteilskraft im Gebrauch des Vernunftbegriffs ihren autonomen Prinzipienstatus verlieren kann, wenn sie diesen nicht konsequent zur Geltung bringt, also ihr Vermögen der kritischen Distanz im Gebrauch dieses Begriffs nicht voll entfaltet. Wird die Spannung des Prinzips der Urteilskraft zu der Tendenz der Erweiterung des Gegenstandsbereiches durch den Vernunftbegriff dadurch aufgehoben, daß sich die Urteilskraft in der Beurteilung unkritisch an diesem Begriff ausrichtet, unterliegt sie selbst der Tendenz einer Verabsolutierung, weil sie sich der Gesetzgebung der Vernunft unterwirft. Dies wird in der zweiten Abteilung (Dialektik) näher von Kant untersucht werden. Zunächst kann dieses Verfahren aber schon durch den Hinweis,

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Bestimmung des Gegenstandsbereiches der teleologischen Reflexion

daß die gesamte Natur kein Gegenstand der Anschauung sein kann, in seinem spekulativ-dogmatischen Charakter durchschaut werden. Dies ist kein neues Ergebnis der dritten Kritik, sondern ein von der Dialektik der ersten Kritik her bekannter und dort ausgiebig entfalteter Sachverhalt. Es ist daher polemisch zu verstehen, wenn Kant die Naturwissenschaftler, die ihr regulatives Prinzip zur Beurteilung des Organischen zum Prinzip aller Dinge erheben, als "Zergliederer der Gewächse und Thiere" bezeichnet (vergl. 376/296). Es "ist bekannt", wie Kant sagt, daß diese Wissenschaftler ihr Prinzip für alles in der Natur "geltend machen" (vergl. 376/296). Dieses Phänomen beweist aber nicht die Legitimität ihres Verfahrens, sondern vielmehr die Notwendigkeit einer Kritik. Die Konsequenz dieser Totalisierung ist nämlich die Negation jeglicher Naturmechanik und damit die Leugnung eines allgemeinobjektiven Kausalgesetzes, wie es in der ersten Kritik von Kant als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt deduziert und in Rücksicht auf die Möglichkeit eines Übergangs von einer transzendental fundierten Kritik zur Doktrin einer newtonschen Physik in den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" dargestellt wurde. In § 67 stellt Kant eine weitere Variante des dogmatischen Gebrauchs dieses Begriffs vor, in der die "Natur überhaupt" (377/298) nach Zwecken beurteilt wird, also nach einem Gesichtspunkt, von dem her auf das Verhältnis der Naturdinge untereinander als wie auf ein System der Zwecke geschlossen wird. Diesem Gebrauch liegt jedoch ein anderer Schluß zugrunde, denn die schon aus dem Bereich der teleologischen Reflexion ausgegrenzte äußere Zweckmäßigkeit (vergl. § 63) legitimiert keinen Übergang zu dieser Vorstellung: "Von Dingen, deren keines für sich als Zweck anzusehen man Ursache hat, kann das äußere Verhältniß nur hypothetisch für zweckmäßig beurtheilt werden." (378/299)

Die Vorstellung von der Natur als einem System der Zwecke wird deshalb aus dem zur Beurteilung des Organischen notwendigen Begriff eines Naturzweckes hergeleitet: "Es ist also nur die Materie, sofern sie organisirt ist, welche den Begriff von ihr als einem Naturzwecke nothwendig bei sich führt, weil diese ihre specifische Form zugleich Product der Natur ist. Aber dieser Begriff führt nun nothwendig auf die Idee der gesammten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwecke, welcher Idee nun aller Mechanism der Natur nach Principien der Vernunft (wenigstens um daran die Naturerscheinung zu versuchen) untergeordnet werden muß." (378-379/300)

Der Vernunftbegriff eines Naturzwecks wird in diesem Gebrauch so verstanden, daß der Naturzweck Inbegriff dessen ist, was als Natur erfahrbar

Von der Tendenz zur Erweiterung des Gegenstandsbereiches

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ist, so daß jede Erscheinungweise der Natur, somit auch ihr mechanisches Bewegungsgesetz, in diesem Begriff enthalten ist und als eine Erscheinungsweise der Zweckkausalität verstanden wird:14 "Alles in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst; und man ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Producten giebt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten." (379/301)

Scheinbar entgegen dieser kritischen Exposition des dogmatischen Gebrauchs teleologischer Prinzipien räumt Kant jedoch die Möglichkeit ein, daß eine Erweiterung des Gegenstandsbereiches teleologischer Reflexion ein rechtmäßiges Verfahren darstellt (vergl. 379/301). Aber daß dieses Prinzip lediglich einen regulativen (und nicht konstitutiven) Status hat und nur als

14

Es ist keineswegs so, wie K.Roretz in seiner Arbeit "Zur Analyse von Kants Philosophie des Organischen" (Wien 1919) interpretiert, daß Kant für diese Rechtfertigung des Gebrauches teleologischer Prinzipien eintritt. Roretz, "Zur Analyse", S.34: "Es mag fraglich erscheinen, ob sich Kant der ungeheuren Forderung, die er durch Aufstellung dieses Grundsatzes an die Adresse der Biologen gerichtet hat, wirklich so ganz bewußt geworden ist; denn weder der Aufbau, noch der Abbau der lebenden Substanz wird jemals selbst dem überzeugtesten Teleologen eine Umprägung in die Ausdrucksformen restloser Finalität gestatten, und gerade der Empiriker Kant hat es in dieser Hinsicht an anderen Stellen seiner Urteilskraft so genau nicht genommen. Aber an dieser Stelle er hebt Kant nun einmal diese schwerwiegende Forderung! Ja, er wendet sich sogar ausdrücklich gegen den (vielleicht naheliegenden) Kompromißgedanken, als ob es irgendwelche physiologische Teäprozesse gebe, welche dieser universellen und strengen Teleologie n i c h t unterlägen. Ausdrücklich schärft er ein, es müsse der Zweck der Natur auf a l l e s , w a s in i h r e m P r o d u k t l i e g t , e r s t r e c k t werden. [...], somit kann es, für Kant, in der organischen Form auch nicht das kleinste dieser allgemeine Teleologie entzogene Fleckchen geben: alles im Organismus muß als organisiert betrachtet werden. - Schärfer konnte dieser Standpunkt - den man den p a n t e l e o l o g i s c h e n nennen möchte - wohl nicht formuliert werden." Roretz gelangt somit zwar zu der Einsicht, daß dieser dogmatische Versuch einer Fundierung der allgemeinen Teleologie die panteleologische Position charakterisiert, doch zieht er hieraus nicht die Konsequenz, daß unter diesem Aspekt seine Interpretation auf einem Mißverständnis beruhen muß: denn den Panteleologen das Wort zu reden, dies wäre entgegen Kants erkenntniskritischer Absicht. Ebenso wird von Harald Karja Kant unterstellt, er erörtere an diesem Ort Fälle der "transzendentalen Induktion", welche als ein legitimer Bestand der kritischen Philosophie verstanden werden muß (vergl. "Heuristische Elemente in der Kritik der teleologischen Urteilskraft", Diss. Heidelberg 1975, S.71-75). Demgegenüber werden wir im dritten Kapitel des zweiten Abschnittes unserer Untersuchung des empirischen Gebrauchs des Urteilsprinzips ("Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft") nachweisen, daß Kant nicht auf der Grundlage eines induktiven Verfahrens die teleologische Reflexion über die Beurteilung des Organischen hinaus auf die gesamte Naturerfahrung erweitert, sondern vielmehr auf der Grundlage einer erkenntniskritischen Funktionalität. Dieses Fungieren des Urteilsprinzips wird, wie wir sehen werden, dessen transzendentalen Charakter bestimmen.

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Bestimmung des Gegenstandsbereiches der teleologischen Reflexion

ein Leitfaden der Reflexion (und nicht der Subsumtion) verstanden werden darf, dieser Hinweis gibt keine Einsicht in den Grund dieser Möglichkeit. Dieses Problem hat demnach seinen Ort nicht in der Analytik, sondern es wird von Kant in der zweiten Abteilung dieser Kritik, der Dialektik der teleologischen Urteilskraft, geklärt werden.

Fünftes Kapitel Übergang zur Dialektik der teleologischen Urteilskraft Die Untersuchung der Dialektik der teleologischen Urteilskraft ist nach Kants Selbstverständnis die positive Fortbestimmung des teleologischen Urteilsvermögens auf der Grundlage des Ergebnisses der Analytik, die ihre Vollendung in der transzendentalen Deduktion des Urteilsprinzips ßndet. Wir werden deshalb von dem bisherigen Resultat der Untersuchung her deutlich machen, in Hinblick auf welchen Sachzusammenhang die Dialektik notwendig an die analytische Untersuchung anknüpfen muß. Eine absolute teleologische Reflexion gründet in der Autonomie der Urteilskraft, d.h., weil es das Zufällige in der Natur ist, welches beurteilt werden soll, muß auf einen Begriff reflektiert werden, der noch nicht gegeben ist. Diese Suche nach einem Begriff ist dadurch charakterisiert, daß die Vorstellung einer Kausalität aus Absicht durch die Urteilskraft zum Begriff einer Naturzweckkausalität modifiziert wird. Auf welcher Grundlage der Urteilskraft diese Korrektur der Vernunftkausalität möglich ist, dies läßt Kant jedoch noch offen. Ein weiteres Merkmal dieser Reflexion besteht in der Restriktion des Begriffs eines Naturzwecks auf den die teleologische Beurteilung veranlassenden Gegenstand (den Organismus). Dieser Restriktion des regulativen Gebrauchs steht die Tendenz der Vernunft entgegen, aus einer Zweckmäßigkeit besonderer Objekte (oder aus dem Begriff des Naturzwecks) auf eine Zweckmäßigkeit der Naturdinge untereinander (oder der Natur überhaupt) zu schließen. Mit der Forderung nach einer Restriktion des Gebrauchs steht somit die Beantwortung der Fragen aus, warum die Erweiterung des Gebrauches auf der Grundlage von Schlußverfahren kein (auch in nur regulativer Rücksicht des Gebrauches) akzeptables Verfahren darstellt, und wie diese Forderung mit dem Anspruch Kants in Einklang zu bringen ist, daß die reflektierende Urteilskraft über ihr Prinzip eine Zweckmäßigkeit der Natur überhaupt (also nicht nur beschränkt auf das Organische) soll voraussetzen können. Die Analytik legte somit nur die charakteristische Eigenart der teleologischen Reflexion frei, welche wesentlich durch ein Spannungsverhältnis von Urteilsprinzip und Vernunft gekennzeichnet ist. Diese Spannung bildet den Ausgangspunkt der Untersuchung einer Dialektik im Gebrauch des Begriffs eines Naturzweckes. Die Untersuchung dieser

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Übergang zur Dialektik der teleologischen Urteilskraft

Dialektik stellt deshalb eine Revision des Ergebnisses der Analytik dar, in der Kant die Beziehung von Vernunft und Urteilskraft unter dem Aspekt ihres Widerstreits in Ansehung des Ursprungs und des Gebrauches teleologischer Prinzipien bestimmt. Wenn das teleologische Prinzip nämlich ein inneres Prinzip der Naturwissenschaft ist, wie Kant behauptet (vergl. § 68) und nicht aus auswärtigen Prinzipien der Theologie abgeleitet wird oder auf eine Theosophie leitet, dann müssen Naturzweck und Mechanik der Natur als unter einem widerspruchsfreien Beurteilungsprinzip des erfahrungsimmanenten Gebrauchs enthalten gedacht werden können. Dies ist ein Problem der Transzendentalphilosophie und nicht der doktrinalen Wissenschaften, denn die Physik abstrahiert, um "sich genau in ihren Gränzen" zu halten, von der Frage, "ob die Naturzwecke a b s i c h t l i c h oder u n a b s i c h t l i c h sind, gänzlich" (382/307). Sie hält sich hierin gegen jede metaphysischen Spekulation zurück, indem sie schon durch den Ausdruck eines "Zweckes der N a t u r " einer eventuellen Vermischung von Naturwissenschaft und theologischer Betrachtimgsweise vorbeugt (vergl. 381/305). Als ein inneres Prinzip der Naturwissenschaft soll die Teleologie lediglich die Funktion haben "zum Gebrauche der Vernunft eine andere Art der Nachforschung, als die nach mechanischen Gesetzen ist," hinzuzufügen, "um die Unzulänglichkeit der letzteren selbst zur empirischen Aufsuchung aller besondern Gesetze der Natur zu ergänzen" (383/308), denn es soll, wie Kant betont, nicht ein besonderer Grund der Kausalität in die Physik eingeführt werden: "Genug, es sind nach Naturgesetzen, die wir uns nur unter der Idee der Zwecke als Princip denken können, einzig und allein e r k l ä r b a r e und bloß auf diese Weise ihrer inneren Form nach, sogar auch nur innerlich e r k e n n b a r e Gegenstände." (383/307-308) "[...] es soll dadurch nur eine Art der Causalität der Natur nach einer Analogie mit der unsrigen im technischen Gebrauche der Vernunft bezeichnet werden, um die Regel, wonach gewissen Producten der Natur nachgeforscht werden muß, vor Augen zu haben." (383/309)

Damit ist zunächst auf der Grundlage einer erkenntniskritischen Analyse der regulative Status des Begriffs eines Naturzwecks bestimmt: Das teleologische Prinzip geht "nicht die Beschaffenheit der Dinge" an, sondern nur "ihre Beziehung auf Zwecke, so fern diese eine zur Ursache nothwendig gehörige Beziehung sein soll, [...] weil diese Notwendigkeit der Verknüpfung gänzlich die Verbindung unserer Begriffe [...] angeht" (384/310). "Würden wir [...] der Natur a b s i c h t l i c h -wirkende Ursachen unterlegen, mithin der Teleologie nicht bloß ein r e g u l a t i v e s Princip für die bloße

Übergang zur Dialektik der teleologischen Urteilskraft

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B e u r t h e i l u n g der Erscheinungen, denen die Natur nach ihren besondern Gesetzen als unterworfen gedacht werden könne, sondern dadurch auch ein c o n s t i t u t i v e s Princip der A b l e i t u n g ihrer Producte von ihren Ursachen zum Grunde legen: so würde der Begriff eines Naturzwecks nicht mehr für die reflektirende, sondern die bestimmende Urtheilskraft gehören; alsdann aber in der That gar nicht der Urtheilskraft eigenthümlich angehören (wie der Begriff der Schönheit als formaler subjectiver Zweckmäßigkeit), sondern als Vernunftbegriff eine neue Causalität in der Naturwissenschaft einführen, die wir doch nur von uns selbst entlehnen und anderen Wesen beilegen, ohne sie gleichwohl mit uns als gleichartig annehmen zu wollen." (360-361/270)

Das Kernproblem der Kritik ist somit dies: nämlich wie das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur ein transzendentales Prinzip der Urteilskraft sein kann. Diese Untersuchung wird im Rahmen einer Darstellung der Dialektik der teleologischen Urteilskraft geleistet. Die Dialektik muß zur Lösung dieses Problems den entscheidenden Beitrag liefern, denn transzendental ist das formale Prinzip der Urteilskraft nur dann, wenn der Beweis erbracht werden kann, daß der Begriff eines Naturzwecks und die mechanische Kausalität durch das Prinzip der Urteilskraft allein (und nicht auch durch die Vernunft) als eine Einheit gedacht werden können und somit nur die teleologische Reflexion als ein inneres Prinzip der Naturwissenschaft verstanden werden kann und nicht etwa auch die "Vernunftteleologie". Deshalb hat diese Deduktion ihren Ort nicht in der analytischen Untersuchung des teleologischen Urteils, sondern in der Darstellung seiner Dialektik, die in einer Untersuchung des kritischen Gebrauchs regulativer Prinzipien besteht.15

15

Hierzu K.Düsing, "Die Teleologje in Kants Weltbegriff" (Bonn 1968), S.89: "Daß wir Organismen mechanisch nicht erklären können, ist für Kant ein Faktum. Daß die reflektierende Urteilskraft aber zur Beurteilung dieser organischen Formen gerade den Begriff eines Zwecks anwendet, muß erst eigens gerechtfertigt werden. Dies ist, wie Kant zeigt, nur zu verstehen aus der Eigenart unseres diskursiven Verstandes im Unterschied zum intuitiven. Kant gibt hiermit der Anwendung des Zweckbegriffes auf die organische Natur, die - wie nach Kant die Erfahrung lehrt - für uns nicht völlig mechanisch erklärbar ist, ihre transzendentalphilosophische Begründung, die er im § 77 der Kritik der Urteilskraft darstellt."

Zweiter Abschnitt Die Dialektik der teleologischen Urteilskraß Aufbau der Untersuchung der Dialektik der Urteilskraft Der § 69, mit dem Kant die zweite Abteilung "Dialektik der teleologischen Urtheilskraft" eröffnet, trägt den Titel "Was eine Antinomie der Urtheilskraft sei" (385/311). Auffällig ist hieran, daß nicht von einer der teleologischen Reflexion immanenten Antithetik die Rede ist; hier soll es sich vielmehr, so Kants Selbstverständnis, um eine Antithetik der Urteilskraft handeln. Nach der Darstellung des zweiten Abschnittes der Kritik der ästhetischen Urteilskraft ist dieses Vermögen aber nur dann in eine Dialektik verstrickt, wenn es "zuvörderst ν e r η ü η f t e 1 η d" ist (337/231/Hervorhebung JP). Also kann ein wirklicher Widerspruch nur in dem Fall vorliegen, daß von der Vernunft ein apriorischer Anspruch auf die Allgemeingültigkeit ihrer Prinzipien erhoben wird. Dieser Sachverhalt liegt auch der Dialektik der teleologischen Urteibkraft zum Grunde. Deshalb ist die teleologische Urteilskraft nur scheinbar in eine Dialektik verstrickt, denn als ein autonomes Vermögen ist sie keinem Anspruch der Vernunft unterworfen. Kants Darstellung dieses Sachverhaltes hat folgenden Aufbau: Der erste Schritt der Vorstellung dieser Dialektik ist die Darlegung eines Problems, welches sich von dem notwendigigen Gebrauch teleologischer Maximen her stellt. Auf einen Gegenstandsbereich (den der Natur) bezogen, scheint der Gebrauch zweier heterogener Prinzipien (der allgemeinen Bewegungsgesetze und der Technik der Natur) eine Dialektik im Hinblick auf den Naturbegriff zu erzeugen. Beide Maximen werden um der Möglichkeit einer durchgängigen Einheit der Naturerkenntnis willen in Anspruch genommen, aber die scheinbare Gegensätzlichkeit ihrer Aussagen über die Bedingungen von Naturobjekten im Allgemeinen als Verstandeskausalität und im Besonderen als Zweckkausalität macht diese Einheit problematisch. In einem zweiten Schritt demonstriert Kant, daß die Dialektik der Vernunft in Ansehung teleologischer Urteile nicht bloß dem Anschein nach unvermittelbar ist. Vielmehr gerät die Vernunft in einen Widerspruch ihrer Prinzipien, der nur auf der Grundlage einer autonomen Urteilskraß vermieden werden kann. Damit gründet die Kritik des Gebrauches teleologischer

Aufbau der Untersuchung der Dialektik der Urteilskraft

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Prinzipien durch die Vernunft in der reflektierenden Urteilskraft; sie wird im Rahmem dieser Dialektik als ein der Kritik unentbehrliches Prinzip gegen dieses "Vernünfteln" zur Geltung gebracht. Von dieser Darstellung her ist die Urteilskraft nicht nur das Prinzip eigener Identität, sondern darüber hinaus ein Prinzip der Einheit eines Denkens, welches sich im Denken des Absoluten als Einheit verfehlt und demgemäß erst im reflexiv gebrochenen Bezug auf sich (im Medium eines autonomen Urteilsvermögens) zur Einheit zu bringen vermag. Die von Kant in der ersten Kritik vorgetragene These, daß die Vernunft ein Vermögen der Selbstvermittlung des Denkens ist und hierin als das regulative Prinzip für eine systematisch durchgängige Erfahrung verstanden werden muß, wird durch dieses Ergebnis korrigiert}6 Diese Konsequenz steht in Kontinuität mit der Interpretation der Einleitungen im zweiten Teil unserer Untersuchung. Der letzte Schritt dieser Kritik besteht in der Vermittlung der heterogenen Urteilsprinzipien durch das prinzipienlogisch autonome Reflexionsvermögen der Urteilskraft. Die Aufhebung des dialektischen Scheins der teleologischen Urteilskraft bildet die Grundlage für die Deduktion des Prinzips der formalen Zweckmäßigkeit der Natur als eines transzendentalen Prinzips der Urteilskraft.

14

Vergl. "Kritik der reinen Vernunft", 457/B 723: "Wir haben bei Gelegenheit der Antinomie der reinen Vernunft gesagt: daß alle Fragen, welche die reine Vernunft aufwirft, schlechterdings beantwortlich sein müssen, [...]". Kant bezieht sich hierin auf folgende Aussage 33Ί/Β 505: "Ich behaupte nun, daß die Transscendentalphilosophie unter allem speculativen Erkenntniß diese Eigenthümlichkeit habe: daß keine Frage, welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrifft, für eben dieselbe menschliche Vernunft unauflöslich sei, [...] weil eben derselbe Begriff, der uns in den Stand setzt zu fragen, durchaus auch tüchtig machen muß, auf diese Frage zu antworten, indem der Gegenstand außer dem Begriffe gar nicht angetroffen wird [...]."

Erstes Kapitel Einführung in die Dialektik der Urteilskraft I. Die Antinomie der Urtälskraft unter dem Gesichtspunkt der möglichen Funktionen der Urteilskraft Zur Beantwortung der Frage, "was eine Antinomie der Urtheilskraß sei" (385/311), entwickelt Kant den scheinbaren Widerstreit über die Darstellung der differenten Funktionen der bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft: "Die b e s t i m m e n d e Urtheilskraft hat für sich keine Principien, welche B e g r i f f e v o n O b j e c t e n gründen. Sie ist keine Autonomie; denn sie s u b s u m i r t nur unter gegebenen Gesetzen, oder Begriffen, als Principien. Eben darum ist sie auch keiner Gefahr ihrer eigenen Antinomie und keinem Widerstreit ihrer Principien ausgesetzt." (385/311)

Eine Antithetik liegt (nach Kants Ausführungen in der ersten Kritik) dann vor, wenn mit einem zur Erfahrungserkenntnis subjektiv notwendigen Bezug auf Vernunftbegriffe ein Anspruch auf Objektivität verbunden wird, obwohl diese Begriffe transzendent sind.17 Werden Gegenstände in der Anschauung nach Ideen bestimmt, so führt dieses Verfahren in eine nicht aufzuhebende Antinomie. Hier ist die Urteilskraft in eine Dialektik verwickelt, die nicht sie selbst, sondern welche die Vernunft erzeugt, denn als bestimmende Urteilskraft steht sie unter der Gesetzgebung der Vernunft und ist sich nicht selbst Prinzip. Von einem Widerstreit der Urteilskraft kann deshalb nur dann die Rede sein, wenn sie als reflektierende Urteilskraft, d.i. als ein Prinzip eigener Funktionalität verstanden wird. Diese Einschätzung steht jedoch zunächst im Gegensatz zum Ergebnis des ersten Teils der Kritik, denn dort demonstrierte Kant in der Auflösung der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft, daß sie als ein Vermögen der Selbstgesetzgebung in keine Dialektik gerät. Sie gerät dort aber deshalb nicht in einen Widerstreit, weil sie nicht zur Beurteilung für etwas in Anspruch genommen wird, das außerhalb der Subjektivität gelegen ist.

17

Vergl. KdV: Der Antinomie der reinen Vernunft zweiter Abschnitt, Antithetik der reinen Vernunft 290-293/Β 448-453.

Die Antinomie der Urteilskraft

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Demnach liegt hier der Grund eines dialektischen Scheins darin, daß die Urteilskraft in der teleologischen Reflexion als ein Vermögen für die Erfahrungserkenntnis in Anspruch genommen wird. Ihr autonomer Status wird in dieser Reflexion so zur Geltung gebracht, daß sie auf die Adäquatheit eines Begriffs zur Natur reflektiert, ohne daß diese Reflexion durch den Begriff vorgängig determiniert wäre. Dies ist notwendig, weil die Möglichkeit zu einer solchen Reflexion in einer Distanz zur Begrifflichkeit gründet, denn nur so kann eine problematische Beziehung von Begriff und Natur nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit qualifiziert werden. Der dialektische Schein ist deshalb der Ausdruck eines Spannungsverhältnisses von Natur und Begriff, auf welches die Urteilskraft als autonomes Vermittlungsprinzip ursprünglich bezogen ist. Kant entwickelt die Dialektik der teleologischen Urteilskraft deshalb in Hinblick auf ihre Funktion für die Erfahrungserkenntnis des Zufälligen: "[...] die r e f l e c t i r e n d e Urtheilskraft soll unter ein Gesetze subsumiren, welches noch nicht gegeben [...] ist, [...]." (384/312)

Diese scheinbar paradoxe Aussage (die reflektierende Urteilskraft soll subsumieren) formuliert das epistemologische Dilemma, "vorkommende Fälle" (385/312) - also ein Besonderes in der Erfahrung - nur dann bestimmen zu können, wenn ein Allgemeines gegeben ist; da aber das Prinzip, von dem her das Besondere als Fall eines Allgemeinen verstanden werden soll, nicht gegeben ist, muß die Urteilskraft sich für eine Erfahrungserkenntnis des Besonderen der Natur an Maximen orientieren, um dieses Allgemeine zu finden: "Also hat in Beziehung auf solche Fälle die reflectirende Urtheilskraft ihre Maximen und zwar nothwendige zum Behuf der Erkenntniß der Naturgesetze in der Erfahrung, um vermittelst derselben zu Begriffen zu gelangen, sollten diese auch Vernunftbegriffe sein; wenn sie solcher durchaus bedarf, um die Natur nach ihren empirischen Gesetzen bloß kennen zu lernen." (385-386/312)

Der Urteilskraft mangelt es damit zwar an einem Grundsatz, der ein objektives Gesetz des Besonderen ist, aber durch ihr Prinzip ist ihr die formale Bedingung für die Beurteilung eines Gegenstandes in der Anschauung gegeben; dies ist ein Ergebnis der Analyse der ästhetischen Urteilskraft: "Das Princip des Geschmacks ist das subjective Princip der Urtheilskraft überhaupt" (286/145) Diese Behauptung wurde in § 35 begründet: "Weil [...] die Begriffe in einem Urtheile den Inhalt desselben (das zum

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Einführung in die Dialektik der Urteilskraft Erkenntnis des Objects Gehörige) ausmachen, das Geschmacksurtheil aber nicht durch Begriffe bestimmbar ist, so gründet es sich nur auf der subjectiven formalen Bedingung eines Urtheils überhaupt. Die subjective Bedingung aller Urtheile ist das Vermögen zu urtheilen selbst, oder die Urtheilskraft. Diese, in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweier Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben) und des Verstandes (für den Begriff als Vorstellung der Einheit dieser Zusammenfassung)." (287/145)

Weil kein apriorischer Begriff eines Allgemeinen als Gesetz des empirisch Besonderen vorliegt, wohl aber ein Verständnis von dem, worin die Möglichkeit einer Beurteilung überhaupt gründet, deshalb kann sich die Urteilskraft in ihrem Prinzip das Gesetz des Gebrauches von Maximen geben, an denen sie ihre Reflexion über die Natur ausrichtet: Sie ist sich in ihrem Prinzip der transzendentalen Zweckmäßigkeit ein "subjectives Princip zum zweckmäßigen Gebrauche der Erkenntnißvermögen" (385/312). Dieses Prinzip ist das Kriterium, von dem her sich eine Beurteilung des Besonderen in Orientierung an Maximen versteht. Nach Vorgabe einer Maxime kann Gegebenes in der Anschauung dann beurteilt werden, wenn in ihrem Gebrauch die Vermittlung von Einbildungskraft und Verstand, d.i. die zweckmäßige Relation der Erkenntniskräfte gelingt: "Da nun kein Gebrauch der Erkenntnißvermögen ohne Principien verstattet werden darf, so wird die reflectirende Urtheilskraft in solchen Fällen i h r s e l b s t z u m P r i n c i p dienen müssen: welches, weil es nicht objectiv ist und keinen für die Absicht hinreichenden Erklärungsgrund des Objects unterlegen kann, als bloß subjectives Princip zum zweckmäßigen Gebrauche der Erkenntnißvermögen, nämlich über eine Art Gegenstände zu reflectiren, dienen soll." (384/312/Hervorhebung JP) Mit dieser Erklärung steht der § 69 in unmittelbarem Bezug zu der Deduktion des Geschmacksurteils. Sie übernimmt die in der Analytik des Schönen gewonnene Struktur der reflektierenden Urteilskraft: Die Urteilskraß ist sich selbst autonomes Prinzip ihrer Funktionalität, welches in dieser Rücksicht nichts über das Objekt behauptet, sondern allein auf den zweckmäßigen Gebrauch der Erkenntnisvermögen, d.i. die Möglichkeit ihrer Vermittelbarkeit bezogen ist. Dieses Prinzip soll im Rahmen des zweiten Buches der dritten Kritik in Hinblick auf eine Antithetik in Anschlag gebracht werden. Es hat als autonomes Reflexionsprinzip eine Distanz zu dieser Problematik und kann sich deshalb reflexiv, in Ansehung des Geltungsstatus der in einem scheinbaren dialektischen Widerstreit befindlichen Behauptungen kritisch

Die Dialektik der Urteilskraft als Widerstreit der Maximen

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entfalten. Kritisch in dem Sinne, daß es durch Reflexion auf den Widerstreit ein Verständnis des Ursprungs dieser Dialektik liefert und zugleich zur Hebung des Widerstreites beiträgt. Eine Dialektik wird von Kant zum einen für die Urteilskraft als ein Widerstreit der Maximen und zum anderen als eine Antithetik der Vernunft vorgestellt.

II. Die Dialektik der Urteilskraft als Widerstreit der Maximen

Daß der Begriff eines Naturzwecks kein objektiver Begriff ist, dies ist bereits ein Ergebnis der Analytik der teleologischen Urteilskraft. Sein bloß regulativer Status, als Leitfaden zur Möglichkeit einer Bestimmung des Organischen, wurde schon ermittelt. Im Gegensatz zur ersten Kritik, deren Dialektik der reinen Vernunft die transzendentale Notwendigkeit eines regulativen Status der Ideen erst ermitteln mußte (die Frage nach diesem Status war dort das zentrale Problem), demonstriert Kant in dem vorliegenden dialektischen Widerstreit der teleologischen Urteilskraft, daß der Aufweis einer Regulativität von Ideen kein hinreichendes Kriterium für die Legitimation ihres Gebrauches ist. Der Gebrauch von Regulativen kann nämlich darin problematisch sein, daß die Maximen auf einen Sachverhalt leiten, der im Widerspruch zu dem steht, wofür sie funktionell in Anspruch genommen werden: nämlich im Widerspruch zu einer durchgängigen Einheit der

Naturerfahrung. Die Möglichkeit, daß die Urteilskraft im Prinzip ihrer Reflexion "irre" gemacht wird (387/314), muß für den Fall eingeräumt werden, wo durch Verstand und Vernunft zwei Maximen zur Disposition stehen, die, wenn sich die Urteilskraft an ihnen orientiert, in eine Antithetik führen, d.i. auf einen dialektischen Naturbegriff. Mit einer solchen Dialektik haben wir es hier zu tun. Die Antithetik entzündet sich an der Forderung nach einer "zusammenhängenden Erfahrungserkenntniß nach einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit der Natur, der Einheit der Natur nach empirischen Gesetzen" (386/313): "Bei dieser zufälligen Einheit der besonderen Gesetze kann es sich nun zutragen: daß die Urtheilskraft in ihrer Reflexion von zwei Maximen ausgeht, deren eine ihr der bloße Verstand a priori an die Hand giebt; die andere aber durch besondere Erfahrungen veranlaßt wird, welche die Vernunft ins Spiel bringen, um nach einem besonderen Princip die Beurtheilung der körperlichen Natur und ihrer Gesetze anzustellen." (386/313-314)

Diese Antinomie der Urteilskraft ist also nicht eine Antithetik des Prinzips der Reflexion, sondern eine Antinomie "dieser nothwendigen Maximen" (386/312) - an ihr entscheidet sich die Möglichkeit widerspruchsfreien Gebrauchs von Regulativen.

eines

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Einführung in die Dialektik der Urteilskraft

"Die erste M a x i m e derselben ist der S a t z : Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurtheilt werden. D i e z w e i t e M a x i m e ist der G e g e n s a t z : Einige Producte der materiellen Natur können nicht als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich beurtheilt werden (ihre Beurtheilung erfordert ein ganz anderes Gesetz der Causalität, nämlich das der Endursachen)." (387/314)

Wir stehen mit der Vorstellung dieser Antinomie vor dem Problem, das Kant in der zweiten Fassung der Einleitung als das Problem des Übergangs von der allgemeinen Analogie einer möglichen Erfahrung überhaupt zur besonderen bestimmte bzw. als das Problem einer sich vom Allgemeinen zum Besonderen spezifizierenden Gesetzmäßigkeit des Verstandes; es gilt, "[...) aus gegebenen Wahrnehmungen einer allenfalls unendliche Mannigfaltigkeit empirischer Gesetze enthaltenden Natur eine zusammenhängende Erfahrung zu machen, welche Aufgabe a priori in unserem Verstände liegt. Der Verstand ist zwar a priori im Besitze allgemeiner Gesetze der Natur, ohne welche sie gar kein Gegenstand einer Erfahrung sein könnte: aber er bedarf doch auch überdem noch einer gewissen Ordnung der Natur in den besonderen Regeln derselben, die ihm nur empirisch bekannt werden können, und die in Ansehung seiner zufällig sind." (2.Einl. 184/XXXIV-XXXV)

In Rücksicht auf die Möglichkeit einer "für uns faßlichen Ordnung von Gattungen und Arten" (2.Einl. 185/XXXV) wird diese vom Verstand her formulierte Idee einer sich vom Allgemeinen zum Besonderen spezifizierenden Natur zur apriorischen Voraussetzung für die Reflexion der Urteilskraft. Sie enthält die regulative Vorstellung, daß alle Erzeugung materieller Dinge nach dieser Idee beurteilbar sind, daß also der formale Aspekt des allgemeinen Naturbegriffs, d.i. die mechanische Verstandeskausalität (den die objektivierende Philosophie als konstitutives Prinzip der Natur auswies), hinreichendes Prinzip jeder Beurteilung von Naturobjekten sein kann. Die Aussage dieser Maxime ist: Alle Erzeugnisse der Natur sind von dem Gedanken der Spezifikation der allgemeinen Verstandesgesetze zu besonderen her beurteilbar. Nun ist es aber keineswegs so, daß, wie Kant an dieser Stelle sagt, der bloße Verstand a priori diese Maxime an die Hand gibt. Diese Darstellung überspringt den Sachverhalt, daß die Vernunft hier einen Anspruch auf Totalität um einer notwendigen Einheit der Erfahrungserkenntnis willen erhebt. Der Verstand ist hier nur das Paradigma für einen systematischen Zusammenhang differenter objektiver Grundsätze. Die Einheit der Erfahrung als System ist demgegenüber eine Idee, welche "nothwendig vorausgesetzt und angenommen werden muß, da sonst kein durchgängiger Zusammen-

Die Dialektik der Urteilskraft als Widerstreit der Maximen

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hang empirischer Erkenntnisse zu einem Ganzen der Erfahrung Statt finden würde [...]" (2.Einl. 183/ XXXIII). Kant zeigt in dieser Antithetik der Maximen, daß ein einseitiges Ausgerichtetsein der Urteilskraft an diesem Regulativ eine Dialektik zur Konsequenz hat: Denn einerseits muß das teleologische Prinzip zur Beurteilung des Besonderen in Anspruch genommen, weil das Besondere ein dem Verstand Zufälliges ist (dessen Gesetzlichkeit nicht aus dem Verstand abgeleitet werden kann), und andererseits muß die Gesetzlichlichkeit des Zufälligen ab eine Spezifikation allgemeiner Verstandesgesetze Oerstanden werden können, damit die systematische Einhät der Erfahrungserkenntnis sichergestellt ist. Somit hängt es von der Auflösung dieses Widerspruches ab, ob diese Idee als Maxime ein Regulativ im Urteilsprozeß sein kann. Das Verfahren der Klärung dieses Problems ist das der Kritik, Die Möglichkeit einer solchen Kritik ist an die Bedingung gebunden, daß das Vermögen, welches die Kritik leisten soll, nicht selbst von dieser Dialektik betroffen ist bzw. nicht selbst diesen Widerstreit erzeugt. Zugleich muß es sich hierbei um ein Vermögen handeln, das nicht will kürlich für eine Aufhebung des Widerstreites in Anspruch genommen wird, sondern dem sich das Problem dieser Antithetik notwendig stellt. Ein solches Vermögen ist die reflektierende Urteilskraft. Als ein Prinzip eigener Identität reflektiert sie in der Beurteilung der Natur auf die Geltung der Maximen und die Möglichkeit ihres Gebrauchs.18 Die mit der ersten Maxime formulierte Idee ist das Prinzip der systematischen Einheit, wie es Kant in der ersten Kritik vorgestellt hat, als eine Bedingung der Einheit in der Erfahrung des Besonderen: die Idee einer Spezifikation des Allgemeinen zum Besonderen. In der Antithetik zeigt sich nunmehr die Notwendigkeit einer Korrektur des Geltungsanspruches dieses Regulativs. Kants Versuch, die Vollendung des theoretischen Teils der Transzendentalphilosophie über diese Vernunftidee zu leisten, muß demnach als gescheitert betrachtet werden, weil sich vom Standpunkt der hier formulierten Dialektik die Begründung der teleologischen Naturbetrachtung aus der Vernunft

18

K.Marc-Wogau hebt mit Recht hervor, daß die Lösung des dialektischen Problems nicht in dem Nachweis gründen kann, daß die Maximen bloß subjektive Prinzipien sind. In diesem Falle wären sie "nicht kontradiktorisch entgegengesetzt, sondern nur disparat" und könnten "dann sehr wohl vereinigt werden"; der Widerspruch zwischen ihnen würde dann keine Auflösung mehr erfordern, denn "das ganze Problem" wäre "hierdurch schon gelöst und die langen Ausführungen der §§ 72 ff. überflüssig" ("Vier Studien", S.215). Vielmehr besteht die Dialektik der Maximen "in erster Linie in der Frage nach ihrer Objektivität" (ebd.) also als Frage nach dem objektiven Status von Regulativen. Hiermit bezieht sich Kant erneut auf ein in der ersten Kritik ungelöstes Problem (vergl. den zweiten Abschnitt des ersten Teils unserer Untersuchung).

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Einführung in die Dialektik der Urteilskraft

als unmöglich erweist. Das teleologische Prinzip ist hier als der Gegensatz zur Konzeption der sich zum Besonderen spezifizierenden allgemeinen Naturgesetze vorgestellt. Denn warum eine teleologische Naturbetrachtung in Hinblick auf eine Beurteilung des Zufälligen notwendig wird, dies konnte Kant in der Dialektik der reinen Vernunft gar nicht begründen. Der Hinweis darauf, daß es gegenüber einem nur formal konstitutiven Verstand auch ein Besonderes in der Erscheinung gibt, ist für den Gebrauch teleologischer Prinzipien kein taugliches Argument. Weil durch den Verstand das Besondere immer nur als ein Unbestimmtes vorgestellt wird, kann unmöglich verständlich gemacht werden, warum ein Besonderes ausgerechnet ein Gegenstand der teleologischen Reflexion sein kann. Der Begriff eines Naturzweckes hingegen ist ein Vernunftbegriff, der "durch besondere Erfahrungen veranlaßt wird" (386/314). Aus einer sich auf die besondere Natur erstreckenden allgemeinen Verstandesgesetzlichkeit läßt er sich nicht deduzieren: Die zweite Maxime ist in ihrem regulativen Gebrauch deshalb der Gegensatz zur Verstandeskausalität. Sie berücksichtigt das Besondere als Besonderes und scheint damit unvereinbar mit der mechanischen Kausalität, die durch den Verstand vorgestellt werden kann. Die Schwierigkeit im Gebrauch teleologischer Prinzipien liegt also nicht darin, daß man lediglich ihren regulativen Status erkennen müßte, um zu vermeiden, daß die Natur dogmatisch (als an sich ihre Produkte nach Endzwecken erzeugend) begriffen wird. Das epistemologische Dilemma besteht vielmehr darin, daß die Beurteilung der Natur unter teleologischem Aspekt (als exemplarisches Beispiel für die Annahme eines besonderen Naturgesetzes) auf eine Art der Kausalität verweist, die unverträglich mit dem Gesetz allgemeiner Verstandeskausalität scheint. Nicht jede Vorstellung besonderer Gesetze der Natur führt auf diese Problematik aber es kann sich zutragen, daß die Urteilskraft von zwei Maximen ausgehen muß (vergl. 386/314). Die Frage einer Beurteilbarkeit der besonderen Natur ist deshalb an diesem Fall zu entscheiden: Mit der teleologischen Beurteilung der Natur, die ein Erfordernis zur Beurteilung des Organischen ist, stellt sich das Problem der Einheit der Natur in der Weise einer Dialektik der Beurteilung des Besonderen als Moment eines Allgemeinen (Satz) und des Besonderen als Besonderen (Gegensatz). Wir können deshalb sagen, daß die Maxime, welche regulativ die Einheit der Erfahrungserkenntnis fundieren soll, zufolge der subjektiven Notwendigkeit ihres Gebrauches auf einen dialektischen Widerspruch im Inbegriff des Gegenstandes der Erfahrung führt, daß also im Naturbegriff "[...] diese zweierlei Maximen nicht wohl neben einander bestehen zu können den Anschein haben, mithin sich eine Dialektik hervorthut, welche die Urtheilskraft in dem Princip ihrer Reflexion irre macht." (386-387/314)

Die Dialektik der Urteilskraft als Widerstreit der Maximen

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Eine solche Antithetik verlangt notwendig nach einer Vermittlung. Beide Maximen sind für sich genommen untaugliche Regulative.19 Der Sachverhalt, der diese Irritation bewirkt, besteht darin, daß jede Position dieser Antithetik eine notwendige Bedingung für die Erfahrungserkenntnis enthält: Die erste Maxime garantiert die systematische Durchgängigkeit der Erfahrungserkenntnis, d.i. den Zusammenhang der empirischen Erfahrung als Einheit der Natur. Sie verfehlt aber, bedingt durch ihren apriorischen Ursprung, das Besondere als Besonderes und damit genau jenen Aspekt der Erfahrungserkenntnis, in Hinblick auf welchen sie den Anspruch erhebt, taugliche Maxime sein zu können. Die zweite Maxime berücksichtigt, daß der zu beurteilende Gegenstand ein in der Erfahrung besonderer ist und daher nach einem Prinzip beurteilt werden muß, das nicht Prinzip der Idee einer systematischen Einheit ist, wie sie über den Verstand formuliert werden kann. Die Orientierung an dieser Maxime

gewährleistet demnach nicht die zur Erfahrungserkenntnis notwendige durchgängige Einheit. Die Lösung kann also nicht einfach darin bestehen, daß die Urteilskraft, soweit der Gegenstand es erlaubt, sich einseitig an einem Regulativ ausrichtet und im Falle, daß dieses nicht hinreicht, sich am anderen orientiert. Keines der Regulative wird allein dem geforderten Anspruch gerecht, daher muß die Vereinigung beider Prinzipien das Ziel der Kritik sein (vergl. § 78).20 Bevor Kant jedoch demonstriert, wie durch das Prinzip der Urteilskraft diese Vereinigung begreiflich wird, wendet er sich der Antithetik der Vernunft zu.

19 20

Vergl. auch W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.214/215 Daß an den Nachweis der Möglichkeit einer Vermittlung dieser Maximen die Lösving des zentralen Problems der Kritik der Urteilskraft geknüpft ist, nämlich die Vermittlung der Gesetzgebung des Verstandes mit derjenigen der Vernunft, dies bleibt in der Untersuchung von A.Stadler über "Kants Teleologie" unberücksichtigt, denn der Autor erliegt dem Mißverständnis, "die Lösimg des Widerstreits" beruhe "auf der Einsicht, dass beide Sätze keine constitutiven, sondern nur regulative Principien sind. Anstatt Erzeugung muß es heissen Beurtheilung der Erzeugung. Wir dürfen uns jede Erörterimg darüber erlassen." (S.128)

Zweites Kapitel Die Antithetik der Vernunft Eine Antithetik der Vernunft liegt vor, wenn mit dem Gebrauch der Maximen ein Anspruch auf Unbedingtheit erhoben wird. Die Prinzipien der Vernunft werden dann nicht als Regulativ zur Möglichkeit für Erfahrung verstanden, sondern als eine Bedingung der Möglichkeit der Objekte. Dieser Gebrauch erzeugt einen unvermittelbaren dialektischen Widerstreit: "S a t z : Alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich." (387/314) " G e g e n s a t z : Einige Erzeugung derselben ist nach bloß mechanischen Gesetzen nicht möglich." (387/315)

Kant hebt durch die Wendung: " w e n n man diese regulativen Grundsätze für die Nachforschung nun in constitutive der Möglichkeit der Objecte selbst verwandelte, so würden sie so lauten: ..." (387/314/Hervorhebung JP) hervor, daß für diese "Verwandlung" keine Notwendigkeit besteht, denn die Maximen sind als Regulative ein bloßer Leitfaden der Reflexion. Nach Kants Selbstverständnis besteht aber eine Notwendigkeit in der Darstellung dieser Dialektik, weil von der Konstruktion dieses Widerstreites her auf ein immanentes Problem der Transzendentalphilosophie reflektiert werden kann. Dieses Problem reicht zurück in die Kritik der reinen Vernunft, und es besteht in der unzureichenden Deduktion des regulativen Gebrauchs von Vernunftprinzipien: Diese ist deshalb unzureichend, weil ohne eine Theorie des autonomen Reflexionsvermögens nicht verständlich wird, worin sich der immanente Gebrauch von problematischen Ideen durch die Urteilskraft vom Subsumtionsverfahren unterscheidet. Mittels dieser funktionellen Differenz kann aber erst der regulative Gebrauch von Vernunftprinzipien demonstriert werden. Von daher ist die Tatsache, daß das hier thematische Problem kein immanentes Problem der reflektierenden Urteilskraft ist, weil "die reflektierende Urteilskraft sich als reflektierende von dem hinsichtlich ihrer Gegenständlichkeit subsumierend vorgehenden Verfahren der theoretischen Vernunft ausdrücklich unterscheidet",21 gerade der Grund, diese Differenz ausdrücklich werden zu lassen - denn

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W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.193

Die Aporie der Vernunftprinzipien

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durch die Darstellung dieser Differenz ist es nunmehr möglich, einen Mangel der Theorie objektivierender Philosophie zu demonstrieren und durch eine Kritik der Urteilskraft zu korrigieren. Interessant an dieser Antinomik der Vernunft ist deshalb der von Kant angeführte Grund für die Unvermittelbarkeit der gegensätzlichen Positionen. Er liegt nämlich darin, daß die Urteilskraft als ein subsumierendes Vermögen auftritt und sich hierin der Gesetzgebung der Vernunft unterwerfen muß. Folglich wird die Urteilskraft in die Antithetik der Vernunft verstrickt, zu deren Lösung sie nicht beitragen kann. Deshalb - und dies ist der Sinn der Darstellung dieser Antithetik - kann das Problem einer mit sich in Widerstreit getretenen theoretischen Vernunft nur dadurch gelöst werden, daß die durch die Vernunft vorgegebenen Begriffe (Grundsätze/Prinzipien) als Maximen einer prinzipienlogisch autonom bestimmten Urteilskraft verstanden werden. I. Die Aporie der Vernunftprinzipien als Aporie der Gesetze der subsumierenden Urteilskraft Die unlösbaren Widersprüche dieser Antinomie der Vernunft auf der Grundlage einer Theorie der subsumierenden Urteilskraft bestehen auf drei Ebenen: der logischen, der transzendentalen und der metaphysischen. Das augenfälligste Problem dieser Antithetik ist das einer logischen Widersprüchlichkeit.22 Es besteht darin, daß der Universalitätsanspruch der Thesis mit der Aussage der Antithesis (einige Erzeugnisse sind nicht nach mechanischen Gesetzen möglich) unvereinbar ist; sie schließen sich in ihrem Geltungsanspruch wechselseitig aus. "In dieser [...] Qualität, als objective Principien für die bestimmende Urtheilskraft, würden sie einander widersprechen, mithin einer der beiden Sätze nothwendig falsch sein [...]." (387/315)

Weil die antithetischen Sätze als Prinzipien des Erfahrungsgegenstandes verstanden werden, setzt diese Dialektik sich in einer transzendentalen Aporie fort. Welcher dieser Grundsätze falsch ist, dies kann nur ermittelt werden, wenn die Prüfung ihrer Geltung sich im Medium eines Vermögens vollzieht, das als Prinzip eigener Identität in einer Distanz zur Vernunft steht. "Die bestimmende Urtheilskraft hat für sich" aber "keine Principien [...]; denn sie s u b s u m i r t nur unter gegebenen Gesetzen oder Begriffen, als Principien" (385/311). Als subsumierende Urteilskraft muß

22

Vergl. auch H.Karja, "Heuristische Elemente", S.87

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Die Antithetik der Vernunft

dieses Vermögen sich demnach, dem Bezug auf die Empirie vorgängig, an den Prinzipien der Vernunft ausrichten. Die Vernunft begegnet sich bei der Prüfung ihrer Grundsätze deshalb nur im eigenen Entwurf; sie kann deshalb "weder den einen noch den anderen dieser Grundsätze beweisen, weil wir von der Möglichkeit der Dinge nach bloß empirischen Gesetzen der Natur kein bestimmendes Princip a priori haben können." (387/315) Der logische Widerspruch ist somit von einer Theorie bestimmender Urteilskraft her unauflösbar, und der Versuch, die Antithetik zu heben, verlagert die Aporie auf die transzendentale Ebene. Der Sachverhalt, den Kant an dieser Stelle erörtert, ist dem vergleichbar, der in der ersten Kritik im Abschnitt: "Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik" als "der zweite Fehler, der aus der Mißdeutung des gedachten Princips der systematischen Einheit entspringt" dargestellt wird (455-457/B 720-724). Es heißt dort: "Die Idee der systematischen Einheit sollte nur dazu dienen, um als regulatives Princip sie in der Verbindung der Dinge nach allgemeinen Naturgesetzen zu suchen und, so weit sich etwas davon auf dem empirischen Wege antreffen läßt, um so viel auch zu glauben, daß man sich der Vollständigkeit ihres Gebrauchs genähert habe, ob man sie freilich niemals erreichen wird." (455/B

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"Das regulative Princip verlangt, die systematische Einheit als Nature i n h e i t , welche nicht bloß empirisch erkannt, sondern a priori, obzwar noch unbestimmt, vorausgesetzt wird, schlechterdings, mithin als aus dem Wesen der Dinge folgend vorauszusetzen." (456/B 721)

Bezogen auf den teleologischen Gottesbeweis argumentiert Kant nun, daß die Zugrundelegung eines ordnenden Wesens, welches die Natur nach Zwecken eingerichtet hat, den Naturbegriff transzendiert. Dies beweist nicht die verlangte Natureinheit; vielmehr ist die Vorstellung des ordnenden Viesens die Bedingung, von der her die Natur immer schon als dessen Produkt behauptet wird. "Daher entspringt ein fehlerhafter Cirkel im Beweisen, da man das voraussetzt, was eigentlich hat bewiesen werden sollen." (456/B 721) "Das regulative Princip der systematischen Einheit der Natur für ein constitutives nehmen und, was nur in der Idee zum Grunde des einhelligen Gebrauchs der Vernunft gelegt wird, als Ursache hypostatisch voraussetzen, heißt nur die Vernunft verwirren." (456/B 721-722)

Gleichwohl, so die These Kants in der ersten Kritik, "bleibt diese Idee immer richtig", wenn sie nur auf den regulativen Gebrauch restringiert worden ist (vergl. 456/B 722).

Die Aporie der Vemunftprinzipien

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Das Anliegen dieser Darstellung ist die positive Bestimmung einer regulativen Maxime, welche in theosophischer Absicht mißbraucht wird. Der Mißbrauch in ihrer dogmatischen Setzung als ein Konstitutiv soll hier der alleinige Grund für die Verwirrung der Vernunft sein. Daß der die Verwirrung verursachende Grund aber nicht allein darin besteht, daß die Naturordnung in einem transzendenten Wesen gründen soll, sondern daß bereits die regulative Annahme eines der Natur immanenten Prinzips bzw. der Hervorbringung bestimmter Produkte nach Naturzwecken die Irreführung bewirken kann, dies wird von Kant hier noch nicht gesehen. Deshalb steht diese Theorie des regulativen Gebrauches vor einem doppelten Problem: 1.) Es muß gezeigt werden, wie ein Regulativ dem genannten Zirkel entgehen kann, und 2.) wie sich im regulativen Begriff systematischer Einheit die Natureinrichtung nach Zwecken mit der mechanischen Kausalität zu der Einheit eines kritischen Naturbegriffs verhält, den sie a priori voraussetzt. 1.) Die Restriktion dieser Idee auf den regulativen Status schützt zwar vor einem dogmatischen Gebrauch in dem Sinne, daß diese Idee nicht als konstitutiv für die Natur in Anspruch genommen werden kann, doch kann Kant in der ersten Kritik nicht verständlich machen, worin sich der Gebrauch vorgegebener Begriffe qua Regulative strukturell und funktionell vom konstitutiven Gebrauch unterscheidet. Es ist in diesem Zusammenhang unzureichend, nur darauf zu verweisen, die Idee eines systematischen Zusammenhanges der Natur sei allein regulativ zu gebrauchen, wenn nicht gezeigt wird, wie diese Forderung zu verstehen ist. Die Frage, inwiefern sich dieser Gebrauch in Differenz zum Konstitutionsakt gestaltet, wird umgangen. Kant betont lediglich wiederholt, daß die Orientierung an den Ideen nicht die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes, sondern die Bedingung der Möglichkeit einer Erfahrung des Gegenstandes ist. Diese subjektive Notwendigkeit ihres Gebrauches charakterisiert den transzendentalen Status der Ideen. Hieraus folgt, daß sich das Subjekt (um der Einheit in der empirischen Naturerfahrung willen) der apriorischen Vorgabe der regulativen Begriffe nicht entziehen kann; es soll aber zugleich eine kritische Distanz zu ihnen wahren, um nicht in dogmatische Behauptungen zu verfallen. Dies ist nach der Darstellung des hypothetischen Vemunftgebrauches nicht zu leisten: Die Möglichkeit eines Bezuges auf die Empirie im Medium der Urteilskraft ist gebunden an die Vorgabe eines Begriffs und seines Schemas. Dies ist das in der Analytik gewonnene Paradigma der Möglichkeit von Erfahrungserkenntnis a priori, welches Kant für den empirischen Gebrauch der Ideen übernimmt; deshalb unterscheidet sich in subjektiver Rücksicht dieser Erfahrungsprozeß strukturell nicht von der Doktrin der Urteilskraft in der Analytik: Die Urteilskraft bezieht sich über ein Schema der Idee auf die Empirie. Dies ist

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Die Antithetic der Vernunft

die Struktur eines subsumierenden Urteilsaktes, und eine andere Funktion weist Kant diesem Vermögen in der Kritik der reinen Vernunft nicht zu.23 Deshalb muß er die Idee systematischer Einheit als subjektiv " g e s e t z g e b e n d " behaupten (vergl. 456/B 723), nämlich als gesetzgebend für die Urteilskraft. Die geforderte Differenz im Gebrauch regulativer und konstitutiver Begriffe verlangt nach der Bestimmung eines solchen Prinzips der Urteilskraft, das einen Gebrauch der Regulative verständlich macht. Diese Bestimmung wird aber von Kant nicht gegeben; damit ist die Charakterisierung der Idee als Regulativ nicht mehr als der bloße Verweis auf eine Einschränkung ihrer Geltung. Ihr Gebrauch im Medium subsumierender Urteilsleistung läßt deshalb nicht einsichtig werden, wie eine mit dem theologischen Beweisanspruch verbundene Zirkularität dadurch vermieden werden kann, daß der diesem Argument zugrunde gelegte Begriff nur hypothetisch verstanden werden darf, denn die Zirkularität hat ihren Grund nicht in dem Status des Begriffs, sondern in dem Fungieren der Urteilskraft. Der auf die Regulativität eingeschränkte Begriff verändert das Fungieren der Urteilskraft nicht, deshalb muß von der Funktionalität der Urteilskraft her exponiert werden, was es heißt, einen Begriff regulativ zu gebrauchen. Bezogen auf das Problem der Zirkularität des aus dem Ideal hergeleiteten Regulativs bedeutet dieses Ergebnis, daß Kant die Transzendentalphilosophie in der ersten Kritik nicht vollendet, sondern mit einem dialektischen Zirkel beschließt, dessen Unvermeidlichkeit eben darin gründet, daß die objektivierende Philosophie die Urteilskraft nur als ein bestimmendes Vermögen aufgewiesen hat. Weil die Urteilskraft nur in dieser Funktion vorgestellt ist, verharrt die Vernunft in diesem Zirkel. Die Forderung, ihre transzendentalen Ideen regulativ zu gebrauchen, ist ein im Rahmen der ersten Kritik uneinlösbares Verlangen. Die Zirkularität des dogmatischen Gebrauchs verlagert sich als transzendentales Problem einer Dialektik auf die metaphysial generalis. Hieraus wird deutlich, daß Kant am Beispiel der Antithetik der Vernunft in der Kritik der Urteilskraft nicht nur den Mißbrauch von Maximen als konstitutive Prinzipien demonstrieren will; die Möglichkeit dieses Gebrauchs wurde durch die bisherige Darstellung ausgeschlossen. Im Mittelpunkt dieser Antimomie steht der Hinweis, daß eine bestimmende Urteilskraft, die sich in ihrer Funktion von der Gesetzgebung der Vernunft her begreift, einer Zirkularität, die durch

° Vergl. hierzu K.Vorländer, "Immanuel Kant" (Hamburg 1977): "Die Urteilskraft, welche h i e r (in der Kritik der Urteilskraft/JP) in Betracht kommt, ist jedoch nicht mehr die aus der Kritik der reinen Vernunft bekannte, die einem gegebenen Allgemeinen (Regel, Prinzip, Gesetz) das Besondere unterordnet, von Kant jetzt b e s t i m m e n d e genannt, sondern eine andere ' r e f l e k t i e r e n d e ' , die zu einem gegebenen Besonderen das Allgemeine erst finden soll."

Die Aporie der Vernunftprinzipien

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den Gebrauch dieser Prinzipien bedingt ist, nicht entgeht: Denn als gesetzgebendes Prinzip für die bestimmende Urteilskraft ist die Vernunft das Vermögen, dem sich die Urteilskraft unterordnet. Deshalb ist diese Antinomie auch kein Widerstreit der Urteilskraft, "sondern ein Widerstreit in der Gesetzgebung der Vernunft" (387/315). Erst mit der autonom reflektierenden Urteilskraft besteht die Aussicht, die Antithetik zu vermeiden, da für die Entfaltung dieses Vermögens die Begriffe, "sollten diese auch Vernunftbegriffe sein" (386/312), nicht gesetzgebend sind. 2.) Über die unzureichende Bestimmung des Gebrauchs von Regulativen hinaus ist die Ideenlehre der ersten Kritik auch deshalb ein problematischer Entwurf, weil schon die Idee einer zweckmäßigen Natur selbst dialektisch ist. Das Prinzip der empirischen Erfahrungserkenntnis ist nämlich an sich widersprüchlich - also unabhängig davon, ob es dogmatisch oder regulativ gebraucht wird: Gefordert ist ein Prinzip der Möglichkeit des Besonderen, welches die Affinität besonderer Gesetze von einer Spezifikation des Allgemeinen her verständlich macht. Dieses Prinzip leitet Kant von der Idee eines "Verstandes überhaupt" ab. Die von der apriorischen Struktur des Vestandes her formulierte Idee erfaßt die spezifische Gesetzlichkeit des Besonderen in der Erscheinung aber nur in dem Rahmen einer mechanischen Gesetzmäßigkeit. Dennoch behauptet Kant, "die höchste formale Einheit, welche allein auf Vernunftbegriffen beruht", fordert, die " z w e c k m ä ß i g e Einheit der Dinge [...] so anzusehen, a l s ο b sie aus der Absicht einer allerhöchsten Vernunft entsprossen wäre" (452/Β 714), denn "ein solches Princip eröffnet [...] unserer auf das Feld der Erfahrungen angewandten Vernunft ganz neue Aussichten, nach t e l e o l o g i s c h e n Gesetzen die Dinge der Welt zu verknüpfen und dadurch zu der größten systematischen Einheit derselben zu gelangen" (452/B 715/Hervorhebung JP).

Diese Idee ist "nichts als ein regulatives Princip der Vernunft [...], um zur höchsten systematischen Einheit vermittels der Idee der zweckmäßigen Causalität der obersten Weltursache [...] zu gelangen" (453/B 716). Ein dialektisch-dogmatischer Gebrauch dieser Idee (der Schluß auf die Realexistenz eines dieser Idee adäquaten Wesens) soll nur dann vorliegen, wenn sie als ein Konstitutivum für die Erfahrung mißverstanden wird: "Denn da dienen alle sich in der Natur zeigende, oft nur von uns selbst dazu gemachte Zwecke dazu, es uns in der Erforschung der Ursachen recht bequem zu machen, nämlich anstatt sie in den allgemeinen Gesetzen des Mechanism der Materie zu suchen, sich geradezu auf den unerforschlichen Rathschluß der höchsten Weisheit zu berufen [...]." (454/B 719)

Dieser Gebrauch soll dadurch vermieden werden, daß "diese systema-

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tische Einheit der Natur in Beziehung auf die Idee einer höchsten Intelligenz g a n z a l l g e m e i n " gemacht wird (455/B 719). "Denn alsdann legen wir eine Zweckmäßigkeit nach allgemeinen Gesetzen der Natur zum Grunde, von denen keine besondere Einrichtung ausgenommen, sondern nur mehr oder weniger kenntlich für uns ausgezeichnet worden, und haben ein regulatives Princip der systematischen Einheit einer teleologischen Verknüpfung, die wir aber nicht zum voraus bestimmen, sondern nur in Erwartung derselben die physischmechanische Verknüpfung nach allgemeinen Gesetzen verfolgen dürfen. Denn so allein kann das Princip der zweckmäßigen Einheit den Vernunftgebrauch in Ansehung der Erfahrung jederzeit erweitern, ohne ihm in irgendeinem Falle Abbruch zu thun." (455/B 719-720)

Daß der so verstandene Näturbegriff aber in sich dialektisch ist, weil der teleologische Naturbegriff einen Widerspruch zur mechanischen Naturkausalität darstellt, dies gerät hier noch nicht in den Blick. Entsprechend hat aber die Urteilskraft in diesem Regulativ ein an sich widersprüchliches Bezugsmoment, dessen Antinomik nicht durchschaut werden kann, weil sie als Subsumtionsvermögen von der Gesetzgebung der Vernunft funktionell abhängig ist. Später, in der im Rahmen der Dialektik der teleologischen Urteilskraft vorgetragenen Antithetik der Vernunft, betont Kant die Widersprüchlichkeit des Naturbegriffes. Der Entwurf einer Ideenlehre als eines positiven Bestandes der metaphysica generalis auf der Grundlage einer "mit nichts als sich selbst beschäftigten Vernunft" (vergl. 448/Β 708) muß nach dieser Antithetik als gescheitert beurteilt werden, denn in dieser Konzeption wird ein Regulativ für die Erfahrungserkenntnis deduziert, von dem her der Naturbegriff in eine Dualität heterogener Erzeugungsprinzipien zerfällt. Diese Aporien der Vernunft zeigen, daß Kants Konzeption in der Dialektik der ersten Kritik einer Korrektur bedarf: Zum einem, weil sie die Möglichkeit einer Bestimmung des Besonderen nicht erklärt, und zum anderen, weil sie sich auf Begriffe stützt, deren Dialektik die Vernunft aus sich heraus nicht auflösen kann (vergl. 388/316). "Wenn man", wie Kant die Antithetik der Vernunft einleitete, die Problematik einer zusammenhängenden Erfahrungserkenntnis über die Konzeption einer der Urteilskraft das Gesetz gebenden Vernunft zu lösen versucht - und dies ist der Weg, den die erste Kritik geht - , dann gerät man in eine unauflösbare Dialektik. Es genügt deshalb nicht, die von einer "ins Spiel gebrachten Vernunft" (vergl. 386/314) her formulierten Grundsätze nur als Regulative zu verstehen; diese Regulative müssen als Maximen für den empirischen Erfahrungsgebrauch einer Kritik der Urteilskraft unterzogen werden, deren funktionale Eigenständigkeit diese Kritik ermöglicht und von der her die Auflösung der Dialektik geleistet werden kann. In diesem Sinne sagt Kant

Die Aporie der Vernunftprinzipien

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im Anschluß an die Antinomie der Vernunft, daß die thetische Maxime der Urteilskraft keinen Widerspruch enthält, denn sie wird als ein Regulativ von der Möglichkeit ihres Gebrauches durch das Reflexionsvermögen her bestimmt (vergl. 387/315). Über diesen Gebrauch erst wird es möglich, auf ein Prinzip des durchgängigen Zusammenhanges von physisch-mechanischer und technischer Kausalität zu reflektieren, "[...] nur daß unsere Vernunft sie in einem solchen nicht zu vereinigen im Stande ist und die Urtheilskraft also als (aus einem subjectiven Grunde) r e f l e c t i r e n d e , nicht als (einem objectiven Princip der Möglichkeit der Dinge an sich zufolge) bestimmende Urtheilskraft genöthigt ist, für gewisse Formen in der Natur ein anderes Princip, als das des Naturmechanisms zum Grunde ihrer Möglichkeit zu denken." (388/316)

Aber auch der Mechanismus der Natur muß ein Leitfaden der Reflexion sein, "weil, ohne ihn zum Grunde der Naturforschung zu legen, es gar keine eigentliche Naturerkenntniß geben kann" (387/315) - denn die "eigentliche" Naturerkenntnis gründet in der Verstandeskausalität: Sie ist ein objektives Prinzip. Dem Gebrauch dieser Maxime steht nicht entgegen, anläßlich einiger Naturformen "nach einem Princip zu spüren und über sie zu reflectiren, welches von der Erklärung nach dem Mechanism der Natur ganz verschieden ist, nämlich dem Princip der Endursachen" (387-388/316): "Denn die Reflexion nach der ersten Maxime wird dadurch nicht aufgehoben, vielmehr wird es geboten, sie, soweit man kann, zu verfolgen; auch wird dadurch nicht gesagt, daß nach dem Mechanism der Natur jene Formen nicht möglich wären" (388/316).

Durch diesen Gebrauch regulativer Grundsätze gerät die Urteilskraft, dies hat Kant hier ausdrücklich hervorgehoben (vergl 387/315), in keine Dialektik. Sie ist, wie es im folgenden § 71 heißt, ein autonomes Prinzip (vergl. 389/318), dem jede immanente Widersprüchlichkeit unwesentlich ist. Dementgegen verharrt die Vernunft in einer Antithetik ihrer Erzeugungsprinzipien. Sie ist sich selbst ein untaugliches Medium zur Kritik ihrer Begriffe, weil sie ein dialektisches Vermögen ist. In dieser Rücksicht - "aus einem subjectiven Grunde" (388/316) einer mit sich entzweiten und aus sich heraus nicht zu vermittelnden Vernunft - ist die reflektierende Urteilskraft ein notwendig und rechtmäßig angewandtes Medium, "für gewisse Formen in der Natur ein anderes Princip, als das des Naturmechanisms zum Grunde ihrer Möglichkeit zu denken" (388/ 316).

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Die Antithetik der Vernunft

II. Die Dialektik der Systeme der Naturerklärung in Ansehung der Endursachen Kant stellt die Untersuchung der "Systeme der Naturerklärung in Ansehung der Endursachen" (verg. 391/321) in den Rahmen des Problems, daß die Beurteilung gewisser "Dinge der Natur (organisierte Wesen)" einen Begriff von Endursachen zum " L e i t f a d e n " haben muß (vergl. 389/ 319). In diesem Zusammenhang ist darum weniger von Interesse, daß diese Systeme alle dogmatisch sind, weil sie vorgeben, "objective Principien der Möglichkeit der Dinge" (391/321) angeben zu können; vielmehr steht hier der Nachweis im Vordergrund, daß sie ihrem systematischen Anspruch (als Theorien des Bezuges von Mechanik und Technik) nicht gerecht werden, weil sie, anstatt die disparaten Grundsätze zu vereinigen, vielmehr deren kontradiktorische Entgegensetzung erzeugen (vergl. 390-391 /321-322) und somit als Erklärungsprinzipien versagen. Kant will in der Untersuchung dieser Systeme deshalb deutlich machen, daß sich die Urteilskraft an diesen Dogmen nicht ausrichten kann, weil sie aufgrund ihrer immanenten Widersprüchlichkeit nicht einmal als ein sinnvolles Regulativ zur Einheit der empirischen Naturerfahrung fungieren können.24 Der gegenüber der ersten Kritik neue Aspekt ist der, daß die Urteilskraft sich auf organische Produkte der Natur beziehen kann, " o h n e sich zur Untersuchung über ihren e r s t e n Ursprung zu versteigen" (389-390/319/Hervorh. JP). Dies bedeutet, daß ein Prinzip als Maxime nicht von einem Anspruch auf absolute Totalität der Bedingungen für ein gegebenes Bedingtes her verstanden wird. Der regulative Status eines Prinzips wird von Kant damit nicht mehr über das Moment einer auf die erste Ursache ausgerichteten Dynamik bestimmt; vielmehr begründet Kant diesen Status über die Weise des Umgangs der Urteilskrafi mit dem Prinzip also nicht mehr so, daß die systematische Einheit in der besonderen empirischen Naturerfahrung von einem Absolutheitsanspruch der Vernunft abhinge. Diese neue Bestimmung des regulativen Charakters eines Prinzips ist deshalb notwendig, weil die Vernunft in ihren Schlüssen auf erste

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Unter dem Gesichtspunkt unserer Interpretation, daß Kant mit den 'Systemen über die Zweckmäßigkeit der Natur" die Erörterung der Dialektik der Vernunft fortsetzt, können wir der Annahme Clark Zumbachs in seiner Untersuchimg "The Transcendent Science. Kant's Conception of Biological Methodology" (The Hague/ Boston/Lancaster 1984) zustimmen, weil sie diese Dialektik in den Rahmen des Problems einer Erkenntnis bei der Orientierung an Leitfäden der Vernunft stellt: "The antinomy facing Kant is rather a conflict between two g u i d e l i n e s (Hervorhebung JP) for u n d e r s t a n d i n g known events in nature" (S.131) und nicht "the conflict between the 'Proposition' [...] and the 'Counter-proposition'" (S.131).

Die Dialektik der Systeme

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Ursachen Widersprüche erzeugt, und dies ist der Grund für die Untauglichkeit ihrer Grundsätze als Regulative. Kant leitet diese Darstellung mit der Frage ein, "ob dieser Grundsatz bloß subjectiv gültig, d.i. bloße Maxime unserer Urtheilskraft, oder ein objectives Princip der Natur sei, nach welchem ihr außer ihrem Mechanism (nach bloßen Bewegungsgesetzen) noch eine andere Art von Causalität zukomme, nämlich die der Endursachen, unter denen jene (die bewegenden Kräfte) nur als Mittelursachen ständen" (390/319). Diese Frage könnte, wie Kant sagt, offen bleiben, wenn nicht die Vernunft, in Hinblick auf den Gebrauch der Maximen, einen Anspruch auf Totalität der Bedingungen erheben würde und im Begriff der Endursache bestrebt wäre, über die Natur hinaus zu gelangen, um sich selbst an den höchsten Punkt in der Reihe der Ursachen zu stellen, in dem "wir die Nachforschung der Natur (ob wir gleich darin noch nicht weit gekommen sind) verließen, oder wenigstens einige Zeit aussetzten und vorher, worauf jener Fremdling in der Naturwissenschaft, nämlich der Begriff der Naturzwecke, führe, zu erkunden versuchten" (390/320). Kant untersucht deshalb, ob die Urteilskraft letztlich nicht doch der Vernunft unterworfen ist, weil die Vernunft ein Prinzip für die Identität des Grundes von Mechanik und Naturtechnik bereitstellt. Die Systeme, welche vorgeben, ein solches Prinzip angeben zu können, sind nach dem jeweiligen Grundsatz (vergl. Thesis und Antithesis der Vernunft), den sie verabsolutieren, durch eine idealistische oder eine realistische Position charakterisiert: 1.) Der Idealismus der Naturzwecke versteht die Zweckmäßigkeit der Natur als unabsichtlich (technica naturalis) (vergl. 390/321): Das produktive Vermögen der Natur nach Endursachen ist im Grunde mit dem Mechanismus der Natur einerlei - das zufällige Zusammentreffen mit unserem Kunstbegriff und die Möglichkeit, sie danach zu beurteilen, wird nur fälschlich für eine besondere Art der Erzeugung gehalten (vergl. 391/322). Die diese Position leitende Idee gründet in der Verabsolutierung des im Verstand gelegenen Prinzips der mechanischen Verknüpfung. Der Idealismus muß damit das Besondere (Naturzweck) als ursprüngliches Moment allgemeiner notwendiger Kausalität erklären können. Das Prinzip dieser Einheit ist a) physisch als System der Kasualität oder b) hyperphysisch als Spinozismus (vergl. 391/322). 2.) Der Realismus der Naturzwecke: Die Zweckmäßigkeit einiger Produkte der Natur wird als absichtlich (technica intentionalis) verstanden, also als eine besondere Art von Kausalität in der Natur (vergl. 390-391/321). Der vorausgesetzte Begriff eines Endzweckes als des obersten Prinzips begründet a) das System des Theismus oder b) des Hylozoismus (vergl. 392/323).

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Die Antithetik der Vernunft

l.a) Das System des Kasualismus Das System des Kasualismus gibt vor, die Gegensätzlichkeit von Technik und Mechanik der Natur über die Bewegungsgesetze als den physischen Grund der zweckmäßigen Form der Materie aufheben zu können. Das objektive Prinzip einer allgemeinen Verstandeskausalität beansprucht demnach einen um die zweckmäßig organisierten Naturprodukte erweiterten Geltungsbereich. Die empirische Natur im Besonderen wird als Moment des allgemeinen Naturbegriffs verstanden. Indem der Kasualismus sein Prinzip als Prinzip der Dinge (vergl. 391/321) und nicht als Prinzip der Beurteilung begreift, ist er auf den Satz der Vernunftdialektik gegründet: Alle Erzeugnisse materieller Dinge sind nach mechanischen Gesetzen möglich (vergl. 387/314). Hiermit leugnet er zwar die Möglichkeit einer besonderen Art der Naturerzeugung, nicht aber die Möglichkeit einer teleologischen Beurteilung über die zweite Maxime der Reflexion; das Zusammentreffen von besonderen Naturprodukten in ihrer Form mit unserem Kunstbegriff wird nur als zufälliges anerkannt (vergl. 390-391/ 321), denn die mechanische Gesetzmäßigkeit soll der Grund der Zweckmäßigkeit sein. Das kasualistische System ist nun nicht deshalb unzureichend, weil es vom kritischen Standpunkt aus betrachtet dogmatisch ist, sondern weil es sich in der Erklärung dessen, was eine Zweckmäßigkeit ist, in eine Dialektik verstrickt: Diese Form des Idealismus der Endursachen in der Natur leugnet eine zweckintentionale Ursache als Erzeugungsprinzip (vergl. 392/324). Also muß der Kasualismus seine Behauptung, daß die subjektive Bedingung der Beurteilung keine Vorstellung einer besonderen Art der Naturerzeugungen impliziert, in der Weise stützen, daß er von dem seine Position fundierenden Satz her zeigt, wie alle Erzeugung der Natur nach mechanischen Gesetzen beurteilt werden kann. Der Begriff einer Zweckmäßigkeit muß hierbei ohne den Bezug auf das subjektive Prinzip der Zweckintentionalität Geltung haben, denn der Kasualismus muß aus einem Standpunkt absoluter Naturimmanenz (d.i. einer in jedem Produkt der Natur wirksamen Mechanik) die Identität von Natur und Technik bestimmen. Der Unterschied von Technik und Mechanik der Natur soll sich im mechanischen Erzeugungsprinzip der Natur aufheben, so daß von einer technica naturalis gesprochen werden kann. Aber der Begriff der durchgängigen Naturkausalität enthält nichts, von dem her eine "objektive" Zweckmäßigkeit der Dinge behauptet werden könnte (vergl. 391/322). Die Erweiterung der Geltung des objektiven Prinzips allgemeiner Naturkausalität von der metaphysica generalis auf die besondere empirische Natur kann den Organismus nur nach allgemeiner Gesetzmäßigkeit bestimmen. Sie verfehlt den Organismus als ein Besonderes, weil der kasualistische Begriff einer Zweckmäßigkeit sinnleer ist. Es

Die Dialektik der

Systeme

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liegt damit ein Widerspruch in dem Begriff einer technica naturalis.

l.b) Das System des Spinozismus Vom Standpunkt des Spinozismus aus erscheinen die zweckmäßigen Dinge nicht als Produkte der Natur, sondern sie gelten als "einem Urwesen inhärirende Accidenzen" (393/325). Der hyperphysisch verstandene Idealismus legt "diesem Wesen, als Substrat jener Naturdinge, in Ansehung derselben nicht Causalität, sondern bloß Subsistenz" bei (393/325). Damit gelingt es zwar, den Naturformen "die Einheit des Grundes, die zu aller Zweckmäßigkeit erforderlich ist", zu sichern, zugleich wird aber "die Zufälligkeit derselben" aufgehoben, "ohne die keine Z w e c k e i n h e i t gedacht werden kann [...] und mit ihr alles A b s i c h t l i c h e " (393/325). Der Urgrund der Natur ist demgemäß kein verständiges Wesen. Eine so verstandene ontologische Einheit hat zwar den Vorzug, als " E i n h e i t des Grundes, [...] e i n e r Bedingung Aufgabe, nämlich der Einheit der Zweckbeziehung, vermittels des bloß ontologischen Begriffs einer einfachen Substanz ein Genüge zu thun, aber für die a n d e r e Bedingung, nämlich das Verhältniß derselben zu ihrer Folge als Ζ w e c k; wodurch jener ontologische Grund für die Frage näher bestimmt werden soll", kann sie aus ihrem Prinzip heraus "nichts anführen, mithin d i e ganze Frage keineswegs beantworten" (421 /373). Denn was eine Zzüec/cverknüpfung sein soll, welche nach diesem Prinzip zwar als notwendig, aber dennoch von einem absichtslosen Grund her verstanden werden muß, dies kann dieses System aus sich heraus nicht einsichtig machen. Die ontologische Einheit des Spinozismus ist keine " Z w e c k e i η h e i t" (393/326), denn was eine Zweckeinheit ist, das läßt sich nur durch "die Beziehung auf eine U r s a c h e , die Verstand hat", erklären (393/326). Weil aber die Verstandesursache in diesem Prinzip nicht enthalten ist, "ist alle Einheit bloße Naturnothwendigkeit und, wird sie gleichwohl Dingen beigelegt, die wir außereinander vorstellen, b l i n d e Notwendigkeit" (393-394/326/Hervorhebung JP). Eine so bestimmte Einheit des Substrates kann nicht als ein die Mechanik mit der Technik vermittelndes Erklärungsprinzip verstanden werden. Um deutlich zu machen, was Zweckmäßigkeit heißt, muß sich der Spinozismus auf das Prinzip einer Intentionalität beziehen. Dieses Prinzip widerspricht aber dem Grundsatz des Spinozismus. Also ist auch dieses System in eine unauflösbare Dialektik verstrickt, denn entweder muß es den Zweckbegriff negieren, weil es ihm keinen Sinn geben kann, oder es muß sich auf die ihm entgegengesetzte Position beziehen, um zu erklären, was ein Zweck der Natur ist. Damit leistet auch der Spinozismus nicht die Vermittlung heterogener

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Die Antithetik der Vernunft

Prinzipien. Die Untersuchung der Leistungskraft der Systeme eines Idealismus der Zweckmäßigkeit der Natur ist damit die Darstellung der antithetischen Entzweiung der Vernunft mit sich. Diese Position ist nicht bloß dem Mechanismus der Naturkausalität entgegengesetzt, sondern aus der Immanenz ihres Standpunktes heraus erzeugt sie die dialektische Kontradiktion; sie unterliegt in sich einer antithetischen Dialektik. Der Erklärungsanspruch dieser Systeme negiert sich damit selbst. Die Identität des Grundes sowohl zweckmäßiger als auch mechanischer Produkte der Natur ist im Idealismus entweder "blinder Zufall" oder "blinde Notwendigkeit". Ob dieser Grund nun als "leblose Materie" (Epikur) oder als "lebloser Gott" (Spinoza) verstanden wird, dies ist hier belanglos (vergl. 392/324). Sowohl die Erklärung nach der Kausalität mechanischer Bewegungsgesetze als auch die Erklärung nach einer Substanz ohne Verstand verfehlen den Anspruch ihrer Identität des Grundes, da die vorgestellte ontologische Identität von Zweckmäßigkeit und Natur in den Gegensatz von blinder Mechanik und Endursache zerfällt. Der Idealismus der Zweckmäßigkeit, der sich auf den Satz der Vernunftposition der Antithesis glaubt stützen zu können, negiert im Zuge seiner Erklärung den Zweckmäßigkeitsbegriff. Deshalb kann weder der "Idealismus der Casualität" noch der der "Fatalität" (vergl. 391/322) auch nur im Ansatz einen Beitrag zu Teleologie leisten. Weil diese Systeme in die Dialektik teleologischen Denkens verstrickt sind, sind sie nicht in der Lage, auf diese Dialektik zu reflektieren. Ihre Erklärungsversuche zeigen lediglich, daß sie das Problem nicht erkennen; die Systeme repräsentieren eher das Problem einer Erklärung der Einheit des Grundes von Mechanik und Technik der Natur, als daß sie zu einer Lösung beitragen. Sie sind der Ausdruck einer mit sich selbst entzweiten Vernunft, denn sie negieren den Begriff einer Zweckmäßigkeit, anstatt ihn zu erklären. 2.a) Das System des Hylozoismus Die Position des Hylozoismus gibt vor, die Zweckmäßigkeit der Natur "auf dem Analogon eines nach Absicht handelnden Vermögens, dem L e b e n d e r Μ a t e r i e (in ihr oder auch durch ein belebendes inneres Princip, eine Weltseele)", gründen zu können (392/323). Hier muß bewiesen werden, daß in diesem Dogma die " M ö g l i c h k e i t dessen, was man als Grund annimmt, g e w i ß" ist, "und man muß dem Begriffe desselben seine objective Realität sichern können" (394/327). Diese Gewißheit kann der Hylozoismus jedoch nicht bieten, da er sich im Beweis auf die dogmatische Behauptung seiner eigenen These stützt:

Die Dialektik der Systeme

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"Es muß also ein Cirkel im Erklären begangen werden, wenn man die Zweckmäßigkeit der Natur an organisirten Wesen aus dem Leben der Materie ableiten will und dieses Leben wiederum nicht anders als in organisirten Wesen kennt, also ohne dergleichen Erfahrung sich keinen Begriff von der Möglichkeit derselben machen kann." (394-395/328)

Diese in ihrem Beweis zirkuläre Position versteht den Satz der Vernunftantinomie absolut, wonach alle Erzeugung materieller Dinge nach bloß mechanischen Gesetzen möglich sein soll. Das physische Prinzip der Natur kann zur Erklärung dessen, was eine Zweckmäßigkeit der Natur sein soll, aber nur deshalb genügen, weil es das Prinzip des Organischen (das Leben) als ein der Materie inhärierendes Prinzip begreift: Die physische Erscheinung der Natur wird als ein Ausdruck von hyperphysischer Vitalität verstanden. Der allgemeine Naturbegriff als Physis ist hiermit aufgehoben. Das, worauf das Erklärungsprinzip des Hylozoismus sich beziehen will, ist demnach in seinem Dogma gar nicht enthalten. Wenn der Hylozoismus die Materie als Physis aber wiederum in seine Position aufnimmt - und er muß sich auf sie beziehen, weil er sie als mit seiner Position vermittelt versteht - , dann erzeugt er seinen Gegensatz und wird antinomisch, "weil Leblosigkeit, inertia, den wesentlichen Charakter derselben ausmacht" (394/327). Hieraus folgt: Eine prinzipielle Einheit von Mechanismus und Zweckkausalität läßt sich aufgrund dieser Kontradiktion im Begriff einer "lebenden Materie [...] nicht einmal denken" (394/327). 2.b) Das System des Theismus Der Theismus leitet die Zweckmäßigkeit der Natur "von dem Urgründe des Weltalls, als einem mit Absicht hervorbringenden (ursprünglich lebenden) verständigen Wesen ab" (392/323). Das Dogma eines hyperphysischen Verstandeswesens hat, so Kant, den Vorzug, daß es "die Zweckmäßigkeit der Natur dem Idealism am besten entreißt und eine absichtliche Causalität für die Erzeugung derselben einführt" (395/328). Aber der Mangel dieser Erklärung besteht darin, daß die Verabsolutierung des Gegensatzes in der Antinomie ("Einige Erzeugnisse der materiellen Dinge sind nach bloß mechanischen Gesetzen nicht möglich" ist totalisiert zu: "Alle Erzeugnisse der materiellen Dinge sind nach Endursachen m ö g l i c h " ) nicht beweist, daß die Zweckeinheit in der Materie unmöglich durch den bloßen Mechanismus der Natur bedingt sein kann (vergl. 394-395/328). Damit kann der Theismus zwar erklären, was Zweckmäßigkeit heißt, da dieser Begriff von einer dogmatisch gesetzten Intentionalität der obersten Weltursache her verstanden wird, doch gibt dieses Dogma eben jener Kausalität keinen Raum, welche den Begriff einer

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Die Antithetik der Vernunft

objektiven Natur fundiert. Wenn alle Erzeugnisse, wie in diesem Dogma behauptet wird, Produkte eines verständigen Wesens sind, dann wird die mechanische Kausalität in den Rang einer Maxime für ein mögliches, aber nicht notwendiges Urteil herabgesetzt. In diesem Status ist dieses Prinzip entbehrlich. Auch der Theismus vermittelt also nicht die Prinzipien, sondern er blendet das mechanische Wirken der Natur lediglich in seiner Erklärung aus. Das System des Theismus ist deshalb zur Verknüpfung von Differentem nicht tauglich. Es leugnet bloß, analog dem System der Kasualität, alle Differenz. Damit gerät der Theismus in folgende Aporien: - Wenn die Bedingung für die besondere empirische Natur als das allgemeine Prinzip für Natur überhaupt gefaßt wird, dann gibt es in der Natur nichts, was eigens als ein Besonderes verstanden werden muß; - wenn alles nach einem hyperphysisch-teleologischen Erzeugungsprinzip erklärt wird, so existiert nichts, wodurch die Differenz von Hyperphysis und Physis bestimmbar wäre. Alles anschaulich Gegebene ist hier lediglich die Artikulation einer absoluten Intentionalität als Prinzip. Weil von dem Dogma absoluter Prinzipialität her aber alles Zweck ist, gelingt es dieser Position weder, einen Bezug zur Zweckmäßigkeit der Natur herzustellen, noch kann sie dem Begriff des Zweckes einen Sinn geben: "Denn wenn alle Dinge als Zwecke gedacht werden müssen, also ein Ding sein und Zweck sein einerlei ist, so giebt es im Grunde nichts, was besonders als Zweck vorgestellt zu werden verdiente." ( 3 9 4 / 3 2 6 )

Das theistische System negiert somit durch die Verabsolutierung seiner Position seinen Erklärungsanspruch selbst - entweder weil es das, worauf es sich als Erklärungsgrund beziehen will, im Absoluten aufhebt, indem es "Zweck" und "Ding" als einerlei versteht, oder weil es auf seinen Gegensatz angewiesen ist, um verständlich machen zu können, was mit einer Zweckmäßigkeit der Natur gemeint ist. Die Untersuchung dieser Systeme hat gezeigt, daß die dogmatische Vernunft mit dem Versuch einer Vermittlung heterogener Erzeugungsprinzipien durch Dogmen scheitert.25 Sie verfehlt ihren Anspruch als höchstes

25

Die Interpretation W.Bartuschats, wonach für die dogmatischen Systeme "das Problem einer Zusammenstimmung von heterogenea gar nicht gegeben ist", hingegen die kritische Philosophie "sich auf der Basis einer Dualität von Gegebenheit und subjektivem Prinzip entfaltet" ("Neuere Arbeiten zu Kants Kritik der Urteilskraft", Phil. Rundschau Bd.18 (1971), S.167), macht nicht verständlich, warum Kant unter dieser Voraussetzimg eine Erörterung der Systeme dennoch für notwendig halten kann. Notwendig ist eine Untersuchimg der Systeme vielmehr erst unter dem Aspekt, daß sie für sich beanspruchen, zur Lösimg eines Problem beitragen zu können, welches auch ein Problem der kritischen Philosophie ist. Dann scheint es sinnvoll, daß Kants Kritik lautet, daß die dogmatischen Systeme nicht

Das Unvermögen der Vernunft, sich der Dialektik zu entziehen

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Prinzip, wäl sie im Zuge ihrer Erklärungen der Identität des Grundes die

Antithetik erzeugt. Dieses Scheitern macht Kant im § 74 über die Darstellung der differenten Funktionen von bestimmender und reflektierender Urteilskraft verständlich - und damit auch "die Ursache der Unmöglichkeit, den Begriff einer Technik der Natur dogmatisch zu behandeln" (395/329). III. Das Unvermögen der Vernunft, sich der Dialektik zu entziehen, als Grund des notwendig kritischen Gebrauchs ihrer Prinzipien

Die Untersuchung "der Unmöglichkeit, den Begriff einer Technik der Natur dogmatisch zu behandeln" (395/329), soll nicht nur dartun, daß die Vernunft in ihren Systemen diesen Widerstreit der Prinzipien nicht heben kann, weil sie in der Identität ihrer jeweiligen sie dogmatisch fundierenden Position erstarrt, sondern sie muß klären, warum sie sich in ihren Erklärungsversuchen in eine Dialektik verstrickt, die durch die Vernunft nicht selbst aufgelöst werden kann.26 Kant untersucht zur Klärung dieses Problems das Verhältnis der Vernunft zur Empirie. "Der Begriff eines Dinges als Naturzwecks ist aber zwar ein empirisch bedingter, d.i. nur unter gewissen in der Erfahrung gegebenen Bedingungen möglicher, aber doch von derselben nicht zu abstrahirender, sondern nur nach einem Vernunftprincip in der Beurtheilung des Gegenstandes möglicher Begriff." (396/330)

Empirisch bedingt ist dieser Begriff insofern, als daß er anläßlich des Besonderen in der Natur hervorgebracht ist, denn "daß respectiv auf unser Erkenntnißvermögen der bloße Mechanism der Natur für die Erzeugung organisirter Wesen auch keinen Erklärungsgrund abgeben könne, ist [...] unzweifelhaft gewiß" (389/318). Aber was ein "Zweck" ist, dies kann von der Natur nicht abstrahiert werden; diese Art der Kausalität ist "nur durch die Vernunft denkbar" (396/330), ohne daß durch die Vernunft verständlich

26

leisten, was sie vorgeben; sie können nämlich faktisch nicht die Möglichkeit einer Zusammenstimmung von heterogenea vorstellen. Vergl. W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.204 : "Die Systeme scheitern, weil sie keinen Bezug herstellen können zwischen der Vernunft als dem Zweck und dem Verstand, der die bestimmte Geltung der Vernunft, Grund einer Zweckmäßigkeit zu sein, objektiv, nämlich an der Natur, die nicht schon vernünftig ist, legitimieren könnte. Sie erstarrt in bloßer Identität, bei der man nicht weiß, warum die Natur nicht nur Natur sein soll und auch noch Zweck (bei den idealistischen Systemen), oder aber, ob der vernünftige Zweck überhaupt Natur trifft und nicht vielmehr nur ein vernünftelnder, di. objektiv leerer ist (bei den realistischen Systemen)."

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Die Antithetik der Vernunft

würde, "daß ihm gemäß ein Object möglich sei" (396/ 330). Im Medium dieses Vermögens kann denmach nicht entschieden werden, "ob er ein bloß vernünftelnder und objectiv leerer (conceptus ratiocinans), oder ein Vernunftbegriff, ein Erkenntniß gründender, von der Vernunft bestätigter (conceptus ratiocinatus), sei" (396/330): "Also kann er nicht dogmatisch für die bestimmende Urtheilskraft behandelt werden: d.i. es kann nicht allein nicht ausgemacht werden, ob Dinge der Natur, als Naturzwecke betrachtet, für ihre Erzeugung eine Causalität von ganz besonderer Art (die nach Absichten) erfordern, oder nicht; sondern es kann auch nicht einmal darnach gefragt werden, weil der Begriff eines Naturzwecks seiner objectiven Realität nach d u r c h die V e r n u n f t gar nicht erweislich ist (d.i. er ist nicht für die bestimmende Urtheilskraft constitutiv, sondern für die reflectirende bloß regulativ)." (396/330-331/Hervorhebung JP)

Die "Unerklärlichkeit eines Naturzwecks" (395/329) gründet in dem rein rationalen Charakter der Vernunft. Sie steht in keinem Bezug zur Anschauung, und deshalb ist der Begriff eines Naturzwecks für sie widersprüchlich, denn er drückt ein Vermitteltsein von Natur- und Zweckkausalität aus, welches durch die Vernunft nicht vorgestellt werden kann, und zwar dies "als Begriff von einem N a t u r p r o d u k t", das "Naturnothwendigkeit und doch zugleich eine Zufälligkeit der Form des Objectes (in Beziehung auf bloße Gesetze der Natur) an eben demselben Dinge als Zweck in sich faßt; folglich, wenn hierin kein Widerspruch sein soll, einen Grund für die Möglichkeit des Dinges in der Natur und doch auch einen Grund der Möglichkeit dieser Natur selbst und ihrer Beziehung auf etwas, das nicht empirisch erkennbare Natur (übersinnlich), mithin für uns gar nicht erkennbar ist, enthalten muß, um nach einer anderen Art Causalität als der des Naturmechanisms beurtheilt zu werden, wenn man seine Möglichkeit ausmachen will." (396/331)

Die Systeme über die Zweckmäßigkeit der Natur können die Vermittlung der heterogenen Prinzipien demnach deshalb nicht leisten, weil sie aufgrund der dort unreflektierten Dialektik des Begriffs eines Naturzwecks bestimmende Urteile über die Natur liefern, und, "sie mögen nun bejahend oder verneinend sein, [...] man nicht weiß, ob sie über Etwas oder Nichts" urteilen (397/332). Das Scheitern der Systeme hat seinen Grund also in dem Gebrauch des Begriffs, d.i. in der Verabsolutierung eines in dem Begriff vorgestellten Prinzips. Die Beurteilung nach dem Prinzip der Natur kann keinen sinnvollen Bezug zur Vorstellung eines "Zweckes" herstellen (der Idealismus), und die Beurteilung nach dem Prinzip des Zweckes hebt den Sinn des Begriffs "Natur" auf (der Realismus). Die einseitige Ausrichtung nach einem Prinzip

Die kritische Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft

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erzeugt in der Erklärung eben jene Kontradiktion, die der Begriff des Naturzweckes enthält, "wenn man das Object d u r c h die Vern u n f t " - also durch ihre Gesetzgebung für die bestimmende Urteilskraft - "betrachtet" (396/331/Hervorhebung JP): "Wir verfahren mit einem Begriffe (wenn er gleich empirisch bedingt sein sollte) dogmatisch, wenn wir ihn als unter einem anderen Begriffe des Objects, der ein Princip der Vernunft ausmacht, enthalten betrachten und ihn diesem gemäß b e s t i m m e n." (395/329/Hervorhebung JP)

Weil dieser Begriff entweder nur die Einheit des Grundes angibt und hierin das Besondere als ein Besonderes verfehlt - oder das Zufällige in einer Weise verabsolutiert, daß der Begriff der gesetzlichen Natur sinnleer wird, deshalb ist dieses Verfahren nicht nur objektiv untauglich, sondern auch - und dies muß hier betont werden - als subjektive Bedingung der Beurteilung. Deshalb ist das kritische Verfahren mit einem Begriff dasjenige, "wenn wir ihn nur in Beziehung auf unser Erkenntnißvermögen, mithin auf die subjective Bedingung ihn zu denken betrachten, ohne es zu unternehmen über sein Object etwas zu entscheiden" (395/329). Diese Verfahrensweise ist aber nur aus einer Distanz zu diesem Begriff möglich. Ein Vermögen, das diese Distanz hat, weil es in seiner Funktion nicht abhängig von dem Begriff ist, den es zu kritisieren gilt - dessen Prinzip deshalb das Prinzip der Kritik ist - , ein solches Vermögen ist die reflektierende Urteilskraft. Wenn die Urteilskraft das Besondere durch das Allgemeine bestimmt, dann ist sie in diesem Verfahren nicht selbst das Prinzip ihrer Funktionalität; also ist diese Dialektik eine Antinomik des Gebrauchs von Vernunftprinzipien: Das dogmatische Verfahren mit einem Begriff ist dasjenige, welches für die bestimmende Urteilskraft gesetzmäßig ist, und das kritische Verfahren ist dasjenige, "welches bloß für die reflectirende Urtheilskraft gesetzmäßig ist" (395/329). Unter der Gesetzgebung der Vernunft ist die Urteilskraft heteronom bestimmt; das Objekt wird hierbei aus einem vorgegebenen Begriff beurteilt. Das kritische Verfahren hingegen gründet in der Autonomie der Urteilskraft; hierbei bringt sich das Reflexionsvermögen funktionell in Hinblick auf die Möglichkeit zur Geltung, einen Begriff als Regulativ (als subjektiv notwendige Bedingung für empirische Erfahrungserkenntnis) verstehen zu können.

IV. Die kritische Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft im teleologischen Gebrauch ihres Prinzips Gegenstand des § 75 ist eine die Antithetik der Vernunft abschließende Darstellung der Tendenz dieses Vermögens, das Prinzip der Teleologie zum

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Die Antithetik der Vernunft

Fundament einer Theologie zu nehmen und hierin seinen immanenten Gebrauch als ein Prinzip der Naturwissenschaften zu transzendieren.27 Kant hebt an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich hervor, daß der Gebrauch des Begriffs eines Naturzwecks durch die reflektierende Urteilskraft nur dann "wesentlich nothwendig" (398/334) ist, wenn es darum geht, organisierten Produkten durch fortgesetzte Beobachtung nachzuforschen (vergl. 398/334). Diese Maxime kann zwar in einem erweiterten Gebrauch, d.i. in Ansehung der Beobachtung der Natur, "nützlich" sein, aber sie ist nicht "unentbehrlich, weil uns die Natur im Ganzen als organisirt [...] nicht gegeben ist" (398/334). Deshalb muß der Begriff einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur als ein kritisches Prinzip der Vernunft für die reflektierende Urteilskraft verstanden werden (vergl. 397/333). Eine solche Kritik ist inbesondere deshalb unerläßlich, weil "der Begriff eines Dinges, dessen Existenz oder Form wir uns unter der Bedingung eines Zwecks als möglich vorstellen, mit dem Begriffe einer Zufälligkeit desselben (nach Naturgesetzen) unzertrennlich verbunden" ist (398/335). Die Existenz des Organismus gilt der Vernunft deshalb als der vornehmste "Beweis für die Zufälligkeit des Weltganzen" (398/335) und für dessen Abhängigkeit und Ursprung von einem außerhalb der Welt existierenden, verständigen Wesen. Im dogmatischen Gebrauch des Begriffs eines Naturzwecks tendiert die Vernunft dazu, den Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft zu transzendieren. In Ansehung dieser Tendenz findet "die Teleologie keine Vollendung des Aufschlusses für ihre Nachforschungen, als in einer Theologie" (399/335). Dies widerspricht aber der Forderung, die Maxime als ein inneres Prinzip der Naturwissenschaft zu gebrauchen. Der kritische Gebrauch dieses Regulativs ist deshalb explizit in dieser Rücksicht zu üben, denn zur Beurteilung eines Zufälligen als Organismus ist nicht eine Untersuchung der Möglichkeit seines ersten Ursprungs erforderlich (vergl. 389-390/319). Die Urteilskraft abstrahiert von der Frage nach dem ersten Ursprung der Dinge und stellt damit sicher, daß die teleologische Beurteilung ein inneres Prinzip der Naturwissenschaft ist. Dies ist eine deutlich stärkere Restriktion der Vernunft als die, die Kant in den Darstellungen des Anhangs zur transzendentalen Dialektik der ersten Kritik fordert. Dort heißt es, die Tendenz zur Totalisierung sei jenes regulative Moment, von dem her "wir die Natur so studiren sollen, a l s ο b allenthalben ins Unendliche systematische und zweckmäßige Einheit, bei der größtmöglichen Mannigfaltigkeit angetroffen würde" (460/B 728).

27

Vergl. hierzu die Forderung Kants nach einem immanenten Gebrauch des Prinzips im § 68 (381-384/304-310)

Die kritische Restriktion der Vernunft durch die Urteilskraft

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Ein von der reflektierenden Urteilskraft her begründeter kritischer Gebrauch hält sich jedoch ausdrücklich gegen die Tendenz der Vernunft, in ihrer Forderung "auf das Unbedingte" zu gehen (vergl. 401/339), zurück. Jetzt ist die Vernunft in ihrer Dynamik nicht mehr als ein regulatives Moment für den Erkenntnisfortschritt vorgestellt. Diese Eigenschaft führt vielmehr in eine dogmatische Lehre, und die Behauptung einer hierin gelegen notwendigen regulativen Funktion der Vernunft wird nunmehr von Kant korrigiert. Die Vernunft kann im Begriff einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur kein transzendentales Prinzip zur Naturerfahrung sein. Dieser Begriff ist bloß ein für die reflektierende Urteilskraft kritisches Prinzip.26 Deshalb endet diese Darstellung mit dem Hinweis Kants, daß der Begriff eines Dinges als Naturzweck "für die reflectirende Urtheilskraft in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung immanent sein mag" (396-397/ 331). Er taugt aber nicht zu einem Verfahren, welches sich von der Vernunft als dem Prinzip der bestimmenden Urteilskraft her begreift (vergl. 397/332), denn: "Für d i e r e f l e c t i r e n d e U r t h e i l s k r a f t ist also das ein ganz richtiger Grundsatz: daß für die so offenbare Verknüpfung der Dinge nach Endursachen eine vom Mechanism unterschiedene Causalität, nämlich einer nach Zwecken handelnden (verständigen) Weltursache, gedacht werden müsse; so übereilt und unerweislich er auch f ü r d i e b e s t i m m e n d e sein würde" (389/318).

Demgemäß hat eine Selbstentzweiung des Denkens in einem falschen Gebrauch der Maximen ihren Grund. Die Vernunft scheitert in dem Versuch, ihrer Dialektik zu entgehen, und eine bestimmende Urteilskraft, die der Vernunftgesetzgebung unterworfen ist, kann diesen Widerstreit nicht lösen. Eine transzendentalphilosophisch verstandene kritische Abkehr vom Dogmatismus bedeutet deshalb die Abkehr von der Vorstellung, die Vernunft sei die höchste Instanz eines in Ansehung der besonderen Erfahrungserkenntnis mit sich in Einheit befindlichen Denkens. Die Ideenlehre der ersten Kritik findet deshalb in der Grundlegung der Teleologie durch die Kritik der Urteilskraft nicht ihre notwendige Ergänzung, sondern sie erfährt eine notwendige Korrektur: Der Gebrauch der Vernunftbegriffe unterliegt einer Kritik durch die Urteilskraft auf der Grundlage der Autonomie ihres Prinzips. Allein von diesem Prinzip her kann verständlich gemacht werden, worin die Regulativität einer Idee besteht. Der regulative Status wird von Kant dadurch bestimmt, daß die Vernunft der

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Vergl. A.Stadler, "Kants Teleologie", S.126/127

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Die Antithetik der Vernunft

reflektierenden Urteilskraft untergeordnet ist. Die Urteilskraft bezieht sich als kritisches Vermögen darauf, wie ein Verhältnis von Idee und Empirie gedacht werden muß, damit durch die Idee nicht immer nur ein Moment der Subjektivität vorgestellt wird; die Idee muß also eine Vorstellung sein, in der auf etwas verwiesen wird, das nicht bloß Idee ist. In der an die Exposition der Antithetik der Vernunft anschließenden Wiederaufnahme der Untersuchung der Dialektik der Maximen der Urteilskraft beweist Kant, daß das teleologische Prinzip als ein Reflexionsprinzip nur dem Schein nach dialektisch ist. Die Grundlage für diesen Beweis bildet die Autonomie des Reflexionsvermögens: "Aller Anschein einer Antinomie zwischen den Maximen der eigentlich physischen (mechanischen) und der teleologischen (technischen) Erklärungsart beruht also darauf: daß man einen Grundsatz der reflectirenden Urtheilskraft mit dem der bestimmenden und die A u t o n o m i e der ersteren (die bloß subjectiv für unseren Vernunftgebrauch in Ansehung der besonderen Erfahrungsgesetze gilt) mit der H e t e r o n o m i e der anderen, welche sich nach den von dem Verstände gegebenen (allgemeinen und besondern) Gesetzen richten muß, verwechselt." (389/318-319)

Drittes Kapitel Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft Kant leitet die die Kritik der Urteilskraft beschließende Deduktion des transzendentalen Status des Prinzips der Zweckmäßigkeit durch eine Erläuterung ein, die, wie er sagt, "es gar sehr verdient, in der Transscendentalphilosophie umständlich ausgeführt zu werden" (401 /339); sie betrifft das Verhältnis von Vernunft und Verstand in der empirischen Erfahrungserkenntnis: Weil der Verstand das Besondere unbestimmt läßt, müssen wir uns subjektiv notwendig auf Ideen beziehen; "ohne Begriffe des Verstandes aber, welchen objective Realität gegeben werden muß" (401/339) (wir interpretieren: zugestanden werden muß/JP), kann es keine objektive Erfahrungserkenntnis geben. "Man wird bald inne: daß, wo der Verstand nicht folgen kann, die Vernunft überschwenglich wird und in zwar gegründeten Ideen (als regulativen Principien), aber nicht objectiv gültigen Begriffen sich hervorthut; [...]." ( 4 0 1 / 3 3 9 )

Die Dialektik des empirischen Gebrauchs der Ideen ist somit durch ein Spannungs Verhältnis charakterisiert, welches einerseits um der Legitimation des notwendigen Gebrauchs der Ideen und anderseits um der Objektivität in der Erfahrungserkenntnis willen vermittelt werden muß. Die Urteilskraft ist das Vermögen, das in Hinblick auf diese Vermittlung fungiert. Sie ist eine Instanz, die von der Vernunft (als einem Vermögen überschwenglicher Ideen) und dem Verstand (als einem Prinzip objektiver, aber in Rücksicht auf das Besondere in der Natur endlicher Erkenntnis) unabhängig ist und demnach als ein funktionell eigenständiges Prinzip auf das Verhältnis von ideellem Entwurf und objektiver Gesetzlichkeit25 reflektieren kann, ohne

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Zur objektiven Gesetzlichkeit der Verstandeskausalität hebt K.Marc-Wogau hervor: "Dass die mechanische Erklärung die Naturerkenntnis ermöglicht, kann den Kantischen Prinzipien nach nur darin seinen Grund haben, dass der Mechanismus für die Natur konstitutiv ist. Die Prinzipien für die objektiv gültige Erkenntnis müssen nach Kant stets auch Prinzipien für die erkannten Objekte sein. Ist das Prinzip des Mechanismus für die Natur konstitutiv, so ist es verständlich, dass das allgemeine Streben nach objektiv gültigen Erkenntnissen uns auch die Aufgabe auferlegt, alles Geschehen in der Natur unter medianischen Gesetzen zu betrachten. Aus diesem Streben allein kann die Maxime ihre Kraft erhalten und muss dann für ihre eigene Berechtigung die objektive Gültigkeit des Mechanismus für alle Naturprodukte voraussetzen. Wir können das über die Maxime des

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Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

in diese Dialektik involviert zu werden. Nach Kant gründet die Funktion des Prinzips der Urteilskraft deshalb in der Reflexion auf das Verhältnis zwischen einer Vernunft, die in ihren Ideen das Unbedingte fordert und hierbei in einen unauflösbaren Widerstreit ihrer Prinzipien gerät, und einem Verstand, "der mit ihr nicht Schritt halten kann" (401/339). Die Urteilskraft muß ihr Prinzip der Zweckmäßigkeit so zur Geltung bringen, daß die Idee der Vernunft eine Maxime für die Erfahrung des Besonderen darstellt - eine Maxime, bei deren Gebrauch der Gesichtspunkt ihrer möglichen Objektivität (als notwendige Bedingung der Gegenstandserfahrung) berücksichtigt ist. Da aber eine rea/-objektive Erkenntnis des empirisch Besonderen weder aus den Vernunftideen noch aus den allgemeinen Verstandesbegriffen deduziert werden kann, muß die Urteilskraft den empirischen Gebrauch der Ideen auf der Grundlage einer /ormai-objektiven Bedingung legitimieren, damit die Ideen als Regulative für die Erfahrungserkenntnis fungieren können. Deshalb deduziert Kant das formale Prinzip der Urteilskraft ab eine Instanz, die zwar nicht die Objektivität der Ideen beweist, die aber dennoch die Bedingung des Gebrauchs der Ideen auf der Grundlage einer Regel für Objektivität angeben kann. Diese Deduktion führt Kant explizit in Ansehung "der Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes" (vergl. 405/344) durch. Dadurch ist sichergestellt, daß das Prinzip des Gebrauchs der Ideen unter einem transzendentalen Aspekt, d.i. in einer Funktion für die endliche Erfahrungserkenntnis (bzw. in Rücksicht auf den objektivierenden - aber endlichen - Verstand), deduziert wird "und damit auf dem Boden der kritischen Transzendentalphilosophie steht".30

30

Mechanismus Ausgeführte in folgenden Sätzen zusammenfassen: Diese Maxime ist eine Forderung, alle Erzeugung der Naturprodukte nach dem Prinzip des Mechanismus zu beurteilen; sie setzt nicht voraus, dass die mechanische Gesetzlichkeit allein schon für die Erklärung der Möglichkeit aller dieser Erzeugung genüge, wohl aber, dass jede Erzeugimg eines Dinges der Natur unter mechanischen Gesetzen stehe." ("Vier Studien", S.227) Marc-Wogau verweist mit Recht darauf, daß die Auffassung, die Maxime des Mechanismus werde von Kant als ein Satz eingeführt, der nur für die bestimmende Urteilskraft Geltung habe, auf einem Mißverständnis beruht: "Zwar gilt, dass die mechanische Maxime einen Satz voraussetzt, der nach Kant für die bestimmende Urteilskraft gilt, nämlich die Gültigkeit der mechanischen Verknüpfungsart für alle Naturdinge. Nimmt man aber die Maxime des Mechanismus ihrem ganzen Sinn nach, so ist sie, wie auch Kant selbst stets hervorhebt, ein Prinzip der reflektierenden Urteilskraft." (Fußnote S.227/228) Dieser Sachverhalt begründet die Spannung zwischen Verstand und Vernunft bzw. zwischen einer als objektiv vorausgesetzten Gesetzlichkeit und einer zur Beurteilung des Besonderen als subjektiv notwendig eingeführten Zweckkausalität; dies ist die scheinbare Dialektik der Reflexionsmaximen. Vergl. K.Düsing, "Die Teleologie in Kants Weltbegriff", S.69

Die Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge

237

I. Die Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge Kant leitet die Untersuchung der Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes mit der Unterscheidung von der Möglichkeit und der Wirklichkeit der Dinge ein (vergl. 401-402/340). Diese Unterscheidung beruht darauf, "daß das erstere nur die Position der Vorstellung eines Dinges respectiv auf unsern Begriff und überhaupt das Vermögen zu denken, das letztere aber die Setzung des Dinges an sich selbst (außer diesem Begriffe) bedeutet" (402/340): "Also ist die Unterscheidung möglicher Dinge von wirklichen eine solche, die bloß subjectiv für den menschlichen Verstand gilt, da wir nämlich etwas immer noch in Gedanken haben können, ob es gleich nicht ist, oder etwas als gegeben uns vorstellen, ob wir gleich noch keinen Begriff davon haben. Die Sätze also: daß Dinge möglich sein können, ohne wirklich zu sein, daß also aus der bloßen Möglichkeit auf die Wirklichkeit gar nicht geschlossen werden könne, gelten ganz richtig für die menschliche Vernunft, ohne darum zu beweisen, daß dieser Unterschied in den Dingen selbst liege." (402/340-341)

Diese dem "menschlichen Verstände unumgänglich" notwendige Unterscheidung gründet darin, daß Verstand und Anschauung "zwei ganz heterogene Stücke" sind (401/340). Die Wirklichkeit eines besonderen Dinges ist somit gegenüber seiner Möglichkeit ein Modus, der aus dem Verstand nicht abzuleiten ist und der deshalb dasjenige in der empirischen Anschauung betrifft, welches ein dem Verstand ursprünglich Zufälliges darstellt (vergl. 403/341). Dies bedeutet, daß jede Konzeption einer Erkenntnismöglichkeit des Besonderen, die ihr Prinzip aus den Begriffen des Verstandes (oder aus dem Verstand als dem Vermögen der Begriffe) deduziert, das Prinzip zur Erfahrungsmöglichkeit des dem Verstände Zufälligen verfehlt (vergl. 406-407/348). Sie Oerfehlt es deshalb, weil sie in ihrem Prinzip nicht die Bedingung der Möglichkeit der Vermittlung der heterogenen Erkenntnisstücke Anschauung und Denken formuliert und damit das Problem der Erfahrungserkenntnis überspringt. Die Möglichkeit einer Beurteilung des Zufälligen in der empirischen Anschauung ist aber an die Bedingung geknüpft, daß "dieses Besondere in der Mannigfaltigkeit der Natur zum Allgemeinen (durch Begriffe und Gesetze) zusammenstimmen" muß, "um darunter subsumirt werden zu können" (406-407/348). Da nun der Verstand kein allgemeines Prinzip a priori zur Beurteilung des Besonderen hat, ist eine "Zusammenstimmung" des Zufälligen mit den Gesetzen des Verstandes "unter solchen Umständen sehr zufällig" (407/348). Gefordert ist somit ein Prinzip, von dem her das Wirkliche nach einer "Gesetzlichkeit des Zufälligen" (404/344) beurteilt werden kann.

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Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft "Um nun gleichwohl die Möglichkeit einer solchen Zusammenstimmung der Dinge der Natur zur Urtheilskraft (welche wir als zufällig, mithin nur durch einen darauf gerichteten Zweck als möglich vorstellen) wenigstens denken zu können, müssen wir uns zugleich e i n e n anderen Verstand d e n k e n (Hervorhebung JP), in Beziehung auf welchen und zwar vor allem ihm beigelegten Zweck wir jene Zusammenstimmung der Naturgesetze mit unserer Urtheilskraft, die für unsern Verstand nur durch das Verbindungsmittel der Zwecke denkbar ist, als η ο t h w e η d i g vorstellen können." (407/348)

Erst durch die Zugrundelegung eines "anderen Verstandes" als eines regulativen Prinzips für eine gesetzmäßige Beziehung des Besonderen auf das Allgemeine kann die Zusammenstimmung als nicht bloß "sehr zufällig" (vergl. 407/348) im Sinne einer Unbegreiflichkeit der Beziehungsmöglichkeit verstanden werden. Sie ist "zufällig" nur für den endlichen Verstand, nicht aber für die Urteilskraft, denn die Urteilskraft ist in ihrer Reflexion auf "Zufälliges" auf eine Idee bezogen, in welcher die Beschränkung unseres objektivierenden Verstandes aufgehoben ist, und die somit als ein regulatives Prinzip zur Beurteilungsmöglichkeit des Besonderen fungieren kann. II. Der Unterschied der Idee eines Naturzwecks von den Ideen der reinen Vernunft Der Begriff eines Naturzwecks zeichnet sich, wie Kant hervorhebt, durch eine Eigenschaft aus, die ihn von anderen ideellen Entwürfen unterscheidet: Die Idee eines Naturzwecks kann nämlich als auf Wirkliches bezogen verstanden werden, und dieser Sachverhalt weist darauf hin, daß die Urteilskraft in der Reflexion auf das Zufällige an einem allgemeinen Prinzip zur Beurteilungsmöglichkeit des Besonderen orientiert sein muß, denn: "[...] die ihr gemäße Folge (das Product selbst) ist doch in der Natur gegeben, und der Begriff einer Causalität der letzteren, als eines nach Zwecken handelnden Wesens, scheint die Idee eines Naturzwecks zu einem constitutiven Princip desselben zu machen: und darin hat sie etwas von allen anderen Ideen Unterscheidendes." (405/345)

Zwar gibt es, wie Kant in der Analytik nachgewiesen hat, einen Anlaß a posteriori für den Bezug auf die Zweckidee (vergl. § 63: "Die Erfahrung leitet unsere Urtheilskraft auf den Begriff [...] eines Zwecks der Natur", 366/279, sowie § 66: "Dieses Princip ist [...] seiner Veranlassung nach von Erfahrung abzuleiten", 376/296), doch wird von dieser Veranlassung her nicht einsichtig, wie Wirkliches als eine der Idee gemäße Folge verstanden

Der Unterschied der Idee eines Naturzwecks von der Idee der reinen Vernunft

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werden kann. Daß dieser Zweckkausalität keine reale konstitutive Kraft zukommt, dies ist gewiß - aber darin, daß es so scheint, als wäre sie ein konstitutives Prinzip, weil ihr nämlich in der empirischen Anschauung etwas korrespondiert, zeichnet sie sich vor allen anderen Ideen aus. Daß über diese Idee eine Zweckmäßigkeit verständlich wird, die im Objekt der empirischen Anschauung liegen soll - daß also das Objekt als die gemäße Folge der Idee beurteilt werden kann, ohne daß die Idee tatsächliche Ursache der Möglichkeit dieses Naturproduktes ist - , dies verweist darauf, daß die teleologische Reflexion sich auf etwas bezieht, in dem die Möglichkeit gründet, die Idee so verstehen zu können, als ob sie objektive Realität hätte. Die scheinbare Kongruenz von Idee und Naturprodukt gibt somit den Hinweis darauf, daß die teleologische Reflexion an dem gesuchten regulativen Prinzip orientiert ist, welches nicht mit der Idee des Naturzwecks identisch ist, sondern welches vielmehr sowohl die Struktur dieser Idee als auch die Weise, wie sie in der Beurteilung zur Geltung gebracht wird, bestimmt. Zugleich ist evident, daß dieses Regulativ nicht in einer reinen, nur mit sich selbst beschäftigten Vernunft seinen Ursprung haben kann, welche vorgibt, als ein Prinzip der Identität für den empirischen Verstand fungieren zu können (wie das Ideal der reinen Vernunft in der ersten Kritik). Dies hat Kant in § 73 dadurch bewiesen, daß die Eigenart der Vernunftsysteme über die Zweckmäßigkeit der Natur darin besteht, daß sie keinen Bezug von Verstandes- und Vernunftkausalität herstellen können und somit als Regulative zur Beurteilung einer Zweckmäßigkeit der Natur untauglich sind.31 Demzufolge gibt Kant

31

Wir erinnern an dieser Stelle an die Funktion des Ideals, wie Kant sie in der ersten Kritik darstellte: Das Ideal wurde als ein Vernunftprinzip charakterisiert, welches die systematische Einheit in der empirischen Erfahrungserkenntnis garantieren sollte, indem es den Verstand "mit sich selbst durchgehends einstimmig" macht (vergl. 2 5 2 / Β 380). Diese Einstimmigkeit sollte durch eine "transszendentale Voraussetzung, nämlich die Materie zu aller Möglichkeit" gewährleistet sein, "welche a priori die Data zur b e s o n d e r e n Möglichkeit jedes Dinges" enthält (vergl. 3 8 6 / B 601). Die Vernunft bezog sich hierin auf den Verstand mit dem Ziel der kollektiven Einheit seiner Handlungen. Als Mittel zur Hervorbringung dieser Einheit führte Kant (über das Schema der Idee einer zweckmäßigen Einheit der Dinge) teleologische Gesetze in die Transzendentalphilosophie ein (um "dadurch zu der größten systematischen Einheit" in der Erfahrung "zu gelangen"/vergL 4 5 2 / B 715). Diese Konzeption wird von Kant in der dritten Kritik verworfen: Die Verknüpfung der Dinge nach teleologische Gesetzen der Vernunft begründet nicht die Einheit der Erfahrung, sondern sie erzeugt vielmehr eine durch die Vernunft nicht lösbare Antithetik von Verstandes- und Vernunftkausalität· deshalb kann die Idee eines Naturzwecks nicht als ein Prinzip für den Verstand fungieren. Sie ist lediglich eine Maxime für die Urteilskraft, also ein Regulativ, dessen Gebrauch in der empirischen Erfahrungserkenntnis auf der Grundlage der Selbstgesetzgebung der Reflexion legitimiert werden muß, d.h. in Rücksicht auf die Möglichkeit einer Vermittlung der teleologischen Beurteilung mit der mechanischen.

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Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

nunmehr die Erklärung, daß der Unterschied der Idee eines Naturzwecks zu allen Vernunftideen darin besteht, daß die "gedachte Idee nicht ein Vernunftprinzip für den Verstand, sondern für die Urteilskraft" ist, also für ein Vermögen, welches sich auf der Grundlage eigener Gesetzgebung das Prinzip des Umgangs mit Regulativen gibt (vergl. 385-386/312-313: "Die Urtheilskraft muß sich selbst zum Princip dienen"), und dieser Umgang mit der Idee eines Naturzwecks begründet den Schein der Objektivität dieser Idee über ein Verfahren der "[...] Anwendving eines Verstandes überhaupt auf mögliche Gegenstände der Erfahrung [...]; und zwar da, wo das Urtheil nicht bestimmend, sondern bloß reflectirend sein kann, mithin der Gegenstand zwar in der Erfahrung gegeben, aber darüber der Idee gemäß gar nicht einmal b e s t i m m t (geschweige völlig angemessen) g e u r t h e i l t , sondern nur über ihn reflectirt werden kann" (405/345).

Die Idee eines "Verstandes überhaupt" ist damit ein allgemeines Prinzip für die Urteilskraft zur Reflexion über das empirisch Besondere in der Anschauung, von dem her die Zusammenstimmung des Besonderen in der Mannigfaltigkeit der Natur zum Allgemeinen nicht als nur "sehr zufällig" verstanden werden kann (vergl. 407/348). Die Möglichkeit, auf der Grundlage des Prinzips der Urteilskraft über das Zufällige in Ansehung seiner Gesetzlichkeit zu reflektieren und die Natur in ihrem Produkt als die notwendige gemäße Folge der Idee eines Zweckes zu beurteilen, "betrifft also eine Eigenthümlichkeit u n s e r e s (menschlichen) Verstandes in Ansehung der Urtheilskraft in der Reflexion über Dinge der Natur" (405/345) - eine Eigentümlichkeit, die darin besteht, daß die Urteilskraft zur Möglichkeit ihrer Leistung auf eine Idee bezogen ist, in der die Beschränkung des objektivierenden Verstandes aufgehoben ist: "Wenn das aber ist, so muß hier die Idee von einem andern möglichen Verstände, als dem menschlichen zum Grunde liegen [...], damit man sagen könne: gewisse Naturproducte m ü s s e n nach der besonderen Beschaffenheit unseres Verstandes v o n u n s ihrer Möglichkeit nach als absichtlich und als Zwecke erzeugt b e t r a c h t e t w e r d e n , ohne doch darum zu verlangen, daß es wirklich eine besondere Ursache, welche die Vorstellung eines Zwecks zu ihrem Bestimmungsgrunde hat, gebe, mithin ohne in Abrede zu ziehen, daß nicht ein anderer (höherer) Verstand, als der menschliche auch im Mechanism der Natur, d.i. einer Causalverbindung, zu der nicht ausschließungsweise ein Verstand als Ursache angenommen wird, den Grund der Möglichkeit solcher Producte der Natur antreffen könne." (406/345-346)

Die Aufgaben der transzendentalen Deduktion

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III. Die Aufgaben der transzendentalen Deduktion des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit In § 69 gab Kant den Hinweis, daß "die Urtheilskraft sich selbst zum Princip dienen muß" (386/313), weil "es uns objectiv gänzlich an einem Gesetze mangelt, oder an einem Begriffe vom Object, der zum Princip für vorkommende Fälle hinreichend wäre" (385/312). Das Prinzip der Gesetzlichkeit des Zufälligen muß deshalb aus einem in dem Prinzip zum zweckmäßigen Gebrauch der Erkenntniskräfte enthaltenen Strukturmoment deduziert werden. Deshalb bildet das formale Prinzip der Urteilskraft die Grundlage der Deduktion. Der erste Schritt der transzendentalen Deduktion ist darum der Beantwortung der Frage gewidmet, wie die Urteilskraft sich selbst zum Prinzip dient. Anschließend zeigt Kant, wie dieses Prinzip die Grundlage der Idee eines "Verstandes überhaupt" als einer regulativen Idee für die Reflexion bildet, von der her 1.) die Allgemeinheit und Notwendigkeit des Prinzips der Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit in organisierten Wesen begründet werden kann (vergl. § 66: Die Frage war dort, welches Prinzip a priori, "wenn es gleich bloß regulativ wäre", der Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit zum Grunde liegt); 2.) die Idee eines Naturzwecks als eine solche verstanden werden kann, durch die das Besondere ab ein Zufälliges/Wirkliches beurteilbar ist und nicht nur eine Möglichkeit der Dinge vorstellt, der nichts in der Anschauung korrespondiert (diese Darstellung knüpft an die Untersuchung der Analytik in den §§ 64 und 65 an, indem sie die Frage beantwortet, auf welcher Grundlage die Urteilskraft die Idee einer zweckintentionalen Kausalität zur Idee eines Naturzwecks modifiziert und hierin auf Wirkliches, nämlich auf die dem Verstände zufällige Natur bezogen ist); 3.) das Denken in der Beurteilung einer Zweckmäßigkeit der Natur einstimmig mit sich selbst ist und somit einer Dialektik kontradiktorischer Entgegensetzung der Erzeugungsprinzipien, wie sie Kant für die Vernunftsysteme bewiesen hat (§§ 72/73), entgeht; 4.) die heterogenen Beurteilungsmaximen als unter einem Prinzip enthalten und somit als in einem systematischen Bezug zueinander vorgestellt werden können. Dies ist die Auflösung des dialektischen Scheins im empirischen Gebrauch regulativer Prinzipien, wie ihn Kant in § 70 vorstellte, und mit dieser Auflösung kann der Nachweis erbracht werden, daß die teleologische Naturbetrachtung unabhängig von dem Gegenstandsbereich des Organischen als ein allgemeines inneres Prinzip der Naturwissenschaft verstanden werden kann, daß also dem formalen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur der Status eines transzendentalen Prinzips der Urteilskraft zukommt.

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Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

IV. Die Deduktion des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit auf der Grundlage der Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft Weil die "Gesetzlichkeit des Zufälligen", wie Kant sagt, "Zweckmäßigkeit heißt" (404/344) und die Zweckmäßigkeit ein Qualifikator ist, der seinen Ursprung in dem formalen Prinzip der Reflexion hat, deshalb muß die Deduktion des Prinzips zur Beurteilung einer Gesetzlichkeit des Zufälligen über die formale, notwendige und allgemeine Bedingung des Gebrauchs der Urteilskraft geleistet werden, nämlich über die Vermittlung der Erkenntniskräfte, denn die formale Bedingung ist das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt (vergl. 286/145). Dieses Prinzip hat Kant im ersten Teil der Kritik als ein solches deduziert, durch welches das Vermögen der Anschauung unter das Vermögen der Begriffe subsumiert wird (vergl. 287/146). Die Möglichkeit der Bestimmung eines Gegenstandes gründet somit darin, daß das Vermögen der Begriffe in seiner Gesetzmäßigkeit mit der Anschauung zusammenstimmt (146). Das dieser Deduktion zugrunde liegende Argument ist, daß das formale Prinzip genau deshalb zur Aufhebung des dialektischen Scheins in der teleologischen Reflexion dienen kann, weil es lediglich die Bedingung formuliert, unter der die Bestimmung eines Gegenstandes durch einen Begriff möglich ist; es bildet somit ein begriffsunabhängiges Kriterium für den Gebrauch von Begriffen. Die dem Geschmacksurteil anhängende "eigentümliche Schwäche", "über kein Kriterium zu verfügen, das garantiert, daß in der Relation der Zweckmäßigkeit ein Anderes der Subjektivität für diese zweckmäßig ist und nicht nur ein von dem Subjekt selbst Entworfenes",32 dieser Mangel des Urteilsprinzips kann durch die Deduktion selbstverständlich nicht behoben werden, denn eine kritisch fundierte metaphysica generalis gelangt, wie Kant in der Analytik der ersten Kritik nachwies, über die Grundlegung einer formalen Ontologie nicht hinaus. Der wesentliche Aspekt, von dem her Kant das formale Prinzip der Reflexion zum Tragen bringt, ist deshalb der, daß das Subjekt im Reflexionsprinzip über ein Kriterium verfügt, welches einen kritischen Bezug auf den subjektiven Entwurf ermöglicht. Die Deduktion soll also lediglich die Voraussetzung einer Zweckmäßigkeit der Natur erkenntniskritisch fundieren und nicht etwa eine Zweckmäßigkeit der Natur an sich beweisen.33 Entsprechend liefert Kant den

32 33

W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.169 Die mit dem Prinzip der Zweckmäßigkeit verbundene erkenntniskritische Position Kants wird vom Markuschewitsch-Nieburg in der Untersuchung: "Die transzendentale Gesetzlichkeit des Als ob" (Diss. Jena 1928) verkannt. Es heißt dort zwar einerseits: "Zwecks negativer Ausgrenzung muß von vornherein betont werden, daß der Zweckmäßigkeits-

Die Deduktion des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit

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Nachweis, daß die Zweckmäßigkeit der Natur ein Begriff a priori ist, der seinen Ursprung in der reflektierenden Urteilskraft hat (vergl. 2.Einl. 186/XXVIII), und zwar in ihrem formalen Prinzip. Dieses Prinzip stellt "die allgemeine Bedingung a priori" vor, "unter der allein Dinge Objecte unserer Erkenntniß überhaupt werden können" (2.Einl. 181/XXIX). Die Beziehung der beiden Teile der Kritik besteht deshalb darin, daß das formale Prinzip der Urteilskraft, dessen Struktur und Funktion in der Analyse des Geschmacksurteils freigelegt wurden, nunmehr für die teleologische Reflexion als ein transzendentales Prinzip zur empirischen Erfahrungserkenntnis kritisch fungiert, nämlich als ein Prinzip, welches α priori in der formalen Bedingung für Erkenntnis überhaupt über einen Qualifikator verfügt, durch den die Bestimmung des Besonderen als ein rechtmäßiges Verfahren ausgewiesen werden kann.

Im Abschnitt VIII der zweiten Einleitung "Von der logischen Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur" bestimmt Kant die Funktion der reflektierenden Urteilskraft in Hinblick auf eine "formale Zweckmäßigkeit der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnißvermögen" (193/L) nach dem in der ästhetischen Reflexion aufgewiesenen Prinzip der Urteilskraft. Dort zeigt Kant, daß es zur Beurteilung besonderer empirischer Gesetze (im Falle der teleologischen Reflexion: zur Beurteilung eines Objektes nach der kausalen Bedingung der inneren Zweckmäßigkeit seiner Form) eines Bezugs auf den Vernunftbegriff der Zwecke bedarf. In diesem Bezug ist jedoch die Vernunft der Urteilskraft untergeordnet: Das Prinzip der Urteilskraft formuliert zwar nicht aus sich heraus das empirische Gesetz (denn es ist kein Vermögen der Begriffe), aber als ein Vermögen der Regeln (vergl. 194/LII) gibt die Urteilskraft durch ihr Prinzip a priori die Regel des Gebrauchs des Zweckbegriffs (vergl. 193/LI).

gedanke k e i n e n Platz in der empirischen Naturbestimmung und -erkenntnis beanspruchen kann" (S.35), aber andererseits lautet das der Interpretation der teleologischen Reflexion zugrunde gelegte Argument: "Der teleologische Grund wird so angeführt, als ob er die Natur bestimmte, d.h. die Natur wird so gedacht als ob in ihr ein Zweck verwirklicht wäre. T a t s ä c h l i c h i s t i m O r g a n i s m u s eine Z w e c k m ä ß i g k e i t v e r w i r k l i c h t . Das 'Als ob' aber bezieht sich darauf: als ob der tatsächlichen Zweckmäßigkeit eine Zweckursächlichkeit zugrunde liege! Die Teleologie als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft hat eine bloß regulative Bedeutung für die Beurteilung, also nicht für die Erklärung der Naturerscheinungen" (S35). Das epistemologische Problem wird hierbei umgangen, weil dogmatisch vorausgesetzt wird, Organismen seien an sich zweckmäßig. Kants Auffassung ist aber, daß sie nur als zweckmäßig beurteilt werden müssen; und diese subjektive Notwendigkeit leitet die Urteilskraft auf die Vernunftgesetzgebung. Erst wenn dieser kritische Gesichtspunkt berücksichtigt wird, können wir Markuschewitsch-Nieburgs Interpretation zustimmen, wonach die Vernunftgesetzgebung 'Sinn und Bedeutung gewinnt", indem sie dem kausalbedingten Sein "die Richtungsmöglichkeit vom bloßen Sein zum Sein-Sollen verleiht" (S.39).

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Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

Unter diesem Gesichtspunkt können wir nun auch auf die Darstellung der Struktur des Geschmacksurteils in der ersten Einleitung zurückgreifen:34 "Ein blos r e f l e c t i r e n d e s Urtheil aber über einen gegebenen einzelnen Gegenstand k a n n ä s t h e t i s c h seyn, wenn (ehe noch auf die Vergleichung desselben mit anderen gesehen wird) die Urtheilskraft, die keinen Begrif für die gegebene Anschauung bereit hat, die Einbildungskraft (blos in der Auffassung desselben) mit dem Verstände (in Darstellung eines Begrifs überhaupt) zusammenhält und ein Verhältniß beider Erkenntnisvermögen wahrnimmt, welches d i e s u b j e c t i v e blos empfindbare Bedingung des o b j e c t i v e n G e b r a u c h s der Urtheilskraft (nämlich die Zusammenstimmung jener beyden Vermögen unter einander) überhaupt ausmacht." (l.Einl. 223-224/30, letzte Hervorhebungen JP)

Dieses Zitat macht deutlich, daß in der teleologischen Reflexion der Bezug auf einen Zweckbegriff nur dann ein objektiv notwendiger ist, wenn er von dem Prinzip der Zweckmäßigkeit her verständlich gemacht werden kann. Der Gebrauch der Vernunftidee hat somit den objektiven Gebrauch der Urteilskraft zur Voraussetzung; das Kriterium der formalen Zweckmäßigkeit hat folglich über den Rahmen der geschmacklichen Reflexion hinaus Geltung. Die teleologische Urteilskraft reflektiert auf der Grundlage ihres Prinzips auf Ideen, die als Hypothesen einen Vorgriff auf die mögliche Struktur des zu Beurteilenden darstellen. Weil nun aber von der Möglichkeit der Dinge nicht auf ihre Wirklichkeit geschlossen werden kann, so bleibt die Vorstellung einer objektiven Zweckmäßigkeit immer nur ein kritisches Prinzip der Vernunft für die Urteilskraft. Die in der Analytik behauptete " r e a l e" (364/ 274) Zweckmäßigkeit von Naturprodukten ist eine solche problematische Hypothese. Aber gerade weil diese Zweckmäßigkeit auf die Existenz der Dinge (vergl. 364/275) bezogen wird, ist die Aussage ein Gegenstand der Reflexion, und als ein solcher wurde sie in der Analyse des teleologischen Urteils freigelegt. Deshalb hob Kant in dem die Kritik der teleologischen Urteilskraft einleitenden § 61 hervor, daß es hierbei nicht um den Nachweis einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur geht, sondern vielmehr um die Frage nach den Bedingungen, unter denen die teleologische Beurteilung der Natur nach einer objektiv verstandenen Zweckmäßigkeit, "wenigstens problematisch, mit Recht zur Naturforschung" herangezogen werden kann (vergl. 360/269). Daß die "objektive

34

Denn erst unter dem Gesichtspunkt, daß die Vernunft nicht die Voraussetzung für die teleologische Reflexion bildet (das Prinzip der Zweckmäßigkeit also in der Selbstgesetzgebung der Urteilskraft gründet), ist es sinnvoll, die Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft aJs eine Regel für den Gebrauch des Zweckbegriffs einzuführen.

Die Deduktion des formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit

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Zweckmäßigkeit" nicht eine Eigenschaft der Objekte an sich betreffen kann, dies wurde von Kant als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Beurteilung bezieht sich lediglich auf das Verhältnis des Subjektes zur Natur in Ansehung seines endlichen Erkenntnisvermögens. An dieser Stelle müssen wir auf einen scheinbaren Widerspruch eingehen: In der Deduktion des Geschmacksurteils betonte Kant, daß "die Urtheilskraft in Ansehung der formalen Regeln der Beurtheilung, ohne alle Materie [...], nur auf die s u b j e c t i v e n Bedingungen des Gebrauchs der Urtheilskraft überhaupt [...] gerichtet sein kann" (290/ 150-151/Hervorhebung/JP); in der Reflexion auf die objektive Zweckmäßigkeit reiner Vorstellungen wird das formale Prinzip der Urteilskraft jedoch als die Bedingung ihres objektiven Gebrauchs bestimmt. Kant behauptet hiermit nicht, die Bedingung des objektiven Gebrauchs sei identisch mit der Bedingung des subjektiven Gebrauchs der Urteilskraft. Ein objektiver Gebrauch der Urteilskraft findet allein in der objektivierenden Subsumtion a priori statt. Dieses Verfahren wurde von Kant in der "transscendentalen Doctrin der Urthälskrafl" der ersten Kritik erörtert (vergl. 133/B 176ff). Für die reflektierende Urteilskraft kann es keinen ree/objektiven Gebrauch geben, denn ihr Prinzip ist nicht konstitutiv für Objekte. Aber · und dies ist hier das Argument der Deduktion - das formale Prinzip (ohne alle Materie) formuliert die Bedingung, die das Subjekt im Urteil erfüllen muß, damit das Urteil über die Materie einen Bezug auf Objektivität hat (hierzu Kant in der 2.Einl.: "[...] wie geurtheilt werden s ο 1 1", damit eine "logische objective Notwendigkeit" im Urteil sichergestellt ist; 182/XXXI). Also gibt es kein objektives Reflexionsurteil - aber es gibt ein Kriterium ßr Objektivität, wonach die teleologische Reflexion das kritische Prinzip des Gebrauchs von Maximen ist. Damit ist die Bedingung des objektiven Gebrauchs nicht die Bedingung der Naturobjekte, sondern nur die Bedingung ihrer Beurteilung durch das Subjekt bzw. die Beurteilung einer realen Zweckmäßigkeit der Dinge durch einen Zweckbegriff ist nicht der objektive Grund der Möglichkeit der Existenz der Dinge, obwohl die Zweckkausalität ein Prinzip zur Beurteilung ihrer Existenz darstellen kann, wenn der Bezug auf diesen Begriff von der Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft her begründet ist.35

34 In den "Reflexionen zur Anthropologie" (Ak.-Text Bd.XV, 2.Hälfte) Refl. 988 und 992 sind die ersten Entwürfe Kants für eine Deduktion des Reflexionsprinzips über die Analyse des Geschmacksurteils nachweisbar. Es heißt dort: "Wie ist ein objectiv gültiges Urtheil möglich, welches doch durch keinen Begrif vom object bestimmt wird? (Denn eine für jedermann gültige Regel muß vom object gelten, und also auch der Begrif vom object das Urtheil für jedermann, also auch für mich gültig bestimmen.) Wenn das Urtheil das Verhältnis [der] aller Erkentnisvermögen [überhaupt] in

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Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

Dieses Argument liegt der Deduktion des Urteilsprinzips am Ende des § 76 zugrunde: "Da nun aber das Besondere als ein solches in Ansehung des Allgemeinen etwas Zufälliges enthält, gleichwohl aber die Vernunft in der Verbindung besonderer Gesetze der Natur doch auch Einheit, mithin Gesetzlichkeit erfordert (welche Gesetzlichkeit des Zufälligen Zweckmäßigkeit heißt), und die Ableitung der besonderen Gesetze aus den allgemeinen in Ansehung dessen,

Übereinstimung zur Erkenntnis eines objects überhaupt ausdrückt, mithin nur die wechselseitige Beförderung der Erkentniskräfte unter einander ausdrückt, so wie es gefühlt wird. Denn alsdenn kan kein Begrif von irgend einem object [dergleich] ein solches Gefühl, sondern nur Begriffe hervorbringen. Wenn sich das Urtheil aufs object ([nicht aber] und nur vermittelst des Begrifs von ihm aufs Subject) bezieht, gleichwohl aber kein bestirnter Begrif von irgend einem object, noch auch von irgend einer nach Regeln bestimmbaren Beziehung (des Begrifs) aufs Subject das Urtheil desselben nothwendig macht: so muß es sich aufs object überhaupt durch Gemüthskräfte der Erkentnis überhaupt beziehen. Denn da ist kein bestimmter Begrif, sondern blos das Gefühl der durch Begriffe überhaupt einer Mittheilung fähigen Bewegung (aller) der Erkentniskräfte das, was der Grund des Urtheils enthalt. Die Lust ist an diesem Urtheil, nicht an dem objecte desselben. Die Erkentniskräfte sind Witz und Einbildungskraft, so fern sie zum Verstände übereinstimmen. Urtheilskraft ist nur das Vermögen, was [aus] beyder Zusammenstimmung (in einem Falle) in concreto möglich macht. Scharfsinn ist das Vermögen, [das] auch die kleine Einstimmung oder Widerstreit beyder zu bemerken, ist also Eigenschaft der Urtheilskraft." (Refl.z.Anthr. 988) Zu dieser Reflexion steht der Entwurf 992 als der Versuch einer Deduktion des formalen Prinzips der Urteilskraft in einem sachlichen Bezug: "Wenn ein Urtheil so beschaffen ist, daß es für jedermann gültig zu seyn behauptet, [gleich] dabey aber doch allen so wohl empirischen als auch jedem anderen Beweis a priori [von seiner Richtigkeit zul] für jene nothwendige Einstimmung [zuläßt] ausschließet: so bezieht es seine Vorstellung[sart des objects nicht auf eine sinnliche sondern übersinnliche Bestimmung des Subjects] auf ein [übersinnliches] Princip des [übersinnlichen Gebrauchs] übersinnlichen Bestimmung unserer Erkentnisvermögen. Denn da das Urtheil allgemein gelten soll, so muß es ein Princip haben; da es aber keines Beweisgrundes noch irgend einer Regel des Gebrauchs des Verstandes oder der Vernunft in Ansehung der Gegenstande der Sinne fähig ist, so muß es [...] ein Princip des [...] Gebrauchs der Erkenntnisvermögen (überhaupt) haben, welches sich auf [ihre] irgend eine übersinnliche Bestimmung [...] derselben gründet oder sich darauf bezieht; es mag nun diese [Princip] Bestimmung blos angemaßt oder gegründet seyn, so kann doch nur in Rücksicht auf dieselbe ein solches Urtheil gefället werden." (Refl. z.Anthr. 992) Nach der Einschätzung von Adickes steht dieser erste Teil der Refl. 992 - der zweite Teil ist zweifellos eine Vorarbeit für die Einleitung in die Kritik der Urteilskraft - "in keinem erkennbaren unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Werk" (vergl. Seite 436, Fußnote 8). Nach unserer Interpretation ist dieser Zusammenhang jedoch evident: Er besteht nämlich darin, daß Kant schon hier versucht, über den Allgemeingültigkeitsanspruch im ästhetischen Urteil das formale Prinzip jedes Reflexionsurteils herzuleiten.

Die Idee eines "Verstandes überhaupt"

247

was jene Zufälliges in sich enthalten, a priori durch Bestimmung des Begriffs vom Objecte unmöglich ist: so wird der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Producten ein für die menschliche Urtheilskraft in Ansehung der Natur nothwendiger, aber nicht die Bestimmimg der Objecte selbst angehen der Begriff sein, also ein subjectives Princip der Vernunft für die Urtheilskraft, welches als regulativ (nicht constitutiv) für unsere m e n s c h l i c h e Urt h e i l s k r a f t eben so nothwendig gilt, als ob es ein objectives Princip wäre." (404/344)

V. Die Idee eines "Verstandes überhaupt" als ein allgemeines und notwendiges regulatives Prinzip α priori Weil es das Vermögen der reflektierenden Urteilskraft ist, über welches das Besondere als ein dem Verstände Zufälliges von einem Prinzip her der Erfahrungserkenntnis zugänglich werden soll, deshalb wird "die Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes, wodurch uns der Begriff eines Naturzwecks möglich wird" (405/344), aus einem Verhältnis unseres Verstandes zur Urteilskraft entwickelt. Es kommt, wie Kant sagt, "auf das Verhalten u n s e r e s Verstandes zur Urteilskraft an", durch welches die "Zufälligkeit der Beschaffenheit" des Verstandes als ein eigentümliches Merkmal objektiver Gegenstandserkenntnis erkannt werden kann, und wodurch wir auf die Idee eines "andern möglichen" Verstandes geleitet werden (vergl. 405/346). Die Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes im Verhältnis zur Urteilskraft besteht nämlich darin, daß wir zwar durch den Verstand noch keinen Begriff davon haben, worin die objektive Realität der ihm zufälligen Dinge gründet (vergl. 402-403/341), aber wir haben über das formale Prinzip der Urteilskraft ein allgemeingültiges und notwendiges Kriterium dafür gewonnen, welcher Gebrauch der Erkenntniskräfte die Objektivität eines Begriffes begründet. Deshalb gilt auch in Hinblick auf eine Beurteilung des dem Verstände Zufälligen die Maxime, "[...] daß wir alle Objecte da, wo ihr Erkenntniß das Vermögen des Verstandes übersteigt, nach den subjectiven, unserer (d.i. menschlichen) Natur n o t h wendig anhängenden Bedingungen der Ausübung ihrer V e r m ö g e n denken; und wenn die auf diese Art gefällten Urtheile [...] nicht constitutive Principien, die das Object, wie es beschaffen ist, bestimmen, sein können, so werden es doch regulative, in der Ausübung immanente und sichere, der menschlichen Absicht angemessene Principien bleiben." (403/342/Hervorhebung JP)

Das Verhältnis von menschlichem Verstand und Urteilskraft ist also

248

Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

dadurch bestimmt, daß die Urteilskraft in ihrem formalen Prinzip der Zweckmäßigkeit eine Bedingung für "Erkenntnis überhaupt" - sei es das Allgemeine einer Gegenständlichkeit oder das Besondere - ausdrückt, hingegen der objektivierende Verstandes lediglich als Prinzip einer Erkenntnis des Allgemeine fungieren kann. Der diskurswe Charakter des Verstandes ist, wie Kant sagt, der Grund dieser beschränkten Funktion.36 Weil nun die Endlichkeit des objektivierenden Verstandes aus der allgemeinen und notwendigen Bedingung eines objektiven Urteils nicht ableitbar ist, stellt die Tatsache, daß der menschliche Verstand "nur ein discursiver Verstand" ist, "für den es freilich zufällig sein muß, welcherlei und wie sehr verschieden das Besondere sein mag, das ihm in der Natur gegeben werden und das unter seine Begriffe gebracht werden kann" (406/347), eine nur zufällige Eigenschaft gegenüber dem allgemeinen Kriterium für Objektivität dar, bzw. das Beschränktsein des Verstandes auf eine Erkenntnis des Allgemeinen ist keine Eigenschaft, die in der Bedingung einer Erkenntnis überhaupt ihren Grund hat, oder welche aus dem formalen Urteilsprinzip notwendig folgt. Deshalb tritt seine Endlichkeit im Verhältnis zur formalen Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft in der teleologischen Reflexion deutlich hervor: "Diese Zufälligkeit findet sich ganz natürlich in dem B e s o n d e r e n , welches die Urtheilskraft unter das A l l g e m e i n e der Verstandesbegriffe bringen soll; denn durch das Allgemeine u n s e r e s (menschlichen) Verstandes ist das Besondere nicht bestimmt; und es ist zufällig, auf wie vielerlei Art unterschiedene Dinge, die doch in einem gemeinsamen Merkmale übereinkommen, unserer Wahrnehmung vorkommen können." (406/346-347)

Nun zeichnet sich die teleologische Beurteilung einer inneren Zweckmäßigkeit dadurch aus, daß der Idee eines Naturzwecks der Schein der Objektivität anhängt; dieser Schein verweist unter Berücksichtigung der "Eigenthümlichkeit des menschlichen Verstandes" (405/344) darauf, daß der Reflexion "die Idee von einem andern möglichen Verstände als dem menschlichen zum Grunde liegen muß" (405/345-346). Der zweite Schritt

36

"Wir können zwar durch die überraschende Entdeckung der Zusammenstimmung von Naturgegebenheiten und der Vereinbarkeit niederer Gesetze zu höheren neue, allgemeine Gesetze erkennen. Aber diese selbst lassen doch als allgemeine, d i s k u r s i v e (Hervorhebung JP) Begriffe unbestimmt, in wie vielerlei Weise das Besondere unter ihnen stehen kann. Wir können also nicht erkennen, wie aus einem allgemeinen Gesetz der Natur [...] die Zusammenstimmung [...] des verschiedenartigen Mannigfaltigen notwendig hervorgeht [...]. Denn für die allgemeinen Begriffe unseres Verstandes ist das Besondere und dessen Zusammenstimmung zufällig." (K-Düsing, "Die Teleologie in Kants Weltbegriff', S.67)

Die Idee eines "Verstandes überhaupt"

249

der transzendentalen Deduktion besteht deshalb in der Ableitung eines Prinzips für die Beurteilung des Besonderen, die Kant als Idee eines "intuitiven Verstandes" (406/347) in die Untersuchung einführt. Dieses Prinzip kann nach dem vorliegenden Ergebnis nicht von dem kategorialen Verstand, wie ihn die erste Kritik untersuchte, abgeleitet werden, denn die Erweiterung eines Vermögens der Begriffe zur Idee eines "Verstandes überhaupt" führt auf ein Vermögen absoluter Spontaneität im Moment des Begrifflichen, also auf eine Konzeption von "Denken überhaupt". Ein solcher Entwurf wurde durch das Ideal der reinen Vernunft vorgestellt: Die Idee eines "Verstandes überhaupt" wurde dort charakterisiert als die Vorstellung einer "absoluten Einheit differenter Prädicate im Inbegriff aller Möglichkeit". In dieser Struktur ist das Ideal eine untaugliche Konzeption für die Beurteilung des Besonderen als eines Zufälligen/Wirklichen, weil es nur die Möglichkeit der Dinge oder, wie wir nach Kants Darstellung in § 76 nunmehr sagen können, nur "die Position der Vorstellung eines Dinges respectiv auf unsern Begriff und überhaupt das Vermögen zu denken" (402/340) betrifft. Diese Konzeption betrifft "den ganzen Vorrat des Stoffes" gemäß einer Idee vom All der Realitäten (omnitudo realitatis) und damit alle möglichen Prädikate (KdV 387-388/B 603).37 Eine solche Konzeption von einem "Verstände überhaupt" setzt ein Bestimmtsein des Besonderen immer schon voraus, so daß die Idee "Verstand überhaupt" einen geforderten transzendentalen Status verfehlen muß, weil sie in bloßer Begrifflichkeit verharrt. Der Bezug auf die Empirie bedeutet dann kein Transzendieren der Begrifflichkeit zur Anschauung, sondern ein Verbleiben in apriorisch begrifflichen Strukturen.38 Soll die Idee eines "Verstandes überhaupt" in Hinblick auf die Erfahrungserkenntnis des Zufälligen fungieren können, so muß in dieser Konzeption berücksichtigt sein, daß jede Erkenntnis in einem Bezug des Verstandes auf die Anschauung gründet, die zwei heterogene Erkenntnisstücke sind, wie Kant in § 76 ausdrücklich hervorhebt. Hieraus folgt, daß die Grundlage für die Konzeption der Idee eines intuitiven Verstandes nur ein Prinzip sein kann, welches, weil es in Hinblick auf die Vermittlung

37

38

der Spannung

zwischen

den heterogenen

Erkenntnisstücken

Vergl. Prolegomena § 46, 333/A 135: "[...] die spedfische Natur unseres Verstandes [...] besteht (darin), alles discursiv, d.i. durch Begriffe, mithin auch durch lauter Prädicate zu denken [...]". Folglich ist das Ideal - als Idee einer absuluten Einheit differenter Prädikate - die Konzeption eines "diskursiven Verstandes überhaupt". Vergl. auch W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort": "Wir haben gesehen, wie diese Konzeption der Vernunftideen in der K.d.r.V. am Erzeugungscharakter des reinen Verstandes orientiert bleibt und damit nicht die Relation transzendiert, derzufolge in der Beziehung des transzendentalen Subjektes auf die Vorgegebenheit der sinnlichen Natur das zu Beziehende immer schon als Bezogenes erscheint." (S.216)

250

Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

("Verstand für Begriffe und sinnliche Anschaung für Objecte"; 401/340) fungiert, also auf das "Erkenntnisstück" Anschauung ursprünglich verweist.39 Dieses gesuchte Prinzip ist das formale Prinzip der Urteilskraft; es formuliert die Bedingung des objektiven Gebrauchs der Erkenntniskräfte, also die allgemeine und notwendige Bedingung für Erkenntnis überhaupt als eine Beziehung von Verstand und Anschauung. Kant stellte diesen Sachverhalt im Rahmen der Analytik und der Deduktion des ästhetischen Urteils dar:"[...] das Geschäft des V e r s t a n d e s ü b e r h a u p t " ist die Zusammenstimmung einer Vorstellung "zu den Bedingungen der Allgemeinheit"; diese "proportionirte Stimmung" der Erkenntnisvermögen fordern wir "zu allem Erkenntnisse", und sie ist daher für jedermann gültig, "der durch Verstand und Sinne i n V e r b i n d u n g zu urtheilen bestimmt ist [...]" (219/31-32/Hervorhebung JP). Weil nun die "transszendentale Kritik" (mit der "wir es hier überall allein zu thun" haben! vergl. 286/144) "das subjective Princip des Geschmacks, als ein Princip a priori der Urtheilskraft, entwickeln und rechtfertigen" (286/144) soll, dienen "die formalen Eigenthümlichkeiten dieser Art Urtheile, [...] sofern an ihnen bloß die logischeForm betrachtet w i r d," (287/146/Hervorhebung JP) auch zum Leitfaden einer Deduktion des teleologischen Urteils (vergl. hierzu 2.Einl. Abschnitt VIII, in dem Kant die Erörterung der teleologischen Reflexion "Von der l o g i s c h e n Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur" betitelt, 192/XLVIII/Hervorhebung JP). Die Struktur des subjektiven Prinzips der Urteilskraft überhaupt bildet somit den Ausgangspunkt für die Herleitung der Idee eines "Verstandes überhaupt", von der her die Beurteilung des Besonderen (Wirklichen/Zufälligen) nach einem Naturzweck als notwendig (gesetzlich) verstanden werden kann. Weil "unser Verstand [...] ein Vermögen der Begriffe (ist), d.i. ein discursiver Verstand, für den es freilich zufällig sein

39

Vergl. hierzu auch die Einleitung von Joachim Kopper in seine Untersuchung "Refelexion und Determination" (Berlin/New York 1976): "Dieses Denken nun einer Möglichkeit, die als solche die Wirklichkeit in sich einschließt, kritisiert der Verstand; er kritisiert es nicht mehr, wie es in der Kritik der reinen Vernunft der Fall zu sein scheint, dadurch, daß er auf sich selbst und damit auf das Faktum verweist, daß Wirklichkeit anschaulich gegeben werden müsse, welche Anschauung in dem Ideal der reinen Vernunft nicht vorliege, weswegen die Vernunft auch nicht über die bloße Möglichkeit hinaus gelangen könne: eine solche Kritik hätte dem Begreifen der Vernunft einfach nur das Begreifen des Verstandes entgegengehalten; der Verstand kritisiert die Vernunft vielmehr dadurch, daß er darauf verweist, dem Denken der Vernunft mangle die Objektivität, die nur dadurch erlangt werden könnte, daß die Vernunft in ihrem Begreifen zur Bedingimg für das Erkennen des Verstandes werden könnte. [...] Die Unzulänglichkeit der Vernunft [...] liegt [...] darin, daß sie nicht imstande ist, für den Verstand als die Bedingung zu fungieren, die ihn zur objektiven Erkenntnis gelangen läßt." (S.7)

Die Idee eines "Verstandes überhaupt"

251

muß, welcherlei und wie sehr verschieden das Besondere sein mag, das ihm in der Natur gegeben werden und das unter seine Begriffe gebracht werden kann" 406/347), ist die Zusammenstimmung des Begriffs eines Naturzwecks mit dem Besonderen nur unter einer der teleologischen Reflexion zugrunde gelegten Idee eines Verstandes denkbar, die nach den subjektiven, der menschlichen Natur notwendig anhängenden Bedingungen der Ausübung der Erkenntnisvermögen konzipiert ist. Kant verwirft in diesem Entwurf eines Verstandes überhaupt nunmehr den dem Ideal anhängenden spekulativen Charakter eines immer schon durchgängigen Bestimmtseins empirischer Prädikate, in dem die Anschauung als ein Erkenntnisprinzip übergangen wird. In der neuen Konzeption ist vielmehr die logische Form einer Erkenntnis überhaupt berücksichtigt, nämlich daß es zum "Geschäft des Verstandes überhaupt" (219/31) einer Verbindung von Begriff und Anschauung bedarf. Kant leitet die Idee somit von der dem Erfahrungsurteil zugrunde liegenden Struktur der Relation der Erkenntniskräfte ab. Die formale Bedingung einer Erkenntnis überhaupt begründet die Idee eines "Verstandes überhaupt" nicht darin, daß durch sie ein Bestimmtsein der Objekte im ontologischen Sinn a priori vorausgesetzt wird, sondern sie begründet sie vielmehr dergestalt, daß aus ihr eine Idee subjektiver Spontaneität hervorgeht, die als ein transzendentales Prinzip im Sinne eines Maßstabs für eine mögliche Erkennbarkeit des Besonderen fungieren kann. Die Frage ist somit nicht, nach welchem Prinzip die Objekte als durchgängig bestimmt verstanden werden müssen, sondern die Frage lautet nunmehr, unter welcher formalen Bedingung dem Subjekt eine durchgängige Bestimmung der Objekte möglich ist bzw. von welcher Beschaffenheit ein Verstand als Erkenntnisprinzip sein muß, damit ihm auf der Grundlage eines transzendentalen Kriteriums für Objektivität das Besondere in der Erkenntnis nicht immer nur ein Zufälliges ist. Kant geht es bei der Herleitung dieser Idee lediglich um die Formulierung eines Regulativs, welches als ein Maßstab für die Beurteilung der empirischen Naturobjekte in Hinblick auf die notwendige "Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen" (408/351) fungieren kann. Funktionell für Erkenntnis kann diese Idee nur sein, wenn sie die Struktur der Erkenntnis überhaupt nicht transzendiert. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, daß die Möglichkeit eines anderen Verstandes ausdrücklich auf das Problem einer Erkenntnis der Natur bezogen ist: Auch der intuitive Verstand erlangt, nach der Darstellung Kants, ein Wissen um die Möglichkeit der Dinge nur in einem Erkenntnisprozeß, freilich in einem solchen, der vom Ganzen zu den Teilen und nicht wie der unsrige von den Teilen zum Ganzen geht (vergl. 407/348-349). Das Erkenntnisprinzip der Anschauung fungiert in diesem Prozeß als eine Kraft, durch die das Ganze als eine Einheit gegeben wird. Das innere Verhältnis der Teile zum Ganzen

252

Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

ist durch das Gegebensein dieser Einheit lediglich anders bestimmbar als für einen diskursiven Verstand, nämlich, wie wir sehen werden, allein nach mechanischer Kausalität (vergl. 408/351ff). Weil dieser Grundsatz unseres Verstandes auch Sinn und Bedeutung für einen intuitiven Verstand hat er von diesem Vermögen nur in einer von unserem Verstand unterschiedenen Weise in Anschlag gebracht werden könnte - , ist evident, daß Kant mit der Idee eine Konzeption liefert, die eine zur Bestimmungmöglichkeit des Besonderen ideale Beziehung der Erkenntniskräfte auf der Grundlage der Bedingung ihres objektiven Gebrauches ausdrückt, und die somit einen Maßstab darstellt, nach dem der Gebrauch des Begriffs eines Naturzwecks "nach den subjectiven, unserer (d.i. der menschlichen) Natur nothwendig anhängenden Bedingungen der Ausübung ihrer Vermögen" (403/342) ein notwendiges Verfahren ist. Kant negiert zur Herleitung einer solchen Idee deshalb nicht den in dem menschlichen Verstand ursprünglich enthaltenen Grundsatz der Kausalität und damit die Begrifflichkeit als solche, sondern vielmehr das mit seinem diskursiven Charakter zufällig verknüpfte Moment, von den Teilen zum Ganzen fortschreiten zu müssen, um zu einer Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen zu gelangen - einer Einheit, deren Zusammenstimmung mit den allgemeinen Naturgesetzen "unter solchen Umständen sehr zufällig und für die Urtheilskraft ohne bestimmtes Princip sein muß" (407/348) - ; denn dieser Erkenntnisprozeß ist nur ein Ausdruck der zufälligen Bedingung, unter der das Subjekt das Kausalprinzip in Anschlag bringt; er repräsentiert in diesem Gang (von den Teilen zum Ganzen) nicht den Prozeß der Erzeugung des Ganzen, als ein notwendiges Prinzip der inneren Möglichkeit desselben. Unter Berücksichtigung der Bedingung zur Ausübung der Erkenntniskräfte (bzw. der notwendigen formalen Bedingung einer Erkenntnis überhaupt) könnte das Kausalprinzip als ein Erklärungsprinzip der Erzeugung fungieren, wenn mit der Anschauung das Ganze spontan als eine Einheit gegeben ist. Die Bestimmung des Prinzips der Einheit als "Realgrund" (409/352) der inneren Möglichkeit des Objektes könnte somit von einem gegebenen Ganzen als Ursache zu dem Verhältnis der Teile als dessen Wirkung gehen. Diese Überlegung führt auf die Idee eines intuitiven Verstandes, dessen einheitsstiftende Funktion in der " v ö l ligen Spontaneität d e r A n s c h a u u n g " (406/347) gründet, wodurch die Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen ein a n s c h a u l i c h Gegebenes ist. Zur Erkenntnis der inneren Möglichkeit dieses " S y n t h e t i s c h - A l l g e m e i n e n (der Anschauung eines Ganzen als eines solchen)" (407/349) könnte die bestimmende Urteilskraft sich unter das allgemeine Prinzip der Verstandeskausalität stellen, wodurch wir uns die "Zusammenstimmung der Naturgesetze mit unserer Urtheilskraft, die für unseren Verstand nur durch das Verbindungsmittel der

Die Funktion der Idee eines intuitiven Verstandes

253

Zwecke denkbar ist, als n o t h w e n d i g vorstellen können" (407/348). "Für einen solchen Verstand gäbe es", wie K.Roretz sagt, "nicht mögliche und wirkliche Dinge, sondern nur e i n e Wirklichkeit. Die Frage, ob die sogenannten zweckmäßigen Formen schon durch den bloßen Mechanismus der Natur m ö g l i c h sind, oder ob zu ihrem W i r k l i c h w e r d e n noch die Technik der Natur, d.h. Teleologie erforderlich ist, diese Frage könnte es für einen solchen intuitiven Verstand gar nicht geben. Die Schwierigkeit beziehungsweise Unmöglichkeit der Entscheidung haftet also gewissermaßen nicht an dem Problem, sondern an der zufälligen Struktur des menschlichen Geistes."40 Zur Bestimmung ihrer transzendentalen Funktion wird diese Idee auf die zufällige Struktur des endlichen Verstandes bezogen, so daß aus der "Eigentümlichkeit unseres Verstandes zum Unterschiede von anderen möglichen" (406/346), gezeigt werden kann, "wodurch uns der Begriff eines Naturzwecks möglich wird" (405/344).41 VI. Die Funktion der Idee eines intuitiven Verstandes ab Maßstab zur Hervorbringung des Begriffs eines Naturzwecks Es besteht kein Zweifel daran, daß diese Idee funktionell auf den empirischen Gebrauch bezogen ist. Sie ist weder dogmatisch gesetzt, noch kann durch diese Idee die endliche Erkenntnismöglichkeit transzendiert werden. Demgemäß stellt Kant ihre Funktion in den Rahmen einer Reflexionstätigkeit, die auf das Verhältnis von Anschauung und einem diskursiven Verstand, der Wirkliches in der empirischen Erfahrung im Charakter des Zufälligen erkennen will, bezogen ist;42 denn "die Idee eines solchen Verstandes ist [...] zur Lösung des anstehenden Problems nur tauglich, wenn sie das Besondere, wie es dem nichtanschauenden Verstand Problem ist, nicht überspringt."43 Deshalb begründet Kant diese Funktion in Hinblick auf unseren Verstand, der die Eigenschaft hat, "[...] daß er in seinem Erkenntnisse z.B. der Ursache eines Products, vom A n a l y t i s c h - A l l g e m e i n e n (von Begriffen) zum Besondern (der gegebenen empirischen Anschauung) gehen muß; wobei er also in Ansehung

40 41

42 43

K.Roretz, "Zur Analyse von Kants Philosophie des Organischen", S.60 Vergl. hierzu auch die kontroversen Interpretationen dieser Textstelle von H.Driesch, "Kant und das Ganze", Kantstudien Bd.29 (1924) und J.Spindler, "Zur Frage der Interpretation einer der wichtigsten Stellen der Kritik der Urteilskraft", Kantstudien Bd.30 (1925). Vergl. W.Bartuschat, "Zum systematische Ort", S.207 und S.210 W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.212

254

Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft der Mannigfaltigkeit des letzteren nichts bestimmt, sondern diese Bestimmung für die Urtheilskraft von der Subsumtion der empirischen Anschauung (wenn der Gegenstand ein Naturproduct ist) unter dem Begriff erwarten muß."

(407/348-349)

Diese Bestimmung durch die Urteilskraft ist nun dadurch möglich, daß sie sich auf die Idee eines Vermögens bezieht, dem Besonderes nicht nur ein Zufälliges ist, d.i. auf einen "intuitiven Verstand", der "vom S y n t h e t i s c h - A l l g e m e i n e n (der Anschauung eines Ganzen als eines solchen) zum Besondern geht, d.i. vom Ganzen zu den Theilen" (407/349). Im Gegensatz zum diskursiven Verstand, für den "ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung der concurrirenden bewegenden Kräfte der Theile" erklärbar ist, hängt "nach Maßgabe des intuitiven (urbildlichen)" Verstandes "die Möglichkeit der Theile (ihrer Beschaffenheit und Verbindung nach)" von einem Ganzen ab (407/349). Diese Kausalstruktur ist nun, wie Kant sagt, nur eine " M a ß g a b e " , also ein ideales Konstrukt, welches der Endlichkeit des diskursiven Verstandes gegenübergestellt wird.44 Weil nämlich die Idee eines intuitiven Verstandes in Rücksicht auf den eigentümlichen Mangel des diskursiven Verstandes fungieren soll, muß das Bedingungsverhältnis zwischen dem Ganzen und den Teilen in einer anderen Weise gedacht werden, als so, daß die hier vorgestellte Kausalität nur für ein Vermögen völliger Spontaneität der Anschauung sinnvoll wäre. Die Idee stellt nur ein Kriterium dar, an dem sich die Urteilskraft in ihrer Reflexion auf die Tauglichkeit eines Prinzips zur Bestimmungsmöglichkeit des Besonderen orientieren kann, hierbei aber den spezifischen Charakter des diskursiven Verstandes nicht außer Acht läßt. Deshalb hebt Kant hervor, daß, gemessen an dieser Idee, eine Beurteilung des Besonderen als Natur "nach eben derselben Eigentümlichkeit unseres Verstandes nicht so geschehen (kann), daß das Ganze den Grund der Möglichkeit der Verknüpfung der Theile (welches in der discursiven Erkenntnißart ein Widerspruch sein würde), sondern nur daß die Vorstellung eines Ganzen den Grund der Möglichkeit der Form desselben und der dazu gehörigen Verknüpfung der Theile enthalte" (407-408/349-350). Und "da das Ganze nun aber alsdann eine Wirkung, P r o d u k t , sein würde, dessen V o r s t e l l u n g als die U r s a c h e seiner Möglichkeit angesehen wird, das Product aber einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung ihrer Wirkung ist, ein Zweck heißt", so hat die Konzeption der Zweckkausalität

44

Hierzu K.Roretz, "Zur Analyse von Kants Philosophie des Organischen": "Das Teleologisieren erscheint nach Kant notwendig - nicht für d a s Denken, aber für u η s e r Denken. Es ist h e a u l o n o m " (S.63). - Also fungiert diese Idee in hinblick auf unser Denken.

Die Funktion der Idee eines intuitiven Verstandes

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ihren Grund in der "besondern Beschaffenheit unseres Verstandes": Sie ist "bloß eine Folge" (408/350) aus der "Eigenthümlichkeit des menschlichen Verstandes", durch welche "uns der Begriff eines Naturzwecks möglich wird" (405/344). Der Begriff eines Naturzwecks (als die Vorstellung einer Ursache) kompensiert gleichsam den Mangel des diskursiven Verstandes, der das Ganze nicht a priori prinzipiieren kann, und diese Kompensation erfolgt, wie Kant darstellt, nach der Maßgabe der Idee des intuitiven Verstandes, d.h. sie ist ausgerichtet an der Struktur eines Erkenntnisprozesses, der "vom Ganzen zu den Theilen" geht (407/349). Im menschlichen Erkenntnisprozeß vertritt demnach die Vorstellung als die Ursache der Möglichkeit des Objektes (als das Prinzip des Ganzen) die Stelle einer dem intuitiven Verstand möglichen apriorischen Anschauung der Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen. Weil die Idee eines Naturzwecks nach der Maßgabe eines Vermögens der Spontaneität der Anschauung her konzipiert ist - der Vorstellung eines Vermögens also, für welches es keinen Unterschied der möglichen Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen von der Wirklichkeit gäbe wird einsichtig, warum das in der Natur gegebene Produkt so scheint, als sei es eine der vorgestellten Ursache gemäße Folge, denn durch den Begriff eines Naturzwecks wird das Besondere zum Gegenstand eines Erkenntnisprozesses, der, analog dem eines intuitiven Verstandes, von dem Ganzen zu den Teilen geht, bzw. welcher das Besondere unter ein allgemeines Prinzip stellt, von dem her das Wirkliche, unserem Verstand Zufällige, als notwendig verstanden werden kann. In dieser Funktion der Idee eines intuitiven Verstandes als eines Maßstabes zur Hervorbringung des Begriffs eines Naturzwecks ist es "auch gar nicht nöthig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei" (408/350), denn sie wird nur in Hinblick auf eine Reflexionsmöglichkeit in Anspruch genommen und bildet keine Grundlage zu einer Metaphysik der Natur. Sie ist somit eine " I d e e d e r Urtheils45 k r a f t", an der lediglich gezeigt werden muß, daß sie "auch keinen Widerspruch enthalte" (408/350), damit sichergestellt ist, daß die Urteilskraft in dieser Idee (nämlich im Gegensatz zu den dogmatischen Vernunftsystemen) über ein Prinzip verfügt, in dem das Denken einstimmig mit sich selbst ist.46

45 46

K.Düsing, "Die Teleologie in Kants Weltbegriff, S.67 Diese Konzeption liegt implizit auch der zweiten Einleitung zugrunde. Vergl. B.Kaluza, "Kants Kritik der Urteilskraft im Entwurf beider Einleitungen": "Die erste Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, die die Ausfaltung des Problems jener Zusammenstimmung der Naturgesetze mit unserem Erkenntnisvermögen noch nicht auf den Grund der Einheit als einen anderen Verstand bezieht, gibt dadurch zu erkennen, daß in diesem Text das Wesen reflektierender Urteilskraft noch nicht voll eingelöst werden

256

Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

VII. Die Widerspruchsfreiheit der Idee der Urteilskraft Der Nachweis, daß die Idee der Urteilskraft ein nach transzendentalphilosophischen Kriterien widerspruchsfreies Prinzip ist, wird von Kant durch folgende Überlegung erbracht: "Wenn wir nun ein Ganzes der Materie s e i n e r F o r m n a c h (Hervorhebung JP) als ein Product der Theile und ihrer Kräfte und Vermögen sich von selbst zu verbinden (andere Materien, die diese einander zuführen, hinzugedacht) betrachten: so stellen wir uns eine mechanische Erzeugungsart desselben vor. Aber es kommt auf solche Art kein Begriff von einem Ganzen als Zweck heraus, dessen innere Möglichkeit durchaus die Idee von einem Ganzen voraussetzt, von der selbst die Beschaffenheit und Wirkungsart der Theile abhängt, wie wir uns doch einen organisirten Körper vorstellen müssen. Hieraus folgt aber, wie eben gewiesen worden, nicht, daß die mechanische Erklärung eines solchen Körpers unmöglich sei; denn das würde soviel sagen, als, es sei eine solche Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen f ü r j e d e n V e r s t a n d unmöglich (d.i. widersprechend) sich vorzustellen, ohne daß die Idee derselben zugleich die erzeugende Ursache derselben sei, d.i. ohne absichtliche Hervorbringung." (408/351/Hervorhebung JP)

Kant legt diesem Schluß folgende Prämissen zugrunde: 1.) Wenn wir ein Ganzes der Materie in Ansehung der Möglichkeit, sich zu einer räumlichen Einheit (der Form) zu verbinden, beurteilen, dann rekurrieren wir nicht auf den Begriff von einem Ganzen als einem Zweck. Die Form ist (nach der Darstellung der transzendentalen Ästhetik der ersten Kritik) eine synthetische Einheit aufgrund der Anschauungsform des Raumes, welche die formale Bedingung der Vorstellung eines Ganzen ist. Die Verstandeskausalität ist demnach deshalb ein hinreichendes Erklärungsprinzip der "äußeren Möglichkeit" des Ganzen - als ein formaler Grund der Erzeugung des Ganzen - , weil der diskursive Verstand spontan auf die formale Anschauung des Raumes bezogen ist. Demgegenüber ist als Folge des diskursiven Charakters des Verstandes ein Rekurrieren auf die Zweckkausalität zur Erklärung der "inneren Möglichkeit" des Ganzen notwendig, weil das Denken in keinem spontanen Bezug zur Wirklichkeit der Dinge - dem Realgrund der Erzeugung des Ganzen - steht. 2.) Zufolge des formalen Grundes a priori der Vorstellung eines Ganzen bedingt die Einheit des Raumes notwendig auch die Vorstellung der Teile,

konnte [...]" (S.113). Kaluza stützt mit diesem Ergebnis seiner Untersuchung unsere These einer in der Sache korrigierenden zweiten Fassung als der Konsequenz Kants aus der Strukturanalyse der teleologischen Reflexion.

Die Widerspruchsfreiheit der Idee der Urteilskraft

257

so daß im Raum kein Teil ohne Verhältnis zum Ganzen bestimmt werden kann. Demnach beruht die Überlegung Kants auf dem Schluß: Wenn wir die äußere Möglichkeit eines Ganzen mechanisch erklären können, weil sich der diskursive Verstand spontan auf den formalen Grund der Möglichkeit der Erzeugung eines Ganzen bezieht (durch den kein Teil ohne Verhältnis zum Ganzen bestimmt werden kann), dann ist es nicht widersprüchlich, daß ein intuitiver Verstand, dem die Spontaneität der Anschauung wesentlich ist, die innere Möglichkeit eines Ganzen mechanisch erklären kann, weil der Realgrund der Erzeugung eines Ganzen mit dem formalen Grund der Anschauung eines Ganzen "darin einige Ähnlichkeit hat, daß in ihm kein Theil ohne in Verhältniß auf das Ganze (dessen Vorstellung also der Möglichkeit der Theile zum Grunde liegt) bestimmt werden kann" (409/352).47 Wäre die Einheit des Raumes demgegenüber nicht nur eine formale Bedingung der Erzeugung eines Ganzen, sondern deren Realgrund bzw. eine Eigenschaft der "Dinge an sich selbst" (409/351), dann wäre eine mechanische Erklärung der Einheit der Verknüpfung des Mannigfaltigen widerprüchlich und somit für jeden Verstand unmöglich. Demzufolge rekurrieren wir auf den Begriff eines Zweckes in Ansehung der "inneren Möglichkeit" des Ganzen, weil einem diskursiven Verstand die Möglichkeit der Erzeugungsart nur durch ein Fortschreiten von den Teilen zum Ganzen - also von einer Vorstellung zur anderen - Gegenstand der Erfahrung werden kann,48 und weil uns hierbei das Ganze nicht als Prinzip der Erzeugung verständlich wird, sondern nur als Produkt, dessen Vorstellung die Zufälligkeit der Verbindung der Teile enthält. Diese Eigentümlichkeit

47

4e

"Man beachte, dass Kant immer wieder hervorhebt, die mechanische Erklärung des Organischen sei für einen Verstand, der von der Beschränkung des unsrigen frei ist, keineswegs undenkbar (vgl. Kr.d.U. 336, 346, 351, 367 u.ö.). Der Begriff 'Naturmechanismus' hat sonach seinen Sinn auch abgesehen von der Begrenzimg des menschlichen Verstandes. Kants Aussagen müssen, wie mir scheint, dahin gedeutet werden, dass Mechanismus der Natur auch für den intuitiven Verstand Bedeutung besitzt, hier aber ein Verhältnis besagt, das wir Menschen nur nach ZweckUrsachen deuten können. Der Mechanismus der Natur als Ausdruck für das Bestimmtsein derselben durch den Verstandesbegriff der Kausalität fällt hier mit dem Bedingtsein der Teile durch das Ganze zusammen, welches Bedingtsein der menschliche Verstand nur im Sinne der teleologischen Verbindung begreifen kann." (K.Marc-Wogau, "Vier Studien", S217) "Die Diskursivität unseres Verstandes hat zur Folge, dass die Verknüpfung zu gegebenen Gliedern hinzukommt, dass mit anderen Worten die zu verbindenden Glieder als gegeben vorausgesetzt werden und von einem Glied zum anderen fortgeschritten, ihre Reihe sukzessiv durchlaufen wird. Das Bestimmtsein des Gegebenen durch die Kategorie der Kausalität kann hier also nicht, wie dies bei dem intuitiven Verstand der Fall sein würde, als das Bedingtsein der Teile durch das Ganze angesehen werden." (K.Marc-Wogau, "Vier Studien", S.218)

258

Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft

unseres Verstandes ist, wie Kant sagt, selbst nur zufällig (vergl. 406/346). Also ist es nicht dogmatisch, einem Substrat der Dinge an sich "eine correspondirende intellectuelle Anschauung (wenn sie gleich nicht die unsrige ist) unterzulegen" (409/352), in der das Ganze die Beschaffenheit und Verbindung der Teile mechanisch bedingt. Kants Argument ist deshalb, daß wir durch den endlichen Verstand das, was in der Natur "als Gegenstand der Sinne nothwendig ist, nach mechanischen Gesetzen, die Zusammenstimmung und Einheit aber der besonderen Gesetze und der Formen nach denselben, die wir in Ansehung jener als zufällig beurtheilen müssen, in ihr als Gegenstande der Vernunft [...] zugleich nach teleologischen Gesetzen betrachten und sie nach zweierlei Principien beurtheilen würden, ohne daß die mechanische Erklärungsart durch die teleologische, als ob sie einander widersprächen, ausgeschlossen wird" (409/352). Hiermit ist bewiesen, daß die Idee eines intuitiven Verstandes ein widerspruchsfreies Prinzip der Reflexion ist. Durch sie wird nicht nur die Notwendigkeit des Bezuges auf die Vernunftkausalität verständlich, sondern sie relativiert darüber hinaus auch den Geltungsanspruch der Erzeugungsprinzipien, indem sie die teleologische Beurteilung als eine Folge der Eigentümlichkeit des diskursiven Verstandes verständlich macht, während im Gegensatz hierzu die Systeme über die Zweckmäßigkeit der Natur das ihre Position fundierende Prinzip verabsolutieren (vergl. § 73).

VIII. Das transzendentale Prinzip der Urteilskraft ab Prinzip einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur Der Nachweis, daß die aus dem Prinzip der Urteilskraft gewonnene Idee eines intuitiven Verstandes ein in sich widerspruchsfreies Regulativ zur Hervorbringung und zum Gebrauch der Idee eines Naturzwecks ist, bedeutet noch nicht eine Aufhebung des Widerstreites der Maximen. Diese Aufhebung ist vielmehr dann zu konstatieren, wenn das teleologische Prinzip einer Beurteilung des Besonderen nicht im Widerspruch zur mechanischen Kausalität steht, so daß auch die Beziehung der heterogenen Erzeugungsprinzipien in Hinblick auf einen systematischen Naturbegriff als zweckmäßig verstanden werden kann. Die teleologische Beurteilung darf die mechanische Kausalität nicht ausschließen, weil "[...] ohne allen zu der teleologisch-gedachten Erzeugungsart hinzukommenden Begriff von einem dabei zugleich anzutreffenden Mechanism der Natur dergleichen Erzeugung gar nicht als Naturproduct beurtheilt werden könnte [...]." (413-414/360)

Nun liegt zwar, wie Kant sagt, "der Vernunft unendlich viel daran, den

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Mechanism der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu lassen, weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur der Dinge erlangt werden kann" (410/354). Aber die Vorstellung einer zweckmäßigen Beziehung durch die Vernunft erzeugt einen dialektischen Widerspruch: Die Vernunft schließt nämlich über den Begriff einer inneren Zweckmäßigkeit der Dinge auf die Zweckmäßigkeit der Natur (Kant demonstrierte den Sachverhalt in den §§ 66 und 67 anhand der Tendenz, den Geltungsbereich der Idee eines Naturzwecks über das Organische hinaus auf das Verhältnis der Dinge untereinander und schließlich auf die gesamte Natur auszudehnen). Diesem Verfahren liegt das Argument zugrunde, daß dasjenige, was unter dem Begriff der Natur enthalten ist, auch nach der Idee eines Naturzwecks beurteilt werden muß (vergl. S.221 unserer Untersuchung bzw. KdU 377/297). Diese Weise der Ausdehnung des Geltungsbereiches der Zweckkausalität hat eine Einschränkung der Geltung der mechanischen Kausalität zur Folge, und die Beurteilung der gesamten Natur nach dem teleologischen Prinzip führt letzlich sogar zu einer völligen Abkehr von der Beurteilung nach Bewegungsgesetzen, denn "[...] an die Stelle dessen, was (von uns wenigstens) nur als nach Absicht möglich gedacht wird, läßt sich kein Mechanism; und an die Stelle dessen, was nach diesem als nothwendig erkannt wird, läßt sich keine Zufälligkeit, die eines Zwecks zum Bestimmungsgrunde bedürfe, annehmen [...]." (414/360-361)

Die Voraussetzung einer Zweckmäßigkeit der Natur kann darum nicht über ein Schlußverfahren aus dem Begriff eines Naturzwecks legitimiert werden, sondern sie muß aus der Struktur desjenigen Prinzips folgen, in welchem auch das Kriterium einer Zweckmäßigkeit gründet, also aus dem der Urteilskraft. Der Nachweis, daß die teleologische Beurteilung der Natur als ein inneres Prinzip der Naturwissenschaft ein erkenntniskritisch rechtmäßiges Verfahren darstellt, ist deshalb an "eine Vereinigung beider Principien in der B e u r t h e i l u n g der Dinge als Naturzwecke" (414/360/Hervorhebung JP) gebunden. "Das Princip, welches die Vereinbarkeit beider in der Beurtheilung der Natur nach denselben möglich macht" (414/357), muß aufgrund der Eigenart des menschlichen Erkenntnisvermögens außerhalb beider Erklärungsarten liegen und somit auch außerhalb der Vermögen der Vernunft und des Verstandes. Daß die Urteilskraft diese Vereinigung leisten muß, ergibt sich aus der Unableitbarkeit der einen Kausalstruktur aus der anderen (vergl.: "[...] so kann ich nun nicht von eben derselben Materie als einer Causalität nach Zwecken zu handeln, ebendasselbe Product ableiten." 411-412/357). Die Rechtmäßigkeit des empirischen Gebrauchs der Maximen hängt somit von ihrer Vereinigung durch das Prinzip einer formalen Zweckmäßigkeit ab. Kant beruft sich hierbei auf das Argument, daß zur Möglichkeit der

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Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit organischer Naturprodukte Mittel angegeben werden müssen, "deren Wirkungsgesetz f ü r sich" nämlich als ein Prinzip der Mittel im Unterschied zu einem Prinzip der Zwecke - "nichts einen Zweck Voraussetzendes bedarf (414/361). In der Reflexion auf dieses Spannungsverhältnis hat der kantische Begriff einer Zweckmäßigkeit seine Bedeutung, nämlich als ein Kriterium zur Beurteilung des Verhältnisses der heterogenen Erzeugungsprinzipien von Technik und Mechanik. Das Verhältnis dieser Kausalstrukturen ist deshalb zweckmäßig, weil das Wirkungsgesetz der Mittel (als blinde Naturmechanik, welche für sich keinen Bezug auf Zwecke hat) ein objektives Prinzip jeder Veränderung der Materie ist, durch das die Natur Produkte hervorbringt, die so beurteilt werden müssen, als läge ihnen eine Zweckidee zugrunde. Diese Beurteilung hebt den heterogenen Charakter der Erzeugungsgesetze nicht auf, sondern sie hebt ihn ausdrücklich hervor, indem sie den Mechanismus dem Technizismus der Natur unterordnet, "welches nach dem transscendentalen Princip der Zweckmäßigkeit der Natur ganz wohl geschehen darf (414/361), weil diese Produkte hierin als Ausdruck der Einheit differenter Prinzipien verstanden werden: Naturprodukte sind mechanisch erzeugt, und doch kann der Grund der Möglichkeit dieser Dinge eine der Mechanik übergeordnete Ursache ihrer Wirkung sein (vergl. 414/361). Der empirische Gebrauch der teleologischen Maxime durch die Urteilskraft ist demnach ein rechtmäßiges Verfahren, weil er ursprünglich an die Vermittlung heterogener Kausalprinzipien auf der Grundlage des formalen Prinzips der Urteilskraft gebunden ist. Die Legitimation des Gebrauchs der Maxime durch das Urteilsprinzip macht es unmöglich, "die Principien der Beurtheilung (Vernunft- und Verstandeskausalität/JP) [...] zu verwechseln und eines an die Stelle des anderen zu setzen" (414/361). "Daher läßt sich [...] das Absichtliche in der Verbindung der Naturursachen nach besondern Gesetzen n u n auch [...] (Hervorhebung JP: im Gegensatz zur Erweiterung des Gegenstandsbereiches durch einen Vernunftschluß, nämlich nunmehr fundiert durch ein erkenntniskritisches Prinzip) zum a l l g e m e i n e n P r i n c i p der reflectirenden Urtheilskraft für das Naturganze (die Welt) annehmen" (414/361). Kants Argument für die Grundlegung der allgemeinen Teleologie ist also dies, daß in dem Kriterium der Zweckmäßigkeit für die Beurteilung der Natur ein Prinzip des Gebrauchs teleologischer Prinzipien gewonnen ist, denn die formale Zweckmäßigkeit (die Vermittelbarkeit differenter Kausalstrukturen) gibt die Bedingung an, unter der es allererst sinnvoll ist, von einer systematischen Einheit der Natur zu sprechen, nämlich im Falle einer zweckmäßigen Beziehung von allgemeinen und besonderen Natur-

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gesetzen,49 "[...] weil in einer teleologischen Beurtheilung die Materie, selbst wenn die Form, welche sie annimmt, nur nach Absicht möglich beurtheilt wird, doch ihrer Natur nach mechanischen Gesetzen g e m ä ß jenem vorgestellten Z w e c k e auch zum Mittel untergeordnet sein kann [...]." (414/361-362/Hervorhebung JP)

Der transzendentale Status des Prinzips der Zweckmäßigkeit gründet somit darin, daß zufolge der Beschaffenheit des menschlichen Verstandes (also subjektiv notwendig) das Besondere nach einer Zweckkausalität beurteilt werden muß, obwohl der Natur objektiv keine Absicht unterstellt werden darf. Durch das Prinzip der Urteilskraft wird nicht dogmatisch der Natur eine reale Zweckmäßigkeit beigelegt, sondern es gibt mit der formalen Zweckmäßigkeit (bzw. auf der Grundlage der formalen Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft) "die einzige Art" an, "wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängige zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen" (2.Einl. 184/ XXXIV): "Denn es ist nicht ein Princip der bestimmenden, sondern bloß der reflectirenden Urtheilskraft; man will nur, daß man, die Natur mag ihren allgemeinen Gesetzen nach eingerichtet sein, wie sie wolle, durchaus nach jenem Princip und den sich darauf gründenden Maximen ihren empirischen Gesetzen nachspüren müsse, weil wir, nur so weit als jenes Statt findet, mit dem Gebrauche unseres Verstandes in der Erfahrung fortkommen und Erkenntniß erwerben können." (2.Einl. 186/XXXVII-XXXVIII)

Die Möglichkeit, daß objektiv beide Erklärungsarten in einem Prinzip übereinkommen, "was weder das eine noch das andere (weder Mechanism, noch Zweckverbindung), sondern das übersinnliche Substrat der Natur ist" (414/362), ist demgemäß nur die unbestimmte Idee eines intelligiblen Prinzips der Natur, das nicht dogmatisch vorausgesetzt wird, sondern vielmehr eine Folge davon ist, daß für die menschliche Vernunft beide Erklärungsarten "nicht zusammenzuschmelzen sind, sondern wir sie nicht anders als nach der Verknüpfung der Endursachen auf einem obersten Verstand gegründet beurtheilen können" (414/362). Es könnte sein, daß "beiderlei Erzeugungsarten wohl in einem und demselben Grunde zusam49

"Die hier von Kant zum Grunde gelegte Konzeption von Zweckmäßigkeit ist, daß [...] das, was sinnvoll als unter einem Zweck stehend gedacht werden soll, nicht analytisches Moment dessen, das als Zweck fungieren will, sein darf, sondern gerade in der Differenz zu ihm erscheinen muß und erst dann sinnvoll einer Bestimmung der Zweckmäßigkeit unterliegen kann." (W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort", S.214)

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menhängen" (413/360), doch kann aus dieser Annahme keine objektive Naturerkenntnis abgeleitet werden. Der Hinweis auf eine Differenz zwischen der intelligiblen und phänomenalen Natur hebt den Widerspruch nämlich nur deshalb auf, "weil wenigstens die Möglichkeit, daß beide auch objectiv in einem Princip vereinbar sein möchten (da sie Erscheinungen betreffen, die einen übersinnlichen Grund voraussetzen), gesichert ist" (413/359). Dieser Grund ist somit nur eine Idee, die durch kein Prädikat näher bestimmt werden kann, die aber dennoch "die B e u r t h e i l u n g der Natur nach empirischen Gesetzen möglich macht" (412/357/Hervorhebung JP). Demzufolge kann der Grund der Erörterung (Exposition) der Vereinigung beider Prinzipien (vergl. 412/358) "ins Übersinnliche gesetzt" (vergl. 412/ 357) werden. "Das Ü b e r s i n n l i c h e , welches wir der Natur als Phänomen unterlegen müssen", ist somit das "gemeinschaftliche Princip der mechanischen einerseits und der teleologischen Ableitung andererseits" (412/358), aus der die Vereinigung beider Prinzipien nicht erklärt werden kann (vergl. 412/358), aber auf die beide Prinzipien in der Reflexion (als auf einen möglichen Grund ihrer Vereinigung) bezogen werden müssen. Das übersinnliche Substrat der Natur stellt lediglich die Möglichkeit sicher, "daß beide auch objectiv in einem Princip vereinbar sein möchten" (413/359). Es ist deshalb nach diesem Einheitsprinzip nicht möglich, zu erkennen, wie "die Natur (nach ihren besondern Gesetzen) für uns ein System ausmache" - also welche objektive Einheit unter den für uns heterogenen Prinzipien besteht - , aber "wenn es sich zuträgt, daß Gegenstände der Natur vorkommen", die aufgrund ihrer Zufälligkeit für den menschlichen Verstand teleologisch beurteilt werden müssen, dann darf "man nur getrost beiden gemäß den Naturgesetzen nachforschen [...], ohne sich an den scheinbaren Widerstreit zu stoßen" (413/359). Kants Argument ist nicht, daß die Erzeugungsprinzipien nebeneinander bestehen können, sofern wir uns auf ein übersinnliches Substrat der Natur berufen. Dies würde den Widerstreit durch ein transzendentes Prinzip (einen "höchsten Architekten", der die Formen der Natur prädeterminiert hat, vergl. 419/354) aufheben, durch welches "unsere Erkenntniß der Natur nicht im mindesten gefördert" ist (410/354). Die Idee der Urteilskraft von einem Übersinnlichen ist demgegenüber ein Prinzip, das eine Funktion für den erfahrungsimmanenten Gebrauch von Maximen hat. Es bindet die Rechtmäßigkeit ihres Gebrauchs an die Bedingung des objektiven Gebrauchs der Erkenntniskräfte, also an eine transzendentale Bedingung; die Erkenntniskräfte müssen als Regulative zur Möglichkeit einer Beurteilung der Natur zusammenstimmen. Das "obere Prinzip" (vergl. 412/358), in welchem "das Princip des Mechanism der Natur und das der Causalität derselben nach Zwecken an einem und eben demselben Naturproducte in einem einzigen [...] zusam-

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menhängen und daraus gemeinschaftlich abfließen," ist somit eine Idee der Urteilskraft, die die formale Bedingung für die Rechtmäßigkeit des empirischen Gebrauchs der Maximen (nämlich die Vereinbarkeit der Erklärungsarten) nur "anzeigt" (412/358). Dieses "objectiv-gemeinschaftliche und auch die Gemeinschaft der davon abhängenden Maxime der Naturforschung b e r e c h t i g e n d e (Hervorhebung JP) Princip" kann aber "nie [...] bestimmt erkannt und für den Gebrauch in vorkommenden Fällen deutlich angegeben werden" (412/358). Es ist eine Idee, der nicht die Objekte untergeordnet werden - denn aus einem solchen Prinzip läßt sich "keine Erklärung, d.i. deutliche und bestimmte Ableitung, der Möglichkeit eines nach jenen zwei heterogenen Principien möglichen Naturproductes geben" (412/358) - , sondern auf die wir die Maximen beziehen, um nach dem Kriterium ihrer formalen Zusammenstimmung (der Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft) die Berechtigung ihres Gebrauches als Beurteilungsprinzipien zu prüfen. Die Idee eines übersinnlichen Substrates der Natur ist in dieser Funktion das Prinzip des kritischen Gebrauchs der Maximen. Folglich ist der Bezug auf das Übersinnliche deshalb sinnvoll, weil er in Hinblick auf eine Vermittelbarkeit zur Geltung gebracht werden kann, die den Maßstab für einen erkenntniskritisch fundierten empirischen Gebrauch der Maxime bildet. Das so verstandene Übersinnliche ist kein Vorgriff auf eine objektive Einheit der Natur, sondern es ist eine Idee, von der her die Urteilskraft die Rechtmäßigkeit des empirischen Gebrauchs der teleologischen Maxime an die Möglichkeit ihrer Vermittlung mit der Verstandeskausalität bindet.50 Die Voraussetzung einer formalen der Natur beruht somit auf einem Prinzip der Urteilskraft, durch welches diese Zweckmäßigkeit nicht der Natur unterstellt wird, um den systematischen Zusammenhang in der empirischen Erfahrungserkenntnis sicherzustellen, sondern welches vielmehr von der Voraussetzung eines systematischen Zusammenhangs her auf die Leistungskraft ideeller Konzeptionen reflektiert. Das Prinzip der Urteilskraft ist also ein Prinzip der Reflexion auf die Möglichkeit, durch einen für die endliche Subjektivität notwendigen Bezug auf ideelle Konzeptionen Wirkliches erkennen zu können. An der Idee einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur richtet sich der Gebrauch der Maximen aus, da

50

Hierzu W.Bartuschat, "Zum systematischen Ort": Dieser Urteilsvollzug "ist das Hineinnehmen der Idee in eine Bewegung, in der die Konfrontation der Idee mit dem für unseren Verstand Besonderen geschieht Diese Konfrontation steht nicht unter dem Primat einer Idee, die das so verstandene Besondere unter sich bringen könnte. Das Allgemeine des Besonderen als solchen bleibt ein zu Findendes und wird nicht ein das Streben schon leitendes Anzustrebendes, obschon es als Idee notwendigerweise vorausgesetzt wird." (S.213)

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diese Idee die formale Bedingung ihrer Objektivität angibt. Die Urteilskraft muß sich in der Reflexion auf die Natur an dieser Voraussetzung ausrichten, weil die Vernunftideen selbst kein formales Kriterium für Objektivität enthalten. Die Urteilskraft setzt die formal-objektive Bedingung für Erkenntnis als ein formales Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur voraus, um für sich (und nicht für die Natur) ein Prinzip zu haben, an dem sie den rechtmäßigen Gebrauch der Ideen ausrichten kann. Auf der Grundlage eines über die Kritik der ästhetischen Urteilskraft aufgewiesenen formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit ist damit in der Kritik der teleologischen Urteilskraft eine Vereinigung der heterogenen Kausalstrukturen von Vernunft und Verstand geleistet. In der Möglichkeit der Aufhebung dieser Polarität in einem höchsten Punkt, dessen Denkbarkeit für das Subjekt durch das Urteilsprinzip dargetan werden konnte, gründet die Rechtmäßigkeit des transzendentalen Status dieses Prinzips. Es ist eine Bedingung der Möglichkeit der Erfahrungseinheit als eines Systems für eine Natureinheit nach empirischen Gesetzen (vergl. 2.Einl. 183/XXXIII). Das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur, über welches die Beurteilungsmaximen des Mechanismus und Technizismus in einem Vereinigungspunkt zusammenfließen, ist das Prinzip des kritischen, erfahrungsimmanenten Gebrauchs der Idee einer systematischen Einheit der Natur: "In einer Kritik der Urtheilskraft ist der Theil, welcher die ästhetische Urtheilskraft enthält, ihr wesentlich angehörig, weil diese allein ein Princip enthält, welches die Urtheilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt, n ä m l i c h das einer formalen Zweckmäßigkeit der N a t u r nach ihren b e s o n d e r e n (empirischen) G e s e t z e n für unser E r k e n n t n i ß v e r m ö g e n , ohne welche sich der Verstand in sie nicht finden könnte: anstatt daß gar kein Grund a priori angegeben werden kann, ja nicht einmal die Möglichkeit davon aus dem Begriffe einer Natur, als Gegenstande der Erfahrung im Allgemeinen sowohl als im Besonderen, erhellt, daß es objective Zwecke der Natur, d.i. Dinge, die nur als Naturzwecke möglich sind, geben müsse; sondern nur die Urtheilskraft, ohne ein Princip dazu a priori in sich zu enthalten, in vorkommenden Fällen (gewisser Producte), um z u m B e h u f der V e r n u n f t von dem Begriffe der Zwecke G e b r a u c h zu mac h e n , d i e R e g e l e n t h ä l t , nachdem jenes transscendentale Princip schon den Begriff eines Zweckes (wenigstens d e r F o r m n a c h ) auf die Natur anzuwenden den Verstand vorbereitet hat." (2.Einl. 193-194/L-LI/Hervorhebungen JP)

Dies ist der in der zweiten Fassung der Einleitung von Kant behauptete und im Zuge der Untersuchung der beiden Teile der dritten Kritik aufge-

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wiesene erkenntniskritische Status einer "Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur" als eines besonderen Begriffs a priori der Urteilskraft, der seinen Ursprung allein in der autonomen Selbstgesetzgebung dieses Vermögens hat. Die Zweckmäßigkeit der Natur ist die höchste regulative Idee für eine erkenntniskritisch fundierte Beurteilungsmöglichkeit der Natur durch Vernunftbegriffe. Sie ist ein Prinzip der Urteilskraft, in welchem dieses Vermögen sich als Heautonomie Gesetz der Reflexion über die Natur ist (vergl. 2.Einl. 179-180/XXVI): "Das Princip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur ist ein transscendentales Princip der Urtheilskraft" (2.Einl. 181/XXIV)

In dieser Funktion ist die Urteilskraft ein im kritischen System der Transzendentalphilosophie unentbehrliches Vermögen, durch welches Kants metaphysica generalis ihre Vollendung findet, und mit diesem Ergebnis ist die Konzeption vom Ideal der reinen Vernunft als dem höchsten Prinzip der empirischen Erfahrungserkenntnis korrigiert. An die Stelle des Ideals tritt das transzendentale Prinzip der Urteilskraft - ein Prinzip, welches unter der Bedingung des objektiven Gebrauchs der Erkenntniskräße auf die Möglichkeit des regulativen Gebrauchs der Ideen reflektiert.

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Kants Grundlehre. Ihr Sinn, ihre Problematik, ihre Aktualität, Erlangen 1959

Zumbach,Clark: The Transcendent Science. Kant's Conception of Biological Methodology, The Hague/Boston/Lancaster 1984

Register Α: Namenregister Adickes, Ε.: 6,84,246 Andersen, S.: 20,24,28 Baeumler, Α.: 4 Bartuschat, W.: 4, 5, 52, 54, 55, 62, 72, 73, 81, 100, 104, 115, 120, 145, 181, 195, 213, 214, 229, 242, 249, 253, 260, 263 Bauer-Drevermann, I.: 189 Baumgarten, A.G.: 75,102 Beck, J.S.: 79 Biemel, W.: 92, 107, 134, 138 Burke, E.: 102 Cassirer, E.: 5, 78,115 Chapman, W.J.: 175 Claussen, H.: 83 Driesch, H.: 77, 253 Düsing, K.: 5, 6, 203, 236, 248, 255 Gadamer, H.G.: 75 Guyer, P.: 6, 95 Heidegger, M.: 116 Heimsoeth, H.: 28, 31 Heintel, P.: 100,142, 158 Henrich, D.: 30 Horkheimer, M.: 4 James, M.: 95 Kaluza, B.: 55, 68, 73, 255, 256, 255, 256 Karja, H.: 6,199,215 Kirchmann, J.H. von: 157 Klausen, S.: 95, 132, 156 Kohler, G.: 98,146

Kopper, J.: 40,82,250 Kübler, G.: 83 Kulenkampff, J.: 6,63,76,113,115,158, 159,163 Kuypers, K.: 3,56,59, 76 Lehmann, E.: 45 Lehmann, G.: 3, 6, 45, 70 Liebmann, O.: 77 Liedtke, M.: 71,72,174 Marc-Wogau, K.: 5,6,61,113,194,211, 235, 236, 257,173, 180 Markuschewitsch-Nieburg, H.: 242 McFarland, J.D.: 6,79,80 Mendelssohn, M.: 102 Mertens, H.: 25,26,58,79 Model, Α.: 3, 6, 75 Mörchen, H.: 116,117 Neumann, K.: 96 Odebrecht, R.: 164-166

2, 3, 76, 100, 130,

Piche, C.: 40 Reinhold, K.L.: 7,72,75 Roretz, K.: 199,253,254 Spindler, J.: 253 Stadler, Α.: 2, 3, 59-61, 165, 166, 213, 233 Takeda, S.: 69 Tonelli, G.: 79 Trebels, Α.: 93

274

Register

Uehling, T.E.: 6,147 Ungerer, Ε.: 61

Wettstein, R.H.: 6, 61 Zocher, R.: 36 Zumbach, C.: 222

Vorländer, Κ.: 79,218

B: Sachregister Ableitung 42, 126, 190-192, 246, 249, 261, 262 Affektion 97, 126, 137, 140, 145 Allgemeingültigkeit 9, 32, 33, 39, 90, 106, 109-111, 117, 150, 152, 154, 157, 159, 160, 196, 204 Allgemeinheit 5, 26, 32, 33, 63, 66, 85, 89, 98, 100, 108-116, 138, 139, 142, 149, 154, 157, 160, 196, 241, 250 Analogie 4, 32, 61, 69, 70, 85, 103, 152, 175, 196, 202, 210 Angenehme, das 98,107 Anthropologie 245 Antinomie 29, 157, 158, 160, 161, 163-166, 204-206, 209, 210, 215, 219, 221, 227, 234 Antinomik 166, 215, 220, 231 Antithetik 157, 159, 166, 176, 204, 206, 208, 209, 213-216, 218-221, 229, 231, 234, 239 Aporie 26,51,215,216 Apprehension 20, 103,104, 129 Autonomie 9, 54, 56, 58, 73, 90, 92, 95, 99, 102-105, 111, 117, 129, 132, 133, 139, 144, 162, 164, 165, 176, 186, 201, 206, 231, 233, 234 Begehrungsvermögen 3, 75 Begriff der Vernunft 24,167 Begriff des Verstandes 181,1% bestimmende Urteilskraft 32,58,66,70, 79, 206, 218, 219, 231, 233, 236, 252 Beurteilungsvermögen 59, 94, 93, 96 Bewunderung 71,181

Dialektik der Vernunft 150, 166, 176, 204,222 Dialektik der Urteilskraft 165, 166, 206, 209 dialektischer Schein 30, 31, 33, 39, 40, 162, 205, 207, 241, 242 diskursiver Verstand 203,249,254,255, 258 Doktrin 21, 22, 66, 78, 107, 152, 198, 217 Einheit des Denkens 8,19, 38 Einheit des Verstandes 20, 40, 44, 46, 174 Einheit der Erfahrung 18, 26, 31,67,68, 210, 239 Empfindung 18, 73, 96, 112, 118, 153, 179 Endursache 191-193, 210, 223, 226, 221-224, 227, 233, 261 Erhabene, das 141 Erkenntnis überhaupt 9, 10, 115-118, 127, 128, 130, 145, 146, 243, 248, 250-252 Erzeugung 85, 181, 189, 210, 213, 214, 223, 224, 227, 229, 230, 236, 252, 256-258 formal-objektiv 179,263 freies Spiel 152 Freiheit 4, 96, 102-104, 111, 115, 117, 129, 146,168 Gemeinsinn 136,138-140 Genie 79

Register Gesetzmäßigkeit 3, 31, 53, 56, 67, 70, 73, 81, 85,175, 209, 210, 219, 224, 242 Gott 29,41,61,226 Gunst 133,145 Harmonie 117, 118, 128, 130, 144-148, 155, 160, 166, 181 Heautonomie 52, 55, 63, 70, 264 höchste Intelligenz 36, 38, 167, 220 Hylozoismus 223, 226, 227 hyperphysischer Grund 227 Hypothese 3, 45, 244 Ideal der reinen Vernunft 8, 20, 23, 60, 239, 249, 250, 264 idealische Norm 140 Idealismus 45, 167, 223-226, 230 Idee der Urteilskraft 11, 256, 262 Immanenz 25, 54, 56, 71,110, 122,125, 126, 133,143, 149, 155,160, 226 intellectus archetypus 255 Interesse 6, 28, 29, 34, 35, 41, 90, 108, 126,132,168,186, 222 intuitiver Verstand 249, 252-255, 157, 258 Kasualismus 224 Kasualität 223, 228 Kategorien 19-23, 35, 66, 77, 89, 100, 151,174,189 Kontemplation 103,104,112, 116, 146 Kosmologie 20,22,29-31 Kunst 83, 92, 107, 145, 184, 193, 194 Kunstprodukt 192 Leben 185,195,227 Lebendige, das 194,195 Lust 3, 54, 71-73, 75, 78, 84, 93, 95-99, 104, 107, 111, 113, 114, 117, 118, 119, 122, 124-132, 134, 136-139, 143-146, 148, 151-156, 172, 186, 246 Mannigfaltigkeit 43, 64, 65, 70, 100, 101, 112, 173, 210, 232, 237, 240, 254 Mathematik 178,179

275

Maxime 34, 42, 45, 65, 139, 140, 176, 196, 204, 207-213, 217, 221-224, 228, 232, 233, 235, 236, 239, 245, 247, 258260, 262, 263 Mechanik 202,222-226,259,260 mechanische Kausalität 191, 193, 203, 228,258 metaphysica generalis 1,17,20,40,218, 220, 224, 242, 264 metaphysica specialis 17 Metaphysik 3, 6, 75, 116, 147, 186, 255 Naturkausalität 220,224,226 Naturphilosophie 3 Naturprodukt 146, 187,197, 239 Naturschönheit 131,133 Naturwissenschaft 172, 176, 195, 198, 202, 203, 223, 232, 241, 259 Naturzweck 185, 189, 190, 198, 202, 223, 233, 250 Neigung 59 Objektivität 9, 22, 27,34,35, 37-40,100, 102, 107, 109, 111, 148-150, 160, 179, 185, 195, 206, 211, 235, 236, 240, 245, 247, 248,250, 251, 263 Ontologie 17,30,242 Ordnung 29, 37, 68-71, 81, 82,172,173, 196, 210 Organ 92,193 Organisation 195 Organismus 77,195, 199, 201, 224, 232 Paralogismus 20, 30, 31, 41 Physik 198,202 praktische Vernunft 100 prästabilierte Harmonie 166 Prinzip des Geschmacks 9, 72,173 Proportion 136,138,140 Qualität 92, 98, 102,123, 128, 129, 159, 215 Quantität 90, 106, 110, 111, 114, 117, 118, 159,160

276

Register

Raum 179,181,227,256 Realität 21, 24, 25, 29, 33, 36, 40, 194, 195, 226, 230, 235, 239, 247 reflektierende Urteilskraft 3, 46, 62, 64, 65, 68, 70-72, 75, 79, 84, 98, 158, 165, 166, 168, 174, 205, 206, 208, 214, 219, 233, 234, 236, 243, 247, 195 Reflexionsgeschmack 94,109 Reflexionsprinzip 32, 91,122, 133, 148, 152, 165, 166, 176, 208, 234, 242, 245, 251 regulatives Prinzip 8, 21, 43, 69, 198, 238, 247 reine Anschauung 179 Reiz 137 Relation 19, 26, 38, 62, 65, 67, 68, 73, 77, 81, 89, 93, 101, 105, 114-116, 118, 119, 123, 124, 126-131, 137, 138, 142, 144, 146,148, 149, 151, 153,154, 168, 180, 181, 208, 242, 249, 251 Rezeptivität 92, 96, 117 Rührung 137 Schema 36-39, 41-43, 55, 58, 66, 69, 77, 157, 166,192, 217, 239 Schönheit 83, 84, 89, 92, 106-108, 111-113, 131, 133, 134, 138, 142, 147-149, 155, 160, 168, 203 Seele 41 sensus communis 138-140 Sinnlichkeit 36, 46, 71, 90, 97, 98, 107, 111, 129,147, 152, 159, 168, 179 Skeptizismus 41 Spekulation 202 Spinozismus 223,225 Spontaneität 17, 18, 23, 25, 36, 67, 90, 96,97,99-102,108,117,142,147,148, 152, 178, 180, 249, 251, 254, 255, 257 Substanz 33,199, 225, 226 Substrat 25,163,166, 225, 257, 261,262 subsumierende Urteilskraft 79, 58, 60, 63, 215 Subsumtion 24, 32, 100, 105, 110, 112, 136, 200, 245, 254

Synthesis 18, 19, 22, 23, 99, 103, 104, 151,152,180 Tadel 108 Talent 150 Technik 54, 55, 57, 59, 73, 204, 222, 224-226, 229, 253, 259 Theismus 223,227,228 Theologie 28-30, 33, 176, 202, 232 Theosophie 202 Totalität 17, 24, 30, 31, 156, 158, 159, 210, 222, 223 transzendentale Prinzip der Urteilskraft, das 65,203 transzendentale Prinzip, das 2, 4, 7, 9, 11, 191, 233, 243, 241, 251 Transzendenz 133,167 Triebfeder 125 Übersinnliche, das 164, 166, 262 Unlust 3, 75, 78, 93, 99,151 Vernunftgebrauch 3, 32, 35-38, 39, 58, 60, 61, 63, 70, 75, 99, 217, 220, 234 Vernunftidee 3, 31, 33, 51, 56, 58, 59, 64, 165, 174,185, 211, 244 Vernunftkausalität 69, 192, 201, 239, 258 Vernunftschluß 41,260 Verstand überhaupt 6, 7,11, 20,23, 44, 53, 69, 116, 127, 219, 240, 241, 247, 249-251 Verstandesbegriff 82, 257 Verstandeskausalität 69, 74, 85, 176, 186, 191, 204, 210, 212, 221, 224, 235, 252, 256, 260, 263 Wahrnehmung 66,151, 152,248 Widersprüchlichkeit 150, 193, 215, 220-222 Widerstreit 108, 141, 158, 159, 163-166, 206, 208, 209, 211, 214, 215, 219, 229, 233, 236, 246, 262 Wille 119, 120,125,189 Wissenschaft 21

Register

Wohlgefallen 90, 91, 93, 94, 97, 102, 104, 105, 106-109, 112, 114, 123, 126, 129, 130, 134, 135, 137, 138, 142, 143, 146-148,151-154, 173 Zeit 6, 76, 92, 179, 223 Zufall 226

277

Zufälligkeit 61, 97, 189, 225, 230, 232, 247, 248, 257, 259, 262 Zweck der Natur 156, 185, 171, 197, 199, 225 Zweckbegriff 120, 124, 176, 180, 185, 192, 225, 244, 245

w DE

G

Walter de Gruyter Berlin New York

KANTSTUDIEN-ERGÄNZUNGSHEFTE

GIOVANNI SAL A

Kant und die Frage nach Gott Gottesbeweise und Gottesbeweiskritik in den Schriften Kants Groß-Oktav. XVm, 470 Seiten. 1989. Ganzleinen DM 154,ISBN 3 11 012330 4 (Band 122)

P . H . VAN D E R GULDEN

Albert Görlands systematische Philosophie Groß-Olctav. X, 375 Seiten. 1990. Ganzleinen DM 148,ISBN 3 11 012155 7 (Band 123)

REINER WIMMER

Kants kritische Religionsphilosophie Groß-Oktav. VIII, 286 Seiten. 1990. Ganzleinen DM 120,ISBN 3 11 011681 2 (Band 124)

RUDOLF LANGTHALER

Kants Ethik als "System der Zwecke" Perspektiven einer modifizierten Idee der "moralischen Teleologie" und £thikotheologie Groß-Oktav. XVI, 428 Seiten. 1991. Ganzleinen DM 168,ISBN 3 11 012620 6 (Band 125) Preisänderungen vorbehalten