Christologie [Auflage: 1]
 978-3825235543

Table of contents :
Zur Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1. Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
a) Der Ort der Christologie im Kontext der
Systematischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
b) Profil der Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
3. Lebenszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
I. Exposition: Grundlegung einer Lehre von Jesus Christus
in Kontexten – Neue Unübersichtlichkeit oder veränderte
Vernetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1. Die zentrale Aufgabe der Christologie:
Gottes Ein-für-Allemal erschließen . . . . . . . . . . . . . . . 21
2. Modelle, Figuren und Optionen von Christologie . . . . 24
a) Jesus als bloßer Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
b) Jesus mehr als ein Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
c) Jesus Christus als Gott und Mensch . . . . . . . . . . . 27
3. Methodologische Vergewisserung der
Bekenntnisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
a) Methodische Hinführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
b) Die historische Rückfrage nach Jesus ist
legitim und notwendig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
c) Die historische Rückfrage nach Jesus ist
wissenschaftlich möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4. Orientierungen für die christologische
Bekenntnisreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
a) Methodische Typologien einer christologischen
Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
b) Kriterien und Regulative für eine systematische
Christologie in Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
II. Person und Botschaft Jesu. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
1. Lebensgeschichtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2. Das Rad seines Lebensweges. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht . . . . . . . 61
1. Eine belastete Konfliktgeschichte und ihre
theologischen Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2. Der Jude Jesus im Spannungsfeld von Kontinuität
und Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3. Jüdische Wurzeln der Messianität Jesu . . . . . . . . . . . . 69
a) Messianische Motive im Vorfeld Jesu . . . . . . . . . 69
b) Messianische Bewegungen im Umfeld Jesu . . . . . 70
4. Der Philipper-Hymnus: ein messianisch-judenchristlicher
Sprechversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte . . . . 77
1. Das Verhältnis Jesu zum Vater: Wahrhaftig Gott? . . . 79
2. Das Verhältnis Gottes zur Welt: Wahrhaftig
Mensch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
a) Die Kontroverse um die Weltfähigkeit Gottes
in der Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
b) Zuspitzung der Kontroverse im mittleren
Platonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3. Das Verhältnis beider Verhältnisse zueinander:
Wahre Göttlichkeit und Menschlichkeit?. . . . . . . . . . . 90
V. Menschwerdung Gottes: Kann Gott weltfähig sein? . . . . . 97
1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
2. Ist Gott inkarnationsfähig?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
a) Kann Gott »werden«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
b) »Werden« trinitarisch: Exzentrizität und
Konzentrizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
c) Kann Gott ohne Verendlichung »Mensch«
werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
3. Inkarnation als »Revolution im Gottesverständnis« . . 105
a) Cur Deus homo? Wandlungen in der
Theologiegeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
b) Luthers Christologie des fröhlichen Tausches . . . 106
c) Walter Kasper: Hoheit in Niedrigkeit oder
Allmacht in Ohnmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
VI. Kreuz und Erlösung: »Braucht Gott Opfer?« . . . . . . . . . . . 117
1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2. Begriffliche und religionsgeschichtliche
Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
3. Biblisch-jüdisches Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4. Wie hat Jesus seinen Tod verstanden und bestanden?. . 122
a) Neutestamentliche Rahmenbedingungen . . . . . . . 122
b) Zur Deutung und Bedeutung des Todes Jesu . . . . 124
c) Deutung des Todes im Zusammenhang des
letzten Abendmahls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
5. Ostern als Schlüssel für das Erlösungsverständnis . . . 128
VII. Auferweckung und Vollendung: »Alles nur Illusion?« . . . 131
1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
2. Exposition der Entstehung des Osterglaubens . . . . . . . 131
3. Zur historischen Rekonstruktion der Entstehung
des Osterglaubens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
a) Geschick und Geschichte Jesu als Voraussetzung . . 136
b) Das »neue Leben«: Was Jesus widerfuhr . . . . . . . 139
c) Das »neue Sehen«: Was den Jüngern widerfuhr. . 140
d) Das »leere Grab«: Notwendiges Beweisstück für
die Auferweckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
VIII. Typen der Christologie in Tradition und Gegenwart . . . . 145
1. Problemexposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
2. Altkirchliche und mittelalterliche Konzepte . . . . . . . . 146
a) Origenes: Gottes Zukehr zur Welt als Rückkehr
des Menschen zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
b) Aurelius Augustinus: Christus als Mittler
und Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
c) Thomas von Aquin: Freundschaft mit Gott
durch den gottgemäßen Menschen . . . . . . . . . . . . 151
3. Exemplarische Entwürfe des 20. Jahrhunderts . . . . . . 153
a) Edward Schillebeeckx: Die in Sprache gefasste
Erfahrung der menschlichen Gegenwart Gottes . . 153
b) Jon Sobrino: Teilnahme am Martyrium
Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
c) Hans Urs von Balthasar: Die Entäußerung des
göttlichen Liebesdramas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
d) Renaissance der Inkarnationschristologie im
angelsächsischen Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
IX. Christologie aus der Perspektive von Frauen . . . . . . . . . . . 171
1. Frauen-Christologien der nordwestlichen
Hemisphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
a) Elisabeth Schüssler Fiorenza: Methodische
Grundsätze und Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
b) Rosemary Radford Ruether: Jüdisch-prophetische
Christologie der Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
c) Carter Heyward: Inkarnation Gottes als
transpersonale Macht-in-Beziehung . . . . . . . . . . . 176
2. Christologie von Frauen im afrikanischen Kontext . . . 181
a) Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
b) Afrikanische Frauen-Christologie . . . . . . . . . . . . . 184
X. Menschliche Identität in der Begegnung mit
Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
1. Zur Notwendigkeit einer anthropologisch
gewendeten Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
2. Zur Identitätssuche in einer sich problematisch
gewordenen Moderne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
a) Identitätskonstruktion als Aufgabe und
Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
b) Schlaglichter der Identitätsdebatte . . . . . . . . . . . . 198
c) Hierarchisierung der Sinndimensionen nach
Tatjana Schnell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
3. Menschliche Identitätssuche und gläubiges
Christusbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
a) Lust am Leben – Wunsch nach Lebenschancen . . 204
b) Lust an Wohlbefinden – Wunsch nach
Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
c) Lust an freier Selbstverwirklichung – Wunsch
nach Begabung und Gestaltung. . . . . . . . . . . . . . . 207
d) Lust auf Sinnstiftung – Leben als Dasein für
Andere (Proexistenz). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
e) Lust auf Unverfügbarkeit (kontemplativer und
personaler Dank) – Leben aus Verheißung . . . . . . 211
Literaturliste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

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Grundwissen Theologie Herausgegeben von Klaus von Stosch

Bernhard Nitsche

Christologie

Ferdinand Schöningh

Autor: Dr. phil., Dr. theol. Bernhard Nitsche, geb. 1963, Privatdozent für Fundamentaltheologie Freiburg seit 2010, Privatdozent für Dogmatische und Ökumenische Theologie Tübingen seit 2006. Forschungsschwerpunkte: Philosophische und theologische Anthropologie, Religionsphilosophie, Christologie, Trinitätslehre, Gott-Denken in interreligiöser Perspektive, Ekklesiologie und Ökumene.

Umschlagabbildung: Text

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart UTB-Band-Nr: 3554 ISBN 978-3-8252-3554-3

Herrn Erzbischof Dr. Robert Zollitsch und den Domkapitularen der Erzdiözese Freiburg zum Dank für eine berufliche Perspektive in tragischen Zeiten

Inhalt Zur Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Ort der Christologie im Kontext der Systematischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Profil der Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lebenszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

Exposition: Grundlegung einer Lehre von Jesus Christus in Kontexten – Neue Unübersichtlichkeit oder veränderte Vernetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die zentrale Aufgabe der Christologie: Gottes Ein-für-Allemal erschließen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modelle, Figuren und Optionen von Christologie . . . . a) Jesus als bloßer Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Jesus mehr als ein Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Jesus Christus als Gott und Mensch . . . . . . . . . . . 3. Methodologische Vergewisserung der Bekenntnisbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Methodische Hinführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die historische Rückfrage nach Jesus ist legitim und notwendig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die historische Rückfrage nach Jesus ist wissenschaftlich möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Orientierungen für die christologische Bekenntnisreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Methodische Typologien einer christologischen Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kriterien und Regulative für eine systematische Christologie in Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 11 11 13 14 19

21 21 24 25 26 27 32 32 34 35 40 40 42

II. Person und Botschaft Jesu. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

1. Lebensgeschichtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Rad seines Lebensweges. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 48

8

Inhalt

III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht . . . . . . . 1. Eine belastete Konfliktgeschichte und ihre theologischen Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Jude Jesus im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Jüdische Wurzeln der Messianität Jesu . . . . . . . . . . . . a) Messianische Motive im Vorfeld Jesu . . . . . . . . . b) Messianische Bewegungen im Umfeld Jesu . . . . . 4. Der Philipper-Hymnus: ein messianisch-judenchristlicher Sprechversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 65 69 69 70 71

IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte . . . .

77

1. Das Verhältnis Jesu zum Vater: Wahrhaftig Gott? . . . 2. Das Verhältnis Gottes zur Welt: Wahrhaftig Mensch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Kontroverse um die Weltfähigkeit Gottes in der Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuspitzung der Kontroverse im mittleren Platonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Verhältnis beider Verhältnisse zueinander: Wahre Göttlichkeit und Menschlichkeit?. . . . . . . . . . .

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88

V. Menschwerdung Gottes: Kann Gott weltfähig sein? . . . . .

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1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ist Gott inkarnationsfähig?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kann Gott »werden«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) »Werden« trinitarisch: Exzentrizität und Konzentrizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kann Gott ohne Verendlichung »Mensch« werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inkarnation als »Revolution im Gottesverständnis« . . a) Cur Deus homo? Wandlungen in der Theologiegeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Luthers Christologie des fröhlichen Tausches . . . c) Walter Kasper: Hoheit in Niedrigkeit oder Allmacht in Ohnmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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89 90

100 101 105 105 106 111

Inhalt

VI. Kreuz und Erlösung: »Braucht Gott Opfer?« . . . . . . . . . . . 1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffliche und religionsgeschichtliche Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Biblisch-jüdisches Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wie hat Jesus seinen Tod verstanden und bestanden?. . a) Neutestamentliche Rahmenbedingungen . . . . . . . b) Zur Deutung und Bedeutung des Todes Jesu . . . . c) Deutung des Todes im Zusammenhang des letzten Abendmahls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ostern als Schlüssel für das Erlösungsverständnis . . .

9 117 117 119 120 122 122 124 126 128

VII. Auferweckung und Vollendung: »Alles nur Illusion?« . . . 1. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Exposition der Entstehung des Osterglaubens . . . . . . . 3. Zur historischen Rekonstruktion der Entstehung des Osterglaubens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschick und Geschichte Jesu als Voraussetzung . . b) Das »neue Leben«: Was Jesus widerfuhr . . . . . . . c) Das »neue Sehen«: Was den Jüngern widerfuhr . . d) Das »leere Grab«: Notwendiges Beweisstück für die Auferweckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII. Typen der Christologie in Tradition und Gegenwart . . . . 1. Problemexposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Altkirchliche und mittelalterliche Konzepte . . . . . . . . a) Origenes: Gottes Zukehr zur Welt als Rückkehr des Menschen zu Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aurelius Augustinus: Christus als Mittler und Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Thomas von Aquin: Freundschaft mit Gott durch den gottgemäßen Menschen . . . . . . . . . . . . 3. Exemplarische Entwürfe des 20. Jahrhunderts . . . . . . a) Edward Schillebeeckx: Die in Sprache gefasste Erfahrung der menschlichen Gegenwart Gottes . . b) Jon Sobrino: Teilnahme am Martyrium Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hans Urs von Balthasar: Die Entäußerung des göttlichen Liebesdramas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 145 146

136 136 139 140 141

146 149 151 153 153 156 160

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Inhalt

d) Renaissance der Inkarnationschristologie im angelsächsischen Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 IX. Christologie aus der Perspektive von Frauen . . . . . . . . . . . 171 1. Frauen-Christologien der nordwestlichen Hemisphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Elisabeth Schüssler Fiorenza: Methodische Grundsätze und Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rosemary Radford Ruether: Jüdisch-prophetische Christologie der Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Carter Heyward: Inkarnation Gottes als transpersonale Macht-in-Beziehung . . . . . . . . . . . 2. Christologie von Frauen im afrikanischen Kontext . . . a) Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Afrikanische Frauen-Christologie . . . . . . . . . . . . .

171 171 174 176 181 181 184

X. Menschliche Identität in der Begegnung mit Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Zur Notwendigkeit einer anthropologisch gewendeten Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Identitätssuche in einer sich problematisch gewordenen Moderne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Identitätskonstruktion als Aufgabe und Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schlaglichter der Identitätsdebatte . . . . . . . . . . . . c) Hierarchisierung der Sinndimensionen nach Tatjana Schnell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Menschliche Identitätssuche und gläubiges Christusbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lust am Leben – Wunsch nach Lebenschancen . . b) Lust an Wohlbefinden – Wunsch nach Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lust an freier Selbstverwirklichung – Wunsch nach Begabung und Gestaltung. . . . . . . . . . . . . . . d) Lust auf Sinnstiftung – Leben als Dasein für Andere (Proexistenz). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Lust auf Unverfügbarkeit (kontemplativer und personaler Dank) – Leben aus Verheißung . . . . . .

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Literaturliste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Zur Einführung 1. Anliegen Die Lehre (gr. logos) von Jesus von Nazaret als dem Gesalbten (hebr. maschiach / gr. messias/christos) Gottes steht im Zentrum jeder Theologie als einer christlichen. Das Nachdenken über Gott und sein Engagement zugunsten der Menschen ist der Dreh- und Angelpunkt neuzeitlicher Theologie. Diese hat ihr Fundament in der neutestamentlichen Verheißung, wonach Gott sich selbst nahe bringt und sich nicht nur in der Geschichte Israels als der Gott erwies, der unter den Menschen und bei den Menschen und mit den Menschen sein will (Ex 3,14), sondern sich im Leben Jesu von Nazaret unüberbietbar als der »Gott-mit-uns« (hebr. Immanuel: Jes 7,14; Mt 1,23) und »Gott-der-rettet« (hebr. Jehoschua: 1 Sam 6,14.18; Mt 1,21) nahe gebracht hat und Gegenwart geworden ist. Die Fundamentaltheologie versucht in diesem Zusammenhang mit vernünftigen Gründen zu zeigen, wie ein solches Nahe-Kommen Gottes in der Menschengeschichte als Selbstoffenbarung gedacht und wie diese Selbstoffenbarung inhaltlich konkret bestimmt werden kann. Die dogmatische Reflexion auf Jesus Christus setzt diese Analyse voraus und bedenkt die geschichtliche Selbstbestimmung Gottes in der Person und Botschaft Jesu als Mitte christlicher Theologie. Das in Jesus Christus bestimmte Dasein Gottes zum Heil der Menschen ist daher das »eine Dogma in den vielen Dogmen« (Kasper I, 100). a) Der Ort der Christologie im Kontext der Systematischen Theologie Die Christologie denkt der Ankunft Gottes in der Welt nach. Sie bedenkt sein ausgezeichnetes Kommen in der Person und Botschaft Jesu. In diesem Kommen Gottes in die Geschichte der Menschen wird Gottes liebendes »Sein für« (Ratzinger I) zugunsten der ganzen Schöpfung und aller Menschen sichtbar und öffentlich. Weil Gott in seiner liebenden Ankunft selbst kommt und dieses Kommen in der Person Jesu den menschlichen Höchstfall seiner geschichtlichen Ankunft bezeichnet, kann Jesus Christus als die Selbst-Ankunft des Gottes verstanden werden, der in sich Liebe ist und in seinem Kom-

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Zur Einführung

men als der den Menschen liebend Zugewandte ankommen will (Jüngel I). Die liebende Anerkennung der endlichen Wirklichkeit und Gottes wertschätzende Zuwendung in seinem liebenden »FürSein« ermöglichen es den Menschen, in wahrer Menschlichkeit zu leben. Gottes Zusage und Zuwendung befreit aus der Gefahr der Selbstüberschätzung oder dem Zwang, mehr als ein endlicher Mensch sein zu müssen und »wie Gott« sein zu wollen (Gen 3,5). Darum finden sowohl die theologische Anthropologie als auch eine Theologie der Schöpfung in der Christologie ihr Ziel. Umgekehrt hat die Christologie in der Anthropologie und Schöpfungslehre ihre Anknüpfungspunkte (Rahner I, 176f.). Insofern Jesus Christus als die unüberbietbare Gegenwart Gottes in menschlicher Geschichte geglaubt wird, sind seine Person und Botschaft inhaltliches Fundament und systematischer Konstruktionspunkt einer Theologie des Geistes und der Gnade Gottes sowie Ursprung und Grund der Kirche und ihrer Sakramente. Die Christologie stellt mithin das pulsierende und vitale Zentrum der christlichen Theologie dar und nimmt notwendig an allen Bewegungen und Veränderungen im Netzwerk der christlichen Glaubensreflexion teil. So befindet sie sich stets neu in dynamischer Entwicklung. Z.B. ist durch den Ersten Weltkrieg das Bewusstsein dafür gewachsen, dass wir in »einer Welt« leben, was durch den Zweiten Weltkrieg und die von ihm ausgelösten Neuordnungen noch einmal intensiviert wurde. Die Menschheit setzt sich aus vielen Ethnien, Kulturen und religiösen Traditionen zusammen und ist politisch und wirtschaftlich in vielfacher Weise vernetzt. Diese globale Perspektive von Verflechtungen und die Einsicht in vielfältige Abhängigkeiten und wechselseitige Impulse haben auch in der römisch-katholischen Theologie das Bewusstsein dafür wachsen lassen, dass die katholische Kirche weltumspannend ist und christliche Bekenntnisbildung in vielen verschiedenen Kontexten Heimat hat. Die Unterschiedlichkeit der Lebensorte setzt ganz unterschiedliche Aktualisierungen des Nachdenkens über Jesus Christus frei, die in ihrer Verschiedenheit voneinander, aber auch in ihrer Verwiesenheit aufeinander beachtet werden sollten. Diese Variabilität wurde vor allem im geschichtlichen Längsschnitt (diachron) berücksichtigt. Weniger Beachtung fand bisher der zeitgleiche (synchrone) Querschnitt in der dialogischen Übersetzung von kontextbezogenen Anliegen und Modellen, die nebeneinander oder im Streit miteinander existieren.

1. Anliegen

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b) Profil der Einführung Diese Einführung in die Christologie hat die Aufgabe, die »Essentials« zu benennen, die für jede christologische Reflexion hilfreich und notwendig sind. Angesichts der Vervielfachung der Lebenszusammenhänge und der gesellschaftlichen Kontexte, in denen Christinnen und Christen ihr Bekenntnis zu Jesus Christus artikulieren und reflektieren, kommt es material darauf an, ein notwendiges Basiswissen bezüglich der Grundthemen der christologischen Glaubensreflexion zu eröffnen. Methodisch geht es entsprechend um eine Basis-Kompetenz zur Einordnung von christologischen Konzepten, sowie ihrer zentralen Anliegen und Konstruktionsprinzipien. Inhaltliche und methodische Kriterien wollen in diesem Zusammenhang die Fähigkeit eigenständiger Urteilsbildung unterstützen. Um ein Gespür für die Vielfalt der Kontexte und Sprechversuche zu erschließen, in denen Menschen heute ihr Bekenntnis zu Jesus Christus reflektieren, bedarf es gezielt auch des »Blicks über den eigenen Tellerrand«. Exemplarisch kann die bisher dominante genetisch-geschichtliche Hermeneutik, die auf die europäische und männliche Bekenntnisreflexion fokussiert war (»Eurozentrik«, »Androzentrik«), überschritten werden. Das Bewusstsein für die Kontextbindung kann durch Hinweise auf die kulturellen und sozialen Voraussetzungen der christologischen Modellbildung wachsen. Mit der Ausgestaltung sehr unterschiedlicher Formen des gläubig-existenziellen und des theologisch-nachdenkenden Bezugs auf Jesus Christus entsteht auch die Aufgabe, zu zeigen, wie diese unterschiedlichen Modellbildungen bereichernd und korrigierend aufeinander verweisen können. Vor allen Dingen ist zu verdeutlichen, wie die einzelnen Ansätze im Rückbezug zur Heiligen Schrift als der verbindlichen Ur-Kunde des christlichen Glaubens (der Norm, die alles normiert, aber selbst nicht normiert wird) stehen und diese zur Sprache bringen. Des Weiteren ist die bleibende Bezugnahme für den Glaubensvollzug der Gemeinschaft der Kirche auszuweisen, auf den sich die theologische Reflexion bezieht. Für dieses Zusammenspiel ist die Unterscheidung zwischen »Entdeckungszusammenhang« und »Begründungszusammenhang« von großer Bedeutung. Historisch sind auch die Rahmenbedingungen und Eckdaten des Lebens Jesu zu berücksichtigen, die einen sachlichen »Bestimmungszusammenhang« bilden. Denn jede systematische Begründung setzt den realgeschichtlichen Inhalt und die mit historischer Vernunft geleistete Plausibilisierung von Zusam-

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Zur Einführung

menhängen voraus. Eine Flucht in eine rein interne, nur auf den Binnendiskurs ausgerichtete Auslegung des christlichen Glaubens, ist der dogmatischen Reflexion um ihrer Rationalität willen nicht erlaubt. 2. Aufbau In der Exposition (I.) wird die Frage gestellt, welche Modelle die Diskussion über die Bedeutung Jesu Christi leiten können und faktisch anleiten. Es werden analytisch verschiedene Typen herausgearbeitet, wie Christologie sinnvoll ausgebildet worden ist und ausgebildet werden kann. Diese modelltheoretische Analyse steht im Rückbezug zu den Modellen, die in der Heiligen Schrift bereits ausgebildet wurden. Von dort her kann geklärt werden, welche Modelle in Treue zur Schrift normativ für das christologische Bekenntnis miteinander im Gespräch zu halten sind. Ergänzend zu den modelltheoretischen Überlegungen werden inhaltliche Kriterien formuliert, die geeignet sind, christologische Konzepte der Vergangenheit und Gegenwart zu beurteilen. Wie ein Geländer können diese Kriterien dazu anleiten, eigene Sprechversuche in neuen Kontexten und veränderten Situationen zu wagen und zu orientieren. Im Konflikt zwischen Science und Fiction wird die Christologie zunächst daraufhin befragt, ob sie in naiver und gutgläubiger Weise eine Untiefe der Historie überspringt oder ob sie für ihren Bezug auf Jesu Person und Botschaft (II.) mit historischer Vernunft einen realgeschichtlichen Sachgrund ausweisen kann. Stellt der Lebensvollzug Jesu und seine Botschaft von der Königsherrschaft Gottes den historisch rekonstruierbaren Bezugspunkt der Christologie dar, so wird dieser auch theologisch zum zentralen Anker der Christologie. Dies führt zu der Frage: Wie können die anfanghaften und indirekten Hinweise in der Person und der Botschaft Jesu mit den Mitteln »historischer Vernunft« als Grund des österlichen und ausdrücklichen Glaubens ausgewiesen und im Kontext historischer Kritik vergewissert werden? In Reaktion auf die Vernichtung des europäischen Judentums ist (III.) das Bewusstsein dafür gewachsen, dass Jesus als Jude seiner Zeit verständlich werden muss. Jesus wollte keine neue Religion stiften, sondern ganz Israel zur Umkehr rufen und in seiner Gottverbundenheit erneuern. Die Anerkennung der bleibenden Berufung Israels

2. Aufbau

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durch Gott (Röm 9–11) fordert in einer »Theologie nach Auschwitz« dazu auf, zumindest in ersten Hinweisen anzuzeigen, wie die gemeinsame Theologie des Ersten (Alten) Testaments und die jüdisch-rabbinische Tradition in Geschichte und Gegenwart für die Christologie selbst bedeutsam werden können. Nur so ist es möglich, die Rede vom Judentum als Wurzel davor zu bewahren, eine Leerformel zu werden, statt eine christologische Lehrformel zu sein. Paradigmatisch für die Modellbildungen der Christologie ist die altkirchliche Dogmengeschichte (IV.) mit ihrem Übersetzungsprozess biblischer Christologien in den Raum des hellenistischen und römischen Denkens. Durch die Auseinandersetzung mit einer heidnischen und kritischen Umwelt waren Präzisierungsbedarfe gegeben und wurden reflexive Systematisierungen des eigenen Glaubens notwendig, welche in einem langen Ringen neue Sprachbilder und Denkmodelle erforderlich machten. Die theologiegeschichtliche »Dogmenhermeneutik« hat sich zentral mit der These Adolf von Harnacks auseinander zu setzen, wonach das altkirchliche Dogma als eine »Hellenisierung des Christentums« angesehen wird. Der Rückbezug der heutigen Kontexte auf die Heilige Schrift ist nach katholischem Verständnis maßgeblich durch die lehramtlichen Entscheidungen der Alten Kirche kanalisiert. Dementsprechend normieren die Lehrentscheidungen (als »Dogmen«) die christologische Reflexion, soweit sie selbst die verpflichtenden Anliegen der Schrift in den Kontroversen ihrer Zeit und für heute zur Sprache bringen. Hohe Bedeutung haben diese lehramtlichen Orientierungen der Alten Kirche durch ihre je neue Aufbereitung in den »Denk-Malen« der Glaubensgeschichte und in den »Gedanken-Mühlen« der Gegenwart. Obwohl der altkirchliche Konsens der ersten fünf Jahrhunderte auch von hohem formalem Autoritätsanspruch ist, gewinnen diese Lehraussagen ihre herausragende Bedeutung inhaltlich vor allem dadurch, dass sie Grundfragen des Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus Gottes klären konnten, die so fundamental sind, dass sie in fast jeder Generation neu gestellt werden und jeder Generation neu zu denken geben. Als »Klassiker« (Magnus Striet) der Glaubensreflexion bieten sie – für alle Unternehmungen und Produkte der nachfolgenden »Denkfabriken« – wertvolles und bleibendes Orientierungswissen. Diese analytisch-biblisch-dogmenhermeneutischen Grundlagen bilden ein Fundament, von dem her die »Kernthemen« oder »Schlüsselbegriffe« der christologischen Glaubensreflexion zur Darstellung gelangen können.

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Zur Einführung

In einer sich problematisch gewordenen Moderne wird das Verhältnis von Vernunft und Geschichte sowie von geforderter Allgemeinheit und faktisch situativer Verschiedenheit zur großen Herausforderung. Jean-François Lyotard hat über alle idealen Anthropologien und universalgeschichtlichen Denkversuche sein Verdikt gesprochen und die Veränderbarkeit und Zerbrechlichkeit aller Ordnungen mit der Rede vom »Ende der großen Erzählungen« als »Legitimationsgeschichten« verknüpft. Daher ist strittig, ob und wie ein Mensch für alle Menschen Bedeutung gewinnen kann. In der Frage »Einer für alle?« spiegelt sich das Problem der Menschwerdung (V.) Gottes. Zum einen bleibt vernünftig zu klären, wie göttliche Universalität in Geschichte konkret werden kann. Zum anderen ist zu begründen, wie Gott im Wandel der Geschichte ein einziges Menschenleben genügen kann, um seine sinnstiftende Zusage für alle Menschen aller Zeiten unwiderruflich und unüberbietbar offen zu legen. Die paradoxe Aussage »man muss auf ein Opfer auch einmal verzichten können« macht (VI.) deutlich, wie sehr eine bestimmte Mentalität der Hingabe und des Aufopferns das christliche Selbstverständnis prägt und die Lebensvollzüge des Christentums bestimmt. Mit guten theologischen Gründen werden Heil und Erlösung christlich und traditionell unter dem Leitbild des Kreuzes-Todes Jesu und dem Begriff des Kreuzes-Opfers bedacht. Unklar ist dabei allerdings weithin, was im christlichen Kontext genau mit dem Tod am Kreuz und seiner Bestimmung als »Opfer« gemeint ist. Daher bedarf dieser Begriff der theologischen Betrachtung und Bestimmung, welche Jesu Dahingabe am Kreuz für uns und zu unserem Heile von Verständnissen freihalten, welche als göttlicher Sadismus oder menschlicher Masochismus identifiziert werden könnten. Theologisch spitzt sich die Problematik von Kreuz und Erlösung auf die Frage zu: »Braucht Gott Opfer?« Bei einer Einführung in den christlichen Glauben war ich mit der studentischen Voreinstellung konfrontiert: Die Auferstehungszeugen waren ja »alle besoffen und im Delirium«, hatten »psychedelische Halluzinationen« oder einfach bloß »Wunschträume«, weil sie den Schock von Jesu Hinrichtung nicht verkraftet haben. Zudem argumentierten einige Studierende: Die Dogmatiker arbeiten ohnehin »jenseits« aller exegetischen Erkenntnisse. Mag die zweite Äußerung problematische Dogmatikerfahrungen und dadurch verständliche Distanzierungen des Exegesedozenten wiedergeben, so konnte die einleitende und zugleich aggressive wie unbedarfte Reduktion des Auferstehungsglaubens selbst noch den einigermaßen

2. Aufbau

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erfahrenen Dogmatikdozenten irritieren. Wenn also Jesu Auferstehung und Vollendung (VII.) bedacht wird, so ist mit historischer Vernunft und exegetischer Vergewisserung zu zeigen, dass die Unterstellung auch einiger Religionskritiker, dies sei »alles nur Illusion« erheblich zu kurz greift. Umso mehr ist die Systematische Theologie mit Paulus herausgefordert aufzuzeigen, warum mit dem Bekenntnis zur Auferweckung Jesu der christliche Glaube steht und fällt und nur in dieser Auferstehungshoffnung die Suche des Menschen nach unbedingter Wahrheit und universaler Gerechtigkeit begründbar ist. Zu den zentralen Themen eines perspektivischen und kontextbewussten Denkens in den westlichen Gesellschaften auf der Nordhalbkugel gehört das Bewusstsein für die Differenz der Geschlechter (engl. gender) und ihrer Lebenswelten sowie die damit verbundene Differenz der Denkweisen. Dieses Bewusstsein hat sich unter dem Begriff des Gender-Mainstreaming auch politisch mit dem Ziel gerechter Chancenverteilung etabliert. Theologie in kritischer Zeitgenossenschaft kann die Frage stellen, ob das westlich-emanzipatorische Konzept von Gender-Mainstreaming im Spiegel der Integrationspraxis Jesu gegenüber Marginalisierungsphänomenen seiner Zeit der möglichen Erweiterung auf ein Social-Mainstreaming hin bedarf, welches die Frage der Chancengerechtigkeit noch einmal auf andere Formen sozialer Diskriminierung hin akzentuiert. In jedem Fall ist eine Theologie in kritischer Zeitgenossenschaft mit der provozierenden Frage feministischer Theologie konfrontiert, ob der christliche Glaube der Mann-Werdung Gottes gilt: »Kann ein biologisch-sexuell und sozial-mental männlich bestimmter Erlöser Frauen erlösen?« Daher ist nach den unterschiedlichen Sichtweisen von Frauen und Männern zu fragen und zugleich die interne Pluralität und Differenz von Frauen-Christologien und Männer-Christologien zu berücksichtigen. Diese Unterschiede werden genderbezogen und methodenorientiert aufgenommen. Die Christologien in Geschichte und Gegenwart (VIII.) sind maskulin dominiert. Der Wandel in der Geschichte kann exemplarisch anhand maßgeblicher Entwürfe dargestellt werden. Die diachrone Vorgehensweise macht den epochalen Wandel und den Wechsel der Anliegen und Kontexte deutlich. Demgegenüber werden die Christologien von Frauen (IX.), die in den einschlägigen Handbüchern der Christologie bisher noch wenig Raum gewinnen konnten, synchron im Wechsel der Kontexte und in der Verschiedenheit der Lebenswirklichkeiten von Frauen zum The-

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Zur Einführung

ma. Ausgehend von den sozialen Unterschieden nördlich und südlich des »Geldäquators« (Giancarlo Collet) wird die christologische Relevanz der kontrastiven Lebenswirklichkeit von Frauen im nordamerikanischen und afrikanischen Kontext exponiert. Um die Christologie als Kernstück christlicher Theologie im vorgegebenen Rahmen zu halten und das weite Feld der Kontexte nicht uferlos werden zu lassen, wird in dieser Monographie auf ein weiteres dringliches Themenfeld verzichtet, das mir in anderen Zusammenhängen besonders wichtig geworden ist – der interreligiöse Dialog. In Anbetracht der unterschiedlichen »Galaxien des Verstehens« (Raimon Panikkar) der differenten religiösen Systeme verbinde ich damit die Frage nach funktionalen Äquivalenten und figurativen Entsprechungen zur Christologie (Nitsche VI). Das differenzierte christliche Modell der Vermittlung von göttlicher Transzendenz und geschichtlicher Immanenz regt dazu an, entsprechende Problemstellungen in anderen Religionen zu erkunden und so der christlichen Einsicht Rechnung zu tragen, dass Gottes Wirken universal ist. Daher will Gottes Wort der Weisheit in allen Menschenworten und allen Menschentaten Gestalt gewinnen (GS 22) und es kommt dem Christentum auch als »Fremdprophetie« (Walter Kasper) entgegen. Bezogen auf den westlichen Kontext der nördlichen Halbkugel ist die Balance von Identität und Relevanz ein drängendes und überlebenswichtiges Thema. Eine Christologie im Rausch der Suche nach Relevanz, welche dem Applaus des gesellschaftlichen Mainstreams folgt, wird ihre christliche Identität verlieren. Einer Christologie, der es nicht gelingt, entscheidende Impulse für die Sinnfragen und Identitätskonstruktionen der Menschen in den westlichen-pluralen und multi-optionalen Gesellschaften herauszuarbeiten, ist vom sozialen Relevanzverlust bedroht. Mit dem Titel: »X. Menschliche Identität in der Begegnung mit Jesus Christus« wird die Anthropologie als Voraussetzung und Beginn aller Christologie ernst genommen und werden Impulse für die Ausgestaltung der Christologie in anthropologischer Perspektive sondiert. Der anthropologische Zugang wird durch die entscheidenden Anliegen der Moderne, die Freiheit und Vernünftigkeit des Menschen zu betonen, sowie durch die entscheidenden Herausforderungen der Postmoderne, fragmentarische Subjektivierungsprozesse zu erproben und fragile Identitätskonstruktionen auszubilden, fokussiert.

3. Lebenszusammenhang

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3. Lebenszusammenhang Die hier vorgelegten Darlegungen und Reflexionen sind Frucht vieler Einführungskurse in die »Grundfragen des christlichen Glaubens« in Tübingen sowie mehrerer Vorlesungs-Zyklen »Christologie in interreligiöser Perspektive« in Stuttgart-Hohenheim. Die Einladung des Herausgebers der Reihe, Klaus von Stosch, diese Christologie zu übernehmen, gab mir den Ansporn, ohne den Freiraum einer universitären Stelle und jenseits der beruflichen Verpflichtungen diese Einführung als »theologisches Freizeitvergnügen« zu realisieren. Ihm und vielen anderen danke ich umso mehr für die Ermutigung, das Projekt zu wagen, und die Bestärkung, seine gezielte Fertigstellung – wenn auch mit schmerzlichen Einschnitten – nicht aus den Augen zu verlieren. Magnus Striet danke ich für die universitäre Anbindung in Freiburg und die freundschaftliche Obhut des Arbeitsbereiches Fundamentaltheologie. Von verschiedenen Menschen habe ich Hilfestellung bei der Erarbeitung des Manuskriptes erhalten. Stellvertretend danke ich Sophie Zäh in Bisingen für Hilfestellungen bei der inhaltlichen Vorrecherche, sowie Elisabeth Müller in Paderborn für vielfache technische und organisatorische Hilfen, die es mir ermöglicht haben, meinen theologischen Eros nicht von äußeren Einschränkungen innerlich lähmen zu lassen. Freiburg 2011, am Festtag Mariä Himmelfahrt

I. Exposition: Grundlegung einer Lehre von Jesus Christus in Kontexten – Neue Unübersichtlichkeit oder veränderte Vernetzung? 1. Die zentrale Aufgabe der Christologie: Gottes Ein-für-Allemal erschließen Zu den entscheidenden Herausforderungen der christlichen Bekenntnisreflexion gehört es, Jesus Christus als »den einen gottgemäßen Menschen für alle Menschen« verständlich zu machen. Denn nach christlicher Überzeugung wollte Gott von Beginn der Schöpfung an das Heil der Menschen und ihre Vollendung in erlösten, befreiten und gelingenden Beziehungen zu sich selbst und zu anderen Menschen. Dieses Gelingen setzt die Anerkenntnis Gottes voraus, welche davon befreit, »wie Gott« sein zu wollen oder »Schmied des eigenen Glücks« sein zu müssen. Die Anerkenntnis der unbedingten Vollkommenheit Gottes ermöglicht es, sich selbst, die anderen Menschen und auch Gott in der bleibenden Andersheit und Fremdheit zu sehen und anzuerkennen. Die Sehnsucht und der Anspruch, »wie hielt ich’s aus, kein Gott zu sein« (Friedrich Nietzsche), neigt dazu, das bleibende Fremde, Abgründige und Unvollkommene des eigenen Seins zu verdrängen, und den Umstand, »nicht Herr im eigenen Hause zu sein« (Sigmund Freud), als Anlass permanenter Kränkung zu empfinden. In dieser Hinsicht kann die unverbrüchliche Zusage der Gegenwart Gottes und die unbedingte Zusage seiner Liebe zum endlichen Menschen zum Anlass werden, sich selbst in der endlichen Begrenztheit und im geschöpflichen Gewolltsein anzunehmen, sich selbst zu wollen und sich selbst zu bejahen. Die Annahme seiner selbst durchbricht die zerstörerischen Teufelskreise der Kränkung, der Größenwünsche und der eigenen Projektionen, welche in ein diabolisches Wirrwarr von Beziehungsstörungen, Identitätsverunsicherungen, sowie in einen Wettlauf um gesellschaftliches Ansehen und öffentliche Anerkennung hineinführen. Emotional in den Empfindungen von Eifersucht, Konkurrenz und Neid verstärkt, können diese Kreisläufe schnell dazu führen, eine »Spirale der Gewalt« (René Girard) loszutreten oder fortzusetzen. Gottes unbedingte und liebende Zusage seiner Gegenwart steht hier für die Macht einer Alternative. Weil Gott alle Schöpfung, alle

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

Geschöpfe und alle Menschen ins Dasein ruft, kommt er in seiner ganzen Schöpfung zum Ausdruck, will er in allen Menschentaten und allen Menschenworten sein Gerechtigkeit schaffendes Handeln und sein Leben bewahrheitendes Wort unter den Menschen aufrichten. Denn die Menschen sind seine erwählten Ebenbilder. Dieser Zusammenhang macht jedes Bildnis von Gott überflüssig und begründet das alttestamentliche Bilderverbot. Insofern ist Gott selbst in seiner Schöpfung engagiert, ist er innerste Dynamik (Geist) und Ikone (Person) für ein gottgemäßes Leben von Menschen. Darum ist die ganze Geschichte der Menschen von Gott her eine Geschichte seines Entgegenkommens. Vom Menschen her ist die Geschichte hingegen in alternative Verwirklichungsweisen (dialektisch) und lebenspraktische wie kommunikativ vermittelte Selbstverständnisse, Haltungen und Handlungen gesetzt. Dadurch ist sie eine Geschichte der sündigen Verweigerung oder der erlösten Aneignung dieser Ankunft Gottes. Gott kommt zu den Menschen, indem er sie gnädig freisetzt. In seiner innerlich gnädig freisetzenden und geschichtlich personal begegnenden Ankunft »zugleich« (Thomas Pröpper) ist er derjenige, der den Menschen in zuhöchst menschlicher Weise entgegenkommt, um unter ihnen und in ihnen anzukommen. Der ganz in seine Ebenbildlichkeit hinein kommende Mensch ist darum der ganz von Gott her kommende Mensch. So wird Gott in jenen Menschen konkret, die sich ganz auf den Gott des Lebens hin und von ihm her verstehen. Diese Ankunft Gottes in den Herzen der Menschen und in geschichtlicher Begegnung stellt keine Konkurrenz zum Menschen dar. Vielmehr setzt sie die Menschen in ihre ureigensten Möglichkeiten hinein frei. Sofern die Menschen mit einer möglichen Gegenwart Gottes in der Geschichte rechnen, sind sie herausgefordert, unter ihresgleichen Ausschau danach zu halten und danach zu fragen, in welcher menschlichen Selbstauslegung das Sein Gottes und das Sein der Menschen wahrhaft und unüberbietbar zur Sprache kommt. Deshalb ist der nach sich selbst und seiner letzten Sinnbestimmung fragende Mensch ein potentieller »Hörer des Wortes« (Karl Rahner). Christlich wird diese Frage mit dem Hinweis auf Gottes intime und unvergleichliche Nähe in der Person und in der Geschichte Jesu von Nazaret beantwortet. Gott ist nicht der ewig Ferne geblieben, nicht ein erschreckendes und faszinierendes Mysterium, nicht Objekt der Spekulation, sondern konkretes Antlitz in Liebe und Hingabe. Dass Gott sich in der Geschichte der Menschen selbst bestimmt und kon-

1. Die zentrale Aufgabe der Christologie

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kret wird, dass er nicht nur Menschen als Ebenbilder will, sondern aufgrund dieser gewollten Ebenbildlichkeit des Menschen auch selbst Menschsein von innen heraus ergreift und in Jesus zum UrBild aller menschlichen Ebenbildlichkeit wird, macht das Zentrum des christlichen Glaubens aus. Der Ewige ist zugleich der Irdische. Darum kann Jesus Christus die menschliche Konkretion der göttlichen Universalität, das »universale concretum« Gottes in der Geschichte sein. In der Einmaligkeit seiner Geschichte ist Gottes »Einfür-Allemal« zugunsten der Menschen verbürgt. Allerdings ist diese Gegenwart Gottes in der Menschengeschichte nur in der Differenz-Einheit zwischen der wahren Göttlichkeit und der wahren Menschlichkeit Gottes gegeben. Alle Anliegen der Christologie resultieren aus der doppelten Aufgabe, einerseits Gottes unüberbietbare Nähe und reale Gegenwart in dem Menschen Jesus von Nazaret verständlich zu machen, und andererseits zu verdeutlichen, inwiefern diese Nähe heilshaft und heilsam ist, sodass in IHM Gott selbst für uns schlechthin konkret geworden ist. Diese Differenz-Einheit betrifft die qualitative Frage, wie in dem Menschenleben Jesu von Nazaret Gottes Heilszuspruch inhaltlich erfahrbar und menschlich unüberbietbar konkret wird. Im Zentrum des christlichen Bekenntnisses steht mithin die Überzeugung, dass der Mensch Jesus von Nazaret, um seiner Botschaft vom Reich Gottes und seiner Zeugenschaft für Gott willen, der gekreuzigte und auferweckte endzeitliche Bote und Gesalbte Gottes ist. Die Erschließung dieser »UrSynthese« (Karl Lehmann; vgl. 1 Thess 4,14; Röm 14,9; Apg 2,23f; 17,3) kann als Zusammenfassung des ganzen Evangeliums verstanden werden (1 Kor 15,1). Darum ist das auf Heil und Erlösung zielende, soteriologische Anliegen das vorrangige Antriebsmoment jeder Reflexion auf das Sein und die Bedeutung Jesu Christi. Jedes menschliche Leben gewinnt erst im Ende seine ganze Bedeutungstiefe für die Menschen, die zurückbleiben und den Verlust spüren, deren Erinnerung sich in Dankbarkeit verwandeln kann. So kommt auch die Geschichte und das Sein Jesu von Nazaret erst im Ende seines menschlichen Lebens, in der Kreuzigung, und im Anbeginn seines vollendeten Lebens, in der Auferweckung, zur Vollendung. Erst von Kreuz und Auferstehung her kann die Fülle seiner Bedeutsamkeit für die Menschen erschlossen werden. Kreuz und Auferweckung bündeln in zwei Brennpunkten den Sinngehalt und Bedeutungszuspruch der Person Jesu von Nazaret, indem sie einerseits sein Leben und seine Geschichte im finalen Ereignis seines Lebens versammeln. Andererseits und zugleich wird die göttliche Tie-

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

fenwirklichkeit seiner Person auf das Ende allen Endes hin ausgeleuchtet. Auferweckung und Erhöhung markieren somit seine bleibende Bedeutung bei Gott und von Gott her. Diese Bedeutung wird nach vorne, auf die Zukunft und Vollendung Jesu in Gott und bei Gott als Einsetzung in Vollmacht, als Herrschaft und Richterschaft charakterisiert. Doch was bei Gott am Ende gilt, muss bei Gott und in Gott immer schon Geltung haben und den Anfang aller Anfänge bestimmen. Darum wird durch die endzeitliche, »eschatologische Reduktion« (Hans Urs von Balthasar) auch der Anfang bestimmbar. Im Ende zeigt sich der Anfang – Jesu urspüngliches Seinvon-Gott-her – vollendet. 2. Modelle, Figuren und Optionen von Christologie Wer sich gegenwärtig die Frage stellt, wie Jesus von Nazaret angemessen zu verstehen ist, wird auf sehr unterschiedliche Verständnisse außerhalb und innerhalb des Christentums stoßen. Eine typologische Sondierung der möglichen Interpretationen kann helfen, einen ersten Überblick zu verschaffen. Die Analyse möglicher Betrachtungen in Kombination mit geschichtlich ausgebildeten Modellen der Charakterisierung Jesu stellt ein Panorama von Verständnisweisen zur Verfügung, auf das im Laufe der Darstellung immer wieder zurückgegriffen werden kann. Es ermöglicht modellhafte Orientierungen und konzeptionelle Zuordnungen, die ich maßgeblich Bernd J. Hilberath verdanke. So kann Jesus Christus als Mensch, als Gott oder als Gott und Mensch in den Blick kommen.

c) Gott und Mensch (Phil 2,6-11; Joh 1) b) mehr als ein Mensch (christlich) göttliches Wesen (Röm 2,5) Jesus Christus nicht religiös a) bloß ein Mensch (noch nicht christlich) religiös

2. Modelle, Figuren und Optionen von Christologie

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a) Jesus als bloßer Mensch Für die Menschen in einer religiös entzauberten Welt kann Jesus als ein bloßer Mensch in den Blick kommen. Dieses bloße Menschsein kann entweder religiös oder nicht religiös interpretiert werden. In einer nicht religiösen Auffassung ist Jesus ein Mensch unter Menschen und nicht mehr als ein Mensch. Er ist einer von uns, uns in allem gleich. Diese unterstellte Gleichheit kommt zur Anwendung, wenn heutige Lebensverhältnisse auf frühere geschichtliche Situationen übertragen werden. In der nicht-wissenschaftlichen Literatur wird öfters behauptet, dass Jesus und Maria Magdalena ein Verhältnis miteinander gehabt hätten. Mitunter wird auch unterstellt, dass aus dieser Beziehung Kinder hervorgegangen seien. So werden der heute übliche Umgang mit Sexualität und die heute oft nicht rechtlich formalisierten Partnerschaftsverhältnisse projektiv auf Jesus angewendet. Hier wird – über die Jahrhunderte hinweg – eine Verwandtschaft der Einstellungen und Lebensverhältnisse von heute und damals unterstellt. In versierteren Darstellungen kommt Jesu unterscheidende Besonderheit stärker zur Geltung. Jesus wird dann als ein besonderes Vorbild in der Menschengeschichte verstanden. Er gehört zu den wegweisenden, »maßgeblichen« Menschen (Karl Jaspers). Meist werden dann sein ureigenstes ethisches Handeln, sein weisheitlich bestimmtes Leben und seine Ethik des Friedens und der Versöhnung in den Blick genommen. Dann werden die zutiefst menschlichen Haltungen Jesu herausgestellt. Jesus kann so als gewaltloser Friedensaktivist oder als Revolutionär begriffen werden, der die Verhältnisse seiner Zeit im Sinne des wahren Kommunismus umzustürzen versuchte (Roger Garaudy). In jedem Fall überzeugte er auch Atheisten durch seine Übereinstimmung von Person und Botschaft. Seine Leidenschaft für Gott wurde – in Bezug auf den Menschen, d. h. anthropologisch gewendet – als Leidenschaft für das wahre Menschsein identifiziert (John S. Mill; Milan Machovec). Unter religiösen Vorzeichen wird er, der einer von uns ist, dann zumeist als ein herausragend spirituell begabter Mensch oder als außergewöhnlicher religiöser Virtuose betrachtet. Obwohl die nichtreligiöse und die religiöse Auffassung nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden können, kommt Jesu besondere religiöse Vorbildfunktion zum Ausdruck, wenn er als Lehrer der Weisheit mit Sokrates verglichen wird und diesen überbietet. Jesus Christus segnet dann nicht nur wie Sokrates jene, die ihm den Schierlingsbecher voll

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

Gift reichen. Noch für seine entmenschlichten Henker bittet er bei Gott um ihr Heil (Erasmus von Rotterdam, Marsilio Ficino, JeanJacques Rousseau). In religionswissenschaftlichen Kategorien wurde er als Religionsstifter (Gustav Mensching, Peter Antes) oder als Reformator des Judentums (John S. Mill) bestimmt. Dem Prinzip der Analogie folgend wird hier das historisch Vertraute und sachlich Vergleichbare herausgestellt, das auch andere Persönlichkeiten der Geschichte qualifiziert. Das Prinzip der historischen Analogie neigt methodisch allerdings dazu, das Einmalige, Fremde, Unterscheidende und Unvergleichliche auszublenden. Dies betrifft vor allen Dingen die Sicht auf Jesu einzigartiges Gottesverhältnis und die historische Rekonstruktion des singulären Geschehens der Auferweckung Jesu. Die historische Analogie neigt dazu, solche Differenz erzeugenden Einmaligkeiten auszublenden. Zudem wird Jesus gegen seine Intentionen interpretiert, wenn er als ein Religionsstifter wie Zarathustra oder Muhammad wissenschaftlich eingeordnet wird. b) Jesus mehr als ein Mensch Für Menschen einer griechisch, metaphysisch oder mythologisch geprägten Sicht der Wirklichkeit kann Jesus primär unter göttlichen Vorzeichen »mehr als ein Mensch sein«. Den Menschen der Gegenwart steht diese Haltung, die das schlechthin Unterscheidende herausstellt und Jesus als ein göttliches Wesen vorstellt, weniger nahe. Gemäß dieser Auffassung wird das Menschsein Jesu in eine göttliche Sphäre hinein gehoben und sein Menschsein tendenziell von der göttlichen Wirklichkeit überformt. Sein Wesen kann dann Engeln gleich bestimmt, magisch mit Zauberkräften ausgestattet oder nach Vorstellungen der griechischen Mythologie interpretiert werden. Jesus gewinnt als »göttliches Wesen« übernatürliche, gleichsam überirdische oder außerirdische Qualitäten, wie sie sonst keinem Menschen zukommen. Nach dem nicht in den biblischen Kanon aufgenommen Thomas-Evangelium haucht der kleine Jesus einer Taube, die er aus Ton geformt hat, den Lebensodem ein. Die Tontaube verwandelt sich zur lebendigen Taube, die umherfliegt. Jesus wird hier im Rückbezug zum ersten Schöpfungsbericht als der göttliche Schöpfer vorgestellt. Diese steile, christologische Aussage über die Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi wird nicht, wie im JohannesEvangelium am Beispiel der Totenerweckung des Lazarus menschlich-personal und soteriologisch ausgeführt. Während im Johannes-

2. Modelle, Figuren und Optionen von Christologie

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Evangelium Jesus als die »Tür« zum Vater und als das »Licht der Welt« vorgestellt wird, das in die Herrlichkeit Gottes hineinführt, steht im orientalisch geprägten Thomas-Evangelium die Wundertätigkeit und schöpferische Lebensmacht des kleinen Kindes im Mittelpunkt. In der muslimischen Tradition wird diese aus ihrem christologischen Deutungszusammenhang herausgelöst und als Beispiel der Wundertätigkeit Jesu vorgestellt. Was im Koran positiv affirmierend als göttliche und magische Wundertätigkeit Jesu zur Darstellung kommt, wird in einem rabbinischen Talmudkommentar negativ abgrenzend als Zauberei eines Verführers vorgestellt. Jesus, das uneheliche Kind eines römischen Legionärs und Mariens, verführt Israel und verhöhnt Gott durch magische Zauberei. Darum müsse der Volksverführer Jesus final in siedendem Kot brennen. Anders kommt die »göttliche Wirkmacht« Jesu zur Vorstellung, wenn die »Sohnschaft« Jesu nach dem Vorbild der griechischen Mythologie in der Weise einer Halb-Gott-Lehre vorgestellt wird. Dann ist Jesus als der göttliche Sohn eine besondere »Mischung« von göttlichen Fähigkeiten und irdischen Beschränkungen. Diese Mischung entsteht im Standardmodell dadurch, dass ein Gott, in der Regel der Götter-Vater Zeus, sich kurzerhand in einen Mann verwandelt und eine Menschin schwängert. Daraus entsteht ein Halbgott. Doch ein solcher Halbgott ist »weder Fisch noch Fleisch«, weder wirklich Gott noch wirklich Mensch. In vielen neomythischen Inszenierungen werden diese übermenschlichen, halbgöttlichen und magischen Kompetenzen re-inszeniert. Als »Matrix« wird dabei oft auf die dualistische Motivik von Licht und Finsternis, von Gut und Böse zurückgegriffen. Der übermenschliche Held, der messianische Superman rettet die Welt vor dem Bösen. c) Jesus Christus als Gott und Mensch Spezifisch christlich ist eine Sicht auf Jesus Christus, welche die göttliche und die menschliche Wirklichkeit nicht voneinander scheidet und doch beide klar unterscheidet. Sind göttliche Gegenwart und menschliche Wirklichkeit in Jesus Christus als Differenz-Einheit festzuhalten, so können einerseits die Modelle vorgestellt werden, welche biblisch den Zusammenhang beider Wirklichkeiten benennen. Andererseits bleibt systematisch die Frage bestehen, wie die Einheit in Unterschiedenheit von göttlicher Gegenwart in menschlicher Wirklichkeit angemessen zur Sprache zu bringen ist.

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten »Person« Schöpfer (Kol 1,15-22) Kraft Heinkehr (Joh 6,62)

Geschöpf (1 Kor 15, 19-23) Aufstieg (Phil 2,9-11; Apg 2,36)

erstes bestes (Kol 1,15; Hebr 1,6)

wie jeder (Hebr 4,15)

habituell Gnade (1 Tim 3,16) aktuell Bewährung (Hebr 5,7-8)

für andere (2 Petr 1,3-3,5; Röm 4,25)

Moral (Röm 5,7-9) für sich (1 Petr 2,22)

Der Zusammenhang von menschlicher und göttlicher Wirklichkeit wird zunächst in Modellen der geschichtlichen und endzeitlichen Betrachtung des »Aufstiegs« reflektiert. Diese setzen »von unten« an und bedenken die Geschichte Jesu erzählend. Vom Schlüsselereignis der Kreuzigung und Auferweckung Jesu ausgehend, deuten sie Jesu Vollendung in die göttliche Wirklichkeit hinein. Ihr zentrales Anliegen ist die Herausrufung in die Nachfolge Jesu. Das Motiv des rettenden Aufstiegs wird vor allem unter den Vorzeichen der »Bewährung« des Sohnes oder der »Heimkehr« zum Vater entfaltet. Diese Bewährung kann moralisch geprägt sein und entweder Jesu eigene spirituelle und moralische Qualität (»für sich«) betonen oder seine liebende und erlösende Hingabe für die anderen. Sie kann aber auch ganz ohne jeden Verdienst des Menschen Jesus

2. Modelle, Figuren und Optionen von Christologie

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formuliert sein und die Souveränität des gnädigen, barmherzigen, rettenden Handelns Gottes herausstellen. Diese Gnade der Erwählung kann entweder aktual in jedem einzelnen Handlungsvollzug oder habituell als innerliches Geprägtsein der Person Jesu gedacht werden. Im Bild der Heimkehr kommt Jesus als Geschöpf und Mensch in den Blick. Er kann als ein Geschöpf wie jeder andere Mensch gesehen werden, freilich als Geschöpf ohne Sünde (Hebr 4,15). Oder er wird als erstes und bestes Geschöpf gedacht, auf das hin alles erschaffen ist (Eph 2,11–22), oder selbst als Schöpfer, entweder als schöpferische Person, in der und durch die alles erschaffen ist und auf die alles hin vollendet wird (Kol 1,16f), oder als göttliche Kraft und Macht unter Bezugnahme auf Gottes Weisheit (Weish 9,10.17; Gal 4,6; Röm 8,14f.). Wie schon der vorpaulinische Philipperhymnus (Phil 2,5–11; Kap. II.4) zeigt, führt die am Ende bezeugte Göttlichkeit Jesu zu der Frage, ob das, was am Ende gilt, nicht schon von allem Anfang an gelten muss. Deshalb entsteht notwendig auch ein umgekehrter Weg der Reflexion auf Jesus Christus. Dieser bedenkt das Sein Jesu »von oben« her, ausgehend von Gott, dem Vater. So korrespondieren den Modellen des geretteten Aufstiegs kosmologische und inkarnatorische Modelle des göttlichen »Abstiegs« in die Welt. Ihr theologisches Zentrum ist nicht die erzählte Geschichte Jesu und seine Vollendung in Gott, sondern Gottes Projekt mit der Welt und uns Menschen. Darum wird Jesu Sein-von-Gott-her und damit Gott selbst zum Thema, der sich als lebendig differenzierte und dynamische Lebensfülle zeigt. Diese dynamische Lebensfülle Gottes ist in ihrer Überfülle exzentrisch. Gottes Zuwendung zur Welt geht im Geist über sich hinaus und in alle Welt ein. So setzt er Leben und Dynamik frei. Diese tiefendynamische Gegenwart wird in den Taten und Worten der Menschen bestimmbar und in Jesus menschlich für alle konkret und heilvoll konzentrisch. So ist Jesus die menschliche Konkretion von Gottes universalem Heilswillen (lat. universale concretum). Das Modell des Abstiegs Gottes in die Welt korrespondiert mit dem Modell des Aufstiegs Jesu zu Gott und begründet das Sein Jesu in komplementärer Blickrichtung. Darum setzt das Abstiegsmodell eine Differenzierung zwischen der göttlichen Wirklichkeit des Vaters als dem »ursprungslosen Ursprung« der Gottheit (DH 525) und dem göttlichen Sohn als seiner ewigen Selbstaussprache voraus. Diese geschieht in Gott selbst im Hinblick auf Welterschaffung und Menschwerdung (Joh 1,1–4). Dieser Abstieg kann als Hineinkom-

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

Sohn (1 Joh 4,9; Mk 14,36)

nicht trinitarisch

trinitarisch Sendung (Röm 3,8; Gal 4,4)

Wort/Sohn (Röm 8,3; Lk 3,22) Weisheit (Kol 2,3) Geist (Röm 8,14; Gal 4,6)

Abstieg (Phil 2,6-8) LogosAnthropos (Phil 2,7; Heber2,11) Inkarnation (Joh 1,14; Röm 1,3)

Trennung

Unterscheidung

nicht johanneisch (Kol 2,9) Logos-Sarx (Joh 1,14) johanneisch (Joh 1,1f.14)

men in das Fleisch, d.h. als Eingehen in die Endlichkeit der Welt, entfaltet sein (Inkarnation). Für die Vorstellung der Inkarnation dominieren zwei Modelle. Die Logos-Sarx-Christologie und die Logos-Anthropos-Christologie. Insbesondere johanneisch steht Fleisch (gr. sarx) für die Begrenztheit, Endlichkeit und Sündenverfangenheit der Welt. Der Begriff markiert eher Begrenzungen als dass er eindeutig negativ konnotiert wäre. Zu einer entscheidenden Wandlung kommt es durch die platonisch/neuplatonische Re-Interpretation der johanneischen Christologie. Nach platonischer Auffassung ist die endliche Welt ein abgeschattetes Abbild göttlicher Ideen. Alle Wirklichkeit existiert durch Teilhabe (gr. methexis) an den göttlichen Ideen. Doch sind diese durch die Endlichkeit verdunkelt. Im Höhlengleichnis stellt

2. Modelle, Figuren und Optionen von Christologie

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Platon den Menschen als ein Wesen vor, das nur durch das fahle Licht, welches in die Höhle fällt, erkennen kann. Als endliches Wesen sieht der Mensch nur die Schattenrisse der Wirklichkeit, wie sie an sich göttlich gewollt ist. Nur durch Wiedererinnerung (gr. anamnesis) und nachdenkende Vernunft (gr. nous) ist es dem Menschen möglich, den tiefen Abgrund zwischen endlicher Wirklichkeit und göttlicher Ideenwelt zu überwinden. Weil die Welt als solche und alle Welthaftigkeit in diesem Modell als Abfall von der idealen göttlichen Ideenwelt und die Fleischlichkeit des Menschen als moralisch minderwertig angesehen wird, gerät der Gedanke der »Fleischwerdung Gottes« in die Krise. Im Verlauf der Auseinandersetzungen um den Gedanken der Fleischwerdung wird dieser durch den Gedanken der Menschwerdung (Logos-Anthropos–Christologie) abgelöst. In dieser Konzeption ist es einfacher, die Einheit in Unterschiedenheit von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit zu bedenken. Gottes Abstieg in die Welt konnte auch im Motiv der »Sendung« entfaltet werden. Vorlage dafür war nicht nur die jüdische Sohnestheologie und ihre exklusive Übertragung auf Jesus. Eine andere Voraussetzung dafür war die bereits alttestamentlich identifizierbare Differenzierung zwischen JHWH einerseits und seinen nach außen hin wirkenden und vermittelnden Instanzen (Weisheit, Geist, Wort) andererseits. Für die Frage, wie zwischen Vater und Sohn differenziert werden kann und wie eine Sendung des ewigen Sohnes durch den Vater in die Welt hinein gedacht werden könne, bildeten diese Vermittlungsinstanzen eine bedeutende Rolle. In der Weisheitstheologie wurde die relativ eigenständige Weisheit Gottes bereits als Instanz gedacht, durch die Gott als Vater in die Welt hineinwirkt. Oder es konnte der allbelebende Geist Gottes als die Kraft in den Blick kommen, die gnädig wirksam wird und Jesu Handeln als endzeitlichen Boten Gottes ermächtigt. Ist es bereits Gottes Wort, durch das Gott erschafft und spricht, so wird dieses Wort nicht nur im Prophetenwort Gegenwart. Ist die geschichtliche Tora Konkretion von Gottes ewigem Sinn- und Verheißungswort über Welt und Geschichte, kann nun der Sohn Gottes als die Person gewordene Tora zur Aussprache kommen (Joh 1,16–18). Um insbesondere das Verhältnis zwischen Vater und Sohn in dieser dynamischen Hinbewegung auf die Welt zu bestimmen gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder kann die Unterscheidung von Vater und Sohn rein schöpfungsbezogen gedacht sein. Dann ist der Sohn keine innergöttliche, innertrinitarische Wirklichkeit, sondern eine Instanz im Hinblick auf die Erschaffung der Welt. Allerdings

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

muss hier im Blick auf die Theologiegeschichte noch einmal zwischen dem Modell der heilsgeschichtlichen Selbst-Setzung vor der Schöpfung und in Bezug auf die Schöpfung (Friedrich W. J. Schelling) und dem Modell einer schöpfungszeitlich-nachgeordneten und letztlich beziehungslosen Unter-Ordnung (Arius) unterschieden werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die zu unterscheidende Wirklichkeit des Sohnes im Unterschied zu den beiden genannten Modellen als dem Sein Gottes selbst trinitarisch zugehörig zu denken. Dann ist der Sohn innergöttlich nicht nur eine gedachte Möglichkeit Gottes des Vaters im Hinblick auf die Welterschaffung, sondern erfordert eine reale und instantiale Unterscheidung in Gott selbst. Diese Option führt unter Einbeziehung einer ausdrücklichen Geist-Theologie zur trinitarischen Differenzierung der dynamischen Lebensfülle Gottes. Dabei unterscheiden sich die trinitätstheologischen ReflexionsModelle erneut dadurch, dass sie vorzeitlich und innergöttlich entweder eine relationale Statusgleichheit oder einen relational untergeordneten Status von Sohn und Geist gegenüber dem Vater annehmen. Erkenntnisleitend ist jeweils das auf das menschliche Heil bezogene, soteriologische Anliegen. Konkret geht es um die Fragen: Dürfen Christinnen und Christen darauf vertrauen, dass sie es in Jesus beziehungsweise bei Menschen voll »heiligen Geistes« mit dem schlechthin Heiligen, also mit Gott selbst zu tun haben? Oder haben sie es nur mit einer geschaffenen, abgeleiteten, sekundären Zwischenmacht zu tun? Diese Fragen stellen sich vor dem jüdischen Hintergrund, wonach Heil (hebr. schalom) nur von Gott selbst kommen kann. 3. Methodologische Vergewisserung der Bekenntnisbildung a) Methodische Hinführung Hermeneutisch ist zu beachten, dass jede Reflexion des Bekenntnisses zu Jesus Christus durch eine persönlich geprägte und kulturell gerahmte »Brille« erfolgt, mit der wir auf die Wirklichkeit blicken, ihre Phänomene wahrnehmen und deuten. Denn es gehört zu den Grundeinsichten der philosophischen Hermeneutik, dass es keine reinen Fakten gibt. Alle Wirklichkeit, die uns begegnet, wird durch die

3. Methodologische Vergewisserung der Bekenntnisbildung

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Bedingungen der Möglichkeit unseres Wahrnehmens, sowie durch die Einordnung in vorhandene Interpretationsmuster beeinflusst und aufgrund vorgegebener und gewachsener Erfahrungszusammenhänge gedeutet. Die Momente der Wirklichkeits-Konstruktion – d.h. Wahrnehmungen, Erlebniseindrücke, Interpretationsbedingungen, Hypothesenbildungen und Bedeutungsgebungen – stehen in einem unauflöslichen Zusammenhang miteinander. Hans-Georg Gadamer (1900–2002) hat darum von einem »hermeneutischen Zirkel« von Vorannahmen, Phänomenen und Bedeutungsgebungen gesprochen. Die methodischen Schritte der Vergewisserung in diesem hermeneutischen Zirkel charakterisiert Charles S. Peirce (1839–1914) als Verfahren der Abduktion, der Deduktion und der Induktion. Die Abduktion zielt darauf, innerhalb möglicher Erklärungen die beste, plausibelste und überzeugendste Erklärung über die Entstehungszusammenhänge auszuwählen. Darum ist die Abduktion das geeignetste Verfahren, um Plausibilität ermöglichende Hypothesen zu bilden. Die in Hypothesen gefassten erkenntnisleitenden Vorannahmen werden dann auf beobachtbare Ereignisse und beschreibbare Phänomene angewandt. Durch diese deduktive Anwendung von Theorieannahmen auf reale Gegebenheiten können die Ereignisse charakterisiert und die Phänomene klassifiziert werden. In einem dritten, induktiven Schritt werden die beschriebenen Charakteristika und gefundenen Klassifizierungen von den Phänomenen und Ereignissen her geprüft und durchgespielt. Soweit es keine überzeugende »Passung« zwischen Hypothesen und Phänomenen bzw. Ereignissen gibt, beginnt der hermeneutische Zirkel der Interpretationen von neuem, bis bessere, überzeugendere Übereinstimmungen zwischen Hypothesen, Ereignissen und Phänomenen vorliegen. Werden diese methodischen Einsichten auf die christologische Reflexion übertragen, so wird erstens verständlich, warum die christologische Reflexion nie abgeschlossen ist, sondern in jeder Zeit neu gewagt werden muss und in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche bedeutungsgebende Gestalten entwickelt. Diese hermeneutische Einsicht fordert zweitens zu einer zeitgemäßen Weiterentwicklung der Methodik auf und ermöglicht darin eine wissenschaftlich prüfbare Grundlegung der christlichen Glaubensreflexion. Dies soll exemplarisch für die Vergewisserung des Bekenntnisses zu Jesus Christus aufgezeigt werden. Die »Ur-Synthese« der neutestamentlichen Verkündigung, derzufolge der gekreuzigte Jesus zugleich der bevollmächtigte und auferweckte Gesalbte Gottes ist, wird ausgehend von Person und Botschaft Jesu

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

in ihren historisch greifbaren Ansätzen mit den Mitteln der historischen Vernunft plausibilisiert. b) Die historische Rückfrage nach Jesus ist legitim und notwendig Um ein verlässliches Bild von Jesus von Nazaret zu gewinnen, ist es unabdingbar, die eigenen Bilder und Vorannahmen zu überprüfen. Eine Rückführung (Reduktion) der eigenen Vorannahmen und Vorurteile ist im Durchgang durch den reinigenden »Feuerbach« historischer Forschung notwendig. Denn nur eine von unkritischen Projektionen befreite und an historischer Vernunft geprüfte Sicht von Jesus von Nazaret kann der geschichtlich zureichende Grund für die gläubige Auslegung von Person und Botschaft Jesu sein. Diese Überprüfung ergibt sich einerseits aus der Notwendigkeit, für das ausdrückliche Christusbekenntnis sachliche Anhaltspunkte in der Person und Botschaft Jesu und in seinen Worten und Taten zu finden. Argumentativ kommt es darauf an, die österlichen Christus-Prädikate oder Hoheitstitel (Sohn Gottes, Herr, Heiland, Retter, usw.) aus den Worten und Taten Jesu selbst heraus inhaltlich begründen zu können. Gelingt dies nicht, stehen die österlichen Christus-Aussagen in Gefahr, beliebige Erfindungen oder mythologische Übertreibungen zu sein. Zugleich ist, wie bereits gesehen, diese Überprüfung notwendig, um Rückprojektionen aus späteren Zeiten auf Jesus kritisch ausgliedern zu können. Solche späteren Auslegungen, die ihre Sicht in die überlieferten Texte hineinlegen (als »Eisegesen« im Unterschied zu Exegesen), sind wirksam, wenn Jesus barock als Held und Heerführer vorgestellt, in der Aufklärung zum Lehrer der wahren Ethik stilisiert, im Bürgertum des 19. Jahrhunderts als braves, blondes und blauäugiges Jesulein dargestellt, im Zeitalter der Studentenrevolte als Revolutionär charakterisiert, in der gegenwärtigen Populärliteratur als esoterischer Meister und Lover von Maria Magdalena vorgestellt wird. Dies geschieht auch, wenn muslimisch, neohinduistisch oder esoterisch Jesu Kreuzestod bestritten wird. Um das Bekenntnis zu Jesus Christus überprüfbar zu begründen, bedarf es der historischen Vergewisserung, welche auch die außerchristlichen Zeugnisse über das frühe Christentum und die archäologischen Funde heranzieht. Diese belegen in der Regel zwar nicht unmittelbar die Jesus-Geschichte, aber den historischen Rahmen derselben und die Resonanz, welche die Jesus-Geschichte durch die

3. Methodologische Vergewisserung der Bekenntnisbildung

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österliche Jüngerbewegung auslöste. Nur im Spiegel aller vorhandenen Zeugnisse kann auch die Existenz Jesu gegenüber kritischen Bestreitungen in ihrem realen Wirklichsein (»dass«) und konkreten Sosein (»was«) plausibilisiert werden. Nur so kann die christliche und gläubige Hypothese, wonach der Mensch Jesus von Nazaret der Gesalbte Gottes ist, anhand von Person und Botschaft sowie im Spiegel seiner Geschichte und seines Geschicks mit überprüfbaren Gründen erschlossen werden. Die historische Rückfrage nach Jesus und die Grundlegung des Christusbekenntnisses in der historischen Rekonstruktion seiner prüfbaren Geschichte ist theologisch legitim und dogmatisch notwendig. Auf solche Weise kann der Glaube mit Argumenten vernünftig nach innen (dogmatisch) und nach außen (apologetisch) begründet werden. Allerdings ist zu beachten, dass die historische Forschung Jesus nicht in seinem geschichtlichen Selbstsein, sondern nur im Spiegel überprüfbarer Zeugnisse über ihn erforschen kann. Historische Forschung kann nur das von ihm erkunden, was sich mit dem wissenschaftlichen Methodenrepertoire von ihm in Hypothesen rekonstruieren lässt. Insofern ist zwischen dem »geschichtlichen« Jesus und dem »historisch rekonstruierbaren« Jesus zu unterscheiden. c) Die historische Rückfrage nach Jesus ist wissenschaftlich möglich Die Geschichte der Forschung nach dem historischen Jesus braucht hier nicht in ihren epochalen Schritten und vielfachen Verzweigungen seit der Renaissance nachgezeichnet zu werden. Mit Günther Bornkamm darf summarisch das zentrale Ergebnis dieser Forschungsgeschichte festgehalten werden, deren konkrete Erkenntnisschritte nachfolgend als Kriterien der historischen Rückfrage vorgestellt werden. Bornkamm macht zugleich die verkündigungsorientierte oder dogmatische Relevanz der historischen Rückfrage deutlich: Wir besitzen keinen einzigen Jesusspruch und keine einzige Jesusgeschichte, die nicht – und seien sie noch so unanfechtbar – zugleich das Bekenntnis der glaubenden Gemeinde enthalten oder mindestens darin eingebettet sind. [...] Denn Jesus ist für die urchristliche Überlieferung nicht zuerst eine Gestalt von einst, sondern der erhöhte Herr, gegenwärtig mit seinem Willen, seiner Kraft, seinem Wort. Jesus Christus – kein anderer als der Rabbi von Nazaret, dessen irdische Geschichte in Galiläa begann und am Kreuz in Jerusalem endete, und doch zugleich

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der Auferstandene, der Bringer des Heils und die Erfüllung göttlicher Ratschlüsse. […] Im Kerygma der Evangelien die Geschichte, aber auch in dieser Geschichte das Kerygma zu suchen, ist darum die uns gestellte Aufgabe. […] Die Evangelien sind die Absage an den Mythos (Bornkamm, 12–22).

(1) Das Kriterium der doppelten Unterscheidung: Die formgeschichtliche Methode (Rudolf Bultmann) hat sich auf die Stilmerkmale der mündlichen Verkündigung Jesu konzentriert und von dort her inhaltliche Optionen entwickelt. Neben der spezifischen Intimität der Abba-Anrede sind für Jesu Verkündigung Gleichniserzählungen (Mt 18,12–14), Gleichnishandlungen (Lk 7,36–50), Beispielerzählungen (Lk 10,30–35), Beispielhandlungen (Mk 2,1–12), Streitgespräche (Mk 2,15–17) und Parabeln (Lk 15,11–32; Mt 18,23–25) typisch. Die Gleichniserzählungen veranschaulichen die Botschaft vom Reich Gottes in Bildern aus der Alltagswelt oder Naturerfahrung der Zuhörer, die einen hinausweisenden Vergleichspunkt beanspruchen. Beispielerzählungen hingegen sind kurz und einfach erzählt und in sich abgeschlossen. Sie unterstreichen das religiöse Anliegen der Worte Jesu, wohingegen Parabeln ein einzigartiges Geschehen überliefern und hervorheben. Gelten die meisten »Hoheitstitel« als österliche Prädikationen, so ist in der historischkritischen Forschung umstritten, inwieweit Jesus von sich selbst als Menschensohn gesprochen hat (Mt 11,19; Mk 2,28). Aus der formgeschichtlichen Analyse ist inhaltlich das Kriterium der doppelten Unterscheidung hervorgegangen. Danach darf hohe Authentizität und Nähe zum »Originalton« beanspruchen, was auf der einen Seite zum Verkündigungsstil Jesu passt, etwa seine Gleichnis-Erzählungen, und auf der anderen Seite sich inhaltlich vom Judentum seiner Zeit und vom Verkündigungsinteresse der Jünger und Redaktoren unterscheidet. Dadurch werden spezifische Differenzen deutlich. Etwa, wenn Jesus in vollmächtiger Ich-Form die MoseTora auslegt, das damalige Toraverständnis und die zeitgenössische Torapraxis kritisiert und die Sündenvergebung sowie das Ährenraufen am Sabbat um der Menschen willen über den Wortlaut des Gesetzes stellt (Mk 2,23–28; Mt 12,1–8). Oder, wenn in römischer Gemeinde-Tradition das Wort an Petrus überliefert wird: »Satan, weiche hinweg von mir« (Mk 8,33). So kann das spezifische Profil Jesu ans Licht treten. Umgekehrt darf der Blick auf das Besondere und Unterscheidende nicht das Unspezifische, Normale und Alltägliche in Jesu Leben ausblenden.

3. Methodologische Vergewisserung der Bekenntnisbildung

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(2) Das redaktionsgeschichtliche Kriterium: Als weiteres Kriterium kann auf die Überarbeitungen der Redaktion aufmerksam gemacht werden. Von daher lassen sich jüngere und ältere Überlieferungsschichten unterscheiden, wobei für die älteren unterstellt wird, dass sie näher beim Ursprung sind, mithin eher den »Originalton« und den »ursprünglichen Sinn« wiedergeben. In dieser Weise wurde die Zwei-Quellen-Theorie ausgebildet. Innerhalb der mündlichen Tradition konnte das besondere aramäische und galiläische Lokalkolorit herausgefiltert werden. Redaktionsgeschichtlich kann z.B. gezeigt werden, dass das Thomas-Evangelium das Winzer-Gleichnis (Mk 12,1–12) in einer sprachlich ursprünglicheren und literarisch weniger komponierten Form überliefert. Daher darf vermutet werden, dass es eine ältere mündliche Traditionsschicht repräsentiert. Dennoch garantiert diese Plausibilität für älteres Traditionsgut nicht einfach den Originalton. So kann redaktionsgeschichtlich jüngeres Material durchaus auch ältere Tradition überliefern. Diese Problemlage erhöht zunächst den Differenzierungsgrad und Begründungsaufwand der historischen Forschung. (3) Das traditionsgeschichtliche Kriterium innerchristlich: Die überlieferungsgeschichtliche Methode betont demgegenüber die Kontinuität von Bedeutungsgebungen, die sich anhand der vielfachen Bezeugung überprüfen lässt. Danach gilt: Was besonders wichtig war und wurde, wird in verschiedenen Traditionen mit vergleichbarer Sinnspitze überliefert. Beispielhaft dafür ist Jesu Verhältnis zu den SünderInnen. So gilt er als Freund der Zöllner und Sünder (Mk 2,15–17; Lk 7,36–50). Dabei geht es Jesus nicht um die Schwere des Versagens. Er folgt nicht der Logik des Tun-Ergehen-Zusammenhangs und macht hinsichtlich der Vergebungsbereitschaft Gottes auch keinen Unterschied zwischen arm und reich (Lk 7,41–43; 10,30–35). Vielmehr stellt Jesus Gott als einen unbedingt vergebungswilligen Vater vor (Lk 15,11–37), welcher die Sünder wie verlorene Schafe (Lk 15,4–7), wie verlorene Goldstücke (Lk 15,8–10) und wie verlorene Kinder (Lk 15,11–32) sucht. Gleichwohl ist der Umkehrschluss nicht erlaubt. Darum darf nicht einfach ausgegrenzt werden, was vielleicht nur singulär überliefert ist. Die eigenständig gewachsene johanneische Tradition ist Beispiel dafür. (4) Das traditionsgeschichtliche Kriterium judentumsspezifisch: Durch die Auseinandersetzung mit dem Anti-Judaismus in der Christentumsgeschichte ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass bereits im Neuen Testament, etwa bei den unter Druck geratenen johanneischen Gemeinden, die Absetzung vom rabbinischen Judentum durch

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

den Ausschluss aus der Synagoge überlebenswichtig wurde und zugleich identitätsbildend nach innen gewirkt hat. Von daher bedarf das Kriterium der doppelten Unterscheidung, das methodenpolitisch nur die Differenz akzentuiert, der Differenz-Kontrolle. Für sich allein genommen neigt es zum Anti-Judaismus. Diese Kontrolle und Gegenlenkung wird durch die traditionsgeschichtliche Einbindung in das Judentum, d.h. durch das Kriterium der Kontextentsprechung gewährleistet. Danach gilt auch als jesuanisch, was in Übereinstimmung mit dem damaligen Judentum zu sehen ist, solange es nicht den Besonderheiten der Botschaft Jesu widerspricht. Die jüngere Forschung konnte zeigen, dass Jesu Verkündigung durchaus eine hohe Nähe zur Verkündigung der Pharisäer besaß. Jesus wollte wie diese den Alltag im Lichte von Gottes Botschaft und Willen heiligen. Die in den Evangelien überlieferte scharfe Kritik der Pharisäer zeigt dann im Gegenzug, dass diese Jesus besonders ernst nahmen und ihn gerade darum nach ihren eigenen hohen Maßstäben beurteilten. So wird Jesus als ein Vertreter der strengen Tora-Frömmigkeit verständlich. Verwandtschaft und Gegensatz zwischen Jesus und den Pharisäern folgen aus ihren unterschiedlichen Bezugnahmen auf das Reinheitsdenken. Während die Pharisäer dieses auf das äußere Handeln beziehen und es defensiv als praktische Vermeidung von Unreinheit ansehen, versteht Jesus das Anliegen geistlich. Ihm geht es offensiv um die Reinheit des Herzens und um die Lauterkeit der Willensentschlüsse, welche das menschliche Handeln bestimmen. (5) Das Kriterium der Kohärenz: Je mehr einzelne Aspekte des Lebens und Momente der Verkündigung Jesu verschiedenen Kriterien genügen und sich zusammenhängend in ein Gesamtbild einfügen lassen, umso mehr darf vermutet werden, dass sie auf das historisch Wahrscheinliche hinweisen. Doch darf diese Plausibilität im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass unpassende, störende Überlieferungselemente ausgeschlossen werden und unberücksichtigt bleiben. Vielmehr haben sie eine provozierende und korrigierende Funktion für die weitere Forschung. (6) Die konsequentielle Exegese in doppelter kanonischer Dialogizität: Die dogmatische Reflexion auf das Bekenntnis zu Jesus Christus ist als systematisch weiterführende, »konsequentielle Exegese« zu verstehen. Diese bedenkt die systematisch-theologischen Implikationen des Schriftbefundes und will diesen für eine einsichtige und darum kohärente Gestalt des Glaubens erschließen. Diese Exegese, welche die systematischen Fragestellungen des biblischen Befundes aufnimmt und weiterführt, bleibt dialogisch auf den

3. Methodologische Vergewisserung der Bekenntnisbildung

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Schriftkanon bezogen. Zugleich ist es die Aufgabe der systematischen Reflexion des Glaubens, sich unter Bezugnahme auf die »Zeichen der Zeit« zu realisieren, in denen sich Gottes Geist ankündigt. Entsprechend der Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils (GS 4.11) ist das Wirken des Geistes unter den Menschen der positive Anknüpfungspunkt der Glaubensreflexion. Diese findet ihr Auslegungsziel genau darin wieder, dass sie die Sensibilität für und die Erkenntnis von Gottes Gegenwart in der Geschichte fördert. Insofern dient die theologische Reflexion einem pastoralen Anliegen (OT 16). Die Menschen in ihrem Selbstverständnis sind Ausgangspunkt und Auslegungsziel der Glaubensreflexion, deren erste, primäre und selbst nicht normierte Norm die Heilige Schrift ist. Die Tradition bestimmt die Auslegung des Schriftbefundes, aber bleibt als normierte Norm an den Schriftbefund letztlich zurückgebunden. Aufgrund dieser Unterscheidung zwischen normierender Norm und normierter Norm steht auch das Lehramt nicht über der Schrift, sondern dient der Schrift, indem es ihr zu einer sachgemäßen und glaubensgemäßen Auslegung verhilft (DV 10/2). Diese biblische Rückbindung schließt eine »kanonische Dialogizität« zwischen dem Alten und dem Neuen Testament in sich ein, die zweifach bestimmt ist. Mit dem »Schriftkanon« als verbindlicher Ur-Kunde sind auch die neutestamentlichen Christologien in ihrer aufeinander verweisenden Pluralität normativ. Keine neutestamentliche Christologie darf einseitig und unter Ablösung der anderen Konzepte selektiv beansprucht werden, obwohl selbstverständlich in Rechnung zu stellen ist, dass jede Rezeption und Interpretation eine Auswahl trifft und spezifische Akzente setzt. Folglich bedarf es einer gewissen Balance zwischen den unterschiedlichen Konzepten und Begründungsformen. Klassisch kann dies am Beispiel des Philipperhymnus gezeigt werden, der ein Modell der Abstiegschristologie und ein Modell der Aufstiegschristologie in sich vereint und beide komplementär aufeinander bezieht. Zum anderen gehört zu dieser »kanonischen Dialogizität« (Erich Zenger) die komplementäre Betrachtung der vielstimmigen Zeugnisse alttestamentlicher und neutestamentlicher Verkündigung. Deutlicher als in der Theologiegeschichte der Christologie geschehen, ist die Rückbindung des Christus-Zeugnisses an die alttestamentliche Verkündigung zu akzentuieren. Nur indem das Spezifikum der Christologie von seinen hebräischen Wurzeln her verständlich gemacht wird, kann der vielfach diagnostizierte unterschwellige oder offensichtliche Anti-Judaismus der christlichen

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

Glaubensreflexion überwunden werden. In diesem Sinne realisiert die christologische Reflexion eine Form der bleibenden Verwiesenheit des christlichen Glaubens auf das Judentum, das nicht verworfen ist, sondern eine ihm eigene Berufung und Sendung hat, welche wir Christen zu respektieren haben, obwohl sie uns dunkel bleibt und ein Gottesgeheimnis ist (Röm 9–11). 4. Orientierungen für die christologische Bekenntnisreflexion a) Methodische Typologien einer christologischen Begründung Die historisch-kritische Rückführung von eigenen Vorannahmen auf historisch ausgewiesene Hypothesen wurde als Abduktion bezeichnet. Die historisch begründete Hypothesenbildung und die christologische Bekenntnistradition bilden die beiden Spannungspole einer Ellipse, innerhalb derer sich die christologische Glaubensreflexion bewegt. Mithilfe der historisch-kritisch gewonnenen Ergebnisse und ihrer leitenden Hypothesen kann die Gestalt Jesu und die Auslegung seines Daseins im Lichte der »Ur-Synthese« und den ihr folgenden Christusbildern deduktiv abgeleitet werden. Umgekehrt müssen sich die Christus-Bilder und Christus-Prädikationen der christlichen Tradition induktiv vom historisch begründeten und von Vorurteilen möglichst befreiten Blick auf Jesus begründen lassen. Diese Induktion setzt ein gewisses vertrauensvolles Einverständnis, das gläubige Sich-Einlassen auf den Weg und die Geschichte Jesu sowie eine durch die existenzielle Nachfolge geformte persönliche ChristusBegegnung und Christus-Bezeugung, voraus. (1) Die ausdrückliche, »explizite Christologie« geht von den österlichen Erfahrungen der Gegenwart des Auferweckten und der Mitteilung seines Geistes aus. Die christologische Theologiegeschichte und die dogmengeschichtlichen Rahmenrichtlinien reinterpretieren und vertiefen diese biblisch ausdrücklichen ChristusZeugnisse. (2) Umgekehrt kann eine »implizite Christologie« nach den Hinweisen im Leben Jesu fragen, welche seine Bedeutung, der Gesalbte Gottes zu sein, anzeigen und ankündigen. Die implizite Christologie legt in der Lehre und dem Verhalten Jesu jene Aspekte frei, die seinen messianischen Anspruch anzeigen und sein Han-

4. Orientierungen für die christologische Bekenntnisreflexion

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deln in der Autorität Gottes belegen. Sie finden sich vornehmlich im Zusammenhang von Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft und in der Selbstbeschreibung seiner Bedeutung für diese Gottesherrschaft. Sie finden sich im Spiegel seines intimen Gottesverhältnisses sowie in seinem Verhalten gegenüber Sündern und Marginalisierten, in seinen lebensstiftenden Machttaten, in seiner Stellung zum Gesetz, sowie in seinem Verständnis des bevorstehenden Todes. (3) Schließlich kann der anthropologisch gewendete Zugang zur Christologie von den Existenzbedingungen und den Existenzfragen der Menschen her gewonnen werden. Die christologische Reflexion versucht, anhand der existenziellen Fragen der Menschen nach Ganzheit, Gelingen und Heil, im Kontext einer anthropologischexistentialen Analyse die Aspekte der conditio humana (lat.) zu bestimmen. Vor allem nimmt sie die Aspekte in den Blick, welche die strukturelle (existentiale) Verwiesenheit des Menschen in einen größeren Horizont der Bedeutungsgebung einweisen. Diese strukturellen Momente verknüpft sie mit der lebenspraktischen (existenziellen) Angewiesenheit auf Sinngebung, um eine Ansprechbarkeit für die im Christuszeugnis eingeschlossenen Verheißungszusagen zu ermöglichen. Obwohl das menschliche Interesse an Sinngebung je individuell und aktuell ausgestaltet wird, kann sich der Mensch in seiner strukturellen Endlichkeit einen unbedingten, vorbehaltlosen Sinn nicht einfachhin selbst geben. Zudem ist er, wenn er nicht unbedarft, kurzsichtig und kurzschlüssig eine Welt von sich her konstruieren möchte, in die Auseinandersetzung mit den großen Sinnressourcen der Menschheitsgeschichte und ihren maßgeblichen Bedeutungsgebungen eingewiesen. Deshalb gibt es die »Sehnsucht nach dem ganz Anderen« (Max Horkheimer) und das Wissen, dass eine Zukunft ohne Gedächtnis und ohne Versprechen nicht möglich ist (Jacques Derrida). In dieser Weise sind die Menschen auch vor die Frage gestellt, ob ihre Zukunft nicht die mögliche Ortschaft einer möglichen Ankunft eines kommenden Gottes ist (Martin Heidegger). Wird mit der Möglichkeit Gottes und seinem möglichen Kommen gerechnet, so kann der Mensch selbst ein möglicher »Hörer des Wortes« (Karl Rahner) Gottes im menschlichen Wort sein. In solcher Hoffnung muss der Tod nicht das letzte Wort über den Menschen bleiben.

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

b) Kriterien und Regulative für eine systematische Christologie in Kontexten Im Anschluss an die methodischen Überlegungen können nun inhaltliche Kriterien und systematische Regulative für eine Christologie in Kontexten herausgestellt werden, die programmatisch von Hans Kessler (III) zusammengestellt wurden. Kessler hat Orientierungsmarken für Christologien formuliert, die von prinzipieller Bedeutung sind und in allen Kontexten relevant bleiben. Daher sind sie geeignet, unterschiedliche christologische Entwürfe inhaltlich zu strukturieren und kriteriologisch zu begleiten. Zugleich bieten sie Geländer und Maßstab für eigene Sprechversuche, bis hin zu gemeinsamen Sprechversuchen in Unterricht und Katechese. (1) Der gemeinsame Bezugspunkt aller Christologien ist die menschliche Geschichte Jesu von Nazaret: Die Lebensgeschichte des Menschen Jesus, wie sie vor dem jüdischen Lebenszusammenhang im Neuen Testament bezeugt wird, ist der »Realgrund« der Christologie. Die Heilsbedeutung Jesu ist anhand dieser konkreten und bestimmten Lebensgeschichte zu identifizieren und zu explizieren. (2) In dem Leben des Menschen Jesus von Nazaret ereignet sich Gott: Die historische Rekonstruktion zeigt, dass der Mensch Jesus sich ganz von Gott her und auf Gott hin verstanden hat. Als dieser Mensch ist sein Leben nur aus der Initiative Gottes heraus verständlich. Jesus kann als real verwirklichte, endliche und daher symbolische Gegenwart Gottes verstanden werden. Die christologische Dogmengeschichte schreibt darum fest, was bereits Paulus bekennt: »Gott war in Christus« (2 Kor 5,19). (3) In Jesus begegnet Gott uns Menschen als die unbedingt für alle entschiedene Güte: Die Vielfalt der Gottesbezeugungen in der Geschichte Israels wird im Spiegel der Geschichte Jesu von Nazaret bestätigt und konkretisiert. In der Zuwendung und Hingabe Jesu werden Ambivalenzen überwunden und offenbart sich Gott als der sich selbst treue und wahre Gott, der von sich selbst her bedingungslose Güte ist. (4) Leben, Tod und Auferstehung Jesu bilden einen unzerreißbaren Bestimmungs- und Begründungszusammenhang: Alle drei Dimensionen gehören zusammen, keines dieser Elemente darf vernachlässigt werden. Eine harmonisierend schöngeistige Interpretation, welche die Härte des Kreuzestodes ausblendet, wird der Geschichte und dem Geschick Jesu ebenso wenig gerecht, wie ein Rationalismus, der die Auferweckung Jesu im Tod bestreitet. Nur im

4. Orientierungen für die christologische Bekenntnisreflexion

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Zusammenhang dieser Aspekte kann eine Christologie der neutestamentlichen Christusverkündigung gerecht werden. Diese besagt, dass das menschliche Leben (in lebendiger Fülle, in Solidarität und Konflikt), die Hingabe, die zur Entäußerung wird (im Tod als Untergang des Lebens und Verlust aller Beziehungen), und das neue und erneuerte Leben in Gott (durch Auferweckung, Aufrichtung und Vollendung) von Gott her ein Ganzes bilden und unzertrennlich zusammen gehören. (5) In der Geschichte Jesu dokumentiert sich Gottes Solidarität mit allen Menschen und sein Wille, durch seine eigene Initiative, alle Menschen in die Fülle des göttlichen Lebens mit einbeziehen zu wollen: Bereits das Alte Testament bringt die absteigende Bewegung der Zuwendung Gottes zu den Geringsten sowie das solidarische und Gerechtigkeit schaffende Mitsein Gottes auf den Punkt. In dieser Traditionslinie ist Jesus nicht einfach ein exorbitant toller Superheld, sondern die Person, die ganz und gar wurzelhaft von Gott her und entschieden auf Gott hin lebt, wodurch Gottes eigene Zuwendung zu den Menschen möglich wird. »Gott schafft sich im Zuge seines Selberkommens diesen neuen Menschen, der ihm ganz entspricht, um in ihm sich (transzendent bleibend und zugleich in nie da gewesener Weise radikal immanent werdend) auf menschliche Weise den Menschen selbst mitzuteilen« (Kessler III, 143). (6) Die Geschichte Jesu ist die Geschichte, durch die »definitives Heil von Gott her« (Edward Schillebeeckx) für die Menschen eröffnet und offenbar ist: Alle Christologien sind von diesem soteriologischen Anliegen geprägt. Im Zentrum der Geschichte Jesu steht die Beziehungsstiftung von Gottes unbedingt entschiedener Zuwendung. Durch Jesus und mit ihm sind die Menschen eingeladen, ein neues Gottesverhältnis zu verwirklichen. So eröffnet Jesus in der Begegnung mit Menschen ein neues, freisetzendes, weil erlösendes Bezogensein zu sich selbst, zu den anderen Menschen und zu Gott. (7) Die Christologie kann nur dialektisch, d.h. in »Anknüpfung und Widerspruch« zu ihren Kontexten, begründet werden: Die Christologie bedarf je neuer Kontextualisierungen und hat darauf zu achten, dass sie in diesen neuen Gestaltformen die berechtigten Anliegen bisheriger Kontexte bewahrt. In diesem Sinne sind alle Christologien kontextuelle Christologien. Tiefer noch greift die Einsicht, dass Gott auch in anderen Kontexten dem expliziten Christusbekenntnis der Christen entgegenkommen kann. Weil Gott im Hinblick auf Jesus gleichsam in aller Menschengeschichte zu den Menschen kommen will (GS 22), ist mit der

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I. Exposition: Grundlegung einer Lehre in Kontexten

Gegenwart von Gottes Wort- und Tatwerdung in aller Menschengeschichte zu rechnen. Weil Gott nicht weltlos und nicht menschenlos ist, kann auch die Menschengeschichte im Letzten nicht gottlos sein. Daher kommt das Christus-Geheimnis den Christen selbst noch auf verborgenen Wegen und in verschlungener Weise durch die anderen Kulturen und Religionen entgegen. (8) Jede Christologie ist in einen unabschließbaren Dialog pluraler Christologien eingewiesen: Weil jede Christologie begrenzt, auswählend, kontextbestimmt und ergänzungsbedürftig ist, gibt es notwendig eine Pluralität von Christologien und eine interne Pluralität in jeder Christologie. Aus dem Umstand, dass unter den Bedingungen der Endlichkeit eine unendliche göttliche Wirklichkeit nie vollkommen ausgesagt werden kann, vielmehr jede Aussage überholbar dem geschichtlichen und kontextuellen Wandel unterliegt, stehen die verschiedenen Christologien in einem wechselseitigen Verweisungszusammenhang (Kessler III, 153). Im Dialog mit der Schrift, im Dialog untereinander und im Dialog mit der Tradition haben sie ihren heilbringenden Verheißungsmehrwert für die Menschen ihrer Zeit zu erweisen. (9) »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen« (Mt 7,16): Alle christologischen Reflexionen und Prädikationen stehen unter dem pragmatischen Vorbehalt der »rechten Tat« nach dem Willen Gottes, des Vaters. Gerade die hebräische Tradition kennt den Vorrang des rechten Tuns vor dem rechten Bekenntnis und der rechten Lehre. Jede Christologie, die nicht zu einem Leben führt, das dem Sein in Jesus Christus entspricht (Phil 2,5), steht in der Gefahr, blutleer zu sein. In Analogie zum Gerechtigkeit schaffenden Handeln Gottes, geht es nicht um das eigene, gesicherte »kleine Glück«, sondern um den Schalom, die Versöhnung, den Frieden, die Gerechtigkeit und die Freude aller Menschen. Zusammenfassung: Zentrales Interesse der christlichen Glaubensreflexion ist die inhaltliche (materiale) Erschließung und methodisch versierte (formale) Begründung des Verheißungszuspruchs und Verheißungsmehrwerts im Bekenntnis zu Jesus dem gesalbten, gekreuzigten und auferweckten, endzeitlichen und unüberbietbaren Boten Gottes. Nach dem Bekenntnis des Neuen Testamentes ist er »Gottes Ein-für-alle-Mal« (gr. eph hapax, lat. universale concretum) zugunsten der Menschen (Hebr

4. Orientierungen für die christologische Bekenntnisreflexion

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9,24–28). In IHM, so das christliche Bekenntnis, ist Gott auf einmalige und unüberbietbare Weise Gegenwart geworden. In IHM hat Gott den Menschen nicht etwas, eine Sache, sondern sich selbst in personaler Weise mitgeteilt. Darum wurde er mit seiner Person, mit seiner Geschichte, mit seinem Geschick gerettet und in Gott hinein vollendet. Diese Grundbotschaft gilt es in verschiedensten Kontexten auf analoge Weise als »Identität in Entsprechung« (Hilberath IV) zur Geltung zu bringen.

Literatur Kessler, Hans, Partikularität und Universalität Jesu Christi. Zur Hermeneutik und Theologie kontextueller Christologie. In: Schwager, Raymund (Hg.), Relativierung der Wahrheit? Kontextuelle Christologie auf dem Prüfstand (QD 170). Freiburg/Br. u.a. 1998, 105–155. (Kessler III) Söding, Thomas / Münch, Christian, Kleine Methodenlehre zum Neuen Testament. Freiburg/Br. u.a. 2005. (Söding II) Theißen, Gerd / Merz, Annette, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Göttingen 32001.

II. Person und Botschaft Jesu 1. Lebensgeschichtlicher Rahmen Wahrscheinlich wurde Jesus zur Zeit des Kaisers Augustus (37 v. – 14 n.Chr.) geboren (vgl. Lk 2,1). Alternativer Bezugspunkt für die Datierung ist die Regierungszeit Herodes des Großen, der 750 Jahre nach Gründung Roms, also 4 vor unserer Zeitrechnung starb (Mt 2,1). Dieser Unterschied zwischen lukanischer und matthäischer Überlieferung wird auch durch die Angabe der Volkszählung und Steuererhebung nicht aufgeklärt, die vermutlich in Galiläa 6 n. Chr. stattgefunden hat und nachträglich in die Komposition der Darstellung des Lebens Jesu eingesetzt wurde. Die Ausgestaltung der Geburtsgeschichte Jesu dürfte wesentlich von theologischen und legitimatorischen Motiven bestimmt sein. Inwieweit diese mit den Mitteln historischer Forschung begründet werden können, ist zurückhaltend zu beurteilen. Im Unterschied zu Matthäus (Mt 1,18) und Lukas (Lk 1,34f.) kennen Paulus und Johannes (Joh 1,45; 6,42) die Vorstellung einer »Jungfrauengeburt« nicht. Außerhalb von Kapitel 1 spricht auch Lukas von Maria und Josef als den Eltern Jesu. Da die römische Tradition Steuererhebungen am Wohnort vornimmt, ist es wahrscheinlich, dass Nazaret auch der Geburtsort Jesu ist, wohingegen Bethlehem durch die messianische Deutung des Lebens Jesu theologisch den Vorzug bekommt (Mi 5,1–3). Nach Lk 3 begann das Wirken Jesu im 15. Jahr des Kaisers Tiberius (29/30 n. Chr.) im Alter von 30 Jahren. Jesu Tod hingegen ist in der Amtszeit des Pontius Pilatus (26–36 n. Chr.) zu situieren und mit der hohepriesterlichen Tätigkeit des Kaiaphas (18–37 n. Chr.) abzugleichen. Nach den Synoptikern feierte Jesus das letzte Abendmahl am 15. Nissan als Rüsttag des Sabbats. Dieser Berechnung zufolge wurde er am Freitag, den 15. Nissan, gekreuzigt. Zwar kann rückblickend geklärt werden, in welchem Jahr der 15. Nissan auf einen Freitag fällt, doch bleiben dafür mehrere Optionen offen (27, 31, 34). Folgt man der johanneischen Tradition und veranschlagt den Todestag auf den 14. Nissan als Rüsttag des Pessachfestes und des Sabbats, so ergeben sich daraus ebenfalls drei alternative Jahresangaben (30, 33, evtl. 27). Offen bleibt, welche Rolle gegebenenfalls die Pessach-Fest-Chronologie und die Pessach-Lamm-Theologie für die Datierung spielen. Die Hinweise des Paulus wiederum legen eine Zeit vor 32/33 nahe. Dies macht den 14. Nissan 30 wahrscheinlich.

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II. Person und Botschaft Jesu

Nach dem Zeugnis der Synoptiker begann das Wirken Jesu nach der Gefangennahme des Täufers und bezog sich auf Galiläa und einen Teil des heidnischen Umlandes, bis Jesus nach Jerusalem zog. Anders die Dramaturgie bei Johannes. Hier steigt Jesu Bekanntheit und Einfluss, während der Stern des Johannes sinkt. Es werden mehrere Pessachfeste erwähnt. Im Unterschied zu den Synoptikern verlagert Johannes den Schwerpunkt des Wirkens nach Jerusalem. Dieser formale Rahmen des Wirkens Jesu ist nicht mehr als ein Knochengerüst. Fleisch und Farbe bekommt dieses nur durch die konkrete Lebensgeschichte und die inhaltliche Charakterisierung von Person und Botschaft. 2. Das Rad seines Lebensweges Das Wirken Jesu kann im Bild eines Rades zusammengefasst werden, das eine Radnarbe und acht Streben oder Speichen hat. Die Radnarbe, das Zentrum, wird durch ein von heilvollen und heilschaffenden Beziehungen bestimmtes Erlösungsdenken begründet. Das Beziehungsthema ist daher die entscheidende Voraussetzung zu einem angemessenen Verständnis von Person und Botschaft Jesu, da Jesu spezifisches Gottesverhältnis die Voraussetzung seines Wirkens und Lehrens ist. Umgekehrt begründet Gottes Beziehungsverhältnis zu Jesus Jesu eigenes Selbstverständnis sowie sein vollmächtiges Handeln. So können Person und Botschaft Jesu bildhaft veranschaulicht werden. Achsenpunkt des Rades ist die Abba-Intimität Jesu. Der Exeget wird darauf hinweisen, dass nicht die Abba-Anrede das Novum der Verkündigung Jesu darstellt (die ca. 15 Mal im AT vorkommt), sondern die spezifische Qualität der Abba-Beziehung, in der eine radikale und tiefe Gottesvertrautheit aufscheint. Diese wird vielfach als Freundschaft mit Gott beschrieben. In ihr scheint eine besondere Intimität der Liebe wirksam. Bereits unmittelbar nach dem Fest der Bar Mizwa, der feierlichen und rituellen Aufnahme als Jugendlicher in die religiösen und kultischen Pflichten eines erwachsenen Juden, weist Jesus seine Eltern, die ihn aufgeregt suchen, in »pubertärer Schroffheit« darauf hin, dass sie ihn im Haus seines Vaters suchen sollen (Lk 2,39–52). Damit deutet er die Elternschaft und Geschwisterschaft neu, d.h. auf die Gottesbeziehung hin (Mk 3,33; Mt 12,48– 50). Im Gebet, im Rückzug, in der Stille pflegt er diesen Kontakt (Mk 1,13; Lk 11,1; Joh 11,54; Lk 21,37). Johanneisch wird diese

2. Das Rad seines Lebensweges

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Intimität als liebendes Einssein vorgestellt und zum Vorbild für die Jüngerschaft erhoben: Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich. Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt (Joh 17,20–24).

Diese Intimität der Liebe begründet, warum Jesus sich unbedingt vom Vater geliebt weiß, und den Vater seinerseits vorbehaltlos liebt. Jesu Liebe gilt in ausgezeichneter Weise Gott und dadurch und darin den Menschen, denen er begegnet, zu denen er ein aufrichtendes, herausforderndes Beziehungsverhältnis entwickelt (Lk 10,27). Die qualitative Differenz der Beziehung kommt in der unterscheidenden Rede von »meinem« (Mt 7,21f.) und »eurem« Vater (Lk 6,36) zum Ausdruck. Unter dieser Prämisse bringt Jesus den Glauben Israels an Gott den Schöpfer, den Herrscher der Welt, den Erwähler und Erhalter, sowie an den Retter seines Volkes unter den Menschen zur Geltung. Soteriologisch tritt bei Jesus die kollektiv-gemeinschaftliche Volkstheologie und politische Landverheißung in den Hintergrund. Das gerechte Tun des Einzelnen nach dem Willen des Vaters wird damit zum Maßstab für das künftige Richterhandeln Gottes. Die Hingabe an Gott und das Vertrauen auf Gott befreit von der Sorge um sich selbst (Mt 6,25–34). Der kausale Tun-Ergehen-Zusammenhang wird von Jesus abgelehnt (Joh 9,7). An seine Stelle tritt der biblische Kerngedanke von der Sünde als Beziehungsstörung und Beziehungsverlust (Eberhard Jüngel). Er reicht in das Hier und Jetzt hinein und ist bedeutsam für das Ende, für die Wirklichkeit des Todes und der Auferweckung. Beziehungsstörung und Beziehungsverlust sind negative Dispositionen für das Gerettetsein durch Gott und in Gott oder für eine finale, einsame Beziehungslosigkeit (Röm 5,12). Von diesem »Herzschlagzentrum« der Abba-Beziehung und Abba-Intimität Jesu ausgehend erschließen sich die 8 Streben des Lebensweges oder die 8 Speichen seines Lebensrades. (1) Inhaltlicher Schwerpunkt von Jesu Botschaft ist die der messianischen Verkündigung seiner Zeit entsprechende Verheißung vom

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Jesu Umgang mit Außenseitern der Gesellschaft

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Jesu Weg in das Leiden

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Die Abba-Intimität Jesu

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Die Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes

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Jesu endzeitliche Sammlung Israels

II. Person und Botschaft Jesu

Hier und Jetzt des anbrechenden Reiches Gottes (Mk 1,15): Das Reich Gottes meint alttestamentlich den Wirkraum der Herrschaft Gottes, durch den Gott in königlicher Weise unter den Menschen mächtig ist (Jes 6,5; Pss 47.97.99.145). Die Vorstellung eines künftigen Reiches wird im Buch Daniel mit dem Kommen des Menschensohnes verbunden (Dan 7), woran die Menschensohn-Terminologie der synoptischen Evangelien anknüpft. Im Unterschied zur theopolitischen Verkündigung anderer messianischer Gestalten versteht Jesus diesen Anbruch der Königsmacht Gottes als einen geistlichen Anbruch, der wirksam wird, wenn Menschen sich in ihrem Herzen zu Gott, zu seiner Barmherzigkeit und Gerechtigkeit bekehren. Das Wirken ist darum weder rein diesseitig noch rein jenseitig, sondern zugleich gegenwärtig und endzeitlich. Mit dem Reich Gottes sollen die Menschen in ein neues Verhältnis untereinander und mit Gott eintreten. Jesu eigene Vision vom Reich Gottes ist durch

2. Das Rad seines Lebensweges

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den Zerfall aller Wider-Mächte bestimmt und geht mit dem Ende der zögerlichen, bedenkenträgerischen Ja-aber-Geister einher. Bildlich kommt dieser Wandel der Mächte des Lebens im Satanssturz zum Ausdruck: »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10,18). Im Wirkraum Gottes hat der Geist der Anklage und Denunziation keine Macht mehr. Vielmehr werden die Menschen zur Freiheit der Kinder Gottes ermächtigt (Gal 5,13) und in das endzeitliche Heil, den endzeitlichen Schalom Gottes berufen (Jes 11). In einer jüdischen Tradition wird der Satanssturz mit dem Anbruch der Freude und dem Ende der Traurigkeit in Zusammenhang gebracht. Gottes Herrschaft geht mit der Aufdeckung der ursprünglichen Güte der Schöpfung einher. Der Anbruch des Reiches Gottes steht nicht in der Macht der Menschen. Er ist unverfügbar und setzt doch die Entscheidung für oder gegen die Botschaft und ihren endzeitlichen Boten voraus, da mit dem Kommen Jesu Gottes Herrschaft in neuer Weise in Gang kommt (Lk 17,20). Daher schließt die Entscheidung gegenüber Jesus und seiner Verkündigung bereits eine Entscheidung gegenüber Gott und seiner Herrschaft mit ein. Das Reich Gottes wird nicht an den Menschen vorbei wirklich, sondern durch die Menschen und ihren Entschluss hindurch. Dabei stellt Jesus gnadentheologisch noch einmal in Rechnung, dass bei Gott möglich ist, was für Menschen selbst unmöglich erscheint (Lk 18,18–27). Weil die Herrschaft Gottes schon mitten in den Herzen der Menschen lebendig ist, dürfen und sollen die Menschen in ihrer Herzensumkehr um das Kommen der Herrschaft Gottes bitten. Wenn Gottes Wille geschieht, auf der Erde so wie im Himmel, dann ereignet sich Gottes Wille nach dem »Vater unser« in den Menschen und durch die Herzen der Menschen hindurch (Mt 6,9–13). Jesu Botschaft ist die Verheißung des anbrechenden, gegenwärtigen Reiches Gottes als innerliche Bekehrung der Menschen zu Gottes Güte. Durch diese Bekehrung fallen die lebensfeindlichen Mächte und Haltungen.

(2) Typisch für Jesu Auftreten und seine Botschaft ist die souveräne Freiheit: Seine souveräne Freiheit der Bezugnahme auf Gott brachte ihn in den Widerstreit zu den vorherrschenden Strömungen und Autoritäten seiner Zeit und verlieh ihm die Kraft, authentisch und wirkmächtig Zeugnis für Gottes Herrschaft unter den Menschen zu geben.

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II. Person und Botschaft Jesu

Man denke an Jesu »Antrittspredigt in Nazaret« als Wanderrabbiner (Lk 4,14–30). Jesus nimmt die Geistverheißung Jesajas und die heilende Macht der Herrschaft Gottes für sich in Anspruch, indem er die Prophetenworte zitiert und mit dem Hinweis versieht, dass sich diese Worte jetzt in die Ohren der Hörer hinein verwirklichen. Die Menge reagiert, indem sie ihn an den Rand des Dorfes zum Abgrund führt und steinigen will. In dieser Situation der Bedrohung kann Jesus sich von dem Druck befreien, losmachen und souverän durch die Menge schreiten. Dieses Handeln setzt eine innere Größe und bezwingende Ausstrahlung voraus, die nur aus einer enormen selbstbewussten Freiheit erwachsen kann. Ähnlich ist die Selbstverständlichkeit einzuschätzen, mit der Jesus vor Pilatus steht und diesen mit der Rückfrage konfrontiert, was er sich vorzuwerfen habe. Schließlich findet das Verhör seine Pointe in der Aussage, welche dem politisch Mächtigen »die Schuhe zugleich auszieht und anzieht«, ihn entmächtigt und ermächtigt: »Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre« (Joh 19,11). Diese innere Freiheit ist Jesus möglich, weil er sich selbst und seine Sendung ganz vom Vater her versteht. Durch seine intime Rückbindung an Gott wird er innerlich dazu befreit, in jeder Hinsicht frei und souverän den Menschen zu begegnen. Deshalb schließt die Freiheit Jesu die Eröffnung und Befreiung der Menschen zur Abba-Intimität in seiner Nachfolge in sich ein, welche die Erlösung zugleich über den Kreis der ethnischen Zugehörigkeit zum Judentum hinaus entgrenzt: Jesus sprach nun zu den Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaft meine Jünger; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Sie antworteten ihm: Wir sind Abrahams Nachkommenschaft und sind nie jemandes Sklaven gewesen. Wie sagst du: Ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Sklave. Der Sklave aber bleibt nicht für immer im Haus; der Sohn bleibt für immer. Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein (Joh 18,31–36).

Die Befreiung ist möglich, weil der Sohn und seine Botschaft wahr sind und ewig Bestand haben werden. Die Sünde hingegen, die in die Unwahrheit führt, versklavt und unfrei macht, ist nicht von ewiger Dauer und hat keine bleibende Macht vor Gott. Jesu intime Gottverbundenheit ermöglicht ihm souveräne Freiheit. Erlöste Freiheit aus Gottverbundenheit autorisiert den Boten als göttlichen Boten und kennzeichnet seine Botschaft als eine göttliche Botschaft.

2. Das Rad seines Lebensweges

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(3) Jesu endzeitliche Sammlung gilt Israel: In sinnbildlichen Gleichniserzählungen und wirkmächtigen Tatworten spricht Jesus den Menschen Gottes Heil zu und ruft sie zur Umkehr. Sein Ruf zur Umkehr, der sich zuerst und zunächst an Israel richtet, kommt in der stellvertretenden Erwählung des Zwölferkreises zur Darstellung. Weil Jesus mit seinem Umkehrruf an ganz Israel scheitert, wählt er, in Analogie zu den zwölf Stämmem Israels, zwölf Jünger als Repräsentanten des neuen Israel aus. So wird der Zwölferkreis zur stellvertretenden Gemeinschaft und zum Ort der Vorwegereignung. Während die Sendung Jesu nach dem Mt-Evangelium zunächst ganz auf Israel ausgerichtet ist (z.B. Mt 10), wird sie österlich auf den ganzen Erdkreis ausgeweitet (Mt 28,19). Der Weg nach Jerusalem ist in diesem Zusammenhang lukanisch als Weg Jesu in die Entscheidung zu rekonstruieren, durch den Israel und seine Autoritäten progressiv in die Entscheidung gerufen werden (Lk 18–23). Der Weg von Jericho führt über Bethfage (Ort des Gebetes), Betanien (Ort des Rückzugs) und den Ölberg (Ort der Entscheidung) nach Jerusalem (Ort des Königtums) und unterstreicht den Charakter seines messianischen Wirkens, das auf Heilung und Rettung zielt. Jesus macht in der Begegnung mit Zachäus deutlich, dass er gekommen ist, »um zu retten, was verloren ist« (Lk 19,10). Am Abhang des Ölbergs vor den Toren Jerusalems wird der Messias-König mit Hosianna-Rufen empfangen. Im Tempel räumt er den Weg für Gott und den wahren Gottesdienst frei, indem er die Tische der Opfer-Tier-Händler in prophetischer Zeichenhandlung gewaltsam umkippt und das sadduzäische System des profitablen Tempel- und Opferkultes in Frage stellt. Daraus entwickeln sich viele Auseinandersetzungen und Streitgespräche. Obwohl Gottes Königsherrschaft in den Machttaten des Heilens, Aufrichtens und der Befreiung von Sünde zum Erscheinen kommt, gibt es die »Feinde«, die nicht wollen, dass Jesus mit messianischem Sendungsbewusstsein und sohnschaftlicher Autorität für die Herrschaft Gottes unter den Menschen eintritt (Mt 19,28f.). In scharfer Zuspitzung heißt es: bringt die Feinde her, und »macht sie vor meinen Augen nieder!« (Lk 19,27; Mt 21,12–13). Gegenüber diesem Außenbezug verdeutlicht das Markusevangelium den Innenbezug. Das Evangelium stellt die Beispiele der durch Untreue gescheiterten Jüngerschaft der apostolisch beauftragten Kirche als fortdauernde Mahnung und Warnung vor Augen (Mk 14–16).

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II. Person und Botschaft Jesu

Jesu Umkehrruf gilt zunächst ganz Israel, was stellvertretend durch die Wahl der Zwölf und den Weg nach Jerusalem symbolisiert wird.

(4) Jesu Verhältnis zur Tora: Nach dem Evangelium zeigt sich Jesus als ein Vertreter der strengen Tora-Befolgung, der kein einziges Zeichen vom Gesetz hinweg nimmt (Mt 5,18). Vielmehr löst er die Tora ganz in seiner Person ein (Joh 1,17f), indem er sie als »Bücher der Weisung« (Martin Buber/Franz Rosenzweig) zum Leben auslegt. Für Gottes Dienst an den Menschen gilt, dass noch der Sabbat als Tag des Herrn um des Menschen Willen eingesetzt ist (Mk 2,27). Im Zentrum der Weisung steht das »Doppelgebot« Mt 22,34–40: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Diese »Drei-Einheit« von Gottes-, Nächstenund Selbstliebe erklärt erstens, warum die Sünde wider das Gesetz eine Sünde wider das Leben ist, und sie macht zweitens verständlich, dass Jesus die rituell-kultischen Aspekte in den Hintergrund stellt, während er die universalen, wahrhaft göttlichen und menschlichen Dimensionen der Weisung zum Leben in den Vordergrund rückt. Jesu starke Tora-Frömmigkeit zielt auf die inneren Haltungen und ist inhaltlich in der Drei-Einheit von Gottes-, Nächsten-, und Selbstliebe zentriert.

(5) Jesu Umgang mit den Marginalisierten, Sündern und Zöllnern ist im Unterschied zu den Konventionen seiner Zeit nicht von den Gedanken der Abgrenzung und des Ausschlusses bestimmt: Dem biblischen Verständnis der Sünde als Beziehungsverlust und Beziehungsstörung im Verhältnis zu Gott, zu den Mitmenschen und zu sich selbst entspricht es, dass Jesus seine Begegnungen als Beziehungsstiftungen gestaltet. Durch die Begegnung mit ihm gelangen Menschen zu neuer Selbsterkenntnis und treten in eine neue Qualität der Begegnung mit Gott und mit den Menschen ein (Lk 15,1–32). Jesus hat die konkrete körperliche und geistige Not seiner Zeit unmittelbar wahrgenommen. So bergen die Wunder- und Heilungsgeschichten zwei Momente in sich. Einerseits verweisen sie auf die Botschaft Jesu vom anbrechenden Reich Gottes, andererseits auf seine Praxis, die Not wahrzunehmen, den Notleidenden zu begegnen

2. Das Rad seines Lebensweges

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und ihnen zu helfen bzw. sich mit ihnen zu solidarisieren. Beide Momente sind untrennbar miteinander verbunden. »So ist das Heilen Jesu nicht nur in seinem Sinngehalt eng mit dem Heil verbunden, sondern auch das Heil seinerseits in seinem materialen Wirkgehalt eng mit der Heilung verknüpft« (Fuchs, 7). Dort wo Jesus kranken, leidenden und stigmatisierten Menschen begegnet, stellt er sie in die Mitte seiner Botschaft und hilft ihnen, sich vom botschaftsempfangenden Objekt zum botschaftsgestaltenden Subjekt zu entwickeln. Jesus grenzt in seiner Verkündigung der Botschaft vom Reich Gottes nicht aus, sondern kommuniziert mit den Marginalisierten und solidarisiert sich mit den Entrechteten. Er verkündigt das Reich Gottes in sinnenhafter Anschaulichkeit, in heilender Berührung und in Analogie zum erlösenden und Gerechtigkeit schaffenden Handeln Gottes.

(6) Jesu beziehungsbestimmtes und ganzheitliches Heilsverständnis: Die Wunder, Austreibungen von bösen Geistern und Heilungen Jesu haben in der Christentumsgeschichte und in der historischen Forschung vielfach Kontroversen ausgelöst und unterschiedliche Interpretationen freigesetzt. In der Sache sind zwei Einsichten bedeutsam: Zum einen gibt es eine antike Wunderüberlieferung, die in Form des Übertragungsoder Überbietungswunders auch auf Jesus angewendet wird. Zum Beispiel das Wein-Wunder des Dionysios, welches dem Evangelisten Johannes als Vorlage für den Bericht über die Hochzeit zu Kana dient. Oder die Heilung am Schafs-Teich durch Asklepios, welche auf die Heilung des Gelähmten am Teich von Schiloah Einfluss hat. So kann auch das Speisungswunder in der Elischa-Geschichte Einfluss auf die Erzählung von der Brotvermehrung gehabt haben (2 Kön 4,42–44). Dabei können die Wundererzählungen eher als Explikationen der messianischen Idee (David F. Strauß) gesehen oder relativierend dem antiken Typus des göttlichen Menschen und Wundertäters (Ludwig Bieler) zugeordnet werden. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass die Wunderüberlieferung kaum in Gang gekommen wäre, wenn sie nicht berechtigte und überzeugende Anhaltspunkte in einer Heilungstätigkeit Jesu gehabt hätte, welche Aufsehen und Erstaunen erregte. So wird man zwischen dem begründeten Anhalt an der Person Jesu und möglichen legendarischen und mythologischen Ausgestaltungen unterscheiden müssen. Deshalb wird man ohne Not die beziehungsbe-

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II. Person und Botschaft Jesu

stimmten Heilungen und Exorzismen Jesu als historisch höchst plausibel ansehen dürfen. Bei diesen beziehungsbestimmten Heilungen setzt Jesus mit seinen Interventionen ganz auf die unbedingte Zuwendung der Liebe Gottes (Mt 7,11). In dieser Liebe dürfen Menschen sich ganz angenommen wissen, so wie sie jetzt sind. Sie brauchen ihre Würde nicht durch Leistung oder Konvention zu beweisen. Vielmehr werden sie eingeladen, in den Raum von Gottes unbedingter Liebe und in Gottes überreiches Erbarmen einzutreten. In dieser Zuwendung und unter diesem Zuspruch können sie, ganz von innen heraus, frei werden, um neue Beziehungsverhältnisse zu ihren Mitmenschen und zu Gott zu verwirklichen. Typisch für diesen Zusammenhang ist die Szene von der Begegnung Jesu mit der Sünderin (Joh 8,1–11). Jesus baut keine Hemmschwellen auf. Er lässt die Frau handeln. Er ermöglicht es ihr, ihren Wunsch zu verwirklichen. Sie darf ihren Wunsch, ihn zu salben, ihn wertzuschätzen, ihn mit intimer Geste zu berühren, ausleben. Jesus nimmt den Wunsch, ihm durch die Salbung prophetische, priesterliche und königliche Würde zuteilwerden zu lassen, an. Indem sie agieren darf und mit den Zerwürfnissen ihres Lebens da sein kann, ohne bevormundet zu werden (»auch ich verurteile dich nicht«), kann sie sich dem Gebrochenen ihrer Geschichte inne werden. In der Provokation »wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein« ist Befreiung zu einem neuen Leben möglich. Indem alle als Sünder entlarvt sind, wird die vermeintliche »Outlaw« dem Geiste nach zur »Inlaw«. Ihrer Sündigkeit bewusst, kann die Sünderin die Entfremdung ihres Lebens selbst zulassen und braucht sie nicht zu verdecken. Weil alle Sünder sind und der Gnade Gottes bedürfen (Eph 2,4), muss das eigene Zurückbleiben und Scheitern keine Schande mehr sein, sondern darf zum Impuls eines neuen und gereinigten Lebens werden (»geh hin und sündige nicht mehr«). In diesen charismatischen und therapeutischen Interventionen, die in den Heilungen (Mk 5,24–34; Joh 9,7) und Lebenswenden (Lk 19,1–10) durch zuwendungsvolle Nähe, leibliche Berührung und persönliche Kontaktaufnahme bestimmt sind, dominiert der Gedanke: »Weil du so fest an mich geglaubt hast, bist du gesund geworden. Gehe hin in Frieden. Du bist geheilt« (Mk 5,34). Oder in einer noch stärker von sich weg verweisenden Einweisung in die Beziehung zu sich selbst und zu Gott: »Dein Glaube hat dich geheilt« (Mt 9,22). Im Passivum divinum (lat.), dem Passiv, das Gott nicht nennt, aber als Subjekt des Handelns bezeichnet, wird der Vater zum versöhnen-

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den Heiler und zuwendungsvollen Retter, der in der Zuwendung Jesu und durch die Selbstumkehr der Menschen hindurch handelt (Mk 2,5.7). Die unterschiedlichen, neutestamentlichen Überlieferungen lassen christozentrische und theozentrische Theologien der Heilung erkennen. Die Interpretation der charismatischen Heilungstätigkeit Jesu im Zusammenhang des jüdischen Glaubens legitimiert eine theozentrische Relecture seines Handelns. Die exorzistische und heilende Tätigkeit charakterisiert Jesus als einen charismatischen und therapeutischen Heiler, der die Menschen – aufgrund seiner Persönlichkeit, seiner spirituellen Kraft, seiner Botschaft und seiner differenzialdiagnostischen Begabung (Hanna Wolff) – zugleich in Bann zog und auf neue Weise in Beziehung mit sich selbst, mit Gott und mit anderen Menschen brachte.

(7) Jesu Weg in das Leiden. Immer wieder wird Jesu Weg zum Kreuz von kritischen Zeitgenossen als ein verkappter oder offener menschlicher Masochismus angesehen, dem ein göttlicher Sadismus entspricht. War Jesus also ein leidensverliebter Mensch mit einer kranken Opfermentalität? Hätte er nicht besser mit seinen Freunden am See Genezareth verweilen sollen, um die riskante Konfrontation mit den jüdischen und römischen Autoritäten in Jerusalem zu vermeiden? Gehört er zu jener religiösen Spezies, deren Angehörige in den Zeiten der Unterdrückung gerne und gezielt Märtyrer spielen, um ihre Botschaft im Heldentod zu legitimieren, oder die umgekehrt in den Zeiten der Herrschaft selbst Terror und Märtyrer produzieren? Diese Fragen machen deutlich, wie ernst die theologische Debatte um den Tod Jesu und das Kreuz als christliches Heilszeichen geführt werden muss. Sofern der Gedanke der menschlichen Ebenbildlichkeit Gottes und der schöpferischen Freiheit des Menschen Jesus die Gedankenführung leitet, muss eine gegenwärtige Theologie sowohl von Einseitigkeiten der traditionellen Sühnetheologie als auch vom Verdienstcharakter des Leidens Jesu abrücken. Auch dann, wenn das stellvertretende Leiden Jesu in den Mittelpunkt gestellt und primär als sühnendes Opfer und Leiden für die Verfehlungen und die Schuld der Menschen verstanden wird, darf der mögliche Anschlussgedanke keinen Raum gewinnen, wonach die Größe des Leidens die Größe der Versöhnungstat dokumentiere. Sonst kann sich die Auffassung nahe legen: Unendliche Schuld muss durch unendliches Leiden

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II. Person und Botschaft Jesu

aufgewogen werden. Weil das Thema unter der Überschrift »Braucht Gott Opfer?« eigens aufgenommen wird, können an dieser Stelle vier vorläufige Hinweise genügen: • Gott gerät in die Gefahr, zum Mega-Sadisten gestempelt zu werden, wenn er im Lichte der ausgleichenden Gerechtigkeit gesehen wird und ihm die Notwendigkeit eines Ausgleiches durch ein höchstes Opfer und Leiden unterstellt wird. • Ein Gott, der Jesus ins Leiden zwingt – und sei es nur um der Versöhnung der Menschheit willen – wäre ein Gott, der die Freiheit des Menschen missachtet und den Menschen zu einer Marionette seines Handelns machen würde. • Keine Tat eines Menschen kann an die Stelle des freiheitlich verantworteten Tuns jedes und jeder Einzelnen treten und die eigene Verantwortung durch stellvertretendes Handeln ersetzen. • Der Weg ans Kreuz, das schmerzvolle Leiden und der schändliche Tod als Verbrecher am Kreuz sind aus inneren, theologischen Gründen im Lichte der Botschaft vom Reich Gottes, von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit und seiner unbedingten Güte der liebenden Hingabe (gr. agape), zu interpretieren. Es verblüfft darum nicht, wenn die neuere systematische Theologie Jesu Lebenshingabe als einen konsequenten Akt der Treue zur Botschaft von Gottes zuwendungsvoller Liebe und unbedingter Güte interpretiert. Im Laufe seines Lebens und seiner Sendung musste Jesus erkennen, dass das Reich Gottes sich nicht auf Erden verwirklichen lässt, sondern einer Hoffnung bedarf, die über den Tod hinaus reicht und durch den Tod hindurch geht (Joh 18,36). In der Hoffnung auf dieses neue Leben im Durchgang durch den Tod bleibt Jesus sich selbst und seiner Sendung treu und geht bewusst und entschieden in den Tod (Mk 14,25). Das Kreuz ist nicht Inbegriff eines menschlichen Masochismus oder eines göttlichen Sadismus, sondern Ausdruck eines letzten Vertrauens und einer letzten Selbstüberlassung an den Gott des Lebens und seine finale Lebensmacht. Angesichts einer eskalierenden Sündigkeit der Welt, die Verrat und Verlassenheit ebenso kennt wie unschuldiges Verurteiltwerden und unmenschliche Verhöhnung, ist das Kreuz als Heilszeichen der Solidarität Gottes mit den Menschen im Äußersten menschlicher Selbstverfehlung und Gottferne aufgerichtet (Röm 3,24–28).

2. Das Rad seines Lebensweges

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(8) Jesu Auferweckung durch den Vater kraft des Geistes (Röm 1,3f.): In den österlichen Erfahrungen wird Jesus, der in seiner Botschaft die Fülle des Lebens verheißen hat (Joh 10,10), als ein bei Gott Lebender bezeugt, der nicht im Tod geblieben ist (Lk 24,5). Darum wird er »Urheber des Lebens« oder auch »Anführer zum Leben« (Apg 3,15) genannt. Diese österlichen Erfahrungen des Lebens in göttlicher Lebensfülle und Herrlichkeit sind konstitutiv für das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus Gottes. Dieses wiederum ist das Identität eröffnende Prägezeichen der neutestamentlichen Verkündigung als Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes (Mk 1,1; 15,39). Weil der Auferweckte an der schöpferischen Lebensmacht Gottes selbst Anteil hat (Mk 5,21ff.), ist die Auferweckung als Bestätigung der Sendung Jesu und als eschatologische Konkretisierung und Ratifizierung der pluralen Heilshoffnungen Israels zu begreifen (Lk 22,26). In diesem Bekenntnis zur Auferweckung und Erhöhung wird die biblische Theozentrik durchgehalten. In der Konsequenz dieses Bekenntnisses liegt es, dass Jesu Weg nicht erst am Ende, sondern von Anbeginn an und vor allen Zeiten als ein von Gott ermächtigter und erfüllter Weg gedeutet wurde. Bereits die neutestamentliche »Abstiegschristologie« (Phil 2) unterstreicht Gottes gnädiges Handeln an und in Jesus. Dieser ist kein »Superman«, sondern der von Gott Gesandte. Die Präexistenzchristologie präzisiert die bereits vorösterlich virulente Frage, in wessen Vollmacht Jesus handelt (Mk 2,28), indem sie ihn als Ebenbild des unsichtbaren Vaters (Eph 1) und als menschgewordenes Sinnwort Gottes über die Schöpfung lobpreist (Joh 1). Dieser Lobpreis ist möglich, weil Jesus und seine Sendung in Tod und Auferweckung kraft des Geistes bestätigt sind. In der Auferweckung wird Jesus zugleich erhöht und in Vollmacht eingesetzt (Röm 1,3f.). Dadurch wird Jesus als der in der Herrlichkeit Gottes Existierende erkennbar, sodass das, was das Ende allen Endes bestimmt, zugleich göttliche Wirklichkeit vor dem Anfang aller Anfänge gewesen sein muss (Phil 2,5–11). Werden Person und Botschaft nach vorne (auf Zukunft) hin bedacht, resultiert aus der Botschaft der Auferweckung eine Aufstiegschristologie. Werden Person und Botschaft vom Ende her daraufhin befragt, wie das Sein Jesu in der Zeit und von allem Anfang (von Herkunft) her in Gott verwurzelt ist, so setzt dies eine Abstiegschristologie voraus, die als Präexistenzchristologie in Gott selbst ihren Grund hat.

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II. Person und Botschaft Jesu

Zusammenfassung: Jesu Leben und Sendung verbürgt die Botschaft von Gottes menschenfreundlicher und liebender Zugewandtheit zu den Menschen. In seinem Sein und Handeln beglaubigt und offenbart Jesus den Gott Israels, den er liebevoll Vater nennt und als einen beziehungswilligen und in verlässliche Beziehungen hinein befreienden Gott bezeugt. Gottes rettendes Handeln in Jesu Leben, Tod und Auferstehung ratifiziert Gottes lebensspendende Treue, welche den Tod überwindet und verheißungsvoll in den Abgründen, Dunkelheiten und Nächten des Lebens aufscheint.

Literatur Theißen, Gerd / Merz, Anette, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Göttingen 32001. Gnilka, Joachim, Jesus von Nazareth. Botschaft und Geschichte. Freiburg/ Br. 22007. Söding, Thomas, Der Gottessohn aus Nazareth. Das Menschsein Jesu im Neuen Testament. Freiburg/Br. 2006. (Söding I)

III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum. Er ist nach dem Zeugnis des Neuen Testaments als ›Sohn Davids‹ (Röm 1,3) und ›Sohn Abrahams‹ (Mt 1,1; Hebr 7,14) ›seinem Fleisch nach‹ aus dem Volk Israel hervorgegangen (Röm 9,5). Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren aus der Frau und dem Gesetz unterstellt.

Die Deutsche Bischofskonferenz fasst mit dieser Stellungnahme zusammen, was die neuere Paulus-Forschung am Beispiel der IsraelTheologie des Römerbriefes herausgearbeitet hat. Jesus Christus ist zum »Diener der Beschneidung« geworden, »damit er die den Vätern gegebenen Verheißungen bekräftige« (Röm 15,8). Darum ist das Israel verheißene Heil nicht obsolet geworden und die Berufung Israels nicht negiert, sondern in Christus als »Stamm«, der sich aus den Wurzeln Israels speist und in die aufgepfropften Zweige des Heidenchristentums hinein wirkt, auf die Völker hin universalisiert (Röm 11). Gleichwohl gilt weiterhin: Sie sind die Israeliten, ihrer sind die Sohnschaft, und die Herrlichkeit und die Bundesordnungen, die Gesetze, der Gottesdienst, die Verheißungen, die Väter, und von ihnen stammt der Messias dem Fleische nach ab, der über allem als Gott steht: er ist gepriesen in Ewigkeit! (Röm 9,4f.; DBK 1980, 4).

1. Eine belastete Konfliktgeschichte und ihre theologischen Konsequenzen Die Chiffre »Auschwitz« steht für unermessliches menschliches Leiden, für gesellschaftliche Ausgrenzung, wirtschaftliche Ausbeutung, für Unterdrückung und Erniedrigung, sadistische Quälerei und hasserfüllte Vernichtungsszenarien. In vielfachen Akten der Entmenschlichung wurden insbesondere jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger als Geld- und Materiallieferanten, als Arbeitssklaven und als »Rohstoff« für Seifenproduktion, medizinische Experimente, Zahngoldgewinnung und die Produktion von Kriegskleidung dehumanisiert und getötet. Auschwitz steht damit für die fast vollständige, systematisch geplante, bürokratisch organisierte und industriell durchgeführte Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten.

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III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht

Damit bekommt die Chiffre »Auschwitz« Bedeutung auch für die Theologie. Eine Theologie, welche sich im Anschluss an Paulus der bleibenden Erwählung Israels als Gottes-Eigenvolk bewusst ist, darf den Schock der Schoah nicht verdrängen. Vielmehr hat sie ihn theologisch zu bedenken. Der Versuch der Nationalsozialisten, das Judentum ethnisch und in seiner geistigen Potenz auszulöschen, führte zu einer theologischen Besinnung auf die möglichen christlichen Voraussetzungen von Judenfeindschaft, Judenhass und Judenvernichtung in der Christentumsgeschichte. Weil das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem ausgezeichneten und endzeitlichen Sohn Gottes, die zentrale inhaltliche Bruchlinie zwischen dem gläubigen Judentum und dem gläubigen Christentum darstellt, rückte christlicherseits der Anspruch Jesu, im Namen des Vaters zu handeln und auch Sünden zu vergeben, sowie der Tod Jesu und die Gründe seiner Verurteilung ins Zentrum der Abgrenzungsgeschichte zwischen Christentum und pharisäischem Judentum. Dadurch bekam der Gebrauch des Christusglaubens politische Funktion. Insofern waren die verschiedenen Ausbildungen der Christologie immer auch Teil der Abgrenzungsgeschichte zwischen Judentum und Christentum. So konnten sich die Motive vom Gottesmord und vom Erwählungsverlust bis hin zu einer antisemitisch-rassistischen Christologie steigern. Was im Matthäusevangelium als Erlösungs- und Verheißungszusage zu Wort kommt, dass das Blut des Erlösers auch für Israel vergossen ist (Mt 27,25), wird in der nachfolgenden Geschichte oft nicht als Verheißung, sondern als Vernichtungsansage zur Geltung gebracht. In der berühmten Osternachtpredigt von Melito von Sardes heißt es: Welch schlimmes Unrecht, Israel, hast du getan? Du hast den, der dich ehrte, geschändet; den, der dich verherrlichte, hast du entehrt; den, der sich zu dir bekannte, hast du verleugnet; den, der dir gepredigt hat, hast du abgelehnt; getötet hast du den, der dich lebendig gemacht«. »Den Herrn hast du zugrunde gerichtet, gründlich bist du zugrunde gerichtet worden, und jetzt liegst du tot danieder.

Man kann eine gewisse Schadenfreude über die Zerstreuung Israels am Ende der Aufstände gegen die Römer nicht überhören. Typisch kommt der Gedanke der Kollektivschuld zur Anwendung und der Anteil der politischen Macht Roms am Prozess Jesu wird ausgeblendet. Die unüberbietbare Größe der Schuld Israels bemisst sich daher an der Größe des Heilands und Herrn der Welt, der durch Israel zu Schanden kam. In diesem Sinne formuliert Johannes Chrysostomos: »Weil ihr Christus getötet habt, weil ihr Hand an den Herrn gelegt habt, weil ihr das kostbare Blut vergossen habt, gibt es für euch keine Besserung, keine Ver-

1. Belastete Konfliktgeschichte und theologische Konsequenzen

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gebung, keine Entschuldigung.« Darum werde Israel auch schwerer bestraft werden als alle anderen Menschen und Völker. Dem Vorwurf des Gottesmordes korrespondiert die soteriologische Kernthese vom Erwählungsverlust Israels. Während der Hebräerbrief den alten und neuen Bund nicht einfach entgegensetzt und vorsichtig formuliert, dass das, was veraltet ist, dem Untergang nahe sei (Hebr 8,13), folgert wiederum Melito von Sardes in seiner Osternachtpredigt: So wurde auch das Gesetz erfüllt durch das Aufleuchten des Evangeliums, und das Volk Israel wurde entwertet durch das Erstehen der Kirche, und das Vorbild wurde aufgelöst durch die Erscheinung des Herrn. Und heute ist das, was einst wertvoll war, wertlos geworden durch die Offenbarung des wesenhaft Wertvollen.

Sublimer wird das Problem bei Adolf von Harnack (1851–1930) zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Harnack spricht nicht einfach von einem gottgewirkten Erwählungsverlust, sondern verlagert das Problem auf eine höhere Ebene, indem er es als selbst zu verantwortenden Erwählungsverlust vorstellt: Das jüdische Volk hat durch die Verwerfung Jesu seinen Beruf verleugnet und sich selbst versetzt; an seine Stelle rückt das neue Volk der Christen; es übernimmt die gesamte Überlieferung des Judentums; was unbrauchbar ist, wird umgedeutet oder fallen gelassen.

Nun sind es nicht die Christen, die das Judentum verwerfen, sondern es ist das Judentum selbst, das sich verfehlt und überflüssig macht und darum ersetzt werden muss. Die traditionelle These vom Erwählungsverlust bringt hingegen Kardinal Michael von Faulhaber (1869–1952) in einer Adventspredigt am Morgen nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler auf den Punkt: Nach dem Tode Christi wurde Israel aus dem Dienst der Offenbarung entlassen. [...] Damals zerriss der Vorhang im Tempel auf Sion und damit der Bund zwischen dem Herrn und seinem Volk. Die Tochter Sion erhielt den Scheidebrief.

Hier wird überdeutlich, wie der Tod Jesu mit der Vorstellung von einem von Gott gesetzten Erwählungsverlust einhergeht und sich Theologie und Politik im Umfeld der Machtergreifung Hitlers miteinander verknüpfen. Dieses Moment wird in der rassistisch-antisemitischen Christologie von Karl Adam (1876–1966) potenziert. Er nimmt das Dogma von der Erbsündenfreiheit Mariens (lat. immaculata conceptio) zum Anlass, Jesus und Maria genetisch und ethnisch vom Judentum abzulösen. Denn durch Gottes Gnadenwunder sei Maria frei von den

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III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht

(erbsündigen) jüdischen Erbanlagen, eine überjüdische Gestalt. Was von der Mutter gesagt werden kann, gilt dann erst recht von der menschlichen Wirklichkeit des Sohnes. Adam formuliert zum Dogma: »Es bezeugt uns, dass Jesu Mutter Maria in keinerlei physischem und moralischem Zusammenhang mit jenen hässlichen Anlagen und Kräften stand, die wir am Vollblutjuden verurteilen«. Wird diese Verwerfungsmetaphorik in der Geschichte der Christologie nicht ausgeblendet, so steht die christliche Theologie heute vor einer kopernikanischen Wende. Sie hat die Aufgabe, die bleibende Berufung Israels nicht nur anzuerkennen, sondern auch positiv durchzubuchstabieren und zur Geltung zu bringen. Dass Israel weiterhin berufen ist, kann im Spiegel von Röm 9–11 nicht geleugnet werden. Die Pointe der Aussage von Röm 11,7–8 ist darin zu sehen, dass das Nicht-Hören und das Nicht-Sehen Israels, welches bis zum heutigen Tag andauert (Dtn 29,3), von Gott gewirkt ist: »Gott gab ihnen einen Geist der Betäubung« (vgl. Jes 29,10). Theologisch wird das Geheimnis der Verstockung Israels damit zu einem Gottgeheimnis. Es ist Gottes Wirken, welches das Verstocken Israels bewirkt. So kommt es darauf an, das »Unvermögen« (Jürgen Moltmann) Israels, sich zur Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus bekennen zu können, theologisch positiv zu bestimmen (Friedrich W. Marquardt). Die fortdauernde Berufung Israels kann durch ein dreifaches Hören auf Israel und seine Einbeziehung in die christliche/christologische Selbstreflexion konkret werden. Zum einen beinhaltet es ein Hören auf die gemeinsame vorkanonische, biblische, theologische und mündliche Tradition. Diese ist an der Mose-Tora, den Propheten sowie an den davidisierten Psalmen orientiert. Ein zweites Hören ist maßgeblich als ein Hörbarmachen zu verstehen. Die christliche Selbstbestimmung, auf Israel zu hören und die Bedeutung Israels für den eigenen Glauben hörbar zu machen, schließt letztlich auch das Hören auf die lebendige Stimme des nachbiblischen Judentums in Geschichte und Gegenwart mit ein. Mit diesen Vorgaben kann der schillernde Begriff des »Antijudaismus« aufgeklärt werden. Er könnte sich auf das beziehen, was Juden am Christentum als unjüdisch empfinden (Judith Plaskow u.a.). Eine andere Option lautet: Christliche Theologie ist antijudaistischen Tendenzen ausgeliefert, solange Israel außerhalb unserer Heilsgeschichte bleibt (Roger Etchegaray). Eine Christologie gilt nachfolgend als antijudaistisch, wenn sie nicht an der bleibenden Erwählung des synagogalen Israels nach der Trennung ausdrücklich festzuhalten vermag und wenn es ihr nicht gelingt, die theologische Bedeutung dieser blei-

2. Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität

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benden Erwählung auch für die Christologie positiv zu beschreiben (Jürgen Moltmann/Friedrich W. Marquardt). Eine Christologie bleibt gefährdet, wenn sie nicht in einer gesamtbiblischen »Hermeneutik der kanonischen Dialogizität« (Erich Zenger) entfaltet wird und auch von daher ihren Aufbau gewinnt. Eine Möglichkeit der inhaltlichen Durchführung besteht darin, ausgehend von Mose und den Propheten die Botschaft des irdischen Jesus zu erschließen und umgekehrt deutlich zu machen, wie Jesus in seiner Person und Botschaft die Tora und die Propheten beglaubigt. Eine systematisch-theologische und soteriologische Christologie, die dem Alten Testament, dem Judesein Jesu sowie dem neutestamentlichen Christuszeugnis verpflichtet ist, hat sich im Rahmen einer Theologie der gnädigen Zuwendung (hebr. chesed) JHWHs (Hebr 1; 1 Joh 1) sowie seines geschichtlichen Sichselbst-Treubleibens (hebr. emeth) unter dem Leitmotiv der Gerechtigkeit (hebr. zedakah) zu entfalten. In dieser Einführung, die multikontextuell angelegt ist, kann dieser systematische Grundzug allerdings nur exemplarisch angezeigt werden. Die Überwindung des christlichen Antijudaismus fordert auch methodologisch einen Paradigmenwechsel: Der Vorrang des Kriteriums der »doppelten Differenz« Jesu vom Judentum und der christlichen Verkündigung des Neuen Testamentes (Rudolf Bultmann u.a.) ist durch den Vorrang des (traditionsgeschichtlichen) Kriteriums der »Kontextentsprechung« (Gerd Theißen u.a.; vgl. Kap. I.4), der Übereinstimmung Jesu mit dem Judentum seiner Zeit abzulösen. Innerhalb dieses Prioritätenwechsels behält das Differenzkriterium freilich analytische und heuristische Funktion (Ulrich Luz).

2. Der Jude Jesus im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität Mit dem renommierten jüdischen Jesusforscher Schalom Ben Chorin kann formuliert werden: »Der Glaube Jesu eint uns. Der Glaube an Jesus trennt uns«. Damit ist deutlich, dass Jesus zuerst und zunächst als Jude seiner Zeit verstanden werden darf, der das Judentum zu seiner ureigensten Sache wachrufen wollte. Steht im Zentrum der »Reich Gottes Botschaft« der Umkehrruf an Israel, so kann nicht übersehen werden, dass es Jesus nicht gelang, Israel unter den Bedingungen dieser Welt ursprunghaft auf Gott hin zu bekehren. Zu-

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III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht

dem greift bereits Jesus selbst partiell über Israel hinaus und bezieht Menschen anderer Traditionen in die Botschaft mit ein. Drei Beispiele, je eines für Kontinuität und eines für Diskontinuität sowie eines für Kontinuität und Kontextentsprechung können die Problematik des Judeseins Jesu im Verhältnis zum damaligen Judentum veranschaulichen: • Jesu Tora-Auslegung kann als ein Phänomen der Kontinuität verstanden werden. Doch beinhaltet seine Tora-Auslegung im strengen Sinne keine Kontextentsprechung zur Auslegungspraxis im Judentum seiner Zeit: Zunächst ist bedeutsam, dass Jesu Anspruch, die Tora authentisch, also im Sinne JHWHs, auszulegen, keine Ablösung der Tora beinhaltet, sondern eine Ratifizierung der Tora darstellt. Jesus nimmt nach dem Zeugnis des Neuen Testaments kein Jota von ihr (Mt 5,17–20), sondern erfüllt sie in seiner Person. Er setzt sie gegenüber der damaligen Torapraxis in neuer Weise in Kraft, indem er sie in ihrer Intention – »Bücher der Weisung« (Martin Buber/Franz Rosenzweig) zum Leben zu sein – unüberbietbar zur Auslegung bringt. Er tut dies, indem er angesichts widerstreitender Tora-Verständnisse und Tora-Praktiken eine prophetische Zuspitzung der Tora-Auslegung vornimmt. So werden die universal-humanen Aspekte der Tora verschärft (z.B. Nächsten- und Feindesliebe) und ihre rituell-kultischen Pflichten entschärft (z.B. Sabbatgebot). Seine Forderungen werden entsprechend der Nähe und Ferne zur Jüngerschaft gestuft. Allerdings legt Jesus die Tora in einer souveränen, autoritativen Weise aus, die sich letztlich auf die Autorität Gottes selbst beruft: »Ihr habt gehört – Ich aber sage euch« (Mt 5, 21f.). Deshalb wird Jesus österlich als die personifizierte Tora, als Exegese und Exeget des Vaters gepriesen (Joh 1). • Jesu Praxis der Sündenvergebung stellt hingegen ein Phänomen der Diskontinuität dar, welches traditionsgeschichtlich durch eine Radikalisierung möglicher Kontinuität bestimmt ist. So kennt das antike Judentum eine kultisch bestimmte Sündenvergebung (z.B. Lev 16), aber keine Sündenvergebung durch einen einzelnen, der im Namen JHWHs selbst autoritativ zu handeln beansprucht. Das vielmehr ist Gotteslästerung und handelt Jesus den Vorwurf ein, im Namen von Dämonen zu handeln (Mk 2). Die Sündenvergebung ist der theologische Glutkern der innerjüdischen Verwerfung Jesu. Von daher versteht sich die eklatante Provokation, die in der Frage liegt: »Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder zu sa-

2. Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität



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gen: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh umher?« Und: »Ihr aber sollt erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf Erden Sünden zu vergeben« (Mk 2, 9f.). Erst neutestamentlich und jüdisch nach-neutestamentlich werden die biblischjüdischen und in Qumran tradierten Voranklänge eines solchen autoritativen Handelns wiederentdeckt (vgl. den Rückbezug auf das Motiv des leidenden Gottesknechts, die Erwartung eines neuen Mose, eines Sohnes des Höchsten/Gottes, eines himmlischen Melchisedeks). Kontinuität und Kontextentsprechung können hingegen für das Zentrum von Jesu Verkündigung, nämlich für die Verkündigung der Königsherrschaft Gottes unterstellt werden. In einer Zeit der Entfremdung durch heidnische Einflüsse und der Okkupation durch die Römer tritt Jesus mit der Botschaft in die Mitte seines Volkes: »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an die Froh-Botschaft« (Mk 1,15). Diese Ansage versteht sich als Konkretisierung des jüdischen Glaubens, der Basisaussage von Gottes schöpferischem, lebensspendendem, rettendem, befreiendem und gerechtigkeitsschaffendem wie aufrichtendem Handeln (Dtn 5,6; 26,1–10; Hos 11). Denn nun erfüllt sich, dass Blinde sehen und Lahme gehen, dass Aussätzige rein werden und Taube hören. Die dem Tod ausgeliefert sind stehen auf und den Armen wird eine Frohbotschaft verkündet. Daher gilt: »Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt« (Mt 11,6). In dieser auf das Ende hin bestimmten und von Gott geprägten Zeit, werden die prophetischen Weissagungen Deuterojesajas vom Anbruch des Heiles in die Ohren der Menschen hinein erfüllt (Lk 4,16–21).

Jesu eigene Vision vom Anbruch des Reiches Gottes verknüpft sich mit dem Fall der Widermächte. Die hin und her reißenden Ja-aberGeister und der Geist der Anklage und Denunziation, sie haben keine Macht mehr über die Menschen. Vielmehr weiß sich Jesus selber in die Vollmacht gestellt, der Macht Gottes Raum zu gewähren: »Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen« (Lk 11,20). In vielen Machttaten der geistlichen Befreiung und körperlichen Heilung, der Beziehungsstiftung und der Erschließung versöhnten Lebens scheint auf, was Israel verheißen war: »Viele Propheten und Gerechte haben sich danach gesehnt, zu sehen, was ihr seht und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und

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III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht

haben es nicht gehört« (Mt 13,17). Freilich bricht das Reich Gottes nur an, wo Menschen ihr Herz öffnen und den kleinen Zeichen des Wachstums Glauben schenken. Das Senfkorn, der Sauerteig sind Motive, in denen Jesus das unscheinbare Wachstum, das Verborgene, aber auch die beharrliche Selbstdurchsetzung von Gottes Wirklichkeit unterstreichen will. Gottes Heil gilt allen, denn seine Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte (Mt 5,45). Wenn Gott in unbedingter Güte gibt und sich zuwendet, dann ist eine Verwandlung von Herz und Sinn des Menschen möglich. Dann ist den Menschen selbst Barmherzigkeit und Gerechtigkeit möglich. Dadurch werden zwei Dimensionen der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu deutlich. Zum einen versteht Jesus seine Sendung als Zeugenschaft und als Bekenntnis für den einen Gottes Israels. Der Gott, den Jesus Abba, lieber Vater, nennt, ist kein anderer Gott als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Mk 12,26f.). Er ist der Herr des Himmels und der Erde, er ist der freisetzende und befreiende, der schöpferisch ermächtigende und neuschöpferisch aufrichtende Gott des Lebens. Weil Gott ein »Liebhaber des Lebens« (Weish 11,27) ist, darum versteht Jesus seine Sendung im Namen Gottes als eine Erschließung des neuen Lebens in Gott und mit Gott. Darum ist er gekommen, »damit sie das Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10,10). Zentrum ist und bleibt das Bekenntnis zum Schöpfer, Befreier und Vollender Israels, denn »niemand ist gut, außer Gott« (Joh 5,44; Lk 18,19). Zum anderen bindet Jesus die Entscheidung gegenüber dem Reich Gottes und seinem Anbruch zwar an seine Person: »Wer mich sieht, sieht den Vater« (Joh 12,45). Dennoch setzt er sich nicht selbst ins Zentrum, sondern ist in dieser Vermittlung als Mittler zur Unmittelbarkeit mit Gott zu verstehen. Darum betont er wiederholt: »Dein Glaube hat dich geheilt / gerettet« (Mt 11,22; Lk 18,42). Indem Jesus die Menschen konsequent in die Beziehung zu sich selbst und zu Gott einweist, legt er zugleich die Wahrheit ihrer Beziehung zu anderen Menschen offen und wird als Mittler zur Unmittelbarkeit verständlich (Joh 4,5–26). Aus diesem Grund wird er vorösterlich bereits implizit als der Heilsbringer Gottes identifiziert. Deshalb nimmt ihn die Paulusschule als denjenigen in den Blick, der heilt, aus Sünde errettet und von Schmerzen befreit (Kol 3,13f.; Eph 2,11–22). So wird er nachösterlich auch explizit »Heiland« (1 Joh 4,14) genannt.

3. Jüdische Wurzeln der Messianität Jesu

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3. Jüdische Wurzeln der Messianität Jesu a) Messianische Motive im Vorfeld Jesu Der christliche Glaube – an Jesus als den definitiven Gesalbten Gottes – setzt die jüdisch-messianischen Hoffnungen Israels voraus. Nur in diesem Lichte kann die Christologie angemessen verstanden werden. Zudem ist der Messianismus die zentrale Idee, welche »Israel der Welt geschenkt hat« (Gershom Scholem). Der Begriff selbst versammelt unterschiedliche Endzeiterwartungen, die in der Regel mit der Figur eines finalen Retters verknüpft sind. Mit dem Messias ist die jesaianische Hoffnung auf den Einbruch und Anbruch von Gottes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens verknüpft (z.B. Jes 7–11). Der, welcher Gott als ein Gott-mit-uns verständlich macht, bringt Licht in das Dunkel, ist wunderbarer Ratgeber, Fürst des Friedens. Der starke Gott zerbricht das unterdrückende Joch, Recht und Gerechtigkeit treten an die Stelle von Unrecht und Armut (Jes 9). Aus dem untergegangenen Königtum, dem Baumstumpf Davids, erwächst eine neue Wurzel, die vom Geist des Herrn, vom Geist der Weisheit und Einsicht geleitet ist. Seine Waffe ist das wirkmächtige Wort, durch das Wolf und Lamm, Panther und Böcklein, Säugling und Natter nebeneinander in Frieden leben können (Jes 11). Dieses Reich der Gerechtigkeit und des Friedens wird durch messianische Gestalten wie den Messiaspropheten, den Menschensohn, den Knecht Gottes, den endzeitlichen Hohenpriester oder den Königssohn aus dem Geschlechte Davids aufgerichtet (Jes 42; 49–53; 2 Sam 7; 23; Ps 110,1–4). So ist der Knecht Gottes »Licht für die Völker«, der »Heil bis an die Enden der Erde« bringt (Jes 49,6). Die Verknüpfung königlicher, priesterlicher und prophetischer Elemente kommt in der Salbung zum Ausdruck und verbindet sich mit der Hoffnung auf eine Gestalt, welche nach dem Untergang des Königtums die Geschicke Israels theokratisch lenken und zum Guten führen wird. Die Verbindung von Priestertum und Königtum erschließt sich nach den Büchern Haggai und Sacharja in der Figur des Oberpriesters Jeschua (Jesus: Gott hilft, heilt, rettet), dem priesterlich Gesalbten aus dem Hause Aarons. Er wird den Tempel Gottes neu aufrichten. Nach Ez 34 ist es der wiedergekommene David, welcher als Messias Israels das Joch der Sklaverei beenden und Gottes Friedensbund mit Israel erneuern wird. Bei Mi 4–5 ist der Messias der Friedensfürst, welcher tödliche Lanzen in Winzermesser und vernichtende Schwerter zu Pflugscharen verwandeln wird. Wein-

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III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht

stock und Feigenbaum versinnbildlichen dann das neue Leben in Gerechtigkeit und Frieden, das seine Erfüllung in der Völkerwallfahrt zum Zion findet. Wie bereits angedeutet, ist die Vorstellung, dass ein einzelner Gottesknecht die Sünden der Vielen trägt und für die Schuldigen eintritt, für das antike Judentum und vermutlich den alttestamentlichen Zusammenhang insgesamt untypisch. Die Theologie des leidenden Gottesknechtes und die Messiaserwartungen Israels stehen im Alten Testament unverbunden nebeneinander. Daher ist die messianische Erwartung theopolitisch geprägt und nicht vom Gedanken des Gottesknechtes durchwoben, der sein Leben als Gabe dahingibt und in priesterlicher Weise stellvertretend den Tod auf sich nimmt. Die Gesalbten-Theologie Tritojesajas dient – nach Lukas – Jesus selbst zur Deutung seiner Sendung (Jes 61,1–3; Lk 4,16–30). b) Messianische Bewegungen im Umfeld Jesu Um die Wirkung Jesu auf sein unmittelbares religiöses Umfeld verstehen und die politischen Resonanzen seiner Sendung einordnen zu können, ist es notwendig, die messianischen Erwartungen des zwischentestamentarischen Judentums, des direkten Umfeldes von Jesu Auftreten und der nachjesuanischen Zeit im Blick zu haben. Religionspolitisch hochbedeutsam sind die messianischen Figuren unmittelbar vor Jesu eigenem Auftreten: So wird in der Zeit zwischen 6–3 v. Chr. im syrischen Raum von den Aufständen des Nikolaus von Damaskus berichtet, die sich gegen die Söhne des Herodes und die Griechen richtete. Seine Sehnsucht galt einer jüdisch-hebräischen Gesellschaft unter der Führung eines religiöscharismatischen Messias. Paradigmatisch für solche messianischpolitischen Führungsfiguren traten Simon, ein ehemaliger Sklave des Herodes, und Athronges, der Hirte, auf. Beide wurden mit dem Diadem bekrönt und zu Königen proklamiert. Beide standen gegen die römisch-hellenistische Lebenskultur der Herodianer. Noch weitere Messias-Prätendenten wie Menahem sind aus dieser Zeit bekannt. Entscheidend zum Verständnis des Kindermordes in Bethlehem und der Verurteilung Jesu als politischen Messias-Prätendenten durch die Römer dürfte sein, dass schon damals messianische Aufstände nur mithilfe des Militärs niedergeschlagen werden konnten und die Zeit insgesamt von messianischen Königserwartungen in der davidischen Nachfolge geprägt war.

4. Der Philipper-Hymnus

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In diesen Kontext ist auch die zelotische Bewegung einzuordnen. Sie verfolgte weniger einen militärisch durchorganisierten Aufstand als vielmehr eine Strategie der politischen und religiösen Guerillataktik. Nachdem auch Judäa und Samaria (6 n. Chr.) unter römische Verwaltung kamen und die Römer durch ihren Statthalter neue Steuern erhoben, erhob sich Judas der Galiläer gegen diese Fremdherrschaft, indem er die Alleinherrschaft Gottes betonte. Nach ihm ist es die Verantwortung der Menschen für diese Alleinherrschaft Gottes einzutreten und an ihr mitzuwirken. Dies konnte unter anderem durch die subversive Verweigerung der Steuer-Abgaben geschehen. Ab den vierziger Jahren propagieren dann die beiden Söhne des Judas die Lehre in Galiläa. Doch hatte diese sich bereits zuvor verbreitet, bezieht doch Jesus selbst zur Steuerfrage Stellung und lehnt die radikale Steuerverweigerung ab (Mk 12,13–17). Die Wirkung der Bewegung in Galiläa wird auch durch Simon den Zeloten (Lk 6,15) bezeugt. Dieser messianisch-politische Zeitindex wird schließlich auch durch Judas, den Sohn des Hezekias deutlich, der von Josephus nicht mit Judas dem Galiläer identifiziert wird. Auch dieser wollte eine religiös-politische Theokratie aufrichten. Schließlich wurde der messianische Königsprätendent des jüdischen Krieges, Simon ben Giora, als Anwärter auf die Königswürde gefeiert und entsprechend von den Römern nach dem Triumphzug in Rom hingerichtet. Dieses politisch-messianisch aufgeladene Zeitkolorit macht das politisch-revolutionäre Missverständnis der Sendung Jesu durch die Römer sowie die gefühlte Königs-Konkurrenz der Herodianer, welche der Kindermord in Bethlehem ins Bild fasst, verständlich. 4. Der Philipper-Hymnus: ein messianisch-judenchristlicher Sprechversuch Die nachfolgenden Überlegungen sind Frucht der jahrelangen Zusammenarbeit mit dem neutestamentlichen Kollegen Hans-Ulrich Weidemann. Der Philipperhymnus (Phil 2,6-11) ist vorpaulinisches Traditionsgut der judenchristlichen Gemeinden und repräsentiert vermutlich eine Christologie in poetischer Fassung vom Ende der dreißiger Jahre. Dezidiert greift er auf die Theologie des leidenden Gottesknechtes bei Jesaja zurück, eine messianische Tradition jüdischen Denkens, welche im antiken, zwischentestamentarischen Ju-

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III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht

dentum ohne Bedeutung blieb. Der Philipperhymnus gehört mithin zu den ältesten geprägten Zeugnissen der neutestamentlichen Bekenntnisentwicklung. Seiner Struktur nach zweigliedrig, arbeitet er mit dem Stilmittel des Parallelismus membrorum, den so genannten Gedankenreihen, die als semantische Verdoppelungen und thematische Wiederaufnahmen, als Steigerungen und Entgegensetzungen gestaltet sind. In seiner 1. Strophe formuliert der Christus-Psalm einen Statuswechsel mit dem dazu gehörenden Erscheinungsbild. Er, welcher in der Gestalt Gottes war, hielt an diesem Status nicht wie ein Besitz oder eine Beute fest, sondern entäußerte und erniedrigte sich und wurde im niedrigsten Status, jenem des Sklaven, wiedererkannt. In seiner äußeren, sichtbaren Gestalt (gr. schema), wird er, höchst zurückhaltend formuliert, »als ein Mensch erfunden«. Entsprechend der liturgischen Tradition ist jenes unbestimmte »Er« im Sinne der jüdisch-liturgischen Gottesanrede zu verstehen:, »Er, unser Gott, der Ewige«. Dadurch wird der gottesdienstliche Ort des Psalms deutlich, fungiert die Einleitung doch als Platzhalter für die liturgische Anrufung: »Jesus Christus, Er, …«. Die 2. Strophe ist durch einen Subjektwechsel gekennzeichnet. Nun ist es nicht mehr der, welcher in der Daseinsgestalt Gottes ist, der handelt. Nun ist jener, der sich dem Tod anheimgegeben hat, derjenige, an dem gehandelt wird. Wird der Tod vermutlich auch im Christus-Psalm aktiv als Dahingabe verstanden, so gehört die Rettung aus dem Tod, anders als im Johannesevangelium, hier nicht zur Selbstaktivität Christi. Die Rettung aus dem Tod und die Erhöhung in Vollmacht geschieht durch Gott, den Vater, zu dessen Ehre ohnehin alles geschieht. Alles dient der Ehrerbietung Gottes, des Vaters. Unter diesem Blickwinkel sind alle Hoheitsaussagen und Gottesprädikationen der 2. Strophe zu sehen: Jesus Christus wird zur »höchsten Höhe« erhoben, bekommt den »Namen über alle Namen« und alle geschaffene Wirklichkeit vollzieht vor ihm die Herrschaftsverehrung durch Kniebeuge als Zeichen der Unterwerfung. Er wird »Kyrios« genannt. Dies ist die Septuaginta-Übersetzung für die jüdische Gottesanrede Adonai. Mehr Gottesprädikation ist für Juden, die christusgläubig geworden sind, nicht möglich.

4. Der Philipper-Hymnus

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Philipperhymnus als Christuspsalm (nach Hofius) A a`

6a 6b

Er, Jesus Christus, der in der Gottesgestalt war, hielt nicht fest wie einen Raub das Gottgleichsein,

a a`

7a 7b

sondern er machte sich selbst arm (leer), Sklavengestalt annehmend.

a a`

7c 7d

Den Menschen gleich werdend Und der Erscheinung nach erfunden als ein Mensch,

a a` a``

8a 8b 8c

erniedrigte er sich selbst, sich gehorsam erzeigend bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.

A a`

9a 9b

Darum auch hat Gott ihn zur höchsten Höhe erhoben Und ihm geschenkt den Namen über alle Namen,

a b

10a 10b

damit unter Anrufung des Namen Jesu jedes Knie sich beuge der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen,

b` a` c

11a 11b 11c

und jede Zunge (lobpreisend) bekenne: »Herr ist Jesus Christus!« – zur Ehre Gottes, des Vaters.

Es gehört darum auch zu den theologischen Ungeheuerlichkeiten des Philipperhymnus, dass er sich als konkrete christologische Bestimmung des strengsten, deuterojesajanischen Monotheismus versteht: »Ich bin der Herr (JHWH), das ist mein Name doch; ich gebe meine Herrlichkeit keinem anderen« (Jes 42,8). Und später heißt es einschärfend und verschärfend: Sonst gibt es keinen Gott außer mir. Einen gerechten und rettenden Gott gibt es außer mir nicht. Wendet euch zu mir und lasst euch retten, alle ihr Enden der Erde! Denn ich bin Gott und keiner sonst. […] Ja, mir wird sich jedes Knie beugen und jede Zunge schwören und sagen: Nur in dem Herrn ist Gerechtigkeit und Stärke. (Jes 45,21–24)

Der Christus-Psalm wagt nichts weniger, als diese Prädikationen nun auf Jesus Christus zu übertragen und sie ihm zuzueignen. Es ist klar, dass ein numerisch verstandener Monotheismus solches nicht zu fassen vermag. Der Philipperhymnus löst das Problem, indem er die Beziehung zwischen Jesus Christus und Gott ganz eng fasst und

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III. Der Jude Jesus in jüdischer und christlicher Sicht

alles auf die Ehre des Vaters hin ausrichtet. Die Ehre des Vaters ist der theozentrische Zielpunkt des Psalms. Der Christus-Psalm repräsentiert mithin einen vorpaulinischen und judenchristlichen Versuch, die Tradition des Knechtes Gottes für die Christologie fruchtbar zu machen und von dort her den Erhöhungsgedanken durchzubuchstabieren. Diese Christologie operiert mit dem Modell relationaler Statusentsprechungen (durch Sklavenund Gottesprädikationen). Zugleich betont und wahrt sie den relationalen Vorrang des Vaters, die hebräische Theozentrik. Die 1. Strophe hat komplementär begründende Funktion. Sie formuliert die umgekehrte Richtung, denkt »von oben nach unten« und unterstreicht die Selbstaktivität Jesu Christi. Dadurch gewinnt der Christushymnus lehrhaften Charakter und nimmt – stärker noch als das urchristliche Gebet – Einfluss auf die Lehrentwicklung im Bekenntnis zu Jesus Christus. In ausgezeichneter Weise verbindet der Hymnus den Entdeckungszusammenhang des Knechtes Gottes in der jesaianischen Tradition mit dem Vertrauen auf die Tod überwindende Macht und Gerechtigkeit Gottes. Der leidende Gerechte, der den niedrigsten Status eingenommen hat, wird zum Herrn aller Herren. Was hier an Verherrlichung und Unterwerfung der Mächte – innerhalb des jüdischen Bestimmungszusammenhangs – erzählt und verkündigt wird, erhält in der ersten Strophe eine systematische Begründung. In dieser Weise ist der Psalm paradigmatisch für die urchristliche Verschränkung von Entdeckungs-, Bestimmungs- und Begründungszusammenhang. Indem dieser Christus-Psalm »alle Register zieht«, um Jesus Christus in einem jüdisch denkenden Kontext mit Gottesprädikationen auszustatten und diese Gottesprädikationen zugleich in den Dienst der Herrlichkeit (hebr. kabod) JHWHs zu stellen, nötigt er dazu, zwischen dem Vater und Jesus Christus zu unterscheiden. Dadurch steht der Philipper-Hymnus mit den anderen »Hymnen und Liedern, wie der Geist sie eingibt« (Kol 3,16), am Beginn der christlich-binitarischen bzw. christlich-trinitarischen Sprechversuche. Diese wollen die unkorrumpierbare Souveränität Gottes, des Vaters, und seine im Sohn unter den Menschen und kraft des Geistes in den Menschen geschenkte unverbrüchliche Nähe für Gottes eigenes Sein (in sich) zusammendenken. Zugleich dokumentiert der ChristusPsalm das noch offene und tastenden Ringen um eine neue Sprache, um neue Begriffe und Metaphern und Kategorien, in denen die »Neuheit des Denkens« (Röm 12,2) Gestalt gewinnen kann, zu der die Frohbotschaft von Gottes rettender Nähe in Jesus Christus her-

4. Der Philipper-Hymnus

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ausfordert. Damit zeichnet sich bereits der Weg ab, der mitten in die christologische Dogmengeschichte hineinführt. Zusammenfassung: Die Einsichten in das jüdische Erbe Jesu von Nazaret und der christlichen Christologie weisen darauf hin, dass das Christentum sein Bekenntnis zu Jesus Christus nur im Eingedenken der eigenen Verfehlungen entwickeln kann. Dazu gehört die Erinnerung an die zerstörerischen Rivalitäten mit dem Judentum, die in antisemitischen Christologien kulminieren. Diese fanden in den Behauptungen vom Erwählungsverlust und vom Gottesmord Israels christologische Brisanz. Im Sinne einer Theologie Israels als »formaler Christologie« (Hans Urs von Balthasar) kommt es in Zukunft darauf an, nicht nur das bleibende messianische Erbe Israels zu bewahren und kritisch-korrektiv in jede Christologie einzuzeichnen sowie die jüdischen Dimensionen Jesu im Sinne eines traditionsgeschichtlichen Ansatzes zu bewahren und stark zu machen. Dafür ist der Philipper-Hymnus Beispiel. Eine Christologie, welche das jüdische Erbe nicht verleugnet, hat auch den eschatologischen Vorbehalt der unabgegoltenen Geschichte und der leidenden Menschen zu bewahren. Dies ist in einer Christologie der »vermissten Wiederkunft« und »vermissten Vollendung« möglich (Nitsche I, 481– 494), welche die berechtigten Anliegen der unterschiedlichen Christologien nach Auschwitz sowie der traditionellen Christologien balanciert.

Literatur Hofius, Otfried, Der Christushymnus Philipper 2,6–11. Untersuchungen zu Gestalt und Aussage eines urchristlichen Psalms (WUNT 17). Tübingen 1976, 21991. Moltmann, Jürgen, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen. München 1989. Nitsche, Bernhard, Jesus Christus zwischen Messianismus und christlichem Triumphalismus. In: Tagungsband „Ernstfall Christologie. Christliche Identität und ungekündigter Bund (Röm 11,29)?» Hg. v. Vereinigung katholischer Religionslehrerinnen und Religionslehrer an Gymnasien im Bistum Trier (2002). Trier 2003, 1–41 (dort alle Zitate aus III.1.–2. nachgewiesen). (Nitsche IV) Theißen, Gerd / Merz, Anette, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch. Göttingen 32001.

IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte Die Lehrentscheidungen der christologischen Dogmengeschichte sind von überragender Bedeutung, weil sie Grundfragen der Christologie orientieren, die in jeder Zeit virulent werden und in veränderten Kontextbedingungen bleibend bedeutsam sind. Im Zentrum stehen die heilsbezogenen Fragen, wie Gott sich wirklich auf die Geschichte beziehen und in sie eingehen kann, ohne aufzuhören, Gott zu sein. Das Drama der Erlösung nötigt zu Reflexionen, in denen göttliche und menschliche Wirklichkeit konsequent unterschieden, aber nicht geschieden, sondern dynamisch und dialogisch aufeinander bezogen werden. Der Weg hin zu einer angemessenen Versprachlichung des Bekenntnisses zu dem Juden Jesus als dem Christus Gottes im Übergang vom hebräischen in das griechische und römische Denken kann als Suchbewegung beschrieben werden. Diese Suchbewegung erforderte eine systematische Durchdringung und terminologische Klärung des Sprechens von Jesus Christus. Weil etwas Neues ins Wort gebracht werden musste, das den Rahmen bisheriger Erfahrungs- und Deutungszusammenhänge überstieg, ist die Geschichte der christologischen Reflexion eine Geschichte des Ausprobierens und Neubuchstabierens, und darum eine Geschichte von Versuch und Irrtum. Es mussten neue Begriffe gefunden und neue systematische Konzepte entwickelt werden. Dem inneren Anspruch des Neuen Testamentes entsprechend kam es, ausgehend von den jüdisch-biblischen und griechisch-biblischen Denkmustern und Sprechweisen, darauf an, Kategorien und Konzepte auszuprobieren, die geeignet waren, die Anliegen der jüdischen Tradition und die neue Erfahrung des Glaubens in und mit Jesus Christus angemessen zu versprachlichen. Dies galt nicht nur gegenüber der vorgegebenen jüdischen Tradition, sondern auch in Bezug auf die neuen Lebenskontexte der römischhellenistischen Welt. Die Suche nach einer neuen Sprache kann in einem ersten Schritt mit der Suche nach neuen Kleidern verglichen werden. Menschen, die das Gewohnte hinter sich lassen wollen und nach neuen Kleidern suchen, können oft schneller sagen, was für sie nicht stimmt oder nicht passt, als zu sagen, was ihnen sehr gut steht und ihrem persönlichen Gesamteindruck gerecht wird. So mussten auch die frühen Christinnen

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

und Christen neue Muster und Zuschnitte der Christologie erproben. Erst durch dieses Ausprobieren und das Gespräch miteinander konnten mögliche Wege und Modelle gefunden, Geschmacksverirrungen und Fehlentwürfe erkannt sowie Änderungsbedarfe und Präzisierungen geklärt werden. Das Wagnis neuer Sprechversuche war unumgänglich. Es bedurfte der kommunikativen Absicherung und Klärung. Sollte Verbindlichkeit gewonnen und Beliebigkeit überwunden werden, konnten nicht alle Sprechversuche in gleicher Weise gültig sein und nebeneinander bestehen bleiben. Diese notwendige Vielstimmigkeit kommt bereits in den neutestamentlichen Sprechweisen und Denkmustern zum Ausdruck. Alle nachfolgenden Versuche sind auf diese Ur-Kunde zurück verwiesen, die in sich bereits eine gegenseitige Korrektur der Konzepte und einen verbindlichen (kanonischen) Verweisungszusammenhang festhält. Mit der Übersetzung in den griechisch-platonischen Denkraum und das römische Ordnungsdenken wurden weitere Wertungen, Unterscheidungen, Abgrenzungen aber auch Ausgrenzungen notwendig. Nur so war es möglich, den Rahmen einer Glaubensgemeinschaft (gr. koinonia, lat.: communio) gemeinsam und verbindlich festzulegen. Wesentlich können die Probleme der christologischen Dogmengeschichte durch drei Grundfragen gebündelt werden: 1. Wie ist das Verhältnis Jesu Christi zu Gott, dem Vater, zu bestimmen? 2. Wie ist das Verhältnis Jesu Christi zu den Menschen zu bestimmen? 3. In welchem Verhältnis stehen beide Verhältnisse zueinander? Wie verhalten sich der Gottesbezug und der Menschenbezug in Jesus Christus zueinander? Je nachdem, bei welcher Fragestellung eine Christologie ansetzt, wird sie ein unterschiedliches Profil entwickeln sowie unterschiedliche Stärken und Schwächen zeigen. Zur Vollständigkeit einer Christologie gehört es heute, dass sie zu allen drei Problemkreisen Stellung bezieht und den Zusammenhang der Problemkreise reflektiert.

Diese drei Grundfragen erschließen die zentralen Entscheidungsprozesse der christologischen Dogmengeschichte in der Alten Kirche. Sie können in der Reihenfolge der drei großen Ökumenischen Konzilien wiedergefunden werden: 325 Nikaia; 381 Konstantinopel; 451 Chalkedon. Natürlich hatten diese Entscheidungen Vorspiele und Nachspiele. Selbstverständlich war jede Lösung mit neuen Fragen belegt und wurden weitere Nuancierungen notwendig.

1. Das Verhältnis Jesu zum Vater

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1. Das Verhältnis Jesu zum Vater: Wahrhaftig Gott? Identität (Jesus Christus »ist« Gott) und Differenz (Jesus Christus »ist nicht« Gott) kennzeichnen die Verhältnisbestimmung zwischen Jesus Christus und Gott, dem Vater. Für beide Fälle kommt es darauf an, was jeweils unter dem »ist« verstanden wird, das zur Identifizierung oder Unterscheidung anleitet. Wird die Diskussion nicht bezüglich der in sich komplexen Wirklichkeit Jesu Christi thematisiert, sondern verkürzend unter der Leitfrage geführt, ob »Jesus« Gott ist oder nicht, so kann gesagt werden: Beide Extreme werden der christlichen Grunderfahrung, wonach Gott sich selbst in Jesus zu unserem Heil schenkt, nicht einfachhin gerecht (vgl. die Basisformel von Schillebeeckx I,49: »entscheidendes Heil von Gott her in Jesus«). Die Frage nach der Göttlichkeit Jesu Christi schließt zwei wegweisende Motive in sich ein: die hebräische Voraussetzung, wonach Heil letztlich nur von Gott selbst kommen kann, sowie die christliche Erfahrung, dass dieses Heil von Gott her in Jesus ganz und gar Gegenwart und verbindliche Endzeithoffnung geworden ist. Entscheidend geht es also um die heilsbestimmte (soteriologische) Frage: »Dürfen Christinnen und Christen darauf vertrauen, dass sie es in Jesus wirklich und wahrhaft mit Gott selbst zu tun haben?« Oder handelt es sich hier etwa nicht um Gott selbst, sondern um Beelzebub (Mk 2,22f.) oder um eine kosmische Zwischenmacht (Röm 8,27–30). Ob Gott sich selbst als Heil für uns mitteilt oder eine übergeordnete Macht etwas mitteilt, dies markiert die biblische Pointe der Heilsfrage. In Auseinandersetzung mit dem griechisch geprägten Judentum und dem Hellenismus des Umfeldes wurde die Aufgabe dringlich, eine durch Beziehung bestimmte Wirklichkeitssicht (Ontologie) zu entwickeln. In einer solchen beziehungsbestimmten Ontologie kann der Beziehungs-Zusammenhang Gottes in sich sowie zwischen Gott und Mensch bedacht werden. In einem solchen beziehungsbestimmten Denken kommt es darauf an, die dynamische Lebensfülle in Gott, im Ursprung, sowie in Gottes freier Entäußerung und Welterschaffung angemessen auszulegen. Für diese Aufgabe fehlten zunächst die Begriffe und die Vorstellungsmuster. Es ist im Nachhinein nicht übertrieben zu sagen, dass eine Grenze der altkirchlichen Christologie von Nikaia darin besteht, dass sie das Verhältnis von Göttlichkeit und Geschöpflichkeit noch nicht konsequent als Beziehungsgeschehen in und aus Freiheit formulieren konnte.

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

Für den christologischen Reflexions-Zusammenhang ist weiterhin beachtenswert, dass das hebräische Denken zwischen der göttlichen Transzendenz und der weltlichen Immanenz sehr klar unterscheidet, ohne beide Sphären radikal und schematisch voneinander zu scheiden. In der Auseinandersetzung des hebräischen Denkens kommt es vielmehr darauf an, Gott als einen sich in der Geschichte engagierenden Gott zu begreifen, dessen zentrale Wesensmerkmale und Handlungsmotive Güte und Gerechtigkeit in Treue und Bewährung sind. Eine Christologie, welche diesem Hintergrund verpflichtet ist, hat das Heil von Gott her in Jesus als Ausgestaltung und Bekräftigung dieses bewährenden Sich-Selbst-Treu-Seins Gottes in Gnade und Gerechtigkeit zu erschließen. Mit den christologischen Fragen stand zugleich die Einheit des biblischen Monotheismus auf dem Spiel. Zu den zentralen Aufgaben des geschichtlichen Werdens der Christologie gehörte es, die alttestamentlich bezeugte Subjektivität Gottes dynamisch differenziert zu denken. Weder eine geschichtslos von der Welt abgelöste und adynamische Singularität (Monade: numerische Einsheit) noch eine Aufsplitterung des göttlichen Bereiches in mehr oder weniger göttliche Sphären konnten der eigenen Überlieferung gerecht werden. Dies macht der Blick auf zwei geschichtliche Fehlformen deutlich: Zum einen wurde die Betonung der Einzigkeit und Alleinherrschaft Gottes, des Vaters, mit der naheliegenden Vorstellung verknüpft, Jesus sei der erwählte Bote Gottes. Vor dem Hintergrund der jüdischen Vorstellungen von der Erhöhung des Knechtes Gottes wurde Jesu spezifisches Gottesverhältnis unter dem Blickwinkel der Anerkennung und Erwählung bedacht. Sofern er aufgrund seines Verdienstes als Sohn Gottes verstanden und »angenommen« wurde (Adoptianismus), musste eine nur »von unten« her denkende heilsgeschichtliche Christologie hier an ihre Grenze stoßen. Mit ihr geriet die vornizänisch verbreitete Unterordnung (Subordination) des Sohnes unter den Vater in die Krise. Im heidenchristlichen Kontext wurde diese Adoption mit dem Ereignis der Taufe (Theodot, um 190), später mit dem Ereignis der Empfängnis (Paul von Samosata, gest. nach 270) verbunden. In diesem Konzept von geistlich-prophetischer Bewährung und göttlicher Anerkennung durch Adoption ist Jesus ein vom Geist Gottes inspirierter Mensch. Ganz von Gottes Geist durchdrungen, konnte Jesus eine einmalige Einheit mit dem Willen des Vaters erringen. Dieses Modell der ausgezeichneten, geistlich-sittlichen Einung mit dem Willen des Vaters sowie die spätere zeitliche Verknüpfung der Geistbegabung von Gott her mit der

1. Das Verhältnis Jesu zum Vater

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Empfängnis in Maria führten zu erheblichen Differenzierungen. Der Vorwurf gegenüber Paul von Samosata, Jesus Christus sei bei ihm nicht vom Himmel gekommen, sondern nur Mensch, erweist sich deshalb als diskussionsbedürftig. Zum anderen konnte die göttliche Dimension Jesu ganz in Gott hinein genommen werden. Dies geschah in der Regel unter dem Leitmotiv, den strengen Monotheismus wahren zu wollen. Darum wurden die theologischen Implikationen der biblischen Differenzierung zwischen Gott, dem Vater, und Gottes Sohn, Jesus Christus, für die Bestimmung von »Gottes Sein in sich« vernachlässigt oder bestritten. Nach dieser Auffassung beschreibt die biblische Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist nicht Gott in seinem Selbstsein, sondern in seinen Erscheinungsweisen (lat. modi) nach außen. Noet von Smyrna (um 190) betont daher: Die unterscheidende Rede von Vater, Sohn und Geist in der Schrift könne sich nur auf die eine, einzige Person Gottes richten. Der eine Gott ist nur nach der Art seiner Erscheinungsweise so, »als ob« er Vater, Sohn und Geist wäre. Dieses Denken wird später vor allem Sabellius (nach 200) zugeschrieben. Nach der Überlieferung anderer vertrat er die Lehre, dass es nur einen Träger und Inhaber (Hypostase) des Göttlichen, den »Sohnvater« gibt. Dieser eine Träger habe sich nacheinander in drei unterschiedlichen, vergänglichen Erscheinungsweisen gezeigt: in der Schöpfung als Vater, in Christus Jesus als Sohn und als Heiliger Geist in der Gemeinde. Das bei Sabellius angezeigte Verständnis eines zeitlichen Nacheinanders der Handlungen der trinitarischen Personen findet mittelalterlich in der Drei-Reiche-Lehre des Joachim von Fiore (1130–1202) erneute Aufnahme. Dieser geht an der Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend davon aus, dass die alttestamentlich bezeugte Zeit die Zeit der Herrschaft des Vaters ist, während das erste Jahrtausend vom Sohn bestimmt wird. Das nun folgende, zweite Jahrtausend unterliegt der Herrschaft des Geistes und führt zur Vollendung. Diese Abfolge wird neuzeitlich von Georg W. F. Hegel (1770–1831) als Abfolge von Idee (An-Sich; Gott Vater) und exemplarischer geschichtlicher Wirklichkeit (Für-Sich; Gott Sohn) sowie der Übereinstimmung von Idee und Wirklichkeit im Reich des Geistes und der Freiheit (An-und-Für-Sich) interpretiert. Beide Motive, den Monotheismus in numerischer Singularität monadisch zu denken und Jesus kraft seiner moralischen und heilschaffenden Macht als in der Zeit angenommenen Sohn Gottes zu verstehen, finden sich bei Arius (260–336), einem Diakon aus Alexandrien, wieder. Im Horizont der damals (noch) aktuellen Philoso-

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

phie des mittleren Platonismus versuchte er, sein Christusbekenntnis philosophisch zu begründen. Biblischer Bezugspunkt seiner philosophisch-theologischen Reflexion war der Johannes-Prolog, welcher von Gottes ewiger Selbstaussprache, seinem ewigen Wort der Wahrheit und Verheißung über alle Welt spricht. Dieser göttliche Logos zeltete in der Welt und wurde in Jesus endliche Welt (Fleisch). Arius identifizierte den johanneischen Logosgedanken mit dem Logosdenken des Platonismus der mittleren Periode (100 v. Chr. bis 250 n. Chr.). Dieser Platonismus denkt das Sein gestuft in Wirklichkeits- und Wahrheitssphären und ordnet alle Wirklichkeit zwischen dem höchsten und vollkommenen Sein Gottes und seiner Gegenwirklichkeit, der begrenzten Materie, ein. Dieses Denken in Seinsstufen kennt die seinsmäßige Unterordnung des Logos unter das wahrhaft Göttliche. Für Platon und den Platonismus war es typisch, die Wirklichkeit unter zwei Prinzipien, dem idealen Göttlichen und dem Begrenzungsprinzip der Materie, zu betrachten. Die Materie hatte in dieser Vorstellungswelt nicht nur die Funktion, als Begrenzungsprinzip ein Gegenprinzip zum Göttlichen zu sein. Als entgegengesetzte Wirklichkeit wurde die reale Materie als vom idealen Göttlichen abgefallene, schlechte Wirklichkeit angesehen. Im Unterschied zum Neuplatonismus (Plotin, 205–270), der bereits in einer Auseinandersetzung mit christlichem Gedankengut steht, ist der mittlere Platonismus noch ganz von einer aus dem göttlichen Bereich hervorgehenden und von ihm abfallenden Stufenordnung des Seins geprägt. Innerhalb des Göttlichen und dem vom Göttlichen (dem Einen: gr. hen) durchformten Bereich wird zwischen dem Göttlichen selbst (dem Einen), dem göttlichen Prinzip der Weltschöpfung (gr. logos) und dem göttlichen Funken in der menschlichen Vernunft (gr. nous/pneuma), unterschieden. In dieser Tradition ist der Logos nicht schlechthin göttlich, sondern ein erstes göttliches Prinzip der Welterbauung, der seinerseits geschaffene, aber alles durchformende Sinn der Welt. Dieses Prinzip wurde bildlich als erstes göttliches Geschöpf und Weltenbauer (gr. demiourgos) vorgestellt. Das spekulative Denken »von oben« ist für die alexandrinische Theologenschule typisch. Arius wandte dieses auf den johanneischen Logos an und verknüpft es mit dem Gedanken einer heilsgeschichtlichen Bewährung »von unten«. Diese wurde vor allem in der antiochenischen Theologenschule vertreten. Als ein intellektueller und synthetisch begabter Kopf konnte Arius nicht nur beide Traditionen gekonnt miteinander verbinden, sondern sie auch in philosophisch-poetischer Verdichtung brillant zur Sprache bringen. Da-

1. Das Verhältnis Jesu zum Vater

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durch gelang es ihm zunächst, den strengen Monotheismus aufrechtzuerhalten und die Besonderheit Jesu herauszustellen. Von unten« besehen ist Jesus nun mehr als ein Mensch, ein moralischer und heilbringender »Superman« oder Über-Mensch, der aus Verdienst zum Sohn erwählt wird. Dies bringt Athanasius (298–373), ebenfalls Diakon in Alexandrien, Widersacher des Arius und führender Vertreter der Theologie des Konzils von Nikaia, in seinen Reden gegen die Arianer auf den Punkt: »Alle, die auf Erden und im Himmel Söhne genannt wurden, [...] sind es offenbar alle durch ihn [...], er empfing dies nicht als Lohn für die Tugend, […] er ist [Gott] der Substanz nach. (Ohlig I, Nr. 99).

»Von oben« her gesehen ist der Logos, der sich in Jesus inkarniert, ein »zweiter Gott«. Darum existiert der Logos-Sohn für Arius nicht von Ewigkeit. Vielmehr ist er in der Zeit geschaffen. Als geschöpfliches, endliches Wesen kennt der Sohn den Vater nicht (»der Ursprungslose setzte den Sohn als Anfang der Geschaffenen/Gewordenen«). Der Logos-Sohn hat nach Arius nichts Gotteigenes in dem, was ihm seiner eigenständigen, göttlichen Trägerschaft (Hypostase) nach eigen ist, denn er ist dem Vater »nicht gleich und ihm auch nicht wesenseins (gr. ahomoousios)«. Der Gott west für den Sohn als Unaussprechlicher. [...] Ihm ist es nämlich nicht möglich, den Vater aufzuspüren, der für sich selber ist. Auch der Sohn selbst hat seine Wesenheit nicht gesehen (Grillmeier, 371– 373).

Werden die beiden Perspektiven des arianischen Denkens – der heilsgeschichtliche und auf Bewährung zielende Ansatz »von unten« sowie der philosophisch-spekulative Ansatz »von oben« – zusammengesehen, so muss auf der einen Seite von einem Über-Menschen und auf der anderen Seite von einem »Unter-Gott« oder einem »untergöttlichen, geschaffenen Prinzip« gesprochen werden. Denn es gab eine Zeit, in welcher der Logos-Sohn nicht war. Innerhalb des platonischen Stufendenkens führt dies dazu, dass Inkarnation nun die Welt-Werdung eines Unter-Gottes (Logos-Sohn) in einem moralischen und heilbringenden Über-Menschen beschreibt. Dieser Mittler ist, bildlich gesprochen, »weder Fisch noch Fleisch«, »weder Gott noch Mensch«. Der Mittlergedanke wird nun konsequent durch ein mediales Mittlerwesen beschrieben, welches in einem Zwischenbereich zwischen der Sphäre des Göttlichen und der Sphäre des Menschlichen angesiedelt ist. »Von oben« ist ein philosophisch-spekulatives Kosmosprinzip leitend, das die Entstehung der Welt durch den Überfluss des göttlichen Seins und eine Abstufung der unterschiedlichen Seinssphären »von oben nach unten« bedenkt. »Von

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

unten« bestimmt ein bewährungschristologisch-adoptianisches Heilskonzept das Denken, demzufolge Jesus kraft seiner moralischen Integrität und persönlichen Heiligkeit an Sohnes statt angenommen und in die göttliche Wirklichkeit aufgenommen wurde. Diese Vorstellung, wonach Jesus Christus weder Gott noch Mensch ist, bedurfte darum aus soteriologischen Gründen der Korrektur – »nach oben« und »nach unten« hin. Immerhin stand die hebräische Voraussetzung zur Disposition, wonach es der ewige Gott selbst ist, der sich in der Welt und der Geschichte der Menschen zu unserem Heil engagiert. Die biblisch-hebräische Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit Gottes und der Wirklichkeit der Schöpfung fokussierte die Frage: Ist Jesus Christus der Ebene Gottes oder der Ebene der Schöpfung/Geschöpfe zuzuordnen? Mit dem Konzept des Arius wurde im Kern zunächst die Gottesfähigkeit des Menschen Jesus (Jesus muss mehr als ein Mensch sein) und sodann die Weltfähigkeit Gottes bestritten (Inkarnation Gottes ist nicht möglich). Im Lichte der biblischen Voraussetzung, wonach letztlich nur Gott selbst das Heil der Welt ist, wurde damit auch das zutiefst therapeutische Prinzip des christlichen Erlösungsdenkens aufgelöst, wonach nur geheilt und erlöst ist, was wirklich angenommen wurde (Gregor von Nazianz). So hatte bereits Athanasius formuliert: Wie wir nicht von der Sünde und dem Fluche befreit worden wären, wenn das Fleisch, welches das Wort anzog, nicht von Natur das eines Menschen wäre [...], so wäre der Mensch nicht vergöttlicht worden, wenn das Fleisch gewordene Wort nicht seiner Natur nach aus dem Vater stammte und sein wahres und eigenes Wort wäre. Deshalb hat eine solche Verbindung stattgefunden, damit es mit der göttlichen Natur den natürlichen Menschen in Verbindung brächte und dessen Heil und Vergöttlichung gesichert wäre (Ohlig I, Nr. 99).

Immer wieder betont Athanasius darum, dass der Logos eins mit dem Vater und wirklich ganz Mensch geworden sein müsse, um uns das Heil von Gott her zu erschließen und uns Gott entgegenzubringen. Das Konzil von Nikaia (325) wurde mit dem Interesse einer bekenntnismäßigen Reichseinheit von Kaiser Konstantin einberufen. Obwohl politisch initiiert, war das Konzil in seinen Entscheidungen primär jedoch nicht von reichspolitischen oder metaphysisch-spekulativen, sondern von soteriologischen Anliegen geprägt. Darum trifft der seit Adolf von Harnack (1851–1930) vielfach erhobene Vorwurf einer den Glauben entstellenden und entfremdenden Anpassung an

1. Das Verhältnis Jesu zum Vater

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das griechisch-metaphysische Denken (»Hellenisierung des Christentums«) die Intentionen des Konzils nicht. Gegenüber Arius vollzog das Konzil vielmehr eine »Enthellenisierung« der gedanklichen Konzeption. Es folgte nicht kosmologischen Logos-Spekulationen, sondern stellte vor allem biblisch, paulinisch und johanneisch sowie liturgisch das wahre Herr-Sein Jesu Christi, seinen Status in der Wirklichkeit Gottes und sein wesentliches, ursprunghaftes VonGott-her-Sein heraus. Damit folgte das Konzil dem Interesse, Korrekturen zunächst auf der primären, alltagssprachlichen Ebene des Glaubens vorzunehmen. In einfacher Bildmetaphorik nannten die Konzilsväter den Sohn »Licht von Licht« bzw. »Gott von Gott«. Auf einer zweiten Ebene wurden die Sprachbilder und Begriffe des biblischen und liturgischen Bekenntnisses erinnert. Dies geschah entsprechend der biblischen Tradition der variierenden Wiederholung und angeleitet durch die altkirchliche Auffassung »so wie wir beten und feiern, so glauben wir« (lat. lex orandi, lex credendi). In biblischer und liturgischer Sprache wurde der Sohn nun »wahrer Gott aus wahrem Gott« genannt und als »gezeugt, nicht geschaffen« beschrieben. Dies geschah in bewusster Unterscheidung zur arianischen Formulierung »geschaffen/geworden in der Zeit«. Damit wurde die Zweideutigkeit der alttestamentlichen Vorlage eindeutig gemacht, konnte diese doch zum einen das Geschaffensein der Weisheit Gottes, zum anderen den Hervorgang der Weisheit aus Gott beschreiben (Sir 1,4; Weish 7,25–27). Über diese semantischen Präzisierungen hinaus, wurde die Korrektur »nach oben« erreicht, indem die auf den Vater bezogenen Prädikationen (Gott, Allherrscher, Allschöpfer) nun beschreibend auf den Sohn übertragen wurden (dies ist ein Schema, welches das Konzil von Konstantinopel 381 dann für den Geist übernehmen wird). Der Sohn und Einziggeborene wird nun »Kyrios« (Septuaginta: Adonai, Herr, Gott) genannt. Durch ihn ist das »All geschaffen«, alles, was im Himmel, über der Erde und unter der Erde ist. Seine »Herrschaft«, die vollendet wird, wenn er wiederkommt, währt »von Ewigkeit zu Ewigkeit«. Ihr zentraler Inhalt ist die Entäußerung und Dahingabe »für uns und zu unserem Heile«. Die Allmacht des Vaters wird durch den Sohn als Allliebe konkretisiert. Danach vermag Gottes Macht alles, was Liebe vermag. Auf der dritten Ebene der theologischen Reflexionssprache korrespondierte der Enthellenisierung des Erlösungsdenkens eine vorsichtige Hellenisierung in der Sprache. Mit der Formel »homoousios to patri« wurde die Wesensgleichheit oder Wesenseinheit mit dem

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte Vater

Sohn

Geist

Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allherrscher, den Allschöpfer des Himmels und der Erde, des Sichtbaren und Unsichtbaren

Und an den einen Herrn, Jesus Christus, Gottes einziggeborenen Sohn, aus dem Vater gezeugt vor allen Zeiten, Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater

Und an den Geist, (Nikaia 325) den heiligen, (Konstantinopel 381) den herrscherlichen, den lebendigmachenden, der aus dem Vater (und dem Sohn) hervorgeht, der mit dem Vater und Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten.

(den Allschöpfer)

durch ihn ist das All geworden,

(den lebendigmachenden)

(den Allherrscher)

er ist wegen uns Menschen und um unseres Heils willen aus dem Himmel herabgestiegen (und) Fleisch geworden aus dem heiligen Geist (und) Mensch geworden aus Maria, der Jungfrau: Er wurde für uns gekreuzigt unter P. Pilatus, hat gelitten und wurde begraben; (und ist) auferstanden am dritten Tag gemäß den Schriften,

(den herrscherlichen)

hinaufgestiegen in den Himmel, sitzt zur Rechten des Vaters, wird wiederkommen in Herrlichkeit, Lebende und Tote zu richten, sein Reich wird kein Ende haben.

(Ihm glauben wir:) Die eine, heilige, kathol. und apostol. Kirche, wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Zeit. Amen.

2. Das Verhältnis Gottes zur Welt

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Vater gegenüber Arius (»ahomoousios«) begrifflich festgehalten. Um der Sache willen sah man sich genötigt, diese einzige unbiblische Formulierung in das Glaubensbekenntnis aufzunehmen. Das »Korn Wahrheit« der Hellenisierungsthese liegt darin, dass mit der Argumentation des Athanasius und dem Wesens-Denken nun auch ungeschichtliche, metaphysische Denkmuster in die dogmatischen Klärungen einbezogen wurden und das Glaubensbekenntnis insgesamt recht arm an heilsgeschichtlich-erzählenden Elementen blieb (Kasper II, 208-211). Für eine angemessene Hermeneutik konziliarer Aussagen wird an dieser Stelle deutlich: Konziliare Reflexionsterminologie formuliert meistens negativ, kritisch abgrenzend. Zunächst sind drei Sprachebenen zu unterscheiden: erstens eine metaphorische, primärsprachliche Ebene des Glaubens, zweitens eine ebenfalls metaphorische Sprachebene der Schrift und der Liturgie, sowie drittens eine reflexionsorientierte, korrektive Fach-Terminologie mit zumeist abgrenzender Funktion. Diese Fachsprache kann nur angemessen verstanden werden, wenn sie von der Kontroverse her bedacht wird, auf welche sie sich bezieht. Nur aus dem Kontext heraus kann die Sinnspitze dogmatischer Reflexionsaussagen rekonstruiert werden. Gerade für dogmatische Lehr-Entscheidungen ist zu beachten, dass Sprache nur im Zusammenhang einer geschichtlich konkreten Sprachgemeinschaft und ihrer pragmatischen Sprachregeln angemessen verstanden wird. Ohne angemessene Kontextualisierung können fachterminologische Konzilsaussagen nicht verstanden werden. Für sich genommen erzeugen sie auch Missverständnisse. Im Unterschied zur religiösen Alltagssprache und zur biblischen wie liturgischen Metaphorik, haben Lehraussagen meist abgrenzende Funktion. Die Konzilsaussagen von Nikaia haben ein erlösungsbestimmtes Interesse. Sie wollen klären, dass der Mensch Jesus wahrhaft gottfähig und Gott selbst weltfähig und menschenfähig ist.

2. Das Verhältnis Gottes zur Welt: Wahrhaftig Mensch? Die in Nikaia 325 entschiedene Frage, wie das Verhältnis Jesu Christi zu Gott, dem Vater ist, führte nachfolgend zu einer Konzentration auf das Gottesverständnis und die Göttlichkeit Jesu Christi. Dagegen

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

geriet der Blick auf das Menschsein Jesu ins Hintertreffen und es verschärfte sich die Frage, wie das Sein Jesu Christi im Blick auf unser Menschsein zu bestimmen ist. Unter vergleichbaren Voraussetzungen wie bei Arius, dem Menschenbild des mittleren Platonismus, kam nun auch die traditionell johanneische Logos-Sarx-Christologie in die Krise. Wurde die materielle Welt als von der göttlichen Welt abgefallene, minderwertige und letztlich negativ besetzte Wirklichkeit verstanden, derzufolge der Leib ein »Schatten« oder ein »Gefängnis« ist, so musste auch der Gedanke der Fleischwerdung Gottes missverständlich werden. a) Die Kontroverse um die Weltfähigkeit Gottes in der Gnosis Durch das numerisch bestimmte Verständnis der Einheit Gottes (Einheit als Einsheit) wurde der biblische Monotheismus von einer geschichtsbestimmten zu einer geschichtslosen, spekulativen Größe. Während die Lehre des Sabellius von den bloß äußeren Erscheinungsweisen (Modalismus) alle Unterscheidung im erkennbaren Handeln Gottes nach außen konsequent von Gottes Sein in sich selbst ablöste, konnte in umgekehrter Blickrichtung auch Gottes wahre Gegenwart im »Fleisch« der endlichen Welt bestritten werden. Um die Göttlichkeit des Handelns Jesu Christi zu unterstreichen, wurde darum die Erscheinung im Fleisch als bloßer »Schein« gedacht (Doketismus). In dieser Weise wurde die jüdische Tradition des Gottdenkens durch die leibfeindliche Theologie der wahren Erkenntnis (Gnosis) abgelöst. Die Gnosis argumentierte nicht primär biblisch, sondern berief sich auf die unmittelbare und höhere Einsicht in die Weisheit Gottes. Die Theologie der Gnosis war von einem tief greifenden Dualismus geprägt, der auf extreme Weise zwischen Gott und Welt unterschied. Gott bzw. seine Weisheit waren schlechthin unergründlicher Ab-Grund und Positivität. Die Materie der Welt war radikal schlecht. Darum wurde der Körper des Menschen als Gefängnis der Seele verstanden und musste von der Erlösungsordnung ausgeschlossen werden. Dieses Modell wurde von den Kirchenvätern des 2. Jahrhunderts bei Valentinus (um 140) identifiziert. Danach blieb undenkbar, dass Gott in die Gegen-Wirklichkeit, in die Welt, die als Ab-Fall von Gott verstanden wurde, heilvoll eintreten könnte. In einer einseitigen Zuspitzung des judenchristlich geprägten Philipperhymnus, wonach Jesus Christus in der Gestalt

2. Das Verhältnis Gottes zur Welt

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eines Menschen »gefunden«/»erfunden« wurde, konnte die These vertreten werden, dass Gott nur »zum Scheine« einen menschlichen Leib angenommen habe. Die Weltlosigkeit und Leibfeindlichkeit des Konzeptes kommt schließlich in der Deutung des Endes zum Ausdruck. Die leibfeindlich eingestellte Gnosis konnte spekulativ unterstellen, dass sich der göttliche Logos vor der Kreuzigung zurückgezogen habe, um von den Schmerzen der Kreuzigung unberührt zu sein, ein Motiv, das verblüffenderweise bei dem großen Bibelübersetzer, Schrift- und Kreuzestheologen Martin Luther (1483–1546) wiederkehren wird. Alternativ konnte auch die Vorstellung vertreten werden, Simon von Cyrene sei anstelle von Jesus gekreuzigt worden. Solche Interpretationen tauchen in der muslimischen Rezeption der Jesusfigur auf und werden gegenwärtig prominent in verschiedenen esoterischen Richtungen aktualisiert. Immer wieder geht es in diesen Auseinandersetzungen um die Fragen, wie Gott und menschliche Endlichkeit, menschliches Leiden oder menschliches Scheitern zusammengedacht werden können. Oft wird die Lösung dieser Problematik in einer Trennung zwischen Gott und Welt gesucht. Doch führen diese Lösungen dazu, eine wirkliche Weltfähigkeit Gottes infrage zu stellen. Kann Gott überhaupt ganz in die Welt eingehen? Kann er die Schwäche des menschlichen Fleisches annehmen? b) Zuspitzung der Kontroverse im mittleren Platonismus Nach platonischer Auffassung ist das menschliche Leben triadisch geordnet und durch drei Dimensionen des seelischen Lebens gekennzeichnet. Der Leib wird von der Begierdeseele (gr. epithymetikon) angetrieben, das Gemüt des Menschen von der Mut-Seele (gr. thymoeides) gelenkt und der Geist des Menschen von der regierenden Vernunftseele (gr. logistikon) geleitet. Diese kann von den in der Welt verstreuten göttlichen Seelenfunken (gr. logoi spermatikoi) inspiriert sein. So liegt es nahe, dass sich unter platonischen Voraussetzungen der Gedanke entfaltete, Gott habe nicht das ganze Menschsein angenommen, sondern die göttliche Vernunft und Weisheit (der Logos) habe sich der menschlichen Vernunftseele bedient, um den Menschen Jesus als definitiven Boten und Zeugen der Weisheit Gottes verständlich zu machen. Unter diesen Voraussetzungen wurde der Gedanke von der Fleischwerdung Gottes zum Problem. Apollinaris von Laodikaia (315–390)

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

brachte dies durch das erlösungsbezogene Anliegen, die Entschiedenheit und Klarheit des Willens Jesu zu garantieren, auf den Punkt. Für ihn schien die christliche Erlösungslehre gefährdet, wenn Jesu Willensbestimmung den wankelmütigen Wünschen der Psyche und der Begierde ausgesetzt bliebe. So wurde die Vorherrschaft der Vernunftseele betont und deren göttliche Führung herausgestellt. Indem Apollinaris die menschliche Vernunftseele Jesu durch die unmittelbare Leitungsvollmacht des göttlichen Logos ersetzte, stand das menschliche Bewusstsein Jesu unmittelbar unter dem Regiment des göttlichen Logos. Es wurde sogar durch diesen ersetzt. Auf der einen Seite war es nun nicht mehr der menschliche Wille Jesu, der mit dem göttlichen Willen in Übereinstimmung stand. Auf der anderen Seite nahm Gott nun nicht mehr den ganzen Menschen an. Die Ebenen der Emotionen und des Leidens wurden ausgeblendet, wurden zu einer »irdischen Verkleidung«. In diesem Konzept ist Jesus nun ein Mischwesen aus göttlicher Willensbestimmung und menschlichem Leib. Entsprechend bringt Apollinaris den Gedanken der Inkarnation durch die Formel von der »einen zusammengesetzten Natur (gr. mia physis sesarkomene) des göttlichen Logos« ins Wort. Weil hier die christliche Anthropologie und der Gedanke der Menschwerdung Gottes selbst auf dem Spiel standen, sahen auch alexandrinische Theologen, wie z.B. Athanasius der Große, die Notwendigkeit, die biblische Einheit des Menschseins und die Integrität des menschlichen Bewusstseins zu unterstreichen. Auch der Bischof von Rom, Damasus I. (305–384), nahm in Briefen Stellung und unterstrich die Annahme des ganzen Menschseins und die darin festgehaltene Ganzheit des Heiles (DH 146). Die Kontroverse führte dazu, dass die traditionelle Logos-Sarx-Christologie in eine weiter gefasste Logos-Anthropos-Christologie integriert und von dieser abgelöst wurde. Deshalb wurde die Lehre des Apollinaris zunächst auf der Synode von Alexandrien (362), sodann auf dem Konzil von Konstantinopel 381 verurteilt (DH 151). 3. Das Verhältnis beider Verhältnisse zueinander: wahre Göttlichkeit und Menschlichkeit? Der theologische Konflikt zwischen den beiden großen Schulen – der antiochenischen, die heilsgeschichtlich »von unten« her ansetzte, und der alexandrinischen, welche die Christologie spekulativ »von oben« zu begründen suchte – brach erneut auf, als es um die

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Frage ging, wie Einheit und Unterschiedenheit in dem einen GottMenschen Jesus Christus beschrieben werden könnten. Allerdings wurde dieser Konflikt auch von konkurrierenden kirchenpolitischen Interessen angefeuert. Entsprechend ihrem heilsgeschichtlichen Ansatz »von unten« betonten die Antiochener die Unterschiedenheit zwischen der menschlichen und der göttlichen Wirklichkeitsdimension Jesu Christi. Deshalb lautete ihre Leitformel, die von Theodor von Mopsuestia (350–429) geprägt war: »Einer und ein anderer«. Theodor unterschied die Hypostase der menschlichen Natur und die Hypostase der göttlichen Natur. Obwohl es in keiner Weise sein Anliegen war, die Person-Einheit Jesu Christi aufzulösen, geriet sein Ansatz in Gefahr, diese Einheit nachträglich und zu spät anzusetzen. Die Gegner behielten den Eindruck, in Jesus Christus würden zwei verschiedene Wirklichkeiten nachträglich oder nur locker übereinkommen, so wie die unterschiedlichen Elemente eines »Sandwichs«. Diese steile, christologische Problematik wurde politisch auf der Ebene der Volksfrömmigkeit ausgetragen und von den verschiedenen Parteien politisch instrumentalisiert. Im Zentrum stand die »fromme« Frage, ob Maria »Gottesgebärerin« oder »Menschengebärerin« genannt werden soll. Als theologischer Schüler des Theodor von Mopsuestia und Patriarch von Konstantinopel versuchte Bischof Nestorius (381–451) den Konflikt zu moderieren. Er versuchte, die Einheit und Unterschiedenheit beider Wirklichkeiten durch den Titel »Christusgebärerin« zu vermitteln. Theologisches Zentrum des Frömmigkeitsstreites war die offen gebliebene Frage nach Einheit und Unterschiedenheit in dem einen Mittler Jesus Christus. Den Titel Menschengebärerin erachtete Nestorius für theologisch unterbestimmt. Mit dem Titel Gottesgebärerin verband er die Position des Apollinaris von der einen zusammengesetzten Natur des göttlichen Logos. Nestorius unterschied daher das Angesicht des Logos und das Angesicht des Menschen Jesus. Er sah im Angesicht des Christus das Angesicht der (faktischen) Einung. Indem Nestorius sich gegen den Gedanken eines geborenen, gestorbenen und begrabenen Gottes wandte, unterstrich er die Unterschiedenheit beider Wirklichkeitsdimensionen und stellte klar, dass der göttliche Logos in seinem Gottsein kein endlicher, sterbender Gott ist. Nach seiner Verurteilung und Verbannung versuchte Nestorius später, die Einung durch einen Tausch zwischen beiden Sphären sowie durch die wechselseitige Durchdringung (Perichorese) beider Sphären zu erklären.

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

Dagegen hoben die Alexandriner die von Anfang an gegebene Einheit hervor und betonten diese so sehr, dass die Unterscheidung zwischen der göttlichen und der menschlichen Wirklichkeit aufgehoben schien und das Menschsein Jesu wie ein Tropfen im Meer des Göttlichen aufgelöst wurde. Proklos, welcher später Nestorius als Patriarch ablöste, sprach vom fleischgewordenen Gott und von Maria als Gottesgebärerin. Kyrill, der konkurrierende Patriarch in Alexandrien, fasste seine Einsprüche in 5 Büchern gegen Nestorius (430) zusammen. Es gehört zu den unglücklichen Missverständnissen der Theologiegeschichte, dass Kyrill von Alexandrien der Auffassung war, die Formel von der »einen zusammengefügten und fleischgewordenen Natur/Hypostase des Logos« stamme von Athanasius dem Großen. Dadurch erschien sie ihm sowohl in höchster Weise autorisiert als auch im Kern nizänisch zu sein. Historisch lässt sich heute zeigen, dass sie – wie Nestorius es annahm – der problematischen Anthropologie und Soteriologie des Apollinaris von Laodikaia verpflichtet war. Dadurch begründete sich ihre christologische Einseitigkeit und systematische Schlagseite. Gleichwohl muss Kyrill zugutegehalten werden, dass er lernfähig blieb und in seiner späteren, nachchalkedonischen Theologie ein eigenständiges Prinzip der Selbsttätigkeit im Menschen Jesus annahm und den Logos als primäres Prinzip der Einung begreifen wollte. In beiden Traditionen bestand also zunächst das Problem, dass die Einheit in Unterschiedenheit zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit nicht personal und dialogisch formuliert werden konnte (Idiomen-Kommunikation), sondern als Sache gefasst wurde. Sodann fehlte eine geprägte theologische Sprache, um die Einheit der Person und die Differenzierung der unterschiedenen (idiomatischen) Wirklichkeitsdimensionen (Göttlichkeit, Menschlichkeit) angemessen zur Sprache zu bringen. Während es Kyrill schwer fiel, den Vorrang des Göttlichen so zu formulieren, dass die Menschlichkeit Jesu nicht im Meer der Göttlichkeit aufgelöst wurde, hatte Nestorius Schwierigkeiten, zu einer letzten Klärung des Prinzips der Einung vorzudringen. Dadurch geriet er in Gefahr, Göttlichkeit und Menschlichkeit zu sehr zu unterscheiden (Idiomen-Dissoziation) und die Einheit beider Wirklichkeiten erst nachträglich zu erreichen. Gegenüber beiden Einseitigkeiten betont das Konzil von Chalkedon (451) die konstitutive Kommunikation zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit (Logos und Jesus). Diese Idiomen-Kommunikation ist von Gott her eröffnet, sodass der Logos-Sohn zugleich das Sub-

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jekt der Einung ist, dem der Mensch Jesus in seiner Subjektivität geeint ist. Die rhetorische und theologische Meisterschaft der Lehrdefinition von Chalkedon kommt im Griechischen dadurch zum Ausdruck, dass die Lehraussage in einem einzigen Satz komponiert ist. Gerahmt wird die Aussage durch die Instanzen der Autorität und die abschließende dogmatische Qualifikation (»definiert«). Zentrum des Bekenntnisses bildet die sich wiederholende Aussage, wonach Jesus Christus nicht zweigeteilt ist, sondern »einer und derselbe«. In dieser Mittelachse sind zwei oppositionelle Abschnitte eingefügt, welche Jesus Christus hinsichtlich seiner Gottheit und seiner Menschheit genauer qualifizieren. Diese werden in einer theologisch reflexiven Lehrdefinition aufgenommen und begrifflich ausgefaltet. Die vermittelnde Hermeneutik des Konzils kann am Beispiel des Titels »Gottesgebärerin« deutlich gemacht werden. Das Konzil selbst stellt die Aussagen über die Göttlichkeit und Menschlichkeit Jesu Christi einander jeweils gegenüber. Bezeichnend ist nun, dass Maria nicht in Bezug auf die Gottheit Jesu, sondern in Bezug auf die Menschheit Jesu »Gottesgebärerin« genannt wird. Sie ist also die menschliche Mutter Jesu, die nur insofern »Gottesgebärerin« genannt werden kann, als der Logos-Sohn von Beginn an dem Menschen Jesus innerlich einwohnt. Obwohl das Konzil den Titel Gottesgebärerin ausdrücklich aufnimmt, folgte es in der theologischen Sachbestimmung dem Anliegen des Nestorius, welcher die Unterscheidung beider Wirklichkeitsebenen aufrechterhalten will. So kommt das alexandrinische Anliegen in der durchgehaltenen Mittelachse, die von ein und demselben Jesus Christus spricht, sowie in den Reflexionsbegriffen »ungetrennt« und »ungesondert« zur Sprache. Hingegen wird das antiochenische Anliegen in der klaren Unterscheidung und Gegenüberstellung der menschlichen und göttlichen Aussagegehalte gewahrt und durch die Worte »unvermischt« und »unverwandelt« terminologisch geklärt. Damit wird sowohl der auf Apollinaris zurückgehende Sprachgebrauch Kyrills von der einen »zusammengesetzten« Natur überwunden als auch der bei Nestorius mögliche Eindruck einer Unterbestimmung der PersonEinheit vermieden. Obwohl Chalkedon ein vorläufiges Ende in den Kontroversen markierte, blieb das Konzil doch Ende und Anfang. In seiner »negativen Christologie« steckt es das Diskursfeld ab, aber verzichtet darauf, genauere Aussagen über das »Wie« dieser Einheit Jesu Christi zu treffen. Diese regulativen Markierungen machen damit zugleich

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IV. Grundfragen der christologischen Dogmengeschichte

(Aus: Schneider I, 230, erarbeitet von Bernd J. Hilberath, überarbeitet von Alois Moos)

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die unterschiedlichen Aufgaben von systematisch-theologischen Denkversuchen einerseits und lehramtlichen Regelungen der Sprache und des Diskurses andererseits deutlich. Ist jedes Ende zugleich der Aufschein eines neuen Anfangs, so bedurfte es auch nach Chalkedon weiterführender Klärungen und neuer Präzisierungen. In den nachfolgenden Debatten ging es u.a. um die Frage, ob in Jesus Christus nur ein Wille, der göttliche, anzunehmen sei, oder ob jeder eigenen Wirklichkeitsdimension, der göttlichen des Logos und der menschlichen Jesu, eine eigene Willenstätigkeit zugesprochen werden muss. In dieser Kontroverse folgte das Zweite Konzil von Konstantinopel (553) der chalkedonischen Hermeneutik und entschied: Die Anliegen des Konzils von Chalkedon sind nur gewahrt, wenn beide Willen in relationaler Bezugnahme gedacht und unterschieden werden, obwohl der Logos das Prinzip der Einung ist und ihm darum ein gewisser Vorrang in der Willensbestimmung nicht aberkannt werden darf (DH 500.510– 516.553.556–558). An dieser Stelle wird die herausragende Bedeutung der tief schürfenden Reflexion von Chalkedon noch einmal konkret. Für die moderne Debatte um das göttliche Bewusstsein Jesu bedeutet dies: Der Tradition wird nur gerecht, wer Jesus ein wahrhaft menschliches Bewusstsein unterstellt, durch das ihm selbst im Verlauf seiner Lebensgeschichte bewusst wird, dass er in spezifischer Weise als Repräsentant Gottes berufen und in Dienst genommen ist. Die Annahme eines »vergöttlichten Bewusstseins« Jesu, durch das Jesus einen unmittelbaren Zugang zum Vater gehabt hätte, würde hier gegen die Unterscheidungen von Chalkedon verstoßen und die späteren bewusstseins- und willenstheoretischen Präzisierungen übergehen. Karl Rahner (1904–1984) unterbreitete in dieser Kontroverse den weiterführenden Vorschlag, dieses Verhältnis als höchste dynamische Einheit von höchst unterschiedlichen Wirklichkeitsweisen zu interpretieren (Rahner I, 200–203.284). Die Frage nach der PersonEinheit kann in einer konsequent dialogischen Interpretation des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Freiheit weiter präzisiert werden. Innerhalb eines dialogischen Denkens ist die Übereinkunft von frei sich entschließendem menschlichen Bewusstsein und freisetzender gnädiger göttlicher Zuwendung als formales Verhältnis kommunikativer Ermächtigung und Steigerung zu denken. Insofern kann von einem dialogischen Emergenz-Verhältnis gesprochen werden (Nitsche II, 395–436).

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Zusammenfassung Im Zentrum der christologischen Dogmengeschichte steht das Bekenntnis zur »Menschwerdung Gottes«, die nachfolgend weiter bedacht wird. In einer langen Geschichte des Ringens um angemessene Begriffe und Reflexionsmodelle wurde die Gottesfähigkeit des Menschen am Beispiel der Gottverbundenheit Jesu und die Weltfähigkeit Gottes in der Annahme eines wahren und radikal unterschiedenen Menschseins durchbuchstabiert. Im Blick auf die Erlösung kam alles darauf an, dass in der Geschichte Jesu Gott selbst zugegen und »am Werke« ist, weshalb die Menschen hoffen dürfen, durch Jesus ganz mit Gott zusammengeführt zu werden. Die Pointe dieser Vermittlung zwischen Schöpfer und Schöpfung, die in Jesus Christus ihren einmaligen Höchstfall hat, liegt in einer ursprünglichen, von Gott eröffneten Einheit, welche die bleibende Unterschiedenheit von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit nicht aufhebt, sondern in freier wechselseitiger und dialogischer Steigerung fasst.

Literatur Grillmeier, Alois, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. Band I. Von der apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon (451). Freiburg/Br. u.a. 3 2004. Studer, Basil, Gott und unsere Erlösung im Glauben der Alten Kirche. Düsseldorf 1985.

V. Menschwerdung Gottes: Kann Gott weltfähig sein? 1. Hinführung In der gegenwärtigen Debatte nach dem »Ende der großen Erzählungen« als Legitimationsgeschichten (Lyotard) ist umstritten, wie eine einmalige göttliche Selbstoffenbarung in geschichtlicher Begrenztheit argumentativ begründet werden kann. Die Theologie der Menschwerdung konzentriert sich in den beiden Fragen: Wie kann der unendliche Gott ein konkretes Menschenleben annehmen? Inwiefern hat Gott dieses eine Menschenleben genügt, um seine sinnstiftende Zusage unwiderruflich für alle Menschen aller Zeiten offen zu legen? Zu den zentralen Aussagen des christlichen Glaubensbekenntnisses gehört die Zusage, dass Gott um unseres Heiles willen Mensch geworden ist. Die Frage, wie eine Ankunft Gottes in der Geschichte gedacht werden kann, spitzt sich auf den Punkt zu, wie eine solche geschichtliche Selbstvermittlung in Bezug auf Gott und in Bezug auf den Menschen sinnvoll zur Sprache zu bringen ist. Die Sache wird anhand der christologischen Formeln »Gott ist Mensch« bzw. »Jesus ist Gott« konkret. Wie ist dieses »ist« zu verstehen und wie kann es theologisch zur Geltung gebracht werden? Wie kann Gott in einer Wirklichkeit, die nicht seine wesenhafte Göttlichkeit ist, überhaupt Gegenwart sein? Wie kann Gott, der Ewige und an sich Unveränderliche, etwas »werden«, ohne aufzuhören, Gott zu sein? Die Theologie der Menschwerdung vollzieht eine Re-Konstruktion der christlich bezeugten Glaubenswirklichkeit von der Gegenwart Gottes unter allen Menschen, insofern sie über diese nachdenkt und die »Bedingungen ihrer Möglichkeit« bedenkt. Diese Bedingungsanalyse betrifft in spezifischer Weise die christliche Rede von dem einen Gott-Menschen Jesus Christus. Sie schließt eine Rückführung, methodisch präzise eine Abduktion, in sich ein, also eine in Hypothesen plausibilisierte Reduktion auf das, was diese Glaubensaussage möglich macht. Insofern hier die »Bedingungen der Möglichkeit« der Gottesfähigkeit des Menschen und der Menschenfähigkeit Gottes reflektiert werden, kann diese Bedingungsanalyse in einem weiten Sinne transzendental-theologisch genannt werden. Dies ist eine Begründungsform, welche Karl Rahner im Anschluss an Immanuel Kant und

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Martin Heidegger in der jüngeren katholischen Theologie etabliert und kultiviert hat. Geschieht diese Reflexion unter dezidiert »theologischen« Vorzeichen, so kann sie im originären, philosophischen Sinne transzendental genannt werden, soweit es gelingt, diese Voraussetzungen als notwendige Möglichkeitsbedingungen jeder menschlichen Subjektivität auszuweisen. Rahner selbst weiß um den theologischen Rahmen, wenn er betont, dass die Christologie die zu ihrem Ende gekommene Anthropologie ist. Daher kann die Anthropologie in ihrer ausgezeichnetsten Form und radikalsten Verwirklichung wahrhaft Christologie und Theologie sein (Hilberath III). 2. Ist Gott inkarnationsfähig? a) Kann Gott »werden«? Die Frage nach der Weltfähigkeit Gottes bedenkt die Möglichkeiten einer Abstiegschristologie, welche das geschichtliche Sein Jesu in seinem göttlichen Ursprung und in seiner göttlichen Tiefendynamik begründet. Eine solche Abstiegschristologie muss sich jede Aufstiegschristologie selbst voraussetzen, um das freie und gnädige »Wovonher« Jesu zu begründen. Nur so kann der Gedanke einer bestimmten, geschichtlich unüberholbaren und qualitativ unüberbietbaren, Gegenwart Gottes in Jesus begründet werden. Und nur so kann eine »moralische« Verdienstlehre oder eine »leistungsbezogene« Erlösungslehre vermieden werden (vgl. die Auseinandersetzungen mit Arius und Apollinaris: Kap. IV). Gottes Kommen in die Welt benennt folglich den Grund und die »von Gott her vorauszusetzende«, freie, gnädige und unbedingte Bedingung der Möglichkeit für sein geschichtlich verbindliches Entgegenkommen sowie für das finale Ankommen des Menschen bei Gott. Dieses Ankommen ist als Vollendung des Menschen zu denken. Unter diesen Voraussetzungen kann gesagt werden: Wenn Gott Mensch ›wird‹, dann konstituiert er im Anderen den Unterschied zu sich selbst, indem er das Unterschiedene als das von ihm Unterschiedene will (»erschafft«) und schöpferisch erhält. Umgekehrt bedeutet dies: Weil er das Andere als Anderes haben will, darum konstituiert er es in einer echten, eigenständigen Wirklichkeit. Denn nur bei Gott ist überhaupt denkbar, dass er eine real verschiedene Freiheit freisetzen kann, ohne sich selbst in seiner Freiheit zu begrenzen oder die geschaffene Freiheit in ihrem Freisein zu begren-

2. Ist Gott inkarnationsfähig?

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zen. Insofern ist Gottes Menschwerdung zugleich Voraussetzung und Ermöglichung einer herausragenden, unüberbietbaren Menschwerdung des Menschen. Ist Gott als die Liebe in sich dynamisch und auf die Welt hin exzentrisch, so gehört es zu dieser Liebe, dass sie die andere Freiheit als freies Gegenüber will und bejaht. Als Liebe gehört es zu Gottes freiem, vollkommenen Wesensvollzug, dass er sich in grundloser und selbstloser Liebe ekstatisch verschenkt. Der Logik der Liebe entspricht dieses freie, zentrifugale Verschenken sowie die Entäußerung im Wollen des Anderen. So ist Gott freier Ursprung und freisetzender Grund der von ihm freigesetzten und freigelassenen Schöpfung. In dieser Liebe geht es um eine Weggabe, die sich nicht selbst verliert, sondern in der Bejahung des Anderen ihre wahre Souveränität, ihre »Urmöglichkeit«, nicht ihr »Urmüssen«, verwirklicht. Daher ist alle Selbstentäußerung Gottes fortdauernde Schöpfung (lat. creatio continua) seiner Liebe (lat. creatio ex amore): »wenn Gott Nicht-Gott sein will, entsteht der Mensch« (Rahner I, 223). Entgegen dem theologisch vertrauten Sprachspiel, wonach Gott am Andern seiner selbst wird, ist zu betonen, dass die Welt das Andere zu Gott ist. Deshalb wird Gott »am Anderen« der Welt als Anderem zu Gott. Aber Gott wird nicht »etwas«, kein endliches Ding. Vielmehr wird Gott, indem er die Welt ganz umfängt und innerlich in sie eingeht, Mensch. Durch die Freisetzung der Menschen hat Gott in der Freiheitsgeschichte der Menschen eine Geschichte. Gott kann am Anderen des Menschen »werden« und seine Geschichte haben. Dies ist ohne eine dingliche Verendlichung Gottes möglich, weil der Mensch selbst in seiner unabschließbaren Geistigkeit dynamische Verwiesenheit in Gott hinein ist. Deshalb ist der Mensch in seinem Dasein, in seiner Armut und Begrenzung und in seiner Sterblichkeit in den unabschließbaren Horizont seiner Existenz eingewiesen. Dieser Horizont wird christlich positiv als Gottes liebendes Geheimnis verstanden. Daher kommt es sowohl individuell als auch menschheitsgeschichtlich kollektiv notwendig zu existentiell bedeutsamen Auslegungen dieses Verwiesenseins. Darum geschieht das Werden Gottes am Anderen als ein Werden Gottes in den Existenz auslegenden Worten und Taten der Menschen. In diesen Auslegungen geschieht Offenbarung Gottes. Wenn Gott am Anderen wird, bleibt zu klären, wie Gott von dieser Schöpfungsgeschichte und Menschengeschichte, ihren Veränderungen und Entwicklungen, ihren Freuden und Leiden »betroffen« sein kann.

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b) »Werden« trinitarisch: Exzentrizität und Konzentrizität Jede Christologie, welche die »Gründung« des Christus-Ereignisses in Gott bedenkt, wird aufgrund der Selbstentäußerung und Selbstverschenkung Gottes in der Wahrheit seiner ewigen Selbstaussprache und in seiner heiligenden, geistlichen Tiefendynamik Trinitätstheologie sein. Jede Christologie, welche das Sein Jesu wurzelhaft (radikal) in Gott begründet, wird diese an die innergöttliche, dreieine Lebensdynamik zurückbinden. Bernd J. Hilberath nimmt in seinen jüngeren Veröffentlichungen das von Clemens Thoma angeregte Sprachspiel von exzentrisch und konzentrisch auf, um die Zuwendung Gottes näher zu charakterisieren. Für Gottes eigene, innere Lebensdynamik bedeutet dies: In einer gewissen Analogie zur orthodoxen Theologie kann vom Vater als dem Zentrum und der Quelle oder als dem »Woher« göttlicher Beziehungsfülle gesprochen werden. Der Vater ist als freier und ursprungsloser Ur-Sprung der Gottheit im Geist exzentrisch bzw. zentrifugal. Der Geist erfüllt, belebt, heiligt und vollendet die Welt. Er eröffnet den Kommunikationsraum zwischen Vater und Sohn und lässt die Übereinkunft von ursprünglicher Güte und endgültiger Wahrheit als vollendete »Schönheit« beziehungsreicher Fülle aufscheinen (Balthasar I). In seiner Exzentrizität ist er das »Worin« der Welt, ihre innerste Ermöglichung und dynamische Freisetzung. In Jesus Christus kommt die gegenläufige, konzentrische oder zentripetale Bewegung der Verdichtung zum Ausdruck. In dieser Bewegung, die zur Mitte führt und symbolisch verdichtet, wird die Heimführung zur Quelle kraft des Geistes vollendet. So ist Jesus Christus das personale und inhaltliche »Woraufhin« von Gottes Projekt mit seiner Schöpfung. Er ist die ewige Selbstaussprache Gottes in geschichtlicher Vermittlung. Er ist Gottes Wort und Gleichnis in menschlicher Person. Darum wird er Ebenbild des unsichtbaren Vaters genannt (Kol 1,15). So geht Gott als Geist exzentrisch über sich hinaus und allbelebend in Kosmos und Geschichte ein. Der Logos-Sohn als ewige Selbstaussprache des Vaters bestimmt die menschlich-personale und gehaltliche Konzentration dieser Selbstzuwendung des Vaters durch den Geist. Als Mensch gewordenes Wort wird er in der Person Jesu unüberbietbar zum Anruf und zur Ansprache an die Menschen: Gott spricht die Menschen im Sohn an »wie Freunde« (DV 2).

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c) Kann Gott ohne Verendlichung »Mensch« werden? In unterschiedlichen Kontexten wird der Vorwurf erhoben, Gott werde im christlichen Inkarnationsdenken zu einer endlichen Wirklichkeit gemacht, die entweder ein endliches Wesen, Mensch genannt, bezeichnet oder nur die individuelle und darum begrenzte Auswahl von Identifikationen der Lebensgeschichte Jesu umfasst. Insbesondere die jüdische Kritik am Inkarnationsdenken (Moses Maimonides; Emmanuel Levinas) hebt hervor, dass Gott im Gedanken der Menschwerdung endlich, ontisch begrenzt werde (Nitsche IV). Umso nachdrücklicher ist zu fragen: Was bedeutet Menschwerdung? Inwiefern wird hier Gott Mensch? Zunächst kann von der philosophischen Anthropologie ausgehend deutlich gemacht werden, dass der Mensch ein geistiges Wesen ist, das aufgrund seiner inneren Geistigkeit jedes einzelne Ding überholen und jeden konkreten Horizont seines Denkens noch einmal problembewusst und kritisch überschreiten kann. Im bewussten Mitvollzug solcher Grenzen weiß sich der menschliche Geist über die Grenze hinaus (Georg W. F. Hegel). In dieser freien, unabschließbaren Verwiesenheit findet der Mensch sein Ziel nicht in sich selbst. Als freies, vernunftbegabtes Lebewesen (gr. zoon logikon echon), wie Aristoteles sagt, ist der Mensch über jede Definition hinaus. Jeder Versuch, den Menschen in seiner freien Subjektivität und überschreitenden (transzendierenden) Weltoffenheit abschließend zu bestimmen, gerät damit ins Uferlose. In dieser Dynamik der Offenheit und Unbegrenztheit ist der Mensch in einen letzten Horizont seines Daseins eingewiesen, in dem der ekstatische Ausgriff seines Geistes »Grund« nimmt. Dieser Grund ist christlich kein bodenloser Ab-Grund, sondern das uneinholbare und undurchschaubare Geheimnis von Gott als Liebe. Entsprechend umfängt Gott, wenn er Mensch wird, die geistige Freiheit des Menschen in formal unbegrenzbarer Dynamik. Indem er ihr innerlich als Gnade erhebend und heiligend einwohnt, bringt er die menschliche Freiheit, welche die Gnade innerlich annimmt, in ihre Fülle. Diese Vollendung des geistigen Seins des Menschen kann in der Vollendung menschlicher Freiheit, Liebe und Güte gesehen werden, in der aller falsche Schein in Klarheit verwandelt und alle Lüge in Wahrheit aufgehoben ist. In solcher Weise ist der Mensch sich selber in letzter Weise »Licht« geworden und »vergöttlicht«. Dieses Motiv wird traditionell in der Lehre der Eschatologie von der glückseligen Schau Gottes (lat. visio beatifica) vertieft, welche die geläuterte Aufhellung aller Dunkelheiten des Lebens voraussetzt und eine

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»reine Transparenz« sich selbst, den anderen Menschen und Gott gegenüber bezeichnet. In dieser Transparenz des unverstellten, neuen Sehens wird Gott, der Fülle und Liebe schlechthin ist, unverstellt, unmittelbar einsichtig. Diese Anschauung Gottes ist »der einmalig höchste Fall des Wesensvollzugs der menschlichen Wirklichkeit«. Dieser besteht darin, »dass der Mensch ist, indem er sich weggibt in das absolute Geheimnis hinein, das wir Gott nennen« (Rahner I, 216). Die vertikale Ausrichtung der Hingabe an Gott hat ihren Prüfstein in der horizontalen Hingabe an die anderen Menschen. Dieser anthropologisch vermittelte Begründungszusammenhang kann mit Rahner und über Rahner hinaus verdeutlicht werden: »Das glaubensmäßig gegebene Urphänomen ist gerade die Selbstentäußerung, das Werden, die kénosis und génesis Gottes«. Dies bedeutet, dass Gott »im Setzen des entsprungenen anderen selbst das Entsprungene wird, ohne in seinem Eigenen, dem Ursprünglichen selbst, werden zu müssen. Indem er bei seiner bleibenden unendlichen Fülle sich selbst entäußert, entsteht das andere als seine gotteigene Wirklichkeit« (Rahner I, 220). Insofern wird die qualitative Fülle der Gegenwart Gottes, die im Konzil von Chalkedon (451) als »wahres Menschsein« bestimmt wird, in der Diskussion nach Rahner als vollendetes Menschsein, wahrhaft menschliches Menschsein oder gottgemäßes Menschsein usw. bestimmt. Im Anschluss an Rahner und Bonhoeffer bringt Walter Kasper die doppelte Hingabe Jesu an Gott und die Menschen als solidarisches Mit-Sein zur Sprache. Daher ist Jesus in seinem SeinFür »der Mitmensch schlechthin« (Kasper II, 256). Weil die Geschichte als konkret bestimmte Geschichte die leibhafte Dimension miteinschließt, kann im Sinne Rahners mit Kasper gesagt werden: Bei der Frage der vollen Menschheit Jesu nach Leib und Seele geht es [...] darum, dass Gott auch in seiner eigenen Sache, nicht am Menschen vorbei und über ihn hinweg, sondern immer durch den Menschen und vermittels seiner Freiheit [und Leiblichkeit – B.N.] handelt. So ist Jesus nicht bloßes Heilsmittel in der Hand Gottes, sondern personaler Mittler des Heils (Kasper II, 247).

In einem grundlegenden Sinne ist die chalkedonische Hermeneutik der tangentialen Berührung von göttlicher und menschlicher Freiheit der einmalige Höchstfall in der Begegnung der zutiefst verschiedenen Wirklichkeiten von Schöpfung und Schöpfer. Die unterschiedenen Wirklichkeiten von Gott und Welt bzw. von Gott und Mensch werden in der dynamischen Begegnung von Gottsein und Menschsein weder vermischt noch voneinander getrennt. Sie werden nicht

2. Ist Gott inkarnationsfähig?

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ineinander verwandelt, noch voneinander abgesondert. In der Bestimmung Jesu Christi geht es um eine Steigerung der allen Menschen geschenkten »Einwohnung Gottes«. Diese findet ihr Ziel in der personalen und dialogischen »Einheit von Gott und Mensch«. Doch hebt diese Einheit die Unterschiedenheit nicht auf. Daher darf die »ist«-Aussage, »Jesus ist Gott« bzw. »Gott ist Mensch«, nicht (»monophysitisch«: Kap. IV) als eine reale und strenge Identitätsaussage verstanden werden. Vielmehr beschreibt die »hypostatische Union« ein Kommunikationsverhältnis höchster Güte, den einzigartigen und sonst unter Menschen nicht vorkommenden Sonderfall. Diese gottmenschliche Einheit ist eine letztlich nicht zu durchschauende, freie transzendentale und insofern Geheimnis bleibende Einheit »von real verschiedenen, einen unendlichen Abstand voneinander habenden Wirklichkeiten. Denn Jesus in und nach seiner Menschheit, die wir sehen, wenn wir ›Jesus‹ sagen, ›ist‹ nicht Gott, und Gott in und nach seiner Gottheit ›ist‹ nicht Mensch im Sinne einer Realidentifikation« (Rahner I, 284). Die ewige Selbstaussprache Gottes ist nicht einfach Gott, sondern Gottes ewiges Verheißungswort, der »Logos-Sohn«. Indem der Sohn von Ewigkeit sich entäußert und in Jesus von Nazaret auf einmalige Weise Mensch wird, konstituiert er zugleich die Unterschiedenheit und die Einheit beider Wirklichkeitsdimensionen. Die Erschaffung des Menschen Jesus und die »hypostatische Einheit« sind insofern streng dasselbe. In der Sache ist allerdings zwischen der Einheit, die eint, und der Einheit, die geeint wird, zu unterscheiden. Damit ist gemeint, dass der in die Welt hinein ekstatische Logos-Sohn »eint«, indem er Mensch wird. Insofern geht die geeinte Einheit Jesu mit dem Logos, d.h. die Einheit in radikalster Unterschiedenheit der »einen Person (Hypostase) in zwei Naturen« (Chalkedon), aus der einenden Einheit des ekstatischen Logos hervor. Gnadentheologisch und freiheitsphilosophisch kommt alles darauf an, dass Gott und Mensch nicht in ein Konkurrenzverhältnis eingesetzt sind. Im Sinne eines emergenten Freiheitsverhältnisses wachsen radikale Nähe Gottes und menschlicher Eigenstand im selben Maße: Diese menschliche Geschichte ist gerade dadurch, dass sie reine und radikale Offenbarung Gottes selbst ist, die lebendigste, freieste vor Gott, von der Welt auf Gott hin und so mittlerisch, weil sie Gottes selbst und weil sie kreatürlichste und freieste ist (Rahner II, 184).

So läutet Rahner ein, was später Konsens der Theologie sein wird: Die metaphysische Begrifflichkeit der altkirchlichen Konzilien muss heute »personal und relational« gefasst werden (Kasper II, 274).

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Über Rahner hinaus ist dieses dialogische Freiheitsverhältnis in seiner »Rückwirkung« auf den »Sohn von Ewigkeit« und daher in seiner »Rückwirkung« auf Gott und seine dynamische, dreieine Lebensfülle hin zu bedenken. In der Sache geht es um das wirkliche Ernstnehmen der unabgegoltenen Dunkelheiten der menschlichen Geschichte, um das Grauen einsamer Nächte, um die jede Stille zerreißenden Schreie des Schmerzes, um die Leere menschlicher Hoffnungslosigkeit, um die Abgründe gegenseitiger Schädigungen und Zerwürfnisse, um das verstummte menschliche Schweigen, das in Ängsten blockiert ist oder sinnentleert kein Wort mehr findet. Weist das »Kreuz« den Menschen einen Ort zu, der es ermöglicht, Blockaden, Scheitern und Verbrechen vor Gott zu stellen, so bringt die Frage nach der »Rückwirkung« das Problem auf den Punkt, ob die Leiden der Menschen in Gott »aufgehoben« sind, in dem dreifachen Sinne, den dieses Wort bei Hegel hat. Darf angenommen werden, dass die Leiden nicht weggewischt werden, sondern die Tränen des Schmerzes für neues Leben fruchtbar werden können (Ps 126, Offb 21)? Darf angenommen werden, dass die Geschichte Jesu erst dann vollendet ist, wenn alle Geschöpfe und Menschen durch ihn und in der Gemeinschaft mit ihm in der Gemeinschaft mit Gott und untereinander vollendet sind? Systematisch hat diese Frage nach der »Aufhebung« konkreter – auch gebrochener und von Leiden durchtränkter – Geschichte als Ende und Vollendung zur Konsequenz, dass die traditionellen Axiome von der »Unwandelbarkeit Gottes« und der »Leidensunfähigkeit Gottes« überholt werden müssen. Doch kann dies ohne Zerstörung der Göttlichkeit Gottes nur so geschehen, dass die göttlichen Personen nicht anthropomorph zu leidenden Personen depotenziert werden. Sie dürfen »ihrer Göttlichkeit nach« nicht wie potenzierte, wandelbare und leidende menschliche Personen gedacht werden. Eine theologisch verantwortbare Antwort ist innerhalb des personal-dialogischen Verhältnisses von Gott und Mensch vermutlich nicht durch einen reproduzierenden Ansatz zu gewinnen, der von einem »Leiden Gottes« oder einem »Leiden in Gott« spricht. Aufgrund der transzendentalen Freiheitsdifferenz zwischen der Freiheit Jesu und der Freiheit des Logos ist, vermutlich deutlicher als bei Rahner, von einem vermittelten »Mitbetroffensein« und »Mitleiden« in bleibender formaler Differenz zu sprechen (Nitsche I, 481– 494; Nitsche V, 229–232). Rahner selbst löst das Problem nicht, sondern moderiert es, indem er das Diskursfeld absteckt und betont, dass es für dieses spannungsvolle Problem der Vermittlung von Unverän-

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derlichkeit (Immutabilität) bzw. Leidensunfähigkeit (Apathie/ Impassibilität) Gottes einerseits und einem wirklichen Werdenkönnen des Logos in der restlosen Annahme des Menschen andererseits keine logisch stringente Lösung gibt. Darum sind weder die theologischen Grundaussagen von der Unveränderlichkeit und Unbedrohtheit Gottes noch die christologische Grundaussage, wonach das zu Erlösende nur erlöst ist, wenn Gott sein Geschick teilt und dies sein eigenes Geschick wurde, aufzugeben (Nitsche I, 454–472). Rahners Hinweis kann hier als Warnung vor trügerischen »Pat-End-Lösungen« (Paul Watzlawick) angesehen werden, welche die Probleme reproduzieren und somit fortschreiben oder einseitig, unter Missachtung der berechtigten Anliegen der anderen Seite, auflösen. 3. Inkarnation als »Revolution im Gottesverständnis« a) Cur Deus homo? Wandlungen in der Theologiegeschichte Die Begründungen der christologischen Theologiegeschichte zur Beantwortung der Frage »Warum wurde Gott Mensch?« (lat. Cur Deus homo?) sind vielfältig. Der zentrale mittelalterliche Ansatz von Anselm von Canterbury (1033–1109), der die Menschwerdung am Kreuz gipfeln lässt und sie als Sühne (Wiedergutmachung, lat. satisfactio) für die öffentlich zerstörte Ehre Gottes ansieht, die nur durch das sündenlose Austragen der Schuld durch einen wahrhaft sündenlosen Gott-Menschen erwirkt werden kann, muss der Soteriologie vorbehalten bleiben. Über diese Satisfaktionslehre entbrannte ein heftiger Streit zwischen den Schulen des Thomas von Aquin (1224–1274) und des Duns Scotus (1266–1308). Thomas folgte dem Ansatz Anselms und legte besonderes Gewicht auf den »überschüssigen Verdienst« des Todes Jesu. Duns Scotus hingegen stellte infrage, dass dieser Verdienst zureichend sein könnte, um die Ehre Gottes wieder herzustellen. Daher betont er, dass Gott in freiem Entschluss und aus freien Stücken mitgeliebte Geschöpfe haben wollte, die in aller Freiheit ihrerseits Gott suchen und bejahen. Im Rahmen seiner Metaphysik der Freiheit folgert Duns Scotus: Zum vollkommenen Geliebtwerden Gottes gehört die reale Autonomie eines nicht nur mit scheinbarer Freiheit begabten Geschöpfes. Weil Gott geliebt werden will, bedarf es eines Wesens außerhalb seiner selbst, dass nicht nur scheinbar, sondern wirklich frei ist (Menke, 287).

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Dies führt in der Christologie zu dem Gedanken, dass in einer unaufhebbaren Einheit des Personseins Jesu Christi das wesentliche Insich-selbst-Stehen der Freiheit des ewigen Logos das aktuelle, freie und geschöpfliche In-sich-selbst-Stehen der Freiheit Jesu eröffnet und freisetzt. b) Luthers Christologie des fröhlichen Tausches Martin Luther reflektiert die Menschwerdung Gottes unter dem Blickwinkel des wahren Menschseins Jesu. Daher findet er die Wahrheit Gottes allein im gekreuzigten Christus (lat. solus christus) und setzt die radikale Orientierung am Wortsinn der Schrift (lat. sola scriptura) als zentrale erkenntnistheologische Prämisse. Daher kommt der wahre Glaube (lat. sola fide) aus dem Hören auf die Schrift, deren Sinn von Gott rein aus Gnade (lat. sola gratia) erschlossen wird. Entsprechend der mittelalterlichen und neuzeitlichen Ständeverfassung, deren Rahmungen bereits für das Denken Anselms von Canterbury prägend waren, wird die ontologische Zwei-Naturen-Lehre der Patristik durch eine Zweiständelehre des Tausches konkretisiert. So kommt es zu einem wechselseitigen Austausch der Eigenschaften zwischen der göttlichen und menschlichen Aussage-Ebene, der weniger eine Kommunikation als vielmehr eine Konvertibilität beider Aussage-Ebenen in sich einschließt. Luthers reformatorische Christologie – Gottes Gegenwart im Gegenteil (lat. sub contrario): Martin Luthers Theologie steht im Übergang von der spätmittelalterlichen, innerlichen Frömmigkeit (lat. devotio moderna) und der neuzeitlichen Betonung des Subjektes. Im Unterschied zur vorangehenden Tradition des Mittelalters und der Spätantike, die insbesondere an der objektiven Ordnung der Welt interessiert war, hebt der ehemalige Augustinermönch und spätere Reformator Luther, im Anschluss an Augustinus, die subjektiven Momente des Erlösungsgeschehens hervor. Dies gilt sowohl für die subjektive Erfahrung von Sünde und Erlösung als auch für das Heilsgeschehen in Christus. Auf der subjektiven Ebene betont Luther, in einer scharfen Absetzung von der Verdienstlehre, den reinen Geschenkcharakter von Gottes Zuwendung (Gnade). Daher ist die Liebe Gottes in jeder Hinsicht Annahme des endlichen Menschen und Vergebung für den Sünder. Auch der Glaube, der in der Liebe konkret wird und durch die

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Liebe geformt ist, ist in dieser Weise reines Geschenk, Handeln Gottes, und nur im abgeleiteten Sinne ein antwortendes Handeln des Menschen. Galt für Paulus der Glaube als leer, wenn er nicht im Handeln der Liebe und als Hoffnung wider alle Hoffnung konkret wurde (1 Kor 13), so musste der Jakobusbrief (2,14–20), wie schon der Jesus des Matthäus-Evangeliums (Mt 7,21) die Erfahrung machen, dass der Glaube mit den Lippen bekannt wurde, aber keine Konsequenzen für den praktischen Lebensvollzug hatte. Diese Erfahrung, dass das Handeln nicht von selbst kommt und die Konkretion im Leben eingefordert werden muss, wurde im Verlauf des Mittelalters durch Wiedergutmachungsleistungen materialisiert. Im spätmittelalterlichen Ablasshandel der Kirche wurde dieser Zusammenhang ökonomisch gewendet. Privates Geld konnte gegen den von der Kirche verwalteten »Gnadenschatz Gottes« eingetauscht werden. Durch Geld und Güter konnten Sünden aufgewogen und Sündenstrafen »abgekauft« werden. Bildhaft bringt dies der Weltgerichtsaltar von Roger van der Weyden in Beaune (Burgund) zur Darstellung. Der als skrupellos verschriene Kämmerer des Herzogs von Burgund stiftete dort im 15. Jahrhundert, kurz vor seinem Tode, ein Krankenspital, um im Gericht bestehen und an der Pforte des Himmels Einlass finden zu können. Diese Inszenierung ist typisch für den Tausch von kirchlich gewährter Gnade und persönlich bezahltem Geld. Im Ablasshandel wurde dieser Zusammenhang nochmals pervertiert. Im Lebensumfeld Luthers wurde der Ablasshandel u.a. von Erzbischof Albrecht von Brandenburg (Mainz) dazu benutzt, um die Zahlungen für die Einsetzung als Fürst und Erzbischof durch den Papst in Rom zu refinanzieren. Deshalb war Luthers empörte Kritik existenziell motiviert und biblisch gut begründet. Denn biblisch kann und muss Gottes Gnade nicht durch Leistung oder Geld erkauft werden. Weil Luthers Kritik einen wichtigen Teil der bischöflichen und päpstlichen Einkommensmöglichkeiten in Frage stellte, bedrohte sie die Einkünfte von Bischöfen und Papst. Im Gegenzug blieb allerdings auch die Reformation nicht frei von finanziellen Interessen. So konnten sich viele Landesherren aus armem Adel durch die Einverleibung kirchlicher Güter in reiche Fürsten verwandeln. Von Luther selbst und der nach Luther sich ausbildenden altprotestantischen Dogmatik wird das mittelalterliche Konzept der »Wiedergutmachung« (Anselm von Canterbury: Kap. VI), im Gedanken des stellvertretenden Strafleidens, angeschärft. Im stellvertretenden Strafleiden übernimmt Jesus Christus als Sohn des Vaters die Schuld

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der Menschen und ihre Folgen und vollzieht damit einen Freispruch des Menschen zu Ungunsten Gottes. Weil Christus im Leiden und Kreuz für uns zur Sünde gemacht wurde (2 Kor 5,21), hat er alles Elend der Menschen auf sich genommen, Anfechtung und Versuchung, Fluch, Verurteilung, Verdammnis. Dieser Tausch wurde von Gott selbst her ewig gedacht. Zu den Voraussetzungen dieser Theologie gehört es, dass Martin Luther den mittelalterlichen Zusammenhang von Vernunft und Glaube sowie von Gnade und Freiheit infrage stellte und als Gegensatz beschrieb. Konnte mittelalterlich die Gnade die Freiheit aufrichten und in die Freiheit hinein führen, sowie der Glaube vernünftig ausgewiesen werden und zur wahren Vernunft hinführen, so tritt bei Luther nun beides in entschiedenen Gegensatz, steht der Glaube gegen die menschliche Vernunft und widerspricht die Freiheitssituation des Menschen als Selbstbehauptung dem Gedanken der Gnade. Mit dieser Zuspitzung paulinischer Anthropologie im Lichte eines augustinischen Pessimismus und Sündenbewusstseins, wird das Kreuz zum Inbegriff von Gottes Gericht über die Selbstherrlichkeit des Menschen. Daher gilt: »Gott kann nach Luther nur durch das Kreuz und im Kreuz erkannt werden. […] Im Glauben verliert der Mensch die Sünde und wird mit Christus verherrlicht; der Gottmensch hält nicht an seiner Gottheit fest und nimmt Sünde, Leid und Tod des Menschen auf sich« (Ruhstorfer, 171). Mit diesem »fröhlichen Tausch« oder »fröhlichen Wechsel«, durch den das, was Christi ist, den Menschen zugeeignet wird, und das, was des Menschen ist, Christus am Kreuz zugeeignet wird, meint Luther zum einen die Ohnmacht der Menschen, zum anderen die Solidarität Gottes in der Sünde und Gottverlorenheit mit den Menschen formulieren zu können. So kommt es zu einer Umkehrung des Gedankens von Anselm: Indem Gott in das Kleinste und Geringste eintritt, erweist er sich als der Größte. Während Luther das Kreuz als Versöhnungstat im Zorngericht Gottes versteht, sind die biblischen Belege wohl eher im Sinne der solidarischen Entäußerung Gottes bis in den Tod hinein zu begreifen (Phil 2,8; Gal 3,13). In dieser Vorherbestimmung hat Gott seinen Sohn in vollem Ernst verworfen. Der Verlassenheitsschrei am Kreuz ist der Schrei eines Menschen, der ewiglich verdammt und wahrhaft von Gott verlassen ist. So trägt der Sohn anstelle der Sünder den Zorn Gottes aus (Hoping, 132–134). Voraussetzung dieser Denkfigur ist die Annahme Luthers, dass Jesus am Kreuz von Gott verlassen wurde. Diese Verlassenheit Jesu

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durch Gott schließt eine Ferne des göttlichen Logos-Sohnes von Jesus in sich ein. Deshalb kann Luther sagen, dass am Kreuz Jesus zugleich die Gottheit des Sohnes entzogen war und Gott sich verborgen hat. Am Kreuz war die menschliche Natur Christi gottverlassen, alleine, der Hölle und dem Tod ausgesetzt. Mit der Konzentration auf die geistlich-seelische Wirklichkeit Jesu als dem gottverlassenen Menschen rückt der innere Kampf Jesu zwischen Tod und Leben in den Vordergrund und tritt das körperliche Leiden in den Hintergrund. Dem Verlassensein durch Gott entspricht daher ein Gefühl von Verlassenheit und Verdammnis. Insofern ist das Sterben Jesu »Zeichen des Heils« – »unter dem Gegenteil«. Dieser Gedanke ist unter zwei Voraussetzungen möglich. Zum einen setzt er die Annahme Luthers voraus, wonach der »Sohn von Ewigkeit« sich immer wieder von Jesus zurückgezogen habe, weshalb der Teufel Zutritt zu dem »Alleingelassenen« finden konnte. Zum anderen setzt Luther hier eine Lehre vom abwesenden Gott voraus, der unbegreiflich »hinter« dem offenbaren Gott »verborgen« ist. Das Strafleiden Jesu ist im Unterschied zu Anselm von Canterbury nicht nach der Logik der ausgleichenden Gerechtigkeit quantitativ zu verstehen. Es wird nicht als Genugtuung und Wiedergutmachung realisiert. Vielmehr ist das Kreuz geistlich-typologisch der Erkenntnisort, an dem deutlich wird, dass alle Menschen Sünder und daher sowohl dem Zorn Gottes als auch dem Gericht Gottes ausgeliefert sind. Im Spiegel des Kreuzes kann der Mensch sich als ein Mensch wahrnehmen, der durch seine eigene Sünde Jesus Christus selbst Leid zufügt. So ist es Gott selbst, der in der Verurteilung und Hinrichtung Jesu handelt und »den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht« hat, »damit wir durch ihn Gerechtigkeit Gottes würden« (2 Kor 5,21). In der Logik des Platz-Tausches bedeutet dies: Der Unschuldige erlebt die Strafe des Todes, der als Unheilsfolge der Sünde das Schicksal derer ist, an deren Stelle er starb. Dieses stellvertretende Strafleiden, das mit Recht als stellvertretendes Erleiden des Zornes Gottes über die Sünde beschrieben worden ist, begründet von Jesus Christus her die Gemeinschaft mit allen Menschen als Sündern und mit ihrem Schicksal. Dies ist eine Verbindung, die die Grundlage dafür bildet, dass der Tod Jesu allen Sündern als Sühne zu Gute kommt. Stellvertretung und Sühne haben dabei nicht die Wirkung, den Vertretenen das eigene Sterben zu ersparen. Sie eröffnen den durch Jesus Christus Vertretenen die Chance, in ihrem eigenen Sterben – durch die Verbindung mit dem Sterben Jesu – Hoffnung auf

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Teilhabe an den neuen Leben der Totenauferweckung zu gewinnen, das in Jesus verbürgt ist (Röm 6,5). Es handelt sich also um Stellvertretung und Sühne vor dem eschatologischen Gericht Gottes (Pannenberg II, 437).

Theologisch bleibt hier zunächst das Problem bestehen, wie die Konzentration auf das vorherbestimmte Strafleiden mit dem Begriff Gottes als Liebe vermittelt werden kann und wie sich die individuelle Freiheitssituation Jesu zu seiner Funktion als Sohn verhält. Auf der einen Seite betont Luther die altkirchliche Lehre von der Einheit der Person Christi, die durch die Initiative des Sohns von Ewigkeit hypostatisch geeint ist (Enhypostasie). Auf der anderen Seite vertritt Luther einen Wechsel zwischen der göttlichen und der menschlichen Wirklichkeit Jesu Christi, durch den der Mensch im Glauben Anteil hat. Sodann wird die altkirchliche Lehre von der Verbundenheit oder Kommunikation zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit von Luther zu einer wechselseitigen Austauschbarkeit, ja Vermischung der Aussagen erweitert. So kann all das, was die Menschheit Jesu bestimmt, zugleich vom Logos-Sohn ausgesagt werden, und das, was die Gottheit des Logos-Sohnes bestimmt, zugleich über den Menschen Jesus behauptet sein. Positiv ist das Anliegen Luthers zu werten, die Betroffenheit der göttlichen Wirklichkeit von der Menschengeschichte Jesu herauszustellen und damit das Axiom von der Unbetroffenheit Gottes zu überwinden. Problematisch wird die Austauschbarkeit der Aussagen in Luthers Zuspitzung: »jener Mensch erschuf die Welt und jener Gott hat gelitten, ist gestorben«, die in der reformatorischen Formel – »Oh schwere Not, Gott selbst ist tot« – zusammengefasst wird. Die berechtigten Anliegen Luthers gewinnen hier eine Einseitigkeit, die notwendig Gegenfragen provoziert: Leidet am Kreuz Gott selbst in seinem Gottsein auf quasi-menschliche Weise? Stirbt am Kreuz der Logos-Sohn von Ewigkeit seiner Gottheit nach? Welchen Sinn macht es, von einem Gott zu sprechen, der qua Gottheit sterben kann? Diese Problemanzeigen machen deutlich, dass die wechselseitige Konvertibilität der Aussagen scharf in die Nähe eines Monophysitismus, oder genauer: in die Nähe einer Vermischungschristologie rückt, auch wenn die Person-Einheit bei Luther nicht metaphysisch als dauerhaftes Sein, sondern neuzeitlich freiheitsbezogen, d.h. momenthaft, je aktual als Ereignis gedacht wird (Kap. IV).

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c) Walter Kasper: Hoheit in Niedrigkeit oder Allmacht in Ohnmacht Konnte Rahners Ansatz transzendental-anthropologisch genannt werden, weil er die prinzipielle Geschichtlichkeit des Menschen anhand der strukturellen Verfassung und den Bedingungen des subjektiven Menschseins bedenkt (im subjektiven Selbstbezug: transzendental; bzw. im subjektiven Weltbezug: existential), so vertritt Kasper einen realgeschichtlichen Ansatz. Stärker noch als Rahner tritt er für eine nachidealistische Theologie ein, welche ihre konkrete Gestalt durch die Vermittlung von göttlicher Idee (Wahrheit) und geschichtlicher Wirklichkeit als Bewährung im faktischen Menschsein gewinnt. Es gibt diese Wahrheit nur in »irdenen Gefäßen«, das heißt in der Form menschlicher, endlicher Wahrheitszeugenschaft. In seiner Methode betont Kasper das geschichtliche Werden und die dadurch notwendigen Übersetzungsprozesse gläubigen Verstehens wie auch die notwendigen Tradierungsvorgänge des praktischen christlichen Lebens. Eine solche Über-Setzung kann nur in einer lebendigen Vermittlung von für die Gegenwart relevanten Bezügen sowie in einer an Identität interessierten Rückbindung an die Ur-Kunde des Glaubens bestanden werden. Die dogmatische Reflexion leitet Kasper – im Sinne der Hermeneutik des Zweiten Vatikanischen Konzils und mit dem Bewusstsein für die epochale Wandlung des Christentums in der Moderne – vom biblischen Zeugnis ausgehend ab. Im Rückbezug auf die Geschichte der Theologie bedenkt er die Christologie auf die Gegenwart des Glaubens und die bleibende Geheimnishaftigkeit Gottes hin. Kaspers Christologie nimmt, in der Bestimmung der Mittlerschaft Jesu einerseits und in der Konkretion der Menschlichkeit Gottes als Solidarität des Menschensohnes mit den Menschen andererseits, die anthropologische Prägung von Rahners Denken auf. Doch ist sein Ansatz gegenüber Rahner von deutlich anderem Profil. Gemäß seiner Option für die geschichtliche Konkretion und menschliche Bewährung theologischer Aussagen als »Wahrheit in Geschichte«, ist der konzeptionelle Konstruktionspunkt nicht eine formale Anthropologie. Im Zentrum steht keine Analyse der Struktur des menschlichen Daseins, auch wenn diese bei Rahner anhand der »Mysterien des Lebens Jesu« entwickelt wurde. Mit seiner Orientierung an der Geschichte und am historisch-kritisch zu eruierenden Befund nimmt Kasper sowohl das realgeschichtliche Denken der sogenannten katholischen Tübinger Schule

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(Johannes von Kuhn, Johann S. Drey, Josef R. Geiselmann) als auch die historisch-kritisch begründete und christologisch »von unten« her denkende Theologie seines Lehrers Hans Küng auf. Während Küng später die innergöttliche Grundlegung der Christologie abschwächt und ablehnt, hält Kasper am traditionellen Wechselverhältnis von geschichtlicher Heilserfahrung (gr. oikonomia) und innergöttlicher Begründung (gr. theologia) fest. Insofern ist das trinitarische Bekenntnis und die »hohe Christologie« der Schrift und der Tradition sowohl der Grund als auch die Voraussetzung der geschichtlichen Heilserfahrung (Kasper II, 203.218). Darum ist an der Präexistenz Jesu Christi in Gott konsequent festzuhalten. Doch ist diese in ihrer Begründungsfunktion für die Heilserfahrung zu verstehen und streng auf die erlösende Heilserfahrung hin zu denken. Es geht dabei nicht um Willkür oder eine verselbstständigte, abstrakte Spekulation. Auf der Linie der Hermeneutik Martin Heideggers und ihrer Rezeption in der evangelischen Theologie (Ernst Fuchs, Gerhard Ebeling) wird die Fleischwerdung des Wortes als Geschehensereignis begriffen. So ist auch das »Wesen Gottes« vom »geschichtlichen Geschehen« her zu verstehen und in diesem Ereignis selbst als Grund des Geschehens zu bedenken (Kasper II, 207). Das »Wesen« gibt es erkennbar und bestimmbar darum nicht »jenseits« seines »Ereignisses«. Wesen und Geschichte wie auch Sein und Funktion können nicht voneinander abgetrennt werden. Jedes Sein ist nur in konkreten Vollzügen erkennbar und nur anhand konkreter Funktionen bestimmbar (z.B. Jesus als Christus, Heiland (Heilbringer), Retter, Erlöser, Befreier, Freund usw.: vgl. Kasper II, 20–26). Das Interesse an realer Geschichte führt dazu, dass die Christologie entschieden bei der konkreten Geschichte und dem besonderen Geschick Jesu von Nazaret anzusetzen hat. Dadurch wird in einer gewissen Nähe zur evangelischen Theologie das Kreuzesgeschehen zum interpretierenden Schlüssel des Inkarnationsdenkens: »Christologie von unten ist nur möglich als Theologie des Kreuzes« (Kasper II, 196). Mit dieser Orientierung am Kreuz Jesu wird das Werden Gottes im Anderen und als Anderes noch einmal revolutioniert und die gegenüber philosophischen Konzepten vollzogene »Revolution im Gottesverständnis« weiter bedacht und zu Ende geführt. Im Unterschied zur reinen Idee, die bei Platon metaphysisch als höhere Wirklichkeit und bei Kant anthropologisch als Leitstern des Denkens gedacht wird, sowie im Unterschied zum »unbewegten Beweger« aller Prozesse bei Aristoteles oder zur unbewegten »Monade« bei Gott-

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fried W. Leibniz, wird in dieser Theologie nach Hegel Gott anhand der konkreten Geschichte bestimmt, die als Geschichte seiner »Selbstoffenbarung« charakterisiert ist. Für die Sache der Theologie bedeutet dies: Gott bleibt sich treu, wenn er sich entäußert und sich entfremdet, er hört nicht auf, Gott zu sein, wenn er Mensch wird, und er bleibt Geist, auch wenn er das Fleisch der Welt annimmt (Kasper II,173–175). Deshalb bedarf es auch einer neuen Interpretation der Rede vom Sohn Gottes bzw. vom Gottessohn, die sich am Kreuzesgeschehen orientiert. Im Alten Testament konnte der Titel »Sohn« für das Volk Israel oder für die Könige als Repräsentanten des Volkes verwendet oder für die schlechthin Frommen und Gerechten in Israel gebraucht werden. Er ist im Kontext der freien und gnadenhaften Erwählung durch Gott zu begreifen, ein Gedanke, der den Glauben Israels prägt. In der Umwelt Israels, dem mythischen Vielgötterglauben oder dem philosophischen Einheitsdenken, kommt er jedoch nicht vor. Obwohl Jesus den Messiastitel und den Titel »Sohn Gottes« vermutlich nicht selbst für sich gebraucht hat, kann doch von einem »Sohneshandeln« (Karl Lehmann) Jesu gesprochen werden. Jesus handelt anstelle und in der Autorität Gottes, besonders deutlich am Beispiel der Sündenvergebung. Ein solches Handeln und Reden in der Autorität Gottes kennt weder das antike Judentum noch die heidnische Umwelt. Zu bedenken ist auch, dass Jesus als messianischer Anwärter aus religionspolitischen Gründen verurteilt wurde (»König der Juden«). Der Anspruch Jesu, anstelle Gottes zu sprechen und zu handeln, war weder dem jüdisch-theokratischen noch dem hellenistisch-metaphysischen Verständnis von Gott möglich. Das Johannes-Evangelium bringt diese autoritative Rückbindung ins Wort, wenn es die besondere Einheit von Vater und Sohn hervorhebt (Joh 14,9). In der Sache gibt es auch keinen Dissens zwischen der johanneischen und der synoptischen Tradition, da auch Markus sein Evangelium als Evangelium vom Sohn Gottes versteht (Mk 1,1–3; 15,39). Diese Sohnschaft wird in der Taufe am Jordan von Gott her öffentlich bekannt gemacht und von Jesus für sich selbst angenommen (Mk 1,9– 11). Die ersten Christen und die frühe Kirche interpretierten den Sohnestitel nicht allein von der Person und dem Geschick Jesu ausgehend, sondern auch aufgrund des gesamten »Bestimmungszusammenhanges« von Leben, Tod, Auferweckung und Erhöhung Jesu (Kap. I). Hier dominiert der Gedanke der Adoption Jesu an Sohnes statt, der durch Auferweckung und Erhöhung in seinem Anspruch

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bestätigt wird (Kap. II, III). So bewährt und verwirklicht sich in der Geschichte, was von Gott her schon die »wahre Sache« ist. Die Auferweckung und die österliche Erschließung des auferweckten Jesus kann als Vollendung dessen verstanden werden, was bereits vor Ostern wirklich war. Diese innere Einheit von der göttlichen Sendung des Sohnes in die Welt und des Wesens Jesu als »der Sohn« wird insbesondere im Johannes-Evangelium zum Thema. Unter Wahrung der typisch jüdischen »Theozentrik«, der Priorität des göttlichen Vaters, wird im Johannes-Evangelium nicht nur die Einheit des Sohnes mit dem Vater betont, sondern auch seine Unterordnung unter den Willen des Vaters. So kann der johanneische Christus sagen: »Der Vater ist größer als ich« (Joh 14,28). Wie im Matthäus-Evangelium (Mt 7,21–22), so betont auch das Johannes-Evangelium, dass Jesus sich dem Willen des Vaters in jeder Hinsicht unterstellt und in dieser Weise den Willen des Vaters transparent macht. Darin wird Kaspers These belegt, wonach Jesu Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters als funktionale Christologie sein Wesen, Sohn des Vaters zu sein, offenbar macht und bestätigt. Mit Paulus wird der Zeugenschaft und dem Handeln Jesu für die Herrschaft Gottes unter den Menschen in Kreuz und Auferweckung endgültig und für alle Zeiten zum Durchbruch verholfen. So findet die Christologie »von unten« als Botschaft von der treuen Hingabe Jesu zugunsten Gottes und der Menschen sowie als Botschaft von der Aufrichtung des neuen Lebens, die über alle Vernichtung hinausreicht, Gestalt. In dieser Weise ist das Kreuz kein rätselhafter Widersinn. Es ist Gottes Ratschluss und Wille und sinnvoll, weil im Kreuz Gottes liebender Weg ins Äußerste deutlich wird und die Auferstehung bekräftigt, dass der Tod nicht das letzte Wort ist. So fragen die neutestamentlichen Texte: »Musste« nicht all dies geschehen (Lk 24, 25–27)? Mögen beim Kreuzesgeschehen auf den ersten Blick die Menschen die handelnden Akteure und die Schuldigen sein, so ist in diesem Geschehen letztlich Gott selbst am Werk. In dieser Weise ist das Kreuz den Heiden eine Torheit, den Juden ein Ärgernis, den Christen aber die Offenlegung der Macht und Weisheit Gottes: »Der reich war, ist für euch arm geworden, damit ihr durch seine Armut zu Reichen werdet« (2 Kor 8,9). Weil Gott die Welt liebt, wird diese Liebe auch in der äußersten Finsternis und Ferne durchgehalten, um noch in den letzten Abgründen des menschlichen Daseins deutlich zu machen, dass jeder menschliche Schicksalszusammenhang von Gottes Willen zum Heil und zur Rettung umfangen ist. In dieser Hingabe

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kommt es zu einer neuen Bestimmung der Prädikate, mit denen über Gott gesprochen wird. Gottes Macht offenbart sich hier in der Ohnmacht des Kreuzes. Deshalb muss Gottes Allmacht als Allliebe neu definiert werden. In dieser »Revolution des Gottesverständnisses« findet die paulinische Einsicht – wonach Gott das erwählt, was nach den Augen der Menschen »schwach« ist – in Gott selbst seinen Anhalt. In der Blöße des Kreuzes, im Leiden des schändlichen Sterbens, in der Ohnmacht des Todes zeigt sich Gottes wahre Größe, wird das Leiden in höchste Liebe und der Fluchtod in segensreiches Leben gewandelt. In dieser Wende des Todes zum Leben wird deutlich: Gottes Allmacht zeigt sich als durchgehaltene, bestandene und zu auferwecktem Leben verwandelte Ohnmacht des Kreuzes. Gottes Allmacht ist Allliebe. Diese vermag in freier, personaler Zuwendung alles, was lockende und werbende Liebe vermag. In dieser Weise werden vier Merkmale der gläubigen Existenz sichtbar: (1) Der Mensch findet seine Erfüllung nicht in sich. Seine Möglichkeiten und Entwicklungschancen sind letztlich begabt und beschenkt, sodass das, was wird, immer mehr ist, als das, was der Mensch allein aus sich heraus zu tun vermag. (2) Die menschliche Freiheit zeigt sich in Jesus Christus besonders als eine von Gott freigesetzte, eröffnete und ermöglichte Freiheit, in welcher sich der Mensch für die Beziehung zu Menschen und zu Gott entschließen kann. Doch findet diese Freiheit ihre Erfüllung nicht in Eroberung und Besitz, sondern in der Eröffnung anderer Freiheit, im Hören auf das zugesagte Wort und in der Hingabe an das zugemessene Geschick. (3) In Jesus Christus, der ganz Hohlform und Leerform für Gott geworden ist, wird deutlich, dass die Bindung an Gott eine Beheimatung ermöglicht, welche die Ziellosigkeit und Inhaltslosigkeit des Daseins überwindet und Grund und Ziel gibt, indem heilvolles, geordnetes und sinnerfülltes Leben möglich wird. (4) Ein weiteres Kennzeichen dieser realgeschichtlichen Christologie »von unten« ist die am Motiv des Gehorsams verdeutlichte biblische Theozentrik. Obwohl trinitarisch eine Gleichheit im Status und Wesen auszusagen ist, gibt es doch die Frage, ob die funktionalhierarchische Zuordnung von Vater und Sohn, die auch in den liturgischen Lobpreisungen (der Doxologie) wiederzufinden ist, trinitarisch durchgehalten werden muss. So geht die Bewegung des liturgischen Betens im Geist mit Christus zum Vater. Umgekehrt ist die gnädige Zuwendung Gottes geordnet. Sie verläuft vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist auf uns zu.

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Zusammenfassung Die formale Frage nach der prinzipiellen Möglichkeit einer Menschwerdung Gottes geht der inhaltlichen Frage, warum Gott Mensch wurde, voraus. Im Anschluss an Karl Rahner wurden die Bedingungen der Möglichkeit für ein mögliches Werden Gottes in der Geschichte besprochen. Es konnte gezeigt werden, dass Gott als Liebe zu definieren ist, der ein freies Gegenüber will und bejaht und sich in diesem Anderen selbst entäußert. Das Werden Gottes im Anderen ereignet sich in den existenziellen Selbstauslegungen der Menschen. Diese sind in freier Transzendenz über alle Vorausbestimmungen je schon hinaus. Das universale Wirken Gottes ist im belebenden Geist exzentrisch und wird durch den Wahrheit stiftenden Logos in Jesus konzentrisch. »Ist« Gott in Christus Jesus selbst Mensch, so bezeichnet dies ein unübertroffenes Kommunikationsverhältnis. Die theologiegeschichtlichen Antworten auf die Frage, warum Gott Mensch wurde (Anselm von Canterbury: Cur Deus homo?), wurden mit Luthers Christologie des fröhlichen Tausches, welche die Ohnmacht des Menschen und die Solidarität Gottes mit den Menschen betont, sowie mit Kaspers Konzept der Selbst-Entäußerung Gottes, die sich bis hin zur Ohnmacht am Kreuz konkretisiert, entfaltet. Gott zeigt seine Liebe so als eine Einheit von Verschiedenem, d.h. von Niedrigkeit und Hoheit, Allmacht und Ohnmacht. Virulent bleibt die Frage nach dem Leiden des Logos-Sohnes oder seinem Mit-Betroffensein vom Leiden Jesu bzw. von einem Leiden in Gott.

Literatur Kasper, Walter, Jesus der Christus. Mainz 91984. (Kasper II) Menke, Karl-Heinz, Jesus ist Gott der Sohn. Denkformen und Brennpunkte der Christologie. Regensburg 2008. Ruhstorfer, Karlheinz, Christologie. Paderborn 2008.

VI. Kreuz und Erlösung: »Braucht Gott Opfer?« 1. Hinführung Vielen Menschen ist die christliche Rede vom Opfer problematisch geworden. Es gibt kritische Zeitgenossen, die den Kreuzestod aus der menschlichen Perspektive Jesu als einen Masochismus und aus der Perspektive Gottes als einen Sadismus charakterisieren. Zudem gibt es auch ein an immenser Quantität und exorbitanter Qualität ausgerichtetes Verständnis des Leidens Christi. Wie kann hier angemessen von einem erlösenden Leiden gesprochen werden? »Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben« (Röm 8,32). Diese Worte des Paulus sind Christinnen und Christen vertraut. Sie finden ihre Zuspitzung in der Paulusschule, wenn formuliert wird: »So folgt nun Gottes Beispiel als geliebte Kinder und lebt in der Liebe, mit der auch Christus uns geliebt hat und sich selbst für uns als Gabe und Opfer gegeben hat, Gott zu einem lieblichen Geruch« (Eph 5,1–2). Hier wird nicht nur Jesu Tod als Opfer qualifiziert, sondern dieses Opfer im Blick auf Gott als eines bestimmt, das Gott gefällt. Gehört zur Christologie auch die Annahme, dass Gott Menschen-Opfer will und diese Menschen-Opfer ihm gefallen? Allzu oft ist christlicher Glaube so verstanden worden. Dann wird das Leiden am Kreuz zur Sühne, zum stellvertretenden Leiden für die Sünden der Menschen. Ein mormonischer Prediger spricht beispielsweise vom bedeutendsten Ereignis der Geschichte. Dieses herausragende Ereignis war das »unvergleichliche Sühnopfer unseres Herrn und Erretters«. Dies war »die erhabenste Tat, die je stattgefunden hat«. Nun kommt alles darauf an, worin die Unvergleichlichkeit und Erhabenheit dieser Tat liegt. Wird das Leiden Jesu als solches in den Mittelpunkt gerückt und primär als sühnendes Opfer und stellvertretendes Ersatz-Leiden für die Verfehlungen und die Schuld der Menschen verstanden, dann kann leicht der Anschlussgedanke Raum gewinnen, wonach die Größe des Leidens die Größe der Versöhnungstat dokumentiere. Danach muss unendliche Schuld vor Gott durch unendliches Leiden aufgewogen werden. Nicht ganz frei von diesem Eindruck ist der Film von Mel Gibson »Die Passion Christi«. Auch die volkstümliche Theologie scheint davon nicht ganz frei zu sein. Hier kommt Jesus als derjenige in den Blick, der »für uns Blut geschwitzt hat«, »gegeißelt worden ist«, »mit Dornen gekrönt wor-

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den ist«, »das schwere Kreuz getragen hat«, und »gekreuzigt worden ist«. Nun wird niemand ernsthaft diese Ereignisse im Leben Jesu bestreiten wollen oder die Notwendigkeit leugnen, dass diese der theologischen Deutung bedürfen. Doch gerade deshalb muss ihre theologische Einordnung befragt werden. Selbstkritisch zu fragen ist, ob in gewissen Traditionen der Leidensfrömmigkeit ein quantitatives und qualitatives Missverständnis vorliegt. Nach diesem Missverständnis scheint Jesus den qualitativ schrecklichsten und brutalsten Schandtot der Menschengeschichte erlitten zu haben. Zudem scheint sein Leiden quantitativ das größte Leiden zu sein, das je ein Mensch erlitten hat. Ungeachtet des Problems, ob mit dieser Einstellung eine zynische Abwertung des konkreten Leidens von Menschen einhergeht oder das Leiden ästhetisiert wird, ist prinzipiell zu fragen, ob hier nicht eine Form der Leidensfrömmigkeit vorliegt, die der Devise folgt: »Je mehr und je brutaler das Leiden, umso mehr Erlösung wurde erwirkt«. Angesichts dieser religiösen Bedeutungszusammenhänge formuliert Friedrich Nietzsche im »Antichrist« seine beißende Kritik, wenn er die christliche Inszenierung des Kreuzes als schauderhaftes Heidentum einer irrational verstörten Gruppe brandmarkt, welche das menschliche Leiden als solches glorifiziert und diesem absoluten Wert zuspricht: »Gott gab seinen Sohn zur Vergebung der Sünden, als Opfer. Wie war es mit einem Male zu Ende mit dem Evangelium! Das Schuldopfer, und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen!« (Nietzsche, Der Antichrist, Nr. 41). Nietzsches Kritik hält den kritischen Problemstand fest, dem sich der christliche Opfergedanke im Kontext modernen Lebens stellen muss. Dieser bezieht sich nicht nur auf Gott, sondern auch auf Jesus. Er wird in der Frage zugespitzt: War Gott ein Mega-Sadist und Jesus ein SuperMasochist? War Jesus also ein leidensverliebter Mensch mit einer kranken Opfermentalität? Hätte er nicht besser mit seinen Freunden am See Genezareth verweilen sollen, um die riskante Konfrontation mit den jüdischen und römischen Autoritäten in Jerusalem zu vermeiden? Mit der Frage, wie Jesus selbst seinen Weg in den Tod verstanden und bestanden hat, ist die Frage verbunden, ob Leiden als solches überhaupt Sinn hat und macht. Eine Alternative besteht darin, nicht nach dem Sinn des Leidens als solchem zu fragen, sondern nach dem möglichen Sinn von Leben und Hoffnung angesichts der Erfahrung des Leidens. Dann ginge es nicht um eine Sinngebung des Leidens, sondern um eine Sinngebung des Lebens im Angesicht von Leiden.

2. Begriffliche und religionsgeschichtliche Orientierungen

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2. Begriffliche und religionsgeschichtliche Orientierungen Das Wort »Opfer« gehört zu den weithin unaufgeklärtesten Begriffen der christlichen Alltagssprache. So dominiert nach allgemeiner Auffassung das religionsgeschichtliche Verständnis von Opfer, welches die Opferhandlung und die Opfergabe als Elemente begreift, die einer höheren Macht entgegengebracht (lat. obferre) werden. Oft ist dieses Entgegenbringen in ein kultisch inszeniertes Ritual gefasst, das von einer Gemeinschaft oder ausgezeichneten Mitgliedern einer Gemeinschaft (Kultpriestern) gefeiert wird. Vielfach werden die naturalen Opfergaben während der Feier oder nach der Feier von der Opfergemeinschaft bzw. dem der Opfergemeinschaft voranstehenden Opferleiter (Priester, Schamane) verspeist. Zumeist gibt es ein rituelles Mahl, bei dem die Gabe und die Anliegen, die mit dieser Gabe verbunden sind, miteinander benannt und geteilt werden. Im religionsgeschichtlichen Zusammenhang ist noch eine zweite Bedeutungsvariante festzuhalten. Alternativ kann das deutsche Wort »Opfer« auch auf das lateinische Wort operari zurückgehen. Dann ist es durch zwei unterschiedliche Perspektiven bestimmt, die in der englischen Sprache durch zwei unterschiedliche Worte zum Ausdruck gebracht werden. Zu unterscheiden ist das Opfer, welches gewaltsam geopfert und passiv erlitten wird (engl. victim), vom rituellen, kultischen oder symbolischen Nach-Vollzug eines Opfers (engl. sacrifice). Für die christliche Erlösungslehre ist damit die Frage verbunden, ob das Kreuz Christi, die gewaltsame Tötung des Menschen Jesus, nur ein Opfer (victim) religionspolitischer und staatlicher Gewalt (»gekreuzigt unter Pontius Pilatus«) ist, oder ob Jesus, als Inbegriff der zahllosen Opfer (lat. victimae) menschlicher Gewaltgeschichte, seinen Tod auch als aktive Hingabe, als dargebrachtes Opfer mit kultischem Hintergrund (lat. sacrificium) verstanden hat. Diese begriffliche Unterscheidung kann auf die verschiedenen Opferformen der Religionsgeschichte angewandt werden, die u.a. Dankopfer, Lobopfer, Bittopfer und Sühnopfer kennt. Diese vierfache Sinngebung der Opferhandlungen ist auch in den traditionellen Formen des Opfers, wie zum Beispiel dem Gebet, dem Naturalienopfer, dem Erstlingsopfer oder dem Totenopfer, wiederzufinden. In einer agrarisch bestimmten Gesellschaft bringt z.B. das Erstlingsopfer die Abhängigkeit der Menschen von guten Böden, von gedeihlichem Wetter, von generativer Fruchtbarkeit und gesundem Wachstum zum Ausdruck. Das Opfer wird in diesem religionsgeschichtlichen Kontext oft als eine rituelle Handlung verstanden, mit der der über-

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sinnlichen Macht eine Gabe dargebracht wird, durch die diese geneigt gemacht sowie freundlich und hilfreich gestimmt werden soll. 3. Biblisch-jüdisches Denken Das biblische Isaak-Opfer steht religionsgeschichtlich für eine Zeit des Übergangs von einer Praxis der Erstlingsopfer (als Menschenopfer) zu einer Gottgemäßheit des Handelns (Gen 4; Num 28,26ff.; Ri 11,29–40; 2 Kön 3,27; 23,10). So tritt durch die redaktionelle Bearbeitung älterer Überlieferung der Gehorsam gegenüber Gott, die Verpflichtung, die göttliche Weisung (hebr. tora) zu achten und dieser zu folgen (Lk 2,24), an die Stelle von naturalen Opfergaben oder Menschenopfern. Dieser Übergang vom kultischen Opfer zur gottgemäßen Lebensführung ist zwar in der prophetischen Tradition bereits gnadentheologisch durchschlagend, aber hinsichtlich der Opfer-Rituale und ihrer Bedeutungsgebungen bis in die Zeit der Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Römer von Inkonsequenzen und Abschattungen nicht frei. So kennt die redaktionell bearbeitete und nachprophetische Tora fünf Opferarten, die sich in ihren Ritualen und Anlässen unterscheiden: Die Olah (Gen 22,2, Ex 20,24, Lev 6,2), das Ganzopfer (lat. holocaustus), welches als Brandopfer dargebracht wurde (Rind, Schaf, Widder oder Taube), wurde an Festtagen vollzogen (Lk 2,24), konnte aber im Tempel auch täglich morgens oder abends begangen werden (Num 28,3–8). Die Mincha dient als vegetarisches Opfer (Lev 2,7; 6,8 Mehlfladen mit Öl, Weihrauch und Salz) – ähnlich wie die römisch-katholischen Mess-Stipendien – zugleich einem privaten Anliegen und dem Lebensunterhalt der Kultpriester. Das Sebach Schlamim ist ein festliches Mahl, bei dem die minderwertigen Innereien und das Fett verbrannt und die guten Teile von der Mahlgemeinschaft verzehrt werden. Das gute Fleisch wurde mit den guten Anliegen der Friedensstiftung und des leiblichen wie sozialen Heiles verbunden (Ex 32,6; Lev 4,31). Die Chattat diente zur Entsündigung nach einer versehentlichen Gebotsübertretung. Das Versöhnungsritual setzte mithin die Tradition strenger Tora-Befolgung (Observanz) voraus (Lev 16). Angesichts der Verfehlungen Israels und einzelner Israeliten wurde am Tag des Friedensfestes (Jom Kippur) eine Ziege durch den Hohenpriester geschlachtet. Deren Blut wurde an den Vorhang im Tempel

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gesprengt, der das Allerheiligste (die Bundeslade mit den Gesetzestafeln) vom Heiligen, dem Innenraum des Tempels, abtrennte. Durch diese symbolische Blutbesprengung im Übergang vom Allerheiligsten zum Heiligen sollten die Israeliten im schlechthin Heiligen, in Gott und seiner Weisung zum Leben, erneuert werden. Dieser Ritus der jährlichen Re-Sakralisierung des ganzen Volkes am Jom Kippur musste nur bei grober, vorsätzlicher Gebotsübertretung durch die Pflicht des Sünders und Opfernden »ergänzt« werden. Im Streit mit dem Gesetz sollte der entstandene Schaden ersetzt werden (Ex 29,36; Lev 9,7). Hinzu kam die Verpflichtung, dass der Opfernde den angerichteten Schaden ersetzen musste. Doch dieser Ausgleich einer Schädigung, der im Streit unter gemeinsamen und verbindenden Regeln möglich ist, ist im »Widerstreit« (Lyotard) unterschiedlicher Regelsysteme ohne den Gottesbezug unmöglich. Nach der Zerstörung des Tempels traten bei den Rabbinen Gebet, Studium der Weisung und Befolgung der Weisung zum Leben an die Stelle aller tempelkultischen Opferformen. Entsprechend der prophetischen Interventionen traten nun persönliche Gottesfurcht und das tägliche, morgendliche und abendliche, Gebet mit festgelegten Bitten an die Stelle von kultischen Opferhandlungen im Tempel. Die prophetische Wendung im jüdischen Opferverständnis wird durch Jesus und in der neutestamentlich-christlichen Interpretation als »Revolution« lebensgeschichtlich konkretisiert und ratifiziert. Die Propheten stellten unmissverständlich klar, was Gott wirklich will: »Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen«, sagt der Prophet Amos. »Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben, und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach« (Am 5,21– 24). Im Übergang vom Babylonischen Exil zur nachexilischen Zeit unterstrich der Prophet Hosea dies noch einmal: »Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer« (Hos 6,6). Dies ist eine Aussage, auf die Jesus Bezug nimmt (Mt 9,13). Im Rahmen der »Bußtheologie« des Alten Testamentes wurde diese Neuausrichtung auch im Psalter festgehalten. Alles Opferwesen der Menschen, alle Versuche, durch Kult und Ritus Gott zu versöhnen, von denen die Welt der Leistungsfrömmigkeit und des religiösen Tauschhandels so angefüllt ist, bleibt hilfloses Menschenwerk. Gott braucht nicht Stiere und Böcke, sondern er sucht die Menschen. Er will ihr uneingeschränktes Ja, ihr freies und wahres Lob (Ps 50,9–

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14). Die wahren Opfer, die Gott gefallen, sind Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, sind Herzensumkehr und Hingabe in Liebe und Treue, nicht Brandopfer und Kultgaben. Die wahre Hingabe an Gott, das »wahre Opfer« schließt das Schamgefühl über die eigene Fehlbarkeit und Unvollkommenheit in einem zerbrochenen und zerschlagenen Herzen ein. Dazu gesellt sich der durch eigene Schuldeinsicht zerknirschte Geist (Ps 51,19). Im Zusammenhang der göttlichen Zusage von Barmherzigkeit und Vergebung »opfern« nun nicht mehr die Menschen Gott irgendeinen Gegenstand. Ihr »Opfer« besteht darin, dass sie sich selbst investieren, indem sie in Treue zu Gottes Zusage eine gottgemäße Nähe und Liebe leben. Dies schließt die Aufrichtung von Recht und Gerechtigkeit ein, ein Handeln zugunsten derer, die arm sind und leiden, die hungern und dürsten, die verfolgt und gepeinigt werden (Am 5,24; Hos 2,21; 10,12; Jes 29,19; 58,7; 61,1; Lk 4,18; 7,22). Die mit dieser »Revolution« verbundene »Umkehrung« bedeutet: Nicht mehr die Menschen opfern Gott etwas, sondern Gott ist sich selbst in seinem rettenden Erbarmen treu. In seinem Sohn, Jesus Christus, wird deutlich, dass wir noch im Äußersten menschlicher Selbstentfremdung und Gottesferne darauf hoffen dürfen, mit Gott und untereinander versöhnt zu werden. Darin konkretisiert sich die Zusage von Gottes vergebender Nähe und die Möglichkeit eines »umgekehrten«, neuen Lebens (Mk 1,15). Auch für das Kreuz bleibt der Tenor für die Ansage des Reiches Gottes erhalten, gilt, dass Gottes Gnade unverdienbare, erbarmende und rettende Liebe (hebr. chanan) ist. Diese steht in Verbindung mit dem mütterlichen Erbarmen (hebr. rachamim) und bringt das Verhältnis des Höhergestellten zu einem Niedrigergestellten als großzügige und unverdienbare Zuwendung ins Wort. Gnade ist Gegenwart souveräner Hoheit und grundloser Liebe Gottes (Ex 33,11–23). In dieser Perspektive ist Jesu Sterben am Kreuz zu bedenken. 4. Wie hat Jesus seinen Tod verstanden und bestanden? a) Neutestamentliche Rahmenbedingungen Nimmt man die Ergebnisse der neueren exegetischen Forschung ernst, so können die Aussagen über das Abendmahl an die neutestamentlich überlieferten Jesusworte der Leidensansage (Mk 8,31; 9,31; 10,33f.), der Deutung des Todes als Loskauf, anknüpfen (Mk 10,45;

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1 Kor 6,20; 1 Petr 1,18f.; Kol 2,14; Offb 5,9), obwohl die Abendmahlsworte nicht einfach als »Originalton« Jesu gelten können. Die Überlieferung »Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld« (Mk 10,45) weist auf eine hebräische Traditionsbildung zurück, die den Tod Jesu im Zusammenhang der Abendmahlsüberlieferung sowie vorpaulinisch durch die Formel »für euch (alle)« qualifiziert (Lk 22,20; vgl. Jes 53,11f.: hebr. ha-rabbim = das ganze Gottesvolk, evtl. alle Völker). Dies bringen die entsprechenden paulinischen Schlüsselstellen des Korintherbriefes und des Römerbriefes zum Ausdruck, in denen »viele« und »alle« synonym verwendet werden (Röm 5, 12–19; 2 Kor 5,15; 1 Tim 2,6). Vor dem Hintergrund des exegetischen Umstandes, dass die Abendmahlsworte nicht mehr eindeutig als ureigenste Worte (lat. ipsissima vox) Jesu beweisbar sind, hat Heinz Schürmann versucht, diese in dem Zusammenhang des Lebens und seiner Sinngebung, in den Horizont der Intentionen (lat. ipsissima intentio) Jesu zu stellen. Die leitende Frage, wie Jesus seinen Tod verstanden und bestanden hat, wird daher im Gesamthorizont seiner eigenen Sendung sowie aufgrund der konkreten Handlungsweisen beim Abendmahlsgeschehen rekonstruiert und gedeutet. Insofern weisen die Handlungen (Pragmatiken), ihre Abfolge und ihre Gestaltung auf die Deutungen (Semantiken) hin. Ziel der Rekonstruktion ist es, eine plausible Übereinstimmung zwischen den überlieferten Handlungsvollzügen und den späteren theologischen Deutungen ausweisen zu können. Gegen die traditionelle These Rudolf Bultmanns, wonach Jesus im Angesicht seines Todes zusammengebrochen sei, spricht sowohl die vorausgehende Überlieferung als auch die Wirkungsgeschichte des Todes Jesu. Jesus könnte kein Zeuge des Glaubens sein, wenn er im Tod zusammengebrochen wäre. Zudem darf von Jesus erwartet werden, dass er sich selbst und seine Botschaft ernst nahm, der Weg in den Konflikt kein Zufall war und die Leidensbereitschaft (Mt 5,11; 10,18; 16,24), die er von anderen forderte, sein eigenes Verhalten bestimmte und in seinem Verhalten durchgetragen wurde (Lk 23,34). Auch die zweite Hypothese Bultmanns, wonach Jesu Tod ein politisches Missverständnis gewesen sei, lässt sich in dieser einlinigen (monokausalen) Begründungsform nicht halten. Die politische Dimension, dass Jesus als Messias-Prätendent und Königsanwärter von den Römern verurteilt wurde, ist erst verständlich, wenn man die innerjüdische Konfliktlage (Pharisäer: Gesetzesauslegung) und die massive Kritik an Tempel und Kult (Sadduzäer als Verwalter des

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Tempels) in Betracht zieht. Erst vor dem Hintergrund der herodianischen Herrschaft wird der Druck auf Herodes (Mt 10,16) und auf Pilatus (Joh 19,12) verständlich, der zur Hinrichtung Jesu durch die römische Obrigkeit führte. Im Kern lässt sich festhalten, dass die römische Besatzungsmacht zunächst einmal an der Aufrechterhaltung der tempelstaatlichen Ordnung interessiert war, um ihre eigene Ordnung zu stabilisieren. Bultmanns moderne, existenzielle Auslegung des Verlassenheitsschreis am Kreuz sagt insofern mehr über den Interpreten aus als über den religionshistorischen Kontext und seine kulturelle Formung. b) Zur Deutung und Bedeutung des Todes Jesu Im Spiegel der sich zuspitzenden Gewalt, von welcher die Geschichte Jesu gerahmt ist (die politische Zuspitzung durch die Zeloten und die Niederschlagung des Aufstandes 6 n. Chr., der Tod Johannes des Täufers, die Ausschaltung diverser Messias-Prätendenten am Beispiel des Kindermords in Bethlehem, die Reaktion auf Jesu Antrittspredigt als Wanderrabbiner, die Konflikte mit den Pharisäern), musste Jesus davon ausgehen, dass sein Weg nach Jerusalem als Weg in die Entscheidung tödlich enden und mit seinem gewaltsamen Tod verbunden sein konnte. Es entspricht Jesu entschiedenem »Sein-für« die Gottesherrschaft unter den Menschen, dass er, wie gezeigt, in seiner radikalen Theozentrik auch bereit war, um Gott und seiner Sache willen in den Tod zu gehen. Die reale Todesgefahr hat doch Jesu Handeln selbst bestimmt und ihn zu einer provozierenden prophetischen Entschiedenheit veranlasst (Lk 10,1–16). Diese Entschiedenheit verleiht seinem Handeln eine neue Qualität und wird theologisch in den Gebegesten beim letzten Abendmahl (s.u.) als Selbstüberlassung auf Gott hin und in Gott hinein ausgelegt. Insofern verbindet sich mit Mk 14,25 eine Todesprophetie mit doppelter Sinnspitze. Zum einen wird Jesus jenseits des Todes wieder Pessach feiern und Festmahl halten, zum anderen ist es Gott selbst, von dem diese rettende Tat erhofft werden darf. Historisch gibt es keine Gründe dafür, die Wahrscheinlichkeit zu leugnen, dass Jesus seinen bevorstehenden Tod als für seine Botschaft selbst bedeutsam verstanden hat. Obwohl angenommen werden muss, dass Jesus von einer effektiven Heilsbedeutung seines Todes nicht öffentlich gesprochen hat, bleibt diese Deutung im Gesamtzusammenhang seiner Botschaft verständlich. Noch in der

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Todesstunde agiert Jesus fürbittend und segnend, vergebend und hoffend. Folgende Aspekte verdeutlichen diesen Bedeutungszusammenhang: Der Schrei am Kreuz »Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?« (Mk 15,34) steht in der Tradition der jüdischen Theologie des armen, leidenden Knechtes und greift die Klagetradition der Psalmengebete (z.B. Ps 88) auf. Der Schrei »wozu?« wendet sich noch in der Dunkelheit des Sterbens und angesichts des Verlassenheitsgefühls am Kreuz an Gott. Dieser wird angerufen, angeschrien. Im Kreuz und mit dem Kreuz wird darum nicht eine Verlassenheit durch Gott bezeugt. Denn eine Verlassenheit durch Gott (im Unterschied zum Verlassenheitsgefühl Jesu) wäre theologisch absurd, würde Jesu eigene Botschaft der barmherzigen Treue Gottes konterkarieren und die gesamte Gottesverkündigung Israels infrage stellen. Auch ist der Schrei des Leidens kein Schrei verzweifelter Glaubensferne. In der Ausweglosigkeit des Todes richtet sich der Schrei an Gott. Gott möge zeigen, »wozu« das Ganze dienen kann. Was vom Menschen Jesus her und seiner endlichen Menschenmacht möglich ist, ist ausgeschöpft. Angesichts des Todes bleibt im Sterben nur das Vertrauen und überlassende sich Ausliefern in Gottes Wirklichkeit hinein. Wo Menschen am Ende sind und nichts mehr machen können, wo noch die Macht des Menschensohnes zu Ende ist, bleibt nur die Hoffnung auf Gottes Macht. Jesus, der Menschensohn aus Nazaret, könnte sich nur durch eine widergeschöpfliche, magische Zauberei aus dem Schlamassel befreien (Mk 15,30; Joh 18,36). Es ist Jesu ureigene Hoffnung und christlicher Auferstehungsglaube, dass Gottes Macht über allen menschlichen Machttaten steht und noch die Mächte des Todes ohnmächtig macht (1 Kor 15,55). Es ist Jesu ureigene Hoffnung, dass Gott den leidenden Gerechten durch den Tod hindurch in seine Wirklichkeit hinein rettet (Mt 22,23–34; 2 Makk 7; äthHen). Nach dem Matthäus-Evangelium wird Jesus in der Tradition der Gottesknechtslieder (Jes 53) als der Bote vorgestellt, der den Willen Gottes »erfüllt« (Mt 5,13–17). Im direkten Rekurs auf das erste Gottesknechtslied ist Jesus der Knecht, den Gott erwählt hat. Er ist der geliebte Sohn Gottes, der Gefallen gefunden hat. Er ist der Gesalbte Gottes, der den Völkern Gottes Gerechtigkeit verkündet, der dem Recht zum Sieg verhilft, das geknickte Rohr nicht bricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht, sodass die Völker auf ihn hoffen können (Mt 12,18–21). Nachweisbar ist auch die Bezugnahme im ersten Petrusbrief, welcher in der Situation des Leidens Jesus als verlässlichen Hirten

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vorstellt. Jesus verbürgt seinen Dienst mit seinem Leben. Im Unterschied zu dem schlecht bezahlten Knecht, läuft er nicht davon, wenn die Wölfe kommen. Dieser Lehrkommentar (hebr. midrasch) auf die Passion Jesu stellt Jesu Gewaltlosigkeit und Feindesliebe heraus und komponiert damit sowohl eine Kurzformel der Passion als auch eine Neu-Interpretation der Gottesknechtslieder (1 Petr 2, 21–25). Für den Gottesknecht gilt, dass er nicht mit gleicher Münze heimzahlt, kein Unrecht tut und keine trügerischen Worte in seinem Munde führt. Als der schlechthin Gerechte macht er die vielen gerecht, indem er wie ein »Sündenbock« (René Girard) die anderen entlastet und sich für die Schuldigen einsetzt. Weder bei Jesaja, noch im Petrusbrief geht es darum, der Qual des Leidens einen spirituellen Wert zu verleihen. Der geschundene und gefolterte, der verfolgte und seiner Freiheit beraubte Gerechte findet die Kraft, die »Spirale der Gewalt« (René Girard) zu durchbrechen, indem er Leiden und Qual zu tragen vermag. Seine Gottverbundenheit wird zur Ermächtigung für alternatives Handeln. Die Pointe der Gottesknechtstheologie liegt darum nicht in einer Quantifizierung der bitteren Qualen, sondern besteht im Gottvertrauen des Knechtes und im Aufrichten der Gerechtigkeit aus Liebe zu Gott und den Menschen. Indem Jesus in seiner Hingabe und in seinem Leiden den Teufelskreis der Gewalt durchbricht und seinen Schrei an den Gott der Hoffnung wendet, ist das Kreuz nicht Ort der Verzweiflung und Depression, sondern »Hoffnung wider alle Hoffnung« (Röm 4,18). Für die christologische Rezeption kann festgehalten werden: »Die Wundmale Christi sind nicht Schandflecken auf der weißen Weste der Menschheit, sondern Fixpunkte der Gnade Gottes« (Söding, 129). c) Deutung des Todes im Zusammenhang des letzten Abendmahls Der Versuch, das Ende des Lebens Jesu in Kontinuität zu seinem Leben und seiner Botschaft zu verstehen, ermöglicht eine Deutung des Sterbens Jesu, die bei Jesus ansetzt, der selbst noch unter der Hoffnung auf den Gott des Lebens sein Todesschicksal auf sich nimmt und durchlitten, bestanden und verstanden hat. Im Unterschied zu einer österlich-verkündigungsorientierten Theologie kann die indirekte, »implizite Christologie« dem österlichen Bekenntnis

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historischen Anhalt und geschichtlichen Grund geben. Die Annahme einer gewissen Kontinuität von Leben und Sterben wird von Heinz Schürmanns Analyse der Abendmahlsüberlieferung maßgeblich gestützt. Sind die eucharistischen Deuteworte höchstwahrscheinlich als österliche Interpretationen zu verstehen, so hat Schürmann seine Begründung vor allen Dingen auf die Handlungsabläufe sowie die Gebegesten beim Abendmahl gestützt. Die Gesten Jesu sprengen in signifikanter Weise den jüdischen Traditionszusammenhang. Daher kann vom urchristlichen Herrenmahl auf einen genuinen Ursprung im Handeln Jesu geschlossen werden. Zunächst fallen gegenüber der jüdischen Mahltradition zwei signifikante Änderungen auf, die eine spezifische Besonderheit des Mahlvollzugs beim letzten Abendmahl und der Bedeutungsgebung durch Jesus nahelegen. Im Unterschied zur zeitlich parallelen Überlieferung der Rabbinen wird der eine Becher des Weines, über den Jesus den Segen spricht, durch Jesus (den Hausvater) allen Tischgenossen dargereicht. Anders als in der jüdischen Tradition hat nicht jeder seinen eigenen Becher, sondern der eine Becher des Herrn wird von allen geteilt. Zugleich wird auch das Brot von Jesus gebrochen und unter allen Tischgenossen weitergereicht und geteilt. Diese Gesten wurden von Jesus selbst mit deutenden Worten versehen. Leib und Blut »für euch« sind im jüdischen Zusammenhang theologische Bilder für die Hingabe des ganzen Lebens. Die Aussage – »für euch investiere ich alles, mein ganzes Leben« – ist inhaltlich in Entsprechung zum Ganzopfer (hebr. olah; lat. holocaustus) zu verstehen. Die anschließenden Deuteworte (Mk 14,25) lassen einen doppelten eschatologischen Bezug erkennen: Jesu eigener »Tod wird das Heil nicht aufhalten, und er selbst wird nicht im Tod gelassen« (Schürmann, 43). Es geht in dieser Lebenshingabe um eine Hoffnung, die durch die Täler der Finsternis und die Abgründe des Todes hindurch auf Gott und seine Vollendung hoffen darf, in der die vollendete Mahlgemeinschaft und das vollendete Leben möglich wird. Insofern können Jesu Gesten und Worte als vorausgreifende, prophetische Erfüllungszeichen verstanden werden, die Gottes Zukunft als eine hier und jetzt hereinbrechende und gegenwärtige Zu-Kunft und Zu-Sage ansagen: Jesus gibt die eschatologische Verheißung in proexistenten Darbietungsgesten dem bevorstehenden Tod zum Trotz, wobei viel dafür spricht, dass sein Tod als sinnenhaftes Geschehen im Ganzen dieser Verheißung und Zusage zu deuten ist (Schürmann, 94).

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Selbst wenn sich für den Glauben an die Heilsbedeutsamkeit des Todes keine sichere thematische Äußerung Jesu auffinden ließe, wäre er dennoch in Jesu Geschichte begründet und aufgrund des Richtungssinns seiner Verkündigung sowie ihres von Gott bestätigten, vollmächtigen Anspruchs durchaus auch bestimmbar – vorausgesetzt nur, dass Jesus in Treue zu seiner Sendung seinen Tod auf sich nahm (Pröpper I, 47).

5. Ostern als Schlüssel für das Erlösungsverständnis Wie Jesus seinen Tod verstanden und bestanden hat, kann letztlich nur vom Osterzeugnis her eruiert werden. Im Kreuz begegnen sich daher die »äußerste Verwerfung des Heilsangebots« sowie die »bleibende Darreichung dieses Heils« für uns. In der Rettung Jesu als Zeugen der Gottesherrschaft durch den Tod hindurch und in der Ostererfahrung der JüngerInnen, wonach der in Gottes Wirklichkeit Lebende nicht bei den Toten zu suchen ist, bestätigt und bekräftigt Gott seine Treue-Zusage von seinem rettenden Erbarmen. In der Auferstehung wird Jesu Zeugenschaft gerechtfertigt und vollendet. In der Auferweckung wird er in Vollmacht eingesetzt (Röm 1,3f.). Durch die Auferweckung wird der Zeuge zu einem neuen Zeugnis eingesetzt. Dadurch tritt an die Stelle der Verkündigung Jesu die Verkündigung von Jesus als dem Christus Gottes. Inwiefern der österliche Erfahrungszusammenhang von Auferweckung und Vollendung einen neuen Bestimmungszusammenhang erwirkt und einen neuen Begründungszusammenhang erforderlich macht, wird nachfolgend ausführlicher zu zeigen sein (Kap. VII). Zusammenfassung: Religionsgeschichtlich deckt der Begriff des Opfers verschiedenste Formen des Darbringens, Verzichtens und kultischen Feierns ab. Im Zusammenhang mit Jesu Kreuzestod ist er in verschiedenen Richtungen problematisiert worden: Theologisch zentral ist die Unterscheidung zwischen einem unterwerfenden, äußerlichen und gewaltsamen Opfer (victim) und der liebenden Hingabe als Ausdruck der Erfüllung der Zuwendung Gottes (sacrifice). Mit dieser Unterscheidung wird deutlich, dass Gott keine Menschen-Opfer benötigt und will. Vielmehr ist Jesu Hingabe als liebende Selbsthingabe zu verstehen, als Erweis

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der rettenden Liebe Gottes angesichts der Todesmächte der Geschichte. So wird das »wahre Opfer« (Joseph Ratzinger) – jenseits von Sadismus und Masochismus – verständlich als die gottgemäße Treue und Liebe, die stärker als alle ungerechten Täter-Opfer-Mechanismen und stärker als der Tod ist.

Literatur Hilberath Bernd J. / Schneider, Theodor, Opfer. In: Eicher, Peter (Hg.), Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe IV. München 21991, 116–127. (Hilberath II) Hoping, Helmut, Freiheit, Gabe, Verwandlung. Zur Hermeneutik des christlichen Opfergedankens. In: Freiheit Gottes und der Mensch. FS Thomas Pröpper, Michael Böhnke u. a. (Hgg.). Regensburg 2006, 417–431. (Hoping II) Kessler, Hans, Erlösung / Soteriologie. In: Eicher, Peter (Hg.), Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe I. München 21991, 241–243. (Kessler IV)

VII. Auferweckung und Vollendung: »Alles nur Illusion?« 1. Hinführung Ludwig Feuerbach hat alle großen religiösen Aussagen als Projektion von Menschheitsaufgaben zu entlarven versucht. Sigmund Freud hat dies psychoanalytisch und individuell gewendet und Religion als einen Fall kultureller Sublimierung von Sexualität begriffen, die den Charakter einer produktiven oder kontraproduktiven Illusion hat. Bis weit hinein in das Christentum selbst hat die Kritik am Auferstehungsglauben Resonanz gefunden oder sich alternativ die Vorstellung der Reinkarnation beheimatet. Umso mehr ist die Systematische Theologie mit Paulus dazu herausgefordert, aufzuzeigen, inwiefern der Gekreuzigte der Auferweckte ist (»Ur-Synthese«) und warum mit dem Bekenntnis zur Auferweckung Jesu der christliche Glaube steht und fällt. An diese systematisch-theologische Vergewisserung kann man die religionsphilosophische Einsicht anknüpfen, dass unbedingte Wahrheit und universale Gerechtigkeit nur durch die Hoffnung auf finale Rettung und finales Leben begründbar sind. 2. Exposition der Entstehung des Osterglaubens Die exponierende Grundfrage jeder Reflexion auf das christliche Bekenntnis zur Auferweckung Jesu ist in der Alternative angesprochen: Passiert an Ostern etwas mit Jesus und den Jüngerinnen und Jüngern oder nur etwas mit den Jüngerinnen und Jüngern? Innerhalb dieser Grenzmarkierungen sind verschiedene Positionierungen sowie Kombinationen von Positionierungen möglich, die anhand der drei Fragen – Ist etwas mit Jesus passiert?; Ist etwas bei den JüngerInnen passiert?; Wie verhält es sich mit dem leeren Grab? – geordnet und vertieft werden können. In aller Regel wird davon ausgegangen, dass sowohl etwas mit Jesus als auch etwas mit den JüngerInnen passiert ist. Der Auslöser dessen, was mit Jesus und/oder den JüngerInnen passiert ist, der »neue Anstoß«, kann dann naturalistisch (im Rahmen normaler menschlicher Situationen) oder supranaturalistisch (durch außergewöhnliche, »wunderbare« Ereignisse) erklärt werden.

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VII. Auferweckung und Vollendung

Hermann S. Reimarus (1694–1768) vertrat die in der biblischen Überlieferung begründete »Betrugshypothese«, wonach die Jünger den Leichnam Jesu in der Nacht aus dem Grab gestohlen hätten, als die Wächter des Grabes schliefen, um danach eine Auferweckung Jesu zu behaupten. Heinrich E. G. Paulus (1761–1851) vertrat die »Scheintodhypothese«, derzufolge Jesus bei seiner Bestattung im Felsengrab nur scheinbar tot gewesen sei und später vorübergehend noch gelebt habe. Diese These wird heute vor allen Dingen im populärwissenschaftlich-esoterischen Bereich wieder aufgegriffen. David F. Strauß (1808–1874) wandte gegenüber Reimarus ein, dass eine selbst erfundene Lüge der Jünger die standhafte Verkündigung des Auferstehungsglaubens unter größten Gefahren sowie den radikalen Umschwung von tiefer Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit in pfingstliche Begeisterung nicht hätte erklären können. Er selbst versuchte die Auferweckungszeugnisse anthropologisch gewendet zu verstehen und will sie nicht als Tatsachen begreifen, sondern als echte, innere menschliche Erfahrungen. Diese waren wie das Damaskuserlebnis »subjektive Visionen«, die den psychischen Schock des Kreuzestodes und den Widerspruch zwischen Messiasglauben und Scheitern im Lichte des Liedes vom leidenden Gottesknecht (Jes 53) und des Klage- und Lobpsalms (Ps 22) bewältigten (Kap. VI). Der fromme Enthusiasmus dieser Visionen wurde später apologetisch ausgestaltet und mythologisch überhöht wie z.B. in Joh 20, wo der auferstandene Jesus in geschlossene Räume gelangt. So haben sich die Jünger zu der Vorstellung einer göttlichen Wiederbelebung ihres geliebten Meisters emporgearbeitet und auf diese Weise seine Botschaft und sein Werk gerettet. Dieser These schloss sich später Gerd Lüdemann (geb. 1946) an und betonte, dass es sich um innere Visionen, nicht um reale Erscheinungen handelte, die ursprünglich nur Petrus und Paulus im Inneren ihrer Seele zuteil wurden. In diesen psychischen Erstvisionen wurde der Trauerprozess, der von Schuldgefühlen des Verrats (Petrus) bzw. der Verfolgung (Paulus) belastet war, bewältigt. Alle späteren Jüngervisionen seien davon abhängige Massensuggestionen (1994). Nach Rudolf Bultmann (1884–1976) muss die Rede von der Auferweckung ebenfalls anthropologisch gewendet und entmythologisiert werden. Sie ist insofern Ausdruck der existenziell-gläubigen Bedeutsamkeit des Kreuzes. Das Oster-Ereignis bezeichnet die Entstehung des Glaubens an den auferstandenen Christus in der inneren Subjektivität der Jüngerinnen, aber es beschreibt kein reales äußeres Ge-

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schehen. Es bezeichnet vielmehr eschatologisch das Zum-GlaubenKommen der Jünger. Daher ist Jesus in den Glauben der JüngerInnen hinein auferstanden. Entsprechend seiner existential-hermeneutischen Grundthese, dass der Glaube, um der Klarheit und Radikalität der Entscheidung willen, historisch weder bewiesen werden kann, noch historisch plausibilisiert werden darf, vermeidet er eine Rückbindung der JüngerInnen-Erfahrung an die Jesusgeschichte. Willi Marxsen (1919–1993) betont die historische Nachweisbarkeit eines realen geschichtlichen Widerfahrnisses, aufgrund dessen die JüngerInnen behaupteten, dass sie Jesus österlich als den Lebenden und Auferweckten gesehen haben. Die Auferstehung Jesu selbst ist demgegenüber nicht Grund und Voraussetzung dieses Sehens, sondern lediglich ein nachträgliches, kulturbedingtes und austauschbares »Interpretament« auf der Ebene von Reflexionsaussagen. Insofern betont Marxsen zu Recht, dass im Glauben an die Auferweckung Jesu die Sache Jesu selbst weiter geht und das Widerfahrnis wirklichkeitsverändernden Charakter hat. Allerdings bleibt zu fragen, wie sich das Interpretament aus seinem Inhalt heraus bestimmt und worin es zureichenden Grund hat. Nach Edward Schillebeeckx (1914–2009) entsteht die Ostererfahrung als gnadenhafte Erfahrung der Bekehrung, welche in Erscheinungserzählungen dramatisch ausgestaltet und literarisch ausgearbeitet wird. Der Osterglaube ist daher weder bloße menschliche Erfindung noch einfach eine Verlängerung der bisherigen Erfahrung ins Jenseits oder ein plötzlicher kompensatorischer Einfall. Er ist nach dem biblischen Zeugnis in einem von Gott erwirkten kommunikativen Reifungsprozess unter den JüngerInnen entstanden. Für die ältere Diskussion wegweisend ist Schillebeeckx Hinweis auf das gnädige Zusammenwirken von göttlichem und menschlichem Handeln. Dennoch bleibt zu fragen, ob die kontinuitätsbestimmte Bekehrungsthese den neutestamentlichen Selbstbeschreibungen dieser Erfahrung gerecht wird. Rudolf Pesch (1936–2011) sieht den Osterglauben nicht in spektakulären, mirakulösen Erscheinungen begründet, sondern begreift ihn als ausdrücklich gewordenen Glauben angesichts des durchhaltenden Vertrauens der Jünger auf die rettende Lebensmacht Gottes. Zumindest bei Petrus sei dieses durchhaltende Vertrauen nachweisbar. Später stellte er für die neutestamentlichen Legitimationsformeln eine legitimierende Erfahrung in Rechnung, die in den vorösterlichen Menschensohnworten Jesu und in den österlichen Menschensohnvisionen der Jünger ihren Ursprung hat. Von daher unterschei-

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det Pesch zwischen der prinzipiell möglichen Evidenz vor Ostern und der faktisch gegebenen Evidenz aufgrund von Ostern. Die Auferweckung Jesu kraft des Geistes erweist ihre verlebendigende Macht nun in der Auferbauung der neutestamentlichen Gemeinde. Auf dieser Linie argumentiert dann auch Hansjürgen Verweyen (geb. 1936). Er und Hans Kessler (geb. 1938) vertreten in den letzten Jahren prominent die beiden geläufigsten Positionen in der römischkatholischen Diskussion: Mit Verweyen kann angenommen werden, dass das, was an den Jüngern geschehen ist, ein Geschehen an Jesus voraussetzt. Dieses Geschehen der Verherrlichung Jesu kann mit dem Markus-Evangelium bereits in das Kreuzesgeschehen hinein verlagert werden. Es kommt dann im Sohn-Gottes-Bekenntnis des heidnischen Hauptmanns zur Sprache (Mk 15,39). Nach Verweyen bedurfte der Glaube an die Vollendung Jesu in Gott nicht notwendig eines außergewöhnlichen Geschehens X, das den JüngerInnen eine völlig neue Erkenntnis zukommen ließ. Es geht um einen Erschließungszusammenhang, der durch den Begriff der Auferweckungs-Erfahrung in einem postmortalen »österlichen Sehen« nicht angemessen beschrieben wird. Eine besondere Zuspitzung erhält das Plädoyer von Verweyen durch den Gedanken, dass ein »nachträgliches« Handeln Gottes am toten Jesus prinzipiell »zu spät« käme und nichts anderes als eine hinterher getragene Rettung sein könnte. Demgegenüber hat Kessler darauf bestanden, dass es eines besonderen Auslösers X der Ostererfahrung für die österliche Jüngerbewegung und ihr Bekenntnis zu Jesus als dem Christus und lebendigen Herrn bedurfte. Dieses Bekenntnis kann primär nicht in der Subjektivität der JüngerInnen selbst begründet liegen, sondern muss ein Ereignis bezeichnen, das als unverfügbares »Widerfahrnis« (Willi Marxsen) die Form einer spezifischen Glaubenserfahrung hat und sich als Glaubens-Zeugnis artikuliert. Die Stärke des Arguments von Kessler liegt darin, dass eine angesichts des Kreuzes einsichtig gewordene Hoffnung auf Auferstehung nicht die deutliche Veränderung im JüngerInnenverhalten begründen könnte: Weder die kommunikativ vergewisserte Klarheit des österlichen Bekenntnisses noch die deutliche Entschiedenheit, für dieses Bekenntnis nach außen zu treten, noch die Bereitschaft, Verfolgung und Tod zu riskieren, würden ohne spezifisches, neues Erschließungsereignis aus sich selbst heraus evident sein. Diese beiden Positionen machen deutlich, wie sehr es darauf ankommt, »wofür« ein/e AutorIn positiv eintritt oder »wogegen« er/

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sie sich wendet. Setzt etwa die Kritik an den Ostererscheinungen z.B. ein bestimmtes (Vor-)Verständnis visionären Sehens voraus? Wird ein nachösterlich materiales Handeln am toten Jesus abgelehnt, weil man darin eine medizinische Wiederbelebungs-Szene oder eine schräge Zombie-Theologie sieht? Musste das Grab etwa »physisch leer« gewesen sein, weil dies damals als historisch notwendige Verstehensbedingung für Auferstehung erscheint oder weil ein materialisiertes Verständnis von leiblicher Auferstehung erkenntnisleitend ist? Diese problemorientierenden Hinweise machen deutlich, wie sehr einerseits auf das jeweils leitende Vorverständnis zu achten ist, und andererseits die Unterscheidung zwischen dem spezifischen Entdeckungszusammenhang, dem lebensgeschichtlich-sozialen Bestimmungszusammenhang und dem argumentativen Begründungszusammenhang berücksichtigt werden muss. Situative Genese und geschichtliche Gestaltbedingungen ersetzen nicht einfach die argumentative Geltung. Gerade für die Begründung des Osterglaubens ist zwischen Genese, Gestaltungsform und Geltung zu unterscheiden. Geht es doch um ein geschichtlich »analogieloses« Ereignis, bei dem die übliche historische Analogiebildung notwendig »reduktive« Schlussfolgerungen nach sich zieht (Kasper II, 172). Im Zentrum der Begründung für die Entstehung des Osterglaubens steht theologisch der Glaube an Gott, den Schöpfer des Lebens, der – auch in seinem neuschöpferisch rettenden und vollendenden Handeln – nur aus sich selbst heraus handelt und insofern »aus nichts« anderem. Neuschöpferisch handelt Gott, wenn er im erkalteten und verstummten Leben oder in der absoluten Beziehungslosigkeit des Todes in neuer Weise Beziehung ermöglicht, Leben schenkt und vollendet. Von dieser theologischen Voraussetzung her ergibt sich notwendig, dass es sich bei den österlichen Erfahrungen von vollendetem und verherrlichtem Leben um ein »neues Sehen« der Wirklichkeit Jesu aus einer gläubigen Haltung heraus handelt. Dieses neue Sehen resultiert aus einem freien Begegnungs- und Kommunikationsgeschehen, das sich göttlicher Initiative verdankt. Dieser problemorientierte, systematisch-theologische Vorblick ist nun erstens anhand des biblischen Befundes zu vergewissern und sodann bezüglich der drei leitenden Problemkreise (Ist etwas mit Jesus passiert?; Ist etwas bei den JüngerInnen passiert?; Wie verhält es sich mit dem leeren Grab?) zu vertiefen.

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3. Zur historischen Rekonstruktion der Entstehung des Osterglaubens a) Geschick und Geschichte Jesu als Voraussetzung Die Botschaft von der Auferweckung Jesu kraft des Geistes durch Gott sowie von seiner Vollendung in die Herrlichkeit Gottes hinein (Röm 1,3f.) setzt einerseits die Verurteilung Jesu, seine Folterung und Hinrichtung als religiös-politischen Messias-Prätendenten (Inschrift: »König der Juden«: Lk 23,37; Mk 15,24) und andererseits die Bereitschaft Jesu voraus, diesen Tod in Treue zur Verkündigung der erbarmenden und befreienden Liebe des Gottes des Lebens auf sich zu nehmen (Weish 11, 27). Dies kommt in den »Worten vom Kreuz« (Mt 15, 38f.; Joh 19, 17–22) narrativ-poetisch verdichtet zum Ausdruck. So hatten die ersten Christen mit der Erfahrung zu ringen, wie sie den Schandtot dessen, der ihnen als Retter für Israel bedeutsam und vertraut wurde, im Lichte neuer Erfahrungen nicht als finale Katastrophe und Verwerfung (Dtn 21,18–25), sondern als Heilsereignis von Gott her verstehen konnten. Ist der Glaube an den Gott des Lebens insgesamt die theologischsoteriologische Prämisse der Auferstehungshoffnung, so ist für die historische Vergewisserung von Bedeutung, dass Jesus selbst mit den Pharisäern und gegen die Sadduzäer (Mt 22, 23f.) an die Auferweckung der leidenden Gerechten glaubte und seinen bevorstehenden eigenen Tod unter diese Hoffnungsperspektive stellte (Mk 14, 25). War bereits die autoritative Sündenvergebung eines Einzelnen im Namen Gottes im antiken Judentum nicht präsent, so stellte auch die Vorstellung davon, dass ein Einzelner im Voraus zu allen anderen als »Erstgeborener aus den Entschlafenen« (1 Kor 15,18–22) in Gottes Herrlichkeit hinein gerettet würde, ein Novum dar, das im jüdisch-apokalyptischen Horizont so nicht vorkam. Die Auferweckung Jesu ist darum zugleich eine Bestätigung als auch eine vorwegereignende Transformation der jüdisch-apokalyptischen Hoffnung von der finalen Rettung der gerechten Blutzeugen (Märtyrer). Im Blick auf das Lebensschicksal Jesu hatten die ersten Judenchristen das Bekenntnis zu Gott als einem »Freund des Lebens« (Lk 20, 37–40) mit der Einsicht zu verknüpfen, dass die Rettung von den Toten nicht allein Jesus und nicht allein die JüngerInnen betrifft. Vielmehr kam es darauf an, darin den definitiven Anbruch der Endzeit verständlich zu machen, obwohl diese Endzeit nicht schon in jeder Hinsicht zum Durchbruch gekommen sein konnte.

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Dass diese Einsicht nicht direkt und ungebrochen vom Leben und Sterben Jesu her entwickelt werden konnte, darauf deutet die Verleugnung des Petrus (Mk 14,66–72) und die Angst der JüngerInnen hin (Joh 20, 19). Ausdrücklich ist im Neuen Testament von der Flucht der Jünger (als störender Überlieferung und in der markinischen Tradition sogar als Hinweis auf die vom Scheitern bedrohte Jüngerschaft) die Rede: »Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich« (Mk 16,8). So wird die Gründung der Gemeinde mit der Rückkehr aus Galiläa verbunden und auf eine Selbsterschließung des Auferstandenen in Galiläa zurückgeführt (Mk 16,1–8). Zumindest für Markus ist das »neue Sehen« mit aktueller Verstörung und einer Vergewisserung im Ursprung verbunden. Mag die hoffende Glaubenserkenntnis von der Rettung des Gerechten aus dem Tod bereits im Leben dem Prinzip nach möglich gewesen sein, worauf Verweyen abhebt, so spricht das gebrochene, verunsichert-irritierte Jüngerverhalten dafür, dass der tiefe Graben zwischen Karfreitag und Gemeindebildung nicht in evolutiver oder extrapolierender Deutung gewonnen werden konnte (Kessler II,138– 165). Die Vielfalt der frühen Auferweckungsformeln, die eine Auferweckung Jesu durch Gott zum Ausdruck bringen (1 Kor 6,14; Röm 4,25; 1 Kor 15, 3–5), verzichten in der Regel darauf, den ErkenntnisGrund der Entstehung dieses Bekenntnisses zu benennen. Davon unterscheidet sich paradigmatisch die vorpaulinische Belegstelle 1 Kor 15,3–8, in welcher in kurzen Andeutungen ein Geschehen bezeugt wird, welches das auslösende »Etwas« dieses Glaubens bei den JüngerInnen charakterisiert und insofern mit der vorsynoptischen Überlieferung in Bezug auf Jesus (Q: Lk 10,21f.) übereinkommt. Es ist, neben der autobiografischen Schilderung in Gal 1, das einzige paulinische Überlieferungsstück der österlichen Selbstbekundung, das Paulus, vermutlich von der judenchristlichen Gemeinde in Antiochien oder Jerusalem, überliefert. Die erklärungsbedürftige »Wende im Jüngerverhalten« wird nun durch ein »Begegnungsgeschehen« bestimmt, das die »Selbstbekundung des erhöhten Gekreuzigten« als Grund angibt. In dieser Erfahrung göttlicher Selbstbekundung liegt die Gewissheit, dass sich Gott, der Vater, zu dem als Messias-Prätendenten hingerichteten Jesus bekannt hat. Dieses Begegnungsgeschehen wird im Begriff der »Erscheinung« angemessener benannt, weil dieser weniger belastet ist und weniger einengt als der Begriff der »Vision«.

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Vorpaulinische Kernüberlieferung: 1 Kor 15,3–7/9: 3)

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Denn ich habe euch vor allem überliefert, was ich auch empfangen habe: dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften; (Jes 53,5; Lk 22,22; Röm 4,25; 1 Kor 11,23; 2 Kor 5,15) und dass er begraben wurde und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften; (Ps 16,10; Jes 53,9; Mt 12,40; Lk 24,46) und dass er Kephas erschienen ist, dann den Zwölfen. (Mk 16,14; Lk 24,34; Apg 1,3) Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten bis jetzt übrig geblieben, einige aber auch entschlafen sind. Danach erschien er Jakobus, dann den Aposteln allen; (Lk 24,50) zuletzt aber von allen, gleichsam der unzeitigen Geburt, erschien er auch mir. (1 Kor 9,1) Denn ich bin der geringste der Apostel, der ich nicht würdig bin, ein Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. (Apg 8,3; 1 Tim 1,15)

Der Text benennt nacheinander die Empfänger der Erscheinungen. Offensichtlich waren nicht nur Paulus und die von ihm zitierte Tradition der Überzeugung, dass Jesus nach seinem realen Tod in eine neue Lebendigkeit Gottes hinein auferstanden ist, sondern auch die genannten Zeugen, die Paulus z.T. selbst kannte (Petrus, Jakobus und Johannes). Die Erscheinungsaussage »er erschien« beziehungsweise »machte sich sehend« weist auf konkrete Ereignisse und Erlebnisse hin. Die Erscheinung vor Petrus und den Zwölfen will vorrangig die Wirklichkeit der Auferweckung Jesu beglaubigen, nicht diverse urchristliche Autoritäten. Daher ist die Behauptung, die Aussage sei primär eine »Legitimationsformel«, reduktiv. Das »Legitimationsmoment« (die Sendung der Zeugen) ist dem Bekenntnis der Selbstbekundung des Auferstandenen deutlich nachgeordnet. Der Auferweckte ist fortwährend in eine Einheit mit Gott hinein erhöht. Es wird ein Geschehen bezeichnet, das abgeschlossen und vergangen ist. Die Erscheinung des Auferstandenen ist von Gott bewirkt (Passivum divinum) und wird als Selbsterschließung qualifiziert. Subjekt

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dieses Geschehens ist Gott bzw. Jesus Christus, nicht die deutende Subjektivität der JüngerInnen. Hinter dieser Erscheinungsaussage steht die alttestamentliche Gotterscheinungsformel (z.B. 1 Kön 11,9). Diese bezeichnet nicht prophetische oder apokalyptische Visionen, sondern die handelnde Gegenwart Gottes als vergangene, gegenwärtige und zukünftige. Es geht in der Selbstbekundung nicht um irgendein Offenbarungswiderfahrnis, sondern um die endzeitlich-endgültige Heilsgegenwart Gottes. Diese Manifestation kann nicht auf ein bestimmtes »Wie« festgelegt werden. Rein geistige (bildlos-intellektuelle) Visionen scheiden ebenso aus, wie rein körperliche (sinnlich-empirisch vermittelte). Entscheidend ist die Zuwendung Gottes zu den Menschen im auferstandenen Jesus kraft des Heiligen Geistes. b) Das »neue Leben«: Was Jesus widerfuhr Die Frage danach, was Jesus selbst widerfahren ist, hat die Klärung dessen zum Ziel, was mit Jesus passiert ist und wie sein neues Sein beschrieben werden kann. Geht es an Ostern um ein Handeln Gottes »am toten Jesus« oder um ein nachfolgendes (konsekutives) Verstehen der Wirklichkeit, die als Herrlichkeit rettender, göttlicher Liebe sich bereits in der Lebenshingabe am Kreuz als definitives Handeln Gottes erschließt, durch Jesu Sein – für die Herrschaft Gottes unter den Menschen? Biblisch wird vorausgesetzt, dass es kein »neues« oder vollendetes Leben geben kann, das sich nicht radikal der Initiative Gottes verdankt. Auferweckung ist daher nicht als ein postmortales, nachträgliches Handeln am toten Jesus zu verstehen. Das neue Leben im Durchgang durch den Tod ist prinzipiell ein Gerettetsein »im Tod«. Der Tod ist äußere Verohnmächtigung und Ende des Lebens, in dem es keine Wiederkehr in ein Diesseits gibt. Ewiges Leben ist darum keine ReAnimation und schließt keine Wiederkehr ins Diesseits ein, sondern bedeutet Vollendung in Gott. Auferweckung ist zugleich die Vollendung des Seins Jesu und die Vollendung seiner Sache: In einem zurückhaltenden, aber hinreichenden Verständnis der Auferweckung wird der Anspruch Jesu nicht nur bestätigt, sondern als eschatologischer, d.h. als noch am Ende der Zeiten gültiger Anspruch eingesetzt. Sein Wort ist daher von Gott her das eschatologisch »letzte Wort« (Hansjürgen Verweyen). Dies bedeutet: Über die Selbstvergegenwärtigung Gottes in Jesus Christus hinaus wird Gott grundsätzlich nichts Neues mehr offenbaren.

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Ist die Annahme eines ausdrücklich unmittelbaren Bewusstseins Jesu von seiner metaphysischen Gottessohnschaft vor Ostern historisch wenig plausibel und für das Verständnis Jesu als dem Sohn in einem einmaligen und einzigartigen Sinne nicht notwendig, so ist die Auferstehung auch als eine Vollendung seines eigenen Bewusstwerdungsprozesses und seines ausdrücklichen Sohnesbewusstseins für Jesus selbst anzusehen. c) Das »neue Sehen«: Was den JüngerInnen widerfuhr Wie die Analyse von 1 Kor 15 zeigte, handelt es sich bei diesem Sehen um ein kommunikativ vergewissertes, gläubiges Sehen, das sich der Initiative Gottes verdankt bzw. eine Selbstbekundung des Auferweckten voraussetzt. Verweyen versteht die Ostererscheinungen erkenntnistheoretisch als hinreichende Erschließungsakte für das Handeln Gottes in der Proexistenz Jesu, deren äußerste Form am Kreuz offenbar wird. Kessler u.a. fassen das österliche Begegnungsgeschehen hingegen als eine notwendige Bedingung der österlichen Erkenntnis und des österlichen Glaubens auf. Fragt man nach der gnoseologischen Funktion der Ostererfahrungen für die Jüngerinnen und Jünger, so können diese mit Karl Rahner als österliche Begegnungserfahrungen und Erschließungsgeschehnisse verstanden werden, welche eine unableitbare und analogielose Selbstbekundung des Auferstandenen voraussetzen. Diese Selbstbekundung modifiziert das, was die JüngerInnen von sich her verstehen konnten und konkretisiert die jüdischen Heilshoffnungen, die dem Auferstehungsereignis selbst vorausgingen. Wie lässt sich das neue Sehen im österlichen Begegnungsgeschehen genauer kennzeichnen? Georg Essen hat die These vertreten, dass nicht nur das historisch fassbare und überlieferte Osterbekenntnis der JüngerInnen, sondern auch die Selbstmanifestation des Auferstandenen an die JüngerInnen ein historisches Ereignis ist, welches raum-zeitliche Faktizität einschließe. Entscheidende Pointe der Argumentation von Essen ist es, dass ein geschichtliches Ereignis durch »empirische Triftigkeit« (Jörn Rüsen) ausgezeichnet sein muss. Die methodische Anwendung des Analogieschlusses für eine durch empirische Fakten beschreibbare Geschichte führt ihn zu dem Ergebnis, dass die Kategorie des Ereignisses aufgrund der Probleme der Erzählung vom leeren Grab zwar nicht auf die Auferweckung Jesu selbst bezogen werden kann, wohl aber auf die Selbsterschlie-

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ßung des Auferstanden anzuwenden ist. Für Essen bedarf die österliche Selbstbekundung solcher sinnlich-empirisch vermittelter Erscheinungen, »die durch simultane Beobachter empirisch beobachtbar [!] gewesen sind oder gewesen wären« (Essen I, 437; Nitsche I, 418–443). Im Sinne einer hinreichenden Minimalbestimmung genügt es m. E., die Ostererfahrungen als Spezialfälle von bildhaften Erscheinungen zu verstehen, die als Formen innerer Gewissheitserfahrung oder inneren Sehens »sekundär« auch den Charakter sinnlich-bildhafter Symbolisation gewinnen. Wie angezeigt, kommt es entscheidend darauf an, die unableitbare und in solcher Weise nicht wieder bezeugte Initiative des Auferstandenen in diesem Erschließungsgeschehen herauszustellen. Dann muss das theologische »ab extra« nicht als äußeres, empirisch vermitteltes Sehen, mithin als ein naturwissenschaftliches Wunder begriffen werden, welches die Jünger überwältigt und in ihrem Verstehen quasi in die Knie zwingt (Kasper II, 166; Kessler II, 498). d) Das »leere Grab«: Notwendiges Beweisstück für die Auferweckung? Auferweckung bezeichnet die Vollendung Jesu in die Wirklichkeit Gottes hinein. Diese ist nicht irdisch-materieller, sondern himmlisch-transmaterieller Art. Strittig ist, inwiefern himmlisches Handeln Gottes in irdisch sichtbare Wirklichkeit hinein greifbar ist oder erkennbar werden muss. Höchst umstritten ist auch die Frage, ob eine im Grab aufgestellte Video-Überwachung etwas »materiell Sichtbares oder Hörbares« hätte aufzeichnen können. Da hier offensichtlich ein gewisser Entscheidungsspielraum besteht, ist systematisch Folgendes zu beachten: »(1) darf nicht aufgrund von weltanschaulichen Vorentscheidungen das leere Grab als historisch postuliert werden; (2) darf ebenso wenig aufgrund von weltanschaulichen Vorentscheidungen die Möglichkeit des leeren Grabes a priori bezweifelt werden« (Kessler II, 124, Anm.). Gleichwohl ist umgekehrt zweierlei festzuhalten: Wie die »Betrugshypothese« und die »Scheintodhypothese« zeigen, kann kein leeres Grab eine Auferweckung von den Toten »beweisen«. Zudem legt der methodologische Unterschied zwischen irdisch-materieller und himmlisch-transmaterieller Wirklichkeit es eher nahe, nicht von einer sinnlichempirischen Greifbarkeit auszugehen.

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Zunächst wird das Argument für materiale Sichtbarkeit und historische Greifbarkeit sehr generell unter dem Anliegen der wahren Menschlichkeit Gottes und der »Ur-Synthese«, also der Einheit zwischen dem Gekreuzigten und Auferweckten, entwickelt. So formuliert Karl Barth: »Der Auferstandene war kein Anderer als der Gekreuzigte, Gestorbene und in Bewährung dessen auch Begrabene. Der Erhöhte war kein Anderer als der Erniedrigte. Gerade das Johannesevangelium (20,25f.) hat Wert darauf gelegt, zu berichten, dass der Auferstandene die Wundmale des Gekreuzigten getragen habe« (Barth, I, 336). Wolfhart Pannenberg hat bereits früh, gegen die Bultmannschule, auf der Realität eines sinnlich körperlichen Auferweckungsgeschehens bestanden und deshalb die Tradition und Existenz des »leeren Grabes« historisch zu beweisen versucht. Wie für den jüdischen Theologen Pinchas Lapide konnte die Behauptung einer Auferweckung Jesu im Kontext des leiblich orientierten Denkens im damaligen Judentum nicht anders denn als ein in die materielle Wirklichkeit hinein greifender Vorgang verstanden werden. Ohne diese Voraussetzung hätte der Auferstehungsglaube das 2. Jahrhundert nicht überlebt. In seiner »Systematischen Theologie« führt Pannenberg (II 394– 405) noch einmal aus, dass die Grabestradition und die Erscheinungstradition etwa gleichzeitig, aber unabhängig voneinander entstanden sind. Demnach hätten die Jünger erst nach ihrer Rückkehr aus Galiläa vom leeren Grab erfahren, das die Frauen um Jesus dort entdeckt hätten. Aufgrund dieser »harten materialen Basis« war es möglich, die unterschiedlichen Erscheinungen an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten gemeinschaftlich zu verifizieren und in eine gemeinsame Überlieferung hinein zu übersetzen. Generell ist zu beachten, dass die Erzählungen vom Grab nicht primär von einem leeren Grab sprechen, sondern von einem geöffneten Grab. Zwar muss nicht ausgeschlossen werden, dass dieses geöffnete Grab im Kontext der jüdischen Tradition als ein leeres Grab zu verstehen ist, doch liegt die Sinnspitze der Erzählungen nicht auf der Leere, sondern auf der Geöffnetheit, die zu denken gibt. Im Zentrum steht der Gedanke, dass der Auferweckte und Lebende nicht »hier« zu finden, sondern in neuer Wirklichkeit bei Gott lebendig ist (Vögtle, 94.). Sodann verknüpft sich das Plädoyer für ein »leeres Grab« mit der Betonung der Leiblichkeit von Auferweckung und Vollendung. Al-

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lerdings ist in der Theologie umstritten und für die Biblische Theologie zweifelhaft, ob »leibliche Auferstehung« notwendig materialistisch-körperlich verstanden werden muss. Nach verbreiteter Auffassung kann sie auch beziehungsbestimmt – geschichtlich, sozial oder biografisch als »Identität der Person in ihren Beziehungen« – verstanden werden. Für letzte Option spricht, dass noch der Tod biblisch als radikaler Beziehungsverlust zu verstehen ist, wohingegen das Leben als ein erfülltes Leben in Beziehungen zu Gott und den Menschen begriffen wird, sodass die Fülle des Lebens zugleich eine Fülle von Identität in Beziehungsreichtum wäre. Im Rahmen der Eschatologie ist hier weiter zu klären, inwiefern die biblisch-hebräischen Begriffe von Seele (hebr. nephesch) und Fleisch (hebr. basar) aus unterschiedlichen Blickrichtungen den jeweils ganzen Menschen in seiner Sozialität und Geschichtlichkeit meinen. In der theologischen Kontroverse hat Rahner zu vermitteln versucht. Er rechnet mit einem »Allkosmisch-Werden« des menschlichen Leibes, sodass ein Fortbestehen der Materie im metaphysischen Sinne angenommen werden kann. Positiv betrachtet wird die leibliche Auferstehung damit in den Gesamthorizont der Schöpfung und biblisch in den Gedanken der Vollendung der ganzen Schöpfung eingereiht. Dieses »Allkosmisch-Werden« braucht ebenso wenig wie die »Unsterblichkeit der Seele« im Sinne einer ungebrochenen Verlängerung der menschlichen Wirklichkeit in Ewigkeit hinein verstanden zu werden. So ist es möglich, gnadentheologisch die Unverfügbarkeit, das »ab extra« der Initiative Gottes im Vollendungshandeln hervorzuheben. Gleichwohl ist dieser Vermittlungsversuch mit der Anschlussfrage verbunden, ob es Rahner auf diesem Weg – mit der Unterscheidung zwischen »himmlischer« und »allkosmischer« Vollendung – gelingen kann, eine Verlängerung des traditionellen, metaphysischen Dualismus zwischen Geist und Materie auf Ewigkeit hin zu vermeiden. Vieles spricht dafür, dass nicht ein einzelnes Element und nicht eine einzelne Überlieferung des österlichen Bekenntnisses für sich allein genommen den Osterglauben begründen konnte. So ist der traditionsgeschichtlich reiche und plurale Überlieferungsschatz in seinem Zusammenspiel zu beachten. Gerade die Kombination der maßgeblich von Frauen bestimmten vorsynoptischen Grabes-Überlieferungen und der vornehmlich von Männern legitimierten vorpaulinischen Selbstbekundungs-Erzählungen stellen einen wechselseitigen Begründungszusammenhang her. So können die Erscheinungsaussagen die Trauer am Grab in neuer Weise beleuchten, wie umgekehrt das Grab (ob physisch leer oder nicht) realer Anhalt für die gesamte Jesus-Geschichte ist.

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VII. Auferweckung und Vollendung

Mit Rahner lässt sich zusammenfassend sagen: Die Analyse der Auferstehungstexte (angefangen von den schlichten bekenntnishaften Formeln: ›Er ist auferweckt‹, bis zu den Texten, welche die Ostererfahrung unter verschiedensten theologischen Vorzeichen dramatisieren) zeigt, dass man sich der Eigenart der Ostererfahrung bewusst war: von ›außen‹ gegeben, nicht von einem selbst erzeugt, anders als die durchaus bekannten visionären Erlebnisse, sich streng auf den Gekreuzigten mit seiner ganz bestimmten Individualität und seinem Schicksal beziehend, so dass dieses als gültig und gerettet erfahren wird (und nicht bloß eine existierende Person, der früher einmal dies oder das zustieß), im Glauben allein gegeben und dennoch diesem Glauben Grund und Recht gebend, nicht immer neu zu erwarten und erzeugbar, sondern einer bestimmten Heilsgeschichtsphase vorbehalten und darum notwendig anderen weiterzubezeugen und darum diesen Zeugen eine einmalige Aufgabe verleihend (Rahner IV, 43).

Literatur Kessler, Hans, Auferstehung. In: Eicher, Peter (Hg.), Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe I. München 1984, 78–96. (Kessler V) Kessler, Hans, Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi in biblischer, fundamentaltheologischer und systematischer Sicht (Neuausgabe mit ausführlicher Erörterung der aktuellen Fragen). Würzburg 31995. (Kessler II)

VIII. Typen der Christologie in Tradition und Gegenwart 1. Problemexposition Mit großer Plausibilität plädiert Karlheinz Ruhstorfer aktuell dafür, bei Origenes einen johanneischen Typus, bei Augustinus einen paulinischen Typus und bei Thomas von Aquin einen an den Evangelien der Synoptiker orientierten Typus von Christologie zu identifizieren. Diese Akzentsetzungen kehren in der Moderne in einer Verwandlung und Umkehrung – d.h. in einer Unterordnung der Offenbarung unter die Subjektivität und Reflexivität des Menschen – wieder. So ist Kant durch ein paulinisches, Fichte durch ein johanneisches und Hegel durch ein geschichtlich-synoptisches Denken geprägt. Diese christologische Typisierung steht bei Ruhstorfer im Zusammenhang mit der an Martin Heidegger und Gianni Vattimo orientierten geschichtstheologischen These, wonach die Herkunft des europäischen Denkens (aus der christlichen Synthese von hebräischem und griechischem Denken) auch seine Zukunft bleibt. Diesem Denken ist die Gabe der Schrift und ihr Zeugnis als unverfügbare (transzendentale) Weisung aufgegeben. Die oszillierende Schwebe der Dekonstruktion (J. Derrida) wird von Ruhstorfer für ein kreatives, katholisches Denken des Sowohl-als-Auch fruchtbar gemacht. Dieses nimmt post Heidegger die berechtigten Anliegen des onto-theo-logischen Denkens (der traditionellen Metaphysik und der neuzeitlich-modernen Subjektmetaphysik), der bio-anthropo-logischen Wende zum geschichtlichen Materialismus (Ludwig Feuerbach, Karl Marx, evolutionäre Denkformen usw.) und der Zukunftsoffenheit der Sprachzeichen (Tele-semeio-Logie: Charles S. Peirce, Michel Foucault, Jacques Derrida) auf und unternimmt einen problemorientierten, perspektivischen Synthese-Versuch. Von diesem geschichtlich-hermeneutischen und integrativ-synthetischen Denken unterscheidet sich ein transzendentales Denken, welches die vielschichtigen Problemkonstellationen nicht in einem komplementären Denken synthetisiert, sondern diese unter dem Blickwinkel einer subjekttheoretischen Reflexion bedenkt, welches transzendentallogisch der Frage nach der Einheit der Person im Wandel der Ich-Identifikationen verpflichtet ist und transzendental-geschichtlich die Wirklichkeit der Welt in ihrer Rückwirkung auf die Subjektivierungsprozesse des Menschen thematisiert (Nitsche I, II).

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Das transzendental-anthropologische Paradigma greift dabei auf die vorempirischen Begründungsprobleme menschlicher Subjektivierungsprozesse zurück und unterscheidet einerseits zwischen den subjektursprünglichen und nichtempirischen (transzendentalen), den weltbezogen strukturellen (existentialen) und den inhaltlich individuellen (existenziellen) Aspekten der menschlichen Lebensdeutung. Andererseits kann an die bisher verwendeten christologischen Begründungsstrukturen »von unten«, »von oben« und »von innen« angeknüpft werden, die im Blick auf die Bandbreite gegenwärtiger christologischer Entwürfe offener sind, als die Charakterisierung durch einen paulinischen, johanneischen oder synoptischen Typus. Schließlich ist es möglich, die methodischen Verfahren der Abduktion, Induktion und Deduktion in diesem Denkansatz zu integrieren. In theologiegeschichtlicher Perspektive werden diese Typologien anhand der bedeutendsten Entwürfe der Vorneuzeit – Origenes, Augustinus und Thomas – aufgenommen. Konnten die maßgeblichen Entwürfe von Duns Scotus, Martin Luther, Karl Rahner und Walter Kasper in die Skizze zum Denken der Menschwerdung Gottes einfließen (Kap. V) und ist der Entwurf von Anselm von Canterbury der Soteriologie vorbehalten, so konnten die neueren israelbewussten Ansätze aus platzpragmatischen Gründen nicht im Anschluss an die jüdischen Perspektiven dargelegt werden (Kap. III). Nachfolgend werden die zeitgenössischen Entwürfe von Edward Schillebeeckx (heilsgeschichtlich-synoptisch), Jon Sobrino (befreiungstheologisch-synoptisch), Hans Urs von Balthasar (dramatischpaulinisch) und neuere, angelsächsische Inkarnationschristologien in aller gebotenen Kürze und inhaltlich problemvertiefend vorgestellt. 2. Altkirchliche und mittelalterliche Konzepte a) Origenes: Gottes Zukehr zur Welt als Rückkehr des Menschen zu Gott (1) Kontext: Origenes (185–254) darf als der erste große systematische Theologe des Christentums angesehen werden (Grillmeier, 267). Wahrscheinlich ist er ein Studienkollege und Antipode Plotins (204– 270), der das Christentum als eine gnostische Sekte identifizierte, die mittelplatonisch bzw. manichäisch die Welt als Materie begriff und mit dem Bösen/Schlechten identifizierte. Origenes folgt nicht dem emanativen Prinzip der Minderung, sondern bringt die Differenz zwi-

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schen Schöpfer und Schöpfung freiheitsbestimmt und relational zur Geltung. Er gehört der alexandrinischen Schule spekulativer Theologie an. In dieser Tradition formuliert er eine Christologie »von oben«, welche die griechisch-platonische Frage nach dem Anfang aller Anfänge aufnimmt und diese im Lichte der johanneischen Theologie des Prologs als eine trinitarisch begründete Logos-Theologie entfaltet. (2) Anliegen: Den Gedanken der Inkarnation entwickelt Origenes durch die Unterscheidung zwischen dem Gott, der Ursprung und Gott schlechthin ist und Vater genannt wird, und dem Gott, der auf partizipative Weise am Vater teilhat und ihm insofern innergöttlich und relational untergeordnet ist. So ist es der ewige Geist (gr. nous) oder der ewige Gedanke und Sinn (gr. logos), der durch die Reflexion des Einen auf sich selbst hervorgeht, welche zugleich unterscheidet. Dieser geistige und geistliche Hervorgang geschieht im Blick auf die Welt. Vermittelnde Instanz dieses freien Hervorgangs Gottes aus sich und auf die Welt zu ist sodann die geistige Weltseele (gr. psyche; lat. anima mundi), die das göttliche Lebensprinzip und die göttliche Bevollmächtigung der irdischen Welt und von daher auch die göttliche Tiefendynamik in den einzelnen Seelen der Menschen beschreibt. In dieser immanenten und vorzeitlichen, weil ewigen Gottwerdung (Theogonie) wird trinitarisch eine Unterscheidung in Gott angenommen. Platonisch kann hier zwischen dem Prinzip der Einheit und dem Prinzip der ungetrennten Zweiheit/ungeteilten Vielheit unterschieden werden, ein Gedanke, den Plotin in Nähe und Unterscheidung zu Origenes prinzipientheoretisch entfaltet (Nitsche V, 114–121). (3) Schlüsselkategorien: Origenes unterscheidet in seinem Hauptwerk Über die Anfänge (gr. peri archon) zwischen dem Gott des Ursprungs, dem Nous oder Logos und dem rein geistigen Wesen Gottes. Der erste ist Grund und Prinzip der Einheit Gottes. Er hat vermittels des zweiten (gr. nous) und in der Kraft des dritten (gr. psyche) alles geschaffen und geordnet. Das All wurde aus dem Nichtsein durch seinen freien Entschluss und Willen ins Dasein gerufen. Entsprechend geht der Christus-Logos aus dem Vater vor aller Zeit und vor aller Schöpfung hervor. Denn der Logos ist das Prinzip der potentiellen Zweiheit, das in der realen Vielfalt der Schöpfung sichtbar wird: denn durch ihn ist alles geschaffen (Joh 1,3). Gegen die Subordination des Nous oder Logos (im mittleren Platonismus bei Arius) betont Origines das Sein des Logos vor der Schöpfung, ein ursprüngliches Sein in der Einheit mit dem Vater. Daher sind der Hervorgang und die Zeugung des Sohnes in einer Weise zu denken,

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die in der Welt ohne Vergleich bleibt und daher auf diese einzigartige Weise, ohne Inferiorität, nur in Gott gedacht werden kann. Zudem betont er gegen doketische und gnostische Tendenzen seiner Zeit die wahre Menschwerdung Gottes, auch wenn gefragt werden darf, ob er dies in der Durchführung selbst immer hinreichend zur Geltung bringt (Menke, 221–223). Origenes lehnt darum die typisch gnostische Auffassung entschieden ab, wonach »Jesus Christus nur ›per phantasiam‹, nicht aber in Wahrheit gelitten habe und gestorben sei (I praef. 4)« (Ruhstorfer, 203). Der später entwickelten Lehre von den zwei Naturen in Jesus Christus nähert sich Origenes durch eine doppelpolige Christologie. »Von unten«, biblisch und heilsgeschichtlich ist sein Denken von einer profilierten Namenschristologie bestimmt. Jesus Christus wird johanneisch als das Leben, die Wahrheit oder das Licht der Menschen angesprochen. Er ist – entsprechend der Theologie der Paulusschule – der Erstgeborene von den Toten. Er gilt als Hirte und Arzt. »Von oben« bleibt die Logostheologie leitend. So spiegelt Jesus Christus Gottes Kraft, Weisheit und Wissen (1 Kor 1,24; Spr. 8,20– 24). In ihm ist der Bauplan der Schöpfung festgelegt. Ausdrückliches Anliegen des Origenes ist es, die Ewigkeit und Unwandelbarkeit Gottes einerseits mit dem Abgrund des Leidens und dem Skandal des Kreuzes andererseits in paradoxaler Weise zusammenzudenken. Erlösung geschieht daher in einer durch den Nous vermittelten Gottesgemeinschaft. Diese ermöglicht der Seele eine sukzessive Rückführung des von Gott begabten Menschen zu Gott. Der Logos-Sohn vermittelt das Heil von Gott her und gibt – kraft der göttlichen psyche als Tiefendynamik der Welt – Anteil am Leben und an der Wahrheit Gottes. In dieser Seelenführerschaft kann die menschliche Seele ganz von »Geist und Feuer« (von Balthasar) erfüllt sein. Der ewige LogosSohn führt dann alle vernünftigen Lebewesen, die zu einem gottgemäßen Leben bereit sind, in die Vollendung mit dem Vater ein. (4) Einordnung: Der leitende Gedanke – sowohl des Verständnisses des Seins und der lebensdynamischen Differenzierung Gottes als auch der Inkarnation und Erlösung – ist für Origenes das emphatische Verständnis des Geistes. Als Liebhaber der Weisheit ist er besonders an der Vernunft des Glaubens interessiert. Mit seiner Erlösungslehre, die auf die Vollendung aller kraft des Geistes und die Teilhabe aller an dieser Vollendung und Vergöttlichung in Christus Jesus zielt, hält Origines eine deutliche Alternative zu dem stark auf das Kreuz ausgerichteten Erlösungsdenken des lateinischen Westens bereit. Seine spekulativ »von oben« grundgelegte Erlösungslehre

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wird in der gnädigen Ermächtigung durch Gott »von innen« zu einer Vollendungslehre »von unten«. In dieser ist Jesus Christus seiner Göttlichkeit nach »von innen« Grund und Medium, seiner Menschlichkeit nach aber geschichtlich »von außen« Gestalt und Anführer des Heils. b) Aurelius Augustinus: Christus als Mittler und Richter (1) Kontext: Augustinus (354–430), von Herkunft her Nordafrikaner und seiner Ausbildung nach Rhetoriklehrer, steht – zusammen mit seinem spiritus rector Ambrosius von Mailand – par excellence für den Übergang des heidnisch geprägten lateinischen Westens zu einer christlichen Mehrheitsgesellschaft. Der manichäisch geprägte Augustinus kam über die Beschäftigung mit den Schriften von Plotin (204–270) und Porphyrios (234–304) zum Christentum, welches er in der Perspektive des Johannesprologs als Inbegriff des platonischen Denkens und damit als wahre Philosophie begriff. (2) Anliegen und (3) Schlüsselkategorien: Augustins manichäischer Hintergrund verleiht seiner Anthropologie eine am Leitgedanken der Sünde und Verfehlung orientierte Gestalt. Insbesondere die Vorstellung einer generativen Übertragung der Ursünde durch den Geschlechtsakt spiegelt nicht nur seine eigene Überwindung des Konkubinats wieder, sondern verleiht auch seiner tendenziell leibfeindlichen Haltung Ausdruck. Sein schöpfungstheologischer Pessimismus ist mithin Voraussetzung für seine radikale Gnadentheologie, sein ausgeprägtes Inkarnations-Denken und seine antagonistische Erlösungslehre. Mit Paulus und in einer Verschärfung des Paulus (Röm 6) stellt Augustinus heraus, dass in Adam alle Menschen gesündigt haben und alle Menschen prinzipiell der Verdammnis preisgegeben sind. Im Gegensatz zu Origenes dominiert nicht der Gedanke einer Heilszuwendung Gottes, die aller Schöpfung vorausgeht. Vielmehr dominiert ein Inkarnationsdenken, welches aufgrund der Sünde Adams notwendig wird. Diesem Sündendenken entspricht die Skepsis, wonach das Meer der Verdammten größer sein könnte, als das Meer der Erlösten. Während bei Origenes innerhalb der Balance von Anknüpfung und Widerspruch die positive »Anknüpfung« im Vordergrund steht, betont Augustinus den »Widerspruch« zur sündigen Veranlagung des Menschen. Die Sünde ist biblisch als Selbstüberschätzung des Menschen, als ein Sein-wollen-wie-Gott zu verstehen (Gen

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2–3). Deshalb bedarf es der ontologischen und glaubensmäßigen Einheit und Gemeinschaft mit dem »zweiten Adam« (Nitsche VIII). In einem einfachen Antagonismus unterscheidet Augustinus darum zwischen der Gottesliebe und den Gottessöhnen (lat. filii Dei) einerseits sowie der Selbstliebe und den Menschensöhnen (lat. filii hominum) andererseits. In einer durch den Sündenfall begründeten Ontologie und Soteriologie der Umfassung kann der, welcher schlechthin zur Sünde wurde, zugleich derjenige sein, welcher allen an Gottes Herrlichkeit Anteil schenkt. Der im höchsten Maße zu unrecht Gerichtete kommt als der im höchsten Maße gerecht Richtende wieder. Vom Ende begründet sich daher, warum die Menschen eines Mittlers zwischen Gott und den Menschen (vgl. 1Tim 2,5) bedürfen, der nicht nur ohne Sünde ist, sondern in seiner Liebe und Weisheit alle Sünde zu überwinden vermag. Um die Einheit Gottes mit den Menschen in Jesus Christus deutlich zu machen, greift Augustinus auf das vertraute Bild der griechischen Philosophie zurück, derzufolge die Seele mit dem Leib so vereint ist, dass von einer Einheit der Person gesprochen werden kann. In diesem Anlauf an den Gedanken der hypostatischen Union zwischen dem göttlichen Logos und dem Menschen Jesus wird auch die Schöpfungstheologie getragen. So entspricht die Gestaltung des Alls durch das göttliche Sinnwort und seine von Gott intendierte Ordnung dem Plan eines Künstlers, der aus Idealität und Wahrheit erschafft. Während die Platoniker ausschließlich die Geistigkeit des lógos kennen und gelten lassen, macht für« die Christen »die Fleischwerdung den ganzen Unterschied. […] Die Missachtung des absoluten Unterschieds zwischen Schöpfer und Geschöpf ist der Ursprung des Bösen. Die Überheblichkeit wird nun durch die Demut Gottes selbst ausgeglichen. Gott erniedrigt sich selbst bis zum leiblichen Menschsein und wird für uns so der Weg in die himmlische Heimat. Durch die starke Betonung der Leiblichkeit des Mittlers zwischen Gott und Mensch erhält die Christologie bei Augustin einen grundlegend geschichtlichen Charakter. Zeit und Welt erfahren eine entscheidende Aufwertung. Die Geschichte gilt als ein Vollendungsgeschehen, das sich in Anfang, Mitte und Ende auseinanderlegt. Am Anfang stehen die gute Schöpfung Gottes durch das göttliche Wort sowie die Sünde des Menschen durch Überheblichkeit und Ungehorsam. Die Mitte der Geschichte ist die Erlösungstat Christi, der durch Demut und Gehorsam das Heil erwirkt. Am Ende folgen das Gericht, wobei der zu unrecht Gerichtete selbst der gerechteste Richter sein wird, und schließlich die Vergöttlichung des Menschen in der Herrlichkeit (Ruhstorfer, 199).

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In dieser Weise ist der wahre Mittler Inbegriff der geheimnisvollen Barmherzigkeit Gottes und Symbol jener Demut, welche die Menschen als sterbliche Sünder vom unsterblichen Gerechten in ausgezeichneter Weise zu lernen haben. In ihm ist die Teilhabe an der Gottheit verheißen und kann sie verheißen sein, weil er zugleich Teilhaber an der Sterblichkeit des Menschen wurde. Die Menschen, die einander und Gott durch die Sünde ihr Übel mitgeteilt haben, bekommen durch den, der sich dem Übel ausliefert und es teilt, an Gottes Güte Anteil. Darin erweist Gott seine Liebe. (4) Einordnung: Bleibt in Augustins Soteriologie umstritten, ob seine Anthropologie »realistisch« oder »pessimistisch« anzusehen ist, so geht die starke Betonung der Sünde mit einem emphatischen Vertrauen auf die Gnade Gottes einher. Diskussionswürdig bleibt in dieser Konzeption, wie Sündenfall und Inkarnation zueinander stehen. Dominiert der Ansatz bei der Sünde die Begründungsrichtung, so gibt es auch Elemente, denen zufolge die Inkarnation dem Fall der Menschen vorausgeht. Allerdings ist dann noch einmal zu sondieren, wie Sünde und Erlösung konsequent geschichtlich vermittelt gedacht werden können (Nitsche VIII). c) Thomas von Aquin: Freundschaft mit Gott durch den gottgemäßen Menschen (1) Kontext: Thomas von Aquin markiert einen Übergang in der mittelalterlichen Schultheologie, indem er zum einen mit Aristoteles an den konkreten Realien der Geschichte interessiert ist und alle Theologie im Weltbezug denkt, und zum anderen die Christologie neu verortet. In den heilsgeschichtlichen Entwürfen der Scholastik kam die Christologie nach der Gotteslehre, der Schöpfungslehre und der Anthropologie. Faktisch formulierte sie den »soteriologischen Reparaturbetrieb« für die gefallene Schöpfung und integrierte sowohl die Kirchenlehre als auch die Lehre von den Sakramenten. Dies war möglich, weil die Dominanz der Christologie in der abendländischen Theologie mit einem deutlichen Relevanzverlust der Pneumatologie einherging. Daher wurden die Themen des dritten Glaubensartikels weithin in den zweiten christologischen Teil einverleibt. Thomas eigenes Werk spiegelt diesen Wechsel, insofern er eine Erlösungslehre formuliert, die dem Schöpfungshandeln und dem Sündenfall des Menschen sachlich und intentional vorausliegt. Diese »antelapsarische« Soteriologie ermöglicht es zugleich, die

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Christologie ins Zentrum der theologischen Reflexion zu stellen (Hoping I, 126–130). (2) Anliegen: Mit diesem Paradigmenwechsel wird die Christologie zur Voraussetzung der Schöpfungslehre, weil der Vater die Welt schafft, indem er den Sohn zeugt. Ist Gott vollkommene Güte und reine Barmherzigkeit (Hünermann, 213), die sich in freier Überfülle verschenkt, so ist auch Gottes rettendes Handeln als vollkommene Güte zu Gunsten der Welt und der Menschen zu verstehen. Mit dieser Voreinstellung werden die Mysterien des Lebens Jesu zu Einladungen, in die Entsprechung mit Jesus Christus einzutreten und in der Gemeinschaft mit Jesus zugleich sich in die Freundschaft mit Gott einzuüben, um mit Gott innerlich vertrauter zu werden. Diese »Nachfolge Christologie« (Schilson, 824) erweist Jesus als den ganz von Gott her erfüllten Menschen, der zugleich ganz in der Hingabe an Gott existiert. In dieser Weise ist Jesus Christus Haupt und Exemplar der erlösten Menschen. Er erschließt den Menschen die Nähe Gottes und eröffnet die neue Existenz eines gottgemäßen Lebens. (3) Schlüsselkategorien: Dieses Hineinwachsen in die Vertrautheit und Intimität mit Gott kann auch als »Christologie der Freundschaft mit Gott« profiliert werden. Im Gefolge des aristotelischen Denkens wird Jesus Christus zu einer instrumentellen Wirk-Ursache des Heils. Dies gilt entsprechend für die Kirche und die Sakramente, die nun instrumentell als Heilsmittel begriffen werden. Darin unterscheidet sich die instrumentelle Sicht des Thomas entscheidend von der symbolisch-typologischen Sicht Augustins, welche der paulinischen und platonischen Tradition folgt. Die Freundschaft mit Gott findet in der Lehre von der hypostatischen Einheit Jesu Christi sowohl ihren Höchstfall als auch ihre soteriologische/ontologische Begründung. Kern dieser Begründung »von oben« ist nicht ein Modell der Erhebung des Menschen, sondern ein Modell der vorausgehenden Zuwendung des Logos, der in ewiger Wesensgemeinschaft mit dem Vater lebt. Die von Ewigkeit her gedachte Zuwendung des Sohnes zur Welt ist Grund und Prinzip der Erschaffung der menschlichen Person Jesu wie der Person-Einheit in der dialogischen und perichoretischen Differenz von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit. Allerdings wahrt dieses dialogische und perichoretische Verhältnis den Unterschied der Wirklichkeitsebenen. Ausdrücklich betont Thomas, dass der Mensch Jesus von Nazaret Instrument des Heils ist, aber dies unter einem eigenständigen, ganz menschlichen Willen vollzieht. Diese perichoretische Einheit hat nicht zur Folge, dass der ewige Logos

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am menschlichen Leiden, an den Verwerfungen der Geschichte und am Tod Jesu von Nazaret teilhat. Mit der großen Tradition scholastischer Theologie ist der Logos schlechthin göttlich und daher leidenslos. Deshalb steht für Thomas nicht eine auf das Kreuz fixierte (staurozentrische) Erlösungslehre im Mittelpunkt, sondern die Teilhabe des Menschen an der glückseligen Schau Gottes, die als ausgezeichnete und vollendete Gestalt von Glaube (vertrauender Überlassung), Liebe (selbstloser und freigebender Hingabe) und Hoffnung (auf Gottes große Transzendenz und seine rettende Gerechtigkeit), mithin als erlöste Fülle des Menschseins vorgestellt wird. (4) Einordnung: Thomas Entwurf zeigt, dass die Konzepte einer heilsgeschichtlichen »Christologie von unten« exemplarisch und instrumentell verstanden werden können und dann nicht soteriologisch unzulänglich sein müssen, wenn sich das erlösende und vollendende Handeln der Menschen in Glaube, Hoffnung und Liebe ursprünglich und wurzelhaft von Gottes barmherziger und rettender Zuwendung her versteht. Zugleich ergibt sich im Anschluss an Thomas die Frage, ob ein dialogisch-perichoretisches Verständnis der hypostatischen Einheit von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit nicht zu einer Überwindung einer streng apathischen Vorstellung des Seins des göttlichen Logos führen muss. Wer mit guten Gründen die Vorstellung eines »leidenden Gottes« oder einer dramatisch konzipierten »Leidens-Gemeinschaft in Gott« für problematisch hält, kann im Sinne eines transzendental-dialogischen Denkens von einem »Mitbetroffensein« aufgrund der Einung sprechen (Nitsche V, 223–244). 3. Exemplarische Entwürfe des 20. Jahrhunderts a) Edward Schillebeeckx: Die in Sprache gefasste Erfahrung der menschlichen Gegenwart Gottes (1) Kontext: Edward Schillebeeckx nimmt an entscheidenden Entwicklungen der katholischen Theologie im 20. Jahrhundert teil und prägt diese. Bis in die sechziger Jahre hinein sind seine Quellen die thomistische und die jesuitische Philosophie, die einerseits durch historische Recherchen (Nouvelle Théologie) andererseits durch die Verbindung von einer thomistischen Ontologie mit der Phänomenologie (Dominik de Petter) und dem französischen Existenzialismus und Personalismus sowie dem niederländischen Humanismus verknüpft wird. Durch verschiedene USA-Aufenthalte kommt es zu ei-

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ner Umakzentuierung, führt der Weg zu einer sprachanalytisch und hermeneutisch reflektierten Theologie in praktischer Absicht. Dabei nimmt Schillebeeckx, wie kaum ein anderer Theologe des 20. Jahrhunderts, früh Fragen der philosophischen Hermeneutik und des Pragmatismus, der Exegese und Religionssoziologie auf. Linguistik, Semiotik, Sprachphilosophie und (Post-)Strukturalismus sind ihm ebenso vertraut wie die spätmoderne Erneuerung der Phänomenologie (Emmanuel Levinas u.a.). Sein christologisches Hauptwerk Jesus – Die Geschichte von einem Lebenden (1974) fällt in eine Epoche intensiver exegetischer Arbeit und repräsentiert die innere Mitte seiner Theologie. (2) Anliegen und (3) Schlüsselbegriffe: Schillebeeckx sucht in einer zunehmend postchristlichen Gesellschaft die gemeinsame Erfahrung der Menschen mit dem Angebot des Glaubens zu korrelieren. Dazu gehört auch die Erfahrung der Negativität und des Leidens. In der Übersetzung der Anliegen des Glaubens bedarf es einer Wende, welche die grundlegende Menschlichkeit und Negativität des endlichen Daseins ernst nimmt und in einer wissenschaftlich fundierten Christologie »von unten« Menschenfragen und Glaubensverheißungen miteinander ins Gespräch bringt. Das christologische Hauptwerk umfasst vier Teile und beginnt mit grundlegenden Überlegungen zur Methode, zur Hermeneutik und zu den Kriterien der christologischen Reflexion. In den folgenden beiden Teilen sucht Schillebeeckx gläubig und kritisch bewusst nach möglichen Zeichen im historischen Jesus, welche die menschliche Frage nach Heil auf das christlich-gläubige Angebot einer sinnvollen Antwort lenken können, durch Verweis auf ein (von Christen identifiziertes) besonderes Heilshandeln Gottes in diesem Jesus von Nazaret. Deshalb muss sich die Aufmerksamkeit zunächst auf die historische Erscheinung Jesu richten […] innerhalb der sehr bestimmten Traditionsgeschichte, […] – ein Erfahrungshorizont […] in seinen damaligen, faktisch spätjüdischen oder judäischen Zusammenhängen. […] Wenn wir über all dies einige Klarheit erlangt haben, können wir uns die Frage stellen, was Jesus von Nazaret für uns Menschen des 20. Jahrhunderts bedeuten kann (91).

Das »Evangelium Jesu Christi« bildet den zweiten Teil und handelt von der Botschaft Jesu. Im Zentrum steht das in ihm und durch ihn nahe gekommene »Heil-von-Gott-her« in Jesus und seiner Lebenspraxis. Diese umspannt Geburt, Verkündigung, Ablehnung, Tod und Auferweckung. So erhält das Reich Gottes sein Angesicht durch das Antlitz Jesu Christi. Der dritte Teil widmet sich der christlichen

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Interpretation des auferstandenen Gekreuzigten und rekonstruiert in sukzessiven Schritten die erste »reflexe« Bekenntnisbildung der frühchristlichen Bewegung. Hier macht Schillebeeckx Modelle endzeitlicher Herrschergestalten als Bindeglieder zwischen der Verkündigung des irdischen Jesus und dem urchristlichen Credo fest. Sie ermöglichen eine Auslegung der Auferstehungserfahrung. Für Schillebeeckx charakteristisch und für seine Methodologie typisch sind die relativ kurzen Abschnitte des dritten Teiles, die den Übergang von der »Theologie Jesu’ zur Christologie« behandeln sowie das Verhältnis des neutestamentlichen Zeugnisses im Blick auf das christologische Dogma reflektieren. Dabei hebt Schillebeeckx die Mehrstufigkeit der Bekenntnisbildung hervor, die von einfachen Glaubensaussagen zu reflektierten Modellen sowie zu begrifflich elaborierten Theologien und systematischen Grenzmarkierungen in der Bestimmung des Bekenntnisses zu Jesus, dem Christus, voranschreitet. Insofern kann von einer jüdisch geprägten Wesens-Christologie gesprochen werden, derzufolge die »Präexistenz« den göttlichen Ratschluss exponiert und auf die über Jahrhunderte hin wirkende Weisheit Gottes verweist, die in der »historischen Mittlerschaft Jesu zwischen Gott und Mensch« (492) konkret wird. Bedeutsam an diesem christologischen Entwurf ist der methodisch und wissenschaftlich elaborierte Fortschritt von der Verkündigung Jesu (»Heil-von-Gott-her«) zu einer reflexiven Christologie (»Heil-von-Gott-her in Jesus«) als einer Theologie der zweiten Stufe. Ihr folgt die trinitarische Rückbindung als Reflexion dritten Grades. So ist auf der ersten Ebene bereits alles Entscheidende gesagt. (4) Chancen und Grenzen: Bedeutsam ist Schillebeeckxs Hinweis auf einen »universalen Verstehenshorizont«. Dieser Zusammenhang ist durch zwei Akzente gekennzeichnet. Die Vermittlung muss bei Jesus selbst ansetzen und darf nicht von einem vorgefassten Schema (etwa der Universalgeschichte) her entwickelt werden. Zudem muss sie dem Charakter einer Leidens-Geschichte Rechnung tragen. Damit bekommt die Glaubenspraxis selbst umfassende Funktion. Denn die Frage nach einem universalen Sinn der Geschichte kann nicht abstrakt beantwortet werden. Sie ist »sowohl unüberwindlich als auch unlösbar« (545). Die uneinholbare Forderung von faktischer Universalität und der Respekt vor konkreter historischer Besonderheit kennt nur eine Perspektive der Vermittlung: den Dialog. So tritt der Dialog an die Stelle einer abstrakten Totalität oder der Verweigerung, den Anderen in meine Schemata hinein aufzulösen. Die Fund-

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stelle möglicher Wahrheit ist daher im Anschluss an Levinas das Menschsein als Möglichkeit zur Kommunikation (544). Gegenüber einer negativen Theologie steht Schillebeeckxs unmissverständliche und unbeirrbare sowie kühne Zuversicht – die jedem vorschnellen Atheismus und selbstgefälligen Säkularismus entgegensteht – dass Gott von den Menschen erfahren und erkannt werden könne. Allerdings wird mit der Wende der sechziger Jahre zugleich ein Wandel von den (positiven) sakramentalen Erfahrungsformen zu den (eher negativen) Kontrasterfahrungen vollzogen. So steht im Mittelpunkt das Veto der Menschen gegen die Leiden und den erfahrenen Unsinn in der Geschichte. Anstelle einer erkenntnistheoretischen Negativität im Begriff setzt Schillebeeckx auf eine Praxis der Solidarität im Leiden und der Hoffnung auf Überwindung des Leidens. Insofern hat sich die christliche Verkündigung als Praxis der Nachfolge für Gerechtigkeit in Liebe, für Solidarität, Verbesserung und Vollendung der condition humane zu erweisen. b) Jon Sobrino: Teilnahme am Martyrium Jesu Christi (1) Kontext: Gustavo Gutiérrez (geb. 1928) gab der Bewegung mit der Publikation Teología de liberación (dt. Theologie der Befreiung) eine systematische Grundlage und einen Namen. Ausdrücklich wendet er sich gegen die Unterdrückung ganzer Völker, die Ausbeutung weiter Gesellschaftskreise, die Abwertung der Armen und ihre Missachtung als »Nichtse«. Er wendet sich gegen die Verachtung bestimmter (indigener) Ethnien wie auch gegen die Diskriminierung der Frau und kritisiert die globale Inter-Dependenz wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Deklassierung. In globaler Perspektive bringt der befreiungstheologische Begriff der »strukturellen Sünde« jene wirtschaftliche und politische Verflechtung zur Sprache, welche die Menschen unweigerlich in Prozesse sozialer Destruktivität, politischer Abhängigkeit und wirtschaftlicher oder ökologischer Ausbeutung involviert. So wie jede Fahrt mit dem Auto die Umwelt belastet und in den Kampf um die begrenzten Energieressourcen der Erde verwickelt, so schließt jeder Kauf ebenso wie jede Kaufverweigerung einer Banane die Beteiligung an einem Weltwirtschaftssystems in sich ein, das die Chancen und Lebensbedingungen der Menschen und der Gesellschaften, in denen sie leben, sehr unterschiedlich verteilt. Während sich die geographischen Parameter von Längen- und Breitengraden mathema-

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tisch gleichmäßig über den Globus verteilen, kann dasselbe nicht über die wirtschaftlichen Meridiane und den globalen Geldäquator sowie die von ihm abgeleiteten ökonomischen Breitengrade ausgesagt werden. (2) Anliegen: Im lateinamerikanischen Kontext der Befreiungstheologie wird besonders der Verblendungszusammenhang von Armut, Verelendung und Analphabetentum sowie der strukturelle Zusammenhang von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt in Augenschein genommen. Von diesem Verblendungs- und Verelendungszusammenhang her werden die Strukturen des Bösen analysiert und wird Erlösung in den Kategorien sozialer und politischer Befreiung reformuliert. Methodischer Bezugspunkt der Theologie der Befreiung ist dabei weniger eine römisch-katholisch gefärbte Aneignung der marxistischen Gesellschaftsanalyse und der kritischen Theorie als vielmehr eine sozialethische und sozialpolitische Wendung der biblischen, besonders der prophetischen Tradition, etwa bei Amos, Ezechiel und Jeremia. Dieser Bezugspunkt findet in den »drei prophetischen Anklagen« gegen den Kapitalismus, den Marxismus und das nationale Denken militärisch organisierter Sicherheit seinen Ausdruck. Kirchlich fand die bevorzugte »Option für die Armen« durch die Beschlüsse der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen von Medellin (1968) und Puebla (1979) auch lehramtliche Resonanz. (3) Schlüsselkategorien: Wird Erlösung in den Kategorien der Freiheit und Befreiung formuliert, so ist es selbstverständlich, dass die Theologie der Befreiung Jesus Christus vor allen Dingen als Retter und Befreier der Menschen aus den Verstrickungen der Sünde, aus den Zerwürfnissen der Gesellschaft, aus Ungerechtigkeiten und Unterdrückung usw. profiliert, um ihn im Gegenzug als denjenigen vorzustellen, der in die Wahrheit einführt, die frei macht, und eine neue Form der Geschwisterlichkeit eröffnet, welche die fundamentale Würde und Gleichheit aller Menschen unterstreicht und Formen der geistlichen, kirchlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Solidarisierung unterstützt. Ansatzpunkt einer solchen Christologie ist für Jon Sobrino (geb. 1938) die Botschaft vom leidenden Christus. Der leidende Christus leitet nicht zu einer Spiritualisierung des Leidens an, sondern wird zum Symbol der Überwindung des Leidens. Er ist das christliche Symbol der Befreiung und Vollendung in die größere Gerechtigkeit Gottes hinein, deren Bewahrheitung mit dem Protest gegen das Leiden der Menschen einhergeht. In dieser situativ verankerten

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und politisch dimensionierten Christologie der Befreiung unter dem Leitgedanken der großen Gerechtigkeit Gottes rückt das geschichtliche, wie evozierende und konfliktfähige Handeln Jesu und seine befreiende Lebenspraxis in den Mittelpunkt. Jesu Weg in das Leiden, sein Ausgeliefertsein an die Mächte des Todes und der Unterwerfung sowie seine Errettung aus dem Tod, sie werden zu Sinnbildern für jene Menschen, die heute den Strukturen des Bösen, den Strukturen des Todes und der Unterdrückung ausgeliefert sind. Die relevante Strukturgleichheit »besteht in der Ankündigung des Gottesreiches für die Armen, in der Verteidigung der Unterdrückten und der Konfrontation mit den Unterdrückern, in der Verkündigung des Gottes des Lebens und der Anklage der Götzen« (Sobrino I, 94). Geprägt von den Mysterien des Lebens Jesu bei Ignatius von Loyola kann die Christologie Jon Sobrinos als »befreiungschristologische Mystagogie der Nachfolge« charakterisiert werden. Es ist die im Zusammenhang von Armut und Marginalisierung evidente und befreiende Lebenspraxis Jesu, die ihn als eine befreiende und rettende Person erschließt und von daher einen Weg zum Christus des Glaubens eröffnet. In diesem Dreischritt einer Christologie »von unten« kann Jesus Christus erstens als Befreier von Marginalisierung, Ausbeutung und Unterdrückung, zweitens als Retter aus Ungerechtigkeiten und Todesmächten und drittens als Sohn Gottes und Herr aller Herren der Geschichte verständlich werden. Jon Sobrino formalisiert diese Entsprechung mit den Mysterien des Lebens Jesu als Entsprechung im Martyrium. In Analogie zu Karl Rahners Rede von den »anonymen Christen« kennt Sobrino sowohl eine »explizite« als auch eine »anonyme« Teilhabe der leidenden und unterdrückten Menschen am Martyrium des leidenden Gerechten, Jesus von Nazaret. Sobrino sieht die Menschen, die sich für ein wahrhaft menschliches und erlöstes Dasein unter den Bedingungen der Unterdrückung einsetzen, durch eine Teilnahme am Leiden und Sterben der Blutzeugen für Gottes Reich der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit, der Liebe und des auferweckten Lebens ausgezeichnet: Die Menschen aus den unterdrückten und leidenden Völkern Lateinamerikas sind daher »Märtyrer der Armen«, »Märtyrer der Menschlichkeit« und »Märtyrer des Reiches« (Limón, 1129– 1131). Den Versuch, Theologie aus der Perspektive einer vorrangigen Option des Evangeliums für die Armen und die Opfer der Geschichte zu formulieren, rückt Jon Sobrino mit »Der Glaube an Jesus

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Christus« (1999) in das Scheinwerferlicht des Auferstehungsglaubens. Die Frage, welche Bedeutung der Glaube an den auferstandenen und erhöhten Jesus Christus für den Schrei des Leidens derer haben kann, die bedroht, verleumdet, eingekerkert, gefoltert oder ermordet wurden, deren Stimme verloren ging oder die in brutaler Weise enteignet oder vernichtet wurden, hat für Sobrino zunächst hermeneutische, historische und theologische Momente. Hermeneutisch ist das Wagnis der Hoffnung auf eine gerecht vollendete Geschichte möglich, weil das geschichtliche Ereignis der Auferstehung den Sieg Gottes über die Mächte des Todes und der Unterdrückung verheißt. Die theologische Neuheit besteht aus der Perspektive der Opfer darin, dass genau derjenige der Anführer zum Leben wird, welcher zu Unrecht verurteilt und gefoltert sowie verraten und verlassen wurde. Im Licht der Auferweckungsbotschaft wird der praktische Einsatz gegen das Leiden, gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Armut, Analphabetentum und Hunger zur menschlichen Anteilnahme an der gerechtigkeitsschaffenden und auferweckenden Macht Gottes, ohne deren Einmaligkeit und Unverfügbarkeit zu ersetzen. Es ist klar, dass die von Sobrino herausgestellte Parteilichkeit Gottes zu Gunsten der Armen und Opfer eine Re-Interpretation der Hoheitstitel Jesu Christi erfordert. Diese werden gegen ontologische Abstraktionen oder scheinbar klare Vorverständnisse in ihrer geschichtlich-konkreten, personal-erfahrbaren Funktionalität freilegt (Kasper II, 20-26). Damit werden die Hoheitstitel jesuanisch präzisiert und ideologiekritisch bedeutsam (Sobrino II, 185-336). Dem Messias-Titel ist das Sammeln, Führen und Befreien des Volkes aus ungerechten und unterdrückenden Mächten, aus gottlosen und verdorbenen Lebensverhältnissen in das Land voll Milch und Honig eigen. Das Bekenntnis zum Herrsein Jesu Christi enthält eine subversive Spitze, die Entmachtung der Herren der Welt (Phil 2,6-11), die durch politische, ökonomische oder soziale Repressionen Menschen versklaven und kreuzigen. Schließlich tritt das ewige Wort der Wahrheit gegen den Geist der Lüge und Denunziation ein. Die christologischen Konzilien der Alten Kirche konzentrieren ihre Aufmerksamkeit auf die Person des Mittlers und haben darin für Sobrino ihre unaufgebbare Bedeutung. Gleichwohl geraten ihnen die praktisch-soterischen und geschichtlich-befreienden Implikationen der Erlösung latent aus dem Blick. Darin liegt ihre Grenze. (4.) Einordnung: Im Kampf für Gerechtigkeit und Solidarität unter den Menschen geschieht jener Aufstand zum Leben, der in den

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todbringenden und rechtlosen Situationen von Menschen als geschichtliche Vorwegereignung des auferstandenen Lebens begriffen werden kann, das in Jesus Christus zugesagt und verheißen ist und dessen Vollendung in Gott erhofft werden darf. Sobrino erinnert daran, dass keine Christologie politisch unschuldig ist, sondern sie ihre befreiende und sinngebende Bedeutung in den Lebensverhältnissen und Überlebenskämpfen der Menschen zu bewähren hat. c) Hans Urs von Balthasar: Die Entäußerung des göttlichen Liebesdramas (1) Kontext: Hans Urs von Balthasar (1905–1988) gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Theologen des 20. Jahrhunderts. Als Germanist, Philosoph und Theologe hat er sich unter dem Titel »Apokalypse der deutschen Seele« (1937–1939) mit der Krise des deutschen Geistes auseinandergesetzt und sein Denken an den idealen Gehalten der traditionellen Philosophie (Transzendentalien), dem Schönen, Guten und Wahren ausgerichtet. Diese thematischen Orientierungen werden als theologische Ästhetik (Herrlichkeit), als theologische Dramatik sowie als theologische Logik in jeweils mehreren Bänden entfaltet. Insofern steht die Theo-Dramatik im Zentrum zwischen der zugangsbestimmten Theo-Ästhetik und der reflexiv begleitenden Theo-Logik. Von Balthasar greift entschieden auf die positive Offenbarungstheologie Karl Barths zurück, welche um der Eindeutigkeit Gottes willen die Klarheit der Wahrheit Gottes in der Geschichte zu akzentuieren versucht. Mit dem Anliegen unterscheidungsfähiger Eindeutigkeit versucht er, sowohl antichristlichen Bewegungen und antirömischen Affekten Einhalt zu gebieten als auch den Pluralisierungsschüben des Denkens in der späten Moderne entgegenzutreten. Theologischen Denkansätzen, welche den Zugang zum christlichen Glauben nicht dezidiert offenbarungstheologisch, sondern in der gewendeten Gestalt anthropologischer Zugänge (Karl Rahner u.a.), kosmologischer Anwege (Pierre Teilhard de Chardin u.a.) oder inter-religiöser Problemstellungen (Raimon Panikkar u.a.) suchen, begegnet er mit dem – zum Teil scharf formulierten – Vorbehalt einer theologischen Reduktion. Obwohl in der Weite seines Denkens vielschichtig und nicht einfach einer Richtung zuzuschlagen, wurde er – durch seine Verteidigung traditioneller Begriffe und die starke Betonung des Gehorsams – für viele zum Inbegriff einer genuin römisch-katholischen Theologie.

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(2) Anliegen: Inspiriert ist er von der geistlichen und mystischen Tradition des Christentums. Unter dem Leitmotiv »Glaubhaft ist nur Liebe« (1963) stellt er das gelebte Zeugnis in den Mittelpunkt des christlichen Glaubwürdigkeits-Erweises. Dieser GlaubwürdigkeitsErweis kulminiert für ihn in der Selbstentäußerung (Kenose) Gottes am Kreuz, ein Geschehen, das er angeregt durch die Sprachästhetik Goethes rhetorisch-dramatisch, expressiv und rollenspezifisch ausgestaltet. Das Kreuz ist für ihn der Höchstfall der liebenden Dahingabe Gottes zu Gunsten der Menschen im Äußersten der Erfahrung sündiger Gottesferne und abwesender Gottesfinsternis. So erfährt der Sohn den »Riss« der Trennung zwischen Gott und Gott in der Verlassenheit am Kreuz. In dieser Weise ist Jesus in seiner eigenen Hingabe nicht nur die Manifestation des unsichtbaren Gottes in seiner Selbstentäußerung: »als nicht an sich halten der Freiheit reine Schenkung und Liebe« (Balthasar I/3.1., 955). Sondern diese Dahingabe hat ihren Grund auch in der innergöttlichen Ur-Kenose des Vaters an den Sohn. Umgekehrt bedeutet dies, dass das geschichtliche Sein Jesu die Klarheit des göttlichen Lichtes in den Dunkelheiten und Wirren der Welt aufscheinen lässt und darum im überzeitlichen Sein des ewigen Gottes begründet werden muss. So hat die Dramatik der Geschichte in der überzeitlichen Theodramatik Gottes ihren »theo-logisch« vorausgehenden und überzeitlichen Ursprung, gibt es für das dramatische »Spiel der Welt« ein »Vorspiel im Himmel«. So wird das kosmische Weltdrama und geschichtliche Menschendrama vom heilsgeschichtlichen Drama Gottes mit den Menschen inhaltlich bestimmt und im Theo-Drama überzeitlich unterfasst. Im Rahmen dieser Theo-Dramatik »von oben« nimmt von Balthasar die Perspektive des Regie-Assistenten ein, der aus dem Blickwinkel Gottes begleitend Gottes Handeln in sich und auf die Welt zu betrachtet, szenisch-dramatisch entfaltet und zugleich virtuos wie sprachmächtig ausgestaltet. (3) Schlüsselkategorien: Eine Theodramatik ist für von Balthasar möglich, wo Gott selbst oder ein von Gott beglaubigter »Stellvertreter Gottes« (Balthasar II/1, 170) im Existenzspiel der Welt auftritt. Was eine Philosophie des Seins nie gewagt hätte, steht im Mittelpunkt der Theodramatik. Gott selbst wird mit dem Leiden der Menschen und insbesondere mit dem Leiden Christi in Verbindung gebracht, sodass Gott von diesem Leiden selbst affiziert ist (wie Balthasar gegen Thomas und Rahner betont). Die entscheidende

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Pointe im Drama Gottes mit der Welt ist im Gedanken der »Stellvertretung« festgehalten. Jesus Christus spielt nicht nur eine Rolle, er identifiziert sich mit dieser mit Haut und Haaren. Daher nimmt er in seiner Person und im Gegenüber zum Vater eine Doppelrolle ein. Er ist derjenige, welcher einerseits loyaler Schauspieler und Co-Autor des göttlichen Dramas ist. Und er ist zum anderen derjenige, welcher aus der göttlichen Rolle herausfällt und als solcher ganz Mensch wird: Im neuen Bund ist das Unerhörte geschehen, dass der Zuschauer Gott seinen Thron verlassen und sich unter die Spieler gemein gemacht hat. Und nun hebt ein vollkommen neues Weltspiel an. Gott von Gott kommend, kündend, lebend; Gott von Menschen nicht angenommen, gefoltert, zu Tode gebracht (Balthasar IV, 21).

In dieser Trilogie gibt es eine Entsprechung zwischen dem Sein Jesu Christi und dem Sein des Menschen, der als wunderbarer Tausch (lat. admirabile commercium) gedacht wird. So sind die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung von Christus und seiner Gegenwart umfasst. Im Sinne einer universalen Theologie der griechischen Väter »von oben« gibt es nicht nur eine trinitarische Unterfassung des Weltgeschehens, sondern menschheitsgeschichtlich auch einen »Einschluss in Christus« (Balthasar II/2, 211–238). (4) Chancen und Grenzen: Von Balthasar inspiriert die Theologie mit einer umfassend ausgearbeiteten und beeindruckenden Gesamtschau des trinitarischen Geheimnisses der Zuwendung Gottes zur Welt, die von einer geistlichen Tiefe, rhetorischen Virtuosität und systematischen Anregungskraft ist, wie im 20. Jahrhundert kaum ein vergleichbares theologisches Werk vorgelegt wurde. Balthasars Trilogie ist ein theologisches Gebirge des 20. Jahrhunderts und wird es bleiben. Allerdings setzt sein ungeheuer belesener und immens vieldimensionaler Ansatz die Bereitschaft zum mystischen und theologischen Aufschwung voraus, der mit dem Wechsel der Perspektive, also mit der Bereitschaft, aus dem Blickwinkel Gottes die Welt zu betrachten, einhergeht. Ob dies in jener inhaltlich wissenden und dramatisch expressiven Weise möglich ist, wie Hans Urs von Balthasar dies zur Durchführung bringt, bedarf der eigenen Beurteilung. So formuliert er etwa unter der Überschrift »Taumelkelch«: Der Kelch, von dem am Ölberg die Rede ist, ist der im Alten Bund oft erwähnte Zorneskelch’ Gottes, gefüllt mit seinem Zornwein, der dem Trinkenden innerlich wird […]. Kann man ernstlich von einer Entladung des Zornes Gottes über den am Ölberg Ringenden, dann Gekreuzigten sprechen? Man muß es, eben weil Jesus schon in seinem Leben

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der Offenbarer des ganzen Pathos Gottes – seiner Liebe wie seiner Empörung über die Verhöhnung seiner Liebe – gewesen war und nun die letzten Folgen seiner mehr-als-prophetischen Vermittlung zu tragen hat (Baltasar III, 315.322).

d) Renaissance der Inkarnationschristologie im angelsächsischen Raum (1) Gemeinsame Anliegen: Verschiedene Positionen der neueren angelsächsischen Diskussion um Präexistenz und Inkarnation sind durch eine starke Entwicklung »niedriger« Christologien »von unten« bestimmt, die sich einerseits dem jüdischen Erbe verpflichtet sehen und Jesus vor allen Dingen in jüdischer Perspektive interpretieren. Oder sie betonen andererseits und im Gegenzug die Präexistenz und Inkarnation »von oben«, weil sie in Abgrenzung gegenüber der Pluralistischen Religionstheologie stehen und diese als eine Nivellierung der Christologie ansehen. Solches kann geschehen, wenn Jesus ohne innergöttliche Verankerung gedeutet wird, weil ein prinzipieller Bruch zwischen der Immanenz religiöser Zeugenschaft und der radikalen Transzendenz Gottes angenommen wird; oder wenn die interreligiöse Stärkung der abrahamischen Ökumene zwischen Christentum, Judentum und Islam mit einer strukturellen Angleichung der Christologie an die jüdische und islamische Tradition einhergeht. In dieser Linie wird Jesus wie Moses und Muhammad als ein Prophet verstanden, der eine Botschaft von Gott verkündet hat, die in einem Buch (Neues Testament, Tora, Qur’an) ihren Niederschlag fand. In diesen Konzepten wird die göttliche Sohnschaft Jesu und die Einzigartigkeit, wie Gottes Wort in ihm Person wurde, problematisch. Insofern bietet die Darstellung dieser Ansätze nicht nur eine Einführung in den angelsächsischen Diskurs, sondern – zum Ende einer diachronen Sichtung unterschiedlicher Kontexte und Denkfiguren sowie im Rückblick zu Kernthemen der christologischen Lehrentwicklung – auch eine Anleitung zu einer vertieften, systematisch-theologischen Reflexion einschlägiger Schlüssel-Problematiken. (2) Diagnosen: Gerald Collins arbeitet verschiedene Konfliktlagen und Problemstellungen der christlichen Inkarnationstheologie heraus. Inkarnation versteht er als höchste Einheit einer wahrhaft göttlichen und einer vollen menschlichen Wirklichkeit. Entgegen landläufigen Missverständnissen wird Inkarnation von der Vorstellung einer Re-Inkarnation als Re-Vitalisierung eines toten Körpers

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abgegrenzt. Ausgehend von einer in der protestantischen Tradition geprägten Austauschbarkeit der Aussagen über Jesus von Nazaret und den göttlichen Sohn von Ewigkeit, weist er zunächst auf den Lösungsansatz John Hicks (zweiter Periode) hin. Dieser vertritt eine niedere Christologie »von unten«, in welcher Jesus sich von den geisterfüllten und heiligen Menschen nicht dem Wesen nach, sondern dem Grad und dem Erbarmen nach unterscheidet. Insofern ist Jesus von Nazaret das schlechthin begnadete und höchste menschliche Beispiel eines Menschen, der vom Geist Gottes erfüllt ist. Inkarnation ist dann ein anderer Begriff für die Gegenwart des Erbarmens Gottes. Gott ist in allen Menschen inkarniert, insofern sie geisterfüllt und christlich oder wahrhaft heilig sind. Muss diese Christologie als solche noch nicht problematisch sein, so sind es die trinitätstheologischen Konsequenzen, die John Hick für die Theologie folgert. Im Sinne der niederen Christologie wird die innergöttliche Verankerung des Seins Jesu und die trinitarische Differenzierung Gottes mit dem Hinweis abgewehrt, dass Gott unter den menschlichen Bedingungen als Schöpfer, Veränderer/Erneuerer und innerer Geist beschrieben werden kann. Diese »metaphorische« Unterscheidung in der menschlichen Erfahrungswelt bedarf nach Hick keiner innergöttlichen Unterscheidung durch personale Differenzierung (Davis, 3). Demgegenüber will Collins dem Mainstream christlicher Theologie folgen, welcher eine vorzeitliche und vorinkarnatorische Existenz des göttlichen Wortes in Gott annimmt (Davis, 34). Collins stellt – im Sinne von Chalkedon, Thomas von Aquin (Davis, 197–251) und Karl Rahner – heraus, dass der Gedanke der Inkarnation die Paradoxie zu vermitteln habe, wonach die göttliche Wirklichkeit unbegrenzte Macht, unbegrenztes Sich-Wissen und unbegrenzte Präsenz in sich einschließt, der geschöpflich eine begrenzte Macht, ein begrenztes Wissen und eine begrenzte, partiale Präsenz entspricht. In dieser Weise wird die unveränderlich-ewige und unsterblich-göttliche Person dem Wandel der Zeiten unterworfen und stirbt der Menschheit nach. Collins zieht zunächst einen Vergleich zu der Einsicht der speziellen Relativitätstheorie, wonach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft standortbedingt sind und perspektivisch wahrgenommen werden. Während für mich die Zeit mit wachsendem Abstand vergeht, könnte ein anderer Beobachter, der sich mit derselben Geschwindigkeit wie andere Wirklichkeiten oder andere Ereignisse bewegt, die Dinge nahezu »gleichzeitig«, mithin als Gegenwart erleben und vollziehen. Dieses Problem von irdischer Ungleichzeitigkeit und himmli-

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scher Gleichzeitigkeit, welches nach Schleiermacher nicht vermittelbar ist, wird Brian Leftow aufnehmen und vertiefen. (3) Hypostatische Union: Brian E. Daley hebt die Fragerichtung des Leontius von Byzanz im Anschluss an Chalkedon hervor. Für ihn ist das konkrete geschichtliche Sein Jesu Christi der entscheidende Ausgangspunkt, um nach den Bedingungen der Möglichkeit für dieses geschichtliche Sein zu fragen und daraus auf den Charakter der Einheit Jesu Christi in den beiden Wirklichkeiten des menschlichen Daseins und der göttlichen Tiefe nachzudenken. Dabei greift Leontius auf den kappadokischen Gedanken der »unvermischten Einung« zurück und betont eine Unterschiedenheit ohne Trennung sowie eine Einheit ohne vermischende Selbigkeit. Daher muss ein inkommunikabler, Geheimnis bleibender Überschuss der göttlichen Wirklichkeit angenommen werden, weil nur so ein Primat der unverfügbaren und großzügigen Herabkunft der göttlichen Liebe in dem konkreten Menschen Jesus denkbar ist. In dieser Weise wird die Personeinheit im Anschluss an die stoische Philosophie nach dem Modell der Leib-Seele-Einheit nicht »ungeschichtlich naturhaft«, sondern als freies, dynamisches Beziehungsgeschehen aus Liebe interpretiert. Allerdings greift für Leontius auch die Analogie einer menschlichen Willens-Einheit zu kurz. Deshalb muss die Einheit als wechselseitiges Innewohnen, mithin (im Anschluss an Gregor von Nazianz) als Perichorese gedacht werden. So ist Christus einer kraft der Einung, aber nicht der Natur nach. Denn der Natur nach handelt es sich um verschiedene und zu unterscheidende Wirklichkeiten. Dadurch wurde es notwendig, den aristotelischen und statischen Gedanken der Einheit aufgrund gleicher Natur aufzubrechen und relational zur interpretieren. Hilfreich wurde die trinitätstheologische Unterscheidung des Gregor von Nyssa, welcher den Modus des Hervorgangs zur Charakterisierung des unterschiedlichen Personseins von Vater (ungezeugt) und Sohn (gezeugt) benutzte. So haben die Menschen ihr Menschsein aus der Zeugung von Kindern durch die Eltern, der Sohn Gottes aber durch die Formation der Welt im Wort Gottes. Aufgrund dieses Formens des Ursprungs konnte neues menschliches Sein geschaffen werden. In dieser Weise der »unvermischten Einung« (gr. henosis) durch »Relationalität aus Liebe« (gr. schesis) gibt es die erhebende und einende Wirklichkeit des Logos-Sohnes von Ewigkeit und die erhobene und geeinte Wirklichkeit des Menschen Jesus. In diesem Modus der Einung wird das wahre Menschsein Jesu und damit seine Gemeinschaft mit den Menschen nicht aufgehoben.

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(4) Ewigkeit und Zeit: Brian Leftow setzt in seinen Reflexionen über das Verhältnis von ewiger Göttlichkeit und zeitlicher Menschlichkeit mit einer zeittheoretischen Reflexion Augustins in den Confessiones ein, wonach der Unterschied zwischen der Zeit der Welt und des Menschen und der Ewigkeit Gottes darin liegt, dass alles im Heute Gottes umfangen und aufgehoben ist, wohingegen Zeit in der Welt nur als chronologisches Nacheinander sich ablösender (und ausschließender) Zeitmomente erfasst werden kann. Darum kann jeder Moment in der Zeit in Gottes Ewigkeit umfangen sein und Gottes Ewigkeit in jedem Augenblick Gegenwart und Ereignis in der Zeit sein. Diese grundsätzliche Überlegung Augustins vertieft Leftow anhand der christologischen Frage, wie der ewige Gott als Logos-Sohn oder zweite Person der Trinität in dem endlich und zeitlich bestimmten Menschen Jesus gegenwärtig sein kann. Denn nur in dieser Ganzheit kann angemessen von dem einen Jesus Christus gesprochen werden. Daher fragt Leftow nach angemessenen Personkonzepten, welche eine solche Gegenwart denken lassen, und versucht in diesem Rahmen, traditionelle Anliegen der Christologie zu plausibilisieren. Insbesondere geht er auf die Kontroverse zwischen den Theorien des einen Bewusstseins und Willens sowie den Theorien von zwei Bewusstseins- und Willensebenen ein. In dieser Auseinandersetzung spielt Alvin Plantingas Analyse des Problems eine besondere Rolle. Nach Plantinga kann es exklusiv nur einen göttlichen oder einen menschlichen Willen bzw. ein entsprechendes Bewusstsein geben, welches die Personalität des Menschen konstituiert. Demzufolge stehen der göttliche und der menschliche Wille in einem konkurrierenden Gegensatz oder in einem zeitlichen Nacheinander. Plantinga sieht in der Annahme von zwei Willen einen Nestorianismus, d.h. eine Position, welche die Einheit erst nachträglich zu der Konstituierung der menschlichen Person durch eine menschliche Seele formulieren kann. Leftow vermag zu zeigen, dass Plantinga platonisch und nicht – wie die Tradition und Thomas von Aquin – aristotelisch (hylemorphistisch) denkt. Demnach ist die Person durch die menschliche Seele definiert und nicht als leib-seelische Einheit gefasst, die in beiden Dimensionen (der Seele und des Leibes) schöpferisch und gnädig von Gott her verdankt ist. Werden Leib und Seele hingegen in ihrem geschöpflichen und gnädigen Verdanktsein betrachtet, so kann eine göttliche Tiefenwirklichkeit der menschlichen Leib-Seele-Einheit angenommen werden. Unter diesen Voraussetzungen ist es möglich, eine dreigliedrige Christologie, welche zwischen dem Logos-Sohn von Ewigkeit, dem

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menschlichen Bewusstsein Jesu und seiner irdisch-leiblichen Existenz unterscheidet und damit zwei Willens-Vermögen in Jesus Christus ansetzt, als orthodox und chalkedonisch auszuweisen: If human souls just are persons, the orthodox must deny Christ a distinct human soul, moving instead to Plantinga’s ›two-part‹ view. But orthodoxy and three-partism can cohere with a Thomist view, on which souls are sub-personal constituents of persons (Davis, 319). Gegenüber den vermeintlichen Widersprüchen, die gegen diese Position in der analytischen Tradition erhoben werden, ist zu betonen, dass das »ist« in der Identifikation von Logos-Sohn und Mensch Jesus keine strenge Identität zur Aussage bringt (Davis, 323).

Unter diesen Prämissen ist es möglich, eine komplexe Einheit zwischen dem nichtzeitlichen oder vorzeitlichen oder überzeitlichen, weil ewigen Sein des Logos-Sohnes und seiner ewigen Geistigkeit, und dem zeitlichen, geschichtlich-variablen Bewusstsein und Willen Jesu anzunehmen. Unter der traditionellen Prämisse, wonach der Logos-Sohn das Sinn-Prinzip der Schöpfung ist, kann gesagt werden: So the whole, Son [logos] + S [soul] + B [body], owes its existence to the act of creation which brought S and B into existence. Any whole with created parts is a created whole, even if it also includes an uncreated part (Davis, 324).

Für das Problem von Zeit und Ewigkeit bedeutet dies nun, dass der Logos-Sohn einer partiellen Zeitlichkeit innewohnt und insofern an dieser geschichtlich-partiellen Zeitlichkeit als einer irdischen Ganzheit Anteil gewinnt, obwohl er seiner Göttlichkeit nach prinzipiell vorzeitlich oder überzeitlich und insofern atemporal ist. Weil das Sein Jesu von Nazaret nicht gleich ewig zum Sein des Logos-Sohnes ist, kann umgekehrt nur von einer »modalen« Anteilnahme des Logos-Sohnes am zeitlichen Sein Jesu gesprochen werden. Insofern können dem vorzeitlichen oder überzeitlichen Sein des Logos-Sohnes Eigenschaften zugesprochen werden, allerdings nur im Hinblick auf sein Inkarniertsein in Jesus und damit retrospektiv zum Ereignis der Inkarnation selbst. Auch in dieser Begründung traditioneller Auffassungen der Christologie bleibt allerdings offen, inwiefern der konkrete Lebensvollzug Jesu das Sein des Logos bestimmt. Obwohl Leftow mit Recht hervorhebt, dass am Kreuz Jesus Christus seiner Menschheit nach stirbt, aber nicht seiner Göttlichkeit nach, bleibt dennoch die Frage, inwiefern dieser existenzielle Lebensvollzug Jesu für das Sein des Logos und damit für das Sein Gottes selbst modal bedeutsam ist. (5) Menschwerdung Gottes: Stephen Evans macht den Gedanken der Selbst-Entäußerung (Kenose) Gottes aus Liebe im Anschluss an

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Phil 2,6–11 stark. Daher interpretiert er die hypostatische Union im Sinne einer Herabkunft von Gottes wahrhaftiger Wirklichkeit. Bei diesem Gedanken ist dem Einwand Richard Swinburnes Rechnung zu tragen, wonach eine Selbst-Entäußerung Gottes nicht als Selbstaufgabe oder Selbstverlust Gottes verstanden werden darf. Von daher zielt Evans auf eine vernünftige Plausibilisierung der chalkedonischen Christologie. Die Stärke der kenotischen Theologie liegt im Gedanken der Solidarität Gottes mit den Menschen, der in seiner Weise ein wahrhaft menschliches Leben realisiert und unser Leben und unser Leiden teilt. Die Kenose bringt zugleich den Kern menschlicher Liebe zum Ausdruck, die freie, unverdiente und unverdienbare Hingabe an andere Menschen, die Selbstgabe als Selbstmitteilung und Selbstentäußerung. In dieser Weise kann die kenotische Theologie zugleich das wahre Menschsein Jesu, seine Menschlichkeit zu Gunsten Gottes und der Menschen sowie seine Begrenzungen als Mensch, der sogar unter Schreien und Wehklagen gelitten hat, ernst nehmen. Evans setzt sich sodann mit der Annahme von zwei unterschiedenen Bewusstseinsebenen (einer göttlichen und einer menschlichen) auseinander. Die Theorie der zwei unterschiedenen Bewusstseinswirklichkeiten würde zum Beispiel Versuchung und Anfechtung allein Jesus zuschreiben und dem göttlichen Logos, der mit ihm geeint ist, Versuchung und Anfechtung absprechen. Von daher diagnostiziert Evans einen prinzipiellen Konflikt zwischen dem kenotischen Denken, welches die Wirklichkeit unter dem Primat Gottes betrachtet, und der Betonung der Eigenständigkeit des menschlichen Bewusstseins. Zugleich zeigen seine kritischen Argumente bereits im Ansatz, dass hier inhaltliche, »kategoriale« Bestimmungen des menschlichen und des göttlichen Bewusstseins einsinnig (»univok«) aufeinander übertragen werden (Davis, 323). Mit dieser Prämisse werden sowohl die Traditionen analogen Denkens (Nitsche V,17–62) als auch Interpretationen, welche die Formalität dieses transzendentalen Freiheitsverhältnisses herausstellen (Nitsche II, 395–436), unterlaufen. Zugleich setzt diese Kritik der Theorie von den zu unterscheidenden Bewusstseinsebenen eine Konkurrenz zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit bzw. Willensbestimmung an. Deshalb sagt Evans, dass die Unterscheidung der Bewusstseinsebenen nur durch eine Selbst-Limitierung und SelbstZurücknahme des göttlichen Logos möglich sei. Nur so ist für ihn denkbar, dass der Logos eine wahre menschliche Freiheit zulassen und ermächtigen kann. Nur so erscheint ihm eine endliche Freiheit und endliche Willensbestimmung Jesu denkbar (Davis, 288).

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Der eigene Lösungsversuch (Davis, 302) nimmt Richard Swinburnes Unterscheidung personaler Identität durch eine Leib-Kontinuität, eine Bewusstseins-Kontinuität oder eine simple Ganzheit der Person zum Ausgangspunkt. Gegen eine reine Definition über die materiale Leib-Kontinuität spricht, dass diese eine materialistische Reduktion vornehmen muss. Gegen das Modell der simplen Identität spricht für Evans, dass eine unanalysierbare, unbestimmbare Personalität auch nicht in der Lage ist, das Kind von Bethlehem mit dem göttlichen Logos zu identifizieren. Dafür bedarf es bestimmbarer Relationen – sowohl in Bezug auf das menschliche Personsein als auch in Bezug auf das Verhältnis von menschlicher und göttlicher Wirklichkeit. Daher plädiert Evans für das Modell einer Bewusstseins-Kontinuität oder Erinnerungs-Kontinuität. Weil jede Person nur Person sein kann, indem sie ihre Vergangenheit vergegenwärtigt, kann das Sein Jesu als Vergegenwärtigung des göttlichen Ursprungs interpretiert werden. Entsprechend neueren analytischen Ansätzen versucht Evans das Problem nicht über eine Verhältnisbestimmung von menschlicher und göttlicher Subjektivität zu lösen, sondern mengentheoretisch über unterschiedliche Eigenschaftsbestimmungen, sodass es hinsichtlich der Menge der Eigenschaften Übereinstimmungen und Unterschiedenheiten geben kann: Of course it is crucial here not to say that Jesus had a ›divine soul in a human body‹. Rather, I would say that as a divine being the Word became a human soul and was enfleshed without ceasing to be the divine being he was. It should be obvious that I am here thinking of ›human nature‹ as a set of properties, not as a concrete individual. On the kind of view I here defend, God the Son acquires a new set of properties by becoming human but does not become a different individual (Davis, 305).

Unbestritten hält Evans an der Einsicht historisch-kritischer Forschung und der Prämisse eines realen menschlichen Bewusstseins fest, derzufolge Jesus als Mensch kein göttliches Bewusstsein gehabt haben kann. Allerdings bleibt in seinem Ansatz offen, wie Jesus sich seiner göttlichen Sendung bewusst werden konnte, ohne eine platonische Wiedererinnerungslehre an eine göttliche Vorgabe anzunehmen. In Bezug auf diese Problematik darf noch einmal der Lösungsversuch Karl Rahners in Erinnerung gerufen werden. Rahner folgert in einer »impliziten Christologie«, dass der vorösterliche Jesus sich in dem Maße seiner göttlichen Sendung explizit bewusst werden konnte, wie er in seiner Verkündigung und seinem Handeln sich selbst als Zeuge Gottes und seiner Herrschaft ergriff und verstand. In dieser

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Weise darf eine geschichtliche Entwicklung und ein wachsendes Innesein der göttlichen Berufung in Jesus selbst angenommen werden (Nitsche I, 408–417). Zusammenfassung: Die christologischen Entwürfe der Geschichte können als johanneisch-spekulativ, paulinisch-dialektisch oder synoptisch-heilsgeschichtlich oder durch die Perspektiven »von oben«, »von innen« und »von unten« klassifiziert werden. Während Origenes die ewige Unwandelbarkeit und Selbstentäußerung Gottes sowie das abgründige Kreuzesleiden und die Rettung aller zusammen denken will, bleibt bei Augustinus die Frage nach dem Verhältnis von Schöpfung, Sünde und Inkarnation aktuell. Thomas von Aquin macht die Christologie zum Herzstück der trinitarischen Theologie und versteht Christus als Haupt und Exemplar des erlösten Menschen. Indem Edward Schillebeeckx methodisch elaboriert die Erfahrung der Gegenwart Gottes ins Zentrum rückt und Jon Sobrino kontextuellbefreiungstheologisch die Überwindung des Leidens mit dem Befreier Jesus herausstellt, formulieren beide paradigmatische Christologien »von unten«. Demgegenüber vertritt Hans Urs von Balthasar mit der Selbstentäußerung am Kreuz als Erweis der Glaubwürdigkeit Gottes einen dramatisch-spekulativen Ansatz »von oben«. Angesichts reduktiver Tendenzen werden im angelsächsischen Raum erneut die Anliegen der Inkarnationschristologie »von oben« stark gemacht. Diese wollen klassische christologische Grundsätze und Theologumena »deduktiv« rehabilitieren. Ihr sprachanalytisch-phänomenologischer Zugang erlaubt vielfach keine Unterscheidung zwischen den beschreibbaren Phänomenen und ihrer transzendentalen Begründung. Hier scheint eine methodenpolitische Diskussion wünschenswert.

Literatur Hoping, Helmut, Einführung in die Christologie. Darmstadt 2010. (Hoping I) Menke, Karl-Heinz, Jesus ist Gott der Sohn. Denkformen und Brennpunkte der Christologie. Regensburg 2008. Müller, Gerhard Ludwig, Christologie – Die Lehre von Jesus dem Christus. In: Beinert, Wolfgang (Hg.), Glaubenszugänge II. Paderborn u.a. 1995, 3-297. Ruhstorfer, Karlheinz, Christologie. Paderborn 2008.

IX. Christologie aus der Perspektive von Frauen Christologische Sprechversuche von Frauen haben bisher wenig Raum gewinnen können und Gehör gefunden. Während die feministische Christologie vielfach ein Eigenleben führt, das bis dato kaum in die Lehrbücher Einzug gehalten hat, so werden hier ihre methodischen Einsichten, inhaltlichen Gestaltfindungen und kontextuellen Differenzierungen exemplarisch in der synchron-kontrastiven Polyphonie nordamerikanischer und afrikanischer Modelle zur Sprache gebracht. Bereits vor sechs Jahrzehnten traf der katholische Sozialethiker und Kölner Kardinal Joseph Höffner die Feststellung, dass die Emanzipation der Frau die Welt mehr verändern werde als die Erfindung des Atoms. Zumindest für die Welt von Theologie und Kirche darf diese Feststellung in jeder Hinsicht unterstrichen werden. Die politische Anerkennung der Würde der Frau und die schrittweise Anerkennung der Leistungen von Frauen sowie ihre gesellschaftliche Gleichberechtigung gehören zu den umwälzenden gesellschaftlichen Ereignissen im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Bildungsstudien stellen fest, dass sich die jungen Frauen auf der Überholspur befinden, an Universitäten wird die Frauenquote zum Exzellenzkriterium. Langfristig wird nicht nur die Schule, sondern auch die Mutter Kirche in einen Prozess der Feminisierung eintreten. Es wird selbstverständlich werden, dass Frauen nicht nur eine Mehrheit der aktiven Kirchenmitglieder bilden, sondern auch signifikant eine Mehrheit von Bildungs- und Führungspositionen einnehmen, was auf der nördlichen Halbkugel bereits als durchschlagender Prozess erkennbar ist. 1. Frauen-Christologien der nordwestlichen Hemisphäre a) Elisabeth Schüssler Fiorenza: Methodische Grundsätze und Optionen Elisabeth Schüssler Fiorenza (geb. 1938) ist eine Hauptvertreterin der feministischen Hermeneutik und in ihrem Ansatz einem emanzipatorischen Paradigma verpflichtet. Sie will Frauen aus der Situation, »Unperson« zu sein (Schüssler Fiorenza 238), befreien und die männerzentrierten (kyriarchalen) Herrschaftssysteme überwinden

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IX. Christologie aus der Perspektive von Frauen

(Schüssler Fiorenza, 242). Ihre Hermeneutik hat sie in ihren »WeisheitsWegen« noch einmal in sieben Schritten zusammengefasst. Diese Schritte bilanzieren, zumindest indirekt, auch die Geschichte der feministisch-christologischen Hermeneutik insgesamt. (1) Die Hermeneutik der Erfahrung arbeitet analytisch, indem sie von Erfahrungen ausgeht, die Frauen in der gegenwärtigen Zeit artikulieren, um von daher – in historischer Analogie – den Erfahrungen biblischer Frauen nachzuspüren. Gefahren dieser Methodik können in einer Hypostasierung weiblicher Erfahrung (das ewig Weibliche) und in der vorrangigen Orientierung an den Frauen aus der weißen, westlichen Mittelschicht liegen. Methodisch kommt es darauf an, den asymmetrischen Code der von Männern geprägten und auf Männer fixierten (kyriozentrischen) Verschlüsselung der Sprache und Überlieferung aufzudecken: männlich-positiv, weiblich-negativ, westlich-positiv, orientalisch-negativ, christlich-positiv, jüdisch/ muslimisch-negativ. Daher verstärkt die Interpretation kyriozentrischer Bibeltexte als göttliche Offenbarung die Erfahrung von Frauen, untergeordnet und BürgerInnen zweiter Klasse zu sein (Schüssler Fiorenza, 244–247, hier: 245).

(2) Die Hermeneutik von Herrschaft und sozialem Standort: Der selbstkritischen Vergewisserung des eigenen Standpunkts der InterpretInnen in ihrer möglichen Männerzentrierung und Anhaftung an männliche Machtverhältnisse muss eine Vision entgegengestellt werden, die das ureigene Potenzial der Schrift-Texte ist: »die Gerechtigkeit und Befreiung im radikal-demokratischen Horizont der Ekklesia« (Schüssler Fiorenza, 248). Es geht um eine Theologie und Christologie jenseits von Geschlecht, Rasse, Klasse, Religion, nationaler Zugehörigkeit, ökonomischem Vermögen und gesellschaftlichem Prestige (Schüssler Fiorenza, 148–251). (3) Unter diesen Voraussetzungen ist eine Hermeneutik des Verdachts zur Anwendung zu bringen, um die männerzentrierte Konstruktion der Wirklichkeit kritisch aufzudecken und aufzubrechen. Es geht nicht darum, hinter biblischen Texten und ihren ExegetInnen (genauso wie hinter klassischen Theologien) eine Verschwörung des Patriarchates zu vermuten. Es ist vielmehr so, dass unklar bleibt, ob und inwiefern Frauen durch Texte maskuliner Gattung angesprochen werden und mitgemeint sind (Schüssler Fiorenza, 252–254). (4) Mithin ist die Hermeneutik des Verdachts durch eine Hermeneutik der kritischen Beurteilung weiterzuführen: Diese zielt auf eine ethische und theologische Beurteilung biblischer Texte im Spie-

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gel der feministisch emanzipatorischen Werteskala. Autorität wird nur den Texten zuerkannt, die der Kritik einer Hermeneutik des Verdachts standhalten können und in konkreten Situationen emanzipatorisches Potential entfaltet haben. Weil das Göttliche als Kraft der Autorität (lat. auctoritas, augere: ermächtigen, hervorbringen, beginnen, vermehren, steigern und befreien) erfahrbar gemacht werden muss, geht es nicht nur radikal demokratisch, sondern auch theologisch und soteriologisch um gerechte Visionen, befähigende Ermächtigungen und Transformationen zu mehr Fairness unter den Menschen, welche Herabsetzung und Unterwerfung oder Gehorsam und Unterdrückung überwinden. Darum ist auch eine Infragestellung der Normativität des Kanons der Schrift notwendig (Schüssler Fiorenza, 254–257). (5) Im Gegenzug darf eine feministische Hermeneutik der kreativen Imagination zur Geltung gebracht werden, deren Weisheits-Visionen und Weisheits-Tänze die andere Welt voll Gerechtigkeit und Wohlergehen träumen. Diese Imaginationen (gestärkt durch Rollenspiele, Bibliodrama, Tanz, Meditation, Gebet, Traum) überschreiten die faktischen Realitäten und antizipieren eine Wirklichkeit, die Männern und Frauen noch aufgegeben ist (Schüssler Fiorenza, 258–263). (6) Diese kreative Exzentrik problematisiert die Konstruktion geschichtlicher Wirklichkeit im historischen Positivismus, der weithin übersieht, dass es Geschichte nicht als Beschreibung von Fakten, sondern nur als interpretierte, normierte Geschichte gibt. Deshalb bedarf es einer veränderten Hermeneutik der Erinnerung und der Rekonstruktion. Nach Paul Ricœur (1913–2005) geht das Schreiben von Geschichte mit dem interpretativen und handelnden Machen von Geschichte einher. Geschichte dient darum der Identitätsbildung und Selbstlegitimierung, der Unterscheidung von GewinnerInnen und VerliererInnen sowie der rekonstruktiven Normierung. Dies geschieht bisher nach Modellen, deren Einseitigkeiten zu überwinden sind. Für die Hermeneutik und Geschichtskonstruktion der radikaldemokratischen und egalitären Frauen-Ekklesia in der Nachfolge Jesu stellt Schüssler Fiorenza abschließend folgende Forderungen und Grundsätze auf: Bis zum Beweis des Gegenteils ist davon auszugehen, dass Frauen in der Geschichte präsent waren und agiert haben. Aus diesem Grund können und müssen die Frauen in allen Überlieferungen inklusiv mitgemeint sein und rekonstruktiv mit genannt werden. Anordnungen, die Frauen in ihrer Freiheit und in ihren Rechten beschneiden, müssen als ideologisch vorschreibende Texte einer

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kulturellen Rahmung verstanden werden, die männerzentriert oder väterbestimmt (patriarchalisch) ist. Wenn Frauen von bestimmten Tätigkeiten ausgeschlossen werden, darf »gegen den Strich der Normierung gelesen« davon ausgegangen werden, dass sie diese Tätigkeiten ausgeübt haben und um der männlich-herrschaftlichen (kyriarchalen) Ordnung willen ausgegrenzt wurden. Biblische Texte und christliche Überlieferung sind nicht an sich normativ, sondern müssen in ihren Transformationsbewegungen und Befreiungsperspektiven betrachtet werden (Schüssler Fiorenza, 263–268). (7) Darum findet die feministische Hermeneutik ihren Abschluss in einer Hermeneutik des engagierten Handelns für Veränderung: In diesem handlungsorientierten Ansatz eines Ethos des Exodus derer, die am Rande der Fleischtöpfe Ägyptens stehen, ist die gerechtigkeitsorientierte und radikal-demokratische Frauen-Ekklesia auf eine kosmopolitische Artikulation und Transformation von Religion hin zu öffnen, deren Identitätskonstrukte transzendenzoffen und ideologiekritisch sind. Diese Hermeneutik zielt mithin auf das Wohlergehen und das Empowerment aller Menschen (Schüssler Fiorenza, 268–273). b) Rosemary Radford Ruether: jüdisch-prophetische Christologie der Befreiung Die katholische Theologin Rosemary Radford Ruether (geb. 1936) tritt für die Suche nach einer heilvollen Christologie ein, die im Horizont der jüdisch-messianischen Tradition der prophetischen Zeugenschaft für die Wahrheit Gottes und die Kritik an ungerechten Machtstrukturen steht. Jenseits der gescheiterten Versuche, eine persönliche Psychologie und Biografie Jesu zu schreiben, kann Jesus nur angemessen im Kontext seiner jüdischen Tradition begriffen werden. Sein Eintreten für die Königsherrschaft Gottes knüpft darum inhaltlich an die prophetischen Visionen und Traditionen der hebräischen Bibel an. Ihnen zufolge steht Gott auf der Seite der Benachteiligten und Ausgestoßenen (Jes 10,1–2; 61,1–2; Am 5,21.23–24; 8,4–6). Diese prophetischen Befreiungstraditionen sind ethisch orientiert und sensibel für Recht und Unrecht oder für Wahrheit und Lüge. Ohne den patriarchalen Lebenszusammenhang der biblischen Schriften zu verschleiern, sieht sie in der Verkündigung Jesu von der Herrschaft Gottes auch eine Kritik unberechtigter Herrschaftsstrukturen, weil der Jesus der synoptischen Evangelien eine

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Option für die Armen und Unterdrückten trifft. Die Betonung der Einzigkeit Jesu als Erlöser nötigt theologisch dazu, dem Judentum mit der »linken Hand verwerfend« zu begegnen und zu unterstellen, dass die Juden vom Heil ausgeschlossen und verdammt sind. Dieser christliche Antijudaismus reproduziert sich in der Logik von Gesetz und/oder Evangelium, von altem und/oder neuem Bund, von Adam und/oder Christus, von Synagoge und/oder Kirche. Der ausgrenzende Dualismus zwischen Gericht und/oder Verheißung, zwischen Partikularität und/oder Universalität, zwischen Buchstaben und/oder Geist, Gesetz und/oder Gnade kulminiert letztlich in der altkirchlichen Christologie als dem Fels des Antijudaismus. (Radford Ruether II, 210–243) Für Radford Ruether ist es Jesu ethisch befreiende Praxis, die erlöst, weil in ihr und mit ihr die Unterdrückung der Frauen und das patriarchale Gesellschaftssystem abgelehnt wird. Wenn Jesu Männlichkeit als solche als erlösend angesehen wird, dann führe dies zu einer sexistischen Halbierung der Soteriologie. Deshalb kommt es Radford Ruether darauf an, das christologische Paradigma, wonach Jesus Christus in ausgezeichneter Weise Ebenbild Gottes ist, von der Fixierung auf die Männlichkeit Jesu zu befreien und mit feministischem Interesse neu auszulegen. Die Auseinandersetzung mit katholischer Milieuenge, der kirchlichen Nötigung zur Nachkommenschaft, mit der sublimen Ausgrenzung von akademischer Karriere sowie die Konfrontation mit dem amerikanischen Imperialismus und den Folgen des Vietnamkriegs führt sie zur Vision eines feministischen, ökologischen und gemeinschaftsbildenden Sozialismus. Verfälschung der biblischen Botschaft? In der altkirchlichen Christologie, besonders in den lehramtlichen Sprachregelungen von Chalkedon, sieht Radford Ruether eine Patriarchalisierung der Christologie am Werke. Chalkedon ist für sie Inbegriff einer religiösen Überhöhung des nachbiblischen christlichen Patriarchats. An die Stelle der Botschaft und Praxis des geschichtlichen Jesus trete jetzt ein welterklärender Mythos. In dieser Wiederholung des hierarchischen Ordnungsdenkens der römischen Kaiserschaft werde Christus zum kosmologischen Kaiser, zum allmächtigen Alleinherrscher über das All (Pantokrator). Damit werde die geschichtlich geformte Messiaserwartung nun durch eine kosmische Supermacht ersetzt, die heilsgeschichtlich gegen das Judentum und in ihrer männlichen Profilierung gegen die Frauen stehe. Diese Männerzentrierung werde, so Radford Ruether, im Verständnis der Kirche machtpolitisch umgesetzt und instrumentalisiert. Entsprechend wird Chalkedon an sei-

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ner kirchenpolitischen Funktionalisierung gemessen. Gemäß der Joël-Verheißung, wonach Gottes heilbringender Geist der Salbung auch über Knechte und Mägde ausgegossen wird (Joël 3,2; Apg 2,18), tritt nun die prophetisch-befreiungsethische Vision einer neuen, geistgewirkten Gerechtigkeit ins Zentrum der Christologie: Wenn einmal der Mythos von Jesus als dem Messias oder göttlichen Logos mit den damit verquickten traditionell maskulinen Vorstellungen überwunden ist, wird der Jesus der synoptischen Evangelien wieder als Gestalt, die bemerkenswert vereinbar mit dem Feminismus ist, deutlich. (Radford Ruether I, 166)

Weil es nicht darum geht, Jesus als Feministen vorzustellen, ist seine Frauenfreundlichkeit und seine Zuwendung zu den Marginalisierten der Gesellschaft im größeren Kontext seiner religiös motivierten Herrschaftskritik zu sehen: Im Reich Gottes werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. (Radford Ruether I, 152ff) c) Carter Heyward: Inkarnation Gottes als transpersonale Macht-in-Beziehung Auch die anglikanische Theologin Carter Heyward (geb. 1945) sucht wie Rosemary Radford Ruether nach einem Leitbild feministischer Christologie, das dualistische und hierarchische Denksysteme überwindet und auf gesellschaftliche und menschliche Befreiung zielt. Dabei dienen ihr die christologische Figur der Inkarnation sowie die pneumatologische Dimension der Beziehung als Bezugspunkte, um ihr Konzept der befreienden, transpersonalen (überpersonalen) und göttlichen »Macht-in-Beziehung« als fortdauernde und erlösende Gegenwart Gottes in der Geschichte der Menschen zu bestimmen. (1) Biografisch gebundene Theologie: Diese geisttheologisch dimensionierte Inkarnationschristologie kann konsequent erfahrungsorientiert ansetzen. Entsprechend konfrontiert Heyward in einer fast schonungslosen Offenheit mit den persönlichen Höhen und Tiefen, den Verletzungen ihrer Lebensgeschichte. Dazu gehören ihr Kampf um die Ordination zur Pfarrerin, ihr »Coming out« als Lesbe, ihre Reisen nach Nicaragua, ihre Therapie, ihre seelischen und körperlichen Zusammenbrüche, ihre Alkohol- und Bulimieprobleme. Den Kampf gegen das herrschende männerzentrierte System und seine Werte führt sie mit hohem persönlichem Einsatz, weil ihr das Persönliche immer auch politisch ist.

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(2) Beziehungsverlust als Unheil: Heyward reagiert zunächst auf die Erfahrung der Abwesenheit und des Verlustes von Beziehung in der systematischen Vernichtung des europäischen Judentums, der Schoah. Geprägt durch das Denken und die Publikationen von Elie Wiesel und seine Schilderungen der Situationen von Angst und Verlassensein kommt sie zu der Einsicht, welche rettende Bedeutung Beziehungen haben. In der Schoah wurden Beziehungen systematisch – bürokratisch organisiert und industriell realisiert – vernichtet. Es wurden Menschen aus ihren Bindungen und Beheimatungen gerissen. Alles Vertraute und Liebgewordene wurde ihnen genommen. Menschen wurden zu namenlosen Nummern gemacht. Zu Nummern degradiert, verloren sie ihren Selbstwert, ihr Identitätsgefühl und ihr Gespür für das Menschsein unter Menschen. Die Schoah war der schreckenerregende Raum des moralisch Bösen. Umgekehrt sind intensive Beziehungen Geburtsorte der Menschlichkeit. Auschwitz muss mit Elie Wiesel darum als Ortschaft des radikal Bösen (Immanuel Kant), als Gegenwärtigkeit der absoluten Beziehungslosigkeit angesehen werden. Diesem Gedanken Heywards entspricht das biblische Verständnis der Sünde, welches die Sünde als Beziehungsverlust versteht und den Tod als losgelösten, absoluten Zustand des Beziehungsverlustes begreift. (Heyward I, 73–106) (3) Positive Anthropologie als Voraussetzung: Christliche Theologie hat sich in dieser Hinsicht in eine »splendid isolation« begeben. Ihre dualistische Trennung von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit, die Entgegensetzung von Gottes Güte und menschlicher Sünde konnte praktische Apathie, leibliche Selbstverneinung und persönliche Selbstentfremdung unterstützen. Als anthropologisches Gegenstück zum Pessimismus im Gefolge Augustins, forciert Heyward eine positive Theologie der Inkarnation. Diese betont die geistvermittelte Immanenz Gottes in gerechten menschlichen Beziehungen. Im Gefolge der Gott-ist-Tod-Theologie (Dorothee Sölle, Tom Drivers) kritisiert sie jede unberührbare Transzendenzvorstellung, die auf eine Berührbarkeit Gottes in Beziehungen hin zu verwandeln ist. Gegen lähmende Apathie, gesellschaftliche Vereinzelung und persönliche Vereinsamung helfen nur die Gegenmächte der Beziehung, die ihren Höhepunkt in der höchst intimen Beziehung zwischen Gott und Mensch finden. Die Transimmanenz der Liebe Gottes legt daher das Befreiungs- und Lebenspotenzial eines Seins in Beziehung frei und wird zum Maßstab der relationalen Transimmanenz oder der intensiven Beziehung in bleibender Unterschiedenheit zwischen Gott und Mensch einerseits und unter Menschen ande-

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rerseits. Darum ist die Liebe für Heyward die bewegende, verändernde und verbindende Kraft des Lebens. Die Liebe ist die entscheidende »Trans-Aktion« zwischen Menschen und hat in der biblischen Weisung, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, ihren Maßstab. Von daher begründet Heyward die Möglichkeit des Guten im Angesicht des Bösen. (Heyward I, 16 f.) (4) Rezeption der »religionslosen« Theologie: Im Anschluss an die theologische Tradition existentialer Interpretation (Rudolf Bultmann) ist die Erfahrung der Gebrochenheit menschlicher Existenz immer ein Anruf an das eigene Dasein, eine Aufforderung zur Entscheidung im Leben und zur Neugestaltung von Beziehungen. Weil der beziehungsreiche und beziehungswillige Gott der in Beziehung ermächtigende und gegenwärtige Gott ist, ist der Mensch in dieser Beziehung gewollt, freigesetzt und mitschöpferisches Ebenbild Gottes. Gott offenbart sich in der Praxis der Menschen, in ihrer aktiven Teilhabe an der Liebe Gottes, in ihrem Engagement für gelingende Beziehungen und soziale Gerechtigkeit, sowie in ihrer Bereitschaft zu Solidarität und Mitleiden, im Aufstand des Lebens gegen das Leiden und das Unrecht. Diese göttliche Kraft der menschlichen Liebe findet immer auch körperlichen Ausdruck und vermittelt sich sensitiv, erotisch und sexuell. Insofern stellt die Inkarnation Gottes einen fortdauernden Prozess in der Menschengeschichte dar. Diese dynamische Betrachtung verhindert, Offenbarung exklusiv als abgeschlossen und einmalig zu betrachten und sie wie einen endlichen Gegenstand »ontisch« (Moses Maimonides, Emmanuel Levinas) auf Jesus von Nazaret zu beschränken. Im Unterschied zum Judentum werden Gott und Mensch im kirchlich antiken Denken nicht als Partner, sondern als sich ausschließende Größen und widerstreitende Gegner angesehen. An die Stelle energetisch zusammenwirkender Kooperation und beziehungsreicher Versöhnung tritt die Differenz, die Trennung von menschlicher und göttlicher Natur. Dies ist die Crux der Christologie von Chalkedon. Anstelle ihres Dualismus plädiert Heyward antiochenisch und jüdisch-geschichtlich dafür, das wahre Menschsein Jesu nicht zugunsten seiner göttlichen Wirklichkeit in den Hintergrund treten zu lassen. Mit der Option für eine »Christologie von unten« geht sie mit anderen befreiungstheologischen und feministischen Ansätzen überein. Sie betont die pragmatisch-handlungstheoretische Dimension des messianischen Auftretens Jesu und macht diese zum zentralen Konstruktionspunkt der christologischen Reflexion. Gottes transpersonale und befreiende Macht-in-Beziehung ereignet sich, wenn wir

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den Nächsten lieben wie uns selbst, worin sich die Liebe ereignet, die Gott selbst ist. Mit Blick auf Jesus kann es nicht darum gehen, eine historisch begründete Geschichte des Lebens Jesu zu schreiben. Vielmehr geht es darum, in Entsprechung zum Lebensvollzug Jesu seine Beziehungsfähigkeit zu Gott, die einzigartig gewesen ist, und zu den Menschen zu verinnerlichen. Angeleitet durch die Abba-Intimität Jesu handelt jeder Mensch, der in der göttlich transpersonalen Macht Liebe und Gerechtigkeit aufrichtet, auf seine Weise göttlich. Jede heilvoll wirkende Beziehung zwischen Menschen ereignet in konkreativer Weise Gott. (5) Neuinszenierung des Bildes Jesu Christi (Mk 5,24–32): Anhand der Begegnungsgeschichte und Heilungsgeschichte von der blutflüssigen Frau stellt Heyward die Person Jesu in ein neues Licht, entwirft sie das Bild eines beziehungsreichen und heilsamen Jesus, der sich von den Frauen nicht abgrenzt. In den Leitbegriffen von Vollmacht (gr. exousia) und Wirkkraft (gr. dynamis) kommt eine Macht zum Ausdruck, die sich den traditionellen Autoritäten und der offiziellen Kontrolle entzieht (Mk 11,28). Den Abschluss des Gespräches, in dem Jesus sich nicht festlegt, in welcher Macht er dies ausübt (Mt 11,33), interpretiert Heyward durch den Konflikt zwischen formaler, institutioneller Macht und der lebensdynamischen Macht in Beziehungen. Jesu innere Gemeinschaft mit Gott und die Gemeinsamkeit unter Menschen mache die Überwindung von Einsamkeit möglich. Wie die Liebe ein emotiver Reflexionsbegriff ist, so dürfe auch die Intimität nicht als Gefühlsduselei verstanden werden. Vielmehr ereignet sie sich in Vertrauen, Kooperation und Kreativität. Die Geschichte der blutflüssigen Frau ist mithin ein Paradigma für das Angewiesensein der Menschen auf heilsame Intimität. Diese schließt die geistigen und geistlichen Dimensionen mit ein und die leiblichen und erotischen Wirklichkeiten nicht aus, in der Wechselseitigkeit von Berühren und Berührtwerden. Jesus wird primär nicht als Wundertäter vorgestellt, sondern die von Jesus ausgehende Macht-in-Beziehung macht Vertrauen möglich und bewirkt Genesung. Jesus ist daher nicht individualisierend und idolisierend als einziger Träger dieser Vollmacht zu verstehen. Vielmehr ist dieses kreative Potenzial in allen gerechten und intimen Beziehungen von Menschen gegeben, wo Menschen sich vertrauensvoll, freigebend und verlässlich dieser Macht-in-Beziehung anheim geben. Insofern ist Jesus Stellvertreter, In-Bild und Vorbild der christic power (Heyward II).

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Eine feministische Christologie habe darum ein genuin weibliches »Image« dieser göttlichen Macht vorzustellen. Dieses tritt mit der Gestalt der (Jesa) Christa in Erscheinung. In einer geisttheologischen Wendung und Universalisierung der Christologie wird es Heyward möglich, die männlichen oder geschlechtslosen Metaphern durch weibliche Metaphern der göttlichen Macht zu ergänzen oder zu transformieren. Insofern ist Christa Sakrament der Leben und Beziehung ermöglichenden Mächte und Bedingungen. Das Sakrament, der realsymbolische Mitvollzug, ist daher Feier des Selbst in Beziehung, Feier des Lebens, Feier der Erlösung. (6) Problemüberhänge dieses Ansatzes können in folgenden Punkten zusammengefasst werden: Die christlich bezeugte Machtin-Beziehung wird nach Heyward nur durch das menschliche Engagement für menschliches Wohlergehen wirklich. So ist die göttliche Macht-in-Beziehung in der Nachfolgegemeinschaft Jesu Gegenwart, wenn Christus/Christa »in uns und wir in Christa« sind – »Gebärende und Geborene, Mutter und Kind, ungeschieden und vermengt« (Kalsky, 180). Hier wird gegen eine chalkedonische Hermeneutik für die Vermengung der Wirklichkeitsdimensionen argumentiert und das reformatorische Anliegen, radikal gnadentheologisch das »extra nos des Heiles« zu unterstreichen, konterkariert. Die Ablehnung eines Vorranges Gottes im Handeln der Menschen durch das Vermengen beider Wirklichkeitsdimensionen stellt, positiv betrachtet, Heywards Versuch dar, den dualistischen Gegensatz zwischen einer Christologie »von oben« und einer Christologie »von unten« zu überwinden. Ob die Kategorien »ungeschieden und vermengt« tatsächlich relational über Chalkedon hinausführen, darf aus systematischen Gründen bezweifelt werden. Daher verblüfft es nicht, dass innerhalb der feministischen Diskussion bezüglich Heywards Anthropologie bezweifelt wird, ob ihr relationales Denken die Differenz in Beziehung zwischen Menschen und Kulturen angemessen zu denken und zu berücksichtigen vermag. Gerade ihre Option, die unterschiedlichen Dimensionen symbiotisch zu betrachten (Mutter – Fötus), provoziert tendenziell eine nicht nur zusammenwirkende, sondern auch eine unterschiedliche Aspekte vermischende Hermeneutik. Entsprechend besteht auch eine erhebliche Spannung zwischen Heywards leidenschaftlichem Plädoyer für eine körperbezogene Epistemologie und ihrer geschlechtsneutralen Christa-Vision.

2. Christologie von Frauen im afrikanischen Kontext

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Die Kritik Heywards an jeder Einzigartigkeit Jesu, der christlich als ausgezeichneter, unüberbietbarer und insofern einmaliger Christus Gottes bekannt wird, konzentriert alle diese Problematiken. Die Überwindung der festen Bindung an die Person Jesu und damit aller geschichtlichen Partikularität führt schließlich zu einer Aufhebung geschichtlicher Konkretion und leiblicher Verortung. 2. Christologie von Frauen im afrikanischen Kontext a) Hinführung Träume, Frau, träume. Was wir sein werden, darauf kommt es an. Träume, Frau, träume. Frau, träume, Afrikas Traum. Mach’ die andere stark, und du wirst selbst stark sein. Zusammen werden wir alle stark sein.

Mit diesen Versen leitet Mercy Amba Oduyoye (geb. 1936), die international bekannteste Theologin Afrikas und ehemalige stellvertretende Generalsekretärin des Ökumenischen Rates der Kirchen, ihre Erzählung über »Das Leben in den Gärten der Mütter« ein. Ihr Erfahrungsbericht als Frau, Christin und Asantin, der über fünf Generationen zugleich eine kleine Christentumsgeschichte Ghanas nachzeichnet, macht deutlich: Afrikanische Frauen träumen den Traum von Befreiung aus Not, Elend und Unterdrückung. Sie träumen vom Ende der sexuellen und kriegerischen Gewalt, von gleichen Rechten, von Frauensolidarität und Geschwisterlichkeit. Sie wollen anerkannt sein und aufrechten Ganges gehen (vgl. Éla). (1) Die prognostizierbare Zukunft des Christentums liegt in Afrika: In seinem Bericht zur soziologischen Entwicklung des Christentums hat das »International Bulletin of Missionary Research« (2001) eine Langzeitprognose vorgelegt. Danach werden 2025 nahezu zwei Drittel der Christinnen und Christen der »Dritten Welt« angehören. Prozentual am stärksten wächst das Christentum in Afrika. Die Bevölkerung Afrikas wird sich bis 2025 nahezu verdoppeln, ebenso die Zahl der Christen. Mit großer Geschwindigkeit werden die afrikanischen Christen (23%) Europa (20,3%) überholen und dicht an Lateinamerika (24,2%) heranrücken. Hält dieser demographische Trend auch nur annähernd an, so kann für 2050 gesagt werden: Der Wachstumsort der Kirchen schlechthin wird Afrika sein!

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(2) Frauen in Afrika erleben Ausbeutung und Unterdrückung in potenzierter Weise: Louisa Tappa, ordinierte Baptistin aus Kamerun, diagnostiziert eine doppelte Spirale der Benachteiligung von Frauen, in der die geschlechtsspezifischen Rollenbilder sowie die ökonomischen Faktoren der globalisierten Welt zusammen wirken. Die afrikanischen Frauen stehen, ihrer eigenen Wahrnehmung nach, auf der untersten Sprosse der internationalen Leiter der Anerkennung. Sie werden »von ihren afrikanischen Brüdern unterdrückt wie auch von anderen, nichtafrikanischen Frauen und von nichtafrikanischen Männern«. So verkörpert die afrikanische Frau in internationaler Perspektive »die Masse der Armen und Unterdrückten« (Amoah/Strobel, 67). Hinzu kommt die Potenzierung der Problematik durch die afrikanische Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen. So hält Dorothy Ramodibe fest: »Die Traditionen und Kulturen Afrikas präsentieren sich den Frauen als Systeme der Unterdrückung. Sie sind eindeutig von Männern geprägt und funktionieren als patriarchale Systeme.« (Amoah/Strobel, 41) (3) Die Theologie Afrikas ist stark christologisch geprägt: Der hohe Stellenwert der Christologie im Glaubensbewusstsein afrikanischer Christinnen macht die Christologie zum Kristallisationsfeld theologischer Anliegen. Diese unterscheiden sich signifikant von den Christologien afrikanischer Männer und Priester, weil die Frauenchristologien die alltäglichen Erfahrungen der geschlechtsspezifischen Benachteiligung zum Ausgangspunkt ihres Nachdenkens machen. Mit Jesus Christus verbinden sich die zentralen Sorgen und Nöte, aber auch die entscheidenden Hoffnungen und Sehnsüchte der Frauen. Die Christologie steht zusammen mit der Ekklesiopraxis nicht zufällig im Mittelpunkt vieler theologischer Reflexionen auf die Situation und die Zukunft der afrikanischen Frauen. (4) Erblasten der Kolonialgeschichte und Herausforderungen missionarischen Handelns: Die Erblasten und Herausforderungen, die sich mit dem Kontinent Afrika verbinden, können hier nur stichpunktartig erinnert und vergegenwärtigt werden: Ehemals Sklavenhandel, heute wirtschaftliche Ausbeutung: Die Problematik ließe sich an den Beispielen wie Kaffee, Tropenholz, Edelsteinhandel usw. durchspielen. Ich erinnere nur an die blutige Seite des Diamantenhandels und an die Ölförderung, die zu über 90% durch ausländische Konzerne erfolgt und von ihnen kontrolliert wird. Ökologische Katastrophen: Mit dem Stichwort Öl verbindet sich auch die ökologische Problematik. Ich erinnere an den Widerstand der Ogoni in den 1990er Jahren gegen die Leben zerstörenden und Umwelt vernichtenden Fördermethoden der Firma Shell. Diesen be-

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schrieb Ken Saro-Wiwa in seinem Buch »Flammen der Hölle« (1995). Er wurde von ihm und anderen mit dem Leben bezahlt. Makaber ist auch der Verkauf von toxischem Müll nach Afrika, der die ökologische Situation Afrikas dramatisch verschärft, zusätzlich zu den eklatanten Verschmutzungen und katastrophalen sanitären Bedingungen im Umfeld der großen und schnell wachsenden Städte (Éla, 10–34). Zerstörung von afrikanischer Würde und kultureller Identität: Schlimmer noch als diese materielle und leibliche Seite sind die psychischen und kulturellen Langzeitwirkungen des Kolonialismus, insbesondere die Folgen für die kollektive Psyche. War es in den französischsprachigen Gebieten unter Strafe verboten, in Schulen und öffentlichen Verwaltungen die einheimischen Sprachen und Dialekte zu verwenden, so hat Malcolm X (1925–1965), führender Protagonist des Black-Movement in den USA, diese Deformation von Identität und Würde in dem berühmten Satz zusammengefasst: »Das größte Verbrechen, das der weiße Mann begangen hat, war, dass er uns lehrte, uns selbst zu hassen« (Cone, 65). Für die römisch-katholische Kirche liegt die Herausforderung insbesondere darin, ortskirchliche und kontextuelle Theologien in den Sprachen und Kulturen der afrikanischen Völker nicht nur zuzulassen, sondern auch aktiv zu befördern und weiterzuentwickeln. Für die Vorbereitung der Afrika-Synode 1994 wurden leider keine in Afrika lebenden Theologen und Bischöfe hinzugezogen. Das theologische Bild der Frau als teuflischer Verführerin: Zu den Erblasten der Mission gehört auch ein dämonisiertes Frauenbild. Nach Thérèse Souga, Ordensfrau aus Kamerun, arbeitete die traditionelle Missionstheologie mit einem Frauenbild, das die afrikanische Frau unter dem Einfluss des streng moralistischen und sexualfeindlichen Jansenismus und einer abwertenden Pseudoethnologie sexualisierte. Im Kontrast zur Jungfrau Maria wurde die Frau (Eva) nicht nur erbsündentheologisch belastet, sondern als »schwarze« Frau zur »Verführerin« gemacht und in die Nähe des Satans gerückt. Noch heute wird sie als »Schwanz des Teufels« bezeichnet. Doch dürfte dieser Mix von ethnologischer Abwertung und sexueller Dämonisierung auch außerhalb des religiösen Milieus die Mentalitäten afrikanischer und westlicher Männer bestimmen, die in dunkelhäutigen Frauen die mystische und vitale »schwarze Madonna« ihrer Begierde sehen (Amoah/Strobel, 56). Die Frau als Nicht-Person: Thérèse Souga veranschaulicht diese Situation anhand von Sprichwörtern und Redewendungen des Alltags: Kommt der Mann oder ein Besuch nach Hause und stellt die

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IX. Christologie aus der Perspektive von Frauen

Frage: »Ist jemand zu Hause«, so antwortet die im Haus befindliche Frau: »Es ist niemand (also keine Person) da.« In vielen afrikanischen Kulturen wird die Frau nicht als Person angesehen. Sie war über Jahrhunderte hinweg quasi Eigentum des Mannes und sie wurde in der Regel nicht nach eigenem Willen verheiratet (Amoah/Strobel, 51–61). Aids: Afrika gilt als Herkunftskontinent von Aids. Der Erreger, das HI-Virus, hat sich vermutlich aus einem bei Schimpansen vorzufindenden Virus weiterentwickelt. Entsprechend ist Aids weltweit in den Regionen südlich der Sahara am weitesten verbreitet. 5 bis 25 % der Bevölkerung sind mit HIV infiziert. Die Zahl der Aids-Erkrankungen liegt im südlichen Afrika seit der Jahrtausendwende jenseits der 25 Millionengrenze. Afrikanische Theologinnen und Theologen weisen darauf hin, dass Afrika auch heute noch wirtschaftlich, ökologisch, kulturell und menschlich ausgebeutet wird und sich das Drama von Hunger, Elend, Krieg, Aids, Epidemien, von Analphabetentum und Umweltverschmutzung sowie das Ausgeschlossensein von den Arbeits-, Konsum- und Bildungsmärkten täglich wiederholt. Weil die Frau in vielen Gemeinschaften und Kulturen Afrikas als Eigentum des Mannes bzw. des Clan-Chefs (»Onkels«) betrachtet wird und nicht die gleichen Rechte wie der Mann inne hat, sind die Frauen von diesen internen und externen Rahmenbedingungen am stärksten betroffen. b) Afrikanische Frauen-Christologie (1) Methodologische Hinweise: Afrikanische Theologinnen zielen auf die persönliche Ermutigung und geistliche Bestärkung von Frauen. Dieses »Empowerment« erreichen sie in der Regel durch einen methodologischen Vierschritt: Praktisch alle Frauentheologien setzen bei den konkreten Alltagerfahrungen von Frauen in ihrem häuslichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Umfeld ein. Sie versuchen dann, die Aspekte und Strukturen zu benennen, aufgrund derer Frauen benachteiligt, marginalisiert oder unterdrückt sind. In einem zweiten Schritt werden diese Umstände und Mechanismen kritisiert und theologisch dekonstruiert, wobei immer wieder auf biblisch-theologische Gegenentwürfe, insbesondere auf die alternative Lebens- und Glaubensexistenz Jesu Bezug genommen wird. Drittens werden theologische Optionen für eine Re-Konstruktion, für eine frauengemäße Glaubensgestalt und

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Lebensperspektive entwickelt. Dabei wird viertens immer wieder auch der Versuch unternommen, die einheimischen Erzählungen, Traditionen und Riten aufzunehmen, zu transformieren und konstruktiv zu integrieren. Typisch für die afrikanischen Theologinnen ist es, dass sie ihre ReVision traditioneller Christologie im Rahmen einer »ökumenischen Spiritualität« vollziehen, die primär nicht ausgrenzen will, sondern die Solidarität, zunächst der Frauen untereinander, in den Blick nimmt. Signifikant unterscheiden sich die christologischen Konzepte der Frauen von den Ansätzen der Männer. In den Christologien afrikanischer Männer dominiert mit großem Abstand das Konzept des »Ur-Ahn«, das der Bedeutung des Ahnenkultes in Afrika entspricht. Der Ahn ist der vorbildliche und anständige Mensch, der sich für das Leben und die Gemeinschaft des Volkes eingesetzt hat. Er ist derjenige, der im Tod die andere Dimension des Lebens betreten hat, näher mit dem Ursprung des Lebens verbunden ist und als der ins jenseitige Leben gerettete Tote die Menschen beschützt und begleitet. Dieses Ahnendenken wurde von Charles Nyamiti (1984) unter der Leitfigur des »Bruder-Ahn« christologisch ausgearbeitet. Allerdings gehören Ahnenmaske und Patriarchat, zumindest in Westafrika, zusammen. Es sind die Männer, welche die Masken tragen dürfen, um die Geister der Ahnen zu beschwören, um selbst in göttlicher Vollmacht, sozusagen als kleine Mittler-Gottheiten, zu handeln. Es sind die Söhne, in denen der Familienclan weiter existiert. Traditionellerweise spielen die Frauen in den afrikanischen Männerchristologien keine oder kaum eine Rolle (Ozankom I; Ozankom II). Die verschiedenen Aneignungsversuche werden entsprechend ihrer christologischen Kernthemen sondiert. Meist finden sich bei einer Autorin mehrere dieser Motive, sodass Schwerpunktbildungen erkennbar sind, ohne dass die verschiedenen Entwürfe trennscharf gegeneinander abzugrenzen wären. (2) Jesus Christus als der solidarisch mitleidende und auferweckte Anführer zum Leben: Im Unterschied zu vielen feministischen Ansätzen des europäischen und amerikanischen Nordens können sich die benachteiligten und vielfach in Prozesse der Deklassierung, Demütigung und Desintegration involvierten Frauen, die unter sexuellen, kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Faktoren der Benachteiligung leiden, positiv mit dem Bild vom leidenden Christus identifizieren. Elizabeth Amoah und Mercy Amba Oduyoye schreiben daher: »In Afrika, wo physisches Leiden zum Leben zu gehören scheint, wo Hunger und Durst Bestandteil der alltäglichen

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Erfahrung von Millionen von Menschen sind, geht vom leidenden Christus eine starke Anziehungskraft aus« (Amoah/Strobel, 76). Jesus Christus wird als der solidarische Retter in der Nähe der Armen, Frauen und Unterdrückten begriffen. Er fühlt mit und lässt die Frauen nicht mit ihrem Schicksal allein, das sein eigenes Schicksal geworden ist. Rosemary Edet und Bette Ekeya aus Kenia ebenso wie Thérèse Souga und Louisa Tappa aus Kamerun folgern deshalb, dass die Hingabe Jesu und die Hingabe von Frauen nur dann nicht in einem schiefen Licht einer die Frauen unterdrückenden Spiritualität verbleiben, wenn sie als ein Akt der Solidarität und als Dienst am Leben der Gemeinschaft begriffen werden. Solche Hingabe muss aus einem positiven Akt der Selbstbejahung heraus erfolgen und darf nicht jenes patriarchal romantische Bild und jene falsche Opfermentalität bestärken, wonach es schon immer das eigentliche Wesen der Frau gewesen sei, sich für die Familie aufzuopfern und dem Mann dienstbar zu sein, ohne je ihr eigenes Selbst entdeckt zu haben (Amoah/ Strobel, 21, 66). Die Ordensschwester Thérèse Souga versteht ihre ganze Existenz als einen Eintritt in das »Pascha-Mysterium«. Mitten in den Todesstrukturen des Lebens soll der Auferstandene kraft des Geistes bereits »hier und jetzt« dazu befreien, ein auferstandenes Leben vor dem Tod zu leben. Nach Souga will Christus auch in das Leben der Gemeinden hinein auferstehen, damit Frauen und Männer sich selbst und den anderen bejahen können und sich so effektiv am Aufbau Afrikas beteiligen. Schon jetzt reicht Christus, wie einst der Frau am Jakobsbrunnen, das lebendige Wasser des Lebens. Der in Christus verheißene Aufstand zum Leben erfordert die Umkehr im Denken von afrikanischen Frauen und Männern. Dies verdeutlicht Souga am Beispiel eines Abgeordneten, der sich für seine Fortschrittlichkeit feiern lässt, aber seine Tochter, die eine Bildungskarriere anstrebt, anweist: »Vergiß nicht, dass Du eine Frau bist. Die erste Arbeit einer Frau ist die Hausarbeit«. Zu seiner Frau gewendet fährt er fort: »Glaubst Du etwa, dass sie ihren Mann mit ihrem Abitur im Haus hält? Das erreicht sie mit gutem Essen, jawohl, und mit etwas anderem auch« (Amoah/Strobel, 51f.). Die österlich-pfingstliche Sicht des Kreuzes als Symbol für das auferweckte Leben prägt die Volkstheologie der Afua in Ghana. Ihnen ist das Kreuz nicht Folterinstrument oder Schandpfahl, sondern ein Knotenpunkt im rettenden und segnenden Fischernetz Jesu. Das Kreuz wird auch eucharistisch gedeutet. Es ist die »Brücke, von der

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die Christen herunterspringen können in den See des erlösenden Blutes, das uns zum ewigen Leben führt« (Amoah/Strobel, 82). Zusammenfassend kann dieses christologische Modell als ein paschatisch-österliches und pfingstlich-eschatologisches Modell bezeichnet werden. Es folgt dem Drama des am Kreuz entfremdeten und durch Leiden und Tod erretteten Christus, durch dessen Geschichte und Geschick hindurch die Verheißung von Auferstehung mitten im Leben von Frauen aufgerichtet ist. Die afrikanischen Frauen werden in diesem Konzept aufgerufen und ermächtigt, für die Wiederherstellung der Harmonie einzutreten und gleichberechtigt in Familie, Gesellschaft und Kirche zu wirken. (3) Jesus Christus als das wahre Ebenbild Gottes und als androgyner Freund: In einer zweiten Linie wird Jesu spezifisches Verhalten gegenüber Frauen herausgehoben. Jesus kommt dabei als der persönliche Freund, als der geistliche Begleiter und der rettende Heiler in den Blick. Wird die Frau in vielen Gesellschaften Afrikas als Eigentum des Ehemannes oder des Onkels angesehen, die ihre Erfüllung in der Haushaltsführung, im Gebären und Erziehen von Kindern (respektive Jungen) findet und für die sexuelle Befriedigung des Mannes zu funktionieren hat, so ist Jesus derjenige, der die Unberührbarkeit der durch Monatsblutung gezeichneten Frau (Bluttabu) durchbricht, der Martha und Maria als Gefährte und Lehrer geistlich begleitet, der das Ausgestoßensein von Frauen und Sündern aufhebt. Jesus wird dabei vielfach quasi-androgyn, als der »integrierte Mann« (Franz Alt) verstanden. Diese Denkweise kann einigen Konzepten der schwarzafrikanischen Anthropologie entgegenkommen. So formuliert eine kenianische Frau, die um ihr Christuszeugnis gebeten wurde: Jesus ist das Herz meines Lebens; er ist mein Helfer, mein Tröster, meine Zuflucht und mein engster Freund. Er ist freundlich und großherzig und teilt meinen Kummer, wenn ich in Schwierigkeiten bin. Er lehrt mich, tolerant zu sein und verständnisvoll gegenüber der Schwäche von anderen (Strahm, 247).

Afua Kuma, eine bedeutende Theo-Poetin aus einer der vielen indigenen Pfingstkirchen, formuliert Christus-Lobpreisungen im Stil der Hofpoesie der Kuwa im Urwald von Ghana. Jesus gleicht darin Lehrer Innen, die die Gemeinschaft zum Guten anhalten. Er redet für die Frauen mit Anwälten und hilft den Polizisten bei der Arbeit. Er sorgt für Kleidung, Nahrung, Unterkunft und ist der Wohlwollende für Tausende. So heißt es in einer Strophe: »Jesus, du hast die Armen zu Dir

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IX. Christologie aus der Perspektive von Frauen

kommen lassen und hast uns zu achtbaren, angesehen Menschen werden lassen. Unser außerordentlich weiser Freund, wir sind auf Dich angewiesen, wie die Zunge auf die Kiefer« (Amoah/Strobel, 80). Jesus kann auch als die fürsorgliche und Leben spendende Frau und Mutter vorgestellt werden, der in seinem Verhältnis zu Frauen die Fülle des »Frauseins« offenbar macht. Um diesen Christustitel zu verstehen, muss man wissen, dass die gute Mutterschaft die höchste soziale Anerkennung von Frauen beinhaltet. Neben der Mutterschaft gehört die Gott-Ebenbildlichkeit Jesu zu den zentralen schöpfungstheologischen und soteriologischen Figuren afrikanischer Theologinnen. Im Lichte afrikanischer Frauenerfahrungen betonen auch die afrikanischen Frauenkonferenzen die gemeinsame Gott-Ebenbildlichkeit sowie die grundlegende Gleichheit von Frauen und Männern, welche mit Gen 1 schöpfungstheologisch und mit Gal 3 soteriologisch begründet werden. Mit der Ebenbildlichkeit des Menschen ist der mitschöpferische Auftrag einer gottgemäßen Gestaltung der Welt und Wirklichkeit begründet. In diesem Sinne formuliert eine interviewte Frau: Jesus Christus ist meine Hoffnung, und er gibt mir Mut, zu sein. Er macht alles bedeutungsvoll, wenn ich in meinem täglichen Leben versuche, meine Existenz einzigartig und schöpferisch zu machen. In meinen täglichen Aktivitäten versuche ich, mit all jenen Menschen in Verbindung zu kommen, die meine Mit-PilgerInnen sind auf der Suche nach Gott – nach Gott, der der Horizont, des letzten Sinns ist und der uns unsere wahre Identität gibt. In Gott treffen wir Jesus, der uns unsere wahre Identität enthüllt und uns ermächtigt, am weitergehenden Prozess der Schöpfung mitzuwirken (Amoah/Strobel, 84).

Christus wird hier zum Inspirator und Versöhner, der die Frau zu ihrem wahren Selbst führt. (4) Jesus Christus als Bote des Reiches Gottes und prophetischer Befreier: Einige Theologinnen wie Mercy Amba Oduyoye und Anne Nasimiyu-Wasike verstehen sich dezidiert feministisch und setzen ihre Christologie bewusst befreiungstheologisch an. Ausgangspunkt ihres Denkens ist u.a. die Erfahrung von Kleinhändlerinnen, die oft das ganze Familiengeld erwirtschaften müssen und bei ihrer harten Arbeit auch von Männern belästigt und von Polizisten schikaniert werden. Oder sie sprechen von Frauen, die aus kulturellen oder ökonomischen Gründen in eine polygame Ehe gezwungen werden; Frauen auf dem Land, die arm sind und Hunger leiden, deren Beitrag als Bäuerinnen oder Landarbeiterinnen zur Volkswirtschaft überhaupt nicht gewürdigt wird. Nach Bette Ekeya sind die alleinstehen-

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den Frauen und die alleinerziehenden Mütter mit Abstand am härtesten von der sozialen Deklassierung betroffen, weil sie nicht in die familiale Rolle der Mutterschaft passen und als Freiwild für Männer angesehen werden. Vielfach werden diese auch von den Priestern abgewiesen und finden auch in den Kirchengemeinden keine Unterstützung, weil sie dem kirchlichen Rollenbild nicht entsprechen. In diesen Kontext der Ausgrenzung, Deklassierung, Verarmung und Unterdrückung hinein formuliert Anne Nasimiyu-Wasike über die Afrikanerin: »In ihren Maßnahmen gegen unterdrückende Strukturen wird ihr Kampf zu Gottes Kampf. Es ist dann Christus, der in ihr seufzt und in ihr arbeitet, um die Geburt einer neuen, besseren menschlichen Beziehung zu ermöglichen« (Strahm, 255). So kann Jesus auch als Partisan für eine gerechtere Gesellschaft, als Befreier von Sexismus und als Kämpfer gegen ungerechte soziale Strukturen identifiziert werden, der die Frauen auf ihrem Weg der Selbstfindung und Emanzipation unterstützt. Während Nasimiyu-Wasike dezidiert auf die Bedeutung Jesu Christi reflektiert, ist Oduyoyes Ansatz in allgemeiner Weise erlösungsbezogen dimensioniert. In Nähe zur prophetischen Christologie Rosemarie Radford Ruethers wird das Reich Gottes voll Befreiung, Gerechtigkeit und Frieden ins Zentrum auch der Christologie gerückt. Entsprechend findet Oduyoye viele Anknüpfungspunkte in der Exodus- und Bundestradition und in den Psalmen, von denen her sie sowohl die biblischen Schöpfungserzählungen als auch die afrikanischen Volkserzählungen befreiungstheologisch ausrichtet. Theologisch arbeitet sie an einer Relecture und Ummythisierung ihrer Asante-Kultur, die starke mutterbezogene Elemente hat, obwohl von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Mann und Frau im öffentlichen und religiösen Leben nicht gesprochen werden kann. Am Beispiel des Königs- oder Häuptlingspaares versucht sie, die Rolle der Königin zu profilieren und die matrilinearen Aspekte zu stärken. Sie fordert daher eine Neuerzählung, in der die Frauen in gleicher Weise Führerinnen des Volkes und Mittlerinnen zwischen Gott, den Ahnen und den Menschen sein können. Dazu greift sie bewusst auf die Figur der Anowa zurück und transformiert diese christologisch und frauenzentriert. Anowa ist eine mythische Frau, Prophetin und Priesterin. Sie wird als Ahnin Afrikas bezeichnet und kann von daher die Ahnen-Christologie feminin modifizieren. Nach diesem Konzept ist Jesus der »Hauptgeschäftsführer« Gottes oder der vermittelnde Ur-Ahn, dessen Geist in den vielen Menschen gegenwärtig wird. Jesus sendet Frauen, die »Geschäftsführerinnen« in

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IX. Christologie aus der Perspektive von Frauen

Gottes Familienhaushalt sind. Durch diese Frauen kann der Geist der Großmütter und Urgroßmütter mit den EnkelInnen und UrenkelInnen verbunden sein. Von daher fragt Oduyoye nach den Perspektiven einer ganzheitlichen Geistchristologie. (Amoah/Strobel, 74f.) 5) Jesus Christus als der große Heiler und Vollender ganzheitlicher Harmonie: Heil wird im schwarzafrikanischen Kontext als ein ganzheitliches, umfassendes, als ein den Alltag, die Gesellschaft, die Natur und den Kosmos umfassendes Geschehen begriffen. So entschuldigen sich z.B. die Ur-Einwohner Zentralafrikas bei dem Baum, den sie fällen müssen, um ihr Leben zu sichern. Darin kommt sowohl eine tiefe Achtung vor den Mitgeschöpfen zum Ausdruck als auch eine hohe Sensibilität für die gegenseitige geschöpfliche Verbundenheit. Zu fragen bleibt allerdings, ob Achtung und Sensibilität auch für das Geschlechterverhältnis relevant sind. Erlösung und Befreiung werden hier als »inklusive«, die anderen Wirklichkeitsdimensionen miteinbeziehende Geschehnisse bezeugt. In der Tradition der Akan in Nigeria und anderer Völker betrifft das »Heil« integral Körper, Seele und Geist des einzelnen Menschen und das Gesamt seiner physischen, sozialen, geistlichen, natürlichen und übernatürlichen Bezugsdimensionen. Daher bilden Krankheitsvorbeugung, -behandlung und -nachsorge ebenso einen Zusammenhang wie Individuum und Gemeinschaft. Hierin bekundet sich ein ganzheitliches Denken, dass heute auf der Nordhalbkugel in systemischen Therapiekonzepten und in der alternativen Medizin wieder auflebt. Das spirituelle Verständnis der Natur in der Volksreligion ist in der Regel mit der Vorstellung von einer Vielzahl von Geistern und Göttern verknüpft, die aber von der Gottheit schlechthin zu unterscheiden sind. So sind die Geister eher mit einem Staat von Engeln und Heiligen zu vergleichen, die als positive, gute und heilige oder als negative, böse und unheilige Vermittlungsfiguren zwischen Himmel und Erde zum Einsatz kommen. Sie greifen steuernd in die Alltagswelt der Menschen ein. So gehört die Auseinandersetzung mit den spirituellen Kräften und besonders mit den negativ besetzten selbstverständlich zur Christologie afrikanischer Frauen hinzu. Eine Kenianerin, die nach ihrer Christuserfahrung gefragt wurde, bekundet: Jesus ist mein Erlöser. Ich lebe in einem Gebiet, in dem es so viele Hexen und böse Mächte gibt, dass die Menschen ihren Besitz verkaufen und auf der Suche nach sicheren Orten wegziehen. Ich glaube, dass Jesus ein siegreiche Herr ist, der alle bösen und spirituellen Kräfte

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besiegt und sie unter Kontrolle bringt. Ich bin voll Vertrauen, dass Jesus mich beschützt und über mich wacht, so dass nichts Böses in die Nähe von mir und meiner Familie kommen kann. Ich bleibe hier wohnen, weil die Macht Jesu über uns ist (Strahm, 247).

Eine Christologie des Heilens kann hier an die vielen Heilungsgeschichten anknüpfen, die Jesus als intuitiven Seelsorger, als psychosomatisch begabten Therapeuten, als Sozialschlichter, als Herr über Dämonen und die Mächte des Bösen vorstellen. Wesentlich trägt die Frau die Sorge für das religiöse Leben des Hauses. Über diese Familienrituale, bei denen Frau und Kind im Zentrum stehen, können Frauen als Priesterinnen tätig sein. Sie sind z.T. ebenso wie die männlichen Priester zuständig für den Dienst am Heil in der Form des Heilens, des Verjagens böser Geister, der Förderung der Fruchtbarkeit, der Sicherung des Glückes und Erfolges in den Schicksalen des Lebens usw. Frauen sind Vorsängerinnen, treten in Chören auf oder haben, wie Oduyoye am Beispiel der Matriarchin Eku der Fante in Ghana zeigt, geistliche Führerschaft und soziale Leitungsfunktion inne. Dennoch werden diese priesterlichen und leitenden Rollen in den afrikanischen Kulturen mit großer Mehrheit von Männern wahrgenommen. Die indigenen Pfingstkirchen greifen die Motive des Exorzismus, der Geistheilung und Bekehrungsheilung entschieden auf. Einige von ihnen verschaffen den Frauen eine dem Mann ebenbürtige Rolle. Eine in der Heilungstätigkeit zentrierte Christologie und Erlösungslehre findet in vielen Kulturen Afrikas hohe Resonanz. Daher stellen die indigenen Pfingstkirchen mit ihrer kulturell synthetischen Glaubensprägung, ihrer lebendigen spirituellen Dynamik und ihrer alltagspraktischen Gebets- und Predigtform und ihrer Neubestimmung der Rolle der Frau eine wirkliche Herausforderung für die katholische Kirche dar. Frauen können Heilerinnen und Priesterinnen sein. Am Ende möchte ich die fünf wichtigsten Herausforderungen einer Christologie von Frauen im afrikanischen Kontext festhalten, wie sie sich für eine weiterhin westlich-männliche Theologie ergeben: Die Würde der Frau, Ebenbild Gottes und Schwester Jesu Christi zu sein, die nach einer gleichberechtigten Lebensgestalt und Rolle in Gesellschaft und Kirche fragt. Die positive Wertschätzung und transformative Aktualisierung der afrikanischen Volkserzählungen und Volkstheologien, sofern diese positive Anknüpfungspunkte für ein selbstbewusstes und aner-

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kanntes Menschsein und Frausein beinhalten. Diese können christlich neu kodiert werden und regen narrative Sprechversuche auf der Nordhalbkugel an. Ein Ende der patriarchalen Abhängigkeit der Frau, die als Eigentum des Mannes oder des Clan-Onkels begriffen wird, vielfachen sexuellen Nötigungen ausgesetzt ist und sexuell instrumentalisiert wird, vor allem, wenn sie verwitwet, alleinstehend oder alleinerziehend ist. Eine gerechte wirtschaftliche und politische Chancenverteilung für Afrika, damit insbesondere auch für Frauen und Kinder die Spirale von Armut, Deklassierung und Ausschluss von Bildungschancen durchbrochen wird. Nur über Aufklärung und Bildung lässt sich schließlich auch die exponentiell steigende Aids-Problematik und Geburtenrate bremsen. Die Fähigkeit, den Alltag zu erzählen und im Lichte des Evangeliums zu deuten; die Fähigkeit, die eigenen Volkserzählungen in Resonanz mit den großen christologischen Themen zu bringen; und den Mut, im Kontext von Benachteiligung eine eigene, kontextuelle Christologie auszubilden. Zusammenfassung: Bisher führen die Christologien aus der Perspektive von Frauen noch immer ein Rand-Dasein, obwohl ihre Beachtung eine bedeutsame Herausforderung unserer Zeit wäre. Während die Christologien von Frauen aus der nordwestlichen Hemisphäre vor allen Dingen politisch orientiert und methodisch versiert die Aufhebung hierarchischer, patriarchaler und männerzentrierter Denkformen und Systeme fordern, repräsentieren die Christologien von Frauen aus Afrika den marginalisierten Rand im globalen theologischen Spektrum. Denn die afrikanischen Gesellschaften sind in der Regel männerzentriert. So haben Frauen wenig Chancen auf soziale Führungspositionen und theologische Bildung. Darüber hinaus sind sie in besonderer Weise dem Armuts-Gefälle von Nord und Süd ausgeliefert. Umgekehrt regen ihre volkstümlich erzählenden Sprechversuche auch in anderen Kontexten zu einer an Heilungs- und Alltagserfahrung gesättigten, narrativ-praktischen Nachfolge-Christologie an.

2. Christologie von Frauen im afrikanischen Kontext

193 Literatur

Scherzberg, Lucia, Grundkurs feministische Theologie. Mainz 1995. Amoah, Elizabeth / Strobel, Regula (Hgg.), Leidenschaft und Solidarität. Theologinnen der Dritten Welt ergreifen das Wort. Luzern 1992. Kalsky, Manuela, Christaphanien: Die Re-Vision der Christologie aus der Sicht von Frauen in unterschiedlichen Kulturen. Gütersloh 2000. Strahm, Doris, Vom Rand in die Mitte. Christologie aus der Sicht von Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Luzern 1997.

X. Menschliche Identität in der Begegnung mit Jesus Christus 1. Zur Notwendigkeit einer anthropologisch gewendeten Christologie Eine Christologie wird heute unweigerlich anthropologisch ansetzen müssen. Denn die Theologie verliert ihre Anschlussfähigkeit und ihre Ansprechbarkeit, wenn es ihr nicht gelingt, sich in den konkreten Lebensverhältnissen der Menschen, in ihren Fragen und Sehnsüchten, Abgründen und Hoffnungen, ihren Leiden und Leidenschaften, usw. zu beheimaten. Dies ist nicht nur eine Frage der religionspädagogischen Erschließung. Ursprünglicher und grundsätzlicher noch ist dies eine Konsequenz des inkarnatorischen Denkens. Wenn Gott wahrhaft Mensch werden und in aller Menschengeschichte zur Erscheinung kommen will (GS 22), dann darf und muss Gott zugetraut werden, dass ihm nichts wahrhaft Menschliches fremd ist, dass er in allen Menschen, die seine Ebenbilder sein sollen, Antlitz gewinnen kann. Dann ist jeder Mensch – der Möglichkeit nach – Ikone Gottes, dann geschieht Offenbarung noch heute in den Worten und Taten der Menschen, auch wenn christlich die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus ihre Fülle und ihr Maß gefunden hat. Wenn dies der Fall ist, dann ist es unumgänglich, nach den strukturellen (formalen) und inhaltlichen (materialen) Entsprechungen zwischen dem Daseinsvollzug Jesu und dem Daseinsvollzug jedes Menschen zu fragen (Nitsche I, 444–453). Für jeden Menschen zu jeder Zeit gilt, dass er von Gott gerufen und in Gottes Geist geborgen ist. Von Gott aus gesehen kann es keinen schlechthin gottlosen Menschen geben. Deshalb wird die anthropologisch gewendete Theologie missverstanden, wenn sie als flache Anpassung an die gegenwärtige Lebenswirklichkeit von Menschen begriffen wird. Solche Anthropologie ist nach Karl Rahner zutiefst theologische Anthropologie, die ihr Paradigma durch den Bestimmungszusammenhang von Leben, Verkündigung, Tod und Auferstehung Jesu findet. Daher ist die Anthropologie in ihrer konsequentesten Realisierung Christologie und die Christologie das prägende Wasserzeichen der theologischen Anthropologie (Hilberath III). Eine solche Theologie, welche die inkarnatorische Zusage Gottes und die Menschen in ihrer Identitätssuche gleichermaßen im Blick hat, kann durch drei Aspekte näher charakterisiert werden:

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X. Menschliche Identität in der Begegnung mit Jesus Christus

(1) Der Glaube an Jesus, den Christus, ist angemessen nur ins Gespräch zu bringen, wenn dieser Glaube für die Identität von Menschen, für ihr endliches und brüchiges, ihr bedrohtes und schwaches sowie ihr begabtes und chancenreiches, würdevolles und hoffnungsreiches Leben relevante Identitätsmuster bereithält, die dann noch tragen und bedeutsam sind, wenn menschliche Macht ohnmächtig wird und menschliches Vermögen an seine Grenzen kommt. Wo die Zwänge der Gesellschaft strangulieren und die Mächte des Todes Leben zerstören, kann die Botschaft von Gottes unzerstörbarerer Lebensmacht, die auferweckt und aufrichtet, Rettung sein und Resonanz finden. (2) Die Polarität von Christologie und Anthropologie lässt nach den grundlegenden Spannungsfeldern fragen, innerhalb derer sich die Identitätssuche der Menschen vollzieht. Im Licht dieser Spannungsfelder ist nach den Entsprechungen zwischen dem Leben Jesu und dem Leben der Menschen zu fragen, sind jene Verheißungspotentiale freizulegen, die nur aus göttlichem Zuspruch und nicht aus menschlicher Machbarkeit zu schöpfen sind. Die menschliche Identitätssuche beschreibt somit den Entdeckungszusammenhang, innerhalb dessen die Christologie Begründungsfunktion gewinnt und ihr Lebenszuspruch elementarisiert und kommuniziert werden kann. (3) Diese Begründungsfunktion kann nur gelingen, wenn das Menschsein Jesu nicht grundlegend vom Menschsein aller Menschen abgelöst wird. Darum bedarf es einer strengen, »chalkedonischen« Hermeneutik, welche das wahre Menschsein Jesu Christi nicht im Gottsein auflöst oder aufsaugt, sondern in seiner ursprünglichen Rückbindung an Gottes ewiges Sinn- und Verheißungswort (Joh 1) verständlich macht. Es kommt also darauf an, im Sinne der wahrhaftigen Menschwerdung Gottes, die Gegenwart Gottes als höchste Freisetzung der Potentiale der Menschen zu verstehen und verständlich zu machen (Kap. IV; Kap. V). In dieser Weise ist das Sein Jesu wurzelhaft (radikal) als ein Sein »auf Gott hin« (lat. ad deum) und »von Gott her« (lat. a deo) zu erschließen. Wie bereits gezeigt, hat die christologische Dogmengeschichte gerade dafür Bedeutung, insofern sie Wegzeichen setzt und Regulative formuliert, welche die Bildung christlicher Glaubensidentität und die Erschließung ihrer Relevanz in wandelnden Lebensverhältnissen und wechselnden kulturellen Rahmungen orientieren.

2. Identitätssuche in einer problematisch gewordenen Moderne

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2. Zur Identitätssuche in einer sich problematisch gewordenen Moderne a) Identitätskonstruktion als Aufgabe und Herausforderung Die Frage nach der Identität ist eine uralte Menschheitsfrage. Sie bezieht sich auf das So-Sein im Dasein des Menschen und schließt die Fragen nach dem Woher, dem Wozu und dem Wohin des menschlichen Lebens in sich ein. Ein klassisches Moment der Suche des Menschen nach Identität spiegelt sich im Orakel von Delphi und der von Sokrates überlieferten Aufgabe: »Erkenne dich selbst«. Bereits die Lebensreise des Odysseus mit ihren vielen Aufgaben und Herausforderungen, kann als Weg der Selbstfindung in schwieriger Zeit verstanden werden, welche die vorgeprägten Muster und die Angebote des Bleibens und Beharrens hinter sich lässt, um im Spiegel der beziehungsreichen und charakterbildenden Aufgaben, Widersprüche und Intrigen zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit zu werden. Obgleich die Abgründigkeit und Spannbreite heutiger Aufgaben der Identitätsbildung nicht immer solche Lebensherausforderungen durchmisst, wie sie einst Odysseus begegneten, ist der Weg der Identitätsbildung in der späten, reflektierten und sich selbst problematisch gewordenen Moderne doch auf eigene Weise schwierig geworden. Während der antike Held aus vorgegebenen Rahmungen ausbricht, ist der moderne Held damit konfrontiert, dass die Rahmungen weithin zusammengebrochen sind und alles selbst erfunden werden muss. Die Suche nach ausstrahlender Identität und gelingender Lebensgestaltung, nach integrativer Lebensdeutung und sozialer Anerkennung hat in den wertepluralen und nachtraditionalen Gesellschaften die formenden und Sicherheit gewährenden Geländer sowie die geprägten Rollenmuster und gesellschaftlich übereinstimmenden Werteoptionen vergangener Jahrzehnte hinter sich gelassen. Dem gesellschaftlichen Trend zu funktional fortschreitender Differenzierung entspricht eine progressive Privatisierung und Individualisierung von ehemals gesellschaftlichen Aufgaben (Nitsche II, 32–35). Die »Kinder der Freiheit« sind daher sowohl mit einer verstreuten »neuen Unübersichtlichkeit« (Jürgen Habermas) konfrontiert, als auch mit einem erhöhten »Risiko«, das sich durch eine weit reichende Individualisierung und Privatisierung der Lebensbereiche potenziert (Ulrich Beck/ Elisabeth Beck-Gernsheim). Wo geprägte

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X. Menschliche Identität in der Begegnung mit Jesus Christus

Rollenmuster zerfallen und rasch wechselnde Trends die öffentliche Szenerie beherrschen, wo die Spielregeln des sozialen Lebens individuell jeweils neu erfunden werden müssen und überkommene Regelbildungen und Werte nicht mehr tragen, wo Biografien nicht mehr durch sozialen Stand und elterlichen Willen vorgebahnt sind, sondern individuell erfunden und sozial errungen werden müssen, wird die Ausbildung einer Persönlichkeit, welche die verschiedenen Aspekte ihres Lebens und die unterschiedlichen Prägungen der eigenen Geschichte in sich vereint, zu einer gleichermaßen risikobeladenen und chancenreichen Aufgabe, zerbrechlich und vorläufig, fragil und fragmentarisch (Keupp). Deshalb hat Luc Ferry darauf hingewiesen, dass dem gegenwärtigen Verlangen nach unverfälschter Authentizität die Aufgabe korrespondiert, in eigenständiger und verantwortlicher Weise eine »Hyper-Individualität« auszubilden. Offen bleibt, inwiefern diese Aufgabe mit einer heroischen Überforderung einhergeht. Deshalb ist noch der konstruktive Umgang mit den eigenen Grenzen und dem sozialen Scheitern ein Prüfstein heutiger Identitätsbildung. Angesichts dieser heterogenen Lage wird das Thema der Identität in immer neuen Perspektiven und Kombinationen bedacht. b) Schlaglichter der Identitätsdebatte Die psychosoziale Kategorie der »Identität« ist seit den 1980er Jahren zu einem Modewort geworden. Grundsätzlich kann für die Identitätsbildungsprozesse von Menschen mit Torsten Waap eine notwendige Balance von Individualität und Sozialität festgehalten sowie die Bedeutung spiritueller Tiefe und religiöser Orientierung herausgestellt werden: Nur im Dialog und in der Begegnung kann mir meine eigene Originalität und Individualität im Vollsinne aufgehen. […] Der Begriff der Subjektivität verweist bei Tayler – wie bei Ricoeur und Henrich – also auf die innere Dynamik, die das Subjekt über sich hinaus in den Raum der Intersubjektivität führt, um einerseits im sozialen Austausch Anerkennung und Identität zu gewinnen, andererseits aber in Übereinstimmung mit und Abgrenzung zu ihr aus der inneren Tiefe heraus zu handeln. Die Identitätstheorie findet somit zu den Vorstellungen des »guten Lebens« und gelungener Identität zurück und bestimmt diese als Balance zwischen Anerkennung und Autonomie, als Selbstverwirklichung nicht ohne, gegen oder auf Kosten des Anderen, sondern mit ihm (Waap, 161).

2. Identitätssuche in einer problematisch gewordenen Moderne

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Ich verzichte im Folgenden darauf, die identitätstheoretischen Elemente der Ansätze von Erik Erikson, George H. Mead, Jean Piaget, Lawrence Kohlberg, James Fowler, Niklas Luhmann und anderen im Detail darzustellen und beschränke mich auf einige Orientierungen, um diese Theoriebildungen gesamtperspektivisch mit Tatjana Schnell zusammenzufassen. Erik Erikson hat in seinem bahnbrechenden Werk Identität und Lebenszyklus das Thema durch eine Verknüpfung freudianischer Psychologie und kulturanthropologischer Einsichten prominent gemacht. Gegenwärtig wird von Heiner Keupp und anderen nicht die Themenpalette der Lebensaufgaben und Integrationsleistungen, die Erik Erikson benennt, bestritten, sondern die fest gefügte Reihenfolge innerhalb seines in fester Reihenfolge geordneten entwicklungsbiologischen oder »epigenetischen« Ansatzes. Weil sich die gesellschaftlichen Rahmungen verändert haben, geschieht Identitätsbildung heute als offener Prozess in variablen Konstellationen. Sie bleibt zerbrechlich, vorläufig und fragmentarisch, eine stete und unabschließbare Aufgabe. Deutlicher als Erikson hat George Herbert Mead, amerikanischer Philosoph und Sozialpsychologe, die soziale Bestimmtheit der Identität zum Ausdruck gebracht. Identitätsbildung geschieht für ihn durch ein Wechselspiel von Rollenzuschreibungen und Rollenübernahmen. Identitätsbildung bedarf daher einer Balance von Selbstgestaltung und Normenakzeptanz. Nötig sind angemessene kognitive, sprachliche, moralisch-ethische und emotionale Handlungskompetenzen sowie die Fähigkeit, über ein bewusst verfügbares Selbstbild reflektieren zu können, das sich aus der Selbstwahrnehmung, einer positiv getönten Selbstbewertung und der Selbstreflexion zusammensetzt (vgl. Hurrelmann; Krappmann). Nach Niklas Luhmann wird Identitätsbildung innerhalb geschlossener und sich selbst organisierender (autopoietischer) Systeme geleistet. »Sinn« wird innerhalb des Systems durch einen qualifizierenden »Code« und eine operativ wirksame »Leitdifferenz« generiert. Damit vollzieht sich Identitätsbildung unter der Prämisse von Einschluss und Ausschluss durch Systemkonformität sowie durch die Fähigkeit zur Anschlusskommunikation mit der Umgebung. Sinn kann in dieser Weise als Verschiebung, als »différance« (Jacques Derrida) oder »unlimited semiosis« (Charles S. Peirce) angesehen werden. Doch ist diese Transzendenz von Sinn aufgrund der Endlichkeit der Systeme mit dem Vertrauen verknüpft, dass es ir-

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gendwo einen festen Halt – über die Grenze des Systems hinaus – gibt. Dieser Überschuss von Transzendenz und Vertrauen ist für Luhmann der systemisch mögliche Ort religiöser Beheimatung. Insofern kann jede Gruppe, der ein Mensch im Laufe seines Lebens angehört, als ein Teilsystem verstanden werden, das Subjektivität formt und umgekehrt durch individuelle Kriterien der Identifikation in einer »persönlichen Rangskala« hierarchisiert wird (Timmermann, 34). Glaubensgemeinschaften stellen starke, identitätsbildende Gruppen dar, weil ihre übergeordnete Form der Sinnenbestimmung alle anderen Lebensbereiche berühren und durchformen kann. Die Sinnsysteme großer Transzendenzen erlauben es, zerbrechliche und fragmentarische Identitätsmuster in übergeordnete Kohärenzen einzubinden. Am dieser Stelle sei nur auf die beiden Zusammenhänge von Schöpfung und Positivität oder von Leidenserfahrung und Kreuzestheologie hingewiesen. Die hohe Bedeutung vertikaler Transzendenz liegt darin, dass diese prägend auch den prozessoffenen und wertorientierten Umgang in Familie, Beruf, Politik und Natur usw. bestimmen kann (Schnell I, II). c) Hierarchisierung der Sinndimensionen nach Tatjana Schnell Im Anschluss an Fowler folge ich hier einer stärker individualpsychologisch als sozialpsychologisch orientierten Betrachtung der Identitätsbildung, welche die individuelle Ansprechbarkeit für den christlichen Glauben und die Person Jesu in der Perspektive sozialer Mobilität und sozialer Identitätsbildung fokussiert. Mit Tatjana Schnell (I, II) und in kritischer Weiterführung ihres Ansatzes hebe ich folgende Dimensionen der Sinnstiftung und Identitätsbildung hervor:

2. Identitätssuche in einer problematisch gewordenen Moderne

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(5) Sinn durch vertikale Selbsttranszendenz (4) Sinn durch horizontale Selbsttranszendenz (3) Sinn durch Selbstverwirklichung (2) Sinn durch Ordnung (1) Sinn durch gelebte Beziehungen (0) basaler Horizont aller Sinndimensionen: Lebensmöglichkeiten und Überlebenschancen Die Bedeutungsgebungen des menschlichen Lebens sind mit Tatjana Schnell folgenden fünf übergeordneten Dimensionen zuordnen: (1) Wir- und Wohlgefühl – Bewahrung und Förderung des Wohlbefindens und Gemeinschaftssinnes: Gemeinschaft (menschliche Nähe und Freundschaft); Spaß (Humor und Vergnügen); Liebe (Sympathie, Romantik, Intimität, Erotik und Sexualität); Wellness (Wohlgefühl und Genuss); Fürsorge (Fürsorglichkeit und Hilfsbereitschaft); Bewusstes Erleben (Achtsamkeit und Rituale); Harmonie (Ausgewogenheit und Gleichklang mit sich selbst und anderen). (2) Ordnung – konservative Haltung, geprägt durch Wertorientierung, Rationalität und Traditionsbewusstsein: Tradition (Festhalten an Ordnung, Bewährtem und Gewohntem), Bodenständigkeit (Pragmatismus und Anwendungsbezug), Moral (Orientierung an klaren Richtlinien und Werten), Vernunft (Abwägung und Rationalität). (3) Selbstverwirklichung – Selbstbestimmung und Arbeit am Selbst; Verwirklichung von Potentialen, Talenten und Interessen: Herausforderung (Suche nach Neuem, Absatz markieren Abwechslung und Risiko); Individualismus (Individualität und Ausleben von Potentialen); Macht (Wettstreit und Kampf um Dominanz); Entwicklung (Blick für Verbesserungen, Zielstrebigkeit und Wachstum); Leistung (Kompetenz und Erfolg); re-

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ale Freiheitsspielräume (Ungebundenheit und Selbstbestimmung); Wissen (Hinterfragen, Informieren und Verstehen dessen, was ist); Kreativität (Phantasie und schöpferische Gestaltung). (4) Horizontale Selbsttranszendenz – engagierte Übernahme von Verantwortung für innerweltliche Belange, die das Eigeninteresse überschreiten: Soziales Engagement (aktives Eintreten für Gemeinwohl oder Menschenrechte und die Bewahrung der natürlichen Umgebung/Ressourcen); Selbsterkenntnis (Suche nach und Auseinandersetzung mit dem Selbst); Gesundheit (Erhalt und Förderung von Fitness und Gesundheit); Generativität (Tun oder Erschaffen von Dingen mit bleibendem Wert). (5) Vertikale Selbsttranszendenz – Ausrichtung an einer jenseitigen Wirklichkeit: Entweder explizite Religiosität (persönliche Gottesbeziehung) oder eher unbestimmte Spiritualität (Orientierung an anderer Wirklichkeit und Schicksalsglaube). Diese 5 Dimensionen bedürfen allerdings der Voraussetzung des Lebens, der vitalen Lebensbedürfnisse und der grundlegenden Überlebensmöglichkeiten. Diese Voraussetzung wird in den westlichen Konzepten zu selbstverständlich vorausgesetzt. Doch die Erfahrungen der ethnischen Vernichtung, der wirtschaftlichen Ausbeutung, der sozialen Deklassierung und der politischen Unterdrückung zeigen, dass das Dasein selbst fragil ist und keineswegs selbstverständlich. Diese Erfahrungen konvergieren mit den Konsequenzen, welche Emmanuel Levinas in seiner Philosophie nach der Schoah entschieden herausstellt: Nur wenn die Menschen einander Bürgen für das Leben sind, ist menschliche Entwicklung und menschliches Leben möglich. Daher geht der Suche nach eigener Identität bereits die ethische Forderung voraus: »Du sollst sein«! »Du sollst leben«! »Es ist gut, dass es dich gibt«! Insofern setzt die Identitätssuche die Gewähr von Lebensmöglichkeiten und Überlebenschancen voraus und erfordert eine eigene Rubrik: (0) Sinn im Horizont von Lebensmöglichkeiten und Überlebenschancen.

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3. Menschliche Identitätssuche und gläubiges Christusbekenntnis Anknüpfend an die bisherige Recherche können entsprechend der Hierarchisierung von Tatjana Schnell Spannungsfelder der Identitätssuche von Menschen heute exponiert und in Beziehung zu Identität stiftenden Begegnungen mit Jesus und mit Bildern der Erlösung ins Gespräch gebracht werden. Dabei scheint der Rekurs auf zwei Ansätze besonders hilfreich, welche die therapeutische Relevanz des Handelns Jesu und des Glaubens besonders hervorheben: So hat Eugen Biser besonders die Freundschaft mit Jesus Christus hervorgehoben, die mit Paulus als ein In-der-Gestalt-Christi-Sein (Biser I, 36) und mit dem Lieblingsjünger des Johannesevangeliums als eine Gestalt der Nähe und vertrauten Intimität beschrieben werden kann. Der Lieblingsjünger »verkörpert die Gesamtheit der Vorbedingungen für das Lesen des Evangeliums: Sensibilität, Vertrauen, Hingabe, aber auch Mut, die von der Situation geforderte Frage zu stellen« (Biser I, 144). In der Tradition Martin Bubers geht es Biser um einen Paradigmenwechsel vom Satz- zum Erfahrungsglauben, vom Gehorsams- zum Verstehensglauben sowie vom Leistungszum Verantwortungsglauben und darin und dadurch um einen Wechsel vom Autoritäts- zum Identitätsglauben (Biser I, 21). Die Korrelation von Anthropologie, Christologie und Theologie im »Antlitz« findet durch die DVD-Produktion »Schauen und Glauben« (Biser II), in welcher Biser seinen Ansatz im Gespräch und anhand von einschlägigen Bildern der Münchner Alten Pinakothek entfaltet, eine hervorragende Einführung. Eugen Drewermann versucht die therapeutische Dimension des Lebens und Handelns Jesu mit der Rolle von Dichtern und Therapeuten zu vergleichen. Während der Dichter ein Leben von Lust und Leid, Liebe und Tod, Sensibilität und Härte, Nähe und Hass, Krieg oder Frieden erzählend verdichtet, blickt der Therapeut mit seinen Klienten vorurteilslos auf die Träume des Lebens, auf die existenziellen Ängste, auf die Sehnsucht. Wenn der Himmel die Erde berührt (Drewermann II) ist Jesus von Nazareth (Drewermann I) derjenige, der die bewusste und gut gewollte Schöpfung des Menschen durch Gott als Anfangs- und Ausgangspunkt des menschlichen Selbstverständnisses hervorhebt, um im Lichte dieser positiven Zusage Gottes an den Menschen Ängste und Sorgen, Durst und Leiden, Verletzungen und Traumata, usw. zu überwinden. In dieser durch Freiheit gekennzeichneten Beziehung des liebenden Gottes können

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Menschen sich selbst annehmen und sich in die Augen schauen. Getragen von der Liebe Gottes ist Jesus derjenige, der nicht verurteilt, sondern zuhört und versteht. Er blickt nicht auf das Misslingen des Schändlichen und Schuldigen, sondern primär auf die Sehnsucht und Not, auf das Schutzbedürftige und Schätzenswerte. Allerdings verfällt Drewermann einer flachen anthropologischen und konfliktentladenen Reduktion, wenn er für Jesus nur das gelten lässt, »was Menschen nötig haben« (Drewerman II, 51). Indem Jesus sich in die Rolle der anderen hinein versetzt, vollzieht er den therapeutisch entscheidenden Rollentausch, welcher in Einfühlung und Akzeptanz eine Offenheit für das eigene Empfinden und eine neue Weltsicht in der Gnade und Güte Gottes ermöglicht. Jesu Antlitz und die Bilder seines gottgemäßen und menschenzugewandten Lebens werden dadurch zu Medien der Verheißung von Gottes rettender und vollendender Gegenwart (Biser I, 311–313). Denn es gibt nur ein einziges Reich Gottes, von dem – nach Gottes Willen – niemand ausgeschlossen sein soll. Gott liebt alle Menschen und will vielleicht die am meisten in sein Reich rufen, die nie haben glauben dürfen, dessen würdig zu sein (Mt 6,5–8; Mk 5,41). Es gibt biblisch vor Gott und bei Gott nur eine dreifache Hypothek des Menschen. Das ist die Herausforderung zu gottgemäßer Barmherzigkeit (hebr. chesed) und gottgemäßer Gerechtigkeit (hebr. zedakah) sowie von gottgemäßer Treue in Wahrheit (hebr. emeth). Letztlich zielt alles auf ein gelingendes Leben unter den Voraussetzungen liebender Annahme, gegenseitiger Vergebung und innerlichen Versöhntseins im Angesicht Gottes – ein entlastetes Leben der von Gott gnädig herabgesetzten Preise, gemessen an der Not und an dem Elend der Menschen, die gejagt vom Erfolg nach Soll und Haben ihre Balance verlieren (vgl. Drewermann II, 153.163). a) Lust am Leben – Wunsch nach Lebenschancen Vor allem anderen ist dem Lebendigen und so auch dem menschlichen Leben ein Drang zum Leben eigen. Deshalb können lebendige Systeme einen inneren Überlebenstrieb haben und als »autopoietische Systeme« (Humberto Maturana) gedacht werden, die auf Selbsterhaltung zielen. Selbsterhaltung und Überlebenswille ist dem Lebendigen innewohnend. Dies kommt in den Entwicklungsschüben des Menschen zum Ausdruck, wenn Menschen sich spüren wollen, ihre Grenzen ausprobieren, nach der Devise no risk, no fun ihr

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eigenes Vermögen austesten und Grenzen erproben, andere Menschen provozieren oder attackieren, um auszuloten, wie das soziale Umfeld reagiert und bis zu welcher Grenze Beziehungen formbar und soziale Rahmungen dehnbar sind. So wird mit Gleitschirmen das Fliegen, mit Rafting der wilde Fluss des Lebens, mit Freeclimbing die Grenze des Artistischen und im Downhill-Racing, Bungeejumping oder Motorsport der Rausch der Geschwindigkeit und der Endorphine erprobt. Extreme brechen auf, wenn das nackte Überleben, wenn Hunger und Durst die Menschen in findige Tiere verwandeln und die dünne Haut der kulturellen Formung zerreißt. Denn frei nach Bertolt Brecht ist gegenüber einer Überschätzung moralischer Formung und bürgerlicher Etikette zu beachten: »Erst kommt das Fressen, dann die Moral«. Deshalb hat auch Sigmund Freud die Befriedigung oder Sublimierung der basalen Triebe der Menschen in den Mittelpunkt der psychoanalytischen Reflexion gestellt. Der Wunsch nach Leben und Überleben, das Bedürfnis, Hunger und Durst zu stillen oder Sexualität zu realisieren prägt das menschliche Dasein grundlegend. Oft sind diese Wünsche so durchschlagend, dass sie alle moralischen Zügelungen hinter sich lassen und außer Kontrolle geraten. Etwa, wenn das beschädigte eigene Selbstwertgefühl durch den versteinerten Hass auf andere Menschen und deren Vernichtung aufgebaut wird (Nitsche VII). Paradigmatisch ist die Situation in dem von deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg eingekesselten Leningrad. Hier wurden Auftragsmorde begangen, damit Menschen sich mit Menschen-Frischfleisch versorgen konnten, um zu überleben. Wenn es um die nackte Existenz geht, können alle Regeln des Menschlichen verletzt werden. Dann wird hart am Wind gesegelt, wächst die Neigung zur Brutalität. In ähnlicher Weise hat Emmanuel Levinas gegenüber Kant deutlich zu machen versucht, dass die Forderung des kategorischen Imperativs bereits die Bürgschaft für den Leib und das Leben des anderen Menschen voraussetzt. Moralität und moralische Verpflichtung kann nur gelebt werden, wenn die Prämissen des nackten Lebens und realer Lebenschancen erfüllt sind. Als Gegengeschichte zu der Lebensfeindlichkeit der Welt und den Todesnächten des arroganten Reichtums der für die Not der anderen Menschen blind geworden ist und den das Schicksal der Armen und Benachteiligten kalt lässt, wird neutestamentlich die Geschichte von Lazarus erzählt. Er kehrt seinen Hunger und seine Wunden nicht aggressiv nach außen. In geistlicher Bearbeitung sind sie ihm Anteil

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und Vorbild des Leidens des unschuldigen Gerechten. In der Deutung der Evangelien sind sie Vorbild des Leidens Christi. Allerdings kann diese Geschichte nur im Lichte Gottes und im größeren Horizont der Gerechtigkeit Gottes erzählt werden, die Lazarus zu einem guten Ende führt. Unter den Bedingungen der diesseitigen Geschichte von Siegern und Verlierern, von Arm und Reich kann die Armut, kann das Leiden, kann das Sterben des Lazarus sowie der unsensible und unsolidarische Reichtum nicht versöhnt werden (Lk 16,20–31). Positiv bedeutet dies zunächst, dass es darauf ankommt, Menschen das Überleben und ein Leben unter würdigen Bedingungen zu sichern. Darüber hinaus brauchen Menschen Lebens-Spielräume, um die eigenen Chancen und Grenzen, die eigenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten zu erproben, zu kultivieren und im Zusammenhang der Gemeinschaft dienstbar zu machen. In diesem Zusammenhang können etwa die Versuchungsgeschichten Jesu als Erprobungen angenommener Grenzen und bewusster Endlichkeit sowie vertrauender Hingabe an Gott, den Vater, ausgelegt werden. Die gesegneten Fische und fünf Brote, die zur Sättigung von tausenden von Männern und ihren Angehörigen ausreichen, das Brotwunder vom See Genezareth, kann so zum Sinnbild eines gemeinsamen Reichtums werden, der wächst, wenn jeder gibt, was er hat. b) Lust an Wohlbefinden – Wunsch nach Zugehörigkeit Nach Ignatius, Clemens und Origenes ist Jesus Christus als ein Arzt für Leib und Seele zu verstehen. Er heilt die klaffende Todeswunde von Minderwertigkeitsgefühlen, Angst und Verzweiflung. Seine therapeutische Lebenshilfe konkretisiert sich als Zusage in allen Daseinswirren und Daseinsängsten. So ist es sein Wort der Zusage, das heilt, und sind es seine Heilungen, die belehren (Biser I, 194 f.). In dieser Weise zielen die Dämonenaustreibungen auf eine Überwindung der Zerstörungen des Daseins, die sich im destruktiven Einfluss von Gewalt, Ideologie oder Wahn Ausdruck verschaffen. Die ohne Vorurteil annehmende und heilende Beziehungsstiftung gehört daher ins Zentrum der therapeutischen Relevanz der Botschaft Jesu. Hier gilt: »wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein« (Joh 7,53–8,11). Damit die Botschaft für die einzelnen Menschen als heilvoll und erlösend rezipiert werden kann, muss sie diesem therapeutischen Tatbestand Rechnung tragen und mit den Augen der mühseligen und beladenen, der unglücklichen und unversöhnten, der

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ausgegrenzten und abgeschriebenen sowie der kranken und dämonisierten Menschen formuliert und gehört werden. Mit dieser Voreinstellung kann sie heilsame Wirkung erzielen. Besondere Bedeutung kommt dem Beziehung stiftenden Erlösungshandeln Jesu zu. Er hat die Marginalisierten und Ausgesonderten seiner Zeit nicht »exkommuniziert«, sondern mit ihnen »kommuniziert«. Er hat ihnen Gemeinschaft (lat. communio) gewährt und sie so in eine neue Beziehung zu sich selbst, zu Gott und zu den Menschen geführt. Diese Gotteskindschaft verwirklicht sich, indem das Reich Gottes innerlich heranwächst und in den Herzen der Menschen Raum gewinnt. In dieser Weise kann der erhöhte Herr kraft des Geistes innerer Lehrer und leitendes In-Bild des Menschen sein. Die in dieser neuen Selbstsicht und Atmosphäre mögliche wechselseitige Relationalisierung als unvermischte und ungetrennte Einheit von Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe bedeutet: Wer auf seine Identitätsfrage die Antwort in Form der ihm zugesprochenen Gottessohnschaft erhält und diese Zusage seinerseits mit der Anrufung ›Abba-Vater‹ beantwortet, ist damit in einer Weise in das Gottesgeheimnis eingeweiht und aufgenommen, die alles überschreitet, was jemals unter Gott verstanden wurde (Biser I, 188).

So ist es die intime Zärtlichkeit und treue Verlässlichkeit der AbbaBeziehung, die befreit und die Mauer der Unnahbarkeit Gottes und der Nächsten durchbricht, den Abgrund von Andersheit und Ferne aufhebt und sich in Anruf und Zuwendung als freigebende Nähe und solidarisches Fürsein Gottes zu Gunsten der Menschen und ihrer Lebensfragen erschließt. c) Lust an freier Selbstverwirklichung – Wunsch nach Begabung und Gestaltung Die Gestalt des Glaubens selbst bringt den Wunsch des Menschen nach eigener Gestaltung und eigener Verwirklichung auf den Punkt. Immer wieder weist Jesus darauf hin, dass es der eigene Glaube, das eigene Vertrauen in Gott und in die von Gott geschenkten Möglichkeiten ist, das rettet. Mit dieser Einweisung in das eigene Vermögen ist Jesus Antlitz der Güte Gottes und verwirklicht er freisetzende Zusage, die ohne Zwang in die Liebe einweist und zur Wahrheit des eigenen Lebens führt. Insofern lebt Jesus eine Liebe, die sich exzessiv steigert und

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der ›vielfarbigen Weisheit‹ (Eph 2,10) vergleichbar, ›verausgabt‹, und die, so sehr sie die unterschiedlichen Formen der Erwiderung ermöglicht, doch niemand dazu nötigt, und die sich doch gerade in dieser grenzenlosen Gelassenheit unbeirrbar treu bleibt (2 Tim 2,13) (Biser I, 177).

Der Wunsch nach Selbstverwirklichung kann exemplarisch anhand der Aspekte von Macht und Karriere aufgezeigt werden. – Lust an Macht – Wünsche zwischen Ermächtigung und Erniedrigung: Nach der gemeinsamen Überzeugung vieler großer Religionen kommt der Mensch ganz zu sich, indem er in liebender SelbstLosigkeit und Anhaftungslosigkeit gegenüber den Begierden der Welt die Schatten des selbstfixierten Egoismus und die Angst, zu kurz zu kommen, überwindet. Denn Angst und Gier setzen die »Schlange der Begierde« (Hans Kessler zu Gen 2–3) frei, die im Abwärts-Dunkel der »Spirale der Gewalt« (René Girard) den Kreislauf der geistigen »Wiedergeburt« unter den negativen Bedingungen von Konkurrenz, Vergeltung und Rachsucht inszeniert. Gegen die inwendigen Hindernisse von ungestillter Sehnsucht, sinnlicher Gier, gesellschaftlichem Geltungsdrang und konkurrierenden Anerkennungswünschen hilft jene »Je-Neue Umkehr in der Kraft des Geistes«, die als Neugeburt und »Wiedergeburt« im Herzen zu denken ist. Diese Wende nach innen, diese Selbstfindung im Innenraum göttlicher Zuwendung, darf als Widerschein des auferstandenen Lebens gedeutet werden (vgl. Biser I, 261). Ihr entspricht die buddhistische Haltung der Anhaftungslosigkeit, die sich weder an die Sinnlichkeit der Immanenz noch an die Glückseligkeit der Transzendenz festklammert, sondern in lassender Anhaftungslosigkeit jene Gelassenheit einübt, die der Einsicht entspricht, wonach der Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara) in einer Differenzeinheit Nirvana ist und umgekehrt. In dieser Anhaftungslosigkeit sind ein Mitgefühl und eine Liebe (Karuna) möglich, die freigeben und freilassen, ohne die Menschen den Verstrickungen des Daseins und den Ängsten der Selbstsorge zu überlassen. – Lust auf Karriere – Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung: Dem »Kampf ums Dasein« (Charles Darwin) entspricht im sozialen Zusammenhang der »Kampf um Anerkennung« (Axel Honneth). Der Kampf um Anerkennung im sozialen Ranking wird vielfach über den sozialen Status, das Einkommen oder über berufliche Wertschätzung organisiert. Allein der Erfolg der vielen Soap Operas im Fernsehen über die Schönen und Reichen, über Ärzte, Unternehmer und Traumreisen bringt die Sehnsucht nach einem erfolgrei-

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chen, anderen Leben, nach den unerfüllten Träumen und der Befreiung von sozialen Lasten und finanziellen Sorgen zum Ausdruck. Umgekehrt gilt: Wenn die gesellschaftlichen Verortungen durch Krisen ins Wanken geraten und zerbrechen, ist es schwierig, ein gesundes Selbstwertgefühl zu bewahren. Wer ohne soziales Netz ist, gerät leicht ins Abseits. So kennen die verschiedenen Formen des sozialen Abstiegs Formen der Nutzlosigkeit und des Nicht-Gebrauchtwerdens, der Vereinsamung und des Beziehungsverlustes, die bereits vor dem Tod »die Hölle« sein können. Jesu beziehungsbestimmtes Heilshandeln kann aufgrund seiner Formen der unverstellten Zuwendung und Ermutigung zugleich als ein Handeln durch Anerkennung bestimmt werden. Noch der reiche Jüngling, der zur vollen Herzensumkehr nicht fähig ist und an seinem Besitz festhält, bleibt unter dem liebenden Blick, obwohl er traurig des Weges geht, weil er spürt, dass er dem radikalen Ruf in die Nachfolge nicht folgen kann (Mk 10,17–27). Und Zachäus, der als Steuereintreiber ein Ausbeuter und Kollaborateur mit den Römern ist, wird nicht gebrandmarkt, sondern mit seinen Potentialen beansprucht: »noch heute muss ich bei dir Gast sein« (Lk 19,5). Obwohl Jesus in der Begegnung mit Martha und Maria die Aufmerksamkeit auf den inwendigen Blick lenkt und überaktive Geschäftigkeit geistlich in die Schranken weist, so haben doch beide Schwestern in ihrer Gastfreundschaft Bedeutung und Wertschätzung (Lk 20,38–42). Dass der Mensch nicht einfach durch Arbeit definiert ist und durch die Existenz des Habens Identität gewinnt, wird in einigen Gleichnissen Jesu zum Thema. Weder der Kornbauer, der sein Getreide rottet und immer größeren Reichtum anhäuft (Lk 12,16– 21), noch die Tagelöhner, die unterschiedlich viele Stunden arbeiten (Mt 20,1–16), werden im Angesicht Gottes aufgrund ihrer ökonomischen Leistung beurteilt. In einer bestimmten Weise ist Jesu Heilshandeln, das vom Gedanken der Gott-Ebenbildlichkeit getragen und beziehungsreich gestaltet wird, geradezu eine Kritik an der durchschlagenden Ökonomisierung des Lebens und an der Kommerzialisierung des geistlichen Lebens durch falsche Verdienst-Mentalitäten. Diese Haltung wird in der prophetischen Zeichenhandlung von den umgestürzten Tischen der Händler im Vorhof des Tempels, welche den Gottes-Dienst als Dienst am Mammon kultivieren, überdeutlich (Mt 21,12–17). Pier Paulo Pasolini hat dieses Geschehen dramatisch in filmische Szene gesetzt.

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Wer sich ganz in Gottes Dienst an den Menschen einstiftet, vollzieht einen Statuswechsel. Weil Jesus Christus sich schlechthin vom Vater gesandt weiß und seine Anerkennung nicht in den Eitelkeiten der Welt sucht, sondern sich radikal beschenkt und ermächtigt weiß, kann er den Wechsel vom höchsten Status dessen, der in der Gottesgestalt ist, zum Status dessen, der Knecht und Sklave ist, vollziehen (Phil 2,5–11). Weil sein Ansehen ganz in Gott begründet liegt und er seine Anerkennung nicht in der Welt sucht, ist er frei, ein Gegenmodell, den Kontrast zu leben. Es ist der Kontrast der Barmherzigkeit und der Gnade Gottes, welche auf die innere Motivation, die Lauterkeit des Herzens und die Reinheit des Denkens achtet, auf den Dienst an den Lebenschancen der anderen Menschen und auf den Willen zum Guten: Das […] Antlitz gewinnt seine Kontur im Kontrast zu allen, die in ihrem Streben nach Ansehen, Position, Herrschaft und Macht darauf ausgehen, mit ihrem Anspruch anerkannt und in diesem Sinne bedient zu werden. Denn selbst in seiner Glaubensforderung geht es Jesus nicht um Akte der Unterwerfung unter seine Autorität, sondern um die Gewinnung eines Zugangs zu denen, denen er Hilfe, Erfüllungsruhe und Lebensinhalt sein will (Biser, 165).

d) Lust auf Sinnstiftung – Leben als Dasein für Andere (Proexistenz) Menschliches Dasein findet seine Erfüllung nicht in der individualistischen Einsamkeit, sondern in der Gabe von Begabungen, die zur Gabe für andere, zum Mut für das Dienen wird. Deshalb spricht Dietrich Bonhoeffer vom »Dasein für andere«. Dieses »Dasein für« hat in Jesus ein prägendes Vorbild, weil er in einer unbedingt entschiedenen Weise seine Hingabe durch Akte der Selbstübereignung verwirklichte (Biser I, 204f.). Gegen den Druck der Vereinsamung und Verinselung, sucht der Mensch in der Gegenwart individuell komponierte Beziehungsnetze, die durch virtuell komponierte Beziehungsnetze abgefedert und erweitert sind. Öffentlichkeit wird heute vielfach über virtuelle Beziehungen im Internet, über Facebook und Twitter organisiert. Obwohl diese Virtualisierung von Beziehungen weit fortgeschritten ist, bleibt im Kern doch die Sehnsucht nach Beziehungen von Angesicht zu Angesicht bestehen, bleibt die Sehnsucht nach Berührung und Zuwendung, nach Vertrautheit und Umarmung. Gegen den Sog der

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Simulationen ist nur die konkrete Begegnung gefeit. Im hochsensiblen Bereich der Serveradministration setzen die Cracks nicht auf »elektronische Betreuung«, sondern auf die Unmittelbarkeit des Augenkontakts und die »gespürte Vertrautheit in der persönlichen und beruflichen Begegnung«. Vertrauen ist unersetztbar! In der leibhaften Nähe findet das Wort seinen unverstellten leibhaften Ausdruck, wird gelebte Beziehung und ersehnte Nähe hautnah erfahrbar. Daher geschieht Heilung in leibhaftiger Berührung (Mt 9,18–22), muss der Schlamm der geerdeten Sinnlichkeit aus dem Schlamassel der wirklichkeitsfernen Verblendung befreien (Joh 9,1–41) und die einfühlende Handauflegung und der fast befehlende Aufruf zum eigenen Gehen, die verinnerlichte Lähmung befreien, die habitualisierte Versteifung auflösen (Mk 2,1–12). Im Glauben, dessen Wahrheit freimacht, ist die Freiheit auf andere Freiheit hin gerufen und berufen, findet die Freiheit in der menschlichen Gemeinschaft von anderen Freiheiten, d.h. im Wollen der anderen Freiheit und ihrer Freiheitsbeziehungen, ihre Erfüllung. In dieser Weise kann die freie Zustimmung des Glaubens nicht erzwungen und nicht hergestellt werden. Sie bleibt Einladung und Geschenk. Sie bleibt werbendes Locken durch den Vorgeschmack von Himmel. Sie lebt aus der Hoffnung auf die größeren Möglichkeiten Gottes, die nicht zu Ende sind, wo menschliches Machen machtlos wird und an sein Ende gelangt. Wenn die Macht der Macher ohnmächtig geworden ist, beginnt der Glaube und die Hoffnung auf jene Möglichkeiten Gottes, die aus den Widermächten und Ja-aber-Geistern befreien (Lk 10,18f.; 11,21). e) Lust auf Unverfügbarkeit (kontemplativer und personaler Dank) – Leben aus Verheißung Der Mensch, der sich seiner Endlichkeit bewusst geworden ist, weiß, dass sein Dasein ein geworfenes Dasein (Martin Heidegger) ist. In annehmender Endlichkeit kann er mit Immanuel Kant zu der Einsicht kommen, dass er in aller freien Selbstbestimmung nicht autark, sondern sich gegeben und aufgegeben ist. Deshalb betont Kant im opus postumum, dass die Freiheit selbst nicht in ihrer Gewalt ist. Sein und Denken, Freiheit und Leiblichkeit sind gegeben und verdankt. Dieses Verdanktsein ist transzendental als ein Verhältnis der Freisetzung zu begreifen. Es darf nicht als Fremdbestimmung und Heteronomie interpretiert werden. Vielmehr ist im anthropologischen Zu-

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sammenhang immer neu die von Karl Rahner herausgestellte Christo-Logik zur Geltung zu bringen, wonach der Mensch in der Gegenwart und Nähe Gottes nicht weniger, sondern mehr Mensch wird: In dieser Weise hat Jesus den Gott Israels als radikale Transzendenz und in der Innerlichkeit seiner Subjektivität zugleich als intimes Du begriffen. Ihm wurde Gott in Existenz eröffnender Weise als »sein Vater« nahe, wie sonst einem Menschen nichts innerlich nahe werden kann. In dieser freisetzenden Innerlichkeit der Abba-Intimität wusste sich Jesus unbedingt angenommen, geliebt und umfangen. Und dies in solcher Weise, dass er sich nach dem Zeugnis der Schrift bei seiner Bar Mizwa (Lk 2,41–42) nicht nur in das Haus seines Vaters zurückzog, sondern auch die Schwestern und Brüder im Geiste allen Verwandtschaftsbeziehungen vorordnete (Lk 2,49; Mt 12,48f.). Diese Innerlichkeit verlieh ihm eine einzigartige Autorität (Lk 4) und Vollmacht (Mk 2) und befreite ihn von allen Versuchen des teuflischen Größenwahns (Mt 4,1–11 Par.). In dieser Weise ist es konsequent, dass er sich nicht manipulieren ließ, seine Vollmacht demonstrativ »unter Beweis zu stellen« (Mt 12,38–42; Lk 23,8). Doch Freiheit bewährt sich in freier und freisetzender Zuwendung. Freiheit erzwingt nicht, sondern will im Modus der Liebe werben, einladen, locken. Daher verschließt Jesus seine Intimität mit dem Vater nicht in einer exklusiven Selbst-Habe, sondern erschließt sie Beziehung stiftend in freier und werbender Selbst-Gabe (Joh 17,20–21). Insbesondere Dieter Henrich hat den verdankten Charakter menschlicher Subjektivität hervorgehoben. Er spricht von zwei Formen des Verdanktseins und den zwei Formen des Dankes, dem personalen und dem kontemplativen Dank. In diesen Weisen bringt die Dankbarkeit die Nichtselbstverständlichkeit des Lebens zum Ausdruck. Der Dank geht mit einer Stellungnahme zum Ganzen der Welt und Wirklichkeit einher. So ist das Leben ein Aufscheinen der Welt im Ganzen und bringt ein Weltverstehen sowie eine Stellungnahme der eigenen Existenz zu dieser Welt zum Ausdruck. Die beiden Weisen des Dankes – der kommuniale und der kontemplative Dank – spiegeln die philosophischen Möglichkeiten der menschlichen Lebensdeutung wieder. Das Personsein markiert den Weltbezug des Menschen und beschreibt das vorfindliche und persönlich aufgegebene Eingebundensein in eine Gemeinschaft von Menschen. Das Subjektsein markiert den Selbstbezug des Menschen und beschreibt sein Sich-SelbstGegebensein als exklusive Andersheit gegenüber allen Anderen (Nitsche II, 190–208).

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In der Geschichte Jesu verbinden sich beide Perspektiven. Das Sich-Selbst-Gegebensein des Sohnes in exklusiver Andersheit wird zur verdankten und dankbaren Aufgegebenheit im Dasein für die anderen. Gerade johanneisch wird diese Wechselseitigkeit von Auszeichnung und Aufgabe deutlich. »Das Brotwort [Joh 6] kann auf Grund der Reaktion der Zuhörer (Massenabfall) als Spitzenaussage der Ich-bin-Worte verstanden werden«. Jesus erfüllt nicht die in der Hungernot zusammengefasste Erwartung des politischen Befreiers, sondern er selbst ist die Nahrung (»Der Helfer ist die Hilfe«) und erklärt sich zum Lebensweg: »Es ist nicht der Weg der durch Gebote und Verbote herbeigeführten Abhaltung vom Bösen, sondern der der Immunisierung, die er dadurch erreicht, dass er sich den Seinen als das lebendige Prinzip des Guten einstiftet« (Biser I, 220–224). In dieser Weise der bildhaften Begegnung gewinnt Jesus von Nazaret im Herzen der Menschen eine »Binnengeschichte«. Diese innere Aneignung macht es den entfremdeten und verwundeten Menschen möglich, nicht nur eine »Geschichte mit sich selbst« zu durchlaufen, sondern diese Geschichte selbst als eine Geschichte der Heilung und Vollendung zu entwerfen (Biser I, 299). So lädt die Einsicht in den zweifachen Dank des Lebens zugleich auf zweifache Weise zu einer Selbst-Annahme aus göttlicher Zusage ein. In dieser Weise wird gelingende Selbstfindung und prozessuale Identitätsbildung zur Gegenwart von Erlösung. In einem letzten »Urvertrauen« (Erik Erikson, Wolfhart Pannenberg) auf den göttlichen Ursprung des Daseins und das eigene Gewollt- und Bejahtsein, kann ein positives und bereicherndes Verhältnis zum eigenen Sein gewonnen werden, der zum tragenden Urgrund in allen Abstürzen und Abgründen des Lebens wird, den wir mit Jesus »Abba«, lieber Vater, rufen dürfen. In diesem Umfangensein von Gott kann aller Zwang, kann alles Festhalten und Klammern, kann alle Leere, Unsicherheit und alles Scheitern vertrauensvoll anheim gegeben und die permanente Absicherung und Selbstbehauptung durch Fähigkeiten und Fertigkeiten, durch Perfektionen und Destruktionen, durch Kompensationen und Versicherungen überwunden werden. In dieser Weise wird die Christologie »von innen« zu einer befreienden Christologie der Nachfolge »von unten«, die ihre Antriebskraft und ihren Pulsschlag aus Gottes unverbrüchlicher Zuwendung »von oben« empfängt. Diese göttliche Zusage »von oben« setzt frei und befreit, sie bejaht und liebt, sie vertraut und ermächtigt, sie nimmt an und ist darum heilsam. Indem die göttliche Verheißung die Menschen an ihr Verdanktsein erinnert und sie zugleich in ihre ureigenen endlichen

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Möglichkeiten hinein freisetzt, will sie die Menschen für sich und miteinander in der Kraft des Geistes zur Fülle führen, damit am Ende alles durch Jesus Christus in Gott und bei Gott vollendet und vollkommen sein kann. Zusammenfassung: Wird das wahrhaftige Menschsein Jesu chalkedonisch beibehalten und nicht in das Gottsein des Logos hinein aufgelöst, so bedarf die Christologie, dem Gedanken der Menschwerdung gemäß, einer anthropologische Wendung. Jesus Christus ist – unter dem Blickwinkel der Zusage Gottes – nichts Menschliches fremd. Die in der Moderne neu gestellte Frage nach Sinn und Identität in neuer Unübersichtlichkeit (Habermas) ist mit Schnell zwischen Lebensmöglichkeiten und Selbsttranszendenz aufgespannt. Die Bedeutung der menschlichen Freiheit in der Identitätsbildung wird christlich als von Gott gewollt geglaubt, findet aber nur zu sich selbst, wenn sie die eigene Endlichkeit und die Freiheit des Anderen anzuerkennen vermag. Für eine Verhältnisbestimmung von Identitätssuche und Bekenntnis zu Christus wurden hier therapeutische (Drewermann) und auf die Freundschaft mit Christus verweisende (Biser) Herangehensweisen vorgestellt. Diese leiten dazu an, identitätsstiftende Zusprüche und Verheißungen im Sein Jesu Christi zu identifizieren.

Literatur Biser, Eugen, Schauen und Glauben: DVD Schauen und Glauben. Videoedition zur Sendereihe Schauen und Glauben – Eugen Biser im Gespräch mit Reinhold Baumstark vor ausgewählten Gemälden der Alten Pinakothek München. Die Edition beinhaltet zwei DVDs und ein Booklet mit Texten von Eugen Biser und zur Arbeit der Eugen-Biser-Stiftung. (Biser II) Drewermann, Eugen, Jesus von Nazareth – Bild eines Menschen. Düsseldorf 2008. (Drewermann I) Hilberath, Bernd J., Suche nach Identität als Zugang zu Jesus Christus. In: Ders., Heiliger Geist – Heilender Geist. Mainz 1988, 62–85. Nitsche, Bernhard, Menschliche Identitätssuche und gläubiges Christusbekenntnis. In: Katechetische Blätter 126 (2001), 322–332.

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Literaturliste

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Namensverzeichnis: Adam, Karl, 63, 64 Amoah, Elizabeth, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 190, 193, 215 Anselm von Canterbury, 105, 106, 107, 109, 116, 146 Antes, Peter, 26 Apollinaris von Laodikaia, 89, 92 Aristoteles, 101, 112, 151 Arius, 32, 81, 82, 83, 84, 85, 87, 88, 98, 147 Augustinus, 9, 106, 145, 146, 149, 150, 170 Athanasius, 83, 84, 87, 90, 92 Athronges, 70 Balthasar, Hans Urs von, 9, 24, 75, 100, 146, 148, 160, 161, 162, 170, 215 Barth, Karl, 142, 160, 215, 219 Beck-Gernsheim, Elisabeth, 197, 215 Beck, Ulrich, 197, 215 Bieler, Ludwig, 55 Biser, Eugen, 203, 204, 206, 207, 208, 210, 213, 214, 215 Bornkamm, Günther, 35, 36, 215 Brandenburg, Albrecht von, 107 Buber, Martin, 54, 66, 203 Bultmann, Rudolf, 36, 65, 123, 124, 132, 142, 178 Chardin, Pierre Teilhard de, 160 Chorin, Schalom Ben, 65 Collet, Giancarlo, 18 Collins Gerald, 163, 164 Cone, James H., 183, 215 Daley, Brian E., 164 Damasus I. von Rom, 90 Davis, Stephen, 164, 167, 168, 169 Darwin, Charles, 208 Derrida, Jacques, 41, 145, 199 Drewermann, Eugen, 203, 204, 214, 215 Drey, Johann S., 112 Drivers, Tom, 177 Ebeling, Gerhard, 112 Edet, Rosemary, 186 Ekeya, Bette, 186, 188 Éla, Jean Marc, 181, 183, 215 Erasmus von Rotterdam, 26 Erikson, Erik , 199, 200, 213, 215 Essen, Georg, 140, 215 Etchegaray, Roger, 64 Evans, Stephen, 167, 168, 169

Faulhaber, Michael von, 63 Ferry, Luc, 198 Feuerbach, Ludwig, 34, 131, 145 Ficino, Marsilio, 26 Foucault, Michel, 145 Freud, Sigmund, 21, 131, 205 Frey, Dieter, 215 Fuchs, Ottmar, 215, 55 Fuchs, Ernst, 112 Fowler, James, 199, 200 Erikson, Erik H., 199, 200, 213, 215 Gadamer, Hans-Georg, 33 Garaudy, Roger, 25 Geiselmann, Josef R., 112 Girard, René, 21, 126, 208 Gnilka, Joachim, 60, 215 Gregor von Nazianz, 84, 165 Grillmeier, Alois, 83, 96, 146, 215 Gutiérrez, Gustavo, 156 Habermas, Jürgen, 197, 214 Harnack, Adolf von, 15, 63, 84 Hegel, Georg W. F., 81, 101, 104, 113, 145 Heidegger, Martin, 41, 98, 112, 145, 211 Herodes, 47, 70, 124 Heyward, Carter, 10, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 215 Hick, John, 163, 164 Hilberath, Bernd J., 24, 45, 94, 98, 100, 129, 195, 214, 216 Höfer, Renate, 216 Höffner, Joseph, 171 Hofius, Otfried, 73, 75, 216 Honneth, Axel, 208 Horkheimer, Max, 41 Hoping, Helmut, 108, 129, 152, 169, 216 Hünermann, Peter, 152, 216 Hurrelmann, Klaus, 199, 216 Ignatius, 159, 206 Irle, Martin, 215 Jaspers, Karl, 25 Joachim von Fiore, 81 Johannes Chrysostomos, 62 Judas der Galiläer, 71 Judas, Sohn des Hezekias, 71 Jüngel, Eberhard, 12, 49 Kalsky, Manuela, 180, 193, 216 Kant, Immanuel, 97, 112, 145, 177, 205, 211

222 Kasper, Walter, 8, 11, 18, 87, 102, 103, 111, 112, 113, 114, 116, 135, 141, 146, 216, 219 Kessler, Hans, 42, 43, 44, 45, 129, 134, 137, 140, 141, 144, 208, 216 Keupp, Heiner, 198, 199, 216 Kohlberg, Lawrence, 199, 200 Krappmann, Lothar, 199, 217 Kuhn, Johannes von, 112 Küng, Hans, 112 Kyrill, 92, 93 Lapide, Pinchas, 142 Lehmann, Karl, 23, 113, 217 Leibniz, Gottfried W., 113 Leontius von Byzanz, 164, 165 Levinas, Emmanuel, 101, 154, 156, 178, 202, 205 Limón, Javier J., 159, 217 Lüdemann, Gerd, 132, 217 Luhmann, Niklas, 199, 200 Luther, Martin, 8, 89, 106, 107, 108, 109, 110, 116, 146 Luz, Ulrich, 65 Lyotard, 16, 97, 121 Machovec, Milan, 25 Maimonides, Moses, 101, 178 Malcom X, 183 Marquardt, Friedrich W., 64, 65 Marx, Karl, 145, 158 Marxsen, Willi, 133, 134 Maturana, Humberto, 204 Mead, George H., 199, 217 Melito von Sardes, 62, 63 Menahem, 70 Menke, Karl-Heinz, 105, 116, 148, 169, 217 Mensching, Gustav, 26 Merklein, Helmut, 217 Merz, Anette, 45, 60, 75, 219 Mill, John S., 25, 26 Moltmann, Jürgen, 64, 65, 75, 217 Morris, Charles W., 217 Müller, Gerhard Ludwig, 170 Nasimiyu-Wasike, Anne, 188, 189 Nestorius, 91, 92, 93 Nietzsche, Friedrich, 21, 118, 217 Nikolaus von Damaskus, 70 Nitsche, Bernhard, 18, 75, 95, 101, 104, 105, 141, 145, 147, 150, 151, 153, 168, 170, 195, 197, 205, 212, 214, 216, 217 Noet von Smyrna, 81

Namensverzeichnis Nyamiti, Charles, 185, 218 Oduyoye, Mercy Amba, 181, 185, 188, 189, 190, 191 Odysseus, 197 Ohlig, Karl-Heinz, 83, 84, 218 Origenes, 9, 145, 146, 147, 148, 149, 170, 206 Ozankom, Claude, 185, 218 Panikkar, Raimon, 18, 160, 217 Pannenberg, Wolfhart, 110, 142, 213, 218, 219 Paul von Samosata, 80, 81 Paulus, Heinrich E.G., 132 Pasolini, Pier Paulo, 209 Peirce, Charles S., 33, 145, 199 Pesch, Rudolf, 133, 219 Petter, Dominik de, 153 Piaget, Jean, 199, 200 Plantinga, Alvin, 166, 167 Platon, 31, 82, 112 Plaskow, Judith, 64 Plotin, 82, 146, 147, 149 Porphyrios, 149 Proklos, 92 Pröpper, Thomas, 22, 128, 129, 216, 218 Rahner, Karl, 12, 22, 41, 95, 97, 98, 99, 102, 103, 104, 105, 111, 116, 140, 143, 144, 146, 159, 160, 161, 164, 169, 195, 212, 217, 218 Radford-Ruether, Rosemarie, 10, 174, 175, 176, 189, 218 Ratzinger, Joseph, 11, 129 Reimarus, Hermann S., 132 Ricoeur, Paul, 173, 198 Rosenzweig, Franz, 54, 66 Rousseau, Jean-Jacques, 26 Rüsen, Jörn, 140 Ruhstorfer, Karlheinz, 108, 116, 145, 148, 150, 170, 218 Sabellius, 81, 88 Schelling, Friedrich W.J., 32 Scherzberg, Lucia, 193, 218 Schillebeeckx, Edward, 9, 79, 133, 153, 154, 155, 156, 170, 218 Schilson, Arno, 152, 218 Schnackenburg, Rudolf, 218 Schneider, Theodor, 94, 129, 216 Schnell, Tatjana, 10, 199, 200, 201, 203, 214, 218 Scholem, Gershom, 69 Schönborn, Christoph, 218

Namensverzeichnis Schürmann, Heinz, 123, 127, 218 Schüssler Fiorenza, Elisabeth, 10, 171, 172, 173, 174, 218 Scotus, Duns, 105, 146 Simon ben Giora, 71 Simon von Cyrene, 89 Sobrino, Jon, 9, 146, 156, 158, 159, 170, 217, 219 Söding, Thomas, 45, 60, 126, 219 Sölle, Dorothee, 177 Souga, Thérèse, 183, 186 Stosch, Klaus von, 19 Strahm, Doris, 187, 189, 191, 193, 219 Striet, Magnus, 15, 19 Studer, Basil, 96, 219 Strauß, David F., 55, 132 Strobel, Regula, 182, 183, 184, 186, 187, 188, 190, 193, 215 Swinburne, Richard, 167 Tappa, Louisa, 182, 186

223 Theißen, Gerd, 45, 60, 65, 75, 219 Theodor von Mopsuestia, 91 Theodot, 80 Thoma, Clemens, 100 Thomas von Aquin, 9, 105, 145, 151, 164, 166, 170 Timmermann, Raphael, 200, 219 Valentinus, 88 Vattimo, Gianni, 145 Verweyen, Hansjürgen, 134, 137, 139, 140, 219 Vögtle, Anton, 142, 219 Waap, Thorsten, 198, 219 Watzlawick, Paul, 105 Weidemann, Hans-Ulrich, 71 Weyden, Roger van der, 107 Werbick, Jürgen, 219 Wolff, Hanna, 57 Zenger, Erich, 39, 65, 219