Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter 3515093931, 9783515093934

Welche Vorstellungen verbanden sich für Menschen des Mittelalters mit Arbeit? War sie im theozentrischen Weltbild der Ze

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Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter
 3515093931, 9783515093934

Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 HAUPTTEIL
2.1 AUGUSTIN (354–430) UND AMBROSIUS (339–397): PATRISTISCHE SICHTWEISEN
2.2 CASSIAN VON MARSEILLE (CA. 360–430/5): ARBEIT ALS RECHTER GEBRAUCH DER WILLENSFREIHEIT
2.3 FULGENTIUS VON RUSPE (462/3 ODER 467/8–527 ODER 532) UND CAESARIUS VON ARLES (CA. 470–542): WEGE DER AUGUSTINREZEPTION
2.4 HRABANUS MAURUS (780–856): ARBEIT ALS IMITATIO CHRISTI
2.5 LUPUS VON FERRIÈRES (CA. 805–862), HINKMAR VON REIMS (†882) UND JOHANNES SCOTUS ERIUGENA (810–877)
2.6 RATHER VON VERONA (887–974): ARBEIT ALS INBEGRIFF DES CHRISTSEINS
2.7 PETRUS ABAELARD (1079–1142): SELBSTVERANTWORTUNG DES MENSCHEN
2.8 JOHANNES VON SALISBURY (1151/20–1180): SELBSTVERANTWORTUNG DES MENSCHEN
2.9 THOMAS VON AQUIN (1225–1274): ARBEIT ALS ENTELECHIE DES MENSCHEN
3 AUSBLICK
4 ZUSAMMENFASSUNG
5 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
5.1 QUELLEN
5.2 LITERATUR

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Verena Postel Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter

VSWG

–––––––––––––––––––– Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Beihefte . Nr. 207 Herausgegeben von Günther Schulz, Christoph Buchheim, Gerhard Fouquet, Rainer Gömmel, Karl Heinrich Kaufhold, Hans Pohl

Verena Postel

Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2009

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09393-4 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 2009 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS 1

EINLEITUNG...................................................................................................7

2

HAUPTTEIL...................................................................................................11 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9

Augustin (354–430) und Ambrosius (339–397) ................................11 Cassian von Marseille (ca. 360–430/5)..............................................18 Fulgentius von Ruspe (462/3 oder 467/8–527 oder 532) und Caesarius von Arles (ca. 470–542) .............................................39 Hrabanus Maurus (780–856) .............................................................53 Lupus von Ferrières (ca. 805–862), Hinkmar von Reims (†882) und Johannes Scotus Eriugena (810–877) .........................................85 Rather von Verona (887–974) ...........................................................98 Petrus Abaelard (1079–1142) ..........................................................111 Johannes von Salisbury (1151/20–1180) .........................................125 Thomas von Aquin (1225–1274) .....................................................134

3

AUSBLICK...................................................................................................163

4

ZUSAMMENFASSUNG..............................................................................171

5

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS ........................................177 5.1 5.2

Quellen.............................................................................................177 Literatur............................................................................................185

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EINLEITUNG

Die folgenden Beobachtungen zur Arbeitsethik des Mittelalters gehen anhand einiger Textzeugen, welche zwischen Spätantike und Hochmittelalter weiterführende Beiträge zur Diskussion um die menschliche Willensfreiheit in ihrem Verhältnis zur Gnade Gottes und in ihren Auswirkungen für das Heil des Menschen geleistet haben, der Frage nach, welche Konsequenzen die verschiedenen theologisch-philosophischen Positionen in der Gnadenlehre für die Bewertung von Arbeit und Leistung des Menschen im Diesseits hatten. Die Auswahl der Beteiligten an der mittelalterlichen Debatte strebt dabei keineswegs Vollständigkeit an. Sie ist vielmehr von der Perspektive geleitet, in diachronem Durchgang einen ersten Einblick in den langfristigen Verlauf der mittelalterlichen Diskussion zu dieser Frage zu gewinnen und vor allem solche Texte vorzustellen, denen entweder eine breite Rezeption beschieden war (Augustin, Thomas von Aquin) oder deren Lösungen besonders innovativ waren (Johannes Scotus Eriugena). Es versteht sich von selbst, dass die Quellen jeweils nur aus Zeiten und Regionen stammen, die eine auch an antiken Vorbildern geschulte Gelehrtenkultur hervorgebracht haben, wie dünn auch immer die Schicht blieb, die an ihr partizipierte. Dies gilt z. B. für das spätantike und frühmittelalterliche Nordafrika, auch noch zur Zeit der Vandalenherrschaft, welches die kulturellen Errungenschaften der spätrömischen Aristokratie bewahrte. 1 Nicht minder trifft dies zu für das seit der karolingischen „Bildungsoffensive“ wieder erreichte Niveau der Klosterschulen wie Corbie oder Fulda, später auch für die Hofgesellschaft z. B. Karls des Kahlen. Ohne solche Bildungsvoraussetzungen hätte der Prädestinationsstreit des 9. Jahrhunderts so nie geführt werden können. 2 Der folgende Beitrag versteht sich daher als ein gleichzeitig geistes- wie mentalitätsgeschichtlicher, denn die Texte sind zwar primär Ausdruck individueller Denkleistungen, wurden aber stets mit dem Blick auf ein Publikum verfasst, bei welchem bestimmte Vorstellungen zugrundegelegt wurden. Das Grundproblem der mittelalterlichen Debatte, dem wir uns zuwenden, die Annahme oder Zurückweisung einer menschlichen Willensfreiheit und ihrer Folgen für die Bewertung menschlicher Handlungen, ist freilich ein zeitlos aktuelles, wie gerade ein Blick auf die jüngsten öffentlichen Diskussionen verrät. Unter der Schlagzeile „Beim Tun und Machen“ fasste Christian Geyer in der FAZ vom 9. Mai 2007 sein Plädoyer für eine handlungstheoretisch orientierte phi1 2

Dazu zuletzt H. Castritius, Die Vandalen, Etappen einer Spurensuche, Stuttgart 2007, p. 149– 154. Zur ersten Orientierung R. McKitterick, Die karolingische Renovatio, in: 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit, C. Stiegemann/M. Wemhoff (edd.), Mainz 1999, p. 668–685.

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Einleitung

losophische Anthropologie zusammen und wandte sich dabei vor allem gegen die Versuche der Hirnforschung, die Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen lückenlos als Funktion feuernder Nervenzellen zu erklären. Vor allem Wolf Singer und Gerhard Roth sind die Protagonisten einer Gruppe von Neurowissenschaftlern, die mit ihrer These, der freie Wille des Menschen sei nicht mehr als eine angenehme Illusion, erneut eine intensive Diskussion um Gehalt und Reichweite der menschlichen Willensfreiheit angestoßen haben. Bemerkenswert ist, dass inzwischen auch führende Naturwissenschaftler wie der Neurobiologe Martin Heisenberg, ein Sohn des Physik-Nobelpreisträgers Werner Heisenberg, von der Existenz einer Willensfreiheit ausgehen und dafür plädieren, die Deutungshoheit von Biologie und Naturwissenschaft nicht zu überschätzen. „Die Freiheit des Willens gibt es, wie es Gedanken, die Temperatur oder das Licht gibt. Sie ist ein Zustand, an dem ich gerade mehr oder weniger teilhabe. Ich spüre sie.“ (FAS vom 4.2.2007) Auf den inzwischen erfreulicherweise entstandenen Dialog zwischen Naturund Geisteswissenschaften können wir hier nicht eingehen, sondern verweisen nur auf die einschlägige Literatur.3 Im Folgenden soll die mittelalterliche Diskussion um die Willensfreiheit in ihrem engen Zusammenhang mit der Bewertung von Arbeit aufgezeigt werden. Dieser Zusammenhang wurde deutlich während der Arbeit an einem von der Gerda-Henkel-Stiftung und der DFG geförderten Projekt, welches sich den Vorstellungen gewidmet hat, die das Mittelalter mit Arbeit in ihren unterschiedlichen Formen zwischen intellektueller Tätigkeit, Handel, Handwerk und Ackerbau verband. Analysiert wurden diese Fragen anhand der quellensprachlichen lateinischen Termini des Wortfeldes um labor, opus, ars und deren Ableitungen in unterschiedlichen Textsorten. 4 Es zeigte sich, dass bereits im Mittelalter ein enger Zusammenhang zwischen menschlicher Willensfreiheit und in der Arbeit sich manifestierendem Handeln des Menschen gesehen wurde. Mehr noch: Arbeit wurde geradezu als Betätigungsfeld des freien Willens verstanden und gewann so eine zentrale Bedeutung für die Selbstverwirklichung des Menschen, die in einer christlich geprägten und theokratisch verfassten Gesellschaft nur als Heilsweg zu Gott verstanden werden konnte. Die philosophisch-theologische Grundfrage lautete also: kann sich der auch nach dem Sündenfall nicht völlig verdorbene Mensch selbst durch freiwillige Arbeit das Heil verdienen oder ist es allein Gottes Gnade unabhängig von menschlichem Verdienst geschuldet? Der handlungstheoretische Ansatz einer philosophischen Anthropologie, wie ihn Geyer jüngst empfahl, findet sich beispielsweise schon bei Thomas von Aquin, dessen an Aristoteles geschulte Sicht Glück nur als Tätigsein, operatio, gemäß der 3

4

Zu diesem Problem ist eine Fülle von Sammelbänden erschienen: C. Geyer (ed.), Hirnforschung und Willlensfreiheit, Frankfurt 2004; K. Köchy (ed.), Willensfreiheit als interdiszplinäres Problem, Freiburg 2006; J. Bauer (ed.), Freiheit in philosophischer, neurowissenschaftlicher und psychotherapeutischer Perspektive, Paderborn 2007; K. Seebaß, Willensfreiheit und Determinismus, Band 1: Die Bedeutung des Willensfreiheitsproblems, Berlin 2007. Zur Einführung in Thema, Methode und Forschungsstand vgl. die Einleitung von V. Postel (ed.), Arbeit im Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, Berlin 2006, p. 7–19.

Einleitung

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Eignung des Menschen, als Am-Werke-Sein, griechisch energeia, definieren konnte. Insofern im Folgenden wichtige früh- und hochmittelalterliche Zeugen der Diskussion um den Zusammenhang von Arbeit und Willensfreiheit als einer Grundbestimmung des Menschenbildes vorgestellt werden, geschieht dies daher in erster Linie, um die Vorstellungen des Mittelalters vom Sinn der menschlichen Arbeit zu erhellen, nicht um der aktuellen Diskussion um die Willensfreiheit gleichsam einen historischen Kontext zu eröffnen. Jeder mittelalterliche Autor, der zum Problem „Arbeit“ Stellung nahm, musste implizit oder explizit zu diesem Problem Stellung nehmen, welches seit der spätantiken Kontroverse des Kirchenvaters Augustin mit Pelagius schwelte und vor allem während des Prädestinationsstreits des 9. Jahrhunderts wieder an die Oberfläche trat, wie zu zeigen ist. Dabei schälten sich zwei Alternativen heraus: Wer auf der Basis eines positiven Menschenbildes zu der Entscheidung gelangt war, dass dem Menschen und seiner (freiwilligen) Betätigung in der Welt mindestens ein Anteil am Erwerb des Heiles zukomme, für den konnten „labor“ und „opera“ der Menschen besondere Bedeutung gewinnen, als heilswirksames Verdienst (meritum) beurteilt werden. Der Gedanke einer „ratio laboris“ (Ambrosius) 5 , eines Wägens der Leistungen eines Menschen durch Gott im Jüngsten Gericht als Grundlage für die Entscheidung, ob ein Mensch zu den Verworfenen oder den Erwählten zu rechnen sei, konnte sich entfalten. Wer jedoch mit dem späten Augustin der Auffassung war, dass das Heil des nach dem Sündenfall verdorbenen und nicht mehr von sich aus aufgrund freier Willensentscheidung zum Guten fähigen Menschen allein von der unverdienbaren Gnade Gottes abhinge, musste, wenn überhaupt, andere Begründungen für den Wert der Arbeit geben. Meist wurde Arbeit in solchen Kontexten als Strafe für den Sündenfall begriffen. Die Entscheidung über Heil oder Verdammnis im Jüngsten Gericht traf Gott unabhängig von den Verdiensten (merita) des Menschen allein aufgrund seiner Gnade. Schon Augustin war allerdings in dieser Frage keineswegs als konsistenter oder systematischer Denker zu bezeichnen, so dass sich in der Folge beide konträren Auffassungen auf ihn berufen konnten. Diese theologisch-anthropologischen Grundlagen der jeweiligen Auffassung zum Wert der Arbeit wurden freilich nur von wenigen Autoren bedacht. Sie tauchen weder in der Geschichtsschreibung auf, welche die Heilswirksamkeit der göttlichen Gnade, insofern sie sich im Geschichtsablauf manifestierte (die bekannten Formeln Deo iubente/opitulante geben davon Zeugnis) 6 , von Erfolg und Reichweite menschlicher Entscheidungen abzuheben hätte, noch in Rechtstexten, für die die Frage nach der Schuld und der entsprechenden Buße nur auf der Basis der Annahme eines menschlichen liberum arbitrium von Belang wäre. 5 6

De paenitentia I, 4, 20. J. Ehlers, Freiheit des Handelns und göttliche Fügung im Geschichtsverständnis mittelalterlicher Autoren, in: J. Fried (ed.), Die abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert (VuF 39), Sigmaringen 1991, p. 205–219.

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Einleitung

Es finden sich jedoch explizite Formulierungen des engen Zusammenhangs beider Probleme, z. B. bei dem spätantiken Mönchsvater Cassian oder bei Abaelard, deren beachtlicher Reflexionsgrad dazu einlädt, sie vorzustellen. Sie schärfen den Blick für die philosophisch-theologischen Voraussetzungen der mittelalterlichen Sicht auf Arbeit. Dabei geht es im folgenden keineswegs um die Lösung des philosophischen Problems der Willensfreiheit, das bereits im Hellenismus aufkam und im Mittelalter zum Scheinproblem verkam, da die Aspekte der Willensbildung und der Entscheidungsfreiheit unzulässig vermengt wurden und zudem unter dem christlichen Dogma eine echte Wahlfreiheit nicht existierte.7 So konnte es der christlichen Theologie niemals gelingen, die Theoreme von Prädestination, Erbsünde, Gnade, menschlicher Mitwirkung am Heil und der Allursächlichkeit Gottes widerspruchsfrei zu integrieren. Es geht für den Historiker in erster Linie darum, einen Einblick zu vermitteln in die Gedankenkreise, in die Arbeit in diesen Kontexten einbezogen wurde, in die Mentalität der mittelalterlichen Zeitgenossen. Diese ist inhaltlich vor allem an den Motiven orientiert, die die Bibellektüre und -exegese vorgab, wie vor allem das Kapitel zu Hrabanus Maurus zeigen wird, aber es finden sich auch, eingebettet in den breiten Strom der Rezeption antiker, v. a. stoischer und neuplatonischer Philosophie durch die Kirchenväter 8 , Motive eines säkular- philosophischen Denkens. Verfolgen wir die Kontroverse um die Willensfreiheit und ihre Auswirkungen auf die Perspektive auf Arbeit anhand der wichtigsten Repräsentanten, beginnend in der Spätantike beim ersten Auftauchen des Problems über die frühe Rezeption im Südfrankreich des 5./6. Jahrhunderts, den Prädestinationsstreit des 9. Jahrhunderts bis ins Hochmittelalter zu Anselm von Canterbury, Abaelard und Thomas von Aquin. Dabei wird stets auch zu fragen sein, ob sich Bezüge zwischen veränderten politischen bzw. sozioökonomischen Lebensbedingungen und neuen Sichtweisen von Arbeit zwischen Skylla und Charybdis, der Annahme einer Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade für das Heil bzw. des Gegenteils, der Behauptung menschlicher Selbstverantwortung, erkennen lassen.

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E. Tielsch, Anselm von Canterburys Stellung innerhalb der Geschichte des „De libero arbitrio“-Problems, in: Analecta Anselmiana 4, 2 (1975) 65–100. M. L. Colish, The Stoic Tradition from Antiquity to the Early Middle Ages, Vol. II, Leiden 1985.

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HAUPTTEIL

2.1 AUGUSTIN (354–430) UND AMBROSIUS (339–397): PATRISTISCHE SICHTWEISEN Über die Entwicklung der augustinischen Gnadenlehre sind vor allem von theologischer Seite umfangreiche Abhandlungen entstanden, auf die wir uns hier für unsere Zwecke beziehen können. Insbesondere die Habilitationsschrift von Volker Drecoll 9 sei hier genannt, die genetisch entfaltet, wie sich in Auseinandersetzung mit dem Manichäismus und in Abhängigkeit vom Begriff Gottes als unveränderliche Transzendenz und formgebendes Prinzip die Lehre ergab, dass es von Gott als allein bestimmender Größe abhing, ob der Mensch zum Heil gelange oder nicht. Kein menschliches Verdienst (meritum), sondern die gratia fidei sei ausschlaggebend. In der etwa 397 verfassten Schrift De diversis quaestionibus an Simplician, den Taufpaten und Nachfolger des Ambrosius von Mailand im Bischofsamt (397–400), führt Augustin dann nicht nur die Werke als Ergebnisse von Arbeit, sondern auch den Glauben auf die Gnade zurück. Erstmals in dieser Schrift verbindet er auch den Gnaden- mit dem Erwählungsgedanken. Gott erbarme sich aufgrund seines Mitgefühls, ohne dass das menschliche Verhalten einschließlich der Arbeit die misericordia Gottes beeinflusse. Gottes Handeln sollte als gnadenhaft weil unverdient dargestellt werden. Vollends in den Confessiones, seiner inneren Autobiographie, ist es in der berühmten Gartenszene seiner Bekehrung die Berufung Gottes („Tolle, lege“), die den Willen zur Bekehrung bewirkt. Gott lenkt also für den späten Augustin das menschliche Wollen. Für ein autonomes liberum arbitrium und infolgedessen eigenständige Verdienste des Menschen in seinen Werken ist kein Platz mehr. Passagen aus der ca. 397 verfassten Schrift an Simplician (I, 2), die erstmals die neue Lehre formulierte, sollen den Zusammenhang zwischen Gnade und menschlichen Werken einsichtig machen. „An vielen Stellen bezeugt der Apostel, dass die Gnade des Glaubens den guten Werken vorausgeht. Er will damit die Werke nicht wertlos machen, sondern zeigen, dass sie nicht Voraussetzung, sondern Folge der Gnade sind. Niemand soll ja zu der Auffassung kommen, er habe deshalb die Gnade empfangen, weil er gute Werke getan hat. In Wirklichkeit kann er nichts Gutes tun, ohne durch den Glauben die Gnade empfangen zu haben. Ein Mensch beginnt in dem Augenblick

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V. H. Drecoll, Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins (Beiträge zur historischen Theologie 109), Tübingen 1999.

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Hauptteil

die Gnade zu empfangen, in dem er – durch innere oder äußere Anmahnung zum Glauben bewegt – anfängt, an Gott zu glauben […]. Um den Hochmut der Menschen zu brechen und zu zerschmettern, die, undankbar gegen Gottes Gnade, es wagen, sich ihrer Verdienste zu rühmen, wird in Erinnerung gerufen: ,Denn noch bevor sie geboren waren, und irgend etwas Gutes oder Böses getan hatten, wurde ihnen, nicht aufgrund von Werken, sondern nach dem Willen des Berufenden gesagt: Der Ältere wird dem Jüngeren dienen.’ (Röm. 9, 11–12) Die Gnade kommt also vom Berufenden. […] Niemand kann sich rühmen, aufgrund eigener Werke gerechtfertigt zu werden. Nur der Gerechtfertigte kann gute Werke tun […]. Also steht vor jedem Verdienst die Gnade […]. Von daher werden wir gemahnt, niemand soll sich eigener Werke des Erbarmens rühmen und sich überheben, als habe er sich durch sie als durch seine eigenen Werke Gott verdient […]. Was bedeutet also das Folgende: ‚So kommt es also nicht auf den Wollenden oder den Laufenden an, sondern auf den sich erbarmenden Gott?’ (Röm. 9, 16) […] Damit zeigt er deutlich, dass auch der gute Wille in uns von Gott bewirkt wird.“ 10 In den Retractationes, einer um 427 verfassten Schrift, in der er seine früheren Werke aus der Rückschau kritisch betrachtete und als Einleitung in das Studium seiner Schriften die Veränderung seiner Lehre beschrieb, zeigt er selbst, in welchem Maße sich seine spätere Gnadenlehre von dem unterschied, was er noch in der 391 verfassten Schrift De vera religione dargelegt hatte. Er habe dort behauptet, Sünde sei nur möglich, wenn der Wille frei sei, sie zu wollen oder zu verwerfen. (Retr. I, 13, 5) 11 Um das Jahr 390 also hatte er selbst noch eine völlig andere Meinung zum liberum arbitrium und dessen Verhältnis zur Gnade Gottes als in seinem Spätwerk. Damals habe er dem menschlichen Willen eine von der Gnade unabhängige Selbständigkeit zugesprochen. 12 Auch in der zwischen 387–391 verfassten Frühschrift De libero arbitrio hatte er referiert: „convenerat inter nos voluntate illam (sc. vitam beatam) mereri homines, voluntate etiam miseram, et sic mereri ut accipiant.“ Zugespitzt formuliert: „in voluntate meritum sit, in beatitate autem et miseria praemium atque supplicium.“ 13 Jetzt stellt er richtig, dass die Gnade dem Willen vorausgehe: „voluntas 10 Die Übersetzung folgt derjenigen von K. Flasch in: Augustinus, München 1997, p. 153ff. 11 Diesen Gedanken wird im 9. Jahrhundert Johannes Scotus Eriugena aufgreifen. 12 Zum Wandel der Anschauungen Augustins: K. Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, Stuttgart 1986, p. 27ff.; R. Holte, St. Augustine on Free Will, in: Lectio Augustini 6, 1990, p. 67–84; T. D. J. Chappell, Aristotle and Augustine on Freedom, New York 1995. 13 De lib. arb. I, 14, übersetzt und erläutert von W. Thimme, Zürich/Stuttgart 1962, p. 88–90: „Wir waren übereingekommen, dass die Menschen die Glückseligkeit durch ihren Willen verdienen, durch ihren Willen auch das Elend, und zwar so verdienen, dass sie es auch erhalten.“ „Das Verdienst liegt im Willen, in der Glückseligkeit bzw. im Elend liegen Lohn oder Strafe.“ Retr. I, 8: „Wenn dieser Wille nicht durch Gottes Gnade aus der Knechtschaft befreit wird, durch die er Sklave der Sünde ist, und ihm geholfen wird, die Laster zu überwinden, können die Sterblichen nicht recht und gottgefällig leben. Und wenn dieses göttliche Geschenk, durch

Augustin und Ambrosius

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ista nisi dei gratia liberetur a servitute, qua facta est serva peccati, et, ut vitia superet, adiuvetur, recte pieque vivi a mortalibus non potest. Et hoc divinum beneficium, quo liberatur, nisi eam praeveniret, iam meritis eius daretur et non esset gratia, quae utique gratis datur“. (Retr. I, 8) Die veränderte Gnadenlehre Augustins hat ihn jedoch keineswegs zu einer Geringschätzung der Arbeit geführt. Dies sei nur schlaglichtartig anhand zweier Texte gezeigt, die beide nach der Schrift an Simplician verfasst wurden, dem Genesiskommentar De genesi ad litteram (401–414) und der Mönchsregel De opere monachorum (401). Dieses Vorbild der monastischen Ordensregeln des lateinischen Westens betont den Wert der Arbeit als Askesemittel, sowie als Voraussetzung für Autarkie und caritas. 14 Augustin betont, es sei Pflicht der Mönche, auch körperlich zu arbeiten, da dies großen geistlichen Lohn verspreche und zur himmlischen Ruhe bei Gott führe. 15 Wir werden auf diese Motive später zurückkommen. Auch Augustins Genesiskommentar zeigt eine hohe Wertschätzung menschlicher Arbeit in ihren verschiedensten Ausprägungen. Der Mensch habe schon im Paradies gearbeitet, wenn auch mühelos: „non enim erat laboris adflictio, sed exhilaratio voluntatis“. (De genesi ad litteram, CSEL 28-1, 8, 8, p. 242ff.) Die Arbeit ist damit keinesfalls nur als Folge des Sündenfalls in ihrem Strafcharakter gesehen, sie ist vor allem Schöpfungsauftrag, wie Augustins Interpretation des Verses „Und Gott nahm den Menschen und versetzte ihn ins Paradies, damit er es bebaue und bewahre“, zeigt. (ibid.) Wer könne glauben, dass Arbeit Verdammnis bedeute, wenn man beobachte, mit welcher Begeisterung manche auf dem Feld tätig seien! Gott habe den Menschen die planende Vernunft und die Fähigkeit zur Arbeit gegeben, weil seine Schöpfung durch die Hilfe menschlicher Arbeit üppiger und fruchtbarer emporwachse. (ibid.) Für diese Gnade Gottes, den Menschen die Vernunft und die Fähigkeit zur Arbeit verliehen zu haben, sei der Schöpfer durch die Arbeit zu loben: „und zwar umso reicher dafür, dass er der in einem tierhaften Körper befangenen Seele Vernunft und Fähigkeit zur Arbeit gegeben habe.“ (ibid.) Die arbeitenden Menschen wirken in dieser Sichtweise mit an der Erfüllung des Schöpfungsauftrages. Arbeit wird gleichzeitig im Zusammenhang mit einer Begnadung durch Gott gesehen, der ratio und facultas zur Arbeit in dem Maße gegeben habe, dass sie für einen willigen Geist reichten, sie seien nicht auf jemanden berechnet, der unfreiwillig nur zur Befriedigung der unmittelbaren Lebensnotwendigkeiten arbeite. (ibid.) Arbeit ist also freiwillige Betätigung der gottgebenen Anlagen und damit weit mehr als bloßes Mittel zum Erwerb des Lebensunterhalts. Und vor allem: Arbeit ist, auch wenn sie sich in körperlicher Betätigung zeigt, doch Ergebnis einer geistig-seelischen Aktivität, denn die anima hat die ratio ac facultas operandi erhalten, nicht der Körper!

welches er befreit wird, ihm nicht zuvorkommt, würde es schon seinen Verdiensten zuteil und wäre kein Geschenk, das gratis vergeben wird.“ 14 P. Bonnerue, Opus et labor dans les règles monastiques anciennes, in: Studia monastica 35, 2 (1993) 265–91. 15 De opere monachorum, CSEL 41, p. 535, 579f.

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Hauptteil

Doch all dies entfaltet sich vor dem Hintergrund einer gewandelten Auffassung der Prädestinations- und Gnadenlehre. Augustin entwickelt in De genesi ad litteram die Lehre von der doppelten Voraussicht Gottes, der „gemina operatio providentiae“, die teils natürlich sei und z. B. das Wachsen der Bäume „per occultam dei administrationem“ bewirke, teils willentlich und als solche die Werke der Engel und Menschen umfasse. (De genesi ad litteram 8, 9, p. 244) Natürlich sei der Lauf der Gestirne geregelt, im Bereich der voluntaria operatio, der willentlichen Handlungen, gehe es um Landwirtschaft, Politik, Künste und Wissenschaften. All diese sind für Augustin lediglich über den menschlichen Willen vermittelte Betätigungen Gottes, Zeichen seines Wirkens. Gott manifestiert sich so im menschlichen Willen, der damit nicht mehr Kennzeichen des Individuums ist, sondern ebenfalls Gefäß Gottes. Die Entfernung vom Individualismus der antiken Philosophie wird auch darin deutlich, dass hier Handarbeit und intellektuelle Tätigkeit, politisches Handeln und Ausüben von Handwerken und Künsten nicht in ein hierarchisches, vom Vorrang des nous geprägtes System gebracht, sondern gleichrangig behandelt werden. Arbeit ist damit weniger als Beweis der menschlichen Fähigkeit, den eigenen Heilsweg selbst zu erkennen, zu wollen und zu wählen gewertet, sondern wird zum Ausfluss der göttlichen Vorsehung und der Gnadengaben. Gott wirkt durch die Arbeit der Menschen: Dei gesta per homines. Ihr Anteil am eigenen Heil verschwindet, da es ja nicht von ihnen abhängt, welche Handlungen Gott durch sie wirkt. Die hohe Würde der Arbeit auch beim späten Augustin speist sich demnach aus anderen Quellen als wir sie gleich bei seinem älteren Zeitgenossen Ambrosius werden nachvollziehen können. Die Herkunft der Arbeit aus der Gnade Gottes, ihr Sitz in der Seele und nicht allein im sündhaften Körper und schließlich die Sicht der Arbeit als Ort, in dem sich die Gottesebenbildlichkeit des Menschen aktualisiert: all dies verleiht ihr Dignität. Denn Augustin formuliert die Überzeugung, es gebe eine Analogie zwischen Gottes Arbeit am Menschen, den er gerecht und weise machen wolle, und der Arbeit des Menschen auf dem Acker, den dieser fruchtbar und ertragreich mache. (De genesi ad litteram 8, 10) Hinsichtlich des Ergebnisses, der positiven Bewertung auch körperlicher Arbeit, waren sich Augustin und Bischof Ambrosius von Mailand (339–397) also einig. Doch die Begründungen sind andere. Ambrosius sah in der menschlichen Willensfreiheit die Grundlage menschlichen Zusammenlebens und damit auch des „freiwilligen“ Arbeitens. 16 Im siebten Brief an eben jenen Simplician, dem später Augustinus seine neue Gnadenlehre erläuterte, skizziert Ambrosius im Jahre 387 unter Benutzung des jüdischen Philosophen Philo seine Auffassung von Freiheit. Er versucht nachzuweisen, dass die stoische Freiheit des Weisen in der paulinischen Freiheit ihre Vollendung finde. 17 Am Beispiel des Paulus (1. Kor. 9, 1) betont er die Freiheit vom Zwang; dieser habe gezeigt, dass unsere Freiheit in der Erkenntnis der Weisheit bestehe. „Ihr seid zur Freiheit berufen“ (Galat. 5, 13), habe dieser gepredigt und damit den Christen vom Gesetz des AT befreit und ihn 16 Arbiter electionis et eligens operationis liber est (ep. 7). 17 Zum Folgenden U. Faust, Christo servire libertas est, Salzburg/München 1983, p. 82ff.

Augustin und Ambrosius

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zum Evangelium berufen, „quod volentes et praedicant et operantur“. In der Verkündigung und im Handeln bestätigen also die Christen, diejenigen, die guten Willens sind, die Botschaft. „In lege servitus, in Evangelio libertas, ubi cognitio sapientiae. Omnis ergo qui Christum recipit, sapiens [...] omnis igitur Christianus et liber et sapiens“. 18 Diese Weisheit besteht für Ambrosius in der „virtus animi“, die auf fides und caritas beruht. Es ist Kennzeichen des Weisen, alles Gute zu wollen. So ist er frei, weil er tun kann, was er will. Er ist frei als „arbiter electionis, et eligens operationis“: Ambrosius trennt hier begrifflich sauber Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, eine Differenzierung, die später häufig verschwimmt. Diese freiwilligen, bewussten Entscheidungen für das Gute sind es, die den Weisen, der sich allein Gott untertan weiß, herausheben und Gottes Urteil über ihn einst bedingen: „meritis autem iudicia formantur“. Solche willentlich bejahten Handlungen sind für Ambrosius höher zu bewerten als der zwangsbedingte Dienst: „melior ergo voluntas quam necessitas“. „Si enim volens hoc ago, mercedem habebo“ zitiert er den ersten Korintherbrief (9, 17) und bekundet damit die für unseren Zusammenhang so wichtige Überzeugung, dass die menschliche Willensfreiheit Grundlage der Belohnung des Menschen im Jüngsten Gericht ist. Der Gebrauch der Willensfreiheit entscheidet über Heil oder Verdammnis. Diese Auffassung hat ihm vermutlich auch das Selbstbewusstsein gegeben, wiederholt mutig gegenüber den Kaisern Gratian und Theodosius I. für seine Auffassungen zu streiten, gegen politische Gegner heidnischer und arianischer Provenienz, sowohl aus der Senatsaristokratie wie aus der kaiserlichen Familie, aufzutreten. Zu erinnern ist hier etwa an den Konflikt um den Victoria-Altar im Senat, die Bestrafung der Zerstörer der Synagoge von Kallinikon und der Verantwortlichen für das Massaker von Thessalonike. 19 Die Betonung der Willensfreiheit als Grundlage christlichen Lebens ergibt sich besonders deutlich aus seiner Auslegung der Schöpfungsgeschichte, dem Hexaemeron. 20 Die 386/7 gehaltenen Predigten sind nicht nur von der Exegese Philos von Alexandrien beeinflusst, wie lange vermutet wurde, sondern eher von Basilius von Caesarea in Kappadokien. 21 Doch der Text darf auch als Beleg für die Auffassungen des Mailänder Bischofs gelesen werden. Ambrosius fragte sich: „Warum wurden dann Gesetze gegeben, durch welche Strafen zuerkannt, den Schuldlosen Schutz zugesichert wird, wenn alles vorherbestimmt wäre? Warum müht sich der Landmann und gibt sich nicht lieber der Erwartung hin, die Ernte18 „Im Gesetz liegt die Knechtschaft, im Evangelium die Freiheit, wie auch die Erkenntnis der Weisheit. Jeder, der Christus aufnimmt, ist daher weise […] jeder Christ ist sowohl frei wie auch weise.“ 19 Zur Biographie des Ambrosius vgl. die konzise Einführung von J. H. W. G. Liebeschuetz, in: Ambrose of Milan, Political Letters and Speeches, Liverpool 2005, p. 1–46. 20 R. Henke, Basilius und Ambrosius über das Sechstagewerk, Basel 2000 mit Forschungsüberblick und Literatur; zum historischen Kontext J. Fontaine, Ambroise de Milan, Paris 1992, zu den Gesellschaftsvorstellungen: M. Adriaans, Omnibus rebus ordo, Egelsbach, Frankfurt/Main, Washington 1995. 21 E. Dassmann, Ambrosius von Mailand, Stuttgart 2004, p. 206.

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frucht mühelos in die Scheuern einzufahren?“ Wenn aber die Willensfreiheit von Gott gegeben ist, „welchen Lohn soll der Christ ernten, wenn er in seinem Sinnen und Trachten nicht dem Willen, sondern dem Zwange folgt? Wo Zwangsgebot, kein Mühelohn.“ (Exaem. IV, 18f.) Mit dieser Pointe schlägt Ambrosius ein Leitmotiv seiner Exegese an: Die Verteidigung der naturgegebenen Freiheit des Menschen, aufgrund deren allein er des göttlichen Lohnes würdig sei. Arbeit wird in dieser Perspektive zum Betätigungfeld des freien Willens. Für den Erben der antiken Philosophie galt die humanistische Grundüberzeugung, dass die Menschen durch asketische Fixierung der dem Göttlichen verwandten Vernunft auf das Bleibende, die platonischen Ideen, das Glück selbst sichern könnten und müssten. So sind auch des Ambrosius Predigten voll von Mahnungen, sich durch gute Werke himmlischen Lohn zu erwerben. 22 Zwar ist zu konzedieren, dass es bisher keine monographische Untersuchung über die Aussagen zum Problem der Gnade bei Ambrosius gibt, doch erlaubt nicht nur die Studie von Ulrich Faust 23 zum Freiheitsbegriff des Kirchenvaters die grundsätzliche Schlussfolgerung, dass Ambrosius von der freien Willensentscheidung als Gabe Gottes an den Menschen überzeugt war. Sie gehe notwendig dem Handeln voraus. 24 Die Freiheit des Willens habe er durch stete Gegenüberstellung zur necessitas bekräftigt. Im sittlichen Wollen lag bereits für Ambrosius die Quelle des Verdienstes: „in voluntate mercedis est fructus“ formuliert er im Psalmenkommentar. (Ps. 25, 11f.) Deutlicher noch spricht Ambrosius in seiner Schrift gegen die Häresie der Novatianer über die Buße, indem der er die Vergebungsbereitschaft Gottes aufgrund menschlicher Verdienste hervorhebt: Wie unwürdig sei es doch, wenn unter den Menschen die Gnade des Wettkampfes herrsche, bei Gott aber nicht! Wie oft beoachte man, dass das Volk auch die Verlierer, die sich in der Arena tapfer geschlagen hätten, mit dem Siegerkranz kröne, vor allem solche, die durch List oder Betrug um den Sieg gebracht worden seien. Und Christus solle seine Streiter, die er oft mit schweren Strafen belegt sähe, ohne Gnade lassen? Werde er etwa nicht die aufgewandte Mühe/Arbeit in Rechnung stellen, der er doch selbst die, die er verwirft, nicht für immer verwirft?“25 Der „labor“, die sittliche Bemühung, ist hier das Maß, anhand dessen im Jüngsten Gericht die „ratio“ Gottes urteilt und begnadigt. Die menschliche Lebensleistung im weitesten Sinne wird vom Ambrosius als Richtpunkt für Gottes Urteil über die Menschen dargestellt. Der Bischof leitet daraus sogar die Schlussfolgerung ab: „Laßt uns die arbeitsamen Bauern (laboriosos agricolas) nachahmen, die sich nicht schämen, die Erde mit fettem Mist zu düngen und den Acker mit unreiner Asche zu besprengen, damit sie reichere Früchte ernten.“ (De paen. II, 1, 3) In einem Gebet an Gott bittet er diesen sogar in eigener Sache, er möge die

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Ibid. p. 222f. zur Gnadenlehre. U. Faust, Christo servire libertas est, Salzburg/München 1983. Ibid. p. 130ff. zur libertas proprii arbitrii. De Paenitentia I, 4, 19–20: Numquid non habebit rationem laboris, qui etiam quos proicit non in aeternum proicit?

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Früchte seiner Arbeit schützen: „quia et ego laborem aliquem pro sancta Ecclesia tua suscepi, hunc fructum tuere, [...].“ (De paen II, 8, 73) In dem Spätwerk De officiis ministrorum, das Ambrosius frühestens 386 für den Mailänder Klerus verfasste, wandelt er die Prinzipien der philosophischen Ethik, die Cicero in seiner gleichnamigen Schrift entfaltet hatte, in eine christliche Morallehre um. 26 Zu Beginn des zweiten Buches erklärt er, dass die Philosophen die vita beata entweder im Freisein von Schmerz gesehen hätten, andere im Wissen, im Genuss, der Stoiker Zenon aber habe das höchste Gut im honestum erkannt, Aristoteles und Theophrast wiederum in der Tugend. Demgegenüber habe die Heilige Schrift „vitam aeternam in cognitione posuit divinitatis, et fructu bonae operationis.“ (De officiis II, 2) Gotteserkenntnis und sittliches Handeln werden als Fundament des ewigen Lebens bezeichnet. Damit sind Vernunfterkenntnis und praktisches Tun gleichermaßen beteiligt, das Heil des Menschen zu wirken. Auch hier wird also dem menschlichen Vermögen zugetraut, den Weg zu Gott zu beschreiten: „strenuum esse in operibus“, darauf komme es an. (ibid.) Eidringlich brandmarkt er die Habsucht als Ursache aller sozialen Misstände. Die caritas hingegen müsse gepflegt werden. Wer immer einen guten „Arbeiter“, gemeint ist der Kirchendiener, der die Kollekten sammelt, sehe, der gebe ihm, was immer er entbehren könne, da er sicher sei, dass dem Armen seine Gabe zugute komme. (De officiis II, 16) „Quo plus te operari viderit populus, magis diliget.“ Je mehr Almosen der Bischof verteile, desto mehr liebe ihn das Kirchenvolk. Ambrosius warnt jedoch: die antike Tugend der Freigebigkeit dürfe nicht in Verschwendung ausarten. Bemerkenswert ist jedoch, dass „operari“ in diesen Kontexten mit dem Almosengeben gleichgesetzt wird: Arbeit wird mit caritas identifiziert und wird so zum Kern christlicher Liebestätigkeit. Doch auch das Bild vom athleta Christi, das uns schon aus der Bußschrift bekannt ist, begegnet in De officiis wieder: Paulus wird als Inbegriff eines solchen gesehen: „hic autem in laboribus, in periculis, in naufragiis, quasi athleta bonus decertabat; quia sciebat, quoniam per multas tribulationes oportet nos introire in regnum Dei.“ (De officiis I, 15; cf. auch I, 36) 27 „Novis resurgamus operibus ac moribus“ lautet der Aufruf, mit dem Ambrosius seine Mitarbeiter zu einem pflichtgemäßen Leben ermahnt. (De officiis I, 37) Es sei den Menschen aufgegeben, nach dem (stoischen) Vorbild der Natur, die den Samen mehre, das ihm Geschenkte zu mehren. (De officiis I, 31) „Itaque et illud convivium Salomonis non de cibis, sed de operibus est bonis.“ (ibid.) Dabei könne es aber nicht um bloßes Anhäufen von Geld gehen, auch dürfe Barmherzigkeit nicht zur Selbstdarstellung ausarten, sondern müsse im Stillen und uneigennützig erfolgen. Besonders die Diener der Kirche seien aufgrund ihrer Vorbildfunktion dazu verpflichtet. 26 Zum Vergleich beider Texte: K. Zelzer, Zur Beurteilung der Cicero-Imitatio bei Ambrosius de officiis, in: Wiener Studien 90 (1977) 168–191; siehe auch die Einführung bei I. J. Davidson, Ambrose: De officiis, Oxford Early Christian Texts, Oxford 2002. 27 „In Mühen, Gefahren und Schiffbruch erwies er sich als guter Kämpfer; denn er wusste, dass wir durch große Bewährungen uns den Weg ins Gottesreich bahnen müssen.“

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Das Werk des Ambrosius zeigt, wie eng die Annahme einer menschlichen Willensfreiheit, aufgrund derer die Menschen im günstigen Fall mit ihrer virtus animi dazu gelangen, von ihrer Entscheidungs- und Handlungsfreiheit im Sinne Christi Gebrauch zu machen, mit einer Verdienstethik verknüpft ist, die die merita des Menschen im Diesseits zur Richtschnur für Gottes Urteil am Ende der Zeiten nimmt. Das menschliche Handeln, in das als „operatio“ im weitesten Sinne auch alles Arbeiten eingeschlossen ist, legt in dieser Konzeption den Grund für sein weiteres Ergehen, der Mensch hat es selbst in der Hand, sein Heil zu wirken. Verfolgen wir nun, wie die Kontroverse um die Gnadenlehre von Nordafrika aus, wo später insbesondere Bischof Fulgentius von Ruspe (462/3 oder 467/8–527 oder 532) die augustinische Lehre systematisierte, etwa um 420 nach Südfrankreich gelangte und unterschiedliche Stellungnahmen hervorrief, ja zur Formulierung einer Haltung führte, die die Forschung seit der Reformation unter dem Begriff Semipelagianismus zusammenfasst. Der Konflikt schwelte im gesamten 5. Jahrhundert und wurde erst auf dem Konzil von Orange 529 unter dem Vorsitz des Bischofs Caesarius von Arles (ca. 470–542) in einem Kompromiss gelöst. In acht canones wurden Auffassungen abgewiesen, die seitdem als typisch semipelagianisch gelten, obwohl sie einseitig die Gedanken einzelner in die Auseinandersetzung verwickelter Theologen wiedergeben. Sie beziehen sich vor allem auf den einheitlichen Heilswillen Gottes und die Wirkung eines freien Willens innerhalb der Gnade Gottes.

2.2 CASSIAN VON MARSEILLE (CA. 360–430/5): ARBEIT ALS RECHTER GEBRAUCH DER WILLENSFREIHEIT Wir greifen aus dem vielstimmigen Chor derer, die sich zu diesem Thema äußerten, das Werk des Johannes Cassianus heraus, weil ihm eine besonders breite Rezeption beschieden war. Die Instituta, eine Einführung in das Mönchsleben, welche die Erfahrungen der ägyptischen Wüstenväter an den Westen vermittelt, wurden von der Benediktsregel (Kap. 42, 3 und 73, 5) zur Lektüre empfohlen und auch Cassiodor legte das Werk den Mönchen von Vivarium ans Herz (Institutiones, Kap. 29). Cassians Einfluss reicht über Gregor den Großen (†604), Alkuin (†804), Hrabanus Maurus (†856), Rupert von Deutz (†1129) bis zu Thomas von Aquin (†1274), der ihn in den Kapiteln zur Moraltheologie in der Summa Theologiae mehr als ein Dutzend mal zitiert. 28 Einige wichtige Daten zur Biographie Cassians sind vorauszuschicken: Um 360 als Sohn einer wohlhabenden Familie in Dakien, einem Teil des heutigen Rumänien geboren, verließ er in Begleitung seines Freundes Germanus seine Heimat, studierte im Osten griechische Theologie und schloss sich mit dem Freund 28 B. Ramsey (transl. and comm.), John Cassian, The Conferences, New York/Mahwah 1997, p. 7.

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380 bis 390 einer Klostergemeinschaft in Bethlehem an. Von dort aus zogen sie in die ägyptische Wüste, wo sie ebenfalls ca. 10 Jahre mit Mönchen zusammenlebten und die Bekanntschaft der berühmtesten Asketen der Zeit machten. Während der ersten origenistischen Streitigkeiten begab er sich nach Konstantinopel, wo der berühmte Johannes Chrysostomus Bischof war und Cassian zum Diakon weihte. Im Jahre 404 reiste er zu dessen Verteidigung nach Rom zu Papst Innozenz I. Möglicherweise lebte er danach als Priester für einige Zeit in Antiochia. Schließlich ließ er sich seit 415 in Marseille nieder und gründete ein Männerkloster, St. Victor, und – für seine Schwester – ein Frauenkloster, für das er auch eine Regel formulierte, die bis in die Merowingerzeit die meistbefolgte Nonnenregel blieb. In Marseille verfasste er auch die wesentlichen theologischen Schriften, in denen er als erster im Westen eine monastische Theorie entwarf, die sich auf seine Erfahrungen mit den Koinobiten und Eremiten Ägyptens stützte. 419–26 schrieb er eine von Bischof Castor von Apt in der Provence angeregte Einführung mit dem Titel De institutis coenobiorum et de octo principalium remediis, kurz Institutionen zitiert. Sie beschreiben in zwei Teilen das gemeinsame Leben im Kloster (Buch 1–4) und die Überwindung der acht Hauptlaster, die da sind Völlerei, Hurerei, Geiz, Zorn, Schwermut, Trägheit, Eitelkeit und Stolz (Buch 5– 12). In einem weiteren, ca. 426–9 verfassten Werk, den sog. Collationes, sind 24 fingierte Gespräche mit ägyptischen Wüstenvätern wiedergegeben, die zu einem ethisch vollkommenen Leben hinführen wollen. Cassian bedient sich z. B. stoischer Lehrtradition 29 , bezieht sich aber auf Augustin, vor allem in der berühmten 13. Collatio, die eine negative Antwort auf Augustins Gnadenlehre darstellt, und in der 17. Collatio, die sich mit dessen Verurteilung der Lüge auseinandersetzt. 30 Die 24 Gespräche, die in antiker Tradition Weisheit über die Dialogform transportieren 31 , sind wohlüberlegt angeordnet, wobei die Bücher mit ungeraden Ordnungszahlen sich mit dem Ziel des Mönchs, der Reinheit des Herzens, befassen und diejenigen mit geraden sich mit der Haupttugend der discretio, der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gutem, nur scheinbar Gutem und Bösem, beschäftigen und den jeweils mittleren Weg zwischen zwei Lastern zu beschreiten helfen wollen. Thema des Werks ist demnach die Vorbereitung für das Himmelreich mittels discretio und puritas cordis. Cassian und sein Freund Germanus sind in den Gesprächen eher bewundernde Zuhörer der großen Asketen, gewinnen aber kein persönliches Profil. Auffallend ist die im Laufe des Werkes 29 H.-O. Weber, Die Stellung des Johannes Cassianus zur außerpachomianischen Mönchstradition: Eine Quellenuntersuchung, Münster 1960; M. L. Colish, The Stoic Tradition from Antiquity to the Early Middle Ages, Vol. II, Stoicism in Christian Latin Thought through the Sixth Century, Leiden 1985. 30 B. Ramsey, John Cassian: Student of Augustine, in: Cistercian Studies Quarterly 28 (1993) 5–15. 31 Zur Bedeutung der Dialogform für den Gesprächsinhalt: V. Hösle, Der philosophische Dialog, Eine Poetik und Hermeneutik, München 2006, p. 57ff.; K. Jacobi (ed.), Gespräche lesen. Philosophische Dialoge im Mittelalter, Tübingen 1999.

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zutage tretende Veränderung seiner Sicht des Verhältnisses von Koinobiten- und Eremitentum: vom Preis der Einsamkeit bewegt sich sein Standpunkt mehr und mehr hin zu einer gleichrangigen Bewertung beider Lebensformen. (Coll. XXIV) Wir haben bereits bei Ambrosius die Bedeutung der Freiheit und Freiwilligkeit für den Heilserwerb des Menschen kennengelernt, die durch die Gnadenlehre des späten Augustin in Frage gestellt, ja zerstört wurde. Für Cassian ist wiederum die Freiwilligkeit die Grundlage des gesamten Erziehungswegs der Mönche und der Menschheit: „Non ergo (sc. deus) ad illa virtutum excelsa fastigia praecepti quemquam necessitate constringit, sed liberi arbitrii provocat potestate et salubritate consilii ac desiderio perfectionis accendit.“ Nicht mit Zwang, sondern durch das Entfachen von Begeisterung in den Menschen werden sie dazu veranlasst, ihr liberum arbitrium recht zu gebrauchen und sich nach Vollkommenheit zu sehnen. (Coll. XXI, 5) So ist z. B. auch die humilitas nicht Resultat der Einwirkung anderer, sondern „in tuo pendet arbitrio“. (Inst. IV, 42) Das gilt auch für Laster: „Non ergo hanc evagationem cordis nostri vel naturae humanae vel deo creatori eius debemus ascrivere [...] a nobis earum qualitas pendet.“ (Coll. VII, 4) 32 Cassian zeigt bereits eine bemerkenswerte Verinnerlichung der ethischen Reflexion. Der Begriff der intentio, der Absicht einer Handlung, als zentrale Kategorie der Beurteilung, spielt bereits eine wichtige Rolle, die später bei Abaelard ihre Fortsetzung findet. Die intentio, die Ausrichtung des Geistes, ist für Cassian geradezu das Kennzeichen und Unterscheidungsmerkmal, das Menschen voneinander abgrenzt. „Tantum namque inter hominem distat et hominem, quantum et illa ad quae animi eorum tendit intentio ab invicem disparantur“. (Coll. XII, 16) 33 Nicht so sehr an ihren Handlungen als vielmehr an ihren Absichten will Cassian die Menschen erkennen. Dies weist auf die intentionale Ethik des Hochmittelalters voraus. Auf diese Verinnerlichung der ethischen Reflexion weist auch eine Formulierung, mit der der Autor die Unentschuldbarkeit des Verrats des Judas feststellt, obwohl dieser Verrat letztlich der Menschheit zum Segen gereichte. „Non enim proventus considerandus est operis, sed operantis adfectus.“ (Coll. VI, 9) Nicht das Ergebnis der Handlung zähle, sondern die Absicht des Handelnden. Daher könne auch niemand von einer anderen Person zum Sünder gemacht werden: „Nec enim potuit aliquando cuiquam nolenti ac resistenti malum peccati alter inferre nisi illi soli, qui illud in sese cordis ignavia et corrupta voluntate suscepit.“ (Coll. VI, 4) 34 Hier ist bereits die Definition von Sünde als willentliche Zustimmung zum Bösen impliziert, die bei Abaelard als „consensus“ bezeichnet wird, aber bereits hier im 5. Jahrhundert der Sache und sogar dem Begriff nach vorhanden ist. Schon für Cassian macht nicht erst die Tat, sondern die bewusste 32 „Wir dürfen das Abschweifen unserer Neigungen weder der Menschennatur noch deren Schöpfer zuschreiben: es liegt an uns.“ 33 „Insofern unterscheiden sich die Menschen als die Ausrichtung des Geistes, die Absicht, sie voneinander abhebt.“ 34 „Denn niemand kann einem anderen gegen dessen Willen und Widerstand eine Sünde aufzwingen außer demjenigen, der sie aus Trägheit und verdorbenem Willen annimmt.“

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Zustimmung zur Sünde das Vergehen aus. Schon Adam sei nicht verführt worden, sondern „seductae adquiescens in exitiabilem videtur accessisse consensum“, er habe sich der Verführten anbequemt und damit seine Zustimmung zum Verderben gegeben. Darauf sei er zur Arbeit im Schweiße seines Angesichts verurteilt worden, wobei der Fluch auf der Erde gelegen habe, nicht auf ihm. (Coll. VIII, 11) Daher müsse man sich auch vor schlechter Beratung hüten, da nicht nur die Urheber der Gedanken eine Sünde begingen und sich strafbar machten. (ibid.) Sünde bestehe in der Zustimmung gegenüber einem Versucher. So seien schon Abraham und Joseph versucht worden, aber „nullus eorum consensum praebuit temptatori“. (Coll. IX, 23; ähnlich: mentis adsensus Coll. XIX, 16; mentis consensus Coll. XXII, 3) Die Selbstverantwortung des Menschen für seine Verfehlungen spielt somit für Cassian eine wichtige Rolle. Den Menschen ist nämlich mit der Schöpfung die Kenntnis des Naturgesetzes mitgegeben. (Coll. VIII, 23) Wenn sie also nicht der zentralen Lebensmaxime folgen, die der Autor aus Hiob 5, 7, zitiert: „homo labori nascitur“ (Coll. VII, 6), wenn sie eher aus Beute ihr Leben bestreiten, anstatt mit Arbeit und Schweiß zufrieden zu sein (Coll. VIII, 21), sind sie selbst verantwortlich für ihr Ergehen: so mussten sie auch die Sintflut als Strafe hinnehmen. (ibid.) Sogar über den unterschiedlichen ethischen Wert der Motive für eine solche Zustimmung zum Bösen macht sich Cassian Gedanken: Es sei viel besser, wegen des Guten selbst vom Guten nicht abweichen zu wollen, als aus Furcht vor dem Übel „malis non praebere consensum“. (Coll. XI, 8) Höllenfurcht und Gesetzesfurcht als Gründe, Laster zu meiden, auch die Hoffnung auf das Himmelreich, seien weniger hochstehend als die Liebe zum Guten als Beweggrund für die Verweigerung der Zustimmung zum Bösen. (Coll. XI, 6) Die Sicht der Zustimmung als Akt bewusster Entscheidung zum Guten oder zum Bösen als Kennzeichen der Sünde impliziert, dass die Verantwortlichkeit allein beim Menschen liegt, genauer in seiner Seele. Dem entspricht es, dass bei Cassian ein Gewissen als Schiedsrichter der Handlungen, aber auch bereits der Gedanken fungiert. 35 Das liberum arbitrium bzw. sogar abstrakt die libertas arbitrii (Coll. XI, 12) wird von der heiligen Schrift, dem Bezugsrahmen moralischer Entscheidungen, „ad diversos perfectionum gradus“ provoziert, wie Cassian sich ausdrückt. Denn es gebe unterschiedliche Begabungen und demnach „diversos ordines diversasque mensuras“, in denen die Menschen Gottes Wort gerecht würden, und deshalb auch unterschiedliche Formen von Seligkeit. (ibid.) Das liberum arbitrium habe die Aufgabe, ethisch neutrale, indifferente Güter wie Macht, Reichtum, Ehre Gesundheit, Schönheit, körperliche Stärke etc., die als media zwischen virtus und peccatum liegen, nach Möglichkeit im rechten Sinne zu gebrauchen. (Coll. VI, 3) So könne es den 35 Coll. XI, 8; XII, 12: anima [...] in secreto conscientiae suae [...] est [...] arbitra singularis: Die Seele ist im Geheimen ihres Gewissens die einzige Schiedsrichterin; Coll. XVII, 17: reatu humilis conscientiae salubriter mordeamur: von der Anklage des bescheidenen Gewissens mögen wir heilsam gebissen werden; Coll. XX, 5: peccata, pro quibus [...] nostra conscientia remordetur: Sünden, für die uns unser Gewissen beißt; Coll. XXII, 3: fiducia conscientiae nostrae: im Vertrauen auf unser Gewissen.

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Menschen gelingen, zu „ambidextri“ zu werden, zu Menschen, die aufgrund ihrer virtus ihre zwei inneren Seelenteile so gebrauchen, dass sie beide gleichsam zu zwei rechten Händen werden. (Coll. VI, 10) Wenn dies freilich dauerhaft scheitert, kann es passieren, dass selbst Gott wie ein erfahrener Arzt, der alle möglichen Heilmittel anzuwenden versucht hat, aufgibt: „iniquitatum magnitudine superatur“. (Coll. VI, 11) Diese Formulierung zeigt, wie wesentlich im Denken Cassians die menschliche Eigenverantwortung ist. Das liberum arbitrium ist für ihn geradezu der Kern des Menschen: seine Lauheit und Schwäche führen zur Verdammnis. (Coll. XVIII, 8) Cassian diffamierte die Willensfreiheit auch nicht wie Augustin als Ursprung des Bösen, machte sie nicht für sämtliche Laster verantwortlich. Schon im Kapitel über die Geldgier hatte es geheißen, dass einige Laster nur „corruptae ac malae voluntatis arbitrio“ entstehen, wie die Geldgier zu den erworbenen und nicht in der menschlichen Natur schon vor dem Sündenfall angelegten Lastern gehören. (Inst. VII, 1; 5) Die Willensfreiheit ist somit nicht schuld an allen Lastern, weil sie anfällig ist, sondern nur für die verantwortlich, die keine „naturalis occasio“ vorprägt. Die Folgen dieser Sichtweise zeigen sich auch in seinen „Variationen über Normtreue“, wie man die 17. Collatio überschreiben könnte. Hier diskutiert er die Bedingungen, unter denen man von gegebenen Versprechen bzw. Ankündigungen abweichen könne und räumt der flexiblen ad hoc-Entscheidung des einzelnen je nach Maßgabe sich ändernder Entscheidungsbedingungen einen weiten Spielraum ein. Am Beispiel König Salomos, der als Schiedsrichter über die beiden angeblichen Mütter eines Säuglings diesen lebend seiner wahren Mutter zurückgegeben hatte, anstatt ihn wie angekündigt zu teilen, und am Beispiel Davids zeigt er: „mavult transgressor propositi iudicari quam sacramenti sui fidem cum crudelitatis exsecutione servare“ (Coll. XVII, 25) und verweist sogar auf Engel, Heilige und den Herrn selbst, der häufig gegebene Bestimmungen verändert habe. (ibid.) „Diese Beispiele lehren uns, in unseren Festlegungen nicht zu starr zu sein, sondern sie unserem eigenen Urteil (arbitrium) zu unterwerfen, das von jedem Gesetz frei gehalten werden muss, damit es bereit sein kann, dem heilsameren Rat zu folgen, damit es nicht aufschiebt oder zurückweist, wenn das heilsame Unterscheidungsvermögen (discretio) eine Regel zu überschreiten gebietet.“ (Coll. XVII, 25) „Edocemur non debere nos obstinate in nostris definitionibus perdurare“. (ibid.) Diese Warnung vor dem Starrsinn gilt allerdings nicht für zentrale Glaubensgrundsätze, von denen das Heil der Menschen abhängt, sondern nur für solche „quae sine periculo status nostri vel relaxare possumus vel tenere“. (Coll. XVII, 28) Wer der menschlichen Entscheidungsfreiheit und Bemühung so viel zutraut, wie es Cassian mit den Schlüsselbegriffen der discretio und conscientia, des liberum arbitrium zeigt, hat notwendigerweise ein positives Menschenbild. 36 : „omnis creatura dei bona“ stellt Cassian unmissverständlich unter Berufung auf 36 Das platonische Bild der drei Seelenteile klingt in Coll. XXIV, 15 an, wo Cassian logikon, thymikon und epithymetikon unterscheidet.

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Röm. 14, 14 fest. Demgemäß geht Cassian von einem allgemeinen Heilswillen Gottes aus, der der Prädestinationslehre Augustins widerspricht. (Coll. XIV, 8) Doch angesichts einer so dominanten Bedeutung innerseelischer Vorgänge wie Absicht, Gewissen und freier Willensentscheidung für den Heilserwerb, welche Rolle spielt Arbeit in diesem Zusammenhang? Schon die Begrifflichkeit Cassians ist bemerkenswert: Er benutzt das Wort „labor“, das im lateinischen Sprachgebrauch eher den Aspekt der Mühe, des passiven Leidens unter Arbeit als einer Strafe beinhaltet, synonym mit „opus“, das eher positiv das Werk, das Ergebnis einer schöpferischen Tätigkeit bezeichnet. Im Hendiadyoin wird die Bedeutungsgleichheit der Termini besonders deutlich: als würde das positive Ergebnis der Mühe stets mitgedacht, formuliert Cassian in einem Abschnitt, der sich mit dem Kampf gegen die Unzucht beschäftigt: „labor opusque manuum“, die Handarbeit, sei es, die die unsteten Regungen des Herzens bezähme und zurückrufe, und vor allem die wahre Demut begründe, ohne die ein Sieg über ein Laster niemals erreichbar sei. (Inst. VI, 1) Die sittliche Wirkung der Arbeit ist es, die die Arbeit zum Werk werden lässt. Beides scheint geradezu das diesseitige Leben auszumachen: „ad opus tantum et laborem actualis vitae“ müssten die Menschen gestärkt werden. „Opere ac labore“, wie Cassian mittels eines Hendiadyoin formuliert, seien sie aufgrund ihres weltlichen Ehrgeizes bedauerlicherweise stets bestrebt, über das Notwendige hinaus sich mit äußeren Dingen wie Kleidung und Wohnung zu versorgen. (Coll. IX, 5) Cassian schätzt die körperliche Arbeit: Er bewundert die ägyptischen Anachoreten, die zwischen Mittelmeer und Nil auf einer Insel im Delta lebten und ihr Wasser drei Meilen über Sanddünen herantransportieren mussten, für das effiziente Ausheben von Wassergräben. „Über alle Maßen bewunderten wir ihre Leistungen, die sie aus der Betrachtung der Tugenden und der Liebe zur Einsamkeit ertrugen. Denn sie wurden von solchem Wassermangel gequält, dass sie es mit einer Sorgfalt und Überlegung verteilten, wie niemand, und sei er noch so sparsam, eine Sorte kostbarsten Weines bewahrt und aufhebt.“ (Inst. V, 36) In Cassians Abhandlung über den Zorn findet sich eine mögliche Begründung, weshalb die Handarbeit bei Cassian einen so hohen Stellenwert genießt und sogar mit dem Wort für die göttliche Schöpfertätigkeit (opus) bezeichnet werden kann: er erörtert die Unangemessenheit anthropomorphen Sprechens über Gott. Ihn, der unaussprechlich, unsichtbar, unverstehbar sei, könne man nicht ohne Blasphemie mit Wut in Verbindung bringen. Die Bezeichnung von Mund, Arm und Händen Gottes freilich bilde seine Wirksamkeit ab („divinas efficientias dei et inmensas operationes eius“), die uns nur durch diese gebräuchlichen Worte zu vermitteln sei. Mit den Händen werde Handeln und Voraussicht des Schöpfers aller Wesen kenntlich gemacht. (Inst. VIII, 4: manuum nuncupatione providentiam et operationem, qua omnium ipse sit creator et conditor, sentiamus.) So sind Handarbeit und asketische Leistung (opus und labor) der Mönche als Abbild der göttlichen Schöpfung durchweg positiv bewertet. Zur positiven Wertung der Handarbeit führt auch, dass für Cassian die Laster zusammenhängen und stets körperliche und geistige Verfehlungen zugleich darstellen: „amborum vitio, id est animae et corporis generantur, [...].“ (Coll. V, 4)

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So müssen auch zu ihrer Überwindung „mentis intentio“ und „castigatio corporalis“ zusammenwirken, denn „superari nisi utriusque labore non poterunt“. (ibid.) Den inneren Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Anstrengung fasst Cassian an anderer Stelle noch unmissverständlicher: Es gebe eine unauflösliche wechselseitige Beziehung („reciproca quaedam inseparabilisque coniunctio“) zwischen körperlicher Askese (labor corporis) und geistiger Umkehr (contritio spiritus), mit denen gemeinsam die Menschen zur ewigen Reinheit und geistigen Ruhe zu gelangen sich bemühten. (Coll. IX, 2) Demgemäß bedeutet für Cassian „labor“ sehr häufig die sittlich-asketische Anstrengung. z. B. ieiuniorum vigiliarumque laboribus“ sich auszusetzen. (Inst. VIII, 22; cf. Coll. IV, 17: labore continentiae corporalis; Coll. XIX,6: labores anachoreseos sustinere; Coll. XX,1: laborem obedientiae) Labor als Askese führt zur puritas cordis (Coll. IV, 4), dem Ziel des monastischen Lebens. (Coll. VII, 3) Er wisse nicht, wie es möglich sein solle, „sine vigiliarum labore cordis acquirere puritatem“. (Coll. VI, 12) Ohne sie könne man keine virtus erreichen. (Coll. VII, 6) Der menschliche Lebensweg hat für Cassian sein Kennzeichen und seine Bestimmung in Arbeit und Askese: „homo labori nascitur“ zitiert er Hiob (5, 7). So kann der Begriff „labor tanti itineris“ den gesamten Weg der monastischen Erziehung hin zur puritas cordis umfassen. (Coll. XI, 5) Gewissen und sittliche Anstrengung (conscientia und labor) wirken so zusammen und steigern für Cassian die Chancen auf Vergebung der Sünden durch Gott beträchtlich, sind also unmittelbar heilswirksam. (Coll. XX, 7–8) Dies dürfe freilich nicht zur Selbstüberschätzung führen, dergestalt, dass sich die Menschen „operis sui studio“ des Guten teilhaftig fühlten, was ihnen doch auch „divini muneris largitate“ zukomme. (Coll. XIII, 1) Kurz darauf führt Cassian aus „nihil posse perficere sine adiutorio dei laborantis industriam.“ (Coll. XIII, 3) Er vergleicht die lebenslangen sittlichen Bemühungen der Menschen mit der Tätigkeit des Ackerbauern, dessen Arbeit nur Früchte bringt, wenn seine Anstrengung und die Hilfe Gottes, der das rechte Wetter sendet, zusammenkämen: „eget divinitatis auxilio agricolae laborantis industria“. (Coll. XIII, 3) Die Dignität der Feldarbeit wird durch diese Verwendung als Sinnbild für menschliche Tätigkeit schlechthin noch unterstrichen. Körperliche Arbeit ist also heilswirksam: Gott wisse zwar im Hinblick auf das Ende des Lebens des Menschen alles im voraus, doch ordne er gleichsam nach menschlichen Maßstäben die Dinge so, dass er den einzelnen nicht vom Ende her, sondern vom aktuellen Verlauf des Lebens her in seinen einzelnen Handlungen beurteile und ihn so jeweils konkret zu sich ziehe oder verwerfe, ihm seine Gnade zuteil werden lasse oder sie ihm entziehe. (ibid.) So habe Gott schließlich auch Saul, obwohl er um dessen Ende wusste, zum König der Juden gemacht und es dann anschließend bereut. (1. Könige 15, 11) Bedeutsam für unsere Fragestellung ist weiterhin die Reihenfolge der inneren Haltungen, die nach Cassian zur Vollkommenheit führen, da sie einen Eindruck von den Ausformungen des labor gibt, die auf dem Weg zurückzulegen sind. Alles beginnt mit dem „timor domini“. Aus ihm ergibt sich die „compunctio salutaris“, die heilbringende Reue. Dann folgt die „abrenuntiatio“, die Lossagung, der

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Verzicht auf äußere Güter, aus dem Demut erwächst. Aus dieser wiederum folgt die Abtötung der Wünsche und Begierden (die Handschriften variieren zwischen voluntatum und voluptatum), die ihrerseits Voraussetzung für das Wachsen der Tugenden ist. Schließlich stellt sich die Reinheit des Herzens ein, in der die Vollkommenheit der Nächstenliebe besteht. (Inst. IV, 43; als Ziel des mönchischen Lebens auch in Coll. I, 4) Beachtet man diese Reihenfolge, so hat „labor“ seinen Ort vor allem in der Hinführung zur humilitas und caritas und bei der mortificatio voluntatum. Man lerne die Demut vor allem durch Gehorsam „et operis contritione corporisque fatigatione“ (Inst. V, 10): anstrengende körperliche Arbeit hat damit sittlichen Wert. Sinn der caritas ist für Cassian die Aufhebung der von Menschen verursachten ungerechten Besitzungleichheit. (Coll. I, 10) Er übt Kritik an denjenigen, die die Güter, die Gott allen gewährt hatte, allein für sich nutzen, ohne sie anderen zur Verfügung zu stellen. Der Vorwurf richtet sich nicht so sehr gegen das Vorhandensein von Privatbesitz im Unterschied zur Gütergemeinschaft der Urkirche, sondern stärker dagegen, dass die Besitzenden die Güter dem wachsenden Heer von Schwachen und Notleidenden nicht einmal zur Nutzung („utenda“) überließen. Die „hereditas aeterna“ der Schöpfung werde erst in Ausübung der caritas gleichmäßig im Sinne Gottes verteilt, bis im Jenseits alle in die caritas Gottes eingingen. (ibid.) Die Mildtätigkeit sei daher auch für denjenigen nützlich, der sie ausübe, weil sie die Ordnung Gottes wiederherstelle. Die Ermöglichung von caritas ist demnach nicht nur in dem äußeren Sinne wichtig, dass die Arbeit der Mönche den Lebensunterhalt nicht nur der Kommunität, sondern auch der Bedürftigen sicherstellt (Inst. X, 17–18), sondern auch innerlich den Fortschritt zur Vollkommenheit ermöglicht. Arbeit schützt den Mönch gegen Anfechtungen, bewahrt ihn vor dem Schlafbedürfnis und wappnet ihn gegen die acedia, die träge Verdrossenheit. (Inst. II, 13; III, 8, 2; X, 8) Der Eifer in der Arbeitserfüllung ist für ihn ein Kriterium, ob ein Bruder Fortschritte in Geduld und Demut macht. (Inst. X, 22) Deswegen setzt er sich dafür ein, den Mönch zur Arbeit – allerdings nicht zur Feldarbeit – und der mit ihr verbundenen Anstrengung notfalls auch zu zwingen, wenn dies erforderlich sei. (Inst. II, 3, 3; Coll. XXIV, 3–5) Zur Begründung zitiert er Bibelstellen und verweist auf das Vorbild der ägyptischen Mönchsväter. (Inst. II, 5, 2; X, 8ff.; 17; 22; Coll. XXIV, 12, 1; 11, 4) In dieser Hochschätzung der Arbeit setzt Cassian Einsichten der ägyptischen Anachoreten fort. 37 Auch für sie war der biblische Grundsatz, dass nicht essen solle, wer nicht arbeite (2. Thess. 3, 10), maßgeblich gewesen. Als notwendige Entspannung vom ständigen Gebet sahen sie die Arbeit als ein Geschenk des Himmels, das als Zugeständnis an die menschliche Schwäche als Hilfe zur Aufrechterhaltung der Konzentration im Gebet gedacht sei. Erst die Arbeit, so die Überzeugung der Anachoreten, mache frei von der Heimsuchung durch lüsterne 37 H. Holze, Erfahrung und Theologie im frühen Mönchtum, Untersuchungen zu einer Theologie des monastischen Lebens bei den ägyptischen Mönchsvätern, Johannes Cassian und Benedikt von Nursia, Göttingen 1992, p. 107–132.

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Gedanken und befreie den Menschen zum Gebet. Schließlich sei Arbeit eine Voraussetzung für Autarkie und ermögliche es, anderen karitative Hilfe zukommen zu lassen. Freilich hatten die Anachoreten dabei stets nur Arbeiten im Blick, die in der Zelle verrichtet werden konnten, nicht etwa Ackerbau, Gartenarbeit oder Handwerkstätigkeiten. Cassian hingegen schließt in seiner Verteidigung der Arbeitspflicht der Mönche Tätigkeiten außerhalb des Klosters nicht aus (Inst. II, 15, 1), wobei die Erzeugnisse täglich beim Wirtschaftsverwalter abzuliefern waren. (Inst. X, 20) Doch er erkennt andererseits die konzentrationsfördernden Vorteile des Verweilens in der Zelle durchaus. (Coll. VI, 15) Wie das Arbeiten aus Gewinnstreben die Handlung disqualifiziert, so muss auch Arbeit aus Ruhmsucht, um sich etwa als besonders leidensfähiger Asket rühmen zu können (s.o. Inst. XI, 6 und Coll. II, 24), missbilligt werden: die Absicht, aus der heraus eine Handlung vollzogen wird, bestimmt ihren Wert. „Fructus laborum nostrorum nos penitus amissuros, quoscumque cenodoxiae proposito fecerimus“. (Inst. XI, 19, 2) 38 Auch die Collationes vertreten diese Position. Da für Cassian die Laster zusammenhängen („invicem sibi conexa atque permixta sint“ Coll. V, 10) und stets körperliche und geistige Verfehlungen zugleich darstellen, „amborum vitio, id est animae et corporis generantur“ (Coll. V, 4), müssen auch zu ihrer Bekämpfung „mentis intentio“ und „castigatio corporalis“ zusammenwirken, denn „superari nisi utriusque labore non poterunt“, nur durch Anstrengung seien sie zu überwinden. (ibid.) Den inneren Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Anstrengung fasst Cassian an anderer Stelle noch unmissverständlicher: Es gebe eine unauflösliche wechselseitige Beziehung („reciproca quaedam inseparabilisque coniunctio“) zwischen körperlicher Askese (labor corporis) und geistiger Umkehr (contritio spiritus), mit denen gemeinsam die Menschen zur ewigen Reinheit und geistigen Ruhe zu gelangen sich bemühten. (Coll. IX, 2) Umso wirksamer, so ist zu folgern, muss monastische Askese sein. Einige konkrete Beispiele für den sittlichen Wert der Arbeit aus den Werken des Cassian seien hier zur Illustration angeführt. Dem Vorbild der Urkirche (Act. 4, 32), die ein Herz und eine Seele war, die radikale Askese kannte, zum Beispiel dreitägiges Fasten bis zur nächsten Mahlzeit, Handarbeit tags und nachts, sollten die Mönche nachstreben. (Inst. II, 5) Unablässige Arbeit habe deren Leben gekennzeichnet „credentes se tanto sublimiorem spiritalium contemplationum puritate mentis intuitum quaesituros, quanto devotius fuerint erga operis studium ac laboris intenti.“ (Inst. II, 12, 2) 39 Arbeit könne als Zeichen der Gottesverehrung gesehen werden. (Coll. XXI, 2) Die synonyme Verwendung von opus und labor wurde bereits vorgeführt, hier kommt hinzu, dass der körperlichen Arbeit eine die Kontemplation fördernde Wirkung zugeschrieben wird.

38 „Wir werden die Früchte unserer Arbeit völlig verlieren, die wir aus Geltungsstreben heraus verrichtet haben.“ 39 „Denn sie glaubten, einen umso erhabeneren Anblick der geistlichen Dinge erreichen zu können, je intensiver sie der Arbeit und sittlichen Bemühung oblägen.“

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Cassian stellt im zehnten Buch der Institutionen, in dem es um die Vermeidung der Trägheit geht, geradezu ein Kompendium von Bibelstellen zur Verfügung, die dokumentieren, welche Bedeutung die Handarbeit für die Mönche habe. (Inst. X, 7–8) Vor allem Paulus, der arbeitete, um anderen nicht zur Last zu fallen, dient als Vorbild (Inst. X, 8 und Coll. XVIII, 11): „ne gravaret quempiam, gratis panem manducare non audet“. (Inst. X, 9) Insbesondere seine Briefe werden unter diesem Gesichtspunkt benutzt. Das berühmte „si quis non vult operari, nec manducet“ (2. Thess. 3, 10) ist nur ein Beleg. (Inst. X, 11) Aus dem gleichen Kontext (2. Thess. 3, 6) stammt der Hinweis, man möge sich von denen zurückziehen, die „vacare operi nolunt“ und sich dem „inertiae morbus“ hingäben. (Inst. X, 7) Tag und Nacht solle man arbeiten, um niemanden zur Last zu fallen (2. Thess. 3, 8, auch in Coll. XXIV, 11) Der erste Brief an die Thessalonicher wird gleichfalls herangezogen: „et operemini manibus vestris, sicut praecepimus vobis.“ (1. Thess. 4, 10) Dem ersten Korintherbrief wird die Mahnung entnommen: dignus est operarius cibo suo. (1. Kor. 9, 14) Auch die Collationes betonen, dass jeder ein Recht auf Lohn für seine Arbeit habe: „unusquisque propriam mercedem accipiet secundum suum laborem“ (1. Kor. 3, 8 in Coll. XXIV, 2 und 11) Paulus’ Brief an die Epheser wird ebenfalls als Beispiel für die Mönche herangezogen: qui furabatur, iam non furetur, magis autem laboret operando manibus suis quod bonum est, ut habeat unde tribuat necessitatem patientibus. (Eph. 4, 28) 40 Arbeit soll der Nächstenliebe dienen. In den Apostelakten heißt es: omnia ostendi vobis, quoniam sic laborantes oportet suscipere infirmos. (Act. 20, 35) Doch es geht nicht nur um die Unterstützung von Bedürftigen, sondern um mehr: Cassian zitiert die ägyptischen Wüstenväter, die die Sentenz geprägt hätten, dass ein arbeitender Mönch von einem Dämon gequält werde, ein träger jedoch von unzähligen. (Inst. X, 23) Die Arbeit solle für den Mönch nicht so sehr die Notwendigkeiten des Lebensunterhalts bereitstellen, sondern zur Reinheit der Gedanken und zur Festigkeit des Herzens beitragen. (Inst. X, 24) Cassian führt das Beispiel des Wüstenvaters Paulus an, der von Kokosnüssen und den Erzeugnissen seines kleinen Gärtchens lebte. Vom nächsten städtischen Markt wohnte er viel zu weit entfernt, als dass es sich gelohnt hätte, dort seine Produkte zu verkaufen, weil die Reisekosten den Erlös bei weitem überstiegen hätten. Gleichwohl verlangte er von sich, ein tägliches Pensum von Palmblättern zu sammeln, als ob er davon leben müsste. Immer wenn er eine Höhle mit den gesammelten Blättern eines ganzen Jahres gefüllt hatte, verbrannte er Jahr für Jahr das, was er sorgsam zusammengetragen hatte. Dadurch bewies er mit größtem Nachdruck, dass ein Mönch an einem Ort nicht ausharren und nicht zur Vollkommenheit gelangen könne, wenn er nicht das, was zu tun ihn die Notwendigkeit der Lebensvorsorge keineswegs zwinge, ausschließlich zur Reinigung des Herzens, zur Festigung der Gedanken, zur Beständigkeit des mönchischen Lebens und zum vollständigen Sieg über die Trägheit ausführe. (Inst. X, 24) Nicht ökonomische Erwägungen bestimmen das Nachdenken über Arbeit und deren Nutzen – obwohl sie mit dem 40 „Der Dieb soll nicht mehr stehlen, sondern mit seiner Hände Arbeit Gutes tun, damit er die Not der Leidenden lindern kann.“

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Abwägen von Gewinnerwartung und Aufwand durchaus angestellt werden – sondern geistliche. Höchst bemerkenswert ist es darüber hinaus, dass Cassian zur Handarbeit auch die Erstellung von Handschriften rechnet. Das opus manuum öffnet sich geistiger Tätigkeit. In seiner Beschreibung der Gehorsamspflicht der Mönche wird beispielhaft der Schreiber genannt, der, sobald die Glocke zum Gebet oder zu einer anderen Tätigkeit ertönt, sofort „den Griffel fallenlassen soll“, mitten im Schreiben unterbrechen, um unverzüglich dem Ruf zu folgen. Er soll den begonnenen Buchstaben nicht zuende führen, nicht das Bild des angefangenen Bogens runden, wie es wörtlich heißt, sondern die Linien, die für den Buchstaben gezeichnet sind, mitten im Strich verlassen. Nur so zeige er, dass es ihm nicht um den aus der Arbeit zu ziehenden Gewinn gehe, sondern um den Gehorsam. Die Tätigkeit in der Schreibstube wird in diesem Kontext ausdrücklich dem opus manuum zugerechnet. (Inst. IV, 12) Nicht anders in einer weiteren bezeichnenden Episode (Inst. V, 39), in der es um einen aus Italien in die ägyptische Wüste zugewanderten Bruder namens Simeon geht. Er war des Griechischen völlig unkundig, und einer der älteren Mönche, der ihm ein „caritatis opus“ angedeihen lassen wollte, fragte ihn, warum er untätig (otiosus) in seiner Zelle sitze. Denn er befürchtete, dass der Fremde es dort aufgrund des Mangels an Nahrungsmitteln und der die Gedanken verwirrenden Folgen der Muße nicht lange aushalten werde, weil er sicher war, dass nur derjenige die Anfechtungen der Einsamkeit ertragen könne, der damit zufrieden sei, sich seinen Lebensunterhalt mit seinen eigenen Händen zu verdienen. Simeon, der Neuankömmling, antwortete ihm, er wisse und könne nichts von dem, was die Mönche hier arbeiteten außer Bücherschreiben. Wenn aber einer in Ägypten einen lateinischen Kodex gebrauchen könne, dann habe er endlich die Gelegenheit, das ersehnte Werk der Frömmigkeit gleichsam als einen Auftrag zu verrichten: „Gott hat diese Gelegenheit erfunden“, sagte der Alte. „Denn ich suche schon lange jemanden, der mir die lateinische Apostelgeschichte abschreiben könnte. Denn ich habe einen Bruder, der Militärdienst leistet und besonders im Lateinischen bewandert ist, dem ich etwas aus den Heiligen Schriften zur Erbauung schicken möchte.“ So nahm Simeon diese Gelegenheit als eine von Gott gesandte dankbar wahr, und der Alte griff den Vorwand, unter dem das Werk der Frömmigkeit frei erfüllt werden könnte, noch lieber auf und schickte ihm nicht nur alles, was er zum Leben brauchte unter dem Vorwand, dies sei der Lohn für ein ganzes Jahr, sondern auch die Häute 41 und alle notwendigen Schreibutensilien. Dann empfing er den geschriebenen Kodex, der in Wirklichkeit für niemanden nützlich oder vorteilhaft war – denn alle in dieser koptisch sprechenden Gegend waren des Lateinischen völlig unkundig –, außer, dass er mit dieser subtilen Begründung und 41 Auch dies ein hochinteressantes Detail, denn man hätte im 4. Jahrhundert genauso gut Papyrus als Beschreibstoff erwarten können, zumal in Ägypten! Ebenso bezeichnend für das Auseinanderbrechen des einheitlichen lateinischen Römerreiches als mittelmeerischer Koine ist es, dass man im Osten bereits Ende des 4. Jahrhunderts kein Latein mehr versteht. Spätestens mit dem Ende des 6. Jahrhunderts ist dieser Prozess vollendet, wie z. B. die zweisprachigen Novellen Kaiser Justinians zeigen.

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dem umständlichen Aufwand erreichte, dass jener Simeon ohne Scham wie als Lohn die Dinge erhielt, die „laboris et operis sui necessaria“ waren, Lebensmittel und Arbeitsmaterial, und er selbst sein frommes Geschenk als Erfüllung einer Pflicht darstellen konnte. Dabei erwarb sich der Alte umso reichlicher (geistlichen) Lohn, desto üppiger er dem Bruder nicht nur Lebensunterhalt, sondern auch Arbeitsgerät und Arbeitsgelegenheit zukommen ließ. Soweit die Geschichte, die vielfältigen Einblick in das frühmittelalterliche Verständnis des Sinnes von Arbeit gewährt. Zunächst vordergründig wiederum die Information, dass auch die Handschriftenherstellung zu den mönchischen Arbeiten in Ägypten zählte, deren Berechtigung Cassian mit dieser Schrift auch dem westlichen Mönchtum vermittelt. Das bedeutet freilich keineswegs, dass auch das Abschreiben weltlicher Bücher zu diesen Aufgaben gehört hätte: denn in Buch 14 der Collationes bezeichnet Cassian weltliche Lektüre, d. h. Dichtung und Geschichtsschreibung, als „impedimentum salutis“, weil solche „phantasmatum imaginatio“ den Geist von der Betrachtung höhere Dinge abhalte. (Coll. XIV, 12) Für ihn steht fest: „vera scientia non nisi a veris dei cultoribus possidetur“ (Coll. XIV, 16), so dass der Dichtersprache nicht einmal eine propädeutische Funktion zum Verständnis der Schrift zugemessen wird, wie dies Augustin vertreten hatte, der in der Schrift De doctrina christiana den Nutzen der septem artes für den Glauben begründete. (PL 101, z. B. c. 849–854) Bemerkenswerter noch ist im Kontext der Geschichte vom abschreibenden Mönch die vom Autor betonte subtile Rücksicht und Empfindsamkeit, mit der der ältere Mönch den Neuankömmling davor bewahrt, nicht nur körperlich Mangel zu leiden, weil er nicht durch Arbeit seine Ernährung sicherstellen kann, sondern auch spirituell, weil er sich schämen muss, nicht für sich selbst sorgen zu können und die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen. Arbeit hat hier keinen materiellen Zweck, sie dient nicht der Befriedigung einer Nachfrage und unterliegt nicht den Gesetzen des Marktes wie im ökonomischen Denken – auch der Abt Paulus sammelte Palmzweige, obwohl er sie nicht auf den Markt bringen und verkaufen konnte. (Inst. X, 24) Arbeit dient dem Schutz vor den „pervagationes otii“, den unsteten Gedanken, die sich einstellen, wenn man Muße hat, und sie schafft die Illusion, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, die Autarkie sichert. Das Verdienst des Alten besteht darin, den Lebensunterhalt eines Bruders zu sichern, und zwar sowohl materiell, indem er ihm Lebensmittel schickt, aber vor allem ideell, indem er ihn im Glauben lässt, er werde gebraucht. Indem Gott als der Verursacher einer solchen Arbeitsgelegenheit (occasio) gesehen wird, steht fest, dass zumindest das Mönchtum in der Arbeit vor allem eine gottgewollte sinnstiftende Betätigung, ein Gnadengeschenk und keine Strafe für den Sündenfall, sondern eher dessen Prävention, sah. Die Episode kann geradezu als religiöse Begründung eines Menschenrechtes auf Arbeit gelesen werden, fernab jeden marktwirtschaftlichen Nutzkalküls, in das wir sie einzuordnen uns angewöhnt haben. Die Geschichte verweist auch auf Cassians Sicht des Verhältnisses menschlicher Bemühung und göttlicher Gnade, dem wir uns weiter unten zuwenden wollen. Beide Elemente müssen zusammengehören (cooperari), wenn

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Heil entstehen soll: Gott gibt die Gelegenheit, und es liegt an uns, sie zu ergreifen und zu gestalten. Der enge Zusammenhang mönchischer Handarbeit und moralischer Leistung zeigt sich auch in einer Episode, in der Cassian des Abtes Archebius gedenkt, der ein Kloster im Nildelta leitete. Ein „caritatis opus“ dieses vorbildlichen Mannes möchte er schildern, dessen Beherrschung und Nächstenliebe beeindruckend gewesen seien. Er selbst war im Knabenalter ins Kloster gegangen und hatte seine Familie während der fünfzig Jahre, die er dort verbrachte, nicht wiedergesehen. Der Tod seines Vaters freilich ließ seine Mutter mit einer Schuld von hundert solidi zurück. Als er erfuhr, dass die Gläubiger sie heftig bedrängten, beeilte er sich, ihr zu helfen, während er zuvor, als es den Eltern gut gegangen war, sich völlig von ihnen getrennt hatte. Er ließ sich das Maß der ihm zugewiesenen Arbeit im Kloster verdreifachen, arbeitete ein ganzes Jahr lang Tag und Nacht im Schweiße seines Angesichtes und trug so die Schulden der Mutter ab. (Inst. V, 38) Die Wertung der Handarbeit als ein „genus virtutum“ durch den heiligen Antonius ist Cassian offenbar wegweisend für seine Einschätzung. Er zitiert dessen Lehrmeinung, niemand könne in allen Mönchstugenden hervorragen. (Inst. V, 4) Der eine sei wissenschaftlich glänzend, der andere besonders geduldig oder demütig, großherzig oder schweigsam, „iste laboris studio supervenit ceteros“. (ibid.) Der Arbeitseifer wird hier als eigene Tugend gesehen, wenn auch in einer Reihung, die mit der Verstandeskraft beginnt, dann Geduld, Keuschheit und Mitgefühl nennt, und erst am Schluß die asketischen Leistungen wie Nachtwachen, Schweigen oder Arbeitsamkeit aufzählt. Die Rangfolge wird bestätigt durch Cassians Deutung der biblischen Geschichte von Maria und Martha. „Videtis ergo principale bonum in theoria sola, id est in contemplatione divina dominum posuisse“. (Coll. I, 8) Ähnlich differenziert er im 14. Buch der Collationes, das sich mit dem geistlichen Wissen beschäftigt. Er unterscheidet eine duplex scientia: die praktische Ethik, der es um die die Verbesserung der Sitten und die Reinigung von den Lastern gehe, und die theoretische Kontemplation, die in der Betrachtung der göttlichen Dinge und der Erkenntnis der Geheimnisse des Glaubens bestehe. (Coll. XIV, 1) Diese beiden Weisen des spirituellen Fortschritts könnten nur als eine Reihenfolge beschrieben werden, in der die Ethik als gereifte christliche Lebensführung in der Kontemplation ihre krönende Fortsetzung erfahre. (Coll. XIV, 2) Umgekehrt kann jedoch die theoretike nur „post multa operum ac laborum stipendia iam quasi in praemio“, gleichsam als Belohnung für die vorherige Bewährung in der praktischen Lebensführung erreicht werden. (Coll. XIV, 9) „In vigiliis, in ieiuniis, in castitate, in scientia, in longanimitate, in suavitate, in spiritu sancto, in caritate non ficta [...] hoc ordine tu quoque perveneris ad scientiam spiritalem”. (Coll. XIV, 16) 42 Cassians Heilsoptimismus wirkt ansteckend: Gott wolle, dass alle Menschen zum Heil gelangten. (Coll. XIV, 18)

42 „In Nachwachen, Fasten, Keuschheit, Wissen, Geduld, Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in echter Nächstenliebe, in dieser Reihenfolge wirst du zu geistlichem Wissen gelangen.“

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Die praktike, wie er sie mit dem griechischen Wort nennt, gliedere sich in viele Berufe (professiones), die je nach Ziel und Begabung des einzelnen engagiert und konsequent auszuüben seien (Coll. XIV, 5): „Multis viis ad deum tenditur“: „Viele Wege führen zu Gott“. (Coll. XIV, 6) Die theoretike (sc. scientia) teilt sich Cassian zufolge in zwei Teile, die historische und die geistliche Interpretation der Sacra Scriptura, deren Ausformungen die Lehre vom vierfachen Schriftsinn bilden: nach der historischen Deutung folgen die tropologische, allegorische und anagogische Deutung. (Coll. XIV, 8) Eine solche Stufung der Tugenden zugunsten der geistigen wird andererseits relativiert durch die Feststellung des Cassian, dass alle Tugenden eine gemeinsame Natur hätten: „cunctarum namque virtutum una natura est, licet in multas dividi species et vocabula videatur“. (Inst. V, 11) Er vergleicht den Menschen mit einer belagerten Festung: was hülfen ihr hohe Mauern und geschlossene Tore, wenn sie kurz darauf durch Verrat eines einzelnen verwüstet werde? Was mache es für einen Unterschied, ob der gefährliche Feind durch weite Tore und über erhabene Mauern hinweg ins Innere vordringe oder durch ein geheimes Kaninchenversteck hineinschleiche? (ibid.) Wer also nicht allseits gewappnet ist, so kann man folgern, erliegt den teuflischen Versuchungen. Wenn sich also körperliche Askese als labor bzw. opus und innere Umkehr ergänzen müssen, um den Menschen auf dem rechten Weg zu halten, sind mentis intentio, labor corporis und conscientia gemeinsam Früchte des liberum arbitrium, der Willensentscheidung, die den Menschen auf den Weg zum Heil führt. Doch ist sie allein hinreichend? Wie verhält sie sich zur göttlichen Gnade? Betrachten wir den Zusammenhang, in den Cassian das liberum arbitrium stellt: Einerseits betont er immer wieder die Bedeutung der Freiheit, denn: Wenn die Absicht einer Handlung für ihre sittliche Beurteilung entscheidend ist, muss sichergestellt sein, dass sie freiwillig erfolgt – sonst lässt sich eine solche Absicht nicht erkennen. So legt Cassian großen Wert auf die Feststellung, dass asketische Leistungen wie das Fasten, „licet utile sit ac necessarium, tamen voluntarii muneris est oblatio“. (Inst. V, 24) Die Freiwilligkeit solchen Opfers ahmt Christi Opfertod nach, der ebenfalls ein Ergebnis des „propriae voluntatis arbitrium“ war. (Inst. III, 3) Die menschliche Willensfreiheit ist demnach ein Abbild der göttlichen. Dieser imago-Charakter verleiht ihr besondere, unaufgebbare Würde. Auf Freiwilligkeit beruht entsprechend der gesamte Erziehungsweg der Mönche und der Menschheit insgesamt, der als imitatio Christi gedacht ist. Nicht mit Zwang, sondern durch das Entfachen von Begeisterung in den Menschen werden sie dazu veranlasst, ihr liberum arbitrium recht zu gebrauchen und sich nach Vollkommenheit zu sehnen. (Coll. XXI, 5) So ist z. B. auch die humilitas Resultat nicht der Einwirkung anderer, sondern „in tuo pendet arbitrio“. (Inst. IV, 43) Die erste Collatio, in der es um das Ziel des monastischen Lebens geht, bestätigt dies. Die angestrebte „puritas cordis“ (Coll. I, 4) könne man nur über ein „exercitium cordis“ (Coll. I, 18) erreichen, das mittels der wichtigsten Tugend der „discretio“, der Unterscheidungsfähigkeit, ob ein Gedanke von Gott, vom Teufel oder von einem selbst stamme und daher umzusetzen oder zu meiden sei, die Selbstkorrektur des Menschen ermögliche. Die „reprobatio vel electio“, Zurück-

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weisung oder Auswahl der Gedanken und ihre Verwirklichung oder Verwerfung hingen vom Menschen selbst ab. („consistit in nobis“: Coll. I, 17) „Alioquin nec liberum in nobis maneret arbitrium nec in nobis staret nostrae correctionis industria“. (ibid.) Deutlicher kann man eine menschliche Willensfreiheit nicht postulieren. Die Herrschaft über die eigenen Gedanken und Handlungen macht das liberum arbitrium aus. Freilich ist damit ein Eingreifen Gottes nicht ausgeschlossen: heilsame Züchtigung des Herrn „propositum nostrum ad meliores actus voluntatemque convertit“. (Coll. I, 18) Der Herr kann die menschliche Willens- und Entscheidungsfreiheit neu ausrichten. Ist dies einem Subsidiaritätsprinzip geschuldet: wo die menschlichen Kräfte nicht ausreichen, hilft Gott nach? Cassian erläutert dies nicht explizit, doch die Formulierung, dass die Tugend der discretio eine „eximietas vel gratia“ sei, eine hervorragende Eigenschaft bzw. eine Gnade, legt dies nahe. Es ist beides möglich, die menschliche Selbsterziehung mit dem Ergebnis einer puritas cordis und das gleiche Ergebnis mit zwischenzeitlicher Intervention Gottes. Es hängt demnach von den Menschen ab, was sie aus der Macht (das arbitrium wird als potestas bezeichnet) ihrer Entscheidung machen. Lassen sie Hochmut zu, „capta arce virtutum […] nullam deinceps imaginem libertatis animae sibi subditae superesse concedit“ (Inst. XII, 3, 2), lässt die superbia, nachdem sie die Burg der Tugenden eingenommen hat, kein Bild der Freiheit in der ihr unterworfenen Seele mehr zu. Die Laster werden als Verlust der imago libertatis, des Abbildes der Freiheit Christi im Menschen, gedeutet. Der Sündenfall resultierte im Verlust der „naturalis bzw. ingenita libertas“ der Menschen, wobei Freiheit und libertas arbitrii gleichgesetzt sind. (Coll. XXIII, 12) So liegt in der Willensfreiheit in der Tat der von Fried vermutete Ansatzpunkt für den „Universalismus der Freiheit im Mittelalter“. 43 Das zeigt auch der Bericht Cassians über ein eigenes Erlebnis während seiner Zeit in der ägyptischen Wüste. Als er seinem Abt Moses geklagt habe, er sei gestern von der Krankheit der acedia befallen worden und hätte sich nicht davon befreien können, wenn er nicht schnellstens zu Abt Paulus gelaufen wäre, habe Moses geantwortet: „Du hast dich nicht von der Trägheit befreit, vielmehr dich ihr auf Gnade und Ungnade ergeben und als Untertan zur Verfügung gestellt. Deshalb wird dich der Feind jetzt umso heftiger bedrängen, vor dem du geflohen bist […] Du musst dich ihm im Kampf stellen und lernen, ihn zu besiegen.“ (Inst. X, 25) Tugend ist als Bewahrung der gottesebenbildlichen Freiheit des Menschen gegen die Versuchungen der Laster gedacht. Doch worin besteht diese Freiheit, wie ist ihr Verhältnis zur Gnade Gottes? Dies ist eine, wenn nicht die wichtigste Frage, der Cassians Einführung in das mönchische Leben nachgeht, und die er vornehmlich im letzten Buch über den Hochmut, gleichsam als Höhepunkt seiner Ausführungen, erörtert. Der Hochmut besteht für Cassian vor allem in der Selbstüberschätzung, mit der der Mensch „deo se similem iudicavit“, annimmt, Weisheit und andere Tugenden kämen ihm 43 J. Fried, Über den Universalismus der Freiheit im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 240 (1985) 359f.

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nicht aus göttlicher Gnade, sondern aufgrund seiner menschlichen Natur zu, und ihm käme „liberi scilicet arbitrii facultate confisus“, durch die Willensfreiheit, alles im Überfluss zu, was er zur Vollkommenheit der Tugenden und zum Erreichen des ewigen Heils benötige. (Inst. XII, 4) Dieser Gedanke allein sei, so Cassian, sein Ruin, deswegen werde er von Gott verlassen, den er nicht zu brauchen glaube. Die Selbstüberschätzung brandmarken auch die Collationes: Der Mensch bedürfe der schützenden Hilfe Gottes. Was könne man deutlicher gegen die verderbliche Meinung, ja eher Anmaßung sagen, aufgrund derer wir alle unsere Taten dem freien Willen oder unserer Bemühung zuschreiben! (Coll. VI, 15) Es sei die Gnade und das Erbarmen Gottes, die in uns das Gute wirkten. Wenn diese uns verließen, „nihil valere studium laborantis et quantamlibet adnitentis industriam sine ipsius iterum adiutorio statum pristinum recuperare non posse. (Coll. IV, 5) Ohne Gottes Hilfe bewirke keine noch so große Mühe dessen, der sich anstrenge, die Rückkehr des Menschen in die frühere Gottesnähe. Cassian unterstreicht dies mit einem Zitat aus dem Römerbrief: „non volentis neque currentis, sed miserentis est dei“. (ibid.) (Röm. 9, 16) „Solange jemand annimmt, er könne den Ruhm der Gottheit aus eigener Bemühung und Willensfreiheit erlangen, verliert er die Freiheit, die er aus Gottes Gnade besaß.“ (Inst. XII, 5) Das Abstraktum libertas arbitrii, das hier verwendet wird, ist normalerweise erst dem Sprachgebrauch des Hochmittelalters seit Anselm von Canterbury wieder eigen44 , und zeigt, welches philosophische Abstraktionsniveau Cassian in der Diskussion dieser Frage erreicht hatte. Indem Cassian die Essenz des Hochmuts in die Überschätzung der libertas arbitrii verlegt, setzt er sie einerseits in einem bestimmten Sinne als gegeben voraus, beschneidet aber andererseits ihren Wirkungskreis. Im folgenden (Inst. XII, 6–10) zählt er als Gegenargumente Bibelstellen auf, die dokumentieren sollen, dass die Gnade Gottes Ursprung aller menschlichen Existenz und damit auch dieser Freiheit sei. So zitiert er aus dem Johannesevangelium: „non posse ego a me ipso facere quicquam, sed pater meus in me manens ipse facit opera“: „Ich kann nichts aus mir selbst heraus tun, sondern mein Vater, der in mir wohnt, tut die Werke. “ (Joh. 5, 30; 14, 10) „Gratia dei sum quod sum, et deum esse qui operatur in nobis et velle et perficere pro bona voluntate […] quia sine me nihil potestis facere [...] nisi dominus aedificaverit domum, in vanum laboraverunt qui aedifacant eam: „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin, und es ist Gott, der in uns das Wollen und Vollbringen bewirkt…denn ohne mich könnt ihr nicht tun […] wenn der Herr das Haus nicht baut, haben die, die es bauen, umsonst gearbeitet.“ (1. Kor, 15, 10; Ps. 126, 1) „Quid autem habes, quod non accepisti?“ „Was hast du, was du nicht empfangen hättest?“ (1. Kor. 4, 7) Am Beispiel König Davids und unter Anführung des Römerbriefs macht Cassian deutlich, wie sehr das Gelingen unseres Lebens vom Erbarmen Gottes abhänge und nicht von einer Vergeltung unserer irdischen Bemühungen. Dieser Abschnitt sei wegen seiner grundlegenden Aussagen zum Verhältnis von Gnade und menschlicher Arbeit und Entscheidung ausführlich zitiert. „Wenn wir uns daran 44 K. Flasch, Freiheit des Willens, in: J. Fried (ed.), Abendländische Freiheit, p. 39.

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erinnern, dass König David zwei so ungeheure Verbrechen durch ein Gebet der Reue hinweggenommen wurden, werden wir sehen, dass er diese Vergebung nicht durch die ,merita laboris’ erhielt, die die Gnade aufgewogen hätten, sondern aus der überfließenden Gnade Gottes, die die Echtheit der Reue sah und auf eines Wortes volles Bekenntnis hin eine solche Masse an Sünden hinwegnahm. Wenn wir den Anfang der menschlichen Berufung und des Heiles erwägen, mit dem wir nicht aus uns oder aus unseren Werken, sondern aus Geschenk und Gnade Gottes gerettet werden, werden wir klar erkennen, dass die Vollendung nicht ‚volentis neque currentis, sed miserentis dei’ zukomme. (Röm. 9, 16) Nicht aufgrund ‚laborum vel cursus nostri merito compensante’ macht er uns zu Siegern über die Laster und auch nicht im Aufwiegen der Bemühungen unseres Willens. Keine Züchtigung des Körpers, keine Reue des Herzens ist würdig, die innere Keuschheit des Herzens zu erreichen. Solche Reinheit, wie sie nur den Engeln angeboren ist, kann niemand allein aus menschlicher Arbeit (humano labore) erreichen, das heißt ohne Gottes Hilfe, weil die Wirkung alles Guten aus seiner Gnade fließt, der ewige Seligkeit und unermesslichen Ruhm unserem winzigen Willen und kurzen Lebenslauf großzügig geschenkt hat.“ (Inst. XII, 11) So sehen es auch die Collationes: Unablässige Arbeit und Askese reichen nicht hin, das Heil zu erlangen, die schenkende Gnade Gottes erst bewirkt es, zusammen mit der ständigen menschlichen Bemühung. (Coll. XII, 4) „Nec tamen laborum aut continentiae huius merito, sed miseratione domini“, „nicht aus dem Verdienst unserer Werke und sittlichen Bemühung, sondern durch das Erbarmen des Herrn“ erreicht man das Heil, „sine hac fide vana est omnis humani laboris intentio“: „ohne den Glauben ist alles Streben menschlicher Arbeit vergeblich“, „de propria laboris industria“, aus dem eigenen Fleiß dürfe man die Reinheit des Herzens nicht erwarten. (Coll. XII, 15) Doch mit der Betonung der schenkenden göttlichen Gnade ist Cassians Gedankengang keineswegs zuende. Hören wir ihm weiter zu: Deshalb sagt man, dass niemand von fleischlichen Sünden gereinigt werden könne, wenn er nicht einsehe, dass seine gesamte Arbeit (universum laborem) und Bemühung nicht zu solcher Vollendung hinreiche, und wenn er anerkenne, und zwar nicht aufgrund der Unterrichtung eines Lehrers, sondern intuitiv („affectu“), aus eigener Kraft („virtute“) und aus eigenen Erfahrungen erlebe, dass man sie nur mit Gottes Erbarmen und Unterstützung erhalten könne. (Inst. XII, 13) Um so herrlichen Lohn für Reinheit und Unversehrtheit zu erlangen, reiche die gesamte Bemühung (labor) im Fasten, in den Nachtwachen, der Lesung, der Einsamkeit nicht hin, sie könnten nicht für Fleiß und Schweiß vergeben werden. „Numquam enim divinum munus labor proprius humanave compensabit industria, nisi desideranti divina fuerit miseratione concessum.“ (ibid.) Menschliche Arbeit und Anstrengung wiegen das göttliche Geschenk niemals auf, das aus Barmherzigkeit dem gegeben wird, der es ersehnt. Soweit läuft die Argumentation auf ein Miteinander von menschlicher Bemühung und Gnadengeschenk Gottes hinaus, die erst gemeinsam das menschliche Heil bewirken. In den Ausdruck einer „Kooperation“ zwischen Gott und den Menschen gießt Cassian diese Sichtweise in der dritten Collatio, in der es u. a. um die drei möglichen Arten der Entsagung geht, die des Körpers, des Charakters und

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des Geistes. (Coll. III, 6) Der menschliche Arbeitsfleiß (sedulitas laborum) reiche nicht hin, um die Belohnung der Seligkeit zu erlangen. Nur wenn Gott mit uns zusammenarbeite (domino nobis cooperante) und unser Herz auf die zuträglichen Dinge richte, würden wir sie erlangen. (Coll. III, 12) Auf die bemerkenswerte Rückfrage des Freundes Germanus hin, worin denn dann eigentlich das Besondere des liberum arbitrium und der menschlichen Bemühungen bestehe, wenn Gott sowohl das „initium salutis nostrae“ (Coll. III, 10), wie dessen Vollendung bereitstelle (Coll. III, 11), gibt der große Abt Pafnutius folgende Erklärung: „Ihr hättet recht mit dem Einwand, wenn es bei jedem Werk nur einen Anfang und ein Ende und nicht etwas Mittleres gäbe. Wie wir daher sehen, dass Gott Gelegenheiten zum Heil (occasiones salutis) bereitstellt, so liegt es an uns, diese mehr oder weniger intensiv zu nutzen […]. Unsere Willensfreiheit, die immer geneigt ist, das Gute zu verkennen und leicht durch die Leidenschaften zum Laster verführt werden kann, richtet Gott auf die Tugend aus.“ (Coll. III, 11) Die Schwäche der menschlichen Willensfreiheit, die zum Zusammenbruch führen kann (liberi arbitrii infirmitate conlapsus ibid.), ihre Geneigtheit zum Laster (liberi arbitrii infirmitas), sieht Cassian sehr wohl und folgert daraus, dass der Mensch Gottes Hilfe bedarf. „Liberi utique arbitrii pravitate in inferno se habitaturum fuisse testatur, nisi domini fuisset adiutorio ac protectione salvatus.“ (ibid.) 45 Doch Cassian legt das Leben des Menschen und sein Gelingen nicht ganz in die Hände Gottes: „Wir wollen die menschliche Willensfreiheit keineswegs aufheben, sondern ihr lediglich die Hilfe und Gnade Gottes als notwendige Ergänzung an die Seite stellen. (Coll. III, 22) Das gilt auch für die Notwendigkeit des labor: „Ich sage dies nicht, um die menschlichen Bemühungen zu entwerten oder ‚ab industria et laboris intentione’ jemanden zurückzurufen, sondern ich definiere nicht aus meiner, sondern aus der Ansicht der Alten, dass die Vollkommenheit ohne diese Anstrengung überhaupt nicht zu erreichen wäre, aber nur mit der menschlichen Anstrengung ohne die Gnade Gottes auch nicht […]. So sprechen wir es denn aus: nur denen, die arbeiten und sich abmühen, wird das Erbarmen und die Gnade Gottes zuteil.“ (Inst. XII, 14) Dieser entscheidende Satz stellt die spätaugustinische Gnadenlehre auf den Kopf, indem sie die menschliche Arbeit zur Voraussetzung der göttlichen Gnade macht. Nur vor diesem Hintergrund ist der Preis der monastisch-asketischen Leistung, dem die Instituta gewidmet sind, folgerichtig. Nur weil Cassian die Reichweite des menschlichen labor so weit einschätzt, ihr einen so großen Anteil an der Heilsgewinnung beimisst, dass er sie zur conditio sine qua non der Gnade macht, kann er sie den Mönchen so dringend ans Herz legen. Dabei verliert er freilich nie Gott als „auctor salutis nostrae“ (Inst. XII, 17) aus den Augen, der für das Gelingen der menschlichen Arbeiten und Bemühungen (labores conatusque nostros ac studia) sorgt. Er schützt, hilft, inspiriert und züchtigt, „cooperatur in nobis“, arbeitet mit und in den Menschen, damit sie selbst gegen ihren Willen zum Heil gelangen. Dafür gebühre ihm Dank: „quod vel rationabiles nos condidit 45 „Er bezeugt, dass er aufgrund der Schwäche des freien Willens in der Hölle wohnen müsste, wenn er nicht durch Gottes Hilfe und Schutz gerettet werde.“

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vel liberi arbitrii potestate donavit […] postremo quia ipsum liberum arbitrium nostrum, quod proclivius fertur ad vitia, ad meliorem dirigit frugem et ad virtutum viam instigationis suae visitatione contorquet.“ (Inst. XII, 18) 46 Die Willensfreiheit ist so fester Bestandteil des menschlichen Heilswegs, sie ermöglicht erst „labor“ als asketische Leistung, den bewussten Sieg über die Anfechtungen der Laster, die eben diese Freiheit bedrohen, wie wir gesehen haben. Die Willensfreiheit ist aber auch anfällig für Laster, und deshalb bedarf es des korrigierenden Eingreifens Gottes, um die Menschen auf dem Weg der Tugenden zu halten. Auch im Buch 13 der Collationes, der großen zusammenhängenden Erörterung über das Verhältnis von Gnade und Willensfreiheit, betont er das göttliche Prinzip des Guten: „quibus manifeste colligitur non solum actuum, verum etiam cogitationum bonarum ex deo esse principium, qui nobis et initia sanctae [!] voluntatis inspirat et virtutem atque oportunitatem eorum quae recte cupimus tribuit peragendi“. (Coll. XIII, 3) 47 Gott ist der Anfang der guten Gedanken und Handlungen und auch des freien Willens, der hier, durch das Attribut „sancta“ und die Junktur mit dem Verb „inspirare“, geradezu in eine sakrale Aura gehoben wird. Manchmal allerdings kann auch die infolge der Schöpfung durch Gott gute Menschennatur selbst der Anfang eines recht ausgerichteten Willens sein, dessen Vollendung in der virtus freilich wiederum Gott gewährt: „etiam per naturae bonum, quod beneficio creatoris indultum est, nonnumquam bonarum voluntatum prodire principia, quae tamen nisi a domino dirigantur ad consummationem virtutum pervenire non possunt“. 48 (Coll. XIII, 9; cf. XIII, 12: “dubitari non potest inesse quidem omni animae naturaliter virtutum semina beneficio creatoris inserta“)49 Es ist bemerkenswert, dass hier ein positives Menschenbild selbst nach dem Sündenfall zugrundegelegt wird, ähnlich wie später in der Karolingerzeit Johannes Scotus Eriugena die menschliche Natur auch nach dem Fall nicht als völlig verdorben galt. Da die menschliche Natur jedoch zur Trägheit neige, weist Cassian darauf hin, dass die Gnade Gottes wenigstens gelegentlich von den Menschen eigene Aktivität („quosdam conatus bonae voluntatis“) erwarte bzw. erzwinge, um nicht gleichsam ins Leere zu schenken. (Coll. XIII, 13) Diese Bemerkung paßt zu Cassians oben angeführter. Auffassung, dass nur denen, die sich bemühten, Gottes Gnade zuteil werde. Es kommt also auf den rechten Gebrauch des liberum arbitrium an. Labor als sittliche Bemühung ist für Cassian geradezu synonym zur Betätigung des freien 46 „Weil er uns als Vernunftwesen geschaffen hat und mit der Willensfreiheit begabt, leitet er uns zu besseren Ergebnissen und hält und kontrolliert uns durch sein Antreiben auf dem Weg der Tugenden.“ 47 „So ergibt sich, dass der Anfang nicht nur des guten Handelns, sondern auch der guten Gedanken bei Gott ist, der uns die Anfänge des heiligen Willens eingehaucht hat und die Gelegenheit gibt auszuführen, was wir rechtens erstreben.“ 48 „Auch durch das Gute der Natur, welches vom Schöpfer verliehen ist, können manchmal die Anfänge des guten Willens entstehen, die aber nur durch Gott die Vollendung in der Tugend erreichen können.“ 49 „Zweifellos trägt jede Seele die Keime der Tugenden durch Gottes Geschenk in sich.“

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Willens: Am Beispiel des Apostels Paulus („abundantius illis omnibus laboravi“) erläutert er: „cum dicit laboravi, conatum proprii signat arbitrii.“ (Coll. XIII, 13) Labor ist damit gleichbedeutend mit der rechten Betätigung des liberum arbitrium, kann nicht nur die körperlich-asketische Seite der Heilsbemühungen des Menschen bezeichnen, sondern auch seine seelisch-geistigen. Gleiches äußert er in seiner Betrachtung des Verhältnisses Gottes zum Menschen, „quem liberae voluntatis arbitrio in conspectu suo exerceat ad virtutem, et tamen adiuvat laborantem“: „den er durch die freie Willensentscheidung in seinem Angesicht zur Tugend antreibt und ihm dabei in seiner Bemühung hilft.“ (Coll. XIII, 14) Die sittliche Bemühung (labor) besteht im rechten Gebrauch der Willensfreiheit, die Gott den Menschen in freundlicher, helfender Absicht als Erziehungsinstrument zur virtus übertragen hat. So bedeutsam ist Cassian dieser Gedanke, dass er eine Sammlung von Bibelstellen zusammenträgt, die die Willensfreiheit als Gottesgeschenk belegen (Coll. XIII, 10): „audimus in evangelio dominum convocantem, ut ad eum per liberum properemus arbitrium“. (ibid.) Hier ist die Betätigung der Willensfreiheit geradezu als Weg zu Gott beschrieben. Sie befindet sich seiner Ansicht nach nicht im Widerspruch zur Gnade Gottes. („utraque concordant“: Coll. XIII, 11) Welche Bedeutung sie auch für das soziale Leben in seinem Denken hat, lässt sich aus seiner Abhandlung über die Freundschaft in Buch 16 der Collationes erkennen. In Analogie zur stoischen Lehre, derzufolge nur die Weisen zur amicitia fähig seien, beruht für ihn die Freundschaft auf der Identität der voluntates zweier Menschen. Der Wille ist für Cassian der Kern der Person. „Idcirco diximus plenam atque perfectam amicitiae gratiam nisi inter perfectos viros eiusdemque virtutis perseverare non posse, quos eadem voluntas unumque propositum aut numquam aut certe raro diversa sentire aut in his quae ad profectum spiritalis pertinent vitae patitur dissidere.“ (Coll. XVI, 5) 50 Dazu stimmt auch seine intentionale Ethik, die wir in verschiedenen Zusammenhängen kennengelernt haben: „In allen Dingen“, so sagt er, „ist nicht der Verlauf des Werkes, sondern der Wille des Handelnden zu betrachten, nicht darauf zu achten, wer was getan hat, sondern zu fragen, mit welcher Absicht er es getan hat“. (Coll. XVII, 11) Was immer aus Gottesliebe geschehe, sei lobenswert und des Himmelreiches würdig. (Coll. XVII, 14) Am Schluss des 13. Buches der Collationes fasst Cassian das Verhältnis von voluntas und gratia folgendermaßen zusammen (Coll. XIII, 18): Die Gnade initiiert den Willen zum Guten, ermöglicht die Ausübung von virtus und erhält sie auf Dauer. Gott greift wiederholt in den Prozess des menschlichen Lebens ein, aber so, dass die Willensfreiheit, die selbst ein Geschenk Gottes ist, bewahrt wird. Über die genaue Beschaffenheit des Zusammenwirkens, der Kooperation zwischen Gottes Gnade und menschlicher Willensfreiheit, freilich macht Cassian keine

50 „Deshalb haben wir gesagt, dass die volle Gnade der vollkommenen Freundschaft nur zwischen vollkommenen Männern bestehen kann, die der gleiche Wille und das gleiche Ziel nie oder höchst selten verschieden empfinden oder anderer Meinung bezüglich ethischer Fragen sein lassen.“

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näheren Angaben: letztlich entziehe sich dies menschlichem Verständnis. (Coll. XIII, 18) Mit solchen Gedanken ist die 13. Collatio eine Widerlegung der spätaugustinischen Gnadenlehre, die in den frühen 420er Jahren nach Gallien gekommen war. 51 In dessen Auseinandersetzung mit Pelagius, einem aus Britannien zunächst nach Rom und später nach Palästina übergesiedelten Asketen, ist das Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit diskutiert worden. Pelagius wollte angesichts einer grassierenden Lauheit des Glaubens, derzufolge schon das Empfangen der Taufe das Heil bedeuten sollte, die Bedeutung christlichen Handelns in Erinnerung rufen und betonte nachdrücklich die dem Menschen gegebenen Fähigkeiten. Hieran entzündete sich der Streit, ob nicht der Mensch, vor allem durch die Erbsünde, in seiner Natur so verdorben sei, dass er aus sich heraus nichts Gutes mehr zu schaffen vermöge. Dies vertrat Augustin: für ihn war die erlösende Gnade unerlässlich. Er betonte in der Folge nicht mehr nur eine Erstinitiative der Gnade Gottes, sondern deren Allwirksamkeit, denn Gnade verdiene diesen Namen nur, wenn sie an keinerlei menschliche Vorleistung gebunden sei. Hier setzt die Replik Cassians ein. Verständlich, wenn man bedenkt, wie verunsichernd Augustins Lehre für die Mönche sein musste, denn wozu sollten sie ihre Askese fortführen, wenn doch Gott seine Gnade unabhängig von menschlichem Tun gewährte? Cassian versichert den Mönchen, dass ihre asketischen Leistungen, ihr Kampf um den rechten Gebrauch des freien Willens, um die rechten Entscheidungen im Kampf des athleta Christi gegen die Anfechtungen des Teufels einen Wert für Gott haben, ja sogar erforderlich seien, um seine Gnade zu erhalten. Wenn so Arbeit und rechter Gebrauch der Willensfreiheit für Cassian in der Askese eng zusammengehören, ja in eins gesetzt werden, dann nicht in der biblisch geläufigen Weise, dass nach dem Sündenfall, für den der freie Wille verantwortlich sei, auch die Arbeit als Strafe notwendig würde, sondern in ganz anderer Weise: das liberum arbitrium ist seinerseits Abbild der Freiheit des Schöpfergottes. So sah es später auch Eriugena. In diesem Sinne vergleicht Cassian die Sündhaftigkeit des Menschen mit der Gefangenschaft des Volkes Israel in Ägypten, aus der es sich „laboriosius ad genitale solum et libertatem patriam“ aufmachen solle in die ursprüngliche Heimat, die seine Freiheit, will sagen die Wiederherstellung der imago Dei, ist. (Coll. V, 12) Arbeit bedeutet für Cassian, dass der Mensch die Laster, die seine ursprüngliche Freiheit bedrohen, in bewusster Willensentscheidung, steter asketischer Arbeit und freiwilliger sittlicher Bemühung, nicht aus Zwang oder Notwendigkeit, bekämpft. Als rechter Gebrauch des liberum arbitrium ist sie Bedingung für die Gnade Gottes.

51 Dazu zuletzt knapp: C. Stewart, Cassian the Monk, Oxford 1998, p. 76–81; D. J. Macqueen, John Cassian on Grace and Free Will, with Particular Reference to Institutio XII and Collatio XIII, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 44 (1977) 5–28 sowie die Einleitung der Übersetzung der 13. Collatio des Cassian durch B. Ramsey, John Cassian, The Conferences, New York 1997, p. 459–463.

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Die Freiheit des Willens wiederum wird so zur Bedingung für eine Ethik der Freiwilligkeit, der Selbstzucht und Selbstverantwortung, die der Gnade Gottes eingedenk bleibt, welche sie in der Schöpfung vorbereitet hat, mit stetiger Unterstützung begleitet und im Jüngsten Gericht belohnen wird.

2.3 FULGENTIUS VON RUSPE (462/3 ODER 467/8–527 ODER 532) UND CAESARIUS VON ARLES (CA. 470–542): WEGE DER AUGUSTINREZEPTION Als Beleg dafür, wie intensiv die Frage der Willensfreiheit auch in der nachaugustinischen Zeit diskutiert wurde, soll ein nordafrikanischer Zeuge des beginnenden 6. Jahrhunderts gehört werden, der gemeinhin als Vertreter einer rein spätaugustinischen Gnadenlehre gilt: 52 Bischof Fulgentius von Ruspe (462/3 oder 467/8–527 oder 532). Bevor wir uns seiner Sicht des Verhältnisses von Arbeit und Willensfreiheit zuwenden, soll zum besseren Verständnis der historische und biographische Kontext dargelegt werden, in welchem seine theologischen Auffassungen entstanden. 53 Sie waren geprägt vom Konflikt zwischen katholisch-romanischer Bevölkerungsmehrheit und arianischen Vandalen, die spätestens seit der Eroberung Karthagos durch Geiserich 439 das römische Afrika, in dem damals ca. 3 Millionen Menschen lebten, formal als Föderaten Kaiser Valentinians III., de facto aber selbständig beherrschten. Die Vandalen kamen als Eroberer: die romanischen Latifundienbesitzer wurden enteignet, es war ihnen aber freigestellt, mit ihren Familien ins Exil zu gehen. Die vandalischen Gefolgsherren erhielten das Land, welches sich nicht vorher Geiserich und seine Söhne als Königsland angeeignet hatten. Den katholischen Kirchen im Land erging es nicht anders: sie wurden mitsamt dem Kirchengut dem arianischen Klerus überantwortet. Im Bereich der vandalischen Siedlung war die Ausübung des katholischen Ritus verboten. Doch die brutale Machtübernahme in Nordafrika, die sich markant z. B. vom ostgotischen Vorgehen in Italien unterschied, welches stärker auf Zusammenarbeit mit den römischen Eliten ausgerichtet war, verfehlte langfristig ihr Ziel: Es gelang den arianischen Eroberern nicht, die Macht des eng mit den romanischen 52 B. Altaner/A. Stuiber, Patrologie, Freiburg 1978, p. 489f. 53 Ed. J. Fraipont, CCSL 91, 91 A, Turnhout 1968; Klassisches Referenzwerk noch immer: C. Courtois, Les Vandales et l’Afrique, Paris 1955; F. M. Clover, The Late Roman West and the Vandals, Aldershot 1993; N. Francovich Onesti, I Vandali. Lingua e storia, Rom 2002; zur Biographie des Fulgentius: G.-G. Lapeyre, Saint Fulgence de Ruspe, Paris 1929, bes. p. 19 zur Loyalität gegenüber Augustinus und zuletzt H. Castritius, Die Vandalen, Stuttgart 2007, p. 151–154, in dessen Quellenverzeichnis Fulgentius freilich nicht auftaucht. Mit Einschränkungen auch G. M. Berndt, Konflikt und Anpassung. Studien zu Migration und Ethnogenese der Vandalen, Husum 2007, p. 217–22. Zu den Kontakten des Fulgentius: S. T. Stevens, The Circle of Bishop Fulgentius, in: Traditio 38 (1982) 327–340.

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Führungsschichten verzahnten Katholizismus zu brechen. Wie im 4. Jahrhundert Donatisten, Circumcellionen, bewaffnete bäuerliche Banden aus verarmten Kolonen, aber auch Pelagianer das Unabhängigkeitsstreben der afrikanischen Kirche dokumentiert hatten, die den Lehr- und Jurisdiktionsprimat Roms nicht anerkannte, aber auf Dauer dem Zusammenwirken von römischer Staatsmacht und katholischer Kirche unterlag, so reichten die periodischen Verfolgungen unter der Vandalenherrschaft nicht hin, die engen Beziehungen der romanisch-katholischen Führungsschicht zu Byzanz zu zertrennen. Der aggressive Arianismus der Vandalenkönige beschleunigte im Ergebnis das politische Ende des Vandalenreiches. König Thrasamund verfügte 500 ein Besetzungsverbot für alle Bischofsstühle. Da sich der Klerus nicht daran hielt, erfolgte in den ersten Jahren des 6. Jahrhunderts die Verbannung eines großen Teils der Bischöfe nach Sardinien, unter ihnen auch Fulgentius von Ruspe, dessen Lebensweg exemplarisch die Auswirkungen der Verfolgungen, aber auch ihre Grenzen zeigt. Fulgentius gehörte einer ehrwürdigen karthagischen Senatorenfamilie an und war nach einer sorgfältigen zweisprachigen Erziehung, die auch die Lektüre der klassisch-heidnischen lateinischen und griechischen Autoren umfasste, in das Prokuratorenamt seines Vaters hineingewachsen, d. h. mit der Steuereinziehung in Theleptis in der Provinz Byzacena betraut gewesen. Obwohl er seine Jugend als Mitglied der jeunesse dorée, der provinzialrömischen Oberschicht, verbracht hatte und an deren geselligen Lebensstil gewöhnt war, hatte er sich zur Abkehr von der Welt entschlossen und war in das Kloster des AbtBischofs Faustus von Praesidium-Diole eingetreten. Nach Verfolgungen durch die arianischen Vandalen war er in das Kloster seines Jugendfreundes Felix übergewechselt, nach Überfällen von Berberstämmen – inzwischen gegen seinen Willen zum Abt gewählt – nach Norden in die Provinz Africa proconsularis ausgewichen. Nachdem er und Felix dort von einem arianischen Priester verhört und geschlagen worden waren, waren sie in die Byzacena zurückgekehrt und hatten in Mididi ein eigenes Kloster gegründet. Doch Fulgentius strebte nach strengerer Askese. Angeregt durch die Lektüre Cassians wollte er nach Ägypten gehen und den ersten Wüstenvätern nacheifern. Er schiffte sich zunächst nach Syrakus ein, änderte seinen Entschluss jedoch zugunsten einer Pilgerfahrt nach Rom, wo er die Märtyrergräber besuchte und im Jahre 500 vor dem Senat die berühmte Rede Theoderichs des Großen anlässlich des dreißigjährigen Herrschaftsjubliäums hörte. Nach der Rückkehr nach Afrika gründete er in der Nähe von Ruspe ein neues Kloster und emfing die Priesterweihe. Danach traf ihn das königliche Dekret, und er wurde mit etwa 60 Kollegen nach Sardinien verbannt. Fulgentius wurde im Exil zum Sprecher und Vordenker der Relegierten. Durch eine umfangreiche Korrespondenz, die er mit Schülern in Rom und Karthago und als „Sekretär“ der Exilierten führte, durch Predigten, durch sein Wirken als Vorsteher des von ihm in Cagliari gegründeten Klosters wurde er zu einer kirchenpolitischen Leitfigur, die der Vandalenkönig durch Verbannung nicht zum Schweigen bringen konnte. Daher lud ihn Thrasamund ca. 510–515 zur Teilnahme an einem Disput über die dogmatischen Konflikte zwischen Arianern und Katholiken ein, wie es ihn ähnlich schon einmal unter Hunerich 484 gegeben hatte. Fulgentius nutzte die

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zwei Jahre seines Aufenthaltes in Karthago, in denen er mit dem König korrespondierte, erfolgreich zur Verbreitung des Katholizismus in Wort und Tat. Erst jetzt begann seine theologische Produktivität. Er widerlegte die arianischen Positionen hinsichtlich der Namen von Vater und Sohn, ihrer gemeinsamen göttlichen Substanz, der unerklärlichen Inkarnation des Sohnes, der Einheit der Personen der Trinität. Da der König nicht zu Unrecht befürchtete, die Anwesenheit des Fulgentius würde zu einer Unterwanderung der Arianer führen, schickte er ihn erneut in die Verbannung nach Sardinien. Nach dem vorläufigen Ende der Katholikenverfolgungen in Afrika seit dem Regierungsantritt Hilderichs (523–530) kehrte Fulgentius nach Ruspe zurück, lebte als Anachoret mit einigen seiner Mönche in einem Inselkloster (gaben hier Cassian und Lérins das Vorbild ab?) und starb bald darauf. Der biographische Abriss zeigt die beiden Anliegen, denen er seine Lebensenergie zufließen ließ: der geistigen Auseinandersetzung mit den Häresien des Arianismus und des Semipelagianismus und der Förderung des Mönchtums. Sein großes Vorbild war Augustin. Dessen Gnaden- und Prädestinationslehre wurde nicht nur direkt, sondern auch durch Fulgentius und auf dem Umweg über Spanien der westlichen Theologie vermittelt. Seine 540 verfasste Lebensbeschreibung verdanken wir der Feder des Diakons Ferrandus von Karthago, eines Schülers und Sekretärs des Fulgentius, der ihn in den Jahren 503–515 ins Exil begleitete und ihm auch zurück nach Karthago folgte. Für unser Thema ist besonders der von Fulgentius redigierte Brief der exilierten afrikanischen Bischöfe an zwei ihrer Glaubensbrüder, den Priester Johannes und den Diakon Venerius, von Interesse, der sich ausdrücklich mit dem Thema Prädestination und Gnade Gottes beschäftigt und wohl als Widmungsbrief auf die Schrift des Fulgentius De veritate praedestinationis Bezug nimmt. Der Brief ist ca. 523 verfasst und trägt die Unterschriften von zwölf Prälaten, die sich gegen „quosdam fratres“ in Afrika wenden, die „adversus Dei gratiam elevare velle humani arbitrii libertatem“ (ep. XV, 2), eine Position, die der katholischen Lehre widerspreche. Der Text nimmt zwar Stellung gegen die Pelagianer, doch dies auf eine sehr differenzierte Weise, die auch die Meinungen der Gegner gelten lässt. Diese Rücksicht erklärt sich wohl aus der Frontstellung zu den Arianern, die es den Katholiken geboten erscheinen ließ, ihre Reihen geschlossen zu halten: „Da ihr aber sagt, der Mensch könne nur aus Gottes Erbarmen gerettet werden, jene aber sagen, nur der, der aus eigenem Willen renne und arbeite/sich mühe (elaboraverit), könne gerettet werden, kann beides mit Würde behauptet werden, wenn die rechte Ordnung zwischen göttlichem Erbarmen und menschlichem Willen gewahrt bleibt, dass nämlich jenes vorausgehe, dieser nachfolge. Nur das Erbarmen Gottes legt den Grund für das Heil (initium salutis). Dem Erbarmen wird dann der menschliche Wille Mitarbeiter an seinem Heil sein (cooperatrix suae salutis ep. XV, 11), damit das vorausgehende Erbarmen Gottes den menschlichen Willensentscheid lenke und der menschliche Wille gehorche – wobei das Erbarmen auf dem Fuße folge – und gemäß seiner Intention den Siegespreis erringe. Und dadurch erkennt der menschliche Wille, indem er sich nützlich betätigt und arbeitet (laborat), an, dass das Geschenk des Laufens und der Arbeit (laboris)

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ihm aus Gottes Erbarmen zukommt. Und er (der Wille) möge nicht undankbar für das Erbarmen sein, durch welches er den Anfang des Heils empfing, damit er durch dieses Erbarmen zur vollen Auswirkung des ewigen Heils gelange. Denn dann wird er gut sein, wenn Gottes Geschenk ihm zuvorkommt, und dann wird er gut bleiben, wenn er von dessen Hilfe nicht verlassen wird. Derjenige täuscht sich nämlich, der annimmt, Gott verteile die Gnade so, wie jemand nach dem Erhalt eines angemessenen Pfandes Geld gibt […].“ Der Brief der exilierten Bischöfe geht aus von einem Menschenbild, welches das Geschöpf Gottes als Gefäß (vas) des göttlichen Handelns beschreibt, das gleichsam durch den Menschen hindurch wirkt. „Vasa misericordiae“ sind die Erwählten, denen Gottes Erbarmen ungeschuldet das Heil schenkt, „vasa contumeliae“ die Verworfenen, denen das Höllenfeuer droht. (ep. XV, 14) Fulgentius und seine Kollegen wenden sich daher gegen die Annahme, die Heilschancen wüchsen mit dem Weihegrad bzw. der gesellschaftlichen Stellung: „nimis absurdum est illos putare vasa misericordiae qui vel saecularem habent vel ecclesiasticam dignitatem, vasa vero contumeliae, clericos, monachos ac laicos aestimare.“ (ibid.) Offenbar gab es im Nordafrika des 6. Jahrhunderts aber solche Gegner, die im beruflichen Erfolg auf Erden einen Hinweis auf den Gnadenstand vermuteten. Weder eine Verdienstethik noch Ansätze einer Konsenstheorie menschlicher Mitwirkung am Heil, wie sie uns bei Cassian begegnet war, finden sich in diesem Brief, denn sie setzen einen Menschen voraus, dessen liberum arbitrium die Grundlage sittlicher Entscheidungen ist. Bei Fulgentius bleibt das liberum arbitrium zwar theoretisch bestehen, verschwindet aber praktisch hinter einem Gehorsam gegenüber Gott. „Christi gratia ignarum et torpidum hominis praeveniens instruxit atque excitavit arbitrium.“ Ohne die Erleuchtung durch das göttliche Erbarmen wird die menschliche Entscheidungsfreiheit nicht geweckt und erleuchtet. „Misericordiae igitur divinae est ut hominis liberum et illuminetur arbitrium, quo fit ut homo et ea quae placita sunt deo cognoscat, et adiuvanti gratiae officium sui laboris voluntaria devotione subiungat.“ 54 Arbeit, im zitierten Brief der Bischöfe verstanden als Anerkenntnis des Primats der Gnade, ist in eine Vorstellung vom irdischen Weg des Menschen eingepasst, die diesem keine echte Entscheidungsfreiheit zubilligt, sondern „Freiwilligkeit“ in der Erkenntnis und Erfüllung des göttlichen Willens sieht. (De veritate praed. II, 18) Gott bereite den Willen des Menschen vor, damit er ihm das Geschenk des Glaubens und der Liebe eingießen könne. Deshalb müsse man bekennen, dass es wahr sei, dass der Mensch nur durch das Erbarmen Gottes gerettet werde. (De veritate praed. II, 17) In den Augen des Fulgentius ist es Gott, der den im Sündenfall geschwächten Willen (De veritate praed. III, 25) allererst „be-

54 „Es ist Gottes Erbarmen geschuldet, dass die menschliche Willensfreiheit erhellt wird, so dass der Mensch erkennt, was gottgefällig ist und mit Hilfe der Gnade die Pflicht seiner Arbeit mit freiwilliger Hingabe verrichtet.“

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freien“ muss, damit der Mensch zum Heil gelangt. 55 Ungeschuldet (gratis) ist solche Erlösung. (Ad Euth. De remissione peccatorum I, 4) Das liberum arbitrium ist ein Gottesgeschenk, wie Fulgentius am Beispiel des Paulus vorführt. (De veritate praed. II, 27) „Freiwillig hat Paulus geglaubt, freiwillig mehr als alle gearbeitet; aber er hätte weder glauben noch arbeiten können, wenn er nicht aus der Höhe das Geschenk der Gnade dessen angenommen hätte, der in ihm und mit ihm arbeitet.“ (ibid.) Arbeit ist so als Teil des Bemühens um eine christliche Lebensführung selbst Frucht der Gnade und Anerkennung des göttlichen Erbarmens als „initium salutis“ ist, wie gezeigt wurde 56 . „Sola gratia operata est“ heißt es zur Bekehrung des Paulus. (ibid.) Erst das Verdienst einer so durch Gott bewirkten Anstrengung und Lebensarbeit (labor) ist des göttlichen Lohnes würdig, „quia et in se in suo labore non virtutem suam, sed divinae cognoscebat gratiae largitatem.“ (De veritate praed. II, 27) Selbst des Paulus Beständigkeit in der irdischen Bemühung ist als Gnadengeschenk anzusehen: „laboranti ergo voluntas non deerat, quam gratia non cessabat adiuvare, quae dederat.“ 57 (ibid.) So nimmt es nicht wunder, dass Fulgentius den Begriff „labor“ mit dem Attribut sanctus versehen kann (z. B. De veritate praed. II, 27): Des Paulus Arbeit ist „sanctus“, da er sich nicht allein auf die Gnade Christi verlässt, die in ihm wirkt, sondern sich in diesem Sinne selbst anstrengt. (ibid.: neque sic in se [...] habuit operantem, ut ipse a sancto labore cessaret) Solche Freiwilligkeit als Erfüllung des göttlichen Willens lässt für den Menschen als imago Dei wie für Gott die Arbeit mühelos werden, ein Gedanke, den wir später bei Thomas von Aquin wieder antreffen werden. (Ad Trasamundum II, 12) Aber: reicht dies hin, eine Modifikation der „Gefäßtheorie“ des Menschen herbeizuführen? Die Betonung der Allmacht Gottes durch Fulgentius spricht dagegen. (Ad Trasamundum II, 12: divinam voluntatem ipsam esse plenissimam potestatem) Es lassen sich jedoch aus den Schreiben des Bischofs an König Thrasamund einzelne Ansätze einer Verdienstethik erkennen, vor allem der Gedanke, es gebe eine Hierarchie der Verdienste und deshalb auch der Belohnungen im Jenseits, wie er sie im vierten Kapitel des dritten Buches seiner Schrift formuliert. Er erläutert Thrasamund, dass Gott zwar aufgrund ihres Glaubens alle als seine Kinder bezeichne, aber „pro laboris merito“ verschiedene Geschenke verspreche, dass er zwar den Auferstandenen ein Leben im Himmel verheiße, gleichwohl aber denen, 55 Ita fit ut non per arbitrium hominis, sed per gratiam liberatoris non regnet peccatum in mortali corpore, dum iustificamur ex fide; et per adiutorium gratiae deus in nobis operatur et velle et perficere, pro bona voluntate; ipse nobis bonam voluntatem donans, ipse facultatem boni operis subministrans, a quo est omne datum optimum, et omne donum perfectum. (De veritate praed. III, 37) „So geschieht es, dass nicht durch menschliche Entscheidung, sondern aus der Gnade des Erlösers nicht die Sünde im menschlichen Körper herrscht, solange wir aus dem Glauben gerechtfertigt werden. Und mit Hilfe der Gnade bewirkt Gott in uns das Wollen und Vollenden aus dem guten Willen; er selbst gibt uns den guten Willen, er selbst bietet uns die Möglichkeit, gut zu handeln, von dem alles Gute stammt und jedes vollkommene Geschenk.“ 56 Besonders deutlich: labor sanctae conversationis et continui adversus tentamenta certaminis. (Ad Trasamundum II, 5) 57 „Dem, der sich anstrengte, fehlte der Wille nicht, den die Gnade unablässig unterstützte, die ihn gegeben hatte.“

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die dereinst mit ihm herrschen würden, abgestufter Ruhm zuteil werden würde. Wie Sonne, Mond und Sterne unterschiedlich hell erglänzten, so sei es auch bei der Auferstehung. Die „differentia claritatis“ bilde die „meritorum qualitas“ ab: „ex profectu simus discernendi mercede“. Je nach sittlicher Vollkommenheit ist also den Auferstandenen ein unterschiedliches Schicksal im Jenseits beschieden. Folgte diese Auffassung, welche die „sola gratia“ – Position vom Primat der Gnade vor der als Gehorsam gegen Gott verstandenen rechten Ausübung einer (für uns) nur scheinbaren Willensfreiheit deutlich relativiert, nur der Intention des Werkes, welches den König wie ein Fürstenspiegel zu sittlicher Bewährung anhalten und davon abhalten wollte, grausam gegen die katholisch-romanische Bevölkerungsmehrheit vorzugehen? Oder dürfen wir Fulgentius echte Zweifel an der spätaugustinischen Position unterstellen? Zieht man die Chronologie der Werke in Betracht, erscheint die Überlegung plausibel, dass Fulgentius in der Schrift an den König, die ca. 510–515 zwischen dem ersten und zweiten Exil in Karthago verfasst wurde 58 , noch hoffte, auf diesen einwirken zu können. Ein solcher Appell konnte nur auf der Basis eines Menschenbildes funktionieren, welches eigene Bemühung des Menschen, nicht bloße Gnade Gottes für dessen Heil verantwortlich machte. Gleichsinnig formulierte Fulgentius in seiner Schrift über die Trinität, die aus der gleichen frühen Phase zwischen 510 und 515 stammt, dass es in der Kirche zwar drei Stände der Jungfrauen, Enthaltsamen und Verheirateten gebe, „multae tamen differentiae meritorum“. (De trin. 12). Denn nicht alle Jungfrauen erhielten den Lohn des Himmelreiches oder alle Enthaltsamen oder alle Verheirateten, „sed unusquisque propriam mercedem accipiet, ait apostolus, secundum suum laborem“. (ibid.) Noch in der Schrift über die Vergebung der Sünden, die während des zweiten Exils in Sardinien entstand, führt er das Beispiel des Reichen an, dessen Habgier mit dem ewigen Höllenfeuer bestraft wurde, aus dem es kein Entrinnen gibt. 59 Dabei reicht für ihn eine Änderung des Willens, um Verdienst zu erwerben: „mutationem voluntatis meriti quoque mutatio comitatur“. (Ad Euth. de remissione peccatorum II, 22) Das bedeutet, dass das Verdienst vor Gott für ihn im Willen des Menschen liegt. Nach der erneuten Verbannung durch Thrasamund, am Ende seines Lebens wäre er demnach wie der späte Augustin pessimistischer geworden, was die nach dem Sündenfall verbliebenen Kräfte des liberum arbitrium beim Menschen angeht. Gottes Ratschlüsse erscheinen ihm jetzt unerforschlich: quam incomprehensibilia sunt iudicia eius, et investigabiles viae eius! (De veritate praed. I, 30) Das entbindet den Menschen zwar nicht von den Erfordernissen einer sittlichen Lebensführung: „labora ut bonus miles Christi Iesu“ (De veritate praed. II, 26), es 58 Ed. Fraipont, CCSL 91, p. VI sq. 59 Consideremus divitem miserum purpura quondam bysso que vestitum, non ob aliud inexstinguibilibus flammis ardentem, nisi quia lazaro pauperi continua esurie laboranti numquam voluti saltem micas convivii sui mortifera praeditus iniquitate largiri. (Ad Euth. de remissione peccatorum II, 14) Es gibt im Jenseits keine „Durchlässigkeit” zwischen Verdammten und Begnadeten: nec bonos posse ad iniquos aliquatenus transmeare, nec malos a poenis ad beatorum requiem posse quandoque transire. (ibid.)

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geht aber wesentlich darum, den Willen Gottes zu erkunden und „freiwillig“ mit Arbeit als Gottesdienst zu erfüllen: „ut per gratiam dei et bonum velle et bonum facere valeamus“. (ibid. II, 24) Deshalb ermahne der Apostel die Menschen, eifrig Gott zu dienen. „Non ergo nobis est a sancto labore cessandum, quibus divinae gratiae non solum merces promittitur sed et auxilium suffragatur.“ (ibid. II, 26) Wenn auch die Arbeit hier wiederum als „sanctus“ apostrophiert und mit einer hohen Würde als Teil des Gottesdienstes versehen wird, bleibt doch der Lohn ein Ergebnis der Gnade Gottes. Sie ist es, die „labori sancto studium bonae voluntatis impendat“, die der Bemühung in der Arbeit den guten Willen verleiht, auf den es ankommt. (ibid. II, 26) Dieser Wille sei nur dann gut, wenn er sich selbst als Gottesgeschenk verstehe. (ibid.) Am Beispiel des Paulus wird es besonders deutlich: auch die Arbeit (virtus laborandi) ist ein Gottesgeschenk, das nicht aus menschlicher Quelle, sondern als Gnadenerweis dem Menschen zukommt. „Et ut ostenderet laborandi quoque donum gratiae sibi largitate collatum, sequitur ac dicit: et gratia eius in me vacua non fuit.“ (ibid. II, 26) 60 Nur wer das Gnadengeschenk bewahrt und Gottes Hilfe beständig erbittet, der wird „laborans retributione boni operis non privetur“, „in der Arbeit nicht des Geschenks des guten Werkes beraubt. (ibid. II, 29) Fulgentius lehnt freilich trotz seiner Betonung der Gnade bei der Heilsgewinnung eine doppelte Prädestinationslehre, wie sie später Gottschalk aus den Schriften des späten Augustin entnahm, ab. Denn schon er sah die Gefahren voraus, die eine solche Unverrückbarkeit des göttlichen Urteils für die Lebensführung der Menschen haben würde. Die Vertreter einer solchen Lehre verstrickten sich in die Schlingen falschen Glaubens, wenn sie dächten: „wenn ich zum Guten bestimmt bin, brauche ich nicht gegen das Schlechte zu kämpfen; wenn ich zum Schlechten geboren bin, wird es mir nichts nützen, Gutes zu tun. Und so wird, wenn das Streben nach Lob und Ruhm in beide Richtungen versperrt ist, der eine aus Sorglosigkeit, der andere aus Verzweiflung erstarren, und deshalb wird die Ausübung der Gerechtigkeit zum Erliegen kommen, das Gebet verstummen, die Arbeit ruhen.“ (Fragmenta IV ex opusculis ad Eugippium, fr. 1) Solche Weitsicht des Bischofs erhellt seine seelsorgerlichen Qualitäten als Prediger. Er weiß um die Notwendigkeit, das pädagogische Motiv des Lohnes einzusetzen, um die Menschen zum rechten Handeln anzuhalten. So vermied er die negativen Konsequenzen einer Gnadenlehre, die keinen Spielraum für die Verdienste des Menschen ließ. Denn nach seiner Auffassung war der Mensch, nachdem er erkannt hatte, was Gottes Willen sei, zum sittlichen Kampf gegen die Laster, zum „sanctus labor“ verpflichtet, wenn er in monastischer Tradition ein guter „miles christi“ bzw. ein Arbeiter im Weinberg sein wollte: „contra omne peccatum non solum oratione, sed etiam labore luctemur, quia ipse dominus […]

60 „Und damit er beweise, dass er das Geschenk der Arbeit aus der Großzügigkeit der Gnade empfangen habe, folgt er und sagt: seine Gnade war in mir nicht vergeblich.“

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testatus est, quia unusquisque propriam mercedem accipiet secundum suum laborem.“ 61 (ibid. fr. 1 und Ad Euth. de remissione peccatorum II, 8) Prüfen wir nun, welche Rezeption der spätaugustinischen Gnadenlehre während des 6. Jahrhunderts in Südgallien beschieden war, wo der sola gratiaPosition bereits der heftige Widerstand Cassians begegnet war. Sehen wir auf die Predigten des Caesarius von Arles (ca. 470–542), der in der monastischen Spiritualität des tief vom Wirken Cassian geprägten Klosters Lérins ausgebildet worden war. Übernahm er Augustins Ansichten wie Fulgentius weitgehend oder steuerte er einen anderen Kurs? Zur richtigen Einschätzung seiner Positionen ist freilich der historische Kontext zu berücksichtigen, in welchem die Hauptgegner eines christlichen Bischofs keineswegs (Semi)Pelagianer waren, sondern Heiden, deren Praktiken von den fränkischen Konzilien noch bis ins 9. Jahrhundert immer wieder aufs Neue verboten werden mussten. 62 Caesarius wetterte in seinen bildreichen, aber ansonsten in schlichter, verständlicher Sprache gehaltenen Predigten nicht nur gegen die fortdauernde Verehrung der römischen Göttertrias Jupiter, Mars und Apollo, sondern auch z. B. gegen „stulti homines“, die glaubten, bei der Erscheinung des abnehmenden Mondes handle es sich um einen Kampf himmlischer Mächte, in dem sie durch schrillen Lärm dem Unterlegenen helfen müssten. Sie glaubten überdies, sich durch Schellenklingeln und Hörnerblasen den Mond geneigt machen zu können. Jeder vernünftige Christ solle sich von solch irrigem Wüten, solch beschämenden Schauspiel fernhalten. (s. 52, 3) Dies war nicht der einzige Konflikt im Leben des Caesarius63 , der aus vornehmer Familie stammend um 490 in das Inselkloster Lérins vor Marseille eintrat, welches sein Aufblühen der Räumung Nordgalliens durch die Römer am Beginn des 5. Jahrhunderts verdankte. Infolge der Verlegung der römischen Zentralverwaltung von Trier nach Arles seit dem Jahre 395 waren viele Angehörige der nordgallischen Senatsaristokratie in den Süden geflüchtet und prägten den Charakter des Konvents. Caesarius, ein entschlossener Asket, der von Abt Porcarius zum Speisemeister eingesetzt worden war, musste aus Gesundheitsgründen und wohl auch mit Rücksicht auf die Konstitution seiner Mitbrüder vom Abt nach Arles in die Obhut seines Verwandten, des Bischofs Aeonius, geschickt werden. Dort wurde er von dem aus Nordafrika stammenden Rhetoriklehrer Julianus Pomerius geschult: die mittelmeerisch-römische Bildungseinheit war noch nicht ganz geschwunden! 499 übernahm er als Abt ein Männerkloster, 502 wurde er Nachfolger seines Verwandten auf der sedes von Arles, ein gutes Beispiel dafür, 61 „Lasst uns gegen jedes Laster nicht nur im Gebet, sondern auch in der Arbeit kämpfen, weil der Herr selbst bezeugt hat, dass jeder seinen Lohn nach seiner Arbeit erhalten wird.“ 62 Zur allmählich voranschreitenden und oberflächlichen Christianisierung Galliens im frühen Mittelalter vgl. A. Angenendt, Das Frühmittelalter, Stuttgart 1990, p. 173f. 63 Vitae Caesarii episcopi Arelatensis libri duo, ed. B. Krusch, MGH SRM III, Hannover 1896, p. 433–501; Caesarius of Arles, Life, Testament, Letters, übers. mit Einführung und Kommentar von W. E. Klingshirn, Liverpool 1994; ders., Caesarius of Arles, The Making of a Christian Community in Late Antique Gaul, Cambridge 1994; M. Heijmans, Césaire d’Arles, un évêque et sa ville, in: Revue d’histoire de l’Eglise de France 87 (2001) 5–25.

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wie ausgeprägt Bischofsdynastien wie später diejenige Gregors von Tours sein konnten, wie reibungslos die Mitglieder der senatorischen Führungsschicht auf dem Weg über das Bischofsamt für eine Kontinuität politischen Einflusses über den Zusammenbruch des weströmischen Reichs hinaus sorgten. Als Metropolit geriet Caesarius in den Sog der politischen Veränderungen der sog. Völkerwanderungszeit, denen gerade Arles ausgesetzt war, das 473 westgotisch, 507 ostgotisch und 534 schließlich fränkisch wurde. Obwohl sich Caesarius mit den arianischen Machthabern stets arrangierte und auf Konspiration mit Byzanz verzichtete, verdächtigte ihn der Westgotenkönig Alarich II. subversiver Absprachen mit den katholischen Franken und schickte ihn in die Verbannung. In solchen Verdacht gerieten Bischöfe damals schnell, denn die Diözesangrenzen vieler Bistümer stimmten nicht mit den politischen Grenzen der gentilen Herrschaftsbildungen überein, so dass die Sorge des Bischofs sich immer auch auf einen Teil der Bevölkerung jenseits der politischen Machtgrenzen richtete. Caesarius befreite Gefangene mit verkauftem Kirchengut und stellte die Versorgung seiner Stadt sicher. Konflikte waren auf diese Weise vorprogrammiert. Als im Jahre 508 Arles von Franken und Burgundern belagert wurde, geriet Caesarius wiederum in den Verdacht des Hochverrats. Er musste sich 513 am Hof Theoderichs des Großen in Ravenna verantworten. Doch dieser war offensichtlich so von der Integrität des Prälaten beeindruckt, dass er ihn reich beschenkt nach Hause entließ. Seit 513 Metropolit, dem mit dem Pallium die Rechte eines apostolischen Vikars für Gallien verliehen worden waren, entfaltete er auf Synoden eine bemerkenswerte Aktivität. Als Klostergründer entwarf er eine eigene Mönchsregel, und auch die erste Nonnenregel des lateinischen Westens geht auf ihn zurück. Er schrieb sie für das von ihm gestiftete Nonnenkloster St. Johanna in Arles, dem seine eigene Schwester vorstand. Das bedeutendste Kloster, welches dieser Regel folgte, war das Hl. Kreuzkloster in Poitiers, eine Gründung der Merowingerkönigin Radegunde (†561), der Gattin Chlotars I. Caesarius wirkte so als Bindeglied zwischen christlich-römischer Tradition und fränkischem regnum. Welche Auffassung von Charakter und Reichweite des menschlichen liberum arbitrium hegte Caesarius? Die Lektüre seiner „simplici et pedestri sermone“ auch an einfache Bauern gerichteten (s. 1, 20) Predigten64 sieht eine Wendung leitmotivisch wiederkehren, die gleichzeitig eine Stellungnahme zu unserem Grundproblem darstellt: „Cum dei adiutorio laboremus“ fordert er unablässig und unabhängig vom konkreten Thema der Rede seine Zuhörer auf. 65 Laborare ist dabei vorwiegend als sittliche Bemühung um eine christliche Lebensführung zu fassen, die im Diesseits für eine kurze Zeit zu erbringen ist (s. 74; 109; 118; 137; 159; 233) und im Kontrast zur Ruhe des Jenseits steht. (s. 69, 151) Christus wird als Helfer in diesem Kampf benannt: obwohl er schon zur Rechten Gottes sitze, „tamen adhuc nobiscum laborare dignatur in mundo“ (s. 26) Formeln wie „deo donante/auxiliante“ (z. B. ss. 1; 19; 30; 116; 214) o.ä. deuten dabei des Bischofs 64 Ed. G. Morin, CCSL 103 und 104, Turnhout 1953. 65 ss. 6; 11; 26; 30; 31; 34; 39; 41; 61; 65; 67; 72; 75; 79; 81; 83; 94; 104; 107; 116; 149; 156; 169; 178; 179; 186; 187; 201; 213; 215; 229; 230.

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Glauben an die Möglichkeit eines unmittelbaren Eingreifens Gottes in das Geschehen an. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Texte für die tägliche Lesung bei Tisch oder zum Vortrag in der Kirche bestimmt, d. h. für die mündliche Kommunikation gedacht waren. (s. 1) Der Lohn der Gerechten und die Bestrafung der Sünder sollte in ihnen zum Ausdruck gelangen, damit die Guten zum Besseren angehalten und die Schlechten mit dem Hinweis auf das Jüngste Gericht von ungerechtem Tun abgeschreckt würden. (s. 1, 5) Ackerbau und Handwerk könnten schließlich viele betreiben, Laien, Jüngere, Kleriker, die Kultur der Seelen jedoch zu pflegen seien nur wenige in der Lage, die Priester, fährt er in diesem Mahnschreiben an die sacerdotes fort. Die Bischöfe sollten heidnische Praktiken, Abtreibungen und gewaltsam ausgetragene Nachbarschaftskonflikte anprangern und zur Nächstenliebe aufrufen. Wenn es ihnen zu anstrengend (laboriosus) sei, selbst zu predigen, sollten sie wenigstens Presbyter und Diakone beauftragen, Predigten der Väter vorzulesen. Niemand dürfe sich daher seiner Aufgabe entziehen, denn – und hier zitiert Caesarius das Gleichnis von den Talenten aus dem Matthäusevangelium (25, 25) – „inutilis ille servus, qui acceptum talentum noluit duplicare.“ (s. 1, 10) Der Mensch hat den Auftrag, seine gottgegebenen Fähigkeiten im Dienste der Nächsten zu nutzen, um sich das Heil im Jenseits zu sichern. Solche Appelle widersprechen bis zu einem gewissen Grade seinem auf den Konzilien von Valence und Orange 528/9 zutage tretenden Engagement gegen die semipelagianische Position. Eine Auflösung des Widerspruchs ist schwierig, denn es finden sich in den Predigten schon aufgrund der eher paränetischen als deliberativen Intention keine theoretischen Reflexionen über das Verhältnis von Gnade und Willensfreiheit. Die appellative Formel „cum dei adiutorio laboremus“ wird jedoch mit solcher Konstanz eingeschärft, dass wir in ihr ein wesentliches Element der Überzeugungen des Caesarius sehen dürfen. Sie entspricht jener von Angenendt aus der Hagiographie des Frühmittelalters abgelesenen „meritorischen Heiligkeit“, die die Gnadenzuweisung durch Gott an die Verdienste des Menschen bindet. 66 Die Frage bleibt jedoch, worin konkret das zu belohnende „laborare“ des Menschen besteht. Sehen wir zur Klärung des Problems auf zwei in der Komposition der Sammlung herausragende Texte, den Prolog und die Predigt über die Gründe für die Passion Christi, in der allein der Begriff des „liberum arbitrium“ auftritt. In beiden Predigten, wie überhaupt in der ganzen Sammlung, richtet sich der Blick vor allem auf die Endzeit und das Jüngste Gericht. Diese Stimmung ist im 6. Jahrhundert durchaus verbreitet, was sich beispielsweise an der relativ hohen Zahl von Kommentaren zur Apokalypse erweist. 67 Auch Caesarius denkt vom Ende her. Es ist ihm wichtig, dass die Predigtsammlung eifrig gelesen und vorgetragen werde, damit die Prediger „de adsidua praedicatione aeternum praemium mereantur accipere.“ (s. 2, praef.) Das Berufsethos ist Verdienst, der vom höchsten Richter belohnt wird. Es gehe sogar darum, „ut de 66 A. Angenendt, Das Frühmittelalter, Stuttgart 1990, p. 190. 67 Cf. die Einleitung zu V. Epp, Amicitia, Stuttgart 1999.

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suis et aliorum profectibus duplicem a domino remunerationem recipiat.“ (s. 2, praef.) Die Belohnung des Gerechten aufgrund des eigenen spirituellen Fortschritts und seiner erfolgreichen pädagogischen Bemühungen um den profectus auch der anderen sind das Ziel seines Strebens: non iudicium, sed profectum (s. 11, 6) dürfe man dann am Jüngsten Tag erwarten. Inhalt des „laborare cum dei adiutorio“ ist also das menschliche Streben nach spirituellem Fortschritt sowohl bei sich selbst als auch im Umgang mit anderen Menschen, welches sich in allen konkreten Tätigkeiten äußern sollte. Diese Schlussfolgerung ergibt sich auch aus der bemerkenswerten Predigt über die Gründe der Passion Christi, in der Caesarius dem Teufel folgende Worte an Gott in den Mund legt: „Du hast mir und den Menschen die Fähigkeit zur freien Willensentscheidung (liberum arbitrium) gegeben […] ich habe dem Menschen Schlechtes geraten, ihn aber nicht gezwungen, die Sünde zu begehen. Der Mensch hat sich mir „propria voluntate“ verbunden, wegen der Sünde sind wir beide zur Bestrafung bestimmt. Es darf nicht zwei Urteile in der derselben Sache geben: wenn der Mensch aus bloßer Nachsicht gerettet wird, müssen wir beide gerettet werden.“ Damit diese verbrecherische Stimme kein Gehör finde und Gottes Handeln vernünftig und gerecht sei, sei die Tugend (virtus) selbst vom Himmel gekommen, um nicht mit Gewalt die Menschen vom Teufel loszureißen, sondern auf gerechte Weise: um, obwohl selbst ohne Sünde, die Strafe auf sich zu nehmen. Diese durch Christi Opfer geschenkte Erlösung solle, so die Schlussfolgerung des Caesarius, den Menschen zum „profectus“ anspornen, zur sittlichen Weiterentwicklung, um im Jüngsten Gericht nicht verurteilt zu werden. (s. 11, 6) „Ideo nos, quibus tanta beneficia nullis praecedentibus meritis praestitit divina misericordia, quantum possumus cum ipsius adiutorio laboremus, ut tantae pietatis gratia non nobis iudicium pariat, sed profectum.“ 68 Dieser Gedanke des profectus ist mehrfach auch in anderen Predigten im gleichen Kontext erwähnt (z. B. s. 170, 4), so dass eine heilspädagogische Grundintention der Sammlung evident ist. Diese kann nur auf der Basis der Auffassung funktionieren, dass Christi Sterben für die Menschen die Prädestination aller zur Verdammnis aufgehoben hat. Vernunft und Gerechtigkeit nähern den Gott des Caesarius, dessen Heilswillen als „rationis atque iustitiae et auctor et exactor“ (s. 11, 2) allen Menschen gilt, dem Gott der Philosophen an. Ihm und Christus, der uns „nullis praecedentibus meritis“ gerettet hat, dürfen wir, so folgert der Bischof, diese Wohltat nicht mit Bösem vergelten, sondern müssen für das Jüngste Gericht vorsorgen: „quantum possumus cum dei gratia laboremus.“ (s. 89, 5) Die Mitwirkung der Menschen ist gefragt: Friedenswahrung und Gerechtigkeit zählen für ihn ebenfalls zu den guten Werken, die zur ewigen Freude im Jenseits verhelfen können (s. 166, 5), doch oft reiche schon der gute Wille vor Gott. (s. 31, 1; 182) Schriftkenntnis und Bildung hingegen sind für ihn keine notwendigen Voraussetzungen. Caesarius erinnert an das Beispiel von Kaufleuten, die, 68 „Deshalb lasst uns mit seiner Hilfe arbeiten, denen ohne vorausgehende Verdienste das göttliche Erbarmen so große Geschenke zuteil werden ließ, damit solche Gnade uns kein Urteil, sondern Fortschritt bereite.“

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weil sie selbst Analphabeten seien, gegen Geld Schriftkundige einstellten, die ihre Rechnungsbücher führten. (s. 6, 2) So könnten es auch Schriftunkundige halten, die gleichwohl die lectio divina pflegen wollten. Auch Bäuerinnen und Bauern könnten sich nicht mit Rücksicht auf ihre Illitteralität entschuldigen: sie sängen bei der Arbeit so oft teuflische und schändliche Liebeslieder, warum lernten sie nicht das Glaubensbekenntnis, ein paar Wechselgesänge, den 50. oder 90. Psalm auswendig, um ihre Seele mit Gott zu verbinden? (s. 6, 3) Arbeit und gute Werke dienen der Ehre Gottes (s. 31), stellen die Gottesebenbildlichkeit des Menschen wieder her (s. 65), indem sie Sünden tilgen (s. 60; 61; 116; 179; 197; 218). „Ingentia peccata labor solvit exiguus.“ (s. 197, 1) Im Rahmen einer Gewissensethik (s. 2; 38; 61; 97; 120; 227), die Sünde als Zustimmung zum Bösen (s. 81) und Reue als Teil des Rückwegs des Menschen zu Gott begreift (s. 144; 196), sind gute Werke geradezu eine Voraussetzung für himmlischen Lohn, weil Gott „secundum merita“ sein Urteil am jüngsten Tag spricht. (s. 60, 3) 69 „Sufficiant vobis fructiculi vestri, quos de iustis laboribus deo donante percipietis“, „Es reichen eure Früchte, die ihr aus rechter Arbeit von Gott erhalten werdet.“ (s. 19, 2) Wie die Formulierung zeigt, sind Belohnung und Geschenk Gottes untrennbar verbunden: „nos faciamus donante deo quod nostrum est […] nos exerceamus officium nostrum, deus implebit beneficium suum.“ (s. 1, 15) 70 Obwohl die guten Werke Voraussetzung der Gnade sind, ist diese nicht geschuldet, sondern erfolgt unabhängig von menschlichen Vorleistungen als „Wohltat“. Das Wortspiel der Komposita von facere, die Analogie von officium und beneficium freilich deutet eine Korrespondenz von menschlichem und göttlichem Tun an. Caesarius fordert zu einem untadeligen Lebenswandel auf, weil nur dieser in die himmlische Heimat führe. „Hoc sit inter utrumque commercium, ut illius nobis proprietatem usu istius conparemus; ut, sicut vita aeterna vitae istius praemium erit, ita laboremus, ut illius ista sit pretium.“ (s. 194, 3) 71 In diesen Passagen ist von einer Handelsbeziehung zwischen Gott und den Menschen die Rede: der Besitz des ewigen Lebens muss vorab mit dem Preis der diesseitigen Arbeit bezahlt werden. Noch deutlicher wird dies in einer Predigt, in der der Bischof gleichsam einen Deal mit Gott zu machen vorschlägt. Vor dem Richter solle jemand ruhigen und freien Gewissens sagen können: gib, Herr, weil ich gegeben habe: erbarme dich, weil ich mich erbarmt habe, ich habe deine Gebote erfüllt, gib du jetzt, was du versprochen. (s. 158, 6) Ganz ähnlich formuliert er den Handel mit Gott in einer Predigt über die drei Arten des Mitleids. Im Jüngsten Gericht könne jemand, der im Leben selbst mildtätig gewesen sei, reinen Gewissens zu Gott sagen: „Da, domine, quia dedi.“ (s. 30, 4) In einer anderen Predigt heißt es an 69 Weitere Beispiele s. 12; 14; 19; 30; 31; 33; 75; 100; 127; 149; 150; 158; 160; 166; 178; 194; 219; 227; 228; 236. 70 „Lasst uns unsere Aufgaben, die Gott uns schenkt, erfüllen [...] wir erfüllen unsere Pflicht, Gott wird seine Wohltaten erweisen”. 71 „Dies sei die Beziehung zwischen beiden, dass wir den Besitz des ewigen Lebens durch den Gebrauch des diesseitigen erwerben, damit wir, wie das ewige Leben der Lohn des diesseitigen ist, so arbeiten, dass das Diesseits sein Preis ist.“

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Bauern gerichtet, die sich nicht nur um ihren Acker, sondern auch um ihre Seelen kümmern sollen: „nobis deus vicem quodam modo reddit.“ (s. 6, 6) Deshalb gilt für ihn: „fac tibi vicem cum Christo“. (s. 31, 5) Unter solchen Voraussetzungen muss die Lebenswahl des homo viator den schwierigen, engen Weg hinauf zu Gott beschreiten (s. 150): „curre per viam Christi, in qua parvissimo tempore laborabis, sed postea cum angelis sine fine gaudebis.“ (s. 149, 4) 72 „Arbeite für Christus in der Welt, damit du mit ihm im Himmel zu herrschen verdienst.“ (s. 149, 6) „Erfreut Christus in dieser Welt mit euren guten Werken, damit er euch in Zukunft mit seinen Geschenken erfreut.“ (s. 160, 5) 73 Auch Caesarius’ Bild der Himmelstreppe in der Form des Kreuzes Christi, auf die sich Gott stützt und auf der die Engel, Apostel und Kirchenlehrer hinauf und wieder herab zu den Gläubigen steigen, um sie zu belehren, weist auf die Überzeugung des Predigers, dass menschliche Anstrengung eine Voraussetzung für Erlösung sei. (s. 87) Nur dann fruchten die Gebete der Märtyrer und Bischöfe etwas bei Gott, wenn die Menschen die Gebote des Herrn befolgen und immer gute Werke tun. (s. 214) Schlechtem Handeln folgt die Verdammnis auf dem Fuß: nobis perpetuam perditionem adquirimus. (ibid.) „Cum dei adiutorio [...] laboremus, pro istis tantis beneficiis ut magis praemium quam iudicium habere possimus; ne forte si luxuriis et aliis malis operibus dediti esse voluerimus, pro bonis mala reddentes, reos nos ante tribunal aeterni iudicis faciamus.“ (s. 104, 6) 74 Es geht also um die Vorbereitung des Jüngsten Gerichts, in dem wir von Gott entweder Wohltaten oder eine Verurteilung zu erwarten haben. So gerecht soll unser Lebenswandel sein, schärft der Bischof ein, dass Juden oder Heiden, die unsere guten Werke sehen, unseren Vater im Himmel preisen und Zuflucht zu unserem Glauben nehmen oder das Beispiel unseres Lebens nachzuahmen versuchen. (ibid.) Gerade der angesichts der geschilderten noch keineswegs unumstrittenen Stellung des Christentums im südgallischen Raum hat die Bewährung der Christen, die Erfüllung der Gebote zentrale Bedeutung auch für die Mission, die durch das Vorbild weitergetragen, nicht durch Gewalt erzwungen werden soll. Während solche Passagen eine Verdienstethik zumindest andeuten, finden sich auch Formulierungen, die scheinbar die Gnade zum alleinigen Heilsinstrument machen: die Zeit der Freude, der Ruhe und des Glücks komme nicht aus unseren Verdiensten, sondern aus der Gnade des Erlösers. (s. 162, 1) Haben wir in den Texten, die die Menschen zur sittlichen Lebensführung anhalten, nur pädagogische Manöver zu sehen, die die wirkliche Überzeugung des Caesarius verschleierten, dass alles doch nur von der Gnade abhinge? Warum wandte er sich

72 „Gehe den Weg Christi, auf dem du eine kurze Zeit arbeiten und dich mühen wirst, aber später mit den Engeln ohne Ende Freude haben wirst.” 73 Cf. s. 162, 1: Prius tempus laboris, postea quietis […] prius bona opera faciendo laboremus in mundo, et postea remunerante domino perveniamus ad regnum. 74 „Lasst uns mit Gottes Hilfe arbeiten, damit wir Lohn statt Strafe erwarten dürfen, damit wir nicht, weil wir uns Ausschweifungen und schlechtem Handeln verschrieben haben, Gutes mit Schlechtem vergolten, vor dem Stuhl des ewigen Richters zu Angeklagten werden.“

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kirchenpolitisch gegen den Semipelagianismus, dessen Auffassungen er nach Auskunft der Predigten sehr wohl zuneigte? War Caesarius der Widerspruch seiner Äußerungen bewusst? Einerseits malt er aus, wie Gott „de iustis laboribus“ Belohnungen verteile, wie leicht die Arbeit aus Liebe zu Gott werde (s. 23; 70; 144; 159; 232; 236), wie am Ende des richtigen Weges nicht nur die Vergebung, sondern sogar die Gottesfreundschaft (z. B. s. 31; 81; 186) die frühere Sündenknechtschaft, die er der Gefangenschaft des Volkes Israel in Ägypten vergleicht (s. 116), ablöse, andererseits betont er wiederholt, dass „nullis praecedentibus meritis“. (s. 89; 170; 227) Gott seine Gnade verteilt habe. Doch hier sind die Kontexte zu berücksichtigen. Die Formel tritt nur an Stellen auf, die sich auf die Befreiung von Sünden durch das Sakrament der Taufe oder die Erlösungstat Christi beziehen. In diesen Fällen handelt Gott in der Tat ohne Ansehen vorheriger individueller Handlungen, setzt einen Neuanfang. Genau dies ist der springende Punkt: die gnadenhafte Befreiung von Sünden in der Taufe muss von den Menschen beantwortet werden durch die Neuausrichtung ihres Verhaltens: do, ut des, wie wir an einigen Stellen gesehen haben. Die Taufe ist für ihn ein Geschenk, welches zwar ohne Verdienste gewährt wurde, aber gerade deshalb Anreiz zum profectus, zur sittlichen Vervollkommnung, sein müsse. (s. 170, 4) Denn das Jüngste Gericht ist für Caesarius im Unterschied zum Opfertod Christi eine Veranstaltung, in der es sehr wohl um die Verdienste einzelner geht. Nur vor diesem Hintergrund ergeben die heilspädagogischen Appelle des Caesarius einen Sinn. Sie sind ein Aufruf an die Menschen, die voraussetzungslose Gnade des Schöpfers durch ein Leben in Arbeit und guten Werken zu beantworten. Dieser wiederholt so genannte profectus der Menschen, die kämpferische Absage an die Anfechtungen durch den Teufel, ist das eigentliche Anliegen des Bischofs. So kann ihm sittliche Bemühung im Diesseits Bedingung des göttlichen Gnadengeschenks (s. 228) sein oder – in einer Predigt zur Kirchweihe – sogar der Schlüssel zum Himmelreich: „fratres carissimi, quia nullis praecedentibus meritis, per gratiam dei meruimus fieri templum dei, quantum possumus cum ipsius adiutorio laboremus, […] ut nobis bonorum operum clavibus ianuam regni caelestis aperire possimus.“ (s. 227, 1) „Liebste Brüder, weil wir ohne vorausgehende Verdienste durch Gottes Gnade Tempel des Herrn werden, lasst uns soviel wie möglich mit seiner Hilfe arbeiten […], damit wir uns mit den Schlüsseln guter Werke die Tür des Himmelreichs aufschließen.“ In den gentilen Reichen des Frühmittelalters konnte das augustinische Erbe demnach in verschiedene Richtungen interpretiert werden. Während Bischof Fulgentius das liberum arbitrium im Gehorsam gegen Gott aufgehen ließ und den Primat der Gnade beim Heilserwerb vertrat, war für Caesarius von Arles Arbeit als sittliche Bemühung im Diesseits Voraussetzung für das Geschenk des ewigen Lebens. Daraus resultierte eine Verdienstethik, die in der menschlichen Anstrengung eine Bedingung der Erlösung sah.

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2.4 HRABANUS MAURUS (780–856): ARBEIT ALS IMITATIO CHRISTI Machen wir einen Sprung ins 9. Jahrhundert, als auf der Basis der sog. Karolingischen Renaissance erneut eine höfische Gelehrtenkultur entstand, die sich komplexen theologischen Debatten widmen konnte. Ab etwa 790 wurde der Hof zur Schaltstelle, die Bildung und Religion förderte. Die Bibliothek Karls des Großen stand keineswegs nur dem Herrscher zur Verfügung, sondern auch den Gelehrten an seinem Hof; eine neue Entwicklung, die bis zu Karl dem Kahlen nachvollziehbar ist, dann aber abbricht. 75 Der König nahm an den Debatten der Gelehrten teil, stellte Fragen und akzeptierte oder verwarf die Antworten. Die Hofgesellschaft erreichte wieder ein beachtliches Niveau lateinischer Sprachkompetenz, wie die Figurengedichte zeigen, die verfasst und vorgetragen, also auch vom Herrscher verstanden werden mussten. Das gesamte Spektrum der sieben freien Künste wurde wieder belebt, wie es Augustin, Isidor von Sevilla und Cassiodor weitergegeben hatten. Jede Disziplin, so glaubte man, habe ihren Nutzen für eine breit angelegte Reform der politischen, geistlichen und geistigen Verfassung des Reiches: die Grammatik sorgte für das richtige Gebet und den korrekten Bibeltext, der allein Gottes Gegenwart im Wort des Gottesdienstes verbürgte, die Rhetorik half im Gerichtswesen und in der Predigt, die Dialektik und Kategorienlehre erleichterten das Verstehen und Auslegen der heiligen Schriften, die Arithmetik nützte der Reform der Maße und Gewichte, der Computus sorgte für die Ordnung der Zeit im Kirchenjahr. All dies zusammen diente der Erneuerung der Kirche, der Festigung königlicher Herrschaft, der Einheit des Reiches und der Christenheit. Die artes wurden zum Heilsund Herrschaftswissen. Man brauchte gebildetes Personal, um ein expandierendes Reich zu beherrschen. Der Hof wurde zum Zentrum der Bildung und Ausbildung der Amtsträger. Wie das Haus Gottes, die Kirche, so Alkuin, sich auf die Säulen der sieben Gaben des Heiligen Geistes stütze, so ruhe die Weisheit der freien Künste auf sieben Säulen und nicht anders gelange man zum vollkommenen Wissen als über diese sieben Säulen oder Stufen. Nur über die sieben Stufen der Philosophie führe der Weg in die höheren Bereiche der Wissensschau. Mit den artes obsiegten die heiligen und katholischen Lehrer und Schützer des Glaubens über die Häretiker. 76 Welche Funktion hatte in diesem Kontext Hrabanus Maurus? Der aus einer mainfränkischen Adelsfamilie stammende Oblate des Klosters Fulda, der später dort als Lehrer und Abt wirkte und 847 zum Erzbischof von 75 Zur Einführung und zum Folgenden: R. McKitterick, Die karolingische Renovatio, in: 799Kunst und Kultur der Karolingerzeit, edd. C. Stiegemann/M. Wemhoff, Mainz 1999, p. 668– 685; P.L. Butzer/D. Lohrmann (edd.), Science in Western and Eastern Civilization in Carolingian Times, Basel/Boston/Berlin/Stuttgart 1993; als Porträt Hrabans: F. J. Felten, Rabanus Maurus, Diener seiner Zeit, Vermittler zwischen den Zeiten, in: ders. (ed.), Mainzer (Erz-)Bischöfe in ihrer Zeit, Stuttgart 2008, p. 11–34, der den Titel des älteren Aufsatzes von J. Fleckenstein aufgreift (s. u. Anm. 96). 76 Alkuin, Disputatio de vera philosophia, PL 101, c. 849–854.

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Mainz erhoben wurde, hinterließ ein literarisches Oeuvre von europäischer Ausstrahlung. 77 Seiner Ausbildung in Fulda kam es zugute, dass man sich dort gerade gegen Ende des 8. Jahrhunderts bemühte, das Unterrichtsniveau gemäß den Vorgaben der Epistola de litteris colendis Karls des Großen anzuheben. Die Orientierung am Hof zeigt sich auch darin, dass um 800 die begabtesten Mönche zu weiterführenden Studien nach St. Martin in Tours und an die Hofschule geschickt wurden. So auch Hrabanus, der von Alkuin in den theologischen Disziplinen unterwiesen wurde. Hrabans poetischer Bericht über seine Studien führt die Exegese, moraltheologische und philosophische Gegenstände an. 78 Aus dem LehrerSchüler-Verhältnis entstand offenbar eine enge Freundschaft: so gab Alkuin Hraban den Beinamen Maurus, wie es einst Benedikt von Nursia mit seinem Lieblingsschüler getan hatte. 79 Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Fulda Anfang des 9. Jahrhunderts wurde Hrabanus die Leitung der Klosterschule übertragen. Zu seinen Schülern zählten so bedeutende Gelehrte wie Gottschalk der Sachse, Walafrid Strabo und Lupus von Ferrières. Beständig nahm er sich außerdem der Erweiterung der Klosterbibliothek an. Vor allem seit dem Abbatiat des bildungsfreundlichen Eigil (818–822) begann seine Wirkung als Lehrer, die sich zuvor in den Auseinandersetzungen des Konvents zwischen den Vertretern einer weltabgewandten eremitischen Lebensführung und denen einer Annäherung an Königtum und Weltkirche nicht recht hatte entfalten können. 80 Doch Hraban überzeugte die Skeptiker, indem er sein ca. 810 in einer ersten Fassung fertiggestelltes Erstlingswerk dem Lob des Heiligen Kreuzes widmete, ein noch von Alkuin angeregtes opus geminum in Versen und Prosa, das durch seine anspruchsvolle Sprache und die meisterhaft bewältigte Form bewusst Literatur und Wissenschaft gegen die sacra rusticitas der Wüste setzte. 81 Es zeigt seine Vorliebe für das Figurengedicht, das in einer Verbindung von Bild und Text einzelne Teile der fortlaufend geschriebenen Verse durch Formen und Farben aussondert und zu neuen Worten und Inhalten verbindet. Der spätantike Dichter Optatianus Porphyrius hatte diese Form am Hof Konstantins des Großen zu Ehren gebracht. Indem Hraban nach 831 eine erweiterte Fassung des Textes mit einem Widmungsgedicht Kaiser Ludwig dem Frommen dedizierte, nimmt er nicht nur die spätantike Formtradition, sondern auch den politisch-pane77 Zur Biographie v.a. M. Sandmann, Hraban als Mönch, Abt und Erzbischof, in: Fuldaer Geschichtsblätter 56 (1980) 133–180. 78 Hrabani Mauri Carmina, ed. E. Dümmler, MGH Poetae latini aevi carolini II, p. 159f. 79 M. Rissel, Rezeption antiker und patristischer Wissenschaft bei Hrabanus Maurus, Frankfurt/Main 1976, p. 1–18 zur Lebensgeschichte. 80 J. Fried, Fulda in der Bildungs- und Geistesgeschichte des früheren Mittelalters, in: G. Schrimpf (ed.), Kloster Fulda in der Welt der Karolinger und Ottonen, Frankfurt/Main 1996, p. 3–38. 81 Zu benutzen in der kritischen Edition von M. Perrin, Rabani Mauri In honorem sanctae crucis, CCCM 100, Turnhout 1997. Dazu: M. C. Ferrari, Hrabanica. Hrabans De laudibus sanctae crucis im Spiegel der neueren Forschung, in: G. Schrimpf, Kloster Fulda (wie Anm. 80), p. 493–526 und seine Habilitationsschrift: Il „Liber sanctae crucis“ di Rabano Mauro. Testoimmagine-contesto, Bern 1999.

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gyrischen und den Mahncharakter solcher Schriften auf. 82 Als Dichter verfasste er für alle wichtigen Feste des Kirchenjahres Hymnen, aber auch über sechzig weltliche Gedichte, u. a. Widmungsgedichte für die Päpste Gregor IV. (827–44) und Paschalis I. (817–24), für Kaiser Lothar I. (†855) und dessen Gemahlin Irmingard, für Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und befreundete Mönche, sowie Epitaphien. 83 Die in diesen Werken hervortretende Gelehrsamkeit des Mönches deutet es an: Der Fuldaer Konflikt zwischen dem irisch-angelsächsischen Bildungsmönchtum und den Anhängern der Anachorese wurde in der Person Hrabans gleichsam vermittelt. Er zeigte, wie man die Errungenschaften der weltlichen Wissenschaft bewahren könnte, ohne die monastische Lebensform zu gefährden. Seine 819 verfasste Schrift De institutione clericorum, ein Handbuch der Bildungsstoffe eines theologischen Studiengangs für Priesteramtsanwärter und Kleriker, entspricht den Zielen auch der Reformsynoden Ludwigs des Frommen 816/7, die sich u. a. die Hebung des Bildungstandes der Geistlichen angelegen sein ließen. Nur ein Jahr später folgten sein Handbuch zur Chronologie und der erste seiner vielen Schriftkommentare, derjenige zum Matthäusevangelium. Sein Ruf als Gelehrter trug sicher dazu bei, dass er 822 von den ca. 140 fuldischen Mönchen zum Nachfolger des Abtes Eigil gewählt wurde. Trotz der umfangreichen Verpflichtungen als Seelsorger und der Verwaltungsaufgaben, die ihm nun oblagen, gab er die Leitung der Klosterschule nicht aus der Hand. Sie wurde während des 20-jährigen Abbatiates des Hrabanus zu einer der bedeutendsten Bildungsstätten des ganzen Frankenreiches. Politisch gehörte er zu den Vertretern der sog. Reichseinheitspartei, unterstützte zunächst Ludwig den Frommen und dann nach 840 Lothar I. Er versöhnte sich aber einige Jahre später mit Ludwig dem Deutschen und konnte so die Anliegen der karolingischen Bildungsreform auch im ostfränkischen Reich verbreiten. Durch ihn wurde das Königskloster Fulda, das durch reiche Schenkungen der Karolinger zu den wohlhabendsten seiner Art gehörte, zum Kulturvermittler an die neu entstehende politische Einheit. 847 berief Ludwig der Deutsche, obwohl der inzwischen siebzigjährige Hrabanus Parteigänger seiner ehemaligen Feinde gewesen war, den Gelehrten zum Erzbischof von Mainz. Wie Alkuin und Isidor von Sevilla war Hraban im Anschluss an Augustin (De vera religione V, 8) überzeugt, dass der christliche Mönch der wahre Philosoph sei. 84 Die Bibel galt ihm als Ursprungsort aller menschlichen Erkenntnis und aller Wissenschaften. Wie schon Augustin in De doctrina christiana ging er von einer wechselseitigen Bedingtheit wissenschaftlicher Erkenntnis und ethischer Bemühung aus. Sapientia und dilectio waren für ihn zwei Seiten einer Medaille. Diese „Sakralisierung der Wissenschaften“ führte zu einem „Wissensoptimismus, der vielfach schon vom 82 F. Mütherich, Die Fuldaer Buchmalerei in der Zeit des Hrabanus Maurus, in: W. Böhne (ed.), Hrabanus Maurus und seine Schule, Fulda 1980, p. 94–125, bes. p. 95–99. 83 G. Rehm, Hrabanus Maurus als Hymnendichter, in: Hrabanus Maurus und seine Schule (wie Anm. 82), p. 175–181. 84 M. Enders, Wahre Philosophie bei Hrabanus Maurus, in: G. Schrimpf, Kloster Fulda (wie Anm. 80), p. 465–480.

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Besitz wertvollen Wissens die Fähigkeit zu besserem Handeln erwartete.“ 85 Über Augustin hinausgehend, der innerhalb der Wissenschaften die von Menschen erfundenen Disziplinen von den durch Gott gestifteten unterscheidet, bezieht Hraban jetzt auch Trivium und Quadrivium in den Kreis letzterer mit ein. Für ihn dienten sie der Erschließung des geoffenbarten Sinnwissens um die Bestimmung des Menschen und der Welt. Dabei galt sein besonderes Augenmerk im Bereich der Exegese den Schriften des Alten Testaments. Aus dem NT kommentierte er nur das Matthäusevangelium und die Paulinen samt dem Hebräerbrief, und zwar auf der Textgrundlage der Vulgata. 86 Sein Interesse galt vor allem rational geformten und abstrakten Aussagen der Väter, die zu einem nützlichen Ordnungsschema kompiliert werden konnten. Individuelles und historische Beispiele interessierten ihn weniger. 87 Seine Leistung besteht in der Auswahl und Neukombination von Quellenexzerpten, deren Inhalt ihm zeitlos und bedeutend erschienen. Die Untersuchung seiner Arbeitsweise hat ergeben, dass er „in äußerst kritischer Prüfung und mit einer bei ihm wegen der meist wörtlichen Anlehnung an seine Quellen nicht vermuteten geistigen Unabhängigkeit […] nur das seinen Auffassungen Gemäße aus(wählte).“ 88 Methodisch bedeutet das für unsere Fragestellung, dass die Aussagen der von Hrabanus kompilierten Bibelkommentare als von ihm bejahte und angeeignete Meinungen zu gelten haben und damit eigenen Aussagen gleichzusetzen sind. Zurück zum Biographischen: Gegen Ende seines Lebens wurde der Erzbischof in die Debatte um die Prädestination hineingezogen. Gottschalk, als Mönch von Fulda sein zu Gehorsam verpflichteter Schüler, hatte seine Oblation angefochten und seine Entlassung aus dem Mönchsstand gefordert, was Hraban als unrechtmäßig zurückwies. Vor der 848 abgehaltenen Mainzer Synode unter dem Vorsitz Hrabans musste er sich gegen die Anklage rechtfertigen, Irrlehren über die Prädestination verbreitet zu haben. Hraban erreichte eine Verurteilung Gottschalks durch die Synode oder ließ sie mindestens zu. 89 Gottschalk wurde in den Gewahrsam Hinkmars von Reims übergeben, der ihn im westfränkischen Kloster Hautvillers gefangenhielt. Die Härte des Synodalbeschlusses ebenso wie eine von Hraban verfasste Abhandlung De praescientia ac praedestinatione Dei, de gratia et de libero arbitrio beruhen, wie Schrimpf nachgewiesen hat, auf einem Missverständnis der Lehren Gottschalks. Denn auch dieser war „dem im Karolingerreich bestehenden Bedürfnis nach einer theoretischen Sicherung der Notwendigkeit einer beständigen sittlichen Lebensführung nachgekommen“. 90 Für 85 M. Rissel, Rezeption, p. 333. 86 H. Reinelt, Hrabanus Maurus als Exeget, in: Hrabanus Maurus und seine Schule (wie Anm. 82), p. 64–76. 87 M. Rissel, Rezeption, p. 340ff. 88 Ibid. 328. 89 W. Hartmann, Die Mainzer Synoden des Hrabanus Maurus, in: R. Kottje/H. Zimmermann (edd.), Hrabanus Maurus, Mainz 1982, p. 130–144; G. Schrimpf, Hraban und der Prädestinationsstreit, ibid. p. 145–53. 90 Schrimpf, ibid. p. 147.

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Gottschalk war die moralisch vorbildliche Lebensführung sogar Zeichen der Erwählung durch Gott. Denn in den Erwählten bewirke Gott eine Hemmung ihrer Triebe, während die Verworfenen ihnen überlassen blieben. Hraban hingegen verstand ihn so, als wolle er aus der Tatsache, dass es von vornherein Erwählte und Verworfene vor Gott gebe, ableiten, dass sich niemand mehr anzustrengen brauche. Dabei hatte Gottschalk durchaus vorgesehen, dass sich die Verworfenen gleichsam am eigenen Schopf, nämlich durch beständiges gutes Handeln, wieder aus dem Sumpf ziehen könnten. 91 Die Einstellung jedoch, die Hrabans Interpretation zufolge notwendig aus der Lehre Gottschalks folgte, fasst er in seiner Schrift über die Prädestinationslehre, die er für Bischof Noting schrieb, in die Worte: „Ich brauche mich gar nicht für meine Ruhe und mein Heil abzumühen. Bin ich von Gott im voraus zum ewigen Leben bestimmt worden, gelange ich auch dorthin, ob ich will oder nicht. Bin ich nicht dazu bestimmt, nutzt es mir nichts, Gutes zu tun und mich um Tugenden zu bemühen. Ich werde den Lohn des ewigen Lebens ohnehin nicht besitzen.“ 92 Klar hat Hraban dies auch in dem von ihm formulierten Schreiben der Synode von Mainz an Hinkmar von Reims ausgesprochen, wo er die Gedanken eines Menschen, der durch die Lehre Gottschalks verführt wurde, in folgende Worte fasst: „Was nützt es mir, im Dienste Gottes mich abzumühen? (laborare in servitio dei) Denn wenn ich zum Tode bestimmt bin, werde ich ihm niemals entkommen. Wenn ich aber schlecht gehandelt habe und zum ewigen Leben bestimmt bin, werde ich ohne jeden Zweifel zur ewigen Ruhe gelangen.“ 93 Hrabans falsches Verständnis der Lehre Gottschalks war daher der eigentliche Beginn des Prädestinationsstreits. Vor allem auch deshalb, weil sich aus dem Briefwechsel 94 , der sich in der Folge zwischen Hraban und Hinkmar von Reims entspann, ergibt, dass der westfränkische Erzbischof sich der Häresiebehauptung Hrabans bedenkenlos anschloss, weil er von der theologischen Autorität des letzten noch lebenden Alkuinschülers überzeugt war. Einen wichtigen Unterschied zwischen den Positionen Hrabans und Gottschalks freilich gilt es hervorzuheben: während der sächsische Mönch den Menschen für ein Gefäß des Willens Gottes hielt, wurde er für Hraban mit der Taufe wieder zur sittlichen Persönlichkeit, die selbst für ihre Entscheidungen verantwortlich sei. Als solche könne sie sich durch den rechten Glauben und gutes Handeln selbst das ewige Leben verdienen. 95 Der sog. Prädestinationsstreit ist demnach eigentlich eine Kontroverse um die menschliche Willensfreiheit und ihre Wirkungsmacht. Kann sich der Mensch selbst sein Heil verdienen oder reicht ein vorbildlich geführtes Leben bestenfalls dazu hin, sich in den Kreis der Erwählten berufen zu glauben, ohne dessen gewiss sein zu können? 91 92 93 94

Schrimpf, ibid. p. 149. Hrabani Mauri Epistolae V, PL 112, c. 1532. Concilium Moguntinum II. Rabani Episcopi epistola, Mansi 14, c. 915. Hincmarus, De praedestinatione Dei II, PL 125, c. 84–85; MGH Epp. 5, S. 487–500; Hincmari Epistolae, ed. E. Perels, Epistolae Karolini aevi 6, fasc. I, MGH Epp. 8, Nr. 21, 22, 39, 81; p. 7, 8, 24, 40. 95 Schrimpf, Hraban und der Prädestinationsstreit p. 152.

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Trotz der vielfältigen Inanspruchnahme als Erzbischof fuhr Hraban auch im Amte fort, schriftstellerisch zu arbeiten. Dieses Nebeneinander gelehrter und politischer Tätigkeit ist bezeichnend für ihn. Für den Unterricht stellte er Lehrschriften zum Computus, zur lateinischen Prosodie und Metrik und eine Neubearbeitung der Etymologiae Isidors von Sevilla zusammen. Zwei große Homiliensammlungen und berühmte Versdichtungen sind ebenfalls überliefert. Hraban starb 856 und wurde im Kloster St. Alban in Mainz beigesetzt. Doch seine Wirkung über die Jahrhunderte begann erst. Josef Fleckenstein hat ihn zurecht als Wegbereiter der scholastischen Methode und des humanistischen Denkens bezeichnet. 96 Einschränkend muss man allerdings hinzufügen, dass Hraban selbst die Leistungen der heidnischen Philosophen keineswegs als weiterführende Beiträge zur ethischen Reflexion ansah: „totus philosophorum gentilium labor, qui de ethica disputaverunt, et aliquas virtutum species imitati sunt, supervacuus et omnino sibi inutilis est, quia quidquid extra sanctam ecclesiam fit, gemitum perpetuum, non gaudium aeternum parit.“ 97 „Die gesamte Arbeit der heidnischen Philosophen, die über Ethik diskutierten und den Anschein von Tugenden nachahmten, ist überflüssig und unnütz, weil alles, was außerhalb der heiligen Kirche geschieht, ewiges Stöhnen, keine ewige Freude hervorbringt.“ Haben wir auf diese Weise Hrabans Lebenskreis und seine Grundposition zur Prädestinationsfrage umrissen, fragen wir nun ausführlicher nach den Grundmotiven seiner Anthropologie und nach dem korrespondierenden Verständnis von Arbeit, wie es sich in der Verwendung des lateinischen Terminus labor und dessen Ableitungen niederschlägt. Dabei wird gleichzeitig deutlich werden, welche Vielfalt der Aspekte „labor“ für einen frühmittelalterlichen Theologen beinhalten konnte. Zur Klärung des Verständnisses von Arbeit im Sinne Hrabans sind wir vor allem auf dessen Erstlingswerk, das er als etwa Dreißigjähriger verfasst hat, das Figurengedicht De laudibus S. Crucis, und auf seinen Kommentar zu Jeremias verwiesen. Das Kreuzgedicht wird neuerdings von Michele Ferrari als „kultureller Text“ (Jan Assmann) interpretiert, als Signatur und repräsentativer Ausdruck der geistigen Haltung einer Epoche, der im Ensemble von Form und Inhalt gleichzeitig die Art und Weise festlegte, in der die Bilderverehrung im Karolingerreich gehandhabt werden sollte. „ […] l’immagine di Cristo crocifisso che apre la serie dei carmina figurata non poteva non essere sentita che come una difesa dell’immaggine.” 98 Wenn gerade dieses etwa 810 verfasste Erstlingswerk, das, wie Ferrari hervorhebt, im Kern bereits die Themen der gesamten späteren literarischen Tätigkeit

96 J. Fleckenstein, Hrabanus Maurus, Diener seiner Zeit und Vermittler zwischen den Zeiten, in: Hrabanus Maurus, edd. R. Kottje/H. Zimmermann, Wiesbaden 1982, p. 194–208. 97 Hrabanus, Comm. in Eccl., PL 109, VIII,VII, c. 1023–1024; cf. Comm. in Ez., PL 110, VI, XIII, c. 656. 98 M. Ferrari, Il liber s. crucis di Rabano Mauro, Bern 1999, p. 414f.

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Hrabans enthält, 99 die Grundbestimmung dessen offenbart, was Hraban unter „labor“ verstand, so dürfen wir seiner Aussage besonderes Gewicht beimessen. In den 28 Figurengedichten, die unter dem Titel des Kreuzes zusammengestellt sind, begleitet von Erläuterungen des Autors (declarationes) und Prosaparaphrasen (versiones prosaicae), wird das Leiden Christi als Beispiel vorgestellt, dem die Menschen folgen sollen (In hon. S. crucis I C 27, ed. Perrin, 211−215). Christus ist das „exemplum […] laboris et patientiae“ (In hon. S. crucis I C 27, ed. Perrin, 212 oder auch In hon S. crucis II D 27, ed. Perrin, 284), das Urbild des Leidens, aber auch seiner Überwindung („exemplum ponens Christum de fine laborum“: In hon S. crucis I B 27, ed. Perrin, 209), dem die Propheten nacheifern (In hon. S. crucis I C 27, ed. Perrin, 211−215), welchem aber auch Paulus verpflichtet ist. (In hon. S. crucis I C 27, ed. Perrin, 211−215) Hraban versteht auch sein eigenes Werk (nostrum laborem: z. B. In hon. S. crucis II praef., ed. Perrin, 226) als imitatio Christi, die ihm, der es in brüderlicher Liebe verfasste, und den Lesern, die es ebenso aufnehmen, himmlischen Lohn verspricht. (In hon. S. crucis II praef., ed. Perrin, 226: aeterni gaudii nobiscum particeps existat) Selig sind für ihn diejenigen, die sich bemühen (laborant), ihre Freude an den wahren Gütern zu haben und sich vom Irdischen und Körperlichen abzuwenden. (In hon. S. crucis I C 17, ed. Perrin, 139−143) Das irdische Leben der Sterblichen ist für Hraban durch den Kampf mit der Versuchung gekennzeichnet. (in temptatione laborantes: In hon. S. crucis I C 18, ed. Perrin, 148) In diesem Kampf bewähren sich die Erwählten, werden die Verworfenen gequält. (per praesentis vitae laborem, quo probantur electi, cruciantur reprobi: In hon. S. crucis I C 18, ed. Perrin, 149) Der „non parvus […] labor certaminum“ (In hon. S. crucis I C 18, ed. Perrin, 149) im Diesseits ist demnach der Ort, an dem sich zeigt, wen Gott erwählt hat. Das klingt so, als ob Hraban vor dem Prädestinationsstreit ganz ähnlich gedacht hätte wie Gottschalk, dass es nämlich von Gott Erwählte und Verworfene gibt, die sich – unabhängig von ihrer Lebensführung – im Leben als solche zeigen, aber nicht gleichsam aktiv, sondern weil sie von Gott so ausgestattet sind. Der Kampf im Diesseits („praesentes fidelium labores“: In hon. S. crucis I C 20, ed. Perrin, 162) steht in krassem Gegensatz zur Ruhe des Jenseits („quies aeterna absque ullo labore“: In hon. S. crucis I C 19, ed. Perrin, 154), in der den Guten das, was sie jetzt nur teilweise erhalten, in Fülle und ohne zeitliche Begrenzung zuteil werden wird. (ibid.) Wie sehr das Leben der Menschen vor dem Bilde Christi konzipiert ist, wird vor allem in einer Formulierung deutlich, in der ein Menschenrecht auf Heil ausgesprochen ist: das Kreuz wird angesprochen als etwas, in dem die Menschen „iura salutis suae cognoscunt“, einen berechtigten Anspruch auf Erlösung finden. (In hon. S. crucis I C 21, ed. Perrin, 168) Begründet und gestärkt wird dieser Anspruch im folgenden in einer Passage, die die Hilfe beschreibt, die das Kreuz den „laborantes“, den Menschen im Diesseits in ihrem Kampf gegen die Laster, zuteil 99 Ibid. p. 413: „In un certo senso, anzi, l’attività letteraria successiva di Rabano può essere letta come un enorme commento e sviluppo degli spunti presenti in forma concentrata nella sua opera d’esordio”.

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werden lässt. „Gegen alle bist du gleich, allen gut, allen gerecht, du erneuerst die Vergangenheit, erleuchtest die Gegenwart, weist den Weg in die Zukunft, du findest Verlorenes und Gesuchtes wieder, bewahrst das Gefundene, stellst Gefallenes wieder her, festigst das Wiederhergestellte in seinem Gang und lenkst das Gefestigte in seinem Weg zum Frieden.“ (In hon. S. crucis I C 21, ed. Perrin, 168) Diese Anagoge zum Heil unter Leitung des Kreuzes Christi beschreibt den Weg des Menschen, wie ihn sich Hraban vorstellte, den Heilsweg vom Sündenfall durch die Geschichte in die erleuchtete Zukunft der ewigen Güte und Gerechtigkeit. In hymnischer Begeisterung, die für den nüchternen Schriftsteller durchaus selten ist, fährt er fort, das Kreuz als „laborantium auxilium“ zu beschreiben, das der Vergebung der Sünden, der Mehrung der Verdienste gleichzusetzen sei. (ibid.) Wenn der labor Christi den Menschen, die als laborantes im Diesseits ebenfalls als Leidende beschrieben sind, zur Mehrung der Verdienste vor Gott und zur Vergebung der Sünden gereicht, liegt es nahe, dass Hraban eine Verdienstethik entwickelt hatte und dem labor auch für die Buße und Reue eine zentrale Bedeutung zuwies. Wir werden dies anhand späterer Texte noch bestätigt finden. Labor ist demnach vor allem die sittliche Anstrengung, die der Mensch aufwendet, um den Versuchungen und Lastern zu widerstehen und ein gottgefälliges Leben zu führen und auf diese Weise den Rückweg zu Gott zu finden. Dabei ist die Form, in der sich der labor äußert, ob als geistige oder körperliche Arbeit und Anstrengung, als Predigt, Exegese oder Dichtung, zweitrangig. Der Dichter Hraban verstand sich als interpres (Dolmetscher, Übersetzer, aber auch Interpret im heutigen Sinne), der nicht von einer Sprache in die andere übersetzte, sondern von einer Redeweise in die andere, gemeint ist vom Literalsinn eines Textes zu dessen allegorischer Deutung. (In hon. S. crucis II praef., ed. Perrin, 226: „Interpres enim ego quodammodo in hoc opere sum, non alterius linguae, sed alterius locutionis, ut eiusdem sensus veritatem explanem. Quapropter rogo lectorem ut non fastidiose accipiat nostrum laborem, sciatque me non superfluitati studere velle, sed utilitati, nec ulli invidere, sed magis fraterna caritate, quicquid gratia divina possum, ad utilitatem proximi scribendo velle conferre.”)100 Er fühlte sich nicht nur als Exeget, sondern auch als Dichter und erst recht als Politiker der „utilitas proximi“ verpflichtet, dem Wohl jedes seiner Nächsten: Exegese und Deutung liturgischer Symbole ist damit Ausdruck der caritas, sie dient dem Gemeinwohl, ist nicht Spielerei von Gelehrten. Geistige Tätigkeit, und sogar eine Dichtkunst, die sich, wie Ferrari zurecht akzentuiert, in Form und Sinngehalt vor allem dem Vorbild der Spätantike annäherte,101 ist damit in den christlichen Kosmos einbezogen, gewinnt höchste Würde als Symbol christlicher Wahrheit. 100 „Denn ich bin gleichsam ein Dolmetscher in diesem Werk, nicht einer anderen Sprache, sondern einer anderen Ausdrucksweise, um die Wahrheit des Sinnes zu erklären. Deshalb bitte ich den Leser, unser Werk nicht mit Hochmut entgegenzunehmen, und er soll wissen, dass ich mich nicht um Überflüssiges bemühe, sondern um Nützliches, dass ich niemandem etwas missgönne, sondern in brüderlicher Liebe zum Wohle des Nächsten beitragen will, sofern ich es mit Gottes Gnade kann.“ 101 Ferrari, Il liber, p. 413.

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Es verwundert daher nicht, dass bei Hraban wie bei Cassian, den er benutzt hat 102 , labor und opus gleichbedeutend gebraucht werden, die beiden Begriffe, die sonst eher den passiven bzw. aktiven Aspekt der Schöpfungsnachahmung bzw. der Sündenstrafe der Arbeit betonen. 103 Die Aspekte lassen sich aus Hrabans Sicht nicht trennen: Die Ambivalenz des Kreuzestodes Christi, Leiden für den Menschen in ihm, Heil für die Menschheit aus Gott, prägt für Hraban auch die Sicht auf jede menschliche Betätigung. Der Dichter widmet sein Werk Christus (In hon. S. crucis II D 27, ed. Perrin, 283f.), denn im Leiden Christi liegt die Vergebung der Sünden, der Neuanfang des menschlichen Weges zu Gott, der Beginn der restitutio des Menschen, den er wie später die Scholastik schon durch die Verwendung des Wortes „restituere“ als Wiederherstellung der ursprünglich guten Menschennatur definierte. (In hon. S. crucis I C 21, ed. Perrin, 168) Auch Eriugena sah in den „restituti“ die zu Gott zurückgekehrten Sündenfälligen. Denn gemäß der Gottesebenbildlichkeit des Menschen war für ihn auch die Natur des Menschen entwicklungs- und vervollkommnungsfähig. 104 Eine Besonderheit des Sprachgebrauchs fällt jedoch ins Auge: Im Unterschied zu allen bisher vorgestellten Autoren benutzt Hrabanus im Anschluss an Gregor den Großen „labor“ auch in bezug auf Gott. Namentlich der Tod Christi am Kreuz wird als „labor Dei“ bezeichnet. 105 Im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren, die labor als eine rein menschliche Form der Bemühung ansahen, die den opera Dei, der Schöpfung, gegenüberstehe, wird hier die Menschlichkeit Christi in der Passion hervorgehoben. Der Kreuzestod wird damit zum Paradigma auch der menschlichen Anstrengung: „labor quippe Dei apparens inter homines, passibilis eius humanitas fuit“. (ibid.) 106 Die Juden hätten die humilitas Christi in der Passion verachtet, und Gott habe ihnen darauf „scutum cordis laborem suum“ (ibid.) gegeben, seine Passion als einen Schild, um die eigene Schuld nicht anerkennen zu müssen. Während Christus doch „pro nobis in infirmitate laboravit“ (ibid.), hätten die Juden die Schwäche des Leidens in Gott verachtet, er sei ihnen umso verächtlicher erschienen, je mehr er sich für sie erniedrigt habe. (ibid.) Indem Leiden, Anstrengung und Schwäche hier auch als Attribute Gottes gewürdigt werden, wird die Arbeit der Menschen als Abbild der Passion Christi gleichsam in eine sakrale Sphäre erhoben, sie wird zur imitatio Christi. Das Leiden eines menschgewordenen Gottes, zentral schon in Hrabans Erstlingswerk De laudibus S. Crucis, wird hier zum Vorbild für die menschliche Lebensführung. „Neque ulla res officiosum istum laborem ad portanda onera aliorum facit libenter 102 Hrabanus Maurus, De institutione clericorum libri tres, Studien und Edition von D. Zimpel, Frankfurt/Main 1996, p. 43. 103 De vit. et virt. 1373, 1397–8; En. in libr. Num. 836; De univ. 489; EBP 154, 370, 440, 541, 1281, 1311; Comm. in libr. Regum 160; Comm. in Matth. 1026; Comm. in Exaem. 132, 180. 104 Periphyseon V, 919c; zur deificatio/theosis V, 935c; K. Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, p. 168–76 zum Periphyseon und D. Moran, The Philosophy of John Scottus Eriugena. A Study of Christian Idealism in the Middle Ages, Cambridge 1989. 105 Hrabanus, Exp. super Jer., PL 111, XIX, III, c. 1247. 106 „Die Anstrengung Gottes, der unter den Menschen erschien, war seine leidensfähige Menschlichkeit.“

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impendi, nisi cum cogitamus quanta pro nobis pertulerit Dominus.“ (Enarrationes in epistolas Beati Pauli = EBP XIX, II, c. 487) 107 Das Leben wird zur militia Christi gegen den Teufel, zur Versuchung („militia est vita hominis super terram (Hiob VII) “sive […] tentatio“, Comm. in Eccl. IX, I, c. 1048), verglichen mit dem Kampf des Volkes Israel gegen die Assyrer, in dem es darum geht, „toto nisu laborare, ut eum (sc. hostem) expellat de finibus conversationis suae, cogitationum scilicet, verborum et actuum“. 108 So könne es geschehen, dass der Mensch „per fragilitatem carnis perdit laborem virtutis […] is, qui multos labores in agone istius mundi sustinuit pro Christo, novissime aliqua adversitate fractus perdit laborem per inconstantiam mentis.“ (Comm. in Ecc. VI, V, c. 959–960) 109 Eine kleine Unachtsamkeit genüge, den Lebenskampf um die Tugend zu verlieren, das Vorbild Christi zu verfehlen. (ibid.) „Pro meritis suis“ werden nämlich die Menschen im Jüngsten Gericht beurteilt. (Comm. in Eccl. IX, I, c. 1048) Die Märtyrer und Bekenner haben „laborem certaminis“ siegreich beendet. 110 Arbeit als imitatio Christi wird damit zum Kern der menschlichen Existenz, wie es schon Cassian und Gregor der Große im Hiobkommentar formuliert hatten: „Homo ad laborem nascitur.“ (Hiob V zitiert u. a. im Comm. in Eccl. IX, I, c. 1047) Hraban führt aus, dass der Mensch „ita a Deo conditus est, ut utili operationi insisteret, sed tamen sine afflictione aliqua atque labore.“ (ibid.) 111 Der Mensch hat nach Hraban also schon im Paradies gearbeitet, wenn auch ohne damit verbundene Anstrengung. Seither „cum labore operans“ wird er für seinen Ungehorsam mit der Mühe bestraft, die die Arbeit seit dem Sündenfall begleitet. (ibid.) Die Nähe zum Stigma belegt noch die Assoziation von labor mit Schwärze, die wiederum durch den Bezug auf Hiob erläutert wird. 112 Die Echtheit dieser exegetischen Schrift wird allerdings stark in Zweifel gezogen. Bevor wir im Detail die Bedeutung menschlicher Arbeit als imitatio Christi und Betätigungsfeld des freien Willens bei Hraban nachzeichnen, soll auf Grundmotive seiner Anthropologie verwiesen werden, in deren Kontext erst seine eingangs skizzierte Position im Prädestinationsstreit verständlich wird. Hrabans Vorstellung vom Verlauf des menschlichen Lebens ist bestimmt von dem neuplatonischen Bild von Ausgang und Rückkehr des Menschen zu Gott. (En. in libr. Num. IV, XI, c. 834) „Was wird es für eine Freude sein, welche Lust, wenn die Seele zu ihren Ursprüngen zurückkehrt und beginnt, ihren Herrn voller 107 „Nichts macht jene verpflichtende Anstrengung, die Lasten anderer zu tragen, leichter, als wenn wir bedenken, was der Herr für uns erlitten hat.“ 108 Exp. in libr. Judith XV, PL 109, XV, c. 578; „sich mit vollem Einsatz abzumühen, den Feind aus seiner Lebensführung zu vertreiben, aus Gedanken, Worten und Taten.” 109 „wegen der Schwäche des Fleisches den Kampf um die Tugend verliert […] wer viele Mühen im diesseitigen Kampf für Christus ertrug, verliert zuletzt vom Unglück gebrochen den Kampf durch seine Unbeständigkeit.“ 110 Hom., PL 110, XXXVII, c. 70. 111 „so von Gott geschaffen ist, dass er nützlicher Arbeit obliegen solle, aber ohne Mühe und Anstrengung.“ 112 Alleg., PL 112, c. 1006.

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Vertrauen zu sehen? Die Größe jener Freude lässt sich nicht ausdrücken […] Bitte lass uns also diese Seligkeit, diesen Schatz nicht verachten, der in uns ist, vor allem weil uns der Rückweg leicht sein kann und die Schönheit der Seele mit geringer Mühe (parvo labore) wiederhergestellt werden kann. Denn sobald du die Hoffnung auf die Zukunft in dir aufgenommen hast, kehrt die Seele sofort zu ihrer Schönheit zurück.“ 113 „Quia nimirum per disciplinae nobis scientiam coelestis, et per laborem temporalium afflictionum, reditus ad supernam patriam patet, ex qua per stultitiam praevaricationis, perque appetitum carnalium voluptatum discessimus.“ (Comm. in Gen. I, XX, c. 501) Der Rückweg ins himmlische Vaterland steht den Menschen offen, die sich dem irdischen labor unterzogen haben und um die Ordnung der himmlischen Dinge wissen. Das Bild des Aufstiegs zu Gott verwendet Hraban im Kommentar zum Buch Ecclesiastes. „Wer sich davor hütet, Schlechtes zu reden und wer die himmlischen Geheimnisse den Zuhörern recht erklärt, „per Dei adjutorium pium laborem explens“, der wird den Berg der Tapferkeit besteigen […] und er wird „bonis actibus ascendens“ wohlbehalten ankommen.“ (Comm. in Eccl. X, X, c. 1090) „Ad conspectum divinae celsitudinis non nisi per laborem necessariae afflictionis ascendimus“. (Comm. in Gen. I, XIX, c. 498) Hraban stellt sich Gott als Vater vor, der „paterna pietate laborem et dolorem considerat suorum“ (Comm. in libr. Mach. I, III, c. 1153), dessen Hilfe die Menschen bei ihrem beständigen Kampf „contra spiritales nequitias et contra pravos homines“ stets erflehen. (ibid.) Er ist der paterfamilias des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Matth. 20), der seinen Arbeitern den Denar gibt, der für die Belohnung im Jenseits steht. (De univ. VIII, I, c. 484) Für Hraban ist der Mensch von Natur aus gut: „Nam voluntas Domini possessionem cordis nostri non vitiis, sed virtutibus naturaliter deputavit“. (Comm. in libr. Mach. I, XV, c. 1211) 114 Daher ist ihm trotz seiner Verfehlungen, so er sie bereut, der Rückweg zum Schöpfer offen: Christus selbst trägt ihn auf seinen Schultern. (Comm. in libr. Jos. III, XI, c. 1091; En. in libr. Num. IV, XI, c. 834) Doch weshalb fehlt ein ursprünglich gutes Geschöpf? Weil Gott ihm die Willensfreiheit mitgegeben hat. Mit Augustin stellt Hraban fest: „Liberum enim arbitrium homini datum nullus rite credens negare potest.“ (De praedestinatione, ed. PL 112, c. 1546) Nur weil es eine solche Willensfreiheit gebe, könne eine Handlung gut genannt werden. Doch der beständige Wille zum Guten ist für ihn ein Gottesgeschenk: „Gratia vero Dei semper est bona, et per hanc fit ut sit homo voluntatis bonae, qui prius fuit voluntatis malae. Per hanc etiam fit ut ipsa bona voluntas, quae jam coepit esse, augeatur, et tam magna fiat, ut possit implere divina mandata quae voluerit, cum valde perfecteque voluerit.“ (ibid.) Es liegt also in Gottes Hand, ob ein Mensch gut zu handeln fähig ist, d. h. ob sein Wollen Handlung werden kann. Der Willensfreiheit sei der Mensch schon von Beginn an anvertraut, so dass er es auch nur aufgrund seiner Geistesgegenwart hätte leisten können, wenn er gewollt hätte, in der Beschaffenheit zu bleiben, zu der er 113 De modo poenitentiae, PL 112, XV, c. 1321. 114 Cf. Comm. in Matth. 1094: desidia bonum naturae corruperint; Comm. in Exaem. 131.

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geschaffen war. Nach der Verführung Evas durch die Schlange allerdings verlor er seine ursprüngliche Guthaftigkeit, und zugleich auch die Kraft des Willens. Deshalb gemahnt die Willensfreiheit, das heißt der vernünftige Wille, das Heil zu suchen, aber zuvor muss Gott ermahnen und ihn zum Heil einladen, damit er wähle und befolge und handle bei sich bietender Gelegenheit zum Heil, das heißt auf Inspiration Gottes. Dass er aber erreiche, was er gewählt hat oder tut, das liegt in Gottes Hand, wie wir freimütig bekennen. Den Anfang unseres Heils haben wir im Erbarmen Gottes, dass wir uns der heilbringenden Inspiration anbequemen, liegt in unserer Macht. So können wir auch noch kurz vor dem Tod trotz aller früheren Sünden zum Heil gelangen. (De praedestinatione, c. 1551: „repente coelitus inspirata salute“) „Dass wir erreichen, was wir durch das Befolgen der göttlichen Ermahnung begonnen haben, ist göttliches Geschenk. Dass wir nicht fallen, nachdem wir das Geschenk des Heils empfangen haben, obliegt unserer Sorge und gleichermaßen der Hilfe Gottes; dass wir fallen, liegt an uns, namentlich an unserer Trägheit“. (De praedestinatione, c. 1547) Hraban skizziert hier ein komplexes Ineinandergreifen von göttlicher und menschlicher Verantwortung für den Heilsweg, wobei Gott keine Prädestination, wohl aber eine Präscienz zugeschrieben wird. (ibid. c. 1548 am Beispiel des Verrates des Judas) 115 Der gerechte Gott (De praedestinatione, c. 1547) möchte, dass alle Menschen gerettet werden (En. super Deut. III, XXV, c. 955; EBP XIX, III, c. 498: „ut omnes similem assequantur resurrectionem“), und er setzt den Anfang der Rückkehr des gefallenen Menschen zum Heil, indem er die „occasio“ zum Heil bietet, den Menschen einlädt, inspiriert zum Heil. Gott kann sogar Menschen gegen deren Willen zum Heil führen, indem er ihren Willen verändert. (De praedestinatione, c. 1547) Doch es bedarf in der Regel auch menschlicher Aktivität, die Hraban an anderer Stelle wie später Abaelard und vor ihm Cassian als Zustimmung des Willens (consensus) interpretiert. „Der innere Mensch, das heißt, sein Willen und der Vorsatz, mit dem er den Anfang annimmt, sich Gott zuzuwenden, stimmt dem Gesetz Gottes zu […]. Ohne Willen kann niemand weise werden: aber wenn der Willen da ist, bedarf es der Arbeit, des Fleißes, der Sorge, der Nachtwachen, der Unterweisung […].“ („nequaquam ei voluntas nostra consentit, […] si voluntatis non adhibeatur assensus“, EBP IV, VII, c. 1432) Umgekehrt ist es Sünde, „plurimorum voluntati […] consensum praebere“, wenn es sich um einen verwerflichen Vorschlag handelt. (Comm. in Eccl. II, VI, c. 803) Die Sünde liegt in der Zustimmung des Willens zum Bösen. In Hrabans Kommentar zum Römerbrief beschreibt er den Zusammenhang in anderen Worten: „Die Zuwendung Gottes handelt zuerst in uns ohne unser Zutun, damit wir danach mit unserem freien Willen mit ihm das Gute tun, was wir schon wollen. Dennoch belohnt uns Gott im Jüngsten Gericht so, als ob das Gute allein 115 Einschränkend muss allerdings auf eine Stelle aus den Predigten verwiesen werden, in der Hraban im Anschluss an Gregor den Großen formuliert: „Homo enim ad laborem nascitur in mundo, et electi ad requiem per mortem transeunt e mundo”. (Hom. 445) Es überwiegt freilich die Sicht, dass der Mensch aufgrund seiner Verdienste ins Himmelreich gelangen kann, und dass dieses allen offen steht. (EBP 498)

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aus uns hervorgegangen sei.“ (EBP I, II, c. 1311) Auch Paulus habe schließlich gesagt, das was er sei, sei er durch Gottes Gnade. Und weil unser freier Wille der göttlichen Gnade folgt, habe dieser hinzugefügt: „Und seine Gnade war in mir nicht vergeblich, sondern ich habe mehr als alle gearbeitet“. (ibid.) Der Anfang des Guten liegt also bei Gott: „Ob sich einer in sich selbst Mühe gibt, tugendhaft zu werden oder ob er fromme Arbeit (pium laborem) aufwendet, andere über das Heil zu belehren und ihnen mit gutem Beispiel voranzugehen, es ist notwendig, dass er sich dies nicht selbst zuschreibt, sondern der göttlichen Gnade“, „ut ei consecretur omnis boni initium, a quo decet sperari totius perfectionis supplementum.“ (En. in libr. Num. II, XIII, c. 677) „Wer glaubt, dass er die Vorschriften des Gesetzes durch die Entscheidung seines eigenen Willens (per arbitrium propriae voluntatis) ohne den Geist der Gnade erfülle, der will seine eigene Gerechtigkeit aufstellen, nicht die Gerechtigkeit Gottes zur Richtschnur nehmen. (EPB XIX, III, c. 498) Der freie Wille scheint dabei im beständigen Kampf des Lebens eine Art Mitte (aequitas media) anzustreben: „tali colluctatione in nostro corpore militante, protractis nobis ab hac ignavia et securitate, atque ad istum quem nolumus laborem ac virtutum studia provocatis, aequitas optime media retentetur, et tepidum nostrae voluntatis arbitrium, hinc spiritus fervor, hinc carnis gelidissimus rigor moderatissimo calore contemperent.“ (EBP XVI, V, c. 350) Demnach ist menschliche Bemühung im Diesseits unabdingbar für das Heil. „Recipiatis coronam condignam labori vestro“ (EBP XXIX, XI, c. 787): die Formulierung einer Verdienstethik 116 , wie sie klarer nicht sein könnte. Der Mensch als „vir bellator“: Das Leben in der Welt scheint ihm ein einziger Kampf um die Tugend zu sein: „multos labores in agone istius mundi“ (Comm. in Eccl. VI, V, c. 960) müssen bestanden werden, und es kann leicht geschehen, dass „per fragilitatem carnis perdit laborem virtutis“. (Comm. in Eccl. VI, V, c. 959) Dabei sind die körperlichen Laster noch leichter zu bekämpfen als die geistigen wie Überheblichkeit oder Ruhmsucht. (En. super Deut. I, XIII, c. 868) Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung: „Das Verdienst eines jeden und die Arbeit, die er im Dienste Gottes verrichtete, sein Nachdenken über und die Beachtung des göttlichen Gesetzes wiegt der Retter des Menschengeschlechtes im Angesicht Gottes durch Geschenke auf, wenn er ihn (sc. den Menschen) durch den Eintritt ins Leben, nach Beendigung des Kampfes um gute Werke mit göttlichen Geschenken bedenkt und zur Schau Gottvaters führt. (En. in libr. Num. I, X, c. 624–625) Kaum anders formuliert es Hraban im Kommentar zum Buch Ruth: „Nach dem Ende des diesseitigen Lebens und seiner Arbeit wird der Mensch es verdienen, in der himmlischen Glorie der ewigen Schau Gottes sich zu erfreuen.“ (Comm. in libr. Ruth VII, c. 1208) Oder anders mit Ambrosius: „Unusquisque autem propriam mercedem accipiet secundum suum laborem“. „Jeder wird seinen eigenen Lohn gemäß der aufgewandten Arbeit erhalten.“ (EBP IX, III, c. 33) 116 Cf. z. B. auch In hon. S. crucis I C 18, ed. Perrin, 147−149; EBP 33; Comm. in Exaem. 150; En. in libr. Num. 798; Comm. in libr. Regum 160; Hom. c. 24; c. 153; Exp. sup. Jer. 1268; En. in libr. Num 621, 624, 836; Comm in libr. Ruth 1207–1208; ep. 1531; Comm. in Gen. 580.

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Labor spielt also in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, insofern er als Gegenteil der kritisierten Trägheit in der Lage ist, den Menschen wachsam vor dem Rückfall aus dem Heil in den Zustand der Sündhaftigkeit zu bewahren. „Habet enim in labore posita hoc solatium, quoniam habebit requiem“. (EBP V, VIII, c. 1459) Dabei kommt es weniger auf den Erfolg denn auf die Absicht an, eine Verinnerlichung der ethischen Reflexion, der wir uns noch zuwenden werden. „Quia gratia qua redempti sumus laborem conatuum non meritum quaesivit. Quotidiana autem gratia post baptismum quotidianum servitium laboris exspectat, in quo quisque bene operans usque in finem perseveraverit in perpetuum salvus erit.“ (Hom. II, CXL, c. 416) 117 Die Menschen arbeiten mit an ihrem Heil, wenn sie dem Beispiel Christi folgen und sich gleichsam eine Stola des himmlischen Heils weben. „Das Garn aber, aus dem die Fäden gedreht werden, drückt bildlich die irdische Arbeit aus: daraus wirken sich die Menschen das Gewand ihrer zukünftigen Belohnung.“ (De univ. XXI, XXII, c. 580) Doch ohne Gottes Hilfe können sie es nicht schaffen: „nos sine auxilio Dei nec anniti posse, nec efficaces nostros esse conatus ad capessendum tam immane praemium puritatis, nisi nobis adiutorio Dei ac misericordia fuerit contributum.“ (EBP XIX, I, c. 486) 118 Nur „divino auxilio ac protectione suffulti“ können die Menschen „ad tam praecelsum coelesteque praemium subvolare“. (De vit. et virt. III, XLVIII, c. 1374) Gottes Gnade bewahrt die Menschen im Guten, so dass sie nicht mehr sündigen können. (EBP XIX, III, c. 498) „Das Pferd wird zur Schlacht gerüstet, der Herr aber gibt das Heil. Es ist Sache des Gott ergebenen Menschen, in der Zeit der Verfolgung Geist und Körper für die Entscheidung vorzubereiten. Aber es ist Sache der Hilfe Gottes, dass der begonnenen Mühe des Kampfes (coepto labori agonis) Sieg und Heil beschieden ist.“ (Exp. in Prov. Sal. II, XXI, c. 749) „Dei enim sumus adiutores“. (Comm. in libr. Paral. III, VII, c. 464) Der Mensch wendet Mühe und Sorge auf, Gott aber gibt den Erfolg, die Wirkung und das Gedeihen. (EBP V, IX, c. 1492) Hraban unterstreicht diesen Gedanken mit einem Verweis auf den ersten Korintherbrief: „neque qui plantat, neque qui rigat, est aliquid, sed qui incrementum dat Deus.“ (ibid.: 1. Kor. 3) Doch selbst die Erwählten müssen eigene Arbeit einsetzen, um das zu erreichen, was Gott für sie vorgesehen hat. So entfaltet es Hraban in seinem Genesiskommentar: „Denn auch die Vorherbestimmung des ewigen Gottesreiches ist so vom allmächtigen Gott geordnet, dass die Erwählten „ex labore“ dort ankommen, damit sie durch Bitten verdienen, was ihnen der allmächtige Gott vor aller Zeit zu schenken vorgesehen hat.“ (Comm. in Gen. III, IX, c. 581) Es gibt kein Heil ohne menschliche Mitwirkung, und diese stellt keinen Widerspruch zur Prädestination als Vorherwissen dar. Der Mensch ist sogar in der Lage, sich selbst 117 „Weil die Gnade, durch die wir gerettet werden, die Arbeit der Versuche, nicht den Erfolg suchte. Durch die tägliche Gnade erwartet er nach der Taufe täglichen Dienst, in dem er, der ihn bis zum Ende versieht, auf ewig heil sein wird.“ 118 „Wir können uns ohne Gottes Hilfe nicht bemühen, noch werden unsere Versuche wirksam sein, den Preis der Reinheit zu gewinnen, wenn er uns nicht mit Hilfe der Gnade Gottes gegeben wird.“ Gott gibt das Gelingen: EBP 324, 1491, 1547; Exp. in Prov. Sal. 749; Exp. super Jer. 1036; De vit. et virt. 1374, 1385.

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zu retten: “Dem, der durch seine Tugend die Sünde verachtet hat, wirst Du (i.e. Gott) kein Gewicht der Buße auferlegen, denn er hat sich schon einmal selbst mit seinen guten Werken gerettet.“ (Exp. in Lev. VII, X, c. 549) Belohnt 119 wird der Arbeitseinsatz der Menschen nicht allein im Diesseits, wie es Hraban mit einem zustimmend angeführten Hieronymuszitat fasst: „Wir müssen bedenken, dass unserer Arbeit zwei Arten von Lohn geschuldet werden, die eine Art unterwegs, die andere in der Heimat. Die eine, die uns in der Arbeit und die andere, die uns in der Auferstehung belohnt, die uns in der Schau der Wahrheit selbst erfreut.“ (Comm. in Matth. III, X, c. 893) Allerdings weist er im Anschluss darauf hin, dass den Lehrern auf Erden der Besitz von Gold und Silber nicht wohl anstehe, sie sollten allein Gottes Lohn erwarten. „A Domino pro labore sui operis recompensatur“ (ibid. 896), „ibi (sc. in regno coelorum) operum bonorum merces redditur”. (Comm. in Exaem. III, XVI, c. 181) Geistige Arbeit und Handarbeit, meditari und operari, sind dabei im Hinblick auf ihre Heilswirkung gleichwertig. (Comm. in Eccl. X, XXX, c. 1119) Hrabans Ideal sind denn auch die Prediger, die von ihren Hörern kein Geld verlangen, sondern mit eigener Handarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, „quatenus sui laboris propriam mercedem a Deo accipiant.” (En. in libr. Num. I, XII, c. 629) „In all unseren Mühen finden wir Trost in der Hoffnung auf Lohn […] und jeder zeigt mit seinen Werken, was er glaubt und hofft“. (EBP XXVIII, VI, c. 754) Die sittliche Anstrengung, der labor, findet seinen Ausdruck in den guten Werken. Umgekehrt nützen ohne fides, die Festigkeit im Glauben, die besten Werke nichts im Angesicht des Herrn: „multo vix labore collecto subito omnis effusus est labor“. (Comm. in libr. Judicum I, XIV, c. 1154) „Dem, der den Glauben hat und den guten Willen in Gott, dem wird vom guten Richter gegeben werden, auch wenn er weniger gute Werke vollbracht hat.“ (Comm. in Matth. VII, XXV, c. 1094) Die innere Einstellung ist das Entscheidende für den Erwerb des Heils, sonst bleibt alle Arbeit vergeblich. Das „frustra laborare“ ist ein häufig geäußerter Gedanke. 120 Man müsse „non supervacuo et caeco labore“ (Exp. in Prov. Sal. III, XXXI, c. 782) arbeiten, sondern mit dem Ziel, im Jüngsten Gericht vom Herrn zu hören: „Ich war nackt und ihr habt mich bedeckt; und was ihr einem der Geringsten von den Meinen getan habt, das habt ihr mir getan“. (Matth. 25) Nichts, so ist Hraban überzeugt, gehöre uns außer dem, was wir im Herzen tragen und was daher niemand uns nehmen könne. (EBP XXIII, VI; c. 634) Als Kern des 119 Zum Lohngedanken vgl. auch Comm. in Gen. 598; Comm. in Eccl. 772, 897; Opuscula 1204; EBP 154, 197, 339, 440, 630; Comm. in Ez. 802; Comm. in Matth. 1079; Comm. in Exaem. 179; Exp. in Lev. 448; Comm. in libr. Regum 185; Comm. in libr. Paral. 294, 412, 463; Carm. de div. 1603; Comm. in Matth. 893/5; Exp. in Lev. 363, 539; En. in libr. Num. 628; Comm. in libr. Sap. 694; Comm. in Eccl. 799, 801, 1055; Comm. in libr. Mach. 1202, 1236; Hom. 267; Exp. super Jer. 1223, 1234. Umgekehrt müssen Sünder die Rache Gottes gewärtigen: reddita est vindicta malis operibus nostris (Exp. super Jer. 1272). 120 Z. B. Exp. in Lev. 559; Comm. in libr. Sap. 692, 742; Comm. in Eccl. 841, 856, 862, 971, 1023, 1118; Hom. 415; Comm. in Ez. 655; EBP 343, 549, 1606; De univ. 335; Exp. super Jer. 832, 1263; Comm. in libr. Jud. 1153; Exp. in Prov. Sal. 782; Comm. in Cantica 1148; De mod. Poen. 1329.

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christlichen Glaubens, „absque quo cassa sunt universa quae facimus“, stellt Hraban die caritas heraus. (EBP XVI, V, c. 347) Weder Fasten noch Nachtwachen, weder Almosen noch das Martyrium: „sola caritas […] cor mundum efficit.“ (ibid.) „Quisquis charitatem non habet, etiam quae percepisse videbatur amittit.“ (Comm. in Matth. VII, XXV, c. 1094) „Wer die Liebe nicht hat, wird verlieren, was er erwarb.“ (ibid.) Freilich ist ohne vorausgehende Askese auch kein spiritueller Fortschritt zu erwarten, „sine vigiliarum labore cordis acquirere puritatem“ sei unmöglich, da beide für ihn wie für Cassian Hand in Hand gehen. (EBP XVI, V, c. 349) Arbeit und innere Reue (contritio) sind nötig zur Reinigung von Sünden. (Exp. in Lev. III, II, c. 363) Die Betrachtung des Kreuzes kann weitere Hilfe bei der Wiederherstellung des gefallenen Menschen bieten: In der Gestalt des Kreuzes „erkennen die Menschen ihr Recht auf Heil“ – das heißt, dass niemand zur Verdammnis prädestiniert sein kann – und werden nach Verfehlungen wiederaufgerichtet: „lapsa restituis, restituta gradu munis, munita in viam pacis dirigis.“ (In hon. S. crucis I C 21, ed. Perrin, 168) Mit dem Begriff „restituere“ gibt Hraban wie vor ihm schon Eriugena die Wiederaufnahme der Sünder in die Gemeinschaft mit Gott wieder. Der Primat bei der Umkehr gebührt der inneren Einstellung, wie es später auch Abaelard entfalten wird. Schon Hraban formuliert: „Bonam siquidem actionem mala subingrediens intentio polluit.“ (Exp. in Lev. III, II c. 363) Es hülfe nichts, wenn die Menschen aus Geltungsdrang „laboriosa opera quae populus admiretur, et quibus fama diffunditur“, „arbeitsreiche Werke, die das Volk bewundert und über die man berichtet“, auf sich nähmen, fasteten, in die Kirche gingen usw. (De vit. et virt. III, XV, c. 1357) Wir erinnern uns, wie Hraban demgegenüber von dem inneren Schatz sprach, den wir nicht vernachlässigen dürften (De mod. Poen. XIV, c. 1321): die Schönheit der Seele könne leicht wiederhergestellt werden, sobald man die Hoffnung auf die Glückseligkeit im Jenseits in sich aufgenommen habe. Um die Last der Sünden von sich abzustreifen, sei die Reue hilfreich. „Es ist aber die Reue, die große Kraft hat, auch wenn jemand tief in Sünden verstrickt ist. Wenn er will, kann sie ihn von der Last der Sünden befreien, den Schwankenden in Sicherheit bringen, wie wenn er zum Grund der Ungerechtigkeit selbst vorgedrungen wäre […]. Welches ist also das Medikament der Reue, und wie wird es zubereitet? Zunächst durch ein Sündenbekenntnis […]. Zweitens, indem man in tiefer Demut seine Sünden beweint und daraus würdige Früchte der Reue erwachsen lässt, damit man niemals wieder in dieselben Sünden verfällt. Dann soll derjenige, der weltliche Macht hat, beginnen, sich mit vielen Almosen loszukaufen […]. Schließlich soll man niemandem zürnen, nicht Böses mit Bösem vergelten, allen vergeben, die wider einen gesündigt haben, denn die Wahrheit selbst sagt: „Vergebt, und euch wird vergeben werden“. (Matth. VI zitiert in EBP XXVII, VI, c. 749f.) Damit sind wir bei der Frage, welche Schriftpassagen Hraban im Zusammenhang mit labor bevorzugt zitiert, weil sich daraus ebenfalls Schwerpunkte seiner Deutung des Begriffs ableiten lassen. Vor allem die Paulusbriefe spielen eine beherrschende Rolle; Paulus ist neben den Propheten (In hon. S. crucis II D 16, ed. Perrin, 259f.) das Vorbild der Christusnachfolge schlechthin: plus omnibus labo-

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ravit. Ausführlich geht Hraban schon in seinem Kreuzgedicht (In hon. S. crucis I C 27, ed. Perrin, 211−215) auf ihn und seine Briefe an die Korinther, Galater, Philipper und Kolosser ein. Es ist daher nicht erstaunlich, dass Hraban auch in seinem Kommentar zu den Paulusbriefen auf ihn zu sprechen kommt. Er ist Vorbild der Bedürfnislosigkeit und Autarkie, der die Handarbeit nicht verachtete, um seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. (EBP XIII, XI, c. 222: instabat labori manuum) Er könne sich mit Recht seiner Arbeit rühmen: „Non ergo extra mensuram gloriatur, qui in labore suo gloriatur.“ (EBP XIII, X, c. 218) Er habe als Vorbild auch andere zur Arbeit angehalten, damit diese keinem zur Last fielen. (EBP XXII, III, c. 575 mit Bezug auf Cassian!) Anhand von Zitaten aus den Paulusbriefen erläutert er auch die Notwendigkeit eines Zieles (scopus), der puritas cordis, für das Gelingen eines Lebens. (De pur. cordis, PL 112 c. 1289) Der Begriff scopus, der der intentio entspricht, erinnert dabei an Cassian, der damit das Ziel des monastischen Lebens beschrieb. Auch das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg beschäftigt ihn im Hinblick auf die Frage des gerechten Lohns der Arbeit. Es sei nur scheinbar ungerecht, dass auch diejenigen einen Denar erhielten, die nicht den ganzen Tag gearbeitet hätten. Denn was einem Gerechten, nämlich Gott, gefalle, könne nicht ungerecht sein. „In cunctis ergo quae exterius disponuntur aperte causa rationis est, occultae iustitia voluntatis.“ (Comm. in Matth. IV, XI, c. 916) Der verborgene Wille Gottes liege hinter Ordnungen, die unserer Disposition entzogen seien. (ibid.) Schon die früheren Arbeiter dürften sich nicht beschweren, müssten sich vielmehr freuen, da sie in das Himmelreich eintreten könnten. Erst recht nicht Hraban und seine Zeitgenossen, die zur elften Stunde begonnen hätten, denn sie seien erst „post mediatoris adventum“, nach Christi Geburt in die Welt gekommen, und würden doch ins Himmelreich geführt. (Comm. in Matth. VI, XX, c. 1028) Die Arbeit im Weinberg kann auch Sünden wegwaschen: contumaciam labore correxit. (Comm. in Matth. VI, XXI, c. 1048) Vor allem trägt sie dazu bei, am Ende der Zeiten von Gott als dem „summus paterfamilias“, der über den Weinberg verfügt, belohnt zu werden. (Comm. in Exaem. III, XVII, c. 185) Der Denar bezeichne allegorisch die zukünftige Belohnung der Heiligen, die ihnen für ihre gute Arbeit hier versprochen wird und in Zukunft zuteil werden wird. Daher heiße es auch bei Matthäus Kap. 20, dass der paterfamilias den Arbeitern in seinem Weinberg am Ende ihrer Arbeit einen Denar gegeben habe. (De univ. XVIII, I, c. 484) Bedeutend für das Selbstverständnis des Hraban ist auch das Gleichnis von den Talenten, das er an hervorgehobener Stelle, am Schluss des Widmungsbrief seines Genesiskommentars an Bischof Frechulf in Anwendung auf seine eigene schriftstellerische Tätigkeit zitiert. Der Bischof möge sein Werk zu seinem und zum Nutzen der ihm Anvertrauten verwenden und nicht davor zurückscheuen, es auch anderen Interessierten zur Verfügung zu stellen, „ut tuae dilectionis affectus, ac nostri laboris effectus, plurimorum, Dei si voluntas sit, consulat utilitati, quatenus magis pro expenso talento lucro mercedem accipiamus, quam detento atque in terram defosso, damnum pro parcitate nostra sentiamus.“ (Comm. in Gen. c.

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442) 121 Die geistige Tätigkeit des Exegeten wird als labor gefasst und als Vermehrung der gottgegebenen Talente dargestellt. Vermehrung der Talente und Ausbreitung der Bücher werden dabei in engem bildlichem Zusammenhang gesehen. Daraus ist auf ein hohes Selbstbewusstsein als Schriftsteller zu schließen, das vom Adressaten geteilt worden sein dürfte. Bemerkenswert ist die Ausrichtung der eigenen Arbeit auf den Nutzen vieler: Bibelexegese ist nicht selbstgenügsame Kunst eines elitären Kreises höfischer Intellektueller, sondern soll Breitenwirkung entfalten. (cf. auch Comm. in Matth. VII, XXV, c. 1094–1095) Dass dieses Gleichnis auch die Würde dichterischer Fassung in einem an den Chorbischof Brunward gerichteten Poem erfährt, kann nicht überraschen. (Carm. de div. XIII, c. 1600) Aus der Wertschätzung für labor als imitatio Christi folgert Hraban die Empfehlung: „Multiplica ergo pio praecepta talenta labore/ Maxima quod coelo praemia percipias./ Ne iudex veniens thesaurum quaerere promptus/ Terra defossum turpiter inveniat.” Arbeit ist notwendig, um die gottgegebenen Talente zu vervielfältigen. Labor in der Anwendung erst verleiht den Talenten das Recht auf Belohnung im Jüngsten Gericht. Daraus lässt sich eine Arbeitsethik folgern, wie sie im Anschluss an die gleiche Bibelstelle im 10. Jahrhundert von Rather von Verona (887–974) ausformuliert werden wird, wie noch zu zeigen ist. Auch in einem seiner Freundschaftsgedichte an einen berühmten Bischof wird klar, dass Hraban dessen Leistungen als notwendige Voraussetzungen für das Heil sah. „Hoc opus, hoc studium magni est pastoris in orbe/ Nempe talenta sibi multiplicare data/ Nam iudex vigilat hominum super acta supernus/ Ut cunctos propriis iudicet ex meritis.” (Carm. de div. VII, c. 1592) Es gehe darum, die anvertrauten Talente zu mehren, um vor Gott, der alle gemäß ihrer Verdienste richte, zu bestehen. Klarer kann man eine Verdienstethik nicht formulieren. Vor dem Hintergrund dieses so positiv über den Heilswert der Arbeit urteilenden Gedicht gewinnen auch die zahlreichen Anspielungen auf das Buch Hiob (V), indem „homo ad laborem nascitur“ eher als Beschwernis (iugum grave) zitiert wird 122 , eine andere Perspektive. Zwar heißt es, dass die Menschen „in hanc aerumnosam huius vitae miseriam deiecti sunt, ubi omnis homo per peccatum nascitur, per laborem vivit, per dolorem moritur“. (De eccl. disc. III, c. 1246; cf. De vit. et virt. III, XXXIX, c. 1368) Zwar wird im Kommentar zum Buch Ecclesiastes das Leben des Menschen mit Hiob (VII) als „militia“ bezeichnet, die Tage des Menschen seien die eines Söldners, im Anschluss wird jedoch auf die Güte und Barmherzigkeit Gottes verwiesen, der die Sünden gnädig vergebe. (Comm. in Eccl. IV, VII, c. 882f.) Doch ist Hraban der Ansicht, dass der Mensch schon im Paradies „ita a Deo conditus est, ut utili operationi insisteret“, dass es so seiner Bestimmung durch die Schöpfung entspricht, dass er arbeitet, wenn auch nach dem Sündenfall mit Beschwernis und Anstrengung. (Comm. in Eccl. IX, I, c. 121 „Damit deine Liebe und die Wirkung unserer Arbeit vielen nützt, wenn es Gottes Wille ist, auf dass wir eher für das aufgewandte Talent durch Gewinn den Lohn empfangen, denn für das verborgene und in der Erde vergrabene Strafe für unseren Geiz.” 122 Z. B. Comm. in Eccl. 882, 1047; Hom. 445, Exp. super Jer. 967; Comm. in Matth. 959.

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1047) Arbeit sei wichtig, jedoch dürfe man sich nicht in Besorgnis um das tägliche Auskommen verzehren, wie es das Gleichnis von den Lilien im Felde lehrt. „Sed praecipitur nobis ne solliciti simus quid comedamus, quia in sudore vultus praeparamus nobis panem. Labor exercendus est, sollicitudo tollenda.“ (Comm. in Matth. II, VI, c. 837) Prägnanter kann man kaum in Worte fassen, dass es eine Arbeitspflicht nach dem Sündenfall gibt. Doch dabei bleibt Hraban nicht stehen. In vielfältigen Anläufen legt er dar, welche sinnvollen Funktionen Arbeit über die bloße Sicherung des Lebensunterhaltes hinaus hat. Da sind zunächst die traditionell im monastischen Bereich genannten Zweckbestimmungen von Arbeit als Mittel der Selbstdisziplin und Askese 123 , als Voraussetzung für wirtschaftliche Autarkie 124 und als praktische caritas 125 . Es sei notwendig, dass wir unser Fleisch durch Fasten, Nachtwachen und nützliche Arbeit züchtigten, damit nicht die Begierde des Fleisches unseren Geist beflecke. (Hom. I, L, c. 93) Hraban zitiert im Kommentar zum Buch Ecclesiastes den Brief des Paulus an die Thessalonicher, dass wer nicht arbeiten wolle, auch nicht essen solle, um auch seinerseits zur Arbeit aufzufordern, die davor bewahre, anderen zur Last zu fallen: „Utili labori insistere, et otiositatem fugere laudabile est, quia otiositas inimica est animae“. (Comm. in Eccl. II, VII, c. 805) Arbeit ist für sich erfreulich: mit Augustins De genesi ad litteram sieht sie Hraban ursprünglich als „exhilaratio voluntatis“. (Comm. in Gen. I, XII, c. 480) Arbeit kann Frieden und Freude dienen (Comm. in Gen. I, XVI, c. 492), sie ist Voraussetzung für Frömmigkeit und Weisheit (EBP IV, VIII, c. 1436), schließlich für die Schau Gottes: die vita activa bereitet auf diese Weise die Kontemplation vor. (Comm. in Gen. I, XIX, c. 498; De mod. Poen. XI, c. 1318–1319) Mehr noch: sie bietet Schutz vor der Sünde 126 , führt sogar zur Vergebung, wie Hraban unter Verweis auf den 42. Psalm bemerkt: „Vide humilitatem et laborem meum, et dimitte omnia peccata mea.“ (En. super Deut. IV, III, c. 990) 127 Denn Arbeit hat eine reinigende Wirkung, es kann ihr gelingen, den „Rost“ der Sünden abzulösen (Comm. in Ez. IX, XXII, c. 738), „pio labore […] studet peccata sua emundare” (Comm. in Eccl. IV, II, c. 868) Befreiung von Sünden sei “labore quippe multo et contritione” (Exp. in Lev. III, II, c. 363) zu erreichen, sie sei “poenitentiae sine dubio lacrymis congregatum, et manibus, id est, labore boni operis inventum.” (Exp. in Lev. VII, VI, c. 541) Gerade die Handarbeit, die Hraban in vielfachen Kontexten z. B. als Leinenherstellung oder Töpferei, Gold- bzw. Silberschmiede-

123 Z. B. De vit. et virt. 1388; Hom. 92. 124 Z. B. Comm. in Eccl. 805, 980, 1011; Comm. in Ez. 920; EBP 221, 546, 575; En. in libr. Num. 792; De eccl. disc. 1251; Comm. in libr. Regum 123; En. in libr. Num. 628; Comm. in Eccl. 1052; De inst. cleric. III, 27. 125 EBP 440, 1566; Comm. in Eccl. 809; Hom. 125; De univ. 584. 126 De univ. 543; ad edomandam labore superbiam: De inst. cleric. III, 3 aus Augustins De doctr. christiana. 127 So auch De eccl. disc. 1198; De vid. Deum 1329; En. super Deut. 868; Comm. in Eccl. 810, 868; Hom. 125; Comm. in Ez. 737; EBP 1281, 1350.

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kunst und Erzgießerei lobend erwähnt 128 , ist auch bei Predigern dazu angetan, Lohn vor Gott zu erlangen: „propriis manibus laborantes, victum sibi praeparant, quatenus sui laboris propriam mercedem a Deo accipiant.“ (En. in libr. Num. I, XII, c. 629) „Per multos labores terram repromissionis ingreditur“. (Comm. in Ez. XVII, XLI, c. 970) Doch auch geistige Arbeit verfehlt dieses Ziel nicht: „Ipsi doctores sancti pro labore quem exercuerunt in nutrimine fidelium, gratiam copiosam ante conspectum inveniunt conditoris omnium.“ (Exaem. in libr. Esther XI, c. 661) „Pro praesenti labore praemia percipiet aeternae gloriae“. (Comm. in Eccl. II, III, c. 800) Wer aus den Früchten gerechter Arbeit den Armen Almosen gebe, könne Gnade und Vergebung erwarten. „Denn wie das Wasser das Feuer löscht, so löscht das Almosen die Sünde“. (Comm. in Eccl. I, XIII, c. 782) Unabdingbar für die Vergebung der Sünden, bei denen Hraban drei Grade unterscheidet, Leugnung des Schöpfers, schwere Vergehen und leichtere, die mit der Taufe erlassen werden, sei der Glaube. (EBP I, I, c. 1280–1281; II, IV, c. 1350 und VII, XII, c. 1549) Wenn der Glaube fehle, nütze dem Menschen auch die „quaedam perfectio inter filios hominum, quam labore et studiis propriis assequuntur“ nichts. (EBP VII, XII, c. 1549) Doch wozu bedürfe es des Martyriums, wenn „constet poenitentes labore et gemitu remissionem peccatorum acquirere?“ (EBP II, IV, c. 1351) Solche Widersprüche innerhalb der christlichen Lehre entdeckt er auch in puncto Auferstehungsglaube: Er könne es nicht übereinbringen, einerseits selbst seine Schritte getreu dem Gesetz und aus Liebe zu Christus zur Tugend zu lenken, um Christus ähnlich und dessen Auferstehung teilhaftig zu werden, andererseits aber von der göttlichen Gnade so bewacht zu werden, dass er überhaupt nicht mehr sündigen könne. (EBP XIX, III, c. 498) Das ist genau das Problem des Verhältnisses von Gnade und menschlicher Leistung im Hinblick auf den Heilserwerb, das im Prädestinationsstreit 129 aufgebrochen war. „Brüder, ich glaube nicht, dass ich schon verstanden habe“, fasst er mit Gregor dem Großen zusammen. (EBP XIX, III, c. 499) Kommen wir nun zu den Details des Sprachgebrauchs: Gemäß der für Hraban zentralen Stellung der Passion als Urbild menschlicher Arbeit und der paränetischen Absicht seiner Werke begegnet labor daher meist als moralische 130 oder geistige Anstrengung, die sich in Exegese 131 , Predigt 132 oder 128 Z. B. Comm. in libr. Regum 85; Comm. in libr. Sap. 743; Comm. in Eccl. 911; Comm. in Ez. 1010. 129 G. Schrimpf, Die ethischen Implikationen der Auseinandersetzung zwischen Hraban und Gottschalk um die Prädestination, in: Hrabanus Maurus und seine Schule (wie Anm. 82), p. 164–74. 130 Z.B. De inst. cleric. III, 37; Comm. in libr. Regum 102; Comm. in libr. Paral. 372; EBP 363, 630, 787, 831, 1609; De vid. Deum 1282; De vit. et virt. 1382, 1386, 1397. 131 Z. B. In hon. S. crucis II praef., ed. Perrin, 225f., Comm. in Matth. 727, 821; Comm. in Ez. 765, 909, 912; De comp. Pr. 20; Comm. in Eccl. 763, 842; Exp. super Jer. 793, 917; De vit. et virt. 1335; Libr. poen. 1397; EBP 77; De univ. 496; En. in libr. Num. 619; Comm. in Gen. 441; Comm. in Exaem. 245. 132 Z. B. Comm. in Eccl. 1114; De univ. 121, 205; Comm. in Ez. 584, 920; Comm. in libr. Paral. 332; Hom. 302.

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lectio 133 äußern kann. Die Belege für labor als körperliche 134 oder asketische Anstrengung 135 oder gar künstlerische Leistung (nur In hon. S. crucis I B 8, ed. Perrin, 74−76) sind demgegenüber weitaus seltener und stehen zudem meist als Zeichen für seelische Anstrengungen. Betrachten wir exemplarisch einige Einzelstellen. Der körperliche Aspekt von labor begegnet zum Beispiel in Hrabans Kommentar zum Buch der Makkabäer: um die labores Herculis zu übertreffen, eroberte Alexander der Große auf dem Weg nach Indien „cum summo labore et periculo“ einen hohen Felsen und unterwarf die umliegenden Völker. (Comm. in libr. Mach. I, I, c. 1129) Die spezifisch christliche Deutung des Begriffs durch Hraban wird besonders in der mehrfach auftauchenden Exegese des Namens der Stadt Sichem erkennbar, „quae interpretatur humerus sive labor“. Die Schulter, auf der eine Last ruht, steht für körperliche Arbeit. (En. in libr. Num. IV, XI, c. 834) Doch geht es in der Schriftauslegung darum, die hinter dem Literalsinn verborgene allegorische Deutung der Buchstaben voranzutreiben, und so wird stets die Verbindung zur übertragenen Bedeutung des Namens gezogen: „ut ostendas te per laborem poenitentiae ab errore tuo Christi humeris reportatum.“ (ibid.) 136 Körperliche und seelische Arbeit, in diesem Fall die Reue als Weg der Rückkehr zu Gott, stehen in enger Verbindung. Der Rückbezug aller Arbeit auf Christi Passion als ihr Urbild wird auch an dieser Stelle vorgenommen. Christus arbeitet selbst, indem er die Menschen auf den rechten Weg zurückträgt. Sichem als labor und humerus kann aber auch im rein geistigen Sinn gedeutet werden, wie Hrabans Kommentar zum Ecclesiastes zeigt. Hier steht der „stultus populus qui habitat in Sichimis“ für die Häretiker, deren labor in der schriftlichen und mündlichen Weitergabe falscher Glaubenslehren liege und also vergeblich sei. (Comm. in Eccl. X, XXX, c. 1118) In anderem Zusammenhang des Kommentars zum Deuteronomium wird die Schulter ebenfalls zum Zeichen der Arbeit: „Mit den Schultern, mit denen wir Lasten tragen, wird seine (Paulus) unermüdliche Geduld bezeichnet, durch die Christus umso lieber in ihm ruhte, je mehr er selbst in den härtesten Prüfungen (labores) stolz darauf war, für Christus all dies auszuhalten. Er verdiente umso enger von Christus umarmt zu werden, weil ihn keine Mühe (labor), keine Anfechtung von der Umarmung des Herrn fernhalten konnte.“ (En. super Deut. IV, 133 Z. B. EBP 1432; De eccl. disc. 1233. 134 Z. B. Comm. in Matth. 821; Comm. in Ez. 969; En. in libr. Num. 716, 833; Alleg. 959; De univ. 412; Exp. in Prov. Sal. C/G 742; De pur. Cordis 1289, 1299; Comm. in libr. Jos. 1091; Comm. in Eccl. 1118; Comm. in Matth. 963, 982; Comm. in libr. Mach. 1130; Hom. 376; Exp. super Jer. 812, 1036. Im Sinne von agricultura z. B.: Comm. in Gen. 480, 656; De univ. 43, 199, 503, 527; Comm. in Exaem. 159. 135 Z. B. Exp. super Jer. 805; De pass. Dom. 1427 (wohl unecht); Exp. in Lev. 319; Comm. in Exaem. 158; De vit. et virt. 1385; En. in libr. Num. 687; Comm. in Ez. 1008; EBP 347, 1435. 136 „damit du zeigst, dass du durch die Arbeit der Reue aus dem Irrtum auf Christi Schultern zurückgetragen wirst (sc. zu Gott).“

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III, c. 995) Paulus als derjenige, der die imitatio Christi am vollkommensten erreichte, ist auch das Sinnbild desjenigen, der „plus omnibus laborabat“. Ihm wird, wie noch zu zeigen ist, in der Exegese Hrabans eine besondere Vorbildfunktion zugemessen. In Hrabans Erläuterung der Sprüche Salomos „Abscondit piger manum suam sub ascella, nec ad os suum applicat eam“ heißt es, dass niemand so träge sei, dass es für ihn eine Mühe bedeute, die Hand zum Mund zu führen. (Exp. in Prov. Sal. II, XIX, c. 742) Hier sei der untätige Prediger gemeint, der selbst nicht tun wolle, was er sage. Die Hand zum Mund zu führen, bedeute, dass Handeln und Reden in Übereinstimmung seien. Diese Kongruenz herzustellen, darin besteht also für ihn der eigentliche innere labor. Im Sinne Cassians (Coll. VII, 3; XI, 5) beschreibt Hraban, dass alle artes ein Ziel (telos, scopus) hätten, für das man alle Mühen (labores) auf sich nähme. (De pur. cordis, PL 112 c. 1289) In weglosem Gelände gäbe es hingegen nur die Mühe des Weges (labor itineris), jedoch keinen Fortschritt. Für das Ziel des Himmelreichs und die Reinheit des Herzens lohnt sich dagegen die Anstrengung. (ibid.) Bezeichnend ist auch hier wieder die enge Bezogenheit von physischem und spirituellem labor und Fortschritt. Sie zeigt sich auch in Hrabans Interpretation der Matthäusstelle „Et cum audissent turbae, secutae sunt eum pedestres de civitatibus“. (Comm. in Matth. V, XIV, c. 963) Nicht mit Zugtieren, nicht mit Karren, sondern mit eigener Füße Arbeit (proprio labore pedum) seien sie ihm (Christus) gefolgt, um ihre Begeisterung (ardorem mentis) zu zeigen. (ibid.) Das Heilungswunder, das Jesus an den zu seinen Füßen liegenden Lahmen und Blinden vollbringt, deutet Hraban ebenfalls spirituell als Heilung von Glaubensirrtümern, die die Genesenen veranlasste, „in divino servitio bene laborare“. (Comm. in Matth. V, XV, c. 982) Das Mitleid mit der menschlichen Schwäche bewegt Jesus nach Hraban auch dazu, die mit ihm ziehenden Schüler und Begleiter, die den „labor itineris“ (De pur. cordis, PL 112 c. 1289) mit ihm geteilt hatten, zu speisen. Die „compassio humanae fragilitatis“ führt dazu, „quod super turbam miseretur Dominus, ne vel inediae vel viae longioris labore deficiat.“ (Comm. in Matth. V, XV, c. 982) 137 Fast wörtlich wiederholt er diese Stelle in einer seiner Predigten. (Hom. I, CXXI, c. 376) Das Mitleid des Herrn mit denen, die ihm nachfolgen, unterstreicht seine auch menschliche Natur. Dies ist ein wichtiger Gedanke für Hraban. Diesmal geht es um die Speisung der Schar, die ihm folgt, wie sie im Markusevangelium beschrieben wird. Der Exeget stellt seine Deutung unter die Überschrift: „In dieser Lesung ist darauf zu achten, wie in dem einen Erlöser die Handlungen gemäß seiner Göttlichkeit und seiner Menschlichkeit getrennt erfolgen. Wer sähe nicht, dass es Hinwendung zur und Erbarmen mit der menschlichen Schwäche sind, die den Herrn veranlassen, Mitleid mit der Schar zu haben, damit sie nicht aus Hunger oder wegen der Anstrengung aufgrund der Länge des Weges zusammenbricht? Dass er aber aus sieben Broten und ein paar Fischen 4000 Menschen speiste, das ist offensichtlich göttliche Kraft.“ (ibid.) 137 „dass der Herr sich der Schar erbarmte, damit sie nicht aus Hunger oder Schwäche auf dem langen Weg zusammenbreche.“

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Weil es die Passion Christi als labor ist, der nachzufolgen dem Menschen aufgegeben ist, da Christus selbst den Maßstab auch der menschlichen Existenz gesetzt hat, insofern er den Menschen in seiner „compassio“ nahe ist, kann Hraban „labor“ und „opus“, das sonst eher dem (göttlichen) 138 Schöpfungswerk vorbehalten ist, synonym verwenden. 139 Als Beispiel sei auf eine Stelle aus Hrabans Enarratio in librum Numerorum verwiesen, in der eine Stelle aus dem Paulusbrief an die Korinther (1. Kor. 7), die sich mit der Deutung der Ehe beschäftigt, wie folgt interpretiert wird. Der Apostel mahne, dass die Frau den heiraten solle, den sie wolle, wenn es nur ein Christ und kein Heide oder Häretiker sei. In tropologischer Deutung meine dies, dass es der Frau, d. h. der guten Absicht, erlaubt sein müsse, sich durch gutes Handeln (per bonam actionem) mit dem labor (der Nachahmung Christi) zu verbinden, solange die christliche Haltung in allem gewahrt sei, „ne operis sui, pro quo aeternae haereditatis sperare debuit possessionem, detrimentum patiatur, si alieno, hoc est, errori, se coniunxerit.“ (En. in libr. Num. IV, XIII, c. 837) Daraus geht zum einen hervor, dass labor als Übersetzung der guten Absicht in Handeln gleichbedeutend mit opus ist, zweitens jedoch darüber hinaus aus dem „pro quo“, dass solche imitatio Christi im Jüngsten Gericht mit dem ewigen Leben belohnt wird. Ein zentraler Text, der eine Verdienstethik begründet und der Intention und Vollzug einer Handlung bereits gleichsam heuristisch trennt. Auch Hrabans Kommentar zu den Paulusbriefen identifiziert labor und opus (EBP XI, XV, c. 158): Im Anschluss an die Stelle „Itaque, fratres mei dilecti, stabiles estote et immobiles, abundantes in opere Domini, semper scientes quod labor vester non est inanis in Domino“ heißt es: „Reddita resurrectionis ratione, de qua haesitabant, hortatur eos in Dei opere permanere, iam certos de retributione futura”. 140 Opus und labor im Geiste Gottes sichern den himmlischen Lohn. Ganz ähnlich formuliert es der Kommentar zum Exodusbuch, der zum 83. Psalm Asaphs, in dem sich ein Gerechter beklagt, dass die Ungerechten auf Erden Reichtümer sammelten, dann aber zur Einsicht gelangt, dass Gott sich doch um die menschlichen Dinge kümmere, folgendes feststellt: „Hoc labor est ante me, donec intrem in sanctuarium [Dei].“ (Comm. in Exaem. III, IV, c. 132) Nicht nur würden die Gerechten im Jenseits straffrei ausgehen, sondern sogar im Diesseits würden die Heiligen von Gott mit fruchtbaren guten Werken und einer Fülle von Tugenden beschenkt, damit sie „legem Domini quae eis data est, ad custodiendum opere consummant, quatenus ad aeternae beatitudinis praemia pervenire merean-

138 „damit sie keinen Schaden an ihrem Werk nehme, für das sie auf den Besitz der ewigen Erbschaft hoffen dürfe, wenn sie sich mit einem Fremden, d. h. dem Irrtum, verbinde.“ 139 De vit. et virt. 1373, 1397; En. in libr. Num. 836; De univ. 489; Exp. super Jer. 1311; EBP 154, 370, 440, 541, 1281; Comm. in Matth. 1026; Comm. in Gen. 595; Comm. in Exaem. 132, 179; Comm. in libr. Regum 160. 140 „Deshalb, meine lieben Brüder, […] wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist vor Gott“; „Nachdem er ihnen Rechenschaft über die Wiederauferstehung gegeben hatte, an der sie zweifelten, ermahnte er sie, Gottes Werk fortzusetzen, der späteren Belohnung schon sicher.“

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tur.“ (ibid.) 141 Labor besteht damit einerseits im Aushalten von Ungerechtigkeiten auf Erden, andererseits im Ausführen guter Werke, um mit dem ewigen Leben belohnt zu werden. Beide Aspekte, Leiden und Mühe auf Erden, aber gleichzeitig Hoffnung auf die Vergebung der Sünden und das ewige Leben, spiegeln sich auch in den Attributen, die labor bei Hrabanus mit sich führt. Die Ambivalenz der Verbindungen ist bemerkenswert: dem durus labor 142 , dem labor exsilii 143 , der Assoziation mit Angst 144 und Unfreiheit 145 , der häufigen Verbindung mit Schmerz und Verlust146 stehen Junkturen gegenüber, die den religiösen Sinn von labor (pius labor) 147 , seine Gerechtigkeit (iustus labor) 148 , Ehrenhaftigkeit (honestus labor). 149 Nützlichkeit (labor utilis) 150 , ja seinen sakralen Charakter beschreiben (sacer/sanctus labor) 151 . Greifen wir einige besonders bezeichnende Beispiele heraus. Die Nützlichkeit der Arbeit, hier besonders des Ackerbaus und der Viehzucht, zur Sicherung des Lebensunterhaltes und damit zum Wohle der menschlichen Gemeinschaft wird im Kommentar zum Buch Ecclesiastes hervorgehoben. Es heißt, dass der Mensch „ex sapientiae dono“ empfangen habe, „ut insistat utili labori“. (Comm. in Eccl. VIII, XV, c. 1034) Mit Bezug auf Paulus als „sapiens architectus“ (1. Kor. 3), der „secundum gratiam, quae data est mihi“ (Comm. in Eccl. VIII, XVI, c. 1035), tätig ist, wird die Arbeit als Anwendung eines göttlichen Gnadengeschenkes verstanden. Jeder solle, so Hraban, nach dem Vorbild des Paulus an dem Gebäude weiterbauen, das er begonnen habe. Der Handwerker und Architekt wird gleichzeitig als Sinnbild des Predigers gedeutet, der die Menschen gleichsam ein zweites Mal gebiert, sie zu „imitatores Christi“ macht, zu neuen Menschen nach dem Bilde Gottes, die gottgefällig leben: „quatenus interioris hominis virtutem eliciant, et ad conditoris sui imaginem animam humanam re-

141 „das ihnen gegebene Gesetz Gottes bewachen und vollenden, um so die ewige Seligkeit als Lohn zu verdienen.“ 142 Carm. de div. 1591; En. super Deut. 916; Comm. in Eccl. 1035. 143 Hom. 48; Exp. in Prov. Sal. 735. 144 De eccl. disc. 1246; En. super Deut. 946; Hom. 318; De univ. 372; Exp. super Jer. 967. 145 De comp. Pr. 24; Comm. in Gen. 595; Martyr. 7, 18; EBP 1606; Exp. in Prov. Sal. 742; Hom. 416; Exp. super Jer. 1186, 1197; Comm. in Matth. 982; Comm. in Eccl. 1047. 146 Labor et dolor: En. in libr. Num. 654, 737; Comm. in Eccl. 814, 895; Comm. in Gen. 482; Comm. in Ez. 769; Exp. super Jer. 917; Carm. de div. 1621; Comm. in libr. Jos. 1019; labor et aerumna: De comp. 1, 96; EBP 40, 228, 1460; Comm. in Exaem. 154; Comm. in Ez. 961. 147 Exp. in Prov. Sal. 784; Comm. in libr. Regum 197; Comm. in libr. Paral. 477; Carm. de div. 1601; En. in libr. Num. 628, 677, 770; Exp. in libr. Esther 668; Comm. in libr. Sap. 690; Hom. 361; EBP 552; De eccl. disc. 1255. 148 EBP 440, 651; Comm. in Eccl. 1015; Hom. 125; Ggs. Iniquitas: Exp. super Jer. 854; De sacr. Ord. 1177. 149 De eccl. disc. 1233. 150 In hon. S. crucis II praef., ed. Perrin, 225f.; Comm. in Eccl. 979, 1047, 1052, 1119; Hom. 92; utilitas: EBP 628; De eccl. disc. 1260; inutilis: Exp. super Jer. 879. 151 Sacer: Martyr. 10, 1; sanctus: EBP 709.

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forment.“ (ibid.) 152 Handwerkliche und geistige Arbeit sind in dieser Deutung als gleichwertig beschrieben, sie verweisen aufeinander. Die antike Verachtung der Handarbeit ist im christlichen Kontext aufgehoben. Der Schmied kann ebenfalls als Sinnbild für die Prediger gesehen werden. Er sitzt neben dem Amboss, um Waffen gegen den Teufel zu schmieden: „qui iuxta incudem, hoc est iuxta durum praesentis vitae laborem sedens, arma spiritalia, documenta videlicet divina scribendo atque docendo fabricat, quatenus contra hostis antiqui tentamenta suos fortiter dimicare doceat. (Comm. in Eccl. VIII, XVI, c. 1036) 153 Der Vergleich der harten Arbeit und Mühe im Diesseits mit dem Amboss sagt viel aus: einerseits verweist er auf die Härte, auf die schmerzhaften Hammerschläge irdischer Prüfungen, andererseits aber auf die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe dem Teufel die Stirn zu bieten. Denn nur so winkt der geistliche Lohn der harten Mühe: „labor est necessarius illis qui virtutem exsequi adnituntur, […] certaminum autem vel agonum horum merces vita aeterna est.“ (EBP XXIII, VI, c. 630) 154 Der labor exsilii wird einerseits mit dem Sündenfall, der Vertreibung aus dem Paradies verbunden (Exp. in Prov. Sal. II, XVI, c. 735), andererseits aber auch auf das Schicksal des Bonifatius bezogen, dessen „labor exsilii“ im Verlassen der britischen Heimat zugunsten der Mission auf dem Kontinent bestand. „Et unde tantum laborem exsilii praedicator iste eximius subiit, nisi quia misericordiae visceribus instigatus, aliorum damna ut sua doluit, et ideo de multorum correctione misericordiam sempiternam coram oculis Dei invenit.“ (Hom. I, XXIV, c. 48) 155 Der Missionar wird für seine Mühen von Gott belohnt. Die Konnotation Angst kann ebenfalls mit der irdischen Existenz verbunden sein. Im Gegensatz zur himmlischen Ruhe, in der „non inquietabat molesta sollicitudo quietum, non fatigabat labor anxius otiosum, non somnus opprimebat invitum, non amittendae vitae timor angebat de immortalitate securum […].“ (De eccl. disc. III, c. 1246) 156 , bringt die Existenz nach dem Sündenfall die ängstliche Sorge um das Überleben mit sich. „Laborem atque angustiam“ ertrug auch das Volk Israel während seiner Gefangenschaft in Ägypten (En. super Deut. III, XXIII, c. 946), bis sich schließlich Gott der Menschen annimmt, die „laborem et angustiam“ ertragen. (Hom. II, XC, c. 318) „Anxianti animae et laboribus afflictae“ kann nur Gott Trost bringen. (Exp. super Jer. XVIII, I, c. 1197) 152 „Die Tugend des inneren Menschen sollen sie hervorlocken und die menschliche Seele nach dem Bilde Gottes formen.“ 153 „Wer neben dem Amboss sitzt, der harten Arbeit des Diesseits, stellt geistliche Waffen her, schreibend und lehrend göttliche Zeugnisse, um gegen die Machenschaften des Teufels mannhaft kämpfen zu lehren.“ 154 „harte Arbeit ist notwendig, will man die Tugend erreichen, […] Lohn dieser Kämpfe ist das ewige Leben.“ 155 „So nahm dieser außergewöhnliche Prediger die Mühe des Exils auf sich, weil er aus Mitleid anderer Elend wie seines bedauerte und deshalb durch die Besserung vieler ewiges Mitleid vor Gottes Augen fand.“ 156 „lästige Aufgeregtheit den Ruhigen nicht störte, nicht Angst und Sorge den Müßigen ermattete, kein Schlaf den Unwilligen bedrückte, keine Todesangst den seiner Unsterblichkeit Sicheren einengte.“

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Der Zusammenhang von Arbeit mit servitus, der die negative Haltung der Antike zur körperlichen Arbeit so weitgehend bestimmt hatte, 157 klingt auch bei Hrabanus Maurus noch nach, freilich in christlichem Sinne umgedeutet. In einer seiner Predigten zum Korintherbrief spricht er es deutlich aus. Zur Stelle „Gratia autem dei sum id quod sum, et gratia eius in me vacua non fuit“ kommentiert er: Weil die Gnade, durch die wir gerettet wurden, die Mühe der Versuche und nicht den Erfolg suchte. Die tägliche Gnade nach der Taufe „servitium laboris expectat“, erwartet den Dienst der Arbeit, in dem jeder, der sich gut betätigt und darin Ausdauer zeigt, in Ewigkeit gerettet sein wird. (Hom. II, CXL, c. 416) Unabhängig vom irdischen Erfolg der Arbeit sieht Gott demnach auf die Absicht, die Bemühung in der Arbeit, und belohnt sie. Gerade in der Erfolglosigkeit kann somit das servitium laboris bestehen. Keineswegs darf der irdische Erfolg als Gradmesser hohen Ansehens bei Gott gewertet werden. Im Kommentar zu Jeremias werden Sünde, Unfreiheit und labor ebenfalls in engem Zusammenhang gesehen. Das Volk Israel „servitio laborat“ infolge seiner Sünden, „unde inter gentes deputata, et sordibus eorum polluta, libertatem perdidit, et in hostium suorum manus incidit.“ (Exp. super Jer. XVIII, I, c. 1186) 158 Doch schließlich überwiegt Gottes Gnade, die „servis suis“ statt der Schläge nun Erbarmen und Trost zuteil werden lässt, damit sie „post diuturnum laborem“ zur Ruhe kommen. (Exp. super Jer. XVIII, I, c. 1198) Jakob waren im übrigen die sieben Jahre, die er Laban für Rachel diente, gar nicht lange vorgekommen, „laborem servitutis […] facilem et levem amor faciebat“. (Comm. in Gen. III, XVI, c. 595) Rachel wird als Symbol der vita contemplativa verstanden, Lia als Verkörperung der vita activa. „Lia quippe interpretatur laboriosa, […]. Activa autem vita laboriosa est, quia desudat in opera. […]. omnis qui convertitur ad Dominum contemplativam vitam desiderat, quietem aeternae patriae appetit, sed prius necesse est ut in nocte vitae presentis operetur bona quae potest, desudet in labore, id est, Liam accipiat, ut post, ad videndum principium, in Rachel amplexibus requiescat.“ (Comm. in Gen. III, XVI, c. 596) 159 Beide Lebensformen werden als notwendig aufeinander folgend dargestellt, die vita activa des labor und opus ist Voraussetzung für die Ruhe in Gott. Aus Liebe zu Gott dürfe sie nicht als belastend empfunden werden. Aufschlussreich zu diesem Themenkomplex sind auch die Erläuterungen zu den Paulusbriefen (EBP V, VIII, c. 1460). Darin hebt Hrabanus die menschliche Arbeit vom labor der Elemente und der Tiere mit der Begründung ab, dass deren 157 J. Engels, Merces auctoramentum servitutis – Die Wertschätzung bestimmter Arbeiten und Tätigkeiten durch antike heidnische Philosophen, in: V. Postel (ed.), Arbeit im Mittelalter. Vorstellungen und Wirklichkeiten, Berlin 2006, p. 57–77. 158 „zu den Ungläubigen gerechnet und von ihren Sünden befleckt verlor es die Freiheit und fiel in die Hände der Feinde.“ 159 „Lia aber bedeutet die Arbeitsame, […]. Das aktive Leben ist arbeitsreich, weil es im Werk sich abmüht. […] jeder, der sich Gott zuwendet, erstrebt die Ruhe der ewigen Heimat, aber zuerst ist es nötig, dass er in der Nacht des Diesseits so viele gute Werke tut wie möglich, sich in der Arbeit abmüht, d. h. Lea annimmt, um danach, um den Ursprung zu erkennen, in den Armen Rachels sich ausruht.“

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Anstrengungen unfreiwillig und nicht auf die Ewigkeit gerichtet seien, sondern jeweils wieder vergingen. Deshalb müssten diese wohl stöhnen ob ihrer Mühen, wie die Zugtiere: „spiritus animalium magno gemitu arctatur ad exhibenda servitia. Nam videmus illa gementia cogi invita ad laborem.“ (ibid.) 160 Sie alle wollten Ruhe, um von den „servilia opera“ befreit zu werden. Wenn es sich aber um die Art von “servitus” handle, die dazu angetan sei, zu Gott zu führen, würde die Kreatur keinen Schmerz empfinden. Sondern weil sie um unseretwillen der Knechtschaft der Verderbtheit unterworfen ist, leide sie. Sie sehe nämlich, dass jeden Tag ihre Werke vergingen. Mit Recht also empfinde sie Schmerz, weil ihr Tun nicht auf die Ewigkeit gerichtet sei.“ (EBP V, VIII, c. 1460) Daraus folgt, dass die Menschen eigentlich aus Hrabans Sicht keinen Grund haben, sich über die Knechtschaft in der Arbeit zu beklagen, weil sie zu Gott führt und aus freiem Willen erfolgt. Die Willensfreiheit wird hier geradezu zum Kennzeichen menschlicher Arbeit im Unterschied zu den Tieren. In die gleiche Richtung argumentiert sein Kommentar zu Matthäus. Anlässlich eines Heilungswunders, das Jesus an Blinden, Lahmen und Stummen vollbringt, die ihm zu Füßen gefallen sind, loben ihn die Gläubigen dafür, dass er es vermochte, die Geheilten „diversis virtutum opibus ditatos et fide robustos in divino servitio bene laborare“ zu lassen. (Comm. in Matth. V, XV, c. 982) Die Behinderten werden als die Ungläubigen und Sündigen erklärt, die „peccata sua confitentes“ sich Gott unterwerfen. (ibid.) Labor ist im Verständnis Hrabans daher mit „Gottesdienst“ identifiziert, der niemals Knechtschaft sein kann, sondern nur Weg zum Heil. Denn, wie es der Kommentar zum Buch Ecclesiastes fasst, die Menschen sind gehalten, die Gebote Gottes auszuführen, „in eiusque servitio quotidie consistere debemus, quatenus a bono Domino ut utiles servi in furore iudicii pro recta fide et bono opere coronemur“. (Comm. in Eccl. IX, I, c. 1047) Das antike odium der servitus ist auf die Weise aufgehoben in einem christlichen Ethos des Gottesdienstes, der nicht Erniedrigung, sondern Heilsweg ist. Doch Arbeit kann auch in anderer Weise positiv konnotiert sein, z. B. im Zusammenhang von Gerechtigkeit stehen. Unter Bezugnahme auf Gregor den Großen betont Hraban in seinem Kommentar zu den Paulusbriefen, dass Gott als iustus iudex demjenigen die Krone der Gerechtigkeit zuteil werden lasse, der sie „contemplatione laborum“, aufgrund einer Betrachtung seiner Bemühungen, verdient habe. (EBP XXIV, IV, c. 651) Gott sollen im übrigen Gaben dargebracht werden, die nicht aus ungerechtem Gewinn weltlicher Profitgier stammen, sondern „ex labore iusto“. (Comm. in Eccl. VIII, V, c. 1015) Denn der Herr kümmere sich nicht um die Größe des Geschenkes, nicht um die Macht des Gebers, sondern frage nur nach der Frömmigkeit und der Demut des Herzens. (ibid.) Das Verrichten von Arbeit macht den Menschen nicht nur gerecht vor Gott, sondern ist auch nützlich, indem es zur Verwirklichung des Gemeinwohls beiträgt. In teilweise wörtlicher Anlehnung an Isidor von Sevilla161 entfaltet Hrabanus die 160 „Die Tiere werden unter lautem Gestöhne zur Verrichtung von Diensten gezwungen. Denn wir sehen sie gegen ihren Willen ächzend zur Arbeit gezwungen.“ 161 Isidorus Hispalensis, Quaestiones in vet. Test., in Genesim, PL 83, XXV, c. 263.

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o. a. Deutung der Geschichte von Rachel und Lea weiter, um zu begründen, dass auch die vita activa „pro utilitate communi“ von denen auf sich genommen werden müsse, die sich eigentlich für die „vita studiosorum“ mehr interessierten. (Comm. in Gen. III, XVII, c. 601f.) „Noli fugere officiosum laborem“. Wie Christus allen gedient habe, „pro omnibus servivit“, „formam servi accepit“ (ibid. c. 602), so müsse man auch von den Menschen erwarten, dass sie ihre eigenen Vorlieben zugunsten des Wohles aller zurückstellten. Vom Beispiel Christi her wird auch hier die Arbeit gedeutet. Hraban sieht seine Aufgabe als Dichter darin, seinen Glaubensbrüdern als denen, die mit ihm Gottesdienst tun („conservis meis“), das Lob des Kreuzes und damit der Erlösung der Menschen zu singen. (In hon. S. crucis A 8, ed. Perrin, 20−22) Es geht ihm in seinem Werk um das Wohl anderer, nicht um sein eigenes. Der Leser möge wissen, dass er etwas Nützliches tue, wenn er schreibend „ad utilitatem proximi“ wirken wolle. Dichtung als Akt der Nächstenliebe. Und wer immer sein Werk („nostrum laborem“ wie gesagt auch für geistige Tätigkeit) in brüderlicher Liebe aufnehme, möge, so Gott wolle, mit ihm der ewigen Freude teilhaftig werden. (In hon. S. crucis II praef., ed. Perrin, 225f.) Arbeit hat somit eine soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, ihre Nützlichkeit darf nicht allein individuell gemessen werden, sie muss den „conservi“, der Gemeinschaft der Gläubigen, dienen. Der Gedanke der Nützlichkeit der Arbeit im Hinblick auf das bonum commune ist ein immer wiederkehrender Gesichtspunkt im Werk Hrabans, der nicht nur im Figurengedicht, sondern auch in den Predigten (Hom. I, L, c. 92) und im exegetischen Werk auftritt. Zuerst müsse, so predigt Hraban, das Herz gereinigt werden, dann der Körper durch Fasten, Nachtwachen und nützliche Arbeit gezüchtigt, damit nicht die Begierde des Körpers den Geist beflecke. (Hom. I, L, c. 93; De eccl. disc. III, c. 1240) In seinen Erläuterungen zum ersten Brief an Timotheus beschäftigt er sich auch mit der Frage, wie es nützlich sein könne, auf Erden zu arbeiten, wo wir doch alles erwerben könnten, es aber einst auf Erden zurücklassen müssten. Man solle sich darauf beschränken, das für einen selbst zum Gebrauch Notwendige zu besitzen, alles andere solle man anderen auf der Welt zurücklassen. (EBP XXIII, VI, c. 628) Derjenige sei ein homo inutilis, der die „otiositas inimica animae“ pflege, das Laster der acedia, das Hraban in seiner Schrift über die kirchliche Disziplin erläutert. (De eccl. disc. III, c. 1251–1253) Die „tepiditas laborandi“, die Lauheit in der Arbeit, weihe ihn dem Untergang. „Was ist das für ein Christ, der, wenn er morgens aus dem Bett der Trunkenheit aufsteht, „non aliquo operi utili insistit“ („keiner nützlichen Arbeit obliege“), nicht zur Kirche geht, nicht das Wort Gottes vernehmen will, keine Almosen gibt, keine Kranken besucht, […] sondern auf die Jagd geht, oder zuhause Streit vom Zaun bricht oder Würfel spielt „vel fabulis et jocis se inutilibus impendit“, bis ihm seine Speise „a servis laborantibus praeparetur“. (ibid.) Mit Berufung auf den zweiten Brief des Paulus an die Thessalonicher wird hier der Christ als der Nützliches Arbeitende beschrieben, der anderen nicht zur Last fällt und nicht bloßem Zeitvertreib huldigt. Die Kritik an der Lebensform des weltlichen Adels ist unüberhörbar. Die Hinwendung und Fürsorge für andere ist vielmehr das nützliche Tun, Arbeit ist Ausdrucksform der caritas.

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Die Verpflichtung, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft zu sorgen, gilt nicht nur für körperlich Arbeitende, sondern auch für geistige Tätigkeit, insofern diese der sittlichen Erziehung anderer dient. „Doctor catholicus non solum in labore suo sibi utilis est, dum quaerendo et meditando lucem acquirit sapientiae, sed etiam aliis profectuosus, cum in doctrinis suis eis exhibet correctionem vitae et molestiam disciplinae. (Comm. in Eccl. VII, XI, c. 1003) So hinterließen die geistlichen Lehrer „bene enutritos discipulos utiles haeredes sui laboris“. (ibid.) 162 Hiob wird als Beispiel dafür angeführt, dass „protoplastus humani generis parens, ita a Deo conditus est, ut utili operationi insisteret.“ (Comm. in Eccl. IX, I, c. 1047) 163 Wenig später heißt es, dass das Leben eines „sufficientis operarii“, eines genugsam tätigen Arbeiters, sich versüße, weil ihm himmlischer Lohn winke „pro bono et utili labore merces sibi recompensabitur aeterna, et thesaurum coelestis remunerationis inveniet, ubi gaudio et dulcedine fruetur perpetua.“ (Comm. in Eccl. IX, I, c. 1052f.) 164 Süß sei der Schlaf eines Arbeiters, ob er gleich viel oder wenig esse. (Comm. in Eccl. IX, I, c. 1053 nach Eccl. 5) Arbeit, die für die Gemeinschaft nützlich ist, wird demnach im Denken Hrabans mit dem ewigen Leben belohnt. So wird verständlich, dass er labor auch unmittelbar als „pius“ bezeichnen kann, denn er führt schließlich zum Heil. In den zwölf jungen Löwen, die im Buch der Könige erwähnt werden, sieht er die Prediger bezeichnet, die mit ihrer Lehre und ihrem Beispiel die Schritte anderer in deren guten Werken festigen, „ne pius labor bene incipientium in operando vacillet“, „damit nicht die gottgefällige Arbeit gut Beginnender im Tun schwankend werde“. (Comm. in libr. Regum III, X, c. 197) Dass labor sogar eine sakrale Aura haben kann, zeigt sein Gedicht an Abt Eigil von Fulda, in welchem er die Herstellung von Bibelmanuskripten als „labor pius“ mit Gottes Aufzeichnung des mosaischen Gesetzes auf einen Felsen vergleicht. (Carm. de div. I, XV, c. 1601) Nur die Buchstaben, so heißt es, seien unvergänglich: „Grammata sola carent fato, mortemque repellunt“. Wie der Finger Gottes die Buchstaben in den Felsen geritzt habe, als er seinem Volk das Gesetz gab, so zeigten die Buchstaben alles, was gewesen sei, sei und kommen werde. Die hohe Achtung vor dem Beruf der Schriftlichkeit, wie sie im Fuldaer Skriptorium Gestalt wurde, ist hier in Gedichtform verewigt. Den Gedanken, dass von allen diesseitigen Dingen allein der „pius labor“ Bestand haben werde, greift Hraban auch in seinem Kommentar zum Buch der Weisheit auf. Wie ein Schatten keine Festigkeit habe, wie ein laufender Bote 162 „Ein katholischer Lehrer ist nicht nur für sich selbst in seiner Arbeit nützlich, wenn er forschend und nachdenkend das Licht der Weisheit erreicht, sondern auch für andere förderlich, weil er in seinen Lehren ihnen die Verbesserung ihres Lebens und die Last der Disziplin aufzeigt.“ So hinterließen die geistlichen Lehrer „gut mit materieller und geistlicher Speise genährte Schüler als nützliche Erben ihrer Arbeit.“ 163 „einer der Väter des Menschengeschlechts so von Gott geschaffen ist, dass er nützlicher Arbeit obliegt.“ 164 „für gute und nützliche Arbeit wird ihm entsprechender ewiger Lohn zuteil, und er wird den Schatz himmlischer Belohnung finden, wo er ewigen freudigen Genusses teilhaftig wird.“

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keinen Verzug dulde, wie ein Vogel am Himmel oder ein Schiff auf See, wie ein Pfeil in der Luft auf unsicheren Wegen sich bewegten, so sei auch der Verlauf des vergänglichen Lebens unsicher und instabil, und nichts bleibe von ihm bestehen außer dem, was zum Erreichen des ewigen Lebens an frommer Arbeit verrichtet werde. (Comm. in libr. Sap. I, X, c. 690) Doch nicht nur das Schreiben findet Anerkennung als „pius labor“. Gleiches gilt für die moralische Selbsterziehung, die vorbildliche Lebensführung als Beispiel für andere, die Predigt und Mahnung an andere, ihr Leben auf Gott auszurichten. Hraban erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass man Gott, nicht sich selbst das „boni initium“ zuschreiben müsse, und ebenso die Vollendung des Handelns. (En. in libr. Num. II, XIII, c. 677) So zitiert er zustimmend jene Bibelpassage (Prov. XVI in Exp. in libr. Esther XIII, c. 669), in der es heißt: „Non est enim in hominis potestate via eius, sed neque volentis, neque currentis, sed miserentis est Dei.“ „Der Weg des Menschen liegt nicht in seiner Macht, es ist nicht Sache des Wollens, noch des geschäftigen Umherlaufens, sondern des Erbarmens Gottes.“ Wir werden auf sein Menschenbild noch zurückkommen. Nur mit Gottes Hilfe werden die Gläubigen „pio labore ac bonis operibus […] ingressum vitae aeternae adipisci mereantur“, ihren Kampf im Diesseits in die Hände Gottes legen und durch seine Macht mit der ewigen Glückseligkeit belohnt werden. (Exp. in libr. Esther XIII, c. 668) Pius labor und gute Werke werden geradezu in eins gesetzt, wenn Hraban von den Gläubigen spricht, die „fidem catholicam tenentes non cessant quotidie pio labore bona opera exercere.“, „die den katholischen Glauben bewahren und nicht aufhören, täglich in frommer Arbeit gute Werke zu tun.“ (Hom. II, CXV, c. 361) Sie sorgten nicht nur für sich selbst, indem sie sich ewige Ruhe verdienten, sondern sie sollten auch denen, die ihnen zuhörten, Gottes Willen verkünden, damit auch diese zum ewigen Heil gelangten. (ibid.) In seinem Kommentar zum ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher, in dem diesen die Handarbeit ans Herz gelegt wird, malt er die sittlichen Gefahren aus, die einem Menschen drohen, „qui non delectatur pio quietoque labore operis sui quotidiani victus parare substantiam“, „der sich nicht daran erfreut, in frommer, ruhiger Arbeit seinen täglichen Lebensunterhalt zu verdienen.“ (EBP XXI, IV, c. 554) Wer hingegen „pietatis labore“ regelmäßig meditiere und darin auch andere unterweise, verrichte ein nützliches Werk. (ibid. c. 612f.) „Daher lasset uns mit gutem Eifer und frommer Arbeit uns bemühen, […] Christus würdig zu dienen“, so auch die Empfehlung an die Geistlichen. (De eccl. disc. III, c. 1255) Arbeit als nützlicher Gottesdienst und Erweis der Nächstenliebe: diese Sicht durchzieht das Werk des großen Abtes. So nimmt es nicht wunder, dass er in einem Freundschaftsgedicht an seinen Mitbruder, den Priester Samuel, dessen Arbeit als „fructiferum […] laborem“ bezeichnet, die im Himmelreich würdigen Lohn erwarten dürfe. (Carm. de div. I, XXI, c. 1603) „Illis enim labor suus proficiet ad aeternam salutem“, „denen wird ihre Arbeit zum ewigen Heil gereichen” (Hom. II, IX, c. 153): Trotz der für Hraban unbestrittenen Heilswirksamkeit der Arbeit, die gleichsam eine Brücke zwischen Dies-

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seits und Jenseits zu schlagen in der Lage ist, entspricht sein Sprachgebrauch in der Zuordnung von labor zur Diesseitigkeit im Gegensatz zur Ruhe, Muße und Glückseligkeit des Jenseits dem mittelalterlichen Usus. 165 Dabei strebt Hraban ein ausgewogenes Miteinander von vita activa und contemplativa an, wie er im Kommentar zum Buch Numeri ausführt. (En. in libr. Num. II, XXIV, c. 707) Ein „perfektes“ Leben im Dienste Gottes „non solum ad operationis […] latitudinem, verum etiam ad culmina contemplationis extendat“, „wird nicht nur in die Weite des Handelns, sondern auch in die Höhen der Kontemplation ausstrahlen.“ (ibid.) Doch man müsse berücksichtigen, dass die „conspersiones animarum“, die Zusammensetzung der menschlichen Seelen, sehr unterschiedlich sei. Manche seien so ruhige Naturen, dass sie zusammenbrächen, sobald sie von „labor“ beschwert würden. Und manche seien so unruhig, dass sie umso mehr litten, je weniger sie arbeiten dürften. Daher sei allzu große Einseitigkeit zu meiden und Rücksicht auf die individuelle Verfassung der einzelnen zu nehmen: „unde necesse est ut nec quieta mens ad exercitationem se immoderati operis dilatet, nec inquieta ad studium contemplationis angustet.“ (ibid.) 166 Die Einteilung der Weltzeit in sechs Weltalter, wie sie Augustin aus der antiken Tradition übernommen hatte, findet sich auch bei Hraban und assoziiert wiederum Arbeit mit dem Diesseits: „post laborem sex aetatum, sine omni perturbatione in septima requiescet (sc. ecclesia).“ (De univ. VII, VIII, c. 214) Erst im siebten Zeitalter wird Frieden möglich. (ibid.) Labor ist das signum der irdischen Existenz, ein belastender Kreislauf: „per molam exprimitur circuitus vitae praesentis, et labor terrenus“. (De univ. XXII, VII, c. 603) Dabei ist vor allem, wie er im Anschluss an De ecclesiasticis officiis des Isidor von Sevilla formuliert, der Tag für die Arbeit zu nutzen, die Nacht soll der Erholung dienen: „[…] noctem fecit ad requiem, sicut diem ad laborem“. (De inst. cleric. II, 9, ed. Zimpel) Zur allegorischen Deutung des von Moses in der Wüste errichteten Gotteshauses im Unterschied zum Tempel in Jerusalem heißt es daher: „Potest in illa praesentis Ecclesiae labor et exsilium, in hac futura requies et beatitudo figurari.“ (Comm. in libr. Paral. III, II, c. 418; ähnlich in De univ. XIV, XXI, c. 393) „Per praesentis vitae laborem ad requiem venire perpetuam“ (Hom. I, XXX, c. 58): Vor das Erreichen der Ruhe im Jenseits hat Gott allerdings die stete, geduldige Bemühung nach dem Vorbild des Apostels Paulus gesetzt: „non cito debet 165 Kontrast otium: En. in libr. Num. 706; De vit. et virt. 1378; Kontrast beatitudo: Comm. in Eccl. 985; Kontrast requies: De comp. 121; In hon. S. crucis I C 19, ed. Perrin; En in libr. Num. 808; Comm. in Eccl. 993; Hom. 56; De univ. 205; De inst. cleric. 349; Comm. in Exaem. 1224, 185; En. super Deut. 945; EBP 1465; Kontrast zum Jenseits: In hon. S. crucis I C 18, ed. Perrin, 147−149; d. 19, d. 20; De inst. cleric. 345, 377, ed. Zimpel; Comm. in Matth. 1007; Comm. in Exaem. 179; Comm. in libr. reg. 133; Comm. in libr. Paral. 297; Hom. 391; De univ. 603, 608; De eccl. disc. 1211; En. super Deut. 896; Comm. in Ez. 999; Comm. in Matth. 996; Hom. 124; Comm. in libr. Reg. 160; Exp. in libr. Esther 668; Comm. in libr. Mach. 1236. 166 „es ist nötig, weder einen ruhigen Geist zu einem für ihn unangemessenes Werk zu überanstrengen, noch einen unruhigen einzuengen in der Kontemplation.“

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quis securitatem promittere sibi quietis post inceptum laborem, sed instanter in illo usque in finem vitae perseverare, quatenus perfecto certaminis sui agone securus possit cum Apostolo dicere: „Bonum certamen certavi, cursum consummavi, fidem servavi“. (2. Tim. IV zitiert in Comm. in Eccl. VII, IX, c. 993) 167 Es handelt sich bei der Formulierung „per“ durchaus nicht nur um ein zeitliches Nacheinander, sondern der Mensch kann sich nach Hraban sein Heil verdienen: „pro praesenti labore praemia percipiet aeternae gloriae“ heißt es im Kommentar zum Buch Ecclesiastes (Comm. in Eccl. II, III, c. 800). „Denn für die geduldige Arbeit darf der Mensch auf die Güter des folgenden Lebens hoffen, damit dann der Lohn für unsere Arbeit einsetzt, wenn alle Arbeit gänzlich aufhört“. (Comm. in Eccl. I, VII, c. 773) Als Brücke zum Jenseits kann daher die Leistung der Apostel als „sanctus labor“ bezeichnet werden. (EBP XXVI, I, 1, c. 711) Eine solche Sakralisierung der Arbeit ist umso eher möglich, als in Hrabans Vorstellung auch Gott selbst mit den Händen gearbeitet hat, um dem Menschen eine Wohnstatt zu errichten: „Hoc non dicit manu hominis factum, sed manu Dei. Quid ergo? Propter te Deus et plantat et aedificat: agricola efficitur, structor efficitur, ne tibi aliquid desit“. (Comm. in Exaem. II, IV, c. 74) 168 Dass er selbst die Menschen geschaffen und für sie gearbeitet hat, begründet seine Liebe zu ihnen: „Ideo enim facit, ut amaret quod fecit: nemo enim laborem suum odio habet“, „denn er hat sie geschaffen, um zu lieben, was er schuf, denn niemand hasst seine Arbeit“. (EBP XVII, II, c. 403) Während die Menschen Arbeit und Schmerz scheuten, „ita Deus pro homine haec elegit et tenuit, quando postposito gaudio sustinuit crucem“, „so hat Gott sie um des Menschen willen gewählt und durchgehalten, als er jenseits aller Freude das Kreuz ertrug“. (De pass. Dom. III, c. 1426) Der Kreis schließt sich: das Kreuz ist Symbol für die Bereitschaft Gottes, um des Menschen willen zu arbeiten. Diese Bereitschaft soll der Mensch beantworten, um seiner Rückkehr zu Gott willen zu arbeiten und die ihm mitgegebenen Talente zu entfalten. Arbeit, sei sie geistig oder körperlich, wird im Verständnis Hrabans mithin zum Bestandteil religiöser Bewährung im Diesseits, zum Betätigungsfeld des freien Willens. Sie dient damit nicht nur – modern gesprochen – der Selbstverwirklichung des Menschen, sondern ist als Ausdruck von caritas dem Gemeinwohl verpflichtet und wirkt auf diese Weise mit am Erwerb des Heils im Jüngsten Gericht, welches auch in Anerkennung der diesseitigen Verdienste gewährt wird. Erst die merita machen den Menschen aus der Sicht Hrabans „heilswürdig“, die Gnade Gottes zu empfangen.

167 „die Ruhe und Sicherheit darf sich jemand nicht gleich nach begonnener Arbeit versprechen, sondern er muss sie durchhalten bis ans Ende seines Lebens, um nach seinem Kampf sorglos mit dem Apostel sagen zu können: ich habe einen guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt.“ 168 „Was also? Deinetwegen pflanzt und baut Gott, er wird Bauer und Bauarbeiter, damit es dir an nichts fehlt.“

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2.5 LUPUS VON FERRIÈRES (CA. 805–862), HINKMAR VON REIMS (†882) UND JOHANNES SCOTUS ERIUGENA (810–877) Der Streit um die Reichweite der menschlichen Willensfreiheit, den wir schon im Zusammenhang mit Hrabanus Maurus skizziert haben, zog im 9. Jahrhundert weitere Kreise. 169 In diesem Kontext zeigte sich eine enge Verbindung zwischen dem Glauben an das Vorhandensein eines liberum arbitrium und einer hohen Wertschätzung der Arbeit als Heilsweg. Hrabanus Maurus hatte, wie gesehen, einem Missverständnis der Lehren Gottschalks folgend, gegen den vermeintlichen Fatalismus gekämpft, der sich aus einer Lehre ergab, die (angeblich) jede menschliche Aktivität überflüssig mache, weil man als Prädestinierter auch ohne eigenes Zutun und Arbeiten zum Heil gelange, als Verdammter auch durch noch so vorbildliche Lebensführung seinem Schicksal in der Hölle nicht entrinnen könne. 170 Gottschalk hatte die Lehre von der doppelten Prädestination in Anlehnung an den späten Augustin entfaltet, die er in der von Isidor von Sevilla (Sent. II, 6, 1) geprägten Formulierung „gemina praedestinatio“ aufgriff. Gott habe einige wenige, für die allein Christus gestorben sei, zum Heil bestimmt, die meisten jedoch zur ewigen Verdammnis. Im Folgenden sollen einige wesentliche Zeugen der geistigen Auseinandersetzung vorgestellt werden, wobei die Positionen des gelehrten Hrabanschülers und Abtes Lupus von Ferrières (ca. 805–862) und Hinkmars von Reims das Meinungsspektrum derjenigen repräsentieren sollen, die als Befürworter bzw. Gegner Gottschalks in der Auseinandersetzung das Wort ergriffen, aber dennoch eine gleichsam gemäßigte, in der zunehmend auch politisch aufgeladenen Diskussion 171 mehrheitsfähige Ansicht vertraten. Die philosophische Lösungsvariante des später ebenfalls von Hinkmar von Reims († 882) mit der Widerlegung Gottschalks beauftragten Johannes Scotus Eriugena († vor 880) 172 stellt demgegenüber eine radikale Theoriealternative zur doppelten Prädestination dar, der freilich kaum zeitgenössische Rezeption beschieden war. 173 Nachdem Gottschalk von einer Synode 848 unter dem Vorsitz des Hrabanus Maurus als Häretiker ausgepeitscht, verbannt und mit einem Schreiben des Erzbischofs an Hinkmar von Reims überstellt worden war, brachte dieser ihn vor eine 169 Zur detaillierten Schilderung des Verlaufs der Auseinandersetzung K. Zechiel-Eckes, Florus von Lyon als Kirchenpolitiker und Publizist, Stuttgart 1999, p. 77–89. 170 Zechiel-Eckes, Florus von Lyon p. 124ff. 171 Die Prädestinationsfrage bot Anlass zur Abgrenzung der Bischöfe Lotharingiens vom westfränkischen Reich Karls des Kahlen. Dazu Zechiel-Eckes, Florus von Lyon p. 88. 172 Forschungsbericht bei G. Schrimpf, Das Werk des Johannes Scotus Eriugena im Rahmen des Wissenschaftsverständnisses seiner Zeit, Münster 1982, p. 1–20; Zentralbegriff „labor defendendae virtutis“, zentraler Text De div. praed. 16, 236–245. 173 Zur ersten Orientierung: D. Moran, Johannes Eriugena. Der christliche Neuplatonismus der Natur, in: T. Kobusch (ed.), Philosophen des Mittelalters, Darmstadt 2000, p. 13–26; ausführlicher ders., The Philosophy of John Scottus Eriugena. A study of Idealism in the Middle Ages, Cambridge 1989.

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weitere Synode, folterte und zwang ihn, seine Schriften selbst zu verbrennen, da er der Autorität des greisen erzbischöflichen Kollegen im ostfränkischen Reich vertraute. So wurde Gottschalk von einer westfränkischen Synode zu lebenslanger Haft im Kloster Hautvillers verurteilt. Weil der Inhaftierte Kontakt z. B. zu Mönchen von Corbie und zu Abt Lupus von Ferrières hielt und nicht zum Schweigen zu bringen war, veranlasste Hinkmar von Reims u. a. Lupus zu einem Gutachten, in dem dieser freilich klar für Gottschalk votierte. 174 Doch Lupus verfasste im Auftrag Karls des Kahlen auch eine eigene Schrift, den „Liber de tribus quaestionibus“, in der er keineswegs so eindeutig für Gottschalk Stellung bezieht, wie es Zechiel-Eckes suggeriert.175 Die Schrift ist auch unter rezeptionsgeschichtlichem Aspekt interessant, weil sie im Anhang gleichsam ein Dossier (Collectaneum) mit Zitaten der Gewährsleute enthält, auf die sich Lupus stützt. 176 Das Spektrum der Autoritäten reicht von Schriften des späten Augustin über Prosper von Aquitanien, Fulgentius von Ruspe, Gregor den Großen und Beda Venerabilis. Im Liber selbst jedoch werden auch heidnische Autoren zitiert, z. B. Sallust, Vergil und Cicero. Der Text will zu den drei Fragen des liberum arbitrium, der Prädestination und der Erlösung Stellung nehmen. (De trib. quaest., c. 645) Lupus vertritt die Ansicht, die Seele des Menschen, nicht sein Körper, sei nach Gottes Ebenbild geschaffen, habe aber, weil sie auch die Erfahrung des Bösen habe machen wollen, „voluntatem ad peccandum convertit“. (ibid., c. 626) Damit sei der Mensch als „auctor mali proprii“ (ibid., c. 625) schuldig geworden, und zwar durch seine Zustimmung zum Bösen („hominem […] consentientem […] volentem posset deicere“). Damit hat für Lupus die falsche Betätigung der Willensfreiheit zum Sündenfall geführt. Während Adam noch über das liberum arbitrium zum Guten und zum Bösen verfügt habe, sei den Menschen nach dem Sündenfall das liberum arbitrium nicht mehr als aus sich heraus freies zum Guten gegeben, „nisi fuerit Dei gratia liberatum.“ (ibid., c. 627) Der Mensch könne also „suis viribus [...] peccando cadere“, aber nicht „sua virtute resurgere“. (ibid., c. 629) Hier knüpft Lupus eigene Überlegungen an, die die umstrittene Möglichkeit eines freien Willens auch nach dem Sündenfall betreffen: Warum habe Gott dem Menschen den Willen verweigern sollen, der bei rechtem Gebrauch Lohn versprach, bei schlechtem Höllenqualen? „Ich möchte fest behaupten, dass Gott keine Kreatur geschaffen hätte, die sündigen würde, wenn er nicht beschlossen hätte, dass sie wieder gut würde oder etwas Gutes täte.“ (ibid.) Diese wichtige Stellungnahme zeigt Lupus grundsätzlichen Heilsoptimismus, der meilenweit von der verfälschenden Rezeption Gottschalks entfernt ist, wie sie etwa bei Hraban zutage trat. Auch Gottschalk hatte ja durchaus die Notwendigkeit einer sittlichen Lebensführung bejaht, in ihr sogar ein Zeichen der Prädestination zum Heil gesehen. 174 Epistola ad Hincmarum (Januar 850) ed. Dümmler, MGH Epp. 6, p. 109f. 175 Er führt Lupus in seiner Monographie zu Florus von Lyon als Kirchenpolitiker und Publizist, Stuttgart 1999, p. 88, als einen derjenigen an, die „Gottschalk den Rücken stärkten“. Zur Beurteilung seiner Position reicht es allerdings nicht aus, die brieflichen Gutachten zu lesen, Lupus’ eigenes Werk verdient demgegenüber genauere Beachtung. 176 Servatus Lupus Ferrariensis Abbas „Collectaneum De Tribus Quaestionibus“, PL 119, c. 647–666.

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Während Lupus sich hier ernsthaft mit der Position Gottschalks auseinandersetzt, grenzt er sich in anderen Punkten fundamental von der Lehre des sächsischen Mönches ab. Lupus teilt nicht Gottschalks Ansicht, dass nur wenige auserwählt seien, sondern „hominum plerosque vel originali vel proprio vitio malos reformat in bonos […] sua gratuita bonitate“ (ibid.) oder noch deutlicher „omnes ergo vult salvos fieri homines, sed non alios quam qui salvantur“. (De trib. quaest., c. 636) 177 Freilich ist es nicht deren eigene Arbeit oder Bemühung, die sie zum Heil gelangen lässt, sondern Gottes ungeschuldete Gnade: „sola gratia praedestinati sunt omnes, de quibus ait Salvator: omnis qui audivit a Patre et didicit, veniet ad me“ (Joh. 6, 45). Bemerkt er selbst nicht, dass er mit diesem Zitat einerseits eine (einfache) Prädestination zum Heil „sola gratia“ bekräftigt, andererseits aber das Lernen aus Gottes Wort als eigenen Anteil der Menschen für deren Heil beschreibt? Die Lernfähigkeit jedoch, um im Bilde zu bleiben, muss ihnen Gott zuvor mitgegeben haben! Christus ist nach Lupus’ Ansicht für alle Menschen gestorben, nicht bloß für die Auserwählten, wie Gottschalk behauptet hatte. (De trib. quaest., c. 630) 178 Wenn sich freilich die Menschen im diesseitigen Leben „sanitatem liberi arbitrii“ anmaßten als hätte es den Sündenfall nie gegeben, „molesto bello laboramus“, führten sie einen mühseligen Krieg, um schließlich doch ermattet Gottes Hilfe anzurufen. (ibid., c. 632) Labor ist demnach der Kampf des diesseitigen Lebens gegen die bösen Neigungen, die nur mit Gottes Hilfe überwunden werden können. Ähnlich sieht es auch Eriugena, wie noch zu zeigen ist. „Deus est qui operatur in vobis et velle et perficere“. (Phil. 2, 13, zitiert in De trib. quaest., c. 632) Lupus ist überzeugt, dass unser Wille zum Guten erst befreit werden muss, und dass Gottes Gnade nicht nach unseren Verdiensten gegeben wird. Anders als sein Lehrer Hrabanus Maurus ist er nicht expressis verbis von einer Verdienstethik überzeugt: „nostrorum autem omnium bonorum Dei gratia auctor [...] est“. (ibid., c. 635) Aus Gottes Erbarmen werden wir gerettet: „non proprio merito, sed Dei salvantur clementia“. (ibid., c. 634) Doch das oben angeführte Bibelzitat, welches den Lernfähigen und Lernbereiten unter den Menschen das Heil in Aussicht stellt, schließt menschliche Mitwirkung keinesfalls aus. Lupus’ Stellungnahme ist damit so wenig widerspruchsfrei wie die meisten anderen Traktate im Prädestinationsstreit. Denn Lupus sieht durchaus Möglichkeiten für die Menschen, selbst zu ihrem Heil beizutragen. Ein Weg dorthin führt über die Reue: Wer wisse, dass Christi Blut ihn erlöst und die Taufe ihn auf den Weg gebracht habe, der zweifle nicht, dass die Buße als Argument für das Heil diene. Warum beschwöre er als verdienstloser Sünder nicht unablässig Gott, damit er gutes Verdienst und dessen Folgen erhalte? Wer die Hoffnung auf Gott setze, dem werde Gott den Weg wei177 „die meisten Menschen, die entweder aufgrund der Erbsünde oder durch eigene Verfehlung schlecht geworden sind, macht er wieder zu guten […] aufgrund seiner ungeschuldeten Gutheit.“ „Er will, dass alle Menschen zum Heil gelangen, aber nur die, die gerettet werden.“ 178 So heißt es bereits in seinem 836 an Einhard verfassten Brief: Nunc autem, cum deus omnes homines salvos velit fieri […]. (ep. 4, ed. P. K. Marshall, Leipzig 1984, p. 7).

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sen. „Paratus est Deus parcere subiectis et debellare superbos“! (De trib. quaest., c. 640) Gott tritt an die Stelle der siegreichen Römer! (cf. Aeneis VI, 853) In einer bemerkenswerten Aneignung römischen Sendungsbewusstseins als Ingredienz christlicher Heilsgewissheit eröffnet Lupus dem reuigen Sünder Heilsperspektiven. Denn er ist durchaus nicht der Meinung, dass die Verworfenen ihr Schicksal nicht beeinflussen könnten. Warum sollte der Mensch nicht nach Kräften das Gute suchen („elaboraret sectari bona“, De trib. quaest., c. 641), damit ihn wenigstens später nur eine leichtere Strafe treffe? Denn insoweit treffe das Schriftzitat zu: Reddes unicuique iuxta opera sua (Psalm 61), dass auf größere Sünden schwerere Vergeltung im Jenseits folge. (De trib. quaest., c. 641) Der Kern seines Widerspruchs gegen die Unverrückbarkeit der Verdammnis: während Geschehenes in den Wechselfällen des menschlichen Lebens nicht ungeschehen gemacht werden könne, „praedestinatum autem mutari aliquando potest“. (ibid., c. 643) Denn wer glaube und nicht in Sünde verharre, könne gerettet werden. Schließlich habe schon Cicero gesagt, dass es nicht schändlich sei, wenig zu wissen, sondern nur, dabei stehenzubleiben. (ibid., c. 644) Mit dieser Sentenz wird ähnlich wie mit dem Vergilzitat das Wissen der römischen Antike, obwohl profan, doch als Vorstufe christlicher Heilserkenntnis behandelt. Das Lernen erscheint als Chance, zu Gott zu gelangen. Es gibt allerdings auch Stellen, in denen Lupus die Weisheit der römischen Philosophen als obsolet abtut. Ciceros Cato maior und alle, die gemäß der Regel „omnia bona a seipsis petunt“ lebten, tadelt er: „Du hättest sagen müssen, Marcus Tullius, ,omnia bona a vero Deo non a se ipsis petunt’.“ (De trib. quaest., c. 633) Noch schlechter kommt Vergil weg, der den Satz „spes sibi quisque“ geprägt habe. „Hätte er doch gesagt und geglaubt, ‚jedem ist Gott die wahre Hoffnung’, und nicht, um Maecenas zu schmeicheln, sondern um Gott zu preisen, gesungen und ausgerufen: ‚Te sine nil altum mens inchoat’.“ (ibid., c. 633) Es ist jedoch bemerkenswert, dass auch in Glaubensfragen die Meinungen der großen Römer geprüft und herangezogen werden, bevor er selbst Stellung nimmt. Als Referenzpunkt für eigene Überlegungen wirkte die antike Philosophie damit weiter. Bewusst lässt Lupus am Schluss seines Werkes offen, welche Meinung zur dritten Frage, der Erlösung, die richtige sei. Während Gottschalk behauptet hatte, Christus sei nur für die Erwählten gestorben, neigt Lupus zu einer anderen Sicht. Wer beweisen könne, dass das Blut des Erlösers auch den Verlorenen etwas nütze, dem werde er nicht nur nicht widersprechen, sondern sogar gern dessen Meinung annehmen. Wenn die Sonne die Blinden schon nicht sehend mache, so wärme sie sie doch. Warum sollte nicht eine mächtigere Sonne – die platonisierende Lichtmetaphorik in bezug auf Gott ist deutlich – die Geblendeten und Verdammten aufgrund des Opfertodes Christi weniger bestrafen? (ibid., c. 647) Lupus schließt mit dem Satz, jeder möge selbst entscheiden, was Gottes Offenbarung oder die klare Vernunft der Heiligen Schrift dazu sage. Er legt sich also keineswegs eindeutig auf eine Verurteilung Gottschalks fest, entlastet ihn aber auch nicht durchschlagend. Durch dieses vage Ergebnis der Stellungnahme des Abtes enttäuscht sah sich Hinkmar von Reims in seinem Bestreben, die Verurteilung Gottschalks zu be-

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gründen, genötigt, nun keine Prälaten mehr zu dessen Beurteilung heranzuziehen, sondern einen Wissenschaftler, Johannes Eriugena. Bevor wir uns dessen Gutachten ausführlich zuwenden, soll ein Blick auf Hinkmars eigene Stellungnahme geworfen werden, seine Überlegungen De praedestinatione (PL 125). Die Schrift muss nach dem Konzil von Soissons 853 entstanden sein, da sie die dort verabschiedeten Kanones sorgfältig aufführt. (De praed., c. 65f.) Karl der Kahle hatte keine Geduld mehr in der leidigen Angelegenheit, da er durch innen- und außenpolitische Bedrängnisse (Aquitanien, Normanneneinfälle, bretonisches Königtum) in Anspruch genommen und daher auf die Loyalität eines geeinten Episkopats dringend angewiesen war. Der Prägnanz der Aussagen und der Proportionen der Darstellung wegen rekurrieren wir in der Darlegung der Ansichten Hinkmars vor allem auf dessen Zusammenfassung des umfangreichen Textkonvoluts, welche der Autor als Epilog deklariert. „Ut simplicibus ita sint cognita, quatenus sapientibus non sint onerosa“: für Gebildete nicht lästig und für Ungebildete zugänglich hatte Hinkmar seine im wahrsten Sinne des Wortes erschöpfende Materialsammlung verfasst, die sich mit ihrer Gliederung in die Komplexe Vorauswissen und Prädestination, Gnade und Willensfreiheit, Kreuzestod Christi und Erlösung genau an den Synodalbeschlüssen von 853 orientiert, aber nach dem Widmungsbrief an Karl den Kahlen auch eine lange historische Einführung in die Problematik unter Anführung zentraler Zeugen von Augustin über Fulgentius und Prosper bis zu Gregor dem Großen und Isidor bietet. Hinkmar verteidigt die „una Dei praedestinatio“ zum Heil gegen Gottschalks Lehre und grenzt sie von der praescientia ab. Gott wisse alle Dinge voraus, deren Urheber er sei, doch er sei nicht Urheber aller Dinge, die er vorauswisse. (De praed., c. 421) Niemand sei daher verloren, weil Gott es vorauswisse oder prädestiniere, sondern „perseveranti infidelitate vel iniquitate“, also aufgrund eigenen Fehlverhaltens. Dagegen richteten sich nun einige „moderni haeretici“, denen man mit Gregor dem Großen entgegenhalten müsse, „per indebitam gratiam salvantur electi, et per debitam iustitiam reprobi puniuntur“. (De praed., c. 422) Wer jetzt mit einer Tirade gegen den sächsischen Mönch rechnet, sieht sich getäuscht! Hinkmar will vermitteln: Wie Beda Venerabilis schon bemerkt habe, gebe es keine falsche Lehre, der nicht auch ein Körnchen Wahrheit innewohne (De praed., c. 423), und so dürfe man Gottschalk und seine Komplizen nicht ganz und in allem verdammen. Man lese und staune: Es folgt eine subtile Rehabilitation des Wortes „geminus“ unter Berufung auf Kirchenväter wie Gregor den Großen! Wer aus dem Schoß der Mutter Kirche argumentiere, könnte eine doppelte Prädestination so verstehen, dass die Guten durch das Geschenk der Gnade zum ewigen Leben bestimmt seien, die Verworfenen aber nicht von Gott zur Strafe vorherbestimmt seien. Vielmehr sei nur notorischen Sündern bei der Ausübung der göttlichen Gerechtigkeit ewige Strafe vorherbestimmt. (ibid.) Das heißt im Klartext: das Gericht ist vorherbestimmt, nicht die Bestrafung der Verworfenen. So gelte also: „qui salvi fiunt, gratiae dono salvantur et coronantur: qui pereunt, sua iniquitate pereunt.” So verstanden steht nach Hinkmar die gemina praedestinatio nicht im Widerspruch zur christlichen Lehre. Der Kompromisscharakter der „dissertatio“ Hinkmars will den Anhängern Gottschalks offenkundig Brücken zur Orthodoxie bauen. Er unterstreicht, dass

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sogar Gregor der Große „praedestinationes“ im Plural gebraucht habe, und zwar genau im zwanzigsten Buch der Moralia! (De praed., c. 425) Das Verharren in der Sünde ist also wie bei Lupus auch hier der Indikator für die Verdammnis. Es kommt also auf eine sittliche Lebensführung an, will man sich die Hölle ersparen. Den verfälschenden fatalistischen Konsequenzen, die aus der Lehre Gottschalks zu Unrecht gezogen wurden, begegnen Lupus und Hinkmar, indem sie zwar die ungeschuldete göttliche Gnade als Quell des Heils vor Augen stellen und damit einer reinen Verdienstethik die Grundlage entziehen, aber andererseits die Heilsbedeutung menschlichen Tuns nicht vollends leugnen, weil sie die Prädestination zur Verdammnis nicht anerkennen: Gott wisse das Schlechte nur voraus, ohne es vorherzubestimmen. Nur wer unablässig sündige, dem werde „merito“, also unter Berücksichtigung seiner Lebensführung, eine Strafe auferlegt. (De praed., c. 426) Unter Berufung auf Gregor den Großen betont Hinkmar, dass „hi qui ad illum (sc. Deum) perventuri sunt, et suis ad eum meritis proficiunt, et saepe in eo quod superbe sapiunt alienis lapsibus corriguntur“. (De praed., c. 436) Eigenes Verdienst, das Sich-Verbessern, das Lernen aus den Fehlern anderer sind also durchaus Meilensteine auf dem Weg zum Heil. Dabei achte Gott „non corda hominum, sed facta“! (De praed., c. 437) Von Ansätzen einer intentionalen Ethik, wie sie uns bereits bei Cassian begegnet waren, ist hier keine Spur. Aber die Werke, das Handeln der Menschen im diesseitigen Leben werden als durchaus heilsrelevant eingestuft. Welche Rolle spielt die Willensfreiheit in diesem Zusammenhang? Ihr Missbrauch führte zum Sündenfall: „arbitrii libertate abusus primus homo peccavit“ (De praed., c. 434). Kann ihr rechter Gebrauch zum Heil führen? Hinkmar vertritt die Ansicht, nur mit Gottes Hilfe könne das arbitrium „befreit“ werden. Ohne Gott, so heiße es schon im pseudoaugustinischen Hypomnestikon 179 , könne ein gutes Werk weder begonnen noch vollendet werden. In dieser Schrift heiße es: „Opera liberi arbitrii bona, quae ut fiant praeparantur per gratiae praeventum, nullis liberi arbitrii meritis, sed ipsa faciente, gubernante, proficiente, […]. Damnamus vero auctoritate divina opera liberi arbitrii, quae gratiae praeponuntur.“ (De praed., c. 440) 180 Diese zustimmend zitierte Schlüsselstelle macht klar, wie eindeutig für Hinkmar der Vorrang der Gnade war. Nur sie kann den Willen so befreien, dass er Gutes zu tun in der Lage ist. Die Willensfreiheit allein hat kein Verdienst. Doch Hinkmar lässt es hiermit nicht sein Bewenden haben. Unter Bezugnahme auf Gregor den Großen sichert er menschlicher Mitwirkung am Heil ihr Recht. „Weil im guten Handeln unsere Willensentscheidung der vorausgehenden göttlichen Gnade folgt, befreien wir uns selbst, indem wir Gott, der uns befreit, zustimmen (consentimus).“ (De praed., c. 440f.) Deshalb habe auch Paulus, damit seine Bemühungen (labores) nicht ihm selbst zugeschrieben würden hinzugefügt: 179 Florus von Lyon belegte die Unechtheit des Textes aus dem 5. Jahrhundert: Zechiel-Eckes, Florus von Lyon p. 181-187, 197. 180 „Die guten Werke der Willensfreiheit, die die Gnade vorbereitet, werden nicht durch die Verdienste des freien Willens, sondern durch die Gnade bewirkt, gelenkt, vorangetrieben, […]. Wir verdammen aber mit göttlicher Autorität die Werke der Willensfreiheit, die der Gnade vorangestellt werden.“

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„Non autem ego, sed gratia Dei mecum (1. Kor. 15, 10). Weil auch er der vorauseilenden Gnade Gottes aus freier Willensentscheidung gefolgt war, fügte er angemessen „mecum“ hinzu, damit er nicht undankbar gegenüber dem göttlichen Geschenk sei und dennoch „a merito liberi arbitrii“, vom Verdienst der freien Willensentscheidung, nicht ausgeschlossen bleibe. Hinkmar zieht den Schluss: „Das Gute, das wir tun, ist Gottes und unser. Gottes durch die zuvorkommende Gnade, unser „per obsequentem liberam voluntatem“, durch das Folgen des freien Willens, wobei „obsequentem“ die deutliche Färbung in Richtung „Gehorchen“ hat. Eindeutiger kann man das Miteinander göttlicher und menschlicher Verantwortung für das Handeln nicht ausdrücken. Damit ist aber gleichzeitig eine menschliche Mitverantwortung für das Heil impliziert. Die Stellungnahme entsprach dem Menschenbild der Karolingerzeit hinsichtlich der Frage nach der menschlichen Mitwirkung am Heil, wie auch das nachfolgende Zitat Alkuins aus dessen Fragen zur Genesis zeigt, wo der Vertraute Karls des Großen auf die Frage, warum der Mensch mit einem Willen ausgestattet worden sei, antwortete: Weil Gott nicht wollte, dass der Mensch Knecht irgendeines anderen sei, den er doch nach seinem Bilde geschaffen hatte. Und auf die Frage, warum Gott es zugelassen habe, dass der Mensch versucht werde, von dem er doch vorhergewusst habe, dass er der Sünde zustimmen werde (consentire), habe er geantwortet: Weil es kein Verdienst gewesen wäre, wenn der Mensch deshalb nicht gesündigt hätte, weil er nicht hätte sündigen können. Dem fügt Hinkmar mit Bezug auf seine Gegenwart hinzu: „Denn auch heute werden die Menschen unablässig von den Nachstellungen des Teufels heimgesucht, damit dadurch die Tugend des Versuchten bewiesen werde und die Siegespalme dessen, der der Sünde nicht zustimmt (non consentientis) umso ruhmreicher erscheine.“ (De praed., c. 441) Auf die Frage, wie der Satz „Sub te erit appetitus eius, et tu dominaberis illius“ zu verstehen sei, habe Alkuin geantwortet: „Weil du eine Willensfreiheit hast, hat die Sünde keine Macht über dich, sondern du über sie, und es steht in deiner Macht, sie entweder mit Gottes Gnade zu bezähmen, oder aus deinem Streben (appetitus) zu begehren.“ Und auf die Frage, was die wahre Freiheit sei, habe er geantwortet: „Die größte Freiheit besteht darin, der Gerechtigkeit zu dienen und frei von Sünde zu sein.“ So folgert Hinkmar mit Prosper von Aquitanien: „Arbitrium enim hominis gratia Dei non abolet, sed adolet“. (ibid.) Gottes Gnade hebt die Willensfreiheit nicht auf, sondern vollendet sie. Solche Kernsätze christlicher Ethik werden bei Hinkmar nicht nur wie hier durch ein Wortspiel, sondern häufig auch durch hexametrische Verseinschübe in ihrer rhetorischen Wirkung gesteigert: die prosimetrische Textgestaltung soll der Erhabenheit des Gegenstandes angemessen sein. So überzeugend und mitreißend der Duktus des Epilogs auch ist, kann er doch nicht inhärente Widersprüche verdecken. Wie passt es zusammen, dass Hinkmar einerseits die Erwählten „gratiae dono“ gerettet werden lässt (De praed., c. 424) und später wie gesehen ihre Mitverantwortung für das Heil betont? Wie passt die soeben skizzierte Konsenstheorie der Sünde, die diese als bewussten Akt der

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Zustimmung zum peccatum definiert, zu einer Auffassung, die nicht die Intention des Täters, sondern allein die Tat zur Grundlage der Bestrafung macht (De praed., c. 437)? Wollte Hinkmar jedem das Seine geben, Unvereinbares harmonisieren, um den Frieden im Westfrankenreich und die Herrschaft Karls des Kahlen zu stabilisieren? Fast möchte man es glauben, wenn er den allgemeinen Heilswillen Gottes (De praed., c. 442) mit der Bemerkung kommentiert, so groß sei die Gnade Gottes, dass sie uns vorgaukele, es seien unsere Verdienste, was in Wahrheit seine Geschenke seien. (De praed., c. 443) Damit wäre seine eigene Theorie von der Mitwirkung der Menschen am Heil Ergebnis einer Illusion. Eine Illusion, die er wenige Zeilen später wieder aufgreift, wenn er gegen die „kreischenden Prädestinatianer“ polemisiert und gegen deren Bild eines furchterregenden und strafenden Gottes ins Feld führt, dass einige das allen in Aussicht gestellte Heil „libero arbitrio“ verachteten und dafür zurecht verdammt würden, andere jedoch diesem Heil „libero arbitrio“ zustimmten und daher von der Gnade gerettet würden. (De praed., c. 450) So ist also der rechte Gebrauch der Willensfreiheit Kriterium der Heilswürdigkeit, und der „labor“ der Menschen besteht eben in dieser Gottes Gerechtigkeit folgenden Anwendung des liberum arbitrium. Hinsichtlich der Auswirkungen des Kreuzestodes Christi auf die Erlösung der Menschen nimmt Hinkmar ebenfalls unter Berufung auf Prosper von Aquitanien eine vermittelnde Position ein. Zwar sei Christus zur Rettung aller Menschen gestorben, doch würden nicht alle durch seine Passion gerettet. Diese wollten entweder nicht gerettet werden (Konsenstheorie) oder seien nach ihrer Errettung gleichsam „rückfällig“ geworden, indem sie in Unglauben und Ungerechtigkeit verharrten. (De praed., c. 454; 465) Die Einheit der Kirche bestehe daher aus zwei Teilen: aus denen, die unfähig zur Sünde seien und solchen, die aufgehört hätten zu sündigen. (De praed., c. 456) Lange vor dieser taktisch abwägenden Stellungnahme Hinkmars hatte Johannes Scotus Eriugena sein Gutachten im Auftrag Hinkmars verfasst (850–1), dessen Tendenz den Friedensbemühungen des Erzbischofs freilich keineswegs zuträglich war. Dafür war es inhaltlich umso geschlossener und widerspruchsfreier. Als Lehrer der artes liberales an der Hof- oder Kathedralschule von Laon hatte sich Johannes als Bearbeiter des Handbuchs der sieben freien Künste von Martianus Capella einen Ruf als Gelehrter und Förderer der karolingischen Bildungsanstrengungen erworben, als er Mitte des 9. Jahrhunderts in den Prädestinationsstreit verwickelt wurde. Der Mönch Gottschalk hatte im Kloster Fulda, wie bereits erwähnt, Klage gegen seinen Abt Hrabanus Maurus erhoben, da er mit zunehmendem Alter seine oblatio durch die Eltern als etwas ansah, das seine Freiheit einschränkte. Der Erzbischof Otgar von Mainz sprach Gottschalk auf einer Synode 829 von seinen Gelübden frei. Hrabanus allerdings erreichte bei Ludwig dem Frommen eine Aufhebung des Urteils, indem er auf dem Recht freier Eltern bestand, ihre Kinder Gott zu schenken. Gottschalk sollte Mönch bleiben und entwickelte aus persönlicher Betroffenheit heraus in Auseinandersetzung mit Au-

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gustinus die Lehre von der doppelten Prädestination, der zur Seligkeit und der zur Verdammnis, die er in Predigten öffentlich verteidigte. 181 Die karolingischen Bischöfe sahen dadurch ihre missionarischen und zivilisatorischen Anstrengungen ihres Sinnes beraubt. Eine solch fatalistische Position konnten sie nicht hinnehmen, sie widersprach ihrem kirchenpolitischen Selbstverständnis, wollten sie doch die christliche Moral als „norma rectitudinis“ der Gesellschaft einprägen, das große Reich durch Kultur und Bildung integrieren und fördern, das Mönchtum und seine Askese stärken. Im Oktober 848 verurteilte eine Synode in Mainz Gottschalk wegen seiner Ansichten über die Prädestination. Vor allem Hrabanus Maurus und Hinkmar von Reims, der mächtige Erzbischof und Berater König Karls des Kahlen, taten sich, wie gezeigt, im Kampf gegen ihn hervor, obwohl v.a. Hraban Gottschalks Lehren teilweise missverstand. Hinkmar beauftragte schließlich Eriugena mit einer wissenschaftlichen Widerlegung der Lehre von der doppelten Prädestination. Schon methodisch waren dessen Texte revolutionär. Er betonte, dass die Philosophie und insbesondere die Logik Glaubenswahrheiten überprüfen und ggf. korrigieren könne: die ratio, nicht die auctoritas der Kirchenväter, sollte den Beleg für die Richtigkeit von Thesen liefern. Denn jede Berufung auf die Autorität sei nichts anderes als eine Berufung auf die rechte Vernunft. (Periphyseon I, 2972– 2977) Man hat daher in Eriugena auch einen der Begründer der Scholastik gesehen. Kein Wunder, dass seine Schrift über die Natur besonders im 12. Jahrhundert verstärkte Rezeption erfuhr.182 Inhaltlich interessant für unsere Fragestellung ist allerdings vor allem das 850/1 verfasste Prädestinationsgutachten, das die Freiheit Gottes und des Menschen als seines Ebenbildes in den Mittelpunkt stellt.183 Vernünftigkeit und Freiheit des Willens des Menschen als einer imago Dei stehen dabei in engem Zusammenhang: „Ubi est rationabilitas, ibi necessario erit libertas. Est autem rationabilis substantialiter voluntas humana. Est igitur substantialiter libera.“: “Wo Vernunft ist, da ist Freiheit. Der menschliche Wille ist im Kern vernünftig. Daher ist er im Kern frei.“ (De div. praed. 8, 5) Eriugena verwies auf verschiedene, als selbstverständlich angesehene Glaubensinhalte des Christentums, um zu zeigen, dass in ihrer Konsequenz der freie Wille anzuerkennen sei. 184 Wenn Gott frei sei und der Mensch sein Ebenbild, dann gehöre es zur göttlichen Weisheit, den Menschen als freien zu wollen. (De div. praed. 4, 5) Wenn irgend etwas den menschlichen Willen zwingen könne, etwas zu wollen, was er nicht will, müsste man sagen, der Mensch habe keinen Willen. Den freien Willen zu bestreiten, sei gleichbedeutend damit, den Willen überhaupt zu bestreiten. 185 Von Sünde zu reden, aber den freien Willen zu leugnen, sei sinnlos: „voluntate ergo peccatur.“ (De div. praed. 5, 9) Jedem 181 U. Rudnick, Das System des Johannes Scotus Eriugena, Frankfurt/Main 1990, p. 19ff. 182 D. Moran, Johannes Eriugena, in: T. Kobusch (ed.), Philosophen des Mittelalters, Darmstadt 2000, p. 13–26. 183 Maßgebliche Edition: G. Madec, De divina praedestinatione liber, CCM 50, Turnhout 1978. 184 K. Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, Stuttgart 1986, p. 164ff. 185 De div. praed. 5, 4.

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Menschen sei demnach grundsätzlich die Freiheit der Entscheidung zum Guten oder Bösen gegeben. Die göttliche Gnade wirke dabei unterstützend („cooperantis gratiae“, De div. praed. 2, 3) und vollendend, aber keineswegs zwingend. Gott sehe in seiner Allwissenheit auch das Böse voraus (Präscienz), dessen Urheber jedoch sei der Mensch, der es in falscher Anwendung seines freien Willens verursache. Gott könnte die Sünden verhindern, doch das würde eine Einschränkung der Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Menschen bedeuten, und Verdienste wie Belohnungen für gutes Handeln wären sinnlos. Gott hätte die Sünde nur um den Preis der Abschaffung des freien Willens verhindern können, doch damit wäre die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ausgelöscht. So folgert Eriugena, dass der freie Wille auch unter die von Gott verliehenen Geschenke an die Menschen zu zählen sei, selbst wenn er missbraucht werden könne. Denn die Willensfreiheit sei mit der göttlichen Gnade zusammen die Ursache aller guten Werke, die zur Seligkeit führten. Sünde, Tod und Elend hingegen werden als Folgen des unvernünftigen Gebrauchs der Willensfreiheit („male utens libero arbitrio“, De div. praed. 2, 3) gesehen und gelten ihm daher nicht als vorherbestimmt. („et peccata et poenas nec a deo fieri nec ab eo praesciri vel praedestinari“, De div. praed. 15, 9) Daher seien es die unvernünftigen Willensbewegungen, die zu bestrafen seien, denn Gott könne schließlich nichts bestrafen, was er selbst geschaffen habe. Weil Gott die Einheit des Guten sei (De div. praed. 2, 3), „unum optimumque principium omnium bonorum“ (De div. praed. 9, 2), und die Ordnung der Welt sein Abbild folgte für Eriugena weiter, dass es nur eine Prädestination, nämlich diejenige zum Guten, geben könne. Zu diesem positiven Gottes- und Menschenbild stimmt Eriugenas originelle Konzeption von Buße und Strafe: Nicht Gott sei es, der strafe, sondern die Strafe sei bereits in dem Vergehen selbst enthalten. „Nullum peccatum est, quod non se ipsum puniat, occulte tamen in hac vita, aperte vero in altera quae est futura.“186 (De div. praed. 16, 6) Denn sie bestehe in einer verspäteten Reue des Verstorbenen über die Dinge, die er in seinem Leben unerlaubterweise gewollt habe. Gott bestrafe diejenigen nicht, die sich selbst verletzten, indem sie die Bitterkeit der Verbrechen in sich selbst erlitten. Dies habe Gott zurecht so geordnet. (De div. praed. 17, 4) Die Gerechten dagegen werden mit Theophanien belohnt. Die Auflösung des frühmittelalterlichen Bildes vom strafenden Pantokrator, die Abschwächung von Hölle und Teufel zugunsten eines freundlichen, schenkenden Gottes sowie eine Verinnerlichung des Denkens über Buße und Strafe, beides Tendenzen, die sich im Hochmittelalter noch vertieften, sind also bereits hier angelegt. 187 „Numquid recte aestimaretur durissimus punitor qui laudaretur iustissimus ordinator?“ fragt sich Eriugena: „Wie könne man Gott einen sehr harten Bestrafer nennen, wo er doch ein überaus gerechter Lenker sei“. (De div. praed. 17, 5) Selbst die Ungerechten können gereinigt und geheilt werden – 186 „Es gibt keine Sünde, die sich nicht selbst bestraft, verborgen in diesem Leben, offen jedoch im anderen, zukünftigen.“ 187 P. Dinzelbacher (ed.), Europäische Mentalitätsgeschichte, Stuttgart 1993, p. 126–32.

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sonst wäre die These von der einen Prädestination zum Guten hinfällig. Eriugena unterscheidet verschiedene Stufen von Theophanien, durch die je nach Lebenswandel die Naturen nach der Auferstehung belohnt werden: das Leben im Diesseits ist also heilswirksam, wenngleich man sich nicht die Verdammnis verdienen könne. Einmal gebe es diejenigen, welche sich durch die Erinnerung an ihr diesseitiges Leben selbst bestraften, zum anderen die mittelmäßig Guten, die mit positiven Vorstellungen von sinnlichen Dingen befriedigt würden, schließlich die Heiligen, die unter Umständen sogar noch im körperlichen Leben bis zu Gott aufsteigen können – die neuplatonische Homoiosis theou im Rahmen von Ausgang von und Rückkehr des Menschen zu Gott (De div. praed. 2, 3: ad notitiam creatoris sui redire) hat diese Gedankenfigur beeinflusst. 188 Ihnen erscheinen göttliche Kräfte und sie erfahren die Gnade der Vergottung, wie er in seinem Hauptwerk Periphyseon (V, 36) ausführt. Im Kontext dieser Freiheitslehre ist auch das Verständnis von „labor“ zu verorten. Eriugena sieht labor als moralische Anstrengung, die den falschen Gebrauch des freien Willens verhindert und damit zur Erhaltung der ursprünglichen Gutheit des Menschen führt. Es ist daher kein Zufall, dass der Begriff „labor“ bei Eriugena fast ausschließlich im Gutachten über die Prädestination auftaucht, in der er die Willensfreiheit des Menschen begründet. Nur drei Stellen von 35 insgesamt finden sich in der Übersetzung des Pseudo-Dionysius Areopagita, Expositiones in hierarchiam caelestem, die schon als solche, da sie kein originales Denken des Iren widerspiegeln, von geringerem Gewicht sind. Betrachten wir eine Kernstelle: „Homo namque male utens libero arbitrio sui, ad eum quem sine labore deseruerat, sine laboris studio et cooperantis gratiae dono pervenire non potest.“ 189 (De div. praed. 2, 3) Der Sündenfall war nur ohne labor möglich, umso weniger jedoch die Rückkehr zu Gott, die sowohl von dessen Gnade als auch von der sittlichen Anstrengung der Menschen abhängig ist. Beide wirken zusammen, um die Wiederannäherung an den Schöpfer zu ermöglichen, die er als „rationis intuitus“, als Schau der Vernunft, anspricht, entsprechend dem Urbild des divinus intellectus, den er als Kern der Gottheit beschreibt. (De div. praed. 2, 3) Ohne labor, Arbeit und Anstrengung, ist also kein Heilsweg möglich. Der Begriff ist jedoch nicht auf die positive Konnotation des Heilbringenden festgelegt: auch der Teufel „laborat, laborando torquetur, punitur, cruciatur“: er leidet darunter, nicht so tief fallen zu dürfen, wie er will, weil ihn die ewigen Gesetze Gottes davon abhalten. (De div. praed. 18, 7) Und er bemüht sich, den Glauben zu zerstören: „fidem [...] destruere laborat“. (De div. praed. 1, 4) Versuchen wir nun, über diese grundsätzlichen Erwägungen hinaus anhand der Junkturen und Kontrastbegriffe den Bedeutungsgehalt von „labor“ genauer einzugrenzen.

188 Zum neuplatonischen Fundament der Lehre Eriugenas: Rudnick, System p. 320–328. 189 „Der Mensch, der schlechten Gebrauch von seinem freien Willen macht, kann zu ihm (sc. Gott), den er ohne Anstrengung verließ, nicht ohne Arbeit und das Geschenk der mitarbeitenden Gnade zurückkehren.“

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Labor kann demnach auch der Sphäre der menschlichen Sündhaftigkeit und ihren Folgen zugeordnet werden. Die „laboriosa egestas“ des Menschen nach dem Sündenfall wird der „copiosa sublimitas“ des Schöpfers gegenübergestellt: Armut und Arbeit bestimmen den menschlichen Alltag, während in der Welt Gottes erhabene Fülle herrscht. (De div. praed. 9, 1) Die Strafe für die Bösen besteht darin, dass sie sich quälen „laboriose miserabiliterque cruciantur“ mit der Erinnerung an ihre wolllüstigen Taten. (De div. praed. 17, 8) Auch das Leiden an selbstverschuldeten Verbrechen wird als „laborare“ bezeichnet: die Übeltäter bestrafen sich selbst, wenn sie die Bitterkeit ihrer Untaten in sich selbst erleiden. (De div. praed. 17, 4) Das Schlechte besteht für Eriugena in der „corruptio“ des Guten, hat also kein eigenes Sein, sondern ist abgeleitet. So sind auch Sünde, Tod und Strafe als „defectus“ der Glückseligkeit definiert. (De div. praed. 15, 8) So wie der freie Wille des Menschen an sich gut ist, aber verdorben werden kann, so ist „corruptio quietis atque tranquillitatis cupiditas“, „corruptio sanitatis dolor et morbus, corruptio virium lassitudo, corruptio quietis labor.“ 190 (De div. praed. 10, 3) Das positive Gut ist hier die Ruhe, das negative die Anstrengung. Weil labor hier wie cupiditas als Verderbnis der Ruhe angesehen werden, nähern sich auch Anstrengung und Begierde einander an. Als Kontrastbegriff zu „quies“ begegnet „labor“ auch in einer Passage, in der die Behauptung, Gott wisse und bestimme Sünden und Strafen vorher, als falsch entlarvt wird. Wir wir im voraus „wüssten“, dass es nach dem Sonnenuntergang dunkel wird, dass Schmerzen kommen, wenn die Gesundheit verloren geht, Traurigkeit einkehre, wenn die Freude verschwinde, dass Arbeit am Ende der Ruhe warte, so behaupte die „sancta auctoritas“ Augustin, ohne es wirklich zu wissen, dass Gott Sünden und Strafen vorhersehe und -bestimme, die in Wirklichkeit nicht vorhergesehen und -gewusst werden könnten. (De div. praed. 15, 8) Als Gegensatz zur „pax et beatitudo“ des jenseitigen Lebens beinhaltet „labor“ im Diesseits für Eriugena das Bemühen um die Verteidigung einer gottgefälligen Lebensweise, der virtus. (De div. praed. 16, 7) Über die Zuordnung zum Diesseits hinaus enthält diese zentrale Stelle der Schrift Eriugenas eine Bestimmung von labor, die aufhorchen lässt. Sie findet sich im Zusammenhang des Nachdenkens über Sünden und Strafen. „Nullum peccatum est quod non se ipsum puniat“, verborgen zwar im Diesseits, aber offenkundig im Jenseits. (De div. praed. 16, 6) Dies werde deutlich bewiesen durch das Argument der Tugend (virtus). Denn jede Tugend begänne notwendig in diesem Leben und werde im künftigen vollendet, und zwar so, dass die Glückseligkeit, wenn sie eine wahre sei, zugleich mit der Tugend im Verborgenen ihren Anfang nehme, sichtbar jedoch die Mühe („laborem“) auf sich nehme, die wegen der gegen sie gerichteten Widerstände, die sie gänzlich zerstören wollten, notwendig sei. (De div. praed. 16, 7) Dies sei im Diesseits unvermeidlich. In dem Leben allerdings, in dem ein gottgefälliges Handeln (pietas) vollendet werde, sei die Tugend 190 „die Verderbnis der Ruhe die Begierde“, „das Verderben der Gesundheit Schmerz und Krankheit, die Verderbnis der Kräfte die Ermattung, das Verderben der Ruhe die Arbeit.“

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sich selbst Frieden und Glückseligkeit, nachdem alle Anstrengung zur Verteidigung der Tugend vorüber sei. („consumpto omni labore defendendae virtutis“, De div. praed. 16, 7) Deshalb erfreue jede Sünde – äußerlich betrachtet – den ständigen Sünder im Diesseits, innerlich aber bestrafe er sich selbst. (ibid.) Diese Trennung von kurzfristigem Genuß als Folge der Sünde und langfristiger Selbstschädigung bestätigt einmal mehr die Verinnerlichung, ja Psychologisierung, die die ethische Reflexion über Sünde und Strafe bei Eriugena erreicht. Und mehr noch: indem „labor“ als Anstrengung zur Bewahrung der Tugend, des gottgefälligen Lebens, im Diesseits definiert und als Zeichen und Vorbote der jenseitigen Glückseligkeit gewertet wird, gewinnt er eine tiefe Heilsbedeutung. Wo er sichtbar wird, darf auf den inneren Beginn der beatitudo schon im Diesseits geschlossen werden: der Mensch ist seines Heiles Schmied. Diese positive Bestimmung von labor hebt die zitierte negative Assoziation des Begriffs als „corruptio quietis“ auf, indem sie die Blickrichtung ändert: zwar ist labor noch nicht die Vollkommenheit der Ruhe im Jenseits, und deshalb ein defectus, aber er weist auf die beatitudo im Jenseits hin, ist sogar Keim und Zeichen ihrer Entstehung. Dies kann er sein, weil Eriugena den sich mühenden Menschen als imago eines Schöpfergottes konzipiert, aus dem als Prinzip des Guten nichts Schlechtes hervorgehen kann: „unde bonum sit, inde malum non erit.“ (De div. praed. 15, 8) Dieses positive Gottes- und Menschenbild, das den Herrn nicht als furchterregend strafenden, sondern als gnädigen Lenker der Welt begreift (De div. praed. 17, 4), als sorgenden pater familias, dessen Haus allen gleichermaßen offen steht, seien sie seine Söhne oder Diener (De div. praed. 17, 4), das überzeugt ist, dass Gott „omnia quae fecit non in usus miseriarum sed in universitatis plenitudinem pulchritudinisque eius gratiam fieri voluit“ (De div. praed. 17, 5), die Welt in Fülle und Schönheit geschaffen hat, das den Menschen als ursprünglich gut begreift, als „bonus profecto quoniam a bono factus“ (De div. praed. 17, 8), kann sich nicht vorstellen, dass Gott Schlechtes geschaffen oder gar vorherbestimmt hat: „peractum, ni fallor, et peccata et poenas nec a deo fieri nec ab eo praesciri vel praedestinari“. (De div. praed. 15, 9) Aus dieser Beziehung von Schöpfer und menschlicher Kreatur als Urbild und Abbild in neuplatonischer Denktradition folgt weiter, dass es die Vernunft ist, die ihm als Inbegriff der Gottesebenbildlichkeit gilt, mittels derer dem Menschen ein Berühren Gottes als „aeternus intellectus“ möglich ist: „deum rationis intuitus attingit“. (De div. praed. 2, 4) Nur vor diesem Hintergrund konnte später die Scholastik als Anwendung der Logik auf die Theologie entstehen, die ratio die auctoritates als Beweise für Glaubenswahrheiten ablösen. Rationalität und Aktivität sind die beherrschenden Züge des Menschenbildes bei Eriugena. Die Willensfreiheit des Menschen kommt diesem einerseits als Gottesgeschenk zu (De div. praed. 4, 2), ist aber gleichzeitig etwas, auf das er selbst hinstrebt. („appetitus liberi arbitrii“, ibid.) Denn der Ire versteht die Annahme dieses Gottesgeschenkes als aktive Zustimmung, die eine Mitwirkung des Menschen voraussetzt. „Neque enim dona sunt, quae non voluntate sed necessitate fiunt, cum omnibus sapientibus et insipientibus notissimum sit omnia quae donantur et voluntate donantis largiri et voluntate accipientis percipi“. (De

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div. praed. 4, 2) 191 Gottes Geschenk der Willensfreiheit an den Menschen wird auf diese Weise als ein Akt gedeutet, der das Vorhandensein eines freien Willens und Freiwilligkeit auf beiden Seiten voraussetzt. Der Mensch als imago Dei verfügt demnach ebenso über ein liberum voluntatis arbitrium wie sein Urbild. Gleichzeitig wird die Prädestination ausgeschlossen: das Vorhandensein einer Willensfreiheit auf Seiten Gottes und der Menschen ist ein wesentliches Gegenargument. Labor ist bei Eriugena als Kampf zur Verteidigung eines gottgemäßen Lebens und damit als Zeichen und Anfang der jenseitigen Glückseligkeit verstanden: wer eine so weitreichende Heilswirksamkeit der menschlichen Aktivität im Diesseits annimmt, der bereitet den Boden für eine Vorstellung vom menschlichen Leben, die allen menschlichen Betätigungen, seien sie intellektuell oder handwerklich, einen hohen Wert, eine tiefe Dignität vor Gott beimisst. Für die Verbreitung einer solchen Sichtweise ist nicht allein die – zugegeben sehr begrenzte – Verbreitung der Schrift des Eriugena in Anschlag zu bringen, sondern auch der Denkhorizont seiner Auftraggeber, des Erzbischofs Hinkmar von Reims als Vertreter der karolingischen Geistlichkeit und des Königs als „rex christianissimus“ 192 , der das Gutachten billigte. Beide, Herrscher und geistlicher Berater, wollten nicht hinnehmen, dass ihre Verdienste im Diesseits, die Bemühungen um die Christianisierung der Gesellschaft, um die Anhebung der kulturellen Standards zur Vertiefung des Glaubens, vor Gott bedeutungslos wären. Sie und nicht allein der Philosoph als Autor, prägten die Haltung einer zunehmend selbstbewussten und tatkräftigen christlichen Gesellschaft.

2.6 RATHER VON VERONA (887–974): ARBEIT ALS INBEGRIFF DES CHRISTSEINS Rather von Verona, der streitbare Bischof von Verona und Lüttich, der während seines langen Lebens immer wieder berufliche Rückschläge zu verwinden hatte, vertiefte diese Verdienstethik noch, derzufolge menschliche Leistungen im Diesseits für die Entscheidung im Jüngsten Gericht durchaus nicht unerheblich seien. Dies ergibt sich vor allem aus seinem 934–6 im Gefängnis zu Pavia verfassten Hauptwerk, den sog. Praeloquia (ed. P. L. Reid) 193 , einer an die verschiedenen Stände und Berufe gerichteten christlichen Morallehre, die in die frühmittelalter191 „Das sind keine Geschenke, die nicht willentlich, sondern aus Notwendigkeit gemacht werden. Denn allen Wissenden und Unwissenden ist bekannt, dass Geschenke mit dem Willen des Schenkenden gegeben und mit dem Willen des Empfangenden angenommen werden.“ 192 Zur herrscherlichen Selbstdarstellung vgl. N. Staubach, Rex christianus. Hofkultur und Herrschaftspropaganda im Reich Karls des Kahlen, Teil 2: Die Grundlegung der „religion royale“, Köln/Weimar/Wien 1993. 193 Vgl. auch die Übersetzung von P. L. Reid, The Complete Works of Rather of Verona, Binghamton 1991, p. 21–208.

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lichen Vorstellungen um Sinn und Funktionen von Arbeit und deren Verhältnis zur menschlichen Willensfreiheit einführt. Bevor wir in die inhaltliche Analyse eintreten, einige Angaben zur wechselvollen Biographie des Autors, der die aufblühenden Städtelandschaften Lotharingiens, Südfrankreichs und Oberitaliens erlebte. Rather, ein Oblate, der aus vornehmer Familie stammte und dem Kloster Lobbes im Hennegau zur Erziehung anvertraut worden war, kam 926 mit seinem Abt Hilduin nach Italien an den Hof König Hugos, der ihn nach einigem Widerstreben 931 zum Bischof von Verona ernannte. Bald jedoch kam es zum Konflikt mit Hugo, weil Rather wohl nicht zu Unrecht der Parteinahme für Herzog Arnolf von Bayern bezichtigt wurde, der 933 Verona besetzt hatte und ebenfalls Anspruch auf die Königswürde in Italien erhob. Hugo jedoch schlug den Gegenspieler in die Flucht und bestrafte den angeblichen Mitverschwörer Rather, indem er ihn seines Amtes enthob, einkerkerte und ab 936 in die Verbannung nach Como schickte. Erst 939 wieder freigelassen, zog Rather einige Jahre als Wanderlehrer in der Provence umher, bis er 944 nach Lobbes zurückkehrte. Zwei Jahre später setzte König Hugo ihn wieder als Bischof ein, wo er sich freilich wieder in Zwistigkeiten mit Adel, Klerus und König Lothar verstrickte und nach nur zwei Jahren sein Amt erneut verlor. Nachdem er wiederum in Lobbes Zuflucht gefunden hatte, berief ihn Otto I. 953 an seine Hofschule, um als Erzieher seines Bruders Brun tätig zu werden, ja er ernannte ihn zum Dank sogar 953 zum Bischof von Lüttich. Doch wieder hielt Rather es nicht lange aus: nach zwei Jahren hatte er die Feindschaft der Grafen von Hennegau auf sich gezogen und musste 955 resignieren. Daraufhin lebte er bei Erzbischof Wilhelm von Mainz, dann als Abt des kleinen Klosters Aulna bei Lüttich. Als Otto I. nach Italien zog, setzte er Rather 962 wieder als Bischof von Verona ein. Doch wiederum scheiterte Rather: es gelang ihm nicht, die Moral des Klerus zu heben und er verstrickte sich in Konflikte mit dem lokalen Grafen. Nach einem gegen ihn geführten Prozess zog sich Rather 968 in seine Heimat zurück, wo er vergeblich mehrere Klöster zu reformieren suchte, 970/1 nochmals Abt von Lobbes war und die letzten Jahre im Kloster Aulna verbrachte. Dieses an Kämpfen und Niederlagen reiche Leben spiegelt sich auch in seinen Schriften. Die Praeloquia, die den Untertitel „Liber agonisticus“ (Kampfbuch) tragen, sollen allen Christen als Handreichung dienen, das Ringen mit den Versuchungen des Teufels siegreich zu bestehen, wie Rather in der Vorrede ausführt. Er habe in seinem Buch zusammentragen wollen, wessen ein „athleta Dei“ bedürfe, um sich rechtens die Siegeskrone zu erwerben. Dieses gleichsam „sportliche“ Vokabular, das den Christen zum Olympioniken, zum Kämpfer gegen die Laster stilisiert, gebrauchte Rather aus eigener Betroffenheit, denn er schrieb die Praeloquia aus eigenem Bekunden „mei [...] causa“ (Prael. praef.). Der Leser möge bemerken, welche Zwangslage, welche Angst, welches Unglück (angor, calamitas, necessitas) ihn zum Schreiben bewogen habe. (Prael. VI, Z. 1003) Doch die Schrift hat nicht nur ein autobiographisches, sondern auch ein didaktisches Motiv: Rather hielt sie gleichzeitig für „plurimis necessarium“, da sie die Starken zum Kampf auffordere, die Zerbrochenen aufrichte und wiederherstelle. Das agonale

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Vokabular entstammt der monastischen Sphäre, in der die militia Christi des Mönches gegen die Versuchungen zentrales Anliegen war. Es gebe, so Rather, christliche Vorschriften, die alle ordines beträfen, und solche, die „specialiter singulis pro temporum, ordinum, conditionum, etatum, morum, affectuum, sexuum sive causarum diversitate“ einzelne Gruppen beträfen. (Prael. I, Z. 2−5) Am Schluss der Vorrede gibt er daher ein Inhaltsverzeichnis, das die gesellschaftlichen Gruppen aufzählt, denen die Kapitel seines Werkes jeweils in besonderer Weise gewidmet sind: Zunächst wende er sich an alle Privatpersonen, dann im besonderen an die Kämpfer (milites), die Handwerker und Künstler, die Ärzte, Kaufleute, Rechtsanwälte, Richter, Zeugen, Verwalter, Gutsbesitzer, Tagelöhner, Berater, Herren, Diener, Lehrer, Schüler, Reiche, Mittlere und Bettler. Es sind also nicht nur Berufsgruppen zusammengefasst, sondern auch soziale Schichten, es fehlen in diesem Verzeichnis aber die Geistlichen. Dies ist erstaunlich, denn im Buch III des Werkes tauchen sie sehr wohl unter den Söhnen der Kirche auf. Hier zeigt Rather, dass sich sein Gesellschaftsmodell bereits eng mit der etwa ein Jahrhundert jüngeren Dreiständelehre des Bischofs Adalbero von Laon (977–ca. 1030) berührt, der eine funktionale Dreiteilung der Gesellschaft in laboratores, milites und oratores vorsah. 194 So heißt es etwa: „omnes autem ecclesiae filii […] aut de sorte sunt Domini et appellantur clerici et monachi, aut sunt Ecclesiae famuli, episcopi vero confamuli, aut laboratores, servi et liberi, aut milites regni.“ (Prael. III, Z. 720−728) 195 Gleichzeitig spiegelt sein Werk aber auch eine erhebliche soziale Mobilität wider: er beschreibt z. B.: „nonne vides, obsequio contingat aut quolibet ingenio, multos hodie non modo mereri libertatem, verum et ipsam dominorum nancisci hereditatem, nobilique quamquam impari interveniente conubio, servorum dominicae persepe etiam preferri propaginem?“ (Prael. I, Z. 776−780) Durch Gehorsam oder aufgrund von Begabung gelänge es sehr häufig Unfreien, nicht nur die Freiheit sich zu verdienen, sondern auch die Erbschaft ihrer Herren anzutreten, denn diese zögen eine ungleiche Heirat mit Unfreien, mit denen sie auch Kinder zeugten, oft derjenigen mit ihresgleichen vor. In einer solch mobilen städtischen Gesellschaft, wie sie Rather sowohl in Lüttich wie im bereits von der kommunalen Bewegung erfassten Norditalien vorfand, entstanden seine Werke. Lotharingien gehörte in dieser Zeit zu den prosperiendsten Regionen Europas. Sein Reichtum war nicht zu übersehen. Die Geldwirtschaft florierte, Metall- und Salzproduktion bewirkten Wohlstand. Verdun war ein Fernhandelszentrum, das 194 Zur sozialen Schichtung der mittelalterlichen Gesellschaft: M. Mitterauer, Probleme der Stratifikation in mittelalterlichen Gesellschaftssystemen, in: Theorien in der Praxis des Historikers, ed. J. Kocka, Göttingen 1977, p. 13–43 und die Arbeiten von O. G. Oexle, Die funktionale Dreiteilung der Gesellschaft bei Adalbero von Laon, in Frühmittelalterliche Studien 12, 1978; Soziale Gruppen in der Ständegesellschaft. Lebensformen des Mittelalters und ihre historischen Wirkungen, in: Repräsentation der Gruppen, edd. O. G. Oexle/A. v. Hülsen-Esch, Göttingen 1998, p. 9–44. 195 „alle Söhne der Kirche sind entweder Kleriker und Mönche oder Diener der Kirche, Bischöfe oder Arbeitende, Knechte und Freie, oder Soldaten des Reiches.“

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besonders am Sklavenhandel verdiente. Die Plünderungen der Normannen und Ungarn verweisen darauf, dass die Zeitgenossen hier Beute witterten. Die zahlreichen Klöster des Landes hielten die Kultur am Leben, und ausgehend von Brogne und Gorze regte sich eine Reformströmung, die sich womöglich in den Praeloquia spiegelt. Die Bischofskirchen pflegten eine bis in die Spätantike zurückreichende städtische und kulturelle Tradition, die einen intellektuellen Aufschwung ermöglichte. Lüttichs Domschule, aus der Rather hervorging, hatte ein hohes Niveau. Gleiches gilt für Oberitalien: Das seit der Antike als Bischofsstadt kontinuierlich existierende Verona, dessen römisches Straßennetz bis heute erhalten ist, war ins prosperierende mittelmeerische Handelsnetz eingebunden und profitierte davon. Geldwirtschaft, Bevölkerungswachstum, Differenzierung handwerklicher Tätigkeit mag hier früher als anderswo zur Entstehung eines „Könnensbewusstseins“ beigetragen haben, wie es Christian Meier einst für das Athen des 5. Jh. v. Chr. konstatierte. 196 In diesen Kontext passt Rather Kernaussage, die programmatisch wiederkehrt: Arbeit ist die Verwirklichung gottgegebener Talente und stellt daher die vornehmste Aufgabe des Christen dar. Verfolgen wir diese Grundidee im einzelnen: Am Anfang des Werkes steht gleichsam als Überschrift, gerichtet an alle Privatpersonen, die Aufforderung: „Willst Du ein guter Christ sein […] dann sei nicht nur ein gerechter, sondern auch ein beständiger Arbeiter, mit dem Deinen zufrieden, niemanden betrügend, niemanden verletzend, niemanden tadelnd oder anklagend.“ (Prael. I, Z. 26−30) Dass die Ermahnung zur Arbeit am Beginn der Praeloquia, am Beginn der an alle Christen gerichteten Morallehre steht, zeigt, welch herausgehobene Bedeutung diese Empfehlung für Rather hatte. Arbeit erscheint hier als Inbegriff des Christseins, der Christ verwirklicht sich in ihr. Diesen Stellenwert weisen der Arbeit auch andere Schriften des Bischofs zu, in denen es etwa heißt: „Arbeite mit Hilfe Gottes, damit du nach dem Tod in den Himmel gelangst.“ (Contra reprehensores sermonis eiusdem 93) Die Heilswirksamkeit verschiedenster Formen von Arbeit, die in beiden Kontexten nicht weiter spezifiziert werden, könnte nicht deutlicher ausgesprochen werden. „Quid prodest illis nisi labor“? fragt sich Rather an anderer Stelle der Praeloquia (Prael. I, Z. 665) mit einem Zitat aus dem Ecclesiastes. Dazu gehört auch die Handarbeit, wie Rather mit Bezug auf Psalm 127 ausführt: „Labores manuum tuarum quia manducabis; beatus es et bene tibi erit.“ (Prael. I, Z. 1164) So überrascht es nicht, dass auch der Schluss der Praeloquia (Prael. VI, Z. 715) diesem Thema gewidmet ist: „pro diversitate operum“ würden die Menschen am Jüngsten Tag gerichtet, nach Maßgabe ihrer Werke. Daher ruft Rather noch einmal alle Christen auf, besonders ein biblisches Gleichnis und seine Deutung aufmerksam zu betrachten: das Gleichnis von den Talenten. Alle, die Anteil am Gottesreich gewinnen wollten, welchen Standes sie seien, welchen Alters, welchen Berufes (professio), ob Sünder oder Gerechte, ob Kleriker, ob Laien, „nullo relicto, nullo excepto“ sollten die Ohren ihres Herzens jener Parabel zuwenden, die der Herr selbst vorgestellt habe. Niemand könne sich entschuldigen, kein Talent emp196 C. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt/Main 1980, p. 469ff.

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fangen zu haben, denn auch die Schwäche sei mitunter ein Geschenk. „Hat einer Weisheit? Dies ist das größte Talent. Hat einer Reichtum? Dieser ist geringer, aber geeignet zum Spenden. Beherrscht er ein Handwerk? Damit kann er sein Talent sehr nützlich vervielfältigen. Hat er eine Stellung bei einem Fürsten oder Patron? Was er nicht selbst erreichen kann, mag er aus dessen Talent bewirken. Fehlt ihm alles? Dann hat er doch das Leben; möge ihm ein guter Wille gegeben sein, dann wird er keinen geringen Gewinn einsammeln.“ Die Verpflichtung, mit den von Gott erhaltenen Gaben und Begabungen so umzugehen, dass sie sich vermehren, ist bezeichnend für das Denken Rathers, dem wahrscheinlich das aufblühende städtische Leben in Italien vor Augen stand. Auch der enge Zusammenhang von menschlichem Willen und Arbeit, der uns schon bei so vielen frühmittelalterlichen Denkern begegnet ist, findet sich hier wieder. Rather sieht im labor, in der Bemühung, die Gottesgeschenke nicht nur zu bewahren, sondern aktiv zu ihrer Vermehrung beizutragen, den Inbegriff christlicher Lebenseinstellung. In welchem Bereich, in welchem Beruf diese Vermehrung stattfindet, ist dabei nachrangig. Zwar wird die Weisheit als die höchste Begabung qualifiziert, doch haben auch die Handwerker ihren Nutzen und werden keineswegs deshalb diskriminiert, weil sie sich der Handarbeit widmen. Indem Rather nicht nur die Heilswirksamkeit jeder Berufsarbeit vertritt, sondern gleichzeitig die spezifische Veranlagung der Menschen einbezieht, vermeidet er es, eine Hierarchie der Tätigkeiten zu entwerfen. Alle Talente kommen von Gott, und es kommt darauf, sie zu verwirklichen. Wenn also am Anfang und am Ende der Praeloquia eine Aufforderung zur Arbeit steht, und diese als Verwirklichung des guten Willens in einer christlichen Lebensform dargestellt ist, dürfen wir hierin das Leitmotiv des Werkes sehen. Gott habe den Menschen vorhergesagt: „quod in sudore vultus tui vesceris pane tuo“. (Gen. 3, 19) Der Träge verfehlt für Rather das Himmelreich, daher schärft er immer wieder ein: „Si piger vel deses fueris, perdas gloriam fortiter laborantibus in futuro promissam“, „Wenn du faul bist, verlierst du den Ruhm, der denen, die kräftig arbeiten, in der Zukunft verheißen ist.“ (Prael. I, Z. 976) „Labora, sere, congrega; nullas dederis ferias, nullum tibi colludium, nullam pausam, nullum tempus indulgeas vacationi, sed insiste omnimodis sationi, ne desit quod afferas triturationi“, „Arbeite, säe, sammle, gönne dir keine Pause, keine Zeit für Spielereien, sondern säe, damit es dir nicht an Getreide zum Dreschen fehle.“ (Prael. V, Z. 661−664). Die unablässige Arbeit des Säens, des Ackerbaus wird als Form der Dankbarkeit gegenüber Gott als dem „largitor“ beschrieben, wobei die agrarische Tätigkeit als Sinnbild für menschliche Tätigkeit überhaupt steht. „Pone modum nunc vacationi, et insiste piae laborationi“. (Prael. II, Z. 1069) Die Wahl des seltenen Abstraktums „laboratio“ in Analogie zu vacatio, die antik nur als Hapaxlegomenon bei dem Fachschriftsteller Frontinus überliefert ist, zeigt, wie wesentlich dieser Gegensatz von Arbeit und Muße für Rather war. Der Herr solle den Menschen nicht „frigidum a caritate nec vacantem […] a bono opere“, „kaltherzig und faul“, vorfinden. (ibid.) Innere Haltung und gute Werke müssten übereinstimmen, um ein christliches Leben zu führen. Das Arbeiten „propter inanem seculi gloriam“ (Prael. VI, Z. 126) reiche nicht aus, alles müsse „humiliter, non superbe,

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propter remunerationem eternam“ geschehen: der Geist, in dem gearbeitet wird, ist Rather ebenso wichtig wie das Arbeiten selbst. Die Werke, so wird es später auch Abaelard sehen, allein reichen nicht aus, es komme auf die intentio recta an. „Non pro inani gloria sed pro dei iussione et communis naturae consideratione“, „nicht aus eitler Ruhmsucht, sondern auf Gottes Befehl und unter Berücksichtigung der allen Menschen gemeinsamen Natur“ sollten die Menschen Gutes tun, so Rather in einer Predigt. (s. 2, p. 71) Die soziale Verpflichtung auf das Gemeinwohl wird in einem Atemzug mit dem Befolgen der Gebote Gottes genannt, hat für den Autor einen hohen Stellenwert. Die Motivation einer Handlung ist auch für die Buße wichtig: eine innere Umkehr ist nach Rather zwingend erforderlich, die im Frühmittelalter übliche Tarifbuße nach den Vorschriften der Bußbücher reichte ihm nicht mehr. Ohne eine echte innere Reue konnte es für Rather keine Gnade geben: die sittliche Anstrengung (labor) verfehlt ihr Ziel, wenn die innere Umkehr (conversio) ihr nicht vorausgegangen ist. Niemand habe je „per poenitentiam sine conversione veniam consecutum“. (Dial. conf., Z. 831) Diese Betonung der inneren Einstellung im Unterschied zu rein äußerlichen Bußleistungen ist etwas für das 10. Jahrhundert ungeheuer Modernes, dessen volle Ausprägung in der intentionalen Ethik Abaelards zweihundert Jahre später erreicht wird, wie noch zu zeigen sein wird. 197 Rather erweitert die im monastischen Denken angelegten Rechtfertigungen für Arbeit, die er übernimmt, zu einer umfassenden Arbeitsethik des Christentums. Arbeit ist auch für ihn, wie wir es schon bei Cassian und Hrabanus Maurus kennengelernt haben, weiterhin Askesemittel, Voraussetzung für caritas und Autarkie: „Ve autem tibi, si tuo potes vivere labore, et alterius frueris desidia torpens opere […] labora manibus, unde et te et alios valeas sustentare.“ (Prael. I, Z. 1520−1525) 198 Zur Erläuterung des Paulusbriefes an die Thessalonicher (2. Thess. 3, 10) „Qui non vult operari nec manducet“, „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, formuliert er: „Labora, itaque, dico, fruere, eroga, disperge“, „labori insiste, ut habeas, quod possis erogare, et non sit opus servare.“ (Prael. I, Z. 1166−1169) 199 Und er zitiert sogar die Benediktsregel (48), wenn es um die Frage des Müßiggangs geht: „otiositas enim, si non certis diebus mei causa ‚inimica est animae’“, „denn Müßiggang – es sei denn an bestimmten Tagen um meinetwillen – ist der Feind der Seele“. (Prael. I, Z. 1169) Doch Arbeit wird jetzt weniger in ihrer Funktion für andere christliche Tugenden wie caritas oder Keuschheit gesehen, sondern in sich selbst als Wert erkannt, stärker auf die als Gottesauftrag gesehene Selbstverwirklichung des Menschen und seiner Begabungen bezogen, wie vor allem das abschließende Gleichnis von den Talenten zeigt. Auch das biblische Bild der Arbeiter im Weinberg wird herangezogen, um zu demonstrieren, dass Arbeit eine Berufung sei, und wie 197 Zur Entwicklung der kirchlichen Bußvorstellungen: A. Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2000, p. 630–658. 198 „Wehe dir aber, wenn du von deiner Arbeit leben kannst, und faul von fremder Arbeit lebst; […] arbeite mit den Händen, damit du dich und andere erhalten kannst.“ 199 „Arbeite, sage ich, genieße, erbitte, verteile“, „arbeite nachhaltig, damit du etwas verteilen kannst und es nicht behalten musst.“

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sich Gott als „paterfamilias“ die menschliche Entwicklung in der Arbeit vorgestellt habe. (Prael. II, Z. 605) “Iuxta humanitatem quam tui gratia accepit, proficere voluit, ut tibi, unde proficere deberes, monstraret, immo ut proficeres ipse prestaret. Scito itaque et tu, patremfamilias adesse, et te ad vineae culturam tanto studiosius vocare, quanto iam et membra corporis ad laborandum et sensus ad intellegendum videntur crescere mentis.“ 200 Die Arbeit im Weinberg wird hier nicht nur als Berufung definiert, sondern auch als allmähliche Entfaltung der menschlichen Körper- und Verstandeskräfte, ein geradezu pädagogischer Ansatz, der den profectus des Menschengeschlechts als Absicht Gottes darstellt. Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben – eine Vorstellung, die bereits in den Georgica Vergils angelegt war, die die Schwierigkeit der Arbeit als Ansatzpunkt für die Entfaltung der artes sahen. Jupiter habe die mühevolle Arbeit in die Menschenwelt gebracht, damit die Menschen daran die Entwicklung neuer Fertigkeiten, Techniken und Künste erlernten: „ut varias usus meditando extunderet artes.“ (Georg. I, 133) Vor diesem Hintergrund, insofern Arbeit gleichsam die Herausforderung ist, welche die volle Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten ermöglicht, ist auch der Lohngedanke Rathers folgerichtig: „Iuxta beati apostoli sententiam unusquisque in nostra ecclesia propriam mercedem secundum suum reciperet laborem“: Die Arbeit entscheidet demnach über das Heil: der Mensch kann und muss dabei mitwirken! (Iudicatum, ed. Weigle, p. 25) Nachdem wir so die zentralen Anliegen Rathers umrissen haben, soll eine Interpretation von Einzelstellen weiteren Aufschluss über seine Einstellung zur Arbeit bringen. Fragen wir zunächst nach seiner Begrifflichkeit. Der Terminus „labor“ ist ebenso weit gefasst wie später bei Abaelard. Er kann geistige Tätigkeit bedeuten, 201 die Bekehrungsarbeit des Apostels (Prael. I, Z. 377), aber auch, wie bei Hrabanus und später bei Abaelard, die moralische Anstrengung, mit der man sich gegen Verfehlungen wehrt. 202 Hier zeichnet Rather das wechselvolle Schicksal der Christen – nach dem Vorbild seines eigenen, an Rückschlägen reichen Lebens – nach, die sich bemühen, wieder zurückfallen, erneut aufstehen und doch nie auf Dauer gut sind. Nicht minder bezeichnet labor agrarische Tätigkeiten, die freilich oft mit dem Ringen um moralische Vollkommenheit verglichen werden: „non sunt enim triti-

200 „Gemäß der Menschennatur, die er deinetwegen annahm, möchte er, dass du Fortschritte machst, um dir zu zeigen, warum du fortschreiten musst, ja, um dir selbst den Fortschritt zu ermöglichen. Wisse also auch du, dass es einen Vater gibt, der da ist und dich zur Arbeit im Weinberg umso deutlicher ruft, als deine Glieder zur Arbeit und deine Sinne zur Erkenntnis wachsen werden.“ 201 quae a doctoribus precipuis alii maximo vix percepissent labore (Phrenesis prooem., Z. 71); qui apponit scientiam, apponit laborem (De translatione S. Metronis 12, Z. 44). 202 conor enim meliorari et vincor laboro et deficio surgo et relabor numquamque in boni alicuius statu permaneo (De otioso sermone 157).

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cea ut leviter valeant spoliari sed ordeacea ad quorum medullam vix possit labor studiosissimus pervenire.“ (De translatione S. Metronis 12, Z. 47) 203 Die laboratores, im Ständemodell Rathers als eigene Gruppe aufgeführt, stehen also gleichzeitig für die gesamte Christenheit: alle sollen ihr Werk vollbringen. Denn darauf kommt es an: “Verum quia eadem fides licet constantissima si non habeat opera mortua est in semetipsa, exerceamus agrum cordis laboribus caritatis“. (Pauca de vita S. Donatiani, Z. 158) Glauben, der sich nicht im Handeln zeigt, ist tot. Ob auch Rathers Persönlichkeit – er war, wie die Werke zeigen, von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen geplagt – Einfluss auf seine Auffassungen hinsichtlich der Arbeit gewann, lässt sich nur mutmaßen, nicht stringent beweisen. Viele Textstellen dokumentieren das mangelnde Vertrauen in sich selbst: die Wechselfälle seines Lebens 204 gaben ihm Anlass dazu, an seiner Würdigkeit zu zweifeln, Zugang zum Himmelreich zu finden. Der Mensch wisse nicht, ob er des Hasses oder der Liebe würdig sei, sondern alles bliebe bis zum Jüngsten Gericht unsicher. (Dial. conf., Z. 890) Er sorgte sich um seine mangelnde Ausdauer („de obduratione mea pavesco“ ibid.), klagte sich an, nicht aus Liebe zu Gott, sondern aus Furcht vor der Hölle zu handeln, eine bedenkliche Haltung vor allem vor dem Hintergrund der geschilderten Bedeutung, die er der recta intentio für das Heil beimaß. (Dial. conf., Z. 586) „Spero in Deo, despero de me ipso […]. Despero enim, quia, quod scio faciendum mihi, neque saltem incipio“, „Ich vertraue auf Gott, verzweifle aber an mir selbst, weil ich meine Aufgabe nicht einmal begonnen habe.“ (Dial. conf., Z. 583). Er fürchtete, gegenüber der selbstgestellten Aufgabe zu versagen. Auffällig bei der Lektüre der Werke Rathers ist die resignative, gelegentlich sogar von Selbstmitleid gekennzeichnete Grundstimmung, die die mutmaßliche Vergeblichkeit der eigenen Arbeit und Bemühung durch die häufige Verwendung der Adjektive vanus und inanis kennzeichnet. Um nur einige Beispiele zu nennen: „Inaniter vero utrum laborem, nescio“ (Dial. conf., Z. 582), „quid vero laboro, cum nihil me proficere video? (ibid., Z. 1586). Auch die Briefe künden davon: im Herbst 951 beklagt er seine Vertreibung aus dem Bischofsamt in Verona: „omnium miserationi expositus […] huc usque inaniter laborando [...]“ bleibe ihm keinerlei Zuflucht mehr. (ep. 9) In einem im Winter 960/1 verfassten Brief an Brun, den Bruder Ottos I., in dem er auf eine Einladung zu einer Synode in Regensburg antwortete, wo über seine Wiedereinsetzung beraten werden sollte, heißt es: „toties nitens totiens repulsus […] da huic [...] inani labore reniti“. (ep. 14) In einem Schreiben an Bischof Odalrich von Bergamo klagt er mit einem Zitat aus Eccl. 34, 28 über die Unzuverlässigkeit seiner Diener: „Quid prodest, si faber optimus instrumenta illius sint pessima? Unus edificans et alius destruens quid 203 „sie sind nicht aus Weizen, der sich leicht spalten lässt, sondern aus Gerste, zu deren Kern man kaum mit härtester Arbeit vordringt.“ 204 conor enim meliorari et vincor laboro et deficio surgo et relabor […] despero sperans spero desperans fido diffidens diffido confidens […] sed diffido me inveniri posse […] dignum (De otioso sermone 157).

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prodest huiusmodi labor?“ 205 Das Bild vom Bauen eines Hauses begegnet auch in einem Gebet, das betont, ohne Gott arbeiteten die Menschen vergeblich: „Wenn du, Gott, die Augen nicht öffnest, ist die Mühe umsonst, die wir aufwenden […] wenn Gott das Haus nicht baut, arbeiten diejenigen vergeblich, die es bauen.“ (Oratio, p. 190) Gott muss menschlicher Arbeit das Gelingen schenken, sonst bleibt sie vergeblich. Er teilt dieses Schicksal immerhin mit dem Apostel Paulus, der im Brief an die Galater (4, 10–11) schrieb: „timeo ne sine causa laboraverim in vobis“. (Prael. I, Z. 380) Wir kommen auf dieses Problem des „Frustrierten“ und seine Auswirkungen auf das Denken Rathers zurück. Jenseits des zentralen Gedankens der Gefährdung und Vergeblichkeit menschlicher Anstrengungen begegnen bei Rather negative Konnotationen des Begriffs, die seine Nähe zu den Bedeutungsbereichen Sünde, Strafe, Buße im Sprachgebrauch des Autors zeigen. „Sub fasce laborum [...] gemere, suspirare [...] maculis connexissimae retis ligari“ (Dial. conf., Z. 982), so empfand er sein Leben als Stöhnen und Seufzen unter der Peitsche der Mühen, der „Verstrickung“ in sündhaften Makel. „Labor“ war für ihn Leiden an Krankheiten (Prael. I, Z. 781) und Lastern (Dial. conf., Z. 1297), aber auch an körperlicher Lust, die er als Sünde empfand (ibid., Z. 1070). Erst den Siebzigjährigen „kitzele“ die „carnis concupiscentia“ beinahe nicht mehr, die ihn zuvor unendliche Nächte gequält habe. (ibid.) Labor assoziiert er darüber hinaus mit Unglück (labor infortunii, Prael. VI, Z. 999) und mit dem Laster, ja der Seuche, seelischer Unruhe (Dial. conf., Z. 1495, 1562), „saeva inquietudinis peste labores“ (Prael. I, Z. 1250), sei es Sorge oder Trauer, seien es aufwühlende Gedanken wie das Schwanken zwischen Liebe und Furcht. (ibid.) Erst im Jüngsten Gericht werde Gott, der paterfamilias, all dies Leiden betrachten. (Prael. I, Z. 893) Immerhin haben die Menschen die Chance, diese seelischen Aufwallungen mit Mäßigung zu beherrschen (Prael. III, Z. 145). Sie haben die Möglichkeit, durch Entwicklung der vier Kardinaltugenden, die Rather hier im Zusammenhang und in Anlehnung an Isidor von Sevilla darstellt, der Sünde zu entfliehen. „Iustitia est […] habitus animi pro communi utilitate servatus […]. Prudentia est rerum bonarum malarumve verax scientia. Temperantia est adversum libidines aliosque non rectos impetus animi firma et moderata dominatio […] Fortitudo est considerata periculorum susceptio et laborum firma perpessio.“ (ibid.) 206 Das Erleiden von labores als Mühen, Krankheiten, Anfechtungen, Versuchungen macht den Kern des Begriffsspektrums aus. Aber labor ist, wie diese Stelle zeigt, nicht nur gleichsam defensiv gemeint, als das Bedrückende der Anforderungen, sondern beinhaltet auch die Möglichkeit, sich unter diesem Druck zu bewähren, Tugenden zu entwickeln. Diese produktive Seite des labor ermöglicht Junkturen wie „labor caritatis“ als Definition der Lebensaufgabe des 205 „Was nützt es, wenn der Handwerker gut ist, seine Werkzeuge aber unzulänglich sind? Der eine baut, der andere reißt nieder – was nützt solche Arbeit?“ (ep. 19) 206 „Gerechtigkeit ist eine Geisteshaltung, die für den gemeinen Nutzen bewahrt wird. Klugheit ist das Wissen um Gut und Böse. Mäßigung ist die Beherrschung der Affekte und Leidenschaften. Tapferkeit ist das wohlbedachte Eingehen von Risiken und das feste Ertragen von Mühen.“

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Menschen: „exerceamus agrum cordis laboribus caritatis, Deo videlicet sua proximis exhibentes competentia, ut et spe inconcussa ad illa iure valeamus suspirare praemia, quae nobis ad Deo in futura sunt vita promissa.“ (Pauca de vita S. Donatiani, Z. 158) 207 Der Kontrast des labor saeculi zur Stille des Klosters (Prael. V, Z. 626) bildet den Hintergrund des Kontrasts zwischen aktiver und kontemplativer Lebensform, den Rather wie vor ihm Isidor von Sevilla und Hrabanus in Gestalt der biblischen Figuren Rachel und Lea (Gen. 29, 17) nachzeichnet, um so die unterschiedlichen Anforderungen des bischöflichen Lebens zu beschreiben, die durchaus nebeneinander Bestand haben sollten. 208 Auch seine Predigt über Maria und Martha stellt „duos ritus vivendi“ als durch diese beiden seligen Schwestern vorgeprägt dar (Sermo de Maria et Martha, p. 145). Hier wird „studere vel laborare“ gleichgesetzt als Lebensweise der Martha, die „actitandi frequentia“ dem Herrn gedient habe, und gegenübergestellt der Maria, die zu Füßen des Herrn auf dessen Worte gelauscht habe. Beide Arten, Gott zu dienen, sieht Rather als wertvoll an, ohne die antike Bevorzugung der kontemplativen Lebensform weiterzuführen. In anderem Zusammenhang jedoch subsistiert eine antike Bewertungsform der Arbeit: sie begegnet auch bei Rather noch im Kontext von Knechtschaft und Unfreiheit, obwohl sie andererseits auch mit den opera bona in Zusammenhang gebracht werden kann: „peris vero in deserto si non perseveras in labore et opere bono“ (Synodica, p. 126) Zum Tag des Herrn heißt es in einer Predigt: „deshalb heißt der Tag Tag des Herrn, weil er der Ruhe von der Arbeit gewidmet ist, d. h. von der knechtischen Arbeit, d. h. von der Sünde oder Beschwernis, und dem Dienst am Herrn geweiht. (Sermo in cena domini, p. 104) Der Gottesdienst wird im Gegensatz zum servile opus als „libertatis opus“ bezeichnet. (ibid., p. 103) Nach Hiob 5, 7 ist der Mensch für Rather wie schon für Gregor den Großen und Hrabanus Maurus zur Arbeit geboren; „labor vero magis servituti quam libertati videtur congruere“, diese wiederum ist eher für Unfreie als für Freie angemessen. Eine noch ganz antike Einschätzung! Die gesellschaftliche Ungleichheit und Unfreiheit ist Rather nach wie vor eine Folge der Erbsünde: „Propter peccatum […] primi hominis humano generi pena divinitus illata est servitutis, ita ut quibus aspicit non congruere libertatem, his misericorditer irroget servitutem; et licet ,hoc per peccatum contigerit’ originis, tamen equus Deus ita discrevit hominibus vitam, alios servos constituens, alios dominos, ut licentia male agendi servorum potestate dominorum restringatur.“ (Prael. 207 „Bebauen wir den Acker des Herzens mit den Werken der Liebe Gott und den Nächsten gegenüber, damit wir unverzagt rechtens auf den von Gott in Zukunft verheißenen Lohn hoffen dürfen.“ 208 te docuit, […] activae vitae per exercitia pastoralis sollicitudinis uberes operum fetus gignere, per intentionem vero etheriae contemplationis speculativa semper Deo debes quae sunt querendo, sapiendo vel amando inherere?, „Hat sie dich gelehrt, reiche Früchte des aktiven Lebens zu bringen, indem du die Sorge des geistlichen Hirten ausübst, und durch die Anspannung der Kontemplation stets der Schau Gottes dich zu widmen im Forschen, Wissen und Lieben?“

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I, Z. 982−988) 209 Die Unfreiheit wird dabei als Akt des Mitleids Gottes bemäntelt, die er denjenigen, denen die Freiheit nicht angemessen wäre, zuerkennt. Prüfen wir nun, in welchem Verhältnis in Rathers Denken Verdienstethik und Willensfreiheit stehen. Welchen Stellenwert haben göttliche Gnade bzw. menschliche merita in diesem Zusammenhang? Im Ton der Selbstanklage, den der Dialogus confessionalis anschlägt, bittet Rather Gott um Erlösung von der Pein sexueller Bedürfnisse, aber auch um die Erlösung vom „appetitus humanae laudis“, dem Geltungsstreben, von der Trägheit, von der Unbeständigkeit, der Härte und Doppelbödigkeit des Herzens, der ausgesprochenen, aber auch der gedachten Schmähsucht. Anschließend macht er sich Gedanken, wie diese Eigenschaften trotz des erbetenen Erbarmens Gottes fortbestehen konnten. Er findet folgende Erklärung: vermutlich gelinge es ihm nicht, wie es sich eigentlich gehöre, seinen freien Willen zu zwingen, mit Gottes Gnade und Erbarmen „zusammenzuarbeiten“. (collaborare) Infolgedessen wirke sich der freie Willen bei ihm, dem Wahnsinnigen, zum eigenen Schaden statt zum Nutzen aus. (Dial. conf., Z. 1081): „quae omnia te cum in me iuste reprehendens coniecto inde contingere, quia implorata, ut convenit, misericordia et gratia, ut ab his eruar, Dei, non collaborare ut fiat liberum compello, ut oportuerat, vecors, quod mihi magis nocet, quam adiuvet, arbitrium.“ Diese nicht allein durch die ungewöhnliche, gleichsam verkrampfte, die inneren Kämpfe abbildende Wortstellung komplizierte Passage berührt das Verhältnis menschlicher Leistung und göttlicher Gnade für das Erreichen eines gottgefälligen Lebens. Rather bekennt im Anschluss, dass es heuchlerisch sei, um Gottes Anteil an einem rechten Leben zu bitten, wenn er vernachlässige, sich selbst aufzuerlegen, was an ihm sei, zu erfüllen. „Dumque impendere mihi negligo quod ex me est, mendaciter petere me approbo quod ex Deo est.“ Gnade und richtige Entscheidung des liberum arbitrium im Sinne der christlichen Wertordnung müssen demnach zusammenwirken, wenn ein Leben glücken soll. Da Rather in diesem wichtigen Zusammenhang ohne weitere Erläuterungen vom „liberum arbitrium“ spricht, dürfen wir davon ausgehen, dass er dessen Existenz voraussetzte. Nur aufgrund einer solchen Voraussetzung ergibt im übrigen auch seine Theorie von den jenseitigen Belohnungen einen Sinn, die schon angesprochen wurde. Quod ex me est – quod ex Deo est – Gott und Mensch haben ihren Anteil am rechten Leben. Können wir aus den Schriften Rathers ihre jeweiligen Anteile noch genauer bestimmen? Das Mischungsverhältnis kann je nach der Stärke des Menschen variieren: für den Schwachen wirkt Gott das Heil unter Umständen allein. (Dial. conf., Z. 1568) In jedem Fall gibt er der Anstrengung der Menschen das Gelingen hinzu: „nisi dominus edificaverit domum in vanum laborant qui edifi209 „Wegen der Erbsünde des ersten Menschen ist dem Menschengeschlecht die Strafe der Knechtschaft von Gott auferlegt, und zwar so, dass diejenigen, zu denen, wie er sieht, die Freiheit nicht passt, er gnädig die Knechtschaft zumisst. Und auch wenn es durch die Erbsünde bedingt ist, hat der gerechte Gott dennoch den Menschen ein je unterschiedliches Leben zugemessen, die einen machte er zu Knechten, die anderen zu Herren, damit die Willkür des schlechten Handelns der Knechte durch die Macht der Herren beschränkt werde.“

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cant eam“ heißt es in einem seiner Gebete. (Oratio, p. 191) „Und schließlich“, so formuliert er in den Praeloquia aus der Sicht Gottes an die Ärzte gerichtet, „wer verleiht deinem Werk die Wirkung? Hast du nicht oft erfahren, dass deine Anstrengung nichts fruchtete, wenn ich nicht beschlossen hatte, das Heil zu gewähren?“ (Prael. I, Z. 130) Aus den Paulusbriefen zitiert er den Herrn selbst im Gespräch mit einem Arzt: „Sine me, [...], nihil potestis facere. Apostolus quoque: Quid habes, quod non accepisti?“ (Prael. I, Z. 120) Und er macht ihm klar: „Ist dir entfallen, dass alle Weisheit von Gott kommt? Und wer hätte den Willen geben können, der deinen Lehrer veranlasste, dich wenigstens gegen Lohn zu unterrichten, wenn ich ihn vollends abgewandt hätte? [...] Durch wessen Hilfe erfreust du dich der Fähigkeit, der Zuwendung und des Trostes in deiner Arbeit?“ Hat Gott den Menschen den freien Willen gleichsam als ein Mittleres zwischen Gut und Böse gegeben, damit sie einen Anteil am Heil gewinnen können? Gott ermahnt den Arzt im folgenden, „humiliter, caritative, prudenter atque cautissime“ seine Kunst auszuüben, „quatinus et hic effectu potiri operis proficuo et illic remunerari pro labore merearis proprio“, „damit du auf Erden eine günstige Wirkung deiner Arbeit erreichst und dort im Jenseits für deine Arbeit belohnt wirst.“ Der Erfolg der Arbeit im Diesseits und ihre Belohnung im Jenseits sind Sache Gottes. „Und damit du dich nicht auf deine eigenen Kräfte verlässt, höre das Wort des Augustinus (Enarrationes in psalmos 99, 16): Bekämpfe deine Begierden ohne Gott, wenn du kannst; du kann dich abmühen, aber nicht siegen.“ (Prael. VI, Z. 445) So sage es auch der Psalmist (141, 8), fährt er fort: „Wenn ich im Morgengrauen meine Flügel ausbreite und in den Tiefen des Meeres wohne, wird mich auch dort deine Hand führen, deine Rechte halten. Als ob er sage: So viel ich mich auch anstrenge, soviel ich auch arbeite, zu welcher Höhe des Geistes ich mich aufschwinge, wie hoch ich auch steige, ich weiß, dass ich mit meinen eigenen Schwingen fallen werde, wenn deine Rechte mir nicht die gewohnte Hilfe reicht.“ Diese Hilfe versteht Rather als Hilfe zum Heil, wie er im folgenden präzisiert: „Über diese Hilfe hat Augustinus (Ps.-Aug. s. 117, 1) an anderer Stelle ausgeführt: Ich verspreche euch, Söhne, und bin sicher, dass, wenn jemand von Herzen bereut und nicht zur Sünde zurückkehrt, er das Heil haben wird; solange er nicht an seinem Glauben zweifelt, die Verlockungen nicht wieder aufsucht.“ (Prael. VI, Z. 452−455) Dieses Angewiesensein des Menschen auf Gottes Hilfe für das Gelingen der Arbeit und das Erreichen des Heils entbindet ihn freilich nicht von der Verantwortung zu arbeiten, im Gegenteil, wir erinnern uns: „si piger vel deses fueris, perdas gloriam fortiter laborantibus in futuro promissam.“ (Prael. I, Z. 978) Umso mehr als Gott nicht wie die Menschen das Voranschreiten anderer beneidet, sondern im Gegenteil, wir haben es gesehen, den menschlichen Fortschritt als Teil des Schöpfungsplanes sieht. „Ex se homines Deum conantur metiri“, so Rather über die falsche anthropomorphe Gottesvorstellung. Dass es dabei zu Rückschlägen kommen kann, weiß auch Rather, und er beugt vor und macht den Lesern Mut, auch bei Versuchungen, denen sie erlegen sind, den Kampf nicht aufzugeben: „Inter haec igitur, subruente temptatione sub-

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ita, aut in cogitatione aut in verbo aut denique in facto te improvise contingat labi, ne desperes, ne deseras inceptum, ne bene agendi in aliquo interrumpas cursum, sed repara redivivum certamen, resume conflictum, reaccende audaciam, vindica iniuriam.“ (Prael. VI, Z. 456−460) 210 Die Anaphern bilden gekonnt die wiederholte Kraftanstrengung ab, die ein Gefallener aufwenden muss, um nach einer Niederlage den Kampf gegen die Laster fortzusetzen. Denn erst der, der wie die Arbeiter im Weinberg bis zum Schluss durchgehalten hat, der erhält am Abend den Denar, der wird erlöst: „Qui perseveravit usque in finem, hic salvus erit.“ (Matth. 10, 22; 20, 8–9) „Incassum quippe tam summum bonum incipitur, si ante finem deseratur“. (Prael. VI, Z. 743) Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg dient Rather als Grundlage für sein Gottes- und Menschenbild: wie hier Gott als der paterfamilias bezeichnet wird, der den Arbeitern am Abend einen Lohn zuteilt, der ihnen aus ihrer Sicht teilweise ungerecht erscheint, so ermahnt der Bischof seine Leser: „nil boni valere initia, si desit perfectio sancta“, „die guten Anfänge sind nichts wert, wenn die heilige Vollendung fehlt.“ (Prael. VI, Z. 751). „Cum dei auxilio laboremus“, „labora cum dei adiutorio“ predigt daher Rather, denn menschliche Bemühung und göttliche Begnadung müssen zusammenkommen, wenn der Mensch zum Heil gelangen will. (Contra reprehensores sermonis eiusdem, p. 93; Sermo II de quadragesima, p. 76; Synodica, p. 126) Denn ohne den menschlichen Anteil, die Arbeit und Bemühung, kann das Himmelreich nicht erlangt werden. Es ist auffallend, in welch hoher Frequenz Rather mercedes und praemia für ein gottgefälliges Leben seinen Lesern vor Augen stellt, sicher in didaktischer Absicht. „Unusquisque illorum mercedem iuxta apostolum [1. Kor. 3, 8] in ecclesia propriam secundum suum laborem acciperet“. (Discordia, p. 166) „Iuxta beati apostoli sententiam unusquisque in nostra ecclesia propriam mercedem secundum suum reciperet laborem“. (Iudicatum, ed. Weigle, p. 25, und nahezu wörtlich wieder p. 29). Dies gilt nicht nur für die Situation des Jüngsten Gerichts, sondern auch auf Erden: jemand der arbeitet, darf seinen Lohn erwarten, ihn zu verweigern, ist Sünde (Prael. I, Z. 670). Den Gutsbesitzern schärft er ein, sie müssten Verantwortung für ihre Arbeiter tragen; mit dem Apostel Paulus heißt es: „qui suorum […] et maxime domesticorum curam non gerit, fidem negavit [...].“ (ibid. 673) Je nach der Beschaffenheit der Menschen, „pro qualitatibus hominum“ (Prael. I, Z. 1510), müssen die Tätigkeiten beschaffen sein, doch „quicquid potes, offer deo sedulus, sciens omnibus te quoque debitorem fore, quorum aleris sumptibus.“ (ibid. Z. 1517−1519) Niemand darf die Hände in den Schoß legen und auf Kosten anderer leben. „Omnes pro domino ne omittas ferre labores“. (Carmen II, p. 558) Die nicht gemiedene Elision und die Nichtbeachtung der Quantitäten im Hexameter zeigt, dass Rather nicht gerade ein hochtalentierter Dichter war. Doch seine Botschaft ist klar: 210 „Wenn plötzlich die Versuchung auftaucht, und du in Gedanken, Worten oder Taten unvorhergesehen fällst, verzweifle nicht, verlasse nicht den begonnenen Weg, damit du nicht den Lauf den guten Handelns irgendwo unterbrichst, nimm vielmehr den Kampf wieder auf, greif in den Kampf wieder ein, entzünde wieder deinen Mut, bestrafe das Unrecht.“

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Jeder muss sich anstrengen, denn mit Gregors des Großen Moralia in Iob ist er der Meinung: „ad magna premia perveniri non posse nisi per magnos labores“. (Qualitatis coniectura, p. 117; 127; De translatione S. Metronis, p. 18) Mit dem Blick auf sein eigenes Leben und seinen Charakter wird ihm bei solcher Betrachtung der Worte des großen Papstes angst und bange: „si non perterreor insanire me fateor.“ (De contemptu canonum, p. 104) Die Wiederholung des Dictums von den praemia, die nur durch labores erreicht werden können, in verschiedenen Werken Rathers gibt ihm den Rang eines Leitmotivs. Rathers Werk zeigt somit in der entstehenden städtisch-merkantilen Welt des Hochmittelalters eine ausgeprägte Verdienstethik, die auf das menschliche liberum arbitrium vertraut und überzeugt ist, dass die Christen nur durch Arbeit ihre Bestimmung erfüllen und Gottes Belohnungen im Jenseits teilhaftig werden könnten.

2.7 PETRUS ABAELARD (1079–1142): SELBSTVERANTWORTUNG DES MENSCHEN Abaelard, der „philosophus Christi“, wie ihn Petrus Venerabilis, Abt von Cluny, in seinem Epitaph nannte 211 , der berühmteste Mann seiner Zeit, der gelehrteste Philosoph seit Aristoteles in den Augen seiner Zeitgenossen 212 ; angesichts solcher Urteile ist es nahe liegend, sein Verständnis von Arbeit zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Denn damit greifen wir in der Tat ein „exemplum“, ein Vorbild, dessen Meinungen weithin ausstrahlten. Das Glaubenswissen mit den Mitteln der Logik zu durchdringen, war sein vornehmstes Ziel, denn eigentlich, so meinte er, müsste jeder Christ Logiker sein, da er es mit dem logos, der am Anfang der Welt stand, zu tun habe. 213 Unverzichtbare Daten seines Lebenslaufes, die sich vor allem auf die Historia calamitatum stützen, versammelt Buytaert in der Einleitung zur Theologia summi boni (CCCM 13, p. 17–19). Der in Le Pallet bei Nantes als Sohn eines Ritters Geborene verzichtete auf sein Erbe, um sich der Wissenschaft zu widmen. 1095– 1102 studierte er Dialektik bei verschiedenen Lehrern, u. a. bei Roscelin von Compiègne in Loches und Tours, dann bei Wilhelm von Champeaux in Paris, bis er selbst Magister wurde und sich nach einer gesundheitlichen Krise – wohl infolge Überlastung (1105–8) – wieder zum Studium, jetzt der Rhetorik, nach Paris begab. Nachdem er sich mit seinem Lehrer Wilhelm im Streit um die Universalien überworfen hatte, unterrichtete er 1109–12 in Melun und auf der Montagne-Ste211 La bibliothèque du Paraclet du XIIIe siècle à la Révolution. Peter the Venerable’s Epitaph for Abelard, ed. C. J. Mews/C. S. F. Burnett, in: Studia Monastica 27 (1985) 65. 212 Zur Biographie: M. Clanchy, Abaelard, Darmstadt 2000; J. Marenbon, The Philosophy of Peter Abaelard, Cambridge 1997, p. 7–35. 213 Soliloquium, ed. C. S. F. Burnett, in: Studi Medievali 25 (1984) 857–894, p. 889.

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Geneviève bei Paris, später an der Kathedralschule von Notre-Dame. Hier erlebte er die leidenschaftliche Liebe zu seiner Schülerin Heloise, die ihm einen Sohn schenkte und die er heimlich heiratete. Aus Rache für die Schande, die er damit nach den Begriffen der Zeit über die Familie ihres Onkels Fulbert, bei dem sie und Abaelard wohnten, gebracht hatte, ließ dieser ihn überfallen und kastrieren. Die Liebenden wurden getrennt und beschritten jeder für sich einen monastischen Lebensweg, Heloise in Argenteuil, Abaelard in St. Denis. Beide blieben einander jedoch zeitlebens innig verbunden, wie der Briefwechsel bezeugt. Er nahm nach der Trennung seine Lehrtätigkeit wieder auf und verfasste die Theologia summi boni, die auf dem Konzil von Soissons wegen angeblich häretischer Thesen verurteilt wurde. Der streitbare Denker musste sein Werk selbst ins Feuer werfen, konnte aber bald nach St. Denis zurückkehren. Nach erneuten Konflikten mit seinen Gegnern verließ er das Kloster, baute in Quincey bei Nogent-sur-Seine ein Oratorium, das er später dem Paraklet weihte und Heloise und ihren Nonnen schenkte, deren geistlicher Betreuer er wurde. Als er vor erneuten Reibereien in das Kloster St. Gildas in der Bretagne ausgewichen war, zog er sich als Abt jedoch bald auch die Feindschaft der dortigen Mönche, deren Zucht er reformieren wollte, zu und kehrte 1135/6 nach Paris zurück, wo auch seine theologischen Hauptwerke entstanden. Doch auch hier gab es Streit: diesmal mit Bernhard von Clairvaux, der Papst Innozenz II. vom häretischen Charakter der Schriften des Bretonen überzeugen konnte. Erst durch Vermittlung des Abtes Petrus Venerabilis von Cluny konnte sich Abaelard mit Bernhard versöhnen und die Aufhebung der Exkommunikation durch den Papst erreichen. Abaelard blieb in Cluny, später bei Chalons-sur-Saône und starb dort am 21. April 1142. Er wurde ins Kloster zum Paraklet überführt, wo auch Heloise nach ihrem Tod 1164 neben ihm beigesetzt wurde. Während der französischen Revolution wurde das Grab verwüstet, 1817 jedoch wurden beide ehrenvoll auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris bestattet. Kommen wir zum Inhaltlichen: Die für unseren Zusammenhang signifikanten Textstellen aus dem Werk Abaelards stammen vornehmlich aus der Theologia in ihren verschiedenen Fassungen, aus Sic et non und aus dem Kommentar zum Römerbrief, so dass es sinnvoll erscheint, diese Werke kurz vorzustellen, um den Kontext der im Anschluss zu diskutierenden Passagen einschätzen zu können. Obwohl nach wie vor eine gesicherte Chronologie der Schriften des Gelehrten aufgrund der Quellenlage nicht herzustellen ist, hat der Editor Buytaert mit akribischem Spürsinn anhand innerer und äußerer Bezüge eine relative Chronologie der Texte erstellt.214 Die Theologia, das umstrittenste Werk seiner Art aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, entwickelte sich allmählich. Es existieren drei unterschiedliche Fassungen. Eine frühe Fassung (Theologia summi boni, 1118–20) wurde auf dem Konzil von Soissons im März/April 1121 verbrannt. Die erste überarbeitete Fassung, Theologia christiana, entstand 1122–7, die spätere Theologia scholarium (ca. 1136–7) wurde von Bernhard von Clairvaux auf dem Konzil von Sens am 2. 214 Petrus Abaelardus, Opera theologica, ed. Eligius M. Buytaert (CCCM 11), Turnhout 1969, p. XXII–XXV.

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Juni 1140 scharf kritisiert und führte zur zeitweiligen Exkommunikation ihres Autors durch Papst Innozenz II. Hauptanliegen Abaelards in allen drei Redaktionen war es, rationale Analogien und Argumente vorzuführen, die das Dogma des trinitarischen Gottes, der Dreiheit der göttlichen Personen bei gleichzeitiger Einheit ihrer Essenz erhellen sollten. Sein zentrales Argument ist es, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist Namen seien, die verschiedene Eigenschaften Gottes bezeichneten: seine Macht, seine Weisheit und seine Güte. Die Beziehungen zwischen den drei Personen der Trinität könnten mit denjenigen zwischen den drei Attributen verglichen werden. Voraussetzung dieser Argumentation ist die Annahme, dass Gott sich dem Menschen durch die Vernunft offenbare und dass der Mensch durch vernünftige Überlegung zur Erkenntnis seines Schöpfers gelangen könne. Auf die Kritik seiner Gegner, er behaupte, Christus und der Heilige Geist hätten nicht die gleiche Göttlichkeit wie Gottvater, antwortete er, dass er lediglich Analogien, nicht Definitionen der Trinität bieten wolle, deren wahre Beschaffenheit sich menschlicher Sprache entziehe.215 In der Schrift Sic et non, ebenfalls in mehreren Redaktionen verfasst (1122–7 bzw. die längeren Fassungen 1132–42), unternahm Abaelard den Versuch, in logisch geordneter Reihenfolge 158 zentrale theologische Fragen unter Heranziehung von Zitaten der Kirchenväter so zusammenzustellen, dass die Unvereinbarkeiten und Widersprüche der Antworten sichtbar werden. Er prüfte genau, ob seine Gewährsleute die Frage mit Ja oder Nein (Sic et non) beantwortet hatten, um anschließend mit Hilfe der Logik nachzuweisen, dass sich die Ungereimtheiten auflösen ließen. Auch hier geht es also im Kern um die Anwendung rationaler Verfahren auf theologische Fragen. Der Römerbriefkommentar, der in einer Hauptredaktion existiert, die zweimal leicht erweitert wurde, wurde ca. 1137 verfasst. Er gliedert sich in einen Prolog und vier Bücher, die den Abschnitten 1–3, 18; 3, 19–6, 18; 6, 9–9, 5; 9, 6–16, 27 des Bibeltextes folgen. Dieser äußeren Gliederung folgen Fragen, die den Kommentar jeweils unterbrechen und sich auf die verschiedensten Problemkreise der Glaubens- und Sakramentenlehre beziehen. Um zu unserer engeren Fragestellung überzuleiten, soll nach einem tour d’horizon seiner Terminologie zum Thema Arbeit seine inhaltliche Position zum Thema Arbeit und Willensfreiheit skizziert werden. Abaelard differenziert innerhalb des lateinischen Wortfeldes nicht verschiedene Arten von Tätigkeiten, von denen etwa nur die agrarische als „labor“ bezeichnet würde. Sowohl der militärische Kampf (Röm. 3, 6; Sic et non, qu. 83: labor pugnae) als auch die Predigttätigkeit, die Ruhm vor Gott bringt (Röm. 4, 11 u. 15), können als labor bezeichnet werden, das synonym zu officium und opus gebraucht werden kann. (Sic et non, qu. 109) Nur an einer Stelle im gesamten Werk werden labor manuum und officium linguae, manuelle und geistige Tätigkeit, unterschieden (Hist. Cal., p. 73). In Sic et non (qu. 117) wird die Verkündigung des Evangeliums sogar mit den labores boum verglichen, also Gemeinsamkeiten zwischen dem Bereiten des (Got215 Petrus Abaelardus, Theologia summi boni et Theologia Scholarium, ed. C. J. Mews (CCCM 13), Turnhout 1987, p. 15.

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tes)ackers und dem Predigen als labor apostoli (Röm. 4, 15) gezogen. Ackerbau und geistige Tätigkeit sind auch für Abaelard innerlich verbunden. Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Predigten. Der sermo zur Bekehrung des Paulus vergleicht den Apostel mit dem wilden Rhinozeros, das gezähmt wird und daraufhin „divinum trahens aratrum“, den Pflug der Predigt („aratrum praedicationis“, s. 14, PL 178, c. 531) zieht und das Wort Gottes verbreitet. Christus habe ihm die Mühen (labores) überlassen, die er selbst ertragen hatte, ihn sogar zur Nachahmung seiner Passion veranlasst. (ibid.) Labor kann sogar schriftstellerische Tätigkeit bedeuten 216 und sich auf geistige Erkenntnissuche beziehen. Die magistri der hohen Schulen bemühen sich manchmal vergeblich, ihre Schüler auch moralisch zu vervollkommnen. 217 Das Verständnis der heiligen Schrift, insbesondere ihrer dunklen Stellen, wird von Abaelard als ein Sich-Abarbeiten, das jedoch für den sich mühenden Leser verdienstvoll ist, gesehen. (Th. chr. 1, 99) Mit Augustin ist Abaelard sogar der Ansicht, dass die Philosophie als Klärung der verborgenen Gründe der Dinge auch Weg zum rechten Leben, zur vita beata, sei. Schon Sokrates hätte seine gesamte Aufmerksamkeit darauf gerichtet herauszufinden, was zum guten Leben notwendig sei. (Th. chr. 2, 31) Wer schon nicht durch Gottesliebe zu einem ehrenhaften Leben bewegt werden könne, den müsse die „cupiditas philosophiae“ auf diesen Weg bringen (initiare!). Die von Abaelard empfundene Nähe philosophisch-ethischer Reflexion und christlicher Morallehre zeigt sich auch in seiner Überzeugung, dass geistige Anstrengung der Überheblichkeit (superbia) vorbeugen könne. Augustins Schrift De doctrina christiana folgend vertritt er die Meinung, dass Dichte und Dunkelheit der Sacra Scriptura „ad edomandam labore superbiam et intellectum fastidio revocandum“ diene. Die Anstrengung des Begriffs wird zum Instrument, intellektuelle Überheblichkeit zu zähmen (Th. chr. 1, 98): Bibelexegese als Mittel moralischer Selbstvervollkommnung. Die hier sichtbare Affinität intellektueller und moralischer Bemühung führt zu dem inhaltlichen Schwerpunkt, den die Verwendung des Wortes „labor“ bei Abaelard hat: labor ist bei ihm vor allem die sittlich-moralische Anstrengung des Menschen als Lebenshaltung. Der Apostel Paulus verkörpert diese Haltung in vorbildlicher Weise: primus in meritis est quia plus omnibus laboravit. (Röm. 1, 1) Seine Entscheidung jungfräulich zu bleiben, „non fuit imperii, sed proprie voluntatis.“ (ibid.) Seine Haltung entsprang nicht göttlichem Befehl, sondern seiner eigenen Willensentscheidung. Auf den Zusammenhang von labor und liberum arbitrium kommen wir noch zurück. Als vorbildlich wird auch erwähnt, dass er von seiner Hände Arbeit lebte, um niemandem zur Last zu fallen. (Röm. 1, 1) Abaelard preist ihn als Märtyrer, in dem die Verdienste der Apostel Johannes und Petrus vereint seien, weil er „tam praedicationis quam virtutis gratiam assecutum“. (Röm. 1, 1) Wenn hier die Gnade Gottes als etwas erscheint, welches ein Mensch durch willentliche Betätigung erreichen kann, so ist daraus zu folgern, dass

216 Linguae ac stili saluberrimus labor: Sic et non, prol. 217 In vacuum laboraverunt: Sic et non, qu. 95.

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Abaelard dem Menschen zumindest eine Mitverantwortung am Heilserwerb zubilligte, indem dieser sich im diesseitigen Leben moralisch vervollkommnete. Bevor wir auf inhaltliche Probleme eingehen, sei die Semantik von „labor“ bei Abaelard durch einige Hinweise zu den Kontexten des Auftretens, zu Assoziationen und Kontrastbegriffen weiter erhellt. Die Mehrheit der Passagen, in denen Abaelard „labor“ verwendet, betrifft gleichsam die Mühen des irdischen Daseins. 218 Zur Römerbriefstelle „laborant in Domino“ definiert er: „laborant, scilicet ministrando sanctis“ und zitiert Ambrosius, der zur gleichen Stelle ausführt: „labor hic et in exhortatione est et in ministerio sanctorum et in pressura et in egestate propter Christum, quia et domus suas relinquebant fugatis et opprobrio erant infidis.“ (Röm. 4, 16) 219 Das Leiden um Christi willen, die Hinführung anderer zum Glauben und die Heiligenverehrung sind als Ausformungen von „labor“ angesprochen, ein breites Spektrum, welches geistige und praktische Tätigkeiten umfasst. Im Gegensatz zu diesem irdischen Sich-Abmühen als Prozess steht das Handeln Gottes, das als operari/operatio bzw. in seinem Ergebnis als opus erscheint, 220 während dem Teufel durchaus „laborare“ zugeschrieben wird, wenn er sich bemüht, Gläubige von Gott abzuwenden. (Röm. 3, 9) Abaelard sieht die Menschen „inter deum et diabolum tanquam inter patrem et hostem constituti“, zwischen den Verführungen des Teufels und den Ermahnungen des Vaters wie zwischen Vater und Feind hin- und hergerissen. (s. 8, PL 178, c. 441) Furcht und Scham sind für ihn die wesentlichen Antriebe des Handelns (ibid.), so dass es darauf ankomme, den timor vor dem Urteil Gottes größer zu erhalten als den vor den Augen der Welt. Der Welt verhaftet sind in seinen Augen auch die Geschäftsleute (negotiatores saeculi), die „tot et tanta sustineant labores“ (Röm. 4, 9). Gott hingegen schaffe mühelos: „Nullus eum labor in faciendo aliquid gravet, cuius aeque omnia voluntati sunt subiecta“: „Keiner Arbeit Mühe beschwert ihn beim Erschaffen, dessen Willen alles gleichermaßen unterworfen ist.“ (Th. chr. 5, 29; 5, 30: quem nullius operationis labor gravare potest) Labor hingegen wird mit (Geburts)Schmerzen (Th. chr. 1, 31; Sic et non, qu. 135), Leiden (Röm 3, 8; 4, 15 für die Passion Christi) und Gefahren (Hist. Cal., p. 106f.: in periculis laborare) assoziiert und in die Nähe von Knechtschaft (servitium) gerückt, wenn es von den Tieren heißt, sie seien „ad laborem et ad servitutem hominum creata“ (Röm. 4, 9), ohne sich darüber beklagen zu können, da Gott niemandem etwas schulde. Labor in der Nähe animalischen Strebens (appetitus) begegnet auch in Sic et non (qu. 142), wo die himmlische Ruhe (requies, pax) der Welt des Strebens und des labor entgegengesetzt wird: „sicut quod beatitudinis vel quietis est quisque appetit, sic quod mi218 Afflictionibus laborare für das Leiden der Heiligen auf Erden: Röm. 3, 8; viae labor sind die Strapazen einer Reise: Karfreitagspredigt, PL 178, c. 462. 219 „Die Arbeit besteht hier in der Ermahnung, im Dienst an den Heiligen und im Leiden und der Armut um Christi willen, weil sie ihre Häuser den Flüchtlingen überließen und den Ungläubigen verhasst waren.“ 220 Th. sch. 3, Th. sch. rec. brev. 843 ZFH; vgl. aber auch „opus peccati“, Ethica, ed. Luscombe, p. 38.

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seriae vel laboris est refugit. 221 Deshalb vermeidet es Gott, Christus „reddere laboribus“, d. h. ihn vom Kreuz ins irdische Leben zurückzuschicken. (Röm. 4, 11) Kommen wir zu unserer Leitfrage, dem Zusammenhang von Arbeit und Willensfreiheit. Wie wir gesehen hatten, ist labor für Abaelard vor allem die sittliche Anstrengung im diesseitigen Leben auf dem Weg zur vita beata, unabhängig davon, in welcher konkreten Tätigkeit diese Bemühung stattfindet. Abaelard hält an der Gottgegebenheit des Willens wie auch der Entscheidungsfreiheit (voluntas, liberum arbitrium) fest (Sic et non, qu. 139), sieht aber eine Mitverantwortung der Menschen für ihr Heil. Gott biete allen Menschen täglich das Himmelreich an; der eine werde von der Sehnsucht nach diesem Reich entzündet und bleibe beharrlich bei seinen guten Werken, der andere erstarre in Trägheit. (Röm. 4, 9) „Aeque tamen Deus utrisque offert illud et quod suum est efficit, tantum que erga utrumque operatur, regni ipsius beatitudinem exponendo ac promittendo, quod ad desiderium uniuscuiusque accendendum sufficiat absque nova alia gratia apposita.“ (ibid.) Gott stelle allen die gleiche Verheißung in Aussicht, aber des einen Glaube reiche hin, sich in Nächstenliebe zu betätigen, ohne dass ein weiterer Gnadenerweis hinzukomme, „in illo iners atque otiosa vacat“, bei dem anderen verkümmere dieser in Müßiggang. Darin liege die Gnade, die Erwählung durch Gott, „quae unumquemque electum praevenit, ut bene velle incipiat, ac rursus bonae voluntatis exordium subsequitur, ut voluntas ipsa perseveret.“ (ibid.) Der Keim des guten Willens liegt also in der Begnadung durch Gott. Er schenkt den Glauben, der das initium des guten Willens ist und auch „dem Beginn des guten Willens nachfolgt, so dass dieser beständig bleiben kann und es nicht nötig ist, dass für die einzelnen täglich neu folgenden Werke Gottes noch eine andere Gnade außer eben dem Glauben hinzugefügt wird, durch den wir ja glauben, dass wir nur durch das, was wir tun, Lohn empfangen werden.“ (ibid.) Die Begnadung mit dem Glauben, der seinerseits dazu führt, dass sich die Menschen guten Willens in Nächstenliebe betätigen, ist der Anfang menschlichen Tuns, das eben durch diesen göttlichen Anfang selbst eine hohe Würde erhält. Inhalt des Glaubens jedoch ist es, menschlichem Handeln im Bemühen um das Heil eine hohe Bedeutung zuzumessen. Gott hat nach dieser Auffassung selbstbewusste und hoffnungsvolle Menschen geschaffen. Die gleiche Schlussfolgerung ergibt sich aus Abaelards Aussagen zur menschlichen Willensfreiheit: „Ergo et ipsum liberum arbitrium, quia bonum est, divinae gratiae est donum, et ipsa ratio in qua ipsum consistit.“ („Also ist auch die Willensfreiheit, weil sie gut ist, ein Geschenk der göttlichen Gnade, und auch die Vernunft, in der sie besteht“, Apologia contra Bernardum, Z. 18) Liberum arbitrium und ratio werden hier in gleicher Weise als Gottesgeschenke bezeichnet. Niemand darf sie daher aus der Theologie und Anthropologie verbannen. Mehr noch: wenn die Willensfreiheit, wie es Abaelard hier darstellt, Teil der ratio, der

221 „wie jeder das erstrebt, was Ruhe und Glückseligkeit ist, so meidet er Mühe und Elend.”; Röm. 4, 15: dort auch „a labore longo quiescendo“

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Vernunft, ist, dann ist sie ein Aspekt der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die nicht wegzudenken ist. Willensfreiheit und Vernunft sind nach Abaelard Erwählten und Verworfenen gemeinsam. (ibid.) Was macht den Unterschied? Einige hören auf Gott und gehorchen seinen Vorschriften, indem sie gut leben, damit sie der in Aussicht gestellten „praemia“ teilhaftig werden. Andere verachten die Vorschriften, verharren in ihrer Trägheit, und „oboedientiae laborem refugiunt.“ Labor besteht also im Kern darin, den Vorschriften Gottes entsprechend zu leben. Gleichsinnig definiert sich das liberum arbitrium als dasjenige, welches den menschlichen Willen im Sinne Gottes gebraucht. Abaelard spricht darüber ausführlich in seiner Predigt zum Palmsonntag, die sich mit der Erweckung des Lazarus beschäftigt. Dieser sei durch langes Verharren in der Sünde so in seinem freien Willen geschwächt gewesen, dass er nicht mehr für sich beten und auf Gott zugehen konnte. Dies gelte für alle Menschen: wer „diu male vivendo abusus est potestate sua, iam non proprio sed alieno quod deliquit corrigere debet arbitrio, nec iam sui iuris est in talibus agendis, sed alieni.“ (s. 8, PL 178, c. 440) Die Willensfreiheit wird in dieser Predigt als eine potestas beschrieben, die als solche nur von Gott kommen kann. (Röm. 13) Von ihr machen diejenigen Menschen, die Herren ihres Willens sind, im Sinne Gottes Gebrauch. Diejenigen jedoch, die nicht nur in Gedanken, nicht nur im Handeln, sondern bereits gewohnheitsmäßig gesündigt haben (die schlimmste Form des Todes der Seele: ibid., c. 437), sind in ihrem Willen so geschwächt, dass sie von sich aus nicht mehr zu Gott gelangen können. Diese Menschen sind auf die Inspiration des barmherzigen Gottes angewiesen, der sie zur Reue und Buße und damit zum Heil führt. (s. 8, PL 178, c. 440) Der „labor oboedientiae“ besteht also darin, das liberum arbitrium in Sinne Gottes zu gebrauchen. Diesen labor nehmen gerade die Erwählten auf sich, denen Gott das initium bonae voluntatis geschenkt hat. Wie man aber von einem liberum arbitrium sprechen kann, wenn die Gnade Gottes die bona voluntas verleiht, bleibt offen. Ist die Gnade der Anfang der Freiheit? Mittelalterlichem Denken kommt eine solche Sicht recht nahe. Die Freiheit des arbitrium ist nicht erst bei Abaelard eine Freiheit zu Gott, eine Freiheit von Sünde, eine moralische Bindung an das Gute, keine Indifferenz oder Beliebigkeit, wie es das moderne Verständnis des Begriffs impliziert. 222 Ebenso ungelöst ist die Frage, wie sich praedestinatio (Schenken oder Versagen der Gnade, die zum Heil führt) und liberum arbitrium miteinander vereinbaren lassen. Aus der theologischen Forschung ist bekannt, dass Abaelard nur eine Prädestination zum Guten kennt. 223 „Die Erwählten werden prädestiniert, d. h. zum ewigen Leben vorbereitet, indem sie durch den Glauben erleuchtet werden, den sie sozusagen als Grundlage aller Güter empfangen. Dann werden sie berufen, indem sie von der Hoffnung angelockt werden, wenn sie die Barmherzigkeit Gottes und die Kraft der Sakramente bereits erkannt haben und zum guten Han222 Zur Einführung in diese Problematik: W. Pannenberg, Gottesgedanke und menschliche Freiheit, Göttingen 1978. 223 R. Peppermüller, Abaelards Auslegung des Römerbriefes, Münster 1972, p. 60ff.

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deln angespornt werden, nämlich wegen der Belohnung mit ewigen Gütern. Dann werden sie gerechtfertigt, wenn sie in reiner Liebe Gott nicht mehr so sehr um ihres eigenen Vorteils als vielmehr um seiner selbst willen anhängen. Schließlich werden sie verherrlicht, wenn sie nämlich in das himmlische Vaterland emporgehoben werden.“ (Röm. 5, 30) Hier stellt Abaelard die Frage, wie sich praedestinatio und liberum arbitrium zueinander verhalten. Wenn alles so geschehen müsse, wie Gott es vorausgesehen habe, scheine das ja einen Determinismus zu bedeuten, der den freien Willen ausschließe. Das Problem der Prädestination wird also gleich auf das der Präscienz zurückgeführt und folgendermaßen gelöst: Wenn Gott eine Handlung voraussieht, dann wird sie eintreten, aber sie wird nicht eintreten, weil er sie voraussieht. Gott sieht vielmehr, wie das liberum arbitrium sich verhalten wird. Eine solche Lösung des Problems war seit langem üblich. 224 Neu war jedoch der Versuch Abaelards, den Beweis mit Hilfe der Logik zu führen. Abaelard zeigt, dass trotz praescientia und praedestinatio die necessitas für den Menschen, in bestimmter Weise zu handeln, keine ihm immanente ist. Sein liberum arbitrium bleibt gewahrt, ebenso wie das ursächliche Gewicht der göttlichen Gnade. Wie vor ihm Anselm von Canterbury kommt Abaelard zu dem Schluss, dass praedestinatio und liberum arbitrium zusammenwirken. Der Mensch bleibt für seine Sünden verantwortlich, die merita sind soweit sein Werk, als er die Gnade, die ihn zu ihnen befähigt, ergreift. (gratiam assequi, Röm. 1, 1) In der Rezeption freilich, vor allem in der Diskussion um seine angebliche Häresie, scheint dieser komplexe Gedanke des Abaelard, der menschliches Handeln als aktive Annahme und Bejahung göttlicher Gnade interpretiert, dahingehend vereinseitigt worden zu sein, dass im Kontext der sozialgeschichtlichen Umwälzungen des Hochmittelalters (Bevölkerungswachstum, Aufschwung der Städte und des Fernhandels, Geldwirtschaft) 225 das Moment menschlicher Aktivität unabhängig von göttlicher Veranlassung stärker betont wurde. Es gibt Anhaltspunkte in seinem Werk, die eine solche dem frühen Augustin entsprechende Deutung souveräner menschlicher Eigenverantwortung für das Heil zulassen. Zu nennen ist hier vor allem eine Passage aus Sic et non (qu. 51), die ein Augustinzitat aufgreift (Quaestiones veteris et novae legis, cap. 21): „Gott hat den Menschen geschaffen, […] damit er selbst Verursacher (auctor) seines Lebens oder seines Todes sei, damit er sich von Sünde fernhalte und sich so aufgrund eigener Anstrengung (labore) der Unsterblichkeit erfreue“. Nachdenklich stimmt auch, dass Abaelard offensichtlich „morum gradus“ unterscheidet, die Menschen und Völker durchlaufen können, es also nicht nur Erwählte und Verworfene zu geben scheint. (Sic et non, qu. 79) Überspitzt hingegen dürfte es sein, die von den Gegnern im Häresieprozess Abaelards zusammengestellten Capitula haeresum als originale Äußerungen des 224 Vergleiche die Diskussion bei Hrabanus Maurus, Epp. 5, p. 481–487; Anselm von Canterbury, De concordantia praescientiae et praedestinationis cum libero arbitrio, ed. F. G. Schmitt, vol. II, p. 245–288. 225 Neueste Gesamtdarstellung des Hochmittelalters: E. Boshof, Europa im 12. Jahrhundert, Stuttgart 2007.

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Philosophen anzuführen. Wenn hier ein Vergleich zwischen Gott, der allen Menschen das Himmelreich anbietet, und einem Kaufmann gezogen wird, der allen Kunden seine Waren anbietet, so ist dieser Vergleich bewusst von den Gegnern Abaelards in diffamierender Absicht gewählt und entspricht nicht dessen Gedanken. Anhand dieser angeblichen „Zitate“ für seine Lehre zu folgern: „die Menschen sind kraft der libertas arbitrii frei, diese Güter sich durch konsequente Lebensführung zu erarbeiten: laborare, nicht bloßes desiderare, entscheidet über das ewige Heil“ 226 , ist unredlich. Abaelard hat Ansätze, die die Bedeutung der menschlichen Aktivität im Heilserwerb akzentuieren, indem durchweg labor und otiositas/pigritia kontrastiert werden, aber es bleibt Gott, der das initium des guten Willens und auch der vernünftigen Entscheidungsfreiheit setzt. In Sic et non räsonniert Abaelard, die Menschen mühten sich, in unserem Willen (voluntas) etwas Gutes zu finden, welches von uns sei und nicht von Gott: „et quomodo inveniri possit ignoro.“ (Sic et non, qu. 139) Denn auch die vernünftige Überlegung zeige es: „Wenn wir einen freien Willen von Gott haben, der noch gut oder böse sein kann, der gute Wille aber von uns ist, dann ist das, was von uns ist, besser als das, was von Gott ist.“ Das könne keinesfalls sein! Gott sei es im übrigen auch, dem wir die remissio peccatorum verdankten. (Röm. 3, 8) Er inspiriere Reue und Buße, die zur Versöhnung mit ihm und zum Heil führe. (s. 8, PL 178, c. 440) In der Historia calamitatum schildert Abaelard sich als einen Menschen, der in seiner Jugend „totus in superbia atque luxuria laborarem“ und der gegen seinen eigenen Willen („mihi nolenti“) durch Gottes Gnade von beiden Lastern geheilt worden sei. (Hist. Cal., p. 70) Man darf also Abaelard nicht einseitig als Verfechter eines unabhängig von Gottes Gnade wirksamen freien Willens darstellen. Dies zeigt auch seine Sicht des Paulus (Sic et non, qu. 93), der in biblischer Sprache von sich sagt, dass „gratia eius in me vacua non fuit, sed abundantius illis laboravi, non ego autem, sed gratia Dei mecum“, „seine Gnade in mir nicht vergeblich war, sondern ich mehr als alle gearbeitet habe, aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir.“ Im gleichen Kontext zitiert er auch einen Brief des Papstes Leo zum Festtag Peter und Paul: Über die Verdienste und Tugenden der beiden Apostel, die alle Möglichkeit der Sprache überträfen, dürften wir nicht verschieden denken, weil sie von der Erwählung her ebenbürtig, von ihrer Bemühung her (labore) ähnlich, von ihrem Ende her gleich gewesen seien. (Sic et non qu. 93) Eigene Anstrengung und Erwählung sind also gleichberechtigte Kriterien bei der Beurteilung eines geglückten Lebens. Abaelards Deutung des Begriffs labor als menschliche Bemühung um eine rationale Lebensführung, die sich am Willen Gottes ausrichtet und für das Heil unabdingbar ist, weist der menschlichen Betätigung im Diesseits eine erhebliche Dignität zu. Wie weit das menschliche Selbstbewusstsein, der Stolz auf die (freilich gottgebenene) Vernunft bei Abaelard reicht, zeigen besonders seine Bemerkungen zur Erbsünde, für ihn eine ungelöste Frage („quaestio interminata“). Es sei 226 K. Flasch, Freiheit des Willens 850–1150, in: J. Fried (ed.), Die abendländische Freiheit vom 10.–14. Jahrhundert (VuF 39), Sigmaringen 1991, p. 44f.

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zu prüfen, aufgrund welcher Gerechtigkeit der unschuldige Sohn für die Sünde des Vaters bei dem mitfühlendsten Richter, der Gott sei, zum Angeklagten werden könne, „quod nec apud saeculares iudices approbaretur“, was nicht einmal von weltlichen Richtern gebilligt würde! (Röm. 2, 5) Wie könne das, was schon dem Täter vergeben sei und in den übrigen durch die Taufe weggewaschen werde, in den Söhnen bestraft werden, die doch der Sünde noch nicht hätten zustimmen können. Wen eigene Sünde nicht schuldig mache, den verdamme fremde, und das Unrecht des Vorvaters stärker als das der Verwandten ziehe ihn in den Abgrund. (ibid.) Sünde ist also die bewusste Zustimmung zum Bösen, die eine Entscheidungsfreiheit voraussetzt. Bemerkenswert ist darüber hinaus die gegenüber dem Frühmittelalter gewandelte Gottesvorstellung: nicht der strafende, sondern der mit den Menschen fühlende Richter schwebt Abaelard vor. Im übrigen wird das menschliche Strafrecht hier gleichsam zum Maßstab für den göttlichen Richter, der nicht nach grundsätzlich anderen Gesichtspunkten urteilen sollte. Kein geringes menschliches Selbstbewusstsein ist Voraussetzung für eine solche Stellungnahme! Für den Glauben an die Erbsünde fehlt Abaelard demnach die rationale Grundlage: fides quaerens intellectum. Was ist aber, so lässt sich im Gegenzug fragen, das richtige Kriterium für Strafwürdigkeit? Für Abaelard sind die menschlichen opera keine hinreichende Grundlage für die Beurteilung eines Menschen. Ebensowenig, so sagt er in den Ethica, dürfe der Wunsch oder Wille (voluntas, desiderium), etwas zu tun, Sünde genannt werden, sondern die Zustimmung (consensus). (Ethica, ed. Luscombe, p. 14) Die Handlung selbst (operis effectus) füge der Sünde nichts hinzu, es sei vielmehr vor Gott gleichermaßen derjenige ein Sünder, der zur Durchführung einer Handlung alles ihm Mögliche unternehme wie der, der auf frischer Tat ertappt werde. (ibid.) „Nichil ergo ad augmentum peccati pertinet qualiscumque operum executio, et nichil animam nisi quod ipsius est coinquinat, hoc est consensus quem solummodo peccatum esse diximus, non voluntatem eum precedentem vel actionem operis subsequentem.“ (Ethica, ed. Luscombe, p. 22-24) „Nichts fügt also jedwede Ausführung einer Tat zur Sünde hinzu, und nichts befleckt die Seele, als was nicht zu ihr gehörte, das ist die Zustimmung, welche allein wir Sünde nennen, nicht den ihr vorausgehenden Willen noch die Ausführung der Tat. Abaelard lehnt damit die bis dahin übliche Tathaftung ab, weil er in der Zustimmung zur Sünde das eigentliche Vergehen sieht, welches freilich der Tat vorausgeht. Daher ist die Bewährung im Handeln allein für ihn nicht heilswirksam, wenn ihr nicht die „recta intentio“ vorausgeht, auf die Gott als „cordis potius quam operis inspector“ größeren Wert lege. 227 Allein die Absicht, die Abaelard an anderer Stelle „das Auge des Geistes“ nennt (Ethica, ed. Luscombe, p. 54), unterscheide zwischen guten und schlechten Handlungen: „opera […] intentio sola separat“. (Ethica, ed. Luscombe, p. 28) „Solum quippe animum in remuneratione boni vel mali, non effecta operum, Deus adtendit, ne quid de culpa vel de bona voluntate 227 Abaelard’s Rule for Religious Women, ed. T. P. McLaughlin, in: Medieval Studies 18 (1956) 241–292, p. 275.

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nostra proveniat pensat, sed ipsum animum in proposito suae intentionis, non in effectu exterioris operis diiudicat.“ (ibid., p. 44) „Gott beachtet bei der Belohnung und Bestrafung von Gut und Böse nur auf den Geist, nicht auf die Taten, damit er nicht wäge, was unserer Schuld oder unserem guten Willen kommt, sondern den Geist selbst beurteile, nicht wie er sich im äußeren Handeln darstellt, sondern im Vorhaben seiner Absicht.“ Das Urteil Gottes richtet sich also danach, ob der Mensch nach rationaler Prüfung durch den animus die Impulse seines Willens umsetzt oder nicht. Die bewusste Entscheidung, das liberum arbitrium, nicht der dumpfe Handlungsimpuls, den die ratio abmildern oder unterdrücken kann, wird beurteilt. 228 Die Werke selbst sind moralisch neutral („in se indifferentia“), „nec nisi pro intentione agentis bona vel mala dicenda sunt, non videlicet quia bonum vel malum sit ea fieri, sed quia bene vel male fiunt” (ibid.), „und sie sind aus der Absicht des Handelnden heraus als gut oder böse zu bezeichnen, nicht, weil es gut oder schlecht ist, dass sie geschehen, sondern weil sie gut oder schlecht geschehen.” Am Beispiel Abrahams macht er klar: „Quid enim dicit scriptura? Credidit Abraham et reputatum est ei ad iustitiam“. (Nonnenregel, p. 276) Der Glaube als Handlungsgrund, nicht die Werke sind das Entscheidende. Dass eine solche intentionale Ethik auch in Anwendung auf seine eigene und Heloises persönliche Lebensgeschichte entlastende Wirkung hatte, sollte weder verschwiegen noch zum Motiv des Philosophen erhoben werden. Am Schluss der Nonnenregel fasst er seine ethischen Überzeugungen eindringlich zusammen: „Nulla quippe est anima munda, nisi quae meditando quantum capere potest divina ruminat praecepta et in his exsequendis discretionem habeat, ut non solum bona, sed et bene, hoc est recta faciat intentione.“ (ibid. p. 292) „Nur die Seele ist rein, die, soweit es ihr möglich ist, die göttlichen Vorschriften wiederholt bedenkt und bei ihrer Ausführung Unterscheidungsfähigkeit beweist, damit sie nicht nur Gutes, sondern dies auch in guter Absicht tue.“ Auffällig ist, dass an dieser prägnanten Stelle mit der Tugend der discretio just jener Leitbegriff wiederauftaucht, den schon Cassian, wie gesehen, als wichtigste Mönchstugend vor Augen gestellt hatte. Dies dürfte kein Zufall, sondern Ergebnis bewusster Rezeption sein. Das Unterscheiden, discernere, bildet eben jenen Akt des liberum arbitrium, das Entscheiden, ab, den der spätantike Mönchsvater und auch Abaelard in seiner Nonnenregel als bedeutende Fähigkeiten hervorheben. Sie sind Vermögen der ratio, als deren Bestandteil Abaelard das liberum arbitrium an anderer Stelle gekennzeichnet hatte. Ganz im Einklang mit diesem auf die ratio gegründeten menschlichen Selbstbewusstsein steht die positive Bewertung der Arbeit, auch der Handarbeit, im Werk des Abaelard, die, wie traditionell im monastischen Denken, so auch bei ihm als Voraussetzung für caritas gewürdigt wird. Weil der Glaube ohne gute Werke tot sei, sollten die Menschen sich als „arma iustitiae deo“ zur Verfügung stellen, sich in Askese, Almosentätigkeit und Handarbeit üben, „ut habea(n)t unde 228 R. Peppermüller, Abaelards Auslegung des Römerbriefes, Münster 1972, p. 134: „erst dieser consensus der ratio bedeutet Sünde oder Verdienst im eigentlichen Sinne“.

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tribua(n)t necessitatem patienti“, aber auch sich der Predigt oder lectio widmen. (Röm. 2, 6) Dass hier alle Formen von Aktivität zwischen Handarbeit und kontemplativer Besinnung als heilsrelevant angesehen werden, paßt zu der oben geschilderten weiten Definition des Begriffs labor, der verschiedenste Tätigkeiten umfassen kann. Alle Glieder des Körpers sollen zum „religiosus labor“ eingesetzt werden, die Augen zur Lektüre der heiligen Schrift, die Ohren zum Verfolgen der lectio, die Hände zum Almosengeben oder Arbeiten. (Röm. 3, 8) Der Apostel Paulus wird als Vorbild dargestellt, da er von seiner Hände Arbeit gelebt habe, um niemandem zur Last zu fallen. (Röm. 1, 1) Abaelards Predigt über Johannes den Täufer hebt das Ideal der Autarkie ebenfalls deutlich hervor, preist die Freiheit des Eremiten, der von seiner Hände Arbeit lebt. (s. 33, PL 178, c. 587) Auch in der Nonnenregel, die Abaelard auf Bitten Heloises verfasste und welche die Tugenden des monastischen Lebens, die Auswahl der Nonnen, die Pflichten der Äbtissin und der anderen Amtsträgerinnen, die Gebäude, Speise- und Kleidungsvorschriften, die Ordnung von Gebet und Studien behandelt, wird am Vorbild Paulus die Bedeutung der Handarbeit als Mittel gegen die otiositas gewürdigt.229 Paulus gebe beispielhaft vor, die Regel nicht nur zu hören, sondern auch im Handeln zu befolgen (operum exhibitione), „quia melior atque perfectior est doctrina operis quam sermonis, facti quam verbi“. (Nonnenregel, p. 253) Die griechischen Philosophen werden in diesem Zusammenhang bereits als Vorbilder einer monastischen Lebensform gepriesen. So konnte Abaelard im Übrigen die Aufnahme ihrer Gedanken in den christlichen Kosmos erleichtern. Hieronymus habe geschrieben, dass bei den Griechen gerade der Philosoph gelobt worden sei, der sich rühmen konnte, alle seine Gebrauchsgegenstände bis hin zum Mantel oder Ring mit eigenen Händen hergestellt zu haben. (Th. chr. 2, 72) Viele Philosophen hätten ihrer Reichtümer entsagt und ein derart karges und arbeitsames Leben (arctam et laboriosam vitam) geführt, dass sie alles, dessen sie bedurften, in eigener Handarbeit gefertigt hätten. Als sei schon damals die vollkommene Lebensform der Anachoreten in Askese und Arbeit geschaffen worden, als hätten sie schon die göttlich inspirierten Worte des Apostels gehört: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen’, und jenes Psalmwort: ‚Weil du von deiner Hände Arbeit lebst, wirst du selig sein und es wird dir wohl ergehen’.“ (ibid.) Sokrates und Platon wird sogar zugeschrieben, sie hätten ihre Weisheit nicht auf eigene Bemühung oder Begabung zurückgeführt, sondern als Geschenk göttlicher Gnade begriffen. (Th. sch. 1) Schon Sokrates, der, so Augustin im achten Buch des Gottesstaates, sein ganzes Streben auf die Erforschung der Gründe der Dinge gerichtet hätte, sei zu dem Ergebnis gelangt, dass sie nur im Willen eines höchsten und wahren Gottes lägen. Deshalb sei er der Ansicht gewesen, dass diese Gründe nur „mundata mente“, reinen Herzens, verstanden werden könnten und dass man auf die moralische Vervollkommnung sein höchstes Augenmerk richten müsse. (Th. sch. 1) Sokrates wird hier zum Archegeten einer Position, die philosophisch-wissenschaftliche Erkenntnis und moralische Reife in einen unauflöslichen Zusammenhang bringt. 229 Abaelard’s Rule for Religious Women, ed. McLaughlin, bes. p. 250, 267, 283.

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Die Beschäftigung mit antiker Philosophie regte Abaelard sogar zur visionären Konzeption einer solidarischen Gesellschaft an: aufgrund der Lektüre des Somnium Scipionis Ciceros mitsamt des Kommentars des Macrobius beginnt er eine Reflexion über den jeweiligen Wert des aktiven und des kontemplativen Lebens. An die Worte „quod in terris fiat“ des Cicero knüpft er die folgende Erläuterung: dies müsse man auf die vita activa beziehen, die in den Bedürfnissen des Nächsten, mit dem er zusammen wohne, in der Liebe zu ihm „laborat“ (sich bemühe), damit er etwas habe, womit er seine Not lindern und mit ihm den Ertrag seiner Arbeit (fructum laboris) teilen könne. Das irdische Dasein kreist damit nach Auffassung Abaelards um die Nächstenliebe, ist Anstrengung im Dienste des Nächsten. Dabei gilt der Grundsatz, dass den Schwächeren ein Teil des gesellschaftlichen Arbeitsertrages geschuldet wird: christliche Solidarität. Als höherwertig schildert der Philosoph jedoch im Anschluss das kontemplative Leben in Einsamkeit, das aus der Gottesliebe lebe und sich nach der Schau Gottes sehne, ohne sich um irdische Notwendigkeiten zu kümmern. (Th. chr. 2, 66) Auf die Abwägung von vita activa und vita contemplativa bezieht sich auch Abaelards Palmsonntagspredigt, welche die Erweckung des Lazarus auf Bitten seiner Schwestern Maria und Martha kommentiert. (s. 8, PL 178, c. 436ff.) Er deutet Maria und Martha als Sinnbild für alle Gläubigen. Die Aktiven seien diejenigen, die in der Sorge für den Nächsten aufgingen, sich um irdische Güter kümmerten, damit sie etwas hätten, von dem sie anderen Almosen geben könnten. „In exterioribus actionibus laborantes“ erfüllten sie die Werke der Barmherzigkeit. Das kontemplative Leben hingegen sei ganz von der Liebe zu Gott bestimmt, die Augen seien in Ruhe auf das jenseitige Leben gerichtet. Dies sei „meritis perfectius“, verdienstvoller als ein Leben „in exteriore administratione occupata“. Zwar sei Martha eher zu Christus gekommen, um ihn um die Heilung ihres Bruders Lazarus zu bitten. Doch handele es sich bei der vita activa lediglich um eine Vorbereitung („inchoatio“), um ein Übungsfeld, auf dem sich diejenigen betätigten, die „ad perfectionem contemplationis“ aufstiegen. Im Unterschied zu Rather von Verona ist bei Abaelard die gleichsam klassische Deutung der Höherwertigkeit der vita contemplativa fortgeschrieben. Abschließend ist auf die Frage einzugehen, ob sich der von Clanchy belegte Wandel im Frauenbild Abaelards, seine „Abkehr von einer frauenfeindlichen Haltung als Antwort auf Heloise“ 230 auch hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit von Frauen in der Kirche feststellen lässt. Als vornehmliche Aufgabe der Frauen für die Kirche wird die Unterweisung junger Mädchen vor allem in denjenigen Passagen der Heiligen Schrift angesehen, die sich auf die Pflichten der Frauen beziehen. (Röm. 4, 16) Der Exeget Haymo von Auxerre wird zitiert, der im 9. Jahrhundert darauf hingewiesen hatte, dass die Hinführung der Mädchen zum Glauben nicht in der Kirche, sondern in den Privathäusern stattzufinden habe, „denn Frauen lehrten nicht in Kirchen“. Dürfen wir

230 Clanchy, Abaelard p. 325.

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aus dem Imperfekt der Formulierung schließen, dass es in der Karolingerzeit anders war? Die folgende Stellungnahme Abaelards zu der Römerbriefpassage, in der es um eine Iunia geht, die zu den Aposteln gezählt wird, besagt freilich nur, dass weibliches Predigen auch im Hochmittelalter noch als ungewöhnlich angesehen wurde, denn er bemerkt: „Videtur hoc loco etiam feminam apostolicam dicere“! Er zitiert auch Origenes, der „apostolica auctoritate docet etiam feminas in ministerio ecclesiae constitui“. (Röm. 4, 16) Dabei erwähnt er die Griechin Phoebe, die „in necessitatibus apostolicisque laboribus adstiterit“. Dafür sei sie mit großem Lob bedacht worden. Diese Stelle zeige, so Abaelard, dass Frauen sehr wohl in kirchlichen Diensten gestanden hätten und dass man solche einstellen müsse, die vielen Hilfe leisteten „et per bona officia usque ad apostolicam laudem meruerint pervenire“. Er selbst ist also überzeugt, dass Frauen sehr wohl Ämter in der Kirche versehen sollten, ja sogar unter die Apostel eingereiht werden dürften, nachdem sie Ämter (officia) in der Kirche gut ausgefüllt hätten! Abaelard führt im folgenden Hieronymus als Kronzeugen für diese Position an: „In Diensten der Kirche haben Frauen privat gelehrt, wie Priscilla, deren Gatte Aquila hieß. So ist es noch heute in der östlichen Kirche, wo Diakonissen bei der Taufe und im Dienst am Wort tätig sind.“ Die heutige Debatte um weibliche Ministranten und Priester hat also eine lange Tradition. Besonders in seinem Essay über den Ursprung der Nonnen wird Abaelards Position deutlich. Er behauptet, dass Christus in das wahre Mönchtum seiner apostolischen Sendung beide Geschlechter eingeschlossen habe, und so sei „die geistliche Autorität in der Aufgabe (professio) den Frauen in gleichem Maße wie den Männern zugesprochen worden.“ 231 Auch in einer Predigt griff er das Thema auf, das in der Litanei der Heiligen enthalten war, wo Maria Magdalena „der Apostel der Apostel“ genannt wird. Er verlieh darin diesem Ehrentitel eine wesentlichere und rechtlichere Bedeutung, indem er hinzusetzte, dass sie „die weibliche Gesandte (legata) der männlichen Gesandten“ gewesen sei. (s. 13, PL 178, c. 485) Mit anderen Worten und in der Sprache der Zeit: Maria Magdalena stand über jedem Legaten der päpstlichen Kurie in Rom. Abaelard eröffnete sogar eine neue Sichtweise auf Adam und Eva, indem er darlegte, dass „die Erschaffung der Frau die des Mannes an Würde übertrifft, denn sie wurde ja mitten im Paradies erschaffen, während er noch außerhalb desselben von Gott gemacht wurde.“ (Briefe, ed. Muckle, p. 268) Prüfen wir nun, ob sich im Werk des Johannes von Salisbury, eines seiner Schüler, vergleichbare Vorstellungen finden.

231 Briefe, ed. J. T. Muckle, in: Medieval Studies 17 (1955) 253.

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2.8 JOHANNES VON SALISBURY (1151/20–1180): SELBSTVERANTWORTUNG DES MENSCHEN Johannes von Salisbury (1115/20–1180), Philosoph, Geschichtsschreiber, politischer Denker und Sekretär zweier Erzbischöfe von Canterbury, Theobalds und des berühmten Thomas Becket, war einer der bedeutendsten Humanisten des 12. Jahrhunderts 232 Der wohl älteste Sohn einer Mittelschichtfamilie ging nach ersten Studien beim Ortspriester 1136, zu Beginn der Herrschaft König Stephans, nach Paris und erhielt zunächst auf dem Mont St. Geneviève bei Abaelard, später in der Stadt selbst Unterricht von den damals berühmtesten philosophischen Lehrern: Abaelard schulte ihn in der Dialektik, Wilhelm von Conches in der Grammatik, Thierry von Chartres in Rhetorik und Gilbertus Porreta führte ihn in die Theologie ein. Die Frage, ob er Thierry, Wilhelm von Conches und Gilbertus Porreta als Magistri, die der sog. „Schule von Chartres“ zugerechnet werden, in Paris oder in Chartres hörte, ist in unserem Zusammenhang zu vernachlässigen. 233 Er selbst hat seinen Bildungsgang im Metalogicon, einer philosophischen Verteidigung des Nutzens der artes liberales 234 (Met. II, 10), ausführlich nachgezeichnet und die zwölf Jahre seines Studiums als wertvolle Zeit von der vergeudeten der nachfolgenden Verwaltungstätigkeit in Canterbury abgehoben. Eine Empfehlung Bernhards von Clairvaux ebnete ihm den Weg in seine zweite Lebensphase: 1148–1170 war er als Gesandter und Sekretär des Erzbischofs Theobald von Canterbury tätig, bis er in die Dienste von dessen Nachfolger, Thomas Becket, übernommen wurde, zu dessen engsten Vertrauten er zählte. Ende der 1150er Jahre in Ungnade bei König Heinrich II. gefallen, wirkte er im Konflikt zwischen englischer Staatskirche und den reformerischen Zielen einer libertas ecclesiae mäßigend auf Becket ein, ging jedoch 1163 mit ihm ins französische Exil. 1170 kehrte er nach Canterbury zurück, war seit 1174 Schatzmeister in Exeter und von 1176 bis zu seinem Tod Bischof von Chartres. In Hinsicht auf unser Thema ist weniger das Metalogicon ergiebig als vielmehr der Entheticus maior, ein 1155 entstandenes Lehrgedicht über den Nutzen der Philosophie und des Studiums der artes, und sein Hauptwerk, der Policraticus. 235 Dieser gesellschaftskritische Fürstenspiegel, entstanden in mehreren redaktionellen Schichten zwischen 1156 und 1159, schließt mit einer mitreißenden Vision, die genau ins Zentrum unseres Problems zielt: was ist der rechte Weg des Menschen und wie kann er durch sein Wirken im Diesseits sein Heil befördern? Doch zunächst zum Entheticus. Als Humanist und politischer Moralist, der sich darum bemühte, antikes und christliches Denken zu einer harmonischen Synthese zu führen, entfaltet Johannes sowohl die antiken Freiheitsvorstellungen der 232 Zur Biographie vgl. die Einleitung der Edition von J. van Laarhoven, John of Salisbury’s Entheticus maior and minor, Leiden 1987, p. 3–13 mit weiterer Lit. 233 Zur Diskussion vgl. K. Guth, Johannes von Salisbury, St. Ottilien 1978, p. 14ff.; Überzeugende Gesamtdeutung bei P. v. Moos, Geschichte als Topik, Hildesheim 1988, bes. p. 435 ff. 234 Maßgebliche Edition: J. B. Hall, K. S. B. Keats-Rohan, CCCM 98, Turnhout 1991. 235 Maßgebliche Editionen: Buch I–IV: K. S. B. Keats-Rohan, CCCM 118, Turnhout 1993; Buch V–VIII: C. C. I. Webb, Oxford 1909.

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Stoa (Enth. I, vv. 451–526), des Aristoteles (Enth. I, vv. 821–862) und Ciceros (Enth. I, vv. 1215–1246) als auch die christliche Deutung (Enth. I, vv. 223–324), die er vor allem am Verhältnis von Freiheit, Gnade und Philosophie darstellt. Seine Behandlung des Themas (Enth. I, vv. 265ff.) zeigt erneut den engen Zusammenhang des Glaubens an eine menschliche Willensfreiheit mit der Überzeugung, dass menschliche Arbeit und Bemühung (labor) wesentlich zum Heil beizutragen vermöge. Beleuchten wir diesen Abschnitt ein wenig genauer. Ausgehend von einem eher pessimistischen Menschenbild („ad mala namque sumus faciles […].“) hebt er einerseits die Bedeutung der Gnade Gottes hervor, die den Geist lenke, die Affekte zurechtweise und das Handeln befördere. Die Gnade sei es, die „naturam purgans illustrat et implet“, die die Natur „reinige, erhelle und erfülle“, d. h. vollende und ins Wirken führe. Vor allem die Philosophie sei als ein solches Geschenk der Gnade Quelle der Tugenden und lasse dem Irrtum keinen Raum. Sie lasse sich von den Vorspiegelungen der launischen Fortuna – hier klingt Boethius an – nicht blenden: als Personifikation „non caret arbitrio Philosophia suo“. Die Philosophie ist so im Besitz einer eigenen Urteilsfähigkeit, doch bedarf sie nach Johannes zu deren rechter Ausübung zweier Hilfen, der ratio und der rechten Ausrichtung der Affekte, um das zu schätzen, was das Recht gutheiße. („quod pia iura probant“) In diesem Prozess dürfe man nicht gewaltsam vorgehen, die natürliche Veranlagung nicht unterdrücken: „non praestare potest illud natura subacta“. Er vertritt also eine Pädagogik, die nicht die Abtötung der Affekte predigt, weil dies „rationis turbat acumen“, die Schärfe des Verstandes verwirre, das Wollen zerstöre und ein gottgefälliges Leben nicht zulasse. Für ihn stellt die Gnade die Natur wieder her, schärft den Verstand und moderiert die Affekte, „liberat arbitrium, sed eorum, quos pia mater consecrat ad cultum, Philosophia, tuum.“ 236 Die Gnade befreit also die menschliche Willensfreiheit, richtet sie auf Gott aus. Das funktioniert jedoch nur bei denen, die die Gnade auf die Verehrung der Philosophie ausrichtet, eine ausgesprochen bildungsoptimistische, aber auch elitäre Position, die den Stolz und die Erfahrungen des Zöglings der französischen hohen Schulen spiegelt. In der Sicht des Johannes wird die Philosophie zur Mittlerin zwischen göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit des Willens und der Entscheidung. Sie ist gleichsam Gesandte Gottes mit der Aufgabe, den nach dem Sündenfall fehlgeleiteten Willen des Menschen zu „reparieren“, auf Vernunft und Recht zu gründen. „Philosophia quid est nisi fons, via, duxque salutis, lux animae, vitae regula, grata quies?“: „Was ist die Philosophie, wenn nicht Quelle, Weg, Führerin zum Heil, Licht der Seele, Lebensregel, willkommene Ruhe?“ „Ergo fidem servet, qui philosophatur“: „Also bewahrt der den Glauben, der Philosophie betreibt“. Diese Identifikation von Glaube und Philosophie entstand aus der Überzeugung, dass sich kein Widerspruch zwischen deren Lehren und den christlichen auftun könne, eine Art prästabilisierte Harmonie gegeben sei. Doch damit nicht genug: „Collige, quod mundum transcendit Philosophia, principio cuius constat inesse 236 „Sie befreit den Willen, aber nur den derer, die die Mutter zu deiner Verehrung, Philosophie, weiht.“

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fidem.“ „Bedenke, dass die Philosophie, deren Anfang bekanntlich Glaube innewohnt, die Welt übersteigt.“ Der Glaube steht am Anfang der Philosophie, aber diese ist die Wissenschaft von der Transzendenz, nicht die Theologie! In diesem Bild geht die Theologie in der Philosophie auf, nicht umgekehrt: ein weiterer Beleg für den Wissensoptimismus dieser Zeit, der im Werk des Johannes beredten Ausdruck findet. Bringt demnach die vernunftgeleitete Philosophie als Ausfluss der Gnade Gottes die rechte menschliche Willensfreiheit hervor, muss diese sich im diesseitigen Leben im ständigen Kampf gegen die Anfeindungen des Teufels bewähren. Diesen Kampf nennt Johannes „labor“. „Militat ergo labor semper, properatque mereri, et mortis causam sive salutis agit. Ille labor solus vitae servire probatur, quem movet atque regit Philosophia comes. Ille neci servit, quem Philosophia relinquit, qua minus est, quicquid mundus habere potest.“ 237 Dichter(ischer) kann man es kaum beschreiben: die Philosophie als Vermittlerin der Gnade rechtgeleiteter Willensfreiheit ist die Quelle menschlichen Verdienstes im Kampf gegen die Laster. Sie erscheint als transzendente Macht, der quasireligiöse Verehrung entgegengebracht wird, als Leitwissenschaft im wörtlichen Sinne, die die Menschen zu rechter Lebensführung anleitet, in einer Funktion also, die bis dahin der Theologie vorbehalten war. Den Menschen, die sich ihrer im Kampf gegen die Laster bedienen, ist himmlischer Lohn gewiss: „pugna gravis fructum magnae mercedis habebit, nam meritis merces digna labore datur.“ Die philosophiegeleitete Anstrengung im Kampf um die rechte Anwendung der Willensfreiheit ist es, die den Menschen geistlichen Lohn verheißt. Die Ausübung des arbitrium ist dabei von zentraler Wichtigkeit, denn Glaube ohne Werke ist für Johannes leer: „Vana fides, operum quam non monumenta piorum vivere testantur, non iuvat, immo nocet.“ Wir dürfen daher eine deutlich praktische Ausrichtung der ethischen Lehren des Johannes konstatieren, die den Wert der aktiven Betätigung des Menschen hoch veranschlagt. Es sei nicht von Relevanz, ob sich der Mensch „mente, manu, lingua“ betätige. Es spielt für die Beurteilung der Menschen keine Rolle, ob sie den Weg der vita activa oder contemplativa gewählt haben. Praktiker und Theoretiker dienen dem gleichen Ziel: „die hohe Burg des heiligen Reiches hat die Philosophie gegeben“: „Practicus huic servit, servitque theoricus. Arcem imperii sacri Philosophia dedit.“ Philosophie und Himmelreich werden beinahe in eins gesetzt. Nur mit Hilfe der Philosophie lässt es sich erobern. Die Bedeutung, die der philosophisch geleiteten Willensfreiheit im Rahmen der christlichen Lehre für Johannes zukommt, wird vollends deutlich, wenn er sie gegen den stoischen Fatalismus abgrenzt. „Libertas perit arbitrii, si fata coactis obsequiis mentes, ora, manusque movent; praemia pro meritis nulli debentur; in 237 „Ständig kämpft die Bemühung und strebt danach, sich verdient zu machen, ist Grund für Tod oder Heil. Dieser Kampf allein kann dem Leben dienen, den die Philosophie bewegt und lenkt. Jener Kampf führt zum Tode, den die Philosophie verlässt, der gegenüber alles geringer ist, was die Welt zu bieten hat.“

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ipsum auctorem fati crimina cuncta cadunt.“ (Enth., vv. 515ff.) 238 Ohne Hoffnung auf Belohnung, ohne menschliche Verantwortung für Fehlverhalten zu leben – das seien Irrtümer, die vielfältige Nachteile für die Menschen mit sich brächten. Auch die Lehre des Aristoteles, so Johannes, sei genau in diesem Punkt korrekturbedürftig: „Sed tamen erravit, dum sublunaria casu credidit, et fatis ulteriora geri; non est arbitrii libertas vera creatis, quam solum plene dicit habere Deum.“ (Enth., vv. 831ff.) 239 An der Lösung dieses Konflikts zwischen fatum und liberum arbitrium sei auch Cicero gescheitert. (Enth., vv. 1219ff.) Johannes nimmt das Problem der Willensfreiheit gleichsam als Testfall für die Tauglichkeit einer Religion bzw. eines philosophischen Systems. Erst das Christentum habe den antiken Fatalismus durch die Vorstellung von Gott als „libertatis auctor“ (Enth., vv. 1764) überwunden im Sinne der paulinischen Verbindung von wahrer Freiheit und göttlichem Geist. (ubi spiritus Domini, ibi libertas: 2. Kor. 3, 17) Neben dieser grundsätzlichen Diskussion um die Willensfreiheit findet sich bei Johannes eine reformkirchliche Ausprägung des Freiheitsgedankens als libertas ecclesiae, als deren Schützer ihm Thomas Becket erscheint, den er als „vindex libertatis“ bezeichnet, als Garanten der Abwehr königlichen Strebens nach Kirchenherrschaft. (Enth., vv. 1355ff.) Welche Position vertritt er im Policraticus, dem Traktat über Politik und Ethik, der eigene Kapitel über das Verhältnis von Willensfreiheit und Gnade enthält? (Policr. II, 20–21) 240 Die Schrift entstand am Ende des großen Lebensabschnittes des Johannes, der die Studienzeit in Frankreich und die administrative Tätigkeit am erzbischöflichen Hof in Canterbury umfasst. Im Zusammenhang der Widerlegung eines naturgesetzlichen Determinismus betont Johannes die ursprüngliche Willensfreiheit des Menschen im Naturzustand. „Itaque peccare et non peccare potuit mera praeditus libertate arbitrii, qui nulla dispositionis violentia, nullo fatorum impulsu, nullo conditionis stimulo, nullo adhuc naturae defectu urgebatur ad culpam.“ 241 Weil er jedoch ungerechten Gebrauch von dieser Freiheit machte, ist er jetzt nach Gottes Urteil in einer Lage befangen, in der er nicht mehr die Freiheit hat, sich einer Sache zu enthalten, wenn er sie will. Er kann jetzt nur noch ungerechten Gebrauch von seiner Entscheidungsfreiheit machen, während „ad bonum non nisi a gratia praeventus et adiutus assurgat.“ Nach dem Sündenfall ist er also

238 „Die Willensfreiheit stirbt, wenn das Schicksal in erzwungenem Gehorsam Geist, Mund und Hände bewegt, keinem stehen Belohnungen für seine Leistung zu. Alle Verbrechen fallen in die Verantwortung des Schöpfers des Schicksals.“ 239 „Er irrte, als er das Geschehen auf Erden vom Zufall, die entfernteren Dinge vom Schicksal getrieben werden sah; bei ihm haben die Geschöpfe keine wahre Willensfreiheit, die er vollumfänglich allein Gott zuschreibt.“ 240 Zur Einordnung der Schrift vgl. auch M. Kerner, Freiheit im Verständnis des Johannes von Salisbury, in: J. Fried (ed.), Die abendländische Freiheit vom 10.–14. Jahrhundert (VuF 39), Sigmaringen 1991, p. 107–145. 241 „Deshalb konnte der Mensch sündigen und nicht sündigen, begabt mit der reinen Willensfreiheit, der von keiner grausamen Disposition, von keinem Schicksal angetrieben, von keiner Bedingtheit angestachelt, von keinem natürlichen Defekt gedrängt schuldig wurde.“

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so deformiert, dass er nur mit Hilfe der Gnade wieder den rechten Gebrauch von seiner Entscheidungsfreiheit machen kann. Im folgenden Kapitel (Policr. II, 21) erläutert Johannes die christliche Position hinsichtlich der Prädestination in Abgrenzung von Stoikern und Epikureern, die „pari errore desipiunt, cum alter casui alter necessitati universa subiciat“, die beide im gleichen Irrtum befangen seien, wenn sie das Universum dem Zufall bzw. der Notwendigkeit unterworfen sähen. Er hingegen unterscheidet Vorherbestimmung und Vorauswissen und klärt, dass die praescientia Gottes nicht Ursache der Ereignisse sei oder das Ereignis Grund des Vorauswissens. Es verhalte sich vielmehr so, dass Gott zwar vorauswisse, und das, was er wisse, auch eintreten werde. Aber kontingente Dinge könnten, müssten aber nicht eintreten. Damit eröffnet er Zweitursachen wie der menschlichen libertas arbitrii Spielraum. Die Prädestination Gottes hingegen sei von Ewigkeit her die Vorbereitung der Gnade und bestimme alle zum Heil, wie es der Apostel sage. (Röm. 8, 30: quos praedestinavit, hos et vocavit, hos et iustificavit, hos et glorificavit) Diese Position ist insofern kompatibel mit der früheren des Entheticus als prinzipiell allen die Möglichkeit gegeben ist, mittels der Gnade über die Philosophie den rechten Gebrauch der Willensfreiheit wieder zu erlernen. Welche Bedeutung die Erziehung in diesem Weltbild gewinnt, nämlich entscheidende Heilsbedeutung, leuchtet unmittelbar ein. Dies dürfte zum einen auf die Prägung des Johannes durch die platonische „paideia“ zurückgehen, die deutliche Spuren in seinen Überlegungen zur Pädagogik hinterlassen hat. 242 Johannes ist überzeugt, dass sich der Mensch über den Intellekt der Weisheit annähern kann. (Met. IV, 18) Die Gnade hilft ihm dabei (Met. IV, 19), zumal die Vernunft als Schlüssel zur Wahrheit, als Mutter der Künste und Wissenschaften göttlichen Ursprungs ist. (Met. IV, 17) Dabei ist Johannes überzeugt, dass die Vernunft, zumal über das Erlernen der Logik als Schluss- und Beweisverfahren, nicht nur im Studium der artes einen sicheren Weg zur Erkenntnis weist, sondern auch für die praktischen Berufe wie Ärzte und Militärs nützlich ist. (Met. I, 13; 20) Damit ist die strikte Trennung „intellektueller“ von praktischen Berufen zumindest von der Ausbildung her aufgehoben. Schon die Wissenschaftssystematik Hugos von St. Viktor hatte die artes mechanicae bekanntlich gleichsam „rehabilitiert“, indem sie sie als einen der vier Teilbereiche der Philosophie, der die Erleichterung irdischen Mühsal zum Gegenstand habe, klassifizierte. 243 Mit Hugo ist auch Johannes der Auffassung, dass die Philosophie dazu geeignet sei, die im Sündenfall verdorbene Gottesebenbildlichkeit des Menschen wiederherzustellen. Wer sich ihr widme, trete den – neuplatonisch verstandenen – Rückweg zu Gott an. (Met. IV, 40) Im Kontext der Überzeugung des Johannes, philosophische Betätigung sei heilspädagogisch wirksam, sollte daher auch die Schlusspassage des Policraticus interpretiert werden, die bisher in der Literatur noch nicht entsprechend gewürdigt wurde. In einer geradezu mitreißenden Vision, die antike und christliche Elemente 242 K. Guth, Johannes von Salisbury, p. 77. 243 Hugo von St. Victor, Didascalicon, T. Offergeld (ed.), Freiburg 1997, p. 53–55.

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integriert, beschreibt Johannes seinen Traum von der Rettung des Menschengeschlechts. Dieses Kapitel enthält gleichsam die Version letzter Hand seines Freiheitsverständnisses. In Auseinandersetzung mit den Epikureern entfaltet er seine eigene Sicht vom Heilsweg des Menschen. (Policr. VIII, 24–25) Kritisch merkt er an, die Welt sei voller Epikureer, will sagen, Menschen, die von ihrer Begierde, mithin einem verdorbenen Willen, gesteuert würden. Infolge des Sündenfalls sei der Mensch auf die Welt als einen Ort der Mühsal, „in terram laboris“, geschickt worden. Die irdische Existenz ist durch labor, mühsame Arbeit, gekennzeichnet, die hätte vermieden werden können, wenn der Mensch rechten Gebrauch von seiner Willensfreiheit gemacht hätte. Arbeit erscheint hier ganz klassisch als Strafe für den Sündenfall. Doch dabei bleibt Johannes nicht stehen. Der Mensch ist für ihn durch seinen Willen charakterisiert: volksetymologisch leitet er vultus von volendo ab, betrachtet das Gesicht des Menschen als Ausdruck seines Willens. Der Schweiß symbolisiere Mühe und Bedrängnis seines verdorbenen Willens. Arbeit und Gebrauch der Willensfreiheit stehen auch negativ in engster Beziehung. Während der falsche Gebrauch mühevolle Arbeit als Strafe zur Folge hat, bereitet der philosophisch geleitete rechte Gebrauch den Weg zum Heil, wie wir noch sehen werden. Johannes wiederholt in diesem Kontext seine pessimistische Feststellung, dass der Mensch sich aus dieser Lage nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Hilfe der Gnade befreien könne. „Natura namque peccatrix ad malum prona est et corrupta ab adolescentia sua, [ …] ut sine labore et difficultate labi et non possit erigi ad bona sine labore et erecta sine difficultate et gratia stare non possit.“ (Policr. VIII, 24) 244 Dennoch findet sich hier eine wesentliche Modifikation der diesbezüglichen Äußerung aus dem zweiten Buch (Policr. II, 20). Während dort schon das Sich-Erheben aus der Verdorbenheit des Willens nicht ohne Gnade möglich war, ist es hier die mühevolle Arbeit, die das Aufrichten aus eigener Kraft ermöglicht. Lediglich das Sich-Bewähren in der aufrechten Haltung bedarf der Unterstützung durch die Gnade. In der exponierten Schlussvision traut er offenbar menschlicher Bemühung mehr zu als zuvor. Ausgehend von der Feststellung „inclinata est ad malum natura hominis, cuius quasi quaedam infantia praecessit innocens, dum a colloquiis pervertentibus et perversis abstinuit“, 245 räsonniert er über die verschiedenen Altersstufen des Menschen in ihrem Verhältnis zur Sünde. Nachdem die Neugier und die Versuchung durch das Wort dazugekommen seien, sei der Mensch verdorben worden. An dieser Stelle leitet er zu einer Betrachtung der Aeneis über, die seiner Ansicht nach in der Gliederung der sechs Bücher eine Art Parabel der Altersstufen, mithin der Entwicklung der Menschen gegeben habe. Mit göttlicher Klugheit („divina prudentia“) habe Vergil in der Figur des Aeneas den Menschen als im Körper ge244 „Die Natur ist eine Sünderin, zum Schlechten geneigt, verdorben von Jugend an, […] so dass sie ohne Mühe und Schwierigkeit fällt, aber nicht ohne Mühe und Schwierigkeit aufgerichtet werden kann zum Guten und ohne Gnade nicht stehen kann.“ 245 „Die Menschennatur ist zum Schlechten geneigt, deren Kindheit unschuldig war, solange sie sich von verderblichen Gesprächen fernhielt.“

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fangenen Geist dargestellt. Das erste Buch der Aeneis zeige im Bilde des Schiffbruchs die Kindheit, die von ihren eigenen Stürmen umgetrieben werde, dann die Jugend, die die Freude der Gemeinschaft kennenlerne, den Austausch im Gespräch, so dass „multiloquio peccata desse non possunt.“ Das dritte Lebensalter sei freier, komme ohne Amme und Bewachung aus und irre daher umso leichter, ohne jedoch zu Verbrechen zu schreiten. Das vierte Alter kenne unerlaubte Liebesbeziehungen, wie diejenige zwischen Aeneas und Königin Dido: der schamlos empfangene Brand im Herzen führte zum Scheiterhaufen der unglücklich liebenden Frau. Das Mannesalter strebe, wie es Horaz (Ars poetica 166–8) beschreibe, nach Reichtum, nützlichen Freundschaften und Ämtern, kurz nach bürgerlicher Reife. Das Greisenalter schließlich kümmere sich um die memoria der Väter, reflektiere die Irrtümer des eigenen Lebens und lerne andere Wege zu gehen, um „ad quandam arcem beatitudinis“, zur Burg der Glückseligkeit zu gelangen, wie es der Gang des Aeneas in die Unterwelt anzeige. Vergil habe eine doppelte Lehre verkündet: zum einen, dass die Natur des Menschen „ad malum prona est et corrupta ab adolescentia sua.“ (Policr. VIII, 24) Sobald sie von der Willensfreiheit Gebrauch mache, werde sie schuldig. Aufzurichten zum Guten vermöge sie nur die Gnade Gottes, die ihr die Hand reiche. Damit unterstellt er Vergil, der „vanitate figmenti poetici philosophicae virtutis involuit arcana“, im flüchtigen Gespinst dichterischer Erfindung die Geheimnisse philosophischer Tugend eingewoben habe, bereits eine quasi-christliche Sicht des schmalen Wegs zum Heils, den das Gros der Epikureer, der Genussmenschen, nicht zu gehen in der Lage sei. Im folgenden Kapitel (Policr. VIII, 25) stellt Johannes dem antiken figmentum seine eigene Sicht der Dinge gegenüber, nimmt dabei aber ein wesentliches Detail des Vergiltextes auf, um es zum Schlüssel seiner Lösung zu machen. Der Weg zum Heil führe über die Tugend, das heißt die Erkenntnis und das Tun des Guten. Er fordert zur Selbstbetrachtung auf: „redi ad te, patrum suspice monumenta, et tibi intuere diligenter ubi a via deflexeris gressum et ubi cecideris in errorem.“ 246 Der Anfang der Sünde habe darin bestanden, die unvorsichtige Hand nach dem Baum der Erkenntnis auszustrecken. Mit Ovid fügt er an, dass die Menschen immer nach dem Verbotenen strebten: „nitimur in vetitum, quod non licet, acrius urit.“ (Am. III, 4, 17) Immer wieder geht es ihm darum, der Nähe und Verwandtschaft von antiker und christlicher Wahrheit nachzuspüren. Nach dem Sündenfall könne der Mensch nur dann zum Leben zurückfinden, „nisi ad arborem scientiae redeat, et inde veritatem in cognitione, virtutem in opere, vitam in iocunditate mutuetur.“ 247 Er möge seinen Verstand schärfen, um Gutes von Schlechtem unterscheiden zu lernen, um dann mit ganzer Energie dem als besser Erkannten zu dienen. (praeeligendis serviat) Nach dieser Rückkehr zum rechten Gebrauch der Willensfreiheit über die richtige, das heißt, vernünftige Wahl, „ipse 246 „Kehre zu dir selbst zurück, betrachte die Monumente der Väter und schau dir genau an, wo du vom Wege abgekommen und dem Irrtum anheimgefallen bist.“ 247 „wenn er zum Baum der Erkenntnis zurückkehrt und dort die Wahrheit in der Erkenntnis, die Tatkraft im Handeln, das Leben in Heiterkeit eintausche.“

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quoque labor dulcescat sibi et totam amaritudinem rerum praesentium (ut ait beatus Gregorius) spe temperet futurorum.“ Wiederum ist in Analogie zur Situation der falschen Wahl im Sündenfall die Rettung in der richtigen Wahl zu suchen, die über die Schärfung des Verstandes ermöglicht wird. Von diesem rechten Gebrauch des liberum arbitrium ist wiederum auch die Arbeit betroffen: sie ist nicht mehr Strafe, sondern wird süß, weil sie durch die Hoffnung auf das Jenseits nicht mehr als drückend und mühsam empfunden wird. Niemand solle sich also vom schlechten Beispiel des Sündenfalls abhalten lassen, wieder zu diesem Baum zu gehen. Denn – und jetzt folgt die Vision – am Baum des Wissens sei ein Zweig der Tugend gewachsen, aus dem das ganze Leben des Menschen geheiligt werde. Denn der Mensch werde zu Gott nur dann als ein anderer zurückkehren, wenn er den Zweig der Tugend, den er vom Baum der Erkenntnis abgerissen habe, vorweisen könne. Aber wer könne schon diesen Zweig schnell abreißen, da doch nur ganz wenige diesen Baum, d. h. was zu tun sei, kennten. Tugend wächst demnach für Johannes aus Erkenntnis. Das bedeutet: die vernünftige Entscheidung, der rechte Gebrauch der Willensfreiheit, das von Cassian und Abaelard discretio genannte Unterscheidungsvermögen, zu wissen, was zu tun ist, ist das Geheimnis der menschlichen Existenz. Den neuplatonischen Rückweg zu Gott kann nur der finden, der sein liberum arbitrium recht gebraucht. Hören wir Johannes weiter zu: Werde etwa der Zweig leicht bekannt, wo doch durch die Menge Unwissender und schlecht Handelnder der Baum verborgen sei? Das habe vielleicht auch Vergil erkannt, der, wenn er auch der Wahrheit noch unkundig im Dunkel der Heiden umherging, doch Aeneas nur zu den eleusischen Feldern der Seligen und zu seinem Vater gelangen ließ, nachdem ihm Sibille, was übersetzt „die Weisheit Gottes“ heiße, jenen Zweig der Proserpina überantwortet hatte, der ihn, der dahinschlich, aufrichtete und von den Lastern zum Leben führte. Ausführlich zitiert Johannes an dieser Stelle aus dem sechsten Buch der Aeneis (136–144): Es verbirgt sich unter einem schattigen Baum ein goldener Zweig, der der Juno heilig ist […]. Er folgert daraus: „Nur der wird erkennen, was an Strafen auf Erden und Verdiensten erworben werden kann, der ‚ramum bonae operationis’, den Zweig des guten Handelns, vom Baum der Erkenntnis abgerissen hat. Wenn er abgerissen ist, wird ein zweiter nachwachsen, denn die Wissenschaften und Tugenden wachsen und gedeihen umso reicher, je mehr sie betrieben werden.“ Diese Stelle ist überaus bemerkenswert, und das gleich in mehrfacher Hinsicht: Erkenntnis generiert Handeln, der vernünftigen Entscheidung über das Gute folgt das tugendhafte Handeln auf dem Fuße. Tugend ist also lehr- und lernbar – wie es Johannes schon im Entheticus formuliert hatte, wenn er die Philosophie als Geschenk der Gnade bezeichnete, die den Weg zum Heil weise. Demgemäß sind auch theoretische Erkenntnis und praktisches Handeln eng verbunden, scientia gebiert aus sich virtus. Und noch mehr: sie ist nicht nur lern-, sondern sogar übbar. Aristoteles’ Verständ-

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nis der Tugend als hexis konnte so auf fruchtbaren Boden fallen. 248 Und weiter: je mehr Menschen zum Baum der Erkenntnis zurückkehren und den Zweig des guten Handelns abreißen, desto reicher werden die Wissenschaften gedeihen! Ein Wissensoptimismus, der gerade das 12. Jahrhundert auszeichnet. Wenn Johannes Vergil konzediert, er habe bereits den Kern der christlichen Botschaft verstanden oder erfühlt (sensit), dann legt das nahe, die Erkenntnisse der heidnischen Philosophen mindestens als Vorstufe der christlichen Lehre zu verstehen, sie geradezu als Wegweiser zur christlichen Wahrheit zu studieren. Doch bei aller Hinwendung zur Antike, Johannes grenzt sich auch deutlich von ihr ab: „So eng folge ich den Spuren des Vergil nicht, dass ich glaubte, jemand könne zur Erkenntnis oder Tugend ‚propriis arbitrii sui viribus’ gelangen. Ich bekenne (fateor), dass die Gnade in den Erwählten das Wollen und das Vollenden bewirkt; sie verehre ich als den Weg, ja den einzigen Weg, der zum Leben führt und den Menschen befähigt, guten Willens zu sein.“ Sie allein bereite spirituellen Fortschritt vor, ohne sie komme niemand voran. In dieser Passage unterstreicht Johannes den Primat der Gnade vor der menschlichen Leistung beim Heilserwerb, doch er bleibt nicht dabei stehen. Vielmehr entfaltet er das Bild des Baumes mit dem goldenen Zweig weiter. Die Gnade habe den Baum der Erkenntnis und den Zweig des Lebens, in dem alle Schätze des Wissens und der Weisheit verborgen seien und in dem die Fülle der Gottheit körperlich wohne, herausgerissen (aber ohne seine Substanz einzureißen) und ihn „in terram peregrinationis nostrae“, auf den Weg unserer irdischen Pilgerschaft, gepflanzt und ihn in die Mitte der Kirche gesetzt, damit diese von ihm erhellt werde durch das Wissen, gestärkt durch die Tugend, erfreut in Barmherzigkeit, und damit ihre Freude vollkommen sei, eine Freude, die niemand ihr nehmen könne. Der Mensch trete also unter Führung der Gnade erneut an den Baum heran, gegen welchen er sich damals unter Einwirkung der Begierde versündigt hatte. Die Gnade habe bereits im Baum für unser Heil vorgesorgt, weil (quia!) der Tod zuvor von ihm ausging. In Gottesfurcht solle der Mensch sich nähern, wo ihn früher der Hochmut bewog […]. Aus Liebe tue er Gutes, freiwillig hänge er der Gerechtigkeit an. Und gleichsam mit den Kräften des Gehorsams versuche er jetzt gewaltsam das Leben zu erreichen, während er durch seinen Ungehorsam aus der Leichtfertigkeit der Willensentscheidung damals in den Tod gelaufen sei. „Timor innocentiam parit“, Furcht bringe Unschuld hervor […]. Und so wie Gott ihn auf dem rechten Weg führe, ihm das Wissen der Heiligen gebe, ihn in seiner Arbeit ehre, so vervollkommne er sein Glück, „pro qua fideliter et utiliter laboratur.“ Gottes Gnadengeschenke und des Menschen Arbeit, die sich durchaus auch in praktischen Berufen bewähren kann, finden in diesem Schlussbild zusammen, um die beatitudo des Menschen zu wirken. Dieser Sicht zufolge ist Arbeit nicht mehr Strafe, sondern von Gottes Gnade und der Philosophie als Mittlerin geleitete rechte Betätigung der Willensfreiheit und Rückgewinn der Ehre des Menschen, die ihm im Sündenfall verlorengegangen waren. 248 Guth, Johannes, p. 69 Anm. 444 vermutet sogar, Johannes könne auf seinen Reisen nach Unteritalien bereits mit den Aristoteles-Übersetzungen ins Lateinische bekannt geworden sein.

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2.9 THOMAS VON AQUIN (1225–1274): ARBEIT ALS ENTELECHIE DES MENSCHEN

2.9.1 Begriffsbestimmungen Es kann hier nicht der Ort sein, die philosophische Syntheseleistung des Thomas 249 in ihrer ganzen Komplexität zu würdigen. Wir beschränken uns auf einige für unser Thema „Arbeit und Willensfreiheit“ wesentliche Aspekte. Nachdem wir eingangs bereits auf die besondere Bedeutung des Am-WerkeSeins als Voraussetzung menschlicher beatitudo für Thomas von Aquin hingewiesen haben, soll jetzt dessen an Aristoteles geschulte Vorstellung vom Stellenwert und von der Funktionalität menschlicher Arbeit im Zusammenhang erörtert werden. Thomas hat mit dem Entwurf einer Ethik als praktischer Wissenschaft der Aristotelesrezeption, der bedeutendsten geistesgeschichtlichen Bewegung des 13. Jahrhunderts, neue Impulse gegeben. Vor allem seine Bestimmung des Menschen gemäß dem aristotelischen Entelechieprinzip hat – und dies wird zu zeigen sein – die Bedeutung der Arbeit für die menschliche Selbstverwirklichung unerhört gesteigert. 2.9.1.1 „Operatio“ Denn Arbeit wird als Teil der „operatio“, des Am-Werke-Seins des Menschen als Zweckbestimmung seines Lebens, unverzichtbar im Rahmen seiner Aufgabe, der Entfaltung naturgegebener Anlagen. Was Rather von Verona noch anhand einer Exegese des Gleichnisses von den Talenten aus dem Matthäusevangelium begründet hatte, dass es Verpflichtung des Menschen sei, seine von Gott gegebenen Anlagen zu vervielfältigen, wird dies jetzt auf rational-philosophischer Grundlage erörtert. Das von Thomas rezipierte aristotelische sog. „ergon-Argument“ 250 , demzufolge die vollkommene Realisierung der menschlichen Wesensmöglichkeiten vom Am-Werke-Sein (operatio) der Vernunft abhängt, bindet das Erreichen der beatitudo des Menschen an dessen Tätigkeit. Aristoteles hatte in der Nikomachischen Ethik das Menschlich-Gute als das Am-Werke-Sein der Seele nach Maßgabe ihrer Tauglichkeit bestimmt: „IJò ĮѴȞșȡȫʌȚȞȠȞ ĮѴȖĮșòȞ ȥȣȤȘѺȢ İѴȞȑȡȖİȚĮ ȖȓȞİIJĮȚ țĮIJǯ ĮѴȡİIJȘҒȞ [...].“ (NE I 6 1098 a 17) 251 Aristoteles und mit ihm Thomas definieren daher auch Glück als Am-Werke-Sein: „necesse est dicere quod beatitudo 249 Zur Einführung in das historische Umfeld und zu Grundzügen seiner Lehre vgl. K. Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, Stuttgart 1986, p. 244–246 und 324–340 sowie M. Forschner, Thomas von Aquin, München 2006 mit Literaturüberblick. 250 A. Speer, Das Glück des Menschen, in: ders. (ed.), Thomas von Aquin, Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin/New York 2005, p. 141–167, hier p. 159. 251 Vgl. Aristoteles. Die Nikomachische Ethik. Griechisch-deutsch, übers. von Olaf Gigon, neu hg. von Rainer Nickel, Düsseldorf/Zürich 2001, 28–30.

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hominis sit operatio“. (STh I–II q. 3, a. 2) Zwar unterscheidet der Aquinate zwischen der im Diesseits erreichbaren beatitudo imperfecta und der nur vermittels der Gnade erreichbaren beatitudo perfecta, doch sind beide Glückseligkeiten miteinander verbunden. Die irdische hat an der jenseitigen beatitudo Anteil, und zwar desto mehr, je einheitlicher und dauernder die ihr zugrunde liegende Tätigkeit ist: „Est tamen aliqua participatio beatitudinis, et tanto maior, quanto operatio potest esse magis continua et una.“ (STh I–II q. 3, a. 2 ad 4) Mit dieser Bestimmung gewinnt die irdische Tätigkeit des Menschen bereits Anteil am jenseitigen Glück, ein Umstand, der ihr weit über das Alltägliche hinaus eine hohe religiöse Bedeutung verleiht. Die Arbeit gehört damit als Teil des umfassenden Begriffs „operatio“ für den Aquinaten zu den menschlichen Tätigkeiten, in denen sich das Wesen des Menschen realisiert, die ihn seiner Bestimmung näherbringen. Das bereits im Frühmittelalter, wie gesehen, häufig zitierte Dictum Gregors des Großen „Homo ad laborem nascitur“ aus dem Buch Hiob gewinnt bei Thomas im Rahmen des Entelechiekonzepts einen neuen, positiveren Sinn. Stand früher die negative Konnotation des Leidens im Vordergrund, wird jetzt bei Thomas in den Quaestiones quodlibetales die naturrechtliche Ausrichtung des Menschen auf die Arbeit unter Rekurs auf Hiob 5, 7 betont. 252 „Sicut autem ex ipsa dispositione corporis patet, homo naturalem ordinationem habet ad opus manuale“: „Wie schon aus der Anlage des Körpers hervorgeht, besitzt der Mensch eine natürliche Ausrichtung auf die Handarbeit“. (Quodl. VII, q. 7, a. 1) Wie es im ersten Brief an die Thessalonicher laute, „Arbeitet mit euren Händen, wie wir es euch hießen“ (1. Thess. 4, 11), sei dies nicht nur eine Vorschrift des positiven Rechts, sondern auch des Naturrechts. Angesichts dieser Einordnung fällt kaum ins Gewicht, dass der insgesamt im Vergleich zu operatio und opus selten verwendete Begriff „labor“ auch im Sinne von „Leiden“ begegnet. (z. B. „perpessio laborum“, STh II–II q. 123, a. 3) Der schöpferische Aspekt von Arbeit dominiert also in der Wortwahl des Aquinaten. Thomas fasst den Begriff „operatio“ sehr weit: „Dico autem operationes humanas, quae procedunt a voluntate hominis secundum ordinem rationis“: „Menschliche Handlungen nenne ich alle, die aus dem vernünftigen Willen des Menschen hervorgehen.“ (Komm. zur Nik. Ethik I, 1, 5) Entsprechend allgemein heißt operari sehr häufig „wirken“ und wird sogar von göttlichen Personen gebraucht (z. B. Komm. Zur Nik. Ethik III 66, 5: virtus divina, quae operatur in baptismo; III, 68, 2: „fide per dilectionem operante“) Thomas unterscheidet weiter nach Aristoteles Handlungen, die die Vervollkommnung des handelnden Subjekts zum Gegenstand haben (praxis-operatio), von solchen, denen es um die möglichst gute Herstellung einer Sache (poiesis-factio) geht. Ziel des facere ist das Produkt, Zweck des operare die Tätigkeit, das Am-Werke-Sein selbst und damit die Vervollkommnung des arbeitenden Sub-

252 Übersehen bei E. Barzaghi, Il concetto di lavoro manuale in S. Tommaso d’Aquino, in: Divus Thomas 101 (1998) 9–79.

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jekts. 253 Operatio kann damit Handlungen geistiger wie körperlicher Art umfassen, sofern sie nicht primär auf das Produkt, sondern auf die Weiterentwicklung des arbeitenden Menschen gerichtet sind. Eine grundsätzliche Abwertung körperlicher Arbeit wird demnach nicht vorgenommen. Denn Thomas ist weiterhin überzeugt, dass auch handwerklicher Tätigkeit immer eine geistige Planung vorausgeht. „Eo quod artifex operatur per suum intellectum, unde oportet quod forma intellectus sit principium operationis“: „Weil der Handwerker durch seinen Intellekt arbeitet, ist es folgerichtig, dass die geistige Idee der Anfang der Handlung ist.“ (STh I q. 14, a. 8) Weil Arbeit für Thomas einen Verwandlungsprozess darstellt und vor jeder Herstellung eines Produkts eine Vorstellung desselben im Handwerker oder Künstler existieren muss, werden – nach den aristotelischen Kategorien hyle und morphe – die gedanklich erarbeiteten Formen während der Arbeit in die Materie des Objekts übertragen. Diese Formen nennt Thomas – hierin Platoniker – Ideen. (Quodl. IV, q. 1; STh I q. 12, a. 2) Diese Idee ist das Prinzip der Handlung und Thomas sieht in ihr, in Anverwandlung der aristotelischen Lehre von den vier Arten von Ursachen 254 , die Zweckursache und damit den Ursprung aller weiteren Kausalität. „Principium autem intentionis est ultimus finis.“ (STh I–II q. 1 a. 4) Dem folgt auch die Wahl der Mittel (STh I–II q. 8, a. 3) Auf diese Weise ist für Thomas Arbeit jedweder Art keineswegs etwas rein Körperliches, sondern ein Miteinander theoretischer und praktischer Vermögen, wobei der geistigen Idee der Primat gebührt. 255 2.9.1.2 Liberum arbitrium Da jede „operatio“, wie gesehen, aus dem Willen hervorgeht, ist zu prüfen, wie Thomas dessen Beschaffenheit einschätzt. Wie steht es mit seiner Einschätzung der Willensfreiheit? Mit Aristoteles bestimmte Thomas die beatitudo perfecta als vollkommene Verwirklichung der höchsten Naturanlage des Menschen, der Vernunft, die in der Schau Gottes zur Vollendung gelange. Allein der Mensch könne sich durch seine Tätigkeit Gott angleichen. Diese Rückkehr zu Gott vollziehe sich im menschlichen Verlangen nach Wissen. (Summa contra gentiles III c. 25) Dabei sei der Mensch als imago Dei wie sein Schöpfergott als Ursprung seiner Werke anzusehen: er besitze die freie Entscheidung (liberum arbitrium) und Macht (potestas) über seine Werke. Erst die Summa theologiae des Thomas von Aquin unterscheidet in der Rezeption der Nikomachischen Ethik des Aristoteles nach den begrifflichen Unschärfen des frühen Mittelalters wieder zwischen Willens- und Handlungsfrei-

253 C. Barzaghi, p. 19ff. 254 STh I q. 36, a. 3: causa finalis, formalis, effectiva, motiva. 255 C. Barzaghi, p. 32.

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heit. 256 So formuliert Thomas im Prolog zur Prima secundae: „restat ut consideremus de eius imagine, idest de homine, secundum quod et ipse est suorum operum principium, quasi liberum arbitrium habens et suorum operum potestatem“. 257 Thomas sieht demnach im Rahmen des traditionellen neuplatonischen Denkschemas von Ausgang und Rückkehr eine Bewegung zu Gott als Ziel des menschlichen Lebens (STh I q. 2, prooem.), die nicht mit Naturnotwendigkeit (necessitate naturae), sondern nach freier Willensentscheidung des Menschen (secundum suae arbitrium voluntatis) geschieht. (Summa contra gentiles III, c. 1) Die Grundannahme einer Willensfreiheit ist für unser Thema wichtig, weil damit auch die Arbeit für Thomas vom freien menschlichen Willen gesteuert ist: „non enim ex necessitate homo operabatur, sed per liberum arbitrium“, „denn der Mensch handelt nicht aus Notwendigkeit, sondern durch seinen freien Willen.“ (STh I q. 96 a. 3) Der Wille bestimme alles Handeln, also auch die Arbeit: „primum movens ad operandum est voluntas“. 258 Doch was macht diesen Willen aus? Die voluntas ist für Thomas eines der seelischen Grundvermögen, die das Handeln steuern: „potentiae animae sunt principia operum vitae“ (STh I q. 78, a. 1) Thomas teilt die Vermögen der Seele in rationale, sensible und vegetative ein, wobei die voluntas zu den rationalen Kräften gehört. (ibid.) „Ex imperio rationis“ werden die sensiblen und vegetativen Seelenkräfte zum Handeln bewegt. (STh I–II q. 50, a. 3) Der rationale Wille hingegen ist nur Gott unterworfen (STh I q. 57, a. 4; I–II q. 109, a. 8; III q. 69, a. 9) und Christus, der als spiritalis medicus die Fähigkeit hat, ihn so vorzubereiten, dass er das Gute will. (STh III q. 68, a. 4 ad 2) Der voluntas als appetitus rationalis eignet so die Fähigkeit, sich gegen die Impetus der Leidenschaften durchzusetzen: „Multa enim volumus et operamur absque passione, per solam electionem: ut maxime patet in his in quibus ratio renititur passioni.“ (STh I–II q. 10, a. 3 ad 3) 259 Damit wird die Arbeit zum Betätigungsfeld eines rationalen Willens, dessen Orientierung am Guten Gott vorbereitet, die aber vom Menschen durch Zustimmung bestätigt werden muss. Thomas setzt dabei eine Art prästabilierte Harmonie zwischen vernünftiger Willensentscheidung und göttlich infundierter Ausrichtung am Guten voraus: „per motum liberi arbitrii […] Dei iustitiae consentimus“ (STh I–II q. 111, a. 2 ad 2). Wie schon Abaelard so setzt auch Thomas das Verdienst in die bewusste, rationale Entscheidung des freien Willens. Da Arbeit vom freien Willen und von der Vernunft geleitet ist, gehört sie in den Bereich der Moralphilosophie, einem der drei von Thomas unterschiedenen Hauptteile der

256 K. Mertens, Handlungslehre und Grundlagen der Ethik, in: A. Speer (ed.), Thomas von Aquin. Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin/New York 2005, p. 168–197, hier p. 179. 257 „Uns bleibt noch über den Menschen als Gottes Bild nachzudenken, denn auch er ist der Ursprung seiner Werke, indem er einen freien Willen besitzt und die Macht über sein Handeln.” 258 STh I q. 41, a. 2: voluntas est principium operis. 259 „Denn vieles wollen und tun wir ohne Leidenschaft, nur aufgrund einer Wahl: wie es vor allem deutlich wird, wenn die Vernunft der Leidenschaft widerstreitet.“

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Philosophie, die er in philosophia rationalis, naturalis und moralis einteilt, wobei die Moralphilosophie wiederum in Ethik, Ökonomik und Politik zerfällt. 260 Freilich ist Thomas auch so sehr Theologe, dass ihm nicht in Frage steht, dass Gott den Menschen die Fähigkeit zum Tätigsein gegeben hat (STh I q. 105, a. 5) und dass der Wille als vernünftiges Streben, „appetitus rationalis“ (STh I q. 80, a. 1), immer schon auf das Gute gerichtet ist: „voluntas est amativa universalis boni“ (Quaestiones disputatae III, De spiritualibus creaturis 1, ad 1). Dieser Optimismus zeigt sich auch an anderen Stellen der Summa theologiae: „Impossibile est autem quod aliquis quidquam velit vel operetur, nisi attendens ad bonum“: „Es ist unmöglich, dass jemand etwas will oder tut, ohne nach dem Guten zu streben“. (STh I q. 62, a. 8) „Unaquaeque res in sua operatione et conatu non tendit nisi ad bonum: nullus enim respiciens ad malum operatur”: „Jede Sache strebt in Versuch und Betätigung nur nach dem Guten, denn niemand handelt mit Blick auf das Schlechte.“ (STh I q. 103, a. 8). Der Mensch handle stets aus Hoffnung: „sequitur quod homo intente operetur propter spem.“ (STh I–II q. 40, a. 8) Tugend ist ihm daher „nihil aliud quam habitus quo quis potest bene operari“, „nichts anderes als die Gewohnheit, gut zu handeln.“ (STh II–II q. 123, a. 2) 261 Wie jede geschaffene Wirklichkeit nach dem aristotelischen Entelechieprinzip die innere Hinordnung auf die ihr gemäße Vollendung wesensnotwendig in sich trägt, so auch für Thomas der Wille: „voluntas humana non potest non velle beatitudinem“: „der menschliche Wille kann die Glückseligkeit nicht nicht wollen“. (Quaestiones disputatae II 3) Deshalb ist für Thomas auch die wahre Freiheit die Freiheit von Sünde, die mit der Bindung an die Gerechtigkeit verknüpft ist, weil durch beides der Mensch nach dem strebt, was ihm gemäß ist. (STh I–II q. 94, a. 3) Hinsichtlich der Wahl der Mittel dazu besteht Entscheidungsfreiheit. Diesem Ziel der beatitudo ordnet der Wille demgemäß auch die einzelnen Handlungen unter. Die Wesensbestimmung des Menschen nach seiner Vernünftigkeit, Willensfreiheit und Selbstmächtigkeit und die Betonung der energeia kat´ areten, des AmWerke-Seins gemäß der Tugend, als Grundlage der beatitudo, gehen im Werk des Thomas Hand in Hand. Vervollkommnung des Menschen ist für ihn nur in der Betätigung möglich: „ultima perfectio intellectus est eius operatio.“ (STh I q. 87, a. 3) Alles ist geschaffen, um sich zu betätigen: „omnis res sit propter suam operationem […] operatio est finis rei creatae“. (STh I q. 105, a. 5) Beide Gesichtspunkte geben der Arbeit eine unmittelbare Heilsbedeutung. Da für Thomas menschliche Handlungen grundsätzlich dadurch gekennzeichnet sind, dass sie aus freien Willensentscheidungen hervorgehen (STh I–II q. 1, a. 1), und der Wille für Thomas stets ein Vernunftstreben (appetitus rationalis) ist, das der Vernunft gehorcht (STh II–II q. 58, a. 4 ad 1), ist auch die Arbeit als Ergebnis solcher Entscheidungen vernunftgeleitet. So sieht es auch Barzaghi: „il 260 Dazu der Prolog seines Kommentars zur Nikomachischen Ethik bei F. Cheneval/ R. Imbach (edd.), Thomas von Aquin, Prologe zu den Aristoteleskommentaren, Frankfurt/Main 1993, p. 82–89. 261 Am-Werke-Sein ist Bedingung der Tugend (STh II–II q. 123, a. 11) und umgekehrt: „Virtus humana est quidam habitus perficiens hominem ad bene operandum“ (STh I–II q. 58, a. 3): Demnach ist Tugend als Betätigung der Weg zur Selbstvervollkommnung.

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lavoro trae la sua fundazione e la sua energia nella scienza e nella volontà, prima di essere esecuzione produttiva.” 262 Die Vernunft steht für Thomas am Beginn jeder Handlung: “omnium humanorum operum principium primum ratio est”. (STh I–II q. 58, a. 2) Von der spätmittelalterlichen Entwicklung in Richtung Subjektivität, die den Primat des Willens vor der Vernunft postulierte, wie es vor allem bei Duns Scotus spürbar wird, sind wir hier noch weit entfernt. 263 Wenn für ihn auch Intellekt und Willen am Handeln beteiligt sind (STh I q. 13, a. 7), geht Thomas doch eindeutig vom Primat der Vernunft aus: „ars autem est in ratione“. Deshalb sei es großartig, wenn jemand die Kosten eines Werkes vor Beginn vernünftig bedenke. (STh II–II q. 134, a. 4 ad 3) Vernünftig zu handeln sei gleichbedeutend mit Tugend. (STh I–II q. 85, a. 2) Der Intellekt erleichtere sogar das Handeln und mache optimistisch: „demonstrat enim aliquid esse possibile. Et sic causat spem“. (STh I–II q. 40, a. 5 ad 1) Thomas geht jedoch von einer wechselseitigen Einschließung und Beeinflussung der beiden Vermögen, Intellekt und Willen, aus. „Hae potentiae suis actibus invicem se includunt: quia intellectus intelligit voluntatem velle, et voluntas vult intellectum intelligere.“ (STh I q. 82, a. 4 ad 4) Wie das Gute im Wahren enthalten sei und umgekehrt, so verhalte es sich auch mit Intellekt und Willen. Der Intellekt bewege den Willen in anderer Weise als umgekehrt. Der Verstand erkenne den Willen, während der Wille das Erkennen des Verstandes wolle. (ibid.) 2.9.1.3 Ars Dieses Verständnis hat auch Einfluss auf Thomas Verständnis von „ars“ als „recta ratio factibilium“ (STh I–II q. 57, a. 4) bzw. als „habitus operativus“ (STh I–II q. 57, a. 3): auch hier dominiert die Vernunft den Herstellungsvorgang. Die technische oder künstlerische Vernunft ist insofern der theoretischen untergeordnet, weil dem Produktionsvorgang die Kenntnisse der Naturgesetze vorausgehen müssen. 264 Die Pflege der Wissenschaften sei daher einem Orden durchaus angemessen, denn sie unterstütze die Kontemplation, indem sie den Verstand erhelle, dogmatische Irrtümer vermeide und sexuelle Begehrlichkeiten eindämme. (STh II–II q. 188, a. 5) Daher ist auch die Ausübung der artes liberales „nobilior“ (Quodl. VII, 7) als die der artes mechanicae, denn erstere gehen nur von der vernunftbegabten Seele aus, während letztere auch körperliche Handlungen implizieren. Da in diesen der Körper der Diener der Seele werde, müssten diese artes auch serviles genannt werden. (STh I–II q. 57, a. 3) Im Zusammenhang der Diskussion des Arbeitsverbotes am Sonntag differenziert er freilich abweichend drei Arten von opus servile: 262 Ibid. p. 25 mit Verweis auf den Sentenzenkommentar des Thomas (Sent. I, dist. 38, q. 3, a. 4). 263 G. Mensching, Der Primat des Willens über den Intellekt: Zur Genese des modernen Subjekts im Spätmittelalter, in: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, Bd. 1, R. L. Fetz/R. Hagenbüchle (edd.), Berlin/New York 1998, p. 487–507. 264 Ibid. p. 34.

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sündhafte Werke („homo servit peccato“), solche, bei denen ein Mensch dem anderen in körperlicher Arbeit diene („homo alterius servus non secundum mentem, sed secundum corpus. […] Et ideo opera servilia, secundum hoc, dicuntur opera corporalia, in quibus unus homo alteri servit“), und schließlich solche, bei denen man Gott diene („opus latriae, quod pertinet ad Dei servitium“). (STh II–II q. 122, a. 4) Nur die ersten beiden solle man meiden, um für die dritte Art frei zu sein. (ibid.) Die Körperlichkeit der Arbeit ist allein also kein hinreichendes Kriterium für die Zuordnung zum opus servile: das antike Kriterium der Freiheit spielt weiterhin eine wichtige Rolle. Ein zweiter Grund für die Unterordnung der artes mechanicae besteht für ihn darin, dass deren Ziele stets außerhalb des Menschen in der Herstellung eines Produktes lägen. Der Mensch aber sei das Maß für den Gebrauch von Technik und Kunst: „omnia enim propter hominis usum fiunt. Non potest igitur in operatione artis esse ultima felicitas.“ (Summa contra gentiles III c. 36) 265 In der Vorrede zum Kommentar zur aristotelischen Metaphysik heißt es, dass alle Wissenschaften und Künste auf ein Ziel ausgerichtet seien, die Vervollkommnung und Glückseligkeit des Menschen. Aufgrund des höheren Zieles sind also die artes mechanicae den artes liberales untergeordnet. Doch auch die artes mechanicae entwickeln habitus, die zur Bildung des Menschen beitragen. (STh I–II q. 49, a. 4) Barzaghi rückt die Gesamtheit der habitus in die Nähe unseres Kulturbegriffs, insofern sie in der Ausübung die Gemeinschaft der Menschen mit Welt und Geschichte aktualisierten.266 Angesichts des Wertbezugs jeder Handlung in der Lehre des Thomas ein durchaus angängiger Vergleich. Er ermöglicht der Philosophiehistorikerin auch die Einordnung der thomasischen Definition von Arbeit, insbesondere im Rahmen der artes mechanicae, in die Sphäre kulturprägender Tätigkeiten. Denn Thomas fasst den Begriff von Arbeit sehr weit: zu ihr gehören alle Tätigkeiten, mittels derer sich die Menschen ihren Lebensunterhalt erwerben, nicht nur solche, die mit den Händen verrichtet werden, sondern auch solche, die mit den Füßen oder der Sprache erbracht werden, also können auch geistige Tätigkeiten wie z. B. die Predigt zum opus manuale zählen, wenn jemand davon lebt. (STh II–II q. 187, a. 3) „Sub opere manuali intelliguntur omnia humana officia, ex quibus homines licite victum lucrantur, sive manibus, sive pedibus, sive lingua fiant.“ Die Hände seien, so Thomas weiter, zwar das Organ schlechthin, das „organum organorum“ (ibid.), das hierfür in besonderer Weise geeignet sei, aber Thomas versteht unter (Hand-)Arbeit eben alle möglichen Tätigkeiten, die der Selbsterhaltung dienen. Theoretische und praktische Vernunft rücken näher aneinander. 267

265 „Denn alles geschieht wegen des menschlichen Nutzens. Daher kann in der Ausübung einer Kunst nicht das höchste Glück liegen.“ 266 Ibid. p. 59ff. 267 Vergleiche die Diskussion in STh I q. 79, a. 11.

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2.9.2 Lebenswelt und Lehre Thomas’ neues, an Aristoteles gewonnenes, Menschenbild der schöpferischen, aufgrund freier Willensentscheidung handelnden imago Dei, die sich im Handeln, d. h. auch in der Arbeit, verwirklicht, korrespondiert mit der historischen Konstellation, aus der es hervorging. Die sozial- und wirtschaftsgeschichtlich so dynamische Wandlungsperiode, deren günstige klimatische Bedingungen, demographisches Wachstum, Entfaltung der Städte und Belebung des Fernhandels mit beachtlicher Differenzierung der beruflichen Tätigkeiten gerade auch jenseits des agrarischen Sektors bekannt sind 268 , kann das neue menschliche Selbstverständnis gefördert haben. Aus der Verbindung gewachsener realgeschichtlicher Möglichkeiten für wirksame menschliche Betätigung und neuen Deutungsschemata dieser Aktivität, wie sie Politeia und Nikomachische Ethik bereitstellten, dürfte sich ein gewaltiger Schub in Richtung einer Aufwertung der Arbeit als energeia ergeben haben, die jetzt als Inbegriff menschlicher beatitudo verstanden werden konnte. Lassen sich möglicherweise auch aus der Biographie 269 des Thomas Berührungspunkte zwischen persönlichen Erfahrungen und Lehrmeinungen gewinnen? Als jüngster Sohn des Grafen von Aquino Ende 1224 oder Anfang 1225 auf Roccasecca bei Neapel geboren, wurde er als jüngster Sohn der Familie für eine geistliche Laufbahn bestimmt und mit fünf Jahren als Oblate dem Benediktinerkloster Montecassino anvertraut. Als er bewusst entscheiden konnte, studierte er an der staatlichen, von Friedrich II. gegründeten Universität von Neapel und trat 1244 dem Dominikanerorden bei; eine Wahl, die seine Familie mit seiner Entführung und Gefangennahme beantwortete. Ähnlich wie im 9. Jahrhundert der Mönch Gottschalk in Fulda und wie Abaelard hat also auch Thomas am eigenen Leib erfahren, welche Schwierigkeiten der Durchsetzung des freien Willens entgegenstehen können. Doch er war stark genug. Seine Familie gab nach und ließ ihn nach einjährigem Hausarrest gewähren: sie fand sich damit ab, dass er der Verwandtschaft nicht in einem hohen Kirchenamt Macht und Einfluss erhielt und stattdessen einem Bettelorden beitrat. Thomas studierte von 1245–48 in Paris und begleitete anschließend Albertus Magnus als Assistent nach Köln (1248–52), der dort ein studium generale des Ordens aufbaute. Er hörte bei ihm Vorlesungen über die Nikomachische Ethik und über die Hierarchienlehre des Neuplatonikers Pseudo-Dionysius Areopagita. Ab 1256 unterrichtete er selbst in Paris, Neapel (1260/1), Orvieto (1261–65) und Rom (1265–68). Als Magister der Theologie war er verpflichtet, Vorlesungen über die Bibel, Disputationen und Predigten zu halten, die sich in den literarischen Gattungen seiner Werke, des Kommentars, der Quaestio und des Sermo, widerspiegeln. 270 Ab 1268 wieder in Paris stürzte er sich 268 Jüngste Gesamtdarstellung der Epoche von G. Signori, Das 13. Jahrhundert, Stuttgart 2007. 269 Zur Biographie v. a. die Monographien von J.A. Weisheipl, Friar Thomas d’Aquino. His life, thought and works, Washington 1983 und vor allem von J.–P. Torrell, Magister Thomas, Freiburg/Basel/Wien 1995. 270 Zur damaligen Unterrichtspraxis: P. Glorieux, L`enseignement au moyen âge. Techniques et méthodes en usage à la Faculté de Théologie de Paris au XIIIe siècle, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 35 (1969) 65–186.

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in einen Arbeitsrausch, dem sich der wichtigste Teil der Summa theologiae, die Secunda Secundae, verdankt. Dank seiner unglaublichen Konzentrationsfähigkeit konnte er simultan verschiedenen Schreibern unterschiedliche Abhandlungen diktieren. In Paris wurde er gleichsam in einen Zweifrontenkrieg verwickelt: einerseits in den Mendikantenstreit um die Frage, ob Angehörige der Bettelorden magistri an der Universität Paris werden dürften und welchen Formen von Arbeit sie sich zuzuwenden hätten. Das Thema „de opere manuali“ wird, wie wir teilweise schon gesehen haben, in der Summa theologiae (II–II q. 187, a. 1–4) unter Rückbezug auf Augustins Schrift De opere monachorum und in der Summa contra gentiles (III, c. 134–135), einem Missionshandbuch, das Thomas während seiner ersten Lehrtätigkeit in Paris 1252–1259 in Angriff nahm und das zur Auseinandersetzungen mit Juden und Muslimen dienen sollte, aufgegriffen. 271 Andererseits wurde Thomas in den Streit um die Rezeption der aristotelischen Schriften verwickelt, die vom Rektor der Universität Paris wieder und wieder erfolglos mit Verboten belegt wurden. Doch dies waren nicht die einzigen Kontroversen, auf die Thomas’ Denken Bezug nimmt. An der Universität Paris gab es zu seiner Zeit ebenso einflussreiche Professoren, die in radikaler Weise die Freiheit des menschlichen Willens bestritten. Der berühmte Siger von Brabant 272 vertrat einen solchen freiheitsfeindlichen Determinismus, demzufolge der Mensch als ein Teil der kosmischen Wirklichkeit Teil ihrer Gesetzlichkeit ist, ohne sie beeinflussen zu können.273 Thomas formulierte die Gegenthese: es sei Aufgabe des Menschen, die Freiheit seines Willens, die ihn als imago Dei, als seiner selbst mächtiges Wesen ausmache, zu vervollkommnen: hoc est naturale homini, quod sit liberi arbitrii. (STh I q. 83, a. 2) Oder noch umfassender: Ipse est suorum operum principium, quasi liberum arbitrium habens et suorum operum potestatem. (STh I–II, Prol.)274 Die Willensfreiheit sei kosmischer Beeinflussung nicht zugänglich: „nulla necessitas ex hoc libero arbitrio imponitur, sed contra inclinationem caelestium corporum homo potest per rationem operari.“ „Keine Notwendigkeit wird dem freien Willen auferlegt, der Mensch kann vielmehr mittels der Vernunft gegen die Neigung der Himmelskörper handeln.“ (STh II–II q. 95, a. 5) Nur so ist für Thomas menschliches Verdienst denkbar: „Ad hoc enim fides astringit, cum sine libero arbitrio non possit esse meritum vel demeritum, iusta poena vel praemium“: „Das lehrt der Glaube verbindlich, dass es ohne den freien Willen kein Verdienst oder Verfehlen, 271 Zur Chronologie der Werke die Einleitung von F. Cheneval und R. Imbach zu ihrer Edition: Thomas von Aquin, Prologe zu den Aristoteleskommentaren, Frankfurt/Main 1993, p. XLII– LVI; zur Gattung der Quaestiones: Les questions disputées et les questions quodlibétiques dans les facultés de théologie, de droit et de médecine, B. Bazan/J. Wippel/G. Fransen/D. Jacquart (edd.), Turnhout 1985. 272 Umfassende Werksynopse bei F. van Steenberghen, Maître Siger de Brabant, Löwen/Paris 1977. 273 A. Zimmermann, Der Begriff der Freiheit nach Thomas von Aquin, in: L. Oeing-Hanhoff, Thomas von Aquin 1274–1974, München 1974, p. 125–159. 274 L. Oeing-Hanhoff, Zur thomistischen Freiheitslehre, in: Scholastik 31 (1956) 161–181.

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keine gerechte Strafe oder Belohnung geben kann.“ (De veritate 24, 1) „Quia creatura rationalis seipsam movet ad agendum per liberum arbitrium, unde sua actio habet rationem meriti; quod non est in aliis creaturis“: „Weil die vernünftige Kreatur sich selbst zum Handeln bewegt durch den freien Willen, hat das Handeln den Charakter des Verdienstes; das gibt es nicht bei anderen Kreaturen.“ (STh I–II q. 114, a. 1) Vom Orden beauftragt, ein studium generale zu gründen, wählte er 1272 Neapel als Sitz. Er las über die Psalmen, schrieb am dritten Teil der Summa theologiae und predigte dort 1273 in der Fastenzeit täglich, bis er am 6. Dezember eine Visionserfahrung, vielleicht gleichzeitig auch einen gesundheitlichen Zusammenbruch hatte. Fortan diktierte er nicht mehr. Auf dem Weg zum zweiten Konzil von Lyon starb er am 7. März 1274 in der Zisterzienserabtei Fossanova. 2.9.3 Gnade, Verdienst und Lohn Nur weil sie auf freien Willensentscheidungen beruhen, haben menschliche Handlungen nach Thomas, wie gezeigt, den Charakter des Verdienstes. Hier schließt sich die Frage an, wie er das Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlichem Verdienst bei der Rechtfertigung im Jüngsten Gericht sieht. Vor allem die Quaestio „De necessitate gratiae divinae“ (STh I–II q. 109) geht ausführlich auf dieses Thema ein. Da für ihn die Menschen naturhaft gut sind, auch nach dem Sündenfall ihre Natur nicht völlig verdorben ist, vor allem nicht hinsichtlich ihrer Erkenntnisfähigkeit (STh I–II q. 109, a. 2), und selbst bei den Ungläubigen „non corrumpitur totaliter […] ratio naturalis“, können selbst diese „facere aliquod opus de genere bonorum“. (STh II–II q. 10 a. 4 ad 3) Doch die Gnade kann der Natur helfen, das Gute zu verwirklichen. (STh I q. 62, a. 3 ad 3: naturae per gratiam adiutae) Worin besteht nun diese Hilfe? Während es der Mensch im Naturzustand („in statu naturae integrae“) noch vermochte, „per sua naturalia velle et operari bonum suae naturae proportionatum“ (STh I–II q. 109, a. 2), wenngleich er auch im Paradies zum praktischen Handeln schon der göttlichen Hilfe bedurfte („ipse movet intellectum ad agendum“, STh I–II q. 109, a. 1), braucht er nach dem Sündenfall („in statu naturae corruptae“) zusätzliche Gnadenkraft, um geheilt zu werden und um das Gemeinwohl statt seines Privatinteresses zu verfolgen. 275 Gemeinwohl und Glück des Menschen sind auf diese Weise in Thomas’ Denken eng verbunden: die Orientierung am bonum commune ist Inhalt der „Heilung“, die Gott der verdorbenen Menschennatur angedeihen lässt.

275 STh I–II q. 109, a. 3: in statu naturae corruptae homo ab hoc (sc. amore Dei et proximi) deficit secundum appetitum voluntatis rationalis, quae propter corruptionem naturae sequitur bonum privatum, nisi sanetur per gratiam Dei: „Nach dem Sündenfall fällt der Mensch von der Liebe ab gemäß dem Streben seines rationalen Willens, der wegen der Verderbnis seiner Natur seinem Privatinteresse folgt, wenn er nicht von der Gnade Gottes geheilt wird.“

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Konkret geschieht die Verwirklichung des Gemeinwohls am besten, indem die politische Ordnung eine Mischverfassung realisiert. In Fortführung des aristotelischen Ideals der mesotes und der aristotelischen Verfassungstypologie formuliert Thomas einen Zusammenhang von politischer Ordnung und Heilsordnung. Nur die Mischverfassung als beste Verwirklichung des Gemeinwohls in Einheit und Frieden unter Leitung der nach ihrer Tugend Besten und unter Beteiligung aller freien Männer sei geeignet, auf die beatitudo hinzuführen.276 „Non est ergo ultimus finis multitudinis congregatae vivere secundum virtutem, sed per virtuosam vitam pervenire ad fruitionem divinam.“ (Reg. Princ. I, 14) 277 Die Verwirklichung des Gemeinwohls ermöglicht erst die Glückseligkeit im Jenseits. Staatliche Ordnung und Heilsordnung sind notwendig aufeinander bezogen. Es hängt also vom Handeln der Menschen ab, ob sie das Heil erreichen. Aber nicht allein: „homo sua voluntate facit opera meritoria vitae aeternae: sed […] ad hoc exigitur quod voluntas hominis praeparetur a Deo per gratiam.“ (STh I–II q. 109, a. 5 ad 1) 278 Obwohl die vorbereitende Gnade Gottes gebraucht wird, um den Willen des Menschen auf das Gute auszurichten, vertritt Thomas eine ausgesprochene Verdienstethik, die seiner Lehre von der Freiheit und Selbstmächtigkeit des Menschen und der Betonung des rationalen Willens im Menschenbild entspricht. Es sei Sache des Menschen, den Geist vorzubereiten, denn dieses bewirke er durch sein „liberum arbitrium“. Dennoch tue er dies nicht ohne die Hilfe Gottes, der ihn bewege und zu sich heranziehe. (STh I–II q. 109, a. 6 ad 4) Unter diesen Voraussetzungen lässt sich sagen: „Praemium bonorum operum est beatitudo aeterna.“ (STh III q. 59, a. 2 ad 3) 279 Da das Am-Werke-Sein als Entelechie des Menschen gemäß dem aristotelischen ergon-Argument so zentral für das thomasische Denken ist, folgt daraus notwendig, dass aus dem Am-Werke-Sein auch die menschliche Selbstvervollkommnung sich ergibt. Verdienstvoll wird für Thomas menschliches Tun erst insofern es aus einem freien Willen hervorgeht: „Opus autem redditur virtuosum et laudabile et meritorium praecipue secundum quod ex voluntate procedit“. (STh II–II q. 104, a. 1 ad 3) So radikal wie hier gibt er das Heil des Menschen freilich nicht immer allein diesem selbst auf. Es begegnen auch Formulierungen, die auf eine „Zusammenarbeit“ von menschlichem Tun und göttlicher Gnade hinauslaufen. Grundsätzlich unterscheidet Thomas verschiedene Wirkungen der Gnade in uns: die Heilung der Seele, das Wollen des Guten, das Umsetzen des guten Willens etc. (STh I–II q. 276 Zu den politischen Schriften des Thomas bzw. zu seinem Fürstenspiegel De regimine principum, der zeitgleich mit dem Kommentar zur aristotelischen Politik ca. 1265–1267 entstand: J. Miethke, Le teorie politiche nel medio evo, Genova 2001, p. 84–94. 277 „Es ist nicht das letzte Ziel einer Vereinigung von Menschen, nach der Tugend zu leben, sondern durch ein tugendhaftes Leben in den Genuss Gottes zu gelangen.“ 278 „Der Mensch tut mit seinem Willen Werke, die verdienstvoll im Hinblick auf das ewige Leben sind. Aber […] dazu ist es nötig, dass der Wille des Menschen durch die Gnade Gottes vorbereitet wird.“ 279 Ähnlich „praemium virtutis est ipsa beatitudo, propter quam virtuosi operantur.“ (STh I–II q. 2, a. 2)

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111, a. 3) Konkret beschreibt er diese Zusammenarbeit z. B. bei der Vergebung von Sünden: „Deo operanti in poenitentia cooperamus“. (STh III q. 85, a. 5) Denn auch Reue ist für ihn ein Willensakt. (STh III q. 85, a. 4) Reue und Gnade wirken in der Vergebung zusammen. Erst wenn die Reue die Sünde vertrieben hat, wird sie vergebbar: „remissibile ex divina gratia homine cooperante“. (STh III q. 85, a. 2 ad 3) Im Bußsakrament „operatur virtus passionis Christi per absolutionem sacerdotis simul cum opere poenitentis, qui cooperatur gratiae ad destructionem peccati“. (STh III q. 84, a. 5) 280 Auch Handlungen aus Erbarmen sind heilswirksam: „ per ipsa opera misericordiae quae quis in pauperes exercet, meretur recipi in aeterna tabernacula.“ (STh I–II q. 114, a. 6 ad 3) Thomas widmet eine ganze quaestio der Frage „utrum gratia convenienter dividatur per operantem et cooperantem“, „ob die Gnade zutreffend auf den Handelnden und den Mitarbeitenden verteilt wird.“ (STh I–II q. 111) In Auseinandersetzung mit Augustins Frühschrift De gratia et libero arbitrio kommt er zu dem Schluss: „Deus non sine nobis nos iustificat, quia per motum liberi arbitrii, dum iustificamur, Dei iustitiae consentimus.“ „Gott macht uns nicht ohne unser Mitwirken gerecht, weil wir durch die Bewegung unseres Willens der Gerechtigkeit Gottes zustimmen und so gerechtfertigt werden.“ (STh I–II q. 111, a. 2 ad 2) In der freien Willensentscheidung, im Konsens, liegt also – und hier argumentiert Thomas ganz auf der Linie Abaelards, ohne ihn jedoch zu zitieren – die „Mitarbeit“ des Menschen am Erreichen des Heils. Gott aber hilft ihm, das Gute zu wollen: „Et ideo […] consequens est, ut gratia nobis cooperetur.“ (ibid. ad 3) Doch bei dem „Einfluss“ der Gnade in Gestalt der caritas „requiritur motus liberi arbitrii“. (STh II–II q. 24, a. 10 ad 3) Hier wird der Konsens als „Bewegung“ des freien Willens bezeichnet. Je nach dem, wie stark die Ausrichtung, die „intensio liberi arbitrii“ sei, desto mehr oder weniger caritas fließe ein. Der Grad an Nächstenliebe, zu dem jemand fähig ist, bemisst sich also für Thomas auch an der Intensität der Zustimmung zu ihr, derer der Mensch fähig ist. Vom abstrakten Lohn des Jüngsten Gerichts zum materiellen Arbeitslohn. Thomas äußert Verständnis für Lohnarbeiter und Sklaven, insofern als er diesen den Lohn sofort auszuzahlen für nötig hält, weil sie sonst ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könnten. (STh I–II q. 105, a. 2) Darüber hinaus möchte er jene vor übermäßigen Arbeitsforderungen und Bestrafungen durch ihre Herren schützen, indem er daran erinnert, dass das Sabbatgebot auch für Sklaven und Mägde gelte, und dass die Bibel eine Strafe für die Verstümmelung von Sklaven vorsehe und sie freizulassen befehle. (STh I–II q. 105, a. 4) 2.9.4 Intentionale Ethik, Freiwilligkeit und Arbeitsfreude Mit Abaelard teilt Thomas auch die Betonung der Absicht des Handelnden bei der Beurteilung einer Tat, denn nichts geschehe absichtslos, weder die Schöpfung 280 „wirkt die Kraft der Passion Christi durch die Absolution des Priesters mit dem Werk des Büßers zusammen, der mit der Gnade zusammenarbeitet und so die Sünde zerstört.”

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noch menschliches Handeln: „omne creatum sub aliqua certa intentione creantis comprehenditur: non enim in vanum agens aliquod operatur.“ (STh I q. 7, a. 4) Er ist mit ihm der Ansicht, das Verdienst liege nicht in der Tat, sondern mehr im Geist des Handelnden. (STh II–II q. 152, a. 4) Die intentionale Ethik 281 Abaelards schimmert durch, immer dann, wenn Handlungen vor allem hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Motive qualifiziert werden. (STh I–II q. 20, a. 4) Unfreiwillige Handlungen können daher nach Thomas nicht für eine Beurteilung im Jüngsten Gericht zugrundegelegt werden. (ibid.: „involuntarium autem […] non meretur poenam vel praemium“) Vielmehr bemisst sich das Verdienst nach der Schwierigkeit der Handlung. Da Engel keine Schwierigkeiten hätten, gut zu handeln, könnten sie auch nicht verdienstvoll handeln. Nur solche Taten, die „supra virtutem naturae“ hinausgingen, in denen der Mensch gleichsam über sich selbst hinauswächst, über seinen Schatten springt, sind für Thomas verdienstvoll. (STh I q. 62, a. 4) Gute Werke müssen der caritas als der „forma fidei“, dem Wesenskern des Glaubens (STh II–II q. 4, a. 3), entspringen, um heilswirksam zu sein. Thomas zitiert aus dem Johannesevangelium, um die Notwendigkeit des Handelns aus dilectio zu unterstreichen: „Non diligamus verbo neque lingua, sed opere et veritate.“ (Joh. 3, 18 in STh II–II q. 32, a. 5) Diese Hinweise scheinen ihm umso notwendiger, als er feststellt, dass sich die meisten Menschen aus Geldgier an die Arbeit machten. Dieser „amor mundanus“ sei jedoch von Übel und bringe nur Angst vor Verlusten hervor. (STh II–II q. 19, a. 3) Dass die Absicht für die Beurteilung einer Handlung jedweder Art entscheidend ist, zeigt sich auch in Thomas’ Diskussion der Frage, ob es Mönchen gestattet sein solle, weltliche Aufgaben wahrzunehmen: „monachis interdicuntur tractare saecularia negotia propter cupiditatem, non autem propter caritatem“. (STh II– II q. 187, a. 2) Sie dürften sich nicht an Königshöfen einfinden „propter delicias vel gloriam vel cupiditatem“, wohl aber „propter pias causas“, wie z. B. um den Königen Vorwürfe zu machen oder sie zu leiten. (ibid. ad 3) Caritas sei in hervorragender Weise „principium merendi“, mehr als jede andere Tugend. (STh I–II q. 114, a. 4) Eine Arbeit könne daher auf zwei verschiedene Weisen mühsam (laboriosum) und schwierig sein: Zum einen wegen der Größe der Aufgabe. Und so erhöhe die Schwierigkeit der Aufgabe die Größe des Verdienstes bei ihrer Bewältigung. Die caritas vermindere also die Arbeit (laborem) nicht: vielmehr mache sie Mut, auch größte Aufgaben in Angriff zu nehmen. Zum anderen wegen der Schwäche des Arbeitenden: denn jedem sei diejenige Aufgabe mühevoll und schwierig, die er nicht freiwillig mache. Solchermaßen empfundene Mühe verringere das Verdienst der Handlung, werde aber von der caritas aufgehoben. (ibid.) Im übrigen sei keine Tugend mehr auf ihre Betätigung ausgerichtet als eben die caritas, und es gebe keine, die so „delectabiliter“ ausgeübt werde. (STh II–II q. 23, a. 2) Auf diese Überlegung, dass Arbeit, wenn sie aus caritas betrieben wird, müheloser, verdienstvoller und sogar genussvoller ausgeübt werden kann, kommt 281 homo intente operetur propter spem (STh I–II q. 40, a. 8).

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Thomas wiederholt zu sprechen. Er führt zum Beispiel Folgendes aus: Jemand müsse wissen, was er tut, müsse freiwillig arbeiten („volens vel eligens et propter hoc diligens“) und drittens müsse er beständig arbeiten („firme et immobiliter“). (STh I–II q. 100, a. 9) Das im Deutschen nicht nachzuformende Spiel mit den Komposita von legere macht deutlich, wie eng Thomas den Zusammenhang zwischen Freiwilligkeit der Arbeit und freudiger Hinwendung zu ihr sah: beides stammt aus einer (sprachlichen und sachlichen) Wurzel. Freude an der Arbeit sei so das Zeichen eines entstandenen Habitus. (ibid.) Delectatio lasse körperlichen Schmerz verschwinden (STh II–II q. 123, a. 8) und fördere den Erfolg der Arbeit (STh II–II q. 15, a. 3), indem die Vernunft und Aufmerksamkeit, mit der jemand tätig sei, gesteigert werde. (STh I–II q. 33, a. 3) So fasst Thomas zusammen: „delectatio […] operationem perficit.“ (STh I–II q. 33, a. 4) Voraussetzung jedoch für eine solche Freude an der Arbeit ist, dass sie dem Arbeitenden „connaturalis“ ist, seiner Natur gemäß (STh I–II q. 32, a. 8 ad 3: delectabilia ad operandum, inquantum sunt quasi connaturalia), und dass sie – dies wird immer wieder eingeschärft – der Neigung des Arbeitenden entspricht und freiwillig ist. „Servus est qui non causa sui operatur, sed quasi ab extrinseco motus. Quicumque autem ex amore aliquid facit, quasi ex seipso operatur, quia ex propria inclinatione movetur ad operandum.” (STh II–II q. 19, a. 4) 282 Thomas stellt hohe abstrakte Forderungen an jedwede Arbeit, die nicht als opus servile zu qualifizieren ist: sie muss dem Menschen gemäß sein, seiner Neigung entsprechen, ein bestimmtes Maß nicht überschreiten und auf Freiwilligkeit beruhen: Forderungen, die in dieser Dichte zuvor nicht formuliert wurden. „Operationes sunt delectabiles, inquantum sunt proportionatae et connaturales operanti. […] Unde si excedat illam mensuram, iam non erit sibi proportionata, nec delectabilis, sed magis laboriosa et attaedians.“ (STh I–II q. 32, a. 1 ad 3) 283 Aus der Forderung nach Arbeitsformen, die dem Menschen gemäß sein müssen, um keinen Ekel zu erregen, ergibt sich Thomas’ Antwort auf die Quaestio: „Utrum in ludis possit esse aliqua virtus.“ (STh II–II q. 168, a. 2) Der Mensch bedürfe körperlicher Ruhe zur Erholung, könne nicht unausgesetzt arbeiten, da er eine endliche Kraft habe, die bestimmten Arbeiten angepasst werden müsse. Er leide und ermüde dort, wo er über sein Maß hinaus in Arbeit sich überspanne, und zwar nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, weil die vernünftige Seele sich der körperlichen Organe und Kräfte in der Arbeit bediene. Weil aber die Seele über die sensiblen Dinge hinaus gehoben werde, wenn es um geistige Arbeit ginge, entstehe daraus körperliche Ermüdung, und zwar sowohl bei den Tätigkeiten der praktischen wie der spekulativen Vernunft. Umso mehr aber bei kontemplativen Tätigkeiten, weil die Seele hier am meisten von der Sinnenwelt sich entferne. Die körperliche Ermüdung wachse aber, je intensiver sich jemand geistig anstrenge. 282 „Ein Sklave ist der, der nicht um seiner selbst willen arbeitet, sondern gleichsam von außen angestoßen wird. Wer aber etwas aus Liebe tut, handelt aus sich heraus, weil er aus eigener Neigung zum Handeln bewegt wird.“ 283 „Handlungen sind erfreulich, insofern sie dem Arbeitenden angemessen und seiner Natur gemäß sind. […] Wenn sie dieses Maß überschreitet, ist sie ihm nicht angemessen, nicht erfreulich, sondern vielmehr mühsam und ekelerregend.“

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So wie die Ermüdung des Körpers durch die körperliche Ruhe aufgehoben werde, so auch die geistige Anspannung durch die Ruhe der Seele. Die Ruhe der Seele bestehe aber in der Freude (delectatio). Und so müsse als Heilmittel gegen die seelische Ermüdung, gegen die beharrliche Anspannung im Streben der Vernunft eine Unterbrechung erfolgen. So berichteten es schon die Collationes Patrum des Cassian über den Evangelisten Johannes. Als einige ihn kritisierten, weil sie ihn mit seinen Schülern spielend fanden, soll er einen der Kritiker, der einen Bogen trug, geheißen haben, einen Pfeil zu ziehen. Als er dies mehrmals getan hatte, fragte er ihn, ob er es dauernd tun könne. Dieser antwortete, dass dann der Bogen brechen würde. Darauf versetzte Johannes, dass ganz ähnlich die Seele des Menschen gebrochen würde, wenn sie niemals aus ihrer Anspannung befreit würde. Solche Gespräche oder Handlungen, in denen man nur die Freude der Seele sucht, nenne man Scherz und Spiel. Und deshalb sei es nötig, sie manchmal zu verwenden, um die Seelenruhe wiederzufinden. So sage es auch der Philosoph im vierten Buch seiner Ethik, dass im Verlauf des Lebens eine gewisse Entspannung im Spiel gefunden werden müsse. Dabei müssten aber drei Gefahren vermieden werden: zunächst dürfe die Entspannung nicht in schändlichen oder schädlichen Beschäftigungen gesucht werden. So sage es auch Cicero in De officiis (I, c. 29), dass es eine Sorte des Witzes gebe, die obszön sei und eines Freien unwürdig. Zum zweiten müsse vermieden werden, dass die Würde der Seele völlig aufgehoben werde. So warne auch Ambrosius in De officiis davor, alle Harmonie fahren zu lassen. Und Cicero sage schließlich auch (De off. I, c. 20), dass wir den Knaben nicht alle Willkür durchgehen lassen dürften. So müsse selbst im Scherz noch etwas vom rechtschaffenen Charakter (probi ingenii) zum Vorschein kommen. Drittens sei darauf zu achten, dass das Spiel der Person und den Umständen angemessen sei. Der Mensch solle auch im Spiel das Maß wahren, es sei schließlich kein Selbstzweck, sondern ausgerichtet auf Ruhe und Erholung. (STh II–II q. 168, a. 2) „Et secundum hoc, otium et ludus et alia quae ad requiem pertinent, delectabilia sunt, inquantum auferunt tristitiam quae est ex labore.“ (STh I–II q. 32, a. 1 ad 3) Doch damit auch genug: „remissio“ und „quies“ als Gegenpol zur Mühe der Arbeit sind wichtig, aber: wie es Zeichen von Verweichlichung (mollities) sei, keine Anstrengungen aushalten zu können, so sei es auch das übertriebene Suchen nach Entspannung im Spiel oder sonstiger Ruhe. (STh II–II q. 138, a. 1) Während also Freude an der Arbeit und die angemessene Entspannung in den Arbeitspausen förderlich seien, könnten sich Furcht und Angst negativ auswirken. Thomas differenziert hier subtil nach dem Grad der Furcht. Eine mäßige Furcht, die die Vernunft nicht beeinträchtige, lasse den Menschen sorgfältiger und aufmerksamer arbeiten und beraten. Wenn aber die Furcht so sehr anwachse, dass sie den Verstand verwirre, behindere sie die Tätigkeit. 284 Im übrigen fliehe jeder

284 Timor moderatus, non multum rationem perturbans; confert ad bene operandum, inquantum causat quandam sollicitudinem, et facit hominem attentius consiliari et operari. Si vero timor

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Ängstliche das, was er fürchte. Insofern die Trägheit die Furcht vor mühevoller Tätigkeit sei, hindere sie diese, weil sie den Willen vom Tun abhalte. Aber Furcht, die sich auf andere Dinge richte, helfe in dem Maße bei der Arbeit, wie sie den Willen auf die Bearbeitung von Dingen lenke, durch die der Mensch vor dem fliehen könne, was ihm Angst mache. (ibid. ad 3) Furcht hat damit nur dann negative Auswirkungen auf die Tätigkeit des Menschen, wenn sie überhand nimmt und die Vernunft außer Kraft setzt. Sie kann gemäßigt für Thomas durchaus auch positive, stimulierende Wirkungen haben: „timor est initium sapientiae.“ (STh II–II q. 19, a. 7) Wenn Johannes Fried die Endzeitfurcht um das Jahr 1000 als Initialzündung für die Entwicklung der Wissenschaften gewertet hat 285 , so spricht Thomas hier für seine Zeit einen ähnlichen Zusammenhang aus. 2.9.5 Die Einheit von Körper und Seele in der Arbeit Ein weiterer wichtiger Denkansatz des Thomas ist aus seinen Erörterungen über den Zusammenhang von geistig-seelischer und körperlicher Ermüdung erkennbar. Wenn er überzeugt ist, dass geistige Anstrengung körperliche Ermüdung bewirkt, wie wir gesehen haben (STh II–II q. 168, a. 2), verweist dies auf die anthropologische Grundannahme einer substantiellen Einheit von Körper und Geist/Intellekt im menschlichen Individuum. Damit distanziert er sich von der platonischaugustinischen Seelenlehre, nach der die Seele eine vom Körper unabhängige Substanz ist. Gleichermaßen verteidigt er seine Auffassung von der substanziellen Einheit des Menschen gegen die radikalen Aristoteliker, die zu seiner Zeit behaupteten, der tätige und der leidende Intellekt (intellectus agens bzw. passibilis) seien vom menschlichen Individuum losgelöste, allen Menschen gemeinsame Substanzen, und nur auf dieser Grundlage könnten die Menschen gemeinsame Erkenntnisse gewinnen. 286 Für das Verständnis von Arbeit ergeben sich aus der neuen Anthropologie gewichtige Folgerungen, auch wenn Thomas sie in seinem Werk selbst so nicht zieht: die grundsätzliche Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit; die Verachtung letzterer zugunsten der Verehrung der „rein“ kontemplativen Lebensform ist damit nicht mehr durchzuhalten. Die artes mechanicae, die Thomas, wie gezeigt, v.a. wegen ihres Vernunftanteils in der Planung hochschätzt, verdienten, denkt man seinen Neuansatz zuende, eine gleichrangige Beurteilung mit den Tätigkeiten der spekulativen Vernunft. Schon in der Wortwahl des Thomas – auch Handarbeit, nicht nur geistige Tätigkeit sei „operatio“ (z. B. STh I q. 7, a. 4) – spiegelt sich diese Sichtweise. „In tantum increscat ut rationem perturbet, impedit operationem etiam ex parte animae. (STh I–II q. 44, a. 4) 285 J. Fried, Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende, in: DA 45 (1989) p. 381–473. 286 Die neue Auffassung entfaltete Thomas vor allem in der 1270 verfassten Schrift De unitate intellectus contra Averroistas, der heftiger Widerspruch von Siger von Brabant entgegenschlug. Dazu B. C. Bazan, Le dialogue philosophique entre Siger de Brabant et Thomas d’Aquin, in: Revue philosophique de Louvain 72 (1974) 53–155.

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operatione fabri“ sei eine ganze Menge vonnöten, die „ars in anima“, gleichsam das Know-how in der vernünftigen Seele, die bewegende Hand und der Hammer. (ibid.) 2.9.6 Vita activa – vita contemplativa Thomas äußert sich an anderer Stelle grundsätzlich zum Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit, vor allem im Zusammenhang des Sabbatgebotes, welches das Verhältnis von Arbeit und Ruhe regelt (STh II–II q. 122, a. 4; STh III q. 40, a. 4), und in der Diskussion um die mögliche Höherwertigkeit der vita contemplativa gegenüber der vita activa. (STh II–II q. 182 und q. 188) Nach der üblichen Gegenüberstellung verschiedener Bibel- und Väterzitate kommt er zu der eigenen Schlussfolgerung, die caritas sei die Wurzel des Verdienstes: „radix merendi est caritas“. (STh II–II q. 182, a. 2) Weil aber die caritas in der Liebe zu Gott und den Nächsten bestehe, müsse festgehalten werden, dass die Liebe zu Gott aus sich verdienstvoller sei. Daher sei die vita contemplativa, da sie sich unmittelbarer auf die Liebe zu Gott beziehe, „maioris meriti quam activa“. (STh II–II q. 182, a. 2) Dennoch könne es sein, dass sich einer in den Werken der vita activa mehr Verdienst erwerbe, als ein anderer in denen der vita contemplativa. Es sei festzuhalten, dass äußere Arbeit (labor exterior) eine Vermehrung der akzidentiellen Belohnung bewirke. Aber eine Vermehrung des Verdienstes hinsichtlich der essentiellen Belohnung im Hinblick auf die Ewigkeit bestehe hauptsächlich in der caritas. Deren Zeichen bestehe in der äußeren Arbeit, die um Christi willen auf sich genommen werde. Aber ein viel deutlicheres Zeichen sei es, wenn jemand unter Zurücklassen alles Diesseitigen sich allein der Betrachtung Gottes zu widmen erfreue. (STh II–II q. 182, a. 2 ad 1) Zweitens sei darauf hinzuweisen, dass in der jenseitigen Glückseligkeit der Mensch vollkommen sei und kein Raum für Fortschritt durch Verdienst bleibe. Und wenn es dennoch einen gäbe, dann aufgrund der größeren caritas. Die Kontemplation des diesseitigen Lebens hingegen sei stets unvollkommen und entwicklungsfähig. Sie hebe deshalb die „ratio merendi“, das Gesetz des Verdienens, nicht auf, sondern sorge für eine Vermehrung des Verdienstes wegen der intensiveren Übung der Liebe zu Gott. Denn am willkommensten sei Gott das Opfer der eigenen Seele in der Kontemplation und nicht „exteriora dona“, die aus der vita activa resultierten. (STh II–II q. 182, a. 2 ad 2/ad 3) Thomas bedenkt auch die Frage, ob die Kontemplation durch die vita activa behindert werde. (STh II–II q. 182, a. 3) Er gibt eine ambivalente Antwort: einerseits könnten äußere Handlungen von der Kontemplation ablenken, andererseits jedoch ordneten sie die Leidenschaften der Seele und beförderten so die Kontemplation. Unter Berufung auf Gregors des Großen Moralia stellt er fest: diejenigen, welche einst die Burg der Kontemplation halten wollen, sollen sich zuerst in der Übung der Feldarbeit bewähren und Gelassenheit im Umgang mit weltlichen Gütern lernen. „Ex hoc ergo exercitium vitae activae confert ad contemplativam,

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quod quietat interiores passiones, ex quibus phantasmata proveniunt, per quae contemplatio impeditur.“ (STh II–II q. 182, a. 3) Zu der Frage, ob die vita contemplativa Vorrang vor dem aktiven Leben habe, äußert er sich wie folgt: aus der Hierarchie der Zwecke, weil Gottesliebe der Menschenliebe voranstehe, sei die vita contemplativa vorrangig, „inquantum prioribus et melioribus insistit.“ (STh II–II q. 182, a. 4) Sie steuere und bewege das aktive Leben. Diejenige Ausprägung der Vernunft sei höher, die zur Kontemplation führe, im Vergleich zur niederen, die die Handlung auslöse, wie es auch bei Mann und Frau sei, welchletztere vom Mann beherrscht werden müsse, wie Augustin im 12. Buch von De trinitate sage. Zeitlich hingegen sei das aktive Leben vor dem kontemplativen anzusetzen. Es sei auch notwendig um der Ausübung der Nächstenliebe willen. So sei also das aktive Leben allen gemeinsam, das kontemplative aber sei den Vollkommeneren vorbehalten. Diejenigen, die für das aktive Leben geeigneter seien, könnten sich dadurch auf das kontemplative vorbereiten, umgekehrt diejenigen, die für das kontemplative geeignet seien, sich durch das aktive bereiter für die Schau Gottes machen. Es ergibt sich so eine zeitliche Abfolge und eine qualitative Stufung der beiden Lebensformen, die er beide in ihr Recht setzt, aber klar der Kontemplation den höheren Wert beimisst. Im gleichen Kontext nimmt Thomas auch Stellung zu der Frage, welchen Beitrag die Wissenschaften zur vita contemplativa leisten. Sie hülfen, so meint er, zum einen direkt, insofern sie den Intellekt erhellten, zum anderen indirekt, indem sie Irrtümer des Dogmas beseitigten. Sie seien außerdem für die Predigt unabdingbar und trügen dazu bei, körperliche Begierden und Geldgier zu zügeln. (STh II–II q. 188, a. 5) Anschließend vergleicht er mit beachtlicher Distanz, gleichsam sine ira et studio, verschiedene Religionen im Hinblick auf das Problem, ob sie eher das aktive Leben oder die Kontemplation bevorzugten. (STh II–II q. 188, a. 6) Er weist darauf hin, dass die Zielursache bzw. der Zweck der Religion das Entscheidende sei, weniger die Form ihrer Ausübung. Die Aufgabe des aktiven Lebens sei eine zweifache: es komme darauf an, dass es aus der Fülle der Kontemplation schöpfe und darauf abziele, auch andere zu unterrichten. Es dürfe sich nicht allein in äußeren Werken wie Almosengeben erschöpfen. So hätten diejenigen den höchsten Rang in den Religionen, die lehrten und predigten, vor allem die Bischöfe. Es gebe freilich Religionen, die vor allem wegen des Kriegführens eingerichtet seien, die direkter darauf ausgerichtet seien, das Blut der Feinde zu vergießen als das ihrer Angehörigen, was eigentlich den Märtyrern zukomme. Die Enge der Vorschriften sei keinesfalls das, was eine Religion empfehlenswert mache. Vielmehr die Frage, mit welcher Genauigkeit ihre Gebote auf das Ziel der Religion ausgerichtet seien. Indem Thomas grundsätzlich den Vorrang der Kontemplation betont, die vita activa aber als notwendige Propädeutik klassifiziert, befolgt er das gleiche Bewertungsprinzip wie im zitierten Vergleich der Religionen: der Wert der Dinge bestimmt sich gemäß ihrer Zielursache, causa finalis. (STh I q. 36, a. 3)

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2.9.7 Sonntagsheiligung und Arbeitspflicht Thomas macht sich auch Gedanken über das Gebot der Sonntagsheiligung. (STh II–II q. 122, a. 4 ad 1) Die Vorschrift sei, wörtlich verstanden, teils moralisch, teils zeremoniell. Da der Mensch eine angeborene Neigung habe, Zeit für Notwendiges zu reservieren, wie für den Schlaf, so müsse auch für die spirituelle Erholung Zeit sein, da der Geist des Menschen in Gott erfrischt werde. Zeremoniell müsse mit dem Gottesdienst am Sonntag allen ein sichtbares Zeichen gegeben werden, welches das Schöpfungswerk repräsentiere, von dem Gott am siebten Tage ausruhte. Die Ruhe sei auch allegorisches Zeichen der Grabesruhe Christi am siebten Tage. Auf der anagogischen Deutungsebene präfiguriere die Ruhe am Sonntag die Ruhe des Genießens Gottes in der himmlischen Heimat. Bei der Wahrung der Sonntagsruhe sei zweierlei zu berücksichtigen (STh II– II q. 122, a. 4 ad 3): zum einen das Ziel, dass der Mensch frei für Gott sei, zum anderen das Aufhören der Arbeit, genauer des opus servile, wie es in Lev. 23, 35 festgelegt sei. Es gebe aber eine dreifache servitus, einmal diejenige gegenüber der Sünde, so dass alles sündhafte Tun „sklavisch“ genannt werde. Zum zweiten gegenüber einem Menschen, eine Knechtschaft hinsichtlich des Körpers, weshalb keiner eine solche körperliche Arbeit tun dürfe, in der er einem anderen Menschen als Knecht diene. Das Dritte sei die Knechtschaft gegenüber Gott. Von daher könne auch Gottesdienst, opus latriae, opus servile genannt werden, weil er zum „Dei servitium“ gehöre. Ein so verstandenes opus servile sei am Sonntag erlaubt. Es ginge darum, den Menschen frei für den Gottesdienst zu machen. „Nullius spiritualis actus exercitium est contra observantiam sabbati“. (STh II–II q. 122, a 4 ad 3) Weil der Mensch durch Werke der Sünde aber mehr von Gott ferngehalten werde als durch „opus licitum, quamvis sit corporale“, handele es sich bei der Handarbeit für einen Herrn am Sonntag um eine lässliche, die sogar Heiligkeit nicht ausschließe. Sofern es sich um Arbeiten handle, die sowohl Freie als auch Knechte täten, hießen sie nicht „servilia“. Wer auch immer, ob Freier oder Knecht, gehalten sei, notwendige Arbeiten zu verrichten, für sich oder für den Nächsten, besonders sofern sie dem körperlichen Wohl dienten, aber auch zur Schadensabwehr, begehe kein Unrecht. Körperliche Arbeit zur Erhaltung des körperlichen Wohls verletze nicht den Sabbat. Das Gebot, den Sonntag zu heiligen, sei nicht so strikt wie das Sabbatgebot des AT, z. B. sei es erlaubt, Speisen zuzubereiten. Notwendige und gottesdienstliche Arbeiten seien im Unterschied zum AT ebenfalls erlaubt: „non prohibentur opera quae sunt de necessitate salutis corporalis“ (STh III q. 40 a. 4 ad 1). Thomas hält es aber für nicht zwingend, dass alle körperlich arbeiteten, schließlich gäbe es ja auch andere Dinge, mit denen man dem Müßiggang begegnen könne als die Handarbeit, zum Beispiel die lectio. Das Arbeitsgebot der Bibel (2. Thess. 3, 6, „subtrahatis vos ab omni fratre ambulante inordinate“) beziehe sich auf alle Christen, nicht nur auf Geistliche. (STh II–II q. 187, a. 3) Nicht einmal alle Apostel hätten mit den Händen gearbeitet, ebenso wenig der heilige Benedikt in seiner Höhle, obwohl er, wie es Gregor der Große in den Dialogi be-

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richte, gesund gewesen sei. (STh II–II q. 187, a. 4) So seien Ordensangehörige nur dann zur Handarbeit verpflichtet, wenn dies ihre Regel ausdrücklich vorsehe. Die Vermeidung von Diebstahl als wesentliche Absicht von Arbeitsgeboten lege es außerdem nahe, dass Menschen mit Vermögen, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und Almosen geben könnten, nicht zur Handarbeit verpflichtet seien. (STh II–II q. 187, a. 3) Das gelte auch für Kirchen und Klöster, denen aus Schenkungen von Fürsten oder anderen Gläubigen Unterhaltsmittel zur Verfügung stünden. Sie dürften auch von Spenden leben, denn es sei töricht zu verlangen, dass jemand große Besitzungen als milde Gabe annehmen dürfe, aber nicht Brot oder ein wenig Geld. (STh II–II q. 187, a. 4) Es komme vor allem darauf an, dass alle für das Gemeinwohl tätig seien und nicht „utilitati privatae.“ (STh II–II q. 187, a. 3 ad 3) Wenn sie predigten, Altardiener seien oder sich dem Studium der Heiligen Schrift widmeten oder wenn sie ihr Eigentum der Kirche geschenkt hätten „ad communem utilitatem totius ecclesiae“ (STh II–II q. 187, a. 4), dürften sie sich von anderen versorgen lassen. Sobald die Empfänger aber der Intention der Schenkenden, über das Tun der Geistlichen Anteil am göttlichen Segen zu erhalten, zuwiderhandelten, indem sie von den religiösen Handlungen abließen, für die sie unterhalten würden, „redderetur eis usus praedictorum donorum illicitus“. (ibid.) Aus materieller Notwendigkeit oder weil manche Mönche aus ihrem Vorleben nicht an harte körperliche Arbeit gewöhnt seien, sei dies hingegen unbedenklich. Wenn Thomas in dieser Quaestio den Gebrauch (usus) geschenkter Güter im Unterschied zum Eigentum (dominium, proprietas) erwähnt, zeigt er bereits eine erhebliche juristische Distinktionsfähigkeit. Denn erst im theoretischen Armutsstreit des 14. Jahrhunderts wurde die Frage des Ordensbesitzes in Auseinandersetzung mit dem Papsttum zum Problem, welches sich genau an jenen subtilen juristischen Unterscheidungen des Eigentumsbegriffs im wiedergewonnenen römischen Recht entzündete. 287 Hinsichtlich der Frage, ob Religiose auch betteln dürften, sei zweierlei zu beachten: zum einen gelten Bettler als Verworfene, weil sie nicht nur arm seien, sondern sogar den Lebensunterhalt erbetteln müssten. Zum anderen gebe es aber auch welche, die „causa humilitatis […] laudabiliter mendicant.“ (STh II–II q. 187, a. 5) So bei sich selbst und anderen gegen die superbia zu wirken, sei erlaubt, nicht hingegen, aus Faulheit oder Habgier zu betteln. Sinnvoll könne es auch sein, für etwas der Allgemeinheit Nützliches zu betteln, wie z. B. für eine Brücke oder Kirche, die ohne Spenden nicht errichtet werden könnte. (ibid.) Fassen wir zusammen: Arbeit ist bei Thomas in verschiedene Begründungszusammenhänge eingebunden, die ihren hohen spirituellen Wert bezeugen: erstens durch das aristotelische ergon-Argument. Arbeit ist als Am-Werke-Sein des vernunftgeleiteten freien Willens die Betätigung des höchsten Vermögens des Men287 J. Coleman, Property and Poverty, in: J. Burns (ed.), The Cambridge History of Medieval Political Thought, Cambridge 1988, p. 607–648; U. Horst, Evangelische Armut und Kirche: Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts, Berlin 1992.

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schen. Sie dient seiner Selbstvervollkommnung und damit der Teilhabe an der beatitudo schon in diesem Leben. Gemäß dem Entelechieprinzip gewinnt der Mensch nicht nur selbst in der Tätigkeit im Diesseits bereits Teilhabe an der beatitudo, sondern verhilft auch anderen zu dieser Vervollkommnung ihrer selbst und preist so Gott. 288 Arbeit ist so aktualisierte Gottesebenbildlichkeit. Denn Thomas vergleicht Gottes Schöpfungshandeln mit der Herstellung von Kunstwerken durch menschliche artifices: „Deus autem, qui est primum principium rerum, comparatur ad res creatas ut artifex ad artificiata.“ (STh I q. 27, a. 1 ad 3) Gerade in diesem schöpferischen Tun ist der Mensch Gottes Ebenbild: „Gott ist durch seinen Intellekt und Willen Ursache der Dinge, wie der Künstler Urheber der Kunstwerke ist. Wie der Künstler durch Wort und Vorstellung in seinem Intellekt und durch die Liebe seines Willens an das gebunden ist, was er schafft, so hat auch Gottvater die Schöpfung durch sein Wort geschaffen.“ (STh I q. 45, a. 6) Daraus ergibt sich zweitens, dass der Mensch sich in der Arbeit Gott annähern, ja ihn erreichen kann. In der Summa contra gentiles formuliert Thomas im Rahmen des neuplatonischen Schemas von proodos und epistrophe, dass die Schöpfung eine natürliche Tendenz habe, sich gerade in der Arbeit Gott als ihrem Ursprung wieder anzunähern: „Intendunt igitur res naturaliter assimilari Deo in hoc quod sunt causae aliorum. […] Tendit enim in divinam similitudinem res creata per suam operationem.“ (Summa contra gentiles III, c. 21) Drittens durch die Vorstellung einer Mitarbeit an der Schöpfung in Freiheit und Selbstbestimmung. In diesem Sinne zitiert er den Römerbrief des Paulus: wir sind Helfer (adiutores) Gottes.“ (1. Kor. 3, 9) (STh I q. 23, a. 8 ad 2) Arbeit ist also, da sie auch als Handarbeit in unserem Sinne bei Thomas stets Anteil an der Vernunft hat, mit einer hohen Würde ausgezeichnet. Sie ist imitatio Dei und damit Wert an sich – nicht Strafe für den Sündenfall, denn die Menschen haben schon im Paradies gearbeitet, wenn auch ohne Anstrengung (STh I q. 102, a. 3), sondern Erfüllung der menschlichen Natur: „homo naturalem ordinationem habet ad opus manuale.“ (Quodl. VII, q. 7, a. 1) Besonders bedeutsam für die thomasische Sicht der Arbeit ist jedoch die Tatsache, dass Vernunft und praktisches Handeln als Gesamtheit gesehen werden, dass (Hand)Arbeit im weiten Sinne definiert wird als Tätigkeit zum Lebensunterhalt. Damit sind auch die artes mechanicae eingebunden in ein Konzept, das unter Leitung der Vernunft im Zeichen der Gottesebenbildlichkeit des Menschen steht. Gleichzeitig ist Arbeit, da der Mensch ein zoon politikon ist, sozial auf das bonum commune und die Gerechtigkeit bezogen, wie gleich darzulegen ist. Insofern schließlich bei Thomas Arbeit in ein Menschenbild gehört, welches von der Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmtheit des Handelnden ausgeht, ist sie auch Indikator dieser Freiheit.

288 C. Barzaghi, p. 41.

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2.9.8 Arbeit und Gesellschaft Gerade weil Thomas die aristotelische Bestimmung des Menschen als eines zoon politikon übernahm, gewannen das Politische, der Primat der civitas und des bonum commune vor den Einzelinteressen zentrale Bedeutung in seinen Schriften. Auf diesen Strang der Aristotelesrezeption bei Thomas soll abschließend mehr hingewiesen als ausführlich eingegangen werden. “Est enim civitas principalissimum eorum, quae humana ratione constitui possunt. Nam ad ipsam omnes communitates humanae referuntur.“ 289 Warum ist der Mensch auf staatliche Gemeinschaft angewiesen? Weil er allein nicht in der Lage sei, alles Lebensnotwendige bereitzustellen. (Reg. Princ. I, 1) Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Eine solche civitas ist deshalb am wertvollsten, weil sie den höchsten Grad an Autarkie erreicht, eine Qualität, die für Thomas nach Aristoteles schlechthin den Wert eines Dinges bestimmte. (Reg. Princ. II, 3) Für Thomas ist die gesellschaftliche Arbeitsteilung sogar in Gottes Vorsehung verankert und nicht nur anthropologisch darin begründet, dass alle unterschiedliche Begabungen haben. „Haec autem diversificatio hominum in diversis officiis contingit primo ex divina providentia […] cum non possit unus homo in omnibus sibi sufficere, sed indiget alieno auxilio.“ (Quodl. VII, q. 7, a. 1) Diese Arbeitsteilung ist nach Thomas nicht nur für den weltlichen Staat notwendig, sondern auch für die Kirche. Gerade auf der Verschiedenheit der Ämter und Stände in der Kirche beruhe ihre Vollkommenheit. (STh II–II q. 183, a. 2) Angesichts der Verschiedenheit der Aufgaben sei sie unerlässlich und geradezu ein Zeichen der Würde und Schönheit der Kirche. (ibid.) Diese Mannigfaltigkeit stehe nicht im Widerspruch zur Einheit der ecclesia. Es werde vielmehr durch die Verschiedenheit der Ämter und Stände der Friede sowohl des Geistes wie auch des irdischen Gemeinwesens besser gewahrt, sofern viele an den öffentlichen Angelegenheiten beteiligt seien. Wie im Naturkörper die verschiedenen Glieder zur Einheit verbunden seien „per virtutem spiritus vivificantis“ (STh II–II q. 183, a. 2 ad 3), so werde auch in der Kirche der Friede […] gewahrt durch die Kraft des Heiligen Geistes. Nur der Egoismus der einzelnen stehe dem in der Kirche wie im Staat entgegen. (ibid.) Zum anderen schulde die Gemeinschaft denen, die für das Gemeinwohl tätig seien, sei es als Angehöriger eines geistlichen Gerichts, als Prediger, in der Fürbitte oder in der Bibelerklärung, die Bereitstellung des Lebensunterhaltes. (Quodl. VII, q. 7, a. 2) Der hier anklingende Organismusvergleich impliziert, dass im staatlichen wie im kirchlichen Organismus ein leitendes Prinzip existiert, welches die Vielfalt der Interessen auf das Gemeinwohl ausrichtet. (Reg. princ. I, 1; I, 9) Dies gilt umso mehr, als die Analogie des von der Seele geleiteten menschlichen Körpers, des Kosmos unter Leitung Gottes, der politischen Ordnung und des gesellschaftlichen Friedens unter der Herrschaft eines Königs die politische Ordnung als religiöses

289 F. Cheneval/R. Imbach (edd.), Prolog des Kommentars zur Politik des Aristoteles, p. 94.

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Ziel beschreibbar macht. Die Trias Gott-König-Seele als vires regitivae verleiht dem jeweiligen Leitprinzip sakrale Legitimation. Die Idee des Gemeinwohls spielt auch eine wichtige Rolle für die Ansichten des Aquinaten hinsichtlich der Berechtigung des Privateigentums. Er schärft mit Aristoteles dessen Sozialbindung ein. (STh II–II q. 66) 290 Die Eigentümer unterliegen einer Beistandspflicht den Schwachen gegenüber. Dies sei gerechtfertigt, weil die Güter der Erde begrenzt seien und der Überfluss der einen notwendig den Mangel der anderen herbeiführen müsse: „in exterioribus divitiis non potest unus homo superabundare nisi alter deficiat, quia bona temporalia non possunt simul possideri a multis.“ (STh II–II q. 118, a. 1 ad 2) Der Überfluss einiger weniger sei daher aufgrund des Naturrechts dem Unterhalt der Notleidenden geschuldet. („ex naturali iure debentur pauperum sustentationi“ STh II–II q. 66, a. 7) Insgesamt jedoch ist die Sozialbindung des Eigentums bei Thomas nur vor dem Hintergrund seiner grundsätzlich positiven Bewertung des Privateigentums gegenüber der Gütergemeinschaft zu würdigen. Denn in kritischer Auseinandersetzung mit den Schriften der Kirchenväter fand Thomas im Anschluss an Aristoteles zu einer Sicht des Privateigentums, welche die am „Kommunismus“ der Urkirche orientierten Vorstellungen der Kirchenväter überholte. 291 Nur für den Menschen im Paradies sei die Gütergemeinschaft angemessen, für den gefallenen Menschen allein das Privateigentum, welches er aus menschlicher Übereinkunft ableitet und damit gegenüber der früheren Tradition verrechtlicht. (STh I–II q. 98, a. 2; STh II–II q. 66, a. 2 ad 1) Thomas gibt im Anschluss an die Politik des Aristoteles (1263a 1ff.) drei bemerkenswerte Gründe für die Berechtigung privaten Eigentums an. Wenngleich es nicht zum Naturrecht gehöre, sondern zur Sphäre der menschlichen Satzungen, habe es doch seine Berechtigung. Denn den Menschen komme eine „potestas procurandi et dispensandi“ zu (STh II–II q. 66, a. 2), das heißt eine Berechtigung zur Daseinsfürsorge, zur Beschaffung und Verteilung von Gütern. In diesem Rahmen sei es erlaubt, Eigentum zu besitzen, und dies aus drei Gründen: Erstens, weil jeder sich stärker um Dinge kümmere, die ihm allein zukämen als um solche, die allen oder vielen gemeinsam seien. Weil jeder die Arbeit scheue, überließe er das, was die Gemeinschaft angehe, den anderen. Thomas rechnet also ganz nüchtern mit dem menschlichen Egoismus. Zweitens: Die Produktion sei geordneter, wenn jeder etwas Bestimmtes herstelle. Und drittens käme es nicht zu Streit wie bei Gütergemeinschaft oder kollektiver Produktion, weil jeder mit dem, was er habe, zufrieden sei. Dennoch seien Arbeit und Privatbesitz dem Gemeinwohl verpflichtet, denn der gemeinsame Gebrauch der Güter sei vom Naturrecht vorgesehen. (STh II–II q. 66, a. 2) 292 Die Größe des Eigentums rechtfertigt sich dabei

290 F. Troxler, Die Lehre vom Eigentum bei Thomas von Aquin und Karl Marx, Fribourg 1973; A. P. Verpaalen, Der Begriff des Gemeinwohls bei Thomas von Aquin, Heidelberg 1954. 291 Vgl. dazu auch M. Brocker, Arbeit und Eigentum, Darmstadt 1992, p. 41–45. 292 Zu diesem Problemkreis: S. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, Marburg 2000 und W. Kluxen, Lex naturalis bei Thomas von Aquin, Wiesbaden 2001.

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vor allem aus Arbeit und Fleiß (industria), wie sich aus seinen Ausführungen zum Zinsnehmen folgern lässt. (STh II–II q. 77, a. 3) Wir kommen darauf zurück. Welche Folgen hatte der Organismusgedanke für Thomas’ politische Anschauungen? Wie beeinflusste er seine Sicht der angemessenen Verfassung eines Gemeinwesens und des Verhältnisses der Schichten einer Gesellschaft? Thomas entwickelte im Anschluss an Aristoteles eine Theorie der Mischverfassung (STh I–II q. 95, a. 4; q. 105, a. 1), die aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen zusammengesetzt ist. Einige Forscher wollen darin Analogien zur Organisation des Dominikanerordens ausmachen. 293 Thomas ist der Auffassung, dass alle an der Herrschaft beteiligt sein müssten, so dass die beste Herrschaftsordnung in einer Stadt oder einem Königreich herrsche, in der einer an der Spitze stehe, der durch seine Tugend ausgezeichnet sei, ihm nachgeordnet ebenfalls einige wenige Tugendhafte. Dennoch sei eine solche Herrschaftsform (principatus) auf alle bezogen, „tum quia ex omnibus eligi possunt, tum quia etiam ab omnibus eliguntur.“ (STh I–II q. 105, a. 1) Aktives und passives Wahlrecht lägen bei allen Bürgern des Gemeinwesens, was der politischen Ordnung eine demokratische Komponente verleihe. Dies sei die beste Verfassung des Gemeinwesens: gut gemischt aus dem Königtum, insofern einer an der Spitze stehe; aus der Aristokratie, insofern viele kraft ihrer Tugend mitregierten; und aus der Demokratie, insofern die Herrscher aus den Angehörigen des Volkes gewählt werden könnten und die Wahl der Herrscher Sache des Volkes sei. Diese Verfassung sei bereits vom Volk Israel verwirklicht worden, dem Moses vorstand. Thomas geht es um den Nachweis, dass Aristoteles in seiner Lehre von der besten politischen Ordnung aufgrund vernünftigen Nachdenkens zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sei wie das AT, dass somit Vernunft und göttliche Satzung im Resultat übereinstimmten. Im Vergleich zu den Königtümern seiner Zeit war das Ideal des Thomas durch ein wesentlich stärker ausgeprägtes demokratisches Element gekennzeichnet. 294 Der Organismusvergleich hat auch Auswirkungen auf das Denken des Thomas, insofern es die soziale Schichtung 295 und die Funktionen von Arbeit betrifft. Einige wenige Stellen erwecken zwar den Eindruck, als seien sie aus einer Vorliebe für die Monarchie erwachsen. Zum Beispiel die Passagen über das Gesetz, die die Herrschaft des göttlichen Gesetzes über alle anderen Satzungen begründen. Dieser Hierarchie des göttlichen Gesetzes über das natürliche bis zu den 293 Z. B.: A. Riklin, Die beste politische Ordnung nach Thomas von Aquin, St. Gallen 1991, p. 3–36. 294 Ibid. p. 21; Die Arbeit von T. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978 bezieht sich nur auf den Fürstenspiegel De regimine principum, eine Auftragsarbeit, die den monarchischen Charakter einer Idealverfassung stärker hervorhebt als die anderen Werke. Darauf allein seine Ausführungen zum organologischen Staatsmodell des Thomas zu gründen, wie es Struve unternommen hat, führt zu Einseitigkeiten. 295 Vgl. dazu auch W. Stürner, Die Gesellschaftsstruktur und ihre Begründung bei Johannes von Salisbury, Thomas von Aquin und Marsilius von Padua, in: Miscellanea Mediaevalia 12 (1979) 162–178.

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positiven Gesetzen entspreche die Hierarchie in der Herrschaft und in den Arbeiten: So werde der Plan über das, was in einem bürgerlichen Gemeinwesen zu geschehen hat, vom König durch Befehl den unteren Amtsträgern zugestellt. Und im Bereiche der Handwerkskunst wird der Plan vom Architekten an die untergeordneten Handwerker, die mit den Händen arbeiten, weitergegeben. Das Prinzip der Teilhabe an der Vernunft bestimmt diese Ordnung. (STh I–II q. 93, a. 3) Ähnlich beschreibt er die delegierende Macht des Königs, der über seinen bailli wirkt, ähnlich auch das Vorgehen des Handwerkers, der mit einem Werkzeug arbeitet. (STh I q. 36, a. 3) Die Stände schließlich werden in Aufzählungen gemäß ihrer Verdienste für das Gemeinwohl geordnet: sacerdotes, principes, milites folgen aufeinander in absteigender Reihenfolge. (z. B. STh I–II q. 95, a. 4) Dennoch ist aufs Ganze gesehen das Organismusmodell dominant. Denn es bestimmt eine gesellschaftliche Arbeitsteilung, die dem Mängelwesen Mensch gerecht wird. Nicht jeder kann alle Arbeiten verrichten. Die Arbeitsteilung entspricht der aristotelischen Auffassung, dass der Mensch ein gemeinschaftsbildendes Wesen sei. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung sei von Gott eingerichtet, damit niemandem etwas Notwendiges fehle. Da die Natur Menschen mit verschiedenen Neigungen hervorgebracht habe, folgten daraus auch verschiedene Tätigkeiten: „in diversis hominibus sunt diversae inclinationes ad diversa officia, vel ad diversos modos vivendi“. (Quodl. VII, q. 7, a. 1) In der Summa Theologie führt er diesen Gedanken weiter und sieht es auch als im Naturrecht verankert an, dass nicht alle mit den Händen arbeiteten. (STh II–II q. 187, a. 3 ad 1) So heiße es schon bei Paulus im Brief an die Korinther (12, 17): Wenn der ganze Körper Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Und wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruchssinn? (ibid.) Organismusdenken und daraus resultierende gesellschaftliche Arbeitsteilung bestimmen für Thomas auch die Zwecke der Arbeit. Sie diene nach dem Sündenfall vier Zielen: der Bereitstellung des Lebensunterhaltes, der Vermeidung von Muße als Beginn aller Laster, der Bändigung der Begierde und der Ermöglichung von Almosen: „Respondeo dicendum quod labor manualis ad quattuor ordinatur: […] ad victum quaerendum […] ad tollendum otium, ex quo multa mala oriuntur […] ad concupiscentiae refrenationem, inquantum per hoc maceratur corpus […] ad elemosinas faciendas.“ (STh II–II, q. 187, a. 3 ad 4) Neben die individuelle Sinnbestimmung der Arbeit als Weg der Selbsterhaltung und -verwirklichung des freien, gottesebenbildlichen Vernunftwesens tritt die soziale, karitative Dimension. 296 Die Aufteilung der Arbeit in der Gesellschaft folge der Gerechtigkeit, die das Wohl des einzelnen ebenso wie das Gemeinwohl im Auge habe. 297 Thomas’ Gerechtigkeitsdefinition folgt dabei der klassischen des römischen Juristen Ulpian

296 Quaestio De opere manuali, in: Thomas Aquinas, Quaestiones quodlibetales, ed. Raimundo Spiazzi, Turin 1956, VII, q. 7, a. 1. 297 Zum Begriff des bonum commune bei Thomas: S. Lippert, Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin, Marburg 2000, p. 75–77.

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(Dig. 1, 1, 10): „Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum unicuique tribuens.“ (STh II–II q. 58, a. 1) Doch sehen wir näher hin: wie stellt er sich den Aufbau der Gesellschaft vor? Vor allem der Kommentar zur Politik des Aristoteles gibt hierzu Auskunft. (IV, 3) Er erkennt, dass es viele Arme und wenige Reiche gibt, doch auch dazwischen finden sich drei Stufen, die in sich selbst ihrerseits gestuft sind. „Divites et egeni videntur duas partes esse civitatis maxime contrariae quia ut in pluribus divites sunt pauci et pauperes multi.“ (ibid.) Unter den pauperes, dem “infimus gradus“, unterscheidet er vier Zwischenstufen. Ganz unten die Ackerbauern, dann die Tagelöhner, die im Walker-, Schuhmacher- und Webergewerbe tätig sind. Auf gleicher Ebene mit diesen finden sich die Musikanten, oberhalb die Händler und Wechsler. Eine deutlich höhere vierte Stufe bilden die Lohnarbeiter. Die innere Stufung der untersten Schicht der Gesellschaft ist von einer Hierarchie der Zwecke bestimmt, insofern die für den Staat notwendigen Tätigkeiten besser beurteilt werden als diejenigen, die nur zur Zerstreuung der Bürger dienen. Im ganzen ist die aristotelische Tendenz zur Verachtung körperlicher Arbeit hier durchaus übernommen, während Thomas in seinen selbständigen Werken, vor allem in der Summa, ein differenzierteres Urteil fällt, wie wir gesehen haben. Vor allem die Formulierung „viles mercenarii, qui in operibus suis maculant corpus“ weist darauf hin. Doch auch diese Tagelöhner, seien es Walker, Gerber, Tuchmacher oder sonstige Handwerker, zählen für ihn zu den notwendigen Berufen, ohne die eine Stadt nicht sein kann. Anders sieht es mit den Musikanten aus, die zur Unterhaltung, „propter delectationem et bene vivere“ aufspielen, noch schlimmer solche, die zu überflüssigen Zerstreuungen, „superfluas delectationes“ beitragen. Es gibt sogar Gruppen, die als schädlich für die Gesellschaft klassifiziert werden, wie Brett- und Würfelspieler. Die mittlere Stufe der Gesellschaft zerfällt in fünf Teile, die dieVerteidiger, die Richter, die beratenden Männer (Ärzte und Advokaten), die Reichen und die obersten Staatsbeamten bilden. 298 Diese soziale Schichtung entspricht nicht nur göttlicher Vorsehung, sondern auch der Neigung und Begabung der einzelnen Menschen. 299 Eine standesgemäße Lebensführung muss dabei stets gewahrt werden. (Sent. IV, dist. 15, q. 2 a. 4; q. 3) „Secundum suam conditionem“ muss sich auch sein Einkommen bemessen. (STh II–II q. 118, a. 1) Die Zugehörigkeit zu einer Schicht bedingt daher gleichzeitig die Möglichkeit, ein bestimmtes Einkommen zu erwerben, das den standesgemäßen Lebensunterhalt sichert. Grundsätzlich bestimmt sich der Lohn für eine Arbeit nach der Mühe, die dafür aufgewandt werden muss: „Constat, quod militi cuilibet, et plantatori vineae, et pastori gregis debetur victus ex suo opere propter hoc, quod in opere labo298 In prima probat, quod propugnativum sit pars civitatis. In secunda, quod iustificativum [...]. Et in tertia, quod consiliativum [...] In quarta, quod divites [...] In quinta, quod directivum populi. (ibid.) 299 Haec autem diversificatio hominum in diversis officiis contingit primo ex divina providentia, quae ita hominum status distribuit, ut nihil umquam deesse inveniatur de necessariis ad vitam, secundo etiam ex causis naturalibus, ex quibus contingit quod in diversis hominibus sunt diversae inclinationes ad diversa officia, vel ad diversos modos vivendi. (Quodl. VII, q. 7, a. 1)

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rant.“ (Opusc. I, VII, p. 40f.) Der Lohn muss den Lebensunterhalt sichern, der freilich je nach Schichtzugehörigkeit unterschiedlich opulent ausfällt. So schuldet die Gesellschaft den Predigern „ad sustentationem victus […] quasi pretium praedicationis.“ (Sent. IV, dist. 25, q. 3 a. 2) Doch es müsse eine Unterscheidung (discretio) getroffen werden hinsichtlich der Standeszugehörigkeit: „propter diversas conditiones hominum, quorum quidam delicatius nutriti indigent magis delicatis cibis aut vestibus.“ (STh II–II q. 32, a. 10) Der Lohn differiert auch, so Thomas in anderem Zusammenhang, zwischen leitender geistiger und ausführender körperlicher Arbeit. „In jedem Handwerk ist einfach der besser, der plant und Architekt heißt, als ein Handarbeiter, der die Pläne ausführt.“ (Quodl. I, q. 7, a. 2) Deshalb werde auch im Hausbau zu höherem Lohn jemand beschäftigt, der das Gebäude plant. (Reg. princ. I, 9) Wie steht es nun mit der Schicht der Händler? Wie beurteilt Thomas ihre Tätigkeit? In seinem Fürstenspiegel rechnet er sie zwar zu den für die Stadt notwendigen Berufen, (Reg. princ. II, 3) sie bringen jedoch auch Gefahren für die civitas. Infolge des Umgangs mit fremden, unter anderem Gesetz lebenden Händlern sei die Moral der Bürger und die Ordnung gefährdet. (ibid.) Ihr Gewinnstreben sei ansteckend und fördere die Habgier und die Wahrnahme des persönlichen Vorteils statt des Gemeinwohls unter den Menschen. Es käme häufiger zu Streit und Aufruhr und die Verteidigungsbereitschaft werde geschwächt. Trotz dieser überwiegend negativen Einschätzung differenziert Thomas. Er unterscheidet solche Händler, die ihren schändlichen Gewinn ohne Gegenleistung aus reiner Handelstätigkeit ziehen von solchen, die Transport- und Verpackungstätigkeiten leisten und dafür berechtigt Gewinn erzielen. (STh II–II q. 77) Die „sustentatio domus“ muss dem Kaufmann ermöglicht werden, an ihr bemisst sich, was als erlaubtes „lucrum moderatum“ zu gelten hat. (STh II–II q. 77, a. 4) Im Unterschied zur späteren Scholastik, die den Lohn nach dem Maß der Arbeit bestimmte, den angewandten oder erforderlichen Fleiß (industria) in Rechnung stellte, ist bei Thomas noch eine verhältnismäßig starke Standesgebundenheit der Entlohnung festzustellen. Ihr entspricht seine Lehre vom Zinsverbot, die sich aus der aristotelischen Auffassung von der Unproduktivität des Geldes ergibt. 300 Durch Zinsnahme werde die naturrechtlich gewährleistete Gleichheit von Leistung und Gegenleistung im Tausch außer Kraft gesetzt. Nicht nur der Rekurs auf die Bibel „mutuum date nihil inde sperantes“ (Luk. 6, 35), sondern auch die rationale Forderung nach Äquivalenz begründen das Zinsverbot. Alles andere widerspräche der Gerechtigkeit. 301 Im Unterschied zur Vermietung eines Hauses falle der Gebrauch des Geldes mit dem Verbrauch zusammen, so dass sich

300 Da es zur Rolle des Geldes in der Theorie des Thomas eine Spezialabhandlung gibt, fassen wir uns an dieser Stelle kurz und verweisen auf F. Wittreck, Geld als Instrument der Gerechtigkeit. Die Geldrechtslehre des Heiligen Thomas von Aquin in ihrem interkulturellen Kontext, Paderborn 2002. 301 Ille, qui mutuare non tenetur, recompensationem potest accipere eius, quod fecit. Sed non amplius debet exigere: recompensatur autem sibi secundum aequalitatem iustitiae, si tantum ei reddatur, quantum mutuavit. (STh II–II q. 78, a. 1 ad 5)

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jemand doppelt bezahlen ließe, der für ein Gelddarlehen Zins verlange. (STh II–II q. 78, a. 1) In der Praxis, die vor allem in Italien durch eine Ausweitung des Geld- und Zinsverkehrs gekennzeichnet war, musste man jedoch Kompromisse machen. Und so berücksichtigt auch Thomas in seiner Analyse des Wuchers Zinstitel wie den des „damnum emergens“ oder „lucrum cessans“, die nach kanonistischer Lehre das Zinsengeben erlaubten, sei es um den Gläubiger für den Fall schadlos zu halten, dass er das Geld während der Ausleihe nicht gewinnbringend nutzen kann oder sonstige Nachteile dadurch hat. (STh II–II q. 78, a. 2) Das ändert aber nichts an der innovativen Position, die Thomas in Bezug auf die wertschöpfende Rolle der Arbeit einnimmt. Sie gilt es eingehend hervorzuheben, da in ihr bereits ein Ansatz zur später so genannten Arbeitswerttheorie liegt, als deren Begründer John Locke angesehen wird. 302 Thomas fasst das Verhältnis von Arbeit, Kosten und Lohn als Tauschverhältnis, das auf Gleichheit basieren müsse, um gerecht zu sein. Im Kommentar zur Nikomachischen Ethik (V, 9) heißt es z. B.: „Oportet igitur ad quod hoc sit iusta commutatio, ut tanta calceamenta dentur pro una domo vel pro cibo unius hominis, quantum aedificator vel agricola excedit coriarium in labore et in expensis, quia si hoc non observatur non erit commutatio rerum, neque homines sibi invicem sua bona communicabunt.“ 303 Mit dieser Einführung von Arbeit und Kosten als objektive wertbestimmende Elemente wird die aristotelische Wertlehre im Kommentar in entscheidender Weise erweitert. Sogar die Arbeitszeit wird als Faktor in die Überlegungen eingeführt (Komm. zur Nik. Ethik V, 5): Produkte werden verglichen hinsichtlich der in ihnen vergegenständlichten Arbeitszeit. Ein Produkt, das zwei Tage Arbeit erforderte, sei wertvoller als eines, das nur die Hälfte Zeit zur Fertigstellung benötigte. (ibid.) Auch höher qualifizierte Arbeiten können mit einfachen Tätigkeiten getauscht werden, wobei wiederum die Standesqualität im Spiel bleibt. Der höher qualifizierte Baumeister muss beim Tausch ein so hohes Quantum an Schuhen erhalten, wie es dem Wert seines Hauses entspricht, um einen gerechten Tausch vorzunehmen. (Komm. zur Nik. Ethik V, 8) Der Wert einer Arbeit bemisst sich für Thomas durch die Arbeitsmenge, die Kosten und die Qualifikation der Produzenten. Nur ein Kaufpreis, der auf diese Faktoren Rücksicht nimmt, kann als „iustum pretium“, als der dem Wert angemessene Preis bezeichnet werden. (Komm. zur Nik. Ethik V, 4) Diese Lehre hat Thomas von Augustin übernommen: Er führt dessen Beispiel an, wo ein Verkäufer vom Käufer eines Buches, ohne dies verlangt zu haben, einen dem Wert des Buches entsprechenden Preis erhält und nicht den geforderten niedrigeren Preis: „et ponit (sc. Augustinus) exemplum de quodam, qui modicum pretium de 302 M. Brocker, Arbeit und Eigentum. Der Paradigmenwechsel in der neuzeitlichen Eigentumstheorie, Darmstadt 1992, p. 125ff. zu Lockes „Two Treatises of Government“. 303 „Damit ein Tausch gerecht ist, ist es nötig, dass so viele Schuhe für ein Haus oder für die Speise eines Menschen gegeben werden, wie der Architekt oder der Bauer den Gerber in ihrer Arbeitsleistung und im Kostenaufwand übertreffen, denn wenn dies nicht beachtet wird, ist es kein Tausch und die Menschen werden ihre Güter nicht tauschen.“

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quodam libro propter ignorantiam postulanti iustum pretium dedit“ (STh II–II q. 77, a. 1 ad 2) Der naturrechtlich (ex ipsa natura rei) begründete Charakter des iustum pretium wird von Thomas an anderer Stelle deutlich akzentuiert und vom durch menschliche Übereinkunft definierten Preis abgehoben. (STh II–II q. 57, a. 2) Davon kann der Marktpreis, den Thomas pretium impositum oder pretium datum nennt, durchaus abweichen, da er von Angebot und Nachfrage reguliert wird, aber unabhängig vom Wert der Sache ist. (Komm. zur Nik. Ethik V, 9 und STh II–II q. 77, a. 1 und 4) „Si vel pretium excedat quantitatem valoris rei, vel e converso res excedat pretium, tolletur iustitiae aequalitas. Et ideo carius vendere, vel vilius emere rem, quam valeat, est secundum se iniustum et illicitum.“ (STh II–II q. 77, a. 1) 304 Da auch die Vermietung der Arbeitskraft ein solches Tauschgeschäft darstellt, muss auch in diesem Fall die Gerechtigkeit gewahrt werden, indem beide Tauschpartner gemäß dem Wert der Tauschprodukte gleichgewichtig behandelt werden. (Sent. III, dist. 33 q. 3, a. 4) Der Arbeitsvertrag wird als Mietvertrag gesehen (STh I–II q. 105, a. 2), denn im Gegensatz zur Geldleihe ist die Arbeitsmiete gestattet, da die Arbeit eine fruchtbringende Sache ist. Dabei rechnet Thomas nicht nur Lohnarbeiter zu denen, die ihre Arbeitskraft vermieten, sondern auch die höheren Berufe wie Ärzte, Advokaten, Gelehrte, Geistliche, die ihren Lebensunterhalt durch Vermietung ihrer Arbeitskraft verdienen. (STh II–II q. 100, a. 3) Dies entspricht seiner o.a. weiten Fassung des Begriffs operatio manualis, unter der er alles fasst, was zum Lebensunterhalt gereicht. (Quodl. VII q. 7, a. 1) Der Lohn dieser Berufsgruppen bestimmt sich nach ihrer Arbeitsleistung und Standeszugehörigkeit (conditio) und den ortsüblichen Gewohnheiten: „dum tamen moderate accipiant considerata conditione personarum, et negotiorum laboris, et consuetudine patriae.“ (STh II–II q. 71, a. 4) Insgesamt sind Thomas’ Ausführungen zur Wirtschaft insofern bemerkenswert als sie einen Zusammenhang zwischen Arbeitswertlehre, Lohn- und Zinstheorie herstellen und der aufgewandten Arbeit als Grund des objektiven Wertes einer Sache hohe Bedeutung beimessen. Die gängige Auffassung, dass wir in John Locke den Archegeten der Arbeitswerttheorie zu erblicken hätten, ist demnach zu relativieren. 305

304 „Wenn der Preis den Wert einer Sache übersteigt oder umgekehrt die Sache wertvoller ist als der Preis, ist die Gerechtigkeit aufgehoben. Deshalb ist es ungerecht und verboten, teurer oder billiger als der Wert einer Sache ist, zu kaufen oder zu verkaufen.“ 305 M. Brocker, Arbeit und Eigentum, 1992; V. Epp, Herrschaft und Eigentum bei Wilhelm von Ockham und John Locke, in: Mittellateinisches Jahrbuch 34 (1999) 63–75.

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AUSBLICK

„Deus attingitur a nobis mediante opere nostro“ (W. von Ockham, Op. Theol. I, lib. I, Pr., q. 12) Die folgenden Beobachtungen mögen als subjektive, freilich indiziengestützte Eindrücke vom Fortgang der spätmittelalterlichen Diskussion um die Willensfreiheit verstanden werden. Sie geben lediglich eine vermutete gedankliche Tendenz an, ohne eine stringente Beweisführung. Schon Thomas von Aquin hatte eine Anthropologie entworfen, welche die Vernünftigkeit, Willensfreiheit und Selbstmächtigkeit des Menschen betonte. Dessen Am-Werke-Sein (operatio) wurde als Grundlage der beatitudo begriffen. Der Franziskanertheologe Duns Scotus 306 war es, der diese Position weiter entfaltete. Damit rückte die Willensfreiheit als Grundlage moralischer Handlungen, die mit der rechten Vernunft übereinstimmen, vollends in den Mittelpunkt ethischer Reflexion. Das Wollen bestimmte für Scotus die Rechtheit der Handlung, und er gelangte auf diese Weise zu einer normativen Definition der Moral: Das Gute sei eine vernünftige Norm, die frei gewählt werde und mit einem moralischen Gesetz übereinstimme. Der freie Wille bestimmte in seiner Lehre weiterhin die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Duns Scotus setzte eine Natur des göttlichen Willens voraus, die als Beispiel für vernünftige, geordnete und sich selbst bestimmende menschliche Freiheit diente. Der Wille war für ihn ein rationales Vermögen der rechten Wahl, welches selbstbestimmt und nicht von außen determinierbar sei. 307 Für Scotus ist die Freiheit des Willens durch dessen Rationalität definiert. Im Willen gebe es zwei Dispositionen: den Eigennutz (affectio commodi) und das Streben nach Gerechtigkeit (affectio iustitiae). 308 Die echte moralische affectio sei die letztere, die im bonum in se zur Ruhe komme, also bei Gütern, die es wert sind, um ihrer selbst willen geliebt zu werden. Dieses Streben sei die menschliche Fähigkeit zu uneigennütziger Liebe. Diese Fähigkeit ist für Duns Scotus nicht wie noch für Augustin und Anselm von Canterbury durch die Erbsünde verloren gegangen. Scotus glaubt, dass es dem Menschen möglich ist, gemäß der affectio iustitiae moralisch zu wählen, d. h. sich selbst zu kontrollieren. Da das liberum 306 Zum Folgenden: W. Dettloff, Die Entwicklung der Akzeptations- und Verdienstlehre von Duns Scotus bis Luther mit besonderer Berücksichtigung der Franziskanertheologen, Münster 1963; Zur Einführung: M. Dreyer/M. B. Ingham, Johannes Duns Scotus, Hamburg 2003 mit Literatur; nach wie vor Standardwerk: E. Gilson, Johannes Duns Scotus. Einführung in die Grundgedanken seiner Lehre, Düsseldorf 1959. 307 Zum Folgenden: M. Ingham, Ethik, in: dies., Johannes Duns Scotus, Hamburg 2003, p. 65– 117. 308 J. Boler, Transcending the Natural: Duns Scotus on the Two Affections of the Will, in: American Catholic Philosophical Quarterly 67 (1993) 109–126.

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arbitrium sowohl Freiheit als auch rationales Urteilen erfordert, müssen Intellekt und Wille zusammenwirken, um die Wahl zu erzeugen. Diese liegt jedoch ganz in der Macht des Willens und wird von dessen moralischer Rationalität bestimmt. Tugend ist so für Scotus das Ergebnis der richtigen Wahl. Das moralische Ziel wird daher nicht mehr als Glück aufgrund der Selbstvervollkommnung des Intellekts verstanden, sondern als Vervollkommnung des menschlichen Willens, als Ziel in sich selbst. Richtiges und geordnetes Lieben vollendet den Willen als rationales und freies Vermögen. Mit dieser Ausformung einer Ethik menschlicher Selbstbestimmung wird menschlichem Handeln grundsätzlich eine zentrale Funktion auf dem Heilsweg zugesprochen. Die rechten Wahlakte des rationalen Willens bilden eine notwendige Voraussetzung für die Akzeptanz des Menschen durch Gott. Doch dabei blieb er nicht stehen. Scotus setzte im Gottesbild andere Akzente: In seiner Rechtfertigungslehre suchte er die Möglichkeit menschlichen Verdienens des Heiles im Verhältnis zur Gnade Gottes zu klären. Nachdem er in Oxford und Paris Theologie studiert hatte, las er – wohl in Cambridge – über die Sentenzen des Petrus Lombardus und anschließend ab 1302 in Paris, bis er 1307 als lector principalis an das Kölner Studium des Franziskanerordens wechselte, wo er bis zu seinem Tode lehrte. Bereits in seinem Sentenzenkommentar betonte er die absolute Freiheit Gottes, der durch nichts gezwungen werden könne, ein Geschöpf in Gnade anzunehmen: „nihil creatum formaliter est a deo acceptandum.“ 309 Eines der zentralen Dogmata der Reformation, die Betonung der Unverfügbarkeit Gottes, hat Duns Scotus schon etwa 200 Jahre vor Luther in großer Deutlichkeit vertreten. Den Grund für die Verdienstlichkeit einer Handlung, die sog. „ratio meriti“ 310 , sieht Scotus vor allem in der Annahme durch Gott aufgrund seiner caritas. Doch der göttliche Wille wirkt für ihn mit dem menschlichen zusammen. Da nach Gottes Willen der Mensch durch die göttliche Gnade nicht zu seinem Heile gezwungen wird, sondern aus freier Willensentscheidung an seinem Heile mitzuwirken hat, besteht sein Verdienst darin, das göttliche Gnadenangebot anzunehmen, wie es seine Schuld ist, sich ihm zu entziehen. Dass in der bewussten Zustimmung (consensus), der Annahme des göttlichen Heilsangebotes die menschliche Mitwirkung liegt, hatten bereits Abaelard und Thomas von Aquin zur Basis ihrer Moralphilosophie gemacht, wie wir gesehen haben. Trotz dieser sittlichen Mitverantwortung des einzelnen für sein Heil bleibt bei Scotus aller Lohn letztlich Ausfluss der Gnade. Diese Position fand unter Zeitgenossen und Nachfolgern weithin Gehör. Die absolute Freiheit und Allmacht Gottes, die Duns Scotus so akzentuiert, wird durch die Unterscheidung von potentia absoluta bzw. ordinata Gottes auch begrifflich betont. De potentia absoluta ist nach Scotus alles möglich, was nicht zu den Gesetzen der Logik in Widerspruch steht, während de potentia ordinata alles 309 W. Dettloff, Johannes Duns Scotus. Die Unverfügbarkeit Gottes, in: Theologen des Mittelalters, U. Köpf (ed.), Darmstadt 2002, p. 168–181. 310 Der Terminus begegnete uns schon bei Ambrosius.

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nach den Gesetzen geschieht, die Gott für die gegenwärtige Heilsordnung vorgesehen hat. Nur aufgrund der Fehlinterpretationen seiner Zeitgenossen konnte Duns Scotus so verstanden werden, als habe er einen „Willkürgott“ konzipiert. Genaue Leser wie Ockham betonten eher das Freiheitspotential des Menschen als imago Dei und das Handeln Gottes im Rahmen der potentia ordinata, wie wir sehen werden. Die Funktion der Unterscheidung der beiden Mächte Gottes diente daher hauptsächlich dem Nachweis, dass die Möglichkeiten Gottes über das hinausgehen, was er faktisch geschaffen hat. Verfolgen wir nun, welchen Stellenwert menschliches Lebenswerk (operatio) für den Franziskanertheologen und Universitätsgelehrten Wilhelm von Ockham (ca. 1280–1347) 311 im Hinblick auf die Heilsgewinnung besaß. Tief geprägt von der Philosophie des Duns Scotus vertiefte er die Unterscheidung zwischen absoluter und gebundener Macht Gottes (potentia absoluta bzw. ordinata) und begründete die freie Souveränität Gottes in der Heilszuteilung. Er entwickelte ein Menschenbild, welches die Willens- und Entscheidungsfreiheit des Menschen als imago Dei, seine Selbstmächtigkeit als erfahrbare Gegebenheit in den Mittelpunkt stellte und sich damit dem Determinismus der konsequenten Aristoteliker entgegenstellte. 312 „Creatura rationalis maxime distinguitur per libertatem quae est principium volitionis.“ (Op. Theol. I, lib. I, dist. 1, q. 3). Die Freiheit ist das auszeichnende Wesensmerkmal des Menschen, aus welchem sein Wille hervorgeht. Aus der Freiheit des Willens ist eine abstrakte Freiheit geworden: Die Freiheit ist nicht mehr nur Kennzeichen des Willens, sie ist Signum des Menschen schlechthin. Gleichsinnig definierte Ockham das Gesetz des Neuen Bundes zwischen Gott und den Menschen als „lex libertatis“. (III Dialogus I, 1, c. 5) Diese Beobachtung fügt sich ein in die am Werk Ockhams ablesbare Begründung allgemeiner Menschenrechte, wie sie Kanonisten und Dekretisten seit dem 12. Jahrhundert vorbereitet hatten. 313 Ockhams Definition der libertas als Abstraktum im Singular („libertas accipitur quinque modis [...]“) grenzt diese von den Kontrastbegriffen servitus culpae, servitus miseriae, servitus poenae, coactio und immutabilitas ab. (Op. Theol. V, lib. II, q. 15, p. 354f.) Sind die ersten drei Termini dem theologischen Horizont entnommen, betreffen coactio und immutabilitas rechtliche bzw. philosophische Aspekte der Freiheit. In dieser Differenzierung und Erweiterung des Begriffs über den religiösen Kontext von Sünde und Strafe hinaus zeigt sich, inwieweit Ockham das freie Handeln des Menschen im weitesten Sinne, und damit auch jedwede Arbeitstätigkeit, zunehmend in einem abgrenzbar säkularen Bereich sehen konnte. So unterscheidet er ausdrücklich die größere Freiheitsfähigkeit der Engel von der 311 Zu Ockham v. a. die Werke von J. Miethke seit seiner grundlegenden Schrift Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, zuletzt der Überblick zu Ockham in: ders., Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008, p. 248– 295. 312 Zum Folgenden V. Leppin, Wilhelm von Ockham, Darmstadt 2003, p. 32. 313 B. Tierney, Origins of Natural Rights Language 1150–1250, in: History of Political Thought 10 (1989) 615–646; zum Recht auf Eigentum Epp, Herrschaft und Eigentum 63–75.

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des Menschen als „viator“, weil dieser zwar nicht „ad actus interiores, puta velle et consimiles“ gezwungen werden könne, wohl aber „ad actus exteriores.“ (Op. Theol. V, lib. II, q. 15, p. 355) Der umfassende Begriff der Freiheit, in dem sowohl Willens-, als auch Entscheidungs- und Handlungsfreiheit enthalten sind, kennzeichnet das Wesen des Menschen, welches ihn vom Tier unterscheidet: „bruta non habent liberum arbitrium, quia magis aguntur quam agunt.“ (Op. Theol. I, lib. I, dist. 1, q. 6) Der Mensch ist Herr seines Handelns, nicht Getriebener wie das Tier: „illa quae habent liberum arbitrium habent dominium et potestatem super actus suos“: „Diejenigen, welche die Willensfreiheit haben, besitzen Herrschaft und Macht über ihre Handlungen.“ (Op. Theol. I, lib. I, dist. 1, q. 6) Die Willensfreiheit daher ist für ihn eine Erfahrung, die keines weiteren Beweises bedarf: „potest evidenter cognosci per experientiam per hoc quod homo experitur quod quantumcumque ratio dictet aliquid, potest tamen voluntas hoc velle vel non velle vel nolle.“ (Op. Theol. IX, quodl. I, p. 88) Gott hat den Menschen in die diesem eigene Freiheit entlassen, hilft ihm aber (concurrere, cooperari), sie zum Guten zu nutzen. Auch für Maria gilt: „er entließ sie in die ihr eigene Freiheit („dimisit eam propriae libertati“), damit sie frei […] alle guten Handlungen hervorlocken könne, und so verdienstvoll handele.“ (Op. Theol. VI, lib. III, q. 5) Das heißt: Verdienst entspringt erst aus der Wahlfreiheit. Ganz ähnlich hatte es auch Ockhams Zeitgenosse und Rivale am Hof Ludwigs des Bayern, der Staatstheoretiker Marsilius von Padua, in seinem 1324 vollendeten Defensor pacis formuliert: „nihil involuntariorum beatificabile est, eo quod omnis virtus libero designatur arbitrio“: „Nichts Unfreiwilliges kann zur Glückseligkeit führen, weil jede Tugend vom freien Willen gekennzeichnet ist.“ (Defensor pacis II, 13;14) 314 Erst der Wille ruft demnach Sünde und Verdienst hervor, so Ockham: „in nullo actu consistit peccatum nisi existat in potestate voluntatis, sicut nec meritum quod non potest esse nisi eliciatur a voluntate.“ (Op. Theol. VI, lib. III, q. 7, p. 210) „Vitium non est nisi in voluntate, quia secundum Augustinum peccatum adeo est voluntarium quod si non sit voluntarium, non est peccatum.“ (Op. Theol. VI, lib. III, q. 11, p. 390) 315 Denn der Wille sei so frei, dass er sogar Gott hassen könne: „voluntas est ita libera respectu Dei sicut respectu cuiuscumque alterius. Sed respectu Dei potest habere habitum inclinantem ad diligendum Deum et odiendum eum.“ (Op. Theol. VI, lib. III, q. 11, p. 356) Neben der Willensfreiheit setzt Tugend jedoch die Fähigkeit zum rechten Gebrauch der Vernunft voraus: „nullus virtuose agit nisi scienter agat et ex libertate.“ (Op. Theol. VIII, quaest. Variae, q. 7, 3) Wie Duns Scotus sieht er den 314 Nach wie vor grundlegend: J. Quillet, La philosophie politique de Marsile de Padoue, Paris 1970; zuletzt der Überblick von J. Miethke, Politiktheorie p. 204–247, mit Diskussion der älteren Literatur. 315 „Die Verfehlung liegt in der Macht des Willens, wie es kein Verdienst gibt, das nicht vom Willen hervorgelockt würde. […] Die Sünde liegt nur im Willen, weil nach Augustinus die Sünde so sehr willentlich geschieht, dass sie, wenn sie nicht willentlich geschieht, keine Sünde ist.“

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Willen, der zu verdienstvollen Handlungen führt, in Übereinstimmung mit der „recta ratio.“ (Op. Theol. V, lib. III, q. 11) Diese Übereinstimmung erhöht den Grad der Freiheit, so dass Ockham zustimmend die Worte Anselms von Canterbury aus dessen Schrift De libero arbitrio zitieren kann: „liberior est igitur voluntas quae a rectitudine declinare nequit.“ (Op. Theol. III, lib. I, dist. 10, q. 2) Doch auch ohne caritas sei kein Akt verdienstvoll, so lehre es die Heilige Schrift. Der Wille verhalte sich aber zur caritas auch wie der Reiter zum Pferd, betont er und weicht damit bewusst von den Vätern ab. (Op. Theol. VIII, q. 6, a. 11, p. 289f.) Für ihn ist der Wille „quasi sessor equi quia regit et regulat equum.“ (ibid. p. 294) „Coram Deo […] solus actus voluntatis […] virtuosus vel vitiosus et non actus exterior.“ (Op. Theol. VIII, q. 8, p. 439) Die innere Haltung, nicht der äußere Akt sind vor Gott entscheidend, während bei der weltlichen Justiz die äußere Handlung zu beurteilen ist. Diese Differenzierung einer intentionalen Ethik in der Nachfolge Abaelards, die vor Gott gilt, und einer Tathaftung vor dem weltlichen Richter ist bemerkenswert, weil sie die zunehmende Unabhängigkeit des souveränen weltlichen Staates auch im Bewusstsein des Theologen dokumentiert. (Op. Theol. VI, lib. III, q. 11, p. 376ff.) „Punitione temporali, ad quam se extendunt leges humanae, pro actu interiori non punitur sed tantum pro exteriori.” (ibid. p. 377) Sünde und Verdienst liegen für Ockham also im Willen begründet: „sola voluntas potest peccare“ (Op. Theol. VII, lib. IV, q. 11, p. 236), „voluntas est principium principale operationum meritoriarum“ (Op. Theol. VII, lib. IV, q. 13, p. 269), „ratio meriti principaliter consistit penes voluntatem.” (Op. Theol. III, lib. I, dist. 17, q. 2) Dabei ist die Sünde geeignet, das liberum arbitrium des Menschen zu schwächen. 316 Doch damit nicht genug: nicht nur Sünde und Verdienst, auch der himmlische Lohn geht aus dem Willen hervor: „praemium essentiale […] est sola ipsa fruitio Dei cum delectatione sequente, quae est in sola voluntate.“ (Op. Theol. VII, lib. IV, q. 13, p. 270) Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, wenn der Theologe das Lebenswerk der Menschen als Mittler zu Gott preist, eine Verbindung, die für unsere Fragestellung überaus wichtig ist und anzeigt, welch hohen Stellenwert das Tätigsein des Menschen in Ockhams Denken für die menschliche Heilsgewinnung besaß! „Deus […] attingitur a nobis mediante opere nostro.“ (Op. Theol. I, lib. I, Pr., q. 12) Dabei ging er wie Abaelard von einem allgemeinen Heilswillen Gottes aus: „Deus vult antecedenter omnes homines salvos fieri […] permittens eos libere velle agere ad consecutionem salutis.“ (Op. Theol. IV, lib. I, dist. 46, q. 2) Eine wesentliche Einschränkung dieser Heilsgewissheit aus dem tugendhaften Handeln gilt es freilich mit Ockham zu machen, die sich aus der von Duns Scotus übernommenen Differenzierung zwischen absoluter und gebundener Macht Got-

316 conatus liberi arbitrii in resurgente per poenitentiam aliquando potest esse minor quam ante peccatum. (Op. Theol. VII, lib. IV, q. 11, p. 237)

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tes ergibt. 317 Caritas, Bindung an die ratio recta und Nutzung der Willensfreiheit zum Guten mit Gottes Hilfe und aufgrund der inneren caritas sind für ihn zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen zum Heil. Denn Gott habe sich zwar selbst in der potentia ordinata verpflichtet, aufgrund des meritum die vita aeterna zu vergeben – eine Überzeugung, die Ockham auch in bezug auf seine eigene Person fest teilt 318 – doch er kann auch anders handeln, ohne dabei ungerecht zu sein. Die Menschen, auch die tugendhaften, hätten keinen Anspruch auf Heilszuteilung: „Si dicatur quod Deus est debitor praemii pro meritis, respondeo dico quod Deus nullius est debitor nisi quia sic ordinavit; de potentia tamen absoluta potest facere contrarium cum creatura sua sine omni iniuria.“ (Op. Theol. VII, lib. IV, q. 5, p. 45) Ja, mehr noch: es hänge von Gottes Akzeptanz ab, ob ein menschliches Verdienst als solches im Hinblick auf das ewige Leben anerkannt werde oder nicht. 319 Gott kann also aufgrund seiner absoluten Macht, aufgrund derer er tun kann, was logisch nicht ausgeschlossen ist, auch Menschen ohne Verdienst und ohne caritas erlösen, wie das Beispiel des Paulus zeige: „unde sicut Paulus habens peccata sine omni merito recepit gratiam, ita posset Deus sibi conferre vitam aeternam sine omni merito et habitu supernaturali.“ (Op. Theol. VI, lib. III, q. 9, p. 280f.) Doch in der Regel bindet er sich selbst in der potentia ordinata an die innerweltliche Kausalität, und daraus ergibt sich für die Heilsgewährung, dass niemand sich aus sich selbst heraus das ewige Leben verdienen kann, auch nicht wenn er von Gott mit Geschenken begabt wurde, sondern nur „quia Deus contingenter et libere et misericorditer ordinavit, quod habens talia dona possit mereri vitam aeternam“, weil Gott die Welt so eingerichtet habe, dass jemand mit solchen Geschenken sich das ewige Leben verdienen könne (d. h. auch, dass er darin aufgrund von Sünde scheitern kann). (Op. Theol. III, lib. I, dist. 17, q. 1) Gott könne nicht gezwungen werden, das ewige Leben zu schenken. Und darin weiche seine, Ockhams, Auffassung von der des Pelagius ab. (ibid.) 320 Ockhams Sicht von der im Prinzip absoluten, in der Regel jedoch gebundenen Macht Gottes hat in der Rezeption seiner Werke dazu geführt, dass seinem Gott 317 Zur potentia-Lehre vgl. Leppin, Ockham, p. 144–149. 318 Credo quod beatitudo est mihi conferenda propter merita. (Op. Theol. VI, lib. III, q. 9, p. 279). 319 Quia nullus actus ex puris naturalibus, nec ex quaecumque causa creata, potest esse meritorius, sed ex gratia Dei voluntarie et libere acceptante. Et ideo sicut Deus libere acceptat bonum motum voluntatis tamquam meritorium quando elicitur ab habente caritatem, ita de potentia sua absoluta posset acceptare eundem motum voluntatis etiam si non infunderet caritatem. (Op. Theol. III, lib. I, dist. 17, q. 2, p. 471f.) „Denn es hängt von der Gnade Gottes, die frei und willentlich akzeptiert, ab, ob eine Handlung verdienstvoll sein kann, nicht von natürlichen oder geschaffenen Ursachen. Und deshalb: wie Gott frei eine gute Willensbewegung als verdienstvoll akzeptiert, wenn sie von einem hervorgelockt wird, der die Liebe hat, so kann er aus seiner absoluten Macht heraus die gleiche Bewegung des Willens akzeptieren, auch wenn er ihr die Liebe nicht eingegossen hat.“ 320 Hier rechtfertigt sich Ockham gegen Vorwürfe der avignoneser Theologenkommision, die ihn angeklagt hatte. Cf. Leppin, Ockham, p. 149ff.

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eine „Willkürfreiheit“ attestiert wurde 321 , die den einzelnen in eine tiefe Verunsicherung hinsichtlich seines Heils gestürzt habe, aus dem sich das neuzeitliche Weltverhältnis der Selbstbehauptung ergeben habe. In der Tat kann der Mensch nach Ockham nicht sicher sein, dass sich sein auf caritas gegründetes verdienstvolles Handeln vor Gott bewährt, d. h. auch im Hinblick auf seine Heilswirkung „akzeptiert“ wird. Aber er kann die notwendigen Bedingungen erfüllen, die für Gottes Akzeptanz gemäß der potentia ordinata ausschlaggebend sind, denn: „nulli adulto confertur vita aeterna nisi propter aliquod opus meritorium […] omne meritorium est in potestate merentis“, „einem Erwachsenen wird das ewige Leben nur wegen eines verdienstvollen Werkes verliehen […] alles Verdienst liegt in der Macht des Verdienenden.“ (Op. Theol. IV, lib. I, dist. 40, q. 1, p. 593f.) Darin liegt doch eine Sicherheit, die im Sinne einer Verdienstethik die Richtschnur für das Verhalten abgeben kann! 322 Ergab sich demnach im Verlauf des Spätmittelalters eine weitere Verfestigung des Glaubens an die menschliche Willensfreiheit als Basis vor Gott verdienstvoller Arbeit und Betätigung, ja sogar ausgehend von der libertas arbitrii eine Verselbständigung und Abstrahierung des Freiheitsbegriffs, geschah dies gleichwohl vor dem Hintergrund eines Gottesbildes, welches die unberechenbare Allmacht des Schöpfers hervorhob und Gott nicht, wie das Hochmittelalter, in seiner menschgewordenen, nahbaren Gestalt erfasste. Fraglich wurde die Willensfreiheit vor allem in der Diskussion Luthers mit Erasmus von Rotterdam. Des Reformators Schrift De servo arbitrio von 1525 zeigt schon im programmatischen Teil an, dass sie als Teil einer Kontroverse formuliert wurde, als Entgegnung auf die Schrift De libero arbitrio Diatribe sive collatio des Humanisten Erasmus, die im September 1524 erschienen war. Während der Humanist Willensfreiheit als Macht des menschlichen Willens verstand, durch die sich der Mensch zu dem hinwenden oder von dem abwenden könne, was zum ewigen Heil führe, definierte Luther eine so auf das Heil bezogene Willensfreiheit allein als Eigenschaft Gottes. Luther wies in der Abhandlung De servo arbitrio vor allem auf drei wesentliche Glaubensinhalte hin, die die Annahme einer menschlichen Willensfreiheit verböten: Gottes Allmacht, die Herrschaft des Teufels in der Welt und die Sündhaftigkeit des Menschen ohne die Gnade Gottes. Der Mensch lebe entweder im Reich Gottes oder im Reich des Satans und werde daher stets von einer der beiden Mächte beherrscht. 323 321 H. Blumenberg, Säkularisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt 1983, p. 171. 322 Die Auffassung Leppins, das Gottesbild Ockhams sei am Vorbild des in seiner Zeit allmächtigen Papstes entwickelt, entbehrt m.E. jeder Grundlage, denn wieso sollte Ockham dann seine gesamte Lebensenergie bei der Abfassung des Dialogus, seines Hauptwerkes, darauf konzentrieren, den Nachweis zu führen, dass auf dem Papstthron ein Ketzer sitze, der nicht in der Lage sei, den Anforderungen des Amtes gerecht zu werden? Es geht ihm doch gerade um die Entlarvung von Machtmissbrauch der plenitudo potestatis, die nicht mehr „ordinata“, sondern „absoluta“ verwendet wird! Was Gott zusteht, darf der Papst noch lange nicht! 323 Zu dieser Debatte aus theologischer Sicht M. Beiner, Intentionalität und Geschöpflichkeit. Die Bedeutung von Martin Luthers Schrift „Vom unfreien Willen“ für die theologische Anthropologie, Marburg 2000.

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Der Kreis schließt sich: Am Ende unserer Betrachtungen steht damit paradoxerweise eine Rückkehr zur Position des späten Augustin, möglicherweise katalysiert durch einseitige Rezeption der „potentia absoluta“ Gottes, die die Theologen seit Duns Scotus beschäftigt hatte. Demgegenüber mutet Ockhams Rekurs auf die Erfahrung (experientia) als Beweis für die Existenz der menschlichen Willensfreiheit erstaunlich modern an. Wie sagte es der eingangs zitierte Martin Heisenberg: „Die Freiheit des Willens gibt es, wie es Gedanken, die Temperatur oder das Licht gibt. Sie ist ein Zustand, an dem ich gerade mehr oder weniger teilhabe. Ich spüre sie.“ (FAS vom 4.2.2007)

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ZUSAMMENFASSUNG

Arbeit wurde im Mittelalter, dies lässt sich als Ergebnis festhalten, durchgehend auch als gottgefällige Betätigung der Willensfreiheit des Menschen gesehen. Neben den bereits bekannten Funktionen von Arbeit als Erfüllung des Schöpfungsauftrages, Askesemittel, Voraussetzung für Autarkie und caritas dem Nächsten gegenüber ist dieses Motiv für eine Hochschätzung der Arbeit bisher übersehen worden. Sie gewann als Folge einer bewussten, nur auf der Basis des liberum arbitrium möglichen rationalen Wahl des rechten Lebensweges und dessen praktischer Ausübung unmittelbare Heilsbedeutung, wurde Freiheit zu Gott. Denn im Rahmen einer Verdienstethik wurden die merita des Menschen, die nur insofern als verdienstvoll angesehen wurden, als sie „freiwillig“ erbracht wurden, zu entscheidenden Kriterien der Heilszuweisung durch Gott im Jüngsten Gericht. Der Mensch musste nach mittelalterlicher Auffassung an seinem Heil mindestens mitwirken (cooperari). Arbeit wurde als Voraussetzung der Begnadung durch Gott angesehen, da dieser „praemia pro meritis“ vergebe. Im freien Willen lägen Verdienst und Schuld, weil die Sünde in fortschreitender Verinnerlichung der ethischen Reflexion seit Cassian in der bewussten Zustimmung zum Bösen gesehen wurde, im consensus, wie es im 12. Jahrhundert vor allem Abaelards intentionale Ethik weiter entwickelte. Die spätaugustinische Gnadenlehre hingegen, derzufolge das Heil des Menschen unabhängig von dessen Verdiensten „sola gratia“ von Gott vergeben werde, oder die Lehre des sächsischen Mönches Gottschalk von einer doppelten Prädestination zum Heil oder Verderben, welche den allgemeinen Heilswillen Gottes in Frage stellten, fanden demgegenüber wenig Gehör. Dem wirksameren optimistischen Menschenbild des Ambrosius entsprechend, demzufolge der Sündenfall die menschliche Natur nicht völlig korrumpiert habe, folgte die Auffassung, dass sich in der Arbeit als Betätigung der gottgegebenen Anlagen, der Vermehrung der anvertrauten Talente, wie es Rather von Verona im 10. Jahrhundert ausdrückte, der Mensch sich nicht nur selbst verwirklichen könne, wie es erst im 13. Jahrhundert das aristotelische ergon-Argument des Thomas von Aquin formulierte, sondern vor allem den Rückweg zu Gott zu finden vermöge. Diese neuplatonische Konzeption der menschlichen Existenz als proodos und epistrophe zu Gott legten die meisten der vorgestellten früh- und hochmittelalterlichen Autoren, wie etwa Hrabanus Maurus, zugrunde. Frei gewählte Arbeit konnte nach dem Sündenfall den Beginn des Rückweges zu Gott einleiten. Innerhalb dieses Rahmens einer Bejahung der menschlichen Willensfreiheit und einer daraus abgeleiteten Verdienstethik, die die Heilsbedeutung menschlicher Arbeit in ihren unterschiedlichen Ausprägungen betonte, setzten die einzelnen vorgestellten Autoren unterschiedliche Akzente, auf die abschließend noch einmal stichwortartig benannt werden sollen.

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Während Augustin in seiner Frühschrift De libero arbitrio noch behauptet hatte, „in voluntate meritum sit“ (De lib. arb. I, 14), hob er in späten Jahren, namentlich in der 397 an Simplician gerichteten Schrift (I, 2) hervor, niemand könne sich rühmen, durch eigene Werke die Rechtfertigung verdient zu haben. Gott allein verteile „sola gratia“ ungeschuldet Erlösung oder Höllenstrafe. Zukunftweisend betonte Augustin, dass Arbeit auch als Handarbeit immer auch Ergebnis einer geistig-seelischen Aktivität sei (De genesi ad litteram, CSEL 28-1, 8, 8, p. 243), ein bleibender Zug der mittelalterlichen Sicht auf Arbeit bis hin zu Thomas von Aquin. Im exegetischen Werk des Kirchenvaters Ambrosius wurde hingegen durchgehend das Motiv der gottgegebenen Willensfreiheit des Menschen angeschlagen, welche die Basis des freiwilligen und damit allein verdienstvollen Arbeitens sei. (Exaem. IV, 18f.) Der Mailänder Bischof betonte auch die Vergebungsbereitschaft Gottes aufgrund menschlicher Verdienste in der Arbeit: „numquid non habebit rationem laboris?“ (De paenitentia I, 4, 19–20) Der bedeutende Mönchsvater Cassian von Marseille, der opus und labor als lateinische Termini synonym verwendete, entkleidete damit schon begrifflich die Arbeit ihres mühevollen Strafcharakters und sah sie stets im Lichte des positiven Ergebnisses, des Werkes. Dies geschah auf der Basis einer intentionalen Ethik. In bemerkenswerter Verinnerlichung der ethischen Reflexion qualifizierte er die Absicht (intentio) als entscheidend für die moralische Beurteilung einer Handlung. Eine solche Sichtweise, die später von Abaelard vertieft wurde, setzt die Annahme einer Willensfreiheit zwingend voraus. In der Tat: Cassian begriff die menschliche Willensfreiheit als ein Abbild der göttlichen (Inst. III, 3), die Laster als Verlust der imago libertatis, des Abbildes der Freiheit Christi im Menschen. Der Sündenfall resultierte für ihn im Verlust der naturalis bzw. ingenita libertas der Menschen, wobei Freiheit und libertas arbitrii bei ihm gleichgesetzt sind. (Coll. XXIII, 12) Arbeit hingegen als rechter Gebrauch des liberum arbitrium (Coll. XIII, 13) wurde Cassian zur Voraussetzung für die Gnade Gottes: „nur denen, die arbeiten und sich abmühen, wird das Erbarmen und die Gnade Gottes zuteil.“ (Inst. XII, 14) Der spätaugustinischen Position (nicht nur räumlich) näher war Bischof Fulgentius von Ruspe. Er sah den Menschen als Gefäß des göttlichen Handelns an (ep. XV, 14), dem entsprechend wesentlich weniger Selbstverantwortung für sein Handeln oblag als in der Vorstellung Cassians. Fulgentius begriff den menschlichen Willen zwar als „cooperatrix suae salutis“ (ep. XV, 11), sah ihn aber als der Gnade bedürftig, das Richtige zu erkennen. „Freiwilligkeit“ bestand für ihn in der Erkenntnis und Erfüllung des göttlichen Willens auch in der Arbeit. (De veritate praed. II, 18; 24) Der Lohn sei allein Ergebnis der Gnade Gottes. (ibid. II, 26) Fulgentius’ Zeitgenosse Bischof Caesarius von Arles hingegen sah in der Arbeit als Teil sittlicher Bemühung im Diesseits wie Cassian die Bedingung für den Erhalt des göttlichen Gnadengeschenks, ja sogar den Schlüssel zum Himmelreich: „cum ipsius (sc. dei) adiutorio laboremus, ut nobis bonorum operum clavibus ianuam regni caelestis aperire possimus.“ (s. 227, 1) In der Karolingerzeit wandte sich der Erzbischof, Abt und Gelehrte Hrabanus Maurus gegen den vermeintlichen Fatalismus, der sich für ihn aus den Lehren des

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sächsischen Mönches Gottschalk ergab, welcher eine doppelte Prädestination zum Heil bzw. zum Verderben predigte. Der Mensch war für Hrabanus von Natur aus gut und mit der Willensfreiheit begabt. Diese „Freiwilligkeit“ sah er geradezu als das Kennzeichen par excellence menschlicher Arbeit im Unterschied zu den Tieren an. (EBP V, VIII, c. 1460) Arbeit trug aus seiner Sicht zur Verwirklichung des bonum commune bei und galt ihm als heilswürdig: „illis enim labor suus proficiet ad aeternam salutem.“ (Hom. II, IX, c. 153) Denn sie könne als imitatio der Passion Christi der Würdigung Gottes im Jüngsten Gericht gewiss sein: „Recipiatis coronam condignam labori vestro.“ (EBP XXIX, XI, c. 787) Geistige Arbeit und Handarbeit waren ihm im Hinblick auf ihre Heilswirkung gleichwertig. (Comm. in Eccl. X, XXX, c. 1119) Sein Schüler Lupus von Ferrières hingegen war nicht von einer solchen Verdienstethik überzeugt. Im Liber de tribus quaestionibus über die Fragen des liberum arbitrium, der Prädestination und der Erlösung gab er sich überzeugt, dass „nostrorum autem omnium bonorum Dei gratia auctor est.“ (De trib. quaest., c. 634) Während der westfränkische Kollege des Hrabanus, Hinkmar von Reims, wie vor ihm Fulgentius in Fragen der Heilszuteilung eindeutig der Gnade das Prae gegenüber der menschlichen Willensfreiheit gab (De praed., c. 440), haben wir mit dem Philosophen Johannes Scotus Eriugena einen der originellsten Denker des gesamten Mittelalters zu würdigen. Im Rahmen eines positiven Gottes- und Menschenbildes, welches den Herrn nicht als furchterregend strafenden, sondern als gnädigen Lenker der Welt begriff (De div. praed. 17, 52), verfügte aus seiner Sicht der Mensch als imago Dei ebenso über ein liberum arbitrium wie dessen Urbild Gott. Arbeit als Teil des „labor“, der willentlichen Anstrengung zur Bewahrung eines gottgefälligen Lebens, wurde von Eriugena als Zeichen und Vorbote der jenseitigen Glückseligkeit gewertet und mit unmittelbarer Heilsbedeutung ausgestattet: ein Gedanke, den später Thomas von Aquin philosophisch im Anschluss an Aristoteles untermauerte. Für Eriugena bewirkte diese Anstrengung eine Wiederannäherung an den Schöpfer im Rahmen des neuplatonischen Bildes von Ausgang und Rückkehr des Menschen zu Gott. (De div. praed. 2, 103) „Willst du ein guter Christ sein […] dann sei nicht nur ein gerechter, sondern auch ein beständiger Arbeiter“ (Prael. I, Z. 2-5): mit dieser Mahnung gleichsam als Überschrift seines Hauptwerkes, der Praeloquia, einer christlichen Morallehre, erklärte Bischof Rather von Verona die Arbeit zum Inbegriff des Christseins. Er vertrat die Heilswirksamkeit verschiedenster Formen von Arbeit, auch der Handarbeit: „pro diversitate operum“, nach Maßgabe ihrer Werke, würden die Christen am Ende ihrer Tage gerichtet. Am Schluss des Werkes rief er alle seine Leser auf, ihre Aufmerksamkeit auf das Gleichnis von den Talenten aus dem Matthäusevangelium zu richten. Er mahnte, der dort ausgesprochenen Verpflichtung aller Christen, mit den von Gott erhaltenen Begabungen produktiv umzugehen, gerecht zu werden. (Prael. VI, Z. 715ff.) Rather erweiterte, möglicherweise beeinflusst durch das aufblühende Städtewesen Norditaliens, die im monastischen Denken angelegten Begründungen

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für die Notwendigkeit von Arbeit zu einer umfassenden Arbeitsethik: Arbeit als Berufung, als Mittel zur allmählichen Entfaltung der Körper- und Verstandeskräfte – ein geradezu pädagogischer Ansatz, der den Fortschritt des Menschengeschlechts als Absicht Gottes begriff. (Prael. II, 605-611) Grundlage dieser Verdienstethik ist im Falle Rathers freilich die Annahme, dass Gottes Gnade für das Gelingen der Arbeit erforderlich sei; der menschliche Wille allein reichte für ihn dazu nicht aus. Ein höheres Maß an Selbstverantwortung in der Betätigung des liberum arbitrium wurde im Hochmittelalter insbesondere von Abaelard menschlichem Handeln und damit auch der Arbeit zugeschrieben. „Labor“ war für ihn vor allem die sittliche Anstrengung des Menschen in allen Lebensbereichen. Der Apostel Paulus verkörperte in seinen Augen diese Haltung vorbildlich, insofern dessen Handeln „non fuit imperii, sed proprie voluntatis“, nicht auf Befehl, sondern aufgrund eigener Willensentscheidung zustande kam. (Komm. zum Römerbrief 1, 1) Erst dieser Primat des Willens in der Handlungslehre konnte eine intentionale Ethik hervorbringen, die der Absicht einer Handlung, nicht dem äußeren Tun, für die Beurteilung einer Tat entscheidendes Gewicht beimaß. Der Philosoph war der Ansicht, dass der freie Wille in der Vernunft bestehe (Apologia contra Bernardum, Z. 18), deren Betätigung Handeln eigenen Rechts zur Folge habe. (s. 8, PL 178, c. 440) Die Gnade Gottes verleihe eine solche bona voluntas, denn: „Deus hominem fecit […] ut ipse sibi auctor esset aut ad vitam aut ad mortem, ut custodiens se a peccato labore suo gauderet se immortalem“ 324 : Diese Kernstelle fasst das komplexe Miteinander göttlicher und menschlicher Verantwortung zusammen: „Gott hat den Menschen gemacht, damit er sich selbst Verursacher seines Lebens oder Todes sei, damit er sich von der Sünde fernhalte und sich durch seine Arbeit/Bemühung der Unsterblichkeit erfreue.“ Gott hat den Menschen als selbstverantwortlichen geschaffen, dieser ist selbst seines Glückes oder Verderbens Schmied. Auch seine Verdienste sind bei Abaelard insoweit sein Werk, als er die Gnade Gottes, welche ihn zu solchen merita befähigt, ergreift. („gratiam assequi“, Komm. zum Römerbrief 1, 1) War schon für Abaelard die ratio Essenz des freien Willens, so wurde dieser Vernunft-, Erkenntnis- und Bildungsoptimismus auch für seinen Schüler Johannes von Salisbury bestimmend. Kein Wunder, waren beide doch Zeugen jenes hochmittelalterlichen „enlightenment“, der Zeit, als die aufblühenden Kathedralschulen Frankreichs es wagten, die ratio auch auf theologische Fragen anzuwenden und ihrer Methode mehr als den auctoritates zu vertrauen! Die Philosophie wurde ihm zur Wissenschaft von der Transzendenz, in der die Theologie aufgeht. (Enth., vv. 265ff.) Johannes betonte die menschliche Willensfreiheit in Abgrenzung gegen den Fatalismus der Stoa. (Policr. II, 21) Die Philosophie ist ihm dabei „dux salutis“, Vermittlerin der Gnade rechtgeleiteter Willensfreiheit. (Enth., vv. 265ff.) Den Menschen, die sich unter Anleitung der Philosophie um die rechte Anwendung 324 Sic et non, qu. 51: Abaelard zitiert hier zustimmend Augustinus’ Quaestiones veteris et novae legis cap. 21.

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des liberum arbitrium bemühten, ihr Handeln und ihre Arbeit entsprechend ausrichteten, „datur merces digna labore.“ (ibid.) Die Philosophie sei geeignet, die im Sündenfall verdorbene Gottesebenbildlichkeit des Menschen wiederherzustellen. (Met. IV, 40) Arbeit als gnaden- und philosophiegeleitete rechte Betätigung der Willensfreiheit: diesen Zusammenhang entfaltet Johannes in seinem Policraticus, dem fürstenspiegelartigen Traktat über Politik und Ethik in einem visionären Schlussbild weiter. (Policr. VIII, 24–25) In einem Traum beschreibt er die Rettung des Menschengeschlechts. Diese Rettung könne gelingen, wenn der Mensch zum Ort seiner ersten Sünde, zum Baum der Erkenntnis, zurückkehre, diesmal aber die richtige Wahl treffe, rechten Gebrauch von seiner ursprünglichen Willensfreiheit mache. Sei die Arbeit als Folge des Sündenfalls mühsame Strafe geworden, werde sie dann süß durch die Hoffnung auf das Jenseits. Der Mensch möge erneut an den Baum der Erkenntnis herantreten, welcher in der Mitte der Kirche gepflanzt sei, um von ihm diesmal den Zweig der Tugend abzureißen. Und so wie Gott ihn auf den rechten Weg führe, ihm das Wissen der Heiligen gebe, ihn in seiner Arbeit ehre, so vervollkommne er sein Glück, „pro qua fideliter et utiliter laboratur.“ Gottes Gnadengeschenke und des Menschen Arbeit wirken in diesem Schlussbild zusammen, um die beatitudo des Menschen zu bewirken. Der Mensch gewinne die Ehre zurück, die ihm im Sündenfall verlorengegangen war. Entscheidenden Anteil am Erreichen der menschlichen Zielbestimmung (Entelechie) hat die Arbeit auch für Thomas von Aquin. Er rezipierte die aristotelische Politik und die Nikomachische Ethik und integrierte sie in den christlichen Kosmos. Das aristotelische sog. ergon-Argument, demzufolge die vollkommene Realisierung der menschlichen Wesensmöglichkeiten vom Am-Werke-Sein (operatio) der Vernunft abhänge, bindet das Erreichen der beatitudo des Menschen an dessen Tätigkeit im umfassenden Sinne, also auch an die Arbeit. Diese gewann bei Thomas als Teil der „operatio“, des Am-Werke-Seins des Menschen, der energeia, einen völlig neuen, erstmals philosophisch begründeten Stellenwert. Auch Thomas war die Willensfreiheit fester Bestandteil seines Menschenbildes: „ipse est suorum operum principium, quasi liberum arbitrium habens et suorum operum potestatem.“ (STh I–II, Prolog) Der Mensch erscheint als Herr seines freiwilligen Handelns! Auf diese Weise wird Arbeit zum Betätigungsfeld eines freien, rationalen Willens, dessen Orientierung am Guten Gott vorbereitet, die aber vom Menschen durch bewusste, willentliche Zustimmung (consensus) bestätigt werden muss. Ein solches in Auseinandersetzung mit Aristoteles gewonnenes Menschenbild einer schöpferischen, aufgrund freier Willensentscheidung handelnden und so ihr telos erreichenden imago Dei mag durch die historischen Konstellation, aus der es entstand, katalysiert worden sein: günstige klimatische Bedingungen, demographisches Wachstum, Entfaltung der Städte und Belebung des Fernhandels, wachsende gesellschaftliche Arbeitsteilung und Differenzierung der Tätigkeiten dürften der neuen Vorstellung vom Menschen zum Durchbruch verholfen haben.

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Quellen

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