Domus und Religion in Montaillou: Katholische Kirche und Katharismus im Überlebenskampf der Familie des Pfarrers Petrus Clerici am Anfang des 14. Jahrhunderts 3161455622, 9783161455629, 9783161585555

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Domus und Religion in Montaillou: Katholische Kirche und Katharismus im Überlebenskampf der Familie des Pfarrers Petrus Clerici am Anfang des 14. Jahrhunderts
 3161455622, 9783161455629, 9783161585555

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhalt
Hinweise
1. Zur Einführung
1.1. Gegenstand, Ansatz, Ziel und Methode der Untersuchung
1.2. Fragestellung und Ergebnisskizze
1.3. Zum Charakter und zur Glaubwürdigkeit der Quelle
Überlieferungsschichten
Folter
Der Untersuchungsgang
1.4. Zum Stand der Forschung
Grundsätzliches
Zum Pfarrer von Montaillou
Jean Duvernoy
Emmanuel Le Roy Ladurie
René Nelli
Élie Griffe
Katharina Stoodt
1.5. Zum geographischen und historischen Umfeld
Topographie und politische Gliederung
Der Kampf der Grafen von Foix um ihre Selbständigkeit
Inquisition ab 1300
Klerus und Bischof
2. Der Verlauf des Verfahrens gegen Petrus und Bernardus Clerici (1320–1324)
2.1. Eröffnung: Die Ermittlungen gegen den Pfarrer (Juni 1320 bis Januar 1321)
Die Verhaftung
Kronzeugin Beatrix de Ecclesia
Weitere Zeugen
Der Ermittlungsstand Anfang 1321
2.2. Gegenzug: Die Bemühungen der domus Clerici um Entlastung des Pfarrers (ab Februar 1321)
Zur Glaubwürdigkeit der Zeugnisse
Bernardus Benetis Falschaussage in Carcassonne
Die Erpressung der Angehörigen des Guillelmus Guilaberti
Das alternative Inquisitionsgericht in Pamiers
Der Fortgang der Untersuchung
2.3. Ausweitung: Die Aufnahme des Verfahrens gegen Bernardus Clerici, den Bruder des Pfarrers und zeitweiligen baiulus von Montaillou (6. April bis 20. Mai 1321)
Die Vorladung vom 6. April 1321
Bernardus Clerici vor dem Inquisitor in Carcassonne
Weitere Nachforschungen Fourniers
Bestechungsversuche gegen Fournier
2.4. Kontroverse: Das Eingreifen der Inquisition in Carcassonne zugunsten der Clerici (Ende Mai bis November 1321)
Die Haft des Bernardus Clerici
Beeinflussung zweier Zeuginnen
Die Inquisition von Carcassonne in Montaillou
Die Verhaftung des bischöflichen Spitzels
Weiterer Kampf um Zeugen
Der Tod des Petrus Clerici
Die Haftentlassung des Bernardus
2.5. Entscheidung: Überführung und Verurteilung des Bernardus Clerici (November 1322 bis Sommer 1324)
Mitgefangene sagen aus
Vuissana widerruft ihren Widerruf
Einkerkerung und Tod
3. Die Vorgeschichte des Verfahrens (1295–1320)
3.1. Die domus Clerici von Montaillou (bis 1300)
Zur Chronologie
Familienangehörige
Mutter Mengardis
Die Freundinnen der Mutter
Petrus Clerici
Priesterweihe und Pfarramt
Die Liebschaft mit Beatrix
Die religiösen Anschauungen des Pfarrers
Private Interessenethik
Selbsteinschätzung und Heilshoffnung
Widersprüche
Das Weltbild des Pfarrers im Überblick
3.2. Die domus Clerici und der Wiederaufbau der katharischen Kirche (bis 1305)
Zur Chronologie
Die domus Beloti als Gastgeber der perfecti
Verbindungen der Clerici zu den perfecti
Der Pfarrer als Beschützer
3.3. Die domus Clerici in den zunehmenden Verfolgungen durch die Inquisition (bis 1309)
Zur Chronologie
Die Verfolgungen bis 1305
Die Doppelrolle des Pfarrers
Beginn der Klientelbildung
Das Verhältnis Beloti-Clerici
Die Rückkehr des Petrus Maurini aus Arques
Beginn einer Spaltung der credentes
Offene Feindschaft des Pfarrers zu den Bauern
3.4. Die domus Clerici und die Zerschlagung der Katharerkirche im Hochland (1309–1311)
Zum Datum der Massenverhaftung von Montaillou
Abhängige Datierungen
Wann war Guillelma Beneta in Haft?
Wann wurde Mengardis Maurs verstümmelt?
Petrus Clerici versucht, Beneta zu schützen
Die Beistandsvereinbarung
Die Massenverhaftung von 1309
Auswirkungen der Razzia
Die Maurs-Fehde
Der Tod der Eltern des Pfarrers
Tod und Rezeption der Guillelma Belota
Spannungen in der domus Clerici
Ursachen der Maurs-Fehde
Klientelbildung oder Exil
3.5. Die Clerici als beherrschende domus des Alion (bis Frühjahr 1320)
Zur Chronologie
Der Einfluß der Brüder Clerici
Familiengeschäfte
Des Pfarrers Geliebte nach Beatrix
Vorzeichen des Sturzes
4. Zum Sturz der domus Clerici
4.1 Die Rolle des bischöflichen familiars Petrus Ademarii
Herkunft
Vorwürfe wegen Zeugenbeeinflussung
Intrigen der Clerici
Weitere Aussagen gegen Ademarii
Einschätzung
4.2. Frauen als entscheidende Belastungszeuginnen
Überleben durch Anpassung
Ehe, Konkubinat, Sexualität
Beatrix und der Pfarrer
Der Bischof und die Zeuginnen
5. Entwicklungslinien einer Familiengeschichte: Die domus Clerici 1295–1324
Solidarität mit den Nachbarn
Die Schlüsselrolle des Pfarrers
Die Funktion des Bernardus
Entwicklungsabschnitte
Die Klientel
Der Beitrag der domus Clerici zum eigenen Untergang
Kritik an Le Roy Ladurie
6. Zum Kontext einer Familiengeschichte: Die Krise der domus im Alion als Folge der Entfaltung der Geld- und Warenwirtschaft
6.1. Zur sozialen Gliederung in Montaillou
Die domus Clerici, Beloti und Beneti
Die zweite domus Clerici und die Häuser Porcelli und den Riba
Die beiden domus Maurs und die domus Perlicerii
Die domus Maurini, Baiuli und Ramundus Ademarii
Soziale Stellung, Ehe, Konkubinat
Geschlechtsspezifische Rollen
Die Bindung der Söhne an die väterliche domus
Zur Familienstruktur
Keine Dominanz der Zwei-Generationen-Kernfamilie
6.2. Nachrichten zur ökonomischen und sozialen Entwicklung des Hochlandes von Foix 1295–1325 in den Protokollen des Bischofs Fournier
Geldwirtschaft auch im entlegensten Dorf
Nahrungsmangel und Getreideimport
Märkte, Warenverkehr und relative Überbevölkerung
Tierhaltung und Gelderwerb
Probleme der Lohnhirten
Die Einbindung der Hirten in die Geldwirtschaft
Landhandwerke und Wanderarbeit
Lebenshaltungskosten auf Reisen und Jahrmärkten
Wertvergleiche
Herdengrößen
Kreditwesen und Landverkäufe
Wucher, Diebstahl, Betrug
Resümé
7. Die Reflexion der Alltagsprobleme in der katharischen Ethik und der Anspruch der Ecclesia Romana
7.1. Katharische Weltethik für credentes
Problemstellung und Aufgabe
Grundlagen
Die goldene Regel als Leitsatz
Domusorientierte, private Situationsethik versus Gemeinschaftsethik
Keine verbindlichen Normen für credentes
Resümé
7.2. Die Forderungen der römischen Kirche
Der Zehntkonflikt
Kirche und Hierarchie
Heilsvermittlerin und innerweltliche Norminstanz
Kampf gegen die autonome domus
Abendländischer Dualismus
8. Ergebnisse
Die Krise der domus
Die Funktion des katharischen Dualismus
Ethische Strömungen unter den credentes
Katharismus als Ideologie der autonomen domus
Beigaben
Belegstellenverzeichnisse 1–4
Exkurs zu Münzen, Preisen und Werten
Verwandtschaftstafeln
Orientierungsskizzen
zum Alion
zum Hochland von Foix
zum Bistum Pamiers
zum Verlauf des Clerici-Prozesses
zu den Clerici im verwandtschaftlichen Beziehungsgeflecht
zu den erwähnten Orten im Hochland und seiner Umgebung
zu Pamiers Abbildungsteil, S. 3
zur mittelalterlichen Ortslage von Montaillou Abbildungsteil, S. 4
Abkürzungen
Quellen, Hilfsmittel und Literatur
Ortsregister
Personenregister
Sachregister
Abbildungsteil am Schluß des Buches

Citation preview

Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe herausgegeben von Heiko A. Oberman in Verbindung mit Lothar Graf zu Dohna und Kaspar Elm

1

Domus und Religion in Montaillou Katholische Kirche und Katharismus im Überlebenskampf der Familie des Pfarrers Petrus Clerici am Anfang des 14. Jahrhunderts

von

Matthias Benad

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

CIP-Titelaufriahme Benad,

der Deutschen

Bibliothek

Matthias:

Domus und Religion in Montaillou : Katholische Kirche und Katharismus im Überlebenskampf der Familie des Pfarrers Petrus Clerici am Anfang des 14. Jahrhunderts / von Matthias Benad. - Tübingen : Mohr, 1990 (Spätmittelalter und Reformation ; N.R., 1) ISSN 0937-5740 978-3-16-158555-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-145562-2 NE: G T

© 1990 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Bembo-Antiqua gesetzt, auf säurefreies Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinrich Koch in Tübingen gebunden.

Meiner Frau

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Frühjahr 1987 im Fachbereich Religionswissenschaften der Universität Frankfurt am Main, den nunmehrigen Fachbereichen Evangelische Theologie und Katholische Theologie, als Habilitationsschrift fiir das Fach Kirchengeschichte angenommen. Ich habe sie für die Veröffentlichung geringfügig überarbeitet. Literatur wurde bis zum Jahr 1987 berücksichtigt. Mein Dank gilt zuallererst Herrn Prof. Dr. Edmund Weber, der mir als seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter 1982—1987 durch seine originelle systematische Denkweise, seine methodische Gründlichkeit und sein weites theologisches und religionsgeschichtliches Wissen ungezählte Anregungen gab und zur Bearbeitung meines Forschungsgegenstandes stets volle Freiheit ließ. Auch für die jahrelange begleitende Diskussion mit Dr. Hans Christoph Stoodt, der über die katharische Mission um 1300 arbeitete, sowie mit Dr. Roger Töpelmann, meinem Bruder Dr. Volker Benad-Wagenhoff und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Oberseminars »Ketzergeschichte des Mittelalters« sage ich Dank. Wertvolle Anregungen gewann ich auch aus den stetigen Kontakten und der Zusammenarbeit mit Lehrenden in anderen theologischen Disziplinen aus der eigenen, wie auch aus der benachbarten katholischen Abteilung unserer Universität. Herr Prof. Dr. Lothar Graf zu Dohna hat vor allem die Schlußphase meiner Untersuchung mit Aufmerksamkeit begleitet und mir Gelegenheit gegeben, meine Untersuchungsergebnisse in einem interdisziplinären Kreis von Fachleuten zu diskutieren. Frau Patricia Costa, Bad H o m burg, Herr Giancarlo Cappeluti, Steinbach, und Herr Dr. Helmuth Müller, Universität Frankfurt, halfen bei diffizilen sprachlichen Fragen. Frau Stefanie Dreher, Frankfurt am Main, erstellte mit Fachkenntnis, Umsicht und kritischer Nachfrage die Maschinenschrift. Herr Reinhard Heitzenröder half mir bei der Durchsicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sekretariate sowie der Bibliothek des Fachbereiches unter der Leitung von Frau Jana Mendel waren stets freundlich und hilfsbereit. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Schließlich danke ich den Herausgebern der Reihe » Spätmittelalter und Reformation«, insbesondere Herrn Prof. Dr. Heiko Augustinus Oberman und Herrn Prof. Dr. Lothar Graf zu Dohna, für die Aufnahme meiner Untersuchung. Bad Homburg, Ostern 1990

Matthias Benad

Inhalt Vorwort

V

Hinweise

I

1.

Zur Einfuhrung

1

1.1.

Gegenstand, Ansatz, Ziel und Methode der Untersuchung

1

1.2.

Fragestellung und Ergebnisskizze

3

1.3.

Zum Charakter und zur Glaubwürdigkeit der Quelle

7

Überlieferungsschichten 8 - Folter 9 - Der Untersuchungsgang 14

1.4.

Zum Stand der Forschung

15

Grundsätzliches 15 - Z u m Pfarrer von Montaillou 17 - Jean D u v e m o y 21 Emmanuel Le Roy Ladurie 23 - René Nelli 36 - Elie Griffe 40 - Katharina Stoodt 41

1.5.

Zum geographischen und historischen Umfeld

42

Topographie und politische Gliederung 42 - Der Kampf der Grafen von Foix um ihre Selbständigkeit 48 - Inquisition ab 1300 52 - Klerus und Bischof 53

2. 2.1.

Der Verlauf des Verfahrens gegen Petrus und Bernardus Clerici

(1320-1324)

58

Eröffnung: Die Ermittlungen gegen den Pfarrer (Juni 1320 bis Januar 1321)

58

Die Verhaftung 58 - Kronzeugin Beatrix de Ecclesia 60 - Weitere Zeugen 60 - Der Ermittlungsstand Anfang 1321 62

2.2.

Gegenzug: Die Bemühungen der domus Clerici um Entlastung des Pfarrers (ab Februar 1321)

62

Zur Glaubwürdigkeit der Zeugnisse 62 - Bernardus Benetis Falschaussage in Carcassonne 63 - Die Erpressung der Angehörigen des Guillelmus Guilaberti 64 - Das alternative Inquisitionsgericht in Pamiers 66 - Der Fortgang der Untersuchung 68

2.3.

Ausweitung: Die Aufnahme des Verfahrens gegen Bernardus Clerici, den Bruder des Pfarrers und zeitweiligen baiulus von Montaillou (6. April bis 20. Mai 1321 )

69

VIII

Inhalt

Die Vorladung vom 6. April 1321 69 - Bernardus Clerici vor dem Inquisitor in Carcassonne 70 - Weitere Nachforschungen Fourniers 70 - Bestechungsversuche gegen Fournier 72 2.4.

2.5.

K o n t r o v e r s e : Das Eingreifen der Inquisition in C a r c a s s o n n e z u g u n sten der Clerici (Ende M a i bis N o v e m b e r 1321) Die Haft des Bernardus Clerici 73 - Beeinflussung zweier Zeuginnen 74 Die Inquisition von Carcassonne in Montaillou 75 - Die Verhaftung des bischöflichen Spitzels 76 - Weiterer Kampf um Zeugen 78 - Der Tod des Petrus Clerici 80 - Die Haftentlassung des Bernardus 80 E n t s c h e i d u n g : Ü b e r f ü h r u n g u n d Verurteilung des B e r n a r d u s C l e rici ( N o v e m b e r 1322 bis S o m m e r 1324) Mitgefangene sagen aus 82 - Vuissana widerruft ihren Widerruf 83 Einkerkerung und Tod 84

3.

Die Vorgeschichte

3.1.

D i e d o m u s Clerici v o n M o n t a i l l o u (bis 1300) Zur Chronologie 87 - Familienangehörige 88 - Mutter Mengardis 90 - Die Freundinnen der Mutter 92 - Petrus Clerici 93 - Priesterweihe und Pfarramt 94 - Die Liebschaft mit Beatrix 98 - Die religiösen Anschauungen des Pfarrers 99 - Private Interessenethik 101 - Selbsteinschätzung und Heilshoffnung 103 - Widersprüche 107 - Das Weltbild des Pfarrers im Überblick 111

3.2.

Die d o m u s Clerici u n d der W i e d e r a u f b a u der katharischen Kirche (bis 1305) Zur Chronologie 114 - Die domus Beloti als Gastgeber der perfecti 119 — Verbindungen der Clerici zu den perfecti 123 - Der Pfarrer als Beschützer 125

3.3.

3.4.

des Verfahrens

(1295—1320)

D i e d o m u s Clerici in den z u n e h m e n d e n V e r f o l g u n g e n d u r c h die Inquisition (bis 1309) Zur Chronologie 127 - Die Verfolgungen bis 1305 134 - Die Doppelrolle des Pfarrers 135 - Beginn der Klientelbildung 137 - Das Verhältnis Beloti-Clerici 139 - Die Rückkehr des Petrus Maurini aus Arques 141 Beginn einer Spaltung der credentes 142 - Offene Feindschaft des Pfarrers zu den Bauern 143 D i e d o m u s Clerici u n d die Z e r s c h l a g u n g der Katharerkirche i m Hochland (1309-1311) Zum Datum der Massenverhaftung von Montaillou 146 - Abhängige Datierungen 149- Wann war Guillelma Beneta in Haft? 152- Wann wurde Mengardis Maurs verstümmelt? 154 - Petrus Clerici versucht, Beneta zu schützen 155 - Die Beistandsvereinbarung 157 - Die Massenverhaftung von 1309 161 - Auswirkungen der Razzia 164-Die Maurs-Fehde 167- Der Tod der Eltern des Pfarrers 171 - Tod und Rezeption der Guillelma Belota 173 - Spannungen in der domus Clerici 174 - Ursachen der Maurs-Fehde 177- Klientelbildung oder Exil 181

73

82

87 87

114

127

146

Inhalt

IX

3.5.

D i e Clerici als beherrschende domus des Alion (bis Frühjahr 1320) . Zur Chronologie 183 - Der Einfluß der Brüder Clerici 186 - Familiengeschäfte 187 - Des Pfarrers Geliebte nach Beatrix 189 - Vorzeichen des Sturzes 192

183

4.

Zum Sturz der domus Clerici

195

4.1

D i e Rolle des bischöflichen familiars Petrus Ademarii Herkunft 196 - Vorwürfe wegen Zeugenbeeinflussung 197 - Intrigen der Clerici 200 - Weitere Aussagen gegen Ademarii 202 - Einschätzung 206

196

4.2.

Frauen als entscheidende Belastungszeuginnen Überleben durch Anpassung 207 - Ehe, Konkubinat, Sexualität 208 Beatrix und der Pfarrer 210 - Der Bischof und die Zeuginnen 212

207

5.

Entwicklungslinien 1295-1324

einer Familiengeschichte:

Die domus

Clerici 216

Solidarität mit den Nachbarn 2 1 6 - D i e Schlüsselrolle des Pfarrers 2 1 7 - D i e Funktion des Bernardus 219 - Entwicklungsabschnitte 219 - Die Klientel 224 - Der Beitrag der domus Clerici zum eigenen Untergang 228 - Kritik an Le Roy Ladurie 230

6.

Zum Kontext einer Familiengeschichte: Die Krise der domus im Alion als Folge der Entfaltung der Geld-und Warenwirtschaft. . . .

6.1.

Z u r sozialen Gliederung in Montaillou Die domus Clerici, Beloti und Beneti 236 - Die zweite domus Clerici und die Häuser Porcelli und den Riba 239 - Die beiden domus Maurs und die domus Perlicerii 242 - Die domus Maurini, Baiuli und Ramundus Ademarii 243 - Soziale Stellung, Ehe, Konkubinat 245 - Geschlechtsspezifische Rollen 249 - Die Bindung der Söhne an die väterliche domus 252 - Zur Familienstruktur 254 - Keine Dominanz der Zwei-Generationen-Kernfamilie 255

6.2.

Nachrichten zur ö k o n o m i s c h e n und sozialen E n t w i c k l u n g des

236 236

Hochlandes von Foix 1295—1325 in den Protokollen des Bischofs Fournier Geldwirtschaft auch im entlegensten Dorf 256 - Nahrungsmangel und Getreideimport 257 - Märkte, Warenverkehr und relative Uberbevölkerung 259 - Tierhaltung und Gelderwerb 260 - Probleme der Lohnhirten 262 - Die Einbindung der Hirten in die Geldwirtschaft 264 - Landhandwerke und Wanderarbeit 2 6 7 - Lebenshaltungskosten auf Reisen und Jahrmärkten 270 - Wertvergleiche 273 - Herdengrößen 275 - Kreditwesen und Land Verkäufe 278 - Wucher, Diebstahl, Betrug 281 - Resüme 283

256

Inhalt

X

7.

Die Reflexion der Anspruch

der Alltagsprobleme

in der katharischen

Ethik

und

der Ecclesia Romana

286

7.1.

Katharische Weltethik f ü r credentes Problemstellung und Aufgabe 287 - Grundlagen 289 - Die goldene Regel als Leitsatz 291 - Domusorientierte, private Situationsethik versus Gemeinschaftsethik 2 9 2 - Keine verbindlichen Normen für credentes 2 9 4 - Resüme 297

287

7.2.

D i e F o r d e r u n g e n der r ö m i s c h e n Kirche Der Zehntkonflikt 300 - Kirche und Hierarchie 305 - Heilsvermittlerin und innerweltliche Norminstanz 308 - Kampf gegen die autonome domus 312 Abendländischer Dualismus 314

299

8.

Ergebnisse Die Krise der domus 316 - Die Funktion des katharischen Dualismus 3 1 8 Ethische Strömungen unter den credentes 318 - Katharismus als Ideologie der autonomen domus 320

316

Beigaben

323

Belegstellenverzeichnisse 1—4

324

E x k u r s zu M ü n z e n , Preisen u n d W e r t e n

345

Verwandtschaftstafeln

354

Orientierungsskizzen zum Alion zum Hochland von Foix zum Bistum Pamiers zum Verlauf des Clerici-Prozesses zu den Clerici im verwandtschaftlichen Beziehungsgeflecht zu den erwähnten Orten im Hochland und seiner Umgebung zu Pamiers zur mittelalterlichen Ortslage von Montaillou

44 46 55 59 159 360 Abbildungsteil, S. 3 Abbildungsteil, S. 4

Abkürzungen

361

Quellen, Hilfsmittel u n d Literatur

362

Ortsregister

373

Personenregister

377

Sachregister

389

Abbildungsteil

a m Schluß des Buches

Hinweise

Namen werden gewöhnlich in der lateinischen Form wiedergegeben und nicht, wie in der Literatur oft zu beobachten, in einer erschlossenen französischen Fassung, die kaum sinnvoll erscheint angesichts der Tatsache, daß die Namen im täglichen U m g a n g eher okzitanischer Sprachgestalt folgten. Zu den Schreibweisen vgl. die Namensregister im Anschluß an DUVERNOYS lateinische Edition der Protokolle Fourniers. Ausgenommen davon sind Namen, die in ihrer französischen Form seit langem in der Literatur gebraucht werden, so z. B . Jacques Fournier. Orts- und Landschaftsnamen werden in der heute gebräuchlichen Form wiedergegeben. In Literatur und Kartenwerken sind die Schreibweisen oft unterschiedlich, z. B . Alion/Allion, Sabartes/Sabarthes/Savartez, Fenouilledes/Fenouillet. Gewöhnlich wurde eine der vorgefundenen Schreibweisen für den Text übernommen. Sofern in dieser Untersuchung von katholischer, römischer oder römischkatholischer Kirche die Rede ist, wird damit nicht die katholische Kirche der Gegenwart angesprochen, sondern ist stets die in den Protokollen als »Ecclesia Romana« bezeichnete feudale Kirche des Mittelalters gemeint, die historische Vorstufe der heutigen katholischen und reformatorischen Konfessionen.

Belegstellen

aus

DUVERNOY, Jean: Le registre d'inquisition des Jacques Fournier, eveque de Pamiers (1318—1325), 3 Bände, Toulouse 1965, Corrections 1972 erscheinen mit Band und Seite so: (III 76)

1. Zur Einführung 1.1.

Gegenstand, Ansatz,

Ziel und Methode der

Untersuchung

Die Inquisitionsprotokolle des Bischofs Jacques Fournier von Pamiers (1317—1326), des späteren Papstes Benedikt XII. in A v i g n o n (geboren u m 1280, Pontifikat 1334—1342), sind geeignet, unser Bild v o m Mittelalter zu verändern. Eine Epoche, die uns vor allem durch U r k u n d e n und durch Überlieferungen aus d e m Blickwinkel einer dünnen Schicht Gebildeter bekannt geworden ist, begegnet uns neu in den detailliert aufgezeichneten Aussagen einfacher Leute, v o n denen die meisten weder Lesen noch Schreiben konnten: Bauern, Bürger, H a n d w e r k e r , Hirten, Mägde, Adlige, niedere Kleriker, Notare. Der Vergleich mit Aussagen, die einige dieser Zeugen vor anderen Inquisitoren über dieselben Vorgänge gemacht haben, führt den außergewöhnlichen Charakter der Quelle vor Augen. Fournier ließ f r e m d e Protokolle z. T. mit in sein Register aufnehmen, weil sie seine Untersuchungen betrafen. Wo die Dominikaner in Lerida oder Carcassonne nur einige dürre Angaben vernahmen, hatten die N o t a r e des Bischofs seitenlange Protokolle aufzunehmen. Fournier führte die meisten Verhöre selbst durch, ließ die Verhörten nicht foltern, n a h m ihre theologischen Gedankengänge ernst, auch w e n n sie in sich widersprüchlich und i h m zuwider waren, fragte gründlich nach und belehrte langmütig u n d seelsorgerlich über die geltende katholische Lehre. Viele Befragte sprachen freimütig über ihre Erlebnisse u n d Gedanken, manche gaben selbst intime Geheimnisse u n d Gefühle preis. Auf seine Fragen hin legten Zeugen ausfuhrlich dar, a u f g r u n d welcher Erfahrungen sie diesen oder jenen Teil katharischer, katholischer oder wie auch i m m e r gearteter Lehre f ü r falsch oder richtig gehalten hatten oder hielten. I m m e r wieder w u r d e dabei die Plausibilität eines Gedankens mit alltäglichen Erfahrungen in Z u s a m m e n h a n g gebracht. D a n k dieser Überlieferung eröffnet sich die für die kirchengeschichtliche Erforschung des Mittelalters seltene Chance eines Untersuchungsansatzes, der auf die Rekonstruktion der Alltagswelt und der damit verbundenen religiösen Sinndeutungen gleichermaßen Wert legt in der Absicht, d e m Ineinanderwirken von Alltagserfahrung, religiöser Interpretation, Lebensgestaltung u n d praktischer Frömmigkeit nachzugehen. Der Ansatz läßt sich charakterisieren als fallbezogene Kombination alltagsgeschichtlicher und frömmigkeitsgeschichtlicher Fragestellungen, die zugleich weiterreichende theologie- und sozialgeschichtliche Z u s a m m e n h ä n g e in Betracht zieht.

2

Zur Einßihrung

Ein Drittel der überlieferten Prozesse Fourniers betrifft Personen aus d e m Pyrenäendorf Montaillou im Alion (Departement Ariege, Südwestfrankreich), w o der Katharismus im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts eine so starke Position hatte, daß E i n w o h n e r mit abweichenden Ansichten eher vorsichtig schwiegen, als daß sie laut zu widersprechen oder gar bei der Inquisition Anzeige zu erstatten wagten. Im D o r f spielte dabei die Familie (domus) des Pfarrers Petrus Clerici (um 1270—1321) eine zentrale Rolle: Er war nicht nur Priester u n d Inhaber der örtlichen Pfarrstelle 1 , sondern zugleich Anhänger der katharischen perfecti, Spitzel der katholischen Inquisition in Carcassonne und weithin bekannter Liebhaber. U n t e r seiner Führung stiegen die Clerici binnen weniger Jahre zur beherrschenden d o m u s im D o r f auf, die die perfecti schützte, manche Nachbarn unter ihren Schutz n a h m u n d Gegner, w e n n nötig, mit physischer Gewalt niederhielt, bis der Bischof dem ab 1320 ein Ende bereitete. Der Pfarrer und sein Bruder Bernardus ("f 1324), der zeitweilige Polizeichef des Ortes (baiulus), w u r d e n für ungefähr 15 Jahre zu zentralen Figuren im Alion u n d verfügten über Einfluß am gräflichen H o f und bei der Kirche. Gegenstand der U n t e r s u c h u n g wird deshalb die d o m u s des Pfarrers sein. Zunächst soll der Prozeß gegen Petrus Clerici u n d seinen Bruder Bernardus, im weiteren dann dessen gesamte Vorgeschichte rekonstruiert werden. Auf diese Weise k o m m e n 30 Jahre Entwicklung der d o m u s Clerici in ihrem H e i m a t d o r f Montaillou in den Blick. Ziel der U n t e r s u c h u n g ist es, die Rolle der Weltdeutung und Heilslehre des Katharismus f ü r den Pfarrer und seine d o m u s in ihrer dörflichen Lebenswelt möglichst genau zu bestimmen. Im Blick auf dieses Ziel legen die Quellen selbst eine familiengeschichtlich-biographische Methode nahe. Solches Vorgehen weiß sich verwandt mit biographisch und familiengeschichtlich orientierten Fragestellungen zur religiösen Persönlichkeitsentwicklung, die in der praktischen Theologie - etwa in der Religionspädagogik und in der Seelsorgetheorie - gebräuchlich sind. Wie viele Befragte ließen auch der Pfarrer und sein Bruder i m m e r wieder erkennen, daß ihrer Familie, der sie e n t s t a m m ten, u n d dem Haus, in dem sie lebten, - beides wird in dem einen Wort d o m u s erfaßt - bei der Gestaltung und Absicherung des alltäglichen Lebens eine g r u n d legende Bedeutung zukam. Individuelle Biographien lassen sich daher in vielen Fällen k a u m ohne Bezug zur d o m u s sinnvoll darlegen. Das gilt insbesondere für die M ä n n e r aus Montaillou, deren Lebensweg normalerweise bis z u m Grabe mit der väterlichen d o m u s verbunden blieb, während Frauen in die Familie des Ehemannes wechselten. Manche M ä n n e r - wie etwa Petrus Maurini aus M o n taillou - ließen j e d o c h die äußeren Bindungen an die väterliche d o m u s weitgehend hinter sich und brachten ihr Leben als Schafhirten auf der Wanderschaft zu. Es ist deshalb von Fall zu Fall zu entscheiden, ob eine stärkere individualbiographisch oder - wie im vorliegenden Fall - eine mehr an der d o m u s orien1 Die Protokolle sprechen meist vom rector ecclesiae oder einfach vom rector; bisweilen ist weniger präzise vom capellanus die Rede.

Fragestellung

und

Ergebnisskizze

3

tierte Methode zu wählen ist. Da die vom Bischof befragten Personen sich maximal ca. 40 Jahre zurückerinnerten, ist es in jedem Fall notwendig, daß die verschiedenen Ereignisse möglichst genau datiert werden, u m die Entwicklung des Einzelnen, gegebenenfalls im Zusammenhang seiner domus, verfolgen zu können. Eine Rekonstruktion der Geschichte der domus Clerici bildet die Grundlage weitergehender Untersuchungen zur religiösen Haltung des Pfarrers, zum D o r f Montaillou, zu den kirchlichen Zuständen im Hochland sowie zu den institutionellen Problemen der Inquisition. Sie ermöglicht es, im konkreten Fall detailliert zu bestimmen, wie stark theologisches Denken und rituelle Praxis von katholisch-christlichen, katharischen oder wie auch immer gearteten Einflüssen geprägt waren. Außerdem läßt sich einiger Aufschluß über die Rolle Jacques Fourniers als Bischof rund ein Jahrzehnt vor seiner Wahl zum Papst gewinnen. Die vorliegende Untersuchung versteht sich daher nicht nur als Fallstudie zum Verhältnis von Religion und Alltagsleben am Anfang des Spätmittelalters, sondern zugleich als Voraussetzung zu einer fundierten E r f o r schung der geschichtlichen und sozialen Verhältnisse des Dorfes Montaillou u m 1300, als Beitrag zur Geschichte des Bistums Pamiers und der katholischen Inquisition sowie als Ergänzung der biographischen Forschung über Papst Benedikt XII 2 .

1.2. Fragestellung und

Ergebnisskizze

Die Untersuchungsabsicht erfordert es zunächst, die Geschichte der domus Clerici zu rekonstruieren und dabei die religiösen Interpretationsmuster nachzuzeichnen, mit deren Hilfe der Pfarrer und seine nächsten Verwandten - gegebenenfalls auch Angehörige anderer domus im D o r f - Herkunft, Sinn und Ziel des menschlichen Daseins zu deuten versuchten. Dabei ist zunächst zu klären, welchen »Sitz im Leben« solche Deutungsmuster hatten. Lassen sich die Alltagsereignisse benennen, die solche Interpretationsversuche auslösten? Sind die Lebenszusammenhänge erkennbar, zu deren Deutung bestimmte Überlieferungsstoffe herangezogen und womöglich spezifisch ausgedeutet wurden? Weiter wird zu fragen sein, welche ökonomischen, politischen oder sozialen Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen aus den Quellen zu erheben sind, die sich in den Alltagserfahrungen niederschlugen? Dabei ist zu bedenken, daß die individuelle Interpretation dieser Erfahrungen wesentlich v o m Vorverständnis abhing — also von den Deutungsmustern, die 2

Die biographisch-chronologische Rekonstruktion ist ganz grundsätzlich der geeignete methodische Schlüssel, der den Zugang zur enormen Überlieferungsfiille dieser Quelle eröffnet, weitergehende Fragestellungen zuläßt und zugleich verhindert, daß - wie bei LE ROY LADURIE geschehen - die Entwicklungsprozesse verkannt werden, weil die zeitliche Abfolge der Ereignisse nicht exakt bestimmt worden ist.

4

Zur Einßihrung

den einzelnen oft schon von Kindheit an nahegebracht worden waren. Weitere Deutungsversuche mögen durch häretische oder orthodoxe Predigt und Lehre bekanntgeworden sein oder durch Gespräche auf der Straße, im Feld oder am Herd. Alle diese Überlieferungen bildeten den Stoff, aus dem der einzelne, zumeist eingebunden in seine domus, die eigene Weltinterpretation formulierte. Es wird zu fragen sein, welche Lebensumstände die Rezeption dieser oder jener religiösen Denkfigur begünstigt oder vielleicht auch behindert haben. Im Laufe der Untersuchung lege ich dar, daß in der domus des Pfarrers und in Montaillou die dualistischen Anschauungen der katharischen perfecti vorherrschten, denenzufolge die materielle Welt als Schöpfung des Teufels anzusehen sei und nur die Seele der Erlösung harre. Die unerlösten Anhänger dieser Lehre - die credentes - verehrten in den katharischen Vollkommenen - den perfecti - jene Asketen, die der Welt freiwillig entsagt und die Rezeption empfangen hatten 3 und nun als boni christiani oder boni homines 4 in der Welt predigend umherwanderten, keine Frauen anrührten, nicht logen, stahlen etc. Die Seelen der perfecti waren durch die Rezeption erlöst; sie sollten zu Gott heimkehren, sobald der Asket stürbe - vorausgesetzt, er hielt die Askese ein. Wer sich wie Petrus Clerici und seine Dorfgenossen als credens zu schwach für den Weg der Asketen fühlte, baute darauf, am Lebensende auf dem Sterbebett rezipiert zu werden, dabei die Vergebung aller Sünden zu empfangen und anschließend in der endura, dem freiwilligen Hungertod, die Erlösung zu erlangen. Wir haben es in Montaillou durchweg mit dieser credentes-Religion zu tun, deren Anhänger ihr irdische, materielle Existenz negativ deuteten, zugleich aber der Welt verbunden blieben. Ihre religiöse Deutung dokumentiert also eine prinzipielle gedankliche Distanzierung von der alltäglichen Lebenswelt. Obwohl auch die eigene domus von dieser pessimistischen und ablehnenden Weltsicht nicht ausgeschlossen war, erfuhr sie doch eine grundlegende Aufwertung: Die domus war der Ort, an dem die perfecti verehrt wurden, wo sie lehrten und rezipierten; sie war faktische Vorbedingung der Erlösung. Die katharischen credentes konzentrierten ihr innerweltliches Handeln folglich auf den Erhalt der domus, die den Rahmen garantierte, in dem die Erlösung m ö g lich werden konnte. Mit diesem gebrochenen Verhältnis zur eigenen alltäglichen Lebenswirklichkeit und der faktischen Aufwertung der Familie korrespondiert auffällig die krisenhafte sozialökonomische Lage der domus in der sich entfaltenden Warenund Geldwirtschaft, die um 1300 auch das Hochland so weit ergriffen hatte, daß selbst in entlegenen Dörfern Geld benötigt wurde, um grundlegende Bedürfnis3 Die rituelle Entsagung v o n der Welt war zugleich die A u f n a h m e - receptio - in die Kirche der katharischen perfecti. Neben diesem Begriff taucht in den Protokollen Fourniers häufig das Wort hereticatio (bzw. das Verb hereticare) auf, das dem Sprachgebrauch der Inquisitoren entstammt. Dagegen findet der Begriff consolamentum, der aus zahlreichen anderen Quellen bekannt ist, keine Verwendung. 4 Die Protokolle gebrauchen daneben häufig den Begriff heretici.

Fragestellung und

Ergebnisskizze

5

se zu befriedigen: Hierzu zählten der K a u f von Nahrungsgetreide und Werkzeugen, die Inanspruchnahme von Dorfhandwerkern, vor allem aber die Mitgift der Töchter. Für den Gelderwerb spielte die Schafhaltung die zentrale Rolle: Die Wolle erbrachte gute Einkünfte und unversorgte Söhne fanden bei Besitzern großer Herden Anstellung als Wanderhirten. Sie wurden so aber der väterlichen domus entzogen, deren Stärke sie sonst ausmachten. In der Fremde waren sie durch Überfälle, Rechtsminderungen und Betrügereien gefährdet. Die Ausweitung der Geldwirtschaft stellte aber nicht nur sie vor neue Probleme: Wucher, Diebstahl, Betrug, Warenfälschung, Bestechung, Raub, Futter- und Tierdiebstähle lohnten weit mehr als früher und nahmen vielfältig zu. Es stellte sich die Frage nach der Deutung dieser Alltagserfahrungen: Wie lautete die göttliche Bestimmung des Menschen in einer Situation, die veränderte N o r m e n für das gesellschaftliche Zusammenleben notwendig machte? In diesem Zusammenhang erwies es sich als folgenreich, daß die perfecti lehrten, diese Welt sei die böse Schöpfung des Teufels, die Erlösung gelte allein der Seele und die Sünden in diesem Leben würden in der Rezeption bedingungslos vergeben. Zugleich forderten sie von ihren unerlösten Anhängern nicht die Einhaltung irgendwelcher fester ethischer Normen, sondern beließen es bei Appellen, die goldene Regel zu beachten. Wie man sich gegenüber Nichtcredentes verhalten solle, blieb unklar. Viele credentes griffen die Lehre von der bedingungslosen Vergebung aller Sünden in der Rezeption am Lebensende auf und erklärten, bis dahin sei jede Sünde erlaubt. A u f diese Weise verband sich mit der grundlegenden Distanzierung von der materiellen Welt und der faktischen Aufwertung der domus eine moralische Beliebigkeit, in der die Interessen der eigenen Familie vorrangingen Einfluß auf ethische Entscheidungen gewinnen konnten. Eine solche Entwicklung läßt sich an der domus des Pfarrers beispielhaft ablesen. Die einleitenden Fragestellungen müssen im Verlauf der Untersuchung spezifiziert werden, um den besonderen Weg zu analysieren, der die domus Clerici zur beherrschenden Rolle im D o r f emporführte und sie in Gegensatz zu den anderen credentes treten ließ, mit denen sie anfangs noch solidarisch verbunden war. Wir müssen uns hier zunächst dem institutionellen Aspekt zuwenden: Welche Gegebenheiten innerhalb der römisch-katholischen Kirche hatten es möglich gemacht, daß der katharische credens Petrus Clerici katholischer Priester und rector ecclesiae seines Heimatdorfes wurde und so in die Doppelrolle des Inquisitionsagenten und Katharerbeschützers schlüpfen konnte? Wie war es möglich, daß die Inquisition in Carcassonne über zwei Jahrzehnte hinweg das Doppelspiel ihres Handlangers nicht entdeckte? Weiter wird zu fragen sein, welche Motive und Ursachen dafür erkennbar sind, daß die Clerici aus der Solidarität der katharergläubigen domus von Montaillou ausscherten? Unmittelbar damit verbunden ist die Frage, wie Petrus Clerici und seine Angehörigen den Aufstieg ihrer domus und das Ende der früheren Solidarität

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Zur Einführung

gedeutet haben? Lassen sich Veränderungen in der religiösen Haltung erkennen? Haben sie gar ihre früheren Ansichten verraten? Petrus Clerici ist vor 1300 vermutlich durch den Einfluß seiner relativ wohlhabenden Eltern aus materiellen Gründen zur Priesterweihe und in den Besitz der Pfarrstelle gekommen. Da der Pfarrer, ebenso wie seine Eltern, credens war und die Zusammenarbeit mit der Inquisition zu seinen Amtspflichten gehörte, geriet er zwangsläufig in die Doppelrolle des Inquisitionsagenten und Katharerbeschützers, wenn er sich und seine domus nicht verraten wollte. Als die Verhaftungen im Zuge schärferer Verfolgung ab 1305 zunahmen, richteten sich die Vorwürfe zwangsläufig gegen den erfolglosen Beschützer. U m sich vor Racheakten vermeintlich oder tatsächlich Verratener zu schützen, griff er zu Drohung, Bestechung, Denunziation und Terror. Gleichzeitig zog seine Familie aus der Verurteilung von Nachbarn materiellen Gewinn, weil enteignetes Land seinem Bruder Bernardus, dem baiulus, als Lehen zufiel. So beschleunigte sich der Aufstieg der domus noch mehr, während ihre Isolation im Dorf zunahm. Nach der Ausschaltung der letzten perfecti im Hochland 1310 beobachten wir um den Pfarrer und seine domus eine treu gebliebene Klientel, während viele Dorfgenossen über ihn und seine Brüder wenig Gutes äußerten oder ihn ausdrücklich haßten. Petrus Clerici integrierte die Distanzierung seiner domus von den anderen katharergläubigen Familien im Dorf und die damit einhergehenden Anzeigen, Drohungen, Erpressungen und Terrorakte in sein dualistisches Deutungssystem, indem er hoffte, auf dem Sterbebett mit der Rezeption die Vergebung aller Sünden zu erlangen. Er beschritt zum Vorteil seiner domus den Weg der ethischen Beliebigkeit, den er schon früh aus persönlichen, libertinistischen Interessen heraus eingeschlagen hatte. Solche Ableitung moralischer Normen aus dualistischen Lehren der perfecti war verbreitet und wurde auch unter credentes als dringendes Problem empfunden. Es ist deshalb zu fragen, wie sich die institutionalisierte Religion in Gestalt der römischen Weltkirche, vertreten durch den Bischof, dazu verhielt, daß mit der Verbreitung katharischer Lehren der Anspruch auf die Geltung allgemeinverbindlicher ethischer Normen verlorenging? Wir stoßen mit dieser Fragestellung zum innerweltlich relevanten Kern der Auseinandersetzung Jacques Fourniers mit Petrus Clerici und den katharischen Lehren vor: Angesichts der Krise, in die die domus im Zuge der sich ausbreitenden Geldund Warenwirtschaft geraten war, ging es dabei um die Rolle der institutionalisierten Religion als Heilsvermittlerin und als normsetzende und -kontrollierende Instanz in dieser Welt. Die sancta ecclesia der perfecti hatte kein theologisch begründetes Interesse an der Schöpfung, rettete die Seelen aus ihr heraus und überließ die Welt ihrer Unordnung und Vergänglichkeit, die allen Werken des Teufels anhaftete. Die römische Kirche dagegen wollte Leib und Seele retten, wobei das Heil verwirkt werden konnte, wenn der Mensch in dieser Welt gegen

Zum

Charakter

und zur Glaubwürdigkeit

der

Quelle

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die Gebote Gottes verstieß. Sie nahm für sich in Anspruch, diese Gebote authentisch auszulegen und allgemeingültige Regeln für das Leben der Menschen miteinander aufzustellen. Ließ die katharische Position einem Petrus Clerici faktisch Raum, als unerlöster credens zugunsten seiner domus zu tun und zu lassen was er wollte, so schrieb der katholische Bischof vor, wie das Leben des einzelnen und der domus, wie die Ehe, der Eid, die Gerichtsbarkeit, die staatliche Gewalt - kurzum: wie diese Welt zu ordnen sei. Im Prozeß gegen die Clerici wurde u m die Frage gerungen, ob aus der Lehre v o m himmlischen Heil und aus den Geboten Gottes eine Einbindung der domus in übergeordnete sittliche N o r m e n abgeleitet werden müsse oder ob im Interesse der domus alles zu tun erlaubt sei, was in der krisenhaften Erschütterung durch die Geld- und Warenwirtschaft ihren Bestand sichern half, um so den sozialen Rahmen für die Rezeption auf dem Sterbebett zum Heil der Seele zu gewährleisten. Die praktische Überlegenheit der katholischen Lehre im Hinblick auf die O r d n u n g in der Welt erwies sich darin, daß die von ihr vertretenen sittlichen Forderungen tatsächlich geeignet waren, die Existenz der Menschen, auch der Hochländer, unter veränderten Verhältnissen besser abzusichern. Beispielhaft wird das an dem Schäfer Petrus Maurini deutlich, der als überzeugter credens katholische Lehren anerkannte und befolgte, soweit sie dazu dienten, das Zusammenleben der Menschen zu fordern und freundschaftliche Beziehungen auch in der Fremde möglich zu machen. Bischof Fournier war vorrangig daran gelegen, die Seelen der ihm anvertrauten Gläubigen vor dem Verderben zu bewahren. Untrennbar damit verband sich für ihn die Aufgabe, den Geboten Gottes in der Welt Geltung zu verschaffen. Dank seiner Akribie und Lauterkeit gelang es ihm, in seiner Funktion als Inquisitor die römisch-katholische Lehre als gesellschaftlichen Ordnungsfaktor weit besser zur Wirkung zu bringen als die parallel arbeitende Inquisition in Carcassonne, die durch oberflächliches Vorgehen und Korruption ihrer Handlanger den kirchlichen Anspruch diskreditierte.

1.3. Zum Charakter und zur Glaubwürdigkeit

der Quelle

Alle bedeutsamen Nachrichten zu Petrus Clerici und seiner domus finden sich in den Protokollen des Bischofs Fournier 5 . Für ihre Auswertung ist es unerläß5

Das Register gehört in den Kontext dreier weiterer Überlieferungen, die denselben Zeitraum, die gleiche Region und z. T. den gleichen Personenkreis betreffen: - Das Verzeichnis der Urteile des Bernardus Guidonis, des Inquisitors von Toulouse, aus den Jahren 1308 bis 1323, nach seinem Editor kurz LIMBORCH genannt; - das Inquisitionsregister des Geoffroy d'Ablis von Carcassonne für die Jahre 1308 und 1309, das 1984 von ANNETTE PALES-GOBILLIARD ediert wurde und als Original in der Pariser Nationalbibliothek unter den lateinischen Manuskripten mit der Nr. 4269 verwahrt wird; - schließlich das Handbuch des BERNARDUS GUIDONIS, des Inquisitors von Toulouse, ediert 1 8 8 6 v o n DOUAIS u n d m i t f r a n z ö s i s c h e r Ü b e r s e t z u n g v o n GUY MOLLAT 1 9 2 6 / 2 7 ;

- vgl. dazu auch MANSELLI, quattro documenti 514—518, von 1974.

8

Zur Einfiihrung

lieh, die Überlieferungsumstände der verschiedenen Ereignisse und Gespräche, die mitgeteilt werden, genau zu beobachten: Überlieferungsschichten

Ein erster doppelter, wenn nicht sogar dreifacher Überlieferungsschritt liegt zwischen der Aussage vor dem Bischof und der auf uns gekommenen Handschrift. Während der Verhöre schrieb ein bischöflicher Notar mit. O b dabei bereits das endgültige Protokoll entstand oder ob es erst nachher aufgrund von Notizen verfaßt wurde, ist nicht zu erkennen. Aus den Protokollen ließ der Bischof später, als er bereits der Diözese Mirepoix vorstand, das Register zusammenstellen. Da dessen Schreiber nur davon spricht, getreulich abgeschrieben und korrigiert zu haben (fideliter correxi) und kein Hinweis darauf vorliegt, daß einschneidende Kürzungen vorgenommen wurden, ist anzunehmen, daß das ursprüngliche Protokoll und die überlieferte Fassung weitgehend identisch sind 6 . Weitaus komplizierter ist die Lage bei den mündlichen Überlieferungsschritten, die der Aussage vor dem Bischof vorangingen, und bei der Glaubwürdigkeit der Geständnisse selbst. Da vieles aus der Erinnerung berichtet wurde und Tatbestände den Zeugen oft nur vom Hörensagen über Dritte oder Vierte bekanntgeworden waren, muß bei jeder neuen Überlieferungsschicht mit zusätzlichen Fehlermöglichkeiten gerechtet werden. Hinzu kommen Selbstwidersprüche, ausdrückliche Widerrufe, Widerrufe von Widerrufen und abweichende Darstellungen durch andere Zeugen. Mit den verschiedenen Überlieferungsschichten und Widersprüchen wird in der Untersuchung wie folgt verfahren: Den Aussagen wird prinzipiell Glaubwürdigkeit unterstellt, sofern nicht andere Angaben widersprechen oder der Text sonst irgendeinen Grund für die Vermutung gibt, daß Falsches mitgeteilt wurde. Dieses Vertrauen wird den Angaben entgegengebracht unabhängig davon, ob sie sich auf selbsterlebte, auf nur vom Hörensagen bekanntgewordene, aufjüngst geschehene oder auf lange zurückliegende Ereignisse beziehen. Ist Anlaß zum Zweifel gegeben, wird stets auf eventuelle, abweichende Darstellungen, auf die Anzahl der Überlieferungsstufen, auf die Umstände des Prozesses, auf den Gesamtverlauf der Verhöre und auf die Person des Zeugen oder Gegenzeugen Bezug genommen und daraus die

6 Die okzitanisch gemachten Aussagen wurden sofort für die lateinische Niederschrift übersetzt. Mit Gedächtnisprotokollen wurde nicht gearbeitet. Stand kein Notar zur Verfügung, wurden neue Termine angesetzt, in denen die Aussagen vollständig wiederholt wurden (III 10). Bisweilen enthält das Register auch Aktennotizen, in denen sich der Bischof über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen äußert (z.B. III 336, 342, 343). Wir gewinnen dadurch manchen Einblick in die Prozeßführung jacques Fourniers.

Zum Charakter

und zur Glaubwürdigkeit

der Quelle

9

Entscheidung für die eine oder andere Version der Darstellung begründet, sofern ein Urteil überhaupt möglich ist. Entsprechendes gilt für Datierungen. Das grundlegende Vertrauen in die Textzeugnisse begründet sich aus dem Inhalt der Verhöre: Dem Protokoll der Beatrix ist beispielsweise zu entnehmen, daß sie an mehreren Terminen ohne wesentliche Zwischenfragen des Bischofs aussagte 7 und erst nachher gezielt gefragt wurde. Dabei kam sie auch auf so intime und sich selbst belastende Tatbestände zu sprechen wie die Methoden der Empfängnisverhütung, die sie während ihrer Beziehung zu Petrus Clerici kennengelernt hatte (I 244), oder den Liebeszauber, den sie mit dem getrockneten Blut der ersten Menstruation ihrer Tochter geplant hatte (I 248). Der Vergleich der Verhöre des Bischofs mit den Protokollen der aragonesischen Inquisition in Lerida, die sich auf dieselben Personen beziehen und auch in das Register Fourniers aufgenommen worden sind, bezeugen seine besondere Qualität als Inquisitor. Er fand nicht nur hinsichtlich der Lehre ungleich mehr heraus als seine Kollegen, sondern erfuhr auch zahlreiche Details aus dem Alltagsleben der Befragten 8 . Auch dort, wo Verhörte über sich selbst beharrlich schwiegen und es vermieden, sich selbst zu belasten - wie bei Arnaldus Textoris (II 213—220) förderte er zahlreiche Einzelheiten über das alltägliche Leben und den Umgang mit den perfecti zutage, die es nicht erlauben, diese Aussagen durchweg als unglaubwürdig abzutun, auch wenn hier größere Vorsicht geboten sein mag als etwa bei Beatrix, die von einem bestimmten Punkt an bereitwillig Auskunft gab.

Folter Aus der Tatsache, daß es sich um Inquisitionsprotokolle handelt, darf nicht geschlossen werden, die Aussagen seien unter Folter zustandegekommen 9 . Für 7 Vgl. die Verhöre vom 8., 9. und 12. August 1320 (I 2 2 4 - 2 4 1 ) . Während die ersten beiden Verhöre von Beatrix allein bestritten wurden, schloß am 12. August Bischof Fournier an die Berichtsphase der Zeugin neun Fragen zur Ketzerlehre an. JEAN DARIEGE hat grundsätzliche Bedenken gegen die Auswertung von Inquisitionsakten vorgebracht. Siehe unten S. 34f. 8 Vgl. z . B . II 4 4 2 - 4 4 4 und I U I 1 0 - 1 1 8 mit III 1 1 9 - 2 5 2 , die Verhöre des Petrus Maurini, und II 454—464 mit 4 6 9 - 5 1 9 , die des Johannes Maurini. 9 LEA I 473 geht z. B. davon aus, in Inquisitionsprozessen sei gewohnheitsmäßig gefoltert worden, was die Prozeßakten bisweilen mitteilten, die Urteile aber in der Regel verschwiegen. Aus einem Prozeß gegen piemontesische Waldenser 1387 teilt er mit, daß die Verhöre stets am Tag nach der Folter angestellt worden seien und dann der Protokollant vermerkt habe, die Geständnisse seien »ohne Folterung und fern von der Folterkammer abgelegt worden« — ebd. 474f. Auch hätten die Inquisitoren zahlreiche Mittel gewußt, Beschränkungen der Folter zu umgehen. So sei Klerikern eigentlich verboten gewesen, bei Folterungen anwesend zu sein. Deshalb habe Papst Alexander IV. 1256 den Inquisitoren erlaubt, sich in solchen Fällen gegenseitig zu dispensieren - 471. Das Verbot, die Angeklagten ohne bischöfliche Zustimmung sofort zu foltern, sei dadurch umgangen worden, daß man spitzfindig bemerkt habe, es sei aber erlaubt, daß Zeugen sofort der Tortur unterworfen würden. Es habe dann nur noch dargelegt

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Zur Einfiihrung

die Verhöre des Bischofs von Pamiers ist vielmehr davon auszugehen, daß in der Regel keine Folter angewandt wurde. Das ergibt sich aus dem häufigen Vermerk, eine Aussage sei freiwillig (sponte) bzw. ohne Androhung der Folter gemacht worden (z.B. I 218, II 137). Daß solche Vermerke der Wahrheit entsprechen, wird klar aus dem einzigen Fall, in dem bei einem Prozeß in Pamiers die Folter nachweislich angewandt wurde: Der aussätzige Priester und procurator des Leprosenhauses von Pamiers, Guillelmus Agassa, war am Donnerstag vor Pfingsten 1321 mit spezieller Erlaubnis des abwesenden Bischofs vom Lieutenant des königlichen Vikars von Les Allemans zunächst gefoltert und dann zweimal, um 15.00 Uhr und am Abend, zur Verschwörung der LeprosenhausVorsteher vernommen worden (II 135—137). Er gestand seine Mitwirkung ein und gab an, Ziel sei es gewesen, durch die Vergiftung der Brunnen alle Christen mit Aussatz anzustecken, damit er und seine Mitverschwörer sich dann zu Herren der von Aussatz befallenen Christenheit aufschwingen könnten. Die Sultane von Granada und Babylon, so sagte er später ergänzend vor dem Bischof aus, hätten die Verschwörung unterstützt. Vor dem königlichen Lieutenant beschuldigte er zwei Aussätzige aus dem Leprosenhaus in Pamiers, Guillelmus Normani und Fertandus Spanhol (II 136), der Mittäterschaft. Am Donnerstag nach Pfingsten war der Bischof wiederum nicht anwesend, als an seiner Stelle der bischöfliche Offizial das Verhör fortsetzte. Das Protokoll berichtete, Agassa habe »bereitwillig und von sich aus ohnejede Angst vor Folter kraft des von ihm abgelegten Eides« 10 ausgesagt und die Leprosen-

werden müssen, daß die Angeklagten zugleich Zeugen seien - 475. Das Verbot der mehrfachen Folter sei dadurch umgangen worden, daß man Wiederholungen als Fortsetzungen der ersten Tortur ausgelegt habe - 477. Z u r E i n f u h r u n g der Folter in die Ketzerinquisition vgl. auch BIENER, I n q u i s i t i o n s p r o z e ß , 7 3 — 7 5 .

VIDAL, tribunal II 154 f. ist mit LEA einer Meinung und hält alle Aussagen der Protokolle Fourniers fur falsch, in denen eine D r o h u n g mit Folter von den Zeugen verneint wird: »Nous n'aurions pas de raisons de douter que ces accusés ont en effet échappé à la question, si nous ne lisions à la fin du procès verbal de la confession faite par Guillem Agassa >postquam depositus fuit de tormentoPredicta confessus fuit sponte . . .die Lämmer herausgehenexire las agnasLes âmes des catholiques, dès qu'elles quittent leurs corps, vont en enfer p o u r ne plus en sortir; mais les âmes de ceux qui croient en eux ou en leur secte (des cathares) si elles ne peuvent être reçues dans leur secte à leur fin, à la sortie du corps, elles entrent, si elles le peuvent, dans des corps h u m a i n s , sinon dans le corps de bêtes brutes et m ê m e en cas d'impossibilité dans le corps de crapauds< 20 , >et cela en entrant successivement dans divers corps, j u s q u ' à ce qu'elles t r o u v e n t le corps de q u e l q u ' u n de leur secte< 21 — >Les esprits v o n t de tunique en tunique jusqu< à ce qu'ils entrent dans une >belle tuniquebienLes âmes passent de corps en corps j u s q u ' à ce qu'elles aient fait pénitence du péché qu'elles ont c o m m i s au cielou même une douzaine< à Bernard Benet, de la même paroisse, si toutefois il accepte de dissimuler aux

DUVERNOY m u ß aber konzediert w e r d e n , daß es nicht sein Interesse w a r , den Aussagen in den P r o t o k o l l e n Fourniers in i h r e m j e eigenen G e w i c h t nachzugehen. D a s aber w ü r d e e r f o r d e r n , j e d e Aussage eines Z e u g e n m i t seiner Stellung z u m Inhalt, z u m Ereignis, zu den h a n d e l n d e n Personen u n d z u m Bischof in Beziehung zu setzen. E b e n s o w ä r e n bei D a t i e r u n g e n die u n t e r schiedlichen A n g a b e n a b z u w ä g e n . E t w a i g e K o r r e k t u r e n , Z u s c h r e i b u n g e n o d e r A b l e h n u n g e n inhaltlicher P u n k t e m ü ß t e n ebenso b e g r ü n d e t w e r d e n wie D a t i e r u n g e n . 35 M o n t a i l l o u , Ein D o r f v o r d e m Inquisitor, Propyläen, Berlin 1980. Englische A u s g a b e : M o n t a i l l o u , N e w York, Vintage, 1979; italienische Ausgabe: Storia di u n paese: M o n t a i l l o u , Milano, Rizzoli, 1977. Seine g r u n d l e g e n d e n Thesen zur d o m u s in M o n t a i l l o u m a c h t e LE ROY LADURIE bereits 1973 in der Zeitschrift E t h n o l o g i e française b e k a n n t . 36 III 312ff.; LE ROY LADURIE 3 3 0 f . / 2 4 4 - bei solchen D o p p e l a n g a b e n bezieht sich die erste Seitenzahl jeweils auf die französische, die zweite auf die deutsche A u s g a b e v o n LE ROY LADURIES B u c h .

— D a ß der v e r s t o r b e n e B e r t r a n d u s de Taxio p o s t h u m n o c h v o n seiner Frau ins G e f ä n g n i s gebracht w i r d , geht zu lasten des deutschen Übersetzers. Vgl. LE ROY LADURIE 122/110 u n d III 312—330. HAHLBROCK hat nicht beachtet, daß der Prozeß »contra . . . B e r t r a n d u m de Taxio . . . quondam« g e f u h r t w u r d e ( H e r v o r h e b u n g d. Verf.). PETRUCCI, r a p p o r t o 224 f., hat nachdrücklich auf den breiten kulturellen G r a b e n verwiesen, den die N o t a r e mit ihrer lateinischen Ü b e r s e t z u n g der okzitanischen Z e u g e n a u s s a g e n ü b e r b r ü c k e n m u ß t e n . So sinnvoll eine in der ersten Person abgefaßte französische Ü b e r s e t z u n g des Registers als E r g ä n z u n g zur lateinischen E d i t i o n sein m a g , so i r r e f ü h r e n d w i r k t das gleiche Verfahren i m R a h m e n der Q u e l l e n a u s w e r t u n g .

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Zur Einfiihrung

inquisiteurs l'hérétication de Guillaume Guilhabert, frère d'Alazais (I 404)« 37 . Nach der Aussage der Alazaicis Fabri war es aber Bernardus Beneti, der ihr den Vorschlag machte, ihn mit einigen Schafen zum Schweigen zu bringen, aber ». . . sie antwortete ihm, daß sie ihm keine Schafe gäbe, weil er abermals andere fordern würde, nachdem er sie ausgegeben hätte, . . . « 38 Le Roy Ladurie hat den Widerspruch nicht vermerkt und teilt folglich auch keine Gründe dafür mit, warum er Benetis Version vorzieht. Während so einerseits überlieferte Zusammenhänge auseinandergerissen werden, konstruiert Le Roy Ladurie neue. Eine Äußerung, die Beatrix de Ecclesia eineinhalb Jahrzehnte (!) nach ihrem Verhältnis mit Petrus Clerici gegenüber dem Priester Bartholomäus Amilhaci machte, deutet er beispielsweise dahin aus, daß Petrus Clerici als Liebhaber die Frauen zufriedengestellt habe: »Même si en d'autres domaines il se montre odieux, il apparaît à celles-ci, dans la relation amoureuse, comme gentil, bon, relativement lettré, délicat, tendre, ardent au plaisir et à l'amour: >Vous les prêtres, vous désirez les femmes plus que ne font les autres hommesLes curéscouchent avec des femmes. Ils chevauchent des chevaux, des mulets et des mules. Ils ne font rien de bon< (II 386).« 41 Ebd. 224/182.

Zum Stand der Forschung

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Montaillou: >toutes les maisons de Montaillou, sauf deux ou trois, ont été infectées d'hérésieparce que le curé Pierre Clergue a lu aux gens le livre des hérétiques* (I, 292). « 42 Die Textstelle, auf die er sich bezieht, ist neben anderen ein Beleg dafür, daß unter den credentes keineswegs allgemein bekannt war, daß der Pfarrer und seine domus den perfecti anhingen: »Item hat er (Guillelmus Mathei; d. Verf.) gesagt, daß er um dieselbe Zeit im Haus des Ramundus Riba aus Montaillou war, und dort war jemand von den Beloti - er erinnert sich freilich nicht mehr, wer von ihnen es war - und ein Sohn des Ramundus Riba, es scheint ihm, daß er Poncius gehießen habe. Damals sagte der Zeuge, daß die Leute von Montaillou über das Verbrechen der Häresie nicht vollständig bekannt hatten, weil, wie er sagte, nur drei Häuser in Montaillou waren, die nicht von der Häresie berührt worden wären. Unter den besagten Häusern hat er das Haus des rectors von Montaillou und seiner Brüder genannt, worauf Poncius zu ihm gesagt hat: >Ihr wißt nicht gut Bescheid*, worauf der Zeuge ihn fragte: >Auf welche Weise sind die aus diesem Haus von dem besagten Verbrechen berührt?* Daraufhat Poncius gesagt, daß das so ist, weil der derzeitige Kaplan von Montaillou ein Buch der Häretiker besessen und gelesen hat. « 43 Abgesehen davon, daß die Aussage nicht von Ramundus Valsiera, sondern von Guillelmus Mathei aus Ax stammt - Le Roy Ladurie unterliegt diesem Irrtum deshalb, weil sie im Rahmen des Prozesses gegen Valsiera gemacht wurde und sein Name oben auf Seite I 293 erscheint - hat die Formulierung, Petrus Clerici habe den Leuten aus einem Buch der perfecti vorgelesen, vor den Quellen keinen Bestand. Wie wir sehen werden, wäre ein solches Verhalten auch nicht mit dem meistens sehr vorsichtigen Vorgehen des Pfarrers und seiner Angehörigen vereinbar gewesen. Übrigens gibt die französische Übersetzung des Registers, die drei Jahre nach Le Roy Laduries Buch, aber zwei Jahre vor der deutschen Fassung erschien, den Inhalt richtig wieder, obwohl auch hier in wörtliche Rede verwandelt wird. Verfasser und Verlag haben sich für die deutsche Ausgabe offenbar nicht um Berichtigung gekümmert. Die Vorsicht, mit der die Clerici für die Ketzer eintraten, bleibt auch an anderer Stelle unbeachtet, wenn Le Roy Ladurie den Bruder des Pfarrers zum Zehnteinnehmer avancieren läßt: 42

Ebd. 222/181, vgl. 259. »Item dixit (Guillelmus Mathei; d. Verf.) quod circa idem tempus, ipse erat in domo Ramundi Riba de Monte Alionis, et erat ibi aliquis illis den Belot, non recordatur tamen quis eorum erat, et quidam filius Ramundi Riba predicti, et videtur sibi quod vocaretur Poncius, et tunc ipse testis dixit quod homines de Monte Alionis non plene fuerant confessi super crimine heresis, quia, ut dicebatur, non erant nisi tres domos in Monte Alionis que non essent tacte de heresi, et inter dictas domos ipse nominavit domum rectoris de Monte Alionis, et fratrum suorum, et tunc dictus Poncius dixit ei: >Nescitis hoc bene*, et tunc ipse testis dixit ei: >Et quomodo sunt illi de dicta d o m o tacti de dicto crimine?*, et tunc dictus Poncius dixit quod sic, quia capellanus de Monte Alionis qui nunc est tenuit vel legit librum hereticorum.« (1292). 43

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Zur

Einfithrung

»Alazais Azéma, de son cóté, dénonce les anciennes complicités de Bernard Clergue (I, 317). Ce Bernard, dit-elle, avait collecté du blé pour les dimes. II avait posé une certain quantité de ce blé sur le toit de la maison de Raymond Belot, qui est bas. Et il a dit ä Raymond Belot de donner ce blé aux hérétiques. « 4 4 Alazaicis Ademarii gab hier eine Beobachtung wieder, die ihr von Guillelma Belota mitgeteilt worden war. Davon, daß Bernardus Clerici das Zehntgetreide, das er spendete, eingetrieben hatte, steht jedoch nichts im Text. Soweit wir darüber Nachrichten haben, hat der Pfarrer selbst gezehntet (II 187). Im gegebenen Zusammenhang ging es darum, daß Bernardus seine Spende vom Zehnt nahm, der nicht im Haus der Clerici, sondern an einem anderen, speziell dafür bestimmten Platz aufbewahrt wurde. Er vermied so, von Nachbarn gesehen zu werden, wie er das Korn aus dem eigenen Haus heraustrug. Auch die besondere Art der Übergabe diente der Tarnung. Im Register heißt es zur Aussage der Alazaicis Ademarii: »Item hat sie gesagt: Nach zwei Tagen war sie auf der Gasse des besagten Ortes (Montaillou; d.Verf.), und saß bei besagter Guillelma, und dann hat sie die besagte Guillelma gefragt, ob den Häretikern das obenerwähnte Getreide gefallen hatte, das sie ihnen gespendet hatte. Sie hat geantwortet: Ja, denn am selben Tage hat Bernardus Clerici von Montaillou ebensoviel Korn auf das niedrige Dach der domus des Ramundus Beloti gelegt, wie sie gegeben hatte. Dieses Korn hat Bernardus von den Zehnten genommen, und er hat es nicht aus seinem Haus herausgetragen, damit er nicht etwa von den anderen gesehen würde. Als er das Korn auf das Haus gelegt hatte, hat er zu Guillelmus Beloti gesagt, daß er das Getreide in sein Haus legen und daß er es den Häretikern geben sollte, was Guillelmus getan hat, . . . « 4 S Auch wenn es darum geht festzustellen, wann Bernardus Clerici baiulus war, ist auf die Quellen wiedergäbe Le Roy Laduries kein Verlaß. Wie in anderen Orten des Hochlandes (III 446) konnte das Amt vermutlich auch in Montaillou von Jahr zu Jahr wechseln. Abgesehen davon, daß Le Roy Ladurie ohne Beleg davon ausgeht, daß Bernardus das Amt um 1300 innegehabt habe 46 , schreibt er es ihm auch in Zeiten zu, für die Bernardus ausdrücklich angab, es nicht ausgeübt zu haben. So heißt es im Protokoll des Inquisitors von Carcassonne zum Verhör des Bernardus Clerici vom August 1310:

44

LE ROY LADURIE 9 3 / 8 9 .

45

» I t e m dixit q u o d post duas dies ipsa erat in platea dicti loci, et sedebat c u m dicta G u i l l e l m a ,

et tunc ipsa i n t e r r o g a v i t d i c t a m G u i l l e l m a m , si placuerat dictis hereticis b l a d u m s u p r a d i c t u m q u o d ipsa dederat eis, q u e respondit q u o d sic, quia e a d e m die B e r n a r d u s C l e r i c i de M o n t e Alionis posuit t a n t u m d e m de b l a d o super t e c t u m d o m u s dicti R a m u n d i B e l o t i , q u o d est b a s s u m , q u a n t u m ipsa dederat, q u o d b l a d u m dictus B e r n a r d u s habuit de d e c i m i s , et n o n e x t r a x i t de d o m o sua, n e f o r t e videretur ab aliis, et q u a n d o d i c t u m b l a d u m p o s u e r a t super d o m u m p r e d i c t a m , dixit G u i l l e l m o B e l o t i p r e d i c t o q u o d poneret infra d o m u m s u a m d i c t u m b l a d u m et q u o d daret e u m dictis hereticis, q u o d et dictus G u i l l e l m u s fecit, . . .« (I 3 1 6 f . ) . 46

LE ROY LADURIE 9 8 / 9 3 .

Zum Stand der

Forschung

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»Er wurde gefragt, warum er den Häretiker nicht gefangengenommen oder seine Gefangennahme veranlaßt hat, von dem er doch wußte oder wissen konnte, daß er öfter im Haus seiner Schwiegermutter verkehrte - umso mehr, als er zu der Zeit, da der Häretiker dort verkehrte, baiulus des Ortes war oder gewesen war? Er sagte, daß er wegen der Liebe, die er für seine Frau Ramunda empfand, auch alle hochachtete, die zum Haus seiner Schwiegermutter gehörten. Deshalb hätte er damals um keinen Preis etwas unternommen, wovon er geglaubt habe, daß es seiner Schwiegermutter mißfalle, noch irgend etwas, wovon er angenommen habe, daß es zum Nachteil der domus seiner Schwiegermutter wäre. Eher hätte er einen Nachteil für sein Haus und seine Angelegenheiten auf sich nehmen und ertragen wollen, als daß er einen Nachteil für das Haus oder für irgendjemanden vom Hause seiner Schwiegermutter angesehen oder ertragen hätte. Er sagte auch, daß er sich nicht erinnern kann, daß er zu der Zeit, als er baiulus gewesen ist, gewußt hat, daß Guillelmus Auterii oder ein anderer Häretiker in dem besagten Haus war. « 4 7 Bei Le Roy Ladurie wird daraus: »>. . . j'étais alors bayle de Montaillou, déjàet à cause de l'amour que j e portais à Raymonde ma femme, j'aimais tout ce qui ressortissait de l'ostal de ma belle-mère Belot; pour rien au monde j e n'aurais fait quelque chose qui aurait pu déplaire à ma bellemère ou causer du tort à l'ostal de celle-ci. J'aurais préféré souffrir dans ma personne ou dans mes biens plutôt qu'être témoin d'un préjudice quelconque porté à l'ostal de ma belle-mére< (II 269). « 4 8 Die abfällige Bemerkung des Petrus den Hugol kurz vor der Verurteilung und erneuten Arrestierung des Bernardus Clerici am 12. August 1324, wenn der Bruder des Pfarrers eingekerkert werde, rühre ihn das weniger, als wenn er ein schlechtgeratenes Lamm verliere 49 , verkehrt Le Roy Ladurie in ihr Gegenteil: Er deutet die Äußerung als bedauernde Reaktion auf die bereits erfolgte Verurteilung und Einkerkerung und formuliert: »Quand il apprend l'arrestation de Bernard Clergue, Pierre den Hugol déclare

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»Interrogatus q u a r e n o n cepit vei fecit capi d i c t u m h e r e t i c u m q u e m sciebat seu scire

poterat c o n v e r s a r i f r e q u e n t e r in d o m o socrus sue predicte, m a x i m e c u m , t e m p o r e q u o dictus hereticus c o n v e r s a b a t u r i b i d e m , esset et fuisset baiulus dicti loci, dixit q u o d p r o p t e r a m o r e m q u e m h a b e b a t ad R a m u n d a m u x o r e m suam predictam, diligebat e t i a m o m n i a q u e erant de h o s p i c i o socrus sue predicte, et ideo n o n fecisset t u n c p r o aliqua re aliquid q u o d c r e d e r e i displicere socrui sue predicte n e c aliquid q u o d cederet in d a m p n u m hospicii diete socrus, et plus voluisset sustinere et pati d a m p n u m hospicii vel in rebus suis q u a m videret seu sustineret d a m p n u m hospicii vel alicuius de hospitio socrus sue predicte. D i x i t e t i a m q u o d e o t e m p o r e q u o fuit baiulus n o n r e c o r d a t u r se scivisse d i c t u m G u i l l e l m u m Auterii vel a l i u m h e r e t i c u m esse in d o m o predicta. « (II 2 6 9 f.) 48

LE ROY LADURIE 2 2 1 / 1 8 0

49

. . .ipse d i x i t . . . q u o d si B e r n a r d u s C l e r i c i de M o n t e A l i o n i s i n m u r a r e t u r , m i n u s a p r e c i a -

b a t u r q u a m si a m i t t e r e t u n u m anhelatz . . .

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Zur

Einführung

devant témoins: >je suis consterné; j e préférai perdre une brebis, plutôt que de savoir Bernard Clergue incarcéré< (III 402). « 5 0 Für Le Roy Laduries Arbeit an den Quellen ließen sich noch viele derartige Beispiele anfuhren 5 1 . Hier mag noch der Hinweis darauf genügen, daß er den B e g r i f f familiar im Zusammenhang mit Petrus Ademarii dahingehend fehldeutet, daß er auf eine tatsächliche leibliche Verwandtschaft des Hochlandbauern mit dem Prälaten aus Saverdun (12 k m nördlich Pamiers) schließt. Die besondere Rolle, die der familiaritas als privilegiertem Rechtsverhältnis eines Individuums im Dienste und im Schutze eines kirchlichen Würdenträgers gerade für das Spitzelwesen der Inquisition zukam, ist ihm unbekannt geblieben. Das muß um so mehr verwundern, als Arnaldus Cicredi, auf dessen Aussage Le Roy Ladurie sich verschiedentlich bezieht, in seinem Verhör vor Fournier Auskunft über seinen Auftrag als familiar und über die Zusammenarbeit mit seinen Kollegen gegeben hat (II 2 0 f . ) 5 2 . Im Zusammenhang der Quellenauswertung ist bei Le Roy Ladurie neben der ungenauen Wiedergabe des Inhalts besonders zu bemängeln, daß eine R e k o n struktion der Ereignisfolge unterblieb. Die Anwendung ethnographischer Fragestellungen auf den vorliegenden S t o f f hat deshalb zur Folge, daß mit der Fülle der Einzelinformationen aus dreißig Jahren ereignisreicher Dorfgeschichte so verfahren wird, als handele es sich um synchrones Material zu einer Art Z u standsbeschreibung. Der Mangel in der chronologischen Grundlagenarbeit erweist sich an vielen Einzelheiten und wird vollends offenbar, wenn Le Roy Ladurie zu einer Periodisierung der Dorfgeschichte zu k o m m e n versucht 5 3 . E r bietet auch sonst eine Fülle von Widersprüchen in den Datierungen, z. B . hinsichtlich des Todes der Mengardis Clerici, der Mutter des Pfarrers. Zur Orientierung sei hier zunächst vermerkt, daß Beatrix nach eigener Auskunft Mitte August 1301 Montaillou verließ, um im Tiefland ihre zweite Ehe einzugehen (I 232). Le Roy Ladurie hat das zur Kenntnis genommen, da er anmerkt, daß Beatrix 1303 und 1306 zwei Töchter gebar, nachdem sie zum zweiten Mal geheiratet hatte 5 4 . Von der Mutter des Pfarrers meint er, daß sie vor dem Ende der Beziehung ihres Sohnes mit Beatrix starb, weil Petrus einmal seiner Geliebten gegenüber geäußert hat, »Mengardis, seine Mutter, wäre gerettet, weil sie

Ebd. 409/293. H. C. STOODT, Auterii 67 A n m . 225 f. führt eine Reihe verfälschender Quellenwiedergaben LE ROY LADURIES ZU Petrus Auterii auf. 5 2 LE ROY LADURIE schreibt ebenda 53/57: ». . . mais il s'affirme en toute simplicité c o m m e parent plus ou moins proche, c o m m e >petit parent< du prélat Fournier.« - Zur Funktion der familiares vgl. NIERMEYER 407—408 die Stichworte familia, familiaris, familiaritas; Lea I 50 51

4 2 6 - 4 2 9 , ebd. 6 3 6 - 6 3 8 D o k u m e n t e VIIff.

VIDAL, tribunal II 55—61, erwähnt Petrus Ademarii nicht unter den familiares des Bischofs. 5 3 LE ROY LADURIE 4 0 2 / 2 8 9 - 4 1 2 / 2 9 8 ; s. u. Kapitel 5., Ende 5 4 Ebd. 237 A n m . 2; 238/192.

Zum Stand der Forschung

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den boni christiani viel Gutes tat« 5 5 Da er auch bemerkt, daß Mengardis noch den Fingernagelzauber an der Leiche ihres Mannes angeordnet hat 5 6 , müßte er auch den Tod des Vaters Poncius Clerici vor dem Ende der Liebschaft zwischen Petrus und Beatrix datieren. Diese Konsequenz zieht Le Roy Ladurie jedoch nicht, so daß es ihn auch nicht anficht, daß der Vater des Pfarrers kurz nach der Massen Verhaftung 1308 beim Streit mit Guillelmus Maurs zugegen war - wobei hier unberücksichtigt bleiben kann, daß auch die Datierung der Großrazzia nicht stimmt 5 7 . Darüberhinaus gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Überlieferungen zu den Eltern des Pfarrers nach dem Ende der Beziehung zu Beatrix, die Le Roy Ladurie zwar kennt und verwendet, aber nicht datiert hat. Zwei weitere Beispiele mögen genügen, das Fehlen einer gründlichen Chronologie zu dokumentieren: - Le Roy Ladurie entwickelt seine These von der Aufspaltung des Dorfes in zwei unterschiedliche Lager um 1300: Eine größere Gruppe von Anhängern der Katharer um die Clerici mit 11 domus habe einer kleineren, mindestens 5 domus umfassenden Partei um die Familie des Petrus Ademarii gegenübergestanden. Dabei bezieht er sich unter anderem auf eine Aufzählung der credentes im Dorf, die sich aus den Zeitangaben des Petrus Maurini klar auf 1309 datieren läßt (III 161). Le Roy Ladurie kümmert sich nicht um die Datierung, stellt aber fest, daß die Clerici in der Liste fehlen und erklärt sie daher für unvollständig. Das Fehlen der domus des Pfarrers ist jedoch plausibel, wenn man die innerdörfliche Entwicklung bis 1309 in Betracht zieht: In den Augen der meisten credentes gehörten die Clerici nicht mehr zu ihnen! - Zum Schluß seines Periodisierungsversuches zur Dorfgeschichte kommt Le Roy Ladurie auf den Einfluß zu sprechen, der den Clerici nach dem Tod des Pfarrers und des baiulus im D o r f noch verblieben sei, und verweist darauf, daß Angehörige der domus in den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts neben anderen wichtigen Einwohnern als Zeugen fungiert hätten 5 8 : »La prépondérance de longue durée de la clique des Clergues a même pu survivre, pendant quelque temps, à l'incarcération mortelle de ses personnalités les plus fortes, représentées par le bayle et par le curé: certains membres de domus Clergue figurent encore parmi les principaux habitants de Montaillou, pendant la décennie 1320. « (vgl. II255 f. ) Ein Blick auf die genauen Zeitpunkte der Zeugenschaft macht aber deutlich, daß die Termine lange vor dem Tod des baiulus im Spätsommer 1324 liegen, nämlich am 14. Januar und am 18. Februar 1322. Die Vornamen der Zeugen geben schließlich darüber Auskunft, daß es der - inzwischen wohl ehemalige - baiulus Bernardus und sein Bruder Ramundus waren, die als Zeugen auftraten. Le Roy Ladurie läßt beiseite, daß 55

» quod Mengardis, mater eius, salva esset, quia multa bona faciebat dictis bonis christianis «

1 2 2 9 ; L E R O Y LADURIE 9 7 / 9 2 , 9 8 / 9 4 . 56 57 58

Ebd. 61/63. Ebd. 37/43, 84/80 f. LE ROY LADURIE 412f./295; das Vorhergehende 57/59f.

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Zur

Einführung

Bernardus Anfang November 1321 aus der Haft entlassen worden war und erst im Spätsommer 1324 nach seiner Verurteilung wieder eingekerkert wurde. Kurzum: auf die Darlegung der zeitlichen Abfolge ist hier ebensowenig Verlaß wie auf die Wiedergabe des Inhalts der Quellen. Die Bemerkung des Verlages auf der Einbandrückseite der deutschen Ausgabe 5 9 , Le Roy Ladurie benutze hochaktuelle historische und völkerkundliche Methoden und mache so die Realität der Katharer und Südfranzosen vor 650 Jahren lebendig - bei der italienischen Ausgabe heißt es auf dem Titel: »un grande libro della moderna Vor der deutschen Ausgabe ist nachdrücklich zu warnen: PETER HAHLBROCK hat das Original für den Propyläen Verlag übersetzt und gekürzt. In der weitgehend veränderten Einleitung werden nicht nur Ost und West verwechselt und grundlegende politische Zusammenhänge falsch mitgeteilt (Vgl. S. 8 der deutschen Ausgabe zur Lage der Provinz Languedoc und zur politischen Selbständigkeit. Das Hochland von Foix war 1272/ 1277 als letzter Teil der gleichnamigen Grafschaft unter die Oberhoheit der französischen Krone gekommen.), sondern auch die Wasser des Hers von Montaillou ab den wesentlich kürzeren Weg bergauf über die Paßhöhe des Col du Chioula nach Ax-les-Thermes umgeleitet, um schon dort und nicht erst bei Boulbonne nördlich Saverdun in die Ariège zu münden (dt. Ausgabe, S. 7). Auch in geringfügig gekürzten Abschnitten finden sich entstellende Fehler: So werden z. B . Weiden, die der Feldschütz bloß zu behüten hatte, nun von ihm verteilt (LE ROY LADURIE 27/34). Der Zehntvertrag von Pamiers altert um 66 Jahre (ebd. 41/46), der B i s c h o f wird zum Erzbischof (ebd. 49/53 und anderswo) und die Waldenser in Pamiers hängen, gleich den Katharern, der Seelenwanderungslehre an (ebd. 309/230). Bernardus Clerici, der auch als Häretiker nie ein geistliches A m t innehatte, spendet seiner Schwiegermutter selbst das consolamentum, anstatt - wie in der französischen Ausgabe - es ihr spenden zu lassen (ebd. 333/246)). Belegangaben, insbesondere zur benutzten Literatur, sind der Bearbeitung zum Opfer gefallen, Verschreibungen k o m m e n hinzu (ebd. 350/257; 360/230). Manche Textkürzungen verändern den Sinn: In der Originalausgabe spricht LA ROY LADURIE beispielsweise von den drei ketzerischen Frauen Mengardis Clerici, Guillelma Belota und Na Roqua. Sie hätten den harten Kern unter den weiblichen Anhängern des Katharismus in Montaillou gebildet. Die anderen ketzerischen Frauen, deren man etwa 10 kenne, seien ohne großen persönlichen Glauben aus eher soziologisch erklärbaren Motiven gefolgt: »Militantes, et néanmoins amies, elles (die drei Frauen) forment le noyau le plus dur de l'albigéisme féminin à Montaillou; quant aux autres femmes qui sont influencées par l'hétérodoxie (nous en connaissons une dizaine, au total), elles l'ont été, dans le village, au terme d'un processus de suivisme sociologique; il les a fait céder, piégées sans grande croyance personnelles, aux >affectueuses sollicitations< de leurs parents ou des domus amies, celle-ci déjà gagnées par la contagion hérétique. « 59

Bei HAHLBROCK wird daraus: »Alle drei waren von anderen verfuhrt worden; wenigstens scheint es, als seien diesen die katharischen Glaubensartikel weniger Herzenssache gewesen als vielmehr nur von ketzerischen Verwandten und Freunden ans Herz gelegt worden. Insgesamt hatten die Ketzer unter den Frauen von Montaillou, soweit wir wissen, zehn Anhängerinnen. « (ebd. 3 7 8 / 2 7 3 f . ) . Übrigens wissen wir aus den Protokollen Fourniers von weit mehr als 10 Frauen, die in Montaillou von Ketzerlehren beeinflußt waren. Der Anhang HAHLBROCKS, der über die Familien von Montaillou Auskunft geben will und sich an die englische Ausgabe anschließt, widerspricht in manchen Angaben LE ROY LADURIE und fuhrt keinerlei Quellenbelege an (vgl. ebd. 301/226jeweils A n m . 1). A u f einige der zahlreichen dort enthaltenen Fehler wird im Verlauf der Untersuchung noch hingewiesen.

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Zum Stand der Forschung

storiographia« - bedarf der Korrektur: Le Roy Ladurie bereitet den Inhalt der Protokolle Fourniers unter ethnographischen Gesichtspunkten auf, verzichtet aber auf die für den Historiker grundlegenden Methoden der kritischen Quellenarbeit und der Chronologie. Seine Ergebnisse gehen deshalb - wie weiter unten im einzelnen gezeigt wird - in den wesentlichen Punkten an der Realität der Menschen des Dorfes Montaillou vor 650 Jahren vorbei. Solche Verlagswerbung kann sich auf das positive, bisweilen überschwängliche Echo berufen, das dem Montailloubuch vielfach zuteil wurde 6 0 - so beispielsweise in den Besprechungen von Jean Constant, Natalie Zemon-Davis, Keith Thomas oder Robert Mandrou, der auf Le Roy Laduries Stil mit seinen » . . . petites manies que se contractent dans la pratique du journalisme« verwiesen hat und den Verkaufserfolg des Buches darin begründet sieht. Im deutschen Raum hat Norbert Ohler 1979 in seiner Besprechung der französischen Originalausgabe für die Historische Zeitschrift von der »meisterhaften Fallstudie« Nachricht gegeben. »Dank wechselnder - personengeschichtlich, soziologisch, ethnologisch orientierter - Optik und behutsamer, gelegentlich kühner Deutung« sei auf ganz verschiedenen Ebenen das Geflecht von Bindungen deutlich sichtbar geworden, in denen der einzelne mit seiner domus im mittelalterlichen Montaillou gelebt habe. Ohler hat sich besonders von der Sprache Le Roy Laduries beeindruckt gezeigt: »Überlegen ausgesuchte Zitate, prägnante Formulierungen, eine elegante Sprache, der rasches Zupacken ebenso gelingt wie ironische Distanz oder sarkastischer Spott, schließlich der Verzicht auf Fachjargon machen die Darstellung zu einer fesselnden Lektüre. « Das Register Fourniers hat Ohler aber für seine Besprechung nicht zu Rate gezogen, denn unter den 114 verhörten Personen befindet sich - anders als Ohler mitteilt - keineswegs »der Pfarrer von

6 0 Besprechungen und Stellungnahmen: BABY, FRANÇOIS: Pour une lecture ariégoise d'une monographie ariégeoise. In: B S A 31 (1976) 3 5 6 - 3 6 0 ; COBB, RICHARD: Rixende, Condors, Esclarmonde. In: N e w Statesman, 9. 6. 1978, 779ff.; CONSTANT, JEAN: U n village désormais célèbre: Montaillou. In: Revue d'histoire économique et sociale 53 (1975) 559—563; DARIÉGE, JEAN: Propos sur »Montaillou, village occitan«. C E C 71 (automne 1976) 9 1 - 9 6 ; DYER, CHRISTOPHER: T h e Journal o f Peasant Studies 6 (1979) 3 5 9 f . ; HECHTER, MICHAEL: T h e Limits o f Etnographic History. In: Contemporary Sociology, 9 (1980) 4 4 f . ; HERLIHY, DAVID: Social History, Vol. 4, N o . 3, 3. 10. 1979, 5 1 7 - 5 2 0 ; MANDROU, ROBERT: L'année sociologique 28 (1977), Paris 1979, 2 7 3 f . ; MITCHISON, ROSALIND: T h e London Review o f B o o k s , 7 . - 1 4 . 8 . 1980, 3; MONTAILLOU IN GRONINGEN: Verslag van een interdisciplinaire studiedag, hg. von D i c k

A . PAPOUSEK, G r o n i n g e n 1 9 8 1 ; O H L E R , N O R B E R T : H Z 2 2 9 ( 1 9 7 9 ) 1 5 4 - 1 5 6 ; T H O M A S ,

KEITH:

T h e Wizard o f O c . In: T h e N e w York Review o f B o o k s 12. 10. 1978, 52; TILLY, CHARLES: Anthropology, History and the Annales. In: Review (American Braudel Center), I, 3/4, Winter/Spring,

1978, 207—213;

S E R G I , GUISEPPE; F I L O R A M O , G I O V A N N I ; M E R L O , G R A D O

G.;

PETRUCCI, ARMANDO: Storia totale fra ricerca e divulgazione: Il »Montaillou« di LE ROY LADURIE. In: Quaderni storici 40 (1979) Ancona, 205 - 227; STONE, LAWRENCE: In the Alleys o f Mentalité. In: N e w York Review o f Books, 8 . 1 1 . 1979, 20; ZEMON-DAVIS, NATALIE: Les conteurs de Montaillou. In: Annales, 34 (1979) 7 1 - 7 3 ; Vgl. dazu BERGSMA, WIEBE: »Montaillou« in de kritiek. In: Montaillou in Groningen, 15-22.

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Zur Einführung

Montaillou an zentraler Stelle«. Von seinen Verhören ist uns nichts überliefert. Auch sonst fehlt in dieser Rezension jeder Rückbezug auf die Quelle. Es mangelt aber auch nicht an kritischen Stimmen. Richard Cobb hat 1978 im »New Statesman« eine stärker biographisch orientierte Vorgehensweise für angebracht gehalten und seinen Eindruck mitgeteilt, daß Le Roy Ladurie mehr aus den Quellen herausgelesen habe, als sie enthalten. David Herlihy bezweifelte 1979 in »Social History« die Zuverlässigkeit der Ubersetzungen Le Roy Laduries, hatte aber keine lateinische Textausgabe für eine eingehendere Prüfung zur Hand. Michael Hechter wies 1980 in »Contemporary Sociology« daraufhin, daß Le Roy Ladurie kein vergleichendes Material aus anderen Teilen Frankreichs herangezogen habe. Ihm zufolge beschreibt das Buch Montaillou eher als ein Kuriosum, als daß es ein Stück sozialwissenschaftlich fundierter Geschichtsschreibung bietet. Vier Beiträge in der italienischen Zeitschrift » Quaderni storici« unterzogen die Untersuchung 1979 einer eingehenden Kritik: Giuseppe Sergi legte dar, daß der vom Verlag erweckte und vom Autor genährte Eindruck keineswegs zutrifft, wonach hier das Konzept einer »histoire totale« verwirklicht sei, in dem »toutes les structures qui coéxistent et interfèrent« erfaßt sein sollten 61 . Ein Autor allein könne kaum alle wesentlichen Aspekte kompetent behandeln, die zu bearbeiten seien, wenn ein historisches Phänomen derart umfassend beleuchtet werden solle 62 . Le Roy Ladurie habe die Quellen vielmehr »consone alle suo competenze, ai suoi gusti, alle sue convinzioni« ausgewertet. »L'autore applica con qualche rigidità lo schema antropologico del clan maggioritario e del clan minoritario (Clergue e Azéma) ed espone sommariamente la lotta di fazioni, . . ,« 63 Die Bedeutung politischer Strukturen, sozialer Schichtungen und institutioneller Mechanismen für die Prozesse im Dorf und die Beziehungen seiner Bewohner nach außen lasse Le Roy Ladurie - wohl bewußt - beiseite 64 . Sergi konstatiert einen ungünstigen Einfluß der Publikumsorientierung auf die Untersuchung 6 3 . Filoramo, Ricostruzione, hat kritisiert, daß Le Roy Ladurie die verschiedenen religiösen Phänomene (wie Magie, Erlösungshoffnung, Aberglauben, heidnische Traditionen, Heilslehre oder Geisterglauben) mit einem psychologischen Schlüssel zu interpretieren versuche, ohne über die Definition der einzelnen Begriffe Rechenschaft abzulegen. Alle Phänomene, die in der Gestalt einer im 61

62

SERGI/206 b e z i e h t sich a u f LE GOFF u n d TOUBERT.

Vgl. ebd. 210. 63 Ebd. 207 f. 64 Ebd. 206-208. 65 Ebd. 208 f. : »la ricerca . . . deve si essere divulgata, ma la divulgazione deve influenzare il meno possibile tempi e obiettivi della ricerca. Su questo criterio occorre a mio avviso insistere, pur in presenza di posizioni che - per quanto con discontinua esplicitazione - vagheggiano una valorizzazione delle indicazioni tematiche provenienti dai gusti del pubblico, diminuendo inevitabilmente la carica di sperimentalita della ricerca storica e determinando l'ingresso disturbatore di contenuti dei cosiddetti mass-media . . . «

Zum

Stand der

Forschung

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B e w u ß t s e i n präsenten Heilslehre auftauchten, w ü r d e n v o n i h m u n t e r d e m B e g r i f f der Religion erfaßt, w ä h r e n d magische Praktiken, Geisterglaube o d e r astrologische Schicksalserkundung als A u s d r u c k eines kollektiven U n t e r b e w u ß t e n eingestuft w ü r d e n 6 6 . Filoramo sieht in diesem V o r g e h e n eine stillschweigende Ü b e r n a h m e der Kriterien des b e f r a g e n d e n Bischofs u n d seiner N o t a r e , die den Gegensatz v o n katholischer Heilsreligion u n d M a g i e vorgebildet u n d in die Z e u g e n a u s s a g e n hineingetragen h ä t t e n 6 7 . A u ß e r d e m lasse Le Roy Laduries e p i s o d e n h a f t e Darstellungsweise die verschiedenen P h ä n o m e n e als j e eigenständige Wirklichkeiten u n d das ganze Feld der religionsgeschichtlich relevanten P h ä n o m e n e als großes D u r c h e i n a n d e r v o n erratischen B l ö c k e n erscheinen 6 8 . Guillelmus Fortis aus M o n t a i l l o u etwa w e r d e zugleich als ein A n h ä n g e r zweier Religionen - der r ö m i s c h e n u n d der katharischen - dargestellt, der v o r allem in achristlichen, w e n n nicht vorchristlichen Volksbräuchen v e r w u r z e l t geblieben sei 6 9 . D i e Möglichkeit, daß diese anscheinend unvereinbaren E l e m e n t e Teil einer d u r c h a u s b e w u ß t e n u n d einheitlichen Weltsicht sein k ö n n t e n , w e r d e nicht e r w o g e n . D i e oberflächlichen u n d gefährlichen Vereinfachungen, m i t denen Le Roy Ladurie sich den religiösen P h ä n o m e n e n nähere, töteten alle soziologischen I n t e r p r e t a tionsansätze, zu einer Zeit, in der ü b e r die B e z i e h u n g zwischen einer - relativ a u t o n o m e n - Geist- u n d S y m b o l w e l t u n d der soziokulturellen E b e n e des Lebens debattiert w e r d e 7 0 . D u r c h sein V o r g e h e n setze Le Roy Ladurie die religionsgeschichtlich interessanten Früchte seiner U n t e r s u c h u n g aufs Spiel: »Si rischia infatti di analizzare u n f e n o m m e n o di sincretismo religioso con u n b e n piu pericoloso e c o n f u s o sincretismo categoriale;. . . « 7 1 Petrucci72 weist auf u n g e n a u e Ü b e r s e t z u n g e n hin u n d bescheinigt Le Roy Ladurie »una n o t e v o l e dose di spregiudicatezza« i m U m g a n g mit der Quelle. E r w ü n s c h t , der Leser m ö g e auf die Q u e l l e zurückgreifen, erklärt seinen W u n s c h aber selbst f ü r illusorisch angesichts einer historischen K u l t u r , die u. a. d u r c h V e r ö f f e n t l i c h u n g e n w i e das M o n t a i l l o u b u c h geprägt w e r d e . François Baby73, ein h e r v o r r a g e n d e r K e n n e r der Regionalgeschichte des Ariègegebietes, greift ironisierend Le Roy Laduries Stil auf u n d stellt sein U r t e i l voran: » . . . l'auteur fait v r a i m e n t de l'histoire: tranche de t e m p s , tranche d ' e s p a ce, tranche de vie. « E r b e m ä n g e l t zahlreiche U n g e n a u i g k e i t e n : D i e u n k o r r e k t e W i e d e r g a b e okzitanischer Begriffe zählt er ebenso auf w i e falsche E n t f e r n u n g s a n g a b e n o d e r die M i ß a c h t u n g der lokalgeschichtlichen Literatur. Le Roy 66 67 68 69 70 71 72

73

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

211 f. 212. 213. 214. 213. 216.

PETRUCCI 2 2 5 f .

BABY

(1976) 356-360.

34

Zur Einführung

Ladurie habe die ausgefallene, isolierte Lage von Montaillou nicht erkannt. Der »sociologue du vieux Montaillou« leite aus einer Uberlieferung von 1672 ab, daß dort um 1300 (!) so gut wie keine Dienste und Abgaben bestanden hätten 7 4 . Baby hält dem eine Urkunde aus dem Archiv in Foix von 1445 entgegen. Er sieht in Le Roy Laduries Vorgehen kein einmaliges methodisches Mißgeschick und weist darauf hin, daß er 7 5 die Darstellung der Verhältnisse in der Schafwirtschaft zu Beginn des 14. Jahrhunderts mit Material des frühen 19. Jahrhunderts stützen will. An anderer Stelle bekräftige er seine Charakterisierung der magischen Praktiken des Petrus Clerici ( f 1321) mit der mündlichen Auskunft eines B e wohners von Montaillou aus unseren Tagen 7 6 . Baby hätte sich »moins de laxisme chronologique« gewünscht. Durch leichtfertige Einschätzungen, so demonstriert Baby weiter, komme Le Roy Ladurie zu widersprüchlichen Aussagen. Die Sorge um zeitgemäße Darstellungsweise wenn Fournier etwa als ein »Maigret obsessif et compulsif« bezeichnet wird, der von »gorrilles et des affreux« der Inquisition umgeben sei 7 7 - verleitete zu irreführender Vereinfachung und erinnere an bestimmte Ausprägungen des zeitgenössischen Journalismus. Daß er dem Montailloubuch wenig Positives abzugewinnen vermag, ließ Baby erneut deutlich werden, als er drei Jahre nach seiner Rezension die von Jean Duvemoy besorgte französische Übersetzung der Protokolle Fourniers mit den Worten begrüßte: »Le voilà enfin le vrai >Montaillou, village occitanIhr trachtet nach dem Unheil und ihr werdet es finden, weil genug Unglück über euch kommen wird, wenn ihr Guillelma Beneta bloßstellt, die besser ist als ihr.< In gleicher Weise sprach er über Gausia, Sybilia und Guillelma Maurina, und fügte hinzu: >Hütet euch wohl, daß ihr nicht irgendetwas gegen diese Frauen sagt, und auch nicht über euch selbst, weil ihr Leib, Haus und alle Güter, die ihr habt, verlieren würdet, wenn ihr das tätet.« 103 Die Aussage Ramundas bestätigt, daß der Pfarrer gegenüber Beatrix 1308 zutreffend Auskunft über seine Haltung zu perfecti und credentes gegeben hatte. 102 ». . . dicens (Ramunda; d. Verf.) dicto rectori quod ipsa libenter iret apud Carcassonnam ad dominum inquisitorem cum ipso ad revelandum supradicta que in heresi comiserat quando ipse illuc iret, rogando eum quod in predictis iuvaret earn, et quod esset ei bonus.« 103 »Cui dictus rector respondit quod ipse consulebat ei quod nullo modo iret apud Carcassonam ad dominum inquisitorem ad confitendum predicta, quia si hoc faceret, inmuraretur et perderet omnia bona sua de alto ad bassum, et addidit quod nesciebat quid dicebat, dicendo se videsse dictos hereticos, quia nullus hereticus erat in terra, set omnes combusti erant. C o m m i natus fuit etiam eidem dicens: >Vos queritis malum et invenietis, quia si detegatis dictam Guillelmam Benetam, que melior est quam vos, satis infortunium veniet vobis.< Et eodem modo dixit de dicta Gausia, et Sybilia, et Guillelma Maurina, addens: »Caveatis vobis bene ne contra istas mulieres aliquid dicatis, nec etiam de vobis ipse (sic!), quia si hoc feceritis, corpus, domum, et omnia bona que habetis amitteretis.Item dixit q u o d c u m X I I anni vel circa, aliter d e t e m p o r e n o n r e c o r d a t u r , u t dixit, littera citacionis d o m i n i inquisitoris venisset a p u d M o n t e m A l i o n e m in q u a ipsa citabatur ad a u d i e n d u m s e n t e n c i a m s u p e r illis q u e confessa f u e r a t ibi de hiis q u e c o m i s e r a t in c r i m i n e heresis, de sero q u a n d o s e q u e n t i m a n e d e b e b a t i n t i m a r i ei dicta citatio, A r n a l d u s Clerici filius naturalis G u i l l e l m i Clerici q u o n d a m , fratris dicti rectoris venit ad i p s a m in d o m o eius, u t dixit ei, ex p a r t e dicti rectoris, et dixit ei q u o d in c r a s t i n u m dictus r e c t o r earn citare d e b e b a t ex p a r t e d o m i n i inquisitoris ut iret a p u d C a r c a s s o n a m ad a u d i e n d u m s e n t e n c i a m , et u t ipsa posset e x c u s a r i n e iret a p u d C a r c a s s o n a m , in c r a s t i n u m iaceret in lecto fingeret se i n f i r m a n et diceret q u o d d e scala d o m u s sue ceciderat et ex casu illo tota fracta erat, et sic dictus r e c t o r earn e x c u s a r e t . N a m , u t dixit, si ipsa c o m p a r e r e t c o r a m d o m i n o i n q u i s i t o r e , i n m u r a r e t u r ; et ipsa acquiescens consiliis dicti rectoris p o s u i t se in lecto et finxit se t o t a m esse f r a c t a m et in c r a s t i n u m q u a n d o dictus r e c t o r v e n i t c u m littera citacionis et testibus, ipsa iacuit in lecto et finxit se m u l t u m i n f i r m a m , et dixit q u o d ceciderat de scalari, et tota fracta erat. E t sic fuit excusata.« (I 476). 106 Vgl. MORITZ, H o s p i t a l , 38, 4 9 - 5 4 .

Die Zerschlagung

der Katharerkirche

im

Hochland

159

160

Die Vorgeschichte des

Verfahrens

stammten und Petrus Clerici ergeben waren. Die Inquisition von Carcassonne erwies sich als unfgähig, ihren Agenten zu kontrollieren. Die Episode zeigt in beispielhafter Weise Zustandekommen und Funktionieren der Klientel der Clerici. Voraussetzung für das Vorgehen Petrus Clericis war, daß die domus Beneti durch den Tod des arbeitsfähigen Sohnes Ramundus und des Vaters Guillelmus 1306 personell und wohl auch wirtschaftlich deutlich geschwächt und durch die Entdeckung des Ketzerquartiers Riba/Beneti 1309 der Zerstörung durch die Inquisition geweiht war. Nach der bevorstehenden oder vielleicht schon erfolgten Vernichtung des Hauses waren die Chancen eines Neubeginns denkbar ungünstig, da außer zwei ins heiratsfähige Alter kommenden Töchtern allem Anschein nach nur Sohn Bernardus alt genug zur Arbeit war. Außerdem konnte Guillelma kaum erwarten, ohne eine lange, vielleicht lebenslange Kerkerhaft davonzukommen. Als Petrus Clerici ihr seinen Vorschlag unterbreitete, gab es kaum Angehörige, auf die sie bei dem von ihm geforderten Teilgeständnis hätte Rücksicht nehmen müssen. Vielmehr versprach der Pfarrer ihr, die materielle Sicherheit zu gewähren, die ihre domus nicht mehr leisten konnte. Tatsächlich hat Guillelma dieses Angebot später auch häufig in Anspruch genommen (I 477). Seinen Vorschlag verband der Pfarrer mit der unbestimmten Drohung, es werde ihr schlecht ergehen, wenn sie etwas gegen seine domus aussage. Solcher Hinweise hatten sich die Clerici auch an anderen Stellen bedient, etwa gegen Ramunda Belota (III 74), oder sogar gegenüber Guillelma Belota, der Schwiegermutter des Bernardus Clerici, die sich von ihm sagen lassen mußte, er werde sie bei der Inquisition in Carcassonne anzeigen, wenn sie sich nicht seinem Willen füge (I 347). Spätestens seitdem Arnaldus Licerii, der erste Ehemann der Ramunda Belota und ein erklärter Gegner der perfecti 1305 tot im Graben des Schlosses von Montaillou gefunden worden war (I 427), mochten solche Drohungen ganz konkrete Befürchtungen wecken. Das wird insbesondere dann der Fall gewesen sein, wenn die Bedrohten und ihre domus nichts gegen die Clerici in der Hand hielten. Für Guillelma Beneta war die Drohung ein Grund mehr, den Vorschlag des Pfarrers anzunehmen. Petrus Clerici zog seinerzeit wichtige Vorteile aus dem Geschäft: Guillelma Beneta wußte soviel von der Ketzerei, daß auch ein Teilgeständnis zahlreiche credentes aus Montaillou schwer belasten mußte. Sie hatte jahrelang Spenden für die perfecti gesammelt. Selbst wenn sie nach eigenem Gutdünken nicht nur die Clerici, sondern vielleicht auch andere Nachbarn schonte, blieb sicher genug übrig, um dem Inquisitor einen Erfolg in Montaillou zu bescheren und vielleicht auch noch Feinde des Pfarrers zu schädigen. Die widersprüchliche Einheit von Schutz und Denunziation in der Rolle Petrus Clericis ist in seinem Vorschlag an Beneta direkt greifbar. Es ist allerdings als Motiv seines Vorschlages nicht auszuschließen, daß dem Pfarrer seine eigene Lage äußerst bedrohlich erschien. Ein Geständnis, das nur seine eigene domus ausschloß, mußte auch die Frauen treffen, die er im März

Die Zerschlagung

der Katharerkirche

im

Hochland

161

1309 gegen Ramunda Belotas Aussageabsicht noch in Schutz genommen hatte. Es ist möglich, daß es Petrus Clerici darum ging, u m jeden Preis Erfolge in Carcassonne vorzuweisen. Daß Benetas Geständnis vielleicht mit ein Auslöser der Massenverhaftung v o m August oder September 1309 war, ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht belegbar. Zweifelsfrei steht aber fest, daß für Petrus Clerici die Sicherheit seiner domus an erster Stelle stand, als er Guillelma Beneta das Teilgeständnis empfahl. Der Abschluß des Prozesses gegen die domus Beneti, der die Enteignung und Verbrennung der Gebeine Guillelmus Benetis mit sich brachte, zeitigte einen weiteren Vorteil zugunsten der Clerici, der vermutlich auch in anderen Fällen entstanden sein wird, aber nur in diesem Fall sicher überliefert ist: Der v o m Grafen von Foix eingezogene Grundbesitz des Verurteilten ging als Lehen in die Nutzung des Bernardus Clerici über. Wir haben davon Kenntnis, weil Bernardus Anfang März 1321 Bernardus Beneti Land anbot, das er aus dem enteigneten Erbe des Vaters innehatte (I 395f.). Die Ursache dafür muß in den Ämtern gesucht werden, die der Bruder des Pfarrers bekleidete. U m 1310 und 1315, nicht jedoch 1307, war er nachweislich baiulus von Montaillou, übte also die Polizeigewalt aus 107 . Es bedarf geringer Phantasie, sich vorzustellen, wie der Differenzierungsprozeß unter den credentes von Montaillou dadurch beschleunigt wurde, daß die domus des Pfarrers aus der Enteignung verurteilter credentes direkten materiellen Nutzen zog. Die Beteiligung eines Johannes Beneti, über dessen verwandtschaftliches Verhältnis zur domus Beneti wir leider keine weiteren Angaben haben, am M o r d k o m p l o t t gegen den Pfarrer Ende 1309 mag im Verlauf und Ergebnis des Benetiprozesses ihre Ursache gehabt haben.

Die Massenverhaftung

von 1309

Die Überraschungsaktion im Frühjahr (oder Sommer) 1309, bei der Benetas Haus durchwühlt und sie selbst verhaftet worden zu sein scheint, m u ß im Zusammenhang der groß angelegten Jagd auf die geflohenen perfecti kurz vor Ostern 1309 gesehen werden. Damals war es Guillelmus Belibasta und Philippus de Alayracho gelungen, aus dem Kerker in Carcassonne zu fliehen und sich Richtung Aragon abzusetzen. Unmittelbar darauf setzte eine breit angelegte Fahndung ein, die Philippus zum Verhängnis wurde, der inzwischen unterwegs ins Donnezan war. In St. Paul-de-Fenouillet wäre Petrus Maurini u m ein Haar Opfer der Inquisition geworden. Magister Petrus Girardi, der Prokurator des Erzbischofs von Narbonne, ließ ihn u m Fastnacht oder u m Ostern zitieren unter dem Vorwurf, er habe in der Einsamkeit als Hirte den Besuch der Flüchtlinge empfangen und ihnen mit N a h r u n g weitergeholfen (III 160). Petrus Girardi hatte Maurini schon Jahre zuvor im Haus von Belibastas Vater beim Abendessen kennengelernt, als er mit seinem Gefolge dort abgestiegen war. Guillelmus 107

Vgl. oben S. 26f.

162

Die Vorgeschichte des

Verfahrens

Belibasta war damals noch kein perfectus (III 139). Als der Prokurator nun feststellte, daß Maurini in der Gegend war, vermutete er in ihm vielleicht schon aufgrund der früheren Verbindung zu Belibasta einen geeigneten Kontaktmann fur die geflohenen perfecti. Maurini konnte den Vorwurf jedoch entkräften: E r sei nicht allein gewesen, sondern habe mit den Söhnen des Dienstherrn dessen Weinberg umgegraben. Der Dorfherr und der baiulus bestätigten das; letzterer bot noch an, fur Maurini zu bürgen. Der Prokurator entließ ihn daraufhin. Als Petrus Maurini im folgenden S o m m e r 1309 einen Packsack Salz aus dem Fenouillet nach A x brachte, traf er dort am Bad seinen Bruder Guillelmus zusammen mit Guillelmus Beloti. Die drei gingen gemeinsam essen und Petrus erzählte bei einem anschließenden Spaziergang über das Verhör Petrus Girardis (1161): »Und er fugte hinzu, daß besagter Magister geäußert hatte, daß das ganze Gebiet des Sabartès und von Montaillou voller Häretiker war, und daß alle in diesem Jahr festgenommen und herausgeschleppt würden. « 1 0 8 Demnach hatte der Prokurator um Ostern 1309 die scharfen Maßnahmen gegen Montaillou, die bald darauf in der Massenverhaftung ihren Höhepunkt erreichen sollten, in allgemeiner Form bereits angekündigt. Selbst wenn die nachträgliche Kenntnis der weiteren Ereignisse bei der Aussage Maurinis 1324 seine Erinnerung an die Worte des Petrus Girardi verfärbt haben mag, bleibt doch gültig festzuhalten, daß nach Auffassung des Schäfers mit der Osterfahndung die Phase intensivster Verfolgungen einsetzte, die dann in der Massenverhaftung gipfelte. Aus den uns vorliegenden Aussagen der Bewohner von M o n taillou wird diese Erinnerung bestätigt: Parallel zur Fahndung nach den geflohenen perfecti im Fenouillet und im Donnezan kam es um Ostern im Alion zu Streifzügen der Inquisition, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen, bevor im Spätsommer der große Schlag folgte. Der U m f a n g der Verfolgungen und die frühzeitige Ankündigung von Aktionen im Hochland lassen es kaum angebracht erscheinen, Petrus Clerici eine wesentliche Mitschuld an der Massenverhaftung zu geben 1 0 9 . Die Flut der Verfolgungen brach über seine domus ebenso herein, 108 »Et addidit quod dictus magister dixerat quod tota terra Savartesii et de M o n t e Alionis erat hereticis plena, et quod omnes illo anno haberentur et extraherentur de dicta terra. « 1 0 9 LE ROY LADURIE gewichtet die Rolle des Pfarrers bei der Massenverhaftung unterschiedlich: S. 9 9 / 9 4 f . formuliert er eindeutig: »Sur la grande trahison du curé Pierre Clergue, nous possédons deux versions: celle de Pierre l u i - m ê m e , . . . E t celle des gens qu'il a trahis, . . . « Einige Zeilen darunter m u t m a ß t er, Galharda Auterii k ö n n t e die entscheidende Aussage in Carcassonne gemacht haben, nachdem sie 1308 im Frühjahr zitiert worden war. A u ß e r d e m k ä m e ein Neffe des Petrus Auterii als Denunziant in Frage. Die Quelle seiner Überlegungen gibt LE ROY LADURIE nicht preis; er bezieht sich aber wohl auf die A n m e r k u n g 158 v o n DUVERNOY in 1 373, w o die Zitation der Galharda Auterii irrtümlich auf 1308 statt 1305 datiert wird. Auch auf S. 8 0 / 8 4 f . erklärt er Petrus für einen Denunzianten unter mehreren, auf dessen Anzeige hin die Massenverhaftung erfolgt sei. E r bezieht sich dabei auf den V o r w u r f des Guillelmus Maurs II 171, aus dem j e d o c h lediglich geschlossen werden kann, daß der Pfarrer nach der Massenverhaftung die Inquisition veranlaßt hatte, Vater und B r u d e r des Zeugen länger festzuhalten. Als Denunziant im Vorfeld der Massenverhaftung wird Petrus an keiner Stelle identifizierbar.

Die Zerschlagung

der Katharerkirche

im

Hochland

163

wie über die anderen Bewohner von Montaillou. Dank seines Einflusses vermochte er jedoch, das Boot, in dem er, seine domus und ihre Klientel saßen, einigermaßen heil durch die Wogen zu bringen. Bei dem Gespräch in Ax ließ Petrus Maurini sich auch über die katharischen credentes in Montaillou informieren (III 161). Da er seit 1301 nicht in Montaillou gelebt hatte und vielleicht nach seiner Rückkehr aus dem Arquestal um Weihnachten 1305 das letzte Mal da war, enthielt der Bericht auch Angaben über länger zurückliegende Ereignisse wie die Rezeption des Guillelmus Beneti im September 1306. Die domus Clerici fand keine Erwähnung. Einige Wochen nach der Begegnung in Ax erreichte Petrus Maurini auf der Weide die Nachricht, um Maria Geburt (8. September) seien in seinem Heimatdorf alle Männer und Frauen über 14 Jahren auf Anweisung des Herrn Inquisitors von Carcassonne gefangengenommen worden (1162f.). Guillelma Argeleria, Augenzeugin der Ereignisse, gibt die Zeit um Mariä Himmelfahrt (15. August) als Termin an. Diese Angabe steht in auffälliger Parallele zu einem anderen Datum: Am 10. August 1309 hatte Bernard Gui, der Inquisitor von Toulouse, seinen Fahndungsaufruf gegen den >Erzketzer< Petrus Auterii und seine Mithäretiker erlassen 110 . Damit war das Eröffnungssignal für die letzte Phase des Kampfes gegen die Katharerkirche im Languedoc gegeben worden. So wie die in Montaillou beobachtbare Verhaftungswelle vom Frühjahr 1309 im Kontext der Fahndung nach den entflohenen perfecti zu sehen ist, so läßt sich die Massenverhaftung vom August als zentral geplante Maßnahme interpretieren, die zum Erfolg des Fahndungsaufrufes gegen Petrus Auterii beitragen sollte. U m die perfecti fangen zu können, mußten ihre bekannten bzw. vermuteten Schlupfwinkel bedroht werden. Daß das Alion als Aufenthaltsort der Ketzer infrage kam, war der Inquisition wohlbekannt und von Petrus Girardi erst jüngst bekräftigt worden (I 161). Vielleicht gelang bei Razzien ein direkter Zugriff, zumindest aber ließ sich der Spielraum der Gesuchten einengen, da die Anhängerschaft aufgeschreckt und zu erhöhter Vorsicht gezwungen wurde. Im Klima allgemeiner Verfolgungen nahm die Möglichkeit zu, daß die Gesuchten sich durch ungenügende Vorsicht selbst verrieten oder durch verängstigte Anhänger angezeigt würden. Tatsächlich ging Petrus Auterii wenige Tage nach dem Aufruf der Inquisition ins Netz 1 1 1 . Am Tag der Razzia besetzten bewaffnete Knechte die Paßhöhen zum Alion, um Fluchtversuche zu vereiteln. N u r Auswärtige wurden durchgelassen (1344). Die Leitung der Aktion lag in den Händen des Magisters Jacobus de Poliniaco, des Kerkermeisters von Carcassonne, und des Arnaldus Cicredi aus Tarascon (II S. 407/291 erklärt LE ROY LADUEIE schließlich, es sei nicht recht, allzusehr auf einem Verrat der Clerici zu bestehen, da ihnen ja keine andere Wahl geblieben sei, als der Inquisition in die Hände zu spielen. 110

111

MOLINIER 1 5 7 , A n m . 3 .

Die Ketzerquartiere bei den den Riba und Beloti in Montaillou waren der Inquisition spätestens im Juni 1308 bekanntgeworden. Vgl. PALES-GOBILLIARD, Geoffroy d'Ablis 186 f.

164

Die Vorgeschichte des

Verfahrens

171; vgl. III 91, 93) 1 1 2 . Nach Auskunft des Guillelmus Maurs wurde das Volk von Montaillou gefangengenommen, »wegen des Verbrechens der Häresie, dessen fast alle Personen des Dorfes bezichtigt wurden« 1 1 3 . Die Verhafteten wurden im Castrum des Ortes überprüft und nach und nach entlassen (II 171, 173; III 63f.), zum Teil aber auch länger in Haft behalten und nach Carcassonne überfuhrt, wie zum Beispiel die beiden Petrus' Maurs, Bruder und Vater des Guillelmus Maurs (II 171). Laut Ramunda Belota gehörte ihr Mann, Arnaldus Beloti, zu denen, die gefangengenommen und ins Castrum von Montaillou gelegt wurden (III 63). Demnach traf nicht alle erwachsenen Einwohner längere Haft im Schloß, denn sie selbst blieb mit ihrem Sohn aus erster Ehe, Petrus Licerii, frei. Als ihr zugetragen wurde, ihr Mann sei entflohen, ging sie zum Kerkermeister Jacobus de Poliniaco und bürgte für ihn. Nachdem Arnaldus nach Hause zurückgekehrt war und von der Bürgschaft erfahren hatte, stellte er sich im N o v e m b e r dem Inquisitor in Carcassonne und wurde nach den Verhören im Frühjahr 1310 heim entlassen, aber noch im selben Jahr zum Urteil zitiert und in Carcassonne eingekerkert, w o er auch starb (III 63f.). Auswirkungen

der Razzia

Arnaldus Beiotis Schicksal ist beispielhaft für den weiteren Weg vieler credentes aus Montaillou. Wenn wir die oben erwähnte, sicher unvollständige Aufzählung der credentes von Montaillou vom S o m m e r 1309 zugrundelegen (III 161 f . ) 1 1 4 , ergibt sich folgendes Bild v o m Ergebnis der Verfolgungen: 1 1 2 DUVERNOY vermutet hier einen Protokollierfehler und meint, anstelle Cicredis müsse Petrus de Luzenaco an dieser Stelle erscheinen (II 171 A n m . 2 9 9 ) . Sein Vorschlag k o m m t vermutlich daher, daß Petrus de Luzenaco auch 1306 oder 1307 das K o m m a n d o der Überraschungsaktion gegen Montaillou führte (II 222). Einen sicheren Grund seiner Korrektur nennt er nicht. 1 1 3 ». . . pro crimine heresis quod imponebatur quasi omnibus personis dicte ville.« (II 171). 1 1 4 Die Liste geht aus v o m Stand der Anhängerschaft im S o m m e r 1309, teilt aber länger zurückliegende Ereignisse mit, wie die Ermordung Arnaldus Liceriis (1305), den Tod Guillelmus Benetis (Michaelis 1306) und den Tod des Ramundus Maurs (nicht näher datiert). Die Aufzählung der credentes ist nachweislich unvollständig. Außer unmündigen Kindern, die später zu den credentes zu rechnen sind, fehlen vor allem Töchter, die zum Teil auswärts verheiratet waren und noch den Katharern anhingen. Aber auch einheimische credentes fehlen: Z u m Beispiel Alazaicis Ademarii (I 3 0 7 f £ ) ; die andere Martini-domus, in der Ramunda Maurini, die Schwester des Petrus Maurini, Hausfrau war (III 99ff.); Johannes Pelicerii und seine ketzerische Großmutter mit Nachnamen Maurs (III 84ff.); Guillelma Argeleria (III 89ff.); Gausia Clerici (III 72, 356ff.). Es fehlt außerdem die domus des Petrus Maurs, des Vaters des Guillelmus Maurs. D i e Clerici k o m m e n nicht vor. Mit diesen Ausnahmen sind aber alle wichtigen domus vertreten, für die katharisches Denken gut belegt ist. Trotz der Lücken kann die Liste deshalb als ein geeigneter Anhaltspunkt für die Entwicklung nach der Massenverhaftung angesehen werden. LE ROY LADURIE 5 7 f . / 5 9 f . datiert die Liste nicht, verkennt folglich auch ihren Informations-

Die Zerschlagung

der Katharerkirche

im

Hochland

165

1. Die domus des Ramundus Maurs, in der dessen Witwe Guillelma und sein Sohn Bernardus wohnten, galt bereits vor der Großrazzia als zerstört. Die Nachricht wird dadurch bestätigt, daß Johannes Pelicerii die Verhaftung der Guillelma Maura für Frühjahr oder Sommer 1309 angab (III 84ff.). 2. Aus der domus des Johannes Guilaberti und seiner Frau Alamanda wurden im S o m m e r 1309 nur die beiden Alten selbst genannt. Von einer Zitation oder Verhaftung 1309/10 erfahren wir nichts. Ihre Tochter taucht unter 10.) auf. 3. Von der domus Beneti hörte Petrus Maurini seinerzeit, die beiden Alten und Sohn Ramundus seien treue credentes. Es wurde später noch hinzugefügt, Guillelmus sei schon tot und rezipiert, was auch auf Ramundus zutraf, aber bei ihm unerwähnt blieb. Der Ruin dieser domus 1309 wurde oben behandelt. 4. Aus der domus des Bernardus den Riba und seiner Frau Alazaicis erfahren wir im S o m m e r 1309 nur, daß Eltern und Sohn Poncius treue credentes seien, hören aber später nichts von ihrem weiteren Schicksal. 5. Das gleiche gilt für die domus des Ramundus den Riba und seiner Frau Fabrissa 1 1 5 . 6. Aus der domus des Ramundus Maurini wurden er selbst, seine Frau Alazaicis sowie die vier Söhne Guillelmus, Ramundus, Bernardus und Petrus 1309 als credentes genannt. Von den jüngeren Geschwistern war Johannes Mitte 1310 erst 10 oder 12Jahre alt, sein Bruder Arnaldus noch jünger, als die drei älteren Brüder und die Eltern verhaftet wurden und die domus ihren Besitz verlor. Johannes und Arnaldus gingen als Hirten nach Katalonien, wohin w e r t über eine ganz

bestimmte

Phase der Dorfentwicklung

und zieht, in V e r b i n d u n g m i t anderen

T e x t b e l e g e n , eine R e i h e v o n Fehlschlüssen, die unten abgehandelt w e r d e n . V g l . Kapitel 5, Schluß. 115

LE ROY LADURIE nennt in der Originalausgabe seines M o n t a i l l o u - B u c h e s S. 57 beide

d o m u s R i b a , w ä h r e n d HAHLBROCK in der deutschen B e a r b e i t u n g S. 6 0 die des B e r n a r d u s w e g l ä ß t , was in der Familienliste, ebd. S. 3 9 6 seine E n t s p r e c h u n g hat. LE ROY LADURIE scheint sich nicht recht darüber klar g e w e s e n zu sein, o b es zwei d o m u s dieses N a m e n s g a b , denn in der Z u s a m m e n s t e l l u n g der verheirateten Paare in M o n t a i l l o u (301 A n m . 1 / 2 2 7 A n m . 1) fehlen R a m u n d u s und seine Hausfrau Fabrissa. D i e s e U n k l a r h e i t geht a u f das Personenregister bei DUVERNOY III 5 0 0 zurück, w e s h a l b hier ausdrücklich festgestellt sei, daß w i r v o n zwei d o m u s des N a m e n s den R i b a und zwei Frauen n a m e n s Fabrissa den R i b a auszugehen haben. W ä h r e n d in der ersten d o m u s (unter 4 . ) die S c h w i e g e r t o c h t e r den N a m e n Fabrissa trug, weil S o h n Poncius diese uneheliche C o u s i n e des Pfarrers zur Frau g e n o m m e n , aber s c h o n 1 3 0 4 oder 1 3 0 5 (I 3 8 9 f . ) w i e d e r h e r a u s g e w o r f e n hatte, da sie in Ketzerdingen unzuverlässig w a r , hieß in der zweiten die Hausfrau Fabrissa. Sie hatte mit i h r e m M a n n R a m u n d u s einen S o h n , dessen N a m e vielleicht ebenfalls Poncius war. D e r Z e u g e Guillelmus M a t h e i , der nicht in M o n t a i l l o u , sondern in A x zuhause war, k o n n t e sich a m 31. D e z e m b e r 1 3 2 0 nicht m e h r genau an den V o r n a m e n erinnern, so daß hier bezüglich des N a m e n s eine V e r w e c h s l u n g mit d e m S o h n aus der anderen d o m u s vorliegen kann. DUVERNOY ordnete den S o h n des R a m u n d u s , der vielleicht auch P o n c i u s hieß ( 1 2 9 2 ) und der auch eine S c h w e s t e r hatte, deren N a m e n w i r nicht k e n n e n (II 2 2 1 ) , d e m H a u s v a t e r der 4. d o m u s zu. O h n e Anlaß aus der Q u e l l e erklärt er weiterhin die Z u o r d n u n g der Hausfrau Fabrissa zu R a m u n d u s in III 161 als »par erreur« - vgl. III 5 0 0 , Personenregister. A u f diese Weise verschwindet eine ganze d o m u s , die zwar nicht oft, aber d o c h eindeutig belegt ist.

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Die Vorgeschichte des

Verfahrens

bereits der ältere B r u d e r Petrus geflohen w a r . Alazaicis u n d B r u d e r Guillelm u s starben i m K e r k e r (II 445, 455). 7. Ü b e r das Schicksal der domus des Petrus Ferren u n d seiner Frau, die beide als credentes g e n a n n t w e r d e n , erfahren w i r nichts. 8. Aus der domus des Ramundus Baiuli u n d seiner Frau Guillelma w u r d e n beide Eltern 1309 als A n h ä n g e r der perfecti genannt. Als der Vater 1310 zitiert u n d bald darauf auch eingekerkert w u r d e , w a r sein S o h n Guillelmus n o c h ein K n a b e , der nicht w u ß t e , w o v o n er leben sollte. Sein B r u d e r Petrus, ein Schäfer, n a h m ihn m i t ins D o n n e z a n , w o sie sich als H i r t e n v e r d i n g t e n (II 379). Von der M u t t e r erfahren w i r nichts. 9. D i e domus des Petrus Martini, der mit seiner Frau A n h ä n g e r s c h a f t gezählt w u r d e , w u r d e v o n den v e r h a f t u n g g e t r o f f e n . Wir erfahren nichts v o m sen aber v o n Mersendis, daß sie sich a m T a g katalanische Exil ging (I 344).

Mersendis zur katharischen A u s w i r k u n g e n der M a s s e n Schicksal des M a n n e s , w i s der Razzia absetzte u n d ins

10. D i e domus des Arnaldus Fabri u n d seiner Frau Alazaicis scheint die Verfolg u n g s w e l l e 1310 ü b e r s t a n d e n zu haben. Z w a r w u r d e A r n a l d u s 1310 zitiert (I 432), aber A n f a n g 1321 lebten beide unbehelligt i m D o r f . 11. A u c h die domus der Brüder Beloti g i n g in den V e r f o l g u n g e n z u g r u n d e . 1309 w u r d e n die vier B r ü d e r B e r n a r d u s , R a m u n d u s , Guillelmus u n d A r n a l d u s als credentes g e n a n n t , dazu ihre M u t t e r Guillelma. A r n a l d u s starb nach 1310 i m Kerker, R a m u n d u s saß in diesem J a h r ebenfalls in H a f t (III 63f.). D i e M u t t e r k a m n u r auf B ü r g s c h a f t ihres Schwiegersohnes B e r n a r d u s Clerici frei u n d k o n n t e sogar n o c h rezipiert w e r d e n , b e v o r sie k u r z nach ihrer R ü c k k e h r i m J a h r 1310 starb. 12. Arnaldus Vitalis, der Schuster, der mit seiner Frau R a m u n d a zu den credentes gezählt w u r d e , v e r s c h w a n d 1310 i m K e r k e r (II 221). Seine Frau blieb bis 1321 unbehelligt u n d sprach v o r Fournier v o n 10 E h e j a h r e n in Freiheit mit Vitalis (1300—1310). D e m n a c h starb der Schuster i m Kerker. N a c h seinem T o d heiratete R a m u n d a nach Prades. 13. Guillelmus Fortis u n d seine Frau Sibilia, 1309 ebenfalls unter den credentes, scheinen nicht der V e r h a f t u n g s w e l l e 1309/10 z u m O p f e r gefallen zu sein. Guillelmus w u r d e erst 1316 in C a r c a s s o n n e verurteilt u n d d a n n 1321 als rückfälliger Ketzer v e r b r a n n t (I 452ff.). 14. Wir erfahren v o n Bruna, der Tochter Prades Taverneriis, die in der Liste der credentes 1309 als Einzelperson g e n a n n t w u r d e - ihr M a n n dachte vielleicht anders - , daß sie 1310 ebenfalls in C a r c a s s o n n e erscheinen m u ß t e , »als die M ä n n e r u n d Frauen v o n M o n t a i l l o u d u r c h B r u d e r G e o f f r o y (d'Ablis; d. Verf.), den damaligen Inquisitor v o n Caracassonne, zitiert w o r d e n w a ren« 1 1 6 . D u r c h falsche Aussage entzog sie sich aber der Verurteilung u n d lebte bis 1321 unbehelligt in M o n t a i l l o u (1393). 116 »homines et mulieres de Monte Alionis citati fuissent per Fratrem Gaufridum tunc inquisitorem Carcassone«.

Die Zerschlagung

der Katharerkirche

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Hochland

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Auch wenn die Liste von 1309 keine vollständige Auskunft über die credentes in Montaillou gibt, läßt doch das Schicksal der dort genannten Personen 1310/11 erkennen, daß der Massenverhaftung eine Massenzitation und umfangreiche Einkerkerungen folgten und daß wichtige domus im Dorf, die zu den credentes gehörten, nachhaltig getroffen wurden - so die Beloti, Beneti, Maurini und Martini. Von den genannten 14 domus waren 1311 6 schwer geschädigt oder zerstört, eine siebte, die Fortis, wurde erst 1316 betroffen. Von den anderen fehlen uns Nachrichten. Die

Maurs-Fehde

Petrus Clerici hatte bei der Razzia offenbar Einfluß darauf, ob ein Gefangener entlassen oder länger in Haft gehalten werden sollte. Bei Petrus und Petrus Maurs, Vater und Bruder des Guillelmus Maurs, sorgte er nach eigenem Eingeständnis dafür, daß sie in Haft bleiben und nach Carcassonne gebracht wurden (II 171). Guillelmus Maurs, der freigekommen war, frischte zunächst Kontakte zum Feldschützen von St. Louis (St. Louis et Parahou, Dep. Aude) auf, w o er sechs Jahre gelebt hatte. Dieser vermittelte ihm den Kontakt zu einem in St. Louis und Limoux zugelassenen Notar namens Bernardus, der nach Auskunft des Freundes die Freilassung des Vaters und des Bruders würde besorgen k ö n nen, wenn er etwas bekomme. ». . . später sprach er (Guillelmus Maurs; d. Verf.) mit Bernardus von San Martino und sagte ihm, wenn er seinen Vater und seinen Bruder aus dem Kerker von Carcassonne befreien könnte, dann gäbe er ihm, was besagtem Bernhard gefiele. U n d Bernardus antwortete ihm, daß er sie aus dem Kerker befreien würde, selbst wenn sein Vater und der Bruder eingekleidete Häretiker wären, . . , « 1 1 7 Daraufhin zogen sie zu dritt über Limoux nach Carcassonne, wobei Guillelmus Maurs alle Unkosten trug. Nachdem er das mitgeführte Geld aufgebraucht hatte, sagte der Notar zu ihm, daß er Vater und Bruder befreien werde, wenn er Geld für die Unkosten bekäme. Daraufhin kehrte Guillelmus Maurs nach St. Louis zurück und verkaufte 31 Schafe, deren Erlös er mit nach Carcassonne nahm und vollständig ausgab. Dort kamen - wohl auf Verlangen des Notars - zwei Dienstleute des Königs ins Quartier der drei, deren Aufgabe es war, Verdächtige im Namen des Inquisitors zu zitieren. Die beiden verlangten zunächst von Guillelmus Maurs, daß er ihnen Auskunft gebe, wer in Prades eine cabana besitze. Die cabana war die Sennhütte der Schäfer und Hirten. Ihre Einrichtung setzte große Schafherden voraus. Die Hirten pflegten sich mit anderen Schäfern zusammenzutun, wenn

117 ». . . postea ipse (Guillelmus Maurs, d. Verf.) fuit loqutus c u m dicto B e r n a r d o de Sancto Martino et dixit ei quod si posset liberare dictum patrem suum et fratrem de m u r o Carcassone, ipse daret ei illud quod dicto B e r n a r d o placeret. E t dictus Bernardus respondit quod si etiam dicti pater e i u s e t f r a t e r e s s e n t h e r e t i c i vestiti, quod ipse liberaret eos de dicto m u r o , . . .« ( I I 1 7 2 ) .

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Die Vorgeschichte des Verfahrens

die eigene Herde zu klein war (II 381, 209). Den Dienstleuten ging es also darum, die Namen der reichsten Schafherdenbesitzer zu erfahren. Guillelmus Maurs gab unter Eid zwei Namen an. Die servientes behaupteten, von den beiden Herdenbesitzern bei Prades geschlagen worden zu sein und gaben dem Notar den Auftrag, Zitationsschreiben im Namen des Inquisitors gegen sie auszufertigen. Die amtlichen Siegel wollten sie von anderen Zitationsschreiben abnehmen und den Fälschungen anhängen. Ihre Absicht war offenbar eine Erpressung der wohlhabendsten Schafeigentümer von Prades, denn sie hätten den vermeintlichen Zitierten gegen Geld ihre Dienste anbieten können, um sie vor der Inquisition zu schützen. Ebenfalls unter Eid verlangten die Dienstleute von Guillelmus Maurs, alles zu sagen, was er über häretische Vergehen des rectors von Montaillou gehört hatte. E r teilte ihnen daraufhin mit, was er von Guillelmus Maurini nach der Großrazzia in der Haft im Schloß von Montaillou gehört hatte: Petrus Clerici habe zwei Ketzern zur Flucht verholfen, als die Knechte der Inquisition das Haus des Arnaldus Fortis verbrannten, und er habe den perfecti eine jährliche Kornpension zukommen lassen 1 1 8 . Daraufhin ließen die Dienstleute den Notar ein weiteres Zitationsschreiben fälschen, dessen Siegel der Zeuge nicht sah. Guillelmus Maurs gab vor B i s c h o f Fournier an, ihn habe die Zitation des Pfarrers gefreut, weil er ihn gehaßt habe. Ü b e r weitere, direkte Versuche zur Befreiung seiner Verwandten berichtete er nichts. Demnach hatte er sich v o m Notar und v o m Feldschützen von St. Louis ausnehmen lassen, ohne seinem Ziel wesentlich näher gekommen zu sein. Es wird deutlich, daß um die Inquisition herum ein kriminelles Umfeld korrupter Informanten, Notare und Dienstleute blühte, die im kleinen und großen Maßstab die Zwangslage der Verfolgten auszunutzen versuchten und es dabei vor allem auf die Schafherden der Hochländer abgesehen hatte, die leicht zu Geld zu machen waren. Als Petrus Clerici die Zitation erhielt, erkannte er die Siegelfälschung, ließ die königlichen Dienstleute festnehmen und nach Guillelmus Maurs fahnden. Der hörte davon, als er nach Montaillou zurückkehrte. Alsbald taf er den Pfarrer und sagte ihm die Meinung (II 171): »Der Zeuge (Guillelmus Maurs; d. Verf.) sagte dem Pfarrer, daß er nicht gut und recht tat, weil er veranlaßte, daß sein Vater und Bruder im Kerker von Carcassonne festgehalten werden. U n d der Pfarrer antwortete ihm, daß er dafür sorgen würde, daß sein Vater, der Bruder, der Zeuge selbst und alle, die zu seiner domus gehörten, im Kerker von Carcassonne dahinfaulen; und er täte soviel, daß sie in Zukunft nicht mehr nach Montaillou zurückkämen, noch irgendjemandem dort einen Schaden oder einen Nachteil bereiten würden. U n d der Zeuge antwortete dem Pfarrer, daß er das Land

1 1 8 »Item dixit quod dictus Guillelmus Maurini dixit ei quod dictus sacerdos faciebat quolibet anno pensionem heretici duorum sestariorum frumenti, et predicta dixerat ipsi loquenti dictus Guillelmus Maurini iurando per crucem in castro de Monte Alionis quando homines capti fuerant.« (II173).

Die Zerschlagung

der Katharerkirche

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verließe, aber vorher würde er sich an ihm rächen. Und der Pfarrer sollte sich vor ihm und allen seinen Helfern in acht nehmen, weil er den Pfarrer töten würde, wenn er könnte, oder der Pfarrer ihn, wie er sagte. Darauf antwortete Poncius Clerici, der Vater des Pfarrers: >Und du glaubst, daß du gegen die Kirche und den Herrn König von Frankreich kämpfen kannst?Et credis tu quod posses pugnare contra Ecclesiam et dominum Regem Francie?< et ipse loquens respondit quod ipse loquens nolebat pugnare cum Ecclesia vel domino Rege, set volebat se vindicare de illo qui faciebat malum sibi et suis. Et sic se adinvicem dimiserunt.«

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Die Vorgeschichte des

Verfahrens

eingeschlagen hatte: In Anerkennung der Stärke von König und Kirche hatte der Graf vor allem der Krone an wichtigen Punkten nachgegeben (Lehnseid gegenüber der Krone, militärische Unterstützung des Königs, Distanzierung von Aragon), dabei aber trotzdem z.T. mit beträchtlichem Erfolg versucht, die innere Unabhängigkeit seines Einflußbereiches zu wahren. Damit einher ging die stille Duldung der Katharer und ihrer credentes (III 318) und das persönliche Festhalten am katharischen Glauben bis hin zur Rezeption auf dem Sterbebett im März 1302 durch Petrus Auterii (II 427). Ähnlich wie zuvor der Graf auf höherer Ebene, für den sich die Dienste beim König bezahlt gemacht hatten (Verheiratung des Sohnes auf königliche Vermittlung mit Johanna von Artois, Erlaß der Kreuzzugspflicht durch den König, verschiedene Privilegien, Rückgewinn der pareage von Pamiers), zogen nun die Clerici auf der unteren Ebene des Dorfes Vorteile aus der veränderten kirchlichen und politischen Situation: Sie arbeiteten mit der Inquisition zusammen, weil sie keine andere Möglichkeit sahen. Hier wie da gewannen also die miteinander verbündeten, offensiven Mächte auf verschiedenen Ebenen und je besondere Weise unter den politisch und kirchlich auf Separation bedachten Kräften des Hochlandes an Einfluß. Daß die Strategie seitens der Kirche ebenso bewußt betrieben wurde wie von der Krone, wird hinsichtlich des Hochlandadels im Zehntvertrag von Pamiers deutlich: Als die Kirche ihre Position mit Duldung des jungen Grafen Gaston I. 1311 wenigstens dem Anspruch nach durchsetzte, wurden die Tarife für den Adel halbiert! Die Kirche zielte darauf ab, Verbündete zu gewinnen. Ohne Zweifel stehen also die Konflikte in Montaillou im sichtbaren Kontext der gesamten politischen und kirchlichen Entwicklung Frankreichs - und damit des Abendlandes - zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Das Bündnis von Krone und Kirche, das sich bei der Unterwerfung des Languedoc unter das Pariser Königtum seit Jahrzehnten bewährt hatte, gewann bei der Neuauflage, die Philipp der Schöne nach Bonifaz VIII. Kurie und Papst aufzunötigen verstand, eine Durchschlagskraft, die auch die Bewohner des Sabartes und des Alion nicht länger unerreicht ließ: In M o n taillou wuchs seitdem der Druck der verbessert wiederhergestellten Inquisition so sehr, daß die Clerici es als notwendig ansahen, mit ihr zusammenzuarbeiten, wenn sie und ihr Dorf überleben wollten. Nach der Fehdeankündigung stiegen Guillelmus Maurs und sein Bruder Ramundus zusammen mit Johannes Beneti nach Ax herab. Im Haus seines Schwagers Juliani verschworen sie sich über Brot und Wein, den Pfarrer zu töten. Nachdem sie ihm vier oder fünf Wochen erfolglos nachgestellt hatten, riet Guillelmus Mathei aus Ax den Brüdern Maurs zu fliehen (II 171 f.): » . . . Guillelmus Matthei sagte ihnen, daß sie sich enfernen sollten, weil der Pfarrer große Macht am Hof des Herrn Grafen von Foix und der Kirche hatte; eines Tages ließe er sie fangen und dann würden sie vernichtet, . . .« 120 Nachdem Guillelmus 120 ». . . Guillelmus Mathei dixit eis quod se absentarent, quia dictus rector habebat magnam potestatem in curia domini comitis Fuxi et Ecclesie, et aliqua die faceret eos capi et tunc destruerentur, . . .«

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Maurs daraufhin Frankreich verlassen hatte und nach Puigcerdä (Aragon) gegangen war, hörte er, daß er im Auftrag des Herrn Inquisitors von Carcassonne in Montaillou öffentlich exkommuniziert worden war (II 173). Auch Johannes Beneti setzte sich damals ins Exil ab. Im Frühjahr oder S o m m e r 1310 machten Jacobus Alsen als locum tenens des Kastellans von Montaillou und Ramundus Clerici, der Bruder des Pfarrers, in den Bergen von M e r e n s j a g d auf Guillelmus Maurs und Johannes Beneti. Dabei trafen sie auf den ebenfalls von der Inquisition gesuchten Petrus Maurini, von dem sie Auskunft über die Gesuchten verlangten und Nahrungsmittel nahmen, den sie aber ansonsten unbehelligt ließen (II 176). Leider erfahren wir nicht, in welcher Beziehung Johannes Beneti zur domus der Guillelma und des Guillelmus Beneti stand. Als ihr Sohn wird er nicht genannt. Sein Schwager Julianus in A x war auch mit keiner Tochter der beiden alten Beneti verheiratet, denn ihre Ehemänner sind namentlich oder dem Wohnort nach überliefert (1371, 473, 311). Vielleicht stammte er von Arnaldus Beneti ab, dem Bruder des Guillelmus Beneti, dem Vater von Guillelmus Auteriis Frau Galharda. Sicher festzustellen ist jedoch, daß der Einfluß der Clerici zumindest soweit gediehen war, daß sie dem locum tenens des Kastellans von Montaillou ein Mitglied der Familie auf die Fahndung mitschicken konnten. Das hatte zur Folge, daß nur den schärfsten Gegnern ihrer domus ernsthaft nachgestellt wurde. Wenn es auch nicht gelang, einen der Flüchtlinge zu fassen, erreichten die Nachstellungen doch, daß die Verfolgten sich jahrelang v o m Hochland fernhielten. Die Angehörigen der domus des Petrus Maurs, die noch im D o r f verblieben waren, brachte Petrus Clerici durch individuellen Terror zum Schweigen. 1310 schnitt er Mengardis Maurs, der Mutter des Guillelmus Maurs und Frau des Petrus Maurs, der vermutlich noch im Kerker saß, die Zunge heraus. E r wurde dieses Verbrechens 1310 angeklagt (II 221 f.), von einem Urteil erfahren wir aber nichts. Angesichts des Einflusses der Clerici auf die Polizeigewalt im D o r f und am H o f von Foix ist eine Verurteilung des Pfarrers auch nicht wahrscheinlich.

Der Tod der Eltern des Pfarrers Während die meisten credentes aus Montaillou im Jahr nach der Massenverhaftung zitiert wurden, viele nach der Verurteilung im Kerker verschwanden, einige dort starben und andere sich den Verfolgungen durch Flucht entzogen, blieben die Clerici nicht nur unbehelligt, sondern vermochten dank ihres Einflusses sogar, zumindest noch die Rezeption der Guillelma Belota, vermutlich aber auch die der eigenen Eltern sicherzustellen. Zwischen September 1309 und März 1311 starben die Eltern des Pfarrers und Guillelma Belota, die Schwiegermutter seines Bruders Bernardus. Guillelma Beneta berichtet zwar, daß sie nach ihrer Freilassung 1309 bei ihren häufigen

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Die Vorgeschichte des

Verfahrens

Besuchen im Haus der Clerici - sie erhielt dort die versprochenen Beihilfen zum Lebensunterhalt - wohl an die zehnmal Mengardis habe sagen hören, der Mensch könne nur durch die Hand des Guillelmus Auterii und seiner Genossen gerettet werden, und nur sie vermöchten auch Sünden zu vergeben (I 477). Damit ist gesichert, daß für Mengardis bis in die letzte Zeit ihres Lebens die Frage der Erlösung durch die Rezeption eine zentrale Rolle spielte. Es fehlt uns aber jede Nachricht darüber, daß sie auf dem Sterbebett tatsächlich rezipiert wurde. Letzteres gilt auch für ihren Mann Poncius, der im selben Zeitraum, aber vor ihr starb (1313, 328,390). Ein schwacher Hinweis darauf, daß Mengardis nach Meinung anderer credentes vielleicht rezipiert worden war, findet sich in den Worten zwischen Mersendis Martini, geb. Maurini, der Tante des Petrus Maurini, und ihrem Neffen Ostern 1319 im Exil in Beceite (Teruel, Spanien). Petrus Maurini kam damals auf die Macht des Pfarrers von Montaillou zu sprechen, den die Leute im Sabartes den kleinen Bischof (»parvus episcopus«) nannten, weil er sich in seinem Einflußbereich bischöfliche Rechte anmaßte. Weiter berichtete er von dem großen Einfluß des Pfarrers (III 182): »Und er hat so große Macht, daß er seine Mutter beim Altar der Seligen Maria von Carenesas von Montaillou hat begraben lassen; und es war großer Hochmut, daß die Frau dort begraben worden wäre.« 1 2 1 Vermutlich wollte Petrus Maurini damit nicht sagen, daß es für eine - mutmaßlich rezipierte - Anhängerin der perfecti schmählich sei, vor dem Altar im geweihten Boden einer Kirche beerdigt zu werden. Schon aus Gründen der Vorsicht gab es für sie zur Bestattung in katholisch geweihter Erde keine Alternative 122 . Als Guillelma Belota starb, bemängelte auch niemand ihren katholischen Begräbnisort - nur über den kurzen Abstand zwischen Tod und Bestattung wurde gesprochen (I 462). Petrus Maurini ging es folglich wohl um die Schmähung aus der Sicht der katholischen Kirche. Die Beerdigung von Familienangehörigen in der Nähe des Altars entsprach der Sitte des Adels in seiner Funktion als Kirchenstifter. Der Begräbnisplatz der Mengardis war deshalb zugleich Machtdemonstration der Clerici (»ita magnam potestatem habet«!), die dank ihres Einflusses und der erworbenen Ämter vielleicht tatsächlich hofften, in Zukunft noch in den Amtsadel der Grafschaft aufzusteigen. In diesem Sinn nahm Mersendis die Worte ihres Neffen auch auf (ebd.): »Und Mersendis antwortete ihm: >Bei meinem Glauben, wenn der Bischof von Pamiers wüßte, wie würdig die Mutter des Pfarrers war, er ließe sie jetzt noch ausgraben und hinauswerfen aus der Kirche, in der sie begraben worden ist. Der Kaplan von 121 »Et ita magnam potestatem habet, quod matrem suam fecit sepeliri iuxta altare Beate Marie de Carenesas de Monte Alions; et, ut dixit, erat magnum fastidium quod dicta mulier ibi sepulta esset.« 122 Selbst der perfectus Belibasta holte laut Arnaldus Cicredi einen Priester, als sein Mitperfectus Ramundus im katalanischen Exil unterwegs starb. Bei der Beerdigung trug er das Weihwasser und empfing nachher die Hostie. - II 55.

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Montaillou, der so großen Einfluß hat und die credentes verfolgt, ist nicht so katholisch, daß er die credentes so in die Flucht jagen sollte, wie er es tut. « 1 2 3 Mersendis spielte auf das Verfahren der Inquisition gegenüber verstorbenen Ketzern an. Sie mag bei ihrer Äußerung davon ausgegangen sein, daß Mengardis rezipiert worden war. Vielleicht bezog sie sich aber auch nur auf das, was über Mengardis allgemein bekannt war. Jedenfalls ist auszuschließen, daß sie aus eigener Anschauung genaueres wußte, lebte sie doch seit der Massenverhaftung nicht mehr in Montaillou. Tod und Rezeption der Guillelma Belota Daß eine Rezeption der Eltern des Pfarrers mit einigem Recht angenommen werden darf, legen vor allem die Überlieferungen zum Tod der Guillelma Belota nahe, die bald nach dem 9. August 1310 verstorben sein dürfte (II 268). Von ihr wissen wir, daß sie in Carcassonne eingekerkert worden war, nur durch eine Bürgschaft ihres Schwiegersohnes Bernardus Clerici freikam und nach ihrer Heimkehr von ihm zur endura veranlaßt wurde (I 462, 416). Nach Auskunft ihres Sohnes Guillelmus Beloti war Guillelmus Auterii der rezipierende perfectus (I 475). Diese Angabe paßt gut zu den Nachrichten, nach denen dieser perfectus erst 1311 als einer der letzten in Okzitanien der Inquisition ins Netz ging 1 2 4 . Bernardus Clerici handelte gegenüber seiner Schwiegermutter so, wie Petrus Clerici es 1301 seiner Geliebten Beatrix angeboten hatte: Auch unter schwierigsten Umständen wollte er dafür sorgen, daß sie einen perfectus zur Rezeption bekäme, wenn sie das nur wünschte (1231). Wenn Bernardus Clerici sich Ende 1310 oder Anfang 1311 der Gefahr aussetzte, nach einer Bürgschaft für seine Schwiegermutter vor der Inquisition ihre Rezeption zu arrangieren, ist anzunehmen, daß die Söhne einige Zeit vorher trotz der Verfolgung alles getan haben, u m die Rezeption der eigenen Eltern sicherzustellen, zumal die Mutter des Pfarrers kurz vor ihrem Tod oft von der Erlösungskraft des Guillelmus Auterii und seiner Mit-perfecti gesprochen hatte. Den Brüdern Clerici gelang es allem Anschein nach nicht nur, ihre domus heil durch den Sturm der Verfolgungen, Zitationen und Einkerkerungen 1309/10 hindurchzubringen. Sie vermochten zugleich, ihren Eltern und der ihnen seit Jahren eng verbundenen und ergebenen Guillelma Belota trotz höchst widriger Umstände das ewige Heil zu sichern, das sie, wie so viele Menschen in ihrer U m g e b u n g , jahrelang im Sinne katharischer Lehren heiß ersehnt hatten. 123 »Et dicta Mersendis respondit ei: >Per fidem meam, si episcopus Appamiarum sciret quantum erat digna mater dicti rectoris, adhuc faceret eam exhumari et prohici de ecclesia in qua sepulta est. Dictus etiam capellanus de Monte Alionis, qui habet modo tantam potestatem et persequitur credentes, non est sie catholicus quod deberet ita effugare credentes sicut facit!Ihr sollt nicht die Worte des Kaplans, eines Verräters, glauben, sondern Petrus Maurini sagen, wenn er am Col des Sept

125

» . . . ilia die qua fuit tradita sepulture Mengardis uxor quondam Poncii Clerici de Monte Alionis, mater rectoris qui nunc est dicti loci, cum reverterentur ipsa et quedam alie mulieres de ecclesia dicti loci in qua sepulta fuit, quedam mulier de cuius nomine non recordatur, ut dixit, dixit quod malam cadeladam fecerat dieta Mengardis, quia omnes fìlli eius erant mali, alios homines destruentes, et cum ibi presens esset cum ipsa que loquitur Guillelma Belota quondam de Monte Alionis et Alazaicis den Riba, dicta Guillelma Belota dixit audiente ipsa que loquitur et dicta Alazaici quod maius bonum fecerat dicta Mengardis quam dicta mulier que predicta dixerat, quia dum vivebat mittebat Guillelmo Auterii et Poncio Cicredi hereticis panem, vinum, farinam, oleum et mei, et quando miserat unum istorum non dimittebat eis mittere aliud quando heretici predicti erant in domo sua, . . . «

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Die Vorgeschichte des

Verfahrens

Frères wäre (der nahe bei Montaillou liegt), sollte er bis zum Col de Marmare fliehen, und wenn er am Col de Marmare wäre, sollte er zum Col de Puymorens fliehen, wo das Bistum Pamiers endet, und er sollte nicht dort bleiben, sondern noch weiter fliehenund wovon du dich (bisher) entfernt hast, entferne dich (auch weiterhin)Non confidatis in verbis capellani proditoris, set dicatis Petro Maurini quod si esset in colle Septem Fratrum (qui Collis est iuxta Montem Alionis) quod fugiat usque ad collum de Marmara, et si esset in colle de Marmara, quod fugiat usque ad collem de Picmaurent, ubi finitur episcopatus Appamiarum, et quod nec ibi stetisset, set fugeret ultraet ex quo te absentasti, absenta teEs wäre wohl gut, daß man euch sagte, was ihr wohl verschweigen sollt, weil ihr eine Aussage gegen den Pfarrer gemacht habt, daß er euch fleischlich erkannt hat!< Und sie (Sclarmunda; d. Verf.) erzählte ihr die Aussage, welche sie selbst (die Zeugin Alazaicis Fabri; d. Verf.) vor dem Herrn Bischof gegen den Pfarrer gemacht hatte. Als die Zeugin sagte, daß sie recht gehandelt habe, als sie die Wahrheit gegen den Pfarrer gesagt habe, so wie sie es getan hatte, weil es so abgründig gewesen war mit dem Pfarrer, antwortete Sclarmunda ihr nichts. Die Zeugin sagte auch, daß in Montaillou erzählt wurde, daß der Pfarrer besagte Sclarmunda, seine Schwägerin, fleischlich erkannt hat.« 1 4 3 142 »Item dixit quod communiter dicitur in villa de Ax quod dictus rector frequentabat balnea et postea iacebat in hospitali de Ax et multe mulieres cum mantis de nocte veniebant ad eum, inter qua nominatur na Maragda, Iacoba den Tort, et dicta Alissendis Pradona, et ut credit ipse loquens, non erat mulier apud Ax vel pauce erant quas non posset habere dictus rector dum ibi erat ob timorem inquisitionis Carcassone.« 143 »>Bene esset bonum quod h o m o diceret vobis hoc quod bene celaretis, cum vos feceritis testimonium contra dictum rectorem, quod carnaliter vos cognovit!« narrando ei deposicionem quam ipsa fecerat contra dictum rectorem coram dicto domino episcopo. C u m ipsa loquens diceret quod bene fecisset si dixisset veritatem contra dictum rectorem, sicut et ipsa loquens fecerat, quia ita profunde fuerat cum dicto rectore dicta Sclarmunda nichil respondit ei. Dixit tamen ipsa loquens quod fame fuit in Monte Alionis quod dictus rector dictam Sclarmundam sororiam suam carnaliter cognovit.«

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Die Vorgeschichte des

Verfahrens

Nebenbei erfahren wir hier von Untersuchungen gegen den Pfarrer, von denen uns keine Protokolle überliefert wurden. Der Versuch der Clerici i m j a h r e 1321, Alazaicis Fabri durch die Falschaussage des Bernardus Beneti in Carcassonne in Bedrängnis zu bringen und zum Widerruf zu bewegen, hatte wohl hier seinen Ausgangspunkt. Es fällt auf, daß Sclarmunda die Aussage der Alazaicis vor Fournier wiederzugeben vermochte. Sicher war es kein Zufall, daß der Bischof hier etwas hatte durchblicken lassen, während er später gegenüber Bernardus Clerici peinlich darauf achtete, daß die N a m e n der Belastungszeugen unbekannt blieben. Die Indiskretion setzte in Montaillou Konflikte in Gang, in deren Folge es dem Bischof möglich wurde, nicht nur den Pfarrer selbst, sondern auch seinen Bruder zur Strecke zu bringen. Das Zeugnis der Alazaicis gibt Anlaß, weiter unten die Liebschaften des Pfarrers in ihrer Bedeutung fiir den Prozeß gegen ihn näher zu betrachten. Vorzeichen des Sturzes Soweit wir erkennen können, hatte Petrus Clerici seine Machtposition bis zur Verhaftung im Frühjahr 1320 ungestört inne. Der Grund für seinen Sturz war aber schon drei Jahre früher gelegt worden: am 19. März 1317 war Jacques Fournier zum Bischof von Pamiers erhoben worden. Er sah es als seine Aufgabe an, in der auf übersichtliche Größe zurechtgestutzten Diözese der katholischen Lehre und dem Zentralismus der Papstkirche zum endgültigen Durchbruch zu verhelfen. Aus einem Gespräch 1319 unter den Hirten erfahren wir, daß der Bischof seit dem vergangenen Jahr intensive Untersuchungen gegen die im Hochland verbliebenen credentes und ihre geflohenen Angehörigen aufgenommen hatte (III 181). Aus dem Bericht seines Spions Arnaldus Cicredi läßt sich der Beginn der Nachforschungen genauer datieren: Aufgrund der v o m Bischof ausgesetzten Kopfgelder von j e 50 lib tur und in der Hoffnung, durch Auslieferung eines perfectus den wegen häretischer Vergehen eingezogenen Besitz seiner Mutter freizubekommen, entschloß Arnaldus sich im Frühjahr 1318, jenseits der Pyrenäen die Spur der Gesuchten aufzunehmen (II 20f.). Neben den Fahndungsaufrufen kam das Gespräch unter den Hirten im folgenden Winter auch auf Zitationen in Montaillou (III 181): »Arnaldus Maurini, sein Bruder, sagte ihm, daß er (Petrus Maurini; d. Verf.) bisher nicht zitiert oder ausgerufen w o r d e n war; der gegenwärtige Bischof von Pamiers hatte veranlaßt, daß er (Arnaldus Maurini; d. Verf.) zweimal ausgerufen wurde, und besagter Bischof war zugleich Inquisitor und er lud die Menschen aus Montaillou vor, und er fragte sehr scharfsinnig bei ihnen nach, weil viele nicht die Hälfte von dem bekannt hatten, was sie begangen hatten. U n d , wie er sagte, läßt dieser Bischof >die Lämmer herausgehenexire las agnasignem domus tue, et ex hoc etiam tui filii ibunt vituperatione helemosinas mendicandoQuando h o m o invenit leporem dormientem, non debet eum excitare, ne forte manus eius dictus lepus cum pedibus vulneret, set debet accipere viam a remotis ne excitet leporem, set dormire permittat.« 4 »Ego video adhuc meliorem viam quam vos videatis, ad hoc ut stet domus vestra, quia ego, quamdiu vivet iste dominus episcopus, ero de domo sua, et potero facere multa bona, et in tenendo filiam meam dare in uxorem uni de filiis vestris: ita domus nostra erit bene arribata (id est in bono statu). Si tarnen tu confitearis aliquid aliud te in heresi commisisse, tu et domus tua et filii erunt destructa.«

Die Rolle des bischöflichen familiars

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Ademarii

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Die nächste Anschuldigung gegen Ademarii betrifft die Fastenzeit 1321 und stammt auch aus dieser Zeit. Nachdem Bernardus Beneti in zwei Verhören Bernardus Clerici der Anstiftung zur Falschaussage vor der Inquisition in Carcassonne bezichtigt hatte, widerrief er am 31. März desselben Jahres und gab an, Ademarii habe ihn angestiftet, den Bruder des Pfarrers zu belasten. Der Bericht, den Bernardus Beneti über Adamriis Einflußnahme gab, weist manche U n g e reimtheiten auf. In seinem Geständnis am 25. März hatte er behauptet, bei seiner Rückkehr aus Carcassonne habe er zunächst vor Trialh, dem Subkaplan von Montaillou, das Geständnis abgelegt, das Bernardus Clerici so schwer belastete. Trialh, ein Vertrauensmann des Bischofs, versah die Pfarrstelle von Montaillou, während Petrus Clerici im Kerker saß. Anschließend an das Geständnis sei Trialh mit ihm zu Petrus Ademarii gegangen. Vor beiden hätte er dann dem Inhalt nach erzählt, was er nun auch dem B i s c h o f dargelegt habe (1400). In seinem Widerruf v o m 31. März (I 406) schilderte Beneti den Vorgang ähnlich: Zunächst habe er sich nach seiner Rückkehr aus Carcassonne beschwert, daß Petrus Ademarii während seiner Abwesenheit durch den baiulus von Prades seine Tiere habe einziehen lassen. Ademarii habe ihm daraufhin die baldige Rückgabe in Aussicht gestellt. Nebenbei erfahren wir hier, daß Ademarii sich auf den Inhaber der polizeilichen Gewalt im Nachbarort stützte. Für den Fall, daß Bernardus Clerici damals noch baiulus von Montaillou war, erscheint ein solches Vorgehen verständlich. Bernardus hielt nachweislich noch während seiner Haft im folgenden Sommer und Herbst gräfliche Lehen. Etwas später sei Beneti erneut zu Ademarii gegangen, diesmal in Begleitung des Subkaplans. Von dem vorherigen Geständnis verlautet hier nichts. Ademarii habe nun noch den »consul« des Dorfes, Bernardus Martini, holen lassen und dann in Anwesenheit der beiden Zeugen Beneti der Falschaussage beschuldigt. Weiter habe er verlangt, Beneti solle widerrufen, was er in Carcassonne gestanden habe, und sagen, er sei bei der fraglichen Rezeption des Guillelmus Guilaberti nicht zugegen gewesen. Davon, daß Trialh und Ademarii das Geständnis bereits einmal angehört hatten, das Beneti später vor dem B i s c h o f wiederholte, verlautet in dieser Aussage ebenfalls nichts mehr. E r fuhr fort, Ademarii habe ihn durch den locum tenens des Kastellans festnehmen lassen und ihn zwei Tage später über Lordat nach Pamiers geführt. Unterwegs habe ihn der familiar aufgefordert, er solle aussagen, die Rezeption Guillelmus Guilabertis habe nie stattgefunden, sondern er sei von Bernardus Clerici mit Versprechungen und Geld bestochen worden. Ademarii habe dann weiter gedroht, wenn Beneti nicht so aussagen wolle, werde er dafür sorgen, daß er in Lordat gefangengenommen und gehängt werde. Außerdem sei ein Meineid vor dem B i s c h o f keine Sünde, weil der Herr B i s c h o f es selbst nicht für schlecht hielte. Angesichts dieses Druckes habe er, Beneti, dann die nunmehr widerrufene Aussage zugesagt. Angesichts des Widerrufes erwies es sich für den B i s c h o f vermutlich als Vorteil, daß er für seine Untersuchungen in Montaillou eine Sicherung eingebaut hatte, die verhindern konnte, daß seine Handlanger Geschäfte auf eigene

200

Zum Sturz der domus Clerici

R e c h n u n g machten und Zeugen beeinflußten: Subkaplan Trialh und der b i s c h ö f liche familiar Petrus Ademarii führten ihre Untersuchungen parallel b z w . g e meinsam durch. B e i dem entscheidenden Verhör war zudem n o c h der D o r f ä l t e ste Bernardus Martini anwesend. Das Vorgespräch zu diesem V e r h ö r hatte Trialh mit B e n e t i geführt. Dadurch war es B i s c h o f Fournier möglich, unabhängig von Petrus Ademarii von zwei Personen zu erfragen, welche Gestalt das Bekenntnis Benetis vor der angeblichen Beeinflussung durch Ademarii hatte. D e r B i s c h o f hatte also a u f der untersten E b e n e der Ketzerverfolgungen diesselbe Kontrollfunktion zur Verfügung, die er gegenüber der Inquisition in Carcassonne dauernd wahrnahm und die das Konzil v o n Vienne 1311 mit der Stärkung der Bischofsinquisition beschlossen hatte, um der Willkür Einhalt zu gebieten. Z w e i einander ergänzende und unterstützende, im Zweifelsfalle aber konkurrierende und kontrollierende Amtsträger sollten Korruption und M i ß b r a u c h des Inquisitionsverfahrens verhindern helfen. Protokolle etwaiger Befragungen Trialhs oder Martinis zur v o n ihnen mitangehörten früheren Gestalt des Beneti-Geständnisses sind uns nicht überliefert. Benetis W i d e r r u f wurde aber schon in der ersten April w o c h e 1321 durch N a c h richten unglaubwürdig, die in den Verhören der Zeugen der Guilaberti-Rezeption enthalten sind. N a c h den einhelligen, nicht begründet anzweifelbaren A n gaben der Beteiligten war Bernardus Beneti bei der Rezeption nicht anwesend. D e r Inhalt seines Widerrufes ist deshalb mit gutem Grund zu bezweifeln.

Intrigen der Clerici D e r V o r w u r f , sein familiar habe Zeugenaussagen beeinflußt, begegnete F o u r nier bei B e n e t i zum ersten M a l . D u r c h die Zeugenaussagen in der ersten Aprilw o c h e 1321 wurde Ademarii j e d o c h entlastet. Ende M a i k a m Bernardus Clerici in Les Allemans in Haft. W i e die B e f r a g u n g von Mithäftlingen i m folgenden N o v e m b e r ergab, unternahm er dort zahlreiche Versuche, Belastungszeugen gegen seinen B r u d e r zum W i d e r r u f zu gewinnen. Seine Aufforderungen waren regelmäßig verbunden mit dem Vorschlag, Petrus Ademarii als U r h e b e r der bisherigen Aussage anzuzeigen. Solche Beeinflussungsversuche sind gegenüber B e a t r i x - über Grazida (II 290, 292), R a m u n d a den Arsen (II 295) und Amilhaci (II 281) - , Grazida (II 291) und Alazaicis Fabri (II 287) überliefert. In der Zeit v o r dem 21. Juli 1321 fällt die Untersuchung des Inquisitors v o n Carcassonne in Montaillou, in deren Verlauf zahlreiche Personen ihre Aussagen gegen die Clerici widerriefen und Petrus Ademarii der Anstiftung zur Falschaussage bezichtigten, was dessen Verhaftung zur Folge hatte. Bernardus Clerici rühmte sich im Kerker, die Verhaftung des familiars durch die Inquisition in Carcassonne gehe a u f seinen Einfluß zurück (II 281). M i t der Verhaftung A d e mariis durch den Inquisitor gewann das P r o b l e m seiner Glaubwürdigkeit eine neue, allgemein kirchenpolitische D i m e n s i o n . D i e Untersuchungen des B i schofs gegen die Clerici hatten vielfältigen S t o f f für eine scharfe Kritik an der

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Praxis der Inquisition in Carcassonne zutage gefordert. Oberflächliche Verhörmethoden, die Bestechlichkeit wichtiger Amtsträger und die Willkür ihres unkontrollierten Handlangers im Alion waren deutlich geworden 5 . Wenn der Inquisitor von Carcassonne nun nachweisen konnte, daß Petrus Ademarii den Bischof und sein Gericht getäuscht hatte, um eigene Interessen gegen die Clerici 5

Hier geben die Mitteilungen des Bernardus Beneti über seine Falschausssage im März 1321 und die Angaben des Petrus Maurini über korrupte Notare und Dienstleute im Umfeld der Inquisition in Carcassonne Auskunft - Vgl. oben 2.2. und 3.4. Eine Aussage im Zusammenhang der Notariatsintrige, die Fournier ab September 1324 aufdeckte, verdeutlicht, worin die Inquisitionstätigkeit der Dominikaner mangelhaft war und wieso sie weiten Raum für Mißbräuche ließ. In Carcassonne begnügte sich gelegentlich der Inquisitor damit, dem Zeugen den Eid abzunehmen, verließ aber während des eigentlichen Verhörs den Raum. Die Aussage wurde im vorliegenden Fall dann nicht vom Vereidigten, sondern von seinem Begleiter, der das falsche Zeugnis in Auftrag gegeben hatte, dem Notar der Inquisition vorgetragen, der das Protokoll anfertigte. Der Zeuge brauchte nur zu versichern, daß der Inhalt der Wahrheit entspreche. Anschließend wurde in Anwesenheit des Inquisitors nach erneutem Eid das Protokoll noch einmal in Volkssprache wiedergegeben und vom Zeugen bestätigt (III 421 f., vgl. 395ff.): »Et cum fuerunt in domo inquisitionis in Audiencia, dictus Petrus de Galhaco dixit dicto domino inquisitori aliqua verba in latino, et intellexit ipse et perpendit quod loqutus fuit dictus Petrus cum dicto domino inquisitore de verbis que fuerant inter ipsum loquentem et dictum Petrum de Galhaco; et tunc dictus dominus inquisitor, stando pedes, accepit iuramentum ab ipso loquente super crimine heresis, tarn de se ut principalis quam de aliis vivis vel mortuis ut testis, presente magistro Bertholomeo Adalberti, notario inquisitionis Carcassone, et dicto Petro de Galhaco; quo iuramento per dictum dominum inquisitorem recepto, recessit dictus dominus inquisitor ab eis, remanentibus ibi dicto magistro Bertholomeo Adalberti, Petro de Galhaco et ipso loquente. Et tunc dictus Petrus de Galhaco, audiente ipso loquente et dicto notario, dixit: >Tu, Ramunde Petri, dixisti michi nocte preterita sie et sic

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